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German Pages 108 Year 2022
Cathrin Klingsöhr-Leroy Buch und Bild – Schrift und Zeichnung
Wie wir lesen – Zur Geschichte, Praxis und Zukunft einer Kulturtechnik Band 4
Cathrin Klingsöhr-Leroy
Buch und Bild – Schrift und Zeichnung Schreiben und Lesen in der Kunst des 20. Jahrhunderts
Wir danken der Hauslage-Stiftung für die freundliche Förderung der Reihe »Wie wir lesen«.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Paul Klee, »Alphabet WE«, 1938, 226. Kleisterfarbe auf Papier auf Karton. 27,1x21cm. © Zentrum Paul Klee, Bern. Korrektorat: Anke Hermneuwöhner, Paderborn Lektorat: Cornelia Sundheimer Satz: Francisco Bragança, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6123-1 PDF-ISBN 978-3-8394-6123-5 https://doi.org/10.14361/9783839461235 Buchreihen-ISSN: 2702-0207 Buchreihen-eISSN: 2747-3678 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/ vorschau-download
Inhalt Vorwort � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 7 I.
Bilder vom Lesen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 11
II. Walter Benjamin, das Bauhaus und Paul Klee Vom kollektiven Lesen der Zeichen zum individuellen Entziffern des Bildes � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 19
III. Schrift und Zeichnung Durch die Linie verbunden � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 27
IV. Revision des Horaz’schen Paragone aus dem Geist der Linie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 35 V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem � � � � � � � � � � � � � 41 VI. Henri Michaux Ein Dichter-Maler � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 51
VII. Unlesbare Texte Klees Schriftbilder der 1930er-Jahre � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 59
VIII. Cy Twombly Schrift als Geste � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 67
IX. Anselm Kiefer Schrift als Spur der Erinnerung � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 77
Abgesang des Buchs? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 85 Anmerkungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 87 Abbildungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 101 Index � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 103
Vorwort
Wie wir lesen – und mit welchen Folgen – diese Frage ist, seitdem das Lesen von Büchern nicht mehr nur wenigen Privilegierten vorbehalten war, immer wieder gestellt und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet worden. Was bedeutet Lesen für unsere Gefühlswelt? Wie beeinf lusst es unser Verhalten, unsere Entscheidungen, unseren Blick auf die Welt? Verleitet es zu Realitätsferne, befördert es Illusionen? Sollte man es als Mittel der Manipulation verdammen und als Medium der Weltf lucht fürchten? Handelt es sich um eine anachronistische Kulturtechnik oder ist es, im Gegenteil, unerlässliche Grundlage für Bildung, soziale Orientierung und gesellschaftlichen Erfolg auch im Zeitalter des digitalen Lesens? Zwar spielen diese Überlegungen für die bildende Kunst auf den ersten Blick keine große Rolle. Bei näherer Betrachtung sind und waren Lesen und Schreiben aber immer schon wichtige Themen für die europäische Malerei: als Bildtitel, Datierungen, Signaturen, den Heiligen wie Sprechblasen zugeordnete Banderolen, als Titel und Namen auf Porträts, als aufgeschlagene Buchseiten oder zur Entzifferung angebotene Dokumente – der Text ergänzte das Bild. Dieses Verhältnis verkehrt sich im 20. Jahrhundert: Der Text wird zum Bild – oder, um es mit Else Lasker-Schüler zu sagen: »Die Schrift ist ein Bild für sich und hat nichts mit dem Inhalt zu tun.«1 Von dieser Feststellung gehen die folgenden Gedanken aus und es soll versucht werden, sie im Werk einiger Künstler, die sich der Schrift im Bild oder vielmehr der Schrift als Bild gewidmet haben, zu präzisieren. In diesem Sinn wird Paul Klee, Else Lasker-Schüler, Henri Michaux, Cy Twombly und Anselm Kiefer besondere Auf-
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merksamkeit gewidmet, wobei ich sie in meinem Essay als exemplarische Beispiele betrachte und voraussetze, dass eine Analyse der vielen weiteren Schriftbilder in der Kunst des 20. Jahrhunderts meine Beobachtungen abrunden und um neue Aspekte ergänzen würde. Wichtiger Ausgangspunkt war für mich Annie Bourneufs Studie Paul Klee. The Visible and the Legible,2 in der Paul Klees innovative, sich vom zeitgenössischen Expressionismus absetzende Kunsttheorie analysiert wird. Annie Bourneuf verfolgt den Gedanken, dass Paul Klees Werk »A Refuge for Script« gewesen sei,3 eine These, die von Joseph Leo Koerner grundsätzlicher formuliert wird: »Klee creates the book, or creates a painting which is a book, only to show the books limits.«4 Klees besondere Situation am Bauhaus der 20erJahre, wo unter dem Einf luss des Konstruktivismus nicht nur neue Formen der Typografie entwickelt wurden, sondern die Frage des Lesens mit Fragen zu Demokratie und kollektiver Erfahrung verbunden wurden, inspirierte ihn zu Werken, die den Betrachter zum Leser machen und diesen – im Gegensatz zu den Theorien des Bauhauses – zu einer individuellen und extrem langsamen Lektüre zurückführen. Dieser scheinbar anachronistische Ansatz geht einher mit einem sich subversiv der Lesbarkeit widersetzenden Schriftbild. Die Bedeutung der Schrift für die Kunst des 20. Jahrhunderts reaktiviert einen Paragone-Gedanken, der über die Jahrhunderte in der Geschichte der europäischen Malerei immer wieder virulent war. Es ging um die Frage des Vorrangs von Farbe oder Zeichnung bei der Konzeption und der Rezeption eines Gemäldes. Alle Künstlerinnen und Künstler,5 die Schriftbilder schaffen, binden ihr Werk eindeutig an die Zeichnung oder vielmehr an die Linie, an das Gestaltungsmittel, das Schrift und Zeichnung verbindet. Während Franz Marc den Betrachter über die Dominanz der Farbe in seinen Gemälden emotional trifft, appellieren Klees kleinformatige Schriftbilder an die Ref lexionsbereitschaft und Geduld seiner Rezipientinnen. Langsam folgen ihre Augen der Linie, die zwischen Zeichnung und Schrift oszilliert. Bild und Text werden untrennbar miteinander verbunden – eine Beobachtung, die auch für Cy Twombly und Anselm Kiefer gilt.
Vorwort
Edi Zollinger hat in seinem für mich sehr inspirierenden Buch Herkules am Spinnrad6 das streitbare Verhältnis von Zeichnung und Farbe von Rubens über Velázquez bis zu Picasso verfolgt und auf die in Ovids Metamorphosen erzählte Verwandlung der Weberin Arachne in eine Spinne zurückgeführt. Ausgehend von diesem Mythos teilen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Malerinnen und Maler über Jahrhunderte und bis heute das gleiche Schicksal. Wie die Spinne, die sich den Faden für ihre kunstvoll gewebten Netze aus dem eigenen Leib zieht, müssen die Künstler – ob im Schreiben oder Zeichnen – beim Weben ihrer Werke den Faden, die Schrift und die die Zeichnung formende Linie aus sich selbst ziehen. Dieser Gedanke, von Victor Hugo für die Surrealisten vorformuliert, findet sich unter anderem im Werk des Dichter-Malers Henri Michaux wieder. Der Faden, die Linie, die Spur auf dem Blatt oder auf der Leinwand laden die Betrachterinnen ein, ihr zu folgen, das Geschriebene zu entziffern, Fragmentarisches zu ergänzen. Sie durchläuft einen zeitlichen Prozess. Jede Linie sei die vergegenwärtigte Erfahrung ihrer eigenen Geschichte, so Cy Twombly.7 Indem der Maler der Linie zeichnend oder schreibend mit seiner Geste folgt und sie mit dieser Bewegung zugleich produziert, lässt er sich ebenso leiten, wie er einem subjektiven Gefühl Ausdruck verleiht. Auch an diesem Punkt verbinden sich Zeichnung, als spontaner Ausdruck eines inneren Bildes, und Schrift, als über die unwillkürliche Geste ausgedrückter Gedanke. Das Verhältnis von Schrift und Bild, von Literatur und Malerei hat viele unterschiedliche Aspekte: Die parallele Gedankenwelt der Dichterinnen und Maler des Expressionismus, die Inspiration der Künstler durch Poesie und Literatur, die Darstellung Lesender und die damit zusammenhängende Vorstellung von der Innenwelt der Leserinnen und Leser, die Linie als Schrift und Zeichnung verbindendes Element. Diese Themen haben mich in verschiedenen Ausstellungen der vergangenen Jahre beschäftigt.8 Im folgenden Essay konzentriere ich mich auf Werke, in denen die Schrift zum bildnerischen Mittel wird und die Betrachterin auf unerwartete Weise zur Leserin macht. Die Schriftbilder in der Kunst des 20. Jahrhunderts führen das längst totgesagte, profunde Lesen wieder ein. Allerdings nicht in Form des Buches, sondern als Bild, das, versehen mit Lesehürden, den
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Leser zu einer ständigen Ref lexion seiner Aktivität zwingt und eine selbstvergessene Versenkung in den Text unmöglich macht. Das Lesen im Bild ist weniger die Renaissance einer vergessenen Kunst als die melancholische Erinnerung an ihre Vergänglichkeit. Die Reihe Wie wir lesen, die Klaus Benesch, Professor für Nordamerikastudien an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, und ich seit 2020 herausgeben, gibt mir die Gelegenheit, den folgenden Essay zu publizieren. Ich danke ihm und dem transcript Verlag9 für diese Unterstützung sowie der Hauslage-Stiftung für die finanzielle Hilfe und freue mich, dass die folgenden Gedanken zur Bildlektüre auf diese Weise in einen größeren Zusammenhang der Ref lexion über das Lesen – aus soziologischer, linguistischer, literaturwissenschaftlicher und kulturhistorischer Sicht – gestellt werden.
