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German Pages 461 [464] Year 1993
Dieter Martin Das deutsche Versepos im 18. Jahrhundert
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von
Stefan Sonderegger
103 (227)
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1993
Das deutsche Versepos im 18. Jahrhundert Studien und kommentierte Gattungsbibliographie
von
Dieter Martin
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York
1993
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaujnahme
Martin, Dieter: Das deutsche Versepos im 18. Jahrhundert : Studien und kommentierte Gattungsbibliographie / von Dieter Martin. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker ; N. F., 103 = 227) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-11-013816-6 NE: GT
ISSN 0481-3596 © Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Drey deutsche Heldengedichte Beym ersten muß man lachen, Beym zweyten muß man gähnen; Was aber bey dem dritten? Wer, Henker! kann das lesen?
Abraham Gotthelf Kästner
Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 1992 von der Neuphilologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Meine Beschäftigung mit der hohen epischen Gattung geht zurück auf ein von Herrn Prof. Dr. Klaus Manger abgehaltenes Colloquium zu Goethes Versepen. Hieraus ist zunächst meine Magisterarbeit über Goethes 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' hervorgegangen. In stark veränderter und komprimierter Form bildet sie heute das abschließende Kapitel. Die Auseinandersetzung mit Goethes Beiträgen zur Gattung hat zugleich eine intensive, auf breiter Quellengrundlage stehende Untersuchung zum deutschen Epos im 18. Jahrhundert als wünschenswert erscheinen lassen. Die Fertigstellung dieses Unternehmens wäre ohne Hilfe von vielen Seiten nicht möglich gewesen. Mein Dank gilt zuerst Herrn Prof. Dr. Klaus Manger, der mich auf das Thema aufmerksam gemacht hat und meiner Ausarbeitung jegliche Förderung zuteilwerden ließ. Er gilt sodann Herrn Prof. Dr. Achim Aurnhammer für vielfältigen Rat und die Übernahme des Zweitgutachtens. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Die Universitätsbibliotheken zu Heidelberg und Frankfurt/Main haben mir bei der Beschaffung teilweise abgelegener Literatur geholfen, die Bibliotheken und Archive in Biberach/Riß, Göttingen, Wolfenbüttel und Zürich boten mir gastfreundliche Arbeitsbedingungen. Meiner Frau schließlich danke ich für viele Gespräche und kritische Lektüre ebenso wie für ihre Geduld, die sie von der ersten Konzeption bis zur letzten Korrektur aufzubringen hatte.
Frankfurt am Main, im November 1992
Dieter Martin
Inhalt Vorwort
I. Einleitung Gegenstand und Zeitrahmen Themen und Formen Aspekte der Gattungsentwicklung
VII
1 2 10 21
II. Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten im Spiegel ihrer Beurteilung durch Gottsched und die Schweizer 27 1. Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' und Gottsched ... Textgeschichte Charakteristika der Dichtung Gottscheds Kritik
27 29 35 48
2. Königs 'August im Lager' und die Schweizer Anlaß und Werk Ob die Schrift August im Lager ein Gedicht sey'
60 62 71
III. Klopstocks 'Messias' 1. Gattungsbewußtsein und Stoffwahl Das Programm Die Dichtung 2. Episodenreichtum und Handlungsarmut: Probleme des'Messias' Klassizistische Disposition Integration der Ewigkeit
85 85 85 94 114 114 117
X
Inhalt
Episoden Leiden als 'That"
125 133
IV. Die Jahre 1751 bis 1760 als Wielands episches Jahrzehnt betrachtet ... 141 1. 'Hermann' Charakteristika der Dichtung
143 152
2. Wieland und die biblische Epik Bodmers "Postdiluvianische" Sitten und Plagiate im 'Noah' Wieland und die öffentliche Kritik am 'Noah'
160 165 178
3. Das "menschliche" Heldengedicht 'Cyrus' Konzeptioneller Neuansatz
185 191
V. Friedrich der Große als epischer Held
203
1. Heldengedichte zu Lebzeiten Friedrichs (1745-1758) Christian Gottlob Stockei: Das Befreyte Schlesien Friederike Sophie Abel: Das eroberte Schlesien Anonymus: Friederich der Sieger
206 206 215 220
2. Heldengedichte nach Friedrichs Tod (1788-1799) Karl Friedrich Kretschmann: Friedrich der Große Daniel Jenisch: Borussias Friedrich Schiller: Plan einer 'Fridericiade'
225 226 231 240
VI. Goethes Werkpaar im Zeichen Homers
247
1. Goethe und die Homerische Frage
249
2. 'Hermann und Dorothea' - Form und Funktion der homerischen Elemente Äußere Gestalt: Musennamen und Überschriften Homerische Stilmerkmale und motivische Anspielungen Biblisches und Idyllisches in 'Hermann und Dorothea' Zur Funktion der homerischen Elemente
258 258 266 273 280
Inhalt
3. Goethes Beziehung zu Homer in seiner 'Achilleis' Einheitliches Werk oder Fortsetzung der'Ilias'? Die 'Achilleis'zwischen Mythos und Moderne
XI
285 285 292
4. Zum Verhältnis zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' ... 304
VII. Bibliographie
315
Vorbemerkung
315
1. Abkürzungen und Siglen Bibliotheken Periodika Sonstige abgekürzt zitierte Quellen und Literatur
319 319 320 321
2. Versepen I
326
3. Versepen II
387
4. Texte verwandter Gattungen (in Auswahl)
402
5. Weitere Quellen und ältere Literatur (bis 1830)
416
6. Neuere Forschungsliteratur (nach 1830)
421
VIII. Register
431
1. Verzeichnisse zu den Epen Vorbemerkung Chronologisches Register Register der Versmaße Verzeichnis der Prosaepen Thematisches Verzeichnis
431 431 432 438 440 440
2. Personenregister
445
I. Einleitung Innerhalb des hierarchischen Systems der Gattungen beansprucht das heroische Epos traditionell den ersten Rang. Die Poetiken des Humanismus - von Vida, Scaliger und anderen - legen den Maßstab für die kommenden Jahrhunderte fest. Die deutschen Barockpoetiken übernehmen diese Priorität der Epik, die von hieraus in die Dichtungstheorien der Aufklärung gelangt und auch über das 18. Jahrhundert hinaus kaum jemals in Frage gestellt wird. Während in fortgeschritteneren europäischen Literaturen der theoretischen Wertschätzung bereits in Renaissance und Barock hervorragende und national anerkannte poetische Zeugnisse zur Seite stehen, fehlt der gleichzeitigen deutschen Dichtung ein Epos von allgemeiner Geltung. Das 17. Jahrhundert widmet sich mehr der Übersetzung fremdsprachiger Epen als der Dichtung originaler Werke. Als Manko der eigenen Literatur im internationalen Vergleich und als Ansporn zu eigener epischer Produktion wird dies zunehmend in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begriffen. Im weiteren Verlauf des Säkulums entsteht ein breites Spektrum epischer Werke, das in Umfang und Gestalt bislang wenig bekannt ist.1 Der thematischen Vielfalt korrespondiert 1
Während zu einzelnen bekannten Werken eine größere Anzahl von Untersuchungen vorliegt, die im jeweiligen Kontext diskutiert werden, ist das Interesse an der Geschichte des hohen Epos im 18. Jahrhundert gering. An neuerer Forschung sind vor allem die Arbeiten von Maiworm (Wiederbelebung des Epos, Tübingen 1949; Epos der Neuzeit, in: Deutsche Philologie, II, Berlin 1960, 685-748; Neue deutsche Epik, Berlin 1968) und Maler, Versepos, in: Aufklärung, München/Wien 1980, 365-422, zu nennen. Ferner versucht Jacobs, Das Verstummen der Muse, in: Arcadia X (1975), 129-146, "die Entwicklung der epischen Dichtungsformen im XVIII. Jahrhundert" darzustellen, indem er "den Blick auf ein signifikantes Detail", die epische Eingangsformel, richtet (129). Die Breite der Entwicklung versucht insbesondere Maiworm in seinen beiden erstgenannten Publikationen nachzuzeichnen: Seine zentral mit Klopstocks 'Messias' sich beschäftigende Dissertation von 1949 beinhaltet einen "Querschnitt durch das epische Schaffen des 18. Jahrhunderts" (74-87; im Inhaltsverzeichnis heißt es "Längsschnitt"); hieran knüpft seine 1954 zuerst gedruckte Publikation zum 'Epos der Neuzeit' oftmals wörtlich an (703-718 speziell zum 18. Jahrhundert). Beide Texte bleiben bei der Fülle des Materials einerseits inhaltlich an der Oberfläche und sind andererseits bibliographisch weder vollständig noch fehlerfrei. Ein Beispiel der Fehlertradierung kann zeigen, daß Maiworms Überblick nicht durchgängig auf Quellenforschung, sondern teilweise auf ungeprüft übernommenen Angaben älterer Literatur beruht (als ungenannte Sekundärquelle darf angenommen werden: Wiegand, Patriarchade, in: Reallexikon, II, Berlin 1926-1928, 659-662): Maiworm, Wiederbelebung des
2
Einleitung
die der Formen: Biblisches begegnet neben Nationalem, Panegyrisches neben Phantastischem, Alexandriner neben (oder besser: vor) Hexameter und Stanze. Den unmittelbaren Bezug auf die Antike flankiert die Orientierung an neuzeitlichen Epikern: Milton und Ariost werden zu bevorzugten Mustern neben Homer und Vergil. Die Breite der Gattungsentwicklung kann indessen nicht deren Problematik verdecken. Die Vielfalt der Lösungsansätze darf als Anzeichen dafür gewertet werden, daß die Lösung nicht gefunden ist. Am Ende des Jahrhunderts ist der in seinem Eingang artikulierte "epische Nachholbedarf quantitativ sicher befriedigt. Auf ein exemplarisches Epos, das die Vollendung der antiken Gattung innerhalb der eigenen Literatur darstellt, können sich die Zeitgenossen jedoch nicht einigen. Klopstocks 'Messias' hat sich beinahe schon überlebt, als er endlich vollendet ist. Goethes 'Hermann und Dorothea', das Epos und Idylle in der bürgerlichen Sphäre verbindet und als individuelle Leistung in keiner der Entwicklungslinien aufgeht, steht eher am Anfang einer neuen Phase als auf dem Gipfel der Gattungsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Und Wielands 'Oberon' repräsentiert die ariostische Ritterepik, die schon in der zeitgenössischen Poetik von der Tradition der heroischen Eposdichtung unterschieden wird. Zahlreiche Werke bleiben Fragment, ebenso viele rezipiert das Publikum nur als Beispiele literarischer Fehlgeburten. Zur Versepik hohen Stils haben, so scheint es, die meisten Dichter und Leser des 18. Jahrhunderts kein ganz ungetrübtes Verhältnis. Gegenstand und Zeitrahmen Diese Versepik hohen Stils, die im 18. Jahrhundert eine wechselhafte, nicht immer glorreiche, aber deswegen nicht uninteressante Geschichte durchlaufen hat, ist der Gegenstand vorliegender Untersuchung. Die Entwicklung kleinerer epischer Gattungen, die Übersetzungen antiker sowie neuzeitlicher Epen und die fortdauernde Tradition neulateinischer Epik bleiben hingegen weitgehend unberücksichtigt.2 Ihrem zentralen Thema nähert sich die Arbeit in
2
Epos, 86, u. Epos der Neuzeit, 712, nennt einen Autor namens "Lederer" als Verfasser einer "Patriarchade 'Opfer Noah"' von 1783. Tatsächlich handelt es sich bei dem Werk, dessen Titel korrekt 'Das Opfer des Noah' lautet, um ein kleines Oratorium des Komponisten und Textdichters Joseph Lederer (1733-1796) aus Ulm (Textheft in der dortigen Stadtbibliothek). Vor allem die beiden letztgenannten Bereiche bedürften einer umfassenden Behandlung, bevor sie mit den hier vorgelegten Ergebnissen in Beziehung gesetzt werden könnten. - Für das besonders stark vernachlässigte Phänomen der neulateinischen Epik vgl. Wiegands Nachwort zur Neuausgabe des Kolumbus-Epos von Vincentius Placcius, Atlantis Retecta, Heidelberg 1992, 149-168. So wäre etwa die 1753 erschienene 'Colombona' von Johann Jakob Bodmer, dessen Vorwort auf neulateinische Werke Bezug nimmt, ohne den Hintergrund der von Wiegand dargestellten Tradition sicher nicht angemessen zu würdigen (ebd., 165-168).
Einleitung
3
zweifacher Weise: Einerseits wird eine bibliographisch möglichst umfassende Beschreibung der Gattung und ihrer Randgebiete angestrebt, andererseits sollen auf dieser Grundlage detaillierte Studien einzelne Werke und symptomatische Fragestellungen exponieren. Während letztgenannter Teil die Möglichkeit eingehender Erörterungen zur Gattungszugehörigkeit ausgewählter Texte bietet, benötigt die Erstellung der Bibliographie, die eindeutige Entscheidungen für und wider die Aufnahme einzelner Werke fordert, eine praktikable Gattungsbestimmung und einen klaren zeitlichen Rahmen. Das Epos, dessen zeitgenössische deutschsprachige Gattungsbezeichnung meist "Heldengedicht" lautet, sei hier verstanden als eine Handlung erzählende Versdichtung gehobenen Anspruchs und größeren Umfangs. Diese Bestimmung bedarf in allen ihren Teilen der Erläuterung: Als Dichtung in Versen unterscheidet sich das Epos von prosaischen Werken. Aus dem zentralen Bereich der bibliographischen Beschreibung (Abschnitte VII. 2 und 3) wird damit neben dem Roman in seinen unterschiedlichen Gestaltungen auch die Ubergangsform des Prosaepos ausgegliedert, die mit dem Versepos alle anderen Merkmale gemeinsam hat und durch ihre oftmals rhythmisierende Behandlung der Prosa eine besondere Nähe zu diesem aufweist. Die nachgewiesenen Prosaepen sind unter die Texte verwandter Gattungen (Abschnitt VII. 4) aufgenommen und durch ein Verzeichnis in Kapitel VIII erschlossen. Als Handlung erzählende Dichtung unterscheidet sich das Epos von dramatischen Dichtungen einerseits und andererseits von primär lehrhaften und beschreibenden Dichtungen. Während im Versepos sowohl beschreibende und lehrhafte als auch - in formaler Hinsicht - dramatische Passagen begegnen, sind wirkliche Zwischenformen wie ein "dramatisches Heldengedicht" oder ein "episches Lehrgedicht" 3 selten und werden gleichfalls unter den Texten verwandter Gattungen verzeichnet. Als Dichtung gehobenen Anspruchs unterscheidet sich das hohe Epos von parodistischen, satirischen, komischen und ähnlichen Varianten der Gattung. Der gehobene Anspruch artikuliert sich explizit durch die ernsthafte Verwendung einer Gattungsbezeichnung in Titel oder Vorrede und implizit durch ein Thema von nationaler, religiöser oder sonstiger Wichtigkeit sowie in der ernsthaften stilistischen Anknüpfung an die Tradition der Gattung durch Übernahme typischer Merkmale (zum Beispiel Prooimion, katalogartige Auf-
3
Die erste Gattungsbezeichnung findet sich bei Babo, Römer in Deutschland (1780), die zweite bei Dusch, Tempel der Liebe (Ausgabe 1767). Zur didaktischen Dichtung und ihrer Stellung im Gattungsgefüge vgl. Siegrist, Lehrgedicht der Aufklärung, Stuttgart 1974, insb. 20-53. - Vgl. die ausführlichere Verzeichnung der hier und im folgenden mit Kurztitel zitierten Werke in der Bibliographie sowie den jeweiligen Kommentar. Zur Anlage und zum Modus der Titelaufnahme in den unterschiedlichen Teilen der Bibliographie gibt die dortige Vorbemerkung Auskunft.
4
Einleitung
zählungen). Während hier die komischen Varianten der Gattung, auch im Hinblick auf ihre mehrfache Behandlung in der Forschung, 4 weder bibliographisch noch inhaltlich berücksichtigt sind, wird mit der Epik in der Nachfolge Ariosts differenzierter verfahren. Sie ist als Dichtung gehobenen Anspruchs einerseits fraglos Bestandteil der Gattungsgeschichte des großen Epos. Ebenso fraglos unterscheiden jedoch bereits die Zeitgenossen Werke dieses Genres, die sie etwa als "Rittergedichte" oder "romantische Epopöen" bezeichnen, von der "ernsthaften Epopöe". 5 U m diesem Befund Rechnung zu tragen, sind die ariostischen Epen, zu denen eigene Untersuchungen vorliegen, 6 zwar nicht Gegenstand einer Detailstudie, aber bibliographisch gemeinsam mit den Versepen erfaßt und durch ein thematisches Verzeichnis erschlossen. Schließlich unterscheidet sich das Epos als Dichtung größeren Umfangs von der kürzeren Verserzählung, die meist auch in Anspruch und Ton niedriger gestimmt ist. 7 Das Epos ist in der Regel in Gesänge unterteilt, deren Umfang sich lose an dem der antiken Muster orientiert, teilweise aber auch deutlich unter diesem bleibt. Eine definitive Grenze anzusetzen, bei deren Unterschreitung ein Werk nicht als Epos zu bezeichnen sei, wäre pedantisch und fragwürdig. Nennt man als Richtwert für vollendete Werke 8 jedoch den Umfang von circa 1000 Versen, so kann man sich auf die zeitgenössische Aussage berufen, daß "etwan tausend Zeilen [...] das gewöhnliche Maaß der Tragödien, der Helden-Bücher und andrer großen Gedichte" seien. 9 4
5
6
7
8 9
Vgl. (mit weiterer Literatur) Schmidt, Vorstudien zu einer Geschichte des komischen Epos, Halle 1953, Maler, Held im Salon, Tübingen 1973, der das komische Epos vom Epyllion unterscheidet, und zuletzt Moennighoff, Intertextualität im scherzhaften Epos, Göttingen 1991. Vgl. ζ. B. Eschenburg, Entwurf, Hildesheim/New York 1976, 140 (Nachdruck der 1. Auflage von 1783): "Das romantische Heldengedicht, oder die Ritterepopöe hält [...] zwischen der ernsthaften und komischen Gattung das Mittel, in so fern nämlich ihr Inhalt, ihre handelnden Personen, ihr Wunderbares, und der erzählende Vortrag des Dichters Ernst und Munterkeit, Würde und Scherz, Feyerlichkeit und Laune, mit einander verbinden." Alxinger bezeichnet 'Doolin von Maynz' (zuerst 1787) und 'Bliomberis' (1791) als "Rittergedichte"; das letztgenannte Werk heißt im Vorabdruck "Ritterepopee". Vgl. neben den Untersuchungen zu Wielands Beiträgen (s. Wieland-Bibl) etwa ligner, Romantic chivalrous epic, Bern u. a. 1979; Heier, Nicolay, Bonn 1981; Bauer, Otaheiti, in: Euphorion LXXXII (1988), 270-280 (insb. zu Alxingers 'Doolin'; mit weiterer Literatur in Anm. 1). Schelle, Verserzählung, in: Reallexikon, IV, Berlin/New York 1984, 698-723, hier 699-700, bezeichnet diese als "epische Kleinform, die sich ihrem äußeren und inneren Umfang nach zum (Vers-)Epos etwa so" verhalte "wie die Prosaerzählung zum Prosaroman", und gibt einige grobe Anhaltspunkte für deren Umfang an. Bei Fragmenten bietet der Umfang freilich keinen verläßlichen Maßstab. So begründet Karl Wilhelm Ramler gegenüber Johann Wilhelm Ludwig Gleim seine Aufforderung, sich Erweiterungsmöglichkeiten für Ewald Christian von Kleists 'Frühling' zu überlegen (BW Gleim/Ramler I, 175; 8.7.1749).
Einleitung
5
Diese Bestimmungen, die einen ersten Begriff des behandelten Gegenstands bieten, lassen sich als Bündel von unterschiedlich gewichteten Kriterien verstehen, die eine Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Werks in die Gattungsbibliographie erlauben. Nach dem formalen Kriterium der Versifikation rangiert hierbei zunächst die originale Gattungsbezeichnung in Titel oder Vorrede. Nennt ein Verfasser sein Werk explizit "Heldengedicht" und sprechen keine Indizien für eine parodistische Verwendung dieser Bezeichnung, so findet das Werk Aufnahme in die Bibliographie - auch wenn es stilistisch deutlich von normativen Vorstellungen divergiert und den angegebenen Umfang nicht annähernd erreicht. 10 Nur so läßt sich die stilistische Breite der im 18. Jahrhundert unter dem Namen "Heldengedicht" erschienenen Werke und der fließende Übergang etwa zwischen zeitgeschichtlichem Epos und Panegyrikum dokumentieren. Verwendet der Verfasser keine eindeutig auf die epische Tradition weisende Gattungsbezeichnung, so muß die Gattungszugehörigkeit anhand sekundärer Kriterien entschieden werden. Im günstigsten Falle sprechen (gewöhnlich nach dieser Reihenfolge gewichtet) Stoff, Stil und Umfang übereinstimmend dafür, dem Autor einen impliziten Anspruch auf Gattungszugehörigkeit zu unterstellen; 11 im ungünstigsten ist weder ein Exemplar des Werks noch ein Rezeptionszeugnis, das relevante Indizien bieten könnte, nachzuweisen. Alle Zwischenformen sind denkbar, so daß vereinfacht gilt: Je weniger Kriterien für die Entscheidung angewendet werden können, desto schwieriger ist diese und desto weniger wird sie mit gutem Gewissen getroffen. Ein entlastendes Korrektiv ist in der Zusammenstellung von Texten verwandter Gattungen gegeben, in die unter anderem Werke aufgenommen werden, deren Zuordnung aus genannten Gründen schwierig oder unmöglich bleibt. Den Ausgangspunkt der bibliographischen Forschungen bildeten die systematischen Verzeichnisse in Friedrich von Blankenburgs 'Litterarischen Zusätzen zu Johann George Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste' und Erduin Julius Kochs 'Compendium der Deutschen Literatur-Geschichte' vom Ende des 18. Jahrhunderts. 1 2 Diese waren anhand der Originale und neuerer Bibliographien kritisch zu überprüfen und durch weitergehende 10
11
12
Vgl. David Andreas Schnellers "Helden-Gedicht" auf Graf Moritz von Sachsen, das in Gottscheds 'Neuestem aus der anmuthigen Gelehrsamkeit' als "poetische Chimäre" bezeichnet wird (NaG I [1751], 212). Ein Beispiel, in dem das Werk selbst einen höheren Anspruch verrät, als der Verfasser in der Vorrede expliziert, bietet Daniel Wilhelm Trillers 'Prinzenraub' (vgl. die Zitate in VII. 2). Seine Bezeichnung des Werks als "historisches Gedichte" in der Tradition Lucans läßt sich als "Schutzbehauptung" im Blick auf den zunehmend enger werdenden Gattungsbegriff bei Gottsched erkennen, der Lucan aus dem epischen Kanon ausschließt (vgl. Kapitel II. 1). Demgegenüber wird hier ein weiterer, weniger normativer Begriff angewendet. Blankenburg II, 8-83, insb. 79-83; Koch I, 93-144, insb. 112-117. Für Kurztitel dieser Art vgl. das Abkürzungsverzeichnis in Abschnitt VII. 1.
6
Einleitung
Recherchen vor allem in zeitgenössischen Quellen erheblich zu ergänzen. Hierzu zählen bio-bibliographische Nachschlagewerke, Meßkataloge sowie insbesondere kritische und literarische Zeitschriften. Die letztgenannte Quellengruppe, die aufgrund des weitgehenden Fehlens von verläßlichen Registern 1 3 eigenständig zu bearbeiten war, ist sowohl für den Nachweis unselbständig oder fragmentarisch publizierter Epen als auch für deren kritische Rezeption nahezu unerschöpflich. Vollständigkeit ist daher vor allem in diesem Bereich nicht zu erwarten. Forschungen in brieflichen Zeugnissen und in ausgewählten Bibliotheken (Biberach/Riß, Göttingen, Wolfenbüttel und Zürich) haben die Materialgrundlage vor allem hinsichtlich geplanter und ungedruckter Epen erweitert (Abschnitt VII. 3). Nach der ansatzweisen inhaltlichen Bestimmung des Gegenstands, die durch methodische Hinweise zur Gattungsabgrenzung und zur bibliographischen Verzeichnung 14 ergänzt worden ist, bedarf der gewählte Zeitrahmen einer näheren Erörterung. Für die Aufnahme von Werken in die Bibliographie wurde die Zeitspanne von 1725 bis 1800 festgelegt. Jedoch wird in der ersten und in der letzten Studie der gesteckte Rahmen insofern überschritten, als Johann Valentin Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' bereits 1719 fragmentarisch publiziert worden ist und Goethes 'Achilleis'-Fragment von 1798/99 erst 1808 gedruckt vorgelegen hat. Auch läßt sich die gesetzte Zeitspanne kaum als einheitliche Epoche in dem Sinne verstehen, daß Anfangs- und Enddatum markante Zäsuren gegenüber klar abgrenzbaren, umliegenden Perioden darstellen würden. Während das Jahr 1800 als Enddatum eher äußerlich durch die Wende von einem Jahrhundert zum nächsten und durch Goethes endgültige Abkehr von der versepischen Gattung bestimmt ist, kann jedoch versucht werden, die Zeit um 1725 etwas ausführlicher als sinnvolle Grenze zu begründen. Ohne die Geschichte des Epos über Gebühr zu personalisieren, darf innerhalb dieser das etwa gleichzeitige öffentliche Auftreten Johann Jakob Bodmers und Johann Christoph Gottscheds in den Jahren um 1725 als wichtiger Impuls angesehen werden. Beide sind von Beginn ihrer literarischen und 13
Der von der Göttinger Akademie der Wissenschaften erstellte Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750-1815, Hildesheim 1989-1990, ist aufgrund seiner breiteren Ausrichtung für den Nachweis literarischer Texte und deren Rezensionen wenig ergiebig (vgl. ebd., X V - X V I ) . Der im gleichen Institut im Aufbau befindliche Index zu Rezensionsorganen des 18. Jahrhunderts verspricht für diesen Bereich wesentlich mehr Material. - Für einzelne Zeitschriften sind wenig moderne Hilfsmittel vorhanden; eine Ausnahme bilden 14 Periodika der Berliner Spätaufklärung, die in der ersten Abteilung des nicht weiter gediehenen Index zu deutschen Zeitschriften der Jahre 1773-1830, Nendeln 1979, von P. Hocks und P. Schmidt inhaltlich exakt beschrieben sind. Ein von Th. C. Starnes bearbeitetes Repertorium zum 'Teutschen Merkur' erscheint demnächst und konnte noch nicht berücksichtigt werden.
14
Vgl. hierzu die Vorbemerkung zur Bibliographie.
Einleitung
7
kritischen Laufbahn an als Rationalisten von einem stark systematischen Gattungsdenken geprägt und von der Sonderstellung der Epik überzeugt. Beide beschäftigen sich mit älteren deutschen Beiträgen zur epischen Gattung und äußern - auch im Blick auf die erfolgreicheren Nachbarn - bereits früh ihr Ungenügen an diesen. In deutlicher Abgrenzung zur barocken Dichtung sehen beide, die im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts zu führenden und um die Vorherrschaft in poetischen Fragen streitenden Gestalten der literarischen Landschaft werden, für die internationale Geltung der deutschen Dichtung die Notwendigkeit eines repräsentativen Epos. Sie engagieren sich hierfür durch theoretische Äußerungen und durch Kritik, durch eigene Übertragungen und durch Förderung fremder Übersetzungen, 15 durch thematische Vorschläge und zuletzt durch eigene Produktion. Manches von dem hier knapp Zusammengefaßten findet seine ausführliche Erörterung in den folgenden Kapiteln. Einige Fakten, die die Abgrenzung von spätbarocker Dichtung und darin vielleicht das Bewußtsein eines epochalen Neuansatzes erkennen lassen, sind im Blick auf die gewählte Zeitgrenze bereits hier auszubreiten. Von den jüngeren schlesischen Dichtern, von Hoffmannswaldau und Lohenstein, sprechen Bodmer und Gottsched im Tone der Verachtung. Sie suchen die führenden vaterländischen Poeten nicht in den zurückliegenden Generationen, sondern erheben Dichter der Gegenwart zu neuen Mustern. Während Gottscheds frühes Eintreten für seinen Königsberger Lehrer Pietsch primär von seinem persönlichen Verhältnis zu diesem bestimmt gewesen sein mag, sieht Bodmer in seinen ersten Jahren im Hamburger Ratsherrn Barthold Heinrich Brockes und dem sächsischen Hofdichter Johann Ulrich von König hoffnungsvolle Neuerer. 1 6 Mit beiden tritt Bodmer bereits vor 1725 in Korrespondenz und erhält von ihnen literarische Informationen zum Beispiel über die beiden großen deutschsprachigen Epen des Barock: Wolfgang Helmhard von Hohbergs 'Der Habspurgische Ottobert' (1663-1664) und 'Der grosse Wittekind' von Christian Heinrich Postel, dessen postume Drucklegung gerade in Hamburg vorbereitet wurde. 17 Und mit beiden korrespondiert Bodmer über die Frage eines zu schreibenden deutschen Epos. Brockes möchte er
15
16
17
Während Gottsched etwa die Vergil-Übersetzung von Johann Christoph Schwarz (1742-1744) und die Tasso-Übersetzung durch Johann Friedrich Kopp (1744) fördert, überträgt Bodmer selbst vor allen Milton und Homer. Vgl. zu Gottsched und Pietsch sowie zu Bodmer und König Kapitel II. - In seiner zuerst 1734 gedruckten literarhistorischen und didaktischen Dichtung 'Charakter der Teutschen Gedichte' (wieder in: Bodmer, Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883, 1-47) setzt Bodmer den Niedergang der deutschen Literatur bei Hoffmannswaldau und Lohenstein an (321-388) und äußert sich sehr positiv zu Brockes (736-772). Vgl. Litterarische Pamphlete, Zürich 1781, 33-34 u. 45-46 (König an Bodmer, 28.3.1724). - Posteis unvollendetes Werk ist noch 1724 von Christian Friedrich Weichmann herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet worden.
8
Einleitung
"überreden", "selbst ein vollkommenes poema heroicum zu verfertigen", 18 und König übersendet er den "Entwurff eines Heldengedichts Arminius".19 Mit seinem epischen Projekt tritt Bodmer in Konkurrenz zu Lohensteins gleichnamigem Roman. Der Briefpartner bestätigt dies, indem er in Bodmers Entwurf "mehr gesundes Urtheil [...] als in dem Lohensteinischen" findet. 20 Gleichzeitig verfaßt Bodmer, der bereits in den 'Discoursen der Mahlern' gegen die Barockromane polemisiert, eine Kritik gegen den 'Arminius' des Schlesiers.21 Bodmer wählt den gleichen Helden wie Lohenstein, schlägt aber eine Gestaltung in epischer Form vor. Schon dies bedeutet eine klassizistisch geprägte Absage an den Roman als literarische Form. Dem erhabenen nationalen Gegenstand ist in Bodmers Sicht, die sich dadurch vom Spätbarock distanziert und Züge einer nachgeholten Renaissance trägt, nur die erhabene Gattung von klassischer Geltung gemäß. Bodmer nimmt auch in weiteren Zeugnissen seines 'Arminius'-Projekts, das das Bild des Zürchers als eines ausschließlich an biblischer Epik Interessierten korrigieren kann, gegen Lohensteins Roman Stellung und knüpft damit an die 'Mythoscopia Romantica' seines älteren Landsmanns Gotthard Heidegger an. 22 Dessen kritische Argumente und eine rationalistische Abgrenzung vom barocken "Geiste der Verwicklung", der den Leser "durch zehnfach verwikelte und in einander gesteckte Geschichtes-Erzehlungen in eine ungeduldige Verzweifelung" setze, kennzeichnen noch die aus dem Jahre 1743 stammende Besprechung Bodmers zu einer epischen Verseinlage aus Herzog Anton Ulrichs Roman 'Die Römische Octavia' 2 3 Wenn Bodmer diese 18
19 20 21
22
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Nach Brockes' Antwort vom 19. November 1723 (Litterarische Pamphlete, 27). Zu der ablehnenden Haltung des Hamburgers gegenüber Bodmers Ansinnen vgl. u. S. 21-22. Nach Brandl, Brockes, Innsbruck 1878, 143 (König an Bodmer, 15.5.1725). Vgl. Kap. IV, S. 146, u. die Dokumente in Kap. VII. 3 (Bodmer, Arminius). Nach Brandl, Brockes, 143 (König an Bodmer, 15.5.1725). Kritik und Epos-Entwurf sind wohl nicht erhalten, beider Existenz ist nur aus sekundären Zeugnissen zu erschließen. Vgl. Brandl, Brockes, 146 (König an Bodmer, 15.5.1725). Ergänzt durch eine Untersuchung der barocken Epen Ottobert' und 'Wittekind' sollten beide Beiträge, die kritische Attacke gegen den Roman und der eigene konkurrierende Eposplan, in einer Gemeinschaftspublikation von König und Bodmer erscheinen, die dann nicht verwirklicht worden ist. - Die Discourse der Mahlern III (1722), 97-112, enthalten ein satirisches Gespräch, an dem auch Lohensteins Titelheld beteiligt ist. Vgl. Martino, Lohenstein, I, Tübingen 1978, 299-303, der am Rande auch Bodmers Eposplan erwähnt. Vgl. das Zitat aus den von Bodmer herausgegebenen 'Kleineren deutschen Schrifften' Heideggers von 1732 in Abschnitt VII. 3 (Bodmer, Arminius). Zu Heidegger, der "die Kritik der Aufklärung am Barockroman" vorwegnehme, und Bodmers Anknüpfung an diesen vgl. Martino, Lohenstein, I, insb. 224-228 u. 322-324. Versuch eines Epischen Gedichtes von David dem König in Juda; mit Vorrede und Anmerckungen über die Anlage desselben; Nach den Begriffen der vor-
Einleitung
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Einlage als "romanhaft" charakterisiert, dann geschieht dies im gleichen Bewußtsein, in dem Gottscheds 'Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit' die Gattungen Epos und Roman bewerten: "Ein Roman ist zwar, in soferne er als ein Gedichte angesehen wird, mit unter die Gattungen der Poesie zu rechnen, er erlanget aber bey derselben nur eine von den untersten Stellen"; einem "Helden-Gedichte" sei er "weit nachzusetzen". 24 Während Bodmers Distanzierungen vom späten Barock mit dem monumentalen Roman dessen repräsentative Form in den Blick nehmen, untersucht Gottsched mit Helmhard von Hohbergs 'Habspurgischem Ottobert' das repräsentative Epos dieser Epoche. Die Argumentation ähnelt jedoch derjenigen Bodmers. Denn es kommt einem aus klassizistischer Sicht gefällten Verdikt gleich, wenn er das Werk nach ausführlicher Prüfung als "Roman in Versen" bezeichnet. 25 Sein Maßstab, daran läßt Gottsched keinen Zweifel, sind die "ersten und besten Muster der Alten"; mit rationalistischem Impetus erklärt er, daß "man [...] vernünftig" handle, "wenn man nach [deren] Einrichtung eine
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nehmsten Kunstverständigen, in: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften X (1743), 3-84. Der Vorrede (5-17) folgt ein von kritischen Fußnoten begleiteter Abdruck des Textes. Mit seinen zitierten Urteilen nimmt Bodmer explizit auf die "Vorstellung des Verfassers der Romantischen Mythoscopie" Bezug (17). - 'Die Geschichte des Davids / Königs in Juda' ist zuerst gedruckt in der letzten Fassung von Anton Ulrichs Roman (Die Römische Octavia, Braunschweig 1712, IV, 415-464). Nach freundlicher Auskunft von Dr. Maria Munding, Wolfenbüttel, ist für das epische Fragment kein fremder Autor nachzuweisen. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften X (1743), 36 (Anm. zu V. 521). - BCH II (1733-1734), 274 (Eingang der Rezension zu Η. A. v. Ziegler, Asiatische Banise, Leipzig 1688). Indem er Zeugnisse wie diese übergeht, versucht Hoyt, Rezeption des Barockromans in der frühen Aufklärung, in: Europäische Barock-Rezeption, Wiesbaden 1991, I, 351-364, nachzuweisen, daß der "Barockroman [...] von Theoretikern und Kritikern im Allgemeinen positiv rezipiert" worden sei, "da zumindest der gebildete Leser sich im Stilerwarten wie auch im System der Werte noch wesensverwandt mit dem absolutistischen Hof' empfunden habe (364). - Im folgenden wird davon ausgegangen, daß die Urteile aus den 'Beyträgen' vom Herausgeber Gottsched selbst stammen oder seine Meinung unmittelbar widerspiegeln. Gottsched AW XII, 46-47, ist hingegen wesentlich zurückhaltender und verzeichnet diese Beiträge nicht als Werke Gottscheds. Die Zuweisung von Zeitschriften-Artikeln beruht "auf eigenem Urteil und Gutdünken des Bearbeiters" und verweigert die Aufnahme Besprechungen von Werken, "die außerhalb Gottscheds Interessengebiet lagen" (ebd., 2); sie hätte also in vorliegenden Fällen ebensogut umgekehrt ausfallen können. BCH II (1733-1734), 541-576, hier 576. Gottsched knüpft damit (bei freilich negativer Wertung) an Sigmund von Birken an, der nach Martino, Lohenstein, I, 118-119, den Ottobert' zu "den Vorläufern des geschichtlich-höfischen Barockromans" zählte (weitere Literatur zu Helmhard von Hohberg ebd., 116, Anm. 337).
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Erklärung von einem Heldengedichte machet".26 Am deutlichsten sind Gottscheds Einwände gegen Sujet und Struktur des 'Ottobert': "Diese Fabel schickt sich wohl zu einem Roman, aber zu keinem Heldengedichte." 27 Auch die verzweigte und mehrgleisige Handlungsführung kann seiner Vorstellung nicht gerecht werden. Nach Horazens "simplex et unum" fordert er, daß das Werk "nur eine" Handlung beinhalten dürfe und daß diese "ganz" - im Sinne von "vollständig" - sein müsse.28 Nach diesen Kriterien ist die Struktur des Ottobert' überaus mangelhaft, denn eine Haupthandlung ist kaum zu bestimmen, und die "Zwischenfabeln" stehen für den analysierenden Aufklärer in keiner notwendigen Verbindung untereinander: "Ihre ganze Verknüpfung ist, daß sie in einem Buche stehen".29 Die kritische Betrachtungsweise spätbarocker Werke durch Gottsched und Bodmer, die den eigenen rationalistischen Standpunkt betont und die gescholtenen Zeugnisse aus dem "Geiste der Verwicklung" gedichtet sieht, ist die einer neuen Epoche auf eine vergangene und überwundene Zeit. In Ablehnung derselben verleihen sie ihrer Argumentation durch den Rekurs auf die Antike normative Kraft. Gegen den barocken Roman oder das "romanhafte" Epos setzen sie - vereinfacht gesagt - die Forderung nach einem Epos, das nach klassizistischen und damit der Zeit als vernünftig und natürlich geltenden Regeln streng geformt ist. Betrachtet man Gottsched und Bodmer als zentrale Träger und Vermittler dieser Geisteshaltung und bemerkt zugleich, daß sich beider erstes Auftreten um 1725 mit dem Engagement für ein deutsches Epos verbindet, dann dürfte es gerechtfertigt sein, den Untersuchungszeitraum mit diesem Datum zu begrenzen. Themen und Formen Kurz nach der Mitte des genannten Zeitraums, im Jahre 1768, zieht Friedrich Justus Riedel im Rückblick auf die episch produktiven fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts ein aufschlußreiches Resümee der bisherigen Gattungsentwicklung. Der Erfurter Professor beschließt im achten seiner kritisch-ästhetischen Briefe 'Ueber das Publicum' seine "Erzählung von den Schicksalen unserer Litteratur", die ihn im siebten Brief von den Anfängen bis an die Schwelle seiner eigenen Zeit führt, 30 mit einem Bild der gegenwärtigen Situation. Während Riedel als Folie seines Berichts über die ältere Literatur Bodmers Lehrgedicht 'Character der Teutschen Gedichte' wählt, schildert er die "große Revolution des deutschen Geschmacks im achtzehenten Jahrhunderte", die er zu gleichen Teilen durch "die Schweizer, Gottsched und die 26 27 28 29 30
BCH II (1733-1734), BCH II (1733-1734), BCH II (1733-1734), BCH II (1733-1734), Riedel, Briefe 80-94.
541-542. 563. 564. 566.
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Berliner" bewirkt sieht, 31 in eigenen Worten. Für sein Panorama der aktuellen Lage wechselt Riedel wiederum den Darstellungsmodus. Im achten Brief nämlich begibt er sich in die Rolle eines fernöstlichen Besuchers und nutzt die distanziert-neutrale Perspektive zu einer Schilderung, die nicht zu parteiischen Stellungnahmen genötigt ist. Nach Einwänden gegen die mißliche Dominanz der "Theoristen" über die "Dichter", der "Regeln" über die "Genies" und der "Critik" über die "Kunst" 32 läßt der Autor seinen "Chineser" Bilder von den gegenwärtigen Leistungen in einzelnen Dichtungsarten entwerfen. Obwohl Riedel progressiv gegen eine regelhafte Poetik opponiert, bleibt er dem hierarchischen Gattungsdenken, das alle normativen Entwürfe entscheidend prägt, durchaus verhaftet. Dies zeigt schon die Reihenfolge der behandelten Gattungen. Das Heldengedicht führt die Sequenz an. Es folgen Drama, Lehrgedicht, Ode, (anakreontisches) Lied und Satire. Bemerkungen über "prosaische Skribenten", unter denen Romanschriftsteller und sonstige "Prosaisten" zusammengefaßt sind, die bildenden Künste und die Philosophie schließen den Reigen. 3 3 Das Epos wird durch seine vorrangige und ausführliche Behandlung fraglos als oberste Gattung anerkannt, während etwa der Roman - wie bei Gottsched und Bodmer aus dem Kanon der im engeren Sinne poetischen Gattungen ausgeschlossen bleibt. Der Abschnitt über das Heldengedicht sucht nach einer Erklärung für das Dilemma der Deutschen, das der reisende Exot im Kontext seiner Betrachtungen zum unausgewogenen Verhältnis von Theorie und Praxis konstatiert hatte: "sie verstehen alles, was zu einer Epopäe gehöret; aber sie machen keine". 34 Umrahmt von kurzen Absätzen, die bereits existente epische Versuche bewerten, behauptet die hier vollständig wiedergegebene Passage für das deutsche Epos des 18. Jahrhunderts die Unmöglichkeit einer adäquaten Stoffwahl: "Sie [die Deutschen] nennen ein Heldengedicht von Klopstocken, einem ihrer grösten Poeten; es ist noch nicht vollendet und für den Chineser völlig unverständlich." "Vielleicht aber werden die Deutschen ein vollkommenes Heldengedicht nie haben, nie haben können. Weil sie den Begrif der Epopäe aus dem Homer schöpfen, so erfordern sie zu einem solchen Werke allemahl etwas Wunderbares, welches durch die Einwürkung übernatürlicher Kräfte, die sie Maschinen nennen, erhalten wird. Woher nun den Stoff des Gedichts und woher die Maschinen? Nicht aus der neuem Zeit; denn Wunderwerke sind nicht mehr Mode und selbst der Dichter hat nicht das Recht, Dinge einzuführen, die dem gemeinen Glauben so sehr entgegen sind. Nicht aus den alten deutschen Geschichten; denn die Wunder dieser Zeiten und die altbardischen Gottheiten kennt das lesende Publicum zu wenig; und eine jede andere Mythologie wäre an
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Riedel, Riedel, Riedel, Riedel,
Briefe Briefe Briefe Briefe
88. 97. 98-102. 97.
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Einleitung diesem Orte unschicklich. Nicht von den Ausländem; selbst nicht aus dem ReligionsSystem der Griechen; denn mit diesem verbindet ein Mann, der den Lucian und Wieland gelesen hat, so viele lächerliche Ideen, daß die griechischen Götter keine ernsthafte Würkung mehr thun können. Das ganze Ding ist für unsere Zeiten zu unwahrscheinlich, als daß es der Dichter in einem großen ernsthaften Werke gebrauchen dürfte. Nicht aus der christlichen Religion; denn diese ist theils nicht sinnlich genug, und theils ist die christliche Mythologie deswegen nicht für den Dichter gemacht, weil dieser Gottheiten bedarf, die schon sattsam charakterisiert sind, wo jede ihre eigenthümlichen Beschaffenheiten und Handlungen hat. Wo ist aber der individuelle charakteristische Unterschied unter den Engeln, den der Dichter schon voraussetzen könnte? Soll ihn der Poet erst selbst erschaffen, so muß er allemahl von den Homeren übertroffen werden, deren Mythologie schon ganz fertig vor ihnen lag. Nicht endlich aus der Allegorie; denn die Personen in der Epopäe müßen handeln, und allegorische Wesen als handelnd vorgestellt, mit würklichen Wesen gemischt, sind in einem ernsthaften Werke unerträglich." "Außerdem ließt man zuweilen noch Nachrichten von anderen Epopäen der Deutschen, von einem Hermann, Nimrod, Lucifer, einer Sündfluth; allein diese Gedichte selbst werden nicht mehr gelesen."35
Die von Gottsched als "vernünftig" bezeichnete Ableitung des Gattungsbegriffs von den antiken Mustern trägt für den der normativen Poetik skeptisch gegenüberstehenden Riedel die wesentliche Schwierigkeit des neuzeitlichen Epikers in sich. Denn integraler Bestandteil von Homers Epen sind selbständig handelnde Gottheiten, die sich charakteristisch voneinander unterscheiden, dem Publikum vertraut sind und von diesem anerkannt werden. Ein Dichter, der sich in aufgeklärter Zeit an ein klassizistisches Epos wagt, hat für Riedel insbesondere mit der Integration der sogenannten "Maschinen", ohne die dem ernsten Epos das ihm als essentiell angesehene Wunderbare 36 mangelt, in seinen Gegenstand zu kämpfen. Probleme ergeben sich vor allem durch den Glaubwürdigkeitsverlust antiker Gottheiten oder wunderbar-göttlichen Einflusses in der modernen Welt, durch die Unbekanntheit der germanischen Götter sowie durch den Mangel sinnlich darstellbarer Handlung und charakteristischer Unterscheidung bei wunderbaren Wesen aus der "christlichen Mythologie".37 Ein "vollkommenes Heldengedicht" im Sinne der an der 35 36
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Riedel, Briefe 98-99 (Hervorhebungen im Original). Die zuletzt genannten Werke sind: Schönaich, Hermann (1751); Naumann, Nimrod (1752); Hudemann, Lucifer (1765); Bodmer, Syndflut (1753). Zum "Wunderbaren" vgl. den Forschungsbericht von Horch/Schulz, Das Wunderbare, Darmstadt 1988, und die dort genannte Literatur. - Auf den Zusammenhang zwischen dem Wunderbaren und einer anderen wichtigen Kategorie des 18. Jahrhunderts, dem Erhabenen, hat jüngst Zelle in seiner ausführlichen Einleitung zu Pyra, Über das Erhabene, Frankfurt/M. u. a. 1991, mit einem Zitat aus Bodmers Anmerkungen zu seinem 'Noah'-Plan hingewiesen (15 u. Anm. 86). Inwieweit das Interesse am Epos auch mit dieser neuen Kategorie des Erhabenen zusammenhängt, wäre eingehender zu prüfen. In Anknüpfung an Georg Friedrich Meier verwendet bereits Klopstock diesen Ausdruck in ähnlichem Problembewußtsein, wenn er in der Frühphase der
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Antike orientierten Gattungspoetik hält Riedel somit im 18. Jahrhundert nicht nur für nicht existent, sondern für nicht realisierbar. Tatsächlich haben jedoch die deutschen Epiker der Zeit - mit mehr oder weniger großer Einsicht in die aufgezeigte Problematik - die Mehrzahl der negierten Möglichkeiten ausgiebig versucht. Riedels Text bietet somit ex negativo einen Überblick in der Gattungsgeschichte beschrittener Wege. Breiten R a u m nehmen in der Geschichte des Epos zunächst Stoffe der Zeitgeschichte ein. Die führende Gattung bleibt in den meisten der nachgewiesenen Texte den Ersten des Staats vorbehalten. Kaiser Karl VI. und sein Feldherr Prinz Eugen, seine Tochter Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. auf katholischer sowie auf protestantischer Seite der Preußenkönig Friedrich II. sind die hervorragenden Gestalten der aktuellen Geschichte, die die Epiker besingen. 3 8 Weitere Könige und Kurfürsten, Herzoge und G r a f e n vervollständigen das Bild. Helden geringeren Standes und außerhalb des Erbadels, wie der zum Reichsritter erhobene Johann Christian Schubart und der "Philosoph und Staatsmann" Benjamin Franklin, bleiben die Ausnahme. Sie treten als Gegenstand aktueller Epik erst gegen Ende des Jahrhunderts auf und dürfen als Indiz dafür gewertet werden, daß das analoge Denken in Stände- und Gattungshierarchien im zeitlichen Umfeld der Französischen Revolution an Verbindlichkeit eingebüßt hat. Die zeitgeschichtliche Epik, die bis zum E n d e des untersuchten Zeitraums immer wieder einige Texte hervorbringt, ihren quantitativ größten Anteil an der Gattungsproduktion aber vor der Jahrhundertmitte hat, erfüllt stets auch eine verherrlichende Funktion, Die Kriegszüge und Schlachten, die bei den umfangreicheren und stärker handlungsbezogenen Werken die Materie im engeren Sinne bilden, werden durchgängig aus parteiischer Sicht berichtet. D e r Feind des Helden ist auch der des Dichters. Nicht selten jedoch dominiert die Intention des Herrscherlobs eindeutig vor der Absicht, eine wichtige Handlung zu erzählen. Das Epos ist dann vom Panegyrikum nicht streng zu trennen. Bei kürzeren, für den mündlichen Vortrag bei speziellen Ereignissen bestimmten Werken - etwa den "Heldengedichten" von Philippi auf den Geburtstag Augusts des Starken oder von Schneller auf die Beisetzung des G r a f e n Moritz von Sachsen - steht dieser Huldigungszweck ganz im Vordergrund. Die explizit verwendete Gattungsbezeichnung ist hier primär als "Gedicht auf einen Helden" aufgefaßt. Als "Held" wiederum gilt nach solcher Auffassung nur der hochrangige Herrscher und der erfolgreiche Feldherr. Der besondere Anspruch der Gattung, der für die führenden Poetiker erst mit
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'Messias'-Konzeption anstrebt, an Miltons Charakteren gleichsam weiterzudichten, um ein der antiken Mythologie an die Seite zu stellende "Götterlehre" zu schaffen (vgl. Höpker-Herberg, 'Paradise Lost' und 'Messias', in: Edition als Wissenschaft, Tübingen 1991, 50-52). Vgl. hier und im folgenden das thematische Verzeichnis in Kap. VIII. 1, das die in der Bibliographie erfaßten Epen nach Stoffbereichen zugänglich macht.
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bestimmten dichterischen Merkmalen erfüllt wird, ist auf ihr standesgemäßes Sujet reduziert. Daß schon die Zeitgenossen solche Werke aus dem epischen Kanon ausgeschlossen wissen wollen, 39 legt nahe, derartig uneigentliche "Heldengedichte" nicht als "vollkommene" Repräsentanten der Gattung zu betrachten. Wenn Riedel die "alten deutschen Geschichten" wegen der Unvertrautheit des Publikums mit den "altbardischen Gottheiten" als Quelle des Epikers ablehnt, dann denkt er wohl - im Zeichen der Ossian-Begeisterung jener Jahre - an Gegenstände der germanischen Geschichte. Innerhalb des größeren Bereichs der Epik über Stoffe der meist nationalen Historie bilden diese nur eine kleine Gruppe. Während aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte verschiedene Gestalten episch besungen werden, kommt als germanischer Nationalheld primär Hermann der Cherusker in Betracht. Nach dem öffentlich kaum bekannten Plan von Bodmer versuchen sich dessen Anhänger Christoph Martin Wieland und Gottscheds Schüler Christoph Otto Freiherr von Schönaich gleichzeitig an dieser Gestalt. Hermann eignet sich zwar als Symbol der Selbstbestimmung und Einheitsherrschaft, zum allgemein anerkannten Staatsstifter im Sinne von Vergils Gründungsmythos wird er im 18. Jahrhundert indessen nicht. Die Zeitgenossen von Klopstock, der mit seinen Bardieten einen uneinheitlich rezipierten Hermann-Kult pflegt, begeistern sich im allgemeinen kaum für den Cherusker, sondern haben Vorbehalte gegen das "Barbarische" des Stoffs und die germanischen Gottheiten, 40 die auch Riedel als zu fernliegend ablehnt. In verstärktem Maße muß dies auch für jenen 'Brennus' gegolten haben, mit dem Friedrich August von Grevenitz an einem preußischen Mythos zu dichten unternimmt. 41 Indem die letztgenannte Dichtung nicht die gesamte deutsche Nation, sondern den "traditionsarmen" preußischen Staat betrifft, unterliegt sie zugleich der Partikularität. Dieses Manko gilt ebenfalls für zahlreiche historische Epen über mittelalterliche und neuzeitliche Stoffe, die damit den politischen Regionalismus des deutschsprachigen Raums abbilden. Einige dieser Werke orientieren sich stofflich-strukturell an der Gründungsgeschichte der 'Aeneis', bleiben aber hinter deren Dimension weit zurück. Albrecht von Hallers früher Plan gilt dem "Ursprünge des Schweizerbundes, und der erwor-
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Vgl. in der Bibliographie die knappen Kommentare zu den genannten Titeln. Wiedemann, Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus, in: Patriotismus, Hamburg 1991, 91-94, hier 94. Bei Schönaich erkennt Wiedemann das Bestreben, mit dem "Germanenheld [...] nach gutem typologischem Denkmuster den neuen deutschen Einheitsmonarchen [zu] präfigurieren" (ebd., 91; daß Schönaichs klapperndes Metrum nicht der Alexandriner, sondern der trochäische Tetrameter ist, sei nur am Rande erwähnt). Vgl. (vor allem zu Ramlers Versuch der Mythenbildung) Häker, Brennus in Preußen, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz XVIII (1981), 299-316.
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benen Freyheit seines Vaterlandes".42 Der mecklenburgische Historiker Samuel Buchholz besingt in seinem 'Pribislav' von 1754 die Gründung Rostocks, und Gottscheds gleichfalls fragmentarischer Ottokar' aus demselben Jahr handelt von der Unterwerfung des Samlands durch den Deutschen Orden, die die Gründung seiner Vaterstadt Königsbergs ermöglicht. 43 Kaum noch von regionalem Interesse ist Daniel Wilhelm Trillers 'Prinzenraub', der die Genese der eigenen Familie ausbreitet. Auch abseits der Suche nach einer Gründungsgeschichte im Sinne Vergils fällt es den deutschen Epikern schwer, den deutschen Nationalhelden zu finden. Während Heinrich I., der als 'Heinrich der Vogler' und Sieger über die "Hunnen" Held von Schönaichs zweitem Epos ist, als historische Gestalt noch breitere Zustimmung gefunden haben dürfte, wählt Johann Elias Schlegel mit Heinrich dem Löwen eine umstrittene und Johann August Weppen mit Heinrich dem Langen eine ebensowenig bedeutende Figur wie Adam Bernhard Pantke mit seinen ausführlichen "Lobgedichten" auf Fürsten von Anhalt und Anhalt-Köthen. Stoffe aus der Zeit der Glaubensspaltung sind dem Verdikt des Partikularen fast zwangsläufig ausgesetzt. Christoph Friedrich von Derschaus 'Lutheriade', eines der wenigen historischen Epen auf eine Größe des Geistes, 44 gelangt in den katholischen 'Catalogue librorum prohibitorum'. Dagegen gibt sich Paul Weidmann in seinem 'Karlssieg', der Karls V. Erfolg im Schmalkaldischen Krieg behandelt, als "gut katholisch und kaiserlich gesinnter wohlmeinender Mann" zu erkennen. 45 Ernst Lorenz Michael Rathlefs 'Serklaide', dessen Wahl seines Helden - Johann Tserclaes Graf von Tilly - kritisiert wird, weil dieser nur "als Werkzeug des Kaisers" kämpfe und "seine Grausamkeiten ihm jeden gefühlvollen Leser abgeneigt machen
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Nach dem Bericht in BCH IV (1736), 445. Hallers tatsächliche Arbeit an einem Epos ist wohl einige Jahre früher anzusetzen; vgl. VII. 3. Die eidgenössische Geschichte und ihre Zentralfigur Teil sind ferner Thema der Pläne Geßners und Goethes sowie der zeitgenössisch ungedruckten 'Telliade' von Franz Joseph Benedikt Bernold. Vgl. Verf., Gottscheds Epenversuch, in: GRM LXIX (1991), 457-460. Zu nennen wären ferner Meyens 'Franklin' und Nicolais 'Heldengedicht auf Hn. Klopstock'. - Wiedemann, Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus, 98-99, erwähnt bei seinen Überlegungen zur unterbliebenen "nationalen Heroisierung" Luthers Derschaus Werk nicht und bemerkt hingegen, daß die "Zeit kein großes Luther-Drama oder Luther-Gedicht hinterlassen" habe. So der Rezensent der AdB XXVI (1775), 460, dessen Kritik an der Rolle allegorischen Personals (vgl. das ausführlichere Zitat im Kommentar) mit Riedels Einspruch gegen "als handelnd" vorgestellte "allegorische Wesen" übereinstimmt. Riedel selbst könnte Scheybs 'Theresiade', deren Handlung ganz allegorisch ist, und Schlegels 'Heinrich der Löwe', an dem die Frage allegorischer "Maschinen" diskutiert worden ist, im Blick haben.
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müssen",46 steht das Fragment 'Gustav Adolf gegenüber. Dessen Verfasser Gerhard Anton von Halem wüßte "Nach Hermanns That" keine andere, "die für Deutschland mehr Nazionalinteresse hätte". 47 Als deutscher Nationalheld aber ist Gustav Adolf, den bereits protestantische Dichter des Barock zu ihrem Glaubensretter stilisieren und der wenige Jahre nach Halem von Schiller als epischer Held erwogen wird, ebensowenig zu bezeichnen wie Friedrich III. von Dänemark, den Ludwig Friedrich Hudemann zum Protagonisten eines Heldengedichts macht, das Gottsched "mehr für ein Dänisches, als für ein Deutsches Werk" ansieht. 48 Unter den wenigen historischen Epen mit ausländischem Stoff sind neben Franz Alexander von Kleists 'Befreyung von Malta' mit Bodmers 'Colombona' und Zachariäs 'Cortes' auch zwei Entdeckerepen zu nennen. Diese als kleine, gesonderte Gruppe zu betrachten, erlaubt die gemeinsame Zugehörigkeit zu der auf Homers 'Odyssee' gründenden Tradition europäischer Seefahrerepik, deren hervorragender Repräsentant 'Os Lusiadas' von Luis de Camöes sind. Bodmers Helden indessen zählen die Zeitgenossen, obwohl der Verfasser nur "einen braven Mann zu dichten" gedachte, "zu den Patriarchen", 49 also zu den Protagonisten alttestamentlicher Epik. Die Epik über biblische Gegenstände erlaubt eine stoffliche Differenzierung in jene sogenannten "Patriarchaden" einerseits und andererseits in Epen über neutestamentliche Stoffe. Während hier naturgemäß meist der Messias im Mittelpunkt steht, kann die auf dem Alten Testament basierende Dichtung aus einem reichhaltigeren Angebot schöpfen und sich eine freiere Ausgestaltung der historischen Sujets, die eine Homer analoge Archaik auszeichnet, erlauben. So besteht die biblische Epik des 18. Jahrhunderts etwa zu zwei Dritteln aus alttestamentlichen Werken, deren Entstehung jedoch stärker auf die Jahre 1750 bis 1760 und auf die Person Bodmers zentriert ist, der mit der Veröffentlichung seines 'Noah'-Plans von 1742 auch chronologische Priorität beanspruchen darf. Die von Bodmer selbst verfaßten und in seiner Nachfolge entstehenden Werke kreisen vor allem um Gestalten der ersten beiden Bücher Mose: Noah und seine Familie, Abrahams verzweigte Sippe und Moses kehren als "Helden" mehrfach wieder. Wenige Epen und Pläne greifen auf Adam und seine Umgebung sowie auf Geschehnisse vor der Erschaffung des Menschen zurück. Und wenige "Nachzügler" der Patriarchadendichtung wählen die späteren Gestalten Ruth, Tobias und Judith als Helden und Heldinnen.
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ALZ 1789/11, 547-548. Hinzu komme, "daß in Hn. Rathlefs Gedicht jeder unwillig werden" müsse, "einen Mann, wie Gustav Adolph, nur eine untergeordnete Rolle spielen zu sehn." Aus der Vorrede; vgl. das ausführlichere Zitat in der Bibliographie. Nachweis im Kommentar des bibliographischen Eintrags. Bodemann, Zimmermann, Hannover 1878, 166 (Bodmer an Zimmermann, 25.1.1758).
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Obwohl Klopstock bereits zu Beginn deutschsprachiger neutestamentlicher Epik seinen Stoff im Zentrum christlicher Religion findet, entstehen während und nach der langjährigen Genese des 'Messias' noch eine Reihe von Epen über den gleichen Gegenstand. Bildet bei Klopstock der Tod des Helden die Mitte des Werks, so widmen sich Christoph Ludwig Pfeiffer und der genannte Hudemann primär dem auferstandenen Messias, und so planen Klopstocks Vertrauter Johann Christoph Schmidt und Jakob Hermann Obereit Epen über das Jüngste Gericht. Während Christian Friedrich Daniel Schubart das Gleichnis vom verlorenen Sohn zum Thema eines verschollenen Epos macht und der junge Novalis sich mit einer epischen Darstellung der Geburt Jesu beschäftigt, harmonisiert Johann Kaspar Lavater die Evangelien und die Apostelgeschichte zu einer umfangreichen Dichtung und legt Epen über die Offenbarung des Johannes sowie die Gestalt des Joseph von Arimathea vor. Riedels skeptische Zusammenstellung von Stoffen für ein deutsches "vollkommenes Heldengedicht" nennt einen Bereich nicht: die romantisch-ariostische Epik. Als Grund hierfür könnte angenommen werden, daß Riedel von diesem Genre noch keine Kenntnis hat, als er seine 1768 erschienenen Briefe 'Ueber das Publicum' schreibt. Denn Wielands 'Idris', der erste breiter beachtete Beitrag 50 in dieser Dichtungsart, liegt erst gegen Ende des gleichen Jahres gedruckt vor. Tatsächlich ist Riedel jedoch in jener Zeit Wielands Vertrauter und hat in der 'Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften' sowie im vierten seiner Briefe dem Werk durch Vorabdrucke die öffentliche Aufmerksamkeit gesichert. 51 Wenn Riedel also die von ihm geförderte Dichtung in seinem Katalog nicht nennt, dann bedeutet dies, daß er das in der deutschen Literatur neuartige Genre nicht unter dem Begriff eines homerischen Heldengedichts subsumieren will. Indem er aber die Unmöglichkeit eines solchen, rein ernsthaften Epos behauptet, favorisiert er implizit die gemischte Gattung der heroisch-komischen Ritterepik im Geiste Ariosts.
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Paul von Stettens wenig bekannte "Ritter-Geschichte" 'Selinde' von 1764 als Vorläufer anzusehen, legt eine Rezension von Rudolf Erich Raspes Romanze 'Hermin und Gunilde' (1766) nahe: "Die Zeiten der Ritter haben den Spaniern und besonders den Italiänern reichen Stoff zu Gedichten gegeben. Bey den letztern haben sie die romanische Epopee hervorgebracht, eine Gattung von Gedichten, die vielleicht die Aufmerksamkeit mancher Leser mehr unterhält, als die gewöhnliche Epopee. [...] In Deutschland hat es noch keiner gewagt diese Bahn zu betreten, als etwa der Verfasser eines gewissen Gedichtes, Selinde betitelt, das ihm aber verunglückt ist" (NBsW III [1766], 118-123; vgl. Kap. VII. 4, Raspe). Vgl. die Nachweise in der Bibliographie. Terras, Wieland und Riedel, in: Wieland 1983, 104-108, beschäftigt sich ausführlich mit der Rolle, die 'Idris' in der Beziehung beider Männer gespielt hat.
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Mit seinem Fragment gebliebenen 'Idris', den der Dichter später als "romantisches Gedicht" bezeichnet, dem 'Amadis' von 1771, der im Titel auf Montalvos Ritterroman und Bernardo Tassos Rittergedicht 'Amadigi' anspielt, und dem 1780 erschienenen 'Oberon' schafft Wieland die Paradigmen des Genres. Er findet wetteifernde Nachfolger und Anhänger vor allem in Ludwig Heinrich von Nicolay, Johann Baptist von Alxinger und Friedrich August Müller. Während Nicolay sich in einer Reihe von Dichtungen stofflich unmittelbar an Bojardo und Ariost anlehnt, indem er verstreute Episoden zu Erzähleinheiten zusammenfügt, 52 kombinieren seine Kollegen phantastische Stoffe aus eigener Erfindung und unterschiedlichen literarischen Quellen, unter denen die 'Bibliotheque universelle des romans' besonders ergiebig ist. Die ariostische Epik berührt vereinzelt, so in Wielands Plan eines 'Tristan'-Epos, Sujets mittelhochdeutscher Dichtung, ohne jedoch diese unmittelbar zu rezipieren. Dagegen steht Bodmer, der in 'Parcival' und 'Rache der Schwester' solche Werke bearbeitet, an deren Wiederentdeckung er maßgeblichen Anteil hat, der neuartigen, gemischten Gattung fern. 5 3 Die letztgenannten Dichtungen sind daher im thematischen Verzeichnis einer Abteilung "sonstiger Epen" zugewiesen. Diese enthält ferner einige Epen und Pläne über antike Stoffe aus Literatur und Geschichte - so etwa Wielands 'Cyrus' und Goethes 'Achilleis' -, Singuläres wie Nicolais 'Heldengedicht auf Hn. Klopstock', Herders Plan eines Epos über Mohammed oder Goethes bürgerliches Epos 'Hermann und Dorothea', das keiner der behandelten Gruppen zuzuordnen ist. Schließlich finden sich hier auch jene Titel, deren Gegenstand (mangels genauerer Kenntnis des Werks) nicht näher zu bestimmen war. Während für diese Gruppe von Epen über sehr verschiedenartige Themen naturgemäß kein Versmaß dominant oder gar verbindlich ist, ergeben sich bei einer vergleichenden Betrachtung von Thema und formaler Gestaltung deutliche Korrespondenzen. In der ariostischen Epik verwenden die Dichter fast durchgängig die italienische Stanze oder frei reimende jambische (und selten anapästische) Verse mit wechselnder Hebungszahl. Letzteres Metrum ist gleichsam aus der freien Behandlung 54 der Stanze entstanden. Denn Wieland legt in einer späteren Vorrede zum 'Amadis' dar, daß das Werk, "nach dem ersten Gedanken des Dichters, in Stanzen von zehen Zeilen 52
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Vgl. Heier, Ariosts Orlando Furioso' und Nicolays Ritterepen, in: GRM XLIV (1963), 206-209. - Nicolays Gedichte werden (angesichts ihres stark unterschiedlichen Umfangs) teilweise als Epos (VII. 2) und teilweise als Verserzählung unter den verwandten Gattungen verzeichnet (vgl. VII. 4, Nicolay, Anselm und Lilla). Vgl. auch die im Kommentar zu Bodmers 'Wilhelm von Oranse' zitierte Rezension. Johann Jakob Wilhelm Heinse hält in seinem Fragment gebliebenen Heldengedicht von 1774 zuerst "die regelmäßige Form der italienischen Stanze" ein (aus der Vorrede; vgl. VII. 2), für die sich dann auch Franz Alexander von Kleist und Gottfried August Bürger entscheiden.
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verfasst werden" sollte, daß in den ersten Gesängen der Fassung von 1771 diese Form noch durchscheine und daß "erst mit dem siebenten [...] die ganz ungebundene Vers- und Reimart" beginne, "die dann durch alle siebzehn Gesänge der ersten Ausgabe" fortgehe. 55 Ist es für den romantischen Epiker der Zeit offenbar obligatorisch, eine der beiden verwandten Formen zu wählen, so bleiben auch umgekehrt diejenigen Autoren die Ausnahme, die historische oder biblische Sujets in Stanzen oder freien Jamben behandeln. Bevor sich die thematische Bindung dieser Formen einbürgert, besingt Georg Heinrich August Koch den 'Guelphen im Schlachtfelde' in vier Gesängen "voll seichter, matter, oft schwülstiger und sinnloser Recitatiwerse". 5 6 Und bereits 1762 dichtet Johann Christian Cuno seine 'Messiade' in Opposition zu Klopstocks Hexametern in einem strophischen Metrum, das er als "Stanzen des Tasso" bezeichnet. 57 Die sechszeiligen Strophen des 'Brennus', die der Verfasser Grevenitz ebenfalls als "Stanzen" bezeichnet, stehen mehr in der Nachfolge einer Ode Hallers als in der Tradition des romantischen Gedichts. An dieser möchten dann um 1790 Kleist in seiner 'Befreyung von Malta' und Schiller in seiner geplanten 'Fridericiade' trotz ihres historischen Sujets partizipieren. Während Karl Friedrich Kretschmanns 'Friedrich der Große' auch formal an die eigenen Bardendichtungen anknüpft, ist Georg Geßners 'Ruth' von 1795 das einzige biblische Gedicht in gereimten Jamben. Die reimlose Variante des Jambus, der sich im gleichzeitigen Drama durchsetzende Blankvers, spielt in der epischen Gattung keine entscheidende Rolle. Nach Christian Ewald von Kleists "kriegerischem Roman" 'Cißides und Paches' von 1759, einer der ersten deutschen Dichtungen in Blankversen, schreibt Zachariä 1766 seinen 'Cortes' im gleichen Metrum. Ist dies möglicherweise auf Zachariäs Beschäftigung mit Milton zurückzuführen, den er um 1760 (allerdings noch in Hexameter) übersetzt, so stellen die drei weiteren Blankvers-Epen vom Jahrhundertende wohl einen Reflex auf die zwischenzeitliche Verbreitung des Metrums dar. Daß hierunter mit Georg Melchior Kipps 'Messias' und Lavaters 'Joseph von Arimathea' auch zwei geistliche Epen sind, läßt erkennen, daß die Bibelepik ihre einstige Verbindung mit dem Hexameter gelockert hat.
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Wieland SW IV, XV-XVII. Für die Ausgabe letzter Hand kehrt Wieland dann zu seiner ursprünglichen Absicht zurück und formt den Text in "Stanzen von zehen Zeilen" um. So der Rezensent der AdB, Anhang zu I-XII (1771), 641-642. Vgl. die Beschreibung des Metrums im bibliographischen Eintrag. In dem dort zitierten Schreiben sagt Cuno, daß seine Verse "lieblicher" zu lesen seien "als die Hexametern, die jetzund so in der Mode sind". Eine spätere Fassung des ersten Gesangs hat Cuno in Alexandriner umgearbeitet; vgl. Scheler, Cuno, in: Weimarisches Jahrbuch IV (1856), 201, der auch von der wohl bis 1748 zurückreichenden Entstehung des Werks und von einer verschollenen Tasso-Übersetzung Cunos berichtet (ebd., 197).
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Einleitung
Diese Verbindung verdankt sich nach Klopstocks kontrovers aufgenommener Einführung des Verses in die deutsche Epik vor allem Bodmers extensivem Gebrauch des Hexameters. Obwohl auch 'Colombona' und 'Parcival' in diesem Vers verfaßt sind, assoziieren die Zeitgenossen in den Jahren nach 1750 mit dem Hexameter stets den Gehalt der Patriarchadendichtung. Der Vers scheint, wie die kühle Aufnahme etwa des Wielandschen 'Cyrus' nahelegt, noch für längere Zeit als Bekenntnis zur Zürcher Fraktion gewertet zu werden. Erst nach 1770 verbreitert sich das Spektrum der hexametrisch behandelten Themen, wozu beigetragen haben dürfte, daß der um die Jahrhundertmitte noch konkurrierende Alexandriner nun endgültig verabschiedet ist. Lavaters hexametrische Bibelparaphrasen verhindern nicht, daß das "Image" des Verses sich - wohl unterstützt durch die Durchsetzung der Voßschen Hexameter-Übertragung des Homer gegen jambische Konkurrenz zusehends verbessert. Schließlich verfügt Goethe in den Jahren vor 1800 unvoreingenommen über das vier Jahrzehnte zuvor geschmähte Metrum. Unbeachtete Abweichungen von der Koalition von biblischem Stoff und Hexameter gibt es indessen bereits in der Jahrhundertmitte. Die Fragmente von Johann David Michaelis ('Ausführung der Israeliten aus Aegypten') und Johann Jakob Dusch ('Gesetzgebung') versuchen den Alexandriner zu erneuern, indem sie entweder die streng paarige Reimfolge aufgeben oder mit einer metrischen Variante experimentieren. Den Niedergang des Versmaßes halten sie jedoch nicht auf. Während vor Klopstocks 'Messias' für längere Dichtungen kaum ein anderes Metrum als der Alexandriner denkbar ist, wird nach 1760 kein Epos mehr in diesem Vers gedichtet. 58 Als längere Variante des Alexandriners kann schließlich der trochäische Tetrameter angesehen werden. Wie jener mit einer deutlichen Mittelzäsur ausgestattet, wird auch dieser Vers gewöhnlich paarweise gereimt. Nach einem beschreibenden Gedicht von Kaspar Gottlieb Lindner über die 'Tartarische Schlacht' aus dem Jahre 1739 versucht Schönaich das Metrum als epischen Vers einzuführen. Er findet allerdings in seinem Lehrer Gottsched und in dem Gottschedianer Pantke nur geringe Gefolgschaft. 59
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Schlegels 'Heinrich der Löwe' liegt erst 1766 in postumem Druck vor, ist aber bereits vor 1750 verfaßt. Die 1772 erschienene 'Judith' eines Anonymus stellt sowohl durch ihr Metrum in der Nachfolge Schönaichs als auch durch den alttestamentlichen Stoff in der Nachfolge Bodmers ein literarisches Kuriosum dar und wird entsprechend rezensiert.
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Aspekte der Gattungsentwicklung Als Brockes im Jahre 1723 von Bodmer, der in ihm einen der führenden zeitgenössischen Poeten erkennt, angeregt wird, ein episches Gedicht zu unternehmen, lehnt der Hamburger Bürger ab. Er dankt für des Zürchers "gute Meynung" von seinen dichterischen Fähigkeiten, glaubt sich aber von "einem solchem Gedicht" überfordert. 60 Während sich seine private Reaktion also in Ausdrücken der Bescheidenheit übt, weist er den Gedanken an ein Heldengedicht etwa zur gleichen Zeit öffentlich weitaus schärfer zurück. In seine Sammlung 'Irdisches Vergnügen in Gott' nämlich rückt er ein Gedicht ein, dessen Titel 'Helden-Gedicht' lautet. 61 Die Überschrift, die bewußt die zeitgenössische Bezeichnung des Epos aufgreift, läßt das Nachfolgende sowohl als Äußerung über die poetische Gattung wie auch als Gedicht über den Helden verstehen. Das Bild, das Brockes in seinem Poem vom Helden und von der panegyrisch-heroischen Dichtung zeichnet, ist denkbar kritisch. In einer Apostrophe an das "Glück" verwahrt er sich dagegen, den Siegreichen, der die unstete Fortuna auf seiner Seite hat, ungeachtet seiner kriegerischen Untaten als Tugendhaften zu bezeichnen: "Ein Mörder, Stadt- und Land-Verrähter, | Wo er dein Günstling, heisst ein Held" (Str. 3). Der Bürger Brockes drückt seine Abscheu vor dem "kriegerische[n] Helden-Muht" aus, in dem der Despot "seines gleichen", unschuldige "Menschen-Kinder", niedermetzeln läßt (Str. 8-10), und lehnt im Namen der Menschlichkeit ab, in das Loblied des Kriegshelden einzustimmen: Ich sollte Morden, Würgen, Brennen, Und hausen, wie kein Türke thut, Bewundern, ja fast heilig nennen Die Hand, die rot von meinem Blut! (Str. 13)
Brockes' Gedicht, das nicht den Triumph des Siegers, sondern die Schrecken des Kriegs für die Menschen in den Blick rückt, nimmt gegen Ende offen gegen jene "Schmeichler" Stellung, die brutales "Rasen" als "Tapferkeit" preisen (Str. 31-32). Den Lobrednern gibt der Dichter eine Mitschuld an den Vergehen der Herrscher, die durch deren verfehlten Begriff von der Tugend "an der Helden-Seuche" erkranken (Str. 37) und zu kriegerischem Handeln angestiftet würden.
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Litterarische Pamphlete, 27-28 (Brockes an Bodmer, 19.11.1723). Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott, 2. Auflage, Hamburg 1724, 482-489. Das 'Helden-Gedicht', das sich mit geringfügigen Abweichungen auch im Reprint der 6. Auflage dieses 1. Bands, Bern 1970, 513-520, findet, erscheint erstmals in der Ausgabe von 1724. Da deren Widmung auf den 3. November 1723 datiert, ist eine Entstehung des Gedichts in der zeitlichen Nachbarschaft zu Bodmers Anregung wahrscheinlich. Daß Brockes' 'Helden-Gedicht' unmittelbar hierdurch veranlaßt wurde, ist indessen nicht zu erweisen.
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Einleitung
Brockes' 'Helden-Gedicht' ist mehr als eine persönliche Ablehnung des Kriegs oder panegyrischer Dichtung auf kriegerische Helden. Das Gedicht des Hamburger Ratsherrn repräsentiert vielmehr eine aufgeklärt-bürgerliche Position gegenüber einem heroischen und höfischen Ideal, das den moralischen Wert des Fürsten an seinem Kriegserfolg mißt, und gegenüber einer Dichtung, die ein solches Ideal öffentlich vertritt. Brockes' Interesse gilt wie in den gleichzeitig entstehenden Moralischen Wochenschriften, die die "Botschaft der Tugend" verbreiten und "für das Ideal des Helden [...] nichts übrig" haben, 6 2 dem Bürger und Menschen. Das Gedicht kennzeichnet damit zu Beginn der untersuchten Epoche die Problematik heroischer Epik in aufgeklärter Zeit. Der kriegerische und tötende Heros, der in der Antike und damit traditionell im Zentrum eines Heldengedichts steht, wird den fortschrittlicher denkenden Kräften des 18. Jahrhunderts zunehmend suspekt, indem er human geprägten Vorstellungen widerspricht. Die modernen Epiker, die den panegyrischen Gehalt der Gattung gleichwohl betonen und auf der Wahl eines zeitgenössischen Sujets bestehen, haben auf diese moralische Problematisierung des kriegerischen Helden in zunehmendem Maße reagiert. Während Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' den Helden noch ungebrochen triumphieren läßt und darauf vertrauen kann, daß sein Feindbild das des Lesers ist, verzichtet der mit Brockes und Bodmer bekannte Johann Ulrich von König auf eine kriegerische Handlung, indem er als deren unblutige Vorstufe ein Manöver darstellt. Die Dichter, die Friedrichs II. kriegerischen Weg durch das 18. Jahrhundert verfolgen, gewähren trotz eindeutiger Parteinahme dem empfindsamen Zeitgeist mehr und mehr Einlaß in ihre Werke. Die zaghaften Ansätze kritischer Introspektion, die Christian Gottlob Stockei dem Helden verleiht, münden in die Selbstanklagen des Preußenkönigs bei Daniel Jenisch. Mit diesen zeitgenössischen Epen sind zugleich die Gegenstände des zweiten und fünften Kapitels vorliegender Arbeit bezeichnet. Dienen die Texte von Pietsch und König auch der Darstellung des Eposverständnisses bei Gottsched und den Schweizern, so gerät bei den "Fridericiaden" des 18. Jahrhunderts mit der Frage der Charakterzeichnung die angesprochene Thematik verstärkt in den Blick. Das dritte, vierte und sechste Kapitel widmet sich mit Klopstock, Wieland und Goethe bekannteren Autoren, deren Epen keine modernen Kriegshelden besingen. Wielands 'Cyrus', in dessen Titelgestalt sich des Autors Wunschbild von Friedrich II. widerspiegelt, leistet dennoch einen wichtigen Beitrag zur Problematik des kämpfenden Heroen in empfindsamer Zeit. In den weiteren besprochenen Epen - von Klopstocks 'Messias' über Bodmers 'Noah' in Wielands Sicht bis hin zu Goethes 'Hermann und Dorothea' - zeigt sich hingegen die gewandelte Anschauung nicht unmittelbar in differenzierter Charakterisierung eines siegreichen Feld62
Martens, Botschaft der Tugend, Stuttgart 1968, 347.
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herrn, sondern mittelbar in der Stoffwahl. Denn sowohl Klopstock, der sich für einen Helden entscheidet, dessen Tat nicht die Tötung seiner Gegner, sondern das eigene Leiden und der Opfertod ist, als auch der Dichter des gottesfürchtigen, weitgehend passiven und duldsamen 'Noah' glauben sich der Antike weniger poetisch als vielmehr durch die moralische Qualität ihrer Protagonisten überlegen. Das bürgerliche Interesse für "seines gleichen", das Brockes beim Kriegshelden vermißt, spiegelt sich dann in Goethes Heldenpaar. Daß ein modernes, bürgerliches Thema erst am Ende des Jahrhunderts in die Gattung dringt, zeigt eine spezifische Schwierigkeit des Epos etwa gegenüber dem Drama. Die Entwicklung, die dieses im "bürgerlichen Trauerspiel" nimmt, scheint für das ernsthafte Epos kaum denkbar. Die Möglichkeit eines "bürgerlichen Heldengedichts" wird zwar bereits im Jahre 1769 erwogen: Wollte man, so der nicht näher bekannte Ehrenfried Engelbert Buschmann in seiner Rezension von Zacharias 'Cortes', "nicht auf Muster, nicht auf festgesezte Begriffe sehen, so könnte ein solches Gedicht nicht allein des Wunderbaren entbehren, sondern, so wie es bürgerliche Trauerspiele giebt, könnte man selbst in Versen, bürgerliche Heldengedichte machen, wo blos das Interesse der Menschheit und die Wichtigkeit der Situationen die Leser fesselte."63 Obwohl er "die Homerische Epopee" als "Nationalbuch" beschreibt, glaubt Buschmann, daß "ein episches Gedicht [...] vielleicht ohne das Interesse der Nation, noch so unterhaltend, und auch ohne das Wunderbare so hinreissend seyn" könne, daß man "beydes dem Dichter schenken" dürfe. 64 Die möglicherweise hier zuerst gebrauchte Bezeichnung "bürgerliches Heldengedicht" setzt sich jedoch nicht im Sinne Buschmanns durch, der sich für die epische Gattung eine Entwicklung in Analogie zum Trauerspiel vorstellt. Sie dient in der Folgezeit vielmehr der ästhetischen Aufwertung des Romans, den Friedrich von Blankenburg und Johann Carl Wezel theoretisch zum bürgerlichen Nachfolger des heroischen Epos etablieren möchten. 65 Von hier aus gelangt die Bezeichnung in die Geschichtsphilosophie Hegels, der
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AdB IX/1 (1769), 323. Der Rezensent wurde identifiziert nach Parthey, Mitarbeiter, Hildesheim 1973, 4 u. 64. Nach DBA 170, 378-379, war Buschmann (1743-1806) Gerichtssekretär zu Stralsund und verfaßte u. a. eine komische Oper mit dem Titel 'Die Straßenräuber' (1770). AdB IX/1 (1769), 323-324. Während Blankenburg (Versuch über den Roman, Stuttgart 1965, XIII; zuerst 1774) "den guten Roman für das" ansieht, was "die Epopee für die Griechen" war, nennt Wezel in seiner Vorrede zu 'Herrmann und Ulrike' von 1780 (Leipzig 1980, 5-6) den Roman "die wahre bürgerliche Epopöe". Vgl. J oerger, Roman und Emanzipation, Stuttgart 1981, 27-48, insb. 36 u. 41-44, u. Koopmann, Vom Epos und vom Roman, in: Handbuch des deutschen Romans, Düsseldorf 1983, insb. 14-16 u. 19-21, die zwischen den Anschauungen Blankenburgs und Wezeis differenzieren. - In der Diskussion um das Versepos begegnet die Bezeichnung "bürgerliche Epopee" erst in der Nachfolge von Goethes 'Hermann und Dorothea', so bei Wilhelm von Humboldt (vgl. Kap. VI, Anm. 256).
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vom Roman als "der modernen bürgerlichen Epopöe" spricht. 66 Der "Roman im modernen Sinne", der "eine bereits zur Prosa geordnete Wirklichkeit" voraussetze, wird Hegel zum Substitut der "eigentlichen Epopoee", deren "Anforderungen" sich "der ganze heutige Weltzustand" mit seiner "prosaischen Ordnung [...] schnurstraks" entgegenstelle. 67 In der Geschichte der epischen Gattung jedoch erweisen sich gerade die "Muster", von denen Buschmann absehen will, als einflußreicher und verbindlicher als beim Drama. Während von den Dramen des 18. Jahrhunderts, die sich auf dem Theater als "lebendig" behaupten müssen, nur wenige (zu denken wäre an Schillers 'Braut von Messina') in den ausdrücklichen Wettstreit mit Aischylos, Sophokles oder Euripides treten, wird das Epos der Zeit in weit stärkerem Maße als literarische Auseinandersetzung mit der Antike gedichtet und rezipiert. Das Epos bleibt - auch wenn sich manche Poeten für ihr Werk jenen wandernden Rhapsoden wünschen, den nur der 'Messias' eine Zeitlang in der Person Christian Daniel Friedrich Schubarts gefunden hat 6 8 - zugespitzt formuliert ein Werk gebildeter Literaten für ein gebildetes Publikum, das Zitate, Anspielungen und gattungstypische Stilmerkmale erkennt. D a ß Epiker und Kritiker, Dichter und Poetiker großen Wert auf die Existenz solcher Elemente legen, mag deren zum Teil extensive Analyse insbesondere in den Kapiteln zu 'Messias' und 'Hermann und Dorothea' begründen. Einen Begriff von einem den Vorbildern standhaltenden Epos gewonnen zu haben, ist das Verdienst der führenden Poetiker der ersten Jahrhunderthälfte. Gottsched und Bodmer fordern in weitgehender Einigkeit in formalen Fragen die klassizistische Ausrichtung an der Antike. Während Gottsched durch die Rezeption französischer Epostheorie, deren Anwendung auf Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' Thema des folgenden Abschnitts ist, die 'Aeneis' zum alleinigen Muster erhebt, konzentriert sich Bodmer mehr und mehr auf die religiöse Epik des 'Paradise Lost', dessen Übersetzung ihn immer wieder beschäftigt. Beide gelangen so zu einer spezifischen und in ihren Details auch verengten Vorstellung des zu schreibenden deutschen Epos. Wie Bodmer in den vierziger Jahren einen deutschen Milton herbeisehnt, so hofft Gottsched auf den deutschen Vergil. Als der Zürcher im 'Messias' die Erfüllung seiner Wünsche erblickt und Gottsched den 'Hermann' seines Schülers Schönaich den Deutschen als ihr Musterepos anpreist, wird die Frage des deutschen Heldengedichts zum Gegenstand der letzten Phase des fast nur noch polemisch geführten Literaturstreits.
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Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, III, Stuttgart 1954, 395. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, III, 395 u. 417. Zu der hier nur angedeuteten Thematik vgl. ausführlich Hiebel, Individualität und Totalität, Bonn 1974. Vgl. Klopstock HKA, Briefe VII/1, Nr. 33 (Schubart an Klopstock, nach dem 22.5.1776); vgl. ebd. VII/2, 397-403.
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Die jüngere Generation mit Lessing und Nicolai ist nicht geneigt, für eine der Fraktionen Partei zu ergreifen und die Menge meist erbaulicher Patriarchaden, die "die gantze Bibel [...] endlich in ein Heldengedicht Übergehn" lassen, 69 zu rezipieren. Gegenüber Drama und Roman gerät die epische Gattung ins Abseits des Interesses der literarischen Öffentlichkeit. Die Akzente der folgenden Jahrzehnte setzen die Wandlungen Wielands, dessen allmähliche Ablösung von den Schweizern es im vierten Kapitel zu verfolgen gilt, und seine Hinwendung zu Ariost, die die gemischte Gattung der romantischen Heldengedichte in Deutschland einführt. Mit der zunehmenden Orientierung an der griechischen Antike und dem Aufkommen des Originalitätsgedankens wird unterdessen für die heroische Epik, die neben der Ritterepik stets weiter existiert, Homer zum zentralen Vorbild. Am Ende des Jahrhunderts schließlich verleiht Goethe der Entwicklung des deutschen Epos nochmals Gewicht, indem er die noch immer bestehende Herausforderung, sich in der traditionell höchsten Gattung mit deren erstem Dichter zu messen, annimmt.
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BW Gleim/Ramler I, 222 (Ramler an Gleim, 14.3.1750).
II. Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten im Spiegel ihrer Beurteilung durch Gottsched und die Schweizer 1. Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' und Gottsched Hier hab ich Geist und Witz noch feiner ausgeschliffen, Was Pietsch mich nicht gelehrt, aus Menkens Huld begriffen.
Das Motto zu diesem Kapitel stammt aus Johann Christoph Gottscheds poetischem Sendschreiben 'An [...] Herrn Franz Christoph von Scheyb', den Verfasser des epischen Ehrengedichts 'Theresiade'. 1 Die Epistel aus dem Jahre 1750 erinnert nach einer Apostrophe an den "Aus Schwaben" stammenden "Freund" in dichterischen Worten einen Einschnitt in Gottscheds Leben. Im Rückblick auf seinen Umzug im Jahre 1724 von dem am "Bernsteinstrand" gelegenen Königsberg nach Leipzig, der ihn "in Deutschlands Kern gebracht", gedenkt Gottsched zugleich des Wechsels von seinem Königsberger Lehrer Johann Valentin Pietsch zu seinem Leipziger Mentor Johann Burkhard Menke. Der Zeitraum eines Vierteljahrhunderts, der Gottsched, dem als "ferngebohrnem Preußen" Sachsen zur Heimat und Wirkungsstätte wurde, im Augenblick des Erinnerns vom Erinnerten trennt, liegt auch zwischen zwei Äußerungen Gottscheds zu Pietschs Gedicht auf 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'. Im Jahre 1751, dem Erscheinungsjahr von Schönaichs 'Hermann', der für Gottsched fortan das deutsche Heldengedicht repräsentiert, heißt es in der vierten und letzten vom Autor veranstalteten Ausgabe der 'Critischen Dichtkunst': "Pietschens Sieg Carls des VI. zeigt uns, daß der Verfasser Fähigkeit genug gehabt, ein Heldengedichte zu machen; wenn ihm die Regeln desselben bekannt gewesen wären: aber selbst verdient es noch nicht, in diese Classe zu kommen."2 Während hier aus selbstsicherer Urteilskraft und unanfechtbarer Regelkenntnis Pietsch die dichterische Potenz zur Verfertigung eines Heldengedichts zwar zugebilligt, die Erfüllung der epischen Gattungsnormen im vorliegenden Werk aber aberkannt wird, lautet Gottscheds Beurteilung des gleichen Gedichts im Jahre 1725 noch gänzlich anders. In der Vor1 2
Gottsched AW I, 362-368. Gottsched AW VI/1, 136; Fassung der Ausgabe 1751 nach ebd. VI/3, 23.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
rede der von ihm veranstalteten und Menke gewidmeten Ausgabe von Pietschs 'Poetischen Schafften' problematisiert Gottsched die Gattungszugehörigkeit in keiner Weise, sondern nennt das Werk durchgehend ein "HeldenGedichte". 3 Wie dieser Wandel in Gottscheds Beurteilung zu verstehen ist, fragt vorliegender Abschnitt. Bei dem 1690 geborenen Königsberger Johann Valentin Pietsch, der Medizin und Dichtkunst studiert hatte, seit 1715 als Arzt praktizierte und 1717 aufgrund seiner Ode über Prinz Eugen von Savoyen zum bekannten Dichter und Professor der Poesie wurde, 4 erhielt der zehn Jahre jüngere Johann Christoph Gottsched bedeutende theoretische und praktische Anregungen auf dem Gebiet der Dichtkunst. Die 'Fortgesetzte Nachricht von des Verfassers eignen Schriften, bis zum 1745sten Jahre', die den praktischen Teil der 1762 erschienenen siebten Auflage der 'Ersten Gründe der gesammten Weltweisheit' einleitet, setzt mit Gottscheds Bericht über seine Lehrjahre ein. 5 Demnach gab Pietsch, der "nicht viel Vorlesungen" hielt,6 Gottsched "allemal einen freyen Zutritt" und verstattete "Unterredungen von ganzen Stunden".7 Während Pietsch beim ersten Gespräch "Anmerkungen, die zur Reinigkeit der Sprache und Poesie gehöreten," zu einem Casualcarmen Gottscheds machte und dem jungen Autor "eine unerlaubte Dieberey" aus einem Gedicht Neukirchs nachwies,8 verdankt Gottsched den ersten Anstoß zu seinem 'Versuch einer Critischen Dichtkunst' Pietschs Unterweisungen der folgenden Jahre. Dieser habe wiederholt das Fehlen "einer solchen poetischen Anweisung, darinn das rechte Wesen der Poesie erkläret würde", beklagt und Gottsched - so die Vorrede der 1729 erschienenen Erstausgabe seiner Poetik - "den ersten Begriff von einer Critischen Dicht-Kunst" gegeben. 9 3 4 5
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Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Leipzig 1725, Vorrede, Bl. b 2v-3v. Hülle, Pietsch, Weimar 1915, 1-25, informiert ausführlich über das "Leben und die wissenschaftliche Tätigkeit Pietschs". Gottsched AW V/2, 3-66. Reicke, Zu Gottsched's Lehrjahren, Königsberg 1892, trägt zahlreiche Dokumente zu Gottscheds Jugend und Studium sowie zur Personal- und Institutionsgeschichte der Universität Königsberg zusammen. Reicke, Zu Gottsched's Lehrjahren, 68 (Anm. 70), zitiert die Vorlesungsankündigungen der Jahre 1718 bis 1724, die ausschließlich Lehrveranstaltungen zu Horaz und vor allem zu dessen 'Ars poetica' anzeigen. Hülle, Pietsch, 14-15, ergänzt die Inhalte der nun auf weitere Autoren der römischen Antike ausgedehnten Vorlesungen der Jahre 1725 bis 1733. Gottsched AW V/2, 4 u. 29. Gottsched AW V/2, 5; Waniek, Gottsched, Leipzig 1897, 14-16. Gottsched AW V/2, 29, u. VI/2, 398. Pietschs Ansichten über die Poesie werden inhaltlich ansatzweise greifbar in zwei akademischen Disputationen von 1718, die Reicke, Zu Gottsched's Lehrjahren, 72-81, abdruckt. Eine Analyse ihres Gehalts und ihres Einflusses auf Gottsched bietet Seuffert in seiner Rezension zu Reickes Arbeit in: GgA 1894, 909-925. Gottscheds Kenntnis wenigstens der zweiten Disputation ('Solutae Ligataeque Orationes Limitis'), die Reicke (S. 33 u. 35) für nahezu ausgeschlossen, Seuffert (S. 911-912) aber für
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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Textgeschichte
Während seiner Königsberger Studienjahre sammelte Gottsched, der Pietsch "einen grössern Trieb zur Poesie" verdankt, "alle einzelne Bogen" mit den Gedichten seines Lehrers. 10 Unter diesen Einzeldrucken, die Gottsched nach seiner Flucht vor den preußischen Werbern im Februar 1724 mit nach Leipzig brachte, 11 müssen sich neben einer größeren Anzahl von Gelegenheitsgedichten, die Pietsch zum Teil amtshalber auf die Krönungs- und Geburtstage des preußischen Königs zu schreiben hatte, zwei Werke befunden haben, die Episoden des Türkenkriegs von 1716 bis 1718 schildern: 'Eugenii Francisci, Hertzogs von Savoyen, Siegreicher erster Feldzug' und 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'. Während die erstgenannte Ode, die Pietschs seinerzeitigen Ruhm ausmachte, mehrere Auflagen erlebte, 12 hängt die Verbreitung des letzteren Gedichts außerhalb Preußens wohl mit Gottscheds Auftreten in Leipzig zusammen. Nach Gottscheds Darstellung in seiner Vorrede zu Pietschs 'Poetischen Schrifften' von 1725 schien diesem "der Ungarische Krieg [...] allerdings werth zu seyn, ein völliges Helden-Gedichte davon zu verfertigen". Dieses habe er "bald nach geschlossenem Passarowitzischen Frieden [21. Juli 1718] völlig zum Stande" gebracht und "in den Druck" gegeben; "es waren im Jahr 1719 schon vier Bogen im grossesten Formate davon fertig, als der Urheber [...] darinnen einhalten ließ, und also sein herrliches Werck [...] bis auf diese Stunde unterdruckete." 13 Dieser fragmentarische Einzeldruck, von dessen äußerem Erscheinungsbild Gottscheds Pietsch-Ausgabe einen Eindruck vermittelt, scheint sich nicht erhalten zu haben 14 und wurde möglicherweise nur in wenigen Exemplaren verbreitet. Der Abdruck von 1725, der die
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sehr wahrscheinlich hält, ist durch eindeutige, bislang aber übersehene Indizien bezeugt: Innerhalb des Kapitels 'Von der poetischen Schreibart' aus der 'Critischen Dichtkunst' weist Gottsched von der zweiten Auflage (1737) an auf "des sei. Herrn Hofrath Pietsch Dissertation von dem Unterschiede der poetischen und prosaischen Schreibart" hin (Gottsched AW VI/1, 423; Fassung 1737 nach VI/3, 67). In derselben Disputation findet sich eine gereimte Übersetzung des Beginns von Lucans 'Bellum civile'. Diese Übersetzung zitiert Gottsched ebenfalls von 1737 an - in seiner Poetik im vollständigen Umfang von 15 Versen (ebd. VI/1, 435-436; VI/3, 68). Der Kommentar der Gottsched-Ausgabe weist zur erstgenannten Stelle den Titel von Pietschs Disputation nach (VT/4, 104), merkt wenig später zu Gottscheds Zitat von Pietschs Lucan-Übersetzung aber an: "Da keine früher gedruckte Fassung von Pietsch' Übersetzung sich hat finden lassen, ist zu vermuten, daß Gottsched nach einer Handschrift zitiert" (VI/4, 107). Gottsched AW VI/2, 397, u. V/2, 13. Rieck, Gottsched, Berlin 1972, 20 u. 249-250 (Anm. 127). Hülle, Pietsch, 11, 26 u. 46-55. Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Bl. b 2v. Schon Hülle, Pietsch, 26, merkt an: "Ein Exemplar dieses Druckes war auf keiner deutschen Bibliothek nachzuweisen."
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
Erstausgabe vollständig wiederzugeben verspricht, 15 läßt erkennen, daß der 1719 von Pietsch veranstaltete Druck das vollständige erste Stück und die ersten 36 Verse des zweiten Stücks umfaßt hatte. Offenbar gleich nach seinem Eintreffen in Leipzig hat Gottsched Verhandlungen über eine Ausgabe der Werke seines Königsberger Lehrers in Angriff genommen. Wie sich aus einem Schreiben Pietschs an Gottsched vom 16. März 1724 ergibt, 16 hatte Gottsched zuvor Pietsch von einer durch ihn unterbundenen, unautorisierten Ausgabe bei dem Leipziger Verleger Schuster unterrichtet. Pietsch verbindet seinen Dank mit der Übermittlung seiner finanziellen Vorstellungen für die notwendige Überarbeitung der Texte und macht für den Verleger folgendes Angebot: "Alßdann stehet 1) mein Carl VI. 2) meine ungedruckte 3) meine gedruckte auch 4) die Anleitung zur Poesie ja 5) alles was er geschrieben haben will zu seinen Diensten." 17 Innerhalb der Offerte Pietschs hat das bis dato erst fragmentarisch veröffentlichte Heldengedicht Vorrang. Indem Pietsch impliziert, dem Verleger den vollständigen Text überlassen zu wollen, glaubt er offenbar, sich eine günstige Verhandlungsbasis verschafft zu haben. Doch die Ausgabe kam nicht in der gewünschten Weise zustande. Ohne Einwilligung des Autors wurde sie vielmehr unter Gottscheds Herausgeberschaft zu Beginn 18 des Jahres 1725 "bey Grossens Erben" in Leipzig gedruckt. Gottscheds Rechtfertigungen für diesen am Autor verübten "Kinder-Raub" zielen auf Pietschs Honorarforderungen, die die Verhandlungen zum Scheitern verurteilt hätten, und auf sein "bequemes Naturell", das eine autorisierte Fertigstellung der Ausgabe nicht ermöglicht habe. 1 9 Ohne Gottscheds Verhalten zu bewerten, das seinen Lehrer zumindest zeitweilig verstimmte, 20 bleibt festzuhalten, daß sich die Ausgabe von 1725 allein auf die gesammelten Einzeldrucke stützt und hinsichtlich 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' keinen Textzuwachs erbracht hat. Ein weiteres Zeugnis aus der Zeit zwischen Pietschs Angebot vom März 1724 und dem Erscheinen der Ausgabe läßt Gottscheds werbende Aktivität für 15
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Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, 3-18. Den Schluß bildet der Hinweis: "So weit hat man dieses Gedichte nur haben können; weil es niemahls weiter gedrucket worden." Vgl. den teilweisen Abdruck und die Interpretation bei Waniek, Gottsched, 47-49, sowie Hülle, Pietsch, 29-30. Zitiert nach Hülle, Pietsch, 29. Die früheste Erwähnung der Ausgabe in den NZgS datiert auf den 26. April 1725. Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Bl. b 3r/v; Gottsched AW V/2, 13 ('Fortgesetzte Nachricht'). Suchier, Gottscheds Korrespondenten, in: Kleine Gottsched-Halle VIII (1912), 26, verzeichnet in der umfangreichen Briefsammlung aus Gottscheds Nachlaß von Pietsch nur den einen erwähnten Brief vom 16. März 1724, was auf einen Abbruch der Beziehungen schließen lassen könnte. Hülle, Pietsch, 29-30, zitiert dagegen aus den Jahren 1725-1730 Stimmen, die eine Versöhnung Pietschs anzeigen.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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Pietschs Epos vermuten. Die in Leipzig erscheinenden und von Johann Gottlieb Krause redigierten 'Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen' drucken am 29. Juni 1724 das erste Stück des Gedichts vollständig ab und geben an, daß dieses ihnen "ohngefähr in die Hände gerathen" sei. 21 Waniek, der den 1719 erschienenen Einzeldruck von 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' übergeht und eine Wiedergabe aus einem vom "Königsberger Flüchtling" Gottsched mitgebrachten "Manuskript" voraussetzt, wertet diesen Abdruck von Pietschs Werk als Beleg für Gottscheds frühe Mitarbeit an den 'Neuen Zeitungen' und behauptet für die einleitende Anmerkung Gottscheds Verfasserschaft. 22 Aufgrund der vorhandenen Quellenlage muß diese Schlußfolgerung zwar als spekulativ bezeichnet werden; jedoch stimmt der Inhalt der genannten Anmerkung so offensichtlich mit Gottscheds gleichzeitigen Interessen überein, daß der Gedanke an dessen Mitarbeit tatsächlich naheliegt. Das hier artikulierte "Verlangen", nach der bereits an gleicher Stelle abgedruckten Ode "auf den Ungarischen Feldzug des Printzen Eugenii [...] ein mehrers von einer so geschickten Hand zu lesen", bedeutet eine Werbung für die im Erscheinen begriffene Ausgabe. Auch die "Hoffnung", daß sich Pietsch durch die Wiedergabe des ersten Stücks seines Heldengedichts "desto mehr [...] antreiben lassen" werde, "solches selbst mit nechstem vollkommen ans Licht zu stellen",23 wurde von Gottsched sicher gleichermaßen gehegt. Im Vorbericht seiner Pietsch-Ausgabe erwähnt Gottsched die Textwiedergabe in den 'Neuen Zeitungen' und druckt die dortige Anmerkung als Zeugnis eines "öffentlichen Urtheil[s] unpartheyischer Teutschen" nahezu vollständig ab. 24 Wenn er schließlich die darin enthaltene Einschätzung des Werks mit vollster Zustimmung und ihren "Urheber" mit hohem Lob bedenkt, 25 so spricht dies durchaus für Gottsched als Verfasser derselben. Gottscheds Bemühungen um Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' konnten den im Einzeldruck vorgelegten Text einem größeren Publikum bekannt machen, die erhoffte Vervollständigung des Fragments jedoch nicht erzielen. "An dem Helden-Gedichte auf Ihro Kayserl. Majest. fehlet mehr als fünfmahl so viel, welches ich zwar lesen gehöret, aber niemahls in Händen gehabt", muß der Herausgeber von 1725 gestehen. 26 Sowohl seine Aussagen, die ein "völlig zum Stande" gebrachtes Werk 27 implizieren, als auch des Autors Angebot, das einen fertiggestellten Text in Aussicht zu stellen scheint, spiegeln jedoch offenbar nicht den tatsächlichen Sachverhalt. Vielmehr berichtet der Königsberger Johann George Bock, der Pietschs Nachfolge 21 22 23 24 25 26 27
NZgS 1724, 521-527, hier 521. Waniek, Gottsched, 22-23. NZgS 1724, 521. Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede,
Bl. b 2v-3r. Bl. b 3r. Bl. b 3v. Bl. b 2v.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
als Professor der Poesie antrat 28 und dessen Werke 1740 postum herausgab, Gottsched zwischen 1727 und 1729 von Pietschs zögerlicher Weiterarbeit. Pietsch schütze "Hindernisse vor, das auff den Kayser verfertigte Carmen einmal zum Stande zu bringen", und schließlich zweifelt Bock, ob "Kayser Carl [...] so bald mögte zu Ende gebracht werden".29 An der Existenz einer nicht nachweisbaren Pietsch-Ausgabe von 1731, die Heinsius verzeichnet und die den Textbestand erweitert haben könnte, ist, ebenso zu zweifeln 30 wie an der Nachricht der 'Hamburgischen Berichte' vom Januar 1734, daß Pietsch seinem am 29. Juli 1733 eingetretenen Tode die Vollendung des Werks gleichsam abgerungen habe. 31 Dieser Bericht zielte möglicherweise darauf, den Erfolg einer von Pietschs Erben geplanten Einzelausgabe des Epos, die - wohl angesichts des unfertigen Manuskripts - nicht zustande gekommen ist, 32 publizistisch vorzubereiten. Zu Pietschs Lebzeiten und kurz nach seinem Tod liegt sein episches Gedicht somit in drei unterschiedlichen Drucken vor. Während der nicht nachgewiesene Einzeldruck von 1719 auf Betreiben des Verfassers erschienen ist, hat Gottsched die unselbständige Veröffentlichung des Textes von 1724 wahrscheinlich und den Abdruck innerhalb der 'Poetischen Schrifften' von 1725 sicher veranlaßt. An der Sammlung von Pietschs 'Gebundnen Schriften', deren Vorrede der Herausgeber Johann George Bock in "Königsberg in Preussen" auf den 12. Februar 1740 datiert hat, 33 wirkte hingegen Gottsched wohl nicht mit. Auszüge aus Briefen zwischen Gottsched und Manteufel vom Ende des Jahres 1739 lassen eher darauf schließen, daß Gottsched seine eigene Ausgabe neu aufzulegen gedachte. Manteufel referiert zunächst "une dispute entre le P. R. d'icy [der preußische Kronprinz Friedrich] et un de ses principaux favoris nomme Keyserling" über Pietsch und Gottscheds Meinung von diesem. 34 Um seine angezweifelte "Hochachtung" der "pietschischen Gedichte" neuerlich zu bestätigen, antwortet Gottsched, daß "eine vermehrtere Auflage derselben unter der Presse" sei, die er gerne "dem Kronprinzen 28 29 30
31 32 33 34
Hülle, Pietsch, 24-25. Zitiert nach Hülle, Pietsch, 59-60. Heinsius, Bücher-Lexikon, III, 188: "Pietsch, J. Val. [...] poet. Werke, gr. 8. Lpz. Große 731." Vgl. Hülle, Pietsch, 31, der mit Heinsius (und Lexika, deren Angaben auf diesem beruhen) von der Existenz der Ausgabe ausgeht. Dagegen spricht neben der UnZuverlässigkeit von Heinsius u. a. die Tatsache, daß sich keine zeitgenössische Anzeige der Ausgabe findet und Heinsius die im gleichen Verlag erschienene Ausgabe von 1725 nicht nennt, die Möglichkeit einer Verwechslung der Jahreszahl also naheliegt. Zum bibliographischen Wert von Heinsius vgl. Fabian, Heinsius, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie XXVII (1980), 298-302 (mit Literaturhinweis in Anm. 2). Nach Hülle, Pietsch, 60 u. 24. Hülle, Pietsch, 60. Nach Hülle, Pietsch, 32, ist diese Ausgabe bereits am 24. März 1739 in den 'Hamburgischen Berichten' angekündigt worden. Zitiert nach Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 284-285.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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[...] zueignen" würde. 35 Ob Gottsched hier tatsächlich von einer durch ihn veranstalteten Ausgabe spricht oder möglicherweise vorgehabt hat, seine Zueignung in der von Bock vorbereiteten Sammlung unterzubringen, muß offenbleiben, da weder das eine noch das andere realisiert worden ist. 36 Pietschs 'Gebundne Schriften' von 1740 enthalten 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' in einer wesentlich erweiterten Fassung. Das Gedicht eröffnet - wie schon in Gottscheds Ausgabe - den Band und damit auch dessen erste Abteilung, die den Titel 'Helden- und Lob-Gedichte' trägt. Im Titel des Epos 3 7 tritt die editorische Leistung Bocks neben die des Dichters und beansprucht schon deshalb einige Aufmerksamkeit. Genaueren Aufschluß über den Anteil des Herausgebers an der vorgelegten Textgestalt gewährt die umfangreiche Vorrede. Hier werden der Überlieferungsbefund sowie der Umfang der Emendationen und Kompilationen in Ansätzen erkennbar: Ich war der Hoffnung alles in vollständiger Art anzutreffen; indem ich aber hier viele Stellen vergebens suchte, die ich aus dem Munde des Seeligen ehmals vernommen zu haben mich entsinnen konnte; so begegnete mir das Schicksal was zuweilen den Bergleuten wiederfähret, welche bey Nachgrabung einer milden Metall-Ader dieselbe wieder aus den bekümmerten Augen verliehren. Unter fortgesetzter Durchblätterung der übrigen Schrifften, geriethen mir einige zusammengehefftete Bogen in die Hand, worin der Verfasser vermischte Gedancken eingetragen, welche theils zur Erweiterung dieses Gedichtes theils solches an manchen Orten zu verbessern entworfen waren. Hier lagen die Strophen wie die Türcken-Köpfe auf der Wahlstäte zerstreuet: Die beygefügten Merckmale und bezieferte Stellen konnten nur ihrem Urheber zur Richtschnur behülflich seyn [...]. Durch die halbverlöschte Zeilen und den offtmaligen Durchstrich war ein grosses Theil [...] unkänntlich worden. [...] Nach dem Verfluß einiger Wochen wurden mir etliche halb zerstückte Blätter überbracht [...]; und als ich in diesen Ruinen ohnverhoffte Vorstellungen entschattet antraf, nach welchen ich bisher mich vergebens umgesehen; so vergrösserte dieser Zufall in mir den Muth, und ich bestrebte mich von Stund an jeder Betrachtung ihren gehörigen Ort zu ordnen, die Zeit der Geschichte zu beobachten, die zweifelhaffte Stellen sorgfältig zu entwickeln, hin und wieder auf einen geschickten Einsatz zu dencken, die zerstümmelte Zeilen zu verbinden, den Gedancken so viel möglich mit unveränderten Worten zu folgen, und hiedurch ward endlich das Gedicht in die Abfassung versetzet, worin es sich nunmehro dem Anblick des Lesers darstellet.38
35 36
37 38
Zitiert nach Danzel, Gottsched und seine Zeit, 285. Verhandlungen zwischen Gottsched und dem Herausgeber der Pietsch-Ausgabe von 1740 scheinen in der fraglichen Zeit nicht stattgefunden zu haben. Bocks spätestes Schreiben, das sich in Gottscheds Briefsammlung erhalten hat, datiert auf den 6. April 1736; vgl. Suchier, Gottscheds Korrespondenten, in: Kleine Gottsched-Halle VII (1910), 18. Vgl. den bibliographischen Eintrag. Pietsch, Gebundne Schriften, Königsberg 1740, Vorrede, Bl. )( 3v-4v.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
Wie schon Gottsched in seiner Vorrede, 3 9 berichtet auch Bock in seinem "Editionsbericht" von Lesungen des Epos durch seinen Autor, der das Manuskript offenbar nicht aus der Hand gegeben hat. Während Bock im zunächst gesichteten Material aus Pietschs Hinterlassenschaft "viele Stellen" vermißt, macht Gottsched eine aufschlußreiche Angabe zum geplanten Umfang des Werks, indem er angibt, daß diesem "mehr als fünfmahl so viel" zur Vollständigkeit fehle. Diese Aussage ergänzt eine in beiden Ausgaben enthaltene Anmerkung zu einem Gelegenheitsgedicht von 1724, dessen zehnten Vers ("Vielleicht kennt Teutschland noch die Bilder meiner Hand") vielleicht Pietsch selbst kommentiert: "Des Autors Carl den Sechsten worin er in 5 Theilen den Sieg über die Türcken beschreibet." 40 In der von Bock verantworteten Textgestalt enthält das Werk 1193 paarweise gereimte Alexandriner, die sich ungleichmäßig auf vier Stücke verteilen. 41 Der Umfang des vierten Stücks, der den der drei ersten Teile deutlich übersteigt, könnte ein Indiz für einen zunächst tatsächlich auf fünf Stücke angelegten Plan sein. Ob Pietschs Weiterarbeit an seinem Werk bis zuletzt von einer Fünfteiligkeit ausgegangen oder ob die von Bock dargebotene Einteilung in vier Stücke von Pietsch autorisiert ist, kann ebensowenig entschieden werden wie die Frage, wieviel Anteil der Herausgeber an einzelnen Versen und der Zusammenstellung einzelner Passagen genommen hat. Der unklare Umfang der editorischen Eingriffe gab bereits Gottsched Anlaß zur Kritik. In seiner Rezension zu Pietschs 'Gebundnen Schriften' nennt er den Herausgeber Bock zwar den "Aristarch [...], der uns die Ilias dieses preußischen Homers in Ordnung gebracht, ergänzet, verbessert, und in die Welt geschicket" habe, zitiert die oben angeführte Passage aus Bocks Vorrede und stattet diesem "den verbindlichsten Dank" ab. 4 2 Im Anschluß ironisiert Gottsched jedoch den Bericht des Herausgebers über seine Arbeit. Die "Offenherzigkeit des Herrn Professors" verspreche "dem Dichter [...] besondre Vortheile"; denn die Ungewißheit über die Verfasserschaft könne "dem sei. Pietsch allemal zur Vertheidigung dienen, wenn eigensinnige Kunstrichter, oder verhaßte Tadler demselben diese oder jene Stelle [...] zur Last legen" wollten. 43 Diesen Abschnitt seiner Rezension schließt Gottsched mit der wiederum ernstgemeinten und darum bemerkenswerten - Forderung nach einer typographischen Unterscheidung im Text, die die Einschübe des Editors 39 40 41
42
43
Vgl. Anm. 26. Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, 220; Pietsch, Gebundne Schriften, 108. I: 227 Verse; II: 284 Verse; III: 280 Verse; IV: 402 Verse. Die ungerade Versanzahl des ersten Stücks erklärt sich durch den unvollständigen, mit der Mittelzäsur abbrechenden Vers 177, der reimlos geblieben ist. Β CH VII (1741), 131-166, hier 138-140. Gottscheds Verfasserschaft, die auch Gottsched AW XII, Nr. 242, verzeichnet, geht u. a. aus teilweise persönlich formulierten (ζ. B. 136: "Wie ich mich [...] besinne") Berichten über Pietsch hervor, die sich an Gottscheds eigene Vorrede von 1725 anlehnen. BCH VII (1741), 140.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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kenntlich gemacht und damit einem fremden Werk "die gebührende Hochachtung" geschenkt hätte. 4 4 Die schon von Gottsched gesehenen Unwägbarkeiten verlangen Zurückhaltung bei der Interpretation insbesondere der 1740 zuerst gedruckten Teile von Pietschs Epos. Während dort von einem letztlich nicht autorisierten Text auszugehen ist, der in Gesamtaufbau und Detailgestalt editorisch aufgearbeitet wurde, bietet Bock im bereits zuvor veröffentlichten Teil des Werks einen variantenreichen "Text letzter Hand". Schenkt man dem zitierten Bericht des Herausgebers Glauben, dann beruhen diese Varianten auf handschriftlichen Notizen des Autors, "welche theils zur Erweiterung dieses Gedichtes theils solches an manchen Orten zu verbessern entworfen" gewesen seien. 4 5 Abgesehen von orthographischen Abweichungen, die nicht auf den Autor zurückgehen dürften, sind die Drucke von 1724 und 1725, die wahrscheinlich auf dem gleichen Einzeldruck von 1719 beruhen, innerhalb des parallel überlieferten ersten Stücks weitgehend identisch. 46 In der Ausgabe von 1740 sind hingegen zum Teil einschneidende Veränderungen und Erweiterungen um insgesamt acht Verse zu verzeichnen. Mehrere Passagen sind gänzlich umgearbeitet, zahlreiche Verse im Detail modifiziert 4 7 Charakteristika der Dichtung
Als Gegenstand seines Gedichts, an dem er seit 1718 arbeitet, wählt Pietsch eine Episode der aktuellen Zeitgeschichte. Der Türkenkrieg von 1716 bis 1718, in dem Prinz Eugen als Oberbefehlshaber der A r m e e Kaiser Karls VI. die größte Ausdehnung des Habsburger-Reichs erkämpfen konnte, hatte dem preußischen Dichter bereits für die genannte O d e auf Eugens 'Siegreichen ersten Feldzug' den Stoff geboten. Werden hier die Siege des Jahres 1716 bei 44 45 46
47
BCH VII (1741), 141-142. Gottscheds Kritik an Bocks editorischer Leistung wird wiederholt in: NB IV (1747), 450. Pietsch, Gebundne Schriften, Vorrede, Bl.)( 4r. Der Text von 1725 ist im wesentlichen von einigen Druckfehlern bereinigt; beachtenswerte Varianten finden sich in den Versen 1/41, 52 und 75-78 (zuletzt mit Umstellung von Satzgliedern). Neu hinzugekommen sind die Verse 1/57-60 und vier Verse innerhalb des gänzlich veränderten Abschnitts der Verse 1/196-213 (1724/25: 1/192-205); neben dieser Passage sind die Verse 1/33-52 vollständig umgearbeitet; hervorgehoben seien ferner die Varianten in den Versen 1/17-19, 54, 73-74, 130-132, 138, 173-175 und 195 sowie 11/13-16, 21-22 und 25-26. Eine weitere Abweichung in der Textgestalt ergibt sich dadurch, daß in Gottscheds Ausgabe alle Verse mit einem Großbuchstaben beginnen, in Bocks Ausgabe hingegen nur diejenigen Verse, die mit einem Satzanfang zusammenfallen. Bock folgt hierin offenbar Pietschs Handschriften. Denn Gottsched rechtfertigt in seiner 'Sprachkunst' die von ihm vorgenommene Vereinheitlichung, indem er argumentiert, daß Pietsch "bloß aus einer Nachläßigkeit [...], nicht aber mit Vorsatze" die Regel, "vor jedem Verse, einen so genannten großen Buchstab" zu setzen, nicht beachtet habe (Gottsched AW VIII/1, 140-141).
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Peterwardein und Temesvar besungen, so konzentriert sich Pietsch in seinem Heldengedicht auf die Eroberung Belgrads im Jahr darauf. Die historisch greifbaren Ereignisse, die das Werk - vor allem im zweiten bis vierten Stück berichtet, liegen zwischen Prinz Eugens Landung bei Belgrad am 16. Juni 1717 und der Übergabe der Stadt durch die Türken vom 22. August desselben Jahres. 48 Seine Informationen über den Kriegsverlauf und manche in die Schilderung eingeflossene Episode verdankt Pietsch vor allem der Königsberger Zeitung 'Königlich Preußische Fama' und dem zeitgenössischen, insgesamt sechsbändigen Monumentalwerk über 'Des großen Feld-Herrn Eugenii Herzogs von Savoyen [...] Helden-Thaten'. 49 Die Wahl eines zeitlich naheliegenden, nicht aus Mythos oder Vorgeschichte stammenden Sujets verbindet sich in Pietschs Werk mit dem weitgehenden Verzicht auf einen Götterapparat. Lediglich im Prooimion und in des Dichters Bitte, mit göttlichem Beistand das "Feld-Treffen" schildern zu können, werden die Musen und Mars apostrophiert (1/1-10 u. III/l 13-130). In das Geschehen eingreifende Gottheiten gibt es in den Schlachten um Belgrad nicht. Hingegen treten übernatürliche Erscheinungen, allegorische Personen und personifizierte Naturmächte auf. Der "Schutz-Geist Asiens [...] | [...] nimmt von Solymann | den Leib, Gesicht, Gestalt, Gang, Tracht und Reden an" (1/63-68) und erscheint dem türkischen Machthaber Sultan Achmet im Traum. Das "Verhängniß" beschließt "den frühen Kampff (III/109), die "Mordsucht kreischt und schwingt ihr schmutziges Gefieder", um die "SchlachtBegierde" zu fördern (IV/1-3), "der abgezehrte Neid wirfft seine schiele Blicke", als Fama die Nachricht vom Sieg der kaiserlichen Truppen verbreitet (IV/345-349), und auch die römische Kriegsgöttin Bellona (III/157 u. IV/378) ist mehr allegorische Personifikation als selbständig handelnde Gottheit. Die Donau begrüßt den "Erretter Carl", dessen Armee sie ihren "Rücken" bietet (11/11-26); sogar die Sonne unterbricht angesichts des erwarteten Grauens "den sonst gewohnten Lauff (111/91-96). Neben diesen Merkmalen, die einige Abweichungen von Gattungsgepflogenheiten verraten, existieren gattungstypische Charakteristika, mit denen der Autor, der sich in keiner erhaltenen Quelle programmatisch über sein Werk äußert, einen Platz innerhalb der Tradition beansprucht. So gemahnt die "Beschreibung des Türckischen Heeres", die das erste Stück abschließt, deutlich an die katalogartigen Aufzählungen der Streitmächte in den antiken Epen. Wie in den entsprechenden Passagen bei Homer oder Vergil, Lucan oder Silius Italicus 50 werden hier die verschiedenen Völker, die Truppen ent48 49 50
Vgl. Hülle, Pietsch, 61. Den Nachweis der Übernahme einzelner Fakten führt Hülle, Pietsch, 62; ebd., 56-59, findet sich eine Nacherzählung des Gedichts. Hülle, Pietsch, 63-64, macht Stellenangaben und favorisiert den letztgenannten Autor als Pietschs Vorbild für die "Schilderung der verschiedenartigen Ausrüstungen der Truppen".
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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senden, einzeln genannt, kurz charakterisiert und in der Art ihrer Bewaffnung beschrieben (1/171-213). Pietsch verleiht seinem Werk, das keine selbständigen Episoden oder weit ausholenden Rückblicke enthält und in seinem Umfang weit unter den etwa von Vergil vorgelegten Dimensionen bleibt 51 , hiermit eine gewisse epische Breite. Ähnliches gilt für einige breit angelegte Gleichnisse und ausgeführte Bilder (1/32-52 u. 53-62; 11/193-202 u. 229-246; 111/57-70 u. 131-150; IV/61-102), die ebenfalls als traditionelles episches Stilistikum gelten können. Für Pietschs Gattungsbewußtsein spricht ferner auf eine vermittelte Art auch der Titel des Werks. Hatte er in seiner panegyrisch-heroischen Ode auf Eugens Siege des Jahres 1716 den Feldherrn auch im Titel als Helden des Gedichts gekennzeichnet, so ist nun der Kaiser Titelheld. Er wird in einer Apostrophe, die dem Musenanruf unmittelbar folgt (1/11-20), als Gegenstand des Lobes und Anreger des Dichters bezeichnet und gegen Ende des Werks in einem allegorischen Triumphzug 52 über das Schlachtfeld geführt (IV/345-386). Eine nochmalige Apostrophe an Karl VI. folgt und beschließt das Werk (IV/387-402). Außerhalb dieses Rahmens, der den schildernden Hauptteil des Heldengedichts umschließt, tritt der Kaiser nicht handelnd in Erscheinung. Tätiger, erfolgreicher und physisch allgegenwärtiger Held ist Eugen. Die Titelfigur hingegen ist lediglich in zahlreichen Anrufen (etwa I I / l , 17, 24, 52) präsent. Diese Apostrophen erinnern beständig daran, daß das von Eugen geführte Heer, auf das sich "Carols Helden-Geist [...] ergossen" hat (III/110), als "Arm" des Kaisers (11/71) gleichsam für ihn und durch ihn handelt. Daß Karl VI. trotz seiner Abwesenheit Titelheld ist, kann als ein deutliches Indiz dafür gelten, daß Pietsch eine Parallele zwischen Stände- und Gattungshierarchie zieht. In der strophischen Ode wird der Feldherr gepriesen, angemessener Gegenstand für das Heldengedicht im heroischen AlexandrinerVersmaß ist hingegen der Kaiser als oberster Herrscher und Heroe. Die Nachahmung einiger typischer epischer Gattungsmerkmale bedingt eine Poetisierung des zeitgeschichtlichen Stoffs. Eine exakte Darstellung historischer Ereignisse ist hiermit nur schwer zu vereinbaren und dürfte kaum im Mittelpunkt von Pietschs dichterischem Interesse gestanden haben. Zwar werden beispielsweise Gewässer wie das Schwarze Meer (1/40), die Donau 51 52
Die 'Aeneis' umfaßt 9896 Verse, 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' 1193. Gottscheds Abdruck von 1725, der darin wohl dem Einzeldruck von 1719 folgt, enthält vor dem Textbeginn der beiden Stücke die Wiedergabe der Vorder- und Rückseite "einer damals verbreiteten Denkmünze auf den Passarowitzer Frieden" (Hülle, Pietsch, 59). Vor Stück I ist das Konterfei des lorbeerbekränzten Kaisers zu sehen, vor Stück II über der Inschrift "PACE TVRCIS DATA MDCCXVHI" ein Triumphzug, der Vorbild für Pietschs Schilderung gewesen sein könnte. Ferner orientiert der Dichter sich an den Triumphzügen der römischen Caesaren. Endeten diese auf dem kapitolinischen Hügel, so wird Karl VI. "ins Capitol verdienter Ehren" geführt (IV/386).
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(11/11 u. ö.) oder die "Sau" (d. i. die Save; 11/156), wichtige Orte wie Belgrad (II/46 u. ö.), Temesvar (111/10) oder Peterwardein (III/11) ebenso genannt wie einige der an den Schlachten beteiligten Personen (Seckendorff: 11/151 u. IV/115; Palphi: III/187 u. IV/118). Hingegen bleibt der zeitliche Ablauf der Gefechte weitgehend im dunkeln. Eine vage jahreszeitliche Angabe, die für das neuerliche Erstarken des türkischen Heers die Zeit, in der "das Eiß den Frühlings-Blicken weichet" (1/45), nennt, und einige Hinweise auf den Einbruch der Nacht (11/163) oder die zögernd herannahende "Dämmerung" (111/84) schaffen bestenfalls grobe Orientierungspunkte. Das Motiv der Sonne, das Anhalt bieten könnte, wird mit verwandten und kontrastierenden Bildern verknüpft und frei vom Anspruch historischer Genauigkeit verwendet. Am Umgang des Dichters mit dem so entstehenden semantisch aufgeladenen Motivkomplex ist zu zeigen, daß Pietschs Intention nicht in einer nüchternen Schilderung des Geschehenen, sondern in seiner pathetischen Vergegenwärtigung liegt. Nach Musenanruf und panegyrischer Huldigung werden die Antipoden, die die "Welt ein neues Schauspiel sehen" lassen (1/26), in ausführlichen Bildern exponiert. Die Parteinahme des Dichters für die kaiserlichen Truppen steht dabei ebenso außer Zweifel wie der ihnen zum Ruhme gereichende Ausgang des Kampfs. Der nach Eugens Siegen vom Vorjahr "gebrochne Feind", der "die Waffen schon mit ausgeruhter Hand" schärft (1/33-36), wird im Bild eines Drachen beschrieben, der sich im Winter "in die Klufft zu stecken" pflegt, um im Frühjahr "mit verneurter Krafft" zu erwachen (1/37-52). Dem wechselblütigen, in Winterstarre verfallenen Reptil stellt Pietsch einen wachen Adler gegenüber, der jenes besiegt (1/53-62). Wird in der gleichnishaften Beschreibung des türkischen Heers in vier voranstehenden Versen expliziert, wofür der Drache steht, so bleibt das Bild des Adlers ohne ausdrückliche Auflösung. Das Gemeinte wird jedoch aus dem antithetischen Kontext ebenso deutlich wie aus dem Umstand, daß der Adler Wappentier des Kaisers und Feldstandarte seines Heers ist. 53 Ergibt sich hier das Bild durch ein heraldisch vorgegebenes Signum, das zugleich positive Wertschätzung impliziert, so hat Pietsch das Bild für das türkische Heer ohne vergleichbare Vorgaben gewählt. In der Ausführung des Bilds 54 verbindet sich die Darstellung der Situation vor der Eroberung Belgrads (Rückzug und Neuformierung der Türken im Winter 53 54
Eine solche Standarte ist auf der Rückseite der Gedenkmünze, die in der Ausgabe von 1725 vor dem zweiten Stück abgebildet ist, zu erkennen. Die Aussage- und die Vergleichsebene sind nicht immer völlig voneinander getrennt, sondern durch in das Bild integrierte Konkreta, die dem Bezugsgegenstand zugehören, miteinander verschränkt. So wird vom Drachen gesagt, daß seine "Füsse [...] kaum bis an das schwartze Meer [taumlen]" (1/40). In der Fassung von 1725 wird das Bild des Drachen nach der Explikation des Gemeinten, die hier dem Vergleich folgt, ohne neuerliche Vergleichspartikel wieder aufgenommen: "Sein [des Feindes] Heer ist ohne Krafft, es wird sich selbst zu schwer, | Der Drache [!] taumelt kaum biß an das schwartze Meer" (1/41-42).
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und Frühjahr 1716/17) mit eindeutiger negativer Wertung, die das Schauerliche und Schmutzige des Feinds betont. Nach der Überwindung des Drachen steigt der Adler "als Sieger in den Kreiß des fernen Monden" und zeigt "seinen Donner-Keil den blassen Hörnern" (1/61-62). Seine Machtgeste richtet sich gegen das zentrale Signum des türkischen Wappens. 5 5 Der Krieg der Antipoden wird so in der Gegenüberstellung ihrer poetisierten Herrschaftssymbole antizipiert. Die Antithese von Drachen und Adler weitet sich durch Zuordnungen von Mond und Sonne zum Motivkomplex. Insbesondere das Bildpaar von Adler und Sonne, das auf eine reiche emblematische Tradition zurückgreifen kann, 5 6 wird eng mit dem kaiserlichen Heer und seinem Erfolg verbunden. So stellt der "Schutz-Geist Asiens" dem Sultan den "Jammer-Stand" der Türken vor Augen und sagt damit zugleich den Ausgang des Kriegs voraus: [...] du siehst in Temeswar den Monden untergehn, du siehst ein schimmernd Creutz auf allen Thürmen stehn, wie, soll der Adler noch auf Belgrads Mauren fliegen? (1/95-97)
Mit "Mond" und "Adler" sind hier bildhaft die Flaggen bezeichnet, die das jeweilige Motiv tragen. Die jeweils aktivisch formulierte Handlungsweise ("untergehn" bzw. "fliegen") kennzeichnet ein typisches Verhalten von Mond und Adler. Zugleich stehen die Verben für das Einholen und Hissen der Herrschaftsymbole, die wiederum die verfeindeten Machthaber vertreten. Ähnliches gilt für den Adler als Standarte des Heers. Hier steht ihm auf türkischer Seite ein "Roßschweiff gegenüber. 57 Als Zeichen des Beginns des Feldzugs wird am Ende des ersten Stücks der "kriegerische Schweiff vom Roß [...] ausgesteckt" (1/222). In Konfrontation mit dem kaiserlichen Adler erscheint das Bild am Anfang und am Ende des dritten Stücks. In "eitlem Wahn" wartet der Großwesir darauf, daß "der Adler sich erst vor dem RoßSchweiff neiget" (III/6-9); und die Entscheidung des Kampfs wird mit dem gleichen Motivpaar beschrieben: Der Degen macht sich Raum dem Sieg den Weg zu bahnen, der Roßschweiff hebt sich auf und weicht den Christen-Fahnen, der Adler, der sich sonst an Sonn und Licht gewöhnt,
55 56 57
Eine zeitgenössische Beschreibung desselben bietet Zedier, Universal-Lexikon, XLV, Graz 1962, 1673. Vgl. konkret die bei Henkel/Schöne, Emblemata, Stuttgart 1976, 757-780, insb. 758-759, 762 u. 774-779, genannten Sinnbilder. Vgl. Zedier, Universal-Lexikon, XXXII, Graz 1961, 1037: "ist in der Türckey eine Art von Standarte, welche man vor dem Groß-Sultan [...] herträgt. Dieses ist eine halbe Pique, an deren Spitze unter einem vergoldeten blechernen Knopffe [...] eine Menge langer Pferde-Haare, fast in Gestalt eines Roßschweiffes herabhangen. [...] Wenn die Türcken einem auswärtigen Potentaten den Krieg ankündigen, so geschiehet solche Declaration [...] mit Aussteckung eines Roßschweiffes."
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten hebt sich, indem er sich nach heiterm Himmel sehnt. Siegreicher Sonnen-Strahl! auf laß die Wolken brechen, dies schwächt der Türcken Wuth wie sich die Dämpffe schwächen, die Nebel-leichte Lufft entdeckt zur rechten Hand das Erdreich und zugleich des Heeres rechten Stand. (III/273-280)
Innerhalb des Rahmens, den die paarweise Verwendung der Metonymien zu Beginn und am Ende des dritten Stücks schafft, wird - wie die Überschrift sagt - "das geliefferte Feld-Treffen abgebildet". Die zitierte Passage konzentriert Motive dieser Schilderung und verknüpft diese mit der Bildlichkeit des Rahmens. Insbesondere die parteigebundenen Entgegensetzungen von Sonne und Klarheit auf der einen sowie Nebel und Undurchsichtigkeit auf der anderen Seite sind hier von Interesse. Die dem Tag der Schlacht vorangehende Nacht, die als Personifikation auftritt und in kontrastiver Analogie zum Sonnenwagen "mit trägem Arm der schwartzen Rosse Zügel | auf ihrer schwartzen Bahn [...] | auf beyde Lager" hinlenkt (111/49-51), verbreitet über die "Finsternisse" hinaus Nebel. Dieser Nebel am Tag der Entscheidung ist in einer der von Pietsch benutzten historischen Quellen verbürgt. 58 Das vorgegebene Motiv dient dem Dichter als Begründung für den ungeplant frühen Beginn der Schlacht (III/102-110) und für eine allgemeine Desorientierung, die eine Auflösung der Heeresordnungen und Einzelkämpfe bedingt (III/249-262): "So macht der blinde Kampf den Sieg der Christen schwer". Erscheint schon hier der Nebel als Macht, die der kaiserlichen Seite entgegensteht, so zeigt sich an anderer Stelle noch deutlicher die Semantisierung des Motivs. Wenn die Nacht "den blinden Flor | verlangter Dunckelheit" den Türken vor die Augen "hengt" und ihr "Schicksal [...] sie nicht mit offnen Augen sehen" läßt (111/51-53), dann wird der Nebel auch zum Bild für die den Mohammedanern mangelnde religiöse Erkenntnis. Die Sonne hingegen, die von den "Grauen" der Schlacht veranlaßt wird, "ihr trübes Licht in Wolcken-Decken" einzuhüllen (111/96), bricht - in der oben zitierten Passage - genau im Augenblick der Entscheidung durch. Sie begleitet damit den kaiserlichen Sieg und verhilft zur "rechten" Erkenntnis der Lage. Eine weitere Zusammenfassung dieses Motivkreises, die die Zuordnung des Nebels zu den Türken in sprachlicher Parallele neuerlich bestätigt und die emotionale Beteiligung der personifizierten Sonne aufgreift, folgt im vierten Stück: Der Feind, der Nebel flieht; des Himmels grosses Licht streckt durch die heitre Lufft das lüsterne Gesicht, das Feld, vor dem es sonst mit einem ecklen Grauen den hohen Blick verbarg, verklärter anzuschauen (IV/295-298)
58
Vgl. Hülle, Pietsch, 62.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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Mit der Analyse eines Komplexes von Motiven 59 läßt sich zeigen, wie es dem Autor gelingt, sein Werk mit einem dichten Geflecht von zusammenhängenden Bildern zu durchweben und zu strukturieren. Er bedient sich vorgegebener Zeichen, ergänzt und variiert deren traditionellen Bedeutungsgehalt, ordnet den Antipoden konträre und typisierende Bilder zu und nimmt vermittels dieser Bilder Stellung zum Geschehen. 6 0 Die Auseinandersetzung vor Belgrad findet zugleich real und auf bildlicher Ebene statt. Das zeitlich erst kurz zurückliegende Ereignis wird nicht chronologisch getreu oder historisch exakt geschildert, sondern dichterisch gestaltet, metaphorisch umgesetzt und dramatisch verdichtet. Dem Reichtum an - zumindest teilweise originellen Bildern entspricht eine stark mit rhetorischen Figuren und Pathosformeln durchsetzte Sprache. Der Charakter von Pietschs poetischem Duktus in 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' kann an einer Passage aus dem von ihm selbst autorisierten ersten Stück beschrieben, die Zielrichtung dieser Sprache an einigen immanent poetischen Äußerungen gezeigt werden. Der Schutzgeist Asiens, der den Kampf zwischen Adler und Drachen "gewahr" und durch die "drohende Gefahr" geschreckt wird (1/63-64), erscheint dem herrschenden Sultan Achmet in der Gestalt von dessen Vorgänger Soliman. Seine bewegte Anrede beginnt ohne Einführung durch den Erzähler mit einer vorwurfsvollen Feststellung, die auf die drängende Lage und die Versäumnisse des Sultans zielt. Diese werden in der unmittelbar angeschlossenen Wiederholung durch die angefügte temporale Bestimmung "noch" zusätzlich betont. Der nachgestellten Benennung des Sprechers folgt im nächsten Vers eine Antithese, in der "der verstellte Geist" der Passivität des Angesprochenen seine eigene - durch die personifizierte Macht des Schicksals ausgelöste - Unruhe und Erregung gegenüberstellt: Du schiäffst, du schläffest noch; rief der verstellte Geist: da das Verhängniß mich aus meiner Ruhe reißt. (1/75-76)
Das Ziel der Traumerscheinung ist es, Achmet die Erkenntnis der Gefahr zu vermitteln und ihn durch Erinnerung an frühere Heldentaten zur persönlichen Aktivität zu bewegen. Der Geist bedient sich hierbei weniger eines ruhig 59
60
Zu ergänzen wäre etwa das am breitesten ausgeführte Gleichnis des Werks, das die Schlacht zwischen kaiserlichem und türkischem Heer mit dem Kampf zwischen einem Löwen und einem Auerochsen vergleicht (IV/61-102). Der Löwe überwindet den Ochsen, dessen Waffe seine Hörner sind, indem er ihnen ausweicht und seinen Gegner in der Flanke angreift. Die Taktik des Löwen verweist auf die Eugens, die Form der Hörner auf die Formation des türkischen Heers, darüber hinaus aber auf den türkischen Halbmond. Hierdurch wird der Vergleich des Ochsen mit der türkischen Streitmacht erst eigentlich motiviert und mit der herrschenden Motivik verbunden. Ein im Ansatz ähnliches Verfahren ist in der Ode auf Eugens siegreichen Feldzug gegen die Türken vom Jahre 1716 (Pietsch, Gebundne Schriften, 36-44, insb. Str. 1 u. 2) zu beobachten.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
argumentierenden Stils als vielmehr schroffer Antithesen und Paradoxa, pathetischer Appelle und rhetorischer Fragen sowie weiterer Figuren wie Ellipsen und Asyndeta, die eine Verdichtung der Sprache bedingen und die Erregung des Sprechenden umsetzen. 61 Die in pathetischem Sprachgestus gehaltene Rede beschließt eine vom Erzähler geschilderte körperliche Geste: Hier schwieg, hier wich der Geist. Er wies die dürre Hand, er drohete dreymal, er seufzte und verschwand. (1/107-108) Gestisches Sprechen und sprechender Gestus verfehlen ihre Wirkung auf Achmet nicht. Seine starre Angst geht in "bebendes Geschrey" über, die "angeflammten Blicke" reden noch vor dem Wort (1/109-117). Nachdem "der Bassen Schaar", die durch die lautstarke Erregung ihres Herrschers herangelockt wurde, fortgeschickt ist, äußert sich der Sultan seinem Großwesir gegenüber wie folgt: Es ist um uns geschehen! was hab ich doch gehört? was hab ich doch gesehen? kein falscher Schatten hat den Schlaffenden bethört! ach gar zu viel gesehn! ach gar zu viel gehört! die Unterwelt erstaunt vor jener Donner Knallen, vor welchen unser Heer und Temeswar gefallen, der grosse Solymann, der Musel-Männer Held, hat sich und meinen Fall mir lebhaft vorgestellt. Mich dünckt ich seh ihn noch. Mir zittern alle Glieder! er siehet meine Schmach und schlägt die Augen nieder. Mich dünckt ich seh ihn noch! er senckt sein tapfres Haupt: weil ihm der tiefe Schmertz sein Helden-Wesen raubt; der Eindruck, welchen ihm mein Unstern hat gegeben, zwingt den beruffenen und starcken Arm zu beben. Das innre Grauen hebt sein aufgestreubtes Haar, durch finstre Blicke wird sein Eyfer offenbar. Er fühlt den herben Gram, den ich anjetzt empfinde, er löst vor Ungedult die blutbesprützte Binde von seiner welcken Stirn, und sein entfärbter Mund macht mir des Feindes Glück und mein Verderben kund. Er treibt, er feurt mich an dem Feinde vorzubeugen ich soll den Weg zur Flucht ihm durch den Säbel zeigen.
61
Als Beleg mögen folgende Beispiele aus der Rede (1/75-106) dienen, in denen die erwähnten rhetorisch-pathetischen Mittel ζ. T. kombiniert auftreten: "Mir hat die Finsterniß des Reiches Noth entdecket, | dir hat das helle Licht dein Ungelück verstecket." "Verworffner Jammer-Stand! | ist alle Tapfferkeit mit Solyman gestorben? | giebst du so schändlich hin, was ich so schwehr erworben?" "Entblösse Stahl und Arm! komm! blitze, trenne, stürme" "wo nur die Zeit allein nicht Christen-Blut verfließt". Die elliptische Fügung im letzten Zitat enthält eine für Pietsch typische Kombination von eigentlicher und uneigentlicher Verwendung des Prädikats.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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Allein wer weiß ob nicht der Anblick meiner Pracht den Streit noch hitziger, den Sieg noch grösser macht. Ach gar zu später Schluß! was hab ich doch gesehen! was hab ich doch gehört! es ist um uns geschehen! (1/117-142)
Die rhetorische Durchgestaltung der Rede zeigt sich am deutlichsten in der rahmenden Funktion der Anfangs- und Schlußverse. Der einleitende Halbvers, der die Prognose des Geists in einen das Fatum erkennenden Ausruf umsetzt, kehrt als zweite Hälfte des letzten Verses wieder. Die parallel gebauten Fragen des zweiten Verses, die die akustische und optische Wahrnehmung der Traumerscheinung betreffen, bilden im Wortlaut die zweite Hälfte des vorletzten und die erste Hälfte des letzten Verses. Die Reihenfolge der drei ersten Halbverse hat sich umgekehrt, sodaß der Mittelteil der Rede spiegelsymmetrisch verklammert ist. Die Doppelfrage des zweiten Verses ist am Ende jedoch als doppelter Ausruf wiederholt. Aus selbstbezüglichen Fragen nach dem soeben Wahrgenommenen, die die Schilderung motivieren und eröffnen, sind nach erfolgter Schilderung Feststellungen geworden, die das Gesehene und das Gehörte in seiner Unausweichlichkeit pathetisch resümieren. Doch die Verklammerung des Anfangs mit dem Schluß reicht noch weiter. Die im zweiten Vers gestellten Fragen werden im vierten Alexandriner der Rede mehr aufgegriffen als beantwortet. Wiederum parallel gebaut enthält der Vers das jeweils von der Interjektion "ach" eingeleitete Bekenntnis, daß das Wahrgenommene "gar zu viel" für die Fassungskraft des Sultans war. Durch Umkehrung der Halbverse ergibt sich hierbei - über den regelmäßigen Paarreim hinaus - als zusätzliche Klangfigur ein chiastisch verschränkter, in einem Fall allerdings unreiner "Mittenreim". Der vierte Vers erweitert so den die Rede umklammernden Rahmen. Seine Zugehörigkeit zu diesem erweist sich endlich dadurch, daß seine Transformation der Fragen aus dem zweiten Vers in Ausrufe der Verzweiflung im zweitletzten Vers mit identischer Formel aufgenommen wird: "Ach gar zu später Schluß!" 62 Im umrahmten Hauptteil der Rede des Sultans berichtet dieser näher von der Erscheinung. Der Inhalt der Worte des Geists, die der Leser schon kennt, wird im fünften bis achten sowie im siebt- bis fünftletzten Vers zusammengefaßt. Die von Soliman namhaft gemachte Gefahr dominiert zu Beginn, gegen Ende gibt Achmet die von seinem Vorgänger erfahrene Aufforderung zum aktiven Eingreifen wieder. Im Zentrum der Rede, deren spiegelsymmetrische Struktur somit unterstreichend, steht indessen die Schilderung der Erscheinung selbst und ihrer Gesten. Der Sultan spricht zugleich von dem Gesehenen und von seiner Wirkung auf ihn. Ein gleichlautend wiederholter Ausruf zeigt an, daß er "noch" unter dem Bann der Erscheinung steht, und zielt (in der 62
In der Fassung von 1725, der gegenüber die Rede des Sultans insgesamt wenig verändert ist, hatte diese Stelle noch "Ach allzuspäter Schluß!" gelautet. Der Text von 1740 ist durch die gleichlautende Wiederaufnahme der Formel "Ach gar zu" hier also strukturell dichter.
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Rhetorik des Dichters) auf Vergegenwärtigung des Eindrucks. Die typisierten körperlichen Reaktionen Solimans sind Spiegel seiner inneren Verfassung ("aufgestreubtes Haar", "finstre Blicke", "entfärbter Mund"). Sie stellen nach außen getretene Affekte seines Innern dar ("Schmerz", "innre [!] Grauen", "herben Gram") und übertragen sich auch auf den Sprechenden ("Mir zittern alle Glieder!"). Die eingehender betrachtete Passage der Traumerscheinung und ihrer Wirkung auf Achmet kann als typisch für den sprachlich-rhetorischen Stil in 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' gelten. 63 Sie gibt einen deutlichen Hinweis auf die Intention des Epos. Wenn Achmet sagt, daß Soliman "sich und meinen Fall mir lebhafft [!] vorgestellt" habe, dann betrifft diese Aussage zugleich die Kunst des Dichters und seine beabsichtigte Wirkung. Äußerungen dieser Art, die zusammengenommen eine immanente Poetik des Textes ergeben, finden sich mehrfach in Pietschs Heldengedicht. So heißt es nach einer gleichnishaften Darstellung der zeitweise bedrängten Lage des kaiserlichen Heers im Bild zweier Gewitter, daß "bloß die Erzehlung [...] die Hörenden erschüttern" könne (11/249). Und als eine Explosion eines Pulverlagers in Belgrad "Entsetzliches Getöß!" verursacht, meint der Dichter, daß dies "der Höllen taubes Ohr mit Zittern [...] empfinden" müsse (11/277-278). Gleiche Bewegung erhofft Pietsch offenbar beim Leser oder Hörer seines Werks. Seine poetische Wirkungabsicht, die über politische Stellungnahme oder Lob des Kaisers hinausgeht, ist mit dem movere von Quintilians Rhetorik ohne weiteres zu vereinbaren. In den Abschnitten des Werks, in denen der Erzähler das Wort nimmt, wird die Fähigkeit, das Geschehen darzustellen und wirkungsmächtig zu vermitteln, näher bestimmt. Der Anruf vor dem entscheidenden Gefecht (III/112-130) bittet zunächst die Musen, "die Schlacht" für den Dichter zu "entwerffen", da es diesem an "Macht und Gedächtniß" mangele, und "des Siegers Bild empor" zu heben sowie "Stahl und Gluth und jeden Helden" vorzustellen (III/121-124). Am Schluß seiner Apostrophe ist der Dichter gestärkt und erkennt die Quelle seiner Kraft im Einfluß des Kriegsgottes Mars: Mich dünckt, Mars rührt mich selbst mit heissen Händen an, daß ich die Schlacht und ihn und Helden bilden kan; mein angetriebnes Blut fängt an so starck zu wallen, als war ich selbst gereitzt den Barbar anzufallen. (III/127-130)
Die pathetische Darstellung bedarf eines pathetischen Erzählers, der idealster in den Gemütszustand seines Helden versetzt ist. Der affektiven Rührung und Bewegung des Lesers geht die des Dichters voraus. Pietsch folgt hierin der Forderung des von ihm genau studierten Horaz: "si vis me flere, dolendum est
63
Vgl. die von Hülle, Pietsch, 68-70, genannten Beispiele rhetorischer Mittel (insb. der Antithese).
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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| primum ipsi tibi". 64 Am Schluß der Dichtung, den Hülle vermutungsweise dem Herausgeber Bock zuschreibt, 65 erklärt der Dichter dem angesprochenen Kaiser, daß seine Muse, "bey deinen Wunder-Thaten | in dieser rauhen Lufft [Ostpreußens] in einen Brand gerathen", 66 "kein kräfftig Wort von deinem Frieden sagen" könne, da sie sich selbst "den Waffen-schwangren Krieg | zu lebhafft [!] vorgestellt" habe (IV/387-395). Und das Prooimion des Werks wird vom Ende her als Fundament dieser Poetik erkennbar: Wo kämpfft, wo siegt mein Carl? Ihr Musen führt mich hin! ein kriegrisches Geschrey bewegt mir Geist und Sinn, rückt den verwöhnten Fuß von unsern sanfften Höhen, ihr sollt auf Waffen, Blut und kalten Leichen gehen. Was fesselt mich und euch durch heimliche Gewalt? wird mein erloschner Trieb auf blassen Cörpern kalt? will der geweyhte Brand nicht meine Brust durchdringen, und läst mein Phöbus mir kein feurig Lied gelingen: so ruf ich dich, ο Mars! um deine Flammen an, wer weiß, ob nicht ein Held mehr als die Musen kan. Ο Carl! ich sehe dich. Nun bin ich schon erhitzet! wer glüht, wer brennet nicht, wo deine Rechte blitzet? ο Carl! ich sehe dich und deinen Muth zugleich. Wer nur an dich gedenckt, ist an Erfindung reich, wie du an Thaten bist. Man darff sie nicht erst suchen, und wenn man sie nicht findt, auf das Gestirne fluchen, wie sich ein armer Geist mit kleinen Wercken quält; unsterblich grosser Held! wer sich dein Lob erwählt, wird starck durch deine Macht. Ein jeder darff sich wagen, Carl! Carl! man nennt dich nur, was kan man grössers sagen? (1/1-20)
Die beiden rhetorisch vom Gestus der Apostrophe bestimmten Abschnitte, die durch das Motiv einer fiktiven Suche nach dem Kaiser zusammengehalten werden, sind durchzogen von metaphorischen Ausdrücken aus dem Bereich des Feuers ("erloschner Trieb", "geweyhte Brand", "feurig Lied"). Die in diesen Bildern sichtbare Begeisterung des Dichters, dem "ein kriegrisches Geschrey [...] Geist und Sinn" bewegt, verdankt sich - nach Darstellung des Prooimions dem Gegenstand seines Lobes. Der panegyrische Impetus wird in Pietschs Heldengedicht somit zum Ausgangspunkt der pathetischen und rhetorischen Sprache, deren Ziel es ist, eigene Bewegung und Erregung auf den Leser zu übertragen. Unter den tradierten Mustern der Gattung steht Pietschs Werk mit den beschriebenen Charakteristika des Sujets und der Sprache dem römischen
64 65 66
D e arte poetica 102-103. Hülle, Pietsch, 61. Das gleiche Bild findet sich in der ersten Strophe von Pietschs Ode auf Eugen; Pietsch, Gebundne Schriften, 36.
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Epiker Lucan und dessen 'Bellum civile' 67 am nächsten. Mehrere Zeugnisse von Pietschs Kenntnis dieses Autors und seiner Beschäftigung mit dessen Werk lassen sich nachweisen. Bereits in einem Gedicht auf Friedrichs I. Besuch in Königsberg vom Jahre 1709, das Gottsched in seiner Rezension der 1740 von Bock veranstalteten Pietsch-Ausgabe als "erste Probe unsers preußischen Lucans" bezeichnet und ausführlich daraus zitiert, nimmt der Dichter auf Lucan und seine Verehrung für Nero Bezug. 68 In seiner zweiten akademischen Disputation, die unter dem Titel 'Solutas Ligateeque Orationis Limites' von dem Unterschied zwischen Poesie und Prosa handelt, findet sich eine gereimte Übersetzung der ersten neun Verse von Lucans Epos. 6 9 Diese 1718 gedruckte Übertragung, die Pietsch der älteren, reimlosen Verdeutschung von Seckendorff 7 0 entgegenhält und die ihm als Erweis des Vorzugs gereimter Dichtung dient, bezeugt seine Auseinandersetzung mit Lucan in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zur Arbeit an 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'. Innerhalb seiner wissenschaftlichen Tätigkeit schließlich hat sich Pietsch im Wintersemester 1731 mit Lucans 'Bellum civile' beschäftigt. 71 Die charakteristischen Merkmale, die Pietschs Werk mit der epischen Dichtung Lucans verbinden, sind insbesondere außerhalb des Gattungstypischen zu finden. Gerade wo der antike Dichter vorgezeichnete Bahnen verläßt, folgt ihm Pietsch. Wie Lucan wählt er seinen Stoff nicht aus dem Mythos, sondern aus der unmittelbar zurückliegenden Geschichte, und verbindet seine Stoffwahl ebenfalls mit panegyrischen Intentionen. Pietsch verzichtet wie der Römer auf die Einbeziehung eigenständig handelnder Gottheiten. Dessen "fatum" entspricht bei Pietsch das "Verhängniß" (etwa 1/76 und III/109). Die dramatisch verdichtete Darstellung einzelner, wirkungsvoller Momente statt historisch getreuer Abschilderung der Handlung 7 2 konnte Pietsch gleichfalls
67
68 69 70
71 72
Zum daneben gebräuchlichen Titel 'Pharsalia', der auf einem Mißverständnis beruht, vgl. die Erläuterungen von Ehlers im Anhang zu Lucanus, Bellum civile, Darmstadt 1978, 565. Pietsch gebraucht in seinen 'Solutae Ligataeque Orationis Limites' von 1718 den richtigen Titel (zitiert in: Reicke, Zu Gottsched's Lehrjahren, 77). Pietsch, Gebundne Schriften, 263-268, hier 263-264 (V. 27-36); BCH VII (1741), 131-135; vgl. Hülle, Pietsch, 43-45. Zitiert in: Reicke, Zu Gottsched's Lehrjahren, 77; zu Gottscheds Rezeption dieses Textes vgl. Anm. 9. Vgl. hierzu Gundolf, Seckendorffs Lucan, Heidelberg 1930; Gundolf meint, der "deutsche Blankalexandriner Seckendorffs" gehöre in den "Bereich außerdichterischer, redehandwerklicher Notdurft" (S. 4). Nach Hülle, Pietsch, 15. Hierauf weist Ehlers in seinem Kommentar zu Lucanus, Bellum civile, 508-562, immer wieder hin und faßt ebd., 576-578, "einige Hauptpunkte" von Lucans "Dramaturgie" zusammen.
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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von Lucan lernen. Pietschs Orientierung an diesem Autor bestätigt sich ferner in der Übernahme einiger Bilder und stilistischer Merkmale. 73 So wird es plausibel, daß Hülle das Vorbild für den Traum Achmets in der Erscheinung der "ingens [...] patriae trepidantis imago" (1/186) vor Caesar erblickt, der im Begriff steht, den Rubicon zu überschreiten; zu Recht weist er darauf hin, daß hier "verwandte Allegorien" vorliegen und der beim Sultan ausgelöste Affekt mit Caesars körperlicher Reaktion übereinstimmt. 74 Lucans blutgesättigte Schilderungen der Schlachten zu See (III/538-751) und zu Land (VI/169-262; VII/617-630), die auf grausamste Todesarten detailliert eingehen, überbieten Homer und Vergil beträchtlich 7 5 In 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' steht Pietsch diesen Gewaltdarstellungen in einigen Passagen kaum nach (11/111-146, IV/103-172 u. 305-320): Dem schmettert heisses Bley die Binden-volle Stirne, auf ihren Schilden klebt das rauchende Gehirne, [...] ihr kalter Todes-Schweiß wird durch das frische Blut zerstückter Barbarn heiß [...]. Ein ausgeschleudert Spieß das seinen Gegner traff fliegt brausend durch die Lufft und zittrend in den Schlaff, worauf der Degen-Fall sich durch den Nacken dränget und starrer Köpffe Last an schlaffen Sehnen hänget; der treibt, der schlingt den Stahl indem er trotzig schreyt, daß er Schaum, Blut und Geist aus offner Kehle speyt (aus IV/141-160) Eine unmittelbare Nachahmung belegt Hülle schließlich, wenn er Pietschs Betrachtung "über den blutgetränkten Boden Belgrads" (11/35-42) mit der Lucans "über die von Blut getränkte Erde Thessaliens" (VII/847-872) parallelisiert und eine motivische Übernahme feststellt. 76
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Vgl. zum folgenden Hülle, Pietsch, 62-72, der sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt, "wie der Dichter in der Anlage seiner Dichtung und in einzelnen poetischen Motiven von fremden Mustern abhängig ist"; neben Lucan nennt Hülle weitere antike Epiker und Johann von Bessers 'Lob-Gedichte, Oder der Zunahme, Friedrich Wilhelms des Grossen' als Quellen. Hülle, Pietsch, 63. Lucanus, Bellum civile 1/192-194: "tum perculit horror | membra ducis, riguere comae gressumque coercens | languor in extrema tenuit vestigia ripa." Ζ. Β. III/652-658: "tunc unica diri | conspecta est leti facies, cum forte natantem | diversae rostris iuvenem fixere carinae: | discessit medium tarn vastos pectus ad ictus | nec prohibere valent obtritis ossibus artus, | quo minus aera sonent; eliso ventre per ora | eiectat saniem permixtus viscere sanguis." Neben diesen und weiteren Kampfbeschreibungen, die Hülle, Pietsch, 65-66, nennt, ist in diesem Kontext auf die Praktiken der Hexe Erichtho (insb. VI/507-569) hinzuweisen. Hülle, Pietsch, 68; ebd., 68-70, weist Hülle mit zahlreichen Exempeln darauf hin, daß das "rhetorische Element" in Pietschs Sprache bei Lucan vorgebildet ist.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten Gottscheds Kritik
Die kritischen Einwände, die Gottsched mit zunehmender Deutlichkeit gegen die Zugehörigkeit von Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' zur epischen Gattung erhebt, sind eng mit seinen Vorbehalten gegen Lucan verknüpft. Der Pietsch zugewiesene Beiname eines "preußischen Lucans" stammt von 1741, steht im Kontext allgemeinen Lobes für den so Benannten 7 7 und verrät noch keine kritsche Distanz. Doch in der ersten, auf 1730 datierten Ausgabe der 'Critischen Dichtkunst' geht die Feststellung einer Verwandtschaft zwischen Pietschs Werk und Lucans 'Bellum civile' mit einer negativen Wertung einher: Des Hrn. Hofrath Pietschen Sieg Carls des Sechsten in Ungarn, wird eher einer lucanischen Pharsal, als einer Eneis des Vergil ähnlich sehen; weil derselbe sich nicht nach den Regeln eines Heldengedichtes, die Aristoteles und le Bossu festgesetzet, richten wollen.78 Bevor auf die Genese dieses Urteils und seine Verteidigung gegen den späteren Pietsch-Herausgeber Bock eingegangen wird, soll das Bild, das Gottsched in seiner Poetik von Lucans epischem Gedicht zeichnet und hier implizit auf Pietschs Werk überträgt, knapp skizziert werden. In Gottscheds Opposition gegen Lucans 'Bellum civile' sind zwei Argumente zu unterscheiden. Einerseits kritisiert Gottsched Plan und Sujet des Werks, andererseits setzt er sich mit Lucans poetischem Stil, seiner "Schreibart" auseinander. Falsche Stoffwahl und notwendig damit einhergehende Mängel bei der Gestaltung der "Fabel", jener Hauptkategorie in Gottscheds theoretischem Entwurf, 79 werden dem antiken Autor vor allem im Kapitel 'Von der Epopee oder dem Heldengedichte' vorgehalten: Sein pharsalischer Krieg ist eine wahrhafte Historie, von einer unlängst vorgefallenen Schlacht [...]. Er erzählt dieselbe in der gehörigen Zeitordnung, und vertritt also die Stelle eines Geschichtschreibers, nicht aber eines Poeten. Hier 77
78
79
Vgl. Anm. 68. Aus dem Kreis um Gottsched stammt ein weiterer Vergleich zwischen Pietsch und Lucan. Im 'Versuch einer Kritik über die Deutschen Dichter', der Bodmers 'Charakter der Teutschen Gedichte' entgegengesetzt ist, heißt es: "Auch Pietsch hat Deutschlands Ruhm durch seinen Vers vermehret, | So daß ihn Deutschland auch als seinen Dichter ehret: | Sein Beywort steckt voll Kraft, an Bildern ist er reich, | Und sonsten dem Lucan in vielen Stücken gleich" (V. 411-414; zitiert nach: Bodmer, Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883,48-61, hier 60). Zitiert nach dem Variantenverzeichnis in Gottsched AW VI/3, 22; vgl. die S. 27 zitierte Fassung von 1751, die auf die Parallelisierung mit Lucan und die nähere Begründung des Urteils verzichtet. Vgl. Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1968, 26-57, insb. 32-43. Gottscheds zentrale Definition der "Fabel", die er "die Seele der ganzen Dichtkunst" nennt, lautet: "sie sey die Erzählung einer unter gewissen Umständen möglichen, aber nicht wirklich vorgefallenen Begebenheit, darunter eine nützliche moralische Wahrheit verborgen liegt" (Gottsched AW VI/1, 202-204).
Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken'
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ist gar keine allgemeine moralische Fabel zum Grunde gelegt; folglich ist auch seine Pharsale kein Gedichte, sondern eine in hochtrabenden Versen beschriebene Historie [,..].80
Gottscheds Einschätzung beruht hier - wie dann im gesamten "dogmatischen" Teil seiner Ausführungen über das Epos 81 - auf dem 'Traite du poeme epique' von Le Bossu, den er schon in seiner zitierten Äußerung über Pietschs Werk als Autorität neben Aristoteles stellt. Le Bossu schließt "la Pharsale de Lucain", die er als "une simple Histoire" bezeichnet und sie unter die Werke zählt, die "actions vdriables de quelques personnes singulieres sans Fable" behandeln, in identischer Argumentation aus dem Kanon der Gattung aus. 82 Aber die in Gottscheds Stellungnahme enthaltenen Worte von Lucans "hochtrabenden Versen" weisen darüber hinaus auf das zweite Argument seiner Kritik. Zentral ist dieser Aspekt im Kapitel 'Von der poetischen Schreibart' abgehandelt. Dort werden - in Anlehnung an die antike Rhetorik - drei Stilhöhen, "die natürliche oder niedrige", "die sinnreiche oder sogenannte hohe" und "die pathetische, affectuöse oder feurige und heftige Schreibart" unterschieden. 83 Für das Heldengedicht schicke sich in den erzählenden Teilen die "natürliche Schreibart"; die "sinnreiche Schreibart" diene dort "nur gleichsam zum Gewürze" und sei entsprechend "sparsam" einzustreuen; und die "pathetische Schreibart" sei dann zu verwenden, wenn der Poet "andre Personen, die im Affekte stehen, redend" einführe. 84 Lucan bediene sich durchgängig eines zu hohen Stils, gestalte seine Erzählung "viel zu hochtrabend" und fahre "unaufhörlich" in der "aufgeblasenen und unnatürlichen Schreibart" fort, die Gottsched anhand des von Pietsch übersetzten Eingangs des 'Bellum civile' exemplifiziert. 85 Wie aber gelangt Gottsched vom anfänglichen, anderslautenden Urteil über 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' zum kritisch gemeinten Vergleich zwischen Lucan und Pietsch? Emphatische Zustimmung hatte er zunächst dem Werk und seiner ersten Beurteilung in den Leipziger 'Neuen Zeitungen' vom 29. Juni 1724 entgegengebracht. Die möglicherweise aus Gottscheds eigener Feder stammenden Worte, die dieser in die Vorrede seiner Pietsch-Ausgabe von 1725 übernimmt, enden in der patriotischen Erwartung, Pietsch werde durch baldige Vollendung seines Werks "erweisen, daß die 80
81 82 83 84 85
Gottsched AW VI/2, 285-286; in die gleiche Richtung zielen Gottsched AW VI/1, 134 u. 202 (zuletzt dient Lucan als explizit negatives Gegenbeispiel zu der in Anm. 79 zitierten Definition der "Fabel"). Gottsched AW VI/2, 291-308. Le Bossu, Trait6 du pofeme epique, Hamburg 1981, 12; weitere abwertende Stellungnahmen zu Lucans Werk finden sich ebd., 22 u. 71. Gottsched AW VI/1, 430. Gottsched AW VI/1, 434,441 u. 452. Gottsched AW VI/1, 434-436; weitere Beispiele einer "falschen Hoheit" bei Lucan bringt Gottsched ebd., 443-445; vgl. ferner ebd., 58, 158-159, 294 u. 345-346; VI/2, 301, 307 u. 561.
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Deutsche Poesie auch in Heldengedichten, wo nicht alle andere Nationen übertreffe, doch keiner derselben etwas nachgebe".86 An Pietschs Werk, dem nationale Bedeutung zugeschrieben wird, ist die Hoffnung geknüpft, daß es innerhalb der deutschen Dichtung eine - auch und gerade im Vergleich zu Frankreich und Italien - deutlich empfundene Lücke schließe. Diese nationale, gegen die epischen Leistungen der westlichen und südlichen Nachbarn gerichtete Frontstellung betont Gottsched durch das der Ausgabe vorangestellte Kupfer. Ein lorbeerbekränzter und leiertragender Apollo hält in einer Hand ein Buch mit der Aufschrift "Pietschen Gedichte" und zeigt mit der anderen auf die Büsten von Homer und Vergil. Mit einem Fuß tritt er auf einen Haufen vor ihm verstreut liegender Bücher, von denen drei mit den Namen "Marino", "Tasso" und "Chapelain" beschriftet sind. 87 Pietschs Gedichten und vor allem 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken', das diese eröffnet, wird hiermit ein hervorragender Platz in der Tradition zugewiesen. Noch vor modernen epischen Versuchen, die verworfen werden, behauptet Gottsched für das Werk des Preußen einen Rang neben den antiken Mustern der Gattung. Die Pietsch-Ausgabe von 1725 fand - nicht zuletzt wohl aufgrund Gottscheds guter Beziehungen zu Johann Burkhard Menke, dem angesehene Leipziger Gelehrten und Herausgeber der 'Acta Eruditorum' 88 - ein relativ breites und weitgehend positives Echo in der Presse 8 9 Die Leipziger 'Neuen Zeitungen' vom 26. April 1725, die das Werk als erste anzeigen, liefern nur eine knappe Besprechung, die Gottscheds Rechtfertigung wegen seines unautorisierten Vorgehens zustimmt.90 Im 108. Teil der 'Deutschen Acta Eruditorum' befindet der Rezensent, "daß der Herausgeber keines weges zuviel" von Pietschs Gedichten "gesagt" habe und daß diese - ganz im Sinne des Titelkupfers - "den grösten Dichtern von Rom und Griechen-Land den Preiß streitig machen" könnten. 91 Und in den 'Acta Eruditorum' vom August 1725 wird 86 87
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NZgS 1724, 521; Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Vorrede, Bl. b 3r. Zur Verfasserschaft der Anmerkung vgl. oben S. 31. Nach Gühne, Gottscheds Literaturkritik, Stuttgart 1978, 112 u. 214, der das Kupfer in Details ungenau beschreibt, ist dieses dem Gottsched bekannten Kupfer zu Des Maizeaux, La vie de Monsieur Boileau Despreaux, Amsterdam 1712, exakt nachgebildet. Die Beschriftung freilich stammt von Gottsched, der auch in der Vorrede seiner Pietsch-Ausgabe (Bl. a 5r) gegen den "frostigen Chapelain", den Verfasser eines Heldengedichts über die Geschichte der Jeanne d'Arc, polemisiert. (Zu Gottscheds Kritik an dem von Perrault favorisierten Chapelain vgl. Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg, München 1981, 131.) Es kann wohl nur vermutet werden, daß Gottsched mit der Übernahme des Kupfers - über das Lob Pietschs hinaus - zugleich auch in der Querelle des Andern et des Modernes zugunsten des geschätzten Boileau Stellung nehmen wollte. Vgl. Anm. 104. Vgl. Waniek, Gottsched, 21-29; Rieck, Gottsched, 20-24. Vgl. die Zusammenstellung von Wirkungszeugnissen in der Bibliographie. NZgS 1725, 336. D A E CVIII (1725), 895 u. 892; vgl. NZgS 1725, 902.
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nach einer Würdigung der Verdienste preußischer Poeten um die deutsche Dichtung Pietschs stets sublimer Stil gerühmt: Pietschius vero Noster ad heroicam poesin natus factusve videtur, ita ubique in sublime fertur, ita a vulgari dictione recedit: quamvis tum limatae rationi, tum linguae puritani & elegantiae, tum denique metri legibus, nullibi fere vim intulisse deprehendatur.92
'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' ist ausdrücklich als ein schon vor Veröffentlichung der Ausgabe bekanntes Werk erwähnt. Um die Vollendung dieses "majoris poematis" sei der Verfasser "publico nomine" zu bitten. 93 Gottscheds 'Fortgesetzte Nachricht von des Verfassers eignen Schriften' erwähnt nicht ohne Stolz, daß die Pietsch-Ausgabe in der Leipziger Presse "sehr angepriesen" wurde, weist jedoch zugleich darauf hin, daß "in dem sogenannten Musentempel, eine boshafte Feder, aus Privatabsichten, sehr verkleinerlich davon urtheilete". 94 Für den Verfasser dieser Kritik im 'Teutschen Pavillon der Musen', die Gottscheds maßlose Überbewertung der preußischen Dichter im allgemeinen und Pietschs im besonderen lächerlich macht und eines der beigefügten Gedichte des Herausgebers vernichtend rezensiert, 95 hält Gottsched - zu Unrecht - Johann Andreas Fabricius. 96 Gegen die 1724 erschienene 'Philosophische Oratorie' von Fabricius hatte Gottsched zuvor in seiner moralischen Wochenschrift 'Die Vernünftigen Tadlerinnen' polemisiert und sieht in der Rezension im 'Pavillon' einen persönlichen Racheakt von Fabricius. 97 Die vermeintliche Attacke seines Gegners hat Gottsched zu einem Täuschungsmanöver bewogen. Er schreibt unter dem Kürzel "G." an die fiktiven Verfasserinnen seiner Wochenschrift und äußert seine Verwunderung darüber, daß man ihn für den "Verfasser eurer wöchentlichen Schrifften" halte und damit für den Angriff auf Fabricius verantwortlich mache. Nach einer Darstellung der Streitigkeiten mit Fabricius, in die er "unverschuldet gemischet worden" sei, bittet Gottsched seine 'Vernünftigen Tadlerinnen' um eine klärende Stellungnahme. Zuletzt stellt er denselben frei, die von ihm ver92 93
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AE 1725, 382-383. AE 1725, 383; vgl. NZgS 1725, 720, wo sich folgende Paraphrase der relevanten Passage findet: "[Pietsch hat] in Heldengedichten wenig seines gleichen [...]. Herr Pietsch schreibt überall hoch, ohne doch der Richtigkeit der Gedancken, der Reinigkeit und Zierligkeit der Sprache, oder den Regeln der Poesie Eintrag zu thun. Es sind nicht allein die Heroischen Gedichte, darunter sonderlich die Ausführung [!] des Heldengedichtes von Carls des VI Sieg über die Türcken eyfrig verlanget wird, sondern auch die übrigen sehr nett und zu rühmen." Gottsched AW V/2,13. TPMIV (1725), 366-376, hier 367-368, 374 u. 376. Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 38. Die Kritik stammt wahrscheinlich vom Herausgeber des Rezensionsorgans, Michael Ranfft; vgl. Gühne, ebd., und Hülle, Pietsch, 30-31, mit weiteren Hinweisen. VT 1/22 (1725), 174-175. Eine detaillierte Darstellung der Polemik bietet Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 33-47.
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anstaltete Pietsch-Ausgabe der "strengsten Beurtheilung unterwerffen" zu wollen. 98 Zweck dieses verwirrenden Schachzugs, der in einer tatsächlich strengen Selbstrezension des Pietsch-Herausgebers gipfelt, war es wohl, die verbreitete und richtige Meinung, daß Gottsched der Verfasser der 'Vernünftigen Tadlerinnen' sei, öffentlich in Zweifel zu ziehen." Zugleich aber verschafft sich Gottsched die Möglichkeit, seine Rolle als Herausgeber von Pietschs Gedichten zu reflektieren, allzu emphatisches Lob seines Lehrers zu revidieren und mittlerweile geänderte Positionen über dessen Werke zu publizieren, ohne öffentlich zu sich selbst und zu Pietsch in Widerspruch zu treten. Der 'Teutsche Pavillon der Musen' hatte nicht nur den Herausgeber der Pietsch-Ausgabe streng getadelt. 100 Zwar wird Pietsch selbst gelinder behandelt und sein Ruhm eines "guten Poeten in erhabener Schreib-Art" bestätigt. An ihm sei indessen auszusetzen, daß er "die verschiedene Schreibart, so die mancherley Arten der Gedichte von einander unterscheidet, nicht beobachtet habe". 101 Dieser Tadel verkehrt das Lob, das die 'Acta eruditorum' Pietschs allenthalben hohem Stil gezollt hatten, ins Negative. Die Feststellung einer den unterschiedlichen Gattungen nicht immer adäquaten Stilhöhe konnte Gottsched einen Anknüpfungspunkt für seine Rezension bieten. Gottsched kritisiert seinen Lehrer und damit sich selbst als Herausgeber von dessen Werken im Gewände der von ihm entworfenen Gestalt der Tadlerin Phyllis.102 Die Besprechung steht zwar im Kontext von Gottscheds Konflikt mit Fabricius und soll die Anonymität Gottscheds als Verfasser der 'Tadlerinnen' bewahren oder wieder herstellen. Sie kann aber doch insofern als frühestes Zeugnis seiner gewandelten Einstellung zu Pietsch betrachtet werden, als sie auf spätere Äußerungen vorausweist. 103 So ist es sicher nicht nur reine Taktik oder (nicht erkennbare) Ironie, wenn Gottsched alias Phyllis die Übernahme des Kupfers aus einer fremden Publikation und die allzu emphatische, dem Autor schädliche Tendenz der Vorrede kritisiert. 104 Ernstgemeint ist gewiß die kritische Erörterung zum Motto des ersten Stücks, wo zum Beispiel ungenauer Bildgebrauch und eine tautologische Wendung bemängelt werden, und der Widerspruch gegen die die Antipoden exponierenden Gleichnisse, in denen Pietsch Vergleichs- und Aussageebene nicht klar 98 VT II/11 (1726), 82-86; vgl. Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 44-45. 99 Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 45. 100 Eine Zusammenfassung der Rezension in den NZgS 1725, 754, verteidigt Gottsched und nennt deren Urheber "sehr ungütige Richter". 101 TPM IV (1725), 371-376; Zusammenfassung zitiert nach NZgS 1725, 754. 102 VT 11/14 (1726), 108-112. 103 Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 118 u. 215, meint, daß die Rezension "auch Grundsätzliches zur Sprache" bringe und "nicht jeder Berechtigung" entbehre. 104 VT 11/14 (1726), 108-109; vgl. Anm. 87. Die im Kupfer ausgedrückte Gleichstellung Pietschs mit den antiken Epikern wird hier noch nicht in Zweifel gezogen oder zurückgenommen.
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differenziert oder - "gar zu verblümt" - auf "eine Deutung" gänzlich verzichtet. 105 Die Einwände richten sich jedoch insbesondere gegen die pathetische Eröffnung von Pietschs Epos: Was ist das für ein Anfang zum Helden-Gedichte? Ein Helden-Gedicht ist eine poetische Erzehlung wichtiger Begebenheiten. Wer wird aber Erzehlungen von einer solchen Entzückung anfangen, die sich durch eine doppelte Frage und hefftige Anruffung der Musen verräth?106
Dem Vergleich mit den feierlichen und ruhigen Eingangsversen von Homers Epen und Vergils 'Aeneis', die Gottsched als positive Beispiele zitiert, hält Pietschs Werk nicht stand. Seine Eröffnung verfällt in Gottscheds Augen der gleichfalls zitierten - Kritik des Horaz an einem "Lateinischen Poeten", dessen Eingang zwar "hochtrabend", aber "doch noch lange so prächtig nicht" klinge wie Pietschs Prooimion; sie hätte sich "besser in eine Ode, als in ein HeldenGedichte geschicket".107 Gottscheds Kritik am pathetischen Stil trifft - wie dann in der 'Critischen Dichtkunst' - nicht diesen selbst, sondern zielt auf dessen nicht gattungsgemäße Anwendung. Für die erzählenden Teile und vor allem für den Anfang eines Epos kommt nur die "natürliche Schreibart" in Betracht, in den Reden der Personen, die deren Charakter und Affekt darstellen, ist die "pathetische Schreibart" indessen durchaus erlaubt. So ist es denn zu erklären, daß Gottsched Pietsch nach dem Prooimion auf dem "rechten Weg" sieht und seinem Lehrer bescheinigt, "alles der Natur eines HeldenGedichtes vollkommen gemäß" ausgeführt zu haben. 108 Der Widerspruch gegen den in der "Entzückung" des Prooimions erblickten stilistischen Fehlgriff, der auf Reflexionen über einen angemessenen Gattungsstil basiert, wird von grundsätzlicher Zustimmung flankiert. Eine generelle Kritik, die "Fabel" und Stoffwahl betrifft sowie die Gattungszugehörigkeit von 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' ernstlich in Frage stellt, übt Gottsched hier noch nicht. 109 Gottscheds gewandeltes Urteil über Pietschs Epos ist also zuerst in seiner Rezension der eigenen Ausgabe in den 'Vernünftigen Tadlerinnen' zu erken105 VT 11/14 (1726), 110-111 u. 112. Vgl. S. 38-39 (mit Anm. 54) und Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 86-87; ebd., 99-100, werden einige Details der Kritik genannt. 106 VT 11/14 (1726), 111. 107 VT 11/14 (1726), 112. Horaz, De arte poetica 137; Gottsched bemerkt in seiner - für die 'Critische Dichtkunst' angefertigten - Übersetzung zu dieser Stelle, die die jeweils ersten Verse von Homers Odyssee' und einem "scriptor cyclicus" einander gegenüberstellt, daß u. a. Lucan in seinem Prooimion "von der rechten Bahn", die Homer und Vergil vorgezeichnet hätten, "abgewichen" sei (Gottsched AW VI/1, 58). 108 VT 11/14 (1726), 112. 109 Hierzu stimmt die Tatsache, daß in der Wochenschrift die später zentrale Kategorie der "Fabel" noch nicht auftaucht (vgl. Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 392).
