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German Pages 318 Year 2018
Simon Rehbach Medienreflexion im Musikvideo
Bild und Bit. Studien zur digitalen Medienkultur | Band 4
Editorial Die interdisziplinäre Reihe Bild und Bit versammelt Positionen zu einem neuen Forschungsfeld: den medientheoretischen und medienästhetischen Konsequenzen digitaler Produktion, Distribution und Rezeption audiovisueller Werke. Im Zentrum des Interesses stehen dabei zwei Prozesse, die den aktuellen Medienwandel dominieren: einerseits die Ausbildung neuer nonlinearer (oder zumindest nicht-so-linearer) Formen audiovisueller Narration, wie sie sich vor allem in Computer- oder Videospielen vollzieht, andererseits die parallele digitale Transformation linearen audiovisuellen Erzählens, insbesondere in den Bereichen Spielfilm und Fernsehserie. Gerade in ihrem spannungsreichen Mit-, Gegen- und Zueinander prägen beide Prozesse den epochalen Übergang von industrieller zu digitaler Medienkultur. Kulturelle Formen werden dabei nicht nur dar-, sondern überhaupt erst hergestellt – in einem komplexen Wechselspiel technologischer und sozialer, ästhetischer und epistemologischer Faktoren. Neben dem ästhetischen Wandel audiovisuellen Erzählens umfasst das inhaltliche Spektrum der Reihe die konstitutive Beteiligung digitaler Medienkultur an der Herausbildung neuer künstlerischer Formen und Praxen. Wichtige Themen sind u.a. Fragen der Autorenschaft, die sich aus der Demokratisierung der audiovisuellen Produktionsmittel und Distributionsmöglichkeiten ergeben, die Audiovisualisierung nonfiktionalen Wissenstransfers, medientechnologische Innovation sowie die medienästhetisch instruktive Eskalation von Interund Transmedialität. Der skizzierte Wandel kulminiert gegenwärtig in der Emergenz einer historisch neuen Medienkultur, die in nahezu allen Bereichen audiovisueller Produktion die Reevaluierung etablierter Praktiken und medientechnische wie medienästhetische Neuorientierung einleitet. Die schwierige Aufgabe, diesen tiefgreifenden Wandel audiovisueller Kultur gewissermaßen in statu nascendi zu begreifen, kann und soll wesentlich durch die Verbindung wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektiven und Forschungsergebnisse gelingen. Die Reihe wird herausgegeben von Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto.
Simon Rehbach (Dr.) ist Medienwissenschaftler und lehrt am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Intermedialität, Online-Kommunikation, Mediennostalgie und Mediatisierung des Sports.
Simon Rehbach
Medienreflexion im Musikvideo Das Fernsehen als Gegenstand intermedialer Beobachtung
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine überarbeitete Fassung der Dissertation des Verfassers, die von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3987-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3987-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
1.
Einleitung | 7
TEIL I: UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND MUSIKVIDEO 2.
Medienhistorische Entwicklung | 21
2.1 2.2
Vorgeschichte des Musikvideos | 22 Von MTV zum Internet | 29
3.
Charakteristika der Bedeutungsproduktion | 39
3.1 3.2 3.3
Song und Clip | 39 Clipästhetik und Postmoderne | 46 Kunst und Kulturindustrie | 54
TEIL II: THEORETISCHE GRUNDLAGEN 4.
Medienreflexion | 65
4.1 4.2 4.3 4.4
Medium und Form | 70 Bedingungen der Medienreflexion | 76 Medien als Gegenstand von Diskursen | 85 Fernsehreflexion im Film | 93
5.
Exkurs: Illusionsbruch | 101 Selbstbeobachtung im Film | 101 Selbstbeobachtung im Musikvideo | 107
5.1 5.2
TEIL III: FERNSEHREFLEXION IM MUSIKVIDEO 6.
Bildstrategien der intermedialen Bezugnahme | 125
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3
Inszenierung von Fernsehbildschirmen | 126 Stars auf dem Bildschirm | 127 Bildschirme als Gegenstand der Kunst | 135 Fernsehen im Medienalltag | 142 Entstehung einer Bildschirmkultur | 155 Inszenierung von Bildern des Fernsehens | 167 Merkmale der Fernsehästhetik | 168 Bildstörungen | 180 Integration von Fernsehmaterial | 194
7.
Perspektiven der intermedialen Bezugnahme | 205
7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3 7.3.1 7.3.2
Kritischer Blick auf das Fernsehen | 206 Kulturkritik reloaded | 207 Ambivalenz durch Selbstbeobachtung | 218 Fernsehkritik im 21. Jahrhundert | 225 Parodistischer Blick auf das Fernsehen | 237 Parodie als Subversion | 238 Exemplarische Fernsehgattung: TV-Nachrichten | 247 Nostalgischer Blick auf das Fernsehen | 254 Wandel des Musikfernsehens | 257 Auftritte in TV-Sendungen der Vergangenheit | 264
8.
Schlussbetrachtung | 277 Quellenverzeichnis | 287 Literatur | 287 Internetseiten | 306 Musikvideos | 307 Fernsehsendungen | 311 Filme | 312 Songs | 313 Bildende Kunst und Aktionskunst | 313 Computerspiele | 313 Danksagung | 315
1. Einleitung
„Yup, that really is a TV in space, for real.“1 Es war der 3. September 2015, als Joe Connor mit diesen Worten sein neuestes Musikvideo beschrieb und ein breites Publikum in Staunen versetzte. Auf dem Online-Portal Vimeo veröffentlichte der Regisseur den Clip CALL YOU HOME zur Debüt-Single von Kelvin Jones und kommentierte erfreut sein Werk. Die außergewöhnlichen Bilder, welche den Song illustrieren, erregten rasch eine große Aufmerksamkeit über das Internet. Der Titel von Jones wurde in die Playlisten zahlreicher Radiosender aufgenommen, während der von Connor gedrehte Clip die Bekanntheit des Musikers, der seine Karriere erst vor kurzer Zeit begonnen hatte, zusätzlich steigerte. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein TV-Apparat, der langsam durch die Stratosphäre schwebt (Abbildung 1). Das unkonventionelle Setting lässt den Betrachter im Unklaren darüber, ob das Gerät abgefilmt und das Bildmaterial im Anschluss mit einem künstlichen Hintergrund verbunden worden ist oder tatsächlich der Flug eines Röhrenmonitors zu sehen ist. Dem angeführten Zitat von Connor ist zu entnehmen, dass der Regisseur die sonderbare Reise des Fernsehapparates über die gesamte Dauer unter freiem Himmel in Szene gesetzt hat. So ließ Connor für die Aufnahmen, welche in seinem Clip Verwendung finden, gleich zwei alte Bildschirme von einem Wetterballon in eine Höhe von 34 Kilometern ziehen, während mehrere GoPro-Kameras, die vor den beiden Geräten in unterschiedlichen Positionen befestigt worden waren, den anschließenden Flug über Wales und England filmten.2 „I’m pleased to say that all TVs in this music video were harmed as they crash-landed back to earth“3, resümiert Connor mit einem Augenzwinkern seine aufwendige Arbeit. Die imposante Darstellung des Fernsehapparates in der Stratosphäre zielt zum einen darauf ab, dem Betrachter Schauwerte zu bieten, die bislang in keinem weiteren Musikvideo eines Stars enthalten sind. Zum anderen verfügt der kreative Einsatz des 1
Joe Connor: Kelvin Jones: Call You Home. In: Vimeo, 03.09.2015, URL: https://vimeo. com/138174318 (01.06.2018).
2
Vgl. ebd.
3
Ebd.
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Gerätes über eine symbolische Bedeutung im Zusammenspiel von Song und Clip. Dies zeigt sich darin, dass der Bildschirm der Welt entrückt ist und durch seine Distanz zum Erdboden der melancholischen Stimmung des Liedtextes Ausdruck verleiht. So wird das in Gedanken versunkene lyrische Ich des Stücks von Liebeskummer geplagt, wodurch alle anderen irdischen Sorgen ausgeblendet zu sein scheinen. „(But) Can I call you home? / You’ll be mine and I’ll be yours / I just wanna let you know / In my mind I call you home“, singt Jones im Refrain über eine nicht näher bestimmte Person, während der TV-Apparat durch die Luft gleitet.4 Das Gerät liefert derweil keine Ansicht des ‚angehimmelten‘ Gegenübers, sondern überträgt mit einem anfangs gestörten Empfang fortlaufend Bilder des Musikers. Der Betrachter begleitet den einsamen Reisenden über den Wolken, der auf der Mattscheibe im Zentrum des Blicks der Kamera bleibt, ohne den Verlauf des abenteuerlichen Flugs selbst steuern zu können. Die televisuelle Präsenz erlaubt es Jones, eine Höhe zu erreichen, in der er seinen meditativen, sparsam arrangierten Song in Ruhe vortragen kann. Zur selben Zeit befindet sich der Sänger auf der Erde. Dies erfährt der Betrachter des Musikvideos, sobald der Bildschirm auf einem Tisch landet, der inmitten einer idyllischen Landschaft steht. Jones sitzt in einem Sessel vor dem sanft herunterfallenden TV-Apparat und trägt die letzten Zeilen seiner Ballade vor. Er ist der Kamera zugewandt und hält sich in einer Kulisse auf, die mithilfe einer in der Natur aufgestellten tapezierten Wohnzimmerwand und weiterer Requisiten einen häuslichen Rahmen schafft, der durch den plötzlich auftauchenden Bildschirm ergänzt wird. Indem sich das würfelförmige Fernsehgerät und mit ihm die technisch vermittelte Ansicht des singenden Musikers in eine vertraute Umgebung des Medienalltags einfügen, gelangt der Protagonist am Ende des Liedes buchstäblich zu sich. Nicht die Person, von der Jones schwärmt, sondern er selbst kehrt heim und überwindet vorübergehend die schmerzvollen Gedanken an seine Liebe. Abbildung 1: CALL YOU HOME, 2015, M: Kelvin Jones, R: Joe Connor.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=0MeW1dvIL_I (TC 00:47, 02:07, 02:27)
Zusammenfassend gewinnt CALL YOU HOME seinen Reiz sowohl aus dem innovativen Konzept des Regisseurs, den Schauplatz in die Stratosphäre zu verlegen, als auch 4
Die meisten der in dieser Arbeit zitierten Liedtexte lassen sich über die Webseite Songtexte.com abrufen. Vgl. Songtexte, URL: http://www.songtexte.com (01.06.2018).
E INLEITUNG | 9
aus dem Verlauf der Handlung. So regt die Ansicht des Bildschirms das Publikum an, Verbindungen zwischen dem Apparat und dem Liedtext herzustellen. Das Gerät wird am Ende des Musikvideos als ein häusliches Medium identifizierbar, nachdem zunächst kein Nutzungskontext ersichtlich gewesen ist. CALL YOU HOME ist folglich von einer bestimmten Vorstellung vom Ort des Fernsehens geprägt, in dessen Programm über die gesamte Dauer das von Connor für den Sänger gedrehte Musikvideo zu laufen scheint. Auch wenn die finale Darstellung der Rezeptionssituation im Vergleich zum Himmelsflug des Bildschirms realitätsnah anmutet, entfaltet sie eine irritierende Wirkung. So sendet das Fernsehgerät in den Augen des Betrachters den von ihm rezipierten Clip von Jones, obwohl dieser dem Newcomer gerade über das Internet zu einem Charterfolg verholfen hat. Mit dem stets sichtbaren Logo seines Herstellers verweist der Sony-Apparat auf die Partnerschaft zwischen Jones und dem Plattenlabel Sony Music. Im selben Moment erinnert das nicht mehr zeitgemäße Modell an eine Zeit des Musikfernsehens, die mittlerweile der Vergangenheit angehört. Im Anschluss an diese Beobachtungen wirft das Musikvideo aus einer medienkulturwissenschaftlichen Sicht mehrere Fragen auf. Es ist zu überlegen, ob das Fernsehen auch über das künstlerisch-physikalische Bildschirmexperiment im vorgestellten Beispiel hinaus gestalterische und narrative Funktionen innerhalb kommerzieller Clips erfüllt und unter Umständen schon vom Sänger5 thematisiert wird. Lassen sich anhand von Musikvideos, die der weltweiten Beachtung von CALL YOU HOME zufolge bis heute ein reichweitenstarkes Produkt der Populärkultur sind, Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Haltungen gegenüber dem Medium Fernsehen im Verlauf der Zeit formuliert werden? Und falls ja, inwieweit wirkt sich die Tatsache, dass Clips selbst im TV-Programm verortet sind und zunehmend online Verbreitung finden, auf die Darstellung des Fernsehens aus? Die vorliegende Studie geht diesen Fragen nach und analysiert, auf welche Weise in den Bildern des Musikvideos Bezüge zum Fernsehen manifest werden. Setzt man sich zum Ziel, die medienspezifische Umsetzung intermedialer Verweise herauszuarbeiten, kann an eine Reihe von Befunden bisheriger Arbeiten angeschlossen werden. Die mit der Gründung von MTV einsetzende Forschung zum Musikvideo konzentrierte sich zunächst auf Clips im Kontext des neuen Fernsehsenders.6 Im Mittelpunkt zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und öffentlicher Debatten standen differenzierte Analysen und pauschale Urteile zur Bilderwelt des Mediums im Allgemeinen und den Werken einzelner Stars im Besonderen. Wie Klaus NeumannBraun und Lothar Mikos in ihrem Überblick über den empirischen Forschungsstand konstatieren, entstand mit dem Aufkommen von MTV eine Kontroverse hinsichtlich 5
Im Folgenden wird das generische Maskulinum verwendet, welches sowohl männliche als auch weibliche Personen einschließt.
6
Vgl. Steve Jones: MTV: The Medium Was the Message. In: Critical Studies in Media Communication 22 (2005), H. 1, S. 83-88, S. 86f.
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der Inszenierung von Gewalt sowie Sexualität und der Repräsentation von Figuren unterschiedlicher geschlechtlicher und ethnischer Zugehörigkeit.7 Nachdem Jugendschützer vor allem in der Anfangszeit des Fernsehsenders auf die negativen Folgen des Clip-Konsums hingewiesen hatten, so die beiden Autoren, wurden häufiger Forderungen laut, das Musikvideo als Kunstform anzuerkennen, bevor in den 2000er Jahren erneut provokante Bilder, etwa aus dem Bereich des Hip-Hop, in den Vordergrund rückten.8 Dass es sich beim Gebrauch obszöner bis bewusst beleidigender Liedtexte und Clip-Sequenzen um eine verkaufsfördernde Strategie handelt, belegen zahlreiche Verstöße gegen moralische und zum Teil auch rechtliche Prinzipien, die in der jüngeren Vergangenheit für Aufsehen gesorgt haben. So ist etwa das Musikvideo STRESS OHNE GRUND (2013) von Shindy und Bushido gemeinsam mit dem Song der beiden Rapper aufgrund der drastischen Schilderung von körperlichen Angriffen auf mehrere prominente Personen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vorübergehend indiziert worden. Andere Stars streben derweil durch erotische Selbstdarstellungen einen Tabubruch an, mit dem sie zwar in die Kritik geraten, auf diese Weise allerdings auf ihre Single aufmerksam machen können, die sie auf den Markt gebracht haben. Es sind insbesondere weibliche Interpreten, die sich in aufreizender Kleidung präsentieren, um nicht mehr als eine unschuldige Person wahrgenommen zu werden, die Fantasien des Publikums zu erfüllen und ihre Macht als erfolgreiche Musikerin vor Augen zu führen.9 Exemplarisch lässt sich an dieser Stelle der Auftritt von Miley Cyrus in WRECKING BALL (2013) anführen. Das Schaukeln der leicht bekleideten, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Clips erst 20 Jahre alten Sängerin auf einer Abrissbirne erreichte eine große mediale Resonanz. Es kann vermutet werden, dass die freizügigen Aufnahmen von Cyrus dem weiteren Verlauf ihrer Karriere eher genutzt als geschadet haben, boten sie doch ein spannendes Thema für die Berichterstattung über die Musik der Künstlerin. Die beiden Beispiele machen bereits anschaulich, inwiefern sich auch heute noch emotional geführte Debatten an einzelnen Musikvideos entzünden. Im Vergleich zu den immer wieder als Skandal verhandelten Bildern von Gewalt und Sexualität geben intermediale Verweise weitaus seltener Anlass für eine Empörung in der Auseinandersetzung mit dem Medium. Dennoch sind Clips, die fremdmediale Inhalte aufgreifen, keine Ausnahmeerscheinung. Ihre Bezugnahmen auf benachbarte Medien bilden einen wiederkehrenden, keineswegs nur positiv bewerteten Gegenstand des akademischen Diskurses. Dies machen vor allem Forschungsbeiträge deutlich, die aus der ersten Dekade von MTV stammen. „Wiederaufbereitet in knappen Zitaten oder einfach 7
Vgl. Klaus Neumann-Braun/Lothar Mikos: Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung der aktuellen Forschungsliteratur. Berlin 2006, S. 21.
8 9
Vgl. ebd., S. 16. Vgl. Julie Andsager/Kimberly Roe: „What’s Your Definition of Dirty, Baby?“: Sex in Music Video. In: Sexuality & Culture 7 (2003), H. 3, S. 79-97, S. 94.
E INLEITUNG | 11
gestohlenen Bruchstücken, begegnet den Zuschauern vor dem televisuellen Apparat hier mitunter während eines einzigen Tages ein Großteil der Oberfläche von Filmund Fernsehgeschichte“10, schreibt Siegfried Zielinski über die vielen Verbindungen des Musikvideos zu anderen kulturellen Werken. Die Feststellung des Medienwissenschaftlers deckt sich mit der Einschätzung von Ulrike Bergermann, dass nach wie vor eine Besonderheit des kommerziellen Clips darin gesehen werden könne, „daß er alle anderen Medien in sich aufnimmt und verdaut, Adaptionen oder Bricolages herstellt aus Avantgarde- und Musicalfilm, Werbespots, Tanz- und Theaterbühnen [...] oder digital erstellten Bildwelten [Herv. i.O.].“11 Im thematischen Kontext einer als zunehmend rückbezüglich wahrgenommenen Postmoderne beschrieben schon in den 1980er Jahren Autoren die Referenzen auf bereits vorhandene mediale Stoffe mithilfe von Begriffen der Ernährung und Verwertung. Dies erweckt den Anschein, als ergäbe sich der Reiz des Clips eines Stars ausschließlich aus der Präsentation von Aufnahmen, die dem Betrachter bekannt sind. „Das Video ist nur aus dem gegenseitigen Sichaufessen, Ausscheiden, Koprophagieren und anderen Angewohnheiten der Popkultur im Umgang mit anderen Kulturen zu verstehen“12, behaupten Jutta Koether und Diedrich Diederichsen. Richtet man den Blick vom einzelnen Musikvideo auf das Musikprogramm, so erscheint das Fernsehen als ein Distributionsort, der seine Faszination für die mediale Vergangenheit nicht verbergen kann: „Ist MTV irgend mehr als eine gigantische Recycling-Anlage, die die neuzeitliche Kunst und Kultur hemmungslos durch den Fleischwolf dreht?“13 Die frühe Einsicht, dass Clips im Vergleich zu anderen Angeboten der Populärkultur zumindest häufig intermediale Bezüge aufweisen, lässt offen, wie inhaltliche und formalästhetische Anspielungen und Übernahmen im Detail zum Ausdruck kommen und welche Bedeutung sie innerhalb einer Erzählung erlangen. Erst als die medienwissenschaftliche Forschung begann, die Inszenierungsstrategien der im Fernsehen gesendeten Musikvideos zu erkunden, ohne sich mit den bislang allgemeinen und teilweise kulturkritischen Aussagen zur Gestaltung des postmodernen Mediums zufrieden zu geben, wurde die Grundlage für eine differenzierte Analyse der komplexen 10
Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte. Reinbek 1989, S. 229.
11
Ulrike Bergermann: Videoclip. In: Hans-Otto Hügel (Hg.): Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Stuttgart/Weimar 2003, S. 478-482, S. 478.
12
Kollektiv Blutende Schwertlilie (Jutta Koether/Diedrich Diederichsen): Wenn Worte nicht ausreichen. Was will das Video, und wer sind seine Eltern? In: Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln 1987, S. 242-263, S. 242.
13
Herbert Gehr: The Gift of Sound & Vision. In: Deutsches Filmmuseum Frankfurt a.M. (Hg.): Sound & Vision. Musikvideo und Filmkunst. Hamburg/München/Berlin 1993, S. 1027, S. 11.
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Bilderwelt geschaffen. So setzt etwa Andrew Goodwin nicht alle visuellen Bezugnahmen auf Medien mit Zitaten gleich, die ohne eine Kommentierung oder künstlerische Verfremdung des Originals lediglich als Ersatz für neues Bildmaterial dienen; stattdessen deckt er unterschiedliche Funktionen auf, die intermediale Verfahren erfüllen können (Kapitel 3.2).14 Dies geschieht jedoch keineswegs mit dem Ziel, in Erfahrung zu bringen, welches Wissen Clips über die technologischen, kulturellen und sozialen Eigenschaften der Medien erzeugen, die Gegenstand einer Bezugnahme sind. In erster Linie geht es Goodwin darum, „the variety of ways in which music video clips ‚quote‘ from other texts“15 zu betonen, die Postmodernetheoretiker häufig ausblenden. Von Interesse scheint demnach die Übernahme eines medialen Inhalts und nicht die Referenz auf ein Medium als solches zu sein. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Gebrauch intermedialer Verweise kristallisierte sich in den 2000er Jahren heraus. Seitdem das Musikvideo nicht mehr nur im Fernsehen, sondern auch im Internet zu finden ist, erlebt die Forschung eine neue Konjunktur, was zum einen im Wandel der Clip-Distribution, der als solcher thematisiert wird, und zum anderen in der größer gewordenen Verfügbarkeit des Untersuchungsmaterials auf Online-Portalen begründet liegt: „[...] [M]usic videos now no longer, if they ever did, come and go with the release schedule of the song they promote. Indeed, the new and the old, the classic and the contemporary, increasingly circulate, and are re-circulated, alongside one another in the present moment of the screen. The proliferation of music video charts [...] produced by web-based magazines, music forums, blogs and other websites, feature classic 1980s videos alongside contemporary ones as well as everything in between.“16
Die Forschung zur Intermedialität des Musikvideos findet in dieser Zeit eine Fortsetzung, fragt allerdings weiterhin weniger nach Darstellungen von Charakteristika eines Mediums als nach Anleihen bei spezifischen Figuren, Geschichten und Schauplätzen. Zugleich liegt der Schwerpunkt auf der Image-Konstruktion einzelner Sänger und Bands. So fasst Matthias Weiß die „Bezugnahmen auf Clipexternes“, welche in den Musikvideos von Madonna zum Vorschein kommen, „als ein differenziertes Miteinander von Übernahme und Manipulation“ auf, „das semantische Verschiebungen oder Neubesetzungen zur Folge hat“, und erkennt in ihnen „ein geradezu analytisches Potential“17, da fremde und von der Sängerin selbst hervorgebrachte Bilder von 14
Vgl. Andrew Goodwin: Dancing in the Distraction Factory: Music Television and Popular Culture. Minneapolis, Minnesota 1992, S. 161.
15 16
Ebd., S. 159. Diane Railton/Paul Watson: Music Video and the Politics of Representation. Edinburgh 2011, S. 6.
17
Matthias Weiß: Madonna revidiert. Rekursivität im Videoclip. Berlin 2007, S. 169.
E INLEITUNG | 13
Frauen wiederholt und in einer feministischen Revision umgedeutet werden.18 Anstatt in seiner Studie einem vorhandenen Intermedialitätsansatz zu folgen und ihn für sein Forschungsvorhaben zu erweitern, beschränkt sich der Kunsthistoriker auf den Ausdruck ‚Rekursivität‘ im Sinne von „Rückgriffe[n] auf andernorts Vorgebildetes“19. Auf diese Weise gelingt es ihm zwar, mannigfaltige Spielarten motivischer und stilistischer Verweise in den Clips von Madonna zu ermitteln und zu analysieren. Doch ohne eine dezidiert medientheoretische Fundierung der Untersuchung bleibt eine in der vorliegenden Arbeit gesuchte Erklärung aus, inwiefern das Musikvideo als ein Medium aufgefasst werden kann, das andere Medien reflektiert. Die Annahme, „dass die Rekursivität tatsächlich als wesentliches Konstituens des Musikvideos zu verstehen ist“, hat Weiß jüngst am Beispiel der Bildbezüge im Werk von Robbie Williams verdeutlicht, der „ganz direkt auf die künstlerischen Strategien von Madonna zurückgreift, um sich als ihr legitimer Nachfolger zu installieren.“20 In eine ähnliche Richtung weisen die semiotischen Erkenntnisse, welche Jan-Oliver Decker über die Star-Konstruktion von Madonna liefert. Das Image der Sängerin, so der Befund, verändert sich in zeitlich aufeinander folgenden Karriereabschnitten, „während offensive weibliche Sexualität das Zeichen wird, das Madonna als Künstlerin identifizierbar macht und die Madonnavideos tiefenstrukturell miteinander verbindet [Herv. i.O.]“21, bis sich die mediale Inszenierung von dieser Bedeutungszuschreibung löst.22 In ausführlichen Einzelanalysen legt Decker neben dem auffälligen Rekurs von Musikvideos auf fremdmediale Inhalte einen strategischen Einsatz der Bilder dar, die die vielfältigen Darstellungen von Madonna in ihren eigenen Clips zur Anschauung bringen und dabei historisieren.23 Dies führt den Autor zur These, dass „[es] [g]erade in der Anfangsphase [...] für Musikvideostars besonders wichtig zu sein [scheint], sich in der Mediengeschichte auf erkennbare Prätexte zu beziehen und diese individuell zu verarbeiten, um dann später auf sich selbst als Künstler verweisen zu können.“24 Auch andere Stars, die auf eine erfolgreiche, wenngleich kürzere Karriere als Madonna zurückblicken, verankern sich in ihrem medialen Umfeld, wie Gianni Sibilla 18
Vgl. ebd.
19
Ebd., S. 26.
20
Matthias Weiß: Rekursivität und Männlichkeit im Videoclip. Oder: Warum Robbie Williams die neue Königin des Pop ist. In: Frédéric Döhl/Renate Wöhrer (Hg.): Zitieren, appropriieren, sampeln. Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten. Bielefeld 2014, S. 233-256, S. 234.
21
Jan-Oliver Decker: Madonna: Where’s that Girl? Starimage und Erotik im medialen Raum. Kiel 2005, S. 530f.
22
Vgl. ebd., S. 534.
23
Vgl. ebd., S. 534f.
24
Ebd., S. 538.
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anhand des Musikvideos WITHOUT ME (2002) von Eminem aufzeigt. Die Settings, welche zwischen Comicabenteuer, Nachrichtensendung und Reality-Show wechseln und in denen der Protagonist zu sehen ist, während er prominente Personen bloßstellt, lassen den Song in den Hintergrund treten und referieren teilweise auf frühere Clips des Musikers, so der Autor.25 WITHOUT ME verhandelt laut Sibilla das öffentliche Leben des kontroversen Rappers Eminem, der mit seinem Clip erneut eine Debatte auszulösen versucht, um medial wahrgenommen zu werden.26 Den bisher umfassendsten Überblick über die Möglichkeiten, intermediale Verweise in ein Musikvideo einzuarbeiten, geben Henry Keazor und Thorsten Wübbena. In ihrer Studie Video thrills the Radio Star (2011) nehmen sich die beiden Autoren ausgewählter Brückenschläge von Clips zu anderen Clips, Spielfilmen, Fernsehsendungen, Werken der bildenden Kunst, Computerspielen, Cartoons und Werbespots an und beobachten „ein sich gegenseitig erhellendes Wechselverhältnis“27 zwischen dem Musikvideo und seinen benachbarten Medien. Die unterschiedlichen Beispiele, welche in ihrer Arbeit Erwähnung finden, interpretieren sie unter Berücksichtigung des Zusammenspiels von Bewegtbild, Musik und Liedtext.28 Keazor und Wübbena legen den einzelnen Analysen kein eigenes medientheoretisches Modell zugrunde, das ihrer Einschätzung nach „den Blick auf die Phänomene oft eher verstellt bzw. einschränkt als erschließt“, stattdessen orientieren sie sich an „der Fülle der mit den Clips angebotenen Themen [...], um so auch die unterschiedlichen Leistungen der Videos würdigen zu können.“29 Die Bezugnahmen auf das Fernsehen, welche zur Sprache kommen, entstammen Werken der 1990er Jahre. Neben dem Nirvana-Clip IN BLOOM (1992), der unter der Regie von Kevin Kerslake entstanden ist und sich an die ED SULLIVAN SHOW (1948-1971) anlehnt,30 unterziehen Keazor und Wübbena zwei Musikvideos, für die Spike Jonze verantwortlich zeichnet, einer eingehenderen Untersuchung. BUDDY HOLLY (1994), so die Autoren, verortet die Alternative-Rock-Gruppe Weezer im fiktionalen Kosmos der Sitcom HAPPY DAYS (1974-1984), und zwar dadurch, dass Ausschnitte des Originals integriert sowie Gelächter und Applaus aus dem Off eingespielt werden und der frühere Schauspieler Albert Molinaro in Erscheinung tritt.31 25
Vgl. Gianni Sibilla: „So Empty without Me“: Intermediality, Intertextuality and Non-Musical Factors in the Evaluation of Pop Music: The (not so) Strange Case of MTV and Eminem. In: Volume! The French Journal of Popular Music Studies 3 (2004), H. 2, S. 123-141, S. 136f.
26 27
Vgl. ebd., S. 137. Henry Keazor/Thorsten Wübbena: Video thrills the Radio Star. Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen. 3. Aufl. Bielefeld 2011, S. 104.
28
Vgl. ebd., S. 19.
29
Ebd., S. 21.
30
Vgl. ebd., S. 183ff.
31
Vgl. ebd., S. 179ff.
E INLEITUNG | 15
SABOTAGE (1994) der Beastie Boys deuten Keazor und Wübbena hingegen als eine Parodie auf die Verbrecherjagden von Cop-Serien der 1970er Jahre.32 Der Clip rücke die mindere Qualität, von der die Produktionen des Genres geprägt sind, in den Vordergrund, erkennbar an der billigen Maskerade und den unspektakulären Stunts, die die von den Bandmitgliedern verkörperten Polizisten vorführen.33 Keazor und Wübbena weisen eindrucksvoll nach, dass es nicht nur Filme sind, von denen sich Musikvideo-Regisseure inspirieren lassen, sondern auch TV-Sendungen. Betrachtet man die anhaltende gesellschaftliche Relevanz des Fernsehens und den Facettenreichtum seines Programmangebots, ist nachzuvollziehen, dass das Medium immer wieder intermediale Bezugnahmen anregt, erzeugt doch seine „populäre Ikonographie [...] ein Bild- und Wiedererkennungswissen, das Übertragungen vom einen Bereich in einen anderen begünstigt“ und ein Grund dafür ist, dass „[g]erade witzige Werbung [...] mit dem impliziten Wissen des Empfängers [spielt], ohne es platt und direkt in Erinnerung zu bringen.“34 Der im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu erläuternde Werbe- und Unterhaltungscharakter des Untersuchungsgegenstandes und die in den 1980er Jahren zunehmende Platzierung audiovisueller Clips im TVProgramm lassen darauf schließen, dass Fragmente des fiktionalen und nicht-fiktionalen Fernsehangebots auch Eingang in die Bildinszenierung des Mediums Musikvideo finden. Dabei machen Regisseure die Verbindung zwischen audiovisuellen Clips und dem Fernsehen in ihren intermedialen Arbeiten nicht zwingend zum Thema, wie der Studie von Keazor und Wübbena zu entnehmen ist. Die von den beiden Autoren herangezogenen Clips beziehen sich in unterschiedlich genauen Nachbildungen von TV-Formaten auf voneinander abweichende Programmgattungen und dokumentieren, mit welcher Präzision neben inhaltlichen auch formalästhetischen Merkmalen einer Sendung Rechnung getragen wird. Trotzdem bleibt erklärungsbedürftig, inwiefern sich die gewonnenen Erkenntnisse über die Intermedialität des Musikvideos generalisieren lassen. Erstens sind die erwähnten Clips in einem nur kurzen zeitlichen Abstand zueinander veröffentlicht worden. Zweitens spielen sie jeweils mit der Ikonografie von Fernsehformaten, deren Popularität schon einige Jahrzehnte zurückliegt. Drittens sind zumindest BUDDY HOLLY und SABOTAGE von einem Regisseur gedreht worden, der in verschiedenen medialen Bereichen tätig ist und sich in vielen seiner Clips, Werbespots und Spielfilmen intermedialer Anleihen bedient.35 Es zeigt sich, dass der Gebrauch von Bildern, die – auch jenseits außergewöhnlicher Inszenierungen von TV-Apparaten – mit dem Fernsehen in Verbindung stehen, 32
Vgl. ebd., S. 186.
33
Vgl. ebd., S. 186ff.
34
Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. 3. Aufl. Wiesbaden 2004, S. 118.
35
Vgl. James Annesley: Being Spike Jonze: Intertextuality and Convergence in Film, Music Video and Advertising. In: New Cinemas: Journal of Contemporary Film 11 (2013), H. 1, S. 23-37, S. 35.
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zwar in Studien zur Intermedialität des Musikvideos eine wissenschaftliche Beachtung erfahren hat, systematische, medientheoretisch fundierte Analysen jedoch noch ausstehen. Des Weiteren ist die Frage danach, welche Aussagen Songs und Clips über das Medium Fernsehen treffen, insgesamt nur randständig behandelt worden. Im Mittelpunkt stehen bisher Zitate einzelner Sendungen und Anspielungen, deren Einsatz auf strategischen Überlegungen der Vermarktung des Stars beruht. Die vorliegende Arbeit möchte die beobachtete Forschungslücke schließen. Sie untersucht das Musikvideo als ein reflektierendes Medium, das ein breites Spektrum an Darstellungen des Fernsehens und Annahmen über medienspezifische Charakteristika aufweist. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Auseinandersetzung von Songs und Clips mit dem TV-Medium und seinem Programm weder auf die 1980er Jahre eingrenzen lässt noch ein Phänomen bildet, das erst in der jüngeren Vergangenheit aufgetreten ist. Die Medienreflexion, so die Annahme, begleitet die Geschichte des Musikvideos und unterliegt möglicherweise Verschiebungen und Ausdifferenzierungen. Die Arbeit befasst sich daher mit der gestalterischen und narrativen Einbettung von intermedialen Bezugnahmen innerhalb solcher Werke, die seit der Etablierung des Musikfernsehens veröffentlicht worden sind. Vor diesem Hintergrund wird ein doppeltes Erkenntnisinteresse verfolgt: Zum einen soll das Musikvideo in Anknüpfung an die Intermedialitätsforschung als ein Untersuchungsgegenstand behandelt werden, in dem sich verschiedene Inszenierungen des Fernsehens erfassen lassen, die in einer Wechselwirkung mit dem gesellschaftlichen Diskurs über das TV-Medium stehen. Dies erfolgt entgegen pauschalen Verurteilungen, die dem Musikvideo in der Vergangenheit jegliche Möglichkeit einer Reflexion abgesprochen haben. Zum anderen soll über die Analyse ausgewählter Songs und Clips Aufschluss darüber erlangt werden, ob die Bedeutungen, welche Sänger und Bands sowie Regisseure dem Fernsehen zuschreiben, auch auf das Medium Musikvideo verweisen. Es gilt zu erforschen, inwiefern die Medienreflexion durch das sich kontinuierlich wandelnde Verhältnis zwischen Musikvideo und Fernsehen mitbestimmt wird. So liegt die Vermutung nahe, dass sich im Verlauf der Zeit einzelne Varianten der intermedialen Bezugnahme auf das Fernsehen durchgesetzt haben, die unter anderem solche medienkulturellen Veränderungen in den Blick nehmen, von denen das Musikvideo selbst betroffen ist. Die Arbeit geht dem umrissenen Erkenntnisinteresse in drei separaten Untersuchungsteilen nach. Im ersten Teil sollen die für eine Analyse von intermedialen Verweisen einzelner Clips wesentlichen Forschungsbereiche, in denen das Musikvideo bisher verhandelt worden ist, beleuchtet werden. Dies geschieht aus zwei Richtungen: Damit die Veränderungen der Beziehung zwischen dem Musikvideo und seinen umgebenden Medien bestimmt werden können, ist zunächst nachzuvollziehen, wie sich die im Fernsehen zum kommerziell erfolgreichen Produkt populärkultureller Unterhaltung aufgestiegenen Clips und ihre Vorläufer historisch entwickelt haben. Um den Blick für die spätere Analyse zu schärfen, gilt es außerdem, nach den medialen
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Charakteristika zu fragen, die in der Bedeutungsproduktion des Musikvideos relevant werden. Zum einen liegt der Schwerpunkt auf den ästhetischen Besonderheiten des Untersuchungsgegenstandes im Sinne eines Konstrukts aus Song und Clip. Zum anderen werden Befunde von Autoren zusammengefasst und diskutiert, die bestreiten, dass das Musikvideo eine kritische Haltung aufweist, weil es auf der Bildebene in einem großen Umfang fremde Inhalte kombiniert, oder das Medium als eine kulturindustrielle Massenware ansehen, die das Publikum zu unterhalten versucht, ohne über gesellschaftliche Sachverhalte aufzuklären. Im zweiten Untersuchungsteil erfolgt die theoretische Fundierung der Medienreflexion im Musikvideo. Die Suche nach einem Modell des Nachdenkens von Medien über Medien führt zu einem systemtheoretischen Ansatz, der Medien und intermediale Beziehungen nicht anhand vermeintlich eindeutiger Merkmale festlegt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass Medien unterschiedliche Vorstellungen von anderen Medien hervorbringen, während sie diese kontinuierlich beobachten und von ihnen beobachtet werden. Das Musikvideo ist demnach als ein neben anderen Medien bestehender Baustein des Mediendiskurses zu verstehen. Es richtet den Blick auf seine sich verändernde mediale Umwelt und vermittelt über Song und Clip ein eigenes Bild vom Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des Fernsehens. Um die Ergebnisse der anstehenden Untersuchung einordnen zu können, sollen ferner Erkenntnisse aufgearbeitet werden, die sich auf die Struktur und den Verlauf von Mediendiskursen und auf die filmische Repräsentation des Fernsehens beziehen. Ein Exkurs befasst sich mit den Möglichkeiten des Musikvideos, die ästhetische Illusion des eigenen Werks aufzulösen. Studien zum Film, der seit seiner Entstehung nicht nur immer wieder den Aufführungsort Kino thematisiert, sondern mit vielfältigen künstlerischen Intentionen auch bewusst werden lässt, dass es sich bei seinen Geschichten um mediale Inszenierungen handelt, bieten eine Vergleichsgrundlage. Filmische Darstellungen fungieren als wichtige Inspirationsquelle für Regisseure, die den medienspezifischen Konstruktcharakter ihrer Clips offenlegen. Das Anliegen des Exkurses ist es, zu ergründen, inwiefern Verfahren, die auf den fiktionalen Status des eigenen Werks referieren, unabhängig von einer umfassenden Fernsehreflexion eingesetzt werden und subversive Kräfte entfalten können. Den Hauptteil der Arbeit bildet der dritte Untersuchungsteil. Er besteht aus zwei Kapiteln, die aus getrennten Perspektiven die Inszenierung des Fernsehens im Musikvideo analysieren. Ausgehend von der Annahme, dass man die Vielfalt der intermedialen Bezugnahmen vernachlässigen würde, wenn der Fokus auf den kreativen Leistungen einzelner Künstler beziehungsweise Vertreter bestimmter musikalischer Genres läge, werden Clips aus dem Werk verschiedener Regisseure sowie Sänger und Bands berücksichtigt. In einem ersten Schritt ist zu erörtern, in welchen Ausdrucksformen sich visuelle Reflexionen des Fernsehens artikulieren. Damit ist das Ziel benannt, die gestalterischen Verfahren aufzuschlüsseln, mit denen das Musikvideo auf das von ihm unterscheidbare Distributionsmedium verweist, und aufzuzeigen, welche
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dramaturgische Bedeutung diese Verfahren in einem Clip haben. Die Analyse erfolgt anhand einer Unterscheidung, die zum einen die Darstellung des TV-Apparates innerhalb einer sich ausdifferenzierenden Bildschirmkultur und zum anderen die ästhetische Nachahmung des Fernsehbildes in den Fokus rückt. Nachdem die visuellen Strategien der intermedialen Bezugnahme herausgearbeitet worden sind, sieht der zweite Schritt vor, genauer zu erforschen, wie das Musikvideo mithilfe von verschiedenen Bezugnahmen im Rahmen des Mediendiskurses agiert. Es soll drei Blickrichtungen nachgegangen werden, aus denen Songs und Clips das Fernsehen zum Gegenstand des Nachdenkens über das Programm, einzelne Gestaltungsprinzipien und mediale Nutzungs- sowie Wirkungsweisen machen. Neben kulturkritischen Vorwürfen finden sich parodistische Umsetzungen von TV-Gattungen und eine bisweilen nostalgisch verklärte Rückschau auf Musikvideo und Fernsehen. Der Untersuchungsteil wird von einer übergreifenden Perspektive begleitet, unter der die Analyse die Folgen des Medienwandels betrachtet. So ist zu klären, inwiefern auch die zunehmende gesellschaftliche Verbreitung von digitalen Kommunikationstechnologien ihren Widerhall in den Arbeiten von Sängern und Bands sowie Regisseuren findet und der Übergang vom Fernseh- zum Internetphänomen, den das Musikvideo vollzieht, die eigene Medienreflexion prägt. Das abschließende Kapitel nimmt eine Schlussbetrachtung vor. Es fasst die zentralen Befunde der Arbeit zur Bedeutungskonstruktion des Fernsehens im Musikvideo zusammen und ordnet das in den Bezugnahmen zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen den beiden Medien theoretisch ein.
Teil I:
Untersuchungsgegenstand Musikvideo
Führt man eine systematische Analyse der Fernsehreflexion im Musikvideo durch, so gilt es zunächst, den historischen Entstehungskontext und die Darstellungsmittel des Mediums zu erschließen, welche sich auf die Verwendung bestimmter Bildstrategien und Perspektiven der intermedialen Bezugnahme auswirken. Dieses Vorgehen beruht auf Überlegungen von Joseph Garncarz, der sich in seiner Forschung zum Verhältnis von Varietétheater und frühem Kino dafür ausspricht, „das Konzept [der Intermedialität, S.R.] so offen zu gestalten, daß es den Möglichkeiten, wie unterschiedliche Medien miteinander interagieren können, gerecht wird.“1 Auch wenn im Mittelpunkt der Arbeit ein spezifischer Ansatz zur Untersuchung der Medienreflexion steht, soll der Annahme des Medienwissenschaftlers gefolgt werden, dass aus dem Kontext der Produktion, Distribution und Rezeption eines Mediums Erklärungen für die intermedialen Bezugnahmen, welche einzelne Produkte dieses Mediums aufweisen, abzuleiten seien.2 Der sich anschließende Untersuchungsteil rekapituliert daher den bisherigen Forschungsstand zur Geschichte audiovisueller Clips (Kapitel 2). Dies erlaubt es, das Musikvideo als ein Medium zu betrachten, das zwar bis in die Gegenwart den popkulturellen Alltag zahlreicher Menschen prägt und eine anhaltende akademische sowie journalistische Beachtung erfährt, allerdings einem Wandel unterliegt. Schließlich „versuchten Menschen [schon] [immer], Musik und Bilder, Ton und Farbe miteinander zu verbinden“, weshalb der kommerzielle Clip „[sich] [i]n dieser kulturhistorischen Tradition [...] aus dem komplexen Zusammenspiel sowohl ästhetischer und technischer als auch musikalischer und ökonomischer Entwicklungen [formiert].“3 1
Joseph Garncarz: Vom Varieté zum Kino. Ein Plädoyer für ein erweitertes Konzept der Intermedialität. In: Jörg Helbig (Hg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 244-256, S. 244.
2 3
Vgl. ebd. Matthias Kurp/Claudia Hauschild/Klemens Wiese: Musikfernsehen in Deutschland. Politische, soziologische und medienökonomische Aspekte. Wiesbaden 2002, S. 9.
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Nach den medienhistorischen Ausführungen liegt der Fokus des Untersuchungsteils auf dem spezifischen Ausdrucksvermögen des Forschungsgegenstandes (Kapitel 3). Um einzelne Charakteristika der Bedeutungsproduktion mit Blick auf die Gestaltung einer Medienreflexion zu erörtern, soll dem wissenschaftlichen Diskurs nachgegangen werden, der in der Vergangenheit vielfältige Einschätzungen und Bewertungen der Bilderwelt von kommerziellen Clips hervorgebracht hat.
2. Medienhistorische Entwicklung
Versucht man den Untersuchungsgegenstand Musikvideo von anderen Medien abzugrenzen, fällt schnell auf, dass keine Klarheit darüber besteht, anhand welcher Merkmale diese Differenzierung erfolgen soll. Kommerzielle Clips, die gegenwärtig für einen neuen Song produziert werden, zeichnen sich durch Eigenschaften aus, die Parallelen zu anderen medienkulturellen Erscheinungen aufweisen. Sie sind „der RaffZahn der modernen Kultur“1, so Wolfgang Preikschat, „narzißtischer Starkult, Produktwerbung mit moralischem Zeigefinger, Modeinformation, Comic Strip, ein wenig Film, ein wenig Oper, ein wenig Ballett.“2 Die sich andeutende Vielfalt ästhetischer Einflüsse erwächst nicht zuletzt aus dem Umstand, dass das heute vor allem auf Online-Portalen zirkulierende Musikvideo über eine Reihe von Vorläufern verfügt. Eine Gemeinsamkeit dieser historisch interessanten Medienangebote, welche sich in verschiedenen kommunikativen Zusammenhängen bewegen, liegt darin, dass sie vorhandene Songs auf unterschiedliche Weise mit bewegten Bildern in Verbindung bringen. Eine genealogische Sicht auf das Musikvideo kann Aufschluss über die Entstehungsbedingungen des Untersuchungsgegenstandes und damit über die Dynamik des medienkulturellen Kontextes geben, in dem Reflexionen von Medien zu beobachten sind (Kapitel 2.1).3 Unter dieser Perspektive lässt sich erkennen, dass die Geschichte 1
Wolfgang Preikschat: Video. Die Poesie der Neuen Medien. Weinheim/Basel 1987, S. 152.
2
Ebd., S. 153.
3
Das Kapitel folgt dem Konzept der Genealogie, das Michel Foucault aufbauend auf Überlegungen von Friedrich Nietzsche als ein Verfahren bestimmt hat, das „nicht in die Vergangenheit zurück[geht], um eine große Kontinuität jenseits der Zerstreuung des Vergessenen zu errichten“, sondern vielmehr historisch wirkmächtige, gemeinhin jedoch unberücksichtigt bleibende Begebenheiten erfasst, also „die Zwischenfälle, die winzigen Abweichungen oder auch die totalen Umschwünge, die Irrtümer, die Schätzungsfehler, die falschen Rechnungen, die das entstehen ließen, was existiert und für uns Wert hat.“ Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie [Nietzsche, la généalogie, l’histoire 1971]. In: Alfredo Guzzoni (Hg.): 90 Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption. Königstein i.Ts. 1979, S. 108-125, S. 112.
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audiovisueller Clips eine Geschichte aufeinander aufbauender, allerdings auch voneinander unabhängig verlaufender medialer Entwicklungen ist. Erst nach der Gründung des Fernsehsenders MTV stieg das Musikvideo zu einem bedeutsamen Werbemittel der Tonträgerindustrie auf, das mit seiner Verbreitung im Internet einen weiteren Wandel erlebt (Kapitel 2.2).
2.1 V ORGESCHICHTE
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Orientiert man sich in der Ahnenforschung zum Musikvideo zunächst an der Eigenschaft des Mediums, eine visuelle und eine auditive Ebene zu kombinieren, führt die Spur weit in die Vergangenheit. Wie William Moritz schildert, sehnten sich bereits Philosophen der griechischen Antike wie Pythagoras und Aristoteles danach, „eine Farbmusik für das Auge zu schaffen, die der tonalen Musik für das Ohr entspricht [...].“4 Der Filmhistoriker entdeckt in den erhaltenen Werken verschiedener medialer Gestalt frühe Versuche, Klangfolgen in einem Bild zum Ausdruck zu bringen, und erläutert, dass „[a]uch künstlerische Darstellungen von Tanzszenen [...] keinen Zweifel daran [lassen], daß der Sinn von Kostümierungen, Aufmärschen und choreographischen Arrangements darin bestand, akustische Darbietungen zu illustrieren.“5 Die Methoden der ästhetischen Verschmelzung von visuellen Eindrücken mit einem öffentlich vorgetragenen musikalischen Stück wurden im Verlauf der Zeit mithilfe unterschiedlicher technologischer Erfindungen der Farbprojektion erkundet, wie Moritz zusammenfasst.6 Sie erweiterten die Möglichkeiten des Rezipienten, ein Lied sinnlich zu erfahren, und entwickelten sich im Zuge neuer Medien und Verfahren der Visualisierung in den folgenden Jahrhunderten fort. Bei der Gleichzeitigkeit von Bild und Ton handelt es sich allerdings nur um eines von mehreren Definitionsmerkmalen des Untersuchungsgegenstandes Musikvideo, wie Henry Keazor und Thorsten Wübbena in Bezug auf die Beobachtungen von Moritz konstatieren.7 Die beiden Autoren betonen, dass das Kriterium der ästhetischen Zusammenführung eines Songs und eines mit den Augen wahrnehmbaren Geschehens auch auf Konzerte und andere Aufführungen zutreffe, während der Clip eines Stars nicht mit einer Live-Situation identisch sei und im Gegensatz zur dokumentarischen Aufnahme einer Darbietung bearbeitet werde, daher Abweichungen zwischen den Ebenen Bild und Ton aufweisen könne (Kapitel 3.1).8 Das Aufkommen des Films 4
William Moritz: Der Traum von der Farbmusik. In: Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln 1987, S. 17-52, S. 17.
5
Ebd.
6
Vgl. ebd., S. 21ff.
7
Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 59f.
8
Vgl. ebd., S. 60.
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markierte laut Keazor und Wübbena schließlich einen Einschnitt in der Geschichte der Medienkultur und schuf eine wichtige Grundlage für die Entstehung des Musikvideos.9 Seit den 1920er Jahren kreierten Künstler wie Walter Ruttmann, Hans Richter, Oskar Fischinger und Viking Eggeling synästhetische Werke, indem sie musikalische Kompositionen in Bewegungen ungegenständlicher Formen wie Linien, Flächen und Ornamentstrukturen übertrugen.10 Die Konstruktion eines audiovisuellen Erlebnisses erfreute sich nicht nur bei Vertretern des abstrakten Films, sondern auch bei Regisseuren der Kinoindustrie zunehmender Beliebtheit.11 Dass das kommerzielle Musikvideo der Gegenwart seine Inspiration zu einem beträchtlichen Teil aus der medialen Vergangenheit zieht, bestätigt unter anderem ein Blick auf die Zeichentrickabenteuer von Cartoonisten wie Max und Dave Fleischer und die Hollywood-Musicals von Busby Berkeley, der Darsteller in aufwendig gestalteten Kulissen tanzen und als Gruppe gemeinsam geometrische Arrangements formen ließ.12 Wenngleich zwischen solchen und anderen Werken aus den Jahren nach der Hochzeit des Stummfilms und den auf MTV laufenden Clips „keine entwicklungslogische Linie“ besteht, lieferten die künstlerischen Umsetzungen von Klangfolgen in Filmen „eine Stafette von gewissermaßen ästhetischen und technischen Erbinformationen, die vielfach vermittelt und angereichert zu einem Repertoire von Mitteln führt, auf die Musikvideo-Regisseure selbstverständlich zurückgreifen.“13 Die kreative Verknüpfung von Musikstücken und Bewegtbildern blieb nicht auf eine bestimmte Epoche der Kinogeschichte beschränkt. Sie bietet eine häufig genutzte Möglichkeit, das Publikum im Lichtspielhaus zu unterhalten und gleichzeitig für den neuen Song eines Interpreten zu werben. Mit dem Beginn des Rock ’n’ Roll entstand eine Reihe von Spielfilmen, deren Erzählungen Darbietungen bekannter Stars wie Bill Haley, Chuck Berry, Chubby Checker, Elvis Presley und Little Richard enthalten.14 In einigen Fällen ging aus den seit den 1950er Jahren bestehenden Verflechtungen von Kino- und Tonträgerindustrie die Strategie hervor, dem Publikum durch Auftritte von Musikern im Rahmen der Handlung ein vollständiges Album vorzustellen.15 Bis heute sind es Werke verschiedener Genres, die sich an der Vermarktung von 9 10
Vgl. ebd. Vgl. Peter Weibel: Von der visuellen Musik zum Musikvideo. In: Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln 1987, S. 53-164, S. 74ff.
11
Vgl. ebd., S. 128.
12
Vgl. ebd., S. 128ff.
13
Gehr: The Gift of Sound & Vision, S. 15.
14
Vgl. William D. Romanowski/R. Serge Denisoff: Money for Nothin’ and the Charts for Free: Rock and the Movies. In: The Journal of Popular Culture 21 (1987), H. 3, S. 63-78, S. 63ff.
15
Vgl. ebd., S. 67f.
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aktuellen Popsongs beteiligen. Sie illustrieren das Thema des in der Geschichte präsentierten Titels und laden diesen durch das Schauspiel der Protagonisten mit zusätzlichen Bedeutungen auf. So beruhte etwa der Erfolg von Klassikern wie SATURDAY NIGHT FEVER (1977) in der Goldenen Ära der Disco-Musik unter anderem auf mehrere Wochen vor dem Kinostart herausgebrachten Soundtracks; für den Film GREASE (1978) sang das Duo John Travolta und Olivia Newton-John persönlich und stürmte schließlich sowohl die Kino- als auch die Tonträgercharts.16 Selbst nach der Etablierung des Musikfernsehens in den 1980er Jahren erhielten einige der für das Kino produzierten Tanzfilme mit ihren „MTV-reminiscent visuals“17, beispielsweise die Romanze DIRTY DANCING (1987), einen großen Zuspruch bei Teenagern, die ihr eigenes Verhalten häufig an dem der Darsteller ausrichteten, so Hans-Peter Rodenberg.18 „Die in den Filmen angebotenen sozialen und emotionalen Konfliktlösungen“, resümiert der Amerikanist, „schienen insbesondere in Bezug auf sozialen Aufstieg und Attraktivität für das andere Geschlecht direkt in den Alltag der Zuschauer übertragbar zu sein.“19 Sucht man nach den Vorläufern des Musikvideos vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Werke des Mediums in der Regel nur einen einzelnen Song bewerben und daher von relativ kurzer Dauer sind, geraten weitere mediale Technologien und kulturelle Entwicklungen in den Blick. In den 1940er Jahren waren es Soundies, die sich über Jukeboxen an öffentlichen Orten, vor allem in US-amerikanischen Nachtclubs, Bars und Restaurants, betrachten ließen und Aufführungen von Stars aus dem Showgeschäft, aber auch Filmausschnitte, Cartoons und Nachrichten zeigten.20 Obwohl damit ein reizvolles Unterhaltungsangebot für Musikliebhaber entstand, blieb den Kurzfilmen lediglich ein vorübergehender wirtschaftlicher Boom beschieden: „Der Grund für die kurze Zeit der Soundies (nur ca. sechs Jahre) könnte technischer Natur sein, nämlich die Unhandlichkeit der Geräte und der nur 20 inch (ca. 51 cm) kleine Bildschirm. Ein wichtigerer Grund liegt aber wohl in der damals in Amerika zunehmenden Verbreitung des Fernsehens, das eine bequemere Gelegenheit bot, Musikdarbietungen zu sehen.“21 16
Vgl. Hans-Peter Rodenberg: Dirty Dancing – Kult für die Massen? Vom Tanzfilm zum Musikvideo. In: Helmut Rösing (Hg.): Step across the border. Neue musikalische Trends – neue massenmediale Kontexte. Karben 1997, S. 174-183, S. 175.
17
Kelly Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical: Music, Masculinity, and Mayhem. Basingstoke/New York 2010, S. 171.
18
Vgl. Rodenberg: Dirty Dancing – Kult für die Massen?, S. 176f.
19
Ebd., S. 177.
20
Vgl. Günther Rötter: Videoclips und Visualisierung von E-Musik. In: Josef Kloppenburg (Hg.): Musik multimedial. Filmmusik, Videoclip, Fernsehen. Laaber 2000, S. 259-294, S. 261.
21
Ebd., S. 262f.
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Der Umstand, dass das Format der verwendeten Projektorspulen dem Nutzer nach dem Münzeinwurf keine Selektion einzelner Titel erlaubte, die Aktualität der verfügbaren Filme eingeschränkt blieb und in der Zeit von Swing und Big-Band Jukeboxen, die ausschließlich Musik anboten und zum Tanzen einluden, größeren Anklang fanden, beschleunigte den Niedergang des Soundies.22 In den 1960er Jahren erlebte das Medium eine Neuauflage, verbunden mit einigen ästhetischen Veränderungen. Automaten, die in Frankreich unter der Bezeichnung ‚Scopitones‘ entwickelt wurden, präsentierten musikalische und tänzerische Performances populärer Sänger und Bands.23 Obwohl sich im Vergleich zum technischen Standard des Soundies die Klangqualität durch den Einsatz einer Magnettonspur verbessert hatte, Titel gezielt ausgewählt werden konnten und die Visualisierung der Songs farbig war, endete auch diese Geschichte mit dem Erfolg des TV-Mediums.24 Das Fernsehen schuf in dieser Zeit einen eigenen Rahmen, in dem Solokünstler und Gruppen mit denkwürdigen Auftritten ihren Durchbruch im Showgeschäft feierten. Auch wenn auf Darbietungen von Popsongs spezialisierte Sendungen wie YOUR HIT PARADE (1950-1959) und AMERICAN BANDSTAND (1952-1989) breite Zuschauerkreise begeisterten und eine Konkurrenz für Filmjukeboxen bildeten, begleiteten vorwiegend finanziell begründete Vorbehalte der Interpreten die Etablierung von Musik im Fernsehprogramm.25 So waren mehrere Stars mit der Wiedergabe des Tons unzufrieden; darüber hinaus nahmen sie Anstoß an den Vorgaben, die ihnen einzelne Sender für eine Performance auf der Studiobühne auferlegten, verdienten im Vergleich zum Auftritt im Fernsehen weiterhin mehr Geld durch eine Tournee und fürchteten, dass TV-Zuschauer ihr Interesse verlieren würden, Tickets für ein Konzert zu kaufen.26 Die visuelle Gestaltung solcher Formate reichte nicht an die Aufmachung von Clips späterer Jahrzehnte heran. Die Inszenierung früher TV-Auftritte unterscheidet sich von der heutiger Musikvideos dadurch, dass die durchweg schwarz-weißen Bilder mit wenigen Kameras entstanden, über eine geringe Schnittfrequenz und Dynamik verfügten, im Kontext einer Live-Show standen und Interpreten zeigten, die nicht mit den Musikern identisch waren, die die dargebotenen Lieder im Original sangen.27 22
Vgl. Jack Banks: Monopoly Television: MTV’s Quest to Control the Music. Boulder, Colorado/Oxford 1996, S. 24.
23
Vgl. Amy Herzog: Illustrating Music: The Impossible Embodiments of the Jukebox Film. In: Roger Beebe/Jason Middleton (Hg.): Medium Cool: Music Videos from Soundies to Cellphones. Durham, North Carolina/London 2007, S. 30-58, S. 44ff.
24
Vgl. 46f.
25
Vgl. Banks: Monopoly Television, S. 26f.
26
Vgl. ebd., S. 27.
27
Vgl. Heather McIntosh: Music Video Forerunners in Early Television Programming: A Look at WCPO-TV’s Innovations and Contributions in the 1950s. In: Popular Music and Society 27 (2004), H. 3, S. 259-272, S. 269.
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Gemeinsamkeiten lassen sich unter anderem im Einsatz von Pantomime sowie Playback und in der Herstellung eines zumindest geringen narrativen Zusammenhangs der Bilder ausmachen.28 Eine Reihe weiterer medialer Entwicklungen, die dem Musikvideo zeitlich vorausgingen, haben eigene stilistische Konzepte der Kombination von Bild und Ton hervorgebracht, so etwa Trailer von Kinofilmen, die nicht selten mit aktueller Popmusik unterlegt sind, ohne den Interpreten des verwendeten Songs in Szene zu setzen. Daneben lassen sich auch Werke der Videokunst anführen, deren Techniken und Strategien der Inszenierung in der Gestaltung heutiger Clips erhalten bleiben und modifiziert werden. Die künstlerische Strömung nahm ihren Anfang in den 1960er Jahren. Ihre Aufmerksamkeit galt den neuen Produktions- und Wahrnehmungsbedingungen des Mediums Video. Holly Rogers weist darauf hin, dass die magnetische Technologie eine unmittelbare Übertragung von elektronischen Signalen ohne einen fotochemischen Prozess gestatte und damit eher der Aufnahme und Wiedergabe von Ton als dem Film gleiche.29 Die Zusammenführung von Bewegtbildern und Musik habe Vertreter verschiedener künstlerischer Bereiche fasziniert: „[F]irst, composers were able to visualize their sounds; and, secondly, artists were able more easily to sound their visual work.“30 An die Medientechnologie, welche im Alltag zunehmend Verbreitung fand, knüpften sich unterschiedliche gestalterische Ziele. Zum einen ermöglichte das Aufkommen von portablen Videokameras eine individuelle Herstellung von Bildern jenseits des massenmedialen TV-Programms, zum anderen hinterfragten Künstler mit ihren für das Fernsehen angefertigten Werken und Installationen sowie Performances, in die die technische Apparatur des Bildschirms Eingang fand, ein elitäres Verständnis von Kunst und thematisierten den Status der Television als Teil einer kapitalistischen Gesellschaft.31 Die Verwandtschaft zwischen der Videokunst und dem Musikvideo in gestalterischer und medienreflexiver Hinsicht kann exemplarisch anhand des Œuvres von Nam June Paik erschlossen werden. Der Mitbegründer und sicherlich prominenteste Vertreter der Strömung befasste sich laut John G. Hanhardt zunächst mit dem Klavier als Zeichen der westlichen Kultur und des bürgerlichen Lebens, bis sein Interesse zunehmend dem Medium Fernsehen galt.32 Paik kaufte 1965 eine der ersten auf dem Markt erhältlichen tragbaren Videokameras, nachdem im selben Jahr Andy Warhol die neue 28
Vgl. ebd., S. 270.
29
Vgl. Holly Rogers: The Unification of the Senses: Intermediality in Video Art-Music. In: Journal of the Royal Musical Association 136 (2011), H. 2, S. 399-428, S. 407.
30 31
Ebd., S. 417. Vgl. John G. Hanhardt: Dé-collage/Collage: Notes toward a Reexamination of the Origins of Video Art. In: Doug Hall/Sally J. Fifer (Hg.): Illuminating Video: An Essential Guide to Video Art. New York 1990, S. 71-80, S. 71f.
32
Vgl. ebd., S. 74f.
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Technologie verwendet hatte, um eigene Bänder zu drehen und der Öffentlichkeit in einem Double-Screen-Film vorzuführen.33 Das Werk von Paik ist ebenso vielschichtig wie einflussreich in der Auseinandersetzung mit dem TV-Medium. Mit seinen Arbeiten bewegt sich der Video-Pionier laut Yvonne Spielmann zwischen den beiden Hauptsträngen der Kunstrichtung, einer medienpolitischen Position, die nach einem alternativen Fernsehen strebt, zum Teil auch mit Sendern kooperiert, und einer Position, die experimentelle Performances und Aktionen einschließt, welche vor allem in Galerien und Museen rezipiert werden.34 Ähnlichkeiten zum Umgang mit Bild und Ton in der industriellen Clip-Produktion offenbart vor allem die gemeinsam von Paik und John Godfrey angefertigte Arbeit GLOBAL GROOVE (1973). Ein Erzähler beschreibt am Anfang des Videos eine Zukunft, in der das Fernsehpublikum die Möglichkeit hat, TV-Programme zahlreicher Länder einzuschalten. Es handelt sich um einen Prolog, der von der „Vision eines weltweiten Channel-Zapping“ getragen ist; GLOBAL GROOVE „liefert das Lebensgefühl zur Theorie Marshall McLuhans vom kommenden ‚global village‘, der weltweiten Kommunikation im ‚globalen Dorf‘.“35 Das Werk weist eine abwechslungsreiche Bilderwelt auf. Es entstand unter Verwendung eines Videosynthesizers und verknüpft Ansichten von tanzenden Figuren, die in abstrakte Farbkompositionen überführt werden. Zu hören ist das von Mitch Ryder & The Detroit Wheels stammende Medley der Songs DEVIL WITH A BLUE DRESS ON und GOOD GOLLY, MISS MOLLY aus dem Jahr 1966. Durch die Einbindung von Popmusik erinnern die Darstellungen an Werbeaufnahmen. Hinzu kommen Motive fremder Quellen, die in das Video integriert werden und auf den Gebrauch von intermedialen Bezugnahmen in heutigen Clips verweisen: „Der typische Paik-Mix enthält Zitate aus TV-Sendungen, Künstlerfreunde wie John Cage, Allen Ginsberg, Charlotte Moorman, Karlheinz Stockhausen, Material anderer Videokünstler wie Jud Yalkut, Robert Breer und Zitate aus eigenen älteren Videos. Die Mischung von Massenmedien und Avantgarde soll sowohl das Kunstpublikum wie den ‚normalen‘ Fernsehzuschauer ansprechen.“36
Auch wenn die intensive Auseinandersetzung der Videokunst mit dem Fernsehen in einem Spiel mit medienästhetischen Erfahrungen zum Ausdruck kommt, das im Musikvideo aufgegriffen wird, haben sich Clips als Mittel der Vermarktung neuer Songs in Form eines Segments des TV-Programms durchgesetzt. So entschieden sich mehrere Sänger und Bands im Verlauf der Zeit gegen eine konventionelle Darbietung im 33
Vgl. Yvonne Spielmann: Video. Das reflexive Medium. Frankfurt a.M. 2005, S. 129.
34
Vgl. ebd., S. 191.
35
Dieter Daniels/Rudolf Frieling/Heike Helfert: Nam June Paik „Global Groove“. In: Medien Kunst Netz, URL: http://www.medienkunstnetz.de/werke/global-grove (01.06.2018).
36
Ebd.
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Fernsehen, ohne auf den Werbeeffekt zu verzichten, den ein Star durch die Verbreitung von eigenen Bildern über einen massenmedialen Kanal erzielt. Vor allem die Beatles gingen dazu über, einzelne Promotionfilme, in denen sie ihre Songs visuell interpretierten, TV-Sendern anzubieten, denn seitdem die Band zur Herstellung ihrer Musik auf eine komplexe Tonstudiotechnik zurückgriff, war es schwierig, Lieder auf öffentlichen Bühnen so zu spielen, dass der Klang der dem Hörer vertrauten SingleVersion entsprach.37 Die von Peter Goldmann inszenierten und schließlich in der britischen Show TOP OF THE POPS (1964-2006) gesendeten Clips zu den beiden Titeln STRAWBERRY FIELDS FOREVER (1967) und PENNY LANE (1967) bildeten laut Georg Maas zwar eher „ein experimentelles Einzelwerk auch innerhalb des Filmschaffens der vier Liverpooler“ als „eine Initialzündung“38, es handelt sich allerdings um Arbeiten, die die Musik auf eine innovative Weise in einen narrativen Rahmen einbetten und denen nur wenig später Werbeaufnahmen anderer Interpreten folgten: „Between 1968 and 1970, the musical promotional film came into being in a form similar to the contemporary music video, with the Doors, the Animals, the Byrds, and others making mostly utilitarian clips that chose not to engage, as the Beatles had, with the artistic potentialities of the form.“39
Aufgrund der thematischen und stilistischen Vielfalt von Promotionfilmen und ihrer zahlreichen Vorläufer in der Mediengeschichte bleibt die Suche nach einer eindeutigen Geburtsstunde des Musikvideos vergeblich.40 Ein Werk, das im Hinblick auf seine für damalige Verhältnisse ausgefallene und opulente Inszenierung in historischen Forschungsbeiträgen nur selten unerwähnt bleibt, ist die von Bruce Gowers für die Rock-Band Queen angefertigte Arbeit BOHEMIAN RHAPSODY (1975).41 Folgt man den Ausführungen von Herbert Gehr, so ließ sich nach der Veröffentlichung des Musikvideos der kommerzielle Nutzen der Clip-Produktion für die Tonträgerindustrie nicht mehr leugnen, denn in Begleitung der Bilder hat sich das Lied als ein Charterfolg erwiesen, obwohl es wegen seiner Länge im Radio kaum gespielt worden ist.42 Die Gewissheit, dass sich die Verbindung von Song und Clip einer großen Beliebtheit bei TV-Zuschauern erfreute, führte zur Konzeption neuer Formate mit eigenen Musikprogrammen. Nach wenigen Jahren spielten die emotional aufregenden, nicht selten 37
Vgl. Georg Maas: Videoclips. Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend? In: Musik und Unterricht 9 (1998), H. 51, S. 5-12, S. 6.
38
Ebd.
39
Saul Austerlitz: Money for Nothing: A History of the Music Video from the Beatles to the White Stripes. New York/London 2007, S. 19f.
40
Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 59.
41
Vgl. ebd.
42
Vgl. Gehr: The Gift of Sound & Vision, S. 18.
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humorvollen, politischen oder visuell spektakulären Werbeaufnahmen eine zentrale Rolle hinsichtlich der individuellen Erfahrung von und der wissenschaftlichen sowie journalistischen Beschäftigung mit Musik im Fernsehen. Der unmittelbare Ausgangspunkt für den enormen Popularitätsgewinn der heute in erster Linie über Online-Portale rezipierten Clips war schließlich die Einrichtung des Senders MTV.
2.2 V ON MTV
ZUM I NTERNET
Mit der Gründung von MTV war es dem Fernsehpublikum erstmals möglich, einen Kanal einzuschalten, der fast ausschließlich Werbeclips aktueller Sänger und Bands präsentierte. Der Start des 24-stündigen Programms erfolgte am 1. August 1981 und schuf die Grundlage für den Wandel des Musikvideos zu einem Produkt der Unterhaltungsindustrie, das von Plattenfirmen strategisch genutzt, von vielen Pop-Konsumenten geschätzt und von Kulturkritikern verachtet wurde. Als Marketinginstrument zielt ein Clip darauf ab, das Interesse für ein auf den Markt gebrachtes Lied zu wecken und den meist in den Bildern dargestellten Interpreten mit bestimmten Attributen zu verknüpfen. MTV setzte sich als wichtigster Verbreitungskanal des Werbemittels durch; bereits drei Jahre nach dem Beginn des Programms verfügten drei Viertel der Chartplatzierungen über einen eigenen Clip.43 Der Aufstieg des Senders hängt mit umfassenden Veränderungen im Mediensystem zusammen, denn die Erweiterung des Kabel- und Satellitenfernsehens in den USA Ende der 1970er Jahre brachte eine Vielzahl von Spartenkanälen hervor, die zum einen ein spezialisiertes Programm ausstrahlen (narrowcasting) und zum anderen ein weltweites Publikum adressieren (globalcasting).44 Der in New York beheimatete Musiksender MTV entstand in dieser Zeit. Als treibende Kraft hinter seiner Inbetriebnahme fungierte demnach nicht die Tonträgerindustrie, sondern die Fernsehindustrie.45 MTV entwickelte ein hochwertiges Programm, ohne die umfangreichen Kosten für die Produktion übernehmen zu müssen, denn Plattenfirmen stellten ihre Clips bereitwillig zur Verfügung, um sie der Medienöffentlichkeit zugänglich zu machen.46 Es war John A. Lack, der Leiter der Warner-Amex Satellite Entertainment Company, welcher Robert Pittman mit dem Projekt eines eigenen, auf die jugendliche 43
Vgl. Klaus Theweleit: Zur Frühgeschichte des Videoclips. Bemerkungen zu den Zeitrechnungen Andy Warhols und Jean-Luc Godards. In: Ulf Poschardt (Hg.): Video – 25 Jahre Videoästhetik. Ostfildern 2003, S. 47-69, S. 48.
44
Vgl. Axel Schmidt: Sound and Vision go MTV. Die Geschichte des Musiksenders bis heute. In: Klaus Neumann-Braun (Hg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen. Frankfurt a.M. 1999, S. 93-131, S. 96.
45
Vgl. ebd., S. 97.
46
Vgl. ebd.
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Zielgruppe zugeschnittenen Musiksenders betraute.47 Wie Pittman in einem Interview zu verstehen gab, hatte er keineswegs die Intention, das Medium Radio seiner für die Musikwirtschaft wichtigen Funktion zu berauben, neue Songs einem breiten Publikum vorzustellen. Wenige Monate vor dem Beginn der Ära des von ihm erdachten Fernsehkanals erklärte der MTV-Verantwortliche zuversichtlich: „It will be as important as radio, but more importantly, we are targetting [sic!] to the record buyer. And we will be putting more of an emphasis on new music than radio does. We will take extra pains, in fact, to sell new music. We will also explain who the new artists [sic!] is. Radio is going through a big problem now because nobody wants to take a shot with new music. But they are all complaining that there is no new good music out there, just the same old artists, and the excitement of music is dying down. What we will do is expose a whole new genre of artists and we will give them familiarity and break them. Radio will then have new artists to draw from. A music radio station will benefit from having this service in their market.“48
Tatsächlich gelang es MTV, eine Reihe von Sängern und Bands, die bislang keine größeren internationalen Erfolge verzeichnen konnten, auf dem Pop-Markt zu etablieren, wie Pittman verkündet hatte. Doch die Werke, welche Eingang in das Programm fanden, wurden selektiert, um in erster Linie die Wünsche und Erwartungen der von den Senderverantwortlichen angestrebten Zielgruppe zu erfüllen. Aus diesem Grund beschränkte sich die Clip-Abfolge zunächst auf die Musik bestimmter Künstler und Stilrichtungen. So legte der Fernsehkanal den Schwerpunkt in seiner Anfangszeit auf einen ‚Album Oriented Rock‘ und berücksichtigte mit dieser Auswahl insbesondere die Vorlieben der ‚Young Urban White Males‘.49 Es handelte sich um Zuschauer, die „das technische Equipment [besaß[en]], MTV zu empfangen, [...] über ausreichende Kaufkraft [verfügte[n]], [...] quantitativ am stärksten vertreten [war[en]] und [...] als Gruppe [galt[en]], die überdurchschnittlich viel für Tonträger und entsprechende Merchandising-Produkte ausgab.“50 Unter einer ökonomischen Perspektive lässt sich eine weitere Bedingung des Erfolges des TV-Senders in den Blick nehmen. Denn dass die Musikwirtschaft in der jüngeren Vergangenheit eine Rezession erlebt hatte, erhöhte die Motivation von Plattenfirmen, Clips für Stars, die bei ihnen unter Vertrag standen, produzieren und im reichweitenstarken Fernsehprogramm ausstrahlen zu lassen.51 Der neu gegründete Sender bildete den „Retter einer angeschlagenen Tonträgerindustrie“ und schließlich „ein Medium, das mit den Tendenzen des 47
Vgl. ebd., S. 101.
48
Robert Pittman, zit. n. R. Serge Denisoff: Inside MTV. 2. Aufl. New Brunswick, New Jersey/London 1989, S. 38.
49
Vgl. Schmidt: Sound and Vision go MTV, S. 103f.
50
Ebd., S. 104.
51
Vgl. ebd., S. 98.
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Strukturwandels innerhalb einer wieder erstarkten Musikindustrie perfekt harmonierte.“52 Die Rettung dauerte mehrere Jahre, in denen das Clip-Programm immer wieder überarbeitet wurde.53 Durch den Abschluss von Exklusivverträgen mit Plattenfirmen, Künstlern und Kabelbetreibern behauptete MTV seine Marktherrschaft und entwickelte sich zur zentralen Kommunikationsplattform für Musik- und Jugendkultur.54 Nur kurze Zeit nach der Gründung des Spartensenders bestand kein Zweifel, dass die zu Vermarktungszwecken produzierten Clips auch in Zukunft den Austausch von Pop-Fans über einzelne Stars und ihre Werke prägen würden. Seitdem aufwendig gestaltete Ansichten des Sängers oder der Band im Fernsehen eine auf dem Markt erscheinende Single begleiten, ist der Stellenwert von körperlicher Attraktivität, Styling und Outfit eines Musikers gestiegen. Selbst wenn man einen Song im Radio hört, werden nicht selten Erinnerungen an die Bilder des Stars geweckt, welche der zugehörige Clip liefert. Die Folgen der visuellen Inszenierung lassen sich unter anderem anhand der Karriere der Band Milli Vanilli belegen. So ersetzte Frank Farian einst im Clip zu einem von ihm produzierten Lied die originalen Sänger durch die Tänzer Robert Pilatus und Fabrice Morvan.55 Dass nicht die beiden tatsächlichen Musiker zu sehen waren, geriet zu einem Skandal, als das lediglich aufgrund seiner Telegenität zusammengestellte Pop-Duo eine Tournee in den USA antrat und während eines Konzerts die Wiedergabe des Playbacks aussetzte.56 Der Clip-Boom steht nicht nur in enger Verbindung mit der Popularität von MTV. Auch andere Sender, die mit einem eigenen ganztägigen Programm ihren Betrieb aufnahmen, erwiesen sich als profitabel. So stehen beispielsweise im Vordergrund von VIVA, einem 1993 gegründeten Fernsehkanal, der „geschickt als Gegenentwurf zu seinem amerikanischen Vorbild MTV positioniert [wurde] [Herv. i.O.]“57, Hits deutscher Sänger und Bands. Aufgrund ihrer individuellen Konzepte der Programmgestaltung entfalteten beide Sender eine starke Anziehungskraft auf ihr Publikum: „MTV und Viva gelingt es [...] durch bewusst inszenierte Zuschauernähe und -bindung, durch einen Stilmix verschiedener musikalischer und nicht-musikalischer Themen sowie ästhetischer Präsentationsflächen die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht aus den Augen zu verlieren und im Gegensatz zu traditionellen Sozialisationsagenturen nicht den Kontakt zu ihnen abreißen zu lassen. Musikfernsehen ist in diesem Sinne als ein alltagsbegleitendes 52
Ebd., S. 99.
53
Vgl. ebd., 107-111.
54
Vgl. ebd., S. 111-116.
55
Vgl. Frank Farian: Gesang der Marionetten. In: Bernhard Pörksen/Wolfgang Krischke (Hg.): Die Casting-Gesellschaft. Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien. Köln 2010, S. 114-125, S. 117f.
56
Vgl. ebd.
57
Kurp/Hauschild/Wiese: Musikfernsehen in Deutschland, S. 142.
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Medium jugendlicher Lebenspraxis anzusehen, das einen wichtigen Teil politischer und gesellschaftlicher Sozialisierung von Jugendlichen vermittelt.“58
Im Zuge des digitalen Medienwandels und der Einrichtung neuer Plattformen im Internet hat sich das Angebot des Musikfernsehens verändert. So ist der Clip eines Stars im 21. Jahrhundert ein Inhalt, der nicht mehr ausschließlich im TV-Programm ausgestrahlt oder auf einem Trägermedium verkauft wird. Stattdessen findet das Musikvideo inzwischen über verschiedene Kanäle Verbreitung. Wie sich dies auf das Unterhaltungsprogramm des Fernsehens auswirkt, lässt eine Analyse von Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun und Ulla Autenrieth erkennen: Die Autoren der Studie gliedern die Inhalte, welche MTV in der Vergangenheit an Werktagen gesendet hat, nach Formattypen und belegen, dass der Musikanteil zwischen Januar 2000 und März 2007 von beinahe 100 auf rund 50 Prozent gesunken ist.59 Nur wenige Jahre später fasste der Fernsehsender den Entschluss, sich des Schriftzugs ‚Music Television‘ zu entledigen, der bis zu diesem Zeitpunkt ein Bestandteil seines Logos gewesen war und die ehemalige Ausrichtung des TV-Programms beschrieben hatte. Schmidt, NeumannBraun und Autenrieth liefern eine soziokulturelle Erklärung für die von ihnen beobachtete Entwicklung: „In dem Maße, in dem Popmusik und Lifestyle ineinander aufgingen und im Zuge dessen identifizierbare und differenzierbare Jugendsubkulturen mehr und mehr durch eine allgemeine jugendkulturelle Orientierung abgelöst wurden resp. in höhere Altersklassen ‚abwanderten‘, ging MTV, um seine jugendliche Zielgruppe (weiterhin) zu erreichen, mehr und mehr dazu über, auf andere Distinktionspotenziale als die (Pop-)Musik (welche heute auch die über 40-Jährigen konsumieren) alleine zu setzen [Herv. i.O.].“60
Den Autoren zufolge lässt sich der Wandel des TV-Kanals insofern auch auf mehrere ökonomische Überlegungen zurückführen, als der Wegfall von Musiksendungen das Ergebnis eines Wechselspiels zwischen attraktiver gewordenen Angeboten im Internet und sinkenden Budgets von Plattenfirmen ist, die ihre Investition in die Produktion von Clips während einer erneuten Krise der Tonträgerindustrie zusätzlich reduzierten, als sich das aus Musikvideos bestehende Fernsehprogramm verringerte.61 Wenngleich das Musikvideo noch immer als ein Werbemittel fungiert, das auch im Programm des linearen Fernsehens zu finden ist, hat sich spätestens seit Mitte der 2000er Jahre mit dem Internet ein neuer wichtiger Produktions-, Distributions- und 58 59
Ebd., S. 210. Vgl. Axel Schmidt/Klaus Neumann-Braun/Ulla Autenrieth: Viva MTV! reloaded. Musikfernsehen und Videoclips crossmedial. Baden-Baden 2009, S. 62.
60
Ebd., S. 60.
61
Vgl. ebd., S. 62f.
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Rezeptionskontext etabliert. Dieser Wandel schlägt sich in verschiedenen Online-Inhalten nieder. So können User auf den Homepages von TV-Sendern sowie Pop-Magazinen und den privaten Webseiten einzelner Stars gegenwärtig nicht nur Interviews mit Sängern, Schauspielern und Regisseuren abrufen und Informationen über aktuelle Konzerte, Albumpläne und laufende Dreharbeiten zu einem Musikvideo erhalten, sondern auch bereits veröffentlichte Clips unterschiedlicher Jahrzehnte auswählen. Während auf MTV zunehmend Comedy-Formate und Doku-Soaps zu sehen sind, erweist sich das Internet als ein umfangreiches Archiv, das es möglich macht, nach einem bestimmten Werk zu suchen. In sozialen Netzwerken wie Facebook und über den Mikroblogging-Service Twitter lassen sich Musikvideos verbreiten und in der OnlineÖffentlichkeit diskutieren. Die in Anlehnung an die Internet Movie Database eingerichtete Internet Music Video Database gibt indes einen nicht vollständigen, aber umfassenden Überblick über die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre mit Details zu den technischen Merkmalen eines Clips, der Zusammensetzung des Produktionsteams und den für das Werk erhaltenen Auszeichnungen.62 Stellvertretend für die Vermarktung von Stars über neue digitale Kommunikationskanäle, den globalen Austausch von Usern und den Übergang audiovisueller Clips zu „free floating entertainment- and information-segments of the popular culture“63 lässt sich YouTube betrachten. Mit dem Slogan ‚Broadcast Yourself‘ grenzt sich das 2005 gegründete Video-Portal vom Prinzip des Fernsehens als Massenmedium ab. Nutzer laden digitales Bild- und Tonmaterial hoch und lassen es von der Community kommentieren und über den Like- und Dislike-Mechanismus bewerten. Eine bedeutende Rolle hinsichtlich der Online-Distribution von Musikvideos spielt der auch als Smartphone-App erhältliche Dienst Vevo. Er bietet Clips an, die gleichzeitig über YouTube rezipiert und nach Künstlern, Themen und Genres wie ‚Pop‘, ‚Hip-Hop‘ und ‚Rock‘ gefiltert werden können.64 Als Teil des Web 2.0 ist YouTube ein Phänomen der von Henry Jenkins beobachteten Konvergenzkultur, in der Inhalte zum einen von profitorientierten Unternehmen produziert und zum anderen von vernetzten Konsumenten individuell angeeignet werden.65 Das Portal verfügt über thematisch verschieden ausgerichtete Kanäle, die User erstellen und abonnieren können. Es unterstützt den von Jenkins beschriebenen „flow of content across multiple media platforms, the cooperation between multiple media 62
Vgl. The Internet Music Video Database, URL: https://imvdb.com (01.06.2018).
63
Axel Schmidt/Klaus Neumann-Braun: Concerning the Transition of the Reception of the Music Video due to a Change in the Politics of Distribution of the Music Video- and the Music(-TV-)Market. In: Henry Keazor/Thorsten Wübbena (Hg.): Rewind, Play, Fast Forward: The Past, Present and Future of the Music Video. Bielefeld 2010, S. 77-87, S. 86.
64 65
Vgl. Vevo, URL: http://www.vevo.com (01.06.2018). Vgl. Henry Jenkins: Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. New York/ London 2006, S. 18.
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industries, and the migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in search of the kinds of entertainment experiences they want.“66 Dem Medienwissenschaftler zufolge schließt YouTube an eine Do-it-yourself-Bewegung an, die noch vor dem Web 2.0 aufgekommen ist, und steht mittlerweile hinsichtlich der niedrigschwelligen Teilhabe von Internetnutzern an einer über Videos verlaufenden Kommunikation im Zentrum der Partizipationskultur.67 Der neue online-basierte Austausch verändert bestehende künstlerische Bereiche. So führt die mediale Partizipation unabhängig von der Musikindustrie agierender User zu einer Mehrfachverwertung und Kombination auf Video-Portalen wie YouTube vorhandener Bewegtbilder und Klangfolgen. Das online hochgeladene Material schließt Werke von Amateuren ein, die entweder ausschließlich Inhalte anderer Nutzer oder Medien verwenden, existierende Songs nach ihren Vorstellungen visuell interpretieren, selbst geschriebene beziehungsweise gesungene Lieder mit fremden Clips kreativ verbinden oder vollständig auf eigene Aufnahmen zurückgreifen.68 Angesichts der resultierenden RemixVielfalt treten Wiederholungen in Form von unter verschiedenen Namen veröffentlichten Duplikaten sowie Video-Modifikationen und -Nachahmungen auf.69 YouTube ist demnach ein Online-Portal, das nicht nur von prominenten Stars genutzt wird, um die Premiere eines Clips zu feiern und sich mit persönlichen VideoBotschaften an ihre Fans zu wenden, sondern auch Personen, die in ihrer Freizeit ein eigenes Musikvideo angefertigt haben, die Möglichkeit bietet, in die Öffentlichkeit zu treten. Die Intentionen, im Internet eine größere Bekanntheit zu erlangen, weichen vor diesem Hintergrund voneinander ab: „[...] [I]t is difficult to describe YouTube’s fame as simply sheer happy accident or carefully constructed marketing strategy. If musicians decide to use YouTube as a way to share their music for fun, the popularity generated on the site can be understood as based on ‚accidental‘ stardom due to personal talent; if the site is utilized as a promotional tool, the popularity could possibly be viewed as a result of labor.“70 66 67
Ebd., S. 2. Vgl. Henry Jenkins: What Happened before YouTube. In: Jean Burgess/Joshua Green (Hg.): YouTube: Online Video and Participatory Culture. Cambridge/Malden, Massachusetts 2009, S. 109-125, S. 110.
68
Der Ausdruck ‚Amateur‘ beschreibt meist – und an dieser Stelle ohne Geringschätzung mit überschaubaren finanziellen Mitteln gedrehter Clips – eine Person, deren Videos nicht in Verbindung mit ihrer beruflichen Arbeit stehen, wenngleich dies kein zuverlässiges Kriterium ist und sich der Amateurstatus nur im Einzelfall prüfen lässt. Vgl. Roman Marek: Understanding YouTube. Über die Faszination eines Mediums. Bielefeld 2013, S. 60.
69 70
Vgl. ebd., S. 304-310. H. Cecilia Suhr: Social Media and Music: The Digital Field of Cultural Production. New York u.a. 2012, S. 58.
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Tatsächlich werden in der Liste der 50 meistgesehenen Werke auf YouTube derzeit insgesamt 47 offizielle Musikvideos von meist weltweit anerkannten Stars genannt.71 Auf dem ersten Platz rangieren Luis Fonsi und Daddy Yankee, denen es mit ihrem Clip DESPACITO (2017) gelungen ist, über fünf Milliarden Klicks zu erreichen.72 Wie empirische Daten zur Nutzung von YouTube belegen, ist die Nachfrage von online verfügbaren Musikvideos bei Teenagern groß. So lässt sich der 2017 herausgebrachten JIM-Studie zum Medienumgang der 12- bis 19-jährigen Jugendlichen in Deutschland entnehmen, dass 56 Prozent der befragten Mädchen und 50 Prozent der Jungen auf YouTube Clips, die zur Vermarktung eines Songs produziert worden sind, täglich oder mehrmals in der Woche konsumieren.73 Musikvideos bilden damit noch vor Comedy-Inhalten von YouTubern, anderen lustigen Clips und Let’s-Play-Videos das populärste Genre des Online-Portals.74 Auch nach dem Ende der Hochzeit von MTV finden Visualisierungen von Popsongs ein breites Publikum. Darüber hinaus gehen mit dem veränderten Kontext, in dem das Musikvideo als medialer Inhalt produziert, distribuiert und rezipiert wird, neue Optionen der Inszenierung einher. Dies machen Clips anschaulich, die auf eigenen Webseiten zu finden sind und unter Verwendung eines Videoprogramms den Betrachter in den Verlauf der Bilder interaktiv einbeziehen, während eine audiovisuell linear gestaltete Variante meist auf Online-Portalen wie YouTube zur Verfügung steht. So tragen etwa FKi, Iggy Azalea und Diplo in I THINK SHE READY (2012) modische Kleidungsstücke, die über das Internet erworben werden können.75 Mit einem Mausklick auf den Körper eines Musikers pausiert der User den Clip und gelangt zu einem Online-Shop. CHAINS (2015) von Usher, Nas und Bibi Bourelly nutzt die Interaktivität hingegen für einen politisch-moralischen Appell.76 Nach einer Aktivierung der Webcam des Computers lässt sich das Online-Video starten. Unter dem Titel ‚Don’t Look Away‘ werden Opfer rassistischer Polizeigewalt vorgestellt, und zwar, solange der Blick des Publikums auf den Monitor gerichtet bleibt. Wendet sich der Betrachter von den Standbildern der Verstorbenen ab, setzen sowohl Song als auch Clip aus. Welche Faszination die interaktive Beschaffenheit der Bilder auf das Publikum im Internet ausüben kann, stellt HAPPY (2013) von Pharrell Williams unter Beweis. 71
Vgl. Most Viewed Videos. In: YouTube, URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PL irAqAtl_h2r5g8xGajEwdXd3x1sZh8hC (01.06.2018).
72 73
Vgl. ebd. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2017. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2017, S. 43f.
74 75
Vgl. ebd. Vgl. FKi feat. Iggy Azalea/Diplo: I Think She Ready. In: Ssense, URL: https://www.ssen se.com/en-us/video/iggy-azalea-diplo-fki-i-think-she-ready (01.06.2018).
76
Vgl. Usher: Chains. In: Tidal, URL: https://chains.tidal.com (01.06.2018).
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Auf einer für das Musikvideo eingerichteten Homepage findet der User eine Zusammenstellung von 360 Clips, die in einer 24-stündigen Schleife hintereinander geschaltet und von demselben Song untermalt werden.77 Die Sequenzen sind verschiedenen Uhrzeiten zugeordnet und lassen sich daher einzeln ansteuern. Sie zeigen, wie Menschen, darunter Stars wie Jamie Foxx, der frühere Basketballspieler Magic Johnson, aber auch Williams, am Tag und in der Nacht zur Musik tanzen. Das preisgekrönte Clip-Konzept war zum einen verantwortlich für den kommerziellen Erfolg des Songs, der die Spitze von über zwanzig nationalen Chartlisten erklommen hat. Zum anderen folgten auf YouTube zahlreiche Remakes der ausgelassenen Darbietungen. Als Antwort auf die originale Video-Collage tanzen Personen aus zahlreichen Ländern in selbst gedrehten, mitunter politischen Clips durch ihre eigenen Heimatstädte.78 Die Bilder, mit denen man versuchte, die im Hit von Williams zum Ausdruck kommende Lebensfreude anschaulich zu machen, inspirierten Fans, ihre Begeisterung mit anderen Mitgliedern der Partizipationskultur im Internet zu teilen. Aus dem Forschungsüberblick zur Vergangenheit und Gegenwart audiovisueller Clips können mehrere Überlegungen abgeleitet und der Untersuchung der Medienreflexion zugrunde gelegt werden. So zeigt sich in der genealogischen Gesamtschau auf die Verknüpfung von Bewegtbildern und Klangfolgen ein „komplexe[r] Faden der Herkunft“79 des heutigen Musikvideos. Praktiken der Illustration von Songs reichen in eine Zeit vor der Entstehung von Film und Fernsehen zurück und verändern sich nicht innerhalb einer linearen Entwicklung mit eindeutigem Anfang und Ende, sondern sind an unterschiedliche Medien gekoppelt, die über technologische, kulturelle und ästhetische Charakteristika verfügen. Die Erkenntnisse der Analyse von reflexiven Darstellungen im Musikvideo müssen daher stets mit Blick auf die medienhistorische Situation beurteilt werden, in der einzelne Songs und Clips Bezüge zu anderen Medien herstellen. MTV und VIVA erlangten den Status von „Integrationsinstitutionen“, die „mit ihren imaginären Bild- und Soundwelten eine Orientierungsbasis dafür liefern, wie Jugendliche sowohl ihre mediale als auch ihre unmittelbar erlebte Umwelt wahrnehmen und interpretieren.“80 Die Entstehung auf Musik spezialisierter TVSender bildete eine wichtige Voraussetzung für den anhaltenden Erfolg des Musikvideos als Marketinginstrument und Gegenstand der Alltagskommunikation jugendlicher Mediennutzer. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts finden Clips von Sängern und Bands immer seltener Eingang in das Programm des Fernsehens und etablieren sich 77
Vgl. Pharrell Williams: Happy. In: 24 Hours of Happy, URL: http://www.24hoursofhap py.com (01.06.2018).
78
Vgl. Henry Jenkins/Sangita Shresthova: „It’s Called Giving a Shit!“: What Counts as „Politics“? In: Henry Jenkins u.a. (Hg.): By Any Media Necessary: The New Youth Activism. New York 2016, S. 253-289, S. 284.
79
Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, S. 112.
80
Kurp/Hauschild/Wiese: Musikfernsehen in Deutschland, S. 208.
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als ein nachgefragtes Unterhaltungsangebot im Internet, einhergehend mit neuen Strategien der Inszenierung. Das Aufkommen von Online-Portalen hat den Verlauf der Geschichte des Mediums Musikvideo entscheidend geprägt. Erneut ist die in der Einleitung der Arbeit gestellte Frage aufgeworfen, welche Bedeutung der Wandel des Untersuchungsgegenstandes für die Reflexion des einst zentralen Clip-Ausstrahlungsortes Fernsehen hat. Es lässt sich vermuten, dass die auf der Existenz von Musiksendern beruhende Verbindung zwischen Musikvideo und Fernsehen nicht nur einen impliziten Einfluss auf die Beschäftigung mit dem Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des TV-Mediums hat, sondern auch als eigenständiges Thema explizit gemacht wird. Ebenfalls stellt sich die Frage nach einer Medienkritik. Ob trotz der intermedialen Verflechtung von kommerziellen Clips und linearen Musiksendern eine radikal ablehnende Haltung gegenüber dem Fernsehen im Musikvideo zu beobachten ist, gilt es zu untersuchen.
3. Charakteristika der Bedeutungsproduktion
Die Forschung zum Musikvideo hat sich in der Vergangenheit nicht nur mit den Vorläufern audiovisueller Clips und ihrer historischen Entwicklung im Fernsehen sowie Internet befasst, sondern weitere Erkenntnisse hervorgebracht, die zu berücksichtigen sind, wenn man die Bezüge, welche das Medium zu anderen Medien herstellt, analysieren möchte. Es sind Beobachtungen, die in Verbindung mit seit den 1980er Jahren kontrovers geführten Debatten über mediale Charakteristika des Musikvideos stehen. Sie lassen Schlussfolgerungen über die Bedeutungsproduktion des Mediums und die grundlegende Möglichkeit einer Medienreflexion zu. Die folgenden Ausführungen fassen zum einen Erkenntnisse zum Verhältnis der medialen Bestandteile Song und Clip zusammen (Kapitel 3.1). Zum anderen werden die häufig im Rahmen einer Postmodernekritik verhandelten Merkmale der Clipästhetik erörtert (Kapitel 3.2) und das Musikvideo als ein Medium betrachtet, das von kommerziellen Erwägungen der Industrie geprägt ist und gleichzeitig einen kreativen Handlungsspielraum erlaubt (Kapitel 3.3).
3.1 S ONG
UND
C LIP
Im Mittelpunkt vieler Beiträge zur Bedeutungsproduktion des Musikvideos steht die audiovisuelle Struktur des Untersuchungsgegenstandes. Die Verknüpfung von Song und Clip erfuhr eine intensive Diskussion, nachdem schon in der Vergangenheit Medien eine mehrere Sinne des Menschen beanspruchende Rezeption möglich gemacht hatten. Vor allem im ersten Jahrzehnt von MTV waren die Konstruktionsprinzipien des Musikvideos ein beliebtes Thema von Forschungsarbeiten. Betrachtete Sue Lorch die einfallsreichen Clip-Inszenierungen als eine metaphysische Dichtung, die ihrer Meinung nach nicht in Worte fassbare Wahrheiten zum Ausdruck bringt,1 verglichen
1
Vgl. Sue Lorch: Metaphor, Metaphysics, and MTV. In: The Journal of Popular Culture 22 (1988), H. 3, S. 143-155, S. 143.
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andere Autoren das Musikprogramm des neuen Fernsehsenders mit einem „bebilderte[n] Radio“2 und zeigten sich beeindruckt vom „Look of the Sound“3, der fortan die Interpretation und Bewertung von einzelnen Liedern beeinflusste. Die Songs eines Stars ließen sich weiterhin im Radio und auf Tonträgern ohne zusätzliche Illustration rezipieren. Das Publikum wusste allerdings, dass in den meisten Fällen ein Clip existierte, der zur selben Zeit im Fernsehen lief und die Musik sowie im Liedtext verhandelte Themen bildlich umsetzte. Mit dem Beginn des Clip-Booms schien aus den bestehenden ästhetischen Entwicklungen und Kompositionen der audiovisuellen Medienkultur (Kapitel 2.1) ein von Teenagern in nicht bekanntem Ausmaß begehrtes und massenmedial konsumierbares Produkt hervorgegangen zu sein. „MTV“, so Briankle G. Chang, „is two texts in one: one for the ear, the other for the eye.“4 Ob sich der Rezipient eher auf die im Musikvideo enthaltenen Ereignisse für die Augen oder auf die Ereignisse für die Ohren konzentriert, lässt sich nicht allgemein sagen. Letztlich leisten Song und Clip jeweils einen eigenen Beitrag zur kognitiven und emotionalen Verarbeitung des gesamten Werks: „In a video, our attention to the song shapes the way we perceive the image, but, to an equal extent, what we attend to in the image helps to determine how we hear the music. When a star jams his face in front of the camera, or when a hand or foot threatens to break through the viewing plane, we suddenly hear the music in a different way.“5
Während sich die Studien der Nutzungs- und Wirkungsforschung zunächst vor allem den visuellen Darstellungen gewidmet haben, ist die Ebene des Songs auch in geistesund gesellschaftswissenschaftlichen Arbeiten, die die Bilderfolgen im Detail analysieren, oftmals vernachlässigt worden. Es dauerte, bis Autoren begannen, der Frage, welche Relationen zwischen der Clip-Gestaltung und der Musik bestehen, systematisch nachzugehen, was hinsichtlich des von anderen Medien abweichenden Verlaufs der Produktion überrascht, denn die Bilder „[folgen] der Musik [...], während umgekehrt Filmmusik auf eine Filmhandlung referiert.“6 Wie der in seiner Freizeit vom 2
Dieter Meier: ‚Die letzte Lockerung‘. Rudis Balkangrill. In: Veruschka Bódy/Gábor Bódy (Hg.): Video in Kunst und Alltag. Vom kommerziellen zum kulturellen Videoclip. Köln 1986, S. 68-71, S. 71.
3
Pat Aufderheide: Music Videos: The Look of the Sound. In: Journal of Communication 36 (1986), H. 1, S. 57-78, S. 57.
4
Briankle G. Chang: A Hypothesis on the Screen: MTV and/as (Postmodern) Signs. In: Journal of Communication Inquiry 10 (1986), H. 1, S. 70-73, S. 71.
5
Carol Vernallis: Unruly Media: YouTube, Music Video, and the New Digital Cinema. Oxford/New York 2013, S. 328.
6
Klaus Neumann-Braun/Axel Schmidt: McMusic. Einführung. In: Klaus Neumann-Braun (Hg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen. Frankfurt a.M. 1999, S. 7-42, S. 20.
C HARAKTERISTIKA
DER
B EDEUTUNGSPRODUKTION | 41
ästhetisch innovativen MTV-Programm (Kapitel 3.2 und 3.3) begeisterte Pop-Fan schienen sich auch Wissenschaftler in den ersten Jahren für die komplexen und abwechslungsreichen Verfahren der visuellen Inszenierung zu interessieren. Das Erkenntnisziel und demnach die Intensität der Auseinandersetzung mit dem an ein Musikvideo gekoppelten Lied fallen zwar stets unterschiedlich aus. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Bilder für einen Song hergestellt werden, der im Vorfeld entstanden und auch unabhängig vom zugehörigen Clip käuflich zu erwerben ist. Doch ist das Lied, welches als Single veröffentlicht wird, identisch mit dem, was im Musikvideo zu hören ist? Wie Blaine Allan erläutert, enthält die Tonebene eines Clips gelegentlich zusätzliche Geräusche und Dialoge, die die Narration in den Vordergrund treten lassen, das musikalische Stück aber meist nicht unterbrechen.7 In dieser Hinsicht besteht eine auffällige Ähnlichkeit zur Nachvertonung von HollywoodMusicals, in denen dargebotene Songs ebenfalls in einer gleichbleibenden Lautstärke zu vernehmen sind, unabhängig von der Positionierung der Kamera und des Stars im Raum, so der Filmwissenschaftler im Anschluss an Rick Altman.8 Wenngleich das Lied im Clip bis heute selten fragmentiert wird, finden sich immer häufiger Beispiele, in denen diegetische Klangquellen variieren oder die Musik pausiert.9 Ziel ist es, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu steigern oder durch den Widerspruch zwischen der Darbietung und einer unerwartet eintretenden Stille Komik zu erzeugen, so etwa in DON’T (2014) von Ed Sheeran. Ein Mann tanzt zum Lied des nur in einer kurzen Sequenz selbst auftretenden Sängers in einem fremden Wohnzimmer, als der Junge der dort lebenden Familie einen Kopfhörer aufsetzt und die Musik verstummt. Der Protagonist verlässt das Haus und setzt seinen Weg auf einem Bürgersteig fort. Zu hören sind nun zwitschernde Vögel, ein Rasenmäher, den eine Frau in ihrem Vorgarten bedient, und eine laufende Sprinkleranlage. Die lebendigen und raumgreifenden Bewegungen, welche der Tänzer mit seinem Körper vollzieht, wirken durch den Wegfall der musikalischen Untermalung der Bilder plötzlich nicht mehr der Situation angemessen. In diesem Moment erscheint Sheeran, der auf der Rückbank eines Autos sitzt und einen neugierigen Blick auf die sonderbare Szenerie wirft. Der Star begutachtet die tänzerische Umsetzung der eigenen Musik. Selbst im Fall eines solchen Clips, der über weite Strecken spielfilmische Züge trägt und eine Vielzahl von fremden Tönen integriert, die das Publikum entweder gemeinsam mit dem Song oder für einen kurzen Moment anstelle des Songs wahrnimmt, gewinnen die Bilder ihre Attraktivität durch die Kombination mit einem schon vorhandenen Lied. Der Regisseur nimmt eine individuelle Interpretation des ihm bereitgestellten Musikstücks vor, für das er mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel ein – dem Image 7
Vgl. Blaine Allan: Musical Cinema, Music Video, Music Television. In: Film Quarterly 43 (1990), H. 3, S. 2-14, S. 5.
8
Vgl. ebd., S. 7.
9
Dass solche Ausnahmen existieren, betont auch Allan. Vgl. ebd., S. 5.
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des Stars gerecht werdendes – Video anfertigt, das der Rezipient schließlich auf seine eigene Weise interpretiert. Das Zusammenspiel von Song und Clip lässt sich durch eine weitere Aufschlüsselung der audiovisuellen Struktur des Untersuchungsgegenstandes genauer fassen. So ist die Musik aus der klanglichen Komposition und einem Liedtext zusammengesetzt, für die oftmals unterschiedliche Personen verantwortlich zeichnen, weshalb laut Daniel Klug drei analytische Ebenen des Gesamtwerks Musikvideo voneinander abgegrenzt werden können.10 Bild, Ton und Text treten mit eigenen Bedeutungsgehalten in Beziehung zueinander, doch trotz ihrer ästhetischen Zusammenführung in einem Produkt gehen die visuelle und die auditive Ebene keine kausale Verbindung ein, wie der Medienwissenschaftler erläutert.11 Zum besonderen Verhältnis von Song und Clip schreibt Klug: „Die Vorgängigkeit der Musik und die daraus folgende unwiderrufliche Differenz zwischen Bild und Ton verhindert, dass es sich bei den hinzugefügten Bildereignissen um die Visualisierungen der entsprechenden hervorbringenden Klangquellen handeln kann bzw. handeln könnte.“12 Gelegentlich fällt dem Betrachter auf, dass Passagen eines von ihm bereits rezipierten Songs, die er als wichtig für die Aussage des gesamten Stücks erachtet, im zugehörigen Clip keine visuelle Entsprechung haben. Mit Ausnahme der Hookline wird der Liedtext aufgrund der Kürze eines Musikvideos nicht besonders präzise in Bilder übertragen.13 Die Erwartungen des Publikums an den Inhalt und die Ästhetik eines Clips speisen sich neben dem Image des Stars aus mit der Stilrichtung des Songs verknüpften Vorstellungen von Lebensgefühlen, Weltanschauungen und Moden. So sind Lieder einer bestimmten musikalischen Gestaltung zum einen durch verwandte Klangcharakteristika und Themen gekennzeichnet, zum anderen weisen ihre Clips Ähnlichkeiten in Bezug auf den Einsatz von Darstellungen und dramaturgischen Elementen auf – von den Ende der 1980er Jahre populär gewordenen Dance-Videos, deren computergenerierte Muster ungegenständliche Ansichten hervorbringen und den in Clubs verbreiteten Drogenkonsum anschaulich machen,14 bis zu den Werken des Black-Metal, die den Eindruck von Widerständigkeit und Ernsthaftigkeit vermitteln, während 10
Vgl. Daniel Klug: (Un-)Stimmigkeiten. Zur Darstellungspraxis des lip synching in der Audio-Vision des Musikclips. In: Christofer Jost u.a. (Hg.): Populäre Musik, mediale Musik? Transdisziplinäre Beiträge zu den Medien der populären Musik. Baden-Baden 2011, S. 201-230, S. 207.
11
Vgl. ebd., S. 209.
12
Ebd.
13
Vgl. Carol Vernallis: The Functions of Lyrics in Music Video. In: Journal of Popular Music Studies 14 (2002), H. 1, S. 11-31, S. 21.
14
Vgl. Rob Strachan: Music Video and Genre: Structure, Context, and Commerce. In: Steven Brown/Ulrik Volgsten (Hg.): Music and Manipulation: On the Social Uses and Social Control of Music. New York/Oxford 2006, S. 187-206, S. 198.
