Das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts: Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsverhältnis [1 ed.] 9783428483198, 9783428083190

In den vielschichtigen rechtlichen Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses ist der Begriff des Persönlichkeitsrecht

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German Pages 373 Year 1995

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Das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts: Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsverhältnis [1 ed.]
 9783428483198, 9783428083190

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THOMAS THEES

Das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 136

Das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsverhältnis

Von

Thomas Thees

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Thees, Thomas:

Das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts : Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsverhältnis I von Thomas Thees. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht ; Bd. 136) Zug!.: Trier, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08319-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-08319-9

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSJ-Norm für Bibliotheken

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1994 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Die Untersuchung befindet sich im wesentlichen auf dem Stand vom Jahresende 1993. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann herzlich danken. Von ihm kam der Anstoß zur Bearbeitung dieses Themas, als ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Lehrstuhl an der Vorbereitung seiner umfassenden Kommentierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Erman-Kommentar zum BGB mitarbeitete. Herr Prof. Dr. Horst Ehrnano hat die Arbeit mit kritischem und zugleich wohlwollendem Blick begleitet und mir wichtige Anregungen gegeben. An seinem Lehrstuhl habe ich wertvolle Erfahrungen machen können und durfte ein großes Maß an Förderung genießen. Herrn Prof. Dr. Peter-Christian Müller-Graff, an dessen Lehrstuhl ich in der Endphase der Erstellung des Manuskripts tätig war, danke ich dafür, daß er mir großzügig und mit viel Verständnis den erforderlichen Freiraum gelassen hat, die Arbeit zügig zu Ende zu bringen. Mein weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Rolf Birk für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herr Assessor Wolfgang Gebing, mein Assistentenkollege am Lehrstuhl von Prof. Dr. Ehmann, war mir ein wertvoller und kritischer Diskussionspartner bei der Behandlung vieler Fragen. Auch ihm möchte ich für sein Engagement danken. Ganz besondere Unterstützung habe ich von meiner Frau Karin erfahren. In ihrer positiven, liebevollen Art hat sie mir mit großem Verständnis über manche schwierige Phase der Arbeit hinweggeholfen und dabei ihre eigenen Interessen oft zurückgestellt. Thr widme ich diese Arbeit. Steinbachtrs., im Juni 1994

Thomas Thees

Inhalt Einleitung ................................................................................................................................. 15 § 1 Besondere Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und Persönlichkeitsschutz ................. 19 I. Besondere Schutzbedürftigkeit .................................................................................. 19 1. Historische Entwicklung des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht ......... 19 2. Die spezifische Gefährdungslage des ArbN ....................................................... 21 3. Respektiere den ArbN als Person!...................................................................... 22 II. Allgemeine Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes ............................................... 25 1. Der Begriff der Persönlichkeit............................................................................ 25 a) Persönlichkeit als philosophischer Begriff .................................................... 25 b) Persönlichkeit in der Umgangssprache .......................................................... 25 c) Persönlichkeit als Rechtsbegriff .................................................................... 26 2. Besondere Persönlichkeitsrechte ........................................................................ 27 3. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) ..................................................... 29 a) Entwicklung durch die Rechtsprechung ........................................................ 29 b) Die dogmatische Struktur des APR ............................................................... 31 aa) Die Janusköpfigkeit des APR ................................................................. 31 bb) Das zivilrechtliche (subjektiv-private) und das öffentlichrechtliche (subjektiv-öffentliche) APR. ................................................................... 32 cc) Das zivilrechtliche APR im System des Deliktsrechts: Rahmenrecht, ,,sonstiges Recht" gern. § 823 I BGB und Schutzgesetz gern. § 823 II BGB .......................................................................................... 32 dd) Der Unrechtstatbestand des APR ............................................................ 34 (1) 1. Stufe: Fallgruppenbildung zur normativen Leitung der Rechtsprechung ................................................................................. 35 (2) 2. Stufe: Güter- und Interessenahwägung im Einzelfall ................... 35 c) Geschütztes Rechtsgut und Gegeninteressen ................................................. 36 aa) Geschütztes Rechtsgut: Fallgruppen des APR ....................................... 37 (1) Ehrenschutz ....................................................................................... 37 (2) Persönlichkeitsverfälschung.........•.................................................... 38 (3) Schutz vor Erhebung und Speicherung von Geheimnissen der Privatsphäre....................................................................................... 39 (4) Schutz gegen Verbreitung und Auswertung von Geheimnissen der Privatsphäre................................................................................. 40 (5) Recht auf Selbstentfaltung: Das APR als Leistungsrecht ................. 42 bb) Gegeninteressen ...................................................................................... 44 (1) Wahrheit............................................................................................ 45 (2) Informationserhebungsfreiheit .......................................................... 45 (3) Meinungsfreiheit ............................................................................... 46 (4) Presse- und Rundfunkfreiheit............................................................ 46 (5) Kunstfreiheit. ..................................................................................... 47 (6) Wissenschaftsfreiheit ........................................................................ 47

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Inhalt

(7) Sonstige Rechtspositionen ................................................................ 48 d) Rechtsfolgen der Verletzung des APR .......................................................... 48 e) Überdehnungen des APR ............................................................................... 50 aa) Gleichbehandlung der Geschlechter als Bestandteil des APR? .............. 51 bb) Arbeitskraft als Bestandteil des APR? .................................................... 52 III. System des arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ............................................. 54 1. Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung als Zielrichtungen des ArbNPR .............................................................................................................. 54 a) Persönlichkeitsschutz ..................................................................................... 54 b) Persönlichkeitsentfaltung ............................................................................... 54 2. Der Tatbestand des ArbNPR .............................................................................. 55 a) Der systematische Bezug zwischen APR und ArbNPR ................................ 55 b) Die Struktur des ArbNPR innerhalb der Normenhierarchie des Arbeitsrechts .................................................................................................. 56 c) Vertragliche Ebene......................................................................................... 58 d) Deliktische Ebene .......................................................................................... 58 e) Konkurrenzverhältnis ..................................................................................... 59 § 2 Der rechtliche Rahmen des Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrechts..................................... 61 I. Das Arbeitsvertragsrecht ........................................................................................... 61 1. Vertragsfreiheit und Arbeitsverhältnis ............................................................... 61 a) Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht.. ................................................... 62 b) Die Abschlußfreiheit des Arbeitsvertrages .................................................... 64 aa) Beschränkungen der Abschlußfreiheit des ArbG ................................... 66 (1) Begründung von Arbeitsverhältnissenaufgrund gesetzlicher Fiktion. 66 (2) Bindung durch spezielle gesetzliche Benachteiligungsverbote ........ 67 (3) Bindung des privaten ArbG durch Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Einstellung? ................................................ 68 (4) Mittelbare Bindung des ArbG durch Einschränkung des Fragerechts 70 (5) Mitbestimmungsrechtliche Bindungen der Abschlußfreiheit des ArbG 71 (6) Bindung durch tarifliche Besetzungsregeln ...................................... 72 bb) Zusammenfassung .................................................................................. 73 c) Inhaltliche Gestaltungsfreiheit ....................................................................... 73 aa) Beschränkung der Inhaltsfreiheit durch arbeitsrechtliche Normen und Rechtsinstitute .................................................................................. 74 (1) Gesetz ................................................................................................ 74 (2) Tarifvertrag ....................................................................................... 74 (3) Betriebsvereinbarungen..................................................................... 74 (4) Gleichbehandlungsgrundsatz ............................................................ 75 bb) Gerichtliche Billigkeitskontrolle ............................................................ 76 (1) Direktionsrecht .................................................................................. 76 (2) Allgemeine Arbeitsbedingungen ....................................................... 76 (3) Einzelarbeitsvertrag ........................................................................... 77 (4) Betriebsvereinbarungen..................................................................... 77 cc) Zusammenfassung .................................................................................. 78 2. Die personenrechtliche Komponente des Arbeitsvertrages ................................ 78 a) Die Einbindung in einen fremden Herrschaftsbereich ................................... 78 b) Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ............................................................ 80 c) Die Treuepflicht des ArbN............................................................................. 81

Inhalt

3.