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nen. Die Lehre einer gattungsadäquaten Stildifferenzierung, die er in der 'Critischen Dichtkunst' weiter entwickelt, wird hier vorgebildet und gegen das Prooimion von 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' gewendet. Als Beispiel pathetischen Stils begegnet dieses Werk denn auch in den späteren, durch Zitate erweiterten Auflagen von Gottscheds Poetik. Explizit genannt und ausführlich zitiert werden die oben analysierte Rede des "durch einen Traum erschreckte[n] Achmet" und die folgende "Antwort des Großveziers".110 Beide Passagen stellen in wörtlicher Rede im höchsten Affekt stehende Personen dar und sind positiv als Exempel einer richtig angewandten "affectuösen Schreibart" gemeint. Der zweite, in Gottscheds Sicht für die Gattungsfrage zentrale Aspekt der Kritik an Lucan, der Stoffwahl und "Fabel" betrifft, war in Gottscheds Selbstrezension seiner Pietsch-Ausgabe noch nicht festzustellen und findet sich somit zuerst in der 'Critischen Dichtkunst'. Im Vergleich mit Lucan wird Pietschs Werk an den Regeln von Aristoteles und Le Bossu gemessen. Wie Le Bossus Kritik an Lucan speziell auf die mangelnde "Fabel" zielt, so weist auch Gottscheds Kritik am Gedicht seines Lehrers hier primär in die gleiche Richtung. Der Vorwurf, daß sich Lucan "eine wahrhafte Historie, von einer unlängst vorgefallenen Schlacht" zum Stoff wähle, "dieselbe in der gehörigen Zeitordnung" erzähle, "die Stelle eines Geschichtschreibers, nicht aber eines Poeten" vertrete und seinem Werk "gar keine allgemeine moralische Fabel zum Grunde gelegt" habe, 111 trifft im gleichen Umfange auch für Pietsch und sein Werk zu. Die Parallele, die Gottsched zwischen Pietsch und Lucan zieht, ist zugleich Zeugnis seines Studiums von Le Bossus Traite du poeme epique'. Offenbar erst im Anschluß an seine Rezension in den 'Tadlerinnen' hat er dessen Grundsätze, die die normsetzende Kraft von Homer und Vergil stark betonen, so weitgehend zu seinen eigenen gemacht, daß er sie auf 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' anzuwenden geneigt ist. 112 Diese Anwendung jedoch führt dazu, Pietschs Werk mit Lucan aus dem engeren Kanon der Gattung auszuschließen. 113 Gemeinsam begegnen beide Kritikpunkte, die einerseits die "Fabel" und andererseits den poetischen Stil betreffen, erst nach Pietschs Tod im Jahre 1733. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Poesie in Königsberg und der spätere Herausgeber seiner Werke, Johann George Bock, hatte beim Antritt der Professur zwei akademische Dissertationen vorzulegen und im November 110 Gottsched AW VI/1, 449 u. 453. 111 Wie Anm. 80. 112 Eine genaue Kenntnis von Le Bossus 'Traite' in der Zeit der 'Tadlerinnen' (1725/26) bezweifelt - obwohl sich Gottsched in seiner Wochenschrift auf Le Bossu beruft - auch Gühne, Gottscheds Literaturkritik, 118-119. 113 Daß Gottscheds zunehmend verengtem Gattungsbegriff für die Aufnahme einzelner Werke in die Bibliographie vorliegender Arbeit nicht gefolgt wird, wurde bereits in Kap. I, Anm. 11, berührt.
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1733 "in auditorio maximo" zu verteidigen. 114 Bock handelt von der Schönheit in den Gedichten und bestimmt diese als lebendige Vergegenwärtigung einer Gegebenheit durch poetische Stilmittel. 115 Mit Gottsched kollidieren seine Anschauungen in doppelter Weise. Einerseits opponiert Bock, indem er gegen die normative Poetik Stellung bezieht, gegen konkrete Anweisungen, die dem Dichter eine bestimmte Anordnung des Stoffs und der Gedanken ("ordinem argumentorem & cogitationem") vorschreiben. 116 Und andererseits wendet sich Bock direkt gegen Gottscheds wichtige Auffassung, daß die "Fabel" die "Seele der ganzen Dichtkunst" sei. 1 1 7 Beidemal ist im Kontext von Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' die Rede, und beidemal wird die ansonsten neutrale Paraphrase, die Gottscheds 'Beyträge' von Bocks Dissertationen liefern, 118 zu Entgegnungen unterbrochen. Seine antinormative Argumentation verdeutlicht Bock, der es für einen "pedantismum" hält, den Dichtern Art und Weise der Gedichteingänge vorzuschreiben, anhand des Musenanrufs "in carmine epico". In einer Anmerkung kritisiert er jene Kunstrichter, die an Pietschs Heldengedicht getadelt hatten, daß es nicht in Vergils Art beginne, und betont, daß die Vorbilder der Alten seiner Meinung nach nicht immer normbildend seien: Intempestivo hinc fervore abrepti fuere censores nonnulli, qui carmen aliquod heroicum illustris germanorum Poetae, vivis nunc erepti Pietschii, ideo allatrarunt, quod id non more Virgiliano exorsus fuerit. [...] Nec veterum exempla regulas semper constituunt, nec eorum praecepta ceu leges perfectionum respicienda erunt. 119 114 Bock, Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum, Königsberg 1733; Bock, Dissertatio solemnis posterior de pulchritudine carminum, Königsberg 1733. Beide Abhandlungen bilden eine Einheit und sind durchpaginiert; die genauen Daten der Disputationen sind im benutzten Exemplar (Tübingen UB: DK XI 139 4°) offengelassen. 115 Bock, Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum, 24, faßt zusammen: "[Poeta] Non satis enim esse ducit ut verba rerum ideis respondeant, verum perfectius quid conatur, & scribendi characterem objectis ita adsimilat, ut verba pro illorum conditione saepius, judicio tarnen nunquam neglecto exquirat, ne in decorum impingatur." Vgl. Waniek, Gottsched, 295-297, sowie Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, 49-50, der Bocks Text allerdings nur nach der deutschsprachigen Paraphrase in BCH III (1734-1735), 316-347, die mit kritischen Einwänden des Rezensenten durchsetzt ist, zitiert. Dort lautet obige Passage: "Er [der Dichter] ist nicht zufrieden, daß die Worte mit den Begriffen überein stimmen, sondern er strebt nach was vollkommenem, und macht die Schreibart der Sache so ähnlich, daß man die Sache selbst zu sehen glaubt" (327). 116 Bock, Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum, 24-25. 117 Bock, Dissertatio solemnis posterior de pulchritudine carminum, 40-41: "Atque sine fabula carmen aliquod perfectum ac pulchrum esse potest Ergo." Vgl. Anm. 79. 118 BCH III (1734-1735), 316-347. 119 Bock, Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum, 25.
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Bock nennt zwar die Namen der "censores" nicht, greift jedoch offensichtlich auf jene Gegenüberstellung von Vergils und Pietschs Eposanfängen zurück, die die Tadlerinnen' mit kritischer Wendung gegen den Preußen vorgenommen hatten. Richtet sich Bocks Verteidigung seines Lehrers hier implizit aber wohl bewußt - gegen Gottscheds Kritik, so wird dessen Hochschätzung der "Fabel" in der 'Critischen Dichtkunst' explizit negiert. In seine Argumentation, die die "Fabel" als oberste Gattung der Nachahmung ablehnt, bezieht Bock wiederum in einer Anmerkung auch das Heldengedicht mit ein: Hinc ex mea sententia ut fabula in epico quodam carmine semper inveniatur, opus non est. Possunt enim heroum res gestae & sine hac, modo poetis convenienti, & a nudo historico discrepanti repraesentari. Ita illustris Pietschius Eugenium suum absque ulla intertexta fabula adeo vivide delineavit, ut liber praejudiciis lector hoc carmine magis, quam omnibus fere antiquorum fabulis demulceatur.120 Ob Bock hier Gottscheds Vergleich zwischen Lucan und Pietsch, der am Werk des letzteren implizit die historische Stoffwahl kritisiert, konkret im Blick hat, kann offenbleiben. Daß aber auch diese Äußerung in Bocks Dissertation von Seiten Gottscheds als Widerspruch gegen seine Poetik aufgefaßt worden ist, zeigt die Entgegnung in den Leipziger 'Beyträgen'. Der dortige Rezensent, dessen Text sicher durch die Hände Gottscheds gegangen und möglicherweise von diesem redigiert worden ist, 121 referiert Gottscheds Theorie der verschiedenen Grade der Nachahmung und macht deutlich, daß Bocks Forderung einer lebhaften Darstellung in Gottscheds System die "erste und auch geringste Gattung" der Nachahmung sei. Zu der 120 Bock, Dissertatio solemnis posterior de pulchritudine carminum, 47; BCH III (1734-1735), 343, paraphrasiert wie folgt: "Wir müssen aber doch erwehnen, daß nach des Hrn. Prof. Meynung auch in Heldengedichten nicht allezeit eine Fabel nöthig sey. Denn die Thaten der Helden, sagt er, können auch ohne Fabel auf eine poetische Art, und die von einem Geschichtschreiber unterschieden ist, vorgestellet werden. Also hat Hr. Hofr. Pietsch seinen Eugenium ohne einzige untermischte Fabel so lebhaft abgeschildert, daß ein Leser, der von Vorurtheilen frey ist, durch dieses Gedichte mehr eingenommen wird, als durch alle Fabeln des Alterthums." Daß Bock hier tatsächlich 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' - und nicht Pietschs Ode auf Eugens Feldzug gegen dieselben - meint, geht aus seiner Vorrede der Pietsch-Ausgabe von 1740, Bl.)( 4v, die die Argumentation seiner Dissertationen fortsetzt, zweifelsfrei hervor. 121 Waniek, Gottsched, 296, vermutet J. J. Schwabe als Verfasser. Gottsched erklärt in seiner 'Fortgesetzten Nachricht', daß "die wenigsten Artikel" dieses Jahrgangs von ihm selbst seien, und nennt Steinwehr, Venzky, Lotter, Krause sowie Schwabe als Autoren (Gottsched AW V/2, 45). Gegen Gottsched als Verfasser sprechen inhaltlich kleinere Konzessionen, die hinsichtlich des "Fabel"-Begriffs gemacht werden. So könne auch "eine Historie" durch Hinzudichtungen "in dem weitläufigsten Verstände" zu einer "Fabel" werden; "Lucans Pharsal" wird hier mit etwas anderer Nuancierung als in der 'Critischen Dichtkunst' - abgelehnt, weil "es weder eine gute Historie, noch ein gutes Gedichte" sei (BCH III [1734-1735], 339-340).
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bei Bock vorgesehenen Möglichkeit eines Epos "sine fabula" rekapituliert der Rezensent einerseits das in der 'Critischen Dichtkunst* Gesagte: "Erstlich soll ein Heldengedicht keine poetisch abgefaßte Historie seyn". Andererseits aber präzisiert er die Gattung, der 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' zugehöre. Bestimmt Gottsched die Gattungszugehörigkeit dieses Werks nur negativ und schließt es aus der "Classe" der Heldengedichte aus, so wird es nun positiv der Gattung der "heroischen Gedichte" zugeteilt. 122 Diese Präzisierung weist voraus auf die letzte Auflage von Gottscheds Poetik, in der das Spektrum der besprochenen Gattungen wesentlich erweitert und differenziert wird. Die zuvor gemeinsam mit den "dogmatischen Poesien" abgehandelten "heroischen Poesien" beanspruchen nun ein eigenes Kapitel ('Von heroischen Lobgedichten'), in dem 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' als hervorragendes Beispiel der jüngeren deutschen Dichtung dient. 123 Ausführlicher beschäftigt sich der Rezensent mit Bocks Verteidigung von Pietschs Prooimion gegen Gottscheds Selbstrezension in den 'Tadlerinnen'. Er bestätigt die dort angelegte und in der 'Dichtkunst' ausgeführte Forderung nach einer der Gattung angepaßten Stilhöhe. Wie dort wird "Hr. Pietschens Anfang", der "für eine Ode vollkommen schön gewesen" wäre, nicht in seiner dichterischen Qualität oder weil es an "Vortrag und Anrufung" mangele, sondern aufgrund seiner verfehlten "Schreibart" verworfen. 124 In seiner Argumentation geht es dem Rezensenten insbesondere darum, die stilistische Vorschrift, die sich von Vergils Vorbild herleitet, als richtig und damit zugleich die von Bock angezweifelte Autorität der Alten als "gegründet" zu erweisen. 125 Gewährsleute für seine Beweisführung sind Horaz 126 und Antoine Houdart de la Motte. Neben den antiken Autor, "dem der Herr Professor [Bock] also nicht glauben wird", stellt der Rezensent einen modernen, der "in den Streitigkeiten von dem Vorzuge der Alten und Neuern allezeit den letztern das Wort gere-
122 BCH III (1734-1735), 343. 123 Gottsched AW VI/2, 490-491 (Ausgabe 1751). Ebd., 250 (Ausgaben 1737 u. 1741), wird von Pietsch nur dessen Ode auf Eugens siegreichen Feldzug als Exempel erwähnt; indem Gottsched diesen Hinweis auch in das 1751 neue Kapitel übernimmt (ebd., 495), ergeben sich dort Verdopplungen von Aussagen (490: Pietsch sei "ein Meister in dieser heroischen Art, ja fast allein dazu gebohren gewesen"; 495: Pietsch sei "zu solchen Lobgedichten fast allein gebohren" gewesen), die Unsicherheiten bei der Konzipierung des Kapitels offenbaren. 124 BCH III (1734-1735), 328-331; es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in Pietschs Werk "Vortrag und Anrufung" vorhanden sind; die Einschränkung, daß beides "auf eine sehr erhabene Art" und so "pathetisch und erhaben, daß es nicht höher seyn" könne, geschehen sei, bezeichnet wiederum explizit die verfehlte Stilhöhe. 125 BCH III (1734-1735), 328-331. 126 De arte poetica 136-144; die gleiche Passage dient schon in der Rezension in den 'Tadlerinnen' als Begründung für die Kritik an Pietschs Eingangsversen. Vgl. Anm. 107.
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det" habe. 1 2 7 La Motte argumentiert in seinem 'Discours sur la poesie en general, et sur l'ode en particulier', der in Übersetzung zitiert wird, mit der Länge eines Heldengedichts; es sei daher "gefährlich in einem Tone anzufangen, den man schwerlich aushalten" könne. 128 Da diese Gefahr - schließt der Rezensent seinen Einwurf - auch in Pietschs Werk greifbar werde, sei leicht zu "zeigen, daß ein Heldengedicht, in welchem die Regel der Alten wegen dieses Stückes beobachtet werde, vollkommener sey, als wo man sie verachtet hat". 129 Die unbedingte Verbindlichkeit des antiken Vorbilds, die Bock abgelehnt hatte, wird in der Argumentation des Rezensenten zu einer bedingten, da sie der Begründung durch einen Modernen bedarf: Ja man kan die Regeln der Alten schon vor Gesetze der Vollkommenheiten ansehen, wenn sie alle sowohl gegründet sind, als diese ist. 130
Der Eingang zu 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' dient somit als Exempel, an dem die Querelle des Ancierts et des Modernes zwischen Gottsched, der sich hier durch einen ungenannten Gefolgsmann vertreten läßt, und Bock ausgetragen wird. In seiner 1740 veranstalteten Pietsch-Ausgabe führt Bock die Auseinandersetzung fort und erfährt dafür - nun von Gottsched selbst - eine Zurechtweisung in den 'Beyträgen'. Wieder begegnen die beiden bekannten Aspekte der an Pietschs Werk geübten Kritik. Bock führt sowohl den Vorwurf eines verfehlten Stils als auch den einer mangelhaften "Fabel", den er verkürzt und mit dem Vorwurf eines Mangels an "wunderbaren Götter-Erscheinungen" gleichzusetzen scheint, auf eine "zu abergläubische Verehrung des Alterthums" zurück. 131 Indem er sich diesem Problemkreis - in teilweise polemischen Worten - zuwendet, verzichtet er auf weitergehende Begründungen und wendet sich von der konkreten Gattungsfrage ab. Bei dieser aber verharrt Gottsched in seiner Rezension. 132 Er setzt voraus, daß "alle Arten der Poesie ihre gewisse Merkmaale, daran man sie unterscheidet", haben und dringt auf eine begründete Verwendung von Gattungsbezeichnungen. 133 Die Auseinandersetzung mit Bock könne als bloßer "Wortstreit" erkannt werden, wenn man sich über eine weitere und eine engere Verwendung des Gattungsnamens einige. 134 Gottsched knüpft hiermit an die Rezension von Bocks Dissertatio127 BCH III (1734-1735), 329. Vgl. zu der in diesem Zitat sich andeutenden Dimension der Auseinandersetzung Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg, 162. 128 BCH III (1734-1735), 329-330; die hier zitierte Übersetzung von La Mottes Abhandlung bildet die Einleitung zu: Oden der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, Leipzig 1728. 129 BCH III (1734-1735), 331. 130 BCH III (1734-1735), 331. 131 Pietsch, Gebundne Schriften, Vorrede, Bl.)( 4v. 132 BCH VII (1741), 142-144; zur Verfasserschaft Gottscheds vgl. Anm. 42. 133 BCH VII (1741), 143. 134 BCH VII (1741), 143-144.
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nen, in der eine genauere Unterscheidung zwischen "Heldengedicht" und "heroischem Gedicht" gefordert wird, an und bereitet die Gattungsdifferenzierung der letzten Auflage seiner 'Dichtkunst' vor. Denn der weitere Begriff, den Gottsched hier entwickelt, liegt dort den "heroischen Lobgedichten" zugrunde, der engere aber ist derjenige, den er - unter Nennung der gleichen Autoritäten - in seiner Poetik für das "Heldengedicht" ansetzt: Will man ein jedes poetisches Werk, das von Helden und Heldenthaten handelt, so nennen, es mag nun groß oder klein seyn, einen einzigen, oder viele Feldzüge, ein wahre oder erdichtete Handlung, den ganzen Lebenslauf eines Helden, oder ein kurzes Stücke davon beschreiben. So ist kein Zweifel, Pietsch hat ein Heldengedichte gemacht. [...] Versteht man aber durch ein Heldengedicht nicht bloß ein heroisches Gedicht, sondern eine rechte Epopee, dergleichen Homer, Vergil, Tasso, Milton [!], Fenelon und Voltaire mit gutem Erfolg gemacht, und davon uns Aristoteles und le Bossü die Regeln entworfen haben: so kann man es dem sonst sehr feurigen, und erhabenen Dichter, Hofr. Pietschen unmöglich einräumen, daß er ein Heldengedicht verfertiget habe.135
Gottscheds gewandeltes und zugleich differenzierter gewordenes Urteil über 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' von Pietsch, den er als Dichter unverändert hochschätzt, ist somit auf mehreren Ebenen mit seinen eigenen Bemühungen um eine exakte Poetik verbunden. Bestimmungen der 'Critischen Dichtkunst' werden in Äußerungen über Pietschs Werk einerseits vorgebildet und andererseits näher ausgeführt oder verteidigt. Die antike Lehre einer gattungsadäquaten Stildifferenzierung wird für Gottsched an Pietschs Prooimion manifest, und die von Le Bossu herrührenden Regeln über die epische Fabel machen es Gottsched unmöglich, die frühere Einschätzung von 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken', das er als nationale Leistung neben die antiken Muster gestellt hatte, aufrecht zu erhalten. An Gottscheds kritischen Erörterungen zu einem Werk, das ihn vom Beginn seiner Laufbahn an begleitete, lassen sich so zugleich Aspekte der Genese, Differenzierung und Verteidigung seines Bilds von der epischen Gattung verfolgen. Wenn er aber gegen Ende seiner Karriere bekennt, dasjenige, "Was Pietsch [ihn] nicht gelehrt, aus Menkens Huld begriffen" zu haben, dann wird man darunter auch die Regeln des Heldengedichts zählen dürfen, deren Unkenntnis er nun seinem Königsberger Lehrer vorhält.
135 BCH VII (1741), 143-144.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
2. Königs 'August im Lager' und die Schweizer Im Frühjahr des Jahres 1744, auf einem Höhepunkt der literarischen Fehde zwischen Leipzig und Zürich und nur wenige Wochen nach dem Tod des sächsischen Hofrats und Dichters Johann Ulrich von König, der am Dresdener Hof die Ämter eines Hofpoeten und Zeremonienmeisters bekleidete, 1 3 6 erscheint unter dem Titel 'Neuer critischer Sack-Schreib- und -Taschen Allmanach auf das Schalt-Jahr 1744' ein Pamphlet, dessen Urheber im Kreis um Gottsched anzusiedeln sind. 137 Der kalendarische 'Allmanach' greift übliche Elemente dieser Gattung wie Planetentafeln und Hausrezepte auf, macht sie mit spottenden Anspielungen auf die Schweizer und ihre Parteigänger dem parodistischen Zweck dienstbar und breitet auf den jeweils gegenüberliegenden Seiten eine Geschichte des Literaturstreits in Knittelversen aus. Am Ende des Kalenderteils wird des verstorbenen Dichters in einem Nachruf gedacht, der die Form einer astrologischen Vorhersage hat. Diese 'Fürchterliche und jämmerliche Prophezeihung des erstaunungswürdigen Todesfalls des größten Hofpoeten in der sichtbaren Welt' verbreitet "mit astrologischer Gewißheit und Betrübniß" die Nachricht: Der große Pan ist todt! Der große Pan ist todt! Und noch einmal: Der große Pan ist todt! Der König der Opern, der Pferdebändiger, der Schwäbische Homerus, durch dessen Pferderpoper [verdruckt für: Pferdeepopee] die Zürchischen Aristoteles ihre Regeln erläuterten, der Freund der Alpen und Feind der Linden ist todt, mausetodt, ja mausetodt ist er. Des Frühlings Anfang machte dem Winter seines Lebens ein Ende. Der Tod, der grobe Tod pritscht zu, und so liegt denn unser Held pritsch.138 136 Vgl. zur Biographie des Dichters: Rosenmüller, König, Leipzig-Reudnitz 1896, 5-60, insb. 21-42 ('König in Dresden'). König starb am 13. März 1744. 137 Verfasser- und Herausgeberschaft dieses Pamphlets und der darin (Bl. Β 6r) bereits angekündigten Folgeschrift (Tintenfäßl, Kuffstein 1745) sind nur teilweise geklärt; für den letztgenannten Titel gilt eine Beteiligung von Johann Daniel Denso, Friedrich Melchior Grimm und der Frau Gottscheds als sicher, vermutet wurden und werden ferner eine Mitwirkung von Johann Joachim Schwabe und Johann Christoph Schwarz; vgl. (mit weiteren Hinweisen) Waniek, Gottsched, 475-480, Krause, Gottsched und Flottwell, Leipzig 1893, 158 u. 273-274, Wanieks Rezension dieser Arbeit in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur XXI (1895), 105-112, sowie das Nachwort zum Neudruck des 'Critischen Allmanachs', Eisenach 1923. 138 Critischer Allmanach, Bl. Β 5r u. 6r. Die König Näherstehenden haben diese Ausfälligkeit als wenig anständig empfunden. So greift Johann Christoph Rost in der Vorrede seiner postumen Ausgabe von Königs Gedichten, Dresden 1745, die Autoren des Kalenders, die "den Verfasser dieser Gedichte auf· eine kindische, läppische, und niederträchtige Art, so gar auch nach seinem Tode, anzutasten sich nicht geschämet" hätten, scharf an (die Passage wurde übernommen in: FN II [1745], 397-399); vgl. ferner Bodmers Brief an Hagedorn vom 6. September 1744 (Hagedorn PW V, 169). - Auch das 'Tintenfäßl' enthält, in der Form einer niederdeutschen 'Standrede up Τ. P. Heren Immanuel Pyra'
Königs 'August im Lager'
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Erläuternde Bemerkungen, deren dieser satirische Hieb auf den verstorbenen Dichter bedarf, führen zum Thema dieses Kapitels. In der Sage vom Tod des großen Pan, die Plutarch im 17. Abschnitt der Schrift 'περί των έκλελαπότων χρηστηρίων' aus den 'Moralia' erzählt, ist von der allgemeinen Furcht die Rede, die sich verbreitete, nachdem der Steuermann Thamos auftragsgemäß verkündet hatte: "Πάν ö μέγας τέθνηκεν". 139 Der Verfasser des Pamphlets greift jedoch kaum unmittelbar auf die antike Sage zurück. Vielmehr spielt er polemisch auf Lohensteins Nekrolog auf Hoffmannswaldau an, den Gottsched einige Jahre zuvor ausführlich analysiert und in dem die Aussage vom Tod des großen Pan leitmotivische Funktion hat. 1 4 0 Die negative Sicht der spätbarocken Schlesier, die in Gottscheds Kreis des Schwulstes geziehen werden, geht mit der Allusion auf König und die schweizerische Partei über, mit der der Dichter aufgrund seines Bruchs mit Gottsched sympathisierte. 141 Neben Schmähungen, die auf Namen, Herkunft und Amt des Dichters beruhen, 1 4 2 betont die 'Prophezeihung' insbesondere diese Verbindung zwischen König und den Zürchern und versucht, die Schweizer lächerlich zu machen, indem sie den verstorbenen Dichter dem Spott preisgibt. Dem "Freund der Alpen" hatte Bodmer in seiner gereimten Literaturgeschichte 'Charakter der Teutschen Gedichte' das homerische Epitheton "PferdeBändiger" beigelegt 1 4 3 und damit auf die zahlreichen Pferdebeschreibungen in
139
140 141 142
143
(41-49), einen satirischen Nachruf auf einen jüngstverstorbenen Gegner und setzt zugleich die Angriffe auf Johann Ulrich von König fort: In der 'Portio III' findet sich ein fingierter Brief an Bodmer, in dem diesem der erste Gesang eines satirischen, für Königs Person und sein Dichtertum schmachvolles Epos mit dem Titel 'Der rasende Ulrich' zur Beurteilung vorgelegt wird (19-30). - Die Form der astrologischen Vorhersage des Todes eines Gegners könnte auf Swifts Vorbild zurückgehen, der 1708 den Tod des Astrologen Partridge prophezeit hat. Dieses Mittel wendet in Gottscheds Umgebung bereits Christian Ludwig Liscow an, der seinen (noch lebenden) Gegner Johann Ernst Philippi für tot erklärt; vgl. Brummack, Vernunft und Aggression, in: DVjs XLIX (1975), Sonderheft, 121M22*. Vgl. Gerhard, Der Tod des großen Pan, Heidelberg 1915, mit genauer Stellenangabe und eingehender Interpretation der Passage. Gerhard kann eine Vielzahl von teilweise literarischen Anlehnungen an die Sage nachweisen. Vgl. Martino, Lohenstein, I, Tübingen 1978, 339-348. Gottscheds kritische Besprechung findet sich in: BCH I (1732), 496-526. Der Bruch datiert in das Jahr 1730; die Entwicklung der Beziehung zwischen Gottsched und König stellt Rosenmüller, König, 47-60, ausführlich dar. König, der aus dem schwäbischen Esslingen stammte, war insbesondere in seiner Hamburger Zeit als Verfasser von Opernlibretti berühmt und hatte in Dresden zunächst in der Funktion eines Pritschmeisters Gelegenheitsgedichte zu verfertigen. Bodmer, Vier kritische Gedichte, 22 (V. 559); Schönaich, NeoWb 323, zitiert in ebenfalls spottendem Tone das gleiche Epitheton und einige vorangehende Verse aus Bodmers Gedicht; bei Homer findet sich "ϊππόδοψ.ος" u. a. als Charakterisierung des Atreus (Ilias 11/23 u. 60).
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
Königs Heldengedicht 'August im Lager' angespielt. Das gleiche Werk ist Gegenstand des zehnten Abschnitts in Breitingers 'Critischer Dichtkunst'. 144 Das zitierte Pamphlet suggeriert nun eine eindeutig positive Stellung der Schweizer zu König und seiner "Pferdeepopee", aus der Bodmer und Breitinger - wie Aristoteles aus den Werken Homers - poetische Regeln abgeleitet hätten. Ob diese in polemischem Tone vorgetragenen Behauptungen zutreffen, gilt es nach einer knappen Betrachtung von Königs Werk zu prüfen. Anlaß und Werk Johann Ulrich von Königs Heldengedicht 'August im Lager', von dem nur der erste Gesang, "benannt: Die Einhohlung", vollendet und 1731 gedruckt worden ist, behandelt wie Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' einen aktuellen Stoff. Sind dort der Türkenkrieg der Jahre 1716 bis 1718 Gegenstand und Kaiser Karl VI. Titelheld, so bietet nun ein Manöver, das August der Starke im Sommer 1730 unweit der meißnischen Ortschaften Zeithain, Radewitz und Mühlberg veranstaltete, dem Dichter Anlaß zu poetischer Bearbeitung. Mit dem Manöver, das unter großem finanziellen und organisatorischen Aufwand ausgerichtet wurde und vier Wochen dauerte, verfolgte August der Starke unterschiedliche Ziele. Der höfischen Repräsentation dienten zahlreiche spektakuläre und kulturelle Nebenveranstaltungen, die in einer Expansionsphase befindliche Armee hatte ihre Fähigkeiten in Exerzitien und Scheingefechten unter Beweis zu stellen, und der politische Zweck der Machtdemonstration lag in der angestrebten engeren Verbindung mit dem durchgängig anwesenden Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. 145 Diese Aspekte finden im umfangreichen zeitgenössischen Schrifttum über das Manöver, das dort häufig als "Campement bey Mühlberg" bezeichnet wird, unterschiedliche Beachtung: Neben dem repräsentativen Kupferstichwerk "in Imperialfolio" stehen panegyrische Gedichte in Einzelblattdrucken, neben dem amtlichnüchternen Bericht im 'Sächsischen Hoff- und Staats-Calender' eine poetische Darstellung in deutsch-französischem Kauderwelsch. 146
144 Breitinger, Critische Dichtkunst, Stuttgart 1966,1, 348-376. 145 Beschorner, Das Zeithainer Lager von 1730, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde XXVIII (1907), 50-113 u. 200-252, erarbeitet aus zahlreichen archivalischen Quellen ein detailliertes Bild der Vorbereitungen und der Durchführung des Manövers sowie seiner Nebenumstände. In insgesamt apologetischer Tendenz, die früheren abwertenden Beurteilungen entgegengesetzt ist, betont Beschorner vor allern die verwaltungstechnische Leistung und schätzt das Zeithainer Lager in seiner "militärischen Bedeutung" hoch ein (59-83). 146 Beschorner, Beschreibungen und bildliche Darstellungen des Zeithainer Lagers von 1730, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde XXVII (1906), 103-151, nennt und charakterisiert mehrere Dutzend Titel.
Königs 'August im Lager'
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Unter den literarischen Werken ragt - jenseits qualitativer Erwägungen Königs ausdrücklich so benanntes "Heldengedicht" schon durch den mit der Gattungsbezeichnung verbundenen Anspruch heraus. 147 Während die meisten Dichtungen einzelne Begebenheiten behandeln oder ohne konkrete Beschreibung des Vorgefallenen Herrscherlob spenden, zielt Königs Plan, den der 'Vorbericht' zu 'August im Lager' enthält, auf eine poetische Schilderung der gesamten Vorgänge. In mindestens sechs Gesängen wären - offenbar unter Beachtung der tatsächlichen Chronologie - im Anschluß an die einzig vollendete "Einhohlung" nacheinander die "Musterung", die "Kriegs-Ubungen", die "Kriegs-Handlungen", die "Lustbarkeiten" und die "Scheidung" behandelt worden. 1 4 8 Der Widerspruch, in den sich König mit Stoffwahl und Aufbau seines Werks zu Gottscheds gerade veröffentlichten Forderungen an eine epische Fabel begibt, war dem Dichter bewußt. Denn als Vorwegnahme einer Kritik des Leipzigers läßt sich Königs Apologie seines Vorgehens lesen: Ob es mir gleich unanständig seyn würde, nichts als ein blosses Tage-Buch in Reimen allhier zu schreiben, welches von allen poetischen Erfindungen entblößet wäre, die doch in einem Helden-Gedichte unentbehrlich sind; Dennoch werde ich mich solcher Erdichtungen auf das allerbehutsamste bedienen, da ich die Ehre habe, eine Geschichte, die erst vor kurtzem zu unsern Zeiten vorgegangen, nicht aber eine bloße Fabel aufzuführen. Dabey mir doch nichts abgehet, weil ohnedem zu besorgen ist, es werde die Beschreibung, welche ich hier mittheile, weil sie so viel unerhörte Seltsamkeiten in sich beschließt, dereinst unsern Nachkommen, so warhafft, als sie auch ist, gleichwohl fabelhafft genug scheinen. 149 König räumt hiermit die gattungsgebundene Notwendigkeit von "poetischen Erfindungen" ein, die einer rein historisch-chronologischen Beschreibung entgegensteht. Zugleich setzt er aber in seine zeitgenössische, real vorgefallene Materie, deren Dignität er - gegen Gottsched gewendet - über "eine bloße
147 Lediglich in einem Gedicht Christian Friedrich Henricis, das nach Beschorner, Beschreibungen und bildliche Darstellungen des Zeithainer Lagers von 1730, 112, eine "Lobhudelei in vierfüssigen Jamben" darstellt, der "etwas Tatsächliches [...] nicht zu entnehmen" sei, ist durch das Motto "Arma virumque cano" ein ansatzweise ähnlicher Anspruch erkennbar. 148 König, August im Lager, Dresden 1731, Bl. * 2r; König, Gedichte, Dresden 1745, 188. Im bibliographischen Anhang ist die Passage aus Königs 'Vorbericht' vollständig zitiert. 149 König, August im Lager, Bl. * 2r/v; König, Gedichte, 189. Gottsched geht in der zweiten Ausgabe der 'Critischen Dichtkunst' von 1737 auf Königs Argumentation und seine Bevorzugung eines zeitgenössischen Gegenstands allerdings nicht ein, sondern bezeichnet den Inhalt des Gedichts schlechterdings als "blosses Spielwerk", das "zu keinen großen Leidenschaften Anlaß geben, und folglich in keinem Heldengedichte besungen werden" könne. Inwieweit bei dieser Kritik (Gottsched AW VI/3, 22) und bei anderen polemischen Bemerkungen zu 'August im Lager' (Gottsched AW VI/2, 492; VI/3, 123) persönliche Antipathien das Urteil beeinflußten, ist freilich nicht zu entscheiden.
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Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
Fabel" stellt, das Vertrauen, daß die dem Stoff innewohnenden "Seltsamkeiten" ihn des Zwangs entheben, solche dichterisch zu erfinden. In einem aktuellen Gegenstand, der gleichzeitig "warhafft" und "fabelhafft" ist, sieht König das ideale Sujet, mit dem den Forderungen der Gattung nachzukommen sei, ohne auf die Vorzüge einer realen, "vor kurtzem" vorgefallenen Begebenheit zu verzichten. Die dichterische Realisierung dieser Überlegungen kann am Aufbau und an Details des ersten Gesangs, die mit entsprechenden Stellen aus dem offiziellen zeitgenössischen Bericht über das Manöver 1 5 0 zu vergleichen sind, geprüft werden. Zu diesem Zweck diene die Inhaltsskizze 151 zum ersten Gesang von 'August im Lager', die zugleich über das Dargestellte orientiert: 1-12
Prooimion Angabe des Inhalts; Apostrophe an die Dichtkunst
13-56
Zueignung
13-40
Apostrophe an Friedrich Wilhelm; Lob seiner Tugenden
41-56
Hoffnung, daß dem Widmungsträger das Werk des Dichters ebenso gut gefallen werde wie das Feldlager selbst
57-100
Erzähleingang/Vorbereitungen Zeithayn als Ort des Lagers
60-66
Vorbereitungen für den Empfang Friedrich Wilhelms in Ortschaften außerhalb des Lagers; August am Vortag des Empfangs in Gorisch
67-100
Friedrich Wilhelm mit Hofstaat in Coßdorf; Bewirtung und Unterbringung der Preußen
101-184
Morgen des Empfangstages
101-126
Ritter des Adlerordens reiten unter Führung des sächsischen Prinzen aus dem Lager nach Gorisch, um beide Könige abzuholen; Beschreibung der Ordenskleidung
150 Sächsischer Hoff- und Staats-Calender auf das Jahr 1731, B I G lr-K2v. Am besten zugänglich ist dieser Bericht in der freien Wiedergabe in: Zedier, Universal-Lexikon, XXII, Graz 1982, 72-118 (die Vorgänge des von König behandelten Zeitabschnitts sind Sp. 72-76 geschildert). Nach Beschorner, Beschreibungen und bildliche Darstellungen des Zeithainer Lagers von 1730, 118-119, wurde die "Staatskalender-Beschreibung" am 11. September 1730 amtlich genehmigt, ist Ende 1730 erschienen und hat König bei Verfertigung seines Werks sicher vorgelegen. 151 Eine zeitgenössische Zusammenfassung des Gedichts enthält die Rezension zu 'August im Lager' in: DAE CLXVI (1731), 505-515, hier 507-512. Dort werden auch die dem Werk beigefügten historischen Anmerkungen, auf die weiter unten zurückzukommen ist, in die Nacherzählung einbezogen.
Königs 'August im Lager'
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127-134
Ankunft der Ritter bei August; dessen Kleidung
135-184
Friedrich Wilhelms Aufbruch von Coßdorf; Wegweiser, von berittenen Ulanen bewacht; Beschreibung der Ulanen; diese bilden eine Reiterstaffel, die Friedrich Wilhelms Ankunft vorausmeldet; Charakterisierung der Pferde der Ulanen
185-378
Empfang beim Forsthaus zu Gorisch
185-204
Sachsen formieren sich; Ankunft Friedrich Wilhelms
205-302
Vergleich zwischen einem nach Hamburg Reisenden, den die Schönheiten des vor den Toren gelegenen Billwärder zum Verweilen und ein Freund zum Frühstück laden und dem beim Forsthaus anlangenden Friedrich Wilhelm; dessen Bewunderung für die kultivierte Landschaft und die prachtvolle Ausstattung der sächsischen Abordnung, vor allem für deren Zelte, Wagen und Pferde
303-378
Herzliche Begrüßung der Könige; Begleitung Friedrich Wilhelms; nochmalige Beschreibung der Begrüßung der Könige; Begrüßung Friedrich Wilhelms durch die Ritter des Adlerordens; Kleidung der Preußen; gegenseitige Begrüßung der Prinzen und des ganzen Hofstaats; gegenseitige Gunstbezeugungen
379-606
Frühstück
379-404
Einrichtung der Tafel; Sitzordnung, die allen Personen Ausblick nach der selben Seite gewährt; zwanglose Bewirtung der Ranghöchsten
405-604
Allegorischer Einschub: Eintracht naht sich unsichtbar der Gesellschaft; Gegenüberstellung von Eintracht und ihrer Schwester Zwietracht; ewiger Kampf zwischen beiden; Abstammung der Schwestern; Eigenschaften und Nachkommenschaft; schauerliches Aussehen der Zwietracht als Ausgestaltung ihrer schlechten Eigenschaften; stetes Wirken für das Schlechte; Sorglosigkeit als Gefahr für die Eintracht; Bezug auf den aktuellen politischen Hintergrund und das Verhältnis der beiden Könige; Bestärkung des Bundes durch den Staatsbesuch beim Lager bedeutet wachsenden Einfluß der Eintracht, die sich der Gesellschaft weiter annähert; ihr angenehmes Aussehen als Ausgestaltung ihrer guten Eigenschaften; die unsichtbare Eintracht wird von der Gesellschaft gespürt und verbindet Preußen und Sachsen enger miteinander; Eintracht singt ein Loblied auf die Verbrüderung der Herrscher und bittet um göttlichen Beistand sowie um Verbannung der Zwietracht
605-606
Ende des Frühstücks
607-888
Vorbereitungen zum Aufbruch mit Pferdevorführung
607-612
Vorbereitung zum Aufbruch; Ankündigung eines Zugs einzelner Gruppen vorbei an den Herrschern
Epische Versuche vor Klopstocks Auftreten
66 613-832
Vorführung von 84 Pferden unterschiedlicher Herkunft in fünf Gruppen (613-689; 689-738; 739-776; 777-798; 799-832); jeweüs Beschreibung der begleitenden Reiter, der Ausstattung der Pferde (vor allem der Sättel und Satteldecken); Beschreibung zahlreicher einzelner Pferde und/oder der Gruppen nach Aussehen, Verwendbarkeit, Wert, Temperament etc.
833-888
Zug von 32 sechsspännigen Kutschen; Beschreibung der Wagen nach Gattungen und Herkunft, der Zugpferde nach Fellfarbe und -musterung
889-978
Aufbruch und Zug ins Lager
889-904
Allgemeiner Aufbruch mit sächsischen Pferden und Wagen; vorhergehende Versorgung der preußischen Dienerschaft und des Gepäcks
905-919
Wagen der Könige; Kutscher und Pferde derselben
920-951
Von polnischen Ussaren gebildete Vorhut; deren Kleidung, Ausstattung und Funktion als Standartenträger
952-978
Weiterer Zug, angeführt von den Prinzen; begleitete Gruppe von 24 Maultieren, die das Geschirr tragen; Beschreibung der Tiere und ihres Schmucks sowie der Begleiter
979-1052
Ankunft im Lager, Festmahl und Tagesausklang
979-992
Ankunft auf dem Hauptplatz des Lagers; Janitscharenmusik; Verteilung der Zelte
993-1036
Verspäteter Beginn des reich ausgestatteten Festmahls, zu dessen Gelingen Personifikationen von "Jahrszeit", "Geschmack" etc. beitragen; perfekt organisierter Ablauf durch Diener des Hofs; kunstvoll aufgetürmtes Trinkgeschirr
1037-1052
Verabschiedung am Abend; Könige und alle übrigen Protagonisten ziehen sich in die zugewiesenen Quartiere zurück
Versteht m a n unter den "poetischen Erfindungen" im Sinne von Königs 'Vorbericht' diejenigen Teile des Werks, die primär nicht Darstellung des konkret anläßlich des Manövers Vorgefallenen, sondern dichterische Z u t a t sind, 1 5 2 d a n n lassen sich n e b e n Prooimion und Zueignung (1-56) insbesondere der ausführliche Vergleich zwischen einem nach H a m b u r g R e i s e n d e n und d e m beim Forsthaus anlangenden Preußenkönig (205-302) und der allegori-
152 Selbstverständlich verläuft die Grenze zwischen dem konkret Darstellenden und den "poetischen Erfindungen" fließend, da auch diese vermittelt der Darstellung des außerdichterischen Bezugsgegenstands dienen'(können). Vor allem kürzere Vergleiche, die nur wenige Verse umfassen und den Bericht der Handlung nicht merklich unterbrechen (z.B. 131-134, 177-184, 617-618, 839-843, 853-854, 875-878), lassen eine Zuordnung zum einen oder anderen Bereich genaugenommen nicht zu.
Königs 'August im Lager'
67
sehe Einschub der Verse 405-604 hierzu zählen. Die "Erdichtungen" im engeren Sinne füllen damit - ganz im Gegensatz zu Königs Ankündigung, sich derselben "auf das allerbehutsamste" zu "bedienen" - circa ein Drittel des Werks. Sofern sie als Mittel des Dichters aufzufassen sind, seinem Werk poetische Dignität zu geben, den befürchteten Vorwurf, "ein blosses Tage-Buch in Reimen" verfaßt zu haben, von sich zu weisen und gattungspoetische Forderungen zu erfüllen, stehen sie in eigentümlicher Weise quer zu der vom Autor vorgetragenen Apologie des Stoffs, der "warhafft" und "fabelhafft" zugleich sei und daher einer Poetisierung kaum bedürfe. Der relativ große Anteil dichterischer Zutaten widerspricht so gesehen den programmatischen Äußerungen aus dem 'Vorbericht' und drückt ein dort nicht artikuliertes Mißtrauen des Autors gegenüber seinem Stoff aus. Wenn die "poetischen Erfindungen", die König seinem Werk einverleibt, ihrer Aufgabe gerecht werden sollen, dann müssen sie dessen Charakter so weit bestimmen, daß dieses nicht als "Tage-Buch in Reimen" abqualifiziert und aus dem Gattungskanon ausgeschlossen werden kann. Aus der mitgeteilten Inhaltsskizze ist ersichtlich, daß dem ersten Gesang (ab Vers 57) ein durchgehend chronologischer Plan zugrundeliegt, der im wesentlichen (ab Vers 100) den Ablauf eines Tages umfaßt. König verzichtet auf traditionelle Kunstmittel der Gattung wie einen weit ausholenden Rückblick oder eine Bündelung des Geschehens in einer zentralen Handlung, deren Voraussetzungen nachträglich eingeführt werden. An diesem weitestgehend chronikalischen Aufbau aber vermögen auch die beiden umfänglichen "Erdichtungen" nichts zu verändern, die Blöcke von ein- und zweihundert Versen darstellen. Denn während der erste Einschub (205-302) trotz der durchgehaltenen Form eines Vergleichs die Aussageebene völlig aus dem Blick zu verlieren scheint und sich zu einer stilistisch an Brockes erinnernden - Huldigung an die Umgebung von Königs früherer Heimatstadt Hamburg verselbständigt, ist das allegorische Intermezzo von Eintracht und Zwietracht (405-604) nur recht locker mit dem Umfeld verknüpft. 153 153 Eine ansatzweise Integration der letztgenannten Passage bewirken Aussagen, die konkret auf das Verhältnis der beiden Könige Bezug nehmen (509-518: zugleich Nennung des politischen Zwecks der Einladung des Preußenkönigs) und die - allerdings weitgehend unkonkret - von einer positiven Wirkung der Eintracht auf die Gesellschaft im Wald sprechen (ζ. B. 549-551, 557-558 u. 570), sowie die knappe Wiederaufnahme des Bilds bei der Schilderung des Zugs ins Lager: "Die Eintracht zog voraus; je näher sie uns blieb, | Je weiter auch ihr Glanz die Zwietracht rückwerts trieb" (891-892). Einer Verknüpfung der Passage mit dem Umfeld widersprechen indessen die ganz allgemein gehaltenen Ausführungen über den ewigen Streit der Schwestern Eintracht und Zwietracht und ihre Familiengeschichte (411-467) sowie die Beschreibungen der äußeren Gestalt (468-484 u. 519-548), die schon deshalb für das Gedicht funktionslos bleiben, weil ausdrücklich von der Unsichtbarkeit der Personifikationen die Rede ist (407 u. 549).
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Wenn die umfangreichen "poetischen Erfindungen" wie lose Blätter erscheinen, die dem "Tage-Buch" eingelegt sind, ohne es in seinem Charakter wesentlich zu bestimmen, so fällt der Blick nun auf die Eröffnung des Werks und auf die berichtenden Teile selbst. Die doppelte Intention des Dichters, ein der Gattung "Heldengedicht" angehörendes Werk und zugleich einen getreuen historischen Bericht zu verfassen, ist aus Form und Inhalt des Prooimions zu ersehen: Der Sachsen Musterung, Volk, Lager, Waffen, Helden Und Kriegesübungen will ich der Nachwelt melden, Was auf der Ebene bey Radewitz geschehn, Das soll man künftig noch in diesen Blättern sehn. Auf! Dichtkunst, steh mir bey! verkehr die sanfte Flöte In eine muthige lautschallende Trompete, Damit mein kühner Reim erhaben, edel, frey, So großer Dinge wehrt, des Lesens würdig sey. Erinnre mich genau, was täglich vorgegangen, Wie schön man aufgehört, wie schön man angefangen, Wie zahlreich Hof und Heer, wie vielfach Pracht und Lust, Kurz, wie im Lager war mein göttlicher August. (1-12)
Die Reihenfolge von Ankündigung des Gegenstands und Apostrophe an die "Dichtkunst" ist ebenso an Vergil (Aeneis 1/1-11) orientiert wie der Inhalt des ersten Verspaars, das die Formel "Arma viramque" zur Sequenz erweitert. Und das Bildpaar "sanfte Flöte"/"lautschallende Trompete", das für die Gattungsstile von Schäfer- und Heldengedicht steht, greift wohl zurück auf vier apokryphe Eingangsverse der 'Aeneis', die zu Königs Zeit als echt galten und in denen die früheren Werke Vergils (Bucolica, Georgica) dem jetzigen Vorhaben entgegenstellt sind. 154 Der Sänger bittet die angerufene "Dichtkunst" einerseits um Beistand für die Wahl des rechten Stils, andererseits jedoch akzentuiert König die Rolle der "Dichtkunst" als Unterstützung für das Erinnerungsvermögen des Poeten. Die letztgenannte Eigenschaft, die traditionell der Musenmutter Mnemosyne, deren lateinischer Name Memoria lautet, zugeschrieben wird, 155 betont König sehr stark, indem er das "Was" (3 und 9) und "Wie" (10-12) und damit die äußerlichen Vorgänge des Geschehens "auf der Ebene bey Radewitz" in den Mittelpunkt rückt. Ganz im Gegensatz zu 154 Die vier Verse, die in der Vergil-Vita des Servius überliefert sind (in: Vergil, Landleben, Darmstadt 1987, 244), lauten: "Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena | carmen et egressus silvis vicina coegi, | ut quamvis avido parerent arva colono, | gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis - | arma virtimque cano". Die für König zeitgenössischen Übertragungen von Pyra und Schwarz, die unter dem Titel 'Probe einer Uebersetzung der Aeneis des P. Virgilius Maro in deutsche Verse', in: BCH V (1737-1738), 89-108, einander gegenübergestellt werden, übersetzen jeweils auch die genannten vier Einleitungsverse ins Deutsche (ebd., 90 u. 100). - Auch der Ausdruck "mein göttlicher August" erinnert an Vergil und dessen Verhältnis zu Augustus. 155 Hederich, Lexikon, Darmstadt 1986, 1654-1655.
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Pietsch, dessen pathetische und rhetorische Sprache - bei ebenfalls panegyrischem Impetus - eigene Bewegung und Erregung auf den Leser zu übertragen sucht, ist für König die historische Exaktheit der Schilderung ("Erinnre mich genau [!]"), die wiederum die streng chronologische Abfolge bedingt ("was täglich vorgegangen"), zentrale Voraussetzung für die Qualität seines Werks. D e m Gedicht aber stellt sich somit die chronikalische Überlieferung für die "Nachwelt", die "künftig noch in diesen Blättern" das Vorgefallene erfahren soll, als oberste Aufgabe. V o m Erzähleingang an läßt sich die Durchführung dieser Maxime verfolgen. König nennt kleine Ortschaften als Lokalitäten der Handlung beim Namen, hält exakte Uhrzeiten fest und beschreibt Vorgänge, die nur dem protokollarischen Blick des Zeremonienmeisters als nennenswert erscheinen, mit einem Grad an Genauigkeit, der mehr den Ausführenden vom sächsischen Hof als dem Dichter zur Ehre gereicht: Das Lager stand nunmehr bey Zeithayn aufgeschlagen [···]; Als einen Tag zuvor, bey trüber Abendzeit, August nach Gorisch zu geschwind voraus gefahren, Begleitet nur durch die, so ihm da nöthig waren. [...] Inzwischen hatte schon den Mittag und die Nacht Der Preussen König auch in Coßdorf zugebracht, Wo er mit schneller Post um eilf Uhr angekommen, Und gleich das Mittagsmahl vergnüglich eingenommen, Indem er alles da schon in Bereitschaft fand, Der Tisch für ihn gedeckt, das Essen fertig stand. [...] Es war der Hof-Furier vom Lager hingeeilet, Der gleich das ganze Dorf zu Wohnungen vertheilet, Daß Friedrich Wühelms Hof, wie seine Heldenschaar Die dreymahl funfeig stark, beqvem beherbergt war, Beherbergt und versorgt, bedient, getränkt, gespeiset. Der edle Seiffertitz war selbst voraus gereiset. Der, auf Augusts Befehl, die Küche so bestellt, Daß zu der Ordnung sich der Uberfluß gesellt, Und er im Stande war, standsmäßig zu bedienen Den König, und nebst ihm die Gäste so erschienen. (57-90) Die hier angeklungene Perfektion der Bewirtung und Versorgung, die Verschiedenartigkeit der Kleider und Rüstungen, kurz: all dasjenige, was die prachtvolle und dekorative Außenseite der Großveranstaltung bestimmt hat, steht - wie auch ein Blick in die Inhaltsskizze zeigt - im Mittelpunkt von Königs Beschreibung. Das traditionelle Stilmittel ausführlicher R e d e n der Protagonisten, in denen diese sich selbst und ihre Antipoden vorstellen, fehlt bei König: Die historischen Personen kommen nicht zu Wort. Ihre Charaktereigenschaften, Leidenschaften und Gemütsbewegungen treten völlig in den Hintergrund und werden nur in allgemeinster Form mitgeteilt.
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Indem König sein Gedicht sowohl intentional als auch in der dichterischen Realisation stark an dem Zweck der Mitteilung tatsächlicher Gegebenheiten ausrichtet, begibt er sich in Konkurrenz zu historischen Berichten über das Ereignis. Im Vergleich eines Details zwischen Versen aus 'August im Lager* und der entsprechenden Passage aus dem amtlichen Bericht 156 offenbart sich Königs Bemühen. Zur Begrüßung der beiden Könige vermerkt der Chronist, daß "des Königs von Preussen Maj. [...] etwas zeitig vom Pferde" gestiegen sei 157 ; bei König heißt es entsprechend, "der hohe Freund" sei "von dem Pferd auch zeitlich abgestiegen" (327-329). Außer in diesem Exempel von Königs Bestreben um historische Genauigkeit, das auf eine peinlich exakte Verwendung des amtlichen Berichts hindeutet, offenbart sich des Dichters Wettstreit mit dem Historiker auch an der Existenz von erläuternden Anmerkungen zum poetischen Text. Die Ausführungen betreffen vor allem Lokalitäten und Personen, deren allgemeine Bekanntheit der Dichter nicht vorauszusetzen wagt. König nutzt stets die Gelegenheit zur Mitteilung von weiteren Fakten und Daten sowie zur Nennung genauer Titel und Funktionen der Protagonisten. Die Anmerkung zu Vers 86, die zunächst das Gefolge von Oberküchenmeister Seiffertitz nennt, schließt mit einem namentlichen und nach Regimentern geordneten Verzeichnis der Mitglieder des bewirteten preußischen Hofstaats. Für Listen dieser Art, deren es in 'August im Lager' noch zwei weitere gibt, kann eine genaue Übereinstimmung mit amtlichen Akten festgestellt werden, so daß Königs Benutzung dieser Dokumente als wahrscheinlich anzusehen ist. 158 Die Konkurrenz mit dem Historiker, die schon innerhalb des eigentlichen poetischen Werks sichtbar wird, verschärft sich im Anmerkungsapparat. In einem Falle geht König hier gar zur Offensive über, indem er - wohl mit direkter Spitze gegen den amtlichen Bericht - eine dort verwendete Bezeichnung kritisiert und korrigiert. Zur Vorhut, die den Zug in das Lager anführt, heißt es im Bericht: "Vor die Könige ritten [...] die 9. Panzernen her. [...] Die 9. Panzernen sind alle von dem vornehmsten Adel in Pohlen. Sie sind von Kopf bis auf die Füsse sehr preutieusement gepanzert." 159 Dagegen dichtet König: Der Roßschweifträger kommt, alsdann die acht Ussaren, Die aus den Polnischen berittnen besten Schaaren Vom ersten Adel sind. Man sieht sie allzumal In ihren Harnischen recht eingeschanzt in Stahl. (933-936)
156 Vgl. Anm. 150. 157 Sächsischer Hoff- und Staats-Calender auf das Jahr 1731, Bl. G lv. 158 Nach Beschorner, Das Zeithainer Lager von 1730, 107-108, betrifft dies insbesondere das "Verzeichniß der damals zur Einhohlung mitgekommenen sämmtlichen Ritter des Pohlnischen weissen Adlerordens" (Anm. zu 109) und die Sitzordnung beim Festmahl (zu 998). 159 Sächsischer Hoff- und Staats-Calender auf das Jahr 1731, Bl. G lv-2r.
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und merkt mit Hinweis auf Spezialliteratur an: Die Polnische Reuterey, welche man überhaupt Towarzystwo, das ist, Spießgesellschaft nennet, wird eingetheilt in Ussaren, Panzernen und Walloschen. Die ersten und andern gehören zur schweren Reuterey. Jene sind geharnischt, und diese nur gepanzert. [...] Hier ist nur zu merken, daß die Ussaren [...] der Kern des besten und ersten Polnischen Adels, wie schon gedacht, schwer bewaffnet, und viele Companien stark sind. Im Lager aber waren mit dem Bonczcuczny oder Roßschweifträger nur neune zugegen, die von einigen, irriger Weise, Panzernen genannt worden. Ausführungen dieser Art, die auf Explikation und Beglaubigung des gereimten Textes zielen, entheben Königs Qualitäten als die eines genau recherchierenden Historikers jeden Zweifels und lassen 'August im Lager' als verläßliche Quelle erscheinen, die im historischen Detail selbst mit einem offiziellen Bericht in Wettstreit treten kann. Die primär auf historische Korrektheit zielende Tendenz des Werks, das in den 'Deutschen Acta Eruditorum' verbale Zustimmung 160 und bei August dem Starken finanzielle Anerkennung 161 gefunden hat, macht auf der anderen Seite aber verständlich, daß Breitinger das Werk als Dichtung in Frage stellt. Ob die Schrift August im Lager ein Gedicht sey' Anders als Gottscheds vernichtendes Urteil, das vor allem der - in des Leipzigers Augen - für ein Heldengedicht völlig verfehlten Stoffwahl gilt, 162 können die Bewertungen von 'August im Lager' durch Bodmer und Breitinger kaum als Ausdruck persönlicher Voreingenommenheit verstanden werden. Das Spektrum der stark differierenden Beurteilungen des Dichters und seines 160 DAE CLXVI (1731), 505-515. Positive Wertungen, nach denen 'August im Lager' auch vor dem durch das Lesen der Alten verwöhnten Geschmack bestehen könne und "der geschickten Feder des Herrn Verfassers" die schwierige Aufgabe, "alle diese Dinge ungezwungen in gebundener Rede zu entwerffen", "natürlich, deutlich und nachdrücklich" gelungen sei, finden sich vor allem S. 506 u. 512-513. 161 Am Schluß seines 'Vorberichts' (König, August im Lager, Bl. * 2v; König, Gedichte, 190) hofft König nicht ohne Zeichen von Überheblichkeit auf eine allgemein "gute Aufnahme", da er "so glücklich gewesen" sei, seines "allergnädigsten Königes hohen Beyfall selbst zu erhalten", welcher sich "diese Verse" habe "vorlesen" lassen. Seinen pekuniären Ausdruck fand das Gefallen des Herrschers an dem ihm geltenden Panegyrikum in einer "Gnadensbezeugung" von 1000 Talern "aus der königlichen Chatoulle" (nach einer Verordnung vom 4. September 1731, die Beschorner, Das Zeithainer Lager von 1730, 226, mitteilt). Daß die Zustimmung dennoch im engeren Kreis um August den Starken nicht ungeteilt war, zeigt eine Kontroverse zwischen dem Dichter und dem Grafen von Manteufel, dem sächsischen Gesandten am Berliner Hof, die Rosenmüller, König, 123-126, anhand brieflicher Zeugnisse darlegt. 162 Vgl. Anm. 149. Auf die finanzielle Zuwendung des Königs spielt Gottsched AW VI/3, 123, polemisch an.
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Werks in den kritischen Hauptschriften der Schweizer von 1740 und 1741 zeichnet sich vielmehr durch einen weitgehend wohlwollenden, stets unpolemischen und an der Sache orientierten Ton aus. Breitingers 'Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse' zitiert eine ganze Reihe von Vergleichen aus 'August im Lager', dessen Dichter er - neben Brockes - zu den "zween berühmtesten Poeten Deutschlandes" rechnet und ihn vor allem "in lebhafter Abbildung der Pracht und des Pompes eines königlichen Hofes" für "vortrefflich" erachtet. 163 Innerhalb des systematischen Entwurfs wird zunächst in vier Abschnitten von den "erleuchtenden" und den "auszierenden", den "nachdrücklichen" und den "lehrreichen Gleichnissen" gesprochen. Unter den erstgenannten, die einen "Gedancken in ein volles Licht setzen, damit der Leser von demjenigen was man vorstellig machet, einen deutlichem und lebhaftem Eindruck bekomme", versteht Breitinger Gleichnisse, die die undeutlichen "Begriffe von den Farben, von der Bewegung, von den verschiedenen Arten des Thons, des Geruches, des Geschmackes, des Gefühles" erhellen. 164 Als Beispiele für derartige Gleichnisse, deren Gegenstand das mit den äußerlichen Sinnen Wahrgenommene ist und die für Breitinger "Würkungen von der untersten Kraft des Witzes" sind, 165 finden sich neben Auszügen aus beschreibenden Gedichten von Brockes einige, meist positiv gewertete Passagen aus 'August im Lager'. 166 Die im nächsten Abschnitt behandelten "auszierenden Gleichnisse" finden nach Breitinger Anwendung bei "Gedanken, die [...] gantz gemein, platt und trucken sind, und nichts seltenes oder verwundersames an sich haben, was das Gemüth auf eine angenehme Weise einnehmen und belustigen könnte". 167 Wenn Breitinger auch in diesem Kapitel zwei Gleichnisse aus Königs Epos zitiert, 168 dann verbindet er dabei sein Lob für die Kunst des Poeten mit deutlicher Abwertung der zugrundeliegenden Materie. Da diese "im Grund gantz einerley und einförmig" sei, mache sich der Dichter des "Lobes würdig, indem er gewußt" habe, "dem Eckel, welchen das stete Einerley in seiner Materie nothwendig hätte gebähren müssen, durch geschickte Auszierungen vorzu163 164 165 166
Breitinger, Critische Abhandlung, Stuttgart 1967, 15. Breitinger, Critische Abhandlung, 13-14. Breitinger, Critische Abhandlung, 38. Breitinger, Critische Abhandlung, 17-18, 19, 20, 26, 29 u. 34-35. Zitiert sind mit den Versen 865-873, 615-618, 649-652, 971, 875-882 und 177-184 vor allem Gleichnisse aus der ausführlichen Pferdebeschreibung (613-888). Nach Breitinger erfüllen alle Exempel - außer dem letzten, in dem die Gleichnisse "sich selbst im Wege" stünden - ihre Aufgabe, das Dargestellte "deutlich und lebhaft in die Einbildung der Leser zu mahlen." 167 Breitinger, Critische Abhandlung, 42. 168 Breitinger, Critische Abhandlung, 47-49 u. 54-56. Zitiert sind die Verse 127-134 und 853-856. Daneben führt Breitinger, ebd., 43-47 u. 54, Stellen aus anderen Gedichten Königs an.
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bauen". 169 Die positive Wertung, die Breitinger vornimmt, zeigt, daß für ihn ganz im Gegensatz zu Gottsched - die Anwendung poetischer Kunstmittel als Urteilskriterium vor der richtigen Stoffwahl rangiert. Die Einleitungskapitel zu Breitingers 'Abhandlung', von denen nur die beiden ersten, weniger gewichtigen mit Beispielen aus 'August im Lager' illustriert sind, erlauben keine Antwort auf die Frage, ob Königs Gedicht nach Meinung der Schweizer gattungspoetische Forderungen erfülle. Aufschluß hierüber kann mittelbar der elfte Abschnitt geben, der 'Von der Vergleichung grosser Dinge mit kleinen, und kleiner mit grossen' handelt und eine der bei Breitinger seltenen expliziten Bestimmungen zur epischen Gattung enthält. Der Zürcher fordert hier eine reziproke Anpassung der Bilder an die Materie eines Gedichts: Sei die Materie "erhaben", so müsse der Dichter für die "Einstreuung angenehmer Bilder" sorgen, sei sie hingegen "trucken und matt", so seien "erhabene Bilder" angemessen. 170 Sodann führt Breitinger aus: Da nun in Epischen Gedichten die Materie an sich selbst groß und erhaben ist, so kan man jetzt die Ursachen leicht errathen, warum Homer und andere grosse Dichter sich in ihren Vergleichungen so oft von ihrer erhabenen Erzehlung in die Tiefe hernieder lassen [...].171
Das Postulat eines hohen Gegenstands für das Epos müßte in seiner Konsequenz, die Breitinger hier allerdings nicht zieht, Königs 'August im Lager' aus dem Gattungskanon ausschließen. Denn im selben Abschnitt wird - als Beispiel für die "Vergleichung kleiner Dinge mit grossen" - von einem Gleichnis gehandelt, in dem König das temperamentvolle Gebahren eines Pferds in allen Einzelheiten mit einem Gewitter parallelisiert. 172 Die Existenz des Gleichnisses, das Breitinger wegen zu weitreichender Suche nach Ähnlichkeiten zwischen den beiden Phänomenen negativ bewertet und als Zeichen für "ausschweiffende Kurtzweil" betrachtet, wird dem "Sächsischen Poeten" mit Hinweis auf die "Beschaffenheit seiner Materie" nachgesehen. 173 Daß Breitinger - trotz dieser für ein Epos nach eigener Aussage untauglichen "Beschaf169 Breitinger, Critische Abhandlung, 48; im gleichen Sinne lobt Breitinger, ebd., 56, "den kunstreichen Poeten [...], der in einer so einträchtigen Materie, wie die Beschreibung der Pferde ist, gewußt" habe, "die abgemattete Aufmerksamkeit der Leser durch eingeführte ähnliche, und zugleich fremde und neue Bilder, am rechten Orte aufzustützen, und dem Eckel, der sie sonst ohne diese Hülffe hätte befallen mögen, vorzubiegen". 170 Breitinger, Critische Abhandlung, 332. 171 Breitinger, Critische Abhandlung, 332-333. Zu dem hier und im folgenden gelegentlich anklingenden Zusammenhang zwischen Epos und Erhabenheit vgl. Kap. I, Anm. 36. 172 Breitinger, Critische Abhandlung, 347-357. Zitiert werden die Verse 667-679. Königs "Vergleichung kleiner Dinge mit grossen" gerät unfreiwillig in die Nähe eines im komischen Genre begegnenden Stilprinzips, ist jedoch von der dort beabsichtigten Komik zu unterscheiden. Vgl. auch Anm. 202. 173 Breitinger, Critische Abhandlung, 348-349.
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fenheit" der Materie - 'August im Lager' nicht von vornherein die Zugehörigkeit zum Genus grande versagt, macht abermals deutlich, wie gering er das Kriterium der Stoffwahl für Fragen poetischer Wertung anzusetzen geneigt ist. Bodmers 'Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie', die einen weiteren Teilbereich der Poetik behandelt und ihren Gegenstand in einer "Vertheidigung" von Miltons 'Paradise Lost' ausbreitet, enthält keine Erörterungen zu Königs 'August im Lager'. Wenn diese 'Abhandlung' hier dennoch kurz gestreift werden soll, dann wegen der wohl ausführlichsten zusammenhängenden Bestimmung der Gattung in den Hauptwerken der Schweizer: Das Epische Gedicht ist ein erzehlendes, historisches Gedicht, in welchem die Begebenheiten, Character und Personen, wenn sie gleich niemahls würcklich gewesen sind, dennoch auf eine gewisse Weise von dem Poeten zur Würcklichkeit gebracht sind. Sie haben zwar das Siegel der Wahrheit nicht, es fehlet ihnen an Zeugen, die dabey gegenwärtig gewesen wären, und uns davon versicherten; Aber sie haben an dessen statt den Preiß der Wahrscheinlichkeit, weil sie in den würcklichen eingeführten Gesetzen, und dem gegenwärtigen Lauf der Natur und derer Begebenheiten, die fidem narrantis haben, gegründet sind. Episch heißt demnach so viel als poetisch-wahr, und poetisch-historisch.174
Einer unmittelbaren Übertragung dieser Definition auf Königs Gedicht steht deren Einbindung in den Kontext, in dem 'Von der Vorstellung der Engel in sichtbarer Gestalt' die Rede ist, im Wege. Auch wenn die Bestimmung einem Argumentationsgang angehört, der "die Handlungen und Personen Miltons aus der unsichtbaren Welt" zu verteidigen sucht, 175 bleibt doch im Hinblick auf König festzuhalten, daß dessen Werk gerade nicht "poetisch-wahr" und "poetisch-historisch" sein kann, weil es auf real beglaubigten Begebenheiten beruht. Die ein Epos nach Bodmer auszeichnende Qualität, "von dem Poeten zur Würcklichkeit gebracht" zu sein, fehlt 'August im Lager' ebenso wie der "Preiß der Wahrscheinlichkeit". Beidem steht, wenn man Königs Werk an dem hier Vorgetragenen mißt, die Tatsächlichkeit des Vorgefallenen, die König in seiner Dichtung und den zugehörigen Anmerkungen so stark betont, diametral entgegen. Starke Beachtung finden 'August im Lager' und weitere Gedichte Königs hingegen in Bodmers 'Critischen Betrachtungen über die poetischen Gemählde der Dichter'. Nach sechs einleitenden Kapiteln, die den Gegenstand bestimmen, einen Vergleich zwischen Malerei und Poesie durchführen und von Stoff, Kunst und Absicht der "poetischen Gemähide" handeln, bietet Bodmer vom siebten Abschnitt an einen systematischen Entwurf, der nach den Gegenständen in drei große Bereiche unterteilt ist. Innerhalb der zunächst betrachteten "materialischen Welt" unterscheidet Bodmer wiederum drei Rubriken (VII-IX): "das Schöne, das Grosse, und das Heftige oder Unge174 Bodmer, Critische Abhandlung, Stuttgart 1966, 41. 175 Bodmer, Critische Abhandlung, 41.
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stüme". 176 Nachdem Bodmer "dem Poeten die untere Welt, nemlich das Reich der Materie, in ihrem ganzen Umkreise eröffnet" hat, schreitet er weiter, nun "auch die mittlere Welt zu seinem Dienste" aufzuschließen, "wo wir das menschliche Geschlecht antreffen". 177 Dieser Bereich, der "der beweglichste Gegenstand der Poesie" sei, 178 wird von Bodmer in zehn Kapiteln, unter denen der Charakterdarstellung ein deutlicher Schwerpunkt zukommt, am breitesten erörtert (X-XIX), bevor der Autor in zwei abschließenden Abschnitten 'Von den Gemählden der Dinge aus der unsichtbaren Welt der Geister' und 'Von der Allegorie' spricht (XX-XXI). In der allgemeinen Einleitung, die der systematischen Kapitelfolge voransteht, wird keine Passage aus 'August im Lager' näher betrachtet. Jedoch findet sich am Ende des Abschnitts 'Von der Absicht der poetischen Gemähide' eine aufschlußreiche Charakterisierung und Gattungsbestimmung des Werks. Zunächst umreißt Bodmer die Gattung der Lehrgedichte, die er als "dogmatische" Beschreibungen bezeichnet: "solche Gemähide, da die Absicht nicht auf die Erregung des Gemüthes gerichtet ist [...], sondern da dieser Endzweck der Poesie dem Endzweck der Weltweißheit weichen muß, indem man sich vornimmt zu unterrichten." 179 Diesen "Endzweck der Poesie" verfehlt demnach auch 'August im Lager', denn Bodmer hält es für geboten, die "Classe" der Lehrdichtung auszuweiten: Man wird nicht übel fehlen, wenn man in diese Classe auch diejenigen historischen Gedichte setzet, welche schier nichts anders als Beschreibungen und Gemähide in sich begreiffen, aber nicht der Gemüthes-Meinungen, der Neigungen und Handlungen der Menschen, sondern der Stellungen und Bewegungen des Cörpers, der Ceremonien, der Kleidungen und Aufzüge. Des Hrn Königs Einhohlung in das Lager bey Radewitz sticht in dieser Art, wegen seiner Länge und des daran gewendeten Fleisses, starck hervor. Man wird nicht leicht ein langes Werck eines Poeten finden, in welchem der Inhalt, wie in diesem geschieht, nicht aus der menschlichen Welt, sondern aus der materialischen hergenommen sey.180
Entsprechend dieser Feststellung, die das Werk einer untergeordneten Gattung zuweist und damit negativ bewertet, verteilen sich die von König stammenden Beispiele in Bodmers 'Betrachtungen'. Innerhalb der Abschnitte über den größten und wichtigsten Bereich, die mittlere, "menschliche" Welt, weist Bodmer nur im Eingangskapitel (X), das noch im Vorfeld der Überlegungen zur eigentlichen Charakterdarstellung stehen bleibt, kurz auf die Begrüßungsszene in 'August im Lager' hin. 181 Alle weiteren, meist knappen Erörterungen zu Königs Werk finden sich - mit un176 177 178 179 180 181
Bodmer, Bodmer, Bodmer, Bodmer, Bodmer, Bodmer,
Kritische Kritische Kritische Kritische Kritische Kritische
Betrachtungen, Betrachtungen, Betrachtungen, Betrachtungen, Betrachtungen, Betrachtungen,
Frankfurt 1971, 152. 281. 281. 149. 151. 309.
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terschiedlichen Urteilen - in den Abschnitten von der "materialischen" Welt. 182 Ebenfalls im Kapitel 'Von den Gemählden des Schönen', aber ungleich ausführlicher behandelt Bodmer eine Stelle aus Königs O d e auf die glückliche Geburt einer Chur-Sächß. Prinzeßin' von 1725, die innerhalb eines breiten Gleichnisses die Musterung eines Heers - einen 'August im Lager' also unmittelbar berührenden Gegenstand - beschreibt. 183 Die Ausführlichkeit der Untersuchung, die in der Form eines Vergleichs mit einer entsprechenden Stelle aus einem Gedicht Pietschs 184 erfolgt, begründet Bodmer selbst mit "besondern Ursachen", die er jedoch nicht offenlegen wolle. 185 Der Hintergrund dieses verschleierten Hinweises ist in einer weit zurückliegenden Kontroverse zwischen König und Bodmer zu sehen. Dieser hatte in der 1727 erschienenen Abhandlung 'Von dem Einfluss und Gebrauche der EinbildungsKrafft' die Musterungs-Beschreibungen von König und Pietsch verglichen und dem letzteren den Vorzug gegeben. 186 Gegen den auf ihm lastenden Tadel verwahrt sich König in einem Brief an Bodmer, dem er zugleich eine "Critick" über die "gedachte Stelle Hrn. Pietschens" beilegt. 187 Dieser am Antipoden Pietsch geübten Kritik, die Königs eigener Rechtfertigung dient, sind Bodmers Ausführungen in den 'Betrachtungen' entgegengesetzt. Die zentralen Argumente, mit denen Bodmer hier sein bereits 1727 gefälltes Urteil bekräftigt, sind im Hinblick auf die gegen 'August im Lager' ins Feld geführten Überlegungen von Interesse. Bodmer unterscheidet streng zwischen Stoff und Ausführung. Während "in der Wahl der Umstände" sowohl Pietsch als auch König "glücklich" zu nennen seien, könne "in der Ausführung" eine Differenz festgestellt werden: König verrate "eine allzu grosse historische Sorgfältigkeit", wohingegen der gelobte Pietsch "mehr poetische Kühnheit und 182 Bodmer, Kritische Betrachtungen, 168, 178, 233-234. Zitiert sind an letztgenannter Stelle die Verse 489-491, 471-472 u. 476-478. Neben Lob für die Pferdebeschreibungen spendet Bodmer Tadel für den unterlassenen Gebrauch des "Kunstmittels die veränderten Scenen des Tages zu beschreiben" und für die mehr "häßlich, als furchtbar und groß" ausgefallene Beschreibung der Zwietracht. 183 Bodmer, Kritische Betrachtungen, 187-200. Die Ode ist abgedruckt in: König, Gedichte, 90-109. Bodmer zitiert (S. 188) die Strophen 19 und 20. 184 Pietsch, Gebundne Schriften, 66-67: Die unverbesserliche Armee Friedrich Wilhelms, Königes in Preussen. An dem Anno 1721. den 14. August einfallenden Geburths-Feste seiner Königlichen Majestät. Bodmer zitiert (S. 188-189) die Verse 33-46. 185 Bodmer, Kritische Betrachtungen, 199-200. 186 Bodmer/Breitinger, Von dem Einfluss und Gebrauche der Einbildungs-Krafft, Frankfurt/Leipzig 1727, 62-64. 187 Königs Brief vom 30. Oktober 1727 ist abgedruckt in: Brandl, Brockes, Innsbruck 1878, 167-170, hier 169. Die Kritik zitiert: Brandl, König's 'Critik über eine Stelle in Hrn. Hofraths Pietschen's Gedichten.', in: Literaturblatt II (1878), 38-42.
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Nachdruck mit sich" führe. 1 8 8 Die König vorgeworfene "allzu grosse historische Sorgfältigkeit", die sich in der Verwendung der "militärischen Kunstwörter in einer poetischen Beschreibung" und in der "Einstreuung unnöthiger Neben-Umstände" offenbare, stehe der "Verwunderung des Lesers" entgegen und ersticke das "Wunderbare, das in einer heroischen Ode herrschen sollte". 189 Gerade die zuletzt genannte Kategorie des "Wunderbaren" bestimmt in den Schriften der Schweizer immer wieder das Wesen der Poesie. Wenn aber mit dieser zentralen Kategorie die Verleihung des Prädikats "Gedicht" im emphatischen Sinne verknüpft ist, dann erklärt sich von hier aus der fragende Titel O b die Schrift August im Lager ein Gedicht sey'. Bevor zuletzt das so überschriebene Kapitel aus Breitingers 'Critischer Dichtkunst' betrachtet wird, sei die Sequenz der darauf thematisch hinführenden Erörterungen mit einem Zitat aus Bodmers 'Charakter der Teutschen Gedichte' von 1734 abgeschlossen. Dieses Lehrgedicht, dessen auf König zielendes Epitheton "Pferde-Bändiger" im eingangs zitierten Pamphlet satirisch aufgeriffen wird, enthält eine weitgehend positive Charakterisierung von 'August im Lager' mit kritischer Schlußwendung. Nachdem der friedliche und unblutige Held, "Der in des Friedens Schooß sich einen Krieg erdicht", gerechtfertigt und die Vielfalt der Pferdebeschreibungen sowie der allseits herrschende Pomp gelobt werden, schließt die Passage mit Bemerkungen zu Vers und Stil: Der Vers ist männlich zwar, jedoch geziert und zart, Ist sittsam doch beherzt, voll, doch nicht schwer und hart. Nur könnt' er hier und dar mehr von der Prosa weichen, Und öffters seine Hand der ächten Dichtung reichen. 190
Die hier eher zaghaft gestellte Frage nach dem Anteil der "ächten Dichtung" in Königs 'August im Lager', die zugleich die chronologisch früheste der überlieferten Stellungnahmen der Schweizer darstellt, präludiert die Argumentation des 'Dichtkunst'-Kapitels, dessen Entstehung wahrscheinlich nur wenig nach Bodmers gereimter Literaturgeschichte anzusetzen ist. Plausibel wird diese Annahme, die die Genese des Kapitels wesentlich vor der 1740 erfolgten Drucklegung ansetzt, durch Briefe zwischen Bodmer und Gottsched aus den Jahren 1735 und 1736. 191 Bodmer sendet dem Leipzi188 Bodmer, Kritische Betrachtungen, 189. 189 Bodmer, Kritische Betrachtungen, 190-191. Den Umstand, daß Pietsch "allereigentlichste Kunstwörter des exercirens" vermeidet, hatte König in seiner Verteidigung von 1727 mehrfach tadelnd bemerkt (Brandl, König's 'Critik über eine Stelle in Hrn. Hofraths Pietschen's Gedichten.', 39-42). 190 Bodmer, Vier kritische Gedichte, 21-22 (V. 547-570). 191 Der Briefwechsel ist abgedruckt in: Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, II, Kiel/Leipzig 1897, 208-239, und wurde separat veröffentlicht unter dem Titel: Briefwechsel Gottscheds mit Bodmer und Breitinger. Nach den Originalen der Züricher Stadtbibliothek und der Leipziger Universitätsbiblio-
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ger, mit dem er in einem insgesamt noch guten Verhältnis steht, bereits Mitte 1735 eine "Critische Schrift" über 'August im Lager', die er angeblich von einem "Unbekannten" erhalten habe, und bittet um Geheimhaltung seiner Vermittlung. 1 9 2 Gottsched antwortet neun Monate später, daß eine Drucklegung in den 'Beyträgen' nicht möglich war, weil der zuständige
"Censor
D. J ö c h e r [...] ein Freund des Hn. Königs" s e i . 1 9 3 Liegt damit die A n n a h m e nahe, daß die bis dato ungedruckte Schrift wohl in überarbeiteter F o r m Eingang in Breitingers 'Dichtkunst' fand, so muß doch die F r a g e offenbleiben, welcher der beiden Schweizer als (vorrangiger) Autor des Textes anzusehen ist.194 D e r zehnte Abschnitt von Breitingers 'Critischer Dichtkunst', der - ganz 'August im Lager' gewidmet - die wenigen anderen Erwähnungen des gleichen Werks in der zweibändigen Poetik als nebensächlich erscheinen l ä ß t , 1 9 5 entfernt sich durch seine Konzentration auf eine Dichtung vom sonstigen Darstellungsmodus. Ist das Erörterte in den übrigen Kapiteln stets ein (stilistisches, ästhetisches) Abstraktum, das mit poetischen Beispielen unterschiedlichster Provenienz illustriert wird, so bildet nun ein W e r k den Ausgangspunkt. T r o t z dieser Besonderheit, die ihren Grund wohl in der unabhängigen Entstehung des Abschnitts hat, ist das zehnte Kapitel eng mit dem Argumentationsgang des Umfelds verbunden. Nach der Einführung der für Breitinger zentralen Kategorien des "Neuen", "Wunderbaren" und "Wahrscheinlichen" handelt der Autor im achten und neunten Kapitel 'Von der Verwandlung des Würcklichen ins Mögliche' und 'Von der Kunst gemeinen Dingen das Ansehen der
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thek hrsg. v. E. Wolff, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht X I (1897), 353-381. Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, II, 218-219 (Bodmer an Gottsched, 28.8.1735). Am 3. April 1736 fragt Bodmer nach, ob "die Critische Untersuchung des Gedichtes: August im Lager" angekommen sei (ebd., 220). Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, II, 221 (Gottsched an Bodmer, 10.5.1736). Am 6. September 1736 bemerkt Bodmer, daß ihm die Unterdrückung der Schrift aufgrund der bekannten Empfindlichkeit Königs opportun erscheine (ebd., 222). Für Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, II, 64, und Bender, Nachwort zu: Breitinger, Critische Dichtkunst, Stuttgart 1966, II, 8*, steht die Identität der "Untersuchung" mit dem 'Dichtkunst'-Kapitel außer Frage. Letzterer, der die "überaus enge Zusammenarbeit der beiden Zürcher" detailliert schildert (ebd., 4*-9*), favorisiert vorsichtig Bodmer als Verfasser. - Einzig Rosenmüller, König, 126-128, geht ganz offensichtlich irrigerweise davon aus, daß Bodmer Gottsched eine "gedruckte Kritik" zugeschickt hatte, und glaubt an die Existenz einer nicht erhaltenen "mysteriösen Abhandlung" eines "Unbekannten". Diese Bezugnahmen, auf die nicht näher eingega'ngen werden soll, finden sich in: Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 152-154 (Kritik an der mangelhaften Integration des allegorischen Einschubs, V. 405-604), 404-405 (Beispiele für den Kunstgriff der "Vermehrung", V. 917-920 u. 707-710), sowie II, 265-266, 269 u. 273 (Beispiele für "Beywörter", V. 242-248, 915, 219, 237, 225 u. 265-266).
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Neuheit beyzulegen', im elften aber 'Von etlichen absonderlichen Mitteln die schlechte Materie aufzustützen'. Die Thematik der umliegenden Kapitel, die unter anderem eine klare Abgrenzung der Aufgaben eines Dichters von denen eines Historikers 196 , eine Bestimmung der "gemeinen Dinge" 197 und konkrete Empfehlungen im dichterischen Umgang mit solcher Materie enthalten, steckt so den Rahmen für die Überlegungen zu 'August im Lager' ab. Nachdem Breitinger 198 das "berühmte so genannte Helden-Gedicht" 'August im Lager' als Gegenstand und die - angeblich von einem "Kunstrichter" an ihn herangetragene - Frage, "mit was vor Recht dergleichen Gesänge ein Gedicht können genennet werden", als Problem exponiert hat, unterscheidet er zwischen der "Materie dieses so geheissenen Gedichtes", der er sich zuerst zuwendet, und der "in der Ausarbeitung" erwiesenen "poetische[n] Kunst". 199 Er geht damit methodisch wie Bodmer bei seinen Bemerkungen zu den Musterungs-Beschreibungen von Pietsch und König vor und knüpft an eine eigene Differenzierung an. 2 0 0 In seinen Ausführungen zum Stoff, die nach allem bislang Zusammengetragenen nicht anders als negativ ausfallen können, kritisiert Breitinger dessen enge Verhaftung mit dem Wirklichen, "da hingegen die Dichtung ihre Materie selbst" erschaffe "und nur auf das Wahrscheinliche" sehe, und widerspricht Königs im 'Vorbericht' geäußertem Vertrauen auf das seiner Materie innewohnende Wunderbare. 2 0 1 Das "Seltsame und Hohe, welches diese gantze Geschichte wunderbar" mache, liege in der "Erfindung und Einrichtung des Planes" zum Manöver; da dies wiederum das Werk von August dem Starken sei, müsse dieser und nicht "der 196 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 277: "Der Poet beschreibet nicht was würcklich geschehen ist, sondern was in veränderten Umständen, in die er seine Personen versetzet wahrscheinlich hätte geschehen und erfolgen können. In jenem bestehet das Amt eines Historie-Schreibers; derselbe muß die Materie seiner Erzehlung in der gegenwärtigen Welt der würcklichen Dinge suchen". 197 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 297-298: "Ich verstehe durch bekannte und unachtbare Dinge solche Sachen in der materialischen, der historischen, und der moralischen Welt der Würcklichen Dinge, welche nicht bloß eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sondern das Siegel und Zeugniß der Wahrheit selbst haben, und uns durch den täglichen Umgang und Gebrauch so bekannt und gewöhnlich worden, daß sie in ihrer nacketen Vorstellung weder Aufmercksamkeit noch Verwunderung erwecken könnten, sondern gantz unachtsam und kaltsinnig vorbeygegangen würden." 198 Im folgenden wird - ungeachtet der nicht geklärten Frage der Autorschaft Breitinger, unter dessen Namen das Werk erschienen ist, als Verfasser des Kapitels angenommen. 199 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 349-350. 200 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 292: "Die Poesie ist eine Nachahmung der Natur. Nun muß man bey einer jeden Nachahmung zwo Sachen absonderlich in Betrachtung ziehen, eine ist dasjenige, so nachgeahmet wird, die andere, wie und auf was vor eine Weise es nachgeahmet wird; jenes ist die Materie, dieses die Weise und Kunst der Nachahmung." 201 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 350-353.
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Hr. Hofrath König", der nur die Nacherzählung einer "Comödie" biete, als "Poet" angesehen werden. 202 Gegen die "Würdigkeit" des Stoffs spricht für Breitinger ferner vor allem das Fehlen wirklicher Erschütterung bei Zuschauern und Beteiligten, die daher "keiner hertzrührenden Reden fähig" seien, sowie der Mangel einer "nothwendigen Verknüpfung" der Begebenheiten; mit Bezug auf den ausgeführten Teil der Dichtung schließt er: Diese Materie des ersten Gesanges hat gar nichts, was das Gemüthe nur im geringsten unruhig machen konnte, da sind weder Sitten noch Handlungen, sondern eine beständige Zug-Ordnung der Pferde und Wagen [...]. Aus welchem allem ich nicht ein mehrers schliessen will, als daß ich nicht sehen kan, daß die Materie, vor sich alleine betrachtet, das Vorhaben des Poeten zu der Würde eines Gedichtes habe erheben können; angesehen einestheils die Dichtungs-Kraft nicht das geringste dazu beyträgt, anderntheils dieselbe nicht vermögend ist, diejenige Würckung zu thun, durch welche die Poesie das Gemüthe des Lesers in eine angenehme Verwirrung der Neigungen hinreisset, und mit so empfindlicher Lust anfüllet. 203 An Breitingers Überlegungen zum Stoff bleibt festzuhalten, daß das "Heldengedicht" 'August im Lager' auch hier nirgends ausdrücklich mit konkreten gattungspoetischen Forderungen konfrontiert wird. Zwar klingt beispielsweise im Vorwurf mangelnder "Sitten" und "Handlungen" an, daß bestimmte Postulate an die epische Gattung, die für Gottsched im Vordergrund seiner Gattungsbestimmung stehen, auch für die Schweizer implizit Gültigkeit haben. Zentral ist jedoch die für das Manöver von Radewitz negierte Frage, ob eine Materie die Aufgabe der Poesie, Wirkungen auf das "Gemüth" des Lesers auszuüben, befördere oder nicht. Diese aber führt von Problemen der Gattungspoetik weg und zu Fragestellungen allgemeiner Poetik hin. Indem es zunächst die Unzulänglichkeit des Gegenstands behauptet, folgt das 'Dichtkunst'-Kapitel der gleichen Argumentationslinie wie die anderen kritischen Hauptschriften der Schweizer. 204 Und wie dort wird hier im näch202 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 353-354. Bodmer hatte den Gedanken, daß der Held selbst der Dichter sei, bereits in 'Charakter der Teutschen Gedichte' ausgesprochen (Bodmer, Vier kritische Gedichte, 22 [V. 552]). Riedel greift dies, wohl unter Anlehnung an das 'Dichtkunst'-Kapitel, satirisch auf: "Und Königs Heldengedicht auf eine Comödie von Heldenthaten ist für die Nachwelt zu wenig intereßant und zu schwach" (Riedel, Briefe 88). 203 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 354-357. 204 Goethe widerspricht der Geringschätzung des Gegenstands in 'Dichtung und Wahrheit' (Goethe WA 1/27, 80 u. 82-83). "Merkwürdig" nennt er zunächst die Fragestellung des Kapitels der nicht geschätzten "Schweizertheorie", um dann fortzufahren: "In allen souveränen Staaten kommt der Gehalt für die Dichtkunst von oben herab, und vielleicht war das Lustlager bei Mühlberg der erste würdige, wo nicht nationeile, doch provincielle Gegenstand, der vor einem Dichter auftrat." Vielleicht in Gedanken an seine eigenen Dichtungen über Maskenzüge, Mummenschanz und Karneval setzt er seine Charakterisierung fort: "Beschäftigung genug für den äußeren Sinn und überfließender Stoff für
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sten Schritt die Möglichkeit erwogen, daß "eine vor sich selbst untüchtige Materie durch die poetische Kunst der Nachahmung ohne Abbruch der Wahrscheinlichkeit zu einer solchen Kraft erhoben werden" könne, "daß man ihrer ersten Geringheit nur nicht mehr gewahr" werde, und - auf dieser Prämisse aufbauend - untersucht, "ob der Verfasser in der Ausführung des ersten Gesanges vermittelst der poetischen Kunst dasjenige nachgebracht habe, was erfordert" werde, "damit sein Werck die Benennung eines Gedichtes verdienete". 205 Originell ist jedoch der Gang der weiteren Analyse. Als Muster des Umgangs mit einem zur Poesie wenig geeigneten Stoff dient Breitinger Pindar, dessen Olympischen Oden eine verwandte und ebenfalls "an sich selbst ziemlich truckene Materie" zugrundeliege. 206 Die zur Nachahmung empfohlenen poetischen Mittel, die Pindars Gedichten eine "sonderbare Hoheit" verleihen, sieht Breitinger in der Integration von lehrhaften, mythologischen und historischen Inhalten sowie in der "von der gemeinen Art abweichendefn] Zusammenfügung der Wörter" und der "Pracht seiner Metaphoren". 207 Gattungspoetisches Bewußtsein zeigt der Autor, wenn er das in den Oden des Griechen Festgestellte als Forderung für das Heldengedicht des Deutschen formuliert. Einerseits spricht er von der "Hoheit" und der "Würde eines Helden-Gedichtes", zu der König seine Materie durch Anwendung von "eben dergleichen Mitteln" habe "erheben" müssen. Und andererseits gesteht Breitinger zu, daß König seinen Stil "in einem längeren Gedichte, als eine Ode ist, [...] um etliche Noten niederer" hätte "anstimmen können, ohne in die Prosa zu fallen". 208 Die bei Gottsched explizierte Lehre einer den Gattungen anzupassenden Stilhöhe steht ebenso im Hintergrund dieser Überlegungen wie das Wissen um den besonderen Anspruch der epischen Gattung, dem sich König durch die im Titel ausgesprochene Gattungsbezeichnung unterwirft. Die Betrachtung der poetischen Kunstmittel in 'August im Lager' führt Breitinger über Königs 'Vorbericht' zunächst zu den beiden zentralen "poetischen Erfindungen", dem ausführlichen Vergleich (205-302) und dem allegorischen Einschub (405-604), von denen er insbesondere letzteren wegen seiner mangelhaften Motivierung verwirft. 209 Den Hauptteil des Werks aber
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schildernde und beschreibende Poesie", trifft dann aber ein wesentliches Manko der Materie: "Freilich hatte dieser Gegenstand einen inneren Mangel, eben daß es nur Prunk und Schein war, aus dem keine That hervortreten konnte." Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 357. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 357-358. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 358-360. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 360-361. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 361-364. Für den allegorischen Einschub verweist Breitinger zusätzlich auf bereits im sechsten Abschnitt der 'Dichtkunst' Gesagtes (ebd., 152-154). Querverweise dieser Art finden sich mehrfach (ebd., 364, verweist Breitinger für die Gleichnisse in Königs Werk auf die Analyse derselben in seiner 'Critischen Abhandlung'); sie machen deutlich, daß das
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bespricht er vor allem anhand der Begrüßungsszene (303-378). Dort nämlich hätte sich dem Autor die beste Möglichkeit geboten, das Werk durch "Einstreuung moralischer Character von seinen Helden und pathetischer Reden derselben zu beleben, geschickt zu verändern, und recht bewegend zu machen". 210 Aus Königs Beschreibung dieser Szene, der die von Breitinger geforderten Tugenden einer lebhaften und bewegenden Darstellung fehlen, ergibt sich - nach der Anmerkung, daß König die Pferde besser "characterisiert" habe als seine Helden - das Urteil des Schweizers: Nach diesem wird es schier unnöthig seyn anzumercken, daß die Ausführung des Gedichtes durchgehends allzu prosaisch, historisch, und trucken sey [...]. 2n
An weiteren Beispielen, die das Urteil vertiefen und untermauern, verdeutlicht sich die Tendenz der Kritik an der von König geübten "historischen Sorgfältigkeit". Indem dieser großen Wert auf korrekte Information legt, vernachlässigt er die "Vorstellung"; die "Anführung aller Kleinigkeiten" steht dem Ziel, "Neigung" zu "erregen", im Wege. 212 Klingen schon hier die zentralen Forderungen der Schweizer nach einer auf das Gemüt zielenden Poesie an, so entwickelt Breitinger im Anschluß aus seiner Kritik an König, dessen Verse "gereimete Prosa ohne poetischen Zierrath" seien, eine allgemeingültige Charakterisierung des erhabenen und lebhaften Stils: Vor einen Poeten gehöret os magna sonaturum; er muß mehr als gemeine, wunderbare Dinge sagen; die stärckesten, zärtlichsten, und keinesweges pöbelhafte Ausdrücke brauchen; fremde Phantasie- oder Verstandes-Bildereyen erfinden; die Reden unterflechten und unterbrechen mit Ausruffen, mit Anreden, kurtzen Abweichungen, und andern affectmässigen, herrlichen und anmuthigen Figuren; mit lebhaften Metaphoren, mit unerwarteten Betrachtungen; er muß die lebhaftesten Abbildungen der Sitten, der Affecte, der Handlungen und der Urtheile der Menschen machen, jedoch daß er die Augen beständig auf das Wahre und das Anständige richte. Die Poesie muß mit einem Worte den Zuhörer aufgeweckt, erfreut und entzücket behalten.213
Diese Forderungen stellen für Breitinger zugleich die Kriterien dar, nach denen einem Werk die Bezeichnung "Gedicht" zuzubilligen und somit die in der Überschrift des Kapitels gestellte Frage zu klären ist. Wenn Breitinger den Dichter nicht völlig verurteilt und als mildernde Umstände anführt, daß der
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wahrscheinlich unabhängig entstandene Kapitel für die Aufnahme in die 'Dichtkunst' sorgfältig überarbeitet wurde. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 364. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 364-368. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 368-370. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 371-372. Breitinger zitiert hier Horaz, sat. I, 4, 43-44, wo dieser die Vergabe des Ehrentitels eines Poeten strengen Bedingungen unterwirft: "ingenium cui sit, cui mens divinior atque os | magna sonaturum, des nominis huius honorem."
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Nationalgeschmack der Deutschen noch nicht entwickelt sei und daß die Bezeichnung "Gedicht" wohl auch "in einem gantz weitläufigen Sinne" verwendet werden könne, 2 1 4 dann ist dies wohl eher persönlichen Rücksichten als ästhetischer Kompromißbereitschaft zuzuschreiben. Ganz im Gegensatz zu Gottscheds methodischem Vorgehen konfrontieren die Schweizer das Werk nicht mit einem idealtypischen Gattungsmodell. Eine allgemeine und auf jedes Einzelwerk anwendbare Definition, die eindeutige Bestimmungen und Kriterien für die Frage der Gattungszugehörigkeit enthält, sucht man in den kritischen Schriften Bodmers und Breitingers vergebens. Zwar problematisieren die verstreuten Bemerkungen zur epischen Gattung, von denen auch die 'Dichtkunst' einige wenige enthält, 215 die Vorgaben der normativen Poetik nicht und stimmen sogar weitgehend mit Gottscheds Vorstellungen überein; der Verzicht, ein geschlossenes Bild der Gattung zu entwerfen und ein dichterisches Werk daran kritisch zu messen, der die Auseinandersetzung der Schweizer mit Königs 'August im Lager' kennzeichnet, weist jedoch auf Grundsätzliches. Die tradierten Kriterien der Gattungsdifferenzierung - Art, Mittel und Gegenstand der Darstellung - treten in der Wertschätzung Bodmers und Breitingers zurück hinter Fragen der Erfüllung bestimmter ästhetischer Kennzeichen (das "Neue" und "Wunderbare"), der Charakterdarstellung und der Wirkung auf das Gemüt des Lesers. 216 Diese zentralen Werte aber haben idealiter Gültigkeit über alle Gattungsgrenzen hinweg, erschweren somit 214 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 372-374. Den Schluß des Kapitels bildet eine poetische Ausarbeitung eines alternativen Prooimions zu 'August im Lager' (ebd., 375-376). Dieses "Exempel" stammt sicher von Bodmer und fand Aufnahme in dessen 'Critische Lobgedichte und Elegien', die Schultheß 1747 edierte (S. 76-78). Der Herausgeber merkt nach einem Hinweis auf den Erstdruck an: "Man kan aus diesem Eingange [...] einigermaßen ersehen, wie geschikt der Hr. Verfasser sey nach seinen eignen und seines scharfsichtigen Freundes genauesten Kunstregeln zu schreiben [...]. Wer wünschet nicht, wenn er diesen Eingang gelesen, daß wir ein ganzes Heldengedicht lesen könnten, welches in diesem Geiste geschrieben wäre" (XXII). - Symptomatisch für diese alternative Eröffnung, die die Verse 1-56 von Königs Gedicht ersetzt, ist neben dem mehr bildhaften Ausdruck und der (wohl an Milton orientierten) Einführung einer Engelsfigur der zuletzt erhobene Anspruch, im Gedicht "Ein neues Radewitz" zu erschaffen und nicht nur das von August dem Starken erdachte Manöver abzuschildern. 215 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 87: "das Epische Gedichte [dienet] vornehmlich eine allgemeine moralische Wahrheit durch die geschickte Nachahmung einer grossen Handlung, die ihrer Wichtigkeit halber gantzen Nationen angelegen ist, nach ihren ausführlichen Umständen mit Ergetzen begreifflich zu machen"; ebd., 104-105: "Das epische oder heroische Gedichte ist eine Schule für den Leser, wo er zu hohen, tugendhaften und großmüthigen Unternehmungen aufgewecket und vorbereitet wird; und die Epische Fabel hat allezeit eine nützliche Hauptlehre in sich". 216 Vgl. Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, 177-190, insb. 189-190.
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einerseits systematische Klassifizierungsversuche und befördern andererseits den Blick auf das einzelne Werk. 217 Der herausragende Anspruch des Heldengedichts bleibt bei den Schweizern dessen ungeachtet bestehen. Die Gattung behält ihren Stellenwert, indem sie zur Summe aller Dichtungsarten erklärt wird: Endlich fliessen in dem Epischen Gedichte alle andere Gattungen und Formen der besondern Gedichte gleichsam zusammen, das Epische wechselt da mit dem Dramatischen, das Tragische mit dem Comischen beständig ab; gleichwie man nun angemercket hat, daß selten ein Mensch in allen Stücken und Gattungen der Mahlerey vortrefflich seyn könne, so ist es sich desto weniger zu verwundern, daß die wenigsten in diesem allervollkommensten Haupt-Wercke der Poesie etwas rechtschaffenes geschrieben haben.218
Für das "Heldengedicht" gelten damit alle allgemeinen Forderungen der Poetik in besonderem Maße, es wird zum "Gedicht" im emphatischen und höchsten Sinne des Worts. Wenn aber in einem gelungenen Heldengedicht nach der Vorstellung der Schweizer alle Qualitäten eines Gedichts zusammengefaßt sind, dann wird deutlich, weshalb sie das "so genannte HeldenGedicht" 'August im Lager' nicht an einem speziellen Gattungsbegriff messen, sondern es in seiner Eigenschaft als "Gedicht" befragen - und dem Werk diesen Ehrentitel verwehren.
217 Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, 189-190. 218 Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 90-91. Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert, 180-181, versteht die Stelle hingegen vor allem als Versuch der Anwendung des Redekriteriums und der Bestimmung des Epos als "genus mixtum".
III. Klopstocks 'Messias' 1. Gattungsbewußtsein und Stoffwahl Das Programm Die Schweizer sehen - wie ihre nicht immer freundlichen Äußerungen zu Königs 'August im Lager' zeigen - im heroischen Epos, "diesem allervollkommensten Haupt-Wercke der Poesie", die Gattungsspezifika anderer Dichtungsarten zusammengefaßt und zugleich überboten. 1 Mit dieser Bewertung befinden sie sich in Übereinstimmung mit dem von Martin Opitz aus der europäischen Renaissance-Poetik übernommenen hierarchischen Ordnungssystem der Gattungen. Gleichermaßen klingt ihre skeptische Einschätzung, daß in der epischen Gattung "die wenigsten [...] etwas rechtschaffenes geschrieben haben", 2 an die über hundert Jahre zurückliegende Prophezeiung des Schlesiers an: "Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte / der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werde / stehe ich sehr im zweifei / vnnd bin nur der gedancken / es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen." 3 Eine ähnliche Spannung zwischen höchster Einstufung der Gattung und negativer Bewertung der bisherigen nationalen Versuche bestimmt auch Gottscheds Sichtweise, nachdem er seine frühere Anpreisung von Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' als musterhaftes Heldengedicht widerrufen und das Werk aus dem engeren epischen Kanon ausgeschlossen hat. Der einundzwanzigjährige Friedrich Gottlieb Klopstock steht somit gleichermaßen in einer von der Renaissance herrührenden Bildungstradition, in die sein Denken jüngst eingeordnet wurde, 4 wie auf der Höhe seiner Zeit, die sich jenseits literarischer Streitigkeiten über die noch offene Forderung nach einem deutschen Epos einig ist, wenn er in seiner Portenser Abschiedsrede programmatisch "de epopoeia, summo [...] poeseos opere", spricht und einen
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Breitinger, Critische Dichtkunst, Stuttgart 1966,1, 91. Vgl. auch das zusammenhängende Zitat der Stelle am Ende des vorangehenden Kapitels. Breitinger, Critische Dichtkunst, I, 91. Opitz, Poeterey, Tübingen 1966, 20. Hilliard, Philosophy, Letters, an the Fine Arts in Klopstock's Thought, London 1987, verfolgt den fruchtbaren Ansatz, "to read Klopstock in close comparison with representative texts from the classical and humanist tradition" (ebd., IX).
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"poetam germanum" herbeisehnt, der das "honoratum et immortale opus" hervorbringen möge. 5 Von Beginn seiner am 21. September 1745 gehaltenen Rede an läßt Klopstock keinen Zweifel an seiner hervorragenden Wertschätzung der epischen Gattung. Nachdem er einleitend auf die dichterischen Teile der biblischen Offenbarung hingewiesen hat, darin eine Heiligung der Dichtkunst erblickt und die Dichter deshalb des besonderen Lobes für würdig hält, bestimmt er den Gegenstand seiner Laudatio genauer: die "poetae epopoeiae scriptores" sehe man zu Recht als die "principes poetas" an, da sie sich einer Dichtungsart widmen, "quod praecipui inter omnia poematis nomen per tot saecula obtinuit".6 Ihren besonderen Rang verdanken die epischen Dichter somit dem besonderen Rang der epischen Gattung. Diesen aber versucht Klopstock zu bestimmen, bevor er in einer Sequenz, die sich in ihrer Anlage wohl hauptsächlich an Voltaires Essay 'Sur la poesie epique' orientiert, die ihm unmittelbar oder mittelbar bekannten Epiker und ihre Werke behandelt. 7 Seine Charakterisierung des Epos als höchster Gattung verdient zweifache Aufmerksamkeit. Erstens verrät sie die Nähe des jungen Klopstock zu den Schweizern, die das Epos zur Summe aller Dichtungsarten erklären. Die gleiche Sichtweise drückt sich in dem Bild aus, mit dem Klopstock die Überlegenheit der epischen Dichtung veranschaulicht. Während die anderen Gattungen mit den "singulis terrae hujus partibus" zu vergleichen seien, erscheine das Epos wie die Erde, in der man eine "amicam partium omnium congruentiam" erblicke. 8 Das Schaffen eines solchen Werks sei aber gleich der Fähigkeit, die 5
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Die 'Declamatio, qua poetas epopoeiae auctores recenset F. G. Klopstockius' wird zitiert nach dem Erstdruck in: Cramer, Klopstock, I, Hamburg 1780, 99-132, hier 124-125; Cramers Übersetzung steht dem lateinischen Text voran (ebd., 54-98, hier 87-88). - In seinen 1759 erschienenen 'Gedanken über die Natur der Poesie' präzisiert Klopstock die Anschauung vom Epos als Summe aller Dichtungsarten, indem er den Akzent auf die höhere Dichtung legt: "Man sagt, daß die Epopee alle Schönheiten der Poesie vereinige. Es wäre also überflüssig, von ihr insbesondere zu reden, wenn man eine Poetik schriebe. Mich deucht, jener Satz ist nur alsdann wahr, wenn man ihn auf die Schönheiten der hohem Poesie einschränkt; und ferner den Hauptton bestimmt, der die Epopee von den übrigen Arten der höhern Poesie unterscheidet" (Klopstock AW, 994). Cramer, Klopstock, 1,105; Übersetzung ebd., 61. Mit der Frage der Quellen von Klopstocks Abschiedsrede und seiner Kenntnis der besprochenen Dichter und Werke beschäftigt sich Muncker, Über einige Vorbilder für Klopstocks Dichtungen, München 1908, 3-33. Er versucht meist, Klopstocks eigene Lektüre der Werke in Abrede zu stellen und die Wege aufzuzeigen, über die Klopstock seine Informationen "aus zweiter Hand" (ebd., 15) erhalten konnte. Hilliard, Philosophy, Letters, an the Fine Arts in Klopstock's Thought, 24, bezeichnet die "parade öf names" in der 'Declamatio' als "a curios mixture of the famous and the obscure" und charakterisiert den Text als "fruit of a very thorough classical training in rhetoric, and of a rather more patchy exposure to modern criticism." Cramer, Klopstock, I, 105-106; Übersetzung ebd., 61-62.
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ganze Erde mit einem Blick zu erfassen, und mache den "poetam epici carminis", dessen göttliches Erbteil Klopstock bereits durch die Ahnenreihe der biblischen "Dichter" von Moses bis Jesus Christus betont, zu einem "caelesti genio". 9 U n d zweitens bleibt festzuhalten, wie Klopstock den Vorzug des epischen Gedichts vor anderen Werken der Dichtkunst begründet: Prima scilicet illius virtus atque eminentia ex eo elucet, quod illustrem sibi actionem, quae ad universum terrarum orbem, ad multos tarnen maximosque ejus incolas pertinet, canendam, aptisque et admirandis exornandam inventionibus, sibi eÜgit. Qua de re mirum non est, quod, ubi tarn ingens et magnifica materies adfuerit, poeseos pulchritudo omnis, in uno quasi et amplissimo theatro, comparere debeat. 10
Die Wahl einer bedeutenden Handlung von universaler Geltung steht in Klopstocks Entwurf an erster Stelle; von ihr wird der Rang der epischen Dichtungsart primär begründet. Für die Erfindungen des Dichters, die zum Stoff hinzutreten und ihn ausschmücken, fordert er - nach der allgemeinen rhetorischen Lehre - Angemessenheit (aptum) und - vielleicht schon von den Schweizern beeinflußt - Wunderbares (admirandum). Als gleichsam logische Folge der hervorragenden Materie, dieser aber deutlich nachgeordnet, ergibt sich schließlich der Anspruch einer Ausgestaltung des Werks, die alle poetischen Schönheiten versammelt. Klopstocks knappe Charakterisierung des Heldengedichts erhebt keinen Anspruch, eine vollständige Poetik der Gattung auszubreiten. Sie dient im Kontext der Rede der Konkretisierung des Gegenstands und, bevor mit speziellen Betrachtungen zu einzelnen Dichtern fortgefahren wird, der einleitenden Würdigung der Epiker im allgemeinen. Die Hervorhebung des Stoffs vor der Form, die wohl an die klassische rhetorische Abfolge von inventio, dispositio und elocutio anknüpft, ist jedoch insofern von weitergehendem Interesse, als Klopstock auch in der Sache des eigenen, im Entstehen begriffenen Werks spricht: Noch im Jahre 1800 erinnert er sich gerne an seine Zeit "in der Pforte", weil er "dort den Plan zu dem Messias beinah ganz vollendet" habe. 1 1 Innerhalb der R e d e von 1745 finden sich einige deutliche Hinweise, die schon das damalige Auditorium in ihrer Gesamtheit sinnvoll nur auf ein epi-
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Cramer, Klopstock, I, 106; Übersetzung ebd., 62. Cramer, Klopstock, I, 105; Übersetzung ebd., 61. Klopstock AW, 1180 (Klopstock an Heimbach [Rektor in Schulpforta], 20.3.1800). Die näheren Umstände der Entstehung des Plans und der Grad der Ausarbeitung des 'Messias' während Klopstocks Schulzeit liegen im dunkeln. Eigene oder fremde schriftliche Berichte aus der fraglichen Zeit, die die frühe Phase der 'Messias'-Entstehung berühren, liegen nicht vor, und spätere Darstellungen ergeben kein gesichertes, von Stilisierungen und Irrtümern freies Bild (vgl. zusammenfassend zur Quellenlage Klopstock HKA, Briefe I, 181, u. Kaiser, Klopstock, Kronberg 1975, 139, Anm. 22).
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sches Unternehmen des Absolventen beziehen konnte. 12 So apostrophiert dieser im letzten Abschnitt, der dem Dank an "Porta" gilt, seine Schule als "illius operis matrem, quod tuo in amplexu meditando incipere ausus sum". 13 In seinem Lob für Homer und Vergil, die den Katalog der Epiker anführen, spielt Klopstock auf seine aktuelle Situation an, wenn er sich im Wetteifer mit diesen antiken Dichtern sieht. 14 Auf dem Höhepunkt der Sequenz, am Schluß der emphatischen Worte auf Milton, spricht Klopstock sein Vorhaben, dem Engländer zu folgen, dann offen aus. Die stoffliche Seite, die er für den Rang des Epos als primär bezeichnet, ist bei der Einordnung sowohl der genannten Werke als auch des eigenen Projekts entscheidend. Aus dieser Sicht stellt Klopstock zunächst bei den zwar als unüberwindlich erachteten antiken Mustern der Gattung dennoch ein Manko fest: Homer und Vergil hätten anstelle ihrer heidnischen Stoffe Gegenstände christlicher Religion besingen sollen. 15 Nach positiven Worten für Tasso und eher negativen für Marino, die vorrangig auf dem jeweils gewählten Stoff (materia) basieren, 16 gipfelt das Lob der modernen Epiker in der Frage: "Poteratne felicius quicquam exquisitiusve sumi, quam ilia Miltonis materia?" 17 Die Frage bleibt als eine rhetorische in ihrem Kontext unbeantwortet und impliziert so die Unüberbietbarkeit der Miltonschen Stoffwahl. Nachdem Klopstock in dem englischen Dichter das - für ihn selbst und den 'Messias'-Stil gültige - Ideal eines christlichen Poeten gezeichnet hat, der einerseits dem Homer "non sine aemulo" und andererseits den biblischen Schriftstellern "procul et venerabundus" nachfolge, der sich den erhabenen Themen nur zitternd nähere und dem vor Gott das Schweigen der Gipfel der Beredsamkeit 12
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Dem scheint zu widersprechen, daß Klopstock noch am 22. Juni und 5. August 1747 in zwei Briefen an seinen ehemaligen Portenser Mitschüler und Freund Christian Wilhelm Becker seine Autorschaft eines mitgeteilten Fragments verhüllt. Allerdings geschieht dies in einer leicht durchschaubaren Form, die auch als Stilisierung des jungen Autors gedeutet werden kann (vgl. Klopstock HKA, Briefe I, Nr. 4 u. 6). Cramer, Klopstock, I, 132; Übersetzung ebd., 98. Cramer, Klopstock, I, 109: "hi, consecratis sibi his aemulationis [!] meae lacrimis, quoniam vinci superarique non possunt, assidue decorabuntur"; Übersetzung ebd., 66. Cramer, Klopstock, I, 109-110; Übersetzung ebd., 66-67. Vgl. Klopstock AW 1001 ('Von der heiligen Poesie'): "Homer ist, außer seiner Göttergeschichte, die er nicht erfunden hatte, schon sehr moralisch. Wenn aber die Offenbarung unsre Führerin wird; so steigen wir von einem Hügel auf ein Gebirge." Klopstock benutzt damit das "Offenbarungsargument", das auch in der deutschen Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes gebräuchlich ist; vgl. Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg, München 1981, 367-373, zur Epik insb. 370. Zur Einordnung von Klopstocks Abschiedsrede ebd., 198. Cramer, Klopstock, I, 110 ("Felix in eligenda operis sui materia") u. 111 ("te, mollis Marine, Tassi non infelix aemulator, si Adonis digna esset epopoeiae materies"); Übersetzung ebd., 67 u. 69. Cramer, Klopstock, I, 113; Übersetzung ebd., 71.
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sei, 18 beansprucht er jedoch für sein eigenes Unternehmen den Vorzug des höheren Gegenstands. Denn er wolle sich Milton, dessen Schatten er emphatisch anruft, nicht nur als Muster wählen, sondern gedenke auch, eine "majorem [...] materia tua excellentioremque" zu wählen. 19 Als selbstbewußte Bestimmung des eigenen Standorts, die Klopstock den Anspruch seines dichterischen Unternehmens primär aus dem allen Autoritäten überlegenen Rang seines Stoffs erkennen läßt, ist die Portenser Abschiedsrede im Hinblick auf den 'Messias' vor allem zu lesen. Der Vorzug der eigenen Materie vor den Sujets antiker Epen leitet sich aus der grundsätzlich höheren Bewertung christlicher Inhalte gegenüber heidnischen Stoffen ab. Diese konnte Klopstock in seiner zeitlichen Nachbarschaft etwa bei dem Hallenser Dichter Immanuel Jakob Pyra formuliert finden. In dessen 1737 zuerst erschienener Lehrdichtung 'Der Tempel der wahren Dichtkunst' wird vor dem "Tand verworfner Götzenfabeln" gewarnt und zugleich der klassizistische Rat gegeben, "mit kluger Hand | Den Dichtern Griechenlands und Latiens ihr Gutes" zu entreißen und sodann "den Raub" zu heiligen. 20 Die stoffliche Überlegenheit gegenüber Milton aber ist für den Dichter in der graduell höheren Bedeutung begründet, die innerhalb der christlichen Religion
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Cramer, Klopstock, I, 115-116; Übersetzung ebd., 73-75. Cramer, Klopstock, I, 116-117; Übersetzung ebd., 75. - Für die Kontinuität von Klopstocks Anschauung spricht, daß er noch in einer Beilage zu seinem Brief an Cramer vom 29. und 30. Juni 1799 die absolute Überlegenheit seiner Materie konstatiert: "Wär eine für Epopöe gleich große Handlung und zugleich eine kent, di das Herz so stark und von so filen Seiten bewägt, wi di ist, welche ich gewält habe, dar nenne si, aber er beweise auch das Behauptete" (Briefe von und an Klopstock, Braunschweig 1867, 402; zur Überlieferung der Beilage vgl. Anm. 133). Zitiert nach: Pyra/Lange, Freundschaftliche Lieder, Stuttgart 1885, 83-119, hier 87 (1/106) u. 118 (V/126-129). Zum Verhältnis Mütons zu Homer und Vergil bemerkt Pyra, Erweis, Hildesheim/New York 1974, 30, daß der Engländer "bey einem unendlichen hellem Lichte wandelte", und fordert, "daß die Theologie ins besondre von einem epischen Dichter muß unterstützet werden" (ebd., 54). Zu dieser Argumentation vgl. Anm. 15. - Auf einen möglichen Einfluß Pyras auf den jungen Klopstock wurde verschiedentlich rekurriert, am materialreichsten führt Waniek, Pyra, Leipzig 1882, 143-155, einen "Wahrscheinlichkeitsbeweis" für Klopstocks Abhängigkeit. - In der Klopstock-Forschung wurde bislang jedoch nicht darauf hingewiesen, daß der junge Friedrich Nicolai der erste ist, der Klopstock in einen Zusammenhang mit Pyras 'Tempel' bringt. In seinem fragmentarischen, nur einen ausgeführten Gesang umfassenden 'Heldengedicht auf Hn. Klopstock', das sich im (geplanten) Aufbau und in vielen Details allzu deutlich an Pyras Werk orientiert (vgl. Altenkrüger, Friedrich Nicolais Jugendschriften, Berlin 1894, 28-32), sollte die in ihrem Tempel thronende Dichtkunst "dem Herrn Klopstock" auftragen, "den Meßias zu verfertigen". Der bibliographische Nachweis des Werks, das unmittelbar nach Erscheinen der ersten drei 'Messias'-Gesänge entstanden und 1752 gedruckt worden ist, sowie ein Zitat des mitgeteilten Plans finden sich im bibliographischen Anhang.
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dem neutestamentlichen Erlösungsgeschehen vor dem alttestamentlichen Sündenfall zukommt. Neben der Einordnung der eigenen Materie umreißt Klopstock in seiner Rede auch ein für sein Singen vom Messias relevantes Bild des christlichen Dichters. Die an Milton gerühmten Tugenden lassen sich als Anspruch an das eigene Dichtertum verstehen. Und in seinem an die eigene Person gerichteten Wunsch, mit dem er am Ende seiner Laudatio pathetisch das Erscheinen desjenigen Dichters herbeisehnt, der sich der nationalen Aufgabe der Schöpfung des noch ausstehenden deutschen Epos widmen könnte, formuliert Klopstock die Vorstellung des epischen Dichters als die eines christlichen "vates". 21 Die wesentlichen Eigenschaften, die diesen in den Augen des jungen Redners auszeichnen, sind "virtus" und "sapientia", umfassende Kenntnis sowohl der "naturae" als auch der "religionis" und eine prophetische Gabe, die ihm Einblick in Geschehnisse der "futurorum saeculorum" gewährt. 22 Für Klopstocks Vorstellung des idealen Epikers spielt neben dem mutmaßlichen Einfluß von Pyras Neubestimmung der christlichen als der "wahren Dichtkunst" Bodmers 'Charakter der Teutschen Gedichte' eine nicht unwichtige Rolle. Denn in seinem ersten Brief an den Zürcher bezeichnet Klopstock dessen "imaginem poetae epici, quam in critico Tuo poemate duxisti", als Gegenstand seiner Bewunderung. 23 Nach einer chronologischen Darstellung der deutschen Literaturgeschichte gibt Bodmer Anregungen, was in einzelnen Gattungen zukünftig zu leisten sei, und wendet sich zuletzt dem Epos als dem "Meister-Stück der Poesie" zu. 24 Wie nach ihm Klopstock kleidet Bodmer seinen Wunsch nach dem baldigen Auftreten eines deutschen Epikers von internationalem Rang in eine Apostrophe, die der Epiphanie eines gleichsam göttlichen Wesens gilt, und gibt dem epischen Dichter auf der (platonischen) Stufenleiter der Kreaturen einen Platz zwischen "Mensch" und "Engel". 25 Er 21
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Cramer, Klopstock, I, 126; Übersetzung ebd., 88-89. Vgl. zur Herkunft und zu den für Klopstock relevanten Bedeutungstraditionen des "vates"-Begriffs Freivogel, Klopstock, Bern 1954, 10-16, u. (mit diesem teilweise im Widerspruch) Kaiser, Klopstock, 19-20 u. 133-136. Cramer, Klopstock, I, 126; Übersetzung ebd., 89. Klopstock HKA, Briefe I, Nr. 13, hier insb. 23-27 (Übersetzung ebd., 200-202, hier insb. 201). Hilliard, Philosophy, Letters, an the Fine Arts in Klopstock's Thought, 27-28, interpretiert das berühmte Schreiben vom 10. August 1748 zutreffend als "example of stylization", in dem Klopstock eine an rhetorischen Mustern orientierte "idealized version of the education of the epic poet" biete. Ebenso wie Klopstocks Abschiedsrede ist der Brief an Bodmer eine der wenigen Quellen, die seine Kenntnisse zeitgenössischen Schrifttums in Ansätzen greifbar macht. Zitiert nach: Bodmer, Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883, 33 (V. 858). Bodmer, Vier kritische Gedichte, 33 (V. 859: "Erscheine, grosser Geist, und singe Ding' und Thaten") u. 38 (V. 924-926: "Denn auf dem Leiter-Werck, worauf die Wesen stehen, | Fängt, wo du dich befindst, der Geist und Engel an, | Hört Mensch und Cörper a u f ) . Klopstock spricht von einem "caelesti genio"
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fordert den kommenden Epiker auf, in sein Werk Wunderbares, Übermenschliches und Zukünftiges zu integrieren, "Damit es dir bey Nacht geoffenbahret, scheine", und antizipiert so zentrale bei Klopstock wiederkehrende Kategorien. 26 Trotz weitreichender Übereinstimmung sind unterschiedliche Gewichtungen festzuhalten. Für Bodmer bleibt bei allen Forderungen nach Wunderbarem im Epos die Vermittlung von Wissen ein wichtiges Anliegen: "Von dir erwartet man, daß du der wissens-Lust, | Die unersättlich reitzt, ein süsses Gnügen thust. | [...] Erweitre und vermehre | Des Wissens schmalen Schranck." 27 Entsprechend setzt sein Wunschbild vom idealen Epiker an erster Stelle hervorragende Verstandesfähigkeiten voraus und zeichnet ihn als kenntnisreichen Wissenschaftler, der intime Einsicht in die Naturgesetze hat: Hat irgend die Natur in jemands Seel gesenckt Die Hoheit von Verstand, womit sie selbst gedenckt, Hat sie sich ihm entkleidt, die Regeln aufzudecken, Wie Zeil- und Reyhen-Weiß die Ding' in Dingen stecken, Ein Rad im andern Rad; demselben ist vergönnt, Daß er das Meister-Stück der Poesie beginnt. 28
Der aufklärerisch-enzyklopädische Impetus, der Bodmer auszeichnet und sein eigenes episches Hauptwerk, den 'Noah', zu einer nicht unproblematischen Kompilation zeitgenössischen Wissens etwa über die Genese der Sintflut geraten läßt, gilt für Klopstock nicht in gleicher Weise. Zwar hält auch er es für wichtig, daß sich dem Epiker der "totus naturae campus" eröffne, aber sein erstes Interesse gilt nach eigenem Bekenntnis der christlichen Religion und dem Lobpreis Gottes. 2 9 So ist es denn verständlich, daß Klopstock bei der Wahl des eigenen Stoffs Bodmers Vorgaben unbeachtet läßt. Die Anregung zu einem KolumbusEpos, die Bodmer im 'Charakter der Teutschen Gedichte' von 1734 gibt und zwanzig Jahre später selbst in die Tat umsetzt, 30 befolgt er ebensowenig wie den - Klopstock wohl bekannten - Vorschlag "eines epischen Gedichtes von Noahs Errettung aus der Sündflut", mit dem Bodmer das "Nachdenken geschikter und feuriger Geister" auf eine Ausarbeitung lenken will. 31 Auch die
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und ruft aus: "nascere, dies magne, qui hunc tantum procreabis vatem" (Cramer, Klopstock, I, 106 u. 126; Übersetzung ebd., 62 u. 88). Bodmer, Vier kritische Gedichte, 37 (V. 908); vgl. ebd., 33-38 (insb. V. 860-866, 872, 876, 891, 907-934). Bodmer, Vier kritische Gedichte, 37 (V. 917-921). Bodmer, Vier kritische Gedichte, 32-33 (V. 853-858). Cramer, Klopstock, I, 126; Übersetzung ebd., 89. Vgl. im bibliographischen Anhang den Kommentar zu Bodmers 'Colombona', der auch einen Hinweis auf E. v. Kleists Interesse an Bodmers Vorschlag enthält. Grundriß eines epischen Gedichtes von dem geretteten Noah, in: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften IV (1742), 1-17, hier 3.
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deutsche Versepik der Zeitgenossen und der vorangegangenen Generation kann Klopstock, der - nach vage überlieferten Ideen zu einem Epos auf den in seiner Geburtsstadt Quedlinburg begrabenen Heinrich den Vogler 32 - gewillt ist, die höchste Gattung mit dem höchsten Stoff zu vereinen, kaum Anknüpfungspunkte bieten. Posteis 1724 postum erschienenen 'Wittekind' und einen nicht näher nachgewiesenen, wohl in den Anfängen steckengebliebenen Versuch eines Alexander-Epos nennt Klopstock nur als Belege für seine Behauptung, daß seinem Vaterland noch kein Erfolg in der epischen Gattung beschieden gewesen sei. 33 Die Werke von Pietsch und König, die ihm durch die kritischen Schriften von Gottsched und den Schweizern vertraut gewesen sein müssen, erwähnt er hingegen überhaupt nicht. Der junge Klopstock bricht vielmehr mit der im deutschen Sprachraum verbreiteten und auch bei Pietsch und König dominanten Tendenz, das Epos als ausführliches Panegyrikum zu verstehen, den weltlichen Herrscher zum Heroen der Dichtung zu stilisieren und zeitgeschichtliche Ereignisse zu behandeln. Anregungen für Klopstocks Stoffwahl konnten indessen, bleibt man zunächst in seinem näheren zeitlichen Umkreis, von wenigen Werken abseits dieser Hauptströmung ausgehen. Zwei religiöse Werke aus dem Bereich der neulateinischen Dichtung sind hier vor allem zu nennen. Die Bedeutung von Johann Wilhelm Petersens 'Uranias' (1720) "für Klopstocks religiöse Gedankenwelt" zeigt zuletzt Kaiser auf. 34 Während dieses Werk dem Dichter des 'Messias' möglicherweise erst in Leipzig durch den klassischen Philologen Johann Friedrich Christ bekannt geworden ist 35 und dann keinen Einfluß auf den Ursprung seiner Konzeption mehr haben konnte, weist die erst 1759 gedruckte 'Christeis' von Johann Joachim Gottlob Am Ende unmittelbar auf Klopstocks Schulzeit. Denn Am Ende war seit 1744 als Lehrer in Pforta tätig und hatte sein Werk, eine formal und sprachlich an Vergil orientierte Übertragung der Apostelgeschichte in lateinische Hexameter, bei Antritt seines Dienstes bereits weitgehend vollendet.36 Daß der Lehrer, der nach Cramers
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Dieser Text ist zugleich das erste Dokument der Entstehungsgeschichte von Bodmers 'Noah' (vgl. im bibliographischen Anhang zu diesem Werk). Vgl. Cramer, Klopstock, I, 34-36, Muncker, Klopstock, Stuttgart 1888, 11 u. 36, sowie Klopstocks Oden 'Mein Vaterland' und 'An Freund und Feind' (Klopstock AW, 117-119 [V. 29-32] u. 127-129 [V. 49-50]). Cramer, Klopstock, I, 124-125; Übersetzung ebd., 87. Kaiser, Klopstock, insb. 127, 129, 149, 171-172, 181-182. Vgl. die Hinweise bei Hamel, Einleitung zu: Klopstock, Der Messias, Berlin/Stuttgart [1884], I, CLXXXII-CLXXXIV. Kaiser, Klopstock, 128-129. Muncker, Klopstock, 20-21. Am Endes Werk beansprucht im Untertitel ("Hoc est Acta Apostolorum e lingua originali in Latinum translata et carmine heroico expressa") die Zugehörigkeit zur epischen Gattung. Die Anlehnung an Vergil ist bereits am Anfang besonders eng, indem der Dichter die Einleitung der Apostelgeschichte, die auf das Lukas-Evangelium zurückweist, zu einer wörtlichen Imitation der apokryphen, aber seinerzeit für echt gehaltenen Eingangs-
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Zeugnis einen vertrauten Umgang mit seinen Schülern pflegte und von dem Klopstock noch Jahrzehnte später "mit warmer Liebe" spricht, die Zöglinge mit seiner Dichtung bekannt gemacht hat, kann nur vermutet werden. 3 7 Dies aber könnte, selbst wenn das Werk - wie Muncker konstatiert - in seiner Ausarbeitung mit dem 'Messias' "nicht im geringsten Zusammenhang" steht, 38 Klopstock einen wichtigen Impuls für sein Wagnis, einen christlichen Stoff in antiker Gattung zu behandeln, gegeben haben. Fraglich und in der Forschung noch nicht erörtert ist hingegen, ob Klopstock von einem 1744 anonym erschienenen und Christian Gottlieb Krause zugeschriebenen Werk mit dem Titel 'Die Auferstehung Jesu Christi [...] aus überzeugenden Gründen erwiesen [...] in einem Heldengedichte' 3 9 Kenntnis genommen hat. Für seine eigene Stoffwahl könnte das Werk insoweit von Bedeutung sein, als es mit der christlichen Erlösergestalt die Gattung des Heldengedichts verknüpft. Weder die argumentative Art der Behandlung noch die formale Anlage verraten jedoch ein an antiken Mustern orientiertes Gattungsbewußtsein, das für Klopstock vorbildhaft gewirkt haben könnte. Über die nur schwach ausgeprägte religiöse Ependichtung in Deutschland, deren Ausläufer allerdings in der Gestalt seines Lehrers Am Ende in seine unmittelbare Nähe reichen, greift Klopstock hinweg und findet Anschluß an die europäische Tradition volkssprachlicher und neulateinischer Bibelepik. Inwieweit seine Entscheidung, vom Messias episch zu singen, von einer genaueren Kenntnis einzelner Werke beeinflußt ist, kann aufgrund der Quellenlage nicht entschieden werden. An die lateinische 'Christias' des Humanisten Marco Girolamo Vida, dessen Werk Pyra rezipiert und seinen Zeitgenossen empfiehlt, wurde hierbei ebenso gedacht 40 wie natürlich und vor allem an John Miltons 'Paradise Lost'. Der Einfluß Miltons auf den 'Messias', etwa auf Einzelheiten der Ausarbeitung und auf die Zeichnung einzelner Personen,
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verse der 'Aeneis' umformt : "Ille ego, qui primum, divino numine plenus, | Christus quae fecit, docuitque potenter Jesus, | Exposui, cunctum nunc commemoranda per asvum, | Arma Virosque canam" (zitiert nach: NaG IX [1759], 456-462; zum 'Aeneis'-Prooimion vgl. Kap. II, Anm. 154). Cramer, Klopstock, I, 31. - Außerhalb der Schule scheint Am Ende kein Geheimnis aus seinem Werk gemacht zu haben: Muncker, Klopstock, 21, Anm. 1, berichtet von einem Brief an Hagedorn vom 15. Dezember 1744; ferner findet sich, vielleicht durch diesen vermittelt, bereits 1747 ein Hinweis auf die im Manuskript vorliegende Dichtung in den Bodmer nahestehenden 'Freymüthigen Nachrichten' (FN IV [1747], 17-18). - Einmütiges Lob spenden nach Drucklegung die Widersacher aus Zürich und Leipzig: FN XVI (1759), 414-416; NaG IX (1759), 456-462. Muncker, Klopstock, 21, Anm. 1. Vollständiger Titel und weitere Angaben im bibliographischen Anhang unter Krause. Muncker, Klopstock, 111-112.
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steht außer Frage und wurde verschiedentlich untersucht. 4 1 Die Rolle des 'Paradise Lost' als Vorbild für Klopstocks "Urkonzeption" des 'Messias' ist indessen, nicht zuletzt aufgrund widersprüchlicher Aussagen des Dichters, umstritten. Die Bewertung späterer Erinnerungen Klopstocks, daß der erste Einfall zum 'Messias' vor jeder Bekanntschaft mit Miltons Epos entstanden sei, 42 ist problematisch. Kaiser hat jedoch gegen Freivogel zu Recht darauf hingewiesen, daß zumindest Klopstocks literarische Darstellung der 'Messias'Genese kaum als "bewußte Verwischung des Abhängigkeitsverhältnisses aufzufassen" und seine mögliche Orientierung an Vorbildern nicht "Alternative zum Inspirationserlebnis", sondern "Vorbereitung" dazu sei. 43 Diesseits einer Antwort auf die eher müßige Frage, ob Klopstock tatsächlich der inspirierte und prophetische Dichter ist, den er in seiner Abschiedsrede fordert, bleibt festzuhalten, daß er die früh gefaßte und lebenslänglich verbindliche Idee zum 'Messias' selbst offenbar als eine Art religiöser Berufung erlebt hat. 4 4 Stoffwahl und Gattungsbewußtsein stehen somit in einem engen Wechselverhältnis zueinander: Wenn zu Klopstocks Anschauung vom Epos als der höchsten Gattung, die den Rang der Materie als primär bezeichnet, das Bewußtsein von der eigenen Berufung zum christlichen Dichter tritt, dann ergibt sich die Wahl eines Themas aus dem Zentrum christlicher Religion als gleichsam logische Folge. Umgekehrt steigert die Entscheidung für das christliche Thema schlechthin den Anspruch einer Gattung, deren antike Muster zwar nicht in Zweifel gezogen, aber hinsichtlich des Stoffs doch für überbietbar gehalten werden. Die Dichtung Wie aber - so lautet nun die Frage - manifestiert sich der gesteigerte Gattungsanspruch im Werk? Kann der 'Messias' als Dichtung, wie sein Verfasser in der Abschiedsrede oder in seinem ersten Brief an Bodmer, ebenfalls einen Platz neben (oder gar über) den vornehmsten Exempeln der Gattung beanspruchen? Geht man noch eine Stufe hinter die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten zurück, stellt sich das Problem: Ist der 'Messias' als poetisches Werk
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Vgl. in älterer Literatur vor allem Muncker, Klopstock, 82-87 u. insb. 117-128, u. Jenny, Miltons Verlornes Paradies, Leipzig 1890, 43-80. Die differenzierteste Untersuchung zum Verhältnis zwischen Milton und Klopstock, die die grundsätzliche Eigenartigkeit und Unabhängigkeit des letzteren behauptet, findet sich bei Kaiser, Klopstock, 204-258, insb. 204-218 u. 222-228, ferner 50-52 u. 61-63. Hamel, Einleitung zu: Klopstock, Der Messias, I, CXLI-CXLII. Kaiser, Klopstock, 19-20 u. 139, Anm. 1; Freivogel, Klopstock, Bern 1954, 22-35. Anhand der Episode vom Weltgericht befaßt sich zuletzt Höpker-Herberg, 'Paradise Lost' und 'Messias', in: Edition als Wissenschaft, Tübingen 1991, 44-52, mit Klopstocks Verhältnis zu Milton. Vgl. hierzu (mit reichem Quellenmaterial) Kaiser, Klopstock, 133-160, zur pietistischen "Färbung" des "Klopstockschen Berufungserlebnisses" insb. 136-141.
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überhaupt innerhalb jener großen Tradition des Epos zu betrachten, die der Schüler zu Pforta beschwört? Die letzte Frage könnte unsinnig erscheinen, gäbe es nicht Aussagen wie die von Weimar, daß Klopstock "eher zufällig" den 'Messias' "wie ein traditionelles Epos" gestaltet habe und daß der antikisierende Vers einziges Merkmal einer sonst unbegründet erscheinenden Bezeichnung sei: "der 'Messias' ist in Hexametern geschrieben, nicht weil er ein Epos ist, sondern er wird Epos genannt, weil er in Hexametern geschrieben ist."45 Tatsächlich sucht man - darauf weist Weimar unterstützend hin 46 - im Titel aller von Klopstock selbst verantworteten Drucke des 'Messias' vergebens nach einer Gattungsbezeichnung. Lediglich der 1749 erschienene Nachdruck der ersten drei Gesänge, von Georg Friedrich Meier parallel zu seiner 'Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias' veranstaltet, zeigt die Gattung "Heldengedicht" explizit an. 47 Ausführliche Vorreden, die Intention und Anspruch des Werks darlegen könnten, sind zunächst ebenso zu vermissen wie Anmerkungen zum Text, die in gelehrter Manier Autoritäten zitieren. Diese äußerlichen Merkmale unterscheiden den 'Messias' von nahezu der gesamten zeitgenössischen literarischen Produktion. Symptomatisch ist beispielsweise ein Vergleich mit dem Heldengedicht, das Gottsched dem 'Messias' rühmend gegenüberzustellen pflegte, mit Schönaichs 'Hermann'. 48 Hier werden nicht nur der Autor mit seinen Titeln und der Vorredner ausführlich beim Namen genannt. Es finden sich neben dem Haupttitel, der den Namen des Helden exponiert, auch ein Nebentitel, der die Handlung knapp umreißt ('Hermann, oder das befreyte Deutschland'), die Gattungsbezeichnung "Heldengedicht", die die mögliche Erwartungshaltung des Lesers klar formuliert, und ein Motto aus der 'Aeneis', das Vergil als Muster bestimmt und Inhaltliches andeutet. Widmungsschreiben und Vorrede des Herausgebers Gottsched werden in der zweiten Ausgabe von 1753 ergänzt durch den Vorbericht des mittlerweile zum Dichter gekrönten Verfassers (auch diese Auszeichnung wird im Titel der neuen Ausgabe genau vermerkt) und historischen Anmerkungen zum Text. 45
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Weimar, Theologische Metrik, in: Hölderlin-Jahrbuch XVI (1969/70), 143-144. Weimars Auffassung, daß Klopstock "für den gewählten Stoff gar keine andere Möglichkeit als das Epos" offengestanden habe, ist angesichts der in der Zeit gepflegten literarischen und halbliterarischen Gattungen wie Oratorium oder Erbauungsbuch, Kirchenlied oder Predigt zu widersprechen. Weimar, Theologische Metrik, 143-144. Klopstock HKA, Addenda III, Nr. 2909-3084, hier 2910 u. 2911. Auch die Diskussion des 'Messias' unmittelbar nach Meier verwendet oft schon im Titel der Schriften die Bezeichnung "Heldengedicht" (Klopstock HKA, Addenda I, Nr. 1636-1645). Vgl. ferner die Zeugnisse der frühen Rezeption in: Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, Stuttgart 1986, 168-208 (ζ. B. spricht Gärtner am 8. April 1747 von einem "grossen Epischen Gedichte" und Hagedorn zwei Tage später von einem "homerischen Gedichte"; ebd., 169 u. 170). Vgl. die vollständigen Titelaufnahmen im bibliographischen Anhang.
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Dieser musterhaft ausführlichen Gestaltung, deren Informationsfülle kaum Fragen offen läßt, tritt Klopstock, vor allem in der Kopenhagener Ausgabe, die seinen Wünschen am genauesten entspricht, mit größtem Lakonismus entgegen: "Der | Messias | Erster Band | Koppenhagen | 1755.'1,49 Der Verfasser nennt sich, gewiß nicht aus Gründen seiner (längst gebrochenen) Anonymität, nirgends und tritt ganz hinter sein Werk zurück. "Das Publicum ist sehr berechtigt, von dem, der etwas den Aussprüchen desselben unterwirft, zu fordern, daß er, wenn er das Gemälde aufgestellt hat, weggehe, und schweige", heißt es, um die bisherige Zurückhaltung des Autors im Streit um sein Werk zu erläutern, zu Beginn der Abhandlung 'Von der heiligen Poesie', die seit 1755 in den 'Messias'-Ausgaben den traditionellen Platz einer Vorrede einnimmt. 50 Die knappe Formulierung des Titels lenkt den Blick auf die Dichtung selbst. Das Verschweigen einer Gattungsbezeichnung, das in der Patriarchadendichtung nach Klopstock Schule gemacht hat, bedeutet also nicht Ungewißheit des Anspruchs. Im Gegenteil stellt es einen Bruch mit dem herrschenden Usus dar. Die lakonische Titelei des 'Messias' ist in ihrer geradezu klassizistischen Schlichtheit schon ein erster Fingerzeig darauf, daß das Werk den Wettstreit mit den großen Mustern der Gattung aufnimmt, und sicher deutet sie an, daß der Autor nicht den Spuren bislang vorliegender deutscher Heldengedichte folgen will. Deutlichstes formales Merkmal für Klopstocks Abwendung von der bisherigen deutschsprachigen heroischen Dichtung ist jedoch der Vers des 'Messias'. Hatte dort beinahe uneingeschränkt der paarweise gereimte Alexandriner geherrscht, so entscheidet sich Klopstock nun für den Hexameter. Die Bedeutung dieses Schritts ist kaum zu überschätzen. Denn ebenso wie Gottscheds Übernahme der epischen Theorie von Le Bossu darf das alexandrinische Versmaß als äußeres Zeichen für die weitgehende Abhängigkeit der deutschen von der französischen Dichtung interpretiert werden. Daß er innerhalb der europäischen Dichtung der französischen keinen Vorrang zuzubilligen geneigt ist, hat Klopstock in seiner Abschiedsrede mit klaren Worten zum Ausdruck gebracht. 51 Allerdings folgt er ebensowenig dem Vorbild Miltons, dessen Blankverse Bodmer in Prosa übersetzt und die Klopstock vor seiner eigenen Entscheidung wohl nicht im Original studiert hat. Wenn er vielmehr den antiken daktylischen Hexameter nachbildet, dann greift er über die neuzeitlich-volkssprachliche Epik hinweg und sucht Anschluß an das klassische Altertum. An die Stelle eines meist über Frankreich vermittelten tritt damit ein dem Anspruch nach originaler Klassizismus. Dem steht nicht entgegen, daß es Vorbilder und Anregungen für einen deutschen Hexameter durchaus gibt. Auf die frühen Versuche Konrad 49 50 51
Klopstock HKA, Addenda III, Nr. 2918. Klopstock AW, 997. Cramer, Klopstock, I, 117-121; Übersetzung ebd., 76-83.
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Gesners und Johann Fischarts, auf die gereimten Distichen des Karl Gustav Heräus und das Metrum im 'Lobgesang des Frühlings' von Johann Peter Uz wurde ebenso hingewiesen wie auf Breitingers und Gottscheds Vorschläge in ihren Poetiken. 52 Die Bedeutung der neulateinischen Epen etwa von Petersen und A m Ende, die den Hexameter im deutschen Sprachraum pflegten, wäre zusätzlich zu erwägen. Klopstocks Entschluß, das klassische Versmaß für ein deutsches Epos homerischer Dimension zu verwenden, bedeutet jedoch gegenüber den Versuchen in seiner Sprache eine mehr als nur quantitative Neuerung. Interessanter als die Frage nach Klopstocks Abhängigkeit erscheint das Problem einer prosaischen Frühfassung des 'Messias'. Allerdings wird auch dies durch eine unsichere Quellenlage erschwert. Denn die gängige Ansicht, Klopstock habe in Jena die ersten Gesänge seines Werks "zuerst in Prosa" ausgearbeitet, "an einem glücklichen Sommernachmittage" des Jahres 1746 das antike Versmaß für sich entdeckt und dann "Alles in Hexameter" umgeformt, beruht fast ausschließlich auf dem anekdotenhaften Bericht Cramers. 53 Wenn Klopstock seinem Werk tatsächlich zunächst eine prosaische Form gegeben und es erst nach seiner Abschiedsrede in Verse gefaßt hat, kann dies möglicherweise im Kontext mit seinem Eintreten für Fenelons 'Les avantures de Tetemaque, fils d'Ulysse' gesehen werden. Denn im Gegensatz zu Voltaire, den Dichterneid bewogen habe, Fenelons Werk lieber unter die "fabulas romanenses" als unter die "epica carmina" zu zählen, preist Klopstock den in Prosa geschriebenen 'Telemaque' als bestes französisches Epos. 5 4 Er befindet 52
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Ζ. B. bei Muncker, Klopstock, 45-47. Angesichts der Umsetzung in den biblischen Epen von Klopstock und Bodmer bereut Gottsched in der letzten Auflage der 'Dichtkunst' freilich seine Anregung (vgl. Gottsched AW VI/3, 74-75). Cramer, Klopstock, I, 136-139. Zweifel an der "Annahme einer in Jena entstandenen Prosafassung" wurden zuerst von Gronemeyer im Kommentar zu Klopstock HKA, Briefe I, 181, angemeldet. Ein weiterer Gewährsmann für die Existenz einer Fassung "in Prose" ist neben Cramer der unbekannte Rezensent der 'Hallischen Allgemeinen Literaturzeitung', der im Jahre 1827 einen 1791 vernommenen mündlichen Bericht Klopstocks über die 'Messias'-Genese referiert (abgedruckt bei Kindt, Klopstock, Berlin-Spandau 1941, 437-439, hier 439: "Ich fing schon auf der Pforte in Prose und mehr in Jena und Leipzig an meinem Gedicht zu arbeiten an"). Der Wert dieser Quelle, die ihrerseits einige Details von Cramer übernommen haben könnte, ist bis zur genaueren Kenntnis des Rezensenten schwer einzuschätzen. Cramer, Klopstock, I, 118-120; Übersetzung ebd., 78-80. (Die Anmerkung zum Text der Abschiedsrede, in der die Differenz zu Voltaires Meinung ausgesprochen ist, findet sich [im Gegensatz zu Cramers Anmerkungen] auch unter dem lateinischen Text und darf daher sicher Klopstock zugeschrieben werden.) Vgl. Muncker, Klopstock, 47. - In seiner Schrift 'Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmasses im Deutschen', die zuerst im zweiten Band der Kopenhagener 'Messias'-Ausgabe veröffentlicht wurde, meint Klopstock, daß der deutsche "Verfasser einer Epopee" sich entweder "zu dem Verse der Alten entschliessen" müsse oder aber "nicht in Versen schreiben, und sich seine Worte
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sich damit im Einklang mit Gottsched, der als Beispiel dafür, daß "Verse [...] das Wesen der Poesie nicht" ausmachen und "ganze Heldengedichte in ungebundener Rede geschrieben werden" können, "des Erzbischofs von Cambrey Telemach" anführt. 55 Klopstocks Verteidigung des Fenelon gegen Voltaire könnte so - in Anlehnung an die Autorität Gottscheds - eine Rechtfertigung des eigenen Prosakonzepts beinhalten. Die Entwicklung von Klopstocks Gattungsverständnis wäre dann mit seiner Portenser Rede in einem wichtigen Punkt nicht abgeschlossen. Denn die endgültige Entscheidung für den Vers erhebt diesen zu einem essentiellen Bestandteil des Epos und bedeutet einen Schritt weg von Gottscheds Anschauung, in der die Konzeption der epischen Fabel ganz im Mittelpunkt steht. Zu den weiteren stilistischen Mitteln und Topoi, mit denen der Dichter die Zugehörigkeit seines Werks zur epischen Gattung beansprucht, gehören die direkte Anrede eines Protagonisten durch den epischen Sänger und die formelhafte Wiederholung einzelner Verse oder ganzer Passagen, katalogartige Aufzählungen und ausführliche Vergleiche sowie insbesondere Apostrophen an Musen oder sonstige, den Sänger unterstützende Gottheiten. Während der hexametrische Vers direkt auf die Antike verweist und damit Klopstocks aus seiner Zeit herausragende Stellung unmittelbar deutlich macht, gehören die genannten Mittel weitgehend zum allgemeinen Bestand epischer Tradition. Gegenüber der Fülle der Exempel, die der 'Messias' für Stilistika dieser Art bietet, kann daher hier meist knapp und summarisch verfahren werden. Anhand ausgewählter Beispiele ist die Verwendung der Stilmittel zu belegen und zugleich nach signifikanten Merkmalen zu fragen, die ein besonderes Verständnis der Gattung erkennen lassen. Abbadona, der gefallene Engel und reuige Höllenbewohner, dessen erst im 19. Gesang besiegeltes Schicksal die Zeitgenossen fesselte, folgt Satan und Adramelech auf ihrem Weg zur Erde, wo sie den Messias töten wollen. An der Höllenpforte trifft er auf den Wächter Abdiel, seinen einstigen Freund. Da richtet sich der Sänger des Epos mit einer Frage an seine Gestalt: "Wie war dir, Abbadona, | Da du Abdiel hier, den unüberwindlichen, sähest?"
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wie Demosthenes, oder Fenelon von derjenigen Harmonie, welcher die Prosa fähig ist, zuzählen lassen" solle (Klopstock AW, 1045). Vgl. zur zeitgenössischen Gattungsdiskussion um das Werk auch die Hinweise bei Jacobs, Das Verstummen der Muse, in: Arcadia X (1975), 143-144. Gottsched AW VI/1, 142; in der vierten Auflage von 1751 nennt Gottsched Finelon nicht mehr beim geistlichen Titel sondern beim Namen (ebd. VI/3, 24). Ein Indiz für die unsichere Bewertung eines prosaischen Werks mit epischem Anspruch liefern zwei zeitgenössische' deutsche Übersetzungen des 'Telemaque': Bohses Prosaübertragung von 1700 bezeichnet ihn als "StaatsRoman" und "Lebens-Beschreibung"; dagegen versucht Neukirch mit seiner Übertragung in gereimte Verse (3 Bände, 1727-1739) offenbar eine Poetisierung des Werks.
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(II/747-748) 56 Gegenüber der formelhaften Anrede in antiker Epik, die meist eine Rede einleitet, stellt schon die grammatische Form der Frage eine Besonderheit dar. Der nachfolgenden Schilderung von Abbadonas heftigen Gemütsbewegungen (11/749-759) dient die Anrede, die zugleich Abbadonas Fall und Abdiels Standhaftigkeit erinnert, als Auftakt. Indem das epische Ich das Innenleben Abbadonas, das er anschließend auktorial berichtet, eigens erfragt, lenkt es die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Gefühle seiner Gestalt. Deren Empfindung wird so in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Identifikation und Mitleid des Epikers, der keine Distanz wahrt, kommen zum Ausdruck und sollen auf den Leser übertragen werden. Die wörtliche Wiederholung von Versen und Abschnitten begegnet im 'Messias' in einer Reihe von charakteristischen Verwendungsweisen, die sich nur zum kleineren Teil als Übernahme der antiken Technik, zum größeren aber als erhebliche Modifikation derselben verstehen lassen. 57 Am engsten an die Gattungsmuster angelehnt, bei Klopstock aber selten, ist die durch einen Botenbefehl motivierte Repetition. So läßt Klopstock eine Sklavin Portias Auftrag an Pilatus (VII/384-387) nahezu wörtlich nachsprechen, ohne die dadurch entstehende grammatikalisch unklare Funktion des Personalpronomens "mich" eindeutig festzulegen: Portia sendete jetzo zu ihm: Er ist ein gerechter, Göttlicher Mann, den du richtest, verdamme du nicht den Gerechten! Um des Göttlichen willen, Pilatus, hat ein Gesicht mich Heut im Schlafe geschreckt! Das sagt' ihm die Sklavin. (VII/681-684)
Ähnlich eingeführt ist die Wiederholung des Preislieds, mit dem im Kreise der Heiligen, die der Auferstehung Christi harren, Hesekiel seiner Empfindung freien Lauf läßt (XIII/188-216; aufgegriffen werden die Verse 202-216). Denn als wenig später die jüngst von ihrem Körper geschiedene Seele der Maria, Schwester des Lazarus, in die Versammlung geführt wird und sich "unter der Sieger Chöre" mischen will (XIII/376), nimmt Benoni die Rolle eines vermittelnden Lehrers ein und singt ihr das Lied Hesekiels vor: "Ich lehre dich, was 56
57
Zitiert wird, soweit nicht anders angegeben, nach Klopstock HKA, Werke IV/1-2, wo die Fassung von 1799 wiedergegeben ist. Zitate anderer Fassungen folgen Klopstock HKA, Werke IV/4-5. Die Verszählung ist der Vergleichbarkeit wegen stets die der Fassung letzter Hand. - In der handschriftlichen Fassung großer Teile des zweiten Gesangs, die Gärtner Bodmer mit seinem Brief vom 8. April 1747 zur Prüfung vorlegt (vgl. Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, 169), lautet obige Stelle noch: "wie ward ihm | Als er hier seinen ehmaligen Freund, den Abdiel, warnahm" (Klopstock HKA, Werke IV/4, 276, Sigle H2(H.2)). An Überarbeitungen solcher Art ist Klopstocks Bemühen zu erkennen, seinem Werk antikisierende Elemente einzuverleiben. Eine Übersicht derartiger Wiederholungen bietet Hamel in seinem Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, II, 448 u. 450. Die zahlreichen Wiederholungen halber Verse, die meist als Mittel emphatischer Steigerung innerhalb von Reden eingesetzt werden, sind hierbei nicht berücksichtigt.
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Klopstocks 'Messias'
ich lernte" (XIII/378-392). Zugleich stiftet die Wiederholung eine Empfindungsgemeinschaft zwischen Hesekiel, Benoni und Maria, in der Benoni eine ähnliche Mittlerstellung einnimmt wie der Sänger des 'Messias' zwischen seinem Helden und dem Publikum. Von anderer Art als diese Wiederholungen meist längerer Abschnitte sind die Verdopplungen einzelner Verse in engem Abstand. Auch sie können, wie im zunächst zitierten Falle, die identischen oder - bei leicht variiertem Wortlaut - nahverwandten Gefühle verschiedener Figuren ins Wort setzen, dienen aber daneben auch der nachdrücklichen Darstellung einer Aussage. Die parallel geschilderten Reaktionen von Hiob und seinem Engel bei der Erweckung des ersteren lenken so emphatisch steigernd auf den gemeinsamen Ausruf hin, der verschiedene Bibelworte 58 kompiliert: Der Seraph Hielt sich nicht, rief gen Himmel, in seiner Wonne gen Himmel, Daß vor des rufenden Stimme der Hain, und die Felsen erbebten! Hiob empfand es, er war, er war von neuem erschaffen! Hielt sich nicht, rief gen Himmel, mit stürzender Thräne gen Himmel, Daß vor des rufenden Stimme der Hain, und die Felsen erbebten: Heilig ist, heilig, heilig der, der seyn wird, und seyn wird! (XI/709-715)
Als Abdiel (im Anschluß an die oben zitierte Szene) auf die Blicke des Abbadona nicht reagiert, ruft dieser in der Mitte und am Ende seiner klagenden Worte zweimal aus: "Abdiel mein Bruder ist mir auf ewig gestorben!" (11/770 u. 774) Die anfängliche Befürchtung ("Abdiel, mein Bruder, du willst dich mir ewig entreißen!"; 11/763) wird damit zur doppelt ausgesprochenen Gewißheit ewiger Beziehungslosigkeit der einstigen Freunde gesteigert. Durch die Parallelität und Identität einzelner Glieder, einem bei Klopstock beliebten Mittel der Verknüpfung, 59 wird der Redeeingang zugleich strukturell aufgegriffen, und es ergibt sich ein formaler Rahmen um die kleine Rede. Der wohl strukturell wichtigste Verwendungsmodus wörtlicher Verswiederholungen liegt aber vor, wenn knappe Passagen, die eine Schilderung einleiten oder zusammenfassend kommentieren, in großem Abstand aufgegriffen werden. Repetitionen dieser Art gliedern weitgespannte Zusammenhänge, verklammern und verdichten sie zu einheitlichen Blöcken. Ein instruktives Beispiel für Klopstocks bewußten Umgang mit diesem Strukturelement begegnet bereits im ersten Gesang. Das Gespräch zwischen Jesus und seinem 58 59
Hamel, Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, II, 109, weist hin auf Exodus з, 14, Jesaja 6, 3, und Offenbarung 4, 8. Vgl. insb. die dialogischen Formen im 'Messias', ζ. Β. Χ/486-522, XIII/370-373 и. XV/1262-1360. Zu einer strophenbildenden Art von komplexer Refraintechnik (und damit zu einem typischen Stilmittel der Lyrik) sind die Verswiederholungen und -Verknüpfungen im "Siegesgesange" der Knaben gesteigert und dienen hier auch der Abbildung des getanzten "Reihn" (XVII/257-282; zusätzliche wörtliche Wiederaufnahme im "Wonnegesange", XVII/350-353).
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Vater, in dem beide feierlich die Erlösung der Menschheit beschließen, wird von Jesu Auftrag an Gabriel, sein Gebet vor Gott zu bringen, unterbrochen (1/71-184). Während der Seraph seinen Weg vom Ölberg zum Thron Gottes zurücklegt und dabei von den Worten des Dichters begleitet wird (1/193-346), finden weitere, dem Leser ob ihres erhabenen Inhalts nicht mitteilbare Gespräche zwischen Gott Vater und Sohn statt. Im Erstdruck von 1748 heißt es unmittelbar vor Gabriels Verlassen der Szene und nach seiner Ankunft: Itzo erhüben sich neue geheimnißvolle Gespräche Zwischen ihm [Jesus] und dem Vater, von hohem tiefsinnigen Inhalt, Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig Gottes Erlösung vor allen Erlösten verherrlichen werden. (1/188-192) Bis itzt hatte Gott stets die Erde nachdenkend betrachtet. Denn sein Sohn besprach sich noch immer aus vollem Gemüthe Mit ihm von der erhabenen Seligkeit seiner Erlösten. Aber itzt [...] (1/352-358) Für die Ausgabe von 1780 ändert Klopstock beide Stellen, die in der letzten autorisierten Textfassung dann lauten: Jetzo erhüben sich neue, geheimnißvolle Gespräche Zwischen ihm und dem Ewigen, schicksalenthüllendes Inhalts, Heilig, und furchtbar, und hehr, voll nie gehoffter Entscheidung, Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig Gottes Erlösung, vor allen Erschaffnen, verherrlichen werden. (1/188-192) Nieder zur Erde hatte bis jetzt Jehovah geschauet. Denn es hielt noch immer der Sohn aus der Fülle der Seele Mit dem Vater Gespräche des schicksalenthüllenden Inhalts, Heilig, und furchtbar, und hehr, voll nie gehoffter Entscheidung, Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig Gottes Erlösung, vor allen Erschaffnen, verherrlichen werden. Aber itzt [...] (1/352-358) Die Wiederholung betont in der formelhaften Gestalt, die ihr Klopstock nun gegeben hat, einerseits die Unfaßbarkeit und Unsagbarkeit der Worte zwischen Vater und Sohn. Andererseits wird zwischen Erde und Himmel als den Orten der Handlung durch den wörtlichen Rückgriff formal stärker vermittelt, der Weg Gabriels rahmend eingebunden und die für die Wegstrecke notwendige Zeit als nichtig gegenüber der Kontinuität des göttlichen Gesprächs interpretiert. 60 60
Formale Gliederung und summierende Strukturierung eines Kontinuums sind auch die zentralen Aspekte für die repetierten Ausrufe der "Himmel", die die Leiden Jesu stundenweise beschließen (V/467-469, 704-706 u. 825-827), für die gleichlautenden Einschübe in die Schilderung von "Christus Gericht" (XVI/204-210 u. 358-364) und für die Wiederholung einer kurzen Passage während des von Lazarus priesterlich bereiteten Mahls (XVII/512-514 u. 743-745), durch die gleichzeitig göttliche Omnipräsens zum Ausdruck kommt.
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Klopstocks 'Messias'
Katalogartige Schilderungen, ein weiteres typisches Stilmerkmal der Epik, begegnen im 'Messias' mehrfach. Engen Anschluß an Homer - und im ersten Falle inhaltlich unmittelbar an die entsprechende Passage im ersten Buch des 'Paradise Lost' - sucht Klopstock, wenn er die sich versammelnden Höllenbewohner namentlich aufreiht und charakterisiert (11/300-401) oder einen Katalog künftiger Märtyrer mitteilt (X/232-417). Die vorgefundene Dimension wird jedoch insbesondere im 11. Gesang wesentlich überschritten, wo zwei monumentale Reihen (XI/229-715 u. 869-1569), die nur die Darstellung des Todes des bekehrten Schachers (XI/716-868) unterbricht, auferstehende Gestalten des Alten Testaments aufzählen. In Klopstocks ausführlichen Vergleichen zeigt sich sowohl seine Anlehnung an die Tradition der Gattung als auch seine Eigenart als moderner Epiker. Die strukturelle Seite des homerischen Gleichnisses, das sich häufig durch grammatikalische Verselbständigung der Vergleichsebene auszeichnet, ahmt Klopstock nicht selten exakt nach. So sind die letzten drei Verse eines wie Cramer meint - "der trefflichsten Gleichnisse der ganzen Messiade"61, das das "Herumstehen" dreier Engel um Johannes charakterisiert, formal von der vergleichenden Konjunktion "Also" unabhängig. Gleichzeitig werden Aussageund Vergleichsebene durch wörtliche Anknüpfungen eng miteinander verbunden ("herum [...] stehen" / "stehn [...] herum"; "Zärtlichkeit" / "Zärtlich"; "und schwieg" / "und schweigen"): Salem sagt' es, und schwieg. Er und die Seraphim [Ithuriel und Selia] blieben Um Johannes herum voll süßer Zärtlichkeit stehen. Also stehn drey Brüder um eine geliebtere Schwester Zärtlich herum, wenn sie auf weichverbreiteten Blumen Sorglos schläft, und in blühender Jugend Unsterblichen gleichet. Ach sie weiß es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater Seiner Tugenden Ende sich naht. Ihr dieses zu sagen, Kamen die Brüder; allein sie sehen sie schlummern, und schweigen. (III/517-524)
Inhaltlich jedoch versucht Klopstock nicht, wie es etwa bei Homer zu erwarten wäre, das Ausgesagte durch den Vergleich körperlich-sinnlich zu verdeutlichen, sondern zielt vielmehr darauf, die als "Zärtlichkeit" bezeichnete seelische Stimmung der Engel anhand des Bilds näher zu fassen. Ihn interessiert offenbar - und dies ließe sich an vielen Beispielen zeigen - weniger die sinnliche Veranschaulichung des Vorgangs als der "Stellenwert des Geschehens für die mitfühlende Seele".62 61
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Cramer, Klopstock, II, Dessau 1781, 239. Meier, Beurtheüung des Heldengedichts, der Meßias, I, 2. Auflage, Halle 1752, 59, merkt bereits an: "Was für ein vortrefliches und zärtlich rührendes Gleichniß!" - Vgl. zu Bodmers Übernahme des Vergleichs Kap. IV, S. 175-176. Kaiser, Klopstock, 242. Vgl. ebd., 212 u. 242-243, wo einige "berühmte Gleichnisse aus der geistigen Welt" zusammengestellt sind, und Muncker, Klopstock, 131-134, der allerdings zum vorliegenden Gleichnis meint, daß "jede Ähnlichkeit
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Der Abschluß der Sequenz stilistischer Mittel, die Klopstocks epischen Anspruch im Werk aufzeigen und seinen modifizierenden Umgang mit den traditionellen Stilistika in Umrissen erkennbar machen soll, gilt den Invokationen und Exordien im 'Messias'. Daß dieses Merkmal epischer Werke, das nach Homers Vorbild zum verbindlichen Topos der Gattung geworden ist, in Klopstocks 'Messias' vorkommen würde, kann kaum überraschen. Als interessanter darf daher die Frage gelten, wie er dieses Mittel einsetzt, mit dem sich beispielsweise die Stellung zur Tradition oder poetische Maximen des eigenen Werks formulieren lassen. Durchaus traditionell sind im 'Messias' zunächst die Orte, an denen der epische Sänger in der ersten Person Singular in Apostrophen oder ähnlichen Ausrufen das Wort ergreift. 63 Den Eingang des ersten Gesangs und damit des ganzen Werks (1/1-23) akzentuiert Klopstock ebenso wie den des elften, der die zweite Hälfte des 'Messias' eröffnet (XI/1-21). Anfänge einzelner Gesänge (III/1-18, VIII/1-11, X/l-14, XV/1-4) und katalogartige Aufzählungen (H/295-299, Χ/225-231, XI/1567-1569) bieten Klopstock, wie den Epikern seit Homer, Gelegenheit für subjektivisch formulierte Einschübe des Erzählers. Wichtige Abschnitte der Handlung und Schauplatzwechsel, die oft, aber nicht immer mit dem Einschnitt zwischen zwei Gesängen zusammenfallen, 64 sind weitere Anlässe für Apostrophen oder ähnliche einleitende Worte. In Übereinstimmung mit der gattungsspezifischen Exordialtopik befindet sich Klopstock weiterhin, wenn er vor Katalogen und insbesondere an zentralen Punkten des Werks den Inhalt des Folgenden summarisch vorwegnimmt. Prägnante Beispiele hierfür sind die Einleitungen zum ersten und zum elften Gesang, aber auch der Eingang zu Gesang VIII, der einen Vorblick auf die letzten drei Gesänge der ersten Hälfte des 'Messias' enthält:
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zwischen den beiden Vorgängen, die der Dichter mit einander vergleicht", fehle (ebd., 132). Dagegen läßt sich mit Cramer, Klopstock, II, 239, darauf hinweisen, daß Johannes "es auch noch nicht [wußte], daß Christus seinem Tode jezt so nahe war". - Das stilistische Phänomen beschreibt bereits Jean Paul in der 'Vorschule der Ästhetik' (Werke, V, München 1980, 186): "Klopstocks Gleichnisse, von Seelenzuständen hergenommen, sind leichter zu machen als die homerischen körperlichen, weil man den geistigen Zustand leicht so zuschneiden kann, als man ihn braucht." Eine Übersicht der einschlägigen Stellen bietet Hamel in seinem Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, I, 214, und merkt dazu lapidar an: "Sie betreffen stets wichtigere Episoden". Beispiele für derartig motivierte Anrufe innerhalb von Gesängen sind V/347-357 (vor den Leiden Jesu auf dem Ölberg), X/150-153 (Ortswechsel von der Hölle nach Golgatha; das als terminus technicus gebräuchliche Wort "Schauplatz" wird in den Versen 151 u. 153 gebraucht) und XIII/696-703 (nach der Auferstehung Christi).
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Klopstocks 'Messias' Die du am Sion den heiligsten unter den Sängern Jehovah Sahst, von ihm lerntest, als er von dem ewigen Geiste gelehrt sang, Den der Richter im Tode verließ, den größten der Todten, Lehr, Sionitin, mich wieder; du lerntest himmlische Dinge! Komm, und leite den Schritt des wankenden, deines Geweihten, Führe mich in des Gekreuzigten Nacht. Des Heiligthums Schauer Faßt mich! ich will den Sterbenden sehn, ich will die gebrochnen Starren Augen, den Tod auf der Wange, den Tod in den schönsten Unter den Wunden! dich sehn, du Blut der Versöhnung! Er bebte, Rang mit dem Tode, da sank ihm sein Haupt, er blutete, neigte In die Nacht sein heiliges Haupt; da verstummte der Gottmensch. (VIII/1-11)
In der Bitte an die Sionitin, den Sänger "in des Gekreuzigten Nacht" zu führen, ist die Ankündigung des Inhalts der Gesänge VIII bis X enthalten. Darüber hinaus nimmt die zweite Hälfte des Absatzes, die formal kein Anruf an die Sionitin mehr ist, in wörtlichen Anklängen die am Schluß des zehnten Gesangs gegebene Todesschilderung vorweg (X/1041-1052). Ausdrücke wie "bebte", "blutete, neigte | [...] sein heiliges Haupt" werden dort, ebenfalls in gedrängtem, asyndetischem Stil, unmittelbar aufgegriffen. Und das hier noch verbalisierte Verstummen des Gottmenschen ist dort durch das Abbrechen des Verses nach der vierten Hebung augenscheinlich umgesetzt. Verknüpfungen solcher Art geben der Apostrophe eine zusätzliche Qualität. Mit der gattungsüblichen Inhaltsangabe verbindet sich ein strukturelles Element, das den achten bis zehnten Gesang zu einer auch formalen Einheit werden läßt und mit einem Rahmen unschließt. Aber noch in anderer Hinsicht ist die vorliegende Invokation der Sionitin bemerkenswert. Die Anrede mit "du" (VIII/1 u. 4) und der namentliche Anruf der "Sionitin" (VIII/4) 65 können ebenso wie die Imperative im Eingang des vierten, fünften und sechsten Verses ("Lehr", "Komm, und leite", "Führe")66 als typische Merkmale einer epischen Apostrophe gelten. Antikes Gepräge verleiht ihr Klopstock durch eine elliptische Fügung, die sich kaum hinlänglich 65
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Seit den Ausgaben von 1755 begegnet konsequent dieser Name und ersetzt stärker antikisierende Formulierungen wie "Muse von Tabor" oder "heilige Muse" (vgl. die früheren Lesarten zu 1/244, 1/578, 11/298, III/12, V/347 in Klopstock HKA, Werke IV/4, und die handschriftliche Frühfassung zu XVIII/17 in Klopstock HKA, Werke IV/5.2, 849). - Daß zwei zeitgenössisch diskutierte Schriften von Johann Daniel Müller (Vernünftige Gedanken über die Anrufung der Musen, Helmstedt 1746; Die bestätigte Thorheit der Anruffung der Musen, Frankfurt 1748; die erstgenannte Schrift wurde rezensiert nn: FN III [1746], 202-203, u. NB IV [1747], 137-149) Klopstock in seiner "Abwendung" von der heidnischen Muse beeinflußt haben, kann angenommen, aber kaum erwiesen werden. Denkbar ist gleichfalls ein Einfluß Gottscheds, der 1751 in seiner 'Dichtkunst' anmerkt: "Am besten ist es, wenn christliche Dichter keine heidnische Götter anrufen, als die heute zu Tage niemand glaubet oder ehret" (Gottsched AW VI/3, 126). Weitere Beispiele für Imperativische Anrufe sind im 'Messias' u. a. in 1/244, 11/298, III/16, VI/486, X/150 u. 225, XIII/850 u. 853 zu finden.
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erläutern läßt, ohne - nach Lessings Vorschlag - "hier und da die lateinische Sprache mit zu Hülfe" zu nehmen. 67 Denn der relativische Anschluß vom zweiten zum dritten Vers ist wohl wie folgt aufzufassen: "als er [David] von dem ewigen Geiste gelehrt [denjenigen] sang, den der Richter im Tode verließ, den größten der Todten f...]".68 Eine solche Konstruktion aber ist in zweifacher Weise als Latinismus zu bezeichnen. Erstens ist es im Deutschen ganz ungewöhnlich, ein Nomen oder Pronomen auszulassen, auf das sich wie hier ein anschließender Relativsatz und eine nachgestellte Apposition bezieht. Und zweitens weist die (bei Klopstock häufige 69 ) Verbindung des Verbs "singen" mit einem Akkusativobjekt, das den Gegenstand und Inhalt des Singens nennt, auf ähnliche Formulierungen in antiker Epik und allem voran auf Vergils "Arma virumque cano". Zur Topik der Gattung gehört in der zitierten Apostrophe schließlich die Vorstellung, daß die angerufene göttliche Macht Lehrerin des Dichters ist, ihm bei seinem Werk hilft, den Stoff und die Fähigkeit seiner poetischen Wiedergabe vermittelt oder schwierige Passagen selbst (durch Mund und Feder des Poeten) berichtet. Klopstock gibt der Sionitin diese Rolle beispielsweise vor dem Katalog der Seelen der künftigen Märtyrer im zehnten Gesang: "Sionitin, erzähle, | Wie sie lebten, und wie sie dem großen Sündeversöhner, | Jede nach ihren Gaben, im Pilgerleben sich weihten" (X/225-227). 70 Hingegen verwandelt er das vorgefundene topische Mittel in symptomatischer Weise, wenn er den epischen Sänger die göttliche Macht um Hilfe beim Verschweigen und Verhüllen der Erniedrigung des Messias bitten läßt: "O gieb mir die Hülle, | Sionitin, mit der, wenn du vor dem Ewigen schwebest, | Still du dich deckest, daß ich mit den Engeln mein Auge bedecke" (VI/486-488). Und: 67
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Lessing LM V, 90, spricht freilich nicht von der vorliegenden Stelle, sondern von den ersten fünf Gesängen, und wendet sich mit diesem Hinweis (und seiner anschließenden Übersetzung des Eingangs des 'Messias' in lateinische Verse) gegen den Vorwurf, "der Messias sey nicht zu verstehen". Kaum weniger kühn wäre es, wenn die Stelle als Inversion zu verstehen und so aufzulösen wäre: "als er [David] von dem ewigen Geiste gelehrt [den größten der Todten] sang, den der Richter im Tode verließ [...]". Statt von einer "nachgestellten Apposition" müßte dann von einem Akkusativobjekt gesprochen werden, das zur Hervorhebung des Superlativs hinter Prädikat und Relativsatz gerückt ist. Die elliptische, an lateinische Satzmuster erinnernde Wirkung bleibt bei einer solchen Auffassung erhalten. Vgl. 1/1, 23 u. 584, III/6, IV/1065, V/351 u. 356, X/5 u. 6, XI/13-15, XII1/723, XV/4, XVIII/20, sowie die Variante zu XIII/168; beim Vers X/5 schwankt Klopstock zweimal zwischen der im Deutschen üblichen Ausdrucksweise ("von dem Göttlichen singen") und dem latinisierenden "den Göttlichen singen" und entscheidet sich zuletzt - in Parallelität zu X/6 - für die zweite Variante (s. Klopstock HKA, Werke IV/5.1, 244). In ähnlicher Weise wird die Sionitin als Lehrerin und Vermittlerin der Materie u. a. in folgenden Versen angesprochen: 1/242, 1/578, H/295-299, XI/1567-1569, XIII/850-854.
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Klopstocks 'Messias'
"Aber ο du, die vom Gottversöhner ihr Antlitz gewandt hat, | Sing, Sionitin, die Geißhing, das Rohr, den Purpurmantel, | Und die Krone! doch nur mit Einem weinenden Laute" (VII/804-806). Am Anfang des achten Gesangs, der weiterhin als zentrales Beispiel dienen soll, wird die Sängerin vom Berg Sion in traditioneller Weise um Belehrung gebeten. Darüber hinaus weiß aber der Sprechende genauer um die Herkunft seines Stoffs, der erst auf dem Wege mehrfacher Vermittlung zu ihm gelangt ist. Denn die Sionitin, die ihn belehrt, hat ihr Wissen von David, dem "heiligsten unter den Sängern Jehovah", gelernt, dieser aber ist wiederum "von dem ewigen Geiste gelehrt". Somit bestimmt sich der Schüler der Sionitin zugleich als mittelbarer Schüler Davids und des Heiligen Geistes, von dem er im Eingang des 'Messias' die Weihe der Dichtkunst erbittet (I/10). 7 1 Als Macht, die als vermittelndes Glied in einer Kette zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre steht und dem Dichter Einblick in "himmlische Dinge" gibt, stellt Klopstock seine Muse mehrfach dar. Zu Beginn des dritten Gesangs bittet der Sänger diejenige um Belehrung, "die vom göttlichen Blick die ernste Gerechtigkeit lernte" (111/14). Vor Adams Gesicht vom Weltgericht, das im 18. und im ersten Teil des 19. Gesangs geschildert wird, nimmt die Sionitin wiederum eine Zwischenposition in einem komplexen Vermittlungsmodell ein: Christus gewährt Adam ein "Gesicht", das die "Prophetin" in höchster Erregung dem Dichter offenbart, der es der mit "euch" angesprochenen Hörergemeinde in wörtlicher Rede Adams berichtet. Auf jeder Stufe dieser Vermittlung, daran lassen die beiden Schlußverse des Abschnitts keinen Zweifel, 7 2 verliert die ursprüngliche Vision erheblich an Substanz (XVIII/1-34). Während zu Beginn des achten Gesangs die Sequenz vom Heiligen Geist über David und die Sionitin zum Dichter führt, gelangt hier der Stoff von Christus über Adam und die Sionitin zum Dichter, aber über diesen hinaus zu den menschlichen Zuhörern. Der Dichter selbst gerät damit in eine vermittelnde Position zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre, die er im poetischen Bild faßt: "Mit der Linken berührt' ich die Erde, mein Grab; und die Rechte | Hub ich gegen den Himmel empor" (XVIII/30-31). Indem Klopstock die traditionelle Vorstellung eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses zwischen Muse und Dichter zu einer Sequenz erweitert, die den göttlichen Ursprung der 71
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Der Begriff der "Weihe" begegnet in 'Messias'-Apostrophen (neben 1/10) mehrfach: Im zitierten Anruf bezeichnet sich der Epiker als "Geweihten" der Sionitin (VIII/6); die Aufforderung, daß "Freunde mein Grab mit Lorbern und Palmen umpflanzen" sollen (III/9), beinhaltet den Wunsch der eigenen Dichterweihe und -krönung (der "Wunsch nach diesen exotischen Gewächsen" mutet daher nicht "sonderbar" an, wie Hamel in seinem Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, I, 128, meint); und nach dem Katalog der Erstandenen heißt es: "allein in den Stunden der Weihe | Kommt die Sionitin, und nennt mir die himmlischen Namen" (XI/1567-1568). Mit einer Frühfassung dieser Verse beschäftigt sich Höpker-Herberg, 'Paradise Lost' und 'Messias', 44-52.
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Materie und die Einweihung des Dichters in die Geheimnisse des Stoffs behauptet, verfolgt er ein doppeltes Ziel. Einerseits beansprucht der epische Sänger keine unmittelbare Offenbarung, sondern schaltet zwischen die Quelle des Wissens und sich selbst mehrere gleichsam "filternde" Glieder und versucht mit diesem Modell einer mittelbaren Einweihung dem Vorwurf der Anmaßung vorzubeugen. Aber andererseits behauptet er eben doch die göttliche Herkunft seines Stoffs und erhebt für sich den Anspruch sowohl der göttlichen Auserwähltheit als auch die besondere priesterliche Rolle des eingeweihten Verkündigers. Bodmer gibt dem epischen Dichter einen Platz zwischen "Mensch" und "Engel", und Klopstock erklärt diesen in seiner Abschiedsrede zu einem "caelesti genio" 73 Die gleiche Sonderstellung des Epikers beansprucht Klopstock in Apostrophen des 'Messias', indem er in poetischen Bildern das Modell einer den numinosen Kern bewahrenden Translatio göttlichen Wissens entwirft. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Eingang des achten Gesangs formal nur in der ersten Hälfte eine Invokation einer göttlichen Macht ist. In den zweiten fünfeinhalb Versen spricht der Sänger die Sionitin nicht mehr direkt an. Vielmehr lassen sich drei verschiedene Aussagemodi feststellen: Einem subjektivisch formuliertem Ausruf der Ergriffenheit ("Des Heiligthums Schauer | Faßt mich!" VIII/5-6) folgt die Willensäußerung des epischen Subjekts, den Akt des Sterbens optisch mitzuerleben (6-9), bevor die wörtlich antizipierende Vergegenwärtigung des Todesmoments den Absatz im erzählerischen Präteritum beschließt (9-11). Während die letzten Verse eine Klammer zum Ende des zehnten Gesangs bilden, bringt sich der Sänger des 'Messias' in den Versen 5 bis 9 als Subjekt unmittelbar ein. In der asyndetischelliptischen Form der Willensäußerung wird die in der vorangehenden Akklamation ausgedrückte Ergriffenheit poetisch umgesetzt. Die Apostrophe an das "Blut der Versöhnung"74, in der der mittlere Passus gipfelt, stiftet eine gleichsam intime Beziehung zwischen dem singenden "ich" (VIII/7) und dem besungenen "du" (9), bevor Klopstock wieder zu dem formal objektiveren "er" übergeht (9-11). Das Verlangen des epischen Ich, unter dem Kreuz präsent zu sein und sich mit seiner Empfindung unter die zuschauenden Protagonisten zu mischen, schreibt dem 'Messias' eine Subjektivität ein, die den Mustern der Gattung fremd ist. Diese Subjektivität75 und die im Werk offenbare innere Beteiligung des Dichters aber gerade als typisch für den 'Messias' zu bezeichnen, erlauben weitere Äußerungen dieser Art, die vor allem in den Apostrophen und ähnlichen Einschüben zu finden sind. An den Anfang des achten Gesangs scheint 73 74 75
Vgl. Anm. 25. Vorliegende Stelle ist für Kaiser, Klopstock, 168-170, ein zentraler Beleg für Klopstocks pietistisch gefärbte "Blut- und Wundenverherrlichung". Zum "Schlagwort von der Subjektivität des Klopstockschen Erzählens" äußert sich Kaiser, Klopstock, 254-255.
