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German Pages [200] Year 2022
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Adrian Schmidt-Recla Achim Seifert (Hg.)
Das Recht der DDR als Gegenstand der Rechtsgeschichte
JENAER SCHRIFTEN ZUM DDR-RECHT BAND 1
SCHRIFTEN
Adrian Schmidt-Recla Achim Seifert (Hg.)
235
Trimmed: (235H × 338W) Untrimmed: (265H × 368W) mm
Die in diesem Band versammelten Aufsätze setzen sich mit den Forschungs desideraten bei der Aufarbeitung des DDR-Rechts auseinander und geben dabei einen bisher noch nicht unternommenen Überblick über das hierzu bereits Geleistete. Gefragt wird u.a. nach Grundbegriffen des sozialistischen „Rechts“, nach dem ideologischen Rahmen/Korsett, in dem „Recht“ in der DDR stattfand bzw. gestaltet wurde, nach den Strukturen, innerhalb welcher juristisches Wissen in der DDR erworben wurde, sowie nach dem engen Nexus zwischen „Recht“ und Arbeit, welcher der gesamten „Rechts“-Wirklichkeit der DDR zugrunde lag. Der Band schließt mit einem Überblick über die von der Forschungsstelle DDR-Recht erfassten und schrittweise digitalisierten rechtswissenschaftlichen Promotionen und Habilitationen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät/ Sektion der Friedrich Schiller-Universität Jena zwischen 1949 und 1990.
Das Recht der DDR als Gegenstand der Rechtsgeschichte
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978-3-412-51945-2_Schmidt-Recla_End.indd Alle Seiten
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Jenaer Schriften zum DDR-Recht Herausgegeben von Adrian Schmidt-Recla und Achim Seifert
Band 1
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Adrian Schmidt-Recla / Achim Seifert (Hg.)
Das Recht der DDR als Gegenstand der Rechtsgeschichte
Böhlau Verlag Wien Köln
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Gedruckt mit Unterstützung und mit Mitteln des Freistaats Thüringen, Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Korrektorat: Anja Borkam, Jena Satz: le-tex publishing services, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978–3–412–51947–6
Inhalt
Vorwort................................................................................................
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Achim Seifert, Adrian Schmidt-Recla Eine „Rechts“-Geschichte der DDR. Ist sie nötig, und wozu soll sie gut sein? ...............................................................................................
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Michael Ploenus Gelenkte Erkenntnis. Über die gesellschaftswissenschaftliche Schulung an den Universitäten der DDR................................................... 13 Hans-Peter Haferkamp Richterausbildung in der DDR ................................................................ 35 Thorsten Keiser Forschungsdesiderate bei der Aufarbeitung des DDR-Rechts ....................... 89 Adrian Schmidt-Recla Sozialistisches Recht, sozialistisches Rechtsverhältnis, sozialistische Person, sozialistische Gesetzlichkeit ......................................................... 115 Achim Seifert Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR ...................... 139 Zara Luisa Gries, Katharina Vette Die Rechtswissenschaftliche Fakultät/Sektion für Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Ausgangspunkt einer DDR-Rechtsgeschichte............................................. 163 Liste der vorhandenen Promotions- und Habilitationsschriften der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1949–1990) ........................................ 187 Autor*innenverzeichnis .......................................................................... 199
Vorwort
Der vorliegende Band versammelt die ausgearbeiteten Beiträge zu der Tagung „DDR-Recht als rechtshistorischer Forschungsgegenstand“, welche die Forschungsstelle DDR-Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena am 10. und 11. Oktober 2019 abgehalten hat. Die Tagung eröffnete die von uns im gleichen Jahr gegründete Forschungsstelle und sollte nach den Forschungsdesideraten fragen, die für die rechtshistorische Auseinandersetzung mit dem Recht der DDR bestehen. Abgerundet wird der Band durch einen Überblick zur Arbeit der Forschungsstelle DDR-Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der vorliegende Band wäre nicht ohne vielfältige Unterstützung zustande gekommen. Unser besonderer Dank gilt dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, ohne dessen finanzielle Förderung nicht nur diese Veröffentlichung so nicht möglich gewesen wäre; auch die Gründung der Forschungsstelle DDR-Recht wäre ohne die Anschubfinanzierung des Ministeriums nicht denkbar gewesen. Der Freistaat Thüringen leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation und Erforschung des Rechts der DDR. Die Herausgeber danken auch den wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen der Forschungsstelle für die Assistenz bei der Tagung und ganz besonders Zara Luisa Gries, die als Redakteurin dieses Sammelbandes die Hauptlast für die Publikation getragen hat. Jena im Mai 2022 Adrian Schmidt-Recla und Achim Seifert
Achim Seifert, Adrian Schmidt-Recla
Eine „Rechts“-Geschichte der DDR Ist sie nötig, und wozu soll sie gut sein? Die Deutsche Demokratische Republik, die DDR, gehört seit nunmehr schon mehr als drei Jahrzehnten der Geschichte an. Der real existierende Sozialismus als politisches System war mit dem Untergang der DDR auf deutschem Boden gescheitert. Trotz der langen Zeit seit ihrem Untergang steckt die DDR Millionen Deutschen in Ost und West gleichsam „in den Knochen“, und die Wunden, die Existenz und Scheitern der DDR geschlagen haben, sind noch nicht verheilt. Das gilt auch für das „Recht“ der DDR, dessen Geschichte bislang noch nicht im Zusammenhang und in Gänze erzählt worden ist: Die Diskussion darüber, ob die DDR ein „Unrechtsstaat“ gewesen sei, ist noch immer schmerzhaft, provoziert Parteinahmen und überlagert die wissenschaftliche Aufarbeitung des Rechts der DDR nicht unwesentlich. Möglicherweise wird es erst dann möglich sein, eine fundierte Beurteilung vorzunehmen, wenn alle diejenigen, die die Wunden der Existenz und des Scheiterns der DDR am eigenen Leib oder in der eigenen Biografie tragen, ins Grab gesunken sind und möglicherweise wird eine abgewogene Rechtsgeschichte der DDR erst von Rechtshistoriker/innen erzählt werden können, die selbst zu keiner Sekunde ihres Lebens mit der DDR selbst konfrontiert waren. So lange kann die rechtsgeschichtliche Forschung indessen nicht warten. Mehrere Gründe sind dafür maßgeblich. Erstens steht mittlerweile fest, dass das „Recht“ der DDR mittlerweile eine abgeschlossene Materie ist: Es führen keine Traditionsstränge aus der „Rechtsordnung“ der DDR hinüber in die Rechtsordnung der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Die wenigen Folgewirkungen, die das „Rechtssystem“ der DDR aufwarf (Restitutionen und Rehabilitationen), sind mittlerweile durchgestritten und weitgehend „erledigt“, und es scheint so zu sein, als habe sich die Hoffnung von Konrad Weiß erfüllt, der einen von Rosemarie Will 1995 herausgegebenen Sammelband „Rechtswissenschaft in der DDR – Was wird von ihr bleiben?“ mit den Worten kommentierte: „Eine merkwürdige Frage. Um sie zu beantworten, muss man kein Buch schreiben, da gibt es nur eine Antwort: hoffentlich nichts.“1 Ganz ungeachtet der Frage, ob die/der Leser/in diese (politische) Meinung teilt oder nicht, verweist sie darauf, dass sich das „Recht“ der DDR inzwischen wie ein in einem Bernstein eingeschlossenes
1 Zitiert nach Jochen Zenthöfer, Die Karriere der SED-Juristin Rosemarie Will. Früher Propagandafunktionärin, heute Verfassungsrichterin, in: Die politische Meinung 392/02, S. 29.
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Achim Seifert, Adrian Schmidt-Recla
Insekt oder wie eine Winterlandschaft in einem Schüttelglas von außen betrachten lässt. Es hat begonnen, sich unwiderruflich von den Einzelschicksalen zu lösen, die es betroffen, beeinflusst, zerstört oder befördert hat. Das mag und muss für die betroffenen Personen schmerzhaft sein. Aber: Damit wird es immer besser möglich, das „Recht“ der DDR aus der Perspektive unabhängiger Beobachter/innen zu beschreiben und eine „Rechts“-Geschichte der DDR zu schreiben. Zweitens droht die Winterlandschaft im Schüttelglas zu erstarren: Die DDR hat als Staat mit funktionierender Staatsgewalt eine Fülle von Quellen hinterlassen, die physisch zu verfallen beginnen, weil sowohl das Medium, auf dem diese Quellen gespeichert sind (das verwendete Papier), schnell altert bzw. vergeht und das Medium, mit denen die Quellen geschrieben worden sind (die verwendete Vervielfältigungstechnik), immer mehr verblasst und mit dem Papier unleserlich eins wird. Hinzu kommt, dass empirische Rechtsquellen (gemeint sind in erster Linie Entscheidungen von Behörden und Gerichten), soweit sie die frühen 1990er Jahre überhaupt überstanden haben, noch immer weitgehend unerschlossen, unregistriert und unsystematisiert in den verschiedensten Archiven lagern. Es ist eine Beobachtung, die viele Doktorand/innen machen: Es ist sehr schwierig zu ermitteln, ob und, wenn ja, wo und wie geordnet rechtstatsächliche Quellen vorhanden sind. Und je weniger Restitutionen oder Rehabilitationen zu bearbeiten sind, umso weniger dringlich wird es auch, diese Quellen zu erschließen. Vergessen droht also, in nicht wenigen Fällen – man denke an die zahlreichen nicht veröffentlichten juristischen Dissertationen – ist sogar der unwiederbringliche Verlust zu befürchten. Und drittens ist auch zu befürchten, dass die Glas- oder Plastikhaube, welche die Beobachter/innen von der Winterlandschaft im Schüttelglas trennt, trübe und blind wird: Je größer der historische Abstand zur lebendigen DDR wird, umso unverständlicher wird die Sprache, mit der „rechtliche“ Vorstellungen, Absichten, Ziele und Zwecke artikuliert wurden. Wer versteht heute noch, warum „Linguistikbriefe“ das „Basis-Überbau-Theorem“ neu konturieren konnten? Was „Hauptaufgabe“ bedeutete? Was „Rowdy“? Oder (ganz fundamental) „sozialistische Gesetzlichkeit“? Die Missverständnisse beginnen sich zu häufen. Schon gibt es wieder „FDJ“-Propagandist/innen, die vor dem VW-Werk in Zwickau (dem ehemaligen Sachsenring-Werk, in dem der Trabant produziert wurde) den Klassenkampf bewerben. Übersetzungsarbeit wird immer nötiger, aber zugleich auch immer schwieriger. Wir müssen uns also aus einer klar formulierten rechtshistorischen Perspektive darum bemühen, Anfangsgründe und begriffliche Voraussetzungen zu benennen, von denen ausgehend Forschungsdesiderate identifiziert werden können und müssen. Das ist auch deswegen mittlerweile dringend nötig, weil es nach einem unmittelbar an die Implosion der DDR anschließenden kurzen Versuch des Vergleichs und der Annäherung in der neuen Bundesrepublik fast ausschließlich Rainer Schröder an
Einleitung
der Humboldt-Universität zu Berlin und Heinz Mohnhaupt am Frankfurter MaxPlanck-Institut für europäische Rechtsgeschichte waren, die zwischen etwa 1995 und 2005 rechtshistorische Forschungen zur DDR, zu ihrem Staats- und „Rechts“Verständnis angeregt haben. Diese Ansätze sind in den vergangenen Jahren mehr oder weniger ausgelaufen, ein breiter Strom von Forschungen ist daraus (noch) nicht entstanden. Der vorliegende Band enthält die zu Aufsätzen ausgearbeiteten Manuskripte von Vorträgen, die am 10. und 11. Oktober 2019 in Jena auf einer Tagung der vom Thüringischen Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz geförderten Forschungsstelle DDR-Recht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena präsentiert worden sind. Damit wollen die Herausgeber die Forschung zur „Rechts“-Geschichte der DDR neu anregen. Es geht in den hier versammelten Beiträgen genau um die eben beschriebene Standortbestimmung, die es zu Beginn erforderlich macht, den geistigen Rahmen, den Bildungshorizont, in dem das „Recht“ der DDR gedacht worden ist, zu beleuchten. Von den Beiträgen zur Jenaer Tagung fehlt in diesem Band lediglich der Festvortrag von Inga Markovits, der sehr deutlich gemacht hat, warum die Diskussion um das „Recht“ in der DDR noch immer schmerzt. Dieser wichtige, Zustimmung und Widerspruch zugleich fordernde Beitrag ist indessen nicht verloren, sondern in der Zwischenzeit (2020) als eigenständige Monographie unter dem Titel „Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Recht und Macht“ im Berliner Ch. Links Verlag erschienen; es sei deshalb an dieser Stelle nachdrücklich auf dieses neue Werk von Inga Markovits hingewiesen. Die Herausgeber dieses Bandes, der die „Jenaer Schriften zum DDR-Recht“ als deren Band 1 eröffnet, hoffen, dass Band und Reihe ebenso wie das genannte Buch von Markovits dazu beitragen, jungen Rechtshistoriker/innen die alten und ewig jungen Fragen ans Herz zu legen: „Was und warum, woher und wofür ist Recht?“
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Michael Ploenus
Gelenkte Erkenntnis Über die gesellschaftswissenschaftliche Schulung an den Universitäten der DDR
1.
Problemstellung1 Ich verstehe, daß mancher von Ihnen nicht gewöhnt ist [,] hier von dieser Stelle aus solche Lektionen zu hören, wie Sie sie heute zu hören bekommen. Sie werden aber in nächster Zeit öfter solche Lektionen hören, und ich glaube es liegt in Ihrem Vorteil, sich zumindest über derartige Lektionen Gedanken zu machen. Das Erziehungswesen, so wie es bisher gewesen ist, ist untragbar, unhaltbar. Und gerade Sie, die Jugend, gerade Sie müssen umerzogen werden.2
Nur neun Tage, nachdem der Jenaer Universitätsbetrieb als erster in der Sowjetischen Besatzungszone offiziell wieder aufgenommen worden war, referierte der Biologe Georg Schneider am 24. Oktober 1945 im Rahmen eines für die Studenten obligatorischen „Demokratischen Kurses“ über die Potsdamer Beschlüsse. Zugleich aber ging es dem KPD-Funktionär Schneider auch darum, die Rolle der deutschen Universitäten im Nationalsozialismus zu kritisieren und das Versagen der deutschen Jugend hervorzuheben. Außerdem lobte er überschwänglich die sowjetische Verfassung – „die anerkannt größte, die demokratischste der Welt“3 , so Schneider.
1 Der vorliegende Beitrag, eine Ausarbeitung meines am 10. Oktober 2019 auf der Tagung „DDR-Recht als rechtshistorischer Forschungsgegenstand“ an der Universität Jena gehaltenen Vortrags, basiert zu einem großen Teil auf den Forschungsergebnissen meiner bereits 2007 veröffentlichten Dissertation. Das bedeutet, dass auch ein Teil des im Folgenden zitierten Quellenmaterials und der sonstigen Einschätzungen, Deutungen und Überlegungen bereits dort entsprechende, zum Teil gleichlautende Erwähnung und Würdigung fand. Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf permanente Verweise zu meiner Arbeit verzichtet. Vgl. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007. 2 Rede Georg Schneiders vor Jenaer Studenten am 24. Oktober 1945, in: Jürgen John u. a. (Hrsg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945. Dokumente und Festschrift, Rudolstadt/Jena 1998, Dokument Nr. 86, S. 317–329, 323. 3 Rede Georg Schneiders vor Jenaer Studenten am 24. Oktober 1945, in: Jürgen John u. a. (Hrsg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945. Dokumente und Festschrift, Rudolstadt/Jena 1998, Dokument Nr. 86, S. 317–329, 326.
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Michael Ploenus
Das Publikum reagierte unruhig, und Studenten quittierten seine Ausführungen mit „Scharren, Gelächter und Zwischenrufen“.4 Diese kleine, aber bezeichnende Episode stand wie ein Menetekel am Anfang des kommunistischen Sturms auf die Festung Wissenschaft, und sie wies in nuce bereits alle Facetten und Merkmale auf, die mit der Implementierung des MarxismusLeninismus (ML) als Leitphilosophie an den Hochschulen der DDR – wie in der ostdeutschen Gesellschaft insgesamt – einhergingen. Dazu ein Interpretationsangebot: Offensichtlich haben wir es in dieser überlieferten Episode schon mit einem bestimmten und klar konturierten Weltbild zu tun, das ex cathedra und mit der sowjetischen Besatzungsmacht im Rücken vermittelt werden soll. Dafür gibt es einen ersten verbindlichen institutionellen Rahmen, hier den „Demokratischen Kurs“. Deutlich wird auch der aus dieser Weltanschauung resultierende selbsterteilte Erziehungsauftrag, der natürlich gerade die jungen Leute als gesellschaftliche Hoffnungs- und künftige Leistungsträger ganz besonders im Blick hat. Das Erziehungsziel ist bei Schneider in seinen Konturen noch unscharf und verbirgt sich hinter der Chiffre „Demokratisierung“. In kommunistischer Lesart wird dabei das sowjetische Vorbild zum stilbildendenden Modell, das auch das Anerkennen ihrer als objektiv gültig apostrophierten Weltanschauung, des Marxismus-Leninismus, impliziert. Ferner ist da eine zwangsverpflichtete, eher unwillige und eigensinnige Zuhörerschaft, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten kritisch reagiert. Und nicht zuletzt haben wir es mit einem linientreuen Propagandisten zu tun, der sein Publikum anscheinend nur mäßig bis gar nicht überzeugen kann und – hier klingt ein repressives Element an – zum Mittel der Drohung greifen muss. Dass die Zuhörer den Saal nicht einfach demonstrativ verließen, deutet zudem an, dass der Pflichtvorlesung wenigstens ein disziplinierender Erfolg beschieden war. (Die Personalie Georg Schneider ist schließlich insofern interessant, als Schneider, später unter anderem Leiter des Jenaer Ernst-Haeckel-Hauses, ein Verfechter des völlig verrückten, aber auf damaliger Parteilinie liegenden Lyssenkoismus5 war. Das wiederum kann als Indiz dafür gelten, dass weltanschauliche Fragen nicht etwa nur rein peripherer Natur waren, sondern auch gegen die erkennbare Wirklichkeit gerichtet sein konnten und nicht einmal vor den exakten Naturwissenschaften Halt machten.) Die Jenaer Veranstaltung vom Oktober 1945 offenbarte bereits am Beginn des sozialistischen Universitätsumbaus das ganze Dilemma, das die weltanschauliche Erziehung in der späteren DDR insgesamt prägte. Insofern sind die folgen-
4 Erklärung des Studentenvertreters Rolf Lindig am 24. Oktober 1945, in: Jürgen John u. a. (Hrsg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945. Dokumente und Festschrift, Rudolstadt/Jena 1998, Dokument Nr. 87, S. 327–329, 327. 5 Vgl. dazu allgemein Johann-Peter Regelmann, Die Geschichte des Lyssenkoismus, Frankfurt a.M. 1980; Shores A. Medwedjew, Der Fall Lyssenko. Eine Wissenschaft kapituliert, Hamburg 1971.
Gelenkte Erkenntnis
den Ausführungen zur Zielsetzung, inhaltlichen Ausgestaltung, äußeren Struktur und Akzeptanz der sogenannten gesellschaftswissenschaftlichen bzw. marxistischleninistischen Schulung hauptsächlich von Studenten, aber dann auch von Doktoranden und Hochschullehrern, nur Variationen des mit dieser Episode skizzierten fundamentalen und permanenten (Vermittlungs)Problems, für das die ehedem Verantwortlichen bis zum Untergang der DDR keine wirkliche Lösung fanden – und finden konnten. Denn dieses Problem bestand in der von oben dekretierten, sanktionsbeschwerten Verbindlichkeit weltanschaulicher Prämissen und Theorien und dem an der Basis ganz anders wahrgenommenen realsozialistischen Alltag – mithin also im klassischen Widerspruch von theoretischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die Fragen hier sind: Welche Funktionen und Aufgaben hatte die weltanschauliche Schulung – im universitären Kontext auch gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium bzw. später marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium genannt –, die ausnahmslos alle Studenten zu durchlaufen hatten, im Verständnis ihrer Verfechter? Wie war dieser Weltanschauungsunterricht organisiert, und was waren seine Lehrinhalte? Und schließlich: Was lässt sich zur Rezeption der Indoktrination sagen?
2.
Die Weltanschauungs- als Erziehungsdiktatur
Die DDR hat nicht erst nach ihrem Untergang zahlreiche, je nach Kontext und Perspektive sinnvolle Etikettierungsversuche erfahren, zum Beispiel „Nischengesellschaft“ (Günter Gaus), „kommode Diktatur“ (Günter Grass), „Fürsorgediktatur“ (Konrad H. Jarausch) oder, analytisch eher unbrauchbar, „Unrechtsstaat“. Um aber zu verstehen, warum der ideologischen Schulungs- und Erziehungsarbeit in der DDR insgesamt ein so hoher Stellenwert beigemessen und sie mit so großem Aufwand und Verschleiß an personellen und materiellen Ressourcen bis zum Ende betrieben wurde, muss sich der Fokus zunächst auf einen viel grundlegenderen Aspekt richten: Die DDR war ihrem Wesen nach eine Weltanschauungsdiktatur. Den Ausführungen des Politologen Lothar Fritze folgend, ist unter Weltanschauungsdiktatur ein „soziales System“ mit vier Merkmalen zu verstehen: (1) die politische Herrschaft ist durch einen einzelnen oder eine Gruppe okkupiert; (2) die politische Willensbildung ist durch die Herrschenden monopolisiert; (3) die politische Willensbildung sowie Strategie und Taktik der praktischen Politik orientieren sich an einer mit Ausschließlichkeit vertretenen und verbindlich vorgeschrieben Weltanschau-
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Michael Ploenus
ung; (4) die Herrschaftsausübung wird über eine weitgehende politische Integration, Disziplinierung und Mobilisierung der Beherrschten organisiert.6
Alle Merkmale treffen zweifellos auf die DDR zu, womit freilich noch nichts über die innerweltliche Reichweite und gesellschaftliche Akzeptanz des ideologischen Diktats selbst gesagt ist. Die Punkte (2) bis (4) der Definition Fritzes verweisen zudem auf den Umstand, dass die Weltanschauungsdiktatur – und das gehört zwingend zu ihrer inneren Logik – zugleich als Erziehungsdiktatur verstanden werden muss. Die weltanschauliche Erziehung verfolgte dabei zuvorderst das Ziel, echte Motivation und ehrliche Überzeugungen bei den zu Erziehenden zu befördern – wenigstens aber ihre unbedingte, kritiklose Loyalität. Weltanschauliche Erziehung impliziert in diesem Sinne ferner die Disziplinierung und Sanktionierung abweichenden Denkens und Handelns, nicht zuletzt auch für die in der SED organisierten Herrschenden selbst, die durch ihre, wie Fritze es schreibt, „intrinsische Selbstbindung“ 7 – hier also an den Marxismus-Leninismus – den ideologischen Prämissen und den daraus resultierenden Forderungen unterworfen waren. Die zahlreichen ideologischen Fallstricke, in denen sich dabei (nicht nur) die Genossen bei ihren eigenständigen diskursiven und orientierenden Denkbewegungen verheddern konnten, hat der Kommunismusforscher Wolfgang Leonhard einmal für den Marxismus-Leninismus alphabetisch aufgelistet. Die inhaltlichen Details und Begründungen der möglichen Abweichungen sind dabei an dieser Stelle gänzlich unerheblich. Allein ihre Fülle spiegelt jedoch eindrucksvoll die extreme ideologische Engführung des eigentlichen weltanschaulichen und politischen Diskurses. Leonhard nennt: Dogmatismus, Dokumenten-Fetischismus, Fatalismus, Formalismus, Fraktionalismus, Gleichmacherei, Großmacht-Chauvinismus, Konservatismus, Kosmopolitismus, Liberalismus, Linksabweichung, Lokalpatriotismus, Nachtrabpolitik, Nationalismus, Nationalkommunismus, Nihilismus, Objektivismus, Rechtsabweichung, Reformismus, Revisionismus, Sektierertum, Sozial-Chauvinismus, Subjektivismus, Talmudismus, Trotzkismus, Zentrismus.8 Mit anderen Worten: Der ideologische Korridor war in der DDR denkbar schmal, deswegen aber auch recht übersichtlich für den Einzelnen, denn er verlief stets entlang der Parteilinie.
6 Lothar Fritze, Verführung und Anpassung. Zur Logik der Weltanschauungsdiktatur, Berlin 2004, S. 27. 7 Lothar Fritze, Verführung und Anpassung. Zur Logik der Weltanschauungsdiktatur, Berlin 2004, S. 28 (Hervorhebung im Original). Fritze sieht hier auch einen Unterschied zu reinen Despotien, zu denen aber auch Weltanschauungsdiktaturen, wie etwa unter Stalin, mutieren könnten. 8 Wolfgang Leonhard, Sowjetideologie heute II. Die politischen Lehren, Frankfurt a.M./Hamburg 1962, S. 311–318. Jede der einzelnen „Verfehlungen“ wird von Leonhard kurz kommentiert. Sicher ist mit Blick auf die Geschichte des ML und der DDR nach 1962 diese Liste zu ergänzen.
Gelenkte Erkenntnis
Erziehungssubjekte waren in der DDR alle Menschen in nahezu allen Lebenslagen, egal ob Kommunisten oder nicht. Es passte demnach ins Bild, wenn irgendwo im Thüringischen in den 1980er Jahren über einer Grundschule auf einem Spruchband programmatisch zu lesen stand: Wir erziehen junge Kommunisten!9
Verräterisch ist dabei vor allem die sicher nicht intendierte sprachliche Ambivalenz. Denn gemeint war natürlich: Wir erziehen junge Menschen zu Kommunisten. Aber zugleich verwies die Parole auf die Permanenz des Erziehungsprozesses selbst. Denn auch wenn aus den jungen Menschen überzeugte Kommunisten geworden sein sollten, wurden sie eben nicht in die geistige und unkontrollierte Selbständigkeit entlassen, sondern gehörten gleichsam weitererzogen – und entsprechend beobachtet und gegebenenfalls reglementiert. Insofern war der Anspruch der Weltanschauungsals Erziehungsdiktatur ein totalitärer, der die gesamte Lebensspanne des aktiven Menschen umfasste.10 „Unsere Ideologie durchdringt alle Sphären des Lebens“ – so lapidar umriss das Politbüromitglied Werner Lamberz diesen Anspruch in einem Beitrag über die „wachsende Rolle der sozialistischen Ideologie“.11 Folglich durchdrang auch der aus diesem Anspruch resultierende institutionalisierte Erziehungsprozess alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Inga Markovits hat in einem Aufsatz speziell mit Blick auf die Juristenausbildung in der DDR von „sozialistische[r] Rundumerziehung“12 gesprochen. Das ist eine stimmige Charakterisierung, die aber hier im Sinne der totalitären Weltanschauungs- als Erziehungsdiktatur über die Universität bzw. die sonstigen Bildungseinrichtungen hinaus zum reinen Nennwert genommen und also auf die gesamte DDR und den ihr zugrunde liegenden Erziehungsgedanken bezogen werden muss. Leitbild dieses Gedankens war die sogenannte allseitig gebildete Persönlichkeit, die neben jeweiliger fachlicher Kompetenz fest auf sozialistische Wert- und Normvorstellungen eingeschworen sein sollte. Unter dem Lemma
9 Der Verfasser erinnert sich aus eigener Anschauung noch an dieses Spruchband, vermutlich in Bad Klosterlausnitz. Bestätigt hat diese Erinnerung der Journalist Michael Tetzlaff, der, nur ein Jahr jünger, in derselben Region aufwuchs, in einem autobiographischen Buch. Vgl. Michael Tetzlaff, Ostblöckchen. Neues aus der Zone, Frankfurt a.M. 2004, S. 62. 10 Vgl. dazu auch Lothar Fritze, Verführung und Anpassung. Zur Logik der Weltanschauungsdiktatur, Berlin 2004, S. 34 f. 11 Werner Lamberz, Die wachsende Rolle der sozialistischen Ideologie bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1972, S. 12. 12 So zitiert nach Christian Booß, Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, S. 249.
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„kommunistische Erziehung“ hieß es dazu im „Kleinen politischen Wörterbuch“ des Dietz Verlags: Von besonderem Gewicht ist die Herausbildung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und der auf ihr beruhenden kommunistischen Moral, weil diese der Persönlichkeit zu umfassender gesellschaftlicher Sicht verhelfen und ihr jene Gerichtetheit und Festigkeit geben, die für aktives, zielbewußtes und schöpferisches Handeln im Interesse des Sozialismus und Kommunismus unerläßlich sind.13
Was eher spielerisch schon mit den entsprechend imprägnierten Beschäftigungsangeboten der Kindergärten begann,14 wurde in den Schulen systematisch und quer durch alle Fächer vorangetrieben,15 in der durchorganisierten Freizeitgestaltung weiter vertieft – und in der Berufs- und Universitätsausbildung nur auf dem nächsthöheren Niveau und mit größerer Intensität und Verbindlichkeit fortgesetzt. Wer also die Universität als Studienanfänger betrat, hatte bereits einen langen Prozess der ideologischen Formung, der zugleich als Selektionsprozess verstanden werden muss, absolviert, war mit dem Inventar der sozialistischen Weltanschauung bestens vertraut – und kannte die daraus resultierenden Spielregeln, um in der DDR Karriere machen zu können. Studieren galt als Privileg, das nur um den Preis des Wohlverhaltens und des gesellschaftlichen Engagements zu erhalten war. Christian Booß hat in seiner umfangreichen Studie zur Geschichte der DDRAnwälte die vielen Stationen beschrieben, die ein potentieller Student der Rechtswissenschaft zu durchlaufen hatte, bevor er zum Studium zugelassen wurde.16 Gute Noten reichten dabei keineswegs. Die Gerichte meldeten Bedarf an, in den erweiterten Oberschulen wurde dann entsprechend gesichtet, und es wurden fachlich wie politisch geeignete Abiturienten ausgemacht. Männliche Kandidaten hatten sich zudem „freiwillig“ für einen dreijährigen Dienst in der NVA zu verpflichten. Eignungsgespräche, die in Verantwortung der Gerichte standen, flankierten diesen Prozess und fragten politische Einstellungen ebenso ab wie Verwandtschafts- oder sonstige Beziehungen ins kapitalistische Ausland. Die engagierte Mitgliedschaft
13 Kleines politisches Wörterbuch, hrsg. von einem Autorenkollektiv, 3. überarbeitete Auflage, Berlin 1978, S. 451. 14 Vgl. etwa Jeanette Toussaint/Ralf Foster, Die Kinderzeitschrift Bummi. Vom Spielzeugland in die ostdeutsche Wirklichkeit, Reckahn 2017. 15 Für das in diesem Zusammenhang besonders wichtige Fach Staatsbürgerkunde vgl. Anja Kirsch, Weltanschauung als Erzählkultur. Zur Konstruktion von Religion und Sozialismus in Staatsbürgerkundeschulbüchern der DDR, Göttingen 2016. 16 Vgl. Christian Booß, Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, S. 251–255.
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in allerlei Massenorganisationen wurde gleichsam vorausgesetzt, ebenso die Bereitschaft, der SED beizutreten. Es folgte später eine vom Ministerium der Justiz organisierte schriftliche Prüfung, wobei es sich im Kern um einen „Gesinnungstest“17 handelte, in dem der angehende Student seine Prinzipienfestigkeit unter Beweis zu stellen hatte. An dieser Hürde scheiterten viele Interessenten. Nach dieser Prozedur gab es ein weiteres – im doppelten Sinne des Wortes zu verstehendes – Einstellungsgespräch, das dann zur Vorimmatrikulation führte. Die eigentliche Universitätszulassung stellte die nächste Hürde da. Auch hier wurde, wie Booß herausarbeitet, vor allem auf die politisch-ideologischen Überzeugungen Wert gelegt, weniger hingegen die fachliche Eignung überprüft. Alle Maßnahmen gingen zudem mit bekenntnishaften Selbstverpflichtungserklärungen einher. Wer den Selektionsprozess schließlich erfolgreich gemeistert hatte, stand dann freilich nur vor der nächsten ideologischen Hürde, die zu nehmen war. Die wichtigste und zeitintensivste war dabei ganz sicher das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium.
3.
Funktion und Aufgaben der Institute für Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der DDR18
Welche Funktionen hatte speziell der universitäre Ideologietransfer in Form eines obligatorischen Grundlagenstudiums, und welche Aufgabe kam den eigens dafür geschaffenen Instituten für Marxismus-Leninismus zu?19 Unabhängig von allen
17 Vgl. Christian Booß, Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, S. 251–255, 253. Booß listet hier einige der Prüfungsthemen auf: „,Begründen Sie die Notwendigkeit der führenden Rolle der SED in Staat und Gesellschaft!‘, ‚Worin sehen Sie den Sinn des Sozialismus?‘ oder ‚Beweisen Sie: ‚Die sozialistische Demokratie ist millionenfach demokratischer als jede Form der bürgerlichen Demokratie‘ (Lenin)‘.“ 18 Die Beispiele und Zitate beziehen sich auf die Friedrich-Schiller-Universität Jena, zu der der Verfasser gearbeitet hat (siehe Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007). Sie sind allerdings typisch für das grundsätzliche Selbstverständnis der ML-Institute aller Universitäten und Hochschulen der DDR. Die zentralistische Erziehungspolitik der DDR ließ praktisch keine regionalen oder lokalen Differenzen zu. 19 Die Institute haben entlang den Hochschulreformen Umbenennungen erfahren. Aus Instituten für Gesellschaftswissenschaften wurden Institute für Marxismus-Leninismus, ab 1968 dann Sektionen für Marxismus-Leninismus. An den grundsätzlichen Aufgaben änderte sich dabei nichts, und auch der Personalstamm blieb im Wesentlichen der gleiche. Ebenso wurde aus dem gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudium das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium. Auch seine Aufgaben und Inhalte blieben im Wesentlichen gleich. Da der vorliegende Beitrag nicht die organisatorischen und inhaltlichen Ziselierungen im Blick hat, kann der Leser alle Begriffsvarianten als synonym verstehen.
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Etikettenwechseln, pädagogischen Experimenten, situativen Akzentuierungen oder sonstigen Anpassungen gab es für die ML-Institute eine zentrale Aufgabe: die Vermittlung des Marxismus-Leninismus in seinen Bestandteilen Dialektischer und Historischer Materialismus, Politische Ökonomie des Sozialismus und des Kapitalismus und Wissenschaftlicher Sozialismus/Kommunismus. Einfacher ausgedrückt, und genau so wurde es auch mehrheitlich erfahren, ging es freilich darum, die Politik der SED lehrend zu legitimieren und gleichsam philosophisch über die Exegese der Schriften von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin entsprechend zu fundieren. Noch einfacher: Es ging im Kern um Propaganda. In einer frühen Jenaer Entschließungsvorlage aus dem Jahre 1954 hieß es entsprechend deutlich zur Aufgabe des Instituts: Wir sind die Propagandisten der Partei an der Universität. Und unsere Aufgabe besteht nicht darin, den Marxismus-Leninismus abstrakt zu vermitteln, sondern den Studenten anhand unseres Vorlesungsstoffes und in den Seminaren die Beschlüsse unserer Partei und Regierung zu erläutern und sie zu aktiven Kämpfern für ein einheitliches, friedliebendes, demokratisches Deutschland zu erziehen.20
Präziser und knapper lässt sich das Wesen der ML-Institute und damit des Ideologietransfers selbst kaum zusammenfassen. Zwar war das hier annoncierte Ziel der Einheit Deutschlands schon bald kein Thema mehr, doch war damit ja ohnehin nur verklausuliert ein einheitliches sozialistisches Deutschland nach Vorbild der DDR gemeint. Im Entwurf einer Rahmengeschäftsordnung für alle ML-Institute aus dem Jahre 1960 hieß es etwas ausführlicher zum vornehmlichen Zweck der Einrichtungen: Partei und Regierung haben die Aufgabe gestellt, die Universitäten und Hochschulen der DDR zu sozialistischen Universitäten und Hochschulen umzugestalten. Bei der Lösung dieser Aufgabe spielen die Institute für Marxismus-Leninismus eine besonders wichtige Rolle. Sie müssen ein Zentrum des Marxismus-Leninismus und ein zuverlässiges Instrument der Partei an den Universitäten und Hochschulen sein. Ihnen obliegt die marxistisch-leninistische Bildung und Erziehung der Studenten […] in engster Verbindung mit der Politik der Partei der Arbeiterklasse. Sie haben einen maßgeblichen politisch-ideologischen Einfluß auf den Lehrkörper der Hochschule zu nehmen.21
20 Entschließungsvorlagen zur Auswertung des IV. Parteitages der SED in den Grundorganisationen des Instituts, April 1954. Universitätsarchiv Jena (UAJ), S. XXV, Nr. 76 (unpag.). 21 Entwurf einer Rahmen-Geschäftsordnung der Institute für Marxismus-Leninismus, ohne Datum (1960). SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/904/73, Bl. 113.
Gelenkte Erkenntnis
Die konkreten curricularen Erziehungsziele, die aus diesem dekretierten Selbstverständnis resultierten, kann man quasi jedem Rahmenlehrprogramm entnehmen. Zusammengefasst ließ sich das für das Studienjahr 1964/1965 so vernehmen: 1. Festigung der wissenschaftlichen Weltanschauung bei den Studenten; Erziehung zu einem festen Klassenstandpunkt; den Marxismus-Leninismus als Orientierungsgrundlage für das persönliche Leben vermitteln; 2. Erkenntnis der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens; Klarheit über die Anwendung des Marxismus-Leninismus als methodische Grundlage des späteren Berufs; Vermittlung der Wissenschaftlichkeit der Politik der Partei; 3. Erziehung der Studenten zu bewussten Staatsbürgern der DDR, die als künftige verantwortliche Funktionäre den Kampf um die Verwirklichung des Programms des Sozialismus zu ihrer eigenen Sache machen; 4. Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft gegen Angriffe bürgerlicher Ideologen; Förderung der Auseinandersetzung mit bürgerlichen Ideologien.22
Selbst eine konzentrierte Synopse aller Lehrprogramme für das Grundlagenstudium zwischen der „Zweiten Hochschulreform“ von 1951, dem offiziellen Start des obligatorischen Ideologietransfers, und dem Herbst 1989 wird außer in heute nur schwer verständlichen Nuancierungen keine wirklichen Unterschiede im Hinblick auf diese Erziehungsziele und das Selbstbild aufweisen. Die ML-Institute verstanden sich in diesem Erziehungsprozess als propagandistische Speerspitze, als sozialistische Avantgarde und als Gralshüter der Parteilehre. Ilko-Sascha Kowalczuk ist darin zuzustimmen, dass die Institute im Wesentlichen Disziplinierungs- und Unterdrückungsinstrumente der SED in den Hochschulen waren und ihre Existenz mithin der „Etablierung einer Ideologiepolizei“ mit Kontrollfunktion gleichkam.23 Es ging der SED und ihren universitären Parteieinrichtungen zuvorderst um Macht und Einfluss an den Hochschulen selbst. Die Aufgabe der Institute bestand also in der über die Lehre/Propaganda zu gewährleistenden Herrschaftssicherung und legitimierung, nicht aber in der kritischen Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Fragen an sich; und wenn, dann letztlich nur, um die schwankenden und zweifelnden Diskutanten schließlich erfolgreich und „geläutert“ auf die Parteilinie zurückzuführen. Das Ergebnis jedweder ideologischen oder tagespolitischen Diskussion in Vorlesungen und Seminaren stand von vornherein
22 Rahmenprogramm für das Studium des Marxismus-Leninismus im Studienjahr 1964/65. UAJ, BC, Nr. 523, Bl. 87 f. Es handelt sich um eine Paraphrase. 23 Ilko-Sascha Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 172 f.
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fest – und mündete, um es plakativ zu formulieren, in die berühmt-berüchtigte und vertonte Devise von Louis Fürnberg: Die Partei, die Partei, die hat immer recht …
Herrschaft darf hier im doppelten, aufeinander bezogenen Sinn verstanden werden: als reale politische Herrschaft der SED ohne Alternative und als ebenso alternativlose geistige Herrschaft ihrer Weltanschauung. Herrschaft, zumal als repressive und disziplinierende Herrschaft verstanden, greift als alleinige Funktion der kommunistischen Ideologie in der DDRGesellschaft allerdings zu kurz. Das eigentliche Ziel bestand vielmehr darin, die Massen für den Sozialismus wirklich zu gewinnen, zu mobilisieren, den Marxismus-Leninismus als Erkenntnismatrix fest in den Köpfen zu verankern und seine sinngebende Rolle zu forcieren.24 Disziplin und Widerspruchslosigkeit waren in diesem Sinne nur die absoluten Minimalziele der ideologischen Schulung. Als eine Art säkularer Glaubenslehre ging es im maximalen und eigentlichen Anspruch vielmehr darum, Menschen heranzubilden und zu erziehen, „deren persönliche Überzeugungen von der marxistisch-leninistischen Weltanschauung geprägt werden und die als Patrioten ihres sozialistischen Vaterlands und proletarische Internationalisten fühlen, denken und handeln“.25 Wollte man den Sinn des gesamten Ideologietransfer auf eine einfache Formel bringen, dann diese: bedingungslose Liebe zum Sozialismus und zur DDR einerseits, unversöhnlicher Hass auf den Klassengegner und seine Weltanschauung andererseits.26 An dieser Grundkonzeption änderte sich bis in den Herbst 1989 hinein nichts.
4.
Zu Organisation und Inhalten der marxistisch-leninistischen Schulung an der Universität
Zahlreiche Änderungen erfuhr indes die Organisation der universitären Schulungsarbeit. Hochschulpolitik war zunächst keine besonders bevorzugte Domäne der
24 Zu den Funktionen des ML siehe zusammenfassend Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 41–48. 25 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 5 (Hervorhebung durch den Verfasser). 26 Tatsächlich tauchen die Begriffe „Liebe“ und „Hass“ im Kontext des sozialistischen Erziehungsgedankens des Öfteren in den offiziellen und internen Verlautbarungen auf.
Gelenkte Erkenntnis
Kommunisten nach 1945, was sich unter anderem auch aus ihrer Geschichte als Arbeiterpartei ergab. Es fehlte nicht am Willen zur schnellen Umstrukturierung der Hochschulen, wohl aber an ausreichend qualifizierten Kadern – ein Problem, das noch weit bis in die 1960er Jahre hinein bestehen blieb. Mit der Unterstützung der Sowjetischen Besatzungsmacht gelang es aber, Stück für Stück in die bürgerliche Festung Wissenschaft einzudringen – institutionell und ideologisch. Zwar meinte Paul Wandel, damals Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung im April 1946: Die Einführung des Marxismus und Leninismus ist nicht die Forderung des Tages, aber es muß die Ausschaltung der Lehren der deutschen Arbeiterbewegung aufhören.27
Doch genau darum ging es schon – zumindest mittelfristig, denn eine Weltanschauung wie der Marxismus-Leninismus konnte neben sich keine anderen Ansichten, und diese schon gar nicht als gleichrangig oder gleichberechtigt, gelten lassen. Bis zur sogenannten „Zweiten Hochschulreform“ von 1951 haben wir es mit einer Serie von organisatorischen Improvisationen zu tun, mit denen versucht wurde, die kommunistische Ideologie innerhalb der Universitäten über eine obligatorische Lehre zu etablieren. Am Anfang standen die bereits eingangs erwähnten „Demokratischen Kurse“, die jeder neuimmatrikulierte Student zu absolvieren hatte und die aktuell-politische, aber auch theoretische und weltanschauliche Fragen berührten. Zwanzig Stunden waren dafür vorgesehen. Diese Kurse resultierten nicht zuletzt aus dem Entnazifizierungsgebot der Potsdamer Konferenz.28 Ausgebaut wurden diese dann zu einer obligatorischen Vorlesungsreihe zu „Politischen und sozialen Problemen der Gegenwart“ ab November 1946, die mit 68 Stunden über zwei Semester zu belegen waren. Mit dem „Gesellschaftswissenschaftlichen Minimalprogramm“ von 1950 erfolgte ein weiterer Übergangsschritt, der dann schließlich 1951 in das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium mündete, das später als marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium firmierte und bis 1989 Bestand hatte. Mit Blick auf Jena – und Jena hatte eine Vorreiterrolle – ist ferner zu sagen, dass hier mit der Gründung des Instituts für dialektischen Materialismus im Oktober 1946 ein absolutes Novum in der Hochschullandschaft geschaffen wurde, das gleichsam den Startschuss zur Institutionalisierung des ML in der späteren DDR gab – ein zunächst eher symbolischer Startschuss, denn mehr als ein Papiertiger war das Institut nicht.
27 Paul Wandel in einer Jenaer Rede vom 24. April 1946. UAJ, Z, Nr. 34 (unpag.). 28 Vgl. dazu Karl-Heinz Füssl, Die Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges 1945–1955, Paderborn u. a. 1994.
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Schon anders verhielt es sich mit den auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration 1947 errichteten Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten an den Universitäten Jena, Leipzig und Rostock, deren Gründung erfolgte, um den großen Bedarf an zuverlässigen Funktionären und parteitreuen Kadern decken zu können – den Bedarf an überzeugten Kommunisten also, die, so hieß es, „fähig sind, die begonnene demokratische Umgestaltung Deutschlands zu vollenden und zu festigen“.29 Zwar konnte der Lehrbetrieb nur unter großen Schwierigkeiten realisiert werden,30 doch waren diese Einrichtungen erste „Inseln des Sozialismus“31 innerhalb des traditionellen universitären Gefüges und ein wichtiges „Experimentierfeld kommunistischer Hochschulpolitik“32 . Viele der Absolventen arbeiteten danach in den Instituten für Marxismus-Leninismus und prägten die Ausgestaltung der marxistisch-leninistischen Lehre an den Universitäten und Hochschulen der DDR. Im Fokus der universitären Erziehungs, Überzeugungs- und Kontrollarbeit der ML-Institute stand zuvorderst immer die Studentenschaft. Sukzessive aber erweiterte sich der Kreis der Adressaten. Wieder zeigte sich die Universität Jena besonders innovativ, als hier die Genossen 1967 eine spezielle Abendschule für Hochschullehrer initiierten, die sich später zu einem landesweiten System der marxistischleninistischen Weiterbildung für Hoch- und Fachschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden auswuchs – ganz im Sinne des weiter oben skizzierten „Weitererziehens“.33 Zur Abendschule für Professoren etwa hieß es in einer Anweisung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen: Ausgewählte Kader sind zur Teilnahme […] zu delegieren.
Dabei sei auf „bewährte Formen“ zu setzen, also etwa:
29 Befehl Nr. 333 des Obersten Chefs der SMAD über die Gründung von Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten an den Universitäten Leipzig, Jena und Rostock vom 2. Dezember 1946, in: Gottfried Handel/Roland Köhler (Hrsg.), Dokumente der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zum Hoch- und Fachschulwesen, Berlin 1975, S. 56–60, 60. 30 Vgl. dazu Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 82–102. 31 Hans-Uwe Feige, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät an der Universität Leipzig (1947–1951), in: Deutschland Archiv 5/1993, S. 572–583, 583. 32 Markus Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947–1951. Experimentierfeld kommunistischer Hochschulpolitik in SBZ und früher DDR, Leipzig 2004. 33 Vgl. dazu Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 237 f.
Gelenkte Erkenntnis
dem Einsatz der qualifiziertesten Lehrkräfte, der interdisziplinären Zusammensetzung der Teilnehmer, der Durchführung […] von Intensivlehrgängen bei internatsmäßiger Unterbringung, der hohen Praxisverbundenheit durch Exkursionen und dem konstruktiven Arbeitsklima einer aktiven Mitgestaltung der Lehrgangsprogramme durch die Teilnehmer.34
Man sollte sich diese Maßnahme bildlich vorstellen. Gestandene Hochschullehrer etwa aus Bereichen wie Medizin, Biologie oder Maschinenbau wurden hier, internatsmäßig untergebracht, zur durchaus auch disziplinierend verstandenen Weiterbildung verpflichtet, um etwa zu Themen wie „Strategie und Taktik der SED bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR“ oder „Geschichte und Politik der KPdSU“ Rede und Antwort zu stehen.35 Nur wenige dürften eine solche Verpflichtung als besondere Ehre empfunden haben. Auch in der Doktorandenausbildung wurden vertiefte Erkenntnisse des Marxismus-Leninismus erwartet. Ein entsprechendes Seminar war regelmäßig zu besuchen. Der Entwurf von 1972 sah dafür einen Leseumfang von insgesamt 3509 Seiten vor.36 Kaum zu glauben, dass dies jemand ernsthaft bewältigte – oder neben seinen eigentlichen fachlichen Forschungen bewältigen wollte. Am Ende stand als Prüfungsleistung etwa eine benotete Hausarbeit an, die in die Promotionsnote einfloss. „Was ist sozialistische Lebensweise?“,37 hieß beispielsweise die Aufgabenstellung von Angela Merkel, die mit „rite“38 bewertet wurde. Was waren nun die eigentlichen und für die Studenten verbindlichen Inhalte und Ziele des Grundlagenstudiums? Aus dem bereits zur Funktion der MarxismusLeninismus Gesagten dürfte klar geworden sein, dass der Weg zu weltanschaulichen Erkenntnissen Ergebnisoffenheit nicht vorsah. Die Zielrichtung der Schulung war allen schon von klein auf indoktrinierten Beteiligten von Anfang an klar und setzte
34 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Sonderdruck zu den Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen. Anweisung Nr. 15/1987, Berlin 1987, S. 5. 35 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Sonderdruck zu den Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen. Anweisung Nr. 15/1987, Berlin 1987, S. 6. 36 Stellungnahme Walter Scharfenbergers zum Entwurf des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen einer Leseliste für die Weiterbildung von Doktoranden vom 6. November 1972. UAJ, Nr. 852 (unpag.). Scharfenberger differenzierte in seiner Kritik zwischen 839 durch das Grundlagenstudium vorausgesetzten und 2670 für die Doktoranden neu zu studierenden Seiten Lektüre. 37 Vgl. Gerd Langguth, Angela Merkel. Aufstieg zur Macht. Biografie, 2. Auflage, München 2007, S. 116. 38 Spiegel online vom 31. Januar 2010, Merkels Promotionsnoten. Glänzend in Physik, mäßig in der Ideologie, (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/merkels-promotionsnoten-glaenzend-inphysik-maessig-in-der-ideologie-a-675061.html, abgerufen am 29.06.2020).
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die bisherige Erfahrung auf der nächsten Stufe nur mit mehr Aufwand fort. Es ging im Prinzip um die gelenkte Erkenntnis, nach der sich die je aktuelle Parteipolitik in bester Harmonie mit ihren selbst definierten, als gesetzmäßig verstandenen weltanschaulichen Grundlagen befand. Das Grundlagenstudium, bestehend aus Vorlesungen, Seminaren und Konsultationen, vermittelte in vier Studienjahren die drei sogenannten Hauptbestandteile des Marxismus-Leninismus, so wie sie Ende der 1930er Jahre von Josef Wissarionowitsch Stalin kanonisiert worden waren. Im ersten Studienjahr stand mit 84 Stunden der Kurs Dialektischer und Historischer Materialismus an, der naturphilosophische Fragen und die materialistische Geschichtsauffassung nach Marx, Engels und Lenin behandelte. Im zweiten Studienjahr war der Kurs Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus zu absolvieren, in dem es um „Grundkenntnisse und weltanschauliche Konsequenzen des Inhalts und der Wirkungsweise der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus und des Sozialismus“39 ging, im Umfang von 100 Stunden. Im dritten und vierten Studienjahr folgte schließlich mit insgesamt 116 Stunden der Kurs Wissenschaftlicher Kommunismus/Grundlehren der Geschichte der Arbeiterbewegung, der das Ziel hatte, „Grundkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten, Bedingungen und geschichtlichen Lehren des Kampfes der Arbeiterklasse für den Übergang der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus und für die Entwicklung des Sozialismus bis zur Errichtung der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft“40 zu vermitteln. Das machte zusammen 300 Stunden, wobei die vor- und nachbereitende Lektüre hinzuzuzählen war.41 Sonstige Unterweisungen durch die FDJ-Schulungsarbeit oder die ideologisch imprägnierten Inhalte des Fachstudiums selbst (gerade in den Gesellschaftswissenschaften) müssen im Grunde genommen hinzugerechnet werden. Christian Booß hat errechnet, dass 1982 in der Juristenausbildung gerade einmal „55 Prozent der gesamten Studienzeit dem fachspezifischen Unterricht“ gewidmet gewesen seien.42 Insofern durfte das ML-Studium dem Umfang nach als ein unfreiwilliges und zeitintensives Zweitfach gelten. Die ersten beiden Kurse
39 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 19. 40 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 32. 41 Zugrunde gelegt wurde hier das ML-Studienprogramm von 1977. Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 32. 42 Christian Booß, Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, S. 249.
Gelenkte Erkenntnis
endeten jeweils mit einer Zwischenprüfung (mündlich oder schriftlich), nach dem dritten Kurs erfolgte dann die Hauptprüfung (mündlich). Die Studienprogramme und anleitungen legten minutiös fest, was alles im Einzelnen „erkannt“ und verstanden werden sollte. Ein typisches Beispiel dazu, hier aus dem Jahre 1977, sei angeführt. Der Kurs Dialektischer und Historischer Materialismus hatte unter anderem die Ziele: den Studenten den wissenschaftlichen und erkenntnisoptimistischen Charakter der philosophischen Theorie des Marxismus-Leninismus und deren gesellschaftliche Funktion als Ausdruck der Interessen der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei bewußt zu machen und ihr Denken und Handeln philosophisch-weltanschaulich zu orientieren, den Studenten die Grundlagen der materialistischen Geschichtsauffassung zu vermitteln und sie zu der Erkenntnis zu führen, daß die revolutionär-praktische Veränderung durch die Arbeiterklasse auf der Grundlage objektiver Entwicklungsgesetze erfolgt
oder: die Studenten zu befähigen, sich offensiv und parteilich mit idealistischen Auffassungen auseinanderzusetzen sowie den unwissenschaftlichen und reaktionären Charakter des Antikommunismus, Antisowjetismus, Nationalismus, Sozialreformismus sowie des Revisionismus und ultralinker Theorien aufzudecken.43
Die Zitate machen deutlich: Unabhängige intellektuelle Einsichten und Erkenntnisse lagen nicht in der Absicht der Initiatoren. Das betraf natürlich in gleicher Weise die Kurse Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus und Wissenschaftlicher Kommunismus/Grundlehren der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die Zielvorstellungen waren detailliert vorgegeben und liefen im Kern ausnahmslos auf ebenso redundante wie plakative Dichotomien hinaus, auf die stete normative Gegenüberstellung von Sozialismus (richtig) und Kapitalismus (falsch) in allen denkbaren Nuancen und Facetten – und ohne jedwede Berücksichtigung gesellschaftlicher Realitäten. Es wimmelte von ehernen und absoluten Begriffen wie „objektive Notwendigkeit“, „historische Mission“, „Gesetzmäßigkeiten“, die jeden Zweifel, jeden alternativen Gedanken a priori in Luft auflösen sollten. Der detaillierte Blick in das Lehrprogramm macht zudem deutlich, dass man es mit einer insgesamt wenig erbaulichen, ja ermüdenden Materie zu tun hatte; und
43 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 11 f.
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das nicht etwa, weil dieses oder jenes philosophische, ökonomische oder realpolitische Problem, weil dieses oder jenes Seminar, dieser oder jener Dozent gänzlich uninteressant gewesen wäre, sondern weil sich die Genossen die zweckfreie und offene Diskussion von vornherein verbaten. Die abzuarbeitende Leseliste verstärkt diesen Eindruck. Die Lektüre bestand aus sogenannten Klassikertexten (Marx, Engels, Lenin), speziellen offiziellen Kurslehrbüchern und aktueller Parteiprogrammatik.44 In gesamtgesellschaftlich eher weniger wichtigen oder gar irrelevanten Außenbereichen der Weltanschauung mochte im Grundstudium noch Platz für philosophische und sonstige (Spezial)Diskussionen sein, in Fragen des zentralen weltanschaulichen Kernglaubens – und um den ging es in erster Linie – faktisch nie. Und dieser Kernglaube, wie ihn etwa der intime ML-Kenner und Dominikanerpater Joseph Maria Bochenski beschrieben hat,45 umfasste eine Reihe von weitreichenden und verbindlichen Dogmen, die stets aufs Neue repetiert und langatmig exegetisch hergeleitet wurden: Es gibt keinen Gott, der Sozialismus wird notwendigerweise siegen, der Kapitalismus ist gesetzmäßig dem Untergang geweiht, der MarxismusLeninismus ist die einzige wissenschaftliche Weltanschauung usw. Und außerdem galt: Je näher ein Gebiet zur praktischen Politik steht, desto stärker ist die Kontrolle (z. B. Kritik des Kapitalismus).46
Und genau hier lag auch die Krux der ML-Schulung überhaupt. Das für alle Beteiligten letztlich intellektuell Dürftige und Ermüdende resultierte aus dem Absolutheitsanspruch der propagierten Weltanschauung selbst, die sich gegen jede Kritik immunisiert hatte. Der ehemalige Jenaer ML-Dozent Herbert Schwab bilanziert im Rückblick bitter:
44 Vgl. Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977, S. 43–46. Zur Parteiprogrammatik von 1977 gehörten Texte wie: Leonid Iljitsch Breschnew, XXV. Parteitag der KPdSU. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, Moskau 1976; Erich Honecker, Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED, Berlin 1976; SED, Programm der SED (IX. Parteitag), Berlin 1977; Autorenkollektiv, Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Leipzig 1974. 45 Joseph M. Bochenski, Marxismus-Leninismus. Wissenschaft oder Glaube, 2. Auflage, München 1974, S. 48–52. 46 Joseph M. Bochenski, Marxismus-Leninismus. Wissenschaft oder Glaube, 2. Auflage, München 1974, S. 52.
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Das konstitutive Merkmal der Stalinschen Ideologie war nicht so sehr ihr Inhalt, sondern ihre vollständige Institutionalisierung und absolute Reglementierung. Von nun ab gab es eine unbestrittene höchste Autorität, die in allen ideologischen Fragen das letzte Wort hatte. Die ‚Abteilungen für Wissenschaft‘ bestimmten bis in die Sprachregelungen hinein die Linie in Lehre und Forschung. Die verheerenden Folgen nicht nur auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften […] sind uns allen wohl noch in guter Erinnerung.47
5.
Anmerkungen zur Rezeption des Grundlagenstudiums
Bisher hatte dieser Beitrag vor allem die normative, curriculare Seite des Grundlagenstudiums im Fokus. Die weitaus spannendere Frage ist aber sicherlich, wie sich Lehranspruch und Lehrwirklichkeit im Alltag zueinander verhielten. Für Gewi bin ich halt zu dumm, / schlage vergebens im Kapital mich herum./Und gänzlich ohne Bildungsgefahr / ist für mich das Gewiseminar,
frotzelten 1956 in einem Sketch Studenten beim legendären Jenaer Physikerball. Es wälzt sich die Basis, der Überbau kracht, / dann wird’s bei mir dunkel, dann wird’s bei mir Nacht.48
Das hätten auch Studenten der 1980er Jahre noch so reimen können. Das MLStudium wurde – sehr zum Leidwesen der Lehrenden – mit größtmöglichem Pragmatismus und minimalem Aufwand betrieben, so wie es die Umstände vor Ort gerade zuließen. Es wurde vor allem als Zeitverschwendung empfunden. Die „Bildungsgefahr“ war für die allermeisten daher tatsächlich gering. Von Nachhaltigkeit der Schulungen konnte auch keine Rede sein. Die Lehrerin Sabine Hädicke erinnert sich an ihr ML-Studium: Ob ich zu dieser Thematik jetzt noch irgendetwas sagen könnte? Viel käme da wohl nicht mehr zusammen. […] Da von uns meist nur rein philosophisches Wissen aus
47 Herbert Schwab, Von Marx über den Marxismus, den Leninismus zum Marxismus-Leninismus. Hauptstationen der Mutation und Derivation einer Jahrhundertdoktrin, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1/1994, S. 33–47, 45. 48 Peter Herrmann/Heinz Steudel/Manfred Wagner (Hrsg.), Der Physikerball 1956. Vorgeschichte – Ablauf – Folgen, Jena 1997, S. 34. „Gewi“ bedeutet Gesellschaftswissenschaft bzw. gesellschaftswissenschaftlich.
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den Büchern sowie allgemeines „Bla, bla, bla“ verlangt wurde, bin ich halbwegs damit zurechtgekommen.49
Zwar hatte die Quantität der ideologischen Schulung über die Jahrzehnte zugenommen, doch schlug die Masse der Katechismen eben nicht in die gewünschte Qualität um. Die Klagen über das Grundlagenstudium rissen über die Jahrzehnte nicht ab – auf beiden Seiten des Katheders. Die Berichte darüber wiederholten sich. Die internen Auswertungen des Instituts für ML zu Lehrarbeit und Lehrerfolgen sind eine über Jahrzehnte anhaltende Jeremiade über die unwilligen, verstockten und vor allem diskussionsfreudigen Studenten.50 Denn viele nutzten die ungeliebten Seminare, um die Dozenten mit simplen Versorgungsproblemen des Alltags oder auch Widersprüchen in der Gesellschaft (zum Beispiel Rolle bzw. Benachteiligung der Intelligenz in der DDR, Schwäche der Planwirtschaft und Überlegenheit der Marktwirtschaft, Demokratiedefizite im Sozialismus) zu konfrontieren, oft in die Frageform gekleidet, was nicht nur argumentativ schwächere Kollegen in arge Bedrängnis bringen konnte. Die entsprechenden Studienjahresanalysen der ML-Institute, die diese Fragen und Kritiken akribisch erfassten, lesen sich wie eine dauernde Mängelliste. Vor allem gegen die Passivität der Mehrheit und den Unwillen der Studenten, den ML in ihren Alltag zu integrieren und zur Denkgrundlage zu machen, war kein ideologisches Kraut gewachsen. Fazit eines Jenaer Dozenten aus dem Jahre 1971, das durchaus stellvertretend stehen kann: Von einem Haß auf den Imperialismus kann noch keine Rede sein.51
Eine letzte zusammenfassende Impression dazu aus dem Frühsommer 1989, also kurz vor dem Ende der DDR; die Freiberger Studentin Martina Ell schreibt in ihren Erinnerungen: An diesem Tag hatten wir wieder einmal ein ML-Seminar, das Thema konnte passender kaum sein. Es ging darum, nachzuvollziehen, daß sich der Sozialismus in der DDR bewährt hatte. Natürlich gab es nun lebhafte Diskussion, wie ein solches System sich wohl bewährt haben könne. Doch ging es uns dabei mehr darum, die aktuellen Entwicklungen
49 Sabine Hädicke, Lehrjahre. Erinnerungen an den sozialistischen Schulalltag, Jena u. a. 2000, S. 93. 50 Vgl. dazu detailliert Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 167–173 oder S. 257–273. 51 Studienjahresanalyse für das Studienjahr 1970/71. 1. Entwurf vom 9. Juni 1971. UAJ, S/I, VII, Nr. 22 (unpag.). In meiner Dissertation irrtümlicherweise als UAJ, S/I, VII, Nr. 1 angegeben. Vgl. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 269.
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verstehen zu wollen, als pauschal die nur zu gut bekannten Mißstände zu verurteilen. Die Reaktionen der noch sehr jungen und rhetorisch nicht allzu geübten Assistentin, die das Seminar leitete, waren allerdings erschütternd einfach: Doch, der Sozialismus habe sich bewährt, wiederholte sie immer wieder. Ihre Argumente waren spärlich, nicht mehr als die üblichen Schlagworte jener Zeit, weil dem Sozialismus eben gesetzmäßig die Zukunft gehöre. Aber sie fand keine einzige Erklärung, überzeugen konnte sie niemanden, nicht einmal mehr die Genossen Studentinnen und Studenten. Selbstverständlich spielten neue Gedanken in der ML-Hauptprüfung dann auch keine Rolle.52
Wann immer es möglich war, sich den ML-Katechismen und Exegesen zu entziehen, entzog man sich. Der heute vielleicht populärste ostdeutsche Jurist, Gregor Gysi, schildert in seiner Autobiographie, wie er dem obligatorischen ML-Seminar im Rahmen seiner Doktorandenausbildung, das einmal im Monat stattfand, entkam. Nach seiner ersten Teilnahme stellte er fest: Begriffen habe ich damals nur und zwar sehr schnell, dass ich mich in diesen Seminaren nicht wohlfühlte. Ich beschloss, nicht mehr daran teilzunehmen. Als Grund gab ich an, im Rechtsanwaltskollegium am Parteilehrjahr teilzunehmen, dies genüge doch. Das wurde akzeptiert. Im Rechtsanwaltskollegium wiederum entschuldigte ich mich hinsichtlich des Parteilehrjahres mit der Beteiligung am Doktorandenseminar. Das wurde dort ebenfalls akzeptiert. Mir gefiel diese Idee.53
Als die Zeit der Prüfung anstand, fragte er bei seinem Professor nach, worauf er sich besonders vorbereiten solle. Er gab mir mit dem Ausdruck wärmsten Entgegenkommens eine verblüffend klare Antwort: Ja, dieses Besondere könne und wolle er mir gern nennen. Und dann kam’s: Ich möge mich auf die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die marxistisch-leninistische Philosophie, die politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus und den wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus vorbereiten – das genüge vollauf. Ich bedankte mich herzlich und dachte ein wenig darüber nach, dass die Freude an der Schlagfertigkeit blitzartig gedämpft wird, wenn sie einen selber trifft.54
52 Martina Ell, Erinnerungen an das Studentenleben in den 80er Jahren, in: Rektor der TU BA Freiberg (Hrsg.), Technische Universität Bergakademie Freiberg. Festgabe zum 300. Jahrestag der Gründung der Stipendienkasse für die akademische Ausbildung im Berg- und Hüttenfach zu Freiberg in Sachsen, Freiberg 2002, S. 223–226, 226. 53 Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie, Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2019, S. 133. 54 Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie, Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2019, S. 135.