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Interessen und Gegeninteressen.......................................................................... 82 a) Gemeinsame Interessen ................................................................................. 82 b) Gegenläufige Interessen ................................................................................. 83 c) Das Arbeitsverhältnis als Gemeinschaftsverhältnis? ..................................... 83 4. Beschränkung und Erweiterung der individuellen Persönlichkeit durch arbeitsvertragliche Gestaltungsfaktoren ............................................................. 84 a) Beschränkung der individuellen Persönlichkeit ............................................ 85 aa) Einwilligung ........................................................................................... 85 bb) Direktionsrecht ....................................................................................... 86 cc) Treuepflicht. ............................................................................................ 87 dd) Beschränkung durch das Verhältnis zu den Kollegen ............................ 88 b) Erweiterung der individuellen Persönlichkeit... ............................................. 89 aa) Beschäftigungsanspruch des ArbN ......................................................... 89 bb) Weiterbeschäftigungsanspruch ............................................................... 91 cc) Gleichbehandlungsgrundsatz .................................................................. 93 dd) Fürsorgepflicht ....................................................................................... 94 ee) Haftungsprivilegierung des ArbN ........................................................... 97 li. Das Kündigungsrecht ................................................................................................ 99 1. Interessen und Gegeninteressen.......................................................................... 99 a) Interessen der ArbN-Seite .............................................................................. 99 b) Interessen der ArbG-Seite ............................................................................ 100 c) Interessen der Allgemeinheit ....................................................................... 100 2. Schutz der Persönlichkeit des ArbN und ihrer Entfaltung durch Kündigung . 101 a) Recht zur Kündigung als Voraussetzung zur Selbstbestimmung ................ 101 b) Persönlichkeitsschutz mittels außerordentlicher Kündigung ....................... 102 3. Von der Kündigungsfreiheit zum Kündigungsschutz ...................................... 104 4. Formelle Schranken der Kündigung ................................................................. 106 a) Kündigungsfristen ........................................................................................ 106 b) Anhörung des Betriebsrats,§ 102 BetrVG .................................................. 107 5. Materielle Schranken: Schutz der Persönlichkeit des ArbN und ihrer Entfaltung vor Kündigung ................................................................................ 107 a) Schutz vor Kündigung aus Gründen im Verhalten des ArbN ...................... 108 aa) Maßregelungsverbot gern.§ 612 a BGB .............................................. 108 bb) Verhaltensbedingte Kündigung ............................................................ 110 ( 1) Gesetzliche Wertungen .... .... .. .... .... .. ........ .. .. ...................... .. .. .. .. .. .. . 111 (2) Interessenahwägung ........................................................................ 111 (3) Mitbestimmung ............................................................................... 112 b) Schutz vor Kündigung aus Gründen in der Person des ArbN ..................... 113 aa) Einschränkungen der Kündigungsmöglichkeit... .................................. 114 bb) lnteressenabwägung .............................................................................. 114 c) Schutz vor wirtschaftlich motivierter Kündigung ....................................... 116 aa) Betriebsbedingte Kündigung ................................................................ 116 (1) Notwendigkeit der Entlassung von ArbN ....................................... 117 (2) Soziale Auswahl.. ............................................................................ 118 bb) Verbot der Kündigung wegen Betriebsübergang, § 613 a IV BGB ..... 119 d) Schutz besonderer ArbN-Gruppen vor Kündigung ..................................... 120 aa) Schutz wegen persönlicher Lebenssituation des ArbN ......................... 120 bb) Schutz wegen mitbestimmungsrechtlicher Funktion des ArbN ........... 121

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Inhalt

III. Besondere gesetzliche Regelungen .......................................................................... 123 1. §§ 823 I, 1004 BGB- Absolutes Recht am Arbeitsplatz? ............................... 123 a) Kein Recht auf Arbeit als subjektiv öffentliches Recht ............................... 123 b) Recht auf Arbeit als subjektiv-privates Recht? ............................................ 124 aa) Recht am Arbeitsplatz als Weiterentwicklung des Rechtsam Gewerbebetrieb? ................................................................................... 124 bb) Recht auf Arbeit als Teil des APR? ...................................................... 127 2. Sonstige Regelungen des BGB ......................................................................... 128 a) § 61la BGB- Verbot der Diskriminierung von ArbN wegen des Geschlechts .................................................................................................. 128 b) § 612 a BGB- Maßregelungsverbot ........................................................... 128 c) § 613 BGB- Höchstpersönliche Verpflichtung und Berechtigung............. 129 d) § 613 a BGB- Schutz des ArbN bei Betriebsübergang .............................. 129 e) § 615 BGB- Annahmeverzug des ArbG .................................................... 131 f) §§ 618, 619 BGB- Vorsorglicher Gesundheitsschutz ................................ 133 g) § 629 BGB - Gewährung von Freizeit zur Stellungssuche ......................... 134 h) § 630 BGB - Zeugnis .................................................................................. 134 3. Arbeitsrechtliche Gesetze ................................................................................. 135 a) Arbeitnehmererfindungsgesetz (ArbNErfG)................................................ 135 b) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) .................................................... 136 c) Arbeitszeitordnung (AZO) ........................................................................... 137 d) Berufsbildungsgesetz (BBiG) ...................................................................... 137 e) Bildungsurlaubsgesetze der Länder ............................................................. 138 f) Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) ...................................................... 139 g) Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ..................................................................... 140 h) Gewerbeordnung (GewO) ............................................................................ 140 i) Handelsgesetzbuch (HGB)........................................................................... 141 j) Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) ....................................................... 141 k) Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) ................................................................. 142 I) Mutterschutzgesetz (MuSchG) .................................................................... 143 m) Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ........................................................... 144 IV. Das Datenschutzrecht .............................................................................................. 146 1. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) i. d. F. v. 20.12.1990................................. 146 a) Die Konfliktslage: Informalionsfreiheit contra Informalionsschutz ............ 146 b) Datenschutz als vorverlagerter Persönlichkeitsschutz ................................. 146 aa) Die informalioneile Selbstbestimmung als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts ............................................................................ 146 bb) Das BDSG als Regelung abstrakter Gefährdungstatbestände .............. 148 c) Geltung des BDSG für das Arbeitsverhältnis .............................................. 150 d) Grundbegriffe im Umgang mit personenbezogenen Daten ......................... 151 e) Verbot der Datenverarbeitung und Datennutzung, § 4 BDSG .................... 151 f) Das Arbeitsverhältnis als Ausnahmebereich des Informationsverbots ........ 152 aa) Gesetzliche Gestaltung ......................................................................... 152 bb) Einwilligung ......................................................................................... 152 cc) Insbesondere § 28 I Nr. I BDSG: Zweckbestimmung des Arbeitsvertrags als Erlaubnistatbestand............................................................ 153 g) Die Übermittlung von Daten an Dritte ........................................................ 154

Inhalt

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h) Die Datenerhebung ...................................................................................... 155 i) Individualrechte der betroffenen ArbN ........................................................ 155 j) Schadensersatzansprüche ............................................................................. 156 k) Ergänzende Regelungen............................................................................... 157 2. Betriebsverfassungsgesetz ................................................................................ 157 a) Kontrollanspruch ......................................................................................... 157 b) Regelungsanspruch ...................................................................................... 158 V. Das Betriebsverfassungsrecht. ................................................................................. 160 1. Der Gesetzeszweck des BetrVG ....................................................................... 160 2. Betriebsverfassung und Persönlichkeitsrecht ................................................... 160 3. Einzelne Bereiche der Mitbestimmung ............................................................ 162 a) Personelle Angelegenheiten,§§ 92 ff. BetrVG ........................................... 162 aa) Personalfragebogen, § 94 I BetrVG ...................................................... 162 bb) Einstellung, § 99 BetrVG ..................................................................... 163 b) Soziale Angelegenheiten,§ 87 BetrVG ....................................................... 165 aa) Ordnung des Betriebs,§ 87 I Nr. 1 BetrVG ......................................... 165 bb) Technische Überwachungseinrichtungen, § 87 I Nr. 6 BetrVG ........... 166 4. Individualansprüche im Betriebsverfassungsrecht ........................................... 168 5. § 75 II BetrVG als persönlichkeitsrechticheGeneralklausel des Arbeitsrechts?... l69 a) Inhalt ............................................................................................................ 169 aa) Achtungspflicht. .................................................................................... 169 bb) Schutzpflicht ......................................................................................... 169 cc) Förderungspflicht... ............................................................................... 170 b) Der Streit um die Rechtsnatur ...................................................................... 170 aa) Amtspflicht ........................................................................................... 171 bb) Gesetzliches Verbot gern. § 134 BGB .................................................. 171 cc) Schutzgesetz gern. § 823 II BGB .......................................................... 172 dd) Subjektives Recht ................................................................................. 173 c) Konsequenzen .............................................................................................. 174 6. Das Persönlichkeitsrecht des ArbN als Ziel und Schranke der Ermessensausübung des BR bei der Wahrnehmung seiner Kompetenzen ........................ 175 VI. Das Tarifvertragsrecht ............................................................................................. 176 1. Zielrichtungen des Tarifvertrages ..................................................................... 176 a) Der Tarifvertrag als Instrument des ArbN-Schutzes.................................... 176 b) Der Tarifvertrag als Gestaltungsmittel der Arbeitswelt.. ............................. 177 c) Gefahren für das Persönlichkeitsrecht des ArbN ......................................... 17 8 2. Grundlagen der Tarifwirkungen ....................................................................... 178 a) Von der individuellen Vertragsfreiheit :zur kollektivrechtlichen Tarifautonomie............................................................................................. 178 b) Die dogmatische Begründung der Tarifwirkungen...................................... 179 3. Grenzen der tarifvertragliehen Gestaltungsmacht ............................................ 180 a) Außenschranken........................................................................................... 180 b) Innenschranken ............................................................................................ 181 c) Das Günstigkeitsprinzip als Sicherung der individuellen Autonomie des ArbN . 183 4. Insbesondere: Tarifliche Ausschlußfristen und Ansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des ArbN ................................................................. 186 VII. Die Grundrechte....................................................................................................... 190

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Inhalt

1. 2.