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eine Stelle aus dessen Mitte anzuknüpfen, wo der Dichter seine apostrophierte Seele auffordert, sich "tief an das unterste Kreuz zu neigen", und ihr vorhersagt, daß sie "seine Wunden auch sehn wird" (VIII/250-254). 76 Das Fühlen des Sängers bei der Vollendung des Werks wird in diesem ebenso thematisiert (XVI/211-212) wie seine Empfindung bei einer mitleidsvollen "Geschichte der Wehmuth" (XV/468-475). Persönliche Umstände Klopstocks wie Krankheit und Todesahnung finden ebenso Eingang in den 'Messias' ( I I I / l - l l u. XVI/213-238) 77 wie Anreden an das Publikum, die eine Gemeinschaft zwischen Sänger und Zuhörern begründen (ζ. Β. 1/18-23 u. XVIII/31-32). Der Eingang zu Gesang VIII bietet Anschauungsmaterial für eine Reihe von Aspekten. Die komplexe Fragestellung, wie Klopstock im gattungstypischen Mittel der Apostrophe poetische Probleme des eigenen Werks zur Sprache bringt oder seine Stellung zur Tradition bestimmt, kann jedoch anhand dieses Beispiels nicht erschöpfend diskutiert werden. Zwar bedarf der Sänger, der sich selbst als "wankenden [...] Geweihten" bezeichnet (VIII/5), der Leitung und Führung, aber seine Fähigkeit, von dem folgenden Geschehen zu künden, zieht er hier nicht in Zweifel. Anders stellt sich die Selbsteinschätzung des Epikers dar, als er anhebt, die Leiden Jesu auf dem Ölberg zu schildern (V/347-357). Eine weitgespannte konjunktivische Konstruktion summiert Fähigkeiten, über die der Sänger sich nicht anmaßen darf zu verfügen. Aber selbst für den Fall, daß ihm "die Hoheit | Eines Propheten", "Eines Seraphs erhabene Stimme", der Ton der "Posaune" und "der Cherubim Donner" eigen wären, gilt die Konsequenz: "Dennoch ersänk' ich, du Gottversöhner! dein Leiden zu singen". Inhaltlich und in der Art der grammatischen Konstruktion knüpft Klopstock hier - wie Hamel anmerkt 78 - an antike Muster und insbesondere an eine Apostrophe aus der 'Ilias' an: Nie vermocht ich das Volk zu verkündigen oder zu nennen, Wären mir auch zehn Kehlen zugleich, zehn redende Zungen, War unzerbrechlicher Laut und ein ehernes Herz mir gewähret, Wenn die olympischen Musen mir nicht, des Ägiserschüttrers Töchter, die Zahl ansagten, wieviel vor Ilios kamen.79
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In den gleichen Kontext gehört auch der Eingang zu Gesang X. Während die letztgenannte Passage erst in der Ausgabe von 1780 zu finden ist (vgl. auch Hamel, Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, II, 297), teilte Klopstock den Anfang des dritten Gesangs bereits Mitte 1747 seinem Freund Becker mit und änderte ihn 1749 während einer Krankheit so ab, daß er "auf einen vorzeitigen Tod des Dichters angewandt werden" könnte (Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, 192; vgl. Klopstock HKA, Briefe I, Nr. 4 u. 35). Hamel, Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, I, 242, nennt neben Homer zwei Stellen bei Vergil, die ihrerseits auf Homers Vorbild beruhen dürften. Homer, Ilias. Odyssee, München 1979, 35 (Ilias 11/487-492). - In deutscher Sprache wiedergegebene Passagen aus dem Homer werden, der Einheitlichkeit und der Verbindlichkeit für das ausgehende 18. Jahrhundert wegen, in der gesamten vorliegenden Arbeit stets (auch wenn diese für Klopstock selbstver-
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Die Bescheidenheitsformel, mit der Homer sein Singen der Macht der Musen unterstellt, wird bei Klopstock zur Feststellung der absoluten Unerreichbarkeit des Gegenstands. Denn während der antike Dichter menschliche Kräfte auch in potenzierter Form für ungenügend, die der Musen aber durchaus für hinreichend hält, den Truppenaufmarsch vor Troja zu beschreiben, könnte der Sänger des 'Messias' selbst mit der Hilfe von göttlich begabten Mächten und Engelsstimmen sein Thema nicht erschöpfen. 80 Die Probleme, die göttliche Materie im menschlichen Wort 81 zu fassen, artikulieren sich im 'Messias' zum einen Teil in einer durch erregte Interjektionen, unterbrochenen Redefluß und ähnliche Mittel gestalteten Sprache. 82 Zum anderen Teil aber, und dieser begegnet vor allem in den Apostrophen und Exordien, wird die Unsagbarkeit des Themas nicht mimetisch, sondern eher diskursiv und reflektierend zum Ausdruck gebracht. Beide Aspekte treten an einigen Stellen des 'Messias' gemeinsam auf: Die Geißelung Jesu "nur mit Einem weinenden Laute" zu singen, bittet der Sänger die Sionitin (VII/804-806). Nur wenige Verse später bricht er selbst mitten in der Schilderung ab und bekennt sein Unvermögen: Dann .. Doch mir sinket die Hand die Harf herab, ich vermag nicht Alle Leiden des ewigen Sohns, sie alle zu singen! (VII/818-819)
Die Darstellung der Auferstehung Christi endet gar mit einem unvollständigen Vers, der nach dem finiten Verb "Auferstand!" (XIII/695) im Schweigen verhallt. Das Abbrechen des Hexameters verdeutlicht bildhaft die im Verseingang stehende "Stille" (XIII/704), mit der die Fortsetzung der Erzählung anhebt, und setzt das "Schweigen der Freude", das "Verstummen der Wonne" (XIII/185-186), das der Sänger für den Moment der Auferstehung vorhersagt, in eine rhetorische Figur um. Gleichzeitig ist durch den Kunstgriff des abbrechenden Verses die in der Portenser Rede ausgesprochene Maxime, daß vor
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ständlich nicht Vorbild sein konnte) nach Vossens Übersetzung zitiert. Die Stellen werden im folgenden im Text nach Gesang und Vers angegeben. Weitere Passagen, in denen selbst die Sionitin Schwierigkeiten hat, den Gegenstand ganz zu erreichen, finden sich in XI/58-59 ("Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es sprachen, | Kannst du, Sionitin, erzählen") und am Anfang des 18. Gesangs, wo ihr bei der Weitergabe von Adams Vision "Fast entsank die Harfe" (XVIII/24). Während er die Gefühle der Jünger bei Christi Himmelfahrt zu schildern versucht, merkt Klopstock, um den Abstand zwischen seinem Wort und dem Gegenstand kenntlich zu machen, in Parenthese an: "(ich rede | Menschlich von himmlischen Dingen)" (XIX/878-879). Schon zuvor begegnet die gleiche Formulierung aus dem Munde eines "der Pilger | Der ein Unsterblicher war": "Lasset uns menschlich reden von göttlichen Dingen; denn anders | Können wir nicht" (XVII/524 u. 528-529). Vgl. zu diesem Problemkreis (mit Schwerpunkt auf den geistlichen Gedichten) zuletzt Hilüard, "Stammelnd Gered'" und "der Engel Sprach'", in: DVjs LXI (1987), 266-297, sowie die dort in Anm. 1 genannte Literatur.
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Klopstocks 'Messias'
Gott das Schweigen die höchste Beredsamkeit sei, 8 3 augenscheinlich gestaltet. Im Raum der Stille, den der ungefüllte Hexameter läßt, erhebt jedoch der Dichter das Wort und spricht von seiner Situation: Auszusprechen, was jetzo geschah! mit dem Liede von fern nur Dieser Höhe zu nahn! davon, wie der leisere Nachhall, Nur zu stammeln, von jener Wonne, Erstandner, von deiner! Und von deren Freude, die jetzt dich sahen! zu kühn ist Dieser feurige Wunsch, und, indem ich vergebens gen Himmel Strebe mit ihm, vergebens! ein mächtiger Uberzeuger, Daß ich am Grabe noch walle, noch nicht der Erndte gesät bin, Welche die große Folge der Auferstehung des Herrn ist. ( X I I I / 6 9 6 - 7 0 3 )
Die Unfähigkeit des Singens ist dem Dichter Beweis seiner noch irdischen Existenz. Sie ist aber vor allem - wie an weiteren Stellen insbesondere im zweiten Teil des 'Messias' 84 - Indiz für die "Höhe" des Gegenstands und stellt die grundsätzliche Frage, wie sich das "Lied" seinem Thema "zu nahn" habe. Sich "von fern nur" dem Sujet zu nähern, lautet der hier als "zu kühn" begriffene "Wunsch", der in einer eigentümlichen Spannung zu der inneren Beteiligung des Sängers an dem Geschehen steht. Ferne bedeutet hier nicht fühllose Distanz eines objektiven Erzählers, sondern Erkenntnis der dem Menschen grundsätzlich unerreichbaren Erhabenheit Gottes. So ist es wohl zu verstehen, wenn der Sänger bittet, der "Erhöhung" Christi "von fern [...] | Nachschaun" zu dürfen (XIII/850-854), oder die mosaische Gottesbegegnung 85 als Vorbild seines verhüllten Blicks auf die Leiden Jesu bezeichnet und ausruft: "o laß in meiner Entfernung, | mich von deinem umschattenden Flügel ins Dunkle gesichert, | Gott, den leidenden Sohn, in seiner Todesangst sehn" (V/364-366). Die Gleichzeitigkeit von Distanz und Nähe ist so schon in der Frage enthalten, die den zweiten Teil des Prooimions des 'Messias' eröffnet und abschließend positiv beantwortet wird: Aber, ο That, die allein der Allbarmherzige kennet, Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahen die Dichtkunst? Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete, Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzückung, Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen.
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Vgl. Anm. 18. Ζ. Β. X I I I / 1 6 8 (dort vergleicht der Dichter sein Lied "dem sterbenden Wiederhalle" und präludiert damit das in X I I I / 6 9 7 Ausgesprochene), X V / 4 6 8 u. XVII/176-178. Die relative Häufung solcher "Unsagbarkeitstopoi" in den Gesängen X I - X X bestätigt dasjenige, was Klopstock in seinem Schreiben vom 30. oder 31. Oktober 1767 an Anna Cäcilie Ambrosius ausführt: "Ich will Ihnen eine Hauptschwierigkeit sagen die der Mess, vom Xlten Gesänge an bis zu Ende vor den ersten X Gesängen hat. Sie ist diese: Es ist viel schwerer die Freude als den Schmerz auszudrücken" (Klopstock HKA, Briefe V / 1 , Nr. 26). Vgl. V / 3 5 8 - 3 6 6 mit Exodus 33,18-23.
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Rüste mit deinem Feuer sie, du, der die Tiefen der Gottheit Schaut, und den Menschen aus Staube gemacht zum Tempel sich heiligt! Rein sey das Herz! So darf ich, obwohl mit der bebenden Stimme Eines Sterblichen, doch den Gottversöhner besingen, Und die furchtbare Bahn, mit verziehnem Straucheln, durchlaufen. (1/8-17)
Frage und Antwort, durch Aufnahme des gleichen Worts ("darf1, 1/9 u. 15) miteinander verbunden, umschließen ein Gebet an den "Geist Schöpfer", in dem die Bedingungen für die zuletzt erteilte Erlaubnis, das Werk zu wagen, genannt sind. Der Sänger wünscht sich auf mittelbarem Wege seine Weihe zum Dichter, indem er zunächst die Weihe der Dichtkunst und ihre Ausstattung mit besonderen Qualitäten, damit verschränkt aber seine Begabung mit der so charakterisierten Poesie erbittet. Als hinzutretende Conditio fordert er von sich selbst moralische Integrität. 86 Die grundlegende Erlaubnis, sein Thema mit den Mitteln der Dichtkunst zu gestalten, gibt sich der Epiker im Wissen um die Gefahr des Scheiterns, das er allerdings von vornherein als entschuldigt ansieht. Die Eingänge zum zehnten und zum elften Gesang, die an exponierter Stelle die im Prooimion angeschlagenen Themen aufgreifen und vertiefen, weisen durch wörtliche Korrespondenzen zurück zum Anfang des 'Messias'. Vor der zweiten Hälfte des Epos fragt der Sänger sich wiederum: "Aber darf ich mich auch des Vollenders Freuden zu singen | Unterwinden?" (XI/15-16) Zuvor rekapituliert er das in der ersten Hälfte Geleistete und reflektiert über die richtige Stilhöhe seines Singens. Denn er hofft, "nicht zu sinkend den Flug der Religion" zurückgelegt zu haben, und bittet die Sionitin, ihn nun - da er sich anschickt, die "Wonne zu singen" - "höher hinauf zu bringen (XI/1 u. 14). Daß es erlaubt ist, diese dem Werk immanenten Äußerungen als Beiträge des Autors zum Problem der Stilhöhe zu verstehen, bestätigt der Blick auf den Eingang des zehnten Gesangs. Das Bewußtsein, sich auf einem "furchtbaren Wege" zu befinden, verknüpft diesen ebenso mit dem Prooimion wie die Bitte um Nachsicht. 87 Die Schwierigkeit eines Stils, der dem Gegenstand angemessen ist und den Dichter nicht "Unter der Last der Betrachtung" erliegen läßt, wird gefaßt im Bilde der Gratwanderung: Auf beyden Seiten ist Abgrund! Da zu der Linken: Ich soll nicht zu kühn den Göttlichen singen! Hier zu der Rechten: Ich soll ihn mit feyrlicher Würdigkeit singen! Und ich bin Staub! (X/4-7)
Zwischen den Polen "Vermessenheit" und "Unwürdigkeit" die richtige Stilhöhe zu finden, stellt der Dichter des 'Messias' an zentralen Stellen des Werks als besonderes Problem dar. Gleich anderen in den Apostrophen festgestellten 86
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"Hinzutretend" ist diese Bedingung auch im textgeschichtlichen Sinne, da sie erst seit 1755 und zunächst in einer deutlicher an das eigene Subjekt gerichteten Form auftritt: "Rein sey mein Herz!" Vgl. Klopstock, HKA Werke IV/4, 6. X/l-14, hier 1 u. 14: "wenn ich strauchle, vergieb mirs!" Vgl. 1/17.
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Phänomenen - wie der subjektiven Anteilnahme des Sängers und der punktuellen Unsagbarkeit des Geschehens - hängt diese Problematik eng mit dem herausragenden Rang des Gegenstands zusammen. Denn die Frage nach der angemessenen Stilhöhe zielt, wie aus den besprochenen Passagen hervorgeht, stets primär auf die Materie. Wenn Klopstock also in den Invokationen und Exordien des 'Messias', die als stilistische Mittel bereits die Zugehörigkeit zur epischen Gattung reklamieren, poetische Probleme artikuliert, dann unterstreicht er damit auch den besonderen Anspruch seines Werks und begründet diesen vor allem im besungenen Stoff. Den Vergleich, zu dem er durch die beschriebene stilistische und formale Anlehnung an die antiken Muster 88 herausfordert, entscheidet er selbst zu Gunsten seines Werks. Daß er den Stoff zum ausschlaggebenden Kriterium dieser Entscheidung macht, erneuert sein zuerst in der Abschiedsrede begegnendes Bild der epischen Gattung. Bereits im ersten Gesang, am Ende eines längeren Anrufs an Eloa, konfrontiert der Sänger, der von sich hier in der dritten Person spricht, implizit seinen Gegenstand mit dem weltlichheroischer Epik: Ο so hör' ihn, Eloa, wenn er, wie die Jugend des Himmels, Kühn und erhaben, nicht singt verschwundene Größe des Menschen, Sondern des Todes Geweihte, der Auferstehung Geweihte Zu der Versammlung der Himmlischen führt, Zu dem Rathe der Wächter. (1/583-586)
Wird in der vorliegenden Formulierung, die erst in der Ausgabe letzter Hand zum Druck kommt, 89 allgemein die Unterlegenheit nur menschlicher und damit vergänglicher Stoffe gegenüber religiöser Materie behauptet, so läßt die frühere Lesart an Homers 'Ilias' denken. Denn die "modernde Trümmern der Vorwelt" (1/584) könnten durchaus das vom Erdboden getilgte Troja meinen. 90 Wenn der Sänger schließlich an die Unvergänglichkeit seines Werks
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Zu ergänzen wären u. a. wörtliche Übernahmen, deren erste im fünften Vers des 'Messias' zu finden ist. Die Formulierung "Also geschah des Ewigen Wille", die Klopstock später wiederholt (XIV/731), greift Homers "Διός δ" έτελείετο βουλή" auf, das sich im gleichfalls fünften Vers der 'Ilias' findet, und läßt sich als christliche Kontrafaktur des heidnischen Musters bezeichnen. Auf die Parallele macht bereits Cramer, Klopstock, II, 23, aufmerksam. In Klopstock HKA, Werke IV/4, 104, ist zu erkennen, daß der Dichter die endgültige Variante bereits in zwei Handexemplaren der Ausgabe von 1780/81 eingetragen hat. Klopstock HKA, Werke IV/4, 104. Georg Friedrich Meier, Klopstocks früher Apologet, bezieht diese Verse offenbar geradewegs auf die Muster der Gattung. Denn zum Abschluß seiner Bemerkungen über die Handlung des 'Messias', die er "eine unendlichmal grössere That, als Schlachten gewinnen und Städte erobern" nennt und daher über 'Ilias' und 'Aeneis' stellt, zitiert er die Verse zustimmend (Meier, Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias, I, 8-10).
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glaubt, dann bietet ihm hierfür nicht die dichterische Leistung oder die Wahl der höchsten Gattung die Gewähr, sondern wiederum die erhabene Materie: "Du aber, Gesang von dem Mittler, | [...] | Sieger der Zeiten, Gesang, unsterblich durch deinen Inhalt" (XV/470-472).
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Klopstocks 'Messias'
2. Episodenreichtum und Handlungsarmut: Probleme des 'Messias' Klassizistische Disposition In seiner 'Critischen Dichtkunst' stellt Gottsched exakte Forderungen an die zeitliche Ausdehnung und Disposition der Handlung eines Heldengedichts: 34. §. Es darf aber der Poet in seinen Erzählungen nicht immer der Zeitordnung folgen; sondern auch zuweilen mitten in einer Begebenheit etwas nachholen, was lange zuvor geschehen ist: wie es Virgil mit der Eroberung der Stadt Troja gemacht hat. Die Länge der Erzählung in einem Heldengedichte kann nicht größer seyn, als ein halbes Jahr. Homers Ilias dauert nicht länger als 47. Tage, wie Aristoteles selbst angemerket hat. Seine Odyssee währet nur 58. Tage, wie der Pater le Bossu solches nachgezählet hat [...]. Vom Virgil hat man sonst gemeiniglich dafür gehalten, sein Gedichte daurete ein Jahr und etliche Monate. Allein eben dieser geschickte Kunstrichter hat es sehr wahrscheinlich erwiesen, daß auch die Aeneis nur einen Sommer und einen Herbst in sich begreife [...].91
Von Homer und Vergil, den antiken Mustern der Gattung, und von Aristoteles und Le Bossu, der klassischen und der klassizistischen Autorität in Fragen der Poetik des Epos, leitet Gottsched seine apodiktischen Regeln her. Eine darüber hinausgehende Begründung etwa aus der Natur des epischen Gedichts gibt er nicht. Umso erstaunlicher ist bei einer ersten Annäherung an die Gesamtstruktur des 'Messias' die Beobachtung, daß Klopstock sich an den von Gottsched definierten Normen zu orientieren scheint. Denn die Handlung des 'Messias' setzt zwischen Palmsonntag und Karfreitag ein und endet mit Christi Himmelfahrt. Sie ist im aristotelischen Sinne vollständig und einheitlich, hat Anfang, Mitte und Ende. 9 2 Die Zeitspanne umfaßt, nach der traditionellen Projektion der Heilsgeschichte in das Kirchenjahr, wenig mehr als vierzig Tage und bleibt damit noch knapp unter dem für die 'Ilias' errechneten Maß. Die von Gottsched gleichfalls geforderte rückblickende Einschaltung der Vorgeschichte ermöglicht die Konzentration auf diesen eng umgrenzten Zeitraum, indem sie Voraussetzungen der Haupthandlung in diese selbst integriert. Auch dieses Mittel findet im 'Messias' Anwendung: Als Satan der Höllenversammlung Bericht über seine "Zögrung auf Erden" (11/431) erstattet, erzählt er "die Geschichte des Stolzen" (11/455-584). In einem weit ausholenden Rückblick auf Geburt und Flucht nach Ägypten, Jugend und Begegnung mit Johannes dem Täufer macht er seine Untertanen mit dem gemeinsamen Feind bekannt und bereitet den Entschluß der Tötung Jesu vor (11/595: "Er soll sterben"). Anders als Lavater in 'Jesus Messias. Oder Die Evangelien und die Apostel91
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Gottsched AW VI/2, 303. In der letzten Auflage erwähnt Gottsched ferner, daß auch Schönaich in seinem 'Hermann' die Technik des in die Erzählung integrierten Rückblicks anwendet (ebd. VI/3, 126). Vgl. Grimm, Marginalien zu Klopstocks 'Messias', in: GRM XLII (1961), 277.
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geschichte, in Gesängen' und Am Ende in seiner 'Christeis', die ihre Vorlagen jeweils linear nacherzählen, beschränkt sich Klopstock in klassizistischer Weise auf einen zentralen, durch Einschübe erweiterten Handlungsausschnitt. Für die Großstruktur des 'Messias* ist insbesondere das Vorbild Vergils greifbar. Der Zweiteilung in eine "odysseeische" (Buch I-VI) und eine "iliadische" Hälfte (Buch VII-XII) korrespondiert hier, freilich ohne jede inhaltliche Anknüpfung, die Gliederung in gleichfalls zwei deutlich voneinander geschiedene Hälften, deren erste Leiden und Tod (I-X) und deren zweite Auferstehung und Verherrlichung (XI-XX) schildert. Schließt in den Epen Homers nach dem entscheidenden Kampf des Achilleus gegen Hektor sowie des Odysseus gegen die Freier jeweils ein Epilog das Werk ab, so wird bei Vergil der Kampf zwischen Aeneas und Turnus erst im letzten Vers für den Titelhelden entschieden: "vitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras." 93 Eine Komposition, die Klimax und Schluß vereinigt, ist auch in Klopstocks Werk festzustellen. Die Inthronisation Christi, die den Höhepunkt seiner Verklärung und die Wiedervereinigung des Sohns mit dem Vater bedeutet, bildet zugleich den Schluß des Werks: "Indem betrat die Höhe [!] des Thrones | Jesus Christus, und setzete sich zu der Rechte des Vaters" (XX/1186-1187). Allerdings akzentuiert der Dichter in gleicher Weise den Schluß des zehnten Gesangs und damit der ersten Hälfte. Dort tritt mit dem letzten, abbrechenden Vers der Tod Jesu ein: Er rufte mit lechzender Zunge: Mich dürstet! Ruft's, trank, dürstete! bebte! ward bleicher! blutete! rufte: Vater, in deine Hände befehl' ich meine Seele! Dann: (Gott Mittler! erbarme dich unser!) Es ist vollendet! Und er neigte sein Haupt, und starb. (X/1048-1052)
Der Tod des Helden erhält damit aber kompositorisch den gleichen Stellenwert wie seine Verherrlichung. Er übertrifft diese noch an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß der Tod in zentraler Position steht und die Mittelachse des Werks bildet. 94 Das von Vergil vorgeformte Prinzip, den Zielpunkt einer Handlung mit dem Ende des Werks zusammenfallen zu lassen, übernimmt Klopstock und variiert es, indem er den Tod Jesu an das Ende der ersten Hälfte komponiert. Demgegenüber scheint Klopstock die Auferstehung Christi, einen weiteren unbestreitbaren Höhepunkt des Stoffs, in rein kompositorischer Hinsicht weniger stark zu akzentuieren. Denn sie wird nicht an den Anfang oder das Ende eines Gesangs gerückt, sondern mitten im 13. Gesang (Vers 695) dargestellt. Allerdings bedient sich der Dichter eines anderen auf Vergil zurückwei93 94
Vergil, Aeneis, München/Zürich 1983, 558 (XII/952). Die Stellen werden im folgenden im Text nach Buch und Vers angegeben. Vgl. zu diesem Kompositionsmerkmal und seiner Bedeutung: Manger, Klopstocks poetische Kathedrale, in: Hofe / Pfaff / Timm (Hrsg.), Was aber bleibet stiften die Dichter?, München 1986, 37-64.
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senden Kunstgriffs, um Tod und Auferstehung als tragende Pfeiler seines Werks nebeneinander zu stellen. Ebenso wie angesichts des Todes fehlen dem Dichter im Moment der Auferstehung die Worte, und der Hexameter bricht unvollendet ab. In den autorisierten Gesamtausgaben des 'Messias' begegnen solche Verse, die aus den unfreiwillig fragmentarischen Hexametern der 'Aeneis' ein Kunstmittel des stummen Gedenkens und des schweigenden Lobpreises machen, exklusiv an den beiden genannten Stellen. 95 Indessen betont Klopstock den Stellenwert der Auferstehung noch darüber hinaus: Er "zitiert" den unvollständigen Vers, der nur das Wort "Auferstand!" (XIII/695) enthält, in den letzten Gesängen des 'Messias' mehrfach, indem er dieselbe finite Verbform in die gleiche auffällige Position am Verseingang rückt. 96 Der Gegenstand des 'Messias', den Klopstock im ersten Vers seines Epos als "der sündigen Menschen Erlösung" bestimmt, wird in einem klassizistisch engen Zeitrahmen gefaßt und auf eine äußerlich wenig umfangreiche Handlung konzentriert. Durch differenzierte Mittel der Disposition und der formalen Darstellung, die Merkmale der 'Aeneis' variieren, ergibt sich eine dreigipflige Struktur des Werks, die die als zentral vorgegebenen Ereignisse Tod, Auferstehung und Verherrlichung exponiert. Schon diese Struktur stellt dem Dichter die Aufgabe, dem Zerfallen des Werks in große, nur unvollkommen miteinander verbundene Handlungsblöcke zu begegnen. Mehr noch setzt sich Klopstock der Gefahr, den eigenen Rahmen zu sprengen, durch charakteristische Eigenheiten seines Erzählens aus. Denn im 'Messias' ist die lineare Erzählordnung nur zum kleineren Teil in jener Weise durchbrochen, die Gottsched in Anlehnung an antike Muster im zitierten Paragraphen seiner
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In der ersten Ausgabe der Gesänge I-V (Halle 1751) ist der Vers V/325 unvollständig geblieben. Lessing weist zu dieser Stelle als erster auf "die halben Verse bey dem Virgil" hin und merkt an, daß Klopstock "einen Kunstgrif' anwende, "den man bey dem Virgil für eine Unvollkommenheit" ansehe (Lessing LM IV, 402). Allerdings scheint diese "Unvollständigkeit des Verses", die in früheren handschriftlichen und späteren gedruckten Textzeugen nicht existiert, weniger "absichtsvoll" zu sein als Lessing meint, da sie wohl "Folge einer unvollständig ausgeführten Variation" ist (vgl. Klopstock HKA, Werke IV/4, 685). Vgl. die folgenden Verse, die nach dem identischen Eingangswort eine in dieser Position ungewöhnlich starke Zäsur aufweisen, aber freilich nicht abbrechen: XIV/457-458 ("Und erstaunen über den Herrn, der vom Tode des Kreuzes | Auferstand!"), XVII/364-365 ("da Jesus Christus | Auferstand!"), XVII/732-733 ("daß der Mittler | Auferstand") und XIX/776-777 ("seitdem von dem Tod' er | Auferstand"). Ferner finden sich Anklänge an den abbrechenden Vers in XIII/707-708 ("Denn sie sahen den Sohn, nach seinen Todeskämpfen, | Auferstanden!"), XIV/473-474 ("Ach auferstanden ist Jesus Christus! | Auferstanden!"), XV/1113-1114 ("so hätten wir ihn dort | Auferstehn vielleicht, ist er auferstanden, gesehen!") und XVII/445-446 ("es entkeime dereinst dem gesunknen Gebeine | Auferstehung!").
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'Dichtkunst' fordert. 97 Zum größeren Teil jedoch sind die nun zu beschreibenden Charakteristika des 'Messias' mit der antiken Technik des integrierten Rück- oder Vorblicks, der die insgesamt dominante geradlinige Disposition zwar unterbricht, aber nicht aufhebt, kaum zu vergleichen. 98 Sie bedeuten vielmehr eine qualitativ andersartige Irritation der erzählerischen Ordnung. Integration der Ewigkeit Die von Klopstock gewählte Materie weist nach orthodox theologischer Anschauung, der die Christusreligion des Dichters weitgehend entspricht, 99 in extremem Grade über sich hinaus. Die "Erlösung der Menschheit durch den menschgewordenen Gottessohn Jesus Christus [...] ist das Herzstück einer geschichts-theologischen Sicht der Welt, Mitte der Geschichte, auf die von Anfang verwiesen ist durch die Erscheinungen und Offenbarungen Gottes vor seinen Propheten und seinem auserwählten Volk; Mitte der Geschichte auch insofern, als dem gesamten folgenden Weltlauf von Christus sein Ziel gesetzt ist."100 Der Dichter, der die Dimension des Themas innerhalb eines klassizistisch angelegten Epos auch nur annähernd erreichen will, hat den überzeitlichen Anspruch seines Gegenstands mit der zeitlichen Struktur des Werks gestalterisch in Einklang zu bringen. Ein Mittel, um die Bedeutungsdimension der Erlösung im Werk zu gestalten, bot sich Klopstock im Neuen Testament und in der exegetischen Tradition. Dort nämlich werden in vielfältiger Weise alttestamentliche Personen und Geschehnisse als Vorbilder interpretiert, die in der Erlösung ihre gesteigerte Erfüllung finden. Das als "Typologie" bekannte hermeneutische Verfah-
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Neben der von Gottsched primär gemeinten Technik der rückblickenden Integration der Vorgeschichte, für die oben ein Beispiel aus dem 'Messias' genannt wurde, wäre ergänzend noch der Vorblick auf Zukünftiges zu nennen. Ausgeprägt findet sich ein solcher etwa in der "Heldenschau" des Anchises (Aeneis VI/756-892). Klopstock imitiert dieses Stilmerkmal klassischer Epik formal in dem Gesicht des Johannes vom kommenden Pfingstereignis (XIX/889-953) und vor allem in Adams Vision vom Gericht Christi (XVIII u. XIX/1-259). Die symptomatische Abwandlung dieses Kunstmittels durch Klopstock wird innerhalb des nächsten Abschnitts erörtert. 98 Vgl. Kaiser, Klopstock, 227. In seiner Argumentation, die sich vor allem gegen Kindt richtet, dürfte Kaiser jedoch zu weit gehen, wenn er Klopstocks Orientierung am "Kompositionsprinzip des antiken Epos" ganz in Abrede stellt. Es scheint vielmehr gerade charakteristisch für Klopstock zu sein, daß er einerseits auf eine klassizistische Gestaltung größten Wert legt, andererseits aber Lösungen sucht, die über eine bloße Imitation der Gattungsmuster weit hinausgehen. Vgl. das Epigramm 'Aufgelöster Zweifel', das die Empfehlung gibt: "Wenn Genius in deiner Seele brennet; | So ahm dem Griechen nach. Der Griech' erfand!" (Klopstock HKA, Werke II, 12, Nr. 26) 99 Kaiser, Klopstock, 113. 100 Kaiser, Klopstock, 108.
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Klopstocks 'Messias'
ren eignet sich Klopstock - wie Dräger in seiner wenig beachteten Arbeit eindrucksvoll nachweisen kann 1 0 1 - als dichterisches Kunstmittel an. Mehrfach spricht der Dichter das Verhältnis von präfigurierendem Typus und erfüllendem Antitypus, von Vorbild und Bild, explizit aus: Als Jesus vor Pilatus geführt wird, erblickt er "den Tempel, | Der nun, wenige Stunden nur noch, des Versöhnenden Opfer | Bilden soll" und "Schaut [...] vom Tempel gen Himmel" (VII/54-57). Der Tempel Jerusalems auf dem Gipfel des Moria wird damit ausdrücklich als Vorbild für die Versöhnungstat des Messias interpretiert. Er ist dies insofern, als die darin dargebrachten jüdischen Brandopfer, bestehend aus einem geschlachteten Lamm sowie Mehl und Wein als Speisund Trankopfer, aus christlicher Sicht den Opfertod Jesu in präfigurativer Analogie antizipieren. 102 In Jesu Blick zum Tempel aktualisiert Klopstock diesen Zusammenhang. Er betont weiterhin, daß das Vorbild seine alsbaldige Erfüllung findet und im Bild überhöht und aufgehoben wird, daß die Erlösung durch den Messias über den jüdischen "Tempel" hinweg zum christlichen "Himmel" führt. Klopstock nimmt diesen Gedanken auf und expliziert erneut das Verhältnis von Typus und Antitypus, wenn er Gott Vater und Sohn nach dessen Tod am Kreuz über das "Volk" reden läßt, "deß Söhnungsaltär' aufhörten | Bilder des ewigen Opfers zu seyn! deß Tempel nun Trümmer, | Bald nun Staub ist!" (XI/63-65) Wiederum im gleichen Bildbereich bekennt Klopstock seine Zugehörigkeit zur Tradition der typologischen Exegese, wenn er Jesus bei seinem Aufstieg zum Ölberg "Schimmer der Opfer" vom Tempel auf Moria sehen läßt, "Die den ewigen Vater noch jetzt in Bilde versöhnten" (1/51-52). 103 Die am stärksten in der Tradition verankerten alttestamentlichen Vorbilder für den Opfertod Jesu, der Brudermord an Abel und die Opferung des Isaak, werden im 'Messias' in unterschiedlichen Formen und Funktionen mit diesem in Zusammenhang gebracht. Neben die deutliche Bezugnahme auf typologisches Denken tritt die versteckte Anspielung, neben den Vergleich zwischen Vorbild und Bild die Metapher. 1 0 4 So wird die ausführliche
101 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', Göttingen 1971. Zur Typologie insb. 7-11, 20-30, 51-115 u. zusammenfassend 227-229. Auch Kaiser, Klopstock, 114 u. 226, weist beiläufig daraufhin, daß Klopstock "die typologischen Verknüpfungen zwischen Altem Testament und Neuem Testament bewußt" pflege. Vgl. ferner Grimm, Marginalien zu Klopstocks 'Messias', 280. 102 Vgl. die weiterführenden Hinweise bei Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 26. 103 Vgl. Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 25-26, der auch darauf hinweist, daß sich in der Textfassung von 1748 hier noch der "eindeutig typologische Terminus" "vorbildend" findet. - Vgl. ferner VIII/274-275: "Rings umher in der ganzen Schöpfung flammten die Opfer, | Bilder des blutenden Opfers am Kreuz: ein himmlischer Anblick!" 104 Vgl. zu den folgenden Beispielen Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 54-67, zuletzt mit einer zusammenfassenden Übersicht der Formen und Funktionen.
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Beschreibung, in der Isaak im Angesicht des sterbenden Jesus seine eigene Opferung vergegenwärtigt, von Kommentaren gerahmt, die beide Protagonisten in das Verhältnis von Präfiguration und Erfüllung bringen: Denn ihm [Isaak] war die Jünglingsgestalt nach dem Tode gegeben, Daß er dem Himmel auf ewig den Gottgeopferten bilde! Isak sprach: [...] Ach, dein Isak wurde gewürdigt, Gottes Opfer, das Opfer, das nun auf Golgatha blutet, Vorzubilden! (IX/275-296)
Wird hier die Verbindung zwischen Isaak und Jesus eigens betont und damit das frühere Opfer im Hinblick auf das aktuelle funktional interpretiert, so ist andernorts ein typologischer Kontext nur vage angedeutet. In stärkster Verkürzung bringt Nikodemus die bevorstehende Verurteilung des Messias, die er abwenden will, in Parallele mit Kains Brudermord, indem er für das Jüngste Gericht Gottes anklagende Frage vorhersagt: "Juda, Juda! wo ist dein Messias?" (IV/263) In der formalen Anspielung auf Gottes Frage an Kain nach dessen Bluttat 1 0 5 ist für den exegetisch geschulten Leser dasjenige enthalten, was der Redner im Synedrium gerade verhindern will: das unausweichliche Eintreffen der durch den Mord an Abel prophezeiten Tötung Jesu. 1 0 6 Vertieft wird diese Parallele zwischen Jesus und Abel, zwischen den Mördern und Kain, in den metaphorischen Benennungen, die Moses vor der Grablegung ausspricht: "Lange wird Er mit euch, die diesen Abel erwürgten, | Siehe der Eine, der ewig ist, rechten: Ihr Kain, ich kenn' euch!" (XII/175-176) Als Beispiel für einen vergleichenden Bezug auf den Typus Abel mag eine Stelle vom Ende des fünften Gesangs dienen: Und er neigte sich tief, rang seine Hände gen Himmel, Und verstummte. [...] So lag, umströmt von des Himmels Ihm nun nächtlichen Wolken, umströmt von Blute, so neigte Abel sich, als er entschlief, und seinen Vater nicht sähe. (V/811-815)
Der Dichter weist, indem er Abels Tod im letzten Halbvers als einen einsamen beschreibt, auf Jesu Gottverlassenheit und interpretiert durch den AbelJesus-Vergleich, mit dem das Thema des Brudermords unweigerlich assoziiert ist, schon die Leiden in Gethsemane als solche, die von Bruderhand zugefügt werden. 1 0 7
105 Luther, Heilige Schrifft, 31 (Genesis 4, 9): "Da sprach der H E R R zu Kain / Wo ist dein bruder Habel?" - Bereits Cramer, Klopstock, III, Dessau 1782, 56, merkt zu der zitierten Stelle an: "Anspielung auf die Geschichte Cains." 106 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 65. 107 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 60-61. - Als Adam in seiner Vision vom Weltgericht von Christen berichtet, die "Christen verfolgend" als Brüder "die Brüder erwürgten", sieht er vor einem geistigen Auge "am Opferaltare | Abel in seinem Blut'" (XVIII/58-62).
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Klopstocks 'Messias'
Indem sich Klopstock das Verfahren der typologischen Deutung dichterisch aneignet 108 , übernimmt er nicht nur dessen "wirkungsvolle Bestätigungsoder Zeugnisfunktion". 109 Er interpretiert das Erlösungsgeschehen zugleich als Kulminationspunkt, auf dem vorangegangene Offenbarungen Gottes zur Erfüllung kommen. Die zentrale Bedeutung und die außerordentliche Dimension, die der Kreuzestod nach christlicher Anschauung hat, werden damit in seine Darstellung selbst integriert. Die poetische Anwendung dieser exegetischen Methode im 'Messias' bedeutet so, in weit höherem Maße als dies etwa bei der rückblickenden Erzählung der Vorgeschichte der Fall ist, ein "Überschreiten der Zeitgrenzen des eigentlichen Darstellungsgegenstandes durch den Rückgriff auf viel Früheres". 110 Außerdem wird in der "Gegenüberstellung von Verheißung und Erfüllung", die "die unverbrüchliche Ordnung und Verläßlichkeit des göttlichen Heilsplanes" unmittelbar evident macht, das Zeitliche durchsichtig "für Außer- und Überzeitliches, nämlich für das in Gott jenseits aller irdischen Historie ewig vollkommene Heil". 111 Die Figuren des Alten Testaments sind im 'Messias' nicht nur im poetischen Bild präsent. Isaak nämlich vergegenwärtigt, wie gesehen, seine Opferung in eigener wörtlicher Rede. Er ist, in welcher Form dies auch immer zu denken sein mag, ein Protagonist des Epos und teilt damit nicht nur das Schicksal vieler der Väter Israels, sondern beispielsweise auch das der Seelen der künftigen Märtyrer, deren späteres irdisches "Leben der Prüfung" in katalogartiger Reihung geschildert wird (X/154-419, hier 215 u. 419). Gewaltige Personalmassen scharen sich in einer räumlich kaum vorstellbaren Weise 112
108 Über die gegebenen Exempel hinaus analysiert Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', insbesondere anhand der Verwendung des Josephs-Typus weitergehende "Sinnschichten der typologischen Verweisung" (ebd., 68-88) und beschreibt vor allem anhand der Semida-Cidli-Episode "abgeleitete Funktionen" derselben (ebd., 89-115). Er kommt zu dem Ergebnis: "Typologisches Verweisen als episches Kunstmittel erschöpft sich nun bei Klopstock [...] nicht im beglaubigenden und erhellenden Nebeneinander von Vorbild und Erfüllung, sondern dient auch der gehaltlichen Vertiefung und Ausleuchtung von Figuren und Vorgängen außerhalb des in der Überlieferung festgelegten heilsgeschichtlichen Bezugssystems" (ebd., 228). - Als weiteres Beispiel für Klopstocks Anwendung des exegetischen Verfahrens nennt HöpkerHerberg (Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, 241) den Vergleich zwischen Nebukadnezars und Sammas Rettung (11/198-206) und bemerkt, daß Klopstock so "außerordentliche Verdichtungen" gelingen. 109 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 55. 110 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 55. 111 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks'Messias', 55. 112 Vgl. zur räumlichen "Unanschaulichkeit" im 'Messias' Kaiser, Klopstock, 215-223. - Klopstock scheint die Anordnung der Zuschauer beim Erlösungstod in einem Modell konzentrischer Kreise zu imaginieren: Engel bilden auf Golgatha einen "Kreis" (VIII/23); "der große | Festliche Kreis der Engel", ja die "Versammlung | Aller Himmel [...] umgiebt" den Versöhner (IX/539-541 u.
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um das Kreuz auf Golgatha (Gesänge IX und X). Der elfte Gesang konzentriert wiederum eine große Anzahl alttestamentlicher Figuren, indem Klopstock die Auferstehung der Väter (nach vorangegangener theologischer Beratung 113 ) als unmittelbare Wirkung des Sterbens des Messias darstellt. In symmetrischer Entsprechung zielt beides, die Versammlung unter dem Kreuz und die Auferstehung Adams und seiner Nachkommen, auf die Mittelachse des Werks, den am Ende des zehnten Gesangs eintretenden Tod Jesu. Die Bedeutung dieses auch in der kompositorischen Anlage zentralen Ereignisses 114 wird durch personale Präsenz unterstrichen. Die "heiße Teilname" der "Zuschauer im Messias" bietet - wie der Dichter selbst darlegt - nicht nur dem Leser die Möglichkeit, sich "an die Stelle jener Teilnämer" zu denken, sie setzt auch "di Handlung" selbst "in ein helleres Licht".115 In hellerem Licht steht das Erlösungsgeschehen aber vor allem insofern, als mit der Anwesenheit von Figuren, die der gesamten vorchristlichen Zeitspanne angehören, die historische Fixierung der Handlung von einem überzeitlichen Anspruch überlagert wird. Eine idealiter unendliche Menge bedeutsamen Personals von zeitlich disparater Herkunft, die die sich identifizierende Lesergemeinde einschließt, konzentriert sich so auf einen prägnanten Punkt. Umgekehrt wird damit das punktuelle Ereignis auf Golgatha, das im Moment des Todes kulminiert, als allgegenwärtig und immerwährend gültig interpretiert. Deutlich wird die Integration der Ewigkeit in einen knappen Handlungsrahmen auch an der Rolle, die Adam im 'Messias' einnimmt. Als Stammvater der Menschheit, deren Erlösung das Gedicht zu singen sucht, ist er zur Repräsentation prädestiniert und nimmt diese Aufgabe, zum Teil gemeinsam mit Eva, in langen Gebeten wahr. 116 Denn sein Sündenfall bedingt die Sündenverfallenheit des Menschen. Schon im Prooimion ist dieser Zusammenhang zu erkennen, wenn die "sündigen Menschen" als "Adams Geschlecht" bezeichnet werden (1/1 u. 3). 117 Ferner wird Adam als erste alttestamentliche Gestalt in das Gedicht eingeführt. Nachdem Eloa die "himmlischen Hörer"
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559-561); "Jesus [...] schaute | Auf die Schaaren, die ihn, von allen Seiten umringten" (X/154-155). Bereits am 7. Juni 1749 fragt Klopstock bei Bodmer an, "ob es Ihnen wahrscheinlicher ist, daß die Leiber der Heiligen zur Zeit des Todes Jesu auferstanden, oder ob dieß erst nach seiner Auferstehung geschehen" (Klopstock HKA, Briefe I, Nr. 30, 84-86). J. C. Heß, dem Bodmer die Frage des Dichters weitergibt, rät in wörtlicher Berufung auf Matthäus 27, 52-53, zur erstgenannten Auslegung, für die sich Klopstock in der späteren Ausarbeitung dann auch entscheidet (vgl. Zehnder 482-483 u. Klopstock HKA, Briefe I, 265-266). Vgl.Anm. 94. Briefe von und an Klopstock, 401 (Beilage zum Brief an Cramer, 29.6.1799). Vgl. Kaiser, Klopstock, 246. Insbesondere II/3-62, VIII/184-233 und X/735-989. Vgl. u. a. auch III/129 ("Adams Geschlecht"), III/24 ("Adams Kinder") u. 509 ("vor allen Kindern von Adam") sowie XI/96 ("Adams Stamme").
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Klopstocks 'Messias'
vom göttlichen Ratschluß unterrichtet hat, schickt er die "Väter des Mittlers", so daß sie des "Sohns versöhnende Thaten betrachten" können, zur Sonne und eröffnet damit die konzentrische Bewegung zum Mittelpunkt Golgatha (1/405-466). Bei dem "Altar der Erde", der gleichfalls in himmlischen Gefilden zu denken ist, kommt es sodann zu einer Begegnung zwischen Gabriel, dem die Obhut über die Erde anvertraut ist, und Adam. Während die erste Textfassung ihn als "Opferpriester" exponiert, der "mit weinendem Laut das Heil der Menschen" erfleht und den Messias auf der Erde zu sehen wünscht, präzisiert Klopstock seit 1755: Aber vor allen Stimmen erscholl die Stimme des Ersten Unter den Menschen. Er dachte den Fall Äonen herunter. (1/476-477)
Adams Denken ist ganz von seiner Verfehlung erfüllt. Mit seiner Präsenz in der Gegenwart des Gedichts ist vom ersten Auftreten an der Gedanke an den Sündenfall verbunden. Die Zeitspanne zwischen diesem und der nun anbrechenden Zeit der Erlösung ist nur in "Äonen" und damit überhaupt nicht meßbar. Das präsentische Geschehen des 'Messias' steht somit in steter Wechselbeziehung zur Ewigkeit. Nicht nur die als ewig gedachte Vergangenheit, sondern auch die gleichermaßen unmeßbare Zukunft, die ihr Ziel im Jüngsten Gericht hat, findet Eingang in das Werk. Jesus opfert sich nicht nur, um die Sünden zu versöhnen, die vor seinem Tod verübt wurden: Vor seinem Gesichte Sah er [Jesus] der Menschen Sünden, die alle, die seit der Erschaffung Adams Kinder vollbrachten, auch die, so die schlimmere Nachwelt Sündigen wird, ein unzählbares Heer, Gott fliehend vorbeygehn. (111/22-25)
Auch hier wird Adam als Stammvater der sündigen Menschheit erinnert. Indem sein Name den Verseingang, die "Nachwelt" aber den Ausgang des Hexameters bildet, zeigt der Rahmen des Verses zugleich die unermeßliche zeitliche Spanne an, in der die nun zu versöhnenden Sünden begangen wurden und werden. Später weist Jesus selbst darauf hin, daß Erlösung und Endzeit nicht trennbar sind: Jetzo sah er dem Priester ins Antlitz, sagt' ihm: Ich bin es, Was du sagtest! Und wisse, daß ich jetzt Thaten vollende, Welche der Anfang sind des Gerichts! Den Menschen von Erde, Den auch eine Mutter gebar, ihr werdet ihn sehen Sitzen zur Rechte Gottes, und kommen in Wolken des Himmels! Also öffnete der, der mit dem letzten der Tage Schreckenvoller wird kommen, als je ein Engel des Todes Ihn in der Nächte tiefsten den stürmenden Psalter herabsang: Also öffnet' er Einem geflügelten Blicke die Zukunft; Schloß dann schnell dem erstaunenden Blick den furchtbaren Schauplatz. (VI/460-469)
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Der letzte Vers der wörtlichen Rede Jesu (VI/464) enthält einen zweifachen Vorblick. Die erste Hälfte zielt auf das Ende des im Gedicht Dargestellten und antizipiert wörtlich den letzten Vers des 'Messias'. Die zweite Hälfte indessen beinhaltet die Ankündigung des Weltgerichts am Ende der Zeit. Das verbindende "und", das den zwischen beiden Ankündigungen liegenden unvorstellbaren Zeitraum überbrückt, interpretiert beide Taten als zusammengehörende Teile einer göttlichen Handlung. Als Zeichen erlangter göttlicher G n a d e bittet Adam, der als erster der Auferstehenden "von neuem aus Staube gerufen" wird (XI/229-249, hier 241), den Messias, "Einige Blicke [...] in die Folgen deiner Erlösung" tun zu dürfen. Der Angeflehte antwortet: "Adam, im Weltgericht vollend' ich es Alles" und gewährt "von der Tage | Letztem [...] der milderen Schimmer einige" (XVIII/1-6). Die Konstruktion, einen der Protagonisten im visionären Vorblick Konsequenzen der Haupthandlung, die außerhalb des eigentlichen Zeitrahmens liegen, mitteilen zu lassen, ist aus der epischen Tradition wohlbekannt. Im 'Messias' ist dieses Kunstmittel jedoch symptomatisch abgewandelt. D e n n als Folge der "Versöhnung" (wie die Lesart zunächst lautet) wird nicht in der Nachfolge etwa des Vergil - primär ein chronologischer Abriß geboten, der die Historie des Christentums bis zur Gegenwart des Dichters summarisch behandelt. Zwar wird in Adams Vision durchaus auf religionsgeschichtliche Fakten angespielt, aber die Perspektive ist nicht die der Zeit, sondern die der Endzeit. Klopstocks Blick richtet sich nicht zuerst auf die chronologischen, sondern auf die eschatologischen "Folgen [der] Erlösung". Von symbolischem Wert für die Zeitkonstruktion des 'Messias' ist dabei ein weiterer Umstand. Nicht eine der von der biblischen Überlieferung nahegelegten Seherfiguren wie der Johannes der Offenbarung 1 1 8 erhält Einblick in letzte Dinge, sondern Adam. Hätte Klopstock die Figur des Johannes, deren Lebenszeit mit der historischen Zeit des Gedichts übereinstimmt, für die Vision gewählt, wäre der Zeitrahmen nur in einer Richtung überschritten. So aber weiß der erste Mensch vom letzten Tag. Der Anfang der Schöpfung und ihr E n d e werden in Klopstocks Konstruktion symbolisch verbunden und kausal auf die Versöhnung als die Mitte der Geschichte bezogen. Diese Mitte, der Tod auf Golgatha, hat nicht nur ihre "Folgen" bis in Ewigkeit, auf sie ist nicht nur alles Vorher und Nachher zentriert, die Mitte selbst ist ewig. "Ewig her, vom Beginn an, als die Welt | Nicht war, [...] Sohn Gottes! wardst du erwürgt!", singt ein "Chor der Erstandnen [...] dem Überwinder des Todes" zu Beginn der Hymnensequenz des zwanzigsten Gesangs
118 Dieser sieht, wie erwähnt, lediglich das chronologisch unmittelbar bevorstehende Pfingstereignis voraus (XIX/889-953). Die Wahl Adams weist, wie Höpker-Herberg, 'Paradise Lost' und 'Messias', 44-52, anhand des textgenetischen Befunds zeigt, auf Miltons "Vorgabe" im 11. und 12. Buch des 'Paradise Lost'.
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Klopstocks 'Messias'
(XX/14-19). 119 In chiastischer Stellung werden Tod und Auferstehung der zeitlichen Ordnung enthoben: "Du Beginner, und ο du Vollender, getödtet vom Anfang, | Und für ewig! für ewig erwacht, und vom Anbeginne!" (XIII/731-732) Die zeitliche Ordnung des Gedichts, das primär einen Ausschnitt von gut vierzig Tagen schildert, ist somit - ausgehend von den zentralen Ereignissen - stets für die Ewigkeit transparent. Die poetischen Ansprüche der gewählten antiken Form und die gleichermaßen ernstgenommenen theologischen Ansprüche des gewählten christlichen Stoffs sollen damit in Einklang gebracht werden. Die Gefahr, die von der äußersten Spannung zwischen dem klassizistischen Zeitrahmen und dem Kontinuum "Ewigkeit" für die poetische Struktur ausgeht, 120 scheint Klopstock durchaus gesehen zu haben. Denn er ist bemüht, auch dieses Kontinuum zu strukturieren, ohne dem theologischen Gehalt Gewalt anzutun. Ein Mittel dieser Strukturierung besteht darin, bestimmte Punkte der Ewigkeit zu akzentuieren und zu einem Gerüst zu verbinden. Dies tut Klopstock, wenn er im elften Gesang die alttestamentlichen Figuren ihre Auferstehung immer wieder als Erneuerung der Genesis erleben läßt. "Herrlich hatt' ihn erschaffen die zweyte Schöpfung", heißt es beispielweise von Joseph (XI/541). Adam weiß, daß der Versöhner ihn nun "Herrlicher [...] wie in Eden erschaffen" hat (XI/243), und Eva fragt: "Bin ich wieder in Eden? [...] Ich lebe wieder im Leibe | Meiner ersten Erschaffung?" (XI/251-252) Die Parallelisierung von erster und zweiter Schöpfung findet sich bereits im Eingang des 'Messias'. Ausdrücklich stellt Jesus dem Vater gegenüber seine kommende Tat über "die Schöpfung, die du mit deinem Sohne vollbrachtest", und erinnert: "Also beschlossen wir unser Geheimniß, das Blut der Versöhnung, | Und die Schöpfung der Menschen verneut zu dem ewigen Bilde!" (1/86 u. 99-100) Den Gedanken des "Verneuens" der Schöpfung, der Erneuerung der Genesis durch das Versöhnungswerk Jesu, greift Klopstock wenig später auf: Aus allen Bezirken Sieht die weite Natur mit verneuter Schönheit entgegen. Denn Jehovah will selbst, nach dieser Jahrhunderte Kreislauf, Einen Ruhtag Gottes, den zweyten erhabneren Sabbath, Bey sich feyren. Der ist viel höher, als jener berühmte, [...] den ihr, nach Vollendung der Welten, Einst an dem Schöpfungsfeste begingt. [...] Allein jetzt wird sein Messias, Sein unsterblicher Sohn viel größere Thaten vollenden. [...] Sein Sabbath erhebt sich,
119 Vgl. auch X/81-82 ("Er, der von Welten | Anfang starb"). Kaiser, Klopstock, 113, nennt diese Stellen als Beleg dafür, daß Klopstock "nicht nur der Form nach weitgehend den dogmatischen Bestand der orthodoxen Christologie" wahre. 120 Vgl. hierzu die weitergehenden Beobachtungen von Kaiser, Klopstock, 223-234.
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Jetzt mit des hocherhabnen Messias freyem Gehorsam. Gott Jehovah nennt ihn den Sabbath des ewigen Bundes. (1/452-466)
Die Datierung der Erlösung auf einen "zweyten erhabneren Sabbath" schafft einen Rahmen für alle Geschehnisse zwischen Schöpfung und Versöhnung. Ihr korrespondiert die Bezeichnung eines dritten Sabbaths für die ewige Ruhe nach dem Jüngsten Tag: Aber ihm jauchzten die Himmel umher, und feyrten den Sabbath, Seit der Schöpfung den zweyten, der heiliger ist, als der erste. Wenn der Gerichtstag untergegangen ist, gehet der dritt' auf; Ewigkeit heißet sein Maß, sein erster Feyrer Messias! (V/451-454)
Die Sequenz von erstem, zweitem und drittem Sabbath bestimmt die Erlösung wiederum als Mitte. Die Ewigkeit, die die Zeitordnung des 'Messias' allenthalben prägt und die primäre klassizistische Disposition überlagert, gewinnt zugleich in einem dreigipfligen Geschichtsmodell Konturen. Zwar wird im 'Messias', wie Kaiser schließt, aus dem in den Mustern der Gattung trotz aller Vor- und Rückblicke stets erkennbaren "epischen Nacheinander der Ereignisse [...] ein polyphones Nebeneinander, ein ewiges Jetzt". 121 Jedoch greift der Dichter einem amorphen Zerfallen durch strukturbildende Maßnahmen vor und zieht in sein Werk Verstrebungen ein, die dem Leser Orientierung bieten. Episoden Die Aufnahmefähigkeit des 'Messias' (und auf anderer Ebene die des Lesers) ist durch die beschriebene Integration von Außerzeitlichem in die Zeitlichkeit des Werks stark beansprucht. Die "theologische Korrektheit" 122 darf jedoch als Klopstocks erstes Ziel angesehen werden. Denn ohne den Begriff der Ewigkeit hätte dem Gedicht eine wesentliche Grundlage christlicher Weltsicht gemangelt. Theologische Rücksichten erfordern dagegen nicht in gleicher Weise, das Werk mit umfangreichen Episoden auszustatten. Allerdings kann das Bestreben, der Dimension des hervorragenden Gegenstands gerecht zu werden, auch die Existenz dieses erzähltechnischen Phänomens im 'Messias' begründen. Die Episoden, die die Struktur des Werks gleichfalls komplizieren und den knappen Handlungsrahmen zusätzlich anfüllen, sind außerdem als gattungsspezifisches Merkmal aus der Tradition bekannt. Dort stehen sie gewöhnlich - bei weitgehender Selbständigkeit - in einer meist retardierenden Beziehung zum Fortschreiten der Handlung (ζ. B. Odysseus bei Kalypso, Aeneas bei Dido). Wie sich vor diesem Hintergrund im 'Messias' das Verhältnis der Episoden zur Haupthandlung gestaltet, gilt es anhand einiger Beispiele zu prüfen.
121 Kaiser, Klopstock, 234. 122 Kaiser, Klopstock, 225.
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Klopstocks 'Messias'
Erfundene Figuren oder Personen, die die Überlieferung kaum mehr als dem Namen nach kennt, sind die Träger der vier wohl gewichtigsten Episoden im 'Messias'. Der geheilte Besessene Samma mit seinen Söhnen Benoni und Joel sowie der reuige Teufel Abbadona, Semida und Cidli, das Liebespaar der vom Tode Erweckten, sowie Portia, die Gattin des Pilatus, stehen zusammengenommen in über zweitausend Versen im Blick des Lesers. 123 Auffällig ist bei allen vier Episoden, daß sie jeweils keinen in sich geschlossenen Block bilden, sondern sich vielmehr aus verschiedenen, weit auseinanderliegenden Einzelepisoden zusammensetzen. 124 Abbadona, die von den Zeitgenossen wohl am stärksten beachtete unter diesen Figuren, wird bekanntlich bereits im zweiten Gesang eingeführt. Sein Schicksal entscheidet sich für den Leser, nachdem Klopstock einen ursprünglich vorhandenen Fingerzeig auf seine Errettung noch vor dem Erstdruck geändert hat, erst im neunzehnten Gesang. 125 Der Dichter vermeidet so, vielleicht aufgrund freundschaftlichtheologischen Einspruchs, ein frühes, seinem Werk schädliches Bekenntnis zur Wiederbringungslehre, die dem für die Orthodoxie unumstößlichen Dogma von der Ewigkeit der Höllenstrafen widerspricht. 126 Zugleich aber erzeugt er, indem er Abbadonas weiteres Schicksal offenhält, Spannung und schlägt eine zusätzliche Brücke vom Anfang des Werks zu seinem Ende. Ähnliches läßt sich für die weiteren "zusammengesetzten Episoden" sagen. Portia bewegen Zweifel an der griechisch-römischen Religion, seit sie von dem "großen Propheten" (VI/246) vernommen und ihr Sokrates im Traum offenbart hat: "Die Gottheit ist nicht, wofür wir sie hielten" (VII/406). Ihre
123 Samma, Benoni und Joel: 11/87-236, IX/65-94, XI/1343-1436, XIII/369-394, XV/1087-1239, XIX/506; Abbadona: 11/627-830, III/302-308 u. 486-488, V/486-702, IX/430-648, XIII/483-545, XVI/630-636, XIX/91-235; Cidli und Semida: IV/674-699 u. 740-889, XI/1195-1242, XV/1376-1549, XVII/692-730; Portia: VI/238-257, 334-368 u. 517-540, VII/301-497 u. 681-684, XII/50-52, XIII/288-296, XV/681-862, XIX/509-526. Die Versangaben sind ζ. T. als ungefähre Werte zu betrachten, denn nicht immer ist vor allem das Ende des Auftritts einer Figur klar bestimmt. So ist ζ. B. Benoni auch von XIII/394 an noch als Zuhörer zu denken, Maria spricht ihn persönlich jedoch nur in diesem Vers an und wendet sich dann an die ganze "Versammlung" (XIII/397); und Portia hört vom Söller ihres Palasts das Gespräch zwischen Petrus und Johannes (VI/540-552). 124 Wenigstens zum Teil sind die Bruchstücke der Episoden gemeinsam entstanden und erst später an ihren endgültigen Ort im 'Messias' piaziert worden. Genauere Auskunft hierüber ist wohl zu erwarten in: Klopstock HKA, Werke IV/3, Kapitel 'Werkgeschichte. Textgenese einzelner Gesänge und Episoden'. 125 Vgl. jeweils die Versangaben in Anm. 123. - In der handschriftlichen Frühfassung endet die Einführung Abbadonas mit dem Bild eines Regenbogens nach einem Gewitter und also mit der Aussicht auf Begnadigung (Klopstock HKA, Werke IV/4, 291-292). 126 Vgl. Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, 246-247.
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Konversion zum Christentum deutet sich im Gespräch mit Maria zwar an, aber sie steht erst am Anfang ihres Wegs zum christlichen Gott: "Portia [...] | Wollt' anbeten; wollte, mit leiser Stimme, Jehovah | Nennen: allein sie fühlt es, sie darf den größten der Namen | Noch nicht nennen!" (VII/478-482) Das im Verseingang stehende "Noch nicht" öffnet den Blick auf eine Entwicklung der Figur, die wie bei Abbadona erst im neunzehnten Gesang zum Abschluß kommt. Dort nämlich ist Portia unter der Gemeinde, die mit Lazarus das erste Gedächtnismahl feiert, und findet in dem Knaben Nephthoa einen engelgleichen Führer zum Himmel. So wie die Einführung der Portia im Gespräch mit der Gottesmutter gipfelt, so sieht zum Abschluß von Portias letztem Auftritt "die Mutter des Mittlers [...] | [...] die Heidin, und Freude befiel, und Verwundrung | Sie, daß Christus schon itzt in den Himmel Portia rufe" (XIX/524-526). Das Interesse der Maria für Portias Schicksal wird so zu einer Klammer, die die weit auseinanderliegenden Elemente der Episode zusammenhält. Abbadonas und Portias Geschichten kommen innerhalb des 'Messias' erst in der zweiten Hälfte zur Entscheidung. Anfang und Ende dieser Episoden lagern sich - bei der Abbadona-Episode in symmetrischer Entsprechung von zweitem und zweitletztem Gesang - um die Mitte des Werks. Ebenso offen bleibt zunächst die Beziehung zwischen Semida und Cidli, die im vierten Gesang vor allem von Semidas Seite als unerfüllte Liebe exponiert wird: "Warum bin ichs allein, der, ungeliebet, auf ewig | Liebt?" (IV/811-812) Der scheinbar unüberwindliche Widerspruch zwischen der vollkommenen Hingabe an Gott, dem sich die auferstandene Cidli "gewidmet" weiß (IV/760), und einer zwischenmenschlichen Liebesbeziehung findet seine Auflösung am Ende des fünfzehnten Gesangs. Dort steigen der sehnsüchtige Semida und Cidli, die nun Zweifel ob der Richtigkeit ihrer Existenz beschäftigen, 127 auf verschiedenen Wegen und jeweils von einem als Pilger erscheinenden Himmlischen begleitet auf den Berg Tabor, um der Versammlung der "auferstandnen Gerechten" (XV/1416) beizuwohnen. Die parallel angelegte Szene kulminiert in der Begegnung auf dem Tabor. Auf "der Verklärung Gebirge" (XV/1364 u. 1417) erfüllt sich das Schicksal des Liebespaares in gemeinsamer Verklärung (XV/1527-1549). Die Apotheose in der Vereinigung und die Vereinigung in der Apotheose führen die scheinbare Alternative "gottgeweihtes Leben" oder "erfüllte Liebesbeziehung" zu einer sublimierten Synthese. Fällt bei Portia und Abbadona jeweils das letzte Auftreten einer Figur zusammen mit dem Ziel 127 Wiederum verknüpft Klopstock die Teile der Episode in subtiler Weise, hier durch teilweise wörtliche Übereinstimmungen. "Dem [Gott] bin ich gewidmet! | ich bin auferstanden! gehöre zu wenig der Erde, Sterbliche Söhn' ihr zu geben!" heißt es noch selbstgewiß im vierten Gesang (IV/760-762). Dagegen lauten nun Cidlis Fragen: "Gehör' ich der Erde | Viel zu wenig, ihr sterbliche Söhne zu geben; erstand ich, | Gott mich auf diese Weise zu widmen [...]?" (XV/1382-1384)
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ihrer Entwicklung, so gilt dies in der Textfassung letzter Hand nicht für die Geschichte von Semida und Cidli. Erst dort ergänzt Klopstock (nach einer handschriftlichen Vorfassung in einem Handexemplar 128 ) die Episode gewissermaßen mit einem Epilog, der das Paar "von dem Hesperus" zurückkehren und den "Neuen Gesang von der Wonne des Liebenden, und der Geliebten" vortragen läßt (XVII/692-730). Als vergleichbar lineare Entwicklung einer Figur oder eines Paares ist die mehrteilige Episode von Samma und seinen Söhnen Benoni und Joel kaum aufzufassen. Allerdings sind auch hier die Einzelepisoden miteinander verknüpft. Die Heilung des besessenen Samma, der mit Joel beim Grab des von ihm im Wahn erschlagenen Benoni verharrt und von Satan gequält wird, offenbart Jesu Überlegenheit über die teuflische Macht. Jedoch erschöpft sich darin nicht die Funktion dieser Passage. Sie weist vielmehr in zweierlei Weise voraus auf spätere Auftritte der von Klopstock erfundenen Figuren. 129 Einerseits fordert Jesus Samma auf, ihm zwar nicht zu folgen, sich aber "Oft an der Höh der Schädelstäte" aufzuhalten, um dort "die Hoffnung | Abrahams und der Propheten" zu erblicken (11/211-213). Und andererseits bleibt trotz der Heilung des Besessenen die Trauer um Benoni unversöhnt, denn Joel greift Sammas Ausruf vom Anfang der Szene (11/125-126: "Mein Sohn, Benoni! | Ach Benoni, mein Sohn!") an ihrem Ende wörtlich auf: "Mein lieber Benoni! | Ach Benoni, mein Bruder!" (11/228-229) Beide Motive, die Empfehlung, nach Golgatha zu gehen, und die anhaltende Trauer über die Trennung von Benoni, begleiten die Figurentrias durch den 'Messias'. So findet sich Samma mit Joel unter den Scharen der am Kreuz Versammelten; er gibt einem "Mann in fremdem Gewände" Auskunft über Jesus und versucht, den "Fremdling" an Petrus zu verweisen (IX/65-91). 130 Ist dieser Auftritt durch Jesu Aufforderung motiviert, so greifen die weiteren Szenen der Samma-Joel-Benoni-Episode auf den im zweiten Gesang dominanten Schmerz der Trennung zurück. In die Sequenz der auferstehen128 Die Varianten dieser in sich überarbeiteten Version finden sich in Klopstock, HKA Werke IV/5.2, 843-844; das betreffende Handexemplar, das die Druckvorlage der "Göschenausgabe" ist, enthält textverändernde "Einträge von 1793-1799" (ebd., 1042). 129 Lediglich für den Namen Benoni, der "Schmerzenssohn" bedeutet, ist eine Vorlage im Alten Testament festzustellen: Als Rahel an der Geburt des Benjamin stirb, nennt sie ihn Benoni (Genesis 35, 18; vgl. Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, 212). 130 In seinem Kommentar zu: Klopstock, Der Messias, II, 27, scheint Hamel "den Greis mit seinem Sohn nicht als Samma mit Joel zu identifizieren und die Gesprächsführung an dieser Stelle mißzuverstehen, wenn er zu IX/76 anmerkt: "der Greis wendet sich nach den Worten, die Petrus selbst gesprochen, zu ihm hin." Denn ganz offensichtlich spricht - unterbrochen von zwei Parenthesen in IX/76 u. 80 - von Vers 70 (ab "Sie tödten") bis 84 durchgängig Samma; dieser wird zwar erst in Vers 91 namentlich genannt, ist aber durch die Wendung "die Beseßnen, ich war der Elenden Einer!" (IX/72) eindeutig zu identifizieren.
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den Väter im elften Gesang integriert der Dichter die Auferstehung Benonis. Schon darin zeigt sich die besondere Gnade für den unschuldig Erschlagenen. Die Auferstehung Benonis gestaltet Klopstock als Antwort auf die Trauer seines Bruders. Unmittelbar vor der Auferstehung Benonis naht sich Joel, dem der Tod des Messias den Tod des Bruders erneuert hat, trostlos dem Grab des letzteren. Unhörbar für Joel beantwortet die Seele des Toten, die um ihr ewiges Leben weiß, seine Klagen in der für den 'Messias' typischen dialogischen, durch Parallelismus und motivisches Weiterspinnen gekennzeichneten Form: J. Hingegangen bist du, und hast allein mich gelassen, Mein Benoni! du Blume von schnellem Sturme gebrochen, Duftende Morgenblume, des Thaies Saron die schönste! B. Hingegangen, mein Joel, mein Bruder Joel, zu wachsen Hoch im Himmel ein Schatten empor an dem Strome des Lebens. (XI/1370-1374)
Auf Benonis Bitte an seinen Seraph, "des Knaben Schmerz" zu stillen, verweist dieser auf die für Joels Trost festgesetzte "Stunde" (XI/1380-1383). Benoni darf sich seinem Bruder hier nicht offenbaren, seine Auferstehung jedoch kann Joel schon ahnen (XI/1420-1427). Joels Anwesenheit bei der Auferstehung seines Bruders vermittelt so zwischen der ersten Szene der zusammengesetzten Episode und ihrem Höhepunkt. Der Trennungsschmerz wird aufgegriffen und von beiden Seiten unmißverständlich artikuliert. Zugleich aber bereiten die zitierte Aussage des Engels und Joels Mitempfinden der Auferstehung die Aufhebung der Trennung und die Tröstung des Schmerzes vor. Diese vollziehen sich in der Sequenz der Erscheinungen im fünfzehnten Gesang. Einer trauernden und klagenden Versammlung bei Samma, die der Auferstehung Christi noch keinen Glauben schenkt, erscheinen gemeinsam Simeon, der Bruder des bei Samma anwesenden Elkanan, des Lazarus Schwester Maria und eben Benoni (XV/1087-1239). 131 Samma glaubt, daß sein Lebensweg, als dessen größtes Elend er Besessenheit und Kindesmord ins Gedächtnis ruft, "Mit dem süßesten Wiedersehn, das jemals erlebt ward", vollendet ist und erbittet von Benoni den Segen (XV/1195-1222). Göttliche Gnade und göttliches Erbarmen ("Sohn, Benoni [...] | Wie hat der dich begnadet, der mein durch dich sich erbarmt hat!" XI/1207-1208), die in der Heilung Sammas ihren Anfang nehmen, finden in der Familienzusammenführung ihre konsequente Vollendung. Die Erscheinung Benonis bei Bruder und Vater ist jedoch nicht nur Zielpunkt der Episode, deren Teile vor allem durch das Motiv des Trennungs-
131 Die gemeinsame Erscheinung bereitet Klopstock u.a. dadurch vor, daß er Simeon nach Benoni auferstehen (XI/1437-1516) und Maria die Auferstehung Christi zusammen mit Benoni erleben (XIII/369-396) läßt, die drei Figuren also zueinander gruppiert.
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schmerzes zusammengehalten werden. Erneuert das Sterben Jesu am Kreuz für Joel den Tod des Bruders, so beseitigt nun das Erscheinen des auferstandenen Benoni die Zweifel an der Auferstehung Christi. Eine solche Beobachtung lenkt den Blick auf die Frage nach der Verknüpfung von Haupthandlung und Episoden. Die vier betrachteten Episoden sind jeweils aus vielfältig verbundenen Einzelszenen zusammengesetzt, die gemeinsam die Geschichte einer Figur, eines Paares oder einer Gruppe "erzählen". Anfänglich aufgebaute Spannung und Erwartung werden in späteren Passagen aufgegriffen und zu einer Lösung gebracht. Die Entwicklungslinie verläuft für alle tragenden Figuren stets von einem unvollkommenen zu einem vollkommenen Zustand, vom Unglück zum Glück, von der Unerlöstheit zur Erlösung. Die wesentlichen Episoden des 'Messias' sind damit der Haupthandlung, der Erlösung der Menschheit durch den menschgewordenen Gottessohn, parallel gelagert. Schon von dieser Anlage her kann ihnen nicht die gleiche, meist retardierende Funktion zukommen wie den Episoden im klassischen Epos. Weder halten sie die Handlung auf, noch befördern sie diese; sie hemmen zwar den Erzählfluß, nicht aber das Erzählte. Vom Standpunkt der Handlungsführung aus gesehen sind die Episoden somit weitgehend funktionslos. Portias Intervention bei Pilatus ist für ihre eigene Geschichte eher nebensächlich, und sie kann den Fortgang der Verurteilung nicht beeinflussen. Ebenso hat Abbadonas Versuch, in der Höllenversammlung seine Stimme gegen Satan zu erheben, kaum aufschiebende Wirkung auf die weitere Handlung. Dennoch sind die Episoden mit dem zentralen Geschehen eng verknüpft. Abbadona ist auf dem Wege zu seiner Begnadigung bei allen wichtigen Stationen anwesend. Bei der Auferstehung begegnet er ebenso wie unter dem Kreuz als reuig Miterlebender. Die zweite Stunde von Jesu Leiden in Gethsemane schildert der Dichter gar aus Abbadonas Perspektive. Derartige Zusammenhänge und verborgenere Verknüpfungen 132 meint Klopstock wohl, wenn er seinem Brief an Cramer vom 29. Juni 1799 "Erinnerungen aus alten Zeiten, aber deswägen zimlich genaue, weil ich oft darüber gedacht habe", beilegt: Gute Episoden eines Gedichz sind die, one welche zwar das Ganze ein Ganzes bleibt, di aber doch in dis mit so filen und so festen Faden ferwäbt sind, daß der Zuhörer, wen er sich nicht gerade mit der kritischen Untersuchung bescheftigt, an das nicht denkt, was man episodisch nent. 133 132 Dräger, Typologie und Emblematik in Klopstocks 'Messias', 95-115, erörtert vor allem anhand der Verweisungskraft und der Implikationen des Sulamith-Vergleichs, mit dem Cidli in den 'Messias' eingeführt wird, die "sinnvolle Beziehung" der Episode "zu dem Gesamtplan" (ebd., 95). 133 Briefe von und an Klopstock, 400. Die Entstehung dieser "Erinnerungen" liegt im dunkeln; ein terminus post quem non ergibt sich durch einen Brief Klopstocks an Böttiger vom 6. Dezember 1797, der nahezu gleichlautende Äußerungen enthält (abgedruckt in: Archiv für Literaturgeschichte III [1874], 400-403). Diesen Datierungshinweis verdanke ich der freundlichen Mitteilung
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Die "festen Faden", von denen Klopstock hier spricht, sind nach dem Gesagten nicht solche der Aktion in der Handlung, sondern der Reaktion auf die Handlung. Die Episoden wirken nicht auf die Haupthandlung des 'Messias', sondern diese zeigt in ihnen Wirkung. Die episodischen Figuren agieren nicht bezüglich des zentralen Geschehens, sondern reagieren darauf unmittelbar oder mittelbar, nehmen an ihm vermittelt oder unvermittelt Anteil. Sie dienen Klopstock dazu, die Wirkung der Erlösung auf Geschöpfe höchst unterschiedlicher Art (gefallener Engel, Besessener, Heidin, gottgeweihte Liebende) im Gedicht selbst exemplarisch zu individualisieren. Dieser Intention aber ist die Anlage der Episoden, ihre Zusammensetzung aus mehreren, über das gesamte Werk verteilten und aufeinander bezugnehmenden Einzelepisoden, durchaus gemäß. Denn indem die episodischen Figuren das Geschehen der Erlösung nicht punktuell retardieren, sondern in kontinuierlicher Teilnahme begleiten, versetzt sich der Dichter erst in die Lage, ihre Entwicklung oder - in einem dramaturgischen Ausdruck - ihren "Glückswechsel" als Wirkung des zentralen Ereignisses darzustellen. Die Episoden stehen nicht quer zum Erzählverlauf, sondern begleiten diesen in paralleler Schichtung. Sie werden damit zu Reflektoren, die das Hauptgeschehen spiegeln. 134 Die Konsequenz dieser Anlage der Episoden und der Funktionalisierung der episodischen Figuren ist - in Kaisers Worten die Vernichtung der "Selbständigkeit der Teile im Ganzen [...] durch Entselbstung der Personen und Zerstörung der Handlung". 135 Das Personal der Episoden, das zum Teil fernab vom Zentrum des Geschehens zu sein scheint, erleidet so letztlich das gleiche Schicksal, das man für weniger gewichtige Nebenpersonen des 'Messias' unmittelbar feststellen kann. Ist etwa bei Abbadona und Portia, bei Semida und Cidli zunächst durchaus ein Eigenleben der Figuren zu konstatieren, das sich erst im größeren Zusammenhang als völlig abhängig von der Hauptfigur erweist, so scheint eine Vielzahl der sonstigen Figuren von vornherein als gänzlich unselbständig konzipiert zu sein. Am deutlichsten zeigt sich dies in einer im 'Messias' immer wieder begegnenden Konstellation, die Grimm als "das Grundmuster [...] der Messiade" bezeichnet: "Ein Geschehnis, welches sich vor teilnehmenden Zeugen vollzieht".136 Viele der unsichtbar gegenwärtigen Figuren sind "vor allem für die Betrachtung
von Dr. Elisabeth Höpker-Herberg. - In seiner Abhandlung 'Von der heiligen Poesie' von 1755 bezeichnet es Klopstock als eine der kompositorischen Aufgaben, "die Hauptbegebenheiten Hand an Hand so auf einem Schauplatz fort[zu]leiten, daß die Episode immer um sie und neben ihnen ist, und sich so wenig jenseits der Berge verirrt, daß sie sich vielmehr oft in die Reihe der Hauptbegebenheiten einflicht" (Klopstock AW 1003). 134 "Spiegelungen" beschreibt Kaiser, Klopstock, 234-248, als ein tragendes Strukturprinzip des 'Messias'. 135 Kaiser, Klopstock, 245. 136 Grimm, Marginalien zu Klopstocks 'Messias', 276.
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bestimmt" 137 und bleiben vom Standpunkt der Handlung aus gesehen weitgehend funktionslos und passiv. "Am eindrucksvollsten hat dieses Grundmuster sich" - so Grimm - "in den Gesängen VIII bis XIII ausgeprägt, wo ein ins Unendliche gestuftes Heer von Zeugen [...] das Passionsgeschehen auf Golgatha und die Ereignisse am Grabe umringt."138 Die Gläubigen "stehn, auf das Kreuz gerichtet" (X/218), und erwarten den Tod Jesu. Wichtigstes Medium ihrer Beteiligung am Geschehen ist der mitleidende Blick, das teilnehmende Zuschauen. 1 3 9 Der Episodenreichtum und die Fülle des sonstigen, weitgehend rezeptiven Personals stehen damit in engem Zusammenhang mit der Handlungsarmut des 'Messias', die seit Herder immer wieder als Problem des Werks gesehen wird. 140 Klopstock selbst scheint sich dieses Sachverhalts bewußt zu sein, wenn er sich zum Verhältnis von Handlung und Teilnahme äußert: Die Himmlischen, welche das Kreuz, und hernachmals das Grab umgaben, sind gewöhnlich zwar nur theilnehmende Zuschauer; sie tragen zu der Handlung nichts bey; aber sie können gleichwohl auf Christen mehr wirken, als die meisten handelnden Personen in der Ilias auf die Griechen konnten. Denn sie sind erhabner und nehmen an etwas viel Größerem Antheil, als das war, was jene Mithandelnden thaten. Wirkung hervorzubringen, ist Zweck; vorgestellte Handlungen, oder Theilnahme sind nur Mittel. Bey der letzten kommt auch das in Betrachtung, daß der Theilnehmende zuweilen mehr Lebendigkeit (und was ist diese nicht in Absicht auf die Darstellung) zeigen kann, als der, welcher bloß mit ausführt. 141 Klopstock versucht nicht, den (wohl implizit mitgedachten) Vorwurf der Handlungsarmut des 'Messias' zu bestreiten oder durch Gegenbeispiele zu 137 Grimm, Marginalien zu Klopstocks 'Messias', 276. 138 Grimm, Marginalien zu Klopstocks 'Messias', 276. 139 Vgl. ζ. B. die gehäufte Verwendung von Vokabeln aus dem Wortfeld "schauen", "sehen", "blicken" innerhalb der Verse VIII/246-301 (246, 247, 248, 251, 257, 263, 270, 275, 276, 281, 286, 287, 289, 290, 296, 300). 140 In Herders 1767 gedrucktem 'Gespräch zwischen einem Rabbi und einem Christen über Klopstocks Meßias' sagt der erstere: "Aber überhaupt! ist in seiner Epopee zu viel Gerüst und zu wenig Handlung; zu viel Rede und zu wenig Handlung. Wie vieles davon kann man wegnehmen, ohne Schaden, ja vielleicht zur Schönheit des Ganzen" (Herder SW I, 280). Mit dem zweiten Teil der Aussage stellt Herder die (vom Standpunkt der Handlungsführung aus bestehende) Entbehrlichkeit weiter Passagen des 'Messias' in Zusammenhang mit der Handlungsarmut. - Repräsentativ für die ältere Forschung ist Munckfer, Klopstock, insb. 87-92, der vor allem Klopstocks "durchaus lyrische Natur" betont. 141 Klopstock, Sämmtliche Werke, XVII, Leipzig 1830, 101; die Äußerung ist hier ohne näheren Hinweis auf 1801 datiert. Schon in einer Anmerkung zu der zitierten 'Beilage' heißt es: "Man kann sogar sagen, daß in den bekanten epischen Gedichten nicht selten mithandelnde Personen erscheinen, welche der Aufmerksamkeit weniger würdig sind, als jene blos teil nämenden" (Briefe von und an Klopstock, 400; Beilage zum Brief an Cramer, 29.6.1799).
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entkräften. Im Gegenteil: er gesteht den Mangel an Aktion in großen Teilen seines Epos ganz lapidar ein. Jedoch kehrt er die Bewertung von "Handlung" und "Theilnahme" um, indem er die letztere zum besseren Mittel zur Erreichung seines Zwecks erklärt. Dieser "Zweck" aber besteht darin, "Wirkung hervorzubringen". Welcher Art die Wirkung sein soll, sagt die Abhandlung 'Von der heiligen Poesie': "Die letzten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen."142 Nicht "eine Kraft der Seele, indes daß die andern schlummern, nur zu erregen, sie leicht zu unterhalten", ist das Ziel, sondern all ihre "Hauptkräfte" - "Verstand, Einbildungskraft, und Willen" - in höchstem Grade zu rühren. 143 Innerhalb dieses empfindsamen Wirkungskonzepts ist Klopstocks doppelte Bevorzugung der "Theilnahme" zu sehen. Denn einerseits führt er in einem nachgeschobenen Argument das Kriterium der "Lebendigkeit" und ihre Rolle für die "Darstellung" ein. 144 In der Frage, ob ein Mithandelnder oder ein Anteilnehmender mehr Leben zeige und sich also zur Darstellung besser eigne, entscheidet er sich ohne weitergehende Ausführungen für den letzteren und läßt damit einen ebenfalls empfindsamen Standpunkt erkennen. Andererseits aber ist der "Theilnehmende" des modernen, christlichen Gedichts dem "Mithandelnden" des antiken Epos vorzuziehen, weil jener sich in einem erhabenerem Umfeld bewegt als dieser. Der Zuschauer im 'Messias' partizipiert also an der Überlegenheit des christlichen Stoffs, deren zentrale Bedeutung für Klopstock ausführlich erörtert wurde. Obwohl die Bedingungen des Stoffs und vor allem die alles beherrschende Zentralgestalt Jesus Christus die Nebenpersonen vom aktivem Mithandeln in letzter Konsequenz ausschließen, sind diese in Klopstocks Sicht selbst denjenigen antiken Figuren überlegen, die im Geschehen handelnd verankert sind. Leiden als "That" Klopstocks Bevorzugung der Anteilnahme gegenüber der Mitwirkung an einem Geschehen betrifft die Nebenpersonen des 'Messias'. Ihre Passivität, positiv ausgedrückt: ihre ausgeprägte Fähigkeit zum seelischen Nachvollzug des Geschehens, bestimmt sie zu Identifikationsfiguren des Lesers. Sie fühlen vor, was der Leser, dem ein aktives Eingreifen freilich völlig verwehrt ist, nachempfindet. Dasjenige, woran die "Zuschauer" im 'Messias' (und mit ihnen 142 Klopstock AW 1000. 143 Klopstock AW 1002; vgl. ebd. 1009: "Das Herz ganz zu rühren, ist überhaupt [...] das Höchste, was sich der Meister vorsetzen, und was der Hörer von ihm fordern kann." 144 Zu diesen Begriffen ist Klopstocks 1779 unter dem Titel 'Fon der Darstellung' zuerst gedrucktes Fragment zu vergleichen; dort heißt es: "Daß man den Gegenstand in seinem Leben zeigen müsse, ist der erste Grundsatz der Darstellung. Denn gezeigtes Leben bringt uns vornehmlich dahin, daß wir die Vorstellung ins Fastwirkliche verwandeln" (Klopstock AW, 1034).
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die Zuhörer außerhalb des Werks) mitfühlend teilnehmen, nennt Klopstock eine "Handlung". Der im Titel des Werks als dessen Hauptfigur ausgewiesene Held des Gedichts darf, so suggeriert die Tradition der Gattung, in die sich Klopstock stellt, als Handelnder, als aktiver Träger dieser Handlung erwartet werden. Ist aber - erhebt sich die Frage - der Messias nicht eher Objekt als Subjekt dieser Handlung? Handelt er selbst, oder wird nicht vielmehr an ihm gehandelt? In Herders 'Gespräch zwischen einem Rabbi und einem Christen über Klopstocks Meßias' wendet der Jude ein, Jesus sei von einem "vollen weichen Herzen, das da spricht, und duldet, aber zu wenig handelt". 145 Insbesondere die ersten zehn Gesänge, die Herder kannte, als er sein 1767 gedrucktes 'Gespräch' verfaßte, vermitteln ganz den vom Rabbi wiedergegebenen Eindruck. Zwar läßt sich das vom Messias als Aufgabe angenommene Thema des Werks, "der sündigen Menschen Erlösung", noch ohne weiteres mit einem agierenden Protagonisten vereinbaren, die konkreten Geschehnisse scheinen dem Begriff einer von Jesus getragenen Handlung aber diametral entgegen zu stehen. Im üblichen aktiven Verständnis des Worts, das für Herders Opposition von "dulden" und "handeln" prägend ist, begegnen im 'Messias' wenig Handlungen des Helden. Die Heilung des Samma etwa, die als Teufelsaustreibung den Sieg des Messias über seinen Widersacher Satan beinhaltet, bleibt eine Ausnahme und steht zudem eher in der Peripherie. Dominierend und zentral sind dagegen die Leiden Jesu in Gethsemane und auf Golgatha. Auch der zweite Teil des 'Messias' führt die zentrale Gestalt kaum im vertrauten Sinne als handelnd vor. Denn die numinosen Vorgänge der Auferstehung und der Erscheinungen bei seiner Gemeinde, der Himmelfahrt und der Inthronisation beim Vater lassen den Messias nicht eigentlich als agierend erkennen. Der Christus der Gesänge XI bis XX ist mehr der passiv Verherrlichte als der sich aktiv Verherrlichende. Gesteht Klopstock die Handlungsarmut der Nebenfiguren ein und verwandelt sie argumentativ in einen Vorteil seines Werks, so kann er als Dichter der heroischen Gattung kaum darauf verzichten, seinen Helden als Träger der Handlung zu deuten. "Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenschaft ist ein Körper ohne Seele", bemerkt der Dichter selbst in der 'Gelehrtenrepublik'. 146 Die Lösung des Problems, das sich Klopstock mit seinem leidenden Helden stellt, sucht er außerhalb des Werks in einem scharfen Paradoxon, das den Antagonismus von Aktivität und Passivität synthetisiert: "Der Messias handelt leidend". 147 Die knappe, für Klopstocks nicht selten apodiktischen Prosastil typische Formulierung läßt zunächst offen, ob die Überwindung des Gegensatzes von "dulden" und "agieren" potentiell allgemeingültig ist oder spezifisch 145 Herder SW I, 280. 146 Klopstock HKA, Werke VII/1,171. 147 Briefe von und an Klopstock, 401 (Beilage zum Brief an Cramer, 29.6.1799).
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für den leidenden Gottessohn bleibt. Die explizierende Fortsetzung des Satzes legt das letztere nahe: "das heißt, er helt Leiden, di alle, welche wir kennen, an Größe übertreffen, mit einer Standhaftigkeit aus, zu där Menschen unfähig sind."148 Quantität und Dimension des Leidens bewirken - so könnte die doppelte Betonung der Übermenschlichkeit des Erduldeten und des Erduldenden zu verstehen sein - einen qualitativen Umschlag von einem passiven in ein aktives Leiden. Die paradox anmutende Formulierung des leidenden Handelns, mit der Klopstock den gordischen Knoten in der Konzeption seines Helden zu durchhauen sucht, setzt einen eher ungewöhnlichen Handlungsbegriff voraus. Denn mit der üblichen Vorstellung von einer Handlung, die in einer nach außen tretenden Tat sichtbar wird, ist Klopstocks Paradoxon offenbar nicht vereinbar. In der Fortsetzung der oben zitierten Stelle aus der 'Gelehrtenrepublik' spezifiziert der Dichter seine Anschauung: Handlung besteht in der Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines Zwecks. Es ist ein falscher Begrif, den man sich von ihr macht, wenn man sie vornämlich in der äusserlichen That sezt. Die Handlung fängt mit dem gefasten Entschlüsse an, und geht (wenn sie nicht gehindert wird) [...] bis zu dem erreichten Zwecke fort. [...] In diesem Gedicht ist viel Handlung! rufen die Theoristen bisweilen aus; und doch enthält es nur Begebenheiten.149
Herders Gegensatz von "handeln" und "dulden" ersetzt Klopstock durch eigene Antonyme. "Handlung" gerät dabei in eine Opposition zu "Begebenheit", und die "äußerliche Tat", die mit dem letztgenannten Ausdruck synonym ist, impliziert als Gegensatz eine "innere" oder "innerliche Tat". Die abwertende Verwendung des Ausdrucks "äußerliche Tat", die auch in Klopstocks poetischem Werk begegnet, 150 zeigt eine Verinnerlichung des Handlungs- und des (eng damit zusammenhängenden) Tatbegriffs an, die im 'Messias' anhand der Verwendungsweisen der Vokabel "That" zu prüfen ist. Von einer Tat in der vertrauten, etwa in Campes Wörterbuch festgehaltenen Bedeutung einer "in die Sinne fallende[n] Wirkung oder Verände148 Briefe von und an Klopstock, 401 (Beilage zum Brief an Cramer, 29.6.1799). 149 Klopstock HKA, Werke VII/1, 171. Der Dichter hat den Kern dieser Aussage in seine spätere Abhandlung 'Fon der Darstellung' übernommen (Klopstock AW, 1033), nach der Kindt, Klopstock, 47, in seinen knappen Bemerkungen zum 'Wesen der Tat' zitiert. - In der Bewertung des Entschlusses als Bestandteil der Handlung läßt sich eine Übereinstimmung zum Monolog des Tempelherrn in Lessings 'Nathan der Weise' feststellen, wo es heißt: "Entschluß ist Vorsatz, That" (Lessing LM III, 98; Nathan der Weise, 3. Aufzug, 8. Auftritt, V. 607). 150 In der Ode 'Für den König' von 1753 heißt es: "Du kenst die Außenthat nur!" (Klopstock, Oden, Stuttgart 1889, I, 114-116, V. 30) Und in der Elegie auf 'Rothschilds Gräber' gibt sich das zwischen den Grabmalen wandelnde lyrische Subjekt ungern mit einer Inschrift zufrieden, die "die Außengestalt der Thaten nur bildet, | Unbekant mit dem Zweck, welchen die Seele verbarg" (ebd., 177-179, V. 17-18). Vgl. Kindt, Klopstock, 47.
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rang"151 wird im 'Messias' mehrfach gesprochen. Allerdings geht der Dichter an solchen Stellen nicht selten auf Distanz, indem er beispielsweise negativ bewertete Gestalten das Wort in dieser Bedeutung verwenden läßt. So fordert Herodes, dessen "Stolz das Erstaunen" über Jesus bezwingt (VII/561), den Messias in heuchlerischer Rede auf, seine göttliche Macht durch "Wunder" (VII/562, 565, 571) und "Thaten" (VII/564) zu beweisen. Er ist ganz auf das äußerlich Wahrnehmbare beschränkt: "mein Auge [!] | Wünscht nur dich handeln zu sehn" (VII/568). Und seine dem Messias vorgeschlagene Auswahl von Wundern, die er als "würdig des Thäters" erachtet (VII/573), gehört ganz dem unmittelbar physisch erfahrbaren Bereich an: "Neige dich, Zinne" oder "Erhebe dich, Jordan!" (VII/576 u. 581) soll Jesus gebieten. Daß dieses nicht die Taten sind, die zu vollbringen der Gott zum Menschen geworden ist, zeigt dessen Reaktion. Jesus bewahrt die "unerschütterte Stille" (VII/559), mit der er vor Herodes getreten ist. Dieser aber "verkennt ihn in allem" (VII/592). Dieses völlige Verkennen des göttlichen Wesens, das der Dichter dem weltlichen Herrscher attestiert, zeigt, daß Herodes Jesus an einem falschen, äußerlichen Tatbegriff mißt. Der Tatbegriff, der sich aus Klopstocks Schriften herauslesen läßt, ist in zweifacher Weise als "verinnerlicht" zu charakterisieren. Einerseits betont Klopstock die Zugehörigkeit des inneren Entschlusses zur Handlung und damit die Herkunft der Tat aus dem Inneren. Andererseits gibt es für Klopstock ein passives Handeln, das sich nicht äußerlich, sondern innerlich, nicht physisch, sondern psychisch realisiert. Die wichtige Rolle, die dem Entschluß in Klopstocks Vorstellung von einer Handlung zukommt, findet ihren Niederschlag etwa in den Formulierungen, daß "die Handlung nur sichtbarer Leib, die Absicht ihr Geist sey!" (X/306), und daß der richtende Christus "That" und "Absicht" gleichwertig "auf die Wagschal" legt (XVII/512-513), oder aber darin, daß der Entschluß der Höllenversammlung, "den Messias zu tödten", bereits als "That" bezeichnet wird (11/736-738). In der breit angelegten Eingangsszene des 'Messias' wiederholt Jesus seinen "Entschluß" vom Anfang der Zeit, "die göttliche That zu vollenden" (1/99-103), in der feierlichen Absichtserklärung: "Ich will die Menschen erlösen" (1/137). Nach Klopstocks Begriff fängt die Handlung des 'Messias' "mit dem gefasten Entschlüsse", den der Schwur vor seinem Vater bestätigt, "an, und geht [...] bis zu dem erreichten Zwecke", der Vollendung im Kreuzestod, "fort".152 151 Campe, Wörterbuch, IV, Braunschweig 1810, 800. 152 Klopstock HKA, Werke VII/1, 171. Neben der zitierten Stelle (1/101) gebraucht Klopstock mehrfach den Ausdruck "vollenden" (oder Ableitungen wie "Vollendung") mit Bezug auf den Tod am Kreuz (ζ. Β. 1/398-399,1/463, VI/461, X/776). Beim Eintritt seines Todes ruft Jesus am Ende des ersten Teils des 'Messias' aus: "Es ist vollendet!" (X/1051) Die Problematik, die sich hieraus für die Anknüpfung der zweiten zehn Gesänge ergibt, liegt nahe: Eine "vollendete" Handlung bedarf nicht der Fortsetzung. Klopstocks Bewußtsein für dieses
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Die andere Seite des verinnerlichten Tatbegriffs, die Vorstellung eines ganz nach innen verlagerten Handelns, das auf jede insbesondere körperliche Aktivität verzichtet, konfrontiert Klopstock am Ende des vierten Gesangs mit dem etwa von Herodes gebrauchten Begriff der äußerlich-heroischen Tat. Programmatisch ist diese Passage nicht nur für das Handeln des Messias im allgemeinen, sondern speziell für den fünften Gesang, den sie präludiert. Die dort geschilderten Leiden des Messias in Gethsemane, aus denen er "als Sieger" hervorgeht (V/824), werden hier als "Thaten" angesprochen: Also sagt' er, und nahete sich erhabneren Thaten, Als, seit der Engel Geburt, dem Anbeginne der Erden Und der Sonnen, geschahn, auf jeder Unendlichkeit Schauplatz, Jemals geschahn! Er nahte sich still den göttlichen Thaten. Äußerliches Geräusch, und Lerm, süßtönend, dem Eiteln, Klein genung, zu folgen des Helden Thaten, der Staub ist, War um den hohen Messias nicht; und nicht um den Vater, Als er dem Unding' einst die kommenden Welten entwinkte. (IV/1338-1345) Die kommenden "Thaten" des Messias setzt Klopstock in doppelte Beziehung zu anderen Taten. Zunächst vergleicht er sie mit der Schöpfung der Welt und bezeichnet sie - wie öfter im 'Messias* - als erhabener als diese. Die Taten des Vaters und des Sohnes unterscheiden sich jedoch nur graduell. Gewichtiger ist dagegen die Abgrenzung zwischen den "göttlichen Thaten" und "des Helden Thaten, der Staub ist". Der höhere Wert der ersteren vor denen des vergänglichen Heroen erweist sich gerade darin, daß sie sich "still", ohne "Äußerliches Geräusch, und Lerm" vollziehen. Das Leiden Jesu und die dadurch vollbrachte Erlösung nennt Klopstock von Beginn des 'Messias' an eine "That" (1/8). Gerade diese Vokabel versieht er, wie schon im Prooimion die Doppelung "er thats, und vollbrachte die große Versöhnung" (1/7) zeigt, mit besonderer Emphase. 153 Emphatisch ist auch der
Problem spricht (außerhalb des Werks) aus seiner Aussage: "Der Messias handelt auch als der Ferherlichte. [...] Wir dürfen den Leidenden und den Ferherlichten schlechterdings nicht trennen. Denn wir weren, wi di Religion leret, di elendesten unter den Menschen, wen wir nur an einen toten Messias glaubten. Nichts fon däm, was är als der Ferherlichte tut, ist episodisch" (Briefe von und an Klopstock, 401; Beilage zum Brief an Cramer, 29.6.1799). Im Werk selbst bezeichnet Klopstock den Kreuzestod nachträglich als nur teilweise Vollendung der Erlösung, wenn er zu Beginn des elften Gesangs die Fortsetzung motiviert: "Hier sprach Jesus Christus mit seinem Vater [...] | Von der ganzen [!] Erlösung Vollendung, bis er zu des Vaters | Rechte sich hübe!" (XI/53-55) "vollendet | Hat er das Opfer der Ewigkeit! Bald ist die Erlösung | Ganz [!] vollbracht!" (XI/86-88) Vgl. auch XIII/163 u. XIX/1058. 153 Bereits Cramer, Klopstock, II, 24, merkt zu dieser Stelle an: "nicht pleonastisch, denn: thats, ist hier eines von den emphatischen Wörtern, die eine ganze Menge entwickelbarer Ideen in sich enthalten." - An einigen Stellen alternieren in den verschiedenen Fassungen des 'Messias' die Ausdrücke "That" und "Werk";
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Parallelismus, mit dem Christus bei seinem Empfang im Himmel als derjenige bezeichnet wird, "Der es ganz litt! der es ganz that!" (XX/1087) Für Sokrates ist Jesus der "größte der Menschen", der "leidet" und "dadurch der Tugenden größte" vollendet, der als "Thäter | Dieser Thaten" von Pilatus gerichtet wird (VII/429-434). 154 Jesu Taten, die sich physischen Machtbeweisen verweigern, sind Taten des Duldens, die mit der Seele vollbracht werden. In den Inhaltsangaben zum ersten und zum dritten Gesang ist explizit von den "Leiden der Erlösung in seiner Seele" die Rede. 155 Am Anfang des sechsten Gesangs findet Klopstock dann im Gleichnis von einem "sterbenden Weisen" (VI/1) den passenden Ausdruck für seinen verinnerlichten Tatbegriff: Mit "Thaten der Seele" krönt der Weise seine letzten Minuten (VI/7). 156 Indem Klopstock den Begriff der epischen Handlung verinnerlicht, verinnerlicht er die epische Gattung. Der traditionelle Anruf im Eingang des Werks richtet sich nicht an eine Muse oder ein anderes göttliches Wesen, sondern an die eigene "unsterbliche Seele" (1/1), nicht nach außen, sondern nach innen. Die Bevorzugung der seelischen vor der körperlichen Handlung und der passiven vor der aktiven "That", mit der der 'Messias' in größten Gegensatz etwa zu Königs 'August im Lager' gerät, bedeutet in Klopstocks eigener Begrifflichkeit keine Handlungsarmut. Der Reichtum an seelischer Handlung bedingt aber den Verzicht auf plastische Darstellung. Die Konsequenz ist weitgehende Unanschaulichkeit des Dargestellten. Daß diese oft kritisierte Stileigenschaft gewollt ist, sieht schon Jean Paul in seiner 'Vorschule der Ästhetik', wenn er nach der Bemerkung, daß Klopstock "oft wenig feste sinnliche Folie hinter seinem Spiegel" habe, die "Mittel" beschreibt, die der Dichter ergreife, "um seine Gestalten zu luftigen auf einer Ossians-Wolke zu verglasen". 157 Für Jean Paul, der "Sinnlichkeit des Stils" fordert, Klopstocks poetische Kunst des "Verglasens" aber durchaus zu bewundern scheint, "ist die Messiade dieser großen
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Klopstock entscheidet sich zuletzt meist für den nachdrücklicheren Ausdruck "That" (s. die Varianten zu 1/8,1/101,1/399,1/463, VI/461). Weitere Beispiele für die Verwendung des Wortes "That" für die Erlösung und teilweise explizit für Leiden und Tod Jesu finden sich u.a. in: 1/451, 1/524, Π/577,111/79, VII/411, Χ/776, XIII/826 u. 829, XIX/550. Klopstock, Der Messias, I, 3 u. 125. Auch die Verleugnung durch Petrus wird von diesem selbst als eine solche "Tat der Seele" angesprochen: "zu kleine Seele, was thatst du!" (VI/564) Jean Paul, Werke, V, 280. Hinter Jean Pauls Erkenntnis fällt das spätere 19. Jahrhundert zurück. So glaubt Muncker, Klopstock, 87, daß dem Dichter die "Gabe, fest umrissene Gestalten deutlich und faßlioh für die sinnliche Anschauung zu zeichnen," versagt gewesen sei und er "äußere Vorgänge und Situationen [...] nicht plastisch zu schildern" vermochte. Lediglich in einer Anmerkung tendiert Muncker zur richtigeren Anschauung: "der Leser [gewinne] fast den Eindruck, als ob Klopstock gar nicht anschaulich darstellen wollte" (ebd.).
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Seele ein schimmernder durchsichtiger Eispalast". 158 Klopstocks Verinnerlichung der epischen Gattung richtet sich an eine empfindsame und nachfühlende Lesergemeinde. 159 Indem er "Thaten der Seele" schildert, sucht er die Seele des Lesers zu rühren. Dessen sinnlicher Vorstellungskraft, die Klopstock zu vergeistigen strebt, kann und will sein "schimmernder durchsichtiger Eispalast" wenig bieten. Klopstock erreicht aber sein Publikum, soweit und solange dieses bereit ist, sich mit den "theilnehmenden" Nebenfiguren zu identifizieren und das Geschehen mit der gleichen inneren Beteiligung zu verfolgen wie die "Zuschauer" im 'Messias'.
158 Jean Paul, Werke, V, 278-280. In einer Fußnote zu "Seele" merkt er an (und beschreibt damit Klopstocks empfindsame Position): "Nicht des großen Geistes. Jene empfindet neu, dieser schafft neu" (ebd., 280). 159 Vgl. Alewyn, Klopstocks Leser, in: Festschrift für R. Gruenter, Heidelberg 1978,
100-121.
IV. Die Jahre 1751 bis 1760 als Wielands episches Jahrzehnt betrachtet Unter den zahlreichen Genres, die Christoph Martin Wieland in seinen Jugend- und Bildungsjahren (1750-1760) gepflegt hat, behauptet die epische Gattung einen festen Platz. Noch als Tübinger Student verfaßt er vier Gesänge eines 'Hermann'-Epos und verschafft sich damit den Kontakt zu Johann Jakob Bodmer. Unter dessen Augen entstehen während des Dichters Zürcher Aufenthalt 'Der gepryfte Abraham', "das einzige biblische Gedicht, welches [Wieland] zu verantworten hat",1 und zahlreiche Zeugnisse seiner Auseinandersetzung mit Bodmers alttestamentlicher Epik, darunter die schon in Tübingen begonnene 'Abhandlung von den Schönheiten des epischen Gedichts Der Noah'. Gegen Ende seiner Schweizer Jahre arbeitet Wieland wiederum "an einem Stolzen Werke, an nichts geringerm als an einem Heldengedicht, einem eigentlichen, menschlichen Heldengedicht",2 dessen Gegenstand der von Xenophon beschriebene Cyrus ist. Anfang, Mitte und Ende dieses Lebensjahrzehnts sind damit von eigenen Versuchen in der epischen Gattung respektive von der intensiven Beschäftigung mit Bodmers Patriarchaden geprägt. Formalen Zusammenhang zwischen den Epen dieser Dekade stiftet über die Zugehörigkeit in eine biographische Epoche hinaus Wielands konsequente Entscheidung für "das Ammahl des Zürcherischen Geschmackes, den Hexameter", 3 die eine klare Abgrenzung von seinen späteren, ariostischen Epen erlaubt. Der Verlauf von Wielands epischem Jahrzehnt gewinnt erste Konturen im vergleichenden Blick auf Klopstock. Hatte sich nur wenige Jahre zuvor Bodmers Interesse für Klopstock auf die ersten Gesänge des 'Messias' gegründet, so lenkt nun auch Wieland den Blick seines künftigen Mentors durch ein episches Werk auf sich. Hatte Klopstock die Entscheidung für das christliche Epos vor der Bekanntschaft mit Bodmer gefaßt und nach der Entfremdung von diesem beibehalten, so erweist sich Wieland als der wandelbarere Geist. Während Klopstock in
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Wieland A A 1 / 2 , 165, 39-40 (Vorbericht von 1798). Wieland BW I, Nr. 282, 70-72 (Wieland an Zimmermann, 14.2.1758). Hervorhebung im Original. Aus einem Brief Bodmers vom 8. Juli 1758 an Johann Georg Zimmermann, Wielands Vertrauten in seinen späteren Schweizer Jahren (zitiert nach Bodemann, Zimmermann, Hannover 1878, 170).
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Wielands episches Jahrzehnt
seiner Jugend ein heroisch-nationales Epos nur geplant hat, 4 führt Wieland ein solches bis zum vierten Gesang aus. Gleichfalls im Gegensatz zu Klopstock, der sein Singen des 'Messias' als lebenslänglichen Auftrag begreift, bleibt Wielands Engagement für die christliche Epik eine Episode, die mit seinem Auszug aus Bodmers Haus im Jahre 1754 weitgehend beendet ist. Die Überwindung dieser Phase wird innerhalb der epischen Gattung im 'Cyrus' manifest, der gemeinsam mit seinem Schwesterwerk 'Araspes und Panthea', das gleichfalls auf Xenophons 'Kyrupaideia' zurückgeht, die früheste Dichtung ist, die Wieland in das gültige Corpus seiner Werkausgabe aufnimmt. 5 Aus der Entwicklung vom heroisch-nationalen über das biblische zum "menschlichen" Heldengedicht 6 ergeben sich drei Abschnitte dieses Kapitels. Der erste gilt Bodmers Einsatz für den 'Hermann' vor dem Hintergrund seiner eigenen Beschäftigung mit dem Stoff sowie der anhaltenden Opposition zu Gottsched und untersucht Wielands Werk anhand der selbstkritischen Einwände des Dichters. Der zweite Teil nimmt weniger "den Poeten der Abrahamide vom Jahre 1753"7 als den Lobredner des 'Noah' in den Blick, dessen Apologie im Kontext der zeitgenössischen Diskussion um Bodmers episches Hauptwerk zu sehen ist. Im dritten Abschnitt schließlich ist zu fragen, ob Wieland in seinem 'Cyrus' noch den prägenden Eindrücken der frühen Zürcher Jahre verhaftet ist und wie sich in dem Werk seine "große Wandlung" oder "Metamorphose"8 niederschlägt.
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Vgl. Kap. III, Anm. 32. Während Wieland in der "Ausgabe letzter Hand" die Jugendwerke dem Supplement zuweist, füllen 'Cyrus' und 'Araspes und Panthea' den 16. Band. Zu Wielands Konzeption dieser Ausgabe sowie zur Rolle der beiden genannten Dichtungen als Grenze zwischen Jugend- und Hauptwerk vgl. Seuffert, Prolegomena, Hildesheim 1989,1/1, 3-6. In anderem Zusammenhange sieht auch Müller-Solger, Dichtertraum, Göppingen 1970, 21-22, in den drei Epen "eine Entwicklung, die deutlich die drei Phasen seines Jugendwerkes erkennen läßt". So beliebt Bodmer Wieland noch in einem wohl aus dem Jahr 1778 stammenden Brief an Zimmermann zu sehen (zitiert nach Bodemann, Zimmermann, 183). Am 3. Mai 1770 schreibt Bodmer an Schinz: "Aber ich liebe auch immer den Poeten Abrahams [...], wann ich gleich den Wieland Idris verachte" (Zehnder 480). Vgl. Sengle, Wieland, Stuttgart 1949, 89-97, und - in Auseinandersetzung mit diesem - McCarthy, Wielands Metamorphose, in: DVjs XLIX (1975), Sonderheft, 149M67*.
'Hermann'
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1. ' H e r m a n n ' Mein Herrmann ist die Frucht einer gewissen Jugendhizze, ein übereiltes Werck, das den Früchten in Gewächshäusern gleichet.9 Wielands Einschätzung seines epischen Erstlings stammt nicht aus einem altersweisen Rückblick, sondern aus dem zweiten Brief des gerade achtzehnjährigen Jünglings an Bodmer. Die Äußerung könnte einzig als entschuldigende Bescheidenheitsfloskel gegenüber dem berühmten Professor in Zürich verstanden werden. Aber Bodmers Reaktion auf Wielands 'Hermann', den ihm der noch unbekannte Verfasser am 4. August 1751 zugeschickt hatte, forderte - soweit zu erkennen 10 - eine solche Entschuldigung und Abwertung des eigenes Werks in keiner Weise heraus. Selbst seinem Freund Laurenz Zellweger, demgegenüber er keinen Anlaß hat, Werk und Verfasser zu schonen, schreibt Bodmer im Tone der Begeisterung und weiß nur wenig zu kritisieren: Mir hat [...] ein unbekannter [...] vier Gesänge eines epischen Gedichts gesandt, in manuscripto, mein Urtheil darüber zu vernehmen. Das Sujet ist Arminius, und die Erlösung Deutschlands vom Joche des Kaisers Augustus. Das Gedicht ist in Hexametern, und überhaupt so wie ich es würde geschrieben haben, wenn ich diese Materie vorgenommen hätte, ausgenommen daß ich den Deutschen derselben Zeiten nicht so artige Sitten und Manieren zugeleget hätte. [...] Das Werk hat alle Merkmalen, daß es auf die Nachwelt kommen werde. Es sind keine Seraphim darinn, aber wol Erscheinungen der Erdamme etc. Klopstok bekömmt an dem Verfasser ein Nebenbuhler. [...] Es ist doch etwas Wunderbares daß Deutschland auf einmal so viel epische Gedichte bekömmt. Der Hexameter muß notwendig siegen. Es kann nicht anders seyn, von diesen Gedichten wird eine neue Epocha in der deutschen Litteratur angefangen. 11 Als Reaktion auf ein Schreiben dieses Tenors wirkt Wielands Antwort weniger bescheiden als vielmehr unangemessen. Gegenüber Bodmers Aussage, daß er den Stoff ebenso bearbeiten würde, nimmt sich Wielands Anmerkung, daß der Adressat dem Werk sicher "angemerckt haben" werde, "daß es ihm an einem richtigen Grundrisse" fehle, 1 2 geradezu belehrend aus. D e m von Bodmer offenbar geäußerten Wunsch, daß das Werk vollendet und veröffentlicht 9 10 11
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Wieland BW I, Nr. 24, 16-17 (Wieland an Bodmer, 29.10.1751). Bodmers Antwort auf Wielands erstes Schreiben ist, wie alle Briefe Bodmers an Wielands, nicht erhalten (vgl. Wieland BW II, 40-41). Die Wieland betreffende Passage aus Bodmers Brief an Zellweger vom 19. August 1751 wird zitiert nach: Seuffert, Mitteilungen aus Wielands Jünglingsalter, in: Euphorion, Erg. H. III (1897), 64. - Bodmers Lob für Wieland wird weiterhin deutlich aus seinem Brief an Heß vom 29. August 1751 (ebd.: "Die Geheimnisse der Poesie sind ihm alle bekannt") und Sulzers Brief an Bodmer vom 15. Oktober 1751 (Briefe Schweizer 163); vgl. Muncker, Einleitung zu: Wieland, Hermann, Heübronn 1882, XXV-XXVI. Wieland BW I, Nr. 24, 17-19 (Wieland an Bodmer, 29.10.1751).
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werde, verweigert sich Wieland, indem er vorschlägt, "es der Vergessenheit zu übergeben", und anbietet, daß "Hochedelgeboren [...] mit diesem unvolkomnen Gedicht anfangen" könne, was er wolle. 13 Sieht Wieland in diesem zweiten Brief an Bodmer seine "Mühe" mit dem 'Hermann' durch den "Beyfall" des "vollkommensten Richter[s] der Wercke des Geistes" schon "als zu sehr belohnt" an, 14 so spricht er im nächsten Brief, dem weitere auf Ausarbeitung drängende Worte Bodmers vorangegangen sein dürften, das vorläufige Todesurteil über sein Gedicht. 15 Im Gestus der Bescheidenheit bezeichnet der angehende Dichter seinen 'Hermann', der kaum ein halbes Jahr alt ist, als eine der Verbesserung kaum würdige Jugendarbeit. Daß diese Arbeit auf die Person des Autors aufmerksam gemacht habe, übertreffe ihren dichterischen Wert bei weitem. Die Verleugnung des eigenen Werks paart sich so auf eigentümliche Weise mit einer Selbstgewißheit, die dem Urteil der Autorität geradewegs widerspricht. Eigentümlich und erklärungsbedürftig wirkt aber auch Bodmers Insistieren auf einem Werk, das sein Verfasser postwendend vergessen machen möchte und das seinem besonderen Interesse an christlichen Stoffen kaum entsprochen haben dürfte. Denn Bodmer befindet sich, durch Klopstock zu eigenem Eposschaffen angeregt, mitten in der Produktion einer ganzen Reihe alttestamentlicher Gedichte, die er Wieland "In Antwort" auf dessen Schreiben zukommen läßt. 16 Bodmers oben zitiertes Schreiben an Zellweger gewährt Aufschluß über sein außergewöhnliches Interesse an Wielands 'Hermann'. Einerseits legt er Wert auf die Feststellung, daß das Gedicht in Hexametern verfaßt ist. Gott13
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Wieland BWI, Nr. 24, 24-29 (Wieland an Bodmer, 29.10.1751). Gegenüber Hagedorn glaubt Bodmer am 7. Januar 1752 ein Erscheinen des Werks für den Herbst des gleichen Jahres ankündigen zu können (vgl. Muncker, Einleitung zu: Wieland, Hermann, XXIV; Hagedorns erwartungsvolle Antwort s. Guthke 3, 89). Wieland BW I, Nr. 24, 8-12 (Wieland an Bodmer, 29.10.1751). Wieland BWI, Nr. 26, 7-12 (Wieland an Bomder, 20.12.1751): "Mein Ihnen überlassenes Gedicht hat seine Bestimmung erreicht. Es sollte mir die oft gewünschte Ehre erwerben, Ihnen bekannt und durch Dero Briefwechsel unterrichtet zu werden. Ich bin so glücklich diesen Zweck erreicht zu haben, und ich begnüge mich hieran, ohne an eine Verbesserung oder Umarbeitung dieser iugendlichen Arbeit zu gedencken." - Vorläufig sind Wielands Worte, weü er im nächsten, nur wenig später zu datierenden Brief ernstlich mit inhaltlichen Fragen beschäftigt scheint, über den Druck des Werks und notwendige "Zusätze" spricht, diese aber nicht selbst ausführen will, da er den 'Hermann' "ja Ihr. Hochedelgebohren gäntzlich übergeben" habe (Wieland BW I, Nr. 27, 5-38; Wieland an Bodmer, nach dem 20.12.1751; zur Datierung vgl. ebd. II, 49). In Wielands Brief an Bodmer vom 19. Januar 1752 ist nochmals die Rede von der Drucklegung des 'Hermann', von dem der Autor seine "väterliche Hand gänzlich" abgezogen hat (ebd. I, Nr. 28, 97-104). Vgl. die Notizen Bodmers auf Wielands Briefen vom 29. Oktober und 20. Dezember 1751 (Wieland BW II, 42 u. 45).
'Hermann'
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scheds ablehnende Haltung gegen die Schweizerischen Versuche im daktylischen Metrum waren allgemein bekannt. So konnte Wieland schon mit der Wahl dieses Verses, die für ihn in der Tübinger Zeit keineswegs selbstverständlich ist,17 sein Bekenntnis zur Zürcher Partei ablegen und auf günstige Aufnahme hoffen. Bodmers Reaktion bestätigt dies: Er wertet die hexametrische Gestalt als Siegeszeichen für die eigene Position. Und andererseits scheint es für Bodmer schon jetzt von Interesse zu sein, Wieland als "Ersatz" für Klopstock zu gewinnen und in ihm eine innerparteiliche Opposition zu dem 'Messias'-Dichter aufzubauen. Darf man in der Frage des Verses Wielands Kalkül voraussetzen, so gilt dies kaum für diesen zweiten Punkt. Denn trotz des persönlichen Zerwürfnisses mit Klopstock, dessen Lebensart Bodmer mit dem moralischen Anspruch des heiligen Gedichts nicht in Einklang zu stehen schien,18 ist man auf Seiten der Zürcher bemüht, sich nach außen einheitlich darzustellen. So werden Wieland, der sich als enthusiastischer Klopstock-Verehrer vorstellt und unter anderem selbst dessen "tibullische Elegie" gegen sittenstrenge Richter zu verteidigen sucht, 19 die tatsächlichen Verhältnisse vorsichtig und erst nach sorgfältigem Abwägen bekannt gemacht. 20 Bodmers Briefe an seine engsten Vertrauten Zellweger und Heß sprechen jedoch eine eindeutige Sprache. Wieland, den er Mitte 1751 als "Nebenbuhler" Klopstocks ankündigt, bezeichnet er im Januar 1752 als "einen neuen Klopstok", der ihm "die Liebe wieder" zuwende, "die der erste noch vor zwei Jahren" für ihn gehabt habe. 21 Am Ende des gleichen Jahres, nachdem man sich von Wielands Anpassungsfähigkeit überzeugt hat und er der Einladung nach Zürich gefolgt ist, schreibt Bodmer über ihn: "Er sinnet schon jetzt auf ein Gedicht, welches Klopstocken den Gipfel, worauf er sitzt, kann streitig machen. Da dieser keinen Gleichen leiden kann, so weiß ich vorher, daß er Wieland in seinem Herzen hassen wird."22 17
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Für das einige Monate vor dem 'Hermann' verfaßte Lehrgedicht 'Die Natur der Dinge' wählt er ebenso gereimte Alexandriner wie für die 'Moralischen Briefe', die Ende 1751 und Anfang 1752 entstehen. Vgl. bereits Bodmers Brief an Zellweger vom 5. September 1750: "Er ist gleichsam zwei Personen in einem Leib: der Messiasdichter und Klopstock" (zitiert nach Zehnder 347). Vgl. zu der sich anschließenden Auseinandersetzung Seiffert, Wielands Beiträge zur Zürcher Monatschrift Crito, in: Festgabe für Eduard Behrend, Weimar 1959, 324-335. Vgl. die in Wieland BW II, 58-62 u. 70-82, paraphrasierten und bei Zehnder 495-505 teilweise gedruckten Briefe zwischen Bodmer, Heß und Schinz v6m Anfang des Jahres 1752. Bodmer an Heß, 16.1.1752 (zitiert nach Zehnder 495). Nach Seuffert, Mitteilungen aus Wielands Jünglingsalter, 64, verwendet Bodmer den Ausdruck "neuen Klopstock" bereits in seinem Brief an Heß vom 29. August 1751. Vgl. ebd., 67 (Bodmer an Zellweger, 20.1.1752): "Es stehet nur an mir einen neuen Klopstock zu haben." Zehnder 363 (Bodmer an Zellweger, 7.12.1752).
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Bodmers planvoll verfolgtes Ziel, Wieland gegen KJopstock auszuspielen, bestimmt bereits seine erste Reaktion auf den 'Hermann' entscheidend mit. Wieland konnte dies in seine Überlegungen zunächst nicht einbeziehen. Gleiches gilt nach der Quellenlage wahrscheinlich für einen weiteren Umstand, der Bodmers Interesse für ein Gedicht erklären hilft, dessen national-heroischer Gegenstand abseits der für ihn um 1750 zentralen biblischen Sphäre liegt. Im eingangs zitierten Brief an Zellweger spricht der Absender konjunktivisch von einer eigenen Bearbeitung des gleichen Stoffs. Diesen Konjunktiv könnte man als Irrealis aufzufassen geneigt sein, gäbe es nicht Zeugnisse einer Beschäftigung Bodmers mit einem 'Arminius'-Epos, deren Kenntnis er bei Zellweger wohl voraussetzt. 23 Der Kern des Plans, ein Heldengedicht über den Cherusker zu schreiben, geht in die Zeit von Bodmers literarischen Anfängen zurück. Zwei Bücher des verschollenen Epos hat Bodmer 1726 offenbar in Prosa ausgearbeitet. Ihre Veröffentlichung stellt er - auf Anfrage Pyras - um 1744 für die revidierte Neuauflage der 'Discourse der Mahlern' in Aussicht. Zur Publikation des Fragments kommt es jedoch nicht. Dem jungen Wieland, der in Tübingen mit Informationen über das literarische Leben eher schlecht versorgt ist, sind detaillierte Kenntnisse über Bodmers poetische Projekte und ungedruckte Fragmente, die nur aus versteckten oder privaten Quellen zu beziehen waren, kaum zuzutrauen. Umgekehrt aber dürfte Bodmer sich angesichts von Wielands Werk seines Plans erinnert haben. Seine freudige Aufnahme des Gedichts und sein Wunsch, es überarbeitet und gedruckt zu sehen, hängen in der ersten Zeit wohl eng mit der Erinnerung an seinen eigenen Entwurf zusammen. Erst einige Monate später bestimmt dann ein anderer Gegenstand Bodmers Umgang mit Wielands 'Hermann', an dessen Manuskript der Autor kein Interesse mehr zeigt. Im Herbst 1751 nämlich erscheint Schönaichs 'Hermann'. Im Dezember des gleichen Jahres reagieren Bodmer und Wieland zuerst auf dieses Werk. 2 4 Von nun an dient der 'Hermann', dessen Vers 23
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Vgl. Kap. I, S. 8, und die in der Bibliographie (VII. 3, Bodmer, Arminius) zitierten Quellen. - In der Wieland-Forschung findet dieser Plan Bodmers, den etwa Budde, Wieland und Bodmer, Berlin 1910, 136, beiläufig erwähnt, keine weitergehende Berücksichtigung. Sengle, Von Wielands Epenfragmenten zum 'Oberon', in: Wieland, Darmstadt 1981, 47-48, bemerkt, daß Bodmer von Wielands 'Hermann' "trotz [!] des heidnischen Gegenstandes begeistert" ist. Bodmers eigene Beschäftigung mit dem Stoff scheint ihm unbekannt geblieben zu sein. Bodmer rezensiert das Heldengedicht, dessen Widmungsschreiben auf den 23. September 1751 datiert ist, im 50. Stück der Zürcher 'Freymüthigen Nachrichten' vom 15. Dezember 1751, 396-399. Und Wieland erwähnt, wohl unabhängig davon, den "Gottschedisch-Schönaichische[n] Herrmann" erstmals in seinem Brief an Bodmer vom 20. Dezember 1751 (Wieland BW I, Nr. 26, 82-89). - Die exakte Beachtung der chronologischen Abfolge erweist sich als notwendig, da in der Forschung gelegentlich der irreführende Eindruck erweckt oder explizit davon ausgegangen wird, daß Wieland seinen 'Hermann' in
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Bodmer als parteiische Stellungnahme versteht, als gelegentlich eingesetzte Waffe im Kampf gegen den Antipoden in Leipzig, der Schönaichs Werk herausgegeben und als Muster eines Epos angepriesen hat. 25 Bereits in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zu dem Heldengedicht aus Gottscheds Kreis macht Bodmer von Wielands Angebot Gebrauch, seinen Text nach Belieben zu verwenden. Innerhalb einer Rezension von Schönaichs Werk, die zunächst ironisch den Erfolg der "regelmäßigen Erinnerungen" Gottscheds rühmt und dann dem Autor vorwirft, schwache, abgenutzte und "Lohensteinische Metaphern" zu gebrauchen, 26 regt Bodmer zum Vergleich mit Wielands Werk an. 27 Er zitiert zu diesem Zweck, wie aus Schönaichs 'Hermann', den Anfang und eine Passage, die "Hermanns Stolz bey Erblickung der liebenden Thusnelda" schildert. 28 In den knappen Schlußworten zu Wielands Versen, die durch Bodmers bessernde Hand gegangen sind, bleibt kein Zweifel an der Position des Rezensenten: "Ich kan beweisen, daß jedes wolgeartete Herz den Affect in diesen Zeilen empfinden muß" 29 Der nur in Ansätzen durchgeführte Vergleich zwischen den Epen Schönaichs und Wielands beleuchtet schlaglichtartig Bodmers Position. Verbrauchten Metaphern zieht er einen auf das Empfinden des Lesers zielenden Stil vor, und Lohensteinischen Schwulst will er durch echte Affektstärke
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Kenntnis von Schönaichs Werk geschrieben habe (Sengle, Von Wielands Epenfragmenten zum Oberon', 47: "er [Wieland] fühlt, daß er Schönaich leichtlich übertreffen kann. Er schreibt vier Gesänge eines 'Hermann'"; Hiebel, Individualität und Totalität, Bonn 1974, 225: "Wieland sendet 1751 ein in Konkurrenz zu Schönaich verfaßtes episches Gedicht 'Hermann' an Bodmer"; zuletzt Sahmland, Wieland, Tübingen 1990, 136: Wieland habe sein Epos "gezielt als Gegenentwurf zu von Schönaichs 'Hermann' konzipiert"). Gegen diese Annahme steht bereits Bodmers Besprechung von Schönaichs 'Hermann'. Er weist, ohne den Autor zu nennen, auf Wielands Gegenstück hin und merkt an, daß beide Dichter "einander unbekannt, an einem Stofe gearbeitet haben" und daher "keines von ihren Werken eine Nacheiferung des andern" sei (FN VIII [1751], 398). Vgl. knapp zusammenfassend Budde, Wieland und Bodmer, 135-136, und den Kommentar zu Wielands 'Hermann' in Kap. VII. 2. FN VTII (1751), 396-397. Insbesondere der Vorwurf, den allgemein als Schwulst verdammten Stil Lohensteins zu imitieren, ist von weitergehendem Interesse. Denn von Gottsched und dann massiv in Schönaichs 'Neologischem Wörterbuch' (1754) wird der gleiche Vorwurf gerade gegen Klopstock und die Schweizer erhoben (vgl. die auf Klopstock konzentrierten Hinweise bei Schneider, Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache, Heidelberg 1965, 35-36). Vgl. Anm. 24. FN VIII (1751), 398 u. 399. Diese Passagen (1/1-26 u. IV/143-171) sind in Munckers Edition der Wiedergabe von Wielands Handschrift vorangestellt (Wieland, Hermann, 3-5). Die von Bodmer vorgenommenen Eingriffe sind in dieser ersten Ausgabe des Textes leicht zu erkennen. FN VIII (1751), 399.
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ersetzt sehen. Sein Ideal läßt sich mit den Begriffen von Breitingers 'Dichtkunst' als eine mit "Machtwörtern" ausgestattete "herzrührende Schreibart" beschreiben. 30 Kategorien der Wirkung ("Herz", "Affect", "empfinden") werden höher bewertet als normative Anweisungen. Die bloße Anwendung der "mechanischen Regeln", die Gottsched "aus der Schul, oder aus Bossü, geschwatzet" habe, führen "bey einem kleinen Naturell und einer mäßigen Wissenschaft" 31 zu keinem befriedigenden Ergebnis im Sinne der Zürcher Wirkungspoetik. Wielands Verse, die die Schilderung des Wiedersehens von Hermann und Thusnelda 32 abschließen, entsprechen offenbar mehr Bodmers Vorstellungen: Also besprachen die göttlichen sich voll hoher Empfindung Unter einander. Sie sahn die Heer' und staunten und fühlten Ihren unsterblichen Vorzug, und tief im schlagenden Herzen Die hinreissende Macht erhabener Seelen, und jauchzten Hermann zu, und Thusnelden und ihrem siegenden Kriegs-Gott. 33 Der formale Mangel an metrischer und grammatikalischer Eindeutigkeit, den auch Bodmers Überarbeitung nicht ganz beseitigen kann, scheint für den Rezensenten sekundär zu sein gegenüber dem Streben nach einer wirkungsmächtigen Sprache. In polysyndetischer Reihung versammelt Wieland Vokabeln, die Gemütsbewegungen anzeigen ("staunten", "fühlten", "jauchzten") und dem Gefühlsbereich ("voll hoher Empfindung", "tief im schlagenden Herzen") sowie der Sphäre des Erhabenen ("unsterblichen", "hinreissende Macht erhabener Seelen") angehören. Wieland schöpft - dies dürfte Bodmers Auswahl der Verse begründen - aus dem von den Schweizern empfohlenen und von
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Breitinger, Critische Dichtkunst, Stuttgart 1966, II, 42-90 u. 352-398. FN VIII (1751), 396. Die Szene, die er wohl wegen ihres Empfindungsreichtums für seine Zwecke auswählt, hat Bodmer wohl noch Jahre später beschäftigt. In FN XVII (1760), 78-79, erscheint eine umgearbeitete Version des Gesprächs zwischen Hermann und Thusnelda, die nach Budde, Wieland und Bodmer, 213-215, Bodmer zum Verfasser hat. FN VIII (1751), 399. Vgl. Wieland AA 1/1, 203, V. 167-171. Neben Änderungen in der Interpunktion variiert Bodmer an folgenden Stellen die Handschrift, deren Wortlaut hier mitgeteilt wird: V. 168: "sahen die Heere"; V. 169: "Vorsaz"; V. 170: "erhabner"; V. 171: "Hermann und Thusnelden zu und dem". Außer rhythmischen Glättungen durch Apokope, Synkope und Veränderung der Wortstellung (im letzten Vers) greift Bodmer nur an einer Stelle (V. 169) inhaltlich ein. Zum Verständnis dieser Änderung bedarf es der Vorbemerkung, daß das grammatikalisch doppeldeutige "Sie" in V. 168 Hermann und Thusnelda meint und sinnvoll nur als Äkkusativobjekt zum Subjekt "Heer'" aufzufassen ist. Die Lesart der Handschrift läßt offen, wessen "Vorsaz" (die Befreiung Germaniens) gemeint ist: der Hermanns und Thusneldas oder der des ganzen Heeres. In Bodmers Variante ist hingegen wohl der "Vorzug" Hermanns und Thusneldas vor dem Heer gemeint.
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Klopstock dichterisch bereitgestellten Arsenal poetischer Mittel. 34 Wie dieser seine "Zuschauer" einzelne Szenen für den Leser vorempfinden läßt, so zeigt Wieland die beabsichtigte Wirkung der Begegnung Hermanns und Thusneldas in der bewegten Reaktion der Heere an. Anhand von Wielands und Schönaichs 'Hermann'-Epen polarisiert Bodmer zwischen seiner vor allem wirkungspoetisch und Gottscheds stärker regelpoetisch geprägten Position. Die Gedichte der Schüler werden als Stellvertreter in den Kampf der Lehrer einbezogen. Aber auch Wieland setzt seine Beschäftigung mit dem 'Hermann' in den folgenden Jahren polemisch gegen Schönaich und Gottsched ein. So gibt er in seinem einzigen, anonymen Brief an den Leipziger vor, als begeisterter Anhänger von Schönaichs Werk an einem Heldengedicht "von dem ersten Hermann, oder Irmin der alten Celten und seinem Feldzug gegen den Persischen König Ormisdas" zu arbeiten. 35 Trotz seiner ablehnenden Haltung gegen Klopstocks 'Messias' und andere Epen in Hexametern habe er sich für diesen Vers entschieden, damit "man den Verderbern des Geschmaks einmal etwas gutes in ihrer Versart vorweisen" könne. 3 6 Gottsched faßt das Schreiben nicht als ironisch auf, druckt vielmehr Teile davon sowie ein beigelegtes Bruchstück des angeblich nahezu vollendeten Werks ab und verkündet: "Der Herr Bar. von Schönaich bekömmt einen Nacheiferer." 37 Noch Jahre später, als Wieland dem Parteienstreit zwischen
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Vgl. hierzu Schneider, Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache, insb. 87-110 (über die "herzrührende Schreibart"), sowie allgemein zu Klopstocks stilistischem Einfluß Beck, Sprache des jungen Wieland, Bukarest 1913. Wieland BW I, Nr. 118, 96-97 (Wieland an Gottsched, 14.9.1753). Dieser Hinweis steht insofern in Zusammenhang mit dem eigenen ungedruckten Fragment, als dort Hermann der Cherusker als Nachfolger und "Enkel des göttlichen Hermanns" (1/1) eingeführt wird und mehrfach von diesem älteren Hermann die Rede ist. Beispielsweise wird sein Feldzug gegen die Perser erwähnt (1/28-34) und als Vorbild für den Cherusker "aus uralten Gesängen der göttlichen Barden, | Des vergötterten Hermans Gesicht" erzählt (1/195-393). Als Quelle für sein angebliches Werk nennt Wieland den "138 §. der Theodicee des grossen Leibnitz" (Wieland BWI, Nr. 118, 98; vgl. ebd. II, 188). Daß Wieland schon 1751 mit dieser Quelle vertraut war, zeigt außer den erwähnten Stellen aus seinem 'Hermann' eine Passage des Lehrgedichts 'Die Natur der Dinge' (Wieland AA 1/1, 32-33, V. 683-685 [die Verszählung der Ausgabe ist hier fehlerhaft]), zu der seit der Ausgabe von 1762 auf die gleiche Quelle verwiesen wird (Wieland, Poetische Schriften, Zürich 1762,1, 47). Wieland BW I, Nr. 118, 84-85 (Wieland an Gottsched, 14.9.1753). NaG III (1753), 920-929, hier 920. Vgl. Wieland BW II, 189-191. Bei dem von Gottsched wiedergegebenen Fragment handelt es sich um eine Vorfassung des Eingangs von Wielands 'Hymne auf die Sonne' (vgl. Wieland AA 1/2, 175-176; V. 1-15 u. 25-48). Gottsched, der bereits in seiner Kritik des Bruchstücks argwöhnt, daß der anonyme Dichter dem 'Messias' wohl "so feind nicht" sei, "als er sich stellet" (NaG III [1753], 928), konnte drei späteren Veröffentlichungen
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Zürich und Leipzig bereits entwachsen war, verbindet er einen Hinweis auf seinen 'Hermann' mit einer polemischen Spitze gegen Schönaich. In der ersten Sammlung seiner Jugendwerke, die zugleich den Abschluß seiner Schweizerischen Epoche dokumentiert, erläutert er eine an Vergil gerichtete Apostrophe in seinem Gedicht 'Der Fryling': Der Verfasser arbeitete damals an einem Heldengedichte, wovon Arminius der Held war. Einige Monate darauf erschien der Hermann des Hrn. von Schönaichs; und um kein Nebenbuler eines so grossen Mannes zu werden, verbrannte man den Arminius. Welche Bescheidenheit! 38 Schließlich steht auch die ausführlichste Verwertung von Wielands Manuskript im Kontext der Polemik gegen Schönaich. Auf dessen 'Neologisches Wörterbuch' von 1754 antworten die Schweizer im folgenden Jahr mit der 'Geschichte Eduard Grandisons in Görlitz' 39 und der 'Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen'. Dem letztgenannten Pamphlet, das unbestritten aus Wielands Feder stammt, 40 ist unter dem Titel 'Der verbesserte Herrmann' ein fiktiver Disput über Schönaichs Werk beigefügt. 41 Den Einwurf, daß es leichter sei zu kritisieren, als ein besseres Werk zu schreiben, greift einer der Diskutierenden auf und teilt einen Plan für ein verbessertes Arminius-Epos mit. Zwei weitere Gesprächsteilnehmer steuern aus dem Stegreif 132 Hexameter bei, die unmittelbar auf Wielands Werk zurückgehen. Die zitierten Verse sind jedoch gegenüber Wielands überliefertem Manuskript in Detail und Anordnung erheblich modifiziert, und der mitgeteilte Plan stellt
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der Zürcher entnehmen, daß der Verfasser des Schreibens und des Fragments aus deren Reihen kam (vgl. Wieland BW II, 191). Wieland, Poetische Schriften, I, 303. Die betreffende Passage im 'Fryling' lautet: "Unberyhmt und allein! von dir, ο Β - geliebet, | Und von dir, zärtlicher S. o! möcht auf der wenigbetretnen | Alten erhabnen Bahn, von dichtrischen Lorbeern dem Lobe | Unsrer Zeiten verborgen, die Muse, die dich einst geliebet, | Grosser Maro, mich fyhren!" (Wieland AA T/1, 428-429, V. 64-68; die Initialen sind als "Bodmer" und "Schinz" aufzulösen.) - Seuffert, Mitteilungen aus Wielands Jünglingsalter, 90, Anm. 3, spekuliert, ob Wieland möglicherweise "Entwürfe zu seinem 'Hermann' verbrannt" habe (vgl. Seuffert, Prolegomena, 1/2, 29). Bezeichnenderweise ändert Wieland in der "Ausgabe letzter Hand" die Anmerkung. Statt des ironischen Hinweises auf Schönaich und die angebliche Verbrennung des eigenen Werks heißt es nun: "wovon er, zu gutem Glücke, bald darauf die Hand wieder abzog" (Wieland SW Suppl III, 308). Die Verfasserfrage dieser Satire, die den Engländer Eduard Grandison, einen Sohn von Richardsons Romanfigur, als Leser von Schönaichs Epos einführt, ist nicht vollständig geklärt. Neben Bodmer scheinen weitere Autoren, darunter Wieland, beteiligt gewesen zu sein. Vgl. Hirzel, Wieland und Martin und Regula Künzli, Leipzig 1891, 73-92, Seufferts Rezension zu diesem Werk in: GgA 1896, 470-507, insb. 485-496, und Budde, Wieland und Bodmer, 103-129. Das in Wieland-Bibl 655 verzeichnete Werk findet sich (ohne den Anhang) in: Wieland AA 1/4,71-131. In: Wieland, Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen, Frankfurt/Leipzig 1755, 83-102.
'Hermann'
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einige Motive der Dichtung von 1751 in einen gänzlich geänderten und ausgeweiteten Kontext.42 Positive Belege für oder gegen Wieland als Urheber dieses Anhangs existieren nicht. Nach kontroverser Diskussion wird allgemein Bodmer als Verfasser angenommen. 43 Daß Wieland im Sommer 1755, in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zur Arbeit an der 'Ankündigung einer Dunciade', 44 von einem "künftigen Arminius" spricht, muß in diesem Zusammenhang zwar nicht dazu verleiten, ihm den 'Verbesserten Herrmann' zuzuschreiben 4 5 Aber Wielands Aussage ist doch ein Indiz dafür, daß das 'Hermann'-Epos noch 1755 zum Fundus seiner poetischen Projekte gehört. Tatsächlich scheint es im Kreise der Schweizer Vertrauten bis in die späten fünfziger Jahre hinein die Erwartung gegeben zu haben, daß Wieland seinen 'Hermann' noch einmal ernstlich vornehmen könnte. Denn als er im Februar 1758 Johann Georg Zimmermann seine Beschäftigung mit einem epischen Projekt andeutet, antizipiert und dementiert er zugleich dessen Gedankengang: "Aber rathen Sie nur nicht den Arminius. Dieser ist mir zu sauvage".46 Das Werk, mit dem sich Wieland bei Bodmer einführt, hat damit als Plan die Phase seiner intensiven Hinwendung zur biblischen Epik überdauert und wird erst vom 'Cyrus' endgültig beiseite geschoben.
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Vgl. den bibliographischen Eintrag zu Wielands 'Hermann' sowie Munckers Edition, die den Plan und die Verse aus dem 'Verbesserten Herrmann' enthält (Wieland, Hermann, XXI-XXII u. 5-10). Muncker, Einleitung zu: Wieland, Hermann, XX-XXI, geht davon aus, daß 'Der verbesserte Herrmann' von Wieland stammt. Dagegen führt Seuffert, Rezension zu: Hirzel, 497-498, eine Reihe von Argumenten für Bodmers Autorschaft an, die im einzelnen keine endgültigen Beweise darstellen, aber insgesamt eine gewisse Plausibilität für sich haben. Budde, Wieland und Bodmer, 135, sowie Homeyer und Bieber, die Herausgeber des Jugendwerks innerhalb der Akademie-Ausgabe, schließen sich Seufferts Meinung an, die auch in WielandBibl 655 referiert wird. Nach Seuffert. Prolegomena, 1/2,45, erfolgte die Drucklegung im Juli 1755. Wieland BW I, Nr. 195, 18-31 (Wieland an Zellweger, Bodmer, Breitinger und Heß, 5.7.1755): "Wie angenehm wäre es für mich gewesen [...] mit Ihnen [...] die Natur in ihrer kunstlosen Einfalt und schönen Wildheit zu spähen, und zu einem künftigen Arminius, der noch als ein unentwickelter Embryon in meiner Seele liegt, Bilder und Farben zu sammlen". Für Seuffert, Rezension zu: Hirzel, 497, spricht Wielands Formulierung gerade gegen seinen Anteil am 'Verbesserten Hermann'. Es wäre jedoch zu bedenken, daß Wieland auch sein Bodmer zugeschicktes Manuskript als "Embryone von einer Epopoee" bezeichnet (Wieland BW I, Nr. 27, 22 [Wieland an Bodmer, 20.12.1751]). Wieland BW I, Nr. 282, 73 (Wieland an Zimmermann, 14.2.1758). Legt Wieland 1755 noch Wert darauf, den 'Hermann' mit einer "schönen Wildheit" auszustatten (vgl. das Zitat in der vorigen Anm.), so spricht nun gerade dieses Charakteristikum gegen den Stoff.
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Wielands episches Jahrzehnt
Charakteristika der Dichtung Die unterbliebene Vollendung von Wielands 'Hermann' und die nur fragmentarische Veröffentlichung weniger Verse rechtfertigt, daß der Blick zunächst auf die Verwendung des Werks im polemischen Kampf gegen Schönaich und Gottsched gerichtet wurde. Das erhaltene und postum gedruckte Manuskript, das vier Gesänge umfaßt, erlaubt jedoch, Wielands abfällige Einschätzung seiner Jugendarbeit am Text zu überprüfen. Die Abkehr von seiner epischen Arbeit erklärt Wieland, wie aus seinen Äußerungen gegenüber Bodmer hervorgeht, mit Mängeln des Stoffs, des Plans und der dichterischen Bearbeitung. Gegen die Materie wendet er einerseits ein, daß sie von der "heidnischen Mythologie beschmutzt" sei, und bittet sich seine nächste epische "Fabel" von Bodmer aus. 47 Da Wieland zwischenzeitlich dessen alttestamentliche Epik kennengelernt hat, läßt sich diese Abkehr von seinem Stoff als Hinwendung des Schülers zu seinem verehrten Lehrer verstehen. Andererseits jedoch, bevor er noch mit Bodmers Gedichten bekannt ist, glaubt er "einen etwas ungeschickten Helden gewählt" zu haben, dessen in den historischen Quellen überliefertes "Ende" für ein Epos "zu tragisch" sei. 48 Dieser Einwand berührt den geplanten Aufbau des Werks. Das Heldengedicht bedarf - so die allgemeine Meinung der Zeit, der sich der junge Wieland anschließt - eines Helden, der aus der dargestellten Handlung als Sieger hervorgeht. Nach dem Vorbild Homers muß dies ein tragisches Lebensende des Heroen keineswegs ausschließen: Thetis beweint das Verhängnis des Achilleus schon zu Beginn der 'Ilias' (1/414-418). Wenn Wieland das unrühmliche Ende Hermanns, der nach der Überlieferung von Verwandten getötet wird, als Mangel des gewählten Stoffs darstellt, dann bedeutet dies, daß er sein Werk mit dem Mord an Hermann beenden wollte. Tatsächlich gibt Wieland wenig später, als er die Vollendung und Drucklegung des 'Hermann' bereits als Bodmers Aufgabe ansieht, einen entsprechenden Hinweis 4 9 Der vorgebliche Fehler der Materie ist damit ein Mangel in der dichterischen Anlage des Werks. Wenn Wieland freimütig einräumt, daß es seinem Gedicht "an einem richtigen Grundrisse" fehle, dann kann er damit auf das nur unzureichend konzipierte Ende des Epos zielen. Aber auch der ausgeführte Anfang des Werks befriedigt nach klassizistischen Kriterien nicht. Keineswegs führt 47
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Wieland BWI, Nr. 26, 111-114 (Wieland an Bodmer, 20.12.1751). Wielands biblisches Epos 'Der gepryfte Abraham' folgt dann tatsächlich unmittelbar der von Bodmer vorgezeichneten Bahn. Wieland BW I, Nr. 24, 21-24 (Wieland an Bodmer, 29.10.1751). Wieland BW I, Nr. 28, 98-100 (Wieland an Bodmer, 19.1.1752): "Dieser Held würde von mir meuchelmörderischer Weise getödtet worden seyn, (wie ich ihm auch habe weissagen lassen,) wenn er nicht zu Ihnen geflohen wäre." - Im Eingang des 4. Gesangs betrauert Erd-Amm (wie Thetis) den unvermeidlichen Mord an ihrem Schützling.
'Hermann'
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Wieland den Leser "in medias res", sondern er schildert Hermanns Lebensgeschichte gleichsam "ab ovo", indem er mit der Abkunft des Helden anhebt (1/28-77) und vor dem eigentlichen Eingang eine Jugendepisode (1/78-401) ausbreitet, die wesentlich aus einer didaktischen Erzählung vom Stammvater des Cheruskers besteht (1/194-383). Das Gebot einer einheitlichen und abgeschlossenen Handlung war mit dieser Anlage von Anfang und Ende kaum einzuhalten. Auch die Frage, wie die weitere Entwicklung bis zum Meuchelmord an Hermann mit dem ausgeführten Teil, der mit dem Tod des Varus und dem Selbstmord des verzweifelten Huldrich endet (IV/679-725), sinnvoll zu verknüpfen sei, bleibt völlig offen. Außer der Prophezeiung, daß "einheimische Untreu" sich an Hermann vergehen werde (IV/7-16), bieten die vier erhaltenen Gesänge wenig erkennbare Hinweise auf die folgenden Begebenheiten. 50 Neben der Einsicht, daß die Darstellung der gesamten Lebensgeschichte klassischer Norm widerspricht, stellt die Schwierigkeit, den Fortgang der Handlung aus den bisherigen Geschehnissen zu motivieren, den wohl gewichtigsten Grund gegen eine Weiterarbeit dar. Motivationsprobleme kennzeichnen auch die fertiggestellten Gesänge. Die Vorgeschichte endet (nach über 400 Versen), indem das "Schicksal" Hermann "den traurigen Weg" weist, wie er seinen gottgegebenen Auftrag der Befreiung des Vaterlands von römischer Herrschaft ausführen könne (1/459-461): Marbod entführt Thusnelda (1/462-573), und Erd-Amm rät Hermann, unter dem Vorwand der Befreiung der Gattin die Germanen zu gemeinsamem Kampf gegen Rom zu führen (1/659-669). Wie Helena den Anlaß zur Völkerschlacht um Troja gibt, so Thusnelda den zur Befreiung Deutschlands. Die umständlich eingeführte Verbindung zwischen Gattin und Vaterland bleibt bei Hermanns Bemühungen um Bundesgenossen zunächst bestimmend. Beide Motive für die Rüstung zum Kampf werden mehrfach in einem Vers vereinigt. 51 Thusnelda wird ausdrücklich als "Ursach des Krieges, | Der uns jezt ruft", bezeichnet (11/181-182). Hermanns lange Erzählung vom "Ursprung der Liebe" und der "Quelle des Hasses", den Thusneldas Vater Segest, der seine Tochter der Wollust des römischen Kaisers ausliefern wollte, gegen seinen Schwiegersohn hegt, bestätigt den Zusammenhang und die zentrale Stellung des Motivs: "O sie ist werth, daß, sie zu erretten, sich Helden bewafnen!" (11/180-880) Umso erstaunlicher mutet die Wendung an, die Wieland im dritten Gesang schildert. Bei den Catten, wo Hermann um Unter50
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Marbod bereut zwar seine Entführung der Thusnelda und entläßt sie freiwillig (III/461-474 u. 620-754). Dem Bund der germanischen Fürsten schließt er sich aber mit dem Hintergedanken an, "sich zur obersten Herschaft, | Deutschlands, die zuvor unwegsame Bahn zu erweitern" (III/706-707). Eine neuerliche Wendung des ehrgeizigen Marbod gegen Hermann wäre also denkbar. 11/20-21: "Hermann erzählt [...] | [...] den Raub der Thusnelda und Deutschlands klägliches Schiksal"; 11/44: "Die [Rache] heischt Thusneldens Entehrung, die fordert des Vaterlands Knechtschaft".
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Wielands episches Jahrzehnt
Stützung wirbt, treffen Melo und Huldrich ein und versetzen die Z u h ö r e r in neues Entsetzen: Varus hat Melos Tochter Hulda, dem Huldrich verlobt, mißbraucht und getötet (111/75-300). Wie Hermann bittet nun auch Melo um Beistand, und wie jener verknüpft er das persönliche Anliegen mit der Rettung des Vaterlands. 5 2 Hermann zeigt "Großmuth" (III/339), indem er die eigene Schmach zurückstellt und die Versammlung, die "der Heiligen Rache | Und der Freyheit ihr Blut" gelobt (III/358-359), auf das neue Ziel einschwört. In gleichem Maße, in dem die Rache an Varus zum eigentlichen Kriegsgrund wird, verabschiedet der Dichter das ursprüngliche Motiv zur Bewaffnung der Germanen. Die breit exponierte Entführung Thusneldas bleibt für die weitere Handlungsführung folgenlos. Aus dem Dilemma, das sich aus der Verlagerung von Thusnelda zu Hulda als Motiv des Kampfs ergibt, rettet sich Wieland nur mit neuen Unwahrscheinlichkeiten. In einer der vielen Erscheinungen und Träume des Gedichts 5 3 wird H e r m a n n geraten, zum Wohle des Vaterlands Marbod zu verzeihen, da dieser zwar versucht habe, Thusnelda zu überwältigen, sie aber "Unentheiligt" verlassen mußte und nun seine "Begierden" mit "Vernunft" bekämpfe (III/450-484). Mit Marbods Wandel zu Tugend und Einsicht, den er mit einer Selbstanklage bekräftigt (III/664-697), und mit Thusneldas Rückkehr zum germanischen Heer, dem sie sich sogleich kämpfend anschließt, löst sich jener Konflikt des Epos, von dem man tragende Kraft für die Entwicklung der gesamten Handlung erwarten durfte, in Wohlgefallen auf. Beobachtungen dieser Art lassen erkennen, daß Wielands selbstkritische Einschätzung zum "Grundrisse" seines Werks dessen mangelhafter und wenig einheitlicher Struktur durchaus gerecht wird. Sie lassen aber auch die Vermutung zu, daß die Stringenz der Handlungsführung Wielands Hauptanliegen nicht war. Sein Interesse konzentriert sich vielmehr, das verrät die mehrfache Wiederkehr gleichartiger Konstellationen, auf die Darstellung moralischer Konfliktsituationen. Die Entscheidung zwischen Tugend und Wollust wird im didaktischen Eingang des Werks als dessen G r u n d t h e m a eingeführt. Gottwald gibt seinem Schüler Hermann die allegorische Erzählung von Herakles am Scheideweg in einer nur wenig verhüllten Ü b e r n a h m e der Xenophontischen Vorlage 5 4 als Exempel mit auf den Lebensweg (1/194-383). D e r pädagogische 52
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Er hoffe, daß sein "unbeweinbarer Jammer | Dich, gleich leidendes Vaterland heilt!" (HI/211-212), und schließt mit dem Appell: "Auf! wenn euch die Thränen des Vaterlands rühren | Und der schändliche Tod der Tochter" (III/288-289). Huldrich argumentiert in gleicher Weise: "laßt mich vor eueren Augen | Nicht ungerochen, die liebende Seele in ruhmvollen Wunden | Vor dich ο väterlich und meine Geliebte, ausströmen!" (III/332-334) Vgl. hierzu, vor allem zum Motiv des "Doppeltraums", Müller-Solger, Dichtertraum, 46-52. Buch II, Kapitel 1 der unter dem Titel 'Memorabilien' bekannten 'Erinnerungen an Sokrates'. Doli, Einflüsse der Antike in Wielands 'Hermann', München 1897, 50-55, stellt die zahlreichen, oft wörtlichen Parallelen zusammen. Böhm, Tradi-
'Hermann'
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Erfolg des weisen Lehrers zeigt sich in Hermanns erster Liebe. Nach innerem Kampf weiß Hermann, daß seine Liebe zu Thusnelda frei von verwerflicher Wollust ist: "Thusnelden zu lieben | Ist kein Helden unwürdiger Trieb, die Tugend selbst nährt ihn | Ohne dein Wißen in dir" (11/251-253). Schließlich bekräftigt eine Traumerscheinung Gottwalds, daß eine auf Seelenharmonie im Sinne Piatons 55 basierende Liebe mit der Forderung nach Tugend vereinbar sei: "Die Liebe zu würdigen Seelen | Zu Thusnelden sich gleichenden Herzen, zu göttlichen Schönen | Ist die reinste Nahrung der Tugend" (11/286-288). Vor dem Problem, ob ihn ein Bekenntnis zu seiner Liebe zu Catta nicht von seinem heroischen Auftrag abbringe, steht dann Hermanns Bruder Flavius am Abend vor der Schlacht (III/360-445). Wie Hermann und an seinem Vorbild orientiert ("so liebte mein göttlicher Bruder" III/443), überwindet auch Flavius die "zu heftig erhizten Begierden" und ruft sich zu: "Kämpf und sieg erst, denn liebe!" (III/429 u. 441) Zwischen Hermann und Flavius, der unter dem Eindruck der abendlichen Naturstimmung sinnlichen Anfechtungen stärker ausgesetzt ist, läßt sich eine nur graduelle Differenz bei der Bewältigung der fast identischen Situation feststellen. Während die tugendhaften Helden der guten Sache ihren inneren Kampf mit dem Geist zu entscheiden wissen, sind die Römer nicht nur auf dem Schlachtfeld unterlegen, sondern auch den wollüstigen Regungen ihrer Körper ausgeliefert. Der zweite Teil von Hermanns langer Erzählung über die Geschichte seiner Liebe ist ganz dem von Segest unterstützten Versuch des Tiberius gewidmet, in den Genuß der Thusnelda zu gelangen (11/573-867). Wird der Kaiser - "Wütend vor alter Brunst, (zur Zärtlichkeit war er zu viehisch!)" (11/576) - durch Thusneldas Flucht in priesterliche Abgeschiedenheit und durch Hermanns rettendes Eingreifen um die Erfüllung seiner Wünsche gebracht, so greift sein Statthalter in Germanien zu, als ihm die "Gelegenheit" lacht (III/146). Varus, den die "Liebe zur süssen Unlust" beherrscht und der es schätzt, "unschuldige Schönen, | Bilder der Tugend, [...] | [...] in
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tionswahl der Antike, Halle-Wittenberg 1962, knüpft in seinem Kapitel zum 'Hermann' (179-230, zur Herakles-Sage insb. 190-214) an Doli an, wird aber Wieland sicher nicht gerecht, wenn er dessen Antikerezeption in marxistischer Vereinnahmung auf gesellschaftskritische Absichten verkürzt (ζ. B. ebd., 196: "Die Ausführungen der 'Wollust' sind nichts anderes als eine Beschreibung der 'Annehmlichkeiten' des Lebens eines deutschen Duodezfürsten"). Sahmland, Wieland, 137-139 u. 147, widerspricht Böhm, indem sie Wielands Haltung zu den national-patriotischen Implikationen des Arminius-Stoffs als "indifferent" bezeichnet und zu zeigen versucht, daß Wieland Arminius nicht als "Symbol für nationale Einheit und Unabhängigkeit" auffaßt. Sie scheint jedoch die offenkundigen Zusammenhänge zu ignorieren, wenn sie in polemischem Tone Böhm vorhält, daß er "selbst in Wielands Hermann die Verarbeitung griechischmythologischer Stoffe (wie die Geschichte von Herkules am Scheidewege [...])" entdecken wolle (ebd., 138, Anm. 34). Auch die Seelenlehre Piatons hat Gottwald seinem Schüler einst vermittelt (1/142-194).
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Wielands episches Jahrzehnt
seiner Umarmung zu tödten" (111/85 u. 89-92), stillt seine Begierden in unschöner Weise an Hulda und läßt sie sterbend zurück (III/165-172). Die Antithese von Tugend und Laster, die als Leitbild des Werks exponiert wird und es ganz durchzieht, bietet einen einfachen Maßstab, der klare Zuordnungen erlaubt. Stets tugendhaften Frauen stehen Männer gegenüber, deren moralischer Wert sich nach dem Grad bemißt, in dem sie ihre körperliche Lust überwinden und geistige Liebe zu verwandten Seelen suchen. Varus steht am einen und Hermann am anderen Ende der Skala. Eine mittlere Position nimmt Marbod ein. Er ist empfindlich für den höheren Wert der im Wald gefundenen Thusnelda, die er zunächst für "Eine der göttlichen Nymphen" hält (1/496). In seinem Innern findet, anders als bei den Römern, ein Kampf widerstreitender Triebe statt, den jedoch die Wollust zunächst zu ihren Gunsten entscheidet (1/514-518). Nachdem aber die "Entweyhung" der Thusnelda durch göttliches Eingreifen verhindert wird, kommt Marbod zu der Einsicht, daß "eine Wuth der Leidenschaft" ihn ergriffen hatte, "die vergeblich der Geist zähmt" (III/682-687). Die wenig abwechslungsreich gestaltete Opposition zwischen "Körper, Leidenschaft, Wollust" auf der einen und "Geist, Seele, Tugend" auf der anderen Seite läßt sich also auch im vergleichsweise interessantesten, wenn auch unter dem Aspekt der Handlungsführung unzureichend motivierten Fall Marbods leicht ausmachen. Die Dominanz dieser eigentlichen Hauptthematik des 'Hermann' und ihre weitgehend schematische Darstellung, die von der differenzierten Psychologie des späten Wieland kaum etwas ahnen läßt, gereichen dem Werk nicht zum Vorteil. Weitere Charakteristika der Darstellung, die das Werk als unfertigen Versuch kennzeichnen, sind im verstechnischen und stilistischen Bereich einerseits sowie andererseits im uneinheitlichen Kolorit und der nur ansatzweisen Verarbeitung der poetischen Quellen zu sehen. Wielands Umgang mit dem Metrum weist, wie Muncker anhand unmotiviert abbrechender oder kaum korrekt zu skandierender Verse, der häufigen Mißachtung des Daktylengebots im vorletzten Fuß und ähnlicher Phänomene zeigt, alle Anzeichen einer flüchtigen Arbeit auf, die in vielem verbesserungswürdig gewesen wäre. 56 In sprachlicher Hinsicht betont er den Einfluß Klopstocks und macht ihn an Wielands Übernahme einzelner Ausdrücke fest. 57 Ergänzend kann auf die Imitation einer Stileigenschaft des 'Messias' hingewiesen werden. Klopstocks bewußtes Streben nach unsinnlicher Darstellung des Numinosen, die Ausdruck seiner Achtung vor dem letztlich nicht greifbaren Stoff ist, zeigt sich unter anderem in zahlreichen adjektivischen und abverbialen Verbindungen
56 57
Muncker, Einleitung zu: Wieland, Hermann, VI-VII. Muncker, Einleitung zu: Wieland, Hermann, V-VI. - Zum religiösen Aspekt von Wielands Auseinandersetzung mit Klopstocks 'Messias' vgl. Blasig, Wieland, Frankfurt/M. u. a. 1990,141-145.
'Hermann'
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mit dem Präfix "un-".58 In der Materie des 'Hermann' ist dieses Stilmittel nicht in gleicher Weise begründet. Wenn Wieland dennoch abschnittweise exzessiven Gebrauch von Bildungen dieser Art macht, dann wird die damit beabsichtigte Steigerung eher verfehlt als erreicht. Zur Veranschaulichung diene eine durchaus sinnenfreudige Passage vom Anfang des zweiten Gesangs, in der die Catten unter ihrem Fürst Arnolph den Gast Hermann in einem locus amoenus bewirten (II/89-124). 59 Der Gastgeber führt den Cherusker durch "unüberschauliche Gänge, | Ewiger Tannen, die oben, dem Tag undurchdringlich sich wölbten [...]. Der Kunst wnbenötigt, | Schimmerte hier die Natur in ««nachahmbarer Hoheit" (11/89-96). Von Arnolphs Schwestern "voll sitsamer (/«schuld" (11/108), die die Helden mit "ungekünstelten Speisen" (11/104) versorgen, heißt es: Aber die runden gelenkichten Arme, die Phidias, selber {/«nachahmbar, beschämten den Glanz des weißen Gewandes. Also stunden sie dienend, gleich göttlichen Hamadryaden. Mit sich vergnügender [/«schuld verweilten an Ihnen die Blikke, Ja die Alten entfalteten selbst die Stirn und empfanden. £/«zugangbar den wilden Begierden ««würdiger Lüste Sind die geordneten Herzen ««schuldiger Wollust geöfnet. (11/113-119)
Daß Wieland mit diesem Stilmittel, das einigemale zu doppelter Negation gesteigert ist,60 nicht nur sein Vorbild Klopstock nachahmt, sondern sich auch die Bequemlichkeit dieser "un"-Bildungen für das daktylische Versmaß zunutze macht, kann nur vermutet werden. Die zitierte Passage lenkt den Blick auf den Mangel an Einheit, den Wielands Gedicht auch im Detail zeigt. Drei disparate Bilder aus dem Bereich der griechischen Antike verwendet Wieland bei der Beschreibung der Germaninnen und ihrer Wirkung. Das Empfinden der "Alten", dem Aufsehen nachgebildet, das Helena unter den Homerischen Greisen erregt (Ilias III/146-160), mag man als dezent integrierte Anspielung verstehen. Der offene Hinweis auf den athenischen Bildhauer Phidias jedoch, der die körperliche Schönheit der Schwestern betont, versieht die Stelle mit einem befremdlichen Kolorit. Schließlich läßt sich der Vergleich mit den Hamadryaden, die ihren Weg wohl aus Ovids Metamorphosen oder aus Vergils 10. Ekloge in die idylli-
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Vgl. Schneider, Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache, 66-68, der die "Kontraktionsleistung solcher Formen" betont und das Phänomen vor allem dem "Stilprinzip der Kürze" zurechnet, sowie Kaiser, Klopstock, Kronberg 1975, 209 u. 217. Hervorhebungen im folgenden vom Verf. dieser Arbeit. Zum Beispiel: "nicht unwerth" (1/97, 11/176 u. 356), "nicht ungerochen" (1/540 u. III/333), "nicht unbewundert" (III/18); andere Exempel doppelter Negation: "nicht ohne" (1/3, II/6, 111/96, 490 u. 515), "nicht abgeartete" (1/4), "unentheiligt" (1/5 u. 657, III/123, 215 u. 463).
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sehe Szene des 'Hermann' gefunden haben, 61 nur mühsam erklären: Vielleicht denkt Wieland daran, daß die Baumnymphen "insonderheit ihren Aufenthalt in den Eichen" haben sollen und als deren Schutzgöttinnen bekannt sind, 62 und will einen Zusammenhang mit diesem heiligen Baum der Germanen konstruieren. Die vergleichende Einführung von Gestalten der antiken Mythologie in die germanische Welt, die in dieser und mancher anderen Passage begegnet, 6 3 ist kaum als Ausdruck hoher Komplexität zu begreifen. Zu unpassend sind zum Teil die Vergleiche, zu unvermittelt werden mythologische Figuren beim Namen genannt und zu wenig wird der Versuch unternommen, sie in die mythisch-kulturell entfernte Welt zu integrieren. Wenig mehr als den Namen ändert Wieland auch bei der Erzählung von Herakles am Scheideweg, die die tragende Antithese des Werks konstituiert, die Entscheidung zwischen Tugend und Wollust. Dieser Text, so zeigen etwa die wenig später entstandenen 'Moralischen Briefe', 64 gehört unzweifelhaft zu Wielands "Lieblingslektüren" jener Zeit, die nach dem Bekenntnis des Autors "unvermerkt, ja meistens gegen seinen Wunsch und Willen" starken Einfluß auf das gerade bearbeitete Werk genommen haben. 65 Dies alles legt nahe, die Aufnahme deutlich aus dem Werk herausragender antiker Elemente dem Einfluß intensiv rezipierter Texte zuzuschreiben und als Versuch des jugendlichen Autors aufzufassen, vor dem Zürcher 61 62
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Ovid, Metamorphosen, Darmstadt 1988, 40 (1/690), 312-314 (VIII/738-773) u. 544 (XIV/624); Vergil, Landleben, Darmstadt 1987, 78 (Bucolica X/62). Hederich, Lexikon, Darmstadt 1986, Sp. 1186-1187. Als Dienerinnen bei Festen sind die Hamadryaden hier nicht nachgewiesen. Die von Ovid zu den "hamadryadas" gezählte Nymphe Pomona pflegt einen Garten (Ovid, Metamorphosen, 544 [XIV/622-634]), läßt sich also auch nicht als Wielands unmittelbares Vorbild bezeichnen. So tritt - um nur wenige Beispiele zu nennen - Hermann in der Versammlung der Fürsten "dem donnernden Jupiter ähnlich" (III/570) auf, und die Giganten werden gleich doppelt zum Vergleich herangezogen: einmal als ausführliches negatives Exempel für Marbod (III/630-652) und einmal positiv bei der Wahl Hermanns zum Heerführer (IV/296-298). - Den gesamten Bereich untersucht ausführlich: Doli, Einflüsse der Antike in Wielands 'Hermann'. Im Versuch, die 'Aeneis' als zentrales literarisches Vorbild zu erweisen, kommt Doli zu teüweise guten Beobachtungen, übertreibt aber bisweilen seine Suche nach Parallelen zwischen antiken Quellen und dem 'Hermann'. Vgl. Moralische Briefe 1/65-71 und die Anm. zu V. 68, die die Xenophontische Quelle und den Erzähler Prodikus nennt (Wieland AA1/1, 226), sowie 11/97-98 mit Anm. (ebd., 236). Im Vorbericht zu den 'Briefen' in der Ausgabe von 1762 wird nochmals Prodikus als Erzähler der "Wahl des Herkules" genannt (ebd., 308). - Schon in Wielands Klosterbergischem Schulheft von 1748 findet sich im Abschnitt 'Quae vera sit VIRTUS ex exemplo HERCULIS ampla disputatione monstratur' ein Hinweis auf Xenophon (ebd. 1/4, 662-663). Wieland AA 1/1, 309 (aus dem Zusatz zum Vorbericht der 'Moralischen Briefe' von 1797).
'Hermann'
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Professor seine erworbene Bildung zu dokumentieren. Wielands eingangs zitiertes Bild, das den 'Hermann' einer Gewächshausfrucht vergleicht, läßt sich damit so verstehen: Unreif in der Ausführung und überdüngt mit Lieblingslektüren erscheint dem Autor sein Werk, nachdem die "Jugendhizze" der Produktion dem kühlen und selbstkritischen Blick gewichen ist.
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2. Wieland und die biblische Epik Bodmers Wieland im Garten Bodmers und unter Holundergesträuchen Saß im Schatten und horchte der patriarchischen Muse; Jugendlich war das Lob, das er dem Gastwirth ertheilte, Nur des Jünglings; auch nahm ers gereift zum Manne zuriXke.66
Wielands Fragment 'Hermann* bestimmt die erste Phase seiner Kontaktaufnahme mit Bodmer. Die Stoffwahl des epischen Erstlings ebenso wie die ersten Briefe an Bodmer zeigen, daß Wieland mit der alttestamentlichen Epik des Zürchers zunächst nicht vertraut ist. Erst Ende 1751 werden ihm durch den Verfasser die meisten der bis dahin gedruckten Zeugnisse der Patriarchadendichtung bekannt. 67 In der Auseinandersetzung mit der Dichtung seines künftigen Mentors, die einen zweiten Abschnitt der Beziehung zwischen Bodmer und Wieland markiert und diesem schließlich die erhoffte Einladung nach Zürich einbringt, dürfte Wieland in Ansätzen auch die Entstehung der Dichtungen Bodmers kennengelernt haben. Bevor auf Wielands eigene Beiträge zur Patriarchadendichtung eingegangen wird, sei deren Genese (und weitere Geschichte) knapp skizziert.68 Bodmers Interesse an epischer Dichtung mit biblischem Stoff konzentriert sich zunächst auf Miltons 'Paradise Lost'. Seit Herbst 1723 beschäftigt ihn die Übersetzung dieses Werks, die wegen Schwierigkeiten mit der geistlichen Zensurbehörde jedoch erst 1732 erscheinen kann. Fast gleichzeitig mit der zweiten Ausgabe, die mit ihren gegen die Milton-Kritiker Voltaire und Magny gerichteten Anmerkungen einen wichtigen Beitrag zum Literaturstreit darstellt, veröffentlicht Bodmer 1742 den 'Grundriß eines epischen Gedichtes von dem gerettenen Noah'. An eine eigene Ausführung dieses Plans, der in der zentralen 'Sammlung der Zürcherischen Streitschriften' 69 publiziert worden ist, denkt Bodmer zunächst nicht. Im Jahre 1746, als in den 'Critischen Briefen' von Bodmer und Breitinger 'Anmerkungen zu dem Grundrisse' 66
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Bodmer, Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883, 103 (V. 162-165). Die Verse stammen aus einem längeren Gedicht Bodmers mit dem Titel 'Bodmer nicht verkannt' (ebd., 97-110). Das Gedicht antwortet nach den einleitenden Erläuterungen des zeitgenössischen Herausgebers G. Fr. Stäudlin auf dessen Einschätzung, Bodmer sei "verkannt", und stellt den "Schwanengesang" des Dichters dar, in dem er seine literarischen Beziehungen und die Wertschätzung durch seine Freunde Revue passieren läßt. Vgl. oben Anm. 16. Vgl. zum folgenden vor allem die im bibliographischen Anhang versammelten Zeugnisse zur Entstehungsgeschichte von Bodmers 'Noah' sowie Baechtold 598-612, Semlitsch, Bodmers Noachide, Graz 1917, insb. 1-16, und Bender, Bodmer und Breitinger, Stuttgart 1973, insb. 45-47 u. 58-61. Unter diesem Titel hat Wieland 1753 eine Neuauflage der zuerst 1741-1744 in der 'Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften' erschienenen Beiträge besorgt.
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erschienen sind und das im späteren Werk für die Erklärung der Sintflut wichtige Motiv des Kometen eingeführt wird, hofft er "noch immer, daß alles das Gute, das ich schon in dem Thema von dem geretteten Noah angepriesen habe, einen guten Kopf aufwecken werde, sich an diesem wunderbaren Stoff zu üben". 7 0 Die folgenden Jahre führen Bodmer in seiner Beschäftigung mit der religiösen Epik zu Dantes 'Divina Comedia' und zu Tommaso Cevas 'Jesus Puer', die ihm gleichfalls später übernommene Motive bieten. 7 1 Klopstocks 'Messias' aber, von dem Bodmer bereits im Frühjahr 1747 Teile des zweiten Gesangs kennenlernt, darf als auslösendes Moment für Bodmers epische Produktion gelten. Von ihm übernimmt er neben vielen motivischen und stilistischen Anregungen vor allem den hexametrischen Vers, dem seine Patriarchaden fast vollständig verhaftet sind. 72 Während jedoch Klopstock auf die Ausarbeitung bekanntlich sehr viel Zeit verwendet und "glaubt diese Langsamkeit dem Inhalte und dem Publikum schuldig zu seyn", 73 stellt Bodmer seinen 'Noah' im wesentlichen in den Jahren 1749 und 1750 fertig. 7 4 Nach der ersten vollständigen Ausgabe von 1752 allerdings feilt Bodmer sein episches Hauptwerk, wie Klopstock seinen 'Messias', immer weiter aus. 70 71
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Aus Bodmers Begleitschreiben an S. G. Lange zur Übersendung der 'Critischen Briefe' von 1746 (Lange, Briefe 1,124-125). Vgl. Bender, Bodmer und Breitinger, 59. - Zeugnisse der Beschäftigung mit Ceva und Dante finden sich in: Bodmer u. a., Neue Critische Briefe, Zürich 1749, 242-254 (29. Brief: 'Von dem Werthe des dantischen dreyfachen Gedichtes') u. 325-333 (42. Brief: 'Von der Poesie des Paters Ceva'). Vgl. die bei Baechtold 599 wiedergegebene Erinnerung Bodmers sowie Hagedorn PW V, 209 (Bodmer an Hagedorn, 10.9.1748): "Ich wollte den eilfsylbigen Vers in keinem großen oder ernsthaften Gedichte gebrauchen, seitdem ich die Tüchtigkeit der Hexameter, die Kleist und Klopstock gebrauchen, erkannt habe." - Lediglich in einer Ausgabe seines Kleinepos 'Jacob und Rachel' (Zürich 1759) sind die Hexameter in äußerlich prosaischer Form gedruckt. Vgl. zu dieser Ausgabe Verf., Wielands letzte Auftragsarbeit für Bodmer, in: JDSG X X X V (1991), 5-11. Briefe Schweizer 173 (Bodmer an Gleim, 25.3.1752). Das erste Zeugnis von der Arbeit am 'Noah' datiert auf Ende März 1749 (vgl. Baechtold 599). Bereits im Mai 1750 berichtet Sulzer in seiner Vorrede zur Separatausgabe des 3. Gesangs, "daß das ganze Gedicht, seiner ersten Ausarbeitung nach, bey dem Verfasser fertig" liege (S. IV). Die in dieser Ausgabe enthaltene Inhaltsangabe, die auf sieben Gesänge angelegt ist, zeigt jedoch, daß der 'Noah' von der Gestalt des Erstdrucks noch entfernt ist. Zwei Monate später, am 11. Juli 1750, spricht Bodmer gegenüber Heß von der Reinschrift und Abschrift des Gedichts (Zehnder 486-487). Zu Beginn des folgenden Jahres übersendet er Heß "die V ersten Gesänge von Hr. Schinzen Abschrift" und "mein Original vom VI bis XIII Gesängen" (Zehnder 494-495; Bodmer an Heß, 14.2.51. Der 'Noah' umfaßt in dieser Phase wohl tatsächlich 13 Gesänge, denn am 23. Februar 1751 schreibt Ramler an Gleim: "Ich lese jetzt die dreyzehn Gesänge des Noah, die Bodmer an Sulzern geschickt hat." BW Gleim/Ramler I, 286). Im Laufe dieses Jahres überarbeitet Bodmer den Text, dessen Drucklegung sich noch bis zum März 1752 hinzieht (vgl. Baechtold 600).