I. Bilder vom Lesen
Bei der Ref lexion über das Lesen ergeben sich Fragen, die so zahlreich sind wie die Lesesituationen, die Lesemedien oder die Funktionen, die das Lesen in einer Gesellschaft übernimmt. Seine Allgegenwart und Unersetzlichkeit im täglichen Leben der Moderne macht das Lesen zur Grundlage unserer Kultur. Es steht im Zentrum unseres Bildungssystems, wobei es für den Einzelnen – nach einer oberf lächlichen Konfrontation mit dem bildungsbürgerlichen Lesekanon in der Schule – schließlich zum utilitaristischen Mittel bei der Bewältigung des Alltags wird. Neben das langsame tritt so das schnelle Lesen von Zeichen, Ziffern oder Kurzsätzen im Vorübergehen, das Erkennen von Parolen, Namen, Warnungen, Informationen mit einem Blick. Diese fast unbewusste, vor allem der praktischen Orientierung gewidmete Art des Lesens steht einem intensiven Lesen gegenüber, das als ein Zustand der Versenkung, der Selbstvergessenheit, auch der Realitätsentfremdung verstanden wurde und wird. Während das ständige, unref lektierte Lesen unser Leben im Alltag begleitet, ist das Lesen in einem Buch, das Eintauchen in eine andere Welt, die Ausnahmesituation. Und doch ist es diese Vorstellung, die wir mit dem Lesen spontan verbinden und die unzählige Male gezeichnet, gemalt, plastisch dargestellt wurde. Seit der Antike gibt es Lesebilder und in der Kunst des 20. Jahrhunderts ist die Leseszene ein häufiges Motiv.10 Nicht nur angesichts des kontinuierlich abnehmenden Interesses am langsamen, intensiven Lesen in der Moderne ist die Beliebtheit des Themas in der bildenden Kunst erstaunlich. Auch die Tatsache, dass Malerinnen und Maler einen Vorgang darstellen, der
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nicht sichtbar ist, wirft Fragen auf. Was könnte einen Leser, eine Leserin als Motiv für den Maler interessant machen? Warum sollte er eine Person malen, die ihn nicht anblickt, deren Gesicht – im Gegenteil – verdeckt und vor ihm verschlossen ist, deren Gefühle und Gedanken nicht entzifferbar scheinen, die sich zurückgezogen hat aus der geräuschvollen Realität, um in ihrer Abgeschlossenheit einer geheimnisvollen Aktivität nachzugehen, die unsichtbar ist und sich eigentlich nicht darstellen lässt? Der Maler steht vor einer unlösbaren Aufgabe, will er nicht in reiner Äußerlichkeit verharren und sich bei der Darstellung des Lesens nur auf das Attribut Buch stützen. Bei der Lösung des Problems greifen die Maler des 20. Jahrhunderts auf Darstellungsmodi zurück, die in vergangenen Jahrhunderten entwickelt wurden. Sie veranschaulichen den spirituellen Prozess des Lesens durch Licht, Raum, Atmosphäre, durch künstlerische Mittel, die in der europäischen Malerei seit jeher Immaterielles wie Inspiration, Invention, geistige Entrücktheit darstellen. Man kann an die Evangelisten denken, denen die Heilige Schrift durch einen von einer Lichtaura umfangenen Engel in die Feder diktiert wird, oder an Darstellungen des heiligen Hieronymus, dessen dunkles Gehäuse geheimnisvoll erleuchtet ist, wie um die geistige Substanz dessen, was er niederschreibt, zu vergegenwärtigen. Auch die leere Leinwand oder das Zeichenblatt, die den Künstler mit ihrem Anspruch bedrohen und herausfordern, scheinen hell auf. Diese magischen Momente finden ein Echo in der speziellen Aura, einem Raum der Stille und des warmen Lichts oder der aufscheinenden Helligkeit, einer Art Hortus Conclusus, mit dem die Maler die Leser umgeben. Das Lesen wird auf diesen Bildern als geistige Leistung gekennzeichnet und als schöpferischer Prozess dargestellt. Die Künstler wählen dabei die gleichen Topoi, die spirituelle Vorgänge allgemein wie auch das für die Maler selbst zentrale Motiv der Inspiration veranschaulichen. Die Leserinnen und Leser werden zu Seelenverwandten der Künstler und, indem sie in ihr Buch blicken, stehen sie einer ähnlichen Herausforderung gegenüber wie jene. In der bildenden Kunst wird das Lesen deutlich als ein schöpferischer Vor-
I. Bilder vom Lesen
gang gekennzeichnet, der die Künstler als Motiv fasziniert, weil er ihrer eigenen geistigen Aktivität so ähnlich ist. Darüber, was sich hinter der Maske der in ihr Buch versunkenen Leserin verbirgt, was während der Lektüre in ihrem Kopf vorgeht, kann man beim Betrachten dieser Bilder nur spekulieren. Dagegen haben viele Schriftsteller darüber nachgedacht, wie man sich die gedankliche Leistung, die beim Lesen vollbracht wird, vorstellen kann, denn dieser Vorgang ist die Spiegelung ihrer eigenen Tätigkeit. Die Leserin macht den Text erst lebendig und verwandelt ihn im Lesen in ein jeweils individuelles, neues Werk, wie Jean Paul Sartre in seinem 1958 erschienenen Essay Was ist Literatur erklärt. Er analysiert den Lesevorgang sehr präzise und, vor dem Hintergrund der Forschungen von Ferdinand de Saussure,11 als Herausforderung, hinter den für sich selbst genommen arbiträren Zeichen der Buchstaben und Wörter die darunterliegende Struktur und Sinntotalität des Textes zu erfassen. Diesen Vorgang beschreibt Sartre als die schöpferische Leistung des Lesers: »[…] der Leser hat das Bewußtsein, gleichzeitig zu enthüllen und durch enthüllen zu schaffen. Man sollte wirklich nicht glauben, das Lesen wäre ein mechanischer Vorgang und würde durch die Buchstaben beeindruckt [treffender: geprägt, Anm. d. Verf.], wie eine photographische Platte durch das Licht. Wenn der Leser zerstreut, müde, dumm oder leichtfertig ist, werden ihm die meisten Beziehungen entgehen, er wird sich vom Objekt nicht fangen lassen (wie etwas Feuer fängt oder nicht fängt); er wird aus dem Dunkel Sätze holen, die scheinbar aufs Geratewohl auftauchen. Wenn er sich aber ganz in der Hand hat, wird er über die Wörter hinaus eine synthetische Form ahnen, bei der jeder Satz nur eine Teilfunktion ist: das Thema, den Stoff und den Sinn. So liegt der Sinn zunächst nicht in den Wörtern; im Gegenteil, er erlaubt es erst, die Bedeutung jedes Wortes zu begreifen; und obwohl das literarische Objekt durch die Sprache hindurch verwirklicht wird, ist es nie in der Sprache gegeben; es ist im Gegenteil von Natur aus schweigsam und ein Feind des Wortes. Auch können die hunderttausend aneinandergereihten Wörter eines Buches hintereinander gelesen werden, ohne daß dabei der Sinn des Werks zutage tritt; der Sinn ist nicht die Summe der Wörter,
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sondern deren organische Totalität. Nichts ist erreicht, wenn der Leser sich nicht unwillkürlich, fast ohne Führer zur Höhe dieses Schweigens aufschwingt. Wenn er es nicht im Großen und Ganzen erfindet und sodann die Wörter und die Sätze, die er aus dem Schlafe weckt, richtig einsetzt. Und wenn man mir sagt, dieses Unternehmen sollte lieber eine Wiedererfindung oder eine Entdeckung genannt werden, dann antworte ich, daß eine solche Wieder-Erfindung zunächst ein ebenso neuer und origineller Akt wäre wie die erste Erfindung.«12 Schon zu Beginn des Jahrhunderts, 1908, schrieb Rainer Maria Rilke das Gedicht Der Leser, eine poetische Entsprechung für diese von Jean Paul Sartre analysierte schöpferische Anverwandlung eines Textes durch den Leser. Für Rilke geht es beim Lesen nicht nur um eine Neuschöpfung, sondern er sieht aus der Lektüre sogar die Entfremdung des Lesers von sich selbst, eine tiefgreifende Veränderung hervorgehen. Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten, das nur das schnelle Wenden voller Seiten manchmal gewaltsam unterbricht? Selbst seine Mutter wäre nicht gewiss, ob er es ist, der da mit seinem Schatten Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten, was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis er mühsam aufsah: alles auf sich hebend, was unten in dem Buche sich verhielt, mit Augen, welche, statt zu nehmen, gebend anstießen an die fertig-volle Welt: wie stille Kinder, die allein gespielt, auf einmal das Vorhandene erfahren; doch seine Züge, die geordnet waren, blieben für immer umgestellt.13
I. Bilder vom Lesen
In den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge vertieft Rilke die Verbindung des Lesens mit Schlaf und Traum und der damit einhergehenden Neugeburt des Lesers, die er in seinem Gedicht herstellt. Er lässt Malte Laurids Brigge seine Eindrücke in der Pariser Bibliothèque Nationale beschreiben. Die Lesenden erscheinen ihm wie Schlafende, wie zwischen den Seiten eines Buches träumend Versunkene. »Bibliothèque Nationale. Ich sitze und lese einen Dichter. Es sind viele Leute im Saal, aber man spürt sie nicht. Sie sind in den Büchern. Manchmal bewegen sie sich in den Blättern, wie Menschen, die schlafen und sich umwenden zwischen zwei Träumen. Ach, wie gut es doch ist, unter lesenden Menschen zu sein. Warum sind sie nicht immer so? Du kannst hingehen zu einem und ihn leise anrühren: er fühlt nichts. Und stößt du einen Nachbarn beim Aufstehen ein wenig an und entschuldigst dich, so nickt er nach der Seite, auf der er deine Stimme hört, sein Gesicht wendet sich dir zu und sieht dich nicht, und sein Haar ist wie das Haar eines Schlafenden.« 14 1953 erfindet Pablo Picasso auf dem Gemälde Die Lektüre (Abb. 1)15 eine eindringliche bildnerische Entsprechung des Lesens, wie es von Rilke verstanden und beschrieben wird. Picasso beobachtet auf dieser Darstellung seine Geliebte, Marie-Therese Walter, mit der ihn eine leidenschaftliche Beziehung verband, beim Lesen. Wie der lüsterne Satyr, der die schlafende Venus betrachtet, schlägt der Maler für uns einen unsichtbaren Vorhang zurück, hinter den sich seine Geliebte zur Lektüre zurückgezogen hat. Wir sehen, wie hinter dem Profil der anmutigen Leserin ein blaues, frontal gesehenes Antlitz erscheint, ein zweites Gesicht, das im Hintergrund der sichtbaren Erscheinung ihre innere Aktivität repräsentiert. Das blaue Gesicht blickt ebenfalls in das Buch vor der Leserin und ergänzt den Vorgang des Entzifferns um den des Verstehens und Deutens. Es lässt die in den Seiten blätternden Hände der Leserin zu gefiederten Schwingen werden, die sie, unterstützt durch den Flügel, der in ihrem Rücken wächst, in eine imaginäre Welt tragen wie in einem tiefen Traum.