Der persönlichkeitsrechtliche Gehalt der Grundrechte..................................... 190 Die drei Ebenen der Einwirkung der Grundrechte auf das Arbeitsverhältnis . 192 a) Arbeitsgesetze .............................................................................................. 192 b) Kollektivmacht............................................................................................. 192 c) Arbeitsvertragsrecht ..................................................................................... 194 3. Einzelne Grundrechte und deren Bedeutung für das Arbeitsverhältnis ............ 195 a) Artt. 12, 14 und 9 III GO als Kernbestand des Arbeitsverfassungsrechts ... 195 b) Art. I I GO- Menschenwürde..................................................................... 197 c) Art. 2 I GO - Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ....................... 198 d) Art. 2 II GO - Recht auf körperliche Unversehrtheit .................................. 199 e) Art. 3 GO - Gleichheit................................................................................. 199 f) Art. 4 I GO- Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit ....................... 200 g) Art. 5 I GO- Meinungsfreiheit ................................................................... 200 h) Art. 6 GO- Schutz der Ehe und Familie, Mutterschutz .............................. 201 § 3 Die Wirkungen des ArbNPR im Arbeitsleben ................................................................ 202 I. Begrundung des Arbeitsverhältnisses ...................................................................... 202 1. Bewerbung und Bewerbungsunterlagen ........................................................... 202 a) Stellenangebot. ............................................................................................. 202 b) Bewerbung ................................................................................................... 203 c) Graphologische Gutachten ........................................................................... 204 aa) Persönlichkeitsschutz und wissenschaftlicher Anspruch der Graphologie 204 bb) Einwilligung ......................................................................................... 206 cc) Inhaltliche Einschränkungen................................................................. 207 dd) Mitbestimmung ..................................................................................... 208 ee) Rechtsfolgen unberechtigter Einholung oder Verwertung ................... 210 2. Das Einstellungsgespräch ................................................................................. 211 a) Schutz des ArbN vor Ausforschung und Informationserhebungsinteresse desArbG ...................................................................................................... 212 b) Offenbarungspflicht des ArbN ..................................................................... 213 c) Fragerecht des ArbG .................................................................................... 214 aa) Religions-, Partei- oder Gewerkschaftszugehörigkeit .......................... 216 bb) Schulischer und beruflicher Werdegang ............................................... 217 cc) Ableistung von Wehrdienst/Ersatzdienst. ............................................. 217 dd) Krankheiten ........................................................................................... 218 ee) Schwerbeschädigteneigenschaft I Körperbehinderung ......................... 218 ff) Schwangerschaft ................................................................................... 219 gg) Vorstrafen ............................................................................................. 222 hh) Stasi-Tätigkeit ....................................................................................... 223 d) Mitbestimmung ............................................................................................ 223 e) Rechtsfolgen ................................................................................................ 224 f) Zusammenfassung ....................................................................................... 227 3. Die Einholung von Auskünften von Dritten durch den ArbG .......................... 228 a) Auskünfte von fliiheren Arbeitgebern ......................................................... 228 b) Auskünfte von Verfassungsschutzbehörden ................................................ 231 c) Ärztliche Untersuchung ............................................................................... 232 d) Psychologische Untersuchung ..................................................................... 233 e) Mitbestimmung ............................................................................................ 233

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aa) Personalfragebogen, § 94 I BetrVG ...................................................... 233 bb) Beurteilungsgrundsätze, § 94 II BetrVG .............................................. 234 cc) Auswahlrichtlinien, § 95 I BetrVG ....................................................... 235 f) Rechtsfolgen ................................................................................................ 237 4. Die Einstellungsentscheidung .......................................................................... 238 a) Grundsatz: Abschlußfreiheit ........................................................................ 238 b) Einschränkungen der Abschlußfreiheit... ..................................................... 239 aa) Arbeitsverhältnisse aufgrund gesetzlicher Fiktion ............................... 239 bb) Gesetzliche Diskriminierungsverbote ................................................... 240 (1) Koalitionsfreiheit (Art. 9 III 2 GG) ................................................. 240 (2) Gleichbehandlung der Geschlechter(§ 611 a BGB) ....................... 240 (3) Rechtsfolgen .................................................................................... 241 cc) Tarifvertragliche Besetzungsregeln ...................................................... 247 dd) Recht auf Einstellung ............................................................................ 250 c) Mitbestimmung ............................................................................................ 250 aa) Verstoß gegen ein Gesetz, TV, BV....................................................... 251 bb) Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie gern.§ 95 BetrVG ................... 252 cc) Nachteile für andere ArbN des Betriebs ............................................... 252 dd) Benachteiligung des betroffenen ArbN ................................................ 253 ee) Unterbliebene Ausschreibung im Betrieb ............................................. 254 ff) Gefahr für den Betriebsfrieden ............................................................. 254 5. Die Eingruppierung .......................................................................................... 255 II. Durchführung des Arbeitsverhältnisses ................................................................... 257 1. Beschäftigung ................................................................................................... 257 2. Entlohnung ....................................................................................................... 260 a) Gegenleistung für Arbeit ............................................................................. 260 b) Lohnfindung und Gesundheitsschutz........................................................... 261 c) Lohnsicherung als Sicherung personaler Freiheit... ..................................... 263 3. Berufliches Fortkommen .................................................................................. 266 a) Berufsbildung............................................................................................... 266 b) Beruflicher Aufstieg .................................................................................... 269 4. Arbeitszeit.. ....................................................................................................... 272 a) Ambivalenz von Arbeitszeit und Freizeit .................................................... 272 b) Schutz vor Überlastung ................................................................................ 274 5. Überwachung .................................................................................................... 278 a) Überwachung durch Vorgesetzte oder dritte Personen ................................ 279 b) Technische Überwachungsmaßnahmen ....................................................... 283 6. Arbeitsinhalt ..................................................................................................... 288 a) Beschränkung durch gesetzliches Verbot und Sittenwidrigkeit .................. 288 b) Beschränkung durch Gewissensfreiheit des ArbN ...................................... 289 7. Meinungsäußerungen........................................................................................ 295 a) Meinungsfreiheit und Gegeninteressen........................................................ 295 b) Gesetzliche Vorgaben .................................................................................. 297 c) Einzelfälle .................................................................................................... 298 8. Personalakten .................................................................................................... 30 1 a) Informationsinteresse des ArbG kontra Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung des ArbN ............................................................ 301 b) Gesetzliche und tarifliche Regelungen ........................................................ 302

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Inhalt

c) Persönlichkeitsschutz gegen den Inhalt der Personalakte ............................ 303 d) Persönlichkeitsschutz gegen unbefugte Kenntnisnahme ............................. 306 9. Äußeres Erscheinungsbild ................................................................................ 307 a) Gestaltungsfreiheit des ArbN und ArbG-Interessen .................................... 307 b) Gesetzliche Beschränkungen ....................................................................... 309 c) Interessenahwägung auf Vertragsebene ....................................................... 309 10. Sonstiges Verhalten .......................................................................................... 312 a) Rauchen am Arbeitsplatz ............................................................................. 312 b) Alkoholgenuß............................................................................................... 315 11. Schutz der Privat- und Intimsphäre .................................................................. 317 a) Freiheit der Lebensgestaltung ...................................................................... 317 b) Intimbeziehungen......................................................................................... 319 c) Gesundheitsdaten ......................................................................................... 320 12. Ehrenschutz des ArbN ...................................................................................... 322 a) Rufschädigung durch Veröffentlichungen des ArbG .................................. 323 b) Sonstige Beeinträchtigungen durch ArbG, Kollegen und Dritte ................. 325 c) Möglichkeiten der Durchsetzung des Ehrenschutzes .................................. 328 III. Beendigung des Arbeitsverhältnisses ...................................................................... 330 1. Der Bestandsschutz des ArbN am Arbeitsverhältnis ........................................ 330 a) Kündigungsschutz........................................................................................ 330 aa) Beschränkungen der Kündigungsfreiheit.............................................. 330 bb) Bestandsschutz durch Weiterbeschäftigungsansprüche........................ 331 b) Restriktionen bei der Befristung des Arbeitsverhältnisses .......................... 332 c) Tarifliche Altersgrenzen .............................................................................. 333 d) Aufhebungsvertrag ....................................................................................... 336 2. Das Weiterkommmen des ArbN durch Aufnahme einerneuen Tätigkeit.. ...... 338 a) Arbeitszeugnis ............................................................................................. 338 aa) Ambivalenz zwischen Förderung des ArbN und Pflicht zur Wahrheit 338 bb) Schutz des ArbN vor Persönlichkeitsverfäl.schung ............................... 339 cc) SehE-Ansprüche Dritter gegen den ArbG ............................................ 341 b) Auskunft des Alt-ArbG an Dritte ................................................................. 342 aa) Verpflichtung des ArbG zur Auskunftserteilung .................................. 343 bb) Berechtigung des ArbG zur Auskunftserteilung ................................... 343 c) Gewährung von Freizeit zur Stellungssuche................................................ 344 3. Der Wiedereinstellungsanspruch des ArbN ...................................................... 345 a) Fehleinschätzungen des ArbG bei der Kündigung ...................................... 345 aa) Kompensation des Prognoserisikos durch Wiedereinstellung? ............ 346 bb) Insbesondere: Die Entkräftung des Verdachts nach wirksamer Verdachtskündigung ............................................................................. 350 b) Saison- und Kampagnebetriebe ................................................................... 352 4. Zusammenfassung ............................................................................................ 353 Ergebnisse in Thesen ............................................................................................................. 354 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 358