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sie in der Inszenierung des Interpreten auf unterschiedliche Raumkonzepte zurückgreifen und eine archaische Männlichkeit zur Schau stellen.15 Nicht zu vergessen sind Titel, die auch ohne einen Liedtext kommerziell erfolgreich sind, doch laut Christofer Jost sollte „[a]ngesichts der manifesten Vorrangstellung gesungener Popsongs und der Bedeutung des Vokalen im kulturellen Entwicklungsverlauf von populärer Musik“ der Wegfall einer verbalsprachlichen Bedeutungsebene in Instrumentalnummern nicht zur Grundannahme der Forschung gemacht, sondern „eher als Möglichkeitsbedingung popularmusikalischer Produktion“16 verstanden werden. Mit der Frage nach der Verknüpfung von Song und Clip im Produkt Musikvideo rückten auch spezifische Techniken und Strategien der Inszenierung in den Mittelpunkt der Analyse. Bis heute machen Autoren anhand verschiedener Merkmale Differenzen in der Bildgestaltung aus. Gliederungen von Varianten der Clip-Inszenierung, an denen sich viele Studien orientieren, sind überwiegend aus drei Kategorien zusammengesetzt. Exemplarisch sei auf Jörg Helbig verwiesen, der eine authentische Gestaltung, die Wiedergabe eines Konzerts mit lippensynchronem Gesang, von einer abstrakten Gestaltung im Sinne dynamischer Bildkombinationen, die raumzeitliche Brüche aufweisen, unterscheidet.17 Eine dritte Kategorie bezieht sich auf die Möglichkeit, einen Clip in Anlehnung an vertraute Genres wie Science-Fiction, Melodram, Thriller und Fantasy narrativ zu gestalten und mit einer zusammenhängenden Handlung auszustatten.18 Nicht zuletzt ergibt sich eine Nähe zwischen Musikvideo und Spielfilm aus der engen Kooperation von Kino- und Tonträgerindustrie, die seit den Anfängen der Popkultur Bestand hat (Kapitel 2.1). So können Clips, die für den Titelsong einer Leinwandgeschichte produziert werden, die Funktion eines eigenen Trailers erhalten.19 Sie werben für den Film mit Ausschnitten, die den Betrachter zum Kinobesuch motivieren sollen, und bringen mithilfe narrativer Rahmungen die getrennt voneinander entstandenen Aufnahmen von Sängern und Schauspielern im Produkt Musikvideo zusammen.20 Auch wenn die systematische Betrachtung der Möglichkeiten, ein Musikstück zu visualisieren, hilfreich ist, um sich einen Überblick über die vielgestaltige Bilderwelt 15
Vgl. Jan G. Grünwald: Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal. Frankfurt a.M./New York 2012, S. 196.
16
Christofer Jost: Musik, Medien und Verkörperung. Transdisziplinäre Analyse populärer Musik. Baden-Baden 2012, S. 27.
17
Vgl. Jörg Helbig: „Perfekte Metaphern der Postmoderne“. Zur medienpädagogischen und filmphilologischen Relevanz von Videoclips. In: Jens P. Becker (Hg.): Filme. Heidelberg 1988, S. 25-36, S. 27.
18
Vgl. ebd., S. 28.
19
Vgl. Gary Burns: Formula and Distinctiveness in Movie-Based Music Videos. In: Popular Music and Society 18 (1994), H. 4, S. 7-17, S. 10.
20
Vgl. ebd., S. 13.
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des Forschungsgegenstandes zu verschaffen, erscheint eine Untersuchung einzelner Clips anhand von drei Kategorien zu oberflächlich für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Gebrauch von spezifischen Ausdrucksmitteln in der Medienreflexion. Wie Daniel Hornuff feststellt, ist „ein wesentlicher Zugewinn der Klassifikationsvorschläge“, die den Merkmalen der in einem Musikvideo verwendeten Bilder nachgehen, „in ihrer strukturellen Nüchternheit“21 zu sehen. Die Beschränkung auf eine geringe Anzahl von Kategorien könne allerdings dazu führen, dass ästhetische Besonderheiten in der Analyse nicht erfasst werden.22 Bereits Helbig konstatiert mit Blick auf die von ihm getroffene Unterscheidung zwischen authentischer, abstrakter und narrativer Gestaltung, „daß diese drei Grundsituationen kaum jemals absolut auftreten und innerhalb der Kategorien zahlreiche Variationen erkennbar sind. Auch können die genannten Gestaltungsprinzipien anhand einer Vielzahl von Kriterien selbstverständlich weiterer Differenzierung zugeführt werden.“23
Tatsächlich sind vor und nach dem Forschungsbeitrag des Kultur- und Medienwissenschaftlers verschiedene Arbeiten zum Musikvideo entstanden, die ähnliche Gliederungen vornehmen, die Dreiteilung um Unterkategorien ergänzen oder lediglich in alternative Begriffe übersetzen.24 Wie Helbig heben auch Winfried Pape und Kai Thomsen die Schwierigkeit hervor, den Fokus der Analyse eines bestimmten Clips nur auf eine Variante der Inszenierung zu legen: „Bei der praktischen Anwendung solcher Klassifizierungen wird bald deutlich, daß die Darstellungsformen vieler Videoclips auf mehrere Kategorien gleichzeitig zutreffen. Teilweise finden sich auch verschiedene dieser Kategorien in einer einzigen zusammenhängenden filmischen Sequenz.“25 Einige Clips, so Pape und Thomsen, verfügen über unterschiedliche Darstellungsebenen, die sich durch die Montage der Einstellungen abwechseln, erzählen also zum Beispiel eine Geschichte, in der der Musiker nicht zu sehen ist, und schneiden Aufnahmen vom öffentlichen Auftritt des Sängers oder der Band auf einer Bühne zwischen, während andere Clips nur aus einer Ebene bestehen.26 21
Daniel Hornuff: Im Tribunal der Bilder. Politische Interventionen durch Theater und Musikvideo. München 2011, S. 132.
22
Vgl. ebd., S. 131f.
23
Helbig: „Perfekte Metaphern der Postmoderne“, S. 27.
24
Vgl. für eine Zusammenfassung der analytischen Ansätze Winfried Pape/Kai Thomsen: Zur Problematik der Analyse von Videoclips. In: Helmut Rösing (Hg.): Step across the border. Neue musikalische Trends – neue massenmediale Kontexte. Karben 1997, S. 200226.
25
Ebd., S. 204.
26
Vgl. ebd., S. 206f.
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Dass die Performance des Stars mit einer Narration und einer abstrakten Bildgestaltung verknüpft werden kann, ohne einer separaten Sequenz zugeordnet zu sein, zeigt sich im Fall des Clips ROAR (2013) von Katy Perry. Das Musikvideo handelt von einem fiktiven Abenteuer der Sängerin, die mit einem Flugzeug im Urwald abstürzt und die Umgebung erkundet. Die einleitenden Bilder vom exotischen Schauplatz verfügen über eine künstlerische Anmutung. Sie sind im Stil eines mit der Hand gezeichneten Trickfilms gestaltet und platzieren den Titel des Songs in breiten Großbuchstaben zwischen Palmen und Lianen. Ein größer werdendes Brandloch gibt den Blick auf die Handlung frei, welche in realfilmischen Aufnahmen erzählt wird. Mit der Zeit überwindet Perry ihre Angst vor den Tieren im Dschungel und freundet sich zunehmend mit Flora und Fauna an. „I got the eye of the tiger, a fighter / Dancing through the fire / ’Cause I am a champion / And you’re gonna hear me roar“, singt die Musikerin über den Wunsch nach individueller Entfaltung. Durchsetzungskraft beweist sie unter anderem in der Begegnung mit einem Tiger, dem ihr affektierter Begleiter zu Beginn des Clips zum Opfer gefallen ist. Während Perry ihr Lied in der tropischen Kulisse darbietet, spielt sie die Protagonistin einer kohärenten Kurzgeschichte, bis sich die Bilder wieder in abstrakte Striche auflösen und die Ästhetik eines Zeichentrickfilms übernehmen. Eine andere Variante der Bildgestaltung verdient besondere Beachtung. So existieren neben den bisher beschriebenen Clip-Typen auch Werke, die in einem großen Umfang Inhalte in Schriftform einbinden. Schon in der Vergangenheit haben Musikvideos immer wieder den eigenen Titel oder den Namen des Interpreten anschaulich gemacht und Kommentare sowie Schlagworte hinzugefügt, die auf der Oberfläche unterschiedlicher Materialien zu sehen sind und die Bedeutung des Songs erweitern, ohne mit dem Liedtext identisch sein zu müssen.27 Doch zunehmend finden sich unter den aktuellen kommerziellen Clips solche Werke, in denen alle Strophen und der Refrain abgebildet sind. Die gesungenen Wörter werden in vielen Lyric-Videos der Gegenwart unter Verwendung von kreativen Computeranimationen in Szene gesetzt und vermitteln dem Publikum einen Eindruck vom Thema des zugehörigen Musikstücks. Meist enthält der Clip wenige Darstellungsebenen oder nur eine Ebene.28 Aus einer ökonomischen Perspektive erfüllt das Lyric-Video eine wichtige Funktion: Es überbrückt eine bisweilen mehrere Monate dauernde Zeitspanne zwischen dem Moment, 27
Vgl. Christine Stenzer: Hauptdarsteller Schrift. Ein Überblick über Schrift in Film und Video von 1895 bis 2009. Würzburg 2010, S. 396ff.
28
So erschien beispielsweise schon mehrere Wochen vor der Veröffentlichung des erwähnten Perry-Clips ROAR im Jahr 2013 eine Version, in der der Text des Liedes als Chatverlauf auf dem Smartphone der Sängerin abgebildet wird. Animierte Emojis ersetzen in den kurzen Nachrichten einzelne Wörter und stimulieren die Aufmerksamkeit des Betrachters, der die teilweise mehrdeutigen Zeichen vor dem Hintergrund eigener Medienerfahrungen unter Umständen anders interpretiert als im Kontext des Songs.
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wenn der Song eines Interpreten erstmals an Radiostationen und Online-Händler geschickt wird, und der Veröffentlichung eines traditionellen Musikvideos.29 Haben schon immer Songs existiert, für die aus vermarktungsstrategischen Gründen mehrere Clips produziert worden sind, so steigt die Anzahl verschiedener Clip-Versionen mit der Popularität von Werken, die auf der Visualisierung des Liedtextes basieren. Die zusammengetragenen Forschungserkenntnisse zu den audiovisuellen Konstruktionsprinzipien des Musikvideos lassen sich in verschiedener Hinsicht auf die Untersuchung der Medienreflexion beziehen. So können intermediale Bezugnahmen grundsätzlich auf der Bild-, Ton- und Textebene auftreten. Im Unterschied zu einer sprach- oder musikwissenschaftlichen Arbeit liegt der Fokus dieser Studie auf der visuellen Inszenierung von Medien am Beispiel des Fernsehens. Es soll keine neue Kategorie eines auf Eigenschaften des TV-Mediums verweisenden Musikvideos gebildet und einer schon vorhandenen Typologie hinzugefügt werden, da die bestehenden Kategorien auf einer anderen Abstraktionsstufe angesiedelt sind und nur groben Einteilungen von Inszenierungsweisen dienen. Vielmehr gilt es zu erkunden, inwiefern Clips unterschiedlicher Musikgenres das Fernsehen in Sequenzen einbinden, die von einer Performance, Narration oder künstlerischen Abstraktion geprägt sind. Dies weitet den Blick für die Strategien von Regisseuren und weiteren an der Produktion beteiligten Personen, das Massenmedium Fernsehen in Verbindung mit einem öffentlichen Auftritt des Sängers oder der Band zu bringen, eine wichtige Rolle in der Handlung einer fiktionalen Erzählung spielen zu lassen oder visuell zu verfremden. Dennoch ist zu bedenken, dass die Ausdrucksmöglichkeiten eines Musikvideos auch den Song einschließen und sich nicht in den Bilderfolgen erschöpfen. Neben der vom Regisseur und seinem Team in Szene gesetzten Handlung kann bereits der Liedtext, den der Interpret oder ein Songwriter geschrieben hat, bestimmte Vorstellungen vom Fernsehen vermitteln. Der als Werbung für das musikalische Stück gedrehte Clip überträgt die Thematisierung des Mediums dann entweder wortgetreu in einzelne Bilder oder stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Untersucht man über die bildästhetische Gestaltung hinaus die verschiedenen Haltungen gegenüber dem Fernsehen, von denen das Publikum im Musikvideo erfährt, so müssen und werden in dieser Arbeit insbesondere auch verbalsprachliche Bezugnahmen auf das TV-Medium Berücksichtigung finden.
3.2 C LIPÄSTHETIK
UND
P OSTMODERNE
Perspektiviert man das Musikvideo als ein Medium, das auf vielfältige Weise andere Medien und ihre Inhalte zur Anschauung bringt, geraten weitere Forschungsbefunde 29
Vgl. Phyllis Stark: Lyric Videos Open New Doors for Promotion and Creativity. In: CMA Close Up 7 (2013), H. 2, S. 22-23, S. 22.
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in den Blick, die im Folgenden aufgegriffen und in Bezug zum Reflexionsvermögen des Untersuchungsgegenstandes gesetzt werden sollen. Ausgangspunkt ist die im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnte Auseinandersetzung von Film- und Kulturwissenschaftlern mit clipspezifischen Inszenierungspraktiken. So waren vor allem in der Anfangszeit von MTV neben der Verflechtung von Bild, Ton und Text im Musikvideo die als ‚postmodern‘ aufgefassten Gestaltungsprinzipien des Mediums ein Thema zahlreicher Studien. Doch durch welche kulturellen und künstlerischen Entwicklungen zeichnet sich die Epoche der Postmoderne aus? Wie Wolfgang Welsch darlegt, bestand in frühen Beiträgen keine Einigkeit darüber, was als ‚postmodern‘ gilt, welchem Wandel Phänomene, die mit dem seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwendeten Begriff beschrieben werden, unterliegen und wie diese Veränderung zu bewerten ist.30 Die Rede von der Postmoderne sei populärer geworden, als sich der Eindruck aufdrängte, dass in der Literatur stilistische Neuschöpfungen ausbleiben, und diese Entwicklung Mitte der 1960er Jahre schließlich eine positive Umdeutung erfahren habe.31 Inzwischen begegne man dem Ausdruck in vielfältigen gesellschaftlichen Diskursen: „Postmodernes liegt dort vor, wo ein grundsätzlicher Pluralismus von Sprachen, Modellen, Verfahrensweisen praktiziert wird, und zwar nicht bloß in verschiedenen Werken nebeneinander, sondern in ein und demselben Werk, also interferentiell.“32 Ein solcher gestalterischer Facettenreichtum offenbart sich unter anderem in der Charakterisierung des postmodernen Kinos. Es sind mehrere Merkmale, die Spielfilmen in der jüngeren Vergangenheit zugeschrieben worden sind und sich auf andere Medien übertragen lassen. So listet beispielsweise Jens Eder als zentrale Eigenschaften des postmodernen Kinos eine ausgeprägte Intertextualität, Spektakularität, Ästhetisierung, Selbstreferenzialität und die Abkehr von verbreiteten Formen der Narration auf.33 Dass zunehmend Werke produziert werden, die einzelne dieser Merkmale aufweisen, führt der Filmwissenschaftler auf unterschiedliche Faktoren zurück: Eine erste Ursache für die beobachteten Trends im postmodernen Kino liege in der wachsenden „Erfahrung des Publikums mit audiovisuellen Erzählungen“, aus welcher „sich mit der Zeit bei breiteren Zuschauergruppen eine Übersättigung mit alten Geschichten und Erzählmustern und der Wunsch nach etwas Neuem [ergab].“34 Darüber hinaus sei für die Entwicklung des Films entscheidend gewesen, dass „sich der Innovationsgedanke der Avantgarde erschöpft [hatte]“, weshalb „die steigende Tendenz zum 30
Vgl. Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne. Weinheim 1987, S. 14.
31
Vgl. ebd., S. 14f.
32
Ebd., S. 16f.
33
Vgl. Jens Eder: Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre. In: ders. (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster/Hamburg/London 2002, S. 9-62, S. 11.
34
Ebd., S. 35.
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intertextuellen Spiel mit Versatzstücken konventioneller Erzählformen nachvollziehbar [scheint].“35 Die als Vermarktungsstrategie fungierende Konzentration auf Schauwerte im Kino bildet laut Eder einen weiteren Faktor und wird von einem übergreifenden soziokulturellen Wandel begleitet, der ein Bedürfnis nach außergewöhnlichen Erlebnissen und neue Möglichkeiten der Lebensführung hervorgebracht hat.36 Hinsichtlich dieser gesellschaftlichen Veränderungen sei der Gebrauch von Zitaten und selbstbezüglichen Kommentaren im Film „ein Angebot, mit existenzieller Verunsicherung, Pluralität, Relativismen, Entscheidungszwängen und Kontingenzen auf kreative Weise umgehen zu lernen.“37 Ein Blick in die Forschung zum Musikvideo lässt erkennen, dass das Medium seit der Gründung von MTV mit Merkmalen in Verbindung gebracht wird, die denen des postmodernen Films entsprechen. Gleichzeitig zeigen sich in der Beschaffenheit der Bilderwelt mediale Besonderheiten. Zunächst fällt auf, dass das Musikvideo im Fernsehprogramm eine ästhetische Faszination auf sein Publikum ausgeübt hat, weil ClipRegisseure im Aufbau und in der Montage von Bildsequenzen oftmals darauf verzichten, Vorgaben des Continuity Editing38 einzuhalten, wie Carol Vernallis herausarbeitet.39 Es geht um Grundsätze des Erzählkinos, welche dazu dienen, das Publikum in die filmische Handlung eintauchen zu lassen. Sie zielen auf eine Kohärenz von Raum und Zeit ab und umfassen die 180-Grad-Regel, welche die Orientierung im Fall eines Wechsels zwischen Aufnahmen mehrerer Interaktionspartner unterstützt, die zur Vermeidung von Jump-Cuts eingeführte 30-Grad-Regel, das Schuss-Gegenschuss-Verfahren, Über-die-Schulter-Einstellungen und Match-Cuts.40 Nicht zu vergessen ist, dass einzelne Clip-Sequenzen den gestalterischen Konventionen folgen können41 und 35
Ebd.
36
Vgl. ebd., S. 36ff.
37
Ebd., S. 40.
38
Kristin Thompson zufolge erfüllen die verschiedenen Standards des narrativen Spielfilms, welche sich im frühen 20. Jahrhundert etabliert haben, zwei Funktionen: „On the one hand, they permitted the narrative to proceed in a clearly defined space. On the other hand, they created an omnipresent narration which shifted the audience’s vantage point on the action frequently to follow those parts of the scene most salient to the plot.“ Kristin Thompson: The Formulation of the Classical Style, 1909-28. In: David Bordwell/Janet Staiger/Kristin Thompson (Hg.): The Classical Hollywood Cinema: Film Style & Mode of Production to 1960. London [1985] 1991, S. 155-240, S. 213.
39
Vgl. Carol Vernallis: Strange People, Weird Objects: The Nature of Narrativity, Character, and Editing in Music Videos. In: Roger Beebe/Jason Middleton (Hg.): Medium Cool: Music Videos from Soundies to Cellphones. Durham, North Carolina/London 2007, S. 111151, S. 126.
40
Vgl. ebd.
41
Vgl. ebd.
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seit den 1980er Jahren bis heute immer wieder Werke veröffentlicht werden, die als in sich geschlossene Kurzfilme mit einem Lied verknüpft sind, ohne es auf einen Auftritt des Sängers oder der Band innerhalb der Handlung zu beziehen. Dass der Verstoß gegen die traditionellen Prinzipien der Bildinszenierung im Musikvideo dennoch alles andere als eine Ausnahme ist, erklärt sich laut Vernallis aus der werbenden Funktion des aus Song und Clip bestehenden Mediums: „Perhaps music videos avoid continuity editing because such techniques would give the visual track too strong of a forward trajectory. The image might seem thereby to overtake the song. The music video’s aim is to spark its listeners’ interest in the song, to teach them enough about it that first they will remember it, and second, purchase it. Music video editing keeps us within the ever-changing surface of the song.“42
Im Sinne von Vernallis gewinnt ein Clip durch den Verweis auf seinen medialen Status die Aufmerksamkeit des Betrachters und verhindert, dass das Lied, welches man vermarkten möchte, durch eine spannende Geschichte in den Hintergrund rückt. Wie die Filmwissenschaftlerin zusammenfasst, tragen Regisseure Charakteristika der Musik Rechnung, indem sie unter anderem Kamerafahrten einer stationären Positionierung vorziehen und Einstellungsgrößen gebrauchen, die den Fokus weniger auf den dargebotenen Inhalt als auf die mediale Komposition legen, sodass einige Figuren im Kader angeschnitten werden.43 Aus historischer Sicht lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen den aufsehenerregenden Bilderfolgen des Musikvideos und dem von Tom Gunning beschriebenen ‚Kino der Attraktionen‘ feststellen, das bis zur Entwicklung von narrativen Prinzipien zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bestand hatte.44 Mithilfe verschiedener Effekte, außergewöhnlicher Themen, einer direkten Adressierung des Publikums und unter Verzicht auf eine psychologische Charakterisierung der Figuren boten Filmschaffende ihrem Publikum in dieser Zeit ein unterhaltsames Spektakel.45 Unter dem Eindruck der Ästhetik des Musikvideos veränderten sich zentrale Gestaltungs- und Erzählstrategien anderer Medien. So zielen Kinofilme, die dem unkonventionellen MTV-Stil folgen, darauf ab, der Narration eine zusätzliche Bedeutung zu verleihen oder eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, anstatt den Schwerpunkt auf die Geschichte zu legen.46 Darüber hinaus wandelte sich das Erscheinungsbild von 42
Ebd., S. 126f.
43
Vgl. ebd., S. 127f.
44
Vgl. Tom Gunning: The Cinema of Attractions: Early Film, Its Spectator and the AvantGarde. In: Thomas Elsaesser (Hg.): Early Cinema: Space – Frame – Narrative. London [1990] 1997, S. 56-62, S. 56f.
45 46
Vgl. ebd., S. 58f. Vgl. Ken Dancyger: The Technique of Film and Video Editing: History, Theory, and Practice. 3. Aufl. Amsterdam u.a. 2002, S. 213.
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Fernsehsendungen, wie unter anderem die Inszenierung der Polizeiserie MIAMI VICE (1984-1989), welcher eine „glossy aesthetic of high-end fashion magazines and music videos“47 nachgesagt wird, zu erkennen gibt. Auch die Aufmachung von Inhalten nicht-audiovisueller Medien führen manche Autoren auf die Entstehung der Clipästhetik zurück. Laut Sigrid Löffler geht der Wandel des Rezeptionsverhaltens im Printbereich mit einer Intensivierung der Produktion von „Zeitschriften für Zapper und Switcher, Druckerzeugnisse[n] für Channel-Hopper, kurz: Videoclip-Medien“48 einher, die „übersät [sind] mit Info-Häppchen und News-Bits, mit lauter optischen Lesehilfen, die als visuelle Blinkanlagen für den unaufmerksamen Leser gedacht sind.“49 Das Musikvideo galt als Inbegriff einer postmodernen Strukturlosigkeit und veranlasste Autoren zu Vergleichen mit Marshall McLuhans Definition von ‚kalten Medien‘.50 Kommunikationstechnologien, die der Medientheoretiker als ‚kalt‘ bezeichnet, verfügen im Gegensatz zu ‚heißen Medien‘ über eine geringe Anzahl an Informationen und verlangen daher eine hohe Partizipation des Publikums.51 Laut McLuhan trifft dies auch auf das Fernsehen zu, denn das aus Punkten aufgebaute flache TVBild muss der Betrachter mithilfe seines Sinnesapparates vervollständigen.52 Wenngleich die Einteilung aufgrund ihrer Oberflächlichkeit kaum überzeugt, ist festzuhalten, dass sich auch Aussagen und Geschichten von Songs und Clips dem Rezipienten nicht ohne größeres Nachdenken erschließen, unabhängig davon, ob sie im ‚kalten Medium‘ Fernsehen laufen. Häufig gilt das Musikvideo in dieser Hinsicht als ein besonderer TV-Inhalt. So spricht John Fiske von körperlich und lustvoll erfahrbaren postmodernen Bildern, die einen Widerstand gegenüber dem Sinn innerhalb der geschlossenen Struktur der Institution Fernsehen markieren.53 Euphorisch führt er aus: „MTV is orgasm – when signifiers explode in pleasure in the body in an excess of the physical. No ideology, no social control can organize an orgasm. Only freedom can. All orgasms are democratic: all ideology is autocratic. This is the politics of pleasure. The signifiers work through 47
Brian Faucette: Miami Vice (NBC, 1984-89). In: Roger Sabin u.a. (Hg.): Cop Shows: A Critical History of Police Dramas on Television. Jefferson, North Carolina 2015, S. 107115, S. 107.
48
Sigrid Löffler: Gedruckte Videoclips. Vom Einfluß des Fernsehens auf die Zeitungskultur. Wien 1997, S. 14.
49 50
Ebd., S. 16. Vgl. exemplarisch Steve Jones: Cohesive but not Coherent: Music Videos, Narrative and Culture. In: Popular Music and Society 12 (1988), H. 4, S. 15-29, S. 25.
51
Vgl. Marshall McLuhan: Understanding Media: The Extensions of Man [1964]. London/ New York 2001, S. 24f.
52 53
Vgl. ebd., S. 342. Vgl. John Fiske: MTV: Post-Structural Post-Modern. In: Journal of Communication Inquiry 10 (1986), H. 1, S. 74-79, S. 75.
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the senses on the body to produce pleasure and freedom: the signifieds produce sense in the mind for ideology and control.“54
Aus Fiskes umstrittener Behauptung zur semiotischen Eigenständigkeit des Bezeichnenden abzuleiten, die Bedeutungsproduktion des Musikvideos sei außer Kraft gesetzt, erweist sich allerdings als problematisch. Die rasante Montage thematisch und gestalterisch heterogener Aufnahmen mutet zwar oftmals eigenwillig und austauschbar an und erzeugt absurde bis widersprüchliche Bildkombinationen. Doch auch in der Postmoderne angefertigte Werke der Populärkultur lenken die Gedanken und Gefühle des Publikums in bestimmte Richtungen und enthalten intersubjektiv verständliche Darstellungen. Wie Gerhard Schumm argumentiert, berücksichtigen Clip-Verantwortliche aufgrund der besonderen Rezeptionssituation des Fernsehens, dass ein roter Faden zu erkennen ist, denn die Fülle alternativer TV-Inhalte lässt daran zweifeln, dass der Zuschauer vor dem Fernsehapparat ein Musikvideo immer von Anfang bis Ende betrachtet.55 Dies gilt letztlich auch für Werke, die auf Online-Portalen zu finden sind, obgleich die Möglichkeit, im Internet nach einem gewünschten Clip zu suchen, eine intensivere, zumindest gezielte Rezeption nahelegt. Selbst wenn auf Seite der Produktion kaum Wert auf eine Kohärenz der zusammengefügten Sequenzen gelegt wird und der Clip nicht die Gestalt „eine[s] Mini-Spielfilm[s] im Espressokaffee-Modus“56 annimmt, ist das Publikum – je nach individueller Motivation, Auffassungsgabe und Seherfahrung – in der Lage, Teile der komplexen Bilderwelt im Zusammenspiel mit dem Song zu deuten und das gesamte Werk gedanklich mit einem konkreten Thema oder einer Aussage zu verknüpfen. Ein weiteres Merkmal, das in der Debatte um die Postmoderne dem Musikvideo zugeschrieben worden ist und auf besondere Weise die Frage berührt, ob der Untersuchungsgegenstand Reflexionen über Medien aufweist, ist die schon angeführte Fülle von Zitaten und Anspielungen (Kapitel 1). Bereits in den 1980er Jahren ließ sich eine Häufung von intermedialen Bezugnahmen zwischen Clips und anderen kulturellen Werken beobachten.57 Die bisweilen eher plakativen als subtilen Rückgriffe auf 54 55
Ebd. Vgl. Gerhard Schumm: Die Macht der Cuts. Einstellungsverkettungen und Verkettungsserien in Kate Bush’s Videoclip „Cloudbusting“: Vorschläge zur Videoclip-Analyse. In: Barbara Naumann (Hg.): Vom Doppelleben der Bilder. Bildmedien und ihre Texte. München 1993, S. 249-278, S. 251.
56
Ebd., S. 249.
57
Gary Burns spricht von „various types of intertextuality and reflexivity, plus other references to media, mediation, and the act of looking or seeing (includes the dream-screen effect, in which a character’s dream is magically visible on a TV screen or through some other means)“. Gary Burns: How Music Video Has Changed, and How It Has not Changed: 1991 vs. 1985. In: Popular Music and Society 18 (1994), H. 3, S. 67-79, S. 74.
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frühere Visualisierungstechniken, Motive, Themen und Erzählungen sind der Grund dafür, dass Kritiker einen Mangel an gestalterischen und narrativen Ideen unterstellen und Clips vorwerfen, gleichgültig gegenüber den Inhalten zu sein, auf die sie Bezug nehmen. So setzen sich die Bilder, welche im Musikfernsehen zirkulieren, laut KuanHsing Chen aus bereits Vorhandenem zusammen und erzeugen eine Scheinwelt: „MTV – a schizophrenic simulacrum. It simulates popular culture forms to create its own world, a simulacrum of multiplized originals: Photography, film, rock music, radio, comic cartoon book and, of course, TV are all absorbed by MTV without claiming the authenticity of quoting these original specificities.“58
Chens Gedanke ist keineswegs neu, denn der Autor zitiert an dieser Stelle Jean Baudrillard, der schon in den 1970er Jahren einen nicht mit der Wirklichkeit identischen medialen Erfahrungsraum beschrieben hat.59 So postuliert der Philosoph den Beginn einer „Ära der Simulation durch Liquidierung aller Referentiale – schlimmer noch: durch deren künstliche Wiederauferstehung in verschiedenen Zeichensystemen, die ein viel geschmeidigeres Material abgeben als der Sinn.“60 Steht die Frage im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, welche Haltung das Musikvideo gegenüber den Bildquellen einnimmt, derer es sich bedient, so orientieren sich Autoren häufig an den Arbeiten von Fredric Jameson. Um Zitate und Anspielungen kommerzieller Clips zu bewerten, ziehen sie die vom Kulturwissenschaftler verwendete Gegenüberstellung der kritischen Parodie und des unkritischen Pastiches heran.61 So schildert Jameson, dass das zweite der beiden Verfahren an die Stelle des ersten Verfahrens rücke, mit anderen Worten ein übernommener Medieninhalt in der Postmoderne nicht mehr aus einer Distanz beleuchtet, sondern unter Verzicht auf ein humoristisches Anliegen nachgeahmt werde.62 Aus der Beobachtung, dass schon eine Vielzahl einzigartiger Stile entstanden und die Möglichkeiten der Kombination eingeschränkt seien, leitet er ab, dass man von Schriftstellern und Künstlern gegenwärtig keine weiteren Innovationen erwarten könne und Kunst nur noch als Imitation von 58
Kuan-Hsing Chen: MTV: The (Dis)Appearance of Postmodern Semiosis, or the Cultural Politics of Resistance. In: Journal of Communication Inquiry 10 (1986), H. 1, S. 66-69, S. 66.
59
Vgl. Jean Baudrillard: Agonie des Realen [L’Agonie du réel]. Berlin 1978, S. 7.
60
Ebd., S. 9.
61
Vgl. die im weiteren Verlauf dargestellte Auseinandersetzung mit der Argumentation von Jameson in Ramona Curry: Madonna von Marilyn zu Marlene. Pastiche oder Parodie? In: Barbara Naumann (Hg.): Vom Doppelleben der Bilder. Bildmedien und ihre Texte. München 1993, S. 219-247, S. 219.
62
Vgl. Fredric Jameson: Postmodernism and Consumer Society. In: Hal Foster (Hg.): The Anti-Aesthetic: Essays on Postmodern Culture. 5. Aufl. Seattle 1987, S. 111-125, S. 114.
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Kunst existiere.63 Diesen Überlegungen folgend bildeten intermediale Verweise von Clips, die im Programm von MTV gesendet wurden, für Autoren der 1980er Jahre das Phänomen einer Zeit, in der Medien ohne ein subversives Interesse ein breites Spektrum an vorhandenen Darstellungen und medial etablierten Darstellungskonzepten in Anspruch nehmen. Der Musiksender schien „the ultimate artifact of the Re-Decade“64 zu sein. Im Kontrast zur These, dass das Musikvideo keine andere Möglichkeit hat, als eine unkritische Haltung gegenüber fremden Medien einzunehmen, soll im Folgenden angenommen werden, dass dem Gebrauch von intermedialen Verweisen verschiedene Absichten zugrunde liegen. An diesem Punkt lässt sich an Überlegungen von Andrew Goodwin anschließen, der sich kommerziellen Clips als Forschungsgegenstand jenseits der postmodernen Kontroverse um den vermeintlichen Verlust von Bedeutungstiefe und Ernsthaftigkeit widmet. Neben Pastiche listet der Medienwissenschaftler als Varianten der intermedialen Bezugnahme soziale Kritik, selbstreflexive Parodie, Parodie, Hommage und Werbung für Kinofilme sowie Fernsehserien auf.65 Auch wenn dem Musikvideo damit zugestanden wird, Kritik an einem anderen Werk zu üben, ist eine klare Abgrenzung von Pastiche und Parodie keineswegs immer gerechtfertigt. Dies hat Ramona Curry exemplarisch anhand von Clips nachgewiesen, die für Madonna gedreht worden sind.66 Die Sängerin, so Curry, verändert ihr Image, indem sie sich der Bilder früherer Darbietungen von Figuren aus dem Showgeschäft bedient, ersichtlich etwa anhand der beiden Werke OPEN YOUR HEART (1986) und EXPRESS YOURSELF (1989).67 In ihrer Beschäftigung mit Darstellungen von Madonna entkräftet die Autorin Jamesons These von einem Wegfall der Parodie zugunsten des Pastiches in der gegenwärtigen Medienkultur.68 Selbst ein Pastiche weist Curry zufolge parodistische Züge auf, nämlich dann, wenn der Betrachter eines Clips das zitierte Klischee und dessen Umschrift, die durch eine mehrfache Wiederholung selbst zum Klischee wird, voneinander unterscheiden kann.69 Vor diesem Hintergrund schlussfolgert die Medienwissenschaftlerin, dass das Pastiche zwar eine rekonstruierende und die Parodie eine dekonstruierende Funktion besitze, beide Verfahren aber „in der diskursiven Rezeption von postmodernen Kulturprodukten viel enger miteinander verbunden [sind], als es von gängigen Theorien der Postmoderne erkannt wird.“70 63 64
Vgl. ebd., S. 115. R. Serge Denisoff/William D. Romanowski: MTV Becomes Pastiche: „Some People Just Don’t Get It!“. In: Popular Music and Society 14 (1990), H. 1, S. 47-61, S. 47.
65
Vgl. Goodwin: Dancing in the Distraction Factory, S. 161.
66
Vgl. Curry: Madonna von Marilyn zu Marlene, S. 220.
67
Vgl. ebd., S. 227, S. 241.
68
Vgl. ebd., S. 219.
69
Vgl. ebd., S. 245.
70
Ebd., S. 247.
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Ausgehend von diesem Befund sollen im Verlauf der Arbeit neben der gestalterischen und narrativen Einbindung des Fernsehens auch parodistische Verfahren des Musikvideos in den Blick genommen werden. Von ihnen ist zu erwarten, dass sie in ihrer Rekonstruktion und Dekonstruktion medialer Inhalte voneinander abweichen, das heißt eingesetzt werden, um TV-Ausschnitte mit einem unterschiedlichen Anspruch auf Realismus in die Handlung des Clips aufzunehmen und affirmativ oder subversiv zu behandeln. Außerdem gilt es, intermediale Bezugnahmen differenzierter als bislang zu betrachten. Der Bruch des Musikvideos mit den Konventionen der filmischen Illusionsbildung hat im Postmodernediskurs eine intensive Diskussion erfahren, ist allerdings ein Phänomen, das nicht mit reflexiven Darstellungen des Fernsehens oder eines anderen Distributionsmediums einhergehen muss (Kapitel 5.2). Hinsichtlich der Möglichkeiten, Verweise auf ein Medium im Rahmen eines Songs oder Clips strategisch zu nutzen, lässt sich vorläufig festhalten: Aus der – zum Beispiel medienkritischen – Gesinnung des Musikers oder Regisseurs kann auch im Fall einer auf dynamische Bildwechsel, Spezialeffekte und Spannungsmomente setzenden Inszenierung eine individuelle Haltung gegenüber dem Fernsehen hervorgehen, ungeachtet der Tatsache, dass die positive oder negative Darstellung des Mediums stets eine Interpretation erfordert und der Betrachter mit den Aussagen über das Programm, einzelne Gestaltungsprinzipien und die Nutzungs- sowie Wirkungsweisen der Television nicht einverstanden sein muss. Dass die Bilder eines Musikvideos manchmal mehr Fragen offen lassen als klären oder zumindest Motive enthalten, die einer Konkretisierung bedürfen, schließt nicht aus, dass das Medium in seiner noch theoretisch zu fundierenden Reflexion anderen Medien spezifische Bedeutungen zuschreibt.
3.3 K UNST
UND
K ULTURINDUSTRIE
Ein weiterer Forschungsbereich, der sich medialer Charakteristika der Bedeutungsproduktion annimmt und an verschiedenen Stellen auf die Postmodernedebatte Bezug nimmt, fragt danach, ob das Musikvideo trotz der ökonomischen Zwänge der industriellen Clip-Produktion Kreativität und subversive Inhalte aufweist oder lediglich darauf abzielt, für eine vorübergehende Zerstreuung des Rezipienten zu sorgen. Im Folgenden soll die gelegentlich undifferenzierte Verurteilung des Mediums relativiert werden. Denn in der Beschreibung und Interpretation von reflexiven Darstellungen kommerzieller Clips ist zu berücksichtigen, dass auch der Inszenierung von Werken, die als Unterhaltungsangebot für ein breites Publikum fungieren, künstlerische Absichten vorausgehen können. Die Analyse intermedialer Bezugnahmen, welche sich an den nächsten Untersuchungsteil anschließt, erfolgt demnach entgegen einer Kritik an der Beschaffenheit des Musikvideos, die die kulturelle Bedeutung der Bilderwelt des Mediums missachtet.
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Die bisherigen Ausführungen haben bereits das finanzielle Interesse der Tonträger- und Fernsehindustrie an der Produktion beziehungsweise Distribution von Clips vor Augen geführt (Kapitel 2.2). „Historically speaking, music video was born of an advertising impulse“71, hält Lisa St. Clair Harvey zum Beginn der Geschichte des Mediums fest. Dass MTV in den Fokus ideologie- und kulturkritischer Beiträge rückte, ist wenig verwunderlich. Laut Ien Ang schließt der Fernsehkonsum im Unterschied zur Rezeption eines ohne Werbepausen präsentierten Films im Kino stets zwei inhaltliche Dimensionen ein: „[I]t is consumption both of programmes and of commercials; the two presuppose one another – at least, from the industry’s point of view.“72 Die Gründung von MTV markierte in dieser Hinsicht einen Einschnitt, denn die beiden von Ang dargestellten Dimensionen schienen nun im Verlauf der Fernsehrezeption nicht mehr einander gegenüberzustehen, sondern in der Gestalt des Clips zusammenzufinden. So konstatiert unter anderem Peter Wollen, dass der Reklamecharakter der ausgestrahlten Musikvideos die vom Publikum gewohnte Trennung zwischen Programm und Werbung aufgehoben habe.73 Wie Joe Gow schreibt, lassen sich Clips von Fernsehspots kaum differenzieren, abgesehen davon, dass sie meist länger sind, den Betrachter nicht auffordern, ein Produkt zu kaufen, und häufig mehrmals angeschaut werden, ohne dass der Genuss der Rezeption abnimmt.74 Diese Beobachtung prägte den frühen wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs und scheint noch heute in der Auseinandersetzung mit der Bedeutungsproduktion des Unterhaltungsmediums durch. Dass eine Plattenfirma mit einem Clip, den sie für einen Sänger oder eine Band herstellen lässt, in erster Linie danach strebt, die Verkaufszahlen einer neuen Single zu erhöhen, widerspricht in den Augen mehrerer Autoren dem Anliegen von Zeitgenossen, das Musikvideo als Kunst zu begreifen. Der wie die Tonträgerindustrie nach wirtschaftlichen Regeln operierende Sender MTV gilt ihnen schlicht als eine Plattform für Werbung, die über keinen eigenen gestalterischen Wert verfügt. Exemplarisch lassen sich die Ausführungen von David J. Tetzlaff betrachten, der daran zweifelt, dass dem Zuschauer des auf Ästhetik und Emotionen setzenden Musikfernsehens die Möglichkeit gegeben sei, über das Programm nachzudenken: „There is no time for reflection. The association of affect with acceleration 71
Lisa St. Clair Harvey: Temporary Insanity: Fun, Games, and Transformational Ritual in American Music Video. In: The Journal of Popular Culture 24 (1990), H. 1, S. 39-64, S. 58.
72
Ien Ang: Living-Room Wars: New Technologies, Audience Measurement and the Tactics of Television Consumption. In: Roger Silverstone/Eric Hirsch (Hg.): Consuming Technologies: Media and Information in Domestic Spaces. London/New York 1992, S. 131-145, S. 132.
73
Vgl. Peter Wollen: Ways of Thinking about Music Video (and Post-Modernism). In: Critical Quarterly 28 (1986), H. 1/2, S. 167-170, S. 168.
74
Vgl. Joe Gow: Making Sense of Music Video: Research during the Inaugural Decade. In: Journal of American Culture 15 (1992), H. 3, S. 35-43, S. 35.
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promotes the abdication of control by the viewer.“75 Trotz der ökonomischen Bedingungen eines Mediums würden zwar immer auch subversive Inhalte existieren, allerdings seien im Fall des Musikvideos Bilder, die die eigenen kommerziellen Absichten in Frage stellen, kaum zu erwarten: „The products of the culture industry will not cause the collapse of capitalism, but they do provide potential sites of oppositional intervention. MTV just isn’t one of them.“76 Ohne sich eingehender mit Darstellungen von Clips zu beschäftigen, versteht Tetzlaff den Mangel an Kritik im Musikvideo als ein Phänomen einer umfassenden Entwicklung: „Culture doesn’t tell us fables anymore, it just shows us snapshots, lots and lots of snapshots. No explicit value statements and no explicit causal explanations are made.“77 Feststellungen dieser Art beruhen auf Annahmen, deren argumentative Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. Sie setzen sich aus Vorbehalten gegenüber der Kulturindustrie zusammen, die schon in Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Untersuchung der Massenkommunikation zu finden sind. Technische Medien sehen die beiden Vertreter der Frankfurter Schule als Teil eines „Amüsierbetrieb[s]“78 kapitalistischer Unternehmen an. Die für ein breites Publikum produzierten kulturellen Werke wie Spielfilme täuschen laut Horkheimer und Adorno vor, die Wirklichkeit abzubilden, und erweisen sich in psychologischer Hinsicht als eine große Gefahr für den Konsumenten, denn „[s]ie sind so angelegt, daß ihre adäquate Auffassung zwar Promptheit, Beobachtungsgabe, Versiertheit erheischt, daß sie aber die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbieten, wenn er nicht die vorbeihuschenden Fakten versäumen will.“79 Die Kulturindustrie, so die Analyse, versucht, die bislang bestehende Differenz zwischen ernster und leichter Kunst zu überwinden.80 Obwohl die von Horkheimer und Adorno in den 1940er Jahren niedergeschriebenen Überlegungen Bezug auf eine Situation der Massenmedien nehmen, die mit der Vielfalt an Kommunikationskanälen und Nutzungspraktiken in der Gesellschaft der Gegenwart kaum zu vergleichen ist, finden die Gedanken der beiden Sozialphilosophen nicht nur im deutschsprachigen Raum Anschluss in der Erforschung medialer Gestaltungskonzepte, Entwicklungen und Wirkmechanismen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Autoren, die sich dem Fernsehen widmen und eine ideologie- und kulturkritische Position vertreten, vor allem dann mit der Television hart ins Gericht gehen, wenn die kommerzielle Verfassung 75
David J. Tetzlaff: MTV and the Politics of Postmodern Pop. In: Journal of Communication Inquiry 10 (1986), H. 1, S. 80-91, S. 87.
76
Ebd., S. 90.
77
Ebd., S. 84.
78
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 18. Aufl. Frankfurt a.M. 2009, S. 144.
79
Ebd., S. 134f.
80
Vgl. ebd., S. 143f.
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des von ihnen betrachteten Programms besonders deutlich wird. In diesem Fall erscheinen die gesendeten Inhalte nicht als Kunst, der ein Dasein jenseits wirtschaftlicher Interessen und die Möglichkeit von politischer Stellungnahme, Widerstand und ästhetischer Irritation zugestanden werden. Oder, um es mit Norbert Bolz und David Bosshart zu sagen: „TV ist das vulgäre Medium par excellence, und MTV bringt die Steigerung.“81 Tatsächlich sind Clip-Regisseure stets darum bemüht, sowohl in der Wiedergabe eines musikalischen Auftritts als auch in den von ihnen erzählten Abenteuer-, Liebes-, Horror- und Science-Fiction-Geschichten zielgruppenrelevante Themen aufzugreifen und den Erwartungen an ein kurzweiliges Unterhaltungsangebot gerecht zu werden. Peter Weibel schildert: „Unsere Augen saugen deswegen so süchtig an der Kathodenröhre, wenn die Musik-Videos ihr futuristisches Gift der Geschwindigkeit in die Netzhaut gießen, weil offensichtlich unsere Wünsche in den dargebotenen Produkten Gestalt angenommen haben, weil Wunschgestalt und Produktgestalt, Bildgestalt und Techno-Gestalt, psychische und technische Morphologie übereinstimmen.“82
Hinzu kommt der Gebrauch von Product-Placement. Die Einbettung von Markennamen und Logos in die Handlung vieler Clips belegt, dass es sich beim vorliegenden Untersuchungsgegenstand um ein Medium handelt, das aufgrund seiner Reichweite mit mehreren Segmenten der Kulturindustrie eng verknüpft ist. Das Musikvideo ist ein Marketinginstrument von Tonträgerfirmen und bietet zugleich nicht mit dem Angebot von Musik in Verbindung stehenden Automobilunternehmen, Getränkekonzernen, Sportartikelherstellern und Modelabels eine Plattform, um ihre Produkte zu präsentieren und in der dargestellten Lebenswelt des Stars und anderer Identifikationsfiguren zu platzieren. Die Tatsache, dass die Veröffentlichung von Werken unter Vertrag von Plattenfirmen stehender Stars darauf abzielt, die Bekanntheit und das Vermögen des Interpreten zu steigern, lässt einige Autoren die Authentizität von Liedtexten und visuellen Inszenierungen in Frage stellen, aber auch die schöpferische Leistung von Songschreibern und Clip-Regisseuren leugnen. Klagten bereits Horkheimer und Adorno in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über die Vorgehensweise von Medien, die Bedürfnisse ihrer Nutzer mithilfe von produktionstechnisch standardisierten Gütern anzusprechen,83 so sind auch konstante Abläufe in der Herstellung von Musikvideos zu 81
Norbert Bolz/David Bosshart: KULT-Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorf 1995, S. 27.
82
Peter Weibel: Musik-Videos. Von Vaudeville zu Videoville. In: Veruschka Bódy/Gábor Bódy (Hg.): Video in Kunst und Alltag. Vom kommerziellen zum kulturellen Videoclip. Köln 1986, S. 24-41, S. 25.
83
Vgl. Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 129.
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finden. Während Popsongs häufig dieselben Erfahrungen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens verhandeln und in nicht wenigen Fällen ähnlich komponiert sind, gleichen sich eine Reihe von Clips hinsichtlich ihrer Verfahren der Bildgestaltung und Dramaturgie. Arbeiten, die einem Sänger oder einer Band kurzfristig zu einem Charterfolg verhelfen sollen, erwecken den Eindruck, dass eine geringe Bereitschaft besteht, von den Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums abzuweichen. Werner Faulstich bezeichnet „[d]ie Masse der Videoclips“, ohne den Kulturpessimismus der Frankfurter Schule zu übernehmen, als „,trash‘, heruntergedrehtes, willkürlich und schnell montiertes Material mit eindeutiger Funktion: Die Botschaft des Videoclip war und ist stets das Produkt selbst – ein Kaufappell.“84 Bedeutet dies, dass man nach Kreativität und künstlerischer Kritik im Musikvideo vergeblich sucht? Ein Blick auf die außergewöhnliche Bildgestaltung widerlegt diesen voreiligen Schluss (Kapitel 3.2). Die Verurteilung des Untersuchungsgegenstandes als ein Medium, das sich aus finanziellen Erwägungen mit Darstellungen begnügt, die den Star in einem positiven Licht erscheinen lassen und vom Betrachter keine kognitive Anstrengung erfordern, erweist sich als zu pauschal. Anstatt dem Musikvideo zu unterstellen, auf der Bildebene Klischees und Oberflächlichkeiten Abwechslungsreichtum und Ernsthaftigkeit vorzuziehen, kann hergeleitet werden, dass das postmoderne Unterhaltungsprodukt durchaus vielschichtig ist und kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte kommentiert. Das Musikvideo erinnert in dieser Hinsicht an die Pop-Art, welche eine Inspiration für Künstler verschiedener Jahrzehnte gebildet hat, den Bereich der Hochkultur nicht mehr getrennt von dem der Massenkultur zu betrachten.85 Aufgrund seines außergewöhnlichen Programms fasst Chang den Sender MTV als „Warholesque amoeba swimming proudly in a bowl of late-capitalist semiotic soup“86 auf. Wie der Hinweis auf den ökonomischen Kontext der Clip-Produktion allerdings bereits andeutet, sind die Arbeiten der bildenden Kunst nicht mit denen der Tonträgerindustrie gleichzusetzen. Sowohl Werken der Pop-Art, die ihre Formensprache oftmals Erzeugnissen der Massenmedien verdanken, als auch Musikvideos wird nachgesagt, freizügig auf einen vorhandenen Bestand an bekannten Bildern zurückzugreifen und den Konsumalltag des Menschen nicht in Frage zu stellen. Dennoch besteht ein entscheidender Unterschied: „Pop Art sorgte dafür, dass man sich die Bedeutung der kommerziellen Massenkultur auch kulturell eingestand, aber Pop Art war nicht diese Massenkultur, sondern deren ironische Reflexion.“87 Clip84
Werner Faulstich: Der Niedergang der Rockkultur und die Umbrüche auf dem Tonträgermarkt. In: ders. (Hg.): Die Kultur der 80er Jahre. München 2005, S. 181-190, S. 182.
85
Vgl. Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München 2010, S. 309f.
86
Chang: A Hypothesis on the Screen, S. 70.
87
Walter Grasskamp: „Pop ist ekelig“. In: Walter Grasskamp/Michaela Krützen/Stephan Schmitt (Hg.): Was ist Pop? Zehn Versuche. Frankfurt a.M. 2004, S. 9-19, S. 18.
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Regisseure versuchen hingegen, die Sympathien ihres Publikums für einen käuflich zu erwerbenden Song zu gewinnen. Mit ihrem Team erbringen sie eine Leistung, die sich für sie nicht nur hinsichtlich einer möglichen Anerkennung bei Fans und Kritikern, sondern auch hinsichtlich der vereinbarten Entlohnung als gewinnbringend erweist. Selbst wenn ein bestimmtes Musikvideo Strukturen der Konsumgesellschaft aufdeckt, bleibt es ein Mittel der Werbung. Die Bilderwelt des von Chang als ‚Einzeller‘ beschriebenen Mediums zeichnet sich in vielen Fällen durch Originalität und Variation aus. In einer Zeit von selbst gedrehten und über Online-Portale verbreiteten Clips scheinen Künstlern größere Möglichkeiten gegeben zu sein, eigene Vorstellungen von bestimmten Inhalten sowie Techniken und Strategien der Inszenierung in die Produktion eines Musikvideos einzubringen (Kapitel 2.2). Im Internet veröffentlichte Werke von Amateuren oder ausgebildeten Regisseuren haben weiterhin den Charakter eines Werbemittels, solange sie eine Single begleiten, die mit einem meist nur geringen zeitlichen Abstand zum Clip in den Handel gebracht wird. Doch bereits vor der neuen Autonomie im Web 2.0 dient das Musikvideo Künstlern dazu, eine individuelle Filmsprache zu entwickeln. Wie Dave Laing argumentiert, begrenzt die wirtschaftliche Ausrichtung der Clip-Produktion nicht den Gestaltungsspielraum aller Filmschaffenden: „[...] [M]usic video seems to be an example of a situation where initiatives taken by major institutions in a cultural industry have the effect of opening up a space for independent activity.“88 Gleichwohl finden in unabhängiger Arbeit entstandene Werke dem Musikhistoriker zufolge nur selten Eingang in das Programm des Fernsehens.89 Darüber hinaus zeigte sich in der Goldenen Ära von MTV, dass Produktionsstudios zu einem frühen Zeitpunkt Abstand von einer auf Kosteneinsparung bedachten „Reproduktion des Immergleichen“90 nahmen und ausgefallene Clips bevorzugten, um auf dem umkämpften Markt, einer Werbeagentur entsprechend, auf sich selbst aufmerksam zu machen.91 Regisseure versprachen sich derweil vom Auftrag, ein Musikvideo zu drehen, nur wenige gestalterische Entscheidungen anderen Personen überlassen zu müssen und auf der Grundlage des ihnen anvertrauten Projekts später eine Filmkarriere beginnen zu können, wie Vernallis hervorhebt: „Filmmakers who were engaged with new visual styles found music videos attractive partly because the genre provided one of the most direct ways to break into the industry – one could experiment, build a show-reel, get spotted, and land a directing gig on a feature. Making music 88
Dave Laing: Music Video: Industrial Product, Cultural Form. In: Screen 26 (1985), H. 2, S. 78-83, S. 82.
89
Vgl. ebd., S. 82f.
90
Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 142.
91
Vgl. Jan Reetze: Medienwelten. Schein und Wirklichkeit in Bild und Ton. Berlin u.a. 1993, S. 191.
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video was also a training ground in its own right: a director could be responsible for all phases of production, including conception, casting, locations, props, shooting, and editing.“92
Die für die Vermarktung eines Interpreten förderliche und von unterschiedlichen Regisseuren angestrebte Originalität der Bildgestaltung gab den Anlass, kommerzielle Clips im wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs als eine eigene Kunstform anzusehen. Da die Herstellung eines Musikvideos in Relation zu der eines Spielfilms mit weniger Aufwand und geringeren Kosten verbunden ist, bietet das Medium die Möglichkeit, visuelle Darstellungsverfahren und Dramaturgien zu verwenden, bevor diese Einzug in Produktionen für das Kino erhalten.93 Clips beschleunigen vor allem den Fortschritt in der Erzeugung und Bearbeitung von digitalen Bewegtbildern und sind daher „als ausgewiesene Experimentierfläche für medientechnologische Neuerungen“94 zu bezeichnen. Aufgrund seiner besonderen Produktionsbedingungen hat das Clip-Geschäft in der Vergangenheit eine anziehende Wirkung auf Filmschaffende verschiedener Bereiche entfaltet. Sowohl angesehene Kinoregisseure wie Derek Jarman, John Landis, Martin Scorsese und Steven Spielberg als auch Künstler wie Ralph Bakshi, Jim Blashfield, Robert Breer und Zbigniew Rybczyński stehen mit ihren Werken für eine Goldene Ära animierter Musikvideos, an die in jüngerer Zeit eine neue Generation von Regisseuren, die computergenerierte Aufnahmen einsetzen, anschließt.95 Häufig entstammen Gestaltungsmittel und Ideen des Bildarrangements beeindruckender Clips auch Arbeiten, die sich der Videokunst zurechnen lassen.96 Zahlreiche Werke der vor der Gründung von MTV etablierten Strömung gewinnen ihre Spannung aus einer ausgefallenen Medienreflexion (Kapitel 2.1). Die Anforderungen des in der Tendenz am Geschmack vieler Rezipienten orientierten Musikvideos und der von äußeren Zwängen befreiten Videokunst weichen zwar voneinander ab, die kommerzielle Logik von MTV-Clips führt allerdings zu Übernahmen von avantgardistischen Verfahren der Visualisierung und Verfremdung, wie Gerhard Bühler hervorhebt.97 92
Vernallis: Unruly Media, S. 70.
93
Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 171f.
94
Lisa Gotto: Touch / Don’t Touch. Interkulturelle Körperkontakte im Videoclip. In: Ivo Ritzer/Marcus Stiglegger (Hg.): Global Bodies. Mediale Repräsentationen des Körpers. Berlin 2012, S. 232-246, S. 232.
95
Vgl. Gunnar Strøm: The Two Golden Ages of Animated Music Video. In: Animation Studies. Online Journal for Animation History and Theory 2 (2007), URL: https://journal. animationstudies.org/gunnar-strm-the-two-golden-ages-of-animated-music-video (01.06. 2018).
96
Vgl. Gerhard Bühler: Postmoderne, auf dem Bildschirm, auf der Leinwand. Musikvideos, Werbespots und David Lynchs Wild at Heart. Sankt Augustin 2002, S. 184.
97
Vgl. ebd., S. 184f.
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Trotz der ästhetischen Innovation des Musikvideos fand die These, dass das Medium über ein eigenes Ausdrucksvermögen verfügt, erst im Verlauf der Zeit eine breite Akzeptanz. Dies ist insofern interessant, als Clip-Regisseure vor einem Problem standen, das Vertretern der Videokunst vertraut war. Denn laut Edith Decker litt das Ansehen von videokünstlerischen Arbeiten zum einen darunter, dass ihre Bilder eine flüchtige Erscheinung aufweisen, zum Teil eine zeitintensive Rezeption erfordern und keine Unikate sind, zum anderen bezweifelte man hinsichtlich der Verbindung zum Fernsehen, dass es sich bei ihnen um Kunst handelt.98 Dies gilt in einem weitaus höheren Maße für das Musikvideo, als dessen hauptsächlicher Ausstrahlungsort bis zur Entstehung des Internets das TV-Medium fungierte. Hinzu kommt die Tatsache, dass für das Fernsehpublikum zunächst nicht ersichtlich war, wer für einen über den Bildschirm laufenden Clip eines Stars verantwortlich zeichnete. Ein Wandel setzte zu Beginn der 1990er Jahre ein, als MTV und andere Sender, mit der Auteur-Politik im Filmdiskurs vergleichbar, dazu übergingen, in ihrem Programm neben den Namen des Interpreten und des Plattenlabels sowie den Titeln des Songs und des Musikalbums auch den Namen des Regisseurs einzublenden.99 Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Verurteilung des Musikvideos als kulturell bedeutungsloses und sich schädlich auf den Konsumenten und die Gesellschaft auswirkendes Werbemittel zurückgewiesen werden muss. So werden Clips von Regisseuren in Szene gesetzt, die sich hinsichtlich ihrer Intention, des gestalterischen Freiraums, der technischen Ausstattung und der individuellen Fähigkeiten unterscheiden. Jörg Gerle ist recht zu geben, wenn er betont, dass, dem Filmgeschäft entsprechend, neben eingängigen Mainstream-Werken auch Arthouse-Werke zu finden seien, folglich wertfrei zwischen Arbeiten verschiedenen Anspruchs differenziert werden müsse, möchte man die Bilderwelten von Musikvideos erforschen.100 Künstlerische Clips folgen laut Gerle eigenen Regeln: „Sie verweigern sich einer leichten Decodierung, sind falls überhaupt nur zu fassen, wenn man sie komplett goutiert. In der Regel dekonstruieren sie das zu bewerbende Produkt und entkoppeln den Star vom Song. Und, was in der Werbebranche als geradezu obszön gilt: sie geben den Machern ein Forum.“101 98 99
Vgl. Edith Decker: Paik, Video. Köln 1988, S. 8. Vgl. Roger Beebe: Paradoxes of Pastiche: Spike Jonze, Hype Williams, and the Race of the Postmodern Auteur. In: Roger Beebe/Jason Middleton (Hg.): Medium Cool: Music Videos from Soundies to Cellphones. Durham, North Carolina/London 2007, S. 303-327, S. 303, S. 324.
100 Vgl. Jörg Gerle: Der Musikclip im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. In: Peter Moormann (Hg.): Musik im Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien. Wiesbaden 2010, S. 135-145, S. 137. 101 Ebd., S. 140.
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Bühler konstatiert in diesem Zusammenhang: „[...] [E]s [sind], wie in der Bildenden Kunst auch, jene zahlenmäßig geringen, aber qualitativ hervorragenden Werke (einer Avantgarde), die Stil und Ästhetik entscheidend prägen und großen Einfluß auf den übrigen ‚Mainstream‘ ausüben.“102 Die folgende Untersuchung der Medienreflexion im Musikvideo zielt allerdings nicht darauf ab, nach gestalterisch hochwertigen Clips oder Werken anerkannter Regisseure zu suchen und ihnen allein die Fähigkeit einer tieferen, möglicherweise kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen oder einem anderen Medium zu unterstellen. Auch im Fall von Werken, die mit einem geringen Aufwand und unter Rückgriff auf stereotype Figurendarstellungen und Handlungsmuster produziert worden sind, um die aktuelle Single eines Sängers oder einer Band zu bewerben, ist zu erwarten, dass die verwendeten Bilder gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen beleuchten und positive oder negative Erfahrungen im Umgang mit Kommunikationstechnologien zum Ausdruck bringen. Wertende Aussagen und Fragen zu einzelnen Charakteristika eines bestimmten Mediums können den Standpunkt eines Musikers deutlich machen und seiner Vermarktung als selbstbewusster und glaubwürdiger Star dienlich sein. Bei der Medienreflexion geht es nicht um das Ergebnis einer außergewöhnlichen künstlerischen Anstrengung, sondern um ein Phänomen, das sich auch als Teil des Mainstreams betrachten lässt, bislang jedoch weder medientheoretisch fundiert noch systematisch erforscht worden ist. In die Analyse gehen daher insbesondere kommerzielle Musikvideos ein, die seit den 1980er Jahren als Werbung für eine Single fungiert haben, während das selbst gedrehte Bild- und Tonmaterial von Nutzern im Internet ohne Beziehung zu einem im Handel erhältlichen Song nur am Rande der Arbeit behandelt wird. Am konkreten Beispiel des Fernsehens gilt es aufzuzeigen, dass nicht nur Musikvideos aus Bereichen, „die den Kunstanspruch ihres Produktes höher halten als den Anspruch, mit ihrer Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen“103, bestimmte Vorstellungen von den Inhalten, ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen eines Mediums artikulieren. Aufgenommen in das Programm eines TV-Senders oder von vielen Usern über ein Online-Portal aufgerufen, bilden vor allem Songs und Clips, die eine große Öffentlichkeit erreichen, einen relevanten Gegenstand für die Untersuchung der Darstellung von Eigenschaften spezifischer Medien.
102 Bühler: Postmoderne, auf dem Bildschirm, auf der Leinwand, S. 191. 103 Gerle: Der Musikclip im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit, S. 139f.
Teil II:
Theoretische Grundlagen
Die zurückliegenden Kapitel haben den historischen Wandel und die Charakteristika der Bedeutungsproduktion des Musikvideos erörtert. Das Prinzip, vorhandene Songs zu Werbezwecken mit bewegten Bildern zu verknüpfen, ist in verschiedenen künstlerisch-medialen Bereichen aufgegriffen worden und spricht auch nach dem Ende der Hochzeit des Musikfernsehens insbesondere ein jugendliches Publikum an. Entgegen oftmals undifferenzierten kritischen Einwänden soll im weiteren Verlauf der Arbeit weder von der kommerziellen Funktion von Clips der Tonträgerindustrie auf eine ausschließlich affirmative Haltung gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen und Entwicklungen geschlossen noch die Vielzahl intermedialer Verweise im Musikvideo als ein postmodernes Phänomen interpretiert werden, das auf einer fehlenden Möglichkeit oder Bereitschaft zu kreativer Betätigung beruht. Stattdessen gilt es, die Inszenierungsmuster des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes im Hinblick auf die medienkulturwissenschaftlich interessante Deutungsmacht seiner vielfältigen Bilder des Medienalltags aufzudecken. Wie Diane Railton und Paul Watson schreiben, ist das Musikvideo als „a key site through which cultural identities are produced, inscribed and negotiated“1 anzusehen. Inwiefern das aus Song und Clip bestehende Medium auch Vorstellungen von einzelnen Kommunikationstechnologien und ihren Inhalten vermittelt, soll in diesem Untersuchungsteil theoretisch begründet werden. Möchte man wissen, welche gestalterischen und narrativen Verbindungen ein bestimmtes Medium zu einem anderen Medium herstellen kann, bietet es sich zunächst an, in der Forschung zur Intermedialität, welche sich auf mehrere Fachdisziplinen erstreckt, nach einem geeigneten Modell zu suchen, das eine systematische Analyse inhaltlicher und formalästhetischer Aspekte ermöglicht. Um aufzudecken, unter welchen Voraussetzungen das Musikvideo als ein Medium zu betrachten ist, das von sich verschiedene Einzelmedien reflektiert, soll im Folgenden ein Ansatz gewählt werden, der eine differenz- und beobachtungstheoretische Grundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Medienreflexion liefert (Kapitel 4). In einem abschließenden Exkurs präzisiert der Untersuchungsteil das in der
1
Railton/Watson: Music Video and the Politics of Representation, S. 10.
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Arbeit verwendete Konzept der Reflexion, indem er sich einer viel zitierten Eigenschaft des Mediums Musikvideo widmet. Es geht um die Frage, in welchem Verhältnis die analysierbaren intermedialen Bezugnahmen eines audiovisuellen Clips zum Illusionsbruch stehen, den Regisseure seit den ersten Jahren von MTV immer wieder gezielt einsetzen, um innerhalb der Handlung einen Moment der Überraschung herbeizuführen (Kapitel 5).
4. Medienreflexion
Betrachtet man den aktuellen Stand der Forschung zur Intermedialität, wird schnell deutlich, dass die Relationen zwischen einzelnen Medien mithilfe verschiedener theoretischer Zugänge und Begriffsinstrumentarien bestimmt werden. Von ‚intermedium‘ ist erstmals in der narratologischen Auseinandersetzung von Samuel T. Coleridge mit Merkmalen der Allegorie die Rede.1 Der Ausdruck des Philosophen hat sich insofern als anschlussfähig für spätere medienwissenschaftliche Debatten erwiesen, als er von Dick Higgins in seinen Beiträgen zur Verknüpfung unterschiedlicher medialer Ausdrucksformen in der Kunst aufgegriffen worden ist.2 Jens Schröter, der das vom Fluxus-Vertreter während der 1960er Jahre beschriebene Phänomen unter dem Titel ‚synthetische Intermedialität‘ behandelt, sieht im Bruch mit Wahrnehmungskonventionen durch die Verschmelzung mehrerer Monomedien zu einem Intermedium einen revolutionären Gestus, der Verbindungen zu dem auf Richard Wagner zurückgehenden Konzept des Gesamtkunstwerks aufweist.3 Diese ästhetische Parallele zieht auch Jürgen E. Müller, demzufolge das ‚Gesamtkunstwerk‘ in den Arbeiten des Musikers und Musiktheoretikers als „eher beiläufig eingestreute[s] Konzept“4 auftaucht, welches die „funktionale Reintegration“ voneinander getrennter Künste anstrebt, um sie „von ihren überkommenen Fesseln“ zu lösen und „unbewußte Aktivitäten und Tiefenschichten im Bewußtsein des Rezipienten freizusetzen.“5 Bis heute gilt der Zusammenschluss von einzelnen Medien als markantes Beispiel für ein intermediales Verfahren. Zugleich hat er Gemeinsamkeiten mit Phänomenen, 1
Vgl. Jürgen E. Müller: Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte. In: Jörg Helbig (Hg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 31-40, S. 31.
2
Vgl. ebd.
3
Vgl. Jens Schröter: Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissenschaftlichen Begriffs. In: montage/av 7 (1998), H. 2, S. 129-154, S. 130ff.
4
Jürgen E. Müller: Intermedialität und Medienwissenschaft. Thesen zum State of the Art. In: montage/av 3 (1994), H. 2, S. 119-138, S. 124.
5
Ebd., S. 125.
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die als ‚hybrid‘ bezeichnet werden. Bei diesem Ausdruck handelt es sich laut Irmela Schneider um einen Begriff, der im Fachkontext von Biologie, Chemie, Technologie und Medizin Verwendung für Kombinationen heterogener Merkmale findet, die zu einer Effizienzsteigerung führen sollen und mit einem Komplexitätswachstum einhergehen.6 Der Vorgang der Hybridisierung, so Schneider, bildet einen Gegenentwurf zu linearen Entwicklungen, da die zusammengebrachten Elemente aus unterschiedlichen Zeiten stammen können.7 Doch welche Differenzen bestehen zwischen den Konstellationen, die das Attribut ‚intermedial‘ tragen, und solchen, die als ‚hybrid‘ verhandelt werden? Yvonne Spielmann spricht sich dafür aus, „das Phänomen der Hybridisierung in den weiteren Bereich der Kulturalität zu situieren und hybride Verfahren unter dem Aspekt von Mediatisierungsschichten zu behandeln. Die Debatte des Phänomens der Intermedialität wird auf die engere Ebene der Medialität begrenzt, so daß die Transformationsprozesse und die ästhetische Gestaltung im Mittelpunkt der Analyse stehen.“8
Wie die Medienwissenschaftlerin erläutert, sind hybride Konstellationen Mischungen, die Formen medialer Kommunikation einschließen können, im Gegensatz zur Intermedialität allerdings weniger die Unterschiede zwischen den Medien als die Möglichkeiten der Kombination hervortreten lassen.9 Daher mag es wenig überraschen, dass in der Forschung ähnliche Formulierungen gebraucht werden, um die in den vorangegangenen Kapiteln diskutierte Eigenschaft des Musikvideos, mehrere Zeichensysteme, Gestaltungsstrategien und Funktionen zu vereinen, in allgemeine Worte zu fassen. So legt etwa Dick Hebdige den Schwerpunkt auf die hinter dem aus Bild, Ton und Text bestehenden Medium liegenden kommunikativen Intentionen und spricht von „monstrous hybrids – neither ‚pure entertainment‘ nor ‚pure promotion‘ – where the image and the sound, the video and the record chase after each other (i.e., sell each other) in a double helix that short-circuits other possibilities (e.g., contact with the real, the audience, the street).“10 Als „hybrid of film, television and music“11 schildert 6
Vgl. Irmela Schneider: Von der Vielsprachigkeit zur „Kunst der Hybridation“. Diskurse des Hybriden. In: Irmela Schneider/Christian W. Thomsen (Hg.): Hybridkultur. Medien, Netze, Künste. Köln 1997, S. 13-66, S. 18f.
7
Vgl. ebd., S. 14.
8
Yvonne Spielmann: Intermedialität. Das System Peter Greenaway. München 1998, S. 67f.
9
Vgl. Yvonne Spielmann: Intermedialität und Hybridisierung. In: Roger Lüdeke/Erika Greber (Hg.): Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. Göttingen 2004, S. 78-102, S. 91.
10
Dick Hebdige: What is „Soul“? In: Alan M. Olson/Christopher Parr/Debra Parr (Hg.): Video Icons & Values. Albany, New York 1991, S. 121-133, S. 129.
11
Jack Banks: MTV and the Globalization of Popular Culture. In: International Communication Gazette 59 (1997), H. 1, S. 43-60, S. 58.
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Jack Banks derweil das Ergebnis des Rückgriffs auf Inhalte vielfältiger medialer Bereiche. „Most videos are hybrids“12, stellen auch Peter G. Christenson und Donald F. Roberts fest und beziehen sich auf die Verzahnung unterschiedlicher Darstellungsebenen in der Clip-Montage: „[...] [M]ost performance videos incorporate at least a few non-performance-related video inserts, and most concept videos show the artist in some sort of performance mode, however stylized.“13 Die gezielte Bündelung und Erweiterung von Merkmalen verschiedener Medien ist demnach zwar auch ein Gegenstand des Musikvideodiskurses, allerdings nicht mit ästhetischen Verfahren der reflektierenden Bezugnahme auf vom Clip unterscheidbare Medien gleichzusetzen. Im Anschluss an und in Abgrenzung von Higgins’ Begriffsbestimmung sind zahlreiche Ansätze entstanden, die vor dem Hintergrund von eigenen Erkenntnisinteressen alternative Vorschläge zur Untersuchung von intermedialen Relationen machen. Zum Teil werden voneinander abweichende Phänomene mit identischen Begriffen erläutert, zum Teil dienen voneinander abweichende Begriffe der Erläuterung identischer Phänomene.14 Erwähnung finden unter anderem technologische Kreuzungen von und Wechselwirkungen zwischen neuen und alten Kommunikationsinstrumenten und -praktiken, unterschiedliche mediale Plattformen einschließende Marketing- und Erzählstrategien und Darstellungen spezifischer Werke wie Romane, Fernsehserien und Computerspiele innerhalb fremdmedialer fiktionaler und nicht-fiktionaler Rahmen. Wie sich das Verständnis von Intermedialität gewandelt hat und welche analytischen Schwerpunkte entstanden sind, fasst Irina O. Rajewsky zusammen: Einen ersten Forschungsstrang, dessen Wurzeln in der Antike liegen und der sich hauptsächlich auf das Verhältnis von Literatur, bildender Kunst und Musik konzentriert, ordnet sie der Komparatistik zu.15 Ein zweiter Strang, so Rajewsky, ist aus der film- und kulturwissenschaftlichen Analyse zwischen Film und Literatur bestehender Relationen hervorgegangen, die ihren Anfang im frühen 20. Jahrhundert genommen hat und von Literatur- und Medienwissenschaftlern weitergeführt wird, seitdem in den 1970er Jahren neue audiovisuelle Formen intermedialer Beziehungen aufgekommen sind.16 In den 1990er Jahren verschob sich der Literaturwissenschaftlerin zufolge die Perspektive auf intermediale Phänomene, prägend für die weitere Forschung ist das etablierte Konzept der Intertextualität gewesen.17 Diese Entwicklung habe jedoch nicht einem bestimmten Ansatz zur Durchsetzung verholfen, sondern im Gegenteil zusätzliche Definitionen und Annahmen hervorgebracht; ein 12
Peter G. Christenson/Donald F. Roberts: It’s not Only Rock & Roll: Popular Music in the Lives of Adolescents. Cresskill, New Jersey 1998, S. 141.
13
Ebd., S. 141f.
14
Vgl. Irina O. Rajewsky: Intermedialität. Tübingen/Basel 2002, S. 6f.
15
Vgl. ebd., S. 7f.
16
Vgl. ebd., S. 8.
17
Vgl. ebd., S. 43f.
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Problem bestehe demnach in der „verwirrende[n] Fülle unterschiedlicher Bedeutungen, die dem Terminus ‚Intermedialität‘ zugeschrieben werden, und de[m] Mangel einer theoretischen und methodischen Fundierung.“18 Um den Untersuchungsgegenstand zu präzisieren, hat Rajewsky ein eigenes Kategoriensystem erarbeitet. Sie versteht „Intermedialität als Beschreibungs- und Analysekategorie für konkrete Phänomene [Herv. i.O.]“19 und grenzt unterschiedliche intermediale Erscheinungsformen voneinander ab. Die breit rezipierte Gliederung soll im Folgenden exemplarisch betrachtet werden, um aufzuzeigen, wie ein alternatives theoretisches Fundament für die Erforschung der Medienreflexion im Musikvideo beschaffen sein muss. Der erste Bereich in der Typologie von Rajewsky trägt die Bezeichnung ‚Transmedialität‘ und umfasst „[m]edienunspezifische Phänomene“, so etwa überlieferte Erzählungen, „die in verschiedensten Medien mit den dem jeweiligen Medium eigenen Mitteln ausgetragen werden können, ohne daß hierbei die Annahme eines kontaktgebenden Ursprungsmediums wichtig oder möglich ist.“20 ‚Intramedialität‘ bildet einen zweiten Bereich, dem Phänomene innerhalb nur eines Mediums zugeordnet werden, unter anderem Verweise zwischen einzelnen literarischen Texten.21 Als dritter Bereich beschreibt ‚Intermedialität‘ „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.“22 Der Bereich ist in drei Kategorien strukturiert: Während sich die ‚Medienkombination‘ laut Rajewsky auf eine punktuelle oder vollständige Synthese von Medien erstreckt, die jeweils ein materieller Bestandteil des Endprodukts sind, liegt der Fokus des ‚Medienwechsels‘ auf der Frage, wie ein medienspezifisches Produkt in einem anderen Medium umgesetzt wird, das später als einziges materiell präsent ist.23 ‚Intermediale Bezüge‘ sind hingegen als Kontaktaufnahmen eines Mediums mit einem fremdmedialen Produkt (Einzelreferenz) oder dessen Zeichensystem (Systemreferenz) zu begreifen, das mithilfe verschiedener Darstellungsverfahren vergegenwärtigt und nachgeahmt werden kann, wie weitere Einteilungen zeigen.24 Zieht man das Modell heran, um zu erörtern, welche Anforderungen an ein theoretisches Fundament der Medienreflexion zu stellen sind, ergeben sich trotz Rajewskys sorgfältiger Gliederung der zwischen Medien bestehenden Relationen eine Reihe 18
Ebd., S. 46.
19
Irina O. Rajewsky: Intermedialität ‚light‘? Intermediale Bezüge und die ‚bloße Thematisierung‘ des Altermedialen. In: Roger Lüdeke/Erika Greber (Hg.): Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. Göttingen 2004, S. 27-77, S. 34.
20
Rajewsky: Intermedialität, S. 13.
21
Vgl. ebd., S. 12.
22
Ebd., S. 13.
23
Vgl. ebd., S. 19.
24
Vgl. ebd., S. 157.
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von Komplikationen. So fällt zunächst auf, dass überwiegend literarische Beispiele in Anschlag gebracht werden, um die Typologie zu entwickeln. Auch wenn Rajewsky anregt, die von ihr dargestellten Rekursverfahren auf Medien wie Film und Fernsehen zu übertragen, die aufgrund ihrer hybriden Struktur mehrere Zeichensysteme umfassen,25 bleiben die Ausführungen zum ästhetischen Ausdrucksvermögen und den dramaturgischen Funktionen intermedialer Bezüge audiovisueller Werke im Vergleich zu den verbalsprachlichen Verweisen eines Romans oberflächlich. Als nicht weniger problematisch erweist sich im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit Rajewskys Konzeption von Medien. So scheint in der Schilderung intermedialer Bezüge als grenzüberschreitende Phänomene die Annahme durch, Medien seien hinsichtlich ihrer strukturellen Beschaffenheit und der Erscheinungsweise immer eindeutig zu bestimmen. Die Autorin betont zwar in einem späteren Aufsatz, „dass die Frage, wie ein Medium zu definieren und von anderen abzugrenzen ist, selbstverständlich immer nur historisch, diskurs- und beobachterabhängig, unter Berücksichtigung technologischer Veränderungen, sich wandelnder konventioneller Zuschreibungen und in Abhängigkeit des zu einem spezifischen Zeitpunkt gegebenen medialen Relationsgefüges beantwortet werden kann.“26
Doch inwiefern die Wahrnehmung kultureller, sozialer und technologischer Aspekte der in Kontakt zueinander tretenden Medien einem Wandel unterliegt und die gestalterische Umsetzung sowie wertende Haltung intermedialer Bezugnahmen im Verlauf der Zeit beeinflusst, steht nicht im Mittelpunkt der Arbeit von Rajewsky. Besonders deutlich ist die Kritik von Joachim Paech, der anmerkt, dass die materiellen Bedingungen und der institutionelle Rahmen, in den Medien eingebunden sind, kaum eine Berücksichtigung fänden, während der Begriff des ‚Kommunikationsdispositivs‘ von Werner Wolf übernommen werde, um Medien zu differenzieren.27 Rajewsky versuche auf diese Weise, „Literatur und andere Medien als bloße ‚semiotische Systeme‘ in Beziehung zu setzen“, und beabsichtige, „beide ‚Systeme‘ unterschiedlicher Zeichenverwendung als inkompatibel auf Distanz zu halten.“28 Laut Paech schränkt diese Entscheidung eine medientheoretische Anschlussfähigkeit ein: Da die Möglichkeit eines Mediums, ein von ihm abweichendes Medium in den Blick zu nehmen, auf den Modus des ‚Als ob‘ reduziert werde, gehe es in der Arbeit eher um eine motivische 25 26
Vgl. ebd., S. 162f. Irina O. Rajewsky: Das Potential der Grenze. Überlegungen zu aktuellen Fragen der Intermedialitätsforschung. In: Dagmar von Hoff/Bernhard Spies (Hg.): Textprofile intermedial. München 2008, S. 19-47, S. 25.
27
Vgl. Joachim Paech: Irina O. Rajewsky: Intermedialität. In: Medienwissenschaft: Rezensionen | Reviews 20 (2003), H. 1, S. 62-66, S. 63.
28
Ebd.
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und stilistische Analyse literarischer Referenzen auf den Film als um intermediale Phänomene im engeren Sinne.29 Trotz Rajewskys aufschlussreicher Zusammenschau vielfältiger Rekursverfahren bleibt ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen Medien im Allgemeinen in der Lage sind, ausgewählte Eigenschaften des eigenen oder eines anderen Mediums zur Anschauung zu bringen,30 und das Musikvideo im Besonderen sein Verhältnis zum Distributionsmedium Fernsehen reflektiert. Dies führt zur Frage, wie sich zum einen die Wirkmacht der Bezugnahmen, die zwischen einzelnen Medien erfolgen, herleiten und zum anderen die in der visuellen Clip-Inszenierung zum Ausdruck kommenden Verweise auf das Fernsehen analysieren lassen. Im Mittelpunkt der Darlegung des Mechanismus der Reflexion steht die abstrakte Unterscheidung von Medium und Form (Kapitel 4.1). Sie ermöglicht es, herauszustellen, dass ein Medium im Blick auf seine Umwelt spezifische Kenntnisse über sich und andere Medien vermittelt. Folglich kann auch dem Musikvideo die Fähigkeit eingeräumt werden, ein Bild vom Fernsehen zu zeichnen, das sich vor dem Hintergrund der medialen Charakteristika des Clips und der Veränderungen des TVMediums wandelt (Kapitel 4.2). Aufbauend auf dem theoretischen Fundament lässt sich die Medienreflexion dann um eine historische Dimension erweitern. So ist das Musikvideo bis heute am Fortgang des Diskurses über das Fernsehen beteiligt. Eine Zusammenfassung der Befunde zum Aufbau und Verlauf von Mediendiskursen, denen die Darstellung des Fernsehens in kommerziellen Clips folgen oder widersprechen kann, schärft den Blick für die Bezugnahmen auf das TV-Medium. Da die Reflexionen in Musikvideos voneinander abweichen, weil sich neben dem beobachtenden auch das beobachtete Medium in einer fortlaufenden Entwicklung befindet, sollen die Stadien und Themen des Fernsehdiskurses eingehender betrachtet werden (Kapitel 4.3). Eine Vergleichsgrundlage für die Analyse der Inszenierung des Massenmediums Fernsehen im Musikvideo bildet der Spielfilm (Kapitel 4.4).
4.1 M EDIUM
UND
F ORM
Sucht man nach einem Forschungsansatz, der sich dem Beziehungsgefüge einzelner Medien widmet und ihre prägenden Kräfte in den Mittelpunkt der Analyse rückt, bieten sich als Ausgangspunkt verschiedene dezidiert medientheoretische und nicht auf den Bereich der Literatur beschränkte Zugänge an. Eine große Popularität erlangten insbesondere Marshall McLuhans Beiträge zur Entwicklung und gesellschaftlichen 29 30
Vgl. ebd., S. 65. Gleichwohl liefert die Literaturwissenschaftlerin einen Hinweis auf die Möglichkeit einer reflexiven Inszenierung des Fernsehens im Film. Eine solche intermediale Bezugnahme liege vor, wenn über einen in der filmischen Handlung dargestellten Bildschirm originale TV-Aufnahmen laufen. Vgl. Rajewsky: Intermedialität, S. 178.
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Wirkung von Kommunikationstechnologien. Im Sinne des Philosophen verändern einzelne Medien und nicht ihre Inhalte, in denen sich stets andere Medien zeigen, die Wahrnehmungsgewohnheiten des Menschen: „The content of a movie is a novel or a play or an opera. The effect of the movie form is not related to its program content. The ‚content‘ of writing or print is speech, but the reader is almost entirely unaware either of print or of speech.“31 Bis heute setzen sich Wissenschaftler mit McLuhans medienevolutionären Überlegungen auseinander. Eine Aktualisierung hat der Ansatz unter anderem durch Jay D. Bolter und Richard Grusin erfahren.32 Die Autoren erforschen, inwiefern insbesondere digitale Kommunikationsangebote auf fremdmediale Inhalte zurückgreifen, und verstehen diesen Vorgang der ‚remediation‘ als eine sich historisch wandelnde Grundeigenschaft der Medien.33 Sie schreiben der beobachteten intermedialen Konstellation zwei Merkmale zu, denn mediale Darstellungen entfalten ihrer Analyse nach nicht nur eine transparente Wirkung (immediacy), sondern lösen diese Unmittelbarkeit auch auf und machen die Tatsache, dass eine medial vermittelte Darstellung vorliegt, deutlich (hypermediacy).34 Bolter und Grusin entwickeln in dieser Hinsicht ein vielschichtiges Bild von den als „hybrids of technical, material, social, and economic facets“ aufgefassten Medien innerhalb der Gesellschaft und konstatieren: „In short, we can reject McLuhan’s determinism and still appreciate his analysis of the remediating power of various media.“35 In einer Untersuchung der Darstellungswelt des Musikvideos herauszuarbeiten, inwiefern durch intermediale Bezugnahmen eine medienspezifische Vorstellung vom Fernsehen hervorgebracht wird, erfordert einen anderen Ansatz. Denn mithilfe welcher Inszenierungsstrategien ein Medium in Form von Bild, Ton und Text in der Lage ist, eine reflektierende Haltung zu entwickeln und dem Publikum Kenntnisse über Eigenschaften anderer Medien zu vermitteln, bleibt in den Arbeiten von McLuhan sowie Bolter und Grusin weitgehend unberücksichtigt. Dass die Darstellung eines Mediums in einem audiovisuellen Clip unter bestimmten Voraussetzungen als eine Reflexion betrachtet werden kann, lässt sich mithilfe eines systemtheoretischen Ansatzes erklären, der bereits in der Vergangenheit als Ausgangspunkt zur Erforschung intermedialer Relationen fungiert hat. Es geht um ein Modell, das den Schwerpunkt auf die kulturelle Bedeutungskonstruktion von Medien in Medien legt und eine historische Sicht auf die sich wandelnden intermedialen Bezugnahmen ermöglicht, ohne davon auszugehen, dass sich Kommunikationstechnologien nach ihrer Entstehung linear weiterentwickeln. Im Mittelpunkt steht das Begriffspaar ‚Medium‘ und ‚Form‘, 31
McLuhan: Understanding Media, S. 19.
32
Vgl. Jay D. Bolter/Richard Grusin: Remediation: Understanding New Media. Cambridge, Massachusetts/London 1999, S. 45.
33
Vgl. ebd., S. 21.
34
Vgl. ebd.
35
Ebd., S. 77.
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mit dem Niklas Luhmann operiert und welches von Kay Kirchmann und Jens Ruchatz vorgeschlagen wird, um den Mechanismus der Medienreflexion im Film herzuleiten.36 Die abstrakte Unterscheidung des Soziologen sei ein geeignetes Forschungsinstrument, und zwar „nicht nur, weil sie mittlerweile schon fast zum guten Ton jeder Medientheorie gehört, sondern auch weil sie ein epistemologisches Niveau formuliert, das man nicht mehr unterschreiten sollte, und weil sie desweiteren so allgemein gefasst ist, dass sie stets spezifiziert werden muss, um analytisch produktiv zu sein, dafür aber auch nicht allzu vieles präjudiziert.“37
Ausgangspunkt der Differenzierung von Medium und Form sind wahrnehmungstheoretische Überlegungen von Fritz Heider, auf die Luhmann rekurriert.38 Der Sozialpsychologe grenzt in einer abweichenden Formulierung ‚Dinge‘ im Sinne von „Erkennungsobjekte[n]“ von ‚Medien‘, die „als Vermittlung auftreten“39 und die Dinge zur Anschauung bringen, ab. Luhmann zieht seine Inspiration aus dem Verhältnis der beiden Kategorien und betrachtet Medien als einen Bestand lose gekoppelter Elemente, aus denen feste Kopplungen in Gestalt von Formen hervorgehen können.40 Er fragt folglich weder nach Inhalten noch nach Funktionen von Kommunikationstechnologien wie Radio oder Fernsehen, sondern setzt sich mit der „Offenheit einer Vielzahl möglicher Verbindungen“ auseinander und versteht Medien in diesem Zusammenhang als Phänomene, die über keine eigene Struktur verfügen und „nur an der Kontingenz der Formbildungen erkennbar sind, die sie ermöglichen.“41 In Anlehnung an das mathematische Formenkalkül von George Spencer-Brown fügt Luhmann schließlich die Differenz von Medium und Form als Re-entry auf der Seite der Form wieder ein.42 Eine solche Anordnung ineinandergelagerter Unterscheidungen erlaubt es ihm, zu begründen, dass auch die Elemente, aus denen Medien bestehen, schon geformt sind und durch zusätzliche Kopplungen im Verlauf der Zeit noch nicht realisierte Formen entstehen.43 Denn Luhmann zufolge lässt sich eine Form als eigene mediale Grundlage heranziehen, das heißt zur Bedingung weiterer Formbildungen machen, die in 36
Vgl. die Zusammenfassung des in diesem Kapitel ausführlich dargelegten Ansatzes in Kay Kirchmann/Jens Ruchatz: Einleitung: Wie Filme Medien beobachten. Zur kinematografischen Konstruktion von Medialität. In: dies. (Hg.): Medienreflexion im Film. Ein Handbuch. Bielefeld 2014, S. 9-42, S. 19.
37
Ebd.
38
Vgl. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1995, S. 167.
39
Fritz Heider: Ding und Medium [1926], hg. v. Dirk Baecker. Berlin 2005, S. 50.
40
Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 168.
41
Ebd.
42
Vgl. ebd., S. 169.
43
Vgl. ebd., S. 172.
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einem neuen Kontext selbst als Medien fungieren können.44 Das Ergebnis der Selektionen ist nicht vorherzusagen, so der Systemtheoretiker: „Natürlich limitieren Medien das, was man mit ihnen anfangen kann. Sie schließen, da sie ja ihrerseits aus Elementen bestehen, Beliebigkeit aus. Aber das Arsenal ihrer Möglichkeiten bleibt im Normalfalle groß genug, um nicht auf wenige Formen festgelegt zu sein, denn das würde schließlich die Unterscheidung kollabieren lassen.“45
Als ein Konstrukt aus Elementen, die ausgewählt werden und verschiedene Kopplungen einzugehen vermögen, zeichnet sich die Form im Vergleich zum nicht beobachtbaren, allerdings stets zur Verfügung stehenden Medium prinzipiell durch eine geringere Stabilität aus.46 Die Möglichkeiten kreativer Verknüpfungen sind demnach dauerhaft vorhanden: „Formen können also in einem Medium wie immer flüchtig oder längerfristig gebildet werden, ohne daß das Medium dadurch verbraucht würde oder mit Auflösung der Form verschwände.“47 Im Folgenden soll beleuchtet werden, welcher Erkenntnisgewinn sich von der Verwendung der beiden Begriffe ‚Medium‘ und ‚Form‘ in einer Untersuchung der Medienreflexion im Musikvideo versprechen lässt. Dies macht es notwendig, die Grundunterscheidung von Luhmann zunächst innerhalb der von ihm entwickelten Systemtheorie zu perspektivieren. Im Anschluss soll die Differenz von Medium und Form auf die Analyse von Einzelmedien bezogen werden, deren Beobachtungen anderer Medien der Soziologe in seinen Arbeiten nicht weiter erforscht. Folgt man dem Ansatz von Luhmann, so ist die funktional differenzierte Gesellschaft in operativ geschlossene und sich reproduzierende Teilbereiche strukturiert.48 Wie Peter Fuchs zusammenfasst, gestattet es die Unterscheidung von Medium und Form im Rahmen der funktional-strukturellen Theorie, ein System als eine zweiseitige Form aus System und Umwelt zu konzipieren, weshalb das Begriffspaar ‚System‘ und ‚Umwelt‘ durch das von ‚Medium‘ und ‚Form‘ nicht ersetzt wird, sondern mit diesem „in ein[em] Verhältnis wechselseitiger Dauerinstruktion [Herv. i.O.]“49 steht. So erzeugen die in einem Austausch befindlichen gesellschaftlichen Funktionssysteme im Zuge ihrer kontinuierlichen Autopoiesis stets die Elemente, aus denen sie 44
Vgl. ebd.
45
Ebd., S. 170.
46
Vgl. ebd., S. 171.
47
Ebd.
48
Vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt a.M. 1998, S. 42.
49
Peter Fuchs: Die Theorie der Systemtheorie – erkenntnistheoretisch. In: Jens Jetzkowitz/ Carsten Stark (Hg.): Soziologischer Funktionalismus. Zur Methodologie einer Theorietradition. Opladen 2003, S. 205-218, S. 216.
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zusammengesetzt sind und mit denen sie sich als Form von ihrer Umwelt unterscheiden.50 Ihr Aufbau ist demnach zirkulär.51 Die Grundlage des Fortbestands eines Systems bildet jeweils ein binärer Code, der aus einem positiven und einem negativen Wert besteht und den Anschluss von Operationen gewährleistet.52 Umweltbeobachtungen beruhen demnach auf bestimmten Unterscheidungen, die der Wahrnehmung des Systems im Moment der Beobachtung prinzipiell unzugänglich sind.53 Dies ändert nach Luhmann allerdings nichts an der Tatsache, „daß man einen Beobachter beobachten kann [...]. Diese Beobachtung zweiter Ordnung setzt voraus, daß man den beobachteten Beobachter unterscheidet, also eine andere Unterscheidung verwendet als er selbst.“54 Einem System A gelingt es folglich, zu beobachten, wie es von einem System B beobachtet wird, da die Blickwinkel, unter denen die intersystemischen Bezugnahmen erfolgen, voneinander abweichen. Die in solchen Beobachtungen Anwendung findenden Unterscheidungen legen fest, wie ein System Phänomene in seiner Umwelt wahrnehmen und verarbeiten kann, etwa dann, wenn sich die Kunst als System A mit der Wissenschaft als System B auseinandersetzt oder – aus der entgegengesetzten Richtung – die Wissenschaft auf die Kunst referiert. Unabhängig davon, wie die intersystemische Bezugnahme inhaltlich ausfällt, ereignet sich die Beobachtung zweiter Ordnung, welche es erlaubt, unter einer eigenen Perspektive andere Beobachter, aber nicht sich selbst während der eigenen Beobachtung zu beobachten, auf keiner hierarchisch höher gelegenen Ebene.55 Massenmedien sind nach Luhmann als ein spezifisches Teilsystem innerhalb der funktional differenzierten Gesellschaft der Gegenwart zu verstehen; sie gebrauchen den binären Code von Information und Nichtinformation, um sich von ihrer Umwelt unterscheiden und Komplexität verringern zu können.56 Vor allem Studien, die im Bereich der Kommunikationswissenschaft angesiedelt sind, haben in der Vergangenheit eine systemtheoretische Konzeption der Massenmedien aufgegriffen, einhergehend mit Bewertungen von im Journalismus vorhandenen rekursiven Beziehungen. So liefert die mediale Selbstbeobachtung Kenntnisse über „die professionellen Funktionsweisen der Medien, ihre ökonomischen Verflechtungen und politischen Normative sowie die durch sie konstruierten Medienrealitäten“57, im Gegensatz zu Phänomenen 50
Vgl. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1, S. 65ff.
51
Vgl. ebd., S. 69.
52
Vgl. ebd., S. 359ff.
53
Vgl. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1990, S. 91.
54
Ebd., S. 86.
55
Vgl. ebd., S. 87.
56
Vgl. Luhmann: Die Realität der Massenmedien, S. 36f.
57
Michael Beuthner/Stephan A. Weichert: Zur Einführung: Internal Affairs – oder: die Kunst und die Fallen medialer Selbstbeobachtung. In: dies. (Hg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Wiesbaden 2005, S. 13-41, S. 14.
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der Selbstreferenz, die darin bestehen, dass Autoren ausgewählte Inhalte ihrer Kollegen als Quelle für eigene Beiträge verwenden.58 Im ersten Fall handelt es sich um einen Journalismus über Medien, der aufgrund seiner Beschäftigung mit den Anforderungen, die an Angebote der Massenkommunikation gestellt werden, einer besonderen Erwartungshaltung unterliegt. Es zeigt sich, dass Journalisten den Austausch über die eigene Branche häufig als unangemessen betrachten und sich Affären mit einem hohen Empörungspotenzial widmen, während Missstände im Mediensystem, die weniger Aufsehen erregen, ihren Weg in spezifischere Publikationen mit einer meist geringeren Leserschaft finden.59 Auch Phänomene der Selbstreferenz stehen aus unterschiedlichen Gründen in der Kritik. Wie Carsten Reinemann und Jana Huismann erläutern, droht unter anderem eine Vereinheitlichung der Berichterstattung hinsichtlich der verhandelten Themen und des politischen Gehalts, wenn sich Medien in ihren Beiträgen aneinander orientieren.60 Den beiden Autoren zufolge mangelt es jedoch noch immer an einer empirischen Bestätigung der beliebten These, dass der Umfang von Referenzen auf Medien im Handeln von Medienakteuren und in den medialen Angeboten gestiegen ist.61 An dieser Stelle zeigt sich, dass die Differenz von Medium und Form ein Analyseinstrument bildet, das den Blick für intermediale Relationen schärft, wenngleich Luhmanns Interesse vornehmlich Relationen gilt, die sich zwischen Systemen ergeben. Die Ausgangsunterscheidung dient nicht nur dazu, das Verhältnis des sich reproduzierenden Systems der Massenmedien zu seiner Umwelt zu beschreiben, sondern kann darüber hinaus in Bezug zu den Operationsweisen einzelner Medien gesetzt werden, die im System verortet sind. So lässt sich auch die Beschäftigung des Musikvideos mit den Eigenschaften des Fernsehens und denen anderer Medien unter dem Gesichtspunkt selbstreferenzieller Strukturen betrachten. Denn wie Nina Bishara aus semiotischer Sicht erläutert, ist die Selbstreferenzialität ein Merkmal, das intermedialen Verweisen prinzipiell zugeschrieben werden kann: „Die Bezüge zwischen Werbung und Film, Film und Computerspiel, Literatur und Film usw. sind selbstreferenziell, verbleiben sie doch – trotz unterschiedlicher semiotischer Ausgangssysteme – innerhalb der Welt der Medien [...].“62 Betrachtet man die von der Zeichentheoretikerin erwähnte ‚Welt der Medien‘ als ein gesellschaftliches Teilsystem, dann lässt sich differenztheoretisch argumentieren, dass Einzelmedien eine Form erlangen, sobald sie den Blick in selektiven Beobachtungen auf die eigene mediale Umwelt richten. Entsprechend den mal mehr, mal weniger auffälligen Anleihen, die Journalisten 58
Vgl. ebd., S. 15f.
59
Vgl. ebd., S. 17f.
60
Vgl. Carsten Reinemann/Jana Huismann: Beziehen sich Medien immer mehr auf Medien? Dimensionen, Belege, Erklärungen. In: Publizistik 52 (2007), H. 4, S. 465-484, S. 482.
61
Vgl. ebd., S. 481.
62
Nina Bishara: Selbstreferenzielle Werbung. Konstanz 2008, S. 201.
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in ihren Arbeiten bei bereits veröffentlichten Zeitungsberichten, TV-Reportagen und Online-Artikeln nehmen, wirken Übernahmen im Bereich der fiktionalen Unterhaltung systemstützend.63 Dies gilt unabhängig davon, in welchem Umfang Darstellungen im gesamten Werk aufgegriffen werden und ob sie einen affirmativen oder subversiven Charakter haben. Welche Implikationen sich für die Erforschung der Darstellung von Medien im Musikvideo ergeben, wenn man die beobachtungstheoretische Differenz von Medium und Form in der Untersuchung kommerzieller Clips gebraucht, und wann eine Reflexion vorliegt, soll im Folgenden erörtert werden.
4.2 B EDINGUNGEN
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Bezieht man Luhmanns differenztheoretische Definition von Medium und Form auf Medien im Sinne technisch verfasster, in kulturelle und soziale Kontexte eingebetteter Kommunikationsmittel, so lassen sich die Bedingungen der Medienreflexion im Musikvideo bestimmen. Zunächst ist festzuhalten, dass Einzelmedien in ihren wechselseitigen Beobachtungen, die unter Anwendung spezifischer, vielfältig kombinierbarer Ausdrucksmittel vollzogen werden, stets als mediale Form in Erscheinung treten. Parallelen zu anderen medientheoretischen Ansätzen sind nicht von der Hand zu weisen. Dass Medien Luhmann zufolge keine neutralen Kanäle der Vermittlung von Informationen zwischen Produzenten und Rezipienten bilden und als Gefüge lose gekoppelter Elemente unsichtbar sind, erinnert zwar an McLuhans Medienverständnis, im Mittelpunkt einer systemtheoretisch fundierten Analyse steht jedoch nicht der Versuch, das Wesen eines Mediums anhand vermeintlich eindeutig bestimmbarer Merkmale herauszuarbeiten.64 Vielmehr geht es um die Frage, welche Vorstellungen von Inhalten, Gestaltungsprinzipien und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen der mediale, reale Kommunikationserfahrungen nicht in all ihren Facetten widerspiegelnde Blick 63
Aus der Tatsache, dass die grundlegende Selbstreferenz der Massenmedien von expliziten Verweisen zwischen einzelnen Medien begleitet wird, ergeben sich stets zwei Möglichkeiten, eine intermediale Bezugnahme systemtheoretisch einzuordnen: „Wenn eine Tageszeitung eine Film- oder Fernsehkritik abdruckt, handelt es sich dann um eine selbstreferenzielle Beobachtung innerhalb eines Mediensystems oder um die fremdreferenzielle Beobachtung eines anderen Mediums?“ Jens Ruchatz: Konkurrenzen – Vergleiche. Die diskursive Konstruktion des Felds der Medien. In: Irmela Schneider/Peter M. Spangenberg (Hg.): Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Bd. 1. Wiesbaden 2002, S. 137-153, S. 137.
64
Vgl. ausführlicher Sybille Krämer: Das Medium als Spur und als Apparat. In: dies. (Hg.): Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt a.M. 1998, S. 73-94.
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auf ein Medium in der Gesellschaft hervorbringt.65 „Die ‚Identität‘ eines Mediums wird unentwegt neu ausgehandelt“, stellen Kirchmann und Ruchatz fest, „innerhalb des jeweiligen Mediums wie außerhalb, als wissenschaftliche, als journalistische oder als ästhetische Praxis – aber immer wiederum innerhalb des medialen Feldes.“66 Intermedialität ist in diesem Sinne nicht mit einer Verknüpfung unterschiedlicher Kommunikationsformen im Rahmen einer künstlerischen Aufführung oder einer technologischen Apparatur gleichzusetzen, sondern lässt sich „als Wiederholung oder Wiedereinschreibung a.) eines Mediums als Form in b.) die Form eines (anderen) Mediums definier[en], als eine mediale Konstellation also, in der a.) dasselbe oder ein anderes Medium als Form (oder Formulierung) in b.) demselben oder einem anderen Medium als Form wiederkehrt.“67
Ausgehend vom vorgestellten beobachtungstheoretischen Ansatz kann das Verhältnis, in dem das Musikvideo zum Fernsehen, dem Gegenstand der zu untersuchenden Beobachtung, steht, konkretisiert werden. Dies ist deshalb notwendig, weil eine Besonderheit audiovisueller Clips darin liegt, dass ihre Rezeption auf eine technische Plattform der Präsentation angewiesen ist. Es erscheint daher plausibel, das Verhältnis von Musikvideo und Fernsehen analog zum Verhältnis von Spielfilm und Kino zu betrachten, auch wenn beide Konstellationen hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung voneinander abweichen. Eine Einschränkung besteht darin, dass Clips im Gegensatz zu Spielfilmen aufgrund des heterogenen Programms ihres Distributionsmediums schon früher einen nur geringen Teil des gesamten TV-Angebots ausgemacht haben, wenngleich auch im Kino nicht nur Filme auf der Leinwand zu sehen sind. Gemeinsam ist den beiden Medienkonstellationen, dass sie Wiedergabetechnologien einschließen, die sich mit der Zeit wandeln. So tauchen Musikvideo und Film mittlerweile in verschiedenen Arrangements auf und sind zum Beispiel über Online-Portale 65
Die Unbeobachtbarkeit von Medien zeigt sich auch in ihrem Gebrauch, da erst Störungen die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf ein gewöhnlich funktionierendes Kommunikationsmittel lenken. Vgl. ebd., S. 74. Unterbrechungen wie die einer laufenden Sendung im Fernsehen oder Radio verhindern die Fortentwicklung der visuellen beziehungsweise auditiven medialen Form: „[...] [D]ie Sichtbarkeit der Form und die Unsichtbarkeit des Mediums wird sichtbar, nicht das Medium als Medium.“ Mario Grizelj: Dissidente Medialität, oder die gespenstische Form des frühen Films. In: Bernd Scheffer/Christine Stenzer (Hg.): Schriftfilme. Schrift als Bild in Bewegung. Bielefeld 2009, S. 141-166, S. 161.
66 67
Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 18. Joachim Paech: Das Medium formuliert, die Form figuriert. Medium, Form und Figur im intermedialen Verfahren. In: Thomas Becker (Hg.): Ästhetische Erfahrung der Intermedialität. Zum Transfer künstlerischer Avantgarden und ‚illegitimer‘ Kunst im Zeitalter von Massenkommunikation und Internet. Bielefeld 2011, S. 57-74, S. 64.
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zugänglich. Übersetzt in die Differenz von Medium und Form unterscheidet sich die Verbreitung eines Werks im Kino beziehungsweise Fernsehen durch die dort realisierbaren Kopplungen medialer Elemente von der Form im Internet.68 Mit den sich ausdifferenzierenden Distributionsmöglichkeiten verändern sich auch die Bedingungen, unter denen Clips ihre Umwelt beobachten, konsumiert werden und medienspezifischen Störungen unterliegen können. Ob das Musikvideo aus einer differenztheoretischen Perspektive als Medium oder Form zu bezeichnen ist, entscheidet sich mit der Fokussierung des Untersuchungsgegenstandes. Laut Lisa Gotto koppelt es sich an ein TV-Programm, weshalb seine Bilderwelt mediale Charakteristika des Distributionsortes vergegenwärtigt: „Videoclips gehören zum und ins Fernsehen. Das, was der Videoclip als Figur entwirft, verweist in seiner Entstehung, Entwicklung, Verbreitung und Verteilung auf medienspezifische Mechanismen der Formbildung. Anders gesagt: Videoclips finden nicht einfach im Fernsehen statt, sie finden als Fernsehen statt.“69
Zu den Phänomenen, anhand derer die Filmwissenschaftlerin belegt, dass das Musikvideo Merkmale des Fernsehens, dem es seine Ausstrahlung verdankt, beobachtbar werden lässt, zählen unter anderem die komprimierte Gestalt der zusammenhängenden Bilderfolgen, in der sich der Aufbau des TV-Programms widerspiegelt, auf das Distributionsmedium gerichtete intermediale Verweise, das als solches zutage tretende Beziehungsgefüge von Bild und Ton, das der Fernsehstruktur entsprechende Wiederholungsprinzip von Clips und die Darstellung der Selektionsmöglichkeit des Zuschauers.70 Gebraucht man die Unterscheidung von Medium und Form, so lassen sich diese instruktiven Überlegungen weiterführen. Auf der einen Seite ist die Möglichkeit, einen Clip wahrzunehmen, an spezifische Voraussetzungen geknüpft. Zur Bedingung der medialen Formbildung gehören eine künstlerische Auswahl ästhetischer Elemente und die spätere Darstellung über eine Kommunikationstechnologie. Auf der anderen Seite bringt der Clip als Medium Ansichten von Kommunikationstechnologien hervor, die eigene Bewegtbilder übertragen können und als Form zu beobachten sind. Da Clips inzwischen auch unabhängig vom Fernsehprogramm eine öffentliche 68
Vgl. mit Bezug zum Film ebd., S. 62. In der Terminologie von Marie-Laure Ryan ist von der Überführung des Inhalts eines ‚semiotischen Mediums‘ in den Code eines ‚transmissiven Mediums‘ zu sprechen. Vgl. Marie-Laure Ryan: Media and Narrative. In: David Herman/Manfred Jahn/Marie-Laure Ryan (Hg.): Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London/New York 2005, S. 288-292, S. 289.
69
Lisa Gotto: Figurenkonzepte im Videoclip. In: Rainer Leschke/Henriette Heidbrink (Hg.): Formen der Figur. Figurenkonzepte in Künsten und Medien. Konstanz 2010, S. 325-340, S. 326.
70
Vgl. ebd., S. 327f.