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Michael Ploenus
Die Prüfung selbst stellte sich dann recht unproblematisch dar: Nachdem ich aufgerufen worden war und den Prüfungsraum betrat, stellte ich eine Schwäche von Professor Kröber fest, die mir nicht ganz unbekannt ist. Er redete gern. Einverstanden, sollte er reden. Er schenkte mir Zeit, indem er sie mir nahm. Er stellte mir eine Frage aus der Ethik der Organtransplantation, wir diskutierten eine Weile. Da ich dem Professor gern zuhörte, nur gelegentlich etwas einwarf und selber etwas erzählte und dann wieder er redete, verstanden wir uns ausnehmend gut. Er entließ mich mit der Note „Magna Cum Laude“, also „Sehr gut“.55
Bei aller Selbstinszenierung Gysis lässt sich doch konstatieren, dass die Prüfungen im ML im Endeffekt für die allermeisten keine allzu große Hürde darstellten. Die Durchfallquoten waren niedrig. Die mit großem organisatorischem Aufwand am Laufen gehaltene Weltanschauungs- und Erziehungsdiktatur steckte letztlich in einem Dilemma. Denn die DDR brauchte eben fachlich gut ausgebildete Ärzte, Anwälte oder Ingenieure, auf die sie nach jahrelanger, teurer Ausbildung wegen schlechter ML-Kenntnisse nicht einfach verzichten konnte. Vorgeschützte Loyalität, Disziplin und Lippenbekenntnisse im Sinne eines „Unterwerfungsrituals“ genügten in aller Regel zum erfolgreichen Bestehen von Prüfungen. Der angedeutete notorisch laxe und bisweilen Grenzen auslotende Umgang der Studenten mit dem ML-Studium darf allerdings nicht als aktiv widerständiges Verhalten missverstanden werden. Insofern funktionierte die Erziehungsdiktatur im Grunde genommen bis zum Schluss. Arno Hecht, ein scharfer Kritiker der Transformationsprozesse nach 1989/1990, merkt zu Recht zur Passivität der Hochschulintelligenz an: Eine nennenswerte Systemopposition existierte nicht. In ihrer Masse verhielt sie sich gegenüber SED und Staat loyal und ließ Zustimmung zum Grundanliegen der sozialistischen Gesellschaft, dem Aufbau einer sozial gerechten Gesellschaft erkennen. Trotzdem nahm die kritische Haltung wegen der zunehmenden materiellen Mängel und der Begrenzung bürgerlicher Freiheit zu, ohne sich laut zu artikulieren.56
55 Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie, Aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2019, S. 136. 56 Arno Hecht, Die Wissenschaftselite Ostdeutschlands. Feindliche Übernahme oder Integration?, Leipzig, 2002, S. 227.
Gelenkte Erkenntnis
6.
Kurze Schlussbemerkungen
Doch bei allem Unmut, der sich auch im und gegen das Grundlagenstudium und die ideologische Bevormundung äußerte, blieben die längst internalisierten Spielund Sprachregeln der Weltanschauungsdiktatur bis weit in den Herbst 1989 hinein unberührt und gültig. Insofern war die Erziehungsdiktatur zwar nicht in ihrem Anspruch, die Herzen und Köpfe zu gewinnen, wohl aber mit Blick auf die Disziplinierung der Universitäten und Hochschulen durchaus erfolgreich. Und so verwunderte es nicht, wenn diese sich im Herbst 1989 „alles andere als ein Hort der Opposition und auch nicht eng mit der Bürgerbewegung verknüpft“ erwiesen.57 Das Grundlagenstudium verschwand einfach sang- und klanglos – und wurde keineswegs von einem studentischen Proteststurm hinweggefegt. Für Jena lässt sich nicht einmal ein offizielles Datum für das Ende ausmachen. Die Macht der SED war gebrochen, der ML damit obsolet. Niemand ging mehr in die Veranstaltungen. Die ideologische Schulung hatte einfach aufgehört. Niemand trauerte ihr nach. Der Historiker Stefan Wolle hat einmal geschrieben, die Menschen hätten sich damals nur kurz geschüttelt, „wie Hunde, die ins Wasser gefallen sind, und hatten all das ihnen mühevoll Eingebläute vergessen“.58 Das ist sicher ein schönes und auf den ersten Blick auch schlüssiges Bild. Der Marxismus-Leninismus ist als sinngebende Welterklärungsmatrix erledigt. Als originäre Parteilehre kann er auch keine intellektuell freischwebende Weltanschauung sein und führt heute ein kümmerliches Dasein in marginalisierten Parteien und Organisationen. Doch die Frage bleibt, ob und, wenn ja, welche subkutanen Langzeitfolgen die dauernde „Rotlichtbestrahlung“ hatte und ob nicht doch zahlreiche Ideologeme und weltanschauliche Versatzstücke in der politischen und mentalen DNA der Ostdeutschen überlebt haben.
57 Renate Mayntz, Die Erneuerung der ostdeutschen Universitäten zwischen Selbstreform und externer Intervention, in: dies. (Hrsg.), Aufbruch und Reform von oben. Ostdeutsche Universitäten im Transformationsprozeß, Frankfurt a.M./New York 1994, S. 283–312, 284. 58 Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989, 2. Auflage, Bonn 1999, S. 130.
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Hans-Peter Haferkamp
Richterausbildung in der DDR
1.
Zu diesem Text
Der vorliegende Text stammt in seiner Ausgangsform aus dem Jahr 1997. Wenn ich dem Vorschlag der Herausgeber für eine überarbeitete Version dennoch gefolgt bin, dann deshalb, weil er das Schicksal weiter Teile der rechtshistorischen Forschung zur DDR teilt:1 In den Wendejahren rückte das Thema schon deshalb in den Blick, weil in den neuen Ländern nun eine Ausbildungsreform durchgeführt wurde.2 Mit der Enquete-Kommission3 begann die „Aufarbeitung“ der DDR und damit eine Phase, in der Forscher aus dem „Westen“ vor allem die Bereiche des Themas untersuchten, die besonders problematisch waren.4 Beteiligte Rechtswissenschaftler aus
1 Hierzu Hans-Peter Haferkamp, Rainer Schröder als DDR-Forscher, in: Hans-Peter Haferkamp/ Jan Thiessen/Christian Waldhoff, Deutsche diktatorische Rechtsgeschichten?, Tübingen 2018, S. 7–12. 2 Detlef Berg, Juristenausbildung in der DDR, in: JuS 1990, S. 333–355; Harald Dörig, Juristenausbildung in der DDR, in: JA 1990, S. 218–223; ders., Anerkennung juristischer Abschlüsse aus der DDR, in: NJW 1990, S. 889–891; Gunter Greve/Heiko Wagner, Ausbildung und Fortbildung der Juristen in der DDR; Karl-Heinz Lehmann/Ulrike Lehmann, DDR-Juristenausbildung im Wandel, in: DA 1990, S. 747–750; Stephan Junker, Juristenausbildung in der früheren DDR, in: ROW 1990, S. 331–334; direkten Bezug zur Gegenwart der HU-Berlin auch noch bei Rainer Schröder/Fred Bär, Zur Geschichte der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: KJ 1996, S. 447–465. 3 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450; parallel: Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 123–136. 4 Dies betraf vor allem die „Volksrichter“: Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997; zusammenfassend ders., Volksrichter in der SBZ/DDR (1945–1952), in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert ‒ der Fall DDR, Berlin 1996, S. 95–112; Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993; Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 351–378; Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, 399–450, 415; Andreas Gängel, Die Volksrichterausbildung, in: Im Namen des Volkes. Über die Justiz im Staat der SED. Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Wissenschaftlicher Begleitband, Leipzig
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Hans-Peter Haferkamp
der ehemaligen DDR kamen dabei nur selten zu Wort.5 Seit Mitte der 1990er Jahre gab es erste aktengestützte Gesamtdarstellungen, wozu mein damaliger Text neben der parallel an der FU Berlin erscheinenden Dissertation von Malgorzata Liwinska6 gehörte. Gleichzeitig differenzierte sich die Forschung aus und untersuchte einzelne Universitäten7 und Einzelthemen8 . Mit einer letzten Überblicksdarstellung im Osteuropaprojekt des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte im Jahr 19999 schlief die rechtshistorische Forschung zur DDR weitgehend ein, sieht man von Inga Markovits ab, die vom fernen Texas aus weiterhin konstant zur DDR-Rechtsgeschichte publizierte.10 Eine überarbeitete Zweitfassung mag also dazu dienen, das Thema wieder zu beleben. Das passt in die in diesem Sammelband dokumentierte, sehr begrüßenswerte Zielrichtung der Forschungsstelle DDR-Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena.
2.
Richter im „Soforteinsatz“
Während in den Westzonen11 nach 1945 an die Juristenausbildung vor 1933 angeknüpft wurde, gingen die SBZ und später die DDR konsequent andere Wege.
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1994, S. 47–56; Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995. Immerhin Horst Schröder, Bemerkungen zur 2. Hochschulreform der DDR, in: Gerd Bender/ Ulrich Falk, Recht im Sozialismus, Frankfurt a.M. 1999, Bd. 2: Justizpolitik, S. 487–506. Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997. Thorsten Hüls, Die Juristenausbildung an der Universität Halle. Von den Anfängen bis zur Neugründung der Juristischen Fakultät im Jahr 1993, Göttingen 1997; zur HU-Berlin Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 204 ff.; Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997; Stefan Gerber, Zur Ausbildung der Diplomjuristen an der Hochschule des MfS (Juristische Hochschule Potsdams), Berlin 2000. Johannes Mierau, Die juristischen Abschluß- und Diplomprüfungen in der SBZ/DDR, Frankfurt a.M. 2000; Mathias Voigt, Staats- und Rechtswissenschaftliche Forschungsplanung zwischen II. und III. Hochschulreform. Anspruch und Wirklichkeit am Beispiel der Humboldt-Universität zu Berlin, Hamburg 2013. Steffen Schröder, Die Juristenausbildung in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk, Recht im Sozialismus, Frankfurt a.M. 1999, Bd. 2: Justizpolitik, S. 441–486. Die nun erschienene Studie zur Humboldt-Universität von Inga Markovits konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden: Inga Markovits, Diener zweier Herren, DDR-Juristen zwischen Recht und Macht, Berlin 2020; zu diesem Buch inzwischen meine Rezension in: Rg 29, 2021, S. 379 ff. Vgl. hierzu nur Joachim Rückert, Abbau und Aufbau der Rechtswissenschaft nach 1945, in: NJW 1995, S. 1251–1259.
Richterausbildung in der DDR
Wenn das Recht ein Werkzeug einer Diktatur des Proletariats war, dann konnte die weitgehend bürgerlich geprägte Justiz so nicht weiterbestehen. Es lag in der Logik des Sozialismus, dass noch 1945 damit begonnen wurde, die übernommene Justiz gegen sozialistische Kader auszuwechseln. Die „Erste Hochschulreform“ 194512 war daher auch der am sowjetischen Vorbild orientierte Versuch, die Juristenausbildung den bürgerlichen Klassen zu entziehen. Sie war eigentlich gerade keine Hochschulreform, weil sie weitgehend außerhalb der Hochschulen stattfand. Stattdessen verankerte sie die Idee eines sozialistischen Lehrgangsstudiums, in Gruppen und in internatsgleichen Rahmenbedingungen im Ausbildungssystem der SBZ. Im Frühjahr 1945 kam es in weiten Teilen des Reiches zum „Stillstand der Rechtspflege“ (§§ 203 BGB a.F., 245 ZPO).13 Noch im Mai begannen die Sowjets mit dem Wiederaufbau der Justiz.14 Von vornherein standen hierbei Personalprobleme im Zentrum des Interesses. Die personellen Säuberungen der nationalsozialistischen Vorkriegsjahre und die Verluste des Krieges hatten dazu geführt, dass viele Planstellen bereits 1945 nicht mehr besetzt waren. Hinzu kamen die rigorosen Entnazifizierungspläne der Sowjets. In Befehl Nr. 49 der SMAD vom 4. September 1945 wurde angeordnet, dass „bei der Durchführung der Reorganisation des Gerichtswesens sämtliche frühere Mitglieder des NSDAP aus dem Apparat der Gerichte und der Staatsanwaltschaft zu entfernen sind, ebenso Personen, welche an der Strafpolitik
12 Die Zählung ist nicht einheitlich. Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 68 datiert die „Erste Hochschulreform“ auf die Vorläufige Arbeitsordnung der Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands aus dem Jahr 1949; meist wird aber der SMAD Befehl Nr. 50 vom 04.09.1945 zur Wiedereröffnung und Entnazifizierung der Hochschulen herangezogen, vgl. etwa Horst Schröder, Bemerkungen zur 2. Hochschulreform der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk, Recht im Sozialismus, Frankfurt a.M. 1999, Bd. 2: Justizpolitik, S. 492. Die erste offizielle Benennung hat die „Zweite Hochschulreform“ von 1951. 13 Vgl. nur Michael Stolleis, Rechtsordnung und Justizpolitik 1945–1949, in: ders., Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1994, S. 247–275, 255; Rosemarie Will, Die rechtliche Situation in der Ost-Zone und in der jungen DDR, in: Rainer Schröder (Hrsg.), 8. Mai 1945 ‒ Befreiung oder Kapitulation (= Berliner Juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 4), Berlin 1997, S. 71–91. Der Regelungsgedanke von § 203 BGB a.F. ist seit 2001 in § 206 BGB unter „höherer Gewalt“ enthalten. 14 Allgemein noch immer Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 42 ff.; regional: Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1949), München 1989, S. 132 f.; Friedrich Scholz, Berlin und seine Justiz. Geschichte des Kammergerichtsbezirks 1945–1980, Berlin 1982, S. 6 ff., sowie Fred Bär, Die Berliner Justiz in der Besatzungszeit am Beispiel der Ziviljustiz am Amtsgericht Berlin-Mitte im Jahre 1948, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 31–87; Ernst Reuß, Berliner Justizgeschichte. Eine rechtstatsächliche Untersuchung zum strafrechtlichen Justizalltag in Berlin von 1945–1952, dargestellt anhand der Strafgerichtsbarkeit des Amtsgerichts Berlin-Mitte, Berlin 2000.
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unter dem Hitlerregime unmittelbar teilgenommen haben“.15 Von den etwa 2400 im Mai 1945 im Justizdienst tätigen Richtern und Staatsanwälten hatten knapp 80 Prozent das Parteibuch der NSDAP.16 Schon im Oktober 1945 führte eine erste Entlassungswelle17 in der SBZ zur Entfernung von 811 Richtern, das entsprach etwa 90 Prozent der NS-belasteten Richter. Bis 1948 erhöhte sich diese Zahl auf 905. Damit betrug die verbliebene Belastung18 in der Richterschaft im September 1948 4,8 Prozent.19 Zur Erreichung des Mindestsolls für die Einrichtung einer funktionsfähigen Justiz fehlten Ende 1945 bereits etwa 40 Prozent der Richter.20 Die örtlichen Kommandanten versuchten, die Lücke durch „Richter im Soforteinsatz“ zu schließen. Regional unterschiedlich21 übernahmen juristisch halb- oder ungebildete Kommunisten und „bewährte Antifaschisten“ die Rechtsprechung. Ende 1945 waren – sichere Zahlen fehlen – nach offizieller Darstellung etwa 25 Prozent der Richter „im Soforteinsatz“.22 Dies (wie auch die Heranziehung von Pensionären, Rechtsan15 Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945–1949, Berlin 1968, S. 142 f. Der Kontrollrat ließ die formelle Mitgliedschaft zwei Monate später nicht genügen und forderte „Mitglieder der Nazipartei, die sich aktiv für deren Tätigkeit eingesetzt haben“ (Art. IV des Kontrollrats-Gesetzes Nr. 4 vom 30.10. 1945, Amtsblatt des Kontrollrats für Deutschland 1945–48, S. 22 f.; ähnlich bereits Punkt III. A. 6. des Potsdamer Abkommens, abgedruckt in: Das Potsdamer Abkommen. Dokumentensammlung, Berlin 1984, S. 182 f.). Nähere Bestimmung dieser Voraussetzungen in Direktive Nr. 24 vom 12.01.1946, abgedruckt in: Ruth-Kristin Rößler, Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945–48, Goldbach 1994, S. 64 f.; zu den Auswirkungen ebd., S. 20 f. 16 Zahlen bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 138 f. 17 Durchgesetzt hat sich die Einteilung der Entnazifizierung in vier Phasen durch Wolfgang Meinicke, Die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone 1945–1948, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1984, S. 968–979, 969. 18 Nach SMAD-Befehl 204 vom 23.08.1947 (bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 143) genügte ganz allgemein Mitgliedschaft in der „Nazipartei“ und den „ihr angeschlossenen Gliederungen“, also auch Zugehörigkeit zu HJ oder BdM. 19 Zahlen nach Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 144. 20 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 150. 21 Thüringen und Sachsen sowie Berlin, zunächst noch unter amerikanischer Besatzung, blieben anfangs noch überwiegend von Juristen besetzt; vgl. Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 47 f. ‒ eine andere übergreifende Darstellung fehlt bisher; zu Berlin: Friedrich Scholz, Berlin und seine Justiz. Geschichte des Kammergerichtsbezirks 1945–1980, Berlin 1982, S. 10 ff.; Zeitzeugenberichte veröffentlicht in der NJ 1955, S. 267–270: Aus der ersten Zeit des Aufbaus unserer Justiz. 22 Helmut Anders/Kurt Görner/Hiltrud Kamin, Der Kampf der Arbeiterklasse um die Demokratisierung der Justiz, in: NJ 1973, S. 65, 66; Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der
Richterausbildung in der DDR
wälten23 und Referendaren) konnte die Personalkrise jedoch nicht dauerhaft lösen. Infolge mangelhaften juristischen Wissens schieden bis 1946 zudem viele dieser „Richter im Soforteinsatz“ wieder aus dem Justizdienst aus.24 Es blieb daher ein jährlicher Neubedarf von etwa 200 Richtern und Staatsanwälten.25 Die Rekrutierung und Ausbildung des Rechtsstabes entwickelte sich zum zentralen Problem im Aufbau eines sozialistischen Justizsystems bis in die 1960er Jahre.
3.
„Volksrichter“
Nahegelegen hätte es, die Universitäten dem dringenden Bedarf anzupassen. Ende 1945 begannen die Fakultäten in Berlin, Leipzig, Halle, Jena und Rostock mit der Ausbildung von Juristen.26 Sieht man von den Vorgaben der Sowjets ab, na-
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DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 90, kommt auf 22 Prozent; die Zahlen von Benjamin übernimmt – hier wie auch sonst ‒ ungeprüft Steffen Schröder, Die Juristenausbildung in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk, Recht im Sozialismus, Frankfurt a.M. 1999, Bd. 2: Justizpolitik, S. 442 f. Als sog. Hilfsrichter im (unbezahlten) Ehrendienst. Hierzu Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 6. Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 152. Grundlage war Befehl Nr. 50 der SMAD vom 04.09.1945. Hierzu: Ralf Rytlewski, Entwicklung und Struktur des Hochschulwesens in der DDR, in: Oskar Anweiler u. a., Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik, Köln/ Bonn 1990, S. 414–424; Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biografie der DDR, Kiel 1993, S. 2ff.; Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1949), München 1989, S. 183 ff.; Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 183 ff.; Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 402. Die Universität Greifswald wurde nur ohne Rechtswissenschaftliche Fakultät wiedereröffnet, vgl. Dirk Breithaupt, a.a.O., S. 37 ‒ unrichtig insofern Dieter Gräf, a.a.O. Die Juristische Fakultät der Universität Rostock wurde am 20. Oktober 1950 auf Anweisung des Ministeriums für Volksbildung wieder geschlossen; Nachweise bei Dirk Breithaupt, a.a.O., S. 38.; zur vorherigen juristischen Ausbildung Horst Hoffmann, Zu einigen Problemen der antifaschistisch-demokratischen Hochschulreform und der Geschichte der Universität Rostock in den ersten drei Nachkriegssemestern (März 1946 bis Juli 1947), Rostock 1965, S. 59 ff., 208 ff.; zur Universität Jena: Manfred Heinemann, Die Wiedereröffnung der FriedrichSchiller-Universität Jena im Jahre 1945, in: Dieter Voigt/Lothar Mertens, DDR-Wissenschaft im Zwiespalt zwischen Forschung und Staatssicherheit (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung 45), Berlin 1995, S. 11–44; Otto Gebhardt, Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Jena 1958.
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tionalsozialistisch belastete Mitglieder des Lehrkörpers auszusondern,27 fand die Ausbildung hier bis 1949 von sozialistischen Einflüssen jedoch relativ unbehelligt statt.28 Die Universitäten blieben zunächst in einer Schattenlage. Unverändert gestalteten sich dort die Zulassungsvoraussetzungen der Studenten. So waren von den im Januar 1948 immatrikulierten rund 1800 Jurastudenten ca. 80 Prozent politisch belastet29 ‒ und damit mit nur geringer Chance auf spätere Zulassung als Richter.30 Paradoxerweise resultierte dieses relative Nischendasein aus dem Misstrauen der SED und der SMAD gegenüber der „bürgerlichen“ universitären Ausbildung.31 Hinzu kam, dass die Universitäten aufgrund ihrer traditionellen Ausbildungsstruktur die benötigten Absolventenzahlen nicht schnell genug bereitstellen konnten.32 In der bereits ab August 194533 tätigen Deutschen Justizverwaltung (DJV) wurden zunächst verschiedene Alternativen diskutiert.34 Am 14. November 1945 erhielt die DJV von der SMAD die Anweisung zur Einrichtung von sechsmonatigen Lehrgängen für die Ausbildung von „Personen, die keine juristische Ausbildung besitzen, aber überprüfte Demokraten im antifaschistischen Kampfe sind“.35 Nach sowjetischem Vorbild sollten somit „Volksrichter“ die Rechtsprechung übernehmen.36 Schon im März 1946 begann in Sachsen der erste Volksrichterlehrgang.37 Bis 1951 wurden unter der Ägide der Landesjustizverwaltungen landesunterschiedlich bis zu sieben derartige Lehrgänge durchgeführt und knapp 1300 Richter und Staatsanwälte
27 Dazu Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biografie der DDR, Kiel 1993, S. 2 ff., 68 ff. (Berlin), 93 f. (Leipzig), 106 f. (Jena), 123 ff. (Halle). 28 Ein Gespräch mit einem ehemaligen Studenten (1947–1949) der Humboldt-Universität zu Berlin bestätigte dies. 29 Insbesondere ehemalige Mitglieder von HJ und BdM sowie Offiziere der Wehrmacht. 30 Zahlen bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 183; vgl. auch Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1949), München 1989, S. 162 f. (Gesamtzahl hier 1400). 31 Vgl. Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 7 f. 32 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 152. 33 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 5 ff. 34 Genaue Herausarbeitung der Positionen durch Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 152 ff. 35 Schreiben Karassjows an Schiffer, bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 154. 36 Ergänzende Zahlen zum Nachfolgenden bei Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 11 ff. 37 Hierzu Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 13–38.
Richterausbildung in der DDR
ausgebildet.38 Ende 1951 kamen knapp 60 Prozent der Richter in der DDR aus Volksrichterlehrgängen.39 Die Dauer der Lehrgänge betrug zunächst zwischen sieben und acht Monaten40 und verlängerte sich 1947 auf ein Jahr. Trotz Erarbeitung eines Rahmenstudienplanes durch die DJV41 forderten die ersten Lehrgänge hohen improvisatorischen Aufwand.42 Probleme bereitete von Anfang an die Rekrutierung der Teilnehmer. Die Auswahl erfolgte zumeist durch Vorschlag einer Partei, später auch einer Massenorganisation wie dem FDGB.43 Die Kurse sollten aus „Personen beiderlei Geschlechts aus der Zahl der aktiven Antifaschisten, die mindestens die Volksschulbildung besitzen und über 25 Jahre alt sind“,44 zusammengesetzt werden. Die besondere Werbungsaktivität der SED45 führte dazu, dass regelmäßig etwa 80 Prozent der Teilnehmer der SED angehörten.46 Eine beständige Forderung der SMAD war es, die Zahl der Teilnehmer aus der Arbeiterschaft zu erhöhen.47 Knapp die Hälfte der Kandidaten des ersten Lehrganges hatte daher nur einen Volksschulabschluss.48 Der gedrängte Stoff sowie die oftmals ungewohnte Lernsituation führten dazu, dass im ersten
38 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 156. 39 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 160. 40 Die zunächst geplante Lehrgangsdauer von sechs Monaten konnte nicht eingehalten werden, nicht zuletzt deshalb, weil sich die avisierte Zweiteilung der Ausbildung in entweder Straf- oder Zivilrecht nicht durchsetzte, also beides gelehrt werden musste, vgl. Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 18ff.; Lehrpläne S. 155 ff. 41 Der DJV oblag somit die methodische Leitung sowie die Aufstellung der Schulungspläne, den Ländern dagegen die Auswahl der Teilnehmer und Lehrgangsleiter und die Finanzierung der Kurse. 42 Vgl. die Schilderung vom damaligen Generalstaatsanwalt Josef Streit, Zur Entwicklung der Rechtspflege in der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1978, S. 238–240, 239. Streit hatte am 2. Volksrichterlehrgang in Mecklenburg teilgenommen. 43 Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 358. 44 Anordnung der SMAD vom 14.12.1945, abgedruckt bei Andreas Gängel, Die Volksrichterausbildung, in: Im Namen des Volkes. Über die Justiz im Staat der SED. Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Wissenschaftlicher Begleitband, Leipzig 1994, S. 48. 45 Vgl. Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 41 f. 46 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 161. 47 Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 360. 48 Zahlen bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 158.
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Lehrgang nur 57 Prozent der Teilnehmer die Abschlussprüfung bestanden.49 Dies führte zu Kritik von Seiten der SMAD, die um die hinreichende Berücksichtigung von Arbeitern fürchtete und der DJV vorwarf, dass der „Ausschluss eines großen Teils der Teilnehmer unbegründet erfolgt“ sei.50 Dem erfolgreichen Beispiel des sächsischen Bad Schandau folgend, setzte es sich bis 1949 durch, die Ausbildung in Internatsschulen durchzuführen.51 Der Unterricht fand morgens in Vorlesungen statt, nachmittags folgten vertiefende Seminare. Das Wissen wurde in stoffbegleitenden Klausuren abgefragt. Ergänzend fanden Arbeitsgemeinschaften statt.52 Dem mangelnden Lehrmaterial53 versuchte die DJV ab 1948 durch sogenannte Unterrichtsbriefe entgegenzuwirken.54 Der Einfluss der politischen Schulung blieb zunächst gering. Das hierfür vorgesehene Fach Rechtssoziologie beanspruchte bis 1949 nie mehr als etwa 4 Prozent der Gesamtstundenzahl.55 Hinzu kam, dass es zwar formell bereits seit 1946 der SED oblag, den Lehrplan hierfür „nach marxistischem Gesichtspunkt“ auszuarbeiten, ein solcher Plan den Lehrgängen wegen organisatorischer Probleme jedoch erst im November 1947 zuging.56 Auch fehlte es zunächst noch an geeigneten Dozenten.57 Die politische Bedeutung der Volksrichterausbildung hatten SED-Juristen wie Hilde
49 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 157. Insgesamt errechnet Amos eine Abbrecherquote von einem Drittel und eine Quote der nicht bestandenen Prüfungen von 40 Prozent, a.a.O., S. 166. 50 Verfügung der SMAD vom 09.04.1947, BA DP1 VA Nr. 7088. Vgl. auch Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 37. 51 1949 existierten insgesamt fünf Internate mit siebzig haupt- und nebenamtlichen Lehrkräften, vgl. Andreas Gängel, Die Volksrichterausbildung, in: Im Namen des Volkes. Über die Justiz im Staat der SED. Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Wissenschaftlicher Begleitband, Leipzig 1994, S. 52; Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 31 f. 52 Vgl. die Interviews mit Zeitzeugen bei Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 173–196. 53 Verzeichnis der Bibliothek in Bad Schandau bei Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 167 ff. 54 Themen bei Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 364, sowie Otto Hartwig, Die Fortbildung der Absolventen der Lehrgänge für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1948, S. 78–79, 79. 55 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 166 f. 56 Zitat Karl Polak auf der Juristenkonferenz im August 1946 in Berlin und Daten bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 45 f. 57 Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 46.
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Benjamin dabei bereits 1946 erkannt.58 In einem unveröffentlichten Referat verwies sie auf die besondere Aufgabe der Richterschaft in dieser Umbruchsphase. Da mit einer „grundlegenden allgemeinen neuen Gesetzgebung zurzeit nicht zu rechnen“ sei, obliege es in besonderem Maße der Rechtsprechung, „durch die richtige Auslegung und Handhabung der Generalklauseln tatsächlich alle die Fälle zu erfassen, denen die Gesetzgebung nicht mehr gerecht werden kann“.59 Die Frage, „welche Richtschnur für die Richter gilt, bei den Entscheidungen, die sie frei vom Gesetz zu sprechen haben“, beantwortete sie unmissverständlich: Die politischen Forderungen [der KPD und SED vom 20./21. Dezember 1946] über die Ausgestaltung des Staates [sind] zugleich die Forderungen, denen die Rechtsprechung zu entsprechen hat.
Nicht nur die politische Ausrichtung der Rechtsprechung, sondern weitergehend der Austausch der Facheliten wurde von Benjamin schon zu diesem Zeitpunkt als Ziel der Justizreform hervorgehoben: Diese Feststellung [eines Sofortbedarfs von mindestens 800 Richtern] bedeutet nun aber nicht den Bankrott der Justiz, sondern es ist der Umstand, der uns für unsere Forderungen des Neuaufbaus der Justiz, der Demokratisierung der Richterschaft und damit der Rechtsprechung die entscheidende Chance gibt. Demokratisierung der Richterschaft bedeutet, dass nicht eine Schicht, sondern alle Schichten des Volkes und insbesondere alle Schichten des werktätigen Volkes, das ja die weitaus größte Mehrheit bildet, auch diese Richterschaft bilden.
Bis 1948 ließen zunächst die politischen Rahmenbedingungen eine gezielte Ideologisierung der Volksrichterausbildung nicht zu. Es fehlte der SMAD an einem über die grundsätzliche Forderung nach verstärktem Heranbilden von Volksrichtern hin-
58 Hilde Benjamin, Zur Kaderfrage in der Justiz, o.D. (aufgrund des zeitlichen Bezuges zwischen 21.04. und 13.05.1946), unveröffentlicht; abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 125–133, hier 125 f. 59 Das Generalklauselkonzept blieb freilich Episode. Seit den 1950er Jahren wertete insbesondere das OG der DDR offensiv politisch alte Gesetze um, vgl. Hans-Peter Haferkamp, Begründungsverhalten des Reichsgerichts 1933–1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 2000, Bd. 2, S. 15–50; Verena Knauf, Die Zivilentscheidungen des Obersten Gerichts der DDR 1950–1958, Berlin 2007.
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ausgehenden, klaren Konzept.60 Die damit in den Vordergrund gerückte DJV stand bis 1948 unter der Vorherrschaft der „bürgerlichen“ Kreise um Eugen Schiffer,61 der in der Frage der Volksrichter eine gemäßigte Position vertrat und insbesondere auf eine gute juristische Ausbildung der Volksrichter den Schwerpunkt legte.62 Das Jahr 1948 brachte die Wende hin zur verstärkt ideologisch ausgerichteten Ausbildung der Volksrichter.63 Nach Schiffers Abschiedsgesuch übernahm im August 1948 mit Max Fechner der Stellvertretende Vorsitzende der SED die Leitung der DJV. Schon auf der Tagung des SED-Parteivorstandes im Januar 1948 hatte er eine Forcierung der Demokratisierung der Justiz angemahnt und klargestellt, die Volksrichter seien „unsere schlagkräftigste Waffe gegen den alten Justizapparat“.64 Auf der zweiten Juristenkonferenz vom 25. bis 26. November 1948 wiederholte er diese Forderungen.65 Unter anderem66 wurde die Überarbeitung der Lehrpläne zwecks stärkerer Politisierung des Unterrichts beschlossen. Der am 31. Januar 1949 von der DJV herausgegebene neue Lehrplan67 für die Lehrgänge zur Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten räumte der gleichzeitig eingeführten „Gesellschaftskunde“ einen wesentlich breiteren Raum ein als der bisher diesen Stoff abdeckenden „Rechtssoziologie“. Während bisher nur 24 Stunden für systematische Vorlesungen auf dem Gebiet der Rechtssoziologie im Lehrplan vorgesehen waren, umfasste das neue Lehrprogramm für Gesellschaftskunde insgesamt 153 Stunden. Davon entfielen 59 Stunden auf systematische Vorlesungen, 48 Stunden auf Selbststudium unter Aufsicht eines Dozenten und 46 Stunden auf die Vertiefung des Unterrichtsstoffes
60 Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 20 ff., 46, zusammenfassend S. 92 ff. 61 Im höheren Dienst der DJV fanden sich zunächst nur drei Kommunisten: Hilde Benjamin, Werner Gentz und Ernst Melsheimer; vgl. Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 70 ff.; Thomas Lorenz, Deutsche Zentralverwaltung der Justiz, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 135–166. Zu Eugen Schiffer vgl. Joachim Ramm/Eugen Schiffer und die Reform der deutschen Justiz, Neuwied 1987. 62 Nachweise bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 28 Anm. 92. 63 Hierzu auch Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 19. 64 Nachweis bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 48 Anm. 188. 65 Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 88 ff.; Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 168 ff. 66 Daneben wurde eine allgemeine Straffung des Unterrichts beschlossen, vgl. Rundverfügung des DJV vom 21.01.1949, abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 192 ff. 67 Abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 192 ff.
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im Seminar.68 Auch die Methode politisch ausgerichteter Rechtsanwendung wurde nun, wie von Benjamin bereits 1946 gefordert,69 gesondert berücksichtigt. In einer Rundverfügung der DJV vom 23. Februar 194970 wurde die besondere Schulung in den klassischen dogmatischen Umwertungsfiguren gefordert: Es wird zu zeigen sein, wie wichtige Gesetzesbestimmungen ohne Änderung des Textes einen ganz anderen Sinn und eine andere Bedeutung erlangt haben, als ihnen bei ihrer Schaffung innewohnte. Hier wird z. B. auf „Treu und Glauben“, auf „Verstoß gegen die guten Sitten“, auf die Verpflichtung auf vollen Schadensersatz und auf die Bestimmung des § 826 BGB hinzuweisen sein. Weiter wird darzulegen sein, wie sich ‒ ebenfalls ohne Änderung des Gesetzestextes ‒ neben dem Gesetz durch Rechtslehre und Rechtsprechung wichtige allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze neu entwickelt haben. Hier mögen erwähnt werden: die „Verwirkung“, die „Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage“, die „positive Vertragsverletzung“ und die „Sicherungsübereignung“.
Insgesamt gehe es um eine Erziehung der Schüler zu einer „ihr Verständnis fördernden Kritik an dem geltenden Gesetz“. Die Absolventen sprachen deutlicher von der Aufgabe, „neuen Wein in die alten Schläuche zu gießen“.71 Um den Forderungen der SMAD nach Erhöhung der Zahl der Lehrgangsteilnehmer nachzukommen, wurde in der Folgezeit beschlossen, die Auswahl nicht mehr nur den Parteien und Massenorganisationen zu überlassen, sondern auch die Justizverwaltungen mit der Rekrutierung zu beauftragen.72 Die Werbetätigkeit erfolgte nun auch direkt in den Betrieben.73 Eine HJ-Mitgliedschaft wurde nicht länger als unüberwindliches Hindernis betrachtet.74 Gleichzeitig wurde das Gehalt der Volksrichter dem der anderen Richter angeglichen und damit ein finanzieller
68 Diese wesentlich erhöhte Stundenzahl konnte nur untergebracht werden, wenn die Lehrgänge von der ihnen in den Rundverfügungen vom 31.08.1947 vorbehaltenen Befugnis Gebrauch machten, die auf insgesamt 6 Wochen veranschlagten Ferien nicht auf das Arbeitsjahr anzurechnen, wenn also volle 52 Arbeitswochen für den Unterricht zur Verfügung standen. 69 Vgl. den internen Vermerk BA DP1 SE Nr. 391/1. 70 Abgedruckt in Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 197 ff. 71 So Richard Krügelstein, Absolvent des ersten Lehrganges in Bad Schandau und später 1. Stellvertreter des Generalstaatsanwalts in seinen unveröffentlichten Erinnerungen, zitiert nach Henning Frank, Die Juristenausbildung nach 1945 in der SBZ/DDR, in: NJ 1995, S. 403–406, 405. 72 Vgl. Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 52 f. 73 Vgl. Protokoll der Tagung des Ausschusses für Rechtsfragen beim Zentralsekretariat der SED, in: NJ 1948, S. 266. 74 Nachweise bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 53.
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Anreiz geschaffen.75 Die stärkere Berücksichtigung der politischen Ausrichtung der Ausbildung spiegelte sich auch in den Prüfungen: Erstmals kam nun eine Klausur in Gesellschaftskunde zu den beiden juristischen Aufgabenstellungen hinzu.76 Ob diese Maßnahmen vor Beginn der zentralen Richterlehrgänge im Jahr 1950 griffen, scheint fraglich. Zwar nahm die politische Kritik an den Dozenten zu,77 doch wurde hierdurch der Mangel an geeigneten Kandidaten noch verstärkt.78 Immerhin betrug der Anteil des politischen Unterrichts an der gesamten Lehrzeit nur 6,4 Prozent. Interviews mit Beteiligten bestärken die Vermutung, dass (entgegen der zeitgenössischen Darstellung von Hilde Benjamin)79 eine wirksame Politisierung der Lehrgänge zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht wurde.80 Hierfür spricht auch das zu diesem Zeitpunkt noch immer mangelhafte Lehrmaterial.81 Zwar existierte für das Fach Rechtssoziologie ab 1947 einheitliches Schulungsmaterial,82 doch blieben die anderen Fächer weiterhin auf Vorkriegslehrmittel verwiesen.83 Um hier Abhilfe zu schaffen, hatte die DJV beschlossen, revidierte Texte der ZPO und der StPO herauszugeben. Auch bürgerte es sich immer mehr ein, dass die Lehrer den Schülern kurze Zusammenfassungen ihrer Vorlesungen zum Selbststudium
75 Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1949), München 1989, S. 151. 76 Vgl. Aufzeichnungen Hartwigs vom 28.02.1950, abgedruckt in Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 162 ff. 77 Vgl. Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 54. 78 Zusammensetzung der Dozenten in Sachsen bei Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 30, 46, 67, 83, 103, 123, 117; trotz steigender Kritik an den Dozenten musste etwa noch 1949 mangels anderer Auswahl ein Dozent aus der CDU eingestellt werden, a.a.O., S. 105. 79 Hilde Benjamin, Zur Heranbildung des neuen Richters: zwei aktuelle Probleme, in: NJ 1949, S. 132. 80 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 166 f. überzeugend gegen die Ansicht von Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 363. Interviews bei Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 186 ff. 81 Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 21. 82 Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 168 mit Anm. 741. 83 Eindrucksvoll das Bestandsverzeichnis von Bad Schandau aus dem Jahr 1949, das zwar die Bibel, aber noch nicht einmal die Werke von Marx oder Engels ausweist, sondern lediglich juristische Vorkriegsliteratur; vgl. Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, Anhang, S. 167 ff.
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übergaben.84 Erst die daneben ab 1950 herausgegebenen sogenannten Leitfäden stellten „erste Versuche [dar], das Recht in seiner Abhängigkeit von der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung seiner Zeit zu erkennen“.85 Dennoch dürfte insgesamt der Lehrplan des Jahres 1949 den Beginn der gezielten politischen Indoktrination darstellen.86 Der Bedarf an Richtern blieb das vorherrschende Problem. Gemäß einer Rundverfügung des Ministeriums der Justiz (MinJ) aus dem Jahr 1950 waren insgesamt 1816 Planstellen für Richter und Staatsanwälte noch zu besetzen.87 1950 wurden in Bad Schandau gleich drei Einjahreslehrgänge für Richter hintereinander durchgeführt.88 Gleichzeitig begannen am 5. Juni 1950 die ersten zentral von der DJV durchgeführten zweijährigen Lehrgänge der Zentralen Richterschule der DDR in Halle und Bad Schandau.89 Um den Bedarf zu decken, liefen die Einjahreslehrgänge daneben zunächst weiter.90 Mit Beginn der zweijährigen Ausbildung kam es zu einer erneuten Verschärfung der politischen Ausrichtung. Die Bewerber um eine Teilnahme mussten sich nun mehreren Auswahlverfahren unterziehen, in Sachsen beispielsweise einer Vorprüfung durch den Landesvorstand der SED sowie einer Überprüfung durch das sächsische Innenministerium und die sächsische Landesregierung.91 Von den 69 Teilnehmern des Teillehrgangs in Bad Schandau waren 88 Prozent Mitglieder der SED, nur 11 Prozent konnten mehr als einen Volksschulabschluss nachweisen.92
84 Otto Hartwig, Die weitere Ausgestaltung der Lehrgänge für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1949, S. 13–15, 14. 85 Vorwort des Leitfadens zum BGB-AT aus dem Jahr 1950. 86 Die Wertung von Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 57. Anm. 231 steht insofern nur in einem scheinbaren Widerspruch zur von ihm kritisierten Ansicht von Amos. 87 Vgl. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 420. 88 BA DP1 SE Nr. 449/1–2. 89 Günther Scheele, Zur Eröffnung der Zentralen Richterschule der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1950, S. 183–185, 183. 90 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 420. Der letzte Einjahreslehrgang fand von Juni 1951 bis Juli 1952 an der Richterschule Ettersburg statt; vgl. Schreiben des MdJ an die Sowjetische Kontrollkommission vom 14.01.1953, abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 186 f. 91 Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 132. 92 Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 133.
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Der Gesamtlehrgang bestand zu 83 Prozent aus Mitgliedern der SED; 63 Prozent waren proletarischer Herkunft.93 Im Lehrplan wurde der gesellschaftswissenschaftliche Unterricht ausgeweitet.94 Im zweiten Entwurf des Jahres 1950 waren bereits 1062 Stunden von insgesamt 4029 Stunden für politische Schulung vorgesehen.95 Die Prüfung bestand aus drei fünfstündigen Klausuren.96 Während das „knappe“ Nichtbestehen der Prüfungsteile im Straf- oder Zivilrecht durch erfolgreiche Ableistung einer sechsmonatigen praktischen Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt kraft Auftrags ausgeglichen werden konnte, führte das Nichtbestehen des gesellschaftswissenschaftlichen Teils zum Nichtbestehen der gesamten Prüfung.97 Insgesamt bestand die Ausbildung aus fünf Abschnitten:98 – – – – –
einmonatiges Vorpraktikum bei Gericht fünfmonatige Grundausbildung mit vornehmlich Gesellschaftskunde, aber auch Grundlagen im materiellen Recht elfmonatige Ausbildung im materiellen Recht mit Nebengebieten und im Prozessrecht dreimonatiges Praktikum bei Gericht dreimonatiges Repetitorium
93 Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 62 mit Dokument S. 178 ff. 94 Einzelheiten bei Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 41 ff., die auch den riskanten Versuch unternimmt, die Qualität der Prüfung anhand der Materialien zu bewerten, a.a.O., S. 51 ff. 95 Lehrplan vom 01.06.1950 abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 199 ff.; dazu ders., a.a.O., S. 61; andere Zahlen nennen Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 130 (472 Stunden) sowie der damalige leitende Direktor der zentralen Richterschule Rolf Helm, Stand und zukünftige Entwicklung der Richterschulen, in: NJ 1951, S. 309 (1123 Stunden); ihm folgend Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 421. 96 Grundlagen des Marxismus-Leninismus; Straf- und Strafprozessrecht und Zivil- und Zivilprozessrecht (nach Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 421). 97 BA DP1 SE Nr. 449/1–2 sowie Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/ DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 421. 98 Nach Lehrplan 1950, abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 199 ff.
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Im Wesentlichen fanden sich damit erstmals alle Merkmale, welche die Juristenausbildung in der DDR auch weiterhin prägen sollten, verwirklicht. Von besonderer Bedeutung war dabei die Unterbringung der Kursteilnehmer in Internaten. Die aktive Mitarbeit in Partei und Massenorganisationen und die Teilnahme an Parteizirkeln bestimmte nun das Leben an den zentralen Richterschulen.99 Ab dem 3. Mai 1951 fanden die Kurse geschlossen in Potsdam-Babelsberg statt.100 Im Mai 1952 ging aus der zentralen Richterschule die Hochschule für Justiz hervor, die im Januar 1953 mit der Deutschen Verwaltungsakademie in Potsdam Babelsberg zur Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ (DASR) vereinigt wurde.101 Dort fand ab 1955 auch das drei- bis fünfjährige Fernstudium statt, mittels dessen die ausgebildeten Volksrichter bis 1960 ihr Staatsexamen nachholten.102 Die verbliebenen Richter im Soforteinsatz waren bereits bis Ende 1947 verpflichtet, einen Volksrichterlehrgang zu besuchen bzw. eine entsprechende Prüfung abzulegen. Ab diesem Zeitpunkt waren sie den Volksrichtern gleichgestellt.103 Noch immer zwang die Kadersituation zur gelegentlichen Durchführung von Kurzlehrgängen zur Richterausbildung. So führte die DASR vom 1. Juni 1953 bis zum 28. Februar 1954 erneut einen derartigen Lehrgang durch. Auch diesmal zeigten sich die alten Probleme: Es hat sich während der Zeit des Lehrgangs herausgestellt, dass bei der Auswahl der Kader große Fehler begangen wurden. Es wurde nicht der Maßstab angelegt, der unbedingt erforderlich ist. Es besteht der Eindruck, dass die Auswahl nicht nach Qualität, sondern nach Quantität getroffen wurde. Diese schlechte Kaderauswahl hatte das Ergebnis, dass während des Lehrgangs 33 Prozent der Lehrgangsteilnehmer ausscheiden mussten. Es ist deshalb darauf hinzuweisen, dass in der Zukunft bei der Auswahl von neuen Kadern viel sorgfältiger zu verfahren ist […] [Unter den Teilnehmern befanden sich solche,] die nicht die elementarsten Grundbegriffe der Rechtschreibung beherrschten, außerdem nicht in der Lage waren, den dargebotenen Lehrstoff geistig zu verarbeiten. Es galt in erster Linie
99 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450. 100 Julia Pfannkuch, Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Frankfurt a.M. 1993, S. 128. 101 Hierzu Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 16 ff. 102 Genaue Zahlen zu Volksrichtern fehlen. Absolventenzahlen des Fernstudiums insgesamt bei Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 186 (40 Prozent aller Absolventen überhaupt beendeten ein Fernstudium; zum Ablauf dies., a.a.O., S. 23 f., 29 ff.; 186 ff.). 103 Vgl. Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 370.
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die Lehrgangsteilnehmer zu staatsbewußten und moralisch sauberen Funktionären zu erziehen.104
Am 1. September 1954 wurde die Ausbildung auf drei Jahre verlängert und als Abschluss wieder ein Staatsexamen eingeführt. Damit war die Volksrichterausbildung beendet. Die künftige Ausbildung fand an den Rechtswissenschaftlichen Fakultäten und an der DASR in Potsdam-Babelsberg statt.
4.
Universitäten und DASR
Ab 1949 kamen die Universitäten erneut ins Blickfeld der Juristenausbildung. Mit der Vorläufigen Arbeitsordnung der Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands vom 23.5.1949105 begann die Ausrichtung der Universitäten am sowjetischen Vorbild. In den Volksrichterkursen war deutlich geworden, dass die Qualität der Ausbildung nur bei Kursdauern von mindestens zwei Jahren zu gewährleisten war. Für längere Ausbildungen standen mit den Universitäten nutzbare Ressourcen bereit. Auch war es durch den ab 1946 vorangetriebenen Aufbau von Vorstudienanstalten bzw. ab 1949 den Arbeiterund-Bauern-Fakultäten sowie durch die Einführung von Sonderreifeprüfungen möglich geworden, den Anteil von „Arbeiter- und Bauernkindern“ an der Universität deutlich zu erhöhen und so das „bürgerliche Bildungsprivileg zu brechen“.106 Neben dem bis 1963 eingerichteten Studium an der DASR übernahmen die Universitäten damit erneut ihr Ausbildungsmonopol.107 Die Universität musste jedoch auf den nun gewünschten „neuen Juristen“ und auf den Marxismus-Leninismus ausgerichtet werden. Das Ziel der Ausbildung wurde immer wieder unmissverständlich formuliert:108 Die antifaschistisch-demokratische Ordnung verlangt einen anderen Juristen als der kapitalistische Staat. Der Jurist, der in unserem Staat eine Funktion einnimmt, muß sich jederzeit bewußt sein, daß er die Interessen der Werktätigen wahrnimmt und die
104 BA DP1 SE Nr. 391/1. 105 Abgedruckt in: Siegfried Baske/Martha Engelbrecht (Hrsg.), Dokumente zur Bildungspolitik in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1966, S. 39–61; zur Bedeutung Ralph Jessen, Die „Entbürgerlichung“ der Hochschullehrer in der DDR – Elitewechsel mit Hindernissen, in: hochschule ost 3/1995, S. 61–72. 106 Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 126. 107 Vgl. § 11 II des GVG vom 2.10.1952 (GBl. S. 995). 108 Bernhard Graefrath, Das juristische Studium nach dem neuen Studienplan, in: NJ 1951, S. 291– 294, 291.
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antifaschistisch-demokratische Ordnung vor ihren Feinden zu schützen hat. Das Jurastudium muß deshalb dem Studenten völlige Klarheit über den Staat und seine Aufgaben in den verschiedenen Perioden der menschlichen Gesellschaft geben. Es muß das Recht als den zum Gesetz erhobenen Willen der herrschenden Klasse lehren und erkennen lassen; es muß den Studenten zu einem entschlossenen Verteidiger der antifaschistischdemokratischen Republik, zu einem Kämpfer für den Frieden erziehen.
Damit begann ein rigoroser Umbau des Universitätsstudiums. a) Rekrutierung Weiterhin lastete der hohe und akute Bedarf an Richtern auf den zuständigen Auswahlorganen. Eine zweite Säuberungswelle im Zuge der Verwaltungsreform führte zwischen 1950 und 1952 zu einem erneuten Ausscheiden von fast 50 Prozent der Richter, eine weitere Entlassungswelle erfolgte im Umfeld der Vorkommnisse um den 17. Juni 1953.109 Bis zum Mauerbau hielten sodann Fluchten von Richtern in den Westen und Abberufungen wegen „antidemokratischen Verhaltens“ die Kaderlage nicht nur zahlenmäßig, sondern vor allem auch qualitativ gespannt.110 Es blieb eine Hauptaufgabe der Kaderpolitik, ungeeignete Personen schon im Vorfeld auszufiltern und Abweichler von der Justiz fernzuhalten.111 Generell galt es weiterhin, den Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder an der Universität zu erhöhen, der nach Benjamin112 noch 1948 bei unbefriedigenden 20 Prozent gelegen hatte. Mit der flächendeckenden Einführung von Stipendien, bei denen Arbeiter- und Bauernkinder bevorzugt wurden,113 beseitigte man finanzielle Zugangshindernisse. Nach Gräf 114 109 Zu beidem Bettina Hoefs, Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945–1960, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 145–178. 110 Bettina Hoefs, Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945–1960, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 145–178; für Volksrichter auch Beispiele bei Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 22 ff. 111 Genauere Untersuchungen hierzu fehlen. Ich stütze mich daher neben der Untersuchung von Hoefs auf die Darstellung von Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, sowie eigene Aktenfunde. 112 Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 125. 113 Nach Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 75 erhielten bereits um 1950 über die Hälfte der Studierenden Stipendien. Das Grundstipendium (130, später 140 Mark) wurde bei Arbeiter- und Bauernkindern erhöht (180, später 190 Mark). 114 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der
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wurden von den Justizverwaltungen der Länder, und ab deren Gleichschaltung 1952 von den Bezirken, nun Absolventen der Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten und Arbeiterkinder mit Hochschulreife bevorzugt immatrikuliert. Eine Aufnahmeprüfung mit schriftlichem und mündlichem Teil und kaderpolitische Gespräche dienten der Sicherstellung der Aufnahmeanforderungen, also insbesondere der Überprüfung der politischen Grundeinstellung des Kandidaten.115 b) Studium Mit dem Sommersemester 1950 trat der seit dem Wintersemester 1949 erprobte neue Studienplan in Kraft.116 Er sah ein vierjähriges Studium, erstmals mit einem breiten gesellschaftswissenschaftlichen Ausbildungsteil vor, der mit einer dritten Zwischenprüfung nach dem dritten Semester in den fachlichen Teil überging. In diesem ersten Teil waren vorgesehen:117 politische und soziale Probleme der Gegenwart, die Entwicklung der Gesellschaft und ihre Gesetze, Geschichte der Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsphilosophie, Einführung in die Volkswirtschaft. Das 4. ZK-Plenum leitete Anfang 1951 die „Zweite Hochschulreform“ ein.118 Die Selbstverwaltung der Universitäten wurde beseitigt. An ihre Stelle trat ab dem
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SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 403; so auch Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1949–1961, Berlin 1980, S. 87 und Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 127. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, S. 404 für die DASR; vgl. die Anforderungen an Justizkader bei Bettina Hoefs, Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945–1960, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Bd. 1, Berlin 1999, S. 145–178. Hierzu Carlotta Schindowski, Die Neuregelung des juristischen Studiums an den Universitäten, in: NJ 1949, S. 280–281; Günter Brandt, Mehr und besser lernen, in: NJ 1951, S. 21–23; Günther Scheele, Neue Methoden des Studiums an den juristischen Fakultäten, in: NJ 1951, S. 61–65. Nach Carlotta Schindowski, Die Neuregelung des juristischen Studiums an den Universitäten, in: NJ 1949, S. 280–281, 280. Hierzu Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biografie der DDR, Kiel 1993, S. 4 ff.; interessante, nicht unparteiische Rückblenden bei Horst Schröder, Bemerkungen zur 2. Hochschulreform der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk, Recht im Sozialismus, Frankfurt a.M. 1999, Bd. 2: Justizpolitik, S. 487 ff.
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22. Februar 1951 das neugeschaffene Sekretariat für Hochschulwesen.119 Die Politisierung des Studiums wurde nun vorangetrieben. Die erneut folgende Umgestaltung des juristischen Studiums bedeutete die Absage an die Einteilung des Studiums in Semester und die Einführung des „10-Monats Studienjahres“. Ziel war die stärkere Einbindung praktischer Ausbildungsabschnitte in das Studium.120 Schon am 1. September 1951 trat der neue Studienplan in Kraft. Er sah nach dem ersten Studienjahr ein sechswöchiges Berufspraktikum bei der Verwaltung und nach dem zweiten Studienjahr bei Gericht vor. Nach dem dritten Studienjahr folgte ein weiterer sechsmonatiger praktischer Ausbildungsabschnitt bei Gericht. Nach jedem Studienjahr waren schriftliche und mündliche Zwischenprüfungen vorgesehen. Auch außerhalb der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer wurden die hier gestellten Fragen nun politischer. Im Strafrecht wurde nun beispielsweise gefordert: Welches ist die philosophische Grundlage der imperialistischen Rechtstheorie?121
Zu Beginn des vierten Studienjahres musste der Studierende sich entscheiden, ob er in die Verwaltung, die Wirtschaft oder die Justiz eintreten wollte.122 Eine besondere Lenkung wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgenommen. Nach dem vierten Studienjahr folgte die Abschlussprüfung mit einer vierwöchigen Hausarbeit,123 drei schriftlichen Klausuren124 sowie einer insgesamt fünfstündigen mündlichen Prüfung.125 Obwohl diese Prüfung auch weiterhin „Staatsexamen“ hieß, oblagen die Vorbereitung und Abnahme der Prüfung nun den Fakultäten.126 Die Beset-
119 Ab 1958 Sekretariat fur Hoch- und Fachschulwesen, ab 1967 Ministerium fur Hoch- und Fachschulwesen, vgl. Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 673 ff. 120 Erläuternd Bernhard Graefrath, Das juristische Studium nach dem neuen Studienplan, in: NJ 1951, S. 291–294. 121 Teile der Zwischenprüfung abgedruckt bei Franz Nowack/Peter Rudolph, Die ersten Zwischenprüfungen des 10-Monate-Studienjahres –– ein Beitrag der Hochschulen im Kampf um den Frieden, in: NJ 1952, S. 359–362, 362. 122 Studienplan für das Fach Rechtswissenschaft (Anweisung Nr. 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1.11.1951), BA DP 1VA Nr. 6622–3. 123 Anweisung 11 des Staatssekretariats fur Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D, § 7. 124 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D § 6. 125 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D § 9. 126 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D §§ 2, 5; nähere Ausgestaltung in der VO über den juristischen Vorbereitungsdienst vom 1.7.1952 (MinBl. S. 97f.) und der AO über den juristischen Vorbereitungsdienst und das zweite juristische Staatsexamen vom 18.12.1952 (MinBl. S. 226 f.).
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zung der Prüfungskommissionen,127 die Zurverfügungstellung von Akten für die Aufsichtsarbeiten128 sowie letztlich die allgemein zunehmende Steuerung der Prüfungsinhalte zeigten jedoch weiterhin einen starken Einfluss des MdJ. Eine Umstellung auf eine echte Hochschulprüfung blieb mit der zentralistischen Steuerung der Ausbildung unvereinbar.129 Der gesellschaftswissenschaftliche Teil des Studiums130 umfasste 34 Prozent der Gesamtvorlesungszeit und 20 Prozent des für das Selbststudium verplanten Zeitraumes.131 Erstmals tauchten Russisch und Sport im Studienplan auf. Die Zulassung des Kandidaten zum Staatsexamen hing zudem vom Nachweis der Fähigkeit ab, russische Fachliteratur lesen zu können.132 Ausbildungsstoff wurden nun auch speziellere juristische Materien wie Urheber- und Erfinderrecht, Internationales Privatrecht, Genossenschaftsrecht, Finanzrecht, Völkerrecht, Gerichtsmedizin und Kriminalistik. Den Grad der Durchdringung des Studiums mit ideologischen und parteipolitischen Vorgaben können die angegebenen Prozentzahlen spätestens ab Mitte der 1950er Jahre nur unvollständig darstellen. Mit Beginn der 1950er Jahre änderte sich die Studienatmosphäre an den Fakultäten einschneidend.133 Gefördert wurde nun ein „kollektives Studium“ durch die Einführung von Kolloquien und Repetitorien.134 Auf der 1. Funktionärskonferenz der FDJ vom 26. bis 28. November
127 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D, § 3: Von vier Mitgliedern der Kommission wurden der Vorsitzende und ein weiteres Mitglied vom MdJ vorgeschlagen. 128 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D, § 6 Abs. 2. 129 Missverständlich daher Harald Dörig, Juristenausbildung in der DDR, in: JA 1990, S. 218–223. 130 Hierzu Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch fur Ostrecht 1959, S. 7–23, 10. 131 Hinzugezählt wurden Grundlagen des Marxismus/Leninismus; Politische Ökonomie, Theorie und Geschichte des Staates und des Rechts; Geschichte des Staates und Rechts in Deutschland; Deutsches Staatsrecht; Staatsrecht der Sozialistischen Staaten; Staatsrecht der bürgerlichen Staaten; Dialektischer und Historischer Materialismus; Geschichte der politischen Lehrmeinungen. 132 Anweisung 11 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 1. August 1951, Abschnitt D, § 5 Abs. 2. 133 Mit Blick auf Jena Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln 2007, S. 121 ff.; Malgorzata Liwinska, Die juristische Ausbildung in der DDR – im Spannungsfeld zwischen Parteilichkeit und Fachlichkeit, Berlin 1997, S. 69 ff. 134 Eingeführt bereits im Studienplan von 1950; hierzu Günther Scheele, Neue Methoden des Studiums an den juristischen Fakultäten, in: NJ 1951, S. 61; Horst Kaiser, Einige Erfahrungen bei der Durchführung des neuen Studienplans für die juristischen Fakultäten, in: NJ 1951, S. 391–392; eine nennenswerte Steigerung der Studienergebnisse konnte dadurch zunächst nicht erreicht werden, vgl. den insgesamt sehr kritischen Artikel von Franz Nowack/Peter Rudolph, Die ersten
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1950 hatte Ulbricht an die FDJ in einem 15-Punkte-Plan die Forderung gestellt, zur Verbesserung des Hochschulstudiums entscheidend beizutragen.135 Die anfangs noch wenig politisierte FDJ wurde zunehmend der politische Arm der SED im Hochschulalltag. Die bereits seit 1949 an der Universität Leipzig gebildeten FDJ-Studiengruppen gingen nun dazu über, dass Nichtmitglieder […] zur Teilnahme an der Studiengruppenarbeit aufgefordert und in persönlichen Aussprachen – im Zusammenhang mit einer umfassenden Werbeaktion für unseren Verband – von der Wichtigkeit und Notwendigkeit des kollektiven Studiums überzeugt wurden.136
Damit konnte in den niederen Semestern eine „100%ige Beteiligung an der Studiengruppenarbeit erreicht werden“.137 In Arbeitsgemeinschaften wurden in Zusammenarbeit mit „fortschrittlichen Dozenten“ der gesellschaftswissenschaftliche Stoff, wie etwa Engels „Anti-Dühring“, sowie allgemeine politische Fragen erörtert.138 Auch an der Universität Jena waren bald 80 Prozent der Studenten parteilich organisiert.139 Kritik erntete demgegenüber noch 1959 die Arbeit der FDJ-Leitung an der Humboldt-Universität in diesem Bereich.140 Eine stärkere ideologische Durchdringung erfuhr nun auch das Fachstudium der traditionellen juristischen Fächer. Noch 1950 musste Hilde Benjamin feststellen, „daß wir nach 5 12 Jahren neuer gesellschaftlicher staatlicher Entwicklung noch kaum zu den Anfängen einer neuen Rechtswissenschaft gekommen sind“.141 Wäh-
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Zwischenprüfungen des 10-Monate-Studienjahres –– ein Beitrag der Hochschulen im Kampf um den Frieden, in: NJ 1952, S. 359–362 zur Humboldt-Universität zu Berlin. Walter Ulbricht, in: ND vom 28.11.1950, S. 3; Plan abgedruckt bei Otto Gebhardt, Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Jena 1958, S. 270. Fakultätsgruppenleitung der FDJ an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, Die Arbeit der FDJ Studiengruppen an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, in: NJ 1951, S. 312–316. Fakultätsgruppenleitung der FDJ an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, Die Arbeit der FDJ Studiengruppen an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, in: NJ 1951, S. 312–316. Fakultätsgruppenleitung der FDJ an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, Die Arbeit der FDJ Studiengruppen an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, in: NJ 1951, S. 312–316. Otto Gebhardt, Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Jena 1958, S. 287 für Ende Sommersemester 1950. Hans Panzram/Dietrich Maskow, Erfahrungen aus der Erziehungs- und Bildungsarbeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: SuR 1960, S. 471–476, 477. Hilde Benjamin, Fragen der fachlichen Fortbildung der Richter, in: NJ 1950, S. 389.
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rend Lehrmittel zum Marxismus-Leninismus bereits früh existierten,142 gelang es erst Mitte der 1950er Jahre, eine erste Lehrbuchgeneration im Zivil- und Strafrecht fertigzustellen.143 Mangels eigener Vorarbeiten war es zumeist noch notwendig, auf die „einschlägigen sowjetischen Arbeiten“ zurückzugreifen.144 Bis Mitte der 1950er Jahre finden sich beständig Klagen über eine „Zweispurigkeit der Ausbildung“:145 In der Gesellschaftswissenschaft lernten die Teilnehmer, daß der Staat ein Machtinstrument der ökonomisch herrschenden Klasse zur Unterdrückung der großen Mehrheit der Bevölkerung ist – und in der Rechtswissenschaft erfuhren sie, daß der Staat die Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt darstellt.146
So sei aus einer Prüfung bekanntgeworden, „daß auf die Frage, was der Staat sei, vom Prüfling die Gegenfrage gestellt wurde, ob er die Frage politisch oder juristisch beantworten sollte“.147 Ulbricht monierte, es gebe manche Leute, „die anscheinend zwei Seelen in ihrer Brust haben“.148 Erst jetzt galt zunehmend auch in den Lehrbüchern des Fachstudiums: Jedes Rechtsinstitut, jedes Rechtsprinzip, jede Rechtsnorm dient immer den Bedürfnissen der herrschenden Klasse.149
142 Bereits 1947 standen für die SED-Parteischulen sog. Schulungshefte zur Verfügung, vgl. Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1990, S. 563. 143 Gerhard Dornberger/Hans Kleine/Günter Klinger/Martin Posch (Hrsg.), Das Zivilrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1954. 144 So Hans Kleine, Vorwort, in: von Gerhard Dornberger/Hans Kleine/Günter Klinger/Martin Posch (Hrsg.), Das Zivilrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Allgemeiner Teil, Berlin 1954, S. 5. 145 Gerda Grube, Das juristische Studium und die Fortbildung der Richter, in: NJ 1953, S. 65–69, 66. 146 Gerda Grube, Das juristische Studium und die Fortbildung der Richter, in: NJ 1953, S. 65–69, 66. 147 Gerda Grube, Das juristische Studium und die Fortbildung der Richter, in: NJ 1953, S. 65–69. 148 Laut Kurt Schmidt, Über einige Fragen des gesellschaftswissenschaftlichen Studiums, in: NJ 1951, S. 310–312 auf der Rede auf der 1. Funktionärskonferenz, jedoch keine nähere Angabe; vgl. auch Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 60. 149 Günther Klinger, in: Gerhard Dornberger/Hans Kleine/Günter Klinger/Martin Posch (Hrsg.), Das Zivilrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1954, S. 104; zu dieser Entwicklung Hans Nathan, Die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Lehre und Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1959, S. 678–681.