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Neben den Editionen von 1765, 1772 und 1781, in denen das Werk den Titel 'Noachide' trägt, legt Bodmer mehrere Neufassungen einzelner Episoden vor, die sein stetes Bemühen um einen verbesserten Text dokumentieren. Gegenüber dem 'Noah', der Bodmer vier Jahrzehnte lang immer wieder beschäftigt, sind die anderen Dichtungen aus seiner episch produktivsten Zeit als Nebenwerke zu betrachten. Die meisten dieser zwischen 1750 und 1755 entstandenen kleineren Epen sind, wie der 'Noah', alttestamentlichen Stoffen gewidmet; die 'Syndflut', deren Gesänge I und II bereits 1751 im Druck erschienen sind, verfaßt Bodmer gar in ausdrücklicher Konkurrenz zum 'Noah'. Neben die patriarchalischen Epen treten zwei Gedichte mit anderen Themen: die 'Colombona', die auf einen eigenen Vorschlag aus dem Jahre 1734 zurückgeht, und der 'Parcival', der als Frucht von Bodmers gleichzeitiger Auseinandersetzung mit den wiederentdeckten Zeugnissen mittelhochdeutscher Epik zu sehen ist. Seine kleineren Epen, die des Autors Aufmerksamkeit weniger beanspruchen als sein Hauptwerk, stellt Bodmer 1767 in seiner zweibändigen 'Calliope' zusammen und plant noch 1777 eine neue Auflage der Sammlung. 75 Mit dieser Patriarchadendichtung hat sich Wieland einige Zeit intensiv beschäftigt und identifiziert. Diese Phase beginnt mit Wielands Wunsch nach näherem persönlichem Kontakt zu Bodmer und endet im wesentlichen im Sommer 1754 mit der Auflösung der häuslichen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Wielands Anteil an der Zürcher Bibelepik und ihrer Verteidigung, der in Details strittig ist,76 umfaßt dichterische und kritische Beiträge verschiedener Art. Er gibt Streitschriften vergangener Jahre erneut heraus und ergänzt die Anmerkungen zu Bodmers Milton-Übertragung, er schreibt das Vorwort zur vollständigen Ausgabe der 'Syndflut' und diskutiert in meist fiktiven Briefen Fragen zu Bodmers 'Joseph und Zulika'. Die Mehrzahl dieser Beiträge, die in zum Teil kontroverser Diskussion Bodmers Dichtungen gegen alle Einwürfe verteidigen, ist gemeinsam mit den Werken des Mentors erschienen. Gleiches gilt auch für einige kleinere Bibeldichtungen Wielands, die Bodmer 1755 unter seine 'Fragmente in der erzählenden Dichtart' einreiht. Wielands einziges religiöses Epos, der im April und Mai 1753 nicht "aus selbsteigner Bewegung" verfaßte 'Abraham', 77 wurde hingegen zwar selbständig publiziert,
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Vgl. zu diesem Absatz die Nachweise im bibliographischen Anhang. Vgl. die einschlägigen Hinweise bei Seuffert, Prolegomena, und in WielandBibl, sowie vor allem die Untersuchungen von Budde, Wieland und Bodmer, 65-133. Bodmer's Tagebuch, in: Turicensia 1891, 192, nennt diese Monate als Entstehungszeit. Nach den bei Starnes I, 44, wiedergegebenen Zeugnissen (Briefe Bodmers an Zellweger) hat Wieland die Dichtung am 5. April begonnen und kurz vor oder an dem 13. Mai 1753 "zum Ende gebracht". - Der 'Vorbericht' von 1798 schreibt die Entstehung des 'Abraham' explizit dem "Umstand" zu, daß Wieland sich seinerzeit in Bodmers Haus aufgehalten und "an eben dem Tische"
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gibt sich aber im Vorbericht vom September 1753 als Beitrag zur gemeinsamen Sache der Patriarchaden zu erkennen. 78 Das Epos von 'Abraham', das sich literarisch in den Bahnen der biblischen Dichtungen Bodmers bewegt, 79 läßt sich als poetische Anwendung der zuvor gewonnenen theoretischen Einsichten verstehen. Denn die Arbeit am 'Abraham' beginnt fast gleichzeitig mit der Vollendung von Wielands umfangreichster Auseinandersetzung mit Bodmers Hauptwerk, der auf "Zürich, den 8. Aprill, 1753" datierten 'Abhandlung von den Schönheiten des Epischen Gedichts Der Noah'. 80 Über ein Jahr, zunächst noch in Tübingen, dann in Biberach und zuletzt in Zürich, ist Wieland mit diesem Werk beschäftigt. Das Versprechen, seine "Empfindung" bei der Lektüre des 'Noah' niederzuschreiben, gibt er bereits, bevor er den Text kennt. 81 Gleichzeitig nennt er Georg Friedrich Meiers 'Beurtheilung des Heldengedichts, der Meßias' als Vorbild und denkt an eine Drucklegung im Zürcher 'Crito', in dessen erstem und einzigem Jahrgang bereits von Bodmers 'Syndflut' gehandelt wird. 82 Nicht nur die unterbliebene Fortsetzung dieses kritischen Organs, sondern vor allem die stetige Ausweitung der 'Abhandlung' läßt Wieland wenig später an eine selbständige Publikation denken. 83 Glaubt er zunächst an eine Ausarbeitung binnen einiger Wochen, so gibt er im Juni 1752 den unerwartet großen Umfang als Grund für die verzögerte Fertigstellung an. Neben Meiers Eloge auf den 'Messias' bezeichnet er nun "Addisons Abhandlung vom Verlohr[enen] Par[adies]", mit deren Übersetzung Bodmer 1740 seine 'Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie' bereichert hatte, als Vorbilder seiner eigenen Kritik. 84
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gearbeitet hat, woran dieser seine "kleinen Epopöen" aus dem gleichen Stoffkreis verfertigt habe (Wieland AA1/2,165-166). Der 'Vorbericht' der Erstausgabe bezieht sich ausdrücklich auf alle Patriarchaden, "welche izt von meinem theuresten Freunde und mir auf einmal herauskommen" (Wieland AA 1/2, 104, 26-30). Vgl. Budde, Wieland und Bodmer, 143-157, der zahlreiche Parallelstellen nennt, aber auch Klopstocks Einfluß nachzuweisen sucht, und Blasig, Wieland, 180-189, der zu dem Ergebnis kommt, "daß sich Wieland hier zwar literarisch weitgehend angepaßt" habe, "in theologischer Hinsicht jedoch nicht" (ebd., 189). Wieland AA 1/3, 299, 21. Wieland BW I, Nr. 28, 88-91 (Wieland an Bodmer, 19.1.52). Wieland BWI, Nr. 28, 88-91 (Wieland an Bodmer, 19.1.52). - Siehe unter Bodmers 'Syndflut' im bibliographischen Anhang. Wieland BW I, Nr. 48, 196-203 (Wieland an Schinz, um den 25.5.1752). Wieland BW I, Nr. 57, 41-44 (Wieland an Bodmer, 8.6.1752). - In der ReprintAusgabe von Bodmers 'Critischer Abhandlung' (Stuttgart 1966) findet sich nur ein kleiner Auszug von Addisons Text, der in Bodmers Übersetzung 211 Seiten umfaßt. - Nach Starnes I, 27 (Bodmer an Zellweger, 21.6.1752), greift Bodmer diese Parallele zu Addisons Milton-Apologie auf. Wenig später sieht er darin eine "Gnade der Vorsehung", "daß der Noah einen solchen Beurtheiler bekommen" habe, der "noch besser" als Addison sei (Bodmer an Heß, 30.7.1752; Zehnder 506). Wohl unabhängig davon meint Hagedorn (im Schreiben an
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Zu diesem Zeitpunkt hat Wieland die Einladung nach Zürich schon erhalten, die Bodmer, ob seiner Erfahrungen mit Klopstock vorsichtig geworden, zeitweilig von der Prüfung seiner 'Noah'-Kritik abhängig gemacht hat. 85 Dort wird Wieland, der sich bereits zuvor Verbesserungen ausbittet, 86 vom Dichter des 'Noah' zu Ergänzungen angeregt und beendet die Abhandlung nach über 400 Seiten unter Bodmers Augen. Neben dem Wunsch nach der Gunst Bodmers, der das reichlich fließende Lob und die Verteidigung des 'Noah' gegen tatsächliche und antizipierte Kritik zunächst dankbar entgegennimmt, ist für Wieland die Hoffnung, sich in der kritischen Welt einen Namen zu machen, ein entscheidendes Motiv seiner Arbeit. Indem er sich auf Meier und Addison als Muster beruft, sucht er ebenso seine Zugehörigkeit zum Gipfel der Kritik zu betonen wie diejenige Bodmers zum Parnaß der geistlichen Epiker Milton und Klopstock. Während er seine Vorbilder hinsichtlich der Quantität weit hinter sich läßt, sind die Parallelen zwischen der Disposition seiner 'Abhandlung' und der Addisons unverkennbar 8 7 Einem jeweils ähnlich gegliederten allgemeinen Teil folgen Abschnitte über die Schönheiten der einzelnen Gesänge. Während Wieland dort von der Handlung und von den Charakteren, vom Wunderbaren und vom poetischen Stil des 'Noah' spricht, zeichnet er im besonderen Teil mit zahlreichen Textzitaten die Handlung nach und widmet sich eingehender einzelnen Passagen. Der kürzere erste Teil, dessen Ausarbeitung Wieland erst nach Vollendung des zweiten in Angriff genommen hat, 88 stellt "ein Kompendium der Zürcherischen Theorie in ängstlichem Anschluß an die Originalschriften" dar 89 und faßt einige der anschließend kursorisch behandelten Phänomene des 'Noah' vorab zusammen.
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Bodmer, 17.9.1752), Wieland werde "dem Noah so nützlich seyn, als ein Addison dem Milton" (Guthke 3, 93). Zehnder 454 (Bodmer an Schinz, 3.5.1752): "Ich schreibe W. nicht bis seine Anmerkungen über den Noah gesehen habe. Ich kann ihm der irdischen Liebe halber nichts mehr sagen, was nicht im Noah steht". Vgl. Budde, Wieland und Bodmer, 17-18. Wieland BWI, Nr. 63, 124-131 (Wieland an Schinz, 30.6.1752). Der Anteil Bodmers an der 'Abhandlung' ist nicht sicher zu bestimmen. Daß ein solcher besteht, ergibt sich einerseits aus Inhaltlichem: Wieland zitiert ungedruckte Varianten des 'Noah' und verweist auf Quellen, die er mit einiger Gewißheit Hinweisen Bodmers verdankt (vgl. Budde, Wieland und Bodmer, 173-175); und andererseits bekennt Bodmer selbst, daß er in der 'Abhandlung' "gebessert" habe (Bodmer an Sulzer, 4.12.1752; Starnes I, 37). Vgl. Budde, Wieland und Bodmer, 166. Wieland BW I, Nr. 63,54-59 (Wieland an Schinz, 30.6.1752). So Budde, Wieland und Bodmer, 167, der detailliert Parallelstellen aufweist (ebd., 167-168).
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"Postdiluvianische" Sitten und Plagiate im 'Noah' Von besonderem Interesse sind in der 'Abhandlung' einerseits Passagen, in denen Wieland, wenn auch teilweise in der Absicht, "desto unparteiischer zu scheinen", 90 eigenen Widerspruch anmeldet, und andererseits solche, die von dritter Seite vorgebrachte oder vermutete Kritik behandeln. 91 Die wesentlichen Fragen, die Wieland über den bloßen Ausdruck der Bewunderung hinaus und in die zeitgenössische Diskussion um den 'Noah' hinein führen, lauten: Ist der Imitation nachsintflutlicher Begebenheiten und der Integration moderner naturwissenschaftlicher Kenntnisse in die patriarchalische Welt des 'Noah' Wahrscheinlichkeit zuzusprechen? Und ist die Übernahme von poetischen Erfindungen anderer Dichter ein erlaubtes Verfahren? Von der in den Mustern der epischen Gattung vorgeprägten Möglichkeit, spätere Ereignisse in der Vision einer Figur in die Zeit des Gedichts zu integrieren, macht Bodmers 'Noah' durchaus Gebrauch, geht aber zugleich entschieden über die Vorgaben der Tradition hinaus. Seit den Rezensionen der ersten Teildrucke wird stets bemerkt, daß die sittlich verdorbene antediluvianische Welt, von der Noah nach seiner gemeinsamen Reise mit Raphael berichtet (II/148-III/369), bis in Einzelzüge hinein Begebenheiten aus anderen Mythologien, vor allem aber aus der späteren Geschichte imitiert. Haller nennt, ohne das Verfahren zu bewerten, die wichtigsten Bezüge: Die Hauptgreuel, die Raphael und Noah sehen, sind 1. Magog des ersten Herrschers despotische Regierung, Unterdrückung andrer Häupter der Geschlechter, und aufgedrungene Anbetung seines Bildes, nach der Erzählung Daniels: und die Unterwerfung von Nod, worunter der Spanier Grausamkeiten in America geschildert sind. 2. Die Parisische Mordnacht und die Verfolgungen wegen der Religion. 3. Eine Sibaritische Gegend mit der Fabel des Lycaon. 4. Havila und der neue Prophet Putniel (oder Mahomet) wobey die Voltairische Ermordung des Vaters durch den Sohn eingerükt worden. 5. Des Dagons Zaubereyen. Das Ende macht eine aus eigener Erfindung entsprungene Beschreibung der Zubereitungen zur Stürmung des Paradieses, wozu die angränzenden Völker allerley Anstalten machen.
Das Dichten "aus eigener Erfindung", so legt es diese Aufzählung nahe, tritt hinter das Nacherzählen und Kompilieren bekannten Stoffs zurück. Hallers lakonische Übersicht läßt keinen Zweifel, daß den Episoden jeweils eindeutig zu bestimmende Vorlagen aus Dichtung oder Geschichte zugrundeliegen. In der Tat bleibt dem Leser kaum eine Möglichkeit, etwa bei der Beschreibung der Noditen und ihrer gewaltsamen Unterwerfung nicht an Sitten und Schicksal der Indianer zu denken. Wie diese erleidet im 'Noah' das "neue Geschlecht 90 91
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Wieland BW I, Nr. 70, 37 (Wieland an Schinz, 18.7.1752). Vgl. zum folgenden Budde, Wieland und Bodmer, 169-175, der den zweiten Teil von Wielands Schrift nach systematischen Kriterien ordnet und jeweils zahlreiche Beispiele zitiert. GZgS 1750, 502.
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in Federkleidern", das "durch hole Röhren von dünnen lodernden Blättern | Nährenden Saft und Rauch" zieht und in Hängebetten schläft, grausame Ausbeutung und Versklavung durch die Besatzer (11/370-462, hier 404 u. 379-380). Während die ersten gedruckten Besprechungen diese Eigentümlichkeit des 'Noah' weitgehend unkommentiert lassen, 93 werden die nachsintflutlichen Sitten im Kreise der Korrespondenten heftig diskutiert. Johann Georg Sulzer etwa, der von Berlin aus die Verbreitung von Bodmers Hauptwerk betreibt, begründet seinen Einspruch gegen "die Nachahmung der Charaktere von spätem Nationen" mit der stilistischen Unterscheidung zwischen komischem und ernstem Epos: In einem possirlichen Heldengedicht würde es mir gefallen, wenn ich unter den antideluvianischen Völkern auch Franzosen, Spanier u. s. f. anträfe; aber in einem so ernsthaften Gedichte bestürzt es mich, heutige Sitten und Charaktere an diesem Völkern zu sehen. Die Laster sind wohl immer einerlei, aber nicht die Sitten. 94 Für Sulzer überschreitet Bodmer, indem er "sehr deutlich spätere Nationen charakterisirt", 95 die Grenze zur Satire, die wiederum im heroischen Epos keinen Platz habe. Nach dem Erscheinen der ersten Gesänge fühlt sich Sulzer insbesondere von Kleist bestätigt: "Jedermann findet aber die allzu lebhaft geschilderten postdiluvianischen Sitten etwas anstössig; am allermeisten aber der Herr von Kleist, den doch der erste Gesang sehr oft zum Weinen gebracht hat." 9 6 Tatsächlich sieht auch Kleist, der den Verfasser zunächst noch nicht kennt, den wesentlichen Mangel des Gedichts in den als Stilbruch empfundenen satirischen Elementen. 9 7 93
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Ramler bemerkt in seiner Rezension der Gesänge I und II die "sonderbare Kenntniß der Geschichte", die aus Bodmers Werk spreche; daß er die Begebenheiten aus der neuen Welt bei der Projektion in die Zeit Noahs "nicht verändert" habe, offenbare "ein edles Vertrauen auf seine Kunst" (CNRG 1750/XIII, 116-117). Briefe Schweizer 109-110 (Sulzer an Bodmer, 27.9.1749). Briefe Schweizer 110 (Sulzer an Bodmer, 27.9.1749). Briefe Schweizer 122-123 (Sulzer an Bodmer, 26.1.1750). Kleist W II, 163 (Kleist an Gleim, 22.1.1750): "Der Verfasser bringt ζ. E. darin eine Satire auf die Franzosen und die Parisische Bluthochzeit an. Sollten Sie dieses wol in einem ernsthaften Heldengedicht suchen?" Gegenüber Gleim, der die aktuellen Anspielungen positiver bewertet, verteidigt Kleist seine Kritik noch, als Sulzer ihm den Autor offenbart. Vgl. ebd. III, 109 (Gleim an Kleist, 3.2.1750): "Vielleicht sind wir wegen der Satiren auf die itztlebenden Nationen [...] verschiedener Meinung. [...] sie haben mir vorzüglich gefallen." Ebd. II, 175 (Kleist an Gleim, 20.6.1750): "Sie waren, was die Satire betrifft, anderer Meinung und hielten sie vor einem Kunstgriff des Poeten; er schiene mir aber in einem ernsthaften Heldengedichte immer deplacirt." Von der Diskussion zwischen Kleist und Gleim weiß auch Sulzer zu berichten: "Gleim approbirt, daß die Charaktere der Postdiluvianer den Antidiluvianern zugeschrieben werden, welches Kleist gar nicht gutheissen will" (Sulzer an Bodmer, 10.3.1750; Briefe
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In der weiteren Diskussion versucht Sulzer seine Position zu präzisieren und betont, daß er eine Projektion moderner Laster auf die Zeitgenossen Noahs nicht grundsätzlich ablehnt. Für die angestrebte moralische Wirkung auf den Leser sieht er einen gewissen Grad an Übereinstimmung zwischen damaligen und aktuellen Übeln sogar als notwendig an. 98 Der satirische Eindruck aber zerstöre gerade diese Wirkung und mache einige der "antidiluvianischen Nationen [...] unwahrscheinlich".99 Auf die Frage, ob die Darstellung neuzeitlicher Laster im frühgeschichtlichen Gewand sich mit der epischen Gattung vertrage, gibt Sulzer damit eine graduell differenzierte Antwort: Eine gänzliche Erfindung der vorsintflutlichen Laster wäre dem erbaulichen Zweck im Wege, denn dieser beruht gerade auf der Erkenntnis des Lesers, daß die Strafe Gottes heute ebenso begründet wäre wie damals. Eine vollkommene Gleichheit zwischen heutiger und damaliger Versündigung aber überschreitet die Grenzen der Wahrscheinlichkeit und stellt in Sulzers Augen eine unstatthafte Stilvermischung zwischen hohem Epos und Satire dar. Das in der Poetik der Schweizer wichtige Kriterium der Wahrscheinlichkeit einer Erdichtung leitet denn auch die Apologie Wielands, der die Diskussion im Freundeskreis sicher gekannt hat. Zwar konstatiert Wieland wie Sulzer, daß die "Vorwelt" im 'Noah' "eine lebhafte Satyre auf die itzige" sei, sieht darin jedoch "eine der größten Schönheiten des Werkes", da der Dichter sich in die Lage versetze, moderne Übeltäter der Menschheit anzuprangern. 100 Gegen Sulzer und andere "vernünftige Leser", die sich "durch diese Aehnlichkeit beleidigt gefunden", 101 muß es Wieland allerdings darum gehen, das Argument der Unwahrscheinlichkeit, das sich auf den immerwährenden Wandel sozialhistorischer Verhältnisse berufen kann, zu entkräften. Hierzu bemüht er - an einigen Stellen des speziellen Teils und zusammenfassend im allgemeinen Abschnitt 'Von den Charactern' - ein Erklärungsmuster, das von einem gleichsam naturgesetzlichen Zusammenhang zwischen klimatischen Gegebenheiten und menschlichen Charakteren ausgeht:
Schweizer 127-128). Vgl. zu Kleists Kritik ferner BW Gleim/Ramler I, 209-210 (Gleim an Ramler, 6.2.1750). 98 Nach Sulzers Meinung solle man "bei Lesung des zweiten Buches" durchaus denken, "daß die Laster und Thorheiten der heutigen Welt, jener alten den Untergang gebracht" hätten; Briefe Schweizer 138-139 (Sulzer an Bodmer, 27.4.1750). 99 Briefe Schweizer 139 (Sulzer an Bodmer, 27.4.1750). Bodmers nicht überlieferte Verteidigung, die wohl auf Miltons Anspielungen auf zeitgenössische Verhältnisse hinweist, läßt Sulzer nicht gelten: "ein anders ist eine Allusion auf eine Geschichte, ein anders die Geschichte selbst" (ebd.). 100 Wieland AA 1/3,309, 1-8. 101 Wieland A A 1/3, 307, 27-29. Wieland mochte wohl konkret an Kleist denken, dessen Kritik Bodmer durch Sulzer bekannt war (vgl. Anm. 97).
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Wielands episches Jahrzehnt Wäre der Erdboden allenthalben gleich, könnte die ganze bewohnte Erde von einer gleich reinen und warmen Luft umflossen werden, wären die Nahrungsmittel allenthalben einerley; so ist [...] ausgemacht, daß kein Unterschied zwischen einem Schweden und Franzosen, einem Engländer und Italiäner, einem Canader und Mohren seyn würde. [...] Diese allgemeine Regel der Natur hat den Dichter in die Notwendigkeit gesetzt, überhaupt gewissen Antediluvianischen Völkern mit gewissen Neuern in Absicht der Sitten und der Lebensart viel Aehnlichkeit zu geben; und eben diese Regel erlaubte ihm auch diese Aehnlichkeit bis auf besondere Geschichten zu treiben, weil die Begebenheiten einer Nation gröstentheils aus ihrem Character oder der Gemüthsart einzelner Personen in derselben entspringen.102
Mit diesem in der zeitgenössischen Ästhetik verbreiteten Argumentationsgang sieht sich Wieland in der Lage, die meist satirisch eingesetzte Ähnlichkeit der beschriebenen mit tatsächlichen späteren Begebenheiten nahezu durchgehend als wahrscheinlich zu rechtfertigen. 103 Lediglich in einem eher nebensächlichen Detail läßt Wieland erkennen, daß es auch für ihn - wie in weit kritischerem Maße für Sulzer - eine graduelle Frage ist, solche Übereinstimmungen zu akzeptieren. Daß die Riesen in der Umgebung von Eden Pyramiden und ägyptische Tempel bauen, hält er für "eine gewisse Folge [...] der Natur des Himmelsstrichs, der Luft und des ZeitAlters, worinn sie lebten. Aber daß unser Dichter die Aehnlichkeit zuweilen bis auf die kleinsten Puncte, z. Ex. acanthbekränzte Säulen treibt, dieses könnte vielleicht zuweit gegangen scheinen." 104 Wielands vorsichtige Kritik an dieser "gar zu besonderen" Gleichheit, die auf seine erste Lektüre des 'Noah' zurückgeht, richtet sich nicht gegen den Anachronismus, der mit der Übertra102 Wieland AA1/1, 308, 10-29. Vgl. ebd., 347, 11-18, u. 359, 12-360, 4. 103 Vgl. etwa Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, Frankfurt/M. 1974, 27, der Winckelmann wie folgt zitiert: "Theben war unter einem dicken Himmel gelegen, und die Einwohner waren dick und stark [...]". Weitere Literatur bei Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg, München 1981, 398-413, insb. 409-410, Anm. 4. - Beim Versuch einer immanenten Begründung der kritisierten Übereinstimmung alter und neuer Sitten rekurriert Bodmer allerdings nicht auf solche Anschauungen. In einem Gespräch der Söhne Noahs über ihre prophetischen . Träume erscheint es Cham "mehr als seltsam, daß in dem hohem Weltalter" die Sünden der Vorwelt erneuert würden. Sem wendet dagegen ein, daß die Vernunft auch nach der Sintflut "überwindlich" sei und daß ihre Zeitgenossen den Postdiluvianern keine neuen Sünden "übrig gelassen" hätten (XI/418-462). Diese Begründung zitiert Wieland im Auszug und verweist bereits zuvor auf sie (Wieland AA 1/3, 307, 35-39 [dort heißt es fälschlicherweise "im II. Gesang"], u. 360, 5-9). - Bodmers Verzicht auf Wielands Hauptargument kann bedeuten, daß er der Anwendung der Klimatheorie auf sein Gedicht skeptisch gegenüber gestanden hat. Denn die klimatische Identität vor und nach der Sintflut, auf der Wielands Argumentation basiert, ist nach Bodmers Darstellung nicht gegeben: Der Komet, der im 'Noah' die Sintflut physikalisch ermöglich, bewirkt jene Verschiebung der Erdachse, die die jahreszeitlichen Unterschiede nach sich zieht (XI/770-788). 104 Wieland AA 1/3,358, 26-31. Vgl. Noah III/202-203.
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gung des Schmucks korinthischer Säulen auf Gebäude der Vorzeit einhergeht. 105 Vielmehr sei es "unwahrscheinlich", daß die Verkettung von "veränderlichen Zufälligkeiten", die zur Entstehung des Ornaments geführt habe, sich identisch wiederhole. 106 Vor dem weitestgehend zu Gunsten des Dichters auslegten Kriterium der Wahrscheinlichkeit werden nicht nur die satirischen Abbilder der Neuzeit gerechtfertigt. Auch das eminente naturwissenschaftliche Wissen der Protagonisten des 'Noah' mutet keineswegs selbstverständlich an. Die von Wieland gebotene Begründung, die vor allem mit dem hohen Lebensalter der frühen "Naturforscher" und dem vegetativen Reichtum des vom Patriarchen Sipha bewohnten Paradiesgartens argumentiert, 107 vermag die schroffen Anachronismen, die mit der exakten Übereinstimmung der vorsintflutlichen mit der zeitgenössischen Forschung einhergehen, kaum "wahrscheinlich" zu machen. Durch Wielands Erklärungsversuch wird die Problematik von Bodmers poetischer Wissenskompilation eher belegt als aufgehoben, denn der Versuch, den naturwissenschaftlichen Kenntnissen der Noachiden Wahrscheinlichkeit zuzusprechen, wird dem tatsächlichen Bestreben des Dichters sicher nicht vollständig gerecht. Näher kommt man Bodmers Intention, wenn man an eine spezifische Forderung erinnert, die er in seiner Wunschvorstellung von einem idealen Epiker erhebt. "Erweitre und vermehre | Des Wissens schmalen Schranck", hatte er 1734 dem Dichter der Zukunft zugerufen. 108 Wie er seinen Entwurf des 'Noah' selbst ausführt, so beherzigt Bodmer auch diese eigene Anregung und gestaltet das Epos zur Enzyklopädie. Weite Teile des modernen Wissens, das Bodmer in sein Gedicht einbringt, werden den Protagonisten selbst zugeschrieben. Vor allem Sipha, der mit drei Töchtern lange Zeit abgeschnitten von der Welt im Paradiesgarten lebt, erweist sich als gottesfürchtiger Universalgelehrter. Als Sternkundiger zum Beispiel wandelt er auf den Spuren Galileis und verfügt über moderne optische Instrumente. 109 Seine Künste gibt er an Noahs Söhne 105 Wieland BW I, Nr. 39, 146-148 (Wieland an Bodmer, 11.4.1752). Der Kommentar zu dieser Stelle, der auf die 'Abhandlung' verweist, gibt Wielands Kritik in diesem Punkt falsch wieder (ebd. II, 100). Vgl. ebd. I, Nr. 70, 68-70 (Wieland an Schinz, 18.7.1752). 106 Wieland AA1/3, 359, 5-9. 107 Wieland A A I / 3 , 340, 33-341, 6; 359, 25-29; 379, 31-38: "Sipha entdeckte die Kunst, optische Linsen aus Crystall zu schleiffen. Auf diese Erfindung hat er eben so leicht gerathen können, als Janson oder Galilei in den neuern Zeiten. Ja es ist zu vermuthen, daß ein so aufmerksamer Naturforscher, der in einem so vollständigen Schauplatz der Werke der Natur [im Paradies] lebte, und Jahrhunderte zu seinen Versuchen und Beobachtungen anzuwenden hatte, unzehliche Entdeckungen machen konnte, ehe man in unsern Tagen mit einer fertig ist." 108 Vgl. Kap. III, Anm. 27. 109 Vgl. Wieland AA 1/3, 379, 31-38 (vgl. Anm. 107) u. 423, 9-12: "Er [Sipha] wies ihnen [Noahs Söhnen] auch seine optischen Gläser, mit deren Beyhülfe er alle
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weiter, die nach der Sintflut feststellen, daß die "Erdax etliche G r a d e | [...] auf die Seite gerückt war" (XI/771-772). Im Bereich der Botanik erweisen sich auch Siphas Töchter als gelehrige Schülerinnen und experimentieren mit der Erzeugung neuer Sorten durch künstliche Bestäubung (11/64-67). 110 Neben die zahlreichen, hier nur knapp exemplifizierten Kenntnisse, über die die Patriarchen selbst verfügen, treten solche, die der Dichter in seinen Bericht integriert. So steht etwa die Gliederung des 'Regnum animale' aus Carl von Linnes epochalem 'Systema naturae' (zuerst Leiden 1735; erste deutsche Ausgabe Halle 1740) Pate für den Einzug der Tiere in die Arche (VIII/296-361). Die Arche wird damit zur "Kunstkammer" der "Natur" (VIII/427), in der sich Japhet wiederum als "emsiger Naturforscher" zeigt. 1 1 1 Von größtem Einfluß aber auf den Gesamtplan und auf viele Details in Bodmers 'Noah' ist die Entscheidung des Dichters, die Genese der Sintflut nach einer zeitgenössisch stark beachteten Hypothese darzustellen. Der erste Plan aus dem Jahre 1742 erwähnt zwar "Zweifel betreffend die notwendige Menge Wassers zur Ueberschwemmung des ganzen Erdbodens", 1 1 2 sagt aber nicht, ob und wie der Poet die Sintflut physikalisch zu begründen habe. In den 'Critischen Briefen' von 1746 empfiehlt Bodmer dann, einen der E r d e nahegekommenen Kometen als Ursache für die Sintflut anzunehmen und damit vor allem der Erklärung William Whistons (1667-1752) zu folgen. 1 1 3 Dieser hatte als Anhänger Newtons und angeregt durch die Diskussion um den von Halley erforschten Kometen von 1682 kurz vor der Jahrhundertwende Ά New Theory of the Earth' vorgelegt, die bis 1736 fünf erweiterte Auflagen erlebt hat. 1 1 4 Innerhalb der zeitgenössischen Kontroverse um den tatsächlichen Ursprung und Verlauf der Sintflut, die sich nach den Ausführungen in Zedlers
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Entdeckungen machte, die Galiläi, Scheiner, Cassini, Hevel, la Hire, in den neuern Zeiten gemacht." Zu den botanischen Kenntnissen der Noachiden vgl. Wieland AAI/3, 432, 38-433, 20. Wieland AA1/3, 445, 26-446,17. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften IV (1742), 7. Im ausgearbeiteten Werk heißt es: "für unsern Verstand ists wol ein schweres Geheimniß | Wo so viel Wasser vereinigter Meer' herkommen soll; können | Unter dem Boden so unermeßliche Beken mit Flut seyn? | [...] | Was für ein Hebezug soll die Wasser von da heraufholen?" (VI/838-842) Bodmer/Breitinger, Critische Briefe, Hildesheim 1969, 110: "Der Verfasser nehme zum Exempel das System des Whistons an, der aus sehr scheinbaren Gründen den grossen Comet von 1680 zur Ursache der Sündflut machet." - Vgl. zum folgenden Ibershoff, Whiston as a Source of Bodmer's 'Noah', in: Studies in Philology XXII (1925), 522-528. Zu Whiston vgl. Zedier, Universal-Lexikon, LV, Graz 1962, 1500-1546, speziell zu Ά new Theory of the Earth' 1514-1517. Der Erstdruck wurde 1696 in London vorgelegt, eine Übersetzung mit dem Titel 'Nova telluris theoria, das ist: Neue Betrachtung der Erde nach ihrem Ursprung und Fortgang' hat 1715 ein ansonsten unbekannter Michael Swen angefertigt.
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'Universal-Lexikon' auf die auch in Bodmers Grundriß enthaltene Frage nach der Herkunft des Wassers konzentriert, nimmt Whiston eine stark beachtete Position ein. Nach seiner bei Zedier referierten Vorstellung habe einerseits der Kometenschweif Wasserdampf in die Erdatmosphäre abgegeben und andererseits die Anziehungskraft des Kometen die Flut verursacht. 115 Bodmers Bezugnahme auf Whiston ist im Kontext der Diskussion um diese Hypothese zu sehen, die vor allem nach einer Kometenerscheinung von 1742 neu auflebt. Anknüpfend an Whiston und an seine eigene 'Disputatio de diluvio orbi terrarum per cometam inducto' von 1741 legt Johann Heyn (1709-1746) im folgenden Jahr den 'Versuch einer Betrachtung über die Cometen, die Sündfluth, und das Vorspiel des jüngsten Gerichts' vor; der früh verstorbene Autor ergreift 1745 mit seinen 'Gesammelten Briefen von den Cometen, der Sündfluth und dem Vorspiel des jüngsten Gerichts' nochmals das Wort, nachdem sein Werk in der gelehrten Öffentlichkeit ausführlich diskutiert worden ist. 116 Die entscheidende Anregung aber, die aktuelle Theorie im Gedicht von der Sintflut fruchtbar zu machen, hat Bodmer wahrscheinlich aus Maupertius' 'Lettre Sur la comete qui paroissoit en 1742' erhalten. 117 In der Übermittlung astronomisch-physikalischer Details hingegen kommt Sulzer, der 1742 selbst ein 'Gespräch von den Cometen' 1 1 8 verfaßt hat und unter anderem als Mathematiker tätig war, eine entscheidende Rolle zu. In der brieflich dokumentierten Phase der Arbeit am 'Noah' läßt sich seine Beratertätigkeit in naturwissenschaftlichen Fragen gut verfolgen. Sulzer gibt 115 Zedier, Universal-Lexikon, XLI, Graz 1961,113-129, zu Whiston insb. 123-126. 116 Titel nach DBA 534, 240-242; zum Autor, seinen Schriften und der zeitgenössischen Rezeption vgl. ebd, 238-286, insb. 245-250 u. 253-260. Die Vorrede der Schrift von 1742 stammt von Gottsched und dokumentiert gleichfalls das öffentliche Interesse an der Thematik (wieder in: Gottsched AW X / l , 173-193; eine exakte Titelaufnahme der Schrift Heyns findet sich ebd. XII, Nr. 258). 117 Wieland AA 1/3, 431, 1-4: "Es fehlte ihnen [Sipha und den Söhnen Noahs] nicht an Gründen, diese anmuthige Einbildung [daß der Komet die Sintflut bewirken könne] auszuschmücken, von welcher wir wissen, daß sie nach den Newtonischen Sätzen möglich ist, wie Hr. Maupertius in seinem Brief über die Cometen von diesen und anderen im Noah vorkommenden Fällen gezeigt hat." Daß Bodmer "die Whistonische Hypothese von den physikalischen Ursachen der Sündflut, nach den Rechten der Poesie, für wahr angenommen" habe, erörtert Wieland kurz zuvor (ebd., 426, 12-18). Einen späten Reflex auf diese Theorie stellt der Erzähleingang zu Wielands "mexikanischer Geschichte" 'Koxkox und Kikequetzel' dar (Wieland SW XIV, 5-7). - Maupertius' 'Lettre' ist zuerst 1742 als Einzeldruck erschienen und findet sich in verschiedenen Werkausgaben des Autors (Maupertius, Oeuvres, Hildesheim 1965-1974, III, 207-256, zu Whiston insb. 238-240; bibliographische Angaben ebd., I, XXVIII*). 118 Über die Gefährdung der Erde durch einen Kometen heißt es dort (S. 21): "es stehen würcklich einige in der Meinung, daß nicht nur ehemahlen die Sündflut durch allzunahe Anrückung eines Cometen gegen die Erde sey hervorgebracht worden, sondern, daß auch dermahlen ein Comet unsere Erde verbrennen werde."
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genaue Hinweise, wie die Veränderung in der Stellung der Erdachse physikalisch exakt zu gestalten sei, er berät Bodmer in der Frage der korrekten Bezeichnung unterschiedlicher optischer Linsen und stellt Überlegungen an, unter welchen Modifikationen Whistons Hypothese im 'Noah' anzuwenden sei. 119 Insbesondere dessen Anschauung, daß ein Gros der Wassermassen der Sintflut aus dem Schweif des Kometen kämen, lehnt er "nach physikalischer Wahrscheinlichkeit" ab und macht andere Vorschläge. 120 Mit Expertenhilfe begibt sich Bodmer somit naturwissenschaftlich auf die Höhe seiner Zeit und verbindet in seiner Darstellung Whistons Grundthese mit den durch Sulzer vermittelten Vorstellungen von der physikalischen Ursache der Sintflut. In seiner Begegnung mit der Erde zieht "der Komet [...] die Meer'" an, die "Atmosphär des furchtbaren Sternes" streift "An die irdische"; schließlich zerreißt "Von dem Zuge der Erde [...] der Dunstball des Schweifsterns" und große Teile davon "entschlüpften zum Dunstball der Erde" (VIII/490-541). Bodmers 'Noah' gewinnt durch die Integration modernen Wissens aus dem physikalisch-astronomischen Bereich und aus anderen Disziplinen einen lehrhaften Charakter, der sich vor allem in der zweiten Hälfte des Werks stark in den Vordergrund drängt. Die Ausbreitung von Gelehrsamkeit, die der eigenen Forderung nach enzyklopädischer Wissensvermittlung im Epos gemäß ist, verträgt sich indessen durchaus mit Bodmers religiös-erbaulicher Wirkungsabsicht. Denn einerseits ist die Sintflut im 'Noah' trotz des gesamten Erklärungsaufwands letztlich ein von Gott verhängtes und bewirktes Strafgericht. Und andererseits ist die Naturwissenschaft (im gleichen Sinne wie etwa bei Brockes) selbst Gottesdienst, wenn sie im Bewußtsein und zur Ehre des Schöpfers ausgeübt wird. 121 Der Versuch, die Sintflut physikalisch zu
119 Briefe Schweizer 113-114, 119-120, 123-125, 128, 134-135, 141-142 (Briefe Sulzers an Bodmer, vom 27. September 1749 bis Pfingsten 1750). - Im Zusammenhang mit Sulzers Hinweis steht möglicherweise eine Passage in Wielands 'Abhandlung', wo die angeblich inkorrekte Verwendung optischer Fachausdrücke angemerkt und eine verbesserte Version (aus Bodmers Hand) zitiert wird (Wieland AA 1/3, 360, 24-32). 120 Briefe Schweizer 123-125 (Sulzer an Bodmer, 26.1.1750). Während Sulzer die Substanz des Schweifs als "ätherisch" bezeichnet, ist die "Atmosphäre des Cometen" nach seiner Meinung "voll wässeriger Dünste" und könne daher "unsrer Erde Wasser" überlassen. Bodmer möge sich zusätzlich an Buffons 'Histoire naturelle generale et particulifere' (erschienen seit 1749, ins Deutsche übersetzt seit 1750) orientieren, die die Konzentration des vorhandenen Wassers durch die Anziehungskraft von Mond und Komet annimmt, und ferner "in der Tiefe der Erde grosse Wasserbehältnisse" voraussetzen, die gleichfalls durch die Gravitation des Kometen auf die Erdoberfläche gezogen werden könnten. 121 Vgl. in Wielands 'Abhandlung' das Lob für die gottesfürchtige Wissenschaft des Sipha und den Tadel an Forschern, die den "Urheber der Natur" aus dem Blick verlieren (Wieland AA 1/3, 379, 24-31, u. 446, 9-17).
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erklären und ihre letzte Ursache dennoch im göttlichen Entschluß zu sehen, 122 spiegelt ein dogmatisch gebundenes Wissenschaftsverständnis, das (noch) auf dem schmalen Grat der Synthese zwischen Vernunfterklärung und Bibelüberlieferung wandelt. Ebenso wie an der Integration neuzeitlicher Sitten in die vorsintflutliche Welt scheiden sich die Geister auch an der Bewertung der großen Rolle der Gelehrsamkeit im 'Noah'. Sulzer und Wieland, die beiden treuesten Anhänger und Apologeten, verkünden Bodmers Ruhm gerade aufgrund der lehrhaften Elemente des Werks. Sulzer, der seine 'Gedanken von dem vorzüglichen Werth der epischen Gedichte des Herrn Bodmers' zentral den moralischen Vorzügen und der erbaulichen Wirkung der epischen Protagonisten des Zürchers widmet, beschließt seine Ausführungen mit einem Abschnitt 'Von der Erkenntniß und Wissenschaft in Bodmers Gedichten'. 123 Bodmers Bestreben, ein Spektrum moderner Kenntnisse zu vermitteln, sieht Sulzer im Kontext mit den Werken Homers, in denen gleichfalls die "ganze Wissenschaft seines Weltalters" zu finden sei. 124 Indem Bodmer, der auch "seiner Wissenschaft halber zur Bewunderung" würdig sei, den "Kern der heutigen Wissenschaft" gleichsam "im Vorbeygang bekannt" mache, eigne sich der 'Noah' auch in dieser Hinsicht hervorragend als Bildungsinstrument für die Jugend. 125 Wieland hingegen denkt mehr an die Nachwelt und zieht gleichfalls einen Vergleich zu Homer: Wie wenn dieses Werk ['Noah'] das einzige wäre das von unsrer Zeit in dieser eingebildeten Zukunft übrig bliebe, so wie Homers Schriften die einzigen Urkunden sind die uns das Alterthum seiner Zeit gelassen hat? In diesem Fall würde man aus diesem einzigen Werke einen sehr deutlichen Begriff von dem Zustande der Wissenschaften und Völker unsrer Zeit ziehen können, da dieses Gedicht mit der schönsten Blüthe der gesunden Philosophie angefüllt ist, und überall die Merkmale und den Charakter unserer erleuchteten und in Absicht der Künste und Wissenschaften vollkomnern Tage trägt.126
In stark positiver Akzentuierung beschreibt Wieland hier in der Sache durchaus zutreffend den kompilatorischen und enzyklopädischen Charakter des 'Noah'. Die Signatur des Zeitalters, die Kaiser in ausführlicher Exegese als 122 Symptomatisch ist das Resümee bei Zedier, Universal-Lexikon, XLI, Graz 1961, 126, wo nach der Ausbreitung naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle und ihrer Probleme konstatiert wird: "Es scheinet demnach bey dem allen nöthig zu seyn, daß man die Göttliche Würckung [...] wird zu Hülfe nehmen müssen." 123 Sulzer, Gedanken, Berlin 1754,28-31. 124 Sulzer, Gedanken, 28. In der Homer-Exegese gehört die Behauptung eines enzyklopädischen Anspruchs der antiken Epen noch lange zu den Gemeinplätzen (ζ. B. spricht Herder 1795 in den 'Hören' im gleichen Sinne vom "Homerischen Kreise des Wissenswürdigen"; vgl. Kap. VI, S. 308-309). 125 Sulzer, Gedanken, 28-31. 126 Wieland AA1/3, 303, 25-30.
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Charakteristikum und Problem des Klopstockschen 'Messias' erkennt, 127 trägt Bodmers Epos in stolzem Bewußtsein gleichsam auf der Stirne. Gerade die angestrengte Versammlung von Wissensstoff macht den 'Noah' - im Gegensatz zu Wielands Hoffnung - zu einem vergänglichen Zeugnis seiner Zeit und ist ein wichtiger Faktor in der Kritik der jüngeren Generation, die sich der Zürcher Poetik verbunden fühlt, am dichterischen Hauptwerk Bodmers aber Anstoß nimmt. Symptomatisch für den Bruch, der sich zwischen Bodmer, dem "Vater der Jünglinge", und den um 1750 aufstrebenden Poeten ereignet, ist etwa die Stellung Ramlers. In den 'Critischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit' von 1750 hatte er, wohl in Zusammenarbeit mit Gleim, die ersten beiden Gesänge des 'Noah' begrüßt, zugleich aber im sprachlichen Detail einiges zu kritisieren gewußt und Verbesserungsvorschläge gemacht. 128 Verrät schon diese Rezension eine besondere Konzentration auf die poetische Ausarbeitung und eine Freiheit von parteiischer Voreingenommenheit, so zeigt sich ein Jahr später, als Ramler das vollständige Manuskript des 'Noah' studiert, daß seine Vorstellung eines epischen Dichters erheblich von Bodmers Vorgabe abweicht: Ich werde das Gedicht bald gelesen haben und mich alsdann freymüthig gegen ihn [Sulzer] ausschütten. Schade um etliche gute Zeilen, die von einer Prosaischen Sündflut ersäufft werden. Alles was der Dichter seit drey Jahren gelesen hat, ist gantz roh und unverdaut darinn anzutreffen. Sulzer schätzt es deswegen hoch; ich aber und Sie, wir leiden keine solche Gelehrsamkeit, von der man errathen kan, aus welchem Buch sie abgeschrieben ist. Der Mahler, der Bothanicus, der Mechanikus, der Physicus, jeder findet hier seine Kunstwörter. Was darf ein Dichter so deutlich sagen, daß er allerley Bücher gelesen habe; er muß gar keine Bücher verrathen [...].129
Als einen poeta doctus der Aufklärung lehnt Ramler den Schweizer ab und plant eine 'Abhandlung von der Gelehrsamkeit in Gedichten', die sich "heimlich wider die letzten Gesänge des Noah" richten soll. 130 Ramlers Kritik aber hat nicht nur den lehrhaften Charakter des Werks und Bodmers allzu deutliches Ausstellen seiner Kenntnisse im Auge. Auch gegen die mangelhafte Verarbeitung der Quellen, die sich beispielsweise an 127 Kaiser, Klopstock, 258. 128 CNRG 1750/XII, 107-109; XIII, 115-119; XIV, 122-126. Zu Gleims vermutlichem Anteil s. BW Gleim/Ramler I, 209 (Gleim an Ramler, 6.2.1750): "Ich schicke ihnen hiebey einige Gedankenspäne über den Noah"; ebd., 216 (Ramler an Gleim, 25.2.1750): "Ich danke ihnen für ihre critischen Anmerckungen über den Noah [...]. Schon habe ich ihre Gedancken mit meinen Gedancken verwebet." - Die freie und von unsachlichem Enthusiasmus sich enthaltene Position geht u. a. aus dem Schluß der Rez. hervor (CNRG 1750/XIV, 125): "Der Verf. wird uns für die grossesten Freunde seines Gedichts halten, weil wir nicht alles bewundern, sondern auch etwas tadeln. Der Tadel fällt auf die kleinesten, das Lob auf die wichtigsten Theile." 129 BW Gleim/Ramler I, 286 (Ramler an Gleim, 23.2.1751). 130 BW Gleim/Ramler I, 291 (Ramler an Gleim, 17.3.1751).
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der Übernahme wissenschaftlicher Terminologie zeigt, richtet sich sein Einwand. Dieser betrifft nicht nur die Gelehrsamkeit, die deutlich aus dem Werk herausragt und dadurch den poetischen Eindruck zerstört, sondern auch Stellen, an denen Bodmer seinem Epos Teile literarischer Texte anderer Autoren einverleibt. Ramler bemerkt Übereinstimmungen des 'Noah' mit Edward Youngs 'Night Thoughts', die Johann Arnold Ebert zur gleichen Zeit im deutschen Sprachraum bekannt gemacht hat, und kommt zu dem Urteil, der Zürcher habe Young "brav geplündert".131 Das tatsächliche Ausmaß von Bodmers Übernahmen von Motiven und Gedanken, vor allem aber von wörtlichen Wendungen aus poetischen Texten ist den Zeitgenossen vermutlich nur in Ansätzen bewußt geworden. 132 Denn viele seiner Quellen, wie etwa Dantes 'Divina comedia', auf die Bodmer zuerst 1749 hinweist, 133 sind dem deutschsprachigen Publikum nicht oder nur in Ansätzen vertraut. Ein bewußtes Ausweichen auf unbekannte Vorlagen, gleichsam ein Verwischen der Spuren, darf aber Bodmer nicht unterstellt werden, da ein bedeutender Teil der Quellen des 'Noah', vor allem Milton und Klopstock, unmittelbar im Blick jedes literarisch Interessierten lagen. Die Anlehnung an Klopstock ist in einzelnen Passagen so eng, daß sich die Frage nach der Bewertung von Bodmers Verfahren aufdrängt. Im Eingang des 8. Gesangs schildert der Dichter des 'Noah' den Tod Siphas, der dem Besteigen der Arche vorangeht. Die beiden älteren seiner Töchter, die die Todesnachricht bereits erreicht hat, finden Kerenhapuch, die jüngste, noch schlafend:
131 BW Gleim/Ramler I, 298-299 (Ramler an Gleim, wohl Ende Mai 1751). - In Anbetracht der Entlehnungen von Young empfiehlt Hagedorn Bodmer bereits 1750, den 'Noah' mit entsprechenden Anmerkungen auszustatten, um "Klüglern zuvorzukommen" (Briefe an Bodmer 207). - Ebert hat in Anmerkungen zu seiner Übersetzung von Youngs Werk zahlreiche Entlehnungen durch Bodmer nachgewiesen (vgl. Vetter, Bodmer und die englische Litteratur, in: Bodmer. Denkschrift, Zürich 1900, 365 u. 379-385). Diese kommentierte Übersetzung Eberts erbittet Bodmer sich später, um "nachsehen" zu können, "wieviel male und wie genau [er] Joung [!] nachgeahmt habe" (Zehnder 467; Bodmer an Schinz, 30.8.1765). Vgl. ferner Ibershoff, Bodmer and Young, in: JEGPh XXIV (1925), 211-218. 132 Vgl. zum Umfang der Übernahmen Semlitsch, Bodmers Noachide, 17-90 ('Fremdes Gut'), und die bei Bender, Bodmer und Breitinger, 69, genannten Quellenstudien von Ibershoff (die Seitenangabe der Miszelle über Dryden lautet korrekt: 247-253). Nicht verzeichnet sind dort folgende einschlägige Beiträge vom gleichen Autor: Bodmer as a literary borrower, in: Philological Quarterly I (1922), 110-116 [grundlegend]; A french source of Bodmer's 'Noah', in: Philological Quarterly III (1924), 168-171 [zu Graffignys 'Lettres d'une P6ruvienne']; Whiston as a Source of Bodmer's 'Noah', in: Studies in Philology XXII (1925), 522-528. 133 Vgl. Anm. 71.
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Wielands episches Jahrzehnt Um Hapuch standen die Schwestern Zärtlich herum. Sie weiß es nicht, daß ihr liebender Vater Ihrem Antlitz nicht länger soll lächeln. Ihr dieses zu sagen, Kamen die Schwestern, allein sie sahn sie schlummern und schwiegen. (VIII/44-47)
Die Abhängigkeit von einigen Versen aus dem 'Messias' (III/519-524) ist offensichtlich, die Übereinstimmung nahezu wörtlich. 134 "Was im Messias ein Gleichniß ist, ist hier als eine würkliche Begebenheit erzählet", beschreibt Wieland die Versetzung der Verse aus einem Werk in das andere. 135 Das freilich nicht als solches gekennzeichnete Zitat überträgt ein Stimmungsbild aus einem Gleichnis in eine Situation, die der in der Vergleichsebene imaginierten Situation verwandt ist (oder umgekehrt: die verwandte Situation wird konstruiert, um das Stimmungsbild übertragen zu können). Das aus dem komplexen Verhältnis von Aussage- und Vergleichsebene lebende Bild wird damit isoliert und simplifiziert. Denn für eine Übertragung des mehrschichtigen Gehalts, der das gesamte Gleichnis kennzeichnet, fehlen alle Anhaltspunkte. Fern davon, dieses Verfahren als Plagiat oder - nach Ramler - als "Plünderung" zu bezeichnen, kehrt Wieland die Argumentationsrichtung um: "Wenn ich der Erfinder dieser Vorstellung wäre, so würde ich dem Dichter des Noah gar sehr danken, daß er sie so verschönert, und in einen so vortreflichen Zusammenhang gebracht."136 Die Erfindung des Bilds tritt in Wielands Wertschätzung völlig zurück vor dem angeblich verbesserten "Zusammenhang". Den gleichen Gedankengang wendet Wieland in anderen offen zu Tage liegenden Entlehnungsfällen an. Klopstocks berühmte Ode 'An Ebert', die in einer weitgespannten "wenn"-Periode den Tod der Freunde und die Einsamkeit des lyrischen Ichs antizipiert, 137 dient Bodmer als Vorlage für Deboras gleichartige Vorstellung vom Abscheiden ihrer Familie (IV/453-470). Die "Erfindung" schreibt Wieland ganz fraglos Klopstock zu, wendet aber ein, daß "diese ganze Vorstellung erst hier im Noah an ihrem rechten Ort stehe" und "durch die Versetzung in andere Umstände ein neues Leben und eine höhere Vollkommenheit erhalten" habe. 138 Bei seiner relativen Geringschätzung der Erfindung gegenüber der Integration eines vorformulierten Gedankens in einen neuen Kontext beruft sich der Apologet des 'Noah' auf dessen Verfasser, der in den 'Neuen Critischen Briefen' von 1749 ein 'Liebreiches Urtheil
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Vgl. zu der Passage aus dem 'Messias' oben Kap. III, S. 102. Wieland AA1/3, 439. Wieland AA 1/3, 439. Klopstock AW 27-29 (insb. V. 35-64). Wieland AA 1/3, 387, 21-388, 7. Die Passage im 'Noah' ist durch Anführungszeichen am Beginn jeden Verses hervorgehoben und gewissermaßen als Zitat kenntlich gemacht; die Vorlage ist jedoch nicht genannt, wie Wieland dies suggeriert.
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von dem Ausschreiben' fällt. 139 Dem Vorwurf des Plagiats wird schon hier mit dem Hinweis begegnet, daß das Einfügen vorgegebener Verse in einen neuen Zusammenhang als eigenständige Leistung zu bewerten sei. Bodmer bestreitet "in den Sachen des Witzes und Verstandes das Recht des Eigenthums" und argumentiert, daß das Finden eines Gedankens in der Natur von dem Finden eines solchen in einem poetischen Werk nicht wesentlich verschieden und mithin eine Abwertung des Nachahmers unbegründet sei. 140 Der hier postulierte Verzicht auf Originalität in einem strengeren Sinne liest sich wie eine Produktionsästhetik für die Arbeit am 'Noah'. Die zeitliche Koinzidenz zwischen den nachsichtigen Gedanken von der freizügigen Entlehnung aus fremden Werken und der eigenen Praxis beim Verfassen des 'Noah' weist darauf hin, daß Bodmer seinen 'Brief im Hinblick auf sein entstehendes Epos geschrieben hat. Dieser Gedanke liegt umso näher, als der Eigenwert der Originalität bei den Schweizern ansonsten, etwa in der Aufwertung Homers gegenüber Vergil, keineswegs so an den Rand gedrängt wird wie in Bodmers kurzer Apologie des Ausschreibens. Auch im ersten Plan zum 'Noah' und im Text von 1752 finden sich Belege, in denen Bodmer die inventio als Fähigkeit des Poeten durchaus höher bewertet als in seiner kleinen Abhandlung. Der Entwurf von 1742 nennt die "Erfindungskraft" den "Grundstein der Poesie" und empfiehlt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen "Erfindung" und "Grundriß". 141 In der Frage, wie die antediluvianischen Völker zu beschreiben seien, wird gefordert, daß die "Erfindungskraft [...] das Stillschweigen" der biblischen Tradition "einigermaassen ersetzen" müsse. 142 Von einer Ausfüllung der Überlieferungslücken durch Nachahmung späterer historischer Gegebenheiten ist bezeichnenderweise hier noch nicht die Rede. Im Eingang des 10. Gesangs (X/l-24) entwirft Bodmer in einer Invokation an die "Einbildungskraft", die als Schwester der Muse angerufen wird, eine schöpferische Poetik, in der die ordnende und die "zeugende Kraft" miteinander in Einklang stehen. Die imaginativen Fähigkeiten des Poeten stellen Gestalten bereit, aus denen der Verstand, personifiziert als "Muse [...] mit verständigem Auge", die "edelsten" wählt und ihren Platz im "Grundriß" bestimmt (X/16-18). Der abschließende Vergleich mit der Schöpfung der Welt aus dem Chaos ist nicht nur aus dem alttestamentlichen Stoff begründet, sondern betont den Rang der dichterischen Schöpfung und den des Dichters als eines 139 Wieland AAI/3, 388, 7-14. Bodmer u.a., Neue Critische Briefe, 455-458 (Brief LXVI; Titel nach Inhaltsverzeichnis). 140 Bodmer u. a., Neue Critische Briefe, 457-458. 141 Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften IV (1742), 1-2: "Glükselig der Poet, bey welchem die Erfindungsgabe und der OrdnungsTalent einander die Hand bieten." 142 Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften IV (1742), 10.
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zweiten Schöpfers. 1 4 3 In dieser immanenten Poetik des 'Noah' werden dem schöpferischen Dichter Originalität und Ordnungsgeist, "Erfindung" und "Grundriß" gleichermaßen abverlangt. Dieser Anspruch eines ausgewogenen Verhältnisses beider Kategorien wird in Bodmers eigener Apologie des "Ausschreibens" und in Wielands daran anknüpfender 'Abhandlung' aufgegeben. An die Stelle der schöpferischen Poetik tritt eine pragmatische Begründung, die den Wert der Erfindung von Gedanken als irrelevant gegenüber ihrer gelungenen Integration in den Kontext erklärt. Bodmers dichterische Praxis mißachtet die immanente Poetik vom Eingang des 10. Gesangs. Mit ihrer kompilatorischen und eklektischen Technik steht sie quer zu deren Anspruch. Wieland und die öffentliche Kritik am 'Noah' Die bislang behandelten Teile von Wielands 'Abhandlung' setzen sich, meist ohne Namensnennung und ohne Bezugnahme auf konkrete Einwände, vor allem mit der privaten und halböffentlichen Diskussion um den 'Noah' auseinander, die Wieland durch den Umgang mit Bodmer und seinem Kreis vertraut geworden ist. Daneben aber existieren kleinere Abschnitte, 1 4 4 die die öffentliche Kritik am 'Noah' zum Gegenstand haben und die 'Abhandlung' auch als offensive Streitschrift charakterisieren. Die Partei Gottscheds, deren Kampf gegen die Patriarchaden fast nur polemischer Natur ist, 1 4 5 erhält eine knappe Abfertigung, denn "mit Zurechtweisung der Thoren" und "mit den Verderbern des Geschmacks" will Wieland so wenig wie möglich zu tun haben. 1 4 6 Schwerer wiegt demgegenüber die Behandlung jener dritten Kraft, die das Engagement der Schweizer grundsätzlich gutheißt und dem 'Noah' dennoch negativ oder nicht restlos positiv gegenübersteht. Charakteristisch ist etwa der schroffe Ton, den Wieland gegen Johann Christoph Stockhausen anschlägt, der seinem Lob des 'Messias' einige kritische Äußerungen über den 'Noah' beifügt. 1 4 7 Bedeutsam für die weitere Ent143 Noah X/21-22: "Also giengen im Chaos die werdenden Dinge gehorsam | Jedes nach seinem Platz, so bald es die Stimme befohlen". - Ob Bodmer hier auf Shaftesburys Vorstellung vom Dichter als "second maker" rekurriert, wäre eingehender zu prüfen. 144 Die wesentlichen Passagen verzeichnet Budde, Wieland und Bodmer, 174-175. 145 Vgl. die ζ. T. auch Klopstocks 'Messias' betreffenden Satiren in: Wurmsaamen, Leipzig 1908. - Auch die knappen Erwähnungen in der letzten Auflage von Gottscheds 'Critischer Dichtkunst' bieten Wieland wenig konkrete Angriffspunkte (Gottsched AW VI/3, 38 u. 123: "Den Noah und Jakob mag ich nicht einmal erwähnen, weil beyde schon in der Erfindung selbst zu unrichtig sind, als daß sie Heldengedichte heißen könnten"). 146 Wieland AA 1/3, 302, 37, u. 303, 32-33. Am Ende des allgemeinen Teils (ebd., 318-321) beantwortet Wieland Gottscheds Polemik gegen den Hexameter. 147 Stockhausen, Sammlung vermischter Briefe, I, Wien 1766, 42 [zuerst 1752]: "In dem Noha [!] bemerke ich viele schöne Stellen, aber auch viele schlechte, und im Ganzen gefällt er mir nicht. Ich habe darum für den Verfasser nicht weniger
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wicklung bleibt insbesondere Wielands Angriff gegen die im Grundtenor positive Rezension der ersten beiden Gesänge durch Ramler. 1 4 8 Er zählt den Rezensenten, der sich durch eine "weitläufigere Vergleichung" von der Schönheit der Töchter Siphas abgelenkt sieht, zu den "innbrünstigen Lesern" und meint, dieser wolle mit den Einwänden "eines eingebildeten überklugen Kopfes" den 'Noah' "zur Schmach der gesunden Vernunft [...] lächerlich" machen. 1 4 9 Wielands unangemessene Ausfälle, die jeden, der nicht unbedingt für den 'Noah' ist, zum Widersacher der guten Sache erklären, konnten nicht ohne Wirkung bleiben. Schon während der Entstehung regt sich bei Bodmer die Furcht, daß Gleim und sein Kreis "sich werden getroffen finden, und so laut schreyen, daß ein offenbarer Bruch unter uns erfolgen muß". 150 Auch Kleist, der während eines Aufenthalts in Zürich Kenntnis von der noch ungedruckten 'Abhandlung' erhält, sieht die negative Wirkung von Wielands Unnachgiebigkeit voraus. 151 Die freundlich Gesonnenen gehen nach dem Erscheinen der 'Abhandlung' auf Distanz, und selbst in den 'Freymüthigen Nachrichten' aus Zürich macht sich öffentlich Unmut breit. 152
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Hochachtung [...]. Der Verfasser des Noha ist ein grosser Kenner und Kunstrichter des Geschmacks: Lehrbücher und Kritiken sollte er schreiben; nur keinen Noha mehr." - Für Wieland AA1/3, 516, 40-518, 25, ist Stockhausen der größte "critische Sünder", der in einer "jugendlichen und pedantischen Art" geurteilt habe, und "öffentlich" bekennen solle, "daß er sich seines begangenen Fehlers von Herzen schäme". - Vgl. auch den mit "Hausenstock" unterzeichneten 'Brief an den Verfasser des Noah' in: FN X (1753), 318-319. Zur Verfasserfrage dieser Persiflage s. Budde, Wieland und Bodmer, 79-81. Vgl. Anm. 128. CNRG 1750/XIII, 118-119; Wieland AA 1/3, 336-338, hier 337, 28, u. 338, 5-7. Starnes I, 31 (Bodmer an Zellweger, 12.10.1752); vgl. ebd., 29 (Bodmer an Zellweger, 17.8.1752) u. 33 (Bodmer an Sulzer, 29.10.1752) sowie 103-104 (Bodmer an Zellweger, 14.12.1755), wo Bodmer "die großen Lobsprüche, welche Wieland dem Noah gegeben", in unmittelbarem Zusammenhang mit Nicolais Kritik an den Patriarchaden (s. u.) sieht. Kleist W II, 222 (Kleist an Gleim, 25.2.1753): "Der [Wieland] schmeichelt Bodmern auf die niederträchtigste Art; er schreibt eine Verteidigung des 'Noah', worin er alle Leute attaquirt, die er vorhin in den Himmel erhoben hatte. Sie, Ramler, Uz u. s. w. werden auch, wie ich höre, das Ihrige kriegen. Ich habe Bodmern [...] gesagt, daß mich dies Verfahren wunderte. [...] den H. Wieland würde man [...] ablaufen lassen und sich moquiren, daß er Männer attaquirte, die die größten Vertheidiger des 'Noah' gewesen wären. Bodmer hat mir versprochen, die Stellen in der Vertheidigung wegzulassen; allein er glaubt den Wieland nicht dazu bewegen zu können." Ζ. B. Briefe Schweizer 202 (Sulzer an Bodmer, 23.9.1753: "So viel ich merke, wird dieses Werk unsere deutschen jungen Dichter wenig rühren") u. Kleist W II, 237 (Kleist an Bodmer, 22.5.1753: "Es wird ihnen [Gleim u. a.] also etwas fremde dünken, wenn sie sehen werden, daß Herr Wieland Gleim, Ramlern u.s.w. im verteidigten 'Noah' angriff). - FN XI (1754), 353-357, insb. 357: "Aber das hätte sich wol niemand vermuthen können, daß Hr. W. den geschickten Herrn Verfasser der Recens. des Noah in den vortreflichen Berlinisch.
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So gesehen befördert Wieland selbst, indem er nur absolute Parteigänger akzeptiert, die Isolation der Zürcher nach 1755. Durch seine scharfe Zurückweisung der Kritik jener dritten Gruppierung, die in der Literaturfehde mit den Schweizern sympatisiert, ohne aktiv in die Streitigkeiten einzugreifen, erhebt er für den 'Noah' einen vermessenen Anspruch und trägt zu der öffentlichen Verurteilung der Patriarchaden bei. Den wohl entscheidenden Schlag führt Friedrich Nicolai in seinen 'Briefen über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland' von 1755. An den kritischen Erstlingen des wenig älteren Lessing geschult, 153 sieht er, daß parteiische Voreingenommenheit schädlich für die Entwicklung der deutschen Literatur ist, und etabliert die Kritik aus ihrer dienenden Rolle im Streit der Fraktionen: "Lasset uns ihre [der Dichtkunst] innersten Gründe untersuchen, und lasset uns die Critik, die alle grosse Geister gebildet hat, nicht scheuen, so werden wir nicht Gefahr laufen, ohne Verdienst zu loben und unbegründet zu tadeln, und wann wir die wahren Quellen des Schönen untersuchen werden, so wird die Partheilichkeit unsern Beifall nicht mehr bestimmen." 154 Aus dieser Grundposition heraus schont er weder Gottsched noch die Schweizer. Während dem Leipziger beispielsweise seine rückständige Anschauung in musikalischen Fragen nachgewiesen wird (Brief II und III), entwickelt Nicolai im fünften, sechsten und siebten sowie im vierzehnten und fünfzehnten Brief einen kontroversen Dialog über "die in der Schweiz seit einiger Zeit heraus gekommene epischen Gedichte". 155 Die dialogische Form erlaubt Nicolai nicht nur, seinen eigenen Standpunkt im Für und Wider der Meinungen zu präzisieren, sondern gibt ihm zugleich die Möglichkeit, die Apologien Wielands und Sulzers zu integrieren und zu diskutieren. In der ersten Briefsequenz finden sich verstreute EinCritischen Nachrichten vom J. 1750. eben so mishandeln würde. Kein Recensent hat wol mehr Hochachtung und zurückhaltender Ehrfurcht gegen den Noah bewiesen". Die Rezension stammt von J. G. P. Möller und ist zuerst in den 'Greifswalder Critischen Nachrichten' erschienen. Wieland wehrt sich gegen Möllers Rüge und erneuert die Angriffe gegen Ramler sowie Stockhausen in einem fiktiven Brief, der ursprünglich als letzter Teil von 'Edward Grandisons Geschichte in Görlitz' konzipiert war, dann aber nicht in dieser Satire gedruckt worden ist (vgl. Wieland BWI, Nr. 190, 11-66, u. die Hinweise im zugehörigen Kommentar in Wieland BW II; Wieland AA1/4, 65-70 u. 690-702; s. auch die ausführlichen Recherchen von Budde, Wieland und Bodmer, 106-107 u. 119-129). 153 Den Einfluß Lessings auf die 'Briefe' weist Ellinger in seiner Einleitung des Neudrucks im Detail nach (Nicolai, Briefe XII-XIV). Während sich Lessing stärker mit Klopstock befaßt, gelten den Patriarchaden nur wenige kurze Besprechungen, die vor allem die Behandlung des Verses und den AntiquaDruck kritisieren (Lessing LMIV, 195-196; 229-231; 407-408). Vgl. Guthke, Literarisches Leben, Bern/München 1975, 24-71 (Der junge Lessing als Kritiker Gottscheds und Bodmers). 154 Nicolai, Briefe 152-153. 155 So der Titel des fünften Briefs (Nicolai, Briefe 3).
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wände zu Wielands 'Abhandlung', und Sulzers 'Gedanken' sind der Gegenstand im zweiten Schlagabtausch. Nicolais kritischer Maßstab ist stets die Frage, inwieweit Urteile durch Parteibindung geprägt sind: "man übersezze Gottscheds Gedanken in Hexameter, und drukke sie mit lateinischen Buchstaben, und ieder patriotische Züricher muß sie loben". 1 5 6 Er kennt einzig das Kriterium poetischer Qualität: "es ist nicht die Frage, ob Gedichte, die Religion und Tugend anpreisen, lobenswürdig sind, und ob die Gedichte der Herren Schweizer in einigen Fällen gute Würkungen haben können; sondern es ist die Frage, ob diese Gedichte denn so durchaus schön, von Fehlern frei, rührend, natürlich, der Kunst des Dichters gemäß, und dem Herzen der Leser angenehm sein, ob diese Dichtart so vortreflich sei, daß sie das Muster der deutschen Dichtkunst zu werden verdiene". 157 Den Anspruch, den gerade Wieland in seiner 'Abhandlung' erhebt, wendet Nicolai gegen Bodmer, indem er seines fiktiven Briefpartners Hinweis auf einzelne Schönheiten des 'Noah' nicht gelten läßt, sondern auf makelloser Qualität besteht. Die Nähe zu "Griechischen Dichtern", die der Verteidiger der Patriarchaden als Argument für die "Einfalt" in Bodmers Epos ins Feld führt, weist Nicolai als unzureichende Entschuldigung für niedrigste "Tändeleien" im 'Noah' zurück: "Der Engel, der sich eine Feder aus dem Flügel reißet, und sie an die Brust einer Taube sezzet; die Riesen, die in einen Eichbaum geklemmet werden; der Eierkuchen, den die Patriarchen einander vorsezzen, sind solche Mährgen, die allen Wiz der Kunstrichter erschöpfen würden, wenn sie in einem alten Dichter ständen". 158 Mit der dritten der hier angespielten Stellen aus dem 'Noah' (11/601-610) übt Nicolai nicht nur Kritik an Bodmer, sondern verteidigt auch Ramler gegen Wieland. Denn jener hatte in seiner Rezension den "Eyerkuchen [...] für einen allzuniedrigen Umstand" gehalten und war für diese Bemerkung von Wieland scharf getadelt worden. 159 Indem Nicolai Verbindungen dieser Art sucht, erweist er nicht nur seinen genauen Einblick in die Welt der Kritik, sondern sichert sich auch die Zustimmung der Gescholtenen.
156 Nicolai, Briefe 40-41. Die Absurdität der parteüschen Urteilsbildung demonstriert Nicolai gerne an Beispielen dieser Art (vgl. ebd. 59 u. 120-121). 157 Nicolai, Briefe 54. 158 Nicolai, Briefe 45-46 u. 56; von "Tändeleien" spricht Nicolai ebd. 52, 54 u. 61. Zu den gerügten Stellen im 'Noah' vgl. den Kommentar (ebd. X I X ) . Daß Ramler der Kritiker der "Eierkuchen" ist, weist Ellinger nicht nach. 159 C R N G 1750/XIV, 125. Wieland A A 1 / 3 , 319, 20-34. - Vgl. BW Gleim/Ramler I, 216 (Ramler an Gleim, 25.2.1750): "Sagen sie mir ihre Meinung über den Eyer Kuchen im Noah [...]. Ich wolte ohngefehr sagen: Der Eyer Kuchen wird für einen allzu geringen Umstand gehalten [...]." - Noch Jahre später spielt Kleist auf Bodmers poetische Vorliebe für "Eierkuchen" an (Kleist an Gleim, 27.4.1758; Kleist W II, 488-489).
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Dem weitgehend verdeckten Kampf mit Wieland, der nur an wenigen Stellen direkt attackiert wird, 160 steht die offene Auseinandersetzung mit Sulzer gegenüber. Betont schon Wieland weit mehr die moralischen Schönheiten des 'Noah' als dessen poetische Qualitäten, so verzichten Sulzers 'Gedanken' programmatisch auf jede ästhetische Untersuchung von Bodmers Epen. "Er wollte mehr erbauen, als gefallen", lautet Bodmers Intention in den Worten des Apologeten. 161 Was sich aus moderner Sicht wie eine gerechte und bescheidene Bewertung der Poesie Bodmers lesen läßt, 162 konnte Nicolai unmöglich zufriedenstellen. Denn für Sulzer ist gerade in der erbaulichen (und in der lehrhaften) Tendenz der Werke deren besonderer Wert begründet. Bodmers religiöse Poesie ist die "Schule aller erhabenen Tugenden" und erhält deshalb den Vorzug vor allen Mustern der Gattung. 163 Nicolai rückt die Maßstäbe zurecht. Wer sich wissenschaftlich informieren wolle, sei mit Bodmers Quellen besser bedient als mit seinen Dichtungen, und zum Zwecke der Erbauung hätte Bodmer besser Predigten als Epen verfaßt: "Es braucht aber keines Beweises, daß ein mittelmäßiger Moralist und ein grosser Dichter zweierlei sind."164 Um wiederum die Überparteilichkeit seines Standpunkts zu erweisen, wendet Nicolai die von Sulzer gegebene Begründung auf die moralischen und lehrhaften Dichtungen des Gottschedianers Daniel Wilhelm Triller an. 165 Das gewünschte Ergebnis, die Verteidigung eines Gottsched-Jüngers mit den Worten eines Bodmer-Apologeten, offenbart die Willkür von Sulzers Argumentation und zugleich die Notwendigkeit jener harten und gerechten Kritik, die Nicolai allenthalben verkündet. 160 Weitere implizite Bezugnahmen auf Wielands 'Abhandlung' verzeichnet Ellinger (Nicolai, Briefe XXI). - Der expliziten Verurteilung von Wielands 'Abhandlung' ("seine ganze Kritik ist Lobgesang") schließt sich Nicolais berühmte Passage über das Verhältnis von Bodmer und Wieland an: "die Muse des Hrn. Bodmers ist eine betagte Matrone, die die Welt vergißt, weil die Welt sie vergessen hat [...]. Die Muse des Hrn. Wielands ist ein iunges Mädgen, das auch die Betschwester spielen will, und sich der alten Wittwe zu Gefallen, in ein altväterliches Käppgen einhüllet, welches ihr doch gar nicht stehen will; [...] es wäre ein ewiges Spektakel, wann diese iunge Frömmigkeitslehrerin, noch wieder zu einer muntern Modeschönheit würde" (ebd. 53). An einer weiteren Stelle wird Wieland offen parodiert (ebd. 62). 161 Sulzer, Gedanken, 23. Sulzer beruft sich bei dieser Aussage ausdrücklich auf Bodmers Ansichten, die er genau kenne. 162 Bender, Bodmer und Breitinger, 112: "Eine Neubewertung der poetischen Produktion Bodmers unter [dem] Aspekt der 'Erbauung' wäre ein Akt literarhistorischer Gerechtigkeit." - Vgl. zur erbaulichen Absicht der Patriarchaden ferner Wielands 'Vorbericht' zum 'Abraham' (insb. Wieland AA1/2, 104, 30-40); mit dem dort ausgesprochenen Programm stellt sich Wieland "bewußt in die breite Tradition der Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts" (MüllerSolger, Dichtertraum, 66-68). 163 Sulzer, Gedanken, 16. 164 Nicolai, Briefe 116-119, hier 116. 165 Nicolai, Briefe 119-121.
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Nicolais unparteiischer Haltung gehört die Zukunft. Sie prägt entscheidend das Bild Bodmers bei der Nachwelt und genießt die öffentliche Zustimmung der Zeitgenossen, die der Herrschaft des polemischen Parteigeists überdrüssig sind. 166 Die Gegenwehr der Getroffenen 1 6 7 bleibt marginal und verstärkt deren Isolation. Wieland verwickelt sich im Namen der Religion mit Johann Peter Uz in einen Streit, der sein Ansehen in der literarischen Welt weiter schädigt, 168 und Bodmer vermischt den Kampf gegen Uz mit dem gegen Nicolai, indem er jenem in seinem 'Schreiben von dem Ursprung des Hasses gegen die Patriarchaden' unterstellt, daß er den 'Noah' kritisiert habe, weil er dort die anakreontische Tugendlehre vermisse. 169 Daß die Stellung an der Seite eines Mannes, der mit den literarisch fortschrittlichen Kräften in zunehmenden Widerspruch geraten ist, seiner eigenen Entwicklung hinderlich sein muß, mag Wieland noch während der Auseinandersetzung mit Uz einge166 Ellinger erweist beispielsweise den Umschwung in der Haltung der 'Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen' (Nicolai, Briefe XIV-XV), die unter dem Einfluß Hallers eine gemäßigte Position propagieren. Selbst in Zürich verfügt Bodmer nicht mehr über eine Hausmacht. Die 'Freymüthigen Nachrichten' veröffentlichen zwar einerseits seine polemischen Erwiderungen gegen Nicolai (s. u.), besprechen jedoch andererseits dessen 'Briefe' sehr positiv und stellen sie namentlich Wielands noch in parteiischer Gesinnung geschriebener 'Ankündigung einer Dunciade' gegenüber. FN XIII (1756), 132-133: "Diese Briefe sind mit vieler Unpartheylichkeit und Wahrheits-Liebe geschrieben. Man lieset sie mit Vergnügen. [...] Der Vater Bodmer wird nicht vergöttert". 167 Bodmer sucht einerseits Nicolais Einwände zu entkräften, indem er dessen Kritik in einer Parodie des 7. Briefs gegen Vergil wendet (FN XIII [1756], 44-46 u. 50-52). Andererseits sieht er im 'Schreiben von dem Ursprung des Hasses gegen die Patriarchaden' (FN XV [1758], 78-80 u. 86-87) seinen Angriff gegen die Anakreontiker (in der Zeitschrift 'Crito' von 1751) als Grund für deren Ablehnung der biblischen Epik. 168 Vgl. zur Genese und zum Verlauf der Streitigkeiten Wieland BW II, 316-317 (mit weiteren Literaturhinweisen). Von Interesse im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem, daß Uz (u. a. im 'Sieg des Liebesgottes' und im poetischen Schreiben 'An Herrn Hofrath C*'; vgl. Uz, Werke, Stuttgart 1890, insb. 300-302 u. 362-364) seit 1753 offen gegen die Dichtungen des Bodmer-Kreises Stellung bezogen und eine ähnlich überparteiliche Position wie Nicolai eingenommen hatte. - Ramler sieht die Auswirkungen von Wielands Attacke gegen Uz auf das Ansehen der Patriarchaden: "Wißen Sie was in Wielands Sympathien für Schimpf auf Herrn Uzen steht? [...] Ich weiß nicht worauf die Herren in Zürich warten, ob sie darauf warten, von klügeren Leuten, wie die Gottschede [...] gezüchtigt zu werden [...]? Soll Leßing aufwachen? Er, der Geschmack, Hitze, Gelehrsamkeit genug besitzt, sie auf ihren Wehrt herunter zu setzen und die Sache der biblischen Epopeen auf einmal zu entscheiden?" (BW Gleim/Ramler II, 248; Ramler an Gleim, 4./11.8.1756) 169 Vgl. Anm. 167. Das "Argument" hat insofern Tradition, als schon Wielands Ausfälle gegen Ramler, die diesen zu den "innbrünstigen Lesern" zählen (Wieland AA1/3, 337, 28), in die gleiche Richtung einer moralischen Diffamierung zielen.
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sehen haben, die ihm eine deutliche Zurechtweisung in Nicolais und Mendelssohns 'Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste' beschert. 170 Wielands Abrücken von seinem Mentor Bodmer, das sich während und in der Arbeit am 'Cyrus' vollzieht, manifestiert sich auch in einer distanzierteren Beurteilung des 'Noah' und seiner eigenen 'Abhandlung'. In einer Sequenz von einsilbig beantworteten Fragen klärt Wieland 1759 seine Stellung zum Gedicht des einstigen Lehrers, das er in seinem entstehenden Epos übertreffen will: Ist der Noah ein elendes Episches Gedicht? Nein! Ist der Noah mit der Ilias, Eneis, dem befr. Jerusalem, dem Paradies, dem Leonidas in Eine Classe zu stellen? Nein. [...] Sind viele schöne Stellen im Noah. Ja! Sind viele, welche weit schöner sein könnten? Ja. Sind Bodmers Figuren zu steiff und unbelebt, ist sein Coloris zu schekicht, Seine Versification rauh und unmusicalisch? Ja. Mangelt es ihm an Wahrscheinlichkeit, an Natur, an Affekt? an edler Einfalt? einfältiger Schönheit? schöner Erhabenheit? Ja. Hat jemand eine vernünftige und gerechte Critik vom Noah gemacht? Nein.171
Mit dieser Betrachtungsweise, die die eigene Lobeshymne auf den 'Noah' und wesentliche der dort dogmatisch aufgestellten Behauptungen widerruft, zeigt sich Wieland selbst der Forderung Nicolais nach einer unparteiischen Kritik verpflichtet. 172 Von Bern aus bekennt er schließlich seinem Lehrer in einer "Digression zu Gunsten unserer Satane", daß sich seine "Toleranz, die seit geraumer Zeit" bei ihm "sehr angewachsen" sei, "so gar biß auf Gottsched, Nicolai und Lessing" erstrecke. 173 Bodmer bleibt indessen vom Wert der Patriarchaden überzeugt und bringt für die späteren Dichtungen seines Schülers wenig Verständnis auf. Immerhin aber scheint er in jenem späten Rückblick, dem das Motto dieses Abschnitts entnommen ist, Wielands Trennung von ihm als Weg zur Reife zu begreifen.
170 Vgl. Anm. 168. 171 Wieland BW I, Nr. 401, 198-208 (Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759). Vgl. zu Wielands Selbstgewißheit, daß der 'Cyrus' dem 'Noah' überlegen sei, das dem gleichen Brief entnommene Motto zum folgenden Abschnitt. 172 Im gleichen Brief konstatiert Wieland auch, daß Klopstocks 'Messias' "noch wenig von unpartheyischen, behutsamen, geübten Kennern geprüfet" worden sei (Wieland BW I, Nr. 401,187-189; Hervorhebung im Original). 173 Wieland BWI, Nr. 479, 64-71 (Wieland an Bodmer, 9.3.1760). Am Ende des folgenden Jahres sagt Wieland dann, er "möchte gerne [seinen] Frieden" mit Lessing und Nicolai machen (Wieland an Zachariä, 8.12.1761; Wieland BW III, Nr. 49, 88).
Das "menschliche" Heldengedicht 'Cyrus'
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3. Das "menschliche" Heldengedicht 'Cyrus' Cyrus wird seyn, wenn Noah nicht mehr ist.174
Während der Entstehung des 'Cyrus', die in die Jahre 1757 bis 1759 fällt, 175 wandelt sich Wielands Urteil über die biblische Epik. Der aktiven Parteinahme für die Werke des Mentors, die das eigene dichterische Engagement einschließt, folgt allerdings nicht deren völlige Ablehnung. Symptomatisch für die differenzierte Stellung, mit der Wieland dem einst gepriesenen 'Noah' begegnet, ist die zitierte Frage-Antwort-Sequenz aus einem Brief an Johann Georg Zimmermann, seinen engsten Vertrauten während der zweiten Hälfte des Schweizer Aufenthalts. Bodmers epischem Hauptwerk werden trotz schwerwiegender kritischer Einwände "viele schöne Stellen" zugestanden; der 'Noah' bleibt aus dem Kanon der Epen von Weltgeltung ausgeschlossen, wird aber nicht als "elendes Episches Gedicht" verdammt. Von besonderem Interesse für die Einschätzung des 'Cyrus' ist der Kontext, in dem sich Wieland zu dieser klärenden Stellungnahme genötigt sieht. Wieland hatte den Freund mehrfach um kritische Anmerkungen zu seinem jüngsten Werk gebeten, reagiert dann aber in überaus heftiger Weise, als ihm der Tadel Zimmermanns vorliegt.176 Die Empfindlichkeit des Autors darf als Zeichen für den besonderen Anspruch gewertet werden, den Wieland mit dem 'Cyrus' verbindet. Denn auf die Ausarbeitung des stilistischen und metrischen Details legt Wieland, zwischenzeitlich Bodmers flüchtiger Arbeitsweise entfremdet, gerade und wohl erstmals im Falle des 'Cyrus'
174 Wieland BW I, Nr. 401,32 (Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759). 175 Das früheste Zeugnis aus Wielands Hand ist ein Brief an Zellweger vom 9. Februar 1758, in dem er berichtet, "seit einigen Monaten an einem weitläuffigen Epischen Gedicht" zu arbeiten (Wieland BW I, Nr. 281, 40). Seuffert, Prolegomena, 1/2, 52, bezieht sich auf Wielands Vorrede zu 'Araspes und Panthea' und auf weitere Zeugnisse, wenn er die Arbeit am 'Cyrus' im Frühjahr 1757 einsetzen läßt. Die Vorrede des Fragments von fünf Gesängen ist auf den 30. Mai 1759 datiert (Wieland AA1/3, 92, 14; Wieland gibt als Ort bereits Bern an, obgleich sein Umzug dorthin erst wenige Tage später stattfindet, vgl. Starnes I, 151-152). Zur Entstehungsgeschichte des 'Cyrus' vgl. auch Anm. 191. 176 Wielands Bitte um Kritik: Wieland BW I, Nr. 387, 4-19 (Wieland an Zimmermann, 11.5.1759); Nr. 392, 31-45 (Wieland an Katharina Zimmermann, 17.5.1759); Nr. 393, 54-58 (Wieland an Zimmermann, 18.5.1759). - Wielands umfangreiche Briefe an Zimmermann vom 2. Juni sowie vom 2. und 4. Juni 1759 beschäftigen sich fast ausschließlich mit dessen Kritik (Wieland BW I, Nr. 399 u. 401). Zimmermanns tadelnde Anmerkungen sind nicht überliefert, aber aus Wielands Zitaten und detaillierten Erwiderungen zu erschließen; vgl. den Kommentar der genannten Briefe, der ein (rekonstruiertes) 'Verzeichnis der Beanstandungen Zimmermanns' enthält (Wieland BW II, 393-399, insb. 397-399).
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größten Wert. 177 Der zentrale Grund seiner Verstimmung läßt sich aber genau erkennen. Zimmermann, der dem 'Messias' und dem 'Noah' völlig ablehnend gegenübersteht, richtet sich in einem großen Teil seiner Kritik (respektive in einem großen Teil dessen, was Wieland beantwortet) gegen Formulierungen im 'Cyrus', die ihm eine Abhängigkeit des Autors von der religiösen Epik Bodmers und Klopstocks anzuzeigen scheinen. Wieland widerspricht nun einerseits der Verdammung jener Werke und plädiert für eine differenzierte Betrachtungsweise, die sowohl die Unterschiede zwischen 'Messias' und 'Noah' als auch verschiedene Qualitätsstufen innerhalb dieser Gedichte wahrnimmt. Andererseits will er sich die Verwendung bestimmter Vokabeln nicht deshalb versagen, weil diese Wörter bei Bodmer und Klopstock vorkommen. Die distanzierte Haltung gegenüber der biblischen Epik bedingt für ihn noch nicht den Verzicht auf die dort errungenen Ausdrucksmöglichkeiten. Zimmermanns Strenge gegen solche "olympische Nachwehen1,178 wertet Wieland als Rückfall in jene parteiisch geprägte Urteilsfindung, von der er selbst sich zu befreien bemüht. "Olympisch! Klopstokisch! Bodmerischr, zitiert Wieland die Kritik an seinem Gebrauch des Ausdrucks "Mädchen", "und die Anmerkung ist gottschedisch, Schönaichisch, aus der Ästhetischen Nuß gezogen".179 Wielands Sensibilität gegenüber dem Vorwurf der Abhängigkeit von der biblischen Epik zeigt, daß die Souveränität in der Wahl poetischer Mittel, die er bereits erworben zu haben glaubt, noch auf unsicheren Füßen steht. Einerseits ist er gewillt, mit seiner dichterischen Herkunft zu brechen und Anschluß an die fortschrittlicheren Kräfte um Lessing und Ramler zu gewinnen, andererseits soll in der Distanzierung von den Zürchern dort Erworbenes nicht verlorengehen. Er will nicht weiter als "Bodmerianer" und "Hexametrist" gelten, 180 verfaßt sein neues Epos aber gleichwohl in Hexametern. In der Begründung seiner abermaligen Entscheidung für den Hexameter weist er den Verdacht, er habe diesen Vers "par complaisance pour Mr. Bodmer" gewählt, von sich und argumentiert mit der "duret6" und "monotonie" des Alexandriners in der deutschen Sprache, die sich aufgrund ihrer "ressemblance avec la 177 Vgl. Wieland BW I, Nr. 285, 17-20 (Wieland an Zimmermann, 24.2.1758); Nr. 289, 26-31 (Wieland an Zimmermann, April 1758). 178 Wieland BWI, Nr. 399, 100 (Wieland an Zimmermann, 2.6.1759); Nr. 401, 90-91 u. 211-212 (Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759). Hervorhebung im Original (zur Kennzeichnung, daß es sich um ein Zitat aus der Kritik Zimmermanns handelt). 179 Wieland BWI, Nr. 399, 65-66 (Wieland an Zimmermann, 2.6.1759). Vgl. ebd., 59-60, sowie Nr. 401, 105-107 u. 165-167, wo Zimmermann gleichfalls in die Nähe Gottscheds gerückt wird. - In seinem zweiten, moderateren Brief (vom 2. u. 4. Juni 1759) zeigt sich Wieland im Falle der "Mädchen" im 'Cyrus' (1/352 u. 388,11/315 u. 318, III/470, V/63) partiell zum Einlenken bereit (Nr. 401, 24-28 u. 92-94). 180 Wieland BW I, Nr. 359, 23-26 (Wieland an Zimmermann, 20.3.1759).
Das "menschliche" Heldengedicht 'Cyrus'
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grecque" besonders für das daktylische Metrum eigne. 181 Anders als in seinem gleichzeitigen Trauerspiel 'Lady Johanna Gray', wo Wieland nach englischem Vorbild den reimlosen Jambus versucht, besteht er für das Epos noch auf dem hexametrischen Vers und sieht als (nicht gangbare) Alternative nur den Alexandriner. Demgegenüber erkennen Geßner und Kleist, daß um 1758 die Entscheidung für den einen oder den anderen dieser Verse ein Werk den Vorurteilen des Publikums aussetzt. Geßner legt seinen erfolgreichen 'Abel' von 1758 in rhythmisierter Prosa vor, und Kleist leistet mit dem nicht nur in preußischen Militärkreisen beachteten Kleinepos 'Cißides und Paches' (Berlin 1759) einen Beitrag zur Einführung des Blankverses in die deutsche Literatur. Die Zeit des hexametrischen Verses, dessen anfänglicher Erfolg sich auch Kleists 'Frühling' (zuerst 1749) verdankt, sieht dieser als vergangen an: "Wäre er ['Cißides'] in Hexametern geschrieben gewesen, hätte ihn kein Mensch gelesen." 182 Indem Wieland den 'Cyrus' in Hexametern dichtet, ignoriert er, daß zu jener Zeit ein in Zürich gedrucktes Werk in diesem Versmaß negative Erinnerungen an die Patriarchaden wecken muß. 183 Konnte sich Wieland 1751 auch durch die Entscheidung für den Hexameter Bodmers Gunst für seinen 'Hermann' sichern, so verhindert der gleiche Vers acht Jahre später die günstige Aufnahme des 'Cyrus', mit dem Wieland die Beachtung einer breiteren Öffentlichkeit und den Weg aus der parteiischen Isolation sucht. Die äußere Form seines epischen Fragments hat damit wesentlich zu der von Wieland noch Jahre später beklagten "Kaltsinnigkeit" des Publikums beigetragen. 184 Wie aber ist es - über die durch den gleichen Vers bedingte formale Nähe hinaus - um die "olympischen Nachwehen" in Wielands 'Cyrus' bestellt? Der Autor leugnet, wie gesehen, Übereinstimmungen mit Klopstocks und Bodmers 181 Wieland BW I, Nr. 298, 34-47 u. 80-109, hier 86 u. 94-98 (Wieland an Zimmermann, 27./28.4.1758). 182 Kleist W II, 564 (Kleist an Hirzel, 23.5.1759). 183 Vgl. das Zitat aus einem Brief Bodmers an Zimmermann vom 25. Januar 1758 in Kap. I, S. 16 (mit Anm. 49), u. 19-20. - Im gleichen Schreiben fragt Bodmer: "Wäre der ältere Cyrus nicht der Epopöe würdig, wiewol er nur ein großer Mensch ist?" (Bodemann, Zimmermann, 166) Hieraus hat Sengle, Wieland, 99, schließen wollen, daß Bodmer möglicherweise unabhängig von "Wielands Arbeit an einem solchen Epos" an den gleichen Helden denke. Dies widerspricht aller Wahrscheinlichkeit, den Angaben von Seuffert, Prolegomena, 1/2, 52, nach denen der lokal entfernte Zellweger spätestens im "Spätherbst 1757 von dem Werke gehört" hat, und Bodmers Aufmunterungsgedicht 'Der Held aus Persis', das einen genauen Einblick in das entstehende Werk voraussetzt (vgl. hierzu Anm. 191). Eher scheint Bodmer Wielands Mitteilung seiner epischen Beschäftigung an Zimmermann, die nur wenige Wochen später erfolgt, nicht vorgreifen zu wollen (vgl. Wieland BW I, Nr. 282, 70-73, sowie Nr. 285,13-20 u. 68-76; Wieland an Zimmermann, 14.2. u. 24.2.1758). 184 Wieland BW III, Nr. 441, 47-50 (Wieland an Zimmermann, 19.3.1767); vgl. ebd, Nr. 410, 47-49 (Wieland an Geßner, 21.7.1766).
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Wortgebrauch keineswegs, bewertet jedoch sowohl deren Epen als auch seine stilistische Nähe zu diesen Werken gänzlich anders als sein Briefpartner. Mit noch immer freundlicher Distanz zu 'Messias' und 'Noah' proklamiert er, unter der Voraussetzung höchter poetischer Qualität und angemessener Verwendung im eigenen Werk, die freie Verfügbarkeit der dort gebrauchten sprachlichen Mittel. Lediglich in einzelnen Fällen, in denen er dem 'Cyrus' gleichsam symbolische Vokabeln der geistlichen Epik einverleibt hat, stimmt Wieland dem Verdikt Zimmermanns zu. 185 Aus der historischen Distanz indessen scheint Wielands Behauptung seiner poetischen Unabhängigkeit von der Prägung durch die Zürcher Jahre eher Wunsch als bereits erreichtes Ziel zu sein. Zu deutlich beispielsweise orientiert sich der Eingang des 'Cyrus' in Struktur und Detail an dem des 'Messias'. In jeweils drei Abschnitten folgt dem Musenanruf mit der Nennung des Themas die Bitte um die Dichterweihe, bevor eine Apostrophe an die Leser den Eingang abrundet. Daß für Wieland hier nicht allein die allgemeinen Gattungsmuster reklamiert werden können, zeigt die Übernahme des für Klopstock spezifischen doppelten Anrufs an die "unsterbliche Seele" und den "Geist Schöpfer" (Messias 1/1 u. 10), die Wieland durch die traditionelle "Muse" und die "Wahrheit" (Cyrus 1/1 u. 19) ersetzt. 186 Zu dieser strukturellen Übereinstimmung treten wörtliche Parallelen. "Vergebens erhub sich | Satan wider den göttlichen Sohn; umsonst stand Judäa | Wider ihn a u f , dichtet Klopstock (1/5-7). Wieland kehrt die Reihenfolge der Adverbien um, wenn er die Erfolglosigkeit der feindlichen Bemühungen vorwegnimmt: "Umsonst verband sich der Könige Stärke | Wider den Helden, vergeblich erhüben sich Babylons Mauern" (1/8-9). Ferner sind die Schlußverse der Prooimien in ihrem appellativen Gestus unverkennbar parallel gebaut. "Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben", heißt es bei Klopstock (1/22), während Wieland schreibt: "Hört mich und lernet von Cyrus die wahre Grösse der Helden!" (1/33) Cyrus heißt bereits im Prooimion der "göttliche" (1/6), und ihn schmückt dieses Epitheton noch mehrfach (ζ. Β. 1/394, II/9 u. 50). Er ist "vom ewigen König zur heiligen Rache gerüstet | Und zum Hirten der Völker geweyht" (1/5-6). Die Orientierung am Eingang des 'Messias' bleibt damit nicht rein formaler Natur. Der Held wird vielmehr auch mit messianischen und patriarchalischen Charakterzügen exponiert. Verfolgt man diese Striche im Gemälde des Protagonisten, so findet man beispielsweise, daß er gegenüber der indischen Gesandtschaft seine friedliche Gesinnung im biblischen Wort ausdrückt: 185 Z.B. Wieland BWI, Nr. 399, 91 (Wieland an Zimmermann, 2.6.1759): "Seraphim - Soll weggestrichen werden, wenns angeht." Vgl. Cyrus III/102: "Wenn er dann, plötzlich erweckt, sich im Arme der Seraphim findet"; in der Ausgabe letzter Hand heißt es: "im Arm der Unsterblichen" (Wieland SW XVI, 90). 186 Das 'Messias'-Prooimion wird hier nach der für Wieland relevanten Ausgabe von 1751 zitiert (Klopstock HKA, Werke IV/4, 2-7; Sigel A2).
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Freunde, spricht er, nie kannte mein Herz ein grössers Vergnügen, Als im weitesten Umfang die Menschen glücklich zu sehen. Stünd es an mir, so würden noch heute von Volke zu Volke Alle Schwerter und Speere zu friedsamen Sicheln geschmiedet. (1/183-186) Erinnert hier der letzte Vers das alttestamentliche Gebot "Schwerter zu Pflugscharen" und "Spiesse zu Sicheln",187 so sind die ersten Worte des Cyrus nach seiner Friedensvision, die ihm "sein Engel" im Traum bringt (III/1-95), ein deutlicher Reflex auf Abrahams "Hie bin ich"188 nach seiner Anrufung durch Jehova: Hier bin ich, so ruft er, Wer du auch bist, gewiß der Diener des Ewigen einer, Der du vor meinem Geist der Zukunft Heiligthum aufthatst! Welch ein Gesicht! Welch himmlisches Feuer durchglüht mich! Wer hauchet Diese Seele mir ein? Ja, Vater der Geister, du selber Hauchst sie in mich! Du bists! Ich fühle deiner Umschattung Unaussprechliche Ruh, ich hör im innersten Busen Deine Stimme! Sie weyhet mich ein, zum heil'gen Geschäfte, Unter den Menschen dein Engel zu seyn, dein Werkzeug, der Erde Gutes zu thun - Wo ist, - wo ist von allen Erschaffnen Einer glücklich wie ich? - Zu welcher Tugend, zu welchen Göttlichen Pflichten, zu welchem Bestreben, dir selber von ferne Aehnlich zu werden, berufest du mich! Mit frohem Gehorsam Eil ich die Wege zu gehn, wo deine Rechte mich leitet. (III/118-131) Die Weihe des Cyrus zum Herrscher der Erde trägt alle Anzeichen einer religiösen Berufung. Sein irdischer Auftrag ist "göttlich" und "heilig",189 er überläßt sich der Führung Gottes und wird diesem ähnlich. Auch in der sprachlichen Form ist dies mehr als eine Herrschaftslegitimation von Gottes Gnaden. Denn der inspirierte Cyrus spricht, ruft und stammelt zu seinem durchaus jüdisch-christlich aufgefaßten Gott, der als "Vater" seine "Rechte" bietet, im Klopstockschen Hymnenton. Die zum Teil anaphorische Reihung von Ausrufen ist für den Einfluß des 'Messias'-Dichters ebenso charakteristisch wie die 187 Jesaja 2, 4, lautet in Luthers Übertragung: "Da werden sie jre Schwerter zu Pflugscharen / vnd jre Spiesse zu Sicheln machen" (Luther, Heilige Schrifft, Darmstadt 1972, 1176). - Müller-Solger, Dichtertraum, 82, macht die Stelle hingegen als "Vergilreminiszenz" geltend und verweist auf Georgica 1/508, wo das Bild allerdings in Umkehrung erscheint. Die biblische Quelle dürfte für Wieland als primär anzusehen sein. 188 Genesis 22, 1 (Luther, Heilige Schrifft, Darmstadt 1972, 59). Vgl. Müller-Solger, Dichtertraum, 81, der auch auf die Parallelstelle in Wielands 'Abraham' aufmerksam macht (1/95: "Abraham, rief die goettliche stimme; Er sagte, hie bin ich"). 189 Nicht von ungefähr kritisiert Zimmermann die Verwendung des letztgenannten Attributs und schlägt eine "Verbesserung zum ernsten Geschäfte" vor, die Wieland aber ebenso ablehnt wie des Freundes Kritik an der Wendung "zur heiligen Rache" (1/5) (Wieland BWI, Nr. 401, 89-91 u. 112-114; Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759).
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Unterbrechung der Rede mit verdoppeltem Neueinsatz und die Häufung von verwandten Vokabeln ("welch", "welcher" u. ä.). Die für Klopstock typische Spannung von begeisterter Gefühlsnähe ("im innersten Busen") und sprachloser Distanz ("von ferne") kennzeichnet Wielands Cyrus hier als religiösempfindsamen Protagonisten, der auch im biblischen Epos seinen Platz fände. Somit ist Müller-Solger bedingt zuzustimmen, wenn er in einer vergleichenden Analyse der Traumauffassung in Wielands Hexameter-Epen zu der Feststellung kommt, daß der 'Cyrus' "im Grundriß noch dem Weltbild der Patriarchade" entspreche. 1 9 0 Ist aber Cyrus, der sich zum engelsgleichen "Werkzeug" Gottes geweiht sieht (III/126) und "zur heiligen Rache gerüstet" ist (1/5), tatsächlich ein spezifisch christlicher Held, ein Patriarch im Sinne Bodmers? Anschauungsmaterial zur Beantwortung dieser Frage bietet 'Der Held aus Persis', eine Hexameterdichtung, mit der Bodmer den jungen Dichter nach eigenen Angaben im Februar 1758 "zur Fortsetzung seines Cyrus aufmuntern wollte". 191 In dieser Dichtung rät Bodmer, der das Anregen jüngerer Poeten und das Entwerfen von Grundrissen stets gerne zu seiner Sache macht, Cyrus zunächst als Unterlegenen zu zeigen. Dadurch könne der Dichter, die Parallelität zum 'Noah' ist unverkennbar, ein Panorama der verdorbenen Welt ausbreiten. Erst wenn Babylon die halbe Welt unter seine Herrschaft gebracht habe, möge "Cyrus von seiner geträumten Niederlag aufstehn". 192 Die Strafe aber, die Cyrus dann auf das hybride Babylon wälzen solle, bringt Bodmer, der sich ganz dem alttestamentlichen Chronisten Esra anschließt, in Zusammenhang mit der babylonischen Gefangenschaft der Juden. Cyrus erscheint als Rächer des heiligen Tempels, der mit der in Sünde
190 Müller-Solger, Dichtertraum, 81. 191 Bodmer's Tagebuch, 195. Starnes I, 125, zitiert die betreffende Passage, weist allerdings nicht darauf hin, daß das Gedicht postum in einer von G. Fr. Stäudlin herausgegebenen Sammlung gedruckt worden ist (Bodmer, Apollinarien, Tübingen 1783, 327-343). - Durch Bodmers Datierung auf den Februar 1758 ergibt sich aus dem in der Wieland-Forschung inhaltlich unbeachtet gebliebenen Gedicht die Möglichkeit eines genaueren Einblicks in die Entstehungsgeschichte des 'Cyrus'. Denn zur Zeit der Abfassung von Bodmers Aufmunterungsgedicht stagniert Wielands Arbeit wohl nach etwa der Hälfte der überlieferten fünf Gesänge: "O wie viel grosse Thaten [...] | Würden mit Cyrus verderben, wenn Cyrus, vom Dichter verlassen, | Wenige Verse nur lebt', und im dritten Gesänge schon fiele!" Bodmer sieht die Gefahr, "ein Schwamm könnt' | Ihn auslöschen, von Hypochonder genezet", und spricht in einer Frage auch den seinerzeit wohl geplanten Umfang aus: "Fod'r ich zu viel, daß Cyrus zum zwöften Gesang zu erheben | Hypochonder nicht kränk, und Migräne den Dichter nicht steche?" (ebd., 332) Inwieweit von Bodmers Worten auf eine tatsächliche Schaffenskrise mit (eingebildeten) Krankheitssymptomen geschlossen werden darf, kann hier offenbleiben. - Eine Wiedergabe der Dichtung mit ausführlicher Analyse wird voraussichtlich im zweiten Band der 'Wieland-Studien' (Sigmaringen 1993) erscheinen. 192 Bodmer, Apollinarien, 337.
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verstrickten Stadt ebenso gründlich verfährt wie Gott mit Sodom und Gomorrha. 1 9 3 Zwei Aspekte vor allem verbinden Bodmers Vorschläge mit seinem patriarchalischen Hauptwerk. Der Autor des 'Noah' sucht einerseits Gelegenheit, den 'Cyrus' mit enzyklopädischem Wissen anzufüllen, und will andererseits das Werk als Exempel eines vernichtenden Strafgerichts des alttestamentlichen Gottes gestaltet sehen. Weder Bodmers Vorschlag, die Erfolge des Cyrus zu verzögern, noch seinen enzyklopädischen und erbaulichen Zielsetzungen folgt Wieland in den ausgearbeiteten fünf Gesängen. Die im 'Cyrus' noch spürbaren "olympischen Nachwehen" sind viel weniger aufdringlich als in Bodmers Konzept. Mehr als seinem einstigen Lehrer ist Wieland noch dem Dichter des 'Messias' verpflichtet 194 und zeigt auch darin, welchem der beiden Epiker er den Vorzug gibt. Konzeptioneller
Neuansatz
Vor diesem Hintergrund, der Wieland auf dem Weg in die Selbständigkeit zeigt, zugleich aber seine Abhängigkeit von der poetischen Prägung seiner Jugend größer erscheinen läßt, als er selbst zubilligt, hat man die Neuerungen im Konzept des 'Cyrus' zu betrachten. Die Distanzierung von Bodmer, die sich in der Vorrede seines epischen Fragments im ironischen Rückblick auf seine "Flüge [...] nach den etherischen Gegenden" und die "eilfertigen" Hexameterdichtungen seiner Jugend ausdrückt, 195 ist im 'Cyrus' noch nicht vollendet. Der poetische Text relativiert somit Wielands nun näher zu bestimmenden Anspruch, an einem "menschlichen Heldengedicht" zu arbeiten und "in diesem Werke den echten Charakter der καλοκαγαθία" als "die wahre Tugend des Menschen" darzustellen. 196 Am deutlichsten ist der Gegensatz zu den eigenen früheren Epen sowie zur biblischen Epik Bodmers und Klopstocks im Sujet des 'Cyrus'. Die "Wahl der Materie" ist das wesentliche, das Wieland am 'Messias' "nicht billigt"; denn er wendet Shaftesburys Einwände gegen biblische Helden auf Klopstocks Epos an: "für wen schreibt man ein Heldengedicht, worinn Götter und Engel die acteurs sind? Ganz gewiß nicht für die Engel. Für die Menschen also? bey
193 Bodmer, Apollinarien, 340-342. 194 Müller-Solger, Dichtertraum, 82, fragt daher zu Recht, "ob Wieland nicht [...] in einen unausgesprochenen Wettstreit mit dem 'Messias' eintreten wollte". 195 Wieland A A I / 3 , 89, 31-32, u. 91, 45-46. Gerade diese Passagen scheinen bei den alten Freunden in Zürich einiges Befremden ausgelöst zu haben und werden von Wieland gegenüber Bodmer widerrufen (Wieland BW I, Nr. 452, 55-60; Wieland an Bodmer, 6.9.1759). Hieraus wird die Problematik von Wielands Versuch einer vorsichtigen Distanzierung ohne deutlichen Bruch offenbar. 196 Wieland BW I, Nr. 282, 70-72 (Wieland an Zimmermann, 14.2.1758); Nr. 281, 41-44 (Wieland an Zellweger, 9.2.1758). Hervorhebungen im Original.
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weitem nicht."197 Sich "diejenige Art des Wunderbaren, die aus dem Gebrauch der Maschinen, d. i. der Einführung der Götter und Engel als handelnder Personen, entspringt, fast gänzlich" zu versagen, verspricht Wieland folgerichtig in der programmatischen Vorrede. 198 Ob man Wieland bescheinigen möchte, daß er seine Maxime eingehalten hat, hängt wesentlich davon ab, inwieweit man die Engel und Dämonen im 'Cyrus', die vor allem gute und böse Träume bringen, 199 als "acteurs", als "handelnde Personen" auffaßt. Verglichen mit jenen biblischen Epen, die Wielands Ausgangspunkt bilden, treten die übersinnlichen Mächte im 'Cyrus' eindeutig in den Hintergrund. Ein spezifisches Interesse an der "christlichen Mythologie"200 kann Wieland auch dann sicher nicht unterstellt werden, wenn man eine Verwandtschaft der übersinnlichen Wesen im 'Cyrus' mit der Vorstellung des christlichen "Schutzengels" bemerkt. Stoff und Anlage des Werks entfernen sich in dieser Hinsicht deutlich vom Konzept des religiösen Epos. Aber nicht nur zu Klopstocks 'Messias', Bodmers 'Noah' und dem eigenen 'Abraham' geht Wielands episches Fragment auf Distanz. Auch der nationale Stoff des Jugendwerks 'Hermann' interessiert Wieland nun nicht mehr. 201 Gottscheds Gebot eines möglichst nationalen Gegenstands für das Epos ist bereits im christlichen Epos zugunsten des übernationalen Helden aufgegeben worden. Dem primären Interesse für die Handlung von nationaler Relevanz, die nach Vergils Vorbild Genese und Mythos des eigenen Staatswesens besingt, tritt die zentrale Stellung des gottesfürchtigen Charakters entgegen. Die Überlegenheit der "heiligen" Epen vor den Heldengedichten der Antike wird vor allem, so auch in Wielands und Sulzers Apologien des 'Noah', 202 mit
197 Wieland BWI, Nr. 401, 171-173 (Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759); Nr. 329, 74-76 (Wieland an Zimmermann, 8.11.1758). Ebd., 64, schreibt Wieland (vielleicht im Rückgriff auf eine ähnlich lautende Frage in einem nicht überlieferten Schreiben Zimmermanns): "Was Shaftesbury zur Meßiade gesagt hätte? O! das steht ja ganz deutlich im Advice to an Author!" - Vgl. Shaftesbury, Standard Edition, 1/1, Stuttgart 1981, 288-294, der es als Problem begreift, biblische Charaktere mit "human Wit" (288, 29) zu behandeln und sie "amiable in human Eyes" (292, 8-9) erscheinen zu lassen, und zu dem Schluß kommt: "'Tis apparent therefore that the Manners, Actions and Characters of Sacred Writ, are in no wise the proper Subject of other Authers than Divines themselves. They are [...] too sacred to be submitted to the Poet's Fancy" (292, 13-18). 198 Wieland AA 1/3, 91, 6-8. 199 Insb. 111/25-95 (Traum des Cyrus) u. III/160-172 (Traum seines Gegners Nereglissor). Vgl. Müller-Solger, Dichtertraum, 79-82. 200 Vgl. Kap. I, Anm. 37. 201 Vgl. Anm. 46. 202 Sulzer, Gedanken, 12-19 ('Von dem Vorzug der Bodmerischen Gedichte in Ansehung des Inhalts'; insb. 13: "Ich scheue mich gar nicht zu behaupten, daß Bodmer hierinn seine wenige Vorgänger weit übertroffen habe"); Wieland AA 1/3, 306-314, insb. 306-307 u. 312-314. Zur Argumentation vgl. Kap. III, Anm. 15.
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der höheren moralischen Vollkommenheit der biblischen Protagonisten begründet. An dieses Begründungsmuster kann Wieland in seiner 'Cyrus'Vorrede anknüpfen: Sein Vorhaben, wir wollen es nur gestehen, war, den Grösten seiner Vorgänger nachzueifern, und sie wenigstens in dem einzigen Stücke zu übertreffen, worinn er es möglich fand, in der Grösse des Helden und der Handlung. Es ist wahr, er konnte seinen Helden weder dapfrer machen als Achilles, noch klüger als Ulysses, weiser als Bouillon, oder großmüthiger als Leonidas - - Aber er konnte, ohne die Wahrscheinlichkeit zu verletzen, diese Tugenden in ihm vereinigen, und ihn alsdann in dem schönsten und manchfaltigsten Licht als einen Menschenfreund, als einen Helden, als einen Gesetzgeber, als den besten der Menschen und Könige zeigen.203 Obzwar von der "Grösse des Helden und der Handlung" gesprochen wird, ist von letzterer nicht eigentlich die Rede. Vielmehr synthetisiert Wieland Eigenschaften früherer epischer Helden, unter denen sich bezeichnenderweise keine Protagonisten der neueren Bibelepik finden, in dem nicht zu überbietenden Ideal eines "Menschenfreunds". In der Stoffwahl von keinem nationalen und keinem religiösem Interesse geprägt, findet Wieland sein Ideal "im Cyrus des Xenophon". 204 Glovers 'Leonidas', auf den sich Wieland auch in seiner Ablehnung der Maschinen bezieht 205 und dessen Titelfigur König von Sparta ist, kann die Wahl eines antiken Stoffs positiv beeinflußt haben. Die Entscheidung für die Antike bedeutet aber, kurz nach dem Erscheinen von Winckelmanns 'Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke', vor allem eine frühe Wendung Wielands zum Klassizismus. Das "menschliche" Heldengedicht läßt sich am besten mit einem Helden aus der Welt der griechischen Antike (der der 203 Wieland AA1/3, 89, 41-90, 2. - Müller-Solger, Dichtertraum, 22-23 u. 27, sieht hingegen gerade in der Wendung zum "Charakterepos" Wielands originelle "Lösung", die sich auch von "dem 'heiligen Epos' der Schweizer kategorial" unterscheide (22). Wielands "Beschwichtigung" gegenüber Bodmer beziehe sich auf diese Bestimmung des epischen Gedichts (22-23; vgl. dagegen oben Anm. 195). Daß der Charakter schon bei den Schweizern und (davon abhängig) in Wielands 'Noah'-Apologie die zentrale Stellung einnimmt, übersieht MüllerSolger, wenn er Wielands 'Theorie und Geschichte der Red-Kunst und DichtKunst' (von 1757) als frühesten Beleg für das "Ideal des Charakterepos" zitiert (27). 204 Wieland AA 1/3, 90, 4. Die Frage, ob Wieland sein Epos tatsächlich auch zur Verherrlichung Friedrich II. konzipiert hat, wird von dieser Feststellung nicht berührt (s. zu dieser Fragestellung unten S. 198-200). 205 Wieland AA 1/3, 91, 6; ferner ebd., 90, 17. - Glovers 'Leonidas'-Epos, das in Deutschland durch Eberts Übersetzung von 1748 bekannt war, erfährt durch Wieland erst im Kontext der Arbeit am 'Cyrus' eine positive Beurteilung (ζ. B. Wieland BWI, Nr. 401, 200; Wieland an Zimmermann, 2./4.6.1759), nachdem er zunächst Gottsched, der Glover gegenüber Milton lobt, nicht zustimmen kann (Wieland BWI, Nr. 34, 115; Wieland an Schinz, 29.2.1752). Vgl. auch Sengle, Von Wielands Epenfragmenten zum 'Oberon', 51.
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Perserkönig Cyrus in Xenophons Darstellung zweifellos ist) verwirklichen; denn Wieland zeigt sich mit Winckelmann überzeugt, "daß man das echte Schöne in Charactern und Sitten eben sowohl als in Figuren und Umrissen bey den Griechen suchen müsse".206 "Menschlich" ist Wielands 'Cyrus' nach den bisherigen Beobachtungen in doppelter Hinsicht. Einerseits bezeichnet Wieland mit dem Attribut den weitgehenden Verzicht auf das Wunderbare, das im "heiligen" Heldengedicht Bodmers und Klopstocks selbst Gegenstand der Darstellung ist. 207 Und andererseits bringt die Vokabel die Überwindung eines schon in der Stoffwahl nach außen tretenden nationalen oder religiösen Standpunkts zum Ausdruck. "Menschlich" bezeichnet unter diesem Aspekt ein weder nationales noch religiöses Konzept klassizistischer Prägung, das seine ideale Verwirklichung in einem antiken und damit nach Auffassung der Zeit gleichsam neutralen und allgemeinmenschlichen Gegenstand findet. Eine dritte Bedeutungsnuance des Attributs kommt hinzu. Der "menschliche" Held Cyrus ist, wie schon die zitierte Passage aus der Vorrede bestimmt, ein "Menschenfreund", "il aime le genre humain". 208 Als Verfechter der Menschenrechte und als Philanthropen charakterisiert Wieland seinen Heroen nicht nur in der Vorrede und in der Korrespondenz, sondern auch im Werk selbst. Schon im Prooimion heißt er "ein kühner Beschirmer der Rechte der Menschen, | Seiner Brüder", dessen "zürnendes Schwert [...] nur die Feinde der Menschen" trifft (1/7-8 u. 13). Cyrus kämpft vor allem für jene Menschen, die ihres "Geburtsrechts entsetzt" sind (1/189), und reklamiert die "Freyheit" als "Vorrecht der Menschen" (IV/194-195). Der "blosse Gedank'" an die Sklaverei und die Unterwerfung unter einen Tyrannen "empört die Menschheit!" (IV/207) Schon hierdurch als aufgeklärt-humaner Herrscher gekennzeichnet, gewinnt Cyrus vor allem durch stark empfindsame Züge einen modernen Charakter. Im zweiten Gesang breitet Wieland eine Nachtszene aus, die Cyrus zunächst allein und dann im Gespräch mit seinem Lehrer Amitres zeigt (II/1-217), bevor der Herrscher Befehl für einen nächtlichen Handstreich unter Führung des Araspes gibt (11/218-367). Die Abgrenzung der Gesänge ist wie bei Homer am Tageswechsel orientiert, jedoch erhält die Nacht als Raum des privaten und tiefgründigen Gedankens im modernen Epos unvergleichlich mehr Gewicht: "Die ruhige Still' erweckt in der Seele des Helden | Jedes zärtre Gefühl, der Zukunft traurige Bilder" (11/24-25). Die "Seele des Helden", die seit der Verinnerlichung der Gattung durch Klopstock, 206 Wieland A A I / 3 , 90, 10-11. - Sengle, Wieland, 100-101, glaubt angesichts der "geistigen Atmosphäre", daß Wieland in der Zeit der Entstehung des 'Cyrus' "für einen Augenblick in die Strahlung des Winckelmannschen Klassizismus" geraten ist. Vgl. Clark, Wieland and Winckelmann, in: MLQ XVII (1956), 1-16. 207 So versteht auch Müller-Solger, Dichtertraum, 79, das Attribut. 208 Wieland AA1/3, 90, 1. Wieland BW I, Nr. 285, 72-73 (Wieland an Zimmermann, 24.2.1758).
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an den hier auch die absolute Verwendung des Komparativs erinnert, zum Gegenstand des Epikers geworden ist, wird durch die vorherzusehenden "Plagen des Kriegs" (II/30) erschüttert. Die Gefühlsregungen, die Cyrus nun zeigt, tragen deutlich die Signatur der Empfindsamkeit: "Die zärtliche Thräne | Rollt von der Wange des Menschenfreundes, indem er voll Mitleid | Weit ins Elend hin schaut" (H/31-33). Philanthropie im Sinne des 18. Jahrhunderts manifestiert sich im Mitgefühl und tritt in der "Thräne" nach außen sichtbar hervor. 209 Indem der Held dem väterlichen Freund Einblick in "sein innerstes Herze" (11/54) gewährt, gewinnt er tragische Züge. Denn er sieht sich gezwungen zum schmerzhaften Abwägen zwischen der Aufgabe der Freiheit und dem blutigen Kampf gegen Unschuldige: Seid ihr nicht Menschen wie wir, gleich fühlend für Schmerzen und Wollust, Gleich bedürftig, zu jeglichem Glücke des irdischen Lebens Gleich berechtigt wie wir? Ο sage, wie kann ich, Amitres, Wie den Gedanken ertragen, auf unverschuldete Menschen Solche Plagen zu häuffen? - Und doch - So will es mein Schicksal. (11/105-109)
Die Schicksalsergebenheit und die Überzeugung von der Notwendigkeit des Kriegs, die Amitres - im Sinne von Leibniz - mit der Aussicht auf den guten und gottgewollten Endzweck bekräftigt (11/117-160), können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie im inneren Widerstreit erkämpft sind. Das emphatische Insistieren auf den Vokabeln "Menschen" und "gleich", letztere durch zweimalige Stellung am Verseingang hervorgehoben, betonen den Widerstand gegen das eigene Handeln. Wielands Held, der die blutige Erorberung verabscheut und die Völker mit "seiner erobernden Güte" besiegen möchte (1/12; vgl. 11/149-150), ist als tragisch gefärbter Philanthrop mehr den empfindsamen Idealen des 18. Jahrhunderts als seinem Vorbild, dem von Xenophon geschilderten Cyrus, verpflichtet. 210
209 Vgl. auch Cyrus nach der Schlacht (V/153-155): "Mit traurenden Blicken | Sieht er sich um und seufzt, und stille Thränen, von Engeln | Aufgefasset, entschleichen den braunen Wangen des Siegers." Indem die "Thränen", auch hier sichtbares Zeichen der Menschlichkeit, von göttlichen Wesen bewahrt werden, bestimmen sie den Wert des Menschen vor Gott. 210 Deutliche Parallelen ergeben sich etwa beim Blick auf Klopstocks Ode 'Friedrich der Fünfte' (Klopstock, Oden, Stuttgart 1889, 86-88). - Daß Wielands Bild seines Helden vor allem unter dem Aspekt der Menschenfreundlichkeit über die antike Vorgabe erheblich hinausgeht und zeitgenössischen Anschauungen (insb. dem 'Anti-Machiavel' Friedrichs II.) verpflichtet ist, zeigt auch Ladendorf, Wielands 'Cyrus', in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur VIII (1905), insb. 144-148. Im gleichen Aufsatz (137-142) werden die Ergebnisse der früheren Quellenstudien vor allem von Herchner, Cyropädie in Wielands Werken, Berlin 1892, kritisch zusammengefaßt und durch Hinweise auf weitere Quellen ergänzt.
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Stattet Wieland seinen Cyrus auch mit zeitgemäßen Charakterzügen aus, so gilt für sein Werk doch die gleiche Intention, die er in Xenophons 'Kyrupaideia' verwirklicht sieht: "Xenofon hatte [...] die Absicht, in seinem Cyrus das Ideal eines vollkommnen Regenten aufzustellen, in welchem die Tugenden des besten Fürsten mit den angenehmen Eigenschaften des liebenswürdigsten Mannes vereinigt seyn sollten; [...] es war ihm weniger darum zu thun, den Cyrus zu schildern wie er gewesen war, als wie er hätte seyn sollen, um als König ein Sokratischer Κάλος και αγαθός zu seyn."211 Diese Beschreibung seiner Vorlage, die den Aufsatz 'Über das Historische im Agathon' von 1773 eröffnet, darf auf Wielands 'Cyrus' übertragen werden. Denn während der Arbeit an dem Epos schreibt er seinem Helden die gleichen Ideale zu: "Le Heros de mon Poeme est un tres grand homme et, qui plus est, un parfaitement honnethomme, Vir bonus et honestus καλόν και. αγαθόν."212 Zur Platonischen Kalokagathie, dem Ideal der schönguten Vollkommenheit, treten Züge aus Shaftesburys Bestimmung des "Virtuoso".213 Dessen "moral Grace, and Venus"214 schwebt dem Dichter vor, wenn ihn die "Tugend [...] in sichtbarer Schönheit | [...] dem Menschen-Geschlecht zu entwerfen gelüstet" (1/25-26). Denn diese Tugend apostrophiert er als "Jene sittliche Venus, die einst dein Xenophon kannte | Und dein Ashley [d. i. Anthony Ashley Cooper, Earl of Shaftesbury] mit ihm, die Mutter der geistigen Schönen" (1/28-29).
211 Wieland SWI, 3-4. Hervorhebungen im Original. 212 Wieland BW I, Nr. 285, 68-69 (Wieland an Zimmermann, 24.2.1758). Mit der Ausgestaltung und Interpretation der Kalokagathie-Vorstellung im 'Cyrus' beschäftigt sich Müller-Solger, Dichtertraum, 84-88, und kommt zu dem Ergebnis, daß das "klassische Ideal des Kalokagathos [...] mit dem christlichen Bild des gottgesandten Friedefürsten" verschmolzen werde (87-88). 213 Vgl. Wieland BW II, 315, und Shaftesbury, Standard Edition, 1/1, 264-272. Gegen die Verbindung der Kalokagathie-Vorstellung mit dem Ideal des Virtuoso, wie sie in Wielands 'Plan einer Academie zu Bildung des Verstandes und des Herzens junger Leute' begegnet (Wieland AA 1/4, 183-206, insb. 188; der Text ist zuerst 1758 erschienen), polemisiert Lessing im 9.-12. Literaturbrief (Lessing LM VIII, 19-27, insb. 22). Vgl. Ladendorf, Wielands 'Cyrus', 143. 214 Shaftesbury, Standard Edition, 1/1, 268, 18. Ebd., 20-24: "If he [the writing Artist] knows not this Venus, these Graces, nor was ever struck with the Beauty, the Decorum of this inward kind, he can neither paint advantageously after the Life, nor in a feign'd Subject, where he has full scope." - Auf Shaftesburys "moral Grace, and Venus" als Inspirationsquelle für den 'Cyrus' bezieht sich Wieland auch in der Vorrede zu 'Araspes und Panthea'. Ein "Dämon [...], in die Gestalt der Muse Xenophons und der moralischen Venus des Shäftesbury verkleidet", habe ihm während einer Unterbrechung der Arbeit an 'Araspes' "den Gedanken" eingegeben, "den Cyrus zum Helden eines weitläufigen heroischen Gedichtes zu machen, worinn [er] die Verwegenheit hatte, einen grössern und bessern Helden zu schildern als Achilles, Aeneas, der rasende Roland und der gute König Arthus gewesen seyn sollen" (Wieland AA 1/3, 1, 32-2, 4). Wie in der 'Cyrus'-Vorrede wird auch hier die moralische Güte des Helden betont.
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Xenophon, von dem er den Helden und weite Teile der Handlung übernimmt, und Shaftesbury, den Wieland seit etwa 1755 nachhaltig rezipiert, 215 dienen dem Autor als Gewährsleute in der Konzeption des 'Cyrus'. In Wielands Entwicklung der Jahre nach 1755 stehen die beiden Namen für seine Hinwendung zum Menschen als vorrangigem Gegenstand der Poesie. Daß er "auf Xenophons Menschen mehr halte als auf alle Heilige der Romischen Kirche", sagt Wieland, wohl während der Arbeit an 'Araspes und Panthea', im Dezember 1756, und noch knapp zwanzig Jahre später erinnert er sich, daß er der Lektüre der 'Kyrupaideia' "die Genesung [seiner] Seele von der gutartigen aber gefahrvollen Schwärmerey [seines] zwey und zwanzigsten Jahres zu danken" habe. 2 1 6 In Wielands rückblickender Darstellung markieren die stofflich auf Xenophon basierenden Werke 'Cyrus' und 'Araspes und Panthea', "die ersten Früchte der Wiederherstellung [seiner] Seele in ihre natürliche Lage", den Übergang von den Jugendschriften zum gültigen Werk. 217 Als "menschliches" Heldengedicht im mehrfachen Sinne des Attributs ist der 'Cyrus' ein zentrales Zeugnis jener sogenannten "großen Wandlung" des Dichters 2 1 8 Daß Wieland sich der neuen Leitbilder Xenophon und Shaftesbury versichert, ist ebenso Symptom eines Neubeginns wie die Hinwendung zum Helden der Antike 2 1 9 Daß er gegenüber Bodmers Vorschlag einer enzyklopädischen und christlich-religiösen Gestaltung resistent bleibt, zeigt die gewonnene Distanz zum einstigen Lehrer. Jedoch ist die Kontinuität zu erinnern, die aus der Ent215 Vgl. Dick, Wandlungen des Menschenbildes beim jungen Wieland, in: JDSG XVI (1972), 147-148, mit einer kritischen Zusammenfassung der früheren Forschungen zu Wielands Verhältnis zu Shaftesbury, das im vorliegenden Kontext nicht eingehender verfolgt werden kann. 216 Wieland BWI, Nr. 246, 87-88 (Wieland an Zimmermann, 13.12.1756; Hervorhebung im Original). TM 1774/1, 312 (aus einem Aufsatz 'Von schönen Seelen', in dem Wieland seinen Gegenstand anhand von Beispielen aus Xenophons Roman veranschaulicht). - Daß Wieland bereits in Klosterbergen Xenophons 'Kyrupaideia' gelesen und die Episode von Araspes und Panthea besonders geschätzt hat, geht aus Gesprächsberichten Böttigers hervor (s. Starnes II, 456, u. III, 138). 217 Wieland AB III, 382 (Wieland an Meister, 28.12.1787). Vgl. Anm. 5. 218 Sengle, Wieland, 89-97. Sengles Vorstellung einer "bestürzend plötzlichen und tiefgreifenden Wandlung" (92) wurde mehrfach korrigiert, u. a. mit Bezug auf das Epenfragment 'Cyrus' von Müller-Solger, Dichtertraum, 72-77, der zu dem Ergebnis kommt, daß "die Wandlung keineswegs die dramatischen Akzente besitzt, die Sengle ihr gibt", und empfiehlt, "vom Erlöschen einer übersteigerten Religiosität" zu sprechen (77). 219 Einschränkend wäre darauf hinzuweisen, daß Wielands Bezug auf Xenophon nicht als solcher schon einen Gegensatz zu Bodmer impliziert. Daß dieser Wielands Heldenwahl günstig gesonnen war, zeigt sein besprochenes Aufmunterungsgedicht. Ferner empfehlen Bodmer und Breitinger im 'Mahler der Sitten' Xenophons 'Kyrupaideia' zur Lektüre (II [1746], 283) und erzählen jenes Gespräch zwischen Cyrus und Araspes nach, das Wieland zur Grundlage des ersten Teils von 'Araspes und Panthea' dient (I [1746], 429-434).
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Scheidung für den Hexameter e b e n s o spricht wie aus der stilistischen N ä h e vor a l l e m zu Klopstock.
Aber auch im Konzept eines moralisch vollkommenen Helden knüpft Wieland an die patriarchalische Epik des 'Noah' an. Sein Interesse gilt dem Menschen Cyrus, er begeistert Wieland aber nicht als realer Mensch, "wie er gewesen war", sondern als "Ideal", "wie er hätte seyn sollen".220 Der Dichter des 'Cyrus' hat damit Xenophons 'Kyrupaideia' weniger als Roman im Auge, der nach der Herkunft, Anlage und Erziehung des Helden fragt, denn als Werk, das die Tradition des Fürstenspiegels begründet. Daß Wieland seinen Helden als klassizistisches Exempel für Gegenwart und Zukunft verstanden wissen will, geht schon aus dem Schluß des Prooimions hervor: "ihr künftigen Herrscher der Völker, | [...] | Hört mich und lernet von Cyrus die wahre Grösse der Helden!" (1/31-33) Diese didaktische Intention verbindet Wielands Epos in seiner Zeit mit Fenelons 'Telemaque' und vor allem mit 'Les Voyages de Cyrus' (1727 u. ö.) von dessen Schüler Michael Ramsey. 221 Wielands Orientierung an diesem Werk zeigt sich - über Entsprechungen im Detail hinaus - an der humanitären Utopie, die seinen 'Cyrus' wie Ramseys Roman auszeichnet. 222 Die für Wieland relevanten Repräsentanten der europäischen Tradition des Fürstenspiegels sind meist als Schlüsselromane angelegt; sie spielen in mehr oder minder deutlicher Weise auf gegenwärtige Zustände an. 2 2 3 Wielands Orientierung an dieser Gattung führt zu der Frage nach dem Anteil des Zeitgeschichtlichen in seinem Epos. Während innerhalb der Dichtung konkrete Hinweise fehlen, die eine Gleichsetzung des fiktiven Personals der Antike mit realen Gestalten der Gegenwart begründen würden, bietet die Vorrede mit ihrer Anspielung auf Friedrich II. als den "Cyrus unsrer Zeit" den einzigen öffentlichen Fingerzeig auf eine mögliche panegyrische Lesung des Werks. 224 Hingegen gibt es im Briefwechsel des Dichters Stellungnahmen, die den Helden des Epos eindeutig mit dem Preußenkönig in Verbindung brin-
220 Wieland SW I, 4. 221 Vgl. Jaumann, Kommentar und Nachwort zu: Wieland, Der goldene Spiegel, München 1979, 819-820, sowie Müller-Solger, Dichtertraum, 78. 222 Müller-Solger, Dichtertraum, 78, summiert und ergänzt frühere Forschungen. Stark utopistisch ist etwa der Traum geprägt, in dem Cyrus ein idealer Staatszustand, gebildet vom "Beyspiel des Fürsten", prophezeit wird (111/53-78, hier 78). 223 Jaumann, Kommentar und Nachwort zu: Wieland, Der goldene Spiegel, 820. 224 Wieland A A 1/3, 90, 5. Vgl. Wieland BW III, Nr. 10, 23-27 (Wieland an Reich, 28.8.1760). Daß diese Passage der Vorrede von den Zeitgenossen ganz fraglos auf Friedrich II. bezogen wurde, zeigt das Schreiben eines preußischen Offiziers an Wieland, der den 'Cyrus' als Huldigung seines Herrn auffaßt und den Dichter um Vollendung bittet (Wieland BW III, Nr. 69; A. G. von Bismarck an Wieland, 20.1.1762).
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gen. 225 Noch im späten Gespräch bekennt Wieland: "als ich ihn ['Cyrus'] dichtete, dachte ich mir immer den König von Preußen als Gegenstück dazu, weil dies damals wirklich mein Abgott war."226 Während weniger Wochen denkt Wieland im preußenfreundlichen Zürich tatsächlich daran, sich mit dem ins Französische zu übersetzenden Werk die Aufmerksamkeit des Königs zu sichern, und er plant noch späterhin, "den Cyrus so viel gelten" zu machen, daß er in die Akademie zu Berlin aufgenommen werde. 227 Aufgrund dieser eher peripheren und nur zeitweise aktuellen Intentionen ist das Werk jedoch nicht rundweg als "Zweckdichtung des Siebenjährigen Krieges, deren innerste Echtheit man [...] füglich bezweifeln" müsse, zu bezeichnen. 228 Anders als Wielands Ode 'Auf das Bildniß des Königs von Preussen von Herrn Wille', die Friedrich als "Menschen-Freund" preist, liest sich das Epos "kaum wie ein Stück Propaganda". 229 Der 'Cyrus' berührt zwar Gedanken aus dem 'Anti-Machiavel', zielt aber nicht einseitig auf die Verherrlichung des kriegsführenden Verfassers. Wenn sich Wieland Friedrich II. als Leser des 'Cyrus' vorstellt, dann will er den königlichen Autor an seine dort ausgesprochenen Ideale erinnern. Als klassizistisches Werk in der Tradition des Fürstenspiegels hat das Epos weniger panegyrische als vielmehr didaktische Zwecke. Wieland will "den Cyrus zu einem würdigen Vorbild der Könige" machen. 230 Insofern der Autor sich bei der Arbeit speziell "den König von Preußen als Gegenstück" denkt, schildert er ihn nicht wie er ist, sondern wie er sein sollte. Der Abbruch der Arbeit am 'Cyrus', der nach der Veröffentlichung der ersten fünf Gesänge und der gleichzeitigen Übersiedlung nach Bern erfolgt, steht wohl auch mit der Enttäuschung über Friedrich II., die mit der Entfernung von Zürich einsetzt, in Zusammenhang: "Ich bin des Würgens so über-
225 Die wesentlichen Stellen zitieren und diskutieren Ladendorf, Wielands 'Cyrus', 134-137, und Wilson, Wielands Bild von Friedrich II., in: JDSG XXIX (1985), 23-29. 226 Böttiger, Literarische Zustände, Frankfurt 1972, I, 154 (nach einem Gespräch Wielands mit Baggesen vom 15. März 1795). 227 Wieland BW I, Nr. 287, 84-90 (Wieland an Zimmermann, 12.3.1758). Einen Monat später jedoch ist dieses Vorhaben bereits gleichgültig (ebd., Nr. 292, 28-31; Wieland an Zimmermann, 17.4.1758). - Ebd., Nr. 452, 98-112 (Wieland an Bodmer, 6.9.1759). - Zur preußenfreundlichen Stimmung in Zürich vgl. ebd., II, 293. 228 Sengle, Von Wielands Epenfragmenten zum 'Oberon', 52. Zur Korrektur dieser Einschätzung vgl. Wilson, Wielands Bild von Friedrich II., 23-24. 229 Wieland AA 1/3, 223 (hier V. 12). Wilson, Wielands Bild von Friedrich II., 24; zur Ode ebd., 25-26. 230 Wieland BWI, Nr. 281, 56 (Wieland an Zellweger, 9.2.1758). Gegen eine ausschließliche Beziehung des Werks auf den Preußenkönig spricht hier schon die pluralische Formulierung.
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drüssig daß mir so gar der Cyrus verhaßt zu werden anfangt." 231 Die Erkenntnis, daß Friedrich II. sein Idealbild eines humanen Herrschers weder rezipieren noch realpolitisch umsetzen werde, daß seine Utopie von der Realität des Siebenjährigen Krieges allzuweit entfernt ist, mag das Liegenbleiben des 'Cyrus', das die seinerzeit wechselvollen Lebensumstände des Autors begünstigen, 232 befördert haben. Die Desillusionierung über Friedrich II. ist jedoch kaum als alleiniger Grund für die Abwendung von der heroischen Idealisierung des Cyrus zu begreifen. Einer solchen punktuellen Betrachtungsweise steht der prozessuale Charakter von Wielands Wandlung in den letzten Schweizer Jahren entgegen, in der - wie im 'Cyrus' selbst - Zukunftsweisendes neben Rückschrittlichem begegnet. 233 Wenn Wieland in der Vorrede zum Epos die Gefahr sieht, aus seinem Helden eine "Caricatura en beau" zu machen, 2 3 4 dann ist die Abwendung vom 'Cyrus' vielleicht als Eingeständnis zu verstehen, daß die Darstellung hinter der programmatischen Einsicht zurückbleibt.
231 Wieland BW I, Nr. 452, 90-97 (Wieland an Bodmer, 6.9.1759). Mit Blick auf die aktuellen Kriegsereignisse schreibt Wieland in diesem Brief aus Bern, daß man "hier sehr frey mit den Königen" umgehe und "alle diese Wohlthäter des menschl. Geschlechts, die uns durch Cartäschen und dreissigpfündige Kugeln ihre Gewogenheit bezeugen", verabscheue. Ein Jahr später bezeugt Wieland gegenüber dem Leipizer Verleger Reich sein "Mitleid" über dessen "Landes Schicksal" sowie seinen "Unwillen über diejenigen, die Helden sind und würgen", und widerruft den aus der 'Cyrus'-Vorrede sprechenden "fanaticismus" für Friedrich II. (ebd. III, Nr. 10, 20-27). Zur Entwicklung von Wielands privaten und öffentlichen Anschauungen über den Preußenkönig vgl. Wilson, Wielands Bild von Friedrich II., 22-47. 232 Ende Juni 1759 klagt Wieland über die mangelnde "Sorgenlose Ruhe" für die Arbeit am 'Cyrus' (Wieland BWI, Nr. 415, 44-48; Wieland an Bodmer, 28.6.1759; Nr. 423, 14-17; Wieland an Zimmermann, 4.7.1759), und er ahnt zwei Monate später, daß der 'Cyrus', der "blos in der Einsamkeit gemacht werden" könne, unvollendet bleiben werde (ebd., Nr. 447, 143-144, Wieland an Zimmermann, 24.8.1759). 233 Jaumann, Kommentar und Nachwort zu: Wieland, Der goldene Spiegel, 882-883, nennt als progressive "Tendenzen" dieses Prozesses erstens die "Entfernung vom Ideal des heroischen Übermenschen" und damit vom Hexameterepos Bodmerscher Prägung, zweitens "das Interesse an der psychologischen Analyse einer leidenschaftlichen Subjektivität" und drittens (im Blick auf das verlorene Romanprojekt 'Lukians des Jüngeren wahrhafte Geschichte') den "Ausgriff ins Metier der durch Phantastik und Exotik abenteuerlich kostümierten politisch-sozialen Satire". 234 Wieland AA1/3, 90, 6-7. Wieland weist darauf hin, daß der Ausdruck von Diderot stammt. In Lessings Übertragung der Abhandlung 'Von der dramatischen Dichtkunst' heißt es: "Ich kann weder die Karikaturen ins Schöne noch die Karikaturen ins Häßliche vertragen; denn das Gute und das Schlimme kann gleich sehr übertrieben werden" (Das Theater des Herrn Diderot, Stuttgart 1986, 369, 27-29).
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Wielands zunehmendes Interesse an psychologisch differenzierten Charakteren findet so seinen Ausdruck im Liegenlassen des 'Cyrus' und im Aufgreifen der Dichtung von 'Araspes und Panthea'. Deren Wurzeln reichen zurück bis in die Zeit der größten Verehrung von Bodmers moralisch vollkommenen Helden. Denn in seinen 1754 veröffentlichten 'Briefen' über Bodmers 'Joseph und Zulika' entwirft Wieland, freilich offiziell zu dem Zweck, die Vortrefflichkeit der Konzeption seines Lehrers zu erweisen, alternative Möglichkeiten der Charaktergestaltung des bei Bodmer unerreichbar keuschen Joseph. Die psychologisch wahrscheinlichste und interessanteste dieser Überlegungen, mit der Wieland offenbar schon hier sympathisiert, zeigt eine "innerliche fehde zwischen den zwoen seelen" des Protagonisten: "In diesem fall mysste Joseph ein Araspes werden." 235 Die erste Phase der Ausarbeitung von 'Araspes und Panthea' erfolgt im Winter 1756/57 und gelangt nicht zum Abschluß. Die dialogische Erzählung wird vom Heldengedicht 'Cyrus', in das sie als Episode integriert werden soll, verdrängt und erst nach dessen fragmentarischer Veröffentlichung wieder vorgenommen. 236 Das Interesse am gemischten Charakter von der Art des Araspes setzt sich bei Wieland so erst auf Umwegen durch, bleibt aber dann bestimmend. Die "Gemüthsstimmung" bei der Arbeit an 'Araspes und Panthea' bezeichnet Wieland noch 1796 als "Grundlage" für "die Idee der Geschichte Agathons" 237 Die Hinwendung zu diesem Heldentypus bedeutet jedoch nicht nur einen Bruch mit der normativ-exemplarischen Charakterdarstellung Bodmerscher Prägung, 238 sondern auch mit der Gattung des heroischen Hexameterepos, die für Wieland nun keine Rolle mehr spielt. Für den gemischten Charakter erweisen sich jetzt die "zweydeutige Gestalt" von 'Araspes und Panthea', "die durch ihre Unregelmässigkeit das Auge der Kunstrichter beleidigen wird",239 und später der im normativen Gattungsspektrum nicht vorgesehene Roman als angemessene Formen. In Wielands Entwicklung, in der - zugespitzt 235 Wieland AA1/4, 53, 8-15. Die 'Briefe yber die Einfyhrung des Chemos und den Charakter Josephs in dem Gedichte Joseph und Zulika' werden von einem 'Schreiben des Herausgebers an Herrn J. C. H.' beschlossen. Diesem 'Schreiben', dem obiges Zitat entstammt, liegt wahrscheinlich ein nicht überlieferter Brief von Wieland an Heß vom Februar 1752 zugrunde (vgl. Wieland BW II, 64-69, wo das 1754 gedruckte Schreiben gleichfalls mitgeteilt wird). Sengle, Wieland, 62-63, weist ebenfalls auf die Fortschrittlichkeit der 'Briefe' hin und nennt sie "das erste journalistische Meisterstück Wielands". 236 Die Entstehungsgeschichte von 'Araspes und Panthea' stützt sich, mangels anderer Zeugnisse, im wesentlichen auf Wielands Darstellung in der Widmungsvorrede von 1760 und dem 'Vorbericht' von 1796 (Wieland AA 1/3, 1-3 u. 88). 237 Wieland AA 1/3, 88. 238 Vgl. Jaumann, Kommentar und Nachwort zu: Wieland, Der goldene Spiegel, 884. Vor allem zu 'Araspes und Panthea' vgl. ferner Dick, Wandlungen des Menschenbildes beim jungen Wieland, 145-175. 239 Wieland AA 1/3, 1, 24-25.
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formuliert - die Todesstunde des 'Cyrus' zugleich die Geburtsstunde des 'Agathon' ist, wird somit das idealisierende Epos vom modernen Roman abgelöst, jener Gattung also, die Friedrich von Blankenburg nur wenige Jahre nach dem Erscheinen des 'Agathon' zum legitimen Erben des Heldengedichts erklären möchte. 2 4 0
240 Vgl. Kap. I, Anm. 65.
V. Friedrich der Große als epischer Held Wenn im dreißigsten Jahrhunderte ein Poet einen Held sucht, so empfehle ich ihm, statt des Moses, unsem Friedrich.1
Nach Goethes bekanntem Wort in 'Dichtung und Wahrheit' ist der "erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt [...] durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges in die deutsche Poesie" gekommen. 2 Daß Friedrich nicht nur im Kabinett regiert, sondern auch mit eigener Hand auf dem Schlachtfeld kämpft, macht ihn zum idealen Helden unter den zeitgenössischen Regenten. "Jede Nationaldichtung" benötigt - auch in der Sicht des Weltbürgers - den nationalen Gegenstand, sie muß auf der gemeinschaftsstiftenden Kraft des "Menschlich-Ersten" der Nation beruhen. 3 Diese Art nationaler Dichtung, die den König in "Krieg und Gefahr" darstellt und ihn als "Ersten erscheinen" läßt, weil er "das Schicksal des Allerletzten" bestimmt und teilt, subsumiert Goethe unter dem Begriff der "Epopöe".4 Daß seine Bestimmung keine regelpoetische Gattungsdefinition ist, betont er im Nachsatz. Für eine solche "Epopöe", die "jede Nation, wenn sie für irgend etwas gelten" wolle, besitzen müsse, sei "nicht gerade die Form des epischen Gedichts nöthig".5 Daß Goethe zwischen "Epopöe" als Synonym für "Nationaldichtung" und der "Form des epischen Gedichts" unterscheidet, muß nicht als eine nachklassische Abwertung der epischen Gattung verstanden werden. Eher spiegelt diese Unterscheidung die Geschichte jener nationalen Dichtung, die Friedrich II. zum Gegenstand hat. Denn die hervorragenden Zeugnisse deutscher Dichtung des 18. Jahrhunderts, die "Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges" behandeln, sind sicher nicht in der Gattung des Epos anzutreffen. Keines der in diesem Kapitel besprochenen 1
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Lange / Gleim, Freundschaftliche Briefe, Berlin 1746, 2. Dem Druck liegt ein Brief von Lange an Gleim wohl aus dem Jahre 1745 zugrunde. Vgl. Langes Plan eines Heldengedichts 'Moses' (VII. 3). Goethe WA 1/27, 104 (Dichtung und Wahrheit II/7). Goethe WA 1/27, 104. Ausgehend von dieser Passage diskutiert Kimpel, Zum Verständnis des Begriffs 'Nationalliteratur' in der deutschen Klassik, in: Poetik und Geschichte, Tübingen 1989, 42-50, das Verhältnis von National- und Weltliteratur, von Patriot und Weltbürger bei Goethe. Goethe WA 1/27, 104. Goethe WA 1/27, 104.
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Epen sangen die preußisch gesinnten Bürger und Soldaten "wie die Griechischen Bauern die Iliade, wie die Gondolieri in Venedig die Stanzen aus dem befreyten Jerusalem".6 Gewisse Popularität erlangten indessen dem Volkston angenäherte lyrische Formen. Schon in Christian Friedrich Daniel Schubarts Hymnus 'Friedrich der Große', gedichtet im Todesjahr des Preußenkönigs, führen die Lyriker Kleist, Gleim und Ramler den Reigen der patriotischen Barden an. 7 Auch Goethe nennt Gleims Kriegslieder und Ramlers Gedichte als Beispiele dessen, was er als "Epopöe" der deutschen Nation umrissen hat. Hinzu tritt Lessings 'Minna von Barnhelm', derer Goethe als "der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges" gedenkt. 8 Abgesehen von materialreichen Spezialuntersuchungen folgen die Literaturgeschichtsschreibung und die einschlägigen Anthologien9 den von der zeitgenössischen Rezeption vorgezeichneten Bahnen. Diese aber zu verlassen erweist sich als notwendig, will man die Friedrich-Epen des 18. Jahrhunderts erörtern und an ihnen die Gestaltung aktuellen Stoffs in heroischer Gattung studieren. Die natürliche Gliederung des Kapitels bietet Friedrichs Tod im Jahre 1786. Zeitgenössische Heldengedichte auf den Preußenkönig (V. 1) lassen sich nur bis in die Mitte des Siebenjährigen Krieges nachweisen. 'Das Befreyte Schlesien' von Christian Gottlob Stockei und 'Das eroberte Schlesien' von Friederike Sophie Abel stellen die Schlesischen Kriege der vierziger Jahre dar, und das anonyme, Fragment gebliebene Heldengedicht 'Friederich der Sieger' behandelt die ersten beiden Jahre des Siebenjährigen Krieges. Der seit der Niederlage bei Kunersdorf (Mitte 1759) in der Verteidigung befindliche Friedrich II. bietet den panegyrisch gestimmten Poeten wenig Gelegenheit zur Verherrlichung. Zugleich steht die epische Gattung selbst, gleichsam als Gegenreaktion auf die "Überproduktion" der Jahrhundertmitte, in einer Krise. Die wenigen Heldengedichte der sechziger Jahre sind meist Nachzügler aus dem Bereich der biblischen Epik. Zeitgeschichtliche und nationale Themen werden relativ selten behandelt. Seit Wielands 'Idris' von 1768 bis in die neunziger Jahre bestimmt der ariostisch-romantische Zweig die Entwicklung der Gattung. Reale Begebenheiten der modernen Welt konnten in diesem Genre jedoch als Sujet nicht in Betracht kommen. 6 7 8 9
So Schillers Wunsch während der Planung seiner 'Fridericiade' (Schiller ΝΑ XXV, 225, 22-24; Schüler an Körner, 10./12.3.1789). Schubart, Schriften, Hildesheim u. a. 1972, IV, 323-329, hier 323. Zur außerordentlichen Wirkung des Hymnus vgl. Goedeke IV/1, 870-871 (Nr. 299). Goethe WA 1/27,107. Die Literaturgeschichte behandelt vor aüem Friedrichs problematisches Verhältnis zur deutschen Literatur, das in seiner Abhandlung 'De la littörature allemande' (1780) und den zeitgenössischen Erwiderungen kulminiert. Neben poetischen Zeugnissen finden sich die wichtigsten Texte dieser Debatte zuletzt in: Friedrich II., König von Preußen, und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1985. Die Anmerkungen und das Nachwort des Herausgebers H. Steinmetz werden ergänzt von einer Bibliographie.
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Erst nach seinem Tod wird Friedrich erneut als Gegenstand der epischen Verklärung gewählt (V. 2). Bereits kurz nach dem Ableben des Königs richten sich die Erwartungen etwa auf Gleim, von dem Bodmer schon während des Siebenjährigen Krieges ein preußisches Nationalepos erhofft. 10 Gleim aber bekennt, daß er zwar in der Rolle des Grenadiers "seine Schlachten" verherrlichen konnte, den Helden zu singen aber nicht in der Lage ist: "Ihn selber muß ein Gottgerührter singen, | [...] | Ein Klopstock, ein Homer, ein Fenelon in Einem!" 11 Dieser nationalen Aufgabe widmen sich dann mehrere Dichter. Karl Friedrich Kretschmann legt - durch Gleim angeregt - von 1794 an einzelne Gesänge seiner epischen Dichtung 'Friedrich der Große' vor, Daniel Jenisch veröffentlicht im gleichen Jahr, nachdem einzelne Gesänge in wichtigen Periodika vorangegangen sind, seine 'Borussias', und Friedrich Schiller beschäftigt sich von 1788 bis 1791 mit dem Plan einer 'Fridericiade'. 12 In qualitativem Unterschied zu der zeitgenössischen Dichtung, die um das weitere Schicksal des Helden nicht weiß und damit den historischen Wechselfällen ausgesetzt ist, kann der Epiker nun die Lebensgeschichte überblicken und sein Gedicht freier disponieren. Diesen unterschiedlichen Ausgangspunkt und die damit verbundene Problematik der Epik mit zeitgenössischem Gegenstand, die schon Samuel Gotthold Lange zu sehen scheint, wenn er seine zitierte Empfehlung an künftige Jahrhunderte richtet, gilt es ebenso zu beobachten wie die Beziehung der einzelnen Texte zur Entwicklung der Gattung.
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Bodemann, Zimmermann, Hannover 1878, 166 (Bodmer an Zimmermann, 25.1.1758). Bodmer denkt neben Gleim auch an Ramler und Lessing als Friedrich-Epiker. Von einem möglicherweise zu schreibenden Friedrich-Epos spricht Gleim am 20. Oktober 1758 gegenüber Kleist (Kleist W III, 302). - Am 8. September 1786, drei Wochen nach Friedrichs Tod, schreibt Johannes von Müller an Gleim: "Singen Sie ihn doch, ihn, wie seine Schlachten; Sie fühlten ihn, singen Sie; wer sollte sonst?" (Briefe zwischen Gleim, Wilhelm Heinse und Johann von Müller, Zürich 1806, II, 543) Gleim, Sämmtliche Werke, Hildesheim/New York 1971, IV, 156-157 (Hervorhebungen im Original). In der postumen Gesamtausgabe wird als Anlaß der Verse "Friederich's Todesfeier, am 17. August 1786" angegeben. Tatsächlich antwortet Gleims Gedicht jedoch eindeutig auf J. v. Müllers in Anm. 10 zitierte Aufforderung. Dies geht auch aus dem Titel hervor, den das Gedicht bei seinem (ersten?) Abdruck in der Berlinischen Monatsschrift XI (1788), 2-3, trägt: Gleim der Grenadier an Johannes Müller den Geschichtschreiber, welcher an Gleim schrieb: "Singen Sie Ihn doch, Ihn, wie seine Schlachten." Zu ergänzen ist die nicht identifizierte Ankündigung eines Epos "über Friedrich den Großen", die sich nach einer Äußerung von Jenisch aus dem Jahre 1790 nicht auf sein eigenes Werk bezieht (vgl. VII. 3, Anonymus, Friedrich II.). Außer Betracht bleiben fremdsprachige Epen wie Sauvignys 'La Prussiade' (1758) und Molins 'La Slesia riconquistata' (1787-1791), die sich in das zweiteilige Bild einer zeitgenössischen Huldigung bis zur Mitte des Siebenjährigen Krieges und einer postumen Verklärung fügen (Titel nach Allard, Friedrich der Große, Halle 1913, 51-52 u. 119-120).
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1. Heldengedichte zu Lebzeiten Friedrichs (1745-1758) Christian Gottlob Stockei: Das Befreyte Schlesien Noch bevor der soeben erschienene 'Messias' die Diskussion um das deutsche Epos dominiert, erheben im September 1748 die von Albrecht von Haller redigierten 'Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen' einen jungen Schlesier für einen Moment zum führenden neueren Epiker. Die Rezension der Gedichtsammlung von Christian Gottlob Stockei (1722-1774)13 exponiert ein Werk: "Das vornehmste ist ein Heldengedicht unter dem Titel das Befreyte Schlesien. Wir gehen in Deutschland immer dem wahren Epischen näher."14 Das Urteil, das der Konzentration der episch interessierten Öffentlichkeit auf Klopstock zeitlich unmittelbar vorangeht, zeugt von der Erwartung eines vollkommenen Epos einerseits und andererseits vom Ungenügen an den bisherigen Versuchen. An den Werken etwa von Pietsch und König, mit denen es noch den Alexandriner gemeinsam hat, ist Stöckels 'Schlesien' somit zu messen. Im Blick auf deren Gedichte ist der Fortschritt der Gattung zu beurteilen, den der Rezensent konstatiert. Der Untertitel des Werks, dessen Haupttitel in Analogie zu Tassos 'Gierusalemme liberata' formuliert scheint, gibt Auskunft über den behandelten Stoff: "die siegreichen Feldzüge Sr. Kön. Maj. in Preußen Friedrichs des Großen, im Jahre 1745." Die entscheidende Phase des Zweiten Schlesischen Krieges, der am 25. Dezember 1745 mit dem Friedensschluß von Dresden endet, bildet den Gegenstand der Dichtung. Diese liegt in der Fassung von 1748 als "Gedicht von sechs Büchern" vor und übersteigt den Umfang von Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' um einige hundert Verse. Während später - zu Beginn des Siebenjährigen Krieges - ausgearbeitete Episoden ebensowenig aufzufinden waren wie eine handschriftlich hinterlassene Umarbeitung des Werks, bieten die erreichbaren Daten der Druckgeschichte Anhaltspunkte für die Beurteilung des Gesamtaufbaus. 15 In der Ausgabe von 1748, deren Vorrede und Widmung von Ende 1747 stammen, erscheint Stöckels 'Schlesien' als einheitliches Werk. Daß das Gedicht in seiner vorliegenden Form jedoch nicht das Produkt vorangehender Planung sein kann, zeigt die Existenz dreier Einzelausgaben. Deren erste trägt den Titel des Gesamtwerks mit der Gattungsbezeichnung "Siegesgedicht" und behandelt den preußischen Sieg bei Hohenfriedberg (4. Juni 1745). Die zweite und die dritte Publikation sind im Titel, der als zentralen Gegenstand den "Sieg bey Sorr" (30. September 1745) respektive den "Sächsischen Feldzug, nebst dem Siege bey Kesselsdorf' (17. Dezember 1745) nennt, jeweils als 13 14 15
Knappe biographische Hinweise bieten ADB XXXVI, 281-282, u. DBA 1231, 81-88. GZgS 1748, 781. Vgl. zu diesem Absatz die Angaben im bibliographischen Anhang.
Heldengedichte zu Lebzeiten Friedrichs (1745-1758)
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"Fortsetzung des Befreyten Schlesiens" bezeichnet. Die ersten beiden Drucke datieren noch von 1745, der dritte von 1746. Aus diesen Daten wird deutlich, daß die einzelnen Teile von Stöckels 'Schlesien' jeweils sehr dicht nach den beschriebenen Ereignissen verfaßt worden sein müssen. Den ersten Druck kennt der im schlesischen Brieg stationierte Kleist bereits Anfang September 174516 und somit vor dem Fortgang der Kriegsereignisse. Hieraus ergibt sich folgendes Bild: Ursprünglich als Dichtung über den Sieg bei Hohenfriedberg konzipiert, setzt Stockei, der bei Abfassung dieses Teils den weiteren Kriegsverlauf nicht kennen kann, sein Werk zweimal fort und schließt mit dem Frieden von Dresden, der die Abtretung Schlesiens an Preußen besiegelt. Die Genese der Fassung von 1748, die eine Zusammenstellung dreier Publikationen darstellt, bietet eine Erklärung für strukturelle Eigenheiten von Stöckels 'Schlesien'. Die Bücher I/II, III/IV und V/VI, die jeweils den Text einer separaten Veröffentlichung enthalten, bleiben als inhaltlich eng zusammengehörige Teile erkennbar. Der Aufbau der Buchpaare zeigt deutliche Parallelen. Während Buch I und III den feindlichen Truppenaufmarsch und die Vorbereitung zur Schlacht beschreiben, führen das zweite und vierte Buch die für die Preußen erfolgreichen Schlachten selbst vor Augen. Im letzten Paar (V/VI) modifiziert der Dichter das Schema, indem er zunächst des Königs zwischenzeitliche Rückkehr in seine Residenz besingt, um dann wieder mit der Alternation von Zurüstung und Schlacht zu enden. Die aus der Entstehungsgeschichte erklärliche Tendenz zu kleinen Blöcken verstärkt sich noch durch Rahmenbildungen in einzelnen Büchern. Buch IV, das "Die Schlacht bey Sorr" schildert, hebt an mit einer Apostrophe an den Tag der Schlacht: Tag! ο wie fürchterlich fängt deine Kindheit an! Wie schrecklich wird sich erst dein männlich Alter nahn; Wie herrlich aber wird nach häufigen Beschwerden Dein viel zu kurzer Lauf für uns beschlossen werden! (IV/1-4)
In den adverbialen Bestimmungen zu den Stationen des tageszeitlichen Wechsels, der dem menschlichen Lebenslauf parallelisiert wird, ist der Verlauf der Kriegsereignisse vorgezeichnet. Dem "fürchterlichen" Morgen und dem "schrecklichen" Mittag folgt der "herrliche" Abend mit dem Sieg der Preußen, aus deren Perspektive und für deren Partei ("für uns") der Dichter singt. Im Schlußabsatz des Buchs, nun in einer Apostrophe an Friedrich, greift er das Motiv auf: Held, ο wie rühmlich ist der große Tag für dich! Der Tag, an welchem dir der Helden Menge wich, Die deinem schwachen Heer beym frühen Morgenrothe Des Lebens Untergang, des Ruhmes Abend drohte. (IV/217-220) 16
Kleist W II, 17 (Kleist an Gleim, 12.9.1745). Vgl. ebd., 22 u. 23 (Kleist an Gleim, 11. u. 26.12.1745), zu Kleists Bemühungen, den schon seinerzeit seltenen Einzeldruck für den Freund zu erhalten.
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Die Abrundung jedoch, die Stockei durch solche motivische Verbindungen für das einzelne Buch gelingt, läßt das gesamte Werk vermissen. Ein dichtes Motivgeflecht, wie es etwa Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' kennzeichnet, ist nicht festzustellen. Dem Zerfallen in drei Einzelgedichte, die durch den historischen Kontext der beschriebenen Ereignisse zu einem Werk werden, sind kaum poetische Gestaltungsmittel entgegengesetzt, die einen übergeordneten Zusammenhang begründen würden. Der Blick auf die - von der Entstehungsgeschichte her kritischen - Übergänge vom zweiten zum dritten sowie vom vierten zum fünften Buch bestätigt dies. So markieren die Schlüsse des zweiten und vierten Buchs deutliche Einschnitte: Es eilt der schnelle Ruf, und sein beredter Mund Macht der erstaunten Welt die sichre Wahrheit kund. Klingt dem erschrocknen Wien sein Ausspruch noch so widrig: Europens größter Held bleibt Preußens tapfrer Friedrich. (11/249-252) Wie rühmlich klingt nicht erst der Zukunft später Zeit Das dauerhafte Lob von deiner Tapferkeit Zu wenig wird sie dich den Herkules der Brennen, So ewig als mit Recht, den größten Friedrich nennen. (IV/229-232)
Die zitierten Passagen schließen mit dem Preis des Helden das in den zwei vorangehenden Büchern Geschilderte ab. Der durch die jeweilige Schlacht erzielte Status wird als gültig und dauerhaft beschrieben ("bleibt", "ewig"). Die Buchschlüsse haben damit abgrenzenden und isolierenden Charakter, sie künden nicht von der weiteren Entwicklung. Für den Dichter, der seine drei Einzelveröffentlichungen nur wenige Wochen nach den beschriebenen Ereignissen vorlegt, waren solche Vorblicke kaum möglich. Daß sich jedoch derartige Verknüpfungen zwischen den Buchpaaren auch in der Fassung von 1748 nicht finden, läßt diese wiederum als bloße Zusammenstellung des bereits Publizierten erkennen. Auch eine auffällige Übereinstimmung zwischen den Eingängen zum ersten und dritten Buch, die die ersten beiden Einzeldrucke eröffnen, läßt sich im Gesamtwerk weniger als motivische Verknüpfung, denn als redundantes Beharren auf dem bereits Gesagten bezeichnen. Der "Wahrheit nach, so groß als ächt zu schildern", verspricht Stockei in seiner 'Zuschrift' (Vers 27) und faßt damit die Maximen seiner Prooimien zusammen. Denn schon in den ersten Versen des 'Befreyten Schlesien' begründet der Dichter, der sich zeitlich und inhaltlich der Historie eng anschließt, eine Antithese zwischen "Wahrheit" und "Fabel": Schweigt, eitle Dichter! schweigt, die ihr das nackte Bild Der Wahrheit in den Dunst erdachter Fabeln hüllt, Mein Held, mein Friedrich siegt. Hier dürft ihr bloß erzählen:
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So wird euch eher Dint und Blatt und Ausdruck fehlen; Als Stoff zu seinem Ruhm; [...] Die Wahrheit soll allein Der Vorwurf meines Kiels, und meine Muse seyn. (1/1-14) Diese gleichsam realistische Poetik, die das tatsächliche Geschehen gegenüber der dichterischen Erfindung bevorzugt, wiederholt Stockei mit teilweise gleichlautenden Worten im Eingang des dritten Buchs: Euch ist es zu verzeihn, ihr Dichter, die ihr lebt, Wenn uns der kalte Sand einst tausend Jahr begräbt, Wofern ihr zweifeln wollt, ob Friedrichs große Siege Mehr eitle Fabeln sind; als Thaten wahrer Kriege. Doch sollte dieß mein Blatt vielleicht die Nachwelt sehn: So lest, bewundert, glaubt und rühmt sie als geschehn. Denn was mein matter Vers von Friedrichs Ruhm geschrieben, Hat niemals seinen Grund in schmeichlerischen Trieben; Nein, in der Wahrheit selbst: sie soll auch jetzt allem Der Vorwurf meines Kiels und meine Muse seyn (III/1-10) Während der nachgeborene Dichter mit den Taten des Preußenkönigs freier umgehen und sie im historischen Abstand als "fabelhaft" ansehen darf, weiß sich der Zeitgenosse Stockei, der auch im Eingang des fünften Buchs die "Wahrheit" apostrophiert (V/41-44), dem realen Kriegsgeschehen verpflichtet. Die zeitliche Nähe zum geschilderten Gegenstand verbindet Stockei als panegyrischen Epiker mit Pietsch und König. Während jedoch bei jenem die historischen Details zugunsten einer durchgehenden Poetisierung des Stoffs im Hintergrund bleiben, scheint sich Stockei mit seinem Anspruch, stets der wahren Historie treu zu bleiben, in Königs Nachfolge zu begeben. Dessen Abwertung der Fabel gegenüber dem zeitgeschichtlichen Sujet und der Gedanke, daß seine Beschreibung den "Nachkommen, so warhafft, als sie auch ist, gleichwohl fabelhafft genug scheinen" werde, 17 klingen in Stöckels Exordien deutlich nach. Die Fülle von Realien, die das Werk nennt, bestätigt zunächst die beobachtete Verwandtschaft mit König. Wie bei diesem teilen historische Anmerkungen genaue Titel der Generale und Obersten mit. Und sie dienen dazu, die historische Faktizität einzelner Begebenheiten, die der Leser möglicherweise als Produkt dichterischer Erfindung verstehen könnte, zu belegen. So wird Friedrich bei seiner zwischenzeitlichen Rückkehr nach Potsdam von einem freilebenden Adler begleitet. Das poetisch ergiebige Motiv des symbolisch erscheinenden Wappenvogels überhöht Stockei, indem er den "Schutzgeist Brandenburgs [...] die Gestalt des schwarzen Adlers" annehmen läßt (V/245-249). Als wolle er die poetische Ausgestaltung, zu der er sich vorwagt, auf ihren realen Hintergrund zurückführen, sucht sich der Dichter im Faktischen abzusichern und merkt an: "Ich berufe mich hier auf die öffentlichen Nachrichten von dem Einzüge Sr. königl. Majestät in Potsdam; welche dieses 17
König, Gedichte, Dresden 1745, 189. Vgl. Kap. II, S. 63-64 (mit Anm. 149).
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außerordentlichen Adlers mit mehrerm gedenken" (zu V/258). Der gleiche festliche Einzug in Potsdam bietet Stockei Gelegenheit, König auch in dessen Domäne, der Darstellung von Zeremonien, nachzueifern. Vor allem die ausführliche Beschreibung von Friedrichs Roß (V/209-222), das - mehr als viele menschliche Protagonisten - charakterliche Züge zeigt, verbindet Stöckels 'Schlesien' mit Königs "Pferdeepopee" von 'August im Lager'. Die größere Nähe indessen besteht dennoch zu Johann Valentin Pietsch. Schon in einer Ode, die Stockei im Jahre 1741 "Bey der allgemeinen Landeshuldigung in Breßlau" dichtet, ruft er dem bereits 1733 verstorbenen Königsberger zu: Auf Pietsch! bezieh dein Saitenspiel, Und schärfe den gewohnten Kiel, Den deutschen Hector zu beschreiben. Ich weis, erblaßter Pregelschwan! Setzt deine Faust die Feder an: So kannst du seinen Ruhm der Nachwelt einverleiben.18
Aber der Sänger erkennt: "Mein eitler Zuruf ist vergebens", und er bittet den Verstorbenen um den "Geist, | [...] | Den großen Friedrich zu besingen." Stockei beansprucht damit in einem seiner ersten Gedichte, die geistige Nachfolge Pietschs anzutreten. Daß dieser Anspruch für ihn auch späterhin noch verbindlich ist, zeigt in Stöckels 'Schlesien' beispielhaft der Eingang des zweiten Buchs, dessen erster Vers lautet: "Wo steht, wo ficht mein Held? mich deucht, ich seh ihn schon". Die Vorstellung des Poeten als die eines Fragenden und Suchenden, der dem Gegenstand seiner Dichtung in die Schlacht folgt und damit in die vergegenwärtigte Situation einbezogen ist, übernimmt Stockei ebenso aus dem Prooimion von Pietschs 'Carls des Sechsten Sieg über die Türcken' wie die sprachliche Form der anaphorischen, doppelt ansetzenden Frage. "Wo kämpft, so siegt mein Carl? Ihr Musen führt mich hin!", lautet der Eingang von Pietschs Werk, den Gottsched als zu pathetisch für das Heldengedicht ablehnt. 19 Die unmittelbare Anlehnung an diesen Eröffnungsvers, den Stockei an gleichfalls exponierter Stelle nachahmt, darf als symptomatisch angesehen werden für die Imitation von Pietschs pathetischem Stil. Häufige Apostrophen an die kämpfenden Protagonisten sind hierfür ebenso signifikant wie erregte Ausrufe und Fragen am Verseingang.20 Rhetorische Mittel wie dreigliedrige Formeln ("Du kömmst, du siehst, du eilst" 1/146; "Wer kömmt, wer ficht, wer schlägt" II/137) sind ebenso typische Elemente dieser emphatischen Schreibart wie Antithese, Ellipse und Parallelismus. Diese letzteren können neben einigen anderen beispielsweise in einer Passage beobachtet werden, 18 19 20
Stockei, Gedichte, Breslau 1748, Oden, 3-7, hier und im folgenden S. 4. Vgl. Kap. II, S. 45 u. 53. Ζ. B.: "Doch nein" (IV/132 u. 180; VI/139 u. 311); "Doch wie?" (11/187; IV/89 u. 177; V/201); "Wer ists?" (VI/113); "Doch seht" (V/130).
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deren forcierte Schilderung von Kampfverletzungen Pietschs Gewaltdarstellungen kaum nachsteht: Mit rothem Eis befroren Liegt dort ein Reichender nah an den finstern Thoren Der ernsten Ewigkeit, der ängstlich bebt und zuckt, Und mit durchschnittnem Hals Luft, Blut u. Schnee verschluckt, Bis ihm der letzte Stoß Hauch, Kampf und Angst beschlüsset, Und ihn der kalte Tod, wie er die Erde, küsset. Hier springt ein wilder Hengst mit wieherndem Geschrey Und schlägt mit starkem Huf des Reuters Arm entzwey, Der noch mit Sporn und Fuß im linken Bügel stecket, Den aufgerißnen Kopf verkehrt zur Erde strecket, Und jämmerlich geschleift mit Angst den Tod begehrt, Der, wie sein Roß, ihn flieht. (Vl/295-306)
Durch die bei Stockei in Aufzählungen häufig antithetisch verwendeten adverbialen Bestimmungen "dort" und "hier" räumlich voneinander differenziert, bietet der Dichter, der "Friedrichs Auge" über die winterliche "Wahlstatt" folgt (VI/292-293), in zwei Abschnitten von jeweils fünfeinhalb Versen die Darstellung zweier nicht näher bezeichneter, im Sterben liegender Soldaten. Beide erwarten den jeweils am Ende der Passage in personifizierter Form genannten Tod. Die Schilderung ist durchsetzt von rhetorischen Mitteln. Den von Blut geröteten Schnee verdichtet Stockei zum Oxymoron "rothem Eis". Das zeitlich nahende Ableben wird durch die lokale Nähe des Sterbenden, der auf dem Schlachtfeld verblutet, zu den wiederum metaphorisch gedachten Pforten des Todesreichs ausgedrückt. Die nächsten beiden Verse (298 u. 299) sind in ihrer zweiten Hälfte insofern parallel gebaut, als nach der Zäsur, die durch das Nebeneinander zweier einsilbiger Substantive deutlich markiert ist, jeweils drei einsilbige Objekte einem finiten Verb vorangehen. Während im ersten dieser Verse die Fähigkeit des Schluckens bei "durchgeschnittnem Hals" befremden und der hyperbolischen Ausdrucksweise zugeschrieben werden mag, ist im zweiten Vers die Zusammenstellung der einem Prädikat zugeordneten Objekte auffällig. Der erwartete "letzte Stoß" wird sowohl die Atmung ("Hauch"), als auch die soldatische Fähigkeit ("Kampf) und das beklemmende Gefühl angesichts des Todes ("Angst") beenden. Solche Kombinationen disparater Objekte, die nicht selten in elliptischer Weise verknüpft sind und je einen Halbvers füllen, sind ein von Stockei bevorzugtes und gesuchtes Stilmittel.21 Der Höhepunkt bildhafter Verdich21
Als Exempel seien zitiert: "erkämpft so Ruhm als Beute" (1/108); "Ihr müßt auf diesen Leichen | Den Gipfel jenes Bergs und eures Ruhms erreichen" (IV/63-64); "Er fleucht die Grausamkeit, wie ihn die Feinde fliehn" (VI/82); "Der auf den Scheiteln Schnee und Glut im Herzen trägt" (VI/129); "Des Feindes edle Reu schlägt seines Zornes Glut | So schnell als sonst sein Arm desselben Heere nieder" (VI/338-339). Auch dieses Merkmal verbindet Stöckels Stil mit dem seines Vorbilds Pietsch. Vgl. die Zitate in Kap. II, Anm. 61.
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tung wird am Ende beider Passagen erreicht, wo der Tod jeweils als Personifikation begegnet. Wird im ersten Fall der (noch erwartete) Moment des Sterbens als Kuß des Todes dargestellt, so bezeichnet im zweiten Fall das Fliehen des Todes die noch mangelnde Erfüllung des Sterbenswunsches. Beidemal ist in die metaphorische Redeweise ein Vergleich integriert, der unmittelbar aus der dargestellten Szene stammt, wobei dem Küssen der Erde durch den Sterbenden wiederum ein bildhafter Sprachgebrauch zugrundeliegt. Die Kombination der Aussage- und Vergleichsebene geschieht nun durch elliptische Verkürzung, indem der durch Kommata abgetrennte und zwischen Subjekt und Prädikat der Aussage eingeschobene Vergleich ohne finites Verb bleibt und so auch grammatisch in die Aussageebene verflochten ist. Stöckels Nähe zum Barock, die diese Stilmerkmale zeigen, ist bereits von zeitgenössischen Kritikern bemerkt worden. So sieht die Rezension in den 'Freymüthigen Nachrichten', die deutlich den Geist der Zürcher Kunstrichter Bodmer und Breitinger verrät, den Dichter als Pietsch-Nachfolger und darüber hinaus als Epigonen des Barock: "Sein Vortrag, seine Bilder, seine Art zu denken sind Pietschens am ähnlichsten. [...] Wir bemerken auch den Geschmack der noch jüngst verlaufenen Zeiten". 22 In weitgehend negativer Bewertung wird dem Dichter der Gebrauch von "Schülerischen Figuren" attestiert; sein Stil töne "übertrieben", und er pflege einen "gekünstelten Ausdruck".23 Die elliptischen Kombinationen eigentlicher und uneigentlicher Sprechweise, die wohl tatsächlich an die barocke Epigrammatik anknüpfen, bezeichnet der Rezensent als "Spitzfindigkeiten" und "Frostigkeiten", die "bequem" seien, "die beweglichsten Vorstellungen der Empfindungen zu verderben". 24 Hinter diesen Urteilen stehen die ästhetischen Kategorien der Schweizer. Statt der von den Zürchern propagierten "herzrührenden Schreibart", die auf die Empfindung zielt, findet der Rezensent in Stöckels 'Schlesien' barocke Kunstgriffe, die nicht die Vorstellungskraft, sondern den Witz (als kombinatorische Verstandesfähigkeit) ansprechen. Daß Stockei in der Nachfolge Pietschs und als später Teilhaber Schlesischer Barockdichtung gesehen werden darf, wird auch in der weiteren zeitgenössischen Rezeption nicht bezweifelt. Strittig bleibt indessen die mit dieser Feststellung verbundene Wertung. Der in Jena erscheinende 'Liebhaber der schönen Wissenschaften', der sich ansonsten durchaus neueren Strömungen 22
23
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FN III (1746), 398-399. Da eine Untersuchung zum Anteil von Bodmer und Breitinger an den Zürcher 'Freymüthigen Nachrichten' fehlt, kann nur vermutet werden, daß die Rezension aus der Hand einer der beiden Literaturkritiker stammt. FN III (1746), 398-400. Positiv wird dem Dichter zugestanden, daß er "etliche schöne Beschreibungen" in "Königs Schreibart" vorweisen könne (399). Der Rezensent knüpft damit an die (teüweise wohl aus parteüschen und persönlichen Gründen) insgesamt wohlwollende Beurteilung Johann Ulrich von Königs bei den Schweizern an. FN III (1746), 399.
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wie der Anakreontik öffnet, bemerkt, daß Stockei "Günthern und Pietschen so wohl nachzueifern gewust" habe, "daß er sie zuweilen noch" übertreffe, und glaubt, daß "Schlesien an ihm einen würdigen Nachfolger seines Opitzen bekommen" habe. 25 Während Pietsch hier als positiv bewertetes Muster genannt wird, sehen der preußische Offizier und Dichter Kleist ebenso wie die eingangs zitierten 'Göttingischen Zeitungen' den jungen Schlesier trotz seiner Verwandtschaft mit Pietsch auf dem richtigen Wege. 26 Als Repräsentant der Dichtung vor dem epochalen Auftreten Klopstocks ist Stockei aber nicht nur wegen der stilistischen Anlehnung an Pietsch zu bezeichnen. Mit dem Königsberger, zu dem er sich als Vorbild bekennt, verbindet ihn auch der für Lobgedichte typische parteiische Geist. Konnte Pietsch, der als Ostpreuße den kaiserlichen Sieg besingt, jedoch davon ausgehen, daß seine klar antitürkische Haltung die allgemeine Zustimmung des deutschen Lesers finden werde, so gerät Stockei in den seit 1740 akuten Antagonismus zwischen Preußen und Österreich, indem er sich als protestantischer Pastorensohn gegen die einstigen katholischen Herrscher aus Wien stellt. Daß Stockei die Sache Friedrichs als die eigene ansieht, ist von Beginn an unzweifelhaft: "Mein Held, mein Friedrich siegt" (1/3). Im Feindbild jedoch, das er in der Aufzählung der Breslau (angeblich) bedrohenden kaiser25 26
Der Liebhaber der schönen Wissenschaften I (1747), 93-94. Kleist WII, 25 (an Gleim, 8.2.1746): "Stöckeins Gedichte lassen Sie nicht Gerechtigkeit genug widerfahren. Von dem Anfange urtheilen Sie wie ich. Nicht allein Pietsch, sondern 20 Gottschedianer haben in demselben Tone angefangen. Ich gestehe auch, daß hie und da etwas schwache und gedehnte Stellen anzutreffen sind; indessen ist das Mehreste unvergleichlich." Gleims vorangehendes, wohl negatives Urteil ist nicht überliefert. - GZgS 1748, 781-782: "Unser V. hat zwar etwas dem Pietsch gleichkommendes, auch wohl hin und wieder einige Stellen, die mehr Wiz und Feuer haben, als der ernsthaftere Geschmak gerne gesehen hätte. [...] Aber ungeachtet aller dieser Anmerkungen" meint der Rezensent, in Stöckels Werk "eine fruchtbare Einbildungskraft, eine glükliche Schüderey, und eine Leichtigkeit im Verse, und im Ausdruck" zu bemerken, "die bey den mehrern Jahren des noch jungen Hrn. V. und einem mehrern Gewichte gedrungener Gedanken, denselben zu den grösten Ehrenstellen des Parnasses fähig machen wird." Diese Rezension nimmt noch in anderer Hinsicht eine vermittelnde Stellung ein: Im Anhang von Stöckels 'Schlesien' findet sich ein ironisches Schreiben an den Verfasser, das das Werk gegen die Kritik aus Zürich verteidigt. Insbesondere werden die in den 'Freymüthigen Nachrichten' kritisierten Stellen durch Hinweise auf ähnliche Formulierungen bei anerkannten Dichtern, darunter antike Autoren und mehrfach Albrecht von Haller, gerechtfertigt. Die Göttinger Rezension läßt diese Art der Verteidigung nur bedingt gelten, da sie in der "Vergleichung einige Unähnlichkeit" erblickt. - In ihrer Rezension der Fassung von 1748 beurteilen denn auch die Zürcher 'Freymüthigen Nachrichten' Stockei mit Blick auf seine dichterische Herkunft positiver: "Diese Gedichte überhaupt machen ihrem Urheber Ehre, und zeigen zur Gnüge, daß der Ruhm, welchen die ehemaligen Schlesischen Poeten vor andern erlangt, auch noch anjetzo daure, und einen neuen Zuwachs von Zeit zu Zeit erlangen werde."
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liehen Kriegsvölker zeichnet, konzentriert sich der Dichter offenbar auf habsburgische Söldner fremder Abstammung: Dort trägt ein leichtes Roß mit aufgesträubter Mähne Den wilden Insurgent, der die entblößten Zähne, Womit sein Blutdurst knirscht, mit tollem Geifer netzt, Und voller Ungeduld den krummen Säbel wetzt, Der sonst kein Blut geschmeckt. [...] Weit schrecklicher u. kühner Läßt sich das harte Volk der braunen Warasdiner In fremder Rüstung sehn. [...] Sein Antlitz brennt vor Wut, Ja seine Gurgel löscht den Durst mit Menschenblut, Wenn kaltes Wasser fehlt. (1/35-63) Den Österreichern selbst, die der Dichter zum Teil sogar mit einigem Respekt vor ihren kriegerischen Tugenden nennt (1/173-212), werden nicht derartige kannibalische Eigenschaften zugeschrieben. Die abfällige Charakterisierung des Generals Graf Nadasdy als eines feigen Plünderers und kriegsuntauglichen Liebhabers bleibt die Ausnahme (11/181-192 u. IV/213-216). 2 7 Dennoch verteilt Stockei die Sympathien so eindeutig und bemüht sich so wenig um eine objektive Darstellung, daß die wohlgesonnenen 'Göttingischen Zeitungen' dies zu den kritikwürdigen Teilen des Werks rechnen: "Die Freunde von Oesterreich und Sachsen werden auch an der poetischen Gerechtigkeit, und vielleicht auch an der Richtigkeit der Erzählung hin und wieder etwas aussezen, und den Titel schnöde Flucht und andre dergleichen auch in einem Feinde, zu hart finden." 28 Am deutlichsten ist diese Parteinahme naturgemäß bei der Zeichnung des Helden selbst. Seine politischen Absichten werden in keiner Weise problematisiert. Friedrich ist in Stöckels Augen der gerechte Befreier seines Vaterlands, der Schlesien nunmehr vor der fremden Macht beschützt: Held, unterdessen wacht dein väterlicher Sinn, Du kömmst, du siehst, du eilst nach unsrer Rettung hin, Dein aufgeklärter Geist, dein unerschrocknes Wesen Läßt uns den nahen Sieg aus jeder Mine lesen. (1/145-148)
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Ζ. B.: "Da sonst sein heißer Durst gesalzne Thränen trinkt, | Die kriegerische Wut aus Weiberaugen zwingt" (11/185-186). "So hat Nadasti denn das beste Theil erwählt, | Da sein verirrter Schwärm den Weg zur Schlacht verfehlt, | Die leeren Zelter stürmt, mit schwachen Weibern streitet, | Sein Blut, sein Leben schont, doch reichen Raub erbeutet" (IV/213-216). - Die Schilderung scheint auf zeitgenössischen Berichten zu basieren, denn noch Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, Darmstadt 1963, I, 516, paraphrasiert die Einschätzung des kaiserlichen Heerführers Prinz Karl von Lothringen so: "Er gab die Hauptschuld an der Niederlage dem General Nadasdy, der, statt die preußische Linie im Rücken zu fassen, sich mit der Plünderung der Bagage aufgehalten habe." GZgS 1748, 782.