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Verbreitung finden und von der Tonträgerindustrie weiterhin als ein Marketinginstrument genutzt werden, dessen Entstehung der Produktion des musikalischen Stücks in der Regel nachgelagert ist, in jedem Fall eigenen kreativen Entscheidungen unterliegt, ist ihnen eine gewisse Selbstständigkeit zuzurechnen – als „distinct media form with its own patterns of production, codes and conventions of representation, and complex modes of circulation“71, wie Railton und Watson formulieren. Anhand der Bezugnahmen auf andere als Form in Erscheinung tretende Medien kann erforscht werden, welche Bedeutungszuschreibungen Clips vornehmen, um sich von ihrer Umwelt abzugrenzen. Die Ausdrucksmittel, derer sich Regisseure bedienen, sind für Verweise auf unterschiedliche Medien nutzbar und keineswegs nur auf solche beschränkt, die das Publikum als fernsehspezifisch wahrnimmt. Obwohl die einst vorhandene Nähe zum TV-Medium bei jüngeren Rezipienten in Vergessenheit geraten mag, seitdem Clips vermehrt im Internet zirkulieren, ist denkbar, dass auch heute noch eine Affinität zwischen den Bezugnahmen des Musikvideos auf das Fernsehen und denen auf das eigene Medium besteht. Dies betrifft zum einen Werke aus einer Zeit, als die enge Beziehung zum Fernsehen Bestand hatte, und zum anderen solche, die an diese Vergangenheit – zum Beispiel nostalgisch – erinnern und den Hintergrund der eigenen Existenz als Medium zur Anschauung bringen. Doch inwiefern handelt es sich um eine Reflexion, wenn das Musikvideo Bezug auf ein – als Form beobachtbares – Medium nimmt? Sucht man in der filmwissenschaftlichen Forschungsliteratur nach einer Erklärung, zeigt sich zunächst eine Vielzahl an Techniken und Strategien der Inszenierung, die als ‚reflexiv‘ bezeichnet werden oder unter sprachlich verwandten Ausdrücken firmieren. Dies lässt sich nicht zuletzt auf die Mehrdeutigkeit des Wortes ‚Reflexion‘ zurückführen, das sowohl einen kognitiven Prozess als auch eine Spiegelung beschreibt.72 Ausgehend von der Unterscheidung beider Konzepte grenzt Jean-Marc Limoges ‚selbstreflexive‘ und lediglich ‚reflexive‘ Verfahren voneinander ab.73 Im ersten Fall liege ein Illusionsbruch vor, im zweiten Fall gehe es hingegen um „devices that do not reveal ‚the‘ device (i. e., the film itself), but rather ‚a‘ device (such as, for example, a film within the film) [Herv. i.O.].“74 Entsprechend verbindet auch Gloria Withalm ein ‚selbstreflexives‘ Werk mit einer Geschichte, die nicht nur ‚selbstreferenziell‘ einzelne Aspekte der Produktion, Distribution oder Rezeption des Mediums Film darstellt, sondern auf einer dieser drei Ebenen dem Publikum den eigenen medialen Werkcharakter vor Augen führt, also Bezug auf „eben de[n] Film“ nimmt, „in dessen Text die Bezugnahme inkorporiert ist 71
Railton/Watson: Music Video and the Politics of Representation, S. 10.
72
Vgl. Jean-Marc Limoges: The Gradable Effects of Self-Reflexivity on Aesthetic Illusion in Cinema. In: Werner Wolf (Hg.): Metareference across Media: Theory and Case Studies. Amsterdam/New York 2009, S. 391-407, S. 393.
73
Vgl. ebd., S. 392f.
74
Ebd., S. 392.
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[...] [Herv. i.O.].“75 Kirchmann zufolge lässt sich der ‚selbstreflexive‘ Film, „der eine oder mehrere seiner Konstituenten thematisiert [Herv. i.O.]“76, mit dem oftmals in Debatten zur Postmoderne erwähnten ‚selbstreferenziellen‘ Film kontrastieren, „der keine Referenzen mehr an ein – wie auch immer geartetes – ‚Außerhalb‘ des eigenen filmischen Kontextes mehr [sic!] erkennen läßt; für den also kein vorgängiges mimetisches Prinzip mehr konstitutiv ist [Herv. i.O.].“77 Michael Dunne greift indes auf den Ausdruck ‚self-referentiality‘ zurück, um die ästhetischen Verfahren zu untersuchen, mit denen verschiedene Werke der amerikanischen Populärkultur darauf hinweisen, dass sie das Produkt eines bestimmten Mediums sind.78 Robert Stam wählt für unterschiedliche Bezugnahmen künstlerisch-kultureller Inhalte auf die eigene Konstruktion als Fiktion hauptsächlich den Begriff ‚reflexivity‘.79 Denselben Terminus verwendet William C. Siska, wenn er zwei Varianten beschreibt, wie ein medienspezifisches Bewusstsein anschaulich wird: „1) in the artist reflecting upon his medium of expression; and 2) in the artist as creator reflecting upon himself.“80 Kehrt man zur Ausgangsunterscheidung von Medium und Form zurück, lässt sich das Konzept der ‚Reflexion‘ präzisieren und auf die Möglichkeit des Musikvideos beziehen, andere Medien und ihre Inhalte auf individuelle Weise in Szene zu setzen. Wie Luhmann schildert, referieren Systeme nicht nur auf eigene Bestandteile,81 sondern stellen auch einen Bezug zum Gesamtsystem her, dessen Bestandteil sie sind; darüber hinaus stehen sie in Verbindung mit anderen Teilsystemen und werden, dem 75
Gloria Withalm: Der Blick des Films auf Film und Kino. Selbstreferentialität und Selbstreflexivität im Überblick. In: Michael Latzer u.a. (Hg.): Die Zukunft der Kommunikation. Phänomene und Trends in der Informationsgesellschaft. Innsbruck/Wien 1999, S. 147160, S. 153.
76
Kay Kirchmann: Zwischen Selbstreflexivität und Selbstreferentialität. Zur Ästhetik des Selbstbezüglichen als filmischer Modernität [1994]. In: Ernst Karpf/Doron Kiesel/Karsten Visarius (Hg.): Im Spiegelkabinett der Illusionen. Filme über sich selbst. Marburg 1996, S. 67-86, S. 68.
77 78
Ebd., S. 74. Vgl. Michael Dunne: Metapop: Self-Referentiality in Contemporary American Popular Culture. Jackson, Mississippi/London 1992, S. 11.
79
Vgl. Robert Stam: Reflexivity in Film and Literature: From Don Quixote to Jean-Luc Godard. New York/Chichester [1985] 1992, S. 1.
80
William C. Siska: Metacinema: A Modern Necessity. In: Literature/Film Quarterly 7 (1979), H. 4, S. 285-289, S. 285.
81
Der Allgemeinheitsanspruch der Systemtheorie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf sich selbst verweisende Strukturen auch in anderen kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen verwendet und diskutiert werden. Vgl. zu diesen Bereichen Steven J. Bartlett: Varieties of Self-Reference. In: Steven J. Bartlett/Peter Suber (Hg.): Self-Reference: Reflections on Reflexivity. Dordrecht/Boston/Lancaster 1987, S. 5-28.
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Re-entry der Differenz von Medium und Form entsprechend, reflexiv, wenn sie ihr Verhältnis zu anderen Teilsystemen beobachten.82 Es ist bereits dargelegt worden, dass sich die beiden Verfahren, welche den autopoietischen Erhalt eines Systems gewährleisten, Selbst- und Fremdreferenz, auch auf der Ebene von Einzelmedien, die kontinuierlich andere mediale Formen beobachten und von sich unterscheiden, ausmachen lassen.83 Medien sind einem gemeinsamen Funktionsbereich der Gesellschaft zuzuordnen und lenken den Blick in zwei Richtungen, auf sich selbst und auf etwas Fremdes. Dass sich das Modell der Doppelperspektive in Deckung mit philosophischen Annahmen über den Vorgang des Nachdenkens bringen lässt, ist naheliegend. So leitet zum Beispiel Sandra Poppe die Bedingungen der reflexiven Medienbeobachtung im Sinne einer „vergleichenden Gegenüberstellung“84 aus der Kritik der Urteilskraft (1790) ab.85 Die Autorin überträgt die Ausführungen von Immanuel Kant zum Erkenntnisvermögen des Menschen in seinem dritten Hauptwerk auf die Struktur von intermedialen Verweisen, denen sie in literarischen Arbeiten nachgeht, und schlussfolgert, „dass in die Beschäftigung mit dem Altermedialen immer auch die Auffassung über das eigene Medium einbezogen wird“86, das eigene Medium in einer solchen Bezugnahme allerdings nicht nur automatisch hervortrete, sondern darüber hinaus als Reflexionsgegenstand fungieren könne.87 Mithilfe des systemtheoretischen Begriffsinstrumentariums, das auf Phänomene jenseits menschlichen Nachdenkens anwendbar ist, lassen sich die Überlegungen von Poppe verdeutlichen. So erläutern Kirchmann und Ruchatz, dass Medien in der Lage seien, „‚Medialität‘ zu denken [Herv. i.O.]“88, wenn die Form des beobachtenden und die des beobachteten Mediums wahrnehmbar werden, das heißt einen Vergleich möglich machen.89 Demnach bildet das Fernsehen für das Musikvideo als Ausgangsmedium der Reflexion nicht den einzigen Bezugspunkt, sondern einen Gegenstand der Beobachtung neben mehreren anderen Medien. Wie Kirchmann und Ruchatz schreiben, „muss nach Markierungen [gesucht werden], die das Auftreten von Formen auch als Auftritt des (‚eigenen‘ oder ‚fremden‘) Mediums inszenieren, also auf die Voraussetzungen der Formbildung hinweisen und insofern reflektierend operieren [Herv. 82
Vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1998, S. 757.
83 84
Vgl. Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 21. Sandra Poppe: Literarische Medienreflexionen. Eine Einführung. In: Sandra Poppe/Sascha Seiler (Hg.): Literarische Medienreflexionen. Künste und Medien im Fokus moderner und postmoderner Literatur. Berlin 2008, S. 9-23, S. 9.
85
Vgl. ebd., S. 16.
86
Ebd.
87
Vgl. ebd., S. 17.
88
Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 20.
89
Vgl. ebd., S. 19ff.
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i.O.].“90 Dies gilt es zu berücksichtigen, um die Eigenlogik untersuchen zu können, nach der Clips Verweise im Sinne reflexiver Bezugnahmen auf das TV-Medium realisieren. Nicht zu vergessen ist, dass auch Musikvideos, die Darstellungen des Fernsehens enthalten, ohne Merkmale der Television herauszustellen und die fremdmediale Form auf die eigene Form zu beziehen, die Vorstellung von der Kommunikationstechnologie im Alltag prägen. An dieser Stelle bedarf es einer Präzisierung der ästhetischen Möglichkeiten des Musikvideos, auf das TV-Medium zu verweisen. So unternimmt ein Clip eine Reflexion im engeren Sinne, wenn er sich als eine im Fernsehen hervorgebrachte Form enthüllt, zum Beispiel durch die Inszenierung einer Rezeptionssituation auf die eigenen Entstehungsbedingungen referiert oder mithilfe von zusätzlichen visuellen Elementen anzeigt, im TV-Programm ausgestrahlt zu werden, selbst wenn dies nicht immer der Wahrheit entspricht. Die Bilder können in diesem Zuge die kommunikative Funktion des Musikvideos geheim halten und den Eindruck erwecken, ein anderer Inhalt des Fernsehens zu sein. Denkbar ist auch eine Abgrenzung vom televisuellen Distributionsort, auf den der Clip verweist, während er seine Form mit der Form eines weiteren Mediums in Verbindung bringt. Der Auftritt der medialen Form des Fernsehens und ihr Bezug zur Form des Clips fallen innerhalb der Inszenierung sehr unterschiedlich aus. Kirchmann und Ruchatz heben hinsichtlich der auf Selbst- und Fremdreferenz beruhenden Medienreflexion hervor, dass „[sich] [s]olche Vergleichsoperationen [...] freilich nicht nur auf medial differente Formen [erstrecken], denn das beobachtende Medium kann ebenso Infrastrukturen, Nutzungspraktiken oder Effekte verschiedener Medien aufzeigen und gegenüberstellen, um mediale Differenz zu konstruieren. Diesbezüglich kann mutmaßlich nur im Einzelfall entschieden werden, ob von hier aus ein Reflexionsweg zu den Formen gebahnt wird, oder ob das beobachtende Medium sich mit der Aufrufung der genannten Kategorien begnügt.“91
Eine ästhetische Eigenschaft, die von mehreren Medien geteilt wird, im Fall des Musikvideos allerdings – ersichtlich in der Verbindung der beiden Begriffe ‚Musik‘ und ‚Video‘ – eine zentrale Bedeutung erhält, ist der Zusammenschluss von zwei medialen Formen (Kapitel 3.1). So bildet nicht nur der Clip, sondern auch der zugehörige Song eine Selektion medialer Elemente, die sich als Form selbst in den Blick zu nehmen vermag. Neben dem Klang der Musik ist vor allem der Liedtext zu berücksichtigen, welcher in einer Wechselwirkung mit der visuellen Ebene die Darstellung des Fernsehens mitprägt. Er kann, ähnlich den verbalsprachlichen Äußerungen über Medien in den Dialogen eines Films,92 ebenfalls intermediale Bezugnahmen aufweisen, durch die dem TV-Medium unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. 90
Ebd., S. 26.
91
Ebd., S. 21f.
92
Vgl. ebd., S. 22.
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Mit anderen Worten: Im Musikvideo artikuliert sich auch eine Fernsehreflexion, die ihren Ausgangspunkt in der Popmusik hat. Abgesehen von den visuellen Verfahren der Medienbeobachtung sollen im weiteren Verlauf der Arbeit daher in gleicher Weise die Perspektiven erkundet werden, unter denen ein Clip gemeinsam mit dem ihm zugrunde liegenden Song Bezug auf das Fernsehen nehmen und den Standpunkt seiner Beobachtung im System der Medien sowie Eigenschaften des eigenen Mediums zu erkennen geben kann. Die Medienreflexion erfordert auf der einen Seite, dass bereits eine Vorstellung von Beziehungen zwischen bestimmten Medien existiert, auf der anderen Seite vermittelt sie eigene Einschätzungen über intermediale Verhältnisse, wie Kirchmann und Ruchatz im Anschluss an Jens Schröter erläutern.93 Einem kognitiven Vorgang entsprechend wird Vorhandenes verarbeitet und Neues hervorgebracht. Kirchmann und Ruchatz halten zur Bedeutungskonstruktion der Medienreflexion fest: „Mediendifferenz wird mithin in intermedialen Beziehungen zugleich erzeugt und vorausgesetzt. Intermedialität verändert also die konventionellen Bestimmungen eines Mediums und somit die Wissensbestände über die relationierten Medien – wobei besagtes ‚Wissen‘ eben sowohl extern generiert (in Gestalt von Vorannahmen über das jeweilige ‚Wesen‘ der relationierten Medien) als auch intern erst produziert sein kann (im Sinne der angesprochenen Inklusions- und Exklusionsoperationen, die das beobachtende Medium selbst formuliert) oder gar zwischen diesen beiden Polen oszilliert [Herv. i.O.].“94
Übertragen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ergibt sich das Bild, welches das Musikvideo vom Fernsehen zeichnet, aus Darstellungen, die an Kenntnisse über Bedingungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Clips in der Gegenwart anknüpfen und Erwartungen an zukünftige Entwicklungen artikulieren oder entgegen den Erfahrungen im Umgang mit dem Fernsehen im Allgemeinen und dem Musikfernsehen im Besonderen neue Aspekte des beobachtenden und des beobachteten Mediums beleuchten. Da die Reflexion eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Referenz auf das Medium, von dem die Beobachtung ausgeht, einschließt, gibt eine Analyse der gestalterischen und narrativen Einbindung des TV-Mediums Aufschluss darüber, inwiefern Clips den eigenen Wandel thematisieren und ihr Verhältnis zum Programmmedium wahrnehmen. Sowohl positive als auch negative Bewertungen finden Eingang in die Auseinandersetzung des Musikvideos mit dem Fernsehen. Um die Haltung gegenüber dem Programm und bestimmten Eigenschaften des TV-Mediums näher betrachten zu können, gilt es stets, die Verbindung zwischen den im Clip selektiv beobachteten Formen und dem Fernsehen zu erkunden. Dies gewinnt vor dem Hintergrund des breiten Spektrums zur Verfügung stehender visueller Ausdrucksmittel 93
Vgl. ebd., S. 23.
94
Ebd.
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und der Vielfalt an medialen Kontexten, in denen Bildschirme verortet sind, eine besondere Bedeutung. Zieht man ein Zwischenfazit, so lässt sich festhalten, dass die Medienreflexion auch innerhalb eines einzelnen Mediums unterschiedliche Gestalt annimmt. Das Musikvideo kann eine Verbindung zu einem anderen Medium als Form herstellen, indem es bestimmte Inhalte übernimmt und verändert, also fremdes Material im Sinne eines Zitats verwendet oder Bilder als Anspielung nachstellt. Dies ist jedoch nur eine mögliche, in der Forschung dominierende Perspektive auf die intermediale Verfassung kommerzieller Clips. Neben fiktionalen und nicht-fiktionalen Produkten wie Fernsehsendungen bildet das Musikvideo auch Medien der Speicherung und Übertragung ab, ohne real existierende oder erfundene Inhalte darzustellen oder ästhetische Charakteristika nachzuahmen. In einigen Fällen liegt der Schwerpunkt auf technologischen, politischen, ökonomischen oder sozialen Aspekten verschiedener Medien, die innerhalb des Clips in Szene gesetzt werden. Zu berücksichtigen ist, dass das Medium, auf welches referiert wird, gleichzeitig ein Gegenstand der Beobachtung anderer Medien ist. So knüpft das Musikvideo in der Auseinandersetzung mit seiner medialen Umwelt auch an ein Wissen über das Fernsehen an, das fremdmediale Darstellungen hervorbringen. Es handelt sich unter anderem um Bildmotive, die Werken der Videokunst und Spielfilmen entstammen. Sie kommen als Zitat oder Anspielung in der Medienreflexion des Musikvideos zum Einsatz und lassen sowohl über das Fernsehen als auch über jenes Medium nachdenken, dem die Aufnahmen zugeordnet werden können. Der Clip beobachtet das TVMedium als Form einer weiteren Medienbeobachtung. Nimmt das Musikvideo ein Medium in den Blick, bewegt sich der Verweis zwischen einer Referenz auf die fremdmediale Form und einer Reflexion, die die Form des eigenen Mediums hinzuzieht.95 Dies bedeutet für intermediale Bezugnahmen des Musikvideos auf das Fernsehen und seine Sendungen, dass die Relation zwischen den Formen beider Medien in der Inszenierung unterschiedlich stark kenntlich gemacht wird. Der Eindruck einer reflektierenden Differenzsetzung entsteht nicht erst vor dem Hintergrund, dass ein Clip inzwischen auch oder ausschließlich im Internet zu finden ist und sich hinsichtlich seiner Produktion, Distribution und Rezeption vom TV-Programm löst. So wie der Film das Kino als eigenen medialen Präsentationsrahmen betrachten und bewerten kann (Kapitel 5.1), ist es auch einem im Fernsehen gesendeten Clip möglich, den Fokus auf das eigene Dasein in Relation zu einer anderen medialen 95
Auch Paech geht von einem Kontinuum aus, wenn er zur filmischen Inszenierung von TVApparaten konstatiert: „Der Übergang zwischen einem Medienzitat und der intermedialen Figuration des Fernsehens mit einem Film in einem anderen Film ist in diesem Fall ähnlich fließend wie im reflexiven Verfahren der Darstellung der Filmproduktion oder -projektion im Film selbst.“ Joachim Paech: Intermedialität des Films. In: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Film Theorie. 2. Aufl. Mainz 2003, S. 287-312, S. 308.
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Form zu legen. Welche ästhetischen Verfahren Anwendung finden, wenn ein Musikvideo in der Beobachtung der medialen Umwelt seine Beziehung zum Fernsehen visualisiert, während auch der Song unter Umständen das TV-Medium thematisiert, gilt es in Einzelanalysen herauszuarbeiten. Die Möglichkeit von Clips, in der Darstellung des Fernsehens auf das eigene Medium zu reflektieren, berührt die Frage nach einem Bruch mit der fiktionalen Illusion, die mithilfe verschiedener gestalterischer und narrativer Mittel hergestellt wird. Der Gebrauch intermedialer Verweise und reflexiver Bilder entwickelte sich zwar Mitte der 1980er Jahre zu einer Konvention des Musikvideos.96 Doch wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigt, fällt die Wirkung eines Illusionsbruchs, der auch dann zu beobachten ist, wenn weder Song noch Clip das Fernsehen darstellen, verschieden stark aus (Kapitel 5.2). In einem solchen Moment der Selbstbeobachtung machen die Bilder die Möglichkeit, mediale Elemente durch eine gezielte Verknüpfung in eine vorübergehende Form zu bringen, mit einer unterschiedlichen Deutlichkeit als Störung bewusst, und zwar unabhängig davon, ob ein bestimmtes Produkt oder ein Medium als solches Gegenstand der Bezugnahme ist.97 Begreift man das Musikvideo als einen Untersuchungsgegenstand, der offenbart, welche Ansichten und Argumente im Verlauf der Zeit Eingang in die mediale Bedeutungskonstruktion des Fernsehens finden, so ist der historische Kontext relevant, in dem die Bezugnahmen auf das TV-Medium stehen und zu beurteilen sind. Im Folgenden soll daher die systemtheoretische Perspektive auf audiovisuelle Clips um eine diskurstheoretische Dimension erweitert werden.
4.3 M EDIEN
ALS
G EGENSTAND
VON
D ISKURSEN
Führt man die Überlegungen der vorangegangenen Kapitel zusammen, so bilden Medien „historisch höchst variable, diskursiv und dispositiv stets neu zu verhandelnde Entitäten“98 und bestimmen durch ihre selbst- und fremdreferenzielle Medienreflexion, wie sie wahrgenommen werden, ohne dass die Illusion der von ihnen vermittelten Inhalte zwingend aufgehoben ist. Entsprechend stehen einzelne Clips und das Musikvideo als solches immer wieder im Mittelpunkt von wissenschaftlichen Studien, TVBerichten, Kunstausstellungen und Artikeln im Kulturteil von Tageszeitungen, während sie den Diskurs selbst prägen, indem sie eigene Charakteristika oder die anderer 96
Vgl. Burns: How Music Video Has Changed, and How It Has not Changed, S. 74.
97
Laut Ludwig Jäger tritt auf diese Weise die Kontingenz in den Vordergrund, welche Luhmann als eine Eigenschaft der formgebenden Kopplung medialer Elemente definiert. Vgl. Ludwig Jäger: Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen. In: Sybille Krämer (Hg.): Performativität und Medialität. München 2004, S. 35-73, S. 62.
98
Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 18.
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Medien zum Thema machen. Systemtheoretisch gewendet erlauben Songs und Clips einen vielfältigen kommunikativen Anschluss, etwa in der Logik von Recht, Ökonomie oder Pädagogik,99 und nehmen zugleich einen Standpunkt ein, von dem aus sie andere Medien vor dem Hintergrund sich wandelnder Beziehungen im System der Massenmedien beobachten. So wie Filme „soziale und gesellschaftliche Strukturen repräsentieren“ und „dabei auch die Medien als Elemente der gesellschaftlichen Repräsentationsordnung eine Rolle [spielen]“100, begleitet und kommentiert das Musikvideo die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des Fernsehens. Nicht nur über Spielfilme lässt sich daher sagen, dass „[s]ie [...] sich in die Zirkulation von Bedeutungen ein[fügen], [...] Teil der gesellschaftlichen Diskurse [werden], die sie zugleich selbst repräsentieren.“101 Im Rahmen der Inszenierung von musikalischen Auftritten, zusammenhängenden Geschichten und künstlerisch gestalteten Sequenzen greifen Clips populäre Darstellungen des TV-Mediums auf, die sie für die affirmative Präsentation des Stars verwenden oder aber kritisch hinterfragen, und bringen zusätzlich alternative Bilder hervor. Das Musikvideo steht in einem Austausch mit dem gegenwärtigen Diskurs, der „nicht ein gewissermaßen gewöhnliches, ein bloßes Reden über Medien“ ist, „das ohne Folgen bleibt“, wie Irmela Schneider im Anschluss an Michel Foucaults Überlegungen zu den gesellschaftlich-diskursiven Prozessen der Bildung von Wissen schreibt: „Solche Diskurse sind vielmehr performativ, also folgenreich in doppelter Hinsicht: für die Ereignisse, Themen, Sachverhalte, für die Informationen, die sie formulieren und für die Medien, die die Mitteilung vollziehen [Herv. i.O.].“102 Auch das Musikvideo nimmt sich unter ausgewählten Perspektiven der Medien, die in seiner Umwelt als Form auftauchen, im „Modus kommunikativer Wirklichkeitskonstruktion“103 an. Song und Clip spielen mit den Kenntnissen des Rezipienten, wenn sie auf das Fernsehen verweisen, unabhängig davon, welche künstlerische Umsetzung die intermedialen Bezugnahmen finden und wie tiefgehend die Reflexion ist. 99
Vgl. in Bezug auf den Film Fehmi Akalin: Film als Kommunikation. Soziologie des Films aus systemtheoretischer Perspektive. In: Carsten Heinze/Stephan Moebius/Dieter Reicher (Hg.): Perspektiven der Filmsoziologie. Konstanz/München 2012, S. 60-77, S. 71f.
100 Lothar Mikos: Medien im Film. In: Markus Schroer (Hg.): Gesellschaft im Film. Konstanz 2007, S. 148-170, S. 149. 101 Ebd., S. 164f. 102 Irmela Schneider: Reiz/Reaktion – Vermittlung/Aneignung. Genealogische Spuren der Mediennutzung. In: Simone Dietz/Timo Skrandies (Hg.): Mediale Markierungen. Studien zur Anatomie medienkultureller Praktiken. Bielefeld 2007, S. 101-130, S. 107. 103 Torsten Hahn/Nicolas Pethes/Irmela Schneider: „Verwaltung für menschliche Wünsche und Tatsachen“. Utopie und Krise der Gesellschaft in Mediendiskursen. In: Jürgen Fohrmann/Erhard Schüttpelz (Hg.): Die Kommunikation der Medien. Tübingen 2004, S. 275299, S. 275.
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Im Rahmen einer Untersuchung der Fernsehreflexion im Musikvideo lässt sich aus historischer Sicht danach fragen, welchen Veränderungen die spezifische Medienbeobachtung unterworfen ist und inwiefern sie mit den Beobachtungen, die in weiteren Bereichen der diskursiven Aushandlung angestellt werden, im Einklang steht. Um herauszuarbeiten, ob bekannte Ansichten über das Fernsehen zur Sprache kommen und reflektiert werden oder anderen Meinungen zum TV-Medium weichen, kann ein Blick in die Forschung zur Struktur von Mediendiskursen geworfen werden. Fasst man die Befunde bisheriger Studien zusammen, fällt auf, dass sich Kontroversen insbesondere an solchen Medien entzünden, die das Stadium der Marktreife noch nicht oder gerade erst erreicht haben. Tom Gunning schreibt: „A discourse of wonder draws our attention to new technology, not simply as a tool, but precisely as a spectacle, less as something that performs a useful task than as something that astounds us by performing in a way that seemed unlikely or magical before.“104 Im erwähnten Staunen über das Spektakel kristallisieren sich wirkmächtige Bilder von der Erfindung heraus, die Eingang in verschiedene Angebote der Information und Unterhaltung finden. Dass Technologien im Allgemeinen und Kommunikationstechnologien im Besonderen Debatten in Gang setzen, in denen ihre Beschaffenheit aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert wird, spiegelt sich in den Beschreibungen des Fernsehens wider, die die Geschichte des Mediums durchziehen. Denn neben den kontinuierlichen Fortschritten in der elektronischen Übertragung von bewegten Bildern prägte die intensive Diskussion über die Television die Identität der massenmedialen Innovation.105 So fand die Vorführung von TV-Apparaten im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen während der 1920er Jahre eine große Beachtung und ließ „Funktionsutopien“ aufkommen, „die von einer freischweifenden Phantasie über technisch-sozialen Wandel genährt wurden.“106 Dem populären Mediendiskurs, der von Spekulationen über den zukünftigen Einsatz des Fernsehens getragen war, stand in dieser Zeit ein nüchterner Diskurs von Experten entgegen, der euphorische Vorhersagen relativierte und den aktuellen Stand der Entwicklung der elektronischen Bildübertragung vor Augen führte.107 Im Rahmen beider Diskurse erdachte man mehrere Möglichkeiten, die Television mit bereits existierenden Medien wie zum Beispiel Kino, Telefon und Radio zu 104 Tom Gunning: Re-Newing Old Technologies: Astonishment, Second Nature, and the Uncanny in Technology from the Previous Turn-of-the-Century. In: David Thorburn/Henry Jenkins/Brad Seawell (Hg.): Rethinking Media Change: The Aesthetics of Transition. Cambridge, Massachusetts/London 2003, S. 39-60, S. 45. 105 Vgl. Monika Elsner/Thomas Müller/Peter M. Spangenberg: Zwischen utopischer Phantasie und Medienkonkurrenz. Zur Frühgeschichte des Deutschen Fernsehens (1926-1935) [1988]. In: Knut Hickethier (Hg.): Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 131-143, S. 131. 106 Ebd., S. 131f. 107 Vgl. ebd., S. 135.
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kombinieren.108 Dass ein Umbruch bevorstand, war offensichtlich, doch die Folgen ließen sich nicht abschätzen: Die Presse brachte das Fernsehen in einen engen Zusammenhang mit der Übertragung von wissenschaftlichen Vorträgen, Aufführungen von Opernstücken und militärischen Handlungen, während die Vorstellung von einem linear ausgestrahlten TV-Programm erst später entstand.109 Angesichts der großen Beachtung, die das Fernsehen in einer Zeit vor seiner gesellschaftlichen Etablierung erfahren hat, ist zu überlegen, ob das Musikvideo den Fokus überhaupt auf das Distributionsmedium richtet, während es die mediale Umwelt beobachtet. War das Interesse für Inhalte, ästhetische Merkmale und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen der Kommunikationstechnologie bereits abgeklungen, als sich Clips zu einem festen Bestandteil des TV-Programms entwickelten? Geht man von der Annahme aus, dass die von einem bestimmten Medium vollzogene Medienreflexion in einem Austausch mit dem öffentlichen Diskurs steht, ist es zumindest unwahrscheinlich, einem Musikvideo zu begegnen, das das Fernsehen – anders als das mit der Gründung von MTV aufblühende Musikfernsehen – als eine Innovation in Szene setzt. Bezieht man sich auf den Zeitraum nach der Entstehung des ersten Senders mit einem ausschließlich kommerzielle Clips von Sängern und Bands enthaltenden Programm, so bildete vor allem der Heimcomputer zusammen mit Videorekorder, Walkman und CD-Player eines der markantesten Unterhaltungsmedien der 1980er Jahre.110 Das mittlerweile in fast allen Haushalten vorhandene Fernsehen sorgte kaum noch für Furore. Hinzu kommt, dass in der Geschichte des Musikvideos mit dem Internet eine weitere Entwicklung Journalisten, Wissenschaftler und Mediennutzer in ihrer Freizeit gleichermaßen faszinierte. Die Erwartungen an das World Wide Web überlagerten die Debatten über frühere Kommunikationsangebote und -technologien. Entsprechend hebt Dieter Roß hervor, „daß die Medienkritik sich gern auf das jüngste Medium konzentriert und von den älteren ihre Aufmerksamkeit schnell abwendet“, weshalb „das Radio die Probleme der Presse vergessen [ließ], das Fernsehen die des Radios, und neuerdings [...] zu beobachten [ist], wie das Fernsehen in den Schatten der Multimedia-Szenarien gerät.“111 108 Vgl. ebd., S. 137. 109 Vgl. Judith Keilbach: Die vielen Geschichten des Fernsehens. Über einen heterogenen Gegenstand und seine Historisierung. In: montage/av 14 (2005), H. 1, S. 29-41, S. 35. 110 Vgl. Graham Murdock/Paul Hartmann/Peggy Gray: Contextualizing Home Computing: Resources and Practices. In: Roger Silverstone/Eric Hirsch (Hg.): Consuming Technologies: Media and Information in Domestic Spaces. London/New York 1992, S. 146-160, S. 146. 111 Dieter Roß: Traditionen und Tendenzen der Medienkritik. In: Hartmut Weßler u.a. (Hg.): Perspektiven der Medienkritik. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft. Dieter Roß zum 60. Geburtstag. Opladen 1997, S. 29-45, S. 40.
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Der Anstieg der Online-Nutzung gegen Ende der 1990er Jahre spricht dafür, dass sich der Schwerpunkt der intermedialen Beobachtung des Musikvideos und anderer fiktionaler sowie nicht-fiktionaler Medien in diesem Zeitraum verlagert hat. Dennoch darf aus dem wachsenden kulturellen und sozialen Einfluss von Computer und Internet keineswegs geschlossen werden, dass das Fernsehen seine Funktion als Gegenstand der Reflexion von Songs und Clips verliert. Dies lässt sich zum einen aus der gemeinsamen Vergangenheit von Musikvideo und Fernsehen ableiten, die eine über die Hochphase von MTV hinausgehende Bezugnahme auf Formate des Musikfernsehens nahelegt. Zum anderen ist das TV-Medium seit den ersten Jahren seiner Entstehung einem Wandel ausgesetzt, den andere Medien, die eigenen Veränderungen unterliegen, wahrnehmen können. Wie Judith Keilbach und Markus Stauff argumentieren, ist die Struktur des Fernsehens weder stabil noch homogen, wenngleich vor allem Forschungsbeiträge, die die Phase der Einführung von Kommunikationstechnologien in den Blick nehmen, das Gegenteil behaupten.112 Stattdessen entspreche das Medium einem Experiment, denn es nehme durch die fortwährende Transformation auf den Ebenen Programm, Institution und Technologie, aber auch Politik und Ökonomie mehr als nur eine Form an.113 Aufgrund der Umgestaltungen des Fernsehens bleibt das Interesse von Wissenschaftlern, Journalisten und Künstlern wie Sängern, Bands und Regisseuren an einzelnen Charakteristika der Television erhalten. Wie Gunning schildert, vermögen spezifische Eigenschaften eines Mediums den Nutzer zu faszinieren, auch wenn der Umgang mit der Technologie inzwischen vertraut ist: „[...] [N]ew technologies evoke not only a short-lived wonder based on unfamiliarity which greater and constant exposure will overcome, but also a possibly less dramatic but more enduring sense of the uncanny, a feeling that they involve magical operations which greater familiarity or habituation might cover over, but not totally destroy.“114
Überträgt man die Annahme von der Unabgeschlossenheit medialer Entwicklungen auf den Verlauf der Beobachtung einzelner Medien, ist von „eine[m] permanenten und infiniten Prozess“115 der Reflexion auszugehen. Historisch betrachtet reichen die Überarbeitungen und Erweiterungen des Fernsehens von der Nutzung in Kaufhäusern und Bars aufgestellter Empfangsgeräte über eine zunehmende Präsenz von TVBildschirmen im privaten Kontext bis zum Aufkommen von zusätzlichen Geräten wie 112 Vgl. Judith Keilbach/Markus Stauff: Fernsehen als fortwährendes Experiment. Über die permanente Erneuerung eines alten Mediums. In: Nadja Elia-Borer/Samuel Sieber/Georg C. Tholen (Hg.): Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien. Bielefeld 2011, S. 155-181, S. 157f. 113 Vgl. ebd., S. 171f. 114 Gunning: Re-Newing Old Technologies, S. 47. 115 Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 18.
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Fernbedienung und Videorekorder und neuen digitalen Möglichkeiten der Produktion, Distribution und Rezeption mit der Durchsetzung von Web-Angeboten.116 Das gegenwärtig wachsende Spektrum von Online-Kanälen, die der medialen Information und Unterhaltung dienen und über verschiedene Endgeräte genutzt werden können, umfasst kostenpflichtige Streamingdienste, die als Alternative zum linearen TV-Konsum gegründet worden sind, Live-Übertragungen und Mediatheken von Fernsehsendern im Internet sowie Video-Portale, auf denen User neben eigenem Bild- und Tonmaterial auch Fragmente aus dem schon ausgestrahlten Fernsehprogramm hochladen. Aufgrund der zunehmenden Vielfalt digitaler Plattformen und der Überlagerung unterschiedlicher Kommunikationsformen verändern sich Vorstellungen vom Fernsehen, die noch vor wenigen Jahren verbreitet gewesen sind. Dies schlägt sich in Studien nieder, die „new ways of understanding the form, content and function – the place – of television in the post-broadcast era“117 suchen und vor dem Problem stehen, dass sich das Medium herkömmlichen Zuschreibungen entzieht: „Television – once the most familiar of everyday objects – is now transforming at such rapid speeds that we no longer really know what ‚TV‘ is at all.“118 Am Beispiel der Medienreflexion im Musikvideo lässt sich herausarbeiten, wie Sänger und Bands sowie Regisseure diesen Übergang – nicht zuletzt bezüglich der Auswirkungen auf die Entwicklung audiovisueller Clips – einschätzen und mit welchen kreativen Fernsehentwürfen sie versuchen, ihr Publikum zu überraschen. Eine zusätzliche Erklärung für die Annahme, dass sich das Musikvideo auch heute noch dem Fernsehen und seinem Programm zuwendet, ergibt sich aus der Medienerfahrung, welche dem Betrachter unterstellt werden kann. Jugendliche Konsumenten nehmen zum einen den beschriebenen Wandel des von ihnen genutzten Mediums wahr und haben zum anderen meist auch ein breites Wissen über nicht-musikspezifische TV-Gattungen und die Inszenierungsmuster einzelner Formate erworben. Sowohl kritische Stellungnahmen zur Wirkmacht der Television als auch humoristische Anspielungen auf Inhalte gegenwärtig laufender Sendungen sprechen einen Rezipienten an, der mit dem Massenmedium aufgewachsen ist, zumindest keinen Zweifel an der gesellschaftlichen Bedeutung des Fernsehens hat. Gleichwohl entscheidet stets die persönliche Einstellung des Betrachters gegenüber dem TV-Medium und dem zitierten oder nachgeahmten Programmangebot darüber, wie die unterschiedlich abstrakt gestalteten intermedialen Bezugnahmen aufgefasst werden. 116 Vgl. Gali Einav/John Carey: Is TV Dead? Consumer Behavior in the Digital TV Environment and Beyond. In: Darcy Gerbarg (Hg.): Television Goes Digital. New York 2009, S. 115-129, S. 115f. 117 Graeme Turner/Jinna Tay: Introduction. In: dies. (Hg.): Television Studies after TV: Understanding Television in the Post-Broadcast Era. London/New York 2009, S. 1-6, S. 5. 118 Lynn Spigel: Introduction. In: Lynn Spigel/Jan Olsson (Hg.): Television after TV: Essays on a Medium in Transition. Durham, North Carolina/London 2004, S. 1-40, S. 6.
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Geht man der Frage nach, welche Bewertungen das Musikvideo in seiner steten Fernsehreflexion vornimmt, wird eine weitere Erkenntnis der bisherigen Forschung relevant. So speist sich der Mediendiskurs auch nach den anfänglichen Vermutungen über das Wesen und die Vor- und Nachteile einer noch vielen Beobachtern unbekannten Kommunikationstechnologie aus Kontroversen, die nur in seltenen Fällen neue Sichtweisen auf ein etabliertes Medium hervorbringen und oftmals pauschale Urteile enthalten. Mit Blick auf die in den vergangenen zwei Jahrhunderten geführten Debatten nimmt Roß an, „daß die Medienkritik von einem relativ überschaubaren und stabilen Repertoire an Denkmodellen und Argumentationsmustern geprägt ist.“119 Wie der Historiker erläutert, widmen sich Autoren in zahlreichen Beiträgen entweder mit Euphorie den Eigenschaften eines Mediums oder bringen ihre Abneigung gegenüber dem Medium zum Ausdruck und finden im breiten Spektrum des kommunikativen Angebots auch eine Rechtfertigung für extreme Ansichten, weshalb die Auseinandersetzung eine starke Polarisierung und drastische Äußerungen aufweist.120 Geschichtlich betrachtet bestehen auch grundsätzliche Sorgen vor den Gefahren der Technik fort, unabhängig davon, dass sich das Risiko für die Bevölkerung und ihre Umwelt in der Vergangenheit deutlich gewandelt hat.121 So hält Wolfgang Klems zur anhaltenden Angst vor den Auswirkungen technischen Fortschritts in verschiedenen Lebensbereichen des Menschen fest: „Die Debatte um die Technik wird heute mit Argumenten geführt, die bereits Rousseau als erster Technikkritiker der Neuzeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts vorgebracht hatte.“122 Gleichwohl hängt der Befund einer polarisierten und gleichbleibenden Medienreflexion davon ab, wie stark einzelne Argumente abstrahiert und vereinfacht werden: „Kulturpessimismus und Kultureuphorie sind die Schubladen, die offenstehen, wenn es zu sortieren gilt. Der Effekt dieser Schubladen: Man muss weder diejenigen, die mahnen, noch diejenigen, die preisen, allzu genau lesen. Die Schubladen sind eine Blockade auf dem Weg zu einer präzisen Medien- und Kulturanalyse.“123
Demnach erscheint eine Gliederung in positive und negative Bewertungen zwar reizvoll und in vielen Fällen plausibel, sie wird der Fülle von Vermutungen, Modellen und 119 Roß: Traditionen und Tendenzen der Medienkritik, S. 29. 120 Vgl. ebd., S. 38. 121 Vgl. Wolfgang Klems: Die unbewältigte Moderne. Geschichte und Kontinuität der Technikkritik. Frankfurt a.M. 1988, S. 14. 122 Ebd. 123 Irmela Schneider: Zur Konstruktion von Mediendiskursen. Platons Schriftkritik als Paradigma. In: Angela Krewani (Hg.): Artefakte – Artefiktionen. Transformationsprozesse zeitgenössischer Literaturen, Medien, Künste, Architekturen. Heidelberg 2000, S. 25-38, S. 28f.
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Untersuchungen allerdings selten gerecht. Auch im Fernsehdiskurs entsteht der Eindruck, dass die Meinungen von Wissenschaftlern und Journalisten über das Kommunikationsangebot und die Nutzer der Bildschirmtechnologie gespalten sind. Seit ihrer Entstehung wird die Television zum einen als Vorbote einer Zeit verhandelt, in der geistig untätige Zuschauer nur noch dem Glauben schenken, was medial inszeniert ist, und zum anderen als ein unersetzliches Instrument der Teilhabe am täglichen Weltgeschehen. Das Fernsehen steht im Mittelpunkt von öffentlichen Debatten, in denen sowohl eine Furcht vor als auch eine Sehnsucht nach kulturellen und sozialen Veränderungen durch das Medium zum Vorschein kommen, das heißt zentrale Auffassungen früherer Mediendiskurse ihren Widerhall finden. Auch nachdem in den 1970er Jahren der pädagogische Gebrauch des Fernsehens neben den möglichen gesundheitlichen Folgen der TV-Rezeption diskutiert worden ist,124 bleiben Vorbehalte gegenüber dem Bilderkonsum bestehen. Dies manifestiert sich unter anderem in den Arbeiten von Michael Parenti, der die Unterhaltungsindustrie beschuldigt, ihrem Publikum eine in der Regel nicht hinterfragte Weltsicht aufzuzwingen.125 Dem Autor zufolge geht vom Medium Fernsehen eine besondere Gefahr aus: „The most pervasive effect of television – aside from its content – may be its very existence, its readily available, commanding, and often addictive presence in our homes, its ability to reduce hundreds of millions of citizens to passive spectators for major portions of their waking hours. Television minimizes interactions between persons within families and communities.“126
Das Musikvideo kann eine solche Haltung gegenüber dem Medium Fernsehen als Orientierung nutzen und im Rahmen der Inszenierung einer bestimmten Figur zuschreiben. Da einzelne Charakteristika der Television seit langer Zeit in verschiedenen Kontexten, von Artikeln im Kulturressort einer Tageszeitung bis zu umfangreich angelegten Studien im Bereich der experimentellen Medienwirkungsforschung, erörtert werden, ist anzunehmen, dass die bereits hervorgebrachten Argumente dem Publikum eines Clips leicht zugänglich sind. Differenziert man die Blickrichtungen, aus denen das Musikvideo das Fernsehen betrachtet und mit mehreren Eigenschaften in Verbindung bringt, kann aufgedeckt werden, ob sich die Bezugnahme auf das TV-Medium im skizzierten Spannungsfeld von einer bedingungslosen Anerkennung bis zur scharfen Kritik bewegt oder Songs und Clips in der diskursiven Bedeutungskonstruktion einen Mittelweg wählen, der sachliche Erklärungen und die Darlegung von komplexen technologischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Zusammenhängen einschließt. 124 Vgl. Irmela Schneider: Das beschirmte Kind. Zur Diskursgeschichte Kind und Fernsehen. In: Irmela Schneider/Christina Bartz/Isabell Otto (Hg.): Medienkultur der 70er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Bd. 3. Wiesbaden 2004, S. 217-230, S. 218. 125 Vgl. Michael Parenti: America Besieged. San Francisco, California 1998, S. 189f. 126 Ebd., S. 188.
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Die Untersuchung von intermedialen Verweisen geht demnach über eine ausschließliche Analyse bildästhetischer Merkmale hinaus. Sie erkundet, ob die Medienreflexion durch unerwartete Darstellungen vom öffentlichen Diskurs abweicht und angesichts der sich verändernden Konstellation von Musikvideo und Fernsehen im Zeitalter des Internets eine neue Richtung einschlägt. Um genaue Aussagen über die Bedeutungskonstruktion des Fernsehens treffen zu können, soll im Folgenden der spielfilmischen Auseinandersetzung mit dem TV-Medium nachgegangen werden. Anhand von Studien zum Film, die im Unterschied zur Musikvideoforschung bereits den Verlauf und die Schwerpunkte der Fernsehreflexion in einem fiktionalen Kontext beleuchtet haben, gilt es, die gestalterischen und narrativen Funktionen zu ermitteln, welche das beobachtende Medium dem beobachteten Medium zuweist.
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Ein tieferes Verständnis vom Fernsehen als Gegenstand der Beobachtung des Musikvideos lässt sich erlangen, wenn man in der Untersuchung intermedialer Bezugnahmen die Vorstellungen, welche der Film von der Television vermittelt, als Vergleichsgrundlage gebraucht. Die lebhaften Debatten, in denen als innovativ, langweilig oder skandalös bewertete Formate, aber auch bestimmte Nutzungspraktiken und ökonomische sowie rechtliche Bedingungen des Fernsehens Erwähnung finden, dokumentieren eine beständige Präsenz des Mediums innerhalb des in Bewegung befindlichen öffentlichen Diskurses. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits deutlich geworden ist, bleibt neben der individuellen Zufriedenheit mit dem TV-Konsum in den eigenen vier Wänden ein Misstrauen gegenüber dem reichweitenstarken Bildmedium bestehen. Noch immer ist eine Kritik am gesendeten Programm anzutreffen: „Die Flimmerkiste, die Mattscheibe, die Glotze: kein anderes Massenmedium hat unter Gebildeten einen so schlechten Ruf wie das Fernsehen.“127 Widmet man sich der filmischen Medienreflexion, kann dieser Eindruck erhärtet werden. Die Anfänge des Kinofilms liegen in einer Zeit vor der Entstehung des Fernsehens, sodass vergangene Darstellungen der Television Aufschluss darüber geben, auf welche Weise mediale Fiktionen den frühen Diskurs über eine Kommunikationstechnologie mitgestalten (Kapitel 4.3). Wie J.P. Telotte schildert, waren es ScienceFiction-Geschichten, die die Wahrnehmung der elektronischen Bildübertragung und der durch sie vermittelten Inhalte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten.128 127 Jochen Hörisch: Eine Geschichte der Medien. Von der Oblate zum Internet. Frankfurt a.M. [2001] 2004, S. 353. 128 Vgl. J.P. Telotte: Lost in Space: Television as Science Fiction Icon. In: ders. (Hg.): The Essential Science Fiction Television Reader. Lexington, Kentucky 2008, S. 37-53, S. 37.
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Das Fernsehen erschien in Fritz Langs dystopischem Klassiker METROPOLIS (1927) und in der Komödie MODERN TIMES (1936) von Charlie Chaplin als ein panoptisches Instrument der Überwachung und Kontrolle, während der Kriminalthriller MURDER BY TELEVISION (1935) von Clifford Sanforth und Lambert Hillyers Gruselfilm THE INVISIBLE RAY (1936) die Gefahren des unheimlichen TV-Mediums zeigten.129 Mehrere Forschungsarbeiten kommen zu dem Schluss, dass selbst nach der Frühphase der elektronischen Bildübertragung die Sicht auf die Television eher skeptisch als wohlwollend ausfällt: „Der Film, so scheint es, hegt eine tiefe Abneigung gegen das Fernsehen. Die filmische Darstellung dieses Mediums zielt nicht selten darauf, dessen kulturelle Minderwertigkeit zu behaupten.“130 Eine solche Verachtung spiegelt sich nicht in allen Erzählungen wider, bildet aber eine in der Historie des Films wiederkehrende Position, die anhand von einzelnen Figuren in der Handlung deutlich wird. Häufig führen Autoren negative Urteile über das Fernsehen auf den Wettbewerb zwischen Kino- und Fernsehindustrie zurück.131 Jon N. Wagner und Tracy B. MacLean argumentieren in ihrer Studie zur Repräsentation des TV-Mediums, dass erst die Existenz eines Gegenspielers dem Film die Möglichkeit eröffne, eine Differenzierung zwischen medienspezifischen Merkmalen vorzunehmen.132 „Cinema has only been able to make a stark distinction between its pleasures and that of other media forms because cinematic specificity in style and narrative construction often depends on the challenges of a rival like television“133, lautet ihre Beschreibung der Funktion des Einsatzes intermedialer Verweise. Zwei Arbeiten, die Kirchmann und Ruchatz hinsichtlich des Konzepts der Reflexion diskutieren, sind aus einer medienhistorischen Sicht interessant.134 So schreibt auch Jane Stokes, dass ein Medium eine Definition seiner selbst in Relation zu den 129 Vgl. ebd., S. 42ff. 130 Hilde W. Hoffmann/Judith Keilbach: Spielleiter zwischen Medienkritik und Normalismus – Beobachtungen zur Darstellung des Fernsehens in Spielfilmen. In: Rolf Parr/Matthias Thiele (Hg.): Gottschalk, Kerner & Co. Funktionen der Telefigur ‚Spielleiter‘ zwischen Exzeptionalität und Normalität. Frankfurt a.M. 2001, S. 209-238, S. 209. 131 Der wirtschaftliche Erfolg eines Mediums im Verlauf der Zeit ist unter anderem von der Attraktivität alternativer Kommunikationsangebote abhängig. Mit Blick auf die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich schwankenden Besucherzahlen von Lichtspielhäusern geht Rüdiger Steinmetz von „Kino-Krisen wegen sozialer Veränderungen und des Fernsehens als Konkurrenzmedium“ aus. Rüdiger Steinmetz: Das digitale Dispositif Cinéma – systematisch und historisch betrachtet. In: ders. (Hg.): Das digitale Dispositif Cinéma. Untersuchungen zur Veränderung des Kinos. Leipzig 2011, S. 15-69, S. 18. 132 Vgl. Jon N. Wagner/Tracy B. MacLean: Television at the Movies: Cinematic and Critical Approaches to American Broadcasting. New York/London 2008, S. 174. 133 Ebd. 134 Vgl. Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 13ff.
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umgebenden Medien entwickle, und zeichnet nach, wie das Verhältnis von Film und Fernsehen in den Werken unterschiedlicher Genres zum Ausdruck kommt.135 Im Verlauf der Zeit tauche das Fernsehen weniger als Verbündeter denn als Widersacher auf, während es das Hollywood-Musical in seiner Funktion, Musikdarbietungen zu präsentieren, ersetze.136 Der in den späten 1950er Jahren aufgekommene Popfilm lasse derweil keine eindeutige Haltung gegenüber dem Fernsehen erkennen, da der Erfolg der Television als Werbemedium für Sänger und Bands zwar festgestellt werde, diese Entwicklung aber Anlass zur Kritik gebe.137 Zu den weiteren Werken über das Fernsehen zählt Stokes vor allem solche, die sich der Gattung der Nachrichten annehmen und dabei die manipulativen Absichten der Programmverantwortlichen herausstellen beziehungsweise das TV-Setting als Ausgangspunkt für eine humorvolle Liebesgeschichte nutzen138 oder das Medium mit einem ironischen Unterton in Horror- und Science-Fiction-Erzählungen einbetten: „These films use the icon of television to represent something that we should find frightening, but that is also comical. Television no longer has the power to terrify; but the mythology of television as harmful persists to be ridiculed by film-makers like Cronenberg and Craven. Only the most naive can believe that television can still terrify.“139
Seit den 1990er Jahren ist die ehemalige Rivalität zwischen Film und Fernsehen laut Stokes kaum noch zu bemerken, weil Regisseure mittlerweile in beiden beruflichen Bereichen parallel arbeiten und der Fokus, sichtbar zum Beispiel in romantischen Komödien, weniger auf den Bedenken als auf der Freude am vertrauten Umgang mit dem TV-Medium liegt.140 Es wird deutlich, dass sich die filmische Medienreflexion keineswegs in einer pauschalen Fernsehkritik erschöpft, wenngleich die Popularität der elektronischen Bildübertragung eine dauerhafte Konkurrenz von Fernsehen und Kino befürchten ließ.141 135 Vgl. Jane Stokes: On Screen Rivals: Cinema and Television in the United States and Britain. Basingstoke/London 1999, S. 3. 136 Vgl. ebd., S. 75. 137 Vgl. ebd., S. 129. 138 Vgl. ebd., S. 144. 139 Ebd., S. 167. 140 Vgl. ebd., S. 186. 141 Letztlich umfasst das Fernsehprogramm auch Filme. Mit Blick auf Großbritannien erläutert Stokes, dass sich insbesondere durch die Gründung von kommerziellen TV-Anbietern das Verhältnis zwischen Fernsehen und Kino gewandelt habe: „The hegemony of the BBC over broadcasting was ended, and the cinema industry [...] were frequently owners of the new television channels. The British cinema industry had every reason to be positive about the expansion of British television in the late 1950s and early 1960s.“ Ebd., S. 110.
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Im Gegensatz zu Stokes fragt Paul Young nach verschiedenen filmischen Repräsentationen in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung befindlicher Medien, die vom Kino abweichende kommunikative Merkmale anschaulich werden lassen und seiner Analyse nach Aufschluss darüber geben, welche Auffassungen Hollywood von seinem Publikum hervorgebracht hat.142 Auf den ersten Blick scheint die Studie die Befunde von Stokes zu bestätigen. Auch Young erkennt in der Zeit, als der heimische TV-Empfang eine Seltenheit war, eine Sorge vor der Durchsetzung des neuen Mediums, argumentiert aber, dass der wirtschaftliche Wettstreit mit dem Kino nicht der Hauptgrund für die pessimistische Haltung gegenüber dem Fernsehen gewesen sei: „[M]edia fantasy films do indeed express anxiety about new media’s competition with the cinema, but [...] they do so in ways that speak less to economic competition than to the qualities of ‚film‘ as a medium as compared to its newer rivals. The comparison of media’s qualities that such fantasies undertake, however, is a blind for what is more fundamentally at stake for Hollywood in addressing new media: the maintenance of the Hollywood cinema as an institution that is and will remain distinct from competing media institutions [Herv. i.O.].“143
In diesem Sinne lässt sich ein Medienvergleich im Spielfilm vor allem dann beobachten, wenn eine aufkommende Debatte über die Eigenschaften einer kommunikationstechnologischen Innovation einen Umbruch für das eigene Medium erwarten lässt. Die Kinoindustrie reagiert laut Young auf die Einführung von alternativen Bildmedien, indem sie jedes Mal die spezifischen Merkmale des Films betont und sich auf diese Weise von medialen Entwicklungen, die als unmittelbare Gefahr wahrgenommen werden, abgrenzt.144 Anhand von frühen Darstellungen des Fernsehens, in denen sich die Technikfeindlichkeit der Großen Depression widerspiegelt, erläutert der Autor, dass auch die Stimmung der Epoche, in welcher ein filmisches Werk entsteht, die Auseinandersetzung mit Medien präge.145 So hätten Filme in den 1940er Jahren den „consistent tone of boredom and frustration“ aufgenommen, und zwar „with respect to the conventional wisdom about what machines could and would do to make life easier, and its tacit acknowledgment that war-era ambivalence about progress exceeded the containment strategies of corporate propaganda.“146 Nachdem die Faszination für das Medium Fernsehen abgeklungen war, sei schließlich der Computer zu einer Kommunikationstechnologie avanciert, die die Bevölkerung noch vor der Entstehung des World Wide Web in Staunen versetzte und zugleich Angst vor der Herstellung 142 Vgl. Paul Young: The Cinema Dreams Its Rivals: Media Fantasy Films from Radio to the Internet. Minneapolis, Minnesota/London 2006, S. xiii. 143 Ebd., S. xxii. 144 Vgl. ebd., S. 145. 145 Vgl. ebd., S. 163. 146 Ebd.
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einer virtuellen Realität auslöste.147 Seit den 1980er Jahren, so Young, haben sich unterschiedliche Mythen zur Beschaffenheit des Datenraums herauskristallisiert, welche nicht nur in Romanen, Tageszeitungen und Fernsehsendungen verhandelt worden sind, sondern auch ein wiederkehrendes Thema von Spielfilmen bilden.148 Die zunehmende Vielfalt digitaler Apparaturen, Kanäle und Anwendungen begünstigte die intermediale Beschäftigung mit dem Computer.149 Die angeführten Studien bestätigen die historische Erkenntnis, dass Medien vor allem in einer Zeit, in der sie noch eine unbekannte Neuheit darstellen, intensiv und kontrovers besprochen werden, die Diskussion nach der Etablierung der entsprechenden Kommunikationstechnologie jedoch kein Ende nehmen muss, sondern stets eine Fortsetzung finden kann (Kapitel 4.3).150 Wie sich am Beispiel des Beobachtungsgegenstandes Fernsehen zeigt, ist der Film insofern mit dem Mediendiskurs verzahnt, als er sich in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung dem Umgang mit Angeboten der Massenkommunikation widmet und Veränderungen des Alltags, die auf die Verbreitung von digitalen Technologien zurückgehen, wahrnimmt, ohne die Existenz der Television auszublenden. Das Konzept der Medienreflexion findet in den Arbeiten von Stokes und Young allerdings nur zum Teil Anwendung, wie Kirchmann und Ruchatz anmerken: Es bleibe nicht nur ungeklärt, unter welchen Bedingungen ein Medium in einer fiktionalen Darstellung identifiziert werden kann, sondern auch, inwiefern die Darstellung die Formbildung des beobachtenden Mediums zum Vorschein kommen lässt.151 Gehe man lediglich der thematischen Verhandlung eines Mediums innerhalb der Erzählung nach, sei im Nachdenken über das Medium nicht zwischen der filmischen und der andersmedialen Form zu unterscheiden.152 Wie sich die Medienreflexion im Sinne einer aus Selbst- und Fremdreferenz zusammengesetzten Beobachtung im Film gestaltet, hat derweil Lisa Gotto untersucht, ausgehend von der Annahme, dass filmische Werke darum bemüht seien, durch Verweise auf das Fernsehen Klarheit über das eigene Medium zu erlangen.153 Laut Gotto wirft der Film einen „tendenziell bitter[en] [Blick]“154 auf das Fernsehen, der der Autorin zufolge insofern 147 Vgl. ebd., S. 195f. 148 Vgl. ebd., S. 198ff. 149 Thomas Weber stellt fest: „Im populären Kino der 80er und 90er Jahre scheint die kinematographische Projektion von neuen bzw. neuartigen Medien zur Obsession geworden zu sein.“ Thomas Weber: Medialität als Grenzerfahrung. Futurische Medien im Kino der 80er und 90er Jahre. Bielefeld 2008, S. 35. 150 Vgl. auch Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 18. 151 Vgl. ebd. 152 Vgl. ebd., S. 14. 153 Vgl. Lisa Gotto: Nahsicht und Fernblick. Fernsehen im Film. In: Kay Kirchmann/Jens Ruchatz (Hg.): Medienreflexion im Film. Ein Handbuch. Bielefeld 2014, S. 153-172, S. 153f. 154 Ebd., S. 153.
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reflexiv ist, als er den vom Kino abweichenden heimischen Ort der TV-Nutzung, technische Bedingungen des televisuellen Bildes, den Showcharakter des Fernsehens und die Endlosigkeit des linearen Programms hervorhebt.155 Aus dem Befund der vorangegangenen Studien, dass das Verhältnis zwischen dem beobachtenden und dem beobachteten Medium die filmische Medienreflexion beeinflusst, lassen sich wichtige Implikationen für die vorliegende Untersuchung ableiten. Unter ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten spricht die sich in den 1980er Jahren festigende und lange Zeit stabile Verbindung zwischen Musikvideo und Fernsehen (Kapitel 2.2) dafür, dass Regisseure während der Hochzeit von MTV und anderen Musiksendern den Ausstrahlungsort der eigenen Werke in ein positives Licht rücken. Erst die Unabhängigkeit vom Programm des Massenmediums, welche Clips durch ihre Verbreitung im Internet erlangt haben, würde nach dieser Logik subversive Stellungnahmen zur Television hervorbringen. Doch selbst in einer Zeit, in der Sänger und Bands für einen Charterfolg noch darauf angewiesen waren, dass Kanäle wie MTV ihre Videos spielten, ist die Möglichkeit einer Kritik am Fernsehen gegeben. In diesem Zusammenhang lässt sich an die von Gotto formulierte These anschließen, dass der Film eine ablehnende Haltung gegenüber dem TV-Medium einnehme, weil er „befürchten [muss], dass das Fernsehen auch ihm selbst bedrohlich nah kommen kann.“156 Folgt man der Argumentation, sind Abgrenzungsversuche des Musikvideos ebenfalls nicht unwahrscheinlich. Gerade die Tatsache, dass das Publikum den Clip eines Stars vor dem Aufkommen des Internets als TV-Inhalt wahrgenommen hat, liefert eine Erklärung dafür, dass dem Distributionsmedium im Rahmen der Bildinszenierung auch negative Bedeutungen zugeschrieben werden. Dabei erhebt das Musikvideo, so die Vermutung, entweder Vorwürfe, die so pauschal sind, dass das Musikfernsehen nicht als spezifisches Ziel der Kritik erscheint, oder es richtet seinen Blick gezielt auf nicht mit dem Musikfernsehen in Verbindung stehende Programmgattungen, um sich als eigenes Produkt in Differenz zu anderen Konsumangeboten zu präsentieren. Die unterhaltende Funktion, welche Rezipienten von kommerziellen Clips im Allgemeinen und den Werken bestimmter Stars im Besonderen erwarten, lässt darauf schließen, dass die Kritik mitunter humoristische Züge trägt. Neben Regisseuren machen sich auch Sänger und Bands Aussagen, die gegen die Television, einzelne Sendungen oder Fernsehschaffende gerichtet sind, zu eigen. Dass das Musikvideo nicht erst TV-kritische Bezugnahmen hervorbringt, seitdem sich der Clip-Konsum in den 2000er Jahren überwiegend ins Internet verlagert hat, liegt daher auch in der fortwährenden popmusikalischen Beobachtung von Medien begründet, die im Liedtext zum Ausdruck kommen und durch die Bilder eines zusätzlichen Videos ergänzt oder erweitert werden kann. Während Spielfilme das Fernsehen trotz seiner gesellschaftlich 155 Vgl. ebd., S. 154ff. 156 Ebd., S. 153.
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noch immer bedeutsamen Position häufig mit pathologischem Verhalten, Gehirnwäsche und kreativer Armut in Verbindung bringen,157 ist nicht auszuschließen, dass auf den Ebenen von Song und Clip im Musikvideo eine ähnlich vernichtende Kritik zu finden ist. So werden die in den meisten Fällen wenig komplexen, generalisierenden Einwände gegen die Television im Mediendiskurs immer wieder aufgegriffen.158 Das Musikvideo kann sich darauf verlassen, dass zumindest einige der nicht zuletzt in Kinofilmen beständig wiederholten Ansichten und Meinungen zum Fernsehen dem kundigen Publikum vertraut sind, und ist nicht darauf beschränkt, seinen Darstellungen des Massenmediums einen affirmativen Charakter zu verleihen.
157 Vgl. Wagner/MacLean: Television at the Movies, S. 11. 158 Trotz der häufig festgestellten Fernsehkritik im Film lassen sich weitere wertende Bezugnahmen auf die Television beobachten, denen auch in der Analyse der Medienreflexion im Musikvideo nachgegangen werden soll. So schreiben Wagner und MacLean: „A sustained paradox in cinema’s regard of television is the simultaneous projection of apocalyptic and nostalgic attitudes. Unrestrained ‚mediality‘ leads to multiple and conflicting predictions: world-ending consequences accompanied by their recuperation in moral or nostalgic courage.“ Ebd., S. 8f.
5. Exkurs: Illusionsbruch
Die theoretische Konzeption der Medienreflexion hat ergeben, dass das Musikvideo in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt eine beobachtete mediale Form auf unterschiedliche Weise auf die Form des eigenen Mediums beziehen kann. Beruht die Reflexion auf dem Prinzip, Merkmale des eigenen Mediums in einem Vergleich mit Merkmalen eines anderen Mediums zu verhandeln, führt sie in einigen Fällen dazu, dass der medienspezifische Konstruktcharakter des entsprechenden Clips in den Vordergrund tritt. Der folgende Exkurs sondiert die verschiedenen Verfahren, mit deren Hilfe sich ein solcher Illusionsbruch hervorrufen lässt. Unter Berücksichtigung filmischer Inszenierungspraktiken (Kapitel 5.1) soll dargelegt werden, dass die Beschäftigung des Musikvideos mit den eigenen medialen Bedingungen vielfältige Funktionen erfüllt und an eine lange Tradition von reflexiven Darstellungen in der Kinogeschichte anknüpft. Die Selbstbeobachtung steigert die Aufmerksamkeit des Betrachters für die Bilderwelt und ihren fiktionalen Status, steht jedoch nicht zwingend in einem Zusammenhang mit der Reflexion auf das Medium Fernsehen (Kapitel 5.2).
5.1 S ELBSTBEOBACHTUNG
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Möchte man die ästhetischen Möglichkeiten herausarbeiten, welche Clip-Regisseuren zur Verfügung stehen, um das Publikum die medialen Bedingungen ihrer Werke wahrnehmen zu lassen, so ist zunächst danach zu fragen, inwiefern das dem Musikvideo historisch vorausgehende Medium Film reflexive Verfahren hervorgebracht hat, die übernommen und variiert werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich der Gebrauch von Verweisen auf den Film und seine öffentliche Vorführung auf Werke erstreckt, die sich hinsichtlich des filmischen Genres und ihrer künstlerischen Qualität unterscheiden.1 Bereits in der Frühzeit des Kinos sind mehrere Darstellungen von der Tätigkeit des Kameramanns, dem Weg vom Drehbuch bis zur Fertigstellung eines 1
Vgl. Gloria Withalm: Commercial-ization of Filmic Self-Referentiality. In: Semiotica 148 (2004), H. 1/4, S. 337-360, S. 340.
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Leinwandabenteuers und der kollektiven Filmrezeption im Lichtspielhaus zu finden.2 Thematisch reichen die Bezugnahmen auf den Kontext der filmindustriellen Produktion von Romanzen und Musicals, die in Hollywood spielen, über Kriminalgeschichten innerhalb von Filmstudios bis zu Biografien über das Leben von bekannten Stars.3 Die Erzählungen über das Kino und das Geschehen hinter den Kulissen konstruieren eigene Vorstellungen vom Metier zahlreicher Schauspieler und Regisseure. Vermittelt das Musikvideo in der Darstellung des Fernsehens im Allgemeinen und des Musikfernsehens im Besonderen eine bestimmte Haltung gegenüber seinem Distributionsmedium, bezieht auch der Film Stellung zu den Bedingungen der eigenen Herstellung und Verbreitung und trägt damit entscheidend zum Mediendiskurs bei. Wie Patrick D. Anderson erläutert, folgten viele Werke der Intention, den Traum von einer Karriere in Hollywood in den Vordergrund zu rücken, als die Filmmetropole in den 1920er Jahren durch eine Reihe von Skandalen in Verruf geriet, darunter Morde an Schauspielern und der Tod eines Darstellers, den man in einen Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen brachte.4 In den 1950er Jahren habe ein Wandel eingesetzt und eine dunkle Seite von falschen Hoffnungen und leeren Versprechen in der Filmbranche sei hervorgetreten.5 Dieser Befund macht zum einen deutlich, dass sich der Blick des Films auf das Kino in Abhängigkeit von der zeitlichen Entwicklung und öffentlichen Thematisierung des Beobachtungsgegenstandes verändert. Zum anderen haben die Bezugnahmen nicht nur einen affirmativen Charakter. Auch Robert Stam stellt fest, dass die Haltung gegenüber der Filmindustrie, welche in Werken, die vom Kino handeln, zum Vorschein kommt, sowohl befürwortend als auch ablehnend sein könne: „Most of these films, however, are not anti-illusionist, and many, far from demystifying the film industry or exposing its mechanisms, idealize it as a wonderland of dreams fulfilled or diabolize it as an enticingly sinful Babylon.“6 Dem Zitat lässt sich eine weitere Erkenntnis entnehmen. So ist der Realitätseindruck, wie Stam ausführt, sowohl in Werken mit als auch in Werken ohne narrative Bezugnahme auf das eigene Medium unterschiedlich stark ausgeprägt: „Realism and reflexivity are not strictly opposed polarities but rather interpenetrating tendencies quite capable of coexistence within the same text. It would be more accurate to speak of a ‚coefficient‘ of reflexivity or mimesis, while recognizing that it is not a question of a fixed proportion.“7 Es sind unterschiedliche künstlerische Strömungen und Epochen der Kinogeschichte, die mit Inszenierungen in Verbindung gebracht werden, in 2
Vgl. ebd., S. 341f.
3
Vgl. Stam: Reflexivity in Film and Literature, S. 83.
4
Vgl. Patrick D. Anderson: In Its Own Image: The Cinematic Vision of Hollywood. New York 1978, S. 80f.
5
Vgl. ebd., S. 331.
6
Stam: Reflexivity in Film and Literature, S. 83.
7
Ebd., S. 15.
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denen die Bilder dem Betrachter auf verschiedene Weise bewusst machen, dass er einen Film rezipiert. So bleibt der Realitätseindruck in einer Zeit vor der Einführung des Continuity Editing meist aus. Mit Tom Gunning lässt sich von einem ‚Kino der Attraktionen‘ sprechen, das durch den Einsatz von Verfahren des Illusionsbruchs gekennzeichnet ist, die mit der Entstehung von Konventionen des Erzählkinos zwar seltener auftraten, allerdings nicht verschwanden, sondern Eingang in Werke avantgardistischer Regisseure fanden und ihre Bedeutung im Rahmen von einzelnen Genres wie dem Musical behielten.8 Eine besondere Entwicklung unter stilistischen Gesichtspunkten vollzog sich in Deutschland. Während der Weimarer Republik strebte das mit Argwohn betrachtete Medium Film nach einer Anerkennung, die es unter anderem zu erreichen versuchte, indem es den fiktionalen Status seiner Geschichten betonte.9 Expressionistische Werke wie DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) verwenden Ausdrucksformen, die die Illusionsbildung, auf welche Spielfilme zu diesem Zeitpunkt üblicherweise abzielten, beeinträchtigen, um „zum einen die Kunstfähigkeit der Kinematographie unter Beweis zu stellen und zum anderen das bürgerliche Publikum in stärkerem Maße für das Kino zu gewinnen.“10 Viele Arbeiten zeugen von einem künstlerischen Anspruch ihrer Schöpfer und lassen durch den Gebrauch ungewohnter Stilmittel den eigenen medialen Konstruktcharakter sichtbar werden. Sie enthalten experimentelle visuelle Arrangements, die „sich [...] von anderen Filmen dadurch unterscheiden, daß sie nicht primär Strukturen der Welt, sondern Strukturen des Films abbilden“, demnach „als Theorien über Film, als Meta-Filmsprache zu verstehen [sind] [Herv. i.O.].“11 Auch dem Mainstream-Kino zugerechnete Werke, von Superheldenepen über Psychothriller bis zu Melodramen, setzen voraus, dass der Zuschauer trotz einer Vielzahl selbstbezüglicher Unterhaltungsprodukte daran gewöhnt ist, die medialen Bedingungen der Bilder während der Vorführung des Films ausblenden zu können, und verhindern an verschiedenen Stellen der Handlung eine solche Rezeptionshaltung. Als humorvoller Überraschungsmoment findet sich der Selbstbezug insbesondere in Animationsfilmen, deren Entwickler größere Freiheiten haben, Gesetze von Biologie und Physik zu brechen und eigene Interpretationen der Wirklichkeit vorzunehmen.12 Darüber hinaus werden bis heute bestimmte Regisseure mit individuellen Formen filmischer Reflexion assoziiert, in denen ein subversives Anliegen zum Ausdruck kommt. 8
Vgl. Gunning: The Cinema of Attractions, S. 57. Dies gilt auch für das Musikvideo, dem in diesem Zusammenhang eine postmoderne Ästhetik zugeschrieben wird (Kapitel 3.2).
9
Vgl. Wolfgang Kabatek: Phänomene des Medienreflexiven im Weimarer Kino. In: AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 16 (2000), H. 31, S. 7-19, S. 7f.
10
Ebd., S. 11.
11
Bernhard Lindemann: Experimentalfilm als Metafilm. Hildesheim/New York 1977, S. 11.
12
Vgl. Jan Siebert: Self-Reference in Animated Films. In: Winfried Nöth/Nina Bishara (Hg.): Self-Reference in the Media. Berlin/New York 2008, S. 155-161, S. 155.
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So schreibt beispielsweise Harald Schleicher über das Œuvre von Federico Fellini, Jean-Luc Godard und Wim Wenders: „Ihre Filme verbindet das Ziel, künstlerische Intentionen in der industriell organisierten Filmbranche einzubringen und durchzusetzen – ein vorprogrammierter Konflikt, von dem diese Filme auch handeln. Inhaltlich setzen sie jedoch unterschiedliche Schwerpunkte: von der schöpferischen Krise vor Beginn der eigentlichen Dreharbeiten, über die Verflechtung von künstlerischen Konflikten mit privaten Problemen bis hin zur Kollision von Autorenfilmvorstellungen mit kommerziellen Erwartungshaltungen.“13
Insbesondere Godard, der neben seiner Tätigkeit für das Kino auch in mehreren Kritiken, Essays, Interviews und Reden den Charakteristika des Films nachgegangen ist, setzt sich in seinen Werken mit dem audiovisuellen Medium und der kapitalistischen Gesellschaft auseinander.14 So unterschiedlich die Geschichten sind, in die ein Illusionsbruch eingearbeitet sein kann, so groß sind die gestalterischen Optionen eines Regisseurs, zu verhindern, dass das von ihm in Szene gesetzte Werk von Anfang bis Ende eine illusionistische Wirkung zeitigt.15 Filmschaffende bedienen sich vorzugsweise folgender Verfahren: „[E]xposing the presence of the camera or the microphone; allowing characters to address the audience; forwarding, rewinding, burning or cracking the celluloid; revealing the set, technicians or special effects; introducing the actors, or even the directors, as themselves within the diegesis [Herv. i.O.].“16
Fraglich ist, ob es sich stets um Filme handelt, die – in die differenztheoretische Terminologie übersetzt – „eine besondere (reflexive) Figur“ gebrauchen, „die auf sich selbst verweist und daher als Störung im Formbildungsprozess erfahren wird, der in 13
Harald Schleicher: Film-Reflexionen. Autothematische Filme von Wim Wenders, JeanLuc Godard und Federico Fellini. Tübingen 1991, S. 9.
14
Vgl. Rainer Winter: Godard for ever. Dekonstruktion des Medienspektakels. In: Barbara Becker/Josef Wehner (Hg.): Kulturindustrie reviewed. Ansätze zur kritischen Reflexion der Mediengesellschaft. Bielefeld 2006, S. 193-214, S. 193.
15
Auch aus der künstlerischen Beschäftigung mit den ästhetischen Möglichkeiten anderer Medien sind reflexive Verfahren hervorgegangen, die das Musikvideo wie der Spielfilm in veränderter Form adaptiert. Dies gilt etwa für den einflussreichen Verfremdungseffekt im epischen Theater von Bertolt Brecht, der sein Publikum zu einer involvierten Auseinandersetzung mit seinen Stücken bewegt hat, indem er die Zuschauer ansprechen, Lieder die Aufführung unterbrechen und die Szenerie einfrieren ließ. Vgl. Stam: Reflexivity in Film and Literature, S. 6.
16
Limoges: The Gradable Effects of Self-Reflexivity on Aesthetic Illusion in Cinema, S. 393.
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der (klassischen) Regel seine (medialen und auch formalen) Voraussetzungen unsichtbar macht.“17 Die ästhetische Wirkung materieller Spuren im Kader unterscheidet sich erheblich von der Darstellung von Figuren und Gegenständen, die auf den Film referieren, aber Teil der diegetischen Welt bleiben und die Abfolge der Bilder folglich nicht beeinflussen. Auch hinsichtlich der Intention, die hinter der Gestaltung eines als Störung wahrgenommenen Meta-Moments steht, gilt es Differenzierungen vorzunehmen. Da die Selbstbeobachtung im Film in den überwiegenden Fällen Komik generiert, anstatt den Produktions-, Distributions- und Rezeptionskontext des filmischen Werks hinsichtlich aller ökonomischen Strukturen, Motivationen, Überlegungen und Entscheidungen zu erörtern, sollte das politische Anliegen von Regisseuren wie Godard nicht verallgemeinert werden. Das Ausmaß der Medienkritik von Geschichten, die von den Dreharbeiten eines Spielfilms handeln oder einen anderen Plot haben und die Bilder für einen kurzen Augenblick als Inszenierung sichtbar machen, fällt unterschiedlich hoch aus, selbst wenn Bezugnahmen auf das eigene Werk wiederholt auftreten. Christian Metz hat diesen Punkt ausführlicher diskutiert. Er argumentiert, dass die Enunziation, das heißt die kommunikative Vermittlung eines Inhalts, in den audiovisuellen Werken verschiedener Gattungen durchweg präsent sein müsse, „denn das Gesagte deckt niemals ganz die Tatsache, daß es gesagt wird, ab [Herv. i.O.].“18 Zugleich machen bestimmte Bildelemente die Entstehungsbedingungen eines medialen Inhalts wahrnehmbar, wie die Analyse von Metz zeigt. Laut dem Filmsemiotiker ist es möglich, die Enunziation durch ein reflexives Verfahren zu erkennen zu geben, sodass „[d]er Film [...] uns von sich selbst (oder vom Kino) oder von der Position des Zuschauers [erzählt] [...].“19 In der Diegese aufgestellte Kameras, so Metz, deuten beispielsweise an, dass ein Film im Film zu sehen ist, während Mehrfachkadrierungen, die durch den Gebrauch von Gegenständen wie Fenstern und Ferngläsern entstehen, dem Betrachter im Sinne einer ‚mise en abyme‘ den Eindruck einer inneren Leinwand vermitteln.20 Metz begnügt sich nicht damit, die Verfahren zu erkunden, mithilfe derer Filme ihren medienspezifischen Konstruktcharakter offenbaren. Vielmehr hinterfragt er die These, „daß das Herausstellen des kinematographischen Dispositivs – seine ‚Denunziation‘ und seine ‚Dekonstruktion‘, wie man in den siebziger Jahren [...] sagte – die Enunziations-Markierung par excellence bilden, da uns der Film [...] genau das zu sehen und zu hören gibt, was ihn hervorgebracht hat [Herv. i.O.].“21 Unter ‚Dispositiv‘ verstand Jean-Louis Baudry den durch das Kino festgelegten Rahmen, der den in 17
Paech: Das Medium formuliert, die Form figuriert, S. 64.
18
Christian Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films [L’énonciation impersonnelle ou le site du film 1991]. Münster 1997, S. 156.
19
Ebd., S. 10.
20
Vgl. ebd., S. 57-68.
21
Ebd., S. 69.
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Platons Höhlengleichnis dargelegten Rezeptionsbedingungen entspricht und in dem Bilder produziert werden, deren Realitätseffekt der Filmwissenschaftler unter Einbeziehung der Traumtheorie von Sigmund Freud beschreibt.22 Das Urteil über die psychologische Wirkung des Films, welche durch die Beschaffenheit des Aufführungsortes bedingt wird, ist eindeutig: „[...] [T]he darkness of the movie theater, the relative passivity of the situation, the forced immobility of the cine-subject, and the effects which result from the projection of images, moving images, the cinematographic apparatus brings about a state of artificial regression.“23 Ausgehend von dieser Analyse war die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung die Sichtbarkeit dispositiver Elemente innerhalb eines Films für den Betrachter vor der Leinwand hat. Metz stellt im Anschluss an Pascal Bonitzer heraus, dass die Einbettung von Kameras in die Handlung keine Befreiung von der Macht der medialen Struktur des Kinos verspreche, „beim Zuschauer [...] sogar in einigen Fällen den Technikfetischismus fördern [könnte].“24 Schließlich werde das Publikum gewöhnlich mit einer fremden und nicht mit der für den rezipierten Film gebrauchten Aufnahmetechnologie konfrontiert, welche sich allenfalls dann wahrnehmen lasse, wenn ein Spiegel in der Diegese auftaucht.25 Paech schildert das von Metz dargestellte Phänomen in medientheoretischen Begriffen: „Die aufzeichnende Kamera ist nach wie vor ‚unsichtbar‘ und wesentlich ‚kinematographischer Blick‘ in der konstitutiven Differenz-Form ihres Mediums [...].“26 Folglich bleibt meist ungewiss, welche Personen tatsächlich für die Bilder, welche über eine Leinwand im Lichtspielhaus laufen, im TV-Programm zu sehen sind oder sich mithilfe eines mobilen Endgerätes online aufrufen lassen, verantwortlich zeichnen, wie sich die Dreharbeiten gestaltet haben und auf welche technischen Instrumente in der Produktion und Postproduktion zurückgegriffen worden ist. Der Betrachter erfährt die mediale Selbstbeobachtung laut Paech nur selten als einen Illusionsbruch: „Solange ein Film nur in Hollywood spielt oder das Milieu der Filmproduktion als Hintergrund für seine Geschichte benutzt, oder auch nur die Entstehung eines anderen Films thematisiert wird [...], ist es ein Schauplatz wie jeder andere. Erst wenn die Erzählung von der Entstehung eines Films mit der Entstehung desselben Films gekoppelt ist, entsteht die Paradoxie, daß der 22
Vgl. Jean-Louis Baudry: The Apparatus: Metapsychological Approaches to the Impression of Reality in the Cinema [Le dispositif: Approches métapsychologiques de l’impression de réalité 1975]. In: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology: A Film Theory Reader. New York 1986, S. 299-318, S. 302ff.
23
Ebd., S. 313.
24
Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films, S. 69.
25
Vgl. ebd., S. 69f.
26
Joachim Paech: Intermedialität. Mediales Differenzial und transformative Figurationen. In: Jörg Helbig (Hg.): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, S. 14-30, S. 22.
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Fortgang der Handlung in jedem Moment (simultan) von der Entstehung ihres Mediums abhängig ist, das als Form (Kino) in die Form des Films eingeschrieben ist.“27
Auch in der Untersuchung der Medienreflexion im Musikvideo gilt, dass die Beobachtung einer auf das eigene Medium verweisenden Form nicht zwingend die Unterscheidung von Medium und Form in Gestalt einer Störung ins Bewusstsein des Betrachters treten lässt. Gleichwohl ist zu vermuten, dass reflexive Verfahren, die dem Filmpublikum seit langer Zeit bekannt sind, als wichtige Inspirationsquelle für ClipRegisseure dienen. Das Konzept des Dispositivs kann auf die Kommunikationstechnologie des Fernsehens übertragen werden.28 Doch auch die Enthüllung von dispositiven Eigenschaften des TV-Mediums in der Bilderwelt eines – unter Umständen im Programm des Fernsehens ausgestrahlten – Clips ist nicht zwingend von Kritik geprägt. Kann ein filmischer Illusionsbruch ohne Bezug auf das Kino erfolgen, so müssen Darstellungen des medienspezifischen Konstruktcharakters eines Clips entsprechend nicht mit Bildern einhergehen, die Bezug auf das Fernsehen nehmen.
5.2 S ELBSTBEOBACHTUNG
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Dass neben dem Film und anderen Medien auch das Musikvideo an verschiedenen Stellen erkennen lässt, ein medialer Inhalt zu sein, den der Betrachter konsumiert, ist naheliegend. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Phänomen um einen häufigen Befund der Forschung. Im Gegensatz zum mittlerweile nur noch selten aufgegriffenen Klischee „des rasend schnell geschnittenen, verführerischen Taumels der Bilder, dessen Verheißungen nie zur Erfüllung gelangen können“, besteht „das des selbstreflexiven Mediums, das die Bedingungen der eigenen Produktion ständig thematisiert“29, fort, so Ulrike Bergermann. „[...] [V]ideos are routinely, and increasingly, self-reflexive“30, konstatiert E. Ann Kaplan bereits Ende der 1980er Jahre und schließt in ihre Beobachtung auch die Darstellung von TV-Apparaten ein, die das Bild des Clips als Teil der Diegese wiedergeben.31 In einer Zeit, in der die Veröffentlichung eines neuen Musikvideos noch von einem Fernsehsender abhängig war, erschien dies als ein Hinweis auf den massenmedialen Kontext des eigenen Werks, der mit der Erfahrung des 27
Joachim Paech: Cinema mista – Kino im Film. In: Irmela Schneider/Christian W. Thomsen (Hg.): Hybridkultur. Medien, Netze, Künste. Köln 1997, S. 118-140, S. 121.
28
Vgl. dazu Knut Hickethier: Dispositiv Fernsehen. Skizze eines Modells. In: montage/av 4 (1995), H. 1, S. 63-83.
29
Bergermann: Videoclip, S. 478.
30
E. Ann Kaplan: Rocking around the Clock: Music Television, Postmodernism and Consumer Culture. New York/London 1987, S. 34.
31
Vgl. ebd.
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im Augenblick der Rezeption vor dem Bildschirm befindlichen Publikums übereinstimmte. Auch wenn sich keineswegs alle Musikvideos selbst beobachten, fällt auf, dass Werke verschiedener Genres existieren, in denen zahlreiche Meta-Momente zu finden sind. Grundsätzlich lassen sich die Herstellung, die mediale Verbreitung und der Konsum eines Clips veranschaulichen.32 Doch obwohl die mediale Form der Bilder Gegenstand der Beobachtung sein kann, wenn das Fernsehen als Distributionsort des Musikvideos dargestellt wird, soll die Inszenierung des TV-Mediums zunächst keine Berücksichtigung finden, um sie im Hauptteil der Arbeit einer differenzierten Analyse zu unterziehen. Die Beliebtheit von reflexiven Verfahren, die Regisseure einsetzen, um die mediale Form des eigenen Werks hervorzuheben und gelegentlich die Formbildung in Gestalt einer plötzlichen Störung aussetzen zu lassen, erklärt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass ein nur wenige Minuten langes, für einen Song werbendes Musikvideo im Vergleich zu einem abendfüllenden Spielfilm in einem höheren Maße darauf angewiesen ist, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu gewinnen. Bezugnahmen auf den fiktionalen Status der Bilder sorgen für eine Überraschung, an die sich der Betrachter in einigen Fällen auch nach längerer Zeit zu erinnern vermag. Dass Varianten der Selbstbeobachtung im Musikvideo kein randständiges Phänomen sind, hängt demnach mit dem für das Medium spezifischen Ziel der Inszenierung zusammen. Prinzipien des Erzählkinos einzuhalten, ist keine notwendige Bedingung, um die Attraktivität des Stars und seines Songs zu steigern. Gerade vom Verstoß gegen einzelne Regeln der Bildgestaltung und -montage scheint man sich zu erhoffen, eine ästhetische Alternative zu herkömmlichen filmischen Produkten zu bieten (Kapitel 3.2). Da Song und Clip individuelle Bedeutungen vermitteln und erst im Musikvideo zusammenfinden, ist gelegentlich wahrnehmbar, dass es sich um differente mediale Formen handelt. Wie Margaret Morse zusammenfasst, sind Bild und Ton in vielen Fällen nicht aufeinander abgestimmt, etwa dann, wenn der Star das eingespielte Stück plötzlich mit der nicht im Song aufgezeichneten Originalstimme begleitet, anstatt eines Mikrofons andere Gegenstände in den Händen hält, unter Wasser auftritt oder seine Lippen bewegt, während ein in der Diegese auftauchendes technisches Gerät als tatsächliche Klangquelle ausgewiesen wird.33 Eine weitere Verwirrung stiftet das Video, sobald der Star, von dessen Präsenz der Betrachter in den meisten Fällen ausgeht, nicht oder nur vorübergehend als Protagonist in den einzelnen Performance-Sequenzen zu sehen ist. Folgt man Daniel Klug, so bilden die Mundbewegungen eines sichtbaren Sängers vor dem Hintergrund der zeitversetzten Aufnahme von Song und 32
Vgl. Ulrich Wenzel: Pawlows Panther. Musikvideos zwischen bedingtem Reflex und zeichentheoretischer Reflexion. In: Klaus Neumann-Braun (Hg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen. Frankfurt a.M. 1999, S. 45-73, S. 52.
33
Vgl. Margaret Morse: Postsynchronizing Rock Music and Television. In: Journal of Communication Inquiry 10 (1986), H. 1, S. 15-28, S. 18.
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Clip die Grundlage dafür, wie das audiovisuelle Gefüge wahrgenommen wird, denn „insbesondere im lip synching [ist] zu erkennen, dass hierfür die Synchronität der aktuellen musikbezogenen Darstellung mit der klanglich transportierten, imaginierbaren Darstellung wichtiger ist, [sic!] als die zwischen der visuellen und der akustischen Person.“34 Neben realfilmisch aufgenommenen Menschen und Objekten sowie Animationsfiguren, die als solche identifizierbar sind,35 übernehmen manchmal künstlich erschaffene, in der Inszenierung jedoch sehr realistisch wirkende Figuren die Rolle des Musikers. So ist etwa die Gruppe Coldplay in ADVENTURE OF A LIFETIME (2015) als eine Horde von Affen zu sehen. Mithilfe des Motion-Capture-Verfahrens sind mimische und gestische Bewegungen der Bandmitglieder auf die Körper am Rechner erstellter Schimpansen übertragen worden. Die Figuren tanzen auf einer Waldlichtung und bedienen dort niedergelegte Musikinstrumente, während sie den Song über einen Lautsprecher erklingen lassen. Die ungewöhnliche Darbietung referiert insofern auf den Liedtext, als dieser die Freude einer Person schildert, zu alter Stärke zurückgefunden zu haben. „Now I feel my heart beating / I feel my heart underneath my skin / And I feel my heart beating / Oh, you make me feel / Like I’m alive again“, singen die digital zum Leben erweckten Affen. Obwohl die Computeranimationen einen hohen Naturalismusgrad haben und die Lippenbewegungen der Figuren eine enge Verbindung zwischen Bild und Ton herstellen, macht die unerwartete Abwesenheit der tatsächlichen Stars deutlich, dass Song und Clip separat voneinander produziert worden sind. Demgegenüber stehen Musikvideos, die mit Inkongruenzen im Verlauf von Bild und Ton spielen.36 Dass ein solcher audiovisueller Widerspruch kein Versehen ist, sondern strategisch eingesetzt wird und eine wichtige Funktion innerhalb der Narration erfüllen kann, lässt sich anhand des von Pedro Romhanyi vorgelegten Clips NO REGRETS (1998) illustrieren. Die Handlung des Musikvideos folgt Robbie Williams, der auf der Treppe einer Bühne sitzt und zu singen beginnt (Abbildung 2). Als der Star von einem Aufnahmeleiter gebeten wird, seinen Hit vor der Kamera an der Seite von Tänzerinnen darzubieten, unterbricht er für einen kurzen Moment seinen Gesang und steht auf. Das Lied verklingt allerdings nicht. Williams stimmt seine Ballade erneut an, doch sein Gesichtsausdruck verrät, dass der Frust über die gescheiterte Beziehung, welche er musikalisch verarbeitet, noch anhält („I don’t want to hate but that’s / All you’ve left me with / A bitter aftertaste and a fantasy of / How we all could live“). Schließlich beendet der Sänger seinen Auftritt und verlässt den Raum; das mittlerweile offensichtliche Playback läuft weiter. Dass Bild und Ton nicht vom Anfang bis zum Ende der Geschichte als eine Einheit erscheinen, ist in diesem Fall ein Ausdruck der emotionalen Verfassung des Protagonisten. Die mediale Formbildung von 34
Klug: (Un-)Stimmigkeiten, S. 226.
35
Vgl. ebd., S. 217ff.
36
Vgl. ebd., S. 223f.
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Song und Clip vollzieht sich jeweils ohne eine Störung, während die audiovisuelle Inkongruenz bewusst macht, dass das Musikvideo ein Produkt ist, in dem zwei bereits vorliegende mediale Formen eine Verknüpfung eingehen. Abbildung 2: NO REGRETS, 1998, M: Robbie Williams, R: Pedro Romhanyi.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Uyb67x1C2Dg (TC 00:26, 01:10, 01:54)
Schlüsselt man die Verfahren auf, derer sich Regisseure bedienen, um im Verlauf der Handlung für einen kurzen Augenblick deutlich zu machen, dass es sich bei dem, was der Betrachter wahrnimmt, um ein mediales Konstrukt handelt, steht insbesondere die Bildebene im Fokus der Analyse.37 Hinsichtlich der visuellen Möglichkeiten eines Clips, sich als Medieninhalt zu beobachten, spielen Darstellungen der Performance eine entscheidende Rolle. Denn wird eine gesangliche Darbietung wiedergegeben, so geht das Publikum davon aus, dass der Solokünstler oder die Mitglieder einer Band über einen längeren Zeitraum in die statische, fahrende oder kreisende Kamera blicken. Dies konstatiert auch Blaine Allan, der eine solche Adressierung mit dem Versuch anderer Medien vergleicht, eine Nähe zum Zuhörer oder -schauer aufzubauen: „Video form takes advantage of that part of TV rhetoric, drawn from the stage and radio, and shared in conventional narrative cinema only in the asides of comedy or the performance of the musical, that invests some persons onscreen with the knowledge of viewers and listeners and the license to speak directly to them.“38
Demnach ist der Augenkontakt des Stars mit dem Betrachter nicht nur in der ClipRezeption ein vertrautes Phänomen. Die vierte Wand wird zwar durchbrochen, doch die medial vermittelte Botschaft wie der Liedtext im Fall des Musikvideos erreicht gerade durch die Hinwendung des Stars zum Publikum eine größere Verbindlichkeit, Emotionalität und Überzeugungskraft. Inwiefern die Bilder in die Kamera blickender 37
Letztlich verfügt auch der Song als Bestandteil der Formbildung des gesamten Musikvideos über ein reflexives Potenzial. So wird gelegentlich ein in der Single-Version nicht enthaltenes Geräusch eingespielt, dessen Ursprung der Clip erklärt, oder das Lied unterbrochen, um eine bestimmte Szene herauszustellen (Kapitel 3.1). Die Veränderung des Tons baut eine Spannung auf, die den Betrachter konzentrierter auf den Bildschirm blicken lässt, und macht deutlich, dass der visualisierte Song eine bearbeitete Aufnahme ist.
38
Allan: Musical Cinema, Music Video, Music Television, S. 11.
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und vor dem Aufnahmegerät posierender Figuren als charakteristisch für die dokumentarische Wiedergabe einer musikalischen Darbietung oder als störendes Element im Hinblick auf die Illusionswirkung empfunden werden, hängt davon ab, auf welcher der im Musikvideo enthaltenen Bildebenen sie zu finden sind. So steigern viele Clips den Genuss ihrer Rezeption dadurch, dass sie in kontinuierlich wechselnden Sequenzen veranschaulichen, wie der Star seinen Song präsentiert, und zugleich eine Geschichte erzählen (Kapitel 3.1). In diesem Punkt erinnert das Musikvideo an die Inszenierung von Auftrittsliedern im Musikfilm, die dazu dienen, einen Protagonisten auf der Bühne vorzustellen, und im selben Augenblick auf den Schauspieler jenseits der Diegese verweisen.39 Laut Hans J. Wulff verschiebt eine solche Einbettung der Performance die Aufmerksamkeit des Publikums auf das filmische Werk: „Zumindest kurzfristig tritt für den Zuschauer der Prozess des Diegetisierens zurück. Der imaginäre und fiktive Rahmen der Geschichte wird dabei nicht ganz aufgegeben [...]. Aber er changiert, wird mit der umgebenden Welt des Wissens kurzgeschlossen. ‚Das ist der Star!‘, heißt es dann, obwohl alle anderen Figuren weiterhin in den Rollen des Spiels verharren; kurzfristig überlagert ein Wiedererkennen den Prozess der Wahrnehmung der Geschichte.“40
Auch das Musikvideo versetzt den Betrachter in die Lage, die verschiedenen Rollen, in denen Interpreten häufig agieren, voneinander abzugrenzen. So kann die Hauptfigur zu mehreren Zeitpunkten innerhalb einer Geschichte ihre Lippen zum Lied bewegen, das im Hintergrund läuft, und sich als Star des Clips kenntlich machen. Selbst wenn die Grenze zwischen dem medialen Produkt und seinem Publikum zum Vorschein kommt, weil eine Figur auf nonverbale Weise einen Hinweis darauf gibt, dass sie gefilmt wird, fällt die Wirkung des reflexiven Verfahrens sehr unterschiedlich aus. Relevant ist die Frage, ob es ein Moment unter vielen ist, in denen das Musikvideo als eine Fiktion markiert wird, oder ob die Bezugnahme auf die eingeschaltete Kamera insofern für eine Überraschung sorgt, als der Clip über weite Strecken spielfilmische Konventionen einhält und in der Tradition eines reflexive Bilder vermeidenden Erzählkinos steht. Dies wird in INTO THE NIGHT (2007) von Santana und Chad Kroeger deutlich. Die musikalische Darbietung findet auf dem Dach eines Hauses statt, während Zwischensequenzen eine Liebesgeschichte erzählen, in der der Liedtext Gestalt annimmt. Nach dem Ende des Songs zeigt Carlos Santana, der eine E-Gitarre in den Händen hält, mit einem Finger auf den Betrachter. Seine Geste hat jedoch keinen bedeutenden Einfluss auf die Illusionswirkung der Bilder, denn das Publikum ist sich sicher, dass das Geschehen in Szene gesetzt worden ist. Schließlich 39
Vgl. Hans J. Wulff: „Hoppla, jetzt komm ich!“. Gastauftritte und Auftrittslieder oder Die Brüchigkeit filmischer Musikszenen. In: Musik und Ästhetik 16 (2012), H. 64, S. 22-41, S. 33.
40
Ebd., S. 40.
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richtet das Duo seinen Blick über die gesamte Dauer des Clips in die Kamera, während es an einem Mikrofon steht und den Song spielt. Auch in verbalen Kommentaren beziehen sich Figuren immer wieder auf das Musikvideo und irritieren das Publikum. Sie sprechen den Betrachter an oder geben in einer Unterhaltung mit Menschen in ihrer Umgebung zu verstehen, dass sie in diesem Moment für einen Clip gefilmt werden.41 Mithilfe von Schrifteinblendungen lassen sich ebenfalls gezielt Aussagen über die Musik und das Musikvideo treffen.42 Im Bild erscheinende Wörter und Sätze erinnern den Betrachter an seine gegenwärtige Position als Clip-Konsument vor dem Fernsehapparat, Computer oder Smartphone, indem sie ihn adressieren oder einzelne Inhalte der Narration zum Thema machen. Als eindrucksvolles Beispiel der letzten Jahre lässt sich BREAK FREE (2014) von Ariana Grande und Zedd anführen. Der Clip eröffnet mit einer längeren Schrifteinblendung, die nach oben über den Kader gleitet und von einer sonoren Stimme gesprochen wird: „What you are about to witness is scientifically authentic“, verspricht der Text und lässt durch seine Prätentiösität sogleich Zweifel an der Ankündigung aufkommen: „It is just one step ahead of present day reality and two steps ahead of present day sexiness. Prepare yourself to attempt to conceive an inconceivable outer space adventure. Brace yourself for something so fantastically fantastical you’ll soil yourself from intergalactic excitement.“ Die einführende Sequenz ist eine Rekonstruktion des Intros der Filmreihe STAR WARS, die George Lucas 1977 begründet hat. Sie bereitet den Betrachter mit einer übertriebenen Dramatik zu sphärischen Klängen auf eine ScienceFiction-Geschichte vor, in der die Sängerin Grande mehrere Aliens überwältigt, um eine Reihe gefangener Personen zu befreien. Entsprechend der Vielzahl von Kinoproduktionen, die von unterschiedlichen Phasen ihrer Entstehung handeln, hält auch das Musikvideo Schritte der eigenen Produktion fest. Oftmals geht es um eine Zusammenstellung witziger Momente während der Planung des Clips oder der Dreharbeiten, die im Fall von Spielfilmen meist als Outtakes nach dem Abspann zu sehen sind. Das Konzept einer zusammenhängenden Erzählung, die die Produktion des Musikvideos thematisiert, nahm seinen Anfang mit EASY LOVER (1984), einem Werk, das dokumentiert, wie die beiden Sänger Philip Bailey und Phil Collins vor einer Aufnahme für den gemeinsamen Clip in der Kantine essen, Kostüme auswählen, mit ihren Originalstimmen den Auftritt proben und im Raum der Maskenbildnerin sitzen.43 Ein beliebtes Verfahren, die Herstellung des eigenen Musikvideos anzudeuten, ist der Gebrauch einer Filmklappe.44 Das Instrument, mit dem sich im Verlauf der Produktion Bild- und Tonebene aufeinander abstimmen lassen, wird in zahlreichen Clips dem Publikum gezeigt und zugeschlagen. Vor allem 41
Vgl. Dunne: Metapop, S. 148f.
42
Vgl. ebd., S. 147f.
43
Vgl. ebd., S. 147.
44
Vgl. ebd., S. 148.
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in den 1980er Jahren sind Filmklappen häufig dem Hauptteil des Musikvideos vorgelagert und suggerieren, dass das gesamte Werk noch einer Bearbeitung bedarf. Die Vorderseite ist oftmals mit dem Songtitel sowie den Namen des Stars und der Mitglieder des Filmteams beschriftet, also mit Informationen, die im Spielfilm meist am Anfang und am Ende der Handlung im Kader erscheinen. So schnell, wie die Filmklappe Eingang in die Bilderwelt von Clips gefunden hat, so schnell ist sie als ein zur Konvention gewordenes reflexives Stilmittel reflektiert worden. Geradezu scherzhaft nimmt sich in diesem Zusammenhang OUT OF TOUCH (1984) von Daryl Hall und John Oates aus. Die beiden Musiker halten sich im Inneren der Trommel eines überdimensionalen Schlagzeugs auf und tanzen zu ihrem Song vor nicht weniger großen Buchstaben, die in die Diegese eingebettet sind und den Titel ihres Albums Big Bam Boom (1984) nachstellen. Beachtliche Ausmaße hat auch eine Filmklappe, die eingangs von einem mehrköpfigen Team hochgestemmt wird (Abbildung 3). Anders als gewohnt setzt der stampfende Beat des Songs nicht mit dem Herunterfallen des Balkens ein, sondern in dem Augenblick, wenn die kurzzeitig im gesamten Sichtfeld der Kamera stehende Konstruktion nach vorne auf den Boden kippt. Aufgrund der Größe der Filmklappe ist die Beschriftung im Unterschied zu anderen Clips für den Betrachter gut lesbar. Der Regisseur Jeff Stein erhält demnach die Möglichkeit, sich und den Kameramann Tony Mitchell in der Frühphase von MTV, als die für die Produktion verantwortlichen Personen noch unerwähnt blieben,45 dem Publikum vorzustellen. Doch anstatt nach der eigenen Anerkennung zu streben, setzt Stein in das Feld des Regisseurs auf der Filmklappe den erdachten Namen „Raoũl Kark“. Abbildung 3: OUT OF TOUCH, 1984, M: Hall & Oates, R: Jeff Stein.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=D00M2KZH1J0 (TC 00:06, 00:32, 01:38)
Die Filmklappe bildet eine bis heute im Musikvideo stetig wiederkehrende Requisite, die auf laufende Dreharbeiten hinweist. An der Seite von gleich mehreren Verfahren der Referenz auf den Clip ist sie in EEZ-EH (2014) von Kasabian zu sehen. Dort wird die mit einer elektronischen Anzeige ausgestattete Klappe in den Kader hineingehalten und wieder herausgezogen, bevor die Rock-Gruppe vor der Kamera, die mit einem Schwenk zum Schluss das Filmteam am Set einfängt, verschiedene Posen einnimmt. 45
Vgl. Beebe: Paradoxes of Pastiche, S. 303.
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Die Mitglieder von Kasabian bücken sich, um in das Aufnahmegerät zu schauen, und bespucken die Linse, während sie vor einer großen pinkfarbenen Videowand singen, auf der sowohl der Liedtext als auch die Laufzeit des Musikstücks abgebildet sind. OUT OF TOUCH und EEZ-EH bestätigen die Aussage von Metz, dass die Darstellung der dispositiven Struktur des eigenen Mediums oftmals „[e]in in Wahrheit schmerzloses Verfahren“ sei, das ohne Interesse an einer Kritik „zu einem Gemälde des ‚Komödiantenlebens‘ und von dort aus zur ‚Welt des Spektakels‘ führen [kann] [...].“46 Die Selbstironie, von der die Geschichten über das Musikvideogeschäft meist zeugen, lässt sich verwenden, um dem Star ein konsistentes Image zu verleihen. Relativ häufig kommen Bezugnahmen auf den eigenen Clip beispielsweise in den Werken der Boygroup One Direction zum Einsatz. So beginnt ONE THING (2012) lediglich mit der Präsentation einer Filmklappe, während BEST SONG EVER (2013) ein ausführliches Gespräch der Musiker mit ihrem Produzenten und einem Choreografen schildert. Das narrative Konzept von KISS YOU (2013) besteht darin, dass die Bandmitglieder in wechselnden Settings gefilmt werden und vor einer Leinwand mit exotischen Motiven Biker, Schifahrer und Surfer spielen. Einem Gaststar aus Hollywood begegnet man im Musikvideo STEAL MY GIRL (2014), das Benjamin und Gabe Turner inszeniert haben. One Direction verlassen einen Wohnanhänger, der in der Wüste steht, und fragen, wer ihren Clip drehen werde. Im Hintergrund fallen bereits Kulissenelemente und eine künstliche Beleuchtung ins Auge. Die auch beim Publikum aufgebaute Neugierde hinsichtlich der anstehenden Dreharbeiten wird befriedigt, als sich Danny DeVito der Band vorstellt (Abbildung 4). Der Regisseur hält eine motivierende Rede, in der er seine Ideen für das Musikvideo zusammenfasst, bis der Song einsetzt und Akrobaten, Balletttänzerinnen, Clowns, Sumoringer, afrikanische Krieger und wilde Tiere das Bild füllen. DeVito zeigt sich begeistert vom karnevalesken Treiben, applaudiert und beendet mit einem Blick in die Kamera die Aufnahme. Die Enthüllung der Clip-Produktion unterstützt den Eindruck, dass die junge Band One Direction nicht nur ernst genommen und mithilfe aufwendig gestalteter Musikvideos für ihre Fans attraktiv in Szene gesetzt wird, sondern auch ihre ersten Erfahrungen im Showbusiness mit dem Publikum teilt. Abbildung 4: STEAL MY GIRL, 2014, M: One Direction, R: Benjamin Turner/Gabe Turner.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=UpsKGvPjAgw (TC 01:05, 05:16) 46
Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films, S. 70.