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Ab 1951 wurden die Vorlesungen unter Beteiligung der „befähigtsten Kandidaten“,150 also des ab 1950 institutionell besonders herausgestellten wissenschaftlichen Nachwuchses,151 „auf dem Boden des Marxismus-Leninismus ausgearbeitet“.152 Hierzu wurden „wissenschaftliche juristische Arbeitsgemeinschaften“ an den Universitäten gebildet.153 Pädagogische Fragen wurden erörtert.154 Einflussreich waren die von der DASR herausgegebenen Anleitungen155 sowie die 1955 formulierten „Erziehungs- und Ausbildungsziele“.156 Für Verunsicherung über den hierbei einzuschlagenden Kurs sorgten ab 1956 die Diskussionen um die weitere Entwicklung der Rechtswissenschaft nach dem XX. Parteitag der KPdSU und der dort durch Nikita Sergejewitsch Chruschtschow eingeleiteten Abkehr vom Stalinismus.157 Probleme bereitete die Organisation geeigneter Dozenten. Obwohl an den Universitäten in der SBZ viele nationalsozialistisch belastete Professoren entlassen worden waren oder freiwillig in die Westzonen übersiedelten, war der Kernbestand der Dozentenschaft weiterhin der alten Ausbildungsstruktur verhaftet.158 Ulbricht hatte daher von der FDJ gefordert:
150 Hans Nathan, Die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Lehre und Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1959, S. 679; Bernhard Graefrath, Das juristische Studium nach dem neuen Studienplan, in: NJ 1951, S. 292. 151 Einrichtung der Kandidatur durch VO vom 5.10.1950 (GBl. S. 1055); 1951 erfolgte die Umbenennung in Aspirantur, vgl. Bernhard Graefrath, Das juristische Studium nach dem neuen Studienplan, in: NJ 1951, S. 291–294. 152 Hans Nathan, Die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Lehre und Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1959, S. 678–681. 153 Vgl. Bernhard Graefrath, Erfahrungen einer wissenschaftlichen juristischen Arbeitsgemeinschaft, in: NJ 1951, S. 550. 154 Vgl. Hans Gerats, Die Methodik der Vorlesungen an den juristischen Fakultäten der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1951, S. 301–307. 155 Vgl. auch Horst Büttner, Einige Gedanken über die Verstärkung der ideologisch-politischen Aufklärungs- und Erziehungsarbeit auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, in: SuR 1955, S. 715–723. 156 Hierzu Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 101; insgesamt lobend Karl Polak, Für die Erhöhung des Niveaus der juristischen Vorlesungen und die Verbesserung der Erziehungsarbeit an den juristischen Hochschulen, in: SuR 1955, S. 541–559. 157 Hierzu Ralf Dreier/Jörn Eckert/Karl A. Mollnau/Hubert Rottleuthner, Rechtswissenschaft in der DDR. Dokumente zur politischen Steuerung im Grundlagenbereich, Baden-Baden 1996, S. 93 ff. 158 Vgl. Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 89; kritisch auch die Fakultätsgruppenleitung der FDJ an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, Die Arbeit der FDJ Studiengruppen an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig, in: NJ 1951, S. 312–316.
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Das antidemokratische Auftreten eines Teils reaktionärer Professoren muß schonungslos entlarvt werden.159
Bei den Assistenten sah es kaum besser aus. Hier ließ der „augenblickliche Entwicklungsstand der Assistenten“ eine Nacharbeitung gesellschaftswissenschaftlicher Vorlesungen nicht zu.160 An der DASR wurden daher ab 1952 mehrmonatige Lehrgänge mit dem Ziel durchgeführt, „wissenschaftliche Nachwuchskader“ heranzubilden.161 c) Juristischer Vorbereitungsdienst In den Blickpunkt geriet auch das bis dato nach alten Grundsätzen durchgeführte Referendariat. Eine Überprüfung der Examenskandidaten der Juristischen Fakultäten durch die DJV kam im August 1949 zu dem Ergebnis, dass von sieben für die Justiz in Frage kommenden Kandidaten nur drei politisch zuverlässig seien.162 Im Zuge der politischen Ausrichtung des Studiums wurde daher die Einstellung als Referendar von einer zusätzlichen Prüfung abhängig gemacht, in der „den Kandidaten Gelegenheit gegeben wird, ihre gesellschaftswissenschaftlichen Kenntnisse unter Beweis zu stellen“.163 Auch im Referendariat sollte der Besuch eines viermonatigen Sonderlehrganges an der Verwaltungsakademie Forst Zinna ab Februar 1950 den hinreichenden Einfluss der Gesellschaftskunde auf die Ausbildung sicherstellen.164
159 Taktlosigkeit und Grobheiten seien dabei jedoch zu vermeiden, vgl. Punkt 12 des Plans, abgedruckt bei Otto Gebhardt, Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-SchillerUniversität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Jena 1958, S. 270. 160 Günther Scheele, Neue Methoden des Studiums an den juristischen Fakultäten, in: NJ 1951, S. 61. 161 Vgl. Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 89; von Paul Marga/Richard Schindler, Über die Arbeit und die Ergebnisse eines Lehrgangs zur Entwicklung wissenschaftlicher Kader auf dem Gebiet des Prozeßrechts, in: SuR 1955, S. 477–494. 162 Nachweise bei Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 185. 163 Rundverfügung des MdJ vom 28.03.1950, zitiert nach Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der EnqueteKommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, BadenBaden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 414. 164 BA DP1 VA 1006; vgl. auch Hans Hartwig, Die Ausbildung der Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte in der Deutschen Demokratischen Republik, auszugsweise abgedruckt bei Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 162 ff., 174.
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Im Zweiten Juristischen Staatsexamen hielt nun ein gesellschaftswissenschaftlicher Teil in Form einer fünfstündigen Klausur und einer mündlichen Prüfung Einzug.165 Zum 31. März 1953 lief das Referendariat dann endgültig aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle Kandidaten unabhängig vom Stand ihrer Referendarausbildung eine Abschlussprüfung abzulegen, die feststellen sollte, ob der Gerichtsreferendar in gesellschaftlicher und fachlicher Hinsicht in der Lage ist, eine verantwortliche Funktion zu versehen und ob er die Gewähr dafür bietet, dass er seine zukünftige Tätigkeit gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt und sich vorbehaltlos für die Ziele der Deutschen Demokratischen Republik einsetzt.166
Diese Prüfung ersetzte für die davon Betroffenen das Zweite Juristische Staatsexamen durch eine einzige Klausur zum Thema „Die Lehren aus dem SlanzkyProzeß“.167 Ab 31. März 1953 war die Juristenausbildung somit einstufig. Schon 1954 mussten die Absolventen, die als Richter vorgesehen waren, jedoch erneut ein viermonatiges Gerichtspraktikum durchlaufen,168 das üblicherweise bereits an dem Gericht stattfand, für welches der Praktikant als späterer Richter vorgesehen war.169 Hier stand die fachliche Ausbildung im Vordergrund. Ab 1955 wurde die praktische Studienzeit nach dem dritten Studienjahr demgegenüber von sechs Monaten auf sechs Wochen gekürzt.170
165 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, vgl. auch Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 88. 166 Anordnung über den juristischen Vorbereitungsdienst und das 2. juristische Staatsexamen vom 18.12.1952 (MinBl. S. 226 ff.), § 2. 167 Hierzu Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch für Ostrecht 1959, S. 7–23, 10; Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 415. 168 Vgl. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 426. 169 So Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 123–137, 134 f. 170 Studienplan vom 21.7.1955; vgl. Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch für Ostrecht 1959, S. 9.
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Babelsberg und der V. Parteitag der SED: 1958–1963
Die nach 1989 in ihrer Bedeutung für die Rechtswissenschaft kontrovers diskutierte Babelsberger Konferenz171 und der nachfolgende V. Parteitag führten zu einer Verschärfung der politischen Ausrichtung der Juristenausbildung. Im Zuge des von Ulbricht ausgerufenen Kampfes gegen „Revisionismus“ und „Dogmatismus“ in der Ausbildung rückte nun die Verbundenheit mit den „Werktätigen“ einerseits und mit den Vorgaben der Partei andererseits in den Vordergrund. Hinzu kam, dass Ulbrichts ehrgeiziger Siebenjahresplan von 1958 den Universitäten die Ausbildung von annähernd 100.000 Studenten als Kadernachwuchs auferlegte, es ging also um „massenhafte Entwicklung neuer Menschen für die Organisierung des Sieges des Sozialismus“.172 a) Rekrutierung Diese Erhöhung der Absolventenzahlen sollte gleichzeitig der Durchdringung des Staatsapparates mit erfahrenen Arbeitern zugutekommen.173 Nachdem die Volksrichterlehrgänge 1954 ausgelaufen und an der Universität verstärkt junge Kandidaten ohne längere praktische Berufserfahrung zugelassen worden waren, bestand jedoch die Gefahr, dass der über die Volksrichterausbildung erreichte Anteil an Richtern aus dem „schaffenden Volk“ wieder zurückging. Bereits auf der Babelsberger Konferenz im April 1958 hatte Ulbricht die Kaderpolitik kritisiert. Er wiederholte dies auf dem V. Parteitag der SED vom Juni 1958.174 Aufgabe sollte sein,
171 Hierzu nur Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 118 ff., dort auch S. 143 f. mit Streitstand; Jörn Eckert (Hrsg.), Die Babelsberger Konferenz vom 2./3. April 1958. Rechtshistorisches Kolloquium 13.–16. Februar 1992 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Baden-Baden 1993; Bernhard Diestelkamp, Zur Rolle der Rechtswissenschaft in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands und der frühen Deutschen Demokratischen Republik, in: ZNR 1996, S. 86–101 f. 172 Wilhelm Havel, Die Entwicklung der Kader des Staatsapparates im Siebenjahresplan, in: SuR 1960, S. 935–941, 939. Das Ziel wurde nicht erreicht. 1965 wurden nur 847 Studenten neu immatrikuliert. Insgesamt studierten in diesem Jahr 2696 Studenten Jura; Zahlen aus dem statistischen Jahrbuch der DDR, 11. Jahrgang Berlin 1966, S. 476. 173 Wilhelm Havel, Die Entwicklung der Kader des Staatsapparates im Siebenjahresplan, in: SuR 1960, S. 935–941, 938 ff. 174 Vgl. Walter Ulbricht, „Der Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat“, Berlin 1958, S. 30 ff.
Richterausbildung in der DDR
immer wieder neue Menschen aus der Arbeiterklasse, die durch hervorragende Leistungen in der Produktion und durch aktive gesellschaftliche Arbeit hervorgetreten sind, für staatliche Funktionen zu qualifizieren.175
Sorgenicht stellte in der NJ klar: Selbstverständlich werden wir nicht mehr in dem Umfange wie bisher die jungen Oberschüler, die noch über keine genügende Lebenserfahrung verfügen, unmittelbar nach Abschluß ihres Studiums in den Justizdienst übernehmen können.176
Bereits zuvor war im Beruf stehenden Arbeitern an der DASR die Möglichkeit geboten worden, ein vierjähriges Internatsstudium zu absolvieren. Allen Bewerbern, die nicht durch ein Zeugnis den Nachweis der Hochschulreife erbringen konnten, wurde entsprechend der Anweisung des Staatssekretariats für Hochschulwesen vom 22. Mai 1954 die Möglichkeit einer Sonderreifeprüfung geboten. Diese wurde von der DASR durchgeführt.177 Die Prüfung bestand aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. In ihr wurden von den Bewerbern Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie, der Philosophie und der Geschichte sowie Kenntnisse über die Fragen der gegenwärtigen internationalen Lage, des Kampfes um die Einheit Deutschlands und des sozialistischen Aufbaus in der DDR verlangt. Im schriftlichen Teil wurden zwei Klausuren angefertigt, die unter anderem zeigen sollten, ob sich die Bewerber sicher und einwandfrei in der deutschen Sprache ausdrücken konnten.178 Die erhoffte Resonanz blieb jedoch aus. So stammten 1957 nur 6,4 Prozent der Studenten an der DASR aus den Produktionsbetrieben.179 Geeignete Kandidaten waren nur schwer zu überzeugen und zogen die oftmals besser bezahlten180
175 Staatsanwalt Ernst Horeni, Auf neue Art zu neuen Kadern, in: NJ 1960, S. 124. 176 Klaus Sorgenicht, Größte Aufmerksamkeit der Entwicklung von Kadern für Justizorgane!, in: NJ 1959, S. 697–699, 698. 177 Ab Anfang der sechziger Jahre gab es auch Sonderreifeprüfungen an der Humboldt-Universität zu Berlin, vgl. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 404. 178 BA DP1 SE Nr. 2784. 179 Vgl. Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 99. 180 Vgl. Wilhelm Havel, Die Entwicklung der Kader des Staatsapparates im Siebenjahresplan, in: SuR 1960, S. 935–941, 944. Dies wurde bereits 1949 kritisiert, näher Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 51.
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Stellungen in der Produktion der Umorientierung zur Justiz181 vor. Auch das Internatsstudium schreckte vielfach ab,182 während andererseits das Fernstudium neben der vollen Berufstätigkeit häufig erfolglos blieb.183 Um dennoch kurzfristig die Kaderlage zu verbessern, wurden in der Zeit von 1959 bis 1961 insgesamt drei Kurzlehrgänge184 für die Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten an der DASR durchgeführt. Die Lehrgangsdauer erstreckte sich jeweils auf zwölf Monate. Die Teilnehmer setzten sich aus erprobten Schöffen, Mitgliedern von Konfliktkommissionen, gesellschaftlich aktiven Kräften aus der Produktion sowie bewährten Mitarbeitern der Partei und von gesellschaftlichen Organisationen und der staatlichen Verwaltung zusammen.185
Die nachfolgende Analyse fiel jedoch vernichtend aus: Von den insgesamt ausgebildeten Kadern sind 131 zum Einsatz als Richter gekommen. Insgesamt 62 (47,3 %) der in diesen Kurzlehrgängen ausgebildeten Kader sind bereits wieder aus der Justiz ausgeschieden. Die Ursachen sind größtenteils auf nicht zu behebende Mängel in der Rechtsprechung und die das eigene Leistungsvermögen übersteigenden Anforderungen des Fernstudiums zurückzuführen.186
Damit verblieb es bei der Möglichkeit eines vierjährigen Direktstudiums oder eines Fernstudiums. Doch hier galt zumeist: Diejenigen Genossen, die wir gern haben möchten, bekommen wir sowieso nicht; die verdienen bereits zu viel und haben dort, wo sie sind, ein ruhiges Leben.187
181 Bettina Hoefs, Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945–1960, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 145–178. 182 Vgl. Vorschläge zur Verbesserung der juristischen Ausbildung, ausgearbeitet von den Teilnehmern eines Sonderlehrgangs für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1959, S. 700. 183 Vgl. Vorschläge zur Verbesserung der juristischen Ausbildung, ausgearbeitet von den Teilnehmern eines Sonderlehrgangs für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1959, S. 700. 184 Vgl. BA DP1 SE Nr. 2848. 185 Vgl. BA DP1 SE Nr. 2848. 186 Vgl. BA DP1 SE Nr. 2848. 187 Zitat bei Ernst Horeni, Auf neue Art zu neuen Kadern, in: NJ 1960, S. 124.
Richterausbildung in der DDR
Vorschläge,188 für Kandidaten aus der Produktion eine abgestimmte Kombination von Phasen des Direkt- und des Fernstudiums einzuführen, konnten sich nicht durchsetzen. Auch weiterhin blieb so die Zahl der aus der Produktion stammenden Richter hinter den Erwartungen zurück. b) Studium Auf dem V. Parteitag hatte Ulbricht eine Überarbeitung der bestehenden Studienund Forschungspläne sowie der Vorlesungsprogramme gefordert189 und, neben der Kritik an der Rechtswissenschaft, vor allem eine unzureichende Verbindung mit der Praxis bemängelt.190 Diese Kritik wurde in ihren Auswirkungen auf die Gestaltung der Juristenausbildung breit diskutiert.191 Zum Wintersemester 1959 trat ein neuer Studienplan in Kraft.192 Gefordert wurde: Die Studenten müssen die Juristischen Fakultäten als begeisterte und befähigte Kämpfer für die Sache der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten verlassen und bereit sein, ihre Kräfte vorbehaltslos für die erste deutsche Arbeiter- und Bauernmacht einzusetzen.193
Am Beginn des Studiums stand nun eine zweiwöchige Vorlesung über „Die Politik von Partei und Regierung im gegebenen Stadium der Entwicklung unserer volksdemokratischen Ordnung“. Um die Durchdringung des Rechts mit den politischen Vorgaben auch vom Studienablauf her zu dokumentieren, wurden die Trennung in
188 Vorschläge zur Verbesserung der juristischen Ausbildung, ausgearbeitet von den Teilnehmern eines Sonderlehrgangs für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1959, S. 700. 189 Walter Ulbricht, „Der Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat“, Berlin 1958, S. 132. 190 Vgl. auch Gerhard Görner, Engere Verbindung des staats- und rechtswissenschaftlichen Studiums mit der sozialistischen Praxis, in: NJ 1959, S. 232–235. 191 Gerhard Görner, Engere Verbindung des staats- und rechtswissenschaftlichen Studiums mit der sozialistischen Praxis, NJ 1959, S. 232–235; Klaus Sorgenicht, Größte Aufmerksamkeit der Entwicklung von Kadern für Justizorgane!, in: NJ 1959, S. 697–699; Hans Nathan, Die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Lehre und Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik, in: NJ 1959, S. 678–681; Vorschläge zur Verbesserung der juristischen Ausbildung, ausgearbeitet von den Teilnehmern eines Sonderlehrgangs für Richter und Staatsanwälte, in: NJ 1959, S. 700; Walter Müller/Rudi Frenzel, Das sozialistische Ausbildungskollektiv fördert eine praxisverbundene Ausbildung der Studenten, in: NJ 1959, S. 445–450; Wolfgang Kulitzscher, Einige Vorschläge zur Ausbildung der Studenten unter dem Gesichtspunkt der Praxis, in: NJ 1958, S. 752–753. 192 Abgedruckt bei Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch für Ostrecht 1959, S. 14 ff. 193 Einleitung, nach Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch für Ostrecht 1959, S. 7.
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Grund- und Fachstudium aufgegeben und die ehemaligen Fächer der Gesellschaftswissenschaft auf das gesamte Studium verteilt. Insgesamt erhöhte sich damit der Anteil der politischen Ausbildung auf 43 Prozent der Gesamtausbildungszeit. Das Fach Verwaltungsrecht, in Babelsberg in der Person Karl Bönningers von Ulbricht scharf attackiert, tauchte nicht mehr auf. Im Selbststudium sollten besonders die Parteibeschlüsse vertieft werden. Auch in den neugegründeten Studentenkollektiven, einer Gruppe von Studenten, „die darum ringt, eine sozialistische Gemeinschaft zu werden“,194 ging es hauptsächlich um die „Beherrschung der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft“.195 Gleichzeitig sollte die Einhaltung der Studiendisziplin auf diese Weise vom Kollektiv kontrolliert werden.196 Der soziale Druck nahm, glaubt man den offiziösen Darstellungen, nach der Veröffentlichung von Ulbrichts „Zehn Geboten der sozialistischen Moral“ zu. Thema der Studentengruppen war nun auch das „moralische Verhalten einer Studentin […], die ihre Ehe nicht nach den sozialistischen Moralprinzipien führte“.197 In den Blickpunkt geriet auch die „massenpolitische Arbeit“. An der DASR wurde einzelnen Seminargruppen eine Patengemeinde zur Betreuung zugewiesen.198 Dort nahmen die Studenten mehrere Stunden pro Woche an körperlicher Arbeit und an Versammlungen teil, um durch „Herstellung eines engen Kontaktes und herzlichen Verhältnisses mit den Genossenschaftsbauern“ ihre Persönlichkeit zu entwickeln.199 Auch gemeinsame Arbeitseinsätze der gesamten Fakultät fanden nun statt.200 Die praktischen Studienzeiten, weiterhin jeweils sechs Wochen, wurden auf die im Siebenjahresplan herausgestellten wirtschaftlichen Bereiche ausgedehnt. Sie erfassten nun nach dem ersten Studienjahr einen volkseigenen Betrieb, nach dem zweiten Studienjahr die staatliche Verwaltung und nach dem dritten Jahr den Bereich der Wirtschaft, etwa ein Vertragsgericht oder eine „Vereinigung volkseigener
194 Hans Panzram/Dietrich Maskow, Erfahrungen aus der Erziehungs- und Bildungsarbeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: SuR 1960, S. 471–476, 475 Anm. 6. 195 Hans Panzram/Dietrich Maskow, Erfahrungen aus der Erziehungs- und Bildungsarbeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: SuR 1960, S. 471–476, 475. 196 Hans Panzram/Dietrich Maskow, Erfahrungen aus der Erziehungs- und Bildungsarbeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: SuR 1960, S. 471–476, 476; vgl. auch Bodo Ramminger, Die Parteierziehungsarbeit in der juristischen Ausbildung an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“, in: SuR 1960, S. 986–998. 197 Hans Panzram/Dietrich Maskow, Erfahrungen aus der Erziehungs- und Bildungsarbeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: SuR 1960, S. 471–476, 472. 198 Bodo Ramminger, Die Parteierziehungsarbeit in der juristischen Ausbildung an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in: SuR 1960, S. 986–998, 992. 199 Bodo Ramminger, Die Parteierziehungsarbeit in der juristischen Ausbildung an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in: SuR 1960, S. 986–998, 992. 200 Wolfgang Kulitzscher, Einige Vorschläge zur Ausbildung der Studenten unter dem Gesichtspunkt der Praxis in: NJ 1958, S. 752–753.
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Betriebe“. Nach dem vierten Studienjahr folgte dann ein Ausbildungsabschnitt bei der Justiz. c) Praktikantenzeit Am 1. August 1959 wurde die Praktikantenzeit von 4 Monaten auf 18 Monate verlängert und damit wieder ein zweiter großer Ausbildungsabschnitt eingeführt.201 Auch hier ging es um eine stärkere Anbindung an die Praxis. Stationen der Ausbildung waren neben der Justiz nun auch: körperliche Arbeit in der Produktion, Kreisausschuss der Nationalen Front, Kreisvorstand des FDGB und örtliche Räte. Erneut ging es dabei auch um Massenarbeit, so sollte der Praktikant in den Kreisausschüssen „in beharrlicher Kleinarbeit die Friedenspolitik unserer Regierung erläutern“.202 Zwei Monate vor Beendigung des Praktikums kam es zu einer Einschätzung der bisherigen Tätigkeit des Praktikanten.203 Bei positiver Bewertung wurde der Kandidat zur Richterwahl vorgeschlagen. Fiel die Bewertung negativ aus, so konnte das Praktikum um weitere sechs Monate verlängert werden oder die Ausbildung war gescheitert. Diese Regelung war am 1. Oktober 1959204 eingeführt worden und bot eine weitere Möglichkeit, sich die Konformität der Richter zu sichern.205
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Obwohl die DASR als „fünfte juristische Fakultät“ bezeichnet wurde, hatte sie einige Besonderheiten aufzuweisen. Von Anfang an als Kaderschmiede geplant, bildete die Akademie in ihrer Blütezeit zwischen 1954 und 1963 neben Staatsfunktionären auch Juristen im Fern- und Direktstudium aus. In Frage kamen dabei nur „klassenbewußte Hörer mit hohem ideologischem Niveau […], die begeistert von ihrer Aufgabe waren“.206 Mit Absolventenzahlen im Direktstudium zwischen 200 und
201 Gemeinsame Anordnung über die Einführung einer Praktikantenzeit für juristische Kader bei den Justizorganen der Deutschen Demokratischen Republik (Praktikantenordnung), in: Verfügungen und Mitteilungen des MdJ 1959, S. 21 ff. 202 § 5 II der AO. 203 Zum Folgenden Walter Rosenthal, Die Juristenausbildung in der SBZ, in: Jahrbuch für Ostrecht 1959, S. 23. 204 Gesetz über die Wahl der Richter der Kreis- und Bezirksgerichte durch die örtlichen Volksvertretungen (GBl. I, S. 751). 205 Vgl. nur Hilde Benjamin, Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 266 ff. 206 MdJ-Kadervermerk, nach Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von
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300 Personen pro Jahr übertraf sie die anderen Fakultäten in diesem Zeitraum deutlich. So beendeten etwa in Jena ca. 30–40 und an der Humboldt-Universität etwa 70–80 Studenten jährlich ihre Ausbildung.207 Einfluss übte sie zunächst auch als Lenkungsorgan der Rechtswissenschaft aus.208 1954 und 1955 erfolgte die Ausbildung dreijährig und unterschied sich somit zunächst weiterhin von der parallel ablaufenden vierjährigen Ausbildung an den Universitäten. Mit fast 47 Prozent war der Anteil der politisch zentrierten Fächer hier deutlich höher als an der Universität.209 Die Ausbildung im materiellen Recht wies in absoluten Stundenzahlen dennoch eine Vergleichbarkeit zur universitären Planung auf, so entfielen auf die Ausbildung im Strafrecht insgesamt 208 Stunden Vorlesung und 104 Stunden Übung. Dem standen an der Universität nach dem Lehrplan des Jahres 1951 260 Stunden Vorlesung und 52 Stunden Übung gegenüber. Insgesamt zeigt der Vergleich pro Studienjahr sogar durchschnittlich 80 Stunden mehr Vorlesungen im Internatsstudium an der DASR als an der Universität. Mit Beginn des Studienjahres 1955/1956 wurde die Lehrgangsdauer auf vier Jahre verlängert, sodass seitdem insoweit kein Unterschied zur akademisch-juristischen Ausbildung an einer Universität mehr bestand.210 Anfang September 1957 begann an der DASR ein vierjähriges juristisches Studium, das Richter heranbildete und mit dem Staatsexamen abschloss. Weiterhin unterschied sich die Zusammensetzung nicht unwesentlich von den Universitäten. Fast 80 Prozent der Studenten211 gelangten über Sonderreifeprüfungen212 an die
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Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 441 mit Anm. 136. Zahlen nach Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 99 mit Nachweisen. Nach Aussagen Beteiligter lag die Zahl an der Humboldt-Universität noch Anfang der sechziger Jahre dagegen nur bei etwa 50 Studenten. In den achtziger Jahren lag die Absolventenzahl bei etwa 200. Dieser Einfluss war eng an die sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen geknüpft. Insgesamt kommt die gründliche Untersuchung von Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 215 zu dem Resümee: „Das Modell einer zentralistischen Organisation in der Rechtswissenschaft hatte sich als ineffizient erwiesen.“ Ausgewertet wurde der Studienplan für die 3-jährigen Lehrgänge an der DASR vom 1. September 1954, Bundesarchiv (BA DP1 SE Nr. 1010/1–2); eingerechnet wurden nur Vorlesungen folgender Fächer: Dialektischer und Historischer Materialismus; Allgemeine u. deutsche Geschichte; Geschichte der KPdSU; Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus; Theorie des Staates und des Rechts; Geschichte des Staates und des Rechts in Deutschland; Staatsrecht der sozialistischen Staaten; Politische und Ökonomische Geographie; Staatsrecht Deutschlands; Staatsrecht der kapitalistischen Staaten. Karl-Heinz Lehmann, Die juristische Ausbildung in der DDR, in: JuS 1968, S. 341–344, 343. Durchschnittsalter zwischen 20 und 25 Jahren. Vgl. oben unter 4. a).
Richterausbildung in der DDR
Akademie, besaßen also keine traditionelle Hochschulreife. 70,2 Prozent zählten nach sozialer Herkunft zur „Arbeiterklasse“,213 fast 85 Prozent gehörten der SED an. In besonderem Maße wurde demnach die Akademie zur Ausbildung „klassenbewusster Arbeiterkinder“, nach wie vor das Idealbild des sozialistischen Juristen, genutzt und bot gleichzeitig ausgezeichnete Karrierechancen für parteitreue Aufsteiger. Den zweiten Schwerpunkt der Tätigkeit der DASR stellte das Fernstudium dar, das bereits ab 1951 Richtern und Staatsanwälten, vor allem Absolventen der Volksrichterkurse, die Möglichkeit bot, in einem „organisierten Selbststudium“ neben ihrer Tätigkeit das Staatsexamen nachzuholen.214 Daneben wurden wiederholt besondere Schnellkurse für leitende Funktionäre des Justizapparates durchgeführt.215 1959 fanden die bereits angesprochenen216 Kurzlehrgänge für Justizkader statt. Auch sie waren mit knapp 55 Prozent politischer Ausbildung außergewöhnlich stark politisch ausgerichtet. Anfang der 1960er Jahre verlor die Akademie nach den seit Babelsberg 1958 schwelenden Kontroversen mit der Staatsführung am 31. Dezember 1963217 die Möglichkeit der Durchführung des Direkt- und Fernstudiums und damit einen Großteil ihres Einflusses auf die Ausbildung der Richterschaft der DDR.218 Die Ausbildung im Fernstudium wurde von der Humboldt-Universität zu Berlin übernommen.219 Kritik an der politischen und fachlichen Ausbildung der amtierenden Richter durch das ZK220 führte 1971 und 1972 nochmals zur Durchführung von achtmona-
213 Nur 6, 4 Prozent kamen jedoch aus der Produktion, vgl. oben unter 4. a). 214 Hierzu Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 98; Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der EnqueteKommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, BadenBaden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 443. 215 Vgl. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 443. 216 Oben unter 4. a). 217 Grundlage war der Ministerratsbeschluss „Über die Aufgaben der Deutschen Akademie für Staatsund Rechtswissenschaft ‚Walter Ulbricht‘“ vom 23.6.1963. 218 Hierzu Ulrich Bernhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948–1971, Frankfurt a.M. 1997, S. 150 ff. 219 Vgl. Adolf Rüger u. a., Humboldt-Universität zu Berlin – Überblick 1810–1985, Berlin 1985, S. 139. 220 Nachweise bringt Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 444 f.; dort auch zum ersten Lehrgang.
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tigen Lehrgängen zum Strafrichter.221 Der nachfolgende Bericht machte die klare politische Aufgabenstellung deutlich: Im Vordergrund der Ausbildung stand, die Studenten auf der Grundlage der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED zu einem festen Klassenstandpunkt und hoher politischer Einsatzbereitschaft zu erziehen und sie zu befähigen, die Beschlüsse der Partei- und Staatsführung zu verwirklichen und das sozialistische Strafrecht zum Schutz der Staatsund Gesellschaftsordnung der DDR und der Bürger und ihrer Rechte vor feindlichen Anschlägen und anderen kriminellen Handlungen, zur Vorbeugung gegen Straftaten und zur Erziehung von Rechtsverletzern mit hoher gesellschaftlicher Wirksamkeit anzuwenden […]. In der Erziehungs- und Bildungsarbeit wurde insb. angestrebt, die Lehrgangsteilnehmer zu sozialistischen Richterpersönlichkeiten zu entwickeln, ihre klassenmäßige Erziehung zu vertiefen.222
79,6 Prozent der Teilnehmer entstammten der Arbeiterklasse, 93,8 Prozent gehörten der SED an.223 Mit knapp 45 Prozent politisch zentrierter Ausbildung waren diese Lehrgänge demzufolge auch stark politisch durchsetzt. Gerade 169 Stunden Vorlesung im Bereich des üblichen Fachstudiums verwiesen demgegenüber auf ein wohl besonders niedriges fachliches Niveau der Absolventen. Hierfür sprechen auch die zu bearbeitenden Seminarthemen (Geburtstag von Ernst Thälmann, 1. Mai ‒ Kampftag der Arbeiterklasse, 8. März – Frauentag, Gemeinschaftliche Ausgestaltung der X. Weltfestspiele). Die Lehrgänge endeten mit dem Staatsexamen, verpflichteten aber zur nachfolgenden Aufnahme eines Fernstudiums. Zudem war dem Einsatz als Richter eine viermonatige „Einarbeitungszeit“ vorgeschaltet.
7.
Rechtspflegeerlass: 1963–1967
Seit 1961 arbeitete die SED an einer Reform der Rechtspflege. Mit den Beschlüssen des VI. Parteitages der SED und mit dem Rechtspflegeerlass224 vom April 1963 wurden auch Veränderungen der Juristenausbildung vorbereitet. Am 10. Oktober 1963
221 1. Lehrgang vom 1.11.1971–30.6.1972 (64 Teilnehmer), vgl. BA DP1 SE Nr. 859/1; 2. Lehrgang vom 30.10.1972–15.6.1973 (52 Teilnehmer), vgl. BA DP1 SE Nr. 860. 222 BA DP1 SE Nr. 860. 223 Zahlen bei Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 445. 224 Erlass des Staatsrates über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege vom 4.4.1963 (GBl. I, S. 21).
Richterausbildung in der DDR
fasste das Präsidium des Ministerrates einen Beschluss über Inhalt und System der Ausbildung juristischer Kader.225 Die in Babelsberg eingeleitete Ausbildungspolitik wurde hierbei weitgehend fortgeführt. Erneut stand die Rekrutierung der erwünschten Kandidaten aus der Praxis im Vordergrund: Grundsatz für die Zulassung zum juristischen Studium ist, Kader mit einer größeren Lebenserfahrung zu gewinnen. Die Bewerber sollen daher eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Die Kader für die Rechtspflegeorgane sollen darüber hinaus mindestens zwei Jahre als Facharbeiter tätig gewesen sein und nach Möglichkeit bereits gesellschaftliche Funktionen, insb. in den gesellschaftlichen Organen der Rechtspflege, ausgeübt haben. Bewerber, die bereits eine abgeschlossene Fach- oder Hochschulausbildung besitzen, sind vorrangig zum juristischen Studium zuzulassen und können eine verkürzte Ausbildung durchlaufen.226
Immer mehr sollte die juristische Ausbildung einem „zweiten Beruf “ dienen.227 Hinzu kamen für die Rekrutierung der Kader nun Eignungsprüfungen,228 welche die Bereitschaft des Bewerbers, „sich für die Interessen der Arbeiterklasse einzusetzen“,229 bewerteten. Neben der Heranziehung von Beurteilungen durch Schule oder Betrieb dienten eine Klausur sowie ein Eignungsgespräch vor einer Kommission der Universität diesem Ziel. Erneut ging es auch um eine „organische“230 Verbindung von Theorie und Praxis. Hierzu wurde die Praktikantenzeit wieder abgeschafft und in das nun auf fünf Studienjahre konzipierte Studium integriert. Der im Dezember 1963 ergehende „Rahmenstudienplan für die Ausbildung von Juristen an den Universitäten der DDR (Direktstudium)“231 sah insgesamt 37 Wochen Praktikumszeit für die angehenden
225 BA DP1 VA Nr. 6622-3; hierzu Alfred Wolf, Inhalt und System der Ausbildung und Weiterbildung der Juristen, in: NJ 1964, S. 33–35. 226 BA DP1 VA Nr. 6622. 227 Alfred Wolf, Inhalt und System der Ausbildung und Weiterbildung der Juristen, in: NJ 1964, S. 33–35, 33. 228 Hierzu Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 405. 229 Nach Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450. 230 Alfred Wolf, Inhalt und System der Ausbildung und Weiterbildung der Juristen, in: NJ 1964, S. 33–35. 231 Weitgehend abgedruckt bei Karl-Heinz Lehmann, Die juristische Ausbildung in der DDR, in: JuS 1968, S. 341–344, 342.
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Rechtspflegejuristen vor. Auch die am Ende der Ausbildung stehende Diplomarbeit sollte nun „der Praxis dienen“.232 In dieser Ausprägung neu war hingegen der Gedanke der Spezialisierung. Nach einem einheitlichen Grundstudium wurde in der Ausbildung nun klarer zwischen Rechtspflege- und Wirtschaftsjuristen differenziert. Damit wurde die Konzeption des Einheitsjuristen verabschiedet und mit dem Wirtschaftsjuristen ein neues Berufsbild geschaffen. Die Ausbildung der Rechtspflegejuristen erfolgte nun ausschließlich an den Fakultäten in Leipzig und Berlin, während die Wirtschaftsjuristen auf Jena und Halle verteilt wurden. Besonders Letztere waren als ökonomisch wertvolle Kader nun gefordert. Ziel war, die in der Wirtschaft tätig werdenden Juristen zu befähigen, die ökonomischen Aufgaben mit den Mitteln des Rechts lösen zu helfen und die Interessen der Volkswirtschaft in dem sich erweiternden Handel mit anderen Staaten zu sichern.233
Für die Rechtspflegejuristen bedeutete dies im Gegenzug eine stärkere Konzentration auf justizrelevante Ausbildungsgebiete. Im siebten Semester erfolgte die „Berufslenkung der Studierenden für den künftigen Einsatzbereich auf der Grundlage der von der staatlichen Plankommission herauszugebenden Richtlinie und Grundsätze über die Berufslenkung“.234 Schon das am Ende der Ausbildung stehende 16-wöchige Praktikum fand dann bei der künftigen Ausbildungsstelle statt. Hier wurde der Praktikant voll in die tägliche Arbeit integriert, nahm nicht nur an Sitzungen, sondern auch an Dienstbesprechungen, Justizaussprachen und Rechtsauskünften teil. Erstmals kam er dabei auch mit den an der Universität nicht gelehrten Anweisungen der zentralen Justizorgane in Kontakt.235 Auch aus diesem Grund musste die „klassenmäßige Erziehung“ zu diesem Zeitpunkt mit Sorgfalt fortgesetzt werden.236 Durch die Berufslenkung in Absprache mit den künftigen Dienststellen wurden bereits die Studenten Teil eines Stellenplans. Da das Abspringen im Studium wie 232 Grundlage war der Ministerratsbeschluss „Über die Aufgaben der Deutschen Akademie für Staatsund Rechtswissenschaft ‚Walter Ulbricht‘“ vom 23.6.1963. 233 Alfred Wolf, Inhalt und System der Ausbildung und Weiterbildung der Juristen, in: NJ 1964, S. 33–35, 34; zur Ausbildungskonzeption vgl. Gerhard Dornberger, Konferenz uber Ausbildung und Einsatz der Juristen in der volkseigenen Wirtschaft, in: NJ 1964, S. 368– 371. 234 Vgl. Grundlage war der Ministerratsbeschluss „Über die Aufgaben der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft ‚Walter Ulbricht‘“ vom 23.6.1963. 235 Vgl. Anweisung des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen vom 10.10.1963, unter 2 b); BA DP1 SE Nr. 922 / 1–6. 236 Vgl. Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 433 mit Nachweisen.
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auch das Nichtbestehen der Prüfung die künftige Besetzung der Stellen gefährdeten, kursierte schon unter den Studenten der Slogan: Bist Du erst einmal immatrikuliert, dann schützt Dich nur noch der Tod vor dem Examen!237
Die ideologische Durchdringung des Studiums für diesen Zeitraum ist nach äußerlichen Kriterien schwer abzuschätzen. Schon die Ausdifferenzierung der Fächer macht es schwer, die „gesellschaftswissenschaftlichen“ Ausbildungsabschnitte klar herauszufiltern. Mit knapp unter 30 Prozent der Gesamtstundenzahl238 scheint der Anteil der politisch besonders stark belasteten Fächer leicht zurückgegangen zu sein. Persönliche Schilderungen sprechen jedoch eher für eine weitergehende Verschärfung der politischen Einflussnahme.239 Die SED-Fakultätsgruppen, zusammengesetzt aus Professoren, Dozenten und Studenten, waren fest institutionalisiert und „bestimmten das studentische und gesellschaftliche Leben an der juristischen Fakultät“.240 Studentenkollektive bzw. FDJ-Gruppen umgaben die Zeit des Selbststudiums. Die Teilnahme an den gesellschaftspolitischen Veranstaltungen der Universität war Pflicht. In diesem Klima und bei kleinen Studentenzahlen war es kaum möglich, seine „innere Grundhaltung zu verbergen“.241 In jedem Semester wurden aufgrund ihrer Leistung im politischen Grundstudium auch einzelne Studenten als Nachwuchskader für den Staatssicherheitsdienst angeworben und
237 Nach Auskunft eines Beteiligten. 238 Nach dem Ausbildungsplan von 1963 (bei Karl-Heinz Lehmann, Die juristische Ausbildung in der DDR, in: JuS 1968, S. 341–344, 342) sind eingerechnet: Politische Ökonomie, Dialektischer und Historischer Materialismus, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung; Staats- und Rechtstheorie; Staatsrecht; Leitung und Planung der Volkswirtschaft, Wissenschaftlicher Sozialismus/ Kommunismus; Pädagogische und psychologische Grundlagen sozialistische Leitungstätigkeit; Ökonomik des sozialistischen Betriebes; Staats- und Rechtsgeschichte; Staatsrecht sozialistischer Staaten. 239 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 428 ff., ab 1964 Student in Jena. 240 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 429. 241 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 429.
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dienten ab diesem Zeitpunkt als IM, teilweise als Kontrollorgan ihrer Kommilitonen.242 In diesem Zusammenhang ist das Aufkommen sogenannter Vertragsstudenten ab Mitte der 1960er Jahre von Interesse.243 Das MdJ schloss nun mit SED-Mitgliedern Verträge über ihren künftigen Einsatz bei den Rechtspflegeorganen. Gegen ein erhöhtes244 Stipendium und die Garantie, bei erfolgreichem Abschluss übernommen zu werden, verpflichtete sich der künftige Student nicht nur zu einem konsequenten Studium, sondern auch zu partei- und gesellschaftspolitischem Engagement und dazu, „die Beschlüsse von Partei und Regierung stets zu beachten und sich im eigenen Handeln von ihnen leiten zu lassen“ sowie „sich überall und jederzeit für die Ziele und Interessen der Arbeiter- und Bauernmacht einzusetzen“.245
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„Dritte Hochschulreform“: 1967–1971
Bereits seit dem VI. Parteitag vom Januar 1963 deuteten sich bedeutende Reformen in der SED-Programmatik an. Unter dem Einfluss jüngerer Funktionäre wie Erich Apel und Günter Mittag startete Ulbricht eine ökonomische Offensive unter dem Schlagwort „Neues Ökonomisches System“.246 Um die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft zu steigern, kam es zu einer Schwerpunktverschiebung von der ideologischen Kaderschulung hin zur ökonomischen Nutzenanalyse. Dem Einzelnen
242 Gräf konnte fur sein Semester bei 23 Studenten drei solche Nachwuchskader und mindestens einen IM nachweisen, Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 429 Anm. 93, 430 Anm. 96. 243 Hierzu Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 405 ff. 244 1962 erhielten rund 80 Prozent der Studenten Stipendien, hinzu kam die Möglichkeit des billigen Wohnens in einem Studentenheim. Ab 1981 erhielten alle Studenten, unabhängig vom Einkommen der Eltern, eine monatliche Grundzuwendung von 190 Mark (Berlin 205 Mark); hinzu kamen bei vielen Studenten Zuschläge für Ehe, dreijährigen Wehrdienst oder den besonderen Einsatz für die FDJ. Aufschlüsselung der Stipendienregelungen bei Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 1051. 245 Aus einem Vertragstext, zitiert nach Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 406 mit Nachweis. 246 Ab 1967: Ökonomisches System des Sozialismus. Zu dieser Entwicklung Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, erweiterte Neuausgabe Frankfurt a.M. 1996, S. 211 ff.
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wurde ein gewisses Eigeninteresse zugestanden, das es gesellschaftlich nutzbar zu machen galt: Der homo oeconomicus galt wieder etwas in der DDR […].247
Kaderlenkung und Verwaltung sollten zurücktreten, um der Kreativität des Individuums und der Entwicklung neuer ökonomischer Strategien den notwendigen Freiraum einzuräumen ‒ auch wenn dies eine Gefahr für den absoluten Führungsanspruch der Partei bedeutete. Eine Aufwertung bedeutete dies für die Wissenschaft, die es nun zu „stimulieren“ galt. a) Studium Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels auf die Hochschulpolitik waren abzusehen. Die im Februar 1967 von der vierten Hochschulkonferenz der DDR beschlossenen „Prinzipien zur weiteren Entwicklung der Lehre und Forschung an den Hochschulen der DDR“ initiierten eine umfassende Neuordnung des gesamten Hochschulwesens.248 Wichtigstes Ziel war dabei eine größere Nähe der Forschung zur Volkswirtschaft.249 Diese „Dritte Hochschulreform“250 führte zunächst zu organisatorischen Veränderungen.251 Die Verwaltung der Hochschulen wurde zentralisiert.252 Um die Forschung besser überblicken und koordinieren zu können, wurden bis 1968 die Fakultäten und die Institute durch insgesamt 190 Sektionen ersetzt. Die Ausbildung der Justizjuristen übernahmen nun die HumboldtUniversität in Berlin für Richter und die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität für Staatsanwälte.
247 Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, erweiterte Neuausgabe Frankfurt a.M. 1996, S. 212. 248 Karl-Heinz Lehmann, Reform der Juristenausbildung in der DDR, in: JuS 1969, S. 195 f.; ders., Die juristische Ausbildung in der DDR, in: JuS 1968, S. 341–344, 343; Hedwig Rudolph/Rudolf Husemann, Hochschulpolitik zwischen Expansion und Restriktion – Ein Vergleich der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a.M. 1984, S. 49 ff.; Ralf Rytlewski, Entwicklung und Struktur des Hochschulwesens in der DDR, in: Oskar Anweiler u. a., Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik, Köln 1990, S. 414–424; Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biografie der DDR, Kiel 1993, S. 6 ff. 249 Vgl. Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, Frankfurt a.M. 1996, S. 220. 250 Allgemein Wolfgang Lambrecht, Neuparzellierung einer gesamten Hochschullandschaft. Die III. Hochschulreform in der DDR (1965–1971), in: hochschule 2007, S. 171–189. 251 Vgl. Johannes Klinkert, Kooperationsbeziehungen mit der sozialistischen Praxis ‒ wesentliches Anliegen der 3. Hochschulreform, in: Vertragssystem 1968, S. 697–703. 252 Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 1044 ff.
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Um den Forderungen nach einer Verkürzung des Studiums nachzukommen, wurde das Studium von fünf auf vier Jahre verringert. Gefördert wurde im Studium nun die Heranbildung von Fachleuten. Hierzu wurden das Fachstudium überarbeitet und zwei spezielle Förderungsmöglichkeiten für „wissenschaftlich-produktive Tätigkeiten“ geschaffen. Im sogenannten Spezialstudium sollten wissenschaftliches Arbeiten und besondere Spezialkenntnisse für die durch die staatliche Berufslenkung zu diesem Zeitpunkt bereits festgelegte spätere Tätigkeit vermittelt werden.253 Nach Kritik aus der Praxis wurde das Spezialstudium jedoch schon bald darauf wieder abgeschafft.254 Für spätere Wissenschaftskader wurde anstelle des Spezialstudiums das besondere Forschungsstudium eingerichtet. Es war auf zwei Jahre ausgerichtet und diente der Heranführung an die spätere Tätigkeit sowie der Erstellung einer Dissertation. Dissertationen, aber auch die Diplomarbeiten des normalen Studienabschlusses, wurden nun mit konkreten Problemen der Volkswirtschaft koordiniert. Hierzu schloss die Universität sogenannte Koordinationsvereinbarungen mit der Praxis ab, in denen auch Lehrplanfragen, Berufspraktika, die Ausbildung von Spezialkadern und der Kaderaustausch abgestimmt wurden.255 b) Auswirkungen auf die Rekrutierungspraxis Die Ausbildung einer fachlichen Elite führte allgemein zur Gefahr „einer Verselbständigung des fachlich qualifizierten Personals in den Wirtschaftsapparaten gegenüber der Partei“.256 Gleiches galt potentiell für fachlich besser als ihre Leitungskader qualifizierte Juristen. Zur Sicherung der Konformität der neuen Kader musste erneut auf die Rekrutierung der Kader besonderes Augenmerk gelegt werden.257 In einer Rede vor der DASR am 6. Januar 1969 forderte daher Kurt Wünsche nachdrücklich von dem Bewerber um ein juristisches Studium ein hohes sozialistisches Bewusstsein, gesellschaftliche Aktivität, politisch-moralisch untadeliges Verhalten, Lebensreife,
253 Vgl. Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium fur Hochund Fachschulwesen (Hrsg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Wegweiser 1969, Berlin 1969, S. 127 ff.; Karl-Heinz Lehmann, Die juristische Ausbildung in der DDR, in: JuS 1968, S. 341–344. 254 Hedwig Rudolph/Rudolf Husemann, Hochschulpolitik zwischen Expansion und Restriktion – Ein Vergleich der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a.M. 1984, S. 87. 255 Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biografie der DDR, Kiel 1993, S. 78 für die HumboldtUniversität; ebenso Johannes Klinkert, Kooperationsbeziehungen mit der sozialistischen Praxis ‒ wesentliches Anliegen der 3. Hochschulreform, in: Vertragssystem 1968, S. 698 f. 256 Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, Frankfurt a.M. 1996, S. 218. 257 Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, Frankfurt a.M. 1996, S. 211 ff.
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gefestigtes marxistisch-leninistisches Wissen, gute Allgemeinbildung, Bescheidenheit und Ehrlichkeit. Er solle nicht älter als zwanzig Jahre sein, den Nachweis der Hochschulreife besitzen und in gesellschaftlichen Organisationen aktiv gewesen sein. Auch müsse er Kritik zugänglich und zur Selbstkritik fähig sein und sich immer für den Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung der DDR und die Interessen der sozialistischen Gesellschaft einzusetzen bereit sein.258 Ein internes Merkblatt des MdJ aus dem Jahr 1970 fügte dem die Forderung hinzu, geeignet sei nur, wer vorbehaltlos die Beschlüsse der Partei- und Staatsführung anerkennt und bereit und fähig ist, sich unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit für ihre Verwirklichung einzusetzen.259
Nochmals wurde das gesamte Rekrutierungskonzept überarbeitet. Die Erfahrungen aus dem Vertragsstudium einerseits und aus den seit 1963 durchgeführten Eignungsprüfungen andererseits wurden zu einem lückenlosen Selektionsprozess verfeinert, der bereits 17-Jährige in ein umfassendes Betreuungssystem einband.260 Während es zumindest auf dem Papier261 vor 1965 noch einer besonderen Befürwortung durch einen Betrieb oder eine Massenorganisation bedurfte, bestand nun die Möglichkeit, sich für das Jurastudium direkt zu bewerben.262 Seit dem VI. Partei-
258 Kurt Wunsche, Die Aufgaben des Ministeriums für Justiz auf dem Gebiet der sozialistischen Rechtspflege, in: NJ 1969, S. 65; fast identisch die im „Wegweiser“, Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium fur Hoch- und Fachschulwesen (Hrsg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Wegweiser 1969, Berlin 1969, S. 128, genannten Anforderungen. 259 Merkblatt über Anforderungen an Studienbewerber für das Studium in der Grundrichtung Rechtswissenschaft/Rechtspflege, in: Verfügungen und Mitteilungen des MdJ 1970, S. 52. 260 Zum Folgenden die Darstellungen von Heinz Daniel Danisch, Zur Sozialisation, Siebung und sozialen Kontrolle der akademischen DDR-Studentenschaft in den siebziger Jahren, Berlin 1979; Thorsten Hüls, Die Juristenausbildung an der Universität Halle. Von den Anfängen bis zur Neugründung der Juristischen Fakultät im Jahr 1993, Göttingen 1997, S. 31 ff.; Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, S. 407 f.; Rainer Schröder/Fred Bär, Zur Geschichte der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, in: KJ 1996, S. 447–465, S. 457 f.; Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 123–137, S. 128 ff. (leider ohne hinreichende Nachweise). 261 Nach Auskunft Beteiligter war auch schon früher die Bewerbung des Studieninteressenten ausschlaggebend. 262 § 56 I des Gesetzes uber das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25.2.1965 (Gbl. I, S. 83 ff.).
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tag 1963 wurde der Aufbau eines einheitlichen Bildungssystems263 forciert, „dessen einzelne Stufen vom Kindergarten und der Schule, der Berufsausbildung und Erwachsenenbildung bis zu den Universitäten, Hoch- und Fachschulen aufeinander abgestimmt sind“.264 An den Schulen wurden seit den 1970er Jahren sogenannte Hinweise für Studienbewerber265 und „Berufsbilder“ ausgegeben, an denen sich der angehende Bewerber orientieren konnte.266 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung waren nach dem Gesetzeswortlaut267 – – –
die aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft und die Bereitschaft zur aktiven Verteidigung des Sozialismus, der Nachweis hoher fachlicher Leistungen, verbunden mit dem Streben, das Wissen und Können ständig zu vervollkommnen, die Bereitschaft, alle Forderungen der sozialistischen Gesellschaft vorbildlich zu erfüllen und nach Abschluss des Studiums ein Arbeitsverhältnis entsprechend der Absolventenordnung vom 3. Februar 1971 aufzunehmen.
In Frage kam nur, wer bereits in der achten Klasse vom Lehrerkollegium zur erweiterten Oberstufe zugelassen wurde. In der elften Klasse konnten sich Interessierte bewerben und wurden einer ersten fachlichen und politischen Eignungsprüfung durch Klassenlehrer und FDJ-Leitung unterzogen.268 Westkontakte stellten hier einen Risikofaktor dar.269 Nach einer Aussprache bei der Kaderleitung des örtlichen Bezirksgerichts konnte der Bewerber zu Beginn der zwölften Klasse dort eine auch
263 Hierzu Dietmar Waterkamp, Das Einheitsprinzip im Bildungswesen der DDR, Köln 1985. 264 Zitiert nach Siegfried Baske, Bildungspolitik in der DDR 1963–1976. Dokumente, Berlin 1979, S. 50. 265 Gabriele Husner, Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985, S. 29. 266 Zum Informationssystem Peter Fiedler/Gerold Schneider, Berufsbilder als Instrument der Studienberatung, in: Das Hochschulwesen 1983, S. 170–179. 267 § 1 I der Anordnung über die Bewerbung, die Auswahl und Zulassung zum Direktstudium an den Universitäten und Hochschulen vom 01.07.1971 (Gbl. II, S. 486 ff.); näher zu diesen Kriterien Thorsten Hüls, Die Juristenausbildung an der Universität Halle. Von den Anfängen bis zur Neugründung der Juristischen Fakultät im Jahr 1993, Göttingen 1997, S. 32 ff. 268 Im benannten Gesetz nur erwähnt; es verweist im Übrigen auf die nähere Ausgestaltung auf Grundlage der zwischen dem Minister für Hoch- und Fachschulwesen und dem Minister der Justiz getroffenen Festlegungen, vgl. § 4 Abs. 5 des benannten Gesetzes. Diese näheren Ausgestaltungen waren mir nicht zugänglich, wurden mir jedoch in persönlichen Gesprächen mit Absolventen bestätigt. Ich folge insoweit daher der Darstellung von Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der EnqueteKommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, BadenBaden 1995, Bd. 4, S. 399–450. 269 Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen
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politisch ausgerichtete Aufnahmeprüfung ablegen. Nach einem weiteren Gespräch beim MdJ war der Bewerber „vorimmatrikuliert“ und schloss einen Studienfördervertrag. Er bekam einen Richter am Kreisgericht als Betreuer zugewiesen, der mit ihm auch im nachfolgenden zweimonatigen Vorpraktikum am Kreisgericht und im dann abzuleistenden dreijährigen Wehrdienst270 weiterhin Kontakt hielt. Der anstehenden Aufnahme in das Studium war ein weiteres Eignungsgespräch mit einer Kommission, die aus Vertretern der Sektion Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität, des MdJ und der FDJ bestand, vorgeschaltet. Nochmals wurden „politisch-ideologische Reife“, charakterliche Eignung und Leistungsvermögen des Kandidaten überprüft.271 Im Ergebnis war zumindest die Mitgliedschaft in der FDJ zwingend.272 Vielfach273 ohne realistische Chance auf einen Studienplatz blieben so Bürgerrechtler und kirchlich engagierte Personen, die eine Mitgliedschaft in der FDJ zumeist ablehnten.274 Wer in diesen Gesprächen eine kritische Haltung attestiert bekam, dem wurde in einem abschlägigen Bescheid nahegelegt, sich erst noch einmal in der Produktion zu bewähren.275 Nun hing die Zulassung nur noch an den Anforderungen der Berufslenkung und an den fachlichen schulischen Leistungen. Da ab den 1970er Jahren die Zahl der Bewerber den Bedarf leicht überstieg, konnte nach Lochen276 etwa Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre nur jeder zweite Bewerber für die Richterlaufbahn zugelassen werden. Den Jahresbedarf an Rechtspflegejuristen bezifferte das MdJ mit
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der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, S. 408 f. Persönliche Gespräche mit ehemaligen Studenten der Humboldt-Universität haben das bestätigt. Nach Auskunft Beteiligter wurden Frauen im gleichen Zeitraum in einem juristischen Tätigkeitsfeld als Hilfskraft angestellt, etwa als Schreibkraft bei Gericht. Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 129. Gabriele Husner, Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985, S. 31. Ausnahmen hat es nach Auskunft Beteiligter immer gegeben. Ein Beispiel ist die Ausbildung von Kirchenjuristen. Kriterien bei Thorsten Hüls, Die Juristenausbildung an der Universität Halle. Von den Anfängen bis zur Neugründung der Juristischen Fakultät im Jahr 1993, Göttingen 1997, S. 34; Andreas Herbst/ Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 1047. Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 1047. Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 129.
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etwa 100–110 Absolventen.277 Die Begriffsbestimmung der für die „klassenmäßige Zusammensetzung“ bevorzugt heranzuziehenden Arbeiter- und Bauernkinder278 wurde zur Bevorzugung besonderer Bewerbergruppen genutzt. Proletarischer Herkunft qua definitionem waren Kinder von Partei- und Staatsfunktionären und Angehörige der Schutz- und Sicherheitsorgane. Abiturienten ohne abgeschlossene Berufsausbildung wurden ansonsten nur selten zum Studium zugelassen.279 Ende der 1980er Jahre belief sich der Anteil der Abiturienten auf 11 Prozent.280 Besonders gefördert wurde auch der Anteil der Frauen im Studium. Ende der 1980er Jahre betrug der Frauenanteil der Studierenden etwa 50 Prozent.281 c) Assistentenzeit Nachdem die Praktikantenzeit 1963 abgeschafft worden war, kehrte man 1970 zu einer nachgeschalteten einjährigen Assistentenzeit und damit zu einer zweistufigen Ausbildung zurück.282 Damit wurde die Ausbildungsdauer für zukünftige Richter wieder auf fünf Jahre erhöht. Ziel der Assistentenzeit sollte sein, künftige Richter nach einem Ausbildungsplan darauf vorzubereiten, seine Aufgaben mit hoher Qualität und Effektivität zu erfüllen. Die Ausbildung ist darauf zu richten, den Assistenten zu klassenbewußtem Denken und Handeln, zu hohem Verantwortungsbewußtsein, zu Initiative und Disziplin zu erziehen. Sie dient dazu, dem Assistenten die Befähigung zur Erfüllung des Klassenauftrags der Gerichte zu vermitteln. Dieser besteht: – im zuverlässigen Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung – im Schutz des sozialistischen Eigentums – in der Sicherung der Rechte der Bürger und der Förderung ihrer bewußten Disziplin. 277 Nachweise bei Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 407, Anm. 19. 278 Gabriele Husner, Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985, S. 28. 279 Andreas Herbst/Winfried Ranke/Jürgen Winkler, So funktionierte die DDR, Reinbek 1994, Bd. 2: Lexikon der Organisationen, S. 1048. 280 Detlef Berg, Juristenausbildung in der DDR, in: JuS 1990, S. 333–355, 333; gegensätzlich die Gesamtstudentenzahlen ohne Fächerdifferenzierung, vgl. Michael Leszcensky/Bastian Filaretow, Hochschulstudium in der DDR. Statistischer Überblick, Hannover o.J. (ca. 1990), S. 15. 281 Detlef Berg, Juristenausbildung in der DDR, in: JuS 1990, S. 333–355, 333; gegensätzlich die Gesamtstudentenzahlen ohne Fächerdifferenzierung, vgl. Michael Leszcensky/Bastian Filaretow, Hochschulstudium in der DDR. Statistischer Überblick, Hannover o.J. (ca. 1990), S. 15. 282 „Anordnung vom 20.5.1970 über die Assistentenzeit für Hochschulabsolventen bei den Gerichten der Deutschen Demokratischen Republik – Assistentenordnung“ (GBl. II, S. 447); hierzu KarlHeinz Lehmann, Assistentenzeit fur Diplomjuristen an den Gerichten der DDR, in: JuS 1970, S. 481 f.
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Der Assistent ist verpflichtet, – eng mit den Werktätigen zusammenzuarbeiten, – ihnen das sozialistische Recht zu erläutern, – das Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung zu festigen, – aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, – ständig an seiner weiteren politischen und fachlichen Qualifizierung zu arbeiten.283
Inwieweit diese theoretischen Vorgaben die Assistentenzeit auch praktisch bestimmten, erfordert jedoch näherer Untersuchung. Der Anteil des Lernbedarfs für die spätere praktische Tätigkeit dürfte nicht zu unterschätzen sein. Die Ausbildung endete nach einem Jahr mit der Wahl auf vier Jahre zum Richter.284 Wurde der erforderliche „Entwicklungsstand“ nicht erreicht, konnte eine Ausbildungsverlängerung um weitere sechs Monate angeordnet werden. Entscheidend war die einen Monat vor Ende der Ausbildung abzugebende Einschätzung des Ausbildungsleiters. Ein weiteres (zweites) Staatsexamen wurde nicht eingeführt.
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Die Ära Honecker: 1971–1989
Schon auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 bremste Erich Honecker die „Dritte Hochschulreform“ ab. Die eingeleitete Expansion der Hochschulen wurde gestoppt und gefordert, „die vorhandenen Ausbildungskapazitäten voll zu nutzen und noch effektiver zu arbeiten“.285 Die Wissenschaft wurde erneut enger an die parteipolitischen Vorgaben gebunden und die ideologische Ausbildung verstärkt.286
283 Hier zitiert die (2.) Anordnung über die Assistentenzeit für Hochschulabsolventen bei den Kreisgerichten der DDR vom 24.1.1978; BA DP 1VA Nr. 5550. 284 §§ 49, 51 GVG-DDR. 285 Erich Honecker 1971, zitiert nach Hedwig Rudolph/Rudolf Husemann, Hochschulpolitik zwischen Expansion und Restriktion – Ein Vergleich der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a.M. 1984, S. 111; nach zwischenzeitlicher Steigerung gingen die Studentenzahlen seit 1975 kontinuierlich zurück ‒ die hier zugänglichen Zahlen beziehen sich jedoch durchgängig auf philosophisch-historische und Staats- und Rechtswissenschaften in Addition und fußen auf der insoweit nicht differenzierenden DDR-Statistik, eine genauere Aufsplittung war daher nicht möglich, vgl. Michael Leszcensky/ Bastian Filaretow, Hochschulstudium in der DDR. Statistischer Überblick, Hannover o.J. (ca. 1990), S. 55. 286 Hedwig Rudolph/Rudolf Husemann, Hochschulpolitik zwischen Expansion und Restriktion – Ein Vergleich der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a.M. 1984, S. 49 ff., S. 116 ff.