Einleitung Das Arbeitsverhältnis ist diejenige Rechtsbeziehung, welche die Lebensumstände des überwiegenden Teils der Bevölkerung entscheidend mitprägt Es ist nicht nur Mittel materiellen Erwerbs und wirtschaftliche Lebensgrundlage, sondern hat darüber hinaus wichtige ideelle Bedeutung. Für viele ist die Arbeit - auch wenn sie in einem durch Abhängigkeit und Fremdbestimmung gekennzeichneten Verhältnis stattfindet und wenn einige der Betroffenen es deshalb selbst nicht wahrhaben wollen - Sinn ihrer Existenz, eine Lebensaufgabe, an der ihr persönliches Selbstwertgefühl anknüpft, aber auch die Grundlage der ihnen von der Umwelt entgegengebrachten Wertschätzung. Dabei kann der ideelle Aspekt der Arbeit nicht vom materiellen losgelöst betrachtet werden. Beide Interessenbereiche sind auf vielfältige Art miteinander verwoben - so ist z. B. die Höhe des Gehalts nicht nur relevant für die finanzielle Situation des ArbN, sondern auch ein Faktor, der dessen Ansehen und Autorität im Betrieb mit bestimmen kann. Es ist wegen der relativen Unbestimmtheit und Vielschichtigkeit des Begriffs dessen, was Persönlichkeit überhaupt ausmacht, nicht möglich, diesen allein an einem bestimmten Rechtsinstitut (etwa der arbeitsvertragliehen Fürsorgepflicht) oder einer bestimmten Rechtsnorm (etwa des § 823 I BGB oder des § 75 BetrVG) festzumachen. Hierzu bedarf es vielmehr einer Gesamtschau der Rechtsquellen des Arbeitsrechts, die in ihrem Zusammenwirken das Persönlichkeitsrecht des ArbN (ArbNPR) konkretisieren. Zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses gehört neben der synallagmatischen Beziehung des Austauschs von Arbeitsleistung gegen Geld auch der Bereich der persönlichen Selbstverwirklichung des ArbN. Das Arbeitsverhältnis läßt sich nicht reduzieren auf eine Rechtsbeziehung, innerhalb derer eine festgelegte Summe an Entgelt als Äquivalent für die Einsatz der Arbeitskraft während eines festgelegten Zeitraumes gewährt wird. Vielmehr will der ArbN sich in seiner Arbeit weiterentwickeln, will aufsteigen, mehr verdienen, größere Verantwortung übernehmen, sich weiterbilden und selbst aktiv seine Arbeit mitgestalten. Die hier einzuordnenden Interessen des ArbN befinden sich in ständigem Konflikt mit gegenläufigen Interessen des ArbG und müssen immer wieder neu miteinander zum Ausgleich gebracht werden. Das primär auf Leistungsaustausch (Arbeit gegen Geld) gerichtete Arbeitsverhältnis unterliegt wirtschaftlichen Notwendigkeiten, denen sich in unserer Wettbewerbswirtschaft auf Dauer

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Einleitung

weder der ArbG noch der ArbN entziehen kann. Der ArbG muß bestrebt sein, mit dem eingesetzten Kapital, zu dem naturgemäß auch der Kostenfaktor Arbeit zählt, zu möglichst effizienten Ergebnissen zu kommen und damit langfristig die Konkurrenzfähigkeit des Betriebes zu sichern. Sein Interesse muß es sein, ein Höchstmaß an Leistung seitens der ArbN sicherzustellen. Angefangen von Fragen beim Bewerbungsgespräch, über Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen am Arbeitsplatz, über die Informationssammlung in Personalakten bis zur Entscheidung über die Kündigung verlangt dieses Interesse ständige Berücksichtigung. Die sozialen Bedürfnisse der ArbN können in einer marktwirtschaftliehen Ordnung nicht im Vordergrund der Willensbildung und Entscheidung des ArbG stehen, sondern allenfalls die Entscheidung modifizieren. In seinen Anfängen im frühen 19. Jhd. diente das Arbeitsrecht der Sicherung der physischen Existenz des ArbN, der oftmals unter Iebens- und gesundheitsgefährdenden Bedingungen bar jeder sozialen Absicherung seine Arbeit verrichten mußte. Nach dieser Phase zielte die Arbeitsrechtsentwicklung auf die Festigung der materiellen Grundlagen der Arbeitnehmerschaft, insbesondere auf die Einkommenssicherung durch tarifliche Entgeltregelungen. In jüngerer Zeit gerät mehr und mehr die rechtliche Ausgestaltung und Absicherung von Persönlichkeitswerten des ArbN ins Blickfeld. Ein Beispiel hierfür ist die Zielsetzung der Mitbestimmung, die u. a. auf die institutionelle Berücksichtigung der materiellen und immateriellen Interessen der ArbN bei der Ausübung unternehmerischer Entscheidungskompetenz und die Förderung eines kooperativen zu Lasten eines hierarchischen Führungsstils gerichtet' ist und damit der Verwirklichung personaler Interessen der ArbN dienen soll. Das Arbeitsrecht als Schutzrecht des ArbN soll sicherstellen, daß der ArbN nicht als Faktor wirtschaftlicher Produktion, sondern als menschliche Person behandelt wird. Dazu muß es dem Aspekt der Persönlichkeit des ArbN im Arbeitsverhältnis zur Geltung verhelfen. Die spezifische Gefährdungslage des ArbN besteht im wesentlichen darin, daß er als Weisungsunterworfener in eine fremdbestimmte Ordnung eingegliedert und damit einer Vielzahl von Einwirkungsmöglichkeiten seitens des ArbG, der Kollegen oder Dritter ausgesetzt ist. Die Kompensation dieser Abhängigkeitssituation durch kollektive Gestaltungsmittel (BV, TV) und Schutzgesetze kann aber selbst wiederum zur Gefährdung der Selbstbestimmung des ArbN werden, wenn die notwendigen Freiräume individueller Gestaltungsmöglichkeiten nicht gewahrt werden2 • Durch das Arbeitsverhältnis kann dabei der ge-

1

Biedenkopf, in Utz/Streithofen (Hrsg.), Demokratie und Mitbestimmung, 1970, S. 286 f.

Einleitung

17

schützte Bereich der Persönlichkeit im Vergleich zur Situation außerhalb einer Sonderrechtsbeziehung eingeschränkt sein, das Arbeitsverhältnis kann diesen aber auch erweitern, so etwa durch Konstituierung von Förderungspflichten. Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers ist ein Leitmotiv des Arbeitsrechts, welches sich durch alle Bereiche des Arbeitslebens zieht. Zielsetzung dieser Darstellung ist es, die rechtliche Ausgestaltung aufzuzeigen, die das Anliegen des Schutzes und der Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht gefunden hat. Dabei soll in § 1 zunächst auf die spezifische Situation des ArbN im Arbeitsverhältnis eingegangen werden - die Bedeutung des Arbeitsverhältnisses mit der ihm immanenten Verquickung materieller und immaterieller Aspekte für den ArbN; seine aus der Unterworfenheit unter eine fremdbestimmte Ordnung resultierende soziale Abhängigkeit und das daraus erwachsende besondere Schutzbedürfnis; aber auch die Chancen, die das Arbeitsverhältnis zur Verwirklichung der Persönlichkeitsinteressen des ArbN bietet (dazu § 1 1). Hieran schließt sich die Darstellung von Herleitung, Inhalt und Methodik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) an, das auch für die Entwicklung eines "arbeitsrechtlichen" Persönlichkeitsrechts Bedeutung erlangt und die Grundlage für eine Strukturierung des Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrechts (ArbNPR) bildet (dazu§ 1 n und lll). In § 2 sollen die einzelnen arbeitsrechtlichen Regelungen, der Arbeitsvertrag mit seinen besonderen Rechtsinstituten sowie die sonstigen gesetzlichen, tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen aus dem Blickwinkel des Schutzes und der Entfaltung der Persönlichkeit des ArbN dargestellt werden. Besonders Gewicht wird dabei auf die Herausstellung der in dem jeweiligen Regelungskomplex verankerten persönlichkeitsrelevanten Interessen gelegt. Der Darstellung der Rechtsgrundlagen des ArbN-Persönlichkeitsschutzes schließt sich in § 3 die Darstellung des Zusanunenwirkens dieser Regelungen in der konkreten Arbeitssituation an. Dabei soll versucht werden, ausgerichtet an den verschiedenen Phasen des Arbeitsverhältnisses von seiner Anbahnung über die tatsächliche Durchführung bis zu dessen Beendigung, das komplexe Zusanunenwirken der arbeitsrechtlichen Rechtsinstitute im Hinblick auf Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung darzulegen. Hierzu wird anband

2 Vgl. dazu Mestitz, ZNR 93, 35, 51 , wonach der sich im wachsenden Bedürfnis nach Individualität und Selbstbestimmung ausdrückende gesellschaftliche Wertewandel für den Bereich des Arbeitsrechts durch Deregulierung und Flexibilisierung umgesetzt werden könnte.

2 Thccs

18

Einleitung

der typischen Situationen, die ein ArbN in seinem Arbeitsverhältnis durchlaufen kann, das Ineinandergreifen der auf den verschiedenen Ebenen der arbeitsrechtlichen Ordnung angesiedelten rechtlichen Regelungen untersucht, wobei der Abwägung der mittels des Arbeitsrechts zum Ausgleich zu bringenden gegenläufigen Interessen der ArbG und ArbN besondere Bedeutung zukommt.