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Folgt man Joe Gow, so sind es häufig Hard-Rock-Gruppen, die mithilfe von selbstbezüglichen Bildern versuchen, ihre rebellische Haltung zu bewahren, die sie durch die Nutzung des Werbemittels Musikvideo zu verlieren drohen.47 Der Kommunikationswissenschaftler sieht in der Darstellung von Tätigkeiten hinter der Kamera, Bandproben und Interaktionen mit Filmtechnikern die Strategie, auf einen herkömmlichen Inszenierungsstil zu verzichten, um dem Verdacht zu entgehen, dass der Star kommerzielle Absichten hat, ohne allerdings die Praktiken der Produktion des zugehörigen Songs zu beleuchten.48 Laut Gow bleibt die Enthüllung der medienindustriellen Mechanismen daher einseitig: „While viewers of the pseudo-reflexive music videos are taken behind one type of set, the set upon which the videos were filmed, they never go behind the type of set where the musical selections they hear were fabricated. The reflexive visuals in these clips are such an enthralling source of pleasure that they blind viewers to the larger process in which the record companies, the video makers, and the members of the music groups actually are engaged.“49
Dass Sänger und Bands durch den von Humor begleiteten Verweis auf den Entstehungshintergrund des Produkts Musikvideo versuchen, die Sympathien ihres Publikums zu gewinnen, ist nachvollziehbar. Die Intention eines solchen Clips lässt sich mithilfe der von Katrin Keller eingeführten Unterscheidung zwischen dem beruflichen ‚Star-Star‘ und dem privaten ‚Star-Menschen‘ beschreiben.50 Aus der Sicht des Publikums auf den Star in seiner doppelten Rolle hält die Autorin fest: „Um den Star identitätskonstruktiv positiv einsetzen zu können, müssen seine Nutzer ihn als authentisch bewerten, müssen also davon ausgehen, dass die kognitiven Identitätsherstellungen des Stars und seine kommunikativen Identitätsdarstellungen übereinstimmen. Deshalb sind Medien wie Stars darum bemüht, den Star qua Anti-Inszenierungs-Inszenierungsstrategien vor allem in seiner Rolle als Star-Mensch als unvermittelt-authentisch erscheinen zu lassen bzw. seine Mitarbeit an der Medialität seiner Darstellungen als Star-Mensch auszublenden [Herv. i.O.].“51
Legt eine als Sänger identifizierbare Figur im Musikvideo die Planung oder Durchführung der Clip-Produktion offen, so wird dem Betrachter ein scheinbar authentischer Einblick in den Berufsalltag des Protagonisten geboten. Der Star-Star erhält in 47
Vgl. Joe Gow: Music Video as Persuasive Form: The Case of the Pseudo-Reflexive Strategy. In: Communication Quarterly 41 (1993), H. 3, S. 318-327, S. 321.
48
Vgl. ebd., S. 321f.
49
Ebd., S. 325.
50
Vgl. Katrin Keller: Der Star und seine Nutzer. Starkult und Identität in der Mediengesellschaft. Bielefeld 2008, S. 133.
51
Ebd., S. 153.
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diesem Moment den Status des Star-Menschen, denn er stellt die massenmediale StarKonstruktion als Fassade seiner Person zur Schau. Dennoch müssen Gows Ausführungen zur persuasiven Funktion der medialen Selbstbeobachtung hinterfragt werden. Es ist einzuwenden, dass sich reflexive Verfahren über das musikalische Genre Hard-Rock hinaus einer großen Beliebtheit erfreuen und sowohl die Herstellung des Clips als auch die des Songs in den Blick nehmen. Bereits in einer Zwischensequenz von EASY LOVER ist der unbearbeitete Gesang von Bailey und Collins zu hören. Er weicht klanglich von der Single-Version ab und gibt zu verstehen, dass die vom Publikum konsumierte Musik das Ergebnis eines eigenen Produktionsprozesses ist.52 Des Weiteren führen zahlreiche Clips den Betrachter hinter die Kulissen des Tonstudios, in dem der Star seinen Hit aufgenommen hat. Da die Songproduktion in der Regel abgeschlossen ist, wenn das Musikvideo gedreht wird, und Bild und Ton nicht jede Entscheidung am Audiomischpult dokumentieren, weist die Handlung oftmals mehrere zeitliche Sprünge auf. Dies veranschaulicht YOU BELONG (1998) von Culture Beat. Das Musikvideo zeigt zu Beginn im Originalton, wie die Sängerin Kim Sanders am Mikrofon von ihrem Produzenten unterbrochen wird, während sie ihr neues Lied einsingt. Unzufrieden mit der Leistung fragt er sie nach dem Grund für ihre schlechte Verfassung. Zermürbt antwortet Sanders, dass sie eine Pause benötige. In der nächsten Einstellung befindet sich die Musikerin plötzlich an einem Pool unter freiem Himmel, wo sie das Stück, welches nun in einer nachbearbeiteten Fassung erklingt, fehlerfrei darbietet. Nach dem makellosen Gesang führt der Clip zurück in den immer wieder zwischengeschnittenen Aufnahmeraum. Dort verkündet der Produzent: „Thanks, Kim. That was perfect.“ Geben Musikvideos meist keinen Aufschluss über Details der Produktion des eigenen Songs,53 ist auch in diesem Fall trotz der Darstellung des Tonstudios unklar, welche künstlerisch-technischen Handlungen ausgeführt worden sind, um das Lied von Culture Beat, welches der Betrachter des Clips hört, fertigzustellen. Ein weiteres Verfahren, ein Bewusstsein für den fiktionalen Status des Clips aufkommen zu lassen, ist die Darstellung von brüchigen oder dauerhaft durchlässigen diegetischen Trennlinien.54 Wie Erwin Feyersinger zusammenfasst, findet der in der Forschungsliteratur als ‚Metalepse‘ bezeichnete Illusionsbruch im Film statt, wenn 52
Dies steht im Kontrast zur Feststellung von Gow, dass Variationen des Klangs ausbleiben würden: „The makers of the pseudo-reflexive clips avoid such gestures, however, and opt to present the recordings they are promoting in an unadulterated fashion, where what is heard on the soundtracks of the videos is exactly what is being offered for sale on CDs, tapes, and records.“ Gow: Music Video as Persuasive Form, S. 323.
53 54
Vgl. ebd. Vgl. auch die Übersicht über verschiedene Umsetzungen dieser Reflexionsform in Henry Keazor: „I had the strangest week ever!“: Metalepsis in Music Videos. In: Karin Kukkonen/ Sonja Klimek (Hg.): Metalepsis in Popular Culture. Berlin/New York 2011, S. 104-126.
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innerhalb oder außerhalb der Diegese in eine gezeichnete oder animierte Welt eingegriffen wird, eine Figur ihren Kosmos verlässt, diegetische Grenzen innerhalb der Diegese überwunden werden oder sich realfilmische Aufnahmen und Animationen vermischen.55 In gleicher Weise treffen im Musikvideo mit einem Bleistift erschaffene oder am Computer entstandene Figuren auf Menschen aus Fleisch und Blut. OH MY GOD (2007) von Mark Ronson und Lily Allen erzählt von einer solchen Begegnung, ohne den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Welten anschaulich zu machen. In der Hommage an die Komödie WHO FRAMED ROGER RABBIT (1988) von Robert Zemeckis tanzt die Sängerin Allen als Cartoonfigur in einem Lokal vor Männern, die von ihrer Performance im Scheinwerferlicht und der Interaktion mit dem Publikum fasziniert sind.56 Auch die von Feyersinger beschriebene Form der Metalepse, welche darin besteht, dass Figuren von der medialen in die empirische Wirklichkeit gelangen, wird von Clip-Regisseuren regelmäßig eingesetzt.57 Im Musikvideo DEEPER UNDERGROUND (1998) der Band Jamiroquai ist es ein berühmtes Monster, das mit der Erwartung eines dargestellten Kinopublikums bricht. Es zerstört die Leinwand, auf welche es projiziert wird. Im Lichtspielhaus läuft GODZILLA, ein im selben Jahr herausgebrachter Thriller von Roland Emmerich, der den Song von Jamiroquai enthält. Die Beine der Riesenechse sind in einer Großaufnahme zu sehen, als sie die Leinwand einreißen und der Hollywood-Horror zur Realität der Zuschauer wird. Die intermediale Bezugnahme auf das Kino hebt die Trennung der füreinander werbenden Produkte Film und Musikvideo innerhalb der Narration auf, während die Metalepse, welche der physikalischen Logik widerspricht, den Inszenierungscharakter des Clips betont. Auch wenn die bisherigen Beispiele nicht den Verlauf des Musikvideos stören, finden sich Meta-Momente, in denen die Differenz von Medium und Form auf der Bildebene als Illusionsbruch vor Augen geführt wird. Es geht um Clips, die vortäuschen, eine raumzeitliche Verbindung zum Betrachter herzustellen.58 Sie unterscheiden sich von solchen Werken, in denen Kommentare, Körperbewegungen oder Blicke eines Protagonisten auf die Fiktionalität des Musikvideos aufmerksam machen, der Verlauf einer Handlung unrealistisch erscheint oder Merkmale der Darstellung des Schauplatzes verraten, dass eine mit organisatorischem und künstlerischem Aufwand verbundene Inszenierung vorliegt. Dies belegt (DON’T) GIVE HATE A CHANCE (2005) 55
Vgl. Erwin Feyersinger: Diegetische Kurzschlüsse wandelbarer Welten: Die Metalepse im Animationsfilm. In: montage/av 16 (2007), H. 2, S. 113-130, S. 117ff.
56
Vgl. zur Darstellung von Menschen und Zeichentrickwesen im erwähnten Kinofilm ebd., S. 123.
57
Der Autor nennt als Beispiel TAKE ON ME (1985) von a-ha. Vgl. ebd., S. 120.
58
Henry Keazor unterscheidet diesen Fall der Transgression als „enacted metalepsis“ von intradiegetischen Grenzüberschreitungen, die sich im Sinne einer „represented metalepsis“ ereignen. Keazor: „I had the strangest week ever!“, S. 112.
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von Jamiroquai. Der Clip orientiert sich an der Fernsehserie LA LINEA (1972-1991) von Osvaldo Cavandoli. Im Mittelpunkt der TV-Bilder steht ein abstraktes Strichwesen, welches auf einer gezeichneten, sich in die Horizontale erstreckenden Linie unterschiedliche Gefahrensituationen erlebt. Anders als im nachgeahmten Original besteht der Boden im Musikvideo von Jamiroquai nicht aus einer Linie. Stattdessen entfaltet der Clip eine Geschichte, in der mehrere Gruppen dreidimensional animierter Figuren die Kritik am Hass in der Gesellschaft illustrieren, welche der Song zum Ausdruck bringt. Wie in LA LINEA tritt der Cartoonist selbst „als problemschaffende wie -lösende Erzählinstanz“59 auf. Seine Hand ist immer wieder innerhalb der Diegese zu sehen, wo sie mit einem Stift den Hintergrund verändert und Waffen kreiert, mit denen sich die Figuren gegenseitig bedrohen und auf die Alltagswirklichkeit übertragbare Konflikte nachstellen. In QUE SI, QUE NO (2007) der Hot Banditoz ist es hingegen ein Musiker, der die Formbildung des eigenen Clips zur Anschauung bringt (Abbildung 5). Gleich zu Beginn verlässt Silva Gonzalez den diegetischen Raum. Das Mitglied der Latino-Gruppe schiebt die beiden schwarzen Balken, welche im Breitbild des Musikvideos erscheinen, nach oben und unten, sodass im neuen Format das Bandlogo und die fortan alternierenden Hintergründe in voller Größe zu sehen sind.60 Gonzalez modifiziert die Ansicht des Clips, der ihn selbst zeigt, indem er nicht Teil der medialen Fiktion bleibt, sondern vorübergehend der Handlung entsteigt und die Rolle eines Beobachters einnimmt. Noch während die an einen Spielfilm erinnernden Sichtbegrenzungen unter einem lauten Quietschen verschwinden, setzen die ersten Takte des Songs ein. Anschließend treten die Hot Banditoz in Kulissen auf, die aus Seifenblasen, Süßigkeiten, Luftballons, Geschenken und Palmen bestehen und jeglichen Eindruck von Natürlichkeit vermeiden. Der am Anfang des Clips stehende Meta-Moment steigert die Aufmerksamkeit des Publikums und ist als Beispiel einer weiteren Spielart der Selbstbeobachtung zu betrachten, in der die Differenz von Medium und Form explizit wird. Denn es handelt sich um eine Störung, die Merkmale der Wiedergabe der Bilder in den Vordergrund rückt. QUE SI, QUE NO ist in dieser Hinsicht von solchen Musikvideos abzugrenzen, die lediglich zurückliegende Aufnahmesituationen vergegenwärtigen, zum Beispiel Figuren zeigen, die an den Dreharbeiten des Clips mitgewirkt haben, oder die Rezeption des eigenen Werks zum Thema machen. Indem Gonzalez die Ästhetik der Bilder verändert, um das Musikvideo von seiner filmischen Anmutung zu befreien, unterbricht er zumindest für wenige Sekunden die Formentwicklung des Clips dergestalt, dass die technische Beschaffenheit der Aufnahmen aufgerufen wird (Kapitel 6.2.2). 59 60
Feyersinger: Diegetische Kurzschlüsse wandelbarer Welten, S. 117. Eine Variante der Metalepse besteht darin, dass der Protagonist eine Manipulation der zeitlichen Abfolge des Musikvideos vornimmt, so etwa in 7 DAYS (2000) von Craig David. Vgl. Keazor: „I had the strangest week ever!“, S. 121.
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Abbildung 5: QUE SI, QUE NO, 2007, M: Hot Banditoz, R: Patric Ullaeus.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=x1z9nvUB50Y (TC 00:01, 00:03, 00:06)
Kehrt man zur Inszenierung von Dreharbeiten im Musikvideo zurück, so sind die bisherigen Formen der Selbstbeobachtung um eine reflexive Variante zu ergänzen. Denn auch die laut Metz innerhalb eines Spielfilms meist der Wahrnehmung des Zuschauers entzogene Kamera, welche für die Aufnahme der rezipierten Bilder genutzt worden ist, lässt sich darstellen. Dies beweist DON’T YOU WANT ME (1981) von The Human League. Der Clip spielt an einem Filmset im Wald und schließt mit dem Blick in einen Spiegel, der die tatsächliche Crew des Musikvideos zeigt – eine Form der Reflexion, die Metz als Ausnahme unter den Möglichkeiten des Illusionsbruchs betrachtet.61 Auch nach der Anfangszeit von MTV bedienen sich Regisseure dieses Konzepts, und zwar nicht nur mit dem Ziel, das Musikvideo in einer für das Publikum unerwarteten Wendung enden zu lassen. Exemplarisch kann der Clip MEMORIES (2010) von David Guetta und Kid Cudi angeführt werden. Dort bildet die Spiegelung ein wiederkehrendes Element. Die Kamera begleitet Cudi auf seinem Weg in einen Frisörsalon, von wo aus der Musiker schließlich einen Club aufsucht. Gegenstände wie Fenstergläser und Aufzugstüren reflektieren derweil an ihrer Oberfläche das Bild der Filmcrew des Clips, die aus einer Gruppe unbekleideter Frauen besteht. So wie „die Erzählung von der Entstehung eines Films mit der Entstehung desselben Films gekoppelt“62 sein kann, legt das Musikvideo die visuelle Formbildung des eigenen Werks unmittelbar offen. Die intradiegetischen Bilder betonen die Präsenz der Technologie, mithilfe welcher sie hervorgebracht werden, und irritieren das Publikum durch das sonderbare Motiv der Spiegelung zusätzlich. Wie der Exkurs zur Selbstbeobachtung ergeben hat, referiert das Musikvideo seit den 1980er Jahren auf unterschiedliche Weise auf den eigenen Konstruktcharakter. Die vorangegangenen Beispiele haben deutlich gemacht, dass die Anwendung ästhetischer Verfahren, die eine Illusionsbildung behindern oder über einen längeren Zeitraum aufheben, weder auf den Beginn des Musikfernsehens einzugrenzen ist, als die mediale Selbstbeobachtung als ein Phänomen der Postmoderne in den Blick der Forschung geriet, noch das Ergebnis einer Entwicklung bildet, die ihren Anfang erst in 61
Vgl. Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films, S. 69.
62
Paech: Cinema mista, S. 121.
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den letzten Jahren genommen hat. Bis heute zählen reflexive Darstellungen vielfältiger Art zum festen Repertoire von Clip-Regisseuren. Als Inspirationsquelle dient das etablierte Medium Film. Das Musikvideo hält zum einen an vertrauten Prinzipien des narrativen Kinos fest und löst sich zum anderen von ihnen, um einen neuen Seheindruck zu vermitteln. Dies wird mithilfe von Verfahren realisiert, die bereits in Filmen umgesetzt worden sind, welche ihr mediales Dasein verhandeln. Neben verschiedenen Bild-Ton-Inkongruenzen, die Song und Clip als eigene Bestandteile des Musikvideos zu erkennen geben, und sprachlichen Adressierungen treten vor allem auf der Bildebene Ereignisse auf, die den Fokus auf die mediale Form des Clips lenken. Der oftmals eher unterhaltende als aufklärende Blick hinter die Kulissen der Produktion von Song und Clip erinnert den Betrachter daran, dass er einen Medieninhalt rezipiert, der unter Verwendung bestimmter gestalterischer Techniken entstanden und nachbearbeitet worden ist, während die Aufhebung diegetischer Grenzen innerhalb der inszenierten Welt eigene Paradoxien hervorbringt. Eine Störung der Bilderabfolge, die das Publikum die Aufnahmen als eine Form von ihren medialen Voraussetzungen unterscheiden lässt, knüpft sich an Ereignisse, die nicht innerhalb der Diegese des Clips verweilen. Ein solcher Illusionsbruch kann auch dann gegeben sein, wenn das Musikvideo ein Distributionsmedium wie das Fernsehen in seine Reflexion einbezieht. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass die visuelle Formbildung eines Clips aussetzt und der medienspezifische Konstruktcharakter wahrnehmbar ist, wenn die Bilder als ein im Fernsehen gesendeter Programminhalt ausgegeben werden und Figuren oder Gegenstände die dem eigenen Medienprodukt zugeschriebene Grenze des TVKosmos überschreiten oder Übertragungsstörungen auftreten und die technische Beschaffenheit der televisuellen Bilder sichtbar machen.
Teil III:
Fernsehreflexion im Musikvideo
Die bisherigen Kapitel haben die theoretische Grundlage geschaffen, um den vorliegenden Untersuchungsgegenstand Musikvideo als ein reflektierendes Medium zu betrachten und zu analysieren. So gestalten Clips den fortlaufenden Diskurs über Medien mit, deren Eigenschaften sie unter Einbeziehung von – sich verändernden – Merkmalen des eigenen Mediums beobachten. Die Darstellung des Fernsehens steht in einem Austausch mit gesellschaftlichen Kontroversen, sachlichen Stellungnahmen und emotionalen Behauptungen zum Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen der Television und produziert zugleich neue Bedeutungen, die die Vorstellung vom beobachtenden und vom beobachteten Medium prägen. Eine intermediale Bezugnahme kann sowohl im Song als auch im zugehörigen Clip manifest werden. Song und Clip, die dem Musikvideo zugrunde liegenden medialen Formen, erhalten ihre Gestalt durch künstlerische Selektionen spezifischer Elemente. Reflexionen des Fernsehens lassen sich folglich nicht nur auf der visuellen Ebene untersuchen. Es ist zwar naheliegend, dass sie dort in einer großen Vielfalt auftreten und an das Wissen um Inhalte des gesellschaftlich wirkmächtigen Bildmediums anknüpfen. Doch blendet man die Bildinszenierung vorübergehend aus, lässt sich auch in den Liedtexten popmusikalischer Werke eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Fernsehen nachzeichnen. Spektakuläre Ereignisse, die in der Vergangenheit im TV-Programm übertragen oder eigens für den Zuschauer in Szene gesetzt worden sind, regelmäßig ausgestrahlte Sendungen, Figuren fiktionaler und nicht-fiktionaler Formate, aber auch Fragen nach dem kulturellen Stellenwert des Mediums haben Eingang in die Geschichten einer Reihe von Songs gefunden. Entscheidet sich eine Plattenfirma dazu, einen Clip produzieren zu lassen, um das Musikstück zu vermarkten, dann ist es möglich, dass der Text und die Bilder Bezug auf denselben Gegenstand nehmen, wenn auch oftmals mit verschiedenen Fokussierungen. Bereits mit der Etablierung des Fernsehens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand das Programmmedium immer wieder Erwähnung in Songs verschiedener Interpreten. Orientiert an den ersten Erfahrungen von Konsumenten mit der elektronischen Bildübertragung entdeckte die Popmusik ein neues Thema für sich. „During this period, the primary site of exhibition for spectator amusements was transferred
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from the public space of the movie theater to the private space of the home“, schreibt Lynn Spigel über die Begeisterung für das Fernsehen in der Nachkriegszeit: „Americans purchased television sets at record rates – in fact more quickly than they had purchased any other home entertainment machine.“1 Wie sich das Bildschirmmedium bedienen ließ, zeigten Darstellungen, die in Magazinen, Werbeanzeigen, Tageszeitungen, Radiosendungen, Filmen und einzelnen TV-Formaten zu finden waren.2 Zwei Beispiele aus der frühen Pop-Historie machen das Interesse deutlich, welches in dieser Zeit auch Sänger und Bands dem Fernsehen entgegengebracht haben. So erfährt die als Innovation gefeierte Kommunikationstechnologie vor allem in TV IS THE THING (THIS YEAR) (1953) von Dinah Washington eine Würdigung. Der Liedtext befasst sich mit dem Defekt eines Fernsehgerätes, der das lyrische Ich zur Verzweiflung bringt („Last night I was watchin’ old Tom Nix / My TV broke and I was in a fix“). Dass erst Erleichterung eintritt, als der Schaden behoben ist, unterstreicht die der Television zugeschriebene Relevanz als ein den Alltag begleitendes Medium. Im Jahr, als Washington ihren Song herausbrachte, setzte sich die Vorstellung von einer blühenden Zukunft des Fernsehens durch. Es waren in erster Linie live ausgestrahlte Sendungen, etwa die Berichterstattung über die Krönungsfeier von Queen Elisabeth II.,3 welche einen „mentale[n] Schock [Herv. i.O.]“ hervorriefen, „Raumgrenzen bei Gleichzeitigkeit des Erlebens überwinden zu können, oder auch: den Wahrnehmungshorizont über körperlich-sensuelle Beschränkungen hinweg durch Echtzeit-Übertragungen von realen Ereignissen erweitern zu können [...].“4 Washington ist sich der spezifischen Eigenschaften des Fernsehens ebenfalls bewusst und grenzt sie von denen des Hörfunks ab, der der Sängerin hinsichtlich des eigenen kommunikativen Angebots als überholt erscheint („Radio was great, but now it’s outta date“). Noch im selben Jahr schwärmte Big Joe Turner in seiner Blues-Nummer TV MAMA (1953) vom neuen Medium: „She got great big eyes and little bitty feet and in the waist, she’s so nice and neat / She’s my TV Mama, one with the big, wide screen / Every time she loves me, man, she makes me scream.“ Ob die Gefühle, welche Turner offenbart, tatsächlich dem Fernsehen gelten oder die doppeldeutige Beschreibung des Umgangs mit dem Empfangsgerät eher eine zwischenmenschliche Liebesbeziehung zum Ausdruck bringt, ist dem Hörer des Liedes überlassen. Das Interesse von Musikern am Fernsehen blieb in der Folgezeit bestehen und spiegelte sich sowohl im Text als auch – gelegentlich ausschließlich – im Titel ihrer 1
Lynn Spigel: Make Room for TV: Television and the Family Ideal in Postwar America. Chicago, Illinois/London 1992, S. 1.
2 3
Vgl. ebd., S. 2. Vgl. Monika Elsner/Thomas Müller: Der angewachsene Fernseher. In: Hans U. Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt a.M. 1988, S. 392-415, S. 395.
4
Ebd., S. 394.
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Stücke wider. Nachdem Songs zunächst insbesondere das außergewöhnliche Unterhaltungspotenzial des noch jungen Mediums gelobt hatten, weitete sich das Themenspektrum. Mit der fortschreitenden Verbreitung des Fernsehens begegneten Musikhörer immer häufiger Anspielungen auf erfolgreiche TV-Formate, während sich auch kritische Botschaften einer größer werdenden Beliebtheit erfreuten und an die Seite der wertschätzenden Worte gegenüber dem Massenmedium traten, sei es im Rahmen kurzer Erzählungen oder expliziter Stellungnahmen zum Fernsehen, die sich an das Publikum richten. So nehmen bis heute zahlreiche Vertreter verschiedener musikalischer Genres – vom Heavy-Metal bis zum Gangsta-Rap – in ihren Protestsongs Anstoß an der Oberflächlichkeit des gesendeten Programms und prangern darüber hinaus die negativen Auswirkungen der Television auf den Zuschauer und das gesellschaftliche Zusammenleben an. Die Möglichkeiten von Sängern und Bands, einen intermedialen Bezug zum Fernsehen musikalisch herzustellen, erstrecken sich keineswegs nur auf verbalsprachlich formulierte Verweise, wenngleich diese überwiegen mögen. Auch Klangfolgen wie Geräusche, die beim Ein- und Ausschalten des Empfangsgerätes entstehen, das Rauschen einer gestörten TV-Übertragung, Intros mit einem hohen Wiedererkennungswert, Meldungen von Nachrichtensprechern und Dialoge fiktionaler Sendungen können in einen Song eingebunden werden. Nachdem die audiovisuelle Umsetzung der Medienreflexion lange Zeit auf die Präsentation des Liedes in einem Spielfilm oder einer Fernsehshow, die Darbietung während eines Konzerts und weitere öffentliche Auftritte beschränkt gewesen war, sind mit dem Musikvideo neue künstlerische Optionen entstanden, die intermediale Bezugnahme – auch ohne Performance-Anteile – vorzuführen und von den Inszenierungen anderer Stars abzugrenzen. Die vorliegende Untersuchung der Medienreflexion konzentriert sich nicht nur auf Werke, deren Titel oder Liedtext bereits auf eine im Fernsehen laufende Sendung anspielt oder das Medium als solches benennt, auch wenn beide Varianten der Referenz nahelegen, dass sich der Musiker im Vorfeld mit bestimmten televisuellen Inhalten und Gestaltungsprinzipien oder Umgangsformen mit der Kommunikationstechnologie eingehend beschäftigt hat und der zugehörige Clip eine entsprechende thematische Ausrichtung aufweist. Im Mittelpunkt stehen Bewegtbilder, die unabhängig vom zugrunde liegenden Song Bedeutungen des Fernsehens vermitteln und mit unterschiedlicher Prägnanz in Beziehung zu sich selbst setzen können. Um ein differenziertes Verständnis darüber zu erlangen, wie das Musikvideo das Fernsehen als eine mediale Form beobachtet und in diesem Zuge die Form des eigenen Mediums zum Vorschein kommen lässt, also „das Vermögen“ beweist, „‚Medialität‘ zu denken [Herv. i.O.]“5, sollen im folgenden Untersuchungsteil in einem ersten Schritt die visuellen Strategien analysiert werden, mithilfe derer Clips einen intermedialen Verweis kenntlich machen (Kapitel 6). Das Musikvideo ist in der Lage, die 5
Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 20.
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lediglich auf das Medium Fernsehen gerichtete Bezugnahme durch eine Reflexion zu ersetzen, indem es sowohl die eigene als auch die fremde mediale Form abbildet, ohne einen Illusionsbruch herbeiführen zu müssen. Im spezifischen Blick von kommerziellen Clips auf die eigene mediale Umwelt werden Vorstellungen vom Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des beobachteten TV-Mediums sichtbar, während die selbstreferenzielle Verarbeitung der medialen Beobachtung verschieden stark ausgeprägt ist. Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen über die gestalterischen und narrativen Funktionen des Fernsehens innerhalb der Inszenierung des Musikvideos gilt es in einem zweiten Schritt des Untersuchungsteils zu erörtern, aus welchen selektiven Blickrichtungen die Medienreflexion des aus Song und Clip zusammengesetzten Mediums erfolgt (Kapitel 7). Damit wird ein Perspektivwechsel vorgenommen, um die Rolle des Musikvideos innerhalb des Fernsehdiskurses genauer zu betrachten. Es geht um die Frage, welche Haltungen Sänger und Bands sowie Regisseure gegenüber dem TV-Medium einnehmen und inwiefern sich der Wandel des Verhältnisses zwischen Musikvideo und Fernsehen in den intermedialen Bezugnahmen widerspiegelt.
6. Bildstrategien der intermedialen Bezugnahme
Um die Vielfalt der Ausdrucksformen zu erkunden, in denen sich eine Bezugnahme des Musikvideos auf das Fernsehen zeigt, können zwei verschiedene Strategien der Inszenierung differenziert werden: Einerseits veranschaulichen Clips Charakteristika des Fernsehens auf der Grundlage des technischen Dispositivs, das dem Medium eigen ist. Andererseits rekonstruieren sie die Erscheinung eines televisuellen Produkts. Der erste Fall betrifft Ansichten der Apparatur und des Umgangs mit ihr, der zweite Fall bestimmte Merkmale von der Apparatur hergestellter Ansichten. Das übertragene TV-Bild lässt sich entweder einem intradiegetischen Empfangsgerät zuordnen oder füllt den Kader des Clips, der dadurch häufig vortäuscht, selbst über einen Monitor zu laufen. Die beiden visuellen Strategien können in einem Musikvideo allein oder gemeinsam zum Einsatz kommen und in unterschiedlich ausgerichteten Beobachtungen die Beschaffenheit des Mediums verhandeln. Dabei lässt das in der Handlung auftauchende Fernsehen entweder keine Bezüge zum Musikvideo erkennen oder das Musikvideo führt eine Reflexion durch und beobachtet sich selbst als mediale Form des Fernsehens, das heißt als einen im TV-Programm ausgestrahlten Inhalt, den das Publikum als Clip oder als eine andere Sendung identifizieren kann. Um die verschiedenen Verfahren zu ermitteln, welche Regisseuren dazu dienen, einen Verweis auf Aspekte des Fernsehens zu markieren, sollen Bilder, in denen ein Fernsehapparat zu sehen ist (Kapitel 6.1), und Bilder, die an eine Fernsehsendung erinnern (Kapitel 6.2), im weiteren Verlauf voneinander getrennt behandelt werden. Es ist anzunehmen, dass beide Strategien der intermedialen Bezugnahme auf vielfältige Weise eingesetzt und dem übergeordneten Ziel des Musikvideos angepasst werden, die Wahrnehmung des Sängers oder der Band positiv zu beeinflussen und dem zugehörigen Song einen gewünschten Ausdruck zu verleihen. Insgesamt erweist sich das Fernsehen als ein aufschlussreicher Gegenstand intermedialer Beobachtung, hat es doch aufgrund seiner festen Verankerung im Medienalltag und des von ihm kontinuierlich angebotenen Informations- und Unterhaltungsprogramms bereits zahlreiche Kontroversen im untersuchten Zeitraum entfacht. Insbesondere Jugendliche, die die Hauptzielgruppe des Musikvideos ausmachen, schreiben dem TV-Konsum meist eine große Bedeutung zu und erwerben Detailkenntnisse
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über fiktionale, aber auch nicht-fiktionale Inhalte des Mediums. Clip-Regisseure können bei ihrem Publikum einen vertrauten Umgang mit dem Fernsehen voraussetzen, wenn sie eine bestimmte Sendung oder Rezeptionssituation in Szene setzen oder mit den gesammelten Erfahrungen des Betrachters bewusst brechen. Ausgehend von diesen Überlegungen gilt es, anhand von exemplarischen Musikvideos zu untersuchen, auf welche Weise in der Darstellung der dispositiven Anordnung und der televisuellen Bilder vorhandenes Wissen über das Fernsehen aufgegriffen oder das Medium in ungewohnte Zusammenhänge eingebettet wird.
6.1 I NSZENIERUNG
VON
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Eine erste Bildstrategie des Musikvideos, sich auf das Fernsehen zu beziehen, besteht darin, das zugehörige Gerät und seinen Nutzer in Szene zu setzen. Doch ob es tatsächlich das TV-spezifische Dispositiv ist, welches als mediale Form beobachtet wird, ist keineswegs immer auf den ersten Blick zu beantworten. Nicht alle Bildschirme, die in der Handlung eines Clips auftreten, stehen im Kontext des Massenmediums Fernsehen, das zwar gegenwärtig einem noch eingehender zu betrachtenden Wandel ausgesetzt ist, in seiner klassischen Struktur allerdings als technologischer Apparat innerhalb einer sozialen Institution aus bestimmten Regeln, Rollen und Organisationen ein professionell produziertes Programm ausstrahlt, das sich an ein disperses Publikum zu Hause richtet.1 Wie im Folgenden dargestellt wird, findet sich im Musikvideo eine große Bandbreite an intradiegetischen Bildschirmen, die eine Performance des Sängers oder der Band rahmen. Bisweilen sind es Fernsehapparate, die im Zentrum des Blicks der Kamera stehen, allerdings ohne Auskunft über ihren genauen Verwendungszusammenhang innerhalb der Erzählung zu geben (Kapitel 6.1.1). Neben einer solchen Präsentation des Stars über oftmals nicht näher bestimmte elektronische Wiedergabegeräte lösen einige Clips Bildschirme aus ihrem TV-Kontext heraus und entwerfen mit ihnen kreative Arrangements, die zum Teil auf Konzepte der Videokunst rekurrieren (Kapitel 6.1.2). Andere Clips heben auf den Gebrauch des Fernsehens im Alltag ab und betonen verschiedene Facetten des medialen Dispositivs im privaten und öffentlichen Raum, um eine Narration zu entfalten, die häufig mit dem Liedtext in Verbindung steht (Kapitel 6.1.3). Im zeitlichen Verlauf sind neue Medienapparate aufgekommen, die spezifische Nutzungspraktiken hervorbringen und vor dem Hintergrund ihres wachsenden kulturellen und sozialen Stellenwerts in der Bilderwelt des Musikvideos in Erscheinung treten. Angesichts dieser vor allem digitalen Kommunikationswege, welche mittlerweile zur Verfügung stehen, lässt sich schließlich danach 1
Vgl. Elihu Katz: Introduction: The End of Television. In: Elihu Katz/Paddy Scannell (Hg.): The End of Television? Its Impact on the World (So Far). Los Angeles, California u.a. 2009, S. 6-18, S. 6f.
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fragen, ob Computer und Internet das Fernsehen als Gegenstand der Medienreflexion verdrängt haben (Kapitel 6.1.4). 6.1.1 Stars auf dem Bildschirm Begibt man sich auf eine ausgedehnte Suche nach Bildschirmen im Musikvideo, um zu klären, anhand welcher Merkmale die Repräsentation des Fernsehens von der anderer Kommunikationstechnologien abzugrenzen ist, bietet sich einem eine Fülle von Varianten von Bauweisen, Designs und Verwendungszusammenhängen. Doch unabhängig von ihrer medialen Kontextualisierung haben Bildschirme innerhalb der Diegese des Clips grundlegende Funktionen gemeinsam. So erhöht ein eingeschaltetes Gerät stets die Komplexität einer Szene und regt das Publikum, welches die visuellen Ereignisse zu interpretieren versucht, zum Nachdenken an.2 Dass es sich um ein gestalterisches Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit handelt, zeigt sich auch dann, wenn der Einsatz des Bildschirms in keiner Verbindung zum Liedtext oder zum Klang des zugehörigen Songs steht. „On-screen screens, it would seem, derive their visual interest from the disunity they cause“, erläutert Brad Chisholm: „They call attention to themselves and the images upon them because they are disruptions to the space/time unity of the whole.“3 Die Apparate präsentieren in der Ferne befindliche Figuren und Gegenstände, die eine wichtige Bedeutung für den Protagonisten haben, fungieren als Instrumente imaginärer Zeitreisen, indem sie vergangenes oder zukünftiges Geschehen visualisieren, liefern ein Duplikat der Ansicht des Musikvideos in einem kleineren Format oder lassen aufgrund der Kameraposition oder eines technischen Fehlers der Übertragung kein klares Bild erkennen. Stets ist der Betrachter des Clips herausgefordert, logische Beziehungen zwischen der Rahmenhandlung und einzelnen isolierten televisuellen Darstellungen herzustellen und die von ihm wahrgenommenen Realitätsebenen in ein plausibles hierarchisches Verhältnis zu bringen, wie der Filmwissenschaftler Chisholm ausführt: „When on-screen screens and the images on them are to any degree prominent in a shot, they become factors in our sense-making viewing strategy because they force us to posit a diegetic world inside of and subordinate to another one.“4 Eine solche Überwindung von Raum und Zeit erfolgt im Musikvideo vor allem dann, wenn Bildschirme Verwendung finden, die einen effektvollen Szenenwechsel realisieren. Gerade in der ersten Dekade von MTV sind unterschiedliche Apparate als Requisiten herangezogen worden, um innerhalb des Clips eigene Ansichten zu produzieren, die mehrere Einstellungen miteinander verknüpfen. Ein Blick in die 1980er 2
Vgl. Brad Chisholm: On-Screen Screens. In: Journal of Film and Video 41 (1989), H. 2, S. 15-24, S. 15.
3
Ebd., S. 22.
4
Ebd., S. 16.
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Jahre verrät, dass es nicht nur intradiegetische Geräte sind, mithilfe derer einige Regisseure versuchen, den Rezeptionsgenuss ihrer Musikvideos zu erhöhen. So enthalten viele Werke dieser Zeit Videoeffekte, die es erlauben, von der Haupthandlung abweichende oder mit ihr übereinstimmende Aufnahmen im Kader unterzubringen und Übergänge zwischen einzelnen Szenen zu schaffen, ohne den Clip in separate Sequenzen zu gliedern. Nicht selten werden die gerahmten Bildflächen auf Gegenständen in der filmischen Welt angebracht, die zum Thema des Songs passen. So wehen etwa im Musikvideo CIRCLE IN THE SAND (1988) von Belinda Carlisle Postkarten, die an dünnen Schnüren befestigt sind und die Sängerin bei ihrem Aufenthalt am Strand zeigen, im Wind des Meeres. Einem technischen Wiedergabegerät innerhalb der Diegese entsprechend verleihen Einblendungen dieser Art den Bildern eine zusätzliche Dynamik, durch die sich der Clip von den Schauwerten anderer Werke abzuheben versucht. Die häufig künstliche Anmutung der Tricktechnik verringert sich, wenn an ihre Stelle ein Fernsehapparat tritt, der die nachträglich hinzugefügten Ansichten als tragbares Gerät oder in einem Wohnraum stehendes Möbelstück umschließt und die Interaktion einer Figur mit den integrierten Aufnahmen realistischer wirken lässt.5 Bleibt man vorläufig bei Monitorkonstruktionen, die nicht mit dem medialen Dispositiv des Fernsehens identisch sind, drängt sich eine interessante Beobachtung auf. Denn bei den elektronisch übertragenen Bildern handelt es sich überwiegend um Ansichten des Sängers oder der Band. Dies mag zumindest mit Blick auf PerformanceSequenzen solcher Musikvideos, die ein Konzert abbilden, kaum überraschen, geben doch in der Regel große Monitore während des öffentlichen Auftritts eines Stars das Geschehen für die anwesenden Besucher wieder, deren Sicht auf den Star häufig eingeschränkt ist. Übernimmt ein Musikvideo diese technische Anordnung, ist je nach Position der Kamera das in diesem Moment sichtbare Bild auf einer Videowand präsent. Der Betrachter des Clips sieht dann einen intradiegetischen Closed Circuit. So verdoppelt sich zum Beispiel in LET IT ROCK (2008) die Ansicht von Kevin Rudolf und Lil Wayne in einem Meer aus grell leuchtenden Rechtecken. Eine Videowand erstreckt sich über den gesamten Hintergrund der Bühne, auf welcher die beiden Musiker stehen. Die Ränder der Wand liegen außerhalb des Clip-Kaders, da eine nahe bis halbtotale Einstellungsgröße gewählt worden ist. Aus diesem Grund taucht das Duo immer wieder neben dem eigenen Abbild auf, während es seinen Song vor einem ausgelassenen Publikum darbietet. Darüber hinaus können animierte und realfilmische Aufnahmen, die produziert worden sind, um die sinnliche Erfahrung eines Liedes zu steigern, die für eine Musikveranstaltung aufgebauten elektronischen Tafeln und Leinwände zieren. Gelegentlich kommt es vor, dass auch Passagen aus einem Clip eingespielt werden, der jenen Song 5
Es sei erwähnt, dass trotz der prinzipiell größeren Wirklichkeitsnähe auch die Darstellung eines TV-Bildschirms Eindrücke hervorbringt, die der Medienerfahrung des Publikums widersprechen, wie im weiteren Verlauf der Studie herausgearbeitet wird.
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illustriert, den der Star auf der Bühne gerade vorträgt. Bildet ein Musikvideo diese Konstellation in einem dokumentarischen Stil selbst ab, können für den Betrachter logische Widersprüche entstehen, nämlich dann, wenn auf dem Wiedergabegerät innerhalb der Diegese ein Auftritt zu sehen ist, der aus früheren oder späteren PerformanceSequenzen des in diesem Augenblick laufenden Clips besteht. Wie fest die vergrößerte Bildübertragung des Stars mit der Veranstaltung eines Pop-Konzerts verknüpft ist, demonstriert das von Dougal Wilson für Coldplay gedrehte Werk LIFE IN TECHNICOLOR II (2009). Dort werden die Musiker der Band von den Figuren eines Puppentheaters gespielt, die vor einer Gruppe von Kindern auftreten (Abbildung 6). Die Dramatik der Darbietung in der Aldenham War Memorial Hall wird durch den Einsatz von Feuerwerk und Bodennebel gesteigert. Auf der sich erweiternden Bühnenkonstruktion baut ein Crewmitglied zum Refrain des Songs Scheinwerfer und Musikboxen im Miniaturformat auf. Die Detailgenauigkeit des Clips reicht so weit, dass im Hintergrund auch ein kleiner Flachbildschirm zu sehen ist, der kaum die Sicht der ohnehin wenigen Zuschauer auf das Spektakel vor Ort verbessert. Vielmehr unterstützt das Gerät als typisches Element eines Konzerts die Authentizität der Inszenierung. Abbildung 6: LIFE IN TECHNICOLOR II, 2009, M: Coldplay, R: Dougal Wilson.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=fXSovfzyx28 (TC 01:59, 02:01, 03:04)
Auch wenn ein Clip keine Aufnahmen eines öffentlichen Auftritts des Sängers oder der Band enthält, lenken oftmals Bildtechnologien den Blick des Publikums auf die musikalische Performance. Die Darstellungen solcher Medien erzählen unterschiedliche Geschichten. Das Szenario einer Bedrohung des Stars findet sich etwa in MARIA (1999) von Blondie. Die Band spielt ihr Lied in einem Proberaum, während sie von mehreren bewaffneten Personen, die sich auf einem gegenüberliegenden Hausdach aufhalten, über einen Monitor beobachtet wird. NOW OR NEVER (2000) von Tom Novy und Lima schildert derweil, wie eine Gruppe maskierter Musiker vor den Überwachungskameras einer Bank eine einstudierte Tanzchoreografie aufführt. Die Verfolgung eines Stars durch Paparazzi thematisiert FLY ON THE WALL (2008) von Miley Cyrus. Während die Musikerin in einem Parkhaus singt und tanzt, steht sie im Blitzlichtgewitter von Pressefotografen und erweckt den Eindruck, das Opfer einer skrupellosen Medienindustrie zu sein, die nach intimen Details über das Leben prominenter Personen sucht. Auch wenn die narrative Gestaltung der Clips verschieden ausfällt, erscheint die Darbietung des Stars stets als ein begehrenswerter Medieninhalt.
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Häufig begegnet man Geräten, die äußerlich, etwa anhand einer Antenne, als TVApparate identifiziert werden können. Dass die gerahmten Bilder den singenden oder tanzenden Star zeigen, kann dann als eine Bezugnahme auf die Bedingungen des eigenen Musikvideos aufgefasst werden, das sich eine Figur im Fernsehprogramm anschaut.6 Dabei steht das Empfangsgerät nicht zwingend im Kontext der häuslichen Medienrezeption (Kapitel 6.1.3), sondern steigt mitunter zu einem eigenen intradiegetischen Akteur auf. Sind an der Darbietung eines Songs mehrere Personen beteiligt, die über den Monitor in Relation zueinander gebracht werden, erscheint die mediale Vermittlung des Gesangs als Voraussetzung dafür, dass das Klangerlebnis im Clip zustande kommt. Inwieweit ein Bildschirm zu einem wesentlichen Bestandteil der musikalischen Performance werden kann, ist Peter Gabriels Musikvideo SLEDGEHAMMER (1986) zu entnehmen. Nach mehreren skurrilen Aufnahmen aus Knetmasse zusammengesetzter Gegenstände – „a disorienting, jerky series of images“7, wie E. Ann Kaplan schreibt, – führt der von Stephen R. Johnson gedrehte Stop-Motion-Clip den Betrachter in ein gekacheltes Zimmer. Dort steht der Sänger vor einem Chor, der ihn musikalisch unterstützt. Im selben Moment wartet der Liedtext mit einer mehrdeutigen Aussage auf. „Oh, won’t you show for me? (Show for me) / I will show for you (Show for you)“, wiederholt Gabriel im Wechsel mit den im Hintergrund singenden Frauen, als plötzlich ein TV-Bildschirm in den Raum fährt (Abbildung 7). Das Gerät befindet sich auf einem Tisch, der hoch genug ist, dass der Musiker keine Mühe hat, auf die Mattscheibe zu blicken. Durch seine Positionierung und die selbstständig ausgeführten Bewegungen baut der Apparat eine Beziehung zu Gabriel auf. Der Bildschirm illustriert die Forderung des Sängers, indem er die vergrößerte Ansicht eines weiblichen Mundes überträgt, der die Worte der gerade zu hörenden Liedtextzeile „I will show for you“ formt.8 Der TV-Inhalt, das Fragment des Körpers einer Frau, ist eine unmittelbare Antwort auf die sexuelle Anspielung des Protagonisten. Der Apparat scheint kein gewöhnliches Fernsehprogramm auszustrahlen. Denn er reiht sich als eine dem Star gleichwertige Medientechnologie zwischen die Musiker ein und überrascht den Betrachter dadurch, dass er offenbar als Tonquelle einen Teil des Gesangs übernimmt. Nach nur kurzer Zeit verlässt das Gerät wieder die Szenerie und erlangt zwischen den zahlreichen Animationen nur eine vorübergehende Bedeutung. Brenda Schmahmann macht in der Erscheinung des TV-Apparates ein reflexives 6
Bereits Marsha Kinder hat in der Bilderwelt von Clips eine Allgegenwart des Betrachters ausgemacht. Vgl. Marsha Kinder: Music Video and the Spectator: Television, Ideology and Dream. In: Film Quarterly 38 (1984), H. 1, S. 2-15, S. 10. Vgl. auch die Anmerkungen zur Selbstbeobachtung im Musikvideo in Kaplan: Rocking around the Clock, S. 34ff.
7 8
Ebd., S. 74. Vgl. dazu Brenda Schmahmann: Staging Masculinities: Visual Imagery in Peter Gabriel’s ‚Sledgehammer‘ Video. In: Michael Drewett/Sarah Hill/Kimi Kärki (Hg.): Peter Gabriel, From Genesis to Growing Up. Farnham/Burlington, Vermont [2010] 2012, S. 57-69, S. 67.
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Moment aus und versteht den Clip als eine kritische Auseinandersetzung mit Darstellungen weiblicher Figuren in Werken des Surrealismus: „In surrealist thought, the male subject’s obsession with a female object of desire offered him the possibility of liberation from rationality and logic – an idea which, though its exaggeration in the cartoon-like woman/television, is not only staged as an absurdity but, through a self-referential engagement with music video as a medium, is also suggested to underpin contemporary constructions of gender in popular music broadcasting.“9
Laut Carol Vernallis, auf die auch Schmahmann Bezug nimmt, sind vor allem Closeups ein bewährtes Gestaltungsmittel, das Figuren, die über keinen eigenen Gesangspart verfügen, daher gewöhnlich selten in die Handlung eingreifen, in den Hintergrund treten lässt.10 Häufig erzeugt die Kadrierung eines Clips Spannung, wenn der Körper des Musikers unvollständig und in mehreren Aufnahmen gezeigt wird, der Betrachter den emotionalen Ausdruck einzelner Bewegungen interpretiert und nach einer Weile den Star in seiner Gesamtheit sieht, so Vernallis.11 SLEDGEHAMMER macht die TVAnsicht zum Gegenstand der Beobachtung und regt das Publikum an, über die Prinzipien der Bildgestaltung des subversiven Musikvideos nachzudenken.12 Indem der Clip die Nahaufnahme des geöffneten Mundes als Bild im Bild vorführt, referiert er auf ein gebräuchliches Verfahren der Inszenierung, büßt jedoch eine medienkritische Haltung ein, da er wie der Song eine Fülle von erotischen Verweisen enthält.13 Abbildung 7: SLEDGEHAMMER, 1986, M: Peter Gabriel, R: Stephen R. Johnson.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=OJWJE0x7T4Q (TC 04:09, 04:09, 04:10)
Fernsehapparate können als singende Akteure das Szenenbild des Musikvideos in einem unterschiedlichen Maße prägen. Während SLEDGEHAMMER letztlich offen lässt, 9
Ebd., S. 67f.
10
Vgl. Vernallis: Strange People, Weird Objects, S. 139.
11
Vgl. ebd., S. 133.
12
Vgl. Schmahmann: Staging Masculinities, S. 69.
13
Einen Überblick über die verwendeten Symbole gibt Arthur A. Berger: Agitpop: Political Culture and Communication Theory. New Brunswick, New Jersey/London 1990, S. 62.
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wessen Mund auf der Mattscheibe zu sehen ist, übertragen die Bildschirme in anderen Clips über eine längere Dauer die Ansichten von zeitlich oder räumlich getrennten Mitgliedern einer Band und verbinden damit kontinuierlich ihre verschiedenen musikalischen Parts. Auf diese Weise wird suggeriert, dass das Fernsehgerät seinen Einsatz als Mittel der interpersonalen und nicht der massenmedialen Kommunikation findet, auch wenn die Handlung des Musikvideos selten auflöst, wie der Prozess von Aufnahme und Wiedergabe technisch abläuft. Prominent platziert sind unter anderem die TV-Apparate in DANGEROUS (1989) von Roxette. Das Musikvideo, bei dem Doug Freel Regie geführt hat, spielt in einer Schlossruine. Es setzt sich aus Bildern von einem öffentlichen Auftritt und der früheren Probe der aus Per Gessle und Marie Fredriksson bestehenden Band zusammen. In den Konzertaufnahmen sind Bildschirme sichtbar, die die gemeinsame Performance auf der Bühne am historischen Schauplatz übertragen (Abbildung 8). Auch im Verlauf der musikalischen Vorbereitungen von Roxette fallen in schnell geschnittenen Sequenzen Monitore auf, die in unmittelbarer Nähe zur aufzeichnenden Kamera stehen. Immer wieder schaut Gessle auf die Geräte, während er singt und Gitarre spielt. Die übertragenen Bilder geben einen Einblick in die Probe seiner Kollegin Fredriksson, die sich im selben Moment an einem anderen Ort aufzuhalten scheint. Doch die Bildschirme verknüpfen nicht nur unterschiedliche Räume, sondern auch Zeiten miteinander. So folgt auf den Kameraschwenk auf einen der während des Konzerts eingeschalteten Apparate in der nächsten Einstellung häufig ein Ausschnitt aus der früheren Probe et vice versa. Die Kontinuität des Songs bleibt für den Betrachter des Clips auf der Tonebene trotz der fehlenden Chronologie der Bilder gewahrt. Da sowohl Gessle als auch Fredriksson vor und auf dem Bildschirm den Mund zum Lied überwiegend synchron bewegen, das Duo also gemeinsam musiziert, entsteht der Eindruck, als würden erst die Monitore die Grundlage dafür schaffen, dass der auf mehrere Personen verteilte Gesang, wie er im Musikvideo zu hören ist, eine klangliche Einheit ergibt. Abbildung 8: DANGEROUS, 1989, M: Roxette, R: Doug Freel.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=VFNRh26TPmM (TC 01:18, 01:50, 02:00)
Verständigen sich zwei Musiker über einen als Individualmedium dargestellten Fernsehbildschirm, geht dies in der Regel mit einer sehr deutlichen Trennung der beiden interagierenden Partner einher. Der sich in der Rezeptionssituation manifestierende
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Unterschied zwischen einer mediatisierten und einer nicht-mediatisierten Wahrnehmung kann zum Ausgangspunkt einer eigenen Geschichte im Musikvideo werden und eine im Liedtext beschriebene Gefühlslage illustrieren. So mischen sich etwa in die Performance von Sandra im Clip INNOCENT LOVE (1986) narrative Anteile. Die Musikerin spielt mit ihrer Band vor einer Steinwand, über die sich mehrere Monitore verteilen. Noch während Sandra singt, geht sie durch ein von Nebelschwaden verhangenes Gewölbe, an dessen Mauern weitere Bildschirme angebracht sind. Über die Mattscheiben laufen Ansichten von ihrem Duettpartner und Gitarristen, der zuvor neben der Sängerin stand und nun aus der Ferne Kontakt mit ihr aufzunehmen scheint (Abbildung 9). Indem Sandra ihren früheren Standort verlässt und über die technischen Apparaturen das Spiel des männlichen Gegenübers anbetungsvoll verfolgt, gelingt es ihr, jenes Verlangen auszudrücken, das sich in ihrem Liebeslied breitmacht. „Innocent love / My innocent love tonight / You can stay by my side / And give me everything“, singt sie vor den Monitoren. Der Blick auf einen der Bildschirme führt die schmerzvolle Isolation vor Augen, welche die Figur zu überwinden versucht. Abbildung 9: INNOCENT LOVE, 1986, M: Sandra, R: DoRo.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Hb0R-RCirLE (TC 01:08, 02:07, 02:14)
In INNOCENT LOVE artikuliert sich das von mehreren Regisseuren geteilte Interesse, eine bestimmte Wahrnehmungserfahrung dramaturgisch umzusetzen, die verschiedene mediale Dispositive hervorbringen. Es geht um den zentralen Befund, dass der Nutzer eines Bildschirms eine enge Verbindung zum Geschehen herstellt, das er auf elektronischem Weg zu Gesicht bekommt, der Moment der Übertragung allerdings stets die körperliche Entfernung bewusst machen kann, welche zwischen dem Nutzer und dem televisuellen Geschehen liegt.14 Neben der Steigerung der Dichte an visuellen Ereignissen und raumzeitlichen Verwirrspielen deutet sich damit ein weiteres Ziel an, TV-Apparate in die Handlung eines Musikvideos einzubetten. Es besteht darin, performative und narrative Sequenzen gemeinsam vorkommen zu lassen. Anstatt die Bilder eines Auftritts im Clip lediglich zu vervielfältigen, bringt die Gegenüberstellung einer Rahmenhandlung und der im Bildschirm eingefangenen Performance verschiedene Darstellungsebenen zusammen. Dieses Vorgehen gestattet es dem Regisseur, 14
Vgl. Mark Lord: The Screens: A Note on Video. In: Theater 38 (2008), H. 2, S. 76-80, S. 77.
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eine Geschichte zu erzählen, die einzelne Inhalte des zugehörigen Songs veranschaulicht, und sicherzustellen, dass die televisuelle Ansicht über die gesamte Dauer des Clips überzeugende Eindrücke vom Star als Sänger und Tänzer liefert und damit das Interesse des Betrachters an der Musik wachhält. In einigen Fällen tritt der Star ausschließlich über einen intradiegetischen Monitor in Erscheinung. Als ein Klassiker dieser Inszenierungsalternative gilt ROCKIT (1983) von Herbie Hancock. Das Musikvideo besteht aus Aufnahmen menschlicher Puppen, die sich zur Instrumentalnummer bewegen, während sie durch ein Wohnzimmer gehen, auf Stühlen sitzen, im Bett liegen und an der Decke des Raums hängen. Hancock steht derweil an einem Keyboard und lässt den Song erklingen, ist für das Publikum aber nur über einen kleinen TVBildschirm sichtbar. In der letzten Einstellung wird der Fernsehapparat aus dem Fenster geworfen. Der Clip bringt die Angst zum Ausdruck, dass Roboter den Menschen ersetzen, wie Hancock das Konzept des Künstler-Duos Godley & Creme schildert.15 Die zurückliegenden Beispiele geben eine Vielzahl von Verfahren zu erkennen, die es dem Regisseur erlauben, den Star, der durch das Musikvideo mit positiven Assoziationen aufgeladen werden soll, in das Bild eines technischen Wiedergabegerätes zu setzen. Erscheint ein Interpret auf einem Bildschirm innerhalb der Diegese, ist in der Regel auch ein Publikum anwesend. Die Reaktionen des nicht selten vom Solokünstler oder Frontmann einer Band selbst gespielten Zuschauers bewegen sich zwischen Staunen, Entzücken und Begehren. Sie machen dem im selben Moment vor einem Monitor befindlichen Clip-Betrachter die Bekanntheit und Beliebtheit des Stars bewusst. Das Empfangsgerät steht häufig in einem Verwendungszusammenhang, der von dem des Mediums Fernsehen unterschieden werden kann, selbst wenn sich in einigen der bisherigen Clips die Bildschirmpräsenz an einen TV-Apparat bindet. Der Star, dessen Bild über einen Monitor läuft, agiert in einem Raum, der nicht immer eindeutig als Studio einer Sendung ausgewiesen ist. Ferner bleibt innerhalb der Handlung unklar, ob tatsächlich ein massenmediales Programm ausgestrahlt wird oder der dargestellte Zuschauer die Darbietung des Stars in einer anderen Form – in Echtzeit oder als Aufzeichnung – rezipiert. Dem Betrachter bleibt es überlassen, die mit den übrigen Clip-Sequenzen in Verbindung stehende Performance des Stars als jenes Musikvideo aufzufassen, das er sich gerade im Fernsehen anschaut. Dieser Eindruck entstand zwar vor allem in den 1980er Jahren, als TV-Monitore in einer breiten Vielfalt – obwohl weitaus seltener, als in Studien zur Postmoderne oftmals behauptet wird, – zum Einsatz kamen und verspielt auf das in dieser Zeit innovative Musikfernsehen referierten. Doch die Darstellung des Stars auf einem Bildschirm ist bis heute ein häufig verwendeter affirmativer Selbstverweis des Musikvideos (Kapitel 6.1.4). Insgesamt zeigt sich ein großer Einfallsreichtum von Clip-Regisseuren, die mithilfe von Monitoren unter anderem solche Rezeptionssituationen gestalten, die vom 15
Vgl. Herbie Hancock, zit. n. Craig Marks/Rob Tannenbaum: I Want My MTV: The Uncensored Story of the Music Video Revolution. New York 2011, S. 170f.
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häuslichen Umgang mit dem Alltagsmedium Fernsehen abweichen. Dies lässt sich im Zusammenhang mit der medialen Reflexion im Rahmen eines anderen kulturellen Tätigkeitsbereiches, der im Austausch mit der Musikvideo-Produktion steht, näher betrachten. Denn indem Regisseure Röhren- und Flachbildschirme in ihren Clips zu kreativen Anordnungen zusammenfügen, schließen sie insbesondere an Projekte der Videokunst an. 6.1.2 Bildschirme als Gegenstand der Kunst Wie bereits dargestellt worden ist, vereint das Musikvideo als Werbemittel und Gegenstand audiovisueller Experimente ökonomische und künstlerische Absichten (Kapitel 3.3). Die Zusammenführung beider Bestrebungen eröffnet eine weitere Perspektive auf die zum Teil ungewöhnlichen Arrangements, in welche Monitore diverser Art gebracht werden. Neben den im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Funktionen intradiegetischer TV-Apparate lassen Bildschirminszenierungen im Musikvideo Parallelen zu Arbeiten erkennen, die jenseits von kommerziellen Zielsetzungen entwickelt worden sind. So nutzen einige Regisseure Darstellungsweisen der Videokunst, die für eine Ausdifferenzierung ästhetischer Verfahren der Avantgarde sorgt, während sie die Massenkommunikation zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion macht und sich mit der technisch vermittelten Wahrnehmung des Menschen auseinandersetzt.16 Das Musikvideo entwirft auf der einen Seite individuelle Konstellationen von Bildschirmen und legt auf der anderen Seite seine Berührung mit Konzepten der Videokunst immer wieder offen, indem es Anleihen bei schon existierenden Installationen nimmt, die aus Aufbauten und Zusammenstellungen mehrerer Monitore bestehen. Auch wenn ein Bildschirm innerhalb der Diegese des Clips nicht im Kontext des Programmmediums Fernsehen steht, kann er daher, dem künstlerischen Vorbild entsprechend, „in seiner Materialität [...] zum Zeichen, zum Ikon des alltäglichen Fernsehkonsums“17 werden. Anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Jahrzehnten können im Folgenden zwei grundlegende Beobachtungen gemacht werden, wie sich das Musikvideo in eine Relation zur Videokunst setzt: Zum einen greifen viele Clip-Regisseure bekannte Anordnungen von Bildschirmen auf, ohne sie für kritische Statements zu einer Bildschirmkultur im Allgemeinen (Kapitel 6.1.4) oder zur Massenkommunikation des Fernsehens im Besonderen zu gebrauchen. Zum anderen weisen nicht nur Arbeiten von Regisseuren, die ihre Karriere als unabhängige Videokünstler begonnen haben, 16
Vgl. Irmela Schneider: Zur Revision von Unterscheidungen. Bildschirmmedien und Evolutionsformen der Künste im 20. Jahrhundert. Einige Überlegungen. In: Helmut Kreuzer/ Helmut Schanze (Hg.): „Bausteine III“. Beiträge zur Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien. Siegen 1994, S. 167-174, S. 170f.
17
Ebd., S. 172.
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gestalterische Überschneidungen mit den medienreflexiven Werken der künstlerischen Strömung auf. Durch eine horizontale oder vertikale Reihung und Verkettung lassen sich TVApparate zu eigenen Skulpturen zusammenfügen, die der herkömmlichen Situation des Fernsehkonsums widersprechen. Setzt der Clip eine solche Konstruktion in Szene, kann er verschiedene Motive in Beziehung zueinander bringen oder das Publikum einen bestimmten Gegenstand oder eine Figur über die einzelnen Geräte aus verschiedenen Perspektiven betrachten lassen und den Anspruch an die Rezeption seiner Bilder erhöhen: „Like the work of the cubists who sometimes explained their paintings as showing multiple views of the same thing, the on-screen screens that provide simultaneous extra angles complicate the viewing of the overall shot.“18 Daneben sind Videoinstallationen zu finden, die aus Fernsehapparaten bestehen, welche lediglich ein Motiv aus einer Perspektive zeigen. Die mehrfache, meist im Verlauf des Clips wechselnde Darstellung desselben Inhalts führt die mediale Vervielfältigung von Bildern des Stars vor Augen. So eröffnet etwa das von Daniel Kleinman für die Simple Minds gedrehte Musikvideo DON’T YOU (FORGET ABOUT ME) (1985) mit einem Halbkreis aus TV-Apparaten (Abbildung 10). Im Vordergrund tanzt Jim Kerr, der Frontmann der Band. Er ist der Kamera zugewandt, wie auch die experimentelle Fernsehanordnung, auf welche der Sänger schaut und mit seinem Zeigefinger deutet. Nacheinander tauchen auf den Bildschirmen die übrigen Mitglieder der Simple Minds auf. Sie halten sich zur selben Zeit im Hintergrund der Kulisse auf. Die Monitore machen die Instrumentierung des Songs sichtbar und wechseln zwischen den Ansichten der Kollegen an Bass, Gitarre, Schlagzeug und Keyboard. Während Kerr durch den mit Kinderspielzeug gefüllten Raum schlendert, begegnet er einem weiteren Bildschirm. Auf diesem sind Szenen aus dem Film THE BREAKFAST CLUB zu sehen, der im selben Jahr erschienen ist und für dessen Soundtrack der Titel DON’T YOU (FORGET ABOUT ME) ausgewählt worden war. Auch die Bilder der ringförmig aufgestellten TV-Geräte werben für die Komödie und duplizieren nicht nur die sich in diesem Augenblick ereignende musikalische Performance. Darüber hinaus irritieren sie die Wahrnehmung des Betrachters. Denn sobald Kerr zur Ausgangsposition zurückkehrt, übertragen die Bildschirme den Mund des singenden Musikers, obwohl dieser für einen kurzen Moment keine Lippenbewegungen ausführt. Der Mund löst sich demnach zwischenzeitlich vom Körper des Sängers ab und wird zum Akteur auf dem Monitor. Damit gewinnen die Aufnahmen, von denen der Betrachter nach der Eingangssequenz erwartet, dass sie das Geschehen im Musikvideo authentisch wiedergeben, eine Eigendynamik und verlaufen unabhängig von den Ereignissen in ihrer Umgebung. Inkongruenzen zwischen den Bildern eines Clips und dem Song sind nicht unüblich, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt worden ist (Kapitel 5.2). DON’T YOU (FORGET ABOUT ME) reflektiert das audiovisuelle 18
Chisholm: On-Screen Screens, S. 18.
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Gefüge des eigenen Mediums über die Darstellung einer Gruppe von TV-Apparaten, die eine eigene Videoinstallation formen, und betrachtet sich als ein Produkt, das für die Ausstrahlung im Fernsehen konzipiert worden ist und sich aus Song und Clip zusammensetzt. Abbildung 10: DON’T YOU (FORGET ABOUT ME), 1985, M: Simple Minds, R: Daniel Kleinman.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=CdqoNKCCt7A (TC 00:24, 00:52, 03:52)
Ein Musikvideo, das sich bereits im Liedtext dem Fernsehen widmet, ist PRIME TIME TV (1987) von Basia. Befreit von jeglichen Vorbehalten gegenüber dem Medium thematisiert der Song die Anziehungskraft des abendlichen TV-Programms. Wie die Musikerin hervorhebt, sind es Fernsehserien, die eine nach wie vor fesselnde Wirkung entfalten, obwohl sie sich in ihren Erzählstrukturen zweifelsohne ähneln. „The same old story / From rags to riches / The conflicting morals of a family business / You can’t predict it, no / The play’s so twisted / Maybe that’s the reason why it’s so addictive“, reimt Basia. Dem Liedtext zufolge geht vom regelmäßigen Fernsehkonsum keine größere Gefahr aus, weil das Publikum stets in der Lage ist, wieder in seine Lebenswelt zurückzukehren („So when it’s over we’re back to people / Just to prove that human touch can have no equal“). In einer der beiden Clip-Versionen tritt die Musikerin gemeinsam mit ihrer Band in einer schlichten Kulisse aus Tüchern auf, die mit starken Faltenwürfen im Hintergrund von der Decke hängen. Am Boden legt sich der Stoff über mehrere Erhöhungen, auf denen Bildschirme mit langen Antennen stehen (Abbildung 11). Während die in der gesamten Kulisse verteilten Apparate den Blick des Publikums auf sich ziehen und immer wieder in schwarz-weißen Nahaufnahmen zu sehen sind, fällt auf, dass weder eine TV-Sendung im Liedtext erwähnt noch auf einem der Monitore übertragen wird. Das Musikvideo weist stattdessen eine Medienreflexion auf, die charakteristisch für zahlreiche Werke der Videokunst ist. Denn die Bilder veranschaulichen die Existenz und Wirkmacht von Fernsehinhalten, ohne sich auf ein bestimmtes Programm zu beschränken. Zugespitzt formuliert: Der Medienalltag des Clip-Betrachters wird durch die Television ebenso stark geprägt wie das Szenenbild von PRIME TIME TV durch die dort aufgestellten Apparate.19 Demnach 19
Dass das Musikvideo selbst ein mediales Konstrukt ist, betont eine Filmklappe, die in den ersten Sekunden im Kader erscheint.
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tritt auch der Star des Musikvideos auf keinem der Monitore in Erscheinung. Die Mattscheiben enthalten ein blaues Flackern, das einen intensiven Farbakzent zur Umgebung und den schwarz-grauen bis braunen Kleidungsstücken der Musiker setzt. Abbildung 11: PRIME TIME TV, 1987, M: Basia, R: Crescenzo G.P. Notarile.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=UOCJtQ_1vnE (TC 02:21, 04:35, 04:46)
Das Setting erinnert an das der 1963 von Paik organisierten Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television. Neben technisch veränderten Klanginstrumenten wie Klavieren, Schallplattenspielern und Tonbandgeräten, die die Besucher der Wuppertaler Galerie Parnass bedienen konnten, machte der Video-Pionier auch eine Reihe von Fernsehbildschirmen zum Gegenstand der Erfahrung von Kunst.20 Die zum Teil defekten und mit anderen Apparaturen wie Radio und Mikrofon verknüpften Monitore standen auf dem Boden und waren so bearbeitet worden, dass sie kein TV-Programm übertrugen, sondern eigene abstrakte Formen hervorbrachten, deren Struktur von alltäglichen Bildstörungen abwich.21 Im Hinblick auf ihr innovatives Konzept gilt die Ausstellung laut Jan Reetze als „Geburtsstunde einer neuen Kunstrichtung, der Videokunst [Herv. i.O.]“22, zumindest aus heutiger Sicht, schließlich „betrachtete [man] die TV-Installationen eher als eine Variante von Paiks musikalischer Arbeit, denn sie machten, wie schon der Titel verrät, nur einen Teil der Ausstellung aus.“23 Bei der Präsentation der Empfangsgeräte handelte es sich um eine spezifische Reflexion des Fernsehens. Während „Paik [...] die technischen Möglichkeiten des Mediums mit dem Ziel [untersuchte], dessen Einwegcharakter aufzuheben und Eingriffsmöglichkeiten zu schaffen“24, werden die TV-Darstellungen im Clip von Basia durch das überschwängliche Lob, welches die Musikerin dem Fernsehen spendet, und den fröhlichen Ton des Jazz-Songs positiv aufgeladen. So geben die Bildstörungen (Kapitel 6.2.2) dem Betrachter die Möglichkeit, an ein beliebiges Programm zu denken. Basia nimmt trotz flüchtiger Blicke auf einzelne Apparate während der Performance nicht 20
Vgl. Decker: Paik, Video, S. 32f.
21
Vgl. ebd., S. 35ff.
22
Reetze: Medienwelten, S. 58f.
23
Ebd., S. 59.
24
Decker: Paik, Video, S. 37.
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die Position einer TV-Zuschauerin ein. Sie belässt die Anordnung der Geräte im Raum als ein Symbol für die besungene Vielfalt an Serien, von denen eine Faszination ausgeht, der sich auch viele Clip-Betrachter vermutlich nicht entziehen können. PRIME TIME TV macht deutlich, dass sich kunsthistorisch bekannte Verfremdungen der Fernsehtechnologie im kommerziellen Musikvideo wiederholen, durch das Thema des Songs allerdings eine neue Rahmung erhalten können. Auch in Clips jüngeren Datums finden häufig Röhrenbildschirme anstelle von zeitgemäßen Flachbildschirmen Verwendung. Sie lenken den Blick durch ihre sonderbare Erscheinung auf die technische Dimension der TV-Übertragung und lassen sich im Unterschied zu modernen Apparaten mit geringerer Tiefe zu monumentalen Gebilden türmen, wie sie in mehreren Arbeiten entstanden sind, die die Videokunst geprägt haben. So ist etwa eine aus über einhundert alten TV-Geräten zusammengesetzte Mauer Teil der Kulisse von DIGGIN’ IN THE DIRT (2012). Der Clip von Stefanie Heinzmann zeigt, wie die Sängerin an einem Mikrofon vor einer hohen Videowand steht, die jenen Aufbauten gleicht, mit denen Paik einst eine Kritik am Medium Fernsehen verbunden hat. In einigen Fällen beruht die im Musikvideo errichtete Bildschirmanordnung auf dem Konzept eines konkreten Videokunstwerks. Auf eine berühmte Installation von Paik verweist zum Beispiel SHINE ON (2005) von Apoptygma Berzerk. Das Lied ist eine raue, von einem prägnanten Beat getriebene Coverversion des Originals der Band The House of Love. Ein steiler Berg, auf dem Apoptygma Berzerk ihren Song spielen, bildet den Schauplatz der Handlung. Der abgeschiedene Ort strahlt eine Trostlosigkeit aus, die durch die geringe Farbsättigung der Bilder verstärkt wird. Zwischen den Performance-Sequenzen steht Stephan Groth, der Frontmann der Band, im Mittelpunkt des Clips. Entsprechend dem kryptischen Liedtext, der vereinzelte Hinweise auf zurückliegende religiöse Erfahrungen des lyrischen Ichs gibt, trifft der Musiker auf einen weiß gekleideten Jungen mit Dornenkrone. Daraufhin erwirbt Groth in einem Elektronikgeschäft mehrere TV-Bildschirme, die seinen Gesang übertragen und von ihm an Seilen auf den Berg gezogen werden (Abbildung 12). Es beginnt ein mühsamer Weg über steiniges Gelände. Auf dem Gipfel angekommen setzt Groth die Apparate zu einem Kreuz zusammen, das, aus einer extremen Untersicht gefilmt, in der letzten Einstellung des Clips zu sehen ist. Nun visualisieren die Monitore den Musiker mit ausgebreiteten Armen, aufgespalten in einzelne Körperteile. Nur der Kenner verortet den Aufbau des kreuzförmigen Gebildes im Bereich der Videokunst. So spielt die Skulptur auf die Konstruktion TV CROSS an, in der Paik 1966 erstmals mehrere Fernsehapparate kombinierte, die technisch manipulierte Bilder zeigten.25 Die christlichen Motive im Clip, welche vom Leidensweg bis zur Kreuzigung reichen, ergänzen die religiös konnotierten Passagen des Songs. Im Zusammenhang mit dem Liedtext bleibt die nachgeahmte Bildschirmanordnung für den Betrachter auch dann geheimnisvoll, wenn die mediale Vorlage identifiziert werden kann. Durch den Nachbau der 25
Vgl. ebd., S. 93.
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symbolträchtigen Skulptur von Paik im erweiterten nicht-musealen Kontext der fiktionalen Geschichte verzahnt das Musikvideo den Sänger unauflöslich mit dem Fernsehen. Auf diese Weise lädt der Regisseur Oliver Sommer den Betrachter ein, die sonderbare Konstellation der TV-Apparate als eine humorvolle Referenz auf den beinahe religiösen Kult um das Programm des Massenmediums zu deuten, in dem die Band mit ihrem Clip präsent ist und der Frontmann als Erlöserfigur inszeniert wird. Abbildung 12: SHINE ON, 2005, M: Apoptygma Berzerk, R: Oliver Sommer.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=qNxOuquQfzk (TC 02:10, 03:11, 03:15)
Das Medium Musikvideo schlägt nicht nur eine Brücke zur Videokunst, indem es auf Arbeiten von Paik referiert, sondern nutzt auch die Bildsprache anderer Künstler, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln und dabei kritische Töne anzustimmen. Dies machen vor allem Werke deutlich, in denen die Hauptfigur Gewalt anwendet und einen Fernsehbildschirm in seiner gebräuchlichen Funktion als Kommunikationstechnologie dekonstruiert. Ein außergewöhnliches Beispiel der letzten Jahre, das die Beschädigung mehrerer Gegenstände zeigt, ist METROPOLIS (2012). Der Streetart-Vertreter Thierry Guetta, welcher unter dem Namen ‚Mr. Brainwash‘ bekannt ist, hat den Clip für die Musiker David Guetta und Nicky Romero gedreht. Die schnell geschnittene Bilderfolge enthält Aufnahmen, die mit unterschiedlichen Filtern versehen sind, auf mehreren Ebenen übereinander verlaufen und sich teilweise drehen. Zum stampfenden Beat des Techno-Stücks werden Mauern mit Graffiti besprüht, eine Gitarre und Schallplatten mit Farbe übergossen, in Zeitlupe zerbrochen und durch Rückläufe des Clips wieder zusammengesetzt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Romero tritt Guetta derweil in einem Club am DJ-Pult auf. In weiteren Szenen greift der Musiker selbst zu Spraydose und Farbeimer. Mit den zwischen Zerstörungswut und kreativem Schaffensprozess changierenden Darstellungen verfolgt Mr. Brainwash ein konkretes Anliegen. Er plädiert dafür, die Ästhetik kultureller Werke nicht nach festgelegten Kriterien zu beurteilen, wie einem Leitsatz zu entnehmen ist, der dem Hauptteil des Musikvideos vorausgeschickt wird: „Art cannot be criticized because every mistake is a new creation“ (Abbildung 13). Kunst strebt in diesem Sinne weniger nach Perfektion als nach Irritation und entzieht sich kritischen Zuschreibungen von außen. Ein Fernsehgerät bildet die prägnanten Worte des Regisseurs ab, bevor der Clip zwischen den Aufnahmen verschiedener Streetart-Werke wechselt. An die Stelle eines ausgestrahlten TV-Programms rückt ein künstlerisches Programm. Es läuft Farbe über den
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Bildschirm, der sogleich in den Fokus der Handlung tritt, wenn er zum einsetzenden Takt des Songs von Guetta und Romero beworfen, in Brand gesteckt und auf den Boden fallen gelassen wird. Ein Baseballschläger zertrümmert die Scheibe. „Art is for everybody“, prangt später in roter Schrift an einer Wand. Nach seiner Ideenfindung gefragt erklärt Mr. Brainwash, Objekte, über die in der Vergangenheit Musik abgespielt worden ist, in Kunst verwandeln zu wollen, was auch das Fernsehen einschließe.26 Der Regisseur zieht seine Inspiration für die subversive Medienreflexion aus der Geschichte der Videokunst. Um seine zentrale Aussage anschaulich zu machen, greift er auf Gestaltungsstrategien früherer Arbeiten zurück, in denen die technische Apparatur des Fernsehens „von der Wand abgerückt [wurde]“ und als „Zielscheibe teils spielerisch-ironischer, teils zerstörerischer Anti-Gesten [...]“27 fungierte. Neben Paiks TV-Manipulationen erlangten Fluxus-Aktionen, in denen Wolf Vostell, Günther Uecker, Wolf Kahlen und Joseph Beuys unter anderem Bildschirme zerschossen, ihre Gehäuse verfremdet und mit zusätzlichen Materialien verbunden hatten, eine große Bekanntheit.28 Abbildung 13: METROPOLIS, 2012, M: David Guetta feat. Nicky Romero, R: Mr. Brainwash.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=YeLc_odK58s (TC 00:07, 00:33, 02:44)
Mr. Brainwash setzt die verschiedenen Varianten des Umgangs mit dem Fernsehapparat ein, um dem Publikum ein visuelles Spektakel zu bieten, das seinem erläuterten Wunsch nach einer Entgrenzung der Kunst Ausdruck verleiht – im Unterschied zu Clips, die lediglich in kurzen Sequenzen, zum Beispiel durch den Hammerschlag auf einen TV-Apparat, bekannte Motive von Fluxus und Happening aufgreifen. Dies beeinflusst, welche Einstellungen und Werte der Betrachter dem Star zuschreibt. Denn während Mr. Brainwash Geräte des Musikkonsums gebraucht, um eine eigene Bildästhetik zu entwickeln, wendet er sich selbst mit einem popkulturellen Produkt an ein 26
Vgl. Mr. Brainwash, zit. n. Anonymus: Mr. Brainwash Directs Corporate Music Video for David Guetta. In: Artlyst, 19.10.2012, URL: http://www.artlyst.com/articles/mr-brainwa sh-directs-corporate-music-video-for-david-guetta (01.06.2018).
27
Inga Lemke: Auf dem Weg zur Videotie? Audiovisuelle Kultur in den 80er Jahren. In: Helmut Kreuzer (Hg.): Pluralismus und Postmodernismus. Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte der 80er Jahre. Frankfurt a.M. u.a. 1989, S. 131-150, S. 133.
28
Vgl. ebd.
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breites Musikpublikum. Die kraftvollen Aufnahmen lassen das Fernsehen zum Gegenstand der Kunst werden und werten zugleich den Clip des Interpreten Guetta künstlerisch auf. Der Star erweckt den Anschein, als einer der derzeit erfolgreichsten HitProduzenten nicht bloß Millionen von Fans anzusprechen, die Gefallen an mehr oder weniger eingängigen Songs finden, sondern auch innovative, keineswegs nur auf einen ökonomischen Gewinn abzielende Wege zu beschreiten. In der Gesamtbetrachtung weist die Bilderwelt des Musikvideos neben der Präsenz des Stars auf einem Monitor vielfältige Arrangements von Geräten auf, die im Kontrast zu jener Rezeptionssituation stehen, in der das Publikum dem Clip – vor allem in der Hochzeit des Musikfernsehens – selbst begegnet. Das TV-Medium wird als eine Form der Videokunst beobachtet. Indem der kommerzielle Clip die technische Apparatur des Fernsehens verfremdet und jenseits des gewöhnlichen Kommunikationskontextes zur Schau stellt, entfaltet er eine avantgardistische Wirkung. Das Musikvideo wird von einer medientheoretischen Reflexion begleitet, die sich mit den intermedialen Bezugnahmen im Liedtext, sofern sie vorhanden sind, deckt oder von ihnen abweicht und die Fantasie des Betrachters zusätzlich anregt. Daneben finden sich eine Reihe von Musikvideos, in denen gestalterische und narrative Verfahren der Darstellung von Bildschirmen zur Anwendung kommen, die das Ziel haben, Situationen der Rezeption zu entwerfen, die den Erfahrungen des Medienalltags nachempfunden sind. Dabei handelt es sich um Clips, die das Fernsehen als ein Fenster zur Welt betrachten und den Akzent auf verschiedene Merkmale seines Dispositivs legen. 6.1.3 Fernsehen im Medienalltag In den 1980er Jahren war das Fernsehen trotz fortlaufender Veränderungen hinsichtlich der Produktion, Distribution und Rezeption des Programms nicht nur für die USamerikanische Gesellschaft längst keine Neuheit mehr, sondern prägte nachhaltig die Erfahrung von globalen und lokalen Ereignissen und lieferte mit immer neuen Formaten ein verlässliches Angebot der Zerstreuung. Auch wenn das Medium zunehmend eine technologische Konvergenz mit Computer und Internet eingeht und Kritiker ein baldiges Ende des linearen TV-Programms vorhersagen, lässt sich auf eine Formulierung von Knut Hickethier zurückgreifen, um das nach wie vor breite Bedeutungsspektrum des Fernsehens zu fassen. Bis heute formt das Medium einen „sozialen Zeitgeber“ und wird unter anderem „zur Steuerung familiärer Kontakte, als Selbstdefinition und Gesprächsanlaß, Statussymbol, Ersatzwelt und Informationsmittel“29 herangezogen. Ausgehend von dieser zentralen Stellung des Fernsehens im Leben seiner Zuschauer, insbesondere des größtenteils jugendlichen Musikvideopublikums, ist 29
Knut Hickethier: Einleitung. In: ders. (Hg.): Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 9-12, S. 10.
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es naheliegend, dass sich TV-Apparate wie im Fall des Films „als selbstverständlich gewordenes Möbelstück, als perfekt integrierte[r] Teil der häuslichen Einrichtung“30 in das Bild vieler Clips einfügen und mit dem Beginn von MTV die Aufmerksamkeit von Regisseuren nicht nur im Fernsehen gesendeten Musikformaten gilt. Taucht ein Empfangsgerät in der Diegese auf, handelt es sich keineswegs immer um eine intendierte Bezugnahme auf das Fernsehen. So wird gelegentlich beiläufig die mediale Ausstattung des Schauplatzes gefilmt, ohne sie durch die Wahl bestimmter Kameraperspektiven und Einstellungsgrößen oder die Dauer der Sequenz, in welcher Kommunikationstechnologien zu sehen sind, hervorzuheben. Auch wenn der Betrachter einen Fernsehbildschirm erblickt, der als Requisite im Hintergrund der Kulisse steht und für den Fortgang der Narration irrelevant ist, weil kein audiovisuelles Programm ausgestrahlt wird, lässt sich annehmen, dass den meisten medialen Anordnungen innerhalb der Diegese eines Clips Überlegungen hinsichtlich ihrer Wirkung beim Publikum vorausgehen. Weil die Inszenierung des Musikvideos eigenen kommunikativen Zielen folgt und das Image des singenden Stars unterstützen, eine spannende Geschichte erzählen oder das Lied durch ausgefallene visuelle Effekte ästhetisch erweitern soll, achtet das Produktionsteam bei der Einrichtung des Schauplatzes im Clip auf Details. Selbst wenn keine Reflexion im engeren Sinne erfolgt, die neben der Form des Fernsehens die des eigenen Mediums in den Blick nimmt, kann das Musikvideo spezifische Vorstellungen von medialen Eigenschaften vermitteln (Kapitel 4.2). Rückt ein TV-Apparat im Verlauf der Geschichte in den Vordergrund, lässt sich beim Betrachter ein Wissen um das Erscheinungsbild und die Nutzung des Empfangsgerätes voraussetzen. Allein das Modell eines Bildschirms kann bestimmte Assoziationen zu der Zeit, in der die Handlung des Clips spielt, hervorrufen oder Aufschluss über Merkmale des Fernsehnutzers geben. So erzählt etwa MINOR EARTH MAJOR SKY (2000) von a-ha von einem Treffen von Freunden in den 1960er Jahren. Der historische Kontext des Musikvideos wird zum einen durch die Einrichtung des Wohnzimmers und die Kleidung der Figuren deutlich. Zum anderen überträgt ein für das Jahrzehnt typischer Röhrenbildschirm die Berichterstattung über die erste Mondlandung. Während des gemeinsamen Abends sind die legendären Worte des ehemaligen US-Raumfahrers Neil Armstrong zu hören, bevor die Band als Astronautencrew selbst ihren Fuß auf die Krateroberfläche des entfernten Himmelskörpers setzt. AMERICANOS (1989) von Holly Johnson weist dem Fernsehen nicht nur eine Nebenrolle zu, sondern befasst sich mit den Sehnsüchten, die das Programm des Mediums – wie auch eine Reihe weiterer Konsumangebote – weckt. Der Musiker trägt einen Anzug und eine mit Dollarzeichen bestickte Fliege, während er eine Fernsehlotterie moderiert und singt. Welche sozialen Folgen der Gewinn des Preises hat, den sich die Zuschauer von der Teilnahme an der Verlosung versprechen, wird überspitzt 30
Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 154.
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dargestellt. So zeigt sich ein reiches Ehepaar, das mit seinen beiden Kindern vor einem Fernsehapparat im edlen Holzgehäuse sitzt, enttäuscht darüber, nicht gewonnen zu haben. Glück hat stattdessen jene Familie, die die Hausarbeiten im Anwesen der vier Protagonisten erledigt und die Sendung über ein kleines Empfangsgerät in der Küche verfolgt. Während die äußere Gestalt der beiden Bildschirme im Musikvideo einen Bezug zur Vergangenheit herstellt und das unterschiedliche finanzielle Vermögen der Figuren kenntlich macht, binden sich an das Fernsehprogramm die Hoffnungen aller Zuschauer. „Satellite stations across the nation / That’s cable TV for you and me“, heißt es im Song. Der durch den Lotteriegewinn erlangte Wohlstand ist schließlich der Anlass dafür, dass die Tochter der reichen Familie einen Sohn der nun ebenfalls finanziell unabhängigen Familie heiratet. Nicht immer bildet das Fernsehen den Impulsgeber der Handlung. Dennoch kann es eine unmittelbare Relevanz für das im Musikvideo dargestellte Publikum erlangen. Das Medium tritt dann als wichtiger Bedeutungsträger auf, ohne zwingend im Mittelpunkt des Liedtextes zu stehen. Überwiegend sind es Sänger und Bands selbst, die als Figuren in einer fiktionalen oder nicht-fiktionalen Fernsehsendung auftauchen oder die Rolle von Zuschauern übernehmen. Ihr Verhalten kann dem Clip-Betrachter Erkenntnisse über eine bestimmte Haltung gegenüber dem TV-Medium und seinem Programm liefern, die in das Image des Stars einfließt. Wie im Folgenden ausgeführt wird, streichen Regisseure in den unterschiedlichen Erzählungen ihrer Musikvideos gezielt einzelne Facetten des medialen Dispositivs heraus, die sich im öffentlichen Diskurs als spezifische Eigenschaften des Fernsehens herauskristallisiert haben. Bereits seit der Verbreitung der ersten kostengünstigen TV-Apparate besteht ein Charakteristikum des Fernsehens darin, dass das Verhältnis zwischen Nutzer und Medium im Alltag als besonders intim empfunden wird.31 „One’s relationship to television“, schreibt Richard Adler, „is more like one’s relationship to the newspaper – or to a neighbor – than to film or play, which are experienced outside of the daily routine.“32 Ein beliebtes Mittel, um den häuslichen Rahmen hervorzuheben, ist, den Bildern der Fernsehnutzung solche Sequenzen gegenüberzustellen, die außerhalb eines Wohnraums, vielfach in der vorher im TV-Programm gezeigten Umgebung spielen, oder die Privatsphäre des Zuschauers durch bestimmte Merkmale des Raums selbst zu betonen.33 Auch hier ist es nicht selten ein Auftritt des Stars, der werbewirksam über den Bildschirm läuft, wie der von Diane Martel für P!nk gedrehte Clip JUST GIVE ME A REASON (2013) belegt. Mal neben ihrem Ehemann Carey Hart, mal allein mit einem Teddybären am Fußende liegt die Musikerin in einem Bett, das auf Wasser 31
Vgl. Richard Adler: Introduction: A Context for Criticism. In: Richard Adler/Douglass Cater (Hg.): Television as a Cultural Force. New York/London 1976, S. 1-16, S. 6.
32 33
Ebd. Ähnlich gestaltet sich die Darstellung des Ortes der Fernsehrezeption im Film. Vgl. Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 154ff.
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in einem Nebelmeer schwimmt. Aus den Dampfwolken ragt ein Fernsehapparat hervor (Abbildung 14). Die Ballade handelt vom Scheitern einer Liebe und dem Versuch der beiden Partner, die zwischen ihnen aufgekommenen Differenzen zu überwinden. Im Clip wird die besungene Beziehung durch P!nk und Nate Ruess veranschaulicht. Das Setting enthält nur wenige Kulissenelemente. Es erinnert an eine Traumlandschaft und vermittelt gleichzeitig den Eindruck eines privaten Wohnraums. Die Protagonistin scheint sich zu einer Person auf der anderen Seite ihres Apparates hingezogen zu fühlen. Es ist Ruess, der im TV-Bild erscheint, bis er schließlich in einigen Sequenzen mit P!nk im Duett singt. Abbildung 14: JUST GIVE ME A REASON, 2013, M: P!nk feat. Nate Ruess, R: Diane Martel.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=OpQFFLBMEPI (TC 01:35, 01:50)
JUST GIVE ME A REASON steigert zwar durch den Schauplatz des Schlafzimmers, in dem Ruess auf einem Bildschirm zu sehen ist, die Intimität des Songs, setzt jedoch wie zahlreiche andere Clips die Performance ohne ein weiteres Fernsehprogramm in Szene (Kapitel 6.1.1). Auch im Fall von Monitoren, die vom Auftritt des Stars unterscheidbare Inhalte übertragen, kommt in der Rezeptionssituation der Gegensatz zwischen einer mediatisierten und einer nicht-mediatisierten Wahrnehmung zum Ausdruck, verbunden mit der Sehnsucht nach dem Dargestellten. Dies ist vor allem dann ersichtlich, wenn über einen TV-Apparat im Musikvideo in der Vergangenheit liegende oder noch nicht eingetretene, aber erhoffte Ereignisse aus dem Leben des Protagonisten laufen. Thematisch verwandt ist die Sympathie des Zuschauers für eine aus dem Fernsehen bekannte Person. So finden etwa die Lyte Funkie Ones in GIRL ON TV (1999) Gefallen an Jennifer Love Hewitt. Auch der Liedtext gibt zu verstehen, dass die Musiker eine berühmte Schauspielerin verehren („She’s from the City of Angels / Like Bette Davis, James Dean and Gable“), während die Boygroup im zugehörigen Clip auf einem Sofa sitzt und durch das Fernsehprogramm zappt. Im Wechsel werden Aufnahmen von Hewitt und den Bandmitgliedern, die ihre Liebesbekundungen an unterschiedlichen Orten vortragen, gezeigt. Schließlich treffen die Lyte Funkie Ones auf die Seriendarstellerin und fahren mit ihr in einem Sportwagen durch die Stadt. Da die Handlung auf dem Bildschirm zu sehen ist, kann lediglich darüber spekuliert werden, ob die Begegnung zwischen den Hauptfiguren und Hewitt in der Erzählung des Musikvideos tatsächlich stattgefunden hat oder eine Imagination bleibt, die dem ClipBetrachter als TV-Inhalt vermittelt wird.
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Dass sich in der Darstellung der Fernsehrezeption häufig eine Zuneigung des Publikums gegenüber einer auf der Mattscheibe sichtbaren Figur manifestiert, verwundert kaum, wenn man sich vor Augen führt, dass Popsongs in zahlreichen Fällen von Leidenschaft und Begehren handeln. So befassen sich ein Viertel der Titel, die zwischen 1930 und 2000 in die US-amerikanischen Top-40-Charts gelangt sind, mit dem Schmerz um den Verlust einer geliebten Person.34 In ihren Clips greifen viele Regisseure das Thema des Liedes auf, seien es romantische Affären, Beziehungsdramen oder der Wunsch nach einer harmonischen Partnerschaft. Anhand der häuslichen Situation des Fernsehens, in der das Programm des Mediums beim intradiegetischen Betrachter verschiedene Befindlichkeiten auslöst, werden die im Song beschriebenen Ereignisse oftmals vergegenwärtigt. Darüber hinaus führen Musikvideos vor, wie der einzelne Zuschauer seine Erfahrungen vor dem TV-Bildschirm in die eigene Lebenswelt integriert. Der weiterhin hohe gesellschaftliche Stellenwert des Fernsehens beruht dabei sowohl auf einer informierenden als auch auf einer unterhaltenden Funktion. Information und Unterhaltung kommen im Programmangebot zwar nebeneinander vor, werden von Clips allerdings meist isoliert voneinander betrachtet, um die Geschichte oder den emotionalen Ton des Songs visuell ansprechend umzusetzen. Vor allem die eskapistische Suche des Zuschauers nach einem fiktionalen Stoff, der ihn in eine bestimmte Stimmung versetzt, bietet sich als Gegenstand des Musikvideos an, weil dieses selbst ein überwiegend auf Unterhaltung ausgelegtes Produkt ist. Ein plastisches Beispiel für die Aneignung eines Fernsehinhalts durch die Hauptfigur gibt Cyndi Laupers Clip TIME AFTER TIME (1984).35 Das von Edd Griles gedrehte Musikvideo leitet mit dem Zoom auf einen Wohnwagen ein, der im Wald steht (Abbildung 15). Untermalt von den Geräuschen der Nacht und einer besinnlichen Melodie aus Streichern erklingt ein Dialog. In der anschließenden Einstellung sitzt Lauper im Inneren des Caravans und bewegt ihre Lippen synchron zu den Zeilen, welche für den Betrachter des Clips noch immer zu hören sind. Ein weiterer Schnitt verrät, wem sich die Worte zuordnen lassen. So schaut sich die Sängerin im Fernsehen eine spannende Szene des Melodrams THE GARDEN OF ALLAH (1936) an, in der die beiden Hauptfiguren, welche von Marlene Dietrich und Charles Boyer gespielt werden, Abschied voneinander nehmen. Während David Wolff, der auch abseits der Kamera Laupers Lebensgefährte gewesen ist, neben ihr bereits schläft, hält die Protagonistin eine Hundepuppe im Arm und scheint an Nähe zu ihrem Freund verloren zu haben. Mit einem energischen Griff schaltet sie den Fernsehapparat aus, um ihre Ballade über die eigene Beziehung, deren Ende bevorsteht, anzustimmen. Die Intensität, mit der Lauper im Clip den spielfilmisch inszenierten Trennungsschmerz nachempfindet, 34
Vgl. Thomas J. Scheff: What’s Love Got to Do with It? Emotions and Relationships in Popular Songs. Abingdon/New York [2011] 2016, S. 4.
35
Vgl. Kinder: Music Video and the Spectator, S. 9.
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verdeutlicht die grundlegende Erkenntnis, dass „[v]erschiedene Produkte der Populärkultur [...] die Symbol-Quelle für Erlebnisse und Emotionen [sind], aus der sich unsere Phantasie bedient“, und „als Vorbilder für die Lebens- und Gefühlsgestaltung [fungieren].“36 Denn nach einer Reihe von Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihrem Freund steigt Lauper in einen Zug und fährt weinend von ihrem Geliebten weg. Der Verlassene bleibt mit gesenktem Haupt am Bahnsteig stehend zurück. Abbildung 15: TIME AFTER TIME, 1984, M: Cyndi Lauper, R: Edd Griles.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=VdQY7BusJNU (TC 00:02, 00:24, 00:39)
Bemerkenswert ist, dass die Premiere von THE GARDEN OF ALLAH fast 50 Jahre zurücklag, als TIME AFTER TIME entstand, und nicht nur die Zielgruppe von MTV Probleme gehabt haben dürfte, den Film einzuordnen. Der Regisseur hatte offenbar keineswegs die Intention, einen dem eigenen Publikum bekannten medialen Stoff zu zeigen. Vielmehr konstruierte er eine gewohnte Rezeptionssituation, in der ein typischer Fernsehinhalt die intradiegetische Betrachterin emotional berührt. Dass die von Lauper verkörperte Figur den filmischen Dialog auswendig kennt, spricht für eine große Vertrautheit mit dem Melodram. Sie scheint das TV-Programm daher nicht zufällig, sondern mit Absicht eingeschaltet zu haben. Das Musikvideo bestätigt die Beobachtung von Werner Glogauer, „daß sich Jugendliche, die Identifikationsprozessen unterliegen, über einen längeren Zeitraum mit einzelnen Gestalten und Darstellern beschäftigen und den Film, der sie besonders beeindruckt hat, wiederholt ansehen.“37 Tatsächlich spielte das Medium Fernsehen keine unwesentliche Rolle in der Entstehung des Songs. Lauper entschied sich für den Titel ‚Time after Time‘, als sie eine Programmzeitschrift durchblätterte, in der der gleichnamige Science-Fiction-Thriller (1979) von Nicholas Meyer angekündigt wurde.38 Der Spielfilm handelt jedoch von einer Reise durch die Zeit. Für ein Bildzitat in ihrem Musikvideo erschien Lauper das Werk daher nicht geeignet. So schlug die Sängerin nach eigenen Angaben Griles vor, 36
Joan K. Bleicher: Die Symbolstruktur der Fernsehvermittlung und ihr Funktionspotenzial (Teil 1). In: Tiefenschärfe 8 (2002/2003), H. 1, S. 15-18, S. 16.
37
Werner Glogauer: Emotionalisierung Jugendlicher durch Musikvideos. In: Musik und Bildung 19 (1987), H. 10, S. 759-764, S. 763.
38
Vgl. Cyndi Lauper/Jancee Dunn: Erinnerungen [A Memoir 2012]. Köln 2014, S. 139.
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eine Szene aus THE GARDEN OF ALLAH einzuarbeiten, die ihrem Empfinden nach im Einklang mit der im Lied beschriebenen Verlusterfahrung steht.39 Ausgehend von der Tatsache, dass das Musikvideo auf ein zunächst nicht für das Fernsehen bestimmtes Produkt Bezug nimmt, stellt sich die Frage nach den spezifischen Merkmalen des medialen Dispositivs. Es ist zwar ein Spielfilm, der das Gemüt der Hauptfigur bewegt, er wird jedoch über die Apparatur der Television wahrgenommen. Differenztheoretisch gesprochen beobachtet der Clip den für das Kino produzierten Film als Form des Mediums Fernsehen und hebt dabei Charakteristika des Verbreitungsortes hervor. Während die Position des Zuschauers vor dem Bildschirm grundsätzlich der des auf die Leinwand blickenden Kinobesuchers ähnlich ist, verfügt das Dispositiv Fernsehen in der Tradition des Radios über einen flexibleren Aufbau und ermöglicht es dem Publikum, seine Aufmerksamkeit nicht nur auf das TV-Programm zu richten.40 Häufig stellt das Musikvideo lediglich kurze Episoden der Fernsehrezeption dar. Sequenzen, in denen der Protagonist das Empfangsgerät bedient, sind keine Seltenheit. Daneben fallen weitere mediale Eigenschaften des Fernsehens auf.41 Zahlt der Besucher eines Lichtspielhauses für eine Filmvorführung in der öffentlichen Einrichtung Geld, ist es dem Besitzer eines Fernsehapparates möglich, TVBilder, die kleiner sind und nicht projiziert werden, zu Hause zu empfangen.42 So betrachtet Lauper in TIME AFTER TIME den Ausschnitt von THE GARDEN OF ALLAH – wie ihr Publikum den Clip der Interpretin – in einem Format, das von dem einer Leinwand erheblich abweicht und bezüglich der Wiedergabe der Figuren der Erfahrungswirklichkeit nahekommt.43 Der Prolog etabliert die Differenz zum Kino dadurch, dass die filmischen Sequenzen in der Ansicht des Musikvideos nicht ohne seitliche Begrenzungen sichtbar sind, sondern stets von den Rändern eines kleinen Bildschirms umfasst werden. Der private Kontext, in dem die Rezeption stattfindet und der durch das Setting, einen Wohnwagen im Wald, noch stärker zur Geltung kommt, verdeutlicht die persönliche Relevanz, welche der TV-Inhalt für Lauper hat. Während „Farbe und Schwarzweiß im Fernsehen von heute als symbolische Kodierungen für Gegenwart und Nicht-Gegenwart [funktionieren] [Herv. i.O.]“44, bleibt 39
Vgl. ebd., S. 158f.
40
Vgl. Hickethier: Dispositiv Fernsehen, S. 64ff.
41
Vgl. auch die Gegenüberstellung der beiden Dispositive Fernsehen und Kino in Thomas Steinmaurer: Tele-Transformationen. In: Sabine Flach/Michael Grisko (Hg.): Fernsehperspektiven. Aspekte zeitgenössischer Medienkultur. München 2000, S. 281-295, S. 282.
42
Vgl. John Ellis: Visible Fictions: Cinema, Television, Video. London/New York [1982] 1988, S. 111.
43
Vgl. auch die Anmerkungen zum Realismusgrad von Fernsehbildern in ebd., S. 131.
44
Klaus Kreimeier: Schnittstelle Film/Fernsehen. Das Schicksal der Kino-Ikonographie im Fernsehen. In: Thomas Koebner/Thomas Meder (Hg.): Bildtheorie und Film. München 2006, S. 584-597, S. 587.
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dieser Gegensatz, der sicherlich nicht für das gesamte TV-Programm gilt, trotz des hohen Alters, das das zitierte Werk aufweist, im Musikvideo aus. Das zu einem frühen Zeitpunkt in der Filmgeschichte in Technicolor gedrehte Melodram fügt sich auch farblich in Laupers Alltag ein. Als Fernsehnutzerin setzt die Sängerin dem Film ein Ende und stellt das Empfangsgerät ab, um ihre Schlüsse aus der gesehenen Szene zu ziehen und den eigenen Freund zu verlassen. Da auch im Fall von Musikvideos und -filmen „Darsteller und Rollenfiguren [...] für Jugendliche [...] zu Projektionsfiguren für bestimmte Wünsche, Vorstellungen [...] [werden]“45, das Publikum das Verhalten von Lauper möglicherweise als eine Hilfe im Umgang mit eigenen zwischenmenschlichen Problemen wahrnimmt, verweist TIME AFTER TIME auf die Gratifikationen des Clips für den Betrachter. Das Musikvideo reflektiert die Bedeutung seiner Bilder für die Fans der Sängerin, die den in Song und Clip artikulierten Liebesschmerz mit individuellen Erwartungen an ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben verknüpfen. Weitere Merkmale des televisuellen Dispositivs können in die Mediendarstellung eines Musikvideos einfließen. So spielt etwa die Ausrichtung der Augen eine wesentliche Rolle bei der Frage, wie das Fernsehpublikum vor seinem Empfangsgerät positioniert ist. Dies wird vor allem dann relevant, wenn ein Clip das eingeschaltete Programm nicht explizit zeigt, sondern den Fokus auf das Verhalten des Rezipienten legt. Aufbauend auf der Beobachtung, dass die TV-Rezeption in den Alltag eingebettet ist und mit verschiedenen Unterbrechungen einhergeht, unterscheiden Autoren wie John Ellis den aufmerksamen Blick im Kino (gaze) vom weniger konzentrierten Blick des Fernsehzuschauers (glance).46 Doch diese Einteilung wird der tatsächlichen Mediennutzung kaum gerecht, denn das Fernsehen bringt beide Seherfahrungen hervor, wie John Hartley einwendet.47 Dies manifestiert sich auch in der Bilderwelt des Musikvideos. So kann das Gesicht eines Fernsehzuschauers auf unterschiedliche Weise als Spiegel von Emotionen inszeniert werden. Demnach zieht der intradiegetische TVApparat durchaus über eine längere Zeit den Blick des Protagonisten auf sich und gewinnt an narrativer Bedeutung. Die Figur widmet dann ihre volle Aufmerksamkeit einer Sendung, über die das Musikvideo den Betrachter im Unklaren lässt. Ein anderes Merkmal des Fernsehdispositivs betrifft die technische Grundlage der Visualisierung. Wie sich in JUST GIVE ME A REASON und TIME AFTER TIME angedeutet hat, begegnet das Clip-Publikum Empfangsgeräten immer wieder in einer dunkel gestalteten Umgebung. Dadurch erhält die Eigenschaft eines Bildschirms, den Betrachter anzustrahlen und in ein grelles Licht zu hüllen, eine zusätzliche Prägnanz – ähnlich dem Spielfilm, der Fernsehapparate oftmals als alleinige Lichtquelle im Raum darstellt.48 45
Glogauer: Emotionalisierung Jugendlicher durch Musikvideos, S. 763.
46
Vgl. Ellis: Visible Fictions, S. 50.
47
Vgl. John Hartley: The Politics of Pictures: The Creation of the Public in the Age of Popular Media. London/New York 1992, S. 94.
48
Vgl. Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 160.
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Anhand des Musikvideos OVERKILL (1983) von Men at Work, das sich am Konzept einer oberflächlichen Fernsehnutzung orientiert, ist zu erkennen, dass Regisseure seit der Anfangszeit von MTV Ansichten vom Blick auf den Bildschirm heranziehen, um die mimischen und gestischen Reaktionen des vor dem TV-Gerät Platz nehmenden Protagonisten einzufangen und kurzweilige Geschichten zu erzählen. Weder ist ein Verweis auf das Fernsehen oder sein Programm im Liedtext enthalten, noch macht der von Tony Stevens angefertigte Clip die in der Auseinandersetzung mit dem Medium beliebte Dichotomie zwischen einer aktiven und einer passiven Rezeption zu seinem Hauptthema. Dennoch ist das Fernsehen kein unwichtiger Bestandteil der Handlung. Der im Titel des Songs vorkommende Begriff ‚Overkill‘ kann auf die innere Anspannung bezogen werden, die das lyrische Ich vom Schlafen abhält, wie sich gleich in der ersten Strophe herausstellt. „I can’t get to sleep / I think about the implications / Of diving in too deep / And possibly the complications“, singt Colin Hay, während er im zugehörigen Musikvideo allein am Ufer eines ruhigen Gewässers entlangschlendert. Es lässt sich vermuten, dass der Frontmann von Men at Work seine Wohnung für einen Spaziergang verlassen hat, um neue Gedanken zu fassen und die Sorgen, welche ihn plagen, zu bekämpfen. Zwischengeschnittene Close-ups halten den verzweifelten Ausdruck seines Gesichts fest, über das sich in der Finsternis das Licht von Reklametafeln legt. Wechselnde Farben treffen auf den Körper des in sich gekehrten Musikers, der mit aufgerissenen Augen in das Schwarz der Nacht blickt. Eine Kamerafahrt, die langsam um den Kopf von Hay kreist, lässt den Protagonisten in eine emotionale Distanz zu seiner Außenwelt treten und ängstlich bis orientierungslos wirken (Abbildung 16). Abbildung 16: OVERKILL, 1983, M: Men at Work, R: Tony Stevens.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=RY7S6EgSlCI (TC 00:56, 02:46, 03:03)
Dieser Eindruck wiederholt sich, wenn Hay in seine Wohnung zurückkehrt. Nach einem eingestreuten Gitarren- und Saxofonpart singt er nun eine Oktave höher. Auch inhaltlich steigert sich die Dramatik des Stücks. „Especially at night / I worry over situations that / I know will be alright / It’s just overkill“, trägt Hay sein Leid vor. Er springt auf ein Bett und befindet sich nach einem Schnitt im nächsten Raum. In einer Naheinstellung fährt die Kamera zunächst von seiner Hand, die ein gefülltes Glas hält,
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zum Oberkörper, auf dem sich erneut Lichtflecken bewegen. Wie die anschließende Halbtotale enthüllt, sitzt der Sänger im Sessel vor einem Fernsehapparat, der die Umgebung erhellt. Ein weiteres Mal bleiben die Bilder, von denen der Protagonist angestrahlt wird, der Imagination des Betrachters überlassen. Denn die Kamera befindet sich leicht versetzt neben dem als kleine schwarze Box erscheinenden Empfangsgerät, sodass keine Möglichkeit besteht, die gerade laufende TV-Sendung wahrzunehmen. Das Clip-Publikum übernimmt nicht die Position des dargestellten Zuschauers, sondern verfolgt seine körperlichen Reaktionen auf das Programm. Es stellt sich heraus, dass die Fernsehbilder Hay nicht abzulenken vermögen. Nachdem er sich kurzentschlossen vor den TV-Apparat gesetzt hat, verlässt der Musiker das Dispositiv des Mediums wieder. Ohne einen Schluck Wasser getrunken zu haben, wirft er seinen Kopf frustriert in den Nacken und geht auf seine Terrasse, von wo aus er den Sonnenaufgang erblickt. Die Hoffnung auf ein finales Mittel, das hilft, unangenehme Gedanken zu vergessen und schlafen zu können, wird enttäuscht. Wenngleich die Rezeptionssituation in OVERKILL nur wenige Sekunden zu sehen ist, greift der Clip die Vorstellung auf, dass das TV-Angebot auch zur fortgeschrittenen Nachtzeit der Zerstreuung dient. Das Musikvideo lässt die Rastlosigkeit der Hauptfigur noch größer wirken, indem es schildert, dass dieser vom Fernsehen erwartete Effekt ausbleibt. Es nimmt sich allerdings nicht als Medienschelte aus, sondern gebraucht das Motiv der zur Gewohnheit gewordenen Hinwendung zur Mattscheibe, um den Gefühlszustand des Zuschauers im Clip zu vergegenwärtigen. Im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen hebt eine Reihe von Musikvideos weniger auf die unterhaltende als auf die informierende Funktion des Fernsehens ab. Der wiedergegebene Augenblick der Rezeption knüpft sich meist an ein Ereignis, das den Verlauf der Narration bestimmt und durch seine Ausstrahlung im TV-Programm als bedeutsam erlebt wird. Das Fernsehen bildet für den Clip-Betrachter in diesem Zusammenhang ein Medium, das im Sinne von Hickethier „als Ort einer durch den Angebotsfluß stattfindenden permanenten Thematisierung der gesellschaftlichen Konflikte [...] anders [wirkt] als die homogene fiktionale Wirklichkeit des Spielfilms, in die der Zuschauer suggestiv hineingezogen wird und die sich durch sinnliche Überwältigung des Zuschauers entfaltet.“49
Fesselt dieselbe Sendung im Musikvideo gleich mehrere Nutzer an ihre Bildschirme, gerät gemeinsam mit der Existenz des dispersen Publikums der Live-Charakter des Fernsehens in den Blick. Dass dies eine Eigenschaft ist, die der Film aus technischen Gründen nicht teilt, zeigte sich bereits in einem frühen Entwicklungsstadium des TVMediums, als elektronische Bilder nicht gespeichert und bearbeitet werden konnten, ein Fernsehkanal die von ihm ausgewählten Inhalte also ohne zeitliche Verzögerung 49
Hickethier: Dispositiv Fernsehen, S. 73.