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Abb. 1
Jedem, der sich in ein Buch oder in ein Bild versenkt, bietet sich die Möglichkeit, über die engen Grenzen der eigenen Existenz hinauszublicken, schreibt Marcel Proust: »Durch die Kunst nur vermögen wir aus uns herauszutreten und uns bewusst zu werden, wie ein anderer das Universum sieht, das für ihn nicht das gleiche ist wie für uns und dessen Landschaften uns sonst ebenso unbekannt geblieben wären wie die, die es möglicherweise auf dem Mond gibt. Dank der Kunst sehen wir nicht nur eine einzige Welt, nämlich die unsere, sondern eine Vielzahl von Welten; so viele wahre Künstler es gibt, so viele Welten stehen uns offen: eine von der anderen stärker verschieden als jene, die im Universum kreisen, senden sie uns Jahrhunderte noch, nachdem der Fokus erloschen ist, von dem es ausging, ob er nun Rembrandt oder Vermeer hiess, ihr spezifisches Licht.« 16 Allerdings gelingt diese von Proust beschriebene Erfahrungserweiterung nur bei der vertieften Form des Lesens, die Sartre und Rilke in Prosa und Lyrik darstellen und die Picasso in sein Bild einer
I. Bilder vom Lesen
Leserin mit zwei Gesichtern fasst. Nur die innere Bewegung führt zu einer Veränderung des Lesers, so sieht es auch Marcel Proust. Schon bevor er sein monumentales Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schrieb, verfasste er 1906 einen Essay, Tage des Lesens, in dem er sich nicht nur über die Frage Gedanken machte, was beim Lesen als einem psychisch-geistigen Prozess in Leserinnen vor sich geht, sondern auch über die Bedeutung des Lesens für ihre intellektuelle Entwicklung. Prousts Text war das Vorwort zu seiner Übersetzung von zwei Vorträgen John Ruskins: der erste, Of Kings Tresories, wurde bei der Eröffnung einer öffentlichen Bibliothek, der zweite, Of Queens Gardens, bei der einer Mädchenschule gehalten. In beiden Vorträgen stellt Ruskin die soziale, pädagogische Rolle des Bücherlesens in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Dagegen weist Proust dem Lesen eine ganz andere, zugleich geringere und bedeutendere Rolle zu:17 »Für uns, die wir hier die These Ruskins nur für sich selbst betrachten wollen, ohne uns mit ihren historischen Ursachen zu beschäftigen«, schreibt Proust, »ist es möglich, sie ziemlich genau mit den Worten von Descartes zusammenzufassen, daß ›das Lesen aller guten Bücher wie die Unterhaltung mit den gebildeten Leuten der vergangenen Jahrhunderte ist, die ihre Verfasser waren‹. Ruskin hat vielleicht diesen, im übrigen ein wenig trockenen Gedanken des französischen Philosophen nicht gekannt, aber man findet ihn in Wirklichkeit überall in seinem Vortrag wieder, eingehüllt nur in ein apollinisches Gold, in dem die englischen Nebel zerschmelzen, gleich jenem, dessen Glanz die Landschaften seines Lieblingsmalers erleuchtet. ›Angenommen‹, so sagt er, ›wir hätten den Willen und die Klugheit, unsere Freunde richtig zu wählen; wie wenige haben aber die Macht, begrenzt ist der Bereich unserer Wahl. Wir können nicht kennenlernen, wen wir möchten […]‹ […] Ich habe versucht, in den Anmerkungen, mit denen ich diesen Band versehen habe, zu zeigen, daß das Lesen nicht auf solche Weise mit einer Unterhaltung gleichgesetzt werden kann, sei es auch eine mit dem allerklügsten Menschen, und daß der wesentliche Unterschied zwischen einem Buch und einem Freund nicht ihre mehr oder weniger
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große Klugheit ist, sondern die Art und Weise, in der man mit ihnen verkehrt, da das Lesen im Gegensatz zur Unterhaltung für jeden von uns darin besteht, die Übermittlung eines anderen Denkens entgegenzunehmen, wobei man jedoch allein bleibt, das heißt fortfährt weiter die intellektuelle Kraft zu genießen, über die man in der Einsamkeit verfügt, die aber bei einer Unterhaltung unverzüglich zerstreut wird, und weiter inspiriert werden kann, weiter in fruchtbarer Einwirkung des Geistes auf sich selbst verharrt.« 18
II. Walter Benjamin, das Bauhaus und Paul Klee Vom kollektiven Lesen der Zeichen zum individuellen Entziffern des Bildes Der in den Diskussionen über das Lesen im 20. Jahrhundert stets präsente Konf likt zwischen einem pragmatischen, informationsorientierten Lesen und dem Lesen, das zu einem Zustand der inneren geistigen Aktivität führt, zu einer kreativen Weltabgewandtheit, spiegelt sich in Marcel Prousts Kritik an John Ruskins Leseverständnis. Zwanzig Jahre später nimmt Walter Benjamin diese Frage wieder auf. In Einbahnstraße, einer Sammlung von Aphorismen und Gedankenskizzen, schreibt er 1928: »Die Schrift, die im gedruckten Buche ein Asyl gefunden hatte, wo sie ihr autonomes Dasein führte, wird unerbittlich von Reklamen auf die Straße hinausgezerrt und den brutalen Heteronomien des wirtschaftlichen Chaos unterstellt. Das ist der strenge Schulgang ihrer neuen Form. Wenn vor Jahrhunderten sie allmählich sich niederzulegen begann, von der aufrechten Inschrift zur schräg auf Pulten ruhenden Handschrift ward, um endlich sich im Buchdruck zu betten, beginnt sie nun eben so langsam sich wieder vom Boden zu heben. Bereits die Zeitung wird mehr in der Senkrechten als in der Horizontale gelesen, Film und Reklame drängen die Schrift vollends in die diktatorische Vertikale. Und ehe der Zeitgenosse dazu kommt, ein Buch aufzuschlagen, ist über seine Augen ein so dichtes Gestöber von wandelbaren, farbigen, streitenden Lettern niedergegangen, dass die Chancen seines Eindringens in die archaische Stille des Buches gering geworden sind.« 19
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Dieser Text ist nicht als melancholischer Abgesang auf ein früheres, wahres Lesen zu verstehen, sondern Walter Benjamin begrüßt eine neue Ära, die eine Alternative bietet zum individuellen Lesen, das er mit bourgeoisem Müßiggang assoziiert. Das Buch ist für Benjamin nicht länger privilegierter Ort des Lesens. An seine Stelle tritt die Lichtreklame, das Plakat, die Zeitung, der Film – das Lesen in der Bewegung und im Kollektiv. Dem asozialen Rückzug in das Buch, Symbol einer längst vergangenen, »archaische[n] Stille«, stellt Benjamin die von allen geteilte, im Lesen schnell aufgenommene Information gegenüber, »ein Gestöber von wandelbaren, farbigen, streitenden Lettern«. Dem statischen, individuellen Lesen in der Horizontale wird die kollektive Vielfalt und Bewegung des Lesevorgangs in der Vertikale entgegengesetzt.20 Die Verlagerung des Lesens aus dem Buch in andere Medien und schließlich die Verwandlung des Buches in ein neues Medium nimmt am Bauhaus konkrete Formen an. Unter dem Einf luss des russischen Konstruktivismus werden ab Mitte der 20er-Jahre neue Formen der Typografie, der Schrift und des Buches entwickelt, die auf eine Demokratisierung des Lesens zielen. Wegweisend in diesem Prozess sind László Moholy-Nagy, der 1923 als Meister an das Bauhaus berufen wird, und dessen imselben Jahr veröffentlichter Text Bauhaus und Typographie.21 Das neue Lesen verbindet er mit einem kollektiven Erlebnis, mit einem schnelleren Erfassen der Informationen und mit größerer Exaktheit der Sinnübermittlung, die unter anderem durch die Integration von Fotografien in den Text erreicht werden sollen. Moholy-Nagy vergleicht die Wirkung der Bilder im Text mit der ägyptischer Hieroglyphen, wobei die Fotografien seiner Ansicht nach eine genauere Lektüre ermöglichen. Während das Verständnis der ägyptischen Bildzeichen vom Vorwissen und der kulturellen Prägung des Interpreten abhängig gewesen seien, würde die Fotografie ein eindeutiges und intuitives Verständnis ermöglichen. »Nicht mehr lesen! Sehen!«, fasst 1928 ein Artikel des dem Bauhaus nahestehenden Malers Johannes Molzahn diese neue Perspektive auf das Lesen zusammen.22 Ähnlich sieht es El Lissitzky in seinem Essay Topographie der Typographie: »Die Wörter des gedruckten Bogens werden abgesehen«, schreibt er, »nicht abgehört«,23 womit
II. Walter Benjamin, das Bauhaus und Paul Klee
ein weiterer Sinneseindruck die im Umfeld des Bauhauses relevanten Vorstellungen vom Lesen bereichert. Es geht darum, die Lektüre von einem individuellen zu einem kollektiven Erlebnis werden zu lassen und sie von einem langsamen Prozess des Entzifferns und Verstehens in ein schnelles, intuitives Erfassen zu verwandeln. Paul Klees Werke, insbesondere seine am Bauhaus entstandenen Arbeiten, reagieren auf diese Lesetheorien. Sie scheinen die Ansätze zu einer neuen Form des Lesens untergraben zu wollen, indem sie das langsame Lesen von den Büchern in die Bilder verlagern.24 Mit subversiver Energie zwingen die Bilder Klees den Betrachter zu einer Rezeption, die durch Langsamkeit bestimmt ist, die die Details und die tieferen, zunächst verborgenen Schichten des Bildes wahrnimmt, die das Gemälde Motiv für Motiv entziffert, es liest wie ein Buch. In seinem Werk, so könnte man meinen, findet das individuelle, sich vertiefende Lesen Zuf lucht, eröffnet sich ein Raum »archaische[r] Stille«, um es mit Walter Benjamins Worten zu sagen.25 Paul Klee entwickelt unterschiedliche kompositorische Strukturen, um seine Bilder lesbar zu machen, Schrift- und Bildzeichen in eins fallen zu lassen und die fundamentale Trennung aufzuheben, die zwischen Schrift und Bild besteht. In seinem Essay Dies ist keine Pfeife beschreibt Michel Foucault, wie Klee die hierarchische Ordnung auf hebt, die traditionell zwischen Text und Bild besteht. Entweder wird dem Text die figürlich-illusionistische Darstellung der Malerei untergeordnet oder, umgekehrt, dem Bild die Beschriftung. Klee dagegen eröffnet Text und Bild in seinem Werk eine neue, gemeinsame Existenzform, »indem er in einem ungewissen, umkehrbaren, schwebenden Raum (zugleich Blatt und Leinwand, Fläche und Masse, kariertes Heft und parzellierte Erde, Geschichte und Karte) die Komposition der Figuren und die Syntax der Zeichen möglich macht. Schiffe, Häuser, Männchen sind zugleich erkennbare Formen und Schriftelemente. Sie stehen oder bewegen sich auf Wegen oder Kanälen, die wie Zeilen zu lesen sind. Die Bäume der Wälder marschieren auf Notenzeilen. Der Blick begegnet, als hätten sie sich inmitten der Dinge verlaufen, Wörtern, die ihm seinen Weg anzeigen, die ihm die Landschaft nennen, welche er gerade durchwandert.«26