§ 1 Besondere Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer

und Persönlichkeitsschutz

I. Besondere Schutzbedürftigkeit 1. Historische Entwicklung des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht

Das Arbeitsrecht, verstanden als das Sonderrecht der abhängigen ArbN', entwickelte sich erst mit der Entstehung eines Standes abhängiger Lohnarbeiter zu Beginn des 19. Jhd. Die beginnende Industrialisierung, der technische Fortschritt und die mit ihm verbundene Massenproduktion schufen ein Heer von Arbeitskräften, die in arbeitsteiliger Produktion als unselbständige Lohnarbeiter in den Fabriken eingesetzt wurden. Diese Arbeiter rekrutierten sich aus der von den Bindungen des Feudalsystems befreiten Landbevölkerung und aus Angehörigen des durch den Produktivitätsvorsprung der Industrie in Bedrängnis gebrachten Handwerks. Unter den Bedingungen der herrschenden liberalen Rechts- und Wirtschaftsordnung standen diese Personen den Arbeitgebern zwar rechtlich gleichberechtigt gegenüber, faktisch war deren Position jedoch gekennzeichnet durch das Fehlen jeglicher Gegenmacht gegen das wirtschaftliche Übergewicht der Arbeitgeberseite. Hinter der rechtlichen Freiheit des Arbeitssuchenden, einen Arbeitsvertrag einzugehen oder nicht, bzw. dessen Inhalt auszuhandeln, stand nicht die faktische Macht, diese Rechtsposition in Verhandlungen auch durchzusetzen. Die Vertragsfreiheit führte so zu nichts anderem als zur "Vogelfreiheit des ArbN"2 • Der ArbG konnte aus seiner überlegenen Machtposition die Vertragsbedingungen diktieren, was die weitgehende Verelendung der frühkapitalistischen Arbeitnehmerschaft zur Folge hatte. Deren Lebensumstände waren geprägt von überlangen Arbeitszeiten, Kinderarbeit, gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, dem Fehlen jeglicher sozialer Sicherung für Alter und Krankheit - all dies bei Hungerlöhnen, die kaum das

1

Hueck/Nipperdey § 2, S.7.

2

Brox, ArbR, Rdz. 2.

20

§ 1 Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und Persönlichkeitsschutz

Existenzminimum abdeckten. Diese Entwicklung beruhte dabei nicht in erster Linie auf einer Ausbeutermentalität auf Seiten der ArbG, vielmehr waren diese auch durch den Konkurrenzdruck gehalten, mit möglichst niedrigen Personalkosten möglichst viel zu produzieren. Die Arbeitsverhältnisse waren nur individualrechtlich ausgestaltet, es gab keine Kartellierungswirkung hinsichtlich der Personalkosten durch die tarifliche Festschreibung von Mindestarbeitsbedingungen für ganze Branchen. Der Konkurrenzdruck zwischen den Unternehmen, verbunden mit einem Überangebot an Arbeitskräften, mußte zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den ArbN auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes führen3 , durch den die Arbeitsbedingungen immer mehr verschlechtert wurden4 • Zur Bekämpfung der zunehmend gesellschaftspolitisch als untragbar empfundenen sozialen Mißstände setzte eine staatliche Arbeitsschutzgesetzgebung ein. Das Preußische Regulativ von 1839, in dem Kinderarbeit erstmals verboten bzw. eingeschränkt wurde, war die erste Arbeitsschutznorm im Gebiet des Deutschen Bundes; die erste umfangreiche Kodifizierung des Arbeitsschutzrechts enthält die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 1869. Das Arbeitsschutzrecht wurde im Laufe der Zeit ständig ausgebaut und erweitert (JuSchG, MuSchG) bis hin zu den Arbeitsschutzregeln der Berufsgenossenschaften, so daß die Fragen des Gesundheitsschutzes im Arbeitsverhältnis heute weitgehend rechtlich geregelt sind. Die Arbeitnehmerschaft selbst suchte ihre Situation durch die Gründung von Gewerkschaften zu verbessern. 1861 wurden diese in Sachsen erstmals zugelassen, 1869 im gesamten Norddeutschen Bund. Hiermit wurde ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen Macht der ArbG gebildet und die Grundlage für die Schaffung kollektiver Gestaltungsmittel gelegt. Die ArbN waren damit nicht mehr nur Objekte der staatlichen Arbeitsschutzgesetzgebung, sondern wurden, vermittelt durch ihre kollektiven Vertretungsorgane, zu Subjekten der Gestaltung des Arbeitsverhältnissess.

Vgl. dazu Zöllner, AcP 176 (1976), 221. Nach dem Aufbrechen der nationalen Grenzen und Volkswirtschaften im Gefolge des Endes der Ost-West-Konfrontation erleben wir derzeit ähnliches. s Zur Geschichte der Koalitionen Däubler, Arbeitsrecht 1, S. 64 ff. 3

4

I. Besondere Schutzbedürftigkeit

21

2. Die spezifische Gefährdungslage des ArbN Die Schutzbedürftigkeit des ArbN, die erst zu der Herausbildung des Arbeitsrechts als eines Sonderrechts zur Verwirklichung des Schutzes der unselbständig Tätigen geführt hat, beruht auf der besonderen Gefährdungslage dieser Personengruppe. Der ArbN arbeitet unselbständig, er ist den Weisungen seines ArbG unterworfen und in dessen Betrieb als Teil der Arbeitsorganisation eingegliedert'. Die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des ArbN innerhalb einer ebenfalls fremdbestimmten betrieblichen Organisation hat eine erhöhte Gefährdung der Rechtsgüter des ArbN zur Folge. So kann es im Umgang mit Maschinen oder gefährlichen Stoffen zu Unfällen kommen, oder eine einseitige körperliche Belastung des ArbN durch eine falsche Gestaltung des Arbeitsplatzes kann zu gesundheitlichen Schäden führen. Diese Aspekte werden vom Arbeitsschutzrecht abgedeckt. Weiterhin wird die Situation des ArbN gekennzeichnet durch dessen soziale Abhängigkeit. Hier ist zuerst die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeit als regelmäßige Lebensgrundlage und Haupterwerbsquelle des ArbN zu nennen. Der ArbN ist aber im Gegensatz zum Selbständigen, für den sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit i. d. R. auch Lebensgrundlage ist, nicht nur durch Veränderungen des wirtschaftlichen Bedarfs betroffen. Er ist zusätzlich durch rein betriebsinterne Maßnahmen gefährdet, die selbst in einem florierenden Unternehmen seinen Arbeitsplatz zum Wegfall bringen können- so z. B. bei Rationalisierungsmaßnahmen. Die finanzielle Abhängigkeit ist zwar durch das Netz sozialer Sicherungen vom Arbeitslosengeld bis zur Mindestsicherung durch Sozialhilfe nicht mehr existenzieller Art, i. d. R. stellt aber das Arbeitseinkommen die Voraussetzung für einen über das Existenzminimum hinausgehenden Lebensstandard dar. Das Arbeitsverhältnis ist Dauerschuldverhältnis - um die Arbeitsleistung in Person (§ 613 BGB) zu erbringen, hat der ArbN einen beträchtlichen Teil seiner (Lebens)Zeit aufzuwenden, wobei die Zeiteinteilung weitgehend dem Direktionsrecht des ArbG, beschränkt durch die Mitbestimmung des BR und im Rahmen der Tarifbestimmungen, unterliegt. Hierbei geht es nicht um bloße Sach- oder Vermögensleistungen wie in reinen Austauschverträgen, vielmehr ist der ArbN auch mit seiner Person umfassend in das Arbeitsverhältnis eingebunden. Über das rein wirtschaftliche Interesse hinaus prägt das Arbeitsverhältnis auch soziale Beziehungen. So muß der ArbN 6 Zur Eingliederung z. B. BAG, Urt. v. 09.03.77, AP Nr. 21 zu § 611 Abhängigkeit; Zöllner/Loritz § 4 m 5.

22

§ 1 Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und Persönlichkeitsschutz