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Mit der Apologie von Friedrichs politischem Handeln verbindet sich die Apologie seines Charakters als die eines väterlichen Landesherrn, Heerführers und Menschen. "Sein väterlicher Blick" (11/105) erkennt die Bedrohung von Heer und Vaterland, vor Sonnenaufgang wacht "Friedrichs Vorsicht" (II/13; vgl. 11/25-26 u. IV/9-10), und der Schlacht vermag er durch persönlichen Einsatz die entscheidende Wendung zu geben (H/113-125 u. ö.). Aber Friedrichs Tugenden erschöpfen sich in Stöckels Darstellung nicht in der Kriegsführung und der Fürsorglichkeit für das eigene Volk. Nach der Schlacht zeigt der König auch dem Feind gegenüber menschliche Regungen: Wo dein gereiztes Schwerdt des Feindes Hochmuth brach, Bricht dein gerührtes Herz. Die Stärke deiner Armen Mahlt dich der Nachwelt groß: doch größer dein Erbarmen (H/226-228)
In "Großmuth" und "Mitleid" (11/229 u. 237) läßt er die verwundeten Gegner wie die eigenen Leute pflegen. Ihn "rührt" und "dauert [...] das Blut der deutschen Krieger" (11/239-240). Im Moment des Erfolgs verleiht der Dichter dem Sieger humanitäre Züge, läßt ihn im Augenblick des Mitgefühls einen gesamtnationalen, "deutschen" Blickwinkel einnehmen. 29 Mitleidsvoll-gerührt und menschlich-großmütig stellt sich Friedrich auch nach der letzten der drei gewonnenen Schlachten dar. Das zitierte "Schreckensbild der Wahlstatt" entlockt ihm "Thränen" (VI/292-293), und "Friedrichs Huld siegt über seinen Muth" (VI/337), indem er dem geschlagenen Feind den Frieden bietet. Gerade diese Elemente des heroischen Charakters gereichen Stöckels Friedrich zur Ehre. Sie sind in der dichterischen Darstellung nicht als Zeichen der Schwäche interpretiert, sondern sie sind Teil der Lobeshymne. Mitleid und Großmut als Eigenschaften des Helden schwächen den panegyrischen Impetus nicht ab, sie verleihen dem Heroen jedoch Züge von Menschlichkeit im Sinne des empfindsamen Zeitalters. Damit gewinnt Stöckels 'Schlesien', das in seinem Aufbau allzu deutlich die Genese als "Epos in Fortsetzungen" offenbart und stilistisch noch stark der vorangegangenen Epoche verhaftet ist, eine gewisse Fortschrittlichkeit, die in Ansätzen auf die modern-tragische Charakterisierung des Helden in Wielands 'Cyrus' vorausweist. Friederike Sophie Abel: Das eroberte Schlesien Einige Jahre bevor die Schlesierin Anna Louisa Karsch durch ihre Lieder auf die Schlachten des Siebenjährigen Krieges zur gefeierten Muse des preußischen Königs wird, versucht sich bereits eine andere Poetin in der panegyrischen Dichtung auf Friedrich den Großen. Friederike Sophie Abel, von der
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Die gleiche gesamtnationale Sicht begegnet dann auch am Ende des sechsten Buchs. Dort ist es jedoch nicht Friedrich, sondern Gott, den "das Blut der Deutschen" zur "Erbarmung" bewegt (VI/318-319).
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kaum mehr als ihr Name bekannt ist,30 publiziert 1752 unter dem Titel 'Das eroberte Schlesien' eine epische Dichtung in fünf Gesängen. Schon die Formulierung des Titels legt den Vergleich mit Stöckels Werk nahe.31 Daß die Verfasserin nicht den Zweiten Schlesischen Krieg (1744-1745), sondern den länger zurückliegenden ersten Eroberungsfeldzug der Jahre 1740 bis 1742 als Gegenstand wählt, dürfte darauf hinweisen, daß sie nicht in unmittelbare Konkurrenz zu Stockei treten, sondern ihr Werk als Ergänzung zu dessen 'Schlesien'-Dichtung verstanden wissen will. Die Dichterin nennt in ihrer Vorrede, die einer Captatio benevolentiae gleichkommt, zwar Stockei nicht explizit als Vorbild, bekennt jedoch, daß sie "sich so hoch nicht erheben" könne wie Klopstock32 Daß sie dessen fortschrittliche Dichtung zwar bewundert, aber nicht nachzuahmen geneigt ist, zeigt schon ihre Entscheidung für den (nicht eben virtuos behandelten) Alexandriner. Diesen Vers, der zur Zeit der Entstehung von Stöckels 'Schlesien* noch als Norm für längere Dichtungen gelten konnte, nach 1750 aber mehr und mehr mit dem Verdikt der Rückständigkeit behaftet ist, hat Abel ebenso mit ihrem unausgesprochenen Vorbild gemeinsam wie die ganz an der Chronologie der Ereignisse orientierte Disposition der Dichtung. Sie greift nicht - wie in den Gattungsmodellen exemplifiziert - eine zentrale Teilhandlung heraus, von der aus in Vor- und Rückblicken der Gesamtverlauf entwickelt würde. Vielmehr setzt die Handlung von Abels 'Schlesien' mit dem Tod Friedrich Wilhelms I. und Karls VI. im Jahre 1740 ein (1/25) und endet mit dem Friedensschluß von Breslau (11. Juli 1742; V/352-355). Dazwischen werden, mit starker Betonung der Schlachten von Mollwitz und Chotusitz, die Ereignisse in ihrer realen Abfolge berichtet. Während bei Stockei die Entstehungsgeschichte der Dichtung den gattungstypischen Kunstgriff der vor- oder zurückgreifenden Integration verhindert, wählt Abel trotz ihres historischen Abstands von einem Jahrzehnt eine rein sukzessive Erzählweise. Nach den Kriterien Gottscheds, der für epische Gedichte die strukturelle Nachahmung vor allem des Vergilischen Vorbilds fordert, könnte Abels Werk damit schon von seinem Aufbau her nicht als wirkliches Heldengedicht bestehen, sondern wäre als Historie oder Chronik in Versen zu bezeichnen. 30
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Sie ist weder bei Goedeke noch in den in DBA erfaßten biographischen Lexika nachgewiesen. Bescheidene Anhaltspunkte zu ihrem Leben bietet die nicht lokalisierte Vorrede zu den "ersten Proben" der "ungelerten Dichterin", die wohl die einzigen veröffentlichten Verse geblieben sind: "Die Gegend, wo ich mich befinde, hat ein paar Jare nach einander das Glük gehabt, die Gegenwart des Verehrenswürdigen Monarchen zu gemessen" (Bl. 8r). Demnach könnte die Verfasserin um 1750 in der Umgebung von Friedrichs zweiter Residenz Potsdam und seinem Sommersitz Sanssouci ansässig gewesen sein. Wie Stöckels Titel an die erste Fassung von Tassos 'Gierusalemme liberata' gemahnt, so erinnert Abels Dichtung an die späte Fassung mit dem Titel 'Gierusalemme conquistata'. Abel, Schlesien, Magdeburg/Leipzig 1752, Bl. 6v.
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Die kompositorische Ähnlichkeit mit Stöckels 'Schlesien' belegt noch nicht die vermutete Epigonalität des späteren Werks. Die Zeichnung des Helden und vor allem Übereinstimmungen bis in einzelne Formulierungen hinein können jedoch Abels Abhängigkeit wahrscheinlich machen. Tapferkeit und Kampfesmut gegen den numerisch überlegenen Gegner sowie Klugheit und Voraussicht in politischen und militärischen Entscheidungen gehören wohl zum üblichen Inventar der Lobdichtung auf Kriegshelden und Herrscher. Daß auch Abel all diese Epitheta auf Friedrich, den Politiker und kämpfenden Feldherrn, häuft, kann nicht überraschen. Wo sie indessen diese Art heroischer Typisierung verläßt, pflegt sie das von Stockei vorgezeichnete Image von Friedrich als großmütiger und mitleidsvoller Vaterfigur: Nun sieht zuerst, ο Held! Dein väterlicher Sin Mit recht erbarmender und grosser Wemut hin Auf dein getreues Volk, das Wund' und Schmerz' empfindet, Du sorgest daß man sie pflegt, heilet und verbindet. Ο gütiger Monarch! Dein grosmutsvolles Herz Heilt ihrer Wunden Zal, und lindert ihren Schmerz. Nie gnug gepriesner Held! wer ist dir zu vergleichen? Des Titus Güte mus iezt vor der Deinen weichen. Du schlägest wie Achil, und kanst auch liebreich sein, Bald treibst du Feinde fort, bald nimst du Städte ein (III/1-10)
Die weichen und humanen Züge im Bild des Machtmenschen Friedrich bleiben nicht - wie hier - auf die eigenen Truppen beschränkt. Seine "grosse Güte | Ist nicht allein bedacht auf [seiner] Streiter Wol, | Sie wil auch, daß dem Feind geholfen werden sol" (V/323-325). Während Stockei jedoch Friedrichs Güte und Großmut, seine Fürsorge und sein Mitleid in Ansätzen anschaulich darzustellen weiß, indem er den Helden in Tränen und mit gebrochenem Herzen schildert, bleibt Abel weitgehend bei den Abstrakta stehen. Zu detaillierterer Beschreibung gelangt sie vor allem bei den Schlachtszenen. Und hier offenbart sich die Abhängigkeit von Stockei am deutlichsten. Wie bei diesem werden die Schilderungen oftmals durch die adverbialen Bestimmungen "hier" und "dort" strukturiert (z.B. 11/59-60, 103-104 u. 221-223) und mit Ausrufen des Typs "Wer aber" (111/86), "Was aber" (1/71) und "Wo aber" (111/55, IV/4 u. 30) durchsetzt. Wie bei diesem "trieft" ein Schwert "von Fett, und Blut, und Mark" (11/114), und ein "halbes Haupt" muß die "Erde küssen" (II/60). 33 Trotz dieser stilistischen und wörtlichen Paral33
Stockei, Schlesien 11/168-169: "Ihr blankes Eisen gleißt von treifendem Gehirne, | Von Fett und Blut und Mark." VI/300: "wie er die Erde, küsset." Weitere wörtliche Parallelen sind beispielsweise "Betagter Buddenbrock" (Stockei 11/85; Abel V/85) und "Die Wahlstatt ist geräumt" (Stockei 11/217; Abel II/213), das jeweils den Epilog des 2. Gesangs einleitet. Im Eingang des 5. Gesangs knüpft Abel wohl an den bei Stockei stark exponierten Gegensatz von Wahrheit und Fabel an: "Dem [Held] meine Feder ietz kein schmeichlersch Opfer bringt, | Nein, blos die Warheit schreibt" (V/6-7).
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lelen zu ihrem Vorbild ist Abels Ton merklich niedriger gestimmt. Das forcierte Pathos, mit dem sich Stockei wiederum in die Nachfolge Pietschs begibt, erreicht die Dichterin kaum. Statt einem zu "Spitzfindigkeiten" verdichteten poetischen Duktus 34 begegnet ein insgesamt eher nüchterner Stil, in dem Namen der Mitstreiter gehäuft und mit historischen Anmerkungen versehen werden. Die chronikalische Mitteilung des Tatsächlichen nimmt, wie aus den zahlreichen in den Fußnoten beigefügten Daten deutlich wird, eine dominante Rolle ein. Merkmale poetischer Gestaltung, die einen epischen Anspruch verraten, finden sich in einigen ausführlichen Gleichnissen, die das militärische Geschehen etwa mit einem Gewitter (V/113-120) oder mit dem Kampf zwischen Adler und Löwe (III/118-127) parallelisieren und damit vertraute Bilder bieten, und in knappen Vergleichen der aktuellen Gestalten und Geschehnisse mit anerkannten antiken Mustern. Daß diese Vergleiche, wie im zitierten Eingang des dritten Gesangs (III/7-9), stets zugunsten Friedrichs und der Bedeutung der dargebotenen Kriegsgeschichte ausgehen, gehört ebenso zum Standard panegyrischer Überhöhung der Gegenwart wie der freizügige Umgang mit Superlativen: Kein Zäsar, kein Kamil und keines Hektors Krieg Komt meinem Helden bei, und seinem grossen Sieg, Vor seiner Tapferkeit und klüglichen Bezeigen, Mus selbst ein Hannibal und Alexander schweigen. (1/9-12) Ihr Sieger Trojens, schweigt, mein Fürst kan euch beschämen, Fünf Tage braucht er nur, die Vestung einzunemen. Was euch nur nach zehn Jar durch List erst möglich ist, Das tut sein tapfrer Arm in solcher kurzen Frist, Wie kan es anders sein, das Glükke mus ihn lieben. (III/51-55) 35
Die Anlehnung an die Antike und deren Epik, die durch Übertreibung unfreiwillig ins Komische umzuschlagen droht, beansprucht die Poetin einmal auch für ihr eigenes Dichten. Es bleibt jedoch zu befürchten, daß die Muse, die Vergils "treuer Beistand" war, als dieser "Aeneens Tat beschrieb", der Dichterin nicht entscheidend dazu verhelfen konnte, daß auch ihr "Lied gelingen" möge (V/l-4). Realistischer scheint demgegenüber die als Bescheidenheitstopos aufzufassende Einschätzung der Verfasserin, daß sie "schlecht geschickt [...] zum 34
35
Stilistika jener für Stockei typischen Art finden sich bei Abel nur in Ansätzen: "Sie gehn wo Neissens Flus fast so zu eilen scheint | Der weiten Oder zu, als unser Held zum Feind" (1/117-118); Ό Schlacht! du kanst mit Recht ein rechtes Schlachten heissen" (11/100); der "Kämpfer [...] | Macht daß der Neid vor ihm so, wie der Feind, sich beuget" (III/99-100). Vgl. auch die 'Zuschrift an Sr. Maiestät König Friederich den Grossen', Str. 7: "Nie hat Dein wolgestimtes Spiel, | Homer, so eine Tat besungen, | Als Preussens würdigen Achill | Auf Strigaus Feldern dort gelungen".
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Dichten" (1/13) sei. Schon die wenigen zitierten Verse offenbaren handwerkliche Schwächen. Der Alexandriner gelingt oft nur mühsam mit Synkopen und Apokopen, Füllwörtern und eingeschobenen Vokalen, die dann nicht selten eine Betonung tragen. 36 Der Reim fehlt an einer Stelle ganz (V/243), anderen Orts werden die Reimworte "Flut/Wut" innerhalb weniger Verse gleichlautend wiederholt (III/133-134 u. 141-142). Eine inhaltliche Motivation ist hier ebenso wenig anzunehmen wie beim gehäuften Gebrauch gleicher Ausdrücke (ζ. B. IV/3 u. 19: "Verwundrungsvol"). Die Entwicklung der deutschen Dichtersprache in der Mitte des 18. Jahrhunderts hat das poetische Vokabular der Autorin offenbar nicht erreicht. Von dem Werk scheint keinerlei Wirkung ausgegangen zu sein. Dies entspricht dem poetischen Stellenwert der Dichtung einerseits und andererseits der Konzentration der Gelehrtenrepublik auf die Kontroverse um die biblische Epik. Mit dem Zeit und Raum übersteigenden Anspruch an ein Epos, wie er von Klopstocks 'Messias' formuliert wird, kann sich die Verherrlichung zeitgenössischer Taten nicht messen. Aber auch an Stöckels momentanen Erfolg vermag Abel, der des Schlesiers Dichtung wohl als Muster vorschwebt, nicht anzuknüpfen. Die geringe zeitliche Distanz, die Stockei zu seinem Gegenstand hat, wird zwar strukturell zum Problem der Einheit des Werks, sie ermöglicht jedoch die günstige Aufnahme vor allem durch die Beteiligten selbst. Die preußischen Offiziere, die das Gedicht mit einmütigem "Beifall" rezipieren, 3 ' finden sich und ihre gefallenen Kameraden in dem Werk wieder, sehen ihre Taten verklärt und können die Dichtung als moralische Aufmunterung und politische Zustimmung aus dem eroberten Land auffassen. Abel kann keinen Feldzug begleiten und ihre "Zielgruppe" nicht in gleicher Weise erreichen. So bleibt als einziges Rezeptionszeugnis von Friederike Sophie Abels Gedicht zu erwähnen, daß die Wiener Zensurbehörde die Regentin und das Heer vor dem Hohn auf die angebliche Feigheit der österreichischen Truppen, mit dem das Werk seine preußische Gesinnung unterstreicht, in Schutz nimmt, indem sie 'Das eroberte Schlesien' auf den Index verbotener Bücher setzt. 38 36 37
38
Ζ. B. lauten die Verse IV/156 und V/327 bis zur Zäsur identisch: "Und reiche Lörberin". Vgl. Kleist W II, 22-26 (Kleist an Gleim, 11. u. 26.12.1745; 8.2.1746). Aus diesen Briefen geht auch hervor, daß das Werk seine Wirkung vor allem für den Augenblick hat, denn den Text nach der Lektüre aufzubewahren, kommt den Kriegsteilnehmern nicht in den Sinn. Vgl. den Nachweis im Kommentar des bibliographischen Eintrags zu Abels 'Schlesien'. - Die Parteinahme, die die 'Göttingischen Zeitungen' bereits an Stöckels Werk kritisieren, findet sich in Abels 'Schlesien' noch in verschärfter Form. "Furcht" sei die Tugend der Österreicher, die nur "Plündern, Rauben, Brennen" könnten (111/68-72). Sobald die Preußen ankommen, ergreifen "die Feinde, ihrer Gewonheit nach, die Flucht" (IV/Anm. 7, S. 34). Auch Theresia selbst fällt bei der Nachricht vom Angriffsplan Friedrichs "Von ihrem Tron,
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Anonymus: Friederich der Sieger Die Beobachtung, daß die zeitgenössische Epik auf Friedrich den Großen von der Panegyrik der ersten Jahrhunderthälfte ausgeht und mit der um 1750 eintretenden Entwicklung der Gattung nicht schrittzuhalten vermag, gilt es an dem Heldengedicht 'Friederich der Sieger' zu prüfen, dessen erstes und einziges Buch ein anonymer Autor im Jahre 1758 vorlegt. Zur gleichen Zeit, als Wieland in seinem 'Cyrus' nach neuen Wegen abseits der biblischen Epik sucht und in der Charakterisierung des Helden auch sein Wunschbild des Preußenkönigs formuliert, schildert der unbekannte Verfasser Friedrich als real existierendes Ideal. Während der Abbruch der Arbeit am 'Cyrus' wohl auch, aber kaum bestimmend, mit Wielands Enttäuschung über Friedrichs Kriegsführung zu tun hat, findet das anonyme Epos keine Fortsetzung, als Friedrich zunehmend in die Lage des Verteidigers gerät. Gegenstand des Fragments ist das Geschehen des Siebenjährigen Krieges von den Anfängen bis zur Schlacht bei Roßbach (5. November 1757). Wie Stockei schreibt dieser Friedrich-Epiker in zeitlich geringer Distanz zu den Ereignissen und damit ohne Kenntnis der weiteren Entwicklung. Die preußische Niederlage gegen die Österreicher bei Hochkirch vom 14. Oktober 1758 ist dem Autor noch unbekannt, denn zur verlorenen Schlacht von Kolin (18. Juni 1757) verkündet er: "Dies soll die erste Schlacht, doch auch die letzte seyn, | Die Friederich verliert" (405-406). Nimmt man an, daß diese Aussage nicht in bewußtem Widerspruch zur Realität getroffen ist, dann ist mit der Niederlage von Hochkirch zugleich ein terminus ante quem für die Abfassung gegeben. 39 Die Übereinstimmungen mit den zuvor beschriebenen panegyrischen Heldengedichten reichen weiter: Die Darstellung folgt auch hier ganz der Chronologie und den historischen Tatsachen, die in zahlreichen Anmerkungen noch präzisiert werden. Wo ihm die Fakten nicht vorliegen, schweigt der Dichter. 40 "Friedrichs Thaten, | So, wie sie wirklich sind," zu erzählen, verspricht
39
40
erstarrt, in tiefste Ohnmacht hin" (1/37) und "ringt", bis ihr der großmütige Friedrich den Frieden schenkt, "voller Angst die Hände" (V/330). Wahrscheinlich ist die Dichtung bereits einige Monate früher entstanden. Denn Gleim spricht bereits am 20. Oktober 1758 von dem Wiederabdruck des Werks in den 'Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes' (datiert 1759; vgl. Schröder, Die 'Bremer Beiträge', Bremen 1956, 296 [Anm. 751a]; bei der Angabe des Erscheinungsjahrs mit 1748 handelt es sich um einen Druckfehler). Geht man davon aus, daß die Einzelausgabe und die Textwiedergabe innerhalb der Zeitschrift nicht gleichzeitig veröffentlicht worden sind, dann ist eine Entstehungszeit in der ersten Hälfte des Jahres 1758 anzunehmen. So bemerkt er zu den wenigen Versen (201-209) über die Schlacht bei Reichenberg (21. April 1757): "In Ermangelung näherer Nachrichten kann man vor itzo diesen Sieg nicht weitläuftig und eigentlich beschreiben" (Anm. 18). Die offenbar geplante Erweiterung und Präzisierung dieser Passage ist mit der Fortsetzung des Werks unterblieben.
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die das Werk einleitende Ode, und ruft aus: "Entfernt euch, schmeichelnde Camönen" (Str. 2). 41 Wie bei Stockei und Abel ist dieser Anspruch faktischer Korrektheit und chronikalischer Treue, der freilich keine historische Gerechtigkeit garantiert, gepaart mit einer absoluten Parteinahme für die preußische Seite. Absicht der Dichtung ist es, vor der Öffentlichkeit eine Apologie für Friedrichs Vorgehen zu bieten: Ο Muse! mache mir und aller Welt den Grund Zu dem gerechten Zorn und Feuereifer kund, Der unsers Friedrichs Brust mit solcher Glut entflammte, Die Brust, die Grausamkeit und Mordsucht stets verdammte. (13-16)
In der Darstellung des Dichters wird der friedliebende König zu kriegerischem Handeln gezwungen, "da man Brandenburg den Fall und Umsturz dräute" (3) und die von "Mißgunst" (35) und "Haabsucht" (49) bewegten Feinde in "heimliche[m] Vertrag" den "Ueberfall" (41) auf Preußen bereits vorbereiten. Auch die Darstellung des Heldencharakters bewegt sich weitgehend in den bekannten Bahnen. Der Panegyriker spart nicht mit Superlativen und scheut nicht den Vergleich zwischen seinem Helden und den Heroen der Antike: Ihr, Helden Roms, ihr tapfern Griechen, Ihr werdet oft aus Gunst für euch Mit unserm Friederich verglichen: Ihr seyd ihm auch in Theilen gleich; Jedoch es zeigt sich eure Blöße, So bald man Friedrichs ganze Größe Mit euerer zusammen hält. Denn Preußens Friederich, der Zweyte, Ist in dem Frieden und im Streite Das größte Wunder aller Welt. (Ode, Str. 3)
Der "Held im Kriege" ist der erklärte Gegenstand des Dichters (Ode, Str. 5), und als solcher ist der Preußenkönig ein würdiger Nachfolger des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, seines Großvaters Friedrichs I. und seines Vater Friedrich Wilhelms I., die vor der Schlacht bei Prag (6. Mai 1757) zu Zeugen von "Friedrichs Tapferkeit und Klugheit" aufgerufen und in ihrer Bedeutung von ihrem Nachkommen noch übertroffen werden (245-264). Die Charakterisierung von Friedrich als "Menschenfreund" und großmütigem Sieger (17 u. 369), der beim Angriff auf Prag nicht "unempfindlich" bleibt (365) und der gänzlichen Zerstörung der Stadt "gnädig" Einhalt gebietet (382), knüpft gleichfalls an die Topoi der vorangegangenen Epen an. Jedoch 41
Hederich, Lexikon, Darmstadt 1986, 620: "CAMOENA [...] soll eine Gottheit der Römer gewesen seyn, die den Gesängen vorgestanden habe. [...] Sie scheint aber wohl nichts anders, als eine der Musen gewesen zu seyn." Ebd., 618 (fälschlich gezählt als 482): "CAMENAE [...], ein gemeiner Beynamen der Musen".
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erweitert der unbekannte Verfasser, der geistlichen Standes gewesen sein könnte, diese Züge im Bild des Helden um religiöse Aspekte. Die "Menschenliebe", die Friedrich durch ein gerechtes Abwägen von Strafe und Milde zeige, mache den König zum "Ebenbild der Gottheit" (386). Daß der Dichter hierbei vor allem an den Gott des Alten Testaments denkt, zeigen weitere Vergleiche mit biblischen Gestalten: "Zur Friedenszeit ist er ein weiser Salomon, | Und wenn er Kriege führt ein tapfrer Gideon" (393-394). Zwar begegnet die Gleichsetzung mit Gideon, dem Befreier Israels, schon bei Stockei (VI/5), bleibt jedoch dort ganz singulär und ohne weitergehende Konsequenzen für die Charakterzeichnung. Der Anonymus, der bereits zuvor von "Preußens Gideon" (166) spricht, entwickelt aus diesem Vergleich das Bild eines frommen, gottergebenen und bescheidenen Herrschers, der auch im Augenblick der Niederlage sein Gottvertrauen nicht aufgibt und den Grund für eine verlorene Schlacht in der eigenen Überheblichkeit sieht. Denn nach dem Gefecht von Kolin, in dem die Preußen den Kampfplatz als Unterlegene verlassen, spricht Friedrich im Tone eines Feldpredigers zu seinem Heer: Der Sieg kömmt von dem Herrn; ihr Kinder zaget nicht! [...] Ihr habt vielleicht zu viel auf euern Arm gepocht, Der stets, so oft er stritt, den schönsten Sieg erfocht. Denn will ein Israel in seinem Herzen sagen, Mein Arm hat mich erlöst, so wird sein Heer geschlagen. Gott ist und bleibt ein Feind der Ungerechtigkeit, Er spottet dessen Macht, der den Gerechten dräut, Glaubt nur, daß Gott noch itzt die Hand gen Himmel hebe: Er schwöret bey sich selbst, und spricht zu euch: Ich lebe: Lebt Gott, so werdet ihr unüberwindlich seyn. Nur büdet euch den Sieg in eigner Kraft nicht ein. (482-502)
Neben den (vom Verfasser angemerkten) Zitaten aus Psalm 37 und dem Buch Deuteronomium 42 spielt in Friedrichs Ansprache die göttliche Aufforderung an Gideon, sein Heer nach seinen Anweisungen zu vermindern, die entscheidende Rolle: "Der HERR aber sprach zu Gideon / Des volcks ist zu viel das mit dir ist / das ich solt Midian in jre hende geben / Jsrael möchte sich rhümen wider mich / vnd sagen / Meine hand hat mich erlöset." 43 Sich nach dem Muster Gideons in Gottes Wille zu schicken, ist die einzige Möglichkeit und zugleich sicheres Mittel, zum Sieg zu gelangen. Gottvertrauen und Unverzagtheit im Sinne Gideons läßt Friedrich "seine Größe" gerade "im Unglück" (402) zeigen: "Im Unglück ist ein Held, am deut42
43
Luther, Heilige Schrifft, Darmstadt 1972, 996 (Ps. 37, 12-13): "Der Gottlose drewet dem Gerechten [...]. Aber der HERR lachet sein"; ebd., 399 (Deut. 32, 40): "Denn ich will meine Hand in den Himel heben / Vnd wil sagen / Jch lebe ewiglich." Luther, Heilige Schrifft, 464 (Richter 7, 2).
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lichsten zu kennen" (471). Diese "Größe" verleiht seinem Charakter einen neuen Zug. Während Stockei das Gewicht auf die Ausgestaltung der empfindsamen Humanität legt und Abel auch hierin nur epigonal bleibt, zeigt der Friedrich des anonymen Verfassers religiös-stoische Qualitäten. Diese Überhöhung des heroischen Charakters mag einen gewissen Einfluß der biblischen Epik verraten. Zum alttestamentlichen Helden oder zum Verwandten des Messias, dessen Tat sein Leiden ist, wird Friedrich dadurch jedoch nicht. Im Konzept bleibt der Held als Triumphator erhalten. Die Niederlage bei Kolin sollte nach Ansicht des Autors - wie gesehen - die einzige bleiben. Sie ist der Schatten, vor dem sich das Licht der Siege umso deutlicher abheben kann. Schon der Sieg bei Roßbach, mit dem das Fragment schließt, zeigt den Helden wieder so, wie ihn der Dichter schon im Titel nennt: 'Friederich der Sieger'. Der Abbruch der Dichtung nach nur einem Buch kann also durchaus so interpretiert werden, daß der Friedrich der Realität, der mit der verheerenden Niederlage bei Kunersdorf tatsächlich dem Untergang nahe ist, mit dem siegreichen Kriegshelden, als den ihn der Anonymus konzipiert, zu weit divergiert, als daß eine Fortsetzung möglich wäre. Für die zeitgenössische panegyrische Epik, deren Held trotz möglicher Modifikationen letztlich ganz mit Sieg und Niederlage steht und fällt, hat Friedrich seit Kunersdorf abgedankt. Die starke Konzentration auf den Kriegshelden Friedrich läßt es als folgerichtig erscheinen, wenn die epische Dichtung auf den Preußenkönig verstummt, als sie ihn nicht mehr als "Friedrich den Sieger" darstellen kann. In der Epoche nach der Flut der Patriarchaden, in der die Zeitgenossen epische Dichtung - darunter Wielands 'Cyrus' - kaum beachten, kann es nicht verwundern, daß auch das Heldengedicht 'Friederich der Sieger' keine breite Rezeption findet. Allerdings wird der Text der Öffentlichkeit in den einst renommierten 'Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes' nochmals vorgestellt. In dieser Fassung, die einen bloßen Wiederabdruck darstellt und nicht auf den Autor zurückgehen muß, lernt Gleim das Werk kennen und nennt es ein "erbärmliches, lüderliches, abscheuliches" Heldengedicht. 44 Die harten Worte beruhen darauf, daß einige von Gleims Grenadierliedern im gleichen Band abgedruckt sind und deren Autor sich durch solche Nachbarschaft beleidigt sieht. Seinen Wiederabdruck scheint 'Friederich der Sieger' denn auch weniger seiner Qualität als der mißlichen Lage von Verleger und Herausgeber zu verdanken, die den sechsten und letzten Band ihrer Zeitschrift seit 1751 nicht zu Ende bringen konnten und nun die Menge der Kriegsdichtungen zu einer raschen und wohl unautorisierten Zusammenstellung nutzten.4^ Daß ein Heldengedicht an der Spitze der Veröffentlichung steht, zeigt, daß die Rangordnung der Gattungen nach wie vor formal ihre Gültigkeit hat. Daß jedoch das Heldengedicht 'Friederich der Sieger' den Ein44 45
Kleist W III, 302 (Gleim an Kleist, 20.10.1758). Vgl. Schröder, Die 'Bremer Beiträge', 182-183.
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gang bildet, läßt erkennen, daß die ehemaligen 'Bremer Beiträge', die gut zehn Jahre zuvor die Erstveröffentlichung des 'Messias' wagen, ihre führende Rolle in der literarischen Landschaft längst abgegeben haben. So bestätigt auch das letzte der zeitgenössischen Heldengedichte auf Friedrich den Großen, daß die panegyrische Epik in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Gattungsentwicklung weder mitträgt noch von ihr entscheidend beeinflußt ist. Stöckels 'Das Befreyte Schlesien', das sich in den Bahnen von Pietsch bewegt und im Augenblick seines Erscheinens einigen Beifall erntet, repräsentiert den Zustand der Gattung vor Klopstock. Dieser Zustand bleibt - unter Abschwächung der barocken, gleichsam "schlesischen" Elemente von Stöckels Stil - in Abels 'Das eroberte Schlesien' und in dem anonymen Heldengedicht 'Friederich der Sieger' weitgehend erhalten. Klopstocks "Verinnerlichung der Gattung", die vor allem auf die Seelengröße der Protagonisten zielt, wird ebensowenig aufgegriffen wie die "christliche Mythologie" des 'Messias' und der Patriarchaden. Die zeitgenössischen Fridericiaden sind demgegenüber stets einseitig der Tagesaktualität und dem Parteigeist verhaftet. Der Versuch, etwa einen dauerhaften Mythos des preußischen Staats zu stiften, findet in den überwiegend sehr bald nach den Ereignissen verfaßten Werken keinen Raum. Mit dem Mythos, dem "Wunderbaren" oder den "Maschinen" bleiben wichtige Bereiche der Epik, die in der zeitgenössischen Theorie als unabdingbar angesehen werden, fast gänzlich ausgespart. Sofern die Epen Ansätze immanenter Gattungsreflexion und poetischer Rechtfertigung hierfür zeigen, polemisieren sie gegen das "Fabelhafte" und betonen demgegenüber den realen Hintergrund des Dargestellten. Unter dem Anspruch der "Wahrheit", den die zahlreichen Anmerkungen faktisch untermauern sollen, bieten die Autoren Werke, die in Struktur und Gehalt vor allem von chronikalischem Interesse sind.
Heldengedichte nach Friedrichs Tod (1788-1799)
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2. Heldengedichte nach Friedrichs Tod (1788-1799) Während der Tod Friedrichs des Großen (17. August 1786) der lyrischen Poesie Gelegenheit zum Klagegesang bietet 46 und schon bald nach dem Ableben des Preußenkönigs historische Darstellungen über dessen Person und Wirken vorliegen,47 schweigt die epische Muse zunächst. Näher als die zeitgeschichtlich-panegyrische Dichtung steht den Poeten der achtziger Jahre die gemischte, ariostische Epik mit ihren meist phantastischen Stoffen, die in Wielands Oberon' (1780) ihren Höhepunkt erreicht hat und danach mit Ludwig Heinrich von Nicolays 'Reinhold und Angelika' (1781-1784) oder Johann Baptist von Alxingers 'Doolin von Maynz' (1787) epigonale Zeugnisse hervorbringt. Gegenüber diesem Genre stehen die überlieferten Versuche epischer Dichtung auf Friedrich eher isoliert innerhalb der literarischen Entwicklung. Sie können kaum Anregungen von der Ritterepik empfangen und bleiben ohne weitergehende Wirkung auf die Gattungsgeschichte, der erst Goethe mit 'Hermann und Dorothea', das von der Idylle ausgehend den hexametrischen Agon mit Homer aufnimmt, einen neuen Impuls gibt. Schillers Plan einer 'Fridericiade' wird dem Publikum nicht bekannt, Kretschmanns 'Friedrich der Große' gelangt über die Hälfte der Gesänge nicht hinaus, und Jenischs 'Borussias', der aufgrund der Veröffentlichung einiger Proben in wichtigen Periodika der Zeit noch am ehesten eine breitere Wirkung zuzutrauen gewesen wäre, gerät mit dem Erscheinen des gesamten Textes völlig ins Abseits der literarischen Öffentlichkeit. Auch die Möglichkeit wechselseitiger Beeinflussung ist in der Phase der Konzeption - wie ein Blick auf die Entstehungsgeschichte lehrt - nicht gegeben. Das chronologisch erste Zeugnis ist Christian Gottfried Körners Vorschlag eines Friedrich-Epos an Schiller vom Herbst 1788.48 Ebenfalls fremder Anregung verdankt Kretschmann die Idee zu seinem epischen Gedicht: Gleim beehrt den als "Barden Rhingulph" bekannten Dichter im Frühjahr 1789 mit einer Ausgabe von Friedrichs Schriften und fördert Kretschmanns bald darauf konzipiertes Werk 4 9 Wiederum unabhängig von diesen beiden zunächst privaten Plänen faßt Jenisch den Entschluß, den Preußenkönig episch zu besingen, und begleitet die erste Probe der 'Borussias' 46 47 48
49
Vgl. ζ. B. Gleim, Sämmtliche Werke, IV, 156-158 (s. Anm. 11). Vgl. Bibliographie Friedrich der Große 1786-1986, Berlin/New York 1988, insb. 70-74. Schüler NA XXXIII/1, 238, 22-33 (Körner an Schiller, 14.10.1788). - Eine möglicherweise früher datierende Ankündigung eines Anonymus kann hier unberücksichtigt bleiben (vgl. VII. 3, Anonymus, Friedrich II.). Knothe, Kretschmann, Zittau 1858, 22-23 (Gleim an Kretschmann, 18.3.1789; Kretschmann an Gleim, 23.5.1789). - Die Tatsache, daß Kretschmanns Werk erst von 1794 an veröffentlicht worden ist, hat den Rezensenten der 'Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften' vermuten lassen, daß "Hrn. Jenisch Borussias diese Idee" erregt habe; NBsW LX (1797), 192.
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im 'Neuen Teutschen Merkur' vom Juli 1790 mit der Aussage, daß ihm "die Idee eines Epischen Gedichts über den siebenjährigen Krieg [...] nur vor wenigen Wochen" gekommen sei. 50 Anders als bei den Epen zu Lebzeiten Friedrichs, deren spätere Zeugnisse von früheren abhängig sind, erweist sich in diesem Abschnitt die Chronologie der Veröffentlichungen, zu der ohnehin nur die Werke Jenischs und Kretschmanns gelangt sind, nicht als geeignetes Gliederungsprinzip. Vielmehr wird nach Kretschmanns Epos, das in seiner Konzeption dem von den antiken Mustern formulierten Anspruch ausweicht, die in dieser Hinsicht anspruchsvollere 'Borussias' besprochen, bevor die abschließende Behandlung von Schillers Plan bereits den Übergang zum Kapitel über Goethes versepisches Werkpaar gewährleistet. Karl Friedrich Kretschmann: Friedrich der Große Nach mehrjähriger Vorbereitung und einer Teilpublikation im Jahre 1794 findet Kretschmann von 1796 an Gelegenheit, einzelne Gesänge seines epischen Gedichts in Wilhelm Gottlieb Beckers 'Erholungen' zu veröffentlichen. Während die zuvor abgedruckte Passage, die später den Eingang des dritten Gesangs bildet, Friedrichs entscheidenden Lebensabschnitt mit Regierungsantritt und Entschluß zur Eroberung Schlesiens vorwegnimmt, folgen die insgesamt sechs publizierten Gesänge in etwa halbjährigem Abstand in numerischer Ordnung aufeinander. 51 Diese sechs Gesänge stellen die Hälfte des geplanten - und möglicherweise handschriftlich ausgeführten - Gesamtumfangs dar. 52 Diesem klassischen und in der deutschen Epik des 18. Jahrhunderts oftmals anzutreffenden Maß entspricht jedoch keineswegs eine an den klassischen Mustern orientierte Disposition. Vielmehr ist der Plan der Dichtung dem Lebenslauf des Helden verpflichtet. Kretschmann beginnt "ab ovo" und wollte offenbar mit dem Tod des Helden schließen. Jedoch stagniert die Veröffentlichung des Werks, das in den ersten beiden Gesängen Kindheit und Jugend behandelt, im dritten und vierten die beiden Schlesischen Kriege der vierziger Jahre sowie im fünften und sechsten Gesang die Zwischenkriegszeit und den Beginn des Siebenjährigen Krieges schildert, auf 50 51
52
NTM 1790/11, 278. Nachweis im bibliographischen Anhang. Dieser Nachweis geht entscheidend über Knothe, Kretschmann, 22-23, hinaus, der lediglich den Vorabdruck und die Veröffentlichung des dritten und vierten Gesangs kennt. Gleims Haltung, die zunächst fördernd und mit Kenntnis der Hälfte des Werks zunehmend kritisch wird, hat damit nicht (wie Knothe, Kretschmann, 23, meint) "zur Folge, daß der Druck des Werkes unterblieb". - Der ursprüngliche Titel des Vorabdrucks als 'Fragment aus dem vierten Gesänge' könnte darauf hinweisen, daß die endgültige Disposition sich nach 1794 nochmals geändert hat oder daß zunächst eine Verteilung des Textes der schließlich ersten zwei auf drei Gesänge intendiert war. Knothe, Kretschmann, 23.
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"dem Schlachtfelde bei Lowositz" und führt den Leser somit nicht "bis an Friedrichs Grab". 53 Kretschmann erweitert damit die durchgehend chronologische Disposition seiner 1770 erschienenen Dichtung 'Der Barde an dem Grabe des Majors Christian Ewald von Kleist' 54 auf epischen Umfang. Den Widerspruch gegen den Aufbau seines Werks scheint der Dichter vorausgesehen zu haben. In einer knappen Vorrede unterscheidet er nämlich terminologisch zwischen der eigentlichen "Epopöe" und dem "epische[n] Gedicht". 55 Während erstere, die dem Epos im Sinne klassizistischer Poetik entspricht, "zur Grundlage nur eine Begebenheit" habe, die anderen "Begebenheiten [...] bloß untergeordnetes episodisches Bestreben" zuweise, dürfe sich das "epische Gedicht hingegen [...] eines geraumeren Planes anmaßen". 56 Indem Kretschmann die Unmöglichkeit erklärt, aus dem Lebenslauf des Helden einen Abschnitt "zur Grundlage einer eigentlichen Epopöe [zu] wählen, um die andern alle episodisch in sie hinein zu verflechten", polemisiert er gegen die "selbstgeschmiedeten Fesseln" traditioneller Gattungspoetik. 57 Die Chance des nach Friedrichs Tod dichtenden Epikers, der im Gegensatz zu den panegyrisierenden Zeitgenossen aufgrund seines Überblicks über das gesamte Leben des Helden einen interessanten Abschnitt auswählen und in der Kreation einer poetischen Einheit eine spezifische Leistung vollbringen kann, vergibt Kretschmann und verläßt sich ganz auf die integrative Kraft des einen Helden. Ob bei dieser Entscheidung tatsächlich die antinormative Überlegung der Vorrede den Ausschlag gegeben hat, ist hier nicht zu entscheiden. Jedoch ist das Gattungsdenken gegen Ende des 18. Jahrhunderts offensichtlich noch stark genug, daß die Struktur der Dichtung durchgehend negativ beurteilt wird. In der Bemerkung, Kretschmann versuche "in einer Art von cyclischem Gedicht die Thaten Friedrich des II. an einander zu reihen" 5 8 schwingt die traditionelle Abwertung der sogenannten kyklischen Dichter und ihrer sukzessiven Darstellungsweise gegenüber Homers integraler Disposition mit. Die angestrebte "poetische Schilderung des ganzen Lebens" lasse - so die 'Neue allgemeine deutsche Bibliothek' - am "Interesse" des Werks "zweifeln", da sich dieses "in einem längeren erzählenden Gedichte" nur dann einstelle, wenn "eine Handlung wichtig an sich" sei. 59 Und die 'Allgemeine LiteraturZeitung' besteht gegen die Form von Kretschmanns epischem Gedicht darauf, 53 54
55 56 57 58 59
NTM 1805/1, 51 (aus einem Schreiben an Kretschmann, das um die Vollendung des Werks bittet). Vgl. den in Kapitel VII. 4 zitierten zeitgenössischen Kommentar und Knothe, Kretschmann, 19. Ein Auszug dieser Dichtung findet sich zuletzt in: Kleist, Ihn foltert Schwermut, Berlin 1982, 286-287. Erholungen 1796/11,1. Erholungen 1796/11, 1-2 (Hervorhebung im Original). Erholungen 1796/11, 2. NBsW LX (1797), 191-192. NadB XXXI (1797), 200.
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Friedrich der Große als epischer Held
daß "jedes schöne Kunstwerk ein in sich vollendetes Ganze ausmachen" müsse und das "Gruppieren und Anordnen zu einem Hauptzwecke [...] unerlaßliche Bedingung des historischen Dichters" bleibe. 60 Der Eindruck, daß Kretschmanns 'Friedrich der Große' mehr eine lose Reihung von Szenen als ein kunstvoll gruppiertes Ganzes ist, wird durch einen Blick auf die Darstellung unterstützt. Während vom dritten Gesang an in verstärktem Maße historische Tatsachen verarbeitet sind, bleiben die ersten beiden Gesänge weitgehend frei von Realien aus dem Leben des Helden. Die musische Begabung des Jünglings wird zwar angedeutet (11/312-325), vom prägenden Konflikt mit dem Vater ist indessen nicht die Rede. Die Entwicklung des Prinzen zum Herrscher weist in Kretschmanns Schilderung kaum individuell-anschauliche Züge auf. Der Dichter macht vielmehr immer wieder den Einfluß allegorisch personifizierter Tugenden geltend, die über gleichfalls allegorisch dargestellte Laster dominieren, wie der Schluß des ersten Gesangs verkündet: So wahrten Grazien das Kind, und übergaben Dem Musenchor den hoffnungsvollem Knaben: Dann führte Tugend ihn den schroffen Weg hinaus, Und bildete den jungen Halbgott aus. (1/410-413) Freundschaft und Liebe, die um ihre Vorherrschaft im Gemüt des Jünglings wetteifern, werden ausführlich charakterisiert (11/64-143), bevor Friedrichs Entscheidung für die erstere mit der "Standardsituation" des Herkules am Scheidewege verglichen wird (11/144-188). Durch "der Musen Heiligthum" gelangt Friedrich sodann "zu der Weisheit" (11/329), die er auf steilem, jedoch durch die "Göttin Gnade" (11/424) geebnetem Wege erreicht. In ihrem Tempel weiht die Weisheit den jungen Helden in sein künftiges Amt ein und stattet ihn mit allegorisch bedeutsamen Gegenständen aus: Nimm hin diß goldne Band von meinen Locken, Damit die Krone deine Stirn nicht drückt; Nimm hin dieß Fernrohr sonder Staub und Flocken, Auf daß dein Auge richtig blickt; Nimm hin den Maaßstaab aller Ding' aus meinen Händen, Der, mehr noch als die Wehre deiner Lenden, Mehr als des Scepters Zauberschlag, Zu deiner Sicherheit und deinem Glück vermag. Wenn dir des Hasses Dolch, des Neides Geißel droht, blutig Den Ausweg sperrt: dann rufe mir! (11/440-449) Auch die näher an der Realität orientierten folgenden Gesänge gewinnen kaum jenes einheitliche Gepräge, wie es die Zeitgenossen von einem Epos erwarteten. Anstatt "epische Begeisterung" zu erregen, die auf der "Betrachtung einer ganz vollendeten Handlung" beruhe, "in der Darstellung der Hand-
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ALZ 1797/III, 675.
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lung selbst Befriedigung" suche und "einen abgemessenen, regelmäßigen und steten Gang nothwendig" mache, zeige das von Kretschmann bevorzugte "freye, zügellose, immer abwechselnde Sylbenmaß" eine eher "lyrische Begeisterung".61 Tatsächlich wählt der Dichter - wie die zitierten Passagen zeigen - als Grundmetrum einen sehr variabel behandelten jambischen Vers mit wechselnder Hebungszahl und freiem Reim, der an sich schon ein hohes Maß von Unruhe bedingt. Zusätzlich unterbrochen wird der bewegte Versfluß durch eingeschobene strophische Formen, für die die verstechnisch komplexe Apotheose im letzten Gesang des 'Messias' kaum als Vorbild angenommen werden darf. So begegnen in den ersten hundert Versen des dritten Gesangs zwei jeweils dreistrophige Einlagen. Die erste umfaßt 18 vierhebige Jamben im dreimaligen Schema ababcc und stellt einen Anruf an die "Verwegne Muse" dar (III/1-18, hier 2). Die apostrophierte Führerin des Dichters wird als Beistand im gefahrvollen Seegang angesprochen, das Dichten damit metaphorisch als riskantes Unternehmen in "niebeschiffter Zone" (III/10) begriffen. Der "Stürme Wechsel" (III/8) können dabei programmatisch den unsteten Ton des Dichters bezeichnen, der den mangelnden Erfolg seines Werks vorauszusehen scheint: Wir müssen Land, wir müssen's sehn: Wo nicht; - doch rühmlich untergehn! (111/17-18)
In der zweiten lyrischen Einlage des dritten Gesangs hält der Sänger nochmals inne, bevor er Friedrichs Entschluß zum Zug auf Schlesien schildert, und nimmt das Zukünftige im meterologischen Bild eines aufkommenden Gewitters vorweg (111/91-102). Perspektivische Wechsel und Passagen, in denen das eher lyrische als epische Ich in der ersten Person spricht, begegnen auch außerhalb dieser eingeschobenen Strophen. So sieht sich der Dichter am Ende des vierten Gesangs - inmitten der Wirren des Zweiten Schlesischen Krieges - von der zuvor so mutigen Muse verlassen 62 und allein der "Nacht- und Flammen-Wirre" (IV/550) ausgesetzt. Völlig überraschend fragt er der "Vorzeit heilige Kunde" (IV/555) um Rat und um Aufschluß über das weitere Geschehen. Die als sibyllinische Alte gekennzeichnete Seherin, die "das Thatenbuch Friedrichs" (IV/566) in ihrer Grotte bewahrt, kündet dem Dichter, der erregte Zwischenfragen stellt, vom Ausgang des Krieges:
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NBsW LX (1797), 192 (Hervorhebung im Original). Kretschmann nimmt zur metrischen Gestaltung seines Textes nur lapidar Stellung: "Seine rhytmische [!] Versart vertheidige sich selbst, - wenn sie kann!" (Erholungen 1796/11, 3) IV/550-551: "Ich bin allein, die Muse flieht, | (Ach sie, die rasche Flatterhafte!)"
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Friedrich der Große als epischer Held "Vor Friedrichs Weg trat sie nun wieder hin, "Die schwarze Wahl, und rief! Flucht, oder Niederlage? Ό da! - da! - Barde! - -" Ach! ich zage! Vollende, Seherin, und sprich: Denn ich bin deiner Schrecken müde! "O nun! - nun, Barde! - freue dich: "Denn Friedrichs Ruhm stand fest, und zu ihm kam der Friede." (IV/671-677)
Die Prophezeiung kann zwar als typisch episches Stilmittel angesehen werden. Jedoch ist die Vorhersage in Kretschmanns Werk in mehrfacher Hinsicht eigentümlich. Einerseits holt nicht ein Protagonist des Epos Auskunft bei höheren Mächten, sondern der Dichter selbst, und andererseits liegt das Vorhergesagte nicht in ferner Zukunft, sondern in der vom Sänger und seiner Muse vorgeblich nicht bewältigten Gegenwart der Handlung. Die Episode ändert damit nichts an der rein chronologischen Abfolge und bleibt für den Fortgang ohne Konsequenz. Und schließlich ist die stilistische Haltung mit ihrem sprunghaften Wechsel zwischen den Sprechern sicher nicht antiken Vorbildern verpflichtet. Die mehrfach gebrauchte Anrede der Seherin an den Dichter weist einer stilistischen Einordnung von Kretschmanns Werk die Richtung: "Barde!" Neben Bildern aus der Antike 63 verwendet Kretschmann, der um 1770 mit einigen Bardendichtungen zu einem gewissen Ansehen gekommen war, 64 Bezeichnungen aus der germanischen Mythologie: Friedrichs wird als des "Lieblings der Rune" (IV/566) gedacht, und er wird mit "Wodans Eiche" (II/219) verglichen. Das Vorbild Ossians wird spürbar, wenn der Dichter von "Wolkenbildern" spricht, "wie Fingal oft sie sah, | Auf Morven oder Skandinavia" (VI/370-371). Sowohl mit diesen, auf die Ossian-Begeisterung zurückweisenden bardischen Elemente, als auch in der unruhigen Haltung des Sängers, in der der Held keine festen charakterlichen Züge gewinnt 6 5 knüpft Kretschmann an seine erfolgreiche Phase als "Barde Rhingulph" an. Ausdrücklich bittet er im Eingang des Werks:
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Ζ. B.: "So drang einst aus der Schlacht den flammenden Achillen | Patroklos Freundschaft wider Willen" (III/287-288); "Umsonst, daß sich Achill ins Gyndeeum flüchtet: | Ihn findet und entführt Ulyssens schlaue List!" (VI/85-86) - Vgl. Knothe, Kretschmann, 23, der aufgrund seiner nur fragmentarischen Textkenntnis diesen Aspekt hervorhebt, die Bezüge zur nordischen Mythologie aber nicht erwähnt. Vgl. die in Kapitel VII. 4 genannten Werke Kretschmanns sowie Knothe, Kretschmann, 9-22. Unter den personifizierten Tugenden, die Kretschmann für Friedrichs Erziehung sorgen läßt, prägt die "Weisheit" den Helden am deutlichsten und wird noch öfter als Maxime seines Handelns angesprochen (ζ. Β. 111/76; IV/13-28; V/121; 232; 250; VI/152).
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Ο gebt mir wieder her, das Mädchen meiner Jugend, Die heiße Freundin jeder Tugend, Die Harf, in deren Saitenklang Ich Herrmanns Sieg und Kleists Verewigung besang (1/76-79)
Damit aber weist er sein episches Gedicht 'Friedrich der Große' als Nachkömmling einer vergangenen Epoche aus. Diese Epoche bezeichnet er mit ihrem Leitwort, das als programmatisch für Kretschmanns Dichtung gelten kann, wenn er in der auch formal unsteten Darstellung des wechselnden Kriegsglücks eine der Parteien als "Hingerissen in dem Wirbel, Sturm und Drange" (IV/188) schildert. Daniel Jenisch: Borussias
Gegenüber Kretschmanns Dichtung, die einem im Zeichen des Sturm und Drang und der Bardenpoesie modifizierten Gattungsbegriff verpflichtet ist, stellt sich das einzige vollständig gedruckte Friedrich-Epos vom Ende des 18. Jahrhunderts, die 'Borussias' des Berliner Predigers Daniel Jenisch, als das gewichtigere Werk dar. 66 Während Kretschmann die von den antiken Mustern abgeleiteten Normen für sein episches Gedicht verwirft, sucht Jenisch gerade nach der regelpoetisch geforderten Konzentration der Handlung. Zwar setzt die Erzählung mit der Genese des Siebenjährigen Krieges ein und schließt mit dessen Ende, jedoch schildert Jenisch Ein- und Ausgang des Krieges summarisch und stellt die Schlachtensequenz von Prag über Kolin bis Kunersdorf in den Mittelpunkt. Friedrichs prekäre Situation nach dem verlorenen Gefecht bei Kunersdorf markiert den dramatischen Wendepunkt des Epos. Indem Jenisch die historische Überlieferung der poetischen Gestaltung unterordnet, verknüpft er Friedrichs Selbstmordgedanken nach dem Verlust der Schlacht und das Eintreffen einer wohlgesonnenen Nachricht des russischen Thronfolgers zu einem prägnanten Moment, in dem die tragische Lage des Helden kulminiert und zugleich der Glückswechsel zum Guten sich abzeichnet. 67 66
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Vgl. speziell zu Jenischs 'Borussias': Biesterfeld, Friedrich der Große, in: Fridericianische Miniaturen 1, Bremen 1988, 171-180, der nach Bemerkungen zum Autor die Ausgabe beschreibt, die Vorrede zusammenfaßt, einige Aspekte des Textes erörtert und die Rezeption umreißt. - Ein wachsendes Interesse an Jenisch in jüngster Zeit zeigen (weitgehend abseits der 'Borussias') ferner: Sauder, Popularphüosophie und Kant-Exegese: Daniel Jenisch, in: Idealismus und Aufklärung, Stuttgart 1988, 162-178; Krolop, Geteütes Publikum, geteilte Publizität, in: Debatten und Kontroversen, I, Berlin/Weimar 1989, 270-384 (darin 341-365: Der "litterarische Sansculotte" als Apologet seines Zuchtmeisters: Daniel Jenisch über "Wilhelm Meister"). Die Verwendung von Termini aus der Poetik des Dramas erweist sich insofern als berechtigt, als Jenisch in seiner Vorrede zur endgültigen Ausgabe die Abschnitte der Handlung selbst als "Akte" bezeichnet (S. VIII u. XIV); vgl. ferner die Anmerkung zum Vorabdruck in: NTM 1792/11, 404 ("Drama der Borussias"), und Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Tübingen 1962, 335,
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Das durch diese Peripetie ausgewiesene Zentrum des Epos "weitet" Jenisch jedoch um zwei lange Gesänge: In seiner Darstellung hört der verwundete Dichter und Kriegsteilnehmer Ewald von Kleist, der tatsächlich seinen bei Kunersdorf erlittenen Verletzungen wenige Tage nach der Schlacht in Frankfurt an der Oder erlegen ist, Friedrichs Selbstmordgedanken mit an, stirbt kurz hernach und steigt sodann verklärt gen Himmel (VII/744-771). Von einem Engel geführt, erfährt er Geheimnisse der überirdischen Welt und die zukünftige Entwicklung der irdischen Begegebenheiten (Gesänge VIII und IX). Erst nach dem Ende dieser Vision greift Jenisch - im Eingang des zehnten Gesangs - die Situation Friedrichs wieder auf. Mit dieser Konstruktion versucht Jenisch einerseits, die durch den geplanten, aber noch nicht ausgeführten Selbstmord gegebene Spannung zu erhalten, und andererseits will er die Wendung zum Guten durch die insgesamt zuversichtliche Vision des verklärten Kleist, die einen scharfen Kontrast zu den melancholischen Gedanken Friedrichs bildet, vorbereiten. 68 Psychologisch bleibt dieser Kunstgriff indessen wenig befriedigend: Denn um des langen Einschubs willen läßt Jenisch seinen Helden das schon bereitstehende Gift unmotiviert beiseite legen und die Ausführung des Selbstmords auf den Morgen verschieben (VII/738-743). Dann erst trifft die zu neuer Hoffnung berechtigende Botschaft des russischen Prinzen Peter ein (X/33-44). Jenischs Wille, ein nach klassizistischer Vorstellung gültiges Epos zu schaffen, wird schon in dieser konzentrierten Anlage deutlich. Die Erdichtung der Apotheose Kleists, die in dessen eigene Verse mündet, 69 gemahnt sowohl an Jenseitsfahrten in antiken Vorbildern wie speziell an Dantes 'Divina comedia'. Mit dieser hat sie die "Aufwärtsbewegung" von den Tiefen der Hölle bis zum Thron des Höchsten und die Betrachtungen über die Bestrafung der Sünder sowie die Belohnung der Tugendhaften gemeinsam. Die längste Episode der 'Borussias' bietet gegen Ende einen Vorblick auf die historischen Ereignisse vom Kriegsende bis zur Französischen Revolution - deren Fortgang
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34, der in seinen zuerst postum im Anhang der 'Borussias' gedruckten und wohl von Jenisch selbst zusammengestellten 'Anmerkungen' vom "Knoten" im Plan des Gedichts spricht. Vgl. Borussias, Vorrede, XI: "Der, durch die unseligen Leiden der Menschheit, mit Friedrich zugleich, betäubte, und durch diese höheren Belehrungen wiederberuhigte Leser, wird in dem X. Gesänge aus den überirdischen Regionen auf die Erde zurückgeführt"; Neue Thalia III (1793), 318: "Die [auf Friedrichs Selbstmord-Monolog] folgenden 'Aussichten des verklärten Kleist in die Schöpfung' machen das helle Gegenstück zu diesem schwarzen Nachtgemähide der menschlichen Angelegenheiten"; Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 337, 14-28. - Auch Biesterfeld, Friedrich der Große, 177-178, sieht in dieser umfangreichen Episode "Jenischs auffälligste kompositorische Aktion". Vgl. den Schluß des neunten Gesangs der 'Borussias' (IX/1188-1203) mit Kleists 'Hymne' (Kleist WI, 129-130). Im Vorabdruck dieser Passage (NTM 1794/1, 232-233) zitiert Jenisch teilweise andere Strophen dieses Gedichts als in der endgültigen Fassung.
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Jenisch wie so viele deutsche Intellektuelle skeptisch gegenübersteht - und eine utopische Schau auf ein "veredeltes Menschengeschlecht" (IX/1081-1205, hier 1092). Sie stellt damit zugleich ein Beispiel für Jenischs Anwendung der für das Epos typischen Integration von Ereignissen dar, die außerhalb des unmittelbar geschilderten Zeitraums liegen. Einen gleichfalls integrierten Rückblick enthält der elfte Gesang, in dem Friedrichs früherer Erzieher, nunmehr Lehrer des russischen Prinzen, seinem neuen Schüler aus der Vergangenheit des Preußenkönigs berichtet. Daß Jenisch dieses Stilmittel im Laufe der Arbeit an seinem Werk vermehrt einsetzt, um auch die Geschehnisse des Siebenjährigen Krieges näher zusammenzurücken, zeigt ein Blick in die Textgeschichte. Im frühesten der zahlreichen Vorabdrucke, 70 der den Eingang des seinerzeit auf acht Gesänge angelegten Epos enthält, berichtet Jenisch vom Anfang des Kriegsverlaufs. Die preußische Belagerung Pirnas schildert der Dichter, der die Leiden der Eingeschlossenen drastisch zum Ausdruck bringt und insofern hier keine preußenfreundliche Perspektive einnimmt, an ihrer chronologisch folgerichtigen Position. Im endgültigen Text werden diese Ereignisse vom Beginn des Krieges zunächst nur knapp behandelt. Weite Strecken der ausführlichen Erzählung des Vorabdrucks sind jedoch nun an späterer Stelle einem Sachsen in den Mund gelegt, der in einem Kriegsrat bei Theresia das Schicksal Pirnas als Exempel für Friedrichs Grausamkeit in Erinnerung ruft. 71 Die extensive Verwendung weiterer epischer Stilmittel deutet in die gleiche Richtung eines an den großen Exempeln der Gattung orientierten Anspruchs. Zu nennen wäre das Prooimion, das den bereits als Motto verwendeten Eingang der 'Aeneis* nachahmt, oder die katalogartige Aufzählung der Kriegsvölker (1/495-573). Der ausgiebige Gebrauch homerisierender Gleichnisse, mit dem Jenisch seinen klassischen Stilwillen unterstreicht, findet jedoch 70
71
Vgl. die Nachweise im bibliographischen Anhang. Der dort an erster Stelle genannte Text ist nicht eigentlich als "Vorabdruck" zur 'Borussias' aufzufassen, denn zur Zeit der Publikation des selbständigen Gedichts 'Friedrich, der große Mann seines Jahrhunderts' (1789) hat Jenisch das Epos noch nicht geplant. Somit ist mit dem "frühesten Vorabdruck" hier die 'Probe' in NTM 1790/11 gemeint. Der Vorabdruck in NTM 1790/11, 276-298 u. 329-348, umfaßt insgesamt 675 Verse. Die Verse 1-318 entsprechen mit Varianten und Erweiterungen 1/1-361, die Verse 562-675 (der Bericht über Pirna) finden sich wieder in 11/352-450. Aus den dazwischenliegenden Versen 319-561 sind in die endgültige Fassung keine geschlossenen Episoden, sondern nur einzelne Bilder übernommen worden (z.B.: 344-362 = 11/457-475; 480-485 = 1/364-369; 524-535 = 1/371-382). - Die Bewertung des sächsischen Redners durch den Erzähler ist schwankend; vor Eingang des Berichts heißt es: "Alles schildert er schlau in schön-gewebter Erzählung" (11/351). Dieser eher abwertende Kommentar wird am Ende relativiert: "Künstlich sprach der Erzähler; doch wahr. Denn edel, ja edel | Duldeten, eh sie dem Brennen sich gaben, die Krieger Augustens!" (11/451-452)
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bereits in Wieland, der seinen 'Neuen Teutschen Merkur' mehrfach zum Publikationsorgan der entstehenden Dichtung macht und als Herausgeber selbst öffentlich Stellung nimmt, einen differenzierenden Kritiker. Denn Wieland verurteilt nicht pauschal die Imitation des antiken Vergleichsstils, sondern bemängelt einerseits, daß die Gleichnisse bei gehäuftem Auftreten stereotyp mit identischen Vergleichspartikeln eingeführt werden. 72 Und andererseits hält er eine Unterscheidung des epischen Erzählstils und der wörtlichen Rede der Protagonisten insofern für geboten, als er antikisierende Gleichnisse aus dem Munde modernen Personals für "sehr ungehörig" hält. 73 Hat Jenisch auf diese Einwürfe Wielands, die mit dessen noch zu erörternder Skepsis gegen die Modernität des Stoffs zusammenhängen, weder explizit in seiner Vorrede, 74 noch implizit durch Streichung solcher Gleichnisse reagiert, so zeigen die Ausführungen des Weimarer Aristarchen über die Verse der 'Borussias' zumindest bescheidene Wirkung. Wiederum verwirft Wieland die klassizistische Entscheidung für den Hexameter nicht. Im Gegenteil: Er hält ihn für die "schwerste und künstlichste aller Versarten in unsrer, gegen die Griechische, so ungeschmeidigen Sprache".75 Nur absolute Perfektion der Ausführung rechtfertigt den mit der Wahl dieses Metrums verbundenen Anspruch. Wieland, der selbst mit seinem 'Cyrus' dem Hexameter abgeschworen hat, sein Fragment aber gerade aufgrund der metrischen Qualitäten noch 1795 schätzt, weiß zwar in dieser Hinsicht an der Probe der 'Borussias' "mehr zu loben als zu tadeln" 76 Seine freundlichen Worte leiten jedoch ein unnachgiebiges Gericht über den fahrlässigen Umgang des Autors mit der ehrwürdigen Form ein. Im Detail werden Fehler und Härten nachgewiesen, Verse mit überzähligen und mangelnden Füßen zitiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Wie der Vergleich des von Wieland kommentierten Vorabdrucks mit der endgültigen Fassung zeigt, hat dieses Lehrstück Jenisch in den betreffenden Passagen zu Änderungen bewogen. 77 Insgesamt aber, 72
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NTM 1792/11, 433: "Ganz widrig auffallend aber ist die monotonische Konstruktion der in dieser Rede des alten Nestors so sehr gehäuften kleinen Gleichnißbilder". Die von Wieland monierten Stellen finden sich mit kleineren Modifikationen auch in der endgültigen Fassung (XI/295-365). NTM 1792/11, 433. Die von Wieland genannten Beispiele stehen auch im Text der 'Borussias' von 1794 (XI/39-47; 270-277). Daß Jenisch den "bilderreichen Stil" der monierten Rede mit Moritz diskutiert hat, zeigt ein entsprechender Hinweis in dessen 'Anmerkungen' (Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 338, 26-30). Auf Wielands Einwände wird jedoch nicht offen Bezug genommen. NTM 1792/11, 430. NTM 1792/11, 430. - Wielands Einschätzung seiner frühen Hexameter berichtet Böttiger (Starnes II, 409 [15.3.1795] u. 701 [22.1.1799]). Während der Korrektur des 'Cyrus' für die Ausgabe letzter Hand ist Wieland jedoch selbstkritischer (ebd. II, 452 [später Sept. 1795]). Ein instruktives Beispiel bietet NTM 1792/11, 436: "In einer sonst vortreflichen und meisterhaften Stelle sehe ich ungern [...] das Wort eTnmahl, welches (in
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betrachtet man Klopstocks Verse oder die mit philologischer Akribie geformten Hexameter der Voßschen Homer-Übersetzungen, gelangt er nicht zu einer befriedigenden Durcharbeitung des verstechnischen Details. 78 Auch in seiner Vorrede zeigt er sich wenig einsichtig, wenn er die gewählte "reimlose Dichtungsart blos als eine vollkommen-melodische und dem sinnlichen Ideenausdruck durch Worte angemessenste Prose" ansieht. 79 Die vorrangigen Bedenken Wielands, der den Dichter der 'Borussias' dennoch eher zu genauerer Arbeit anregen als von einer Vollendung des Werks abhalten will,80 gelten jedoch der modernen Materie des Epos. Einerseits mache es die "Neuheit der Begebenheiten" dem Dichter, zumal als Landsmann und Bewunderer des Königs, nahezu "unmöglich", "nicht Parthey gegen die Feinde seines Helden" zu ergreifen 8 1 Diese Parteilichkeit aber ist in den "richtenden Augen des Weltbürgers" Wieland nicht zu billigen, der sich gegenüber Friedrich weit kritischer äußert als in seiner frühen Zürcher Zeit und dem das "reine menschliche Verhältniß", das Homer "gegen alle seine Personen ohne Ausnahme" zeige, vorbildhaft ist. 82 Andererseits ist für Wieland, der den Gegenstand seines letzten hexametrischen Epos wohl auch aus diesem Grunde in der Antike gesucht hat, mit dem modernen Stoff eine zu starke Beschränkung der dichterischen Freiheit verknüpft. Bei einem allseits bekannten Gegenstand, der "noch als ein ausschließliches Eigenthum der Geschichte" angesehen werde, sei man nicht geneigt, dem "Dichter die Erlaubniß" einzuräumen, den Helden "zu idealisieren".83 Dieser erst hier so klar gesehene Umstand stellt die gesamte zeitgeschichtliche Epik des Jahrhunderts - von Pietsch über König und Stockei bis hin zu Jenisch - in das Spannungsfeld
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dieser Bedeutung den Akzent auf der ersten Sylbe hat, S. Adelungs Wörterbuch 1 thl. S. 1582). wie einen Jambus gebraucht. Durch, alles auf einmahl, würde diese Beleidigung unsers Ohrs vermieden und sogar etwas, wie wenig es auch ist, an Lebhaftigkeit des Ausdrucks gewonnen." - Die Passage des Vorabdrucks ("er denkt, er spricht, er führet, er kämpfet | auf einmal; und sieht gleichkalt, mit ruhigem Blicke" [ebd., 427]) ändert Jenisch nach Wielands Maßgabe: "er denkt, er spricht, er führet, er kämpfet, | Alles auf einmal: und sieht, gleichkalt, mit ruhigem Blicke" (XI/420). Zum gleichen Urteil kommt Biesterfeld, Friedrich der Große, 175. - Der stilistische Einfluß vor allem Klopstocks ist auch in Einzelheiten deutlich: Wie im 'Messias' begegnen in der 'Borussias' unvollständige Verse; während Klopstock jedoch höchste Ökonomie beim Einsatz dieses rhetorischen Mittels walten läßt, ist Jenisch sehr viel freigiebiger, so daß der Verdacht naheliegt, daß eine inhaltliche Motivation nicht in allen Fällen gegeben ist. Borussias, Vorrede, XVI. NTM 1792/11,436-437. NTM 1790/III, 98-99. Vgl. zu Wielands Problematisierung der Stoffwahl Sahmland, Wieland, Tübingen 1990, 302-307. NTM 1790/III, 99-102. NTM 1790/III, 97 (Hervorhebung im Original). Vgl. Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 331-332.
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von historischer Wahrheit und poetischer Gestaltung. Eine beiden Ansprüchen genügende Synthese, die über ihre Zeit hinaus gewirkt hätte, wurde in der heroischen Gattung nicht vorgelegt. Gleichwohl ist Friedrich der Große wohl als diejenige moderne Gestalt anzusehen, die für einen Epiker, der zur Bearbeitung eines aktuellen Sujets entschlossen ist, die größte Herausforderung darstellt. Auch Wieland sieht "ohne Uebertreibung" in einem solchen Vorhaben "das kühnste und schwerste Unternehmen, dessen sich jemals ein Dichter unterwunden hat"; denn "die große Seele Friedrichs des Einzigen zu umfassen", dem Helden "auf jede Höhe" und "in jede Tiefe" seines Denkens und Handeln zu folgen sowie die dem Stoff "eigene Art von menschlicher Größe und Erhabenheit" zu erreichen, 84 ist die Aufgabe des Dichters. Unter den Friedrich-Epikern ist zweifellos Jenisch derjenige, der den anspruchsvollsten Versuch unternommen hat, die "Größe" seines Gegenstands in epischer Form zu fassen. Und dies gilt mehr noch als aus formal-stilistischer Sicht - für die Gestaltung des heroischen Charakters. Daß Jenisch auch die herausragenden militärischen Fähigkeiten Friedrichs und sein mutiges, die eigene Person nicht schonendes Eingreifen preist, kann als traditionell-panegyrisches Element im Hintergrund bleiben. In einem Zeitalter, als dessen Leitwort die Humanität gilt, interessieren primär die menschlichen Eigenschaften, die Jenisch einem König gibt, der sich selbst als ersten Diener seines Staats und als Philosophen auf dem Thron bezeichnet, mit bedeutenden Vertretern der französischen Ausklärung umgeben und ein breites literarisches Werk hinterlassen hat. Regungen des Mitleids schreibt bereits Stockei seinem Helden zu. Dennoch bleibt Friedrich dort ein strahlender, letztlich ungebrochener Sieger. Bei Jenisch hat sich die Gewichtung radikal verschoben. Die Folgen der Schlachten - gleichgültig, ob Friedrich Sieger bleibt oder nicht - werden ausführlicher beschrieben als diese selbst. Neben den Auswirkungen auf die unmittelbaren Kriegsteilnehmer erhält die verheerende Lage der Zivilisten breitesten Raum. In langen Sequenzen, die darstellungstechnisch an Klopstocks Reihungen erinnern, werden private Schicksale gezeichnet: tränenreiche Abschiede und getrennte Liebende, vernichtetes Bürgerglück und ausgelöschte Familien. 85 Oft - vielleicht zu oft - wiederkehrendes Motiv ist die Zerstörung des ländlichen Idylls durch den Krieg: Die
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NTM 1790/III, 93-94. Zahlreiche dieser kleinen Episoden finden sich in der 'Inhalts- Anzeige' unter dem Titel 'Familiengemählde und Erzählungen' (S. 4-5); drei 'Familiengemälde der Menschheit' veröffentlicht Jenisch als Vorabdruck (vgl. VII. 2). - Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 333, sieht in diesen "kleinen Geschichten [...] die rührendsten und handlungsvollsten Züge", glaubt, daß "diese häusliche Poesie [...] für den größten Theil der Menschen die lebhaftesten Reize" habe, und will Jenischs "Geschmack für diese Familiengemählde" noch verstärken.
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Flucht vom Hof findet im Krieg ihr jähes Ende, die Weltwirren erreichen den abgelegensten Winkel. Die intendierte Wirkung dieser Schilderungen des Schreckens, nämlich das Mitleid des Lesers zu erwecken, spricht Jenisch deutlich aus. So in einem der Musenanrufe, die diese Sequenzen regelmäßig einleiten, und in einigen Versen, die einer der Einzelschilderungen voranstehen: 86 Nein, du vermagst sie nicht alle zu nennen, die Opfer des Todes, Welche mit Strömen von Blut die Mutter-Erde benetzten, Muse, nein! du vermagst sie nicht alle zu nennen; dir schlafften Von den Thränen, geweint dem Jammer der Menschen, die Saiten Deiner heiligen Leyer! [...] Aber lehre mich einige deiner rührensten Töne, Göttin! womit du Herzen von Stein erweichest zu Thränen, Thränen des zartsten Gefühls, Accorde der schmelzenden Wehmuth (III/104-119) Euch auch, blühende Sprösslinge ihrer liebenden Eltern, Die ihr den Scherpen-geschmücketen Führern des Helden gehorchet, Euch auch soll mein klagendes Lied dem weinenden Hörer Nennen: und strömender ihm des Mitleids Thränen entlocken. (111/211-214) Diese Tränen, die Jenisch seinen Lesern als Zeichen der mitfühlenden Menschlichkeit entlocken will, zeigen angesichts der Leiden nicht nur die Muse und ihr Sänger, sondern auch die Protagonisten des Epos, allen voran der königliche Held. Dieser gelangt - um eine signifikante Episode (11/491-673) herauszugreifen87 - unerkannt in eine bäuerliche Hütte. Schon beim Eintritt "regt sich ihm warm im Busen das Mitleid" (11/505). Er läßt sich das Schicksal der Bewohner ausführlich schildern und muß sich selbst als Ursache verheerender Wirkungen begreifen: Also der Greis! und während er spricht, da brennt wie auf Glutasch Friedrich im Busen das Herz: und wiederholentlich winkt er, Ihm doch die Seele nicht ganz zu zerreissen. Der Wimper enttriefen Zwey schwer-perlende Thränen, geweint dem Jammer der schuldlosLeidenden Menschen [...]. (11/625-629) Die Empfindung des Mitleids steigert sich zu "schwarzen Schauer-gedanken" (11/634 u. 636-637), die ihm die Ruhe rauben. Im Moment der Niederlage, als der politische Zweck des Krieges unerreichbar und die in Kauf genommenen 86
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In einer Anmerkung zum Prooimion, das einen Anruf an die "Göttin der mildergesitteten Menschheit" (1/18; im Vorabdruck: "Muse der milderen Menschheit") enthält, nennt der Verfasser den Zweck seines Werks: "Dieser Anruf an die Muse der milderen Menschheit characterisiert dem Leser den ganzen Geist meines Gedichtes, dessen lezter Zweck ist, Achtung für jede Großthat der Menschheit, und Mitgefühl für die schrecklichsten Leiden derselben, einzuflößen" (NTM 1790/11,280). Vgl. Biesterfeld, Friedrich der Große, 176, der die sozialkritischen Aspekte hervorhebt.
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Opfer vollends sinnlos erscheinen, wird diese mitleidige Melancholie zu abgründiger Depression. Nach der Schlacht bei Kolin sitzt Friedrich "vertieft in schwarzen Gedanken des Jammers" neben "dem blutigen Feld" (III/409 u. 422). Nach einem Monolog voller Selbstanklagen88 und über die Sinnlosigkeit des Daseins wird er im Schlaf von einem "Atheistischen Traumgesicht" heimgesucht, das allgemeine "Verwüstung" prophezeit (III/519). 89 Im Zentrum des Epos stehen - wie gesehen - Friedrichs Suizidgedanken. Diese sind das Resultat eines ausführlichen Selbstgesprächs, das Vernunftgründe gegen die Möglichkeit postmortaler Existenz vorbringt, den Selbstmord als Zeichen der Größe erscheinen läßt und im Gedankengang deutlich an den "bekannten Monolog des Hammlet" angelehnt ist, zu dem er nach dem bescheidenen Wunsch des Autors ein "Gegenstück" darstellen soll.90 Freilich sollen die tiefen Zweifel des Monologs durch die Gottesvision des verklärten Kleist, die das "wahre Wunderbare einer Epopee unsers philosophischen Jahrhunderts" darstelle, 91 als unbegründet erwiesen werden. Am Ende des Epos sollen sich Ansätze einer Wiederherstellung der zerstörten Idylle und damit der Realisierung des Kleist prophezeiten "veredelten Menschengeschlechts" zeigen. Eine Sequenz schildert Schicksale von Kriegsheimkehrern, die wieder in die ländliche Gesellschaft integriert werden (XII/512-699). Aber auch hier bleibt das "Glück" der Menschen vom Krieg gezeichnet: Ein "zum Krüppel" geheilter Soldat steht unverhofft "auf dem hölzernen Bein am Altar mit dem Trauring" (XII/668-669), ein von Wunden Entstellter beweist poetisches Talent, indem er die Zuhörer durch seine "melancholische Erzählung" 92 erschüttert. Der Grundton der 'Borussias' bleibt somit dunkel. Die konsequente, in vielen Passagen aufdringlich gefühlsbetonte und an das Mitleid des Lesers appellierende Darstellung der schrecklichen Kriegsfolgen prägt auch den Helden. Dieser beweist seine Größe nicht zum geringsten Teile im melancholisch gefärbten Mitgefühl und in der Abgründigkeit seiner Gedanken. 88
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Biesterfeld, Friedrich der Große, 176-177, weist hin auf den nachträglich gestrichenen Vers III/430: "Des von Göttern und Menschen, verlassnen, gehasseten Friedrichs?" Von einem "Atheistischen Traumgesicht Friedrichs" spricht Jenisch in einer Anmerkung zum Vorabdruck der Passage (Berlinische Monatsschrift XVII [1791], 213-214). - Im folgenden vierten Gesang ist die Vokabel "Verwüstung" mehrfach aufgegriffen (IV/4; 20; 44). Neue Thalia III (1793), 318. - Die Dominanz des Selbstmordgedankens in der 'Borussias' koinzidiert auffällig mit dem wahrscheinlichen späteren Suizid des Autors, der in "einem Anfall von Schwermuth [...] sein 42jähriges, sehr thätiges Leben in der Spree" (DBA 604, 263) beendet haben soll. Eine Interpretation, die aus dem Werk auf die psychische Befindlichkeit seines Verfassers rückschließen wollte, hätte diesen Aspekt genauer zu untersuchen. Neue Thalia III (1793), 287. So bezeichnet Jenisch die Episode (XII/678-699) in seiner 'Inhalts-Anzeige' (S. 12).
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Diese moderne Konzeption, in der sich die grundsätzliche Problematik eines kriegerischen Eposhelden in einer das Mitleid als höchste Tugend feiernden Zeit offenbart, kann jedoch über die Schwächen des Werks nicht hinwegtäuschen. Der wenig sorgfältige Umgang mit dem Metrum wurde - in Wielands Blick - bereits ebenso berührt wie die nachteilige Wirkung der langen Reihung kleiner, motivisch gleicher Erzählungen. Indem Jenisch sein Werk mit solchen Abschnitten überfrachtet, erreicht er eher den Verdruß des Lesers als seine Rührung. Das "Tragische, Schauervolle und Erhabene der Ilias mit dem Zärtlichen und Häuslichen der Odyssee zu verweben", 93 gibt der Verfasser als Ziel seiner Dichtung an und formuliert damit einen Anspruch, der von der mangelhaften poetischen Faktur nicht eingelöst wird. Motivationsprobleme einzelner Übergänge und Einschübe kommen hinzu. 94 Neben der beschriebenen Dehnung des zentralen Moments der Dichtung befremdet etwa, daß Friedrichs einstiger Lehrer seine rückblickende Erzählung über die Jugend des Königs mit einer ausführlichen, als selbständiges Werk gekennzeichneten Strophendichtung abschließt - deren Verfasser Daniel Jenisch selbst ist. In diesem unnötigen Zusatz werden einerseits Fakten schlicht wiederholt und andererseits Tatsachen aus Friedrichs weiterem Leben berichtet, die sich mit der in das Jahr 1759 verlegten Szene chronologisch schlecht vertragen. 95 Die Peinlichkeit des umfänglichen Selbstzitats wird durch die Einleitung aus dem Munde von Friedrichs Mentor noch erhöht: Eine der jüngeren Pieriden, die, feurigen Geistes, Jeden blumigten Tand der Dichter verschmäht, und erhabne Themen sich wählt, womit sie die Herzen der Menschen zur Tugend Und zu Thaten entflammt, (der Dichtkunst würdige Ziele,) Hat den Einzigen Mann des Jahrhunderts also besungen: (XI/430-434)
Solch unangemessener Stolz auf die eigene Leistung, durch eine einschränkende Anmerkung kaum relativiert,96 spricht auch aus dem Epilog der 'Borussias': 93 94
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Berlinische Monatsschrift XXII (1793), 555. So ist etwa eine Episode, die den gefangenen Trenck als Führer einer versuchten Revolte zeigt und ihn mit Zügen des Miltonschen Satans darstellt (VI/212-581), poetisch kaum motiviert. Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 337, stellt diesen Mangel fest, rechtfertigt Jenisch aber mit dem Hinweis, daß die Episode "in der Geschichte des siebenjährigen Krieges gegründet" sei. Offenbar hat Jenisch darauf vertraut, daß die "heterogene[n] Bestandteile" (Biesterfeld, Friedrich der Große, 176) seines Werks "durch Einen grossen, allgemein-bewunderten Charakter zu Einem Ganzen verbunden" werden (Vorrede, VI). Jenisch versucht diese Diskrepanzen mühsam zu erklären, indem er beispielsweise anmerkt: "In dem Sinn des Gedichts kann und muss dies nur als poetische Weissagung gedeutet werden" (Anm. zu XI/603, S. 305). "Unerträgliche Eitelkeit" attestiert dem Dichter auch Biesterfeld, Friedrich der Große, 179.
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Friedrich der Große als epischer Held Also dein kühnes Lied, mein Geist! Du verachtetest, stolzen Ganges, das Nackenschütteln und Hohngeflüster der ecklen Alleswisser, denen die holz-zerspaltende Faust mehr Gilt, als die leyer-beseelende Hand der unsterblichen Musen! Kleinlich und tandverwöhnt ist Herrmanns Volk! und im Staube Ruhet von dir der erhabne Gesang des seraphischen Sängers, Ο Messias; vergessen das Lied des heimischen Barden Friedrichs; nur wenige Seelen behagt Don Carlos; die hohe Iphigenia klagt sich nicht minder verlassen in Teutschland, Als in Tauriens öd-umstäubten Wüsten [...]. Kleinlich und tandverwöhnt ist Herrmanns Volk! Und dennoch Sangst du, mein Geist, nicht kleinlich den Kleinlichen? wagtest, ο Kühner! Unermuntert und unbelohnt, ein einsamer Verlassner, Ihn zu wandeln, den Weg der unsterblichen Alten? du wagtest Tugend zu singen und Weisheit? du wagtest, die Blumen des Tandes Zu verschmähen? Du hast's gewagt; - Es richten die Musen! (X1I/769-777 u. 788-793)
Vermessenheit zeigt schließlich das Motto des Werks, das in der Übernahme des Eingangs der 'Aeneis' höchste Erwartungen weckt. Diese übersteigerten, nicht befriedigend eingelösten Ansprüche haben die Zeitgenossen überwiegend mit stiller Verachtung gestraft. Schiller indessen, der noch 1793 einigen Proben des Epos Eingang in seine 'Neue Thalia' gewährt hat, spricht das richtende Urteil der Musen, indem er Jenischs Motto zum Anlaß eines 'Guten Rathes' nimmt, der dem Verfasser Dichtungen geringeren Anspruchs empfiehlt. 97 Friedrich Schiller: Plan einer 'Fridericiade' Ob Schiller mit seinem kritischen Xenion primär Jenisch als Verfasser der 'Borussias* treffen will oder ob er vor allem jenen "litterarischen Sansculotten" Jenisch meint - "Der närrische Mensch, [...] der sich in alles mischen muß" -, ist hier nicht zu entscheiden. 98 Unbekannt bleibt auch, ob Schillers Ungenügen
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Schiller ΝΑ I, 342 (Xenion 269): "Guter Rath | Accipe facundi Culicem, studiose, Maronis, | Ne, nugis positis, arma virumque canas." Schiller übernimmt hier ein Epigramm des Martial (XIV, 185), dessen letztes Wort "legas" statt "canas" lautet, und rät Jenisch somit, sich das früher Vergil zugeschriebene Epyllion 'Culex' anstelle der 'Aeneis' zum Vorbild zu nehmen und also einen bescheideneren Gegenstand zu wählen. - Auch das vorangehende Xenion betrifft Jenisch (ebd.; Xenion 268): "Borussias | Sieben Jahre nur währte der Krieg, von welchem du singest? | Sieben Jahrhunderte, Freund, währt mir dein Heldengedicht." Schüler ΝΑ XXVIII, 110, 23-24 (Schiller an Goethe, 23.11.1795). Die Bezeichnung Jenischs als "litterarischen Sansculotten" wurde übernommen aus dem Aufsatz von Krolop, Geteiltes Publikum, geteilte Publizität, 270-384, insb. 341-365, und beruht auf der Tatsache, daß ein Aufsatz Jenischs über den Mangel deutschsprachiger Prosa im 'Berlinischen Archiv' Goethes Beitrag
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an dem Preußen-Epos des Berliner Predigers mit seinem eigenen Plan einer 'Fridericiade' zusammenhängt. Die konzeptionellen Ähnlichkeiten zwischen der ausgeführten 'Borussias' Jenischs und Schillers davon zweifellos unabhängigem Projekt zu beobachten, ist jedoch von Interesse. Die äußeren Daten der geplanten Dichtung sind knapp zu erinnern: Im Herbst 1788 legt Körner, dessen Briefwechsel mit Schiller sämtliche einschlägigen Zeugnisse zugehören, dem Freund nahe, "ein episches Gedicht auf Friedrich" zu erwägen." Schiller zeigt sich von der Idee angetan, glaubt sich jedoch erst durch "einige vollendetere poetische Werke" für diese Aufgabe, die "6 biß 8 Jahre [...] zu früh" für ihn komme, profilieren zu sollen. 100 Ein halbes Jahr später, im März 1789, hat er indessen auf einer "Geisteswanderung" bereits Grundzüge des Werks festgelegt. 101 "Das epische Gedicht will mir nicht aus dem Kopfe", schreibt Schiller im gleichen Monat des folgenden Jahres und verrät Körner, daß er eine Übersetzung einiger Passagen aus der 'Aeneis' in Stanzen anfertigt. 102 Die Übersendung des übertragenen vierten Buchs lenkt die Korrespondenz im November 1791 ein letztes Mal auf die 'Fridericiade', deren Stoff von Körner wie von Schiller aus jeweils unterschiedlichen Beweggründen nunmehr als ungeeignet erachtet wird. 103 Wie für Jenisch ist für Schiller ein gültiges Epos ohne strikte Orientierung an der Antike nicht denkbar. Zwar muß "ein episches Gedicht im XVIIIten Jahrhundert [...] ein ganz andres Ding seyn, als in der Kindheit der Welt", aber man habe "vielleicht [...] nicht Unrecht", "einem Kunstwerk Classicität abzusprechen, wenn seine Gattung nicht aufs bestimmteste entschieden ist". 104 Diese Bestimmung der Gattung verwirklicht sich für Schiller offenbar primär in der Nachahmung formal-stilistischer Charakteristika der antiken Muster. So ist er etwa gleichermaßen gewillt, die "karakteristische Enumeration" der 'Ilias' nachzuahmen wie eine dem "modernen Stoffe" angepaßte "Machinerie" zu erfinden. 105 Vor allem aber ist es zwischen den Briefpartnern keine Frage, daß die beabsichtigte Handlung von klassischer Struktur sein würde. Körner denkt sich das "Begeisternde aus der Geschichte eines solchen Mannes in
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'Litterarischer Sansculottismus' (1795) veranlaßt hat. Vgl. Biesterfeld, Friedrich der Große, 172-173. Schiller NAXXXIII/1, 238, 22-33 (Körner an Schiller, 14.10.1788; Hervorhebungen hier und im folgenden im Original). Schiller ΝΑ XXV, 120, 31-121, 6 (Schüler an Körner, 20.10.1788). Schiller ΝΑ XXV, 224, 21-226, 12 (Schiller an Körner, 10./12.3.1789). Schüler ΝΑ XXVI, 12, 9-14 (Schiller an Körner, 26.3.1790). Schüler ΝΑ XXVI, 113-114 (Schiller an Körner, 28.11.1791) u. XXXIV/1, 111-113 u. 117-118 (Körner an Schiller, 22.11. u. 6.12.1791). Schüler ΝΑ XXV, 224, 32-33, u. 225, 9-11 (Schüler an Körner, 10./12.3.1789). Schüler ΝΑ XXV, 225, 11-12 u. 37-38 (Schüler an Körner, 10./12.3.1789). Dagegen glaubt Körner wohl, daß Schüler "ohne die conventioneUen Schnörkel" auskommen werde (Schüler NAXXXIII/1, 238, 24; Körner an Schüler, 14.10.1788).
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einen kleinen Raum zusammen gedrängt", und Schiller weiß, daß die "Haupthandlung [...] wo möglich sehr einfach und wenig verwickelt seyn" müßte. 1 0 6 Stärker noch als bei Jenisch, mit dessen Ansatz aber deutlich verwandt, zeigt sich bei der geplanten 'Fridericiade' der nach dramatischer Konzentration und tragischer Konstellation suchende Zugriff des Dichters. Sind dort die scheinbar aussichtslosen Lagen des Helden nach den verlorenen Gefechten, vor allem nach der Niederlage bei Kunersdorf, Angelpunkte des Werks, so denkt Schiller, für den "eine unglückliche Situation" den heroischen "Geist unendlich poetischer entwickeln läßt", ebenfalls an "die Schlacht bey Kollin" oder an die "traurige Constellation vor dem Tode der Kaiserin Elisabeth, die sich dann so glücklich und so romantisch durch ihren Tod lös't". 107 So nahe auch die zentrale Darstellung der prekären Situation des Helden gelegen haben mag, so verrät doch die jeweilige dramatische Verdichtung der Handlung eine engverwandte klassizistische Disposition. Weniger "klassisch" als sein Kollege Jenisch geht Schiller jedoch bei der Wahl des Metrums vor. Vom Hexameter rät bereits Körner ab. 1 0 8 Offenbar ist auch Schiller - trotz oder gerade wegen der daktylischen Dichtungen von Klopstock und Voß - von der Eignung dieses Versmaßes für die deutsche Sprache nicht überzeugt, denn er entscheidet sich für die italienische Stanze: Aber welches Metrum ich dazu wählen würde, ganz entschieden wählen würde, erräthst Du wohl schwerlich? - Kein andres als ottave rime. Alle andern, das Jambische ausgenommen, sind mir in den Tod zuwider, und wie angenehm müßte der Ernst, das Erhabene in so leichten Feßeln spielen! Wie sehr der epische Gehalt durch die weiche sanfte Form schöner Reime gewinnen!109 Diese entschlossene Wahl mag angesichts des Anspruchs auf "Classicität" verwundern, scheint doch die Stanze in der Epik der Zeit fest mit dem spezifisch leichten Ton der ariostischen Rittergedichte verbunden. Schiller will sich augenscheinlich diesen Charakter des Metrums zunutze machen, indem er ihn mit dem erhabenen Gehalt heroischer Epik verknüpft. 1 1 0 Bevor er jedoch die Ausführung des modernen Stoffs wagen möchte, versucht er einerseits die eigene Fähigkeit in der Erdichtung epischer Stanzen und andererseits die Eignung des Metrums für die klassisch epische Materie, indem er Passagen der 'Aeneis' in ottave rime überträgt. 1 1 1 Die metrische Studie, die hinsichtlich der 106 Schiller NAXXXIII/1, 238, 28-29 (Körner an Schiller, 14.10.1788), u. XXV, 225, 32-33 (Schiller an Körner, 10./12.3.1889). 107 Schiller ΝΑ XXV, 225, 28-32 (Schiller an Körner, 10./12.3.1789). 108 Schiller NA XXXIII/1, 238, 25-26 (Körner an Schiller, 14.10.1788): "Auch könntest Du etwas andres an die Stelle der Hexameter brauchen." 109 Schiller ΝΑ XXV, 225,17-22 (Schüler an Körner, 10./12.3.1789). 110 In ähnlicher Weise rät Schiller 1797 für das Projekt eines 'Jagd'-Epos Goethe zur Stanze; vgl. Kap. VI, S. 310-311. 111 Der enge Zusammenhang der Vergil-Übertragung mit der geplanten 'Fridericiade' geht aus Schillers Brief an Körner vom 26. März 1790 eindeutig hervor. Um sich in "achtzeiligten Stanzen zu versuchen", übersetze er "etwas aus
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späteren Verwendung des Versmaßes in eigenen Werken mit Goethes Hexameter-Version des 'Reinecke Fuchs' zu vergleichen ist, gelingt so überzeugend, daß Körner nicht nur zur sofortigen Dichtung eines eigenen Epos rät, sondern im Überschwang auch die "Classicität" der Stanze feststellt: "Wäre Virgil jetzt in dem Falle ein deutsches Gedicht zu schreiben, sein für Wohlklang so empfängliches Ohr wählte sie gewiß statt der Hexameter." 112 Im Augenblick der handwerklichen und stilistischen Sicherheit erfolgt jedoch die Aufgabe des Plans. Obwohl Schillers Begründung eher lakonisch bleibt, erlaubt der Kontext des Briefwechsels einige Überlegungen. Die Aktualität des Stoffs, die Wieland als größtes Problem für einen FriedrichEpiker des 18. Jahrhunderts ansieht, stellt Schiller mehr als Herausforderung denn als Hemmnis dar: "Alle Schwierigkeiten, die von der so nahen Modernität dieses Sujet entstehen, und die anscheinende Unverträglichkeit des Epischen Tones mit einem gleichzeitigen Gegenstande würden mich so sehr nicht schrecken, im Gegentheil, es wäre eines Kopfes würdig, sie zu bestehen und zu überwinden." 113 Daß allerdings auch die fehlende zeitliche Distanz zur Materie Schiller bewogen haben dürfte, die epische Verherrlichung Friedrichs zu unterlassen, legt seine Suche nach einem alternativen Gegenstand nahe: Gustav Adolf, den einige Jahre zuvor Gerhard Anton von Halem zum Helden eines epischen Fragments gemacht hat, 114 dominiert für kurze Zeit Schillers Überlegungen, zugleich aber denkt er an einen Stoff aus dem vierten oder fünften Jahrhundert. 115 Zweifellos ist "Schillers Suche nach einem deutschen Nationalhelden" damit - im Moment der Verabschiedung der 'Fridericiade' stärker dem "Sog [...] weg von der Aktualität" ausgesetzt, als er selbst in der anfänglichen Begeisterung zugesteht. 116
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der /Eneis" (Schüler ΝΑ XXVI, 12, 11-12; vgl. ebd., 558). - Zu Schiller als Vergil-Übersetzer vgl. zuletzt Schubert, Schillers Übersetzung, in: Schiller und die höfische Welt, Tübingen 1990, 191-212, der weitere Literatur nennt und sich speziell mit der frühen hexametrischen Übertragung aus der 'Aeneis' beschäftigt. Schiller NA XXXIV/1, 112, 4-6 (Körner an Schiller, 22.11.1791). Schiller ΝΑ XXV, 120, 34-38 (Schiller an Körner, 20.10.1788). Vgl. den bibliographischen Nachweis in Kapitel VII. 2. Schiller ΝΑ XXVI, 114, 7-34 (Schüler an Körner, 28.11.1791). Wiedemann, Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus, in: Patriotismus, Hamburg 1991, 82. Die beiden anderen Komponenten dieses Sogs, nämlich denjenigen "weg von der säkularen Geschichte und hin zur religiösen" und denjenigen weg "von einer Dramaturgie der äußeren Handlung und hin zu einer solchen der inneren" (ebd.), scheint Wiedemann mit dem Ziel der anschließenden Parallelisierung mit Klopstock (ebd., 82-85) übertrieben zu pointieren. Ein spezifisch religiöser Gehalt im Sinne christlicher Epik ist aus Schülers Überlegungen zum Gustav Adolf-Stoff kaum abzuleiten. Und auch bei diesem Projekt geht Schiller von der äußeren Handlung aus, für die er in Ansätzen bereits eine Disposition parat hält (Schüler ΝΑ XXVI, 114, 24-29; Schiller an Körner, 28.11.1791; vgl. ebd., 559). - Zwangloser ergäbe sich unter Wiedemanns
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Die Abkehr vom Plan der Friedrich-Epopöe zugunsten eines möglicherweise weniger patriotisch verbindlichen Sujets - Körner denkt gar an Kaiser Julian -, könnte darauf hindeuten, daß Schiller die Vorstellung, das zu schreibende Gedicht sei eine "Nationalangelegenheit", zurückgedrängt und sich einem übernationalen Konzept zugewandt habe. 117 Seinen Freund Körner allerdings, der eine unüberwindliche Kluft zwischen dem nationalen und dem allgemeinmenschlichen Interesse sieht und einen stark philosophisch und menschheitsgeschichtlich geprägten Stoff vorschlägt, 118 weist Schiller in die Schranken. Nicht nur besteht er auf einer konkreten, historischen Handlung, in die der Ideengehalt zu integrieren sei, sondern er weiß auch um die Verhaftung des Weltbürgers mit seiner Nation: Kein Schriftsteller, so sehr er auch an Gesinnung Weltbürger seyn mag, wird in der Vorstellungsart seinem Vaterland entfliehen. Wäre es auch nur die Sprache, was ihn stempelt, so wäre diese allein genug, ihn in eine gewiße Form einzuschränken und seinem Produkt eine nationelle Eigentümlichkeit zu geben. Wählte er aber nun einen auswärtigen Gegenstand, so würde der Stoff mit der Darstellung immer in einem gewißen Widerspruche stehen, da im Gegentheil bei einem vaterländischen Stoffe Inhalt und Form schon in einer natürlichen Verwandtschaft stehen. Das Intereße der Nation an einem Nationellen Heldengedichte würde dann doch immer auch in Betrachtung kommen, und die Leichtigkeit, dem Gegenstand durch das Lokale mehr Wahrheit und Leben zu geben.119 Um die Synthese aus "Nationalbegebenheit und Menschheitsfortschritt"120 ist es ihm zu tun. Schillers kosmopolitische Haltung ist nicht national indifferent, nicht sie bedingt primär die Abwendung vom Preußenkönig. Eher scheint ihm nunmehr diese Gestalt nicht über das notwendige Integrationspotential zu verfügen, um die beiden divergierenden Pole - das Nationale und das Allgemeine - episch zu synthetisieren. Schon in den detaillierten Äußerungen vom März 1789 garantiert eher der zeitweilige preußische Hofphilosoph Voltaire
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Fragestellung eine parallele Untersuchung von Klopstocks Entscheidung für den christlichen Helden und Wielands über die biblische Epik hinausführender Entwicklung zum antikisierenden Klassizismus (vgl. hierzu in Ansätzen den Eingang des vierten Kapitels dieser Arbeit). Schiller ΝΑ XXV, 121, 4-5 (Schüler an Körner, 20.10.1788), u. XXXIV/1, 118, 22-26 (Körner an Schiller, 6.12.1791). - Burger, Schillers Plan, in: GoetheKalender 1937, 197-217, der es in nationalistischer Sichtweise als tragisch ansieht, daß Schiller "seinen eigensten Schritt, mit der bekenntnishaften Wucht einer Dichtung schöpferisch-nationaler Art der Erziehung des deutschen Menschengeschlechtes zu dienen, nicht" getan habe (213), differenziert nicht genügend zwischen Schiller und Körner und sieht auch bei Schiller "eine geringere Bewertung des Nationalen zugunsten des Allgemeineren und des abgelöst Menschlichen" (208). Schiller NA XXXIV/1, 112,25-42 (Körner an Schiller, 22.11.1791). Schiller ΝΑ XXVI, 113,26-114, 2 (Schüler an Körner, 28.11.1791). Wiedemann, Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus, 81.
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als Friedrich selbst den angestrebten geistigen Gehalt des projektierten Werks. 121 Auch als nationale Symbolfigur scheint ihm Friedrich, der politisch kaum für die Einheit Deutschlands stehen kann und kulturell den vaterländischen Leistungen gegenüber ignorant bleibt, suspekt geworden zu sein. 122 Diese Skepsis gegenüber dem Helden und seiner national wie allgemeinmenschlich integrativen Funktion, die in ihren Einzelheiten aus den wenigen Äußerungen nicht exakt zu fassen ist, schlägt sich in Schillers oft zitiertem Diktum nieder, das unmittelbar an obige Passage anschließt und daher nicht als Absage an den nationalen Gehalt des Stoffs mißverstanden werden darf: Fridrich II ist kein Stoff für mich, und zwar aus einem Grunde, den Du vielleicht nicht für wichtig genug hältst. Ich kann diesen Karakter nicht lieb gewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisirung an ihm vorzunehmen.123 Das "Liebgewinnen" des Charakters, das Schiller als Bedingung für seine (im Kantschen Sinne aufzufassende) "Idealisirung" bezeichnet, ist mehr als ein Gradmesser der persönlichen Sympathie oder Antipathie des Dichters gegenüber seinem Helden. 124 Offenbar meint Schiller etwas ähnliches, wenn er sich von der Geschichte Gustav Adolfs "poetisches Intereße" verspricht und seine dichterische Kreativität von einem Stoff abhängig macht, dem sich "Herz" und 121 Schüler ΝΑ XXV, 226, 8-11: "Ein schönes Denkmal würde auch Voltaire darinn erhalten. Was es mir auch kosten möchte, ich würde den freyen Denker vorzüglich darinn in Glorie stellen, und das ganze Gedicht müßte dieses Gepräge tragen." - Vgl. die weitergehenden Gedanken zum Einfluß Voltaires auf Schillers Plan bei Wiedemann, Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus, insb. 79. 122 Ob für Schiller bereits 1791 die ablehnende Haltung des Königs gegenüber der deutschsprachigen Literatur ein Motiv war, den epischen Plan fallenzulassen, ist nicht zu entscheiden. Um 1800 manifestiert sich diese kritische Sicht im Gedicht 'Die deutsche Muse': "Von dem größten deutschen Sohne, | Von des großen Friedrichs Throne | Gieng sie schutzlos, ungeehrt" (Schiller NA II/l, 408). Zur Bedeutung dieser Verse im Kontext von Schillers Vorstellung einer "Kulturnation" vgl. Kimpel, Zum Verständnis des Begriffs 'Nationalliteratur' in der deutschen Klassik, 53. Kimpel sieht jedoch bereits für die Abwendung Schillers vom Plan der 'Fridericiade' seine von der Kant-Lektüre geprägte kunstautonome Haltung als bestimmend an (50-54). 123 Schiller ΝΑ XXVI, 114, 2-6 (Schüler an Körner, 28.11.1791). 124 Burger, Schillers Plan, 208-209, und Kimpel, Zum Verständnis des Begriffs 'Nationalliteratur' in der deutschen Klassik, 50-54, sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem auf Schillers Kant-Lektüre zurückzuführenden Konzept der "Idealisirung" und der Ablehnung des Friedrich-Stoffs. Während Burger den Mangel an Begeisterung jedoch als "persönlichen Grund" und als "sehr privat und ungewichtig" bezeichnet (209 u. 212), glaubt Kimpel die Formulierung "nicht lieb gewinnen" als "Hinweis auf Friedrichs Skeptizismus und Freidenkerei" objektivieren zu können und sieht in Schillers Abwendung vom Preußenkönig als Eposhelden eine Entscheidung gegen den "zu sehr politisch heteronom [...] und zu wenig kunstautonom" bestimmten Stoff (51).
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"Phantasie" mit "Innigkeit und Feuer" anschließen können und der ihm "geistiges Intereße" gibt. 125 Daß er dieses "poetische" und "geistige Intereße" nachhaltig nicht bei Friedrich, sondern tatsächlich in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges gefunden hat, macht das nächstfolgende große dichterische Werk Schillers, die 'Wallenstein'-Trilogie, deutlich. Daß er die durch die Vergil-Übersetzung gefestige Absicht, ein eigenes Epos in Stanzen zu verfassen, zugunsten der Tragödie fallengelassen hat, könnte darauf hinweisen, daß seine ursprüngliche Einschätzung, er solle sich zuvor durch Werke anderer Gattungen profilieren, wieder an Stellenwert gewann. Daß er schließlich dennoch das Interesse am Epos nicht verlor, zeigt seine rege Anteilnahme an der Diskussion mit Goethe über epische und dramatische Dichtung und an dessen versepischem Kampf mit Homer, dem Thema des folgenden, letzten Kapitels.
125 Schüler ΝΑ XXVI, 114, 7 u. 35-37 (Schüler an Körner, 28.11.1791). Vgl. Hermodsson, Schüler, Gustav Adolf und die Nemesis, in: Germanistische Streifzüge, Stockholm 1974, 62-78, zu Schülers Steüung zu Gustav Adolf, zu dem Plan einer Dichtung über diesen Helden und zur Frage, weshalb Schiller schließlich WaUenstein bevorzugt habe.
VI. Goethes Werkpaar im Zeichen Homers Die Geschichte des deutschen Versepos verzweigt sich im 18. Jahrhundert mehrfach. Neben Werken mit nationalem Stoff aus der frühen, mittleren oder zeitgenössischen Historie steht die biblische Epik über Gegenstände des Alten oder Neuen Testaments. Beide Strömungen bleiben, wenn auch ihre Blütezeit vergangen ist, bis in die neunziger Jahre existent: Die erörterten Versuche einer Friedrich-Epopöe werden etwa flankiert von Georg Geßners 'Ruth oder Die gekrönte häusliche Tugend' (1795). Daneben entfaltet die Ritterepik, meist im Versmaß der Stanze, eine reichhaltige Produktion, in deren Umkreis auch Goethes Fragment 'Die Geheimnisse' gehört. Seine eigentliche epische Epoche aber hat Goethe in den letzten Jahren des Säkulums. Er knüpft weder an die Epik im Geiste Ariosts an, noch versucht er, die biblische oder die nationale Eposdichtung zu neuem Leben zu erwecken. Zwar ist 'Hermann und Dorothea' durch den Hexameter mit der religiösen und durch den aktuellen Stoff mit der national-zeitgeschichtlichen Epik verbunden. Jedoch ist Goethes Ausgangspunkt für seinen Agon mit Homer ein anderer: die hexametrische Idyllik von Vossens 'Luise', die er zum unheroisch-idyllischen Epos steigert. Ist das Vorbild für 'Hermann und Dorothea', in dessen Nachahmung sich das Werk freilich nicht erschöpft, in einer dem Epos benachbarten Gattung zu sehen, so bleibt auch die 'Achilleis', Goethes unmittelbar nach Abschluß des erfolgreichen Werks verfaßtes Fragment, ohne Vorgänger in der deutschsprachigen Gattungsgeschichte. Wielands 'Cyrus' ist der einzige ambitionierte Versuch, einen Helden der Antike zu besingen. Den Heros kat'exochen, den Homerischen Achill, in den Mittelpunkt eines neuen Epos zu rücken, bedeutet zweifellos ein Wagnis anderer Qualität. So sind Goethes 'Hermann und Dorothea' und seine 'Achilleis' als zwei Werke zu betrachten, die von der Gattungsentwicklung zwar sicher nicht unabhängig sind, aber in keiner der bislang beschriebenen Hauptströmungen aufgehen. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Verhältnis der beiden durch ihre Entstehungsgeschichte eng verwandten Epen hinsichtlich der in ihnen sich spiegelnden Beziehung Goethes zu Homer. Dieses Verhältnis wird in der Literaturhistoriographie meist negativ bestimmt und zum Wendepunkt in Goethes dichterischer Entwicklung stilisiert. "In der 'Achilleis' zuerst betrat Goethe die abschüssige Bahn von dem Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst zum verkünstelten Alexandrinertum", sagt Hettner eingangs des Kapitels über "Goethes antikisierende Dichtungen" in seiner 'Geschichte
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der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert' von 1870.1 Auch in neueren Gesamtdarstellungen zu Goethes Dichtung oder zu seiner Beziehung zur griechischen Poesie, die an der chronologischen Nachbarschaft von 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' nicht vorbei können, verhindert die Feststellung des Abstands beider Werke mögliche Überlegungen zum Verbindenden zwischen ihnen. Als "Krone von Goethes Hellenismus" und "Rechtfertigung eines Kampfes von zwanzig Jahren", den Goethe geführt habe, "um sein nordisches Genie zu zähmen und es griechische Maße zu lehren", bezeichnet Trevelyan das Epos 'Hermann und Dorothea*. Und weil Goethe - "bei all seinem Griechentum noch immer ein Faust im Grunde seines Herzens" - nicht habe "den Augenblick bitten können, daß er verweile", sei ihm bei dem Vorhaben, in der 'Achilleis' "als Grieche [zu] gestalten" und "die 'Ilias' fort[zu]setzen", nur "fruchtlose Plackerei und schließliche Enttäuschung" zuteil geworden. 2 Die gleiche Zuordnung von 'Hermann und Dorothea' zum vollendeten ascensus und der 'Achilleis' zum begonnenen descensus begegnet wieder bei Staiger, der Goethes dichterische Laufbahn im planetarischen Bild faßt. Mit 'Alexis und Dora' habe Goethe "den Zenith seiner klassischen Poesie erreicht"; und indem ihm die Kunst bescheide, dort zu verharren, erweise sich dieses Opus nur als "Vorspiel eines verwandten, doch größeren Werks, des Epos 'Hermann und Dorothea'". 3 Nach dessen Vollendung aber sieht Staiger "Goethes Dichtertum" an einer "hochbedeutenden Wende": "Der große Augenblick ist vorüber. Das Gestirn setzt seine Bahn am Himmel fort, dem Untergang zu."4 Der Versuchung einer solcherart wertenden Abgrenzung, die freilich durch das Liegenbleiben der 'Achilleis' nach einem Gesang befördert wird, will diese Studie entgehen. Nach Erörterung der gemeinsamen theoretischen Grundlagen von Goethes Homer-Rezeption am Ende des 18. Jahrhunderts ist zunächst die jeweilige Beziehung zum antiken Vorbild für beide Werke getrennt zu bestimmen. Sodann soll eine These zum Verhältnis beider Epen zueinander formuliert werden, deren Gültigkeit abschließend zu erweisen ist.
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Hettner, Geschichte, Berlin/Weimar 1979, II, 526. Trevelyan, Goethe und die Griechen, Hamburg 1949, 240. Staiger, Goethe, II, Zürich 1958, 231-232. Staiger, Goethe, II, 266-267.
Goethe und die Homerische Frage
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1. Goethe und die Homerische Frage Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Hontems Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn. Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit dem Einen? Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.5
Goethes Verhältnis zu Homer in den Jahren vor 1800 ist wesentlich mitbestimmt von seiner Stellung zur seinerzeit aktuellen Homerischen Frage. Sie bildet den theoretischen Hintergrund der dichterischen Praxis. Ist Goethes Position aber so wechselhaft und uneindeutig, wie aufgrund widersprüchlich erscheinender Äußerungen des Dichters behauptet wird? 6 Und ist nicht gerade hinsichtlich der hier interessierenden epischen Produktion im Zeichen Homers eine ästhetisch weitgehend konstant bleibende Beurteilung der antiken Epen festzustellen? Schon Goethes Kontaktaufnahme mit dem philologischen Fragenkomplex zeigt, daß Friedrich August Wolfs 1795 in seinen 'Prolegomena ad Homerum' veröffentlichte Thesen über Entstehung und Verfasserschaft, Tradierung und kritische Behandlung der Homerischen Epen für Goethe keineswegs ganz neu sind. Für frühere Jahre belegt ist etwa Goethes Studium von Robert Woods 'Versuch über das Originalgenie des Homers', der die Schriftlosigkeit des epischen Dichters behauptet. 7 Auch die Befreiung vom "Namen Homeros", für die Wolf in der als Motto zitierten Widmungselegie zu 'Hermann und Dorothea' gedankt wird, kann schwerlich dessen Werk allein zugeschrieben werden. Einerseits war die Verfasserschaft Homers bereits von der französischen Kritik bezweifelt worden, andererseits - und für Goethe wichtiger - hat Herder eigenständige Anschauungen zur Genese der Epen entwickelt, die im Freun5 6
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Goethe AA Ep 2,302 (Widmungselegie 'Hermann und Dorothea', 27-30). So bei Wohlleben, Goethe and the Homeric question, in: GR XLII (1967), 251-275, hier 253-254, und zuletzt bei Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, Mainz/Stuttgart 1986, 47-48 u. 53-54; vgl. ferner: den knappen Überblick bei Bapp, Goethe und die homerische Frage, in: ders., Aus Goethes griechischer Gedankenwelt, Leipzig 1921, 88-99; Steckner, Der epische Stil, Halle 1927, 11-25; Furtmüller, Die Theorie des Epos, in: Das deutsche Versepos, Darmstadt 1969, 293-327; Walzel, Goethe und die Schlegel, in: Das deutsche Versepos, 328-359; sowie die auf einen Aufsatzentwurf Goethes von 1807 hinführende Studie von Schmidt, Goethe über die "historische Kritik", in: DVjs XLIV (1970), 475-488. Wood, Originalgenie, Frankfurt/M. 1773, 262-281, insb. 271-274; Wood, Zusätze, Frankfurt/M. 1778, 53-64. Vgl. Finsler, Homer, I, Berlin 1913, 352-353, und Furtmüller, Die Theorie des Epos, 297-298. - Das Studium dieses Werks bezeugt Goethe WA 1/28, 144-146 (Dichtung und Wahrheit 111/12). Für die Rezension desselben in den 'Frankfurter gelehrten Anzeigen' von 1773 ist Goethes Verfasserschaft nicht nachzuweisen; vgl. Goethe WA 1/38, 316. Das gleiche Werk studiert Goethe nochmals während der Arbeit an der 'Achilleis' (Goethe WA III/2, 204; 2., 3. und 5.4.1798).
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deskreis diskutiert werden: Am 5. Juni 1794 kommt es zu einer Begegnung in Herders Haus, bei der außer dem Gastgeber Voß, Goethe, Wieland, Böttiger, Knebel und Meyer anwesend sind. 8 Während Böttiger der Gesellschaft die Relevanz von Homers Kenntnis der Buchstabenschrift für "alle Kritik" (und damit den Ausgangspunkt von Wolfs Hypothesengebäude) "vordemonstriert" haben will, habe "Herder die Muthmaßung" geäußert, "daß H o m e r vielleicht nur ein nomen collectivum und die Ilias und Odyssee ein künstlich zusammengesetzter Blüthenkranz vieler verloren gegangener Dichter sey". 9 Voß, als Verteidiger der "unit6 und indivisibility", sei "darüber im Ernste betreten" gewesen, Goethe habe vermittelt und dem Streit durch ein "böse[s] Bonmot ein Ende" gemacht. 1 0 Sind diesen Zeugnissen wenig Aufschlüsse über Goethes Ansichten zu der These Herders zu entnehmen, so zeigen sie doch, daß G o e t h e mit dem Problemkreis der Homerischen Frage bekannt war, bevor Wolf mit seiner Veröffentlichung die "gebildete Menschheit [...] im Tiefsten" erregte. 1 1 Die 'Prolegomena' dürften ihm somit nicht als die umwälzende Sensation erschienen sein, als die das Werk offenbar sonst gewirkt hat (und wohl auch geplant war). 1 2 Goethes Lektüre der 'Prolegomena' ist bis zum Liegenbleiben der 'Achilleis' für zwei Phasen belegt. Im Anschluß an Wolfs Aufenthalt E n d e Mai 1795 in Weimar bezeugen Humboldt und Böttiger in Briefen an den Verfasser Goethes interessiertes Studium seines Werks, das er zuletzt "an den Carlsbader Heilssprudeln mit inniger Zufriedenheit gelesen und - verdaut habe". 1 3 Nach dieser ersten Lektüre im Sommer ist in Nachbarschaft zum Abschluß der Arbeit an 'Hermann und Dorothea' im April 1797 eine neuerliche Beschäfti8
Die Zeugnisse dieser Zusammenkunft sind eine 'Memorabilie' Böttigers und ein Brief desselben an Wolf sowie Schreiben von Voß an seine Frau und von Caroline Herder an Gleim. Die Quellen werden zitiert nach Goethe BuG IV, 62-68.
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Goethe BuG IV, 63 u. 66. Goethe BuG IV, 66-67 u. 63-64. Die in den beiden Zeugnissen von Böttiger unterschiedliche Wertung von Goethes Einwurf, demzufolge die Athener sich im Schiffekatalog der 'Ilias' nicht einen so schlechten Rang zugeschrieben hätten, wenn erst sie die Epen Homers zusammengefügt hätten, sagt weniger über die Ernsthaftigkeit von Goethes Argument als über die adressenabhängige Ausrichtung des Berichterstatters aus, der nicht in eigener Sache spricht, sondern als Advokat und Schüler des nicht anwesenden Philologen Wolf auftritt. Goethe WA 1/36, 189-190. Vgl. Finsler, Homer, I, 356. Wolf habe sich, indem er Leistungen seiner Vorgänger verschweige, den "Ruf eines ersten Entdeckers" sichern wollen. Zu Wolfs Aufenthalt vgl. Steiger, Goethes Leben, III, Zürich/München 1984, 382-384. - Die Berichte Böttigers und Humboldts nach Goethe BuG IV, 150-151, 154 u. 179. Die Lektüre selbst steht wohl außer Frage. Die jeweils als positiv wiedergegebene Stellungnahme Goethes gilt es angesichts des Verhältnisses der Berichterstatter zu Wolf, der seinerseits großen Wert auf Goethes Urteil gelegt zu haben scheint, jedoch mit Skepsis zu betrachten; vgl. auch ebd., 137, 142 u. 154-155.
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gung zu verzeichen. 14 Während diese Auseinandersetzung mit Wolfs These die zentralen kritischen und ästhetischen Urteile Goethes bietet, findet sich nach der ersten Begegnung kaum eine tiefergehende eigene Stellungnahme desselben. Goethe versichert den Verfasser förmlich seines "lebhaften Antheils" und gedenkt des "trefflichen Werckes".15 Eine nähere Verbindung zwischen dem Dichter und dem Philologen ist indessen nicht zustandegekommen. Sie hat sich möglicherweise schon deshalb nicht ergeben, weil Goethe in dem wenig später ausgebrochenen Streit zwischen Herder und Wolf bewußt eine neutrale Position beziehen wollte. 16 Goethes Zurückhaltung in dieser Auseinandersetzung, in der es Wolf wohl um eine öffentliche Vormachtstellung in Sachen Homer gegangen ist, wird diesem auch von Böttiger berichtet. 17 Vor dem Hintergrund dieser Haltung gegenüber parteilichen Streitigkeiten wird man auch Goethes zweiten, über ein Jahr später geschriebenen Brief an Wolf im taktierenden Sinne zu interpretieren haben. Wenn er hier in Prosa dasjenige paraphrasiert, was die zitierten Distichen der Widmungselegie zu 'Hermann und Dorothea' aussprechen, dann darf man an die isolierende Wirkung des 'Xenien'-Streits erinnern, in dem auch Wolf sein "Gastgeschenk" erhalten hat, und Goethes Äußerungen als integrierende Maßnahmen werten. 18 Für eine solche Lesart der Elegie sprechen auch Schillers und Goethes Überlegungen zu einer Publikation als Eröffnung für "das neue Jahr der Hören", die dann unterblieben ist. 19 Da auch gegenüber Voß ein Widerspruch zwischen öffentli14
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Goethe WA III/2, 65. Ergänzend bekundet Goethe, er habe "in großer Eile das alte Testament und Homer" studiert und "zugleich Eichhorns Einleitung ins erste und Wolfs Prolegomena zu dem letzten" gelesen (Schiller ΝΑ XXXVII/1, 9, 31-10, 1; Goethe an Schiller, 19.4.1797). Hiermit befolgt Goethe zugleich Humboldts Ermunterung vom Sommer 1795, "die Ilias in Rücksicht auf [die] Proleg. durchzulesen" (Goethe BuG IV, 151). Goethe WA IV/10, 309 (Goethe an Wolf, 5.10.1795). Der Streit ist an Herders von Goethe und Schiller positiv beurteiltem 'Horen'Aufsatz 'Homer, ein Günstling der Zeit' (Jahrgang 1795, 1015-1050) entbrannt, den Wolf in einer 'Erklärung' scharf kritisiert (ALZ/Intelligenzblatt 1795, 981): "Das Ganze aber ist ein Gemisch von gemeinen und halbverstandenen Gedanken, wie sie nur Jemand fassen kann, dem die Geistesstimmung, womit eine so äußerst verwickelte Aufgabe der historischen Kritik zu behandeln ist, und die hiezu nothwendigen Kenntnisse so gut als völlig fremd sind." - Vgl. Schiller ΝΑ XXVIII, 83, 1-11 (Schüler an Goethe, 24.10.1795), u. 428-429, sowie Kapitza, Ein bürgerlicher Krieg, München 1981, 332-337, mit weiteren Hinweisen. Goethe BuG IV, 184. Goethe WA IV/11, 296-297 (Goethe an Wolf, 26.12.1796). - Vgl. die Xenien 91 u. 264 sowie die Reihe 366-370 (Schüler ΝΑ I, 320, 341 u. 354). Schiller ΝΑ XXIX, 22, 30-23, 15; XXXVI/1, 397, 30-37; 401, 4-10 (Briefe vom 7., 9. u. 10.12.1796). Goethe gibt Schillers Bedenken wegen der "Stimmung" des Publikums recht und spricht sich für eine zunächst handschriftliche Weitergabe aus, da man "bey entstandenem Streit [...] seine Freunde zu stärken Ursache" habe. - Das Widmungsgedicht wurde im Jahre 1800, partiell seines Zwecks ent-
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eher und privater Meinung, zwischen Würdigung in der Elegie und abfälliger Beurteilung im gleichzeitigen Briefwechsel festzustellen ist, 20 wird man von ästhetischen Rückschlüssen aus solcherlei bedingten Äußerungen Abstand nehmen. Bereits vor der ersten nachweislichen Lektüre der 'Prolegomena' im Sommer 1795 nimmt Goethe eingehender Stellung zu Wolfs Methode. Er bekennt, daß er "Wolfs Vorrede zur Ilias" gelesen, sie ihn - obzwar "interessant genug" - "aber schlecht erbaut" habe, und meint damit die Einleitung zum ersten, die 'Ilias' enthaltenden Teil der von Wolf edierten 'Homeri et Homeridarum opera et reliquiae' von 1794.21 Goethes Reaktion auf diese Einleitung, die die Textkritik rechtfertigt und die 'Prolegomena' ankündigt, ist insofern von Aufschluß, als der Dichter einerseits die "Bemühung", das Streben nach dem bestmöglich fundierten Text, "respecktabel" findet, andererseits aber dort Bedenken anmeldet, wo "diese Herrn, um ihre schwachen Flancken zu decken, gelegentlich die fruchtbarsten Gärten des ästhetischen Reichs verwüsten".22 Die Differenzierung zwischen textkritischer und ästhetischer Betrachtung eines Werks, zwischen dem möglichst weitgehenden Einblick in die Genese und der künstlerischen Würdigung eines Textes ist für Goethe eine so grundsätzliche, daß er jedes Verwischen dieser Grenze ablehnt. Eine "unübersteigliche Scheidewand" sieht er folgerichtig zwischen seiner dichterischen Tätigkeit und "dem heillosen Beginnen des Kritikers" gezogen, wenn er wenig später seine "Blicke über die Sache" etwas ausführlicher darlegt. 23 Goethe ver-
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hoben, zuerst gedruckt und innerhalb der 'Neuen Schriften' der zweiten Abteilung der 'Elegien' zugeordnet. Als Prooimion zum Epos ist es erstmals 1820 in einer von Goethe nicht veranlaßten Ausgabe erschienen; vgl. Goethe AA Ep 2, 197. In der Elegie heißt es: "Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise | Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband" (Goethe AA Ep 2, 303, 35-36). Dagegen schreibt Goethe kurz zuvor: "Voßens Almanach ist über die Maßen schlecht, es thut mir leid für ihn und unser Verhältniß zu ihm, denn man muß seinen Nebenbuhlern doch einigermasen gleich seyn wenn man sie nicht hassen soll. [...] Doch leugne ich nicht, daß wir den Creator Spiritus wohl zum Freunde haben müssen, wenn wir das nächste Jahr nicht zurück, sondern vorwärts treten wollen" (Schiller NAXXXVI/1, 383, 5-12; Goethe an Schüler, 15.11.1796). Schiller ΝΑ XXXV, 208, 30-31 (Goethe an Schiller, 17.5.1795). Während im Kommentar (ebd., 549-550) fälschlich bereits ein Bezug zu den 'Prolegomena' hergestellt wird, bezieht Goethe Bibl 177 (Nr. 1278) die Briefstelle korrekt (dort auch die Beschreibung des in Goethes Bibliothek erhaltenen Exemplars). Schiller ΝΑ XXXV, 208, 31-34 (Goethe an Schiller, 17.5.1795). - Zu Wolfs Einleitung vgl. Schmidt, Goethe über die "historische Kritik", 476. Goethe BuG IV, 147-148 (Bericht Böttigers). Die Datierung auf den auf Wolfs Abreise aus Weimar folgenden Freitag, den 29. Mai 1795, stammt aus der Erstveröffentlichung des Berichts durch W. Peters (1890) und wird allgemein übernommen. Goethes Aussagen sind, sobald man sie nach Wolfs Besuch ansetzt, nicht mehr auf das Vorwort der 'Ilias'-Ausgabe allein zu beziehen - wie
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sucht zunächst mit eigenen Hypothesen die von Wolf argumentativ gegen eine Autorschaft Homers vorgebrachte "psychologische Unmöglichkeit" zu entkräften und die Überlieferungsgeschichte different, aber doch so darzustellen, daß "Viel von W[olfs] Behauptung würde [...] sehr wohl bestehen können". 24 Anschließend entwickelt er antithetisch einen Gegensatz zwischen Dichter und Kritiker: "Mein Beruf ist zusammenfügen, verbinden, ungleichartige Theile in ein Ganzes zu vereinigen. Des Kritikers Beruf ist aufzulösen, trennen, das gleichartigste Ganze in Theile zu zerlegen". 25 Wenn Goethe gleichwohl einräumt, "des Kritikers in hundert Fällen nicht entbehren" zu können, so schränkt er dies darauf ein, sich "einzelne Stellen, die allen Eindruck stören", als "unächt" bestätigen zu lassen. 26 Eine ästhetische Kompetenz spricht der Dichter dem Kritiker auch hier nicht zu. Der Antagonismus zwischen kritischer und ästhetischer Beurteilung wird vielmehr durch den verwandten Antagonismus zwischen Kritiker und Dichter ergänzt. Gelten nun aber diese Gegensatzpaare auch für die erneute Lektüre im April 1797? Inwieweit konnten demnach Wolfs Untersuchungen auf Goethes epische Produktion einwirken? Zunächst fällt schon am Zeitpunkt des neuerlichen Studiums der 'Prolegomena* auf, daß dieses auf die im wesentlichen abgeschlossene Arbeit an "Hermann und Dorothea' folgt 27 und die schriftlich faßbare theoretische Reflexion über die Gattungsdifferenzierung zwischen Epos und Drama eröffnet. Eine Einwirkung auf die Dichtung ist höchstens darin zu erblicken, daß Goethe Parallelen sieht zwischen eigenen nachträglich eingefügten Versen, die "das Ganze klarer und faßlicher" machen und "künftige Ereignisse bey zeiten" vorbereiten sollen, und jenen "Verse[n] im Homer die für völlig falsch und ganz neu ausgegeben werden". 28 Die Nachbesserungen am eigenen Werk ähneln in Goethes Sicht der Unterwerfung des Homerischen Textes unter die "Verstandesforderungen" der "alten Grammatiker und Critiker"; er folgt Wolfs Einsicht insofern, als er die Textgestalt des "gegenwärtigen Homer den Alexandrinern" zuschreibt und als redaktionell überarbeitet begreift. 29 Ein ästhetisch geändertes Verständnis der antiken Epen, das auf
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Schmidt, Goethe über die "historische Kritik", 476-477, es unter irriger Verlegung des persönlichen Kontakts auf den 1. bis 3. Juni in Jena tut. Goethe BuG IV, 147-148. Goethe BuG IV, 148. Goethe BuG IV, 148. Die Einteilung in neun Gesänge war vollzogen, es folgten noch Korrekturen und Drucküberwachung sowie die letzten 93 Verse; vgl. Goethe AA Ep 2, 180-182, und Elsaghe, Der Schluß von 'Hermann und Dorothea', in: JDSG XXXV (1991), 57-72. Schiller NA XXXVII/1, 10, 20-24 (Goethe an Schüler, 19.4.1797). Elsaghe, Der Schluß von 'Hermann und Dorothea', 61-66, versucht zu erweisen, daß Goethe einige Verse (VI/186-190; VII/101; VIII/65) im Hinblick auf den angefügten Schluß interpoliert habe. Schiller NA XXXVII/1,10, 7-19 (Goethe an Schiller, 19.4.1797).
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die eigene Dichtung zu applizieren wäre, kommt indessen auch bei philologischer Übereinstimmung in einigen Aspekten, die die zentrale Frage der "Einheit" kaum berühren, nicht in Betracht. Gerade in diesem Punkt bleibt Goethe ausdrücklich bei seiner antagonistischen Auffassung. Als er wenige Tage später Friedrich Schlegels Aufsatz 'Über die Homerische Poesie' liest, kritisiert er eben jene ästhetischen Schlußfolgerungen aus philologischen Untersuchungen, die er schon an Wolfs 'Ilias'-Vorrede als Verwüstung "des ästhetischen Reichs" verurteilt hat. Schlegel bemüht sich programmatisch, "die Wolfischen Entdeckungen für die Kunstgeschichte zu benutzen". Im historischen Sinne tut er dies, indem er die "Homerische Poesie" zunächst entstehungsgeschichtlich beschreibt und sie nicht als "Werk eines Künstlers", sondern als "Erzeugnis einer Periode der epischen Kunst" anzusehen geneigt ist.30 Aus dieser Sicht sucht Schlegel - in Abkehr von normativen Bestimmungen und in Abgrenzung zum Drama - einen neuen Begriff des alten Epos. Hier sei der Stoff "zu einer bloß sinnlichen Einheit" zusammengefügt; die "epische Harmonie" sei von der "dramatischen Vollständigkeit" zu unterscheiden; es läge nicht wie dort eine "poetische Handlung" vor, "sondern eine unbestimmte Masse von Begebenheiten", eine endlose "Reihe", die dem "Wesen nach weder Anfang noch Ende" kenne. 31 An diesem Punkt setzt Goethes Widerspruch ein. Daß "das epische Gedicht nicht die dramatische Einheit haben" könne, daß keine "solche absolute Einheit in der Ilias und Odyssee" nachzuweisen sei, bedeute keineswegs, die Forderung nach poetischer Einheit für das Epos generell aufzugeben 3 2 Der "Wolfischen Meinung" über die allmähliche Entstehung der Epen Homers in weitem Umfange zustimmend, lehnt Goethe die "neue Schlegelsche Ausführung" als Fehlschluß ab: "Denn daraus daß jene großen Gedichte erst nach und nach entstanden sind, und zu keiner vollständigen und vollkommenen Einheit haben gebracht
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Schlegel KAI, 116-123; das prägnante Zitat stammt aus Schlegels 'Geschichte der Poesie der Griechen und Römer von 1798', zu der der Aufsatz eine Vorstufe darstellt (ebd., 523). Vgl. auch die Einleitung von E. Behler, in der diese Sichtweise der "Vorliebe der romantischen Generation" für den Gedanken an "kollektive Naturpoesie oder überindividuelle Volkspoesie" zugewiesen wird (ebd., CLII-CLV, hier CLIII), sowie die zusammenfassende Charakterisierung bei Furtmüller, Die Theorie des Epos, 302-308. Schlegel ΚΑ I, 124. Schüler NAXXXVII/1, 15, 21-30 (Goethe an Schüler, 28.4.1797). Vgl. XXXVII/2, 34-35. Daß Goethe die 'Prolegomena' selbst dieser Kritik nicht unterzieht, dürfte daran liegen, daß sich Wolf hier, wie Wohlleben, Goethe and the Homeric question, 263 u. 266, in anderer Beweisabsicht schon feststellt, nicht mit Fragen poetischer Wertung beschäftigt. Vgl. zur Auseinandersetzung Goethes mit Schlegel auch Szondi, Poetik und Geschichtsphüosophie II, Frankfurt/M. 1974, 277-281.
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werden können, [...] folgt noch nicht: daß ein solches Gedicht auf keine Weise vollständig, vollkommen und Eins werden könne noch solle."33 Indem Goethe zuletzt Horazens Forderung des "simplex et unum" auf die epische Gattung angewendet wissen will, besteht er ausdrücklich auf einer Ästhetik, die entgegen Schlegels romantischer Forderung nach unvollkommener Offenheit klassizistisch ausgerichtet ist. Ein in der Konzeptfassung des zitierten Briefs erhaltener Satz weist auf die entscheidende Differenz zwischen Schlegels und Goethes Anschauung hin: "Aristoteles, den die Herrn immer gern meistern möchten und den ich in diesen Tagen auch wieder vornehmen will scheint mir diese Sache [die poetische Einheit des Epos] viel besser getroffen zu haben".34 Der freie Umgang mit den Bestimmungen des Aristoteles mußte den Unwillen des Klassikers erregen. So urteilt Schlegel, der Aristoteles' "unrichtigen Begriffen" entgegentreten will, daß dieser zu "Unrecht [...] vom epischen Gedicht die Darstellung einer einzigen vollständigen Handlung" verlange und daß seine für Drama und Epos gleichlautende Forderung nach Einheit "auf Jahrtausende der unerschöpfliche Quell" von "grundstürzenden Mißverständnisse[n]" gewesen sei. 35 Goethe lehnt diese Umdeutungen ab und verwahrt sich gegen den Versuch einer Harmonisierung zwischen Aristoteles und Wolf, den Schlegel am Schluß seines Aufsatzes unternimmt. 36 Der Niederschlag der eigenen Aristoteles-Lektüre findet sich dann am Anfang des gemeinschaftlichen Aufsatzes 'Ueber epische und dramatische Dichtung', den Goethe Schiller schon hier ankündigt und in einer ersten Fassung schließlich am 23. Dezember 1797 zusendet. 37 Wenn dort scheinbar lapidar festgestellt wird, daß "Epiker und Dramatiker [...] beyde den allgemeinen poetischen Gesetzen [...], besonders dem Gesetze der Einheit und dem Gesetze der Entfaltung", unterworfen seien, dann drückt sich in dieser Über-
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Schiller ΝΑ XXXVII/1, 15, 35-16, 4 (Goethe an Schiller, 28.4.1797). Ein gewisses Unbehagen auch an Wolfs Anschauung drückt sich darin aus, wenn Goethe en passent die Werke Homers für "vollkommner organisirt" hält, "als man denkt" (ebd.). Schiller NA XXXVII/2, 34 (Goethe an Schiller, 28.4.1797; Konzept). Die Auslassung des Satzes in der Reinschrift zugunsten eines weiter unten eingeschaltenen Abschnitts über Aristoteles erklärt sich dadurch, daß sich Goethes Ankündigung, dessen 'Poetik' zu studieren, durch die tatsächliche Lektüre erledigt hatte (Goethe WA III/2, 66; 27./28.4.1797). - Auf diesen in der Forschung meist übersehenen "Unterschied" in Goethes und Schlegels "Verhältnis zu Aristoteles" geht Steckner, Der epische Stil, 21-23, am Rande ein. Schlegel ΚΑ I, 126-127 u. 130-132. Vgl. Aristoteles, Poetik, Stuttgart 1982, 76 (Kap. 23). Schlegel ΚΑ I, 131 (Anm. VII). Schiller ΝΑ XXXVII/1, 16, 5-8 (Goethe an Schiller, 28.4.1797); nach den Darlegungen von Gerlach, Neudatierung, in: Goethe-Jahrbuch CIV (1987), 379-381, kann es als wahrscheinlich gelten, daß Goethe den Text aufgrund von Schillers Schreiben vom 26. Dezember 1797 erheblich überarbeitet hat.
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nähme aus der 'Poetik' des Aristoteles die Opposition zu Schlegel nochmals klar aus. 38 Goethes Äußerungen im Umkreis der Studien und Vorarbeiten zur 'Achilleis' sind im ganzen geeignet, seine fortgesetzte Unterscheidung zwischen philologischer und ästhetischer Betrachtung einerseits und andererseits sein Festhalten an der aristotelischen Forderung einer poetischen Einheit des epischen Gedichts zu demonstrieren. "Einheit und Untheilbarkeit des poetischen Werthes" will er gerade in einer Situation "fest halten und vertheidigen", in der ihn "unendliches Verlangen" zur Arbeit drängt; indem er sein "erstes Appergü einer Achilleis" für "richtig" hält, erscheint Goethe die 'Ilias' "so rund und fertig", daß "nichts dazu noch davon gethan werden kann" - und abermals konstatiert er "Einheit und Untheilbarkeit". 39 Innerhalb der wenigen Wochen, die zwischen diesen einstimmigen Erklärungen liegen, sei er "in dem Kreise von Entzückung, Hoffnung, Einsicht und Verzweiflung durchgejagt" worden. 40 Und eben in dieser Zwischenzeit, die von Zweifeln an der Tragfähigkeit des eigenes Entwurfs geprägt gewesen sein mögen, scheint Goethe sich mitunter als Chorizonten gesehen zu haben. Die erklärte Absicht, "Ilias und Odysse" in "das ungeheure Dichtungsmeer mit auf[zu]lösen", aus dem er "schöpfen" wolle,41 kann - auch angesichts der zitierten Klarstellungen - nicht im engeren Sinne als ästhetische Wertung begriffen werden. Die Freiheit, über einen bereits poetisch geformten Stoff eigenschöpferisch zu verfügen, erlaubt sich Goethe indessen mit weniger Bedenken, wenn er um den prozessualen Charakter jener Formung weiß. Der Antagonismus zwischen Kritiker und Dichter wird zwischenzeitlich also etwas gelockert: Die trennende Tätigkeit des ersteren, die den Stoff erst verfügbar macht, wird der verbindenden des letzteren vorgeschaltet. Die Vereinigung der so gewonnenen "ungleichartige^]
38
39 40 41
Schiller ΝΑ XXI, 57, 4-6. Vgl. Aristoteles, Poetik, 76 (Kap. 23). Zu den "gattungspoetischen Konzeptionen Goethes und Schillers, wie sie in ihrem Briefwechsel des Jahres 1797 erarbeitet werden", und zu dem daraus resultierenden Aufsatz vgl. Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie II, Frankfurt/M. 1974, 41-93. Schüler ΝΑ XXXVII/1, 283, 26-32, u. 293, 12-21 (Goethe an Schüler, 28./29.4. u. 16.5.1798). Schüler ΝΑ XXXVII/1, 293,10-11 (Goethe an Schüler, 16.5.1798). Schiller ΝΑ XXXVII/1, 286, 42-43 (Goethe an Schüler, 2.5.1798), gibt das Manuskript von Schreiberhand wieder, in dem es heißt: "Ilias und Odysse und das ungeheure Dichtungsmeer mit auflösen". Der von Goethe überwachte Erstdruck, dem Goethe WA IV/13, 135, folgt, liest ansteüe des zweiten "und" das sinnvoüere "in". - Eine "etwas chorizontische Aeusserung" entschuldigt Goethe im gleichen Brief gegenüber Schüler (Schüler NAXXXVII/1, 286, 28-29) und sieht sich damit selbst in gefährlicher Nähe jener alexandrinischen Sonderer, die für 'Ilias' und 'Odyssee' zwei Verfasser annahmen und die er vier Tage zuvor 'Verfluchen" wül (Schiller NA XXXVII/1, 283, 29-30; Goethe an Schüler, 28.4.1798; vgl. ebd. XXXVII/2,369-370).
Goethe und die Homerische Frage
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Theile in ein Ganzes" 42 hat jedoch eine neue, eigenständige poetische Einheit zum Ziel. Diese Maxime zeigt sich auch in Goethes Urteil über die epische Qualität des Argonautenstoffs. "Der Zug der Argonauten als ein Abentheuer ist nicht episch", schreibt er vor der Auseinandersetzung mit Schlegels Aufsatz und bestätigt damit Kallimachos' auf die 'Argonautika' des Apollonius bezogene "Ablehnung der durchlaufenden Erzählung", die "in der Nachfolge des aristotelischen Kunsturteiles" über die kyklische Epik steht. 43 Als Schiller über ein Jahr später die Aufmerksamkeit abermals auf den "Argonautenzug" lenkt, in dem er den "Keim eines epischen Gedichtes" vermutet, äußert auch Goethe zunächst ein gewisses "Zutrauen": "nach der neuen Lehre, da man von der Ερορέ keine Einheit fordern will, wäre" - so lautet seine konjunktivischdistanziert formulierte Einsicht in die produktiven Möglichkeiten von Schlegels Ästhetik - "das Sujet seiner rhapsodischen Natur nach äußerst bequem." 44 Läßt sich schon hierin Skepsis erkennen, so erscheint es nur konsequent, daß Goethe die stoffliche Überlegung nicht als eigenen Plan faßt und an eine Ausführung zu keiner Zeit denkt. Eine Äußerung des Dichters legt nahe, im folgenden den Versuch zu unternehmen, Goethes Haltung zur Homerischen Frage und den aus Wolfs Thesen abgeleiteten ästhetischen Schlußfolgerungen anhand der beiden epischen Dichtungen zu verifizieren. Denn den Philologen Wolf hat Goethe selbst auf seinen in 'Hermann und Dorothea' dargebrachten "practischen Beyfall" verwiesen, da er "nicht im Falle" sei, die 'Prolegomena' "theoretisch zu prüfen" 4 5 Die dichterische Reaktion auf die in Frage gestellte Einheit der Epen Homers gilt es wesentlich an der Form zu untersuchen. Das vollendete Epos erlaubt hierbei weitergehende Überlegungen als die fragmentarische 'Achilleis', deren Eingang jedoch zusätzlichen Aufschluß bietet.
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Goethe BuG IV, 148. Schüler ΝΑ XXXVII/1, 14, 24-25 (Goethe an Schiller, 26.4.1797). - Lesky, Geschichte, Bern/München 1971, 787-807 u. 818-827, hier 799 u. 818-819. Schüler ΝΑ XXIX, 269,2-5; XXXVII/1, 345, 6-10 (Briefe vom 28. u. 29.8.1798). Goethe WA IV/11, 297, 6-8 (Goethe an Wolf, 26.12.1796).
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Goethes Werkpaar im Zeichen Homers
2. 'Hermann und Dorothea' - Form und Funktion der homerischen Elemente Äußere Gestalt: Musennamen und Überschriften
Die äußere Gestalt des epischen Gedichts von 'Hermann und Dorothea' als Antwort auf die in der Homerischen Frage diskutierte Form des HomerTextes begreifen zu wollen, heißt zuerst, ihre Genese in den Blick zu nehmen. Die Einteilung des Werks in neun Gesänge, die der Erstdruck im 'Taschenbuch für 1798' aufweist, 46 entspricht nicht Goethes ursprünglicher Konzeption. Diese teilt er nach einer ersten Arbeitsperiode im Herbst 1796 mit: "ein Gegenstand, der zu einem [...] kleinen Gedichte bestimmt" gewesen sei, habe sich "zu einem größern ausgedehnt", das "sechs Gesänge und etwa zweytausend Hexameter erreichen" werde. 47 Sämtliche Äußerungen Goethes über 'Hermann und Dorothea' bis zum Tagebucheintrag vom 21. März 1797, der den "Schluß des letzten Gesangs" verheißt und von einer "Abschrift der drey letzten Gesänge" spricht, 48 sind auf diese Einteilung in sechs Gesänge zu beziehen. Die Umwandlung in die bleibende Gestalt von neun Gesängen, von denen jeder mit einem Musennamen und einer Überschrift versehen wurde, kann am 8. April als abgeschlossen gelten, da Goethe nun die "doppelten Inschrifften" erwähnt, mit denen sich die Gesänge "gar artig" ausnähmen. 49 Die Art dieser ersten schriftlichen Erwähnung der neuen Gestalt gegenüber Schiller erlaubt eine genauere Datierung. Denn Goethe setzt Schillers Kenntnis der Neueinteilung und Benennung voraus. Da er Jena am 31. März verlassen hatte und in Weimar mit Humboldt "über die letzten Gesänge ein genaues prosodisches Gericht" hielt, dürfte die formale Umwandlung vor diesem Datum anzusetzen sein. 50 Für die Vermittlung der Idee an Schiller 46
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Vgl. für alle Fragen der äußeren Gestalt den im bibliographischen Anhang zitierten Nachdruck dieser Ausgabe. In dieser ersten Fassung lautet der Titel 'Herrmann und Dorothea', und der Protagonist heißt durchgängig "Herrmann". Der Text des Epos wird jedoch nach der Fassung in Goethe AA Ep 1, 193-280, zitiert, die der späteren und allgemein üblichen Schreibart "Hermann" folgt. Goethe WAIV/11, 272-273 (Goethe an Meyer, 5.12.1796). Zur Entstehungsgeschichte vgl. die umfassende Zusammenstellung sowie die Übersicht bei Scheibe, Zu Hermann und Dorothea, in: Beiträge, Berlin 1959, 226-232 u. nach 240. Goethe WA III/2, 62; bereits am 15. März 1797 trägt Goethe in sein Tagebuch ein: "Früh das Gedicht geendigt" (ebd., 60). Beide Eintragungen bezeichnen lediglich einen vorläufigen Abschluß der Arbeit bei Vers IX/225 (vgl. Scheibe, Zu Hermann und Dorothea, 235-237); den endgültigen "Schluß des epischen Gedichtes" verzeichnet das Tagebuch am 7. Juni 1797 (Goethe WA III/2, 72). Vgl. Anm. 27. Schüler ΝΑ XXXVII/1, 3,10-11 (Goethe an Schüler, 8.4.1797). Schiller ΝΑ XXXVII/1, 3, 8-9 (Goethe an Schiller, 8.4.1797). Auch der zugehörige Kommentar schließt aus Goethes Ausdrucksweise, daß Schiller über die
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kommt insbesondere die Unterredung vom 17. März in Betracht, die Goethes Tagebuch als Gespräch "über die Rubriken der einzelnen Gesänge" bezeichnet. 51 Diese Annahme verträgt sich mit der in der genannten Reinschrift anfänglich noch beibehaltenen Sechsteilung, wenn man voraussetzt, daß Goethe den Beschluß zur Neueinteilung und Benennung im Gespräch mit Schiller faßt, sie aber erst anhand der ihm vorliegenden Abschrift durchführt. Hierzu paßt, daß der Vorgang, der zuletzt eine Unterteilung des ursprünglich dritten, vierten und sechsten Gesangs nach sich zieht, offensichtlich beim vierten und damit ersten der Reinschrift ansetzt, der mit 560 Versen über ein Viertel des Gesamtumfangs erreicht hatte. 52 Der von Goethe auch in seiner formalen Gestaltung verantwortete Textteil des Erstdrucks wird auf der nicht bezeichneten ersten Seite durch den Musennamen "Kalliope" eröffnet. Nach einer Vakatseite folgt die Überschrift "Schicksal und Antheil", der sich der Texteingang anschließt. Diese Anordnung wiederholt sich zu Beginn eines jeden Gesangs. Das Auffällige dieser Gestaltung besteht darin, daß sie dem Äußeren zeitgenössischer Homer-Ausgaben angenähert ist. Die Edition der 'Ilias' durch Wolf 53 ist - hier am Beispiel des ersten Gesangs - folgendermaßen aufgebaut: Vor dem Gesang befindet sich ein Deckblatt, dessen Vorderseite mit der Aufschrift "ΙΛΙΑΔΟΣ ΡΑΨΩΙΔΙΑ A" versehen ist; die Rückseite bietet ein lateinisches "Summarium"; auf der ersten Textseite folgt auf die gekürzt wiederholte Zählung ("ΙΛΙΑΔΟΣ Α") eine knappe Überschrift. Unter Vernachlässigung der wiederholten Gesangszählung sowie der als neuzeitliche Beigabe erkennbaren Zusammenfassung verhalten sich Goethes Zählung nach Musennamen und seine Überschriften parallel zu der Rhapsodienzählung nach den Buchstaben des griechischen Alphabets und den Kurztiteln über den Homerischen Gesängen. Während die Parallelität der Überschriften unmittelbar einleuchtet, bedarf die zwischen Musen- und Buchstabenordnung einiger Erläuterungen.
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Neubenennung "unterrichtet" ist und daß diese während "Goethes Aufenthalt in Jena" beschlossen worden sei (ebd. XXXVII/2, 17). Schillers Reaktion zeigt keine Verwunderung, vielmehr übernimmt er Goethes Bezeichnung "Muse" für die einzelnen Gesänge (ebd. XXIX, 65, 9-10; Schiller an Goethe, 18.4.1797). Dagegen übersieht Scheibe, Neue Zeugnisse, in: Goethe-Jahrbuch. NF XXIII (1961), 268-279, der die Druckgeschichte ausführlich dokumentiert, dieses Indiz und tendiert zu der Auffassung, Goethe habe erst aufgrund eines von Böttiger stammenden Vorschlags vom 7. April, dem Erstdruck Kupfer mit Musendarstellungen beizufügen, die neue Benennung vorgenommen. Goethe WA III/2, 61. Vgl. die tabellarische Übersicht in Goethe A A E p 2 , 181. Goethe markiert in einer frühen Korrekturschicht die Stelle der Teilung mit dem Eintrag "Fünfter Gesang", der - nachdem auch der dritte Gesang eine Halbierung erfährt konsequent in "Clio Sechster Gesang Das Zeitalter" verändert wird (ebd., 259). Vgl. zur Abfolge der Korrekturschichten ebd., 183. Zitiert nach der Ausgabe Leipzig 1804, die Goethe selbstverständlich nicht als Vorlage gedient haben kann.
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Die griechische Antike kennt beide Prinzipien für die Ordnung und Einteilung umfangreicher Werke. Die Zählung der Werkteile nach den 24 Buchstaben des Alphabets dürfte schon durch die Verwendung der Schriftzeichen als Zahlzeichen nahegelegen haben. Während die E p e n H o m e r s das bekannteste Beispiel einer solchen Ordnung sind, findet sich die Strukturierung nach den neun Musen in Herodots Geschichtswerk. Die rein zählende Funktion verbindet sich mit der Würdigung des Autors, der von jeder der Musen ein Buch seiner 'Historien' erhalten habe. 5 4 Eine Anknüpfung Goethes an dieses Vorbild wird allgemein angenommen. Schon August Wilhelm Schlegel erwähnt diese Parallelität, auf die auch die gleichzeitige Rezension der 'Neuen Nürnbergischen gelehrten Zeitung' hinweist, während die 'Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften' Goethe "diese poetische Freyheit" als Unbescheidenheit auslegt. 55 O b Goethe tatsächlich an Herodot gedacht hat, ob er mit der Anlehnung an ein historiographisches Werk einen spezifischen Anspruch erheben und ob er wirklich an Herodots Ehrung partizipieren wollte, kann indessen bezweifelt werden. D e n n positive Anhaltspunkte wie briefliche Äußerungen oder eine zeitlich naheliegende Herodot-Lektüre fehlen. Als weiteres mögliches Vorbild erwägt bereits H e h n - ohne jedoch auf Wolfs mögliche Vermittlung an Goethe hinzuweisen - eine Einteilung der Homerischen E p e n in neun Gesänge, die Krates von Mallos vorgenommen habe. 5 6 Als letzten von den "Criticis nobilioribus" stellen die 'Prolegomena' den aus Pergamon stammenden "Crates Mallotes, qui a singulari studio poetae Homericus dictus est", und seine meist allegorischen Auslegungen vor. Seine neunteilige Textfassung bespricht Wolf nach einer byzantinischen Enzyklopädie und charakterisiert Krates als "aemulus et adversarius acerrimus" des Alexandriners Aristarch 5 7 Diesen rühmt er zuvor in höchsten Tönen: "vulga54
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Vgl. Lesky, Geschichte, 372. Die Reihenfolge bei Herodot ist diejenige des Prooimions der 'Theogonie' des Hesiod. In Anlehnung an ein Epigramm der 'Anthologia Graeca' (IX/165), das Herodot als geehrten Gastgeber der Musen darstellt, dichtet Karl Varnhagen von Ense dieses Distichon: "Goethe'n empfing gastfreundlich der Chor süßtönender Musen; | Diese Gesänge darauf ließ er zum Danke zurück." Zitiert nach: Lützeler, Hermann und Dorothea, in: Goethes Erzählwerk, Stuttgart 1985, 237-238. Schlegel, Sprache und Poetik, Stuttgart 1962, 64; die beiden anderen genannten Rezensionen sind am leichtesten greifbar bei Braun II/2, 265-266 u. 306-312, hier 312. Bevor die vermeintliche Nachahmung Herodots zum repetierten Topos geworden ist, gab es allerdings auch Unverständnis. So bei Kretschmann, der Goethes "Einfall" als "Bisarrerie" bezeichnet und "Sonderbar und ganz unerklärlich" findet (Briefe an W. G. Becker, 4.11.1797 u. 6.1.1798; zitiert nach: Goethe-Jahrbuch VII [1886], 214). Hehn, Über Goethes Hermann und Dorothea, Stuttgart 1893, 65. Hierauf beruhen die eher skeptischen Hinweise bei Heimerking, Hermann und Dorothea, Zürich 1948, 97, und Lützeler, Hermann und Dorothea, 237. Wolf, Prolegomena, Halle 1795,276-280, hier 276.
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tam nostram recensionem esse ipsam Aristarcheam"', dieser habe die Epen in jene Ordnung gebracht, "in qua nec medium primo, nec imum discrepat medio", und er sei es wohl gewesen, der "haec opera duo in has, quae nunc numerantur, rhapsodias" eingeteilt habe. 58 An diese Kontrastierung der beiden Kritiker und ihrer Homer-Fassungen kann Goethe anknüpfen und damit die Ordnung seines Werks derjenigen der antiken Epen gegenüberstellen. Beide Ordnungen, die der 24 Buchstaben und die der 9 Musen, bilden einen vollständigen, in sich geschlossenen Zirkel, in dem jedes Element für die Geschlossenheit des Ganzen notwendig ist und auf diese verweist. Daß Goethe seine Musen primär in diesem zyklischen Sinne verstanden wissen will, legen zeitlich benachbarte Äußerungen über die Eignung des Musenchors als Kunstgegenstand nahe. Goethes im Oktober 1797 konzipierter Aufsatz 'Über die Gegenstände der bildenden Kunst' nennt diejenige Klasse von Sujets am vorteilhaftesten, die "sich beim ersten Anschauen sowohl im Ganzen als in ihren Theilen selbst erkläre"; hierzu zählt Goethe auch die Musen: Nun kann es aber einen gewissen Kreis, ein Cyklus von Gegenständen geben, die zusammen gleichsam einen mystischen Gegenstand ausmachen, wie die neun Musen mit dem Apoll [...]. Hier erscheinen die mancherlei Modificationen einer Eigenschaft oder eines Affects und schließen sich nach einer glücklichen Verkettung wieder in sich selbst zusammen.59
In seiner Abhandlung 'Über Laokoon' von 1798 sieht es Goethe wiederum als großen "Vortheil für ein Kunstwerk, wenn es selbstständig, wenn es geschlossen" sei. Diese Eigenschaft komme primär eigenständigen Götterbildern zu. Aber in dem herrlichen Cirkel des mythischen Kunstkreises [...] gibt es kleinere Cirkel, wo die einzelnen Gestalten in Bezug auf andere gedacht und gearbeitet sind. Ζ. E. die neun Musen mit ihrem Führer Apoll, ist jede für sich gedacht und ausgeführt, aber in dem ganzen mannichfaltigen Chor wird sie noch interessanter.60
Der Musenchor als Gliederungsmittel eines literarischen Werks macht somit die poetische Geschlossenheit formal und äußerlich sichtbar. Indem Goethe ein Ordnungsprinzip anwendet, das auch für Homers Epen versucht worden ist, stellt er die Einheit von 'Hermann und Dorothea' neben diejenige von 'Ilias' und Odyssee'. Auch hierbei bleibt Goethes Unterscheidung zwischen kritischer und ästhetischer Sichtweise erhalten. Indem er seine Ordnung der Aristarch zugeschriebenen gegenüberstellt, akzeptiert er wiederum, daß die Neuzeit ihren 58
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Wolf, Prolegomena, 256-257 (Hervorhebungen im Original). Wolf zitiert hier die Bestimmung des Horaz: "primo ne medium, medio ne discrepet imum" (De arte poetica 152). Anders als sein Schüler Schlegel konstatiert er damit implizit, daß die Homerischen Epen in der überlieferten Gestalt den Gesetzen der klassischen Poetik genügen. Goethe WA 1/47, 92 u. 410. Goethe WA 1/47, 105.
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"gegenwärtigen Homer den Alexandrinern" verdanke. 61 Er macht auch hier die Erkenntnis des historischen Entstehungsprozesses für sein Werk fruchtbar und teilt es nach weitgehender Fertigstellung neu ein. Die Musenordnung betont nicht nur die Geschlossenheit des eigenen Gedichts und entscheidet damit zugleich die Frage nach der poetischen Einheit der antiken Epen, sondern rückt das Werk auch näher an Homer als die ursprüngliche Einteilung. Hätte diese sechsteilige Konzeption die formale Linie von Homer (24 Gesänge) zu Vergil (12 Gesänge) mit einer weiteren Halbierung der Anzahl der Gesänge fortgesetzt, so ergibt sich aus der Parallelität zur Buchstabenordnung nun die unmittelbare Anknüpfung. 62 Schließlich versinnbildlicht der Chor der Musen die Haltung des epischen Erzählens, wie sie Goethe und Schiller nur wenig später in ihrem Aufsatz 'Ueber epische und dramatische Dichtung' formulieren: Der Rhapsode sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedicht nicht selbst erscheinen, er läse hinter einem Vorhange am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahirte und nur die Stimme der Musen im Allgemeinen zu hören glaubte.63
Die dargelegte Rolle des gesamten Musenzirkels bedingt eine weniger spezifische Bedeutung jeder einzelnen Muse. Wenn jede der Göttinnen auf das schwesterliche Band verweist, das sie mit den anderen Töchtern der Mnemosyne verknüpft, wenn jede Muse sich in einem geschlossenen Kreis nur wenig individualisiert, sondern als Repräsentantin des Zirkels auftritt, dann dürfte der Ansatz einer strengen Unterscheidung und eindeutigen inhaltlichen Zuordnung zum jeweiligen Gesang irregehen. 64 Ferner wäre zu erweisen, daß Goethe sich auf ein festes "Bedeutungssystem" der neun Musen bezieht. Vor dem Versuch, "einer jeden Muse ihr eignes bestimmtes Geschäft anzuweisen", 61
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Vgl. Anm. 29. Für Wolf, Prolegomena, 62-63, ist die langsame Vervollständigung des Alphabets, die erst um 403 v. Chr. abgeschlossen gewesen sei, ein Argument dafür, daß die Zählung der Epen nicht früher eingeführt worden sein kann. In ähnlicher Weise ist es zu verstehen, wenn Milton in der zweiten Auflage des 'Paradise Lost' (1674) das siebte und achte Buch teilt, um die Anzahl von zwölf Gesängen zu erreichen, wenn Bodmer den ursprünglich auf sieben Gesänge angelegten 'Noah' auf zwölf Gesänge ausdehnt, und wenn Gottsched seinen Schüler Schönaich veranlaßt, aus den zunächst zehn Büchern seines 'Hermann' schließlich zwölf zu machen (Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 372; Schönaich an Gottsched, 1.5.1751). Vgl. zur programmatischen Wirkung bestimmter Zahlenordungen Curtius, Europäische Literatur, Bern/München 1978, 254-255. Schiller ΝΑ XXI, 59,11-15. Diese Zuordnung wurde in der Literatur mehrfach versucht, so bei Düntzer, Goethes Hermann und Dorothea, Leipzig 1886, 158-159, oder neuerdings bei Brown, Schiller, in: Goethezeit, Bern/München 1981, 209-210, die von einem System geringer werdender Diskrepanzen zwischen Musenname und Gesangsinhalt ausgeht, und Lützeler, Hermann und Dorothea, 238.
'Hermann und Dorothea'
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den m a n "erst in neuern Zeiten [...] mit pedantischer Genauigkeit" unternommen habe, warnt indessen Karl Philipp Moritz in seiner 'Götterlehre' und sagt ganz in Goethes Sinne, daß "jede einzelne Muse gleichsam die übrigen in sich" darstelle und die Schwestern daher "nie zu scharf eine von der andern abgesondert werden" müßten. 6 5 Die Vielfalt der traditionellen Charakteristika läßt die Zuordnung der "Bedeutung" einer Muse zu ihrem Gesang als nahezu willkürlich erscheinen. So gelten etwa Kalliope, Klio, Terpsichore und Urania verschiedenen Überlieferungen zufolge als Mutter des Hymenaios. 6 6 Einer Interpretation, die den Gott der Hochzeiten als Sohn der Muse des letzten Gesangs (Urania) für dessen Inhalt beanspruchen wollte, wäre also Einschichtigkeit vorzuwerfen. Ebenso kann für die einzelne Muse selten ein einheitlicher Zuständigkeitsbereich behauptet werden. 6 7 Auf der Grundlage dieser vagen Bestimmungen nach Anknüpfungspunkten im Inhalt zu suchen, ist sicher müßig. Dies gilt auch für Kalliope, die Muse des ersten Gesangs. Allerdings partizipiert Goethe, indem er sie an die Spitze seines Musenchors rückt, an ihrer traditionellen Sonderstellung als Schutzgöttin der libris carmina heroiccfö und beansprucht so eine Zugehörigkeit seines Werks zu dieser Gattung. Für die Überschriften hingegen ist der Zusammenhang mit dem jeweiligen Gesang klarer faßbar. Zur Orientierung dienen G o e t h e die kurzgefaßten Inschriften über den Gesängen Homers. Diese deuten keineswegs immer den gesamten Inhalt eines Gesangs an. Wird mitunter der Ort der Handlung genannt oder die Bewegung der Schlacht u m Troja nachgezeichnet, so erscheint mehrfach nur ein prägnantes Motiv der Handlung oder der Name des zentralen Helden. 6 9 Diese variable Art der Charakterisierung strukturiert den Gesamtablauf, indem mehrere gleichartige Formulierungen aufeinander 65
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Moritz, Werke, Frankfurt/M. 1981, II, 784. Seine Kritik trifft zu auf Ramler, Mythologie, Wien/Prag 1798, 110-112, wo jeder der Musen "ihr besonders Amt" zugewiesen wird. Hederich, Lexikon, Darmstadt 1986, 606, 744, 2319 u. 2479, sowie 1306-1307. Ζ. B. Hederich, Lexikon, 2326: man halte Thalia "für eine Vorsteherinn der Gastereyen", "für eine Erfinderinn der Komödien"; "jedoch soll sie auch mit der Klio und Kalliope insonderheit den ernsthaften Studien vorstehen"; ferner gelte "sie für die Erfinderinn der Geometrie, wie nicht weniger des Feld- und Gartenbaues". Seit Hesiods 'Theogonie' (75-79) gilt Kalliope als "Hervorragendste von allen" Musen (Gedichte, Darmstadt 1984, 31). Diese Sonderstellung bewahrt sie in einschlägigen Katalogen; so in dem bei Hederich, Lexikon, 1671-1672, nach Vergil zitierten, wo sie ausdrücklich als Schutzherrin der epischen Gattung auftritt. Ort der Handlung: "Τά έν Πόλω; Τά έν Λακεδαΐμονι" (Od. III u. IV); Bewegung der Schlacht: "Μάχη επί ταΐς ναυσίν; Παλίωξίς παρά των νεών" (II. XIII u. XV); Motiv der Handlung: "Λαμός. Μήνις" (D. I); Heldenname (in flektierter Form): "Δολώνεια; ΠατρόκΧεια" (II. Χ u. XVI). - Zitiert nach Wolfs Ausgabe, Leipzig 1804-1807.
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Goethes Werkpaar im Zeichen Homers
bezogen sind: so bei Telemachs Reise und den Stationen der Schlacht (Od. III und IV, II. XIII und XV) und so beim weitgespannten Rahmen vom 1. zum 19. Gesang der 'Ilias' ("Μήνις"; "Μήνιδος άπόρρησις"). Ähnliche Funktionen sind für einige Überschriften in 'Hermann und Dorothea' nachzuweisen. Die Zusammenführung des Paares, die im Titel des Werks als dessen Handlungsziel angegeben wird, ist in der Dramaturgie der Überschriften zum zweiten, siebten und achten Gesang vorgezeichnet: zunächst "Hermann" und "Dorothea" jeweils allein, voneinander getrennt durch die äußeren und inneren Hemmnisse, die es in den dazwischenliegenden Gesängen auszuräumen gilt, und schließlich "Hermann und Dorothea" gemeinsam auf ihrem Weg in Hermanns Vaterhaus. Wie bei den einen Helden im Titel exponierenden Homerischen Rhapsodien beansprucht auch bei Goethe die den Gesang bezeichnende Person zwar zentrales Interesse, ihr Handeln ist aber ebenfalls nicht alleiniger Gegenstand des Gesangs. Deutlich aufeinander bezogen sind auch die Überschriften zum dritten und fünften Gesang: "Die Bürger" und "Der Weltbürger". Während die erste Inschrift wohl auf den Wirt, den Apotheker und den Pfarrer als typisierte Repräsentanten einer kleinstädtisch-bürgerlichen Welt zu beziehen ist, scheint die zweite weniger eindeutig auf konkretes Personal zu zielen und wurde entsprechend kontrovers interpretiert. Eine antithetische Auffassung der beiden Überschriften läßt eine Identifikation des "Weltbürgers" mit dem Pfarrer oder dem Dorfrichter wohl nicht zu. 70 An den früheren Verlobten Dorotheas, dessen sie sich ausführlich am Ende des Werks erinnert, denkt Rasmussen und versucht der Schwierigkeit, daß dieser im fünften Gesang mit keinem Wort genannt wird, mit gewagten Konstruktionen und Konkretionen zu begegnen. 71 Das 70
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Den Pfarrer schlagen etwa Viehoff, Commentar, in: Archiv für den Unterricht I (1843) 2, 19, und Steckner, Der epische Stil, 254-255, vor und versuchen ihn aus dem Kreis der Bürger auszuklammern, was aufgrund seiner Rolle im dritten Gesang nicht möglich sein dürfte. An den Dorfrichter, der als Nebenfigur den Bürgern des Städtchens nicht wirksam entgegengestellt ist, denkt Düntzer, Goethes Hermann und Dorothea, 159-160. Bei Lypp, Ästhetische Reflexion, Stuttgart 1969, 51-56, und Brown, Schiller, 209, füllen Pfarrer und Richter nebeneinander das Prinzip "Weltbürgertum" aus. Zuerst erwähnt wird dieser durch den Richter in VI/186-190. - Rasmussen, Georg Förster, in: Goethe und Forster, Bonn 1985, insb. 54-60, verbindet eine kurze Passage in der eröffnenden Rede des Pfarrers (V/15-18) mit der Charakterisierung des ersten Bräutigams (IX/256-296) durch einen angeblichen gemeinsamen Bezug auf das Lebensschicksal Georg Forsters. In der Figur des Verlobten habe Goethe, der einer Würdigung des Revolutionärs durch Schlegel verpflichtet sei, Forster ein Denkmal setzen wollen. Morgan, Polarization, in: GQ LVII (1984), 532-545, sieht zwar ebenfalls (mit anderen, teilweise gründlicher recherchierten Dokumenten) Forster als Vorbild des Verlobten an, interpretiert aber seinen Tod als den Tod des aufgeklärten politischen Optimismus, dessen Symbolfigur Förster sei, und konstruiert keine Verbindung zur Überschrift des fünften Gesangs. Die verbreitete, seit 1925 begegnende Identi-
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Problem der teilweise gezwungenen Interpretationen scheint darin zu bestehen, daß vom Begriff eines Kosmopoliten ausgegangen wird, der vordergründig von keiner der im fünften Gesang exponierten Figuren erfüllt werden kann. Aufgrand der antithetischen Formulierung der Überschriften wird man jedoch Hermann, der sich zu Beginn des Gesangs der Welt der Bürger entgegenstellt, als möglichen "Weltbürger" in Betracht ziehen dürfen. Seine vom Pfarrer festgestellte Entwicklung "zum Manne" (V/76) begründet eine solche Interpretation. Während des Gesprächs der "Bürger" im lichtgeschützten Refugium des Wirtsstube überschreitet Hermann - wie es der Gang der Mutter und die von ihr vorgefundenen offenen Türen nachzeichnen (IV/1-64, vor allem 19 und 46-47) - sämtliche Grenzen der väterlichen Sphäre. Seine Flucht aus dem Zimmer bedeutet zugleich eine Entgrenzung, eine Öffnung zur Welt. Hermanns anschließende Ausfahrt in die fremde Welt der Flüchtlinge, bei der er "die Mauern der Stadt und die reinlichen Thürme" zurückläßt (V/145), seine unbedingte Entscheidung für das fremde Mädchen und sein Entschluß, zusammen mit dieser sich eine neue Welt aufzubauen, setzen den begonnenen Weg fort. Er gipfelt in Hermanns Schlußrede: "Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich" (IX/304). Sein "Weltbürgertum", das Erneuerung der Welt aus dem Geiste eines festen Bundes zweier Menschen verheißt, stellt sich dem politischen Idealismus und rastlosen Kosmopolitismus des früheren Verlobten Dorotheas entgegen. Als Bürger und Mann, zu dem ihn die rechte Wahl zur rechten Stunde vollendet (V/56-78), kann er es mit der beunruhigten Welt aufnehmen und qualifiziert sich zum "Weltbürger". Gemeinsam mit der Überschrift zum vierten Gesang, die das Verhältnis zwischen "Mutter und Sohn" vorstellt, erscheint Hermann in vier der neun Titel: namentlich in der zweiten und achten Überschrift, die die Bindung zu Dorothea fixiert, als typisierte Figur neben seiner Mutter und in der fünften Überschrift in seiner Beziehung zur bürgerlichen Welt. Sowohl in der selektiven Funktion, die die Aufmerksamkeit auf einen Teil des Gesangs 72 oder eine
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fizierung des Verlobten mit Forster arbeitet Saine, Corday, in: Exile and Enlightment, Detroit 1987, 92-96 mit Anm. 14-20, kritisch auf und widerspricht ihr, indem er Adam Lux als passenderes Vorbild für die Gestalt nachzuweisen sucht. Dies ist bei der sechsten Überschrift ("Das Zeitalter") gegeben, die die Rede des Richters ankündigt. - Während die Überschrift "Schicksal und Antheil" in ihrer Beziehung zum ersten Gesang unproblematisch ist, bleibt es beim letzten Gesang vordergründig, an die "Aussicht" auf die bevorstehende Hochzeit oder den ersehnten Frieden zu denken (Cholevius, Einleitung, Leipzig 1877, 256; Steckner, Der epische Stil, 254); möglicherweise weist die handschriftlich überlieferte Form "Aussicht und Nähe" (Goethe AA Ep 2, 287) kontrastiv auf das Verhältnis zwischen dem nahen, beschützten Raum der Familie und der fernen, entwurzelten Welt der Revolution hin, das sich in der Gegenüberstellung von Dorotheas früherem Verlobten und Hermann spiegelt. Mit "Aussicht" wäre
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besonders exponierte Person lenkt, als auch in der strukturell gliedernden Funktion, die den Gesamtablauf mit markanten Einzeichnungen transparent macht, knüpft Goethe an die Homerische Vorgabe an. Er geht darüber hinaus, wenn er die Beziehungen, in denen sein Held Hermann steht, bereits in den Überschriften in unterschiedlicher Weise interpretiert. Homerische Stilmerkmale und motivische Anspielungen Orientierung an epischen Mustern und insbesondere an Homer verraten neben der Entscheidung für den Hexameter, mit dem Goethe rezeptiv durch die Beschäftigung mit der Ilias-Übersetzung von Voß und produktiv durch seine Version des 'Reineke Fuchs' vertraut ist, homerische Stilmerkmale und motivische Anspielungen auf die antiken Epen. Deren Beschreibung gehört seit August Wilhelm Schlegels ausführlicher Rezension zu einer Konstante der Besprechung von 'Hermann und Dorothea'. Anstatt Vollständigkeit anzustreben, sollen daher einzelne Phänomene exemplarisch untersucht werden. Vor der übergreifenden Frage nach der Funktion des Homerischen im Text des neuzeitlichen Epos, die zusammenhängend und mit Rücksicht auf die Forschung zu erörtern ist, werden die Beziehungen des Epos zur biblischen und zur idyllischen Tradition geprüft, um die Rolle der homerischen Elemente im größeren Kontext bewerten zu können. Das Fehlen eines feierlichen Musenanrufs zu Beginn des Werks zeigt den Abstand, den Goethes idyllisches Epos zu seinen heroischen Verwandten wahrt. Dennoch verzichtet Goethe nicht auf eine Invokation der Musen, rückt sie aber an den Eingang des neunten Gesangs. Aufgrund ihrer Stellung, ihres Inhalts und ihrer pluralischen Form 7 3 ist sie nicht mit den Prooimien der Homerischen Epen zu vergleichen. Eher kann an die im Verlauf dieser Werke begegnenden Anrufe gedacht werden, mit denen sich der Sänger vor wichtigen Abschnitten des Beistands versichert. Wenn Goethe die Musen ebenfalls an einer entscheidenden Stelle bittet, das "jetzt im Hause" Geschehende zu sagen (IX/6), und wenn er in einer frühen Fassung glaubt, daß sie "den Dichter"
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dann vielleicht der Blick auf die allgemeinen Weltverhältnisse gemeint, der über die Begebenheiten der "Nähe" hinausreicht. Vgl. Elsaghe, Der Schluß von 'Hermann und Dorothea', 71-72, die in "Aussicht" ein "Synonym der Zukunftsperspektive" und in der Streichung des zweiten Elements ein "Insistieren auf dem Primat der Zukunft" sieht. Diese hängt wohl mit der Neuordnung des Werks zusammen. Denn Goethe formt im gleichen Korrekturgang, mit dem er vor dem Musenanruf, den er als markanten Einschnitt für den Beginn des neunten Gesangs auswählt, die doppelten Inschriften einfügt, die ursprüngliche Anrede in die Mehrzahl um (Goethe AA Ep 2, 287-288). Offenbar will er die Identifikation mit der vor dem Gesang postierten Muse Urania verhindern und den Anruf auf den nunmehr vollständig aufgetretenen Chor bezogen wissen (vgl. Steckner, Der epische Stil, 205-206).
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begünstigen, 74 dann ruft er sie auch im Sinne Homers an. Die Abstraktion von der Persönlichkeit des Rhapsoden, die die Gattungsreflexion postuliert und die Zählung mit Musennamen bildlich darstellt, kommt in der Fiktion der die Handlung berichtenden Musen poetisch zum Ausdruck. Anders als bei Klopstock, dem die Apostrophen zur Integration der Subjektivität des Sängers dienen, symbolisiert das Stilmittel bei Goethe die Objektivierung epischen Erzählens. Mehr noch faßt Goethe die Musen jedoch als Freundinnen der Protagonisten auf und gewährt ihnen damit - allerdings wenig konkret - Einfluß auf die Handlung. 75 Er nimmt sie als antike "Wundergeschöpfe" in seine moderne Welt auf und deutet damit die vom Epiker zur Anschauung zu bringende "Welt der Phantasieen, Ahnungen, Erscheinungen" an. 76 Mit der Apostrophe einzelner Personen durch den Erzähler zitiert Goethe an drei Stellen seines Epos (VI/298 und 302 sowie VII/173) ein bei Homer im wesentlichen ohne Bezug zum Kontext angewendetes Mittel der Sprechereinführung. An dieser ursprünglich formelhaften Funktion partizipiert Voß in seiner 'Luise', wenn er den Erzähler vor den Reden des Brautvaters immer wieder anheben läßt: "Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau". 77 Als Auftakt zu wörtlicher Rede dienen die Apostrophen auch bei Goethe. Im Unterschied zur Formelhaftigkeit bei Homer und Voß sind die Anreden bei ihm jedoch variabler gestaltet und für jede der drei Personen nur einmal verwendet. Apotheker und Pfarrer, deren Apostrophen parallel gebaut sind und dicht aufeinander folgen, charakterisiert Goethe in der situationsgebundenen Art ihres Sprechens: "Aber du zaudertest noch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest"; "Doch du lächeltest drauf, verständiger Pfarrherr, und sagtest". Die Redeeingangsformeln dienen weder der besonderen Exponierung des jeweils Sprechenden, noch geht die komische Wirkung der Situation, in der "die geistliche Hand der weltlichen Zügel sich anmaßt" (VI/301), speziell von den Apostrophen aus 7 8 Denn sicherlich ist die Anrede des Richters am Ende des folgenden Gesangs (VII/173) in keiner Weise komisch gemeint. Die Formeln sind vielmehr im Kontext von Goethes freiem Umgang mit epischen Redeeingängen zu begreifen. Während die Reden der Helden Homers - und weitgehend auch die bei Voß - stets mit dem Anfang 74 75 76
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Goethe AA Ep 2, 287. Vgl. Steckner, Der epische Stil, 209. So die Forderung im Aufsatz 'Ueber epische und dramatische Dichtung' (Schiller ΝΑ XXI, 58, 31-37). In diesem Sinne stellt Goethe, als er die dort aufgestellten Grundsätze auf das Werk anwendet, fest, daß "von Ahndung, von Zusammenhang einer sichtbaren und unsichtbaren Welt doch auch leise Spuren angegeben" seien (ebd. XXXVII/1,206,4-5; Goethe an Schiller, 23.12.1797). Ζ. Β. 1/38, 241, 302, 586 der ersten Buchfassung von 1795. - Vgl. demgegenüber im 'Messias' die Anrede an Abbadona, die dessen Empfindungen erfragt (s. o. S. 98-99). So beispielsweise Düntzer, Goethes Hermann und Dorothea, 151-152, und Hehn, Uber Goethes Hermann und Dorothea, 127.