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Buch und Bild — Schrift und Zeichnung
Diese von Foucault beschriebene Kompositionsstruktur Klees, die das Bild zum Buch macht und das Gemälde lesbar, ist das Liniensystem von Büchern und Schreibheften. Klee überzieht seine Bilder mit horizontalen Linien, die an Schulhefte oder linierte Briefpapierseiten erinnern. Eines der frühesten Arbeiten dieser in den 20erJahren entstandenen Werkgruppe ist das Bild Landschaf t mit gelbem Kirchturm (Abb. 2).27 Das hervorstechende Gliederungsmerkmal des kleinen Gemäldes sind die parallel angeordneten Horizontallinien, die die Bildoberf läche überziehen. Die Assoziation an Schreiblinien festigt sich, wenn man ihrer Funktion als grundlegende Struktur der Komposition nachgeht: Die wenigen figurativen Elemente – blattlose Bäume und Büsche, der Kirchturm, ebenso das transparent durch die obere Malschicht hindurchschimmernde aufgeklappte Buch28 – sind wie Schriftzeichen in das Liniensystem eingefügt. Auch die größeren Formen, die Hügel und Wege, werden durch die Linien geordnet, denn jede Überschneidung geht mit einem Farbwechsel einher. Die Komposition liegt klar und entzifferbar vor der Betrachterin, die den Farbverläufen folgen kann wie einem Text, indem ihre Augen langsam von einer baumbekrönten Bergspitze zur nächsten wandern. Zwar erschließt sich die Landschaf t mit gelbem Kirchturm nicht im Lesen von links nach rechts, beim Entziffern der Bildzeichen bleibt man an der Bildoberf läche und begreift die Darstellung als eine Farb- und Formkomposition ohne Tiefe. Der traditionelle, perspektivisch dargestellte Raum hat sich verwandelt. Der Blick wird nicht mehr in die Tiefe geführt, sondern er bewegt sich über die Bildoberf läche wie auf einer Buchseite. Der Betrachter nimmt die Darstellung nicht mit einem Blick als einheitlichen Raum und Totalität wahr, sondern das Bild erschließt sich ihm in einem Prozess des Entzifferns, indem seine Augen den von den Zeilen vorgegebenen Wegen folgen und von Motiv zu Motiv wandern, so wie sie beim Lesen von Buchstabe zu Buchstabe gleiten. Er erkennt es als ein Werk, das in der Zeit entsteht und das im zeitlichen Verlauf wahrgenommen wird.
II. Walter Benjamin, das Bauhaus und Paul Klee
Abb. 2
Erste Versuche mit diesem abstrakten Ordnungssystem macht Klee 1916, als er nach der Lektüre chinesischer Lyrik mehrere Aquarelle malt, mit denen er versucht, eine malerische Entsprechung für die Gedichte zu finden (Abb. 3).29 Auch hier legt er seinen Kompositionen eine Struktur zugrunde, die aus der Welt des Schreibens und Lesens stammt. Er überzieht das Blatt jeweils mit einem Raster aus horizontalen und vertikalen Linien, sodass wie in einem Setzkasten für jeden Buchstaben ein quadratisches Kästchen zur Verfügung steht. Die Buchstaben füllen die kleinen Quadrate jeweils ganz aus. Die so entstandenen Flächen sind koloriert, sodass neben der linearen Struktur aus Raster und Buchstaben ein Farbmosaik entsteht. Die Farben nehmen die emotionale Tönung des Gedichtes auf und unterstreichen sie. Zugleich stören sie aber das Lesen der Worte, denn sie werden als abstraktes Farbmosaik wahrgenommen, das sich über den geschriebenen Text legt, mit dem sie so eng verknüpft sind. Die farbigen Akzente der Komposition lenken von der regelmäßigen Folge der Buchstaben ab und behindern das Lesen von links nach rechts, Zeile für Zeile.
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Abb. 3
Die unauf lösliche Verzahnung von Text und Bild vergleicht Foucault in seinem Essay zu Magritte mit dem Prinzip des Kalligramms, das Text und Zeichnung einander annähert: »es verbindet Linien, die die Abfolge der Buchstaben ordnen; es bettet die Aussage in den Figurenraum ein und lässt den Text sagen, was die Zeichnung darstellt. Umgekehrt verteilt es die Schrift in einem Raum, der nicht mehr die weiße Indifferenz und träge Offenheit des Papiers hat; es gliedert sie nach den Gesetzen einer räumlichen Form.«30 Im Verlauf seines Werks macht Paul Klee nicht nur das Prinzip des Kalligramms zur Grundlage einiger seiner Kompositionen. Auf vielfache Weise legt er Schrift- und Bildzeichen übereinander, lässt sie einander folgen oder verschränkt sie ornamental. Er malt über Zeitungspapier, gestaltet Bilder wie Reklameanzeigen oder Buchseiten, malt das Alphabet, oder Stendhals Romantitel Le rouge et le noir.31 Schrift- und Bildzeichen sind auf seinen Bildern gleichwertig und austauschbar.
II. Walter Benjamin, das Bauhaus und Paul Klee
Seit 1920 macht Klee den Titel systematisch zum integralen Bestandteil seiner Bilder,32 indem er alle Werke nach ihrer Fertigstellung auf Untersatzkartons klebt, zum Teil durch eine zusätzliche Rahmung in Aquarell oder Collage erweitert und in einer unter dem Bild platzierten Titelzeile benennt. Dieser meist unterstrichene Schriftzug in Tinte umfasst auch die Datierung und eine Nummerierung des Werks, manchmal auch kleine Bildzeichen. Oft setzt die Schreibweise sich über orthografische Regeln hinweg. »So präsentiert Paul Klee seine Zeichnungen und Aquarelle mit ihren wunderbaren kalligrafischen Titeln auf einer mit dem Lineal gezogenen Linie. Allerdings gelangen wir hier in einen ganz anderen Bereich, denn bisher hatten wir bei unserer malerischen Keimzelle ein Bild und einen damit verbundenen Titel, der jedoch außerhalb des Rahmens in irgendeinem Abstand blieb und bei dem die Art und Weise, in der er geschrieben war, die Farbe der Tinte, die Form der Buchstaben im Grunde keine Rolle spielte. Nun aber haben wir es mit einem Werk zu tun, das aus zwei Teilen besteht, die sich gleichzeitig an das Auge wenden: das Aquarell (die Gouache, die Zeichnung etc.) und die darunter befindliche Inschrift: Zwitschermaschine, Monument an der Grenze des Fruchtlandes, beide umgeben von demselben souveränen Rechteck. Die sorgfältig geschriebene Textzeile besitzt einen umso wirkungsvolleren Vektor, je länger sie ist. Wir verfolgen die Bewegung der Feder, all die graziösen Windungen, doch vor allem die Bewegung der Hand selbst von einem Buchstaben, von einem Wort zum anderen, bei unserer Schrift zwangsläufig von links nach rechts. Unser Auge muss diesem Weg folgen, um zu verstehen. Es ist, als ob sich dort ein großer Pfeil, eine Kraft befände, die uns zwingt, in diese Richtung zu gehen. Die gesamte Komposition wird durch ein so aktives Element zutiefst beeinflusst.«33
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III. Schrift und Zeichnung Durch die Linie verbunden Neben einem grundlegend neuen Verständnis von Repräsentation, Raum und Bedeutung in der Malerei, das Klee in sein Werk mit Hilfe der Prinzipien von Schrift und Lektüre einführt, gibt er ihm eine zeitliche Dimension, die wie bei einem schriftlich niedergelegten, literarischen Werk in der zeitlich determinierten Produktion und Rezeption des Werks abgebildet ist. »Die Genesis der Schrif t ist ein sehr gutes Gleichnis der Bewegung. Auch das Kunstwerk ist in erster Linie Genesis, niemals wird es als Produkt erlebt«, schreibt Paul Klee in seinem ersten kunsttheoretischen Text Graphik, der, 1918 verfasst, 1920 in einer von Paul Edschmidt herausgegebenen Anthologie unter dem Titel Schöpferische Konfession erschien.34 In diesem für die Bedeutung von Schreiben und Lesen in Klees Werk grundlegenden programmatischen Text formuliert der Maler eine Kritik an Gotthold Ephraim Lessings im 18. Jahrhundert erschienener Abhandlung Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, die die Differenz von bildender Kunst und Literatur in lange Zeit unangefochtener Weise definierte: »Es bleibt dabei: die Zeitfolge ist das Gebiete des Dichtens, so wie der Raum das Gebiete des Malens.«35 Klee wendet sich gegen die von Lessing vorgenommene Unterscheidung zwischen den Kategorien des Raums, der der bildenden Kunst zugeordnet sei, und der Zeit, die die Literatur bestimme, denn, so schreibt er: »Bewegung liegt allem Werden zugrunde. In Lessings Laokoon, an dem wir einmal jugendliche Denkversuche verzettelten, wird viel Wesens aus dem Unterschied von zeitlicher zu räumlicher Kunst