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Die gesteigerte Nutzenausrichtung der wissenschaftlichen Arbeit wurde wieder in die Parteidisziplin geführt. Die Selektion der Bewerber verlief weiterhin in den inzwischen erprobten Bahnen. Ab 1982 kam jedoch ein einjähriges „Vorpraktikum“ hinzu, das der Sammlung praktischer Erfahrungen, aber auch der ideologischen Einschätzung des Bewerbers diente.287 Der Beurteilung der ideologischen Reife der Bewerber und dann der Studenten wurden inzwischen wissenschaftliche Untersuchungen zuteil.288 Am 1. September 1974 trat ein vom neugegründeten Wissenschaftlichen Beirat für Staats- und Rechtswissenschaft beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen in Zusammenarbeit mit den Sektionen erarbeiteter neuer Studienplan in Kraft.289 Die Erziehungs- und Ausbildungsziele waren von der gesetzmäßig wachsenden Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistischleninistischen Partei, der wachsenden Rolle des sozialistischen Staates im Prozess der vollen Entfaltung der sozialistischen Gesellschaft und der damit untrennbar verbundenen zunehmenden Bedeutung des sozialistischen Rechts bestimmt.290
Inhaltlich lehnte sich der Studienplan weitgehend an den des Jahres 1969 an. Neu war die Wiedereinführung des Faches Verwaltungsrecht, welches sich jedoch im Gegensatz zum bundesdeutschen Verständnis auf Fragen der Organisation und Leitung des Staates konzentrierte. Das offizielle Lehrbuch bezeichnete das Verwaltungsrecht als „eines der Instrumente zur praktischen Organisierung der staatlichen Leitung und Planung der gesellschaftlichen Prozesse“.291 Dieses Lehrbuch war gleichzeitig Teil einer zweiten, im Zeichen der seitens der Partei vorgegebenen Effektivierung der Ausbildung herausgegebenen Lehrbuchreihe zur Rechtswissenschaft.292
287 Gabriele Husner, Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985, S. 29. 288 Vgl. Horst Gehrcke/Gerhard Hahn, Studentenbeurteilung. Ein Ratgeber für Hochschullehrkräfte, FDJ Leitungen, Studenten und Praxispartner, Berlin 1987 mit umfangreicher Literatur im Anmerkungsapparat. 289 Hierzu Willi Büchner-Uhder, Zur Erziehung und Ausbildung an den staats- und rechtswissenschaftlichen Sektionen, in: SuR 1977, S. 817–826; Erich Buchholz, Probleme der juristischen Ausbildung, in: NJ 1978, S. 512– 515. 290 Hierzu Willi Büchner-Uhder, Zur Erziehung und Ausbildung an den staats- und rechtswissenschaftlichen Sektionen, in: SuR 1977, S. 817–826, 818. 291 Autorenkollektiv, Verwaltungsrecht. Lehrbuch, Berlin 1979, S. 26. 292 Etwa: Autorenkollektiv, Marxistisch-leninistische allgemeine Theorie des Staates und des Rechts, Berlin 1976; Autorenkollektiv, Staatsrecht burgerlicher Staaten, Berlin 1980; Sinowi Michailowitsch Tschernilowski, Allgemeine Staats- und Rechtsgeschichte, Berlin 1980; Autorenkollektiv, Strafrecht Allgemeiner Teil, Berlin 1978; Autorenkollektiv, Strafrecht Besonderer Teil, Berlin 1981; Autorenkollektiv, Strafrecht der DDR. Berlin 1988; Autorenkollektiv,
Richterausbildung in der DDR
Seit 1975 beteiligten sich die Studenten an der rechtlichen Erziehung der Bevölkerung, der sogenannten Rechtspropaganda.293 Aufgabe der Studenten war es dabei, vor Schülern und Berufsschülern sowie vor Mitarbeitern örtlicher Organe und in Arbeitskollektiven Grundkenntnisse des sozialistischen Rechts zu vermitteln. Dies sollte neben der Vertiefung der eigenen Kenntnisse auch pädagogische Fähigkeiten schulen und gleichzeitig das „Rechtsbewußtsein der Bürger“294 erhöhen. Im Übrigen verlief die Juristenausbildung weiter in inzwischen eingespielten Bahnen. Die nach dem IX. Parteitag im September 1980 durchgeführte V. Hochschulkonferenz blieb ohne konkrete Auswirkungen auf die Juristenausbildung.295 1988 diskutierte Reformvorschläge296 brachten ebenso wenig praktische Veränderungen wie die seit 1989 verhandelte und nicht mehr wirksam gewordene „Vierte Hochschulreform“.297
10. Schluss Eine Beurteilung der Richterausbildung in der DDR muss ihren Ausgangspunkt in einem vom westdeutschen grundlegend differierenden Richterbild in der DDR suchen. Recht war Instrument zur Umsetzung der durch die Partei vorgegebenen gesellschaftlichen Ziele.298 Wird man auch durchaus feststellbare Konjunkturen nicht außer Acht lassen dürfen, die der individuellen Rechtsposition gegenüber dem Staat einen gewissen Freiraum einräumten, so hatte doch Recht grundsätzlich
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Strafverfahrensrecht, Berlin 1977; Autorenkollektiv, Wirtschaftsrecht, Berlin 1985; Autorenkollektiv, LPG-Recht, Berlin 1976; Autorenkollektiv, Bodenrecht, Berlin 1976. Hierzu Stefan Poppe/Hans-Georg Heilmann/Martin Röllig, Beitrag der Juristen zur Rechtspropaganda, in: NJ 1982, S. 459–460. Hierzu Stefan Poppe/Hans-Georg Heilmann/Martin Röllig, Beitrag der Juristen zur Rechtspropaganda, in: NJ 1982, S. 459–460. Vgl. Willi Maser, Die V. Hochschulkonferenz geht auch uns an, in: NJ 1980, S. 100 mit relativ unbestimmten Aufgabenbestimmungen. Vgl. Beschluss des Politburos vom 31.05.1988, abgedruckt in NJ 1988, S. 320; Erich Buchholz, Überlegungen zur künftigen rechtswissenschaftlichen Ausbildung, in: NJ 1989, S. 176–178. Evangelische Akademie Loccum (Hrsg.), Die Reform der Juristenausbildung, auch unter dem Aspekt der gesamtdeutschen Juristenausbildung. Niederschrift der Tagung „Juristen in Deutschland ‒ Anforderungen an eine zukünftige juristische Ausbildung“, Bonn 1992; Peer Pasternack (Hrsg.), IV. Hochschulreform. Wissenschaft und Hochschulen in Ostdeutschland 1989/90. Eine Retrospektive, Leipzig 1993 mit Auswahlbibliographie, S. 181 ff.; Bibliographie auch bei Werner Gruhn, Die Transformation des ostdeutschen Wissenschaftssystems – eine annotierte Bibliographie zum Zeitraum 1990/91, Erlangen 1992. Dazu Gerhard Dilcher, Politische Ideologie und Rechtstheorie, Rechtspolitik und Rechtswissenschaft, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr, Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 469–481.
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keine Autonomie gegenüber staatlicher Lenkung. Eine Wendung des Gesetzes gegen die Partei war dem Richter, cum grano salis, verwehrt. Auch galt: Der Richter vertrat weder „überpositives“ Recht noch einen selbstentwickelten „Klassenstandpunkt“. Die ständige politische Schulung diente nicht der Befähigung, eine eigene marxistische Rechtsansicht zu statuieren, sondern der Absicherung des Führungsanspruches der Partei. Der Richter war als Umsetzer der Vorgaben der Führung in ein enges Anleitungs- und Kontrollsystem vernetzt.299 Die Einbindung in einen fachwissenschaftlichen Diskurs wie auch die traditionellen Methoden der Gesetzesanwendung konnten also gegenüber politischen Vorgaben keine Autonomie beanspruchen. Aus diesem Blickwinkel war es naheliegend, dass Richter weder fachliche noch – nicht erst seit den Richterwahlen – persönliche Unabhängigkeit genossen.300 Schon die Volksrichterausbildung war an dem neuen Richterbild ausgerichtet. Die Tatsache, dass „kaum ein Student unter den Studienvorschriften sein Studium beendete, unter denen er es begonnen hatte“,301 darf nicht den Blick dafür verstellen, dass sich in Auseinandersetzung mit dem überkommenen Universitätsstudium und mit dem sowjetischen Vorbild bereits hier die wesentlichen Leitlinien ausbildeten, welche die Richterausbildung bis zum Ende der DDR prägten.302 Besonderer Wert wurde bereits früh auf die Rekrutierung der Justizkader gelegt. Neben der eigenen Berufswahl war schon in den 1950er Jahren politische Zuverlässigkeit für die Zulassung zum Studium Voraussetzung. Anfangs galt es, Bewerber auszusondern, deren Entscheidung noch dem alten Berufsbild des Richters verpflichtet war. Probleme in den Volksrichterkursen mit Bewerbern, die hier eine Karrieremöglichkeit und den sozialen Aufstieg erhofften, machten diese Gefahren deutlich.303 Zunehmend wurde jedoch das Bild des neuen sozialistischen Richters 299 Vgl. Hubert Rottleuthner, Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994; ders., Steuerung der Justiz, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED, Leipzig 1994, S. 221 ff. 300 Gem. § 53 GVG-DDR i.V.m. Art. 95 der DDR-Verf. von 1968 konnten Richter jederzeit abberufen werden, wenn sie ihre „Pflichten gröblich verletzen“ (Art. 95). Auch ein Parteiausschlussverfahren zog noch 1989 (!) die Gefahr einer Abberufung gem. § 53 Abs. 4 GVG-DDR nach sich ‒ so der nach 1989 diskutierte Fall Steffen Kappler, vgl. Rainer Witte, Als Richter politisch nicht tragbar, in: NJ 1990, S. 145–147. 301 Aussage eines Beteiligten. 302 Klar zu diesem Zusammenhang auch Hermann Wentker (Hrsg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945–1952 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 74), München 1997, S. 67. 303 Bezugnahme hier zumeist auf die unveröffentlichten Aufzeichnungen von Richard Krügelstein, zitiert nach Henning Frank, Die Juristenausbildung nach 1945 in der SBZ/DDR, in: NJ 1995, S. 403–406, 404 f.; Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 126; Aktenfunde auch bei Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 10; das Problem klingt auch in der Stel-
Richterausbildung in der DDR
im kollektiven Bewusstsein verankert. Richter bezogen ein relativ niedriges Gehalt und hatten im Verhältnis zur Bundesrepublik einen niedrigeren sozialen Status.304 Auch die politischen Implikationen der Tätigkeit waren nun bekannt. Insgesamt sorgten so der Aufbau eines immer engmaschigeren Auswahlnetzes, die Vorprägung in der Schule sowie das sich wandelnde Berufsbild des Richters wohl bereits in den 1960er Jahren dafür, dass politische Abweichler im juristischen Studium zur großen Ausnahme wurden. Wer nun eine juristische Ausbildung begann, der wusste, was ihn erwartete. Dies dürfte auch Auswirkungen auf die Atmosphäre im juristischen Studium gehabt haben. Sicher ab den 1960er Jahren war hier ein sozialistischer Grundkonsens vorherrschend, der die Studenten die ideologische Ausrichtung des Studiums wohl nur in Ausnahmefällen als Zwang empfinden ließ.305 Dies spricht, bei Außerachtlassung individuell besonderer Studienerfahrungen, auch dafür, dass nach den Spannungen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre die Stimmung an den Universitäten ruhiger wurde. Kein Gegensatz hierzu ist die Feststellung, dass gleichzeitig die ideologische Überwachung des Studiums auch nach der stalinistischen Ära weiter zunahm. Es blieb beim Grundsatz: „Einheit von Ausbildung und Erziehung“.306 Das Grundstudium wurde weiter ausgebaut, die Materialien des Fachstudiums wurden immer besser den politischen Vorgaben angepasst und die Einbindung der Studenten in die politischen Aktivitäten an den Universitäten immer enger gestaltet. Auch die Unterbringung der meisten Studenten in „sozialistischen Studentenwohnheimen“ bezweckte neben dem sozialen auch einen sozialisierenden Effekt.307 Die Grundidee des „kollektiven“ oder später „sozialistischen“ Studiums dürfte ebenso im Internatsleben der Volksrichterkurse einen entscheidenden Vorläufer finden wie die Zweiteilung der Ausbildung in Grund- und Fachstudium. Eine dritte sich bereits in den Volksrichterkursen abzeichnende Linie ist die enge Anbindung der Ausbildung an die Praxis – Stichwort: „Einheit von Theorie
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lungnahme Eugen Schiffers in der überarbeiteten 2. Aufl. seines zuerst 1928 erschienenen Buches „Die Deutsche Justiz“ durch (München 1949, S. 284 ff., 286), die ansonsten seine anfängliche Kritik an den Kursen jedoch verdeckt. Wolfgang Behlert, Organisation und sozialer Status der Richter und Rechtsanwälte in der DDR, in: Kritische Justiz 1991, S. 184–197; Rudolf Wassermann, DDR-Richter als Instrument des SEDRegimes, in: DRiZ 1991, S. 438–445. So auch die rückblickende Einschätzung des in diesem Zeitraum in Jena studierenden Dieter Gräf, Rekrutierung und Ausbildung der Juristen in der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 399–450, 448. Hans-Jurgen Schulz, Die Hoch- und Fachschulausbildung in der DDR, Berlin 1981, S. 28. Hierzu Heinz Daniel Danisch, Zur Sozialisation, Siebung und sozialen Kontrolle der akademischen DDR-Studentenschaft in den siebziger Jahren, Berlin 1979, S. 191.
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und Praxis“.308 Damit sollte die Ausbildung auf die Bedürfnisse der späteren Tätigkeit abgestimmt werden. Dies erfasste erneut fachliche, aber auch politische Anforderungen an den Richter. In der Kritik Ulbrichts am „Dogmatismus“ in der Rechtspflege ging es etwa nicht um die Verhinderung weltfremder Theoretiker in der Praxis, sondern um politische Abweichler. Gesichert werden sollte auf diese Weise ein allseitiges Funktionieren der Justizkader. Auch nach dem Studium setzte sich die Ausbildung in einem verzweigt ausgebauten Weiterbildungssystem fort,309 das auch die dauerhafte politische Konformität sicherstellen sollte. Generell deutet vieles auf eine stetige Verbesserung der – fachlichen und ideologischen – Ausbildung hin. Gegen Ende der DDR fand sich der Richter von der Jugend in der Schule bis zur Pensionierung einer Rundumbetreuung ausgesetzt, die dem freiheitlich-individualistisch geprägten Bundesrepublikaner, aber eben auch politischen Abweichlern als Korsett aus politischen Vorgaben erscheinen musste und muss. Nur dem im Grundsatz linientreuen Studenten wird dies ein ruhiges Studium ermöglicht haben. Studium war eben ein wichtiger Teil der allgemeinen Kaderpolitik.310 In der späteren Praxis mag freilich auch die richterliche Tätigkeit ihre Nischen gefunden haben; so dürfte das ideologische Interesse im Bereich des Straf- oder Arbeitsrechts größer gewesen sein als etwa im (Rest)Zivilrecht.311 Die Weiterbildung betraf anfangs insbesondere das Fernstudium der in Kurzlehrgängen ausgebildeten Volksrichter. Jeder Volksrichter musste nach 1960 unter regulären Bedingungen sein Staatsexamen ablegen. Vor diesem Hintergrund ist die bisherige getrennte Betrachtung der Juristenausbildung in Volksrichter- und Universitätsausbildung von Interesse. Während die universitäre Ausbildung kaum Beachtung findet, ruft die Ausbildung der Volksrichter bis heute Empörung und damit auch starkes wissenschaftliches Interesse hervor. Der verfolgte Vorwurf betrifft zweierlei: – die Volksrichter hätten einen „großen Anteil an der einseitigen parteipolitischen Ausrichtung der Justiz“,312
308 Hans-Jurgen Schulz, Die Hoch- und Fachschulausbildung in der DDR, Berlin 1981, S. 29. 309 Dies wurde hier nicht vertieft. 310 Hartmut Zimmermann, Überlegungen zur Geschichte der Kader und der Kaderpolitik in der SBZ/DDR, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr, Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 322–358, 335 ff. 311 Genauere Untersuchungen fehlen hier. Allgemein Hubert Rottleuthner, Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994; ders., Steuerung der Justiz, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED, Leipzig 1994, S. 221 ff. 312 Hans-Hermann Lochen, „Nachwuchskader“ ‒ Zur Auswahl und Ausbildung von Juristen in der DDR, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Im Namen des Volkes? Über die Justiz im
Richterausbildung in der DDR
– die kurze Ausbildung und Auswahl der Volksrichter sei per se eine Gefahr für die Rechtskultur. Schon zeitgemäße Stichwörter sind hier „Galoppjuristen“ oder „Schmalspurjuristen“.313 Dem Argument der stärkeren Ideologieanfälligkeit der Volksrichter lässt sich die schwache ideologische Durchdringung zumindest der frühen Kurse gleichermaßen wie das zu diesem Zeitpunkt wiederholt als unzureichend bemängelte Auswahlverfahren für die Teilnehmer entgegenhalten. Festgestellte Besonderheiten verkörpern hier die Zweijahreslehrgänge an der DASR und die ab Mitte der 1950er Jahre durchgeführten Kurzlehrgänge dar, für die eine überdurchschnittliche politische Ausrichtung erkennbar ist.314 Auch die Tatsache, dass es zu 95 Prozent315 Volksrichter waren, von denen die berüchtigten Urteile der Waldheimer Prozesse gefällt wurden, verliert an Gewicht, wenn man im Auge behält, dass ein freies Entscheiden in diesen Fällen sowieso durch die vorherige Festlegung der Urteile ausgeschlossen war.316 Hinzu kommt, dass führende Persönlichkeiten in diesen Prozessen wie Melsheimer und Benjamin vor 1933 ausgebildete Volljuristen waren. Auch Hattenhauers kursorische Untersuchung der Personalakten von Volksrichtern brachte nicht den Beweis überdurchschnittlicher Regimetreue der Volksrichter.317 Dem zweiten Argument, der schlechten juristischen Ausbildung, lässt sich wohl nicht entgegenhalten, dass der reine fachjuristische Stoff bereits in den Einjahreslehrgängen ungefähr dem an der Universität in einem Gesamtstudium gelehrten318 in seiner Menge entsprach. Nicht nur fehlte es an der notwendigen Zeit, um den Stoff etwas „sacken“ zu lassen, sondern auch an der unentbehrlichen Nachar-
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SED-Staat. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S. 125. Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 31 ff. und passim; ähnlich auch ders., Europäische Rechtsgeschichte, Heidelberg 1992, S. 742 ff., 744. Oben unter 3. Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 175. Vgl. nur Falco Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin 1995, S. 181 ff. Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 18 ff., 21 ff.; zweifelnd auch Rainer Schröder, Zivilrechtsprechung in der DDR während der Geltung des BGB, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon, Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Frankfurt a.M. 1993, Bd. 2, S. 527–580, 549. Vgl. Andrea Feth, Die Volksrichter, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR (Reihe Rechtstatsachenforschung), Köln 1994, S. 363 mit Verweis auf die Feststellungen von Otto Hartwig.
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beitungszeit, wie zeitgenössische Klagen belegen.319 Oftmals werden jedoch die gesammelte Praxiserfahrung und das Fernstudium eine ausreichende fachliche Qualifikation nachfolgend ergeben haben. Spätestens in den 1960er Jahren dürften die Unterschiede insofern verschwimmen. Hattenhauer geht es in seiner Kritik an der Volksrichterausbildung weitergehend um „für die Gegenwart zu ziehende Lehren“:320 Der Rechtsstaat steht und fällt mit einem auf gründliche Erziehung, Normbewußtsein und Leistungsprinzip gegründeten Juristenstand.321
Ob ein fachlich, aber auch ideologisch exzellent ausgebildeter Richter aus rechtsstaatlicher Perspektive erstrebenswerter ist als in beidem schlecht ausgebildete „Laien“, soll hier genauso wenig diskutiert werden wie die daran anschließende Frage, ob gute fachliche Ausbildung Hellsichtigkeit gegenüber ideologischer Einseitigkeit fördert.322 Schon ein Hinweis auf den „Einserjuristen“ Roland Freisler 323 fordert hier zu differenzierten Antworten auf. Bemerkenswert ist jedoch etwas anderes: Noch immer wird dem „Volksrichter“ eine argumentative Funktion beigemessen. War er für Benjamin in ihrer suggestiven „Geschichte der Rechtspflege der DDR“ der „Wegbereiter einer neuen, demokratischen Justiz“,324 so warnt Hattenhauer im Gegenbild, die „soziale Kompetenz“
319 Dazu Heike Amos, Justizverwaltung in der SBZ/DDR (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR 1), Köln 1996, S. 165. 320 Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 31. 321 Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 32. 322 Vieldiskutiert in diesem Zusammenhang bekanntlich Bernd Rüthers, Die Wende-Experten. Zur Ideologieanfälligkeit geistiger Berufe am Beispiel der Juristen, München 1995; ders., Immer auf der Höhe des Zeitgeistes? Wissenschaft im Wandel der politischen Systeme am Beispiel der Jurisprudenz (Konstanzer Universitäts-Reden 191), Konstanz 1993. 323 Kein Geringerer als Justus Wilhelm Hedemann bezeichnete ihn als seinen besten Schüler und widmete ihm den 2. Teil (1. Hälfte) seiner „Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert“, Berlin 1935; hierzu Heinz Mohnhaupt, Justus Wilhelm Hedemann als Rechtshistoriker und Zivilrechtler vor und während der Epoche des Nationalsozialismus, in: Michael Stolleis/Dieter Simon, Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus: Beiträge zu einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 107–159; ein von mir näher untersuchtes Beispiel für einen glänzenden Zivilrechtsdogmatiker und begeisterten, einflussreichen Nationalsozialisten stellt Wolfgang Siebert dar, vgl. Hans-Peter Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre ‒ Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens? (= Berliner Juristische Universitätsschriften. Reihe Zivilrecht 1), Berlin 1995. 324 Hilde Benjamin u. a., Zur Geschichte der Rechtspflege in der DDR 1945–1949, Berlin 1976, S. 114.
Richterausbildung in der DDR
nicht wichtiger zu nehmen als die „durch Examina ausgewiesenen juristischen Leistungen“.325 Die von Benjamin mit klarer politischer Zielsetzung vorgenommene Periodisierung der Juristenausbildung lebt daher bis heute argumentativ, aber auch in den Forschungsansätzen fort. Die hier unternommene Nachzeichnung der Entwicklung verweist dagegen eher auf ein kontinuierliches Zusammenwachsen zweier konzeptionell unterschiedlicher Ausbildungssysteme, der Universität und des Lehrgangs. Die Volksrichterausbildung diente vor allem als Experimentierfeld zum Aufbau eines alternativen Ausbildungssystems und der Vorbereitung des ab 1948 einsetzenden Bruchs mit der traditionellen Juristenausbildung an der Universität. Weder erscheint jedoch die Volksrichterausbildung als erratischer Block, noch taugt die Universität als klar konturiertes Gegenbild. Für die noch immer bruchstückhafte Erforschung der Richterausbildung in der DDR verspricht daher eine übergreifende Perspektive mehr Ertrag.
325 Hans Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren (= Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 13, Heft 1), Hamburg 1995, S. 32.
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Forschungsdesiderate bei der Aufarbeitung des DDR-Rechts
1.
Einleitung: Blinde Flecken der DDR-Forschung
Die berühmte „Forschungslücke“ ist eine normativ geleitete Konstruktion. Ein Forschungsgebiet ist kein Kontinent mit klaren Grenzen. Vielmehr ist eine Vermessung historischer Forschung stets von einem Erkenntnisinteresse abhängig, das subjektiv ist und höchst unterschiedlich sein kann. Selbst wenn man in quantitativer Hinsicht für einen Bereich viel historische Forschung auszumachen glaubt, ist das ein subjektives Urteil. Im Übrigen wäre es naiv, einen Wissensbestand einfach als beendet anzusehen, also eine Art finis terrae auf der Landkarte einzutragen. Das würde eine Endlichkeit von Wissen voraussetzen. Gerade bei historischem Wissen ist das problematisch, denn es ist stets im Fluss. Genauso wie die Geschichte weitergeht, können immer neue Fragen an die Geschichte entstehen. Das bedeutet aber nicht, dass ein Erstellen von Forschungslandkarten sinnlos ist.1 Am Anfang der Forschung muss eine Bestandsaufnahme stehen. Hier sollen dazu einige Anregungen entwickelt werden. In einem ersten Abschnitt erfolgt ein kurzer Rückblick auf die bereits vorhandene Forschung zum Recht in der DDR als Schilderung eines subjektiven Eindrucks ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Darüber hinaus ist auf die Methoden der Forschung einzugehen, denn Forschungsfragen sind von Methodenfragen nicht zu trennen.
2.
Forschungsgeschichte zum Recht der DDR seit 1990
a) Die Anfänge der Wendezeit Zur Erarbeitung eines Forschungsstandes lohnt ein Blick in die „Karlsruher Juristische Bibliographie“. Seit 1990 enthält sie Beiträge, die mit der Historisierung des Rechts in der DDR begonnen haben. Solche Beiträge fallen in die Kategorie der Sekundärliteratur. Ihre Erschließung ermöglicht Einblicke in die Forschungsgeschichte zum Recht der DDR seit 1990. 1 Ein entscheidender Impuls für die Metapher ging aus von Michael Stolleis, Aufgaben der neueren Rechtsgeschichte, oder Hic sunt leones, in: Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 251–264.
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Ganz am Anfang der Historisierung des Rechts der DDR stand ein Kooperationsprojekt. 1991 hatte Heinz Mohnhaupt einen Band herausgegeben mit dem Titel „Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988–1990). Beispiele, Parallelen, Positionen“.2 Mohnhaupt stellte jeweils eine Arbeit eines ostdeutschen Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin einer Arbeit aus westdeutscher Perspektive zu einem bestimmten Thema gegenüber. Dabei kam auch die Rechtsentwicklung in der DDR in bestimmten Bereichen zur Sprache, jedoch nicht als Schwerpunkt. Ziel war es, die neuen Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation zwischen Ost und West zu nutzen, aufeinander zuzugehen und Gedanken auszutauschen. Grundlagenthemen jenseits der politischen Aktualität schienen dafür besonders geeignet zu sein. Diese in der Zeit der Wende geknüpften und intensivierten Kontakte, für die das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main eine wichtige Plattform war, sollten auch später noch für die Erforschung des Rechts in der DDR von Bedeutung sein. Vor allem seit 1990 war diese auch von Kooperationen zwischen Ost und West geprägt, ist also unter Einbeziehung von Zeitzeugen betrieben worden. Als aktivste und am meisten befragte Zeitzeugen fungierten praktisch dann freilich nicht die Rechtshistoriker, sondern grundlagenorientierte Rechtswissenschaftler, die in der DDR auf verschiedenen Gebieten aktiv waren, nämlich Hermann Klenner, Karl August Mollnau und Uwe-Jens Heuer.3 Zu Problemen der historischen Bewertung des DDR-Rechts aus der Perspektive der Beteiligten hat sich Bernd Rüthers kritisch-pointiert geäußert.4 Sie sind Teil der bis heute andauernden Kontroversen über die Deutungshoheit bezüglich des real existierenden Sozialismus und seines Endes, die gerade jetzt im Zuge des Gedenkens an die Ereignisse von 1989 und 1990 wieder aufflammen. Einen didaktischen Auftakt für die Historisierung des Rechts der DDR bildete dann Karl Kroeschells 1992 erschienenes Lehrbuch „Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“.5 Hier wurde zum ersten Mal die auf den Westen zentrierte Perspektive aufgegeben, welche bis dahin die meisten Lehrbücher geprägt hatte. Die DDR wurde in eine das Jahrhundert umfassende Zeitgeschichtserzählung der Rechtsentwicklung in Deutschland eingefügt. Erstmals hatte man hier einen für die Vermittlung an der Universität geeigneten griffigen Überblick. Auf einen Forschungsstand zur Geschichte der DDR konnte Kroeschell freilich noch nicht zurückgreifen. Er belegte seine Abschnitte zu Verfassungsentwicklung, Rechtstheorie oder sozialistischem Zivilrecht jeweils mit Quellen (bezeichnet als
2 Frankfurt a.M. 1991. 3 Siehe dazu auch die Bilanz des Max-Planck-Forschungsprojekts von Heinz Mohnhaupt in: ders. (Hrsg.), Normdurchsetzung in den osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944–1989), Frankfurt a.M. 2004, Bd. 5, S. VII–XXXI. 4 Bernd Rüthers, Geschönte Geschichten – Geschonte Biographien, 2. Aufl., Tübingen 2015, S. 107 ff. 5 Göttingen 1992.
Forschungsdesiderate bei der Aufarbeitung des DDR-Rechts
DDR-Literatur) und deren zeitgenössischen Analysen aus dem Westen. Dieser Blick auf die DDR war also auch noch von der westdeutschen „Ostrechtsforschung“ geprägt. b) DDR-Recht als Gegenstand der Zeitgeschichte Das sollte sich jedoch ändern. In den 1990er Jahren entstanden mehrere zeitgeschichtliche Studien zum Recht der DDR. Ein wichtiger Impuls ging dabei von der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ aus. Deren vierter, 1995 erschienener Band war dem Thema „Recht, Justiz und Polizei im SED-Staat“6 gewidmet. Im Rahmen der Kommissionsarbeit wird schon eine Schwerpunktsetzung deutlich, die auch die rechtshistorischen Arbeiten zur DDR in den 1990er Jahren insgesamt prägen sollte. Hatte man zuvor versucht, die totalitäre Deformation der Justiz im Nationalsozialismus zu ergründen und daraus zu lernen, wurde nun Ähnliches für die DDR unternommen. Interessant ist dabei von vornherein die Übernahme einer vergleichenden Perspektive. Frühere Studien zur Justiz in der DDR ziehen sehr oft Parallelen zum Nationalsozialismus. Methodisch knüpfte man also an bereits bekannte Gebiete an und übertrug für den NS-Staat schon erörterte Forschungsfragen auf die DDR. So bot es sich etwa an, das Thema der Steuerung der Justiz zu untersuchen, denn man wusste schon Bescheid über das Justizministerium im NS-Staat, über Richterbriefe und Ähnliches. Waren die Richter unabhängig? Inwiefern konnten sie Widerstand gegen die an sie herangetragenen Forderungen des Regimes leisten? Inwiefern produzierten sie Justizunrecht? All das waren Fragen, die sich für beide Diktaturen in vergleichbarer Weise stellen ließen.7 Diese frühen Diktaturvergleiche8 waren auf bestimmte Teilbereiche zentriert. Sie hatten klare juristische Ausgangsfragen und zielten nicht auf Charakterisierungen der Diktatur insgesamt. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie offenbar allgemein akzeptiert und nicht in den Sog einer erinnerungspolitischen Kritik gerieten. Dass man mit solchen Vergleichen die Verbrechen der NS-Diktatur relativieren oder die DDR sogar damit auf eine Stufe stellen wollte, hat zumindest in der rechtshistorischen Fachliteratur wohl niemand unterstellt. Die Auswirkungen des
6 Baden-Baden 1995. 7 Siehe als Beispiele Hubert Rottleuthner, Zur Steuerung der Justiz im Nationalsozialismus und in der DDR, in: Justizbehörde Hamburg (Hrsg.), Von Gewohnheitsverbrechern, Volksschädlingen und Asozialen, Hamburg 1995, S. 471 ff.; Rainer Schröder, Die DDR-Ziviljustiz im Gespräch, Frankfurt a.M. 2008. 8 Bilanzen und Rückblicke auf biographischer Ebene finden sich dazu in dem Rainer Schröder gewidmeten Band Deutsche Diktatorische Rechtsgeschichten (hrsg. von Hans-Peter Haferkamp/Jan Thiessen/Christian Waldhoff), Tübingen 2018.
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Historikerstreits waren insofern schon nicht mehr spürbar. Die Anzahl der Studien deutet auf ein insofern versachlichtes Diskussionsklima hin und lässt erkennen, dass der Vergleich der nationalsozialistischen und der kommunistischen Diktatur keineswegs apologetische Zwecke verfolgen muss, sondern auch Unterschiede betonen kann und als rechtshistorische Methode des Diktaturvergleichs Anerkennung verdient. Die DDR, für die die Abgrenzung zum NS-Staat ein zentraler Teil ihrer Selbstlegitimation war (ein sich mit dieser Haltung auseinandersetzendes Gemälde von Werner Tübke über die Justiz im NS war in Düsseldorf im Rahmen der Ausstellung „Kunst der DDR“ zu sehen), wurde nun mit ihm in einen Vergleichsrahmen gestellt. Insgesamt lässt sich beobachten, dass die DDR früh zum Gegenstand der juristischen Zeitgeschichte wurde,9 einer an westdeutschen Universitäten erst relativ neu herausgebildeten Forschungsdisziplin, deren Paradigmen bald auf die DDR übertragen wurden. Dazu gehört auch die Frage der Modernisierung des Rechts in der Diktatur, die Gerhard Dilcher 1997 gestellt hatte.10 Sie war bereits zuvor für den NS-Staat erörtert worden. Von der NS-Forschung angeregte Zugriffe auf das Recht der DDR sind in den letzten Jahren etwas weniger geworden. Insgesamt lässt sich feststellen: Während der Nationalsozialismus und zum Teil auch die Weimarer Republik hervorragend aufgearbeitete Epochen der Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellen, sind bei der DDR noch viele Forschungsdesiderate erkennbar. c) Rechtsgebiete und Disziplinen Im Folgenden können nur einige Eindrücke von bisherigen Forschungsschwerpunkten bei der Aufarbeitung des Rechts der DDR geschildert werden.11 Was die einzelnen Rechtsgebiete angeht, fällt auf, dass in einer relativ frühen Phase der historischen Erschließung das Strafrecht der DDR große Aufmerksamkeit erfuhr. Auch die schon seit einiger Zeit etablierte „Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte“ war hierfür ein Forum. Analysiert wurden auch Sondergebiete des Strafrechts, wie das Wehrstrafrecht.12 Gerade die politische Strafjustiz wurde früh und intensiv
9 Klaus Bästlein/Annette Rosskopf/Falco Werkentin, Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte der DDR, 4. Aufl., Berlin 2009. 10 Gerhard Dilcher (Hrsg.), Rechtserfahrung DDR: Sozialistische Modernisierung oder Entrechtlichung der Gesellschaft?, Berlin 1997. 11 Ein vollständiger Forschungsbericht findet sich für das öffentliche Recht bei Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 9 ff. 12 Thorsten Müller, Die Wehrverfassung im Dritten Reich und in der DDR: Ein Vergleich der rechtlichen Strukturen totalitärer Herrschaft, Köln 1997.
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aufgearbeitet, was nicht erstaunlich ist, denn hier war das Bedürfnis der „Vergangenheitsbewältigung“ am größten.13 Das Zivilrecht wurde behandelt in Studien seit den 1990er Jahren.14 Auch hier sieht man eine Übertragung von Forschungsmustern aus Analysen des NS-Rechts. War es bei der Justizgeschichte die Frage der richterlichen Unabhängigkeit und der Widerstandsmöglichkeiten gegen das Regime, konnte man im Zivilrecht und in der Methodenlehre auf die von Bernd Rüthers in den Mittelpunkt gestellte Relevanz der Generalklauseln verweisen und Vergleiche anstellen. Teilgebiete des „Privatrechts“ wurden dann auch nur punktuell angesprochen und gestreift, etwa das Stiftungswesen15 oder das Familienrecht.16 Generell ist gerade im Zivilrecht noch einiges aufzuarbeiten. Das gilt auch für die Arbeitsrechtsgeschichte der DDR,17 bei der reiche Quellenbestände in den Sammlungen des Obersten Gerichts der DDR für Rechtsprechungsanalysen zur Verfügung stehen. Neben dem Strafrecht und der Justizgeschichte wurde der Wissenschaftsgeschichte größere Aufmerksamkeit gewidmet.18 Auffällig ist, dass diese sich zunächst an einer zentralen Fragestellung zu entzünden schien, nämlich: Was geschah auf der Babelsberger Konferenz, und was waren die Folgen? Schon 1993 wurde von Jörn Eckert (Kiel) ein rechtshistorisches Kolloquium über die Babelsberger Konferenz abgehalten. Nicht lange danach wurde auch mit der Dokumentation von Vorträgen und Quellen rund um die Konferenz begonnen. Deutlich wird eine Fokussierung der Wissenschaftsgeschichte auf ein bestimmtes Ereignis, womit die methodische Frage der Periodisierung zu diskutieren ist (siehe unten 3.c). Wissenschaftshistorische Betrachtungen bezogen sich auch auf die Rechtsgeschichte.19 Die Rolle der Rechtsgeschichte in der DDR, ihre Bedeutung insgesamt,
13 Klaus Marxen (Hrsg.), Strafjustiz und DDR-Unrecht: Dokumentation, Berlin 2009; Frank Rohrer, Strafjustiz im Dritten Reich und in der SBZ/DDR, Frankfurt a.M. 2007. 14 Federführend waren hier die Initiativen an der Humboldt-Universität: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur in der DDR, Berlin 2008; Hans-Peter Haferkamp, Das Bürgerliche Gesetzbuch während des Nationalsozialismus und in der DDR, Köln 2005. 15 Robert Schwarz, Das Stiftungswesen in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1945 und 1989, Frankfurt 2008. 16 Dazu umfassend aus sozialhistorischer Sicht Ute Schneider, Hausväteridylle oder sozialistische Utopie: Die Familie im Recht der DDR, Köln 2004. 17 Als Einzelstudie vgl. Thorsten Keiser, Vertragsbeendigung und Arbeitsregime in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in: Joachim Rückert (Hrsg.), Arbeit und Recht seit 1800. Historisch und vergleichend, europäisch und global, Köln 2014, S. 257–275. 18 Am ausführlichsten bei Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 43 ff.; siehe auch Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biographie der DDR, Berlin 1993. 19 Zum Teil vorhanden in dem bereits erwähnten Sammelband von Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten, Frankfurt a.M. 1991. Hingegen zählt ein im Staatsverlag der DDR 1983 erschienener „Grundriß der Staats- und Rechtsgeschichte der DDR“ zu
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wäre aber noch weiter zu analysieren. Bereits vorhandene Berichte von Rechtshistorikern aus der DDR bieten dazu gute Anhaltspunkte.20 Schwer tut sich die Forschung mit dem öffentlichen Recht der DDR. Die Wissenschaftsgeschichte des Staats- und Verwaltungsrechts der DDR ist in dem von Michael Stolleis 2009 publizierten Band über sozialistische Gesetzlichkeit hervorragend aufgearbeitet, als Fortführung seiner Geschichte des öffentlichen Rechts. Über das Verwaltungsrecht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit der DDR21 sind einige Dissertationen erschienen.22 Zwar mag der Spielraum für Analysen des Verwaltungsrechts wegen seiner zeitweisen Abschaffung auf der Babelsberger Konferenz zeitlich begrenzt sein. Der bekannte Angriff auf das Verwaltungsrechtsverständnis des bürgerlichen Rechtsstaates sollte jedoch nicht zu dem Missverständnis führen, dass es keine Normen zur Regelung von Verwaltungshandeln in der DDR gegeben hatte. Verschiebt man den Fokus auf die rechtsförmige Erfüllung öffentlicher Aufgaben, ergeben sich neue Perspektiven.23 Das Verfassungsrecht der DDR hatte ebenfalls wenig Aufmerksamkeit erfahren.24 Womöglich erschien dieses aus Sicht der Rechtsgeschichte wenig ergiebig, denn seine Oberflächenstruktur scheint von mehr oder weniger hohlen politischen Programmsätzen geprägt, die in formelhafter Weise Leistungen und Ziele des Sozialismus beschwören. Was als Recht keine Autonomie für sich beanspruchen konnte und sollte, ist auf den ersten Blick von begrenztem Interesse für die Rechtsgeschichte. Oktroyierte Normen bieten weniger Potential als in politischem Prozess ausgehandelte Verfassungen, bei denen man bestimmte Wertungen auf bestimmte Personen oder politische Haltungen zurückführen kann. Dennoch verdient die Verfassungsentwicklung der DDR eine historische Betrachtung.25 Neben
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den Quellen. Hier handelt es sich um eine Aufzählung politischer Ziele und Erfolge des SED-Regimes, begleitet von Verweisen auf einzelne Gesetze und Parteitagsbeschlüsse. Heiner Lück, Zwischen Refugium und Systemrechtfertigung: Rechtsgeschichte in der DDR, in: ders. (Hrsg.), Recht und Rechtswissenschaften im mitteldeutschen Raum, Köln 1998, S. 165 ff. Allgemein Elisabeth Otto, Das Verwaltungsrecht in der SBZ/DDR bis zur Verwaltungsneugliederung im Jahr 1952, Frankfurt a.M. 2012. Julian Lubini, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern der SBZ/DDR 1945–1952, Tübingen 2015. Das zeigt die Studie Matthias Willing, Sozialistische Wohlfahrt, Tübingen 2008. Von Seiten der Literatur aus der DDR siehe: Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Theorie des Staates und des Rechts (Hrsg.), Verfassungen deutscher Länder und Staaten von 1816 bis zur Gegenwart, Berlin 1989. Zuletzt monographisch Frank Rainer Dietze, Die Verfassung der DDR: zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik von 1949–1990, Hamburg 2018. Der Erkenntniswert der Verfassungsgeschichte der DDR wird etwa deutlich bei Christian Thiem, Die Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik (1949–1958): eine verfassungsgeschichtliche Darstellung von der Entstehung bis zur Auflösung, Berlin 2011.
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Programmsätzen enthielten die Verfassungen auch praktisch relevante Normen, wie etwa Art. 6 Verf. d. DDR von 1949 zur „Boykotthetze“.26 Gemäß dem Wortlaut dieser Norm konnte man sich gegenüber dem Vorwurf der Boykotthetze auf die Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung berufen. Studien haben jedoch gezeigt, dass die Norm in der Praxis zu einem flexiblen Instrument politischen Strafrechts zur Verfolgung von Regimegegnern und zur Stigmatisierung Andersdenkender wurde.27 Die Einführung politischen Strafrechts in ein Staatsgrundgesetz war sicherlich ein Bruch in der deutschen Verfassungsentwicklung des 20. Jahrhunderts. Jedoch finden sich auch Kontinuitäten. Im Zuge der umfangreichen Veranstaltungen zum hundertsten Jubiläum der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands wurde wenig über die Kontinuität von Formen der Weimarer Verfassung bis zur ersten Verfassung der DDR von 1949 gesagt. Dabei gibt es zahlreiche Artikel, die direkt an das Weimarer Vorbild angelehnt sind. Forschungen zur Verfassungsgeschichte der DDR im Hinblick auf Kontinuitäten oder auch auf internationale Kontexte könnten also neue Erkenntnisse bringen. Die Methodenlehre der DDR war lange vernachlässigt worden.28 Lange hielt sich die Vorstellung, es habe in der DDR eigentlich keine juristische Methode gegeben. Dogmatik hatte schwierige Entfaltungsbedingungen, wurden in den Kommentaren und Lehrbüchern doch keine Meinungen von Rechtsgelehrten zitiert, sondern parteiamtliche Verlautbarungen oder Gerichtsurteile. Für die Entwicklung einer Methodenlehre waren die Umstände also ebenfalls nicht günstig, sie musste als subversiv erscheinen, als Sand im Getriebe politischer Machtausübung. Diskussionen über Methoden gab es aber dennoch, wie Jan Schröder in seinem Werk über die Rechtswissenschaft der Diktaturen eingehend gezeigt hat.29 Insgesamt gibt es noch viele Möglichkeiten zur Vertiefung einzelner Forschungsfragen, etwa zur Rolle der Kybernetik im Recht der DDR. Hier kann man eine ganz eigenständige Entwicklung von Rechtsanschauungen und „leitungswissenschaftlichen“ Metho-
26 Art. 6. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens, Rassen, Völkerhass, militärische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuchs. Die Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze. 27 Ausführlich Moritz Vormbaum, Das Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Tübingen 2015, S. 121 ff. Vgl. auch eine Dokumentation aus Thüringen: Andrea Herz (Hrsg.), Nicht im Namen des Volkes. Politisches Strafrecht in der DDR 1949–1961, Erfurt 2008, S. 32, 34. 28 Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Karin Althaus-Grewe, Methodenlehre in der DDRRechtswissenschaft, Lohmar 2004. 29 Jan Schröder, Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR, Tübingen 2016.
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den beobachten, die im Westen so keine Entsprechung hatten.30 Dabei schienen im Bereich der Kybernetik durchaus unterschiedliche Ansätze oder ambivalente Deutungen zu existieren. Einerseits wurde Kybernetik unmittelbar für eine marxistisch-leninistische Rechtsauffassung in Dienst genommen. Man findet Aussagen, nach denen „der wissenschaftliche Sozialismus“ als eine „auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus betriebene Anwendung der Kybernetik in der Gesellschaft“ gelten könne.31 Insofern war Kybernetik eine wissenschaftstheoretische Legitimation für den Lenkungsanspruch des Staates, untermauert durch Verweise auf den Rationalisierungseffekt dieser Steuerung, welche nach wissenschaftlichen Kriterien ausgeführt werde.32 Das implizierte die Einhegung und Zähmung einer „spontanen Selbstregulation der gesellschaftlichen Prozesse“33 auf Grundlage der wissenschaftlichen Leitung. Kybernetik rechtfertigte also Machtausübung von oben und wurde gleichzeitig als ein Mittel zur Perfektionierung des Rechts im Sinne des Sozialismus dargestellt.34 Unter diesem Aspekt führte die metaphorische Überlagerung der Rechtsordnung mit Gedanken an Systeme und Maschinen auch zu Konzepten einer maschinellen Rechtsanwendung, wie sie heute in ähnlicher Form unter dem Stichwort „Legal Tech“ diskutiert wird.35 Auf der anderen Seite wurde auch in der Kybernetik hervorgehoben, dass selbstregulierende Systeme Teil der Leitungswissenschaft seien. Für sie wurde der Mechanismus der Rückkopplung als charakteristisches Merkmal beschrieben.36 Gab es also auch in der DDR unter dem Aspekt der Kybernetik eine Selbstregulierungsdiskussion? Wie verhielt sie sich zu dem durch die gleiche wissenschaftliche Richtung untermauerten Machtanspruch der Partei? Hierzu wären tiefergehende Forschungen nötig, möglicherweise auch im Kontext der Rezeption der Kybernetik in anderen sozialistischen Staaten. Justizgeschichte wurde bereits erwähnt im Hinblick auf den Diktaturvergleich. Die intensiven Studien von Inga Markovits gehen weit darüber hinaus und berichten uns in wertvoller Weise vom Justizalltag der DDR.37 Studien über das Oberste
30 Siehe z. B. Armin Forker/Karlheinz Kannegießer, Zur Anwendung kybernetischer Methoden und Mittel in der Kriminalistik, in: SuR 1963, S. 593–613. 31 Georg Klaus, Kybernetik in philosophischer Sicht, 4. Auflage, Berlin 1965, S. 337. 32 Georg Klaus, Kybernetik in philosophischer Sicht, 4. Auflage, Berlin 1965, S. 337. 33 Georg Klaus, Kybernetik in philosophischer Sicht, 4. Auflage, Berlin 1965, S. 337. 34 So etwa bei Karlheinz Kannegießer, Die Anwendung kybernetischer Methoden und Mittel in der Rechtswissenschaft, in: SuR 1963, S. 786–799, 791. 35 Viktor Knapp, Über die Möglichkeit der Anwendung kybernetischer Methoden im Recht, in: SuR 1963, S. 613–636, 621 f. 36 Armin Forker/Karlheinz Kannegießer, Zur Anwendung kybernetischer Methoden und Mittel in der Kriminalistik, in: SuR 1963, S. 593–613, 594. 37 Inga Markovits, Die Abwicklung. Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz, München 1993; dies., Gerechtigkeit in Lüritz. Eine ostdeutsche Rechtsgeschichte, München 2006; dies., Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Recht und Macht, Berlin 2020; zur Rechtsprechungsanalyse eines
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Gericht der DDR, seine institutionelle Struktur und seine Rechtsprechung stehen für die Zeit nach den 1960er Jahren noch aus. Wie kann man also ganz grob die Forschungsdesiderate bestimmen, wenn man diese Skizze zur Grundlage nimmt? Anknüpfen kann man an sehr viele Forschungen; etwas mehr an Fragen der Normdurchsetzung und des Justizsystems insgesamt. In diesem Bereich ist allerdings auch noch Raum für weitere Rechtsprechungsanalysen. Auch der Urteilsstil der oberen Gerichte wäre ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Zum Privatrecht gibt es tendenziell mehr über Eigentumsrecht als über Vertragsrecht, fast nichts über gesetzliche Schuldverhältnisse, sehr wenig über Wirtschaftsrecht, etwas mehr über Arbeitsrecht. Insgesamt sind diese Gebiete nur rudimentär erschlossen. Im Familienrecht existieren zwei Monographien, das DDR-Kindschaftsrecht wird in vergleichenden Studien öfter einbezogen. Im Erbrecht existiert weniger Forschung, hier wäre eine Monographie erforderlich, auch unter Einbeziehung der Rechtsprechung.
3.
Methoden der Erforschung des Rechts der DDR
Mit welchen Methoden und Ansätzen sollte man bei der Konkretisierung potentieller Forschungsbereiche zum DDR-Recht vorgehen? Die rechtshistorische Erforschung der DDR ist Teil der juristischen Zeitgeschichte. Viele methodische Reflexionen zu diesem Forschungsfeld lassen sich auf die DDR-Geschichte übertragen oder wurden von dieser mitgeprägt.38 a) Systemvergleich und Rechtsvergleich: Die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik und als Teil des „sozialistischen Rechtskreises“ Eine zentrale Methodenfrage für Forschung über die DDR ist die des Vergleichs. Zur Zeit der deutschen Teilung war es der „Systemvergleich“, der über Jahrzehnte den Blick des Westens auf die DDR bestimmte.39 „Zwischendeutsche Systemvergleiche“ waren vor allem seit den 1970er Jahren ein fester Teil der Forschungsagenden verschiedener Geistes- und Sozialwissenschaften. Aus Sicht der Bundesrepublik waren
Teilbereichs siehe nun auch Raphaela Etzold, Gleichberechtigung in erster Instanz. Deutsche Scheidungsurteile der 1950er Jahre im Ost/West-Vergleich, Tübingen 2019. 38 Siehe dazu die Beiträge in Michael Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitgeschichte – ein neues Fach?, Baden-Baden 1993. 39 Als prominentes Beispiel: Bernd Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System BRD-DDR, Frankfurt a.M. 1972.
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sie durchaus von politischen Motiven begleitet.40 Sie konnten vor dem Hintergrund eines Wettkampfes der Systeme betrieben werden, wobei sich die Beobachtungen nicht zuletzt auf Erfolge oder Defizite der einzelnen Untersuchungsbereiche richteten. Für die Rechtsordnung schien das weniger relevant. Manche Vergleiche fielen daher weniger kämpferisch aus, obgleich die auf der Hand liegende politischideologische Grundierung des DDR-Rechts stets herausgearbeitet wurde.41 Zwar ist die Rhetorik des Kalten Krieges in den Systemvergleichen teilweise auch vorhanden.42 Insgesamt verfügt man aber über eine nicht geringe Zahl mehr oder weniger deskriptiver Darstellungen mit dokumentarischer Funktion.43 Erklärbar ist das mit dem für die Rechtsvergleichung stets notwendigen Tertium Comparationis. Besteht dieses auf einem in beiden Ordnungen sprachlich gemeinsam vorhandenen Begriff oder einer gemeinsamen Institution, fällt der Blick auf die unterschiedlichen normativen Gestaltungen.44 Mit einer Wertung müssen diese nicht unbedingt verbunden sein. Ein Solitär in der Forschungslandschaft der 1970er Jahre ist das auf intensiven Studien beruhende Werk von Norbert Reich über „Sozialismus und Zivilrecht“.45 Reich versuchte sozialistisches Recht im Vergleich zum bürgerlichen Recht zu charakterisieren und blickte dabei auf Léon Duguit, Austromarxismus, Kathedersozialismus und vor allem auf die Rechtswissenschaft der Sowjetunion. Nicht thematisiert wurden Recht und Rechtswissenschaft des real existierenden Sozialismus in der DDR. Reich hatte die DDR bewusst ausgespart, da er vor allem an der Analyse eines Konflikts zwischen bürgerlichem Zivilrecht und sozialistischen Lehren interessiert war.46 Diesen sah er für die DDR nicht als prägend an, weil im Recht der DDR auf sowjetische Vorbilder zurückgegriffen worden sei, während der Konflikt, das Aufeinanderprallen der beiden Rechtsbereiche, im revolutionären Geschehen
40 Ausführlich Wilhelm Bleek, Die Entwicklung des zwischendeutschen Systemvergleichs im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, in: Gernot Gutmann/Siegfried Mampel (Hrsg.), Probleme systemvergleichender Betrachtung, Berlin 1986, S. 15–55. 41 Vgl. etwa Georg Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl., München 1979, S. 1 ff. 42 Vgl. etwa Siegfried Mampel, Das „Gesetzbuch der Arbeit“ in der Sowjetzone und das Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich (Synopse), 3. Aufl., Bonn 1961. 43 Klaus Westen/Joachim Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich, das Zivilrecht der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1984. 44 Hans-Joachim Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, Tübingen 1982, S. 90 f. 45 Norbert Reich, Sozialismus und Zivilrecht, Eine rechtstheoretisch-rechtshistorische Studie zur Zivilrechtstheorie und Kodifikationspraxis im sowjetischen Gesellschafts- und Rechtssystem, Frankfurt a.M. 1972. 46 Norbert Reich, Sozialismus und Zivilrecht, Eine rechtstheoretisch-rechtshistorische Studie zur Zivilrechtstheorie und Kodifikationspraxis im sowjetischen Gesellschafts- und Rechtssystem, Frankfurt a.M. 1972, S. 17.
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in Russland zu verorten sei.47 Sozialismus wurde hier also in die Historie verschoben und auf eine theoretische Basis gestellt. Für die Zeitgenossen im Westen, die an Sozialismus vor dem Hintergrund einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Rechtsordnung interessiert waren, schien diese abstraktere Ebene offenbar wesentlich attraktiver zu sein als die juristische Realität der DDR. Letztere erfuhr nur in wenigen Bereichen Zustimmung oder wurde gar als Vorbild für „westliche Rechtskonstruktionen“ angesehen. Dass die Bilanz eher bescheiden ausfiel, lässt sich auch anhand eines Blicks in die Zeit nach 1990 zeigen, wo nur wenige Rechtsinstitute der DDR in das gesamtdeutsche Recht übernommen worden sind. Eine Ausnahme bildeten die „gesellschaftlichen Gerichte“ in der DDR, die kurze Zeit das Ende des Staates überdauerten, der sie schuf, und (zumindest bei Betrachtung ihrer normativen Oberflächenstruktur) als Institutionen informeller Justiz und stärkerer Bürgerbeteiligung gelten konnten.48 Darüber hinaus wurde auch das Familiengesetzbuch der DDR von 1965 im Westen aufmerksam diskutiert.49 Zeitgenössische Analysen zum Recht der DDR finden sich aber nicht nur im Rahmen eines Systemvergleichs zwischen beiden deutschen Staaten. Die Rechtsvergleichung in Deutschland, vor allem in der von Konrad Zweigert betriebenen Form, widmete sich der Vermessung von Rechtskreisen. Bestimmte Grundeigenschaften von Rechtsordnungen bildeten hier jeweils das Tertium Comparationis. In Betracht kam Religion, aber auch die politischen Grundanschauungen des Sozialismus. So konnte Zweigert zu dem Ergebnis gelangen, dass ein sozialistischer Rechtskreis existiert habe, zu dem alle Länder gehört hätten, welche ihre Rechtsordnung auf der weltanschaulichen Grundlage des Marxismus-Leninismus organisiert hätten.50 Diese seien gerade durch diesen Umstand von den „westlichen Ländern“ zu unterscheiden und daher einem eigenen Rechtskreis zuzuordnen.51 Der Aspekt des Ost-West-Vergleichs findet sich also auch hier, jedoch sind die beiden deutschen Staaten jeweils einem größeren Kontext zugeordnet, weshalb die DDR nicht nur
47 Norbert Reich, Sozialismus und Zivilrecht, Eine rechtstheoretisch-rechtshistorische Studie zur Zivilrechtstheorie und Kodifikationspraxis im sowjetischen Gesellschafts- und Rechtssystem, Frankfurt a.M. 1972, S. 17. 48 Hans-Andreas Schönfeld, Vom Schiedsmann zur Schiedskommission: Normdurchsetzung durch territoriale gesellschaftliche Gerichte in der DDR, Frankfurt a.M. 2002; Christine Franzius, „Das Recht in den Vorzimmern“. Die gesellschaftlichen Gerichte in der DDR am Beispiel von Kurt Maetzigs Film „Das Kaninchen bin ich“ von 1965, in: Rainer Kiesow/Dieter Simon (Hrsg.), Vorzimmer des Rechts, Frankfurt a.M. 2006, S. 109–129. 49 M. w. N. Georg Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl., München 1979, S. 160. 50 Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl., Tübingen 1984, S. 333. 51 Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl., Tübingen 1984, S. 333.
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als Gegenbild der Bundesrepublik analytisch in den Blick genommen wird. Durchaus hat die Rechtsvergleichung dabei auch historische Verlaufsmuster aufgedeckt und versucht, daraus charakteristische Eigenschaften der Rechtsentwicklung im sozialistischen Rechtskreis abzuleiten. So legten nach der Zusammenfassung von Zweigert und Kötz die Länder dieses Rechtskreises regelmäßig den Akzent auf eine gründliche Reform des Ehe- und Familienrechts sowie auf umfangreiche Eingriffe in das Wirtschaftsrecht.52 Zumindest Letzteres erscheint für die DDR plausibel. Auch gemeinsame „Stilmerkmale“ der Rechtspflege in den sozialistischen Staaten wurden seitens der Rechtsvergleichung vor 1990 herausgearbeitet.53 An erster Stelle genannt wird hier die erzieherische Funktion der Rechtspflege; eine Beobachtung, die auf die DDR vollständig zutrifft. Besonders deutlich werden die Dimensionen des Erziehungsanspruchs wiederum im Vergleich zu „westlichen“ Rechtsordnungen, welche Vorstellungen persönlicher Autonomie in den Mittelpunkt stellen. Jedoch entsprach der Erziehungsanspruch gerade auch dem Selbstverständnis der sozialistischen Rechtsordnungen. Somit war der Vergleich auch den Selbstbeobachtungen der sozialistischen Juristen stets immanent. Ein guter Teil ihres Selbstverständnisses entwickelte sich, wie man in zahlreichen Einleitungen von Lehrbüchern lesen kann, in Abgrenzung zur als Gegenbild abgelehnten bürgerlichen Rechtsordnung des Westens. Insgesamt bietet somit also auch die Rechtsvergleichung Anregungen und Anhaltspunkte für Vergleiche in historischer Perspektive. Die Fokussierung auf verschiedene Rechtskreise hat dabei natürlich eine heuristische Funktion, welche bei der rechtshistorischen Einzelfallstudie nicht immer hilfreich ist, da hier oftmals durch vertiefte Quellenanalyse die Komplexität eines Forschungsgegenstandes erarbeitet werden muss, um die notwendige Schärfe im Detail zu gewinnen. Sinnvolle Anregungen bietet die Rechtskreislehre jedoch auch für die Möglichkeit, das Rechtssystem der DDR innerhalb der sozialistischen Rechtsordnungen zu vergleichen,54 was ebenfalls eine rechtshistorische Forschungsaufgabe wäre. Das Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte hatte hierzu mit dem Projekt „Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften“ zahlreiche Impulse gegeben und wichtige Ergebnisse zutage gefördert.55 Das Projekt wollte
52 Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl., Tübingen 1984, S. 356. 53 Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band 1: Grundlagen, 2. Aufl., Tübingen 1984, S. 364. 54 Für einen solchen Vergleich aus wirtschaftshistorischer Sicht siehe die Beiträge in: Christoph Boyer (Hrsg.), Sozialistische Wirtschaftsreform. Tschechoslowakei und DDR im Vergleich, Frankfurt a.M. 2006. 55 Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 1 und 2.
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den Boden bereiten für weitere Forschungen, auch durch Berichte über Archive und Quellenerschließung. Noch zu wenig sind diese Ansätze aufgegriffen worden. Wie sinnvoll es ist, wenn sich Forschung über die DDR mit osteuropäischen Staaten vernetzt, haben aber einige Beiträge im Rahmen des Projekts gezeigt. Insgesamt ist der vergleichende Blick zwischen Ost und West aus Sicht der Bundesrepublik und DDR heute selbst schon historisch und kann zum Gegenstand rechtshistorischer Betrachtung werden. b) Rezeption oder Transfer? Ein Erklärungs- und Deutungsmuster für die Entstehung bestimmter Rechtsformen in der DDR ist die Übernahme sowjetischer Vorbilder. Evident ist sie etwa bei der Einführung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), die am sowjetischen Kolchosrecht ausgerichtet waren.56 Mit der Zeit wurde die Verbindung von LPG- und Kolchosrecht offenbar so selbstverständlich, dass in der einschlägigen Lehrbuchliteratur der DDR ohne weitere Erläuterung auf sowjetische Autoren verwiesen werden konnte, etwa wenn es um die Rolle des LPG-Statuts ging, das von Zweckrichtung und Rechtscharakter her mit dem Kolchosstatut identifiziert wurde.57 Auch lagen von sowjetischer Literatur über Kolchosrecht Übersetzungen vor, wobei nebenbei erwähnt sei, dass die Frage, welche juristischen Texte wann und warum in der DDR übersetzt wurden, ebenfalls zu den noch zu bewältigenden Aufgaben der Erforschung des DDR-Rechts zählt.58 In Bezug auf das LPG-Recht entsteht der Eindruck, dass die sowjetischen Texte vor allem bei den teleologischen Aspekten der Normen Orientierung bieten sollten. In methodischer Hinsicht begnügte man sich mit der Feststellung, dass „Kolchosrechtsinstitute“ von „besonderer Bedeutung für die Schaffung, Entwicklung und Vervollkommnung des LPG-Rechts in der DDR“ seien.59 Aus zeitgenössischer Sicht war das eine Selbstverständlichkeit, denn LPG-Recht sollte, wie das Kolchosrecht, der Verwirklichung des „Leninistischen Genossenschaftsplans“ dienen.60 Die außerhalb der eigenen Rechtsordnung stehenden Normen waren also durch den Leninismus als gemeinsame ideologische Basis vermittelt, die wegen der vielfältigen Beschwörungen durch Partei und Rechtswissenschaft gleichsam den Rang einer gemeinsamen Rechtskultur erhielt.
56 M.w.N. Georg Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl., München 1979, S. 41. 57 Richard Hähnert/Helmut Richter/Günther Rohde, LPG-Recht. Lehrbuch, Berlin 1976, S. 65 ff. 58 Richard Hähnert/Helmut Richter/Günther Rohde, LPG-Recht. Lehrbuch, Berlin 1976, S. 67, mit der Aufzählung sowjetischer Autoren. 59 Richard Hähnert/Helmut Richter/Günther Rohde, LPG-Recht. Lehrbuch, Berlin 1976, S. 33. 60 Richard Hähnert/Helmut Richter/Günther Rohde, LPG-Recht. Lehrbuch, Berlin 1976, S. 19.
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Mit solchen Vorgängen hat es die Rechtsgeschichte oft zu tun gehabt. Assoziationen zu der eingehend erforschten Rezeption des Römischen Rechts liegen auf der Hand, bedeutete Rezeption hier doch auch die Übernahme eines als kulturell überlegen angesehenen Rechts. Womöglich wurden die mit dem Leninismus identifizierten Rechtsnormen in der DDR auch als eine Art ratio scripta angesehen, wobei ihre Rationalität sich aus einem politischen Fortschrittsglauben ergab. In der neueren rechtshistorischen Forschung neigt man freilich zu einer Abkehr vom Muster der Rezeption. Statt auf kulturelle Faktoren und vertikale Anordnungen von Rechtsnormen soll der „Transfer“ von Rechtsformen untersucht werden.61 Transfer als Begriff soll das Bewusstsein schärfen für die kontingenten Formen der Übernahme von Recht. Möglicherweise kann jedoch gerade in Bezug auf die DDR-Forschung das inzwischen verdrängte Muster der Rezeption wieder Plausibilität gewinnen. Tatsächlich war man bei der Übernahme von Rechtsformen nicht frei, sondern versuchte sich strategisch zu dem größeren Bruderland zu verhalten, das man (parteiamtlich verordnet) sicherlich auch als kulturelles Vorbild anzuerkennen hatte. Die politische und kulturelle Funktion „fremden Rechts“, das man sich zu eigen machen will, liegt hier auf der Hand. Dabei sind die Muster einer Übernahme von Recht und deren Bedingungen in Bezug auf die DDR methodisch zu reflektieren.62 Sowjetrecht sollte für die DDR nicht fremd sein, aufgrund der gemeinsamen politisch-ideologischen Basis schien es im gemeinsamen Kulturkontext sozialistischer Staaten nicht nur bestens vermittelbar, sondern wesensverwandt. Gerade die Rezeptionsforschung hat aber gelehrt, dass die Betonung kultureller Überlegenheit, wie jede Form von Überhöhung fremden Rechts, auch Abwehrreaktionen hervorrufen kann und vielleicht erst dazu führt, dass fremdes und einheimisches Recht scharf differenziert werden. So sind auch Probleme und Friktionen bei der Übernahme von Sowjetrecht nicht auszuschließen. Sie wären ein relevanter Beobachtungsgegenstand.63
61 Dazu Michael Stolleis, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Materialien, Methodik, Fragestellungen, Berlin 2017, S. 100 m.w.N. 62 Aufgenommen wurde die Rezeptionsfrage etwa bei Karl A. Mollnau, Die staatsanwaltschaftliche Gesetzlichkeitsaufsicht in der DDR als gescheiterter Versuch eines sowjetischen Rechtstransfers, in: Gerd Bänder/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/1945–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3, S. 241–277. 63 Aus zeitgenössisch-westdeutscher Sicht vgl. Klaus Westen, Zur Rechtsentwicklung in der DDR unter dem Aspekt der sowjetischen Rechtsreformen, Jahrbuch für Ostrecht 1967, Bd. 8, Teilbd. 2, S. 25 ff.
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c) Periodisierung Geschichtsschreibung orientiert sich an Periodisierung, arbeitet sich an Zäsuren ab, die Zusammenhänge von Kontinuität und Diskontinuität entstehen lassen. Gerade diese Kategorien stehen nicht selten im Zusammenhang mit politischen Deutungsmustern von Geschichte, die auch für die Rechtsgeschichte als Teildisziplin eine Rolle spielen. Periodisierung hängt dabei immer von der Bewertung bestimmter Ereignisse im Lichte einer spezifischen Forschungsfrage ab.64 Die Periodisierung für die Geschichte des Familienrechts kann also zum Beispiel eine andere sein als für die Geschichte des Strafrechts, denn innerhalb der jeweiligen Rechtsgebiete sind zentrale Veränderungen auf der Ebene der Rechtsquellen zu beobachten und zu bewerten, das heißt neue Gesetze, Gerichtsentscheidungen, maßgebliche wissenschaftliche Werke etc. Solche Quellenkategorien machen den spezifischen Fokus der Rechtsgeschichte aus. Über dieser Binnenperiodisierung steht gewissermaßen die Frage nach übergeordneten Einteilungsmustern zur Geschichte der DDR. Hier kann man in „westliche“ (oder bundesdeutsche) Perspektiven von außen und zeitgenössische Selbstbetrachtungen seitens der DDR-Wissenschaft differenzieren. Wichtig sind Letztere schon deswegen, weil die DDR gemäß der marxistischen Staatsauffassung aus zeitgenössischer Sicht als eine im Werden befindliche Ordnung aufgefasst werden musste. Insofern waren ihre für politische und gesellschaftliche Gestaltung zuständigen Akteure zur fortwährenden Selbstanalyse verpflichtet. Dabei richtete sich etwa die DDR-Geschichtswissenschaft auch nach sowjetischen Vorbildern, welche die zentralen Kriterien historischer Entwicklungsbeschreibungen vorgaben.65 Diese historischen Selbstbetrachtungen enthielten auch normative Elemente. Im Bereich der Rechtsordnung konnte sich die Statusbestimmung auf der Zeitachse der objektiv voranschreitenden Entwicklung zum Sozialismus als Mahnung zur Verwirklichung bestimmter Vorgaben auswirken. Assoziationen mit „Sozialismus“ wurden zu historischen Zielbestimmungen, die sich wiederum in rechtspolitische Forderungen übersetzen ließen. Andererseits ist ein Verweis auf die parteiamtlich betonte objektive Geschichtlichkeit der DDR juristisch auch als Rechtfertigungsmuster denkbar. Ein Verweis auf den provisorischen Charakter einer Regelung könnte defensiv gegen von außen formulierte Ansprüche an die Rechtsordnung verwendet worden sein. Der Verweis auf einen objektiven Verlauf der Geschichte konnte sowohl Projektionsfläche als auch spezifisches Legitimationsmuster für das Recht der DDR gewesen sein.
64 Zuletzt methodisch Andreas Thier, Time, Law, and Legal History – Some Observations and Considerations, in: Rg 25 (2017), S. 20–44. 65 Siehe dazu den Abschnitt zu „Problemen der Periodisierung“ in: Hermann Weber, Die DDR 1945–1990, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 5. Aufl., München 2012, Bd. 20, S. 136–138.