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sendete.50 Abgesehen von Filmen, die erworben oder selbst produziert wurden, hatte man es bis zur Einführung der Magnetaufzeichnung mit einer Direktübertragung zu tun, die auch in der Folgezeit, in welcher der Anteil von Live-Sendungen am Gesamtprogramm abnahm, ein Charakteristikum des Fernsehens bildete.51 Lockt ein Nachrichtenformat in der Erzählung des Musikvideos eine Figur vor den Apparat, erscheint vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Mediensituation weniger die Nutzung des Fernsehens als die Tatsache, dass ein bestimmtes Ereignis Eingang in die Berichterstattung gefunden hat und eine große Verbreitung erfährt, als Besonderheit. Eine solche narrative Einbettung des Mediums Fernsehen gestattet es dem Regisseur, dem in TV-Bildern vermittelten Geschehen eine gesellschaftliche Tragweite zukommen zu lassen.52 Dies demonstriert FOREVER NOT YOURS (2002) von a-ha. Das zentrale Thema des von Harald Zwart gedrehten Musikvideos ist der Bau einer neuzeitlichen Arche Noah. Der Himmel ist von Wolken bedeckt, als Tiere und Menschen das rettende Schiff besteigen und berühmte Gemälde sowie Skulpturen in Sicherheit gebracht werden. Während Matrosen mehrere prominente Personen wie Queen Elisabeth II. und den Sänger Lenny Kravitz über einen gesonderten Eingang an Bord führen, befinden sich auch die Mitglieder von a-ha unter den Passagieren. Der Bandleader Morten Harket ist derweil mit seiner Freundin unterwegs. Vor Beginn der biblischen Flut verliert er seine Begleiterin in einer dramatischen Szene aus den Augen. Sogleich entfaltet der Text des Songs seine Bedeutung im Rahmen der Erzählung. „Memories, they keep coming through / The good ones hurt more than the bad ones do“, äußert Harket in einem ausgedehnten Falsett seine Trauer um die Trennung von einer geliebten Person: „The days were hot and the nights were deep / And I miss you, baby, I miss you, baby.“ Der Betrachter des Musikvideos erwartet an dieser Stelle, dass der Sänger wie die übrigen Passagiere mit Star-Status beim Betreten der Arche bevorzugt behandelt wird und auf die anderen Prominenten trifft. Doch dies erweist sich als Trugschluss. Denn am Ende des Clips findet sich Harket in einem schmutzigen Raum unter Deck wieder. Dort erhalten er und seine Bandkollegen keinen Schlafplatz, sondern den Auftrag, Reinigungsarbeiten auszuführen. 50
Vgl. Lothar Mikos: Kitzel des Unvorhergesehenen. Zum Live-Charakter des Fernsehens [1989]. In: Knut Hickethier (Hg.): Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 181-191, S. 182f.
51
Vgl. ebd.
52
In einigen Fällen ist die Hauptfigur der Geschichte vom berichteten Ereignis insofern betroffen, als sie selbst den Anlass für die Fernsehnachricht gibt. So wird etwa der als Triebtäter beschriebene Protagonist im umstrittenen Falco-Clip JEANNY (1985) überrascht, als er in einem Lokal sieht, dass ein von ihm begangenes Verbrechen Erwähnung im TV-Programm findet. Die nachgestellte Fernsehmeldung wird vom früheren TAGESSCHAU-Moderator Wilhelm Wieben gesprochen. Sie ist auch in der Single-Version zu hören und bildet einen Teil der Formbildung des Songs.
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Bis dahin dreht sich die Handlung um das Schicksal all jener, denen kein Zutritt zu der im Hafen liegenden Arche gewährt wird. So verfolgen eine Frau und ein Mann das historische Ereignis im Fernsehprogramm und bemerken die apokalyptische Stimmung, welche das aufziehende Unwetter entstehen lässt. Sie gehören nicht zum Kreis der Geretteten und haben aus einem unbekannten Grund keine Ambitionen, das Gebäude zu verlassen (Abbildung 17). Während eine Menschenmenge versucht, auf das Schiff zu gelangen, schneidet das Musikvideo mehrmals zwischen der Frontalansicht des eingeschalteten Bildschirms und der Ansicht der vor dem Gerät sitzenden Zuschauer hin und her. Auf diese Weise betont der Clip die Fokussierung der Figuren und des Mediums Fernsehen auf das Weltgeschehen. Die subjektive Kamera versetzt den Betrachter zwar in die Position der beiden Zuschauer. Doch die späteren Einstellungen, in denen der Monitor abwesend ist, liefern eine andere Perspektive. Sie geben die Flucht auf die Arche wieder, ohne der TV-Sendung zu entstammen. Diese Differenz zwischen dem Ereignis vor Ort und seiner medialen Präsentation teilt sich dadurch mit, dass bezeichnenderweise die zum Teil mit einer Handkamera aufgenommenen Bilder des Fernsehens in unveränderter Geschwindigkeit abzulaufen scheinen, während die des gesamten Musikvideos überwiegend in Zeitlupe gehalten sind und dem Klang der getragenen Ballade entsprechen. Der Clip hebt in der Gegenüberstellung von televisuellen und nicht-televisuellen Aufnahmen des eigenen Mediums den Live-Eindruck der Fernsehübertragung hervor, die von den langsameren Sequenzen abweicht und dem Publikum eine größere Unmittelbarkeit hinsichtlich der Wahrnehmung der Katastrophe suggeriert. Abbildung 17: FOREVER NOT YOURS, 2002, M: a-ha, R: Harald Zwart.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=QqdFTPyW5L0 (TC 01:04, 01:31, 01:38)
Die Sintflut ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit von Harket, der seine Begleiterin im Verlauf der Geschichte zurücklassen muss. Im massenmedialen Rahmen der TV-Berichterstattung erhält das Ereignis den Charakter einer Katastrophe großen Ausmaßes. Das Publikum behält derweil einen räumlichen Abstand zum Geschehen: „Das Fernseh-Bild beschirmt die Welt, indem es sie gleichzeitig zeigt und von uns fern hält.“53 So erscheinen die TV-Zuschauer in FOREVER NOT YOURS als fatalistische 53
Bleicher: Die Symbolstruktur der Fernsehvermittlung und ihr Funktionspotenzial, S. 17.
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Beobachter des drohenden Unheils. Sie verharren regungslos vor dem Bildschirm, ohne an Bord der Arche zu gehen. Als der Regen zunimmt und im Hintergrund der wehmütige Refrain wiederholt wird („I’ll soon be gone now / Forever not yours / It won’t be long now / Forever not yours“), bricht der TV-Empfang ab. Die Figuren reichen sich schicksalsergeben die Hände, während bereits Wasser von ihrem Dach herunter tropft. Sie befinden sich im Zustand der Überwachung, den Stanley Cavell als eine dem Fernsehen eigene Betrachtungsweise herausgearbeitet hat.54 Der Philosoph definiert die televisuelle Wahrnehmung als „a current of simultaneous event reception“ und grenzt sie von der Betrachtungsweise eines Kinobesuchers ab, die „a succession of automatic world projections [Herv. i.O.]“55 sei.56 Inwiefern die Bilder, welche das Publikum sieht, live ausgestrahlt oder in Form einer Aufzeichnung lediglich wiederholt werden, ist laut Cavell sinnlich nicht zu erfahren.57 Während TV-Sender in der Regel durch Einblendungen und Hinweise von Moderatoren kenntlich machen, ob sich das Geschehen, über welches berichtet wird, im selben Moment zuträgt, fehlt eine solche Markierung in FOREVER NOT YOURS. Der Betrachter des Musikvideos ist demnach herausgefordert, den medialen Status der Bilder zu ermitteln. Die Reaktion der beiden Protagonisten verrät, dass ihnen die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, bewusst ist, die im Fernsehen dargestellte Sintflut folglich im Augenblick der Rezeption stattfindet. Der Clip-Betrachter schlussfolgert, dass eine Direktübertragung vorliegt, nachdem dies durch die Montage von Aufnahmen der Katastrophe und der auf den Bildschirm blickenden Figuren bereits angedeutet worden ist. In der Inszenierung des Mediums Fernsehen greift das Musikvideo ein Verhältnis zwischen Zuschauer und Beobachtungsgegenstand auf, das Hans Blumenberg in seiner Studie zum Gebrauch der Daseinsmetapher des Schiffbruchs beschrieben hat. Ein wesentlicher Unterschied besteht zwar darin, dass es sich im Clip um ein Schiff handelt, das aufbricht, um dem Untergang der Erde zu entkommen, und nicht selbst in Seenot gerät. Dennoch erweisen sich die Erkenntnisse von Blumenberg als anschlussfähig für die Analyse von FOREVER NOT YOURS. Der Betrachter des Musikvideos wird zunächst im Glauben gelassen, dass der Beobachter der Katastrophe in Gestalt der beiden Fernsehzuschauer auf dem befestigten Ufer „[z]war [...] nicht in das Abenteuer selbst verstrickt, wohl aber der Anziehung von Untergängen und Sensationen hilflos ausgeliefert [ist]“, daher „[s]eine Unbetroffenheit [...] nicht die der Anschauung, sondern einer brennenden Neugierde [ist].“58 Dies ändert sich erst zum Schluss des Clips, 54
Vgl. Stanley Cavell: The Fact of Television. In: Daedalus 111 (1982), H. 4, S. 75-96, S. 85.
55
Ebd.
56
Die überwachende Haltung, welche Cavell dem Fernsehrezipienten zuschreibt, zeigt sich auch in der Medienreflexion des Films. Vgl. Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 158.
57 58
Vgl. Cavell: The Fact of Television, S. 86. Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a.M. 1979, S. 35f.
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sobald der Standort der Protagonisten näher bestimmt wird. Der Betrachter erkennt nun – in philosophischer Anlehnung an Arthur Schopenhauer nach Blumenberg –, dass auch der Beobachter der Gefahr, von welcher er fasziniert ist, schutzlos gegenübersteht und das Musikvideo „die verinnerlichte Doppelrolle des einerseits von Stürmen Geschüttelten und zu Tode Bedrohten, andererseits seine Lage reflektierend Anschauenden“59 vor Augen führt. Denn durch das Medium Fernsehen als Fenster zur Welt haben die beiden Zuschauer einen Überblick über die Katastrophe und bemerken die Ausweglosigkeit ihrer eigenen Situation. FOREVER NOT YOURS macht darauf aufmerksam, dass das Ereignis auch jenseits des Fernsehbildschirms existiert, und lässt das Ende der TV-Übertragung zum Anzeichen für das baldige Ende des menschlichen Lebens werden. Zusammenfassend setzen Regisseure bereits seit der Frühphase des Musikfernsehens Darstellungen von TV-Bildschirmen in ihren Clips ein, um verschiedene Beziehungen des intradiegetischen Publikums zum Programm des Fernsehens sichtbar zu machen. Während sie abwechslungsreiche Momente der Rezeption entwerfen, in denen sich im Song angesprochene Themen und Ereignisse widerspiegeln, stellen sie einzelne Merkmale des medienspezifischen Dispositivs heraus, ohne stets die Entstehung der Form des eigenen Musikvideos auf der Bildebene zu reflektieren. Die Informations- und Unterhaltungsfunktion des Fernsehens ist ein fester Bestandteil des Alltags, in dem der Star in der Rolle des Zuschauers vor dem eigenen Empfangsgerät zu sehen ist oder im Zentrum des televisuellen Blicks seinen Song darbietet. Zugleich lässt sich ein Wandel der dispositiven Konstruktion des Mediums erkennen. So ist der TV-Apparat zunehmend auch jenseits des häuslichen Nutzungskontextes zu finden. Parallel entsteht eine große Vielfalt an bildschirmbasierten Geräten, die nicht allein im Zusammenhang mit dem Programmmedium Fernsehen stehen, sondern neue Kommunikationskanäle hervorbringen. Wie im Folgenden dargelegt werden soll, erfahren diese digitalen Technologien im Verlauf der Zeit auch die Beachtung von Clip-Regisseuren, deren Werke selbst Eingang in unterschiedliche mediale Präsentationszusammenhänge finden. 6.1.4 Entstehung einer Bildschirmkultur Die fortlaufende Beobachtung medialer Angebote und Apparate im Musikvideo lässt erkennen, dass im Verlauf der Zeit eine Bildschirmkultur entsteht, die in verschiedenen Anordnungen von und Umgangsweisen mit Monitoren zum Ausdruck kommt. Das Fernsehen wird von dieser Entwicklung ebenfalls erfasst. Die Television behält ihre Attraktivität für das Publikum und findet zunehmend auch über den häuslichen Alltag hinaus Verwendung. Dort, wo an öffentlichen Plätzen ein Zugang zum Medium Fernsehen gegeben ist, wird selten versucht, eine kontinuierliche TV-Nutzung zu 59
Ebd., S. 61.
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erreichen, wie die Atmosphäre der Rezeptionsorte, das meist aus Musik- oder Sportsendungen bestehende, nicht umschaltbare Programm und die am Wiedergabegerät eingestellte Lautstärke offenbaren.60 Das Spektrum nicht-privater Räume, die mit einem TV-Empfang ausgestattet sind, ist breit. Es reicht von Kaufhäusern über Kliniken, Wohnheime, Kneipen, Restaurants und Frisörsalons bis zu Hotels; die dort aufgestellten Monitore dienen dazu, den Aufenthalt während des Einkaufes oder einer längeren Wartezeit angenehm zu gestalten, in einem Laden angebotene Waren abzubilden und – im Fall von Nachrichtensendungen – dem Publikum den Eindruck zu vermitteln, informiert zu sein.61 Dass TV-Apparate im städtischen Leben immer häufiger Bürger über aktuelle Begebenheiten in Kenntnis setzen und mit einer Vielzahl kurzweiliger Formate unterhalten, zeigt sich auch im Musikvideo. Seit den 1980er Jahren treten neue Kommunikationstechnologien in den Fokus des Mediendiskurses – eine Entwicklung, die auf vielfältige Weise in der Narration einzelner Clips verhandelt wird, ohne mit reflexiven Darstellungen des Stars auf dem Bildschirm einhergehen zu müssen. Die Verfügbarkeit und Macht von elektronischen Wiedergabegeräten wird insbesondere dann bewusst, wenn das Musikvideo von einem Ereignis handelt, das über mehrere Kommunikationskanäle in die Öffentlichkeit gelangt und eine Vielzahl von Menschen betrifft. Ein passendes Beispiel ist der Clip DANCING WITH TEARS IN MY EYES (1984) von Ultravox, den die Bandmitglieder Midge Ure und Chris Cross gedreht haben. Er erzählt von einem Unfall in einem Kernreaktor und dem emotionalen Ausnahmezustand angesichts der tödlichen Bedrohung. Bildschirme im Inneren eines Atomkraftwerks kündigen die Kernschmelze in der ersten Szene an (Abbildung 18). „It’s five and I’m driving home again / It’s hard to believe that it’s my last time“, heißt es im Liedtext, während der Protagonist des Clips auf den Fernsehgeräten in einem Schaufenster eine Nachricht zur unausweichlichen Katastrophe liest. Beunruhigt fährt er zu seiner Familie und bleibt bei ihr. Im Moment der Explosion des Atomkraftwerks ist auf einem TV-Bildschirm zu Hause derselbe Warnhinweis zu sehen, welcher unlängst die Passanten auf der Straße informiert und verängstigt hat. Es wird geraten, im Inneren von Gebäuden zu verweilen und auf weitere Hinweise zu warten. Doch dafür ist es zu spät, denn der Protagonist fällt mit seiner Familie der Katastrophe zum Opfer. So treten am Ende des Clips selbst gedrehte Aufnahmen in einem kleineren Format in Erscheinung und halten die gemeinsame Vergangenheit des Paares mit seinem Kind fest, bis die Bilder stehen bleiben und anfangen zu schmelzen. Wie im Fall der Sintflut, die das Musikvideo FOREVER NOT YOURS zum Thema macht (Kapitel 6.1.3), bleibt die konkrete Gefahr im Liedtext ungenannt. Dem Clip von a-ha entsprechend 60
Vgl. Friedrich Krotz: Die Mediatisierung kommunikativen Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch die Medien. Wiesbaden 2001, S. 120.
61
Vgl. ebd., S. 120ff.
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manifestiert sie sich in einer Unterbrechung des TV-Empfangs. Hinzu kommt, dass persönliche Erinnerungen auf einem filmischen Träger zerstört werden. Die Sichtbarkeit des Materials gibt die Differenz von Medium und Form zu erkennen und fördert die Authentizität des in der Geschichte verhandelten Ereignisses (Kapitel 6.2.2). Der Umstand, dass es private Filmaufnahmen sind, die vernichtet werden, lässt die Explosion des Kernreaktors zu einer individuellen Tragödie werden. Song und Clip vergegenwärtigen die Lage des Protagonisten in einer Extremsituation, die zahlreiche andere Menschen auf ihre Weise erleben. Abbildung 18: DANCING WITH TEARS IN MY EYES, 1984, M: Ultravox, R: Midge Ure/Chris Cross.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=PSQWUZ8a2Ho (TC 00:27, 01:22, 02:46)
Die in DANCING WITH TEARS IN MY EYES im privaten und öffentlichen Raum positionierten TV-Apparate sind ausschließlich Überbringer der Hiobsbotschaft. Sie geben jeweils mit einem weißen Text vor einem roten Hintergrund Auskunft über das bevorstehende Ereignis. In denselben Farben alarmieren auch die am Anfang aufleuchtenden Bildschirme die Mitarbeiter des Kraftwerks. Das Reaktorunglück, von dem die Einwohner der Stadt erfahren, als keine Gelegenheit mehr für eine Rettung bleibt, erreicht die Bürger durchgängig über technische Kommunikationskanäle. Im Musikvideo spiegelt sich demnach eine Zeit wider, in der Bildschirme über das Massenmedium Fernsehen hinaus das Alltagsleben beeinflussen, und zwar als „perpetual reminders of other scenes happening (live or recorded or merely virtual) elsewhere“62, wie Mark Lord schildert. Die zunehmende Verfügbarkeit von Kommunikationstechnologien, so Lord, führt unter anderem zum Problem, dass der Nutzer über Geschehnisse informiert wird, die ihn nicht glücklich stimmen, sondern in Sorge versetzen: „[...] [W]e [...] heed warnings – of incoming calls, terror attacks, low batteries, possibly abducted children, overseas stock market crashes – on the whole array. All of us live all the time now in the state of perpetual national disaster awareness [...].“63 Clip-Regisseure greifen meist auch auf die Bildschirme, denen man gewöhnlich in einer außerhäuslichen Umgebung begegnet, zurück, um attraktive Aufnahmen des 62
Lord: The Screens, S. 77.
63
Ebd.
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Sängers oder der Band in das Musikvideo zu integrieren (Kapitel 6.1.1). Nach der Veröffentlichung von DANCING WITH TEARS IN MY EYES sind zahlreiche neue Arten elektronischer Anzeigesysteme entstanden, die für diese Funktion in Frage kommen: „Die Kathodenstrahlröhre war lange Zeit die technische Grundlage für den Inbegriff des Bildschirms. Seit den 1990er-Jahren hat sich jedoch eine derart dynamische Entwicklung von Bildschirmen, mobilen Geräten und Projektoren vollzogen, dass kaum vorstellbar ist, wie ein Bildschirmtypus weit über ein halbes Jahrhundert dominieren konnte [Herv. i.O.].“64
Der Eindruck von einer massenhaften Verbreitung der Ansicht des Stars kann im Musikvideo durch eine Gruppierung von Monitoren unterstützt werden, die über- oder nebeneinander angebracht sind, ohne in den Rahmen eines öffentlichen Konzerts eingebunden zu sein. Im farbenprächtigen Clip LIPS ARE MOVIN (2014) vervielfältigt etwa eine Konstruktion, die aus drei mal drei Bildschirmen besteht, den Kopf von Meghan Trainor. Der Aufbau entspricht dem von Monitoren in Kaufhäusern, die Musikvideos zeigen und eine eigene Ästhetik haben, „a Warholian aesthetic of mass cultural seriality [...] mirroring the repetitious display of merchandise on the self-service racks in a carnivalesque sense of competing spectacles“65, so die Analyse von Anna McCarthy. Im Clip von Trainor sind es nicht unterschiedliche Spektakel, auf denen das Augenmerk liegt, sondern lediglich Bilder der Musikerin, die einander identisch sind, genauer gesagt Bilder der von ihr besungenen und selbst ausgeführten Lippenbewegungen. Die mehrfache Reproduktion des Gesichts von Trainor lässt zwar an die Siebdruckarbeiten von Andy Warhol denken. Doch ob sie vom Betrachter als eine Kritik an der Konsumgesellschaft interpretiert wird, bleibt fraglich. Unabhängig davon, ob die übertragenen Bilder innerhalb der Narration des Clips Bestandteil des frei empfangbaren Fernsehprogramms sind, schließt die Inszenierung der TV-Apparate an die Medienerfahrung des Publikums an. Denn Musikvideos werden nicht mehr nur im häuslichen Kontext, sondern zunehmend auch auf Monitoren im öffentlichen Raum rezipiert.66 Im Zuge einer sich entfaltenden Bildschirmkultur verändern sich die Möglichkeiten der Nutzung von Clips (Kapitel 2.2), die den eigenen Wandel gleichzeitig reflektieren, mit anderen Worten die Tatsache beobachten, dass sie über verschiedene Geräte betrachtet werden können. 64
Ursula Frohne/Christian Katti: TV als Passion: Kontrolle, Exzess, Konstrukt / TV as Passion: Control, Excess, Construct. In: Dieter Daniels/Stephan Berg (Hg.): TeleGen: Kunst und Fernsehen / Art and Television. München 2015, S. 87-101, S. 91.
65
Anna McCarthy: Ambient Television: Visual Culture and Public Space. 2. Aufl. Durham, North Carolina/London 2003, S. 144.
66
Der Clip-Betrachter widmet seine Aufmerksamkeit jedoch nicht zwingend dem Song. So ist der Ton in öffentlichen Räumen häufig ausgeschaltet, während die Musik einer anderen Quelle entstammt. Vgl. Krotz: Die Mediatisierung kommunikativen Handelns, S. 118.
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Eine häufige Variante, den Erfolg eines Stars auf seine mediale Präsenz zurückzuführen, besteht darin, die gesangliche oder tänzerische Performance von vielgestaltigen Bildschirmtechnologien an unterschiedlichen Orten übertragen zu lassen. Auf diese Weise teilt sich dem Betrachter mit, dass ihn die Musik über mehrere Kommunikationskanäle erreichen kann, ersichtlich unter anderem in der animierten Version des Clips CHIHUAHUA (2003) von DJ BoBo.67 Dort betritt der Musiker eine Cartoonwelt, in der er mit seinem Abbild konfrontiert wird, das mal statisch, mal in Bewegung ist. DJ BoBo springt aus einem TV-Bildschirm und erblickt ein Werbeplakat an einer Litfaßsäule und realfilmische Aufnahmen der eigenen Darbietung des Songs, die auf der Videowand in einer Diskothek, der Leinwand eines Autokinos und auf mehreren TV-Apparaten laufen, die hinter dem Glas eines Schaufensters zu sehen sind. Wie das Publikum des Clips erkennt der Protagonist, dass es in der Stadt kaum möglich ist, sich seinem Überraschungshit und den zugehörigen Bildern zu entziehen. DJ BoBo steht nicht in Verbindung mit nur einem Medium, sondern ist auch jenseits des Musikfernsehens allgegenwärtig. Der affirmative Verweis auf die öffentliche Sichtbarkeit eines Sängers oder einer Band kann auf vielfältige Weise narrativ umgesetzt werden. Während die Nutzung eines Fernsehapparates meist die individuelle Bedeutung vermittelt, welche der Interpret für den im Clip dargestellten Rezipienten hat, stellen überlebensgroße elektronische Wiedergabegeräte, die etwa am Straßenrand angebracht sind, noch stärker den Star-Status des Musikers heraus. Anders als das häusliche TV-Dispositiv orientiert sich diese Form der Bildübertragung an Werbebotschaften, die mithilfe technischer Vorrichtungen präsentiert werden und sich historisch von Hinweisen an der Fassade von Geschäften über Schilder und Plakate bis zu Billboards und dynamischen Mediendisplays entwickelt haben.68 Das Setting des Clips kann den Eindruck, dass sich der prominente Interpret von den Menschen in seiner Umgebung abhebt, intensivieren. Ein anschauliches Beispiel ist BLACK SUITS COMIN’ (NOD YA HEAD) (2002) von Will Smith. Der Schauplatz des Musikvideos, bei dem Francis Lawrence Regie geführt hat, ist an den eines Kinofilms angelehnt. Smith schlüpft in seine Rolle des Alienpolizisten aus der im selben Jahr herausgebrachten Science-Fiction-Komödie MEN IN BLACK II, 67
Ein alternatives Konzept der Inszenierung sieht vor, nicht die Verbreitung des Clips, sondern die des Songs vor Augen zu führen. So zeigt etwa CAN’T STOP LOVING YOU (2002) von Phil Collins die persönlichen Audio-Abspielgeräte eines Publikums, das die Musik des Sängers hört und positiv aufnimmt. An verschiedenen Orten der Erde wenden sich Jugendliche über Radios und mp3-Player der neuen Single von Collins zu und bezeugen, dass der Star eine weltweite Anerkennung genießt.
68
Vgl. Erkki Huhtamo: Botschaften an der Wand. Eine Archäologie von Mediendisplays im öffentlichen Raum. In: Gudrun Sommer/Vinzenz Hediger/Oliver Fahle (Hg.): Orte filmischen Wissens. Filmkultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke. Marburg 2011, S. 331-348, S. 332.
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für die das Lied als Titelsong geschrieben worden ist. Der Entertainer tritt auf einer Weltraumbasis auf, als ein außerirdisches Wesen im Kontrollraum dafür sorgt, dass die Darbietung fortan im Programm von Empfangsgeräten diverser Nutzer läuft. Das intergalaktische Ereignis wird sowohl in den Wohnzimmern auf fremden Planeten als auch in einem Spaceshuttle, im Klassenraum einer Schule und auf dem Times Square ausgestrahlt (Abbildung 19). Zahlreiche Zuschauer bejubeln den Musiker und antworten in einer parasozialen Interaktion auf die an sie gerichteten Liedtextzeilen mit euphorischen Zurufen. Smith nimmt eine herausgehobene Stellung ein, da er sich im All befindet und nicht nur Fans auf der Erde hat, die seine Performance vor dem Bildschirm verfolgen. BLACK SUITS COMIN’ (NOD YA HEAD) verleiht ihm den Status eines machtvollen Stars. Doch es ist ein Status, den Smith in einer humorvollen Wendung des Musikvideos wieder verliert. Denn ein Mops, das sprechende Alien Frank the Pug aus der MEN-IN-BLACK-Reihe, zieht einen handelsüblichen Stecker und kappt damit die Übertragung auf sämtlichen Screens. Abbildung 19: BLACK SUITS COMIN’ (NOD YA HEAD), 2002, M: Will Smith, R: Francis Lawrence.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=1RVRCd6J2NA (TC 00:36, 01:05, 01:26)
Es kann festgehalten werden, dass die grundlegenden Funktionen, welche TV-Bildschirme als Teil der Diegese des Musikvideos erfüllen, ihre Fortsetzung in der Darstellung von medialen Apparaturen finden, die nur wenige Gemeinsamkeiten mit der Nutzungs- und Wirkungsweise des Fernsehens haben. Im Zuge des Medienwandels verschiebt sich der Fokus vor allem auf Formen der digitalen Kommunikation. Das Musikvideo beobachtet insofern seinen eigenen Wandel, als die hinzutretenden Bildschirme Ansichten des Stars vermitteln. Dies gibt zu bedenken, ob das Fernsehen in den letzten Jahren seine Rolle als Gegenstand der Medienreflexion eingebüßt hat und Regisseure zunehmend computerbasierte Technologien in Szene setzen, um den Sänger oder die Band für ein mit digitalen Kommunikationsformen aufgewachsenes Publikum zeitgemäß zu präsentieren. Es erscheint allerdings problematisch anzunehmen, dass das Musikvideo ab einem bestimmten Zeitpunkt die Television nicht mehr in den Blick nimmt (Kapitel 4.3). Stattdessen entwickelt sich die Inszenierung des Computers parallel zur Auseinandersetzung mit dem Fernsehen und weist an verschiedenen
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Stellen Überschneidungen mit den Darstellungen des Programmmediums auf. Technologisch betrachtet sind die Grenzen zwischen einzelnen Medien, die digital vorliegende Informationen verarbeiten, häufig nicht eindeutig zu bestimmen. Entsprechend der Definition einer „programmierbare[n] elektronische[n] Rechenmaschine mit gespeichertem Programm“69 handelt es sich beim Computer um eine Erfindung, die flexibel verwendet werden kann.70 Eine Folge dieser Vielseitigkeit ist, dass inzwischen unterschiedliche Produkte erhältlich sind, die einen Computerchip erfordern und – insbesondere durch den Anschluss an das Internet – mit mehreren medialen Funktionen verknüpft sind. Dies belegen mobile Endgeräte, die es dem Nutzer unter anderem ermöglichen, zu telefonieren, Textnachrichten zu versenden, Bild- und Tonaufnahmen zu machen, zu navigieren, Radio zu hören, aber auch Online-Portale aufzusuchen, um etwa ein gewünschtes Musikvideo abzurufen. Daneben existieren Apparate im Arbeits- und Freizeitbereich, die nicht der interpersonalen oder massenmedialen Kommunikation dienen, aber über eine digitale Steuerungseinheit verfügen. Bereits in den 1980er Jahren haben Computertechnologien das Interesse von Sängern und Bands sowie Regisseuren gefunden. Im Gegensatz zum Fernsehen, das nach seiner Etablierung vor allem hinsichtlich einzelner Programmformate größere Debatten in Gang setzt, erregen computerbasierte Kommunikationsformen neben kontroversen Unterhaltungsangeboten durch fortlaufende, den Alltag verändernde Innovationen digitaler Kanäle Aufsehen. Der Reflexion von Inhalten, ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des Fernsehens vergleichbar stieg das Digitalmedium zu einem spezifischen Thema der Popmusik auf, als es – in Gestalt des Heimrechners – an gesellschaftlicher Bedeutung gewann. Die wachsende Aufmerksamkeit für Praktiken der computervermittelten Kommunikation, welche sich in den Liedtexten und später auch in der Bilderwelt kommerzieller Clips niederschlägt, steht im Einklang mit Erkenntnissen zur Darstellung von Medien im Film. Wie eine Inhaltsanalyse von Jerrod Larson zeigt, setzt auch das Science-Fiction-Kino im Verlauf der Zeit verschiedene Varianten des Computers in Szene, seien es Großrechner mit einfarbigen Röhrenmonitoren oder Interface-Technologien jüngeren Datums.71 Laut Larson spiegelt die visuelle Umsetzung digitaler Kommunikationsinstrumente trotz vorhandener Spekulationen über die Zukunft weitgehend die wirkliche Medienentwicklung wider, denn mobile Endgeräte und das Internet haben erst nach ihrer Entstehung Eingang in filmische Erzählungen gefunden.72 69
Pierre Lévy: Die Erfindung des Computers. In: Michel Serres (Hg.): Elemente einer Geschichte der Wissenschaften [Éléments d’histoire des sciences 1989]. Frankfurt a.M. 1994, S. 905-944, S. 910.
70 71
Vgl. ebd. Vgl. Jerrod Larson: Limited Imagination: Depictions of Computers in Science Fiction Film. In: Futures 40 (2008), H. 3, S. 293-299, S. 295.
72
Vgl. ebd., S. 298.
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Geht man der Thematisierung digitaler Kommunikationsformen im Musikvideo nach, so fallen zunächst Clips von Sängern und Bands auf, die den Computer als wichtiges Instrument der Klangerzeugung gebrauchen. Vor allem die Band Kraftwerk produzierte einst mithilfe elektronischer Geräte wie Vocoder und Synthesizer Lieder, die von einer vom menschlichen Körper entkoppelten, maschinengleichen Stimme gesungen werden,73 und widmete sich sowohl ironisch als auch nostalgisch der von Wissenschaft und Technik geprägten Gegenwart.74 In MUSIQUE NON-STOP (1986) loten die Künstler die Möglichkeiten der grafischen Simulation aus, indem sie digitale Rekonstruktionen ihrer Köpfe schweben lassen, und weisen in eine neue Richtung der Clip-Gestaltung. Auch andere Vertreter der elektronischen Musik verbinden ihre Lieder – oftmals weniger kritisch – mit Ansichten vom und aus dem Computer, der auf vielfältige Weise als ein Medium reflektiert wird, das die Voraussetzung für die Entstehung des im selben Augenblick rezipierten Musikvideos darstellt. Ihre Werke prophezeien einen Wandel im Umgang mit Medien und zeigen sich hoffnungsvoll gegenüber dem bevorstehenden Umbruch. Als ein geheimnisvoller, in Rauch gehüllter Apparat wird der Computer in CHANGING MINDS (1987) von 16 Bit vorgestellt. Während der Song die Bedienung des Gerätes im Detail beschreibt, folgt ein Protagonist den Anweisungen. Auf dem Bildschirm, vor dem er sitzt, erscheinen Musiknoten und ein weiblicher Mund, der den Refrain singt. Auch LIVING ON VIDEO (1986) von Trans-X kommentiert den rasanten technologischen Fortschritt. Der Song befasst sich mit dem Verlangen nach einem aufregenden Abenteuer im Datenmeer („Give me light / Give me action / At the touch of a button / Flying through hyper-space / In a computer interface“). Ein eingeschalteter Commodore-Rechner bildet den Mittelpunkt der aus TV-Apparaten bestehenden Kulisse des Clips. Er erweckt den Eindruck, Teil eines Netzwerks aus mehreren Geräten zu sein, die die Musikerin Laurie Ann Gill mit ihrem Bandkollegen Pascal Languirand zu den schrillen Electro-Sounds des gemeinsamen Hits umtanzt. Dem Lobgesang auf das Leben mit dem Computer liegt der Gedanke eines noch unbekannten digitalen Kosmos zugrunde. Er ist durch die Cyberpunk-Literatur wie William Gibsons visionären Roman Neuromancer (1984) mitgeprägt worden und hat – mal als reproduzierte, mal als transformierte Realität verstanden – einen nachhaltigen Einfluss auf die Forschung genommen.75 Die mit dem World Wide Web in den 1990er Jahren aufgekommene Fülle neuer Kommunikationsformen lenkte den Blick 73
Vgl. Ian Biddle: Vox Electronica: Nostalgia, Irony and Cyborgian Vocalities in Kraftwerk’s Radioaktivität and Autobahn. In: Twentieth-Century Music 1 (2004), H. 1, S. 81100, S. 89f.
74 75
Vgl. ebd., S. 93. Vgl. Jeremy N. Bailenson u.a.: Sciencepunk: The Influence of Informed Science Fiction on Virtual Reality Research. In: Margret Grebowicz (Hg.): SciFi in the Mind’s Eye: Reading Science through Science Fiction. Chicago/La Salle, Illinois 2007, S. 147-164, S. 161.
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schließlich auf spezifische Angebote und Anwendungen im Internet. Musiker schrieben Lieder, in denen sie sich mit dem Gebrauch des Personal Computer und der populärer werdenden Kontaktpflege von Freunden über Online-Dienste befassen, während auch Clip-Regisseure versuchten, sich in ihren Werken der Lebenswelt ihres jungen und in der Tendenz online-affinen Publikums anzunähern. Ungeachtet der Faszination für die mit dem Internet einhergehende globale Kommunikation blieben im Mediendiskurs Vermutungen über einen über Webseiten, soziale Netzwerke, Chats und Computerspiele hinausgehenden Cyberspace bestehen. Der nicht zum Stillstand kommende Fortschritt im Bereich digitaler Medien erhält utopische und dystopische Vorstellungen von der Zukunft aufrecht. Im Unterschied zum Fernsehen ist es gerade ein interpersonaler Austausch, der im Musikvideo thematisch verarbeitet wird. Binden Clips gelegentlich auch TV-Apparate dramaturgisch in den (fiktiven) Kontext einer Individualkommunikation ein (Kapitel 6.1.1), knüpfen sie mit der Bezugnahme auf Computer und Internet an wirklichkeitsnahe Nutzungspraktiken an. Ihren Reiz gewinnen die Geschichten oftmals aus der Differenz zwischen Face-to-Face- und computerbasierter Kommunikation. Eine Gegenüberstellung dieser Art erweist sich insbesondere im Rahmen der Inszenierung des Sängers oder der Band als produktiv. So wechseln Clips wie im Fall der Darstellung des Fernsehens zwischen einer mediatisierten und einer nicht-mediatisierten Wahrnehmung des Stars, um mit den Erwartungen des Betrachters zu spielen. Einige Musiker, die über einen Computerbildschirm eingeführt werden, treten erst zum Höhepunkt der Narration körperlich in Erscheinung. In THIS IS LOVE (2012) beispielsweise sitzt will.i.am allein am Ufer der Themse vor der Tower Bridge an einem Flügel, auf dem ein Laptop steht. Immer wieder fordert er das Publikum zur Interaktion auf („Say hell yeah“). Die Kamera schwenkt daraufhin jedes Mal auf den Computer, der eine feiernde Menschenmenge zeigt, die im Chor den Ausruf von will.i.am lautstark erwidert („Hell yeah“). Wenig später ersetzt Eva Simons, die als Gastsängerin die Hookline des Stücks übernimmt, das Bild auf dem Display. Ihre Ansicht bleibt so lange an das technische Gerät gekoppelt, bis die Musikerin zum letzten Refrain neben will.i.am auftaucht und in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Der Kontrast zwischen der Rezeption einer Darbietung vor dem Computerbildschirm und im Rahmen eines Konzerts erlaubt es dem Regisseur, einerseits auf die Online-Präsenz des Sängers oder der Band hinzuweisen und andererseits den LiveAuftritt im Unterschied zur Online-Präsenz als ein begehrenswertes Ereignis vorzuführen. Welchen Stellenwert der Besuch einer musikalischen Veranstaltung für Fans hat, ist dem von Wayne Isham gedrehten Clip IT’S MY LIFE (2000) zu entnehmen. Die Geschichte beginnt mit der digitalen Bildübertragung einer Performance von Bon Jovi. Ein Junge hat über seinen Computer einen Live-Cast der Rock-Gruppe eingeschaltet (Abbildung 20). Plötzlich wird der Teenager von seiner Freundin, die gerade das im Internet gesendete Konzert besucht, auf dem Handy angerufen und gebeten, zu ihr zu kommen. Hastig bricht er auf und überwindet auf seinem Weg durch die
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Stadt verschiedene Hindernisse. Um möglichst schnell zum Auftritt der Band zu gelangen, den er mit Spannung am Bildschirm verfolgt hat, läuft er auf der Straße zwischen fahrenden Autos und springt von einer Brücke. In einem Tunnel erreicht der Protagonist schließlich das Konzert. Als er seine Geliebte umarmt, endet zwar gerade das für den Clip-Betrachter zu hörende Musikstück von Bon Jovi, doch das Paar hat es geschafft, zumindest einen Teil des Events gemeinsam vor Ort zu erleben. Abbildung 20: IT’S MY LIFE, 2000, M: Bon Jovi, R: Wayne Isham.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=vx2u5uUu3DE (TC 00:12, 04:11)
Die Inszenierung des Konzertbesuchs gibt Aufschluss über eine größere medienkulturelle Entwicklung. Sie steht im Zeichen einer Zeit, in der es laut Wolfgang Welsch durch zunehmend medial vermittelte Vorstellungen von der Wirklichkeit „zu einer Revalidierung nicht-elektronischer Erfahrungsformen [kommt], und zwar insbesondere derjenigen Aspekte, die auschließlich [sic!] diesen Erfahrungsformen im Unterschied zu den elektronischen eigen sind [Herv. i.O.].“76 Das Ergebnis der Neubewertung ist die „Sehnsucht nach einer anderen Präsenz, nach der unwiederholbaren Präsenz des hic et nunc, nach dem singulären Ereignis [Herv. i.O.]“77, so Welsch. Diese Haltung drückt sich auch darin aus, dass in Konzerthallen und Stadien stattfindende Musikveranstaltungen namhafter Künstler bis heute ein Besuchermagnet sind. „Ungeachtet der mannigfachen Reize der massenkommunikativen Medienpraxis hat das personale In-Erscheinung-Treten im Hier und Jetzt zu keinem Zeitpunkt in signifikanter Weise an Attraktivität eingebüßt“, schreiben Christofer Jost und Lisa Huwyler: „Im Rahmen von Live-Performances ist es den Stars möglich, sich einem Publikum als real, als ‚berührbar’ nahezubringen und diesem ein Gefühl der Gemeinschaftlichkeit zu vermitteln.“78 Sind Musikvideos prinzipiell in der Lage, sich unter Rückgriff auf Performance-Sequenzen ästhetisch einem Live-Moment anzunähern, intensiviert 76
Wolfgang Welsch: Eine Doppelfigur der Gegenwart. Virtualisierung und Revalidierung. In: Gianni Vattimo/Wolfgang Welsch (Hg.): Medien-Welten Wirklichkeiten. München 1998, S. 229-248, S. 238.
77 78
Ebd., S. 243. Christofer Jost/Lisa Huwyler: Live-Performance und Staridentität. Am Beispiel der Rockband Muse. In: Marcus S. Kleiner/Thomas Wilke (Hg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 149-173, S. 149.
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IT’S MY LIFE diesen Eindruck. Durch die Ausstrahlung einer Darbietung von Bon Jovi über einen Online-Kanal verleiht der Clip der Band den Status des Vorreiters einer neuen Form der Kommunikation zwischen Star und Publikum. Er trifft zugleich eine wertende Unterscheidung zwischen dem ‚originalen‘ Auftritt und seiner medialen Präsentation, die trotz der komfortablen Echtzeitübertragung im Internet nicht an das attraktive Hier und Jetzt des Konzerts heranzureichen scheint. Seit der Entstehung des Web 2.0 hat sich auch die Verbreitung des Musikvideos ins Internet verschoben (Kapitel 2.2). Galten die für MUSIQUE NON-STOP von Kraftwerk generierten Animationen in den 1980er Jahren noch als eine hohe künstlerische Leistung, sind inzwischen auch Personen, die keiner beruflichen Tätigkeit im Bereich der Medienproduktion nachgehen, in der Lage, mithilfe geeigneter Software beeindruckende Clip-Welten zu erschaffen und über Portale wie YouTube Usern zur Verfügung zu stellen. In DENKEN SIE GROß (2015) greifen Deichkind diese Entwicklung auf. Die Bilder ähneln dem Tutorial für ein Grafik-Programm, das als Video im Internet hochgeladen worden ist. Der Betrachter des Clips sieht einen via Webcam zugeschalteten Jungen, der sich beim Publikum dafür bedankt, seinen Online-Kanal aufgerufen zu haben. Am Anfang der ersten Strophe des Songs wechselt das Musikvideo vollständig in eine Desktop-Ansicht. Fortan läuft ein Cursor durch den Kader, verformt Fotos der Bandmitglieder und Bilder verschiedener Geräte sowie Accessoires und kettet sie zu einem gewaltigen Maschinenwesen aneinander. Es ist ein Schulkind, das dem Betrachter die Möglichkeiten aufzeigt, einen eigenen Clip zum Song von Deichkind zu kreieren, der seinen Vorstellungen entspricht. Noch heute entscheiden sich Regisseure auch für Darstellungen von Fernsehbildschirmen und ahmen die Ästhetik des TV-Bildes nach, wie im weiteren Verlauf der Arbeit genauer beleuchtet werden soll. Einige Musikvideos machen anschaulich, dass der Computer über spezifische Eigenschaften verfügt, die die Nutzung des Fernsehens aber nicht überflüssig werden lassen. In einem solchen Vergleich treten die schöpferischen Möglichkeiten, welche das Digitalmedium im Gegensatz zum linearen Programmfluss der Television bereithält, zutage. Dies lässt sich exemplarisch anhand des Clips STRONG ENOUGH (1998) von Cher illustrieren. So nimmt die Sängerin in dem von Nigel Dick vor dem Aufkommen des Web 2.0 gedrehten Musikvideo die Gestalt einer digitalen Figur an, die ein junger Mann für seinen Bildschirmschoner auswählt (Abbildung 21). Nach einem Blitzeinschlag in das Gebäude erwacht sie schließlich zum Leben. Cher löst sich vom Computer, auf dem ihr Abbild entstanden ist, bleibt allerdings weiterhin nur virtuell anwesend. Sie ist zum einen als Lichtprojektion auf Straßenfassaden zu sehen und gelangt zum anderen über eine Reihe von TV-Apparaten, für die sowohl alte als auch neue Geräte ausgewählt worden sind, in andere Wohnungen des Hauses. Stets zieht Cher die neugierigen Blicke der Bewohner auf sich; auch zwei Diebe befinden sich unter den Zuschauern und werden von ihrem Einbruch abgelenkt. In einem der vielen Räume erscheint die Ansicht der Sängerin als Hintergrund eines Videospiels, mit dem sich mehrere Jugendliche vergnügen. Diese im Clip
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wiederkehrende Szene macht auf eine Verwendung von Fernsehmonitoren aufmerksam, welche sich mit der steigenden Popularität von Spielkonsolen seit den 1990er Jahren zum eigenständigen thematischen Motiv des Musikvideos entwickelt hat.79 Geräte verschiedener kommunikativer Kontexte gewährleisten die visuelle Präsenz von Cher. Der Star, so lässt sich schlussfolgern, ist fähig, mediale Grenzen in einer sich ausdifferenzierenden Bildschirmkultur zu überschreiten. Er verbindet demnach Vergangenheit und Gegenwart, ist dem technischen Fortschritt zugewandt und bleibt weiterhin über solche Apparate sichtbar, die einer früheren Zeit angehören. Nicht zuletzt nimmt STRONG ENOUGH Bezug auf den anhaltenden medialen Erfolg der Sängerin selbst. Denn Cher blickt auf eine Karriere als Schauspielerin und Musikerin zurück, deren Anfang in den 1960er Jahren liegt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Sonny Bono bildete sie ein gefeiertes Pop-Duo und begeisterte später mit der Show THE SONNY & CHER COMEDY HOUR (1971-1974) ein breites TV-Publikum. Abbildung 21: STRONG ENOUGH, 1998, M: Cher, R: Nigel Dick.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=tStVSsIAmPw (TC 00:09, 00:14, 01:26)
Fasst man die bisherigen Erkenntnisse über die sich entfaltende Bildschirmkultur zusammen, lässt sich vorläufig sagen, dass der Computer nicht erst mit der Gründung von Video-Plattformen, sondern bereits in den 1980er Jahren einen beliebten Gegenstand der Medienreflexion bildete. Auch hinsichtlich des breiten Spektrums an Kommunikationswegen digitaler Art besteht ein reflexives Moment des Musikvideos, das sich jenseits des Fernsehens selbst in verschiedenen medialen Dispositiven bewegt, 79
Dass Computer- und Videospiele zunehmend einen Platz in der Darstellungswelt des Musikvideos erhalten, geht auch auf eine kommerzielle Funktion der intermedialen Bezugnahme zurück. So steht etwa Eminem in SURVIVAL (2013) während seines Rapgesangs vor einer steinernen Wand, auf die Bilder des im selben Jahr auf den Markt gebrachten Ego-Shooters CALL OF DUTY: GHOSTS (2013) projiziert werden. Vergleichbar mit den in anderen Clips vorhandenen Zitaten aus neuen Kinofilmen und Fernsehserien wirbt das Musikvideo für ein fremdes Konsumprodukt. Vgl. zu den Dispositiven des an unterschiedliche Plattformen geknüpften Mediums Computerspiel Michael Liebe: Die Dispositive des Computerspiels. In: Jan Distelmeyer/Christine Hanke/Dieter Mersch (Hg.): Game over!? Perspektiven des Computerspiels. Bielefeld 2008, S. 73-94, S. 77f.
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vor allem in der technisch vermittelten Ansicht des Sängers oder der Band. Die als Eigenwerbung fungierende Präsentation des Stars über ein elektronisches Anzeigesystem lässt den Betrachter die beobachtete mediale Form auf die des beobachtenden Mediums Musikvideo beziehen und den Clip sich selbst als Teil des Systems der Medien wahrnehmen. Doch obwohl sich Regisseure immer häufiger vom Fernsehen abweichenden Bildschirmtechnologien zuwenden, gebrauchen sie bis heute TV-Apparate als Requisiten, um die Performance des Sängers oder der Band reizvoll in Szene zu setzen, mithilfe künstlerischer Verfahren ein verfremdetes Bild des Gerätes zu entwerfen oder eine im Song enthaltene oder vom Liedtext unabhängige Geschichte zu erzählen, in der dem Fernsehen eine wichtige Rolle zukommt. Das TV-Medium behält ungeachtet seiner abnehmenden Bedeutung für die Produktion, Distribution und Rezeption von Clips einen festen Platz in der Darstellungswelt des Musikvideos.
6.2 I NSZENIERUNG
VON
B ILDERN
DES
F ERNSEHENS
Eine zweite Strategie des Musikvideos, Bezug auf das Fernsehen zu nehmen, besteht darin, die Ansicht eines TV-Inhalts nachzuahmen. Wie die bisherigen Kapitel veranschaulicht haben, kann ein Clip selbst dann den Eindruck erwecken, eine Fernsehsendung zu sein, wenn er ein Empfangsgerät zeigt und den Aufnahmen keine visuellen Elemente, die mit dem Programmmedium verbunden sind, nachträglich hinzugefügt werden. Folgt man Joachim Paechs Überlegungen zur Intermedialität, dann kann ein Illusionsbruch auftreten, sobald der Blick eines fremdmedialen dispositiven Gefüges eine ästhetische Umsetzung findet und das beobachtete Medium nicht bloß als Gegenstand der Narration fungiert.80 Anhand der Vorführung einer Fotografie im Film schildert Paech, dass sich ein solcher Moment unter anderem ereigne, „wenn die – thematische – Fotografie ‚bildfüllend‘ an die Stelle des Bewegungsbildes tritt und in dessen Figuration vorübergehend interveniert [...].“81 Im Fall eines abgefilmten TVMonitors, der im Gegensatz zu Fotografien über eine eigene Dynamik verfügt, solange er eingeschaltet ist und ein Fernsehprogramm überträgt oder andere Aufnahmen zeigt, bleibt der Fluss der Bilder ohne eine Störung erhalten. Doch auch wenn keine Unterbrechung der Formbildung des Clips zu beobachten ist, haben die Bilder einen reflexiven Charakter. Dem Musikvideo ist es möglich, die Form des eigenen Mediums kenntlich zu machen, indem es einen Inhalt des Fernsehens dergestalt in Szene setzt, dass der Betrachter zeitweilig die Perspektive des imaginären oder in der Handlung agierenden Zuschauers übernimmt. In den Kader fügen sich dann die Bilder eines Distributionsmediums, das sich vom Musikvideo unterscheiden lässt und vorgibt, die Voraussetzung für das Zustandekommen der Clip-Ansicht zu sein. 80
Vgl. Paech: Intermedialität des Films, S. 304f.
81
Ebd., S. 304.
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So finden sich Werke, die die Performance eines Stars durch die einleitende Darstellung eines TV-Apparates im Fernsehen verorten. Dies kann am Beispiel des Clips LOVE LOVE LOVE (2008) von James Blunt gezeigt werden. Das Musikvideo beginnt mit einem Prolog, in dem ein Moderator den Auftritt des Sängers ankündigt, bevor sich die Kamera auf eine Wand aus Bildschirmen zubewegt. Auf den Mattscheiben erscheint eine bunte Studiokulisse, in der Blunt mit seiner Band zu sehen ist. Die sich anschließende musikalische Darbietung wird von einem anderen Aufnahmegerät festgehalten, wie die Kamerafahrten durch den im Folgenden nicht mehr von einem Fernsehapparat gerahmten Raum verraten. Ohne die Anfangsszene würde der Eindruck, dass die Aufführung des Songs von Blunt Teil einer TV-Show ist, ausbleiben. LOVE LOVE LOVE beobachtet sich als eine mediale Form des Fernsehens und macht dies anhand der intradiegetischen Monitore deutlich, führt jedoch keine Störung der Formbildung in Gestalt eines Illusionsbruchs herbei. In den folgenden Kapiteln soll untersucht werden, wie sich das Musikvideo bewusst als Fernsehinhalt ausgibt, ohne einen Bildschirm, der die Ansicht des Sängers oder der Band überträgt, in der Diegese präsentieren zu müssen. Unter Rückgriff auf die differenztheoretische Konzeption von Medium und Form gilt es erneut, die visuellen Verfahren freizulegen, mithilfe derer das als mediale Form beobachtete Fernsehen in eine vergleichende Relation zur Form des eigenen Mediums gebracht werden kann.82 Es geht um die Möglichkeiten des Musikvideos, das Fernsehen zu seiner Entstehungsbedingung zu erklären, indem es Merkmale des fremdmedialen Bildes integriert und sich auf diese Weise gesondert als einen Clip, der im TV-Programm läuft, oder als eine vom Clip abweichende Sendung markiert. Wie schon die Analyse der Inszenierung von Bildschirmen einen differenzierten Blick auf die Kontextualisierung der Apparatur hat notwendig werden lassen, so muss auch die Bezugnahme auf von der Apparatur wiedergegebene Bilder daraufhin befragt werden, ob sich die mediale Form der Beobachtung des Fernsehens von der anderer Medien unterscheidet und welche Funktion sie innerhalb des Clips einnimmt. Dabei schöpfen Regisseure aus einem großen Bestand an gestalterischen Elementen, die das Publikum unter anderem mit dem Fernsehen assoziiert (Kapitel 6.2.1). Als ein besonderes reflexives Verfahren, das TV-Medium in den Bildern des Musikvideos als solches zu kennzeichnen, erweist sich das Prinzip der Störung (Kapitel 6.2.2). Darüber hinaus gebrauchen Clips mit unterschiedlichen Zielsetzungen Material, das von einzelnen Fernsehsendern in der Vergangenheit bereits ausgestrahlt worden ist (Kapitel 6.2.3). 6.2.1 Merkmale der Fernsehästhetik Wie an früherer Stelle dargestellt worden ist, lässt sich annehmen, dass die Strategien, einen Fernsehapparat abzubilden und den Eindruck von im Fernsehen gesendeten 82
Vgl. zusammenfassend Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 25f.
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Bildern zu erzeugen, gemeinsam und getrennt voneinander einsetzbar sind (Kapitel 6). Geht man davon aus, dass Clips eine televisuelle Anmutung simulieren können, die der Betrachter als solche zu erkennen vermag, ist eine entscheidende Frage aufgeworfen: Bildet das Fernsehen überhaupt eine Ästhetik aus, die von der anderer Bildmedien zu unterscheiden ist und der sich das Musikvideo reflektierend annimmt? Wie Ralf Adelmann und Markus Stauff konstatieren, sendet das Distributionsmedium Inhalte diverser Quellen, von Computeranimationen über Infrarot- und Ultraschall-Darstellungen bis zu Videomaterial, das mithilfe verschiedener Kameras aufgezeichnet worden sein kann.83 Den beiden Autoren zufolge existieren trotz der bestehenden Anforderungen an das Format, die Auflösung und die Größe der Aufnahmen „heterogene Formen, Stile und Techniken der Visualisierung“, weshalb „[e]s [fraglich] bleibt [...], ob die Bilder des Fernsehens einem einheitlichen Modus folgen und für eine spezifische Wahrnehmungsform stehen.“84 Auch das Musikvideo enthält – unabhängig von seinem Verbreitungsort – statische und bewegte Aufnahmen, die unter Verwendung von mehreren Medientechnologien entstanden sind.85 Welcher Geräte und Bildquellen sich Regisseure bedient haben, ist für das Publikum anhand des Clips zwar oftmals schwierig zu erkennen, da sich explizite Informationen zur Herstellung eines Werks in der Regel jenseits des fiktionalen Kontextes finden lassen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass „MTV mit den technisch hybriden Musikvideos, die häufig unterschiedliche Materialien (Super8, Video, Animation, Special Effects) miteinander kollidieren ließen“86, einst eine faszinierende Alternative zur Gestaltung bisheriger Fernsehformate darstellte, wie Adelmann und Stauff im Anschluss an John T. Caldwells Untersuchung des televisuellen Stils erläutern,87 der sich in den 1980er Jahren durch technologische und institutionelle Veränderungen entfaltete.88 Das Programm von MTV zeichnete sich durch eine Ästhetik aus, „die für gravierende Änderungen der Rezeptionsgewohnheiten [...] verantwortlich gemacht wurde“ und „in der Folge Einfluß auch auf die Herstellung und Gestaltung der audiovisuellen Produkte überhaupt [gewann].“89 83
Vgl. Ralf Adelmann/Markus Stauff: Ästhetiken der Re-Visualisierung. Zur Selbststilisierung des Fernsehens. In: Oliver Fahle/Lorenz Engell (Hg.): Philosophie des Fernsehens. München 2006, S. 55-76, S. 61.
84
Ebd., S. 62.
85
Vgl. ebd., S. 64.
86
Ebd.
87
Vgl. ebd.
88
Vgl. John T. Caldwell: Televisuality: Style, Crisis, and Authority in American Television. New Brunswick, New Jersey 1995, S. 4f.
89
Klaus Neumann-Braun/Michael Barth/Axel Schmidt: Kunsthalle und Supermarkt – Videoclips und Musikfernsehen. Eine forschungsorientierte Literatursichtung. In: Rundfunk und Fernsehen 45 (1997), H. 1, S. 69-86, S. 69.
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Möchte man analysieren, mithilfe welcher ästhetischer Verfahren das Musikvideo auf das Fernsehen referiert und Merkmale des Distributionsmediums reflektiert, gilt es demnach zu berücksichtigen, dass sich die gestalterischen Prinzipien kommerzieller Clips, die ihre Umwelt beobachten, mit denen anderer televisueller Inhalte überschneiden. Die Bildsprache von Sendungen, die – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Erstausstrahlung – als Gegenstand der intermedialen Bezugnahme fungieren, ist nicht immer eindeutig von der des Clips, der Zitate oder Anspielungen enthält, zu unterscheiden. Geht man von der Existenz des Musikvideos als Teil des TV-Programms aus, lässt sich das Medium laut Lisa Gotto „als exemplarisches Fernsehen“90 begreifen (Kapitel 4.2). Denn Clips, so Gotto, spiegeln Eigenschaften ihres Distributionsortes wider, „insofern sie fernsehtypische Merkmale und Möglichkeiten verdichten und sichtbar werden lassen. Dazu gehören technische, ökonomische und ästhetische Spezifika, die sowohl die Produktion als auch die Rezeption des Videoclips als televisuelles Element betreffen.“91 Fasst man das Musikvideo nicht nur als eine Form auf, die ihre Kontur ausschließlich im TV-Medium gewinnt, ist es im Sinne eines Mediums zu untersuchen, das verschiedene Medien in seiner Umwelt als Form wahrnimmt und in Rekurs auf eigene Charakteristika zum Thema macht. Wie Henry Keazor und Thorsten Wübbena feststellen, „kann es dabei [...] zu jener Art Spiraleffekt kommen, bei dem das Element eines Filmes im Rahmen eines Videos aufgegriffen, dort modernisiert und dynamisiert wird, um schließlich in eben dieser mobilisierten Form wieder Eingang in den Film zu finden.“92 Unter Verwendung differenztheoretischer Begriffe lässt sich sagen, dass eine mediale Form Gegenstand der Beobachtung einer von ihr beobachteten medialen Form sein kann. In der Möglichkeit solcher verketteter intermedialer Beobachtungen liegt begründet, dass sich die Verbindungen zwischen dem Musikvideo und seiner Umwelt nicht in der einseitigen Übernahme von filmischen oder anderen Ausdrucksmitteln und Inszenierungspraktiken erschöpfen.93 Als Beispiel für ein visuelles Element, das in einer solchen wechselseitigen intermedialen Bezugnahme seine Form verändert, nennen Keazor und Wübbena den Splitscreen.94 Anhand der Aufteilung des Clip-Kaders lässt sich nicht nur der Einfallsreichtum erkennen, mit dem Regisseure bestimmte Gestaltungstechniken aufgreifen und in einem neuen Kontext einsetzen und verfremden, sondern auch, wie schwierig es ist, das übernommene Element als Kennzeichen eines einzelnen Mediums zu begreifen. Während der Splitscreen im Film gewöhnlich dazu dient, dem Publikum einen Überblick über Handlungen zu geben, die an verschiedenen Orten spielen, und im 90
Gotto: Figurenkonzepte im Videoclip, S. 326.
91
Ebd.
92
Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 171.
93
Ebenso wenig lässt sich der Einfluss von kommerziellen Clips auf Innovationen im Bereich des Spielfilms verallgemeinern. Vgl. ebd., S. 252.
94
Vgl. ebd., S. 171f.
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Fernsehen sowohl die Einblendung von Werbespots gestattet als auch von Formaten wie Nachrichtensendungen genutzt wird, um mehrere Informationen zu den Ereignissen des Tages gleichzeitig zu präsentieren, erhält er im Rahmen des Musikvideos häufig eine abweichende Funktion. Clip-Regisseure verbinden die Gliederung des Kaders mit dem Ziel, einen Solokünstler oder den Frontsänger einer Gruppe unterschiedliche Outfits tragen zu lassen, gemeinsam auftretende Bandmitglieder mit ihren individuellen Instrumenten zu zeigen und nacheinander oder während einer bestimmten Passage des Songs Aufnahmen im Takt der Musik ein- und auszublenden. Sie grenzen Bildbereiche lediglich vorübergehend durch Linien voneinander ab oder verleihen dem Bild eine dauerhafte symmetrische Struktur aus einzelnen Rechtecken. So ist etwa der Kader des Musikvideos GO UP (2017) von Cassius, Pharrell Williams und Cat Power von Anfang bis Ende in zwei Hälften geteilt. Wie der Liedtext eröffnet der Clip eine Fülle von Assoziationen („I don’t know what you’re looking for / But you’re more than welcome with us / Traveling at the speed of mind / To enhance our fight within love“). Die einander gegenübergestellten Darstellungen von Menschen, Tieren und Gegenständen sind so ausgewählt und arrangiert worden, dass sie sich zu geschlossenen, häufig in Bewegung befindlichen Formen ergänzen. Als gleichwertige Bestandteile der Bildkomposition suggerieren sie, in kausalen Beziehungen zueinander zu stehen oder hinsichtlich bestimmter Eigenschaften vergleichbar zu sein. Der Betrachter sieht unter anderem einen DNA-Strang, der sich zu einer Achterbahn fortsetzt, einen entblößten Körper unterhalb des Bildes einer Nonne, einen Klippenspringer, der sich in eine Rakete zu verwandeln scheint, und ein zusammenfallendes Kartenhaus neben der Sprengung eines Gebäudes. Der in GO UP eingesetzte Splitscreen fungiert nicht als dramaturgisches Verfahren der Spannungssteigerung, sondern integriert im Medienalltag selten gemeinsam auftretende Motive, die durch ihre Widersprüchlichkeit Komik erzeugen. BODIES (2009) von Robbie Williams demonstriert, inwieweit das gestalterische Element des Splitscreens in eine Interaktion mit der dargestellten Handlung treten kann. Im Musikvideo, für das Vaughan Arnell engagiert worden ist, unternimmt der Sänger, zeitweilig an der Seite seiner Freundin Ayda Field, mit wechselnden Fahrzeugen eine Spritztour durch die Wüste. Am Ende gelangt er zu einem Flugplatz und tanzt auf der Tragfläche einer stehenden Maschine. Der von Williams mit erhobener Stimme vorgetragene Refrain entwickelt eine Energie, die jedes Mal durch ein Feld aus Kacheln unterstützt wird, in das der Kader zerfällt (Abbildung 22). Die für Spielfilme und TV-Sendungen ungewöhnliche visuelle Gliederung ist auf den Song abgestimmt. Der Clip vervielfacht die Ansicht des Stars, setzt allerdings nicht dasselbe Motiv nebeneinander, sondern hält die Fahrt von Williams in verschiedenen Bewegungsphasen fest. Dadurch, dass die Bilder in einem unterschiedlichen zeitlichen Abstand zueinander die Aufnahme des Sängers zeigen, erzeugen sie eine Wellenform, die auf die hohe Geschwindigkeit hinweist, mit der Williams unterwegs ist und dabei das Kachelmuster zumindest vorübergehend selbst wieder auflöst. Denn während der
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Sänger sein Motorrad nutzt, scheint er die Segmente Stück für Stück zu verdrängen. Es entsteht ein Vollbild, in dem der Protagonist die Tour durch die Wüste zur nächsten Strophe fortsetzt. Abbildung 22: BODIES, 2009, M: Robbie Williams, R: Vaughan Arnell.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=kk-7umYwTig (TC 01:11, 01:19, 01:21)
Auch wenn der Splitscreen als visuelles Element, das der medialen Umwelt des Musikvideos entstammt, von mehreren Regisseuren verfremdet und in Bezug zum Song, der mit dem Clip verknüpft ist, gesetzt wird, ist es problematisch, in ihm die Reflexion auf ein bestimmtes Medium zu sehen. Schließlich findet das Verfahren der Bildteilung seinen Einsatz sowohl in Kino- als auch in Fernsehproduktionen. Weil TV-Sender zu einem frühen Zeitpunkt in der Fernsehgeschichte auch Spielfilme in ihr Programm aufgenommen haben und seit mehreren Jahrzehnten eigene Werke produzieren, die den Inszenierungsstandards des Kinos entsprechen, gehören viele Ausdrucksmittel zur gemeinsamen Seherfahrung des Publikums vor dem Bildschirm und der Leinwand. Eine über einzelne Inhalte hinausgehende Bezugnahme auf das Fernsehen zu identifizieren, wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Clips nicht selten gleich bei mehreren Medien ästhetische Anleihen nehmen. Ob es dem Betrachter gelingt, die unterschiedlichen Verweise zu bestimmen, hängt demnach von seinem Wissen darüber ab, in welcher Ausprägung und Häufigkeit die übernommenen visuellen Elemente in anderen Medien auftreten. Während das Musikvideo auf der Ebene der Bilder eine vergleichsweise eindeutige Verbindung zum Fernsehen herstellt, wenn es über Markierungen wie eingeblendete Logos und Programmhinweise auf den TV-Kontext anspielt oder nicht-fiktionale Sendungen durch den Aufbau einer Studiokulisse nachahmt, bleibt die intermediale Bezugnahme im Fall von visuellen Elementen, die sich Fernsehsendungen mit dem Kinofilm teilen, oftmals diffus. Dies lässt sich anhand eines weiteren gestalterischen Elements ausführen, das in einer engeren Beziehung zum Verlauf der Narration steht. So macht ein Spielfilm den Schlusspunkt seiner Handlung gelegentlich mithilfe einer Kennzeichnung wie der Schrifteinblendung ‚The End‘, die auch dem Fernsehpublikum vertraut ist, bewusst. Die dem Bild hinzugefügten Worte setzten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als visueller Hinweis auf das Ende einer Geschichte durch und standen häufig mit dem Logo der Produktions- und Verleihfirma in Verbindung, bis sie zunehmend den Credits wichen, die immer umfangreicher wurden und schließlich den letzten Teil
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eines Films bildeten.95 Dass auch Fernsehzuschauer dem Ausdruck ‚The End‘ begegnen, erklärt sich daraus, dass das TV-Medium neben neuen Filmen ältere Werke ausstrahlt, die die erwähnte Schrifteinblendung enthalten. Das nicht nur im Fernsehprogramm präsente Musikvideo greift auf das mit dem Kino assoziierte Zeichen zurück. Dies geschieht vornehmlich dann, wenn der Clip eine vergangene Zeit aufleben lässt, die dem Klang des Songs entspricht, oder sich als Spielfilm ausgibt, der einen Spannungsbogen hat, welcher an Werke von längerer Dauer erinnert. Nicht selten kommentiert das Musikvideo sein Ende mit einem Augenzwinkern, indem es die Schlussworte im diegetischen Raum verortet. So ragt etwa in das letzte Bild des INXS-Clips BITTER TEARS (1991) eine Hand hinein, die mit einem Stift „The End“ schreibt, während der Ausdruck in IT’S RAINING AGAIN (1982) von Supertramp auf der Leinwand eines Autokinos und im Western DOS BROS (2015) der Country-Gruppe The BossHoss auf einem Holzschild erscheint. Nach mehreren Aufnahmen einer ausgelassenen Feier schließt auch I GOTTA FEELING (2009) der Black Eyed Peas mit den bekannten sechs Buchstaben. Der Schriftzug ist auf einer Wiese neben einer betrunkenen Frau zu lesen und referiert neben der körperlichen Erschöpfung des dargestellten Partygastes auf das zugehörige Album, welches den Titel The E.N.D. (2009) trägt. Integriert ein Musikvideo das filmische Bildelement, verschiebt es die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Bedingungen des eigenen Werks, das entweder in den Programmfluss des Fernsehens eingebettet ist, der eine kontinuierliche Rezeption gewährleistet,96 oder sich über ein Online-Portal abrufen lässt und bei eingeschalteter Autoplay-Funktion von einem weiteren Clip gefolgt wird. Dies führt zu einer Besonderheit der Wahrnehmung von TV-Inhalten. Denn fragt man nach den Möglichkeiten, die ästhetische Erfahrung des Fernsehzuschauers anstatt der des Kinogängers zu vermitteln, gerät die dem Bildschirmmedium eigene lineare Distribution einzelner Sendungen in den Blick. So handelt es sich nach Raymond Williams bei der als Flow rezipierten Zusammenstellung von heterogenen Programmformaten in technologischer und kultureller Hinsicht um das Charakteristikum des Broadcasting.97 Ausgehend von dieser – im Internet aufbrechenden (Kapitel 4.3) – Kommunikationsstruktur argumentiert Lorenz Engell, dass sich das Fernsehen von anderen Medien wie dem Film dadurch unterscheide, dass seine Bilder ohne ein im Vorfeld festgelegtes Ende fortlaufen und erst in der für eine Störung stets anfälligen Live-Übertragung eines Ereignisses die Möglichkeit des Endens aufscheint.98 Diese 95
Vgl. Michael Schaudig: Das Ende vom „Ende“. Nachruf auf eine filmische Konvention. In: montage/av 12 (2003), H. 2, S. 182-194, S. 184f.
96 97
Vgl. Allan: Musical Cinema, Music Video, Music Television, S. 6f. Vgl. Raymond Williams: Television: Technology and Cultural Form, hg. v. Ederyn Williams. 2. Aufl. London 1990, S. 86.
98
Vgl. Lorenz Engell: Das Ende des Fernsehens. In: Oliver Fahle/Lorenz Engell (Hg.): Philosophie des Fernsehens. München 2006, S. 137-153, S. 140.
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Behauptung ist jedoch differenziert zu betrachten. Wie Sven Grampp und Jens Ruchatz unter Berücksichtigung des Aufbaus von TV-Serien nachweisen, müssen Engells medienphilosophische Überlegungen zur Unendlichkeit des Fernsehens relativiert werden, da der stete Programmfluss eine Sendung nicht daran hindert, die eigene Möglichkeit, aufzuhören, in den Blick zu nehmen, sondern vielmehr einen Impuls für Fortsetzungsgeschichten gibt, mithilfe von verschiedenen gestalterischen und narrativen Mitteln den eigenen vorläufigen Abschluss zu reflektieren.99 Die Autoren zeigen in detaillierten Einzelanalysen, „dass sich ausgerechnet im seriellen Modus des Fernsehens eine veritable Kunst des Endens entwickelt hat.“100 In regelmäßigen Abständen ausgestrahlte fiktionale Serien unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der verhandelten Themen, des Settings und der Figurenkonstellationen, sondern auch darin, ob sie eine Geschichte erzählen, die sich in aufeinanderfolgende Episoden gliedert, oder mehrere Geschichten erzählen, für die jeweils eine Episode produziert wird. Ein wiederkehrender Hinweis auf die zu erwartende Fortsetzung einer begonnenen Handlung ist die Einblendung der Worte ‚To be continued...‘. Sie kennzeichnet den Distributionskontext des Fernsehens und kann in einer Medienreflexion als Wiedererkennungsmerkmal verwendet werden, um den Eindruck einer im TV-Programm übertragenen Sendung zu erwecken. So lässt auch das Musikvideo gelegentlich den Ausgang seiner Handlung offen und betont gleichzeitig das einstweilige Ende der für den Song entwickelten Erzählung. Dass weder die Anzahl der Clip-Episoden einer übergreifenden Geschichte noch der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Vorfeld bekannt sein müssen, beweist das Gangster-Roadmovie TELEPHONE (2010) von Lady Gaga. Der Clip ähnelt hinsichtlich seiner Aufmachung und Länge einem Kurzfilm und lässt die Sängerin an der Seite ihrer Kollegin Beyoncé Knowles in das Zeichenuniversum des Kinoregisseurs Quentin Tarantino eintauchen.101 Die Geschichte baut auf dem Vorgängervideo PAPARAZZI (2009) auf, das den Mord einer von Gaga gespielten Frau an ihrem Freund schildert und ohne Hinweis auf eine Fortsetzung mit der Inhaftierung der Verbrecherin endet. In TELEPHONE bricht die Protagonistin aus dem Gefängnis aus, um mit Knowles in einem Diner den nächsten Mord zu begehen. Nach seiner skrupellosen Tat flieht das Gangster-Duo. Im Kader erscheint der Satz „To be continued...“, bevor das Musikvideo zum Abspann überleitet. Da die Clips eines Interpreten keinem wiederkehrenden Programmplatz innerhalb eines TV-Sendeplans zugeordnet sind, ist bis heute nicht gewiss, ob die Handlung von TELEPHONE in naher Zukunft weitererzählt wird. 99
Vgl. Sven Grampp/Jens Ruchatz: Die Enden der Fernsehserien. Hamburg 2014, S. 25.
100 Ebd., S. 11. 101 Eine ausführliche Analyse findet sich in Simon Rehbach: Komik und Gewalt in Lady Gagas Musikvideo Telephone. Anmerkungen zur Adaption von Quentin Tarantinos Filmsprache. In: Christian Hoffstadt/Nils Bothmann (Hg.): Quentin Tarantino zwischen Komik, Katharsis und Gewalt. Bochum/Freiburg 2016, S. 115-126.
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Eine Parallele zwischen der Entwicklung von Musikvideo und TV-Serie ergibt sich aus dem Wandel ihres gemeinsamen Distributionskanals. So stehen dem mit dem Fernsehen aufgewachsenen Mediennutzer inzwischen eine Fülle von Möglichkeiten der zeitversetzten Rezeption unterschiedlicher Formate zur Verfügung.102 Dies verändert den Konsum spezifischer narrativer Inhalte, wie Umfragen belegen: Abgeschlossene Serien werden eher im Fernsehen und solche mit meist mehreren episodenübergreifenden Handlungssträngen eher online sowie auf DVD am Stück geschaut.103 Es lassen sich vergleichbare Auswirkungen des neuen Verbreitungsortes Internet auf das Musikvideo beobachten. So entwerfen Regisseure zunehmend, wenn auch insgesamt weiterhin selten, Geschichten, die sich über mehrere Episoden erstrecken, seitdem ihre Arbeiten unabhängig vom Fernsehen über Online-Portale aufgerufen werden können. Wie TELEPHONE von Lady Gaga deutlich gemacht hat, bleibt für das Publikum dennoch unklar, wann es mit einer Fortsetzung rechnen kann, die sich in der Regel an den Versuch desselben Interpreten knüpft, mit einem neuen Song, für den ein weiterer Clip produziert wird, in die Charts einzusteigen. In einem größeren narrativen Zusammenhang steht eine Serie von Musikvideos, die unter der Regie von Martin Solveig und Tristan Séguéla entstanden ist. Sie besteht aus Clips zu Singles, die der DJ Solveig aus seinem Album Smash (2011) ausgekoppelt hat. Es handelt sich um Fassungen, in denen der Song mit dem Klang der dargestellten Umgebung verschmilzt und teilweise nur in Fragmenten zu hören ist. HELLO (2010), die erste der insgesamt vier Episoden, ahmt im Verlauf der Handlung gleichzeitig das Bild eines anderen TV-Inhalts nach. So dreht sich der Clip um ein Tennisspiel, in dem Solveig gegen seinen französischen Kollegen Bob Sinclar antritt (Abbildung 23). Er eröffnet mit einem rund zweieinhalbminütigen Gespräch zwischen dem Star und seinem Manager, während eine Männerstimme im Off die Figurenkonstellation schildert. Als Solveig und Sinclar kurz darauf das Spielfeld betreten, sind im Stadion die ersten elektronischen Klänge des Songs zu hören, noch überlagert vom euphorischen Jubel der Besucher, die auf den Tribünen Platz genommen haben. Im unausgeglichenen Duell verliert Solveig jeden Satz ohne Punktgewinn. Als Sinclar vor seinem Matchball steht, setzt die Musik zugunsten einer andächtigen Stille auf den Zuschauerrängen aus. Der im Originalton wiedergegebene Moment kündigt einen Wendepunkt im Wettkampf an, denn Solveig beginnt einen Streit mit dem Schiedsrichter, da dieser seinen Rückschlag im Aus sieht. Mit der Unterstützung des plötzlich 102 Vgl. Uwe Hasebrink: Lineares und nicht-lineares Fernsehen aus der Zuschauerperspektive: Spezifika, Abgrenzungen und Übergänge, 2009, URL: https://www.hans-bredow-insti tut.de/webfm_send/651 (01.06.2018), S. 1-62. 103 Vgl. Annekatrin Bock: Der ‚Zuschauer von morgen‘ – Fernsehserienrezeption im Wandel. In: Susanne Eichner/Lothar Mikos/Rainer Winter (Hg.): Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien. Wiesbaden 2013, S. 381394, S. 389f.
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heraneilenden Tennisstars Novak Đoković überzeugt er den Unparteiischen, dass der Ball die Linie berührt hat. Zur energiegeladenen Musik, die den akustischen Raum nun wieder vollständig ausfüllt, unternimmt Solveig eine Aufholjagd. Dass eine von ihm geliebte Frau auf der Tribüne sitzt, motiviert ihn zusätzlich. Neben der Zuschauerin nimmt der Tennisspieler Gaël Monfils Platz. Er küsst seine Sitznachbarin, woraufhin Solveig enttäuscht aufgibt und den Wettkampf beendet. Abbildung 23: HELLO, 2010, M: Martin Solveig feat. Dragonette, R: Tristan Séguéla/Martin Solveig.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=7uUL8ELhnp8 (TC 04:06, 07:21)
Wie Solveig in einem Interview mitteilt, erhielt er für den Dreh seines Tennisduells im Stade Roland Garros die Erlaubnis, zwischen zwei Spielen, die im Rahmen der French Open ausgetragen wurden, jene Kameratechnik zu gebrauchen, die man für die Übertragung vor Ort aufgebaut hatte.104 Dem Betrachter bietet sich daher eine aus dem Fernsehen bekannte Perspektive. Der Eindruck, einem TV-Ereignis beizuwohnen, entsteht nicht durch einen in der Handlung auftauchenden Bildschirm, sondern durch die Tatsache, dass der Clip zentralen Prinzipien der Wiedergabe eines Sportwettkampfes folgt und das Aufnahmedispositiv im Hintergrund bleibt. Wie Solveig und Séguéla halten Fernsehregisseure das Spielgeschehen in einer totalen Aufsicht fest und schalten zwischendurch Kameras hinzu, die in Bodennähe positioniert sind und Gesten sowie Emotionen von einzelnen Personen fokussieren.105 Darüber hinaus begleiten in HELLO die Stimmen zweier Kommentatoren den Wettkampf, der Punktestand wird immer wieder eingeblendet. Auch wenn sich der Clip der Wahrnehmung eines im TV-Programm übertragenen Tennisspiels annähert, weicht er von herkömmlichen Darstellungspraktiken ab, um dem Betrachter einen Mix aus Aufnahmen eindrucksvoller und überraschender Körperbewegungen zu bieten, welcher den Siegeswillen und die Fertigkeiten der beiden Kontrahenten und die Dynamik des Songs von 104 Vgl. Martin Solveig, zit. n. Philip Sherburne: Martin Solveig on Madonna, ‚Hello‘, and Hijacking the French Open. In: Spin, 10.09.2012, URL: http://www.spin.com/blogs/mar tin-solveig-on-madonna-hello-and-hijacking-the-french-open (01.06.2018). 105 Vgl. Laurent Guido: Von der gefilmten Darbietung zum virtuellen Spektakel. Tennis und TV-Dispositiv. In: montage/av 17 (2008), H. 1, S. 61-88, S. 69.
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Solveig betont. Während die Produktion von Bildern für das Fernsehen laut Laurent Guido trotz der Veränderungen des technischen Dispositivs in den letzten Jahren den „Wunsch“ erkennen lässt, „das sportliche Geschehen so wenig wie möglich zu fragmentieren“, folgt die Inszenierung des Musikvideos nicht dem Ziel, „die räumliche Integrität der Darbietung(en) zu wahren, die Wechselwirkung der präsenten Kräfte zu verstehen und sicherzustellen, dass den visuellen Informationen so vollständig wie möglich Rechnung getragen wird.“106 Stattdessen enthält HELLO einen Zusammenschnitt spektakulärer Schläge, die auf den Beat der treibenden Musik montiert werden, ohne einen Überblick über die Ballwechsel zu geben. Ein weiteres Mal irritiert der Clip die Fernseherfahrung des Betrachters, wenn er mit den für ein Sport-Event ungewöhnlichen Worten „To be continued...“ andeutet, fortgesetzt zu werden. Drei andere Musikvideos führen die Geschichte weiter. Wie HELLO sind sie auf YouTube hochgeladen worden und bilden eine Webserie, in der Solveig kontinuierlich versucht, einen internationalen Erfolg als Musiker zu erzielen, und immer wieder den Weg der von ihm begehrten Frau kreuzt. Der Sänger reist mit seinem Manager nach Singapur, tritt während eines Fußballspiels im Stade de France auf und erobert in der letzten Episode nach einem Kinobesuch schließlich das Herz seiner Geliebten. Die langen Versionen der Musikvideos leiten mit einem „Previously on...“ ein, um die Handlung der vorangegangenen Teile zu schildern. Sie gebrauchen ein narratives Verfahren, das „über seine Existenz erst die zeitliche Lücke [markiert], die zumindest bei der Ausstrahlung im Fernsehen zwischen zwei Episoden klafft und [...] sich materialiter selbst als Kompilation ihrem Zusammenhang enthobener Elemente [präsentiert].“107 Damit übernimmt die Serie von Solveig einen fernsehtypischen Aufbau, der gewährleistet, dass das Publikum Inhalte einzelner Episoden in einen übergreifenden Kontext einordnen kann, für ein besseres Verständnis der Geschichte eines der vier Clips jedoch nicht erforderlich ist, wenn sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung einer neuen Episode die zurückliegenden Episoden auf einem Online-Portal wie YouTube hintereinander anschauen lassen. Ein zentraler Befund liegt darin, dass die Möglichkeit des Betrachters, ein Musikvideo im Internet aufzurufen und nicht das Programm des Musikfernsehens einschalten zu müssen, den Anlass für Regisseure gibt, häufiger das im Fernsehen etablierte Konzept der Serie in ihren Clips umzusetzen. Die bisherigen Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie visuelle Elemente, die unterschiedlich eng mit im Fernsehen gesendeten Inhalten verknüpft sind, in ihre Formbildung einbinden. Ferner ist das Musikvideo in der Lage, sich selbst als einen in das TV-Programm aufgenommenen Inhalt zu reflektieren, indem es vorführt, dass seine Form neben anderen Formen im Distributionsmedium Fernsehen gebildet wird. 106 Ebd., S. 71. 107 Judith Lehmann: „Good Morning, Cicely“ – Serien-Anfänge, -Expositionen, -Ursprungsmythen. In: Arno Meteling/Isabell Otto/Gabriele Schabacher (Hg.): „Previously on...“. Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien. München 2010, S. 75-94, S. 93.
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Dies veranschaulicht der von Steve Barron inszenierte a-ha-Clip THE SUN ALWAYS SHINES ON TV (1985). Er setzt die Handlung eines früheren Werks der Band fort und macht darüber hinaus den linearen Verlauf des TV-Programms innerhalb der eigenen Bilderwelt sichtbar. Als narrativer Ausgangspunkt fungiert die letzte Szene des Musikvideos TAKE ON ME (1985), das erzählt, wie Morten Harket in Gestalt einer Comicfigur eine junge Frau kennenlernt. Der Frontmann der Gruppe a-ha ist als Protagonist einer Bildergeschichte in einer Zeitschrift zu sehen, die von einer Cafébesucherin in den Händen gehalten wird. Er nimmt die Leserin mit in seinen Zeichenkosmos und folgt ihr, als sie in die Realität zurückkehrt. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Betrachter des Clips noch nicht, dass der gemeinsame Moment im Raum jenseits des Comics nur ein vorläufiges Happy End darstellt. So beginnt THE SUN ALWAYS SHINES ON TV mit einer Abschiedsszene, in der sich Harket wieder in ein Zeichentrickwesen transformiert. Er scheint die diegetische Grenze des Comics nicht dauerhaft überwinden zu können. Für ein Publikum, das den im selben Jahr veröffentlichten ersten Teil der clipübergreifenden Erzählung kennt, ist die Trennung des Paares eine Überraschung. Es ist keine Minute vergangen, sobald THE SUN ALWAYS SHINES ON TV die Liebesgeschichte mit den Worten „The End“ einen Abschluss finden lässt und als ein zusammenhängendes filmisches Werk deklariert, das im Fernsehen übertragen wird (Abbildung 24). Formt der altmodische Schriftzug ‚The End‘ „einen Teil, der im Film platziert ist, aber auch auf ein Außen, ein Danach verweist“108, erlischt im Kino nur wenig später das Bild auf der Leinwand. Die Television verbindet hingegen einzelne Sendungen miteinander zu einem heterogenen, fortlaufenden Programm, wie der Clip im Anschluss an das Filmende demonstriert. So wechselt die Ansicht auf ein schmaleres Format, staucht das Bild und betont die Differenz zum nun folgenden Fernsehinhalt.109 Harket verkörpert demnach die Hauptfigur eines Comics innerhalb eines Films, der Eingang in das Unterhaltungsangebot des TV-Mediums gefunden hat. Abbildung 24: THE SUN ALWAYS SHINES ON TV, 1985, M: a-ha, R: Steve Barron.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=a3ir9HC9vYg (TC 00:48, 01:01, 02:27) 108 Alexander Böhnke: Paratexte des Films. Über die Grenzen des filmischen Universums. Bielefeld 2007, S. 37. 109 Vgl. zu den Praktiken der Integration von Kinofilmen ins TV-Programm in diesem Zusammenhang ebd., S. 115-136.
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Während des Filmausschnitts, den THE SUN ALWAYS SHINES ON TV enthält, ist der Refrain des Songs von a-ha zu hören. Er erklingt noch vor der ersten Strophe und bezieht sich inhaltlich auf den Titel des Stücks. Der Liedtext gibt zu verstehen, dass Heiterkeit und Erfüllung ihren Ort im Medium Fernsehen haben: „Touch me / How can it be? / Believe me / The sun always shines on TV / Hold me / Close to your heart / Touch me / And give all your love to me / To me.“ Die ästhetische Besonderheit des Musikvideos besteht darin, nach der filmischen Eingangssequenz das Logo eines TVSenders einfliegen und den eigenen Betrachter sich in der Rolle eines Fernsehzuschauers wahrnehmen zu lassen. „You are watching Channel 3“, steht auf einem computeranimierten Monitor, der in einer langsamen Drehbewegung den Kader füllt. Zu einer ansteigenden Tonfolge fügen sich die Buchstaben des Bandnamens hintereinander ins Bild. Der Clip bereitet sein Publikum visuell und auditiv auf den Hauptteil vor. Nachdem der mit wehmütiger Stimme vor einem sanften Klangteppich aus SynthieSounds vorgetragene Refrain das Ende des in TAKE ON ME begonnenen Films untermalt hat, schwillt die Musik an und mündet mit lauten Gitarren im eigentlichen Song, den a-ha in einer Kirche darbieten. Die Band steht im Mittelpunkt des Saals, ihre Performance findet vor mehreren Schaufensterpuppen statt. Im Hintergrund streckt sich eine Mauer aus Plastikgesichtern in die Höhe. Der dicht gefüllte Raum erinnert an die Situation eines öffentlichen Konzerts. Zugleich kann er als reflexiver Hinweis auf jene massenmediale Konstellation aufgefasst werden, in der das vor dem eigenen Bildschirm sitzende Publikum den begehrten Star wahrnimmt. Indem THE SUN ALWAYS SHINES ON TV für einen kurzen Moment das Ende eines fiktionalen Segments im TV-Programm wiedergibt, die bewegten Bilder sich also nicht über die gesamte Dauer mit denen des Films decken, imitiert das Musikvideo eine vom Fernsehen hervorgerufene sequenzielle Betrachtungsweise. Durch die Abfolge von Filmausschnitt, animiertem Senderlogo und musikalischer Performance schreibt der Clip dem Fernsehen nicht ein spezifisches Material zu, sondern bringt die materielle Vielfalt als Eigenschaft des durch Re-Visualisierungen gekennzeichneten Distributionsmediums zur Ansicht.110 Gleichzeitig verringert sich die empfundene Differenz, in der die Programmsegmente zueinander stehen, dadurch, dass die Formbildung des Songs trotz des Übergangs zwischen einzelnen Sendungen erhalten bleibt. Der Clip verpflichtet sich in seiner gesamten Anlage der Funktion, die Musik von a-ha ohne Unterbrechungen zu präsentieren, anstatt die Fernsehrezeption in Bild und Ton ästhetisch authentisch nachzuahmen. Des Weiteren rekonstruiert THE SUN ALWAYS SHINES ON TV nicht die mit MTV verbundene Dauerschleife audiovisueller Clips, in der a-ha mit ihrem eigenen Werk zu sehen sind. Stattdessen suggerieren die Bilder, dass das Musikvideo von einem alternativen Kanal ausgestrahlt wird. Die Sonne scheint nicht nur auf MTV. Die Band überrascht den Zuschauer insofern, als sie in Distanz zu jenem Sender tritt, der mit 110 Vgl. Adelmann/Stauff: Ästhetiken der Re-Visualisierung, S. 61f.
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einem 24-stündigen Clip-Programm in den 1980er Jahren für eine neue Erfahrung des Fernsehens sorgte. „MTV is TV at its most typical, most televisual“, behauptet etwa John Fiske fasziniert: „The segmented medium, a mosaic of fragments: not sense but sensation.“111 Auch THE SUN ALWAYS SHINES ON TV setzt auf die visuelle Attraktion des Betrachters, ohne als Teil des von Fiske beschriebenen Mosaiks wahrgenommen zu werden. Dass a-ha ihre musikalische Darbietung der Präsenz im Spielfilm entgegensetzen, sogar über einen eigenen TV-Kanal zu verfügen scheinen und den Song in einem sakralen Gebäude als Predigt inszenieren, spielt humorvoll auf die Popularität an, welche die Band durch das Musikfernsehen gewonnen hat. Schließlich erhielt die Karriere der Musiker erst kurz zuvor einen Auftrieb, als sich MTV dazu entschloss, den Clip TAKE ON ME auszustrahlen.112 Vor dem Hintergrund der medienhistorisch engen Verflechtung von Musikvideo und Fernsehen ist es nachvollziehbar, dass sich die gestalterischen und narrativen Mittel, welche Clip-Regisseure gebrauchen, nicht nur im Kinofilm vorformuliert finden, sondern Verfahren sind, die das Publikum in einigen Fällen auch mit dem Programm des Fernsehens assoziiert. Die Inszenierungspraktiken werden in einer abgewandelten Form eingesetzt, ohne immer zuverlässig die Illusion aufzubauen, dass es sich beim Musikvideo um ein bestimmtes TV-Format handelt. Eine vorläufige Ausnahme bilden Werke, die sich reflexiv als Fernsehinhalte betrachten, die in einen Sendeplan eingebettet sind. Eine solche Beobachtung der eigenen medialen Bedingungen wird durch inszenierte Störungen ergänzt. Diese können die Materialität eines Mediums sichtbar machen, auf dem die Formbildung des Musikvideos beruht, wie im Folgenden untersucht werden soll. 6.2.2 Bildstörungen Technisch-materielle Störungen sind ein Ausgangspunkt für reflexive Darstellungen, mit deren Hilfe das Musikvideo nicht nur Bezug auf das Fernsehen nehmen, sondern auch die Ästhetik anderer Medien nachahmen kann. Wie Thomas Weber in seiner Studie zur Inszenierung futurischer Medien im Film über die menschliche Wahrnehmung von Kommunikationstechnologien schreibt, „[tritt] Medialität [...] erst durch eine Störung hervor, einen Defekt, der das reibungslose Funktionieren des Mediums 111 Fiske: MTV, S. 77. 112 Laut Stan Jeffries verkaufte die Band nach der Erstveröffentlichung ihrer Debüt-Single nur wenige Kopien, eine mit Drumbeat und Synthesizer-Klängen ausgestattete Version ist ebenfalls gefloppt. Als der Song im nächsten Jahr ein drittes Mal herausgebracht wurde und dem musikalischen Geschmack der Zeit entsprach, begleitete ihn schließlich ein für das Musikfernsehen produzierter Clip, der einen wichtigen Faktor für den sich plötzlich einstellenden Erfolg von a-ha darstellte, so Jeffries. Vgl. Stan Jeffries: Encyclopedia of World Pop Music, 1980-2001. Westport, Connecticut/London 2003, S. 5f.
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aussetzt und so dessen Funktion durch ihre Abwesenheit dem Betrachter schockartig bewusst macht.“113 Der mit der gestalterischen Umsetzung solcher Ereignisse einhergehende Illusionsbruch (Kapitel 5.2) ist Gegenstand verschiedener Ansätze.114 Differenztheoretisch betrachtet entstehen medienspezifische Störungen, die den Rezipienten Medium und Form eines Produkts – zum Beispiel in Gestalt einer bestimmten Bilder- oder Tonfolge – unterscheiden lassen. Ihre vielfältigen Erscheinungsweisen und Funktionen innerhalb des Musikvideos herauszuarbeiten, erfordert angesichts der Komplexität des audiovisuellen Untersuchungsgegenstandes eine aufmerksame Analyse. Denn visuelle und auditive Muster lassen sich gezielt nutzen, um entweder den wirklichen oder fiktiven Träger, der dem Song oder dem Clip zugrunde liegt, in den Vordergrund zu rücken oder auf die Anwesenheit des Distributionsmediums hinzuweisen, über das eines der beiden Produkte Verbreitung findet. Geht man zunächst der Einbettung von Störungen auf der Tonebene nach, so ist zu berücksichtigen, dass in vielen Fällen nachträgliche Verfremdungen des Gesangs und computergenerierte Soundeffekte, die das Musikstück prägen, als Ausdrucksmittel wahrgenommen werden, die dem Illusionsaufbau nicht entgegenstehen müssen. Die oftmals in wiederkehrenden Passagen des Liedes auftretenden Klangvariationen schaffen zwar ein ungewohntes Hörerlebnis, das den erfahrenen Rezipienten an einzelne technische Verfahren der Songproduktion denken lässt. Es handelt sich jedoch um musikalische Merkmale, die als Zeichen künstlerischer Individualität der Formbildung des entsprechenden Songs anhaften, ohne den Verlauf der Rezeption zu unterbrechen. Einige Klangvariationen kennzeichnen die Musik bestimmter Stars. Der Gesang der Rapperin Missy Elliott ist zum Beispiel häufig mit einem digitalen Filter versehen, der – anstelle ihrer natürlichen Stimme – als Wiedererkennungsmerkmal dient.115 Die Bandbreite ähnlicher Geräusche ist groß. Anzutreffen sind zunehmend analoge Störungen, die den medialen Status des Songs anzeigen können und in einer Zeit der digitalen Speicherung, Verarbeitung und Wiedergabe von Tönen nostalgisch 113 Weber: Medialität als Grenzerfahrung, S. 88. 114 So hebt unter anderem Dieter Mersch in der von ihm erarbeiteten negativen Medientheorie das reflexive Potenzial künstlerischer Werke hervor, die die eigenen Entstehungsbedingungen zum Vorschein bringen: „[...] [D]ie Materialität des Mediums, seine Ex-sistenz als Spur [zeigt sich] im Augenblick des Ausfalls, anhand von Bruchstellen, Friktionen und Verwerfungen, die sich im Material manifestieren, oder vermöge ihrer Vergänglichkeit, ihrer ‚Erosion‘ [Herv. i.O.].“ Dieter Mersch: Medialität und Undarstellbarkeit. Einleitung in eine ‚negative‘ Medientheorie. In: Sybille Krämer (Hg.): Performativität und Medialität. München 2004, S. 75-95, S. 83. 115 Vgl. Mercedes Bunz: Das Mensch-Maschine-Verhältnis. Ein Plädoyer für eine Erweiterung der Medientheorie am Beispiel von Kraftwerk, Underground Resistance und Missy Elliott. In: Jochen Bonz (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter. Frankfurt a.M. 2001, S. 272290, S. 283f.
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anmuten.116 Oftmals gehen solche Geräusche mit Darstellungen von Medien einher, über die der Song in der Handlung des Clips abgespielt oder ausgestrahlt wird. Beispielhaft lässt sich dies anhand von Schallplatten festmachen, die als Tonquelle präsentiert werden, um eine eigene klangliche Atmosphäre aufzubauen. Sieht und hört der Betrachter, dass eine Aufnahme vorliegt, konzentriert er sich vor allem auf den Gesang des Stars, der sein Lied im Musikvideo in der Regel selbst vorträgt. So bedeckt etwa ein Knistern die ersten Takte des Clips PURSUIT OF HAPPINESS (2009) von Kid Cudi, MGMT und Ratatat. Eine Vinylscheibe wird in Schwung versetzt, um den Soundtrack für eine Feier erklingen zu lassen, die der Sänger kommentiert und in Zeitlupe wahrnimmt. Dasselbe Klangmuster knüpft sich an das Intro von I’M OUTTA LOVE (1999) von Anastacia. Auch dort macht eine aufgelegte Schallplatte bewusst, dass zumindest die Musik als Playback vorliegt. Anastacia bietet ihr Lied auf einer Bühne mit Tänzern, aber ohne Band dar, während ein weiblicher DJ am Mischpult steht. Dies verweist auf die besondere Bedeutung der Schallplatte im gestalterischen Kontext des Scratchens. So beeinflusst ein DJ durch gezielte Bewegungen der Scheibe die Formbildung der Musik in Bezug auf Rhythmus und Geschwindigkeit. Einige Clips visualisieren, auf welche Weise der Klang hervorgebracht wird, was für das Publikum der Performance meist nicht wahrnehmbar ist.117 (YOU DRIVE ME) CRAZY (1999) von Britney Spears lässt den Song sogar kurzzeitig pausieren. Der Stillstand der medialen Formbildung auf der Tonebene ist in der Remix-Version des Songs enthalten. Im zugehörigen Clip hält ein DJ die rotierende Schallplatte mit dem Hit von Spears an und zieht die Aufmerksamkeit für wenige Sekunden auf sich. Die ungewöhnliche Störung steigert den Momentcharakter der dargestellten Darbietung. Schließlich „bemisst sich [[i]n einer solchen Situation] die Augenblicklichkeit der Aufführung an der situativen Gegebenheit durch das Publikum und der Inszenierung des DJ-Handelns.“118 Der Umgang mit der Schallplattenästhetik im Musikvideo deutet bereits an, dass technisch basierte Störereignisse hinsichtlich ihres Einflusses auf die Rezeption darin voneinander abweichen, ob sie als ein sich wiederholendes Element des Produkts zu erkennen sind oder die Formbildung des Mediums abrupt enden lassen. Neben dem Song kann sich eine Störung auch auf die mediale Form des Bildes beziehen. Dabei muss sie weder mit dem Klang der Musik korrespondieren noch von zusätzlichen 116 Vgl. zu diesem Befund, den im vorliegenden Kapitel exemplarisch genannten analogen Störungen im Kontext der Popmusik und der Ästhetik mit filmischen Kratzern versehener Musikvideos Kristian Kißling: Unsinn lesen, Unsinn hören. Rauschen im Grafikdesign und in der Popmusik. In: Andreas Hiepko/Katja Stopka (Hg.): Rauschen. Seine Phänomenologie und Semantik zwischen Sinn und Störung. Würzburg 2001, S. 191-205. 117 Vgl. Thomas Wilke: Put the needle on the record! Zur Performativität und Medialität des Scratchens. In: Marcus S. Kleiner/Thomas Wilke (Hg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 415-434, S. 419. 118 Ebd., S. 418.
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Soundeffekten begleitet sein. Analoge Störungen visueller Art werden ebenfalls von Clip-Regisseuren, die danach streben, ihr Publikum kognitiv und emotional anzusprechen, umfangreich erprobt. Ein typisches Beispiel sind Lens Flares, deren Einsatz sowohl im Musikvideo als auch im Spielfilm in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. Laut Barbara Flückiger bezeugen mit Lichtbrechungen versehene Sequenzen vor dem Hintergrund der Digitalität des filmischen Bildes die Existenz eines physischen Aufnahmegerätes, wobei ihr „Gebrauch [...] besonders in modellierten Einstellungen so verbreitet [ist], dass der Effekt fast schon als Hinweis auf die künstliche Entstehung des Bildes zu lesen ist – eine Wirkung, die verstärkt wird, indem diese Reflexe auffällig wohlgeordnet im Bild auftauchen.“119 Visuelle Störungen können in grundsätzlich zwei verschiedenen Formen beobachtet werden. Sie breiten sich entweder im gesamten Kader aus und verweisen auf die Materialität des Clips selbst oder erscheinen in einem intradiegetischen Bildmedium. Im ersten Fall stellen Regisseure vielfach den medialen Träger Film zur Schau, unabhängig davon, ob er tatsächlich Verwendung gefunden hat. Dafür werden entweder manuell oder mithilfe von Software am Computer Kratzer hervorgerufen und auf einzelne Darstellungsebenen verteilt oder über den vollständigen Clip gelegt. Dies erlaubt es, eine fehlende Widerstandsfähigkeit des Materials beziehungsweise den bewussten Verzicht auf eine ästhetische Perfektion zum Ausdruck zu bringen. Dass auch im 21. Jahrhundert mit der Hand ausgeführte Modifikationen eine wichtige Rolle bei der Herstellung eines außergewöhnlichen ästhetischen Eindrucks des Clips spielen, bestätigt das mehrfach ausgezeichnete Musikvideo BOULEVARD OF BROKEN DREAMS (2004) von Green Day. Es ist bedeckt von Schmutzflecken, Schrammen, Rissen und Brandlöchern, zu deren Entstehung der Regisseur Samuel Bayer angibt, das Negativ mit Rasierklingen sowie Zigaretten behandelt und einige Tage in der Dusche liegen gelassen zu haben (Abbildung 25).120 In den deutlichen Spuren spiegelt sich die Vergänglichkeit der Hoffnung wider, welche die Punk-Rock-Gruppe thematisiert. „My shadow’s the only one that walks beside me / My shallow heart’s the only thing that’s beating / Sometimes I wish someone out there will find me / ’Til then I walk alone“, singt Billie Joe Armstrong über das bedrückende Gefühl der Einsamkeit, während er sich mit seinen Bandkollegen auf den Weg durch eine karge Steppenlandschaft macht. Die Beschädigungen des filmischen Materials widersprechen dem gewohnten Bildeindruck hochwertiger Clips. Visuelle Merkmale dieser Art zeigen ein vermeintlich 119 Barbara Flückiger: Zur Konjunktur der analogen Störung im digitalen Bild. In: Jens Schröter/Alexander Böhnke (Hg.): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung. Bielefeld 2004, S. 407-428, S. 420. 120 Vgl. Samuel Bayer, zit. n. James Montgomery: Green Day’s ‚Dreams‘ Slashed and Dumped in a Shower: VMAs Behind the Camera. In: MTV News, 12.08.2005, URL: http://www. mtv.com / news / 1507511 / green-days-dreams-slashed-and-dumped-in-a-shower-vmas-be hind-the-camera (01.06.2018).
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eingeschränktes Budget an und suggerieren, dass es sich um eine Indie-Rock-Gruppe handelt, die die eigene künstlerische Ausdruckskraft der aufwendigen, profitorientierten Produktion eines Musikvideos vorgezogen hat.121 Ähnlich dem bewussten LowFidelity-Klang eines Songs erweckt die Abweichung von bildästhetischen Prinzipien industrieller Waren den Anschein einer authentischen Unabhängigkeit.122 Folgt man der Logik, so geben Green Day ausgerechnet im Clip zu einer ihrer kommerziell erfolgreichsten Singles zu verstehen, nicht zum Mainstream zu gehören. Abbildung 25: BOULEVARD OF BROKEN DREAMS, 2004, M: Green Day, R: Samuel Bayer.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Soa3gO7tL-c (TC 00:38, 00:45, 01:14)
Da Störungen mithilfe unterschiedlicher Manipulationen des Bildes erzeugt werden können und für diesen Zweck ein breites Spektrum an digitalen Verfahren zur Verfügung steht, vermag das Musikvideo nicht nur eine filmische Ästhetik vor Augen zu führen, sondern auch das Material anderer Trägermedien wie das Papier einer Zeitschrift, die Steine einer mit Graffiti besprühten Hausfassade, den Kunststoff eines Werbeplakats, die Leinwand eines Kinos oder das Band einer Videokassette nachzuahmen. Ein Werk der bildenden Kunst fungiert in VIVA LA VIDA (2008) von Coldplay als Grundlage der visuellen Inszenierung und verortet die Band in der Vergangenheit. So verweist der Clip auf das Gemälde LA LIBERTÉ GUIDANT LE PEUPLE (1830) von Eugène Delacroix. Chris Martin und seine Kollegen spielen ihren Song vor einem Hintergrund aus dunklen Schlieren, die zu beeindruckenden Wolkenformationen zusammenfließen, während eine Struktur aus brüchiger Ölfarbe den Kader bedeckt. Die historische Anmutung unterstreicht zum einen die Stimmung des Auf- beziehungsweise Umbruchs, welche durch die kraftvolle Musik vermittelt wird, und zum anderen das Thema des Liedtextes, der sich der zurückliegenden Herrschaft eines Königs widmet („I used to rule the world / Seas would rise when I gave the word / Now in the morning I sleep alone / Sweep the streets I used to own“). Das Motiv der französischen Julirevolution ist ebenfalls auf dem Cover des zugehörigen Albums Viva la Vida or Death and All His Friends (2008) zu finden, wird dort allerdings detailgetreu und ohne die Mitglieder von Coldplay abgebildet. 121 Vgl. Strachan: Music Video and Genre, S. 194f. 122 Vgl. ebd., 196f.