zwangsläufig mit Personen in Kontakt treten, die er sich nicht ausgesucht hat (z. B. anderen ArbN oder Kunden), woraus Konflikte entstehen können. Deshalb gehört zum ArbN-Schutz auch die Sicherstellung einer korrekten Behandlung der ArbN durch Vorgesetzte und Kollegen, der ArbG muß Hänseleien, Schikanen, Diskriminierungen oder sexuelle Belästigungen7 von Beschäftigten verhindern. Das Betriebsklima kann große Bedeutung haben für Produktivität und Motivation, aber auch für das persönliche Wohlbefinden der Beschäftigten. Abgesehen von dieser kommunikativen Komponente umfaßt der Aspekt des Schutzes der Persönlichkeit des ArbN auch dessen Bestreben, sich im Arbeitsverhältnis weiterzuentwickeln und und selbst zu verwirklichen, wozu ein gewisser Grad der Förderung durch den ArbG erforderlich ist. Auch das Desinteresse des ArbG an solchen Maßnahmen kann die Persönlichkeit des ArbG beeinträchtigen. 3. Respektiere den ArbN als Person! Diese Forderung' könnte ebenso als Leitmotiv des Arbeitsrechts dienen wie die Formel vom Arbeitsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht9 • Der Grundgedanke des Art. 1 I GG, daß jedem Menschen ein Recht auf Achtung seiner Würde und seiner Persönlichkeit innewohnt, das von jedermann beachtet werden muß, gilt natürlich auch im Arbeitsrecht. Problematisch ist jedoch, was überhaupt der Inhalt dieser geschützen Persönlichkeit ist, d. h. einen Bereich zu definieren und abzugrenzen, in dem dieser Respektierungsanspruch, der in erster Linie eine sittlich-moralische Größe ist, auch in Form eines rechtlich durchsetzbaren Anspruchs Geltung erlangt. Mit dem Arbeitsrecht ist ein rechtliches System geschaffen worden, das den Inhalt dieser Forderung nach Respektierung des ArbN als Person konkretisieren soll. Die Normen und Rechtsinstitute des Arbeitsrechts gestalten ein spezifisches "Persönlichkeitsrecht des ArbN" aus. Dabei sollte man hier nicht von einem "allgemeinen" Persönlichkeitsrecht des ArbN sprechen. Der Terminus APR in seiner ursprünglichen Bedeutung, in der ihn die Rechtsprechung des BGH entwickelt hat, bezeichnet den Persönlichkeitsbereich, der auf deliktsrechtlicher Ebene (§ 823 I BGB) gegenüber 7 Hierzu vgl. den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz v. 17.05.93, BR-Drucks. 301193, S. 30 f. 8 Abgeleitet aus der Hegel'schen Formulierung "Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" Hege[, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36; dazu Erman-Ehmann, Anh. zu§ 12 BGB Rdz. l. 9 Zum Schutzmotiv als Grundgedanken des Arbeitsrechts Hueck/Nipperdey § 7, S. 25 ff.

I. Besondere Schutzbedürftigkeit

23

Einwirkungen Dritter absolut geschützt ist. Dieser Bereich ist jeweils anband einer an der gesetzlichen Wertung orientierten Fallgruppenbildung und einer Interessenahwägung im Einzelfall zu entwickeln'0 • Das so verstandene APR bezeichnet den deliktsrechtlichen Bereich des Persönlichkeitsschutzes. Im Arbeitsverhältnis bedarf es dieses Rückgriffs auf das Deliktsrecht nicht in gleichem Umfange. Hier ist regelmäßig mit dem Arbeitsvertrag eine vertragsrechtliche Beziehung vorhanden, aus der als Nebenpflicht die Beachtung der Persönlichkeit des ArbN folgt. Die normative Regelungsdichte für das Arbeitsverhältnis ist dabei wesentlich höher als auf der Ebene des Deliktsrechts, so daß hier in weit stärkerem Maße auf geschriebenes oder vereinbartes Recht zurückgegriffen werden kann. Dies bedeutet nicht, daß das deliktsrechtliche APR für das Arbeitsverhältnis nicht relevant wäre- zur Ausfüllung von Lücken des Arbeitsrechtssystems muß vielmehr auf die Methode des APR zurückgegriffen werden. Wegen dieser, gegenüber der mit dem Begriff des APR üblicherweise verbundenen Situation abweichenden Ausgangslage, möchte ich im Gegensatz zum "APR" den Terminus "Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht (ArbNPR)" als eine konkretisierende, alle Gestaltungsebenen des Arbeitsverhältnisses einschließende Bezeichnung verwenden.

Die Kernfrage des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsrecht ist, inwieweit Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis Auswirkungen auf den Inhalt des rechtlich geschützten Persönlichkeitsbereichs des ArbN haben. Dabei ist zunächst festzustellen, daß der Arbeitsvertrag als Voraussetzung der Begründung eines Arbeitsverhältnisses erst die Möglichkeit schafft, als ArbN tätig zu werden und Persönlichkeitswerte in das Arbeitsverhältnis einzubringen. Das Band des Arbeitsvertrages macht aus Fremden, deren Rechtsbeziehung sich nur am Deliktsrecht (einschließlich des APR) orientiert, ArbN und ArbG. Der Arbeitsvertrag ist damit das Mittel, durch das die ArbNPersönlichkeit als solche erst entsteht und zur Entfaltung gebracht wird. Innerhalb des Arbeitsvertrages, aber auch aufgrund der nach dem Vertragsschluß für den ArbN Geltung erlangenden sonstigen gesetzlichen, tariflichen, betriebsverfassungsrechtlichen Regeln erfährt das ArbNPR erst seine Ausgestaltung. Diese Ausgestaltung kann die Persönlichkeit des ArbN weiterentwickeln - so wenn er bei der Arbeit dazulernt, sich weiterbildet, sozial aufsteigt etc.; sie kann aber auch zu einer Beschränkung führen, z. B. bei Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen oder Maßregelungen. Beschränkungen der Persönlichkeit aus dem Arbeitsvertrag können auch ohne besondere Vereinba10

Zum Unrechtstatbestand des APR s. u. § 1 ll 3 b dd.

24

§ 1 Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und Persönlichkeitsschutz

rung eintreten - so ist der ArbN z. B. aufgrund seiner Treuepflicht auch ohne entsprechende Abrede gehalten, sich mit öffentlicher Kritik an seinem ArbG zurückzuhalten (Einschränkung der Meinungsfreiheit, Art. 5 I GG). Das letzte Beispiel zeigt, daß auch ein außerhalb einer Sonderbeziehung nach dem Maßstab des deliktischen APR zulässiges Verhalten durch das Arbeitsverhältnis eingeschränkt werden kann. Das Persönlichkeitsrecht des ArbN (ArbNPR) sollte deshalb auch als solches bezeichnet werden. Das APR als die deliktsrechtliche Ebene des Persönlichkeitsschutzes darf nicht als das Minimum des von der Rechtsordnung gewährten Persönlichkeitsschutzes mißverstanden werden. Vielmehr ist die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes abhängig von der Art der Rechtsbeziehung, in der die betroffenen Personen stehen. So ist Persönlichkeitsschutz in der Ehe ein anderer als Persönlichkeitsschutz im Wehrdienstverhältnis oder im Strafvollzug. Der Inhalt des geschützten Persönlichkeitsbereichs ist im Einzelfall immer anband der Ausgestaltung zu entwickeln, die das Persönlichkeitsrecht durch die jeweilige Rechtsbeziehung gefunden hat. Die Ausgestaltung des ArbN-Persönlichkeitsrecht erfolgt durch das Arbeitsverhältnis. So sind die aus § 242 BGB abgeleiteten arbeitsvertragliehen Fürsorgepflichten ein Ausfluß aus dem durch das Arbeitsverhältnis erst geschaffenen spezifischen ArbNPR. Im Arbeitsverhältnis kann der ArbNPersönlichkeitsschutz sowohl enger als auch weiter ausgebildet sein als in Durdeliktischen Beziehungen, in denen die Grundsätze des APR Anwendung finden. Die Besonderheit des Persönlichkeitsrechts im Arbeitsverhältnis liegt dabei in seiner Tendenz zur aktiven Durchsetzung der Entfaltung der Persönlichkeit. Das Persönlichkeitsrecht ist hier nicht mehr bloßes Abwehrrecht, vielmehr dient es als leitende Wertvorstellung bei der Bewertung von Interessen und der damit verbundenen Zuerkennung von Rechten11 , so z. B. eines Anspruchs des ArbN auf tatsächliche Beschäftigung während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses oder eines Weiterbeschäftigungsanspruchs für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits. Das ArbN-Persönlichkeitsrecht wird damit zum Instrument der Verwirklichung der Persönlichkeit des ArbN durch Leistungs- und Teilhabeansprüche gegen den ArbG.

11

Erman-Ehmann, Anhang zu§ 12 BGB, Rdz. 386.

II. Allgemeine Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes

25

II. Allgemeine Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes 1. Der Begriff der Persönlichkeit Persönlichkeitsschutz setzt ein Verständnis von Persönlichkeit voraus. Der Begriff "Persönlichkeit" leitet sich ab von dem der "Person". Person (von lat. "persona" = Rolle, Maske des Schauspielersu) ist eine Bezeichnung für den Mensch als Individuum, als lebendes Wesen13 und für das tatsächliche Dasein und die Beschaffenheit des Menschen14 • Der Begriff der Person kann für das äußere Ansehen, die Figur, Statur eines Einzelwesens oder für das Einzelwesen selbst nach seiner äußerlichen Erscheinung und dem sinnlichen Eindruck, sowie für das selbständige, selbstbewußte und vernünftige Einzelwesen nach seiner Eigentümlichkeit stehen 15 , umfaßt also eine Vielzahl von Inhalten, die vorwiegend objektiv- deskriptiver Natur sind. Wie aber ist der in der Alltagswie der Rechtssprache doch so oft verwandten Begriff der Persönlichkeit inhaltlich zu konkretisieren? a) Persönlichkeit als philosophischer BegritT

Als Gegensatz zum objektiv-wertfreien Begriff der Person findet man den Ausdruck "Persönlichkeit" als Bezeichnung für den wesentlichen, wertvollen, unabhängigen Kern und Mittelpunkt des Menschen. Nach Kant ist die Persönlichkeit "die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen - die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört" 16 • b) Persönlichkeit in der Umgangssprache

Die umgangssprachliche Verwendung des Ausdrucks "Persönlichkeit" kann verschiedene Bedeutungsinhalte haben. Einmal kann damit lediglich ein u Vgl. Grirnrn's Wörterbuch, 7. Band, S. 1562. 13

Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch.