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Bezüglich der konkreten historischen Zeiteinteilung finden sich einige Übereinstimmungen zwischen zeitgenössischen Perspektiven und Sichtweisen der Forschung nach 1990. Parteitage waren wichtig für die Selbstbetrachtungen von Veränderungen in der DDR, bei denen man einerseits in großen objektiven Entwicklungsmustern denken musste, andererseits aber auch die kleinen Schritte zu Aufbau und Reform als politische Veränderungen in ihren Auswirkungen zu würdigen hatte.66 Auch als Zäsuren für die Rechtsgeschichte sind sie zu beachten. Angesichts der geringeren Autonomie des Rechts unter Bedingungen „sozialistischer Gesetzlichkeit“67 dürfte die Beobachtung der politischen Ebene besonders wichtig sein, zumal in Bezug auf die Ereignisse hinter den Kulissen.68 Machtkämpfe politischer Akteure, der Bau der Mauer69 und letztlich die Ablösung Walter Ulbrichts werden in der allgemeinen Geschichtsschreibung als Brüche akzentuiert.70 Manche der Umwälzungen bilden sich direkt in der Verfassungsgeschichte ab. Darüber hinaus sind Bezüge zum Kalten Krieg oder die Identifizierung einer „stalinistischen Periode“ (1949–1956) ebenfalls für die Rechtsgeschichte relevant. Jedoch ist auffällig, dass in den rechtshistorischen Zeiteinteilungen ein Ereignis besonders herausragt: die Babelsberger Konferenz von 1958. Frühe Forschung zur DDR fokussierte sich schnell auf Babelsberg als Schlüsselmoment,71 auch weil sich zunächst viele Untersuchungen neben der Justiz auf die Rechtswissenschaft konzentrierten, für die Babelsberg ein evidenter Einschnitt war.72 Die ereignisgeschichtliche Detailfreude reicht von der Edition des kulturellen Begleitprogramms bis zu Hinweisen über die Verpflegung der Teilnehmer.73 Die Fokussierung auf Babelsberg wurde entscheidend von Zeitgenossen mitgeprägt, welche in die Ereignisse selbst involviert waren. In der Folge entwickelten sich Analysen und Diskussionen über Babelsberg, welche
66 M.w.N. Hermann Weber, Die DDR 1945–1990, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 5. Aufl., München 2012, Bd. 20, S. 136 f. 67 Zum Begriff und zu seiner Verwendung in der DDR: Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 30 ff. 68 Von der „Steuerung der Rechtswissenschaft im Schatten der Parteitage“ ist etwa die Rede bei Horst Dreier/Jörn Eckert/Karl A. Mollnau/Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der DDR 1949–1971, Baden-Baden 1996, S. 322 ff. 69 Obwohl dieses Ereignis für die Rechtswissenschaft keine grundlegenden Änderungen brachte. Siehe Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 61. 70 Hermann Weber, Die DDR 1945–1990, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 5. Aufl., München 2012, Bd. 20, S. 136 f. 71 Jörn Eckert (Hrsg.), Die Babelsberger Konferenz vom 2./3. April 1958, Baden-Baden 1993. 72 Zu den Phasen der DDR-Rechtswissenschaft bereits Ralf Dreier/Jörn Eckert/Karl A. Mollnau/ Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der DDR 1949–1971, Baden-Baden 1996, S. 17 ff. 73 Ralf Dreier/Jörn Eckert/Karl A. Mollnau/Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der DDR, S. 146 ff.
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die Bedeutung der Konferenz, differenziert auf den verschiedensten Ebenen von Wissenschaft und Praxis, hervortreten lassen.74 Ein weiterer für die rechtshistorische Forschung bemerkenswerter Abschnitt ist die Transitionsperiode der DDR.75 Sie stellt einen in der Rechtsgeschichte einmaligen Vorgang der Übernahme eines bis dato gegensätzlichen Rechtssystems dar. Diese Art radikaler Veränderung ist vor allem nicht mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar, die jetzt als Übergangsperiode von der Rechtsgeschichte in den Blick genommen wird. In Bezug auf die DDR gab es gerade keine „Stunde null“.76 Mehr Forschungsergebnisse in bestimmten Teilbereichen werden künftig zu Schärfungen, Ergänzungen oder Relativierungen der vorhandenen Periodisierungen führen, welche die Darstellungen des Rechts der DDR seit den 1990er Jahren prägen. d) Die rechtliche Regelung verschiedener Lebensbereiche Ein weiterer, bisher noch nicht beschriebener Forschungsansatz könnte zum Beispiel nicht Rechtsfragen ins Zentrum rücken und deren Kontext ermitteln, sondern umgekehrt bestimmte Lebensbereiche und deren Konfliktzonen in den Blick nehmen, wobei dann nach deren rechtlichen Regelungsformen gefragt wird. Eine neue Dissertation thematisiert etwa „Kunst und Verfassung in der DDR“, ausgehend von konkreten Problemen einzelner Kunstschaffender in der DDR.77 Im Zusammenhang damit wird die Frage nach der politischen Bedeutung und normativen Gestaltung der Kunstfreiheit in der DDR gestellt. Das führt zu einer besonders problemorientierten Kontextualisierung verfassungsrechtlicher Vorgaben und erlaubt einen Blick auf die Rechtswirklichkeit. Besonders brisant wird die Frage der rechtlichen Regelung bestimmter Lebensbereiche in der DDR unter dem Aspekt der individuellen Handlungsspielräume bestimmter Akteure. Wo normative Grenzen von Freiheitsspielräumen verliefen (auf formal-gesetzlicher und auf praktischer Ebene), wie sie vielleicht erweitert oder durchbrochen werden konnten, unter Berufung auf juristische Argumente oder staatliche Institutionen, durch offenen Protest oder stillschweigende Obstruktion, all das sind Fragen, die für die Rechtsgeschichte in Diktaturen von besonderer Relevanz sind. Die DDR mit ihrem in der normativen Oberflächenstruktur allgegenwärtigen Bevormundungs- und Erziehungsanspruch (bei gleichzeitiger Betonung von Demokratieprinzipien und Grundfreiheiten) ist
74 M.w.N. Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 49 ff. 75 Ein präziser Erfahrungsbericht: Inga Markovits, Die Abwicklung. Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz, München 1993. 76 Siehe etwa die Beiträge in: Martin Löhnig (Hrsg.), Zwischenzeit – Rechtsgeschichte der Besatzungsjahre, Regenstauf 2011. 77 Maik Weichert, Kunst und Verfassung in der DDR, Tübingen 2018.
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hier ebenfalls ein fruchtbares Terrain für Analysen. So könnte man etwa das Recht auf Bildung (Art. 25 Verfassung von 1974) von der „Lebenswelt Schule und Fortbildung“ her untersuchen oder das Verfassungsprinzip Wissenschaftsfreiheit aus Sicht der konkreten Probleme von Forscherinnen und Forschern in der DDR bei der Berufsausübung, ähnlich die Presse, das Verlagswesen usw. Dabei ist das Thema einer „Steuerung durch Recht“ – etwa bezogen auf Wirtschaft oder Kultur – auch für die DDR durchaus relevant und kann nicht einfach mit dem schematischen Verweis auf die Eigenschaft des Rechts als bloßer Teil eines „Überbaus“ im Sinne marxistischer Staats- und Gesellschaftsdoktrin beiseitegeschoben werden. Wenn es auch nicht die gleiche Autonomie wie in „westlichen Systemen“ beanspruchen sollte, ist seit Langem anerkannt, dass Recht auch in den kommunistischen Systemen wie der DDR nicht allein als Abbild ökonomischer Realität angesehen wurde, sondern als relevanter Faktor gesellschaftlicher Gestaltung.78 In welchen Denkmustern sich dieser, gegenüber der klassischen kommunistischen Lehre neue Gestaltungsanspruch unter anderem manifestierte, hat der Hinweis auf die Kybernetik gezeigt.79 e) Rechtsgeschichte im Kontext – Sozialgeschichte Die im vorigen Abschnitt angedeuteten Vorschläge zu einer Rechtsgeschichte im Kontext lassen sich vertiefen, indem die Frage nach Dialogmöglichkeiten der Rechtsgeschichte mit Nachbardisziplinen aufgeworfen wird. Dass Rechtsgeschichte sozialhistorische Erkenntnisse produktiv nutzen sollte, um sich anderen Wissenschaftszweigen öffnen zu können und nicht in der Beobachtung formaler Strukturen zu verharren, ist ein allgemein anerkanntes, oft wiederholtes, aber in der Forschungspraxis immer noch zu selten umgesetztes Postulat. Eine sozialhistorisch informierte Rechtsgeschichte scheint für die DDR genauso vielversprechend wie für andere Bereiche der juristischen Zeitgeschichte. Ohne Erkenntnisse über lebensweltliche Grundlagen werden etwa das Familienrecht oder auch das Arbeitsrecht blass bleiben, ganz gleich, ob es nun um die DDR oder die Bundesrepublik geht.80 Historische Studien, etwa zur Alltagsgeschichte der DDR, sollten daher von der Rechtsgeschichte wahrgenommen werden. Zum Tragen kommen können sie dabei jedoch nicht nur als Kontext für bereits als Forschungsgegenstand ausgemachte Rechtsprobleme oder Normenkomplexe. Man kann auch hier wieder Anregungen für die Forschung von einer anderen Seite her beziehen, um aus Beobachtungen
78 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, München 1967, S. 35. 79 Siehe oben. 80 Für das Familienrecht finden sich plausible Hintergründe etwa bei Ute Schneider, Hausväteridylle oder sozialistische Utopie? Die Familie im Recht der DDR, Köln 2004.
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einer Sozial, Alltags- oder Mentalitätsgeschichte einen anderen Blick auf Rechtsprobleme zu gewinnen oder deren besondere Relevanz erst zu erkennen. Erläutert werden kann das am Beispiel der „Gegenseitigen Hilfe“. Zu den verbreiteten Narrativen der mit dem Ende der DDR einhergehenden Zäsuren zählt das Gefühl einer zunehmenden Anonymität und Vereinzelung der Menschen.81 Viele erlebten die Wende als eine Zerstörung ihres angestammten sozialen Umfelds, das man von Zusammenhalt geprägt sah. Signifikant ist in diesem Zusammenhang, dass sich offenbar unmittelbar nach der Wende eine Art ostdeutsche Identität herausbildete, die sich nicht zuletzt über Solidaritätsbereitschaft (nämlich die Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Handeln) definierte.82 Dieses Gefühl lässt sich vor dem Hintergrund eines in der DDR kultivierten „Gemeinschaftsmythos“ interpretieren.83 Kooperation und gemeinschaftliches Handeln finden auch in Rechtsformen statt. Das auf Geben und Nehmen, also Leistung und Gegenleistung basierende Vertragsrecht ist dafür gerade nicht der geeignete Rahmen. Rechtsgeschäfte erzeugen Zweckbündnisse, aber keine „Gemeinschaft“; sie beruhen auch nicht darauf. Stattdessen ist die Rechtsform der Kooperation im BGB die „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (§§ 677 ff. BGB). Schon die Wortwahl zeigt, dass es hier um einen eher nüchternen Ausgleichsmechanismus geht, der nur kompensatorisch dort eingreifen soll, wo das als Hauptmuster des Zusammenwirkens geltende Rechtsgeschäft nicht zum Tragen kommt. Anders war es in der DDR. Die Regelungsprobleme, die man im BGB unter Geschäftsführung ohne Auftrag fasste, wurden im ZGB unter dem Titel der „Gegenseitigen Hilfe“ behandelt (§§ 274 ff. ZBG). Nach dem Gesetzeswortlaut sollte gegenseitige Hilfe auf „den Grundsätzen kameradschaftlicher Hilfe und Zusammenarbeit“ beruhen und dazu beitragen, „sozialistische Verhaltensweisen zu fördern“. Die Kommentierung bemerkte dazu: Freundschaftliche, uneigennützige Hilfe der Bürger untereinander ist Ausdruck des erreichten Standes ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Die zivilrechtliche Regelung ist darauf gerichtet, derartige Beziehungen wirksam zu unterstützen. Sie berücksichtigt die Besonderheit dieser Beziehungen im Vergleich zu den Versorgungsbeziehungen.84
81 Dazu zuletzt aus soziologischer Sicht: Steffen Mau, Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 158 f., mit Bezug auf das Leben in einem „Neubaugebiet“ der DDR. 82 Steffen Mau, Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 118 f. 83 Steffen Mau, Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 219 f. 84 Ministerium der Justiz (Hrsg.), Kommentar zum ZGB der DDR vom 19. Juni 1975, Berlin 1983, S. 326.
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Hier findet sich also eine juristische, zivilrechtliche Dimension des angesprochenen Gemeinschaftsmythos. Vor dem Hintergrund der soziologischen Erkenntnisse lassen sich nun einige Fragen entwickeln. Wie sah die gegenseitige Hilfe in der Praxis aus? Spielte das Rechtsinstitut wirklich eine Rolle vor dem Hintergrund von Versorgungsengpässen in der DDR, wo vielfach auf dem Wege der vertraglichen Austauschbeziehung bestimmte Güter oder Dienstleistungen nicht erhältlich waren? Kultivierten die Gerichte der DDR ebenfalls eine Ethik des Miteinanders, und versuchten sie diese bei der Anwendung der Zivilrechtsnormen zu berücksichtigen? Schaut man auf einschlägige Untersuchungen, findet man durchaus die Betonung der Notwendigkeit von Kooperation in der DDR zum Ausgleich von Versorgungsengpässen. Verwiesen wird in der soziologischen Literatur auf einen florierenden „halb tolerierten Tauschmarkt“, der jedoch keineswegs nur auf dem staatlich verordneten Altruismus der Bürger beruhe, sondern durchaus auch hierarchische Unterschiede der DDR-Gesellschaft abbilde.85 Anspruch und Wirklichkeit der „Gegenseitigen Hilfe“ lassen sich also in Verbindung von Rechts- und Sozialgeschichte erforschen, wobei die Einbeziehung von Gerichtsurteilen besonders fruchtbar erscheint. Ohne die Erkenntnisse aus der DDR und der Transformationszeit könnte „Gegenseitige Hilfe“ als ein möglicherweise marginales Pendant zur „Geschäftsführung ohne Auftrag“ übersehen werden. Die Kenntnis der Bedeutung des Kooperationsgedankens in Alltag und parteiamtlicher Ideologie der DDR lassen das Institut aber in einem anderen Licht erscheinen. f) DDR-Dogmengeschichte? Kann man aber auch Rechtsgeschichte für die DDR im Sinne einer primären Beobachtung von Dogmen, Dogmatik und ihrer historischen Verläufe betreiben, ähnlich wie es in Bezug auf das Römische Recht und seine Verbreitung in Europa getan wird? Auf den ersten Blick erscheint diese Vorstellung wenig attraktiv. Lehrbücher und Kommentare der DDR wirken wegen der Abwesenheit von Kontroversen und Argumenten oft unterkomplex. In der Anonymität des Kollektivs scheinen die Autorinnen und Autoren abweichende Meinungen eher eingeebnet statt diskutiert zu haben, überdeckt von trivialen und praxisfernen Orientierungen an parteiamtlich vorgegebenen Normzwecken. Überdies wirkt das Zivilrechtsmaterial aus der DDR auch in quantitativer Hinsicht eher dünn, was sowohl für das Publikationsaufkommen als auch für die Rechtsprechung und den bloßen Normbestand des „nur“ aus
85 Steffen Mau, Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 68 ff.
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480 Paragraphen bestehenden ZGB gilt.86 Die normative Essenz dieser Regelungen scheint bereits im Rahmen der dogmatischen „Systemvergleiche“ hinreichend erschlossen.87 Zugangserschwernisse für die historische Betrachtung ergeben sich zudem aus einer möglichen Doppelbödigkeit der Argumentation, bei der bestimmte Elemente aus überlebenswichtigem Opportunismus zur Erfüllung politischer Maßstäbe eingefügt wurden. Diese von den ernstzunehmenden normativen Bestandteilen zu trennen, scheint rückblickend schwer möglich. Dennoch dürfen die dogmatischen Ansätze der DDR-Rechtswissenschaft nicht unterschätzt werden. Sie erschöpfen sich keineswegs in den wenigen Kommentaren und Lehrbüchern. Zivilrechtswissenschaft fand in anderen Foren statt, die teilweise noch zu erschließen sind. Dennoch kann auch ein neuer Blick auf die gängige, leicht zugängliche Zivilrechtsliteratur zu Erkenntnissen führen. So findet man etwa in Art. 152 ZGB (lange vor der westdeutschen Schuldrechtsreform) ein Recht der Nachbesserung beim Kaufvertrag, das Vorrang vor den sonstigen Rechtsbehelfen wie Rücktritt, Minderung etc. hatte. In Entscheidungen des OG der DDR wurden dogmatische Begründungen des Rechts der zweiten Andienung entwickelt, lange bevor man sich im Westen intensiv mit dem Thema befasst hatte. Mit der zweiten Andienung sollte aus Sicht der Rechtsprechung der DDR nicht dem Individualinteresse des Käufers entsprochen werden, sondern dem Interesse aller an der Verbesserung der Waren insgesamt.88 Dass selbst das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer konsequent in einen Rahmen kollektiver Interessen eingeordnet wurde, ist in Bezug auf das Recht der DDR keine neue Erkenntnis mehr. Die genaue Beobachtung der dazu verwendeten Argumente kann allerdings in zivilrechtsdidaktischer Hinsicht nach wie vor von Interesse sein. Blickt man etwa auf das Nachbesserungsrecht der DDR vor dem Hintergrund der Argumentationsmuster des (inzwischen nicht mehr neuen) Schuldrechts des BGB, wird etwa ein Vergleich von Verhältnisbestimmungen zwischen verschiedenen Gewährleistungsrechten wie Nachbesserung und Rücktritt möglich. So wollte etwa das OG der DDR einem Käufer eines defekten Elektroherds auch bei Ersatzlieferung eines ebenfalls defekten Herds keine Rückabwicklung des zweiten Kaufvertrags zugestehen, der Käufer habe vielmehr erneut Nacherfüllung zu verlangen.89 Diskutiert werden hier also
86 So auch die Feststellung von Klaus Westen/Joachim Schneider, Zivilrecht im Systemvergleich, Berlin 1984, S. 42 ff. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass das DDR-Familienrecht in einer eigenen Kodifikation geregelt war, ist der quantitative Unterschied evident. 87 Z.B. in dem soeben zitierten Werk von Westen und Schneider. 88 Mit Hinweisen auf einschlägige Urteile: Jörg Arnold, Das Oberste Gericht der DDR: Rechtsprechung im Dienste des Volkes, mit einem Dokumentenanhang, Berlin 1989, S. 111 ff. 89 Jörg Arnold, Das Oberste Gericht der DDR: Rechtsprechung im Dienste des Volkes, mit einem Dokumentenanhang, Berlin 1989, S. 112.
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Probleme, die heute in § 440 BGB angesiedelt sind, also die Zumutbarkeitsgrenzen der Nacherfüllung und ihr Verhältnis zu anderen Gewährleistungsrechten. In der DDR wurden diese nicht zuletzt mit Blick auf ein ökonomisches Argument gelöst. Nachbesserung sei die „volkswirtschaftlich günstigste Variante der Realisierung des dem Käufer garantierten Gebrauchswerts der Ware“.90 Trotz dieser Orientierung und der Betonung der Notwendigkeit der Nachbesserung als Informationsquelle über Fehler zur Hebung des allgemeinen Entwicklungsniveaus der Waren war sie im ZGB sehr ähnlich ausgestaltet wie heute im BGB. Was im „individualistischen Zivilrecht“ als „Recht der zweiten Andienung“ bezeichnet wird, wurde in der DDR als Ausdruck von kollektiven wirtschaftlichen Interessen angesehen. Unterschwellig vorhandene Argumentationsmuster der notwendigen Kooperation der Vertragspartner zum gemeinsamen Nutzen der sozialistischen Gesellschaft, in welcher der Vertrag „die eigenverantwortlich gemeinsame Gestaltung von Rechtsbeziehungen“91 im Sinne einer „gemeinsamen Lösung der von der Gesellschaft gestellten Aufgaben“92 ermöglichen sollte, führten im konkreten Verhältnis von Käufer und Verkäufer zu aus heutiger Sicht sehr vertrauten Wertungen – trotz der damals strikten Ablehnung von Privatautonomie. Die DDR verfügte über ein aus heutiger Sicht verbraucherfreundliches Gewährleistungsrecht, das dem aktuellen Kaufrecht strukturell wesentlich näher stand als dem zeitgenössischen Recht des BGB.93 Identische Ergebnisse werden dabei oft auf unterschiedliche Wertungen gestützt. Für Studierende kann eine solche alternative Interessenbewertung beim Kaufvertragsrecht und die Untersuchung ihrer Folgen neue Perspektiven eröffnen und zum besseren Verständnis der aktuellen Rechtsordnung beitragen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass manche linearen Untersuchungen dogmatischer Konstruktionen im Bereich des 20. Jahrhunderts die DDR stärker als Bereich von Vergleichsmöglichkeiten oder gar Kontinuitäten einbeziehen könnten. Exemplarisch dazu könnte man die Andeutungen von Inga Markovits heranziehen, die im Zuge eines Interviews mit dem Jenaer Zivilrechtsprofessor Martin Posch auf dessen 1961 entwickelte Doktrin des „allgemeinen Rechtsverhältnisses“ verwiesen hatte.94 Damit sollte eine Lösung des Vertragsverhältnisses von der individualistischen Legitimationsgrundlage des klassischen Bürgerlichen Rechts erreicht werden. „Bürger und Handel“ seien Teil eines „dauernden Versorgungsverhältnisses“, das
90 Jörg Arnold, Das Oberste Gericht der DDR: Rechtsprechung im Dienste des Volkes, mit einem Dokumentenanhang, Berlin 1989, S. 112. 91 Martin Posch, Allgemeines Vertragsrecht, Berlin 1977, S. 12. 92 Martin Posch, Allgemeines Vertragsrecht, Berlin 1977, S. 14. 93 Die Unterschiede wurden etwa betont bei Klaus Westen/Joachim Schneider, Zivilrecht im Systemvergleich, S. 428 ff. 94 Inga Markovits, Die Abwicklung. Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz, München 1993, S. 230 ff.
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durch den „individuellen Kaufkontrakt“ nur konkretisiert werde.95 Unweigerlich erinnert das an andere Versuche neuer kollektivistischer Sinngebungen für das Vertragsrecht, die sich mit der Relevanz der Willenseinigung in solchen systematischen Entwürfen auseinandersetzen mussten. In den Schriften von Karl Larenz aus der Zeit der NS-Rechtserneuerung war die Willenserklärung etwa nur Ausprägung einer „Bestimmungsfreiheit“, die in Relation zu einer von vornherein vorhandenen, immanenten Gemeinschaftsbindung des Vertrags stand.96 Individuelle Willensbetätigungen konstituierten also nicht den Vertrag, sondern konkretisierten ihn innerhalb einer bereits vorgegebenen und mit politisch gesetzten Maßstäben gestalteten Gemeinschaftsordnung. Ein Vergleich mit der Lehre von Posch ist freilich nur auf einer sehr hohen Abstraktionsebene möglich, und es versteht sich von selbst, dass die rassisch definierte Volksgemeinschaft bei Larenz sich grundlegend von der sozialistischen Gesellschaft (!) unterscheidet und völlig andere Zwecke verfolgte. Dennoch ist es erkenntnisfördernd, die konkreten dogmatischen Folgen antiindividualistischer Vertragskonzepte zu vergleichen und die DDR dabei stärker einzubeziehen, die in den gegenwärtigen dogmen- und methodengeschichtlichen Entwicklungsbetrachtungen zu wenig vorkommt. g) Zeitzeugen und Oral History Eine generelle methodische Herausforderung beim Umgang mit dem Recht der DDR sind die Zeitzeugen. Sie sind ein großer Gewinn, sofern die Perspektive der Dabeigewesenen von anderen Einschätzungen umrahmt und relativiert wird. In den 1990er Jahren waren vor allem Hermann Klenner, Uwe-Jens Heuer und Karl August Mollnau bei den Forschungsinitiativen zum Recht der DDR präsent. Früh nahmen sie die Schlüsselrollen ein, auch in prominent besetzten Foren wie der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“. Dort agierten sie nach eigener Einschätzung als Zeitzeugen.97 Sie gaben die ersten Impulse für den Einstieg in die Materie und verfügten dabei über konkurrenzloses Insiderwissen und reiche persönliche Erfahrung. Beides war besonders hilfreich bei der Annäherung an eine fremde Welt, weshalb Forscher aus dem Westen gerne und oft den Dialog suchten. Die Notwendigkeit dazu ergab sich auch aus der oft betonten Fähigkeit, „zwischen den Zeilen zu lesen“, welche DDR-Bürger in Sozialisierungsprozessen erwarben. Sie bildete damit eine
95 So die Charakterisierung bei Inga Markovits, Die Abwicklung. Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz, München 1993, S. 231. 96 Karl Larenz, Die Wandlung des Vertragsbegriffs, in: Deutsches Recht 1936, S. 488–491, 491. 97 So etwa die Aussage von Uwe-Jens Heuer in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der „Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 96.
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für Außenstehende kaum erlernbare Kernkompetenz, die bei manchen Forschern vielleicht sogar ein Gefühl der Abhängigkeit von Zeitzeugen aufkommen ließ. Eine Meinung bilden kann man sich freilich auch als Nichtdabeigewesener. Auch beim wissenschaftlich-hermeneutischen Blick auf die juristische Literatur der DDR fallen teils formelhafte, politisch motivierte Aussagen auf, die wie unterkomplexe Fremdkörper in ansonsten schlüssig strukturierten Texten wirken. Wenn etwa der bereits erwähnte Martin Posch von der Hilflosigkeit der Bürger angesichts der „Flut von Geschäftsbedingungen“ in der „imperialistischen Rechtsentwicklung“ schreibt,98 wirken solche Passagen wie Solitäre in einer ansonsten ausgewogenen Zivilrechtsdarstellung. Gerade im Falle des auch bei den Initiativen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte sehr aktiven Karl August Mollnau wurden die Grenzen zwischen Zeitzeugenbericht und historischer Analyse undeutlich.99 Archivrecherchen werden ergänzt und kontextualisiert von eigenen Beobachtungen, die persönliche Erfahrung widerspiegeln.100 All das bietet unschätzbare Einblicke. Dass sie kritisch zu lesen sind, versteht sich von selbst. In der jüngeren Vergangenheit findet sich die Tendenz, den Beteiligten eher die Rolle von Zeitzeugen zuzuweisen. Befragungen im Sinne der Oral History rücken in den Vordergrund. Methodisch begegnet man dabei den bekannten Herausforderungen im Umgang mit Geschichte als Erinnerung. Seit den 1990er Jahren bieten sich immer mehr Möglichkeiten zur Einordnung der Erzählungen von Juristen aus der DDR in den großen Kontext der immer zahlreicher erschlossenen Erinnerungsnarrative. Viele der Untersuchungen legten freilich den Schwerpunkt auf Erfahrungen mit staatlicher Repression oder die davon ausgehende Bedrohung.101 Juristen waren ihr teilweise zugleich ausgesetzt und daran beteiligt. Diese Ambivalenz lässt ihnen eine Sonderstellung in den Selbstbetrachtungen beruflicher
98 Martin Posch, Allgemeines Vertragsrecht, Berlin 1977, S. 25. 99 Ähnlich war die Situation bei der zu DDR-Zeiten im Arbeitsrecht wissenschaftlich tätigen Autorin Vera Thiel, Arbeitsrecht der DDR. Ein Überblick über die Rechtsentwicklung und der Versuch einer Wertung, Opladen 1997. 100 Deutlich wird das auch in den intensiven Studien des erwähnten Projekts des Max-Planck-Instituts zur „Normdurchsetzung in den osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften“. Bereits während der Enquete-Kommission verwies Mollnau auf seine Doppelrolle als Historiker und Zeitzeuge, denn er habe es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Archivmaterial zu untersuchen, was in Bezug auf Rechtswissenschaft und Justiz in der DDR „wirklich geschehen“ sei. Siehe Karl A. Mollnau in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der „Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Baden-Baden 1995, Bd. 4, S. 87. 101 Auch mit methodischen Hinweisen: Babett Bauer, Kontrolle und Repression. Individuelle Erfahrungen in der DDR (1971–1989), Göttingen 2006.
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Biographien in der DDR zukommen. Einblicke in „private Erfahrungsräume“102 im Zusammenhang mit dem Rechtssystem der DDR sind dabei besonders wichtig, um die Selbstbetrachtungen der Akteure auch im Gegensatz zu offiziellen, parteiamtlichen Deutungsmustern von Recht und Gerechtigkeit im Sozialismus erfahren zu können. Hier liegt für die Forschung immerhin ein erster Schritt zu dem niemals vollständig einlösbaren Anspruch, der Geschichte „gerecht zu werden“. h) Archive Forschung zur DDR kann auch von den Quellen aus geplant werden, wenn man Geschichte als Feld von Materialien ansieht, die der Erschließung und Analyse harren. Bestände wären auf ihre Vollständigkeit und Relevanz hin zu prüfen, wobei die Themen der Forschung sich aus den dabei gemachten Beobachtungen erst ergäben. Der Einstieg in solche Vorhaben wird durch solide Vorstudien und Findbücher erleichtert.103 Auf diese Weise können Einblicke in Institutionen und Praktiken gewonnen werden, auf Mikroebenen wie bei der Eingabepraxis bei Bezirksbürgermeistern104 oder, um das mit Abstand prominenteste Beispiel zu nennen, mit der Entscheidungs- und Geschäftspraxis eines Kreisgerichts.105 Gleichzeitig steht auch für Studien zu höherrangigen Institutionen wie dem Obersten Gericht oder der Generalstaatsanwaltschaft eine Fülle von nicht ausgewertetem Archivmaterial bereit.
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Fazit: DDR-Recht und Erinnerungspolitik – Die Notwendigkeit einer zeitgenössischen Perspektive
Bei allen angesprochenen Methoden der Erforschung des Rechts ist ihr Verhältnis zum Thema Erinnerungspolitik zu reflektieren. Oft liefen die bisherigen Forschungsansätze auf übergeordnete Fragestellungen oder Entwicklungsthesen hinaus, wie etwa zur Reformfähigkeit der Rechtsordnung der DDR.106 Seit dem Fall 102 Zu Terminologie und Methoden vor dem Hintergrund von Geschichtspolitik Pamela Heß, Geschichte als Politikum. Öffentliche und private Kontroversen um die Deutung der DDRVergangenheit, Baden-Baden 2014. 103 Hervorzuheben ist in diesem Kontext: Ruth-Kirstin Rössler/Hans Andreas Schönfeld, Archivexploration SBZ/DDR, in: Heinz Mohnhaupt/Hans-Andreas Schönfeld (Hrsg.), Sowjetische Besatzungszone in Deutschland – Deutsche Demokratische Republik (1945–1960), Frankfurt a.M. 1997, S. 494–539. 104 Annett Kästner, Eingaben im Zivilrecht der DDR. Eine Untersuchung von Eingaben zu mietrechtlichen Ansprüchen aus den Jahren 1986 und 1987, Berlin 2006. 105 Inga Markovits, Gerechtigkeit in Lüritz. Eine ostdeutsche Rechtsgeschichte, München 2006. 106 Dazu das aktuelle Buch von Inga Markovits, bei Erscheinen nachtragen.
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der Mauer virulent ist aber das Thema der „DDR als Unrechtsstaat“. Immer wieder wirkt es als eine Art Kulminationspunkt, auf den viele Forschungen hinauslaufen.107 Das Thema polarisiert wie kein anderes in Bezug auf das Recht der DDR, es ruft politische Bekenntnisse auf den Plan und rührt direkt an Befindlichkeiten, vor allem bei Ostdeutschen. Wie hat man sich bei der Wahl seiner Themen und bei der Ausführung seiner Forschung zur Erinnerungspolitik zu verhalten? Zunächst sollte klar sein, dass die Aufgabe der Rechtsgeschichte im Erkenntnisgewinn zur Versachlichung politischer Debatten besteht. Wissenschaft darf nicht nur eine von vielen Stimmen in der erinnerungspolitischen Auseinandersetzung sein, sondern muss sich als unabhängige und unparteiliche Ebene davon unterscheiden.108 Erreicht werden kann dieses Ziel nur, wenn man die Kriterien der Quellenauswahl und die eigenen Arbeitshypothesen hinreichend transparent macht. Differenziert und glaubhaft wird rechtshistorische Erkenntnisgewinnung vor allem dann, wenn sie ihre Adressaten zur selbständigen Reflexion über die angewendeten Methoden und Thesen einlädt, wobei die Grenze zwischen Beobachtung und Wertung besonders deutlich gemacht werden muss. Beides ist eine Selbstverständlichkeit, wird aber, wo es um Abgrenzung zur Erinnerungspolitik geht, besonders wichtig. Davon abgesehen kommt es immer darauf an, die zeitgenössische Perspektive und die Selbstbetrachtung der Akteure der DDR-Rechtswissenschaft deutlich zu machen und im Kontext kritisch zu reflektieren. Würde die rechtsgeschichtliche Forschung in der immer wieder aufflammenden Debatte, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, mehr gehört oder könnte sie sich mehr Gehör verschaffen, könnten einige Missverständnisse und Irritationen vermieden werden. Sozialistische Gesetzlichkeit war etwas anderes als Rechtsstaatlichkeit. Ein Rechtsstaat wollte man (zumindest über eine lange Zeit der DDR-Rechtsgeschichte) nicht sein, glaubte aber gerade deswegen, Unrecht verhindern zu können. Wo in der Diktatur Reservate von Individualität, persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und vielleicht auch unpolitischer Rechtsfindung waren, ist von der Rechtsgeschichte weiter zu analysieren. Denn vor allem hier dürfte der Zündstoff des Themas liegen: Menschen tendieren dazu, den Begriff „Unrechtsstaat“ als Infragestellung der eigenen Biographie zu sehen. Wenn man das Ineinandergreifen von Recht und Macht in der DDR weiterhin beobachtet, beschreibt, ernst nimmt und analysiert, ist auch für die gegenwärtige Debatte um die DDR und ihr Recht viel gewonnen. Mehr rechtshistorische Forschung und auch deren öffentliche Wahrnehmung kann zu einer Versachlichung der Debatte führen.
107 So etwa zuletzt mit Auswertung der Debatte Weichert, Kunst und Verfassung in der DDR, S. 370 ff. 108 Ansätze zu einer wissenschaftlichen Versachlichung der Unrechtsstaats-Debatte durch rechtshistorische Forschung diskutiert Weichert, Kunst und Verfassung in der DDR, S. 372 ff.
Adrian Schmidt-Recla
Sozialistisches Recht, sozialistisches Rechtsverhältnis, sozialistische Person, sozialistische Gesetzlichkeit
1.
Einleitung
Jeden Herbst haben die Themen DDR und friedliche Revolution1 Konjunktur. Nicht selten findet sich dabei folgendes Argumentationsmuster: Die von Westdeutschen mit der Treuhandanstalt betriebenen Privatisierungen haben Biographien gebrochen, Lebensleistungen pulverisiert, Verletzungen hinterlassen und Ostdeutsche strukturell benachteiligt. Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist gezwungen, darauf zu reagieren. Altbundespräsident Joachim Gauck, als Galionsfigur der friedlichen Revolution bei solchen Anlässen um kluge Worte gebeten, hat dazu am 26. September 2019 im Deutschlandfunk gemeint: Unsere Richter hatten wir satt, das waren Leute, die sich ihre Urteile zum Teil von der Partei haben vorschreiben lassen. Und unsere Staatsanwälte haben wir gehasst; das waren doch Leute, die wir nicht brauchen konnten bei der Errichtung einer Demokratie.
Mit anderen Worten: 1989 ging es darum, Biographien zu brechen und Lebensleistungen zu pulverisieren – das ist ja der Witz von Revolutionen. Doch warum steht das hier am Anfang? Weil Gaucks Diktum darauf hinweist, dass verschiedene Gruppen von Menschen in der DDR in den 1980er Jahren verschiedene Vorstellungen davon hatten, was Recht sein könne oder solle. Wer wie Gauck die Richter und Richterinnen der DDR dafür rügt, dass sie sich „ihre Urteile von der Partei“ hätten schreiben lassen, der muss davon ausgegangen sein, dass neben dieser Art von parteilich definiertem und geprägtem „Recht“ anderes Recht bestanden habe, an dem das Handeln dieser Personen zu messen wäre. In dem vorliegenden Beitrag soll freilich nicht von den Rechtsvorstellungen von Joachim Gauck, Bärbel Bohley und Rolf Henrich (um nur prominente Beispiele zu nennen) die Rede sein. Der Fokus ist stattdessen darauf gerichtet, was die Kritisierten möglicherweise für Recht hielten, was sozialistisches Recht der DDR in seinen Grundannahmen gewesen sein könnte, denn deren hinterlassenes Schrifttum und die von ihnen gesprochene 1 Zur Charakteristik als „Revolution“ vgl. Stephan Jaggi, The 1989 Revolution in East Germany and its Impact on Unified Germany’s Constitutional Law. The Forgotten Revolution?, Baden-Baden 2016, S. 119.
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und geschriebene Sprache ist die Quellenbasis, mit der die Rechtsgeschichte zu arbeiten hat und haben wird. Das zu verstehen scheint für die noch ausstehende umfassende rechtshistorische Arbeit eine Voraussetzung zu sein. Wer über eine Rechtsgeschichte der DDR nachdenkt und nach Annahmen sucht, die für die Rechtsordnung dieses Staates die Ecksteine bildeten, der wird zunächst an dem Faktum nicht vorbeikommen, dass die Rechtsordnung der DDR keine historische Tiefe, keine gewachsene Tradition, kurz kein Herkommen hatte, nicht haben konnte. Es hat Jahre gedauert, bis sich in den rechtswissenschaftlichen Einrichtungen in der DDR so etwas wie eine eigene Rechtsgeschichtswissenschaft regte.2 Das lässt sich etwa an der Zahl und den Themenstellungen von Dissertationsvorhaben ablesen und auch an der Existenz von Lehrstühlen bzw. Professuren, deren selbstgewählte oder vorgegebene Aufgabe darin bestand, das geltende Recht (also das Recht der DDR) unter historischer Perspektive zu betrachten (und zu legitimieren ‒ es zu delegitimieren ist wenigen beruflich in den Sinn gekommen). Erst 1983 konnte dazu ein Lehrbuch (ein im typischen „Autorenkollektivschema“ verfasster, mit 252 zweispaltig bedruckten Seiten doch recht ausführlicher „Grundriß“) erscheinen.3 Das hatte ‒ und damit ist das Thema dieses Beitrages erreicht ‒ eine Konsequenz: Sowohl für die Rechtswissenschaft als auch für die Rechtspolitik der DDR, die das Werden des neuen Staates und seines Rechts als ein selbst und revolutionär betriebenes hinstellte, war es entscheidend, wenn nicht konstitutiv, dem geltenden Recht andere als historische Wurzeln zu geben und es nach der gesellschaftlichen „Nullstunde“ der proletarischen Revolution (die für das Territorium, aus dem später die DDR wurde, gar nicht so einfach beschrieben bzw. identifiziert werden konnte4 und die deswegen meist mit der sogenannten „Großen
2 Vgl. dazu Adrian Schmidt-Recla/Zara Luisa Gries, Getaway into the Middle Ages. On Topics, Methods and Results of ,Socialist‘ Legal Historiography at the University of Jena, in: Ville Erkkilä/ Hans-Peter Haferkamp (Hrsg.), Socialism and Legal History. The Histories and Historians of Law in Socialist East Central Europe, Oxford 2021, S. 148–164; in diese Richtung auch die Beobachtung von Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 16. 3 Ingetraut Melzer (verantw. Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983. 4 Etwas mühevoll Gerhard Riege, Der Bürger im sozialistischen Staat, Frankfurt a.M. 1974, S. 12: „Entscheidend war die Tat der Arbeiterklasse und der von ihr geführten Werktätigen seit jenen Tagen, in denen das deutsche faschistisch-imperialistische System unter den Schlägen der Sowjetarmee und der Anti-Hitler-Koalition zusammenbrach.“
Grundbegriffe
Sozialistischen Oktoberrevolution“ 1917 identifiziert wurde5 ) a priori abzugrenzen von allem rechtlich bisher Gewesenen.6 Damit sind bereits Charakteristika des Rechts der DDR genannt ‒ und das noch ohne das Attribut „sozialistisch“: Das Recht der DDR war (musste oder sollte sein) sowohl neues als auch kämpferisches Recht, das sich in der direkt an der Demarkationslinie des Eisernen Vorhangs geführten Systemauseinandersetzung als richtiges Recht sowohl zu erweisen als auch zu behaupten hatte. So einfach das klingt, so schwierig ist es, denn radikal neues Recht,7 das daran beteiligt sein soll, das gesamte nachrevolutionäre gesellschaftliche Leben zu strukturieren, hat ein Kardinalproblem: Wie umgehen mit überkommenen Regeln, die durch die revolutionäre „Nullstunde“8 hindurchgegangen sind, ohne ihren Wortlaut, ihre Bedeutungen und ihre Zusammenhänge mit einem Mal zu verändern oder zu verlieren? Am Morgen nach der Revolution geht die Sonne auf, fällt der Regen, fegt jemand die Straße und nicht selten wird von denjenigen, die gestern Abend Polizist/innen waren, verlangt, dass sie handeln und entscheiden. Es braucht abstrahierende Begriffe, mit denen das angegangen wird. Begriffe, in denen sich Grundüberzeugungen abbilden, denn Menschen organisieren die Verhältnisse, in denen sie interagieren, Güter und Dienstleistungen austauschen und Herrschaft (Gewalt und Zwang) organisieren, durch Worte und Erklärungszeichen, die zu Ankerbegriffen abstrahiert oder verallgemeinert werden müssen, die wiederum Regelwerke tragen können. Um solche Ankerbegriffe soll es hier gehen, und wenn dabei wiederholt wird, was schon bekannt ist, dann erhofft sich der Verfasser dieser Zeilen daraus, nachdem die Zeit der „Restitutionen“ und „Rehabilitationen“ weitgehend vorüber ist und die Rechtsquellen der DDR sich langsam von den Einzelschicksalen zu lösen beginnen (das ist die Stunde der Rechtsgeschichte), neben dem vergewissernden Effekt, den jede Wiederholung hat, vor allem für diejenigen, die in Zukunft die Rechtsgeschichte betreiben werden, dass es ihnen in zehn oder zwanzig Jahren vielleicht nicht ganz so schwer fällt, einen Zugang in die Sprach, Begriffs- und Vorstellungswelt von DDR-Juristinnen und Juristen zu finden. Beginnen wir mit dem Recht schlechthin.
5 So – aus rechtswissenschaftlicher Perspektive – Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht – Einheit oder Gegensatz, Berlin 1976, S. 41: „Am 25. Oktober 1917 um 10 Uhr“ war „eine neue Staatsmacht, die Sowjetmacht“ „geboren“. 6 Genau diese Haltung durchzieht denn auch den 1983er „Grundriß“ von Ingetraut Melzer (verantw. Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983, an dem neben der verantwortlichen Herausgeberin Horst Kunschke, Liselotte Jelowik und Kurt Görner mitgearbeitet haben. 7 Neu wegen des „völlig neuen Maßverhältnisses von Staat und Bürger im Sozialismus“; Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 270. 8 Gerhard Haney hat das später als Diskontinuitätsproblem bezeichnet; vgl. Gerhard Haney, Rechtsphilosophie in den juristischen Zeitenwenden, in: NJ 1992, S. 168–177, 169.
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2.
Sozialistisches Recht
a) In der Gedankenwelt des Marxismus-Leninismus, der für jedes Nachdenken über gesellschaftliche Phänomene, Interaktionen und Entwicklungen in der DDR den exklusiven (das ist wörtlich gemeint: ausschließlichen/ausschließenden) Diskursrahmen darstellte und der in verschiedene Einzeldisziplinen zerfiel (vor allem: Wissenschaftlicher Kommunismus, Historischer und Dialektischer Materialismus, Politische Ökonomie) und für die DDR in seiner stalinistischen und poststalinistischen Ausdeutung wichtig wurde, war (oder ist?) dem „Recht“ eine bestimmte Stellung zugewiesen. Es gehört nicht zu den gesetzmäßig wirkenden Haupttriebkräften der gesellschaftlichen Entwicklung, der Basis einer gesellschaftlichen Formation von Menschen. Diese Basis stellen vielmehr – um es roh zu skizzieren – die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln dar. Je nach historischer Entwicklungsstufe sollen sich daraus für alle nichtsozialistischen bzw. nichtkommunistischen Gesellschaftsformationen notwendige Antagonismen, Widersprüche – Klassengegensätze ergeben; nämlich zwischen denen, die die Herrschaftsgewalt über die Produktionsmittel ausüben, und denen, die solche Herrschaftsgewalt über Produktionsmittel nicht ausüben können und daher, um sich am Leben zu halten, gezwungen sind (deswegen Zwangsrechtssysteme), ihre Arbeitskraft denen zu überlassen, die die Produktionsmittel beherrschen. Über dieser Basis erhebe sich ein Überbau, der dem Charakter der Basis folge und der aus den Interaktionsmechanismen bestehe (und sie biete), die erforderlich seien, um die Basis stabil zu halten, der aber auch aktiv auf die Basis zurückwirke.9 Dazu gehörten „Staat“ und „Recht“ ‒ und ich zitiere jetzt bewusst keinen Klassiker (also Karl Marx, Friedrich Engels oder Wladimir Iljitsch Lenin), sondern Juristen der 1976 in voller Blüte stehenden DDR: Was rechtens ist, bestimmen […] die materiellen Interessen der Klasse, die durch ihren Staat in der Gesellschaft herrscht. […] Die Entstehung von Staatsmacht und Recht sind […] zwei Seiten eines geschichtlichen Prozesses. Beide sind überall dort unentbehrlich und notwendig, wo Klassen in der Gesellschaft existieren. Die ökonomisch herrschende Klasse, die sich durch den Staat auch zur politisch herrschenden Klasse organisiert, schafft sich mit Hilfe dieses Staates ihr Recht, um ihren Interessen entsprechend auf das gesamte Leben der Gesellschaft einzuwirken. Die herrschende Klasse drückt im Recht jeweils ihren Willen in einer Form aus, die für alle verbindlich ist. Diesen im Recht ausgedrückten Willen kann die herrschende Klasse mit staatlichem Zwang durchsetzen […]. Im Sozialismus bilden nicht nur Staat und Recht schlechthin eine Einheit, sondern beide stimmen auf
9 Manfred Kemper, Der Einfluß der sozialistischen ökonomischen Integration auf das rechtliche Regelungsobjekt, in: Karl A. Mollnau (Hrsg.), Probleme einer Rechtsbildungstheorie, Berlin 1982, S. 97; Inga Markovits, Sozialistisches und bürgerliches Zivilrechtsdenken in der DDR, Köln 1969, S. 24 f.; Josef Stalin, Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft, Berlin 1951, S. 7.
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der Grundlage der Interessen der Arbeiterklasse mit den Interessen und Bedürfnissen des werktätigen Volkes überein.10
Das war allgemein geteilte Ansicht;11 1983 war bei Karl-Heinz Schöneburg zu lesen: Das Recht in seiner Gesamtheit ist Ausdrucksform des politischen Willens und Wollens der Arbeiterklasse und der anderen werktätigen Klassen und Schichten und deshalb in seiner Gesamtheit wie in allen seinen Elementen eine naturhaft politische Erscheinung. Sein genuin politischer Charakter schließt die Bejahung von Eigenheiten gegenüber anderen Erscheinungsformen der Politik nicht aus. Sie sind in der Normierung von Rechten und Pflichten, einer gewissen Unabhängigkeit und Stabilität gegenüber taktischen Wandlungen der Politik zu sehen. All das soll aber nicht dazu dienen, die rechtlichen Komponenten von den politischen abzuheben.12
Auch der Spiritus Rector der vielzitierten Babelsberger Konferenz, Karl Polak, hat das bekanntlich immer wieder klar ausgesprochen, so etwa 1963: Das Individuum wird eins mit der gesellschaftlichen Entwicklung, und seine persönlichen Energien entfalten sich in der Richtung der Entwicklung der Gesellschaft. Für die sozialistische Gesellschaft gilt es also nicht, den einzelnen vom Staate abzugrenzen. Die Grundlage des Staatsrechts kann nicht die Konstituierung in Individualrechten gegenüber dem Staat sein […]. Die Wissenschaft muss als ihre Grundlage die Entwicklung der Gesellschaft durch die proletarische Staatsmacht herausarbeiten […]. Durch die Orientierung auf unsere revolutionäre sozialistische Praxis bekommt auch unsere Wissenschaft den festen Boden des Marxismus-Leninismus, der materialistischen Dialektik unter die Füße […]. Schon der Versuch, über das Verhältnis von Staat und Recht nachzudenken, sieht beide als getrennte Größen und ist daher sinnlos, antimarxistisch, antiwissenschaftlich.13
10 Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz?, Berlin 1976, S. 15, 18, 20 f., 80; siehe auch Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 7. 11 Siehe weitere Beispiele bei Inga Markovits, Sozialistisches und bürgerliches Zivilrechtsdenken in der DDR, Köln 1969, S. 13. 12 Karl-Heinz Schöneburg, Anmerkungen zu einer marxistisch-leninistischen Verfassungstheorie, in: Die Aktualität der Marx’schen Staatslehre. Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft, Heft 287, Potsdam-Babelsberg 1983, S. 59. 13 Zitiert nach Inga Markovits, Juristen ‒ böse Christen Sozialisten? Die juristische Fakultät der Humboldt-Universität in den DDR-Jahren in: ZRG 129 (2012), S. 267, 281.
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Und auch aus dem Parteiprogramm der SED ergab sich nichts anderes.14 Dass das sowjet-russische Wurzeln hat, soll hier nur erwähnt, nicht ausgeführt werden.15 Meiner Meinung zufolge sind Juristen, die so denken, letztlich Schüler Rudolf von Jherings (auch wenn sie das selbst vehement bestreiten)16 . Das „Basis-ÜberbauTheorem“17 sollte auch nicht nur für eine gesellschaftswissentliche Theorie, für einen wissenschaftlichen Leitsatz gehalten werden. Es wirkte unmittelbar bis in jeden Lebenswinkel der DDR hinein, und es prägte jeden einzelnen Rechtssatz, der in der DDR formuliert wurde. Intellektuell nicht weiter aufregend ist die Schlussfolgerung, die hieraus für die Definition dessen, was Recht nach der Ansicht marxistischleninistisch denkender Juristen ist, gezogen werden muss: Recht ist demnach ein funktionales Phänomen menschlicher Zusammenschlüsse, es ist ein Instrument, nicht von Staat/Macht/Gewalt abgrenzbar ‒ es wird nicht abgeleitet aus formationsunabhängigen, transpersonalen, transsozialen oder ganz und gar transzendenten Prinzipien, es hat kein spezifisches Eigengewicht18 ‒ es ist eine Funktion des Klassenkampfes: Die herrschende Klasse kämpft mit ihm und durch es, die beherrschte Klasse kämpft um es, Recht ist Klassenwille,19 sozialistisches Recht als Funktion20 ist verkörperte Heteronomie der Arbeiterklasse.21
14 Siehe Autorenkollektiv, Schlußbemerkungen, in: Ingetraut Melzer (verantw. Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983, S. 250. Weitere Nachweise bei Jan Schröder, Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR, München 2016, S. 67. 15 Auf Brüche bei der Wyschinski-Rezeption weist insbesondere Jan Schröder, Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR, München 2016, S. 65 f. hin. Siehe auch Ulrich Lohmann, Stand und Kritik der „marxistisch-leninistischen Staats- und Rechtstheorie“, in: ders., Zur Staats- und Rechtsordnung der DDR. Juristische und sozialwissenschaftliche Beiträge 1977–1996, Wiesbaden 2015, S. 24–33, 29 f. 16 So wie Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 28. 17 Hans-Peter Haferkamp, Begründungsverhalten des Reichsgerichts zwischen 1933 und 1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 2000, Bd. 2, S. 35. 18 Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 17; Hans-Peter Haferkamp, Begründungsverhalten des Reichsgerichts zwischen 1933 und 1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 2000, Bd. 2, S. 35. 19 Hermann Klenner, Grundsatzprobleme im Vorfeld einer Rechtsbildungstheorie, in: Karl A. Mollnau (Hrsg.), Probleme einer Rechtsbildungstheorie, Berlin 1982, S. 21. 20 So auch Inga Markovits, Sozialistisches und bürgerliches Zivilrechtsdenken in der DDR, Köln 1969, S. 14. 21 So im Wesentlichen auch Jan Schröder, Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR, München 2016, S. 66 f.
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Das alles, die Antagonismen, der Klassenkampf, die Führung der „werktätigen Massen“ durch die Arbeiterklassen und ihre Partei,22 die das Erkenntnismonopol dafür reklamierte, welche politischen Mittel (welche gesellschaftlichen Funktionen!) eingesetzt werden müssen, um dem gerade erreichten Stand der gesellschaftlichen Entwicklung gerecht zu werden und die nächsten Aufgaben zu erfüllen, die Einheit von Staat und Recht, die Einheit von Individual- und Allgemeininteressen und der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft mit ihren Eigenheiten sind zudem für marxistisch-leninistisch denkende Juristinnen und Juristen grundlegende und allgemeine, historische Gesetzmäßigkeiten,23 und das sozialistische Recht entspricht damit zwar nicht physikalischen oder mathematischen Gesetzmäßigkeiten, aber eben historischen, es ist daher historisch gesetzlich. Wer das nicht annimmt, hat ein „falsches Bewußtsein“,24 und wer das Richtige hat, der findet auch nichts dabei, in wissenschaftlichen Abhandlungen oder Urteilen Parteitagsbeschlüsse oder programmatische Erklärungen von Parteifunktionären wie Rechtsquellen zu zitieren.25 Das lässt sich alles „Nicht“-Recht nennen – und hier wird es nur deshalb auch nur in einem äußerlichen, deskriptiven Sinne Recht genannt, weil das Wort „Funktion“ begrifflich viel zu offen ist und weil die Formen, in denen die hier in Rede stehende Funktion sich äußert (Normen, Verträge, Urteile), von den meisten Menschen als „rechtliche“ Formen verstanden werden, ebenso wie das, was vor einem Gericht oder in einem Parlament geschieht, von vielen (und auch von den Juristinnen und Juristen der DDR) als Recht bezeichnet wird, obwohl es diesen Titel in totalitären Staaten und so auch in der DDR bei Lichte besehen nicht verdient. Die Frage wäre, ob es einen eigenen Begriff gibt, der statt Recht verwendet werden könnte – darauf wird zurückzukommen sein. Das vorausgesetzt, fragt sich, wozu es nach der sozialistischen Revolution, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Klassengegensätze aufhebt, indem sie
22 Darauf lässt sich ‒ bezogen auf die Normdurchsetzungsmechanismen ‒ ein allgemeiner Vorrang des Parteiapparates bauen; vgl. Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 71. 23 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 7 f. 24 Ganz offen und ehrlich Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 9. 25 Die Belege sind zahlreich; vgl. nur Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 194, 209 f., 241; Gerhard Riege, Der Bürger im sozialistischen Staat, Frankfurt a.M. 1974, S. 91 (u.ö.); Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz?, Berlin 1976, S. 88, 94 (u. ö.). Siehe auch die von Hans-Peter Haferkamp, Begründungsverhalten des Reichsgerichts zwischen 1933 und 1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 2000, Bd. 2, S. 44 genannten Beispiele aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichts.
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die Klasse derjenigen, die über die Produktionsmittel herrschen, beseitigt (und Ausbeutung, Unfreiheit, Rassismus, Patriarchat, Sexismus, Xenophobie – also alles das, was alte, weiße, besitzende Männer so hassenswert macht – gleich mit) und die Herrschaftsbefugnisse über die Produktionsmittel durch Enteignung/ Vergesellschaftung/„Volkseigentum“ an alle Menschen überträgt, überhaupt noch Recht braucht und was b) sozialistisches Recht inhaltlich sein könnte. aa) Denn in der klassenlosen Gesellschaft, in der alle gleichermaßen herrschen, indem alle Personen die Früchte der gemeinsamen, gleichen Nutzung der Produktionsmittel genießen ‒ also niemand andere Personen oder Sachen beherrscht ‒, wird Recht als Herrschaftsinstrument eigentlich obsolet. Aber auch die sozialistische Gesellschaft prägt einen „Überbau“ aus, und zwar hauptsächlich zu zwei Zwecken: Erstens ist, solange die Weltrevolution nicht stattgefunden hat, der Kommunismus nicht weltweit verwirklicht ist, die Arbeiterklasse also ihre gesamtgesellschaftliche Befreiungsmission26 nicht vollendet hat, der Sozialismus/Kommunismus ständig bedroht. Ich verweise nur auf die in der DDR zur Phrase geronnene und bis in die Grundschulbildung hineingewachsene „imperialistische Umklammerung“ des „jungen Sowjetstaates“, in dem die bolschewistische kommunistische Partei (die „Rotgardisten“) gegen turmhoch überlegene fremde Mächte (unter anderem die „Weißgardisten“) um ihr „Überleben“ kämpfen „musste“. Und im beiderseits erfolgreich geteilten Deutschland nach 1949 war die Systemauseinandersetzung geradezu sinnstiftend, muss doch der Sozialismus beweisen, dass er allen Angriffen des imperialistischen Klassengegners standhalten und notfalls hinter einer Mauer real existieren kann. Zweitens stellen die Revolutionäre „am Tag nach dem Sieg“ fest, dass sie mit dem Willen der Menschen konfrontiert sind, dass mit „der Ausbeutung nicht auch schon das den alten Verhältnissen entsprechende Denken gänzlich zu den Akten gelegt ist“27 und dass sie das Erzeugen, das Nutzen und das Verteilen von Sachen und das Verhalten von Personen zueinander organisieren müssen. Sie tun das jetzt als die (mit dem „Recht“ als Funktion, s.o.) „herrschende Klasse“, die Arbeiterklasse, die in der DDR, weil ganz offensichtlich nicht alle Menschen Arbeiter/innen sind oder waren, ein unverbrüchliches Bündnis mit allen anderen „Werktätigen“ einging, eingehen musste. Das gelang theoretisch und in der Welt des begrifflichen „Überbaus“ (um die es hier geht) deshalb, weil alle Menschen ein „wohlverstandenes“ Interesse daran haben (müssen), von der Arbeiterklasse in eine ausbeutungsfreie, klassenlose, daher nicht antagonistische Gesellschaft geführt zu werden. Wladimir Iljitsch 26 So Gerhard Riege, Der Bürger im sozialistischen Staat, Frankfurt a.M. 1974, S. 111. 27 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 9; Karl A. Mollnau/KarlHeinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz?, Berlin 1976, S. 79.
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Lenin hatte den aus der Erkenntnis des Marxismus folgenden Auftrag an die „Partei neuen Typs“, die Avantgarde der Arbeiterklasse formuliert28 und damit die Bedeutungslosigkeit des individuellen Willens gegenüber dem klassenkämpferischen Gesamtwillen proklamiert. bb) Daraus ergeben sich zwangsläufig die Hauptinhalte des sozialistischen Rechts. Wenn „die Arbeiterklasse […] mittels der sozialistischen Staatsmacht ihre Klasseninteressen als gesellschaftliche Interessen“ realisiert, dann erzeugt sie „Bedingungen, unter denen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und […] nichts in das Eigentum des einzelnen übergehen kann außer individuellen Konsumtionsmitteln“.29 Das heißt konkret inhaltlich: (1) Abschaffung der Strukturen, die Ausbeutung anderer Menschen durch Aneignung des Mehrwerts aus deren Arbeit ermöglichen: neues, kämpferisches, sozialistisches Recht muss Land, Handwerk und Industrien enteignen; (2) Organisation des Prozesses, in dem durch Nutzung verstaatlichter Sachen und Vermögen und durch Arbeit Mehrwert erzeugt wird: sozialistisches Recht ist Planung von Gütererzeugungs- und Güteraustauschprozessen und entwickelt dazu eigenständige Kodifikationen und ganze Rechtsprechungssparten; (3) Entwicklung von Strukturen, die es ermöglichen, den aus Arbeit an und mit verstaatlichten beweglichen und unbeweglichen Sachen erwirtschafteten Mehrwert zu verteilen: sozialistisches Recht bindet regional vorhandene Gruppen von Menschen zu Nutzern bestimmter Sachen in Nutzerkollektiven (Genossenschaften, Betriebsgemeinschaften, Gewerkschaften) aneinander; (4) Verhinderung der Akkumulation von Privateigentum durch Singularsukzession: sozialistisches Recht muss vertraglich begründete Rechtsverhältnisse so regulieren, dass sie nicht dazu eingesetzt werden können, Profit zu erwirtschaften; (5) Verhinderung der Akkumulation von Privateigentum durch Universalsukzession: sozialistisches Recht muss Verfügungen von Todes wegen möglichst unterbinden; und schließlich (6) Willensbildung durch Erziehung: sozialistisches Recht muss seine Inhalte so setzen, dass die einzelnen Rechtssubjekte ihren individuellen Willen, ihr individuelles Handeln an dem durch die von der Partei (neuen Typs) geführte Arbeiterklasse definierten Gesamtwillen,
28 Wladimir Iljitsch Lenin, Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, Stuttgart 1902. 29 Richard Stüber/Richard Mand, Thesen zum Thema „Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit“, in: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit. Materialien des internationalen Symposiums am 26. Mai 1975 in Potsdam-Babelsberg, Potsdam-Babelsberg 1976, S. 12 f. Stüber/Mand zitieren damit zwar nur Karl Marx’ „Kritik des Gothaer Programms“, lassen aber so erkennen, dass genau das 1976 für unmittelbar relevant gehalten wurde.
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der sich je nach erreichter „gesellschaftlicher Entwicklungsstufe“ ändern konnte und änderte,30 ausrichten,31 ihr eventuell falsches Bewusstsein ändern. An dieser Stelle soll ein längeres Zitat belegen, dass die in diesen Punkten skizzierte inhaltliche Programmatik, die es auch einschloss, Klassengegner zu isolieren und ihren gesellschaftlichen Einfluss auszuschalten,32 ganz konkrete Regeln ‒ hier des ZGB-DDR zum Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung ‒ hervorgebracht hat. Es geht (und insofern ist das Beispiel bewusst gewählt) mit dem Recht der unerlaubten Handlung um ein Rechtsgebiet, das nicht sofort erkennbar als ein Einfallstor für Ideologismen erkennbar ist. Das Zitat stammt von Martin Posch, einem Jenaer Professor für das Zivilrecht der DDR, der im Jahr 1977 in seinem „Grundriß Zivilrecht“ meinte: Die im Fünften Teil des ZGB zusammengefaßten Vorschriften zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums vor Schadenszufügung ([…] allgemeine Schutznormen […]) enthalten […] allgemeinverbindliche Anforderungen an das Verhalten von Bürgern und Betrieben im gesellschaftlichen Zusammenleben […]. Die Grundsatznorm (§ 323) dient unmittelbar der Aufgabe, die Gesellschaft, jeden ihrer Bürger und alle Betriebe vor Gefährdung und Schadenszufügung zu schützen, sowie alle Bürger zur gesellschaftlichen Verantwortung und Disziplin, zur gegenseitigen Rücksichtnahme, zur Achtung gegenüber den Mitbürgern sowie gegenüber dem sozialistischen und persönlichen Eigentum zu erziehen. Diese Schutz- und Erziehungsfunktion durchdringt den Gesamtkomplex der allgemeinen Schutznormen (§ 323 S. 2), nicht nur die zu ihm gehörenden Vorschriften über Verantwortlichkeit […]. Die schützende und erzieherische Funktion der sozialistischen Rechtsordnung ist komplex. Daher ist die Funktion der allgemeinen zivilrechtlichen Schutznormen mit der der übrigen Bereiche der sozialistischen Rechtsordnung verbunden. Die Wirkung der sozialistischen Rechtsordnung und ihrer Verhaltensanforderungen vollzieht sich wesentlich in ihrer Einheit. Es ist weniger die einzelne Norm und schon gar nicht die einzelne Sanktionsandrohung, die das Rechtsbewusstsein formen hilft, als vielmehr die sozialistische Rechtsordnung und Rechtspolitik als Ganzes, ihre den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechende Zielsetzung und
30 Zu den Verfassungsänderungen vgl. etwa Helmut Klaus, Von formaler Demokratie zur Diktatur. Das Verfassungssystem der DDR, Schwerin 2010 und Frank Rainer Dietze, Die Verfassung der DDR. Zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik von 1949–1990, Hamburg 2018. 31 Vgl. Jelena Lukaschewa, Sozialistisches Rechtsbewußtsein und Gesetzlichkeit, Berlin 1976, S. 13 (unter Bezug auf Aufgabenstellungen der KPdSU). Auf S. 21 f. meint Lukaschewa, die rechtliche Regelung sei nicht von der erzieherischen Einwirkung zu trennen und verschmelze mit ihr. 32 Vgl. nur Ingetraut Melzer, Die Entwicklung des Staates und des Rechts im Prozeß der sozialistischen Umgestaltung in Vorbereitung und Durchführung des ersten Fünfjahresplans (1949–1955), in: dies. (verantw. Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983, S. 92 (hier bezogen auf „reaktionäre Politiker in der CDU und in der LDPD“).