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gemacht. Und bei genauerem Zusehen ist’s doch nur gelehrter Wahn. Denn auch der Raum ist ein zeitlicher Begriff. Wenn ein Punkt Bewegung und Linie wird, so erfordert das Zeit. Ebenso, wenn sich eine Linie zur Fläche verschiebt. Desgleichen die Bewegung von Flächen zu Räumen. Entsteht vielleicht ein Bildwerk auf einmal? Nein, es wird Stück für Stück aufgebaut, nicht anders als ein Haus. […] Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung, ist selber festgelegte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung (Augenmuskeln).« 36 Wie ein geschriebener Text entsteht das Kunstwerk in einem zeitlichen Prozess und es wird nicht, wie von Lessing behauptet, in einem Moment erfasst, sondern – hierin dem Lesen eines Textes vergleichbar – langsam entziffert. In seinen eigenen, bezeichnenderweise Graphik überschriebenen Gedanken exemplifiziert Klee das Prozessuale des Kunstwerks mit Hilfe der Linie, dem gemeinsamen Element von Schrift und Zeichnung. Auch seinen Studenten am Bauhaus in Weimar erläutert er diesen Zusammenhang: »In Vorzeiten der Völker, wo schreiben und zeichnen noch zusammenfällt, ist sie [die Linie, Anm. d. Verf.] das gegebene Element.«37 In dem Essay Graphik folgt Klee der Linie durch das Kunstwerk wie durch eine Landschaft: Ein Spaziergang in einer Landschaft, »eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis«,38 wird zum Gleichnis der Bildbetrachtung, die sich Schritt für Schritt vollzieht und ein zeitlicher Vorgang ist wie die Erschaffung des Kunstwerks. Mit Nachdruck und in wiederholt formulierter Argumentation setzt Paul Klee sich von Lessings im Laokoon vorgestellter These ab, Musik und Literatur seien temporäre Künste, während die bildende Kunst durch ihre räumliche Dimension bestimmt sei.39 In Opposition zu Lessing definiert Klee Zeit und – daraus resultierend – Bewegung als grundlegende Kategorien seines bildnerischen Werks. So wird die Linie zur »ersten beweglichen Tat« und zur Leitlinie des Spaziergangs durch das Bild. Das für seinen Kunstbegriff so entscheidende Moment der Dynamik bringt Paul Klee in seinem Text auf poetische Weise zum Ausdruck. Bei dem Spaziergang durch die Bildlandschaft werden abstrakte Strukturen zu Ausdrucksträgern für Emotionen, zu zeichnerischen Kürzeln für Brücke, Wasser und Acker:
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»Entwickeln wir, machen wir unter Anlegung eines topographischen Planes eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis. Über den toten Punkt hinweggesetzt sei die erste bewegliche Tat (Linie). Nach kurzer Zeit Halt, Atem zu holen. (Unterbrochene oder bei mehrmaligem Halt gegliederte Linie.) Rückblick, wie weit wir schon sind. (Gegenbewegung). Im Geiste den Weg dahin und dorthin erwägen (Linienbündel). Ein Fluß will hindern, wir bedienen uns eines Bootes (Wellenbewegung). Weiter oben wäre eine Brücke gewesen (Bogenreihe).« 40 Entscheidend ist, dass es sich bei den Strukturen, die als Landschaftselemente gesehen werden, um abstrakte grafische Zeichen handelt, deren Bedeutung wie die von Schriftzeichen arbiträr ist. Erst in ihrer Stellung zueinander und innerhalb der Komposition ergibt sich die Bedeutung der grafischen Symbole. »Ich habe Elemente der grafischen Darstellung genannt, die dem Werk sichtbar zugehören sollen«, schreibt Klee. »Diese Forderung ist nicht etwa so zu verstehen, daß ein Werk aus lauter Elementen bestehen müsse. Die Elemente sollen Formen ergeben, nur ohne sich dabei zu opfern. Sich selber bewahrend.«41 Klees Auffassung eines autonomen grafischen Zeichens, das an keine konkrete Bedeutung gebunden ist, sondern erst im Kontext der anderen Zeichen eine Form bildet und Sinn ergibt, weist Parallelen zu den Theorien Ferdinand de Saussures auf, die der Schweizer Sprachwissenschaftler in dem 1916 nach seinem Tod veröffentlichten Werk Cours de Linguistique Générale formulierte. Auch hier handelt es sich um einen in der Zeit ablaufenden, gewissermaßen linearen Prozess, in dem Sinn entsteht: »Sprache bildet nicht Gedanken ab. Sie erschafft sie vielmehr: Erst im Akt des Sprechens, der Artikulation, vollzieht sich die Verbindung (Synthese) eines vorsprachlichen und daher chaotischen und gleichsam spurlos vorüberziehenden Denkens mit der lautlosen Substanz. Dieser Vorgang vollzieht sich in der Zeit, also linear: Worte werden nacheinander geäußert.« 42
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Eine ähnliche Parallele und enge Verbindung von Schrift- und Bildzeichen lässt sich im Werk der Dichterin und Zeichnerin Else Lasker-Schüler beobachten. Else-Lasker Schüler war durch ihre Freundschaft mit Franz Marc dem Kreis des Blauen Reiters seit 1913 verbunden. Sie kannte auch Paul Klee. Die exzentrische Künstlerin trat in der Realität und in ihrem literarischen Werk als Prinz Jussuf von Theben auf. Unter dieser in einem orientalischen Märchenreich angesiedelten Identität führte sie eine öffentliche Korrespondenz mit Franz Marc. Sie machte die Märchengestalt, Prinz Jussuf, auch zur Hauptfigur ihrer autobiografisch geprägten Erzählungen und Gedichte. Else Lasker-Schülers Erscheinung oszillierte in der Realität und in ihrem Werk zwischen einer männlichen und einer weiblichen, einer westlichen und einer orientalischen Identität. Auch ihr literarisches und zeichnerisches Werk ist durch eine kontinuierliche Grenzüberschreitung zwischen Zeichnung und Schrift gekennzeichnet. Else Lasker-Schüler charakterisiert die Figuren ihrer Erzählungen auf den ihre Texte begleitenden Illustrationen oder auf unabhängigen Zeichnungen durch Symbole, die auf den Gesichtern erscheinen: Mondsichel, Sterne, Rosen – Zeichen, die mit relativ fixer Bedeutung ihren Figuren wie eine Tätowierung und besondere Kennzeichnung eingeschrieben werden. Das Zeichenrepertoire stammt aus den Briefen der Künstlerin, die Bildzeichen in ihre Briefe aufnimmt und zwischen die Buchstaben setzt, zum Teil um Worte zu betonen, ihre Bedeutung zu unterstreichen oder zu nuancieren. Daneben werden einzelne Worte durch Bildzeichen ersetzt und, umgekehrt, ihre Zeichnungen sehr häufig wie Comics beschriftet. Auf diese Weise, indem sie Bildzeichen wie Buchstaben oder Worte einsetzt und gezeichneten Motiven tautologische Kommentare hinzufügt, verwischt Else Lasker-Schüler die Differenz von Schrift und Bild. Das eine kann für das andere stehen; beides ergänzt und entspricht sich, denn »Die Schrift ist ein Bild für sich und hat nichts mit dem Inhalt zu tun«, schreibt die Künstlerin 1911 in dem Text Handschrif t und fährt fort: »Meine Handschrift hat als Hintergrund den Stern des Orients. Oft sagten mir Theologen, ich schreibe deutsch wie hebräisch oder arabisch. Ich denke an der späten Ägypter Fetischkultur; ihnen ging
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aus den Buchstaben schon die Blüte auf. Der Zwischenduft, der Handschrift mit Zeichenmalkunst verbindet.«43 Ausgehend von Else Lasker-Schülers besonderer Deutung der Schrift erschließen sich bestimmte Zeichnungsmodi und Kompositionsprinzipien, die zunächst ungewöhnlich und fremd wirken. Dies gilt beispielsweise für ihre Kopfpyramiden, die sich wie Blüten zu entfalten scheinen und eine Menschengruppe auf ihre Gesichter reduzieren, die wie Trauben nebeneinanderkleben.44 Dabei entwickelt sich die Zeichnung aus einer Linie, wie die Worte beim Schreiben. Das gleiche Prinzip charakterisiert auch die Darstellung der Stadt Theben, deren Häuser und Moscheen auf zahlreichen Zeichnungen steil hintereinander aufsteigen und ein bienenstockartiges Gebilde formen, das in einem ununterbrochenen zeichnerischen Duktus entstanden zu sein scheint. Dagegen betonen frühere Darstellungen der Stadt des Prinzen Jussuf das Lineare. Die Häuser, Kuppeln und Türme reihen sich aneinander wie die Buchstaben eines Wortes (Abb. 4).45 Sie verzichten auf Tiefenwirkung und betonen das Zeichenhafte der einzelnen Elemente der Komposition. Es ist nicht überraschend, dass das linear aufgefasste Thebenmotiv häufig in den Briefen der Künstlerin erscheint – wo es auch die Bedeutung eines Siegels, eines Brief kopfes oder einer Briefmarke annehmen kann oder in die Schriftzüge eingefügt ist. Der lineare, ununterbrochene Duktus des Schreibens findet sich im Werk der Zeichnerin Else Lasker-Schüler in den unterschiedlichsten Formen, so etwa auf dem Blatt Abigail Jussufs Krönungsrede über Theben,46 die den Prinzen in einem weiten Mantel zeigt. Der voluminöse Stoff seines Gewandes ist mit einem mäanderartigen Liniengewirr verziert, das in einer fortlaufenden zeichnerischen Bewegung aus der Linienstruktur der Landschaft im Vordergrund aufzusteigen scheint. Auch die Darstellung der Jüdischen Häuptlinge47 lebt von einem Kompositionsprinzip, das die zeichenhaft dargestellten Köpfe miteinander verbindet wie die Buchstaben einer Schrift. In einem Fluss entwickeln sich die einzelnen Gesichter aus einem gemeinsamen Körper, dessen Bedeutung und Einheit aufgelöst werden würde, wenn man Elemente aus ihm herausnehmen würde, so wie ein Wort seine Bedeutung verliert, sobald ein Buchstabe fehlt.