14

So "Der Große Brockhaus" in seiner 15. Aufl. So die vielschichtigen Erklärungen in Grimrn's Wörterbuch, Bd. 7, S. 1562- 1563.

15 16

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, 3. Hauptstück (S. 155).

26

§ I Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und Persönlichkeitsschutz

anderes Wort für Person gemeint sein. In einer weiteren Bedeutung bezeichnet Persönlichkeit die Summe aller ideellen Eigenschaften einer Person, wie Charakter, Wesen, Individualität. Häufiger als in dieser wertneutralen Verwendung findet man den Begriff jedoch positiv besetzt ("Persönlichkeit des öffentlichen Lebens", "bedeutende Persönlichkeit" oder der Ausdruck "Spielerpersönlichkeit" im Fußball). Hier werden mit Persönlichkeit besondere Tugenden oder sonstige Charaktereigenschaften, Prominenz, Ansehen, Autorität oder herausragende Bedeutung verbunden. In diesem - positiven - Zusammenhang beinhaltet der Begriff die Merkmale des Bewußten und der Gestaltung•', in ihm ist eine Tendenz zur Fortentwicklung und Vervollkommnung enthalten. c) Persönlichkeit als Rechtsbegriff

Auch das Gesetz verwendet den Ausdruck nicht einheitlich, so meint Persönlichkeit in§§ 2105 II, 2162 II, 2179 BGB schlicht die Person, in§ 1 AktG Rechtsfähigkeit. Art. 2 I GG enthält als Bestandteil des Grundrechtskatalogs das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - hier wird Persönlichkeit allumfassend als "menschliche Vollexistenz auf allen Lebensbereichen"18 definiert, so auch das BVerfG, das in Art. 2 I GG die umfassendste Freiheitsgewährung im Sinne der grundsätzlichen Freiheit des Menschen vom staatlichen Zwang sieht, wonach Art. 2 I GG die Garantie der Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne meine'. Eine einschränkende Interpretation der Persönlichkeitsgewährleistung in Art. 2 I GG verfolgt die Persönlichkeitskerntheorie20 , die die von Art. 2 I GG garantierte Persönlichkeitsfreiheit auf die geistige und sittliche Persönlichkeit beschränken will - was jedoch ebenfalls einen grundsätzlich weiten, gar allumfassenden Begriff der Persönlichkeit voraussetzt. Otto v. Gierke definiert das Persönlichkeitsrecht als den "von der Rechtsordnung gewährleisteten allgemeinen Anspruch, als Person zu gelten"21 • Grundlage der zahlreichen Definitionsansätze in der Literaturn ist jedenfalls das Verständnis jedes Menschen als einer Person, der Kraft ihres Menschseins eine eigene (Rechts)Persönlichkeit zukommt, deren grundsätzlichster Ausdruck 17 18

19

v. Münch, GG Art. 2, Rn. 13. Maunz- Dürig, Art. 2 Abs. I GG, Rdz. 26 ff.

z. B. BVerfGE 6, 32, 36; 49, 23.

Peters, Hans, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der h

348

BAG, Urt. v. 24.05.89, AP Nr. I zu§ 611 BGB Gewissensfreiheit.

19 Thees

290

§ 3 Die Wirkungen des ArbNPR im Arbeitsleben

ge für Lieferungen mit dem Zielland Irak zu bearbeiten, da sie befürchtet, die dem Irak gelieferten Metallwaren könnten zur Herstellung von Waffen für einen Krieg mit Israel benutzt werden34' . Die Freiheit, nicht gegen sein Gewissen handeln zu müssen, ist ein grundlegender Bestandteil des im APR enthaltenen Rechts zur Selbstbestimmung. Daß die gern. Art. 4 I GG geschützte Gewissensfreiheit auch in Rechtsbeziehungen zwischen Privaten Berücksichtigung findet, ist allgemein anerkanneso. Dabei ist der Begriff der Gewissensentscheidung höchst subjektiv - er orientiert sich nicht an einer objektiven Richtigkeit oder Vernünftigkeit, sondern umfaßt jede innere sittliche Entscheidung, die der einzelne für sich als bindend erfährt351 • Die gerichtliche Nachprüfung, ob wirklich eine Gewissensentscheidung des ArbN vorliegt, oder ob er dies nur vorgibt, um eine als lästig empfundene Arbeit los zu werden, gestaltet sich angesichts der Weite des Gewissensbegriffs höchst schwierig. Eine inhaltliche Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen, die Gerichte müssen jedoch nicht schlechthin jede behauptete Gewissensentscheidung hinnehmen - eine gewisse Plausibilitätskontrolle352 bezüglich ihrer Ernsthaftigkeit liegt darin, daß der ArbN seine Entscheidung darlegen und erläutern muß, wobei nach außen tretende Umstände (z. B. Kriegsdienstverweigerung, Engagement in gesellschaftlichen Organisationen) Berücksichtigung finden können. Dem individuellen Interesse des ArbN, von Gewissenskonflikten im Arbeitsverhältnis verschont zu bleiben, steht das Interesse des ArbG gegenüber, seinen ArbN dem Berufsbild entsprechend umfassend einsetzen zu können. Die Gewissensfreiheit als ein Element des APR ist dabei auch in privatrechtliehen Beziehungen zu berücksichtigen353 • Mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages hat 34 ' ArbG Köln, Urt. v. 18.04.89, NZA 91, 276; weitere Fälle aufgeführt bei Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, S. 108. 350 Vgl. dazu Otto, S. 116 ff. m. zahlreichen Nachweisen.

351 BVerfGE 12, 45, 54-55: "Gewissen i. S. des allgemeinen Sprachgebrauchs und des Art. 4 I GG ist als ein real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. Als eine Gewissensentscheidung ist jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von "gut" und "böse" orientierte Entscheidung anzusehen, die der einzelne in einer bestimmten Lage für sich als bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte." 351 Dazu Rüfner, Gewissensentscheidung im Arbeitsverhältnis, RdA 92, 1, 3; kritisch zur weiten Ausdehnung des Begriffs der Gewissensnot durch das BAG Reuter, Das Gewissen des. Arbeitnehmers als Grenze des Direktionsrechts des Arbeitgebers, BB 86, 385. 353 So schon BoscMlabscheid, Vertragspflicht und Gewissenskonflikt, JZ 54, 213 ff., die beim Konflikt zwischen Vertragspflicht und Gewissensfreiheit über die Anwendung der Generalklausel des § 242 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht begründen wollen.

II. Durchführung des Arbeitsverhältnisses

291

der ArbN nicht etwa umfassend in deren Beeinträchtigung eingewilligt. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Tätigkeiten im Arbeitsverhältnis auf Vertragsebene oft nur im groben Rahmen bestimmt sind und der Konkretisierung über das Direktionsrecht des ArbG bedürfen, wobei das Auftreten eines Gewissenskonfliktes im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gar nicht absehbar ist und mangels Bestimmtheit nicht Gegenstand einer konkludenten Einwilligung sein kann354 • Die Gewissensfreiheit ist in Art. 4 I GG grundrechtlich geschützt, jedoch als typisches Abwehrgrundrecht gegen hoheitliche Eingriffe355 • Das BAG transformiert den Schutz der Gewissensfreiheit ins Privatrecht, indem es eine mittelbare Grundrechtswirkung des Art. 4 I GG über die inhaltliche Ausformung des Begriffs des "billigen Ermessens" bei der Einschränkung des Direktionsrechts des ArbG gern. § 315 BGB annimmt35' . Danach dürfe der ArbG dem ArbN bei verfassungskonformer Auslegung des § 315 BGB keine Arbeit zuweisen, die den ArbN in einen vermeidbaren Gewissenskonflikt bringt. Der Inhalt des Direktionsrechts des ArbG ergebe sich aus der Abwägung der beiderseitigen Interessen, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, ob der ArbN bei der Eingebung des Arbeitsverhältnisses mit einem Gewissenskonflikt habe rechnen müssen, ob der ArbG aus betrieblichen Erfordernissen auf dieser Arbeitsleistung bestehen müsse, ob dem ArbN andere Arbeit zugewiesen werden könne und ob mit zahlreichen weiteren Gewissenskonflikten in Zukunft zu rechnen

set·357 .

Diese Interessenahwägung trifft jedoch nicht den Kern der Gewissensproblematik im Arbeitsverhältnis. Das BAG vermischt hier Gründe, die das Direktionsrecht einschränken können und damit die geforderte Arbeitsleistung selbst zum Gegenstand haben (primäre Vertragspflichten) mit Gründen, die die Rechtsfolgen der Beschränkung des Arbeitsinhalts aus Gewissensgründen betreffen. Ist bereits bei der Eingebung des Arbeitsverhältnisses absehbar, daß der ArbG durch seine Tätigkeit in Gewissensnöte geraten kann - etwa wenn ein Pazifist bei einem Rüstungsunternehmen eingestellt wird - so spricht dies zunächst gegen die Ernsthaftigkeit seiner Überzeugung und damit überhaupt gegen das Vorliegen einer Gewissensbeeinträchtigung. Jedenfalls wird für vorher354

Dazu § 2 I 4 a aa.

355

Herzog in Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rdz. 122 ff.

35' BAG, Urt. v. 20. 12. 84, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht (BI. 693); Urt. v. 24.05.89, AP Nr. 1 zu§ 611 BGB Gewissensfreiheit. 357 So die Leitsätze in BAG, Urt. v. 20. 12. 84, AP Nr. 27 zu§ 611 BGB Direktionsrecht.