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Wie die vorangegangenen Beispiele deutlich gemacht haben, verfügt eine irritierende Störung nicht nur über ein destruktives, sondern auch über ein produktives Potenzial.123 Ein Musikvideo, dessen Materialität zum Vorschein kommt, ist in der Lage, die aufgebaute fiktionale Illusion im Sinne einer Selbstbeobachtung aufzuheben (Kapitel 5.2), und erlaubt es dem Betrachter stets, sich den Produktions-, Distributionsund Rezeptionskontext eines spezifischen Mediums vorzustellen. Über die in BOULEVARD OF BROKEN DREAMS und VIVA LA VIDA enthaltenen Spuren ist demnach zu sagen, dass sie dem Publikum zum einen den Konstruktcharakter des jeweiligen Clips bewusst machen und durch die Referenz auf einen beschädigten Film beziehungsweise auf ein altes Gemälde eigene Bedeutungen hervorbringen und damit zusätzliche Möglichkeiten der Interpretation des gesamten Werks schaffen. Störungen dieser Art lassen sich auf verschiedene Weise rezipieren, sie treten „zugleich als Operationsform und als Reflexionsform des Medialen“124 auf. Wie sie wahrgenommen und im Abgleich mit der Gestaltung der übrigen Bilder bewertet werden, hängt von unterschiedlichen Merkmalen ihrer Darstellung ab. So weisen BOULEVARD OF BROKEN DREAMS und VIVA LA VIDA über die gesamte Dauer und unabhängig vom Klang des Songs Störungen auf, die die mediale Beschaffenheit der Bilder glaubwürdig vergegenwärtigen. Doch wird die Materialität in einem einzigen Moment, der sich im Verlauf der Geschichte noch nicht auf eine ähnliche Weise ereignet oder angekündigt hat, zur Anschauung gebracht, entsteht ein Illusionsbruch, der an die Wahrnehmung eines realen Ausfalls der medialen Präsentation eines Clips heranreichen kann.125 Es ist zu vermuten, dass sich die Aufmerksamkeit des Betrachters insbesondere dann vom Inhalt auf den medialen Status des Musikvideos verschiebt, wenn der Filmstreifen, welcher vermeintlich oder tatsächlich gebraucht worden ist, in Flammen aufgeht oder in der Mitte durchreißt und keine weiteren Bilder zu sehen sind. Ein solcher Hinweis auf die mediale Formbildung steht zum Beispiel am Ende von HOW DO YOU DO! (1992). Der Clip von Roxette zeigt, wie das Duo seinen Song vor einer Leinwand darbietet und ein Kameramann die Performance filmt. Die Aufnahmen sind durch eine Variation von Farbsättigung sowie Bildschärfe und -geschwindigkeit verfremdet und werden von Filmdokumenten unterbrochen. Noch während die letzten Zeilen des Liedes zu hören sind, schließt das Musikvideo mit einer Störung. Die Kamera schwenkt auf den Boden, bevor die Bilder des Clips als Band im Kader erscheinen und nur noch eine weiße Ansicht übrig bleibt. 123 Vgl. Christoph Neubert: Störung. In: Christina Bartz u.a. (Hg.): Handbuch der Mediologie. Signaturen des Medialen. München 2012, S. 272-288, S. 272. 124 Ebd. 125 Vgl. zur Erwartbarkeit eines solchen Augenblicks auch Philipp Bojahrs Analyse der als ‚unanim‘ bezeichneten Störungen im Computerspiel in Philipp Bojahr: Zwischen Unfall und Unanimität. Aisthesis und Ästhetik der Störung im Computerspiel. In: Navigationen 12 (2012), H. 2, S. 23-45, S. 39.
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Vor dem Hintergrund der skizzierten Möglichkeiten, anhand von bestimmten Störungen eine intermediale Bezugnahme kenntlich zu machen, lässt sich danach fragen, mithilfe welcher visueller Strukturen Clips auf das Fernsehen referieren. Während die bisher angeführten Störungen ausschließlich das mediale Produkt selbst betreffen, also mit dem Bild verbunden sind und nicht dadurch plausibilisiert werden, dass sie in einem Bild auftreten, das einer technischen Apparatur in der Diegese entstammt, werden im Folgenden beide Darstellungsweisen betrachtet. Im Gegensatz zu den Störungen eines Trägermediums beruhen die des Distributionsmediums Fernsehen auf technischen Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Übertragung einer TV-Sendung und der Wiedergabe des fortlaufenden Programms über ein Empfangsgerät. Auffälligkeiten in der visuellen Erscheinung können bereits dann auftreten, wenn die für den Clip verwendete Kamera und der innerhalb der Diegese eingeschaltete Apparat über verschieden hohe Bildraten verfügen. Denn in der Folge ist ein mehr oder weniger kontrastreicher Streifen zu beobachten, der sich von der einen zur anderen Seite des Kaders erstreckt. In einer Naheinstellung lässt sich die Vielzahl der leuchtenden Punkte betonen, aus denen die Ansicht eines Monitors zusammengesetzt ist.126 Gelegentlich werden solche ästhetischen Elemente eingesetzt, um das Publikum daran zu erinnern, dass die von ihm rezipierten Bilder einer medialen Vermittlung unterliegen, auch wenn die Ursache der Störung dem Betrachter des Musikvideos nicht immer auf Anhieb bewusst ist.127 Auf diese Weise lassen sich einzelne Clip-Passagen gedanklich mit einem TV-Apparat oder anderen Mediendispositiven verknüpfen und von weiteren Sequenzen abgrenzen. So sind es etwa im Musikvideo TOGETHER AGAIN (2010) von Mike Candys und Evelyn lediglich die Gesangssequenzen, welche von horizontalen Linien, die aus mehreren Bildpunkten bestehen, und einem breiten hellen Streifen durchzogen werden (Abbildung 26). Dadurch, dass sich das Muster allein über die Frontalansichten von Evelyn legt, wirkt die Performance der Sängerin elektronisch generiert. Evelyn erscheint zwar nicht auf einem Bildschirm, der als solcher dargestellt wird, doch in weiteren Einstellungen ist zu sehen, wie der Produzent Candys vor unterschiedlichen Computermonitoren den Song in einem Tonstudio mischt. Folglich gibt der Clip über die Bilder die Musik als technisch bearbeitet zu erkennen. Abbildung 26: TOGETHER AGAIN, 2010, M: Mike Candys feat. Evelyn, R: Mike Candys.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=khQWovievzo (TC 00:40, 00:47, 00:51) 126 Vgl. zum Punktcharakter des TV-Bildes im Film Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 159. 127 Vgl. in Bezug auf Aufnahmen von Bildrauschen Chisholm: On-Screen Screens, S. 18.
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Eine weitere Form der Störung ist nicht mit den technischen Eigenschaften des Bildschirms im Allgemeinen verbunden, sondern bezieht sich auf das Fernsehprogramm im Besonderen. So begegnet man in einigen Musikvideos dem TV-Testbild. Bestehend aus mehreren vertikalen Farbbalken rahmt es beispielsweise den Hauptteil von BIG BANG BABY (1996) der Stone Temple Pilots. Der Clip zeigt einen Auftritt der Band in einem weißen Raum vor Hintergründen, die fehlerhaft eingefügte und niedrig aufgelöste Motive und Muster enthalten, und weist hinsichtlich des Inszenierungsstils Ähnlichkeiten zu älteren MTV-Werken auf.128 Während seine Kollegen ihre Musikinstrumente spielen, präsentiert der Sänger Scott Weiland dem Betrachter einen Fernsehapparat, auf dem – für die 1980er Jahre typisch (Kapitel 6.1.1) – Aufnahmen der eigenen Darbietung laufen, und wirft das Gerät auf den Boden. An den Anfang und ans Ende von BIG BANG BABY wird ein Testbild gesetzt, das aufgrund seiner Ungegenständlichkeit in der Bilderwelt des Clips einen Fremdkörper darstellt, der den Rezeptionsfluss nur vorübergehend unterbricht und als Element der medialen Vergangenheit die im Musikvideo umgesetzte Retro-Ästhetik bekräftigt. Doch das variantenreiche elektronische Testbild verweist nicht nur auf eine zurückliegende Zeit in der Geschichte des Fernsehens, sobald es vollformatig und der tatsächlichen Verwendung entsprechend in einen Clip eingearbeitet wird. Es setzt auch dann nostalgische Emotionen frei, wenn es in der Diegese auftaucht, ohne die Formbildung des eigenen Musikvideos zu stören. Dies bestätigt sich unter anderem im Clip TV (2012) der Band Wonder Villains. Während die Musiker ihre Zuneigung zum Fernsehen bekunden, bauen sie im Verlauf der Handlung ein Testbild aus Papier nach. Anstatt den Blick eines Zuschauers überzeugend zu simulieren, kommt in der handgemachten Rekonstruktion des Musters, das in seiner Farbenpracht den heiteren Ton des Songs unterstützt, die Vorliebe für das Medium zur Geltung. Eine andere Störung, die über einen sehr hohen Wiedererkennungswert verfügt, ist das Rauschen, welches auf dem Bildschirm erscheint. Bereits in den 1960er Jahren hat Nam June Paik die Störung des TV-Empfangs als Konzept einer videokünstlerischen Reflexion des Fernsehens eingesetzt (Kapitel 6.1.2). Clip-Regisseure nutzen die analoge Ästhetik für unterschiedliche Zielsetzungen, ohne die fehlerhafte Signalübertragung stets zum kreativen Ausgangspunkt neuer Bildformen zu machen. Das Muster aus tanzenden schwarzen und weißen Punkten findet sich demnach auch in einer Zeit des digitalen Fernsehens in zahlreichen Musikvideos, wird dort entweder subversiv oder affirmativ kontextualisiert und nimmt entweder im Bild eines intradiegetischen TV-Monitors oder des als Fernsehinhalt inszenierten Clips Gestalt an. In vielen Arbeiten, die primär auf Schauwerte ausgelegt sind, bildet die Störung lediglich einen Blickfang, der den Betrachter zur Interpretation des sich unregelmäßig bewegenden Bildes einlädt. Die gestörte Ansicht in einem Clip kann die Bedeutungsproduktion insofern anregen, als sie die im Liedtext beschriebene Situation einer Figur 128 Vgl. Beebe: Paradoxes of Pastiche, S. 308.
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symbolisiert, die in Gedanken versunken und von Gefühlen überwältigt ist, im übertragenen Sinne nur eine eingeschränkte Wahrnehmung hat. So steht etwa im Hintergrund des Schauplatzes von TRULY MADLY DEEPLY (2006) der Gruppe Cascada ein Fernsehapparat auf einem kleinen Schrank, während die Sängerin Natalie Horler an der Seite von mehreren Balletttänzerinnen posiert. Auf der blau leuchtenden Mattscheibe ist ein Rauschen zu erkennen, das zwar von keiner der Figuren im Raum beachtet wird, durch seine Eigenbewegung jedoch immer wieder den Blick des ClipBetrachters einfängt. Ebenso innerlich aufgewühlt wie die flirrenden Flecken, welche auf einen unterbundenen televisuellen Empfang verweisen, ist der mentale Zustand des lyrischen Ichs, das von einer zukünftigen Beziehung zu träumen scheint. „I wanna stand with you on a mountain / I wanna bathe with you in the sea / I wanna lay like this forever / Until the sky falls down on me“, singt Horler, vom Fernsehapparat abgewandt. Eine markante Darstellung, die die Analogie zwischen der Störung einer technischen Übertragung und jener der menschlichen Gedanken- und Gefühlswelt unterstützt, besteht aus einem Röhrenmonitor, der den Kopf einer Figur ersetzt. Das Gerät lässt den Nutzer nur noch sehen, was die elektronischen Bilder zeigen, und stellt eine Verbindung zwischen Mensch und Maschine her, die auf die Television als Medium referiert, dessen Programm den Wissenserwerb und die Meinungsbildung des Publikums prägt. „Der angewachsene Fernseher [Herv. i.O.]“, um eine passende Metapher von Monika Elsner und Thomas Müller zu gebrauchen, „läßt sich kollektiv nicht mehr abschalten, ohne daß wir fürchten müßten, halbblind zu werden. Denn: heute gibt es Segmente von Wirklichkeit, die nur deshalb wirklich (und wahr) sind, weil sie auf dem Bildschirm des Fernsehens erscheinen [Herv. i.O.].“129 Angesprochen ist ein Medium, das im alltäglichen Gebrauch eine so enge Verknüpfung mit dem Bewusstsein des Menschen eingeht, dass sich der TV-Apparat und der Wahrnehmungsapparat unbemerkt aneinander koppeln.130 Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Vorstellung von einer Kommunikationstechnologie, die die Sicht seiner Nutzer auf die Welt bestimmt, im Bild einer Figur, deren Kopf von einem Monitor umhüllt ist, zum Ausdruck. Der in den meisten Fällen als medienkritische Aussage verstandenen Darstellung begegnet man nicht nur in Werken der bildenden Kunst, sondern auch in Produkten der Unterhaltungsindustrie mit verschiedenen Bedeutungszuschreibungen. So vergegenwärtigt das Motiv innerhalb der Handlungen von Musikvideos vielfach die individuelle Verfassung einer Figur, anstatt die Wirkungsweise des Fernsehens anzuprangern. Dauerhaft sitzt eine Bildröhre etwa auf den Schultern des Protagonisten in DON’T HOLD BACK (2007) der Band The Potbelleez. Der Apparat verschmilzt mit dem Körper eines Manns und belastet den Träger, der in einer eigenen Welt eingeschlossen zu 129 Elsner/Müller: Der angewachsene Fernseher, S. 413. 130 Vgl. ebd., S. 393.
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sein scheint. Immer wieder äußert der um den Verstand gebrachte Erzähler des Songs den Wunsch, Emotionen zu verspüren, die ihm in seiner beklemmenden Lage offenbar fremd sind („Is there anybody out there feeling something?“). Die surrealistische Positionierung des Bildschirms macht den Protagonisten zum Sonderling unter seinen Mitmenschen. Der Gang des Verstörten wirkt mechanisch, als ihn die flackernden Bilder auf dem von ihm getragenen Monitor in die Knie zwingen. Dies ändert sich mit dem Besuch eines Musikclubs, in dem die Potbelleez spielen. Dort trifft der Mann auf eine Frau, deren Kopf ebenfalls aus einem Empfangsgerät besteht, und kommt mit der Gleichgesinnten ins Gespräch. Auch in SHE DRIVES ME CRAZY (1989) der Fine Young Cannibals wird das Motiv der Störung eingesetzt, um eine bestimmte Aussage des Liedtextes zu unterstützen. Der von Philippe Decouflé gedrehte Clip enthält Bilder der Band und schneidet akrobatische Tanzeinlagen von kostümierten Figuren zwischen die Performance-Aufnahmen. Bereits der Songtitel verweist auf den Liebeswahn, welchen Roland Gift, der Frontmann der Gruppe, anschaulich macht, als er davon spricht, vom Verhalten einer fremden Person entzückt zu sein („I can’t stop / The way I feel / Things you do / Don’t seem real“). Sobald der Musiker dem von ihm begehrten Gegenüber seine Gefühle mitteilen möchte („Tell you what I got in mind“), geht das Close-up von seinem Gesicht in einer kontinuierlichen Bewegung in eine Halbtotale über. Der Betrachter erkennt nun, dass Gift verlassen in einem leeren Raum steht (Abbildung 27). In diesem Moment erscheint ein Fernsehbildschirm, der den Kopf des Sängers umschließt. Eine Bildstörung tritt vor die Augen von Gift und illustriert seine Klage, keinen klaren Gedanken zu fassen („I can’t get / Any rest / People say / I’m obsessed“) und einsam zu sein („I won’t make it / On my own / No one likes / To be alone“). Als Teil des Körpers verbessert das TV-Gerät nicht die Sinneswahrnehmung, sondern visualisiert die vom Protagonisten thematisierte geistige Verwirrtheit. Abbildung 27: SHE DRIVES ME CRAZY, 1989, M: Fine Young Cannibals, R: Philippe Decouflé.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=UtvmTu4zAMg (TC 00:43, 00:47, 00:49)
Ähnliche Assoziationen weckt der prominent platzierte, wenn auch nicht mit dem Wahrnehmungsapparat des Stars verbundene Bildschirm in BROKEN STRINGS (2008) von James Morrison und Nelly Furtado. Der Clip greift das Thema des Songs auf, der von der Krise einer Beziehung handelt. Er zeigt, wie Morrison nachdenklich mit
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einer Gitarre auf dem Bett in einem Zimmer sitzt und durch ein Fenster schaut. Vor diesem steht Furtado, die seine Lebensgefährtin spielt und später im Duett mit ihm singt. Während Morrison seinen seelischen Kummer mitteilt, filmt die Kamera ab und zu das unruhige Bild eines rauschenden TV-Apparates, der auf einer Kommode steht. Die Zerrissenheit des vom Musiker verkörperten Manns nimmt buchstäblich zu, wenn dieser mit Furtado den Refrain gemeinsam vorträgt. Mehrere Gegenstände im Raum, darunter der Fernsehbildschirm, explodieren und fügen sich in einer Zeitlupe bis zum Ende des Musikvideos wieder zusammen. Nachdem das Empfangsgerät, Morrisons Verzweiflung und die Brüchigkeit der Partnerschaft illustrierend, nicht einwandfrei funktioniert hat, spiegeln sich in seiner Zerstörung und Wiederherstellung das Ende und der Neuanfang einer Liebe wider. Als Sinnbild für die Beschaffenheit einer Beziehung sind auch die Störungen in AM I WRONG (2013) von Nico & Vinz aufzufassen. In ihrem Clip, für den Kavar Singh verantwortlich zeichnet, bewegen sich die beiden Sänger Nicolay Sereba und Vincent Dery durch unterschiedliche Regionen Afrikas und nehmen zwei TV-Apparate mit (Abbildung 28). Sie sind voneinander räumlich getrennt und suchen sich gegenseitig. Als Hilfsmittel dienen ihnen die Röhrenmonitore, auf denen die Musiker via Antenne ein Bild des jeweils anderen erhalten, das mal mehr, mal weniger verrauscht ist. Dass sie einander umso klarer sehen, je näher sie sich kommen, deutet Sereba als ein Symbol für die künstlerische Findungsphase in der Begegnung mit seinem Kollegen Dery.131 Die televisuelle Störung im Clip steht demnach für einen anfangs verhinderten oder mit Problemen einhergehenden zwischenmenschlichen Kontakt. Als die beiden Sänger schließlich aufeinander treffen, fallen sie sich um den Hals und tanzen zum Refrain, in dem sie ihre Suche nach einem gemeinsamen Ziel zur Sprache bringen: „So am I wrong? / For thinking that we could be something for real? / Now am I wrong? / For trying to reach the things that I can’t see?“ Die Geräte hat das Duo zu diesem Zeitpunkt auf dem Boden abgelegt, denn die zwischen den Freunden stehende technische Vermittlung wird nun nicht mehr benötigt. Abbildung 28: AM I WRONG, 2013, M: Nico & Vinz, R: Kavar Singh.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=bg1sT4ILG0w (TC 03:27, 04:54) 131 Vgl. Nicolay Sereba, zit. n. Tina Xu: Why Did Nico & Vinz Carry Blurry TV Sets in Their ‚Am I Wrong‘ Video? In: Fuse, 10.06.2014, URL: http://www.fuse.tv/videos/2014/06/ nico-and-vinz-music-video-interview (01.06.2018).
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Darüber hinaus kann sich die durch einen unterbundenen Senderempfang verursachte Störung vom TV-Bildschirm lösen und einen eigenen Raum gestalten, der vom Fernsehen dominiert wird. Positiv gewendet findet sich eine solche Umgebung, die aus einer vollformatigen Ansicht der televisuellen Dysfunktion besteht, im Musikvideo SOMEWHERE OVER THE RAINBOW (1994) von Marusha. Die Sängerin schaut von ihrem Bett aus fern, die Mattscheibe bleibt für den Betrachter des Clips jedoch verborgen. Stattdessen setzt sich der Hintergrund zwischendurch aus dem chaotischen Bild einer Störung zusammen, die eine farbliche Entsprechung im schwarz-weiß gestreiften Kleid von Marusha findet und den pulsierenden Klang der Techno-Ballade unterstreicht. Während die Musikerin in ihrem Lied, einem Cover des von Judy Garland gesungenen Stücks aus dem Film THE WIZARD OF OZ (1939), eine verlockende Fantasiewelt betritt, taucht sie im Clip vollständig in den Bereich des Fernsehens ein. In den bisherigen Beispielen manifestiert sich ein vielfältiger Gebrauch des analogen Rauschens, das innerhalb der Narration des Musikvideos als wichtiger Bedeutungsträger fungiert und auch in einer Zeit des digitalen TV-Signals als Kennzeichen des Fernsehbildes aufgegriffen wird. Gemeinsam ist den vorangegangenen Clips, dass sie das visuelle Muster innerhalb der Diegese vorführen. Andere Musikvideos knüpfen die Störung hingegen an die Übertragung der eigenen Bilder, welche durch einen nachgeahmten technischen Defekt anhalten, sich überlagern, erlöschen oder von einem in der Handlung nicht sichtbaren Zuschauer ausgeschaltet werden. Eine Besonderheit des Mediums Musikvideo besteht darin, dass die Wiedergabe des Liedes in der Regel ohne Brüche erfolgt und dadurch in der Wahrnehmung des Publikums einen Zusammenhalt der Bilder gewährleistet.132 Doch neben der visuellen Formbildung kann auch die des Tons gestört sein, wenn Song und Clip unvermittelt enden und als medial präsentierte Inhalte enthüllt werden. Im Vergleich zu Störungen, die sich regelmäßig auf der Bildebene ereignen, führt der Abbruch des Musikstücks, dessen Beständigkeit der Rezipient erwartet, meist zu einer noch größeren Überraschung. Ein Paradebeispiel für die gezielte Beeinträchtigung der ästhetischen Erfahrung von Song und Clip, welche den Betrachter irritiert, aber zugleich im Rahmen der Handlung eine authentische Wirkung entfaltet, ist der als Found-Footage-Video konzipierte Endzeit-Clip ONE LAST TIME (2015) von Ariana Grande. Die Bilder täuschen vor, die unbearbeitete Aufzeichnung eines Amateurfilmers zu sein, der einen apokalyptischen Kometenschauer festgehalten hat. Bereits zu Beginn geben elektromagnetische Schwankungen als Vorboten der kosmischen Katastrophe zu erkennen, dass es sich um eine medial vermittelte Ansicht handelt. Mit einer unterschiedlichen Signalstärke huschen Ausschnitte von Fernsehnachrichtenmeldungen, die vor dem baldigen Einschlag der Himmelsgeschosse warnen, über den Kader. Nach diesem Prolog aus Bild- und Tonrauschen sowie Sprachfetzen wechselt die Ansicht und zeigt, wie Grande an der Seite ihres von Matt Bennett gespielten Freundes vor den herabstürzenden 132 Vgl. Allan: Musical Cinema, Music Video, Music Television, S. 8.
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Kometen flüchtet. Zum nun einsetzenden Song gelangt das Paar auf das Dach eines Hauses, wo es die übrigen Sekunden vor dem Untergang der Stadt verbringt. Die verwackelten Aufnahmen werden mit einer Kamera gedreht, die der Freund von Grande trägt. Noch während der letzten Takte des klanglich weitgehend unversehrten Liedes drängt die Geräuschkulisse der einschlagenden Himmelskörper in den Vordergrund. Nach der finalen Explosion erzittern sowohl das Bild als auch der Ton des Musikvideos. Die heftige Störung verweist auf die Anwesenheit der Kameratechnologie, deren Aufnahmen die Katastrophe offenbar überstanden haben. Sie bezeugt ein hautnahes Miterleben der Apokalypse und schlägt zugleich einen Bogen zu der am Anfang des Clips stehenden Fernsehberichterstattung, die das tödliche Ereignis – unter anderem durch ihre fehlerhafte Übertragung – bereits angekündigt hat. Eine weitere Variante der Unterbrechung, die den Betrachter die Bilder als eine im TV-Medium hervorgebrachte Form auffassen lässt, entsteht, wenn das im Musikvideo dargestellte Programm umgeschaltet wird. Nutzt ein Zuschauer seine Fernbedienung, um nacheinander verschiedene Kanäle auszuwählen, setzt sich an die Stelle der gerade rezipierten Sendung ein Störbild, bis der Übergang zur nächsten Sendung vollzogen ist. Das Musikvideo verwendet die Ansicht einer solchen Übertragungspause, um dem Publikum vor Augen zu führen, wie das „Switching“ einer Figur „die in sich geschlossenen Sinneinheiten [zerstört], aus denen das Fernsehprogramm sich aufaddiert.“133 Der Betrachter des Clips rezipiert eine individuelle Programmselektion. Von mehrfarbigen Switchbildern ist etwa WHEN THE GOING GETS TOUGH (1999) von Boyzone durchzogen. Die Störungen werden von unterschiedlichen Figuren hervorgerufen, die einen Auftritt der Band vor dem TV-Apparat verfolgen. Sie markieren den Wechsel zwischen einzelnen Clip-Sequenzen, in denen mal die Musiker ihren Song darbieten und mit einem Ball spielen, der den Bildmittelpunkt nicht verlässt, und mal Komiker, Schauspieler und andere aus dem Showgeschäft bekannte Personen zu sehen sind. Eine abwechslungsreiche Programmzusammenstellung enthält POP & TELEVISION (1998) von Meja. In ihrer Ballade befasst sich die Sängerin mit der Beliebtheit der seichten Unterhaltung durch zwei miteinander verknüpfte industrielle Kulturprodukte, Musik und Fernsehen. Im zugehörigen Clip erhält das Thema des Songs eine selbstironische Färbung. Denn Meja sitzt vor einem Fernsehapparat und zappt mit hoher Geschwindigkeit durch das Programm. Die Sängerin ist ihre eigene Zuschauerin, da sie auf jedem Kanal, den sie ansteuert, selbst in einem anderen Format auftritt (Abbildung 29). Eine Musiksendung befindet sich zwar nicht darunter. Doch die verschiedenen Formate sind im Unterschied zur herkömmlichen Rezeption selbst zusammengestellter Abfolgen von TV-Bildern gerade über den Gesang miteinander verzahnt, der von Meja fortgesetzt wird, sei es vor dem Monitor oder als Quiz-Kandidatin und 133 Hartmut Winkler: Eins, zwei, eins, vier, x. Switching: Die Installation der Tagtraummaschine. In: epd Kirche und Rundfunk 42 (1990), H. 85, S. 5-8, S. 5.
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Werbetestimonial im Fernsehen. Einem Sprung zum nächsten Sender geht stets ein bildfüllendes Rauschen voraus, ohne dass das Musikvideo jedes Mal auf Meja in ihrer Rolle als Zuschauerin zurückschneidet. Der Betrachter des Clips begleitet die Suche der Protagonistin nach einem TV-Inhalt, der ihrem Bedürfnis nach Information und Unterhaltung gerecht wird. Er übernimmt den Blick einer fremden Person vor dem Bildschirm und erkennt – in den Worten von Hartmut Winkler formuliert –, dass „[d]er Switchende [...] für sich eine Art Tagtraummaschine installiert [hat], die es ihm erlaubt, mit der eigenen Subjektivität umzugehen und die eigene Befindlichkeit zu regulieren.“134 Diese Wirkung löst sich allerdings nicht ein, denn Meja ist gelangweilt vom TV-Programm, in dem sie selbst als allgegenwärtige Figur zu sehen ist. Ihre Unzufriedenheit lässt sich zum einen anhand des häufigen Umschaltens erkennen. Zum anderen schläft die Sängerin in der letzten Einstellung des Clips in ihrem Sessel ein und fällt in einen eigenen Traum. Abbildung 29: POP & TELEVISION, 1998, M: Meja, R: unbekannt.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=SQ8JI7ZlOCw (TC 00:21, 00:25, 02:00)
Insgesamt ist deutlich geworden, dass das Musikvideo durch seinen spielerischen und kreativen Einsatz von Bildstörungen mit einer abweichenden Intensität dem Betrachter glaubhaft machen kann, dass er von Anfang bis Ende dem Programm des Fernsehens folgt. Wie eng die Entstehung der Bilder des eigenen Mediums an die Formbildung des anderen Mediums geknüpft ist,135 unterscheidet sich demnach erheblich. Häufig erhalten die verwendeten visuellen Muster eine symbolische Bedeutung innerhalb der erzählten Geschichte. Nicht immer sind sie dem Betrachter aus seinem unmittelbaren Alltag vertraut. Hinzu kommt, dass einige Störungen lediglich einen Hinweis auf ein konkretes Medium liefern, da sie auf technische Bedingungen referieren, die mehreren Medien und nicht nur dem Fernsehen zugrunde liegen. Im Clip können sie zusätzlich kombiniert und verfremdet werden, sodass spezifische Kenntnisse des Betrachters erforderlich sind, um die einzelnen Bildstrukturen bestimmten Materialien, technischen Abläufen und medialen Praktiken zuzuordnen. Regisseure entwickeln aus dem Prinzip der Störung Verfahren, die nicht nur eine hemmende, sondern auch eine förderliche Wirkung im Illusionsaufbau des Produkts entfalten können. Am Beispiel eines vorübergehenden Bildrauschens, das auf der Interaktion des 134 Ebd., S. 7. 135 Vgl. Paech: Cinema mista, S. 121.
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Fernsehnutzers mit seinem Empfangsgerät beruht, zeigt sich, dass Diskontinuitäten im Rezeptionsfluss zum einen die Sicht eines Zuschauers realitätsgetreu wiedergeben und zum anderen offensichtlich werden lassen, dass die Bezugnahme auf das Fernsehen Bestandteil eines Musikvideos ist. Denn der Fortgang der Bilder koppelt sich an den bereits produzierten Clip und hängt nicht von den Entscheidungen des Betrachters vor dem Bildschirm ab. Während die bisher analysierten Verfahren im Sinne von Rückgriffen auf visuelle Elemente dazu dienen, die Ansicht auf einem TV-Gerät ohne Zitat eines tatsächlichen Programms nachzuahmen, besteht eine weitere Möglichkeit, Bilder eines Musikvideos als Fernsehbilder auszuweisen, darin, bereits gesendetes Material zu integrieren. 6.2.3 Integration von Fernsehmaterial Wie das Distributionsmedium Fernsehen ist auch das Musikvideo grundsätzlich in der Lage, sich mehrerer Bildquellen zu bedienen.136 Es verwundert daher nicht, dass Regisseure ihren Clips bisweilen Fragmente aus dem TV-Programm hinzufügen.137 Die Funktionen, welche ein solches Zitat erfüllen kann, entsprechen weitgehend denen, die Matthias Steinle in seiner vor allem Filme in den Blick nehmenden Analyse von ‚Archivbildern‘ herausgearbeitet hat: Vorhandene Aufnahmen werden laut Steinle herangezogen, um sie als Dokumente in die Narration einzubinden, dem eigenen Werk eine zusätzliche Authentizität zu verleihen, ein bestimmtes Zeitkolorit zu erzeugen oder ökonomischen und produktionstechnischen Anforderungen gerecht zu werden und die Kosten sowie den Aufwand der Inszenierung gering zu halten.138 Im Hinblick auf Musikvideos behauptet Andrew Goodwin, dass die Integration von TV-Material die Möglichkeit eröffne, eine gesellschaftskritische Haltung zum Ausdruck zu bringen.139 Auf welche Weise solche Bezugnahmen in einem Clip eingearbeitet sind, hat Daniel Hornuff untersucht. Wie der Kunstwissenschaftler nachweist, hat sich in der Gestaltung von sogenannten „‚Video-Tribunale[n]‘“140 ein seit längerer Zeit bekanntes Konzept durchgesetzt, das aus „dokumentarästhetischen Bildeinschüben“ besteht, „die ein Außen suggerieren und damit gleichsam die Existenz eines Fiktionsinnenraums zusätzlich behaupten.“141 Die um eine glaubwürdige Kultur- und Sozialkritik bemühte Inszenierung, so Hornuff, schließt an den Gebrauch von visuellen Verweisen 136 Vgl. Adelmann/Stauff: Ästhetiken der Re-Visualisierung, S. 64. 137 Vgl. Matthias Steinle: Das Archivbild. Archivbilder als Palimpseste zwischen Monument und Dokument im audiovisuellen Gemischtwarenladen. In: Medienwissenschaft: Rezensionen | Reviews 22 (2005), H. 3, S. 295-309, S. 295. 138 Vgl. ebd., S. 295f. 139 Vgl. Goodwin: Dancing in the Distraction Factory, S. 165. 140 Hornuff: Im Tribunal der Bilder, S. 131. 141 Ebd., S. 132.
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im politischen Theater an und lässt das Musikvideo, welches einer Reihe von Vorwürfen ausgesetzt ist, selbst eine anklagende Position beziehen.142 Clip-Regisseure orientieren sich demnach an einem strategischen Umgang mit fremden Darstellungen, der nicht zwingend eine tiefere Medienreflexion anregt. Während auf der Bühne des Theaters laut Hornuff vor allem Porträts von historischen Persönlichkeiten zu sehen sind, richten die einem Musikvideo hinzugefügten Aufnahmen das Augenmerk auf „Geschehnisse, die als generell uninszeniert, nicht gestellt, von keinen Regieanweisungen konstruiert, sondern bloß abgefilmt, kurz: als tatsächlich stattgefunden postuliert werden.“143 Dennoch muss der Gebrauch von Archivaufnahmen differenziert betrachtet werden. Schließlich verfolgen Regisseure unterschiedliche Intentionen, wenn sie Bilder anderer Medien in ihre Clips montieren. Zum einen sprechen Musikvideos gelegentlich politische Themen gerade unter Verzicht auf Material der Fernsehberichterstattung an.144 Zum anderen sind Werke zu finden, die fremde Bilder ohne eine politische Aussage vorführen. Wie im Folgenden dargelegt werden soll, lassen sich im Fernsehen gesendete Inhalte mit verschiedenen kommunikativen Strategien verbinden und als Reflexion auf das TV-Medium einsetzen. Bereits Hornuff verweist auf mehrere Funktionen visueller Zitate. In einigen Fällen, so der Kunstwissenschaftler, verhandeln Bildsequenzen keine Sachverhalte in der jenseits des Clips liegenden Wirklichkeit, sondern beziehen sich auf das zu hörende musikalische Stück, indem sie mithilfe ausdrucksstarker Motive den Gesang oder die Wucht des Instrumentenspiels illustrieren.145 Dies ereigne sich „[g]erade im Hardrock- und Heavy-Metal-Bereich, in jenen Sphären also, denen es ein hörbar dringliches Anliegen ist, noch echte, handgemachte Klänge zu erzeugen, um so orchestriert als die letzten Größen der Gewissheit auftreten zu können [...].“146 Auch Musikvideos, die in erster Linie das Publikum zu unterhalten versuchen, setzen fremdes Bildmaterial ein. Manchmal steht die Veröffentlichung von Song und Clip in einer zeitlichen Verbindung zu einem bestimmten Fernsehprogramm. So integriert etwa HIER KOMMT DIE MAUS (1996) von Stefan Raab Ausschnitte eines berühmten TV-Formats für Kinder. Das Musikstück ist zur Feier des 25. Geburtstags der seit 1971 produzierten SENDUNG MIT DER MAUS entstanden und kombiniert die eingängige Titelmelodie mit Funkbeats und einem Rapgesang des Entertainers. Im Clip stellt Raab seine Zuneigung gegenüber dem zitierten TV-Format unter Beweis. Er tanzt an der Seite von Schauspielern, die Kostüme von bekannten Figuren der Sendung tragen, und singt auf einem Sofa, während er mit einer Gruppe von Kindern unterschiedliche Zeichentrickfilme schaut, in denen die Maus und ihr Sidekick, der kleine Elefant, auftreten. 142 Vgl. ebd., S. 133f. 143 Ebd., S. 133. 144 Vgl. ebd., S. 186ff. 145 Vgl. ebd., S. 151. 146 Ebd.
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Dass bestimmte TV-Ereignisse zum festen Bilderrepertoire des Musikvideos gehören, lässt sich anhand von Clips feststellen, die Songs begleiten, welche für massenmedial inszenierte Sportveranstaltungen geschrieben worden sind. Mit beständiger Regelmäßigkeit erreichen insbesondere solche Lieder, die sich mit einem im Fernsehen übertragenen internationalen Fußballwettbewerb befassen und die Vorfreude auf das Turnier steigern sollen, ein Millionenpublikum. Die zu diesem Anlass gedrehten Clips gleichen einander hinsichtlich der verwendeten Aufnahmen, die die Leidenschaft für den Sport vermitteln. Sie enthalten zum einen Passagen aus der ehemaligen Live-TV-Berichterstattung mit spannenden Spielszenen vergangener Begegnungen und zum anderen Darstellungen von jubelnden Fans, die sich im Stadion oder vor dem Fernsehapparat befinden, und von Kindern, die ihren Idolen auf dem Fußballplatz nacheifern. Als prägnantes Beispiel lässt sich WE ARE ONE (OLE OLA) (2014) anführen. Der im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Rio de Janeiro veröffentlichte Clip setzt sich neben der gemeinsamen Darbietung des Songs von Pitbull, Jennifer Lopez und Claudia Leitte aus Aufnahmen von Samba-Tänzerinnen, sportlichen Zweikämpfen und Torabschlüssen zusammen. Die TV-Bilder legen nahe, dass auch das zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefundene Fußballereignis im Fernsehen gezeigt wird und Eingang in zukünftige Musikvideos findet. Der für den Song zur zwei Jahre später ausgetragenen Europameisterschaft produzierte Clip THIS ONE’S FOR YOU (2016) von David Guetta und Zara Larsson folgt den Gestaltungsprinzipien. Er präsentiert den DJ Guetta als Freizeitsportler und schneidet Höhepunkte der jüngeren Fußballgeschichte zwischen. Einen dokumentarischen Charakter erlangen Sequenzen, wenn sie vom Publikum jenseits des medialen Entstehungskontextes des Musikvideos verortet werden. Dass einzelne Bilder bereits vor der Anfertigung des Clips existiert haben, leitet der Betrachter zum einen aus dem Inhalt des ergänzten Materials ab. So weisen Aufnahmen, deren Herstellung für das Produktionsteam häufig zu teuer, gefährlich oder langwierig gewesen wäre, keine Performance des Stars auf.147 Zum anderen sind Archivbilder oftmals anhand formalästhetischer Merkmale auszumachen.148 Doch selbst wenn sich eine zusammenhängende Sequenz, etwa durch ihre schwarz-weiße Farbgebung, vom übrigen Teil des Clips abhebt, ist sie nicht zwingend unabhängig von den Dreharbeiten des Musikvideos entstanden. Schließlich erhalten ausgewählte Bilder in der Nachbearbeitung ab und zu eine besondere Anmutung, die der visuellen Gestaltung anderer Medien entsprechen kann. Die Frage, ob es im TV-Programm ausgestrahltes Material ist, auf das zurückgegriffen wird, und welche Rolle dies für die Bedeutungsproduktion des Musikvideos spielt, bleibt vorerst unbeantwortet. 147 Demgegenüber stehen Darstellungen, bei denen es sich um den Mitschnitt einer früheren Live-Darbietung des Sängers oder der Band handelt. 148 Vgl. Lorenz Engell: Jenseits von Geschichte und Gedächtnis. Historiographie und Autobiographie des Fernsehens. In: montage/av 14 (2005), H. 1, S. 60-79, S. 72.
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Zumindest wenn Naturkatastrophen, Siege bei internationalen Sportveranstaltungen, bedeutsame politische Ereignisse, Terroranschläge oder Kriegshandlungen zu sehen sind, ist es wahrscheinlich, dass die historischen Bilder bereits im Fernsehen übertragen worden und auf diesem Weg ins individuelle und kollektive Gedächtnis gelangt sind.149 Das TV-Medium beobachtet kontinuierlich Entwicklungen, die sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen vollziehen, und bereitet sie für seine Zuschauer, den gestalterischen und narrativen Konventionen der verschiedenen Formate folgend, ansprechend auf. Die von Redaktionen ausgewählten Motive bestätigen Bekanntes oder regen öffentliche Debatten an und prägen die Vorstellung von Ereignissen, die das Publikum nicht vor Ort miterlebt hat. Treffend ist die Diagnose von Steinle, dass „es nicht nur historisch ausgerichtete Programminhalte [...] [sind], sondern auch die Verankerung des Fernsehens im Lebensalltag und der einfache Zugang, dem das Fernsehen – trotz Konkurrenz und Diversifizierung noch immer ein Leitmedium – seine zentrale Rolle als Geschichtsbildproduzent und -vermittler verdankt.“150
Die Television fungiert als eine Einrichtung, die das Zeitgeschehen erfasst und bewertet. In der Berichterstattung verwendete Aufnahmen sorgen für eine Anschlusskommunikation des Publikums und werden von TV-Redaktionen zu bestimmten Anlässen als verlässliche Zeitdokumente aufgegriffen und unter neuen oder alten Gesichtspunkten gedeutet. Mitunter weiß der Betrachter um eine vorherige Ausstrahlung einzelner Bilder oder hat sie sogar selbst gesehen und wird emotional angesprochen, weil er sich an eine konkrete Situation vor dem eigenen Empfangsgerät erinnert.151 Dass es sich um originales Fernseharchivmaterial handelt, legen Musikvideos nahe, wenn ausgewählte Sequenzen von den Rändern eines Bildschirms begrenzt werden. Durch eine solche Rahmung rückt die gewohnte televisuelle Bereitstellung von erinnerungswürdigen Inhalten in den Vordergrund, die es dem Zuschauer erlauben, zurückliegende Ereignisse Revue passieren zu lassen, in Relation zueinander zu bringen und auf die von ihm beobachtete Gegenwart zu beziehen. Schaut der Star in einem Musikvideo in die medial vermittelte Vergangenheit und kommentiert sie, gibt er zu verstehen, über ein Geschichtsbewusstsein zu verfügen und seine Erfahrungen in den zugehörigen Song einfließen zu lassen. Dies lässt sich am Beispiel von THEY DON’T CARE ABOUT US (1996) von Michael Jackson aufzeigen. Die Diskriminierung, welche von 149 Vgl. ebd., S. 63f. 150 Matthias Steinle: Geschichte im Film: Zum Umgang mit den Zeichen der Vergangenheit im Dokudrama der Gegenwart. In: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres. Bielefeld 2009, S. 147-165, S. 147. 151 Vgl. Engell: Jenseits von Geschichte und Gedächtnis, S. 64.
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vielen Menschen in ihrem Alltag wahrgenommen wird und der sich der Liedtext widmet, macht das von Spike Lee verantwortete Musikvideo anhand mehrerer Aufnahmen begreiflich. So wartet eine der beiden Clip-Versionen mit einer Reihe von Bildern auf, die in die Geschichte eingegangen sind und die Missstände schildern, gegen welche Jackson in seinem Song protestiert. Die Handlung spielt in einem Gefängnis, in dem sich der Musiker mit Insassen solidarisiert, die den Machtmissbrauch der Exekutive kritisieren. „I’m a victim of police brutality, now / I’m tired of bein’ the victim of hate / You’re rapin’ me of my pride / Oh, for God’s sake“, singt Jackson in einer Zelle. Während seiner Klage bewegt er sich vor verschiedenen Aufnahmen, die eingeblendet werden. Die visuellen Zitate stehen in keinem engeren historischen Zusammenhang zueinander. Zu sehen sind eine Atomexplosion, das Tian’anmen-Massaker und eine Feier des Ku-Klux-Klans (Abbildung 30). Das Bildmaterial erscheint auf Monitoren, die im Mauerwerk von Jacksons Zelle eingelassen sind und an Einschusslöcher erinnern. Die Motive liefern eine Zusammenschau der weltweiten Gewalt von und gegen Menschen. Der Star begibt sich im Gefängnis in eine Opferrolle und erhebt sich zugleich über die Geschichte, indem er nicht der Beobachtung eines Aufsehers zu unterliegen scheint, sondern durch seinen Appell für Gerechtigkeit und Frieden selbst zum Beobachter vergangener Grausamkeiten wird. Er deutet mit seinem Zeigefinger auf die TV-Bildschirme, bevor er wieder Teil einer Gruppe rebellierender Häftlinge ist. Abbildung 30: THEY DON’T CARE ABOUT US, 1996, M: Michael Jackson, R: Spike Lee.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=t1pqi8vjTLY (TC 00:41, 00:56, 04:34)
THEY DON’T CARE ABOUT US lässt erkennen, dass die Integration des TV-Materials von einer bestimmten Vorstellung von der Leistung des Fernsehens geprägt ist. Dem Medium wird zugeschrieben, das Weltgeschehen sachlich einzuordnen und die Berichterstattung weder auf aktuelle Begebenheiten noch auf solche, die sich im eigenen Land ereignen, zu beschränken. Das Musikvideo gelangt insofern in eine Medienreflexion, als es Inhalte, die im Nachrichtenprogramm gesendet worden sind, verwendet und in Bezug zur Performance des Sängers setzt, also die eigene mediale Form von der des Fernsehens unterscheidbar werden lässt. Während Jackson seinem Publikum den Ernst der von ihm im Liedtext geschilderten Lage durch einen Blick auf
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verschiedene TV-Geräte vermittelt, beziehen sich andere Clips auf die Funktion des Fernsehens, historische Aufnahmen zu verbreiten und ihnen spezifische Bedeutungen zuzuschreiben, indem sie die Erinnerungsleistung übernehmen, das technische Dispositiv des Mediums und den Umgang mit ihm jedoch nicht abbilden. Sie erwecken den Eindruck einer eigenen Sendung, in die ein filmisches oder videografisches Dokument aufgenommen worden ist, und machen „die Tatsache des ‚Aufgehoben-‘ oder ‚Neu-entdeckt-worden-‘ und damit ‚Von-nun-an-aufbewahrenswert-Seins‘“152 anschaulich. Laut Lorenz Engell gründet der Anschein von Authentizität, den eingebettete fremde neue oder alte Bilder entstehen lassen, nicht in einer indexikalischen Nähe zur Realität, wie man vereinfacht annehmen könnte; vielmehr folgt das im Fernsehen Gesendete dem Prinzip „‚So ist es, dabei gewesen zu sein‘ oder ‚So habe ich es erlebt‘“153, wie der Medienwissenschaftler ausführt. Schriftvermerke, Kommentare und Spuren im Material machen den kollektiven Erinnerungskontext der Bilder im TV-Programm kenntlich, so Engell.154 In der Folge „unterstellen wir, dass sie im personalen Gedächtnis der – generalisierten – Anderen vorhanden sind; dass ‚das Publikum‘ mit ihnen vertraut ist oder doch vertraut sein könnte, auch wenn wir es nicht sind.“155 Im Stil eines Fernsehformats kann ein Clip mithilfe von visuellen Fragmenten, denen für das TV-Medium typische Zusatzinformationen beigefügt werden, unterschiedliche Zeiten einander gegenüberstellen und auf diese Weise auf historische Veränderungen hinweisen. Inwiefern sich das Medium Musikvideo unter Hinzunahme von solchen Markierungen selbst als eine Instanz der Vergangenheitsbeobachtung ausgibt, ist WIND OF CHANGE (1991) der Scorpions zu entnehmen. Die Ballade thematisiert das Ende des Kalten Krieges, welches sich in den 1980er Jahren andeutete. Wie Matthias Tischer anmerkt, wurde der viel diskutierte Zusammenhang zwischen dem noch vor der Auflösung des Eisernen Vorhangs geschriebenen Lied und der friedlichen Revolution in der DDR erst nachträglich konstruiert.156 Dass man den hoffnungsvoll besungenen Wandel inzwischen mit der deutschen Geschichte in Verbindung bringt, sei zum einen dem Rockkonzert The Wall zu verdanken, das unter der Organisation von Roger Waters nur kurze Zeit nach dem Mauerfall mit Auftritten von zahlreichen Sängern und Bands wie den Scorpions an die Wende erinnerte, und erkläre sich zum anderen aus den Bildern des von Wayne Isham inszenierten Musikvideos.157 Beschreibt die 152 Steinle: Das Archivbild, S. 298. 153 Engell: Jenseits von Geschichte und Gedächtnis, S. 68. 154 Vgl. ebd., S. 64. 155 Ebd. 156 Vgl. Matthias Tischer: Wind of Change (The Scorpions). In: Songlexikon des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg, URL: http://www.songlexikon. de/songs/windofchange (01.06.2018). 157 Vgl. ebd.
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Band in ihrem Song die Anzeichen eines Umbruchs in der Sowjetunion („I follow the Moskva / Down to Gorky Park / Listening to the wind of change“), so skizziert der Clip den Weg bis zur Wiedervereinigung Deutschlands anhand von historischen Ereignissen, die nacheinander an demselben Ort stattgefunden haben. Es sind insgesamt drei Sequenzen, die die Vergangenheit aufleben lassen und zwischen denen ein Bühnenauftritt der Scorpions zu sehen ist. Sie zeigen den Potsdamer Platz in den Jahren 1953, 1961 sowie 1990 während des Arbeiteraufstands, der Errichtung der Berliner Mauer und der Aufführung des Konzerts The Wall (Abbildung 31). Dass WIND OF CHANGE mit einem Ausschnitt dieser Musikveranstaltung einen Bogen in die Gegenwart schlägt, ist kein Zufall. Das Konzert endete mit dem Einsturz einer nachgebauten Wand, der auch den narrativen Höhepunkt des Clips bildet und damit die unmittelbare Teilhabe der Rockmusik am Verlauf der europäischen Geschichte zum Ausdruck bringt.158 Über die Ausschnitte werden jeweils Ort- und Zeitangaben gelegt, die „den Wiederaufführungs-, den Archivcharakter der Bilder“159 anzeigen und dem Musikvideo eine Struktur geben. Die chronologisch angeordneten Darstellungen der politischen Geschichte der DDR erinnern an Aufnahmen einer Fernsehsendung. Noch heute rekonstruieren TV-Dokumentationen die Entwicklung von der Teilung bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, vom Verlust bis zum Rückgewinn der Freiheit der Bürger, unter Verwendung vergleichbarer visueller Eindrücke. Die Scorpions treten mit ihrem Hit derweil in Fernsehshows auf, werden in Interviews immer wieder zum Entstehungskontext des Liedtextes gefragt und berichten, wie sie die musikalisch verarbeitete Zeit des Umbruchs selbst erlebt haben. Abbildung 31: WIND OF CHANGE, 1991, M: Scorpions, R: Wayne Isham.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=n4RjJKxsamQ (TC 00:03, 00:09, 04:03)
Das im Musikvideo eingebettete Material fremder Quellen dient zwar in zahlreichen Fällen dazu, auf eine politische Haltung des Sängers oder der Band vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse aufmerksam zu machen oder das seit längerer Zeit bestehende gesellschaftliche Engagement des Stars anhand von Beispielen zu belegen, der Glaubwürdigkeitseffekt der Bilder kann allerdings auch einen anderen Zweck erfüllen. So verwenden einige Regisseure Inhalte von Sendungen, die für das Fernsehen 158 Vgl. ebd. 159 Engell: Jenseits von Geschichte und Gedächtnis, S. 71.
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produziert worden sind und im Rahmen des Clips das künstlerische Ansehen des Musikers steigern. Häufig referieren solche Bilder auf die Pop-Historie und huldigen einem namhaften Star der Vergangenheit, dessen Talent und weltweite Verehrung sich gemeinsam mit positiven Charaktereigenschaften auf den Protagonisten der Gegenwart übertragen sollen. Beliebt sind Ausschnitte zurückliegender TV-Darbietungen von Ikonen wie Elvis Presley, die keine Konkurrenz für den Interpreten im Clip darstellen und deren Berühmtheit nach dem Karriereende oder Tod durch Dokumentationen und andere Fernsehsendungen, aber auch Spielfilme und Best-of-Videos auf Online-Portalen erhalten bleibt. Erinnerungen an Sänger und Bands sind Teil eines eigenen Gedächtnisses, das das Medium Musikvideo ausbildet (Kapitel 7.3.1). Eine verwandte Strategie besteht darin, den Erfolg des Stars im Clip anhand von TV-Bildern nachzuweisen, die ihn selbst zeigen. In U CAN’T TOUCH THIS (1990) von MC Hammer sind es audiovisuelle Fragmente aus der Verleihung der American Music Awards, die an den Anfang des Musikvideos gesetzt werden. Der Schriftzug der Fernsehshow bleibt erhalten und macht sogleich den medialen Kontext kenntlich (Abbildung 32). In zwei rhythmisch zerstückelten Einstellungen wird MC Hammer als Gewinner in den Kategorien „Favorite Rap Artist“ und „Favorite Rap Album“ angekündigt. Als der Interpret die Bühne betritt, setzt der eigentliche Clip mit Musik ein und erfüllt den Wunsch des Betrachters nach einer Performance. Nachdem der Fernsehausschnitt der zum Zeitpunkt des Musikvideos nur wenige Monate zurückliegenden Veranstaltung den Ruhm des Stars festgehalten hat, stellt MC Hammer sein Rapund Tanz-Talent unter Beweis und bietet seinen aktuellen Song dar. Dies geschieht zwar nicht mehr im vorangegangenen Setting der TV-Show. Doch die Choreografie wird sporadisch von einem Monitor eingefangen, der sich am unteren Bildrand befindet und den Blick auf das Markenzeichen des Rappers, die spektakulären Bewegungen in seinen weiten Hammer Pants, richtet. Unbescheiden wie das Zitat der Preisverleihung im Fernsehen mutet auch der Liedtext an. „Every time you see me / That Hammer’s just so hype / I’m dope on the floor / And I’m magic on the mic / Now why would I ever / Stop doing this?“, heißt es im Song, mit dem der Musiker seinen Erfolg fortzusetzen versuchte und bei den AMERICAN MUSIC AWARDS des nächsten Jahres tatsächlich erneut als Gewinner hervorging. Abbildung 32: U CAN’T TOUCH THIS, 1990, M: MC Hammer, R: Rupert Wainwright.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=otCpCn0l4Wo (TC 00:02, 00:13, 01:25)
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Die analysierten und um eine Vielzahl weiterer Fernsehzitate zu ergänzenden Beispiele stimmen darin überein, existierendes TV-Material zu gebrauchen, um eine verbalisierte Aussage zu vergegenwärtigen und ihre Wahrheit zu bezeugen. Demnach dienen die Bilder dazu, die Rezeption des Musikstücks in eine gewünschte Richtung zu lenken, unabhängig davon, ob sie einen gesellschaftlichen Zustand dokumentieren, der im Liedtext thematisiert wird, oder die Karriere des Interpreten illustrieren, der den Song darbietet. Die Herkunft der Aufnahmen ist für ihre Wirkung nicht unwichtig. „[[G]eschieht] [d]ie Repräsentation der Geschichte im Fernsehen [...] grundsätzlich als Beobachtung der eigenen Geschichte des Fernsehens“160, setzt das Musikvideo in gleicher Weise die Geschichte von Politik und Popmusik als einen beliebten Gegenstand des TV-Programms in Szene. Die Übernahme von fremdem Material unterscheidet sich von anderen Bildstrategien der intermedialen Bezugnahme dadurch, dass der Clip durch die Einbeziehung von Aufnahmen, die ihm zeitlich vorausgehen, die Überzeugungskraft seiner Botschaft erhöht. Sind die Bilder als ein TV-Inhalt zu erkennen, der bereits einem breiten Publikum zugänglich gemacht worden ist, festigt sich der dokumentarische Eindruck, wenngleich die medial vermittelte Darstellung im Musikvideo stets einer vom Betrachter nicht wahrgenommenen Verfremdung unterliegen kann. Das Fernsehen erscheint folglich als eine Kommunikationstechnologie und Institution, die es möglich macht, historische Veränderungen zu reflektieren, aber auch Sänger und Bands, die nicht zuletzt durch ihre Präsenz im Clip-Programm Erfolge feiern, für ihre musikalischen Leistungen auszuzeichnen. Es sei darauf hingewiesen, dass eine solche Aufwertung des Stars im Clip nicht nur unter Rückgriff auf Archivmaterial erfolgt. So liefern die Red Hot Chili Peppers in DANI CALIFORNIA (2006) eine Zusammenfassung der Musikgeschichte, in welcher auch sie Erwähnung finden. Durch markante Frisuren, Körperbewegungen, Kostüme und Accessoires mimen die Bandmitglieder im Verlauf des Clips mehrere Künstler des 20. Jahrhunderts. Parodiert werden unter anderem die Beatles, Jimi Hendrix, David Bowie und Nirvana. Zum Schluss der amüsanten Abfolge musikalischer Auftritte haben sich die Red Hot Chili Peppers ihrer Verkleidungen entledigt und präsentieren den Song DANI CALIFORNIA selbst auf der Bühne. Sie erwecken den Eindruck einer Rock-Gruppe, die durch Stars unterschiedlicher Zeiten und Stilrichtungen inspiriert worden ist. Die Nähe zu ihren Idolen bringen die Musiker gerade dadurch zum Ausdruck, dass sie frühere Darbietungen nachahmen und keine Originalaufnahmen fremder Herkunft verwenden. Anhand der Integration von TV-Material ist erneut ersichtlich, dass eine intermediale Bezugnahme, die im Musikvideo zu finden ist, nicht von einem Song, der das Fernsehen verhandelt, begleitet werden muss, und die Quelle der Archivaufnahmen für den Betrachter aufgrund einer fehlenden verbalsprachlichen Konkretisierung uneindeutig bleiben kann. Häufig wird dem Publikum unterstellt, übernommene Bilder 160 Ebd., S. 60.
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zu kennen. Eine weitere Erkenntnis ist allgemeiner Art und bezieht sich auf die Umsetzung von visuellen Strategien der Medienreflexion im Musikvideo. Auch wenn ein Clip nicht bloß gestalterische Elemente, die aus dem Programm des Fernsehens bekannt sind, nachbildet oder künstliche Störungen hinzufügt, sondern schon vorhandenes TV-Material vollformatig zwischenschneidet, besteht ein Unterschied zwischen Original und Zitat. Differenztheoretisch gesprochen hat man es in den genannten Fällen immer mit der Beobachtung einer vom jeweiligen Musikvideo abweichenden medialen Form zu tun, die in der Gegenüberstellung mit der Form des eigenen Mediums als Reflexion eingesetzt werden kann.
7. Perspektiven der intermedialen Bezugnahme
Aufbauend auf den Erkenntnissen zu den gestalterischen und narrativen Möglichkeiten, das Fernsehen in Szene zu setzen, lassen sich die Perspektiven erkunden, unter denen der Gegenstand, auf den das Musikvideo Bezug nimmt, mit bestimmten Bedeutungen aufgeladen wird. Nachdem der Untersuchungsteil das breite Spektrum der Bildstrategien beleuchtet hat, die im Sinne einer differenztheoretischen Analyse der Markierungen einer Medienreflexion dazu dienen, sowohl die mediale Form des Clips als auch die des TV-Mediums zu fokussieren,1 fragen die folgenden Kapitel gesondert nach den Haltungen gegenüber dem Fernsehen, die sich im gesamten Produkt Musikvideo artikulieren. Im Mittelpunkt stehen demnach die in den intermedialen Bezugnahmen zur Anwendung kommenden Unterscheidungen, mit denen das Fernsehen im Zusammenspiel von Song und Clip verhandelt wird, während sich das Verhältnis zwischen dem beobachtenden und dem beobachteten Medium entscheidend wandelt und im Rahmen einer Reflexion mit unterschiedlicher Deutlichkeit sichtbar wird (Kapitel 4.2). Es soll herausgearbeitet werden, ob das Musikvideo auch jenseits der häufig affirmativen Haltung gegenüber dem Fernsehen den laufenden Diskurs über sein Distributionsmedium fortführt und kommentiert. Wie die bisherige Analyse an verschiedenen Stellen ergeben hat, beziehen Clips in ihren Darstellungen durchaus klare Positionen, wenn sie Inhalte, Gestaltungsprinzipien und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des Fernsehens thematisieren. So werden TV-Apparate in die Handlung eingebunden und eine televisuelle Ansicht nachgeahmt, um ein positives Bild des Mediums zu zeichnen oder ernste Töne anzuschlagen. Die intermedialen Bezugnahmen unterliegen keinem ausschließlich unkritischen Blick, sondern fallen sehr verschieden in ihrer Bewertung des Fernsehens aus. Zum einen lässt sich das Musikvideo als ein Medium begreifen, das trotz seines kommerziellen Produktionskontextes auch künstlerische Werke hervorbringt, die immer wieder gesellschaftliche Entwicklungen und Verhältnisse hinterfragen (Kapitel 3.3). Zum anderen liegt es nahe, dass Clips gerade vor dem Hintergrund ihrer werbenden Funktion auf das Fernsehen verweisen, um den Sänger oder die Band in Opposition zum 1
Vgl. Kirchmann/Ruchatz: Einleitung, S. 20.
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Konsum des Massenmediums zu bringen oder als einen Star zu präsentieren, der seine Verbindung zum TV-Programm bewusst ausstellt. In beiden Fällen wird dem Musiker eine Position zugeordnet, die im Gedächtnis des Rezipienten bleiben soll. Die Haltung gegenüber dem Fernsehen teilt sich nicht erst über die Bilder mit. Ausgehend von der langen Geschichte der Medienreflexion in der Popmusik ist anzunehmen, dass auch vom zugrunde liegenden Song, der medienbezogene Äußerungen enthalten und eine visuelle Umsetzung erfahren kann, abhängt, inwiefern ein Clip den Sänger oder die Band mit Überzeugungen und Eigenschaften verknüpft, die Zuneigung oder Abneigung gegenüber dem Fernsehen zum Ausdruck bringen. Im Folgenden gilt es daher zu untersuchen, auf welche Weise sich die Bezugnahmen auf das Fernsehen in Songs und Clips niederschlagen und die Konstruktion eines ansprechenden Images des meist im Fokus stehenden Stars unterstützen oder mit ihr konfligieren. Dies erfolgt anhand von drei zentralen Blickrichtungen, aus denen das Musikvideo das Fernsehen betrachtet und ein Bewusstsein von seiner Beziehung zu anderen Kommunikationstechnologien und deren Angeboten im System der Medien entwickelt. Oftmals zeigt sich eine fundamentale Kritik an der Beschaffenheit des Fernsehens (Kapitel 7.1). Sie wird von Parodien begleitet, die Merkmale einzelner TV-Gattungen vorführen (Kapitel 7.2). Eine besondere Reflexionsform bilden Bezugnahmen auf die Fernsehvergangenheit, in denen das Musikvideo eine zurückliegende Ära nostalgisch verklärt und sich mit der Geschichte des eigenen Mediums auseinandersetzt (Kapitel 7.3).
7.1 K RITISCHER B LICK
AUF DAS
F ERNSEHEN
Sicherlich geht der enorme Erfolg des Musikvideos auf die Etablierung des Musikfernsehens zurück (Kapitel 2.2). Trotzdem ist das Verhältnis der beiden Medien schon seit ihrer Zusammenführung nicht nur von Freundschaft geprägt. Konzentriert man sich zunächst ausschließlich auf die Bildebene von Clips und blendet den zugehörigen Song aus, fallen bereits wiederkehrende Darstellungen auf, die für sich einen kritischen Standpunkt gegenüber dem Fernsehen zu erkennen geben. Häufig ist eine bestimmte Sicht auf das Medium anhand von Mimik und Gestik der Hauptfigur ablesbar, die sowohl Skepsis, Furcht, Empörung als auch Ekel bezüglich des ausgestrahlten Programms widerspiegeln können. Die Unzufriedenheit manifestiert sich insbesondere dann, wenn ein Zuschauer ein Empfangsgerät entschlossen ausschaltet oder die Fernbedienung als „subversive technology“ nutzt, um zu einer anderen Sendung zu zappen und einen „individualized media mix“2 zusammenzustellen. Hebt ein Musikvideo auf die fesselnde Wirkung des Programms ab, indem es ein Publikum zeigt, das 2
Robert V. Bellamy Jr./James R. Walker: Television and the Remote Control: Grazing on a Vast Wasteland. New York/London 1996, S. 1.
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vor dem Bildschirm erstarrt oder in die Welt des Fernsehens im wahrsten Sinne des Wortes hineingezogen wird, können sich weitere Bilder anschließen, die die negativen Folgen der Nutzung des Mediums in den Vordergrund rücken. Auch von der Zerstörung eines TV-Apparates, wie sie gelegentlich in Clips zu finden ist, die an Arbeiten der Videokunst angelehnt sind (Kapitel 6.1.2), lässt sich auf eine ablehnende Reaktion auf das Fernsehen schließen. Dennoch können die Gründe für ein solches Verhalten der Hauptfigur immer auch in der dargestellten Situation liegen.3 In vielen Fällen jedoch bezieht sich bereits der einem Musikvideo vorausgehende Song auf Aspekte des Fernsehens. Die Beschäftigung mit dem TV-Medium ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Images zu verstehen, das einem Star zugeschrieben wird und seinen Widerhall in den Bildern kommerzieller Clips finden kann. Der hedonistische oder rebellische Eindruck, den ein Musiker in seinen Werken gewöhnlich vermittelt, bestimmt auch, auf welche Weise er sich der Konsumkultur und dem Fernsehen widmet. Eine kritische Medienreflexion ergibt sich argumentativ aus dem Vergleich der beobachteten Situation des Fernsehens mit einer Situation, die als Norm gesetzt, wenn auch nicht immer ausformuliert wird. Wie die weiteren Kapitel darlegen, wiederholt das Musikvideo eine aus der Mediengeschichte bekannte Kulturkritik (Kapitel 7.1.1), die es allerdings relativiert, sobald seine Bilder als Teil des TV-Programms inszeniert werden (Kapitel 7.1.2). In Anbetracht einer voranschreitenden medialen Entkopplung von Musikvideo und Fernsehen kann darüber hinaus gefragt werden, inwiefern sich die gegenüber dem Distributionsmedium hervorgebrachten Argumente im 21. Jahrhundert verändern (Kapitel 7.1.3). 7.1.1 Kulturkritik reloaded Dass Musikvideos gedreht werden, die zumindest Bedenken gegenüber dem Fernsehen äußern, ist nicht selbstverständlich. Welche Ansichten ein Clip vom TV-Medium im Detail vermittelt, bedingen Überlegungen auf der Seite von Produktion und Distribution. Dies lässt sich anhand eines empirischen Befunds von Joe Gow nachvollziehen. Wie der Medienwissenschaftler feststellt, treten in den am häufigsten gesendeten Werken der ersten zwölf Jahre von MTV nur selten politische Statements zu Krieg und Diskriminierung auf, die mit einem Lösungsvorschlag einhergehen.4 Gow 3
So erfüllt die Inszenierung von körperlicher Gewalt gegen den TV-Apparat nicht selten den Zweck, den Protagonisten des Clips als aggressiv zu charakterisieren, anstatt eine umfassende Diskussion über das Medium zu führen. In AMERICAN BAD ASS (2000) spielt Kid Rock einen Biker, dessen Gewaltbereitschaft schon in der Eröffnungsszene auffällt, wenn der Musiker unter freiem Himmel wütend eine Bierflasche auf seinen Fernsehbildschirm wirft und diesen mit einem Tritt zu Boden stößt.
4
Vgl. Joe Gow: Political Themes in Popular Music Videos: MTV’s „Top 200, Ever“. In: Popular Music and Society 18 (1994), H. 4, S. 77-89, S. 85.
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zufolge besteht eine mögliche Erklärung neben einem geringen Interesse des Publikums an Themen dieser Art darin, dass Musiker zögern, eigene Meinungen explizit zu machen, und die Verantwortlichen des TV-Kanals befürchten, Werbekunden durch ein kontroverses Programm zu verlieren.5 Auch hinsichtlich der Auseinandersetzung des Musikvideos mit anderen Medien spielt die Frage, welche Erwartungen Sender an ihr Programm und Sänger sowie Bands an das eigene Image haben, eine wichtige Rolle. Aus der Existenz eines medienkritischen Songs lässt sich ebenso wenig ableiten, dass ein zugehöriger Clip in Auftrag gegeben oder selbst angefertigt worden ist, wie aus der Existenz eines medienkritischen Clips, dass dieser Eingang in ein Fernsehprogramm findet. Denn miteinander konkurrierende TV-Sender haben hinsichtlich des von ihnen zusammengestellten Medienangebots ein größeres Interesse und mehr Möglichkeiten als Online-Portale, ihren Nutzern ausschließlich solche Inhalte bereitzustellen, die die eigene Reputation nicht durch eine subversive Botschaft gefährden.6 Am Beispiel der Punk-Bewegung, die sich in Distanz zu einer industriellen Kulturproduktion verortet, kann das nicht immer ausgewogene Verhältnis zwischen den Optionen und der Motivation von Interpreten, eine Konsumkritik in Form eines Musikvideos zu veröffentlichen, anschaulich gemacht werden. Der Punk bildete „the rabid antidote to MTV, high fidelity, and everything stereo television stands for“7, wie David Laderman postuliert. Aufgrund ihrer Verweigerung gegenüber der massenmedialen Musikverwertung ließen viele Vertreter der Bewegung keine eigenen Clips für das Fernsehen produzieren, während sie die Verbreitung ihrer Songs auf Tonträgern als weniger problematisch einschätzten.8 MTV lehnte derweil vorhandene Punk-Videos ab, bis in den 1990er Jahren Werke von Green Day und anderen Gruppen, die mit einer weniger kritischen Sicht auf den Kapitalismus von Major-Labels unter Vertrag genommen wurden, an Attraktivität für den Sender gewannen.9 Bei der Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen sowie Macht- und Lebensverhältnissen durch Punk-Vertreter handelt es sich um eine Haltung, die von Interpreten unterschiedlicher Genres eingenommen wird. Daraus erwächst das Phänomen, dass Musiker medienkritische Songs vielfach ohne einen zugehörigen Clip herausbringen. 5 6
Vgl. ebd., S. 86f. So kommen Musiker und Regisseure häufig der Forderung von MTV nach, den Liedtext oder den Clip zu überarbeiten, wenn der Kanal sich oder seine Werbepartner auf eine unangemessene Weise dargestellt sieht. Vgl. Banks: Monopoly Television, S. 193f.
7
David Laderman: Punk Slash! Musicals: Tracking Slip-Sync on Film. Austin, Texas 2010, S. 69.
8
Vgl. Warren Zanes: Video and the Theater of Purity. In: Roger Beebe/Jason Middleton (Hg.): Medium Cool: Music Videos from Soundies to Cellphones. Durham, North Carolina/London 2007, S. 269-289, S. 285.
9
Vgl. Sharon M. Hannon: Punks: A Guide to an American Subculture. Santa Barbara, California 2010, S. 77.
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Insbesondere MTV ist häufig bezichtigt worden, in sein Programm lediglich chartkompatible Massenware aufzunehmen. Die in weiten Teilen auf ausdrucksstarke und unkonventionelle Bilder setzenden Clips von Stars des aufgekommenen New Pop bedrohten in den Augen eines älteren Publikums die Authentizität der Musik, wie Simon Frith schildert: „It [MTV, S.R.] seemed to mean the replacement of rock values (sincerity, musical dexterity, live communion) with old pop conceits (visual style, gimmickry, hype); it was accused of denying viewers the right to ‚imagine‘ songs for themselves.“10 Aus diesem Grund haben sich in der Vergangenheit mehrere Interpreten dazu entschlossen, keine eigenen Clips produzieren zu lassen. So fürchtete zum Beispiel Joe Jackson, der bereits internationale Erfolge als Sänger gefeiert hatte, als MTV noch nicht gegründet worden war, dass seine Glaubwürdigkeit leiden könne, wenn er als Schauspieler agiert und das Publikum ihn nicht mehr in seiner Rolle als Musiker wahrnimmt.11 Die Kritik am Clip-Boom ist für einige Stars zu einer Selbstverständlichkeit geworden und kommt nicht nur in einem Verzicht auf eigene Werbeaufnahmen, sondern auch in den von ihnen geschriebenen Liedtexten zum Ausdruck. Immer wieder widmen sich einzelne Songs mit Spott und Abscheu dem ehemals neuen Musikfernsehen. Im Stück MTV – GET OFF THE AIR (1985) bringen die Dead Kennedys ihre Verachtung gegenüber dem vier Jahre zuvor entstandenen Clip-Angebot auf den Punkt. Die Punk-Gruppe spricht über die Wertlosigkeit der visuellen Umsetzung eines Songs („My job is to help destroy / What’s left of your imagination / By feeding you endless doses / Of sugar-coated mindless garbage“) und rechnet mit der verführenden Wirkung der von MTV-Zuschauern begehrten Bewegtbilder ab („And so it was / Our beloved corporate gods / Claimed they created rock video / Allowing it to sink as low in one year / As commercial TV has in 25“). Konsequenterweise spielen die Dead Kennedys ihr Lied auf Konzerten, bleiben dem verhassten Programm von MTV aber fern.12 Dies wirft die Frage auf, ob Sänger und Bands ihre Vorbehalte gegenüber dem Fernsehen stets in Bezug auf das Musikfernsehen und unter Verzicht auf einen kommerziellen Clip formulieren. Blüht eine ernste Kritik, die neben dem Song zusätzlich über ein Musikvideo vermittelt wird, erst auf, seitdem sich das Medium vom Distributionsort Fernsehen entfernt und im Internet anzutreffen ist? Ein Blick in die 1980er 10
Simon Frith: Making Sense of Video: Pop into the Nineties. In: ders.: Music for Pleasure: Essays in the Sociology of Pop. Cambridge/Oxford 1988, S. 205-225, S. 210.
11 12
Vgl. Joe Jackson, zit. n. Denisoff: Inside MTV, S. 263f. Mit dem Aufkommen des Internets finden sich auch im Fall eines Titels, der nicht im Musikfernsehen läuft, zugehörige Clips, die den Song illustrieren, nämlich dann, wenn sie ohne das Wissen des Interpreten angefertigt worden sind. So haben mehrere User auf YouTube Ausschnitte in der Vergangenheit gesendeter Videos zusammengefügt, mit dem Lied MTV – GET OFF THE AIR unterlegt und auf diese Weise die Stellungnahme der Dead Kennedys zum kommerziellen Clip-Programm anhand von Beispielen konkretisiert.
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und 1990er Jahre lässt erkennen, dass dies ein Trugschluss wäre. Der lautstarke Protest, den Sänger und Bands gegenüber dem TV-Medium und seinem Programm erheben, spiegelt sich seit den Anfängen des Musikfernsehens auch in den Bildern ihrer Clips wider. Die Möglichkeit einer solchen Kritik bleibt bis heute erhalten, auch wenn Autoren immer wieder feststellen, dass der gegenwärtige Pop im Gegensatz zu seiner progressiven Intention und Wirkung in der Vergangenheit keine Grenzen überschreite,13 stattdessen zahlreiche Popkulturen mit sich überlagernden Gemeinschaften entstehen lasse14 und auf Phasen der musikalischen Innovation schon früher stets Phasen der Kommerzialisierung gefolgt seien.15 So ist zu bedenken, dass Stars der Gefahr ausgesetzt sind, ihren Reiz für das Publikum zu verlieren, wenn sie lediglich mit Bildern verbunden werden, die eine Affirmation gegenüber der massenmedialen Wirklichkeit erkennen lassen. Schließlich beruht der Erfolg von Musikern unter anderem auf einer Abgrenzung von ihren unmittelbaren Konkurrenten im Showgeschäft, wie Christofer Jost und Lisa Huwyler festhalten: „Zum einen müssen sie für ein Massenpublikum identifizierbar bleiben, müssen also stets Eigenschaften aufweisen, die allgemeinverständlich und einigermaßen klar konturiert sind, zum anderen sind sie angehalten, sich von anderen Künstlern zu unterscheiden, um überhaupt als besonders und bedeutungsvoll gelten zu können.“16
Die erforderliche Abgrenzung lässt sich durch eine Kritik am Fernsehen, dem viele Stars ihre Popularität verdanken und auf dessen Bilder sie in ihren Clips zurückgreifen, erreichen. Der Verweis auf das TV-Medium kann ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein anzeigen. Welchen Umgang ein Musiker mit dem Fernsehen in seinem Privatleben pflegt und wie er die Qualität des Programms einschätzt, ist für die Einnahme eines intellektuellen, moralischen oder politischen Standpunkts von nachrangiger Bedeutung. Nicht immer offenbart sich der Widerstand gegen die Television in der Bilderwelt des Clips. So greifen Genesis in TURN IT ON AGAIN (1980) zwar das Thema des Medienkonsums auf („All I need is a TV show / That, and the radio“) und sprechen von fatalen Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Publikums („It’s driving me mad / Just another way / Of passing the day“). Doch der Clip enthält weder Aufnahmen, die den Betrachter an die eigene Rezeption bestimmter Sendungen erinnern, noch Darstellungen, in denen das Leid des besungenen Zuschauers explizit wird. Stattdessen ist zu sehen, wie Phil Collins den Song mit seinen Bandkollegen darbietet. 13
Vgl. Diedrich Diederichsen: Ist was Pop? [1997]. In: ders.: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt. Köln 1999, S. 272-286, S. 275.
14 15
Vgl. ebd., S. 277f. Vgl. Matthias S. Fifka: Rockmusik in den 50er und 60er Jahren. Von der jugendlichen Rebellion zum Protest einer Generation. Baden-Baden 2007, S. 345.
16
Jost/Huwyler: Live-Performance und Staridentität, S. 153.
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Auch in der Betrachtung von anderen Musikvideos sind die Anschuldigungen gegenüber dem Fernsehen ohne Kenntnisse des Liedtextes nur zu erahnen, da der Clip kaum von einer Bühnen-Performance abweicht. Demgegenüber stehen solche Werke, die die Beobachtung der medialen Umwelt nicht auf verbalsprachliche Verweise begrenzen. Sie liefern zusätzliche Eindrücke vom Fernsehen und vergegenwärtigen einzelne Aussagen des Songs, indem sie sie stärker narrativ einbinden. Eine verbreitete Vorgehensweise, das Publikum von den kritischen Behauptungen zu überzeugen, besteht darin, die Musiker eine pathologische Mediennutzung nachahmen zu lassen. So handelt etwa TV PARTY (1981) der Band Black Flag von einem vergnügten Fernsehabend von Freunden, der jene Realitätsflucht dokumentiert, mit der sich der Song beschäftigt. Der Erzähler berichtet aus seiner Perspektive von der Passion für das Fernsehen und einer fehlenden Motivation, das Haus zu verlassen („We sit glued to the TV set all night / And every night / Why go into the outside world at all? / It’s such a fright“). Das Video zeigt indes die grölende Band auf einem Sofa vor einem Bildschirm. Die Vorderseite des Gerätes bleibt für das Clip-Publikum verborgen, denn die Aufmerksamkeit gilt der televisuellen Rezeptionssituation an sich. Zwischendurch werden Kriegsaufnahmen aus den Nachrichten eingestreut. Der Gesang verrät allerdings, dass niemand von den Grausamkeiten in der Welt erfahren möchte („TV news shows what it’s really like out there / It’s a scare“). Entertainment wird einem seriösen Fernsehprogramm vorgezogen, wie sich schlussfolgern lässt. Die Mitglieder von Black Flag essen im Musikvideo Chips und trinken eine große Menge Dosenbier, das sie übermütig im Raum verschütten, als unvermittelt der Bildschirm kaputt geht und Entsetzen ausbricht. Sowohl der Liedtext als auch der Clip richten sich nicht gegen das Fernsehen oder seine Sendungen. Sie spielen vielmehr mit dem Bild eines Mediennutzers, der lediglich nach einer Möglichkeit der kollektiven Zerstreuung sucht und kein Interesse an der Berichterstattung über gesellschaftliche Ereignisse hat, da diese ihn daran hindert, den Alltag zu vergessen. Eine vergleichbare Charakterisierung des Publikums nehmen die Wildhearts im Musikvideo TV TAN (1993) vor. Das lyrische Ich des Songs beschreibt sich sarkastisch als passiven Zuschauer, dessen Tätigkeit vor dem laufenden Fernsehapparat darin bestehe, Zigaretten zu rauchen und die Programmzeitschrift, „the bible for the pig who stays inside“, zu lesen. Neben einem ungesunden Lebensstil hebt der Liedtext auf die Verarmung sozialer Beziehungen ab. Damit hält er an einem Argument fest, das im öffentlichen Diskurs regelmäßig angebracht wird, seitdem Autoren der ersten Stunde des Fernsehens wie Günther Anders betont haben, dass der TV-Bildschirm „[n]icht den gemeinsamen Mittelpunkt liefert [...], vielmehr [...] diesen durch den gemeinsamen Fluchtpunkt der Familie [ersetzt] [Herv. i.O.].“17 Im Sinne dieser frühen Medienbeobachtung setzen sich die Wildhearts mit einer fernsehbedingten Isolation 17
Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München 1956, S. 106.
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auseinander: „Some day maybe I’ll call you / I’ll see whenever I’m free. Maybe Tuesday, when there’s nothing on TV / 20 Regal and a 4-pack / I guess I’m set for the night and anti-social, to keep in shape, thin and white.“ Der Clip verdeutlicht die Kritik der Musiker. So spielt die Band vor einem Hintergrund aus Zeichentrickbildern, die nicht mehr nur einzelne Zuschauer für einen übermäßigen Medienkonsum schuldig sprechen, sondern darauf hindeuten, dass das Fernsehen im Allgemeinen eine Bedrohung darstellt. Zigaretten, Bierdosen und televisuelles Rauschen setzen sich zu einem symmetrischen Muster zusammen, ein Monitor mutiert zum gefräßigen Totenschädel, Organe schwirren durch die Luft und machen körperliche Risiken der Mediennutzung bewusst (Abbildung 33). Eine übergewichtige Knetfigur, die offenbar keine Beziehung zu weiteren Menschen pflegt, erhält in zwischengeschnittenen Sequenzen die Rolle des Zuschauers. Sie wird von zwei Hunden bedrängt, versöhnt sich aber mit den beiden Tieren wieder, als die Gruppe ihren Blick geschlossen auf die Mattscheibe richtet. Dennoch ist die plötzliche Freundschaft des Trios nur eine scheinbare. Laut Anders erfolgt die Fernsehrezeption nebeneinander und nicht in einem gemeinsamen Austausch, weshalb die Zuschauer lediglich zufällig interagieren können.18 Lachende Clownköpfe dringen aus dem TV-Apparat hervor und setzen sich als Zeichen eines Unterhaltungsprogramms, das die drei Figuren in den Bann zieht, an die Stelle der Gesichter. Jegliche Spuren einer individuellen Verarbeitung des medial Dargebotenen sind für einen Augenblick eliminiert. Der Bildschirm macht die als Couch-Potatos auftretenden Zuschauer zu Sklaven der Massenkommunikation. Abbildung 33: TV TAN, 1993, M: The Wildhearts, R: Nick Burgess-Jones/Run Wrake.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=XyequXgmiNo (TC 01:58, 02:27, 03:15)
Die Darstellung mehrerer Fernsehzuschauer mit identischer Mimik ist kurze Zeit später in COME TO DADDY (1997) von Aphex Twin aufgegriffen worden, einem Musikvideo, das im Stil von Horrorfilmen wie POLTERGEIST (1982), VIDEODROME (1983) und RINGU (1998) die vom Medium Fernsehen ausgehende Gefahr als eine übersinnliche Macht inszeniert, die hinter dem Bildschirm lauert.19 Der Clip folgt einer Frau, 18 19
Vgl. ebd., S. 106f. Vgl. Arno Meteling: Monster. Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm. Bielefeld 2006, S. 315.
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die während ihres Spaziergangs auf der Straße in einem Müllhaufen einen TV-Apparat entdeckt. Das Gerät leuchtet auf und gibt ein furchteinflößend verzerrtes Bild des Aphex-Twin-Komponisten Richard D. James wieder, der eine Gruppe von aggressiven Kindern anlockt, die jeweils sein Gesicht tragen.20 Den narrativen Höhepunkt bildet der Auftritt eines auf das Medium Musikvideo verweisenden Dämons, der im Inneren des Bildschirms geboren wird und schließlich als reale Bedrohung den televisuellen Raum verlässt.21 Dass die Köpfe der Kinder im Moment der Fernsehrezeption – anders als im Fall des Clips TV TAN – nicht dem Kopf eines lachenden Clowns, sondern dem des vom Musiker gespielten Ungeheuers entsprechen, verschiebt den Fokus der Medienreflexion. „In der profanen Erleuchtung vor dem Fernsehaltar sind und werden alle gleich monströs“22, schreibt Arno Meteling und erkennt im Clip eine Referenz auf die Debatte um die gewaltsteigernde Wirkung von TV-Bildern, vor der Pädagogen vor allem junge Zuschauer zu schützen versuchen.23 Auch für den Protagonisten von SOMEBODY’S WATCHING ME (1984) des Sängers Rockwell erweist sich das Fernsehen als ein Medium des Grauens. In dem von Francis Delia gedrehten Clip geht der Musiker durch Flure und Zimmer eines Hauses, in dem er mehrere unheimliche Begegnungen macht. Der Song deutet an, dass es sich bei den Vorfällen um eine Einbildung von Rockwell handelt, der das Gefühl hat, verfolgt zu werden, und sich sogar vor seinem Fernsehapparat fürchtet („People call me on the phone I’m trying to avoid / Well, can the people on TV see me or am I just paranoid?“). Der Musiker wirft einen Blick auf den Bildschirm, blinzelt und sieht, wie er auf einem Stuhl von finsteren Gestalten gefesselt und geschlagen wird (Abbildung 34). Dass der Apparat kein Fernsehprogramm empfängt, die Folterszene demnach auf eine andere Weise erklärt werden muss, ist ersichtlich, sobald die Peiniger Kontakt mit Rockwell als Zuschauer aufnehmen und dieser sich von der Mattscheibe abwendet. Während das Video von Aphex Twin die Trennung zwischen intra- und extradiegetischem Raum vollständig aufhebt, veranschaulicht der mit den Gesetzen der Physik nicht zu vereinbarende Blick aus dem Inneren des TV-Gehäuses in SOMEBODY’S WATCHING ME den psychischen Zustand der paranoiden Hauptfigur. Im Vergleich zur gespenstischen Atmosphäre von COME TO DADDY, die durch die rhythmische Unruhe und den technoiden Klang des Drum-’n’-Bass-Stücks gesteigert wird, fällt der Schrecken im Clip zum melodischen Song von Rockwell geringer aus. Auch die in SOMEBODY’S WATCHING ME vorhandenen Anleihen beim Horrorfilm belegen ein Bewusstsein für zeitgenössische Darstellungen der Television in anderen Werken der Populärkultur, wenngleich das Medium nicht im Mittelpunkt der Handlung steht. Die Medienreflexion trägt fantastische Züge, löst sich von der Erfahrungswirklichkeit des 20
Vgl. ebd., S. 312ff.
21
Vgl. ebd., S. 314ff.
22
Ebd., S. 317.
23
Vgl. ebd., S. 315.
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Betrachters und produziert Ansichten von Angst und Unsicherheit, die eine stichhaltige Argumentation zur Nutzungs- und Wirkungsweise des Fernsehens missen lassen. Abbildung 34: SOMEBODY’S WATCHING ME, 1984, M: Rockwell, R: Francis Delia.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=7YvAYIJSSZY (TC 01:16, 01:20, 01:23)
Verschafft man sich einen Überblick über die Medienkritik im Musikvideo, so wird deutlich, dass Songs und Clips verschiedene Themen ansprechen und Sachverhalte bewerten, die seit dem Aufkommen des Fernsehens Teil des gesellschaftlichen Diskurses sind (Kapitel 4.3). Populären Verurteilungen der Massenkommunikation zufolge bildet die Television eine Kommunikationstechnologie, die den Zuschauer beständig fasziniert und ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit liefert. Auch mehrere Jahrzehnte nach den Arbeiten der Frankfurter Schule, deren Vorstellung von einem passiven Medienkonsum im Widerspruch zu späteren Annahmen von Vertretern der Cultural Studies steht,24 verdammen Musiker das Fernsehen als eine Einrichtung, die, wie Theodor W. Adorno schreibt, „ins umfassende Schema der Kulturindustrie [fällt] und [...] deren Tendenz, das Bewußtsein des Publikums von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindung von Film und Radio weiter[treibt].“25 Stellvertretend für eine vehemente Kulturkritik stehen Nuclear Assault. In ihrem Clip mit dem bezeichnenden Titel BRAINWASHED (1988) begreift die Metal-Gruppe das Fernsehen als eines von mehreren besorgniserregenden Massenkommunikationsinstrumenten, gegen die sie sich auflehnt. Die Strophen des Songs sind einzelnen Medien gewidmet. Am Ende fordern Nuclear Assault ihre Hörer jedes Mal auf, sich von der Gehirnwäsche der Kulturindustrie, welcher sie im Sinne des „Zirkel[s] von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis“26 unterliegen, loszusagen. „Why don’t you think for yourself? Live in this self-made hell“, skandiert die Band. Inmitten der rasanten Bilderfolge, die mit 24
Vgl. zusammenfassend Jörn Glasenapp: Kulturindustrie als Status Quo-Industrie. Adorno und das Populäre. In: Werner Faulstich/Karin Knop (Hg.): Unterhaltungskultur. München 2006, S. 167-178, S. 175.
25
Theodor W. Adorno: Prolog zum Fernsehen [1953]. In: ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe, Stichworte, Anhang, hg. v. Rolf Tiedemann. Darmstadt 1998, S. 507517, S. 507.
26
Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 129.
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televisuellen Störungen angereichert ist, taucht ein TV-Publikum auf, das ohne körperliche Regungen vor dem Bildschirm sitzt. Für ihren Protest gegen die Nutzung des Mediums wählen Nuclear Assault klare Worte: „Television / The idiot tube / Helps to raise our / Children as fools / Watch the news / They only want to see / Our awareness is / Limited by network / VPs.“ Mehrere fernsehfeindliche Werke anderer Musiker haben die Veröffentlichung von BRAINWASHED begleitet. Dies bestätigt eine Analyse von Songs im Rahmen einer Studie, die 1984 durchgeführt worden ist, um das Liedtextverständnis und die Meinungen von College-Studenten zur Arbeit einzelner Medien zu ermitteln.27 Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass sich auf Medien Bezug nehmende Stücke tatsächlich überwiegend mit dem Fernsehen befassen und das Radio am zweithäufigsten thematisiert und positiver beschrieben wird.28 Die Erhebung fällt in eine Zeit, in der Autoren unterschiedlicher Disziplinen vor gesundheitlichen, moralischen, politischen und anderen Fehlentwicklungen warnten, die sie auf einen leichtfertigen Umgang mit den Inhalten der Massenkommunikation zurückführten. In wenig ermutigenden Worten spricht etwa Neil Postman von einer „verzehrende[n] Liebe zum Fernsehen“, die in den USA ein „Absterben der Kultur“29 bewirke. Auch aufgrund des technologischen Wandels, dem das Medium in den 1980er Jahren unterlag, blieb der TV-Konsum ein Gegenstand von kulturkritischen Diagnosen und Analysen. Zum einen wurde das Senderangebot durch Kabelkanäle und von den Networks unabhängige, über Antenne empfangbare Stationen größer,30 zum anderen veränderten sich mit der Verbreitung von Fernbedienung und Videorekorder die bestehenden Sehgewohnheiten des Publikums.31 Die Auseinandersetzung mit dem geschilderten Medienwandel ist keineswegs auf den wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs beschränkt. Auch die Reaktionen einiger Sänger und Bands auf die Ausweitung des TV-Angebots belegen, dass die hinzutretenden Optionen der Fernsehnutzung nicht immer auf Zustimmung stießen, zumindest selten zu einer Verbesserung kritischer Haltungen gegenüber dem ausgestrahlten Programm führten. Ein Klassiker unter den Musikvideos, die sich in dieser Zeit der Qualität der im Fernsehen übertragenen Inhalte annehmen, ist der von Adam 27
Vgl. Emily D. Edwards/Michael W. Singletary: Mass Media Images in Popular Music: An Examination of Media Images in Student Music Collections and Student Attitudes toward Media Performance. In: Popular Music and Society 9 (1984), H. 4, S. 17-26, S. 20f.
28 29
Vgl. ebd., S. 21. Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie [Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show Business]. 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1985, S. 190.
30
Vgl. Christian Bachem: Fernsehen in den USA. Neuere Entwicklungen von Fernsehmarkt und Fernsehwerbung. Opladen 1995, S. 44.
31
Vgl. ebd., S. 57.
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Bernstein gedrehte Clip zu Bruce Springsteens Lied 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) (1992). Aus der Sicht eines Zuschauers erläutert der Song die Enttäuschung über die umfangreiche Senderauswahl in den USA. Der Erzähler berichtet, dass er sein neu erworbenes Haus mit einem Kabelfernsehen habe ausstatten lassen, über die Trivialität des TV-Programms aber verbittert sei. Selbst ein späterer Satellitenanschluss kann ihn und seine Frau nicht glücklich stellen. Die titelgebende Zeile „Fifty-seven channels and nothin’ on“ wird am Ende jeder Strophe mehrmals wiederholt und ist die zentrale Botschaft des Liedtextes. Auf ineinander montierten Darstellungsebenen bildet der Clip die Unzufriedenheit mit der gestiegenen Anzahl von Fernsehkanälen ab. Mit einem Bass in den Händen singt Springsteen vor einer Wand aus zusammenhanglosen TV-Fetzen, um im nächsten Moment die Handlung seines Monologs nachzuspielen, wenn er neben seiner Frau im Wohnzimmer auf einen Bildschirm starrt (Abbildung 35). Seine auffällige, weil ruhige und wenig melodische Stimmführung kann als Ausdruck von Langeweile verstanden werden. Das Fernsehen, über dessen Mangel an inhaltlicher Tiefe sich der Musiker im Song beschwert, tritt als „Nullmedium“32 in Erscheinung. Im Sinne von Hans Magnus Enzensberger „steuert“ der Zuschauer „energisch einen Zustand an, den man als Programmlosigkeit bezeichnen kann. Um diesem Ziel näherzukommen, benutzt er virtuos alle verfügbaren Knöpfe seiner Fernbedienung.“33 Auch Springsteen drückt verzweifelt die Tasten seines Eingabegerätes. Der Sänger unterscheidet sich allerdings von dem von Enzensberger beschriebenen Rezipienten, denn er hofft, eine für ihn relevante Sendung zu finden und der „technische[n] Annäherung an das Nirwana“34 zu entkommen. Doch seine Erwartungen an die Qualität des TV-Programms bleiben unerfüllt. Auf dem Monitor sind lodernde Flammen zu sehen – stellvertretend für das Gefühl der Leere, welches den frustrierten Zuschauer erfasst, und als Verweis auf die Metapher des Lagerfeuers, mit der die soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Fernsehens oftmals umschrieben wird. Während des Refrains ist Springsteen, der in einer Naheinstellung gefilmt wird, von flackernden Farbflecken umhüllt. Mit einer Sonnenbrille erweckt der Sänger den Eindruck, sich vor dem Licht der Kathodenstrahlröhre zu schützen. „[...] [W]hen we watch TV, it is the TV scanner that ‚reads‘ us“, bemerkt Derrick de Kerckhove zur medialen Formung der Wahrnehmung: „Our retinas are the direct object of the electron beam. When scanning meets glancing, and makes eye contact between man and machine, the machine’s glance is the more powerful.“35 Als Hauptfigur des Clips kann 32
Hans Magnus Enzensberger: Die vollkommene Leere. Das Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind. In: Der Spiegel 42 (1988), H. 20, S. 234244, S. 234.
33
Ebd., S. 236.
34
Ebd., S. 244.
35
Derrick de Kerckhove: The Skin of Culture: Investigating the New Electronic Reality, hg. v. Christopher Dewdney. London [1995] 1997, S. 14.
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sich Springsteen gegen die hypnotische Wirkung allerdings wehren. Er verlässt die Rolle des handlungsunfähigen Zuschauers und führt seine Kritik am Fernsehen fort, indem er zur Gewalt greift. Der Musiker kauft eine Pistole, um dem Bildschirm, dessen Gehäuse sich gespenstisch wölbt, den Garaus zu machen. Dabei beruft er sich im Liedtext auf Elvis Presley, der einer kolportierten Anekdote zufolge Waffen besaß, mit denen er gelegentlich auf seinen privaten TV-Apparat schoss. Springsteen trifft im Clip mit der von ihm erworbenen Pistole das Fernsehgerät und wird wegen Ruhestörung festgenommen. Als zwei Männer den Apparat auf einer Bahre wie eine Leiche aus dem Haus tragen, verschwindet das ungeliebte Medium endgültig aus dem Leben des Protagonisten. Die Wendung der Handlung, in der sich das Leid des Zuschauers erst durch einen Gewaltakt auflöst, wird dadurch betont, dass mit dem Aufprall des Projektils eines von nur wenigen zusätzlichen Geräuschen ertönt, die während des Songs zu hören sind. 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) endet zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern wechselt zu einem weiteren Handlungsstrang. Auf einer separaten Darstellungsebene, die bereits zu Beginn des Clips eingeflochten wird, nähert sich ein Cadillac einer Wand aus TV-Apparaten. Der Zerstörungswut von Springsteen folgend rast der Wagen mit einer Explosion durch die gestapelten Röhrenbildschirme. Als gestalterische Vorlage diente das Happening MEDIA BURN, mit dem die für Kunstwerke und Performances im öffentlichen Raum bekannte Gruppe Ant Farm 1975 für Furore gesorgt hatte. Das Spektakel fand in den USA am Unabhängigkeitstag statt und geriet zum Gegenstand einer breiten Fernsehberichterstattung, weil das Publikum überwiegend aus im Vorfeld eingeladenen Journalisten bestand.36 Die als Nachrichtenbeitrag gerahmte Fahrt durch den Stapel ausrangierter Monitore symbolisierte eine Vernichtung von Fernsehen und Auto, den beiden zentralen Massenwaren des Landes, und wurde als ein medienkritisches TV-Ereignis rezipiert.37 Abbildung 35: 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON), 1992, M: Bruce Springsteen, R: Adam Bernstein.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=YAlDbP4tdqc (TC 00:23, 01:57, 02:13) 36
Vgl. Melissa E. Feldman: Unearthing Ant Farm. In: Art in America 93 (2005), H. 1, S. 4345, S. 44.
37
Vgl. ebd.
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Sowohl im Song als auch im Clip erhebt sich Springsteen über das Fernsehen. Er erklärt Presley nicht zu seinem musikalischen Vorbild, sondern orientiert sich am eigentümlichen Verhalten der Rock-’n’-Roll-Legende vor dem Bildschirm, um seine TVKritik zu rechtfertigen. Gleichzeitig rückt der Sänger im Musikvideo in die Nähe des medienreflexiven Werks einer bekannten Künstlergruppe. Der Clip ähnelt dem Konzept des im Fernsehen übertragenen Stunts von Ant Farm insofern, als er sich selbst als Fernsehinhalt ausgibt. Im letzten Augenblick winkt Springsteen in einem bunten Meer aus Lichtern in die Kamera und scheint den Betrachter mit der Geste aufzufordern, sein Empfangsgerät auszuschalten. Plötzlich erlischt das Bild und verrät, dass der Musiker im Programm jenes Mediums zu sehen ist, von dem er sich kurz zuvor noch enttäuscht gezeigt hat. Durch diesen Moment der Störung (Kapitel 6.2.2) erwecken die im Clip verwendeten Aufnahmen den Eindruck, auf einem TV-Kanal gesendet zu werden. Wie eine Reihe von Arbeiten anderer Regisseure schließt 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) mit einer Pointe, die die eigenen Einwände gegen das Fernsehen abzuschwächen scheint, wie im Folgenden diskutiert werden soll. 7.1.2 Ambivalenz durch Selbstbeobachtung Seit Beginn des Musikvideobooms mit der Gründung von MTV erlebt das Publikum stellenweise eine Neuauflage von kulturkritischen Thesen, die nicht nur im Liedtext zutage treten, sondern auch visuell umgesetzt werden. Selbst Clips, deren Songs das Fernsehen in ein besonders negatives Licht stellen, binden oftmals Bilder ein, die die Beziehung zum Massenmedium ambivalent gestalten, indem sie den eigenen Ausstrahlungsort mitreflektieren. Vernichtender als das Urteil, welches Springsteen in 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) über das TV-Programm fällt, erweist sich zunächst das des Musikvideos TELEVISION, THE DRUG OF THE NATION (1992) der Disposable Heroes of Hiphoprisy. Das Hip-Hop-Duo bedient sich verschiedener Vorwürfe, die auf die Wirkungsweise des Fernsehens abzielen und den öffentlichen Diskurs einst bestimmt haben. Den Strophen des Sprechgesangs ist das Distributionsmedium, welches den Zorn der Musiker auf sich zieht, jeweils vorangestellt. „T.V. is the reason why less than ten percent of our / Nation reads books daily“, lautet eine der pessimistischen Aussagen zur kulturellen und sozialen Dimension der Television. Darüber hinaus kritisieren die Disposable Heroes of Hiphoprisy den Auftritt politischer Kandidaten im Fernsehen, die verführerische Kraft der Werbung und einen massiven Einsatz von Gewaltdarstellungen, der ihrer Meinung nach einen Gewöhnungseffekt bei jugendlichen Mediennutzern auslösen kann. Der unter der Regie von Mark Pellington entstandene Clip besteht aus einzelnen Performance-Sequenzen, die durch mehrere TV-Ausschnitte, eingeblendete Passagen des Liedtextes, flackernde Lichter und Bildfragmente unterbrochen werden (Abbildung 36). Derweil unterstreichen Symbole den religiösen Status und die narkotische
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Eigenschaft des TV-Mediums. Neben einer aus der Videokunst bekannten Kreuzanordnung von Monitoren (Kapitel 6.1.2) finden sich Aufnahmen von Tabletten, die mit Misstrauen weckenden Worten wie „lies“, „sell“ und „addiction“ versehen sind. Das Musikvideo greift ein Thema auf, das in der kontroversen Auseinandersetzung mit den Gefahren des Fernsehkonsums vielfach angesprochen worden ist. So postuliert etwa Marie Winn, dass das Medium psychische Effekte auslösen könne, die mit der Sucht von Drogen vergleichbar sind,38 und vor allem der Bewusstseinszustand von Kindern, die vor einem Bildschirm sitzen, in eine Trance überzugehen drohe.39 Entsprechend schaut der Musiker Rono Tse im Clip der Disposable Heroes of Hiphoprisy von einem Sessel aus auf seinen TV-Apparat und mimt einen vom Fernsehprogramm abhängigen Mann. Zwischendurch liegt er regungslos auf einem Bett vor einem Bildschirm, angeschlossen an einen Infusionsbeutel mit grüner Substanz. Anfangs bleibt unklar, ob die Flüssigkeit dem Patienten als Heilmittel dient oder ein toxisches Sekret des Massenmediums ist und den Tod bringt, wie später eine zwischen den Zähnen gehaltene Tablette andeutet, die den Schriftzug „death“ trägt. Der Clip spielt mit einer Auffassung vom TV-Zuschauer, die aus historischer Sicht nicht neu ist. Nachdem im Rahmen der Lesesuchtdebatte während des 18. Jahrhunderts Vorgaben für die gesundheitsbewusste Rezeption von literarischen Werken entwickelt worden waren, rückte die Frage nach dem Umfang des Konsums mit dem Aufkommen von Kino und Fernsehen abermals in den Vordergrund des fortwährenden Mediendiskurses.40 „Der Zauberkasten mit den schönen Bildern darf kein tyrannischer Alleinherrscher im häuslichen Leben werden“41, fordert zum Beispiel Josef Mühlbauer Ende der 1950er Jahre. Der Autor erkennt in der Television „durchaus ein gutes Mittel der Bildung und der Zerstreuung auch für Kinder“, schränkt die pharmazeutische Wirkungsweise des elektronischen Bildmediums allerdings sogleich ein, da „[man] diese Medizin [...] nur in ganz bestimmten kleinen Mengen schlucken [kann]. Jedes Zuviel macht aus der Medizin ein Gift.“42 Michael Franti, das zweite Mitglied der Disposable Heroes of Hiphoprisy, rappt den Liedtext in die Kamera. Er bewegt sich im Programm jenes Massenmediums, das er gesanglich an den Pranger stellt. Denn zum einen tritt das Duo in einem Musikvideo auf, dessen Verbreitungsort Anfang der 1990er Jahre das Musikfernsehen war. Zum anderen verdeutlicht der Clip, dass er ein Fernsehinhalt ist, indem er Bilder wie 38
Vgl. Marie Winn: Die Droge im Wohnzimmer [The Plug-In Drug 1977]. Reinbek 1979, S. 40.
39
Vgl. ebd., S. 28.
40
Vgl. Irmela Schneider: Profile des (Zu-)Schauens im 20. Jahrhundert. Spectator – Viewer – User. Köln 2003, S. 4f.
41
Josef Mühlbauer: Fernsehen. Das Wunder und das Ungeheuer. Basel/Freiburg/Wien 1959, S. 137.
42
Ebd., S. 136.
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die Aufnahmen der Rap-Performance und Detailansichten des TV-Kreuzes im Stil von schnellen Programmwechseln hintereinander montiert. Das Musikvideo endet damit, dass das Bild ausgeschaltet wird, selbst der Song abbricht und Tse und Franti auf diese Weise eine enge Verbindung mit dem TV-Medium eingehen.43 Die Hip-Hopper betrachten sich jedoch nicht als willfährige Komplizen des Fernsehens, sondern vielmehr als selbstbestimmt handelnde Personen im Kampf gegen die Massenkommunikation. So erläutern sie in ihrem Lied, dass zahlreiche Sänger ausschließlich an einem wirtschaftlichen Gewinn interessiert seien. Mit dem unmissverständlichen Hinweis „Pop stars metamorphosize into soda pop stars / You saw the video / You heard the soundtrack / Well, now go buy the soft drink“ stellen sie die Unabhängigkeit von Kollegen im Musikgeschäft in Frage und beugen gleichzeitig dem Eindruck vor, selbst kommerzielle Absichten zu verfolgen: „Well, the only cola that I support / Would be a union C.O.L.A. (Cost of Living Allowance).“ Die Abgrenzung vom Mainstream dient dazu, die eigene Glaubwürdigkeit herauszustellen. Ihr ist zu entnehmen, dass das Duo ein Risiko darin sieht, durch die Annäherung an das Fernsehen die Überzeugungskraft seiner Kritik zu schmälern. Abbildung 36: TELEVISION, THE DRUG OF THE NATION, 1992, M: The Disposable Heroes of Hiphoprisy, R: Mark Pellington.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=hD9pJzZ1XGI (TC 03:19, 03:44, 06:05)
Auch wenn Bruce Springsteens Fernsehkritik im Gegensatz zum Protest der Disposable Heroes of Hiphoprisy von einer persönlichen Enttäuschung geprägt ist und der Sänger einen weniger aggressiven Ton anschlägt, stimmen die beiden Clips 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) und TELEVISION, THE DRUG OF THE NATION darin überein, in das Programm des Mediums zu gelangen, gegen das sich die Musiker zur Wehr setzen. Dies mag ungewöhnlich anmuten. Dass die Interpreten versuchen, mit ihren TVkritischen Werken ausgerechnet über das Fernsehen eine breite Öffentlichkeit zu finden, bildet jedoch eine Paradoxie, die den Mediendiskurs seit der Antike begleitet hat. 43
Auch Lothar Mikos weist darauf hin, dass „der Clip seine eigene Textualität sowie seine eigene mediale Konstellation [reflektiert] und [...] auf diese Weise die Botschaft [unterläuft], die er vermitteln will.“ Lothar Mikos: Selbstreflexive Bilderflut. Zur kulturellen Bedeutung des Musikkanals MTV. In: Medien praktisch 17 (1993), H. 4, S. 17-20, S. 18.