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Abb. 4
Das Schriftprinzip in den Zeichnungen der Else Lasker-Schüler, das illusionistische Wirkungen weitgehend ausschließt, verweist den Betrachter stets auch auf die Entstehung des Werks, auf seine schlichte Machart und auf das Prozessuale seiner Schöpfung. Paul Klee hebt in seinem Text Graphik die zeitliche Dimension des Kunstwerks hervor. Weder wird das Kunstwerk in einem Moment geschaffen, noch wird es in einem Blick erfasst. Die sich in der Zeit vollziehende Produktion des Werks vergleicht Klee mit der Schrift, die in einem Prozess entsteht und mit der Musik, die die Dauer zu ihrer Entfaltung und ihrer Rezeption voraussetzt. Um das zeitliche Element auch in die bildende Kunst einzuführen, integriert Klee nicht nur Strukturen des Schriftlichen in seine Bilder. Er verleiht seinen Werken künstlich Patina und Altersspuren. Auch macht er ihre manuelle Herstellung erkennbar – durch die Technik der Collage, das Zerschneiden der Werke oder die Verarbeitung von
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Alltagsmaterialien und Übermalung früherer Werke. Solche Vorgehensweisen kennzeichnen auch die künstlerische Produktion Else Lasker-Schülers: Ganz bewusst werden illusionistische Effekte gebrochen, um für den Betrachter den Entstehungsprozess des Werks wahrnehmbar zu machen und ihn in spielerischer Distanz zu halten. Der vorgegebene Dilettantismus, die zelebrierte Einfachheit der Zeichnungen, die durch Kinderzeichnungen oder Prinzhorns Bildnerei der Geisteskranken 48 inspiriert sein könnten, ist charakteristisch sowohl für Klee als auch für Else Lasker-Schüler, ohne dass eine direkte Einf lussnahme hergeleitet werden könnte. Allerdings ist bemerkenswert, dass Else Lasker-Schüler 1913 ihr Buch Gesichte, Essays und andere Geschichten im Leipziger Kurt Wolff Verlag veröffentlichte, demselben Verlag, dem Paul Klee, ebenfalls 1913, eine Neuausgabe des Candide von Voltaire mit seinen Illustrationen zur Veröffentlichung antrug.49 Die Zeichnungen zu Candide zeugen von einem künstlerischen Zugriff, der in vieler Hinsicht der zeichnerischen Attitüde Else Lasker-Schülers vergleichbar ist. Klee illustrierte siebzehn der zwanzig Romankapitel Voltaires in einer Manier, die sich von zeitgenössischen Literaturillustrationen und einem traditionellen Zeichenstil betont absetzt. Seine Darstellungen konzentrieren sich auf die Hauptfiguren des Geschehens, deren Körper er aus vielen kleinen gezeichneten ›Häkchen‹ zusammengesetzt darstellt, wobei er auf jeden Illusionismus verzichtet. Die Dargestellten sind weder individuell charakterisiert, noch werden sie mehr als andeutungsweise in Raum oder Landschaft eingebunden. Die Bildaussage konstituiert sich aus der karikierend übertriebenen Haltung der Figuren und dem unter der Zeichnung handschriftlich angebrachten Titel der Szene, die Klee dem französischen Originaltext Voltaires entnimmt. Erst durch diese Untertitel gewinnt die jeweilige Szene mit den auf immer gleiche Weise schematisierten Gestalten ihren Sinn.50 Damit geht Klee ähnlich wie Else LaskerSchüler vor, deren Zeichnungen ebenfalls mit einem schematisierten Figurenrepertoire agieren und die Bedeutung der jeweiligen Szene durch deren Haltung und eine Bildunterschrift zum Ausdruck bringen.
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Allerdings illustriert Else Lasker-Schüler einen Roman, der von ihr selbst geschrieben wurde und der ein unentwirrbares Gewebe aus autobiografischen Versatzstücken, Prosa, Lyrik, Briefen und Zeichnungen darstellt. Als in sich geschlossenes Zeichensystem verweist es immer wieder auf sich selbst als aus Schrift und Bild konstituiertes Reich der Kunst, in dem Jussuf, Prinz von Theben, als symbolischer Herrscher auch die Grenzen seiner eigenen künstlichen Existenz absteckt. Er vertritt seine Schöpferin, Else LaskerSchüler, nicht als ihr Spiegelbild, sondern als Kunstfigur, die deren reale Existenz spielerisch erweitert und um Aspekte bereichert, die ihr in der Wirklichkeit verwehrt sind. Dabei bleibt stets erkennbar, dass Prinz Jussuf Teil eines collageartig zusammengesetzten Werks ist, das zwischen Wort und Bild, Schrift und Zeichnung, Wirklichkeit und Märchenreich, Mann und Frau, Vergangenheit und Gegenwart kontinuierlich oszilliert.
IV. Revision des Horaz’schen Paragone aus dem Geist der Linie
Indem Paul Klee seinen Bildern von Texten übernommene Strukturen zugrunde legt, indem er Buchstaben, Silben oder Wörter gleichwertig neben bildnerische Zeichen setzt und zu Elementen seiner Kompositionen macht, die auf diese Weise lesbar werden, löst er die bildende Kunst aus ihrer abbildenden Funktion. Bildzeichen und Schriftzeichen sind nicht eindeutig, sondern arbiträr. Auch im Zusammenhang der übergeordneten Form oder Komposition bleiben sie autonom, wie die Buchstaben, aus denen sich Worte und Texte zusammensetzen. Klees Darstellungen finden so zu einer Abstraktion, die sich radikaler von den Naturerscheinungen löst, als das bei anderen Künstlerinnen und Künstlern des deutschen Expressionismus der Fall ist. Aus dieser eigenständigen und innovativen Abstraktionstheorie ergibt sich Klees Kritik an Lessings Theorie zur Differenz von Literatur und bildender Kunst, denn Lessings Prämisse ist, dass Literatur und Malerei die Natur nachahmen, eine Voraussetzung, die für das 20. Jahrhundert nicht mehr gilt. Im Gegenteil, die Künste lösen sich von ihrer abbildenden Funktion. Statt die Illusion von Wirklichkeit zu vermitteln, durchdringen sie die Erscheinung der Dinge, analysieren innere Strukturen und räumliche Verhältnisse, untersuchen die Bedeutung der Farben. In den Werken Wassily Kandinskys, Franz Marcs, Gabriele Münters oder Alexej Jawlenskys trifft die Farbintensität den Betrachter wie ein momentaner emotionaler Schock, wogegen die Linie die Rezipientin in Klees Werken langsam durch das Bild leitet, so als würde sie einem Schriftzug folgen. Während bei Klee die Linie, die Zeichnung und Schrift verbindet, zum zentralen Ausdrucksmittel wird,
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tritt bei seinen Künstlerfreunden die Farbe als Emotionsträger auf und wird von ihrer Erscheinung in der Natur abstrahiert. Mit der Linie nimmt Klee einen Faden auf, der von einer Erzählung Ovids ausgeht, dessen Spur bis in die Moderne führt, über lange Strecken aber verloren ging. Im sechsten Buch der Metamorphosen erzählt Ovid vom Wettstreit der Göttin Minerva und der Weberin Arachne.51 Jede webt einen Teppich, auf dem Geschichten erzählt werden. Arachne webt so meisterhaft, dass die Darstellung auf ihrem Teppich täuschend ähnlich erscheint und sie als Siegerin aus dem Wettbewerb hervorgeht. Zur Strafe verwandelt die eifersüchtige Minerva sie in eine Spinne. Die Metamorphose beginnt mit den Armen, die sich in die dürren Spinnenbeine verwandeln, bis ihr Körper schließlich ganz zu dem einer Spinne verformt ist. Arachne, ehemals Weberin von Teppichen, wird nun Spinnennetze weben, indem sie sich den Faden aus dem eigenen Leib zieht. Mit der Geschichte von Arachne und Minerva erzählt Ovid den Urmythos der Literatur, denn seit der Verwandlung Arachnes müssen alle Schriftstellerinnen und Schriftsteller den Handlungsfaden ihrer Erzählungen, wie die Spinne den Faden für ihr Netz, aus sich selbst ziehen.52 Der Faden, aus dem ein Gewebe entsteht, kann nicht nur als Äquivalent der Linie, mit der die Schreibenden Buchstaben aneinanderreihen, gesehen werden. Er ist auch ein Symbol für die Linie des Zeichners. So begründet der Faden der Arachne die Verwandtschaft von bildender Kunst und Literatur, verbindet Pinsel und Schreibfeder. Über Jahrhunderte war ein anderer antiker Dichter, Horaz, wichtiger für den Vergleich von Literatur und bildender Kunst. Die Sentenz aus seiner Schrift De Arte Poetica, »ut pictura poeisis« – die Dichtung solle wie die Malerei sein,53 führte aber nicht zur Betonung einer gemeinsamen Wurzel von Literatur und bildender Kunst, sondern ihre Interpretation hatte im Gegenteil eine Hervorhebung der Unterschiede zur Folge: Wie erreichen Malerei und Poesie eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Realität, wie berühren sie ihre Leserinnen und Leser, ihre Betrachterinnen und Betrachter am tiefsten? Welcher der beiden Künste gelingt es besser? Dies waren Fragen, mit denen sich theoretische Traktate zu Malerei und Poesie beschäftigten.