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eines Verses beginnen und grundsätzlich von einem ganzen Vers vorbereitet sind, ist die Variationsbreite in 'Hermann und Dorothea' sehr viel größer. 79 Die Apostrophen vertreten in diesem Spektrum die strengste Form der Homer-Nachahmung. Den Gegenpol bilden Passagen, in denen die Sprecheranweisung in der Art prosaischer Satzfügung in die wörtliche Rede integriert ist und der Hexameter den Sprachfluß lebendig nachzeichnet (etwa IV/65-68). Die fast wörtliche Wiederholung der Beschreibung Dorotheas spielt gleichfalls auf ein typisches Element des rhapsodischen Stils an, das mit der ursprünglich wohl mündlichen Überlieferung der archaischen Epik zusammenhängt und kontextuell in sehr unterschiedlichem Maße begründet erscheint. Stärker als bei Klopstock, der mit diesem Stilmittel vor allem seine großdimensionierten Abläufe rhythmisiert und strukturiert, 80 bleibt bei Goethe die archaisierende Wirkung erhalten. Jedoch motiviert er die Wiederholung inhaltlich exakt. Hermann gibt die äußere Beschreibung Dorotheas, "die Zeichen der reinlichen Kleider" (V/168-176), Pfarrer und Apotheker ausdrücklich mit auf den Weg, damit diese das Mädchen erkennen können. Um jeglichen Zweifel an seinem Erfolg als "Späher" (V/244) auszuräumen, wiederholt der Apotheker alle Elemente, als er Dorothea gefunden hat (VI/137-145). Auch die Art und Weise der Abweichungen von Hermanns Beschreibung ist durch die Situation des prüfenden Nachvollzugs bestimmt. Während Hermann sein geschlossenes Bild in einem eher hypotaktischen Satzgefüge vor Augen stellt, vergegenwärtigt der Apotheker sich Merkmal für Merkmal in einer parataktischen Syntax, in der Anschlüsse mit "Und" dominieren (VI/140, 142 und 144). Und während es Hermann dem Mädchen als aktive Handlung zuschreibt, "den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet" zu haben (V/171), ist für den Apotheker dieses Detail nur als bestehende und zu identifizierende Tatsache von Belang.81 Obwohl das Werk - wie Goethe bei der Anwendung seiner theoretischen Grundsätze auf 'Hermann und Dorothea' feststellt - "sich mit Recht der Gleichnisse" enthalte, "weil bey einem mehr sittlichen Gegenstande das Zudringen von Bildern aus der phisischen Natur nur mehr lästig gewesen wäre", 82 sind doch zwei ausführliche Vergleiche im Stile Homers in Goethes Epos enthalten (VI/90-96 und VII/1-7). Die für die antike Epik typische grammatikalische Verselbständigung der Vergleichsebene beobachtet Goethe - wie vor ihm schon Klopstock - in seinen strukturell parallel gebauten Gleichnissen von jeweils sieben Versen ebenso genau wie die Verknüpfung beider
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Vgl. die Zahlenangaben bei Steckner, Der epische Stil, 130-137; insgesamt seien "nur etwa ein Viertel als wahrhaft Verskongruent'" (ebd., 132) zu bezeichnen. Vgl. o. S. 99-101. Zu dieser Passage vgl. Cholevius, Einleitung, 217, u. Steckner, Der epische Stil, 150-151. Schiller NA XXXV1I/1, 205, 43-45 (Goethe an Schiller, 23.12.1797).
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Ebenen durch verwandte Vokabeln (im folgenden Beispiel: "Bild"/"Bildung"; "schwankt"/"bewegte"): Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne Sie noch einmal ins Auge, die schnellverschwindende, faßte, Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens Schweben siehet ihr Bild; wohin er die Blicke nur wendet, Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens Sanft sich vorbey, und schien dem Pfad' ins Getreide zu folgen. (VII/1-7)
Mit der in den Vergleich integrierten Parenthese, die zahlreiche der von Goethe in seinem 'Ilias'-Exzerpt als "Gleichniß" vermerkte Passagen aufweisen, hat Goethe Anteil an einem Charakteristikum von Homers Stil, dem verweilenden Einschub. 83 Sowohl Schillers und Goethes theoretische Überlegungen zum "retardierenden Gange des epischen Gedichts", zur "Selbstständigkeit seiner Theile", als auch Goethes praktischer Versuch in der betont ruhigen Vortragshaltung, die "das Interesse egal vertheilen" solle, 84 demonstrieren die Wichtigkeit dieses Stilmittels. So integriert Goethe wie Homer Parenthesen selbst dort, wo das besonnene Verweilen dem bewegten Fortschreiten der Handlung zu widersprechen scheint 85 Die exakte Nachahmung der strukturellen Seite von Homers ausführlichen Vergleichen ist somit Teil von Goethes Ausrichtung am epischen Stilideal und kann als äußerlich sichtbarstes Zeichen einer breiteren stilistischen Anlehnung verstanden werden. Innerhalb dieser allgemeinen, nicht nur spezifisch auf Homer verweisenden stilistischen Orientierung ist ferner Goethes Gebrauch der Epitheta deutlich greifbar. Er versieht Personen und Gegenstände seiner epischen Welt in reichem Maße mit solchen Beiwörtern. 86 Gegenüber Homer (und dem sich auch hier enger anschließenden Voß) differiert bei den mehrfach auftretenden Personen der Gebrauch der Attribute ungleich stärker. Das Beiwort ist weniger eindeutig als Epitheton ornans zu bezeichnen, seine Funktion ist von einer Spannung zwischen "Formel und Situation",87 zwischen Typisierung und Indi83
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Vgl. das Exzerpt von 1798 (Goethe AA Ep 2, 309 u. 385-409; ζ. B. 388, 24 u. 31; 389, 22, 31, 32, 34 u. 35) und die erweiterte, 1821 gedruckte Fassung, in der die Gleichnisse mit einem Asterix versehen sind (Goethe WA 1/41, 1, 266-327, sowie die geplanten Einleitungen ebd., 506-510, hier 508). - Zur Rolle der Parenthese in Homers Stil vgl. Auerbach, Mimesis, Bern/München 1982, 5-27, insb. 9. Schiller ΝΑ XXIX, 66, 5-6 u. 21 (Schiller an Goethe, 21.4.1797); ebd. XXI, 59, 5-6. Ζ. Β. IX/239-242: "Eilig faßte darauf der gute, verständige Pfarrherr | Erst des Vaters Hand, und zog ihm vom Finger den Trauring, | (Nicht so leicht; er war vom rundlichen Gliede gehalten) | Nahm den Ring der Mutter darauf und verlobte die Kinder". Vgl. Steckner, Der epische Stil, 107-110. Vgl. die materialreiche, typisierende Aufzählung bei Steckner, Der epische Stil, 143-145. Steckner, Der epische Stil, 137.
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vidualisierung gekennzeichnet. Die Tendenz zu episch ausschmückender Breite ist in der Verwendung dieses Stilmittels jedoch ebenso unverkennbar wie die Ausführlichkeit jeglicher Beschreibungen in 'Hermann und Dorothea'. Diese Färbung des gesamten Stils kann über die konkreten Merkmale hinaus als gleichsam natürliche Folge der Wahl des Hexameters aufgefaßt werden. 88 An diesen Vers, der für Schiller an "die griechische Welt [...] unausbleiblich erinnert" und einen innerhalb der Gattungsgeschichte keineswegs selbstverständlichen Anspruch formuliert, ist zugleich ein Stilideal geknüpft, das 'Hermann und Dorothea' mit 'Reinecke Fuchs' und der 'Achilleis' verbindet. 89 Außerhalb des primär stilistischen Bereichs läßt sich die Übernahme einzelner Formulierungen des Homer (nach der Übertragung durch Voß) eindeutig nachweisen. Auch hier wertet Goethe das Vorgegebene für seinen Kontext um. Wenn Hermann und Dorothea beim Blick "In den Brunnen [...] süßes Verlangen" ergreift (VII/107), dann bedient sich Goethe des gleichen Ausdrucks, mit dem Paris seine Begierde Helena mitteilt und Zeus Here über alle seine bisherigen Partnerinnen stellt. 90 Die Dezenz, die bei Goethe zwischen den zurückhaltenden Liebenden herrscht und den bildlichen Ausdruck der Zuneigung dem Erzähler überläßt, ist von der Deutlichkeit der antiken Figuren, die sich "in Lieb vereinigen" wollen (II. III/441 und XIV/314), gänzlich verschieden. Eine semantische Differenz grundsätzlicher Art besteht, wenn Goethe formelhafte Ausdrücke kontextuell motiviert verwendet. Den festen Homerischen Ausdruck "geflügelte Worte" gebraucht Goethe beispielsweise, als Hermann freudig erregt dem Apotheker zustimmt, der das Mädchen "prüfen" will (V/79-90). Die Semantisierung des Ornamentalen wird verstärkt wieder aufgegriffen, wenn Hermann die nun heimgeführte Dorothea den Eltern "mit fliegenden Worten" vorstellt (IX/60). Als Homerismus kann auch die Personifikation von Abstrakta wie "Geist", "Gefühl" und
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Vgl. hierzu wiederum die Arbeit von Steckner, Der epische Stil, insb. 76-84, 94-130, sowie die bereits zitierten Abschnitte. Bei einem materialreichen und fundierten Nachweis stilistischer Phänomene verschiedenster Art scheint Steckner die Rolle des durch den von Goethe nicht eigentlich gewählten Hexameter entstehenden Stilzwangs überzubewerten (ebd., 77), indem er auch für die "äußerlichen Stileigentümlichkeiten" (hier: die Parenthesen) die "durchgängige Stilbestimmtheit" (ebd., 110) verantwortlich macht. Schiller ΝΑ XXIX, 88, 15-16 (Schiller an Goethe, 26.6.1797). - Die vom Vers geförderte stilistische Anküpfung zeigt sich auch in einigen grammatikalischsyntaktischen Phänomenen, unter denen die gräzisierende Trennung des Genitivs vom Bezugswort sicher am prägnantesten ist. Auch diese Ungewöhnlichkeit motiviert Goethe indessen im folgenden Beispiel mittels abbildender Wortstellung: "Und es hörte die Frage, die freundliche, gern in dem Schatten | Hermann, des herrlichen Baums" (VIII/57-58). Auf diese Stellen (II. III/446 u. XIV/328) weisen Düntzer, Goethes Hermann und Dorothea, 117, und Timm, Hermann und Dorothea, Stuttgart/Augsburg 1856, 249, hin.
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"Sinn", die des Menschen Entschlüsse selbständig leiten, bezeichnet werden. 91 Eine besondere Häufigkeit derartiger Formulierungen begegnet in 'Hermann und Dorothea' im Gespräch zwischen Mutter und Sohn, das trotz seiner persönlich-rührenden Momente hierdurch zu epischer Objektivierung drängt. Weitere Anlehnungen Goethes an den Sprachgebrauch Homers finden sich schließlich in der Verwendung des Zahlworts "zwanzig" für eine unbestimmte Mehrzahl (VII/127) sowie in den Formulierungen "Sohn [...] der Jugend" (11/154) und "Weibe der Jugend" (VI/229), die eine Nähe zu den von Voß geprägten Ausdrücken "Gemahl der Jugend" und "meiner Jugend Vermählte" verraten. 92 Während jene Verwendungsweise 'Hermann und Dorothea' mit dem gleichen archaischen Gepräge versieht wie schon 'Alexis und Dora', so berührt sich in der letztgenannten Formulierung die Beziehung zu Homer mit derjenigen zum Alten Testament. 93 Während die Behauptung von Goethes inhaltlicher Orientierung an konkreten Aussagen der Epen Homers ohne wörtlichen Nachweis meist spekulativ bleibt und vom jeweiligen Beweisziel geprägt ist 9 4 dürfte es erlaubt sein, in Goethes Epos Situationen, Bilder und Motive aus 'Ilias' und 'Odyssee' zu suchen, wenn man sich bewußt ist, daß es nicht einzelne "transplantierte" Szenen, nicht Nachahmungen bestimmer Begebenheiten zu finden gilt. Die Plausibilität, aber auch die Grenze der assoziativ verfahrenden Suche nach Homerischen Bildern in 'Hermann und Dorothea' kann an Passagen des vierten Gesangs erprobt werden. Der Gang der Mutter durch das Anwesen, der der Suche nach Hermann und zugleich der in Handlung überführten Beschreibung von Garten, Weinberg und Kornfeldern dient (IV/1-59), erinnert deutlich an Odysseus' bewundernden Blick über Alkinoos' Wohnung und Garten. Die intensive Beschäftigung Goethes mit dieser Passage (Od. VII/78-131) ist zwei91
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Vgl. Steckner, Der epische Stil, 157, der die wesentlichen Stellen anführt. So befiehlt dem Pfarrer "sein Geist, [...] das bewegte Gemüth zu prüfen des Mädchens" (IX/110-111), in der gleichen Ausdrucksweise, in der Nestor seine Sorgen um Odysseus und Diomedes mitteilt und Antenor in der troischen Versammlung spricht (II. X/534 u. VII/349). Cholevius, Einleitung, 226-227 u. 247 (mit Stellennachweisen bei Homer). Goethe WAI/1, 267: "Nur zwanzig Schritte getrennet | Waren die Häuser" (Alexis und Dora, 51-52). Vgl. die ähnlichen Formulierungen im 'Werther' und im Motto zum ersten Buch des 'Divan' (ebd. 1/6, 3; 1/19, 9). - Als Vorbild für den letztgenannten Ausdruck kann gleichberechtigt auch Luthers Übersetzung der Sprüche Salomonis 5, 18 gelten: "frewe dich des Weibs deiner jugent" (Luther, Heilige Schrifft, Darmstadt 1972, 1101). Ζ. B. bemüht sich Castle, Dorothea und Nausikaa, in: ders., Goethes Geist, Wien 1926, 232, eine Verwandtschaft zwischen Dorothea und Nausikaa nachzuweisen und bringt daher Hermanns Schlußrede an Dorothea (IX/299-318) in Verbindung mit Odysseus' Worten an Nausikaa (Od. VI/149-185), während Ryder/Bennett, Irony, in: PMLA XC (1975), 437, eine Aussage Hektors gegenüber Andromache (II. VI/441-465) als Vorbild für einige Verse (IX/308-310) konstatieren, um anschließend Hermanns Haltung abqualifizieren zu können.
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fach bezeugt. Einerseits spricht er in der 'Italienischen Reise' anläßlich seines Aufenthalts in einem Park bei Palermo davon, daß ihm "der Eindruck jenes Wundergartens [...] die Insel der seligen Phäaken in die Sinne so wie in's Gedächtniß" gerufen habe, plant dort seine 'Nausikaa' und schreibt noch 1798, daß ihm die 'Odyssee' auf Sizilien "die Natur selbst" gewesen sei. 95 Andererseits übersetzt Goethe den Abschnitt selbst in Hexameter, die von Voß unabhängig sind. 96 Einzelheiten wie die zur Ernte reifen Früchte stimmen mit der Beschreibung in 'Hermann und Dorothea' ebenso überein wie die Freude des Betrachters am natürlichen Wachstum. Während hier die Reminiszenz durch Art und Stimmung der Beschreibung hervorgerufen wird und sekundäre Belege es wahrscheinlich machen, daß sie in Goethes Absicht liegt, verweist der alleinstehende Birnbaum (IV/53-59), der durch sein unvordenkliches Alter erinnerungsträchtig ist und für Goethes Epos durch sein wiederholtes Erscheinen (VIII/52-59) motivischstrukturelle Bedeutung gewinnt, auf zwei Homerische Bilder. Seine Verwendung als Rastplatz der "Schnitter" und "Hirten" ist mit derjenigen Funktion zu vergleichen, die Hephaistos auf dem Schild des Achill einer Eiche zuweist (II. XVIII/550-560) 97 Über diese Motiwerwandtschaft hinaus ist an die stimmungsmäßig näherliegende Szene zu denken, in der Odysseus seinen Vater "weinend [...] im Schatten des ragenden Birnbaums" findet (Od. XXIV/231-233). 98 Allerdings wird auch dieses empfindungsreiche Bild vom Schluß der 'Odyssee' nicht einer getreuen Nachahmung unterzogen; Goethe sucht vielmehr den elementar-menschlichen Stimmungsgehalt auf und überträgt ihn mit vergleichbaren Darstellungsmitteln auf "Mutter und Sohn" wie es in der nicht zufällig typisierenden Überschrift heißt. Aus diesem Grunde ist es nicht minder berechtigt, jene Szenen für vorbildhaft zu halten, in denen Achilleus und Odysseus allein "an des Meeres Gestad" gehen, um weinend ihrer Sehnsucht nach Briseis, nach Patroklos oder nach der Heimat Ausdruck zu verleihen (II. 1/348-350; XVIII/65-72; Od. V/81-84 und 151-155)." Die sich in der 'Ilias' anschließenden Gespräche zwischen Achilleus und Thetis inhaltlich mit dem Gedankenaustausch zwischen Hermann und seiner Mutter zu vergleichen, ist jedoch ebensowenig folgerichtig wie der darauf aufbauende Schluß, daß es sich hier um eine "grotesque parody" des Vorbilds handle, die die unterschiedliche Qualität der beiden Entschlüsse zur Aufnahme eines bewaffneten Kampfes (IV/103-110 und II. XVIII/112-126) zu
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Goethe WA 1/31, 106-107, 197-202 u. 238-239; Schiller NA XXXVII/1, 243, 36 (Goethe an Schiller, 14.2.1798). Goethe AA Ep 1, 311-312; laut ebd. 2, 437-438, ist eine Datierung nicht sicher möglich, aber vielleicht für 1793 anzunehmen. Düntzer, Goethes Hermann und Dorothea, 142. Cholevius, Einleitung, 164. Zuerst Timm, Hermann und Dorothea, 188.
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Ungunsten Hermann sichtbar mache. 100 Goethes motivische Anknüpfungen streben weniger eine inhaltliche oder bildlich genaue Nachahmung einzelner Stellen der antiken Epen als vielmehr die Übernahme eines Stimmungsbildes und der Art seiner Darstellung an. Die Reminiszenzen an Homerische Szenen, die dieses assoziative Verfahren hervorruft, sind erlaubt und vom Autor gewollt. Sie dürfen jedoch nicht zu einer Überinterpretation führen, die die gedankliche Geschlossenheit des modernen Werks aus dem Blick geraten läßt. Die Integration der Bilder, die ihre Nähe zu Homer gleichwohl nicht verleugnen, schließt außer zu weitreichender inhaltlicher Parallelisierung auch den Versuch, in Goethes Personal Nachbildungen konkreter Homerischer Figuren zu erblicken, von vorneherein aus. 101 Biblisches und Idyllisches in 'Hermann und Dorothea' Eine solche Anlehnung Goethes an vorgeprägte Charaktere könnte aufgrund einer Aussage des Pfarrers für seine Bezugnahme auf die biblische Sphäre behauptet werden: Ja, Ihr erscheinet mir heut' als einer der ältesten Führer, Die durch Wüsten und Irren vertriebene Völker geleitet. Denk' ich doch eben, ich rede mit Josua oder mit Moses. (V/225-227)
Schon die pluralische Form, in der dem Richter die beiden wichtigsten alttestamentlichen Führer Israels verglichen werden, gebietet indessen dem Versuch weiterer Parallelisierungen Einhalt. Daß die Deutlichkeit des motivischen Hinweises über die der Anspielungen auf Homer hinausgeht, dürfte zunächst mit der Figur des Pfarrers zusammenhängen, aus dessen Munde die Reminiszenz an den Exodus wahrscheinlich klingt. Vor der assoziativen Weiterführung des Bilds durch den Richter, der die Motive vom "feurigen Busche" und vom Gott "in Wolken und Feuer" (V/236-237) frei auf die eigenen Erlebnisse anwendet, wird deutlich, daß weniger die charakterliche Übereinstimmung den Vergleich ermöglicht als vielmehr die ähnliche historische Bedeutung der "Zeiten", in denen die Figuren leben (V/229-230). Die Anspielung auf das alttestamentliche Bild verfährt also ebenso assoziativ wie die Bezugnahme auf Homerische Situationen. Daß Goethe den Hinweis auf Biblisches in 'Hermann und Dorothea' gleichwohl stärker expliziert und diese Sphäre hier geradezu exponiert, zeigt sein Bestreben, der stilistisch-formalen Dominanz, die das Homerische fraglos besitzt, partiell entgegenzuwirken und auf motivischer Ebene eine Gleichberechtigung der Bildbereiche zu schaffen.
100 So die Tendenz bei Ryder/Bennett, Irony, 437. 101 Vgl. insb. die von Hehn, Über Goethes Hermann und Dorothea, 97-98, beschrittenen Abwege, die bereits Lützeler, Hermann und Dorothea, 239, ablehnend referiert.
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Indem er dem modernen Epos durch Allusionen auf die Geschichte der israelitischen Patriarchen archaische Züge verleiht, 1 0 2 rückt G o e t h e sein Werk auch in die Tradition der Bibelepik. Die negative Beurteilung von "Bodmers Noachide" als "ein vollkommenes Symbol der um den deutschen P a r n a ß angeschwollenen Wasserfluth" 1 0 3 kann nicht darüber hinwegtäuschen, d a ß das Biblische in ' H e r m a n n und Dorothea' mehr an jene Patriarchaden anknüpft, deren christlich-erbauliche Wirkungsabsicht freilich keine Spuren im modernen Werk hinterlassen haben, als etwa an Klopstocks 'Messias'. D e n n auf das N e u e Testament verweisen nur wenige sprachliche Eigenheiten. 1 0 4 In keinem der Bilder spielt spezifisch Christliches eine dominante Rolle. Im Gegenteil: Messianische Züge sind deutlich vermieden, der Pfarrer spricht so wenig als Theologe, d a ß selbst seine Konfession strittig war. 1 0 5 D e m g e g e n ü b e r begegnet Alttestamentliches auf m e h r e r e n E b e n e n . Ein inhaltlich-wörtlicher Bezug liegt etwa in der Ü b e r n a h m e von Genesis 2, 24
102 Vgl. Gerhard, Patriarchalisches Leben, in: dies., Weltsicht, Bern/München 1976, 70-74, die darauf hinweist, daß Goethe die Darstellung des "Patriarchalischen" an der 'Luise' von Voß besonders geschätzt habe. Daß Goethe die Geschichtsbücher des Alten Testaments neben Homer stellt, belegt die gleichzeitige Lektüre während der letzten Arbeiten an 'Hermann und Dorothea' (Schiller NA XXXVII/1, 9, 31; Goethe an Schüler, 19.4.1797). 103 Goethe WA 1/27, 93. Das Bild, das das Motiv der Sintflut ironisch gegen Bodmers Epos über dieses Thema wendet, hat Tradition. Schon 1751 verfaßt Lessing ein Epigramm auf Bodmers 'Syndflut': "Durch den ersten Regenbogen | Sprach der Mund, der nie gelogen: | Keine Sündfluth komme mehr, | Ueber Welt und Menschen her. 11 Die ihr dieß Versprechen höret, | Menschen sündigt ungestöret! | Kommt die zweyte Sündfluth schon, | Sie trift nur den Helicon" (Lessing LM I, 37). Die bei Lessing und Goethe übereinstimmende Vorstellung, daß die im Musensitz versinnbildlichte Dichtkunst durch die sintflutartig hereinbrechende Ependichtung bedroht ist, geht wohl zurück auf Ovids Darstellung der großen Flut, aus der nur der zweigipflige Parnassus herausragt (Metamorphosen, Darmstadt 1988, 22-23; 1/313-321). 104 Vgl. den in dieser Hinsicht reichhaltigen Kommentar bei Schmidt, Erläuterungen, Stuttgart 1970, 3-38. Zu nennen ist etwa die Formulierung "that [...] den Mund auf' (V/108). Ob hingegen Dorotheas Abschied ("dieses ist wohl das letztemal, daß ich den Krug euch | Führe zum Munde" VII/146-147) auf Jesu Abschied von den Jüngern verweist (so Cholevius, Einleitung, 244), erscheint fraglich. 105 Hehn, Über Goethes Hermann und Dorothea, 160. Martens, Gedanken, in: Verlorene Klassik?, Tübingen 1986, 87, irrt also, wenn er meint, die "Forschung" habe sich über den "erstaunlichen Geistlichen [...] nicht aufgehalten". Martens stellt das Fehlen einer religiösen Sphäre im Leben der Protagonisten und (im Kontrast hierzu) eine religiöse Bildlichkeit in der Schüderung der Revolution fest; seiner Folgerung, daß Hermanns Widerstand vor allem aufgrund seiner religiösen Entleerung zum Scheitern verurteilt sei und daß Goethes diesbezügliche Darstellung ein "geheimes Wissen von der Vergeblichkeit bloßen Willens zum Halten und Dauern" enthalte (ebd., 93), wird man jedoch nicht zustimmen können.
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vor: "Darumb / wird ein Man seinen Vater vnd seine Mutter verlassen / vnd an seinem Weibe hangen vnd sie werden sein ein Fleisch."106 Goethe macht dies zum Argument Hermanns für seinen Auszug von Zuhause (IV/219-227) und spielt damit zugleich auf die 'Luise' an, wo diese Bibelstelle ausdrücklich zitiert und der Titelfigur segnend mit auf den Weg gegeben wird. 107 Hierher gehören auch die Aussage des früheren Verlobten Dorotheas, der - durch den Einschub "sagt man mit Recht" als Zitat gekennzeichnet - den Mensch einen "Fremdling [.;.] auf Erden" nennt (IX/269-270), und Hermanns Bekenntnis, daß "die Eltern zu ehren" stets sein "Liebstes" gewesen sei (IV/159-161). 108 Deutliche Reminiszenzen an die patriarchalische Idyllik der Genesis zeigt die Zusammenkunft Hermanns und Dorotheas am Brunnen zu Anfang des siebten Gesangs. Insbesondere darf die Begegnung Rebekkas mit dem Knecht Abrahams als Vorbild angenommen werden, die in der entscheidenden Aufforderung, ihn trinken zu lassen, gleichlautet. 109 Auch hier handelt es sich freilich nicht um eine exakte Nachstellung der Begebenheit, sondern - wie bei den Homerischen Szenen - um ein integriertes Motiv zur Lenkung des Lesers, das den Gedanken an ähnliche Stimmungsbilder keineswegs ausschließt und den einheitlichen Eindruck nicht zerstört. Zuletzt auf eine eher versteckte biblische Motivkette hinzuweisen, heißt, diese Eingebundenheit nahezu aller auf literarische Traditionen verweisender Bilder und Motive des Epos nochmals zu unterstreichen. Der Bericht über den "Zwanzig Jahre" zurückliegenden Brand des Städtchens (H/107-157), mit dem die Mutter die Erzählung von ihrer eigenen Verlobung grundiert und Hermanns Absicht, sich in unsicheren Zeiten "zur Heirat [zu] entschließen" (11/102), unterstützt, enthält einige Fingerzeige auf den biblischen Schöpfungsbericht: Die Bezeichnung der Wohnung als "wüst und zerstört" (11/133) überträgt frei nach Luther das hebräische TOI Tin aus Genesis 1, 2; die Sonne des neuen Tags, die "Muth in die Seele" flößt (II/128 und 152), verheißt einen neuen Beginn, markiert den Anfang sowohl der Verbindung zweier Menschen
106 Luther, Heilige Schrifft, 28. 107 Luise III/295-296; vgl. die verwandten Bibelzitate ebd. 11/31-45. Goethe verwendet die gleiche Stelle bereits in seinem 'Bürgergeneral' (Goethe WA 1/17, 261-262). 108 Luther, Heilige Schrifft, 1070: "Jch bin ein Gast auff Erden" (Ps. 119, 19); 159: "DV solt deinen Vater vnd deine Mutter ehren" (Ex. 20, 12). Die Aussage des Richters in VI/72-73 ("Schnell verwandelte sich des Feldbaus friedliche Rüstung | Nun in Wehre; da troff von Blute Gabel und Sense") spielt wohl eher auf Vergil, Georgica 1/508 an als auf Jesaja 2, 4. Vgl. Kap. IV, Anm. 187. 109 Luther, Heilige Schrifft, 63-64: "Rebeca [...] trug einen Krug auff jrer achseln / Vnd sie war ein seer schöne Dirne von angesicht [...] / Die steig hin ab zum Brunnen vnd füllet den Krug / vnd steig er auff. Da lieff jr der Knecht entgegen / vnd sprach / Las mich ein wenig wassers aus deinem Kruge trincken. Vnd sie sprach / Trinck mein Herr / Vnd eilend lies sie den Krug ernider auff jre hand / vnd gab jm zu trincken" (Gen. 24, 15-18; vgl. auch 29, 1-14, u. Rut 2).
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wie den eines Aufbaus (11/147-148) und einer eigenen Schöpfung. 110 Durch die Integration einer Formulierung aus den Sprüchen Salomonis 111 wird die motivische Anspielung noch vertieft. Den Antagonismus von Zerstörung und Neubeginn, von Tohuwabohu und Genesis, greift Goethe am Ende seines Epos, in den Reden des ersten und zweiten Bräutigams, wieder auf. Der in Paris umgekommene erste Verlobte Dorotheas interpretiert die Revolution als Vorgang, der die Schöpfungsgeschichte zunächst verkehre, die gestaltete Welt "rückwärts | [...] in Chaos und Nacht" auflöse (IX/273-274). 112 Zielrichtung der Umwälzung, die auch der Richter - in vertrauter Revolutionsmetaphorik - im Bild der Sonne (VI/8) faßt, dann aber die fehlgeleitete Entwicklung als Trübung des Himmels beklagt (VI/40), sieht der aktive Freiheitskämpfer in der Neugestaltung, aus der die Menschen als "erneute Geschöpfe" hervorgehen (IX/275-276). Indem Hermann die Einsicht bereithält: "Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich" (IX/304), nimmt er den Auftrag Gottes vom sechsten Tag in einem konservierenden Sinne an, um der "schwankenden Zeit" Paroli zu bieten. Die Übertragung der Genesis-Motivik auf die Revolution betont einerseits die Parallelität, die Hermanns und Dorotheas Schicksal mit dem der Eltern verbindet, indem beide Paare "Über den Trümmern der Welt" (IX/276) ihr Haus bauen. Daß andererseits für das junge Paar die Dimension und die Schwere des Auftrags gewachsen sind, zeigt diese Motivik, indem sie den vom Richter angestellten Vergleich zwischen der Revolutionszeit und den "seltensten Zeiten" (V/229) neuerlich bestätigt. Der idyllische Motivkreis, der das epische Gedicht, das Goethe in der ersten Phase der Niederschrift als "Idylle" bezeichnet, vom Anfang bis zum Schluß durchzieht, 113 kann von der alttestamentlichen Anspielungsebene nicht 110 Luther, Heilige Schrifft, 25, übersetzt "wüst vnd leer". - Daß "selbst des Kaufmanns: 'Er kennt nur Adam und Eva'" (11/228) von einem "Anfang" künde, erwähnt Eibl, 'Anamnesis', in: DVjs LVIII (1984), 130; ebd., 121 mit Anm. 31, spricht er vom Bezug des Heldenpaares zu diesem "Archetypus" und nennt die Spiegelungsszene am Brunnen (VII/41-42) ihren "Schöpfungsauftrag". 111 Vgl. Anm. 93. 112 Die Verbindung von jüdischem Schöpfungsgedanken und griechischer Mythologie, die hier im "Chaos" präsent ist, kann angesichts der häufigeren Kombination beider Sphären nun nicht mehr überraschen und bestätigt die gemachten Beobachtungen. Das sowohl im hebräischen wie im griechischen Ausdruck für den anfänglichen Zustand enthaltene Moment der "Leere" (χάος bedeutet zunächst "klaffender Schlund", vgl. Hesiod, Gedichte, 106, u. Lesky, Geschichte, 119) überträgt Goethe sowohl beim Brand als auch bei der Revolution auf die zunächst ins Leere führende Zerstörung. 113 Vgl. die Tagebucheintragungen in Goethe WA III/2, 47-48, und Schiller NA XXXVI/1, 448, 7-9 (Goethe an Schiller, 4.3.1797): "Merkwürdig ists wie das Gedicht gegen sein Ende sich ganz zu seinem Idyllischen Ursprung hinneigt". Allerdings denkt Goethe hier wohl erst an den vorläufigen Abschluß der Arbeit bei Vers IX/225 (vgl. Anm. 27 u. 48). Elsaghe, Der Schluß von 'Hermann und
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getrennt werden und wurde im Hinweis auf ein biblisches Vorbild der Brunnenszene bereits berührt. Innerhalb dieser Sphäre können idyllische Motive, die unmittelbar auf die Muster der Gattung zurückzugehen scheinen, von solchen unterschieden werden, die durch die Gattungsgeschichte im 18. Jahrhundert gleichsam "gebrochen" sind. Die Schilderung des Orts zwischen der eigenen Stadt und dem von Flüchtlingen bevölkerten Dorf, an dem Hermann die Fahrt unterbricht, um auf die Nachricht der nach Dorothea Ausschau haltenden Freunde zu warten, gehört wohl zur ersten Art. Die acht beschreibenden Verse (V/151-158) sind durch die doppelte Explikation von Hermanns Beschluß, "nun anzuhalten die Pferde" (V/150 und inhaltlich wiederholend V/159-160), aus dem Kontext herausgehoben und als Unterbrechung der Handlung gekennzeichnet. Dies entspricht der Funktion des Platzes als "Lustort" (V/154), der Hermann und Dorothea später den vor den Wirren der Zeit kurzfristig abschirmenden Raum für ihre intensive Begegnung am Brunnen bietet, deren Überzeitlichkeit durch die biblisch-idyllische Motivik betont wird. Hier im einzelnen nachzuweisen, daß der "Anger | Vor dem Dorfe" (V/153-154) jenes "Minimum an Anstauung" eines locus amoenus besitzt, das nach Curtius "aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach" besteht, 114 dürfte sich ebenso erübrigen wie der Versuch, ein spezifisches Vorbild aufzuzeigen. Gleiches gilt für das topische Motiv der "Geisblattlaube" im Garten des Wirthauses (IV/17). Während 'Hermann und Dorothea' durch solche Elemente an der literarischen Tradition der Idylle, deren Ahnherr Theokrit im Hintergrund mitgedacht und dessen 'Erntefest' vielleicht als Vorbild einiger Passagen angesehen werden darf, 115 im allgemeinen Anteil hat, sind die Bezüge zu Gattungsvertretern des 18. Jahrhunderts und vor allem zur 'Luise' von Voß eindeutiger. Diese verbürgerlichte Ausprägung der Gattung, die mit der Atmosphäre eines evangelischen Pfarrhauses auf dem Lande die Idylle ihrer Zeit- und Ortslosigkeit enthebt, 116 wurde als Vorbild für 'Hermann und Dorothea', nicht zuletzt aufgrund von Goethes insgesamt positiver Wertung des Werks, häufig über-
Dorothea', 68, vermutet in Goethes Aussage ein "erstes Anzeichen eines Unbehagens am damaligen 'Ende'". 114 Curtius, Europäische Literatur, 202. 115 Theokritos, übers, v. J. H. Voß, Tübingen 1808, 81 (Das Erntefest, 143-146): "Ringsher duftete Sommerertrag, rings duftete Herbst her. | Birn' auf Bim' um die Füsse, zur Seit' und Apfel an Apfel, | Kamen in Überschwange gerollt; es entluden sich selber | Äste, mit farbigen Pflaumen herab zur Erde gekrümmt". Vgl. dazu 'Hermann und Dorothea' 1/45-50; IV/25-38, 49-51, 77-80; VII1/5-8, 75; sowie insbesondere IV/11-14, wo bis in das Detaü von "des Birnbaums lastende[n] Zweigefn]" ein gleiches Büd geboten wird. Der frühere Hinweis auf Alkinoos' Garten zeigt indessen, daß sich auch hier mehrere Büder überlagern. 116 Vgl. Böschenstein-Schäfer, Idylle, Stuttgart 1977, 98-101.
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schätzt. 117 Die Übernahme prägnanter Motive ist jedoch nicht zu übersehen. Für einen Vergleich bietet sich jene Passage an, in der der Pfarrer zu Grünau zur Feier von Luises Geburtstag einen "lang' unentsiegelt [...] im Keller" aufbewahrten Wein "Feierlich" entkort und "zur Gesellschaft" spricht: "Angeklingt! denn es gilt die Gesundheit unsrer Luise!" Sprach's; und es klangen die Gläser mit hellem Gekling' aneinander. Nur des Jüngliriges Glas verstimmte den Klang mit taubem Puff; da schüttelte zürnend der Vater das Haupt, und bedräut' ihn: "Tausendmal hab' ich Ihn, Sohn, an die Erzuntugend erinnert! Klappt nicht immer sein Glas wie ein spaltiger Topf, und des neuern Dichterschwarms ungeschliffner Hexameter, welcher daherplumpt Ohne Takt und Musik, zum Ärgernis? Kann Er nicht anders, Oder gefällt es Ihm nicht? Ein jegliches Ding hat doch Regeln! Kein Vernünftiger faßt an den oberen Kelch, wenn er anklingt; Nein, an den Fuß! Dann klingt's, wie Harmonikaklang in den Glückwunsch!" (1/514-524)
Die Stelle bezieht ihre Wirkung aus der Häufung onomatopoetisch gemeinter Silbeneingänge auf kl- und gl- vor betontem Vokal, die durch Wiederholungen gleicher Wortstämme mehrfach von einem nachvokalischen -ng gefolgt werden. Daß Walter den Zusammenklang stört, zeigt sich zunächst an der zwar angelehnten Abfolge, aber "aus dem Takt" geratenen Position der Buchstaben in "Jüng/i/2g". Ungleich deutlicher malt Voß die Verstimmung durch den an den Versanfang gestellten "Puff' des Glases; ähnlich "plumpt" der Hexameter, mit dem der Vater die "Erzuntugend" des künftigen Schwiegersohnes vergleicht und die mangelhaften Verse der Dichterkollegen des Eutiner Schulmeisters kritisiert, in die letzte Senkung. In dieser Polemik und der zum Selbstzweck geratenen Lautmalerei erschöpft sich der Sinn der Episode aus dem stets idyllischen 'Fest im Walde'. Anders verhält es sich bei Goethe: Um "Furcht" und "Sorge" abzuwehren und die "Grillen [zu] vertreiben", die die "traurigen Bilder" vom Flüchtlingszug erregt haben, lädt der Wirt in "das kühlere Sälchen" zu einem "Gläschen | Drey und achtziger" ein (1/157-164). Wie bei Voß wird das Alter des Weins betont. 118 Und wie dort wird das Anstoßen onomatopoetisch nachgeahmt: Heiter klangen sogleich die Gläser des Wirthes und Pfarrers; Doch unbeweglich hielt der Dritte denkend das seine, Und es fordert' ihn auf der Wirth, mit freundlichen Worten. (1/171-173)
117 Die frühesten Zeugnisse hierzu referiert Lützeler, Hermann und Dorothea, 231-232, ein spätes ist in der eigentümlichen Gleichstellung der Werke durch Sengle, 'Luise', in: ders., Neues zu Goethe, Stuttgart 1989, 49-68, zu sehen. 118 Beide Stellen lassen sich in Vers 147 aus Theokrits Idylle 'Das Erntefest' zusammenführen: "Und dem Geschirr ward oben gelöst vierjährige Kittung" (Theokritos, 81).
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Gegenüber Voß wird das massive Auftreten der kl- und ^/-Eingänge betonter Silben auf einen Vers beschränkt, durch wechselnde Wortstämme vor jeder Eintönigkeit bewahrt und zudem durch die Vokabeln "Gläschen", "Gläser" und "glänzend" (1/162, 164 und 169) dezent vorbereitet. Daß der Apotheker nicht zum harmonischen Dreiklang gestimmt ist, zeigt - Voß zwar vergleichbar, von seinem aufdringlichen Einsatz ähnlicher Mittel aber doch gänzlich verschieden - die nicht klingende Position der Buchstabenfolge in "unbeweg/ich". Die Gefährdung, der der bürgerliche Innenraum noch in seinem scheinbar sichersten Refugium, dem vor "Sonne" und "wärmere[r] Luft" durch "die stärkeren Mauern" geschützten "hinteren Raum" (1/160-162), ausgesetzt ist, offenbart sich in diesem Detail. Das Schwankende der unruhigen Zeiten dringt in die nur scheinbar ruhige Idylle ein, Sorge und Unsicherheit über das eigene Leben lassen sich nicht ausgrenzen. 119 Den gleichen Abstand zwischen behäbiger Unbekümmertheit und anteilnehmender Reaktion auf Veränderungen der Zeit markiert Goethes Umgang mit einem typischen Requisit aus der Welt der 'Luise'. Der den Bräutigam in seinen Stand einweihende Schlafrock, "Fein von Kattun, kleerötlich, mit farbigen Blumen gesprenkelt" (Luise III/869-885, hier 873), ist in 'Hermann und Dorothea' nur noch Denkmal überkommener Zeiten und wird besseren Zwecken zugeführt. Des Kleidungsstücks, "mit indianischen Blumen, | Von dem feinsten Cattun, mit feinem Flanelle gefüttert", erinnern sich Mutter und Vater zwar noch ehrend, an einen Gebrauch ist jedoch nicht mehr zu denken: "er ist dünn und alt und ganz aus der Mode" (1/29-37). Die gute Aufnahme des Schlafrocks, den Hermann Dorothea für die "bleiche | Wöchnerinn" übergibt (11/40-55), bestätigen Pfarrer und Apotheker, als sie Dorothea und das gewickelte Kind sehen (VI/132-135). Das Alte, für das der Vater sich schon in Hermanns Jugend Spott einhandelt (IV/165-168), gewinnt neue Form, erhält neuen Sinn für neues Leben und wird weder sinnlos zerstört noch unreflektiert übernommen. 120 Der hohe Reflexionsgrad, der sich in der differenzierten Aufnahme einzelner idyllischer Motive offenbart, schafft Distanz zur Vorgeschichte der Gat119 Zu dem immer wieder begegnenden Motiv des "Schwankens" vgl. Graham, Goethes 'Hermann und Dorothea', in: Akten, III, Bern/Frankfurt 1976, 176-186, der es ebenfalls darum geht, die eindringenden Erschütterungen der Zeit im DetaU aufzuzeigen, sowie Holmes, Goethe's 'Hermann und Dorothea', in: MLR LXXXII (1987), 109-118, der durch eine Analyse der ökonomischen Verhältnisse (vor allem der "activity of the marchant", die die Stadt "with the world market" verbinde [ebd., 114]) die Gefährdung der Idylle durch ihre innere Dynamik nachzuweisen versucht. 120 Graham, Goethes 'Hermann und Dorothea', insb. 183-186, untersucht die Motive des "Einschmelzens alter Formen" in Goethes Epos und kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. - Vgl. zum Motiv des Schlafrocks zuletzt Weisinger, Classical Facade, London/Pennsylvania 1988, 183-184, der ein "replacement" feststellt.
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tung im 18. Jahrhundert. Die veränderte und verändernde "Mode" läßt auch die galant-kleinepische Rokokodichtung der Jahrhundertmitte weit hinter sich. 121 Die Erzählung des Apothekers von "dem herrlichen Grottenwerk" in seinem Garten, in dem er früher "den Kaffe" gereicht habe (111/87-99), weist deutlich auf diese literarische Mode. "Interieurkult" und Lust am "kleine[n] gesellschaftliche[n] Ereignis" 122 sprechen auch aus Goethes Versen. Die Zeit, in der dieses kultiviert wurde, ist jedoch vorbei, selbst der Apotheker geht "verdrießlich | Kaum mehr hinaus" in sein von Künstlichkeit und Lebensferne geprägtes Gebäude, "Das nun freylich verstaubt und halb verfallen" dastehe. Eine "dem Komischen Epos vergleichbare Wirkung", die Lypp schon beim Motiv des Schlafrocks "im Kontrast zwischen zeitgenössischer Garderobe und homerischem Stil" sieht, 123 kann für Goethes Werk gerade nicht behauptet werden, da die Rokokowelt im komischen Epos intakt ist und ihre bevorzugten modischen Utensilien in regem Gebrauch sind. Wird man auch Gleim nicht beipflichten, wenn er 'Hermann und Dorothea' als "gottlose Satire" auf den "heiligen Voß" zu verstehen geneigt ist, 124 so bleibt doch festzuhalten, daß Goethe in der Anknüpfung an literarische Traditionen seines Jahrhunderts diese zu reflektieren und zu relativieren, zu distanzieren und mit neuem, eigenem Sinn zu füllen weiß. Zur Funktion der homerischen Elemente Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß Goethe einerseits auffällige stilistische Merkmale antiker Epik nachahmt, die trotz kontextueller Motivation unmittelbar als traditionelle Elemente erkennbar bleiben und so eine primäre Verweisungsfunktion erfüllen. In durchaus spielerischer Weise, die etwa von Klopstocks heiligem Emst weit entfernt ist, werden souverän Vor121 Vgl. hierzu Maler, Versepos, in: Aufklärung, München/Wien 1980, 394-403, und Goethes abfällige Beurteilung dieses Genres in 'Dichtung und Wahrheit' (Goethe WA 1/27, 37-38 u. 93). 122 Maler, Versepos, 397. 123 Lypp, Ästhetische Reflexion, 160; vgl. die differenzierte Analyse vorliegender Passage ebd., 167-169, die jedoch in den Versuch münden, für 'Hermann und Dorothea' eine nuancierte Aufnahme der "Idee des Komischen Epos" nachzuweisen (ebd., 171-172). Dies lehnt auch Lützeler, Hermann und Dorothea, 246-247, als mögliche Gattungsbezeichnung ab; er geht für die Erzählung vom "Grottenwerk" vielmehr davon aus, daß hier das "Überholte und Weltfremde der üblichen Idylle [...] durch Karikierung ihres prominenten Requisits deutlich gemacht" werde (ebd., 235). 124 Brief an Voß vom 4. Dezember 1797, in: Goethe-Jahrbuch XXXIII (1912), 22 (in den weiteren dort versammelten Briefen besteht Gleim auf seinem satirischen Verständnis von Goethes Werk). Lützeler, Hermann und Dorothea, 244-245, stimmt Gleim weitergehend zu und wertet seine Äußerung als Bestätigung für eine ironische Lesart von 'Hermann und Dorothea'. Vgl. hierzu die folgende Forschungsdiskussion.
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Schriften normativer Poetik erfüllt und ein Anspruch auf Gattungszugehörigkeit erhoben. Auf der anderen Seite steht ein motivischer Anspielungsbereich, der von übernommenen Formulierungen bis zu assoziativ hinweisenden Bildern reicht. Während stilistisch die homerischen Ausdrucksformen dominieren, sind im letztgenannten Bereich in vielfältiger Berührung mit dem homerischen Motivkreis Elemente der biblischen und idyllischen Tradition nachzuweisen. Hier wie dort begegnen alle Formen von nahezu wörtlicher Anknüpfung bis hin zu loser Reminiszenz. Durch eine reflektierte Nachahmung einzelner Charakteristika werden frühere Gattungsausprägungen distanziert und die eigene Stellung in der Tradition angezeigt. Der Eindruck einer eklektischen Zusammenstellung, den die Vielfalt der Aspekte hervorrufen könnte, ist indessen für Goethes Werk gerade nicht festzustellen. Vielmehr ergibt sich durch die Integration disparater Motivik ein thematisch wie poetisch einheitliches Werk, das im Detail sein hohes Reflexionsniveau und seine Vielschichtigkeit verrät. Unmittelbare Parallelen zwischen Goethes Figuren und den Helden vor Troja oder den olympischen Göttern zu behaupten, kommentierend Vers für Vers in Homers Epen vorgebildet zu sehen, um schließlich zu konstatieren, daß in 'Hermann und Dorothea' "die griechische Sitte mit dem heutigen Dorfleben zu reiner Form der Menschlichkeit" verschmolzen sei, 125 heißt die komplexen Verhältnisse zumindest zu simplifizieren, wenn nicht ganz zu verkennen. Ein guter Teil der Forschung des 19. Jahrhunderts bedient sich eines solchen einschichtigen Bilds, um in Goethes Werk eine nahtlose Verbindung von "Homerischer Einfalt und Würde" mit dem "tiefen Gehalt Deutschen Lebens und Geistes" zu erblicken und Böttigers Begriff vom "Volksgedicht" nationalistisch zu füllen. 126 Die Konstanten dieser Rezeption wirken nach, wenn Gundolf das Gedicht "gespeist" sieht "aus dem Willen zur Verklärung und Steigerung der idyllisch deutschen Zustände", und sie lassen sich noch spüren, wenn Staiger Goethes Intention darin erblickt, "deutsche Zustände [...] zu der Schönheit der Antike abzuklären", und die "vollendete Form" als einen "Schutz" versteht, den Goethe "einmal auch deutschen Bürgern" gewähre. 127 Staigers Bemerkung, daß Goethe "seine Zeit mit einem Anflug von Humor, mit einer zwar liebevollen, aber doch leicht distanzierenden Ironie" behandle, 128 bezieht sich ganz allgemein auf die Erzählhaltung, nicht jedoch auf die Verwendung homerischer Stilistika oder Motive.
125 Hehn, Über Goethes Hermann und Dorothea, 223. 126 Böttiger, Literarische Zustände, Frankfurt 1972, I, 74. Die deutschnationale Rezeption, die hier ein Zitat von Becker, Hermann und Dorothea, Halle 1852, 71, repräsentiert, wird ausführlich behandelt von Lützeler, Hermann und Dorothea, 216-230. 127 Gundolf, Goethe, Berlin 1918, 500; Staiger, Goethe, II, 235 u. 262. 128 Staiger, Goethe, II, 238-239.
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Gerade darin erblickt Samuel das Mittel, mit dem Goethe "einen Schleier der Ironie über sein Gedicht" ausbreite. 129 Obwohl er eingangs feststellt, daß 'Hermann und Dorothea' "eines der seltenen Werke" sei, "in dem Inhalt und Form" sich deckten, befindet er später, daß die "Anwendung homerischer Formelemente" eine Inkongruenz hervorrufe, die "das Kleinbürgerliche wenn nicht geradezu" verhöhne, "so doch" ironisiere. 130 Bestimmte Momente des Epos, die zwischenzeitlich zu seiner Abwertung geführt haben, scheint Samuel ausblenden zu wollen, indem er sie als Ironie bezeichnet, die er von den fraglos vorhandenen humoristischen Aspekten trennt. 131 An Samuel knüpft Seidlin an, wenn er in der "Imitatio" einen "gute[n] Schuß Ironie" erblickt und einen "Verfremdungseffekt" gegeben sieht, der dazu auffordere, "distanziert [zu] lächeln" und die "reine Parodie" zu entdecken, die in den nachgestellten homerischen Szenen liege. 132 Die Zweifel an "der nahtlos schmiegsamen Synthese von Griechentum und Deutschheit", mit denen Seidlin das Werk sowohl von der "Verherrlichung kleinbürgerlichen Biedersinns" als auch von der Schmähung der "Heutigen" freisprechen will, lösen sich jedoch auf, wenn er zuletzt "das Griechische 'Hermann und Dorotheas'" als "Aura" bezeichnet, in der "das rein Menschliche, das Menschliche rein" erscheine. 133 Obwohl auch Ryder und Bennett zugestehen, daß "the poem's general feeling is one of affirmation and sympathy with the characters", gehen sie in der Anwendung der Ironie-These auf den Gehalt des Gedichts entschieden weiter. Die als Ironiesignal gewertete "discrepancy between form and content" sei nicht nur in "the specific Homeric allusions [...] to the 'Iliad'" gegeben, sondern zeige sich auch darin, daß der Hexameter in 'Hermann und Dorothea' "by intention imperfectly suited" sei, woraus "an ironic state of mind" deutlich werde. 134 In freier Umkehrung von Seidlins Meinung gelangen die Autoren zu der Einsicht, daß "'Hermann und Dorothea', in its deepest intention, is a poem 'in dem das klein Menschliche, das Menschliche klein'" erscheine. 135 Dieser Ansatz, der sich theoretisch fundiert gibt und sowohl Brown als auch Weisinger zu ungeprüfter Übernahme der "Ergebnisse" verführt hat, 136 stellt eine 129 Samuel, 'Hermann und Dorothea', in: Publications of the English Goethe Society. New Series XXXI (1960/61), 94-97. 130 Samuel, 'Hermann und Dorothea', 82 u. 94-96. 131 Samuel, 'Hermann und Dorothea', 96-97. Ein Beispiel für die deutlich geringere Bewertung des Werks zeigt Vietor, Goethe, Bern 1949, 151, der keines "von Goethes klassischen Werken" für gleichermaßen "verblichen" hält. 132 Seidlin, 'Hermann und Dorothea', in: ders., Klassiker, Göttingen 1972, 26 u. 140-141. 133 Seidlin, 'Hermann und Dorothea', 26 u. 36. 134 Ryder/Bennett, Irony, 434, 436-437 u. 440. 135 Ryder/Bennett, Irony, 443. 136 Das eingangs zitierte Modell einer Ironie im Sinne Kierkegaards ist für Goethe sicher nicht verbindlich; außerdem bleiben die Autoren wenig konsequent, indem sie mit Samuel und Seidlin meinen: "In a literary work, however, irony
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Zuspitzung derjenigen Versuche dar, die die homerischen Anteile in Goethes Werk primär als Wertung des Autors über seinen Stoff ansehen. In diesem Interpretationszirkel, der - sei es als Verklärung, sei es als Ironisierung - "das Homerische" einschichtig auf "das Bürgerliche" bezieht, bleibt auch Bürger trotz ihrer Kritik an der Ironie-These befangen. Sie sieht es wohl zu Recht als "Moment der Willkür" an, den "störende [n] Gehalt" mit dem Hinweis, es sei nicht so gemeint, "weg[zu]interpretieren", besteht darauf, daß 'Hermann und Dorothea' jenen "normativen Gehalt" besitze, den das 19. Jahrhundert in dem Werk gesehen hat, und hält diesen für nicht vereinbar mit den "gesellschaftlichen Vorstellungen gegenwärtiger Interpreten". 137 Da sie das Werk "als Erfüllung populärästhetischer Kunstvorstellungen" versteht, fordert sie aus ihrer Sicht konsequenterweise eine "Kanonrevision", der man bislang mit der Ironie-These ausgewichen sei. 1 3 8 Aus der Aporie der simplifizierenden Auslegungen des Homerischen in 'Hermann und Dorothea' können die Arbeiten von Lypp und Eibl leiten. Zwar sprechen beide gleichfalls von "Ironie": Während Lypp, die in der Ironie die "Aufhebung der form-inhaltlichen Spannung" und damit den "Gehalt des Gedichts" zu sehen verspricht, zuletzt auch eine Anwendung auf diesen vornimmt, geht Eibl über die "einfache außerdichterische Ironie" hinaus, die die besprochenen Arbeiten innerhalb des Werks "dingfest machen" wollen, und faßt Goethes ästhetisches Verfahren im Begriff des "Symbol-Synkretismus".139 Indem Lypp "das wechselseitige Verweisungsverhältnis moderner und homeri-
must be 'expressed'" (Ryder/Bennett, Irony, 433-434). - Brown, Schiller, 207-208, spricht gar von "ironischsten Diskrepanzen" und versucht, in 'Hermann und Dorothea' ein dialektisches Modell nachzuweisen; Weisinger, Classical Facade, 186-202, schließt sich eng an Ryder und Bennett an, deren "essay" er als "a landmark of Goethe criticism" bezeichnet (ebd., 220-221). 137 Bürger, 'Hermann und Dorothea', in: Unser Commercium, Stuttgart 1984, 496. Sengle, 'Luise', steht solchen Anschauungen (wohl aber doch den Konsequenzen) nicht sehr fern, wenn er 'Hermann und Dorothea' primär als didaktische und parteiliche Dichtung interpretiert (ebd., 51-52), Goethes Werk und die 'Luise' von Voß "aus dem gleichen geschichtlichen Grunde gemütvoller Humanität und bürgerlich-homerisierender Verklärung des Dinglichen und Häuslichen" stammen sieht und zuletzt die Frage nach dem "historische[n] Sinn des gemeinsamen volkstümlichen (bürgerlichen) Homerisierens von Voß und Goethe" stellt, die die Goethephilologie bislang gebannt habe (ebd., 62). Neben einem ersten Aspekt des Homerisierens, der in einer didaktischen Aufforderung zum "heroische[n] Handeln" liege, legt Sengle nahe, die äußerlichen Stilistika als "künstliche Veranstaltungen" zu begreifen, die "an den althumanistischen poeta doctus" erinnerten (ebd., 66). 138 Bürger, 'Hermann und Dorothea', 496-504. 139 Lypp, Ästhetische Reflexion, 142 u. 174; im Gegensatz zu den willkürlich einseitigen Interpretationen meint sie jedoch konsequenterweise, daß die Ironie "nicht nur das enge bürgerliche Dasein, sondern auch den Revolutionär" treffe und "beide der Partikularität" überführe. - Eibl, 'Anamnesis', 125-127.
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scher Elemente" bestimmen will,140 weist sie gleichfalls in die Richtung einer symbolischen Interpretation. Daß die Aufforderung zu einer solchen Lesung gerade in der Integration homerischer Bestandteile liegt, arbeitet Eibl stärker heraus. In "zusätzlicher Beleuchtung" der "esoterische[n]M Seite des Werks bestehe "der ästhetische Sinn [...] der ganzen Stilisierung ins 'Homerische'"; die Reminiszenz an Homerische Bilder, die manche Szene des modernen Epos auslöst, bewirke eine "wechselseitige Erhellung des Allgemeinen beider Situationen und wechselseitige Relativierung ihres Besonderen".141 Im so hergestellten "geheime[n] Konsensus der Bilder" offenbare sich die Wahrheit, die "nicht in einem Bilde gefaßt werden" könne.142 Eine weitere Differenzierung dieses Gedankengangs ergibt, daß die äußerlichen homerischen Stilelemente, denen eine primäre Verweisungsfunktion zukommt, den Blick sowohl auf die Existenz einer homerischen Bilderschicht als auch auf die "Aussicht" lenken, die die mehrfache Schichtung der Bildebenen gewährt. Parallel zu den homerischen Bildern und Situationen werden solche aus biblischer und idyllischer Tradition gelagert. Über die Reflexion der Gattung hinaus, die die Überwindung von deren früheren Ausprägungen kenntlich macht, legt die assoziative Parallelisierung der Bildebenen in einer sekundären Funktion den Gehalt des Epos frei. Um "unter dem modernen Costum die wahren ächten Menschenproportionen", um "das reine menschliche der Existenz einer kleinen deutschen Stadt" sichtbar werden zu lassen, bedarf es dieses komplexen Beziehungssystems, das unter der stofflich einfachen Oberfläche wirkt und jenes "Material", mit dem Goethe "den Deutschen einmal ihren Willen gethan" zu haben glaubt, "in dem epischen Tiegel von seinen Schlacken abzuscheiden" in der Lage ist.143 Nicht als einseitige Verklärung oder Ironisierung, nicht als persönliche Meinungsäußerung des Autors über die bürgerliche Welt seines Werks oder als gelehrte Spielerei des gebildeten Klassikers ist somit die Funktion der homerischen Elemente in 'Hermann und Dorothea' hinlänglich interpretiert. Weniger fehlgehen dürfte man, ihren ästhetischen Sinn in der wechselseitig relativierenden Gegenüberstellung antiker und moderner, episch-idyllischer und biblischer Züge zu erblicken und sie damit als symbolischen Verweis auf die nicht einseitig sichtbar zu machende Idee des "rein Menschlichen" zu verstehen.
140 Lypp, Ästhetische Reflexion, 34-35. 141 Eibl, 'Anamnesis', 127. 142 Eibl, 'Anamnesis', 129-130. Im weiteren versucht Eibl, 'Hermann und Dorothea' im Kontext der 'Elegien II' zu sehen und betont die Nähe zu 'Alexis und Dora'. 143 Goethe WAIV/11, 273, u. IV/12, 109 (Goethe an Meyer, 5.12.1796 u. 28.4.1797); Schüler NA XXXVII/1, 212,32-34 (Goethe an Schiller, 3.1.1798).
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3. Goethes Beziehung zu Homer in seiner 'Achilleis' Einheitliches Werk oder Fortsetzung der 'Ilias'? "Die Ilias erscheint mir so rund und fertig [...], daß nichts dazu noch davon gethan werden kann. Das neue Gedicht das man unternähme müßte man gleichfalls zu isoliren suchen und wenn es auch, der Zeit nach, sich unmittelbar an die Ilias anschlösse." 144 Diese Äußerung Goethes aus der Zeit der Konzeption der 'Achilleis' bildet den ästhetischen Maßstab für die Bewertung des Werks als poetische Antwort auf die Homerische Frage. In gleichem Grade, in dem Goethe der 'Achilleis' "Einheit" zu geben versteht, behauptet er eine solche auch für die 'Ilias'. Da die erst 1808 gedruckte Dichtung Fragment geblieben und ihre Geschlossenheit daher nicht unmittelbar zu beurteilen ist, gilt es die Umsetzung von Goethes Intention zunächst anhand jener Paralipomena zu prüfen, die der Goethephilologie seit dem Jahre 1900 für Überlegungen zur Gestalt der 'Achilleis' zugänglich sind. Die Vorarbeiten von Fries und Morris, die Goethes Benutzung antiker Quellen nachzeichnen, überbietet Schadewaldts Versuch einer "Rekonstruktion der Dichtung", indem er sein Ziel darin sieht, die "Achilleisdichtung Goethes im ganzen wie in ihren Einzelheiten nach Möglichkeit so konkret lebendig vor Augen zu bekommen, wie diese Dichtung Goethe selbst vor dem inneren Auge" gestanden habe. 1 4 5 Über die Auswertung antiker Vorlagen hinaus kommt es ihm darauf an, "in den 'Motiven' der Goethischen Achilleis jene durchgehenden Grundmotive des Daseins und der Dichtung Goethes in ihrem allgemeinen Sinn wie ihrer besonderen Gestaltung wiederzuerkennen, [...] in denen Leben wie Dichtung Goethes immer neu und doch im Grunde immer Eins" seien. 146 Schadewaldt stützt sich, um nicht bei einer mosaikartigen Kompilation der Quellen stehenbleiben zu müssen, auf jene "Goethischen Grundgedanken, Grundvisionen", die sein "ganzes Werk" 144 Schiller ΝΑ XXXVII/1, 293, 20-24 (Goethe an Schüler, 16.5.1798). Zur ästhetischen Implikation des Ausdrucks "isolieren" vgl. Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Tübingen 1962, 116: "In dem Begriff des Isolirens, des Aussonderns aus der Masse, beruhet alle Bildung, und unterscheidet dadurch allein sich von der Zufälligkeit. [...] Aller Reiz der Dichtung beruht auf diesem Isoliren, Aussondern aus dem Ganzen, und darin, daß dem Isolirten ein eigener Schwerpunkt gegeben wird, wodurch es sich selbst wieder zu einem Ganzen bildet." Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, 53-54, sieht hingegen in Goethes Äußerung das Eingeständnis der Unmöglichkeit der 'Achilleis' und damit in der Einheit der 'Ilias' einen Grund für Goethes "Scheitern'' an seinem Werk. 145 Fries, Goethes Achilleis, Berlin 1901; Morris, Die Achilleis, in: ders., GoetheStudien, II, Berlin 1902, 129-173. Reinhardt, Tod und Held, in: ders., Tradition und Geist, Göttingen 1960, 283-308, korrigiert die Darstellung von Morris nur in Details (ebd., 304-305). Schadewaldt, Goethes Achilleis, in: ders., Goethestudien, Zürich/Stuttgart 1963, 301-395, hier 303. 146 Schadewaldt, Goethes Achilleis, 304.
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durchdringen und tragen. 147 In der Praxis versucht er dann, einzelnen Notizen durch die Erinnerung an vergleichbare Situationen aus anderen Werken Goethes zu Lebendigkeit zu verhelfen. Diesem Verfahren steht jedoch methodisch mehreres im Wege. Sowohl der Vergleich zwischen den Schemata zum ersten Gesang und dessen Ausführung als auch die Differenz zwischen dem "Schema zur Achilleis" vom 31. März 1798 und den späteren, ausführlicheren und teilweise mehrfach überarbeiteten Aufzeichnungen kann lehren, daß Goethe einzelne Szenen sowie die Anordnung einzelner Motive erheblichen Änderungen unterwirft. 148 So sind für eine Rede des Zeus, die nach dem ältesten Schema die Götterversammlung eröffnen soll, folgende Motive vorgesehen: 6.) 7.) 8.)
Zeus erregt Zweifel ob Troja fallen soll. Argument vom letzten Lebenshauche. Von der getheilten Schlange. Vom Schiffbruch wo einer gerettet wird indeß der andre untergeht.149
In der Ausführung wird einerseits die gesamte Rede erst nach Thetis' Klage, die im Schema mit den Notizen 11 und 12 bezeichnet ist, eingeschoben und mit Punkt "13.) Zeus über den Tod des Achills" verknüpft (230-263).150 Andererseits fällt das Argument "Von der getheilten Schlange" weg, und Zeus tröstet Thetis mit dem Hinweis auf einige aus dem Totenreich zurückgekehrte Gestalten, auf den den Arzt überlebenden Kranken und den vom Schiffbruch Erretteten (242-261). Die Schemata von 1798 und 1799 zeigen noch größere Unterschiede. So wird zunächst als Anfang des zweiten Gesangs verzeichnet: "19.) Minerva geht in Gestalt des Alkimedon zu Achills Zelt." 151 Das Bild wird in ergänzter Form später als Eingang des dritten Gesangs übernommen ("Zelt des Achilles [...] Pallas als Alkimos tritt a u f ) ; schließlich streicht Goethe die Worte "Pallas als", deren "Absicht dem Achill die Empfindung zu ersparen", sowie den Vermerk "Pallas zum Olymp zurück".152 Die Korrekturen stehen offensichtlich in Zusammenhang mit der Schlußszene des ersten Gesangs, wo Athenes "Absicht" bereits erkennbar ist. 153 Veränderungen und Umstellungen dieser Art geben deutlich zu erkennen, daß die Disposition der Motive und damit der Aufbau einzelner Szenen keineswegs so gefestigt ist, daß über den im großen und ganzen gleichbleibenden Hergang hinaus detailliertere Angaben gemacht werden könnten. Vielmehr sind vor allem ab dem sechsten Gesang, in dem 147 148 149 150
Schadewaldt, Goethes Achilleis, 356. Vgl. Goethe A A E p 2, 411-429. Goethe A A E p 2,411. Goethe AA Ep 2, 412. Einfache Versangaben im laufenden Text bezeichnen die Stelle im 'Achilleis'-Fragment. 151 Goethe AA Ep 2, 412. 152 Goethe AA Ep 2, 423-426. 153 Schadewaldt, Goethes Achilleis, 336-337.
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das jüngere Schema abbricht, sehr wahrscheinlich weitere Veränderungen anzunehmen. 1 5 4 Die damit gegebene Unsicherheit wird durch die Art der Aufzeichnungen noch vertieft. Zum einen spielen diese teilweise auf Passagen antiker Literatur an, die Goethe den Stoff seines Werks oder Orientierungspunkte für die Behandlung bieten. Wenn er neben der Notiz "Bereitung der Geschenke | Bereitung des Wagens" anmerkt, daß diese "Motive mit der Abfahrt Priamus zu vergleichen" seien, 1 5 5 dann ist hier der Gedanke an Situationen aus Goethes Werk ebenso problematisch wie bei den zahlreichen nur aus Namen bestehenden Notizen. Häufig dürfte sich Goethe gerade die stofflich fernerliegenden Momente notiert und darauf vertraut haben, daß sowohl näherliegendes Material als auch die modernen Aspekte der Behandlung sich während der Ausführung einstellen würden. Die nach Abschluß des ersten Gesangs geäußerte Absicht, sich "der Motive die nun zunächst zu bearbeiten" seien, "specieller zu versichern", legt nahe, daß tatsächlich in der Organisation des aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragenen Stoffs größere Probleme zu bewältigen waren und die Schemata hierfür als Hilfestellung dienten. 1 5 6 Zum anderen sind auch jene Notizen, die keinen antiken Bezug verraten, nicht so eindeutig als "Goethische Grundgedanken" zu erweisen, wie Schadewaldt dies meint. Seinen Rückschlüssen aus der letzten Angabe für den fünften Gesang ("Nacht | Achills Leidenschafft") wird man so weit zustimmen, daß gemeinsam mit den Motiven zum Beginn des sechsten Gesangs ("Ajax von Antilochus aufgefordert sucht den Achill. | Er trifft ihn beym Grabe des Ilus") 154 Die Tatsache, daß dieses spätere Schema schon im fünften Gesang immer knapper wird und sich zuletzt dem früheren eng anschließt (Goethe AA Ep 2, 414-415 u. 428-429), spricht nicht für die Annahme, daß Goethe seine anfängliche Konzeption dort unverändert übernommen habe, sondern zeigt, daß die genauere Überarbeitung nur bis zum fünften Gesang gediehen ist. Hierzu paßt Goethes Angabe, daß von der 'Achilleis' "schon fünf gesänge motivirt" seien (Schüler NA XXXVIII/1, 54, 10-11; Goethe an Schüler, 16.3.1799; vgl. ebd., 62, 28-32; Goethe an Schüler, 2.4.1799; die Schemata der Gesänge III bis VI datieren vom 9. bis 11. März 1799, vgl. Goethe AA Ep 2, 425 u. 427). 155 Goethe AA Ep 2, 426. 156 Schiller NA XXXVIII/1, 62, 29-30 (Goethe an Schüler, 2.4.1799). Vgl. die Zusammenstellung der Quellen bei Fries, Goethes Achilleis, 10-16, der Schadewaldt, Goethes Achilleis, 303 mit Anm. 9, weitgehend zustimmt. - Ohne die spekulative Diskussion über die Gründe des Abbruchs der 'Achilleis', die meist von der fragwürdigen Prämisse ausgeht, Goethe habe sich gleichsam in Homer verwandeln wollen und sei daran gescheitert, entscheiden zu wollen, kann vermutet werden, daß die Mühen der Sammlung und Organisation des im Detaü zu bearbeitenden Stoffs in Verbindung mit der durch äußere Verpflichtungen bedingten "Zerstreuung" den Ausschlag für den Stillstand der Arbeit gegeben haben (von "Zerstreuung" spricht Goethe gegenüber Schüler am 12. und 19. Mai, 15. Juli und 29. August, 3. Oktober und 5. Dezember 1798, zusammenfassend am 3. März 1799; Schüler NA XXXVII/1, 291, 27-28; 296, 26-27; 326, 34; 345, 3; 360, 23-24; XXXVIII/1, 12, 26; 46, 15-19 u. 32-35).
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eine nicht verzeichnete Ortsveränderung des Achilleus vorausgesetzt werden darf. 157 Abgesehen davon, daß Goethe den anzunehmenden Gang zum Grabhügel möglicherweise eingehend motiviert hätte und vielleicht zu diesem Zweck hier ein Spatium von circa zwölf Zeilen gelassen hat, sind alle Versuche, "die von Goethe nur karg bezeichnete Situation durch das Heranziehen anderer Ausgestaltungen des gleichen Grundmotivs [...] voll Leben" gewinnen zu lassen, reine Spekulation. 158 Indem er das "Motiv der im Freien zugebrachten Nacht" in verschiedenen Gestaltungen ausführlich referiert, meint Schadewaldt eine immer gleiche "Kurve der Struktur" ablesen und auf die Szene in der 'Achilleis' übertragen zu können. 159 Die Grenze zu einer Weiterdichtung ist erreicht, wenn seine an Goethe geschulte Phantasie imaginiert, "daß auch Achilleus unruhig im Felde herumgeschweift war, daß er sich dann auf dem Grabhügel des Ilos - dem abgewandelten Röderberg bei Frankfurt niedergelassen, seine Leidenschaft genossen hätte und eingeschlafen wäre, bis die aufgehende Sonne ihn weckte, die in diesem Fall das fern vor ihm liegende Troja, wo er die Geliebte wußte, erleuchtete, und er dort verweilte, bis der Freund Aias ihn traf'. 160 Da weder der Methode der inhaltlichen Rekonstruktion noch ihren einzelnen Ergebnissen zugestimmt werden kann, ist auch Schadewaldts Schlußfolgerung, "daß Goethes Achilleis motivisch, gedanklich wie dichterisch eine vollkommene Einheit geworden wäre",161 mit Skepsis zu betrachten. Indem Schadewaldt in der Handlung, die er zuvor in ihrer Großstruktur überzeugend darstellt und von ihr den "Eindruck einer ungewöhnlichen Gebautheit" gewinnt, zwei "höchste Augenblicke" vermutet, hierzu wiederum Parallelen in Goethes Gesamtwerk sucht und zuletzt die 'Achilleis' als "gesteigerten Egmont" bezeichnet, 162 vergibt er durch Überinterpretation die Chance, die Handlungsstruktur als Indiz für die konzeptionelle Einheit des Entwurfs zu werten. Denn andererseits bleibt seine Bemerkung, daß "Goethe durch die Dreiheit [der] olympischen Versammlungen Anfang, Mitte und Ende [...] seines ganzen Epos" akzentuiere, 163 vordergründig und unscharf. Während die zweite Götterversammlung möglicherweise die symmetrische Mitte des Werks gebildet hätte, eröffnet weder die erste Szene im Olymp die 'Achilleis', noch hätte die dritte an deren Ende gestanden. Dieser letzten Zusammenkunft, die für den Anfang des siebten Gesangs vorgesehen war, wäre offenbar die 157 158 159 160 161 162
Goethe AA Ep 2, 429; Schadewaldt, Goethes Achilleis, 324. Goethe AA Ep 2, 429; Schadewaldt, Goethes Achilleis, 358. Schadewaldt, Goethes Achilleis, 359-362. Schadewaldt, Goethes Achilleis, 362. Schadewaldt, Goethes Achilleis, 375. Schadewaldt, Goethes Achilleis, 345-356 u. 374-380. Reinhardt, Tod und Held, 293-296, weist nach einem kurzen Abriß der projektierten Handlung darauf hin, "wie voller Bezug darauf doch auch schon der erste Gesang" sei, und nennt einige Vorausdeutungen des geschriebenen Textes. 163 Schadewaldt, Goethes Achilleis, 355-356.
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Aufgabe zugefallen, Apollon eine unterstützende Funktion bei der Tötung des Achilleus zu ermöglichen. 164 Sie hätte also keineswegs das Ende der 'Achilleis', sondern ihr inhaltliches Zentrum, den Tod des Helden, betont. Als tatsächlichen Schlußpunkt kündigt das Schema "Ajax Raserey und Todt" an. 1 6 5 Wie in Sophokles' Tragödie durch den "Streit über die Waffen" motiviert, zeigt Goethes Entwurf jedoch weder von einer Auseinandersetzung um eine ehrenwerte Bestattung noch von Odysseus' Einsatz für den ehemaligen Widersacher eine Spur. 166 Das letzte Wort hat vielmehr der "Todt". Von hier aus läßt sich über das zentrale Ereignis, den "Tod des Achills im Tempel", 167 ein Bogen zum Anfang des Epos schlagen. In seiner ersten wörtlichen Rede faßt der "große Pelide" die unausweichlich gültige Wiederkehr des Todes in die "gewichtigen Worte" (16-18): Die Völkerweckerinn Eos Fand mich Patroklos Gebein zusammenlesend, sie findet Hectors Brüder anjetzt in gleichem frommen Geschäfte, Und dich mag sie auch bald, mein trauter Antilochus, finden, Daß du den leichten Rest des Freundes jammernd bestattest. (21-25)
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - hervorgehoben durch die rahmende Position finiter Formen des gleichen Verbs - werden vom Tod je eines Helden erfüllt. Daß sich der Zirkel von Tod und Trauer über die von Achilleus prophezeite Zukunft des eigenen Sterbens hinaus fortsetzen wird, hätte das Ende des Epos im Tod des Ajax kenntlich gemacht. Im "Tod des Achills" sieht Goethe Ende 1797 einen möglichen, wenn auch primär tragischen Stoff, der "zwischen Hectors Tod und der Abfahrt der Griechen von der Trojanischen Küste" eine Behandlung erlauben würde; mehr zu epischer Bearbeitung geneigt, gibt er wenige Tage später das Thema des Gedichts als das "Lebensende des Achills mit seinen Umgebungen" an. 168 Goethes Ansatz für die Disposition der Handlung gleicht demjenigen Homers. Wie sein Vorbild hütet er sich, "den ganzen Krieg darzustellen", und beschränkt sich auf "einen einzigen Teil". 169 Wählt dieser den "Zorn des Achilleus" als Thema und auch als perspektivischen Fluchtpunkt der Episo164 Goethe AA Ep 2, 415, 428 u. 432 (Paralipomenon 12); vgl. Reinhardt, Tod und Held, 303-305, sowie Schadewaldt, Goethes Achilleis, 341-343 u. 348-349. 165 Goethe AA Ep 2, 416. 166 Goethe AA Ep 2, 416. Die unmittelbare Integration in die Achilleus-Handlung ist dadurch gegeben, daß im vierten Gesang dessen "Vermächtniße | Ajas die Waffen" zusprechen (ebd., 426-427) und es nun hießt: "Vermächtniß des Achills wird bekant." Vgl. Sophokles, Dramen, Darmstadt 1985, 14-15, 68-69 u. 74-99 (Aias 40-41, 933-935 u. 1040-1420). Goethes Lektüre ist im fraglichen Zeitraum belegt (Schüler NA XXXVII/1,204, 25-27; Goethe an Schiller, 23.12.1797). 167 Goethe A A E p 2, 415. 168 Schüler NA XXXVII/1, 206, 11-12 u. 19; 210, 3 (Goethe an Schiller, 23. u. 27.12.1797). 169 Aristoteles, Poetik, 76-78 (Kap. 23).
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den, so stiftet bei Goethe der Tod des Achill thematische und strukturelle Einheit. Keineswegs wollte Goethe "die Handlungslücke zwischen der 'Ilias' und der 'Odyssee' schließen".170 Im Gegensatz zu den "Epen des troischen Kyklos", die offenbar "bereits von ihren Urhebern als Ergänzung zur 'Ilias' zum vollen Kreis der Sagen gedacht waren", 171 geht es Goethe nicht um die Schließung der Handlungslücke. Er zielt nicht auf Füllung des "zwischen Hectors Tod und der Abfahrt der Griechen" gebliebenen Zeitraums, sondern sucht innerhalb dieser Spanne ein Thema, das die Organisation disparaten Stoffs zu einer epischen Einheit erlaubt. Die mißverstandene Konzeption Goethes war ein Grund, die 'Achilleis' in Nachbarschaft zu den kyklischen Werken zu rücken. Ihr zeitlich unmittelbar an das Ende der 'Ilias' anschließender Beginn stellt hierfür das andere, scheinbar gewichtigere Argument dar. Insbesondere der Anfang der 'Aithiopis' wird als Vorbild für Goethes Verfahren bezeichnet. 172 Dort greift der Autor in den letzten Vers der 'Ilias' ein, kündigt die Ankunft der Penthesilea an und schafft damit - wohl zum Zweck eines fortlaufenden Vortrags einen "fugenlose[n] Übergang" zum neuen Gedicht. 173 Für eine solche Art der Anknüpfung, die die Fortsetzbarkeit der 'Ilias' voraussetzt, hätte Goethe bei Wolf Unterstützung finden können. Wenn dieser spitzfindig erklärt, daß das Prooimion der 'Ilias' nur den Inhalt der ersten siebzehn Gesänge bezeichne und die restlichen somit als fremder Zusatz anzusehen seien, 174 dann scheint es ästhetisch entschuldbar, dem bereits fortgesetzten Werk weitere Gesänge hinzuzufügen. Der Eingang der 'Achilleis' legt jedoch eine andere Interpretation nahe. Exakt betrachtet kann er nicht einmal als zeitlich unmittelbarer Anschluß verstanden werden. Ein durchgehender Vortrag ergäbe hier keinen Sinn. Denn Goethes Darstellung setzt nicht beim letzten Vers der 'Ilias', sondern in der chronologischen Zäsur vor dem letzten Absatz ein: Aber nachdem zum zehnten [Tage] die leuchtende Eos emporstieg, Jetzo trugen sie weinend hinaus den mutigen Hektor, Legten ihn hoch auf der Scheiter Gerüst und entflammten das Feuer. Als aufdämmernd nun Eos mit Rosenfingern emporstieg, Kam das versammelte Volk um den Brand des gepriesenen Hektors. (U. XXIV/785-789) 170 Dies meint zuletzt Dietrich, Achilleis, in: Goethes Erzählwerk, Stuttgart 1985, 275, der ohne jede Reflexion Morris, Die Achilleis, 158, zitiert, die fundamentale Studie Schadewaldts ignoriert und dem auch ansonsten zahlreiche faktische Unstimmigkeiten unterlaufen (ζ. B. 276: "In Troja geht ein elfjähriger [!] Waffenstillstand zwischen Trojanern und Griechen zu Ende"). 171 Lesky, Geschichte, 101-106, hier 105. 172 Fingerle, Goethes 'Achilleis', in: Die Literatur XLI (1938/39), 593-594. 173 Lesky, Geschichte, 105, zitiert die veränderte Gestalt von II. XXIV/804 und den sich anschließenden Vers der 'Aithiopis'. 174 Wolf, Prolegomena, 114-119.
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Die bei Homer nicht geschilderte "finstere Nacht" (3) zum elften Tag des Waffenstillstands markiert den Anfang von Goethes Werk. Daß das Ende der 'Ilias' und der Beginn der 'Achilleis' keinen nahtlosen Übergang bilden, zeigt sich an der verdoppelten Schilderung des Sonnenaufgangs zum gleichen Tag: Goethes Verse 13-15 beschreiben den gleichen Vorgang wie der zitierte Vers 788, der den letzten Tag der 'Ilias' eröffnet. Schon diese zeitliche Parallelität verselbständigt und isoliert die 'Achilleis' in Goethes Sinne, indem sie ein kontinuierliches Weitererzählen verhindert. Wenn nun Goethe selbst davon spricht, "einen Plan versucht" zu haben, "wie man die Ilias fortsetzen" könne, dann ist es nur bezeichnend, daß er seine Aussage sofort differenziert: "oder vielmehr wie man ein Gedicht, das den Tod des Achills enthielte, daran anschließen könnte." 175 Wenn Goethe "mit dem Schluß der Ilias" anfängt, dann geschieht dies nicht im eigentlichen Sinne einer "Fortsetzung", sondern als "Wiedererinnerung", mit der zugleich die Perspektive wechselt. 176 Denn nun steht nicht mehr Hektors Bestattung im Mittelpunkt, sondern Achilleus, der "vor seinem Gezelte [...] die Stunden" durchwacht und "der Flammen | Fernes, schreckliches Spiel und des wechselnden Feuers Bewegung" (7-9) schaut. Der erste der beiden eröffnenden Abschnitte zu jeweils sechs Versen, die die Neigung der 'Achilleis' zum Tode durch die nach unten weisende Richtung rahmender Vokabeln ("Hoch"/"Nieder [...] am Boden" respektive "erhob"/"dahin sank") deutlich machen, offenbart bereits diese Umkehrung des Blickwinkels. Daß der Erzähler im Lager der Griechen zu denken ist, zeigt sich zunächst darin, daß "Ilions Mauern" nur dem fernen Betrachter "Roth, durch die finstere Nacht" (2-3), erscheinen können. Schon hier ist die scheinbar objektive Beschreibung vom Inneren des Achilleus gelenkt, der "Haß noch gegen den Todten" (11) empfindet und dessen heroisches Dasein sich in der endgültigen physischen Vernichtung Hektors vollendet. 177 Eine psychologische Sichtweise, die das "Äußere um eines Inneren willen" geschehen läßt, 178 die mit des "wechselnden Feuers Bewegung" und mit "Pergamos röthlicher Veste" zugleich die lodernde Seele des Achilleus meint (7-12), ist abermals zu erkennen, wenn der Sonnenaufgang als ein von Achilleus empfundener geschildert wird. Denn der Wirkung der "Göttinn", die "der Flammen Schrecknisse" verbleichen läßt, bedarf es, um den Helden "tief bewegt und sanft" (13-16) zu stimmen.
175 Goethe WA IV/14,43 (Goethe an Knebel, 15.3.1799). 176 Goethe WA IV/14, 52 (Goethe an Knebel, 22.3.1799). - Reinhardt, Tod und Held, 284, differenziert entgegen der fast einmütigen Rede von einer "Fortsetzung" zugunsten des letztgenannten Begriffs. 177 Vgl. Fingerle, Goethes 'Achilleis', 594: "das letzte Aufflammen und Zusammensinken des Scheiterhaufens" habe "eigentlich nur Sinn [...], insofern der grollende Achill von seinem Zelte" es sehe. 178 Reinhardt, Tod und Held, 284.
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Für einen feierlichen Musenanruf scheint hier kein Raum zu sein. 179 Die moderne, verinnerlichte Perspektive überläßt es dem im Mittelpunkt stehenden Subjekt, das Thema des von ihm handelnden Gedichts anzugeben. Die Spannung zwischen Modernität und Mythos, in der die 'Achilleis' durch ihre psychologische Behandlung antiken Stoffs von Beginn an steht, wird fühlbar, wenn "der große Pelide" sich selbst einen Platz im unerbittlichen Fortgang des Geschehens um Troja zuweist. Indem er die Prophezeiung über Trojas Untergang aus der 'Ilias' in seine erste Aussage übernimmt 1 8 0 und - sich selbst dem Zirkel des Todes unterwerfend - feststellt, daß er dieses Ereignis "nicht sehen" wird (21), markiert Achilleus die unabänderlich-mythische Bedingtheit seines Daseins. Weniger dem Zusammenhang zwischen Hektors Tod und dem baldigen Fall Trojas gilt seine Einsicht als vielmehr seiner eigenen Verkettung mit dem Schicksal Ilions, der er, da "es die Götter entbieten", mit dem Ausruf "Sey es!" zustimmt (26-27). Im Sinne einer Partizipation am gleichen Mythos, einem neuen Aufgreifen von motivischen Fäden, die Homer gesponnen hat, einer Übernahme stofflicher Gegebenheiten und motivierender Zusammenhänge ist Goethes Anknüpfung an das antike Epos zu begreifen. Er setzt die 'Ilias' nur insofern fort, als er sie stofflich voraussetzt. Der Eingang der 'Achilleis' spricht somit ebenso wie die zu thematischer Einheit strebende Konzeption dafür, sein Vorhaben, das neue Gedicht zu "isoliren", als gelungen zu bezeichnen und auch in diesem poetischen Zeugnis Goethes eine Bestätigung seiner Überzeugung "von der Einheit und Untheilbarkeit" der 'Ilias' zu sehen. 1 8 1 Die 'Achilleis'zwischen Mythos und Moderne Goethes Vorhaben, ein modernes und eigenes Epos zu dichten, ist bereits in der Konzeption zu erkennen. Eine gegenteilige Position - daß nämlich die 'Achilleis' "eine beispiellose Selbstentäußerung Goethes" bezeuge, daß Goethes "Identifikation mit den Werken Homers" so weit gegangen sei, daß er geplant habe, "an ihnen weiterzudichten als seien es seine eigenen" 182 -, die all jene Elemente des Fragments, aus denen eine Distanz zu Homer spricht, als Zeichen des Mißlingens begreifen muß, kann sich lediglich auf ein briefliches 179 Fries, Goethes Achilleis, 9, wertet dies als Indiz dafür, daß Goethes "Gedicht als eine Fortsetzung, als 'Posthomerika' zu nehmen" sei. - Rückschlüsse aus dem Fehlen des Musenanrufs sollten mit Vorsicht geschehen. Denn die Spekulation sei erlaubt, daß Goethe dem Werk nach Vollendung doch ein Prooimion vorangestellt hätte. 180 Agamemnon und Hektor wissen gleichlautend: "Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt" (II. IV/164 u. VI/448); vgl. Achilleis 18. 181 Schüler ΝΑ XXXVII/1,293,12 u. 22 (Goethe an Schiller, 16.5.1798). 182 So noch Dietrich, Achilleis, 275, dessen Ansichten stets älterer Forschung entnommen sind (vgl. Morris, Die Achilleis, 157). Erst Regenbogen, Goethes Achilleis, in: ders., Griechische Gegenwart, Leipzig 1942, 25, betont, daß Goethe zwar "Homeride [...], aber nicht Homer" sein "wollte" und daß er auch in der 'Achilleis' "Goethe bleiben" "wollte und mußte".
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Zeugnis berufen: Wenn ihm "ein Gedicht gelingen" solle, "das sich an die Ilias einigermasen" anschließe, müsse er - so Goethe am 12. Mai 1798 gegenüber Schiller - "alles subjective und pathologische aus [seiner] Untersuchung" entfernen, "den Alten auch darinne folgen worin sie getadelt" würden und sich sogar dasjenige "zu eigen machen was [ihm] selbst nicht" behage. 1 8 3 Möglicherweise veranlaßt durch Schillers Mahnung, "wohl nicht absichtlich" jenes nachzuahmen, was ihm "im Homer" mißfalle, weist allerdings schon Goethes nächster Brief seine Erklärung "dem Kreise von Entzückung, Hoffnung, Einsicht und Verzweiflung" zu, in dem ihn das Studium der 'Ilias' "durchgejagt" habe. 1 8 4 Indem er anschließend sagt, daß die 'Achilleis' sich, insofern sie "ein tragischer Stoff' und "durchaus sentimental' sei, "zu einer modernen Arbeit qualificiren" würde, greift er auf seine Beurteilung vom Dezember 1797 zurück, in der er vom "Vortheil" spricht, den "ein Neuer der für Neue" arbeite, durch einen "pathologisches Interesse" hervorrufenden "tragischen Stoff habe. 1 8 5 Schillers Feststellung, daß "es mehr eine Tugend als ein Fehler des Stöfs" sei, "daß er den Foderungen unseres Zeitalters" entgegenkomme, und seiner Aufforderung, er solle "beim Homer bloß Stimmung suchen", gibt Goethe recht und bezeichnet sie als die "Quintessenz dessen was [er sich] wohl auch zu Trost und Ermunterung" zugerufen habe. 1 8 6 Das "Subjektive", "Sentimentale" und "Pathologische", kurz: das Moderne in Stoff und Behandlung kann also nicht als Mangel der 'Achilleis' begriffen werden. Abgesehen von 183 Schüler ΝΑ XXXVII/1,291,17-21 (Goethe an Schüler, 12.5.1798). 184 Schüler ΝΑ XXIX, 236, 17-18 (Schiller an Goethe, 15.5.1798); ebd. XXXVII/1, 293, 9-11 (Goethe an Schiller, 16.5.1798). 185 Schüler NA XXXVII/1, 293, 25-30, u. 210, 7-10 (Goethe an Schiller, 16.5.1798 u. 27.12.1797). - Es geht daher nicht an, das "Scheitern" des Werks mit dem "sentimentalische[n] Charakter des Achilleis-Sujets" zu begründen (so Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, 52 u. 54-56). 186 Schüler ΝΑ XXIX, 237, 6-15 (Schüler an Goethe, 18.5.1798); ebd. XXXVII/1, 296, 14-15 (Goethe an Schüler, 19.5.1798). - Sengle, Goethes Ikarus-Flug, in: ders., Neues zu Goethe, Stuttgart 1989, 81-84, interpretiert die zuletzt zitierten Zeugnisse völlig falsch; er geht - der älteren Forschung vergleichbar - davon aus, daß Goethe in dem "naiven Glauben, es Homer gleichtun zu können", befangen gewesen sei und aus eigener Unfähigkeit die Unmöglichkeit einer solchen Homernachahmung nicht "geschichtsphüosophisch" durchdacht habe. Schiller habe diese "Verwirrung des Freundes" frühzeitig erkannt und ihm von der Ausführung abgeraten. Daß Goethe es als Bestätigung des eigenen Ansatzes und als "Ermunterung" zur Weiterarbeit begreift, wenn Schiller die Modernität des Stoffs konstatiert, übergeht Sengle ebenso wie die Tatsache, daß es im März 1799 wiederum Schiller ist, durch dessen "Zuruf' sich Goethe "ermuntert" fühlt, an die Versifikation des Konzipierten zu gehen (vgl. Schüler ΝΑ XXX, 35, 13-20 [Schüler an Goethe, 5.3.1799]; ebd. XXXVIII/1, 50, 7-15 [Goethe an Schüler, 9.3.1799]; ferner Goethes Tagebucheinträge vom 17. Februar u. 9. März 1799; Goethe WA III/2, 235 u. 236). Auf eine weitergehende Diskussion des Aufsatzes von Sengle, der maßgeblich aus einer Polemik gegen Schadewaldt besteht, sei hier verzichtet.
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einer kurzfristigen und deutlich widerrufenen Abirrung, die eben diese Elemente zu "entfernen" sucht, bekennt sich Goethe zu den Charakteristika, durch die sein Werk sich als "moderne Arbeit", als Dichtung eines "Neuen für Neue" auszeichnet. Modern ist zunächst die durchgängige Psychologisierung des Dargestellten, die in der Verbindung von äußerem Geschehen und innerer Befindlichkeit der Personen am deutlichsten wird. Goethes Athene rechnet geradezu programmatisch mit diesem Zusammenhang von empfindsam wahrgenommener Umgebung und seelischer Stimmung. Denn sie handelt ausdrücklich mit Vorbedacht, wenn sie "hinab zum Peliden" steigt und "mit göttlichem Leben | Seinen Busen" zu füllen gedenkt (394-395). Sie findet Achilleus ganz beschäftigt mit dem Bau seines Grabmals. Er steht inmitten des Bauwerks, und ihn erfüllt das "ernste Geschäft", das es vor seinem Tod noch zu vollbringen gelte (428-429). Wie zu Beginn des Epos von Todesgedanken umfangen, erkundet er nun den Ort seines letzten irdischen Aufenthalts und gibt der in "Antilochos Bildung" (424) vor ihm erscheinenden Göttin Weisungen, wie mit seinen sterblichen Überresten zu verfahren sei (432-433). Dieser Stimmung, die "nur des Nöthigen" (27) gedenkt, korrespondiert das Lokal und Achilleus' Position in diesem. Im "Grunde des Bechers, umgeben | Rings von dem stürzenden Wall" (422-423), ist der Held dem Tod näher als dem Leben und antizipiert seine Ruhestätte in der Urne. Während er selbst sich am tiefsten Punkt des Bauwerks aufhält, steigt der Wall "ihm ein Denkmal" empor (423). Diese Gegenbewegung ist geeignet, seinen Abschied vom Leben ebenso sinnfällig auszudrücken wie seine Ausrichtung auf die Nachwelt. Denn "künftigen Menschen ein Mal" (443) zu sein, ist der Grabhügel bestimmt. In Achilleus' eigenen Worten spitzt sich der Kontrast zwischen der Höhe des Walls und der Tiefe des Grabs auf das Gegensatzpaar von "drängen" und "erheben" zu und wird erweitert um das zuvor angedeutete Bild des immer enger werdenden Kreises, das Achilleus' Befangenheit im Zirkel des Todes anzeigt: Sieh! wie rings der Damm sich erhebt und schon nach der Mitte Sich der rollende Schutt, den Kreis verengend, herandrängt. (430-431)
Ohne in ihrem Gang zur Erde die Möglichkeit zu sehen, ihren "Liebling zurück von der Pforte des Ais [zu] geleiten" (381), trägt sich Athene lediglich in der "Absicht dem Achill die Empfindung zu ersparen". 187 Aus der Überzeugung, daß "Solch ein schönes Leben [...] nicht zu enden in Unmuth" verdiene (357), will sie seine Gedanken noch einmal aus der Enge des Todes in die Weite des Lebens lenken, ihn zu einer "Aussicht über die Welt" und "auf die Zukunft" führen. 188 Athene geht es - wie die Allgemeinheit dieser Vokabeln erkennen läßt - nicht konkret um die dem Ufer zustrebenden Schiffe, über die sie ein Gespräch anknüpft, sondern um Achilleus' seelische Stimmung. Daß 187 Goethe AA Ep 2,424. Vgl. Anm. 153. 188 So das Schema (Goethe AA Ep 2, 417-418).
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"Zeus klaräugige Tochter" (444) die Wirkung des jeweiligen Lokals auf das innere Befinden reflektiert, wird deutlich, wenn sie das von Achilleus eingeführte Gegensatzpaar aufgreift: Aber laß uns sogleich, aus diesem drängenden Kreise Steigend hinauf, des Walles erhabenen Rücken umschreiten. (451-452)
Noch ehe sie "versuchende, freundliche Worte" spricht, um Achilleus zu beleben, bleibt ihr Vorblick auf "das Meer und das Land und die Inseln der Ferne", die sich dann vom "erhabenen Rand des immer wachsenden Dammes" aus zeigen, nicht ohne den gewünschten Einfluß auf die Seele des Helden. Die Vorstellung der Weite regt "sein Herz", das im Sinne des 18. Jahrhunderts empfindet (453-458). Gegen Ende des gleichen Gesprächs macht die immanente Reflexion der epischen Gattung den trotz engstem Anschluß an die 'Ilias' gewonnenen Abstand zu Homer kenntlich. Nachdem Athene den Ort des Grabmals als ideal für eine der Schiffahrt dienende "Warte" bezeichnet (471-478) und aus dieser Parallele, die ein Zeichen des Lebens neben das Zeichen des Todes stellt, ein Bild des Seehandels entwickelt, nimmt sie zuletzt der Seeleute ehrendes Gedenken an Achilleus vorweg (478-494). Die "Neue Wonne der Brust", die diese "holden Reden" der Göttin bei ihrem Schützling "erzeugen" (499-500), versucht sie noch zu vertiefen, indem sie die "Wahl des kurzen rühmlichen Lebens" lobt und das "unendliche Sehnsucht" nach "rühmlichen Thaten" erregende Sterben als Jüngling dem Ableben des in sich vollendeten Greises gegenüberstellt (512-526). Athenes Vorhaben, das Herz des Peliden zu erheben, erreicht einen Höhepunkt, wenn sie mit seinem vorauszusehenden Nachruhm im epischen Gedicht belegt, daß "keinem [...] ein herrlicher größeres Loos" bevorstehe als ihm (547). Die Frage, ob Mnemosyne sich der Geschehnisse der Urzeit und herausragender Heldentaten erinnern oder sie vergessen werde, wird als Gradmesser für deren Wertschätzung bei der Nachwelt angesehen. Den Gesang der Musen reflektiert Goethes Werk immanent als Träger kulturellen Gedächtnisses, die epische Tradierung eines Stoffs wird als Ausdruck seiner Würde gewertet. Von einem naiven homerischen Stil, der "nur gleichmäßig beleuchtete, gleichmäßig objektive Gegenwart" kennt, 189 ist diese sentimentalisch perspektivierende Sichtweise der Athene weit entfernt, wenn sie für die Zukunft eine Vergegenwärtigung (573: "als gegenwärtig") von Achilleus' ruhmreicher Vergangenheit durch die Rhapsoden prophezeit. In Gehalt und Ton steht Goethe hier beispielsweise Schillers im gleichen Jahr entstandener Elegie 'Nänie', zu der auch stoffliche Beziehungen bestehen, 190 189 Auerbach, Mimesis, 9. 190 Schiller NA II/l, 326. Die laute Klage der Götter und Göttinnen über den Tod des Achilleus (Nänie, 11; Achilleis, 155-165, 364 u. 385) verbindet beide Gedichte ebenso wie der Gedanke, daß das "Schöne" in der vergegenwärtigenden Erinnerung des Gedichts weiterlebt.
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sicher näher als Homer, von dem ihn nicht nur nahezu drei Jahrtausende trennen. Mit der Vorhersage, daß der "Streit unzähliger Männer" vor Troja dann noch Gegenstand epischer Gesänge sein werde, wenn "der ersten göttlichen Kämpfe", "der argonautischen Kühnheit" und "herkulischer Kraft nicht mehr die Erde" gedenke (547-558), ist über die Ehrung des Achilleus hinaus diejenige Homers ausgesprochen. Während sich für die archaische Epik zum Argonautenzug und zum Heraklesstoff Athenes Urteil in dem der Geschichte bestätigt, 191 gilt dies nur teilweise für die frühgriechischen Werke zum Kampf der Götter. Ist etwa die 'Titanomachie' des Eumelos tatsächlich vergessen, 192 so kann dies von Hesiods 'Theogonie', deren Stoff in der 'Achilleis' explizit genannt wird (553), nicht behauptet werden. Wenn Goethe die Göttin auch die Erinnerung an diese Dichtung verlöschen sehen läßt, dann scheint er vielmehr den antik überlieferten 'Agon Homers und Hesiods' aufzugreifen und mit dem "Publikum [...] für Homers Verse aus Kampfszenen der 'Ilias'" zu entscheiden. 193 Jenen Vertreter der Gattung, an den er primär anknüpft, erhebt Goethe über alle anderen. Die epigonale Position, in die er sich hiermit begibt, ist unverkennbar. Von einer immanent reflektierten Epigonalität zu sprechen, ist jedoch insofern erlaubt, als das Lob des Vorbilds - an dessen Sonderstellung der Nachfolger zu partizipieren begehrt - in das Werk selbst integriert ist. Darüber hinaus verbieten weitere Symptome, Goethe eine naive Nachahmung zu unterstellen. Indem Athene den "Kranz der ruhigen Männer" imaginert, die "den Lippen des Sängers" folgen (564-574), beschreibt sie den Usus epischen Vortrags. Den Brauch, einem Epos ein Prooimion voranzustellen, ahmt Goethe in der 'Achilleis' nicht nach; gleichwohl gewährt er diesem homerischen Gattungsmerkmal Eingang in sein Werk: Immer wird dein Nähme zuerst von den Lippen des Sängers Fließen, wenn er voran des Gottes preisend erwähnte. (571-572)
Die vermittelte Art, in der hier ein kanonisches Stilelement nicht nachgebildet, sondern im Epos zitiert wird und in der wenig später der Titelheld ein Bild von der Genese epischer Werke entwirft (580), verrät Goethes Wissen um seinen Abstand zu Homer. Statt des Versuchs, diese Distanz naiv zu überbrücken, macht Goethe sie bewußt und gestaltet sie auf dem Wege immanenter Reflexion, mit der er zugleich seine eigene poetische Position bestimmt. Die Frage nach der Möglichkeit einer Nachahmung Homers, von der Sengle glaubt, daß Goethe "unfähig" gewesen sei, sie "geschichtsphilosophisch zu
191 Vgl. Lesley, Geschichte, 130-131; beide Stoffe, die Gegenstand früher epischer Gedichte waren, sind erst in späteren Ausgestaltungen greifbar. 192 Lesky, Geschichte, 101 u. 130. 193 Lesky, Geschichte, 115. Vgl. Heldmann, Niederlage Homers, Göttingen 1982.
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durchdenken",194 beantwortet das Werk, indem es in scheinbar forcierter Epigonalität das Bewußtsein seiner Distanz zum Vorbild zu erkennen gibt. Um Goethes Position im Spannungsfeld von Antike und Moderne genauer zu ermitteln, 195 bedarf es einer zeitgenössischen ästhetischen Begrifflichkeit. Eine hilfreiche "Terminologie" hält Goethe in seiner allerdings späteren Abhandlung 'Shakespeare und kein Ende!' bereit. Um Shakespeare als denjenigen hervortreten zu lassen, der "das Alte und Neue auf eine überschwängliche Weise" verbunden habe, bildet Goethe in Analogie zum Begriffspaar "Antik, Modern" eine Reihe von Gegensätzen, die in den Dichotomien von "Nothwendigkeit, Freiheit" und "Sollen, Wollen" mündet. 196 Der Antike eine starke Dominanz des jeweils ersten Begriffs zuschreibend, interessiert sich Goethe primär für die dramatische Gattung: "Die alte Tragödie beruht auf einem unausweichlichen Sollen, das durch ein entgegenwirkendes Wollen nur geschärft und beschleunigt wird."197 Eine vergleichbare Bestimmung für das Epos gibt Goethe in seinem Aufsatz nicht. Ergänzend soll daher Schellings 'Philosophie der Kunst', dessen Bestimmung der Tragödie mit Goethes Anschauung insofern verwandt ist, als sie mit dem Begriffspaar von "Nothwendigkeit" und "Freiheit" operiert, 198 herangezogen werden. Im Unterschied zur Tragödie ist für Schelling das Epos völlig "ohne Gegensatz", "ohne Streit" zwischen "Freiheit und Nothwendigkeit" und "eben deßwegen ohne Schicksal".199 Zwar kenne "auch Homer schon die schwarzen Keren und das Verhängniß", dieses erscheine aber "eben deßwegen noch nicht als Schicksal, weil kein Widerstreit dagegen" laut werde. "Götter und Menschen, die ganze Welt, die das Epos umfaßt, sind in der höchsten Identität mit ihm dargestellt."200 Die Identität mit dem Verhängnis, der Notwendigkeit oder - in Goethes Ausdruck - dem "Sollen" müßte für den Kosmos der 'Achilleis' aufzuzeigen sein, wenn das Werk als "antik-episch" im Sinne des zeitgenössischen Homer-Verständnisses gelten soll.
194 Sengle, Goethes Ikarus-Flug, 81; vgl. Anm. 186. 195 Pfeiffer, Goethe, in: ders., Schriften, München 1960, 239-240, u. Gerhard, Götter-Kosmos, in: Monatshefte LVI (1964), 153-154, hoffen aus der Frage nach der "Echtheit" der Göttergestalten Aufschluß zu erhalten. Ihre Frage richtet sich letztlich auf die religiöse Verbindlichkeit der antiken Götter für Goethe und erweist sich damit als irrelevant. Denn für Goethe ist mit Moritz, Werke, II, 611, die griechische Mythologie als "eine Sprache der Phantasie", als "eine Welt für sich" anzusehen. 196 Goethe WA 1/41,1, 58 u. 61-62. 197 Goethe WA 1/41, 1, 60. 198 Schelling, Phüosophie der Kunst, Darmstadt 1976, 337. Zu Schellings Gattungspoetik und zu seiner Stellung in der Ästhetik der Goethezeit vgl. Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, 215-248, u. II, 185-307. 199 Schelling, Phüosophie der Kunst, 290. 200 Schelling, Phüosophie der Kunst, 291.
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Für den Titelhelden ist zu Beginn der 'Achilleis' gewiß von einer Übereinstimmung mit dem bevorstehenden Geschick zu sprechen. Seine ersten Worte künden vom Einvernehmen mit dem Ratschluß der Götter. Das "Sollen" nimmt Achilleus restlos ein, sein "Wollen" ist der Notwendigkeit unterworfen (vor allem 26-27). Auch am Ende des ausgeführten Gesangs, diesen rahmend und dem Gesetz der Notwendigkeit unterwerfend, weisen die Gedanken auf das "Nöthige" (618). Die Identität mit dem Verhängnis, mit dem gewissen baldigen Tod, bestimmt Achilleus so weitgehend, daß auch sein physischer Wille zum Leben gebrochen ist. Kein "Erdegebornes Verlangen" weder "der Hunger", "noch der Durst, noch ein andres" - "reizet" ihn mehr (621-622), der Drang zur Selbsterhaltung und zu den Grundfunktionen menschlichen Überlebens wird negiert. Diese Übereinstimmung mit dem "Sollen", die kein auf individueller Freiheit basierendes "Wollen" des Helden erkennen läßt und damit als völlig "antik" (im Sinne Goethes) und "episch" (im Sinne Schellings) bezeichnet werden könnte, hat allerdings kaum den Gesamtplan der 'Achilleis' beherrscht. Der Liebe zu Polyxena, die Achilleus wohl im fünften Gesang ergriffen und seine Position in den Friedensverhandlungen bestimmt hätte, 201 wäre es vielmehr zugefallen, den entscheidenden Umschwung hervorzurufen. Statt auf den Tod wäre er nun auf das Leben ausgerichtet gewesen, seinem gewissen Schicksal hätte er zu entkommen versucht. "Achill weiß daß er sterben muß, verliebt sich aber in die Polyxena und vergißt sein Schicksal rein darüber, nach der Tollheit seiner Natur." 202 Dem in der Shakespeare-Schrift geäußerten Gefühl, daß das "Sollen" aller "Helden des dichterischen Alterthums" "immer zu schroff dastünde, "als daß es uns, wenn wir es auch bewundern, anmuthen könnte", trägt die Konzeption der 'Achilleis' ebenso Rechnung wie der Bemerkung, daß eine "Nothwendigkeit, die mehr oder weniger oder völlig alle Freiheit" ausschließe, "sich nicht mehr mit unsern Gesinnungen" vertrage. 203 Das "Wollen" des Achilleus, sein Wille, sich mit Polyxena zu verbinden, befördert jedoch seinen Tod. Indem er dem Verhängnis ausweichen will, begibt er sich in den Konflikt der Parteien; 204 indem seine Hochzeit zum Politikum wird, bestätigt sich die unlösliche Verbindung seines Schicksals mit dem Trojas. Den "Tod des Achills im Tempel", den Vollzug des für den Fall Trojas Notwendigen, rückt Goethe eng zu der "Hochzeitfeyer",205 in der Achilleus' freier Wille seinen manifesten Ausdruck gefunden hätte. Die in den Skizzen erkennbare Konstellation, in der sich der Wille zum Leben in schmerzlichem 201 Goethe AA Ep 2, 429: "Achill schon gereitzt folgt"; vgl. Schadewaldt, Goethes Achilleis, 323 u. 339. 202 So gibt Riemer die "Idee des Ganzen", die ihm Goethe 1806 oder 1807 eröffnet habe, wieder (zitiert nach: Mommsen, Entstehung, I, Berlin 1958,15). 203 Goethe WA 1/41, 1, 62-63. 204 Schadewaldt, Goethes Achilleis, 383-384. 205 Goethe A A E p 2,415.
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Kontrast gepaart hätte mit der Bestimmung zum Tode, wäre in der Tötung des Helden auf ihren tragischen Kulminationspunkt geführt worden. Die Handlungsstruktur der 'Achilleis', die Goethe mehrfach als "tragischen Stoff bezeichnet, 206 entspricht damit seiner zitierten Bestimmung der antiken Tragödie. Und auch in Schellings Sinne, von dessen Definition des Epos sich die 'Achilleis' wohl zunehmend entfernt hätte, ist der Plan Goethes tragisch strukturiert. Denn "in herben und gewaltigen Schlägen", die Schelling der im Epos herrschenden "milde[n] Gewalt" als symptomatisch für die Tragödie gegenüberstellt, hätte sich die "Dissonanz der Freiheit und Notwendigkeit" zwangsläufig entladen müssen. 207 Ob der Held, der in seiner Identität mit dem Schicksal zunächst ganz "antik" erscheint, als Held "des dichterischen Alterthums", als Held Shakespearscher Prägung, der "das Nothwendige sittlich macht", oder als entschieden moderner Held "mit einer Erklärung des freien Willens" untergegangen wäre, ist aufgrund des Überlieferten nicht zu beurteilen. 208 Die Tatsache jedoch, daß Achilleus dem Verhängnis zum Opfer hätte fallen müssen, daß trotz der Aufnahme moderner Elemente seine mythisch vorbestimmte Bindung an den Fall Trojas keine humane Lockerung erfährt, bezeugt schon im Plan die Polarität zwischen Antike und Moderne, von der Goethes Epos bestimmt ist. Diese Spannung, die aus der Verbindung moderner Charakteristika mit einem Mythos resultiert, den Goethe nicht wie in der 1802 als "verteufelt human" 209 bezeichneten 'Iphigenie' entscheidend umformt, soll zuletzt - ausgehend vom Motiv der Schicksalsgewißheit - in Details des ersten Gesangs aufgespürt werden. In Anknüpfung an Achilleus' Worte ("Soll dieß also nun seyn" 26) stellt zunächst Hephaistos die Machtlosigkeit der Götter hinsichtlich "der Sterblichen Gränze" (102) fest: Aber soll es denn seyn, und fordert den Menschen das Schicksal, Schützte die Waffe nicht, die göttlichste, schützte die Ägis Selbst nicht, die Göttern allein die traurigen Tage davon scheucht. (117-119)
Er verallgemeinert hiermit die spottenden Worte der Here, die ihren Sohn "bald des selbstgefälligen Ruhmes" ermangeln sieht, da der Tag "nah" sei, an dem "der große Pelide | Sinken wird in den Staub" und "die finsteren Keren des Todes" ihn trotz der von Hephaistos hergestellten Waffen "bestreiten" werden (98-104). Sowohl das Bild der Keren (oder Moiren) als personifizierte Vollstreckerinnen des Schicksals als auch die von Achilleus' Bestimmung zum Tode ausgehende Wirkung auf die Olympier wird im folgenden mit Äußerungen über das Schicksal verbunden. 206 Schiller NA XXXVII/1, 206, 20; 210, 1; 293, 25 (Goethe an Schüler, 23. u. 27.12.1797, 16.5.1798). 207 Schelling, Philosophie der Kunst, 292. 208 Goethe WA 1/41, 1, 63; Schelling, Philosophie der Kunst, 341. 209 Schiller NA XXXIX/1,175, 33 (Goethe an Schüler, 19.1.1802).
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Der nahende Tod des Achilleus zeigt seine deutlichste Wirkung in der heftigen Trauer bei Thetis und Athene. Beide sind von der Unabänderlichkeit des Kommenden überzeugt und unterwerfen sich der Macht des Schicksals. Athene ist sich bei ihrem Gang zur Erde bewußt, daß den Peliden "bald nun das Schicksal ereilet" (356). Die dreimalige Wiederholung der Vokabel "soll" (366, 368 und 370) macht dies ebenso eindrücklich wie ihr Eingeständnis, ihren "Liebling" nicht "zurück von der Pforte des Ais geleiten" zu können oder zu sollen (380-381). Ihr bleibt als "Göttinn" die sentimentale Klage über den "Sterblichen" (364), die vom Erzähler in der allgemeinen Aussage "Schrecklich blicket ein Gott da wo Sterbliche weinen" (385) bekräftigt wird. Darin wird das gesamte Geschehen auf den Sterblichen Achilleus konzentriert. Zugleich verbindet die Sentenz den Einzelfall der klagenden Athene mit dem der "traurenden Blickes" in der Götterversammlung erscheinenden Thetis (148). Auch diese spricht von "des Sohnes | Nur zu gewisse[m] Geschick", weiß um "das nahe Geschick des Sohnes" und zeigt sich "bekannt" mit "des hohen Geschickes Bedingung", die ihr - mythisch verankert - "der graue Vater" Nereus, "des Künftigen göttlicher Forscher" einst "zu fest [...] verkündet" habe (155-156, 191, 210-211 und 224). Und auch sie verfällt, gepeinigt von ihrem Wissen um das unwiderstehliche "Sollen", in Klage über die "Unvermeidliche Noth" (165). Kann hierin bereits eine problematisierende, in eine gewisse Dissonanz geratende und daher unhomerische Sicht der Schicksalsmacht erblickt werden, 210 so artikuliert sich in Kronions tröstenden Worten ausdrücklich der Widerspruch gegen "das eherne Schicksal" (240). Die Feststellung der Thetis, daß "selbst nicht Kronion" ihren Sohn vor den "Waffen der Keren" retten könne (225-226), begreift Zeus als Aufforderung zur Entgegnung. Die resignierend in das Schicksal sich ergebende Thetis nennt er "thörig verzweifelnd", den Mächten der Notwendigkeit stellt er die "Hoffnung" gegenüber (235-236). Die "Keren des Todes" könne selbst "der Mensch" zurücktreiben, die "Gränze des Lebens" hält Zeus für nicht "fest umzäunt" (251-252). Zwar kennt auch das in der 'Ilias' waltende Schicksal einen gewissen Handlungsspielraum für Menschen und Götter. Dort wird jedoch dem Schicksal, das "nicht zu starrem Determinismus" führt, 211 keine andere lebensbestimmende Kraft entgegengesetzt, die seine Macht substantiell in Frage stellt. Genau dies aber tut Zeus, wenn er die "Hoffnung", die "mit dem Leben vermählt" bleibe (236), zum Argument seiner Rede macht. Mit der Hoffnung dringt ein unhomerisches und hier wohl nicht primär antik aufgefaßtes Element in die 'Achilleis' ein. Denn obzwar die Beispiele, mit denen Zeus belegt, daß "selber des Ais | Grause Wohnung" sich der Hoff210 Gerhard, Götter-Kosmos, 152-153. 211 So Lesley, Geschichte, 87, zu zwei Passagen der 'Ilias' (XV1/433-458 u. XXII/168-185). Er weist darauf hin, daß "zwei Denkweisen nebeneinander" hergingen, "zwischen denen ein logischer Ausgleich nicht zu erzwingen" sei.
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nung öffne, schon aus Gründen stofflicher Homogenität aus der griechischen Mythologie stammen (239-248), beinhaltet die subsumierende Sentenz "Selbst für den Todten hofft der Lebende" (249) - zugleich Christliches. Der gnomische Aussagemodus erlaubt, die christliche Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, die Hoffnung als eine der Paulinischen Tugenden mitzudenken. Insofern kann die Lebenskraft in Kronions Aussage dem Spannungsfeld von "Antik, Modern" oder - wie in einem weiteren Gegensatzpaar des Shakespeare-Aufsatzes zusammengestellt - "Heidnisch, Christlich" zugeordnet werden. 2 1 2 Als Eindringen einer "völlig unepische[n] Anschauung" in die 'Achilleis', die deutlich mache, "daß die sogenannten antikisierenden Dichtungen nicht weniger goethisch [...] als alle anderen" seien, interpretiert auch Pfeiffer Kronions Sicht der Hoffnung. Indem Goethe die Elpis nicht im Sinne "frühgriechischer Zeit" als "Lockung in Wirrnis und Gefahr" begreife, sondern sie selbst von Zeus "als Überwinderin der Schicksalsschranken, der Moira und Ananke, als Gewähr innerer Freiheit" auffassen lasse, sei sie ganz "goethisches Urwort" geworden 2 1 3 Pfeiffer stützt seine Argumentation durch den Hinweis auf weitere Werke Goethes, in denen die Hoffnung gleichfalls der antiken Bindung an die Notwendigkeit entgegengesetzt wird, und stellt die Verse der 'Achilleis' in einen Kontext mit den Stanzen 'Urworte. Orphisch' von 1817 und der Ode 'Meine Göttin' von 1780, knüpft Verbindungen zu Epimetheus' Tochter Elpore aus 'Pandora' und der nach ihren Schwestern Liebe und Glaube auftretenden Hoffnung in 'Des Epimenides Erwachen'. 214 Ferner wäre an die Titelgestalt aus dem Trauerspiel-Fragment 'Elpenor' zu denken, das Goethe während der Arbeit an der 'Achilleis' an Schiller übersendet: Die im Namen anklingende und im Text mehrfach aufscheinende "Hoffnung" bildet das letzte Wort. 215 Allerdings verheißt das Ende von Polymetis' Monolog ein Scheitern der Hoffnung. Dies verbindet die beiden Fragmente, denn auch in der 'Achilleis' wäre die Hoffnung auf weiteres Leben der Vernichtung anheimgefallen. Den von Pfeiffer für Kronions Aussage richtig aufgewiesenen Sachverhalt gilt es somit zu differenzieren. Einerseits hätte im Gegensatz zur Reihenfolge im Gedicht 'Urworte. Orphisch' die Hoffnung nun nicht triumphierend an letzter Stelle gestanden und wäre kaum geeignet gewesen, der "ehrnen Mauer | Höchst widerwärt'ge Pforte" zu entriegeln, sondern hätte vor "Bedingung und Gesetz" der "ΑΝΑΓΚΗ, Nöthigung" 216 kapitulieren müssen; und andererseits bleibt Zeus' Anschauung von der "Hoffnung" als Lebenskraft im 'Achilleis'-Fragment nicht unwidersprochen. 212 213 214 215
Goethe WA 1/41, 1, 58. Pfeiffer, Goethe, 244. Pfeiffer, Goethe, 242-245. Schiller NA XXXVII/1, 311, 37-312, 3 (Goethe an Schüler, 24.6.1798). - Goethe WA 1/11,46 u. 396. 216 Goethe WA 1/3, 96.
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Here faßt sie als Provokation auf, wenn sie meint, daß die "täuschenden Worte" von Zeus "wohl kaum [...] ernstlich [...] bedacht" seien (268-271). Gegen die "Zweifel" setzt sie die Gewißheit, daß man "dem Geschick" nicht "im Wege" stehen könne, ohne "zerquetschet" zu werden vom "Rad des ehernen, heiligen Wagens" (275-279). Ihre Sicherheit, daß der Pelide nicht zu retten sei, stützt sich auf das Wissen um die untrennbar aneinander geketteten Bestimmungen der Stadt und des Helden: Ilion fällt! du schwurst es mir selbst, und die Winke des Schicksals Deuten alle dahin, so mag denn auch fallen Achilleus! (272-273)
Das Schicksal steht im Zentrum der Aussage und ist damit verbindendes Glied und spiegelnde Symmetrieachse der chiastisch gestellten, zusammengehörigen Vokabeln "fällt"/"fallen" und "Ilion"/"Achilleus". Rückt hier die feste Bindung an "Bedingung und Gesetz" in ein poetisch-rhetorisches Bild, so spricht Here anschließend die auch von den Göttern zu leistende Subordination unter eine überzeitliche Satzung explizit aus. Der Superlativ von "ewig" kommt unter den "ewigen Göttern" der "Ewigstefn] Themis allein" zu, die auch dann noch "dauern und walten" müsse, wenn Kronions Reich "dereinst [...] der Titanen | Übermächtiger Kraft" weiche (283-286). Mit durchaus anderer Akzentuierung als bei Hesiod, der in seiner 'Theogonie' von der Zeus-Ehe mit Themis berichtet, aus ihr die Hören und die Moiren entspringen läßt und durch diese Genealogie "zumindest im Ansatz eine Antwort auf die alte Frage nach der Macht- und Rangverteilung zwischen persönlichen Göttern und einer unpersönlichen Schicksalsmacht" gibt, 217 wird hier ein immerwährendes Prinzip über die höchste personale Ausprägung göttlicher Macht gestellt. Dieser "Satzung" gegenüber, die "im Bereiche der homerischen Dichtung" nirgendwo vergessen lasse, "daß der Mensch in festen Ordnungen steht", 218 macht Zeus nur noch die Möglichkeit eines Aufschubs geltend: "noch" dränge "nicht Verderben | Unaufhaltsam heran, die Mauern Troja's zu stürzen" (296-297). Daß er jedoch weiß, daß auch göttliches Handeln unter dem Gesetz mythischer Verkettungen steht, gibt im Aufruf an die Götter, ihr möglichstes gegen den baldigen Vollzug zu tun, die Form der Aussage zu erkennen: Auf denn! wer Troja beschützt, beschütze zugleich den Achilleus (298)
Wie in Heres negativ gewendeter Formulierung sind auch in dieser Entgegnung die Vokabeln "beschützt"/"beschütze" sowie "Troja"/"Achilleus" durch die chiastische Fügung formal gebunden. Die Gemeinsamkeit beider Schicksale wird damit erneut rhetorisch betont. Drängt bereits Heres Widerspruch das modern aufgefaßte Moment der Hoffnung zurück, so erfährt die Elpis am Ende des Fragments durch Achilleus eine weit weniger moderne Interpretation als durch Zeus. Der Held zeichnet 217 Hesiod, Gedichte, 75 (Theogonie, 901-906) u. 286-287; Lesky, Geschichte, 122. 218 Lesky, Geschichte, 92.
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ein Bild vom Leben der Sterblichen. Zwar wäre "dem Menschen zu gönnen", daß er "das kurze Leben [...] froh vollbrächte" (587-588). Adversativ angeschlossen setzt er jedoch die in seinen Augen gültige Realität dagegen: Aber ihm ward so wohl nicht jenes Tages beschieden, Da Kronion erzürnt dem klugen Iapetiden, Und Pandorens Gebild Hephaistos dem König geschaffen; Damals war beschlossen der unvermeidliche Jammer Allen sterblichen Menschen, die je die Erde bewohnen, Denen Helios nur zu trüglichen Hoffnungen leuchtet, Trügend selbst durch himmlischen Glanz und erquickende Strahlen. (592-598)
Achilleus faßt in seiner Schilderung der Genese des allgemeinen menschlichen Unheils den Pandoramythos, den Hesiod zu Beginn seiner 'Erga' ausführlich berichtet, 219 in wenigen Hexametern zusammen. Dadurch erhält seine Aussage, die das Überzeitliche und Unwiderrufbare des irdischen Leids betont, mythische Rückbindung. Wie das Menschenleben insgesamt, das stets vom Zugriff der "Moiren" gefährdet sei und von jedem die dauernde Bereitschaft verlange, "von Helios Blick zu scheiden" (607-611), wird auch die Hoffnung ganz mythisch interpretiert. In Fortsetzung von Heres Widerspruch gegen Zeus spricht Achilleus von "trüglichen Hoffnungen" und nennt selbst der Sonne "erquickende Strahlen" "Trügend" (597-598). Innerhalb des 'Achilleis'Fragments wird die Elpis somit an die frühgriechische Auffassung, in der sie "trügerische Illusion" ist, 220 angenähert und einer Remythisierung unterzogen. Auch in der genaueren Betrachtung dieses wohl zentralen Motivkomplexes von "Schicksal" und "Hoffnung" offenbart sich die Zugehörigkeit der 'Achilleis' zu jenem spannungsvollen Bereich zwischen Mythos und Moderne. In diesem Sinne schließlich kann es verstanden werden, wenn Schiller den Freund, der sich während der Zeit der intensiven Planung der 'Achilleis' Gedanken über den Anteil des Homerischen in seinem Epos macht, als "Zeitgenoße[n] und Bürger beider Dichterwelten" charakterisiert. 221
219 Hesiod, Gedichte, 309-311 (Erga, 42-105). Goethes Hesiod-Lektüre ist während der Ausarbeitung der 'Achilleis' bezeugt (Goethe WAIII/2, 236-238; 10., 11., 22. u. 25.3.1799). Im Zusammenhang dieses Studiums ist es auch zu sehen, wenn Goethe schreibt, daß, "wie die Kenntniß" wachse, sein "Plan" "auch antiker" werde (Schiller NA XXXVII/1, 291, 25-27; Goethe an Schiller, 12.5.1798). 220 Pfeiffer, Goethe, 244. 221 Schiller ΝΑ XXIX, 237, 18 (Schüler an Goethe, 18.5.1798).
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4. Zum Verhältnis zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' Habe ich in Herrmann und Dorothea mich näher an die Odyssee gehalten, so möchte ich mich wohl in einem zweyten Falle der Ilias nahem222
Den Ausgangspunkt der Einzeluntersuchungen zum Homerischen in Goethes Hexameterepen vom Ende des 18. Jahrhunderts bildete die Feststellung, daß die theoretische Position des Dichters zur Homerischen Frage, die dem philologischen Befund weitgehend zustimmt, ästhetische Rückschlüsse daraus jedoch im Gegensatz zu Friedrich Schlegel ablehnt, eine praktische Bestätigung im jeweiligen poetischen Zeugnis findet. Der primär formalen Anknüpfung an die implizit behauptete Einheit der Homerischen Epen in 'Hermann und Dorothea' steht in der 'Achilleis' ein ähnliches Verfahren auf stofflichstruktureller Ebene gegenüber. In beiden Fällen, der Ordnung nach den Musen und der Konzentration auf den tragischen Tod des Helden, wird ein bei Homer vorgefundenes, Einheit stiftendes oder betonendes Mittel imitiert und für das eigene Werk produktiv abgewandelt. Die Dominanz einerseits formal-stilistischer und andererseits stofflicher Charakteristika war auch für die Beziehung der beiden Epen Goethes zu ihrem gemeinsamen Vorbild Homer aufzuweisen. In 'Hermann und Dorothea', dessen Titel bereits im Nebeneinander eines deutschen und eines griechischen Namens den antikmodernen Charakter des Werks verheißt, konstituiert die Integration stilistischer und formaler Elemente eine primäre antik-homerische Schicht. Ihr gegenüber bleibt Stoffliches aus dem Homerischen Bereich, das zwar absichtsvoll alludiert wird, sekundär und ist im Kontext von Motiven aus biblischer und idyllischer Tradition zu sehen. In der 'Achilleis', die auf die auffälligsten homerischen Stilmittel (wie Apostrophe und Musenanruf) verzichtet, dominiert hingegen die stofflich-motivische Anknüpfung an Homer. Die Modernität des Werks, die sich in der Psychologisierung des Geschehens und in der immanenten Reflexion der eigenen Stellung in der Gattungsgeschichte offenbart, wird von Goethe in Spannung zum antiken Stoff gehalten, indem er dessen mythischen Gehalt entgegen seiner Zeit nicht humanisiert. Nicht als imitatio des antiken Vorbilds, sondern als selbstbewußte aemulatio, als "Kampf [...] mit dem Einen", 223 sind die beiden epischen Versuche Goethes somit zu werten. Aus dem Wissen um die historische und ästhetische Distanz zu Homer, das die "klare Einsicht von Unerreichbarkeit eines hohen Vorbildes" voraussetzt und zu dem sowohl das eigene Studium als
222 Goethe WA IV/13,145 (Goethe an Knebel, 15.5.1798). 223 Goethe AA Ep 2,302 (Elegie 'Hermann und Dorothea', 29).
Zum Verhältnis zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis'
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auch Schillers Einfluß beigetragen haben mögen, 224 versucht Goethe keine naive Nachahmung oder Fortsetzung Homers. Vielmehr reflektiert er im Gedicht selbst das als Ferne erkannte Verhältnis zum Altertum und sucht die Distanz in der Verbindung von Antikem und Modernem zugleich sichtbar zu machen und zu überwinden. Im Glauben an eine "Versöhnung von Altem und Neuem" trifft sich der Goethesche Klassizismus mit der Haltung von Karl Philipp Moritz, der in der zeitgenössischen Diskussion über die Nachahmung der Antike eine Position zwischen Winckelmann und Herder auf der einen sowie Schlegel und Hegel auf der anderen Seite einnimmt. 225 Wenn Moritz in seinem Aufsatz 'Über die Würde des Studiums der Alterthümer' feststellt, daß das "Neue einen gewissen Reiz dadurch" erhalte, "wenn es. mit dem Alten zusammengedacht, und daran geknüpft" werde, 226 dann ist Goethes HomerRezeption am Ende des Jahrhunderts ästhetisch und poetisch mit einiger Genauigkeit bestimmt. Über die doppelte Antwort auf die Homerische Frage hinaus stellen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' das zweifache Unterfangen dar, das im Zeichen Homers stehende Hexameterepos in einer spannungsreichen und reizvollen Verbindung von Antikem und Modernem zu erneuern. Indem er die homerischen Elemente zunächst auf formal-stilistischer und dann auf stofflicher Ebene betont, wählt Goethe zwei unterschiedliche Ausgangspunkte, die in ihrer Abfolge wohl als Zuspitzung seiner Annäherung an den antiken Epiker aufzufassen sind. Gewichtiger jedoch als dieser Aspekt, der das Trennende beider Werke betont, 227 scheint eine Betrachtungsweise, die das Verbindende im jeweiligen Nebeneinander von Altem und Neuem erblickt. 224 Goethe WA IV/13, 145-146 (Goethe an Knebel, 15.5.1798). - Schillers Einfluß zeigt sich etwa in der aufmunternden Mahnung, Goethe möge sein "Geschäft" mit dem Homers nicht "eigentlich [...] vergleichen" (Schiller ΝΑ XXIX, 237, 7-8; Schiller an Goethe, 18.5.1798), in der er eine Einsicht wiederholt, die in seiner Abhandlung 'Ueber naive und sentimentalische Dichtung' so lautet: "Keinem Vernünftigen kann es einfallen, in demjenigen, worinn Homer groß ist, irgend einen Neuern ihm an die Seite stellen zu wollen [...]. Eben so wenig aber wird [...] Homer in demjenigen, was den modernen Dichter charakteristisch auszeichnet, die Vergleichung mit demselben aushalten können" (ebd. XX, 439-440). 225 Vgl. Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, 92-93. 226 Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, 107; Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, 93, bezeichnet diese Aussage als charakteristisch für den "auch Goethe eigenen, klassizistischen - oder man müßte jetzt richtiger sagen: klassischen - Geist". 227 Vgl. die in Kap. VI. 1 vorgetragenen Positionen. Lypp, Ästhetische Reflexion, 136, kommt der hier präferierten Position näher. Sie sieht ebenfalls darin, daß die 'Achilleis' "Antikes mit Modernem" verbindet, eine Vergleichsmöglichkeit zu 'Hermann und Dorothea', meint jedoch ohne weiteres Eingehen auf das Fragment, daß "der antik-moderne Gegensatz in der 'Achilleis' [...] nicht gestaltet" sei.
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Vordergründig verhalten sich beide Epen aufgrund ihrer stofflichen Verschiedenheit divergent. Daß beide indessen in ihrem ästhetisch vergleichbaren Bezug zu Homer von zwei Polen aus auf ein gemeinsames Ziel hin konvergieren, kann als Ergebnis zunächst festgehalten werden. Ais Konsequenz aus der Einsicht, daß eine naive Belebung des "ganzen Homer" im Weimar von 1800 nicht möglich war, mag ein doppelter Annäherungsversuch, in dem das Moderne in Stoff oder Behandlung nicht verleugnet werden muß, 228 nahegelegen haben. Im Sinne eines gezielt kontrastiven und komplementären Verhältnisses zueinander können 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' somit als modernes Werkpaar Goethes bezeichnet werden. Die These, daß Goethe seine 'Achilleis' bewußt im Hinblick auf 'Hermann und Dorothea' konzipiert hat, bedarf weiterer Überlegungen und zusätzlicher Argumente. Die gegensätzliche Haltung beider Werke kann anhand vergleichbarer Motive zunächst in den Texten aufgezeigt werden. Dem Todeszirkel, den Achilleus als vereinigendes Thema des Epos benennt, steht in 'Hermann und Dorothea' ein Zirkel des Lebens gegenüber. Mit dem tragisch mißlingenden Versuch, aus dem Kreis des Todes in die Sphäre privaten Glücks auszubrechen, kontrastiert schon in der Handlungsführung die äußeren und inneren Hemmnissen zum Trotz geglückte Lebensverbindung. Aber auch motivisch kann dem zyklischen Bild, in dem Achilleus seine Befangenheit im Tode charakterisiert (21-25), in 'Hermann und Dorothea' ein verwandter Gedanke an die Seite gestellt werden: Der Memento-mori-Erzählung des Apothekers (IX/15-45) nämlich widerspricht der Pfarrer mit einer gleichfalls zyklischen Vorstellung, die den Tod ganz aus ihrem Denken ausgrenzt: Zeige man doch dem Jüngling des edel reifenden Alters Werth, und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises [!] Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende! (IX/52-54)
Ein wörtlich enger Zusammenhang kann für die Aussagen über die Entwicklung des jeweils als "Jüngling" bezeichneten Protagonisten behauptet werden. Mit dem selbstsicher ausgesprochenen Wunsch, Dorothea zur Frau zu nehmen (V/54-55), hält der Pfarrer Hermanns "Schicksal" für "entschieden" und bildet im Zentrum des Werks die zitierte Sentenz: "Wahre Neigung vollendet sogleich zum Manne den Jüngling" (V/75-76). Daß diese Einsicht noch während des gleichen Tages ihre Bestätigung in Hermanns Entwicklung erfahren soll, zeigt sich in zwei Formulierungen vom Ende des Epos: Als Dorothea, die sonst als "Mädchen" bezeichnet wird, im Weinberg "drohte zu fallen", hält Hermann, der bis dahin stets der "Jüngling" ist, "empor die Geliebte" und trägt "mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes" (VIII/89-98); und seine 228 Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I, 18, sieht in dem "Streben danach, die Moderne bejahen zu können, ohne die Antike zu verleugnen; der Antike treu zu bleiben, ohne das Eigene verleugnen zu müssen", den gemeinsamen Ursprung der ästhetischen Konzeptionen der Goethezeit.
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Schlußworte, in denen er seine Reife in der Absicht bekundet, gemeinsam mit Dorothea die Welt sich zu bilden, spricht Hermann "mit edler männlicher Rührung" (IX/298). Achilleus hingegen ist eine vergleichbare Vollendung seiner selbst verwehrt. Athene weiß darum und spricht trauernd die Erkenntnis aus, "daß er sich nicht, der edle Jüngling, zum Manne | Bilden soll" (369-370). Die Gegenüberstellung dieser auch in der Wortwahl nahezu übereinstimmenden Formulierungen lenkt den Blick auf den Unterschied der Situationen, in denen die Figuren stehen. Hermanns Entwicklung ist eine im wesentlichen private, ihr stehen Hemmnisse hauptsächlich individueller Art entgegen, und die Konsequenzen, die aus dem glücklichen Erzählverlauf folgen, sind innerhalb des Gedichts familiär-häuslicher Natur. Anders Achilleus: Ein "fürstlicher Mann", den Athene als "so nöthig auf Erden" bezeichnet, hätte der Pelide in den Augen der Göttin werden sollen (370). Dem "Vollendete[n]" wäre die Aufgabe zugefallen, "die Ordnung" zu bestimmen, "nach welcher sich Tausende richten"; gleich "dem Kroniden selbst" wäre von ihm "die Wohlfahrt" ausgegangen (371-376). In ihrem aufgeklärten Idealbild vom weltlichen Herrscher zeigt Athene, daß sie Achilleus als öffentliches Wesen versteht und in welcher Dimension sie sich seine Bildung "zum Manne" gewünscht hätte. Diese Verbindung mit dem öffentlichen Interesse, diese mythische Verkettung mit dem Schicksal der Stadt, die bei Achilleus besteht und ihn von dem primär innerhalb seiner privaten Sphäre agierenden Hermann unterscheidet, ist es aber auch, die seine weitere Entwicklung tragisch verhindert. Während in der heroischen Welt der 'Achilleis' jeder, der "dem Geschick", dem unaufhaltsamen Lauf der Dinge, "im Wege" steht, vom "Rad des ehernen, heiligen Wagens" überrollt wird (275-277), bleibt im bürgerlichen Rahmen von 'Hermann und Dorothea' der Glaube bestehen, daß man sich der "schwankenden Zeit" und der "fürchterliche[n] Bewegung" mit festem "Sinne" entgegenstellen könne (IX/302-307). Meint Hermann trotz der "allgemeinen Erschüttrung" im "Bund" mit Dorothea "halten und dauern" zu können (IX/299-301), so weiß Here, daß nur die "Ewigste Themis allein [...] dauren und walten" muß (284). Wenn Goethe jedoch dem Stoff seiner 'Achilleis', verglichen mit dem der 'Ilias', die "das Interesse der Völker, der Welttheile, der Erde und des Himmels" umschließe, "ein bloses persönliches und privat Interesse" zuschreibt, 229 dann ist diese Aussage in zweierlei Hinsicht zu relativieren. Einerseits kontrastiert er seinen Plan mit jenem Werk, gegenüber dem jedes spätere als weniger welthaltig erscheinen muß, und andererseits ist im ausgeführten Text Goethes Bestreben zu erkennen, eine Verbindung von öffentlichem und privatem Interesse herzustellen, motivisch stringent durch229 Schüler N A X X X V I I / 1 , 293, 30-33 (Goethe an Schüler, 16.5.1798). - In dieser "im Gegensatz zur Ilias mangelnde[n] Welthaftigkeit" sieht Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, 52 u. 56, einen Grund für das "Scheitern" der 'Achilleis'.
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zuführen und insofern eine Annäherung an die 'Ilias' zu erreichen. Im Vergleich mit 'Hermann und Dorothea', worin Goethe danach trachtet, "die großen Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen Spiegel zurück zu werfen", 230 um damit der Idylle zu epischer Partizipation am Weltgeschehen zu verhelfen, ist der Zusammenhang zwischen Individuum und Weltöffentlichkeit in der 'Achilleis' wesentlich unmittelbarer hergestellt. Diese spezifische Differenz zwischen beiden Werken zu betonen, den eher privaten Charakter des einen mit dem eher öffentlichen des anderen zu polarisieren, führt zum Verständnis der als Motto zitierten Briefstelle. Die dort behauptete Nähe zwischen 'Achilleis' und 'Ilias' primär auf inhaltlicher Ebene sehen zu wollen, hieße Goethes Äußerung in ihren weiterreichenden Implikationen zu verkennen. Da eine ähnlich vordergründige Beziehung zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Odyssee' nicht besteht, dürfte sich Goethes Zuordnung auch für 'Achilleis' und 'Ilias' nicht im Stofflichen erschöpfen. Daß Goethe vielmehr das Verhältnis der Werke Homers zueinander meint und auf das Verhältnis seiner beiden Epen übertragen wissen will, kann mit einem Blick auf das zeitgenössische Verständnis der Relation zwischen 'Ilias' und Odyssee' plausibel gemacht werden. Goethe selbst leistet zu dieser Frage in der 'Ersten Epistel' von 1795 einen poetischen Beitrag: klinget nicht immer im hohen Palaste, In des Königes Zelt, die Ilias herrlich dem Helden? Hört nicht aber dagegen Ulyssens wandernde Klugheit Auf dem Markte sich besser, da wo sich der Bürger versammelt?231
König und Bürger repräsentieren die Sphären, denen die Epen zugehören. Ähnlich unterscheidet Herder in seinem Aufsatz 'Homer, ein Günstling der Zeit', der wenige Monate nach Goethes Briefgedicht in den 'Hören' erschienen ist, zwischen 'Ilias' und 'Odyssee', wenn er "jene im Königlichen, diese im Bürgerlichen Geschmack" geschrieben sieht. 232 Die beiden Epen seien - wenn auch "im Hochfrölichen und Komischen" wohl ergänzt durch den verlorenen, Homer zugeschriebenen 'Margites' - erkennbar "auf einen Cyclus d. i. auf eine Art Encyklopädie des Wissenswürdigen göttlicher und menschlicher Dinge im Gesichtskreise damaliger Zeiten angelegt gewesen". 233 Wie verbreitet in der Goethezeit 'Ilias' und 'Odyssee' in einem kontrastiv-komplementären Verhältnis aufgefaßt und in ihnen die "Idee eines solchen Kreises" 234 gesehen wurde, zeigt auch Sulzers 'Theorie der Dichtkunst' von 1789. Der "Ton der Odyssee [sei] um ein merkliches tiefer gestimmt" als der der 'Ilias'; während
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Goethe WA IV/11, 273 (Goethe an Meyer, 5.12.1796). Goethe WA 1/1,299(50-53). Hören 1795, 1040. Hören 1795, 1039-1040. Hören 1795, 1040.
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diese "sich mit öffentlichen Handlungen, mit Charakteren öffentlicher Personen" beschäftige, gehe jene "auf das Privatleben [...]. Wie die Ilias alle Affekte öffentlicher Personen schildert, so liegen in der Odyssee alle häuslichen und Privataffekte". 235 Dieses antithetische Verständnis liegt Goethes Aussage zugrunde. 'Ilias' und 'Odyssee', aufgefaßt als Paar zweier polar entgegengesetzter und sich ergänzender Werke, die gemeinsam einen Zyklus bilden, werden so in ihrem Verhältnis zueinander Vorbild für das moderne Werkpaar. Dieses schickt sich allerdings nicht an, alles, "was zum Homerischen Kreise des Wissenswürdigen gehöret", 236 neu zu beleben. Auch das enzyklopädische Interesse, das Herders noch aufklärerische Sichtweise der Dichtung Homers zuschreibt, auf den Gesichtskreis moderner Zeiten zu übertragen, kommt Goethe, der mit Schiller zwar vom Epos "eine gewisse sinnliche Breite" fordert, 237 nicht in den Sinn. Poetisch den Kreis des Homerischen zu erkunden und mit seinem doppelten, an der Dichotomie von "privater" 'Odyssee' und "öffentlicher" 'Ilias' orientierten Annäherungsversuch den Raum auszuschreiten, der der Homer-Nachfolge in der Moderne noch bleibt, ist Goethes Intention. Dieses Ergebnis kann aufgrund des Komplexes epischer Pläne Goethes während und nach der Vollendung von 'Hermann und Dorothea' argumentativ gestützt werden. Als Schwesterwerk zu der Idylle 'Alexis und Dora' konzipiert Goethe 'Hermann und Dorothea' zunächst. Zur Unterscheidung von jenem nennt er dieses Werk "grosse Idylle".238 Doch schon wenige Tage später weiß Goethe, daß die "Idylle [...] viel größer" wird, als er "gedacht habe", und schreibt fortan in Gesängen. 239 Ist damit schon ein markanter Schritt in Richtung Epos getan, so erscheint es jetzt nur als folgerichtig, wenn er am 28. September 1796 notiert: "Des epische Gedicht wieder vorgenommen." 240 Einige Monate später interpretiert Goethe diesen Vorgang: "Durch meine Idylle [...] bin ich in das verwandte epische Fach geführt worden, indem sich ein Gegenstand, der zu einem ähnlichen kleinen Gedichte bestimmt war, zu einem größern ausgedehnt hat, das sich völlig in der epischen Form darstellt". 241 Nachdem Goethe sich, vermittelt durch die idyllische Gattung,
235 Sulzer, Theorie der Dichtkunst, München 1789, 107. Vgl. ferner in Goethes zeitlicher Nachbarschaft Jenischs Intention, das "Tragische, Schauervolle und Erhabene der Ilias mit dem Zärtlichen und Häuslichen der Odyssee zu verweben" (Berlinische Monatsschrift XXII [1793], 555). 236 Hören 1795, 1040. 237 Schiller ΝΑ XXI, 57, 32-33. 238 Goethe WA IV/11,189 (Goethe an Ch. Vulpius, 9.9.1796). 239 Goethe WA IV/11, 198 (Goethe an Ch. Vulpius, 13.9.1796). Vgl. die Tagebucheinträge vom 13. bis 19. September 1796 (ebd. III/2, 48). 240 Goethe WA III/2, 48. 241 Goethe WA IV/11, 272-273 (Goethe an Meyer, 5.12.1796).
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"mit allen [...] Kräften auf das epische geworfen" hat, "will [er] sehen, am Ende [seiner] Laufbahn, auch noch um diesen Eckstein herumzukommen". 242 Ob dieser Anspruch jedoch mit 'Hermann und Dorothea' allein schon erfüllt werden könne, scheint Goethe noch während der Arbeit am Schluß dieses Werks fraglich geworden zu sein. Am 13. März 1797 spricht er mit Schiller "viel über epische Gegenstände und Vorsätze", und zehn Tage später erscheint erstmals eine "Neue Idee zu einem epischen Gedichte" 2 4 3 In den gegenüber Humboldt und Schiller geäußerten Überlegungen zu dem neuen Plan, mit dem Goethe zunächst ein Hexameterepos 'Die Jagd' konzipierte, den Stoff jedoch erst dreißig Jahre später in seiner 'Novelle' ausgearbeitet hat, läßt sich ein Zweifaches erkennen. Einerseits wird der Stoff bewußt neben das gerade beendete Epos gerückt und kontrastiv mit dessen eher privatem Charakter verglichen, andererseits zeigt die gemeinsame Reflexion die Problematik, einen zugleich modernen und öffentlichen Gegenstand zu finden. "Zum Hermann wird sich dieses Gedicht schön stellen", berichtet Humboldt und meint, daß es anders als dieser, der das "Privatglück" behandle, "mehr episch auf große Massen, Staaten und Völker" hinweise. Der Stoff sei "aus höhern Ständen genommen", und Goethe wähle absichtsvoll eine "Jagdpartie", da sich nur dort "noch etwas dem Heldenalter gleichsam Ähnliches" zeige, "weil doch da jeder selbst tätig sein" müsse. 244 Gerade an dieser "Selbstthätigkeit" der Protagonisten, die die Abhandlung 'Ueber epische und dramatische Dichtung' fordert, 245 mangelt es dem Entwurf jedoch wenig später in Schillers Augen. Es komme ihm - wie mittlerweile auch "Humboldten" - "bedenklich" vor, "daß es dem Plan an individueller epischer Handlung fehle". 246 Schiller, der die Andersartigkeit des neuen Stoffs betont und von ihm eine Antwort auf die Frage erwartet, "ob der Herrmann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle", 247 bewertet somit die Möglichkeit, mit einem neueren Stoff das öffentliche Interesse der 'Ilias' zu verbinden, zumindest für Goethes Entwurf negativ. Der Erkenntnis dieser Schwierigkeit, mit der auch die im vorangegangenen Kapitel besprochenen Friedrich-Epen zu kämpfen haben, dürfte es zuzuschreiben sein, daß Goethe nun davon Abstand nimmt, den 'Jagd'-Plan mit der 'Ilias' zu konfrontieren. 248 So jedenfalls interpretiert Schiller die Idee Goethes, den Plan in einem "Reim- und Strophendunst in die Luft" gehen zu
242 243 244 245 246 247 248
Goethe WA IV/11, 233-234 (Goethe an Jacobi, 17.10.1796). Goethe WA III/2, 60 u. 62. Humboldt in Briefen, II, Berlin 1907, 37-38 (Brief vom 7.4.1797). Schiller ΝΑ XXI, 57,24-25. Schüler ΝΑ XXIX, 67, 32-36 (Schüler an Goethe, 25.4.1797). Schiller ΝΑ XXIX, 68, 15-16 (Schüler an Goethe, 25.4.1797). Borchmeyer, Gesellschaft, Kronberg 1977, 333-334, der zu Goethes Entwurf jedoch im wesentlichen den positiv wertenden Brief Humboldts zitiert und dadurch Goethes Abkehr von dem Versuch, mit dem Epos 'Die Jagd' seiner "'Odyssee' [...] gewissermaßen nun eine 'Ilias' folgen" zu lassen, übersieht.
Zum Verhältnis zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis'
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lassen. 249 Indem er 'Die Jagd' "in Reimen und Strophen" behandle, schließe er die "Concurrenz" mit dem eigenen, erfolgreichen Werk aus und partizipiere "von gewißen Rechten des romantischen Gedichts"; nur unter Verzicht auf den Hexameter könne "dieses neue Gedicht neben [...] Hermann bestehen". 250 Mit seiner Überlegung, der 'Jagd' eine nicht auf Homer, sondern auf die Tradition des romantischen Epos weisende Form zu geben, läßt Goethe sein anfängliches Bestreben, den in 'Hermann und Dorothea' begonnenen Kreis des Homerischen auszuschreiten, für diesen Plan fallen. Der Anspruch, in der Gattung des klassischen Epos eine "öffentliche" Ergänzung zum "privaten" 'Hermann' zu finden, bleibt indessen bestehen. Ein moderner Stoff aber scheint diesem Vorhaben nachhaltig zu widersprechen. So weist denn Goethes während der dritten Schweiz-Reise im Herbst 1797 gefaßter Plan zu einem 'Tell'-Epos auf Mythos und Geschichte 2 5 1 Die in der 'Jagd' fragliche "Selbstthätigkeit" der Helden bietet hier ebensowenig Probleme wie die Verknüpfung von Individuum und Öffentlichkeit. Eine wohl von Goethes Diktat herrührende Variante der Abhandlung 'Ueber epische und dramatische Dichtung' bestätigt dies. Zu den Stoffen, die "auf einem gewissen Grade der Cultur" stünden, "wo die Selbstthätigkeit noch auf sich allein angewiesen" sei, zählen neben den "Sagen aus der heroischen Zeit der Griechen" hier "die nordische Ritterwelt, der deutsche Mittelstand, der Zustand der Schweitz zu Teils Zeiten". 252 Diese Einschätzung des Stoffs erklärt, daß der Entwurf eines 'Tell'-Epos auch nach der ersten Idee zur 'Achilleis' einige Zeit aktuell bleibt. Noch im Sommer 1798, nach intensiven Vorstudien zur 'Achilleis' und der Lektüre von Humboldts Abhandlung 'Über Göthes Herrmann und Dorothea', hat Goethe vor, "die nähere Motivirung der ersten Gesänge des Teils" auszuarbeiten. 253 Die Absicht, "dieses Gedicht in [...] Behandlung und Ton ganz von dem ersten [zu] trennen", und das Lob für Humboldt, der Goethe "durch die ausführliche Darlegung der Eigenschafften des ersten das weite Feld deutlich gezeigt" habe, "in welches hinein [...] das zweyte spielen" könne, 254 machen ersichtlich, daß auch für den 'Teil' jene komplementär-kontrastive Stellung zu 'Hermann und Dorothea' intendiert war, wie sie für das 'Achilleis'-Fragment aufgewiesen wurde. Goethes Versuch, ein heroisches Komplement zu seinem bürgerlichen Epos zu finden, bleibt - so zeigt das letzte Zeugnis - von den Gedanken, die 249 Schüler NA XXXVII/1, 45,16-18 (Goethe an Schüler, 22.6.1797). 250 Schüler ΝΑ XXIX, 87, 30-88, 18 (Schüler an Goethe, 26.6.1797). Auch Goethe bezeichnet das geplante Werk später als "episch-romantisches Gedicht" (Goethe WA 1/35, 71). 251 Vgl. - auch zur geplanten Ausführung in Hexametern - die Hinweise im bibliographischen Anhang (VII. 3). 252 Schiller ΝΑ XXI, 57, 24-27; Variante nach Goethe WA 1/41, 2, 525. 253 Schiller NA XXXVII/1, 315, 15 (Goethe an Schüler, 30.6.1798). 254 Schiller NA XXXVII/1, 315, 16-20 (Goethe an Schüler, 30.6.1798).
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Goethes Werkpaar im Zeichen Homers
die zeitgenössische Ästhetik an 'Hermann und Dorothea' entwickelt, nicht unbeeinflußt. Humboldts 'Aesthetische Versuche', die Schiller und Goethe im Mai 1798 im Manuskript erhielten und von daher zwar keinen Einfluß auf die Wahl des Stoffs hatten, wohl aber die weiteren Erwägungen bereichern konnten, unterscheiden eine "Zwiefache Gattung der Epopee". 255 Mit seiner Einteilung der Gattung in die "heroische" und die "bürgerliche Epopee" kann Humboldt eine Antwort auf Schillers Frage, "ob der Herrmann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle", gegeben und Goethes doppelten Ansatz unterstützt haben. 256 Humboldts Meinung, daß "der Dichter" aufgrund der "unpoetischen Lage unsrer Zeit [...] seinen Stoff aus demjenigen Theil der Gesellschaft hernehmen" müsse, "in welchem die ursprüngliche Natur noch die Cultur" überwiege, und den Stoff "überhaupt mehr im bürgerlichen, als im öffentlichen Leben aufsuchen" solle, 257 mochte Goethes Abkehr von seinem 'Jagd'-Plan theoretisch untermauern. Noch in Goethes Entscheidung, an seiner 'Achilleis' weiterzuarbeiten, obwohl Humboldt meint, daß "die heroische Epopee jetzt beinah zu einer unmöglichen Aufgabe" werde und daß "der epische Dichter nicht leicht, so wie der tragische", einen "antiken Stoff wählen dürfe, 258 zeigt sich, daß Goethe Humboldts unwissentlichen Einspruch mitbedacht hat. Denn ein Jahr später schreibt er diesem, daß er von seiner Abhandlung neuerlich "profitire", ahnt jedoch die "freundschaftliche Sorge", ob er sich "nicht etwa gar Ikarische Flügel zubereite", und teilt Humboldt (anders als etwa Knebel) seine Wahl eines antiken Stoffs nicht mit. 259 Eine ähnliche Wechselwirkung zwischen Goethes epischer Poesie und der zeitgenössischen Ästhetik kann auch für August Wilhelm Schlegels kritische Würdigung von 'Hermann und Dorothea' angedeutet werden. Goethes Aussage, daß er seit "der Erscheinung der Schlegelschen Recension [...] die Gesetze der Epopee und des Dramas wieder durchgedacht" habe, 2 6 0 lenkt den Blick auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Schlegels Bestimmungen über geeignete epische Stoffe und Goethes zeitlich benachbarter erster Idee
255 Humboldt, Schriften zur Altertumskunde, Stuttgart 1961, 297-301. - Vgl. zum vermuteten Einfluß auf Goethes weitere epische Pläne seinen Dank für die Abhandlung, von der er sich größere Klarheit für "eine neue epische Arbeit" verspreche (Goethe WAIV/13, 214-216, hier 216; Goethe an Humboldt, 16.7.1798). - Vgl. zu Humboldts Abhandlung zuletzt Behler, Einbildungskraft, in: Kodikas/Code XI (1988), 105-126. 256 Humboldt, Schriften zur Altertumskunde, 297-300. Vgl. Anm. 247. 257 Humboldt, Schriften zur Altertumskunde, 342. 258 Humboldt, Schriften zur Altertumskunde, 342. 259 Goethe WAIV/14, 97 u. 52 (Goethe an Humboldt, 26.5.1799; Goethe an Knebel, 22.3.1799). - Die Tatsache, daß Sengle, Goethes Ikarus-Flug, insb. 85, Goethes Wissen um Humboldts negative Stellung zur antiken Stoffwahl für die Bewertung der Briefstelle nicht berücksichtigt, zeigt, wie vordergründig die Überschrift der Studie gewählt ist. 260 Schiller NA XXXVII/1, 204, 9-11 (Goethe an Schüler, 20.12.1797).
Zum Verhältnis zwischen 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis'
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zur 'Achilleis'. Wenn jener - wie nach ihm Humboldt und Schelling - meint, daß ein "in unserem Zeitalter und unseren Sitten einheimisches Epos [...] mehr eine Odyssee als eine Ilias sein, sich mehr mit dem Privatleben als mit öffentlichen Taten und Verhältnissen beschäftigen" werde, 261 dann ist es nur konsequent, daß Goethe wenige Tage später den Stoff für sein Pendant zu 'Hermann und Dorothea' nicht mehr wie dort und für den 'Jagd'-Plan in der Moderne, sondern in der Antike sucht. Die Anschauung, daß der der klassischen Poesie verbleibende Raum, "in dem der Dichter sich nach Goethes Meinung mit Fug aufhalten" dürfe, "bereits von 'Hermann und Dorothea' in unübertrefflicher Weise ausgefüllt" sei, 262 kann somit abschließend korrigiert werden. Dem wesentlichen Argument, das für sie ins Feld geführt werden könnte - daß nämlich Goethe am forcierten Homerisieren gescheitert und 'Hermann und Dorothea' daher der einzig denkbare Versuch eines modernen Dichtens im Zeichen Homers sei -, ist knapp zu entgegnen: Angesichts des fertiggestellten und veröffentlichten ersten Gesangs, der innere Hemmnisse, die eine Weiterführung behindert hätten, kaum verrät, sollte nicht von einem "Scheitern" Goethes an seiner 'Achilleis' gesprochen werden. Die liegengebliebene Arbeit, die aufgrund äußerer "Zerstreuung"263 und der unter diesen Bedingungen zusätzlich erschwerten Organisation des ohnehin unzugänglichen Stoffs unterbrochen und nicht wieder aufgenommen worden ist, weist keinerlei Züge eines verunglückten Versuchs auf. 264 Im Gegensatz zu Staigers Einschätzung konnte aus der komplementär-kontrastiven Konzeption der beiden Dichtungen 261 Schlegel, Sprache und Poetik, 54. Die Bedenken, die Schlegel aus der romantischen Sicht, daß ein epischer Dichter "mit ursprünglicher Kraft national und volksmäßig" wirken müsse, gegen einen Stoff aus dem "klassischen Altertume" äußert (ebd., 53), dürften für Goethe nicht schwer gewogen haben. Schelling, Phüosophie der Kunst, 327-328, dessen Ansichten Goethe in mancher Hinsicht näher stehen, meint hingegen, der "Dichter der neueren Zeit" könne entweder "selbst einen antiken Stoff oder aber "einen Stoff der neueren Zeit auswählen", und problematisiert bezeichnenderweise nur das letztere: "Die epischen Versuche mit neueren Stoffen wären also an und für sich schon auf den Boden mehr der Odyssee als der Ilias gewiesen" (ebd., 329). 262 Staiger, Goethe, II, 290-291. Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, 50-52, weist (implizit gegen Staiger) auf Goethes weitere Pläne hin, mit denen er die "Defizite ausgleichen" wolle, die 'Hermann und Dorothea' "als Epos" anhingen. Von einer "Verwerfung" des Werks "als eines die homerischen Epen adäquat neuschaffenden Epos" zu sprechen (51), geht indessen an der gegenseitigen Ergänzung von 'Hermann und Dorothea' und 'Achilleis' ebenfalls vorbei. 263 Vgl. die Nachweise in Anm. 156. - Allein unter dem Aspekt des "Scheiterns" betrachtet zuletzt Schwinge, Goethe und die Poesie der Griechen, 52-57, die 'Achilleis'; vgl. Anm. 144, 185 u. 229. 264 Hinzuweisen ist auch auf die Zuversicht und den "besten Muth", den Goethe während und nach der Ausarbeitung des ersten Gesangs für den Fortgang äußert (Schüler NAXXXVIII/1, 54, 13-14, u. 62, 31-32; Goethe an Schüler, 16.3. u. 2.4.1799).
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Goethes Werkpaar im Zeichen Homers
erkannt werden, daß es "Goethes Meinung" gerade nicht entspricht, den in der Moderne noch möglichen Kreis des Homerischen allein mit dem bürgerlichen Epos schon als ausgeschritten zu betrachten. In Anlehnung an das antagonistisch aufgefaßte Verhältnis von 'Ilias' und 'Odyssee', in andauernder Reflexion der Gattungsgesetze und unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Ästhetik entwirft Goethe vielmehr seine 'Achilleis', die auch als Fragment, das sie geblieben ist, wie 'Hermann und Dorothea' einen originellen Beitrag abseits der Bahnen der Gattungsgeschichte darstellt und zusammen mit diesem ein modernes Werkpaar bildet, das dem antiken an die Seite zu stellen ist.
VII. Bibliographie Vorbemerkung Die Bibliographie ist folgendermaßen gegliedert: Nach dem Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen (VII. 1) folgt in den Abschnitten VII. 2 und VII. 3 die Dokumentation von Versepen des Zeitraums 1725 bis 1800. In Abschnitt VII. 4 werden in Auswahl Texte verwandter Gattungen aus der gleichen Zeitspanne verzeichnet. Die Abschnitte VII. 5 bzw. VII. 6 enthalten weitere Quellen und ältere Literatur (bis 1830) bzw. neuere Forschungsliteratur (nach 1830), soweit diese nicht abgekürzt zitiert und dann in Abschnitt VII. 1 nachgewiesen wird. Die in den Abschnitten VII. 2 bis VII. 6 halbfett hervorgehobenen Kurztitel dienen als Zitiertitel innerhalb der sonstigen Teile. Stellen werden (sofern nicht anders vermerkt) mit römischen Ziffern für den Gesang oder den Band und arabischen Ziffern für den Vers oder die Seite angegeben. Bei Versangaben tritt zwischen römische und arabische Ziffer ein Schrägstrich, bei Seitenangaben ein Komma. Abschnitt VII. 2 verzeichnet Versepen, deren Drucklegung innerhalb des Zeitraums 1725 bis 1800 entweder durch Nachweis mindestens eines Exemplars oder - wenn kein unmittelbarer Nachweis zu erbringen war - durch eine verläßlich erscheinende Quelle belegt ist. Bei der Zusammenstellung der Texte ist Vollständigkeit angestrebt, aber sicherlich (vor allem bei unselbständig erschienenen Werken und Fragmenten) nicht erreicht. Kriterium der Zugehörigkeit zur genannten Zeitspanne ist bei vollendeten Werken das Datum der ersten vollständigen Ausgabe, bei nicht vollendeten Werken das Datum des ersten Teildrucks. (Einzige Ausnahme dieser Regelung ist Goethes 'Achilleus', deren Aufnahme durch die Entstehungszeit und die Behandlung in Kapitel VI begründet ist.) Jeder Eintrag kann folgende Angaben enthalten: Autorname mit Lebensdaten, Kurzhinweise zum Autor, Titelaufnahme(n), Nachweis von Standorten, Angaben zum Vers und zum Umfang, zu Vorabdrucken und zu weiteren Ausgaben sowie einen Kommentar. Der Autorname und die beigefügten Lebensdaten folgen gewöhnlich den Angaben in ADB und DBA. Werden keine Kurzhinweise zum Autor gegeben, so bedeutet dies, daß über diesen näheres in ADB zu finden ist. Bei Autoren, die nicht in ADB zu finden sind, wird der Fundort der biographischen Daten mitgeteilt.
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Bibliographie
In der Titelaufnahme wird bei vollendeten Werken der Titel der ersten vollständigen Ausgabe wiedergegeben (Ausnahme: Klopstocks 'Messias'). Bei gleichzeitiger selbständiger und unselbständiger Veröffentlichung wird die selbständige Veröffentlichung verzeichnet (ζ. B. bei Wielands 'Oberon'). Bei nicht vollendeten Werken werden sämtliche Teildrucke zitiert, die nicht nur eine Wiederholung eines vorangehenden Teildrucks darstellen. Die Titelaufnahme erfolgt (sofern nicht anders mitgeteilt) aufgrund von Autopsie mindestens eines der nachgewiesenen Exemplare oder aufgrund einer Reproduktion. Die Wiedergabe des Titelblatts erfolgt diplomatisch mit Angabe der Zeilenbrüche. (Zier-)Leisten u. ä. bleiben unberücksichtigt. Andere künstlerisch-ornamentale Elemente des Titels werden einheitlich als "Vignette" bezeichnet. Auf dem Titelblatt genannte Zeichner- und Stechernamen werden wiedergegeben. Werke, von denen kein Exemplar nachzuweisen war, werden nach der ausführlichsten und am verläßlichst scheinenden Quelle zitiert. Bei Werken mit nachgewiesenen Exemplaren folgen maximal drei Standortangaben, bei Werken ohne nachgewiesene Exemplare folgt die Angabe der Quelle, nach der der Titel zitiert wird. Soweit möglich und nicht schon im Titel angegeben, werden sodann Angaben zum Vers und zum Umfang des Werks gemacht. Angaben zu Vorabdrucken (möglichst mit Hinweis auf den vorab veröffentlichten Teil) und zu weiteren Ausgaben schließen sich an. Sie erfolgen in abgekürzter Form unter Nennung von Druckort und -jähr; der Titel des Werks wird nur genannt, wenn er sich erheblich verändert hat. Diese Angaben beruhen nicht durchgängig auf Autopsie aller Ausgaben, sondern zum Teil auf biobibliographischen Nachschlagewerken (DBA, Jördens, Goedeke u. a.). Bei bekannteren Autoren wird hier anstelle einer raumgreifenden Aufzählung aller Ausgaben auf einschlägige Personalbibliographien verwiesen. Der Kommentar zu den einzelnen Titeln kann fakultativ verschiedenartige Informationen enthalten: Hinweise zur Autorschaft bei anonym erschienenen Drucken; Hinweise zur handschriftlichen Überlieferung sowie zur Druck- und Entstehungsgeschichte; Auszüge aus Vorreden (insb. Äußerungen des Autors zur Gattungszugehörigkeit seines Werks); Hinweise auf weitere Bestandteile des Drucks; Hinweise zum behandelten Stoff; Identifikation eines im Titel enthaltenen Mottos; knappe Überlegungen zur Gattungszugehörigkeit (teilweise mit Angabe zeitgenössischer Quellen); Hinweise zur zeitgenössischen Rezeption. Der letztgenannte Punkt umfaßt die Angabe von Rezensionen in Periodika der Zeit (ζ. T. mit signifikanten Zitaten) und von weiteren zeitgenössischen Stimmen. Bei allen Stellen, die nicht auf eigenständiger Recherche beruhen und nicht am Original übergeprüft worden sind, wird der Fundort angegeben (meist in der Form: "nach ... rez. in"). Bei besonders stark rezipierten Texten und bei Autoren, die Gegenstand umfangreicher Forschungen sind, wird das Material in Auswahl dargeboten und auf einschlägige Ergebnisse verwiesen (ζ. B. bei Klopstocks 'Messias'). Vollständigkeit wird in diesem Teil
Bibliographie
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weder beansprucht noch angestrebt. Vor allem im Kontext des Literaturstreits der Jahrhundertmitte werden Erwähnungen von Werken in Pamphleten, Satiren u. ä. nur in beschränkter Auswahl verzeichnet. Abschnitt VII. 3 verzeichnet (für den Zeitraum 1725-1800) einerseits Versepen, für die zeitgenössisch keine (vollständige oder teilweise) Drucklegung nachzuweisen war, und andererseits Hinweise auf geplante Versepen, deren Ausführung nicht nachzuweisen war. Nicht eigenständig verzeichnet werden dagegen Anregungen zu versepischen Werken, die sowohl konkret an bestimmte Autoren als auch an die Öffentlichkeit ergangen sind. Da die Grenze zwischen einer (nicht befolgten) Anregung an andere Autoren und der Konzeption eines eigenen Werks (ζ. B. bei Bodmer) ebenso fließend ist wie die Grenze zwischen einer kurzfristigen Idee und einem länger verfolgten Plan, wurde in Zweifelsfällen für eine Aufnahme des Hinweises entschieden. Die Hinweise sind aus der Arbeit an Abschnitt VII. 2 hervorgegangen und beruhen nicht auf systematischen Nachforschungen (etwa nach handschriftlich überlieferten Werken). Die Zusammenstellung hat im Gegensatz zu Abschnitt VII. 2 keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern lediglich ergänzenden Charakter. Insbesondere die Hinweise auf geplante Versepen ließen sich durch weitergehende Recherchen in gedrucktem und vor allem in ungedrucktem Material sicher leicht vermehren. Jeder Eintrag kann folgende Angaben enthalten: Autorname mit Lebensdaten, Kurzhinweise zum Autor, Titel bzw. Bezeichnung des Plans, Angaben zum Standort der Handschrift und zur späteren Drucklegung, zum Umfang und zum Vers (bei ausgeführten Werken), Zeugnisse und Hinweise (bei nicht nachweisbar ausgeführten Werken) sowie einen Kommentar. Für die Angaben zum Autor sowie für die Hinweise zu Standort, Vers und Umfang (bei ausgeführten Werken) gelten sinngemäß die zu Abschnitt VII. 2 gemachten Angaben. Bei handschriftlich nicht nachgewiesenen, nicht überlieferten oder nicht ausgeführten Werken werden zeitgenössische Zeugnisse zitiert, die den versepischen Plan eines Autors oder die (fragmentarische) Ausführung eines Werks erkennen lassen. Bei leicht zugänglichen Quellen wird zum Teil lediglich auf Stellen hingewiesen. Der Kommentar gibt ergänzende Hinweise und Erläuterungen zu den Zeugnissen. Abschnitt VII. 4 verzeichnet in stark beschränkter Auswahl Texte des Zeitraums 1725 bis 1800, die einer mit dem Versepos verwandten Gattung angehören. Er enthält vor allem Beispiele für Texte, deren Zuordnung schwierig oder (mangels eines nachgewiesenen Exemplars) unmöglich war, die der versepischen Gattung aber nahestehen (könnten); Texte, die zunächst als großes Epos geplant waren, dann aber in anderer, bescheidenerer Gattung ausgeführt wurden (Kleists 'Cissides und Paches');
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Bibliographie
Texte, die in zeitgenössischen Gattungsbibliographien (insb. bei Koch und Blankenburg) dem Heldengedicht zuordnet werden, nach eigener Einschätzung aber außerhalb des Gattungsrahmens stehen; Prosaepen, die aus formalen Gründen aus dem Abschnitt VII. 2 ausgeschlossen wurden (chronologisch verzeichnet in VIII. 1); Texte mit seltenen Gattungsbezeichnungen, die mit dem versepischen Bereich in Berührung stehen, ihm aber nicht angehören (ζ. B. "dramatisches Heldengedicht" bei Babo). Dagegen sind parodistisch-komische und satirische Epen, Travestien und Pamphlete in epischer Form nicht berücksichtigt. Die Titel werden hier in abgekürzter und normalisierter Form verzeichnet. Im Kommentar finden sich fakultativ neben Angaben zur Gattung, zum Vers und zum Umfang Hinweise auf Vorabdrucke und weitere Ausgaben. Nur in Ausnahmefällen wird ein Standort nachgewiesen. Rezensionen sind gleichfalls nur gelegentlich zu erläuternden Zwecken angeführt.
Abkürzungen und Siglen
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1. Abkürzungen und Siglen Bibliotheken Bamberg SB Bayreuth UB Berlin DSB Berlin HdK HB Berlin SBPK Biberach/R. WA Braunschweig StB Coburg LB Darmstadt HLB Frankfurt/M. SeB Frankfurt/M. StUB Göttingen NSuUB Graz UB Halle ULB Hamburg SUB Hannover NLB Heidelberg GS Heidelberg UB Jena UB Karlsruhe BLB Leipzig UB London BL Mannheim UB Marbach/N. DLA München BSB München UB Münster UB Neuburg SB Oldenburg LB Regensburg HofB Saarbrücken UB Stuttgart WLB Weimar GSA Wien ÖNB Wien UB Wiesbaden HLB Wolfenbüttel HAB Zürich ZB
Staatsbibliothek Bamberg Universitätsbibliothek Bayreuth Deutsche Staatsbibliothek Berlin Hochschule der Künste Berlin, Zentrale Hochschulbibliothek Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin Wieland-Archiv Biberach/Riß Stadtbibliothek Braunschweig Landesbibliothek Coburg Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt Senckenbergische Bibliothek Frankfurt/M. Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Universitätsbibliothek Graz Universitäts- und Landesbibliothek Halle/S. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Niedersächsische Landesbibliothek Hannover Germanistisches Seminar der Universität Heidelberg Universitätsbibliothek Heidelberg Universitätsbibliothek Jena Badische Landesbibliothek Karlsruhe Universitätsbibliothek Leipzig British Library London Universitätsbibliothek Mannheim Deutsches Literaturarchiv, Schiller-Nationalmuseum Marbach/N. Bayerische Staatsbibliothek München Universitätsbibliothek München Universitätsbibliothek Münster Staatliche Bibliothek Neuburg/D. Landesbibliothek Oldenburg Fürst Thum und Taxis, Hofbibliothek Regensburg Universitätsbibliothek der Universität des Saarlandes Saarbrücken Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Goethe- und Schiller-Archiv Weimar Österreichische Nationalbibliothek Wien Universitätsbibliothek Wien Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Zentralbibliothek Zürich
320
Bibliographie Periodika
AdB AdM AE ALZ AVnB BCH BNLb BpZ BsW CNRG DAE DBsW DVjs EgZ FgZ FN GAgS GgA GgZ GQ GR GRM GZgS HnZ Hören JDSG JEGPh LJnL LZ MLN MLQ MLR NadB NaG NB NBsW NcN NDM NgZ
Allgemeine deutsche Bibliothek Almanach der deutschen Musen [Leipzig 1770-1781] Acta Eruditorum Allgemeine Literatur-Zeitung Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit Briefe die Neueste Litteratur betreffend Berlinische privilegirte Zeitung Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit Deutsche Acta Eruditorum, oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Litteratur in Europa begreiffen Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Erlangische gelehrte Zeitung Franckfurtische gelehrte Zeitungen Freymüthige Nachrichten von neuen Büchern und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen Göttingische gelehrte Anzeigen Gothaische gelehrte Zeitungen The German Quarterly The Germanic Review Germanisch-Romanische Monatsschrift Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen Hamburgische neue Zeitung Die Hören. Eine Monatsschrift, hrsg v. Schiller [zitiert nach der Zählung des reprographischen Nachdrucks, Darmstadt 1959] Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft The Journal of English and Germanic Philology Leipziger Jahrbuch der neuesten Literatur Litteratur-Zeitung [Erlangen 1799-1802] Modern Language Notes Modern Language Quarterly Modern Language Review Neue allgemeine deutsche Bibliothek Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freyen Künste Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste Neueste critische Nachrichten [Greifswald 1775-1807] Neues Deutsches Museum Nürnbergische gelehrte Zeitung
Abkürzungen und Siglen NNgZ NRW NTM NZgS OaLz PMLA
321
Neue Nürnbergische gelehrte Zeitung Das Neueste aus dem Reiche des Witzes Der Neue Teutsche Merkur Neue Zeitungen von gelehrten Sachen Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung Publications of the Modern Language Association of America Schleswig-Hollsteinische Anzeigen Tübingische gelehrte Anzeigen Der Teutsche Merkur Teutscher Pavillon der Musen, oder Versammlung der Gelehrten, welche in Recensirung und Beurtheilung der allerneuesten Schrifften zum Auffnehmen der Gelehrsamkeit einen beliebigen Beytrag thun Die Vernünftigen Tadlerinnen
SUA TgA TM TPM
VT
Sonstige abgekürzt zitierte Quellen und Literatur ADB ARL1785-1790 ARL 1791-1795 ARL 1796-1800 AsK Baechtold Blankenburg
Bodmer Bibl
Braun
Briefe Alxinger
Briefe an Bodmer
Allgemeine Deutsche Biographie, I-LVI, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1875-1912, Berlin 1967-1971. Allgemeines Repertorium der Literatur für die Jahre 1785-1790,1-III, Jena 1793-1794. Allgemeines Repertorium der Literatur für die Jahre 1791-1795,1-III, Weimar 1799-1800. Allgemeines Repertorium der Literatur. Drittes Quinquennium für die Jahre 1796-1800,1-II, Weimar 1807. Archiv der schweitzerischen Kritick. Von der Mitte des Jahrhunderts bis auf gegenwärtige Zeiten, I, Zürich 1768. Baechtold, Jakob: Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892. Blankenburg, Friedrich von: Litterarische Zusätze zu Johann Georg Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1796-1798,1-III, Frankfurt 1972. Vetter, Theodor: Bibliographie der Schriften J. J. Bodmers und der von ihm besorgten Ausgaben, in: Johann Jakob Bodmer. Denkschrift zum CC. Geburtstag, hrsg. v. der Stiftung von Schnyder von Wartensee, Zürich 1900, 387-403. Schiller und Goethe im Urtheile ihrer Zeitgenossen. Zeitungskritiken, Berichte und Notizen, Schiller und Goethe und deren Werke betreffend, aus den Jahren 1773-1812, gesammelt u. hrsg. v. J. W. Braun. Eine Ergänzung zu allen Ausgaben der Werke dieser Dichter, I: Schiller, II: Goethe, Berlin 1882-1885. Briefe des Dichters Johann Baptist von Alxinger, hrsg. v. G. Wilhelm, in: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, CXL, Wien 1899, Abhandlung II. Briefe berühmter und edler Deutschen an Bodmer, hrsg. v. G. F. Stäudlin, Stuttgart 1794.
322 Briefe Bürger
Briefe Halem
Briefe Schweizer Briefe Tscharner
BW Gleim/Ramler
BW Gleim/Uz
BW Nicolay/Nicolai
DBA
DNL Frank
Gerstenberg
GK
Goedeke
Goethe AA
Bibliographie Briefe von und an Gottfried August Bürger. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit, hrsg. v. A. Strodtmann, I-IV, Berlin 1874. Halem, Gerhard Anton von: Selbstbiographie nebst einer Sammlung an Briefen an ihn, bearb. v. L. W. Ch. v. Halem, hrsg. v. C. F. Strackerjan, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Oldenburg 1840, Bern 1970. Briefe der Schweizer Bodmer, Sulzer, Geßner. Aus Gleims litterarischem Nachlasse, hrsg. v. W. Körte, Zürich 1804. Briefe von J. G. von Zimmermann, Wieland und A. von Haller an Vincenz Bernhard von Tscharner, hrsg. v. R. Hamel, Rostock 1881. Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler, hrsg. v. C. Schüddekopf, I-II [mehr nicht erschienen], Tübingen 1906-1907 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. CCXLII; CCXLIV). Briefwechsel zwischen Gleim und Uz, hrsg. v. C. Schüddekopf, Tübingen 1899 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. CCXVIII). Die beiden Nicolai. Briefwechsel zwischen Ludwig Heinrich Nicolay in St. Petersburg und Friedrich Nicolai in Berlin (1776-1811). Ergänzt um weitere Briefe von und an K. W. Ramler, J. G. Schlosser, F. L. Graf zu Stolberg, J. H. Voß und J. B. von Alxinger, hrsg. u. komm. v. H. Ischreyt, Lüneburg 1989 (Schriftenreihe Nordost-Archiv. XX VIII). Deutsches Biographisches Archiv. Eine Kumulation aus 254 der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke für den deutschen Bereich bis zum Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts, Microfiche Edition, hrsg. v. B. Fabian, bearb. unter der Leitung v. W. Gorzny, München u. a. 1982. Deutsche National-Litteratur. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. J. Kürschner. Frank, Hertha: Die Franckfurter Gelehrte Zeitung (1736-1772), (Diss.) Frankfurt 1931. Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von: Rezensionen in der Hamburgischen Neuen Zeitung 1767-1771, hrsg. v. O. Fischer, Berlin 1904 (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts. CXXVIII). Gesamtkatalog der preußischen Bibliotheken mit Nachweis des identischen Besitzes der bayerischen Staatsbibliothek in München und der Nationalbibliothek in Wien [Band IXff.: Deutscher Gesamtkatalog], hrsg. v. der Preußischen Staatsbibliothek, A-Belych (I-XV) und Sonderband Goethe, Berlin 1931-1939 u. München 1979. Goedeke, Karl: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, 2., ganz neu bearbeitete Auflage, I-XV [IV/1-4: 3., neu bearbeitete Auflage, 1910-16], Dresden u. a. 1884-1966. Werke Goethes, hrsg. v. der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1952ff.
Abkürzungen und Siglen Goethe Bibl Goethe BuG Goethe WA Gottsched AW
Graf
Guthke 1 Guthke 2 Guthke 3
GV 1700-1910 Hagedorn PW Herder SW Jördens KFLB
Kleist W
323
Goethes Bibliothek. Katalog, bearb. v. H. Ruppert, Weimar 1958. Goethe. Begegnungen und Gespräche, hrsg. v. E. Grumach u. R. Grumach, Iff., Berlin [u. New York] 1965ff. Goethe, Johann Wolfgang: Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 1/1-55; II/1-13; III/1-15, 2; IV/1-50, Weimar 1887-1919. Gottsched, Johann Christoph: Ausgewählte Werke, hrsg. v. J. Birke, B. Birke u. P. M. Mitchell, I-XII, Berlin 1968-1989 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts. VI; VII; XVI; XVII; XXXIX; XL; XLV; LIII; LIV; LX; LXIX; LXX; LXXVIII; LXXX; LXXXI; XCI; XCII; XCIII; XCVIII; CIV; CVII; CVIII; CXIX; CXXXII). Gräf, Hans Gerhard: Goethe ueber seine Dichtungen. Versuch einer Sammlung aller Aeusserungen des Dichters ueber seine poetischen Werke, I/l-IH/2,2, Frankfurt/M. 1901-1914. Guthke, Karl Siegfried: Haller und die Literatur, Göttingen 1962 (Arbeiten aus der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. IV). Guthke, Karl Siegfried (Hrsg.): Hallers Literaturkritik, Tübingen 1970 (Freies Deutsches Hochstift/Reihe der Schriften. XXI). Guthke, Karl Siegfried: Friedrich von Hagedorn und das literarische Leben seiner Zeit im Lichte unveröffentlichter Briefe an Johann Jakob Bodmer, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1966,1-108. Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1700-1910, bearb. unter der Leitung v. H. Schmuck u. W. Gorzny, I-CLX u. Nachträge, München u. a. 1979-1987. Hagedorn, Friedrich von: Poetische Werke, hrsg. v. J. J. Eschenburg, I-V, Hamburg 1800. Herder, Johann Gottfried: Sämmtliche Werke, I-XXXIII, hrsg. v. B. Suphan, Berlin 1877-1913. Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten, hrsg. v. Κ. H. Jördens, I-VI, Leipzig 1806-1811. Kataloge der Frankfurter und Leipziger Buchmessen, Michaelismesse 1759 - Michaelismesse 1800. Verfilmung der Ausgabe Leipzig (bei Weidmann) 1759-1800 auf Microfiches, hrsg. v. B. Fabian, Hildesheim 1977 (Bibliothek der Deutschen Sprache. III/4). Kataloge der Frankfurter und Leipziger Buchmessen, Ostermesse 1700 - Ostermesse 1759. Verfilmung der Ausgabe Leipzig (bei Grosse) 1700-1759 auf Microfiches, hrsg. v. B. Fabian, Hildesheim 1979 (Bibliothek der Deutschen Sprache. III/3,1-2). Weist, Ewald Christian von: Werke, I-III, hrsg. v. A. Sauer, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1881-1882, Bern 1969.