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Klarheit, ihre Verständlichkeit und Unverbrüchlichkeit, Kontinuität und Zuverlässigkeit. Die Teilfunktionen der Rechtsbereiche greifen dabei ineinander und ergänzen sich […]. Das Strafrecht richtet sich unmittelbar gegen besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen, die im Interesse der Gesellschaft und der einzelnen Bürger unter Strafe gestellt sind. Das Recht zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten wendet sich gegen weitere Verletzungen der Ordnung und Sicherheit. Die allgemeinen Schutznormen des Zivilrechts dienen unmittelbar der Abwehr von Gefahren, Störungen und Beeinträchtigungen von Bürgern und Betrieben, dem Schutz vor Schäden und deren Wiedergutmachung. Während die straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen den staatlichen Organen sowie den gesellschaftlichen Organen der Rechtspflege obliegen, werden zivilrechtliche Folgen von Pflichtverletzungen in der Regel vom Gefährdeten oder Geschädigten selbst geltend gemacht, der hierbei Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.33
Sozialistisches Recht war demnach bis hinein in die zivilrechtlichen Einzelheiten inhaltlich erzieherisches Recht. Das ist mit den Hauptinhalten des sozialistischen Rechts (Enteignungs, Planungs- und Kollektivierungsneigung) eng verbunden. Sozialistisches Recht in der DDR war eben nicht nur „funktionalistisches Recht“, sondern ganz und gar „Funktion“; es sollte sozialistisches Denken und Handeln erzeugen, denn, so ein weiterer Jenaer Rechtslehrer, Gerhard Riege, es müsse das Anliegen aller sein, dass der im Recht enthaltene Wille der Arbeiterklasse überall und durch jeden geachtet und zur Grundlage des Handelns genommen werde,34 es gehe um erkannte und wahrgenommene Verantwortung für Verhaltensweisen, die durch das Recht zu gesellschaftlich notwendigen erklärt würden, das von der Ideologie der Arbeiterklasse getragen werde und alle Bereiche und alle Bürger erfasse.35 Andere sagten, der sozialistische Staat habe eine persönlichkeitsbildende Rolle36 oder dass das sozialistische Recht als Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung37 darauf gerichtet sei, dass reale Bedingungen für das künftige harmonische
33 Martin Posch, Grundriß Zivilrecht, Berlin 1977, S. 11 f. 34 Gerhard Riege, Der Bürger im sozialistischen Staat, Frankfurt a.M. 1974, S. 109 f.; ebenso Jelena Lukaschewa, Sozialistisches Rechtsbewußtsein und Gesetzlichkeit, Berlin 1976, S. 13; Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 48 f.; Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz?, Berlin 1976, S. 87. 35 Gerhard Riege, Der Bürger im sozialistischen Staat, Frankfurt/a.M. 1974, S. 119. 36 Richard Stüber, Referat zum Thema „Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit“, in: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit. Materialien des internationalen Symposiums am 26. Mai 1975 in Potsdam-Babelsberg, Potsdam-Babelsberg 1976, S. 27. 37 Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz?, Berlin 1976, S. 88.
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Zusammenleben entstünden, weshalb „jedes Einzelrecht zugleich mit dem Aspekt der Erziehung verknüpft“ sei und nicht bloß Vorteile oder Positionen verleihe.38 cc) Wer versteht, dass Rolf Henrich das Recht der DDR deshalb als „vormundschaftliches Recht“ bezeichnet hat,39 wird sich als Rechtshistoriker/in etwa beim Aktenstudium nicht darüber wundern, dass Richterinnen und Richter der DDR in ihren Urteilen und Beschlüssen auch im Zivilrecht gegenüber den Parteien erzieherische Töne anschlugen, tadelten, lobten, Ratschläge erteilten und Anweisungen gaben. Sie taten das, weil sie, indem sie als Justizangehörige den Auftrag des sozialistischen Rechts, Persönlichkeiten zu bilden, ernst nahmen40 und so ‒ ihrer Überzeugung nach ‒ alltäglichen Klassenkampf führten. Deswegen ist die „Asozialenfrage“ (in ihren zahlreichen Verästelungen) ein Hauptproblem des sozialistischen Rechts,41 deswegen nehmen Kritik und Selbstkritik, Bewährung in der Produktion, Arbeitslager und Jugendwerkhöfe eine so prominente Stellung im Sanktionenrecht ein und deswegen werden die Kollektive, in die einzelne Personen integriert sind, in die Entscheidungsfindung involviert. Das führt zu zwei weiteren Ankerbegriffen, zu dem der sozialistischen Person und dem des sozialistischen Rechtsverhältnisses. Auch zum Rechtsbegriff der Person und damit zum Rechtssubjekt warten marxistisch-leninistische Juristen in der DDR mit markanten Thesen auf, die Rechtshistoriker, die sich mit Einzelaspekten des sozialistischen Rechts beschäftigen wollen, kennen und einordnen können sollten.
3.
Sozialistische Person/Persönlichkeit
Was die sozialistische Person im Rechtssinne ausmacht, ist insbesondere für die Frage wichtig, was unter dem „persönlichen Eigentum“ als Erscheinungsform des sozialistischen Eigentums (neben dem Volkseigentum und dem genossenschaftlichen Eigentum) verstanden wurde: ein aprioristisches, „subjektives Recht“ mit Ausschließlichkeitscharakter? Die auch für die Gesetzgebung zum ZGB-DDR entscheidende Frage hat die Wissenschaft vom „Recht als Funktion“ durchaus entzweit und wohl nicht selten Praktiker von Theoretikern abgesondert. In der Auseinandersetzung fielen dann auch böse (und insbesondere für das berufliche Fortkommen gefährliche) Worte wie „falsches Bewußtsein“ oder „überkommene bürgerliche
38 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 278. 39 Rolf Henrich, Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus, Reinbek 1989. 40 Vgl. konkret etwa E. (der Vorname konnte nicht weiter ermittelt werden) Mannschatz, Zur pädagogischen Fragestellung bei der Ehescheidung und Sorgerechtsregelung, in: NJ 1964, S. 43 ff. 41 Siehe dazu Sven Korzilius, „Asoziale“ und „Parasiten“ im Recht der SBZ, DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung, Köln/Weimar/Wien 2004.
Grundbegriffe
Ansichten“. Mit der Definition der sozialistischen Person/Persönlichkeit entscheidet sich, welche Stellung das Individuum gegenüber der Allgemeinheit hat und welche Berechtigungen im sozialistischen Staat daraus folgen. Machen wir es kurz: Abgesehen von wenigen, vom Glasnost- und Perestroika-Wind inspirierten Versuchen in den allerletzten Jahren der DDR42 wurde die/der Einzelne als ein „gesellschaftliches Individuum“,43 nicht als ein Subjekt mit von vornherein eigenen, ihr/ihm zustehenden Rechten verstanden: Die Beziehung des einzelnen Menschen zur sozialistischen Gesellschaft ist nicht das Verhältnis von „Subjektiv“ und „Objektiv“. Bekanntlich drückt dieses Kategorienpaar das Verhältnis […] des Menschen und der Gesellschaft zur objektiven Realität aus. Dieses Verhältnis besteht jedoch nicht zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft, zwischen dem Recht des Individuums und dem Recht in seiner Gesamtheit […]. Die Beziehung des einzelnen zur Gesellschaft ist das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem, des Ganzen und des Teils.44
Daraus folgt, dass das Einzelrecht in seiner Funktion als Durchsetzung des objektiv Notwendigen und damit als Verwirklichung des objektiven Rechts gesehen werden müsse.45 Das aber – und das ist die Stelle, an der Marxisten-Leninisten erfahrungsgemäß ihre Gefolgschaft verlieren – schmälere die „Rechte des Einzelnen“ nicht, im Gegenteil: Nur dadurch, daß der gesellschaftliche Charakter jeder Einzelbeziehung und damit auch jedes Einzelrechts richtig erfaßt wird, kann sich auch die Individualität in ihrem ganzen Reichtum entfalten.46
Und weiter: Sozialistische Persönlichkeit heißt, daß der Mensch persönlich zur Geltung kommt durch die schöpferische Eigentümlichkeit seines Verhaltens, nicht kraft seines ihm äußerlichen Eigentums. Persönlich zur Geltung kommen heißt, als Individuum Anteil nehmen an der Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben im Sozialismus in der Gemeinschaft mit anderen in Gestalt schöpferischer Arbeit, in Gestalt der Mitwirkung an der politischen Macht, in
42 Beinahe diabolisch dabei die Rolle von Hermann Klenner; vgl. ders., Freiheit und Menschenrecht, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Wissenschaftlichen Sozialismus 38 (1983), S. 1055–1061. 43 So der Begriff bei Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 287. 44 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 285. 45 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 286. 46 Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 287.
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Gestalt einer ungehinderten, freien gesellschaftlich nützlichen Interessenbetätigung als Individuum in der Gemeinschaft und damit engstens verbunden, in Gestalt einer sozialistischen Lebensweise, die von den politischen und moralischen Werten der Arbeiterklasse bestimmt ist.47
Die daraus abgeleiteten (oder war es andersherum?) Bannersprüche: „Arbeite mit. Plane mit. Regiere mit“ oder „Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden“ dürften (noch) allgemein bekannt sein. Natürlich war diese auf Karl Polak zurückgehende Idee lediglich eine ideologische Fiktion,48 der mit der Lebenswirklichkeit der meisten in der DDR lebenden Menschen wenig bis nichts zu tun hatte. Legion sind mittlerweile die Romane, Essays und Zeitzeugenerinnerungen, in denen geschildert wurde und wird, wie groß die Schere im Kopf vieler in der DDR lebender Deutscher tatsächlich war, wie selbstverständlich unter dem Blauhemd der FDJ das Adidas-Shirt „des Klassenfeindes“ getragen wurde (dieses eine Beispiel muss genügen). Und selbstverständlich gab es Versuche, zwischen Staat und Bürger auftretende Konflikte auch dadurch zu steuern und zu lösen, dass darüber nachgedacht wurde, einen Verwaltungsrechtsschutz (wieder) zu etablieren. Aber noch immer fehlen von systematischen Prämissen ausgehende, der Gliederung der „Rechts“-Ordnung der DDR folgende rechtshistorische Arbeiten, die die realen, rechtlichen Konsequenzen dieser ideologischen Funktion erschöpfend beschreiben und/oder die von diesen Grundsätzen ausgehend zu den rechtstatsächlichen Einzelheiten (etwa des Eingabenwesens) gelangen könnten. Das ist bislang nur punktuell geleistet worden.49 Vom dargestellten Grundsatz ist es nur ein kleiner Schritt zum sozialistischen Rechtsverhältnis.
47 Richard Stüber/Richard Mand, Thesen zum Thema „Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit“, in: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Sozialistischer Staat, gesellschaftliche Organisationen, Persönlichkeit. Materialien des internationalen Symposiums am 26. Mai 1975 in Potsdam-Babelsberg, Potsdam-Babelsberg 1976, S. 13 f. 48 Hans-Peter Haferkamp, Die Mitwirkung des Staatsanwalts im Zivilverfahren der DDR, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 413. 49 Z. B. von Joachim Hoeck, Verwaltung, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 2003 (zur Interessenidentität zwischen Gesellschaft und Individuum siehe dort S. 143–149), Julian Lubini, Die Verwaltungsgerichtsgerichtsbarkeit in den Ländern der SBZ/DDR 1945–1952, Tübingen 2015 und Elisabeth Otto, Das Verwaltungsrecht in der SBZ/DDR bis zur Verwaltungsneugliederung im Jahr 1952, Frankfurt a.M. u. a. 2012.
Grundbegriffe
4.
Sozialistisches Rechtsverhältnis
a) Aus der oben herausgestellten Einheit von Macht, Staat, Recht, Volk und Individuum leitet sich ab, welchen Charakter die Beziehungen haben, die Personen untereinander und mit dem Staat im Sozialismus eingehen konnten. Diese Einheit gelte, so Karl A. Mollnau, auch in den täglichen Rechtsbeziehungen der Bürger zu den Räten der Städte und Gemeinden, zu den Handelseinrichtungen, zur Wohnungsverwaltung, zu den sozialistischen Betrieben, zur Mietergemeinschaft und zum Nachbarn (anhand dieser Liste ist gut zu erkennen, welchen Horizont möglicher Person-Person-Beziehungen DDR-Juristinnen und Juristen vor Augen hatten) und auch im persönlichen Bereich finde sich die Einheit von Rechten und Pflichten wieder.50 Es handelt sich in allen Fällen um gesellschaftliche Verhältnisse, in denen sozialistische Persönlichkeiten den Willen der Arbeiterklasse abbilden, umsetzen, durchsetzen. Das gilt auch für das Zivilrecht. Schon Lenin hatte apostrophiert, dass der Erwerb von Brot und Kleidung nicht als eine Privatsache, dass Kauf und Verkauf nicht als ein Geschäft, das nur mich angehe, bezeichnet werden könne.51 Oder, so das Politbüro des Zentralkomitees der SED 1971: Die Aufgabe des sozialistischen Zivilrechtes bestehe im Wesentlichen darin, die gesellschaftlichen Beziehungen im Bereich der Versorgung der Bevölkerung mit materiellen und kulturellen Gütern und Leistungen, insbesondere mit Wohnraum, Konsumgütern und Dienstleistungen dem Charakter der Gesellschaft der DDR entsprechend mit hoher Wirksamkeit zu gestalten.52 Denken wir das mit Martin Posch zu Ende: Das Zivilrechtsverhältnis ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das durch Normen des sozialistischen Zivilrechts geregelt wird. Es ist die juristische Form vor allem der Beziehungen, die Bürger mit Betrieben und untereinander bei der Befriedigung ihrer materiellen und kulturellen Bedürfnisse eingehen, sowie von Eigentumsverhältnissen und somit ein spezifischer ideologischer Aspekt dieser Verhältnisse. In den Zivilrechtsverhältnissen verwirklichen sich der in Zivilrechtsnormen Ausdruck findende Wille und die Anschauungen der Arbeiterklasse zur Gestaltung der Verhältnisse, die den Gegenstand der zivilrechtlichen Regelung bilden, sowie der Wille der Teilnehmer an diesen Beziehungen, ihre bewußten, eigenverantwortlichen Entscheidungen […]. Diese Begriffsbestimmung charakterisiert das sozialistische Zivilrechtsverhältnis als ein spezifisches gesellschaftliches Verhältnis, das als ideologisches Verhältnis zum Überbau der sozialistischen Gesellschaft gehört und in letzter Instanz von der sozialistischen Basis, den sozialistischen Produktionsverhältnissen
50 Karl A. Mollnau/Karl-Heinz Schöneburg/Wolfgang Weichelt, Macht und Recht ‒ Einheit oder Gegensatz, Berlin 1976, S. 77. 51 Wladimir Iljitsch Lenin, Werke, Berlin 1960, Bd. 27, S. 244. 52 Bericht des Politbüros an die 13. Tagung des Zentralkomitees der SED, 1971, S. 64.
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bestimmt wird […]. Demzufolge wird auch nur eine solche Kauf- oder Wohnungsmietbeziehung als ein Kaufrechts- bzw. Mietrechtsverhältnis anerkannt und geschützt, die den vom sozialistischen Staat für allgemein verbindlich erklärten Verhaltensregeln für Kauf- bzw. Mietbeziehungen entspricht oder zumindest nicht widerspricht. Anderenfalls versagt der sozialistische Staat die Anerkennung, und der Kaufvertrag beispielsweise ist rechtlich unwirksam.53
b) Geltungsgrund des Vertrages im Sozialismus ist daher nicht der Wille der Vertragsparteien, sondern der Zuteilungswille der Arbeiterklasse. Am deutlichsten lässt sich das am Wohnungsmietvertrag zeigen, der auch zwischen zwei Bürgern nur dann wirksam zustande kommen konnte, wenn die lokal zuständige örtliche Behörde der Wohnungsverwaltung einen beide Parteien bindenden Zuweisungsbescheid erteilt hatte (vgl. § 99 ZGB-DDR). Aber auch andere Verträge zeigen das.54 Damit keine Missverständnisse aufkommen: Sozialistische Rechtsverhältnisse in der DDR dienten demzufolge immer dem Klassenkampf ‒ oder sie waren keine. Und wenn sie es nicht waren, dann verdienten sie nicht, durch die einheitliche sozialistische Staatsgewalt und (die mit ihr identische Rechtsprechung) anerkannt zu werden. Das alles ist schließlich auch keine missgünstige Interpretation des Klassenfeindes oder die eines die Realitäten verkennenden „zu spät“ Geborenen, sondern war ausweislich eines der meistgelesenen Lehrbücher zum Zivilrecht der DDR nota bene zivilrechtlicher Lernstoff für jede/n Studierenden der Rechtswissenschaft in der DDR: Mit dem subjektiven Recht55 ist die Möglichkeit des Verhaltens des betreffenden Subjekts (oder seine Möglichkeit zu handeln) gemeint, die ihm die Rechtsnorm bietet […]. Die subjektiven Rechte haben wie die juristischen Pflichten eine Verwirklichung, Durchsetzung der objektiven Gesetzmäßigkeiten zum Inhalt. Die subjektiven Rechte sind, wie das gesamte sozialistische Zivilrecht, darauf gerichtet, die objektiven Gesetzmäßigkeiten der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, speziell im Bereich der Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, durchzusetzen. Deshalb wäre es ein grobes Mißverstehen ihres Charakters und ihrer Funktion, sie als „Zugeständnis“ oder als unverbindlichen Handlungsspielraum oder gar als Störung z. B. für die ordnungsgemäße Abwicklung der Handelstätigkeit zu betrachten. Die subjektiven Rechte und ihre Verwirklichung sind ‒ wie jede andere Form der staatlich-rechtlichen
53 Joachim Göhring/Martin Posch, Zivilrecht. Lehrbuch, Teil 1 und 2, Berlin 1981, Teil 1, S. 70 f. 54 Für den Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient ist das bereits untersucht worden; vgl. Ulrike Seifert, Gesundheit staatlich verordnet. Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Spiegel sozialistischen Zivilrechtsdenkens, Berlin 2009. 55 Den Begriff „subjektives Recht“ lehnte z. B. Gerhard Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin 1967, S. 271–277, 280 kategorisch ab (und bezog sich dabei auf Karl Polak).
Grundbegriffe
Leitung ‒ Ausdruck der Ausübung der politischen Macht der von ihrer Partei geführten Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten und Instrumente der Durchsetzung dieser Politik […]. Die Wahrnehmung der subjektiven Rechte kann keine Privatsache sein, sondern bedeutet Verwirklichung der individuellen und gesellschaftlichen Interessen. Beispielsweise liegt die Durchsetzung eines Garantieanspruchs durch den Käufer gleichermaßen im Interesse des Kunden wie des Handelsbetriebes und des Herstellers.56
Nachdem darf konstatiert werden, dass die DDR kein „Zivilrecht“ kannte, das nicht dem Klassenkampf, sondern allein den Interessen von Privatparteien gedient, also „Eigengewicht“ (Michael Stolleis) gehabt hätte. Solche Interessen waren ‒ wenn sie sich in Verhältnissen manifestierten, in denen Güter und Dienstleistungen ausgetauscht wurden – von vornherein auf den Schwarzmarkt57 verbannt, der in der DDR alltäglich blühte, auf dem sich bewegte, wer wusste, was „blaue Fliesen“ waren und wer darüber und über „Forum-Schecks“ verfügte. In diesem MartinPosch-Zitat findet sich dann auch die Überleitung zum letzten hier ausgewählten Ankerbegriff.
5.
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a) Hierbei handelt es sich um einen Begriff, der in der DDR so häufig verwendet wurde wie der Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“ für die Bundesrepublik.58 Er ist so gewählt, dass er geradezu dazu einlädt, die Idee dahinter unvollständig oder unzutreffend zu erfassen ‒ und in diese Gefahr kann jede/r geraten, die oder der glaubt, das Wort allein sei hinreichend klar, weil schließlich jede/r Jurist/in wisse, was ein Gesetz sei. Auch diente er als ein nicht weiter definitionswürdiger Sammelbegriff,59 unter dem „vielfältige rechtliche Mittel und Verfahren“ subsumiert werden konnten, mit denen das sozialistische Recht wirksamer durchgesetzt wer-
56 Joachim Göhring/Martin Posch, Zivilrecht. Lehrbuch, Teil 1 und 2, Berlin 1981, Teil 1, S. 75 f. 57 Dazu Günter Manz, „Schattenwirtschaft“ in der DDR, in: Wirtschaftswissenschaft 38 (1990), S. 219–229. 58 Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 61, 62 („Basisbegriff “); weiter dazu Friedrich Christian Schroeder, Rechtsstaat und „sozialistische Gesetzlichkeit“, in: APuZ 3 (1980), S. 3–15. 59 Hans-Peter Haferkamp, Begründungsverhalten des Reichsgerichts zwischen 1933 und 1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 2000, Bd. 2, S. 36, spricht von einer „Chiffre“.
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den sollte.60 Außerdem diente er zu verschiedenen Zeiten verschiedenen Zwecken ‒ von der Rechtfertigung der Revolution über die „Aufarbeitung“ des stalinistischen Terrors, die Kontrolle aller Normanwendung durch die Staatsanwaltschaft bis hin zum Design des Obersten Gerichts der DDR als Kassationsgericht oder zum „Ersatz für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“61 (womit auch eine ganze Reihe von einzelnen rechtshistorischen Forschungsprojekten angesprochen wäre). Kurz vor der Götterdämmerung/Implosion der DDR sahen Jenaer Juristen im Jahre 1987 noch, „dass sozialistische Gesetzlichkeit“ zwar „sowohl ein Prinzip als auch eine Methode staatlicher Machtausübung“ sei, „die die theoretische Substanz wohl nahezu aller Zweige der Staats- und Rechtswissenschaft“ tangiere,62 dass es aber ungeachtet des Verfassungsgebots aus Art. 19 der Verfassung der DDR (von 1968) „offensichtlich bis dato keine allgemeine geschlossene hieb- und stichfeste Theorie der sozialistischen Gesetzlichkeit“ gebe … und der Begriff „in Theorie und Praxis noch allzusehr als ein Fahnenterminus gehandhabt“ werde, „der so nicht hinreichend in der geforderten Tiefe zur Verinnerlichung in und durch die Gesellschaft“ beitrage.63 Michael Stolleis hat vorgeschlagen, „sozialistische Gesetzlichkeit“ mit „parteilichem Gesetzespositivismus“ zu übersetzen.64 Nach der hier vertretenen Ansicht verlangt das erstens nach weiteren Erklärungen und wird dadurch zweitens dem positivistischen Element etwas viel Raum gegeben. Was Stolleis damit meint, lässt sich veranschaulichen an dem schon mehrfach erwähnten „Grundriß“ zur Staats- und Rechtsgeschichte der DDR.65 Es gibt in diesem Buch keine begriffliche oder terminologische Grenze zwischen „Staatsgeschichte“ und „Rechtsgeschichte“. Das Lehrbuch ist in Wahrheit nichts anderes als eine von 1945 bis 1983 reichende, in einem durchgehenden Erfolgs- und Entwicklungsnarrativ geschriebene Geschichte
60 Hans-Oskar Schützenmeister, Vorwort, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 5. 61 Siehe dazu Hans-Peter Haferkamp, Die Mitwirkung des Staatsanwalts im Zivilverfahren der DDR, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 367 ff., insb. S. 369–371, 382, 387–389. 62 Wolfgang Bernet, Das Gesetz in der Staatsverwaltung, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 7. Die Aussage, die sozialistische Gesetzlichkeit sei Prinzip und Methode, Theorie und Anweisung, Inhalt und Anleitung, wird nach Gerhard Haney, Gesetzlichkeit ‒ Prinzip oder/und Methode?, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 63, möglich, wenn sie dialektisch-materialistisch verstanden werde, denn der dialektische Materialismus leite methodisch die Gewinnung von Aussagen und stelle ein System von Erkenntnissen dar. 63 Wolfgang Bernet, Das Gesetz in der Staatsverwaltung, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 8. 64 Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 30. 65 Ingetraut Melzer (verantw. Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983.
Grundbegriffe
der DDR anhand der sie konstituierenden und von ihr erzeugten „Regeln“. Das „Recht“ selbst als eigenständige, aus historischer Perspektive betrachtete Größe erscheint darin nicht. Was verstanden Jurist/innen der DDR66 unter sozialistischer Gesetzlichkeit? Dass die Staatsgewalt sich im förmlichen Gesetz ausdrückte? Dass die Gerichte an das Gesetz gebunden gewesen seien? Dass Bürger und Betriebe ihre subjektiven Rechte am Gesetz hätten ablesen können? Zunächst ein vorderhand wenig aussagekräftiger (aber nur vermeintlich phrasenhafter) Definitionsversuch: Die sozialistische Gesetzlichkeit als eine der wichtigsten Methoden für die Leitung der Gesellschaft besteht im Erlaß sowie in der strikten und unbeirrbaren Verwirklichung der Normen des sozialistischen Rechts; sie bildet gemeinsam mit dem sozialistischen Rechtsbewußtsein das einheitliche System der rechtlichen Regelung.67
b) Wer es etwas genauer haben will, nähert sich dem Problem über den Urknallmoment, der die Diktatur des Proletariats, die Herrschaft der Arbeiterklasse, die sozialistische Staatlichkeit erzeugt: die Revolution.68 Sie ist der maximale Bruch bestehender Normensysteme und daher grundsätzlich „ungesetzlich“. Marxistischleninistisch denkende Juristen sahen (und sehen) das anders: Konsultieren wir eine frühe Schrift Hermann Klenners. Unter dem Titel „Formen und Bedeutung der
66 Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987; Gotthold Bley, Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie 3. Sozialistisches Recht und sozialistische Gesetzlichkeit, Potsdam-Babelsberg 1975; Erich Buchholz, Der sozialistische Rechtsstaat und die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Gesetzlichkeit und Rechtspflege der DDR, in: SuR 38 (1989), S. 476–485; Siegfried Heger/Heinz Wostry, Sozialistische Gesetzlichkeit, Ordnung und Sicherheit. Erfahrungen bei der weiteren Festigung der sozialistischen Staats- und Rechtsordnung, Berlin 1979; Herbert Hörz/Dietmar Seidel (Hrsg.), Objektive Gesetzmäßigkeiten, sozialistische Gesetzlichkeit, menschliche Entscheidungen, 3 Bde., Leipzig 1987; Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953; Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR. Theoretische Grundlagen und Praxis, in: Gert Bender/Ulrich Falk, Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 59–82; Pavel Orlovskij, Die sowjetische sozialistische Gesetzlichkeit, Leipzig/Jena 1955; Joachim Renneberg, W. I. Lenin über die sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtsordnung, in: SuR 18 (1969), S. 1716–1735; Gerhard Schüssler, Sozialistische Demokratie und Gesetzlichkeit, in: Gerhard Schüssler/Wolfgang Weichelt (Hrsg.), Sozialismus und Demokratie. Die Demokratie in Theorie und Praxis sozialistischer Länder, Berlin 1977, S. 124–177. 67 Jelena Lukaschewa, Sozialistisches Rechtsbewußtsein und Gesetzlichkeit, Berlin 1976, S. 15. 68 So beginnt auch Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 28 das Kapitel „Das Rechtssystem“, in dem er die schon zitierte Definition gibt.
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Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes“ bezog Klenner sich 1953 auf den heute prominentesten Vertreter der Mainzer Räterepublik Georg Forster (1754–1794), der unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse in Paris (gemeint ist die Grande Terreur 1793/1794) erkannt und ausgesprochen habe, dass der revolutionäre Terror nichts Willkürliches, nichts Gesetzloses sei, weil die öffentliche Volksmeinung, die als Schiedsrichterin uneingeschränkt in letzter Instanz entscheide, dem Gesetz der Notwendigkeit gehuldigt habe, das den Terror hervorgerufen habe.69 Forster, für den die Revolution ein Orkan war, den niemand hemmen könne, habe mit dieser „genialen These“ (so Klenner) erstmals die metaphysische Auffassung durchbrochen, nach der Gesetzlichkeit etwas unveränderbar Starres sei und nach der es kein Recht zur Revolution gebe.70 Das sei eine für ihre Zeit unerreichte materialistisch-dialektische Deduktion gewesen, mit der Forster den revolutionären Terror als Mittel der historischen Notwendigkeit zu den gesetzlichen Maßnahmen gezählt habe.71 Gesetzlich ist demnach, was (wie Naturereignisse) nach objektiven Gesetzmäßigkeiten abläuft. Die kommunistische Revolution war und ist gesetzlich, weil sie historisch gesetzmäßig aus den Antagonismen der zum Imperialismus und Faschismus gesteigerten bürgerlichen Gesellschaft hervorgehen muss. Es ist gesetzlich, das von der vorrevolutionären Gesellschaftsformation geschaffene positive Recht, deren Gesetze und staatliche Strukturen abzuschaffen, für unverbindlich zu erklären (Repräsentanten der vorrevolutionären Gesellschaft und ihres Staates im revolutionären Kampf zu töten, Privateigentum zu konfiszieren, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln). Nicht gesetzlich dagegen ist eine Normativordnung, die sich gegen die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten richtet; mindestens wäre eine solche Gesetzlichkeit nicht von Dauer.72 Es konnte demnach auch für gesetzlich gehalten werden, Vorschriften vorrevolutionärer Gesetze, die von der Arbeiterklasse am Tag nach dem Sieg nicht sofort abgeschafft wurden/werden konnten (bekanntestes Beispiel ist das BGB, das ‒ obwohl inhaltlich ausgedünnt ‒ in der DDR noch bis Ende 1975 galt), inhaltlich anders zu interpretieren, als das am Tag vor der Niederlage etwa durch die Gerichte des „historisch gesetzmäßig untergegangenen“73 Staates
69 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 14. 70 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 15. 71 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 15 f., 42. 72 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 53. 73 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 47.
Grundbegriffe
geschehen war.74 So steckt in „sozialistischer Gesetzlichkeit“ zumindest bis zum Erlass DDR-eigener Kodifikationen auch ein Methodenprogramm, mit dem sich jeder Rechtsbegriff in BGB und StGB dem (gerade dominierenden) Willen der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde, der SED, entsprechend auslegen ließen. c) Aber sozialistische Gesetzlichkeit als Prinzip und Methode leistete viel mehr: In der entwickelten sozialistischen Gesellschaft verwirklicht sie strikt und unbeirrbar die Normen genuin sozialistischen Rechts. Damit hätten wir vielleicht sogar einen sozialistischen Begriff vor uns, der den Begriff „Recht“ ersetzen könnte. Wir müssten dann statt von Rechtswissenschaft von Gesetzlichkeitswissenschaft, statt von Rechtspolitik von Gesetzlichkeitspolitik, statt von Rechtsgeschichte von Gesetzlichkeitsgeschichte, statt von Zivilrecht von Zivilgesetzlichkeit usw. sprechen. Das ist zwar ungewohnt und etwas mühevoll, es dürfte aber die Probleme erstens exakter treffen, und es würde zweitens erlauben, mit dem Wort „Recht“ auch auf sein Gegenwort, das „Unrecht“ zu verzichten, das bekanntlich die wissenschaftliche Analyse der „Gesetzlichkeitsordnung“ der DDR bis heute blockiert. Es darf schließlich ferner vermutet werden, dass dadurch keine Inhalte verloren gingen, dass also alles darstellbar und analysierbar bliebe: von den Güteraustauschbeziehungen zwischen Betrieben bis hin zu den Sanktionen, die die sozialistische „Strafgesetzlichkeit“ vorsah und exekutierte. Bei einem weiteren Jenaer Rechtslehrer, Wolfgang Bernet, hieß es 1987: Von den historischen und ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten ausgehend hat die sozialistische Rechtstheorie die Bestandteile der Gesetzlichkeit als juristische Kategorie in folgenden Punkten zusammengefasst: (a) Wahrung und Einhaltung der Gesetze des sozialistischen Staates, die die Interessen und den Willen des werktätigen Volkes mit der Arbeiterklasse als Hauptkraft zum Ausdruck bringen (Allgemeinverbindlichkeit der Gesetze für jedermann und in jedem Territorium des Staates; (b) Ausübung der staatlichen Machtfunktion durch die Funktionäre ausschließlich auf der Grundlage der Gesetze und Einhaltung der Rechte der Bürger, die in den gesetzlichen Bestimmungen enthalten sind (gesetzliches Handlungsgebot der Staatsorgane); (c) Geltendmachung der juristischen Verantwortlichkeit gegenüber jedem Bürger, staatlichem Verwaltungsorgan bzw. den dafür Handelnden für Gesetzesverstöße.75
Das klingt sehr nach einem selbstbewussten Eintreten einer Juristengeneration der DDR, die auf einen durch die DDR selbst geschaffenen Grundstock von Normen blicken konnte und die die „mitunter noch anzutreffende Denkweise einzelner
74 Vgl. nur die bekannte Kofferradio-Entscheidung des KreisG Potsdam-Stadt, NJ 1959, S. 219. 75 Wolfgang Bernet, Das Gesetz in der Staatsverwaltung, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 16.
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Staatsfunktionäre, sie müßten politisch und nicht juristisch entscheiden […] unter den Bedingungen von Gesetzen, die der materiellen Basis des Sozialismus entspringen“ als „antiquiert und hemmend“ kritisierte.76 Und ganz offensichtlich ist, dass hierin eine (oder die) zivilisierende Kraft juristischer Technik erblickt werden könnte, die dazu geführt haben könnte, dass die DDR in der Honecker-Ära auf dem Weg zu einem gewaltengeteilten Staat gewesen sei, in dem „Gesetzlichkeit“ das geleistet hätte, was „Recht“ im „Rechtsstaat“ leistet. Diesen (mit Verlaub: sozialistischen) Optimismus teilt der Verfasser dieses Beitrages nicht, denn Grundlage für das Diktum Bernets – damit keine positivistischen Missverständnisse aufkommen – war folgendes: Die Bedeutung der juristischen Gesetze besteht in der Formierung der Gesellschaft mittels eines allgemeinverbindlichen Ordnungs- und Regelwerkes, das Ausdruck der historischen Gesetzmäßigkeit auf politischem, ökonomischem und kulturellem Gebiet ist.77
Sozialistische Gesetzlichkeit ist demnach Historischer Materialismus, samt der daraus abzuleitenden, die gesellschaftlichen Funktionen determinierenden Postulaten. Das stimmt überein mit Hermann Klenners 1953, die Einheit von Staat und Individuum, von Staat und Gesetzlichkeit postulierenden Position, wonach die sozialistischen Gesetze die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bloß an ihrer Oberfläche berühren, wie das Recht des bürgerlichen Staates, von dessen Gesetzbüchern die Armen ebenso wenig satt werden wie von Kochbüchern […]. Sozialistische Gesetzlichkeit führt eine gründliche Umgestaltung der alten Zustände herbei und bringt eine schöpferische Einwirkung der Rechtsnormen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, so daß das wirkliche Leben der Menschen nicht außerhalb, sondern in den Gesetzen selbst beschlossen ist.78
Insofern hat die Gesetzlichkeitswissenschaft der DDR von Klenner 1953 bis zu Bernet 1987 keinen kategorialen Schritt gemacht, sich nicht von ihren Prämissen
76 Wolfgang Bernet, Das Gesetz in der Staatsverwaltung, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 10. 77 Wolfgang Bernet, Das Gesetz in der Staatsverwaltung, in: Wolfgang Bernet/Bernd Wilhelmi (Hrsg.), Sozialistische Gesetzlichkeit, Jena 1987, S. 16; sinngleich Jelena Lukaschewa, Sozialistisches Rechtsbewußtsein und Gesetzlichkeit, Berlin 1976, S. 30: Grundlage der sozialistischen Gesetzlichkeit ist die Existenz eines Systems von Normen, das die objektiven Bedürfnisse der gesellschaftlichen Entwicklung richtig widerspiegelt und den Zielen des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus entspricht. 78 Hermann Klenner, Formen und Bedeutung der Gesetzlichkeit als einer Methode in der Führung des Klassenkampfes, Berlin 1953, S. 47.
Grundbegriffe
gelöst bzw. diese nicht umformuliert. Während Klenner 1953 die kommenden sozialistischen Gesetze erwartete und deshalb wie Forster die Revolution mit dem historischen Materialismus für gesetzlich, das heißt historisch gesetzmäßig erklärte, stand Bernet 1987 auf einem Sockel nunmehr vorhandenen sozialistischen Rechts, den er für allgemeinverbindlich (also auch die Staatsorgane bindend) erklären konnte, weil dieser normative Bestand die historischen Gesetzmäßigkeiten als „Überbau“ juristisch abbilde. Das änderte kein Jota an den Prioritäten: Allgemeinverbindlich konnte das Ordnungs- und Regelwerk nur sein, weil und wenn (soweit und solange) es Ausdruck der von der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde (der SED) richtig erkannten und interpretierten historischen Gesetzmäßigkeit war.79 Das lässt sich zusammenfassen als „Parteilichkeit“, die im Rechtsbetrieb der DDR „im Namen der Gesetzlichkeit und als deren integraler Bestandteil zur Leitkategorie der Rechtsnormdurchsetzung auf allen Ebenen in Staat und Gesellschaft“ wurde80 und die den Richter – und damit kehrt dieser Beitrag zu Joachim Gauck zurück – zum „Parteiarbeiter der Justiz“, zum „programmierten Exekutor der Politik der Parteiführung und ihres Apparates“ machte.81
6.
Conclusio
Die Worte „Parteiarbeiter der Justiz“ und „programmierten Exekutor der Politik der Parteiführung und ihres Apparates“ stammen jedoch nicht vom Autor dieser Zeilen, sondern von Karl A. Mollnau, der hier schon mehrfach zitiert worden ist. Mollnau war selbst ein wissenschaftlicher Protagonist des „sozialistischen Rechts als Funktion“, der „sozialistischen Gesetzlichkeit“. Nach 1989 hat er für sich das
79 So auch Jelena Lukaschewa, Sozialistisches Rechtsbewußtsein und Gesetzlichkeit, Berlin 1976, S. 31 f.; rückblickend ebenso Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 75; resümierend aus Historikersicht Hans-Peter Haferkamp, Die Mitwirkung des Staatsanwalts im Zivilverfahren der DDR, in: Rainer Schröder (Hrsg.), Zivilrechtskultur der DDR, Berlin 1999, Bd. 1, S. 367 (389): „Umsetzung des strikten Primats der Politik“. 80 Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 71. 81 Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 72.
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Adrian Schmidt-Recla
Recht, irren zu dürfen, und die Pflicht, korrigieren zu müssen, reklamiert,82 die ihm von Theoretikern, die vom Normdurchsetzungsapparat der DDR persönlich und beruflich nicht beschädigt worden sind (oder wie im Fall des Verfassers dieses Beitrages aus biographischen Gründen gerade so nicht mehr beschädigt werden konnten), nicht erst zugestanden werden müssen (andere haben da verständlicherund berechtigterweise Schwierigkeiten). Mollnaus zwei Schlagworte machen aber klar, was für Schriftgut Rechtshistoriker/innen vor Augen bekommen, wenn sie rechtswissenschaftliche Lehrbücher, Dissertationsschriften, Aufsätze, Urteile, Beschlüsse und Richterbriefe (Kommentare gab es ja nur ganz wenige), die in der DDR geschrieben und gedruckt wurden, studieren. Sie müssen bei jedem einzelnen in der DDR systemseitig geschriebenen und gedruckten Wort oder Satz, bei jeder obrigkeitlichen Entscheidung bedenken, dass sein/e Urheber/in gerade mit diesem Wort oder dieser Entscheidung stets die rote Fahne des Proletariats im Klassenkampf vorwärts trug. Auch und gerade im Zivilrecht.
82 Karl A. Mollnau, Sozialistische Gesetzlichkeit in der DDR, in: Gerd Bender/Ulrich Falk (Hrsg.), Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt a.M. 1999, Bd. 3: Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 59.
Achim Seifert
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
1.
Problemaufriss
Das Arbeitsrecht bildete im Recht der DDR von Anfang an eines der zentralen Rechtsgebiete in der Rechtsordnung der DDR. In einem „Arbeiter- und Bauernstaat“ war der Schutz der abhängigen Arbeitskraft – oder um die Terminologie des DDR-Rechts aufzugreifen – der „Werktätigen“ ein wesentliches Element bei der Durchsetzung der „weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes“.1 Diese hervorgehobene Stellung des Arbeitsrechts fand nicht nur in der Verfassung vom 7. Oktober 1949 ihren Ausdruck, welche „die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts, einer einheitlichen Arbeitsgerichtsbarkeit und eines einheitlichen Arbeitsschutzes“ „unter maßgeblicher Mitbestimmung der Werktätigen“ zum verfassungsrechtlichen Programm erhob;2 auch die Verfassung vom 6. April 1968 betonte die besondere Bedeutung des „einheitliche[n] sozialistische[n] Arbeitsrecht[s]“ eigens hervor.3 Der besondere Stellenwert des Arbeitsrechts zeigte sich aber auch und vor allem darin, dass die DDR schon sehr frühzeitig daran ging, ein ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung entsprechendes Arbeitsrecht zu schaffen und dieses fortzubilden. So wurde bereits am 19. April 1950 das „Gesetz der Arbeit“4 verabschiedet. Eine Konsolidierung des sozialistischen Arbeitsrechts erfolgte dann durch das „Gesetzbuch der Arbeit“ vom 12. April 1961.5 Dieses wurde während der Honecker-Zeit durch das „Arbeitsgesetzbuch“ (AGB) vom 16. Juni 19776 ersetzt, das bis zum Ende der DDR im Jahre 1990 die zentrale Rechtsgrundlage für das Arbeitsrecht der DDR bildete.7
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§ 1 Arbeitsgesetzbuch (AGB) 1977. Vgl. Art. 18 DDR-Verf. 1949. Vgl. Art. 24 Abs. 3 DDR-Verf. 1968. Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten (GBl. S. 349). 5 GBl. I S. 27. 6 GBl. I Nr. 18 S. 185. 7 Neben dem AGB existierten allerdings noch zahlreiche arbeitsrechtliche Nebengesetze, Verordnungen des Ministerrates (z. B. Arbeitsschutzverordnung v. 01.12.1977) oder ministerielle Anordnungen: für einen Überblick über diese arbeitsrechtlichen Nebenvorschriften siehe die in Staatssekretariat
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Das Arbeitsrecht der DDR ist bislang nur selten Gegenstand umfassender rechtswissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Aus einer Außenperspektive, ja geradezu rechtsvergleichenden Perspektive ist hier die Arbeit von Bernhard Rüthers „Arbeitsrecht und politisches System“ aus dem Jahre 1973 zu nennen,8 die ursprünglich als Teil der „Materialien zur Lage der Nation 1972“ mit dem Bericht der Bundesregierung veröffentlicht wurde.9 Es handelte sich dabei um einen arbeitsrechtlichen Systemvergleich zwischen DDR und Bundesrepublik. Die Herausarbeitung der unterschiedlichen Strukturprinzipien der beiden Arbeitsrechtsordnungen ist gewiss auch heute noch sehr hilfreich. Rüthers hatte für seine Studie indessen zu vielen Dokumenten des DDR-Arbeitsrechts keinen Zugang und konnte noch nicht das 1977 erlassene Arbeitsgesetzbuch einbeziehen. Ein weiteres Beispiel stellt die Schrift von Siegfried Mampel zu „Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland“ aus dem Jahre 1966 dar,10 die eine „gründliche Gesamtdarstellung des sowjetzonalen Arbeitsrecht“ und gerade keinen Rechtsvergleichung zwischen dem Arbeitsrecht der DDR und der Bundesrepublik zum Ziel hatte, dabei jedoch schon in ihrer Begrifflichkeit deutlich in den Kontext der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Machtblöcken des Ost-West-Konfliktes eingebettet war. Die Perspektive verschob sich nach dem Zusammenbruch der DDR. In den Arbeiten der Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Deutschland stand neben der historischen Analyse der DDR auch die Erarbeitung von Grundlagen für deren „politisch-moralische Bewertung“ im Vordergrund.11 Das Arbeitsrecht der DDR schien in diesem Zusammenhang allenfalls am Rande auf, ohne dass in diesem Stadium eine systematische Untersuchung erfolgt wäre.12 Gleichwohl entstanden in den 1990er Jahren auch einzelne Gesamtbetrachtungen des Arbeitsrechts der DDR, die aus der Feder ehemaliger Dozenten bzw. Professoren des Arbeitsrechts der DDR stammten: Zu nennen sind hier insbesondere die Analyse von Axel Dost aus dem Jahre 199513 sowie eine Schrift
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für Arbeit und Löhne (Hrsg.), Arbeitsgesetzbuch und andere ausgewählte Rechtsvorschriften – Textausgabe, Berlin 1983, im Anschluss an das AGB abgedruckten Rechtsvorschriften. Bernhard Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, Frankfurt a.M. 1973. Vgl. BT-Drucksache VI/3080. Siegfried Mampel, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, Köln 1966. Siehe Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Baden-Baden u. Frankfurt a.M. 1995, Bd. 4, S. 154 f. Dies gilt insbesondere für die Materialien der Enquete-Kommission, die dem Recht der DDR gewidmet waren: vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Baden-Baden u. Frankfurt a.M. 1995, Bd. 4. Axel Dost, Arbeitsrecht, in: Uwe-Jens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR – Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 95–145.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
von Wera Thiel, bis 1993 Professorin für Arbeitsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, aus dem Jahre 199714 . Darüber hinaus sind seit dem Ende der DDR einige wenige rechtswissenschaftliche Arbeiten zu Einzelaspekten des Arbeitsrechts der DDR erschienen, die insbesondere um die Konfliktkommissionen kreisen.15 Insgesamt bietet sich das Bild eines sehr zerklüfteten, bislang aber erst wenig erschlossenen rechtshistorischen Terrains. Die folgenden Überlegungen wollen und können nicht das Arbeitsrecht der DDR in seinem wesentlichen Inhalt auf den einzelnen seiner Entwicklungsstufen nachzeichnen. Soll eine solche rechtshistorische Untersuchung über eine reine Gesetzgebungsgeschichte hinausgehen,16 kann sie nur das Ergebnis der längst überfälligen Aufarbeitung des umfangreichen rechtshistorischen Materials – insbesondere der Arbeitsrechtswissenschaft der DDR, der Rechtsprechung der DDR-Gerichte zum Arbeitsrecht sowie der Tätigkeit der Konfliktkommissionen – sein, die zum großen Teil noch zu leisten ist. Mit Blick auf diese noch zu leistende Arbeit beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen darauf, einzelne ausgewählte Fragen herauszugreifen, welche sich im Zusammenhang mit der rechtshistorischen Erforschung des Arbeitsrechts der DDR in besonderer Weise stellen. Dies sind einmal der Gegenstand und die besonderen Funktionen des Arbeitsrechts der DDR, die es deutlich von unserem Verständnis des Arbeitsrechts abheben (2.), die Fragen von Einflüssen aus der Weimarer Republik und dem Arbeitsrecht der Sowjetunion (3.) sowie einzelne Fragen und Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der rechtshistorischen Aufarbeitung der „Arbeitsrechtswissenschaft“ der DDR stellen (4.).
14 Wera Thiel, Arbeitsrecht in der DDR: ein Überblick über die Rechtsentwicklung und ein Versuch der Wertung, Opladen 1997 (Reprint 2013). 15 Siehe z. B. Olaf Fischer, Die Konfliktkommissionen in der DDR und die Schiedsstellen für Arbeitsrecht in den neuen Bundesländern, Diss. Univ. Göttingen 1999. Diese Fokussierung auf die Konfliktkommissionen dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass diese in den neuen Bundesländern in Gestalt von außergerichtlichen Schiedsstellen für Arbeitsrecht aufgrund des Einigungsvertrages (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 3) vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) vorübergehend fortlebten, wenn auch nur erheblich modifiziert. Zu den Erfahrungen mit den Schiedsstellen für Arbeitsrecht siehe Peter Schuck, NZA 1992, S. 318 ff. sowie Bertram Fischer, Die Schiedsstellen für Arbeitsrecht in den neuen Bundesländern: Rechtliche und empirische Analyse eines Übergangsphänomens, Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen, Diskussionspapier 2/92. 16 Ein Beispiel für eine solche Gesetzgebungsgeschichte ist die gerade erwähnte Schrift von Thiel, Arbeitsrecht in der DDR.
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2.
Gegenstand und Funktionen des sozialistischen Arbeitsrechts
Bereits eine Annäherung an Gegenstand und Funktionen des Arbeitsrechts der DDR ist mit Schwierigkeiten verbunden. Sie verlangt ein Sichhineindenken in eine gegenständliche Weite und in Funktionen, in die der Rechtsstoff eingebettet war und denen der heutige Betrachter mit großer Distanz gegenübersteht. Die wesentliche Schwierigkeit besteht für ihn darin, diese Denkmuster des sozialistischen Arbeitsrechts zu erfassen. a) Gegenstand Bereits der Gegenstand des Arbeitsrechts der DDR unterscheidet sich von nichtsozialistischen Rechtsordnungen. Legt man die Definition des offiziellen Lehrbuchs des Arbeitsrechts zugrunde, das von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Frithjof Kunz und Wera Thiel verfasst war, wurden unter Arbeitsrecht die Gesamtheit der Regelungen zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der Arbeiter und Angestellten sowie damit eng verbundene Rechtsverhältnisse der Arbeiter und Angestellten begriffen.17 Auch das Arbeitsrecht der DDR ging vom Arbeitsvertrag als dem zentralen Entstehungstatbestand des Arbeitsverhältnisses aus.18 Die Gestaltung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses war indessen durch Gesetze und andere Rechtsvorschriften sowie Rahmen- oder Betriebskollektivverträge weitgehend vorgegeben und einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung entzogen.19 Durch den Abschluss eines Arbeitsvertrages zwischen Werktätigem und Betrieb entstand nach § 38 Abs. 1 AGB 1977 ein „Arbeitsrechtsverhältnis“. Mit diesem Begriff, der lediglich den allgemeinen Begriff der sozialistischen Rechtstheorie vom Rechtsverhältnis auf das Arbeitsverhältnis übertrug,20 umschrieb das sozialistische Arbeitsrecht den Prozess der Übernahme des Willens des sozialistischen Staates, wie er vor allem in den geltenden Rechtsvorschriften oder Kollektivverträgen seinen Ausdruck fand, durch die am Arbeitsverhältnis beteiligten Rechtssubjekte.21 Es handelte sich somit um 17 Vgl. Frithjof Kunz/Wera Thiel (Leitung), Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 25. 18 Eine Ausnahme enthielt § 38 Abs. 2 AGB für die „Begründung von Arbeitsrechtsverhältnissen zur Wahrnehmung besonders verantwortlicher staatlicher oder gesellschaftlicher Funktionen“ durch Berufung nach § 61 AGB (z. B. eines Direktors eines Kombinatsbetriebes) oder Wahl (§ 66 AGB). 19 Allerdings gab es auch Ausnahmen. Zu denken ist hier etwa an die „Einzelverträge“ i.S.v. § 46 AGB, in denen mit Angehörigen der „Intelligenz“ „in Anerkennung ständiger hervorragender Leistungen bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ besondere Rechte und Pflichten vereinbart werden durften. 20 Für das Zivilrecht des ZGB siehe Joachim Göhring/Martin Posch, Zivilrecht – Lehrbuch, Teil 1, Berlin 1981, S. 70 ff. 21 Mit Blick auf das AGB z. B. Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 116 f.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
ein Rechtsverhältnis, mit dem die Übereinstimmung der Parteien des Arbeitsverhältnisses mit den Vorgaben des sozialistischen Staates zum Ausdruck gebracht wurde. Das „Arbeitsrechtsverhältnis“ umfasste zunächst und vor allem die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem einzelnen Werktätigen und dem Betrieb sowie kollektive Rechtsbeziehungen, insbesondere die gewerkschaftlichen Rechte des FDGB. Es griff allerdings über die rein berufliche Sphäre weit hinaus und schloss auch die Gestaltung der Freizeit ein, namentlich die Verwirklichung des Rechts der Werktätigen und auch ihrer Familien auf „Teilnahme am kulturellen Leben, an Körperkultur und Sport“.22 Hierzu gehörte die soziale Betreuung (zum Beispiel durch „betriebliche Erholungseinrichtungen für die Wochenend- und Naherholung“ und bei der Wohnraumsuche)23 ebenso wie die Betreuung der Kinder der Betriebsangehörigen, zu der neben der Bereitstellung von Kindertagesstätten auch die Pflicht der Betriebe zählte, den Kindern ihrer Werktätigen eine erholsame Feriengestaltung in Betriebsferienlagern oder durch andere Formen der Kinderferienerholung24
zu sichern. Somit war auch die rechtliche Ordnung der zahlreichen Freizeiteinrichtungen der volkseigenen Betriebe Teil des Arbeitsrechts. Ferner war auch das Sozialversicherungsrecht Teil des Arbeitsrechts. Die „Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten“,25 die ausschließlich vom FDGB verwaltet wurde und deshalb Teil der gesetzlich gewährleisteten Gewerkschaftsrechte war,26 gewährte als Pflicht- und als freiwillige Versicherung27 Leistungen bei Krankheit, Invalidität sowie im Alter und für Hinterbliebene. Schließlich war das Arbeitsrecht aufgrund der von den Belegschaften zu wählenden Konfliktkommissionen sehr eng mit dem
22 Den gesetzlichen Rahmen hierfür enthielten die §§ 223 ff. AGB. Die nähere Ausgestaltung in den Betrieben erfolgte durch den Abschluss von Betriebskollektivverträgen; vgl. § 28 Abs. 2 Satz 2 AGB. 23 §§ 231, 232 AGB. 24 Vgl. § 234 Abs. 1 AGB. 25 §§ 274 ff. AGB. 26 Art. 45 Abs. 3 Verf. DDR 1974; §§ 8 Abs. 4, 274 Abs. 2 AGB. 27 Siehe insbesondere die VO v. 17.11.1977 zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (GBl. I S. 373); zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung vgl. die Erste VO v. 17.11.1977 über die freiwillige Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung (GBl. I S. 395). Eingehend zur Entwicklung der Sozialversicherung in der DDR Ulrich Lohmann, Die Entwicklung des Sozialrechts in der DDR, Opladen 1996 m.w.N.
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Strafrecht verklammert, da an diese auch die Sanktionierung von Vergehen und Ordnungswidrigkeiten abgegeben werden konnte.28 b) Funktionen Dieser sehr weite Gegenstand des Arbeitsrechts der DDR war mit besonderen Funktionen verknüpft, deren Verwirklichung das sozialistische Arbeitsrecht dienen sollte. Geht man vom Arbeitsrecht in einer marktwirtschaftlich geprägten sozialstaatlichen Ordnung aus, ist es vor allem das Recht der in Abhängigkeit Beschäftigten, das in erster Linie den Arbeitnehmer als die strukturell schwächere Vertragspartei im Arbeitsverhältnis schützt.29 Es geht im Kern somit darum, durch die Schaffung von zwingendem Recht, aber auch durch die Bereitstellung kollektivrechtlicher Regelungsverfahren wie der Tarifautonomie und der Betriebsverfassung, die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers zu kompensieren und auf diese Weise dessen Privatautonomie im Arbeitsleben zu verwirklichen. Ausgangsund Endpunkt unseres Arbeitsrechts bildet somit der Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Ganz anders stellen sich die Funktionen des sozialistischen Arbeitsrechts der DDR nach dessen Selbstverständnis dar. Gewiss diente es in weiten Teilen auch dem Schutz des „Werktätigen“: Insbesondere das Recht auf Arbeit, das einen zentralen Stellenwert einnahm,30 die Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes, des Arbeitszeitschutzes oder des Mutterschutzes sowie das Kündigungsschutzrecht lassen sich in diesem Zusammenhang nennen. Das Arbeitsrecht hatte in den Worten des offiziellen Lehrbuchs des Arbeitsrechts der DDR auch die Aufgabe […], einen Beitrag zur sozialen Sicherheit der Werktätigen zu leisten.31
Allerdings war diese Schutzfunktion in gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die das Arbeitsrecht im sozialistischen System erfüllen sollte, eingebettet. Es ging vom Fehlen eines Interessenkonfliktes aus und unterstellte vielmehr eine Interessenidentität zwischen „Werktätigen“ und dem Kollektiv, da diese als Eigen-
28 Dazu im Überblick Stefan Otte/Siegfried Sahr/Bettina Herzog (Hrsg.), Die Konfliktkommission – Ein Leitfaden, 3. Auflage, Berlin 1988, S. 128 ff. Allgemein zum Verhältnis von sozialistischem Arbeitsrecht und Strafrecht Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 52 f. 29 In diesem Sinne statt vieler Reinhard Richardi, in: Heinrich Kiel/Stefan Lunk/Hartmut Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 5. Auflage, München 2021, 1. Bd.: Individualarbeitsrecht, § 1 Rdnr. 1 m.w.N. 30 Vgl. Art. 24 Abs. 1 Verf. DDR 1974. 31 Siehe z. B. Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 59 ff.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
tümer der „Produktionsmittel“ durch Einsatz ihrer Arbeitskraft in volkseigenen Betrieben „ihre Funktion als Eigentümer der Produktionsmittel“ verwirklichten.32 Die Präambel des AGB 1977 brachte diese Ausgangsannahme wie folgt auf den Punkt: Frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist die Arbeit im Sozialismus bewusste, schöpferische Tätigkeit.
Auf dieser Grundlage einer unterstellten Interessenidentität im Verhältnis zwischen „Werktätigem“ und Betrieb lassen sich zwei Primärfunktionen des sozialistischen Arbeitsrechts identifizieren, hinter welchen andere Funktionen, die dem Arbeitsrecht nach dem Verständnis der DDR beigemessen wurden (zum Beispiel die Sicherung und der Ausbau der sozialen Sicherheit, die „Entfaltung der sozialistischen Demokratie“ oder die „Durchsetzung der Gesetzlichkeit“),33 als Sekundärfunktionen zurücktraten oder in die sie eingebettet waren: die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität sowie dessen Erziehungsfunktion. aa) Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität
Das Arbeitsrecht sollte vor allem gesamtwirtschaftliche Aufgaben erfüllen, die mit der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ umschrieben wurden.34 Es sollte in den Worten des § 1 Abs. 1 AGB insbesondere der Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität
dienen.35 In ganz ähnlicher Weise bestimmte bereits das Gesetzbuch der Arbeit von 1961 die Aufgabe des sozialistischen Arbeitsrechts.36 Es ging somit um die Organisation eines möglichst rationellen Einsatzes der zur Verfügung stehenden
32 So z. B. Joachim Michas, Arbeitsrecht der DDR, Berlin 1968, S. 19. 33 Zu den einzelnen Funktionen des Arbeitsrechts nach dem Selbstverständnis der DDR siehe insbesondere Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 53 ff. 34 Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 Satz 2 AGB. 35 § 1 Abs. 1 AGB. 36 Vgl. insbesondere § 1 Abs. 2 GBA: „Das Arbeitsrecht dient der Verwirklichung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus. Es fördert die Steigerung der Arbeitsproduktivität auf der Basis der fortgeschrittensten Wissenschaft und Technik und trägt zur Befriedigung der ständig wachsenden Bedürfnisse und zur allseitigen Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft bei.“
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Arbeitskräfte zur Erfüllung der planwirtschaftlichen Ziele und damit mittelbar um die Erhöhung des materiellen Lebensniveaus der Bevölkerung. Die Austauschbeziehung zwischen einzelnem Werktätigen und Betrieb war nach diesem Verständnis eingebettet in die Erreichung dieser gesamtwirtschaftlichen Ziele. Dieser gesamtwirtschaftlichen Zielsetzung dienten die unterschiedlichsten Teile des sozialistischen Arbeitsrechts. Hierzu zählten insbesondere die Vorschriften über die Leitung des Betriebes37 und über die sozialistische Arbeitsdisziplin – also das Recht der materiellen und disziplinarischen Verantwortlichkeit einschließlich des Verfahrens vor den Konfliktkommissionen sowie die Regeln über Belobigungen und Prämien –, aber auch die Regeln über die Arbeitskräftelenkung und planung, wie das Recht der Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses (einschließlich der Regeln über den Delegierungs- und den Überleitungsvertrag), der Aus- und Fortbildung der Werktätigen sowie die oben (2.a) erwähnte Teilhabe am „geistig-kulturellen und sportlichen Leben“ der Werktätigen, mit der auch „weitere Leistungsreserven“ erschlossen werden sollten.38 bb) Erziehungsfunktion
Das Arbeitsrecht der DDR sollte nicht nur dazu beitragen, die gesamtwirtschaftliche Produktivität zu steigern und auf diese Weise den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand als materielle Grundlage für eine Weiterentwicklung des Sozialismus zu erhöhen. Damit eng verbunden kam ihm auch die Funktion zu, auf das Bewusstsein der „Werktätigen“ Einfluss zu nehmen und diese zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen. Jedenfalls das offizielle Lehrbuch des Arbeitsrechts begriff diesen Erziehungsgedanken sogar „als eigentliche Zielstellung“ des Arbeitsrechts im Sozialismus.39 Der Inhalt dieser sozialistischen Moral wurde lediglich in allgemeinen und vagen Begriffen umrissen. So ließ sich beispielsweise der Präambel des AGB entnehmen, dass sozialistische Arbeitsverhältnisse durch kameradschaftliche Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe zwischen den Werktätigen und den Arbeitskollektiven gekennzeichnet
sein sollten.40 Auf diese Weise erhob das Arbeitsrecht – wie im Übrigen andere Gebiete des DDR-Rechts auch41 – die „Einheit von Recht und Moral“ zum Prinzip 37 38 39 40 41
§§ 18 ff. AGB. Vgl. z. B. Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 301. Siehe Frithjof Kunz/Wera Thiel, Arbeitsrecht – Lehrbuch, Berlin 1986, S. 66. So die Präambel des AGB; im gleichen Sinne § 2 Abs. 5 AGB. Für das ZGB siehe Joachim Göhring/Martin Posch (Leitung), Zivilrecht – Lehrbuch, Teil 1, Berlin 1981, S. 37.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
und schuf Strukturen und Verfahren dafür, wie auf den einzelnen „Werktätigen“ rechtlich im Sinne einer Entwicklung zu einer sozialistischen Persönlichkeit einzuwirken sei. Das Arbeitsrecht wurde somit zum Instrument einer sozialistischen Moral. Diese Erziehungsfunktion fand an verschiedenen Stellen des sozialistischen Arbeitsrechts ihren Ausdruck. Eine besondere Rolle spielten dabei die Gewerkschaften des FDGB. Sie hatten nämlich auch den Auftrag, durch ihre gesamte Tätigkeit […] die sozialistische Einstellung der Werktätigen zur Arbeit und das der sozialistischen Lebensweise entsprechende Verhalten und Handeln der Werktätigen42
zu festigen. Ein zentrales Element der Erziehungsfunktion war die Aufrechterhaltung der sozialistischen Arbeitsdisziplin.43 Sie bestand im Schutz des sozialistischen Eigentums und dessen Mehrung sowie in der Rücksichtnahme („gegenseitige Achtung und Unterstützung“) im Betrieb.44 Das Arbeitsrecht der DDR sah sowohl Belohnungen für vorbildliches Verhalten als auch Sanktionen im Falle von Verstößen gegen die sozialistische Arbeitsdisziplin vor. So wurden „hervorragende Arbeitsleistungen“45 durch Belobigungen, Prämien, aber auch durch die Zuerkennung betrieblicher Titel wie „Bester Meister“ oder „Bester Neuerer“ belohnt;46 staatliche Auszeichnungen wie die Verleihung des Ehrentitels „Held der Arbeit“ führten zu einer Förderung des Werktätigen in seiner beruflichen Entwicklung innerhalb des Betriebs. Bei Verletzungen der sozialistischen Arbeitsdisziplin stand ein ausdifferenziertes Instrumentarium zur Verfügung, um auf den betreffenden „Werktätigen“ einwirken zu können. Außer einer erzieherischen Aussprache des Disziplinarbefugten mit dem „Werktätigen“ oder der kritischen Auseinandersetzung mit dem Verstoß im Arbeitskollektiv47 kam bei schwereren Verstößen die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen den Täter in Betracht.48 In diesen Zusammenhang war auch die materielle Verantwortlichkeit des Werktätigen bei schuldhafter Schädigung sozialistischen Eigentums gestellt:49 Sie ermöglichte in diesen Fällen die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (Verweis oder fristlose Entlassung), sofern andere Formen der Erziehung nicht ausreichten.
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So ausdrücklich § 6 Abs. 3 Satz 4 AGB. § 2 Abs. 5 Satz 3 AGB 1977. § 2 Abs. 5 Satz 2 AGB. Vgl. § 93 AGB. § 93 Abs. 2 AGB. § 81 Abs. 2 AGB. Sog. „disziplinarische Verantwortlichkeit des Werktätigen“ (§§ 254–259 AGB). Vgl. §§ 260–266 AGB.
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Hielt der Betriebsleiter dies für angemessen, konnte er einen Antrag bei der zuständigen Konfliktkommission auf Durchführung eines erzieherischen Verfahrens stellen.50 Bei den Konfliktkommissionen handelte es sich um sogenannte Gesellschaftsgerichte, die aus gewählten Belegschaftsangehörigen bestanden und von der Betriebsgewerkschaftsleitung angeleitet wurden.51 Sie waren nicht nur zuständig für Verletzungen arbeitsrechtlicher Pflichten, sondern unter anderem auch für die Sanktionierung von Vergehen, Verfehlungen und Ordnungswidrigkeiten.52 Das Verfahren vor den Konfliktkommissionen war betriebsöffentlich. Mögliche Sanktionen waren die Pflicht zur Entschuldigung vor dem Kollektiv, die Erteilung einer Rüge oder die Auferlegung anderer Verpflichtungen, die der Einhaltung von Arbeitspflichten dienten.53 Die Entscheidung der Kommission konnte zu erzieherischen Zwecken auch im Betrieb veröffentlicht werden. Mit den Sanktionen der Konfliktkommissionen konnten weitreichende Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre der Betroffenen verbunden sein. Die Erziehungsfunktion des sozialistischen Arbeitsrechts war in den einzelnen Phasen, das es durchlief, gewiss unterschiedlich intensiv ausgeprägt. Die rechtshistorische Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht der DDR wird diese sich wandelnde Bedeutung der Erziehungsfunktion zu berücksichtigen haben. Dies gilt nicht nur für die Analyse der Rechtstexte, sondern auch und vor allem für die tatsächliche Durchsetzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin, insbesondere vor den Konfliktkommissionen.
3.