IV. Revision des Horaz’schen Paragone aus dem Geist der Linie
Ein für die Malerinnen und Maler entscheidender Punkt im Rahmen dieses Paragone war der manuelle Aspekt ihrer Arbeit, der sie neben den Schriftstellern und Dichterinnen als Handwerker erscheinen ließ. Deshalb versuchten sie, den Umgang mit Farbe und Pinsel, die Arbeit im Atelier zugunsten ihrer schöpferischen Leistung in den Hintergrund zu rücken. Mit dem ambivalenten Konzept des Disegno,54 das sowohl den Gedanken zu einem Werk, die Absicht, als auch die Gestaltwerdung des Gedankens in Form der auf dem leeren Blatt niedergelegten Zeichnung umfasste, lösten sie dieses Problem. Zugleich schufen sie aber eine neue Konkurrenzsituation. Denn die Zeichnung, eng an den schöpferischen Gedanken gekoppelt und nahezu immateriell, wurde dem Kolorit, als der den konzeptionellen Entwurf nur ausführenden Materie, übergeordnet. Die Farbe, als das Element der Malerei, das sie von den anderen Künsten wesentlich unterscheidet, wurde durch ihre Koppelung an eine rein manuelle Tätigkeit degradiert. Die Malerinnen und Maler zeigten sich auf ihren Selbstbildnissen deshalb mit Zeichenstift und Buch, nicht mit Palette und Pinsel.55 Auf Allegorien der Malerei wurden dementsprechend die Zeichnung, die den schöpferischen Gedanken abbildete, als Mann, die diese Vorstellung nur ausführende Farbe als Frau dargestellt.56 Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte Paul Klee dieser männlich-weiblichen Zuordnung bei der Charakterisierung seiner selbst und der seines Freundes Franz Marc. 1916 notierte Paul Klee anlässlich des Todes von Franz Marc Gedanken an den Freund in seinem Tagebuch. Im Hintergrund dieses Textes von Klee lässt sich oben skizzierte Hierarchisierung von Zeichnung und Farbe deutlich als zugrunde liegendes gedankliches Konzept erkennen, sodass der Zusammenhang mit dem Horaz’schen Paragone offensichtlich wird. Paul Klee und Franz Marc lernten sich 1911 über Alfred Kubin in München kennen. Die Begegnung der beiden Maler war Ausgangspunkt für eine Freundschaft, die bis zum Tod Franz Marcs 1916 im Ersten Weltkrieg dauerte und die zwei im Menschlichen und im Künstlerischen grundsätzlich verschiedene Temperamente verband. In dem – literarisch stilisierten – Tagebucheintrag aus Anlass des Todes von Franz Marc entwarf Klee 1916 eine Vision des Freundes,
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die nicht nur dessen Charakterisierung diente, sondern mit der Klee sich auch des eigenen Selbstverständnisses als Künstler versichern wollte. Dem in christlicher Nächstenliebe wurzelnden, tiefen Verständnis Marcs für die Natur, seiner Einfühlung stellte Klee die eigene analytische Distanz zu den Naturphänomenen gegenüber: »Wenn ich sage wer Franz Marc ist muss ich zugleich bekennen wer ich bin, denn vieles woran ich Teil nehme gehörte auch ihm. Menschlicher ist er, er liebt wärmer, ausgesprochener. Zu den Tieren neigt er sich menschlich. […] Ich suche hierin einen entlegeneren, schöpfungsursprünglicheren Punkt, wo ich eine Art Formel ahne für Tier, Pflanze, Mensch, Erde, Feuer, Wasser, Luft und alle kreisenden Kräfte zugleich.« 57 Wie schon in früheren Eintragungen in seinem Tagebuch fasst Klee die eigene Naturnähe in das Bild der Urzelle, in deren Nähe er sich ansiedelt, sodass er als Schöpfer auf die gleichen Formeln Zugriff hat, wie die Natur selbst. Mit dem »frauenhaften Drang, jedem von seinem Reichtum mitzuteilen«, den er an Franz Marc beobachtet, korrespondiert in Klees Vorstellung des schöpferischen Prozesses ein komplementärer Begriff des Männlichen, den Klee 1914 im Verlauf seiner intensiven Ref lexion über den eigenen künstlerischen Standpunkt in seinem Tagebuch als die geistige Inspiration darstellt, die den Entstehungsprozess des Kunstwerks initiiert und in der Verbindung mit dem Weiblichen, der Materie, zu seiner Ausformung führt. Paul Klee sollte einige Monate später eines der Hauptwerke Franz Marcs, Tierschicksale,58 einfühlsam restaurieren, ein Werk, das wie eine Vorahnung des Krieges wirkt und das beim Rücktransport von der Gedächtnisausstellung nach dem Tod Marcs durch Brand beschädigt worden war. Das große Gemälde zeigt eine apokalyptische Szene, in der Tiere und Pf lanzen durch ein Unwetter vernichtet werden. Das dunkel glühende, durch Rot dominierte Bild steht am Ende einer Reihe von Skizzen, die Franz Marc als Vorbereitung zur Illustration der Erzählung Flauberts, La Légende de Saint Julien l’Hospitalier, plante.59 Die Novelle erzählt in ihrem ersten Teil, auf den Marcs Zeichnungen und Aquarelle sich beziehen,
IV. Revision des Horaz’schen Paragone aus dem Geist der Linie
die Geschichte Julians, der schon als Kind lustvoll Tiere tötet und der zu einem grausamen Jäger wird. Sein Schicksal verdammt ihn schließlich dazu, seine Eltern zu töten. Wie auf dem Gemälde Tierschicksale dominiert auf den Darstellungen in Marcs Skizzenbuch die Farbe Rot. Die Darstellung eines Getöteten Rehs ist blutrot, der Himmel nach der Jagd im Gebirge färbt sich rot und der Boden unter Julian zu Pferd ist rot wie eine Blutlache.60 Marc folgt in seinen Entwürfen der roten Spur der Gewalt, mit der auch Flaubert Julians Lebensweg vorzeichnet. Von dem roten Blutf leck, den die kleine Maus, die Julian als Kind tötet, auf dem Kirchenboden hinterlässt, über den roten Himmel, der sich nach dem todbringenden Jagdtag des jungen Julian rot färbt wie ein blutgetränktes Tischtuch, bis zur Szene des Elternmords. Die Flecken roten Bluts im Schlafgemach, in dem die Eltern Julians sterben, werden ergänzt durch rote Ref lexe eines farbigen Glasfensters, die sich bei Aufgang der Sonne über den Raum verteilen. Sie finden ein Echo im nächtlichen Himmel des Entwurfs in Aquarell für Tierschicksale, der von roten Flecken übersät ist, die wiederum auf die offengelegten, blutigen Ringe gefällter Bäume verweisen (Abb. 5).61 Mit den roten Ref lexen evoziert Marc die geheimnisvoll durchleuchtete mittelalterliche Kathedrale, die sein Bild sowie die Erzählung Flauberts als gemeinsamer Raum hinterfängt – mit einer für beide Künstler anderen Konnotation.
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Franz Marcs Übersetzung des Textes von Flaubert in Bilder basiert auf der Farbe. Über Rot – die Farbe des Bluts, der Gefahr und des Schmerzes – stellt Marc die Verbindung zu Flauberts Erzählung her und schafft mit seinen Aquarellen eine Entsprechung, die sich nicht an einzelnen Worten oder Sätzen Flauberts orientiert, sondern die Stimmung der Novelle evoziert. Marcs wesentliches Ausdrucksmittel ist die Farbe, die er im Fall seines Gemäldes Tierschicksale und den vorausgehenden, durch Flaubert inspirierten Illustrationen mit tiefer, weiblich konnotierter Einfühlung einsetzt – um es aus der Perspektive von Klees Charakterisierung seines Freundes zu sehen. Dagegen definiert Klee in seinem kunsttheoretischen Text Graphik die Linie als Leitfaden seiner Kunst. Er beansprucht den männlich assoziierten, analytisch-konzeptionellen Blick des Zeichners für sich, der ihn zu einem der Nachfahren Arachnes und Verwandten der Schriftsteller macht.
V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem Klee thematisiert in seinem malerisch-zeichnerischen Werk und in seinen kunsttheoretischen Texten nicht nur den seidenen Faden, den die Spinne sich aus dem eigenen Körper zieht und der zum gemeinsamen Medium der Künstlerinnen und Schriftsteller wird. In vielen seiner Bildkompositionen besinnt Klee sich auch auf das meisterhafte Werk Arachnes, das – einst ein kunstvoll gewebter Teppich – nach ihrer Verwandlung zur Spinne zum hauchzarten, transparenten Netz wird. Die von Ovid geschilderte Verwandlung vollzieht sich so, dass Arachne in der Mitte ihres aus sich selbst geschöpften, kunstvollen Gewebes sitzt. Eine Zeichnung von Victor Hugo zeigt das Bild nach der Verwandlung, eine, im Zentrum ihres Netzes sitzende, dicke schwarze Spinne (Abb. 6).62 Durch das Netz, das die Spinne in einem alten Gebälk aufgespannt hat, sieht man schemenhaft im Dunst die Türme und Dächer einer Stadt. Das Bild scheint vorbeizuziehen, sich in eine kreisende Bewegung einzufügen, die durch die Form des Spinnennetzes vorgegeben wird, sodass die Spinne nun zur Radnabe wird. Um sie herum kreist das Geschehen, wechseln blauer Himmel und graue Wetterwolken, in ihrem Netz verfangen sich schicksalhaft kleine Wesen, die auf Hugos Zeichnung wie Tintenklekse die feine lineare Netzstruktur stören. Der Schriftsteller Victor Hugo war als Zeichner ein Surrealist avant la lettre, indem er Techniken erfand, die bei der Bildfindung nicht von kalkulierbaren Verfahren, sondern vom Zufall ausgingen. Zeichnen war für ihn ein quasi unbewusster Vorgang, der das Schreiben begleitete: »Der Zufall ließ Ihnen ein paar Zeichnungs-
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versuche unter die Augen geraten«, schrieb er an seinen Verleger Castel, »die ich in Stunden der Träumerei machte, fast unbewusst mit den Resten von Tinte in meiner Feder auf den Rändern oder Deckblättern von Manuskripten.«63 Hugos Zeichnungen – meist in Tusche und Aquarell – entstanden aus autonom sich bildenden Formen von auf feuchtem Papier zerf ließender Farbe, oder er entwickelte sie aus großen Tintenf lecken, die er zu figurativen Formen erweiterte. Über diese f lüchtigen, schattenhaften Gestalten und Silhouetten legte er die Linien seiner Zeichnung, die den Darstellungen Kontur und Bedeutung verliehen, wie die sprachlichen Beschreibungen in seinem schriftstellerischen Werk Zeichen und Symbole interpretieren. Das Bild der Spinne im Netz taucht nicht nur in den Zeichnungen Victor Hugos auf. Man findet es an zentraler Stelle in seinem epochalen Roman Der Glöckner von Notre-Dame vor einem Fenster in der Kammer eines Alchemisten wieder:64 »Ein Lichtstrahl zeichnete in diesem Spitzbogenfenster ein rundes Spinnennetz nach, das kunstvoll gebildet war wie eine Rosette und in dessen Mitte unbeweglich eine Spinne lauerte, die Erbauerin des Werks, als wäre
V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem
sie die Nabe dieses mit Spitzentuch ausgespannten Rades.«65 Eine Fliege folgt einem Lichtstrahl, der durch das Fenster fällt, und verfängt sich, bevor sie ihr Ziel erreicht, im Netz der Spinne, das das unausweichliche Schicksal der Fliege besiegelt,66 wie es bei Hugo heißt. Das Spinnennetz – mit der Feder gezeichnet oder in Worten beschrieben – wird zum Symbol des Schicksals, in dessen Fäden man hängen bleibt und gefesselt wird. Paul Klee greift dieses Bild, das Arachne als Spinne zur Schicksalsgöttin macht, die ihre Fäden spinnt, in einer Reihe von aquarellierten Zeichnungen auf, die das besondere Interesse der Surrealisten weckten. Im Ersten Manifest des Surrealismus hob André Breton 1924 Poeten und Schriftsteller hervor, die seiner Ansicht nach dem Surrealismus nahestanden. Nur in einer Anmerkung erwähnte Breton auch bildende Künstler, darunter neben verschiedenen Malern der Moderne und vergangener Epochen auch Paul Klee.67 In den Zwanzigerjahren malte Klee eine Reihe von Darstellungen, die den Blick in perspektivisch stark überzeichnete Räume zeigen. Es ist nicht überraschend, dass diese Bilder mit ihrer unheimlich wirkenden perspektivischen Konstruktion die Aufmerksamkeit der Surrealisten auf sich zogen, als Klee 1925 in der Pariser Galerie Vavin-Raspail seine Aquarelle zeigte.68 In der Einführung zum Ausstellungskatalog schreibt Louis Aragon, Klee gehe bis an die Grenzen der Fantasie.69 Bezogen auf seine perspektivischen Räume, könnte man auch sagen, er gehe bis an die Grenzen des vorstellbaren Raums, denn auf jedem von Klees surrealistisch wirkenden Raumbildern stößt das Auge unweigerlich auf einen scheinbaren Durchgang im Bildhintergrund, der jedoch verschlossen, da tiefdunkel oder undurchlässig ist. Diese dunklen Öffnungen erinnern an Urnen und Grabmäler, an Todessymbole und Jenseitsverweise. Ihre Anziehungskraft scheint unausweichlich, denn die Fluchtlinien ziehen den Blick in die Tiefe, zwingen ihn auf eine Bahn und geben eine gradlinige Blickrichtung vor. Diese beschränkte Freiheit des Betrachters spiegelt sich auf dem Blatt Zimmerperspektive mit Einwohnern (Abb. 7),70 auf dem Klee Figuren darstellt, die zwischen den Linien einer perspektivischen Konstruktion eingespannt sind. Schemenhaft und körperlos
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klemmen sie zwischen den Linien der Zeichnung wie im Netz einer Spinne, dem Sog ins Nichts wehrlos ausgeliefert. Den Tunnelcharakter des Raums interpretierte André Breton in einem Kommentar zu dem Bild als Öffnung eines Berges in der Ferne: »In der Ferne schickt ein Mann sich an, einen halboffenen Berg zu erklimmen.«71 Breton bezog sich dabei auf eine zweite, 1925 entstandene Version der Darstellung, die unter dem französischen Titel Chambre spirite in der ersten Ausstellung surrealistischer Maler in Paris zu sehen war.72 Vielleicht wollte Klee mit dem neuen Titel den Surrealisten entgegenkommen, nachdem André Breton ihn 1924 im Ersten Manifest des Surrealismus unter den wenigen bildenden Künstlern genannt hatte, die der Bewegung nahestanden. Die Darstellung selbst war jedoch bis auf wenige Details die gleiche.