324 Klopstock AW Klopstock HKA
Koch Kurrelmeyer Lange, Briefe Lessing LM
Nicolai, Briefe Riedel, Briefe Schüler DüD Schiller NA
Schlegel KA Schönaich NeoWb
Schulte-Strathaus
Starnes Wieland AA Wieland AB
Bibliographie Klopstock, Friedrich Gottlieb: Ausgewählte Werke, hrsg. v. Κ. A. Schleiden, München 1962. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, begründet v. A. Beck, K. L. Schneider u. H. Tiemann, hrsg. v. H. Gronemeyer, E. Höpker-Herberg, K. Hurlebusch u. R. Hurlebusch, Berlin/New York 1974ff. (Hamburger Klopstock-Ausgabe). Koch, Erduin Julius: Compendium der Deutschen Literatur-Geschichte, 2. Ausgabe, I-II, Berlin 1795-1798. Kurrelmeyer, William: Bodmer über Klopstock und den jungen Wieland, in: MLN LVIII (1943), 283-288. Lange, Samuel Gotthold: Sammlung gelehrter und freundschaftlicher Briefe, I-II, Halle 1769-1770. Lessing, Gotthold Ephraim: Sämtliche Schriften, hrsg. v. K. Lachmann, 3. Aufl., besorgt durch F. Muncker, I-XXIII, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart u. a. 1886-1924, Berlin 1968. Nicolai, Friedrich: Briefe über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland (1755), hrsg. v. G. Ellinger, Berlin 1894 (Berliner Neudrucke. III/2). Riedel, Friedrich Just[us]: Briefe über das Publikum (1768), hrsg. v. E. Feldmeier, Wien 1973 (Wiener Neudrucke. IV). Friedrich Schiller. [I:] Von den Anfängen bis 1795. [II:] Von 1795 bis 1805, hrsg. v. B. Lecke, München 1969-1970 (Dichter über ihre Dichtungen. [III,] 1-2). Schillers Werke. Nationalausgabe, im Auftrag des Goetheund Schiller-Archivs, des Schiller-Nationalmuseums u. der Deutschen Akademie hrsg. v. J. Petersen, G. Fricke u. a., Iff, Weimar 1943ff. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler u. a . Iff, Paderborn u. a. 1958ff. Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß oder Neologisches Wörterbuch, hrsg. v. A. Köster, Berlin 1900 (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts. LXX-LXXXI). Schulte-Strathaus, Ernst: Bibliographie der Originalausgaben deutscher Dichtungen im Zeitalter Goethes. Nach den Quellen bearbeitet, 1/1 [mehr nicht erschienen], München/Leipzig 1913. Starnes, Thomas C.: Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. Aus zeitgenössischen Quellen chronologisch dargestellt, I-III, Sigmaringen 1987. Wieland, Christoph Martin: Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, I: Werke, II: Übersetzungen, Berlin 1909ff. (Zitiert nach Abt./Bd, S.) Wieland, Christoph Martin: Ausgewählte Briefe an verschiedene Freunde. In den Jahren 1751-1810 geschrieben u. nach der Zeitfolge geordnet, I-IV, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Zürich 1815-1816, Ann Arbor u. a. 1980.
Abkürzungen und Siglen Wieland-Bibl Wieland BW Wieland 1983
Wieland SW Zehnder
325
Günther, Gottfried/Zeilinger, Heidi: Wieland-Bibliographie, Berlin/Weimar 1983. Wielands Briefwechsel, hrsg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Iff., Berlin 1963ff. Christoph Martin Wieland. Nordamerikanische Forschungsbeiträge zur 250. Wiederkehr seines Geburtstages 1983, hrsg. v. H. Schelle, Tübingen 1984. Wieland, Christoph Martin: Sämmtliche Werke, I-XXXIX u. Supplemente I-VI, 1794-1811. [C1; Reprint in 14 Bd., Hamburg 1984.] Zehnder, Josephine: Pestalozzi. Idee und Macht der menschlichen Entwicklung, Gotha 1875.
Bibliographie
326
2. Versepen I Abel, Friederike Sophie Nicht in DBA und Goedeke Das | eroberte | Schlesien, | ein | Gedichte | von | fünf Gesängen, | entworfen | von | Friederiken Sophien Abeln. | Vignette | Magdeburg und Leipzig, | Zu finden in der Seidel- und Scheidhauerischen | Buchhandlung, 1752. | Gedruckt bey Johann Christian Pansa. Standort: Berlin SBPK: Y12251 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner Umfang: 1155 Verse. Kommentar: Der Titel findet sich auch in: Catalogue librorum [...] prohibitorum. Editio nova, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Wien 1776, München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/1), 2.
Albrecht, Johann Heinrich DBA 14, 168: erwähnt 1772-1783 Der | Raub des Königes | Stanislai Augusti | seines Herrn. | Ein Heldengedicht, | in Vier Gesängen. | Gesungen | von einem Grenadier der Litthauischen Guarde zu Fuß. | Vignette | Warschau, | bey Michael Groll, königl. Hofbuchhändler, 1772. Standort: Bamberg SB: Bip. L. g. q. 17 - Vers: Hexameter und (überwiegend) Verse nach folgendem, wohl als variiertes Hexameter-Maß aufzufassendem Schema: /u/uu/|/u/uu/u. Kommentar: Widmungsgedicht datiert: "Warschau, den 24sten Decemb. 1771." und unterzeichnet: "J. H. Albrecht, Gren. von des Hrn. Cap. von Keyserling Compagnie." - Rez. in: AdB Anhang zu XIII-XXIV (1777), 432: "Das erschreckliche Vorhaben des polnischen Königsmordes und die glückliche Vereitelung desselben wird die Nachwelt wohl durch die Geschichte, nicht aber durch dieses Gedicht, erfahren. Es ist eine fast zeitungsmäßige Erzählung der Begebenheit, ohne ächte epische Anordnung, ohne Charactere, und ohne ein anderes Interesse, als welches die historische Wahrheit giebt; selbst im Detail, sogar im Versbau und im Sylbenmaas sehr fehlerhaft. Noch einige andere Gedichte von eben dem Werth sind beygefügt. Der Verfasser, der sonst Liebe seines vortrefflichen Königs genug und manche gute Eigenschaft mehr besitzen mag, hat sich J. H. Albrecht unterschrieben, und soll ein gebohrner Deutscher seyn."
Alxinger, Johann Baptist von (1755-1797) Bliomberis. | Vignette, sign.: H: Lips fee. | Ein | Rittergedicht | in zwölf Gesängen | von | Alxinger. | Leipzig, 1791. | bei Georg Joachim Göschen.
Versepen I
327
Standorte: Biberach/R. WA: 3513; Heidelberg GS: Τ 63 sekr. [Titelblatt fragmentarisch]; Wolfenbüttel HAB: Lo 61 - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) Umfang: 1243 Strophen - Vorabdruck in: TM 1789/11, 277-284: Bliomberis, ein zum Throne bestimmter Prinz, erzählt die Lehren, welche ihm sein Oheim Lyonel gab. Aus einer Ritterepopee: Bliomberis [11/69-86 und eine 1791 nicht übernommene Stanze]. - weitere Ausgaben: Frankfurt/Leipzig 1791; Leipzig 1802; Wien 1812 [Einzelausgabe und als Bände I/II der 'Sämmtlichen Werke']; Leipzig 1861. Kommentar: Nachrede datiert: "Wien den 8 Aprill 1790." - Hauptquelle ist der französische Ritterroman 'Bliomb6ris' von J. P. Claris de Florian (zuerst Paris 1786). - Alxingers Werk ist angezeigt in: Verlagsanzeige Göschen Ostermesse 1791, 8. - NTM 1797/1, 287, berichtet über Alxingers Arbeit "an einer neuen Ausgabe seines Bliomberis". - Rez. der Ausgabe 1791 in: AdB CVIII (1792), 311-322; ALZ 1791/11, 489-493; GAgS 1791, 2081-2088; Litterarisches Magazin für Katholiken und deren Freunde I (1792), 20-35; NBsW XLV (1792), 63-113. Nach Jördens V, 712, ferner rez. in: GgZ 1791/1, 425-428; NNgZ 1791,433. - Rez. der Ausgabe 1802 in: ALZ 1803/11, 429-432. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Alxinger (Register); BW Nicolay/Nicolai 272; 278; 280; 288; 294; 304; 308; 310; 324; 346; 382; 426; Starnes II, 164; 174; 206; 228; 229; 243; 468; III, 113. Doolin von Maynz. | Ein Rittergedicht. | Vignette, sign.: Penzel. fee. | Leipzig, | bey Georg Joachim Göschen, | 1787. Standorte: Biberach/R. WA: 8932; Frankfurt/M. StUB: S 9/644; Wolfenbüttel HAB: Lo 63 - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema), nach X/19 eingeschobene Liedstrophen (sechs jambisch-anapästische Verse mit drei bis vier Hebungen im Reimschema aabccb) - Umfang: 666 Stanzen, 5 Liedstrophen - weitere Ausgaben: Leipzig/Wien 1787; Karlsruhe 1787; Leipzig 1797 [Vorabdruck hierzu in: NTM 1797/III, 232-240: Probestück aus Alxingers neuer Ausgabe des Doolin von Maynz (die 'Vorerinnerung' [232-236] stammt von Wieland, abgedruckt sind die Stanzen VII/9-19; vgl. Starnes II, 605 u. 633)]; Wien 1812 [Einzelausgabe und als Band III der 'Sämmtlichen Werke']; Wien 1817; Leipzig 1861; Berlin/Stuttgart 1888 (DNL. LVII). Kommentar: Widmung unterz.: "Alxinger." In der datierten Vorrede ("Wien, den 28. October 1786.") wird die "Rittergeschichte Doolin von Maynz, die im vierten Theile der Bibliothek der Romane stehet", als Quelle genannt; Verf. habe versucht, "die Nebengeschichte [...] nach dem Beyspiele [seines] unsterblichen Wieland mit der Hauptgeschichte zu verknüpfen". - Rez. der Ausgabe 1787 in: AdB LXXXIII (1788), 338-350; ALZ 1788/11, 337-342; GAgS 1787, 1250-1252; NBsW XXXV (1788), 29-69 [dazu: Alxinger, Über eine höchstelende Recension Doolins von Mainz [...], Wien und Leipzig 1788 (104 S.); Erwiderung Dyks in: NBsW XXXVI (1788), 167-170; vgl. Starnes II, 126]; NgZ 1787, 669-672; OaLz 1788/1, 425-427; TM 1787/Anzeiger, CV-CX. Nach Jördens V, 711, ferner rez. in: GgZ 1787, 449-451. - Weitere zeitgenössische Stimmen zur Ausgabe 1787: BW Gleim/Uz 436; 521; NTM 1790/1, 444; Starnes II, 95; 107. - Ausgabe 1797 angekündigt in: NTM 1796/III, 403; 1797/11, 190-192; Verlagsanzeige Göschen Michaelismesse 1797. - Rez. der Ausgabe 1797 in: NadB XLIV (1799), 31-39. - Vgl. ferner: Briefe Alxinger
328
Bibliographie (Register); Η. J. v. Collin, Über Alxingers Doolin von Mainz, und Wielands Oberon, in: Collin's Sämmtliche Werke, V, Wien 1813, 257-262 (lt. Band VI, 319, handelt es sich um ca. 1798 entstandene, seinerzeit nicht veröffentlichte private Aufzeichnungen); BW Nicolay/Nicolai 258; 272; 334; 336; 346; 360; 426; Wieland 1983, 601; 603; 609 (mit weiteren Hinweisen).
Numa Pompilius. | Von | Alxinger | nach Florian. | Erster Theil. | Wien, 1791. | Bey Kleimnayer und Kompagnie. | am Kohlmarkt, Nr. 1178. Numa Pompilius. | Von | Alxinger | nach Florian. | Zweyter Theil. | Leipzig und Klagenfurt, | Bey Ignatz Edlen von Kleinmayer, | Buchdrucker und Buchhändler. Standort: Wien ÖNB: 26.N.103 - Vers: frei reimende Jamben mit vier bis sechs Hebungen - Umfang: 12 Bücher, 8697 Verse - weitere Ausgabe: Wien 1812 [Einzelausgabe und als Bände IV/V der 'Sämmtüchen Werke']. Kommentar: Beim zweiten Teil des nachgewiesenen Exemplars handelt es sich wohl um einen gleichzeitig mit der Erstausgabe erschienen Doppeldruck ohne Jahreszahl und mit geänderter Verlegerangabe. - In seiner 'Vorrede' nennt Alxinger den Roman 'Numa Pompilius' von J. P. Claris de Florian (zuerst Paris 1786) als seine Vorlage und bezeichnet es als seine Intention, ihn "metrisch zu bearbeiten". Die im weiteren genannten Abweichungen vom französischen Original berechtigen wohl dazu, Alxingers Versifizierung als eigenständiges Werk und nicht als bloße Übersetzung zu betrachten. - Rez. in: AdB CIX (1792), 110-121: "Es giebt bereits von dem Numa Pompilius zwey oder drey deutsche Uebersetzungen, die aber, wie das Original, sämmtlich in Prosa sind. Die vor uns liegende des Herrn von Alxinger, ist in ungleichen gereimten Jamben, und was sich schon aus diesem Umstände schließen läßt, mehr freye Nachbildung, als wirkliche Uebersetzung"; ALZ 1793/11, 609-615: Rez. spricht von einer "versificirten Verdeutschung, oder richtiger freyen Bearbeitung"; GAgS 1792, 336; NBsW L (1793), 272-282: "Uebersetzung oder metrische Nachbildung [...]. Herr A. hat die Milchsuppe beym Aufwärmen so verdünnt, daß sie nun füglich für eine Wassersuppe gelten kann". - Es existieren mehrere zeitgenössische Prosaübersetzungen der französischen Vorlage, von den zwei in: AdB LXXXIV (1788), 100-110, verglichen werden. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Alxinger (Register); BW Nicolay/Nicolai 280; 288; 304; 346; Starnes II, 254.
Andreae, Samuel Traugott (1768-1823) Rino und Jeannette | oder | der goldene Rosenzweig. | Von | Traugott Andreä. | Vignette, sign.: Geyier f. | Erster bis Sechster Gesang. | Riga 1793. | Bey Johann Friedrich Hartknoch. Rino und Jeannette | oder | der goldene Rosenzweig. | Ein | romantischepischer Versuch | von | Traugott Andrä. | Zweyter Theil | Siebenter bis letzter Gesang. | Riga 1794. | bey Joh. Fr. Hartknoch.
Versepen I
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Standort: Stuttgart WLB: d. D. oct 170 - Vers: freie Stanzen (acht meist jambisch-anapästische Verse mit drei bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) - Umfang: 14 Gesänge, 867 Strophen. Kommentar: Rez. des ersten Teils in: ALZ 1794/11, 408; NadB VIII (1794), 190-191; NBsW LI (1793), 251-256; OaLz 1793/1, 1240-1242. Rez. des zweiten Teils in: NadB XVIII (1795), 544-545.
Bergmann, Gustav von (1749-1814) DBA 87, 6-23 Urian Henning Pitt. Ein Heldengedicht. In sechs Gesängen. 1790. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: DBA 87, 15 - Umfang: 2 Bogen in 8° [nach DBA 87,15]. Kommentar: Nach DBA 87, 15, und Goedeke V, 448, wo der Umfang mit 32 S. angegeben wird, ist das Werk anonym erschienen. - Es war nicht festzustellen, ob es sich um ein ernsthaftes oder ein satirisches Werk handelt.
Bodmer, Johann Jakob (1698-1783)
DIE | COLOMBONA. | EIN | GEDICHT | IN | FYNF GESÄNGEN. | Tai μ^γαλαι γαρ Αλκαι | Σκοτον πολύν ύμνων εχοντι δεομεναι. | Εργας δε καλας εσο- J πτρον ισαμεν ένι βυν τρόπω, | EL μ,ναμοσυνας έκατι λιπαραμ,πυκος | Έυρηται τις απανα μόχθων | Κλυταις επεων ααδαις. | ZYRICH, | bei
CONRAD ORELLund Comp. MDCCLIII. Standorte: Biberach/R. WA: 7547; Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 337 (4) - Vers: Hexameter - weitere Ausgabe in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767,405-508. Kommentar: Eine Reinschrift der ersten beiden Gesänge befindet sich in Zürich ZB: Ms. Bodmer 30.2. - Motto: Pindar, Nemeische Oden VII, 13-16. Aus dem 'Vorbericht': "Es ist mir zu ryhmlich, als dass ich meinen Freunden verbergen sollte, dass ich Doctor KI RKPATRICK, den Verfasser der Seapiece, zum Mitarbeiter an der COLOMBONA gehabt habe. Ohne seinen beistand haette ich das werk spaeter vollendet, und es waere gewiss viel schlechter. [...] Sonst habe ich auch vieles dem Verfasser des Esprit des Loix zu danken." Bodmer beansprucht den "charakter des COLOMBO" als sein geistiges Eigentum und fährt fort: "Weder BARTOLOM/EUS LAS CASAS, der die Entdeckung der neuen Welt in Prose geschrieben hat, noch der Cavalier STIGLIANI, der il Mondo nuovo in xxxiv. Gesaengen gedichtet hat, werden anspruch darauf haben. [...] Den lateinischen COLUMBUS des UBERTUS CARARA habe ich nicht gesehen; ich wyrde mehr erstaunen als erschrecken, wenn er die mine von meinem COLOMBO haette." Das zuletzt genannte Epos (zuerst Rom 1715) war in der 2. Auflage von 1730 in Bodmers Besitz. Ein entsprechender Eintrag findet sich (ohne Eingangsdatum o. ä) im hs. Katalog der Bibliothek Bodmers (Zürich ZB: Ms. Bodmer 38a, fol. 3r, Nr. 21). - Bodmer hat schon 1734 in seinem Gedicht 'Charakter der Teutschen Gedichte' (V. 853-934) Kolumbus als epischen Helden vorgeschlagen.
330
Bibliographie Diese Anregung wurde offenbar von E. v. Kleist aufgegriffen (vgl. Kleist W I, 5; II, 10; 34). - Rez. in: GAgS 1754, 111-112 (nach Guthke 1, 54, von Haller). (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.) - Weitere zeitgenössische Stimmen: Bodemann, Zimmermann, Hannover 1878, 166; Briefe Schweizer 190-191; 202; FN XVII (1760), 279; Guthke 3, 91; 99; Herder SW XXIV, 283; 295; Kleist W II, 255-256; 257; 303-304; Starnes I, 37; Wieland BW I, Nr. 83, 38; Zehnder 505-506; 509; 510; 511.
DINA | UND | SICHEM. | IN | ZWEEN GES/ENGEN. | EI ΔΕ ΛΟΓΩΝ ΣΤΝΕΜΕΝ | Κ0ΡΥΦΑΝ - - | ΟΡΘΑΝ ΕΠΙΣΤΑ, ΜΑΝΘΑΝΩΝ | ΟΙΣ0Α ΠΡΟΤΕΡΩΝ, | 'EN ΠΑΡ" ΕΣΛΟΝ ΠΗΜΑΤΑ ΣΐΝ- | ΔΪΟ ΔΑΙΟΝΤΑΙ ΒΡΟΤΟΙΣ | ΑΘΑΝΑΤΟΙ - - | TROSBERG, I Bei WACHSMUTH. 1753. Standorte: Biberach/R. WA: 7547; Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 337 (3) - Vers: Hexameter - weitere Ausgabe: Dina, in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767, 351-403. Kommentar: Motto: Pindar, Pythische Oden III, 80-83. - Vgl. Wielands 'Schreiben eines Junkers vom Lande an Herrn *** in Z. über die Gedichte, Joseph und Zulika, und Dina und Sichern' (zuerst in: FN X [1753], 324-326; abgedr. in: AsK 102-111; Wieland AA 1/4, 22-25). - Rez. in: GAgS 1754, 112 (nach Guthke 1, 54, von Haller). (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.) - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 207; Kleist W II, 257; Nicolai, Briefe 37. JACOB | UND | JOSEPH: | EIN | GEDICHT | IN DREI GESÄNGEN. | Instant, he cryd', your femal discord end, | Ye deedless boasters! And the song attend: | Obey that sweet compulsion, nor profane | With dissonance the smooth melodious strain. | ZYRCH | Bei CONR. OREL und Compagnie. | MDCCLI. Standorte: Biberach/R. WA: 7547; Zürich ZB: III 332c (1) - Vers: Hexameter - Umfang: 2188 Verse - weitere Ausgaben: Zürich 1754 [4 Gesänge, die durch neue Einteilung und geringfügige Erweiterungen Zustandekommen]; Jacob, in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767, 113-209 [Text der Ausgabe 1754]. Kommentar: Motto: A. Pope, The Odyssey of Homer 1/469-472. - Dramatische Bearbeitung durch Bodmer in: Der erkannte Joseph, und der keusche Joseph. Zwei tragische Styke in fynf Aufzygen [...]. Zyrich, 1754. - Rez. der Ausgabe 1751 in: CNRG, 2.7.1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 229-231); GZgS 1751, 728 (nach Guthke 1, 53, von Haller); NRW, May 1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 407-408). Nach einer bei Baechtold 186 (Anm.) zitierten Passage eines Briefs von Bodmer an Zellweger vom 14.9.1751 wurde das Werk ferner rez. in: Critischer Sylphe, Oder: Ein gelehrtes Wochen-Blat. Eine Abschrift einer Rez. (aus der "Varrentrapischen Zeitung", "LV Stück vom 10: Juli [1751]") befindet sich in Zürich ZB: Ms. Bodmer 38.26. (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.) Zahlreiche Zitate aus dem Werk in: Schönaich NeoWb. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 158; 177-178; BW Gleim/Uz 224; Gottsched AW VI/3, 123; Guthke 3, 84-86; Kleist W II, 199; Klopstock HKA, Briefe III, Nr. 4, 17-24; Lessing LM XIX, 28-29; Nicolai, Briefe 44; Starnes I, 39-41; 58; Wieland BW I u. II (Register); Zehnder 393; 454; 495.
Versepen I
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JACOB I UND I RACHEL: | EIN | G E D I C H T | IN Z W E E N G E S Ä N G E N . | — TL τ αρ άΰ φθονέεις, έρίηρον άαδον | Τερπειν, Δππη οί νόος ορνυται, ού νύτ' άαδοί I Αίτια, άλλα ποτι Ζευς αίτιος, δςτε δίδωοχν | Άνδράβιν άλφηστησιν, δπως έθΐλησιν έκάστω. | Z Y R C H | Bei C O N R . O R E L und Compagnie. I MDCCLII. Standorte: Biberach/R. WA: 7547; Wolfenbüttel HAB: Ρ 487 b.4° Helmst.(l); Zürich ZB: 1113321(2) - Vers: Hexameter - Umfang: 1126 Verse - weitere Ausgaben: Jacob und Rahel, Zürich 1759 [Text - wohl nach dem Vorbild von Geßners 'Der Tod Abels' (s. VII. 4) - ohne Verseinteilung, sondern äußerlich wie Prosa gedruckt]; Rahel, in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767, 211-263 [wieder mit Verseinteilung wie in der Ausgabe 1752]. Kommentar: Motto: Homer, Odyssee 1/346-349. - Im Anhang (S. 56-60) findet sich ein möglicherweise von Wieland verfaßter, mit "Epistemon" unterzeichneter Brief, in dem eine Episode weitergedichtet wird (abgedr. in: Wieland AA 1/4, 1-3; vgl. JDSG I [1957], 83-84). - Rez. in: GZgS 1752, 884 (nach Guthke 1, 54, von Haller). (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.) - Zitate aus dem Werk in: Schönaich NeoWb 141; 163; 303; 317; 356; 370. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 155; 170; 176-178; 271 (zur Ausgabe 1759, die den Text in einer "deutschen prosaischen Gestalt" biete); Guthke 3, 90; Kleist W II, 564-565 (zur Ausgabe 1759); Kurrelmeyer 284; Nicolai, Briefe 59; Starnes I, 48; Wieland BW I u. II (Register); Zehnder 512. J O S E P H | UND | ZULIKA | IN | Z W E E N | G E S / E N G E N . | Τούτω Sou νεμεσις | Την γαρ ααδην μάλλον επικλαουσ' άνθρωποι | Ήτις ακουοντεσσι νεοτάτη αμφιπεληται. | Vignette | Z Y R I C H , bei C O N R . O R E L und Compagnie. | 1753. Standorte: Biberach/R. WA: 7547; Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 337 (1) - Vers: Hexameter - weitere Ausgabe in: Joseph, in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767, 265-319. Kommentar: Motto: Homer, Odyssee 1/350-352. - Dramatische Bearbeitung durch Bodmer und in Briefform abgefaßte Gedanken Wielands in: Der erkannte Joseph, und der keusche Joseph. Zwei tragische Styke in fynf Aufzygen [...]. Samt verschiedenen Briefen yber die einfyhrung des Chemos, und den Charakters Josephs, in dem gedichte Joseph und Zulika. Zyrich, 1754. (Vgl. Starnes I, 56; 58; 61-62) - Vgl. ferner Wielands 'Schreiben eines Junkers vom Lande an Herrn *** in Z. über die Gedichte, Joseph und Zulika, und Dina und Sichern' (zuerst in: FN X [1753], 324-326; abgedr. in: AsK 102-111; Wieland AA 1/4, 22-25; vgl. Starnes I, 54 u. 56-57) und seine zeitgenössisch nicht veröffentlichten 'Zufälligen Gedanken bey Durchlesung Josephs und Zulika' (abgedr. in: Wieland AA 1/4, 25-27). - Rez. in: GAgS 1753, 1189 (nach Guthke 1, 54, von Haller; vgl. Guthke 3, 107). (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.) - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 171; 177-178; 207; 345 (Sulzer an Bodmer, 1.6.1761; Hinweis auf eine wohl ungedruckte Übersetzung); Guthke 3, 107; Haller, Gedichte, Frauenfeld 1882, 365-366; Kleist W II, 257; Nicolai, Briefe 37; 58; Starnes I, 37; 45; 48; Wieland BW I u. II (Register); Zehnder 361; 454.
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Bibliographie
Der | Noah. | In | Zwölf Gesängen. | — λεγοντι μάν | Χθόνα μεν κατακλύσαι μέλαιναν | Υδατος σθένος, άλλα Ξηνός | Τέχναις άνάπωσιν έξαίφνας | Άντλον έλεϊν. -— | PINDAR. OLYMP. IX. | Zürich, bey David Geßner, 1752. Standorte: Biberach/R. WA: 4454; Heidelberg UB: 65 A 1590; Zürich ZB: 111332b; III 332i - Vers: Hexameter - Umfang: 9962 Verse [ohne die im Anhang aufgenommene Interpolation zu X/545] - Vorabdrucke: Frankfurt/Leipzig 1750 [Gesang I/II]; o. O. o. J. [Zürich 1750] [Gesang III]; Frankfurt/Leipzig 1750 [Gesang III]; Die unschuldige Liebe, o. O. o. J. [1750] [Gesang III/IV], - weitere Ausgaben: Noachide, Berlin 1765; Die Töchter des Paradieses, Zürich 1766 [Separatdruck der S. 7-12 der Ausgabe Berlin 1765 (mit Varianten)]; Noachide, Zürich 1772; Noachide, Basel 1781; Noah. Attempted from the German, London 1758 [übersetzt v. J. Collyer], Kommentar: Motto: Pindar, Olympische Oden IX, 49-53. - Die beiden Vorabdrucke des 3. Gesangs fehlen in Bodmer Bibl 1/24. Die Existenz von zwei Ausgaben ([Zürich 1750]: nicht nachgewiesen; Frankfurt/Leipzig 1750: Frankfurt/M. StUB: 17/1021) geht aus einem Brief Bodmers vom 19.7.1750 hervor: "Der dritte Gesang des Noah ist hier meis sumptibus gedruckt. Ich habe aber nur fünfzig Stück drucken lassen und diese alle weggeschenkt. Seitdem hat der Verleger der zwei ersten Gesänge auch diesen dritten in dem Format der ersteren gedruckt me nec procurante nec vetante." (Zitiert nach Baechtold 600, der in seiner Bibliographie, 185-186 [Anm.], die Einzelausgaben des 3. Gesangs gleichfalls übergeht). Die genannte Ausgabe Frankfurt/Leipzig 1750 enthält eine wohl von Sulzer stammende Vorrede (S. III-VI), die auf "Berlin, den 12 des May 1750" datiert ist, einen auf sieben Gesänge angelegten und in hexametrischen Versen abgefaßten Plan des Epos (S. VII-XII) sowie "Zusätze und Verbesserungen" zu den Gesängen I/II. Weitere gedruckte Dokumente zur Textgeschichte: Grundriß eines epischen Gedichtes von dem geretteten Noah, in: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften IV (1742), 1-17 [vgl. hierzu: GZgS 1742, 325; Hagedorn PW V, 161; 168; nach Pyra/Lange, Freundschaftliche Lieder, Stuttgart 1885, XLIII, in den Hallischen 'Bemühungen' von 1743, 3. St., 118, kritisiert; vgl. Bodmer Bibl 1/14]; 'Anmerkungen zu dem Grundrisse eines epischen Gedichtes von dem geretteten Noah' u. 'Von der Allegorisierung der epischen Geschichte', in: Critische Briefe, Zürich 1746, 109-124 [Titel der Briefe nach Inhaltsverzeichnis]; Vermehrungen und Veränderungen in dem epischen Werke: Der Noah, o. O. o. J. [1754 (nach Schönaich NeoWb XXVI)]; Inhaltsangabe des 'Noah' in Hexametern, in: Die neuesten Sammlungen vermischter Schriften III (1754-1757), 555ff. [nach Baechtold 185 (Anm.)]; Veränderung in dem Plane der Noachide, von dem Verfasser, in: Literarische Denkmale von verschiedenen Verfassern, Zürich 1779, 93-95; Der Eingang der Thiere in die Arche abgekürzt, ebd., 152-153. - Hs. Material zur 'Noachide' befindet sich in Zürich ZB: Ms. Bodmer 30.1. - Zur Entstehungsgeschichte des 'Noah' vgl. insb. die zahlreichen Zeugnisse in: Briefe Schweizer (von S. 108, Brief vom 27.9.1749, an). - Die in Bodmer Bibl 1/24 nicht identifizierten hs. Verbesserungsvorschläge im Exemplar Zürich ZB: III 332i stammen von Sulzer und seinem Berliner Kreis (vgl. Bodmers Eintragung auf dem Zwischentitel des Exemplars: "Notula huic codici attexta sunt ciariss. Sulzeri"; vgl. ferner: Briefe Schweizer 181-182; 201; 209: Hinweis auf eine Beteiligung Künzlis an den Eintragungen).
Versepen I
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Rezensionen und sonstige Zeugnisse der Auseinandersetzung mit Bodmers 'Noah' (in Auswahl): Rez. der Ausgabe 1750 (Gesänge I/II) in: BpZ, 7.3.1750 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 195-196); CNRG 1750/XII, 107-109; XIII, 115-119; XIV, 122-126 (von Ramler; vgl. BW Gleim/Ramler I, 205ff., u. Briefe Schweizer 127); FN VII (1750), 209-212; 234-237; 242-245 (von J. C. Hirzel); GZgS 1750, 501-502 (von Haller; abgedr. in: Guthke, Literarisches Leben, Bern/München 1975, 339-340; vgl. Briefe Tscharner 64; 66). Ferner als Einzeldruck: Beurtheilung des Heldengedichts der Noah, Zürich 1750. (Von Nikolaus Emanuel von Tscharner; vgl. zu dieser negativen Kritik "aus dem eigenen Lager" und dem Einzug der bereits gedruckten Exemplare: Baechtold 600-602; Briefe Schweizer 144; Briefe Tscharner 15-16; Guthke 3, 85-86; 90; Hagedorn PW V, 212-213; Kurrelmeyer 284; Stoye, Tscharner, Fribourg 1954, 60-64 u. 78; Zehnder 495; 506. Das Manuskript der Kritik [Signatur: Ms. Bodmer 40.30] und ein gedrucktes Exemplar [Signatur: Gal Tz 429 (8)] haben sich in Zürich ZB erhalten). - Rez. der Ausgabe 1750 (Gesang III) in: GZgS 1750, 695-696 (von Haller; abgedr. in: Guthke, Literarisches Leben, Bern/München 1975, 340; vgl. Briefe Tscharner 68). - Gottsched AW VI/3, 38; 123 (Critische Dichtkunst, 1751). - Rez. der Ausgabe 1752 in: GZgS 1752, 623-627 (nach Guthke 1, 53, von Haller; vgl. Briefe Schweizer 188; Briefe Tscharner 78; Haller, Gedichte, Frauenfeld 1882, 359; 360; 362-363). - FN X (1753), 318-319: Erdichteter Brief an den Verfasser des Noah (fingierte Unterschrift: Hausenstock; von Bodmer und/oder Wieland; richtet sich gegen eine kritische Bemerkung bei J. Chr. Stockhausen, Sammlung vermischter Briefe, I, Wien 1766, 42 [zuerst 1752]; abgedr. in: AsK 94-100; Wieland AA1/4, 687-690). - FN X (1753), 331: Erdichteter Brief (fingierte Unterschrift: Peter Mylius, der Bemüher; richtet sich wohl gegen Christlob Mylius, der Bodmers 'Grundriß' in den Hallischen 'Bemühungen' getadelt hatte [s.o.]; abgedr. in: AsK 112-115). [C. M. Wieland,] Abhandlung von den Schönheiten des epischen Gedichts Der Noah, Zürich 1753. (Abgedr. in: Wieland AA 1/3, 299-518; rez. in: GAgS 1753, 1184 [nach Guthke 1, 54, von Haller; abgedr. in: Guthke 2, 64]; FN X (1753), 379; XI (1754), 353-357 [von J. G. P. Möller; zuerst in: Greifswalder Critische Nachrichten, 46. St. v. 14.11.1753; vgl. Wieland BW I, Nr. 190, u. II, 252]; hierzu Wielands zeitgenössisch nicht gedruckte Erwiderung in: Wieland AA 1/4, 65-70; sowie ebd., 690-702; Auseinandersetzung mit Wielands Apologie in: Nicolai, Briefe [insb. Brief V-VII]; vgl. ferner: Briefe Schweizer 192; 201-202; 226; BW Gleim/Ramler II, 72-73; Guthke 3, 91-94; 101; 103; Kleist W II, 222; 237; 488-489; Wieland BW I u. II [Register]). - J. G. Sfulzer], Gedanken von dem vorzüglichen Werth der Epischen Gedichte des Herrn Bodmers, Berlin 1754. (Diese Abhandlung bezieht sich über den 'Noah' hinaus auch auf andere Patriarchaden Bodmers; vgl. Briefe Schweizer 137-138; 222; 226; 236-237; Lessing LM VII, 17-18; GAgS 1756, 19; 1767, 304; Nicolai, Briefe [Brief XIV-XV]). - Der 'Noah' ist die neben Hallers Gedichten am häufigsten zitierte Quelle in: Schönaich NeoWb. - An Colon, in: Bodmer, Gedichte in gereimten Versen, Zürich 1754, Anhang, 4. Brief (Verteidigung des 'Noah'; abgedr. in: AsK 201-206). - [Fr. Nicolai,] Briefe über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland, Berlin 1755. (Kritsche Auseinandersetzung mit Bodmers Epen, insb. dem 'Noah', sowie den zitierten Apologien von Wieland und Sulzer in den Briefen V-VII und XIV-XV; Rez. in: BsW I [1757], 107-121; FN XIII [1756], 10-11; 132-133; GAgS 1756, 17-20; vgl. die im folgenden zitierten Erwiderungen in FN). - FN
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Bibliographie XIII (1756), 44-46 u. 50-52 (erdichteter Brief, unterzeichnet: Sofius; Verfasser wohl Bodmer; versucht Nicolais Kritik an ihm ironisch gegen Virgil zu wenden und damit den 'Noah' zu retten; abgedr. in: AsK 179-195). - FN XV (1758), 78-80 u. 86-87: Schreiben von dem Ursprung des Hasses gegen die Patriarchaden (fingierte Unterschrift: Jolkas; gegen Nicolai und Uz gerichtet; abgedr. in: AsK 252-262). - Rez. der Ausgabe London 1758: NBsW V (1767), 192-193. - Rez. der Ausgabe 1765 in: GAgS 1765, 936 (nach Guthke 1, 59, von Haller; abgedr. in: Guthke 2, 101-102); vgl. Herder SW I, 296; II, 163-178 (Fragment, das eine nicht vollendete Rez. der Ausgabe 1765 für die AdB verarbeitet). - Rez. der Ausgabe 1772: AdB Anhang zu XIII-XXIV (1777), 1161; AdM 1775, 38-39 (Abschrift in Zürich ZB: Ms. Bodmer 38.29). - Rez. der Ausgabe 1781: AVnB VI (1781), 130; AdB LI (1782), 222-223. - Im BW Gleim/Ramler, in Kleists, Klopstocks und Wielands Briefwechseln (Kleist W II u. III; Klopstock HKA, Briefe [Register]; Wieland BW I u. II [Register]), in den Briefen zwischen Hagedorn und Bodmer (Briefe an Bodmer 202-208, Hagedorn PW V und Guthke 3) sowie in den bei Starnes I, 20ff., u. Zehnder 318ff. mitgeteilten Briefen von Bodmer und seinem Umkreis finden sich über die bereits zitierten Passagen hinaus zahlreiche weitere Bezugnahmen auf Bodmers 'Noah'.
DER | PARCIVAL | EIN | GEDICHT | IN | WOLFRAMS VON ESCHLBACH | DENCKART | Eines Poeten aus den Zeiten | Kaiser Heinrich des VI. I Η ΘΑΤΜΑ TA ΠΟΛΛΑ. | KAI ΠΟΤ ΤΙ KAI ΒΡΟΤΩΝ ΦΡΕΝΑ | ΤΠΕΡ ΤΟΝ ΑΛΗΘΗ ΛΟΓΟΝ | ΔΕΔΑΙΔΑΛΜΕΝΟΙ ΨΕΥΔΕΣΙ ΠΟΙΚΙΛΟΙΣ | ΕΦΑΠΑΤΩΝΉ ΜΪΘΟΙ. | ZYRICH, | bei Heidegger und Comp. MDCCLIII. Standorte: Biberach/R. WA: 6566; Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 332c (3) - Vers: Hexameter - Umfang: 2 Gesänge, 1083 Verse - weitere Ausgabe in: Calliope von Bodmern, II, Zürich 1767, 33-85. Kommentar: Motto: Pindar, Olympische Oden I, 28-29. - Aus der Vorrede wird deutlich, daß es sich um eine freie Bearbeitung bzw. Nachdichtung handelt: "Gegenwaertiges Gedicht ist nicht in dem Charakter und der Dichtart des Verfassers, sondern WOLFRAMS VON ESCHILBACH geschrieben [...]; man hat ihm kaum etwas mehrers als die Sprache unserer Zeiten geliehen. [...] Die wichtigsten Veränderungen, die man gemacht hat, bestehen in weglassungen grosser und kleiner episodischer Styke." Im folgenden werden "etliche stellen in ESCHILBACHS eigener Sprache" angeführt. - Rez. in: GAgS 1753, 1399-1400. Nach Grosse/Rautenberg, Die Rezeption mittelalterlicher deutscher Dichtung, Tübingen 1989, Nr. 2821, ist das Werk ferner rez. in: Poetische Gedanken, von politischen und gelehrten Neuigkeiten VI/12 (1754), 90f. (Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'). Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 176; 180; Kleist W II, 257; NaG IV (1754), 160 (ironisches Gedicht 'Auf den Parcivall'); Schönaich NeoWb 310; Wieland BW I, Nr. 483. Die | Rache | der | Schwester. [In:] Calliope | von | Bodmern. | Zweyter Band. | Vignette, sign: S. Gessn. f | Zürich, bey Orell, Geßner und Compagnie. 1767 [S. -372].
Versepen I
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Standorte: Biberach/R. WA: 9879; Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 363 - Vers: Hexameter - Umfang: 4 Gesänge, 1514 Verse - Vorabdruck in: Wöchentliche Anzeigen zum Vortheil der Liebhaber der Wissenschaften und Künste III (1766), 250ff. u. 271ff. [nach Baechtold 192 (Anm.)] - weitere Ausgabe: Stuttgart/Berlin 1882 (DNL. XLII), 186-229. Kommentar: Im Inhaltsverzeichnis der 'Calliope', II, lautet der Titel der freien Nibelungenlied-Bearbeitung: 'Die Rache der Schwester. Aus dem dreyzehnten Jahrhundert.' - Rez. der 'Calliope' s. 'Syndflut'.
DIE | SYNDFLUT. | EIN | GEDICHT. | IN FYNF GESAENGEN. | TA ΓΑΡ ΠΕΡΙΣΣΑ KANOHTA ΣΩΜΑΤΑ | ΠΠΓΓΕΙΝ ΒΑΡΙΑΙΣ ΠΡΟΣ ΘΕΩΝ ΔΥΣΠΡΑ3ΙΑΙΣ | ΕΦΑΣΧ' Ό ΜΑΝΤΗΣ. | ZYRICH, | bei Heidegger und
Comp. MDCCLIII. Standorte: Biberach/R. WA: 6566; Heidelberg UB: 65 A 1591; Zürich ZB: III 333a (2) - Vers: Hexameter - Umfang: 2615 Verse - Vorabdruck: Zürich 1751 [Gesang I/II] - weitere Ausgabe in: Calliope von Bodmern, I, Zürich 1767, 1-111. Kommentar: Motto: Sophokles, Aias 758-760. - In der Vorrede "Zu den zween erstem Gesaengen von MDCCLI" (wiederholt in der Ausgabe 1753) wird u. a. mit folgender Aussage eine Konkurrenzsituation zwischen dem Verfasser der 'Syndflut' und demjenigen des 'Noah' konstruiert: "Das Vornehmen, einen Stoff, der von einem grossen Poeten bearbeitet worden, wieder zu bearbeiten, ist ein Ulysses-Bogen". Die Folge dieser Täuschung des Publikums und der Kritik (vgl. Lessing LM IV, 231) war bspw., daß das Werk Chr. N. Naumann zugeschrieben wurde (Das gelehrte Teutschland, 3. Ausgabe, Lemgo 1776, 787; Widerruf in: Nachtrag zu der dritten Ausgabe des gelehrten Teutschlandes, Lemgo 1778, 346). - Die Vorrede der Ausgabe 1753 stammt von Wieland (abgedr. in: Wieland AA 1/4, 12-15; vgl. Starnes I, 54). - Rez. der Ausgabe 1751 in: CNRG, 2.7.1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 231); Crito. Eine Monat-Schrift I (1751), 3-16 u. 33-45 (nach Baechtold 186 [Anm.] von J. H. Schinz); GZgS 1751, 696 (nach Guthke 1, 53, von Haller); NRW, May 1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 408-409). Nach einem von Baechtold 186 (Anm.) zitierten Brief Bodmers vom 20.5.1751 ist das Werk ferner in "einer Frankfurtischen Zeitung" negativ besprochen. - Rez. der Ausgabe 1753 in: GAgS 1753, 1188-1189 (nach Guthke 1, 54, von Haller; vgl. Guthke 3, 107). - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 190; FN VIII (1751), 398; Gottsched AW VI/3, 38; Guthke 3, 84-86; Kleist W II, 199; Klopstock HKA, Briefe I (Register); NRW, Juli 1751 (Lessings Epigramm 'Auf das Gedicht die Sündfluth'; abgedr. in: Lessing LM I, 37); Riedel, Briefe 37; 89; 93; 99; Schönaich NeoWb 36 (Anspielung auf Vorrede); Starnes I, 37; 42; 45; 100; Wieland BW I u. II (Register); Zehnder 358; 432; 495; 512. Hinweise zu 'Calliope' (betreffen alle dort wieder abgedruckten Texte): Hs. Material, das u. a. Varianten zu einer 1777 geplanten Neuauflage (vgl. Baechtold 192 [Anm.]) enthält, befindet sich in Zürich ZB: Ms. Bodmer 30.3. - Rez. in: GAgS 1767, 471-472 (nach Guthke 1, 62, von Haller). Nach Baechtold 192 (Anm.) ferner rez. in: Ausführliche [zeitweise: Vollständige] und kritische Nachrichten von den besten und merkwürdigsten Schriften unserer Zeit nebst andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen XV-XX
Bibliographie
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(1767-1769). - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 372; Wieland BW III, Nr. 430, 15; Nr. 432, 9-17. Wilhelm | von | Oranse | in | zwey Gesängen | Vignette, sign.: Schellenberg, fee. | Frankfurt und Leipzig 1774. Standort: Zürich ZB: III 366 (1) - Vers: Hexameter - Umfang: 1193 Verse. Kommentar: Die Unterschrift der Vignette ist spiegelverkehrt gedruckt. Im autopsierten Exemplar befinden sich hs. Korrekturen. - Rez. in: AdB XXXII (1777), 127: "Sonder Zweifel von einem schweizerischen Verfasser. Es ist eine mährchen- und wundervolle Legende von einem tapfern französischen Helden, der eine muhamedanische Prinzessin entführt, und hernach in Frankreich, mit Hilfe seiner Kadidah, ein halb Dutzend Sultane schlägt, die sie ihm rauben wollen. Das Süjet, ganz tauglich zu einer Romanze, oder einer ariostischen Epopee, ist hier sehr ernsthaft erzählt"; AdM 1775, 39 (Abschrift in Zürich ZB: Ms. Bodmer 38.29). Die | gefallene Zilla. | In drei Gesängen. | AMSTERDAM, | bei Janson Sinwel, 1755. Standorte: Heidelberg UB: G 5698 Res.; Zürich ZB: III 335a (3) - Vers: Hexameter - weitere Ausgabe: Zilla, in: Calliope von Bodmern, II, Zürich 1767, 87-156. Kommentar: Vgl. Briefe Schweizer 251-253; Starnes I, 55-56; 99; Wieland BW I u. II (Register s. v. 'Lilith'); Zehnder 534. - Rez. zum Abdruck in 'Calliope' s. unter 'Syndflut'.
Buchholz, Samuel (1717-1774) Pribislav. | Durch | Samuel Buchholtzen. | Vignette, sign.: Crusius del. et sc. | Erstes Buch. | Rostock, | Bey Anton Ferdinand Röse. | 1754. Standort: Berlin SBPK: Y13741 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner. Kommentar: Der auf zwölf Bücher angelegte Gesamtplan des offenbar nicht weitergeführten Werks ist u. d. T. 'Entwurf des Heldengedichts Pribislav' in: NaG IV (1754), 202-209, veröffentlicht und vom Hrsg. wie folgt eingeleitet: "Ein gelehrter Mann, der in einem öffentlichen Amte in der Mark steht, und der Welt schon durch historische Schriften bekannt ist, arbeitet an einem Heldengedichte, davon er uns diesen Entwurf zugesandt hat. Wir finden sowohl das Vorhaben, einen einheimischen Helden zu besingen, viel vernünftiger, als sich mit den Patriarchen herum zu tummeln, und die Bibel mit apokryphischen Fabeln zu besudeln; als auch die Einrichtung ziemlich regelmäßig." - In seinem Widmungsgedicht an Carl Ludwig Friedrich, Herzog von Mecklenburg, bezeichnet der Verfasser sein Werk als "Ursprungs Lobgesang" des Hauses Mecklenburg. Die Titelfigur Pribislav (gest. 1178) ist der zum christlichen Glauben bekehrte und 1167 von Heinrich dem Löwen belehnte Stammvater des mecklenburgischen Fürstenhauses. Das vollendete erste Buch setzt mit dem Tod Niklots vor seiner Burg Werle (1160) ein und endet mit der Pribislav zugeschriebenen Gründung Rostocks. - Das Fehlen von Buchholz bei Koch bemerkt der Rez. der NBsW L (1793), 259: "V. Pietsch, C. G. Lindner, v. Scheyb, Buchholz, fehlen unter den epischen Dichtern." -
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Unter den "historischen Schriften" des Verf. sind im vorliegenden Kontext von Interesse: Ermunterung an das Land Meklenburg, zum Lobe seiner eigenen Helden, Berlin 1752 (rez. in: NaG II [1752], 715-716); Versuch einer Geschichte des Herzogthums Mecklenburg, Rostock 1753.
Bürger, Gottfried August (1748-1794) Beilin. Erster Gesang. [In:] AKADEMIE | DER | SCHÖNEN REDEKÜNSTE. | HERAUSGEGEBEN | VON | G. A. BÜRGER. | Ersten Bandes drittes Stück [S. -238]. Standort: Zürich ZB: DD 1213 - Vers: strenge Stanzen - Umfang: 26 Strophen - weitere Ausgabe in: G. A. Bürger's sämmtliche Schriften, hrsg. v. K. Reinhard, IV, Göttingen 1802 (rl970), 415-428; zuletzt in: G. A. Bürger, Sämtliche Werke, hrsg. v. G. u. H. Häntzschel, München 1987, 353-361. Kommentar: Der Umschlagtitel ist datiert auf 1791, der nicht genannte Erscheinungsort ist Berlin. - Das Fragment gebliebene Werk folgt frei Ariosts Orlando furioso', XXVIII/4-74, und La Fontaines 'Joconde' aus den 'Contes' (vgl. Goedeke IV/1, 1013, und Ausgabe München 1987, 1249). - Im Kommentar der Ausgabe München 1987, 1249-1250, finden sich briefliche Zeugnisse zur Entstehung und Rezeption, die auch in Briefe Bürger (Register) zugänglich sind. - Rez. in: AdB CVIII (1792), 457; ALZ 1792/11, 174; GAgS 1792, 239; NBsW L (1793), 79-80. Nach ARL 1791-1795, XIV. 833, ist die 'Akademie der schönen Redekünste' ferner rez. in: NNgZ 1792/1, 188. Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Halem 114; 128.
Cuno, Johann Christian (1708-1783) Messiade. | IN | Zwölf Gesängen. | Vignette, sign.: F. de Bakker delin. et sculp. 1762. | AMSTERDAM/ | Bei {JAN MORTERRE/ | und | E. C. PESENECKER.} 1762. Standort: Heidelberg UB: Cod. Heid. 370, 340 - Vers: Stanzen (acht jambische Verse im Reimschema abbacddc; umschließende Verse im ersten Quartett weiblich, im zweiten männlich schließend; Vers 1-7 ist vierhebig, Vers 8 sechshebig mit deutlicher Mittelzäsur [Alexandriner]) [Zur Versart äußert sich Cuno im Vorbericht, XXVf. ("Stanzen des Tasso"), und in seinem Brief an J. Fr. Meyer vom 24.5.1760 (Seite 3 unten).] - Umfang: 1785 Strophen weitere Ausgabe: Der Messiade in Zwölf Gesängen veränderter Erster Gesang. Hamburg 1767. (64 S.) [nach Scheler, Cuno, in: Weimarisches Jahrbuch IV (1856), 201, demnach umgearbeitet in Alexandriner], Kommentar: Im autopsierten Exemplar ist vor dem Titelblatt ein auf den 5.5.1762 datiertes, hs. Widmungsschreiben an "Herrn Herrn Joh. Friedrich Meyer in Osnabrück" eingebunden; ferner liegt bei: ein hs. Brief an J. Fr. Meyer vom 24.5.1760 und, als Beilage hierzu, eine Zusammenfassung des Inhalts ("Der Messiade. Inhalt.") auf Wi engbeschriebenen Bogen. Die dortige Strophenzählung weicht vom gedruckten Text bis Gesang VIII nur geringfügig ab, die Gesänge IX-XII sind jeweils um einige Stanzen erweitert. - Teutsche Chronik auf das Jahr 1776, 53: "Leßing hat kürzlich in der Biblio-
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Bibliographie thek zu KlosterNeuburg bey Wien eine alte teutsche Meßiade gefunden. [...] Wärs doch ein alter würdiger Vorfahrer von Klopstok, der nur etwas von seinem himmelhohen Geiste und seiner tiefen Empfindung hätte! Aber wenn ein Antiquar in 400. Jahren Cunos Meßiade fände; würd' er sich wohl seines Funds freuen?"
Derschau, Christoph Friedrich von (1714-1799) Lutheriade. | Aurich, 1760. | bey Johann Gottlob Luschky, | Königl. Preuß. Ostfriesisch privilegirten | Buchhändler. Lutheriade. | Zweyter Theil. | Aurich, 1761. | bey Johann Gottlob Luschky, | Königl. Preuß. Ostfriesisch privilegirten Buchhändler. Standorte: Karlsruhe BLB: 55 A 4810; Oldenburg LB: Spr XIII, 40/253; Wolfenbüttel HAB: Lo 1044 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 12 Gesänge - weitere Ausgaben: Die Reformation, Halle 1781; Lutheriade, Aurich 1798. Kommentar: Rez. der Ausgabe 1760/61 in: NaG X (1760), 805-814 (Teü I; nach Gottsched AW XII, Nr. 768, von Gottsched); NZgS 1762, 554-555 (Teil II). Rez. der Ausgabe 1781 in: AdB L (1782), 443; AVnB VI (1781), 214. Anzeige der Ausgabe 1798 in: ALZ 1798/III, 328. - Der Titel findet sich auch in: Catalogue librorum [...] prohibitorum. Editio nova, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Wien 1776, München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/1), 188, und in: Katalog der von 1783 bis 1794 in Oesterreich von der hochlöblichen Hofbücherzensurskommission verbothenen Bücher, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Freiburg im Breisgau o. J., München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/2), 117.
Dusch, Johann Jakob (1725-1787) Der Cyprus; Ein Heldengedicht. Göttingen, bey Vict. Boßigel. 1754 kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1754, 556 (Michaelismesse). Kommentar: Im Meßkatalog, der den einzigen Nachweis des Gedichts darstellt, ist der Text innerhalb eines Anhangs angezeigt; dieser trägt die Überschrift: "Folgende Bücher, deren Titel zu spät, eingesendet worden, sind bereits fertig." Dennoch scheint die Existenz des Werks zweifelhaft. Fragment | eines großen | Gedichts von der Gesetzgebung. [In:] Drey Gedichte | von dem | Verfasser der vermischten Werke | in | verschiedenen Arten der Dichtkunst. | Tis hard to say, if greater want of skill I Appear in writing or in judging ill: | But of the two, leß dang'rous is th'offense, | To tire our Patience, than mis-lead our Sense. I Pope Ess. on Critic. | Vignette, sign.: D. J. M. van Drazowa inv: et sc: I Altona und Leipzig | in David Iversen vormals der Kortenschen Buchhandl. | 1756 [S. -78].
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Standort: München BSB: 4° P.o.germ. 42-m (Beiband 1) - Vers: paarweise gereimte Alexandriner; in alternierender Folge Paare mit weiblicher Endung in üblicher Form (u/u/u/1 u / u / u / u ) und Paare mit männlicher Endung mit zusätzlicher Senkung vor der Zäsur ( u / u / u / u | u / u / u / ) - Umfang: 380 Verse. Kommentar: Motto: A. Pope, An Essay on Criticism 1-4. - Vorrede (datiert: "Rendsburg, den 2 December 1755."), S. 8: "Das dritte [Gedicht] ist eine Zwischenfabel, und ein Fragment eines großen Gedichts. [...] Die Materie des Ganzen ist ein Stück der israelitischen Reise durch die Wüste, eine Erzehlung der Wunder in Egypten, des Ausgangs, und endlich der Gebung des Gesetzes: eine Materie, die ich für ein Heldengedicht so erhaben und würdig halte, als irgend eine andere. Ihr sehet also, daß es noch nicht zu seiner völligen Reife gelanget ist." - Rez. in: BsW 1/1 (1757), 174-180 (vgl. Dusch, Vermischte kritische und satirische Schriften, Altona 1758, Vorrede, Bl. b 3r-5v); FN XIII (1756), 339-341.
Fidler (gest. 1772) Todesdatum nach: Das gelehrte Teutschland, 3. Ausgabe, Lemgo 1776, 1459.
IOSEPH DES II. | REISE | zum König von Preussen. | EIN GEDICHT | VON | FIDLER. | WIEN, | Gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern, | kaiserl. königl. Hofdruckern und Buchhändlern. | 1771. Standort: Wien ÖNB: +38.S.30 - Vers: Hexameter - Umfang des Fragments: 1 Gesang. Kommentar: Im 'Vorbericht' (datiert: "Wien den 6ten Jenner. 1771") charakterisiert Fidler knapp die "grossesten epischen Dichter" und nennt einige über die Gattung handelnde "Kunstrichter". Die dem einzig gedruckten ersten Gesang vorangestellte Inhaltsangabe macht keine Aussage über das ganze Werk, sondern hebt so an: "Die Handlung beginnt um Mitternacht, und dauert gerade so lange, wie man in folgenden Gesängen sehen wird." Eine Fortsetzung konnte nicht nachgewiesen werden. - AdB XVII (1772), 456-457 (von Herder; abgedr. in: Herder SW V, 337): "Es rauscht und flistert lauter Bardenworte, usurpiert die ganze Topik von Hainen, Mitternacht, Geistern der Ahnen u. s. w. Der Verf. hat im Vorbericht auch die ganze Reihe Epopeendichter von Homer bis zu Voltär vorgesetzt, und dabey angemerkt, daß die meisten arm gewesen, vermuthlich, daß jeder die ofne Nische zuletzt sehen und den Namen Fidler hineinsetzten soll - wer will thue es! Wir wissen, trotz Vorberichts und Inhalts nicht, was? oder warum Fidler der Barde seine Bardenepopee von Einem Gesänge gesungen habe, und die Welt brauchte nicht einmal zu wissen, daß er gesungen habe"; AdM 1772, 76-77; DBsW VI (1771), 177-179: "Nachdem Herr Fidler Fabeln geschrieben [...], erreicht nun seine Raserey den höchsten Gipfel, den epischen. Denis und Mastalier begnügten sich Josephs Reise in Lyrischen Gesängen zu verewigen, aber Fidlers fruchtbares Genie ist daraus ein ganzes episches Gedicht zu weben im Stande, wovon er uns vorerst nur das erste Buch liefert. Dies enthält nur noch die Deliberationen über die Reise, Franzens Geist räth sie an, die Zwietracht räth davon ab, Joseph aber holt sich Rath unter den Gräbern seiner Väter. Welche neue Erfindung! Doch dies ist nichts gegen die Ausführung. Hier hat der grosse Dichter jene Regeln vollkommen erfüllt, die man seit der Erscheinung der Patriarchaden den epischen Poeten gegeben:
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'Verbanne den Wohlldang! Holpre schön! | Häuf Sätze! Schwindle! denke immer!' Man denke sich einen Cento aus Klopstock, Oßian und Fidler." Die beiden zitierten Verse beschließen das Gedicht 'Der angehende EpopeenDichter', das anonym erschienen ist in: Hamburgische Beyträge zu den Werken des Witzes und der Sittenlehre, Stück 2 (1753), 181-182; hier heißt es "denke nimmer" statt "denke immer". - Weitere zeitgenössische Stimme: Blankenburg II, 82: "Ob mehr, als dieser erste Gesang fertig geworden, weiß ich nicht; aber wohl, daß er elend gerathen ist."
Fresenius, Johann Christian Ludwig (1749-1811) DBA 343, 207-226 Nereis, in vier Gesängen. Leipzig 1776. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: DBA 343, 208 - Vers: Hexameter [nach AdB XXXII (1777), 464, und AVnB I (1776), 130; s. u.]. Kommentar: Der Erscheinungsort ist nach GV 1700-1910 XLI, 148, Frankfurt/M., nach Blankenburg II, 82, Frankfurt und Leipzig. - Rez. in: AdB XXXII (1777), 464:"[...] durch und durch sind die Hexameter äußert holprigt, die Tonmessung ist höchst vernachlässigt, die ganze Ausführung ist sehr sonderbar, daß man wohl sieht, der Verf. der manche andere gute Gaben haben mag, sollte sich mit dem Dichten nicht abgeben"; AdM 1777, 114: "Der Verfasser hat sich in einem andern Felde (als Jurist) Ruhm genug erworben, um dessentwillen man ihm leicht ein Paar Bogen leerer poetischer Prosa [!] verzeihen kann"; AVnB I (1776), 130: "Ein Gedicht in Hexametern, welches uns wenigstens sehr langweilig vorgekommen ist".
Fridelberg, Emanuel Josef Friedrich (1767-1829) Lebensdaten und Vornamen ungesichert; obige nach einer Eintragung in ein Exemplar der Ausgabe 1802 (Biberach/R. WA: 4051); DBA 347, 386-388, verzeichnet als Todesjahr 1800 und nennt keine Vornamen. KALLIDION. | Ein episches Gedicht in sieben Gesängen. | Von | Fridelberg, | Unterlieutenant bey dem ehemaligen k. k. Korps der | Wiener Freywilligen, nun bey dem k. k. Infanterie- Regimente de Ligne. | Mit einem Kupfer gezeichnet von Küninger, gestochen von John. | Wien, 1800. | In Kommission bey Wappler und Beck. Standorte: Berlin SBPK: Ym 7881; Wien ÖNB: 23.C.21 - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) - Umfang: 398 Strophen - weitere Ausgabe: Wien 1802. Kommentar: Rez. in: LZ 1800, 1145-1147; NadB LXI (1801), 92 u. 95-96: "Hr. Friedelberg hat, wie es scheint, aus seiner Romanlektüre eine nicht verächtliche Menge Reminiscenzen eingesammelt, und zu beliebigem Gebrauch in sein Gedächtniß niedergelegt. Mit Hülfe dieses Vorrathes ist es ihm gelungen, ein ziemlich buntes und abentheuerliches Mährchen zu Stande zu bringen [...]. Solche Verse nennen Leute, die nicht von allem poetischen Sinne verlassen sind, gereimte Prosa aus Gottscheds Tagen"; NTM 1800/III,
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241-242. Nach ARL 1796-1800, XIV. 2128, ferner rez. in: GgZ 1800, 349-352; U n L 1800/IV, 78.
Geßner, Georg (1764-1843) Ruth | oder | Die gekrönte häusliche Tugend. | In sechs Gesängen. | Vignette, sign.: H. Lips del. et sculp. | Zürich, | bey Ziegler und Söhne | 1795. Standort: Zürich ZB: Gal Sp 394b (1) - Vers: frei reimende Jamben mit vier bis sechs Hebungen. Kommentar: Vorrede datiert auf 7.9.1794; gewidmet an Lavater; Widmungsgedicht datiert (22.9.1794) und unterzeichnet: "Georg Gessner, Diakon an der Waisenkirche in Zürich." - Auf den Text folgen 'Historische Erläuterungen' (234-246) und 'Inhalt der Gesänge' (247-256). - Geßner plante wohl eine Überarbeitung des Textes und bemühte sich um Goethes Urteil, als dieser sich in Zürich aufhielt. Vgl. Goethe BuG IV, 378-379 (Tagebuch-Eintrag Geßners nach einem Gespräch mit Goethe über 'Ruth' vom 25.10.1797 und daran anknüpfender Brief Geßners an Goethe vom 1.11.1797; vgl. Starnes II, 521). - Rez. in: ALZ 1798/11, 742-744 (von A. W. Schlegel). Nach ARL 1791-1795, XIV. 1901. b), ferner rez. in: EgZ 1795, 807; Kritische Bibliothek der schönen Wissenschaften 1795/11, 127-133; TgA 1796, 32.
Goethe, Johann Wolfgang (1749-1832) Achilleis. [In:] Goethe's Werke. Zehnter Band. Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1808 [S. 295-322]. Standorte: s. GK Goethe 3 (G. 22) [Stand 1932] - Vers: Hexameter - Umfang des Fragments: 1 Gesang, 651 Verse - weitere Ausgaben: zeitgenössische Ausgaben s. Goethe AA Erg Bd 1 (Werkregister); neuere kritische Ausgabe mit allen Paralipomena: Goethe AA Ep 1, 281-307; 2, 305-434 (zitiert wird nach dieser Ausgabe). Kommentar: Titelaufnahme nach Goethe AA Erg Bd 1, 23; ebd. finden sich weitere Hinweise zur Erstausgabe. - Äußerungen des Dichters über sein Werk s. Gräf 1/1, 1-33 (Nr. 1-97); vgl. Mommsen, Entstehung, I, Berlin 1958, 1-17. - Rez. in: Morgenblatt für gebildete Stände II (1808), 489-490 (abgedr. in: Braun II/3,162-163). Die Geheimnisse. Ein Fragment. [In:] Goethe's Schriften. Achter Band. Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, 1789 [S. -342], Standorte: s. GK Goethe 2 (G. 13) [Stand 1932] - Vers: Stanzen (acht fünfhebige Jamben im Reimschema abababcc) - Umfang: 45 Strophen - weitere Ausgaben: zeitgenössische Ausgaben s. Goethe AA Erg Bd 1 (Werkregister); neuere kritische Ausgabe: Goethe AA Ep 1, 9-21; 2, 47-74. Kommentar: Titelaufnahme nach Goethe AA Erg Bd 1, 8; 10; ebd. finden sich weitere Hinweise zur Erstausgabe. - Das ursprünglich als Einleitung zu 'Die Geheimnisse' konzipierte Gedicht 'Zueignung' fand seinen Platz am Eingang von 'Goethe's Schriften' (I, XVII-XXVI; vgl. Goethe AA Erg Bd 1, 5) und
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Bibliographie eröffnet seitdem gewöhnlich Goethes Gedichtsammlungen. Gemeinsam mit dem Epenfragment wurde die 'Zueignung' in der Ausgabe Tübingen 1808 (X, 357-376) gedruckt. - Äußerungen des Dichters über sein Werk (darunter ein 1816 veröffentlichter Aufsatz über die geplante Fortsetzung) s. Graf 1/1, 50-70 (Nr. 113-146). - Rez. in: GAgS 1789, 1626-1627 (abgedr. in: Braun II/2, 48).
Taschenbuch | für | 1798. | Herrmann und Dorothea | von | J. W. von Göthe. | Berlin | bey Friedrich Vieweg dem älteren. Standorte: s. GK Goethe 142 (G. 1556-1559) [Stand 1932] - Vers: Hexameter Umfang: 9 Gesänge, 2034 Verse - weitere Ausgaben: zeitgenössische Ausgaben s. Goethe AA Erg Bd 1 (Werkregister); zahlreiche deutsch- und fremdsprachige Einzelausgaben s. GK Goethe 142-155 (G. 1556-1777); neuere kritische Ausgabe: Goethe AA Ep 1, 193-280; 2, 175-303 (zitiert wird nach dieser Ausgabe). Kommentar: Titelaufnahme nach dem Neudruck des Erstdrucks in: Goethes Werke in Form und Text ihrer Erstausgaben, VI, Berlin [1914], - Die Erstausgabe ist im Oktober 1797 erschienen; vgl. zu den verschiedenen Ausstattungen und zu den weiteren zeitgenössischen Einzelausgaben des Textes Goethe AA Erg Bd 1, 102-108. - Äußerungen des Dichters über sein Werk s. Graf 1/1, 79-199 (Nr. 163-415b). - Von den vielfältigen zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen werden hier nur dem Erscheinen des Erstdrucks unmittelbar folgende Rezensionen genannt: ALZ 1797/IV, 641-662 u. 665-668 (von A. W. Schlegel; abgedr. in: A. W. Schlegel, Sprache und Poetik, Stuttgart 1962, 42-66); NadB XLIV (1799), 29-31 (abgedr. in: Braun II/2, 328-330); NBsW LXI (1798), 230-267 (tw. abgedr. in: Braun II/2, 306-312). Nach ARL 1796-1800, XIV. 2126a, ferner rez. in: GgZ 1798/1, 5; NcN 1798, 45-47 (abgedr. in: Braun II/2, 278-280); NNgZ 1797, 785-789 (abgedr. in: Braun II/2, 265-266); TgA 1798, 274-280. Reinecke Fuchs | in zwölf Gesängen. [In:] Goethe's | neue Schriften. | Zweyter Band. | Mit Kurfürstl. Sächs. Privilegium. | Berlin. | Bei Johann Friedrich Unger. | 1794 [S. -491], Standort: Heidelberg UB: G 5905-6; ferner s. GK Goethe 3 (G. 17) [Stand 1932] - Vers: Hexameter - Umfang: 4312 Verse - weitere Ausgaben: zeitgenössische Ausgaben s. Goethe AA Erg Bd 1 (Werkregister); neuere kritische Ausgabe: Goethe AA Ep 1, 23-192; 2, 75-174. Kommentar: Die erste Einzelausgabe des Textes ist erst 1822 erschienen und wurde aus unverkauften Exemplaren früherer unselbständiger Ausgaben hergestellt (vgl. Goethe AA Erg Bd 1, 12-14). - Das Problem der Gattungszugehörigkeit und die Frage, ob es sich um ein eigenständiges Werk Goethes handelt, beantwortet dieser gewissermaßen selbst, indem er den Text in seinen von ihm selbst veranstalteten Werkausgaben seit 1808 in einem Band mit seinen Epen 'Achilleis' und 'Hermann und Dorothea' vereinigt. - Äußerungen des Dichters über sein Werk s. Gräf 1/1, 248-278 (Nr. 491-534e). Rez. in: ALZ 1804/IV, 721-723 (abgedr. in: Braun II/3, 94-97); GAgS 1795, 1177; Morgenblatt für gebildete Stände II (1808), 489-490 (abgedr. in: Braun II/3, 161-162); NadB XVII (1795), 311-317 (tw. abgedr. in: Braun II/2, 220); NBsW LIV (1795), 243-274 (abgedr. in: Braun II/2, 199-219); OaLz 1794/11,
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422-424 (abgedr. in: Braun II/2, 151-152). Zwei weitere Rez. (NNgZ, 29.7.1794; TgA, 4.9.1794) sind abgedr. in: Braun II/2, 150-151 u. 153-155.
Gottsched, Johann Christoph (1700-1766) Ottokar, oder das ersiegte Preußen. Ein Heldengedicht [I. Buch. In:] Der | Königlichen deutschen Gesellschaft | in Königsberg | Eigene Schriften | in | ungebundener und gebundener | Schreibart. | Erste Sammlung. I Vignette | Königsberg | bey Johann Heinrich Härtung. 1754 [S. 32-48]. Standort: Göttingen NSuUB: 8° Scr. var. arg. III 1350 - Vers: paarweise gereimte trochäische Tetrameter - Umfang: 458 Verse. Kommentar: Gottscheds Autorschaft an diesem Heldengedicht, das wie alle anderen Stücke der Sammlung anonym erschienen ist, geht eindeutig aus seinem Brief an Cölestin Christian Flottwell, den Mitbegründer der Königsberger Deutschen Gesellschaft, vom 3.5.1752 hervor: "Ich schicke zu dem Ende [zur Drucklegung] noch das 1. Buch meines Ottokars mit" (zitiert nach Krause, Gottsched und Flottwell, Leipzig 1893, 248; demnach hat Flottwell wiederholt und zuletzt am 22.6.1756 um die Vollendung des Werks gebeten, die jedoch nicht erfolgte; vgl. ebd. 71, 114 u. 214). Der Titel findet sich gleichwohl nicht in der Bibliographie der Werke Gottscheds in: Gottsched AW XII. - Innerhalb der Rez. der Sammlung in NaG wird auf das "Heldengedicht, davon hier nur das I. Buch steht", ausführlich eingegangen (586-591); u. a. heißt es: "Man sieht aus dem Inhalte, daß es diejenige That besingen soll, da König Ottokar von Böhmen itzo vor 500. Jahren, mit einem Heere von 60000. Mann dem deutschen Orden zu Hülfe gezogen, die Provinz Samland zu bezwingen, und also das ganze Land dem Orden zu unterwerfen. [...] Ueberhaupt sieht man, daß die heutige Verderbniß der epischen Gedichte dieses Stück noch nicht angesteckt hat; welches auf der Bahn der virgilischen Schreibart einhergeht: ob es gleich einen halbandächtigen oder christlichen Feldzug besingt, wie Tasso in seinem befreyten Jerusalem."
Grevenitz, Friedrich August von (1730-1809) DBA 420, 303-306 BRENNUS | EIN | G E D I C H T | in sechs Gesängen | mit Kupfern. | Vignette | Que ma Muse en ces Vers vous trace les tableaux | De toutes les vertus qui forment les Heros | Oeuvres du Philosophe | de Sanssouci. Pag. 251. I BRESLAU | Bei Gottlieb Löwe, 1781. Standorte: Heidelberg GS: T3105sekr.; München BSB: P.o.germ. 520h Vers: Stanzen (sechs jambische Versen mit vier Hebungen, Reimschema aabccb); daneben im 4. und 6. Gesang vierzeilige Liedstrophen mit trochäischen Versen - Umfang: 300 Strophen. Kommentar: Motto: Friedrich II., König von Preußen, L'art de la guerre 1/11-12. - Verf. kündigt in der Vorrede (4), bei entsprechendem Wunsch des Publikums eine Fortsetzung an. Eine solche war nicht nachzuweisen. - Zu
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Bibliographie seinem Versmaß bemerkt Verf. in der Vorrede, 4: "Die Stanzen in welchen Haller die Ode über die Ehre geschrieben, schienen mir zum Ausdruck des Erhabenen fähig zu sein," und nennt ferner Hagedorn als formales Vorbild. Rez. in: AdB Anhang zu XXXVII-LII (1785), 1506-1508.
Günderrode, Philipp Maximilian Freiherr von (geb. 1745) DBA 435,155-156 HOLM, genannt Salome, Ostermesse 1783. in der Buchhandlung der Gelehrten. gedruckt in Offenbach mit Weißischen Schriften. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: GV 1700-1910 LII, 125 - Vers: frei reimende Jamben mit wechselnder Hebungszahl - Umfang: 7 Bücher (128 S.) - weitere Ausgabe: Des ehrbaren und tugendsamen Ritters Holm, genannt Salomo, Liebes- und Heldengeschichte in sieben Büchern besungen, Offenbach 1785. Kommentar: Rez. der Ausgabe 1785 in: Neue Leipziger gelehrte Zeitungen 1786, 52. St. v. 4.5.1786, 824-827. Die Rez., die den Anfang und eine weitere Passage zitiert, nennt das von "Wieland und Nicolai" gepflegte "romantische Heldengedicht" als Vorbild und bezeichnet das Werk als "Rittererzählung" sowie als "kleine[s] epische[s] Gedicht". "So wohl bey den handelnden Personen und dem Inhalte selbst, als auch in dem Vortrage hat der Dichter Ernst und Munterkeit, Würde und Scherz, Feyerlichkeit und Laune mit einander zu verbinden gesucht" (825).
Halem, Gerhard Anton von (1752-1819) Gustav Adolf. Erster Gesang. An Gleim. [In:] Deutsches Museum. | Erster Band. | Januar bis Junius. | 1786. | Leipzig, | in der Weygandschen Buchhandlung [S. -497], Standort: Heidelberg UB: Η 338 - Vers: Hexameter - Umfang: 348 Verse. Kommentar: In der Vorrede (datiert und unterzeichnet: "Oldenburg 1786. März 16. v. Halem.") charakterisiert der Autor sein Werk als den Versuch eines heroischen Epos: "Hat die neuere Zeit noch eine Begebenheit, die durch Gegenstand, Ausführung und Folgen wichtig, die epische Muse zur Feier zu wecken vermag, so ist's der deutsche Zug Gustav Adolfs. Nach Hermanns That wüßt' ich keine, die für Deutschland mehr Nazionalinteresse hätte, als eben sie. [...] Verträgt aber auch die neuere Geschichte epische Behandlung? Ich wolte mir das durch eignen Versuch beantworten." Vgl. Briefe Halem 34 (von Boie, 15.5.1786); 38 (von Voß, 20.7.1786). - Bereits in der Jahrhundertmitte hatte Gottsched gewünscht, "daß sich eine gute poetische Feder an das heldenmüthige Ende des unsterblichen Gustav Adolf mache" (so - ohne näheren Hinweis - Waniek, Gottsched, Leipzig 1897, 491). - Versdichtungen Haiems mit geringerem Anspruch sind in VII. 4 verzeichnet.
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Heinse, Johann Jakob Wilhelm (1746-1803) [Fragment eines Heldengedichts in Stanzen. Anfang des 5. Gesangs. In:] Laidion | oder | die Eleusinischen | Geheimnisse | Vignette, sign.: CGGeyser fee | Es ist immer das beßte, die Wahrheit zu sagen: | ohne Wahrheit kann man nicht ruhig leben. | Menander. | Erster Theil. | Lemgo | in der Meyerschen Buchhandlung 1774 [S. -464], Standorte: München BSB: Rar. 469 - Vers: strenge Stanzen - Umfang: 50 Strophen - weitere Ausgaben: Lemgo 1799; Heinse, Sämmtliche Werke, III/l, Leipzig 1906,195-214. Kommentar: In der Vorrede zum Anhang heißt es: "Im vorigen Sommer übersendete mir der Verfasser der Eleus. Geh. den ersten Gesang eines von ihm angefangenen Heldengedichts, das deren zwanzig haben sollte. [...] Der Verfasser hatte [...] die regelmäßige Form der italienischen Stanze, mit fünf weiblichen Reimen, dazu gewählt [...]. Nichts destoweniger erhielt ich vor einigen Wochen schon die erste Hälfte des fünften Gesangs von ihm. [...] Ich lasse den Anfang des fünften Gesangs seines Gedichts an seine Laidion drucken, damit ihm die Kenner ihr Urtheil darüber sagen mögen. Die Scenen darinnen sind in die Zeiten Alexanders des Großen verlegt. Erst nach zehn Jahren soll das Ganze erscheinen, oder weiter nichts davon, als diese Stanzen, von welchen die ersten vierzig die einzigen ihrer Art im Ganzen seyn würden. Im Februar 1774. Der Herausgeber" (439-442). Tatsächlich hat Heinse sein Gedicht nicht vollendet. Vor der Veröffentlichung im Anhang seines Romans hatte Heinse die ersten 42 Stanzen seines Fragments an Wieland gesandt, der es - auch Gleim gegenüber - heftig ablehnte (vgl. Wieland BW V, Nr. 224, 63-79; Nr. 225; Nr. 235, 2-73; Nr. 241,10-11; Nr. 242, 59-91 u. 110-119; die meisten dieser Briefe und weitere Zeugnisse finden sich auch in den Bänden IX u, X der zitierten Heinse-Ausgabe; s. Register s. v. 'Stanzen'). Einige der zahlreichen Änderungen gegenüber der Handschrift und Auslassungen im Text gehen wohl auf Wielands Kritik zurück. - Diese und weitere zeitgenössische Stimmen finden sich bei: A. Leitzmann, Wilhelm Heinse in Zeugnissen seiner Zeitgenossen, Jena 1938 (Jenaer Germanistische Forschungen. XXXI), 1-4; 7; 8; 10; 11. Vgl. ferner: TM 1774/III, 350-351; Wieland 1983,134.
Hermstädt, Johann Adolf DBA 523,110-112: erwähnt 2. H. 18. Jh. Kaiserliche | Heldengedichte. Nebst | einem Anhange | über die Juden als Kriegsknechte. | Vignette | Von | Johann Adolph Hermstädt. | Hessen-Rotenburg, | 1790. Standorte: Berlin SBPK: Ym 5866; Coburg LB: D111/37 - Vers: unterschiedliche Strophenformen. Kommentar: Das Coburger Exemplar enthält ein hs. Widmungsgedicht des Verfassers (datiert 12.7.1790). - Das Widmungsschreiben Hermstädts (datiert auf den 15.11.1789) gibt Auskunft über den Inhalt der Sammlung: "Ein armer Buchhändler [...] legt hier Ew. Kaiserl. Königl. und Apostol. Majestät einige
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von ihm selbst und von andern verfertigte deutsche, französische und lateinische Heldengedichte über die wichtigen Fortschritte des römischen Adlers in dem Gebiete der ungläubigen Türken und über die Ausbreitung des Ruhms der deutschen Tapferkeit allerunterthänigst zu Füssen" (Bl. A 3r/v). Unter der Überschrift 'Kaiserliche Heldengedichte' werden 23 deutschsprachige Gedichte zu Themen aus dem genannten Bereich zusammengefaßt (S. 15-126). Ein darüber hinausgehender Zusammenhang oder eine strenge inhaltliche Abfolge ist nicht festzustellen. Vielmehr finden sich Rollengedichte mit gekrönten Protagonisten, Siegeslieder, poetische Beschreibungen einzelner Kriegshandlungen u. ä. in freier Anordnung. Im 'Anhang über die Juden' (S. 127-144) folgen drei Gedichte meist diffamierenden Tons. Die 'Carmina gallica et latina heroica' (S. 145-159) enthalten gleichfalls drei Gedichte (in lateinischer und französischer Sprache) und daneben einige lateinische Epigramme. Ein Gedicht 'An den Kunstrichter' (S. 160) beschließt die Sammlung. - Ein in KFLB 1790, 231 (Michaelismesse), angekündigter ("Werden fortgesetzt") und in KFLB 1791, 239 (Michaelismesse), angezeigter "2r Theil" war nicht nachzuweisen.
Hess, Johann Jakob (1741-1828) Der | TOD MOSES. | Ein Gedicht. | Dem Herrn J. C. Hessen, Pastor zu N " . | zugeeignet. | Zürich, | bey Füeßlin und Compagnie, | 1767. Standort: Zürich ZB: WD 214 (3) - Vers: Hexameter - Umfang: 884 Verse. Kommentar: Rez. in: DBsW 1/2 (1767), 158-159: "Dieses Gedichte ist denen sehr ähnlich, welche ehemals die Schweiz in grosser Menge hervorbrachte. Daß es in Hexametern abgefaßt sey, versteht sich. Allein nur der Verf. muß das Geheimniß besitzen, sie zu scandiren." Nach Baechtold 187 (Anm.) ferner rez. in: Ausführliche [zeitweise: Vollständige] und kritische Nachrichten von den besten und merkwürdigsten Schriften unserer Zeit nebst andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen XVII (1768), 90. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Zehnder 524-525; 529.
Hudemann, Ludwig Friedrich (1703-1770) Der | Großmüthige | Friederich | der dritte, | König zu Dännemark, etc. | in einem Heldengedichte | entworfen | von | D. Ludewig Friederich Hudemann, | der deutschen Gesellschaft zu Leipzig, wie auch der königlichen deutschen | Gesellschaft zu Greifswalde, Mitgliede. | Vignette, sign.: J. Haas. del. et. sculps. Hamb. | Altona und Flensburg, j bey den Gebrüdern Körte. 1750. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 6945; München BSB: P.o.germ. 655m; Stuttgart WLB: Acad. oct. 155-1 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 10 Bücher - Vorabdruck in: Hamburgische Berichte von neuen gelehrten Sachen 1737, 653-654 [nach DBA 575, 265], Kommentar: Nach Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 117, hatte Hudemann mit Schreiben vom 14.12.1735 Gottsched "den Plan zu einem Heldengedichte" (nach Waniek, Gottsched, Leipzig 1897, 490, "die beiden
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ersten Gesänge seines 'Friedrich der Großmüthige'") vorgelegt. Zum Vorabdruck von 1737 vgl. den Beginn von Hudemann Vorrede zum vollständigen Text: "Nunmehro überliefere ich dir hiemit dasjenige Gedicht, dessen Herausgabe schon vor einigen Jahren die hamburgischen gelehrten Berichte, mit Darlegung einer Probe aus demselben, angekündiget haben." Er habe "die bekannte Regel des römischen Dichters: nonumque prematur in annum" (Horaz, De arte poetica 388) beherzigt und "mit einer Zugabe von dreyen Jahren" erweitert. - Weitere Hinweise nach DBA 575, 265: Rez. oder Anzeige in: Gelehrte Neuigkeiten I (1749), 180 (demnach ist das Werk auf 1750 vordatiert); Beschreibung der "Devisen, die er auf dem Titelblatte der Dedicationsexemplare an den König etc. mit der Feder in Tusch gezeichnet hatte," in: Gelehrte Neuigkeiten II (1750), 324-327 u. 339-340. - Auf dieses Werk bezieht sich Gottsched am Ende seiner Vorrede zu Schönaichs 'Hermann' (Ausgabe 1751, S. XVIII):"[...] hat gleich ein gelehrter Mann und geschickter Dichter, vor einiger Zeit, auf einen dänischen Helden ein dergleichen Gedicht geliefert; dem ich seinen Werth nicht absprechen will: so ist doch selbiges um eben der Ursache willen, mehr für ein Dänisches, als für ein Deutsches Werk zu achten; da es zwar jene, aber nicht diese Völker eigentlich angeht, oder durch seinen Inhalt zu gewinnen geschickt ist." Vgl. Gottsched AW VI/3, 23. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Haller, Gedichte, Frauenfeld 1882, 358; Klopstock HKA, Briefe II, Nr. 111, 38; 56. Lucifer | ein | episches Gedicht | verfertiget | von | D. Ludewig Friederich Hudemann | Mitglied der deutschen Gesellschaften in Leipzig und | Greifswalde, und Ehrenmitglied der göttingschen | Vignette | Bützow und Wismar | bey Joh. Andr. Berger und Joh. Jac. Boedner | 1765 Standort: Wolfenbüttel HAB: Lo 3340 (1) - Vers: Hexameter - Umfang: 12 Gesänge. Kommentar: Rez. in: AdB XII (1770), 287: "Der .Lucifer muß wirklich den Hrn. D. Hudemann regieret haben, daß er noch nicht aufhört Verse zu machen, da er doch schon so oft durch seine Verse beynahe ein Kindergespötte worden. Durch den Lucifer will Hr. H. mit Klopstocken [...] wetteifern"; SHA 1767, 102 u. 177-182 (nach DBA 575, 266-267; vgl. die zu Hudemanns 'Messias' genannten Rez.). - Weitere zeitgenössische Stimmen: Bibliothek der elenden Scribenten I (1768), Bl. Β 3r: "Namen der Herren Pränumeranten [...] Hr. Lucifer, Verfasser des Hudemanns" (zitiert in: DBsW II (1768), 553-554); Herder SW I, 273 ('Ueber die neuere Deutsche Litteratur'); Museum der elenden Scribenten 1769, 33: "Bey dem feyerlichen Leichenbegängnisse [...] wurde [...] eine sehr schöne Trauermusik aufgeführet. Der Text hierzu ist von einigen berühmten Dichtern, Herrn von Petrasch, Hudemann, und Lucifer, Μ. Engel in Leipzig, und Herrn Conrector Fischer eben daselbst, gemeinschaftlich aufgesetzet worden. Wir theilen sie unsern Lesern, nicht ohne Empfindung der Traurigkeit mit"; Riedel, Briefe 99. Der auferstandene | Messias, | ein episches Gedicht, | verfertigt | von | D. Ludewig Friederich Hudemann, | Mitglied der deutschen Gesellschaften in Leipzig und Greifs- | wald, wie auch Ehrenmitglied der göttingschen. | Vignette | Glückstadt, | Gedruckt und verlegt, bey sei. Joh. Jacob Babst | Wittwe, und Sohn. 1767.
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Standort: Hamburg SUB: A/302329; A/13199 - Vers: Hexameter - Umfang: 13 Gesänge, 2559 Verse. Kommentar: Lobende Rez. in: SHA 1767, 102-108 (hierzu äußert sich Hudemann in SHA 1767,177-182: 'Über eine Recension seines Lucifers und seines Messias'); gegen die 'Messias'-Rezension richtet sich Gerstenbergs Rez. in: HnZ 1767/LXV (abgedr. in: Gerstenberg 11-15); dagegen Hudemanns Ankündigung einer Antwort in: HnZ 1767/XCVI (mit abfälligem Kommentar des Hrsg.; gemeinsam abgedr. in: Gerstenberg XVI-XVII); Entgegnung des Rez. der SHA in: SHA 1767, 421-424; Entgegnung Hudemanns in: SHA 1767, 469-474 u. 481-488. Die Seitenangaben folgen ζ. T. DBA 575, 267; dort findet sich ein Hinweis auf weitere Rez. in: Altonaischer gelehrter Mercurius 1767/11, 81-83 u. 88. - Vgl. ferner Hudemann, Kurzer Entwurf der echten Eigenschaften einer geistlichen Epopöe, in: SHA 1767, 519-524 (nach DBA 575, 267). - Vgl. Gerstenberg XVI-XVIII (Hinweise auf weitere Auslassungen Gerstenbergs gegen Hudemann).
Imhof, Amalie von (1776-1831) Seit 1803: A. v. Helvig; unter diesem Namen in ADB Abdallah und Baisora. Ein Gedicht in sechs Gesängen. [In:] Die Hören | eine Monatsschrift | herausgegeben von Schiller. | Eilfter Band. | Tübingen | in der J. G. Cottaischen Buchhandlung | 1797 [Achtes Stück. S. 65-108], Standort: Marbach/N. DLA: Cotta'sche Handschriftensammlung - Vers: Stanzen (8 jambische Verse mit alternierend drei und vier Hebungen im Reimschema ababcdcd) - Umfang: 155 Strophen - weitere Ausgabe: reprographischer Nachdruck der zitierten Ausgabe, Darmstadt 1959, 781-824. Kommentar: Die Titelaufnahme erfolgte nach dem reprographischen Nachdruck des angegebenen Exemplars (Darmstadt 1959). Erläuternde Hinweise finden sich im Supplementband des Nachdrucks: Die Hören. Einführung und Kommentar von P. Raabe, Darmstadt 1959, 97. Die | Schwestern von Lesbos. [In:] Musen-Almanach | für | das Jahr 1800. | herausgegeben | von | Schiller. | Tübingen, | in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung [S. -182], Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. 12853; München BSB: P.o.germ. 979d - Vers: Hexameter - Umfang: 6 Gesänge - weitere Ausgaben: Frankfurt/M. 1801 (einzeln); Heidelberg 1833 (einzeln); Hildesheim 1969 (Nachdruck des 'Musen-Almanachs'). Kommentar: Im 'Verzeichniss der Gedichte' am Ende des Bands heißt es: "Die Schwestern von Lesbos. In sechs Gesängen, von A. v. I." - Rez. in: NadB LVII (1801), 65-67: "Man erkennt in dem Reichthum an Reflexionen, die in das Ganze verwebt sind, leicht das Urbild, das der Dichterinn vorschwebte"; LZ 1800, 309. Nach ARL 1796-1800, XIV. 543, ist der 'Musen-Almanach' ferner rez. in: GgZ 1800, 39-40; NNgZ 1799, 793-797; TgA 1800, 2; Würzburger gelehrte Anzeigen 1800, 13 u. 15. Einzelausgabe 1801 rez. in: NadB LXXIII (1802), 306: "Edle Einfalt in der Anordnung des Planes, zarte Weiblichkeit in der Enthüllung der Charaktere, blühende Phantasie in der Schil-
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derung der Natur- und Familienszenen, feiner Takt in den eingestreuten Reflexionen und schön poetische Sprache, sind die allgemein anerkannten Eigentümlichkeiten dieses reizenden Gedichtes. Gewiß besitzt es jeder geschmackvolle Leser, und hat ihm schon längst in seiner Bibliothek neben Voß Luise und Göthens Hermann und Dorothea seine verdiente Stelle eingeräumt." - Weitere zeitgenössische Stimmen: Chronik des Wiener GoetheVereins XXXVI (1930), 29 (Böttiger an Hammer, 14.10.1799): "Die zwei Schwestern von Lesbos, das schöne, in rein altgriechischem Geiste empfangene und gedichtete Epos unserer Amalie von Imhoff"; Schiller ΝΑ XXX, 39; 51; 53; 74-75; 84; 87; 109; XXXVII/1, 238; XXXVIII/1, 55; 94-96; 146; 148; 150.
Jenisch, Daniel (1762-1804) DBA 604, 248-268; 886, 349
BORUSSIAS | IN | ZWÖLF GESÄNGEN. | ERSTER BAND. | I-VI. Gesang. | Arma virumque cano. | VIRG. | BERLIN, 1794. | bey Christian Friedrich Himburg. BORUSSIAS | IN | ZWÖLF GESÄNGEN. | ZWEYTER BAND. | VII-XII. Gesang. | Arma virumque cano. | VIRG. | BERLIN, 1794. j bey Christian Friedrich Himburg. Standorte: Bayreuth UB: 20/G5041074; Berlin DSB: Ym 6836a; Neuburg SB: 8 P. germ. 272 - Vers: Hexameter - Umfang: 9215 Verse - Vorabdrucke in: Berlinisches Journal für Aufklärung V (1789), 246-264 u. VI (1790), 43-64: Friedrich, der große Mann seines Jahrhunderts. Ein lyrisches Gedicht in vier Gesängen vom Herrn Prediger Jenisch [zunächst als selbständiges strophisches Gedicht mit insgesamt 102 vierzeiligen Strophen veröffentlicht, dann in die 'Borussias' aufgenommen (XI/435-842; II, 284-306)]; NTM 1790/11, 276-298 u. 329-348: Probe eines Heldengedichts, Borussias, oder der siebenjährige Krieg, in acht Gesängen. Arma, Virumque cano [279-298 = 1/1-361 (I, 3-29); 329-342 weitgehend nicht übernommen; 342-348 = 11/352-450 (I, 98-104); vgl. Kap. V, Anm. 71]; Berlinische Monatsschrift XVII (1791), 213-224: Friedrichs Traumgesicht nach der unglücklichen Schlacht bei Kollin. Eine Episode aus dem epischen Gedicht Borussias [= III/406-527 (I, 152-161)]; NTM 1792/11, 404-428: Der Borußias Eüfter Gesang. Friedrichs Character und Thaten, in einer Erzählung des alten Lehrers Friedrichs II, an Peter, nachmaligen Kaiser von Rußland [= XI/1-434 (II, 252-284)]; Neue Thalia III (1793), 286-297: Die Aussichten des verklärten Kleists in die Schöpfung oder achter und neunter Gesang der Borussias [VIII u. IX/Inhaltsangabe - VIII/1-59 (II, 61-65) - Χ/1-32 (II, 216-218)]; Neue Thalia III (1793), 297-319: Fragment aus dem siebenten Gesänge der Borussias. Friedrichs beschlossener Selbstmord, nach der unglücklichen Schlacht bey Kunersdorf [= VII/516-743 (II, 40-56)]; Berlinische Monatsschrift XXII (1793), 555-564: Familiengemälde der Menschheit; aus der Borussias. [...] [556-559:] I. Gemälde eines, nach geendigtem Kriege, in den Schooß der Seinigen wiederkehrenden Generals. Aus dem 12ten Gesang [= XII/512-554 (II, 345-348)]. [559-561:] II. Eine wahre Anekdote aus der Geschichte des siebenjährigen Krieges bei Gelegenheit der Russischen Verwüstungen in dem
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Bibliographie Königreich Preußen. Aus dem 5ten Gesang [= V/199-228 (I, 234-236)]. [562-564:] III. Ein in der Schlacht bei Leuthen gefallener Jüngling. Aus dem 4ten Gesang [nicht in den 4. Gesang übernommen, sondern in 11/566-588 verarbeitet (I, 114-116)]; NTM 1794/1, 217-234: Das veredelte Menschengeschlecht. Fragment aus dem IX. Gesang der Borußias. Ein profetisches Gesicht des verklärten Kleist [= IX/946-1205 (II, 196-215)]. (Die vorabgedruckten Passagen weisen gegenüber ihrer Gestalt im vollendeten Epos, deren Position hier jeweils in Gesang/Vers sowie in Band, Seite angegeben ist, ζ. T. erhebliche Varianten auf.) Kommentar: Im Anhang (II, 367-382) finden sich: Anmerkungen von dem verstorbenen Professor Moriz (wieder in: Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Tübingen 1962, 330-339). - Zum Vorabdruck in NTM 1790 äußert sich Wieland in: NTM 1790/III, 93-103: Briefe über Litterarische und andere Gegenstände. 6. An Herrn ***. Ueber die neulich mitgetheilten Proben einer Borussias. (Vgl. Starnes II, 205; 206; 212) - Zum Vorabdruck in NTM 1792 äußert sich Wieland in: NTM 1792/11, 428-437: Einige Anmerkungen des Herausgebers zu vorstehender Probe des Borussias. (Vgl. Starnes II, 271; 272) - Vgl. Schiller ΝΑ I, 342 (Xenien 268 u. 269); ferner möglicherweise ebd. I I / l , 89 (Xenion 536). - Rez. in: NadB XXVI (1796), 334-340. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Athenaeum II (1799), 332-333; Briefe von und an Klopstock, Braunschweig 1867, 421 (Herder an Klopstock, 5.12.1799): "Kurz, der Mensch [Jenisch] ist keinen Andenkens, geschweige einer Erwähnung werth; er ist auch der Dichter der Borussias, des großen Heldengedichts in zwei Octav Bänden, das Niemand gelesen hat als der Verfasser"; Starnes II, 323; 335; 383.
Kipp, Georg Melchior DBA 650, 111: erwähnt 1787 Der | Messias | in | fünf Gesängen, | von | Georg Melchior Kipp. | Vignette | Speier, | gedrukt mit Enderesischen Schriften. | 1791. Standort: Münster UB: 1 Ε 2191 - Vers: Blankvers - Umfang: Den 5 Gesängen geht ein 'Meine Muße' betiteltes Prooimion und ein 'Vorgesang' voran; das Werk umfaßt insgesamt 1799 Verse.
Kleist, Franz Alexander von (1769-1797) Die Befreyung von Malta. Erster Gesang. [In:] Deutsche | Monatsschrift. | 1790. | Januar bis April. | Erster Band. | Mit Kupfern. | Freymüthig und bescheiden. | Berlin, | bei Friedrich Vieweg dem älteren [S. 169-203]. Standorte: Frankfurt/M. StUB: S 25/125; Heidelberg UB: Η 270 - Vers: strenge Stanzen - Umfang: 104 Strophen. Kommentar: Dem Text des 1. Gesangs geht S. 165 eine das geplante, aber nicht zur Vollendung gelangte Werk bezeichnende Überschrift ("Die Befreyung von Malta. Ein episches Gedicht in zwanzig Gesängen.") und
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S. 165-168 eine Vorrede des Hrsg. voran, die den Versuch lobt und der Aufmerksamkeit der Nation empfiehlt, deren "Gleichgültigkeit" sich "selbst um Wielands Cyrus gebracht" habe. Innerhalb der Vorrede kommt Kleist über "Inhalt, Ausführung und Plan des Gedichts" selbst zu Wort. Er nennt "die Belagerung von Malta durch die Türken im Jahre 1565" als Stoff, begründet seine Entscheidung für die strenge Stanze und spricht von einer geplanten "Ausbreitung auf wenigstens zwanzig Gesänge". Der 1. Gesang ist am Ende (S. 203) namentlich unterzeichnet: "Franz von Kleist." - In der gleichen Zeitschrift befindet sich S. 274 u. d. T. 'Zur eilften Strophe des ersten Gesangs der Eroberung von Malta' ein Gedicht von Gleim, in dem u. a. die Erinnerung an E. Chr. v. Kleist erneuert wird. - In seinem Brief an G. A. Bürger vom 19.9.1789 fragt F. A. v. Kleist, "ob ein heroisch episches Gedicht in ottave rime wohl unsrer Sprache angemeßen, und von gleicher Wirkung als der Hexameter sey?" Er konstatiert die Problematik der Stanze in deutscher Sprache, neigt aber dennoch zu dieser (Briefe Bürger III, 294-295).
Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803) D e r Messias. [Gesang I-III. In:] Neue Beyträge | zum | Vergnügen | des | Verstandes und Witzes. | Vignette | Vierter Band, viertes u n d fünftes Stück. | B r e m e n und Leipzig, | Verlegts Nathanael Saurmann. | 1748 [S. -378]. D e r | Messias. | Vignette, sign.: J. C. G. Fritzsch. sc: | Erster Band. | Mit Königl. Pohln. und Churf. Sächs. Königl. Preußischen | und Churf. Brandenburgischen allergnädigsten Privilegien. | Halle, im Magdeburgischen | Verlegt von Carl H e r r m a n n H e m m e r d e , | 1751. D e r | Messias | Zweyter Band | Koppenhagen | 1755. D e r | Messias | Dritter Band. | Kopenhagen | 1768. D e r | Messias. | Vignette, sign.: J. D. Philippin geb: Sysangin sc. | Vierter Band. | Mit Königl. Preußischen und Churf. Sächsischen allergnädigsten | und gnädigsten Privilegien. | Halle, im Magdeburgischen. | Verlegt von Carl H e r m a n n H e m m e r d e , | 1773. Standorte: s. Klopstock HKA, Addenda III, Nr. 2909, 2914, 2918/19, 2992, 2999 - Vers: Hexameter; im 20. Gesang daneben Strophen in unterschiedlichen Versmaßen - Umfang: 20 Gesänge, 19299 Verse [Altonaer Ausgabe 1780] - weitere Ausgaben: Drucke bis zum Jahre 1821 s. Klopstock HKA, Addenda III, Nr. 2909-3084. Kommentar: Es wurden (den Angaben in Klopstock HKA, Addenda III folgend) die jeweils ersten Ausgaben der einzelnen Teile (mit Ausnahme der vorab veröffentlichten Fragmente aus dem 18. bis 20. Gesang: Klopstock HKA, Addenda III, Nr. 2926, 2931-2970, 2975-2991) aufgenommen; detaillierte Angaben zu Datierung etc. s. Klopstock HKA, Addenda III. Nach Klopstock HKA, Addenda I, S. VII, wird innerhalb dieser Ausgabe ein "Dokumentenband 'Zeugnisse zur Wirkungsgeschichte Klopstocks'" erscheinen; einstweilen kann auf die bislang vollständigsten Zusammenstellungen
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von Wirkungszeugnissen im weiten Sinne (Rezensionen, Erläuterungsschriften, Übersetzungen, Nachahmungen, Widmungsgedichte etc.) verwiesen werden: Thiess, Klopstock, Altona 1805, 38-112; Jördens III, 28-40 u. VI, 405-406; Lexikon der hamburgischen Schriftsteller, IV, Hamburg 1858-1866, 15-31 (wieder in: DBA 665, 160-181); Goedeke IV/1, 164-169 u. 1113; Großer, Der Junge Klopstock im Urteil seiner Zeit, Würzburg 1937. Einige zeitgenössische Abhandlungen zum 'Messias' verzeichnet Klopstock HKA, Addenda I, 1636-1657; ζ. Τ. ungedruckte briefliche Rezeptionszeugnisse der Zeit von 1747 bis 1756 finden sich in: Klopstock, Der Messias. Gesang I-III, Stuttgart 1986, 168-208.
Koch, Georg Heinrich August (gest. 1773) DBA 676, 27-28 Der | Guelphe | im | Schlachtfelde bey Minden | ein | Episches Gedicht. | von | Georg Heinrich August Koch. | Braunschweig, 1768. Standorte: Wolfenbüttel HAB: Lo 3866; Lo 3867 - Vers: frei reimende Jamben mit ein bis sechs Hebungen - Umfang: 4 Gesänge, 975 Verse. Kommentar: Rez. in: AdB Anhang zu I-XII (1771), 641-642: "Der Held dieses Gedichts ist der Herzog Ferdinand von Braunschweig. Es sind vier Gesänge voll seichter, matter, oft schwülstiger und sinnloser Recitatiwerse, die kaum eine Kritick verdienen. Keine Spur von einem epischen Gedichte, kein Plan, kein epischer Ton, wenn gleich der Verf. die Ewigkeiten aufbietet, ihm ihr Thor zu eröfnen, die Engel, ihm ihre Saiten zu leihen, und die ungemeßnen Sphären, sein Lied zu vernehmen. Den Ruhm seines Helden wird das dankbare Deutschland gewiß nie vergessen, aber den Gesang des Dichters"; GAgS 1769,1176 (nach Guthke 1, 65, von Haller).
König, Johann Ulrich von (1688-1744) August im Lager, | Helden-Gedicht. | Erster Gesang, | benannt: | Die Einhohlung. j Sr. Königlichen Majestät in Preussen | allerunterthänigst gewiedmet. | - - - Exempla parabis, | Magna geres, dignosque etiamnum heiliger actus | poscit Avus. - - STATIVS. Sylv. L. IV. S. IV. v. 71. | Mit Königl. Pohln. und Churfl. Sächs. allergn. Freyheit. | DRESDEN, | Gedruckt bey Johann Wilhelm Harpetern. | 1731. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 4430; Zürich ZB: Gal Ch 37 (2) - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 1052 Verse - weitere Ausgabe in: Königs Gedichte, Dresden 1745, 188-243 (zitiert wird nach dieser Ausgabe). Kommentar: Zum Gesamtplan des Fragment gebliebenen Werks vgl. den mit "J. U. König" unterzeichneten 'Vorbericht': "Hier erscheinet das erste Stücke meines grossen Gedichts auf das Chur-Sächs. Lager. Von den folgenden Gesängen, deren noch verschiedene sind, wird jeder auch seine besondere Benennung bekommen, und der zweite, die Musterung; der dritte, die Kriegs-Ubungen; der vierte, die Kriegs-Handlungen; der fünffte, die Lust-
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barkeiten; der sechste, die Scheidung und so weiter vorstellen, nachdem die Haupt-Einrichtung des ganzen Gedichts mehr oder weniger Eintheilungen in der Ausarbeitung erfordern möchte." - Im Anhang der Ausgabe 1745 wird von zwei fremden Autoren von 'August im Lager' gehandelt: 'Herrn Surlands Gedicht auf den Herrn Hofrath, als er, das Lager zu Radewitz in einem Heldengedichte zu beschreiben, begriffen war' (S. 610); 'Schreiben der Jungfer Zäunemännin' (S. 644-645). - Rez. der Ausgabe 1731 in: DAE CLXIII (1731), 505-517. Nach DBA 682, 401, vgl. ferner: Niedersächsische Nachrichten von gelehrten neuen Sachen 1731, 605-607 ("wo eine Probe daraus") u. 625-627 ("Gedicht darauf von Jk. F. Lamprecht"). - Rez. der Ausgabe 1745 (ohne explizite Bezugnahme auf 'August im Lager'): FN II (1745), 375-376 u. 396-399; GZgS 1745, 405-407. Nach DBA 682, 401, ferner rez. in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen Correspondenten 1746, Stück 96; Bemühungen zur Beförderung der Critik und des guten Geschmacks II (1746), 483-497. - Dokumente einer 'August im Lager' betreffenden Auseinandersetzung zwischen dem Dichter und Graf Manteufel drucken Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 27-28, und Rosenmüller, König, Leipzig-Reudnitz 1896, 123-126. - Zitate aus dem Werk bzw. Erörterungen zu 'August im Lager' bei den Schweizern: Bodmer, Kritische Betrachtungen, Frankfurt 1971, 151; 168; 178; 233-234; 309; Bodmer, Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883, 21-22 (Charakter der Teutschen Gedichte, 547-570; V. 559 hieraus zitiert: Schönaich NeoWb 323); 75 u. 83-85 (Untergang der berühmten Namen, 1, 18-22 u. zugehörige "Erldärungen" Bodmers); Breitinger, Critische Abhandlung, Stuttgart 1967, 17-18; 19; 20; 26; 29; 34-35; 47-49; 54-56; 347-357; Breitinger, Critische Dichtkunst, Stuttgart 1966, I, 152-154; 348-376 ('Ob die Schrift August im Lager ein Gedicht sey'; den Schluß des Kapitels bildet ein Gedicht Bodmers, das u. d. T. 'Eingang zu Königs Gedicht auf das Lager' abgedr. ist in: Bodmer, Critische Lobgedichte und Elegien, Zürich 1747, 76-78); 404-405; II, 265-266; 269; 273. - Weitere Stimmen: Critischer Allmanach, Eisenach 1923, Bl. Β 6r; Goethe WA 1/27, 80; 82-83; Gottsched AW VI/2, 492; VI/3, 22; 123; Riedel, Briefe 88.
Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von (1769-1819) Theodebald und Amelinde, eine Geschichte aus dem fünften Jahrhundert in neun Gesängen. [In:] Er und Sie | Vier romantische Gedichte. | Eisenach, | bey Johann Georg Ernst Wittekindt. | 1781 [S. -49]. Standorte: Mannheim UB: Μ 1227; Χ Μ 1227-K [Reproduktion]; Wien ÖNB: 55.855-A; 223.526-A - Vers: frei reimende Jamben mit drei bis sechs Hebungen. Kommentar: Bei Koch I, 117, unter "ernsthafte Epopöe". - Rez. in: AdB LI (1782), 223-224 ("ausführlichere Erzählung"); AVnB VI (1781), 33 ("längeres Gedicht").
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Bibliographie
Krause, Christian Gottfried Zuschreibung und Vornamen nach GK VII, 293; der Versuch einer weitergehenden Identifikation war in DBA und Goedeke nicht erfolgreich. Die Auferstehung | Jesu Christi, | als ein Vorbild | unserer Auferstehung, | aus | überzeugenden Gründen erwiesen, | an dem Gedächtnißtage | unsers erstandenen Heilandes, | in einem | Heldengedichte. | Vignette | Breßlau, | bey Johann Jacob Korn, 1744. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 4490; Heidelberg UB: G 7121; Zürich ZB: III 385a (4) - Vers: Strophen mit sechs Alexandrinern im Reimschema ababcc; nach Str. 4 und 109 je eine "Aria" aus acht jambischanapästischen Versen mit vier Hebungen im Reimschema aabccbdd Umfang: 114 Strophen. Kommentar: Der Titel über dem Textbeginn (S. 21) lautet: 'Heldenlied auf den Siegesfürsten Jesum Christum.' Im Text selbst wird gelegentlich die Bezeichnung "Jubellied" oder "Heldenlied" gebraucht. Vom Stoff des Gedichts und der meist argumentativen, keineswegs aber erzählenden Art seiner Behandlung her ist das Werk als theologisch-dogmatisches Lehrgedicht zu charakterisieren. Für eine solche Benennung spricht auch der Umfang der 'Annotationes theologicae et philologicae' (S. 46-112).
Kretschmann, Karl Friedrich (1738-1809) Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Erster Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Zweites Bändchen, | 1796. j Leipzig, | bei Voß und Compagnie [S. < 1 > -22], Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Zweiter Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Drittes Bändchen, | 1796. | Leipzig, | bei Voß und Compagnie [S. 211-236]. Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Dritter Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Drittes Bändchen, | 1797. | Leipzig, | bei Voß und Compagnie [S. < 1 > -23], Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Vierter Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Viertes Bändchen, | 1797. | Leipzig, | bei Voß und Compagnie [S. 184-218], Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Fünfter Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Erstes Bändchen, | 1798. | Leipzig, | bei Voß und Compagnie [S. 151-170]. Friedrich der Große. Ein episches Gedicht. Sechster Gesang. [In:] Erholungen. | Herausgegeben | von | W. G. Becker. | Drittes Bändchen, | 1799. | Leipzig, | bei Roch und Weigel [S. 23-52], Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Scr. var. arg. II 1950; Saarbrücken UB: 55-8032 (lOf) - Vers: meist jambische, frei reimende Verse mit stark variie-
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render Hebungszahl; dazwischen strophische Versmaße - Umfang: 3022 Verse - Vorabdruck in: Lausizische Monatsschrift 1794, 261-269: Fragment aus dem vierten Gesänge eines epischen Gedichts auf Friedrich den Grossen [in der oben zitierten Ausgabe bildet dieses vorabgedruckte 'Fragment' mit einigen Änderungen den Anfang des dritten (!) Gesangs (Erholungen 1797/III, 1-11)]. Kommentar: Da der Text offenbar Fragment geblieben ist und eine selbständige Einzelausgabe nicht zustandegekommen ist, wird die sukzessive Veröffentlichung im Periodikum 'Erholungen' als endgültige Ausgabe, die Teilpublikation in der 'Lausizischen Monatsschrift' demgegenüber als Vorabdruck betrachtet. - Die jeweiligen Teile in den 'Erholungen' sind unterzeichnet mit "Kretschmann", der Vorabdruck mit "K. F. Kretschmann". - Rez. des Vorabdrucks in: ALZ 1795/IV, 365-366. Nach ARL 1791-1795, XVI. 76, ist die 'Lausizische Monatsschrift' ferner rez. in: Litterarische Denkwürdigkeiten oder Nachrichten von neuen Büchern und kleinen Schriften 1794/Beilage 48, 155-157; 1795/Beilage 22, 89. - Rez. von in den 'Erholungen' abgedruckten Gesängen in: ALZ 1797/III, 675; 677; NadB XXXI (1797), 200-201; NBsW LX (1797), 191-197; 206; Revision der Literatur für die Jahre 1785-1800 in Ergänzungsblättern zur Allg. Lit. Zeitung dieses Zeitraums 1/1 (1801), 438; 441; 442. Nach ARL 1796-1800, XIV. 562, sind die Bände 1798/1 u. II der 'Erholungen' ferner rez. in: GgZ 1799/11, 785-787. - Vgl. NTM 1805/1, 49-53: An den Barden Rhingulph. (Ein mit "Verehrer in Schlesien. G...." unterzeichneter Brief, der eine "die Vollendung Ihres hohen Liedes auf Friedrich den Großen" betreffende Bitte und Aufforderung enthält und u. a. fortfährt: "Wie forschte ich nach jedem neuen Gesänge, und wie frohlockte ich, wenn mein Forschen belohnt wurde. Allein seit beinahe 4 Jahren habe ich alle Spur verloren. Auf dem Schlachtfelde bei Lowositz blieb ich stehen, und sehe mich nun vergebens nach meinem Barden um, der mich [...] begleitete, bis an Friedrichs Grab.")
Lavater, Johann Kaspar (1741-1801) Erstes Buch. | Adam. | Fragmente | einer unvollendeten Epopee. | 1779. [In:] Poesieen | von | Johann Caspar Lavater. | Zweyter Band. | Den Freunden des Verfassers gewiedmet. | Vignette | Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1781 [S. -36], Standorte: Heidelberg UB: G 5853; München BSB: P.o.germ. 798; Zürich ZB: Sp 169 - Vers: Hexameter - Umfang: 27, nach thematischen Kriterien in sieben, mit Überschriften versehene Großabschnitte zusammengefaßte Fragmente mit insgesamt 852 Versen - weitere Ausgabe in: Lavater, Sämmtliche Werke, VI, 1838, 1-32 [nach Goedeke IV/1, 278 (Nr. 97)]. Kommentar: Nach Schulte-Strathaus 117 (Nr. 117a/b) existieren zwei verschieden ausgestattete Ausgaben. - Aus dem (auf den 19.2.1781) datierten Vorwort: "Hier einige Fragmente eines Gedichtes Adam, dessen Vollendung ich weder wünschen noch versprechen darf; wie sehr mir auch bisweilen das Herz schlage, es so weit zu vollenden, daß es wenigstens eine Art von Ganzheit zu haben scheine". - Nach Goedeke IV/1, 268, rez. in: Sammlungen zu einem Christlichen Magazin 1/2 (1781), 237f.
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Bibliographie
J£sus Messias. | Oder | Die Evangelien | und | die Apostelgeschichte, | in | Gesängen. | Kündigt Seine Gerechtigkeit aus den Völkern der Zükunft. | 1782. Jisus Messias. | Oder | Die Evangelien | und | Apostelgeschichte, | in | Gesängen. | Kündigt Seine Gerechtigkeit aus den Völkern der Zükunft. | Zweyter Band. | 1784. J&us Messias. | Oder | Die Evangelien | und | Die Apostelgeschichte, | in | Gesängen. | Dritter Band. | Vom Nachtmahl bis zur Auferstehung des Herrn. | 1785. Jlsus Messias. | Oder | Die Evangelien | und | Die Apostelgeschichte, | in | Gesängen. | Vierter und letzter Band. | Die Apostelgeschichte. | 1786. Standorte: a) München BSB: P.o.germ. 795s; b)-d) Biberach/R. WA: 8871-8875 [mit Kupfern]; Frankfurt/M. StUB: W 298 [mit Kupfern]; Heidelberg UB: G 5853 Res. - Vers: Hexameter; daneben freirhythmische Kurzverse und Strophen in unterschiedlichen Versmaßen - Umfang: 16 Bücher, die in 12 bis 36 Gesänge unterteilt sind; insgesamt 306 gezählte Gesänge; hinzu treten das Prooimion vor Buch I, je ein "Eingang" vor Buch IX und XIII, der "Beschluß" nach Buch XVI und einige poetische Motti zwischen einzelnen Büchern. - Vorabdrucke in [nach Goedeke IV/1, 261-262 (Nr. 28); 267-269 (Nr. 37 u. 44)]: Lavater, Vermischte Schriften, I, 1774, 273-293: Einige poetische Gemähide aus der evangelischen Geschichte [= Buch IV/Gesang 2; V/2; V/6; X/8]; Christliches Magazin 1/1 (1779), 179-194: Jesus Christus an der Hochzeit zu Cana [= III/l]; Sammlungen zu einem Christlichen Magazin 1/2 (1781), 184-191: Himmelfahrt Jesu [= XIII/1], - weitere Ausgaben: J6sus Messias. Oder Die Evangelien und Apostelgeschichte, in Gesängen, I, 1783 [mit Widmungsgedicht; ansonsten textgleich mit der Ausgabe 1782]; ferner in: Poetisches Magazin, hrsg. v. L. Bayrer, I-VI, Augsburg 1791-1794: I, 52-89; 90-146; II, 105-176; III, 115-182; IV, 97-188; V, 67-102; VI, 3-198 [insg. 71, meist ganze Gesänge umfassende Abschnitte mit gelegentlich leicht geänderten Titeln]; Lavater, Sämmtliche Werke, I-IV, 1834-1837 [nach Goedeke IV/1, 278 (Nr. 97)]. Kommentar: Zu den vier Bänden (Band I in Ausgabe 1783) erschienen mit zeitlicher Verzögerung von ca. einem Jahr (erste Lieferung datiert: 8.3.1784; Beschluß datiert: 6.8.1787) jeweüs 18 Kupfer unterschiedlicher Künstler mit Erläuterungen. (Vgl. Schulte-Strathaus 119-120 [Nr. 125a-c].) - Der Umschlagtitel der vier Bände (Band I in Ausgabe 1783) lautet jeweils: "Messiade | von | Johann Caspar Lavater. | [...] Band." Der Zwischentitel vor den einzelnen Büchern hat meist folgende Form: "Messiäde, | oder | Evangelische Gesänge. | [...] Buch." - Am Ende der Bände finden sich jeweils programmatische und erläuternde Anmerkungen, Verbesserungen sowie Sach- und Namensregister. - Rez. zur Ausgabe 1782 in: AVnB VII (1782), 810; zur Ausgabe 1783 (Band I) in: AdB LVIII (1784), 475-477; zu Band I-III in: ALZ 1785/IV, 325-327; zu Band II/III in: AdB LXVII (1786), 434-436. Nach ARL 1785-1790, XIV. 1638, ferner rez. in: NcN 1786, 180. - Weitere zeitgenössische Stimmen: BW Nicolay/Nicolai 266; Gleim, Sämmtliche Werke, Hildesheim/New York 1971, V, 54; Schiller ΝΑ I, 311 (Xenion 22).
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Jesus Messias, | oder | die Zukunft des Herrn. | Nach der Offenbarung Johannes. | Vignette Standorte: Frankfurt/M. StUB: 17/4329; Heidelberg UB: G 7284; Heidelberg GS: Τ 5082 sekr. - Vers: Hexameter; daneben reimlose Kurzverse - Umfang: 24 Gesänge, 3814 Verse - weitere Ausgabe in: Sämmtliche Werke, V, 1838 [nach Goedeke IV/1,278 (Nr. 97)]. Kommentar: Zu Autor, Verleger und Datierung vgl. die Unterschrift am Ende des Werks: "Johann Caspar Lavater, Verfasser, und Johann Caspar Füßli, Verleger. Zürich, Dienstags, den Neun und Zwanzigsten Augusts 1780." - Nach Schulte-Strathaus 116 (Nr. 112) existieren zwei verschieden ausgestattete Ausgaben. - Nach Goedeke IV/1, 268, zeigte Lavater sein Werk selbst an in: Christliches Magazin IV/2 (1780), 98-118. - Rez. in: AVnB V (1780), 247. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Fr. L. Graf zu Stolberg, Briefe, hrsg. v. J. Behrens, Kiel 1966 (Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte. V), 129; Goethe WA 1/26, 294 u. 301. Joseph | von Arimathea | in | Sieben Gesängen. | Vignette, sign.: H. Lips del: et sculp: | Hamburg | bey Bachmann und Gundermann. | 1794. Standort: Zürich ZB: Sp 176 - Vers: Blankvers. Kommentar: Vorrede: "Es kann dem Verfasser und dem Leser völlig gleichgültig seyn, ob man dieß Gedicht - Epopee, oder Darstellung, oder beschreibendes Po6m - oder nur Neue Messiade, oder Joseph von Arimathea heisse wenn nur durch dasselbe der Sinn für biblische Geschichte, für große Charaktere und für den größten Aller, entweder geschärft oder genährt wird. Zürich, den 22. October, 1793." - Rez. in: NadB XVI (1795), 508-511; OaLz 1795/1, 561-567. Nach ARL 1791-1795, XIV. 1896, ferner rez. in: EgZ 1795, 222-224; Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, welche Religion, Sitten und Besserung des menschlichen Geschlechts betreffen XIX/3 (1794), 584-586; NcN 1795, 218.
Lehnhardt, Christian Friedrich Wilhelm (geb. 1741) DBA 750, 100 HERZOG | MAXIMILIAN JULIUS | LEOPOLD | von | Braunschweig und Lüneburg, | DER | am 27. April 1785 | in | den Fluten der Oder bey Frankfurt | heldenmütig sterbende | M E N S C H E N F R E U N D . | In | Drey Gesängen | von | E. F. W. Lehnhardt. | Berlin, | bey G. J. Decker, Königlichem Hofbuchdrucker, 1786. Standort: Hannover NLB: C 10433: 1,15 - Vers: Hexameter. Kommentar: Rez. in: ALZ 1787/1,219-220: "Man hat zu Gotscheds Zeiten so bitter über den Sänger des Nimrod gespottet; sollte man aber nicht diesen noch leidlicher, als Hn. Lehnhard, und würde man auch nur eine Zeitung, die so, wie er erzählte, lesbar finden?" - Weitere, meist kürzere Gedichte auf das gleiche Ereignis und Schriften über die gleiche Person verzeichnet (ζ. T. mit Nachweis von Rezensionen): ARL 1785-1790, XIII. 4356a-4357d; XIV. 1576 u. 1578-1580.
Bibliographie
358 Löwenwolde, Christian Graf von
Goedeke VII, 37 (ohne Lebensdaten) Oesterreichs und Rußlands Helden der guten Sache, in Deutschland und in Italien des Feldzuges von 1799. In zwölf Gesängen. Lemberg, gedruckt bey G. W. Wichmann. 1800. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: Goedeke VII, 37 - weitere Ausgabe: Die Helden der guten Sache in Deutschland und Italien, des Feldzuges vom Jahre 1799 in zwölf Gesängen. Gedruckt mit Piller'schen Schriften. 1800. Kommentar: Im Folgejahr ist eine "Fortsetzung" des zitierten Werks erschienen: Zweyter Feldzug des Jahres 1800, in Deutschland und Italien. [Motto von Tasso] In zehn Gesängen. Vom Christian Grafen von Löwenwolde [...]. Im Jenner 1801. Gedruckt mit Piller'schen Schriften (Standort: Wien ÖNB: + 35.F.399). Im Vorbericht dieses Epos in paarweise gereimten Alexandrinern finden sich wenige biographische Hinweise des Autors (Teilnahme am Siebenjährigen Krieg), im Anhang zwei Schreiben des Widmungsträgers Erzherzog Carl, die den Erhalt des Drucks des ersten Werks (20.4.1800) und des Manuskripts des zweiten Werks (15.11.1800) danken.
Meyen, Johann Jakob (1731-1797) Franklin | der Philosoph und Staatsmann. | In fünf Gesängen. | von | Johann Jacob Meyen, | der Philosophi Doktor, und des akademischen Gymnasiums | öffentlichem und ordentlichem Professor der Mathematik und Physik | wie auch Königl. Professor der Hydrographi und Schiffskunst. | ENNIUS, | Unus homo nobis cunctando restituit rem, | Non ponebat enim rumores ante salutem, | Ergo postque magisque viri nunc gloria claret. | Ein Mann, einer gab uns durch klügliches zögern den Freistaat, | Nie war lermender Ruf bei ihm mehr und früher als Rettung, | Darum jauchzet die Nachwelt dem Helden je länger je heller. | AltStettin, | gedruckt bey J. F. Strucks Wittwe 1787. Standort: Berlin HdK HB: V. 2025 8° - Vers: Hexameter. Kommentar: Motto: Ennius, Annales 363-365 [Xll/i] (Zählung der Ausgabe Oxford 1985). - Rez. in: AdB LXXXV (1789), 121-124: "Eine versifizirte Geschichtserzählung der mannichfaltigen Verdienste des unsterblichen Franklin. Was den Verf. auf den Gedanken gebracht haben mag, seine trockne Prose in schlechte Hexameter zu zwängen, durch welche Umbildung sie keineswegs Poesie, sondern nur desto steifere, ängstlichere Prose geworden ist, läßt sich nicht wohl errathen." - Vom gleichen Verf. stammt eine 'Lobrede auf Leibnitz' (1774) und das 'Leibnitii elogium, carmine heroico expressum' (Stettin 1777). Der letztgenannte Text, der offenbar nur in lateinischer Sprache erschienen ist, wird in Blankenburg II, 82, wohl fälschlicherweise (unter dem verdruckten Verfassernamen "Meyer") als deutschsprachiges Werk angezeigt: Die Verdienste des H. v. Leibnitz in einem Heldengedicht. Stettin 1777.
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Meyer, Johann Friedrich von (1772-1849) Tobias. | von | Joh. Friedrich von Meyer. | Frankfurt a. M. 1800 | bey Bernhard Körner. Standorte: Darmstadt HLB: 47/493; München BSB: P.o.germ. 913Lx; Oldenburg LB: Spr XIII, 4c/1121 - Vers: Hexameter - Umfang: 7 Gesänge - weitere Ausgabe: Kempten 1831.
Michaelis, Johann David (1717-1791) Probe eines Helden-Gedichts über die Ausführung der Israeliten aus Aegypten, von J. D. Michaelis. [In:] Hamburgische | Beyträge | zu den | Werken des Witzes | und der | Sittenlehre. | Vignette \ Zweytes Stück. | Hamburg, | bey Christian Wilhelm Brandt. | 1753 [S. 254-274], Standort: Halle ULB: Goe 249; Wolfenbüttel HAB: Za 50 - Vers: Alexandriner in variierendem Reimschema - Umfang: 264 Verse. Kommentar: Der Kolumnentitel lautet abweichend vom zitierten Titel der 'Probe': "Moses, ein Helden-Gedicht." Im Inhaltsverzeichnis heißt es: "J. D. Michaelis Moses ein Helden-Gedicht". Die Überschrift des Textanfangs mit Inhaltsangabe zum 1. Buch (S. 260) lautet: "Moses, das erste Buch. So die erste Unterredung Mosis mit Pharao, und die Anfoderung, die Israeliten ziehen zu lassen, nebst den dadurch vergrösserten Drangsalen der Israeliten enthält." - Das die Probe einleitende Schreiben (S. 254-259) beginnt wie folgt: "Ich übersende Ihnen die erste Hälfte von dem ersten Buche eines Helden-Gedichtes [...] und zwar hauptsächlich in der Absicht, daß ich es dadurch den unpartheyischen Urtheilen der Welt unterwerfen, und [...] nach den Urtheilen der Welt ausbessern, und mehr nach ihrem Geschmack einrichten, oder nach Befinden gar liegen lassen möge." - Dies letztere scheint trotz einer positiven Rez. durch Lessing (in: BpZ, 25.10.1753 [abgedr. in: Lessing LM V, 206]) eingetreten zu sein: "Unter den Gedichten nehmen sich der Anfang einer neuen Epopee, Moses, welche den Hrn. Prof. Michaelis zum Verfasser hat, und eine Menge kleiner Scherzgedichte vorzüglich aus." - Ferner rez. in: GAgS 1753, 1127-1128, und erwähnt von Herder ('Ueber die neuere Deutsche Litteratur'; Herder SW I, 261). - Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem von Michaelis veröffentlichten Fragment und folgender Meldung in: FN X (1753), 323-324 (abgedr. in: AsK 100-102; Wieland-Bibl 93 vermutet Wieland als Autor der Meldung): "Berlin. Aus dieser Stadt kommen folgende Verse, die vermuthlich einen Mann zum Verfasser haben, der an einem Gedicht von dem Zuge der Stämme Israel durch die Wüste arbeitet. [...] Gelübde. Hört mich die edle Mus' und läßt mich die Laufbahn vollenden, | Die ich so kühn betret', und bring ich die zweymal sechs Stämme, | [...] | Sie, mit denen ich itzt die Wüste von Mara durchirre, | Glücklich in wohnbare Städte nach Canaans Fluren hinüber; | Dann gelob ich [...] | [...] | Ihr die mich lehrt, ein ungewöhnliches Opfer zu bringen: | [...]." Gleichermaßen möglich ist ein Zusammenhang zwischen dieser Meldung und einem anonymen, hs. überlieferten Epenfragment 'Moses', das sich in Bodmers Nachlaß erhalten hat (s. VII. 3, Anonymi, Moses). Vgl. ferner den Eintrag im 'Cartel von neuen Heldengedichten' (FN
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Bibliographie Χ [1753], 292; teilweise ernsthafte, teilweise ironisch gefärbte Ankündigung epischer Werke von Bodmer und Wieland): "Der Ausgang Israels aus Aegypten; in acht Gesängen."
Müller, Friedrich August (1767-1807) Adelbert der Wilde. | Ein Gedicht | in zwölf Gesängen. | Von | Friedrich August Müller. | Erster Band. | Erster bis Sechster Gesang. | Leipzig, | in der Weidmannschen Buchhandlung, | 1793. Adelbert der Wilde. | Ein Gedicht | in zwölf Gesängen. | Von | Friedrich August Müller. | Zweyter Band. | Siebenter bis Zwölfter Gesang. | Leipzig, | in der Weidmannschen Buchhandlung, | 1793. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. IV 622; Heidelberg GS: Τ 6123,20 sekr.; München BSB: P.o.germ. 959 - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) Umfang: 1619 Strophen. Kommentar: Rez. in: NadB Anh I-XXVIII/2 (1797), 160; NBsW LIII (1794), 241-295. Nach ARL 1791-1795, XIV. 3160, ferner rez. in: Litterarische Denkwürdigkeiten oder Nachrichten von neuen Büchern und kleinen Schriften 1793/III, 429-433. - Das Werk ist auch zitiert in: Katalog der von 1783 bis 1794 in Oesterreich von der hochlöblichen Hofbücherzensurskommission verbothenen Bücher, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Freiburg im Breisgau o. J., München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/2), 3. Alfonso. | Ein | Gedicht | in | acht Gesängen. | Göttingen, | bei Johann Christian Dieterich, | 1790. Standorte: Frankfurt/M. StUB: 17/4710; DL 1936/604; München BSB: P.o.germ. 958y - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) - Umfang: 456 Strophen. Kommentar: Im Nachwort (S. 241-248) berichtet Verf. über die Entstehungssituation, mit der er eingestandene "Fehler in dem Plane des Gedichtes" erklärt, und "waget [...], sich hier als den Verfasser des Richard Löwenherz zu nennen", welches "schon vor zwei Jahren vollendet" worden und "der Erste Versuch" des Verf. "in der epischen Dichtungsart" sei. - Rez. (tw. gemeinsam mit 'Richard Löwenherz') in: AdB XCIX (1791), 106-117; ALZ 1791/IV, 155-158; GAgS 1790, 937-940; NBsW XLIII (1791), 83-100; OaLz 1790/11, 88-90. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Bürger IV, 32 u. 127-130; Broxtermann, Gedichte, Münster 1794, X; BW Nicolay/Nicolai 284; 290; 328. Richard Löwenherz | Ein | Gedicht | in | sieben Büchern. | Poor is the friendless master of a world. | YOUNG. | Berlin und Stettin, | bei Friedrich Nicolai | 1790. Standort: München BSB: P.o.germ. 1987p - Vers: frei reimende Jamben mit varüerender Hebungszahl - weitere Ausgabe: Berlin 1819.
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Kommentar: Motto: Edward Young, Night Thoughts II/583. - Rez. (tw. gemeinsam mit 'Alfonso') in: AdB XCIX (1791), 106-117; GAgS 1790, 937-940; NBsW XLII (1791), 228-250. Nach ARL 1785-1790, XIV. 1659, ferner rez. in: GgZ 1790/11, 754; NNgZ 1790, 763. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Broxtermann, Gedichte, Münster 1794, X; BW Nicolay/Nicolai 284; 290; 328.
Naumann, Christian Nikolaus (1720-1797) Nimrod | ein | Heldengedichte | in Ehrenmitgliede der Königl. Göttingen. | Vignette, sign.: I. und Leipzig. | in Commißion
| vier und zwanzig Büchern | von | einem Großbrit. | Deutschen Gesellschaft in M. Eben del: et sculps: 1751. | Frankfurth bey Daniel Christian Hechtel, 1752.
Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 8613; Heidelberg UB: G 7129; München BSB: P.o.germ. 1003u - Vers: Hexameter [zum großen Teil wohl als "Hexameter mit Auftakt" intendiert; zahlreiche Verse entziehen sich jedoch jeder metrischen Deklamation] - weitere Ausgabe: M. C. N. Naumanns Heldengedicht. Mit einem Vorberichte begleitet, Frankfurth und Leipzig 1753. Kommentar: Das Widmungsschreiben der anonymen Ausgabe 1752 ist vom Verleger unterzeichnet und datiert: "Frankfurter Michaeli-Messe, 1751." In Naumanns Vorbericht zur Ausgabe 1753 heißt es u. a.: "Die Klopfstockische [!] Muse, welche in die Spuren des Milton getreten, reizte durch ihre Erhabenheit alles auf, was nur zu denken meynete. Allein, schon vor ihr hatten geschickte Dichter versucht, nach ihrer Art zu singen. Unter solche gehöret dieses Heldengedicht, welches schon vor Jahren angefangen, und als die Meßiade zum erstenmahle zum Vorschein kam, bey nahe geendiget gewesen: Der Dichter hat sich durch solches um so viel mehr Ehre erworben, da er zu dessen Grundlage nicht mehr als einen einzigen Vers aus der heil. Schrift vorgefunden [1. Mose 10, 8-9]." - In der Ausgabe 1753 (Standorte: Berlin SBPK: Yk 7354; Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 8615) ist das Titelblatt geändert, der Vorbericht neu hinzugetreten und der erste Bogen des Textes (S. 5-16) mit geändertem Kolumnentitel neu gesetzt; der Rest ist mit der Erstausgabe identisch. - Der 'Nimrod' ist eine der ergiebigsten Quellen für: Schönaich NeoWb. - Rez. in: BpZ, 4.3.1752 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM V, 9-10; demnach hat Verf. sein Werk "schon fast vor zehn Jahren fertig gehabt"); FN VIII (1751), 404-407 (abgedr. in: AsK 69-80); FN IX (1752), 114-116; NRW, Dezember 1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 468-469). - Zu Naumanns Hexametern äußert sich Lessing in: BNLb II (Brief 40), 305 (abgedr. in: Lessing LM VIII, 87): "Setzen Sie aber einmal [...] der Verfasser des Nimrods wäre jenen beyden Dichtern [Klopstock und Kleist] im Gebrauche desselben [des Hexameters] zuvorgekommen, (wie er sich dessen auch in allem Ernste rühmet) würde er wohl einen einzigen Nachfolger bekommen haben, wenn seine Hexameter auch schon zehnmal richtiger und wohlklingender wären, als sie in der That nicht sind?" - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 172; BW Gleim/Ramler I, 318; Guthke 3, 86; 88; 100; Klopstock HKA, Briefe II, Nr. 111, 23-28; 37; 56; Kurrelmeyer 286 (Hinweis auf eine ungedruckte Stelle aus einem Brief Bodmers); Lessing LM IV, XIV; VII, 86 (Anm.); NaG II (1752), 157; 390
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Bibliographie ("Vom Nimrod habe ich einige Seite gelesen, die ich nicht allein reimlos, sondern auch ungereimt gefunden"); Riedel, Briefe 93; 99.
Nicolai, Friedrich (1733-1811) Heldengedicht auf Hn. Klopstock. Erster Gesang. [In:] Sammlung | einiger Schriften | der Geselschafft der Freunde | der schönen Wissenschaften in Halle | mit einer Vorrede und Anhang | herausgegeben von | M. Gottlob Samuel Nicolai | der hochlöblichen Philosophischen Facultät zu Halle | Adiunctus. | Vignette | Halle, | bey Carl Christian Kümmel, 1752 [S. 160-166]. Standort: Halle ULB: Af 2557 - Vers: Hexameter - Umfang: 154 Verse. Kommentar: Zuschreibung des anonym erschienenen Fragments durch Altenkrüger, Friedrich Nicolais Jugendschriften, Berlin 1894, 28-29. - Gegen Ende der Vorrede der Sammlung (Bl. b 4r/v) heißt es: "Der Anhang ist nicht von einem Gliede der Gesellschafft. Es ist der Anfang eines Heldengedichts auf den Herrn Klopstock. Das Gedicht ist schon vor einigen Jahren ausgearbeitet. Der Verfasser war damahls ohngefähr 14 oder 15 Jahr alt. Er sandte mir dasselbe zu, und zugleich den Plan nach welchem er ferner dichten wolte. Der zweite Gesang solte den Tempel der Dichtkunst beschreiben. Der dritte das Reich des schwülstigen und kriechenden. Der vierte, die Zurückkunft in den Tempel der Dichtkunst. Sie trägt dem Herrn Klopstock auf den Meßias zu verfertigen. Der fünfte, den Rath der Feinde der Dichtkunst ihr Aufnehmen zu verhindern. Der sechste, die List derselben durch welche das Gedicht am Ende des 3ten Gesangs unterbrochen wird. Der siebente solte von den Streitschriften handeln. Der Verfasser wird sich nicht der Gelehrsamkeit vornämlich widmen, und will deswegen das Gedicht nicht fortsetzen. Es ist itzo die Mode, daß man von Herrn Klopstocks Dichtkunst urtheilet. Wenigstens kann es also zur Historie dieser Mode dienen, daß der Herr Verfasser der Meßiade einen jungen Menschen auf diese Art gerührt hat, und denn werde ich entschuldigt seyn, daß ich dieses Gedicht drucken lasse." - Rez. in: NZgS 1752, 477-478. - Vgl. den Schluß von Lessings Rez. zu G. Fr. Meiers 'Beurtheilung des Heldengedichts, der Messias' in: BpZ, 20.3.1749: "man ist schon entschlossen, auf die Verfertigung dieses Heldengedichts, als eine sehr große That, alsdenn wieder ein Heldengedicht, unter dem Namen: Klopstocks Messias, zu verfertigen, und in 12 Büchern, auf ein mal, herauszugeben" (Lessing LM IV, 15). Ob zwischen diesem Hinweis und Nicolais Jugendwerk ein Zusammenhang besteht, war nicht festzustellen. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Schönaich NeoWb 98; 99; 232; 237.
Nicolay, Ludwig Heinrich von (1737-1820) DBA 898, 152-155; 349-350; BW Nicolay/Nicolai 318 (an Fr. Nicolai, 11./22.2.1792): "Meinem Namen, der sich mit einem y, nicht mit einem i endigt [...]." Alcinens Insel. | In zwey Büchern. | Envoy ä Mad. de Κ ... | Ce n'est que de l'enchantement, | Et vous remarquerez souvent | Que je me moque et
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du poeme, | Et du lecteur, & de moi meme. [In:] Vermischte | Gedichte | von Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Grosfürsten aller Reußen. | Zweyter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1778 [S. -174], Standort: Biberach/R. WA: 9654 - Vers: frei reimende Jamben mit zwei bis sechs Hebungen - weitere Ausgabe in: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, IV, 1793,45-110. Kommentar: Motto nicht identifiziert. - Rez. s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 84; 92.
Galwine | eine | Rittergeschichte. | In sechs Gesängen. | St. Petersburg, 1773. | Gedruckt und verlegt in der Buchdruckerey | des Kaiserl. adel. Jngen. Kadetten-Korps | bey J. K. Schnoor. Standort: Oldenburg LB: Spr XIII, 4c/1216 - Vers: frei reimende Jamben mit zwei bis sechs Hebungen - weitere Ausgaben in: Nicolai, Vermischte Gedichte, II, 1778, 3-68; Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, IV, 1793, 1-43. Kommentar: Rez. in: AdB XXII (1774), 504-508; AdM 1774, 43. Rez. zu den weiteren Ausgaben s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 30; 84; 92.
Giyphon und Orille. | In zwey Büchern. [In:] Vermischte | Gedichte | von | Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Grosfürsten aller Reußen. | Zweyter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1778 [S. -277]. Standort: Biberach/R. WA: 9654 - Vers: frei reimende Jamben mit zwei bis sechs Hebungen - weitere Ausgabe in: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, IV, 1793,111-174. Kommentar: Rez. s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 84; 92.
Morganens Grotte. | In vier Büchern. [In:] Vermischte | Gedichte | von | Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Grosfürsten aller Reußen. | Vierter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1778 [S. -300]. Standort: Biberach/R. WA: 9656 - Vers: frei reimende Jamben mit drei bis sechs Hebungen - weitere Ausgabe in: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, IV, 1794,1-142. Kommentar: Rez. s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 72; 74; 78; 84; 92; 282; 308; 318.
Reinhold und Angelika | eine Rittergeschichte. [In:] Vermischte | Gedichte | von | Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Sechster Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1781 [S. 276].
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Bibliographie
Reinhold | und | Angelika | eine Rittergeschichte. | von | Hrn. Ludw. Heinr. von Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Zweyter Band. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1783. [In:] Vermischte | Gedichte | des | Hrn. Ludw. Heinr. von Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Siebenter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1783 [S. -258]. Reinhold | und | Angelika, | eine Rittergeschichte. | Von | Hrn. Ludw. Heinr. von Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Dritter Band. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1784. [In:] Vermischte j Gedichte | des | Hrn. Ludw. Heinr. von Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Achter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1784 [S. -278]. Standort: Biberach/R. WA: 9658-9660 - Vers: frei reimende Jamben mit zwei bis sechs Hebungen - Umfang: 12 Gesänge - weitere Ausgabe in: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, VII, 1795, 1-396. Kommentar: Die Doppeltitel zum zweiten und dritten Band des autopsierten Exemplars deuten darauf hin, daß das Werk gleichzeitig selbständig und innerhalb der Werkausgabe erschienen ist (Standort der nicht gesehenen Einzelausgabe lt. GV 1700-1910 CHI, 78: Berlin SBPK: Y15746). - Der erste Band (= Teil VI der Werkausgabe) enthält Gesang I-IV, der zweite Band (= Teil VII) Gesang V-VIII, der dritte Band (= Teil VIII) Gesang IX-XII. Rez. s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 86; 88; 90; 94; 100; 108; 116; 118; 120; 128; 130; 136; 140; 146; 154; 164; 166; 168; 170; 172; 282; 308; 390; 398; 400. Zerbin und Bella. | In fünf Gesängen. | Nach dem Ariost. [In:] Vermischte | Gedichte | von | Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Dritter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai. | 1779 [S. -170]. Zerbin und Bella. Sechster Gesang. [In:] Vermischte | Gedichte | von | Herrn Ludwig Heinrich Nicolai, | Kabinetssekretar und Bibliothekar Sr. Kaiserl. | Hoheit des Großfürsten aller Reußen. | Fünfter Theil. | Berlin und Stettin, | bey Friedrich Nicolai, | 1780 [S. -172], Standort: Biberach/R. WA: 9655; 9657 - Vers: frei reimende Jamben mit zwei bis sechs Hebungen - weitere Ausgabe: Zerbin und Bella. In sechs Gesängen, in: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, V, 1794, 77-184. Kommentar: Im 'Bericht', der dem Abdruck des nicht in der ursprünglichen Konzeption enthaltenen, sondern nachträglich hinzugefügten sechsten Gesangs vorgestellt ist, wird der Leser - offenbar um einen unmittelbareren Anschluß zu gewährleisten - gebeten, "die sechs letzten Verse des fünften Gesanges" zu streichen. - Rez. s. u. - Vgl. BW Nicolay/Nicolai 58; 60; 62; 64; 68; 76-78; 82; 84; 92.
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Rezensionen zu: Nicolai, Vermischte Gedichte, I-VIII, 1776-1784, in: AdB Anhang zu XXV-XXXVI (1780), 1283-1291 [Band I-II]; AdB LH (1782), 392-400 [Band III-VI]; AdB LXVII (1786), 123-124 [Band VII/VIII]; AVnB IV (1779), 833 [Band III]; AVnB VI (1781), 215 [Band VI]; AVnB VIII (1784), 601 [Band VII/VIII]; NBsW XXVII (1782), 280-308 u. XXVIII (1783), 257-291 [Band I-VI]; TM 1784/Anzeiger, XXXIV-XXXVIII [Band VII und Rückblick auf Band I-VI; darin (wohl von Wieland) eine Beschreibung der Methode Nicolays, die als spezifische Art übersetzender Bearbeitung zu bezeichnen ist: "der teutsche Leser (...) gewinnt (...) weil ihm durch den glücklichen Gedancken die interessantesten Stücke und Episoden Ariosts einzeln und in einer ununterbrochener (!) Erzählung vorzutragen, die Mühe erspart wird, sie aus einem planlosen Chaos von 46 großen Gesängen herauszusuchen"]. Rezensionen zu: Nicolai, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, IV-VII, 1793-1795, in: NadB VII (1793), 292-301 [Band III/IV]; NadB XVII (1795), 51-53 [Band V/VI]; NadB XXVIII (1797), 156-159 [Band VII]; NBsW LI (1793), 236-247 [Band III/IV]; NBsW LIV (1795), 122-129 [Band V/VI]; OaLz 1793/11, 601-624 [Band I-IV]; nach ARL 1791-1795, XIV. 876, finden sich weitere Rez. zu den relevanten Bänden dieser Ausgabe in: EgZ 1796, 183 [Band VII]; GgZ 1793, 612-615 [Band III/IV]; GgZ 1794, 628-630 [Band V/VI]; GgZ 1795, 812 [Band VII]; NcN 1795, 271 [Band VII]; NNgZ 1795, 422 [Band VII],
Oertel, Friedrich von (1764-1807) DBA 912, 287-294 Diethelm. | Von | Friedrich von Oertel. | Vignette, sign.: Bosmoesler. fee. | Leipzig | bey Johann Gottlob Beygang, | 1800. Standorte: Marbach/N. DLA: Jean Paul Archiv; Regensburg HofB: Bl. 1040 Vers: Hexameter - Umfang: 3 Gesänge [nicht als solche bezeichnet und nicht gezählt; jedoch schaffen die drei Zwischentitel 'Die kürzeste Nacht' (S. ), 'Die Ueberraschung' (S. ) und 'Die Huldigung' (S. < 121 >) deutliche Abgrenzungen und Einheiten], Kommentar: Der Text steht nicht - wie Goedeke V, 445, meint - in der Tradition des "heroischen weltlich-epischen Gedichts", sondern folgt Goethes 'Hermann und Dorothea' (s. VII. 2) und der 'Luise' von Voß (s. VII. 4). Oertels Anspruch geht jedoch über den des letztgenannten Werks, das der Gattung der Idylle angehört, hinaus: Am Anfang des Werks wird zurückgeblickt auf die heroischen Zeiten des Geschlechts, dem der Held, "der letzte der holmischen Grafen, der treffliche Jüngling Diethelm" (S. 9), entstammt. Rez. (mit Hinweisen zu den genannten Vorbildern und zur Gattungsfrage) in: Briefe an ein Frauenzimmer über die wichtigsten Produkte der schönen Literatur, hrsg. v. G. Merkel, I (1800), 225-240 (Brief XV); NadB LXI (1800), 93-95; OaLz 1800/11, 32. Nach ARL 1796-1800, XIV. 2127, ferner rez. in: LJnL 1800/1, 198-199. Vgl. Starnes II, 759.
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Bibliographie
Pantke, Adam Bernhard (gest. 1774) DBA 930,201-202 Lobgedicht | auf | den Hochwürdisten und Durchlauchtigsten | Fürsten und Herrn, | Herrn | GEORG den dritten, | oder Gottseligen, | Von Gottes Gnaden Fürsten von Anhalt, | Grafen von Askanien, Herrn zu Zerbst und | Bernburg, Coadjutorn des Stifts Merseburg, | Probsten zu Magdeburg und | Meißen, | Einen fürstlichen Gottesgelehrten, | im Jahre 1753, | als dem Gedächtnißjahre seines am 17ten October des | 1553sten Jahres erfolgten Absterbens aufgesetzt, | und dem Drucke überlassen | von | M. Adam Bernhard Pantken, | evangelischl. Pfarrer zu Kleinknignitz und Schwentnig | in Niederschlesien, | der königlichen deutschen Gesellschaft zu Königsberg, der deutschen | Gesellschaft zu Leipzig, und der Gesellschaft der schönen Wissen- | Schäften und freyen Künste daselbst, Mitgliede. | Breßlau, | bey Johann Jacob Korn 1754. Standort: Wolfenbüttel HAB: Lo 5880 - Vers: paarweise gereimte trochäische Tetrameter - Umfang: 2000 Verse - Vorabdruck in: NaG III (1753), 939-942: Probe eines ausführlichen Lobgedichtes, auf weil. Herrn Georg, Fürsten von Anhalt, einen durchl. Bekenner der evangelischen Wahrheit [= V. 1-38; mit Kommentar], Kommentar: Zur Gattungszugehörigkeit vgl. den Kommentar zu Pantkes 'Verdienste Ludwigs des Weisen'. - Den Text begleiten zahlreiche historische Erläuterungen. - Widmungsschreiben unterzeichnet und datiert: "Kleinknignitz, den 2ten Sept. im Jahre 1754. [...] Adam Bernhard Pantke." - Rez. in: NaG V (1755), 70-78.
Die hohen Verdienste | des Durchlauchtigsten Fürsten von | Anhaltköthen | Ludwigs | des Weisen, | um das Aufnehmen | der deutschen Sprache, | wurden am 7. Januar. 1750. | als an dem Gedächtnißtage des vor hundert Jahren | erfolgten tödtlichen Hintritts | dieses grossen Fürsten, | durch nachstehendes | Lobgedichte | den Liebhabern und Verehrern der deutschen Sprache | zu dankbarer Bewunderung empfohlen. | Breßlau, | verlegts Johann Jacob Korn. | 1750. Standort: Halle ULB: Pon xb 514. 8° - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 700 Verse. Kommentar: Der Text, den zahlreiche historische Erläuterungen begleiten, wurde im Hinblick auf die Gattungsbibliographie zum Heldengedicht in Blankenburg II, 80, aufgenommen. Er bezeichnet wohl die Grenze zwischen ausführlichem Panegyrikum und Epos. - Pantke bestätigt die Autorschaft dieses Werks in der Vorrede zu seinem 'Lobgedicht auf Georg den dritten'. Rez. in: NB X (1750), 473-474. - Weitere zeitgenössische Stimme: Gottsched AW VI/2, 491.
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Pfeiffer, Christoph Ludwig DBA 950, 372: erwähnt 1752-1755 D i e siegreiche Auferstehung des gekreuzigten Messias. E i n Heldengedicht. Wittenberg 1754. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: DBA 950, 372 - Umfang: 3 Vi Bogen in 4° [nach DBA 950, 372], Kommentar: Das einzige nachgewiesene Exemplar (UB Jena: 4. arb. lib. XIV, 86 (4)) gibt die besitzende Bibliothek als "vermißt" an. - Der Titel ist verzeichnet in: Catalogvs Bibliothecae, qvam Jo. Ch. Gottschedivs [...] collegit atqve reliqvit, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1767, München 1977, Nr. 2467.
Philippi, J o h a n n Ernst (1701-1758) D e r e r ö f f n e t e | Tempel der Ehren und | Vorsehung, | U n d die | im Pallaste der Glückseeligkeit | abgelegte Wünsche | Vor den | Höchst-beglückten Antritt | des H o h e n 63 t e n Stuffen-Jahres | J h r o Königl. Majest. in Pohlen und Chur- | fürstl. Durchl. zu Sachsen | Friedrichs Augusti, | des Großen, | J n einem öffentlich-abgelesenen | H e l d e n - G e d i c h t e | a m 12. May 1732. | allerunterthänigst vorgestellet, | V o n | D. J o h a n n Ernst Philippi, gebürtig aus Dreßden, | Oeffentl. Prof. der deutschen Beredsamkeit auf der Königl. Preuß. Friedr. Universität | zu Halle. | Halle, A n n o 1732. | Auch in Leipzig zu finden, in J. S. Heinsii Buchladen. Standort: Halle ULB: Pon Vd 908 - Vers: Strophen mit acht Alexandrinern im Reimschema ababccdd - Umfang: 72 Strophen. Kommentar: Dem Werk geht ein "Kurtzer Innhalt | Dieses | HeldenGedichtes" voran. Darin wird der Text (zutreffender) als "gebundne Rede" bezeichnet. - Beigebunden ist eine Programmschrift (Umfang: 1 Bogen folio), die "Zu Deßen [des Heldengedichts] Hochgeneigter Anhörung | Alle Hohe und Vornehme Gönner, | besonders gesamte Herren Professores; und die allhier studierende | Herren Sachsen, | Hiedurch ergebenst einladet"; die Einladungsschrift beinhaltet eine "Erwegung" über "den Satz: Daß die wahre Ehre eine Frucht der Tugend, sonderlich bey einem großen Printzen sey" und zuletzt ein "Avertissement" des Verf. über seine universitären "Lese-Stunden". - Vgl. NZgS 1732, 456-457: "Verwichenen 12 May [...] hat [...] Johann Ernst Philippi, in einer öffentlichen Deutschen Rede, so in Versen abgefast, Sr. Königl. Majestät [...] Glück gewünscht." - Das Werk ist wohl erster und dann häufigerer Gegenstand von Chr. L. Liscovs Attacken gegen Philippi; vgl. Liscov, Schriften, hrsg. v. C. Müchler, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1806, Frankfurt/M. 1972, II, insb. 477-480 (1. Rez. gegen Philippi); ferner 14-16; 74-75; 78-79; 171; 451-452; 486; 488; 515.
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Bibliographie
Pietsch, Johann Valentin (1690-1733) Carls des Sechsten im Jahr 1717. erfochtener Sieg über die Türcken beschrieben von Johann Valentin Pietsch und nunmehro aus des Verfassers nachgebliebenen Schrifften vollständiger mitgetheilet von J. G. Bock. [In:] Des Herrn | Johann Valentin Pietschen | weyland | Königl. Preußis. Hof-Raths und Leib-Medici | wie auch Professor, ord. der Academie zu | Königsberg | gebundne | Schriften | in einer vermehrtem Sammlung | ans Licht gestellet | von Johann George Bock | der Academie zu Königsberg Profess, ord. wie auch Mitgliede | der Königl. Preußis. Societät der Wissenschafften. | Vignette \ Königsberg | Verlegts Christoph Gottfried Eckart, | Königl. Preußis. privil. Buchhändler. | 1740 [S. -36]. Standorte: Frankfurt/M. StUB: DL 1929/534; Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 3252; Heidelberg UB: Waldberg 2456 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 4 Stücke, 1193 Verse - Vorabdrucke: "Ein Heldengedicht auf den ungarischen Türkensieg 1716 und 1717, wovon 1719 schon vier Bogen abgedruckt waren, davon er aber das übrige nicht drucken ließ" [nach DBA 958, 47]; Carls des Sechsten Sieg über die Türcken. Erstes Stück, in: NZgS 1724, 521-527; Carls des Sechsten Sieg über die Türcken, in: Pietsch, Gesamiete Poetische Schrifften, Leipzig 1725, 3-18 [I u. II/1-36], Kommentar: Die Vorabdrucke von 1719, 1724 und 1725 enthalten den von Pietsch selbst zur Drucklegung vorbereiteten und autorisierten Text (vgl. Ausgabe 1725, Bl. b2r-3r und S. 18). Die postume Ausgabe von 1740 bietet den vollständigen Text aus einem nicht zur letzten Durcharbeitung gelangten Manuskript; an der Textgestalt hat der Hrsg. J. G. Bock einen nicht unwesentlichen, aber nicht genau zu bestimmenden Anteil (vgl. Vorrede der Ausgabe 1740). - Rez. der Ausgabe 1725 in: NZgS 1725, 336; AE 1725, 382-384 (referiert in: NZgS 1725, 720); DAE CVIII (1725), 892-899 (referiert in: NZgS 1725, 902); TPM IV (1725), 366-376 (referiert in: NZgS 1725, 754). Rez. der Ausgabe 1740 in: BCH VII (1741), 131-166 (nach Gottsched AW XII, Nr. 242, von Gottsched); GZgS 1740, 455. Nach DBA 112, 198, ferner rez. in: NZgS 1740, 924-926. - Weitere zeitgenössische Stimmen: BCH III (1734-1735), 327-331 u. 343; Bock, Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum, Königsberg 1733, 25; Bock, Dissertatio solemnis posterior de pulchritudine carminum, Königsberg 1733, 47; Gottsched AW VI/1, 136; 329; 449; 453; VI/2, 490-491; VI/3, 22; NB IV (1747), 450; C. F. Weichmann, Vorrede zu: Postel, Der große Wittekind, Hamburg 1724, Bl. ):( 7r/v (referiert in: DAE CI [1724], 327-328). Das Fehlen von Pietsch bei Koch bemerkt der Rez. der NBsW L (1793), 259: "V. Pietsch, C. G. Lindner, v. Scheyb, Buchholz, fehlen unter den epischen Dichtern."
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Rathlef, Ernst Lorenz Michael (1742-1791) DBA 1001, 61-67 Serklaide. | Eine | von der Belagerung Magdeburgs ausgehende j und mit der entscheidenden Schlacht bey | Breitenfeld sich endigende | Handlung. | Lemgo, | in der Meyerschen Buchhandlung, 1788. Standorte: Berlin SBPK: Ym 74; Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 8225; Zürich ZB: AA 1309 - Vers: Blankvers; dazwischen (meist an Einschnitten) gereimte fünfhebige Jamben - Umfang: 12 Gesänge. Kommentar: In seiner an G. A. Bürger gerichteten und mit "E. L. M. Rathlef' unterzeichneten Vorrede verteidigt der Verf. u. a. die Wahl seines Helden (Johann Tserclaes, Graf von Tilly) und seiner Versart; dabei läßt er längere Proben eigener Übersetzungen von Voltaires 'Henriade' in Alexandrinern (S. 30-46) und der 'Ilias' in gereimten Jamben (S. 46-57) einfließen. - Rez. in: ALZ 1789/11, 547-548 (u. a. wird die nach Ansicht des Rez. mißglückte Wahl des Helden mit Zacharias 'Cortes' verglichen); AdB XCIX (1791), 117-118.
Richter, Christoph Gottlieb (1716/17-1774) DBA 1031,320-348 Der unsterbliche Ruhm Carls des Sechsten, Ihres grossen Kaysers, in einem Trauer- und Helden-Gedichte besungen von der gebückten Noris, Nürnberg bey Lochner und Rothgängel. 1741. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: DBA 1031, 323; KFLB 1741 Ostermesse, G 3v.
Scheyb, Franz Christoph von (1704-1777) DBA 1099,411-428 Theresiade | Ein | Ehren-Gedicht. | Durch | Den Herrn Frantz Christoph von Scheyb | in Gaubikolheim, | Der Ni. Oe. Landschaft Secretar, und Mitglied der | Gesellschaft zu Cortona. | Vignette, sign.: Sal: Kleiner del: & sc. | Erster Theil. | Wienn / gedruckt bey dem UniversitätsBuchdrucker Johann Jacob Jahn / 1746. | Zu finden bey dem Herrn Verfasser. | Und | Bey dem Buchführer zum goldnen Vließ auf dem Juden-Plaz. Theresiade | Ein | Ehren-Gedicht. | Durch | Den Herrn Frantz Christoph von Scheyb | in Gaubikolheim, | Der Ni. Oe. Landschaft Secretarium, und Mitglied der | Gesellschaft zu Cortona. | Vignette, sign.: Nicolais | Zweyter Theil. | Wienn in Oesterreich, | Gedruckt bey Johann Jacob Jahn, Universitäts-Buchdruckern. 1746.
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Bibliographie Standorte: Göttingen NSuUB: 4° Poet. Germ. III 7490; Wolfenbüttel HAB: We 4° 6; Lo 4° 224 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 12 Bücher, 7658 Verse. Kommentar: Dem Titelblatt des 1. Teils folgt (im autopsierten Exemplar Wolfenbüttel HAB: Lo 4° 224) ein in Kupfer gestochenes Titelblatt mit weitgehend gleichem Text, jedoch ohne Angabe des Teils und einem Mottovers aus Vergils 'Aeneis'. - Rez. in: FN IV (1747), 242-243; GZgS 1747, 374-375: "Sein Zwek ist nicht eigentlich ein Heldengedichte oder etwas Historisches zu schreiben, sondern er stellt einen Wettstreit der Tugenden vor, die sich bey der grossen Theresia vereinigt befinden, und mit einander streiten, welche von ihnen bey dieser Heldin am grösten und deutlichsten herrsche. Dieser Wettstreit währt ganze zwölf Bücher durch, und wird endlich durch einen freundlichen Vergleich geschlossen" (nach Guthke 1, 50, von Haller); NB IV (1747), 195-208 (nach Gottsched AW XII, Nr. 340, von Gottsched). Nach Koch I, 112, ferner rez. in: Olmützer monathliche Auszüge alt und neuer gelehrter Sachen 1/2, 142-162, u. II/4, 749-766. - Briefe von Scheybs an Gottsched sind in des letzteren Briefsammlung (Leipzig UB) erhalten; Erwähnungen der 'Theresiade' finden sich in den bei Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 246, 301 u. 304, gedruckten Auszügen. Weitere zeitgenössische Stimmen: Gottsched AW VI/2, 491; Kleist W II, 213; Klopstock HKA, Briefe II, Nr. 111, 40; 56; III, Nr. 34, 12-16; NB VI (1748), 57 u. 143 (nach Gottsched AW XII, Nr. 370, von Gottsched); NB X (1750), 53-54 (nach Gottsched AW XII, Nr. 447, von Gottsched); Nicolai, Briefe 41; NRW, April 1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 397); Wieland BW I, Nr. 51, 70; Zehnder 361.
Schlegel, Johann Elias (1718-1749) Zwey Bücher | des | Heldengedichts | Heinrich der Löwe. [In:] J o h a n n Elias Schlegels | Werke, | Vierter Theil. | Herausgegeben | von | Johann Heinrich Schlegeln, | Professor der Philosophie bey der Universität Kopenhagen, und | Secretär der königlich dänischen Kanzley. | Vignette | Kopenhagen und Leipzig, | im Verlage der Mummischen Buchhandlung, | 1766 [S. < l > - 4 0 ] , Standorte: Heidelberg UB: Waldberg 873; G 5728; Zürich ZB: WD 178 Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 1148 Verse - weitere Ausgabe: reprographischer Nachdruck der zitierten Ausgabe, Frankfurt 1971. Kommentar: In der Vorrede des 4. Teils berichtet der Hrsg. von seinen vergeblichen Bemühungen, "einen Entwurf des ganzen Gedichtes zu erlangen", im Vorbericht, der dem Text unmittelbar vorangeht, von der bis 1742 zurückreichenden Entstehungsgeschichte des Fragments. Vgl. ferner das den 5. Teil einleitende 'Leben des Verfassers', insb. XXV-XXVI. - In der Rez. des 1. Teils der Werkausgabe in: NaG XI (1761), 901-904, heißt es zuletzt: "Wir wünschen, daß auch sein Anfang zu einem Heldengedicht, auf Heinrichen den Leuen, nicht aus der Acht gelassen würde; davon uns der Wohlselige etliche Bücher vorgelesen hat" (nach Gottsched AW XII, Nr. 793, von Gottsched). - Nach dem 'Vorbericht' der oben zitierten Ausgabe hatte Schlegel die fertiggestellten "zwey Bücher nach Zürich zur Beurtheilung des Herrn Bodmer" geschickt, welcher sie "dem Herrn Schultheiß [!], eine Kritik
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darüber zu entwerfen", überlassen habe. Diese erste, ungedruckte Kritik übersendet Bodmer Schlegel mit Schreiben vom 2.9.1747 (abgedr. in: Morgenblatt für gebildete Stände 1810, 738). In seinem Brief vom 6.9.1748 hat Schlegel dann "seine Maschinen zu vertheidigen" versucht, zugleich aber keine Weiterführung der Arbeit in Aussicht gestellt (abgedr. in: Litterarische Pamphlete, Zürich 1781, 121-127). Diesem Brief Schlegels ist eine weitere, gedruckte Kritik von Schultheß "entgegen gesetzt" (in: Bodmer u. a., Neue Critische Briefe, Zürich 1749, 254-261; Nr. XXX: Von den Tugenden, die in dem epischen Gedichte für Maschinen eingeführt werden wollen [Titel nach Inhaltsverzeichnis]). - Vgl. auch Bodmers Brief an Gleim vom 12.9.1747: "Herr Elias Schlegel hat mir das erste Buch von seinem 'Heinrich dem Löwen'geschickt, das ich nicht lesen kann. [...] In seiner Schreibart bemerke ich einen widrigen Zwang" (Briefe Schweizer 66). Gleims Brief an Uz vom 24.10.1747 gibt diese Passage in ähnlichem Wortlaut wieder (BW Gleim/Uz 194). - Rez. des Fragments in: AdB V (1767), 168-172 (von Herder; abgedr. in: Herder SW IV, 234-237); NBsW II (1766), 323-325. Weitere zeitgenössische Stimmen: Gottsched AW VI/4, 122-123; Guthke 3, 26; 81; Lange, Briefe II, 57; Moser, Sämtliche Werke, I, Oldenburg/Berlin 1944, 179 (vgl. VII. 3, Haller).
Schneller, David Andreas (1723-1790) DBA 1126,419-421 D e m berühmtesten Helden | dieser Zeit, | Dem tapfern | Moritz, | Grafen von Sachsen, | Würdigem Marschall | Und erfahrensten GENERALFeld-Herrn | in Franckreich, | Widmet an dem Tage | Dessen prächtiger Beisetzung | in Straßburg 1751. | Zu dem Beitrage Seiner Verewigung | Dieses Helden-Gedichte Dav. Andreas Schneller. | Straßburg, | Zu finden in der Schnellerischen Behausung auf dem Fischmarckt. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 4460 [unvollständig und fehlerhaft gebunden] - Vers: Strophen mit 20 Versen (6 trochäische Tetrameter im Reimschema aabbcc; 8 vierhebige Jamben im Reimschema dedefgfg; 6 Alexandriner im Reimschema hihijj) - Umfang: 21 Strophen [nach NaG I (1751), 212]. Kommentar: Rez. in: NaG I (1751), 210-213: "Er [Verf.] nennet es ein Heldengedicht; und wir gestehen es, daß wir solches nicht gewahr geworden wären, wenn er es uns nicht gesagt hätte. [...] Selbst Oden können das Lob eines Helden besingen; und doch den Namen eines Heldengedichtes nicht verdienen. [...] Ist es eine Epopee, Ode, oder Elegie? Es hat von allem was, und ist doch keines [...]. Dieses vermeynte Heldengedicht ist also eine poetische Chimäre". - Die zitierte Rez. ist Bestandteil einer Sammelbesprechung "von verschiedenen Schriften, womit das Gedächtniß des großen Kriegshelden, Graf Moritzens von Sachsen, in Straßburg und in Dresden verehret worden" (NaG I [1751], 205-217). Texte anderer Autoren zum gleichen Anlaß und Besprechungen solcher Texte finden sich im gleichen Band auf den Seiten 282-290, 344-353 u. 529-533 (Titel s. Gottsched AW XII, Nr. 475; 476; 486; 490; hiernach stammen alle diese Artikel von Gottsched). Lessing rezen-
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Bibliographie siert weitere Texte auf den Tod des Grafen von Sachsen in: CNRG, 2.4.1751 (abgedr. in: Lessing LM IV, 219-220).
Schönaich, Christoph Otto Freiherr von (1725-1807) Heinrich der Vogler; | oder: | Die | gedämpften Hunnen. | Versuch | eines | Heldengedichtes, | vom | Verfasser | des Hermanns. | Res dura et regni nouitas me talia cogunt | Moliri et late fines custode tueri. | VIRGIL. I Berlin, | verlegts A. Haude und J. C. Spener, Königl. und der Academie | der Wissenschaften Buchhändler. 1757. Standorte: Wolfenbüttel HAB: Lo 6972; Zürich ZB: III 399 (8) - Vers: paarweise gereimte trochäische Tetrameter - Umfang: 12 Bücher. Kommentar: Motto: Vergil, Aeneis 1/563-564. - Rez. in: BsW II (1757), 422-423 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM VII, 103): "Man muß es dem Verfasser des Herrmanns nachsagen, daß dieser Versuch ein Meisterstück in seiner Art ist. Alle Welt weiß es, daß dieser Dichter ein Meister ist, Helden abgeschmackt denken zu lassen, und den Lesern lange Weile zu machen"; FN XIV (1757), 287-288 u. 290-291; FN XV (1758), 19-20; NaG VII (1757), 272-280 u. 449-457. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Lessing LM XVII, 106; Wieland AA1/4, 373, 28-30. Herrn Christoph Ottens, | Freyherrn von Schönaich, | der Königlichen Deutschen Gesellschaft zu Königsberg | Ehrengliedes, | Hermann, | oder j das befreyte Deutschland, | ein | Heldengedicht. | Mit einer Vorrede ans Licht gestellet | von | Joh. Chr. Gottscheden. | Virg. Aen. | Fortia facta Patrum, series longissima rerum. | Leipzig, | verlegts Bernhard Christoph Breitkopf, | 1751. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. IV 638; Wolfenbüttel HAB: Lo 6973. - Vers: paarweise gereimte trochäische Tetrameter - Umfang: 12 Bücher - weitere Ausgaben: Leipzig 1753; o. O. 1805; engl, und franz. Übersetzungen: London 1764; Paris 1769; Paris 1799 [nach Gottsched AW XII, Nr. 835; 859; 941; dort genaue Titelangaben und Hinweis auf eine Rezension; weitere Rez. s. Jördens IV, 609], Kommentar: Motto: Vergil, Aeneis 1/641. - Widmungsschreiben datiert und unterzeichnet: "Leipzig, den 23. Sept. 1751. [...] Gottsched." Vorrede unterzeichnet: "Joh. Chr. Gottsched." In der Ausgabe 1753 treten ein Vorbericht des mittlerweile als Dichter gekrönten Schönaich, zahlreiche, den Text begleitende historische Anmerkungen und Erweiterungen des Textes an einigen Stellen neu hinzu. - Vgl. NaG II (1752), 627-630: Zuverläßige Nachricht von der den 18ten des Heumonaths geschehenen ersten poetischen Krönung in Leipzig (nach Gottsched AW XII, Nr. 511, von Gottsched; Gottscheds Einladung zu diesem Ereignis und seine dort gehaltene Rede erschienen als Einzeldruck in lateinischer Sprache mit deutscher Übersetzung, vgl. Gottsched AW XII, Nr. 505 u. 968; vgl. ferner Gottscheds Brief an Flottwell vom 19.7.1752, den Krause, Gottsched und Flottwell, Leipzig 1893, 250-255, abdruckt und ausführlich kommentiert). - Rez. der Ausgabe 1751 in: FgZ 1751, 547 (nach Frank 39-40; dort tw. zitiert); FN VIII (1751), 396-399 (abgedr. in: AsK 58-68); GZgS 1752, 123-126; NaG I (1751), 779-794; NRW,
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Dezember 1751 (von Lessing; abgedr. in: Lessing LM IV, 468-469); NZgS 1752, 278-280. - Rez. der Ausgabe 1753 in: FN X (1753), 260-261; NaG III (1753), 485-506. - Briefe Schönaichs an Gottsched aus den Jahren 1751-1754, in denen die Entstehungs- und Druckgeschichte des 'Hermann' greifbar wird, druckt Danzel, Gottsched und seine Zeit, Leipzig 1848, 369-385. - Auf das Werk nehmen u. a. folgende zeigenössische Quellen Bezug: Becker, Kaestners Epigramme, Halle 1911, 136-137; [Bodmer,] Arminius-Schönaich, ein episches Gedicht, von Hermanfried, o. O. 1756 (vgl. dazu: FN XIII [1756], 318-319; abgedr. in: AsK 195-201; Zehnder 376); [Bodmer?/Wieland?,] Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen. Nebst dem verbesserten Hermann, Frankfurt/Leipzig 1755 (vgl. Wieland-Bibl 655); [Bodmer?/Wieland?,] Edward Grandisons Geschichte in Görlitz, Berlin 1755 (vgl. Wieland-Bibl 1362); Briefe Schweizer 172-173; BW Gleim/Ramler I, 318; [Dahlmann/Thomas,] Vermischte Critische Briefe, Rostock 1758, VII; Gottsched AW VI/2, 610; VI/3, 23; 38; 123; 125; 126; Guthke 3, 86; 88-89; 100; Klopstock HKA, Briefe II, Nr. 111, 23-26; 39; 56; Kurrelmeyer 286-287; Lessing LM I, 36; 202; IV, XIV; V, 9-10; 423; VII, 10; 37; NaG II (1752), 132; 151; 157; Riedel, Briefe 37; 66; 99; Schönaich NeoWb (Selbstzitate!) 33-34; 104; 116; 144; 204-205; 267; 283; 325; 347; Starnes I, 47; 93; Wieland BW I u. II (Register); Zehnder 361.
Schultes, Jakob (1727-1771) DBA 1149,293-297 Heldengedicht auf den Durchlauchtigsten Fürsten Georg Martin Lubomirski. Ulm 1770. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: DBA 1149, 296. - Umfang: s. u. Kommentar: DBA 1149, 296-297: "vielleicht auch anonymisch." - Rez. in: AdM 1771, 80: "Dies Gedicht von Herrn Schultes, dem Verfasser der Polyhymnia ist zwar nur 30 Zeilen lang, aber läßt sich dennoch nicht zu Ende lesen."
Schwarz, Johann Ludwig Georg (1759-1830) DBA 1160, 181-185 Ahdim. | Eine | morgenländische Erzählung | von | I. L. Schwarz. | Berlin, 1796. | bei Friedrich Vieweg, dem altern. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. IV 1572-b; München UB: 0001/Maassen 3572 - Vers: Stanzen (acht Jamben mit vier bis sechs Hebungen; Vers 1-6 mit zwei Reimen in wechselndem Schema, Vers 7/8 stets paarweise gereimt) - Umfang: 9 Gesänge, 248 Strophen - Vorabdrucke in: NDM I (1789), 48-55 [= 1/1-28]; NDM I (1789), 260-268 [= 11/29-55]; NDM I (1789), 355-361 [= 111/56-78]; NDM I (1789), 444-453 [= IV/79-109]; NDM I (1789), 474-482 [= V/110-136]; NDM II (1790), 447-458 [= VI/137-172]. Kommentar: Im Anschluß an den Vorabdruck von Gesang VI befindet sich eine Nachricht des Hrsg. (NDM II [1790], 459): "Die, denkt der Herausgeber,
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Bibliographie nicht wenigen Leser des N. D. M. die Ahdims Unterbrechung seit einigen Monaten ungern bemerkten und auch nicht gern gegenwärtigen Gesang als den lezten angekündigt sehen werden, der in dieser Zeitschrift erscheint, mögen sich wenigstens der hinzugesezten Nachricht freuen, daß das ganze Gedicht in zwölf Gesängen bald bei dem Buchhändler, Herrn Vieweg in Berlin, mit aller ihm zukommenden Eleganz gedruckt, ans Licht treten wird." - Im 'Vorbericht' der selbständigen Ausgabe heißt es: "Die ersten Gesänge dieses Gedichts sind dem Publikum schon aus dem Deutschen Musäum bekannt, worin sie vor einigen Jahren erschienen. Das Ganze sollte aus zwölf Gesängen bestehen, aber die unruhige Lage des Verfassers, welche zum Theil aus der Zueignungs-Epistel ['An die litterarische Gesellschaft zu Halberstadt'] erhellet, gestattete weder diesen Umfang, noch die frühere Vollendung, obgleich die ersten Stanzen schon vor 10 Jahren angefangen wurden." - Rez. in: ALZ 1796/III, 35-38 (von A. W. Schlegel); GAgS 1796, 1247-1248; NadB XXXI (1797), 373-378; OaLz 1796/11, 610-612. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Bürger III, 301; 309-310 (Boie an Bürger, 7.12.1789: "Daß dir das Gedicht gefällt, wird dem Dichter sehr behagen, und macht auch mir Freude, da ich etwas von der Glätte und Versifikazion auf meine Rechnung setzen darf'); Briefe Halem 95; 114.
Siegfried, Johann Samuel (1775-1840) DBA 1184, 47; Goedeke V, 452 Siama und Galmory. | Ein | Gedicht | in | zwey Gesängen. | von | J. S. Siegfried. | In Commission | Leipzig, bey P. Ph. Wolf. | 1800. Standorte: Berlin SBPK: Ym 8215; Oldenburg LB: Spr XIII, 4c/1507; Zürich ZB: AA 1349 - Vers: Hexameter - Umfang: 867 Verse - weitere Ausgaben: Leipzig 1801; ferner in: Taschenbuch für 1801, Leipzig 1800; Übersetzung ins Lateinische: Siama et Galmoris, Lipsiae 1802 [vgl. Goedeke V, 452]. Kommentar: Rez. (nicht nach Ausgaben differenziert) in: ALZ 1801/1, 131-133: "Im Ganzen würde es dem Gedicht zum Vortheil gereichen, wenn der hohe epische Ton nicht, weil er ohne Abwechslung ausgehalten wird, den Leser ermüdete"; Briefe an ein Frauenzimmer über die wichtigsten Produkte der schönen Literatur, hrsg. v. G. Merkel, I (1800), 162-171 (Brief XI); NadB LVII (1801), 540 u. 545: "Siama und Galmory in zwey Gesängen, welches die Liebe zweyer edlen Peruaner und ihr, durch Pizarro's und seiner Gefährten Graumsamkeit veranlaßtes trauriges Ende schildert"; NadB LXVI (1801), 346-347; NTM 1800/11, 327-329; OaLz 1801/1, 661. Nach ARL 1796-1800, XIV. 2129a-2129b, ferner rez. in: GgZ 1800, 285-288; U n L 1800/1, 617-618; LJnL 1800/11, 179-180. - Weitere zeitgenössische Stimme: Chronik des Wiener Goethe-Vereins XXXVI (1930), 36-37 (Böttiger an Hammer, 2.6.1802).
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Stetten, Paul von (1731-1808) Selinde | eine Ritter-Geschichte | in dreyen Büchern. | Vignette mit Inschrift: Ficta potes multa addere veris. Vida. | Augsburg, | verlegts Elias Tobias Lotter, 1764. Standorte: Heidelberg UB: Waldberg 1786; Zürich ZB: XV 762 (1) - Vers: paarweise gereimte Jamben mit vier bis sechs Hebungen. Kommentar: Inschrift der Vignette: Marcus Hieronymus Vida, De arte poetica 11/345. - Die Frage der Gattungszugehörigkeit ist kaum schlüssig zu beantworten. In der gereimten Vorrede, die zugleich Elemente eines (im Gedicht selbst nicht vorhandenen) Musenanrufs beinhaltet, spricht der Dichter zwar die Muster der epischen Gattung an (Homer, Maro, Tasso) und ironisiert die zeitgenössische Anakreontik, begibt sich aber nicht in eine bestimmte Tradition ("niemand gieng voran"), sondern meint auf "ungebrauchter Bahn" geleitet zu werden. Zuletzt (S. 6) gibt er die historischen Grundlagen und Quellen ("Burckart Zenks Augspurgische Chronick zum Jahr 1416. in Mspto") an, nach denen er arbeitet. Vgl. Kap. I, Anm. 50. - Rez. in: GAgS 1765, 56 (nach Guthke 1, 59, von Haller); AdB I (1765), 268-269: "doch sieht das ganze Werkchen noch keinem Gedichte ähnlich, sondern einer ziemlich trockenen Historie, die in fünffüßigen Jamben zuweilen ganz artig erzählet wird, zuweilen ins Platte fällt".