Einflüsse
Eine wichtige Frage für die rechtshistorische Auseinandersetzung mit dem Arbeitsrecht der DDR ist, inwieweit die Herausbildung eines sozialistischen Arbeitsrechts seit der Gründung der DDR 1949 bzw. schon während der auf diese zulaufende Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eigenständig war oder historischen bzw. äußeren Einflüssen ausgesetzt war. In diesem Zusammenhang sei auf zwei mögliche Quellen von Rezeptionsprozessen besonders eingegangen, deren Bedeutung für die Entwicklung des Arbeitsrechts der SBZ und der DDR im Einzelnen noch
50 § 255 Abs. 3 AGB. 51 Für eine ausführlichere Darstellung des Rechtsrahmens der Konfliktkommissionen siehe Stefan Otte/Siegfried Sahr/Bettina Herzog (Hrsg.), Die Konfliktkommission – Ein Leitfaden, 3. Auflage, Berlin 1988. 52 §§ 18, 25, 31, 40 Beschluss des Staatsrates der DDR v. 12.03.1982 über die Tätigkeit der Konfliktkommissionen – Konfliktkommissionsordnung (KKO), (GBl. S. 274). 53 Vgl. § 23 KKO.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
wissenschaftlich zu untersuchen sind: Zum einen stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich das Arbeitsrecht der DDR aus den Erfahrungen der Weimarer Republik speiste; zum anderen bedarf der Einfluss des sozialistischen Arbeitsrechts der Sowjetunion auf die DDR einer Klärung. a) Einflüsse der Weimarer Republik Gerade für die Zeit der Sowjetischen Besatzung von 1945 bis 1949 und die Frühzeit der DDR sind Einflüsse des Arbeitsrechts der Weimarer Zeit an einzelnen Stellen noch deutlich erkennbar. Für ältere Funktionäre des FDGB und der SED dürften die Weimarer Jahre und Erfahrungen nicht selten einen wichtigen Erfahrungshorizont für ihr Verständnis von einem modernen sozialen Arbeitsrecht dargestellt haben. Die Frage nach der Bedeutung der Weimarer Republik für die Herausbildung eines sozialistischen Arbeitsrechts in der DDR soll anhand von drei Beispielen kurz erörtert werden, ohne dass hier schon abschließende Bewertungen vorgenommen werden können: der Bedeutung der Weimarer Diskussion um eine Kodifikatiodes Arbeitsrechts, der in der SBZ zunächst erfolgenden Anknüpfung am Betriebsrätewesen, wie es vor allem in der Weimarer Zeit geprägt worden war, sowie dem möglicherweise bestehenden Bestehen Frage personeller Kontinuitäten zwischen der Weimarer Republik und der DDR . aa) Der Kodifikationsgedanke
Von durchaus bleibender Bedeutung war die Anknüpfung des DDR-Rechts an den Gedanken einer Kodifikation des Arbeitsrechts. Die Bemühungen um eine Kodifikation des Arbeitsrechts in Deutschland reichen bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück.54 Art. 157 Abs. 2 WRV erhob den Auftrag, ein „einheitliches Arbeitsrecht“ zu schaffen, sogar in den Rang eines verfassungsrechtlichen Programmsatzes. Bekanntlich konnte dieses Versprechen trotz verschiedener Vorstöße in der Zeit der Weimarer Republik nicht eingelöst werden.55
54 Dazu Thilo Ramm, Entwürfe zu einem deutschen Arbeitsvertragsgesetz: mit dem Arbeitsgesetzbuch der DDR von 1990 und dem österreichischen Entwurf einer Teilkodifikation des Arbeitsrechts von 1960, Frankfurt a.M. 1990, S. 11 ff. Vgl. auch die bedeutende Programmschrift von Hugo Sinzheimer, auf den der Begriff „einheitliches Arbeitsrecht“ zurückging: Hugo Sinzheimer, Über den Gedanken und die Möglichkeit eines einheitlichen Arbeitsrechts für Deutschland, Berlin 1914 = ders., Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, hrsg. v. Otto Kahn-Freund und Thilo Ramm, Frankfurt a.M. u. Köln 1976, Bd. 1, S. 35 ff. 55 Dazu eingehend Thomas Böhle, Einheitliches Arbeitsrecht in der Weimarer Republik: Bemühungen um ein deutsches Arbeitsgesetzbuch, Tübingen 1990.
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Dieser Gedanke eines einheitlichen Arbeitsrechtes wirkte nach 1945 vor allem in der SBZ und der DDR fort. Bereits vor der Gründung der DDR wurde die Schaffung eines Arbeitsgesetzbuches als Programm formuliert, wie etwa den „Sozialpolitischen Richtlinien der SED“ vom 30. Dezember 1946 entnommen werden kann.56 Art. 18 Abs. 1 Verf. DDR 1949 nahm diese politische Forderung auf und schuf den Programmsatz, dass die Republik […] unter maßgeblicher Mitbestimmung der Werktätigen ein einheitliches Arbeitsrecht
schaffe. Bemerkenswert ist, dass die Verfassung der DDR von 1949 insoweit auch die Begrifflichkeit von Art. 157 Abs. 2 WRV übernahm und sich somit in diese Traditionslinie stellte; neu war indessen, dass dieser Kodifikationsauftrag „unter maßgeblicher Mitbestimmung der Werktätigen“ eingelöst werden sollte. Die Verfassung von 1968 blieb dabei nicht stehen, sondern verwandte den Begriff eines „einheitlichen sozialistischen Arbeitsrechts“, durch welches das Recht auf Arbeit gewährleistet sei.57 Dieser Verfassungsauftrag, ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen, wurde mit dem Erlass des Gesetzes der Arbeit vom 19. April 1950, das am 1. Mai 1950 in Kraft trat,58 erstmalig jedenfalls teilweise umgesetzt, auch wenn das Gesetz der Arbeit noch ganze Bereiche des Arbeitsrechts ausklammerte (zum Beispiel das Recht der Kollektivverträge und die sozialistische Arbeitsdisziplin). Mit dieser ersten umfangreicheren gesetzlichen Regelung des Arbeitsrechts sollte gewiss auch signalisiert werden, dass die noch junge DDR dazu imstande war, das alte Weimarer Versprechen eines einheitlichen Arbeitsrechts innerhalb kürzester Zeit einzulösen. Das Gesetzbuch der Arbeit von 1961 und das Arbeitsgesetzbuch von 1977 setzten diese Kodifikationsbestrebungen im Arbeitsrecht fort. bb) Das Betriebsrätewesen – Beispiel eines Rechtsinstituts der Weimarer Zeit
Auch wurde in der SBZ zunächst an einzelne Rechtsinstitute des Arbeitsrechts der Weimarer Republik angeknüpft. Ein gutes Beispiel hierfür bildet das Betriebsrätewesen, das in der Weimarer Republik seine erste umfassende Regelung durch
56 Ziffer 1.R. Sozialpolitische Richtlinien, abgedruckt in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschlands 1946–1948, S. 139–148, 144. 57 Vgl. Art. 24 Abs. 3 Verf. DDR 1968. 58 GBl. DDR 1950, S. 349.
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das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 192059 erhielt. Entsprechend dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Art. 165 Abs. 2 WRV sollte es die unterste Stufe eines sich auf mehrere Ebenen erstreckenden Rätewesens bilden.60 Allerdings blieb diese „Räteverfassung“ ein Torso und das Betriebsrätegesetz 1920 bildete – abgesehen von der Errichtung eines vorläufigen Reichswirtschaftsrates –61 deren einzige Verwirklichung. Das Betriebsrätegesetz stattete Betriebsräte mit einer Reihe von Beteiligungsrechten aus, in deren Vordergrund die Mitbestimmung bei der Aufstellung und Abänderung der Arbeitsordnung und von Dienstvorschriften stand.62 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden vielerorts in Deutschland wieder Betriebsräte errichtet, zunächst ohne gesetzliche Grundlage.63 Diese Entwicklung vollzog sich auch innerhalb der SBZ. Aufgrund des Thüringer Betriebsrätegesetzes vom 10. Oktober 194564 und des für sämtliche Besatzungszonen geltenden Kontrollratsgesetzes Nr. 22 vom 10. April 1946 über Betriebsräte65 erhielt die Errichtung von Betriebsräten dann eine gesetzliche Grundlage. Somit galt jedenfalls für den Freistaat Thüringen eine gesetzliche Regelung des Betriebsrätewesens, die sehr stark am Betriebsrätegesetz von 1920 anknüpfte. Auch die „Grundsätze und Ziele der SED“, die auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD vom 21./ 22. April 1946 beschlossen wurden, sahen die Anerkennung der Betriebsräte als gesetzmäßige Vertreter der Arbeiter und Angestellten im Betrieb, Gleichberechtigte Mitwirkung der Betriebsräte in allen Betriebs- und Produktionsfragen
59 RGBl. I S. 147. Für einen Überblick über Entstehung, Inhalt und Praxis des Betriebsrätegesetzes 1920 siehe aus neuerer Zeit Wolfgang Däubler/Michael Kittner, Geschichte der Betriebsverfassung, Frankfurt a.M. 2020, S. 164 ff. m.w.N. 60 Zum „Räteartikel“ 165 WRV statt vieler Knut-Wolfgang Nörr, Zwischen den Mühlsteinen: eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Republik, Tübingen 1988, S. 166 ff. m.w.N. 61 Vgl. VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat v. 4.5.1920 (RGBl. I S. 858). 62 Vgl. insbesondere §§ 66 Nr. 5, 78 Nr. 3 Betriebsrätegesetz 1920. Ausführlich zu diesen Vorschriften der Kommentar von Georg Flatow/Otto Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz vom 3. Februar 1920: nebst Wahlordnung, Ausführungsverordnungen und Ergänzungsgesetzen (Betriebsbilanzgesetz, Aufsichtsratsgesetz und Wahlordnung), 13. Auflage, Berlin 1931. 63 Vgl. Wolfgang Däubler/Michael Kittner, Geschichte der Betriebsverfassung, S. 279 ff. Zur SBZ siehe insbesondere Rudolf Schneider, Geschichte des Arbeitsrechts der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1957, S. 28. 64 Thür Reg.-Bl. 1945 I, S. 41, wieder abgedruckt bei Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands (1945–1948) – Zur Entwicklung und Bedeutung von Arbeiterinitiative, betrieblicher Mitbestimmung und Selbstbestimmung bis zur Revision des programmatischen Konzepts der KPD/SED vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“, Frankfurt a.M. 1982, S. 626 ff. 65 ABl. Kontrollrat 1946, S. 133.
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vor.66 Auf Initiative des FDGB fanden vom 22. bis zum 28. Juli 1946 allgemeine Betriebsratswahlen statt.67 Die „Sozialpolitischen Richtlinien der SED“ vom 30. Dezember 194668 definierten als Teil der sozialpolitischen Arbeit der Partei „Wirtschaftsdemokratie und Betriebsvertretungen (Betriebsräte und Betriebsobleute)“ (1.P.) und griffen mit der Idee einer Wirtschaftsdemokratie ein Konzept des SPD-nahen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) aus dem Jahre 1928 auf.69 In gleicher Weise wie in den westlichen Besatzungszonen schien man also auch in der SBZ zunächst an der Weimarer Tradition der betrieblichen Mitbestimmung anknüpfen zu wollen, wenn auch in einem veränderten wirtschaftlichen Kontext: So gingen die „Sozialpolitischen Richtlinien der SED“ so weit, eine gleichberechtigte Mitbestimmung der Betriebsvertretung in allen Betriebs- und Produktionsfragen
zu verlangen. Allerdings verabschiedete man sich schon im Jahre 1948, also vor der Gründung der DDR, von den demokratisch durch die Belegschaften legitimierten Betriebsräten und ließ sie infolge einer Forderung des FDGB in den Betriebsgewerkschaftsleitungen aufgehen.70 Zwar ließ sich formal argumentieren, dass Betriebsräte aufgrund der Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung zu einer alle Werktätigen einschließenden Vertretung ihre Existenzberechtigung verloren hätten und überdies Betriebsräte wegen der Begrenzung ihres Wirkungskreises auf den Betrieb zu
66 Ziffer I.9. Grundsätze und Ziele der SED, angenommen auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD, 21./22. April 1946, abgedruckt in: Dokumente zur Geschichte der SED, Berlin 1986, Bd. 2 (1945–1971), S. 32–38, 35. Die „Anerkennung der Betriebsräte“ war eine der „Gegenwartsforderungen“ (I.) und stand unter der Überschrift „Sicherung des Koalitions-, Streik- und Tarifrechts“ (9.). 67 Dazu Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der Sowjetisch Besetzten Zone, Deutschlands (1945–1948) – Zur Entwicklung und Bedeutung von Arbeiterinitiative, betrieblicher Mitbestimmung und Selbstbestimmung bis zur Revision des programmatischen Konzepts der KPD/SED vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“, Frankfurt a.M. 1982, S. 441 ff. 68 Ziffer 1.P. Sozialpolitische Richtlinien der SED, abgedruckt in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschlands 1946–1948, S. 139–148, 143. 69 Grundlegend zu diesem gewerkschaftspolitischen Konzept der späteren Weimarer Republik Fritz Naphtali (Hrsg. im Auftrag des ADGB), Wirtschaftsdemokratie – Ihr Wesen, Weg und Ziel, Berlin 1928. 70 Zur „Auflösung der Betriebsräte“ ausführlich Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der Sowjetisch Besetzten Zone, Deutschlands (1945–1948) – Zur Entwicklung und Bedeutung von Arbeiterinitiative, betrieblicher Mitbestimmung und Selbstbestimmung bis zur Revision des programmatischen Konzepts der KPD/SED vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“, Frankfurt a.M. 1982, S. 513 ff. m.w.N.
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einem Betriebsegoismus tendierten.71 Doch war dies nur eine Seite der Medaille: An die Stelle einer demokratisch gewählten Betriebsvertretung trat eine gewerkschaftliche Interessenvertretung im Betrieb, die nach dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus funktionierte.72 Art. 17 Abs. 2 Verf. DDR 1949, wonach die Arbeiter und Angestellten die ihnen zustehenden Mitbestimmungsrechte durch Gewerkschaften und Betriebsräte wahrnahmen, entsprach deshalb schon nicht mehr dem damaligen Entwicklungsstand des Arbeitsrechts der jungen DDR. Das Gesetz der Arbeit vom 19. April 1950 erwähnte die Betriebsräte überhaupt nicht mehr: An ihre Stelle waren die Betriebsgewerkschaftsleitungen des FDGB getreten; sie waren „in den Betrieben und Verwaltungen die gesetzlichen Vertreter der Arbeiter und Angestellten zum Schutze ihrer Arbeitsrechte“.73 Die Betriebsräte blieben somit nur eine vorübergehende Erscheinung im sozialistischen Arbeitsrecht.74 Der Einfluss der Weimarer Republik auf das sozialistische Arbeitsrecht der DDR war insoweit zeitlich begrenzt. Ähnliches lässt sich mit Blick auf das Rechtsinstitut des Tarifvertrages zeigen, an dem in der SBZ zunächst angeknüpft, aber schon kurze Zeit später zugunsten des Rahmenkollektivvertrages, die wegen der planwirtschaftlichen Vorgaben nicht frei ausgehandelt werden konnten, Abstand genommen wurde.75 Doch auch für andere Bereiche des Arbeitsrechts wäre diese Tendenz eines zeitlich begrenzten Einflusses des Arbeitsrechts der Weimarer Jahre noch auf den Prüfstand zu stellen. cc) Personelle Kontinuitäten?
Eine noch nicht untersuchte Frage ist, in welchem Umfang es beim Personal, das mit dem Aufbau und der Pflege des sozialistischen Arbeitsrechts befasst war, personelle Kontinuitäten zur Weimarer Republik gab. Die Beantwortung der Frage könnte Aufschluss darüber geben, inwieweit das Arbeitsrecht der Weimarer Republik einen Erfahrungshorizont für Hochschullehrer, die das Arbeitsrecht unterrichteten, aber
71 Dazu Rudolf Schneider, Geschichte des Arbeitsrechts der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1957, S. 31 f. 72 Zur Kritik siehe Axel Dost, Arbeitsrecht, in: Uwe-Jens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR – Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 95–145, S. 101. 73 Vgl. § 4 Abs. 2 Gesetz der Arbeit. 74 Nach Rudolf Schneider, Geschichte des Arbeitsrechts der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1957, S. 31 f. konnte „unter den Bedingungen der antifaschistisch-demokratischen Ordnung […] das Nebeneinanderbestehen von Betriebsräten und Betriebsgewerkschaftsleistungen nur eine vorübergehende Erscheinung sein“, da die Betriebsräte oftmals nur betriebsegoistisch gewesen seien und die Gewerkschaften „nach dem Prinzip des demokratischen Sozialismus aufgebaut“ Arbeiterinteressen konsequenter hätten vertreten können. 75 Für einen knappen Überblick über die Rechtsentwicklung in der SBZ siehe z. B. Rudolf Schneider, Geschichte des Arbeitsrechts der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1957, S. 32 ff.
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auch für Arbeitsrichter und ältere Funktionäre des FDGB bildete. Hierzu bedürfte es allerdings einer größer angelegten Aufarbeitung der Biographien der Personen, die am Aufbau des sozialistischen Arbeitsrechts in der SBZ und den frühen Jahren der DDR beteiligt waren. Bei der Untersuchung personeller Kontinuitäten ist indessen Vorsicht geboten: Aus möglicherweise bestehenden biographischen Kontinuitäten von Weimar bis in die SBZ oder DDR (zum Beispiel in der Arbeitsgerichtsbarkeit oder an den Universitäten) darf nicht ohne weiteres auf inhaltliche Kontinuitäten im Arbeitsrecht geschlossen werden. Betrachtet man die Vertreter des Arbeitsrechts an den Universitäten der DDR, scheinen die personellen Kontinuitäten zur Weimarer Republik eher die Ausnahme zu bilden, und es drängt sich der Eindruck auf, dass der Weimarer Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsrechts in der SBZ und der DDR auf die Nachkriegsjahre beschränkt war. So lehrte Hermann Dersch an der Humboldt-Universität zu Berlin noch bis Anfang der 1950er Jahre, doch verließ er dann die SBZ und nahm einen Ruf an die Universität zu Köln an.76 Erwin Jacobi, der nicht nur Staatsrechtler und Staatskirchenrechtler, sondern auch Arbeitsrechtler war – er war Verfasser eines der ersten Lehrbücher des Arbeitsrechts77 –, blieb zwar bis zu seinem Tode im Jahre 1965 der Universität Leipzig treu, widmete sich aber fast ausschließlich dem Staatskirchenrecht und nicht mehr arbeitsrechtlichen Fragen.78 Ganz überwiegend wurden in den frühen Jahren der DDR junge Dozenten an die Universitäten berufen. Zu erwähnen sind hier Rudolf Schneider, der Anfang der 1950er Jahre die Nachfolge von Hermann Dersch an der Humboldt-Universität antrat, Frithjof Kunz, der das Arbeitsrecht an der neugegründeten Deutschen Akademie für Staatsund Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg vertrat, sowie Erhard Pätzold, der 1954 die Leitung des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Halle-Wittenberg übernahm und ab 1959 das Institut für Arbeitsrecht an der Universität Leipzig leitete.79 Betrachtet man die Arbeitsgerichtsbarkeit, die in der SBZ auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 23 vom 25. Januar 1946 wiederaufgebaut wurde,80 dürften zu
76 Zu Hermann Dersch siehe Dirk Neumann, Hermann Dersch, in: Juristen im Portrait. Verlag und Autoren in 4 Jahrzehnten. Festschrift zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages C.H. Beck, München 1988, S. 247 ff. 77 Erwin Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, Leipzig 1927. 78 Vgl. Gerhard Schnorr, Erwin Jacobi, in: Otto zu Stolberg-Wernigerode, Neue Deutsche Biographie, Berlin 1974, Bd. 10, S. 236. Ausführlich zu Erwin Jacobi vor allem Martin Otto, Von der Eigenkirche zum volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884–1965): Arbeits-, Staats- und Kirchenrecht zwischen Kaiserreich und DDR, Tübingen 2008. 79 Zu Pätzold siehe Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biographie DDR, Berlin 1993, S. 413 f. m.w.N. 80 Eine weitere Grundlage bildete das kurz darauf verabschiedete Kontrollratsgesetz Nr. 21 v. 30.03.1946: Deutsches Arbeitsgerichtsgesetz (ABl. Kontrollrat 1946, S. 124).
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Beginn unter Umständen noch bestehende Kontinuitäten bei den Richtern sehr schnell gebrochen worden sein. Namentlich die gründlicher als in den Westzonen durchgeführte Entnazifizierung in der Justiz der SBZ sowie die massenhafte Ausbildung und Einstellung von „Volksrichtern“ dürften zu diesem Bruch erheblich beigetragen haben. b) Der Einfluss des sowjetischen Arbeitsrechts Scheinen somit die Einflüsse der Weimarer Republik auf das Arbeitsrecht der DDR überwiegend von zeitlich begrenzter Tragweite gewesen zu sein, stellt sich umso mehr die Frage, ob die Entwicklung des Arbeitsrechts der DDR äußeren Einflüssen ausgesetzt war, insbesondere inwieweit das sowjetische Arbeitsrecht einwirkte, das immerhin „das Grundmodell des Sozialismus verkörpert[e]“.81 Dies gilt insbesondere für das Arbeitsgesetzbuch der Sowjetunion von 1922, die Grundlagen der Arbeitsgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken von 1971 und das Arbeitsgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Diese äußere Beeinflussung des Arbeitsrechts der DDR mag über die Jahre hin variiert haben. Der Einfluss gerade in den ersten Nachkriegsjahren – in den Jahren des Aufbaus eines sozialistischen Arbeitsrechts – dürfte besonders groß gewesen sein. Ein erster größerer Rezeptionsschub erfolgte bereits während der Besatzungszeit. Auch wenn – wie gerade gesehen – zunächst vor allem am Traditionsbestand der Weimarer Zeit angeknüpft wurde, war doch der wachsende Einfluss des sowjetischen Arbeitsrechtsdenkens für die weitere Entwicklung der DDR durchaus spürbar. Beispiele hierfür sind die Rolle der Gewerkschaften, des FDGB, aber auch der Befehl Nr. 234 vom 9. Oktober 1947 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland,82 mit dem die „Erhöhung der Arbeitsproduktivität und eine Festigung der Arbeitsdisziplin“ in den Vordergrund des Arbeitsrechts geschoben wurde; hier deuteten sich die zentralen Funktionen des sozialistischen Arbeitsrechts der DDR an, die es bis zum Ende der DDR wie ein roter Faden durchzogen.83 Eine präzise Bewertung der Bedeutung des sowjetischen Arbeitsrechtsdenkens während der SBZ fällt indessen schwer: Thiel ist der Ansicht, dass „die Einflüsse sowjetischen
81 Vgl. Frithjof Kunz, Die Grundlagen der sowjetischen Arbeitsgesetzgebung und das Gesetzbuch der Arbeit der DDR, in: NJ 1971, S. 61–66, 61. Ähnlich ders., Das neue Arbeitsgesetzbuch der RSFSR – Vorbild und Anregung, in: SuR 1972, S. 1900–1912, 1904: „Vorbild der Arbeitsgesetzgebung in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“. 82 Befehl Nr. 234 betr. Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten in der Industrie und im Verkehrswesen, abgedruckt in: Hermann Dersch, Textsammlung des Arbeitsrechts, 1. Teil, Berlin 1948, S. 152 ff. 83 Zu den beiden Primärfunktionen des sozialistischen Arbeitsrechts siehe oben 2.b.. m.w.N.
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Arbeitsrechtsdenkens […] vorhanden“ gewesen seien, jedoch nicht das Arbeitsrecht „dominierten“.84 Zur Klärung dieser Frage bedarf es einer Sichtung und Analyse der Dokumente zu den Entscheidungen der sowjetischen Besatzungsmacht im Hinblick auf die Gestaltung des Arbeitsrechts. Auch die schon 1953 eingeführten Konfliktkommissionen85 waren eine stark vom sowjetischen Recht geprägte Institution: Ihre Regelung lehnte sich an die seit 1928 in der Sowjetunion existierenden „Schlichtungskommissionen“ an.86 Wahrscheinlich ist auch, dass das Kollektivvertragsrecht der DDR – insbesondere das Leistungsprinzip sowie der Ausschluss des Günstigkeitsprinzips – vom sowjetischen Arbeitsgesetzbuch stark beeinflusst wurde. Auch noch später, etwa in den 1970er Jahren, wurde die arbeitsrechtliche Entwicklung in der UdSSR zur Kenntnis genommen. Zeugnis hiervon legen verschiedene Aufsätze in Zeitschriften wie „Staat und Recht“ sowie „Neue Justiz“ ab, die sich mit der damals aktuellen Rechtsentwicklung in der UdSSR, insbesondere mit dem 1972 in Kraft getretenen neuen Arbeitsgesetzbuch der RSFSR auseinandersetzten. Ferner wurde das „Lehrbuch des sowjetischen Arbeitsrechts“ von Nikolaj Grigorjewitsch Alexandrow in einer deutschen Übersetzung 1952 in der DDR veröffentlicht.87 Schließlich gab es wissenschaftlichen Austausch zwischen deutschen und sowjetischen Juristen auf internationalen Tagungen oder durch Studien- und Forschungsaufenthalte. Der Einfluss scheint gerade nach der Etablierung der DDR weniger intensiv gewesen zu sein. In den Worten von Frithjof Kunz, der sich in mehreren Aufsätzen mit dem Arbeitsgesetzbuch der Sowjetunion von 1972 beschäftigte: Das Arbeitsrecht der DDR und der Sowjetunion weise „prinzipielle Gemeinsamkeiten, aber Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung“ auf.88 Es gehe überdies auch nicht um die größtmögliche Gleichheit in der Fassung einzelner Normen, sondern um den Gleichklang im System im Wesen der Regelung.89
84 Wera Thiel, Arbeitsrecht in der DDR: ein Überblick über die Rechtsentwicklung und ein Versuch der Wertung, Opladen 1997 (Reprint 2013), S. 42. 85 Vgl. VO über die Bildung von Kommissionen zur Beseitigung von Arbeitsstreitfällen (Konfliktkommissionen) in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben und in den Verwaltungen (KKVO) v. 30.04.1953 (GBl. S. 695). 86 So insbesondere Wera Thiel, Arbeitsrecht in der : ein Überblick über die Rechtsentwicklung und ein Versuch der Wertung, Opladen 1997 (Reprint 2013), S. 89 unter Hinweis auf Nikolaj Grigorjewitsch Alexandrow, Lehrbuch des sowjetischen Arbeitsrechts, 18. Beiheft zur „Sowjetwissenschaft“, Berlin 1952, S. 286 ff. 87 Nikolaj Grigorjewitsch Alexandrow, Lehrbuch des sowjetischen Arbeitsrechts, Berlin 1952. 88 Frithjof Kunz, Die Grundlagen der sowjetischen Arbeitsgesetzgebung und das Gesetzbuch der Arbeit der DDR, in: NJ 1971, S. 61–66, 62. 89 Frithjof Kunz, Die Grundlagen der sowjetischen Arbeitsgesetzgebung und das Gesetzbuch der Arbeit der DDR, in: NJ 1971, S. 61–66, 61.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
Diese zurückhaltende Einschätzung des Einflusses des sowjetischen Arbeitsrechts auf das Arbeitsrecht der DDR hat Kunz dem Verfasser dieser Zeilen gegenüber in einem persönlichen Gespräch auch bestätigt.90 Und doch sind die Rezeptionsprozesse, die es unzweifelhaft gegeben hat und die sicherlich je nach Zeitabschnitt der DDR-Geschichte unterschiedlich intensiv waren, bislang, soweit ersichtlich, noch nicht näher untersucht worden. Die genannten Aufsätze von Kunz zum Arbeitsgesetzbuch der RSRFR von 1972 zeigen jedenfalls sehr deutlich, dass Rechtsentwicklungen in der UdSSR sehr genau wahrgenommen und auch reflektiert wurden. Die Funktion solcher Bezugnahmen konnte durchaus unterschiedlicher Natur sein: So mag sie nicht selten nur eine unvermeidliche Verbeugung vor dem „Großen Bruder“ gewesen sein. Die Rezeption sowjetischen Rechts oder Rechtsdenkens durch Autoren des DDR-Rechts konnte aber auch ein Vehikel sein, um eigenen wissenschaftlichen Positionen ein größeres Gewicht zu verleihen.91 Wie auch immer die Motivlage im Einzelfall gewesen sein mag, ist die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen der Entwicklung des sowjetischen Arbeitsrechts auf die weitere Entwicklung des Arbeitsrechts der DDR eine Frage, die noch einer gründlicheren Untersuchung bedarf. In diesen Zusammenhang sind auch Formen des Austauschs und der Kooperation zwischen der „Arbeitsrechtswissenschaft“ der Sowjetunion und der DDR zu berücksichtigen. Zu denken ist hier an arbeitsrechtliche Kongresse oder Konferenzen, gemeinsame Buchpublikationen und an Auslandsaufenthalte insbesondere von DDR-Arbeitsrechtlern in der Sowjetunion. Die Bedeutung solcher Kooperationen für die Beantwortung der Frage nach den Einflüssen des sowjetischen Rechts auf das Recht der DDR sollte nicht unterschätzt werden, können sie doch Hinweise darauf geben, wie konkrete Rechtsgedanken in das Recht der DDR einsickern konnten.
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Die „Arbeitsrechtswissenschaft“ in der DDR
Bislang wenig erforscht sind außerdem Rolle und Funktionsweise der „Arbeitsrechtswissenschaft“ an den Juristischen Fakultäten und ab der „Dritten Hochschulreform“ von 196892 an den Juristischen Sektionen der Universitäten sowie an der
90 Gespräch, das der Verf. mit Frithjof Kunz am 14.08.2014 in Potsdam führte. 91 Darauf weist Detlef Joseph, Rechtswissenschaft und SED, in: Uwe-Jens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR – Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 549–609, 560 hin: „Manches war überhaupt erst debattierbar, nachdem es Verlautbarungen in der UdSSR gegeben hatte.“ 92 Zu dieser im Überblick Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biographie DDR, Berlin 1993, S. 7 ff. m.w.N.
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Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg.93 Von besonderem Interesse ist dabei vor allem, nach welchen formellen, aber vor allem auch informellen Regeln oder Verhaltensmustern die Wissenschaft vom Arbeitsrecht funktionierte und welchen Einfluss sie letztlich auf Entstehung und Fortbildung des sozialistischen Arbeitsrechts hatte. Es geht hier um die Hineinsozialisierung in die Wissenschaft, die Auswahlprozesse des Personals – und zwar der Doktoranden bzw. „Aspiranten“ sowie die Rekrutierung von Dozenten –, die Verfahrensweisen, die nach dem damaligen Verständnis wissenschaftliche Erkenntnisse über das Arbeitsrecht vermittelten, den Zugang zu den Fachzeitschriften, welche Diskussionen in der Fachöffentlichkeit geführt wurden usw. Dabei wird es gewiss auch darauf ankommen, unterschiedliche Strömungen, Gruppen oder Interessen innerhalb der „Arbeitsrechtswissenschaft“ zu erkennen; möglicherweise war sie weniger „monolithisch“, als man dies auf den ersten Blick annehmen möchte.94 Allerdings darf nicht aus dem Blick geraten, dass sie nicht nur von den Instanzen der Partei und des Staates gelenkt war, sondern von ihr stets auch eine „offene Parteinahme“ für den Sozialismus erwartet wurde.95 Bereits die Aufarbeitung der Produkte der Arbeitsrechtswissenschaft der DDR ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. So wurden Monographien – insbesondere A- und B-Dissertationen, die an Juristischen Fakultäten bzw. Sektionen der Universitäten, an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften oder aber an kleineren Hochschulen wie der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in Eiche-Golm (Potsdam)96 entstanden – ganz überwiegend nicht veröffentlicht. Sie modern als Typoskripte in den Tiefen der Bibliotheksmagazine vor sich hin
93 Bis 1973 trug die Akademie den Namen Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“. 94 Ob allerdings die folgende Einschätzung von Detlef Joseph, Rechtswissenschaft und SED, in: UweJens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR: Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 549–609, 558 für das Arbeitsrecht zutraf, bedarf allerdings noch einer gründlicheren Überprüfung: „Die Rechtswissenschaft der DDR war nicht, wie heute glauben gemacht werden soll, bloße Apologie und nicht monolithisch. Sie war Meinungsstreit mit positiven und negativen Erkenntnissen, Zügen und Verfahrensweisen. Nur von dieser Sicht her erklären sich die (relative) Meinungsvielfalt und der mehr oder weniger kameradschaftliche Streit, wie er vor allem bei den wissenschaftlichen Veranstaltungen der Universitäten und des Instituts für Theorie des Staates und des Rechts der AdW [sc. Akademie der Wissenschaften] stattfand, sich aber auch in Publikationen niederschlug.“ 95 Dazu Sonja Ginnow, Rechtswissenschaft, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch/Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Wissenschaften und Wiedervereinigung, Berlin 1998, S. 175–254, 185. 96 Zu den juristischen Dissertationen, die an der Hochschule des MfS verfasst wurden, näher Günter Förster, Die Dissertationen an der „Juristischen Hochschule“ des MfS: Eine annotierte Bibliographie (Dokumente – Reihe A), hrsg. BStU, 2. Auflage, Berlin 1997, abrufbar unter: https://web.archive.org/web/20150610224236/http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publikationen/Publikationen/E_foerster_dissertation.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 13.11.21).
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und zerfallen allmählich. Ihre Aufarbeitung ist indessen von großer Bedeutung, lassen sich doch schon an den Themenstellungen der arbeitsrechtlichen Dissertationen Schwerpunkte erkennen, welche die Arbeitsrechtswissenschaft in der DDR in den verschiedenen Phasen der Entwicklung setzte. Auf der Grundlage der Digitalisierung sämtlicher juristischer Dissertationen aus der DDR, welche die Jenaer Forschungsstelle DDR-Recht derzeit vornimmt,97 werden dann neben den schon zu DDR-Zeiten veröffentlichten Monographien, Lehrbüchern und juristischen Zeitschriften auch diese für die rechtshistorische Forschung einfacher und dauerhaft zugänglich sein. Erst nach der Sichtung dieser Arbeiten wird man Genaueres über die Inhalte sagen können, welche die arbeitsrechtliche Doktrin der DDR besonders beschäftigten. In diesen Kontext gehört aber auch die Beantwortung der Frage, ob arbeitsrechtliche Dissertations- oder Habilitationsvorhaben aus politischen Gründen abgebrochen oder bereits fertiggestellte Dissertationen oder Habilitationsschriften aus solchen Gründen von den Fakultäten oder Sektionen nicht angenommen wurden: Auf diese Weise erhält man Aufschluss über methodische oder inhaltliche Trennlinien, bei deren Überschreitung eine wissenschaftliche Auseinandersetzung im Arbeitsrecht nicht mehr anerkannt war. Jenseits dieser monographischen Literatur sind aber auch andere Schriftstücke für die rechtshistorische Aufarbeitung des Arbeitsrechts der DDR von großem Interesse wie beispielsweise Unterrichtsmaterialien, die an den Hochschulen verwendet wurden, oder Aufsätze bzw. Stellungnahmen von Dozenten zu Fragen des Arbeitsrechts, die nicht veröffentlicht wurden, jedoch innerhalb der Community zirkulierten und rezipiert wurden. Neben der veröffentlichten Literatur und den Schriften, die von den Fakultäten bzw. Sektionen als Qualifikationsschriften angenommen wurden, existierte somit eine „graue Literatur“,98 die keinen „offiziellen“ Charakter besaß. Eine große Schwierigkeit wird darin bestehen, auch diese zumeist nicht archivierten Dokumente der „Arbeitsrechtswissenschaft“ in der DDR zu sammeln und der rechtshistorischen Forschung zugänglich zu machen. Was die Verfahrensweisen der Arbeitsrechtswissenschaft anbelangt, wird man die „Arbeitsrechtswissenschaft“ der DDR – ebenso wie andere Teilgebiete der „Rechtswissenschaft“ in der DDR auch – insgesamt als eine gelenkte Wissenschaft anzusehen haben, deren Autonomiebereich durch den Primat der Partei und der von der SED festgelegten Politik erheblich eingeschränkt war. Allerdings dürfte diese Lenkung je nach Phase unterschiedlich intensiv gewesen sein. Die Funktion einer Lenkungseinrichtung der Rechtswissenschaft übernahm ab 1968 der Rat für Staats- und Rechtswissenschaftliche Forschung, der bei der Deutschen Akademie 97 Näheres dazu auf der Webseite der Forschungsstelle DDR-Recht unter: http://projekte.thulb.unijena.de/ddr-recht/dissertationen.html#thulb-ps-header (abgerufen am 07.10.2021). 98 So Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 64.
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für Staats- und Rechtswissenschaft angesiedelt und dessen Vorsitzender der Rektor der DASR Rainer Arlt war.99 Für das Arbeitsrecht bestand innerhalb dieses Rates ein Arbeitskreis Arbeitsrecht, der von 1960 bis 1988 von Frithjof Kunz (Potsdam) geleitet wurde und in dieser Funktion bis zum Ende der DDR von Annemarie Langanke von der Universität Leipzig „beerbt“ wurde. Der Arbeitskreis war keine rechtlich institutionalisierte Einrichtung, sondern ein loser Verbund von Arbeitsrechtlern aus Wissenschaft und Praxis. Ihm gehörten sämtliche Professoren und Dozenten des Arbeitsrechts, die Richter des arbeitsrechtlichen Senats des Obersten Gerichts und einzelne herausgehobene Instanzrichter, Vertreter des FDGB sowie Vertreter der Abteilung Staats- und Rechtsfragen des ZK der SED an. Der Einfluss des Arbeitskreises auf die Entwicklung des Arbeitsrechts der DDR war nicht gering. So wurde er bei Gesetzgebungsvorhaben auf dem Gebiet des Arbeitsrechts regelmäßig beteiligt. Für das Gesetzbuch der Arbeit von 1961 arbeitete der Arbeitskreis sogar einen ersten Entwurf aus, der in weiten Teilen von der Volkskammer übernommen wurde. Auch gab das ZK der SED beim Arbeitskreis einzelne arbeitsrechtliche Veröffentlichungen regelrecht in Auftrag. Dies gilt insbesondere für das Lehrbuch des Arbeitsrechts, das insgesamt in drei Auflagen im Staatsverlag der DDR erschien und wegen dieser Art und Weise seines Zustandekommens gleichsam offiziellen Charakter in der arbeitsrechtlichen Praxis besaß. Diese Aufarbeitung der „Arbeitsrechtswissenschaft“ der DDR – ihre Rekrutierungsprozesse, ihre Arbeits- und Verfahrensweisen, kurzum all das, was den Diskurs konstituierte und ihm Schranken auferlegte – ist noch zu leisten und steht noch ganz am Anfang. Von besonderer Bedeutung dürften in diesem Zusammenhang Interviews mit einzelnen Vertretern der Arbeitsrechtswissenschaft in der DDR sein, um gerade auch informelle Verfahrens- und Verhaltensweisen ans Tageslicht zu bringen. Schwierigkeiten bereitet auch die Beziehung zur Rechtsprechung in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Zwar konnten Vertreter der Arbeitsrechtswissenschaft durchaus Urteile etwa des arbeitsrechtlichen Senats des Obersten Gerichts der DDR (zum Beispiel in der Zeitschrift „Neue Justiz“, in der „Arbeit und Arbeitsrecht“ oder in der „Tribüne“ – dem Organ des Bundesvorstandes des FDGB, das auch Artikel zu arbeitsrechtlichen Fragen veröffentlichte) rezensieren. Die Autonomie der „Arbeitsrechtswissenschaft“ wurde indessen erheblich durch „arbeitsrechtliche Standpunkte“ eingeschränkt, die vom Obersten Gericht, dem Generalstaatsanwalt und dem Bundesvorstand des FDGB zu Einzelfragen der Auslegung arbeitsrechtlicher Vorschriften ausgearbeitet wurden. Für das AGB wurden insgesamt 256 „Standpunkte“
99 Zur Bedeutung des Rates siehe Detlef Joseph, Rechtswissenschaft und SED, in: Uwe-Jens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR: Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 549–609, 555.
Annäherungen an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR
veröffentlicht, nahezu so viele, wie das AGB Paragraphen zählte (305!).100 Das AGB wurde somit von einem engmaschigen Netz von offiziellen Auslegungen überlagert, die jedenfalls von der arbeitsrechtlichen Praxis, einschließlich der Konfliktkommissionen, Kreis- und Bezirksgerichte als rechtsverbindlich angesehen wurden. Es dürfte kein Zufall sein, dass die ausufernde Praxis der „arbeitsrechtlichen Standpunkte“ gerade aus den Kreisen der Arbeitsrechtswissenschaft stark kritisiert und sogar teilweise als rechtswidrig bezeichnet wurde.101 Ungeachtet dieses Rechtsproblems stellt sich die Frage, wie hier „Rechtsetzung“ funktionierte: Hatten der Arbeitskreis und auch die Wissenschaft einen nennenswerten Einfluss oder wurden sie an ihr vorbei geschaffen und schränkten ihren inhaltlichen Gestaltungsraum ein?
5.
Schluss
Bereits diese nur skizzenhaften Überlegungen zu den wesentlichen Funktionen des Arbeitsrechts der DDR, den Einflüssen der Weimarer Republik und der Sowjetunion, denen es ausgesetzt war, sowie zur „Arbeitsrechtswissenschaft“ der DDR machen die Schwierigkeiten deutlich, denen sich eine rechtshistorische Aufarbeitung des Arbeitsrechts der DDR gegenübersieht. Die Herausforderungen liegen zum einen in der Sichtung der öffentlich zugänglichen und auch der unveröffentlichten Quellen wie Dissertationen, Habilitationsschriften, die Abläufe von Entscheidungsprozessen und von Einflussnahmen (z. B. von Parteiinstanzen) auf die „Arbeitsrechtswissenschaft“. Dies erfordert nicht nur die Erschließung schriftlicher Quellen, sondern auch und gerade Gespräche mit Verantwortlichen und Entscheidungsträgern jener Zeit; vor allem sie können zu diesen Fragen Aufschluss geben. Eine weitere Herausforderung besteht darin, das von unserer Arbeitsrechtsordnung entfernte Rechtsdenken der DDR zu rekonstruieren, welches das Arbeitsverhältnis nicht primär von der individuellen Austauschbeziehung zwischen Arbeitendem und Arbeitgeber dachte, sondern es als eingebettet in gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen des sozialistischen Systems begriff. Der Bewältigung dieser beiden großen Herausforderungen, die als Summe der vorstehenden „Annäherungen“ an die Geschichte des Arbeitsrechts der DDR festgehalten werden sollen, stellt sich die Jenaer Forschungsstelle DDR-Recht und versucht auf diese Weise, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Arbeitsrechts der DDR zu leisten. 100 Vgl. die Übersicht bei Wera Thiel, Arbeitsrecht in der DDR: ein Überblick über die Rechtsentwicklung und ein Versuch der Wertung, Opladen 1997 (Reprint 2013), S. 181. 101 Dazu insbesondere Wera Thiel, Arbeitsrecht in der DDR: ein Überblick über die Rechtsentwicklung und ein Versuch der Wertung, Opladen 1997 (Reprint 2013), S. 179 ff. m.w.N.
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Die Rechtswissenschaftliche Fakultät/Sektion für Staatsund Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Ausgangspunkt einer DDR-Rechtsgeschichte
1.
Einleitung
Dieser Beitrag widmet sich der Rechtswissenschaftlichen Fakultät/Sektion für Staats- und Rechtswissenschaft zur Zeit der DDR. Zum einen soll beleuchtet werden, wie die Fakultät aufgestellt war und wie sie sich zwischen 1949 und 1990 entwickelt hat. Das bezieht sich zum einen auf die personelle Aufstellung der Fakultät als auch auf die rechtswissenschaftliche Forschung. Für den Bereich der Forschung versucht der Beitrag zum einen eine Entwicklung zu skizzieren, er beschäftigt sich aber auch mit den Personen und den behandelten Forschungsfragen, welche Themenbereichen zugeordnet und kategorisiert wurden. Damit soll ein Überblick gegeben werden, der den ersten Zugang bei der Arbeit mit Dissertationsund Habilitationsschriften aus der DDR erleichtert.
2.
Die Fakultät/Sektion
Bisher finden sich in Bezug auf die Fakultätsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena nur vereinzelt Ansätze einer Aufarbeitung der DDR-Rechtsgeschichte. Die Friedrich-Schiller-Universität hatte 1998 eine Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert eingesetzt, um die Schattenseiten der Universitätsgeschichte zu beleuchten.1 Trotzdem gibt es zur Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (und später der Sektion Staats- und Rechtswissenschaft) für den Zeitraum 1945–1990 noch viele offene Fragen. Wie sich die Fakultät/Sektion während der DDR entwickelte und ob Reformen Auswirkungen auf die Aufstellung der Fakultät
1 Daraus hervor ging der Sammelband Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.), Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989. Wissenschaftliche Studien und persönliche Reflexionen zur Vergangenheitsklärung, Berlin 2012; zu weiteren Veröffentlichungen im Zuge dieses Projekts vgl. auch https://www.uni-jena.de/Senatskommission_Universitaetsgeschichte (abgerufen am 24.11.2021).
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hatten, konnte noch nicht endgültig aufgeklärt werden. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich deshalb mit der Entwicklung der Fakultät zur Zeit der DDR. Ausgangspunkt ist das Frühjahr 1945. Als amerikanische Truppen am 13. April 1945 in Jena einmarschierten, wurde die Universität vorerst geschlossen.2 Sie war nicht vom Krieg verschont worden. So waren viele Universitätsgebäude stark betroffen. Von insgesamt 74 von der Universität betriebenen Anstalten waren 52 zumindest beschädigt worden,3 während die Gesamtanlage zu 30 Prozent vollkommen zerstört worden war.4 Die Universität war nach Kriegsende nicht nur mit dem äußeren Substanzverlust konfrontiert. Die Entnazifizierung, die in der SBZ durchgeführt wurde, sorgte in vielen Bereichen für Personalmangel.5 So sahen Besatzungsbehörde und SED die Universitäten als Institutionen an, die „aktiv mitgeholfen hatten, Rassenwahn und Völkerhetze zu verbreiten“.6 Als notwendig wurde ein Gesinnungswandel an den Universitäten erachtet, der durch den Austausch vieler Funktionsträger der Universität erreicht werden sollte.7 Am 23. Juli 1945 erließ das Thüringische Landesamt für Volksbildung die Verordnung über die Reinigung der öffentlichen Verwaltung von Nazielementen.8 Diese sei der Beginn der sogenannten „Säuberung des Lehrkörpers der Universität“ gewesen, die in zwei Etappen durchgeführt worden sei.9 Bis Oktober 1945 wurden 37 Angehörige des Lehrkörpers aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen. Im Dezember folgte die Entlassung von 61 weiteren Angehörigen des Lehrkörpers.10 Dadurch reduzierte sich das Lehrpersonal der Universität drastisch, sodass im Wintersemester (WS) 1945/1946 an der gesamten
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Universitätsarchiv (UAJ), Bestand BB, Akte 213, S. 10. UAJ, Bestand BB, Akte 213, S. 12. UAJ, Bestand VA, Akte 4266. Vgl. Beitrag von Hans-Peter Haferkamp in diesem Band, S. 32. Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 688, XXXVIII f. Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 688. Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 689. Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 689. Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 689.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
Universität nur noch acht ordentliche Professoren und acht außerordentliche Professoren eingestellt waren, während es im WS 1944/1945 noch 61 ordentliche und 25 außerordentliche Professoren gewesen waren.11 Insgesamt bestand das Lehrpersonal der Universität im WS 1945/1946 nur noch aus 61 Mitgliedern12 , während es im WS 1944/1945 noch 212 gewesen waren.13 Die Universität Jena, aber insbesondere auch die Rechtswissenschaftliche Fakultät, war damit vor existentielle Probleme gestellt. Dieses Problem sei unter „großen Anstrengungen“ gelöst worden:14 Laut einer Statistik in der „Geschichte der FriedrichSchiller-Universität Jena 1948/58–1958“ gab es im WS 1946/1947 schon wieder 34 ordentliche Professoren, 14 außerordentliche Professoren und insgesamt 106 Angehörige des Lehrkörpers an der gesamten FSU Jena.15 Dem massiven Mangel sei man insbesondere durch die Einstellung von Lehrbeauftragten entgegengetreten.16 Insgesamt muss festgestellt werden, dass es sich bei der Friedrich-SchillerUniversität Jena nach heutigen Maßstäben um eine kleine Universität handelte. So hatte die FSU zwischen 1945 und 1990 nie mehr als 5.346 Studierende,17 während allein Sommersemester 2021 16.700 Studierende immatrikuliert waren.18 Dies zeigt sich auch in der Größe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FSU. So
11 Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 12 Zum Lehrkörper gezählt wurden ordentliche Professoren, außerordentliche Professoren, Honorarprofessoren, außerplanmäßige Professoren, Dozenten, Lehrbeauftragte und Lektoren; siehe Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 13 Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 14 Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 15 Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 16 Wolfgang Schuhmann, Der Aufbau der sozialistischen Universität Jena (1945–1958), in: Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1948/58–1958, Jena 1958, S. 671–765, 696. 17 UAJ, Studierendenstatistik 1945–1989, „Studierende insgesamt nach Studienformen“. Die verwendeten Zahlen beziehen sich auf das Direktstudium. 18 Statistik der Studierenden an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommersemester 2021 (Stichtag: 30.04.2021), S. 4.
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hatte diese im Sommersemester (SS) 2021 1.334 Studierende,19 während es im Hochjahr 1947 531 gewesen waren.20 a) Entwicklung der Fakultät/Sektion21 Die Rechtswissenschaftliche Fakultät startete 1948/1949 mit lediglich zwei Professoren. Zur Höchstzeit während der DDR beschäftigte die Fakultät elf Professoren. Im Vergleich dazu sind heute an der Fakultät 18 Lehrstühle besetzt.22 Die folgende Grafik zeigt die Zusammensetzung des Lehrkörpers zwischen 1949 und 1990. Zu beobachten ist, dass die Fakultät/Sektion während der Zeit der DDR tendenziell wuchs. So stieg die Zahl der Lehrpersonen in den ersten Jahren zunächst an, bis sich die Anzahl ab dem Jahr 1952 auf sieben stabilisierte. Ab 1955 begann die Gesamtzahl dann stufenweise zu wachsen, bis diese zwischen 1958 und 1962 bei zwölf lag.24 Ab 1962 werden die Datensätze lückenhafter. Zwischen 1962 bis zum
19 Statistik der Studierenden an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommersemester 2021 (Stichtag: 30.04.2021), S. 5. 20 UAJ, Studierendenstatistik 1945–1989, „Sektion Staats- und Rechtswissenschaft“. 21 Die in diesem Abschnitt genannten Zahlen beziehen sich auf die unten aufgeführte Statistik, wenn keine anderen Angaben vorhanden sind. 22 Webseite der Friedrich-Schiller-Universität Jena, https://www.rewi.uni-jena.de/fakultät/lehrstühle+und+dozenten_-innen (abgerufen am 20.10.2021). 23 Die Daten wurden Personal- und Vorlesungsverzeichnissen, Personalverzeichnissen und der Akte ZA Nr. 1713 des Universitätsarchivs der Friedrich-Schiller-Universität Jena entnommen. Zu beachten ist jedoch, dass die Datenlage lückenhaft ist. Zwischen 1974 und 1989 sind keine Daten dokumentiert. Zudem kann es zu Abweichungen mit anderen im Archiv vorgefundenen und teilweise handschriftlich verfassten Statistiken kommen, da die Stichtage der Erhebung der Daten oftmals abwichen und die Datengrundlage nicht immer transparent ist. Vollständige Statistiken über den gesamten Zeitraum der DDR waren nicht auffindbar, sodass verschiedene Statistiken hätten herangezogen werden müssen. Aufgrund der Intransparenz der Datenerhebungen wäre Einheitlichkeit deshalb nicht gewährleistet gewesen. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, eine eigene Statistik unter Mithilfe des Universitätsarchivs auf Grundlage der Personal- und Vorlesungsverzeichnisse und der Akte ZA Nr. 1713 zu erstellen, da dadurch nachvollziehbar ist, welche Daten zur Grundlage der Statistik gemacht worden sind und es sich somit unserer Meinung nach um die beste Möglichkeit, sich den tatsächlichen Begebenheiten anzunähern, handelt. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass im vorgefundenen Material Begrifflichkeiten teilweise unklar waren. So wurde zwischen „Dozenten“ und „Dozenturen“ unterschieden, wobei wahrscheinlich zum einen fest angestellte Personen und zum anderen Personen, die mit einem Lehrauftrag beauftragt waren, gemeint waren. In der Statistik wurden sie unter dem Punkt „Dozenten“ zusammengefasst. Auch die verschieden Anstellungsverhältnisse von Professoren wurden unter dem Punkt „Professoren“ zusammengefasst. 24 Mit Ausnahme des HS 1959/60 und HS 1961/62. In diesen Semestern gab es eine leichte Abweichung nach unten.
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Grafik 1 Darstellung des Lehrkörpers der Rechtswissenschaftlichen Fakultät/Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena.23
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Herbstsemester (HS) 1966/1967 gibt es nur noch Daten zu den Herbstsemestern. Daten für die Frühjahrssemester (FS) wurden nicht mehr erhoben. Ab dem HS 1963/1964 wuchs die Gesamtzahl der Angehörigen des Lehrkörpers wieder, bis ein Höchststand im HS 1967/1968 von 16 Angehörigen erreicht wurde.25 Ein rasanter Rückgang des Lehrkörpers ist nach 1968 zu verzeichnen. Bis 1971 sank die Zahl des Lehrpersonals auf zehn Beschäftigte ab. Ab 1972 war wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Ein solcher Rückgang betraf nicht nur die Rechtswissenschaftliche Fakultät, sondern kann auch als gesamtuniversitäre Entwicklung beobachtet werden.26 Er könnte auf die „Dritte Hochschulreform“ zurückzuführen sein. Diese war schon im Jahr 1965 durch das Gesetz über das einheitliche und sozialistische Bildungssystem27 eingeleitet worden, zeigte aber erst ab 1968/ 1969 spürbare Auswirkungen.28 Einer der Leitgedanken zur Durchführung der Hochschulreform der DDR, welcher im März 1968 geäußert wurde, war folgender: Entscheidungen und Grundsatzfragen müssen ohne Rücksicht auf akademischen Grad und Stellung im Leitungssystem mit den besten und erfahrensten Wissenschaftlern, mit den talentvollsten jungen Wissenschaftlern und Beststudenten erarbeitet und getroffen werden. […] Die Sektionen sind entsprechend den Erfordernissen der Wissenschaft, der Volkswirtschaft und der sozialistischen Gesellschaft weiter zu entwickeln, um die Prozesse in der Ausbildung, Erziehung und Forschungstätigkeit effektiver zu gestalten.29
Ab diesem Zeitpunkt begannen an vielen Universitäten weitreichende Umstrukturierungsmaßnahmen.30 So wurde der Lehrbetrieb der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena wahrscheinlich im Jahr 1968 aufgrund der Umstrukturierungsmaßnahmen der „Dritten Hochschulreform“ eingestellt. Dafür spricht, dass im FS 1968 und HS 1968/69 keine Angaben mehr zum Lehrkörper oder zu
25 Ausnahme ist hier das HS 1964/65. In diesem Semester waren nur noch 12 Angehörige des Lehrkörpers zu verzeichnen. 26 UAJ, Bestand VA, Akte 4263, „Arbeitskräfteentwicklung in Vollbeschäftigteneinheiten und Personen“. 27 GBl. DDR, Teil I, 1965, S. 83. 28 Rüdiger Stutz/Tobias Kaiser/Uwe Hoßfeld, Von der „Universitas litterarum“ zum „Kombinat der Wissenschaft“ – Jena als Experimentierfeld der sogenannten „Dritten Hochschulreform“ 1968/1969, in: Uwe Hoßfeld/Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus: Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945–1990), Köln u. a. 2007, Bd. 1, S. 288–319, 288, 293. 29 UAJ, Bestand BC, Akte 14, „Leitgedanken für die weitere Diskussion zur Durchführung der Hochschulreform der DDR von März 1968“, S. 12. 30 Wilhelm Bleek/Lothar Mertens, „DDR-Dissertationen ‒ Promotionspraxis und Geheimhaltung von Doktorarbeiten im SED-Staat“, Opladen 1994, S. 32.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
den Vorlesungen gemacht wurden und keine Vorlesungsverzeichnisse mehr erschienen.31 Die Auflösung der Fakultät erfolgte am 30. September 1971.32 Im Jahr 1971 wurde die Sektion Staats- und Rechtswissenschaft neu gegründet.33 Dies ist überraschend, da eine Neuöffnung einer Staats- und Rechtswissenschaftlichen Sektion zunächst nicht vorgesehen war, wie aus dem „Antrag auf Bildung eines Instituts für Staats- und Rechtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena“ hervorgeht. In diesem heißt es: Das mit der Entscheidung des Ministers angestrebte Ziel, die Rechtswissenschaften der DDR durch Konzentrierung der Rechtswissenschaftler auf 3 statt 4 juristische Ausbildungs- und Forschungsstätten erheblich zu stärken, ist nicht erreicht worden.34
Der vermeintliche „Personaleinbruch“ Anfang der 1970er Jahre war somit auf die strukturellen Veränderungen innerhalb der Fakultät zurückzuführen. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Personaleinbruch handelte oder ob die Personen durch die Umstrukturierungsmaßnahmen anders erfasst wurden, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Hinsichtlich der Jahre 1974–1989 existieren keine Daten. Zu erkennen ist nur, dass die Gesamtzahl der Lehrenden seit dem Jahr 1974 bis 1989 auf 15 Angehörige des Lehrkörpers anstieg. Im Jahr des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik
31 Das ergibt sich aus Auszügen der Personal- und Vorlesungsverzeichnisse der Friedrich-SchillerUniversität Jena. 32 Rüdiger Stutz/Tobias Kaiser/Uwe Hoßfeld, Von der „Universitas litterarum“ zum „Kombinat der Wissenschaft“ – Jena als Experimentierfeld der sogenannten „Dritten Hochschulreform“ 1968/1969, in: Uwe Hoßfeld/Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus: Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945–1990), Köln u. a. 2007, Bd. 1, S. 288–319, 392. 33 Ein genaues Datum für die Neugründung konnte in den Akten nicht ohne weiteres gefunden werden. Dass sie im Jahr 1971 stattfand, ist sehr wahrscheinlich. Das ergibt sich aus den Entwürfen für die Gründung sowie dem Antrag für die Gründung, die aus dem Jahr 1971 stammen. Diese Informationen lassen sich aus der Akte VA 787 des Universitätsarchivs der Friedrich-Schiller-Universität Jena ermitteln. Es liegt die Vermutung nahe, dass mit der Auflösung auch die Neugründung unmittelbar einherging. 34 UAJ, Bestand VA, Akte 787, „Antrag auf Bildung eines Instituts für Staats- und Rechtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena“, S. 3. Um welchen Minister es sich handelte, ist aus dem Antrag nicht ersichtlich. Vermutlich handelte es sich um den Minister des Hoch- und Fachschulwesens, da dieses Ministerium für die Strukturierungsmaßnahmen zuständig war (siehe Rayk Einax, DDR-Außenpolitik und die Freundschaftsverträge der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ein Überblick, in: Uwe Hoßfeld/Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus: Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945–1990), Köln u. a. 2007, Bd. 1, S. 585–596, 587.
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Deutschland 1990 ging diese Zahl zurück. Die danach durchgeführten Maßnahmen sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. b) Struktur der Fakultät Bei der Frage des Verhältnisses von Professoren zu anderen Dozenten ist auffällig, dass die Zahl der Professoren von 1949 bis Anfang der 1960er Jahre recht konstant blieb und dann sogar leicht absank. Als Tiefpunkt kann das Frühjahrssemester (FS) 1967 mit nur zwei dauerhaften Professoren (dafür aber fünf Professoren mit Lehrauftrag) festgehalten werden.35 Einer davon, der Rechtshistoriker Gerhard Buchda, wurde in diesem Jahr emeritiert.36 Besonders in Bezug auf den Zeitraum zwischen 1962 und 1967 fällt auf, dass das Verhältnis von Professoren zu Dozenten stark auseinanderfiel. Während es auch im Vergleich zu den Jahren davor sehr viele Dozenten zu verzeichnen gab, blieb die Zahl der Professoren konstant niedrig. Ab den 1970er Jahren stieg die Zahl der Professuren wieder an, während die Zahl der Dozenten absank. So verdoppelte sich die Anzahl der Professoren innerhalb von zwei Jahren, während ein Trend zum Abbau von Dozenten erkennbar war. Tiefpunkt der Dozentenzahl war im Jahr 1974; in diesem Jahr war kein Dozent mehr eingestellt. Auch diese Entwicklung könnte durch die „Dritte Hochschulreform“ und die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen hervorgerufen worden sein. Im Jahr 1989 waren wieder fünf Dozenten vorhanden, sodass anzunehmen ist, dass diese schon zum Teil in den statistisch nicht erfassten Jahren davor eingestellt worden waren, wobei die Entwicklung aufgrund der fehlenden Daten zwischen 1974 und 1989 nicht im Detail nachvollziehbar ist. Berücksichtigt man, dass die DDR für sich besonders in Anspruch nahm, Frauen zu fördern,37 ist es beachtlich, dass zwischen 1946 und 1966 keine Frau Teil des Lehrkörpers der Rechtswissenschaftlichen Fakultät war (weder als Professorin noch als Dozentin).38 Erst in den 1980er Jahren wurden Martina Haedrich und Annemarie Langanke als erste Professorinnen für die Lehrstühle Völkerrecht und Arbeitsrecht 35 Siehe Grafik 1 zum Lehrkörper der Fakultät. 36 Rolf Lieberwirth, Gerhard Buchda ‒ geboren 22. Oktober 1901 ‒ gestorben 20. Dezember 1977 – Ein Nachruf, in: Lothar Krahner/Gerhard Lingelbach (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Gerhard Buchda, 22. Oktober 1901 ‒ 20. Dezember 1977, Jena 1997, S. 14. 37 Irene Lischka, Hochschulzugang und Bildungsbeteiligung, in: Gertraude Buck-Bechler/HansDieter Schaefer/Carl-Hellmuth Wagemann (Hrsg.), Hochschulen in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch der Hochschulerneuerung, Weinheim 1997, S. 215; vgl. auch Vorwort zum Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. September 1950, GBl. DDR 1950, S. 1037ff. 38 UAJ, Bestand BC, Akte 973, „Anzahl der hauptamtlich tätigen weiblichen Professoren und Dozenten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1946–1966“.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
berufen.39 Weitere Berufungen von Frauen zwischen 1966 und 1980 sind nicht zu ermitteln, da die verwendete Statistik 1966 endet und andere Statistiken zu diesem Thema nicht aufzufinden waren. Ungeachtet dessen muss festgestellt werden, dass Frauen innerhalb des Lehrkörpers der Rechtswissenschaftlichen Fakultät/Sektion unterrepräsentiert waren.
3.
Übersicht über die vorhandenen Dissertations- und Habilitationsschriften
Bei den Dissertations- und Habilitationsschriften handelt es sich um eine besondere Quellengattung. Die Autor/innen der Dissertations- und Habilitationsschriften waren nicht verpflichtet, diese auch in einem wissenschaftlichen Verlag zu publizieren, was dazu führte, dass die Schriften nicht in den Austausch verschiedener Universitätsbibliotheken und -archive gelangten und somit von vornherein in ihrer Anzahl limitiert sind. Eine Ausnahme davon macht der Dissertationsbestand, den das Oberste Gericht der DDR wahrscheinlich in einem Austausch mit der Humboldt-Universität zu Berlin angelegt hat und der heute in der Bibliothek des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig steht. Die Sammlung von rechtswissenschaftlichen Dissertationen des ehemaligen Obersten Gerichts der DDR, die heute in der (rechtshistorischen) Abteilung der Bibliothek des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig aufbewahrt und für Nutzer/innen bereitgehalten wird, umfasst zwar 1169 Titel. Darunter sind allerdings nur wenige in Jena, Halle oder Leipzig entstandene Schriften. Als Interessent/in findet man – von dem Bestand im BVerwG Leipzig abgesehen – die übrigen Schriften nur schwierig, da sie teilweise nicht erfasst und für externe Nutzer somit kaum zugänglich sind. Hinzu kommt, dass die technische Qualität dieser Schriften per se schlecht ist. Weil die Schriften meist in vierfacher Ausführung an der Universität abzugeben waren, wurde mit dünnem Papier in schlechter Qualität und Kohlepapier zum Durchdrücken gearbeitet. So passiert es,
39 Diese Information ergibt sich aus dem Lebenslauf von Martina Haedrich, der auf der Webseite der Friedrich-Schiller-Universität einsehbar ist (https://www.rewi.uni-jena.de/fakultät/lehrstühle+ und+dozenten_-innen/emeritierte+und+im+ruhestand+befindliche+professoren_-innen/professorin+dr_+martina+haedrich, abgerufen am 20.10.2021) und aus der persönlichen Erinnerung von Gerhard Lingelbach, der von uns zu diesem Thema befragt wurde.
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dass die auf Schreibmaschinen hergestellten und/oder hektographierten Schriften immer mehr verblassen und das Papier sich mittlerweile teilweise auflöst.40 a) Entwicklung der Dissertations- und Habilitationspraxis Die Forschungsstelle DDR-Recht41 hat im Zuge ihrer Arbeit eine Promotionsund Habilitationsliste erstellt, die die an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität abgeschlossenen und noch vorhandenen Promotionen und Habilitationen der Jahre 1949–1990 zusammenfasst. Diese Liste wurde als Datengrundlage für die folgenden Ausführungen verwendet und ist im Anschluss an diesen Beitrag zu finden. Es wurden zwischen 1949 und 1990 an der Universität Jena 196 rechtswissenschaftliche Dissertationen bzw. Habilitationen verfasst. Mit der Anordnung zur Verleihung des akademischen Grades Doktor eines Wissenschaftszweiges ‒ Promotionsordnung A-42 änderte sich die Bezeichnung wissenschaftlicher Arbeiten ab dem 21. Januar 1969 von „Dissertation“ und „Habilitation“ zu „Promotion A“ (Doktor eines Wissenschaftszweiges) und „Promotion B“ (Doktor der Wissenschaften, Dr. sc.).43 Da die Promotions- bzw. Habilitationsliste sowohl Promotionen als auch Habilitationen zwischen 1949 und 1990 enthält, handelt es sich nur um einen formalen Aspekt, der sich nicht auf deren Aussagekraft auswirkt. Die Liste eignet sich, um einen Überblick über die Promotionspraxis zu bekommen. Die Jahre mit den meisten abgeschlossenen Dissertationen und Habilitationen (insgesamt zwölf) waren die Jahre 1964, 1968 und 1988. Dass 1968 zu den Jahren mit den meisten Abschlüssen gehörte, kann damit erklärt werden, dass ab 1968 der Lehrbetrieb an der Fakultät aufgrund der „Dritten Hochschulreform“ eingestellt wurde und die Vermutung somit naheliegt, dass viele Doktorand/innen ihre Arbeit noch vorher zu einem Ende bringen wollten.