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So machte einst Platon seine philosophischen Bedenken gegenüber der Verbreitung der Schrift, die seiner Meinung nach nicht die Erinnerungsleistung der mündlichen Rede erfüllt und durch das Fehlen eines Adressaten und eines interaktiven Prozesses gekennzeichnet ist, den Mitmenschen in schriftlicher Form zugänglich. 44 Indem sich Springsteen und die Disposable Heroes of Hiphoprisy nicht der ClipProduktion verweigern, sondern ihre Musikvideos im thematisierten Medium veröffentlichen, knüpfen sie außerdem an eine Strategie der Fernsehreflexion an, die in der Videokunst wurzelt. So haben die Arbeiten von Nam June Paik nicht nur in gelegentlichen Nachrichtenbeiträgen Erwähnung gefunden, sondern sind zum Teil gezielt für eine TV-Ausstrahlung angefertigt worden. Laut Sook-Kyung Lee fasste der Videokünstler entgegen einer häufig einseitigen Kritik an der Durchdringung der Wirklichkeit durch elektronische Medien „die weltumspannende Kommunikation“ des Fernsehens als „einen der bedeutendsten Impulse für ein tieferes Verständnis unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaften und letztlich auch für eine friedliche und harmonische Weltordnung“45 auf. Diese positive Einschätzung des Umgangs mit der Television, so Lee, stellte Paik mit seinen Satellitenprojekten unter Beweis, in denen er für sein Publikum vor dem TV-Apparat live avantgardistische Performances mit populärkulturellen Inhalten auf verschiedenen Kontinenten zusammenbrachte.46 Obwohl Musikvideos in den 1990er Jahren gemeinhin für das Programm kommerzieller Sender gedreht worden sind, lassen sich auch 57 CHANNELS (AND NOTHIN’ ON) und TELEVISION, THE DRUG OF THE NATION als eine Gegenkraft zur Unterhaltungsindustrie begreifen. Zumindest hinsichtlich ihrer Beschäftigung mit dem Fernsehen und der Möglichkeit, im TV-Medium ausgestrahlt zu werden, sind beide Clips mit den Arbeiten von Paik vergleichbar. Mit Diedrich Diederichsen lässt sich von einer „Ermutigung zu einer den Warenfetischismus brechenden Eskalation des Begehrens“ sprechen, die dem Pop-Theoretiker zufolge einen subversiven Charakter hat, jedoch keine unmittelbaren Folgen zeitigt: „Diese Kritik kann, wenn sie innerhalb des Mediums und seiner Verankerung im Fernsehen geäußert wird, die Funktion des kulturellen Dispositivs nicht ändern oder stören, aber sie kann in der Distanz, in der Kritik normalerweise prozessiert wird, dennoch fruchtbar werden.“47 In Songs und Clips enthaltene Äußerungen zum Fernsehen regen einen aufgeschlossenen Zuhörer und -schauer, der im selben Augenblick vor seinem Bildschirm sitzt und überrascht ist, mit einer Medienkritik konfrontiert zu werden, zum Nachdenken über den eigenen TV-Konsum an. 44 45
Vgl. Schneider: Zur Konstruktion von Mediendiskursen, S. 33. Sook-Kyung Lee: Videa ’n’ Videology. Offene Kommunikation. In: Susanne Rennert/ Sook-Kyung Lee (Hg.): Nam June Paik. Ostfildern 2010, S. 27-54, S. 33.
46 47
Vgl. ebd., S. 33f. Diedrich Diederichsen: Kunstvideo versus Videoclip: Eine Musik, die ohne Bilder nicht leben kann. In: Ulf Poschardt (Hg.): Video – 25 Jahre Videoästhetik. Ostfildern 2003, S. 7082, S. 80.
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Da Regisseure in der Lage sind, in ihren Musikvideos das Bild einer ausgestrahlten Fernsehsendung nicht nur nachzuahmen, sondern auch über einen intradiegetischen TV-Apparat anschaulich zu machen, ergeben sich für sie verschiedene Vorgehensweisen, den Star des Clips mit dem von ihm kritisierten Medium in Beziehung zu setzen. Noch deutlicher orientiert sich in diesem Zusammenhang JAMMIN’ ME (1987) von Tom Petty & The Heartbreakers an videokünstlerischen Interventionen. In ihrem Song, der von kraftvollen Gitarrenakkorden bestimmt und mit kreischender Stimme vorgetragen wird, nimmt die Band Anstoß an der Oberflächlichkeit von Inhalten, denen man als Medienkonsument ausgeliefert ist. „You got me in a corner / You got me against the wall / I got nowhere to go / I got nowhere to fall“, leiten Petty und die Heartbreakers ihr Missfallen an der Massenkommunikation ein. In dem von Jim Lenahan gedrehten Clip spielen die Musiker den Song vor einer Wand, deren Textur neben Aufnahmen von Zeitungsseiten vor allem aus dem Rauschen eines Fernsehapparates besteht (Abbildung 37). Das unstete Bild der Funktionsstörung wiederholt sich auf der Mattscheibe eines Empfangsgerätes, das im Vordergrund aufgestellt worden ist. Für die Figuren gibt es damit keine Möglichkeit, so der Eindruck des Betrachters, den televisuellen Reizen zu entkommen. Dass der sichtbare Raum vollständig vom Fernsehen vereinnahmt wird, entspricht dem Liedtext. So empört sich Petty über die Themenagenda der Massenmedien, während er in den neben ihm stehenden TV-Apparat greift und eine Bildstörung in Gestalt von Schleim herauszieht. Petty schmiert die klebrige Masse auf die Kameralinse und versperrt vorübergehend die Sicht auf seine Performance. Zum einen demonstriert der Sänger in diesem Moment seine Wut, indem er sich der Substanz, die den Inhalt des Fernsehens auf das leere, gehaltlose Bild einer Störung reduziert, entledigt. Zum anderen adressiert er sein Publikum und lässt es sich der eigenen Position vor dem Fernsehbildschirm bewusst werden. Durch die Geste, mit welcher das schwarz-weiße Rauschen dem Betrachter von JAMMIN’ ME buchstäblich vor Augen geführt wird, tritt die Störung in den Vordergrund. Sie ist nicht mehr ausschließlich als fremdmediale Form Bestandteil der Diegese, sondern macht auf der Bildebene des Clips, mit dem die Band den Sendefluss des Fernsehens zu unterbrechen scheint, die Differenz von Medium und Form sichtbar. Abbildung 37: JAMMIN’ ME, 1987, M: Tom Petty & The Heartbreakers, R: Jim Lenahan.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=TCFAzPl1QmE (TC 00:13, 00:49, 01:53)
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Gleich mehrfach reflektiert TRAPPED IN A BOX (1992) von No Doubt, dass das Bild des Stars televisueller Natur ist. In ihrem Song beschuldigt die Band das Fernsehen, sein Publikum keine andere als die vorgefertigte, mit der Wirklichkeit jenseits des TV-Apparates nicht übereinstimmende Sichtweise einnehmen zu lassen. „Trapped in a box of tremendous size / It distorts my vision, it closes my eyes / Attracts filthy flies and pollutes in the skies / Sucks up our lives and proliferates lies“, reimt Gwen Stefani. Die Musikerin hält sich mit ihren Kollegen in einem engen Wohnraum auf, in dem die Band ihr Equipment zwischen Regalen und Schränken unter einem Deckenventilator aufgebaut hat. Dass No Doubt selbst zu den unwiderstehlichen Versuchungen des Fernsehens gehören, macht der Clip jedes Mal klar, wenn die Kamera in das Bild eines TV-Gerätes gleitet, das man anbetungsvoll auf einer Marmorsäule positioniert hat, um dort den Auftritt der Gruppe in einem Studio einzufangen und wieder zurück in das Zimmer der vorherigen Szene zu gehen. Eine Steigerung erfährt diese Bezugnahme auf das eigene Werk in der letzten Einstellung, sobald die Kamera aus dem Bild herauszoomt. Im Vordergrund taucht ein Mann auf, der den Clip im Fernsehen schaut, bevor sich langsam ein Rauschen über den gesamten Kader legt, von dem Stefani das Musikvideo in der ersten Szene selbst befreit hat. Die intradiegetische Rezeptionssituation erscheint ihrerseits als ein TV-Inhalt. Aus der Sicht des Betrachters von TRAPPED IN A BOX erweist sich folglich der mit den Augen erfassbare Raum stets als televisuell vermittelt. Die ineinandergelagerten Beobachtungsebenen lassen das Publikum das von No Doubt geäußerte Gefühl, im Fernsehen gefangen zu sein, nachempfinden. Eine solche reflexive Auflösung der Medienkritik, die den Star im Fernsehen verortet, deutet sich nicht im Song an, sondern beruht auf Entscheidungen in der Konzeption des Clips und bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Auf den ersten Blick liegt die Intention des Regisseurs darin, die Vorwürfe, welche der Song an das Fernsehen richtet, abzumildern, um das Risiko zu senken, dass sein Musikvideo von einem TV-Sender unberücksichtigt bleibt. Doch weil die verbalsprachlich formulierten Einwände gegen das Medium weiterhin vorhanden sind und nicht im Liedtext relativiert werden, ist es wahrscheinlicher, dass die visuellen Verfahren, mithilfe derer Clips die eigene Präsenz im Fernsehen kenntlich machen, der Vermarktungsstrategie dienen, den Musiker durch Ironie sympathisch wirken zu lassen und ein weniger ernstes Image aufzubauen, das sich von dem seiner Konkurrenten abhebt. Desgleichen kann der Selbstverweis die Funktion erfüllen, über einen Illusionsbruch die Aufmerksamkeit des Betrachters zu steigern und der Empörung des Stars gerade dadurch Nachdruck zu geben, dass dieser als bemitleidenswertes Opfer des Fernsehens, zumindest als ein auf die televisuelle Ausstrahlung angewiesener Interpret dargestellt wird. Auf diese Weise vermittelt der Sänger oder die Band einen ehrlichen Eindruck, scheint die einzige Möglichkeit des Aufbegehrens gegen die Macht des Massenmediums doch darin zu bestehen, auf einem Musikkanal präsent zu sein, der als ‚alternatives Fernsehen‘ aufgefasst wird. Die Medienreflexion verlangt vom Betrachter, in
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seinem Werturteil einen Unterschied zwischen dem Fernsehen, das das Ziel eines Angriffs ist, und dem in seinem Programm laufenden Musikvideo zu machen. Tatsächlich aber werden meist kulturkritische Thesen hervorgebracht, die jenen entsprechen, mit denen sich Autoren in den 1980er Jahren einst argwöhnisch dem neuen Phänomen Musikvideo zugewandt haben, ohne den Distributionsort Fernsehen als solchen abzulehnen. Zusammenfassend nehmen Songs und Clips, anders als in der Debatte um eine postmodern gewordene und industriell verfertigte Kultur postuliert worden ist (Kapitel 3.2 und 3.3), nicht nur eine zustimmende oder gleichgültige Sicht auf ihre mediale Umwelt ein, sondern hinterfragen die gesellschaftliche Rolle des Fernsehens. Aufgrund ihrer meist nur wenige Minuten umfassenden Länge scheinen sie Argumente gegen das Medium eher zuzuspitzen als differenziert darzulegen. Dem öffentlichen Diskurs entsprechend (Kapitel 4.3) bleibt eine abwägende Betrachtung der Mechanismen der Produktion, Distribution und Rezeption des Fernsehens in der Regel aus. Eine solche Vereinfachung komplexer Zusammenhänge ermöglicht es dem Publikum nicht nur, zentrale Thesen in einer kurzen Zeit zu erfassen und in einen Vergleich mit eigenen Erfahrungen zu bringen, sondern auch, dem Musiker eine klare Stellung im Mediendiskurs zuzuschreiben und ihn dadurch in Erinnerung zu behalten. Auf das Fernsehen Bezug nehmende Sänger und Bands sowie Regisseure greifen unter anderem in der Vergangenheit formulierte und diskutierte Argumentationen wie den Verdacht einer gezielten Manipulation des Menschen auf und passen ihre Vorbehalte gegenwärtigen Gegebenheiten an. Dieses Vorgehen ist insofern von Bedeutung, als vermutet werden kann, dass die übernommenen Vorstellungen vom wertlosen, unbrauchbaren bis gefährlichen TVMedium bereits einem breiten Publikum geläufig sind. Eine im Liedtext oder in der Bilderwelt auftretende einseitige Kritik erfordert meist keine detaillierte Erklärung. Demnach finden sich zwar ungeachtet des oberflächlichen Unterhaltungscharakters, den Autoren Produkten der Popkultur häufig unterstellen, auch Musikvideos, die explizit Stellung zum ungebrochenen kulturellen und sozialen Einfluss des Fernsehens beziehen, doch selbst sie können sich nicht von unsachlichen und pauschalen Behauptungen freisprechen. Wie das Kapitel deutlich gemacht hat, enthält die Darstellung des TV-Mediums gelegentlich reflexive Bilder, die die ablehnende Haltung des Musikers gegenüber dem Fernsehen ambivalent werden lassen, ohne die Einseitigkeit der Aussagen von Song oder Clip mithilfe von stichhaltigen Gegenargumenten auszugleichen. Geht man davon aus, dass die Reflexion des Fernsehens im Musikvideo nicht nur eine Blickrichtung zulässt, sondern sich aus mehreren Perspektiven zusammensetzt, die durch die Konstellation zwischen dem beobachtenden und dem beobachteten Medium bestimmt werden, ist zu analysieren, welche Veränderungen in der Bezugnahme auf das Fernsehen eintreten, wenn das Musikvideo seinen ursprünglichen Ausstrahlungsort verlässt. Es geht um die Frage, welche Gestalt die Fernsehkritik im Zeitalter
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des Internets annimmt. Setzt sich die Geringschätzung des TV-Mediums als eine Haltung, mit der Songs und Clips versuchen, das Interesse ihres Publikums auf sich zu ziehen, fort? 7.1.3 Fernsehkritik im 21. Jahrhundert In den 1990er Jahren kündigt sich an, dass die ablehnende Haltung gegenüber dem Fernsehen und seinem gesellschaftlichen Einfluss nachlässt.48 Anstatt das Massenmedium pauschal zu verurteilen, liegt der Fokus vor allem auf TV-Formaten, die den Eindruck vermitteln, die Realität abzubilden, und auf den Figuren, die im entsprechenden Programm auftreten.49 „Kritisiert wird zum einen, dass das Reality-Fernsehen Angehörige sozialer Milieus sichtbar macht, die die Geschmacksgrenzen der Mittelschicht irritieren“50, bemerkt Andrea Seier und ergänzt: „Zugleich werden die Ausbeutungslogiken der Fernsehsender in einer Weise kritisiert, die oftmals nach dem Muster ‚Zynische Fernsehsender treffen auf chancenlose Opfer‘ funktioniert.“51 Neben moralisch fragwürdigen Formaten sind weiterhin auch Nutzungs- und Wirkungsweisen der Television Gegenstand der Berichterstattung und alltäglicher Gespräche von Konsumenten über ihre persönlichen Medienerfahrungen. Doch obwohl einzelne Inhalte, die ausgestrahlt worden sind, und der bisweilen unreflektierte Umgang mit dem Fernsehen Publizisten und Wissenschaftler in wiederkehrenden Debatten dazu bewegen, den ‚Untergang des Abendlandes‘ auszurufen, hat die Zurückweisung des inzwischen etablierten Massenmediums an Popularität verloren, nicht zuletzt durch die Verbreitung alternativer Angebote der Unterhaltungsindustrie, die zunehmend in den Blick geraten. Diesen allgemeinen Befund auf die Medienreflexion im Musikvideo zu übertragen, greift allerdings zu kurz, wie das vorangegangene Kapitel verdeutlicht hat. So erfüllt die kritische Auseinandersetzung mit dem Fernsehen bis heute eine wichtige Funktion in Bezug auf die Inszenierung eines Sängers oder einer Band und ist in letzter Zeit gerade vor dem Hintergrund der veränderten Distribution von Clips zu betrachten, wie im Folgenden entfaltet werden soll. 48
So ist die Fernsehkritik im TV-Programm beispielsweise zunehmend ein Bestandteil von Sendungen, die das eigene Medium weniger analytisch als humoristisch verhandeln und zum Zweck der Unterhaltung oftmals vorhandenes Programmmaterial wiederverwerten. Vgl. Joan K. Bleicher: Grenzgänge zwischen Kritik und Humor. Fernsehkritik im Fernsehen. In: Michael Beuthner/Stephan A. Weichert (Hg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Wiesbaden 2005, S. 127-146, S. 142.
49
Vgl. Andrea Seier: Mediatisierte Multituden. Fernsehen und Fernsehkritik als immaterielle Arbeit. In: Birgit Riegraf/Dierk Spreen/Sabine Mehlmann (Hg.): Medien – Körper – Geschlecht. Diskursivierungen von Materialität. Bielefeld 2012, S. 117-135, S. 117.
50
Ebd., S. 126.
51
Ebd., S. 126f.
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Immer wieder zeigt sich in Studien zur Popmusik ein Bedauern darüber, dass mit der Entstehung des Musikvideos und den mitunter auf diesem Marketinginstrument beruhenden Erfolgen von Stars wie Michael Jackson „gegen nichts mehr rebelliert [wird], [...] keine politischen Bezüge mehr gesucht, keine neuen kulturellen Werte formuliert und auch keine spezifischen Stilrichtungen mehr repräsentiert [werden]“, demnach „[a]n die Stelle des Rebellen, des Stellvertreters, des Idols, des Repräsentanten [...] vielmehr der Kitzel, der Rausch als bloßes Medienprodukt getreten [ist].“52 Dennoch thematisieren Interpreten verschiedener Genres bis heute die Ideologieproduktion der Kulturindustrie. Obwohl das Fernsehen als solches im Alltag nur noch selten Gegenstand einer umfassenden Kritik ist, diskutieren Songs und Clips fortlaufend Charakteristika des Mediums, das hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Relevanz einen wichtigen Bezugspunkt bildet, um ein bestimmtes Image des Stars herzustellen. Noch immer verbindet das Musikvideo Kritikpunkte mit einem übersteigerten Urteil zum schädlichen Einfluss des Fernsehens. In einer Reminiszenz an COME TO DADDY von Aphex Twin (Kapitel 7.1.1) wird das Medium etwa in TELLIEVISION (2003) von Sirius B, Afrika Bambaataa und Hardy Hard eingeführt. Das Musikvideo eröffnet mit einer Straßenszene, in der ein TVApparat in einem Müllhaufen liegt, der das Fernsehen als ein entbehrliches Medium erscheinen lässt (Abbildung 38). Es sind drei Kinder, die den sich selbst einschaltenden Röhrenmonitor finden. Auf der Mattscheibe entdecken sie jedoch kein Ungeheuer, sondern Bambaataa, der vor einem Testbild zu rappen beginnt. „It controls your mind and feel / Has a load in the race / Don’t you know it’s up to space? / In Tellievision“, lautet sein Verdikt zum Fernsehen, das dem Musiker zufolge nicht nur eine eigene Wirklichkeit konstruiert, sondern in diesem Zuge außermediale Erfahrungen vergessen lässt: „What you see is what you know / What you know is what you see.“ Mehrere Darstellungsebenen werden im weiteren Verlauf des Musikvideos miteinander verschnitten. So teilt eine Gruppe von vermummten Personen in einer GuerillaAktion Flyer aus und sprüht auf die Wände einer U-Bahn-Station Graffiti, die ein Logo zeigen, das aus zwei Figuren besteht, die jeweils einen Fernsehkopf tragen. Dazwischen fügt der Clip einen kurzweiligen Mix aus TV-Bildern ein, die von George W. Bush über das Klonschaf Dolly bis zu Ausschnitten aus verschiedenen Showformaten reichen. Eine besondere Aufmerksamkeit kommt der Musik zu, denn der Song sampelt das Stück MOBIL UNIT (1980) von George Fenton und Ken Freeman, die Titelmelodie des 1988 angelaufenen SPIEGEL TV MAGAZIN. Untermalt von den schallenden Electro-Sounds der Instrumentalnummer gleicht die rasante Abfolge von visuellen Bezügen zur Zeitgeschichte und einer massenmedialen Unterhaltungskultur dem Intro einer eigenen Sendung, in deren Rahmen Bambaataa mit dem Fernsehen in all 52
Werner Faulstich: Von Elvis Presley bis Michael Jackson. Kleine Startypologie der Rockgeschichte. In: Werner Faulstich/Helmut Korte (Hg.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung. München 1997, S. 155-173, S. 172.
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seinen Facetten des Angebots abrechnet („Give you soap, give you news / Taking side what you do / You don’t even speak no more / ’Cause the Tellievision“). Der Clip setzt demnach fremdes Bild- und Tonmaterial ein, um bekannte Eindrücke von den Inhalten des TV-Mediums zu liefern und diese einer Kritik zu unterziehen. Abbildung 38: TELLIEVISION, 2003, M: Sirius B feat. Afrika Bambaataa/Hardy Hard, R: Daniel Klenke.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=whgLsGFfaxY (TC 00:23, 00:57, 01:21)
Insofern TELLIEVISION – bereits im Wortspiel des Titels – das Fernsehprogramm in seiner Gesamtheit der Lüge bezichtigt, bringt das Musikvideo kulturkritische Thesen in Anschlag, die schon vorangegangene Songs und Clips gebraucht haben, und passt sie der gegenwärtigen TV-Landschaft an. Neben Originalaufnahmen aus dem Fernsehen ziehen Regisseure auch in wissenschaftlichen Studien gewonnene Erkenntnisse über die Folgen der Nutzung von Medien heran, um die Kritik des Liedtextes zu präzisieren und ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen. In THIS IS THE END (FOR YOU MY FRIEND) (2006) von Anti-Flag sind es einzelne Sätze, die zwischen den Auftritt der Band montiert werden und versichern, dass der fernsehfeindliche Song der Wahrheit entspricht. „Seems every station on the TV / Is selling something no one can be“, leiten Anti-Flag ihre Klage gegen die mediale Repräsentation schöner Körper ein, in der sie die Gefahr einer psychischen Belastung für den Rezipienten sehen. Um die Sorge statistisch zu fundieren, liefern Schrifttafeln ohne Angabe einer Quelle Informationen zur idealisierten Wirklichkeit von Werbung und Fernsehen sowie empirische Daten zur Verbreitung von Schönheitsoperationen, Essstörungen und Depressionen, die das Clip-Publikum als negative Medienwirkungen deuten soll. Doch inwiefern bezieht der Betrachter diese Warnungen auf das eigene Konsumverhalten? Das Beispiel verweist auf ein Rezeptionsphänomen, welches seit Mitte der 2000er Jahre an Bedeutung gewinnt, nämlich auf den Einfluss, den das Verhältnis zwischen Musikvideo und Fernsehen auf die Interpretation haben kann. Als televisuell dargebotene Produkte sind Clips demnach in der Lage, das Distributionsmedium im eigenen Programm zu attackieren. Mit anderen Worten: Sie erreichen wie einst Platons niedergeschriebene Kritik an der Schrift in der Antike Personen, die jenes Medium nutzen, gegen das man sich wendet. Angesichts der mittlerweile zahlreichen Möglichkeiten, Musikvideos zu rezipieren, lässt sich argumentieren, dass auch der Ausstrahlungsort bestimmt, wie das Publikum die subversive Kraft von Bild, Ton und
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Text wahrnimmt. Die Bezugnahme auf das Fernsehen durch einen im Fernsehprogramm gespielten Clip kann ebenso aggressiv ausfallen wie die eines Clips, den ein User im Internet aufruft, jedoch den Eindruck vermitteln, das eigene Distributionsmedium zu verhandeln, weil der Clip in dem thematisierten dispositiven Gefüge erscheint. Diesen Zusammenhang macht das von Alex Ceausu für Naguale gedrehte Video GET UP (2010) anschaulich, welches den eigenen Betrachter direkt adressiert. Die Handlung folgt dem Musiker Ovidiu Baciu, der mit einem tragbaren TV-Gerät in der Hand durch Istanbul spaziert. Der Sänger stellt den Bildschirm jeweils für eine kurze Dauer vor Passanten in der Stadt ab (Abbildung 39). Mit unterschiedlich großer Begeisterung erblicken die Menschen auf der Mattscheibe den Mund von Baciu, der den eingängigen Song intoniert. Die Worte „Get up, get up / Everybody sick and tired of the stand up / Stand up, stand up“ fordern zum Umdenken auf. Der Protagonist hat sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, dass seine Parolen bei möglichst vielen Rezipienten Gehör finden („If that’s a way to get us brainwashed, give up“). Wie sich in einer unerwarteten Wendung herausstellt, betrifft dies auch den Clip-Betrachter, der in Point-of-View-Shots bisher die Position der Zuschauer auf der Straße übernommen hat. Als Erweiterung des menschlichen Körpers entsendet der Bildschirm eine Botschaft von Baciu, die inhaltlich noch keinen expliziten Fernsehbezug aufweist und so lange nebulös bleibt, bis das Publikum des Musikvideos an die eigene Rezeptionssituation erinnert wird. Während das Bild zum Schluss auf schwarz blendet, legt sich die Zeile „Think it, don’t just watch it!“ in weißen Lettern über den Kader. Der passive Medienkonsum, so die Botschaft, soll einen Wandel erfahren. Abbildung 39: GET UP, 2010, M: Naguale, R: Alex Ceausu.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=VJm1WOhHPug (TC 01:36, 03:21)
GET UP wurde in einer Zeit produziert, in der Musikvideos bereits zunehmend über Online-Portale Verbreitung fanden. Während die eingeblendete Medienkritik den Anschein erweckt, den Betrachter beim Fernsehen zu ertappen, wenn der Clip im TVProgramm läuft, fällt die überraschende Wirkung schwächer aus, wenn der Betrachter den Clip über ein anderes technisches Wiedergabegerät rezipiert. Dadurch, dass Sänger und Bands ihre Musikvideos immer häufiger, zum Teil ausschließlich im Internet veröffentlichen, entgehen sie dem argumentativen Problem, selbst auf das Fernsehen
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angewiesen zu sein, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Medienwandel verändert aber nicht nur die Distribution von Songs und Clips, sondern auch ihre Bezugnahme auf das Fernsehen in Anbetracht hinzutretender Möglichkeiten der digitalen Kommunikation (Kapitel 6.1.4). Schließlich „[hat sich] [d]ie Rede vom ‚Netz‘ bzw. der ‚Vernetzung‘ [...] im Laufe der 1990er Jahre zu einer ubiquitären Metapher für die Selbstbeschreibung der Gesellschaft entwickelt, welche das diskursive Feld der ‚Masse‘ abgelöst zu haben scheint“53, bis „[u]m 2000 [...] das Wissen um die technischen, sozialen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen sowie die Folgen der Vernetzung von Computern sein maximales Rekognitionsniveau erreicht [hat].“54 Mit der Entstehung eines ohne Zentrum auskommenden Kommunikationsraums im Internet verschieben sich die Bedingungen der in verschiedenen medialen Formen Ausdruck findenden Medienreflexion. Fortan besteht eine neue Strategie von Sängern und Bands sowie Regisseuren, die Kritik am Fernsehen zu legitimieren, darin, das Internet als Gegenentwurf zum massenmedialen Kommunikationsmodell des linearen Fernsehens zu inszenieren. Dies lässt sich exemplarisch anhand des Musikvideos SLY FOX (2008) nachvollziehen, das Rik Cordero für Nas gedreht hat. Um die verbale Aggression des Rappers gegen den New Yorker Nachrichtensender Fox News einordnen zu können, bedarf es der Erläuterung eines zurückliegenden Ereignisses. Ausgangspunkt ist der Auftritt von Nas auf einem Konzert, das am 6. September 2007 für die Studenten der Virginia-Tech-Hochschule veranstaltet wurde, jener Universität, an der wenige Monate zuvor ein Amoklauf stattgefunden hatte.55 Neben mehreren Angehörigen der Opfer empörte sich insbesondere der Fox-Moderator Bill O’Reilly über die Einladung von Nas und verwies auf den Umstand, dass der Musiker in seinen Songs die Verbreitung von Gewaltverbrechen im Alltag schildere, ohne sich vom Einsatz von Schusswaffen zu distanzieren.56 Erzürnt über die Diffamierungen seiner Person hat Nas schließlich ein Lied über den konservativen Fernsehsender geschrieben, um sich als missverstandener Künstler zu rächen. „What’s a fox characteristic? / Slick shit, sensin’ misinformation“, deutet der Sänger den Namen des TV-Kanals. Im Zusammenspiel mit den Bildern werden die Gründe für den Hass auf O’Reilly und seinen Arbeitgeber konkreter. Anders als die meisten Hip-Hop-Clips konzentriert sich SLY FOX nicht auf die musikalische Performance des Rappers in einer urbanen Gegend, sondern beginnt mit einem Ausschnitt aus der Fernsehberichterstattung über den Auftritt von Nas in Virginia, bevor der Song einsetzt (Abbildung 40). Es folgen 53
Nicola Glaubitz u.a.: Eine Theorie der Medienumbrüche 1900/2000. Siegen 2011, S. 124.
54
Ebd., S. 123.
55
Vgl. Shaheem Reid: Nas Slams Bill O’Reilly over Virginia Tech Comments. In: MTV News, 06.09.2007, URL: http://www.mtv.com/news/1569047/nas-slams-bill-oreilly-ove r-virginia-tech-comments (01.06.2018).
56
Vgl. ebd.
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Nachrichtenmeldungen, die die Propaganda aus Rassismus und politischer Ideologie illustrieren, welche Fox unterstellt wird. Wie Nas ausführt, befürwortet der Fernsehsender die Ansichten der republikanischen Partei. „The Fox has a bushy tail / And Bush tells lies and foxtrots / So, I don’t know what’s real (What’s real)“, rappt der Musiker wortgewandt. Hinzu treten Aufnahmen von O’Reilly und anderen Moderatoren sowie Zuschauern, die mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck auf ihre Bildschirme starren. Auch Rupert Murdoch, der Gründer der mittlerweile aufgespaltenen, einst die Fox Broadcasting Company umfassenden News Corporation, taucht auf. Aufgrund der Übermacht des Konzerns, den Nas kritisiert, ergreifen mehrere Bürger in der zweiten Hälfte des Musikvideos eine Initiative. Während der Song pausiert, werden sie auf der Straße zu ihrer Haltung gegenüber dem als bedrohlich empfundenen TV-Programm interviewt und zerstören kurz darauf mit einem Hammer Monitore, die sie mitgebracht haben. Der Betrachter sieht und hört, wie die Fox-Gegner planen, sich über soziale Medien zu vernetzen, um eine Bewegung zu bilden, die sich der Massenkommunikation entzieht. Der Leitsatz „We are the Media“ wird eingeblendet und bringt die Entschlossenheit der Gruppe zum Ausdruck, die als konspirativer Zusammenschluss von Gleichgesinnten gegen die Einflussnahme des Fernsehens vorgeht, indem sie die niedrigen Zugangsschwellen des Internets nutzt. Abbildung 40: SLY FOX, 2008, M: Nas, R: Rik Cordero.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=T6Uqk3fxFEs (TC 00:15, 01:44, 02:55)
Demnach sind nicht nur O’Reilly und Fox eine Zielscheibe der Rap-Tirade. Jenseits des persönlichen Streits zwischen Nas und dem TV-Sender holt das Musikvideo zu einem wörtlich genommenen Schlag gegen das Fernsehen an sich aus. Die Medienkritik ruft das seit längerer Zeit existierende Bild eines Cyberspace auf, der den Nutzer in die Produktion kultureller Inhalte einbezieht. Schon Enzensberger forderte, an die Stelle des Konsums eines zentral organisierten Programms einen emanzipatorischen Mediengebrauch zu setzen, der seiner Meinung nach die Massen mobilisiert, sobald es jedem Empfänger möglich wird, die eigene Passivität zu überwinden und selbst als Sender zu fungieren.57 Der Clip von Nas zeigt sich insofern hoffnungsvoll, 57
Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien [1970]. In: Claus Pias u.a. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart 1999, S. 264-278, S. 278.
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als er eine solche wechselseitige Kommunikation in der „broadly based, produsagebased, participatory culture“58 des Internets realisiert sieht. Die dem Online-Nutzer im 21. Jahrhundert gegebene Möglichkeit, eigene Werke in Form von Bild, Ton und Text aus künstlerischer oder kommerzieller Motivation zu veröffentlichen, steht im Kontrast zur Rezeption von Inhalten, die von Fernsehsendern bereitgestellt werden, und verändert den Austausch über und die Vermarktung von Popmusik (Kapitel 2.2). So ist es wenig verwunderlich, dass das Musikvideo von Nas nicht im TV-Programm platziert, sondern über einen alternativen Weg verbreitet worden ist. Denn Cordero hat SLY FOX für das Internet gedreht, wie der Regisseur in einem Interview erklärt: „The idea is that today’s youth or today’s bloggers are the new media and that we don’t have to tune into the networks. The idea was to turn off the networks, the television, and to find the truth online, which is where a lot of kids go to now to get their news.“59 Cordero ist nicht mehr abhängig vom Fernsehen, um ein Musikvideo zu veröffentlichen, und schenkt gleichzeitig den journalistischen Aktivitäten von Usern sein Vertrauen. Eine positive Einschätzung des Internets wird auch in der Clip-Narration deutlich. So ist Nas in Zwischensequenzen vor seinem Computer zu sehen, an dem er sich auf privaten Webseiten über die Tätigkeiten von Fox informiert („While I’m clicking my cursor / Reading blogs about pressure they put on Universal / It gets worse“). Doch selbst als Besucher einer Online-Plattform kann man sich nicht sicher sein, in eine Distanz zu Fox zu treten. Wie Markus Schroer konstatiert, ist das Internet, anders als oftmals behauptet wird, kein grenzenloses Datenmeer, da die Differenz von materieller und virtueller Realität auch den Bereich der Kommunikation im World Wide Web prägt.60 Dem Soziologen zufolge „[kann] [m]an [...] den Aufbau einer vertrauten Nahwelt beobachten, die nach und nach eine eigene Geographie von begrenzten und umzäunten Räumen entstehen lässt.“61 So ist die News Corporation vor einiger Zeit in das Online-Geschäft eingestiegen. Entsprechend klagt Nas darüber, dass der Konzern das soziale Netzwerk MySpace besitze, was zumindest bis wenige Jahre nach der Veröffentlichung von SLY FOX galt. Unter den Geräten, die im Musikvideo demoliert werden, befindet sich daher auch ein PC-Tower. Die hasserfüllte Demontage der Apparaturen wiederholt nicht nur eine in der videokünstlerischen Auseinandersetzung mit dem Fernsehen beliebte Ansicht der Zerstörung (Kapitel 6.1.2), sondern führt wegen der generalisierten Kritik am Distributionsmedium in eine argumentative 58
Axel Bruns: Blogs, Wikipedia, Second Life, and Beyond: From Production to Produsage. New York u.a. 2008, S. 256.
59
Rik Cordero, zit. n. Biba Adams: Behind the Lens with Rik Cordero. In: AllHipHop, 04. 02.2010, URL: http://allhiphop.com/2010/02/04/behind-the-lens-with-rik-cordero (01.06. 2018).
60
Vgl. Markus Schroer: Land und (Daten-)Meer. Zur Besetzung von Räumen im Internet. In: Telepolis, 27.08.2001, URL: http://www.heise.de/tp/artikel/9/9345/1.html (01.06.2018).
61
Ebd.
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Sackgasse. Zum einen sind es gerade Online-Portale, über die das Musikvideo – in der erwünschten Unabhängigkeit von der News Corporation – eine Öffentlichkeit findet. Zum anderen blendet der Clip innerhalb der Handlung die Tatsache aus, dass die angestrebte Errichtung eines eigenen Kommunikationskanals im Internet Computertechnologien erfordert. Anhand von SLY FOX lässt sich ein Wandel der Beobachtung des Fernsehens im Musikvideo erkennen. Denn die Medienreflexion erfolgt in einem Vergleich mit den medialen Bedingungen des Internets, das zugleich einen alternativen Verbreitungsweg des Musikvideos bildet. Dies gestattet größere inhaltliche Freiheiten für eine in Song und Clip formulierte Kritik am Fernsehen, da keine Abstimmung mit einem TVSender notwendig ist, der festlegt, welches Programm er ausstrahlt. Darüber hinaus ergeben sich neue Möglichkeiten, online mit dem Publikum in eine direkte Interaktion zu treten. Gegebenenfalls fällt auch die Arbeit eines eigens für den Clip zuständigen Produktionsteams weg. So finden sich auf YouTube viele mehr oder weniger ambitionierte Werke von Video-Amateuren, die ihr Missfallen am Fernsehen ohne Auflagen einer Plattenfirma artikulieren. Die User richten ihre Kritik auf einzelne TVSender, dort laufende Formate und in den Sendungen auftretende Schauspieler sowie Moderatoren, während sie Bilder, die sich dem Fernsehprogramm, Online-Mediatheken und Webseiten entnehmen lassen, als Beleg für ihren Protest nutzen oder lediglich den eigenen Gesang filmen. Ein typisches Beispiel für diese Medienreflexion ist der Clip ANTI-TV-SONG, den das Duo HeadshotsForYou im Jahr 2012 auf seinem eigenen YouTube-Kanal hochgeladen hat.62 Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Zwei Jungen befinden sich auf dem Weg nach Hause, wo sie ihren Fernsehapparat einschalten und in einer derben Ausdrucksweise von ihren durchweg schlechten Erfahrungen mit dem Programm erzählen. Abgesehen von einer dürftigen Leistung der Darsteller in Scripted-RealitySerien beschäftigen sich HeadshotsForYou mit dem Vorgehen von Fernsehsendern, gekürzte Fassungen von Spielfilmen auszustrahlen und für Werbeblöcke zu unterbrechen. Nach eigener Aussage finden die Teenager filmische Werke in voller Länge im Internet. Die in ihren Augen einzige sinnvolle Verwendung des TV-Bildschirms liegt in seinem Anschluss an eine Spielkonsole, wie die beiden User in einer abschließenden Stellungnahme mit ernstem Blick in die Kamera betonen. Veröffentlicht im sozialen Netzwerk YouTube steht ANTI-TV-SONG für eine neue Form des Austausches zwischen einander fremden Mediennutzern über ihre Rezeptionsgewohnheiten. Die Reflexion von HeadshotsForYou erfolgt im Wissen um einen Medienumbruch, der mit dem Aufkommen von Online-Portalen einhergeht, von denen das als überholt dargestellte lineare Fernsehen abgegrenzt wird. Der in der Freizeit entstandene Clip deutet auf eine gegenwärtige Verschiebung der Vorlieben im 62
Vgl. HeadshotsForYou: Anti-TV-Song (Original). In: YouTube, 03.12.2012, URL: https:// www.youtube.com/watch?v=epk0j7FL6Ek (01.06.2018).
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Umgang mit Medien hin. Er vermittelt den Unmut über das Fernsehen von Vertretern einer Generation, die mit einer großen Bandbreite von Kanälen der digitalen Kommunikation aufgewachsen ist. Untersuchungen belegen zwar, „dass eine intensive Internetnutzung nicht automatisch zum Bedeutungsverlust des Fernsehens führt, sondern dass die jungen Erwachsenen den Medien in ihrem Medienalltag jeweils einen spezifischen Platz zuweisen.“63 Doch wenngleich die TV-Rezeption nicht durch die Nutzung von Video-Portalen ersetzt wird, kündigt sich derzeit ein Wandel des Konsums von Bewegtbildern an.64 Der Vielfalt und dauerhaften Verfügbarkeit von Online-Inhalten steht – vor allem hinsichtlich der Vermittlung von Informationen – die Verlässlichkeit des Fernsehprogramms gegenüber, während insbesondere männliche User in einem Alter unter 30 Jahren auch Video-Portalen neben der unterhaltenden eine informierende und entspannende Funktion zuschreiben und das Internetangebot dem Fernsehen vorziehen.65 Ob sich die negative Sicht von HeadshotsForYou auf das Massenmedium mit der Meinung ihres Publikums deckt, versuchen die beiden Sänger auf der YouTube-Seite des Musikvideos zu ermitteln. So fragen sie im Beschreibungstext zu ANTI-TV-SONG, wer dem Liedtext zustimme. Die hervorgerufenen Kommentare eröffnen eine über den Clip-Inhalt hinausgehende Ebene der Beobachtung, auf der Medien spezifische Bedeutungen zugeschrieben werden. Denn auch in den Reaktionen auf das Musikvideo finden sich Vergleiche zwischen den im Internet zur Verfügung gestellten Angeboten und denen des klassischen Fernsehens. Während einige User dem Duo lediglich zur eigenen Arbeit gratulieren, widmen sich andere den Vorzügen von YouTube gegenüber dem linearen TV-Medium oder zählen weitere Titel von ungeliebten Sendungen auf, die ihrer Meinung nach im Song vergessen worden sind. Nur wenige gestehen ihre Begeisterung für einzelne Formate oder stellen die Glaubwürdigkeit der Kritik von HeadshotsForYou in Frage und erkundigen sich misstrauisch, ob die beiden Amateur-Musiker nicht selbst fernsehen würden.66 Fragen nach den Verflechtungen, die das TV-Medium mit Computer und Internet eingeht (Kapitel 4.3), bleiben unberührt. Die detaillierte Erörterung der Produktion, Distribution und Rezeption unterschiedlicher Bewegtbilder weicht einer oberflächlichen Gut-Böse-Zeichnung der Beziehung von YouTube und Fernsehen. In der Interaktion zwischen dem Musikvideo und seinem Publikum kristallisiert sich das Internet eher als überlegener Konkurrent 63
Nina Großmann: Häusliches Medienhandeln der ‚Generation @‘ – Junge Paare und ihr Umgang mit Internet und Fernsehen. In: Jutta Röser (Hg.): MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Wiesbaden 2007, S. 173-185, S. 184.
64
Vgl. Wolfgang Koch/Bernd Liebholz: Bewegtbildnutzung im Internet und Funktionen von Videoportalen im Vergleich zum Fernsehen. In: Media Perspektiven 45 (2014), H. 7/8, S. 397-407, S. 406f.
65
Vgl. ebd., S. 406.
66
Vgl. HeadshotsForYou: Anti-TV-Song (Original).
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des Fernsehens denn als hybrides Medium heraus, das Anwendungen, Nutzungsformen und Inhalte differenter Medien zusammenführt.67 Gerade weil neben – nicht nur jugendlichen – Hobbyfilmemachern auch das Fernsehen selbst im Internet vertreten ist, entstehen Reibungspunkte zwischen verschiedenen Akteuren. Diese gewähren eine interessante Einsicht in Vorstellungen von Eigenschaften unterschiedlicher Medien. So richten einige User einen prüfenden Blick auf Angebote, die von TV-Sendern online gestellt werden, und strafen sie gelegentlich mit Verachtung. Diese Begegnung ist Teil der von Henry Jenkins beobachteten Konvergenzkultur, „where old and new media collide, where grassroots and corporate media intersect, where the power of the media producer and the power of the media consumer interact in unpredictable ways.“68 Sie kann exemplarisch anhand eines Clips aufgezeigt werden, der als Erwiderung auf einen Clip entstanden ist, den Jan Böhmermann hat produzieren lassen. So stellte der Satiriker in der Ausgabe seiner Late-Night-Show NEO MAGAZIN ROYALE vom 26. November 2015 ein Video vor, das den Musikstil des Gangsta-Rap karikiert. Das später auch auf YouTube hochgeladene Stück ICH HAB POLIZEI präsentiert den Fernsehmoderator unter dem Künstlernamen ‚Pol1z1stens0hn‘. Die Handlung beginnt mit einem fiktiven Konflikt, in den Böhmermann gerät, als er nachts von mehreren Schlägern bedroht wird. Die vom Moderator gespielte Figur setzt einen Notruf ab und übernimmt kurz darauf im Schutz von bewaffneten Ordnungshütern die Rolle eines Sonnenbrille und Bomberjacke tragenden Gangsta-Rappers. In einem Sprechgesang demonstriert der Protagonist seine Stärke, die er jedoch entgegen den Gepflogenheiten des Hip-Hop nicht auf die eigene Muskelkraft oder die gestählten Körper der Mitglieder einer Gang zurückführt, sondern auf amüsante Weise mit der hinter ihm stehenden Gewalt des Gesetzes in Verbindung bringt. „Ich ruf’ Polizei, Polizei sofort zu Stelle / Kelle raus, Handschelle, gute Nacht, Gewahrsamszelle“, reimt der Moderator. Nach nur kurzer Zeit fand ICH HAB POLIZEI Eingang in das Feuilleton vieler Tageszeitungen. Böhmermann, so der Journalist Felix Zwinzscher, erhielt nicht nur Lob für seine Persiflage, sondern sah sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, die Hip-Hop-Szene zu verhöhnen, da er den Gesang des Rappers Haftbefehl nachahmte und wie dieser „in der Grauzone zwischen ernst gemeinter Sozialkritik und künstlerischer Übertreibung“69 agierte. Ein Musikvideo, das zehn Tage später veröffentlicht worden ist, um den viralen Hit fortzusetzen und zu kommentieren, verdient eine besondere Beachtung. Es geht um eine Arbeit von Marti Fischer, der in der Vergangenheit auf YouTube mit verschiedenen Clips auf sein Talent als Sänger, Komponist und Entertainer 67
Vgl. Mike Sandbothe: Transversale Medienwelten. Philosophische Überlegungen zum Internet. In: Gianni Vattimo/Wolfgang Welsch (Hg.): Medien-Welten Wirklichkeiten. München 1998, S. 59-83, S. 59.
68
Jenkins: Convergence Culture, S. 2.
69
Felix Zwinzscher: Der vermarktete Klassenkampf. In: Die Welt vom 03.12.2015.
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aufmerksam gemacht hat. In seinem über eine Million mal aufgerufenen Video #WIRHAMINTERNET, das Marie Meimberg gedreht hat, ist er es, der Böhmermann mit einer Gruppe zwielichtiger Gestalten gegenübertritt.70 Durch eine geschickte Montage von Bildern aus ICH HAB POLIZEI, deren Quelle schriftlich eingeblendet wird, und zusätzlich angefertigten Aufnahmen, die Fischer und seine Gang zeigen, entsteht ein weiteres Rap-Duell, an dem der Fernsehmoderator teilnimmt, ohne dies beeinflussen zu können (Abbildung 41). Abbildung 41: #WIRHAMINTERNET, 2015, M: Marti Fischer, R: Marie Meimberg.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=IoffHtGZAms (TC 00:46, 04:21)
Der Betrachter des Clips erwartet, dass Fischer die Musik und Kultur des Hip-Hop in einem mit Worten ausgetragenen Streit verteidigt. Doch stattdessen stellt der Webvideo-Produzent in seinem Song die Rivalität zwischen ihm und Böhmermann heraus, indem er auf die unterschiedlichen medialen Kontexte abhebt, denen sie entstammen. Dies mündet in einer plakativen Kritik am Fernsehen, dessen baldiges Ende Fischer prophezeit. „Internet hat Jugend, Zukunft und Aufmerksamkeit / Fernsehen ist tot, mach dich auf Untergang bereit“, heißt es im Liedtext, der gleichzeitig über die YouTube-Seite des Clips abrufbar ist. Während sich heranwachsende Medienkonsumenten laut Fischer nicht mehr vom TV-Programm des Heimatsenders von Böhmermann angesprochen fühlen („Du hast gedacht, im Fernsehen, da werden Fangirls sein / Aber ZDF-Zielgruppe sitzt leider im Altenheim“), ist es online jedem Nutzer möglich, in aktuelle politische Kontroversen einzugreifen. „Internet hat URL, Internet ist gut / Internet hat dieses Jahr die Merkel interviewt“, erläutert der Musiker und spielt auf LeFloid an. Der zitierte YouTube-Star ist auf einem alten Röhrenbildschirm zu sehen und erlangte eine größere Popularität, als er zu einem Gespräch mit der Bundeskanzlerin im Juli 2015 eingeladen wurde, um ihr Fragen zu stellen, die seine Fans zuvor formuliert hatten. Dass #WIRHAMINTERNET in einer Zeit der digital vernetzten Kommunikation entstanden ist, markiert der zusammengeschriebene, ein Hashtag enthaltende Titel des Clips. In zwischengeschnittenen Bildsequenzen surft Fischer außerdem vor einem Hintergrund aus Einsen und Nullen, dem Gefällt-mir-Daumen von Facebook sowie einem Downloadbalken und verharrt plötzlich auf der Stelle, als ein 70
Vgl. Marti Fischer: #WirHamInternet. In: YouTube, 06.12.2015, URL: https://www.you tube.com/watch?v=IoffHtGZAms (01.06.2018).
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Ladezeichen erscheint, das User mit dem Aufruf eines Online-Videos in Verbindung bringen. Die humorvolle Bezugnahme auf das Internet wirkt der in der Handlung eingangs erzeugten Spannung entgegen. Die Inszenierung des Streits zwischen Böhmermann und Fischer, der inzwischen selbst eine Comedy-Reihe im Fernsehen moderiert, ist ironisch gebrochen. Dies gilt auch für das Machtgebaren der Gangmitglieder, die den YouTuber im Clip unterstützen. So halten die Begleiter von Fischer in ihren Händen keine Schusswaffen, sondern Duschschaumflaschen, von denen sie in Zeitlupenaufnahmen Gebrauch machen. Es sind Körperpflegeprodukte, die von Bianca Heinicke, der Betreiberin des YouTube-Kanals BibisBeautyPalace, verkauft werden. Die Komik des an Anspielungen reichen Musikvideos lenkt nicht von der Tatsache ab, dass die Bilder und der Liedtext vom Bewusstsein um eine sich neu formierende Anordnung intermedialer Beziehungen geprägt sind. #WIRHAMINTERNET beobachtet Veränderungen der bisherigen Erscheinungsweise des Fernsehens (Kapitel 4.3), das sich derzeit in einem „océan d’écrans, de terminaux, de réseaux, de portables et de mobiles“ auflöst, wie Jean-Louis Missika schreibt: „Elle explose en bouquets de programmes; elle se fragmente en chaînes ultrathématiques; elle se désarticule en vidéo à la demande; elle se ‚package‘ en service push sur le mobile; elle se télécharge sur Internet; elle se podcaste sur l’i-Pod; elle s’individualise en blog et en vlog... Elle est partout et nulle part [Herv. i.O.].“71
Der Clip fällt in eine Übergangszeit, in der das einst wesentliche Verbreitungsmedium des Musikvideos langsam seine Gestalt verliert. Dass das Fernsehen zunehmend Kanäle der Online-Kommunikation nutzt, wird in #WIRHAMINTERNET moniert und als Unterlegenheit des überholten linearen Programmmediums gedeutet. So erscheint Fischer als Sprachrohr einer eingeschworenen ‚Netzgemeinschaft‘, die das von ihr beanspruchte Portal YouTube vor den erfolgreichen Clips eines TV-Moderators bewahren möchte. Doch eine große Sorge bereitet dem Web-Star die Konvergenz der Medienkultur nicht. Er zeigt sich tolerant gegenüber Fernsehschaffenden, die den Wandel ihres Tätigkeitsbereiches erkennen, wie dem versöhnlicher klingenden Ende des Songs zu entnehmen ist. „Keine Quote im TV? Internet bringt dich groß raus / Denn Internet nimmt auch Fernsehflüchtlinge wie Böhmi auf“, lauten die finalen Zeilen des Liedtextes, bevor das Musikvideo mit der Zerstörung eines Empfangsgerätes schließt. Die Beispiele belegen, dass das Musikvideo im Internet mit einer neuen Form des Kontakts zum eigenen Publikum und verringerten inhaltlichen Restriktionen selbst im 21. Jahrhundert Sängern und Bands eine geeignete Plattform bietet, um ihren Protest gegen das Fernsehen öffentlich kundzutun. Die Medienkritik kann ein unterschiedlich großes Gewicht im Rahmen des Musikvideos erhalten, auch wenn die über die Ebenen Bild, Ton und Text vermittelten Bedeutungen offen sind und Skeptiker dies 71
Jean-Louis Missika: La fin de la télévision. Paris 2007, S. 7.
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als hinderlich für eine tiefgründige Medienreflexion begreifen. Intensität und Komplexität der Kritik hängen in der Tendenz vom zugrunde liegenden Song ab. Gleichzeitig beobachtet das Musikvideo die gegenwärtige Entwicklung der Medien. In Bezug auf die Möglichkeiten der Interaktion mit fremden Usern und der Partizipation an öffentlichen Debatten über Online-Portale im Web 2.0 wird das Verhältnis zwischen den digitalen und den etablierten massenmedialen Kommunikationswegen als eine Opposition aufgefasst, die als Ausgangspunkt für einen Angriff auf das Fernsehen dient. Neben der ablehnenden Haltung gegenüber dem Fernsehen lässt sich beobachten, dass einzelne TV-Gattungen als Gegenstand einer von Komik begleiteten Kritik fungieren. Es geht um Parodien, die auf einen Programminhalt referieren, der entweder bereits im Song erwähnt oder erst im Clip umgesetzt wird.
7.2 P ARODISTISCHER B LICK
AUF DAS
F ERNSEHEN
Wie sich in den vorangegangenen Kapiteln herausgestellt hat, bringt das Musikvideo eine beeindruckende Vielfalt an Verweisen hervor, die mit unterschiedlichen Zielsetzungen in die Bilderwelt eingearbeitet werden. „It plunders the image-bank and the word-hoard for the material of parody, pastiche and, in extreme cases, plagiarism“72, schreibt Peter Wollen über den Gebrauch von intermedialen Bezugnahmen in den Werken der postmodernen Kunst, welcher er wie mehrere Autoren in den 1980er Jahren auch das Musikvideo zurechnet. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass sich Anleihen bei anderen Medien auf die erste Dekade von MTV beschränken und die Entstehung intermedialer Phänomene stets durch eine schöpferische Stagnation auf Seite der Produktion zu erklären ist, wie einige Studien zum postmodernen Charakter im Fernsehen gesendeter Clips suggerieren (Kapitel 3.2).73 Verweise auf fremdmediale Inhalte können in den Dienst einer übergeordneten kommunikativen Strategie gestellt werden und damit einen gewünschten Einfluss auf die Interpretation des gesamten Werks nehmen. So hinterfragen viele Regisseure in ihren Arbeiten Eigenschaften des Fernsehens in Form einer parodistischen Umdeutung von bestimmten TV-Gattungen, anstatt ein generalisiertes Urteil über das Programmmedium oder einen als unangemessen erachteten Umgang mit der Kommunikationstechnologie zu fällen. Wie bereits deutlich geworden ist, verleiht eine fundamentale Fernsehkritik der Haltung des Stars gegenüber der Massenkultur zwar Kontur. Letztlich greift das Musikvideo auf diese Weise allerdings immer einen Verbreitungsweg an, den es unter Umständen selbst nutzt, wenngleich dieser Sachverhalt nicht zwingend zum Thema der Handlung gemacht wird. Die Bezugnahme auf eine ausgewählte TV-Sendung erlaubt es einem 72
Wollen: Ways of Thinking about Music Video (and Post-Modernism), S. 168.
73
So sieht Wollen im Musikvideo die Möglichkeit der Innovation gegeben. Vgl. ebd., S. 170.
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Clip im Zusammenspiel mit dem jeweiligen Song, sich des Fernsehens unter einer anderen Perspektive anzunehmen. Sie kann in eine umfassende Reflexion eingebettet sein, aber auch Zu- oder Abneigung zum Ausdruck bringen, ohne die Television in ihrer Gesamtheit als schädlich oder im Medienalltag obsolet zu charakterisieren. Im Folgenden soll die parodistische Blickrichtung genauer betrachtet werden. Aus der Gliederung des Musikvideos in die medialen Formen Song und Clip lässt sich ableiten, dass ein intermedialer Verweis weder schon im Liedtext vorhanden sein noch eine stimmige visuelle Umsetzung nach sich ziehen muss. Widmet sich ein Song oder ein Clip dem Programm des Fernsehens, greift er auf Informationen zu bestimmten Merkmalen einer TV-Sendung zurück. Im Vergleich zu den Kenntnissen über grundlegende Nutzungs- und Wirkungsweisen werden Kenntnisse über Inhalte eines Mediums von weniger Rezipienten geteilt. Auf welche Weise Regisseure ein solches Wissen nutzen, um parodistischen Darstellungen eine subversive Kraft zu verleihen, gilt es im weiteren Verlauf herauszuarbeiten (Kapitel 7.2.1). Inwiefern das Musikvideo durch Parodien den Diskurs über das Programm des Fernsehens mitgestaltet, soll anhand der TV-Gattung Nachrichten exemplarisch analysiert werden (Kapitel 7.2.2). Von einem besonderen Interesse ist die Aktualität, mit der Clips Fernsehereignisse auch in einer Zeit verarbeiten, in der die thematische Wechselbeziehung mit der medialen Umwelt noch keine Beschleunigung durch das Internet erhalten hat. 7.2.1 Parodie als Subversion In einem breiten Spektrum gestalterischer Abstraktion zwischen Verweisen auf das Distributionsmedium Fernsehen und seine reflektierte oder pathologische Nutzung und solchen Verweisen, die ein konkretes Format betreffen, sprechen Musikvideos gezielt Kenntnisse des Betrachters an. Häufig ist es der Protagonist, über den der Clip mit einer bereits ausgestrahlten fiktionalen TV-Sendung, die eine große Bekanntheit beim Publikum genießt, narrativ verzahnt wird. Der spielerische Umgang mit dem Wissen des Zuschauers lässt sich anhand eines frühen Beispiels aus der Geschichte des Musikvideos aufzeigen. So ist THE ULTIMATE SIN (1986) von Ozzy Osbourne auf das Mitglied einer Fernsehfamilie ausgerichtet. Im Mittelpunkt der Handlung steht die einst von Larry Hagman in der erfolgreichen Serie DALLAS (1978-1991) gespielte Figur J.R. Ewing. Nachdem zu Beginn des Clips nicht der Titel des Originals, sondern der Nachname von Osbourne im Design des vertrauten TV-Schriftzugs eingeblendet worden ist und ein Splitscreen in Anlehnung an das Fernsehvorbild Bilder von einer Pferderanch integriert hat, tritt der Sänger in einem Bürogebäude als Leiter des Konzerns Ozzy Oil, der an die Firma Ewing Oil aus DALLAS erinnert, in Erscheinung. Wie J.R. trägt Osbourne einen Cowboyhut und Stiefel. Es wird offenbar erwartet, dass das Clip-Publikum über eine eigene Serienerfahrung verfügt und die Assoziationen mit dem gewissenlosen Verhalten des Ölmagnaten das Thema des Songs, die Gier nach
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Macht, veranschaulichen. So prangert der Musiker mit den düsteren Worten „Overkill, enough is enough / There’s nothing left of me to devour / You’ve had your fill, I’m all I have left / What can stop your hunger for power?“ die Rücksichtslosigkeit einer Person an, welche er in seinem Clip selbst darstellt. Aufgelöst wird dieser Widerspruch dadurch, dass Osbourne sowohl als Interpret als auch als Schauspieler auftaucht. In der Rolle des J.R.-Doppelgängers bewegt er seine Lippen nicht zum Song, schaltet aber zwischendurch immer wieder einen Fernsehapparat ein, der ihn während der Darbietung seines Stücks auf der Bühne zeigt. Mit kreischender Stimme scheint er dort über jenen unliebsamen Firmenchef zu singen, der vor dem Bildschirm sitzt. Das Musikvideo wird durch eine Vielzahl von visuellen Details mit einem anderen Produkt des gemeinsamen Distributionsmediums verknüpft. Es entstehen Querverbindungen, die sich nachhaltig auf die Rezeption des Clips auswirken können. Doch auch wenn die Popularität der Fernsehserie hoch ist, bleibt ungewiss, ob das Publikum von allen Anspielungen Notiz nimmt. Wird etwa trotz der offensichtlichen Markierungen die Tatsache, dass THE ULTIMATE SIN auf die Sendung DALLAS referiert, von einem Betrachter nicht bemerkt, ist es zwar möglich, das vom Musiker verbalsprachlich bekundete Missfallen am fehlenden Anstand eines Menschen zu verstehen, aber kaum, einzelne Charaktereigenschaften der TV-Figur auf den Protagonisten des Clips zu übertragen. Auch der Witz, dass sich ausgerechnet der von Osbourne nachgeahmte Bösewicht vor dem Fernsehapparat befindet, J.R. also nicht auf dem Bildschirm zu sehen ist, bleibt unter Umständen verborgen. Wie entscheidend die Seherfahrung sein kann, um eine Anspielung zu identifizieren, bestätigt eine Anekdote zur Reaktion auf die Veröffentlichung des Musikvideos I WANT TO BREAK FREE (1984) von Queen. Freddy Mercury und seine Kollegen spielen Figuren, die an Protagonistinnen der Soap Opera CORONATION STREET erinnern, und beweisen damit, dass sie sich selbst nicht ernst nehmen.74 Schließlich kommt der intermediale Verweis darin zum Ausdruck, dass die Musiker als Frauen verkleidet sind, was Kritikern zufolge gegen moralische Prinzipien verstieß und der Vermarktung von Queen abträglich war, wie der Gitarrist Brian May erläutert: Während die Karikatur der TV-Figuren in Großbritannien, wo CORONATION STREET seit 1960 ausgestrahlt wird, Anklang gefunden habe, sei sie in den USA nicht erkannt worden und habe zu einem Entsetzen über die Kostümierung der Rock-Band geführt.75 Der Kanal MTV sendete den Clip aus diesem Grund nicht in seinem Programm.76 Manche Figuren sind auch einige Jahrzehnte nach ihrem ersten Auftritt in einer Fernsehsendung in unterschiedlichen Musikvideos präsent. Eine seit den 1980er Jahren in mehreren Clips aufgegriffene Vorlage stellt zum Beispiel Max Headroom dar. 74
Vgl. Mark Blake: Is This the Real Life? The Untold Story of Queen. London 2010,
75
Vgl. Brian May, zit. n. ebd., S. 285f.
76
Vgl. ebd., S. 286.
S. 285.
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Die Besonderheit des stotternden Cyberpunk-Stars ist seine äußere Erscheinung, die bereits medienreflexive Züge trägt. Denn für den Betrachter ist nur der obere Teil des Körpers der Figur zu sehen, und zwar auf einem Bildschirm. Der Film MAX HEADROOM: 20 MINUTES INTO THE FUTURE (1985) erklärt das eigenartige Dasein der virtuellen Gestalt. So erleidet ein Journalist, der die Bedrohung erkennt, welche vom Programm eines TV-Senders ausgeht, einen schweren Unfall. Seine Gedächtnisinhalte werden schließlich in Gestalt des computergenerierten Wesens Max Headroom gesichert.77 Auf den Film folgte die Fernsehserie MAX HEADROOM (1987-1988). Daneben moderierte der Protagonist die nach ihm benannte MAX HEADROOM SHOW (19851987). Er erschien auf einem Monitor inmitten eines futuristisch eingerichteten Studios, scherzte mit eingeladenen Stars und spielte von Zeit zu Zeit Musikvideos ein. Die Kreatur galt als „technological folk hero, serving as both the parody and the exemplar of spectacular culture“78, so Scott Bukatman. Der schwarze Hintergrund mit den parallel verlaufenden Farblinien, vor dem Headroom zu sehen war, bildete fortan ein beliebtes Motiv von Science-Fiction-Erzählungen über das Leben des Menschen im Zeitalter digitaler Medien. Auch Clip-Regisseure spielen mit dem Bild von Headroom und greifen damit die in der Talkshow geschaffene Verbindung der Figur zum Medium Musikvideo auf, ohne die medienkritische Geschichte von Film und TV-Serie fortzusetzen. Dies zeigt sich etwa in PARANOIMIA (1986) von The Art of Noise.79 Headroom singt den Titel der New-Wave-Gruppe, während er über einen abgestellten Bildschirm eingeblendet wird. Mit einer Zigarre in der Hand schlüpft 50 Cent derweil in PASS THE PATRON (2010) in die Rolle des kybernetischen Wesens, um im Hintergrund der Kulisse den Refrain des Songs von Tony Yayo zu übernehmen. Zumindest für eine kurze Zeit setzt der Clip RAP GOD (2013) Eminem als Headroom in Szene. Der Rapper hebt die eigene Bedeutung im Hip-Hop hervor und verwandelt sich in die berühmte TV-Figur. Er illustriert seine Macht als ‚übermenschlicher‘ Star, die ihm Zeitgenossen nach eigener Aussage aufgrund einer maschinengleichen Wortgewalt zuschreiben. Doch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten gehen laut Eminem über den Automatismus einer programmierbaren Maschine hinaus und liegen in einem angeborenen musikalischen Talent begründet: „They said I rap like a robot, so call me rap-bot / But for me to rap like a computer must be in my genes.“ Die clipspezifischen Interpretationen derselben medienübergreifend präsenten Gestalt lassen erkennen, dass Verweise auf fiktionale TV-Inhalte im Musikvideo auf unterschiedliche Weise für die Inszenierung des Interpreten genutzt und mit zusätzlichen Bedeutungen aufgeladen werden können. Spielt der Ort der Handlung in den 77
Vgl. zur Handlung des Spielfilms Scott Bukatman: Terminal Identity: The Virtual Subject in Postmodern Science Fiction. 2. Aufl. Durham, North Carolina/London 1994, S. 63-69, S. 255-259.
78
Ebd., S. 258.
79
Vgl. ebd.
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angeführten Beispielen eine untergeordnete Rolle für die jeweilige Bezugnahme, stellen andere Clips gerade über das Setting eine Verbindung zu bekannten Fernsehsendungen her. So geht etwa Holley Wlodarczyk der kulturellen Bedeutung des ColonialRevival-Hauses nach, das der Sitcom LEAVE IT TO BEAVER (1957-1963) entstammt und als Symbol für die Stabilität des Zuhauses und der Familie noch heute in Geschichten unterschiedlicher Medien verarbeitet wird.80 Wie die Kulturwissenschaftlerin anhand mehrerer Clips, die um die Jahrtausendwende entstanden sind, aufzeigt, dienen Rekonstruktionen des Gebäudes auch im Musikvideo als Schauplatz eines stereotypen ruhigen Vorstadtlebens.81 Obwohl einige dieser Werke bereits durch den Gebrauch von fernsehserientypischen Gestaltungsmitteln verraten, dass sie auf eine TVSendung anspielen, und das LEAVE-IT-TO-BEAVER-Haus in verschiedenen Bilderwelten der Populärkultur aufgegriffen worden ist, lässt sich vermuten, dass die intermediale Verknüpfung keineswegs von jedem Clip-Betrachter bemerkt wird. Dies gibt grundsätzlich zu bedenken, ob intermediale Verweise, die ein Detailwissen voraussetzen, als Bestandteil der Inszenierung geeignet sind oder die Unsicherheit, dass sie wahrgenommen werden, eine zu große Gefahr für das Verständnis eines Clips bildet.82 Angesichts der Fülle von Zitaten und Anspielungen, die das Medium Musikvideo aufweist, ist Matthias Weiß in seiner Annahme recht zu geben, „dass das Ersinnen und Umsetzen komplexer Verweissysteme nicht ausschließlich im Kunstwillen der jeweiligen Autoren begründet liegt, sondern auch durch die Werbefunktion des Videoclips motiviert ist [...].“83 Die Vielzahl der teilweise kreativ versteckten intermedialen Bezüge erweitert die Möglichkeiten der Interpretation eines Clips und steigert insofern die Attraktivität des gesamten Werks, als der Betrachter Gefallen daran findet, Verweise zu entdecken, und in seiner Ansicht bestärkt wird, dass die popkulturellen Kenntnisse, welche er abrufen kann, eine besondere Relevanz besitzen. „Um seine Wirksamkeit voll zu entfalten“, so Weiß weiter, „muss ein Musikvideo nicht nur ein möglichst breites Betrachterspektrum ansprechen, sondern auch über einen möglichst langen Zeitraum und mit möglichst hoher Frequenz gesendet werden. Zu leichte Konsumierbarkeit allerdings lässt das Zuschauerinteresse schnell erlahmen. Die zu konstatierende Hermetik hingegen, der nur durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem betreffenden Musikvideo entgegenzuwirken ist, soll die Neugier des Zuschauers wachhalten, ja nachgerade ein Bedürfnis in ihm wecken, den Clip noch einmal und immer wieder zu sehen.“84 80
Vgl. Holley Wlodarczyk: The Cultural Meanings of the Leave It to Beaver House. In: D. Medina Lasansky (Hg.): Archi.Pop: Mediating Architecture in Popular Culture. London u.a. 2014, S. 15-28, S. 16.
81
Vgl. ebd., S. 24f.
82
Vgl. Weiß: Madonna revidiert, S. 170.
83
Ebd.
84
Ebd.
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Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Clips auch dann ein basales Unterhaltungspotenzial aufweisen, wenn der Betrachter keine der eingestreuten visuellen Referenzen erfasst oder den fiktionalen Stoff, auf den referiert wird, nicht kennt. Die Platzierung von THE ULTIMATE SIN im Serienkosmos von DALLAS und der Gebrauch des LEAVEIT-TO-BEAVER-Hauses, das sich mit der Zeit zu einem beliebten Schauplatz entwickelt hat, unterscheiden sich zwar hinsichtlich der Explizitheit ihrer intermedialen Brückenschläge. Doch in beiden Fällen ist die Identifikation der Bezugnahmen keine notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer individuellen Interpretation und das Sehvergnügen. Auch nicht-fiktionale Inhalte können sowohl in eine sie ergänzende Narration des Clips eingeflochten werden als auch allein stehen und Aussagen des Songs präzisieren oder in einen neuen Bedeutungskontext stellen. Seit den Anfangsjahren von MTV sind es anstelle von real existierenden Sendungen häufig erfundene Formate bestimmter Fernsehgattungen, die mit Studiokulissen, Figurenkonstellationen und Handlungsabläufen, welche sich von denen anderer Produktionen abgrenzen lassen, im Musikstück angesprochene Themen und Ereignisse anschaulich machen. Auch wenn Fernsehgattungen in zahlreichen Mischformen vorliegen, wecken sie Erwartungen an spezifische dramaturgische Elemente, lenken die Interpretation des Liedtextes und geben dem Betrachter die Freiheit, die Bilder gedanklich mit einer Sendung zu verknüpfen, die ihm bekannt ist. Eine Motivation, nach inhaltlichen Parallelen zwischen Clip und Fernsehprogramm zu suchen, ergibt sich daraus, dass Ähnlichkeiten zu tatsächlichen TV-Formaten in der Regel bestehen bleiben. BREEZEBLOCK (2011) von Camo & Krooked bedient sich etwa des kompetitiven Prinzips von Gameshows und lässt zwei Kandidaten in einem wilden Tanz-Contest zum Drum-’n’-Bass-Stück des Duos gegeneinander antreten, bis sie entkräftet stürzen. Der Idee eines Wettbewerbs im Fernsehen ist ebenfalls DEATH TO YOUR HEART! (2010) von Blood on the Dance Floor verpflichtet. In Spaßkämpfen duellieren sich die Musiker Jayy Von Monroe und Dahvie Vanity mit zwei Mädchen. Nachdem die Bandkollegen die ersten Runden verloren haben, nehmen sie, dem martialischen Ton des Songs entsprechend, eine blutige Rache an ihren Kontrahentinnen und den Zuschauern im Studio. Beide Musikvideos erfordern kein umfassendes Wissen eines bewanderten Fernsehpublikums, weil bereits Kenntnisse über grundlegende Inszenierungsmerkmale der Gattung Gameshow ausreichen, um eine Verbindung zwischen Song und Clip herzustellen. Ausgehend vom Liedtext kann der eher typische als eindeutig ausgewiesene TVInhalt einer Kritik unterzogen werden. Dies lässt sich anhand des Clips AWG (2014) nachvollziehen, der von Norbert Heitker für das Farin Urlaub Racing Team gedreht worden ist und die esoterische Lebensberatung, welche diverse Spartenkanäle anbieten, aufs Korn nimmt. In seinem Song, dessen Titel ausgeschrieben ‚Alles wird gut‘ heißt, ruft der Musiker Farin Urlaub sein Publikum zu mehr Gelassenheit auf und rät von unnötigen Sorgen um die eigene Zukunft ab. Anstatt Horoskopen in der Zeitung zu glauben, den Kaffeesatz zu lesen, Tarot-Karten zu legen oder zu Gott zu beten, solle
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man sich seinem Schicksal fügen. Einer Bezugnahme auf das Medium Fernsehen begegnet man erst im Clip. Dort verfolgt der Musiker an seinem Bildschirm bis zum Schluss eine Sendung, in der er selbst als Moderator in weißer Garderobe über den Wolken singt (Abbildung 42). Die TV-Figur dreht für ihre Zuschauer ein Glücksrad, auf dem abwechselnd ein Totenkopf und das ägyptische Lebenszeichen Anch abgebildet sind. Dem in hellen Pastelltönen gehaltenen Fernsehkosmos ohne erkennbare räumliche Grenzen steht das düstere und enge Wohnzimmer des Sängers, der sein eigener Betrachter ist, gegenüber. Der farbliche Kontrast zeigt zwei unterschiedliche Grundhaltungen des Menschen an. So steht die Fröhlichkeit des gottgleichen Moderators („Mach dich mal locker und sei heiter / Das Leben geht ganz unauffällig weiter“) im Widerspruch zur Unruhe des dargestellten Zuschauers. Dieser sieht, dass seine Lebenszeit in einer Sanduhr im Fernsehen verrinnt. Er schlägt auf den Bildschirm, trennt das Gerät vom Stromnetz und schüttet Wasser über das Gehäuse, während das Programm unaufhaltsam weiterläuft. In der Rolle des Rezipienten kann sich der Musiker nicht mit der propagierten fatalistischen Haltung identifizieren – zu Recht, wie sich herausstellt, sobald das rotierende Glücksrad Funken sprühend auf einem Totenkopf stehen bleibt. In der Folge stirbt der Sänger. Ausgerechnet die Zuversicht versprechende Sendung erweist sich damit als scheinheiliger Todbringer und verkehrt die Aussage ‚Alles wird gut‘ in ihr Gegenteil. Lediglich die letzte Einstellung des Musikvideos lässt offen, ob die Geschichte ein glückliches Ende nimmt. Der Geist des TV-Zuschauers verlässt den im Fernsehsessel liegenden Körper und steigt in den Himmel auf, während ihm die Figur auf dem Bildschirm zuwinkt. Abbildung 42: AWG, 2014, M: Farin Urlaub Racing Team, R: Norbert Heitker.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=H9-_318WOLo (TC 00:21, 02:20, 02:50)
So verschieden der thematische Rahmen eines narrativ gestalteten Musikvideos ausfallen kann, so verschieden sind die Vorwürfe gegen die dargestellte Fernsehgattung, wenn das TV-Konzept und das sonderbare Verhalten der in einer Sendung auftretenden Figuren vorgeführt werden. Als Zwischenbilanz lässt sich festhalten, dass es um Parodien geht, denen trotz ihrer unterschiedlichen Detailtreue zur jeweils verwendeten Vorlage ein subversives Potenzial innewohnt. Wie Robert Fajen schildert, ist das Verfahren der Nachahmung aufgrund der reflektierenden Annäherung an einen bereits vorhandenen medialen Inhalt als „Instrument der Beobachtung“ zu verstehen, „welches helfen kann, die Mechanismen und Implikationen dominanter kultureller
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Praktiken zu analysieren und kritisch zu betrachten.“85 Die Umsetzungen solch einer „repetition with difference“86 weichen nicht nur hinsichtlich der Intensität der Überarbeitung, Erweiterung und Veränderung eines künstlerischen Werks mitunter erheblich voneinander ab. Sie erlauben es dem Musikvideo ferner, das aufgegriffene Original entweder positiv oder negativ zu bewerten, und zwar unabhängig davon, wie ausgewogen das Verhältnis zwischen Repetition und Differenz ist und welche Hinweise genutzt werden, um die intermediale Anspielung zu markieren: „A critical distance is implied between the backgrounded text being parodied and the new incorporating work, a distance usually signaled by irony. But this irony can be playful as well as belittling; it can be critically constructive as well as destructive.“87 Das heißt, ob die ironische Haltung, welche der Musiker in der dargestellten TV-Sendung gegenüber der Programmgattung einnimmt, tatsächlich dazu dient, auf gravierende Missstände hinzuweisen oder individuelle Erwartungen an das Fernsehen zu äußern, lässt sich nur im Einzelfall bestimmen. Letztlich kann der parodistische Blick auf das Konzept einer TV-Sendung und seine Protagonisten auch eine Komik erzeugen, die den gesamten Clip durchzieht oder an einzelne Momente geknüpft ist, in denen sich die Differenz zwischen Musikvideo und TV-Sendung offenbart. In diesem Fall erscheinen die Bilder als ein Unterhaltungsangebot, das versucht, den Betrachter nicht von einer medienkritischen Meinung zu überzeugen, sondern zum Lachen anzuregen. Mit Blick auf das zugrunde liegende Musikstück fällt auf, dass nicht immer feststeht, welche der Fernsehgattungen, die im Mediendiskurs spezifische Zuschreibungen erhalten, für einen Clip ausgewählt wird. Ein Grund für diese Beliebigkeit liegt vor allem in der Mehrdeutigkeit vieler Liedtexte, wie sie beispielsweise in DON’T STOP (2008) von Innerpartysystem zum Vorschein kommt. Geprägt vom schroffen Klang der Gesangsstimmen und des Instrumentenspiels verurteilt der Song die heimtückischen Absichten der Kulturindustrie, welche im Ausdruck „Lies are entertainment“ zusammengefasst werden. Es existieren gleich zwei verschiedene Clips. Die erste Version ist von analogen Bildstörungen durchzogen und zeigt ein Nachrichtenformat, in dem die Sprecher plötzliche Zuckungen ausführen, die auf einen Kontrollverlust hindeuten. Die zweite Version gleicht einer farbenfrohen Unterhaltungssendung. Noch deutlicher als im ersten Musikvideo gehen die Körper der Hauptfiguren von einer lethargischen Starre in einen fremdgesteuerten Bewegungsdrang über und geben das televisuelle Spektakel auf diese Weise der Lächerlichkeit preis. Die Offenheit der im Song angelegten Kritik gestattet den Einsatz mehrerer Parodien auf TV85
Robert Fajen: Pop, Parodie und Profanierung. In: Florian Niedlich (Hg.): Facetten der Popkultur. Über die ästhetische und politische Kraft des Populären. Bielefeld 2012, S. 131146, S. 138.
86
Linda Hutcheon: A Theory of Parody: The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. Urbana/Chicago, Illinois [1985] 2000, S. 32.
87
Ebd.
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Gattungen, um das Unbehagen gegenüber der massenmedialen Kommunikation herauszustreichen. Mit einem Liedtext, der nur wenige Wörter enthält, nämlich die beiden Bestandteile des Namens der Electro-Gruppe Zombie Nation, liefert das Stück KERNKRAFT 400 (1999) indes keine Anhaltspunkte für eine Bezugnahme auf das Medium Fernsehen. Im Clip mimt der Musiker Florian Senfter den Moderator eines HomeshoppingKanals (Abbildung 43). Mit dunkler Sonnenbrille, Goldkette und funkelndem Oberteil stellt er seinem Publikum an der Seite von zwei leicht bekleideten Frauen mehrere Produkte wie einen Mikrowellenherd vor. Eine Verbindung des Techno-Songs zu den Bildern ergibt sich lediglich aus seinem Titel, der insofern Eingang in das Musikvideo findet, als die angebotenen Geräte mit Kernenergie betrieben werden. Dass die TVShow unter dem Namen ‚Atomic Bazar‘ firmiert, soll der angepriesenen Leistungsfähigkeit der zum Verkauf stehenden Technologien eine zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen. Im Gegensatz zum Moderator und den beiden Models tragen die Mitarbeiter hinter den Kulissen weiße Overalls, auf denen das gelb-schwarze Zeichen für Radioaktivität gedruckt ist, wie die Kamera in der letzten Einstellung offenbart. In einer Zuspitzung der Sehgewohnheiten eines Homeshopping-Publikums vollführt der Protagonist zum peitschenden Rhythmus der Musik einen Tanz, der durch kurze Freeze Frames angehalten wird. Anstatt sich über das Verkaufskonzept der Sendung zu empören, bringt er die Affektiertheit eines Moderators zur Anschauung, der einen hohen Aufwand betreibt, um das Interesse des Zuschauers zu gewinnen. Doch die Medienkritik, welche KERNKRAFT 400 in sich trägt, überzeugt nur vordergründig. Schließlich nimmt der Clip Bezug auf eine TV-Gattung, die dem Musikfernsehen nicht unähnlich ist. Dass im Kader bis zum Schluss der Hinweis „Commercial Presentation“ eingeblendet wird, lässt sich als eine Anspielung auf die werbende Funktion des eigenen Mediums verstehen. Tatsächlich entwickelte sich die Single von Zombie Nation, unterstützt durch das Musikvideo, zu einem weltweiten Hit. Abbildung 43: KERNKRAFT 400, 1999, M: Zombie Nation, R: Hendrik Hölzemann.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=up-Jfe4Y6Vo (TC 00:32, 01:22, 03:18)
Die bisherigen Beispiele zeigen, dass der parodistische Blick auf das TV-Programm anders als unveränderte Übernahmen von Bildern einer fremden Quelle gestalterische und kommunikative Prinzipien des aufgegriffenen Medieninhalts beleuchtet, durch
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die Konzentration auf eine bestimmte Fernsehsendung jedoch im Vergleich zur fundamentalen Medienkritik eine größere Nähe zur Lebenswelt des Betrachters herzustellen vermag. Da eine solche reflektierende Beobachtung voraussetzt, existierende oder erdachte Formate darzustellen, um einzelne ihrer Merkmale auszuwählen und zu verfremden, erreicht die Kritik nicht die Schärfe einer umfassenden Stellungnahme zur Television und ihren Nutzungs- und Wirkungsweisen: „Parodic art both deviates from an aesthetic norm and includes that norm within itself as backgrounded material. Any real attack would be self-destructive.“88 In der Wahrnehmung des Publikums identifiziert sich der Star zwar nicht mit dem von ihm thematisierten TV-Programm, hält sich aber meist im Fernsehen und nicht (nur) vor dem Bildschirm auf. In einigen Fällen steht die Verfremdung medialer Angebote im Mittelpunkt des Schaffens eines Künstlers. So wird beispielsweise ‚Weird Al‘ Yankovic für seine komödiantischen Werke, die visuelle Verweise auf sehr unterschiedliche Stars enthalten und in denen der Entertainer vorhandene Liedtexte durch eigene Inhalte ersetzt, von anderen Musikern eher geschätzt als gefürchtet, finden ihre Arbeiten durch eine kreative Umsetzung doch die Anerkennung eines berühmten Parodisten.89 Unabhängig von der Kritik, die mit einer solchen Bezugnahme verbunden ist, steigt die Bekanntheit von Songs und Clips, die den Gegenstand der Bezugnahme bilden. Als zentraler Ort einer unterhaltungsorientierten Auseinandersetzung mit Themen und Ereignissen aus den Bereichen Musik, Film und Fernsehen dient inzwischen das Internet. Mit dem Aufkommen von kostenfrei zugänglichen Video-Portalen wie YouTube etabliert sich eine „hypertextual ‚cut‘ and ‚paste‘ culture of New Media – that seemingly encourages sampling, poaching and remixing [...].“90 User veröffentlichen eigene Clips, in denen sie Bezug auf Produkte der Massenmedien oder Werke anderer Internetnutzer nehmen (Kapitel 2.2). Die Parodie fungiert weiterhin als ein subversives Verfahren des Nachdenkens über Medien. Vor allem in der Online-Kommunikation wird sie genutzt, um durch die Kommentierung von kontroversen Inhalten Aufsehen zu erregen und diskutiert zu werden. Doch wie sich herausgestellt hat, machen nicht erst die von Amateuren angefertigten und im Internet hochgeladenen Videos verschiedene Gattungen des Fernsehens zu ihrem Gegenstand der Reflexion. Auch Clips, die Plattenfirmen zu einem früheren Zeitpunkt haben produzieren lassen und mit denen Sänger und Bands den Mediendiskurs in Gang halten, tragen immer wieder parodistische Züge. 88 89
Ebd., S. 44. Vgl. Matthew R. Turner: Performing Pop: Lady Gaga, „Weird Al“ Yankovic and Parodied Performance. In: Richard J. Gray II (Hg.): The Performance Identities of Lady Gaga: Critical Essays. Jefferson, North Carolina/London 2012, S. 188-202, S. 195.
90
Glen Creeber: Digital Theory: Theorizing New Media. In: Glen Creeber/Royston Martin (Hg.): Digital Cultures: Understanding New Media. Maidenhead/New York 2009, S. 1122, S. 19.
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7.2.2 Exemplarische Fernsehgattung: TV-Nachrichten Bereits lange vor der Verbreitung von Parodien auf Online-Portalen, die User in ihrer Freizeit in Gestalt eines Musikvideos produzieren, haben sich TV-Inhalte herauskristallisiert, die als eigenständige Gattungen wahrgenommen werden und das Interesse von Sängern und Bands sowie Regisseuren auf sich ziehen. Dabei beobachtet sich der Clip als eine im Fernsehen hervorgebrachte Form, die inhaltlich nicht identisch mit der eines Musikvideos zu sein scheint. Wie im vorangegangenen Kapitel deutlich geworden ist, ergibt sich die Differenz, welche notwendig ist, um die Nachahmung einer TV-Gattung als Reflexion auffassen zu können, meist aus dem Verhalten des performenden Musikers, der – im Kontrast zur Alltagserfahrung des Betrachters – eine für das Fernsehen arbeitende Figur spielt oder einer solchen Figur gegenübersteht. Wird die Darbietung in den fremden Kontext des Fernsehens gelegt, ist es dem Sänger oder der Band möglich, sowohl Nähe als auch Distanz zur dargestellten Sendung zu vermitteln. Während Filme laut Hilde W. Hoffmann und Judith Keilbach vor allem Bezug auf Talk- und Gameshows nehmen und ihre Aufmerksamkeit der „Figur des Spielleiters“ widmen, „der oft zum Repräsentanten der Institution Fernsehen avanciert, als Kulminationspunkt ihrer Kultur- und Fernsehkritik“91, nimmt sich auch das Musikvideo des Unterhaltungsprogramms an, häufig mit der Intention, den Interpreten hinsichtlich seiner moralischen Gesinnung, des geistigen Vermögens oder der Erwartung inhaltlicher Tiefe als dem TV-Medium überlegen zu präsentieren. Eine Fernsehgattung, anhand derer aufgezeigt werden kann, welche Bedeutung das subversive Verfahren der Parodie für die Inszenierung des Stars hat und inwiefern die Auseinandersetzung mit Fernsehinhalten aktuelle Zeitbezüge herstellt, umfasst das Programm von Sendern evangelikaler Christen. So hat die kommerzielle Glaubensvermittlung der in den USA während der 1970er Jahre an Einfluss gewonnenen Prediger regelmäßig für Diskussionsstoff gesorgt: „The popular perception of the telepreacher is one of the smarmy huckster: a used car salesman with a hairstylist.“92 Neben dem Wohnraum, einem tendenziell Vertrauen schaffenden Rahmen, in dem der Fernsehkonsum stattfindet, sind es in Großaufnahmen wiedergegebene Ansprachen, die zum einen die Spendenbereitschaft des Publikums und zum anderen die Glaubwürdigkeit der Televangelisten in moralischer und politischer Hinsicht steigern.93 Dass sich einige der Prediger immer wieder verächtlich gegenüber der ihrer Meinung nach im Widerspruch zu christlichen Werten stehenden Rockmusik äußerten und zugleich durch mehrere Sex- und Finanzskandale der Unehrlichkeit überführt worden sind, hat ihr scheinheiliges Auftreten zu einem wiederkehrenden Thema von Songs 91 92
Hoffmann/Keilbach: Spielleiter zwischen Medienkritik und Normalismus, S. 213. Kevin Howley: Prey TV: Televangelism and Interpellation. In: Journal of Film and Video 53 (2001), H. 2/3, S. 23-37, S. 26.
93
Vgl. ebd., S. 27.
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und Clips werden lassen, wie sich unter anderem in Werken der Heavy-Metal-Ikone Ozzy Osbourne und der Rock-Band Genesis zeigt.94 Demgegenüber stehen Clip-Inszenierungen im Stil der seit den Anfangsjahren des Fernsehens im Programmangebot zu findenden TV-Nachrichten. Auch sie offenbaren, dass das Musikvideo den laufenden Mediendiskurs mitprägt. Der Reiz einer Parodie dieser Gattung liegt darin, einen überwiegend ernsten Ton, den die um Sachlichkeit bemühte Vermittlung von Informationen über gesellschaftlich relevante Ereignisse erfordert, zu vermeiden und in Komik zu überführen.95 „If the prevailing news scenario combines a sober-looking person with serious discourse to produce a trusted news source“, so Zoë Druick, „news mockery needs to replace at least one term to subvert the expectation of the speech genre: silly person delivering serious news; silly person delivering silly news; serious person delivering silly news.“96 Für einen Clip-Regisseur eignet sich die visuelle Umsetzung der Fernsehgattung insofern, als sie die Gelegenheit bietet, den Leadsänger einer Band oder einen Solokünstler in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Schließlich ist die Verkündung der Nachrichten meist auf einen Anchorman zugeschnitten, dem eine zentrale narrative Funktion zukommt.97 Der Star eines Musikvideos kann diese Rolle ausfüllen, um seinen Song als eine Meldung im Fernsehen vorzutragen und zugleich Kritik an bestimmten Eigenschaften des Programms zu üben. Das Erscheinungsbild von Sendungen der lokalen und überregionalen Berichterstattung lässt sich schon mithilfe weniger Requisiten nachahmen. Denn auch wenn sich TV-Formate neben ihrer Selektion und Aufbereitung von Themen in Bezug auf die Studiokulisse, den Dresscode der Nachrichtensprecher und die verwendeten Bilder unterscheiden, bleiben zentrale Merkmale der Darstellung erhalten: „Der Sprecher füllt den Bildschirm völlig oder nahezu völlig. Es gibt keine Variation in der Bildeinstellung. Medientechnisch wird der Verleser, da gut ausgeleuchtet, voll den Rahmen füllend, perfekt eingesetzt. Diese Anordnung trägt vom Bild her, von der Inszenierung, dazu bei, ihn zum Garanten der Objektivität des Verlesenen zu machen. Er wird als eine neutrale Instanz stilisiert und kann diese Neutralität durch die Art des Verlesens noch unterstützen.“98 94
Vgl. Amanda Flinner: Jesus Thinks You’re a Jerk: Rock vs. Televangelists. In: Songfacts, URL: http://www.songfacts.com/blog/writing/jesus_thinks_you_re_a_jerk_rock_vs_tele vangelists (01.06.2018).
95
Vgl. Zoë Druick: Dialogic Absurdity: TV News Parody as a Critique of Genre. In: Television & New Media 10 (2009), H. 3, S. 294-308, S. 300.
96 97
Ebd. Vgl. Sharon L. Sperry: Television News as Narrative. In: Richard Adler/Douglass Cater (Hg.): Television as a Cultural Force. New York/London 1976, S. 129-146, S. 132.
98
Erich Straßner: Fernsehnachrichten. Eine Produktions-, Produkt- und Rezeptionsanalyse. Tübingen 1982, S. 35.
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Ein Musikvideo kann den Wiedererkennungswert der parodierten TV-Gattung nutzen und mit den Erwartungen des Medienpublikums spielen, indem es Konventionen der Inszenierung einhält oder variiert und reflektiert. Eine strukturelle Gemeinsamkeit von Clip und Nachrichtensendung geht aus der Eigenschaft hervor, dass vielfältige Themen verbalsprachlich und bildlich in einem kurzen Zeitraum zueinander kommen. Die Moderation der im Fernsehen sprechenden Person lässt – analog zum Gesang des Stars im kommerziellen Musikvideo – die hintereinander gesendeten audiovisuellen Inhalte die Gestalt eines Formats annehmen, das von anderen Angeboten im TV-Programm differenziert werden kann: „[...] [D]er Erzähler [...] verbindet die oft disparaten Einzelbeiträge, schafft damit einen durch ihn zumeist ‚irgendwie‘, weil nicht aus den einzelnen Teilgeschichten selbst hervorgehenden Zusammenhang.“99 Ein Beispiel aus der Frühphase des Musikfernsehens dokumentiert jenes Spannungsverhältnis, in dem einerseits die Illusion einer Nachrichtensendung unter Berücksichtigung gattungsspezifischer Merkmale aufgebaut und andererseits dieser humoristisch entgegengewirkt wird. So beginnt HERE IS THE NEWS (1981) des Electric Light Orchestra mit einer Begrüßung des TV-Publikums, der sich eine von mehreren kuriosen Schlagzeilen anschließt. „Here is the news / Coming to you every hour on the hour / (Here is the news) / The weather’s fine, but there may be a meteor shower“, singt die Band und scheint die von Pierre Bourdieu diskutierte Vorgehensweise des Fernsehens zu belächeln, den Schwerpunkt des Programms auf dramatische und tragische Ereignisse wie Morde und Naturkatastrophen zu legen, die nicht dem Alltag des Durchschnittszuschauers entsprechen.100 Der Song lässt anklingen, dass im Fall journalistischer Angebote „[d]as Auswahlprinzip [...] die Suche nach dem Sensationellen, dem Spektakulären [ist]“101, wenn die Nachrichten im Refrain als „[a]nother action-filled adventure / [...] / [a]ll the worst from the world convention“ bezeichnet werden. Der Clip illustriert den Liedtext durch Aufnahmen des explodierenden Zeppelins Hindenburg. Es ist eines von mehreren historischen Ereignissen, die innerhalb eines erdachten Fernsehformats eingebunden werden.102 Ein Countdown ist der Handlung vorgeschaltet und setzt den Betrachter über den Beginn der TV-Übertragung in 99
Knut Hickethier: Narrative Navigation durchs Weltgeschehen. Erzählstrukturen in Fernsehnachrichten. In: Klaus Kamps/Miriam Meckel (Hg.): Fernsehnachrichten. Prozesse, Strukturen, Funktionen. Opladen/Wiesbaden 1998, S. 185-202, S. 188.
100 Vgl. Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen [Sur la télévision 1996]. Frankfurt a.M. 1998, S. 25f. 101 Ebd., S. 25. 102 In BAD DAY (2003) von R.E.M., einem Musikvideo, das als live gesendetes Morgenmagazin inszeniert worden ist, handelt es sich hingegen um Wetterkatastrophen, die Gegenstand einer außergewöhnlichen TV-Meldung sind. Die Mitglieder der Band spielen ein Fernsehteam und berichten unter anderem über einen Sturm und eine Flut, die sich im Inneren von Gebäuden ereignen und die Bewohner der Häuser in Schrecken versetzen.
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Kenntnis. Während des musikalischen Intros ist ein Redaktionsteam zu sehen, das regungslos auf der Stelle verharrt. Dies gilt nicht für den Sänger Jeff Lynne. Als Nachrichtensprecher hält er sich im Hintergrund auf und lässt einen Lochstreifen mit den Meldungen zum Weltgeschehen über seine Hand laufen (Abbildung 44). Abbildung 44: HERE IS THE NEWS, 1981, M: Electric Light Orchestra, R: unbekannt.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Bzehb_yeZtU (TC 01:59, 02:10, 03:39)
Erst wenn der Song an Fahrt aufnimmt, setzen sich die Mitarbeiter in Bewegung. Eine Handkamera hält in schnellen Schwenks die Betriebsamkeit hinter den Kulissen fest, welche akustisch durch ein über die Musik gelegtes Gewirr von Stimmen intensiviert wird. Der ruhige Gesang von Lynne, der als Anchorman in Zwischensequenzen vor einer grauen Wand am Schreibtisch sitzt und von einem Blatt abliest, bildet einen Gegenpol zur dargestellten Hektik. Für ein Nachrichtenformat typisch werden statische Einstellungen eingesetzt. Eine Bild-in-Bild-Rahmung hebt die Perspektive eines TVZuschauers hervor. Ohne Zweifel entspricht die Haltung von Lynne, der durchweg eine Sonnenbrille und eine gelb-schwarz karierte Krawatte trägt, eher dem Showbusiness als einer seriösen Fernsehsendung. Nachdem der Musiker bereits während der Moderation ungewöhnlich schwungvoll das Tischmikrofon ergriffen hat, kokettiert er mit seiner Funktion als Sänger im Clip. So wird Lynne von Fans und Pressefotografen umringt, als er das Studio verlässt und in einen Wagen der Marke Rolls-Royce steigt. Durch die deutlich werdende Konvergenz der Rollen macht sich das Musikvideo über den Star-Status von Nachrichtensprechern lustig. Dass eingangs eine Redaktion zu sehen ist, die die Organisations- und Recherchearbeit erledigt, mindert zusätzlich die Position des Protagonisten, der in den Augen des Publikums als Präsentator im Vordergrund einer Sendung steht, aber nicht die alleinige Verantwortung für die präsentierten Inhalte hat. Der Clip wirft einen Blick auf den journalistischen Alltag, wodurch – in den Worten von Knut Hickethier gesprochen – „der Schein der direkten mündlichen Erzählung des Weltgeschehens [zerbricht] [...] und [...] sich [zeigt], daß hinter diesen Nachrichtenerzählern noch andere Erzählinstanzen die Geschicke lenken.“103 Auch MEDIA MAN (1980) von Flash and the Pan verhandelt die zentrale Stellung nur einer Person im Rahmen vieler Nachrichtenformate. Der Clip konzentriert sich 103 Hickethier: Narrative Navigation durchs Weltgeschehen, S. 189.
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auf die künstliche Anmutung des Präsentators, ohne den arbeitsteiligen Prozess der Vorbereitung einer TV-Sendung zu schildern. Anfangs lediglich als Silhouette tritt in frontaler Ausrichtung zum Betrachter ein Nachrichtensprecher auf, der sich nach und nach aus einfliegenden Körperpartien zusammenfügt. Vor rasant wechselnden Hintergründen ohne inhaltlichen Bezug zum Liedtext wird in unregelmäßigen Abständen ein Teil der Ansicht von einem Viereck bedeckt, das vorgibt, einen Blick auf Haut und Skelett der Figur im Fernsehen freizugeben. Der Protagonist erscheint dadurch als eine Hülle mit austauschbarem Inneren.104 Hinzu kommen zwischengeschnittene Bilder, die die Bedeutung des Aussehens eines Nachrichtensprechers thematisieren. Es handelt sich um Ansichten von einer Schaufensterpuppe, einem Bodybuilder und der Hauptfigur des Clips, die geschminkt wird und gleichzeitig eine Zahnpflege erhält. In dieselbe Richtung weist der Liedtext, in dem Flash and the Pan zwar Lob für die beruflichen Leistungen des „media man“ spenden, nach den anerkennenden Worten jedoch bezweifeln, dass der Fernsehsprecher Mitgefühl habe und sich kognitiv anstrenge, wenn er Nachrichten vorliest. Song und Clip beziehen sich nicht auf eine bestimmte Person, sondern hinterfragen basale Bedingungen der TV-Gattung. Wie in HERE IS THE NEWS werden gestalterische Standards sowohl übernommen, um die intermediale Bezugnahme kenntlich zu machen, als auch dekonstruierend verfremdet. Darüber hinaus gebrauchen Regisseure das Setting der Nachrichten, um den Musiker als Gast in einer Sendung persönlich das Wort ergreifen zu lassen und in einer direkten Konfrontation mit der Fernsehberichterstattung sein Bedürfnis zum Ausdruck zu bringen, eine im Song enthaltene Kultur- und Sozialkritik öffentlich zu machen. So platziert etwa der von Marc Klasfeld inszenierte Clip THE EVENING NEWS (2007) den Rapper Chamillionaire im Abendprogramm von CHAM. Der erfundene TV-Kanal ist nach dem Musiker benannt und übernimmt die Aufmachung von CNN (Abbildung 45). Hinter der Anspielung verbirgt sich allerdings mehr als ein eitler Scherz. Denn Chamillionaire wird von Bob O’Wildy interviewt, einer an den konservativen Anchorman Bill O’Reilly erinnernden Figur, die der Rapper selbst verkörpert. Das Musikvideo setzt die Handlung des vorangegangenen Clips HIP HOP POLICE (2007) fort. Dort ist der Rapper ebenfalls in der Rolle des aggressiv und hämisch wirkenden Fernsehmoderators zu sehen, während er in fiktiven Meldungen über die Festnahme von Stars aus dem Bereich des Hip-Hop berichtet. THE EVENING NEWS lässt Chamillionaire und O’Wildy schließlich aufeinander treffen. In einem Splitscreen tragen beide Figuren ein Rededuell aus. „Welcome to the evening news, I thank you all for tuning in / Yes, I’m your host and your journalist“, eröffnet der Moderator seine Fernsehsendung, bevor der per Live-Schaltung zugestellte Gesprächspartner die Gelegenheit nutzt, sich dem Publikum selbst als glaubwürdige Person vorzustellen („You 104 Der Clip referiert auf die Tatsache, dass die Rolle der im Fernsehen lediglich vorlesenden Person aus der Sicht des Zuschauers einer Fassade gleicht. Vgl. Straßner: Fernsehnachrichten, S. 36.
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know I keep my ear to the streets, so it’s up to me to bring you the truth“). Die Kritik des Musikers richtet sich im Kern gegen eine pauschale Verurteilung des Hip-Hop („Most rappers got new albums that white kids are anticipating“) und die Bush-Regierung, welche unter anderem O’Reilly unterstützte, wie nicht zuletzt Nas in seinem Rachesong SLY FOX über den Nachrichtensprecher betont hat (Kapitel 7.1.3). Dass O’Wildy in seiner Sendung keinen respektvollen Umgang mit Chamillionaire pflegt und den Rapper daran hindert, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, belegt eine Zwischensequenz in der Mitte des Clips. Kurzzeitig hält die Musik an, als sich der Fernsehmoderator mit einer brisanten Frage an seinen Interviewpartner wendet. Er möchte wissen, warum es seinem Gegenüber, aber nicht ihm selbst gestattet sei, den Ausdruck „nappy-headed hoes“ zu gebrauchen. Die Worte stammen von Don Imus, einem langjährigen Radiosprecher, der im selben Jahr vom NBC-News-Management suspendiert worden ist, nachdem er mit dieser rassistischen Beleidigung ein Spiel des Frauen-Basketballteams der Rutgers University kommentiert hatte.105 Chamillionaire versucht, zu antworten, der Moderator gibt ihm aber keine Möglichkeit, seine Meinung kundzutun, sondern leitet zu einem TV-Spot für Handyklingeltöne über. Erst danach wird der Song fortgesetzt. Im Fernsehprogramm scheinen kommerzielle Interessen vorzuherrschen, ein sachlich-investigatives Gespräch bleibt aus. Dies bestätigen reißerische Schlagzeilen zu Personen aus der Politik und dem Showbusiness, die in einem Laufband am unteren Rand des Kaders zu sehen sind und sich bei genauerer Betrachtung als Nonsens entpuppen. Auch wenn die absurden Mitteilungen für ein Nachrichtenformat untypisch sind und den im Liedtext angesprochenen Themen entgegenstehen, zielt das Musikvideo nicht in erster Linie auf Komik ab. Vielmehr entlarvt es in der Begegnung von Chamillionaire mit dem von ihm parodierten Moderator das Fernsehen seiner Oberflächlichkeit. THE EVENING NEWS stellt nicht nur ein ungleiches Duell im Fernsehen dar, sondern macht auch deutlich, dass die Zuschauer mehrheitlich auf der Seite von Chamillionaire stehen. So wird das TV-Publikum animiert, darüber abzustimmen, welchen Kontrahenten es am überzeugendsten findet. Wie eine Schrifteinblendung im Anschluss an den Schlagabtausch verkündet, sehen 98 Prozent der Umfrageteilnehmer den Rapper als Sieger aus dem Zweikampf hervorgehen. Obwohl Chamillionaire folglich eine große Zustimmung erfährt, behauptet eine Textbox wenig später, O’Wildy habe gewonnen. Im selben Moment verschieben sich die Anteile des Splitscreens dergestalt, dass der Rapper als Verlierer wieder aus dem Bild des Clips gedrängt wird. Das Fernsehen bietet dem Protagonisten trotz der hohen Reichweite des Programms keine geeignete Bühne – im Gegensatz zum eigenen Musikvideo. Die Kritik am TVMedium wirkt insofern angemessen, als der Moderator den Rahmen seines Formats 105 Vgl. Bill Carter: Radio Host Is Suspended over Racial Remarks. In: The New York Times, 10.04.2007, URL: http://www.nytimes.com/2007/04/10/business/media/10imus.html (01. 06.2018).
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für eine Demonstration der eigenen Macht nutzt und auf diese Weise mit der Erwartung an einen um Ernsthaftigkeit bemühten Journalismus bricht. Abbildung 45: HIP HOP POLICE / THE EVENING NEWS, 2007, M: Chamillionaire feat. Slick Rick, R: Marc Klasfeld.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=CGOt8dZRsHk (TC 04:54, 05:19, 07:35)
Führt man die Erkenntnisse zur Darstellung von Nachrichtensendungen im Musikvideo zusammen, so ist zu sagen, dass sich der Star durch Vorbehalte gegenüber der Programmgattung häufig als eine den TV-Protagonisten in Bezug auf Intellekt oder Gesinnung überlegene Instanz aufwertet. Der Beobachtungsstandpunkt, von dem aus die Medienkritik formuliert wird, liegt nicht außerhalb des Fernsehens. Stattdessen klärt der Musiker den Betrachter über die Mängel der Informationsvermittlung auf, indem er selbst auf dem Bildschirm zu sehen ist und die Rolle eines Ansagers oder Moderators übernimmt. Dass es sich um einen Sänger handelt, der jenseits der fiktionalen Erzählung nicht als Journalist tätig ist, machen neben abschätzigen Kommentaren über die Nachrichtenselektion die äußere Erscheinung und das Verhalten der Figur sowie Inszenierungspraktiken anschaulich, die weder mit Kenntnissen über ein bestimmtes Fernsehformat noch mit Erfahrungen hinsichtlich der gewöhnlichen musikalischen Darbietung des Stars übereinstimmen. Wie das Publikum die Fernsehreflexion wahrnimmt, ist kaum vorherzusagen, denn während der Parodist ein bereits vorhandenes Werk rezipiert und auf seine Weise umgestaltet, unterliegt die Parodie der individuellen Deutung weiterer Rezipienten, weshalb der Vergleich von Bestandteilen einzelner Medieninhalte mit ihrer verfremdeten Umsetzung ein spezifisches Wissen erfordert.106 Es bleibt stets offen, ob der Betrachter eine Darstellung als Anspielung auffasst oder fälschlicherweise nur mit dem parodierenden Werk verknüpft und die hinter einer erkannten Anspielung stehende Intention versteht und als überzeugend empfindet.107 Entdeckt das Publikum eine Parodie, dann scheint im Verhalten des Musikers eine bestimmte Wertvorstellung durch, die seiner oftmals auch im Song artikulierten Kritik am TV-Programm Authentizität verleiht. Während die pauschale Verurteilung des Fernsehens aufgrund der Allgemeinheit und Vertrautheit der Argumente 106 Vgl. Margaret A. Rose: Parody/Meta-Fiction: An Analysis of Parody as a Critical Mirror to the Writing and Reception of Fiction. London 1979, S. 26. 107 Vgl. ebd., S. 27.
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selten tiefergehende Kenntnisse erfordert, erleichtert ein parodierender Clip das Verständnis seiner Botschaft häufig durch eine Fülle von Verweisen. Selbst wenn nicht alle Bezüge erfasst werden, erzielt das Musikvideo eine Komik, die den unterhaltenden Charakter der Bilder zu steigern vermag. Vor allem im Fall von Werken, die ihre Spannung aus der Parodie eines einzelnen TV-Formats gewinnen, fällt auf, dass Themen und Inhalte aus dem Fernsehen ohne größeren zeitlichen Abstand zu ihrer Entstehung aufgegriffen, zugespitzt und hinterfragt werden. Als „seismographic pop cultural media offerings“108 stehen Clips in einer engen Beziehung zum Mediendiskurs. Dies ist bereits vor der beschleunigten und Amateuren zugänglichen Produktion und Distribution von Videos über Online-Portale wie YouTube zu beobachten. Dennoch erschöpft sich die Medienreflexion nicht in einer Auseinandersetzung mit dem Fernsehen der Gegenwart. Das Musikvideo wendet sich auch der Vergangenheit zu. Weil sich das beobachtende und das beobachtete Medium fortentwickeln, manifestiert sich in dieser häufig nostalgischen Darstellung ein Wandel der intermedialen Beziehung zwischen Musikvideo und Fernsehen.
7.3 N OSTALGISCHER B LICK
AUF DAS
F ERNSEHEN 109
Wie die vorangegangenen Kapitel an verschiedenen Stellen aufgezeigt haben, strebt das Musikvideo nicht ausschließlich danach, popkulturelle Erscheinungen jüngeren Datums zu verarbeiten. Es widmet sich auch der Vergangenheit. Legt man den Fokus auf solche Darstellungen des Fernsehens, die sich an einer zurückliegenden Zeit orientieren, können die entsprechenden intermedialen Bezugnahmen als Retro-Phänomene aufgefasst werden. Ihre Analyse verspricht einen eigenen Erkenntnisgewinn.110 Denn die Besonderheit dieser Variante der Reflexion besteht darin, „als abgeschlossen beobachtete Formen von Vergangenheit“ zu beleuchten, „auf die ein Beobachter 108 Christoph Jacke: Who Cares about the Music in Music Videos? Toward a Multiperspectival Pop Cultural Study of Music Videos. In: Henry Keazor/Thorsten Wübbena (Hg.): Rewind, Play, Fast Forward: The Past, Present and Future of the Music Video. Bielefeld 2010, S. 179-194, S. 188. 109 Einzelne Inhalte der folgenden Kapitel sind erschienen in Simon Rehbach: Die nostalgische Reflexion des Fernsehens im Musikvideo. In: Pablo Abend/Marc Bonner/Tanja Weber (Hg.): Just Little Bits of History Repeating. Medien | Nostalgie | Retromanie. Münster 2017, S. 285-299. 110 Der im weiteren Verlauf des Kapitels gegebene Überblick über die Forschung zum Zusammenhang von Nostalgie und Medien findet sich in Teilen auch in Simon Rehbach: Nostalgische Erinnerungen an Computerspiele auf YouTube. Let’s Play Retro! In: Judith Ackermann (Hg.): Phänomen Let’s Play-Video. Entstehung, Ästhetik, Aneignung und Faszination aufgezeichneten Computerspielhandelns. Wiesbaden 2017, S. 181-193.