Stockei, Christian Gottlob (1722-1774) Das | Befreyte Schlesien, | Oder | die siegreichen Feldzüge | Sr. Kön. Maj. in Preußen | Friedrichs | des Großen, | im Jahre 1745. | Ein Gedicht von sechs Büchern. | Entworfen von | Christian Gottlob Stöckeln | von Münsterberg aus Schlesien. | Breßlau, | verlegts Daniel Pietsch, Buchhändler. | 1748. [In:] Christian Gottlob Stöckels | Stadtsecretärs zu Brieg | und der deutschen Gesellschaft zu Frankfurt an der | Oder Mitglieds | Gedichte. | Vignette | Breßlau, | verlegts Daniel Pietsch, Buchhändler. | 1748 [S. -88], Standorte: Wiesbaden HLB: Ku 3938; Wolfenbüttel HAB: Lo 7393; Lo 7927 (2) - Vers: paarweise gereimte Alexandriner - Umfang: 1580 Verse - Vorabdrucke: Das Befreyte Schlesien. Siegesgedichte, Breslau 1745 (1.-4. Auflage); Der Sieg bey Sorr, als eine Fortsetzung des Befreyten Schlesiens, Breslau 1745; Die rühmliche Zurückkunft des Königs aus Böhmen, der Sächsische Feldzug, nebst dem Siege bey Kesselsdorf, und dem darauf erfolgten Frieden, als die letzte Fortsetzung des Befreyten Schlesiens, Breslau 1746; ferner in: Sammlung einiger auserlesener Gedichte, welche auf die von Sr. Königl. Maj. von Preußen erfochtenen Siege sind verfertiget worden, Berlin 1746. "Das II. Stück heißt das befreyte Schlesien, Siegesgedichte, entworfen durch Christian Gottlieb Stöckeln [...]. Das III. St. ist der Sieg bey Sorr, als eine Fortsetzung des vorigen, von eben demselben Verfasser" [nach NB II (1746), 379]. - weitere Ausgaben: Der Schlaf des Königs auf der Wahlstatt bey Sorr. Eine Episode zum befreyten Schlesien, 1. u. 2. St., Brieg/Breslau 1756-1757 [nach GV 1700-1910 CXL, 184]; "Eine umgearbeitete Abschrift des befreyten Schlesiens [...] hat er fertig hinterlassen" [DBA 1231, 84].
Bibliographie
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Kommentar: Das 'Befreyte Schlesien' kam 1748 offenbar gleichzeitig als (nicht nachgewiesene) Einzelausgabe und innerhalb der 'Gedichte' heraus. Hierfür spricht die (oben zitierte) Form des Titelblatts, das auf die Möglichkeit einer selbständigen Veröffentlichung ausgerichtet ist, und die getrennte Paginierung zweier Teile, die sich in den zitierten Exemplaren wie folgt darstellt: Nach ungezähltem Titelblatt der 'Gedichte' und einem Vorbericht ("Brieg, den 29sten Winterm. 1747. Leonora Stöckelinn, geb. Winklerinn.") folgen das 'Befreyte Schlesien' (S. 1-88), eine zugehörige Lobrede (S. 89-107) und ein gleichfalls zugehöriges Schreiben (S. 109-122; s. u.); mit neuer Seitenzählung schließen sich an: Oden (S. 1-86), Elegien (S. 87-116), Briefe (S. 117-158) und Cantaten (S. 159-184). - Die Titel der Bücher des 'Befreyten Schlesien' lauten: 1. Der feindliche Einfall in Schlesien; 2. Die Schlacht bey Hohen-Friedeberg; 3. Die wiederholte Zurüstung des feindlichen Heers in Böhmen; 4. Die Schlacht bey Sorr; 5. Die Zurückkunft des Königs nach Berlin und Potsdam; 6. Der Sächsische Feldzug. Die nicht gesehenen Vorabdrucke (London BL: 11522.dd.12) beinhalten vermutlich jeweils den Text von zwei Büchern der Ausgabe 1748 (I/II; III/IV; V/VI). - Rez. des selbständigen Vorabdrucks in: FN III (1746), 398-400; vgl. hierzu: Schreiben an den Hrn Secretär Stockei, das im funfeigsten Stücke des dritten Jahrgangs der freymüthigen Nachrichten, über das befreyte Schlesien, befindliche Urtheil betreffend, in: Stöckels Gedichte, Breßlau 1748, 109-122. Außer auf die Rez. in FN wird darin auf das Urteil "des Büchersaals und des Liebhabers der schönen Wissenschaften" Bezug genommen (S. 109-110). Bei ersterem handelt es sich wohl um die Anmerkungen zum Vorabdruck in der 'Sammlung einiger auserlesener Gedichte, Berlin 1746' in: NB II (1746), 379; bei letzterem um die Rez. der drei Vorabdrucke in: Der Liebhaber der schönen Wissenschaften I (1747), 93-94. - Rez. der Ausgabe 1748 in: FN V (1748), 393-394; FN VI (1749), 34; GZgS 1748, 781-782; NB VI (1748), 529-541, insb. 53 Iff. u. 534. - Das Werk ist mehrfach Gegenstand des Briefwechsels zwischen Gleim und Kleist (Kleist W II, 17; 22; 23; 25-26; III, 10; 78); vgl. ferner Gottsched AW VI/2,491.
Telgmann, Rudolph Friederich Nicht in DBA und Goedeke Heroisches Gedichte | Auf | Sr. Hertzogl. Durchl. | Ludewig Rudolph, | Hertzog | zu j Braunschweig | und | Lüneburg. | Helmstädt, j Gedruckt bey Paul Dieterich Schnorrn / | Univ. Buchdr. | 1725. Standort: Frankfurt/M. StUB: 17/4223 - Vers: Alexandriner in der Reimfolge ababccdedeff usw. - Umfang: 2142 Verse. Kommentar: Der auf das Titelblatt folgende Zwischentitel gibt Auskunft über Anlaß, Umfang und Verfasser: "Wahrhafftige Kennzeichen | Eines | Beglückten Fürsten | Hat aus dem | Hoch-Fürstlichen Exempel | Des j Durchleuchtigsten Fürsten und | HERRN, | Herrn Ludewig | Rudolphs, j Hertzogs zu Braunschweig und | Lüneburg, | Seines Gnädigsten Herrn | Auf Deßen hohen und glücklich angetretenen | LVten Geburths-Feste, | Welches einfiel den 22. Jul. (I)I)CCXXV, | Durch unterschiedene Moral. Polit. und Historische Gründe | In einem | Heroischen Gedichte | Von 2142. Versen | In untertänigster Demuth vorgestellet | Rudolph Friederich
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Teigmann | Duinga-Hannov. | Jurisprud. & Philos. C." Es folgt eine gereimte 'Lob- Und Zueignungs-Schrift [...] Von dem AVTORE', datiert "Helmstädt den 22. Jul. 1725", und ein 'Summarischer Inhalt der vornehmsten Sachen'. Rez. in: NZgS 1726, 137: "Ob der Autor unter die glücklichen Poeten zu zehlen sey, wollen wir nicht beurtheilen." Nach Gühne, Gottscheds Literaturkritik, Stuttgart 1978, 124, bezieht sich eine Passage in: VT 11/29 (1726), 229, möglicherweise auf Teigmanns Werk.
Timlich, Carl (um 1744-1828) Zu Namensform und Lebensdaten variierende Angaben; obige nach Goedeke Index, 347; vgl. DBA 1259, 403 (hier: Temlich) und 1274, 292-295. Gilbert und Zadine, | ein | Gedicht. | Von E. C. Temlich. | Vignette | Wien, | bei Rudolph Gräffer, 1784. Standort: Heidelberg GS: Τ 8500 sekr. - Vers: freie Stanzen (acht jambische Verse mit vier bis sechs Hebungen, wechselndes Reimschema) - Umfang: 10 Gesänge, 600 Strophen. Kommentar: Nach Gesang X heißt es: "Ende des ersten Theils." Eine Fortsetzung konnte nicht nachgewiesen werden. - Rez. in: AdB LXVIII (1786), 445-447.
Triller, Daniel Wilhelm (1695-1782) Der Sächsische | Prinzenraub, | Oder | Der wohlverdiente Köhler/ | In | Einem Gedichte | fiirgestellet, | In vier Bücher abgetheilet, mit feinen | Kupfern gezieret, auch mit historischen | Anmerckungen, und einem | dergleichen Anhange, | nebst | einer ODE erläutert, I von I D. Daniel Wilhelm Triller. | Vignette | Franckfurt am Mayn/ | bey Frantz Varrentrapp. | MDCCXXXXI. Standorte: Frankfurt/M. SeB: 8° F 33.349; Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 7890; Zürich ZB: Ch70 - Vers: paarweise gereimte Alexandriner. Kommentar: Triller erörtert in seiner Vorrede u. a. die Frage, welcher Gattung sein Werk zuzuordnen sei, und bezeichnet es - im Blick auf Kritiker, die es an den Mustern der epischen Gattung messen könnten - "als ein historisches Gedichte" in der Tradition vor allem Lucans. Indem er jedoch bspw. "nach der Gewohnheit der heroischen Poeten" freie Erdichtungen, Träume etc. einfügt und in den den einzelnen Büchern voranstehenden Motti insb. auf Virgils 'Aeneis' rekurriert, formuliert er deutlich einen epischen Anspruch. In diesem Sinne findet sich das Werk in den Gattungsbibliographien bei Blankenburg II, 80, und Koch I, 112 (unter "ernsthafte Epopöe"). Als poetische Vorlage für seine epische Bearbeitung der historischen Begebenheit, die in zwei umfänglichen Abhandlungen im Anhang dargestellt wird und deren Held ein Vorfahr des Autors ist, nennt Triller (Vorrede sowie S. 12, Anm. i, u. ö.) ein 1679 geschriebenes, "noch ungedrucktes" neulateinisches Epos über den gleichen Stoff von Caspar Eylenberg. Ferner bezieht er
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Bibliographie sich auf eine gleichfalls lateinische dramatische Bearbeitung. (Diese wurde 1774 ins Deutsche übersetzt; Titel nach KFLB 1774, 694 [Ostermesse]: "Prinzenraub, der sächsische, oder Kunz von Kauffung, ein Trauerspiel in Versen und dreyen Aufzügen aus dem Latein, von P. F. J. 8. Gera, bey G. G. Rothen, und Leipzig, in Commiss. bey A. F. Böhmen." Dieser Titel wird ablehnend mit Hinweis auf Triller angezeigt in: AdB XXVIII [1776], 191.) - Critische Versuche, zur Aufnahme der deutschen Sprache II/9, 300-307: Ob das Wesentliche eines epischen Gedichts auf die Wichtigkeit und Vortreflichkeit der Handlung, oder auf die Hoheit der Hauptperson ankomme, bei Gelegenheit des Trillerischen Gedichts vom Sächsischen Prinzenraube [nach Jördens V, 90], - Rez. zu Trillers Werk in: BCH VIII (1742-1744), 535-546 (u. a. mit Gedanken zu der von Triller gestellten Gattungsfrage; nach Gottsched AW X/2, 528, stammt diese Rez. von Luise Α. V. Gottsched); FN I (1744), 33-37 (als Verfasser des Werks wird Trillers literarischer Widersacher "Conrector Erlenbach" [d. i. ein Pseudonym J. J. Breitingers; vgl. Baechtold 560] angenommen, der dieses aus Haß gegen Triller als dessen Arbeit ausgegeben habe; die im folgenden vorgenommene vernichtende Kritik wird durch diesen Kunstgriff als Rettung Trillers verschleiert); GZgS 1743, 566-568. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Gottsched AW VI/2, 491; Guthke 2, 39 (Kritik aus Hallers handschriftlichen 'Judicia'): "Soll ein poema epicum sein, ist aber, wie alles, was der Verfaßer schreibet, ohne Feuer und Poesie. Das Subject zu einem solche Gedichte zu klein, die Ausführung historisch u. prosaisch, die Wahrsagung von den zukünfftig. Trillern lächerlich und unanständig, und die Drohung gegen die Züricher kindisch"; Hagedorn PW V, 85; Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften VII (1743), 96; Wieland BW I, Nr. 51, 71; V, Nr. 55, 71-76; Zehnder 361. Weitere Hinweise: ADB XXXVIII, 612-613.
Uhlich, Adam Gottfried (1743-1794) Agatha, oder die junge Martyrin ein episches Gedicht in fünf Gesängen. [In:] Das Wochenblatt für die Inneroesterreichischen Staaten [Erster Band. Graz 1775(7). S. 1-16; 65ff.; 97ff.; 129ff.; 177ff.]. Standort: Graz UB: Sondersammlung Widmann I 12.75f - Vers: frei reimende Jamben mit drei bis sechs Hebungen, dazwischen prosaische Abschnitte. Kommentar: Titelaufnahme nach Reproduktion. Seitenangaben der Gesänge II-V nach dem Inhaltsverzeichnis (Bl. (*) 5r: "Größere epische Gedichte: Agatha oder die junge Martyrin S. 1. 65. 97. 129. 177."). In der 'Vorrede' heißt es (Bl. (*) 3v): "[wir wollen] unmaßgeblich jene, die mit dem epischen Gedichte ganz und gar nicht zufrieden waren, und unsere Agatha lieber in eine Sakristey als in ein Wochenblatt verbannet hätten, versichern: daß eben diese Agatha bey andern das einzige Stück ist, wgene dem sie uns noch die Gnade anthun, uns zu lesen." Bl. (*) 6r deutet die Mitarbeiter des Wochenblatts an: "Die größern Gedichte verfertigen U: und P:" - Die Gattungsbibliographie bei Blankenburg II, 82, enthält obigen Titel ohne Angabe des Autors. Unter den Werken Uhlichs, der Herausgeber der Zeitschrift 'Wochenblatt für die Innerosterreichischen Staaten' war, verzeichnet DBA 1293, 155, folgenden Titel: "'Das Leben der heiligen Agatha, ein Heldengedicht aus Prosa und Versen abwechselnd'. (1775, 8°)". Daß beide Angaben das gleiche Werk
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meinen, ist offensichtlich; es bleibt jedoch fraglich, ob das Werk (wie die Angabe aus DBA nahelegt) in einer nicht nachgewiesenen Einzelausgabe erschienen ist.
Weidmann, Paul (1746-1810) Das neue Jerusalem in zehn Gesängen. Dessau 1784. Gelehrten-Buchhandlung. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: GV 1700-1910 CUV, 518. Kommentar: Die Existenz des Textes ist fraglich. Karlssieg | ein | Heldengedicht | von zehen Gesängen. | Mit einer | Abhandlung von der Epopee. | Erster Theil. | Vignette, sign.: Mansfeld fee. | WIEN, | gedruckt bey Joseph Kurzböck, k. k. illyr. Hofbuchdruckern | und Buchhändlern, 1774. Karlssieg | ein | Heldengedicht | von zehen Gesängen. | Mit einer | Abhandlung von der Epopee. | Zweyter Theil. | Vignette, sign.: Mansfeld fee. | WIEN, | gedruckt bey Joseph Kurzböck, k. k. illyr. Hofbuchdruckern | und Buchhändlern, 1774. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. IV 22; Wien UB: 1 104600 Vers: Hexameter. Kommentar: Teil I (215 S.) enthält das Heldengedicht, Teil II (125 S.) die 'Abhandlung von der Epopee' (mit Anhang, s. u.). - Rez. in: AdB XXVI (1775), 460-463: "Der Gegenstand dieses neuen Heldengedichtes ist der Sieg Carls des fünften über die verbundenen protestantischen Fürsten. Der Verfasser ist ein gut katholisch und kaiserlich gesinnter wohlmeinender Mann [...]. Aber ein Dichter - ein epischer Dichter, ist er wohl nicht. Die Handlung ist ganz übermässig mit allegorischen Personen überladen, die nicht etwa unsichtbar auf die Menschen würken, oder ihnen im Traum, in der Einsamkeit erscheinen, sondern mit den Menschen wie Menschen handeln. [...] Ueberhaupt ist die poetische Schreibart des Verfassers sehr unharmonisch, bisweilen niedrig, bisweilen übermäßig auf gothische Art verzieret, und überhaupt von einem besondern Tone. Die Gedanken von der Epopee enthalten nichts auszeichnendes. Die allegorischen Wesen werden darinn, wie man leicht denken kann, sehr angepriesen. Mehr verdienen die historischen Nachrichten, die der Verfasser von allen epischen Dichtern und ihren Werken angehänget hat, gelesen zu werden." AdM 1777, 58: "Karls des fünften Sieg bey Mühlberg ist das Thema des Verfassers, des Herr Weidmann und die Ausführung eines Schönaich würdig." Die Ottosiade, in zehn Gesängen. Wien, Alberti (Leipzig, Rein in Kommission). 1797. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1797, 187 (Ostermesse). Kommentar: Die Existenz des (nur im Meßkatalog nachgewiesenen) Textes ist fraglich.
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Bibliographie
Die Rudolphiade, in zwölf Gesängen. Wien, Alberti (Leipzig, Rein in Kommission). 1797. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1797, 187 (Ostermesse). Kommentar: Die Existenz des (nur im Meßkatalog nachgewiesenen) Textes ist fraglich.
Weppen, Johann August (1742-1812) Heinrich | der Lange, | ein | Historisches Gedicht, | von | Johann August Weppen, | Gerichts-Amtmann zu Oldershausen. | Vignette \ 1778. Standorte: Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. IV 785; Wolfenbüttel HAB: Lo 7922 - Vers: Hexameter - Umfang: 1305 Verse. Kommentar: In der auf "den lOten May 1778" datierten Vorrede nennt Verf. als seine Hauptquelle die "von dem sei. Pastor Lenzer" verfaßte und ihm im Manuskript vorliegende "Sammlung und historische Beschreibung der alten adlichen Geschlechter derer von Harringhusen, Duderode, Westerhof und Oldershausen, etc. etc." - Jördens V, 302: "enthält die Thaten eines alten deutschen Ritters, welcher 1099. starb. Kostüme, ungezwungene Erzählung und fließende Versifikation machen es angenehm."
Wieland, Christoph Martin (1733-1813) DER | GEPRYFTE | ABRAHAM. | EIN | GEDICHT | IN | VIER GES/ENGEN. | ZYRICH, | bei CONRAD ORELL und Comp. MDCCLIII. Standorte: Biberach/R. WA: 428; Frankfurt/M. StUB: S 10/227 Nr 1; Zürich ZB: III 337a (1) - Vers: Hexameter - weitere Ausgaben und Übersetzungen: s. Wieland-Bibl 413 u. Register [seit 1762 erschien das Werk ohne den von Wieland selbst ausgeschiedenen 4. Gesang u. d. T. 'Die Prüfung Abrahams. In Drey Gesängen']; der Text des Erstdrucks findet sich auch in: Wieland AA 1/2, 103-166. Kommentar: Rez. in: GAgS 1754,160 (nach Guthke 1, 54, von Haller; abgedr. in: Guthke 2, 65). Rez. der Ausgabe Zürich 1770 in: DBsW V (1771), 441-442. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 222-223; 225; Haller, Gedichte, Frauenfeld 1882, 366; J. G. Hamann, Briefwechsel, I, hrsg. v. W. Ziesemer u. A. Henkel, Frankfurt/M. 1955, 349; Starnes (Register); Wieland BW I u. II (Register); III, Nr. 49, 99-111; Zehnder 480. Der | Neue Amadis. | Ein comisches Gedicht | in Achtzehn Gesängen. | Vignette | Erster Band. | Leipzig, | bey M. G. Weidmanns Erben und Reich. 1771. Der | Neue Amadis. | Ein comisches Gedicht | in Achtzehn Gesängen. | Vignette [ Zweyter Band. | Leipzig, | bey M. G. Weidmanns Erben und Reich. 1771.
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Standort: Frankfurt/M. StuB: S 10/460 - Vers: meist jambisch-anapästische Verse mit drei bis sechs Hebungen in freien Reimen; Ausgabe letzter Hand in "zehnzeiligen Stanzen" [vgl. Wielands Vorreden zum Erstdruck und zum Abdruck in der Ausgabe letzter Hand in: Wieland SWIV, IX-XXIV] - weitere Ausgaben und eine Ubersetzung: s. Wieland-Bibl 441-443 u. Register. Kommentar: Die Aufnahme in vorliegende Bibliographie läßt sich am besten mit Wielands eigener Gattungsbestimmung begründen: "Von meinem neuen Amadis hätte ich Lust Ihnen ausführlich zu schreiben. Es ist ein wahres Original; ein Mittelding zwischen allen andern Gattungen von epischer Poesie, denn es hat von allen etwas" (Wieland BW IV, Nr. 26, 65-68; Wieland an Gleim, 2.10.1769). - Rez. s. Wieland-Bibl 441. Weitere zeitgenössische Stimmen: Starnes (Register); Wieland BW III, Nr. 569,124-164; 201; Nr. 570, 49-67; IV (s. zukünftig im Register). Cyrus. | Quo nihil majus meliusve terris | Fata donavere, bonique Divi, | Nec dabunt, quamvis redeant in aurum | Tempora priscum. | Von | C. M. Wieland. | Vignette, sign.: S. Gessn. f. | Zürich, bey Geßner, 1759. Standorte: Biberach/R. WA: 434; 1446; Frankfurt/M. StUB: S 10/539 - Vers: Hexameter - Umfang des Fragments: 5 Gesänge - weitere Ausgaben: s. Wieland-Bibl 402 u. Register; der Text des Erstdrucks befindet sich auch in: Wieland AA1/3, 88-147. Kommentar: Motto: Horaz, c. IV 2, 37-40. - Rez. in: GAgS 1759, 1255 (nach Guthke 1, 56, von Haller; abgedr. in: Guthke 2, 76-77). - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 267; Bodmer, Der Held aus Persis, in: Bodmers Apollinarien, hrsg. v. G. Fr. Stäudlin, Tübingen 1783, 327-343 (vgl. dazu Baechtold, Bodmer's Tagebuch, in: Turicensia 1891, 190-216, hier 195: "1758. [...] Ich sandte Wieland die Hexameter, mit welchen ich ihn zur Fortsetzung des Cyrus aufmuntern wollte"); Briefe Tschamer 22-23; 29-30; Riedel, Briefe 93; Starnes (Register u. I, 123; 131-132); Wieland BW I u. II (Register); III, Nr. 10, 23-27; Nr. 69; Nr. 122, 8; Nr. 138, 75-78; Nr. 149, 58-61; Nr. 410, 47-49; Nr. 441, 47-50; Nr. 490, 8-9; IV, Nr. 30, 64-65; Nr. 167, 118-121; Zehnder 630. [Hermann. 1/1-26 u. IV/143-171. In:] Freymüthige | Nachrichten | von | Neuen Büchern, | und | andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen, j Achter Jahrgang, 1751. | Vignette | Zürich, | Bey Heidegger und Compagnie [50. St. v. 15. Dezember 1751. S. 398 u. 399]. [Hermann. IV/530-570; 524-529; 514-524; 645-667; 303-309; 313-380; 387-401. In: Bodmer, Johann Jakob (?)/ Wieland, Christoph Martin (?):] Ankündigung | einer | Dunciade | für die Deutschen. | Nebst dem verbesserten | Hermann. | Sero sapiunt Phryges. | Vignette | Frankfurt und Leipzig, 1755 [S. 96-97 u. 98-100], Standorte: a) Göttingen NSuUB: 8° e. Lit. 174/9; Wolfenbüttel HAB: Za 332; Zürich ZB: Gal Ζ 1353; b) Frankfurt/M. StUB: S 10/219 - Vers: Hexameter Umfang der zeitgenössisch gedruckten Fragmente: insgesamt 182 Verse Wiederabdruck des ersten Textzeugnisses in: AsK 65-66 u. 67-68 - erster vollständiger Druck der hinterlassenen Handschrift: Wieland, Hermann, Heilbronn 1882 (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts. VI). - Umfang des
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Bibliographie (unvollendeten) Gedichts in der Handschrift: 4 Gesänge, 3100 Verse (Zählung der Ausgabe Wieland AA 1/1, 137-217). Kommentar: Die oben angegebenen Stellen bezeichnen die Positionen, die die zeitgenössisch gedruckten Passagen innerhalb des handschriftlich in Bodmers Nachlaß überlieferten Gedichts einnehmen. Gegenüber der Handschrift weisen diese Passagen erhebliche, weitgehend wohl auf Bodmer zurückgehende Varianten auf. Sie werden hier dennoch (gegen Seuffert, Prolegomena, Hildesheim 1989,1/1, 29 u. 45-46) als fragmentarische Vorabdrucke eines Wielandschen Werks verzeichnet. - Auf das erste Textzeugnis nimmt FN XVII (1760), 78-79, Bezug und teilt 40 Hexameter mit, die eine der dort abgedruckten Passagen (IV/143-171) völlig umformen. Diese Hexameter, die wohl aus Bodmers Hand stammen und über eine Korrektur von Wielands Text weit hinausgehen, sind als eigenständige Neudichtung und nicht als Vorabdruck zum 'Hermann' aufzufassen. - Das erste Textzeugnis ist ein von Bodmer verfaßter 'Aufgehobener Brief, der Schönaichs 'Hermann' ironisch lobt und (ohne Angabe des Autors) zum Vergleich aus Wielands 'Hermann' zitiert. Das zweite Textzeugnis, an dem wahrscheinlich Bodmer und Wieland Anteil haben (vgl. Wieland-Bibl 655), ist gleichfalls im Kontext der Polemik gegen Schönaichs 'Hermann' zu sehen. Im Laufe einer kritischen Unterredung über Schönaichs Werk wird der Plan eines ArminiusEpos mitgeteilt, zu dessen Illustration überarbeitete und umgestellte Fragmente aus Wielands 'Hermann' zitiert werden. In diesem zweiten Textzeugnis finden sich zwei weitere Fragmente von insgesamt zehn Versen (S. 102), zu denen sich keine Pendants in Wielands Handschrift des 'Hermann' finden. Die Zugehörigkeit dieser Verse, die als "Verse aus der Runischen Litteratur" bezeichnet werden (ebd., 101-102), zum 'Hermann' ist ungewiß (vgl. Wieland, Hermann, Heilbronn 1882, XXVII u. 9-10). - Wielands Ankündigung, Auszüge des Werks im Supplement seiner Ausgabe letzter Hand abdrucken zu lassen, wurde nicht realisiert (vgl. Seuffert, Prolegomena, Hildesheim 1989, 1/1, 5). - Zur umstrittenen Text- und Druckgeschichte vgl.: Munckers Einleitung zu Wieland, Hermann, Heilbronn 1882; Seuffert in: GgA 1896, 497-498; Seuffert, Prolegomena, Hildesheim 1989, l/\, 29 u. 1/2, 67; WielandBibl 420; s. ferner: FN X (1753), 292; Starnes (Register u. I, 38; 97); Wieland BW I u. II (Register); Wieland, Poetische Schriften, Zürich 1762, I, 303; Wieland SW Suppl III, 308; Zehnder 496-497. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Briefe Schweizer 163; 165; 192; BW Gleim/Uz 289; Guthke 3, 89; Jördens V, 345-346; Klopstock HKA, Briefe II, Nr. 111, 21-23.
Idris. | Ein | Heroisch-comisches Gedicht. | Fünf Gesänge. | Vignette \ Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1768. Standorte: Biberach/R. WA: 447; 448; Heidelberg UB: G 5810 - Vers: freie Stanzen [vgl. Wielands Vorrede zum Abdruck des Textes in: Wieland SW XVII, Leipzig 1796, 3-5] - Umfang: 539 Strophen - Vorabdrucke in: DBsW 1/4 (1768), 45-60 [= 111/83-92; 96-104; V/5-6; 25-32; 61-62; mit Kommentar]; Riedel, Briefe 46-48 [= III/3-5; 15-17; mit Kommentar]; Unterhaltungen VI/1 (1768), 37-51 [nach Wieland-Bibl 421 (ohne Stellenangabe)]. - weitere Ausgaben, Ubersetzungen und eine Ballettbearbeitung: s. Wieland-Bibl 421-423 u. Register [seit 1785 erschien das Werk u. d. T. 'Idris und Zenide. Ein romantisches Gedicht'].
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Kommentar: Rez. in: AdB XI (1770), 97-112 (vgl. dazu Wieland BW IV, Nr. 80 u. 97); DBsW II (1768), 478-493; FgZ 1769 (17.1.69), 26 (nach Frank 74); GAgS 1768, 1201-1203; HnZ 1768/CCI (von Gerstenberg; abgedr. in: Gerstenberg 138-141; Kommentar ebd., XXXIX). Eine unveröffentlichte, wohl für die GAgS vorgesehene Rezension Hallers ist abgedr. in: Guthke 2, 44-45. Weitere zeitgenössische Stimmen: Lessing LM XX, 20; Riedel, Briefe 93; Stames (Register); Wieland BW (insb. Bd. III u. IV, s. zukünftig im Register); Zehnder 480. Oberen | Ein Gedicht | in Vierzehn Gesängen. | Vignette | Weimar, | bey Carl Ludolf Hoffmann 1780. Standorte: Biberach/R. WA: 477; 2072; Zürich ZB: XXV 955 - Vers: freie Stanzen [vgl. 'Idris'] - Umfang: 914 Strophen - Vorabdruck in: TM 1780/1, A 2r-U 4v [keine Paginierung; der Satz wurde für die unmittelbar nachfolgende Einzelausgabe übernommen, vgl. Wieland-Bibl 444]. - weitere Ausgaben, Übersetzungen und Bearbeitungen: s. Wieland-Bibl 444-481 u. Register [seit 1785 erschien das Werk in 12 Gesängen, die durch Zusammenfassung des 5.-7. und 8.-10. Gesangs zu jeweils zwei Gesängen (V/VI und VII/VIII) Zustandekommen; seit 1796 meist mit der Gattungsbezeichnung 'Ein romantisches Heldengedicht']. Kommentar: Zahlreiche Rezensionen verschiedener Ausgaben, Übersetzungen (ζ. T. mit Rezensionen), Bearbeitungen, Vertonungen u. ä. verzeichnet neben Wieland-Bibl ferner: Jördens V, 350 u. 379-381. Vgl. Starnes (Register) u. zukünftig Wieland BW.
Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm (1726-1777) Cortes | von Friedr. Wilh. Zachariä, | Erster Band. | Braunschweig | In Commission der | Fürstl. Waisenhaus | Buchhandlung. | 1766. | Titelblatt sign.: Α. A. Beck fecit Brunsv. Standorte: Braunschweig StB: 1 11-573; Göttingen NSuUB: 8° Poet. Germ. III 7403; Wolfenbüttel HAB: Lo 8245 - Vers: Blankvers Umfang: 4 Gesänge - weitere Ausgabe in: Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä, IV, Carlsruhe 1778 (Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter. LXVI), V-XXIV, 4 unpag. Bl., 1-136 [Nachdruck]. Kommentar: Das ganz in Kupfer gestochene Titelblatt stellt einen Europäer (Cortes?) und einen gefangengenommenen Indianer dar; der oben zitierte Titel befindet sich als Inschrift auf einer zwischen zwei Palmen ausgebreiteten Leinwand. - Widmung und Vorbericht sind auf den 8.4.1766 datiert. Dem Text der vier Gesänge (1-210) folgt auf 5 unpaginierten Blatt (O 2r-0 6v) eine Inhaltsangabe. - Weitere gedruckte Dokumente zur Textgeschichte: Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä, I, [Braunschweig 1763], Vorbericht zu Band I-III (datiert 26.9.1763), Bl. a2r/v: "Die drey übrigen Teile sollen [...] künftige Leipziger Ostermesse 1764. unfehlbar erfolgen. Und damit die Leser auch in den drey letzten Theilen etwas neues finden, so wird man ihnen die ersten Gesänge eines ernsthaften Heldengedichts, Cortes, oder die neue Welt genannt, vorlegen"; Poetische Schriften von
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Bibliographie Fr. W. Zachariä, VI, [Braunschweig 1764], Vorbericht, Bl. A 3v: "Mein schon angekündigtes Heldengedicht Cortes, soll zwar in eben diesem Format und auf eben dieses Papier gedruckt werden; damit man aber den Liebhabern alle Freyheit lasse, soll dieses Gedicht ein Werk für sich ausmachen, und wird man hiezu einen eignen Subscriptionsplan herausgeben. Braunschweig den 2ten May 1764" [vgl. hierzu: BsW XII (1765), 305]; Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä. Neue, rechtmäßige, von dem Verfasser selbst durchgesehene Auflage, Braunschweig 1772,1, Schluß der Vorrede: "Zugleich bediene ich mich dieser Gelegenheit die Freunde meines Cortes zu versichern, daß ich an diesem Gedichte fortarbeite, und mit dem nächsten nach einem ganz umgeänderten Plan die ersten Gesänge davon liefern werde. Braunschweig, den 24. Merz 1772" [vgl. hierzu: AdB Anhang zu XIII-XXIV (1776), 1175]; Hinterlassene Schriften von Fr. W. Zachariä. Ein Anhang zu der neuesten rechtmäßigen Auflage seiner Poetischen Werke, hrsg. und mit einer Nachricht von des Verfassers Leben und Schriften begleitet v. J. J. Eschenburg, Braunschweig 1781, 83-94: Entwurf der ersten sechszehn Gesänge der Eroberung von Mexiko, eines Gedichtes in vier und zwanzig Gesängen; ebd., 95-100: Proben der Umarbeitung dieses Gedichts [enthält: Erster Gesang (Anfang); Gatumozin's Rede, S. 22; Anfang des zweyten Gesangs]; ebd., XXIIII-XXVI, bezeichnet der Hrsg. Eschenburg die Rez. in NBsW (s. u.) als die seinige, berichtet von der Änderung im Plan des 'Cortes', weist auf die Ankündigung derselben in der Ausgabe Braunschweig 1772 (s. o.) hin und teilt (ergänzend zum 'Entwurf der ersten sechszehn Gesänge') "die Anzeige des Inhalts der übrigen acht Gesänge aus einer nur ganz summarischen Angabe davon, die ich, mit der Bleyfeder, kaum leserlich auf einem kleinen einzelnen Blatt entworfen finde", mit. - Rez. in: AdB IX (1769), 323-328; GAgS 1766, 489-492; NBsW III (1766), 77-93 (von J. J. Eschenburg, s. o.; vgl. zu dieser Rez. Wieland BW III, Nr. 460, 49-52). - In der Rez. zu Rathlefs 'Serklaide' in: ALZ 1789/11, 547-548, wird zum Vergleich mehrfach auf Zachariäs 'Cortes' Bezug genommen. - Weitere zeitgenössische Stimmen: Riedel, Briefe 59-60; Wieland BW III, Nr. 418, 77-80.
Die | Schöpfung der Hölle. | - - in drey erschrecklichen Nächten | Schuf er sie, und verwandte von ihr sein Antlitz auf ewig. | Meßias Ges. II. 260. [In:] Die | Schöpfung der Hölle | Nebst einigen andern | Gedichten | von | Friedrich Wilhelm Zachariä. | Vignette, sign.: J. A. Meil f. | Mit Königl. Pohln. u. Churfürstl. Sächs. allergnädigster Freyheit. | Altenburg, 1760. | In der Richterischen Buchhandlung [S. -30]. Standorte: Frankfurt/M. StUB: DL 1935/348 Nr 2; Heidelberg GS: Τ 9301 sekr.; Wolfenbüttel HAB: Lo 8263 - Vers: Hexameter - Umfang: 502 Verse - weitere Ausgaben: Neue verbesserte Auflage, 1767; ferner in: Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä, V, [Braunschweig 1764], 63-110; Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä. Neue, rechtmäßige, von dem Verfasser selbst durchgesehene Auflage, Braunschweig 1772, II, 141-162; es existieren weitere (nicht autopsierte) Nachdrucke. Kommentar: Im Widmungschreiben (datiert auf den 24.9.1760) bezeichnet der Autor 'Die Schöpfung der Hölle' und 'Die Unterwerfung gefallner Engel' als Früchte seiner Milton-Übersetzung und als Fragmente eines nicht ausgeführten größeren epischen Werks. Vgl. auch J. J. Eschenburgs Vorrede zu: Hinterlassene Schriften von Fr. W. Zachariä, Braunschweig 1781, XXIIII. -
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Rez. der Ausgabe 1760 in: BNLb XI, 87-101 (Brief 184; von Fr. Nicolai); FN XVIII (1761), 42-44 u. 330-331. Rez. der Ausgabe 1767 in: AdB IV (1767), 218.
Die | Unterwerfung gefallner Engel | und ihre Bestimmung | zu | Schutzgeistern der Menschen. [In:] Die | Schöpfung der Hölle | Nebst einigen andern | Gedichten | von | Friedrich Wilhelm Zachariä. | Vignette, sign.: J. A. Meil f. | Mit Königl. Pohln. u. Churfürstl. Sächs. allergnädigster Freyheit. | Altenburg, 1760. | In der Richterischen Buchhandlung [S. -48]. Standorte: s. 'Die Schöpfung der Hölle' - Vers: Hexameter - Umfang: 281 Verse - weitere Ausgaben: Neue verbesserte Auflage, 1767; ferner in: Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä, V, [Braunschweig 1764], 111-138; Poetische Schriften von Fr. W. Zachariä. Neue, rechtmäßige, von dem Verfasser selbst durchgesehene Auflage, Braunschweig 1772, II, 163-174; es existieren weitere (nicht autopsierte) Nachdrucke. Kommentar: Vgl. die Hinweise zu 'Schöpfung der Hölle'. - Der Titel ist zitiert in: Catalogue librorum [...] prohibitorum. Editio nova, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Wien 1776, München 1981, (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/1), 355: "Wegen des Stückes: Die Unterweisung [!] der gefallenen Engel."
Anonymi Friederich | Der Sieger. | Ein Heldengedicht, | Erstes Buch. | Berlin 1758. Standort: Zürich ZB: GalTz 153 (12) - Vers: paarweise gereimte Alexandriner; als Eingang eine fünfstrophige Ode mit Strophen zu 10 vierhebigen Jamben im Reimschema ababccdeed - Umfang: 520 Verse - weitere Ausgabe in: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes VI/4-6 (1759), 251-281. Kommentar: Zum Wiederabdruck in den 'Neuen Beyträgen' äußert sich Gleim in seinem Brief an Kleist vom 20.10.1758 (Kleist W III, 302): "Hätte ich nur nicht so erschrecklich viel Actendrescherei auf dem Halse! Wunder sollten sie sehn, was ich Alles machen wollte. Ein Heldengedicht, nicht so ein erbärmliches, lüderliches, abscheuliches, wie ein Schöps in einem Bande mit des Grenadiers Kriegesliedern und Ihrem Kriegesgesange herausgegeben hat". Die Gegenrevolution, in drei Gesängen, von J. J. Κ. v. B. Strasburg, in der akademischen Buchhandlung. 1792. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1792, 43 (Ostermesse). Kommentar: Das Werk, dessen Gattungszugehörigkeit nicht gesichert ist, findet sich auch in: Katalog der von 1783 bis 1794 in Oesterreich von der hochlöblichen Hofbücherzensurskommission verbothenen Bücher, Nachdruck der Ausgabe Freiburg im Breisgau o. J., München 1981 (Quellen zur Geschichte des Buchwesens. VI/2), 73.
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Bibliographie
Judith, | ein | Helden-Gedichte. | Vignette | Leipzig 1772. | Gedruckt bey Johann Friedrich Langenheim. Standort: Leipzig UB: Litt. Germ. 30104 - Vers: paarweise gereimte trochäische Tetrameter, dazwischen Strophen in verschiedenen Versmaßen Umfang: insgesamt 674 Verse. Kommentar: Im einzigen nachgewiesenen und autopsierten Exemplar fehlen nach dem Titel zwei Blatt (A 2r-3v), die eine Vorrede o. ä. enthalten haben könnten; vom Textbeginn (S. ) an ist das Exemplar vollständig. - Rez. in: AdM 1774, 43: "Wie konnte der Verfasser glauben, daß schlechte Patriarchaden noch Glück machen könnten? Indessen beträgt diese nur zween Bogen." Leben und Thaten Georgii I. Königs von Groß-Britannien etc. in einem Helden-Gedichte beschrieben, Nürnberg bey Ad. Jon. Felsecker. 1728. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1728 Ostermesse, F 3v. Octavia. Gedicht in vier Gesängen, mit Kupfern. Jena, Voigt. 1800. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1800, 125 (Ostermesse). Rom, seine Schicksale, und seine beständige Herrlichkeit, sowohl in gegenwärtigen als zukünftigen Zeiten. Ein Heldengedicht mit feinen Kupfern. Cöthen, bei Glandenberg. 1789. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: KFLB 1789, 103 (Ostermesse). Heldengedicht auf den Herrn Geheimenrath von Schubart. 1785. kein Standort nachgewiesen; zitiert nach: Kloß, Georg: Bibliographie der Freimaurerei und der mit ihr in Verbindung gesetzten geheimen Gesellschaften, Frankfurt/M. 1844, Nr. 2321. Kommentar: "Held" des Gedichts ist nach GV 1700-1910 LIX, 28, wohl Johann Christian Schubart, Edler von Kleefeld (1734-1787), der 1785 zum Reichsritter erhoben wurde.
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3. Versepen II Bernold, Franz Joseph Benedikt (1765-1841) DBA 91, 82-83
Telliade Druck (Vorrede, Inhaltsangaben, Auszüge) in: Aus den Papieren des Barden von Riva. Telliade. Andachtsbuch. Briefwechsel mit Hautli, Stadlin, MüllerFriedberg, hrsg. v. E. Götzinger, St. Gallen 1891 (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, hrsg. v. Historischen Verein in St. Gallen. XXIV/2, 271-515), hier 279-303. - Vers: Hexameter - Umfang: 10 Gesänge. Zeugnisse/Kommentar: A. a. O. sind eine Passage aus Bernolds Selbstbiographie (278-279) und eine Beurteilung des Werks durch den Hrsg. (303-307) beigefügt. Demnach wurde das Werk 1792 begonnen, 1797 vollendet und war zunächst auf zwölf Gesänge angelegt.
Bodmer, Johann Jakob (1698-1783) Plan (und fragmentarische Ausführung) eines Heldengedichts auf Arminius Zeugnisse: Brandl, Brockes, Innsbruck 1878, 143 (König an Bodmer, 15.5.1725): "Ihr Entwurff eines Heldengedichts Arminius hat meinen vollkommenen Beyfall, es steckt mehr gesundes Urtheil darinn als in dem Lohensteinischen, aber die Ausführung dürfte Zeit brauchen." Ebd., 146: "Von Ihnen könnte [in eine geplante Gemeinschaftsschrift] ζ. B. gleich ihr Vorschlag zu einem Heldengedicht von Arminius, ihre Critique wider Lohensteins Romane, ihre Parallele zwischen Ottobert und Wittekind und andere dergleichen schon verfertigte und mir zugeschickte Sachen hineinkommen"; Ebd., 153-154 (König an Bodmer, 15.6.1726): "Auch habe, die zwey Bücher ihres Helden-Gedichts von der Irmen-Säule mit gebührender Aufmercksamkeit durchzulesen, noch nicht Zeit genug gehabt, finde aber überall eine Männliche Schönheit darinn, und den Titel des Werckes deßwegen besser, weil Arminius, wie Sie ehemals solches benennen wollen, wegen des Lohensteinischen Romans mir nicht mehr neu genug, und gleichsam nur abgeborgt geschienen." G. Heidegger, Kleinere deutsche Schrifften, Zürich 1732, 140-141 (Bodmers 'Vergleichung zwischen Lohensteins Arminius und Heideggers Apollo Auricomus'): "Wenn ich es nicht für unzeitig achtete, so könte ich hier dem geneigten Leser eine Probe vorlegen, wie Lohenstein seinen Arminius und andere alte Deutschen aufführen, und was für Sitten, Handlungen und Reden er ihnen hätte zuschreiben sollen, wenn er den Character, den wir von ihnen in den Geschicht-Schreibern ihrer Zeiten antreffen [...] hätte beobachten wollen. Besagter Versuch, dessen Titel Irmensäule, hat das Glück gehabt, daß ein noch lebender Poet von dem reinsten Geschmacke davon geurtheilt, es finde sich überall eine männliche Schönheit darinnen. Der Anfang davon lautet also: [...]." Litterarische Pamphlete, Zürich 1781, 71-72 (Pyra an Bodmer, 21.4.1744): "Stillen sie doch die Sehnsucht aller Kenner nach dero gereimten und reimlosen Gedichten, wovon Proben in den Malern. Besonders schenken sie uns den Herrmann, das prosaische [!] Gedicht, dessen Sie in Heideckers Schrift gedacht haben."
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Bibliographie Briefe Schweizer 4 (Bodmer an Pyra [1744]): "An den 'Herrmann' habe ich seit 10 Jahren wenig mehr gedacht, und damals hatt' ich nur zwei kleine Bücher davon prosaisch entworfen. Vielleicht gebe ich diesen einen Platz in den Blättern 'der Maler', welche ohnedem jugendlich genug aussehen." Kommentar: Die geplante Drucklegung des Fragments im 'Mahler der Sitten' (1746) wurde nicht realisiert. - Aus den zitierten Quellen geht nicht eindeutig hervor, ob Bodmer eine Versifizierung der offenbar in Prosa ausgeführten Bücher geplant hat. - Die beiden zuletzt zitierten Quellen werden nach den handschriftlichen Originalen wiedergegeben in: Pyra, Über das Erhabene, Frankfurt/M. u. a. 1991, 98 u. 102.
Gedicht in 9 Gesängen über unbekannten Stoff Zeugnis: Starnes I, 79 (Bodmer an Schinz, 3.9.1754): "Ich habe ein Gedicht verfertiget, welches ich vor allen Menschen in Zürich verborgen halten wollte, selbst vor Hrn. Chorherr [Breitinger]. Hr. Wieland hat es allein gesehen und altum Silentium dafür versprochen. Es besteht aus 9 Gesängen und 1600 Versen." Kommentar: Ein Zusammenhang mit einem der gedruckten Epen Bodmers besteht wohl nicht. Möglicherweise spricht Bodmer hier von dem geplanten Heldengedicht auf den Tod Rolands in Ronceval (s. dort). Plan eines Heldengedichts auf den Tod Rolands in Ronceval Zeugnis: Nach Kurrelmeyer 285 spricht Bodmer in seinem Brief an Hagedorn vom 18.3.1752 über "ein geplantes Heldengedicht auf den Tod Rolands in Ronceval."
Bürger, Gottfried August (1748-1794) Plan eines epischen Nationalgedichts Zeugnisse: Briefe Bürger I, 299 (Bürger an Boie, 15.4.1776): "Ich fühlte mich schier genug und von dauerhaftem Athem, das große National-Gedicht, wovon Wunderlich redet, zu Gange zu bringen"; ebd., 345-346 (Bürger an Boie, 17.10.1776): "Doch sollen meine Leonoren, meine Leonardos, und wie sie heißen, nur eine Vorbereitung seyn zu dem, was mir immer näher rückt und immer heller sich aufklärt. Es muß und muß gehn mit einem größern volksmäßigen Gedicht. Es wird mir immer gewisser, daß wahre Poesie für Jedermann ist. Noch eine Zeit lang will ich mich mit der Kraft Homers, Shakespears, Ossians und Ariosts nähren. Und wenn die verdaut und meine Kraft geworden ist, wenn ich, wie die jungen Vögel, meine Flügel durch Romanzen genugsam werde versucht haben, dann —"; ebd. II, 16 (Bürger an Voß, 23.1.1777): "Daher ist mir meine saure Arbeit [Verteütschung der Ilias] nun um so mehr verleidet, da ich einen Plan zu einem größern eignen epischen VolksGedicht fertig habe, das meiner Ehre vielleicht vortheilhafter seyn kann als 10 verteütschte Iiiaden"; ebd., 203 u. Anm. (Bürger an Boie, 5.1.1778); ebd., 368 (Bürger an Boie, 25.10.1779): "Ich bin nunmehr auch mit der Wahl eines Süjets zu einem größeren eignen Gedicht fertig und bearbeite Tag und Nacht in meinem Kopfe den Plan, der sich mir schon sehr weit entwickelt hat. [...] Noch sage ich die nichts, weder von dem Gegenstande,
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noch der Behandlung. Beide würdest du mit mir nicht zusammenreimen. Eher erfährst du nichts, als bis ich dich durch eine Probe überzeügen kan, daß die jezt noch anscheinende Schimäre sich in Wirklichkeit verwandeln läßt."
Corvinus, Gottlieb Siegmund (1677-1746) DBA 203,154-158 Heldengedicht (?) an Kaiser Karl VI. Zeugnis: NZgS 1725, 721-722: "Herr Gottlieb Siegmund Corvinus [...], der sich durch seine beliebte Poesie und bereits zusammengedruckte Gedichte vorlängst bekannt gemacht, hat ein Heldengedicht an Se. Rom. Käyserl. und Cathol. Maj. Carl den VI, über den mit der Cron-Spanien geschlossenen Frieden, drucken lassen, welches allhier viele Liebhaber findet." Kommentar: Der erwähnte Druck konnte nicht identifiziert werden. Vermutlich handelt es sich um ein (kürzeres?) Panegyrikum. Wegen der Ungewißheit, ob die Gattungsbezeichnung vom Autor selbst oder vom Rezensenten stammt, wurde der Hinweis auf das Werk hier eingeordnet.
Gemmingen, Eberhard Friedrich Freiherr von (1726-1791) Plan eines Heldengedichts auf Sokrates Zeugnis: Wieland BW I, Nr. 105, 67-101 (Wieland an J. Chr. Volz, 18.5.1753): "Es ist Uberhaupt ein edler Vorsaz den Hr. von Gemmingen gefasset hat, den Sokrates zu besingen. Und ungeachtet die Geschichte, welche er besingen würde, diejenige Quantität nicht hat, die zu einem Heldengedicht in eigentlichem Verstände gehört, so hat sie desto mehr geistliche u: innerliche Größe. [...] Indeßen wünschte ich doch daß Hr. von Gemmingen sich möchte einen andern Vorschlag gefallen laßen [...]. Ich glaube daß sich sich aus dem Schiksal des vortreflichen schwäbischen Herzogs Conradin u: seines Freundes Friedrich von Ostreich eine Epopee machen ließe, welche in allen Stücken vortreflich und dem Sujet nach der über den Sokrates weit vorzüglich wäre. [...] Ich vernehme, daß Bodmer dem Hm v. G. diesen Vorschlag schon gethan hat, vielleicht ist ein erneuerte Vorstellung kräftiger. Ich wünsche es sehr." Kommentar: Dieser Vorschlag ist zugleich ein erster Hinweis auf Bodmers eigene Verserzählung 'Conradin von Schwaben', die 1771 veröffentlicht wurde (s. VII. 4, Bodmer).
Geßner, Salomon (1730-1788) Idee eines Helvetischen Heldengedichts Zeugnis: Wieland BW III, Nr. 423, 92-106 (Wieland an Geßner, 18.9.1766): "Die Idee eines Helvetischen Heldengedichts oder irgend eines grössern erzählenden Gedichts aus den mittlem Zeiten däucht mich vortreflich. Ich
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bitte Sie wiederstehen Sie den Zügen und Lockungen der Muse nicht [...]. Lassen Sie mich also nicht lange ohne Hofnung seyn, daß Sie das im Ernste vorhaben, wovon Sie mir nur als von einem blossen Gedancken sprechen".
Goethe, Johann Wolfgang (1749-1832) Plan eines Epos 'Die Jagd' Zeugnisse: s. Graf 1/1, 211-240 (Nr. 425-486), insb. 211-228. Kommentar: Goethe plant 1797 eine Bearbeitung zunächst in Hexametern, dann in Stanzen. Er nimmt den Plan 1826 wieder auf und verarbeitet den Stoff in seiner 'Novelle'. Der ewige Jude Handschriftliche Überlieferung: s. Goethe AA Ep 2, 13-23 - Vers: Knittelvers erster (Teil-)Druck des Fragments in: Goethe's poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden. Ersten Bandes Erste Abtheilung. Stuttgart und Tübingen. Verlag der Cotta'schen Buchhandlung. 1836, 145-147 (vgl. Goethe AA Erg 1, 65-67). - neuere kritische Ausgabe (mit allen Fragmenten): Goethe A A E p 1, 1-7; 2,11-46. Kommentar: Zeugnisse, darunter eine Inhaltsskizze aus 'Dichtung und Wahrheit' s. Gräf 1/1, 38-49 (Nr. 103-112). Plan eines Epos auf Wilhelm Teil Zeugnisse: s. Gräf 1/1, 297-315 (Nr. 544-559b). Kommentar: Der Plan entstand im Kontext von Goethes Schweizreise im Herbst 1797. Die Ausführung war wohl in Hexametern geplant (s. Gräf 1/1, 307).
Gottsched, Johann Christoph (1700-1766) Plan eines Epos über den reisenden Cyrus Hinweis: Waniek, Gottsched, Leipzig 1897, 490: "Freilich war auch von ihm [Gottsched] für die ernsthafte Epopöe wenig geschehen. 1728 hatte er zwar den Plan gefaßt, Ramsay's 'reisenden Cyrus' zu bearbeiten, der Stoff wurde ihm aber von Mattheson vorweggenommen (Hamburg 1728)." Kommentar: Wanieks Hinweis konnte mangels genauerer Angaben nicht verifiziert werden. Johann Mattheson übersetzte Ramsays Roman zuerst ins Deutsche (Des Ritters Ramsay Reisender Cyrus, Hamburg 1728).
Haller, Albrecht von (1708-1777) Episches Gedicht über den Ursprung des Schweizerbundes Zeugnisse: BCH IV (1736), 445: "Und wenn es wahr ist, was man uns berichtet hat, daß derselbe [Haller] an einem Heldengedichte von dem Ursprünge
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des Schweizerbundes, und der erworbenen Freyheit seines Vaterlandes, arbeitet: So kann man sich Hoffnung machen, daß Deutschland endlich ein Heldengedichte, so seinem alten, zur Freyheit geneigten grossen Geiste gemäß ist, bekommen werde." Moser, Sämtliche Werke, I, Oldenburg/Berlin 1944, 179 (Ein Wochenblatt, 17.8.1746): "Unsre deutsche Dichtkunst wird vielleicht zu ihrer größten Höhe gelangen, wenn der große H** mit seinem Heldengedichte vom Burgundischen Kriege den Zeitpunkt des güldnen Jahrhunderts vor Deutschland bestimmen wird, ehe und bevor der geschickte Herr S** ihm mit seinem Henrich dem Löwen zuvorkömmt. Ein Heldengedichte und ein rechtschaffenes Trauerspiel fehlen uns noch. Zu dem erstem haben wir, wie eben angeführet, gute Hoffnung." J. G. Zimmermann, Das Leben des Herrn von Haller, Zürich 1755, 16: "Er war in Biel [ca. 1722] kränklich, und nachmahls von allen Leuten, die er sehen wollte, verachtet. Daher schlosse er sich ganze Monate hindurch in seinem Zimmer ein, und machte Verse, die sein einziger Trost waren. Es kamen da Gedichte von allen Arten in verschiedenen Sprachen zu Stande, ein episches Gedicht von viertausend Versen." Haller, Gedichte, Frauenfeld 1882, 398 (Haller an v. Gemmingen, März 1772): "an einem glüklichen Tage im Jahre 1729 verbrannte ich alle meine unzählbare Verse, Hirtenlieder, Tragödien, epische Gedichte und was es alles war." Jördens II, 309 (zu 1721/22): "Homer war sein Lieblingsautor. Er wolte ihn nachahmen, und entwarf ein episches Gedicht über den Ursprung des Schweizerbundes in viertausend Versen." Kommentar: Vgl. Haller, Gedichte XI-XII. Nach den Schilderungen von Zimmermann und bei Jördens ist das später vernichtete Werk um 1722 entstanden. Die Aufnahme in vorliegende Bibliographie erfolgt im Hinblick auf die zuerst zitierten Zeugnisse aus den Jahren 1736 und 1746. Die Zuordnung der Passage aus Mosers 'Wochenblatt' zu einem (angeblichen) Eposplan Hallers ist nicht gesichert, jedoch aufgrund des stofflichen Zusammenhangs des Burgunderkriegs (1474-1477) mit der Geschichte der Eidgenossenschaft sehr wahrscheinlich. Bei dem anderen von Moser angesprochenen Werk handelt es sich um Schlegels 'Heinrich der Löwe' (vgl. VII. 2).
Herder, Johann Gottfried (1741-1803) Plan eines Epos über Mohammed Hinweis: Der handschriftliche Nachlaß Johann Gottfried Herders. Katalog v. H.D. Irmscher u. E.Adler, Wiesbaden 1979, 189 (Kapsel XXIII 118): "32br Bemerkungen z. Plan e. Epos ü. Mohammed, ca 1766, D; d. Anfang vgl. XXIII 118a:12r-12v"; 191 (Kapsel XXIII 118a): "12r-12v Bemerkungen z.Plan e. Epos ü. Mohammed; gehört vor XXIII 118:32br (dort d. Schluß d. Aufzeichnungen), Riga, D".
Huber, Johann Ludwig (1723-1800) Anfang einer Abeliade Zeugnisse: Wieland BW II, 60 (Bodmer an Heß, 22.1.1752; Regest): "Der Anfang der 'Abeliade' habe Johann Ludwig Huber zum Verfasser [...],
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Bibliographie Professor Johann Christian Volz habe ihm das Ding geschickt." Zehnder 502 (Heß an Bodmer, 24.1.1752): "Der Anfang vom Schicksal Abels, so hier zurücke kommt, dünkt mich so viel als gar nichts; ich will also auch zur Zeit weder Gutes noch Böses davon sagen. Aber wer ist sein Verfasser? Der Huber, dem W. neulich so andächtig die beste Eigenschaft eines Dichters, das tugendhafte Herz abgesprochen?"
Lange, Samuel Gotthold (1711-1781)
Heldengedicht auf Moses Zeugnisse: Lange, Briefe II, 123-124 (Gleim an Lange, 24.5.1745): "Sowohl der Anfang des Heldengedichtes, als die Ode an Hrn. Pyra ist unvergleichlich. Wenn von dem Heldengedichte zwölf Bücher so poetisch, feurig und erhaben fertig werden [...], so sind Sie Milton [...]. Erlauben Sie mir nur, daß ich den Moses so lange hier behalte, bis ich eine poetische Stunde erlebe. [...] Die Anlage zu dem Gedichte scheint mir vortrefflich. Sie können die erhabenen Ausdrücke der Schrift fleißig gebrauchen. Sie können den Spuren Miltons auf eine angenehme Art folgen, wie sie schon gethan haben, da sie im 158sten Verse auf die Dichtung Miltons zurückführen. Wie weit hat es ein Anacreon bis zur Höhe eines Epischen Dichters!" Pyra, Über das Erhabene, Frankfurt/M. u.a. 1991, 110 u. 112 (Lange an Bodmer, 26.5.1745, und Beilage zu diesem Schreiben): "Einen Versuch eines HeldenGedichtes wird Herr Sultzer bereits übermachet haben. [...] Meinen Moses fortzusetzen dürffte es mir viel Schwührigkeit machen, in dem ich in den Egyptischen Alterthümern nicht so genau erfahren bin. Z. e. haben sie auch Tempel zu der Zeit gehabt? oder haben sie in Heinen geopfert? Da ich in dem Vorbericht die gantze tour entworffen habe, so bitte mir darinn etwas zu helffen, und mir einen andern Riß vorzuschreiben. Wie Sie dergleichen in Ihren Sammlungen gethan haben. Der Selige Pyra rieth mir das Epische Gedichte andren zu überlassen, weil es über meine Kräffte sey, ich habe dahero in 2 Jahren nichts weiter gethan, es ist besser nichts, als übel schreiben." [Gleim / Lange:] Freundschaftliche Briefe, Berlin 1746, 2 (Lange an Gleim): "Mit meinem Heldengedichte sieht es weitläuftig aus. Ich habe einen Held erwählt, der mir zu viel Mühe macht. Wenn im dreißigsten Jahrhunderte ein Poet einen Held sucht, so empfehle ich ihm, statt des Moses, unsern Friedrich. Wenn er doch auch den deutschen Musen einen Zuflucht gönnen möchte!" ebd., 13 (Gleim an Lange): "Meine Erinnerungen über den Plan ihres Heldengedichtes sind allzuflüchtig, als daß sie sich durch ihre Gründlichkeit empfehlen könten. [...] Warum wollen sie nun kein Heldengedichte machen? Scheint ihnen der Ruhm Miltons nicht groß genug?" Kommentar: Die 'Freundschaftlichen Briefe' gehen auf originale briefliche Zeugnisse aus dem Kreis um Gleim und Lange zurück und sind für den Druck stark überarbeitet. - Vgl. Klopstock HKA, Briefe I, Nr. 19, 155 (Klopstock an Bodmer, 19.10., 5.11. u. 2.12.1748): "von wem, u wenn der Moses, dessen in den freundschaftlichen Briefen gedacht wird, werde geschrieben werden, wünschte ich auch zu erfahren." Als Erläuterung hierzu wird die oben an zweiter Stelle zitierte Passage angeführt. Dazu heißt es ohne Begründung ebd., 232: "Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die diese Schilderung Fiktion und bezieht sich auf kein wirklich geplantes Werk." - In Bod-
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mers Nachlaß hat sich ein Fragment eines 'Moses'-Epos erhalten (verzeichnet unter VII. 3, Anonymus). Ob dieses mit Langes Werk identisch ist, muß nach den vorliegenden Quellen ungewiß bleiben.
Lichnowsky von Eckersdorf, Maximilian Ladislaus DBA 761, 92-93: erwähnt 1707-1732 Maximilian Ladislaus Freyherrens von Lichnowsky, Edlen Herrens von Woschtitz etc Großmüthiger Feld-Herr etc., Das ist, Staats- Kriegs- und Helden-Geschichte, des Durchlauchtigsten Printzen, Eugenii Francisci, Hertzogen von Savoyen etc. der Römischen Kayserl. Majeytät GeneralLieutenants etc. etc. etc. in gebundener Schreib-Art. Umfang: 12 Bücher. Kommentar: NZgS 1732, 249-251: "Breßlau. Man hat nicht umhin gekonnt, durch gegenwärtigen Bericht öffentlich bekannt zu machen, daß allhier ein potisches Werck bereits zum Druck fertig liegt, und einen raisonablen Verleger erwartet, so den Titel führt: [s. o.]. Das Werck ist in der Gestalt eines Carminis Historico-Panegyrici abgefasset, und besteht aus XII Büchern ober Abtheilungen." Es folgen eine Inhaltsangabe und Hinweise auf eine "Trochäische Ode" am Schluß und auf eingeschaltete "Reflexiones". Zuletzt äußert der unbekannte Verfasser des Berichts seine Zuversicht auf den Erfolg des Werks, sodaß "ein Verleger dabey keinen Schaden zu besorgen haben werde." - Eine Drucklegung erfolgte offenbar nicht, denn in der 'Vertheidigung eines poetischen Werkes, so den Titel führt: Kriegs- und Staats-Geschichte des Durchlauchtigsten Prinzen Eugenii Francisci, Herzogs von Savoyen gegen einige Einwürfe, so darwider gemacht worden', in: BCH V (1737-1738), 615-624, heißt es eingangs: "Dieses Werk ist von dem sei. Herrn Baron von Lichnovski in Schlesien, geschrieben hinterlassen worden, und hat längst ans Licht treten sollen. Da es nun noch nicht geschehen ist, so hat man mit dieser Vertheidigung desselben, die uns aus Schlesien eingesandt worden, die Liebhaber der Poesie darnach begierig machen wollen". Die 'Vertheidigung' handelt u. a. von der Eignung des Stoffs zu einem Heldengedicht und von der Unterscheidung zwischen Epopee und Carmina Historica. - Vgl. ferner: Gottsched AW VI/1, 58 (Critische Dichtkunst). - Nach Waniek, Gottsched, Leipzig 1897, 232, fordert J. J. Schwabe im dritten Band 'Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eigenen Schriften', Leipzig 1739,17, dazu auf, aus den Taten des Prinzen Eugen ein Heldengedicht zu machen. Ob diese Aufforderung in Zusammenhang mit Lichnowskys ungedrucktem Werk steht, konnte nicht festgestellt werden.
Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg) (1772-1801) Fragment eines Heldengedichts auf die Geburt Jesu Hinweis: Samuel, Novalis. Nachlaß, [Berlin 1930], 21: "Die Geburt Jesu. Ein
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Bibliographie episches Gedicht. Im Stile von Klopstocks Messias. 132 Hexameter. 4 Seiten Folio. Unveröffentlicht." Kommentar: s. 'Orpheus'.
Fragment eines Heldengedichts auf den Mariussieg Hinweis: Samuel, Novalis. Nachlaß, [Berlin 1930], 5: "Der Mariussieg. Anfang eines Heldengedichtes in 19 Hexametern." Kommentar: s. Orpheus'. Fragment eines Heldengedichts auf Orpheus Hinweis: Samuel, Novalis. Nachlaß, [Berlin 1930], 25: "Fragment aus einem Epos: Orpheus. 130 Zeilen. Das in Hexametern geschriebene Gedicht schildert die Liebe des Orpheus zu Eurydice, ihren schrecklichen Tod in der Hölle durch den Biss einer Schlange und die Traumverkündigung der Venus. [...] II. Studie zu Orpheus. 17 Hexameter. Orpheus steigt zur Unterwelt hinab. [...] III. Studie zu Orpheus. 17 Hexameter. Andere Fassung des vorigen. [...] IV. Studie zu Orpheus. 22 Hexameter. Andere Fassung des vorigen." Kommentar: Das Fragment ist veröffentlicht in: Novalis, Schriften, I, 547-551. Ebd., 451, heißt es: "Im Epos großen Stils hat sich der junge Hardenberg dreimal versucht." Es folgen knappe Bemerkungen zu 'Der Mariussieg', 'Die Geburt Christi' und 'Orpheus', das als einziges dieser drei Fragmente bislang veröffentlicht wurde. Nachdem der Novalis-Nachlaß, der seit 1930 in Berlin lagerte und seit 1945 als verschollen galt, in Krakau wieder aufgefunden wurde, ist nun eine Gesamtveröffentlichung in einem Ergänzungsband (= Band VI) der 'Schriften' des Novalis angekündigt (ebd., V, XI-XII).
Obereit, Jakob Hermann (1725-1798) Plan eines Epos über die Herrlichkeit des Messias beim letzten Gericht Zeugnis: DBA 908, 98-100: "Hören wir ihn selbst [...] in einem biographischen Aufsatze sprechen: '[...] Er las die größten Heldendichter, Homer, Virgil, Tasso, Milton und die damals ganz neue deutsche Meßiade [...], ja er fing an, den Homer in lebhafte Hexameter zu übersetzen [...]; da ihm originale Ideen aufstiegen, von großen Gegenständen, die noch nicht heldendichterisch besungen wären; [...] und fand nichts größeres, als, nachdem nun Meßias im Laufe seiner tieffsten Erniedrigung zu seiner Erhöhung besungen worden, den Meßias in seiner Herrlichkeit, wie er zum letzten Gericht kommt, bis zur Allzurechtbringung aller Dinge, bis zum All Gottes in Allem ohne Ende zum Gegenstand zu haben. [...] je mehr er an den Plan dachte, desto größer wurden ihm die Vorwürfe des Inhalts, daß er für ein ganz Leben lang mehr als genug fand [...] und das Wichtigste für ihn war; wenn er ein würdiger Sänger dieses höchsten Gegenstandes seyn wollte, welch' ein würdiges Leben er diesem Gegenstand gemäß zu führen hätte, um ihn nicht zu verunehren! Dieser Gedanke [...] gab ihm genug und übrig mit seinem Herzen und Leben zu thun, daß er das große Gedicht bald darüber vergaß [...].'"
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Die ersten Patriarchen. | Erster Gesang Standort der Handschrift: Zürich ZB: Ms. Bodmer 40.6 - Vers: Hexameter Umfang des Fragments: 220 Verse. Kommentar: Die Handschrift ist offenbar als Fragment eines Epos anzusehen. - Dagegen ist das Werk mit dem Titel 'Gott mit Adam. Ein Gesang' vom gleichen Verfasser (Zürich ZB: Ms. Bodmer 40.4) ein abgeschlossenes Gedicht mit 384 Versen (der Titel auf dem aus jüngerer Zeit stammenden Umschlag des Manuskriptes lautet 'Gott mit Adam. Erster Gesang' und suggeriert auch hier das Vorliegen eines fragmentarischen Epos). - Eine Drucklegung konnte für beide Titel nicht nachgewiesen werden. - Vgl. DBA 908, 113: "Unter mancherley literarischen Projecten [...] aus dieser Periode [ca. 1763-1767] [...] merken wir nur an, daß er einen Gesang schrieb: Gott mit Adam, und den Plan einer präadamitischen Meßiade immer mit sich herumtrug."
Schiller, Friedrich (1759-1805) Plan eines Heldengedichts auf James Cook Zeugnisse: Schiller ΝΑ XXIX, 204-205 (Schiller an Goethe, 13.2.1798); ebd. XXXVII/1, 243 (Goethe an Schüler, 14.2.1798); s. auch Schiller DüD II, 201-202. Kommentar: Dem ersten Zeugnis zufolge handelt es sich möglicherweise eher um eine (für Goethe gedachte?) Idee Schillers als um einen ernsthaft erwogenen Plan. Plan eines Heldengedichts auf Friedrich II. Zeugnisse: Schiller ΝΑ XXXIII/1, 238 (Körner an Schiller, 14.10.1788); ebd. XXV, 120-121 (Schüler an Körner, 20.10.1788); ebd. XXXIII/1, 242 (Körner an Schiller, 30.10./2.11.1788); ebd. XXV, 222 (Schiller an Körner, 9.3.1789); ebd., 224-226 (Schiller an Körner, 10./12.3.1789); ebd. XXXIII/1, 321 (Körner an Schiller, 19.3.1789); ebd. XXVI, 12 (Schüler an Körner, 26.3.1790); ebd. XXXIV/1, 111-113 (Körner an Schiller, 22.11.1791); ebd. XXVI, 113-114 (Schiller an Körner, 28.11.1791); s. ferner Schiller NA XLII, 221 (Nr. 405 u. 406), u. Schiller DüD I, 696-701, u. II, 686. Kommentar: Schillers Plan einer 'Frideriziade' geht auf eine Idee Körners zurück und beschäftigt den Dichter wiederholt bis Ende 1791. Plan eines Heldengedichts auf Gustav Adolf Zeugnisse: Schüler ΝΑ XXVI, 114 (Schüler an Körner, 28.11.1791); ebd. XXXIV/1, 117-118 (Körner an Schüler, 6.12.1791); s. ferner Schiller DüD I, 337-338. Kommentar: Der Gedanke an ein Epos auf Gustav Adolf findet sich im gleichen Brief an Körner, in dem Schüler den Plan einer 'Frideriziade' aufgibt. Später scheint Schüler eine dramatische Bearbeitung des Stoffs geplant zu haben. - In seinem Antwortbrief schlägt Körner Kaiser Julian als möglichen Held vor. Julian scheint schon früher Gegenstand eines nicht näher bezeichneten Plans Schülers gewesen zu sein (vgl. Schüler NA XXXIII/1, 181 [Körner an Schüler, 25.4.1788]) und wird von Schüler später
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Bibliographie als wohl dramatischer Held erwogen (vgl. Schiller ΝΑ XXIX, 183 u. 523 [Schiller an Goethe, 5.1.1798, u. Kommentar]).
Verschollenes Heldengedicht auf Moses Zeugnisse: Morgenblatt für gebildete Stände I (1807), 722: "Ausser den genannten Klopstockischen hatte sich Schiller mit keinen anderen dichterischen Schöpfungen vertraut gemacht, als mit Virgils Aeneide und den herrlichen Liedern und Hochgesängen des alten Morgenlandes nach Luthers kräftiger Uebersetzung. Sein Geist wollte aber nicht lange bloß empfangen; er wollte selbst zeugen, bilden, gestalten. Schon im Jahr 1773 versuchte er seine Dichtungskraft im Höhern; er arbeitete an einem Gedichte, dessen Held der mächtig hervorragende Seher, Gesetzgeber, Heerführer und Staatsordner der Urwelt war, Moses. In diesem ersten Versuch erkannte man freylich weniger eignes, wahres Schaffen, als mühevolles Nachstreben und Nachbilden [Anm. hierzu: 'Schwerlich ist von diesem Gedichte auch nur ein einziger Vers übrig']"; s. ferner: Schiller DüD I, 24. Kommentar: Der Bericht im 'Morgenblatt' stammt von J. W. Petersen. Der Bezug der in Schiller DüD zitierten Zeugnisse auf das nicht erhaltene Werk ist ungewiß.
Schmidt, Johann Christoph (1727-1807) Vgl. Klopstock HKA, Briefe I, 258-259 Plan eines Gedichts vom Weltgericht Zeugnisse: Zehnder 336 (Bodmer an Zellweger, 7.12.1748): Klopstock "hat eine Geliebte. [...] Sie hat einen Bruder, der meditiret ein poema von dem Weltgerichte." Klopstock HKA, Briefe I, 259 (Schultheß an Bodmer, 27.9.1749): "Ich fragte Hrn. Schmied nach seinen Gesängen vom allgemeinen Weltgerichte. Seine Schultern seyen dieser Last nicht gewachsen, war seine Antwort, bei der ich ungewiß blieb, ob es Bescheidenheit des Autor, oder wahres Bekenntniß sey."
Schubart, Christian Friedrich Daniel (1739-1791) Plan eines Epos 'Der ewige Jude' Zeugnis: Schubart, Schriften, Hildesheim u. a. 1972, II, 155-157 (zuerst in: Ludwig Schubart, Schubarts Karakter, Erlangen 1798): "Der ewige Jude war blos Bruchstück eines größern, und vielleicht des originellsten Plans, den er je in seinem Leben entwarf. Er wollte nämlich die bekannte Sage von Ahasver zum Grunde legen; den tausendjährigen Juden seiner Phantasie auf einen Bergfelsen stellen, ihn hinaussehen lassen in den endlosen Ocean von Zeit, den er durchpflügt hatte: und da sollte er dann in einer Reihe von Schilderungen ein großes episches Fresco-Gemälde entwerfen von all den ungeheuren Schauspielen, Natur- und Menschen-Revolutionen, die er erlebt. [...] Dieser Jude sah den Fall des römischen Colosseums; die Wiege der europäischen Reiche; die Riesenerscheinung des Pabstthums [...]. Er sah die Refor-
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mation [...]; sah die fürchterlichen Kriege, Schlachten und Thaten, welche wie Meteore aus ihr hervorgingen. [...] Dies sind einige Umrisse von der gigantesken Idee, über die mein Vater so oft mit Begeisterung sprach". Kommentar: Aus der Arbeit an dem epischen "Fresco-Gemälde" ging lediglich ein Gedicht hervor, das unter dem Titel 'Der ewige Jud, eine lirische Rhapsodie' im 'Schwäbischen Musenalmanach auf das Jahr 1784' (S. 174-179) zuerst veröffentlicht wurde (mit geringfügigen Erweiterungen wieder in: Schubart, Schriften, Hildesheim u. a. 1972, IV, 65-69). Die weitere Beschäftigung Schubarts mit seinem Stoff belegt sein Brief an seinem Sohn vom 12.5.1786 (D. Fr. Strauß, Schubart's Leben in seinen Briefen, Berlin 1849, II, 242): "Wenn der ewige Jud fertig ist; so soll er [Zumsteeg] ihn herausgeben mit einem Vorberichte von mir." Verschollenes Epos 'Der verlohrene Sohn' Zeugnisse: Schubart, Schriften, Hildesheim u. a. 1972, II, 37-38 (zuerst in: Schubart's Leben und Gesinnungen. Von ihm selbst im Kerker aufgesetzt, hrsg. v. seinem Sohne L. Schubart, II, 1793): "Ich [...] versuchte es [im Kerker] zuweilen, ob ich nicht [...] mit der Lichtputze schreiben könnte. Es gelang mir, und ich verfertigte auf diese Art manches geistliche Lied, auch andere Gedichte, wovon einige wohl verdient hätten, gedruckt zu werden. [...] Die verfertigten Gedichte wurden mir abgenommen und sind hernach verloren gegegangen. Ich bedaure darunter [...] einen Entwurf: der verlorne Sohn. [Dazu Anm. des Hrsg.:] Auch von diesem Gedichte sprach mein seliger Vater, da ich ihn auf dem Asberge besuchte, öfters mit Bedauren zu mir. Es war in Hexamtern geschrieben und vier Gesänge lagen bereits davon fertig [...]. Auch gegen Fremde [...] hörte man meinen Vater oft äußern: 'Meine besten Gedichte sind in den Strudeln meines Lebens untergegangen. Weit das beste, was ich auf dem Asberg sang, war der verlorne Sohn - ein episches Gedicht in zwölf Gesängen, wovon beinahe fünf ganz vollendet"; ebd., 157 (zuerst in: Ludwig Schubart, Schubarts Karakter, Erlangen 1798): "Er [...] setzte mehr als einen Plan zu einer Epopee auf; und hatte in den ersten Jahren seiner Gefangenschaft [ab 1777] wirklich schon mehrere Gesänge von einer (der verlorne Sohn) zu Stande gebracht, die ihm sein Kommandant schlechterdings ohne irgend einen denkbaren Grund - entriß".
Silber, Amalie Magdalena Wilhelmine Nicht in DBA und Goedeke Heldengedicht auf die Sündflut Zeugnis: Grundriß eines Gedichtes auf die Sündfluth an Amalien, in: Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder, 2. Auflage, Halle 1749, 155-156. Kommentar: Wieder in: Pyra/Lange, Freundschaftliche Lieder, Stuttgart 1885, 123-124. Der 'Grundriß', der 43 reimlose, meist sechshebige Jamben umfaßt, ist "an Langes Schwägerin Amalie Magdalena Wilhelmine Silberinn gerichtet, die sich, wie ihre Schwester, im Dichten versuchte", und lehnt sich deutlich an Bodmers 'Grundriß eines epischen Gedichtes von dem geretteten Noah' an (ebd., XLIII). Möglicherweise handelt es sich um eine folgenlose Anregung Pyras. Allerdings läßt Langes Vorwort vermuten, daß die Dichterin
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Bibliographie von der "Ermunterung" Gebrauch gemacht hat (ebd., 11): "Das 6te [Gedicht des Anhangs] ist ein Stück eines Briefes an eine auswärtige Freundin, die er zu einem Heldengedichte auf die Sündfluth ermunterte. Er richtete seine Ermunterung an eine Person, die unter den deutschen Musen einen ausnehmenden Rang einnehmen würde, wenn sie sich entschliessen wolte, ihre Gedichte drucken zu lassen, und sein Aufsatz ist die Grundlage des Gedichts."
Wieland, Christoph Martin (1733-1813) Plan eines Heroisch-comischen Gedichts auf Alexander den Großen Zeugnis: Wieland BW III, Nr. 480, 23-27 (Wieland an S. La Roche, Okt./Nov. 1767): "J'ai encor un autre dessein, mais que je garderai, peut etre pour un tems, auquel je n'atteindrai pas. C'est un poeme heroi-comique d'une espece toute nouvelle, dont Alexandre le grand seroit le sujet - et dans lequel je n'aurois pour objet principal, que de peindre au vrai les Heros, les grands-hommes, et les grandes actions"; ebd., Nr. 491, 67-126 (Wieland an Zimmermann, 3.12.1767): "Sie werden erschrecken, wenn ich Ihnen von einem Heroisch-Comischen Gedicht sage [...] Sie und gewiß auch kein Andrer [...] würde es jemals errathen, daß sich ein Poet einfallen lassen könne Alexandern den Grossen zum Helden eines Comischen Gedichts zu machen. [...] Nachdem ich alle Helden der Welt durchgangen, fand ich keinen der geschickter war, meine Idee mit ihm auszuführen als den Alexander; denn mein Held muß würklich ein ausserordentliches Gemisch von Grossen Eigenschaften und Schwachheiten, von Heroischen und Comischen Zügen seyn". Kommentar: Möglicherweise hatte auch Gleim Kenntnis von Wielands (nicht ausgeführtem) Plan, denn er schreibt am 9.8.1770 an Wieland (Wieland BW IV, Nr. 167, 123-124): "Gern möcht ich, wie Wieland für Alexander, so für Friedrich eine Schutzschrift auf setzen!" Episches Gedicht über eine Götterfabel Zeugnis: Wieland BW I, Nr. 35, 179-181 (Wieland an Bodmer, 6.3.1752): "Um dieselbe Zeit [in Erfurt, 1749/50] gieng ich mit einem epischen Gedicht um von dem ich ein gutes Stük in deutsch. Hexametern anfieng. Ich verlies das Sujet weil es eine Götterfabel war." Plan eines romantischen Heldengedichts von Tristan Zeugnisse: Wieland BW V, Nr. 641, 13-19 (Wieland an Merck, 16.1.1777): "Dann wird folgen die gar schöne kurzweilige und herzrührende Historia von Ritter Tristan von Lionnois [...] Dies wird ein großes opus in vielen kleinen Canto's und kann unmöglich anders componirt werden"; ebd., Nr. 667, 21-24 (Wieland an J. G. Jacobi, 24.3.1777): "Wenn du [in Weimar] was von Tristan sagen willst, so sprich davon als von einem Gedicht, worinn das edelste und interessanteste aus den Geschichten der Tafelrunde in die traurigzärtliche Liebesgeschichte von Tristan und Ysolde verwebt seyn wird"; Starnes I, 685 (Wieland an Merck, 26.8.1780); 695 (Wieland an Graf, 23.2.1781); ebd. II, 8 (C. F. Neander an E. v. d. Recke, 12.5.1784); ebd. II, 12 (F. L. v. Stolberg an
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Voß, 3.6.1784): Wieland "hat Ideen zu noch einem Ritter-Gedicht wie Oberon im Kopf, aber ohne Feerey"; ebd. III, 171 (Aufzeichnung Böttigers [zu 1804]): Wieland "habe immer noch einmal den Tristan zu einem Gedicht, sogar als Gegenstück zum Oberon, versuchen, vielleicht auch eine Suite von Romanzen (wie Herder aus der Geschichte des Cid) machen wollen." Kommentar: In der Zeit nach der ersten Idee bemüht sich Wieland verschiedentlich um Quellen für sein geplantes Werk (vor allem um eine TristanHandschrift aus Dresden und den einschlägigen Teil der 'Bibliothfcque des romans'; vgl. Starnes I, 615-617; 635; 639-641; 652; 657). Heldengedicht 'Die Zerstörung Jerusalems' Zeugnis: Wieland AB III, 381 (Wieland an L. Meister, 28.12.1787): "ich [...] fieng im 13ten [Jahr] schon ein Heldengedicht - die Zerstörung Jerusalems an." Hierzu evtl. Wieland BW I, Nr. 329, 22-30 (Wieland an Zimmermann, 8.11.1758): "Und können Sie glauben es werde den Ausländern etwas daran gelegen seyn, [...] daß ich schon im 12ten Jahre ein Heldengedicht angefangen und überhaupt eine unendliche Menge Papier übersudelt habe".
Anonymi Probe einer Epopee über Alexander den Großen Zeugnis: Klopstocks lateinische Abschiedsrede von Schulpforta vom 21.9.1745, in: Cramer, Klopstock. Er; und über ihn, I, Hamburg 1780, 124-125: "Et congratulandum profecto Germaniae nostrae est, quod illa de Alexandro Magno epopoeia, cujus infelix nuper specimen vidimus, lucem adhuc formidet. Ea enim si prodierit, Galli certi, alique temporibus saporique nostro illudere pergerent." Übersetzung ebd., 87: "und wir können Deutschland Glück wünschen, daß jene Epopee über Alexander den Großen, von der wir neulich eine unglückliche Probe sahen, das Licht noch scheut. Denn käme sie hervor, so würden gewiß die Gallier und Andre noch unsrer Zeiten und unsres Geschmackes zu spotten fortfahren." Kommentar: Eine nähere Identifikation der (evtl. gedruckten) Probe war nicht möglich. Heldengedicht auf Prinz Eugen Zeugnis: C. F. Weichmann, Vorrede zu: Postel, Der große Wittekind, Hamburg 1724, Bl.):(7v: "Und noch habe ich von scharfsichtigen Kennern die gesicherte Nachricht, daß ein gewisser grosser Meister in der Poesie, zu Celle, ein ausbündig schönes Helden-Gedicht auf unsern tapfern Eugene zum Druck bereits fertig habe, dasselbe aber bey Lebzeiten dieses Helden nicht bekannt machen wolle." Kommentar: Die Aufnahme dieses Hinweises erfolgt mit Rücksicht auf das Todesdatum Prinz Eugens (1736) und eine danach mögliche, aber nicht nachgewiesene Drucklegung des Werks. Ein Zusammenhang mit dem gleichfalls ungedruckten Eugen-Epos des Schlesiers Lichnowsky ist wohl auszuschließen.
Bibliographie
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Fragment eines Heldengedichts in Hexametern Vers: Hexameter. Zeugnis: Wieland, Antworten an unsre Correspondenten, in: TM 1774/1, 373-374, hier 374: "Schon vor geraumer Zeit ist dem H. ein Fragment eines Heldengedichts in Hexametren von einem Ungenannten zugeschickt worden. Der Verfasser vermuthet selbst daß dieses schon vor vielen Jahren aufgesetzte Stück eines unvollendeten Ganzen, in mehr als einer Betrachtung, nicht mehr in unsre Zeiten passe; und wir glauben, daß Er Recht hat. Einige Stellen hätten uns durch ihre Schönheit beynahe verführt; aber bey zwanzig andern - zupfte uns Apollo oder der gute Genius des ungenannten Dichters beym Ohre; und wir gehorchten der Warnung." Heldengedicht über Friedrich II. Zeugnis: D. Jenisch, Probe eines Heldengedichts, Borussias, oder der siebenjährige Krieg, in acht Gesängen, in: NTM 1790/11, 276-298 u. 329-348, hier 278: "Noch habe ich zu sagen, daß ich nicht derjenige Dichter bin, der schon vor langer Zeit ein großes Gedicht über Friedrich den Großen ankündigte; denn die Idee eines Epischen Gedichts über den siebenjährigen Krieg kam mir nur vor wenigen Wochen." Kommentar: Die Ankündigung konnte nicht identifiziert, der Bezug zu einem bestimmten (geplanten) Werk nicht hergestellt werden. - Auf diese Ankündigung bezieht sich möglicherweise auch ein Gedicht Gleims: An alle Dichter. Als einer ein Heldengedicht vom Einzigen ankündigte, in: Neue Litteratur und Völkerkunde 1789,1, 99-100. Moses | oder | Das befreyte Ißrael | ein | Helden Gedichte Standort der Handschrift: Zürich ZB: Ms. Bodmer 41.53 - Vers: reimlose sechshebige Jamben - Umfang des Fragments: 408 Verse. Kommentar: Möglicherweise stammt das Fragment von S. G. Lange (s. die Zeugnisse bei VII. 3, Lange). - Der Vorbericht nennt den Eingang der Handlung ("Nacht darin die Erstgeburt erwürget wird"), deren projektiertes Ende ("Lobgesang des Volkes nach dem Durchgang durch das rote Meer") und die ungefähre Verteilung auf einzelne Gesänge (gezählt bis zum 5. Gesang; dann ist pauschal von den "folgenden" Gesängen die Rede). Der ausgeführte Teil umfaßt nach dem Vorbericht "etwas über die Helfte des ersten Buchs". - Eine Notiz Bodmers auf dem Titelblatt stellt eine (inhaltliche) Beziehung her zu 'Moyse sauv6' (zuerst 1653) von Marc-Antoine de Gerard, Sieur de Saint Amand (um 1594-1661). - Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem handschriftlichen Fragment und einer Meldung in: FN X (1753), 323-324 (abgedr. in: AsK 100-102; Wieland-Bibl 93 vermutet Wieland als Autor der Meldung). Dieser Text wird auszugsweise wiedergegeben im Kommentar zu J. D. Michaelis' Fragment über die 'Ausführung der Israeliten aus Aegypten', auf das sich die Meldung gleichermaßen beziehen könnte (s. VII. 2). Vgl. ferner den Eintrag im 'Cartel von neuen Heldengedichten' (FN X (1753), 292; teilweise ernsthafte, teilweise ironisch gefärbte Ankündigung epischer Werke von Bodmer und Wieland): "Der Ausgang Israels aus Aegypten; in acht Gesängen."
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Erster Gesang eines Rittergedichtes von einem ungenannten Liefländer Vers: Stanzen zu acht Versen - Umfang: 70 Strophen. Zeugnis: Wieland, Antworten an ungenannte Correspondenten, in: TM 1775/III, 188-190: "Verschiedene Gedichte, und unter diesen 70 achtzeilige Stanzen, die den ersten Gesang eines Rittergedichtes in Ariosts Geschmack ausmachen, wurden mir vor kurzem aus Liefland von einem Ungenannten zugeschickt, um diesen Versuch nach meiner Willkühr entweder im Merkur bekannt zu machen, oder zur Vergessenheit zu verurtheilen. Daß poetische Früchte dieser Art von den beeißten Ufern des Baltischen Meeres (wie der Verfasser sich ausdrückt) selten einlaufen, ist sehr wahr; ob aber dies ein hinlänglicher Grund sey, sie mit der Nachsicht anzusehen, die der Verfasser fodern zu können glaubt, ließe sich vielleicht bezweifeln. [...] Indessen da der Ungenannte mit diesem Versuch eigentlich keine andere Absicht hatte, als zu erfahren: ob er in der Versart Ariosts bey mehrerer Anstrengung glücklich seyn könnte - und da er so bescheiden und verbindlich ist, dies meiner Entscheidung zu überlassen: so glaube ich Ihm nicht zu viel zu schmeicheln, wenn ich ihm Hoffnung mache, daß er in diesem Fache allerdings Lorberen verdienen könnte, in so fern er sich - den Gegenstand zu seinem Rittergedicht aus der wirklichen Ritterzeit, und aus der Liefländischen Geschichte wählen, - nach einem bessern Plan, als der Ariostische ist, arbeiten, - sein Gedicht mit wahren und interessanten Localgemählden anfüllen, - auf Reinigkeit der Sprache, Richtigkeit, Stärke und Leben des Ausdrucks, und Schönheit des Styls und der Versification vorzüglich Fleiß verwenden, und überhaupt den Idris mehr in Allem, was mit einigem Rechte daran gelobt wird, als in gewissen schlüpfrigen Gemählden zu erreichen oder zu übertreffen suchen wollte." Versepos ohne Titel über den Streit zwischen Here und Rheia. o. O. o. J. Standort: Weimar GSA - Vers: Hexameter. Kommentar: Goethe Bibl 1177 verzeichnet obiges Werk, von dem nur die S. 25-215 vorhanden sind; offenbar handelt es sich um das Fragment eines Drucks. Dessen Autor und Erscheinungsjahr sind unklar, die Zugehörigkeit zum hier interessierenden Zeitraum wohl eher unwahrscheinlich. Goethe Bibl zitiert den Beginn des Werks ("Laßt mich sagen den Streit, den eiteln der mächtigen Here ..."), der sich wohl auf der ersten der erhaltenen Seiten findet; hieraus folgt, daß entweder umfangreiche einleitende Worte (sofern es sich um eine selbständige Publikation handelt) oder andere Werke vorausgegangen sein müssen (sofern das gedruckte Fragment bspw. Bestandteil einer Werkausgabe ist). Versepos ohne Titel Standort der Handschrift: Weimar GSA VI 12 - Vers: Hexameter - Umfang: 251 beschr. gez. S. Kommentar: Zitiert nach Goethe Bibl 1178; demnach handelt es sich um eine "Papierhs. d. klass. Zeit." Da genauere Angaben zur Datierung nicht gemacht werden, ist die Zugehörigkeit des Werks zum hier interessierenden Zeitraum ungewiß. Der mitgeteilte Beginn des Werks ("Unter schattenverbreitender Linde auf kühlender Steinbank") deutet allerdings darauf hin, daß das (wohl ungedruckte) Werk des unbekannten Autors in der Tradition Goethes 'Hermann und Dorothea' (s. VII. 2) und der 'Luise' von Voß (s. VII. 4) steht.
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Bibliographie
4. Texte verwandter Gattungen (in Auswahl) Babo, Joseph Maria: Die Römer in Teutschland. Ein dramatisches Heldengedicht in fünf Akten, Frankenthal 1780. Kommentar: Lt. AVnB VI (1781), 216, "nicht fürs Theater gemacht". Bertuch, Friedrich Justin: Der Sprödenspiegel oder Theobald und Laurette, in: TM 1774/III, 5-34 u. 268-286. Kommentar: unterzeichnet "B-ch" (vgl. Goedeke IV/1, 679). - Ballade mit 179 vierzeiligen Strophen, eingeteilt in "Sang" I-III. - Zur Gattung vgl. TM 1774/IV, 197: "Die romantische Ballade ist bey der Menge unsrer Romanzen noch immer zu wenig bearbeitet, als daß Erzählungen, wie der Sprödenspiegel, nicht denkwürdig seyn sollten." Bodmer, Johann Jakob: Adelbert von Gleichen, in: ders., Drey epische Gedichte, Zürich 1778, 51-77. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/87. -: Conradin von Schwaben. Ein Gedicht mit einem historischen Vorberichte, Carlsruhe 1771. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/67. Bodmer schlägt diesen Stoff bereits um 1753 als Stoff für ein Epos vor (vgl. FN X [1753], 292, u. VII. 3, Gemmingen). -: Evadne, in: ders., Evadne und Kreusa. Zwey griechische Gedichte, Zürich 1777, 3-18. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/86. -: Die Gräfin von Gleichen. Ein Gedicht mit einem historischen Vorberichte, Carlsruhe 1771. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/68. -: Hildebold und Wibrade, in: ders., Hildebold und Wibrade. Maria von Braband, Chur 1776, 1-42. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/85. -: Jakobs Wiederkunft von Haran. Ein Gedicht, Trosberg 1753. Kommentar: Verserzählung in Hexametern aus dem Kontext der Patriarchaden. Vgl. Bodmer Bibl 1/37. -: Kreusa, in: ders., Evadne und Kreusa. Zwey griechische Gedichte, Zürich 1777, 19-36. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/86.
Texte verwandter Gattungen
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-: Makaria, in: ders., Drey epische Gedichte, Zürich 1778, 3-14. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer-Bibl 1/87. -: Maria von Braband, in: ders., Hildebold und Wibrade. Maria von Braband, Chur 1776, 44-86. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/85. -: Sigowin, in: ders., Drey epische Gedichte, Zürich 1778,15-49. Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/87. -: Telemach, in: ders., Evadne und Kreusa. Zwey griechische Gedichte, Zürich 1777, Anhang (mit eigener Paginierung). Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Vgl. Bodmer Bibl 1/86. Bodmer, Johann Jakob / Wieland, Christoph Martin: Fragmente in der erzählenden Dichtart von verschiedenem Innhalte, Zürich 1755. Kommentar: Darin neben Übersetzungen einige kürzere Verserzählungen in Hexametern. Zur Autorschaft vgl. Bodmer Bibl 1/39 u. Wieland-Bibl 23. Broxtermann, Theobald Wilhelm: Benno, Bischof von Osnabrück. Ein Traum aus unserer Väter Zeit, in: TM 1788/1, 434-459. Kommentar: Wurde auch einzeln (1789) und in Broxtermanns Gedichten (Münster 1794, 135-188) veröffentlicht. In der 'Vorerinnerung' zu der letztgenannten Ausgabe bezeichnet der Autor sein Jugendwerk als eine seiner "ersten Vorübungen in der erzählenden Gattung" (S. I). - Variierende Gattungsbezeichnungen: "Erzählung" (ALZ 1789/III, 856), "Kleine poetische Erzählung mit historischer Grundlage" (ARL 1785-1790, XIV. 1618), "erzählendes Gedicht" (DBA 149, 45), "Heldengedicht" (DBA 149, 51); vgl. Goedeke V, 450: "Lyrisch-rhapsodische Darstellung, die in die Form des Dialogs übergeht; fünffüßige reimlose Jamben". - Ähnlich problematisch ist die Gattungszuordnung der folgenden Texte vom gleichen Autor. -: Der Tod Gustav Adolfs. In 2 Büchern, in: ders., Gedichte, Münster 1794, 1-68.
Kommentar: In der 'Vorerinnerung' bezeichnet der Autor das Werk als "Erzählung" (S. IV). -: Wittekind. Feldherr der Sachsen. Ein Fragment, in: ders., Gedichte, Münster 1794, 69-114. Kommentar: Wechsel von Erzählung und dramatisiertem Gespräch. Möglicherweise aber auch als Fragment eines Heldengedichts zu bezeichnen. -: Der Osterkuchen, in: ders., Gedichte, Münster 1794, 115-134. Kommentar: allegorisierende Erzählung.
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Bibliographie
Casparson, Johann Wilhelm Christian Gustav: Hessens Grosser Karl. In einem Lobgedichte am Carlstage 1753 besungen, Kassel 1753. Kommentar: Panegyrikum. In NaG III (1753), 556-558, als "heroisches Gedicht" bezeichnet. Com, Karl Philipp: Moses Mendelssohn, der Weise und der Mensch. Ein lyrisch-didaktisches Gedicht in 4 Gesängen, Stuttgart 1787. Kommentar: rez. in: AdB LXXXI (1788), 119-123: Verf. habe versucht, "den Lehrdichter mit dem Lobredner zu vereinigen [...]. Die Versart wechselt [...] auf vierfache Art ab: odaisches Sylbenmaaß, reimlose, gereimte Jamben und Hexameter." - Vgl. evtl. Langs 'Ulrich von Hutten' und Stäudlins 'Albrecht von Haller' (beide VII. 4). Dannenberg, Ernst Christian Heinrich: Der Harz. Ein Gedicht in 7 Gesängen, Göttingen 1782. Kommentar: In Koch II, 213, unter der Rubrik "Dichterisches Gemälde". Dedekind, Konrad Julius: Der Erlöser bey seinen Jüngern. Ein Lehrgedicht in 6 Gesängen, Hannover 1781. -: Die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, bey dem Siege des Mittlers über die Schrecken des Todes. In 6 Gesängen, Hannover 1766. Kommentar: Lehrgedicht. Vgl. das explizit als "Heldengedicht" bezeichnete Werk 'Die Auferstehung Jesu Christi' (VII. 2, Krause). Dusch, Johann Jakob: Der Tempel der Liebe. Ein Gedicht in 12 Büchern, Hamburg 1757. Kommentar: u. d. T. 'Aedon und Themire. Ein episches Gedicht der Liebe in 12 Büchern' auch in: Dusch, Poetische Werke, III, Altona 1767. - Das Werk ist wohl als Lehrdichtung in epischer Einkleidung zu betrachten; vgl. Jördens I, 414 (zur Ausgabe 1767): "Es führt wegen der Fiktionen und des Vortrags den Titel eines epischen Gedichts mit Recht, wenn es gleich keine Epopöe ist. Es ist ein schönes historisch-moralisches Gedicht". - Vgl. zu dieser Zwischengattung: Dusch, Briefe zur Bildung des Geschmacks, Leipzig/Breslau 1764-1773, IV, Brief 1 ("Was von Lehrgedichten in epischer Form zu halten"), 2 u. 3 ("Ob solche Gedichte schön seyn können?"), 4 ("Eintheilung der dogmatischen Gedichte"). Exter, Johann Hartmann: Der Raub der Proserpina Gemahlinn des HoellenGottes. Eine Geschichte der Heydnischen Götterlehre in vier Gesängen, in: ders., Freye Gedanken über die wahre Ursache, warum Adam und Eva das Paradies verlassen mußten. Mit vier Gesängen vom Raube der Proserpine, Gemahlinn des Hoellengottes, vermehrt, 2. Auflage, Frankfurt/Leipzig 1778, 31-48. Kommentar: In KFLB 1778, 418 (Ostermesse) ist eine sonst nicht nachweisbare Einzelausgabe von 1777 verzeichnet. Von der zitierten Ausgabe war nur ein Exemplar nachzuweisen (London BL: 11528.e.4 (1)). - Erzählung in
Texte verwandter Gattungen
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scherzhaft-tändelndem Ton; jeder Gesang umfaßt 20 Strophen mit je vier dreihebigen Jamben (insg. also 320 Verse). - Dennoch verzeichnet Blankenburg II, 82, den Text in seiner Bibliographie zum Heldengedicht. Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von: Gedicht eines Skalden, Kopenhagen u. a. 1766. Kommentar: wieder in: DNL XLVIII, 289-302. - Bardendichtung in 5 kurzen Gesängen. Wohl als eigene, kurzlebige, an Ossian angelehnte Gattung mit breitem formalem und stilistischem Spektrum aufzufassen (AdB V [1767], 210: "bald lyrisch, bald erzählend, bald gereimt bald reimloß"). Bei Blankenburg II, 448, in der Rubrik "Ode" verzeichnet. Geßner, Salomon: Der Tod Abels. In fünf Gesängen, Zürich 1758. Kommentar: Prosaepos. - Zahlreiche Hinweise auf weitere Ausgaben, Übersetzungen etc. bei Jördens II, 120-121 u. 125-126. Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Alexis und Elise. Eine epische Romanze, Berlin 1771. Kommentar: wieder in: Gleim, Sämmtliche Werke, Hildesheim/New York 1971, III, 133-157. - 3 Gesänge mit insgesamt 89 vierzeiligen Strophen. Goeckingk, Leopold Friedrich Günther: Adlerkant und Nettchen, in: DM 1779/1, 193-206 u. 289-307. Kommentar: Später u. d. T. 'Die Schlittenfahrt' in Goeckingks Gedichten (Leipzig 1781, II, 163ff.). Erzählung in 112 Stanzen. Halem, Gerhard Anton von: Adelheid von Burgund, in: DM 1784/1, 481-511. Kommentar: wieder in: Halem, Poesie und Prose, Hamburg 1789, 107-155. Wohl als historische Verserzählung in Hexametern zu bezeichnen. Der Autor äußert sich zur Gattungszugehörigkeit des Werks, das 3 Gesänge und 744 Verse umfaßt, nicht eindeutig: "Dies ist nun das dritte Stück, (Teudelinde und Conradin waren die erstem) welches ich in dieser Gattung dichte. Man nenne sie Epopee, Erzählung, oder wie man will. Auf den Namen kommt es nicht an. Aber, ist sie gut, diese Art der Darstellung?" (DM 1784/1, 482) Vgl. Briefe Halem 17; 20; 22; 23 (darin nennt Halem die Werke "historische Gedichte"). - Anspruch auf Zugehörigkeit zur epischen Gattung erhebt Halem explizit nur für sein Fragment 'Gustav Adolf (s. VII. 2). -: Bertholds Klage um Konradin, in: DM 1783/11, 23-45. Kommentar: unter dem Titel 'Conradin' wieder in: Halem, Poesie und Prose, Hamburg 1789, 193-225. - Zur Gattungszugehörigkeit des Werks, das in der ersten Fassung 504 Hexameter und 54 Verse in freien Rhythmen umfaßt, siehe 'Adelheid von Burgund'.
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Bibliographie
-: Ritter Twein. 1788, in: ders., Poesie und Prose, Hamburg 1789, 233-290. Kommentar: Die ersten beiden von insgesamt 4 Gesängen finden sich zuerst in: DM 1788/1, 224-234 u. II, 38-46. - Das Werk ist als Bearbeitung von Hartmanns 'Iwein' (in unterschiedlichen Versmaßen) zu betrachten. -: Teudelinde, Hamburg 1780. Kommentar: wieder in: Halem, Poesie und Prose, Hamburg 1789, 353-379. Zur Gattungszugehörigkeit des Werks, das 416 Verse (Hexameter und eingeschobene Lieder in kürzeren Versen) umfaßt, siehe 'Adelheid von Burgund'. Bei Blankenburg II, 82, und Koch I, 117, in den Gattungsbibliographien zum Heldengedicht verzeichnet. Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Die Befreyung von Akri. Ein historisches Gedicht mit Noten aus vollgültigen Quellen, o. O. 1799. Kommentar: historische Verserzählung in 49 Stanzen. Hammer bezeichnet sein Werk in einem Brief an Böttiger als "kleines Gedicht" (Chronik des Wiener Goethe-Vereins XXXVI [1930], 31). Gleichzeitig arbeitet Hammer an seinen "persisch romantischen Gedicht" 'Schirin', das jedoch erst 1809 erscheint (vgl. ebd. u. Wieland 1983, 500). - In LZ 1800, 176, wird die 'Befreyung von Akri' als "Epopoeion" bezeichnet. Hann, Adam Wenzel: Xenokrat. Ein Gedicht in 7 Büchern, o. O. 1787. Kommentar: Buch I u. II wurden (nach der 'Vorerinnerung' zum vollendeten Werk und nach Goedeke VI, 630-631) bereits veröffentlicht in: Haan [!], Vermischte Versuche in der Dichtkunst, Wien 1782, 1-94. - Wohl Nachahmung von Wielands 'Musarion' (s. VII. 4, Wieland). In diesem Sinne rez. in: ALZ 1789/1, 259-260; auch die Kritische Übersicht der neusten schönen Litteratur der Deutschen II/2 (1789), 206, weist auf Wieland als Vorbild hin. In ARL 1785-1790, XIV. 1616b, unter der Rubrik "Kleine poetische Erzählung mit historischer Grundlage" angezeigt. Bei Blankenburg II, 83, findet sich das Werk hingegen in der Gattungsbibliographie zum Heldengedicht. Hennig, Georg Ernst Siegmund: Joseph. In 8 Gesängen, Königsberg/Leipzig 1771. Kommentar: Prosaepos. 230 S. - Der Autor beruft sich als Vorbild auf Paul J. Bitaubös Prosaepos über den gleichen Helden (Joseph. En 9 Chants, Paris 1767 u. ö.). Hennings, August Adolph Friedrich: Olavides, Kopenhagen 1779. Kommentar: Das Gedicht, das 538 Hexameter umfaßt, handelt von dem 1724 in Peru geborenen und 1778 von der spanischen Inquisition als Ketzer zu achtjähriger Klosterhaft verurteilten Olavides. - Der Autor nennt sein Werk in der 'Vorerinnerung' "ein kleines unbedeutendes Gedicht" und "eine Erzehlung". Bei Blankenburg II, 82, und Koch I, 117, findet sich das Werk hingegen in den Gattungsbibliographien zum Heldengedicht. - Das Gedicht, die umfangreichen Erläuterungen (S. 61-164) und die angehängte Schrift ('Etwas über unerkannte Tugenden', S. 165-226) haben eine "gelehrte theo-
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logisch-philosophische Streitigkeit" (DBA 513, 316) ausgelöst. Deren Zeugnisse sind zusammengefaßt in: Sammlung aller Streitschriften, so das Buch Olavides in Dännemark veranlasst hat, III, Kopenhagen 1780. Huber, Franz Xaver: Rudiger von Stahremberg, oder zwote Belagerung Wiens. Eine Rhapsodie, Salzburg 1788. Kommentar: Historische Verserzählung in (ca. 700) Hexametern. - Die Gattungsbezeichnung "Rhapsodie" entspricht der zeitgenössischen Benennung für einen Gesang der Epen Homers. Bei Blankenburg II, 82, ist das Werk hingegen unter den Heldengedichten verzeichnet. Jenisch, Daniel: Friedrich, der große Mann seines Jahrhunderts. Ein lyrisches Gedicht in 4 Gesängen, in: Berlinisches Journal für Aufklärung V / 3 (1789), 246-264 u. VI/1 (1790), 43-64. Kommentar: Vgl. die 'Borussias' vom gleichen Autor (VII. 2). -: Die französische Revolution, was sie war, und was sie geworden ist. Eine Threnodie, in: NTM 1793/III, 260-275. Kommentar: auch einzeln u. d. T.: Threnodie auf die französische Revolution. Ein lyrisch-episches Gedicht, Leipzig 1794. Kleist, Ewald Christian von: Cißides und Paches. In 3 Gesängen, Berlin 1759. Kommentar: Kleist scheint das Werk, das 449 Blankverse umfaßt, zunächst als umfangreiches "Heldengedicht" konzipiert zu haben (Kleist, W I, 245; W II, 474), wendet sich aber dann gegen diese Bezeichnung, die sein Umkreis (insb. Lessing) weiterhin favorisiert, und spricht fortan von einer "Erzählung (oder Gott weiß, was es wird)" und einer "kriegrischen Geschichte" (W II, 500 u. 502). Im Brief vom 2.8.1758 und in der Vorrede nennt er das Werk dann "einen kleinen kriegrischen Roman" und versucht es (auch im Blick auf Lesererwartung und Kritik) mit dieser Gattungsbezeichnung, die er selbst als "was Neues" begreift, vom anspruchsvolleren "Heldengedicht" abzugrenzen (W I, 246-247, und II, 504). - Bei Blankenburg II, 81, und Koch I, 114, ist das Werk hingegen in den Gattungsbibliographien zum Heldengedicht verzeichnet. -: Der Frühling, Berlin 1749. Kommentar: Beschreibendes Gedicht in Hexametern (mit Auftakt) in Anlehnung an Thomsons 'Seasons'. Kleist, Franz von: Zamori, oder die Philosophie der Liebe. In 10 Gesängen, Berlin 1793. Kommentar: episches Lehrgedicht (vgl. VII. 4, Dusch) in Stanzen. - Die Rez. in NadB V (1793), 598-609, nennt das Werk ein "episch-didactisches Gedicht" und weist darauf hin, daß der Titel einen Vergleich mit Wielands 'Musarion' nahelege, den Kleists Dichtung aber nicht aushalte (s. VII. 4, Wieland).
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Bibliographie
Kosegarten, Gotthard Ludwig Theobul: Ritogar und Wanda, in: DM 1783/1, 515-538 Kommentar: Verserzählung in Hexametern. Kretschmann, Karl Friedrich: Der Barde an dem Grabe des Majors Christian Ewald von Kleist, Leipzig 1770. Kommentar: Bardendichtung. - Bei Koch II, 154, in der Rubrik "Ode" verzeichnet. - DBsW V (1771), 366: "Erzählung von Kleistens Geburt bis an seinen Todt fast chronologisch". ·: Der Gesang Rhingulphs des Barden, als Varus geschlagen war, Leipzig 1769. Kommentar: wieder in: DNL XLVIII, 325-369. - Bardendichtung. - Bei Koch II, 154, in der Rubrik "Ode" verzeichnet. - Journal von und für Deutschland IX (1792), 773: "System von lyrischen Erzählungen in fünf Gesängen, und in wechselnden Sylbenmaasen." -: Die Jägerin. Ein Gedicht, Leipzig 1771. Kommentar: Bardendichtung. - Bei Koch II, 154, in der Rubrik "Ode" verzeichnet. -: Die Klage Rhingulphs des Barden bey dem Tode Hermanns, Leipzig 1771. Kommentar: Bardendichtung in 4 Gesängen. - Bei Koch II, 154, in der Rubrik "Ode" verzeichnet. Lang, Friedrich Karl: Ulrich von Hutten. Der Knabe, der Jüngling, der Mann. In 3 Gesängen, Erlangen 1787. Kommentar: Die Gattungszugehörigkeit des nicht nachgewiesenen Werks (zitiert nach DBA 734, 202) ist ungewiß. Vgl. evtl. Conz' 'Moses Mendelssohn' und Stäudlins 'Albrecht von Haller' (beide VII. 4). Lindner, Kaspar Gottlieb: Poetische und historische Beschreibung der höchstmerkwürdigen und überaus blutigen tartarischen Schlacht bei Lignitz in Schlesien, Hirschberg 1739. Kommentar: auch in: Lindner, Deutsche Gedichte und Übersetzungen, Breslau/Leipzig 1743, 172-211. - Heroisches Gedicht in 434 paarweise gereimten trochäischen Tetrametern. - Bei Koch nicht verzeichnet; dazu NBsW L (1793), 259: "V. Pietsch, C. G. Lindner, v. Scheyb, Buchholz, fehlen unter den epischen Dichtern." Bei Blankenburg II, 80, heißt es dann: "Sein Gedicht auf die Tartarische Schlacht [...] wurde, vor Alters zu den deutschen Heldengedichten gerechnet". Loss, Johann Christian: Moses in Midian. Ein poetisch Gemälde, Erfurt 1763. Kommentar: wiederholt Frankfurt/Leipzig 1765. - Prosaepos. 72 S. - AdB I (1766), 293: "Ein mißgerathener Versuch, die Schreibart von Geßners Tod Abels nachzuahmen."
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Lücke, Gottlob Sebastian: Olint und Sophronia. Ein Gedicht in 3 Gesängen, Braunschweig 1767. Kommentar: Verserzählung nach Tasso in 571 Blankversen. - Im Vorwort äußert sich der Autor zu dem möglichen Vorwurf, daß er das gleichnamige Trauerspiel-Fragment von Cronegk plagiiert habe. Moser, Justus: Die gerechten und siegreichen Waffen seiner Königlichen Majestät in Großbritannien und Churfürstlichen Durchlaucht zu Hannover Georgs des Anderen, Göttingen 1743. Kommentar: wieder in: J. Moser, Sämtliche Werke, II, Hamburg 1981, 48-59. - Panegyrikum in 344 paarweise gereimten Alexandrinern. - Rez. in: GZgS 1743, 712: "Der Herr Verfasser hat dieses Heldengedicht [!] [...] in öffentlicher Versammlung [...] abgelesen. Wir finden in selbigem die schönste Gedanken, auserlesene Ausdrücke, und wohlangebrachte Gleichnisse; kurz alle Vollkommenheiten, die zu einem wahren Heldengedicht erfordert werden." Da die Gattungsbezeichnung "Heldengedicht" wohl nicht vom Autor stammt, wurde das Werk unter die "Texte verwandter Gattungen" aufgenommen. Moser, Friedrich Karl von: Daniel in der Löwen-Grube. In 6 Gesängen, Frankfurt 1763. Kommentar: Prosaepos (lediglich der Musenanruf in Hexametern). 144 S. Weitere Ausgaben: Frankfurt/Leipzig 1763; Frankfurt 1767. - Diente Goethe als Vorbild für sein verlorenes, gleichfalls prosaisches 'Joseph'-Epos (vgl. Graf 1/1, 200-205 [Nr. 416-418]). Müller, Friedrich (Maler Müller): Der Riese Rodan. Fragment eines Gedichts, in: Die Schreibtafel III (1775), 3-5. -: Der Riese Rodan. Ein dramatisch Heldengedicht. In 7 Gesängen, Gesang I, in: Schreibtafel V (1776), 50-59. Kommentar: Weitere Ausgaben s. Fr. Meyer, Maler-Müller-Bibliographie, Leipzig 1912, Register, u. B. Seuffert, Maler Müller. Im Anhang Mitteilungen aus Müllers Nachlaß, Berlin 1877, 304-306. Ebd., 67-70 u. 333-367, sind umfangreiche Entwürfe zu dem Werk mitgeteilt, das wohl im Kontext der Bardendichtung Gerstenbergs und Kretschmanns zu sehen ist. Formal ist das zweite Fragment weitgehend als "dramatisch" zu bezeichnen (kein Erzähler, direkte Rede, Sprechernamen u. szenische Anweisungen). - Die gleiche Gattungsbezeichnung findet sich bei Babo (VII. 4). -: Der Satyr Mopsus. Eine Idylle in 3 Gesängen, Frankfurt/Leipzig 1775. Kommentar: weitere Ausgaben und Rez. s. Fr. Meyer, Maler-Müller-Bibliographie, Leipzig 1912, Register. - Prosaidylle (54 S.). Münter, Friedrich: Der Götterkampf. In 3 Gesängen, in: DM 1781/1, 289-315. Kommentar: Verserzählung über den Kampf zwischen griechischen und germanischen Göttern in 654 Hexametern.
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Bibliographie
Musäus, Johann Karl August: Der SchifTsbrand. Ein Gedicht, Weimar 1774. Kommentar: Verserzählung. - Bei Koch I, 141, in der Rubrik "Epische Gedichte gemischten Inhalts". Nicolay, Ludwig Heinrich von: Anselm und Lilla. Nach dem Ariost, in: ders., Vermischte Gedichte, III, Berlin/Stettin 1779, 171-220. Kommentar: wieder in: Nicolay, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, V, Berlin/Stettin 1794, 217-244. - Verserzählung in (ca. 800) frei reimenden Jamben. Kriterium der Unterscheidung zwischen Versepos und Verserzählung ist bei Nicolays Gedichten der Umfang und die Frage, ob eine Unterteilung in Gesänge vorliegt (vgl. die in VII. 2 verzeichneten Werke) oder nicht (wie bei den hier verzeichneten Werken). -: Richard und Melisse. Eine Rittergeschichte aus dem Ariost, in: ders., Vermischte Gedichte, I, Berlin/Stettin 1778, 255-312. Kommentar: wieder in: Nicolay, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, V, Berlin/Stettin 1794, 245-282. - Verserzählung in (ca. 1000) frei reimenden Jamben. Vgl. 'Anselm und Lilla'. -: Der Zauberbecher. Eine Rittergeschichte aus dem Ariost, in: ders., Vermischte Gedichte, V, Berlin/Stettin 1780, 81-134. Kommentar: wieder in: Nicolay, Vermischte Gedichte und prosaische Schriften, V, Berlin/Stettin 1794, 185-215. - Verserzählung in (ca. 800) frei reimenden Jamben. Vgl. 'Anselm und Lilla'. Oest, Johann Heinrich: Das Siechbett, Hamburg/Leipzig 1752. Kommentar: Didaktisch-episches Fragment. 2 Gesänge in Hexametern über einen Freigeist, der sich auf dem Krankenbett bekehrt. - In GZgS 1752, 874-876, als "Lied" bezeichnet. Osten, F. L. von der: Die Margaretiade. D. i. hohes und niedriges, niedriges und hohes, ernsthaftes Heldengedicht, Göttingen 1760. Kommentar: Bei Goedeke IV/1, 128, als "komisches Heldengedicht" bezeichnet. Offenbar treibt der Autor ein (Verwirr-)Spiel mit gegensätzlichen Gattungsbezeichnungen. Pyra, Immanuel Jakob: Der Tempel der wahren Dichtkunst. Ein Gedicht in reimfreyen Versen, Halle 1737. Kommentar: wieder in: Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder, 2. Auflage, Halle 1749, 99-149; Pyra/Lange, Freundschaftliche Lieder, Stuttgart 1885, 83-119. - Allegorisches Lehrgedicht in 5 Gesängen (1170 Alexandriner). Raspe, Rudolf Erich: Hermin und Gunilde. Eine Geschichte aus den Ritterzeiten, Leipzig 1766.
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Kommentar: Romanze/Rittererzählung; Strophen mit vier jambischen Versen. - Die Gattungsbezeichnung "Romanze" begegnet in den Rez. in: AdB IV (1767), 176-181; DBsW I (1767), 71-75; NBsW III (1766), 118-123: "Die Geschichte [...] könnte allemal eine schöne Episode in einem romanischen Heldengedichte abgeben. Der Verfasser hat sie in dem Tone der Romanze erzählt". Reinhold, Christian Ludolph: Gibraltar und die karibischen Inseln. Ein Heldengedicht. Erstes Buch in 12 Gesängen, London/Paris 1785. Zweites Buch. 21 Gesänge, Hannover/Osnabrück 1786. Kommentar: Prosaepos. 136 u. I l l S. - Es konnte nur der erste Band, dessen Druckort wohl fiktiv ist, nachgewiesen werden (London BL: 11525.f.35). Nach ALZ 1786/III, 262, beträgt der Gesamtumfang (und nicht der des zweiten Bandes) 21 Gesänge. Riedel, Franz Xaver: Das Buch Hiob. In 12 Gesängen, Presburg 1779. Kommentar: Kein selbständiges Epos, sondern (poetische) "Uebersetzung" (so auch in der Vorrede). Blankvers für erzählende Abschnitte, freie Rhythmen und wechselnde Versmaße für wörtliche Rede. Schlegel, Johann Adolf: Der Unzufriedene. Ein episches Lehrgedicht in 8 Gesängen, Hannover 1789. Kommentar: bereits in: Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes II (1745), 4.-6. Stück. - Zur Gattungsbezeichnung vgl. VII. 4, Dusch. Schmid, Konrad Arnold: Des heil. Blasius Jugendgeschichte und Visionen, in: DM 1784/11, 97-136. Kommentar: auch als Einzelausgabe (Berlin/Stettin 1786). - Das in paarweise gereimten Alexandrinern geschriebene Werk besteht aus einer Einleitung und drei "Legenden". - In einem begleitenden Schreiben spricht Eschenburg von einem "romantischen Gedicht" und von einer ungewöhnlichen "Verbindung der Legende mit der Fabel". Er bezeichnet "die ovidische Ergiebigkeit einer unaufhaltsam fortströmenden Dichterader" und "die ariostisch-wielandische Hinraffung des Lesers von Einem Gegenstande zum andern" als charakteristisch. Schmidt, Jakob Friedrich: Orpheus in der Hölle. In 7 Gesängen, in: ders., Gedichte, I, Leipzig 1786,52-80. Kommentar: DBA 1117, 32: "Eine Reihe von Elegien"; Jördens IV, 589: "ein episch-lyrisches Gedicht". Schönfeld, Franz Thomas von (?): Der Tod Mosis. Ein prosaisches Gedicht in 5 Gesängen, Neustadt a. d. Aisch/Leipzig 1785. Kommentar: Prosaepos. 117 S. - Zuweisung des anonym erschienenen Werks nach dem Eintrag in KFLB 1787, 604 (Ostermesse), der möglicherweise eine erweiterte Ausgabe bezeichnet: "Schönfelds, von, Tod Mosis, ein pros. Gedicht in 8 Gesängen. 8. Neust, an der Aisch, bei J. S. F. Riedel." - In seiner
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Bibliographie 'Vorrede' (S. 4) nimmt der Autor Bezug auf das Hexameterepos von Hess (s. VII. 2), das den gleichen Gegenstand behandelt; er bezeichnet (ebd., S. 10-11) Geßners 'Tod Abels' als sein Vorbild.
Schröder, Friedrich Joseph Wilhelm: Theodorica. Ein epischer Roman, in: ders., Lyrische, Elegische und Epische Poesien, Halle 1759, 393-480. Kommentar: Roman/Prosaepos (?). - BNLb XI, 158 (Brief 189): "Einen epischen Roman? fragen Sie; was ist das für ein Unding? Stellen sie sich eine Erzählung vor, die bald auf den Stelzen unserer neuern Epopeen einhertritt, bald wieder Fieldings niedrigkomischen Styl nachahmen will, so können Sie sich ohngefehr einen Begriff von diesem Romane machen". Stäudlin, Gotthold Friedrich: Albrecht 3 Gesängen, Tübingen 1780.
von
Haller.
Ein
Gedicht
in
Kommentar: Biographisches Lobgedicht in frei reimenden Jamben mit eingestreuten Liedern in verschiedenen Versmaßen (insg. ca. 1000 Verse). - Im Werk selbst wird öfter die Bezeichnung "Lobgesang" gebraucht. Bei Blankenburg II, 82, hingegen in der Gattungsbibliographie zum Heldengedicht verzeichnet. In der Rez. in: AdB XLV (1781), 97, als "Lobgedichte" bezeichnet. Im Register von AVnB V (1780) unter "Elegie". - Stilistisch wohl vergleichbar mit der Bardendichtung Gerstenbergs und Kretschmanns. Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu: Die Zukunft. Ein bisher ungedrucktes Gedicht aus den Jahren 1779-1782, hrsg. v. O. Hartwig, in: Archiv für Litteraturgeschichte XIII (1885), 82-115 u. 251-272. Kommentar: Ebd. wird auf einige zeitgenössische Vorabdrucke von Fragmenten des Werks hingewiesen (vgl. Goedeke IV/1, 1037-1038). - Das didaktischepische Gedicht in 5 Gesängen (2153 Hexameter), das unvollendet geblieben ist, stellt eine lose zusammenhängende Kette autobiographischer, religiöser, vor allem aber historisch-politischer Visionen (etwa über die Freiheitskämpfe in Amerika) dar. Töpfer, Heinrich August: Jehova, Dessau/Leipzig 1783. Kommentar: Prosaepos. Die einzige nachgewiesene Ausgabe umfaßt 164 S. und enthält "Des Ersten Theils Ersten Gesang", der die Schöpfung der Engel schildert. Ein groß angelegter Gesamtplan des unvollendeten Werks findet sich in: DM 1784/11, 382-384. Trenck, Friedrich Freiherr von der: Der Macedonische Held in seiner wahrhaften Gestalt. Ein Gedicht, Coppenhagen 1771. Kommentar: Tatsächlicher Druckort ist wohl Aachen. Weitere Ausgaben vgl. G. Gugitz/M. v. Portheim, Fr. Freiherr v. d. Trenck. Ein bibliographischer u. iconographischer Versuch, Wien 1912, Nr. 80-84 (dort als "Satyrisches Epos" bezeichnet). - Mit seinem Gedicht in 739 Alexandrinern, das vielleicht als politisch-agitatorisches Lehrgedicht zu bezeichnen ist, wolle der Autor (so der 'Vorbericht' zum Abdruck in: Trenck, Sämmtliche Gedichte und Schrif-
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ten, VI, 1786) "blutdürstigen Eroberern [...] die Larve von den Ohren reissen". Uhlich, Adam Gottfried: Die Trojanerinnen. Ein Gedicht in 3 Gesängen, Neustadt 1771. Kommentar: Prosaepos. 34 ungez. S. - AdM 1774, 43: "Was den Verfasser bewogen haben mag, Schlegels Trojanerinnen in eine epische unharmonische Prosa aufzulösen, ist mir unbekannt." Voß, Johann Heinrich: Luise. Ein ländliches Gedicht in 3 Idyllen, Königsberg 1795. Kommentar: Vorabdrucke der drei zuerst getrennt veröffentlichten Idyllen, weitere Ausgaben u. Rez. s. Goedeke IV/1, 1067 u. 1070-1071. - Zyklus von Idyllen (mit Tendenz zum Epos) in Hexametern. Wieland, Christoph Martin: Der verklagte Amor. Ein Gedicht in 4 Büchern, in: TM 1774/III, 47-128. Kommentar: Vorabdruck u. weitere Ausgaben s. Wieland-Bibl 489. - Zur Gattungszugehörigkeit Wieland SW V, 149: "Die Idee dieses Gedichts, welches eben sowohl als Musarion, (zu welchem es als ein Gegenstück angesehen werden kann) nicht leicht unter eine schon bekannte Rubrik zu bringen ist, erschien dem Verfasser schon im Jahre 1771". Vgl. 'Musarion' (VII. 4, Wieland). ·: Clelia und Sinibald. Eine Legende aus dem 12. Jahrhundert, Weimar 1784. Kommentar: Vorabdruck in TM 1783-1784 u. weitere Ausgaben (teilweise u. d. T. 'Klelia und Sinibald oder Die Bevölkerung von Lampeduse') s. Wieland-Bibl 398-399. - Wohl als umfangreiche Verserzählung (10 Bücher) zu bezeichnen. -: Combabus. Ein Erzählung, Leipzig 1770. Kommentar: weitere Ausgaben (teilweise mit dem Untertitel 'Was ist Tugend?') s. Wieland-Bibl 400-401. - Verserzählung in 748 Versen (Fassung letzter Hand, Wieland SW X, 241-302; ebd., 244, als "Mährchen" bezeichnet). -: Geron, der Adelich. Eine Erzählung aus Königs Artus Zeit, in: TM 1777/1, 3-16 u. 105-142. Kommentar: weitere Ausgaben (teilweise u. d. T. 'Geron der Biederherzige') s. Wieland-Bibl 414-416. - Verserzählung. -: Die Grazien, Leipzig 1770. Kommentar: weitere Ausgaben s. Wieland-Bibl 417-418. - 6 Bücher, Prosa und Verse gemischt. -: Liebe um Liebe. In 8 Büchern, in: TM 1776/11, 121-146 u. 217-230; III, 38-57 u. 97-111; IV, 149-161 u. 193-211.
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Bibliographie Kommentar: weitere Ausgaben (teilweise u. d. T. 'Gandalin oder Liebe um Liebe') s. Wieland-Bibl 408-412. - Wohl als umfangreiche Verserzählung zu bezeichnen.
Der Mönch und die Nonne auf dem Mittelstein. Ein Gedicht in 3 Gesängen, in: TM 1775/1,193-205; II, 3-15. Kommentar: weitere Ausgaben (teilweise u. d. T. 'Sixt und Klärchen oder Der Mönch und die Nonne auf dem Mittelstein') s. Wieland-Bibl 486. Ebd.: "Von den ursprüngl. geplanten 3 Gesängen sind nur 2 ausgeführt." -: Musarion oder Die Philosophie der Grazien. Ein Gedicht in 3 Büchern, Leipzig 1768. Kommentar: weitere Ausgaben s. Wieland-Bibl 428-438. - Das Werk repräsentiert nach Wieland "eine neue Art von Gedichten, welche zwischen dem Lehrgedichte, der Komödie und der Erzählung das Mittel hält, oder von allen dreyen etwas hat" (Wieland BW III, Nr. 418, 65-68). Vgl. 'Amor' (VII. 4, Wieland). -: Pervonte. Ein neapolitanisches Märchen, in: TM 1778/IV, 97-110 u. 193-201; 1779/1,3-18. Kommentar: weitere Ausgaben (teilweise u. d. T. 'Pervonte oder die Wünsche') s. Wieland-Bibl. - Verserzählung in 3 "Theilen" (Fassung letzter Hand, Wieland SW XVIII, 115-211). -: Titanomachia oder das neue Heldenbuch. Ein bürleskes Gedicht in so vielen Gesängen als man will, in: TM 1775/IV, 9-15. Kommentar: weitere Ausgaben s. Wieland-Bibl 383-384. - Dort ist der Text wohl fälschlich unter der Rubrik "Lyrische Dichtungen" verzeichnet. Wieland bezeichnet das (fragmentarische) Werk als "eine Probe einer Art von Marottischen oder (wenn wir lieber wollen) Hans Sachsischem Stil" (Wieland SW Suppl VI, 375 [Anm.]). - Vgl. Anonymus 'Heldenbuchs vierter Gesang' (VII. 4). Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm: Die Tageszeiten. Ein Gedicht in 4 Büchern, Rostock/Leipzig 1755. -: Tayti oder Die glückliche Insel, Braunschweig 1777. -: Die vier Stufen des weiblichen Alters. Ein malerisches Gedicht in 4 Gesängen, Rostock 1757. Kommentar: Die drei zitierten Werke verzeichnet Koch II, 204, unter der Rubrik "Dichterisches Gemälde". Anonymus: Der Heiland, in: Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüths, 6. Stück (1747), 403-429. Kommentar: In einer Vorbemerkung wird das Werk, das 4 Gesänge in paarweise gereimten Alexandrinern (ca. 600 Verse) umfaßt, ein "Gedicht"
Texte verwandter Gattungen
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genannt. Über den Autor verlautet lediglich, daß er "seit kurzem einem ansehnlichen Schulamte in Schlesien" vorstehe. -: Des neuen deutschen Heldenbuchs vierter Gesang, in: DM 1777/11, 519-537. Kommentar: Burleskes Gedicht (Fragment?) mit insg. 504 jambischen Versen in Strophen unterschiedlichen Umfangs (64 Verse Vorrede; 440 Verse 4. Gesang). - Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zu Wielands 'Titanomachia' (s. VII. 4, Wieland). -: Rahab, die Gastwirtin. Eine epische Erzählung, Weißenfels/Leipzig 1772. Kommentar: Die Existenz des nur im Meßkatalog nachgewiesenen Werks (KFLB 1772, 422 [Ostermesse], unter den "Schriften, welche künftig heraus kommen sollen") ist fraglich.
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Bibliographie
5. Weitere Quellen und ältere Literatur (bis 1830) (Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur siehe VII. 1) Am Ende, Johann Joachim Gottlob: Christeis. Hoc est Acta Apostolorum e lingua originali in Latinum translata et carmine heroico expressa, Wittenberg 1759. Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch, übersetzt u. hrsg. v. M. Fuhrmann, Stuttgart 1982. Bibel: siehe Luther, Heilige Schrifft. Blanckenburg, Friedrich von: Versuch über den Roman. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774. Mit einem Nachwort v. E. Lämmert, Stuttgart 1965. Bock, Johann George: Dissertatio academica prior de pulchritudine carminum [...], Königsberg 1733. -: Dissertatio solemnis posterior de pulchritudine carminum [...], Königsberg 1733. Bodmer, Johann Jakob: Apollinarien, hrsg. v. G. F. Stäudlin, Tübingen 1783. -: Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1740, mit einem Nachwort v. W. Bender, Stuttgart 1966 (Deutsche Neudrucke. Texte des 18. Jahrhunderts). -: Critische Lobgedichte und Elegien. Von J. G. S[chultheß] besorgt, Zürich 1747. -: Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Zürich 1741, Frankfurt 1971. -: Tagebuch (1752 bis 1782), hrsg. v. J. Baechtold, in: Turicensia. Beiträge zur Züricher Geschichte, Zürich 1891,190-216. -: Vier kritische Gedichte, Heilbronn 1883 (Deutsche Litteraturdenkmale. XII). [Bodmer, Johann Jakob u. a.:] Neue Critische Briefe über ganz verschiedene Sachen, von verschiedenen Verfassern, Zürich 1749. Bodmer, Johann Jakob/Breitinger, Johann Jakob: Critische Briefe, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Zürich 1746, Hildesheim 1969. -/-: Der Mahler der Sitten, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Zürich 1746, Hildesheim/New York 1972. -/-: Von dem Einfluss und Gebrauche der Einbildungs-Krafft; Zur Ausbesserung des Geschmackes: Oder Genaue Untersuchung aller Arten Beschreibungen, worinne die auserlesenste Stellen der berühmtesten Poeten dieser Zeit mit gründtlicher Freyheit beurtheilt werden, Frankfurt/Leipzig 1727. Böttiger, Karl August: Literarische Zustände und Zeitgenossen, hrsg. v. K. W. Böttiger, I-II, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1838, Frankfurt/M. 1972. Breitinger, Johann Jakob: Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1740, mit einem Nachwort v. M. Windfuhr, Stuttgart 1967 (Deutsche Neudrucke. Texte des 18. Jahrhunderts). -: Critische Dichtkunst, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1740, mit einem Nachwort v. W. Bender, I-II, Stuttgart 1966 (Deutsche Neudrucke. Texte des 18. Jahrhunderts). -: siehe Bodmer/Breitinger. Briefe von und an Klopstock. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit, hrsg. v. J. M. Lappenberg, Braunschweig 1867. Briefe zwischen Gleim, Wilhelm Heinse und Johann von Müller. Aus Gleims litterarischem Nachlasse hrsg. v. W. Körte, I-II, Zürich 1806 (Briefe deutscher Gelehrten. II-III).
Weitere Quellen und ältere Literatur
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Weitere Quellen und ältere Literatur
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Neuere Forschungsliteratur
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VIII. Register 1. Verzeichnisse zu den Epen Vorbemerkung Vier Verzeichnisse zu den Epen erschließen die in der Bibliographie aufgeführten Quellen nach chronologischen, formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten. Zitiert wird jeweils der Autor und der in der Bibliographie halbfett hervorgehobene Kurztitel. Ein chronologisches Register der in VII. 2 dokumentierten Versepen verzeichnet vollendete Werke nach den Daten der nachgewiesenen Teildrucke und nach dem Datum der ersten vollständigen Ausgabe, Fragment gebliebene Werke nach den Daten der Teildrucke. Innerhalb der Einzeljahre werden die Texte alphabetisch nach Autoren verzeichnet. Ein Register der Versmaße verzeichnet die in VII. 2 dokumentierten Versepen nach folgender Gliederung: Alexandriner (meist paarweise gereimt) trochäische Tetrameter Hexameter Blankvers Stanzen (meist frei) reimende Jamben mit wechselnder Hebungszahl sonstige und nicht ermittelte Versmaße Innerhalb der Gruppen werden die Texte chronologisch verzeichnet. Ein Verzeichnis der Prosaepen erschließt die in VII. 4 verstreut aufgeführten Prosaepen in chronologischer Folge. Ein thematisches Verzeichnis der in VII. 2 und VII. 3 dokumentierten Versepen (bzw. Pläne zu Versepen u. ä.) versucht, den größeren Teil der Werke einigen abgrenzbaren Untergattungen zuzuordnen. Streng systematische Kriterien erweisen sich dabei als nicht anwendbar. Nicht zugeordnete Epen finden sich (der Vollständigkeit halber) in der letzten der folgenden Rubriken:
Register
432
historische Epen (germanische Geschichte) historische Epen (abendländische Geschichte bis ca. 1700) zeitgeschichtlich-nationale Epen biblische Epen (Altes Testament) biblische Epen (Neues Testament) Entdeckerepen romantisch-ariostische Epen sonstige Epen Innerhalb der Gruppen werden die Texte chronologisch verzeichnet. Titel aus Abschnitt VII. 3 werden in diese Chronologie möglichst genau eingeordnet und mit Hinweis auf diesen Abschnitt verzeichnet. Chronologisches Register -
[1719] Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken [Teildruck]
-
[1724] Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken [Teildruck]
-
1725 Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken [Teildruck] Teigmann: Ludewig Rudolph
-
1728 Anonymus: Leben und Thaten Georgii I.
-
1731 König: August im Lager
-
1732 Philippi: Tempel der Ehren und Vorsehung
-
1737 Hudemann: Friederich [Teildruck] 1740 Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken
-
1741 Richter: Ruhm Carls des Sechsten Triller: Prinzenraub 1744 Krause: Auferstehung Jesu Christi
Verzeichnisse zu den Epen 1745 Stockei: Schlesien [Teildrucke] 1746 Scheyb: Theresiade Stockei: Schlesien [Teildrucke] 1748 Klopstock: Messias [Teildruck] Stockei: Schlesien 1750 Bodmer: Noah [Teildrucke] Hudemann: Friederich Pantke: Verdienste Ludwigs des Weisen 1751 Bodmer: Jacob und Joseph Bodmer: Syndflut [Teildruck] Klopstock: Messias [Teildruck] Schneller: Moritz Schönaich: Hermann Wieland: Hermann [Teildruck] 1752 Abel: Schlesien Bodmer: Jacob und Rachel Bodmer: Noah Naumann: Nimrod Nicolai: Heldengedicht auf Hn. Klopstock 1753 Bodmer: Colombona Bodmer: Dina und Sichern Bodmer: Joseph und Zulika Bodmer: Parcival Bodmer: Syndflut Michaelis: Ausführung der Israeliten aus Aegypten Pantke: Lobgedicht auf Georg den dritten [Teildruck] Wieland: Abraham 1754 Buchholz: Pribislav Dusch: Cyprus Gottsched: Ottokar Pantke: Lobgedicht auf Georg den dritten Pfeiffer: Auferstehung des gekreuzigten Messias 1755 Bodmer: Zilla
434
Register Klopstock: Messias [Teildruck] Wieland: Hermann [Teildruck]
-
1756 Dusch: Gesetzgebung
-
1757 Schönaich: Heinrich der Vogler
-
1758 Anonymus: Friederich der Sieger
-
1759 Wieland: Cyrus
-
1760 Derschau: Lutheriade [Teildruck] Zachariä: Schöpfung der Hölle Zachariä: Unterwerfung gefallner Engel
-
1761 Derschau: Lutheriade [Teildruck]
-
1762 Cuno: Messiade
-
1764 Stetten: Selinde
-
1765 Hudemann: Lucifer 1766 Bodmer: Rache der Schwester [Teildruck] Schlegel: Heinrich der Löwe Zachariä: Cortes
-
1767 Bodmer: Rache der Schwester Hess: Tod Moses Hudemann: Messias 1768 Klopstock: Messias [Teildruck] Koch: Guelphe im Schlachtfelde Wieland: Idris 1770 Schultes: Lubomirski
Verzeichnisse zu den Epen 1771 Fidler: Ioseph des II. Reise Wieland: Amadis 1772 Albrecht: Raub des Königes Stanislai Augusti Anonymus: Judith 1773 Klopstock: Messias [Teildruck] Nicolay: Galwine 1774 Bodmer: Wilhelm von Oranse Heinse: Fragment Lavater: J6sus Messias [Teildruck] Weidmann: Karlssieg 1775 Uhlich: Agatha, oder die junge Martyrin 1776 Fresenius: Nereis 1778 Nicolay: Alcinens Insel Nicolay: Gryphon und Orille Nicolay: Morganens Grotte Weppen: Heinrich der Lange 1779 Lavater: Jesus Messias [Teildruck] Nicolay: Zerbin und Bella [Teildruck] 1780 Lavater: Jesus Messias, oder die Zukunft des Herrn Nicolay: Zerbin und Bella [Teildruck] Wieland: Oberon 1781 Grevenitz: Brennus Kotzebue: Theodebald und Amelinde Lavater: Adam Lavater: Jösus Messias [Teildruck] Nicolay: Reinhold und Angelika [Teildruck] 1782 Lavater: J6sus Messias [Teildruck]
Register
436 -
1783 Günderrode: Holm, genannt Salomo Nicolay: Reinhold und Angelika [Teildruck] 1784 Lavater: Jesus Messias [Teildruck] Nicolay: Reinhold und Angelika [Teildruck] Timlich: Gilbert und Zadine Weidmann: Jerusalem [?] 1785 Lavater: J6sus Messias [Teildruck] Anonymus: Schubart 1786 Halem: Gustav Adolf Lavater: Jesus Messias [Teildruck] Lehnhardt: Herzog Maximilian Julius Leopold 1787 Alxinger: Doolin von Maynz Meyen: Franklin 1788 Rathlef: Serklaide 1789 Alxinger: Bliomberis [Teildruck] Goethe: Geheimnisse Jenisch: Borussias [Teildruck] Schwarz: Ahdim [Teildrucke] Anonymus: Rom
-
1790 Bergmann: Urian Henning Pitt Hermstädt: Kaiserliche Heldengedichte Jenisch: Borussias [Teildrucke] Kleist: Befreyungvon Malta Müller: Alfonso Müller: Richard Löwenherz Schwarz: Ahdim [Teildruck] 1791 Alxinger: Bliomberis Alxinger: Numa Pompilius Bürger: Bellin Jenisch: Borussias [Teildruck] Kipp: Messias
Verzeichnisse zu den Epen 1792 Jenisch: Borussias [Teildruck] Anonymus: Gegenrevolution 1793 Andreae: Rino und Jeanette [Teildruck] Jenisch: Borussias [Teildrucke] Müller: Adelbert der Wilde 1794 Andreae: Rino und Jeanette [Teildruck] Goethe: Reinecke Fuchs Jenisch: Borussias [Teildruck u. vollständige Ausgabe] Kretschmann: Friedrich der Große [Teildruck] Lavater: Joseph von Arimathea 1795 Geßner: Ruth 1796 Kretschmann: Friedrich der Große [Teildrucke] Schwarz: Ahdim 1797 Goethe: Herrmann und Dorothea Imhof: Abdallah und Baisora Kretschmann: Friedrich der Große [Teildrucke] Weidmann: Ottosiade [?] Weidmann: Rudolphiade [?] 1798 Kretschmann: Friedrich der Große [Teildruck] 1799 Kretschmann: Friedrich der Große [Teildruck]
1800 Fridelberg: Kaliidion Imhof: Schwestern von Lesbos Löwenwolde: Oesterreichs und Rußlands Helden Meyer: Tobias Oertel: DietheLm Siegfried: Siama und Galmory Anonymus: Octavia [1808] Goethe: Achilleis
438
Register Register der Versmaße Alexandriner (meist paarweise gereimt) Teigmann: Ludewig Rudolph (1725) König: August im Lager (1731) Philippi: Tempel der Ehren und Vorsehung (1732) Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken (1740) Triller: Prinzenraub (1741) Krause: Auferstehung Jesu Christi (1744) Scheyb: Theresiade (1746) Stockei: Schlesien (1748) Hudemann: Friederich (1750) Pantke: Verdienste Ludwigs des Weisen (1750) Abel: Schlesien (1752) Michaelis: Ausführung der Israeliten aus Aegypten (1753) Buchholz: Pribislav (1754) Dusch: Gesetzgebung (1756) Anonymus: Friederich der Sieger (1758) Derschau: Lutheriade (1760-1761) Schlegel: Heinrich der Löwe (1766) trochäische Tetrameter Schönaich: Hermann (1751) Gottsched: Ottokar (1754) Pantke: Lobgedicht auf Georg den dritten (1754) Schönaich: Heinrich der Vogler (1757) Anonymus: Judith (1772) Hexameter Klopstock: Messias (1748-1773) Bodmer: Jacob und Joseph (1751) Wieland: Hermann (1751 u. 1755) Bodmer: Jacob und Rachel (1752) Bodmer: Noah (1752) Naumann: Nimrod (1752) Nicolai: Heldengedicht auf Hn. Klopstock (1752) Bodmer: Colombona (1753) Bodmer: Dina und Sichern (1753) Bodmer: Joseph und Zulika (1753) Bodmer: Parcival (1753) Bodmer: Syndflut (1753) Wieland: Abraham (1753) Bodmer: Zilla (1755) Wieland: Cyrus (1759) Zachariä: Schöpfung der Hölle (1760) Zachariä: Unterwerfung gefallner Engel (1760) Hudemann: Lucifer (1765) Bodmer: Rache der Schwester (1767) Hess: Tod Moses (1767) Hudemann: Messias (1767) Fidler: Ioseph des II. Reise (1771)
Verzeichnisse zu den Epen Albrecht: Raub des Königes Stanislai Augusti (1772) Bodmer: Wilhelm von Oranse (1774) Weidmann: Karlssieg (1774) Fresenius: Nereis (1776) Weppen: Heinrich der Lange (1778) Lavater: Jesus Messias, oder die Zukunft des Herrn (1780) Lavater: Adam (1781) Lavater: J6sus Messias (1782-1786) Halem: Gustav Adolf (1786) Lehnhardt: Herzog Maximilian Julius Leopold (1786) Meyen: Franklin (1787) Goethe: Reinecke Fuchs (1794) Jenisch: Borussias (1794) Goethe: Herrmann und Dorothea (1797) Imhof: Schwestern von Lesbos (1800) Meyer: Tobias (1800) Oertel: Diethelm (1800) Siegfried: Siama und Galmory (1800) Goethe: Achilleis (1808) Blankvers Zachariä: Cortes (1766) Rathlef: Serklaide (1788) Kipp: Messias (1791) Lavater: Joseph von Arimathea (1794) Stanzen Cuno: Messiade (1762) Wieland: Idris (1768) Heinse: Fragment (1774) Wieland: Oberen (1780) Grevenitz: Brennus (1781) Timlich: Gilbert und Zadine (1784) Alxinger: Doolin von Maynz (1787) Goethe: Geheimnisse (1789) Kleist: Befreyungvon Malta (1790) Müller: Alfonso (1790) Alxinger: Bliomberis (1791) Bürger: Bellin (1791) Andreae: Rino und Jeanette (1793-1794) Müller: Adelbert der Wilde (1793) Schwarz: Ahdim (1796) Imhof: Abdallah und Baisora (1797) Fridelberg: Kallidion (1800) (meist frei) reimende Jamben mit wechselnder Hebungszahl Stetten: Selinde (1764) Koch: Guelphe im Schlachtfelde (1768) Wieland: Amadis (1771) Nicolay: Galwine (1773) Uhlich: Agatha, oder die junge Martyrin (1775)
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Register Nicolay: Alcinens Insel (1778) Nicolay: Gryphon und Orille (1778) Nicolay: Morganens Grotte (1778) Nicolay: Zerbin und Bella (1779-1780) Kotzebue: Theodebald und Amelinde (1781) Nicolay: Reinhold und Angelika (1781-1784) Günderrode: Holm, genannt Salomo (1783) Müller: Richard Löwenherz (1790) Alxinger: Numa Pompilius (1791) Kretschmann: Friedrich der Große (1794-1799) Geßner: Ruth (1795) sonstige und nicht ermittelte Versmaße Anonymus: Leben und Thaten Georgii I. (1728) [nicht ermittelt] Richter: Ruhm Carls des Sechsten (1741) [nicht ermittelt] Schneller: Moritz (1751) [Strophen mit unterschiedlichen Versen] Dusch: Cyprus (1754) [nicht ermittelt] Pfeiffer: Auferstehung des gekreuzigten Messias (1754) [nicht ermittelt] Schultes: Lubomirski (1770) [nicht ermittelt] Weidmann: Jerusalem (1784) [nicht ermittelt] Anonymus: Schubart (1785) [nicht ermittelt] Anonymus: Rom (1789) [nicht ermittelt] Bergmann: Urian Henning Pitt (1790) [nicht ermittelt] Hermstädt: Kaiserliche Heldengedichte (1790) [verschiedene Strophenformen] Anonymus: Gegenrevolution (1792) [nicht ermittelt] Weidmann: Ottosiade (1797) [nicht ermittelt] Weidmann: Rudolphiade (1797) [nicht ermittelt] Löwenwolde: Oesterreichs und Rußlands Helden (1800) [nicht ermittelt] Anonymus: Octavia (1800) [nicht ermittelt] Verzeichnis der Prosaepen Geßner: Tod Abels (1758) Schröder: Theodorica (1759) [?] Loss: Moses in Midian (1763) Moser: Daniel in der Löwen-Grube (1763) Hennig: Joseph (1771) Uhlich: Trojanerinnen (1771) Töpfer: Jehova (1783) Reinhold: Gibraltar und die karibischen Inseln (1785-1786) Schönfeld: Tod Mosis (1785) Thematisches Verzeichnis historische Epen (germanische Geschichte) Bödmen Arminius (seit 1725) [VII. 3] Schönaich: Hermann (1751) Wieland: Hermann (1751 u. 1755) Grevenitz: Brennus (1781)
Verzeichnisse zu den Epen historische Epen (abendländische Geschichte bis ca. 1700) Haller: Ursprung des Schweizerbundes (wohl um 1722) [VII. 3] Triller: Prinzenraub (1741) Wieland: Zerstörung Jerusalems (um 1745-1746) [VII. 3] Hudemann: Friederich (1750) Pantke: Verdienste Ludwigs des Weisen (1750) Bodmer: Tod Rolands in Ronceval (um 1752) [VII. 3] Buchholz: Pribislav (1754) Gottsched: Ottokar (1754) Pantke: Lobgedicht auf Georg den dritten (1754) Schönaich: Heinrich der Vogler (1757) Derschau: Lutheriade (1760-1761) Schlegel: Heinrich der Löwe (1766) Geßner: Helvetisches Heldengedicht (um 1766) [VII. 3] Bodmer: Wilhelm von Oranse (1774) Weidmann: Karlssieg (1774) Bürger: Nationalgedicht (seit 1776) [VII. 3] Weppen: Heinrich der Lange (1778) Halem: Gustav Adolf (1786) Rathlef: Serklaide (1788) Kleist: Befreyungvon Malta (1790) Schüler: Gustav Adolf (um 1791) [VII. 3] Bernold: Telliade (1792-1797) [VII. 3] Weidmann: Ottosiade (1797) [?] Weidmann: Rudolphiade (1797) [?] Goethe: Teil (um 1797) [VII. 3] zeitgeschichtliche Epen Anonymus: Eugen (um 1724) [VII. 3] Corvinus: Kaiser Karl VI. (1725) [VII. 3] Teigmann: Ludewig Rudolph (1725) Anonymus: Leben und Thaten Georgii I. (1728) König: August im Lager (1731) Philippi: Tempel der Ehren und Vorsehung (1732) Lichnowsky von Eckersdorf: Großmüthiger Feld-Herr (um 1732) [VII. 3] Pietsch: Carls des Sechsten Sieg über die Türcken (1740) Richter: Ruhm Carls des Sechsten (1741) Scheyb: Theresiade (1746) Stockei: Schlesien (1748) Schneller: Moritz (1751) Abel: Schlesien (1752) Anonymus: Friederich der Sieger (1758) Koch: Guelphe im Schlachtfelde (1768) Schuhes: Lubomirski (1770) Fidler: Ioseph des II. Reise (1771) Albrecht: Raub des Königes Stanislai Augusti (1772) Anonymus: Schubart (1785) Lehnhardt: Herzog Maximilian Julius Leopold (1786) Meyen: Franklin (1787) Schüler: Friedrich II. (1788-1791) [VII. 3] Anonymus: Friedrich II. (vor 1790) [VII. 3]
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Register Hermstädt: Kaiserliche Heldengedichte (1790) Anonymus: Gegenrevolution (1792) Jenisch: Borussias (1794) Kretschmann: Friedrich der Große (1794-1799) Löwenwolde: Oesterreichs und Rußlands Helden (1800) biblische Epen (Altes Testament) Silber: Sündflut (um 1743-1744) [VII. 3] Lange: Moses (um 1745) [VII. 3] Bodmer: Jacob und Joseph (1751) Bödmen Jacob und Rachel (1752) Bodmer: Noah (1752) Huber: Abelaide (um 1752) [VII. 3] Naumann: Nimrod (1752) Bodmer: Dina und Sichern (1753) Bodmer: Joseph und Zulika (1753) Bodmer: Syndflut (1753) Michaelis: Ausführung der Israeliten aus Aegypten (1753) Wieland: Abraham (1753) Anonymus: Moses (vielleicht um 1753) [VII. 3] Bodmer: Zilla (1755) Dusch: Gesetzgebung (1756) Zachariä: Schöpfung der Hölle (1760) Zachariä: Unterwerfung gefallner Engel (1760) Obereit: Patriarchen (um 1763-1767) [VII. 3] Hudemann: Lucifer (1765) Hess: Tod Moses (1767) Anonymus: Judith (1772) Schüler: Moses (um 1773) [VII. 3] Lavater: Adam (1781) Geßner: Ruth (1795) Meyer: Tobias (1800) biblische Epen (Neues Testament) Krause: Auferstehung Jesu Christi (1744) Klopstock: Messias (1748-1773) Schmidt: Weltgericht (um 1748-1749) [VII. 3] Pfeiffer: Auferstehung des gekreuzigten Messias (1754) Cuno: Messiade (1762) Hudemann: Messias (1767) Obereit: Herrlichkeit des Messias (Datierung unklar) [VII. 3] Schubart: Sohn (um 1777-1780) [VII. 3] Lavater: Jesus Messias, oder die Zukunft des Herrn (1780) Lavater: Jisus Messias (1782-1786) Novalis: Geburt Jesu (um 1788) [VII. 3] Kipp: Messias (1791) Lavater: Joseph von Arimathea (1794)
Verzeichnisse zu den Epen Entdeckerepen Bodmer: Colombona (1753) Zachariä: Cortes (1766) Schiller: Cook (1798) [VII. 3] romantisch-ariostische Epen Stetten: Sehnde (1764) Wieland: Idris (1768) Wieland: Amadis (1771) Nicolay: Galwine (1773) Heinse: Fragment (1774) Anonymus: Rittergedicht (um 1775) [VII. 3] Wieland: Tristan (um 1777-1784) [VII. 3] Nicolay: Alcinens Insel (1778) Nicolay: Gryphon und Orille (1778) Nicolay: Morganens Grotte (1778) Nicolay: Zerbin und Bella (1779-1780) Wieland: Oberon (1780) Kotzebue: Theodebald und Amelinde (1781) Nicolay: Reinhold und Angelika (1781-1784) Günderrode: Holm, genannt Salomo (1783) Timlich: Gilbert und Zadine (1784) Alxinger: Doolin von Maynz (1787) Goethe: Geheimnisse (1789) Müller: Alfonso (1790) Müller: Richard Löwenherz (1790) Alxinger: Bliomberis (1791) Bürger: Bellin (1791) Andreae: Rino und Jeanette (1793-1794) Müller: Adelbert der Wüde (1793) Schwarz: Ahdim (1796) Imhof: Abdallah und Baisora (1797) Goethe: Jagd (um 1797) [VII. 3] Fridelberg: Kallidion (1800) sonstige Epen Gottsched: Cyrus (um 1728) [VII. 3] Anonymus: Alexander (um 1745) [VII. 3] Wieland: Götterfabel (um 1749-1750) [VII. 3] Nicolai: Heldengedicht auf Hn. Klopstock (1752) Bodmer: Parcival (1753) Gemmingen: Sokrates (um 1753) [VII. 3] Bodmer: Gedicht über unbekannten Stoff (um 1754) [VII. 3] Dusch: Cyprus (1754) Wieland: Cyrus (1759) Herder: Mohammed (um 1766) [VII. 3] Bodmer: Rache der Schwester (1767) Wieland: Alexander (um 1767) [VII. 3] Goethe: Jude (um 1774) [VII. 3] Anonymus: Fragment (um 1774) [VII. 3] Uhlich: Agatha, oder die junge Martyrin (1775)
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Register Fresenius: Nereis (1776) Weidmann: Jerusalem (1784) [?] Schubart: Jude (um 1784-1786) [VII. 3] Novalis: Mariussieg (um 1788) [VII. 3] Novalis: Orpheus (um 1788) [VII. 3] Anonymus: Rom (1789) Bergmann: Urian Henning Pitt (1790) Alxinger: Numa Pompilius (1791) Goethe: Reinecke Fuchs (1794) Goethe: Herrmann und Dorothea (1797) Imhof: Schwestern von Lesbos (1800) Oertel: Diethelm (1800) Siegfried: Siama und Galmory (1800) Anonymus: Octavia (1800) Anonymus: Streit zwischen Here und Rheia (Datierung unklar) [VII. 3] Anonymus: Versepos ohne Titel (Datierung unklar) [VII. 3] Goethe: Achilleis (1808)
Personenregister
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2. Personenregister Abel, F. S. 204, 215-219, 221, 223,224 Addison, J. 163f. Adelung, J. Ch. 235 Aischylos 24 Alewyn, R. 139 Alexander der Große 92 Allard, E. 205 Altenkrüger, E. 89 Alxinger, J. B. von 4, 18, 225 Am Ende, J. J. G. 92f., 97, 115 Ambrosius, A. C. 110 Anonymus (Friedrich-Epiker) 204, 220-224 Anton Ulrich, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 8f. Apollonios von Rhodos 257 Ariosto, L. 2, 4, 17,18, 25, 247 Aristarch 260f. Aristoteles 48f., 54, 59, 62, 114, 255f., 289 Arminius 8, 14, 16, 143, 146, 150, 151, 152f., 155 Auerbach, E. 269,295 August II., der Starke, Kurfürst von Sachsen, König von Polen 13, 62, 71, 79f., 83 Augustus, röm. Kaiser 68, 143 Babo, J. M. 3 Baechtold, J. 160, 161 Baggesen, J. I. 199 Bapp, K. 249 Bauer, R. 4 Beck, G. 149 Becker, Ch. W. 88, 108 Becker, G. Th. 281 Becker, W. G. 226, 260 Behler, C. 312 Behler, E. 254 Bender, W. 78, 160, 161, 175, 182 Bennett, B. 271, 273, 282f. Bernold, F. J. B. 15 Beschorner, H. 62, 63, 64, 70, 71 Besser, J. von 47 Bieber, H. 151 Biesterfeld, W. 231, 232, 235, 237, 238, 239, 241 Birken, S. von 9 Bismarck, A. G. von 198 Blankenburg, F. von 5, 23, 202
Blasig, U. 156,163 Bock, J. G. 31-35, 45,46, 48, 54-59 Bodemann, E. 16, 141, 142, 187, 205 Bodmer, J. J. 2, 6-9, 10, 11, 12, 14, 16, 18, 20, 21, 22f„ 24, 48, 60-62, 71, 74-78, 79, 80, 83f., 90-92, 93, 94, 96, 97, 99, 102, 107, 121, 141-151, 152, 158f., 160-184, 185-188, 190f., 192, 193, 194, 197, 199, 200, 201, 205, 212, 262, 274 Böhm, H. 154f. Böschenstein-Schäfer, R. 277 Böttiger, Κ. A. 130, 197, 199, 234, 250, 251, 252, 259, 281 Bohse, A. 98 Boileau-Despreaux, N. 50 Bojardo, Μ. M. 18 Borchmeyer, D. 310 Brandl, A. 8,76,77 Braun,J.W. 260 Breitinger, J. J. 62, 71-74, 76, 77, 78-84, 85, 97, 148, 151, 160, 170, 197, 212 Brockes, Β. H. 7f., 21f., 23, 67, 72, 172 Brown, J. K. 262, 264, 282f. Brummack, J. 61 Buchholz, S. 15 Budde, F. 146, 147, 148, 150, 151, 162, 163, 164, 165, 178, 179, 180 Bürger, Ch. 283 Bürger, G. A. 18 Buffon, G. L. Leclerc, Graf von 172 Burger, H. 244,245 Buschmann, Ε. E. 23f. Camöes, L. de 16 Campe, J. H. 135f. Cassini, G. D. 170 Castle, E. 271 Ceva, T. 161 Chapelain, J. 50 Cholevius, L. 265, 268, 271, 272, 274 Christ, J. F. 92 Clark, W. H. 194 Cramer, C. F. 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92f„ 96, 97, 102f., 112, 119, 121, 130, 132, 134, 135, 137 Cuno, J. Ch. 19 Curtius, E. R. 262, 277 Dante Alighieri 161,175,232 Danzel, Th. W. 32, 33, 262
446
Register
Demosthenes 98 Denso, J. D. 60 Derschau, Ch. F. von 15 Des Maizeaux, P. 50 Dick, M. 197,201 Diderot, D. 200 Dietrich, W. 290,292 Doli, M. 154f„ 158 Dräger, J. 118,119,120,130 Dryden, J. 175 Düntzer, H. 262,264, 267,270, 272 Dusch, J. J. 3,20 Ebert, J. A. 175, 193 Ehlers, W. 46 Eibl, Κ. 276, 283f. Eichhorn, J. G. 251 Elisabeth Petrowna, Zarin u. Kaiserin von Rußland 242 Ellinger, G. 180,181,182, 183 Elsaghe, Y. A. 253, 266,276f. Eschenburg, J. J. 4 Eugen, Prinz von Savoyen 13, 28, 31, 35f„ 37, 38, 41 Eumelos 296 Euripides 24 Fabian, B. 32 Fabricius, J. A. 5 If. F6nelon, F. de Salignac de la Mothe 59, 97f., 198, 205 Fingerle, A. 290,291 Finsler, G. 249,250 Fischart, J. 97 Forster, G. 264f. Franklin, B. 13 Freivogel, Μ. 90, 94 Friedrich I., König in Preußen, Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg 46, 221 Friedrich II., König von Preußen 13, 22, 32f„ 193, 195, 198-200, 203-205, 206, 209, 213, 214f, 216, 217, 220, 221, 223, 224, 225, 226f„ 231, 235, 236, 239, 241 f., 243, 244-246, 247, 310 Friedrich III., König von Dänemark 16 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 62,70,216,221 Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst 221 Fries, A. 285,287,292 Furtmüller, K. 249,254 Gärtner, C. Ch. 95,99
Galilei, G. 169f. Gerhard, G. A. 61 Gerhard, M. 274, 297, 300 Gerlach, K. 255 Gesner, K. 96f. Geßner, G. 19,247 Geßner, S. 15, 187 Gleim, J. W. L. 4, 25, 161, 166f„ 174, 175, 179, 181, 183, 203, 204, 205, 207, 213, 219, 220, 223, 225, 226, 250, 280 Glover, R. 193 Goedeke, K. 204, 216 Goethe, J. W. 2, 6, 15, 18, 20, 22, 23, 25, 80f., 203f, 225, 240, 242, 243, 246, 247-314 Gottsched, J. Ch. 5, 6f„ 9f„ 11, 12, 14, 15, 16, 20, 22, 24, 27-35, 37, 46, 48-59, 60f., 63, 71, 73, 77f., 80, 81, 83, 85, 92, 95, 96, 97, 98, 104, 114, 116f., 142, 144f„ 146-149, 152, 171, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 186, 192, 193, 210, 216, 262 Gottsched, L. Α. V. 60 Graffigny, F. 175 Graham, I. 279 Grevenitz, F. A. von 14, 19 Grimm, F. M. 60 Grimm, R. 114, 118, 13lf. Gronemeyer, H. 97 Gühne, E. 50, 51, 52, 53, 54 Günther, J. Ch. 213 Gundolf, F. 46,281 Gustav II. Adolf, König von Schweden 16, 243, 245f. Guthke, K. S. 144, 164, 180 Häker, H. 14 Hagedorn, F. von 60, 93, 95, 144, 161, 163f., 175 Halem, G. A. von 16, 243 Haller, A. von 14f, 19, 165, 183, 206, 213 Halley, E. 170 Hamel, R. 92, 94, 99, 100, 103, 106, 108, 128 Hederich, B. 68, 158, 221, 263 Hegel, G. W. F. 23f„ 305 Hehn, V. 260, 267, 273, 274, 281 Heidegger, G. 8f. Heier, E. 4, 18 Heimbach, K. W. E. 87 Heinrich I., der Vogler, dt. König 15, 92
Personenregister Heinrich der Lange 15 Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern 15 Heinse, J. J. W. 18 Heinsius, W. 32 Heldmann, K. 296 Heimerking, H. 260 Henkel, A. 39 Henrici, Ch. F. 63 Heräus, K. G. 97 Herchner, H. 195 Herder, C. 250 Herder, J. G. 18, 132, 134, 135, 173, 249f., 251, 305, 308, 309 Hermann der Cherusker s. Arminius Hermondsson, L. 246 Herodot 260 Hesiod 260, 263, 276, 296, 302, 303 Heß, J. C. 121, 143, 145, 151, 161, 163, 201 Hettner, H. 247f. Hevelius, J. 170 Heyn, J. 171 Hiebel, H. 24, 147 Hilliard, K. 85, 86, 90, 109 Hirzel, J. C. 187 Hirzel, L. 150,151 Hocks, P. 6 Hofe, G. vom 115 Höpker-Herberg, E. 13, 94, 106, 120, 123, 131 Hoffmannswaldau, Ch. Hoffmann von 7,61 Hohberg, W. H. von 7,9 Holmes, Τ. M. 279 Homer 2, 7, 11, 12, 16, 20, 23, 25, 36, 47, 50, 53, 54, 59, 61f., 73, 88, 89, 102f., 108f, 112, 114, 115, 152, 157, 173, 177, 194, 205, 218, 225, 227, 235, 246, 247, 248, 249-257, 258-262, 263f., 266-273, 274, 281, 285, 287, 289-291, 292f., 295f., 297, 304-306, 308f., 311, 313 Homeyer, F. 151 Horaz 10, 28, 44f., 53, 57, 82, 255, 261 Horch, H. O. 12 Hoyt, G. R. 9 Hudemann, L. F. 12, 16, 17 Hülle, J. 28, 29, 30, 32, 36, 37, 40, 44, 45, 46, 47, 51 Humboldt, W. von 23, 250, 251, 258, 310, 311f., 313
447
Ibershoff, C. H. 170, 175 ligner, R. 4 Jacobi, F. H. 310 Jacobs, J. 1,98 Jansen, Z. 169 Jaumann, H. 198,200,201 Jean Paul 103,138f. Jeanne d'Arc 50 Jenisch, D. 22, 205, 225f., 231-241, 242, 309 Jenny, G. 94 Jöcher, Ch. G. 78 Joerger, Th. 23 Joseph II., dt. Kaiser 13 Julian, röm. Kaiser 244 Kaiser, G. 87, 90, 92, 94, 102, 107, 117, 118, 120, 121, 124, 125, 131, 157, 173f. Kallimachos 257 Kant, I. 245 Kapitza, P. K. 50, 58, 88, 168, 251 Karl V., dt. Kaiser 15 Karl VI., dt. Kaiser 13, 31f., 35, 37, 38, 45, 62, 216 Karl Alexander, Herzog von Lothringen 214 Karsch, A. L. 215 Keyserling, D. Frh. von 32 Kierkegaard, S. 282 Kimpel, D. 203,245 Kindt, K. 97, 117, 135 Kipp, G. M. 19 Kleist, E. Ch. von 4, 19, 91, 161, 166f, 179, 181, 187, 204, 205, 207, 213, 219, 223, 227, 232 Kleist, F. A. von 16, 18, 19 Klopstock, F. G. 1, 2, 11, 12f., 14, 17, 19, 20, 22f., 24, 85-139, 141f., 143, 144, 145f., 147, 149, 156f., 161, 163f., 174, 175f., 178, 180, 184, 186, 187-190, 191, 192, 194, 195, 198, 205, 206, 213, 216, 219, 224, 235, 236, 242, 243f., 267, 268, 274, 280 Knebel, K. L. von 250, 291, 304, 305, 312 Knothe, H. F. 225, 226, 227, 230 Koch, E. J. 5 Koch, G. H.A. 19 König, J. U. von 7f„ 22, 60-84, 85, 92, 138, 206, 209f., 212, 235 Körner, Ch. G. 204, 225, 241-244, 245, 246
448
Register
Kolumbus, Ch. 2, 91 Koopmann, H. 23 Kopp, J. F. 7 Koser, R. 214 Krates von Mallos 260 Krause, Ch. G. 93 Krause, G. 60 Krause, J. G. 31,56 Kretschmann, K. F. 19, 205, 225-231, 260 Krolop, K. 231,240 Kyros II., pers. König 141, 187, 193f., 195f., 198 La Hire, Ph.de 170 La Motte, A. Houdart de 57f. Ladendorf, O. 195, 196, 199 Lange, S. G. 89,161, 203, 205 Lavater, J. K. 17,19, 20, 114f. Le Bossu, Pfere R. 48f., 54, 59, 96, 114, 148 Lederer, J. 2 Leibniz, G. W. 149, 195 Leonidas, König von Sparta 193 Lesky, A. 257, 260, 276, 290, 296, 300, 302 Lessing, G. E. 25, 105, 116, 135, 180, 183, 184, 186, 196, 200, 204, 205, 274 Lindner, K. G. 20 Linnö, C. von 170 Liscow, Ch. L. 61 Lohenstein, D. Casper von 7f., 9, 61, 147 Lotter, J. G. 56 Lucan 5, 29, 36, 46-49, 53, 54, 56 Lucian 12 Lützeler, P. M. 260, 262, 273, 278, 280, 281 Luther, M. 15, 119, 189, 222, 271, 275, 276 Lux, A. 265 Lypp, M. 264, 280, 283f., 305 Magny, C. F. Constantin de 160 Maiworm, H. lf. Maler, A. 1,4,280 Manger, K. 115 Manteufel, E. Ch. Graf von 32, 71 Maria Theresia, dt. Kaiserin 13,219 Marino, G. 50,88 Martens, W. 22, 274 Martial 240 Martin, D. 15, 161
Martino, A. 8,9,61 Maupertius, P. L. Moreau de 171 McCarthy, J. A. 142 Meier, G. F. 12, 95, 102, 112, 163f. Meister, L. 197 Mendelssohn, M. 184 Menke, J.B. 27f., 50, 59 Meyen, J. J. 15 Meyer, J. H. 250, 258, 284, 308, 309 Michaelis, J. D. 20 Milton, J. 2, 7, 13, 19, 24, 59, 74, 83, 88-90, 93f., 96, 123, 160, 162, 163f, 167, 175, 193, 239, 262 Möller, J. G. P. 180 Moennighoff, B. 4 Mohammed 18, 165 Molin, A. G. 205 Mommsen, K. 298 Mommsen, M. 298 Montalvo, L. Gälvez de 18 Morgan, P. 264 Moritz, Graf von Sachsen 5, 13 Moritz, K. Ph. 23lf., 234, 235, 236, 239, 263, 285, 297, 305 Morris, M. 285,290,292 Müller, F. A. 18 Müller, J. D. 104 Müller, J. von 205 Müller-Solger, H. 142, 154, 182, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 196, 197, 198 Muncker, F. 86, 92, 93, 94, 97, 102f., 132, 138, 143, 144, 147, 151, 156 Munding, M. 9 Nadasdy, F. Graf 214 Naumann, Ch. N. 12 Nero, röm. Kaiser 46 Neukirch, B. 28,98 Newton, I. 170, 171 Nicolai, Ch. F. 15, 18, 25, 89, 179, 180-184 Nicolay, L. H. von 4, 18, 225 Novalis 17 Obereit, J. H. 17 Opitz, M. 85, 213 Ossian 14, 138, 230 Ovid 157f., 274 Pantke, Α. B. 15,20 Partey, G. C. F. 23 Partridge, J. 61 Perrault, Ch. 50 Peters, W. 252
Personenregister Petersen, J. W. 92,97 Pfaff, P. 115 Pfeiffer, Ch. L. 17 Pfeiffer, R. 297, 301, 303 Phidias 157 Philippi, J. Ε. 13,61 Pietsch, J. V. 6, 7, 22, 24, 27-59, 62, 69, 76f., 79, 85, 92, 206, 208, 209, 210f., 212f., 218, 224,235 Pindar 81 Placcius, V. 2 Piaton 155, 196 Plutarch 61 Postel, Ch. H. 7, 92 Pyra, I. J. 12, 60f., 68, 89f., 93,146 Quintilian 44 Ramler, K. W. 4, 14, 25, 161, 166f., 174f., 176, 179f., 181, 183, 186, 204, 205, 263 Ramsey, Μ. 198 Ranfft, Μ. 51 Rasmussen, D. 264 Raspe, R. E. 17 Rathlef, E. L. M. 15f. Regenbogen, O. 292 Reich, Ph.E. 198,200 Reicke, J. 28f.,46 Reinhardt, K. 285, 288, 289, 291 Richardson, S. 150 Rieck, W. 29,50 Riedel, F. J. 10-13,14, 15, 17, 80 Riemer, F. W. 298 Rosenmüller, M. 60, 61, 71, 78 Rost,J. Ch. 60 Ryder, F. G. 271,273, 282f. Sahmland, I. 147,155, 235 Saine, Th. P. 265 Samuel, R. 282 Sauder, G. 231 Sauvigny, L. E. Billardon de 205 Scaliger, J. C. 1 Schadewaldt, W. 285f., 287f., 289, 290, 293, 298 Scheibe, S. 258,259 Scheiner, Ch. 170 Scheler, A. 19 Schelle, H. 4 Schelling, F. W. J. 297, 298, 299, 313 Scherpe, K. R. 48, 55, 83, 84 Scheyb, F. Ch. von 15,27
449
Schüler, F. 16, 19, 24, 204, 205, 225, 226, 240-246, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258f, 262, 267, 268, 269, 270, 272, 274, 276, 284, 285, 287, 289, 292, 293, 295, 299, 301, 303, 305, 307, 309, 310-312,313 Schinz, J. H. 142, 145, 150, 161, 163, 164, 165, 169, 175, 193 Schlegel, A. W. 260, 266, 312f. Schlegel, F. 254-256, 257, 261, 264, 304, 305 Schlegel, J. E. 15,20 Schmidt, F. 249, 252f. Schmidt, J. 274 Schmidt, J. Ch. 17 Schmidt, K. 4 Schmidt, P. 6 Schneider, K. L. 147, 149, 157 Schneller, D. A. 5, 13 Schönaich, Ch. O. Frh. von 12, 14, 15, 20, 24, 27, 61, 95, 114, 146-150, 152, 262 Schöne, A. 39 Schröder, Ch. M. 220, 223 Schubart, Ch. F. D. 17, 24, 204 Schubart, J. Ch. 13 Schubert, W. 243 Schultheß, J. G. 83 Schulz, G.-M. 12 Schuster, ? (Verleger) 30 Schwabe, J. J. 56, 60 Schwarz, J. Ch. 7,60,68 Schwinge, E.-R. 249, 285, 293, 307, 313 Seckendorff, V. L. von 46 Seidlin, O. 282 Seiffert, H. W. 145 Semlitsch, A. 160, 175 Sengle, F. 142, 146, 147, 187, 193, 194, 197, 199, 201, 278, 283, 293, 296f„ 312 Servius 68 Seuffert, B. 28f„ 142, 143, 145, 150, 151, 162, 185, 187 Shaftesbury, A. A. Cooper, Earl of 178, 191f, 196f. Shakespeare, W. 297 Siegrist, Ch. 3 Silius Italicus 36 Sophokles 24, 289 Stäudlin, G. F. 160, 190
450
Register
Staiger, Ε. 248, 281, 313 Starnes, Th. C. 6, 162, 163, 164, 179, 185, 190, 197, 234 Steckner, H. 249, 255, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271 Steiger, R. 250 Steinmetz, H. 204 Steinwehr, W. Β. A. 56 Stetten, P. von 17 Stockei, Ch. G. 22, 204, 206-215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 235, 236 Stockhausen, J. Ch. 178f., 180 Suchier, W. 30, 33 Sulzer, J. G. 5, 143, 161, 164, 166-168, 171f., 173, 174, 179, 180f„ 182, 192, 308f. Swen, M. 170 Swift, J. 61 Szondi, P. 168, 254, 256, 297, 305, 306 Tasso, B. 18 Tasso, T. 7, 19, 50, 59, 88, 206, 216 Terras, R. 17 Theokrit 277,278 Tilly, J. Tserclas Graf von 15 Timm, Hans 270, 272 Timm, Hermann 115 Trenck, F. Frh. von der 239 Trevelyan, H. 248 Triller, D. W. 5,15, 182 Uz, J. P. 97, 179, 183 Varnhagen von Ense, K. 260 Venzky, J. G. 56 Vergil 2, 7, 14, 15, 24, 36f., 47, 48, 50, 53, 54, 55f., 57, 59, 68, 88, 89, 92f, 95, 105, 108, 114, 115f., 123, 157f., 177, 183, 189, 192, 216, 218, 240, 242f., 246, 262, 263, 275 Vetter, Th. 175 Vida, M. G. 1,93 Viehoff, H. 264 Vietor, K. 282 Voltaire 59, 86, 97f., 160, 165, 244f.
Voß, J. H. 20, 109, 235, 242, 247, 250, 251f., 266, 267, 269, 270, 271, 272, 274, 277-279, 280, 283 Voß, M. Ch. E. 250 Vulpius, Ch. 309 Wallenstein, A. W. E. von 246 Walzel, O. 249 Waniek, G. 28, 30, 31, 50, 55, 56, 60, 89 Weichmann, Ch. F. 7 Weidmann, P. 15 Weimar, K. 95 Weisinger, K. D. 279, 282f. Weppen, J. A. 15 Wezel, J. C. 23 Whiston, W. 170-172, 175 Wiedemann, C. 14, 15, 243f., 245 Wiegand, H. 2 Wiegand, J. 1 Wieland, Ch. M. 2, 4, 12, 14, 17-19, 20, 22, 25, 141-202, 204, 215, 220, 223, 225, 234-236, 239, 243f„ 247, 250 Wilson, W. D. 199,200 Winckelmann, J. J. 168, 193f., 305 Wohlleben, J. 249, 254 Wolf, F. A. 249-254, 255, 257, 259, 260f„ 262, 263, 290 Wolff, Ε. 77f. Wood, R. 249 Xenophon 141f„ 154, 158, 193f„ 195-198 Young, E. 175 Zachariä, J. F. W. 16, 19, 23, 184 Zedier, J. H. 39, 64, 170f., 173 Zehnder, J. 121, 142, 145, 161, 163, 164, 175 Zelle, C. 12 Zellweger, L. 143, 144, 145, 146, 151, 162, 163, 179, 185, 187, 191, 199 Ziegler, Η. A. von 9 Zimmermann, J. G. 16, 141, 142, 151, 184, 185f., 187, 188, 189, 191, 192, 193, 194, 196, 197, 199, 200, 205 Zimmermann, K. 185
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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER INKA B A C H / H E L M U T G A L L E
Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert Untersuchungen zur Geschichte einer lyrischen Gattung Groß-Oktav. X, 461 Seiten. 1989. Ganzleinen DM 210,ISBN 3 11 012162 X (N.F. Band 95 [219]) KAMAKSHI P . M U R T I
Die Reinkarnation des Lesers als Autor Ein rezeptionsgeschichtlicher Versuch über den Einfluß der altindischen Literatur auf deutsche Schriftsteller um 1900 Groß-Oktav. VI, 156 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 78,ISBN 3 11 012371 1 (N.F. Band 96 [220])
"Bei aller brüderlichen Liebe..." The Letters of Sophie Tieck to her Brother Friedrich Transcribed and edited by James Trainer Groß-Oktav. VIII, 314 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 188,ISBN 3 11 012354 1 (N.F. Band 97 [221]) OLIVER S I L L
Zerbrochene Spiegel Studien zur Theorie und Praxis modernen autobiographischen Erzählens Groß-Oktav. XIV, 537 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 248,ISBN 3 11 012697 4 (N.F. Band 98 [222]) Pre isänderung en vorbehalten
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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER
SHEILA M A R G A R E T B E N N
Pre-Romantic Attitudes to Landscape in the Writings of Friedrich Schiller Groß-Oktav. XIV, 242 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 120,ISBN 3 11 012825 Χ (Ν.F. Band 99 [223]) JOACHIM B U R K H A R D RICHTER
Hans Ferdinand Maßmann Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert Groß-Oktav. XIV, 482 Seiten, 1 Abbildung. 1992. Ganzleinen DM 228,- ISBN 3 11 012910 8 (N.F. Band 100 [224]) ANDREAS BÖHN
Vollendende Mimesis Wirklichkeitsdarstellung und Selbstbezüglichkeit in Theorie und literarischer Praxis Groß-Oktav. XII, 215 Seiten. 1992. Ganzleinen DM 110,ISBN 3 11 013685 6 (N.F. Band 101 [225]) SIGRID W I D M A I E R
Das Recht im 'Reinhart Fuchs' Groß-Oktav. X, 293 Seiten. 1993. Ganzleinen DM 142,ISBN 3 11 013730 5 (N.F. Band 102 [226])
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