40 Die Forschungsstelle DDR-Recht der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat 2019 damit begonnen, den in Jena vorhandenen Bestand an Dissertations- und Habilitationsschriften zu digitalisieren und online zur Verfügung zu stellen, um das Quellenmaterial zu erhalten. Die bisher digitalisierten Schriften finden sich hier: http://projekte.thulb.uni-jena.de/ddr-recht/ueber-uns.html (abgerufen am 09.11.2021). 41 Zu weiteren Informationen zur Forschungsstelle DDR-Recht der Friedrich-Schiller-Universität Jena https://www.rewi.uni-jena.de/ddr_recht (abgerufen am 25.1.2022). 42 Wilhelm Bleek/Lothar Mertens, „DDR-Dissertationen ‒ Promotionspraxis und Geheimhaltung von Doktorarbeiten im SED-Staat“, Opladen 1994, Anhang 5, S. 257. 43 Wilhelm Bleek/Lothar Mertens, „DDR-Dissertationen ‒ Promotionspraxis und Geheimhaltung von Doktorarbeiten im SED-Staat“, Opladen 1994, S. 21; Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 224.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
Schwache Jahre, in denen keine juristische Dissertation oder Habilitation abgeschlossen wurden, waren die Jahre 1958–1960. Der Grund hierfür bleibt allerdings ungeklärt. Die ausgeprägte Spitze des Jahres 1952 könnte mit den Beschlüssen der SED unter anderem zum Hochschulwesen im Januar 1951/1952 (der „Zweiten Hochschulreform“) zusammenhängen. Diese begann mit der Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens vom 22. Februar 1951.44 Ziel dieser Verordnung war die Entwicklung einer fortschrittlichen, dem Frieden dienenden deutschen Wissenschaft.45
Als Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, wurde „eine zentrale Leitung des Hochschulwesens“ für erforderlich gehalten.46 Den Anstoß zu dieser Reform gab zunächst Walter Ulbricht in einem seiner Referate.47 An der FSU in Jena wurde die Reform auch Gegenstand der Senatssitzung am 18. Januar 1951.48 Der Senat hielt eine schnell durchzuführende Studienplanreform für dringend notwendig, da das Lernsystem an den Hochschulen veraltet sei.49 Außerdem stand dieses Thema im Mittelpunkt der Entschließungen des ZK der SED „Die nächsten Aufgaben in den Universitäten und Hochschulen“ vom 19. Januar 1951.50 Mit dieser Formalisierung durch die „Zweite Hochschulreform“ ging ein struktureller Umbau der gesamten Universität einher.51 Dieser betraf auch die Promotionsordnungen,52 was wohl der Grund dafür war, dass viele Doktorand/innen ihre Arbeiten vor einer Regelungsänderung abschließen wollten. Von den neuerlangten Kompetenzen in Bezug auf das Promotionsrecht wurde aber erst im Jahr 1956
44 45 46 47 48 49 50 51 52
GBl. DDR, 1951, S. 123. GBl. DDR, 1951, S. 123. GBl. DDR, 1951, S. 123. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 124 m.w.N. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 124 m.w.N. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 124 m.w.N. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 124 m.w.N. Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für MarxismusLeninismus 1945–1990“, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 127. Das neugeschaffene Staatssekretariat für Hochschulwesen war für die Herstellung der Einheitlichkeit in allen Fragen der Hochschulordnung zuständig. Dazu gehörten auch die Habilitations- und Promotionsordnungen, siehe GBl. 1951, S. 124.
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Gebrauch gemacht, als am 1. September 1956 eine für die gesamte DDR geltende Promotionsordnung in Kraft gesetzt wurde.53 Interessant ist, dass die Entwicklung der abgeschlossenen Promotionen nicht gleich läuft mit der Entwicklung der Fakultät/Sektion. Anders als beim Lehrkörper der Fakultät kann bei der Anzahl der abgeschlossenen Promotionen bzw. Habilitationen keine konstant steigende Tendenz festgestellt werden. Es gibt vielmehr vereinzelte Höhepunkte, auf welche wiederum ein Absinken der Dissertations- bzw. Habilitationszahlen folgt, sodass keine einheitliche Entwicklung ersichtlich ist. Die folgende Grafik zeigt die abgeschlossenen Promotionen bzw. Habilitationen in den Jahren 1949–1990. Der schwarz eingefärbte Bereich kennzeichnet den Anteil an von Frauen abgeschlossenen Promotionen bzw. Habilitationen. b) Promotionen und Habilitationen von Frauen Im Gegensatz zum Lehrkörper lässt sich anhand der in der Liste vorkommenden Namen über die in Jena vorhandenen Promotions- und Habilitationsschriften erkennen, dass schon früh Arbeiten von Frauen enthalten sind. Die erste Arbeit findet sich im Jahr 1955. Bei dieser handelt es sich noch um eine Ausnahme. Die nächste Arbeit ist erst 1969 zu verzeichnen. Von da an gibt es vereinzelt eine bis maximal drei Promotionen bzw. Habilitationen pro Jahr (1969, 1971 und 1974), die von Frauen verfasst wurden. Ab 1980 gibt es in jedem Jahr mindestens eine von einer Frau eingereichte Schrift. Diese Entwicklung ist mit Ausnahmen in den Jahren 1987 und 1989 bis zum Ende der DDR zu erkennen. In diesen Jahren wurde keine Arbeit von einer Frau abgeschlossen. Bis 1985 bleibt die Zahl aber zwischen einer oder zwei Arbeiten pro Jahr konstant niedrig. Erst im Jahr 1985 sieht man einen sprunghaften Anstieg auf vier Promotionen, der aber nach 1986 einbricht. Über den gesamten Zeitraum des Bestehens der DDR sind es insgesamt 26 Arbeiten, die von Frauen verfasst wurden. Vergleicht man diese Zahlen mit denen der insgesamt abgeschlossenen Promotionen bzw. Habilitationen, muss festgestellt werden, dass die Arbeiten von Frauen den kleineren Anteil darstellen (ca. 13 %); und das, obwohl die DDR ausdrücklich die Frauenförderung als wesentlichen Bestandteil der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft
53 Wilhelm Bleek/Lothar Mertens, „DDR-Dissertationen ‒ Promotionspraxis und Geheimhaltung von Doktorarbeiten im SED-Staat“, Opladen 1994, S. 29f. 54 Die Grafik wurde auf Basis der schon erwähnten Promotions- und Habilitationsliste erstellt. Der Frauenanteil wurde anhand der in der Promotions- und Habilitationsliste geführten Namen ermittelt. Diese können nur einen Indikator für das tatsächliche Geschlecht darstellen, sollen aber eine erste Annäherung ermöglichen.
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Grafik 2 Promotionen bzw. Habilitationen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena.54
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betonte und auch eine besondere Beachtung bei der Ausbildung der Studentinnen und des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses
forderte.55 Förderung der Studentinnen bedeute dabei die Stärkung ihres Selbstvertrauens und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie die besondere Förderung von Studentinnen mit guten Fähigkeiten zur wissenschaftlichen Arbeit, mit dem Ziel, man könne diese als wissenschaftlichen Nachwuchs gewinnen.56 Eine solche effektive Frauenförderung gelang also nur mäßig. c) Namhafte Personen Eine nächste Frage könnte sein, ob und, wenn ja, welche „Celebrities“ in Jena zur Zeit der DDR promoviert und/oder habilitiert wurden. Gemeint sind damit Personen, die in Jena promoviert oder habilitiert wurden und später wichtige Funktionen übernommen haben. Dabei können die heutige Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks Karola Wille, die späteren Professor/innen Christian Schubel (heute Budapest), Gerhard Lingelbach (A/B),57 Martina Haedrich, Wolfgang Bernet (A/B), Richard Halgasch, Valentin Petev (A/B), Günter Baranowski, Gerhard Riege (A/B), Gregor Schirmer (1977–1989 Stellvertretender Leiter der Abteilung Wissenschaften des ZK der SED), Gerhard Haney (A/B), Martin Posch, Jörgen Haalck, Günther Kräupl (A/B) und Hans-Oskar Schützenmeister (A/B), außerdem der letzte Generalstaatsanwalt der DDR, Hans-Jürgen Joseph, der Konsum-Chef der DDR, Witho Holland, und der ungarische Politiker László Sólyom (der 2005–2010 ungarischer Staatspräsident war) im Kreise der Jenaer Doktorand/innen identifiziert werden. Bei den Professor/innen lassen sich ferner in sechs Fällen (Schützenmeister, Kräupl, Haney, Riege, Bernet und Lingelbach) klassische Hausberufungen (Dissertation, Habilitation bzw. Dissertation B, Professur in Jena) ausmachen. Aus Jena „wegberufen“ wurden lediglich der Rechtshistoriker Günter Baranowski und der Seerechtler Jörgen Haalck. Die meisten Jenaer Doktorand/innen, die heute noch juristisch tätig sind, arbeiten als Rechtsanwält/innen in der gesamten Bundesrepublik, häufig in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern.
55 UAJ, Bestand K, Akte 621, S. 16. 56 UAJ, Bestand K, Akte 621, S. 16. 57 A/B bezeichnet den Umstand, dass zwei Schriften vorhanden sind ‒ eine Dissertation A und eine Dissertation B; siehe dazu oben.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
Der Anteil von Promotionen oder Habilitationen betrug ca. 3 %. Von den erfassten Arbeiten stammen lediglich sechs von Verfasser/innen, die nach unserem bisherigen Wissen aus dem Ausland nach Jena gekommen waren (einmal aus Ungarn, einmal aus Bulgarien, einmal aus Belarus, einmal aus Mosambik, einmal aus Kuba und einmal aus Vietnam). d) Themen Der folgende Abschnitt macht sich die Promotions- bzw. Habilitationsliste zur Grundlage und versucht die Promotionen bzw. Habilitationen nach Themenbereichen zu kategorisieren und einzuordnen. Das soll einen ersten Überblick über die zur Zeit der DDR in Jena behandelten Forschungsthemen geben. aa) Grundlagen des sozialistischen Staates und „Rechts“
Arbeiten zu Grundfragen des sozialistischen Rechts ‒ insgesamt 13 ‒ betreffen hauptsächlich die Stellung des Bürgers im Staat. Wichtige Arbeiten hierbei sind die Dissertations- und Habilitationsschriften von Gerhard Riege58 und Gerhard Haney59 . Hervorzuheben sind ferner vergleichende Arbeiten, insgesamt elf, die nicht selten das kapitalistische bzw. imperialistische Recht der Bundesrepublik behandeln: vom Privatrecht über das IPR und den Strafprozess bis hin zur Rechtsprechung des BVerfG. Zu nennen wäre etwa die Arbeit von Bernd Witowski mit dem Titel „Menschenrechte in der konservativen Ideologie und Politik der BRD“ aus dem Jahr 1986 oder die von Rolf Grabner zur „Herausbildung der sozialistischen Menschengemeinschaft und der sozialistischen Persönlichkeit“. Komparatistische Arbeiten, die sich nicht der Planungs, Straf- oder Zivilgesetzlichkeit zuordnen lassen, existieren zur UdSSR und zu anderen sozialistischen Ländern. Auffällig ist, dass solche Grundlagenarbeiten (auch die vergleichenden) erst spät verfasst wurden: Bis 1961 sind nicht mehr als vier davon zu zählen. Erst mit Haney und Riege (und deren Schüler/innen) wurden es mehr, und es dauerte, bis Rainer Gollnick 1968 unter dem Titel „Wertung und Norm“, Hans-Peter Richter 1973 mit „Sozialistisches Recht und Gesamtinteresse“ oder Barbara Oehme 1974 mit „Der Handlungsbegriff des sozialistischen Rechts“ thematisch weiter gespannte rechtstheoretische Überlegungen anstellten. Den Schluss machte 1990 Eric Pawlitzky mit der Schrift „Individuelles Rechtsbewusstsein als geistig-praktische Aneignung der Wirklichkeit“.
58 Gerhard Riege, Die Staatsbürgerschaft der DDR, Jena 1964. 59 Gerhard Haney, Die Rechtsstellung des Bürgers, Jena 1964.
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bb) Rechtsgeschichte
Mit dem Thema Rechtsgeschichte befassen sich einige Arbeiten. Zu erwähnen sind die von Gerhard Buchda und Gerhard Haney betreuten Dissertationen bzw. Habilitationen, die aber bereits in einem anderen Aufsatz behandelt wurden.60 Wir zählen insgesamt 24 Schriften zur Geschichte von Staat und Recht; darunter eine Arbeit des Historikers Volker Wahl zum „Beginn der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in Thüringen“ aus dem Jahr 1976 (obwohl Volker Wahl kein Jurist ist). Es gibt hier viele Spezialthemen wie etwa die „Die Arbeiterregierung in Thüringen 1923“61 oder „Verfassung und Recht der Städte Arnstadt, Königsee, Saalfeld und Stadtilm“62 . Fünf Arbeiten sind hervorzuheben: die Qualifikationsschriften von Gerhard Lingelbach und die Arbeit von Hans-Jürgen Ziegler, deren Gegenstände an anderer Stelle gewürdigt worden sind,63 daneben die Arbeiten von Jo Scheidemann über „Die nationalsozialistische Staatsangehörigkeitsgesetzgebung und ihre rassenideologische Grundlage“ aus dem Jahr 1968 (es ist die einzige Jenaer rechtshistorische Dissertation zum nationalsozialistischen Recht) und von Gerhard Günther über „Die Anfänge der Rezeption des mittelalterlichen römischen Zivilrechts in Thüringen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts“ von 1956, die die einzige dem Römischen Recht gewidmete Jenaer Dissertation zwischen 1949 und 1990 ist. Diese Arbeit zur Frührezeption ist in der rechtshistorischen Community der Bundesrepublik nur selten bemerkt worden.64 Mit anderen Worten: „Römisches Recht“ und „juristische Zeitgeschichte“ waren über vierzig Jahre in Jena fast kein monographisches Thema. Gleiches lässt sich auch für die Dogmengeschichte des Privatrechts sagen, zu der es nicht eine einzige Jenaer Doktorarbeit gibt, auch keine den 1950er Jahren vielleicht noch „nachhängende“. An einer eigenen Rechtsgeschichte der DDR selbst (also seit 1949) haben Jenaer Absolvent/innen sich ebenfalls nicht beteiligt. Das einzige
60 Adrian Schmidt-Recla/Zara Luisa Gries, Getaway into the Middle Ages? On Topics, Methods and Results of „Socialist“ Legal Historiography in Jena, in: Ville Erkkilä/Hans Peter Haferkamp (Hrsg.), Socialism and Legal History: The Histories and Historians of Law in Socialist East Central Europe, Oxford 2021, S. 148–164. 61 Erhard Wörfel, Die Arbeiterregierung in Thüringen 1923, Jena 1974. 62 Gerhard Haas, Verfassung und Recht der Städte Arnstadt, Königsee, Saalfeld und Stadtilm von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Jena 1967. 63 Adrian Schmidt-Recla/Zara Luisa Gries, Getaway into the Middle Ages? On Topics, Methods and Results of „Socialist“ Legal Historiography in Jena, in: Ville Erkkilä/Hans Peter Haferkamp (Hrsg.), Socialism and Legal History: The Histories and Historians of Law in Socialist East Central Europe, Oxford 2021, S. 148–164. 64 Z.B. von Bernd Kannowski, Die Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts durch die Buch’sche Glosse, Hannover 2007, S. 468.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
in der DDR dazu erschienene Lehrbuch65 wurde von Autor/innen aus Ost-Berlin und Halle/Saale verfasst. cc) Gesetzlichkeit des sozialistischen Staates (Staatsrecht)
Zu dem, was heute in einem ganz weiten Sinne „Staats- bzw. Verfassungsrecht“ genannt werden könnte, entstanden in Jena insgesamt zwanzig Doktorarbeiten. Das begann 1952 mit einer Arbeit über „Das Körperschafts-, Anstalts- und Gesellschaftsrecht in SBZ und DDR“,66 zugegeben keine Grundlagenarbeit. Etwas grundsätzlicher wurde 1957 der spätere Sektionsdirektor Hans-Oskar Schützenmeister (einer der Hausberufenen) mit einem Verschwendungs- bzw. Korruptionsthema. Er prüfte „Die materielle Verantwortlichkeit der demokratischen Staatsfunktionäre gegenüber dem Staat bei Verletzung der Finanzdisziplin“. Es dauerte bis 1964, bis in Jena über die „Verfassungsrechtliche Ausgestaltung der ökonomischen Rolle des sozialistischen Staates“67 promoviert wurde. Wohlgemerkt: Die DDR bestand zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre und erließ seit 1950 alljährlich ein Gesetz über den Volkswirtschaftsplan. Ein Problem war sicher, dass die Verfassung der DDR von 1949 mit der „objektiv gesetzmäßigen Entwicklung“ des sozialistischen Staates nicht Schritt gehalten hatte. Mit Gregor Schirmer trat internationale Thematik im Bereich des Staatsrechts auf den Plan. Er hatte sich 1964 mit der Arbeit „Das Recht aller Staaten auf Teilnahme an allgemeinen multilateralen Verträgen und internationalen Organisationen“ in Jena habilitieren lassen und wurde ein Jahr später zum Professor berufen (nachdem er schon zuvor eine Dozentur innegehabt hatte). Wahrscheinlich war es Schirmer um die Anerkennung der DDR als Völkerrechtssubjekt und um ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen gegangen. Staatsrechtsfragen blieben ein Dauerthema in Jena. Wichtige Akteure waren dabei die Professoren Gerhard Haney und Gerhard Riege: Die Schriften behandelten die Rechtsstellung der Bürger anderer Staaten in der DDR, den Staatsbürger der DDR generell (das war ein klassisches Riege-Thema), die staatsrechtliche Stellung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena, kommunale Zweckverbände, Pflichtabführungen von Kombinaten an den Staatshaushalt,68 Gleichberechtigung, Selbstbestimmung
65 Ingetraut Melzer/Horst Schröder/Lieselotte Jelowik/Horst Kunschke/Kurt Görner, Staatsund Rechtsgeschichte der DDR. Grundriß, Berlin 1983. 66 Werner Schütz, Das Körperschafts-, Anstalts- und Gesellschaftsrecht in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik, Jena 1952. 67 Hans-Ulrich Hochbaum, Verfassungsrechtliche Ausgestaltung der ökonomischen Rolle des sozialistischen Staates, Jena 1964. 68 Zu nennen ist hier insbesondere Hans-Oskar Schützenmeister, Die materielle Verantwortlichkeit der demokratischen Staatsfunktionäre gegenüber dem Staat bei Verletzung der Finanzdisziplin, Jena
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und Menschenrechte bei der völkerrechtlichen Rechtsbildung und „[d]as staatsrechtliche Verhältnis von Kreistag und Kreisgericht“69 . Zum Ende der DDR ‒ das dürfte mit Wolfgang Bernet als Doktorvater verbunden sein ‒ tauchten das sozialistische Verwaltungsverfahren70 sowie „Überzeugung und Zwang ‒ Mittel und Methoden zur Durchsetzung des sozialistischen Verwaltungsrechts“71 auf; spannend dann die letzte staatsrechtliche Arbeit, in der Hans Lühmann 1990 über „Die Staatshaftung in der DDR“ schrieb. dd) Planungs- bzw. Wirtschaftsrecht
Das für die Wirklichkeit der DDR mit generell und durchgehend beplanter Volkswirtschaft und Verwaltung wichtigste regulatorische Thema nennen wir hier „Planungs- und Wirtschaftsrecht“. 31 Dissertationsschriften sind dazu in Jena vorhanden, so viele wie zu keinem anderen Politik- und Gesetzlichkeitsfeld in diesem Bestand. Allerdings ist zu konstatieren, dass Arbeiten dazu erst seit 1961 fertig wurden; das Thema brauchte offenbar „Vorlauf “ ‒ und das, obwohl das erste Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1950 und das erste Vertragsgesetz 1957 in Kraft getreten waren und obwohl die Enteignungen und Zwangskollektivierungen die Staatsquote in der Wirtschaft in den 1950er Jahren auf weit über 50 Prozent gebracht hatten.72 In den ersten Jahren ging es um Gewährleistung, Garantie, Schadensersatzfragen zwischen Betrieben und um die Möglichkeit des Handels, mit dem Liefervertrag auf die Produktion einzuwirken. Bis in die 1980er Jahre hinein standen dann in Jena mehrfach die leistungsorientierte Lohnpolitik, die rechtliche Stellung von Betriebsteilen in Kombinaten, die wirtschaftsrechtliche Verantwortlichkeit von Kombinaten bzw. deren Teilen (der VEB), Kombinatsordnungen, kombinatsinterne und grenzüberschreitende Kooperationen von sozialistischen Kombinaten und
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1957; ders., Die Rechtsnatur der Pflichtabführungen der zentralgeleiteten volkseigenen Industriebetriebe an den Staatshaushalt und das System ihrer rechtlichen Regelung unter den Bedingungen des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR, Jena 1971. Richard Schüler, Das staatsrechtliche Verhältnis von Kreistag und Kreisgericht, Jena 1978. Marie-Luise Horlbeck, Sozialistisches Verwaltungsverfahren, seine Funktionen und Entwicklungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Verwaltungsrechtsverhältnissen, Jena 1985. Axel Schöwe, Überzeugung und Zwang ‒ Mittel und Methoden zur Durchsetzung des sozialistischen Verwaltungsrechts, Jena 1987. Annette Hinz-Wessels/Markus Würz, Sozialistische Zentralplanwirtschaft, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, http://www. hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/wirtschaft-und-gesellschaft-im-osten/ sozialistische-zentralplanwirtschaft.html (abgerufen am 22.10.2021); siehe insgesamt André Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
die binnen- und die außenwirtschaftlichen subjektiven Rechte und Pflichten von Betrieben und Kombinaten im Fokus. Dahinter verbargen sich Probleme der „juristischen Person“ bzw. des IPR – Fragen der autonomen Handlungsfähigkeit von Wirtschaftseinheiten in einem komplett beplanten volks- und betriebswirtschaftlichen Umfeld. Ergänzt wurde das um Arbeiten zu den Pflichten von Kombinatsund Betriebsdirektoren bei der Mitarbeiterqualifizierung und zur wirtschaftsrechtlichen materiellen Verantwortlichkeit und Stimulanz zum Risiko. Auf der damit erkennbaren Grenze zwischen Privatrecht (herkömmlichen Verständnisses) und Planungsgesetzlichkeit steht auch eine Arbeit von Jens Rabenhold zur „Vertragsabschlusspflicht als Instrument sozialistischer Planung“ (1986). ee) Zivil- und Zivilprozessrecht
Zwischen 1949 und 1990 wurden in Jena 30 Dissertationen zu Themen verfasst, die das Zivil- bzw. Zivilprozessrecht betrafen. Arbeiten zum „Vertragsgesetz“ und zur Wirtschaftsplanung sind hier nicht mitgezählt; sie gehören zum Planungsrecht. Infolgedessen war das Privatrecht herkömmlichen Verständnisses bereits seit 1957 (als das erste Vertragsgesetz in Kraft trat) gegenständlich abgeschnitten. Die zum Privatrecht aus den 1950er Jahren vorhandenen Doktorarbeiten behandeln noch Themen zum BGB des Deutschen Reiches: Arbeiten zur Hypothekenbestellung, zum Schadensersatz bei Sportverletzungen, zu mangelhaften Wertpapieren, zum Vorteilsausgleich und zu Prozessvergleichen behandeln typische BGBund ZPO-Probleme. 1961 wendete sich das Blatt mit der Doktorarbeit von Martin Posch ‒ dem späteren Jenaer Dekan und Sektionsdirektor. Seine Arbeit „Theorie des Kaufrechts und Vorschläge zu seiner Neugestaltung“ entstand im Kontext der Arbeiten am künftigen ZGB-DDR, das das BGB 1976 ablöste, und strukturierte den (sozialistischen) Kaufvertrag neu als einen Vertrag, mit dem „Bürger“ als Rechtssubjekte ihre Versorgungsbedürfnisse „Betrieben“ gegenüber realisierten. Posch interpretierte darin den Kaufvertrag als einen Versorgungsvertrag, dessen Inhalt durch die Bedingungen der sozialistischen Volkswirtschaft determiniert werde. 1965 trat mit Richard Halgasch ein weiterer späterer Jenaer Professor hervor: Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des FGB wurde seine Dissertation zur „Ehe und Ehescheidung“ fertig. Familien- und Erbrecht blieben Halgaschs publizistische Themen – aber Jenaer Doktorarbeiten zu beiden Fächern sind rar. Bis 1990 kamen zwei erbrechtliche Arbeiten (zur Erbfolgeregelung des ZGB73 und zum Erbrecht
73 Petra Lingelbach, Inhalt und Struktur der Erbfolgeregelung der DDR, Jena 1980.
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im Sozialismus74 generell) und eine weitere familienrechtliche (zum Schutz der Kindesinteressen75 ) hinzu. Das zivile und auch das betriebliche Schadensrecht waren dagegen offensichtlich ein Dauerthema: Es gibt Arbeiten zur „Verantwortlichkeit im Zivilrecht“ generell, zur Verantwortlichkeit der Betriebe aus erhöhter Gefahr76 , rechtsvergleichende Arbeiten zur Verantwortlichkeit in sozialistischen Staaten77 und zur Kraftfahrzeughaftung78 . Auch die Arzthaftung wurde behandelt. Darin lassen sich Beiträge zur Dogmatik einer allgemeinen sozialistischen Pflichtenlehre, die sich auch in den Regeln der §§ 323 ff. ZGB-DDR widerspiegelt, erkennen. In diesen Kontext gehört auch die B-Dissertation des Posch-Schülers Ingo Fritsche aus dem Jahr 1982 über „Das Recht auf Achtung der Persönlichkeit und sein Schutz im Zivilrecht“. Auffällig ist, dass Sachen- und Bodenrecht keine Rolle in Jena spielten. Zu diesem Bereich existiert nur eine Arbeit: „Nutzungsvertrag ‒ die Rechtsform der zeitweisen Gebrauchsüberlassung innerhalb der sozialistischen Wirtschaft“ (von Günther Straßmann 1966) ‒ die jedoch auch zu großen Teilen dem Planungs- und Wirtschaftsrecht zugeordnet werden kann. ff) LPG-Recht
Diese Bemerkung leitet über zum Thema Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGen). Fünf Doktorand/innen reichten dazu zwischen 1961 und 1986 Schriften ein. Auch hier jedoch ging es um „materielle Verantwortlichkeit“ (also um Haftung), und zwar von Genossenschaftsmitgliedern gegenüber der LPG,79 um Kooperationen zwischen LPGen und staatlichen Institutionen, um (wie bei den Kombinaten) staatliche Aufgaben, die LPGen zu erfüllen hatten,80 um sozialistische Arbeitsmoral und um die Rechtsstellung von Kommissionen in der Leitung
74 Werner Kahle, Erbe im Sozialismus, Jena 1975. 75 Angelika Leymann, Die Sicherung der Interessen des Kindes im Familienrecht einschließlich Verfahrensrecht, insbesondere im Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft, Jena 1984. 76 Hierzu zum Beispiel Ingo Fritsche, Die Verantwortlichkeit der Betriebe aus Quellen erhöhter Gefahr und der Schutz vor Störungen und Schäden durch Immissionen im Zivilgesetzbuch der DDR, Jena 1976. 77 Zu nennen sind hier: Valentin Petev, Grundprinzipien der Verantwortlichkeit im Zivilrecht europäischer sozialistischer Staaten, Jena 1968 und László Sólyom, Die Beschränkung der materiellen Verantwortlichkeit, Jena 1969. 78 Dieter-Wolfgang Müller, Die Neuregelung der Kraftfahrzeughaftung nach dem Entwurf des Zivilgesetzbuches der DDR, Jena 1975. 79 Vgl. Petra Hähnlein, Spezielle Probleme der materiellen Verantwortlichkeit von Genossenschaftsmitgliedern gegenüber der LPG, Jena 1986. 80 Vgl. Erika Paul, Die Verantwortung für die Durchsetzung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Jena 1981.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
von LPGen. Auch hier findet sich keine Arbeit zum Boden- bzw. Sachenrecht. Rechtsfragen um die Immobilienzuordnung bzw. -nutzung interessierten in Jena ausweislich der hier vorhandenen Schriften für eine Doktorarbeit nicht. Es gibt nach derzeitigem Wissensstand keine einzige Dissertation etwa zu Rechtsfragen der Bodenreform ‒ das privatrechtlich relevante Thema machte kein/e Jenaer Lehrer/in zum Gegenstand einer Doktorarbeit. gg) Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Das Arbeitsrecht (mit acht Schriften nur bis 1978) und das Sozialversicherungsrecht (mit zehn Schriften bis 1972) scheinen nach der „Dritten Hochschulreform“ in Jena durch andere Themen eher in den Hintergrund gedrängt worden zu sein. Erwähnt sei noch eine Doktorarbeit, die (mehr um überhaupt eine Zuordnung zu haben) als militärgesetzlich beschrieben werden kann, obwohl sie auch dem Staatsrecht zugeordnet werden kann („Funktion und Wirkung von Rechtsbeziehungen beim Zusammenwirken zwischen Dienststellen der NVA und örtlichen Staatsorganen zur weiteren Entwicklung der Dienst, Arbeits- und Lebensbedingungen von Armeeangehörigen“)81 . hh) Straf- und Strafprozessrecht
Zum Schluss ein Blick auf das Straf- und Strafprozessrecht: Er ist auch deswegen relevant, weil in der rechtshistorischen Literatur bislang berichtet wird, in Jena sei (mit den verschiedenen Hochschulreformen) die Ausbildung von Staatsanwält/ innen konzentriert worden.82 Dass angesichts dessen lediglich 24 Doktorarbeiten dazu in Jena hinterlassen worden sind, könnte das relativieren. Wenn die Lehre hier vertieft gewesen sein soll, dann müsste sich das in Dissertationsthemen niedergeschlagen haben. Staats, Planungs- und Zivilrecht und auch die Grundlagenfächer aber lassen Straf- und Strafprozessrecht insgesamt klar hinter sich. Die Reihe beginnt 1955 mit einer Arbeit über „Jugendliche als Subjekt des Verbrechens“,83 dann folgt 1961 ein Nebenthema „Die kriminalistische Wissenschaft und die Überwindung der Arbeitsunfälle“84 und 1965 – die Abstände waren groß –
81 Klaus Rogoll, Funktion und Wirkung von Rechtsbeziehungen beim Zusammenwirken zwischen Dienststellen der NVA und örtlichen Staatsorganen zur weiteren Entwicklung der Dienst., Arbeitsund Lebensbedingungen von Armeeangehörigen, Jena 1988. 82 Siehe dazu den Beitrag von Hans-Peter Haferkamp in diesem Band. 83 Gerd Bergmann, Jugendliche als Subjekt des Verbrechens, Jena 1955. 84 Herbert Vetterlein, Die kriminalistische Wissenschaft und die Überwindung der Arbeitsunfälle, Jena 1961.
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eine nur vermeintlich strafprozessuale Arbeit „Zum Gegenstand der Gesetzlichkeitsaufsicht gemäß §§ 36 ff. des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR (Allgemeine Aufsicht)“85 . Der Untertitel verrät es ‒ es ging hier um die Befugnisse der Staatsanwaltschaft jenseits der Strafverfolgung. 1968 folgte eine Arbeit zur Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren,86 bevor Günther Kräupl (seit 1978 Jenaer Professor und heute Emeritus) 1975 in seiner B-Dissertation die „Grundstruktur der Kriminalität“ im Sozialismus zu verstehen und analysieren versuchte. Mit ihm als Professor stieg die Anzahl der strafrechtlichen Schriften ab 1979 sprunghaft an, das Strafrecht lief ab diesem Zeitpunkt dem Zivilrecht (das seitdem nur noch fünf Doktorarbeiten lieferte) und dem Staatsrecht (mit dann nur noch sechs Arbeiten) klar den Rang ab. Jugendstrafe, Strafzumessung, Schadenswiedergutmachung, Kriminologie, etwas Kriminalistik, die Stellung der Staatsanwaltschaft und der Arbeitskollektive im Prozess, Steuerstrafbarkeit, Strafrechtsvergleichung im „Ostblock“ und der Rechtsverkehr mit anderen Staaten ‒ darum ging es in Jena in den 1980er Jahren; und das heißt: kein materielles Strafrecht. Es gab nur eine einzige Arbeit zu einem Grundlagenthema – 1984 wurde Rolf Schaarschmidt über „Das Wesen strafrechtlicher Schuld“ promoviert. ii) „Asozialenrecht“
Die Ausführungen zum Strafrecht müssen ergänzt werden um das Politikfeld der „Asozialenkontrolle“. Hier gibt es Überschneidungen. Es dürfte sich aber begründen lassen, dieses Thema zu verselbständigen. Es war für sozialistische Politik und Gesetzlichkeit eine Aufgabe von übergeordneter Bedeutung, indem sich verschiedene Kontroll- und Regulierungsmechaniken kreuzten. Sechs Jenaer Arbeiten können dem zugeordnet werden. Dabei machte Rudi Frenzel 1964 mit der Schrift „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Erziehungspflichtverletzungen de lege ferenda“ den Anfang. Ihm folgte 1968 der schon erwähnte Günther Kräupl mit seiner Dissertation „Einfluß sozial fehlentwickelter Jugendlicher auf die Entstehung, Entwicklung, Struktur und Funktion krimineller Gruppen 14–25jähriger“. Dass sich hier Straf, Familien- und Fürsorgerecht überschnitten, liegt auf der Hand. Wer von der generellen Erziehungsfunktion des sozialistischen Rechts insgesamt ausgeht, wird dabei das Gemeinsame mehr betonen als das Trennende. Zwei thematisch nah beieinander liegende Schriften setzten das fort. 1970 und 1972 arbeiteten Dieter Hunger und Rolf Lämmerzahl zu „Gruppenweise ausgeführten Körperverletzungs-, Raub- und gewaltsame Sexualstraftaten 14- bis 25jähriger und Methoden ihrer 85 Gerold Tietz, Zum Gegenstand der Gesetzlichkeitsaufsicht gem. §§ 36 ff. des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR (Allgemeine Aufsicht), Jena 1965. 86 Hans Schönfeldt, Grundlagen und Struktur der Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren der DDR, Jena 1968.
Wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkte
Überwindung“ und „Gruppenweise ausgeführten Straftaten 14- bis 25jährige gegen das Eigentum, die staatliche Ordnung und die Persönlichkeit“. Es ist nicht schwer, den dieser Thematik verbundenen Günther Kräupl als Initiator dieser Arbeiten zu erkennen. 1977 erschien in Jena Horst Klapps Schrift „Störungen der öffentlichen Ordnung durch Rowdytum und ihre Bekämpfung mit den Mitteln des sozialistischen Strafrechts, insbesondere durch den Staatsanwalt“. Wenn es hier „insbesondere durch den Staatsanwalt“ heißt, dann drückt das aus, was mit der Generalaufgabe des sozialistischen Rechts, „Asoziale“ zu erziehen, zu kontrollieren und zu bekämpfen, gemeint ist.
4.
Schluss
Beiträge, mit denen die Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der DDR aufgearbeitet wird, bieten Anschlüsse für parallele und weiterführende Forschungen: Die Wirkungen der „Zweiten“ und der „Dritten Hochschulreform“ können in Jena exemplarisch auch in der Rechtswissenschaft beobachtet werden. Untersuchungen zu einzelnen Personen, die eine Grundlage für prosopographische Analysen bilden können, können mit den Qualifikationsschriften einflussreicher Rechtswissenschaftler der DDR (wie Martin Posch oder Gerhard Haney) einen weiteren Ausgangspunkt für eine DDR-Rechtsgeschichte darstellen. So gelangen wir allmählich einerseits darüber hinaus, lediglich die wichtigen Namen des Rechts und der Rechtswissenschaft der DDR (wie Hilde Benjamin, Karl Polak oder Hermann Klenner) zu repetieren.87 Die Übersicht über die Themen von Qualifikationsschriften kann andererseits dabei helfen, die rechtswissenschaftliche Forschungslandschaft der DDR zu kartieren. Damit stellt der vorliegende Beitrag einen Versuch dar, die Geschichte der Rechtswissenschaft zur Zeit der DDR näher zu beleuchten. Um die Jenaer Fakultäts/ Sektionsgeschichte vollumfänglich (soweit dies möglich sein kann) aufzuarbeiten, bedarf es intensiverer Archivarbeit. Auch andere Fakultäten stehen vor dieser Aufgabe. Dieser Versuch ist ein Mosaikstück und stellt einen Ausgangspunkt für eine DDR-Rechtsgeschichte dar, der genutzt werden kann, um ein umfassenderes Gesamtbild zu zeichnen.
87 In diese Richtung ging schon Karen Stiebitz, Heinz Such (1910–1976): ein Jurist zwischen bürgerlicher Rechtsdogmatik und sozialistischer Rechtsgewinnung, Köln/Weimar/Wien 1999.
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Liste der vorhandenen Promotions- und Habilitationsschriften der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1949–1990)
Jahr
Verfasser
Titel
1949
Glöckner, Georg-Konrad
Die Eintragung einer Hypothek zur Sicherung von Forderungen mehrerer Gläubiger
1950
Kopp, Günter
Die betriebliche Planung
1950
Hädrich, Kurt
Die Rolle der Entwertung in der Buchführung und Selbstkostenrechnung
1951
Ramstetter, Hans
Die Rechtsstellung des Verletzten sowie des Unternehmers, seiner Vertreter und Beauftragten bei Betriebsunfällen nach neuem Sozialversicherungsrecht
1951
Müller, Ernst
Türkensteuer und Landsteuer im ernestinischen Sachsen von 1485 bis 1572
1951
Hopf, Christian
Waldnutzung und Waldwirtschaft im Spiegel thüringischer Rechtsquellen des 16. bis 18. Jahrhunderts
1951
Brinkmann, Hans
Beteiligung Dritter am Prozeßvergleich
1952
Wolf, Hermann
Die Entwicklung des Gerichtswesens, insbesondere der Strafgerichtsbarkeit im Gebiet des ehemaligen Fürstentums Reuß älterer Linie
1952
Werner, Gottfried
Verfassung und Stadtrecht von Arnstadt
1952
Stein, Horst
Das Problem der Begrenzung der Vorteilsausgleichung im deutschen Zivilrecht
1952
Schütz, Werner
Das Körperschafts-, Anstalts- und Gesellschaftsrecht in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik
1952
Roselt, Christof
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Universität und Stadtrat Jena im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
1952
Müller, Rudi
Die Stellung der liberalen Parteien im Deutschen Reichstag zu den Fragen der Arbeiterversicherung und des Arbeiterschutzes bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts
1952
Kaebitz, Gregor
Die Erkrankung des Zahnsystems im Versicherungsrecht
1952
Hofmann, Edgar
Kulpakompensation und Unzulässigkeit der Rechtsausübung
1953
Jugl, Friedrich J.
Mangelhafte Wertpapiere
1953
Hauk, Felix
Die zivilrechtliche Haftung bei Sportverletzungen
188
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1954
Roselt, Christof
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Universität und Stadtrat Jena im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert
1954
Bock, Siegfried
Die Stellung der Ehefrau im Staatsangehörigkeitsrecht der wichtigsten Staaten und die sich daraus ergebenden Hinweise für eine gesamtdeutsche Regelung dieser Fragen
1955
Schwanitz, Rudolf
Der Theorienstreit zwischen Germanisten und Romanisten im 19. Jahrhundert und der Kampf um die Durchsetzung des bürgerlichen Eigentumsbegriffs
1955
Holland, Witho
Die schmalkaldischen Handwerkerzünfte und ihr Recht bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
1955
Hofmann, Maria-Hilde
Untersuchungen über Arbeitsschäden der Haut in einem chemisch-pharmazeutischen Betriebe und ihre versicherungsrechtlichen Auswirkungen
1955
Bergmann, Gerd
Der Jugendliche als Subjekt des Verbrechens
1956
Mundt, Erwin
Der Havarieprozeß in der Seeschiffahrt und seine Rechtsnatur
1956
Kohl, Michael
Das völkerrechtliche Problem der Vertretung des Staates und der Anerkennung seiner Vertretungsorgane
1956
Hiller, Gerhardt
Die Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs und ihre Geltendmachung
1956
Günther, Gerhard
Die Anfänge der Rezeption des mittelalterlichen Römischen Zivilrechts in Thüringen bis zur Mitte des Vierzehnten Jahrhunderts
1957
Schützenmeister, Hans-Oskar
Die materielle Verantwortlichkeit der demokratischen Staatsfunktionäre gegenüber dem Staat bei Verletzung der Finanzdisziplin
1957
Salzmann, Werner
Die Tuberkulose als Berufskrankheit im Recht der Sozialversicherung
1957
Riege, Gerhard
Das Vertretungssystem in den volksdemokratischen Ländern Europas
1957
Haalck, Jörgen
Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der Rostocker Juristenfakultät in ihrem äußeren Verlauf
1957
Elle, Otto
Die polizeiliche Generalermächtigung in der imperialistischen Entwicklung Deutschlands
1961
Weiß, Alfred
Die materielle Versorgung der Werktätigen bei Invalidität durch die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus
1961
Vetterlein, Herbert
Die kriminalistische Wissenschaft und die Überwindung der Arbeitsunfälle
1961
Posch, Martin
Theorie des Kaufrechts und Vorschläge zu seiner Neugestaltung
1961
Oberländer, Helmut
Die Einwirkung des Handels auf die Produktion mit Hilfe des Liefervertrages
1961
Haney, Gerhard
Der kapitalistische Zivilprozeß und die imperialistische Theorie vom Rechtsschutzbedürfnis in ihrer Funktion der Zerstörung der bürgerlichen Gesetzlichkeit
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1962
Weber, Heinz
Die materielle Versorgung der Unfallgeschädigten in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik durch die Gewährung der Unfallrente
1962
Schönberg, Helmut
Der Beitrag der Ständigen Kommissionen Innere Angelegenheiten, Volkspolizei und Justiz in den Stadt- und Landkreisen zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit
1962
Röckert, Helmut
Die Methoden und die Rechtsakte der Allgemeinen Aufsicht der Staatsanwaltschaft in der Deutschen Demokratischen Republik zur Gewährleistung der sozialistischen Gesetzlichkeit
1962
Arnold, Karl-Heinz
Erzeugnisqualität, Gewährleistung und Garantie in den Beziehungen zwischen den sozialistischen Betrieben des Konsumgüter-Binnenhandels und der Produktion
1963
Lusche, Erich
Die rechtliche Stellung der Kommissionen im Gesamtsystem der Leitung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft
1964
Steiger, Guenter
Die politische Bedeutung und die Stellung der Universität Jena im Kampf und die deutsche Einheit und um bürgerliche Freiheitsrechte in den Jahren zwischen dem Wiener Kongreß und den Karlsbader Beschlüssen (1815–1819)
1964
Richter, Gregor
Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482
1964
Riege, Gerhard
Die Staatsbürgerschaft der DDR
1964
Schirmer, Gregor
Das Recht aller Staaten auf Teilnahme an allgemeinen multilateralen Verträgen und internationalen Organisationen
1964
Schulze, Friedrich-Wilhelm
Die vertragliche materielle Verantwortlichkeit in den Beziehungen zwischen Betrieben des sozialistischen Groß- und Einzelhandels
1964
Hutschenreuter, Henry
Zur Organisierung und rechtlichen Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Einzelhandel und Konsumgüterproduktion
1964
Hochbaum, Hans-Ulrich
Die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der ökonomischen Rolle des sozialistischen Staates
1964
Haney, Gerhard
Die Rechtsstellung des Bürgers
1964
Griep, Günter
Die deutsche Sozialdemokratie und die freien Gewerkschaften 1905/1906
1964
Griebenow, Eckhard
Die rechtliche Gestaltung des Bestellkatalogsystems
1964
Frenzel, Rudi
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Erziehungspflichtverletzungen de lege ferenda
1964
Bohmüller, Lothar
Die Zurückdrängung und Überwindung von Störungen der Ordnung und Sicherheit
1965
Tietz, Gerold
Zum Gegenstand der Gesetzlichkeitsaufsicht gemäß §§ 36 ff. des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR (Allgemeine Aufsicht)
1965
Teige, Hans-Werner
Der Kommissionsvertrag
1965
Stenzel, Rudi
Die Gerichtskritik
189
190
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1965
Poser, Rolf
Bürgerliche Grundrechte und SPD
1965
Petev, Valentin
Die Rechtshilfeverträge im internationalen Privatrecht der sozialistischen Länder
1965
Penig, Ludwig
Die Stellung der Vertragsstrafe im System der materiellen Verantwortlichkeit
1965
Peine, Gerhard
Zu einigen Problemen der Bildung und Entwicklung der sozialistischen Arbeitsmoral in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften
1965
Halgasch, Richard
Ehe und Ehescheidung
1965
Bredernitz, Harry
Die Einbeziehung Dritter als Partei in das Verfahren in Arbeitsrechtssachen als Mittel zur Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit der Arbeitsrechtssprechung
1965
Baranowski, Günter
Der Schutz der Rechte der Bürger und die Formung der sozialistischen Persönlichkeit
1966
Melchers, Wilhelm
Das im Bau befindliche Schiff als Sicherungsobjekt
1966
Straßmann, Günther
Der Nutzungsvertrag die Rechtsform der zeitweisen Gebrauchsüberlassung innerhalb der sozialistischen Wirtschaft
1966
Schmiedel, Gerhard
Das nationale Selbstbestimmungsrecht und die antikommunistische Totalitarismus-Konzeption der SPD-Führung
1966
Oberländer, Helmut
Die Struktur der Wirtschaftsverträge im sozialistischen Binnenhandel
1966
Hobran, Gerhard
Zur Entwicklung des sozialistischen Polizeibegriffs
1966
Albrecht, Ernst
Die Stellung der Konfliktkommission im System der betrieblichen Leitungsorgane
1966
Schirmer, Gregor
Universalität völkerrechtlicher Verträge und internationaler Organisationen
1967
Pommerening, Fritz
Die Rechtskommissionen der Gewerkschaften
1967
Paul, Heinz
Die Rolle des Verfahrens in Arbeitsrechtssachen bei der Lösung arbeitsrechtlicher Konflikte und die durch die Spezifik dieser Konflikte bedingten verfahrensrechtlichen Besonderheiten
1967
Haas, Gerhard
Verfassung und Recht der Städte Arnstadt, Königsee, Saalfeld und Stadtilm von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert
1967
Gdowczok, Dieter
Die Pflicht der Leiter volkseigener Betriebe zur Geltendmachung der arbeitsrechtlichen materiellen Verantwortlichkeit
1967
Brömel, Hans-Joachim
Die Rechtsstellung des Leiters des zentralgeleiteten sozialistischen Industriebetriebes
1967
Bohn, Wolfgang
Das Zusammenwirken des Direktors mit den gesellschaftlichen Organisationen und Organen im volkseigenen Betrieb
1968
Ziegler, Hans-Jürgen
Einflüsse der Französischen Revolution auf die Entwicklung des deutschen Handelsrechts
1968
Wendrich, Helmut
Ein Beitrag zur Normierung und Zurechnung der Betriebsleitungskosten
1968
Tietz, Gerold
Die staatsrechtliche Problematik der Rechtsstellung der Bürger anderer Staaten in der DDR
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1968
Schönfeldt, Hans
Grundlagen und Struktur der Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren der DDR
1968
Scheidemann, Jo
Die nationalsozialistische Staatsangehörigkeitsgesetzgebung und ihre rassenideologische Grundlage
1968
Petev, Valentin
Grundprinzipien der Verantwortlichkeit im Zivilrecht europäischer sozialistischer Staaten
1968
Lusche, Erich
Grundlagen und Grundfragen der Struktur des sozialistischen Versicherungsrechtsverhältnisses
1968
Lindenthal, Franz
Die rechtlichen Beziehungen zwischen Arzt und Patient-Ausdruck des neuen Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft
1968
Kräupl, Günther
Der Einfluß sozial fehlentwickelter Jugendlicher auf die Entstehung, Entwicklung, Struktur und Funktion krimineller Gruppen 14–25jähriger
1968
Kannacher, Fritz
Das Vertretungssystem der Werktätigen in den volkseigenen Industriebetrieben der Deutschen Demokratischen Republik
1968
Heller, Heinz
Der Schutz der Rechte der Bürger durch die anwaltschaftliche Tätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik
1968
Gollnick, Rainer
Wertung und Norm
1969
Fritsch, Heinz
Die Funktion des Wirtschaftsvertrages im Planungsund Bilanzsystem
1969
Sólyom, László
Die Beschränkung der materiellen Verantwortlichkeit
1969
Paul, Erika
Die Rechte und Pflichten des staatlichen sozialistischen Industriebetriebes bei der eigenverantwortlichen Planung seiner Kooperationsbeziehungen
1969
Bernet, Wolfgang
Die staatsrechtliche Stellung der Carl-Zeiss-Stiftung Jena
1970
Hunger, Dieter
Gruppenweise ausgeführte Körperverletzungs-, Raub- und gewaltsame Sexualstraftaten 14- bis 25jähriger und Methoden ihrer Überwindung
1970
Groß, Herbert
Der Kommunale Zweckverband als Rechtsform der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit zwischen den Staatsorganen der Städte und Gemeinden
1970
Grabner, Rolf
Die Herausbildung der sozialistischen Menschengemeinschaft und der sozialistischen Persönlichkeit im Produktionsprozeß und die Verantwortung der Gewerkschaften bei der Lösung dieser Aufgabe
1971
Behrens, Ursula
Die Kommissionen als Formen der sozialistischen Demokratie im Bereich der materiellen Produktion, ihr Zusammenwirken untereinander und die Verwertung ihrer Arbeitsergebnisse bei der Entscheidungsfindung des Betriebsdirektors
1971
Winkel, Ilsemarie
Studie zur Untersuchung der begünstigenden Bedingungen und Ursachen von Ehekonflikten
191
192
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1971
Schützenmeister, Hans-Oskar
Die Rechtsnatur der Pflichtabführungen der zentralgeleiteten volkseigenen Industriebetriebe an den Staatshaushalt und das System ihrer rechtlichen Regelung unter den Bedingungen des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR
1971
Richter, Helmut
Rechtsbeziehungen der Standortkoordinierung von Investitionen
1972
Carl, Jürgen
Die materielle Verantwortlichkeit der Werktätigen für Schäden des Betriebes aus Verletzung der Bestimmungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes
1972
Walther, Germann
Verträge als rechtliche Leitungsinstrumente des Direktors eines Kombinatsbetriebes bei der territorialen Koordinierung von Massnahmen zur Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen
1972
Lämmerzahl, Rolf
Gruppenweise ausgeführte Straftaten 14- bis 25jährigen gegen das Eigentum, die staatliche Ordnung und die Persönlichkeit
1972
Muschol, Reiner
Objektivierte wirtschaftsrechtliche materielle Verantwortlichkeit und Stimulanz zum Risiko
1973
Rettig, Bernd
Bedingungen und Tendenzen sozialistischer zwischenbetrieblicher Kooperation
1973
Richter, Hans Peter
Sozialistisches Recht und Gesamtinteresse
1973
Sander, Rudi
Rechtspflichten des Kombinatsdirektors, der Betriebsdirektoren und der leitenden Mitarbeiter zur Qualifizierung der Werktätigen mit und ohne Leitungsfuktion im Arbeitsschutz
1973
Wolf, Günther
DieEntstehung der Wartburgstiftung. Die politische Rolle der Wartburgstiftung in der Weimarer Republik (1922–1933)
1974
Gimpel, Klaus
Die sowjetischen Lehrmeinungen zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit
1974
Oehme, Barbara
Der Handlungsbegriff des sozialistischen Rechts
1974
Richter, Renate
Projekte moderner Friedensforschung in der BRD und die Staatsfrage
1974
Wörfel, Erhard
Die Arbeiterregierung in Thüringen im Jahre 1923
1974
Posern, Antje
Die Verantwortung der Werktätigen ohne Leitungsfunktion im Gesundheits- und Arbeitsschutz und die Problematik des selbst- und mitverschuldeten Arbeitsunfalls
1975
Kahle, Werner
Erbe im Sozialismus
1975
Müller, Dieter Wolfgang
Die Neureglung der Kraftfahrzeughaftung nach dem Entwurf des Zivilgesetzbuches der DDR
1975
Kräupl, Günther
Die Grundstruktur der Kriminalität und ihre Analyse
1976
Weiß, Werner
Die Rechtstellung von Kombinaten und volkseigenen Betrieben aus der Spähre der materiellen Produktion in der Außenwirtschaftsorganisation der DDR
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1976
Schupljak, Peter A.
Die Gewerkschaften und der Streitkampf der deutschen Arbeiterklasse für ihre sozialölonomischen Rechte in der Periode der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933
1976
Fritsche, Ingo
Die Verantwortlichkeit der Betriebe aus Quellen erhöhter Gefahr und der Schutz vor Störungen und Schäden durch Immissionen im Zivilgesetzbuch der DDR
1976
Wahl, Volker
Der Beginn der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in Thüringen die Organisation der gesellschaftlichen Kräfte und der Neuaufbau der Landesverwaltung 1945
1977
Herrnkind, Wolfgang
Das Einstehenmüsse des Betriebes für Schäden bei seinen Werktätigen
1977
Kulke, Hans-Jürgen
Der Staatsbürger der DDR
1977
Klapp, Horst
Störungen der öffentlichen Ordnung durch Rowdytum und ihre Bekämpfung mit den Mitteln des sozialistischen Strafrechts, insbesondere durch den Staatsanwalt
1978
Schüler, Richard
Das staatsrechtliche Verhältnis von Kreistag und Kreisgericht
1978
Kasper, Ronald
Die Schiedskommissionen der DDR und die gesellschaftliche Effektivität ihrer Rechtsprechung
1978
Lingelbach, Gerhard
Das Verhältnis der deutschen Rechtswissenschaft, insbesondere der Juristenfakultät der Universität Jena, zur Frazösischen Revolution zwischen 1789 und 1820
1978
Merz, Rudolf
Die außenwirtschaftlichen subjektiven Rechte und Pflichten des volkseigenen Kombinates
1978
Bernet, Wolfgang
Staatliche Leitung und Sicherung der Bürgerrechte
1978
Haedrich, Jürgen
Die Rolle des Justitiars bei der Verwirklichung des sozialistischen Arbeitsrechts
1979
Müller, Wolfgang
Rückfallgefährdung bei erstmals straffälligen Tätern
1979
Gollnick, Rainer
Wertproblem und Gerechtigkeit
1979
Friedel, Irold
Produktionsvereinigung, Kombinate und andere Betriebsvereinigungen als Organisationsformen der Konzentration der Industrieprodukte in den europäischen Staaten des RGW
1980
Lingelbach, Petra
Inhalt und Struktur der Erbfolgeregelung der DDR
1980
Sander, Rudi
Die Verantwortung des sozialistischen Betriebes für den Gesundheits- und Arbeitsschutz aus arbeitsrechtlicher Sicht
1981
Buske, Adolf
Das Absehen von Strafverfolgung bei jugendlichen Straftätern
1981
Döring, Gerhard
Die Aufgaben und das Zusammenwirken der LPG, der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe sowie ausgewählter Organe und Einrichtungen zur Gewährleistung des Schutzes des sozialistischen Eigentums dargestellt am Beispiel eines Kreises
193
194
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1981
Paul, Erika
Die Verantwortung für die Durchsetzung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften
1982
Fritsche, Ingo
Das Recht auf Achtung der Persönlichkeit und sein Schutz im Zivilrecht
1982
Weiß, Bärbel
Die Wertvorstellungen des Sozialreformismus in des Staats- und Rechtsauffassungen der SPD
1982
Beibst, Gabriele
Die Vorbereitung und Durchführung von Anlagenexportvorhaben unter besonderer Berücksichtigung der Gestaltung von Komplettierungsimporten
1982
Joseph, Hans-Jürgen
Einheitlichkeit und Differenzierung des Strafprozesses
1983
Kulke, Gabriele
Die kombinatsinterne Kooperation und ihre Regelung
1983
Kögler, Steffi
Die Rückfallkriminalität und ihre strafrechtliche Bekämpfung in der UdSSR und in der DDR
1983
Behlert, Wolfgang
Sozialökonomische und rechtliche Gleichheit. Die Dialektik von Ökonomie und Recht in der Gleichheitsfrage des Sozialismus
1983
Reuter, Lothar
Entwicklung der Strafgesetzgebungen und Strafpolitik in den europäischen sozialistischen Ländern
1984
Rühling, Peter
Der Rechtscharakter der Kombinatsordnungen
1984
Schaarschmidt, Rolf
Zum Wesen strafrechtlicher Schuld
1984
Merz, Rudolf
Zum Durchsetzungsmechanismus im Planungsrecht
1984
Bolz, Dieter
Das Nachwirken der imperialistischen Alleinvertretungsanmassung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag vom 31.7.1973
1984
Leymann, Angelika
Die Sicherung der Interessen des Kindes im Familienrecht einschliesslich Verfahrensrecht, insbesondere im Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft
1984
Lölke, Jörg
Die Verwirklichung der hochschulpolitischen Beschlüsse der SED in der Ausbildung und kommunistischen Erziehung der Studenten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1971 bis 1980 (unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1971 bis 1976)
1985
Müller, Dieter W.
Die Achtung vor dem ausländischen Recht in der bürgerlichen deutschen Kollisionsrechtstheorie
1985
Nitsche, Hellgard
Die Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren wegen Straftaten gegen das sozialistische Eigentum
1985
Horlbeck, Marie-Luise
Sozialistisches Verwaltungsverfahren, seine Funktionen und Entwicklungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Verwaltungsrechtsverhältnissen
1985
Lingelbach, Gerhard
Änderungen der Beschuldigtenstellung bei der Überwindung des feudalen Inquisitionsprozesses im Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1985
Haedrich, Martina
Das Prinzip der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker und die Menschenrechte im Prozess der völkerrechtlichen Rechtsbildung und Rechtsentwicklung
1985
Förtsch, Anna-Katharina
Moralische Verantwortung in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft
1985
Fuß, Norbert
Die Verantwortung der örtlichen Räte für die Überwindung von Erscheinungen krimineller Gefährdung
1985
Núnez Diaz, Raúl
Zur Notwendigkeit, zu den historischen Erfahrungen und zur rechtlichen Regelung der Bekämpfung von Staatsverbrechen beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in Kuba
1986
Wedekind, Udo
Funktion und Bemessungskriterien des Anspruchs auf Ausgleichszahlung bei Gesundheitsschäden gemäß § 338 Absatz 3 ZGB
1986
Witowski, Bernd
Menschenrechte in der konservativen Ideologie und Politik der BRD
1986
Thiele, Gisela
Vulgärökonomische Gesetzesauffassungen als eine theoretische Grundlage bürgerlicher Angriffe gegen die ökonomische Theorie und Praxis des Sozialismus
1986
Schiller, Klaus
Information im kriminalistischen Erkenntnis- und Beweisprozess
1986
Rabenhold, Jens
Die Entwicklung des Rechtsinstitutes der Vertragsabschlusspflicht zu einem Instrument der sozialistischen Planung
1986
Müller, Wolfgang
Die Verwirklichung sozialistischer Gerechtigkeit bei der Strafzumessung
1986
Wille, Karola
Der Rechtsverkehr in Strafsachen zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Übernahme der Strafverfolgung
1986
Cruz, Lucinda Amélia Calheiros Martins da
Grundlegende Tendenzen der Entwicklung des Rechts und der Justiz in der Volksrepublik Moçambique
1986
Hähnlein, Petra
Spezielle Probleme der materiellen Verantwortlichkeit von Genossenschaftsmitgliedern gegenüber der LPG
1987
Schöwe, Axel
Überzeugung und Zwang Mittel und Methoden zur Durchsetzung des sozialistischen Verwaltungsrechts
1987
Magula, Humphrey
Philosophisch-historische Grundlagen und aktuell-theoretische Aspekte der gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Menschenrechtsproblematik
1988
Rogoll, Klaus
Funktion und Wirkung von Rechtsbeziehungen beim Zusammenwirken zwischen Dienststellen der NVA und örtlichen Staatsorganen zur weiteren Entwicklung der Dienst., Arbeits- und Lebensbedingungen von Armeeangehörigen
1988
Ahrens, Bernd
Der Zusammenhang zwischen dem sich ändernden Produktionsprogramm und der qualitativen Seite des Arbeitsvermögens im Industriekombinat
195
196
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1988
Wellner, Petra
Die Aufgaben der staatlichen Finanzkontrollorgane bei der Sicherung der Finanzdisziplin, unter besonderer Berücksichtigung des Kampfes gegen die Finanzkriminalität
1988
Wolf, Erich
Ausgleichszahlung bei Gesundheitsschäden gemäß § 338 Abs 3 ZGB
1988
Stefanski, Reiner
Stellung und Funktion des Staatsanwalts im vorgerichtlichen Strafverfahren europäischer sozialistischer Länder
1988
Schaarschmidt, Rolf
Die rechtliche Vermittlung von Individuum und Gesellschaft
1988
Röhner, Karl-Heinz
Funktion und Wirksamkeit des sozialistischen Strafverfahrens bei der Gestaltung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft
1988
Maus, Jürgen
Zur Wirksamkeit der Mitwirkung des Staatsanwaltes im erstinstanzlichen gerichtlichen Strafverfahren /vorgelegt von Jürgen Maus
1988
Linse, Karin
Die Entwicklung der Lohnformen in der DDR
1988
Köhler, Elke
Die rechtliche Stellung der Betriebsteile von Kombinatsbetrieben, dargestellt am Beispiel des VEB Wäscheunion, Betrieb im VEB Kombinat Baumwolle
1988
Dittmann, Jörg
Die Proportionalität von Straftat und Strafe als Ausdruck bürgerlicher Rechtsgleichheit beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus
1988
Anschütz, Rainer
Die Ausnutzung aller Möglichkeiten des einheitlichen Reproduktionsprozesses des Kombinates als Voraussetzung für die Befreiung des Kombinatsbetriebes von Rechtsfolgen der wirtschaftsrechtlichen vertraglichen Verantwortlichkeit
1989
Werner, Reinhard
Arbeitsrechtliche und wirtschaftsrechtliche Untersuchungen zur leistungsorientierten Lohnpolitik unter Kombinatsbedingungen
1989
Nguyen van Huong
Wesen und Struktur des Ermittlungsverfahrens in der Sozialistischen Republik Vietnam
1989
Lewandowski, Ingolf
Stellung und Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der Bundesrepublik Deutschland im System imperialistischer Kriminalitätsbekämpfung
1989
Leitel, Sigurd
Zur Herausbildung der bürgerlichen Rechtsperson unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des sächsischen Territorialstaates
1989
Schüan, Günther
Die Mitwirkung von Arbeitskollektiven am Strafverfahren
1989
Exner, Wolfgang
Rechtsprobleme der rechnergestützten Gestaltung der Kooperation in der SDAG Wismut
1990
Ludwig, Heike
Die Persönlichkeit sozial Desintegrierter und die Gestaltung ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess
1990
Kruse, Harald
Grundlagen und Möglichkeiten einer rechtlichen Regelung sozialer Reintegration
1990
Lühmann, Hans
Die Staatshaftung in der DDR
Liste der in Jena vorhandenen Promotionen und Habilitationen
Jahr
Verfasser
Titel
1990
Schubel, Christian
Die Besteuerung von Gemeinschaftsunternehmen mit Beteiligung kapitalistischer Firmen in sozialistischen Staaten
1990
Pawlitzky, Eric
Individuelles Rechtsbewusstsein als geistig-praktische Aneignung der Wirklichkeit
1990
Türpitz, Jörg
Die Einführung und Veränderung der Lohnformen
1990
Dahmen, Manfred
Funktion, Umfang und Ausgestaltung der Pflicht zur Rückgabe von unberechtigt erlangten Leistungen nach dem ZGB der DDR
1990
Kühnl, Ulrike
Der zivilrechtliche Schutz der persönlichen Daten des Bürgers im Bereich der Vertrags- und Betreuungsverhältnisse
197
Autor*innenverzeichnis
Zara Luisa Gries: Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle DDRRecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Bachstraße 18k, D-07743 Jena, [email protected]. Hans-Peter Haferkamp: Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Neuere Privatrechtsgeschichte und Deutsche Rechtsgeschichte, Institut für Neuere Privatrechtsgeschichte, Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte, Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln, hans-peter.haferkamp@uni-köln.de Thorsten Keiser: Prof. Dr. iur., LL.M., Professur für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte, Geschäftsführender Direktor des Rudolf-von-Jhering-Instituts für rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung, Justus-Liebig-Universität Gießen, Licher Straße 76, D-35394 Gießen, [email protected]ßen.de Michael Ploenus: Dr., Technische Universität Braunschweig, Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung Geschichte und Geschichtsdidaktik, Bienroder Weg 97, D-38106 Braunschweig, [email protected] Adrian Schmidt-Recla: Prof. Dr. iur., Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lektur für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht, Carl-Zeiss-Straße 3, D-07743 Jena, [email protected] Achim Seifert: Prof. Dr. iur., Rechtswissenschaftliche Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung, Carl-Zeiss-Straße 3, D-07743 Jena, [email protected] Katharina Vette: Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle DDRRecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Bachstraße 18k, D-07743 Jena, [email protected].