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aus der Gegenwart seines Beobachtungs-Erlebens Bezug nimmt und von denen er die Beobachtungs-Gegenwart ebenso unterscheiden kann wie ‚vice versa‘.“111 Der Ansatz lässt sich auf den in dieser Arbeit untersuchten Gegenstand der Reflexion übertragen. So schreibt ein in die Vergangenheit blickendes Musikvideo dem Fernsehen auf den Ebenen von Song und Clip Bedeutungen zu, die aus der Wechselwirkung zwischen individuellen Erinnerungen und dem laufenden Mediendiskurs hervorgehen, sich mit einer unterschiedlichen Deutlichkeit in der Bilderwelt niederschlagen und dabei Auskunft über die Relation des Musikvideos zum beobachteten Medium geben können. Der zeitliche Vergleich führt zu verschiedenen Urteilen. Er kann mit einer medienkritischen und parodistischen Perspektive einhergehen und reicht vom Entsetzen über eine frühere Entwicklung bis zur Verehrung derselben vor dem Hintergrund von Vorstellungen von wünschenswerten Inhalten, Gestaltungsprinzipien und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen einzelner Medien. In dieser Hinsicht „referiert [Nostalgie] auf vor allem affektiv positive Besetzungen von als vergangen Klassifiziertem, auf ein Zurücksehnen nach als vergangen und besser bewerteten Zuständen, Phänomenen, Erlebnissen etc.“112 Der Gegenstand der Bezugnahme hat sich im Verlauf der Zeit verändert und ausdifferenziert. Nachdem der im 17. Jahrhundert aufgekommene Begriff ‚Nostalgie‘ zunächst verwendet worden war, um dem mit verschiedenen Krankheitssymptomen einhergehenden Phänomen des Heimwehs einen Namen zu geben, bezeichnete er zunehmend die Hinwendung zur Vergangenheit im Sinne einer allgemeinen Emotion jenseits medizinischer Definitionen und Analysen.113 Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt eine solche Rückbesinnung auch im Rahmen der Popkultur zum Ausdruck und wird durch massenmediale Retro-Angebote gezielt hervorgerufen.114 Die fortlaufende Produktion der Unterhaltungsindustrie schafft eine Grundlage für die genussvolle Auseinandersetzung mit Inhalten, die Konsumenten, welche in einem bestimmten Jahrzehnt aufgewachsen sind, einst als innovativ oder spannend empfunden haben und heute in Erinnerung an ihren früheren Medienalltag mit Sehnsucht betrachten.115 Unter Rückgriff auf die viel zitierte These von Svetlana Boym, dass Fortschritt die Entstehung von Nostalgie positiv beeinflusse,116 wird derzeit von Autoren wie Sebastian Felzmann insbesondere das Videospiel zu den „am stärksten nostalgisch verklärten 111 Katrin Keller: Wiederverwertungen. Retro und die Reflexivität des Reloads. In: Christoph Jacke/Eva Kimminich/Siegfried J. Schmidt (Hg.): Kulturschutt. Über das Recycling von Theorien und Kulturen. Bielefeld 2006, S. 320-332, S. 321. 112 Ebd., S. 324. 113 Vgl. Simon Reynolds: Retromania: Pop Culture’s Addiction to Its Own Past. London 2011, S. xxvf. 114 Vgl. ebd., S. xxix. 115 Vgl. ebd. 116 Vgl. Svetlana Boym: The Future of Nostalgia. New York 2001, S. xiv.
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Medien“117 gezählt. Doch auch andere populärkulturelle Produkte, Kommunikationstechnologien und Nutzungspraktiken erleben rasante Veränderungen. Während die Entwicklung digitaler Spiele mit dem anhaltenden technischen Fortschritt des Computers einhergeht,118 hat das Musikvideo ebenfalls eine umfangreiche Vergangenheit (Kapitel 2.1 und 2.2). Dies stimmt heutige Konsumenten vor allem mit Blick auf das MTV-Programm nostalgisch. Der Wandel führt auch auf Seite von Medienschaffenden zu einer Wertschätzung für das Gewesene. Andreas Böhn hebt hervor, dass „[d]ieser Veränderungsprozess und die daraus folgende Erinnerung an Medien bzw. an bestimmte Entwicklungsstufen von Medialität [...] selbst wiederum in Medien dargestellt und reflektiert [werden]. Medien können sich also auf sich selbst als etwas in der Zeit Existierendes beziehen, das eine eigene, von Wechselbeziehungen zwischen technischer, sozialer und kultureller Entwicklung bedingte Geschichte hat.“119
Die Vergangenheitsbeobachtung konzentriert sich Böhn zufolge auf bestimmte Inhalte sowie ästhetische Merkmale und schließt demnach Darstellungen einer zurückliegenden Zeit, aber auch Anleihen bei Genres, Stilen und medialen Erscheinungsformen im Sinne einer ‚Mediennostalgie‘ ein.120 Das Musikvideo befasst sich folglich nicht nur mit vergangenen Ereignissen im Besonderen oder dem Fernsehen als Medium der Vergangenheit im Allgemeinen, sondern ist darüber hinaus in der Lage, die eigene Vergangenheit in seiner Bilderwelt reflexiv zu beobachten. Durch Intuition und Übung erlangen Akteure verschiedener medialer Kontexte ein Bewusstsein für die Möglichkeiten, mithilfe spezifischer Konfigurationen von Bild, Ton und Text ihr Publikum, das die Wirkung der Ausdrucksmittel mit der Zeit verinnerlicht, in einen nostalgischen Zustand zu versetzen.121 Möchte man herausfinden, wie sich Nostalgie in der Darstellung des TV-Mediums artikuliert, geht es nicht allein um die Frage, ob im Clip Figuren einer zurückliegenden Fernsehserie parodiert oder historische Bilder aus der Berichterstattung integriert werden. So hat sich auch die äußere Erscheinung der Fernsehtechnologie gewandelt. Der Einsatz von alten Empfangsgeräten gestattet 117 Sebastian Felzmann: Playing Yesterday. Mediennostalgie und Videospiele. In: Andreas Böhn/Kurt Möser: Techniknostalgie und Retrotechnologie. Karlsruhe 2010, S. 197-215, S. 197. 118 Vgl. Sean Fenty: Why Old School Is „Cool“: A Brief Analysis of Classic Video Game Nostalgia. In: Zach Whalen/Laurie N. Taylor (Hg.): Playing the Past: History and Nostalgia in Video Games. Nashville, Tennessee 2008, S. 19-31, S. 20. 119 Andreas Böhn: Mediennostalgie als Techniknostalgie. In: Andreas Böhn/Kurt Möser (Hg.): Techniknostalgie und Retrotechnologie. Karlsruhe 2010, S. 149-165, S. 150. 120 Vgl. ebd., S. 151. 121 Vgl. Fred Davis: Yearning for Yesterday: A Sociology of Nostalgia. New York/London 1979, S. 82.
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es Regisseuren, das Medium als der Vergangenheit zugehörig auszuweisen und den Sänger oder die Band mit einer früheren Ära des Fernsehprogramms in Verbindung zu bringen. Daneben ist es mithilfe von Apparaten, die nicht mehr im Handel erhältlich und nur noch selten im Wohnzimmer des Rezipienten zu finden sind, wie bisher möglich, den Kopf des Stars durch eine Bildröhre mit räumlicher Tiefe zu ersetzen. Dies belegt WHAT KATIE SAID (2008) der Band The Matches. Des Weiteren lässt sich das TV-Gehäuse als Requisite nutzen, um die Handlung des Clips in eine bestimmte Epoche zu verlegen (Kapitel 6.1.3). So fasst etwa ES WAR EINMAL (2016) die Geschichte der Band Beginner zusammen. Über ein Empfangsgerät, das Teenager heute kaum noch aus ihrer eigenen Erfahrung kennen, wird ein bunter Reigen aus nachgestellten Sendungen mit Gastauftritten von Moderatoren, Schauspielern und Sängern gezeigt. Versuchen Regisseure durch die Einbettung von Kommunikationstechnologien in die Narration häufig, einen aktuellen Zeitbezug herzustellen, weist der Verzicht auf Flachbildschirme in die entgegengesetzte Richtung. In ES WAR EINMAL unterstützt ein altmodischer Apparat die in der Hip-Hop-Nummer stellenweise durchscheinende Melancholie, während die inszenierten TV-Bilder auf Formate der Gegenwart anspielen und damit eine emotionale Nähe zum jungen Publikum schaffen. Darüber hinaus kann die Inszenierung des Fernsehens als Medium der Vergangenheit einen positiv gefärbten Blick auf frühere Stadien der Entwicklung von musikalischen Angeboten im TV-Programm hervorbringen. Es zeigt sich, dass die in nur kurzer Zeit erfolgte Ausdifferenzierung medialer Präsentationsweisen von Popmusik – von früheren Auftritten des Stars in einer Live-Sendung über Videos, die für bestimmte Sender des linearen Fernsehens gedreht werden, bis zur gegenwärtigen Distribution von Clips im Internet – einen Anlass für Sänger und Bands sowie Regisseure bietet, sich der Geschichte des Musikfernsehens anzunehmen (Kapitel 7.3.1). Ein besonderer Retro-Trend des Musikvideos zeichnet sich in jüngeren Jahren ab. So verorten eine Reihe von Clips den Star in einer Sendung der Vergangenheit und steigern bisweilen den Eindruck, selbst der dargestellten Zeit zu entstammen, indem sie sich als einst gesendetes TV-Material ausgeben, das mithilfe eines analogen Videorekorders aufgenommen worden ist (Kapitel 7.3.2). 7.3.1 Wandel des Musikfernsehens Bereits seit der Etablierung des Musikvideos im Fernsehen widmen sich Sänger und Bands thematisch medienkulturellen Veränderungen, die durch Clips der Tonträgerindustrie ausgelöst worden sind, und solchen, denen Clips unterliegen. Derweil stellen Regisseure mithilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel eigene Bezüge zur medialen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft her. Im Jahr 1981 waren es die Worte ‚Video killed the radio star‘, welche auf einen Einschnitt in der jüngeren Mediengeschichte aufmerksam machten. Der Kanal MTV feierte sein Debüt und ließ
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mit dem gleichlautenden Hit der Buggles den Beginn einer neuen Zeit von Musik im Unterhaltungsfernsehen deutlich werden. Im zugehörigen Clip stehen die beiden besungenen Kommunikationstechnologien einander gegenüber. So brechen zwei Fernsehapparate von unten durch einen steinernen Boden, schieben sich vor einen Stapel ausrangierter Radioempfänger und übertragen die Performance der Buggles. Der Hörfunk bildet das Unterhaltungsmedium einer zurückliegenden Zeit, wie die am Anfang des Songs stehenden Kindheitserinnerungen des lyrischen Ichs bestätigen: „I heard you on the wireless back in fifty-two / Lying awake intent at tuning in on you / If I was young, it didn’t stop you coming through.“ Vielfach haben Journalisten und Wissenschaftler die Formulierung ‚Video killed the radio star‘ in ihren Berichten und Analysen übernommen und sich – gelegentlich mit Wehmut – dem Konsum von Popmusik vor der Entstehung von MTV gewidmet. In ihren Interpretationen des Kommentars der Buggles zum Medienwandel kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Lehnte die New-Wave-Band die Verbreitung von Promotionvideos, mit denen Stars seit den 1970er Jahren zunehmend im TV-Programm zu sehen waren, gänzlich ab oder begrüßte sie die neuen Vermarktungsmöglichkeiten insgeheim? Ihr Songtitel „avancierte [...] gleichsam zum soziokulturellen Menetekel von Kulturpessimisten als auch zum hoffnungsvollen Pamphlet einer (beileibe nicht neuen) aber nun geballten und intensiven ‚Sichtweise‘ auf die Musik.“122 Obwohl der im Liedtext postulierte Bedeutungsverlust des Radios rückblickend überdacht werden muss, weil der Sender MTV die Präsenz eines Stars im Programm des älteren Mediums eher steigerte als verringerte,123 kann dem Beispiel eine interessante Erkenntnis entnommen werden. Denn als Bausteine des Mediendiskurses scheinen Songs und Clips wertende Vorhersagen über noch in Entstehung befindliche Kontexte der Produktion, Distribution und Rezeption von Popmusik zu machen. Im Fall von VIDEO KILLED THE RADIO STAR geschieht dies mit einem Augenzwinkern, da sich hinter der Medienreflexion kein glaubwürdiger Protest gegen die aus kommerziellen Erwägungen durchgeführte Verschmelzung von musikalischen Kompositionen und bewegten Bildern, sondern eine gespielte Sehnsucht verbirgt, die dem nostalgischen Klang des Liedes Rechnung trägt.124 Die Buggles weisen auf einen anstehenden, nach ihrer Aussage unabwendbaren Umbruch im Musikfernsehen hin („In my mind and in my car / We can’t rewind, we’ve gone too far / Pictures came and broke your heart / Put the blame on VTR“), den sie mit dem eigenen Clip, der von Russell Mulcahy für den bereits 1979 veröffentlichten Song gedreht worden ist, begünstigen.125 Auch Songs und Clips, die in späteren Jahren erschienen sind, reflektieren die unterschiedlichen Darbietungsformen von Musik im Fernsehen und weisen spezifische 122 Gerle: Der Musikclip im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit, S. 135. 123 Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 74. 124 Vgl. ebd., S. 81. 125 Vgl. ebd.
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Vorstellungen von medialen Entwicklungsstadien, die einander ablösen, auf. Es werden zwar durchaus Vorbehalte gegenüber dem Musikvideo formuliert (Kapitel 7.1.1), meist aber auf eine Weise, die weder darauf abzielt, nostalgische Emotionen freizusetzen, noch das Musikfernsehen in seiner Gesamtheit in Frage stellt.126 Dass Sänger und Bands stattdessen mit dem Anfang der 1980er Jahre aufgekommenen neuen TVProgrammangebot eng verknüpft werden, belegt exemplarisch GOD BLESSED VIDEO (1985) von Alcatrazz. Vorgelagert ist dem Hauptteil der von Michael Miner verantworteten Arbeit ein Telefongespräch, das den Titel des Songs aufgreift. Ein Engel berichtet dem Teufel in der Eröffnungsszene, die Produktion von Clips für sich entdeckt zu haben (Abbildung 46). Der Höllenbewohner zeigt sich unbeeindruckt vom Anruf des Götterboten, der mit einem Tastendruck schließlich das Video von Alcatrazz startet. In dem nun beginnenden Song geht die Heavy-Metal-Gruppe auf den aktuellen Clip-Boom ein, dem sie selbst erlegen ist. Zwischenmontierte Sequenzen vermitteln den Sarkasmus der Musiker. So üben Alcatrazz Kritik an einer verbreiteten Effekthascherei („Let’s take a plane and go somewhere exotic / To play with a non-descript song“), dem Einsatz von sexualisierten Darstellungen („We’ll shoot all the crotch shots for 12 year old hopefuls / To make you a real man, my son“) und der geringen Entscheidungsfreiheit unter Plattenvertrag stehender Stars („Just one more puppet, piss elegant marionette / He’s just a fast buck for sale“). Abbildung 46: GOD BLESSED VIDEO, 1985, M: Alcatrazz, R: Michael Miner.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=N19Pu1KM3b4 (TC 00:25, 03:34, 04:12) 126 So sendete etwa der Kanal MTV Europe als ersten Clip in seinem Programm MONEY FOR NOTHING (1985) der Dire Straits. Im Mittelpunkt des Songs steht die Klage über den von Kritikern als ungerechtfertigt aufgefassten Ruhm und Erfolg von MTV-Stars. Zugleich präsentiert das Musikvideo die Dire Straits als eine Band im Fernsehen. Weniger selbstironisch fällt die Medienreflexion des auf MONEY FOR NOTHING Bezug nehmenden Clips MR. MTV (2014) von Nothing More aus. Auch in diesem Fall sind die Musiker auf einem Bildschirm zu sehen. Die dargestellten Zuschauer verfolgen den Auftritt jedoch nicht freiwillig. Sie sind Teil eines Experiments zur Medienwirkung und sitzen gefesselt vor mehreren Monitoren. Die Vorwürfe, welche unter Verweis auf MTV an die Kulturindustrie gerichtet werden („Empty me, empty nation / Emptied us of inspiration / Bastard sons and broken daughters / All bow down to our corporate father“), gewinnen ihre Überzeugungskraft dadurch, dass der Clip vor allem über das Internet Verbreitung gefunden hat.
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Innerhalb der Diegese steht der Engel vor mehreren TV-Apparaten und dirigiert die Bilderfolgen des eigenen Clips mit seinem Heiligenschein, den er an einem Stab trägt. Die eindrucksvolle Vorführung versetzt den Teufel in Staunen, muss dieser doch am Ende zugeben: „Maybe I have to go back to radio.“ Im Unterschied zum Clip VIDEO KILLED THE RADIO STAR, der einer zurückliegenden Zeit huldigt, ist die Abwägung von Gegenwart und Vergangenheit in GOD BLESSED VIDEO nicht durch den Schmerz um den Verlust einer musikalischen Erfahrung gekennzeichnet. Die auch nach den 1980er Jahren geläufigen Bedenken hinsichtlich einzelner Inhalte und der ökonomischen Bedingungen auf Sendern wie MTV gezeigter Werke werden zwar angesprochen. Song und Clip büßen jedoch ihre kritische Haltung gegenüber dem Musikfernsehen insofern ein, als die amüsante Kurzgeschichte darlegt, dass das Musikvideo weniger das Werk des Teufels als eine wertvolle Errungenschaft ist, auf die auch Alcatrazz zurückgreifen. Die Band schlägt sich trotz ihrer Klagen auf die Seite des neuen Mediums und betrachtet es als ein Geschenk des Himmels. Schon bald gehörte das aus Clips zusammengesetzte Programm von MTV zum Alltag zahlreicher Mediennutzer. Nur noch Fernsehzuschauer einer älteren Generation erinnerten sich an den musikkulturellen Wandel, den der Sender eingeleitet hatte. Die Möglichkeiten von Sängern und Bands, eine affirmative Haltung gegenüber den tiefgreifenden Veränderungen in der Fernseh- und Tonträgerindustrie zum Ausdruck zu bringen, um sich als Befürworter des medialen Fortschritts im Gedächtnis ihres Publikums zu verankern, schwanden. Von einem weiteren Nostalgieschub sind Songs und Clips in den 2000er Jahren erfasst worden, seitdem sich das Musikvideo nicht mehr nur als TV-Inhalt wahrnehmen lässt. So löst das Medium bei Rezipienten aufgrund des rasanten Übergangs vom Fernseh- zum Internetphänomen eine Faszination für seine Vergangenheit und den künstlerischen Einfluss in der Geschichte der audiovisuellen Medienkultur aus. Auch wenn sich die These, dass „Videoclip [...] ein Wort [ist], das Anfang des 21. Jahrhunderts nur mehr historisch benutzt wird“127, anzweifeln lässt, ist das Medium häufig ein Gegenstand nostalgischer Zuschreibungen. Wie Henry Keazor und Thorsten Wübbena anmerken, erwecken öffentliche Ausstellungen, Publikationen und auf DVD herausgebrachte Zusammenstellungen von Clips den Anschein, die evolutionäre Entwicklung des Musikvideos abschließend zu betrachten.128 Mit dem Web 2.0 sind digitale Verbreitungswege kommerzieller Clips aufgekommen, die einen neuen Ausgangspunkt für die Reflexion der Geschichte des Mediums Fernsehen im Musikvideo bilden. Rund zwei Jahrzehnte nach der Entstehung des ersten Senders mit einem 24-stündigen Musikprogramm fragt Klaus Theweleit in Anlehnung an den berühmten Hit der Buggles: „‚[...] [W]ho killed the video star? Who 127 Ulf Poschardt: Das Video als Laboratorium. In: ders. (Hg.): Video – 25 Jahre Videoästhetik. Ostfildern 2003, S. 9-32, S. 13. 128 Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 13f.
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is busy killing MTV?‘“129 Eine Antwort lässt sich in der Beschäftigung der Popmusik mit dem Fernsehen finden. So macht die Electro-Gruppe The Limousines Online-Portale für den Rückgang des Clip-Programms verantwortlich, obwohl dieser Entwicklung eine Wechselwirkung zwischen differenten Einflussgrößen zugrunde liegt.130 Angesprochen ist das Musikvideo INTERNET KILLED THE VIDEO STAR (2010). Wider Erwarten erwähnt die Band im Liedtext an keiner Stelle den Sender MTV, sondern befasst sich mit der Instabilität von musikalischen Trends. Frühere Stilrichtungen, so die Beobachtung, verlieren an Attraktivität („The kids are disco dancing / They’re tired of rock and roll“), während heranwachsende Pop-Konsumenten ungeachtet der Skepsis einiger Zeitgenossen Gefallen am Klang moderner Songs finden („I try to tell them ‚Hey, that drum machine ain’t got no soul!‘ / But they don’t wanna listen, no / They think they’ve heard it all / They trade those guitars in for drum machines and disco balls“). Demnach vergleicht INTERNET KILLED THE VIDEO STAR die Reaktionen auf den im Titel angeführten Wandel audiovisueller Clips mit einer zurückliegenden Debatte zwischen Rock-’n’-Roll-Anhängern und Liebhabern der Disco-Musik. Symbolisch bleibt auch die Bezugnahme auf die Vergangenheit im zugehörigen Clip von David Dutton. Die Bilder entfalten eine Geschichte, die als Zombiefilm inszeniert worden ist, und erwecken durch die Farbgebung und analoge Störungen den Eindruck eines Werks älteren Datums (Abbildung 47). Dabei wird der Konflikt von Jung und Alt in einem Kampf zwischen zwei Kindern und einer Gruppe von Untoten ausgetragen. Mithilfe von Konfettikanonen, die sie aus Pappe gebastelt haben, gelingt es den beiden mutigen Hauptfiguren, ihre Widersacher dazu zu bewegen, sich selbst umzubringen. Erst durch den im Refrain aufgegriffenen Titel des Songs wird die Niederlage der blutrünstigen Kreaturen als eine Verdrängung des Musikfernsehens durch die Verbreitung von Clips auf Online-Portalen lesbar. Mit dem Bekenntnis „We can’t rewind now, we’ve gone too far“, zitieren die Limousines den Liedtext der Buggles,131 ersetzen die im Original folgende Zeile „Video killed the radio star“ allerdings durch 129 Theweleit: Zur Frühgeschichte des Videoclips, S. 69. 130 Vgl. Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth: Viva MTV! reloaded, S. 62f. 131 Sowohl die medienreflexiven Aussagen als auch die Melodie des Klassikers VIDEO KILLED THE RADIO STAR
dienen verschiedenen Interpreten als ein allgemeiner Hinweis auf
Veränderungen in der Pop-Geschichte. So verleihen etwa will.i.am und Nicki Minaj in CHECK IT OUT (2010) dem Hit der Buggles durch das Sampling einzelner Elemente ein modernisiertes Gewand und brechen in eine neue Zeit computergenerierter Bilder und virtueller Live-Darbietungen auf. An einem futuristischen Veranstaltungsort wird der Song über einen Lautsprecher, an dem ein Smartphone angeschlossen ist, eingespielt. Derweil performt das Rap-Duo vor und hinter dem eingeblendeten Liedtext, der aus asiatischen Schriftzeichen besteht. Es posiert neben Tänzern, die unter Anwendung digitaler Tricktechnik im Rhythmus der Musik verschwinden gelassen und vervielfältigt werden und sich wie will.i.am und Minaj entgegen der Schwerkraft an der Decke bewegen.
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die Formulierung „Internet killed the video star“. Doch der dargestellte Sieg über die wilde Horde von Zombies löst keine nostalgische Trauer aus. Song und Clip geben vielmehr zu verstehen, dass der Tod der furchterregenden Wesen – stellvertretend für den Bedeutungsverlust des Videostars – nur vorübergehend ist. „Did you hear what they said? / That rock and roll is dead? / Yeah, it’s like a zombie, it’ll dig itself back up again“, heißt es im Liedtext in einer Analogie zum Musikdiskurs. Auf die Präsentation kommerzieller Clips von Sängern und Bands zugeschnittene Fernsehprogramme scheinen vom Aussterben bedroht zu sein, während der Videostar im Internet eine Wiedergeburt erfährt. Dies bestätigen die Limousines mit dem eigenen Werk, das sie auf ihrem bereits vor mehreren Jahren eingerichteten YouTube-Kanal hochgeladen haben. Abbildung 47: INTERNET KILLED THE VIDEO STAR, 2010, M: The Limousines, R: David Dutton.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=zx5tSmOY_iM (TC 04:10, 04:31)
Nachdem sich die Programmplaner von MTV zum Start des eigenen Senders ausgerechnet für einen Song als Werbung für den von ihnen vorangetriebenen Wandel des Musikkonsums entschieden haben, in dem die Buggles einer vergangenen Epoche gedenken und nicht die Entstehung des Videostars verherrlichen, ist es angesichts der zunehmend digitalen Rezeption von Songs und Clips über vielfältige Endgeräte inzwischen die abgeschlossene Goldene Ära des Musikfernsehens, welche eine Aufwertung erfährt. Auch der Verweis auf ein bestimmtes Musikvideo kann die Freude an der audiovisuellen Nachbildung einer Zeit zum Ausdruck bringen, die der Beobachter selbst erlebt hat oder aus Erzählungen kennt. Dies stellen etwa Bowling for Soup im Clip 1985 (2004), bei dem Smith n’ Borin Regie geführt hat, unter Beweis. Der Liedtext des Stücks weist mehrere Anspielungen auf frühere Stars auf und vermittelt ein Verlangen nach der Anfangsphase des Musikfernsehens, die von der gegenwärtigen Situation abgegrenzt wird. „Since Bruce Springsteen, Madonna / Way before Nirvana / There was U2 and Blondie / And music still on MTV“, verklären Bowling for Soup aus der Sicht eines weiblichen Fans die Pop-Dekade der 1980er Jahre. Die Bandmitglieder spielen den Song in einer Garage und treten abwechselnd als Stars auf, die der Blütezeit des besungenen Fernsehkanals angehören (Abbildung 48). So greifen sie unter anderem eine berühmte Darstellung von George Michael auf. Durch den Clip FAITH (1987), in dem Michael eine schwarze Lederjacke und eine
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Bluejeans trägt, während er Gitarre spielt, erhielt der Sänger einst ein prägnantes, mit dem Look von James Dean vergleichbares Image.132 Die vorbereitete Retro-Performance der Rocker imponiert einer Frau, die der im Song erwähnten Musikliebhaberin entspricht. Während die Protagonistin in Erinnerungen schwelgt, räkelt sie sich auf der Motorhaube eines geparkten Autos und vergisst ihre Umgebung. Dass aber die Vorstellung einer Vergangenheit den Zeitverlauf nicht anhält, eine nostalgische Beobachtung im Sinne von Boym stets „the repetition of the unrepeatable, materialization of the immaterial“133 ist, offenbart sich, sobald die Band ihre Instrumente niederlegt. Plötzlich wird die gedankenversunkene Zuhörerin von ihrem Ehemann ins Haus gerufen. Sie gelangt wieder in ihre triste Realität und erhält für die eigene Darbietung Applaus von den Musikern, die mit dem Song eine emotionale Verbindung zu ihr aufgebaut haben. Welche persönlichen Erlebnisse die Protagonistin mit der thematisierten Zeit assoziiert, bleibt ein Geheimnis, das das Clip-Publikum anregt, seine eigenen Erinnerungen wachzurufen. Abbildung 48: 1985, 2004, M: Bowling for Soup, R: Smith n’ Borin.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=K38xNqZvBJI (TC 00:59, 01:56, 03:04)
Insgesamt ist festzuhalten, dass das Musikvideo ein spezifisches Gedächtnis hat, wie es oftmals dem Pop und vor allem der Popmusik zugeschrieben wird.134 Auf der einen Seite beruht die Stabilität des Pop auf Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, auf der anderen Seite erfordert der Fortbestand des Pop Weiterentwicklungen.135 Entsprechend befasst sich das Musikvideo mit der eigenen Geschichte und setzt den Star der Gegenwart als einen präzisen Beobachter der Popkultur in Szene, indem es auf Songs 132 Vgl. Tony Barrow/Julian Newby: Inside the Music Business. London/New York 1995, S. 85. 133 Boym: The Future of Nostalgia, S. xvii. 134 Vgl. Christoph Jacke/Martin Zierold: Pop – die vergessliche Erinnerungsmaschine. Grundlegende Gedanken zur kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Pop- und Gedächtnisforschung. In: dies. (Hg.): Populäre Kultur und soziales Gedächtnis. Theoretische und exemplarische Überlegungen zur dauervergesslichen Erinnerungsmaschine Pop. Frankfurt a.M. 2008, S. 199-210, S. 202. 135 Vgl. ebd., S. 205.
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und Clips referiert, die aus einer früheren Zeit stammen.136 Neben solchen Verweisen auf zurückliegende Inhalte, die die künstlerische Vielfalt des Musikvideos vorführen und zumindest andeuten, dass es sich um ein kulturell etabliertes Medium handelt, verändert sich die Selbstbeobachtung in Abhängigkeit vom historischen Wandel der Möglichkeiten, einen Song visuell zu interpretieren und diese Bilder zu konsumieren. Der Übergang der einst ausschließlich im Fernsehen ausgestrahlten Clips zum Phänomen des Internets lässt nicht nur in den 1980er Jahren aufgewachsene Pop-Rezipienten, Kulturjournalisten und Forscher seit geraumer Zeit wehmütig auf die Vergangenheit von MTV und anderen Musiksendern zurückschauen, sondern prägt auch die im Musikvideo manifest werdende Medienreflexion. Nachdem die Gründung des ersten Kanals mit einem eigenen 24-stündigen Clip-Programm für Aufsehen gesorgt hat, tragen Sänger und Bands der jüngeren Vergangenheit das einst gefeierte Musikfernsehen zu Grabe oder blicken mit ungetrübtem Optimismus in die Zukunft des eigenen Mediums, das zwar im Zeitalter des Web 2.0 mehreren Veränderungen unterliegt, aber weiterhin eine attraktive Option der Vermarktung eines neuen Songs bildet. Abgesehen von einer mitunter wehmütigen Rückschau auf die Hochzeit des Musikvideos im Fernsehen verweisen Clips seit jeher auch auf ihre historischen Wurzeln in Live-Shows. Dies erreichen sie vor allem über die Bildebene, wenn die Performance des Stars als TV-Auftritt aus einer Zeit gestaltet ist, die noch vor dem Aufkommen des Werbemittels Musikvideo liegt. 7.3.2 Auftritte in TV-Sendungen der Vergangenheit Bereits zu Beginn von MTV nehmen sich Regisseure in ihren Musikvideos auch der Frühgeschichte des eigenen Mediums an. Es geht um Clips, deren Handlungen historisch noch vor der Gründung des Senders angesiedelt und ohne Fernsehbezug im Liedtext als TV-Show inszeniert sind. Sie spielen in einer Zeit, als Sänger und Bands in erster Linie öffentliche Auftritte genutzt haben, um eine Single aus ihrem aktuellen Album dem interessierten massenmedialen Publikum zu präsentieren (Kapitel 2.1). Nostalgie manifestiert sich demnach in den Bildern, während sich die Musik stilistisch an ein früheres Jahrzehnt anlehnen und den Regisseur zu einem Clip, der dem Ausschnitt einer älteren TV-Sendung gleicht, inspirieren kann. Exemplarisch für eine solche Retrospektive ist die Auseinandersetzung mit der ED SULLIVAN SHOW. Das 136 Dies geschieht vor allem in Form von Bildern, in denen der Musiker neben dem Aussehen markante Körperhaltungen und -bewegungen anderer Interpreten nachahmt. Der Verweis auf MTV-Klassiker in JUST A GIGOLO / I AIN’T GOT NOBODY (1984) von David Lee Roth, die Zusammenstellung von Clip-Parodien in ALLES NUR GEKLAUT (1993) der Band Die Prinzen und mehrere Bezugnahmen auf Werke von Boygroups in WALKS LIKE RIHANNA (2013) von The Wanted belegen, dass die Vergangenheitsbeobachtung nicht nostalgisch begründet sein muss, sondern auch einem komödiantischen Zweck dienen kann.
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Format lief in den USA von 1948 bis 1971 und umfasste Vorführungen verschiedener Künstler, darunter Darbietungen von Musikern. Aufgrund der hohen Einschaltquoten versprachen sich Sänger und Bands von einer Performance in der Show, den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere zu legen oder ihren bestehenden Erfolg auszubauen.137 Während Kevin Kerslake in IN BLOOM (1992) die biedere Anmutung des Fernsehformats nutzt, um einen Kontrast zum rebellischen Gestus des Songs von Nirvana herzustellen, und die Grunge-Band die Kulisse der Sendung imagekonform beschädigen lässt,138 ist auch Billy Joel auf der berühmten Bühne der TV-Vergangenheit zu sehen. In TELL HER ABOUT IT (1983) überrascht der Musiker seine Zuschauer, wenn er plötzlich Fans vor den eingeschalteten Empfangsgeräten aufsucht und zum eigenen Auftritt tanzt, der gerade übertragen wird.139 In einer Zeit, in der das Internet zu einem neuen Verbreitungsort des Musikvideos avanciert, finden erdachte und nachgebaute Kulissen früherer TV-Formate zunehmend Eingang in die Bilderwelt von Clips. Neben der ED SULLIVAN SHOW begegnet man nostalgischen Darstellungen weiterer Sendungen, die ihren Unterhaltungswert insbesondere daraus gewinnen, dass sie die beobachtete Vergangenheit mit der Gegenwart kontrastieren, um einen positiven Eindruck vom Star zu erzeugen. Dabei kann der Musiker den Song im Fernsehen selbst vortragen, eine Figur spielen, die auf eine andere Weise am TV-Format beteiligt ist, oder im Hintergrund verweilen. Ein Beispiel für einen Clip, der mit einer Reihe von Anachronismen arbeitet, ist das LyricVideo CHEAP THRILLS (2016) von Sia und Sean Paul. Das von Lior Molcho vorgelegte Werk lässt den Betrachter über die gesamte Dauer auf eine schwarz-weiße Mattscheibe blicken. Zu sehen ist ein Tanz-Wettbewerb. Bevor der Liedtext Zeile für Zeile am unteren Bildrand erscheint, wird eine aufgeregte Zuschauerin im Fernsehstudio nach ihrer Meinung zum neuen Hit der beiden Musiker gefragt (Abbildung 49). Nach einer leichten Verzögerung erklingt schließlich das Stück. Die Teilnehmer der TVShow bewegen sich mit langsamen Schritten, die dem Tempo des Dancehall-Songs widersprechen, durch den Raum. Dynamik erhält der Tanz, als ein Paar die Szenerie betritt, das sich durch eine schwarze Maske und eine Perücke von den anderen Figuren abhebt. Mit einer Abfolge ausdrucksstarker Posen, Drehungen und Sprünge gewinnen die beiden Unbekannten den ersten Platz. Auch der zurückhaltende, unbeholfene Moderator kann sich der Tanzfreude des Siegerpaares nicht erwehren und beginnt, seine Hüften gemeinsam mit den Teilnehmern der Fernsehshow zu schwingen. 137 Vgl. Ian Inglis: The Ed Sullivan Show and the (Censored) Sounds of the Sixties. In: The Journal of Popular Culture 39 (2006), H. 4, S. 558-575, S. 559. 138 Vgl. Keazor/Wübbena: Video thrills the Radio Star, S. 186. 139 Dem Alter des rekonstruierten TV-Settings entspricht der Klang von Joels Song, der als eine Hommage an jene Soulmusik zu verstehen ist, die Mitte der 1960er Jahre in Detroit und Chicago entstand. Vgl. Ken Bielen: The Words and Music of Billy Joel. Santa Barbara, California/Denver, Colorado/Oxford 2011, S. 65.
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Dass sich das Paar gegen die Kontrahenten durchsetzen kann, liegt in seinem wilden Tanzstil begründet. Die Choreografie besteht zu einem großen Teil aus Elementen, die berühmten Stars wie Michael Jackson und Beyoncé Knowles zugeordnet werden können, also im Vergleich zum Veröffentlichungsdatum des Songs einer zurückliegenden Zeit entstammen, in den Augen der fiktiven Fernsehzuschauer und Showteilnehmer in den 1950er oder 1960er Jahren allerdings avantgardistisch wirken müssen. CHEAP THRILLS macht darauf aufmerksam, dass die Bewertung zeitspezifischer Phänomene beobachterabhängig ist. Der nostalgische Rahmen der TV-Sendung lässt in Verbindung mit dem eingeschränkten Erfahrungshorizont der dargestellten Figuren den Betrachter des Clips die Musik von Sia und Paul sowie die tänzerische Umsetzung des gemeinsamen Stücks als neuartig wahrnehmen. Abbildung 49: CHEAP THRILLS (Lyric-Video), 2016, M: Sia feat. Sean Paul, R: Lior Molcho.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=nYh-n7EOtMA (TC 00:08, 01:37, 03:34)
Häufig sind es Gameshows, über die Regisseure einen nostalgischen Bezug zum Fernsehen herstellen. Auch wenn die TV-Gattung bis heute Bestandteil des Programmangebots ist und in verschiedenen Ländern erfolgreiche Formate hervorbringt, lässt sich anhand der Medienbeobachtung im Musikvideo ablesen, dass die Hochzeit der Inszenierung von televisuellen Spielen in der Vergangenheit liegt. Die Parodie eines solchen Fernsehformats lässt den Betrachter über eine frühere Zeit lachen, bewegt sich also zwischen einer Wertschätzung für das Gewesene und der Kritik an einem bestimmten Spielprinzip oder dem Verhalten einer Figur. Grundsätzlich erklärt sich die Faszination des Musikvideos für Gameshows aus einem Wettkampf, der auch in der komprimierten Form eines Clips einen Spannungsbogen entfaltet, und der Möglichkeit, den Interpreten in der Sendung mit einem authentischen Auftritt zu präsentieren. Eine TV-Darbietung dieser Art wird mit einem vergleichsweise hohen Aufwand realisiert und sorgt für eine erholsame Pause, ohne in die Dramaturgie der Sendung einzugreifen.140 Ahmt hingegen ein nur wenige Minuten langer Clip das Konzept eines Unterhaltungsformats nach, konzentriert er sich meist auf die Performance des Sängers oder der Band, setzt den Auftritt allerdings nicht als ein isoliertes Ereignis in Szene, sondern lässt ihn und das Spielgeschehen eine Wechselbeziehung eingehen. 140 Vgl. Matthias Woisin: Das Fernsehen unterhält sich. Die Spiel-Show als Kommunikationsereignis. Frankfurt a.M. u.a. 1989, S. 120.
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So gleicht etwa die Kulisse des Musikvideos TRAUM (2014) von Cro der einer Datingshow früherer Jahre. Zwei Männer treten gegeneinander an, um eine Kandidatin von ihrer Eignung als Partner zu überzeugen, während der Song von einer unerfüllten Liebe handelt. Dem Thema des Liedtextes folgend stellt sich Cro, der als Sänger in der dargestellten Sendung zu Gast ist, vor, dass sich die umworbene Frau für keinen der beiden Kontrahenten, sondern für ihn entscheidet. Frank Elstner, der als Moderator fungiert und den Eindruck erweckt, dass die Handlung des Clips einem tatsächlichen Fernsehformat entspricht, nimmt dem Musiker schließlich die Illusion und holt ihn aus seinem Traum zurück in die Wirklichkeit. „[...] [L]iegt der größte Reiz bei der Beobachtung von Spiel- und Quizshows – neben der Verheißung eines Gewinns durch Zuschauerspiele – in der aktiv-medialen oder in der bloß privaten Zuteilung von Sanktionen gegenüber den in einer Livesituation frei agierenden Spielern“141, unterzieht das Musikvideo auch das Verhalten des Spielleiters einer kritischen Betrachtung.142 Traditionell belohnt der TV-Moderator den Sieger eines Wettbewerbs mit einem Preis. In den Fiktionen kommerzieller Clips erfüllt er diese Aufgabe jedoch nicht immer zuverlässig. Als ein Beispiel für das dem Spielleiter entgegengebrachte Misstrauen lässt sich der Clip DON’T PHUNK WITH MY HEART (2005) anführen, in dem die Black Eyed Peas in einer Glücksspielsendung sowohl als Live-Musiker zu sehen sind als auch in weitere Rollen schlüpfen. Nacheinander buhlen die männlichen Bandkollegen als Teilnehmer der Gameshow um die Gunst einer Dame, die von Fergie, dem einzigen weiblichen Mitglied der Black Eyed Peas, verkörpert wird. Durch mehrere Manipulationen des von Frontmann will.i.am gespielten Moderators bleiben ihre Annäherungsversuche erfolglos. Am Ende ist es der hinterhältige Showmaster, dem es gelingt, die umworbene Sängerin für sich zu gewinnen. Unaufrichtigkeit steht auch im Fokus des Clips STAND (2011) von Lenny Kravitz. Der Musiker mimt einen Spielleiter, der den Kandidaten seiner Unterhaltungssendung Sachpreise und Bargeld in Aussicht stellt, jedoch plant, sich selbst zu bereichern. Kravitz, der mit seiner Band zur selben Zeit als Schlagzeuger und Sänger im Hintergrund auftritt, überführt den Dieb vor seiner Flucht. Der betrügerische Zwischenfall löst einen Tumult im Studio aus und führt zum Abbruch der Show. Der rasante Wandel des Musikvideos und seines Distributionsmediums Fernsehen gibt nicht nur einen Impuls für Regisseure, Clips immer wieder als TV-Sendungen der Vergangenheit zu gestalten. Unlängst erfreut sich auch die Ästhetik einer Medientechnologie zunehmender Beliebtheit, die einst in den 1970er Jahren Verbreitung gefunden und die Rezeptionsgewohnheiten des Fernsehpublikums verändert hat. Es 141 Peter Friedrich: Der Ernst des Spiels. Zur Semantik des Negativen in Quiz- und Gameshows. In: Wolfgang Tietze/Manfred Schneider (Hg.): Fernsehshows. Theorie einer neuen Spielwut. München 1991, S. 50-79, S. 52. 142 Vgl. mit einem ähnlichen Befund zur Repräsentation des Fernsehens im Spielfilm Hoffmann/Keilbach: Spielleiter zwischen Medienkritik und Normalismus, S. 213.
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geht um den analogen Videorekorder, der als Alternative zum Programm des Fernsehens betrachtet worden war, bis er in seiner Verbindung mit Angeboten massenmedialer Unterhaltung die Aufmerksamkeit auf sich zog.143 Seine Darstellung im Musikvideo lenkt den Blick einerseits auf die Vergangenheit, weil das Gerät seinem Anwender ermöglicht, sich eigene Aufzeichnungen anzuschauen, andererseits ist der analoge Rekorder unter dem Eindruck der Digitalisierung inzwischen selbst als eine Technologie zu betrachten, die mit zurückliegenden Erfahrungen nostalgisch aufgeladen ist.144 So enthalten Clips immer wieder Sequenzen, die auf einem Videoband gespeichert zu sein scheinen und den Rezipienten Ereignisse Revue passieren lassen. Das Musikvideo reflektiert sich in diesem Moment als eine mediale Zusammenstellung von Bildern, die unterschiedlichen Zeiten entstammen, und gibt dem Betrachter durch die Motivwahl zu verstehen, dass es sich um Privataufnahmen oder einst im Fernsehen gesendete Inhalte handelt. Auf eine größere Mediennostalgie setzen Werke, die – vermehrt seit den 2000er Jahren – suggerieren, vollständig das Fragment einer TV-Sendung zu sein, die von einem Zuschauer aufgenommen worden ist. Solche Clips machen sich neben Schrifteinblendungen vor allem Störungen zu eigen, die die Differenz von Medium und Form auf der visuellen Ebene zu erkennen geben (Kapitel 6.2.2). Kurze Unterbrechungen führen dem Publikum vor Augen, dass ein Programm vorliegt, das ein verborgen bleibender Nutzer mit der Absicht einer späteren Rezeption auf einer VHS-Kassette und nicht auf digitalem Weg archiviert hat. Mit Böhn lässt sich sagen, dass ein Musikvideo dieser Art ästhetische Formen gebraucht, „um mit Gefühlsmustern zu spielen, die diesen Formen anhaften“, sodass „zusammen mit der historischen Distanz, die wir zu diesen haben, [...] eine nostalgische Sehnsucht nach ihrer Wiederherstellung ausgelöst werden [kann].“145 Die Komplexität der Inszenierung eines auf Video aufgezeichneten Fernsehauftritts, die es Regisseuren ermöglicht, den Protagonisten der Handlung als begehrenswerten und zugleich zeitgemäßen Star in den Mittelpunkt zu stellen, kann exemplarisch anhand des Musikvideos BANG BANG BANG (2010) von Mark Ronson und seiner Band The Business Intl. erschlossen werden. Der Clip, für den Warren Fu verantwortlich zeichnet, gliedert sich in drei Teile, die Sequenzen aus einem TV-Programm der Vergangenheit darstellen. Nachdem das summende Geräusch eines eingeschalteten Videorekorders erklungen und ein „Start“-Symbol aufgeleuchtet ist, eröffnet das Musikvideo mit einem Werbespot für einen Brotaufstrich, dem sich der 143 Vgl. Christina Bartz: Video. Vom Alternativfernsehen zum Massenmedium. In: Irmela Schneider/Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Formationen der Mediennutzung III. Dispositive Ordnungen im Umbau. Bielefeld 2008, S. 133-146, S. 138. 144 Entsprechend schreibt Böhn: „Medien waren schon immer Hilfsmittel der Erinnerung, doch sie können auch Objekte der Erinnerung sein.“ Böhn: Mediennostalgie als Techniknostalgie, S. 150. 145 Ebd., S. 159.
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Ausschnitt einer Talkshow anschließt (Abbildung 50). Die beiden Fernsehinhalte sind eng miteinander verzahnt, auch wenn sie von der in der Diegese nicht sichtbaren Person vor dem Bildschirm offenbar zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommen worden sind. So liefert eine Naheinstellung auf das Etikett des Brotaufstrichs zentrale Informationen zum folgenden Song. „ronson’s BANG BANG BANG a delicious jam featuring qtip & mndr“, heißt es im Schriftzug, der zum einen mit der Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ‚jam‘ im Sinne von Marmelade und einer musikalischen Darbietung spielt, zum anderen die Namen von Ronson und den beiden Gastinterpreten QTip alias Kamaal Ibn John Fareed und Amanda Warner ankündigt. Ein Kind, das mit der Creme sein Brot bestreicht, stimmt das französischsprachige Lied ALOUETTE an, welches Ronson in seine Komposition eingearbeitet hat. Mit diesen Hinweisen vergegenwärtigt die Eingangssequenz, dass es sich beim Folgenden um ein Musikvideo handelt, auch wenn dieses die Gestalt fremder TV-Fragmente hat. Dass die Bilder Inhalt einer privaten Videoaufzeichnung sind, wird durch Störungen bezeugt. Während sporadisch auftretende dunkle Flecken auf das Alter des einst verwendeten Materials hindeuten, durchziehen kurzzeitig horizontale Streifen den Kader, als der Prolog abrupt zum Hauptteil wechselt. Das unruhige Muster wird durch die elektronische Vorrichtung des Wiedergabegerätes erzeugt, welche das Videoband abtastet. Im nächsten Augenblick springt der Clip zu einer Fernsehsendung, die an die 1970er Jahre erinnert. Ein japanischer Moderator befragt in seiner Show Ronson, der in London geboren ist, im Video allerdings japanisch spricht, auf Französisch zum neuen Projekt des Musikers. Das skurrile Interview wird in Untertiteln festgehalten. Abbildung 50: BANG BANG BANG, 2010, M: Mark Ronson & The Business Intl., R: Warren Fu.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=TM6TCGltfHM (TC 00:06, 00:27, 01:27)
Es folgt die vom Clip-Betrachter erwartete musikalische Darbietung. Ronson, der wie von Geisterhand neu gestylt und eingekleidet wird, erweckt den Anschein, als würde er live auftreten. Doch durch die Verwandlung des Protagonisten und der Kulisse, eine Erhöhung der Schnittfrequenz und zusätzliche Animationen hebt sich die gemeinsame Performance mit den Sängern Q-Tip und Warner vom bisherigen Teil des Clips ab. Hinsichtlich der eigenen Retro-Ästhetik lassen sich die Bilder der Darbietung als ein vorab produziertes Video deuten, das ein Techniker in der Sendung einspielt. Abgesehen von einem häufigen Gebrauch von Splitscreens fallen visuelle Effekte und Motive auf, die eine Reise durch Zeit und Raum anschaulich machen, wie sie im Kino
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früherer Jahrzehnte in Szene gesetzt worden ist. So bewegen sich die Musiker während ihres Auftritts in Anlehnung an den Cyberspace aus Steven Lisbergers wegweisendem Science-Fiction-Film TRON (1982) in einem Tunnel aus Lichtstrahlen vor einem Hintergrund, der einer Ansicht des Weltalls gleicht. Durch den leeren Raum fliegen auch ein Keyboard und eine Uhr, die auf die im Lied artikulierte Wehmut angesichts gegenwärtiger Erfahrungen verweist („No way, no / The clock is ticking forward / No way / It’s just a cruel, cruel world“). Die musikalische Darbietung erinnert in ihrer Gestaltung an die frühen 1980er Jahre und harmoniert mit dem Klang des Synthie-Popsongs von Ronson. Sie scheint nicht in die Zeit der Fernsehshow zu passen, die vergleichsweise alt und arm an visuellen Reizen ist. „Wow. That was really out of this world!“, ergreift der begeisterte Moderator das Wort und fordert sein Publikum zum Applaus auf, nachdem die letzten Takte des Stücks verhallt sind. Während der Talkmaster seinen Gast der nächsten Woche bekannt gibt, bricht das Video ab. Im Kader erscheint für wenige Sekunden ein Fragment aus der Übertragung eines Tennisturniers. Zu sehen ist der Wutausbruch eines Spielers, der mit einer Schiedsrichterentscheidung unzufrieden ist und dem ehemaligen Sportler John McEnroe ähnelt. Unvermittelt lösen sich die Bilder in farbiges Rauschen auf. Ein „Stop“-Zeichen signalisiert das Ende der Wiedergabe. Während die Musik dem Sound eines zurückliegenden Jahrzehnts nachempfunden ist, baut BANG BANG BANG inhaltlich sowie formalästhetisch auch über die Bildebene Verbindungen zur Vergangenheit auf. Die intermediale Bezugnahme erfüllt dabei eine werbende Funktion. So gibt die Abfolge der erfundenen Versatzstücke aus dem Fernsehen zu verstehen, dass ein Zuschauer, der imaginär bleibt und lediglich über die Bedienung des Wiedergabegerätes präsent ist, die Performance von Ronson und seiner Band für aufbewahrenswert befunden hat und sich aus Sehnsucht nach dem TV-Moment erneut ansieht. Der Blick des Nutzers richtet sich auf ein bestimmtes Segment des einst ausgestrahlten Programms. Denn „[f]ür die Rezeption via Videorecorder zählt nicht das Serielle des Supertextes Fernsehen, sondern das singuläre, das herausisolierte Ereignis“, wie Siegfried Zielinski schreibt: „Der Aufmerksamkeitsgrad gegenüber dem audiovisuellen Objekt erhöht sich, weil es nun nicht mehr Sequenz eines – unter Umständen nur sekundär wahrgenommenen – angelieferten Kontinuums ist, sondern gezielt für die eigene Anschauung bewahrter Gegenstand medialer Begierde. In diesem Vorgang enthalten ist die gehaltliche Umgruppierung des von den Fernsehmachern angelieferten Materials. Die Nutzer der Zeitmaschine setzen ihre eigenen Prioritäten, die vornehmlich bei den narrativen Fiktionen des Programms liegen.“146
Demnach ist die Betrachtung der aus dem Kontext des Programmflusses herausgelösten Sendung nostalgisch begründet und stellt die Musiker im Rahmen des Clips in 146 Zielinski: Audiovisionen, S. 236.
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ein positives Licht. Um kenntlich zu machen, dass die Rezeption eines älteren Bildmaterials vorliegt, werden vor allem Störungen im Sinne der sichtbar werdenden Differenz von Medium und Form eingesetzt. Die Spuren des Videorekorders unterbrechen die Formbildung und entfalten ihre Wirkung als vergangenheitsspezifische Markierungen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in der medialen Gegenwart an die Stelle analoger Aufnahmen zunehmend digitale Aufnahmen treten. Zusätzlich ist der Geschichte von BANG BANG BANG zu entnehmen, dass die Bewertung des Clips eines Stars vom Zeitpunkt der Beobachtung abhängt. Entscheidend ist ein Vergleich zwischen der visuellen Umsetzung des Popsongs und früheren Strategien und Techniken der Bildgestaltung. Das im Stil der 1980er Jahre gehaltene Video, welches den Auftritt von Ronson und seiner Band festhält und in der dargestellten TV-Show eingespielt wird, erweckt beim Publikum den Eindruck, als würden neue Möglichkeiten der Inszenierung erkundet. Dies belegt die euphorische Reaktion des Moderators. Der im Clip simulierte Videorekorder bringt folglich in verschiedenen Situationen aufgezeichnetes TV-Material zusammen, während schon im Verlauf der zurückliegenden Fernsehsendung eine Gegenüberstellung von medialer Gegenwart und Vergangenheit beobachtbar wird. Die als Videoaufnahme ausgewiesenen Bilder sind ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass Musikvideos auch jenseits von Verweisen auf ein nachgebildetes Fernsehformat, in dem der Star verortet wird, besondere Kenntnisse beim Betrachter voraussetzen. Durch ihre nostalgische Reflexion des mit dem TV-Dispositiv verbundenen Speicher- und Wiedergabegerätes adressieren sie ein Publikum, das über ein solides medientechnologisches Wissen verfügt. Erst die intendierten Störungen dokumentieren die Anwesenheit des Videorekorders. Einerseits ist die unvermittelte Nähe zur Performance von Ronson in den Augen des Betrachters beeinträchtigt, insofern der Clip die mediale Fixiertheit des Ereignisses betont. Andererseits wird der musikalische Auftritt mit einer Live-Sendung verknüpft und erlangt dadurch Authentizität, dass er nicht im Kontext der Produktion eines Musikvideos zu liegen scheint. Im nur kurze Zeit später erschienenen Fortsetzungsclip THE BIKE SONG (2010) fehlt der Rahmen einer Videoaufzeichnung. Ronson nimmt nach dem TV-Auftritt eine neue Gestalt an, nämlich die eines Jugendlichen, der mit dem BMX-Rad und einer eingeschalteten Lautsprecherbox die Stadt erkundet. Er befindet sich ein weiteres Mal in der Vergangenheit. Die Rekonstruktion der Nutzung einer früheren Speicher- und Wiedergabetechnologie in BANG BANG BANG ist keine Ausnahme. Auch Betty Dittrichs Clip LALALA (2013) ahmt die Ästhetik einer Aufnahme nach, die über einen analogen Videorekorder abgespielt wird, und bringt die EUROVISION-SONG-CONTEST-Bewerberin, welche eine modische Sixties-Frisur trägt, mit einer zurückliegenden Zeit des Fernsehens in Verbindung. Gerade erst legt sich der Applaus für den vorangegangenen Auftritt eines Sängers, als Dittrich bereits von einem Moderator den Zuschauern „hier im Saal und [...] an den angeschlossenen Rundfunkanstalten“ als nächste Musikerin vorgestellt
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wird. Der mit einem Akzent vorgetragene Schlager der Schwedin ruft ehemalige Hits ins Gedächtnis, die Stars aus dem Ausland wie Gitte Hænning und France Gall in deutscher Sprache gesungen haben.147 Die Performance von Dittrich ist der letzte Höhepunkt der Musikshow, die im Clip abgebildet wird und mit einer statischen Totale endet. Eine an der Studiodecke befestigte Kamera zeigt, wie der TV-Moderator mit dem Aufnahmeleiter spricht und die Bühne verlässt. Am unteren Bildrand läuft indes ein Schriftband, das in einer Retro-Typografie das Fernsehproduktionsteam aufführt. Auf ähnliche Weise stellt BERZERK (2013) von Eminem die musikalischen Wurzeln des Rappers heraus. Aus der Sicht des Publikums befindet sich das Musikvideo auf einer VHS-Kassette. Es beginnt und endet mit einem Bluescreen, der neben dem Timecode ein „Play“- und ein „Stop“-Zeichen enthält, die die Bedienung eines Rekorders anzeigen. Untermalt werden die Einstellungen von Schaltgeräuschen und einem leisen Rauschen. Eminem posiert mit seinem Produzenten Rick Rubin vor einem Gettoblaster von enormen Ausmaßen. Gemeinsam mit Farbverschiebungen und den Kader durchziehenden Linien verweist das Gerät auf eine Zeit, die sich mit der frühen Hochphase des Hip-Hop deckt, welche Eminem aufleben lassen möchte. Gleich in der ersten Strophe des Stücks teilt der Sänger sein persönliches Anliegen mit: „Now this shit’s about to kick off, this party looks wack / Let’s take it back to straight hiphop and start it from scratch.“ In seinem Song sampelt Eminem Charterfolge älterer Rock- und Rap-Idole, während die Bilder neben Performance-Sequenzen des Musikers auch Referenzen auf fremde Clips enthalten. Wenngleich der Schauplatz kein Fernsehstudio ist, handelt es sich bei BERZERK für den Betrachter um einen auf analogem Video gespeicherten Inhalt, den ein Liebhaber des Genres verwahrt hat. Der Clip greift auf visuelle Charakteristika einer seit längerer Zeit überholten Medientechnologie zurück, die die nostalgische Verklärung einer musikalischen Stilrichtung bekräftigen sollen. Im Zuge des technologischen Wandels des Fernsehens und der gleichzeitigen Veränderungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Musikvideos (Kapitel 6.1.4) steigt unter Regisseuren nicht nur das Interesse an einer analogen Retro-Ästhetik. Darüber hinaus stellen einige im Internet veröffentlichte Clips gerade die eigene Digitalität zur Schau. Sie verzichten auf eine naturalistische Wiedergabe der Wirklichkeit und lassen die medialen Bedingungen ihrer Darstellungen in den Vordergrund treten. Einsatz finden vor allem Strukturen aus rechteckigen Artefakten, die den Fluss der Bilder vorübergehend anhalten. Der Betrachter sucht in einem solchen Moment nach Anzeichen für die Verfahren, mithilfe derer die von ihm wahrgenommene Störung herbeigeführt worden ist. Er fragt sich, ob die auffälligen Pixelbilder als Kunst ohne unmittelbaren Bezug zum Medienalltag zu interpretieren sind, eine fehlerhafte 147 Vgl. Betty Dittrich, zit. n. Sascha Sommer: Betty Dittrich: „Bin ganz verrückt auf die 60er“. In: Eurovision, 07.02.2013, URL: http://www.eurovision.de/teilnehmer/Betty-DittrichBin-ganz-verrueckt-auf-die-60er,bettydittrich121.html (01.06.2018).
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Bearbeitung des Musikvideos kenntlich machen, Beschädigungen der Computerhardware nachahmen oder den Clip, der über ein digitales Endgerät rezipiert wird, aus anderen Gründen stocken lassen.148 Einige Werke überraschen ihr Publikum durch eine Zusammenführung von analogen und digitalen Störereignissen. WELCOME TO HEARTBREAK (2009) von Kanye West und Kid Cudi macht deutlich, dass die Vermischung von mediennostalgischen Codes und moderner Bildästhetik ein eigenes gestalterisches Konzept darstellt und dem Betrachter die Möglichkeit vielfältiger Bedeutungszuweisungen eröffnet. So hat der Regisseur Nabil Elderkin das Musikvideo mithilfe der als ‚datamoshing‘ bekannten Nachbearbeitungstechnik in monatelanger Arbeit in einen organischen Fluss aus kantigen Farbflächen verwandelt.149 Die Aufnahmen der beiden Rapper zerfallen bis zur Unkenntlichkeit in Fragmente, die laufend zu neuen Gebilden verschmolzen werden (Abbildung 51). Im selben Moment täuscht der Clip vor, eine Videoaufzeichnung zu sein. Am Anfang und am Ende erscheinen neben dem „Play“- und dem „Stop“Zeichen flackernde Linien, die sich mit einem leisen Knistern über die gesamte Ansicht legen, zu der auch zwei schwarze Balken am oberen und unteren Bildrand gehören. Die mit digitalen Störungen versehenen Aufnahmen scheinen sich auf einer analogen Kassette zu befinden. Eine Metalepse, die den Verlauf der künstlerisch verfremdeten Bilder ihrerseits stört, macht den Betrachter des Musikvideos schließlich auf seine Position vor einem Monitor aufmerksam. So wird ein Stein in die Richtung des Publikums geworfen und durchschlägt auf seinem Flug eine bislang nicht sichtbare Glasscheibe. Der sonderbare Bruch einer ohnehin nicht dauerhaft angestrebten Illusion führt so weit, dass die Splitter den Kader verlassen und sich damit auch räumlich vor den filmischen schwarzen Balken bewegen, bis sie verschwinden und der Clip wieder ein breiteres Bildformat annimmt. Indem WELCOME TO HEARTBREAK über weite Strecken eine computergestützte Manipulierbarkeit der verwendeten Aufnahmen demonstriert, die von den Zeichen 148 Letztlich kann ein Musikvideo auf diese Weise auch eine nostalgische Wirkung entfalten, und zwar, wenn die am Computer hergestellten oder nachträglich bearbeiteten Aufnahmen, beispielsweise durch eine absichtlich geringe Pixelauflösung, das Publikum irritieren und an die Beschaffenheit von Medieninhalten früherer Jahrzehnte denken lassen. Insbesondere im Bereich des Computerspiels „[sind] 8-Bit-Stilistiken [...] (vor dem Hintergrund zeitgenössischer Spielgrafiken) in ihrer Varietät deutlich als Retroisierungen erkennbar.“ Benjamin Beil: Die Sehnsucht nach dem Pixelklumpen. Retro-Gaming und das populärkulturelle Gedächtnis des Computerspiels. In: Marcus S. Kleiner/Thomas Wilke (Hg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 319-335, S. 323. 149 Vgl. Michelle Higa Fox: Tintori and NABIL: Breaking Your Internets. In: Motionographer, 19.02.2009, URL: http://motionographer.com/2009/02/19/tintori-and-nabil-breakin g-your-internets (01.06.2018).
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einer analogen Speicherung eingefasst sind und zwischenzeitlich die Grenze zum außermedialen Bereich aufzuheben scheinen, referiert das Musikvideo auf seine mediale Existenz als Inhalt, der über einen Monitor rezipiert wird, und verwirrt gleich mehrfach die Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters. Die Inszenierung der Bilder zielt nicht auf Nostalgie für einen vergangenen Fernsehauftritt ab, sondern erlangt eine eigene Bedeutung im Rahmen der Geschichte, die der Song erzählt. Sie bringt die Anspannung des lyrischen Ichs zum Ausdruck („And my head keeps spinning / Can’t stop having these visions, I gotta get with it“), das über sein zurückliegendes Leben sinniert und feststellen muss, dem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden zu sein („Chased the good life my whole life long / Look back on my life and my life gone / Where did I go wrong?“). Der Videorekorder spiegelt das Gedächtnis des Protagonisten wider, der in die eigene Vergangenheit blickt. Berücksichtigt man die brüchige Struktur des digitalen Bilderstroms, so lässt sich argumentieren, dass WELCOME TO HEARTBREAK auf die konventionelle, obschon „unterkomplexe Dichotomie analog= real, aber auch mit den Trübungen der Welt behaftet vs. digital=hyperreal, also realer als real, aber potenziell auch irreal [Herv. i.O.]“150 zurückgreift. Der Anfang und das Ende der Wiedergabe des analogen Videos sind als eine Klammer zu begreifen, innerhalb derer sich die Fantasie der betrübten Hauptfigur entfaltet. Durch ihren Kontrast zur digitalen Formbildung markieren die beiden Stellen den Eintritt in die unruhige Gedankenwelt des Protagonisten und den Augenblick, in dem die Gedanken verblassen und der Alltag wieder in den Vordergrund rückt. Abbildung 51: WELCOME TO HEARTBREAK, 2009, M: Kanye West feat. Kid Cudi, R: Nabil Elderkin.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wMH0e8kIZtE (TC 00:02, 01:56, 02:12)
Fasst man die in der Untersuchung der nostalgischen Medienreflexion gewonnenen Erkenntnisse zusammen, können in jüngerer Zeit diskutierte Befunde zur gestiegenen Faszination für zurückliegende mediale Stoffe und Darstellungsformen differenzierter betrachtet werden. So erregen in den letzten Jahren immer wieder Technologien 150 Jens Schröter: Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? In: Jens Schröter/Alexander Böhnke (Hg.): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung. Bielefeld 2004, S. 7-30, S. 16.
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und Konsumangebote, die das Design früherer Produkte aufgreifen, ein öffentliches Aufsehen, seien es Automodelle, Kleidungsstücke oder Mobiltelefone, die stilistische Merkmale der Vergangenheit übernehmen.151 Es handelt sich um Phänomene, die als „Seelentröster“ und „Gefühl von Freiheit, von Jugend“152 empfunden werden. Auch einzelne fiktionale Medieninhalte, von Filmen über Fernsehserien bis zu Video- und PC-Games, folgen Retro-Trends und lassen den Zuschauer beziehungsweise Spieler auf vielfältige Weise in die Zeit seiner Kindheit eintauchen. Eine solche zunehmende Rückbesinnung in verschiedenen kulturellen Bereichen macht ebenfalls Simon Reynolds aus.153 Vor allem hinsichtlich popmusikalischer Entwicklungen stellt der Journalist fest, dass in den 2000er Jahren das Interesse an der medialen Vergangenheit gestiegen sei.154 Um die Besonderheit dieser Epoche, „a pop age gone loco for retro and crazy for commemoration“, prägnant zu beschreiben, entscheidet sich Reynolds für den schillernden Begriff „,Re‘ Decade“155, der den Mediendiskurs schon länger begleitet hat und stets eine nostalgische Haltung gegenüber der Musik früherer Sänger und Bands zum Ausdruck bringt.156 In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist dagegen festzuhalten, dass Songs und Clips schon in der Frühphase von MTV das sich wandelnde Verhältnis zwischen Musikvideo und Fernsehen verhandeln. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist keineswegs das Ergebnis einer Entwicklung jüngeren Datums. Das Musikvideo weist ein spezifisches Gedächtnis auf, das mit Anspielungen auf ältere Clips einhergeht. Zugleich reflektiert es umfangreiche Veränderungen des eigenen Mediums. Dies geschieht vor allem dann, wenn sich die kulturelle und soziale Bedeutung des Musikfernsehens verschiebt, zum einen während des ersten Clip-Booms in den 1980er Jahren und zum anderen mit der zunehmenden Verbreitung von Clips auf Online-Portalen seit Mitte der 2000er Jahre. Der derzeitige Übergang des Musikvideos vom Fernseh- zum Internetphänomen übt einen besonderen Reiz auf Regisseure aus, frühere Varianten der Darbietung von Popsongs im TVProgramm zu rekonstruieren. Die nostalgische Beobachtung des Fernsehens zeigt sich in verschiedenen Bildern, die den Star der Gegenwart in einer älteren Fernsehsendung auftreten lassen, auch dann, wenn der Song weder stilistisch auf die dargestellte 151 Vgl. Oliver Herwig: Die ganz große Freiheit. In: Süddeutsche Zeitung vom 24.03.2012. 152 Ebd. 153 Vgl. Reynolds: Retromania, S. xvff. 154 Vgl. ebd., S. x. 155 Ebd., S. ix. 156 Dass Übernahmen vorhandener Ideen nicht neu sind, lässt sich unter anderem einer Aussage von Werner Faulstich entnehmen, der in seiner Analyse der Rock- und Popkultur der 1980er Jahre von „Epigonentum“ und „zahlreichen ‚Revivals‘“ spricht: „Es rückten kaum genuin neue Künstler und Stile nach. Allenfalls gab es Crossover-Tendenzen [...].“ Faulstich: Der Niedergang der Rockkultur und die Umbrüche auf dem Tonträgermarkt, S. 184.
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Zeit verweist noch die Geschichte des Musikvideos thematisiert. Ein aktueller RetroTrend besteht in der Nachahmung der Ästhetik eines analogen Videorekorders. Die in der Inszenierung aufscheinende Technologie lässt das Musikvideo sich als eine im TV-Programm hervorgebrachte und auf VHS aufgezeichnete mediale Form wahrnehmen. Insbesondere durch Störungen erinnern Clips ihr Publikum an eine Apparatur, deren Gebrauchsweise bei Mediennutzern mit der Zeit in Vergessenheit gerät und sich zu einem allgemeinen visuellen Hinweis auf die Vergangenheit entwickelt. In der Gesamtschau muss die geläufige Behauptung, dass der Rekurs auf schon vorhandene Darstellungen und medial etablierte Darstellungskonzepte als Begleiterscheinung einer wachsenden kulturellen Sehnsucht nach vergangenen Medienerfahrungen zu bewerten ist, relativiert werden. So prägt die medienhistorische Situation die Perspektive, unter der Songs und Clips das Fernsehen und den Standpunkt des Musikvideos im System der Medien betrachten.157 Die Analyse hat außerdem ergeben, dass die Bezugnahme auf eine frühere Zeit nicht nur von einer schmerzvollen Nostalgie getragen ist. Zum einen weisen die Inszenierungen von Figuren und Ereignissen der Vergangenheit häufig einen spielerischen Charakter auf. Zum anderen zeichnet sich neben der Beobachtung der Vergangenheit in den Zeiträumen, in denen die Entwicklung des Musikvideos eine neue Richtung einschlägt, ein gegenläufiger Blick in die Zukunft ab, der die Veränderungen, von denen das Medium betroffen ist, keineswegs negativ deutet und neben der digitalen Produktion die über das Internet erfolgende Distribution und Rezeption von Clips hervorhebt. Das Musikvideo beleuchtet die schwindende Bedeutung von Sendern wie MTV und reiht sich in die Debatten um den Fortbestand der visuellen Begleitung musikalischer Kompositionen jenseits des Fernsehens auf Online-Portalen ein. Die fortlaufende Ausdifferenzierung der inzwischen digitalen Kommunikationskanäle und Präsentationsweisen von Songs und Clips bringt derzeit eine Vielzahl von möglichen Anknüpfungspunkten für eine über das TV-Medium hinausgehende nostalgische Selbstbetrachtung von zukünftigen Musikvideos hervor.
157 An dieser Stelle wird deutlich, dass die Forderung von Joseph Garncarz, „[d]en Produktions-, Distributions- und Rezeptionskontext eines Mediums zu berücksichtigen, [...] um beantworten zu können, warum sich Texte eines Mediums in einer bestimmten Art und Weise auf die eines anderen Mediums beziehen [Herv. i.O.]“, berechtigt ist. Garncarz: Vom Varieté zum Kino, S. 244.
8. Schlussbetrachtung
Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, welche Vorstellungen für Sänger und Bands produzierte Clips vom Programm, den ästhetischen Merkmalen und Nutzungs- sowie Wirkungsweisen des Fernsehens hervorbringen. Aufbauend auf einem differenztheoretischen Ansatz ist das Musikvideo als ein Medium verstanden worden, das andere Medien in seiner Umwelt kontinuierlich als Form beobachtet und in der selbstreferenziellen Verarbeitung der eigenen Beobachtung eine Reflexion auf die fremdmediale Form vollzieht. Setzt man das Konzept der Medienreflexion in Bezug zum Fernsehen, lässt sich danach fragen, mit welchen Bedeutungszuschreibungen die technologischen, sozialen und kulturellen Charakteristika der Television im Verlauf der Zeit verhandelt werden. Die Medienbeobachtung erschöpft sich demnach nicht in den Zitaten bekannter TV-Inhalte. Dem Modell der Reflexion folgend weichen die Bezugnahmen des Musikvideos auf das Fernsehen von denen anderer Medien ab, die eigene Beobachtungsstandpunkte einnehmen. Gleichzeitig unterliegt die Beschäftigung mit dem Fernsehen einem Wandel, denn das Verhältnis zwischen dem beobachtenden und dem beobachteten Medium ist in Bewegung. Illusionsbrüche können Begleiterscheinungen des Nachdenkens über Medien sein, nämlich dann, wenn sich die Unterscheidung von Medium und Form als Störung zeigt. Als Vergleichsgrundlage für die Untersuchung der verschiedenen Bezugnahmen des Musikvideos auf das Fernsehen ließen sich Befunde zur bereits erforschten Medienreflexion im Spielfilm heranziehen. Schließlich gefährdet die Möglichkeit einer TV-Ausstrahlung den medialen Status des Films und beeinflusst die Darstellung des Fernsehens, wie Lisa Gotto konstatiert.1 Die Folge, so Gotto, ist eine Abgrenzung vom Distributionsmedium, das häufig in ein negatives Licht gestellt wird, „[d]enn wann immer das Fernsehen einen Film zeigt, macht es ihn zu einem Teil seiner selbst: Es zergliedert ihn, es verformt ihn, es rückt ihn in die Nähe seines Bildumlaufs.“2 Aus medienhistorischer Sicht stehen Musikvideo und Fernsehen in einem anderen Verhältnis zueinander. Wenngleich kommerzielle Clips von Sängern und Bands über eine 1
Vgl. Gotto: Nahsicht und Fernblick, S. 153.
2
Ebd.
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lange Vorgeschichte verfügen, geht ihr Aufstieg zum populärkulturellen Massenphänomen auf die Gründung des Senders MTV im Jahr 1981 zurück. Beobachtungstheoretisch bilden sie in dieser Zeit meist eine Form des Mediums Fernsehen, die auf einer weiteren Ebene als eigenes Medium das Fernsehen als Form zu reflektieren vermag. Ungeachtet der mehr als zwei Jahrzehnte erfolgreichen intermedialen Symbiose strebt das im linearen TV-Programm gesendete Musikvideo wie der Film stets „die Versicherung seines eigenen Wesens“3 an. Gerade weil sie zunächst auf eine televisuelle Ausstrahlung angewiesen waren, widmen sich Clips ihrem Distributionsmedium, hinterfragen Konzepte verschiedener Formate und beleuchten – weniger kritisch – Merkmale des Musikfernsehens. In einem ersten Schritt sind zwei Bildstrategien differenziert worden, die den intermedialen Bezugnahmen des aus Song und Clip zusammengesetzten Musikvideos zugrunde liegen und mit voneinander abweichender Deutlichkeit die mediale Form der eigenen Bilder von der des Fernsehens unterscheiden lassen. Dies ermöglichte es auf der einen Seite, ein breites Spektrum an gestalterischen und narrativen Funktionen aufzudecken, die Darstellungen von TV-Apparaten in Clips seit den 1980er Jahren erfüllen. Es hat sich gezeigt, dass im privaten und öffentlichen Raum verschiedene Bildschirmkonstruktionen meist entweder den Blick des Musikers auf sich ziehen, der die Rolle eines Zuschauers spielt, oder dessen eigene Performance übertragen und – insbesondere in der ersten Dekade von MTV – affirmativ auf den im Fernsehen ausgestrahlten Clip verweisen. Unter den zahlreichen Einsatzbereichen von Kommunikationstechnologien, die innerhalb einer expandierenden Bildschirmkultur bis heute oftmals die Ansicht des Stars rahmen, dient die häusliche Nutzung des Programmmediums Fernsehen mit vielfältigen Variationen des dispositiven Gefüges als wichtiger Ausgangspunkt für Geschichten, die die jugendliche Zielgruppe des Musikvideos ansprechen sollen. Auf der anderen Seite übernehmen Clips visuelle Elemente, darunter auch Störungen, die unterschiedlich stark mit dem Fernsehen assoziiert sind und die eigenen Bilder reflexiv als eine in das Programm des Mediums aufgenommene Sendung kennzeichnen. Neben einer solchen ästhetischen Nachahmung der Fernsehansicht greifen Regisseure auf bereits ausgestrahltes TV-Material zurück. Auf diese Weise wird das Fernsehen als eine Einrichtung ausgewiesen, die gesellschaftlich bedeutsame Vorgänge und Zustände beobachtet und bewertet, während der Liedtext, welcher häufig auf die in der dargestellten Berichterstattung erwähnten Ereignisse referiert, eine zusätzliche Glaubwürdigkeit erhält. Das Musikvideo kann den Fokus der Bezugnahme auf das Fernsehen folglich unterschiedlich wählen und setzt beim Betrachter spezifische Kenntnisse hinsichtlich der TV-Bilder und ihrer Präsentation voraus. Es nimmt einen eigenen Beobachtungsstandpunkt ein, der Blick ist aber nicht auf eine einzige Richtung festgelegt. Um das Fernsehen im Fokus der Beobachtung des Musikvideos 3
Ebd., S. 154.
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systematisch zu untersuchen, hat sich die Studie in einem zweiten Schritt mit den Perspektiven befasst, unter denen Songs und ihre zugehörigen Clips das TV-Medium mit verschiedenen Bedeutungen verbinden. Eine Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bilder, welche über eigene Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, für das Lied eines bestimmten Stars hergestellt werden. Dass die Clips, welche eine Plattenfirma produzieren lässt, zwar ein Gegenstand künstlerischer Betätigung sind, letztlich aber als Marketinginstrument fungieren, bleibt nicht ohne Folgen für die Medienreflexion. Wie die Analyse gezeigt hat, erweisen sich Darstellungen des Fernsehens als nützlich, um im Song angesprochene Themen und Ereignisse zu veranschaulichen und den Musiker für den Betrachter attraktiv in Szene zu setzen. So können Sänger und Bands mit der Darbietung in einer nachgebildeten Sendung, die beim Publikum beliebt oder zumindest bekannt ist, als erfolgreiche Stars präsentiert werden, vor dem eigenen Bildschirm ihr Gefallen am TV-Programm bekunden oder das Angebot des Fernsehens ablehnen. Die Arbeit ist insgesamt drei Perspektiven nachgegangen, unter denen das Musikvideo das Fernsehen kontinuierlich betrachtet. So entwerfen die umfassenden Vorwürfe, welche Sänger und Bands an das Programmmedium richten, ihre parodistischen Umsetzungen von TV-Gattungen und der nostalgische Blick auf die Geschichte von Musikvideo und Fernsehen ein komplexes Bild der intermedialen Bezugnahme. Entgegen der während der 1980er Jahre aufgekommenen Behauptung, dass das Musikvideo als Unterhaltungsprodukt der Kulturindustrie beziehungsweise Postmoderne über kein subversives Potenzial verfügt, zeichnet sich neben einer häufig affirmativen Positionierung gegenüber dem Fernsehen eine kritische bis polemische Auseinandersetzung mit dem Medium und seinem Programm ab. Kommerzielle Clips erkunden zwar verschiedene Eigenschaften der TV-Kommunikation, indem sie Anleihen bei Bildschirminstallationen nehmen, die im Bereich der Videokunst entstanden sind. Die Reflexion im Sinne eines Nachdenkens über das Fernsehen der Gegenwart und der Vergangenheit ist allerdings nicht auf Arbeiten mit einem hohen künstlerischen Anspruch beschränkt, sondern gehört zum Mainstream. Songs und Clips unterschiedlicher musikalischer Genres bilden einen wichtigen Baustein in der fortlaufenden Entwicklung des Mediendiskurses. Sie bedienen sich einer breiten Vielfalt an Behauptungen und Spekulationen über das Fernsehen und bestimmte TV-Sendungen, die im Rahmen einer kohärenten Geschichte oder der Inszenierung des in der Handlung auftretenden Stars illustriert werden. Nachdem die Erfindung der elektronischen Bildübertragung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Spielfilmen inspiriert hat, die sich des wahrgenommenen Medienwandels annehmen, gebrauchen Sänger und Bands sowie Regisseure heute alte und neue, reale und fiktive Bilder der etablierten Kommunikationstechnologie und verknüpfen sie mit individuellen Zielsetzungen. Sie referieren nicht nur auf einst erfolgreiche TV-Formate, um die Attraktivität ihrer eigenen Werke zu steigern, sondern verarbeiten auch Entwicklungen der Massenkommunikation des Fernsehens unter Einbeziehung von wissenschaftlichen
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und publizistischen Debatten um technologische, soziale und kulturelle Aspekte des Mediums. Meist weichen ausgewogene Argumentationen einseitigen, mitunter ironisch gebrochenen Stellungnahmen des Musikers zum Fernsehen. Dies leitet zu einer weiteren Erkenntnis über, die die intrikate Beziehung zwischen Musikvideo und Fernsehen genauer fassen lässt. Denn die subversiven Botschaften, durch welche sich Songs und Clips von ihrem Ausstrahlungsort abgrenzen, erinnern an die Darstellung von Sachverhalten im kritisierten TV-Medium. Selbst wenn die Bilder keinen reflexiven Hinweis darauf geben, dass das Musikvideo – ob tatsächlich oder nicht – im Fernsehprogramm gesendet worden ist, entsprechen die analysierten Differenzsetzungen von Songs und Clips dem Prinzip der massenmedialen Kommunikation, Ereignisse, die dargestellt werden, moralisch zu bewerten. So sorgt die nach Niklas Luhmann am „Unterschied von gutem und schlechtem bzw. bösem Handeln“ orientierte Berichterstattung für „eine laufende Selbstirritation der Gesellschaft, eine Reproduktion moralischer Sensibilität auf individueller wie auf kommunikativer Ebene [Herv. i.O.].“4 Moralische Urteile finden sich dem Soziologen zufolge nicht nur in der intersystemischen Beobachtung der Massenmedien, prägen aber die mediale Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorgängen, welche der Öffentlichkeit als Information zur Verfügung stehen, in besonderer Hinsicht: „Die Realität wird in einer Weise beschrieben, und dies durchaus im Modus recherchierter Wahrheit, die als ausgleichsbedürftig empfunden wird. Der kontinuierlichen Reproduktion des ‚ist‘ wird entgegengesetzt, wie es ‚eigentlich sein sollte‘.“5 In der Thematisierung von Normverstößen, so Luhmann, liegt der Fokus vor allem auf spektakulären Ereignissen und Handlungen von einzelnen Akteuren, während die komplexen Zusammenhänge, welche zum Normverstoß geführt haben, nicht im Vordergrund stehen.6 Die Untersuchung der Medienreflexion hat ergeben, dass auch Sänger und Bands im Stil einer Aufklärung Nutzungs- und Wirkungsweisen sowie Inhalte des Fernsehens an den Pranger stellen und ihre moralische Norm, von der die Beobachtung abweicht, dem Betrachter vermitteln, indem sie als Zuschauer oder TV-Figuren auftreten. Das Musikvideo, so lässt sich hinsichtlich der kritischen und parodistischen Reflexion von Medien auf den Ebenen von Song und Clip schlussfolgern, widmet sich dem Fernsehen unter Rückgriff auf moralische Überlegungen, ohne den zum Teil bekannten Argumentationen folgen oder das eigene Publikum von der artikulierten Sicht auf das Medium überzeugen zu müssen, also – in den Worten von Luhmann – „ethische Grundsätze zu fixieren oder auch nur den Moralpegel der Gesellschaft in Richtung auf gutes Handeln anzuheben.“7 So sind die von Clip-Regisseuren erschaffenen Bilder selbst regelmäßig dem Vorwurf ausgesetzt, mit bestimmten Wertvorstellungen 4
Luhmann: Die Realität der Massenmedien, S. 64.
5
Ebd., S. 144.
6
Vgl. ebd., S. 65.
7
Ebd., S. 64.
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in Konflikt zu stehen.8 Das Musikvideo suggeriert in seiner reflektierenden Bezugnahme auf das Fernsehen eine Distanz zum Massenmedium, die es keineswegs immer einhält.9 Ungeachtet seiner verschiedenen Perspektiven auf das TV-Medium kann es sich nicht vollständig von der von ihm beobachteten Medienwirklichkeit lösen, denn „[d]iese Beobachtung zweiter Ordnung setzt voraus, daß man den beobachteten Beobachter unterscheidet, also eine andere Unterscheidung verwendet als er selbst. Andererseits ist ein solches Beobachten von Beobachtungen nur möglich, wenn die zu beobachtenden Beobachtungen tatsächlich stattfinden. Der Beobachter zweiter Ordnung muß an Beobachtungen erster Ordnung anschließen können. Insofern ist und bleibt er selbst, bei allen Unterschieden der Unterscheidungen, die er verwendet, und bei allem Interesse an Widerlegung oder Korrektur, an Entlarvung, Aufklärung, Ideologiekritik, Moment desselben Systems rekursiven Beobachtens von Beobachtungen. Wer immer beobachtet, nimmt daran teil – oder er beobachtet nicht.“10
Ein weiterer Befund der Arbeit liegt in der Erkenntnis, dass die Beziehung zwischen Musikvideo und Fernsehen die intermediale Beobachtung von Song und Clip beeinflusst. Selbst während das Verhältnis von Musikvideo und Fernsehen einem kulturellen und technologischen Wandel unterliegt, bleibt die Verbindung zwischen beiden Medien in der fiktionalen Darstellungswelt erhalten. Die Bezugnahme auf das Distributionsmedium verändert sich im Zuge der voranschreitenden Entkopplung des Musikvideos von seiner früheren TV-Präsenz auf vielfältige Weise. Auch wenn das Fernsehen im öffentlichen Diskurs mit der Zeit immer seltener Gegenstand einer fundamentalen Kulturkritik ist, bietet das Medium Sängern und Bands sowie Regisseuren 8
Dass das kritisierte Musikvideo eine eigene Kritik äußert, betont auch Daniel Hornuff mit Blick auf den Einsatz fremder Aufnahmen. Vgl. Hornuff: Im Tribunal der Bilder, S. 133f.
9
Dies lässt sich in einem breiteren Rahmen verhandeln. Denn während das Musikvideo – unter anderem moralische – Vorwürfe gegen das Fernsehen erhebt, hat MTV häufig zum Ausdruck gebracht, sich vom bislang existierenden TV-Programm abzuheben, auch wenn der Sender auf den Distributionskanal Fernsehen angewiesen bleibt und nicht der einzige Anbieter ist, der Clips ausstrahlt. Es handelt sich um eine Vermarktungsstrategie, die in der Vergangenheit immer wieder eingesetzt worden ist. So lautet etwa das Motto der von Jan Böhmermann moderierten Satiresendung NEO MAGAZIN ROYALE ‚Alles andere ist Fernsehen‘. Der US-amerikanische Kanal HBO wirbt indes mit dem Slogan ‚This is not TV. It’s HBO‘, obwohl die Programminhalte, aber auch die ökonomischen und institutionellen Praktiken keineswegs neu sind. Vgl. Avi Santo: Para-Television and Discourses of Distinction: The Culture of Production at HBO. In: Marc Leverette/Brian L. Ott/Cara L. Buckley (Hg.): It’s not TV: Watching HBO in the Post-Television Era. New York/Abingdon 2008, S. 19-45, S. 24.
10
Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 86.
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weiterhin Anlass zu beißendem Spott und kreativem Protest. Mit der gesellschaftlichen Durchdringung des Internets ist ein Kommunikationsraum entstanden, der dem Nutzer neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet und in dieser Hinsicht zugleich mit dem massenmedialen Prinzip des Fernsehens kontrastiert werden kann. Die Verbreitung von Clips auf Online-Portalen erlaubt es unter Plattenvertrag stehenden oder unabhängig agierenden Musikern, sich unbefangener mit dem Fernsehen zu beschäftigen und in eine direkte Interaktion mit ihrem Publikum zu treten. Des Weiteren haben sowohl die für Amateure leichter gewordene Herstellung von Songs und Clips als auch das Aufkommen von Web-2.0-Plattformen die Produktion, Distribution und Rezeption von Bild- und Tonmaterial im Internet beschleunigt. In der Folge lässt sich feststellen, dass User mit ihren selbst gedrehten Musikvideos schneller als bislang Bezug auf fernsehspezifische Ereignisse und – teilweise online gestellte – TV-Produkte nehmen. Diese Entwicklung geht mit einem steigenden Interesse an Clips einher, in denen Inhalte unterschiedlicher Medien parodiert werden. Darüber hinaus nimmt das Musikvideo eine Historisierung des eigenen Mediums vor und betrachtet seinen Wandel hinsichtlich des Fernsehens. So erinnern Songs und Clips seit den 2000er Jahren immer häufiger an die Vergangenheit des einst auf Musikvideos spezialisierten Senders MTV. Einige Regisseure rekonstruieren sogar die zur Vorgeschichte des Musikvideos gehörende Zeit des Live-Auftritts von Sängern und Bands im Massenmedium Fernsehen. Unter gezielter Anwendung verschiedener visueller Verfahren täuschen sie vor, dass ihre Clips, die zunehmend auf Online-Portalen veröffentlicht werden, selbst Ausschnitte aus früheren TV-Sendungen sind. Dies liegt nicht nur darin begründet, den etwaigen Retro-Klang des entsprechenden Songs nostalgisch zu verklären, sondern bietet außerdem die Möglichkeit, das Image des in der Vergangenheit auftretenden Stars der Gegenwart um gewünschte Facetten zu erweitern. Wie die Studie gezeigt hat, finden zwar, im Einklang mit dem gesellschaftlichen Mediendiskurs, zunehmend auch digitale Kommunikationstechnologien Erwähnung in Songs und Clips. Doch das Bedeutungswachstum von Computer und Internet lässt das Fernsehen nicht vollständig aus dem Fokus der intermedialen Beobachtung rücken. Eine Pointe besteht darin, dass gerade die digitalen Möglichkeiten, einem Musikvideo eine interaktive Struktur zu verleihen und das Werk in dieser Form online zur Verfügung zu stellen, die Rezeptionserfahrung des Fernsehzuschauers ästhetisch nachzuahmen gestatten. Dies belegt LIKE A ROLLING STONE (2013) von Bob Dylan. Der Clip ist unter der Regie von Vania Heymann entstanden und lässt sich nach einer Aktivierung des Flash-Players auf der Homepage des Sängers aufrufen.11 Die Webseite enthält am unteren Bildrand einen Link zu Dylans iTunes-Profil, listet unter dem Stichwort „Credits“ alle an der Herstellung des Musikvideos beteiligten Personen auf 11
Vgl. Bob Dylan: Like a Rolling Stone. In: Bob Dylan, URL: http://video.bobdylan.com (01.06.2018).
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und macht mit einem statischen Werbebanner auf eine Albumsammlung aufmerksam, die im Jahr der Veröffentlichung des Clips herausgebracht worden ist. Mit wenigen Mausklicks gelangt der User auf Amazon und kann die CD-Box bestellen. LIKE A ROLLING STONE ist so gestaltet, dass die Bilder den Blick auf einen TV-Apparat nachahmen. Über ein an der Seite des Kaders integriertes Menü kann der Betrachter des Clips eines von mehreren Fernsehprogrammen auswählen, die Wiedergabe unterbrechen und eine gewünschte Lautstärke einstellen. Während ein Spielfilm vom romantischen Treffen eines jungen Paares erzählt, in einer Kochshow ein Nachtisch zubereitet wird und die beiden Moderatoren eines Homeshopping-Kanals dem Publikum die Vorzüge eines Staubsaugers schildern, laufen auf einem TV-Sender für Musikklassiker Aufnahmen eines früheren Dylan-Auftritts (Abbildung 52).12 Zwei schwarze Balken, die aufgrund des schmaleren Formats an der linken und rechten Seite des Kaders erscheinen, und eine auffällige Körnung des Materials verweisen auf das Alter der Filmbilder. Abbildung 52: LIKE A ROLLING STONE, 2013, M: Bob Dylan, R: Vania Heymann.
Quelle: https://video.bobdylan.com (TC 00:16, 00:34)
Die Protagonisten, welche in den unterschiedlichen rekonstruierten Fernsehformaten auftreten, suggerieren durch kontinuierliche Bewegungen ihrer Lippen, Dylans FolkRock-Hit zu singen. Wechselt man den Kanal, ändert sich zwar das Programm, das Musikstück aus dem Jahr 1965 verklingt jedoch nicht. Auf diese Weise erhält die Ballade des inzwischen mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Sängers im „living tribute to channel-surfing“13 eine größere Bedeutung als die für das Fernsehen produzierten Sendungen, in denen der zappende Clip-Betrachter unter anderem TV-Prominenten wie dem Nachrichtensprecher Danny Kushmaro und der Komikerin Jessimae 12
Ein 30-sekündiger Clip, der auf YouTube hochgeladen worden ist und eine Zusammenstellung ausgewählter Sequenzen enthält, dient als Werbung für das interaktive Musikvideo. Vgl. BobDylanTV: Bob Dylan – Like A Rolling Stone Interactive Video. In: YouTube, 19.11.2013, URL: https://www.youtube.com/watch?v=v7USJs-CfVg (01.06.2018).
13
Chris Martins: You Need to Mess with Bob Dylan’s Interactive ‚Like a Rolling Stone‘ Video. In: Spin, 19.11.2013, URL: http://www.spin.com/2013/11/bob-dylan-like-a-rolling-s tone-danny-brown-pawn-stars-video (01.06.2018).
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Peluso begegnet. Durch die Simulation der Ausstrahlung des Konzertausschnitts verknüpft LIKE A ROLLING STONE Dylan mit dem Medium Fernsehen, das dem Musiker insofern eine Sonderrolle verleiht, als dieser innerhalb des nostalgischen Programms den Eindruck eines erinnerungswürdigen Stars erweckt. Der Sänger ist weder als Gast in einer Show noch als Figur in der Fiktion eines Musikvideos zu sehen. Stattdessen entstammt das Filmdokument einer weit zurückliegenden Zeit und zeigt Dylan mit seiner Band auf einer Bühne vor seinen Fans. Im Gegensatz zu linear aufgebauten audiovisuellen Inhalten besteht das Rezeptionsvergnügen des Musikvideos darin, dass das Publikum den Verlauf der bewegten Bilder durch individuelle Entscheidungen mitbestimmt. Der Internetnutzer wird in die fiktive Rolle eines Fernsehzuschauers versetzt, der den Vorgang der medialen Formbildung nicht nur beobachtet, sondern durch die Selektion televisueller Sequenzen in eine gewünschte Richtung lenkt. Dies erlaubt es ihm, die Ansicht der Performance von Dylan zu verlassen, den Song aber weiterhin zu hören. Der Clip stellt die Berühmtheit des Sängers heraus, indem er vorführt, dass die Aufzeichnung einer vergangenen Darbietung im TV-Programm der Gegenwart Verbreitung findet, und gestattet es dem Star, sich mit dem interaktiven Werk in die Geschichte des Musikvideos einzuschreiben. Dass der Künstler dort bereits einen festen Platz hat, wissen Pop-Fans, die den Auftritt von Dylan in einem Film kennen, für den D.A. Pennebaker verantwortlich zeichnet, jener Regisseur, der auch die in LIKE A ROLLING STONE verwendeten Performance-Aufnahmen gedreht hat.14 So wird die Passage der Dokumentation DONT LOOK BACK (1967), in der Dylan dem Publikum zu seinem Song SUBTERRANEAN HOMESICK BLUES (1965) Schilder mit Wörtern und Satzfragmenten des Liedtextes zeigt, als eine frühe Form des Musikvideos aufgefasst.15 Durch die intermediale Bezugnahme auf das Fernsehen, welches den auf Film festgehaltenen Konzertauftritt überträgt, erhält LIKE A ROLLING STONE einen reflexiven Charakter. Der Betrachter erfährt, dass sich die Archivfunktion des Musikprogramms in einem Online-Clip, der nicht mehr vom TV-Medium abhängig ist, wiederholt. Das Fernsehen dient noch immer als ein zentraler Gegenstand, über den das Musikvideo die eigene Beziehung zu anderen Kommunikationstechnologien und ihren Angeboten im System der Medien reflektiert. Schlägt man einen Bogen zu dem am Anfang der Arbeit stehenden Clip CALL YOU HOME (2015) von Kelvin Jones, so ist die sonderbare Gestaltung der Bilderwelt keineswegs eine Ausnahme in der Geschichte des Mediums Musikvideo. Die aufsehenerregenden Aufnahmen des in die Stratosphäre gebrachten und die Ansicht des Sängers übertragenden TV-Apparates, welche der Regisseur Joe Connor nutzt, um den Song von Jones zu illustrieren, eröffnen eine breitere medienkulturwissenschaftliche Perspektive auf die Entwicklung intermedialer Bezugnahmen. Schließlich gestaltet 14
Vgl. ebd.
15
Vgl. ebd.
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das Musikvideo bereits seit seiner Entstehung den Diskurs über das Informations- und Unterhaltungsmedium Fernsehen mit und macht auf diese Weise Veränderungen anschaulich, die die Geschichte des eigenen Mediums berühren. Selbst im Zeitalter des Internets bringt es durch kontinuierliche Bedeutungszuschreibungen eigene Vorstellungen von den Eigenschaften der Television hervor. Während das Fernsehen als Medium der Distribution kommerzieller Clips von Sängern und Bands nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, bleibt es als Medium der Reflexion erhalten. Das Musikvideo wendet seinen Blick vorerst nicht vom TV-Medium ab.
Quellenverzeichnis
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ES WAR EINMAL, 2016, M: Beginner, R: David Aufdembrinke. EXPRESS YOURSELF, 1989, M: Madonna, R: David Fincher. FAITH, 1987, M: George Michael, R: Andy Morahan. FLY ON THE WALL, 2008, M: Miley Cyrus, R: Philip Andelman. FOREVER NOT YOURS, 2002, M: a-ha, R: Harald Zwart. GET UP, 2010, M: Naguale, R: Alex Ceausu. GIRL ON TV, 1999, M: Lyte Funkie Ones, R: Gregory Dark. GO UP, 2017, M: Cassius feat. Pharrell Williams/Cat Power, R: Alex Courtès. GOD BLESSED VIDEO, 1985, M: Alcatrazz, R: Michael Miner. HAPPY, 2013, M: Pharrell Williams, R: We are from L.A. HELLO, 2010, M: Martin Solveig feat. Dragonette, R: Tristan Séguéla/Martin Solveig. HERE IS THE NEWS, 1981, M: Electric Light Orchestra, R: unbekannt. HIER KOMMT DIE MAUS, 1996, M: Stefan Raab, R: Erçin Filizli. HIP HOP POLICE, 2007, M: Chamillionaire feat. Slick Rick, R: Marc Klasfeld. HOW DO YOU DO!, 1992, M: Roxette, R: Anders Skog. I GOTTA FEELING, 2009, M: The Black Eyed Peas, R: Ben Mor. I THINK SHE READY, 2012, M: FKi feat. Iggy Azalea/Diplo, R: Alex 2Tone. I WANT TO BREAK FREE, 1984, M: Queen, R: David Mallet. I’M OUTTA LOVE, 1999, M: Anastacia, R: Nigel Dick. ICH HAB POLIZEI, 2015, M: Pol1z1stens0hn, R: Nico Berse. IN BLOOM, 1992, M: Nirvana, R: Kevin Kerslake. INNOCENT LOVE, 1986, M: Sandra, R: DoRo. INTERNET KILLED THE VIDEO STAR, 2010, M: The Limousines, R: David Dutton. INTO THE NIGHT, 2007, M: Santana feat. Chad Kroeger, R: Jessy Terrero. IT’S MY LIFE, 2000, M: Bon Jovi, R: Wayne Isham. IT’S RAINING AGAIN, 1982, M: Supertramp, R: Russell Mulcahy. JAMMIN’ ME, 1987, M: Tom Petty & The Heartbreakers, R: Jim Lenahan. JEANNY, 1985, M: Falco, R: Russell Mulcahy. JUST A GIGOLO / I AIN’T GOT NOBODY, 1984, M: David Lee Roth, R: Pete Angelus/ David Lee Roth. JUST GIVE ME A REASON, 2013, M: P!nk feat. Nate Ruess, R: Diane Martel. KERNKRAFT 400, 1999, M: Zombie Nation, R: Hendrik Hölzemann. KISS YOU, 2013, M: One Direction, R: Vaughan Arnell. LALALA, 2013, M: Betty Dittrich, R: Feliks Horn/Sebastian Tomczak. LET IT ROCK, 2008, M: Kevin Rudolf feat. Lil Wayne, R: Justin Francis. LIFE IN TECHNICOLOR II, 2009, M: Coldplay, R: Dougal Wilson. LIKE A ROLLING STONE, 2013, M: Bob Dylan, R: Vania Heymann. LIPS ARE MOVIN, 2014, M: Meghan Trainor, R: Philip Andelman. LIVING ON VIDEO, 1986, M: Trans-X, R: unbekannt. LOVE LOVE LOVE, 2008, M: James Blunt, R: Kinga Burza. MARIA, 1999, M: Blondie, R: Alan Smithee. MEDIA MAN, 1980, M: Flash and the Pan, R: unbekannt. MEMORIES, 2010, M: David Guetta feat. Kid Cudi, R: Keith Schofield.
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EUROVISION SONG CONTEST, seit 1956, Erstausstrahlung (als GRAND PRIX EUROVISION DE LA CHANSON EUROPÉENNE): 24.05.1956. HAPPY DAYS, USA 1974-1984, Erstausstrahlung: 15.01.1974. LA LINEA, I 1972-1991, Erstausstrahlung: unbekannt. LEAVE IT TO BEAVER (ERWACHSEN MÜßTE MAN SEIN), USA 1957-1963, Erstausstrahlung: 04.10.1957. MAX HEADROOM, USA/GB 1987-1988, Erstausstrahlung: 31.03.1987. MIAMI VICE, USA 1984-1989, Erstausstrahlung: 16.09.1984. NEO MAGAZIN ROYALE, D seit 2013, Erstausstrahlung (als NEO MAGAZIN): 31.10.2013. SPIEGEL TV MAGAZIN, D seit 1988, Erstausstrahlung: 08.05.1988. TAGESSCHAU, D seit 1952, Erstausstrahlung: 26.12.1952. THE AMERICAN MUSIC AWARDS, USA seit 1974, Erstausstrahlung: 19.02.1974. THE ED SULLIVAN SHOW, USA 1948-1971, Erstausstrahlung (als TOAST OF THE TOWN): 20.06.1948. THE MAX HEADROOM SHOW, GB 1985-1987, Erstausstrahlung: 06.04.1985. THE SONNY & CHER COMEDY HOUR, USA 1971-1974, Erstausstrahlung: 01.08.1971. TOP OF THE POPS, GB 1964-2006, Erstausstrahlung: 01.01.1964. YOUR HIT PARADE, USA 1950-1959, Erstausstrahlung: 10.07.1950.
F ILME DAS CABINET DES DR. CALIGARI, D 1920, R: Robert Wiene. DIRTY DANCING, USA 1987, R: Emile Ardolino. DONT LOOK BACK, USA 1967, R: D.A. Pennebaker. GODZILLA, USA/J 1998, R: Roland Emmerich. GREASE, USA 1978, R: Randal Kleiser. MAX HEADROOM: 20 MINUTES INTO THE FUTURE (MAX HEADROOM: DER FILM), GB 1985, R: Annabel Jankel/Rocky Morton. MEN IN BLACK II, USA 2002, R: Barry Sonnenfeld. METROPOLIS, D 1927, R: Fritz Lang. MODERN TIMES (MODERNE ZEITEN), USA 1936, R: Charlie Chaplin. MURDER BY TELEVISION, USA 1935, R: Clifford Sanforth. POLTERGEIST, USA 1982, R: Tobe Hooper. RINGU (RING – DAS ORIGINAL), J 1998, R: Hideo Nakata. SATURDAY NIGHT FEVER (NUR SAMSTAG NACHT), USA 1977, R: John Badham. STAR WARS (KRIEG DER STERNE), USA 1977, R: George Lucas. THE BREAKFAST CLUB (DER FRÜHSTÜCKSCLUB), USA 1985, R: John Hughes. THE GARDEN OF ALLAH (DER GARTEN ALLAHS), USA 1936, R: Richard Boleslawski. THE INVISIBLE RAY (TÖDLICHE STRAHLEN), USA 1936, R: Lambert Hillyer. THE WIZARD OF OZ (DER ZAUBERER VON OZ), USA 1939, R: Victor Fleming. TIME AFTER TIME (FLUCHT IN DIE ZUKUNFT), USA 1979, R: Nicholas Meyer.
Q UELLENVERZEICHNIS | 313
TRON, USA 1982, R: Steven Lisberger. VIDEODROME, USA/CDN 1983, R: David Cronenberg. WHO FRAMED ROGER RABBIT (FALSCHES SPIEL MIT ROGER RABBIT), USA 1988, R: Robert Zemeckis.
S ONGS Das folgende Verzeichnis enthält ausschließlich Songs, die im Text ohne einen zugehörigen Clip zitiert und daher nicht bereits als Musikvideo aufgeführt werden. ALOUETTE, 19. Jahrhundert, M: unbekannt. DEVIL WITH A BLUE DRESS ON / GOOD GOLLY, MISS MOLLY, 1966, M: Mitch Ryder & The Detroit Wheels. MOBIL UNIT, 1980, M: George Fenton/Ken Freeman. MTV – GET OFF THE AIR, 1985, M: Dead Kennedys. OVER THE RAINBOW, 1939, M: Judy Garland. SHINE ON, 1987, M: The House of Love. SUBTERRANEAN HOMESICK BLUES, 1965, M: Bob Dylan. TV IS THE THING (THIS YEAR), 1953, M: Dinah Washington. TV MAMA, 1953, M: Big Joe Turner.
B ILDENDE K UNST
UND
A KTIONSKUNST
GLOBAL GROOVE, 1973, Video, John Godfrey/Nam June Paik. LA LIBERTÉ GUIDANT LE PEUPLE (DIE FREIHEIT FÜHRT DAS VOLK), 1830, Gemälde, Eugène Delacroix. MEDIA BURN, 1975, Happening, Ant Farm. TV CROSS, 1966, Installation, Nam June Paik.
C OMPUTERSPIELE CALL OF DUTY: GHOSTS, 2013, Entwickler: Infinity Ward, Plattform: PC, PlayStation 3, PlayStation 4, Xbox 360, Xbox One, Wii U, Publisher: Activision.
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich während des Dissertationsprojekts auf vielfältige Weise inspiriert und unterstützt haben. Ein großer Dank gilt Prof. Dr. Irmela Schneider und Jun.-Prof. Dr. Benjamin Beil, die meine Arbeit stets mit Wohlwollen und wertvollen Ratschlägen betreut haben. Die zahlreichen Möglichkeiten des fachlichen Austausches weiß ich sehr zu schätzen. Wichtige Hinweise zu medientheoretischen Fragestellungen habe ich darüber hinaus in Gesprächen und E-Mails mit Prof. Dr. Lisa Gotto, Prof. Dr. Jens Ruchatz, Mirjam Kappes und Hanns Christian Schmidt erhalten. Für anregende Diskussionen über Musik und Popkultur und für das Korrekturlesen der Arbeit danke ich Dr. Mark Ludwig, Dr. John Seidler, Lovis Diefenthal, Rona Erdem, Felix Müller und Tristan Oehrlein. Des Weiteren bin ich Anke Poppen für das hervorragende Projektmanagement im transcript Verlag dankbar. Ich freue mich darüber, dass Prof. Dr. Lisa Gotto und Prof. Dr. Gundolf S. Freyermuth mir die Möglichkeit gegeben haben, meine Arbeit in der von ihnen herausgegebenen Buchreihe Bild und Bit. Studien zur digitalen Medienkultur zu veröffentlichen. Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses danke ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Meinen Eltern bin ich vor allem für das Interesse an meiner Arbeit, die immerwährende Hilfsbereitschaft und das über das Dissertationsprojekt hinausgehende Vertrauen dankbar. Ein besonderer Dank gilt Sophie, die nicht nur die Entstehung der Arbeit mit großer Geduld begleitet hat, sondern in dieser Zeit auch stets ein verlässlicher Rückhalt für mich gewesen ist.
Simon Rehbach, im Juni 2018
Medienwissenschaft Susan Leigh Star
Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5
Geert Lovink
Im Bann der Plattformen Die nächste Runde der Netzkritik (übersetzt aus dem Englischen von Andreas Kallfelz) 2017, 268 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3368-9 E-Book PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3368-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3368-9
Gundolf S. Freyermuth
Games | Game Design | Game Studies Eine Einführung 2015, 280 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-2982-8 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2982-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Medienwissenschaft Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, Julia Elena Goldmann (Hg.)
Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse April 2018, 308 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3837-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3837-4
Ramón Reichert, Annika Richterich, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Karin Wenz (eds.)
Digital Culture & Society (DCS) Vol. 3, Issue 2/2017 – Mobile Digital Practices January 2018, 272 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3821-9 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3821-3
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)
Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate 2017, 216 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4083-0 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4083-4 EPUB: ISBN 978-3-7328-4083-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de