292

§ 3 Die Wirkungen des ArbNPR im Arbeitsleben

sehbare Beeinträchtigungen eine Einwilligung durch den Abschluß des Arbeitsvertrages angenommen werden können. Die Überzeugungen des ArbN und damit auch die Grundlage seines Gewissens kann sich jedoch im Laufe der Zeit ändern, ebenso wie der Unternehmensgegenstand sich ändern kann, etwa wenn ein Großunternehmen des Fahrzeugbaus in den Rüstungsbereich expandiert. In diesen Fällen muß über eine Einschränkung des Direktionsrechts des ArbG, korrespondierend mit einem Leistungsverweigerungsrecht des ArbN, der Gewissensbeeinträchtigung Rechnung getragen werden. Hier kommt insbesondere eine Verpflichtung des ArbG in Betracht, dem ArbN im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten eine andere Arbeit zuzuweisen. Nur in Extremfällen wird der ArbG auf der Durchführung der Arbeit bestehen dürfen, etwa bei wichtigen Arbeiten, bei denen der ArbG auf den entsprechenden ArbN aktuell angewiesen ist. Die Frage, ob in Zukunft mit weiteren Gewissenskonflikten zu rechnen ist, betrifft hingegen die rechtlichen Konsequenzen, die der ArbG an eine wegen einer Gewissensentscheidung erforderliche Einschränkung seiner Direktionsmacht bzw. an eine gerechtfertigte Arbeitsverweigerung knüpfen kann351 • Ähnlich wie bei der krankheitsbedingten Kündigung wird bei einer zu prognostizierenden häufigeren Einschränkung der vorgesehenen Arbeitstätigkeiten und bei Fehlen einer anderweitigen Einsatzmöglichkeit ein Grund zur personenbedingten Kündigung gern. § 1 II KSchG vorliegen359 • Von den vom BAG für die Interessenahwägung bei§ 315 BGB angeführten Kriterien Vorhersehbarkeit, aktuelle betriebliche Erfordernisse und Wiederholungswahrscheinlichkeit betrifft im Kern nur das der "betrieblichen Erfordernisse" die Abwägungsentscheidung, ob die Anordnung einer bestimmten Tätigkeit im Hinblick auf die Gewissensfreiheit des ArbG der Billigkeit entspricht. Auf seiten des ArbG müssen neben diesem wirtschaftlichen Interesse aber auch dessen Vertrauen in die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit mit dem in ihr enthaltenen Grundsatz "pacta sunt servanda", die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit (im Fall des Arztes), die Pressefreiheit (im Fall des Druckers) und das Recht arn eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (im Fall der Verkaufssachbearbeiterin) mit einbezogen werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen können zudem mit dem Hinweis, der ArbG gerate bei fehlender anderwärtiger Beschäftigungsmöglichkeit nicht in Annah-

358 Dazu Kraft/Raab in Anm. zu BAG, Urt. v. 24.05.89, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit (BI. 682). 359 BAG, Urt. v. 24.05.89, AP Nr. I zu§ 611 BGB Gewissensfreiheit (BI. 677).

II. Durchführung des Arbeitsverhältnisses

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meverzug gern.§ 615 BGB:MO und brauche deshalb auch kein Entgelt zu zahlen, nicht abschließend behandelt sein361 • Der vom BAG verfolgte Ansatz, den Konflikt zwischen Gewissensfreiheit und Arbeitsinhalt im Rahmen der Billigkeitsregel des§ 315 BGB zu behandeln, schließt die Verletzung von Vertragspflichten des ArbN aus, wenn dieser sich zu Recht auf Gewissensgründe zur Leistungsverweigerung beruft, da die konkrete Handlungspflicht dann erst auf der Ebene des Direktionsrechts entsteht. In der Literatur wird teilweise vorgeschlagen, den Konflikt im Rahmen des § 242 BGB zu lösen. So verneint Brox im Falle des Druckers die Anwendbarkeit des § 315 BGB, da es sich bei dem betreffenden Druckauftrag um eine untergeordnete Einzelweisung gehandelt habe, auf die § 315 keine Anwendung finde362 • Die Weisung des ArbG könne aber wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam sein, wobei die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Art. 4 I GG zu berücksichtigen sei. Da § 242 BGB einen nach allgemeiner Ansicht unzumutbaren Gewissenskonflikt voraussetze und nicht ,jedes noch so überempfindliche Gewissen" zum Maßstab nehme, kommt Brox für den konkreten Fall zur Ablehnung eines Leistungsverweigerungsrechts. Im Ergebnis führt diese Ansicht für den ArbG zu dem Vorteil, daß er nicht im gleichen Maße wie bei§ 315 BGB einer wegen ihrer hohen Subjektivität juristisch schwer nachprüfbaren Entscheidung des ArbN unterworfen wird. Mit der Anwendung des objektiveren Maßstabes des § 242 BGB würde dem Gedanken der Vertragstreue stärker Rechnung getragen werden und das Risiko des ArbG wäre kalkulierbarer. Einen von den nach§ 242 und§ 315 BGB erforderlichen Abwägungsentscheidungen unabhängigen Weg zur Lösung des Konflikts zwischen Gewissen und Arbeit über das Recht der Leistungsstörungen vertritt Kohti". Der Gewissenskonflikt als eine "sozialethische Pflichtenkollision"364 begründe einen Fall der Unzumutbarkeit, der im Arbeitsverhältnis Unvermögen i. S. d. § 275 BGB mit der Folge des Erlöschens der Arbeitsverpflichtung bewirke. Das APR des ArbN fordere die Ausdehnung des klassischen Unvermögensbegriffs vom tatsächlichen Unvermögen durch Krankheit oder Unfall auf den Fall der Pflich360

BAG, Urt. v. 24.05.89, AP Nr. 1 zu§ 611 BGB Gewissensfreiheit (Bl. 677).

Vgl. dazu die Anm. von Berger-Delhey zu BAG, Urt. v. 24.05.89, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gewissensfreiheit (Bl. 683). 362 Brox, Anm. zu BAG, Urt. v. 20. 12. 84, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht (Bl. 878); gegen eine Anwendung des § 315 BGB auch Reuter, BB 86, 385. 363 Kohte, Gewissenskonflikte am Arbeitsplatz, NZA 89, 161. 361

364

Ders. S. 164.

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§ 3 Die Wirkungen des ArbNPR im Arbeitsleben

tenkollision als sozialethische Unzumutbarkeie65 • Könne der ArbN mit anderen Arbeiten betraut werden, so liege ein Fall der Teilunmöglichkeit vor und der ArbG müsse ihm wegen der Beschäftigungspflicht solche Tätigkeiten zuweisen. Sei dies nicht möglich, entfalle gern. § 323 BGB mit dem Erlöschen der Arbeitspflicht auch der LohnanspruchlU. SehE des ArbN wegen Nichterfüllung wegen zu vertretenden Unvermögens der Arbeitsleistung komme nicht in Frage, da Gewissensbetätigung nicht als Schuldhaftes Vertretenmüssen gewertet werden könne. Vorrangig vor der Kündigung durch den ArbG sei die Anpassung des Arbeitsvertrages zu prüfen. Die von Kohte vertretene Anwendung des Rechts der Leistungsstörungen zur Bewältigung dieses Konfliktes erscheint bestechend dadurch, daß ein gesetzlich klar formulierter Normenkomplex zur Lösung herangezogen werden kann. Dogmatisch fragwürdig ist jedoch, ob die Gewissensnot überhaupt mit der Unmöglichkeit gleichgesetzt werden kann. Wenn Kohte die besonderen Gegebenheiten des Arbeitsverhältnisses (Dauerschuldverhältnis, personaler Bezug) hierfür anführt367 , so vergißt er, die besonderen Verpflichtungen des ArbN gegenüber dem ArbG (Treuepflicht) mit einzubeziehen. Das ArbNPR verlangt die Berücksichtigung der Gewissensfreiheit - jedoch nicht als absolute Größe, wie das bei der von Kohte vorgeschlagenen Lösung über das Recht der Unmöglichkeit der Fall wäre - sondern unter Abwägung dieses Interesses mit den legitimen Interessen des ArbG. Die ArbG-Interessen werden bei der von ihm vorgeschlagenen Lösung jedoch überhaupt nicht berücksichtigt. Vielmehr führte die Pflichtenkollision zu einem Automatismus des Wegfalls der Leistungspflicht der ArbN, ohne daß die spezifische Situation des Unternehmens berücksichtigt würde. Der Wegfall der Lohnzahlungspflicht gern. § 323 BGB kann hier keine ausreichende Kompensation bieten, da bei Stockungen einer arbeitsteiligen Organisation leicht weit über das konkret betroffenen Arbeitsverhältnis hinausgehende Beeinträchtigungen entstehen können. § 275 BGB mit seiner Automatik der Leistungsbefreiung paßt auch deshalb nicht recht in diesen Zusammenhang, da es dem ArbN freisteht, trotz Gewissensbelastung seine arbeitsvertragliehen Pflichten zu erfüllen und dagegen gerichtete Bedenken hintanzustellen368 •

365

Ders. S. 164 unier Verweis auf Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, 1970,

s. 108 ff. 36