Abb. 7
V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem
Links an der Wand der Chambre spirite sieht man eine runde Scheibe mit einem Diagonalkreuz in der Mitte, die einer Uhr ähnelt. Auf einem anderen Raumbild Klees, Perspective mit of fener Tür,73 ist dieses Motiv deutlicher ausgeführt. Man sieht eine Uhr auf einer Anrichte, die den sich beschleunigenden Sog zu einer großen dunklen Tür im Hintergrund der Darstellung als zeitlichen Prozess charakterisiert. So wird der Raum zum Lebensraum, der in scheinbar steigendem Tempo durchmessen wird und dessen Ende ins Dunkel führt. »Denn auch der Raum ist ein zeitlicher Begriff«, schrieb Klee in seiner Abhandlung Graphik.74 Was Klee von André Bretons poetischer Sichtweise seines Aquarells hielt, wissen wir nicht. Mitte der Zwanzigerjahre war er jedoch bemüht, seine Kunst mit anderen Vorstellungen zu verbinden als den konstruktivistischen und funktionalen Ideen, die das Bauhaus in Dessau beherrschten. Er wollte seinem Werk einen breiteren Verständnisrahmen geben und den Betrachterinnen und Betrachtern seiner Bilder eine Perspektive öffnen, die sie von der Banalität der Realität befreite, die er in romantischer Tradition nur als die Oberf läche unendlich vieler, hinter ihr im Dunkel liegender, Welten betrachtete. Mit dieser Intention, das Verborgene sichtbar zu machen, kam er surrealistischen Vorstellungen nahe. Paul Klees perspektivische Variationen lassen uns in rätselhafte, beängstigende Räume blicken. Sie erstrecken sich tunnelartig in die Tiefe, wobei Wände, Decke und Boden von Fluchtlinien überzogen sind. In dieser Struktur, die nicht länger Hilfskonstruktion der räumlichen Darstellung für den Künstler ist, sondern zu einem riesigen Gitter und Netz wird, fangen sich die Menschen wie in dem kunstvollen Gewebe einer Spinne. Mit ihrer ganzen Welt aus leeren Dingen, Möbeln, Gegenständen sind sie im Netz fixiert. Auf dem Aquarell Das andere Geisterzimmer (neue Fassung)75 von 1925 wirkt dieses Gespinnst ungleich regelmäßiger und gradliniger als auf der Zeichnung Victor Hugos. Die im Netz Eingespannten haben zwar keine individuelle Bewegungsfreiheit, aber sie bewegen sich doch. Zwischen den Linien fixiert, gleiten sie wie auf einem Zeitstrahl unauf haltsam einer dunklen Öffnung am Ende des Tunnels entgegen, vor der ein Baldachin als Würdemotiv aufgespannt ist. Schemenhaft und körperlos klemmen die Gefesselten zwischen
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den Linien der Bildkonstruktion wie im Netz einer Spinne, dem Sog ins Nichts wehrlos ausgeliefert. Es ist der Übergang vom Leben zum Tod, dem alle zustreben und von dem sie jeweils mehr oder weniger weit entfernt sind. Wenn Paul Klee die Idee des Spinnennetzes als Schicksalssymbol aufnimmt, dann inszeniert er das Schicksal, das für alle Sterblichen gleich ist, denn niemand entgeht dem Tod und die Lebenszeit eines jeden ist endlich. So unterstreicht Klee den mit der Linie verbundenen Aspekt von Zeit und Dauer. Mit ihrer Hilfe konstruiert er einen Lebensraum, der nicht unendlich ist. Er wird durch die Zeit bestimmt. »Wenn ein Punkt Bewegung und Linie wird«, schreibt Klee in seiner Abhandlung Graphik, »so erfordert das Zeit.«76 Ausgehend vom Punkt, ihrem Ursprung, entwickelt sich die Linie zur Zeichnung oder zur Schrift, vollführt Wendungen und Drehungen, kreuzt sich mit sich selbst, formt Kreise und Winkel, lässt ein Schriftbild entstehen, das auch eine Zeichnung sein könnte oder eine Zeichnung, die man versucht ist zu lesen. Es ist ein Prozess, der zu einem ebenso präzisen wie unergründlich perfekten Werk führt, wie das Netz der Spinne, die – Metapher für Künstler wie für Schriftsteller – den Faden aus einem Punkt ihres Körpers zieht, immer weiterspinnt und zu ihrem Netz verwebt. Auf einem 1927 entstandenen Gemälde, Spinnennetz (Abb. 8),77 hat Paul Klee ihr kunstvolles Gewebe kopiert und zum heimlichen Zentrum einer nächtlichen Landschaft gemacht. In die vom Zentrum wie Sonnenstrahlen ausgehenden Fäden sind die zum Teil konstruktivistisch-abstrakten Elemente der Landschaft eingespannt. Pf lanzen und Gestirne, Wege, Felder, Beete und der Mond fügen sich in die vom Netz der Spinne vorgegebene Ordnung. Es gibt vielleicht kein treffenderes Bild für die Überzeugung Paul Klees, dass das Kunstwerk entsprechend dem natürlichen Organismus wächst und der Künstler, ein »Magier und Philosoph«,78 dessen innere Gesetze erkennt.
V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem
Abb. 8
Legt Paul Klee, indem er den Faden der Arachne wieder aufnimmt, den Akzent auf die prozessuale Entstehung eines Kunstwerks, gewinnt im Kreis der Surrealisten das Unbewusste des Schöpfungsprozesses an Bedeutung. Auch hier gibt das kunstvoll gewebte Netz der Spinne eine symbolische Struktur vor, die sich mit wesentlichen Konzepten des Surrealismus verbinden lässt. So zeigt eine Fotografie Brassaïs aus dem Jahr 1931 ein Bild, wie es mit dem Verfahren der écriture automatique (Abb. 9)79 entsteht. Brassaï illustrierte mit seinen Fotografien mehrmals Texte André Bretons in der Zeitschrift Minotaure und in diesem Zusammenhang ist auch das abstrakte Bild, das im Titel als ein Gleichnis oder Symbol für die écriture automatique vorgestellt wird, entstanden. Vor tiefdunklem Grund zeigt es eine Art gefiedertes Spinnennetz, ein Gebilde, das man sich auch
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als elektrisch aufgeladenen Blitz am nächtlichen Himmel oder als eine im Wasser schwimmende Pf lanze vorstellen könnte. Die feinen Fasern des Gebildes verzweigen sich unendlich; es wirkt ebenso komplex wie perfekt. Nur unter Ausschaltung sämtlicher rationaler Kontrollinstanzen, wie es die Vorstellung eines dessin automatique vorsieht, hat es entstehen können. Es ist der besondere Lichteffekt, der vom Fotografen nur initiiert wurde, ohne dass das Ergebnis zu kontrollieren oder vorherzusehen war. Brassaï beleuchtete alltägliche Gegenstände so, dass sie im Blick des Betrachters zu etwas anderem werden und Assoziationen wecken, die mit dem ursprünglichen Motiv der Fotografie nichts mehr zu tun haben. Das so entstandene Spinnennetz wird auf der Fotografie Brassaïs zum Bild des Schöpfungsprozesses im Sinne der Surrealisten, der Idee des Irrationalen, Zufälligen, Unkontrollierten als Grundlage der künstlerischen Produktion. Seine Perfektion lässt sich nur unter Ausschaltung der rationalen Kontrolle erreichen.
Abb. 9
V. Das Spinnennetz als surrealistisches Emblem
André Breton vergleicht in einem Text über André Masson 1941 sowohl den Vorgang der écriture automatique als auch den des dessin automatique mit dem Spinnen des Fadens und dem Weben des Netzes durch die Spinne: »Die Hand des Malers […] ist nicht mehr dieselbe, die die Form der Gegenstände sklavisch nachzeichnete, sie ist vielmehr in ihre eigene Bewegung verliebt und nur in sie und beschreibt jetzt die unwillkürlich auftauchenden Formen […]. Die wesentliche Entdeckung ist in der Tat die, daß die Schreibfeder beim Schreiben oder der Bleistift beim Zeichnen ohne jede Absicht dahinläuft und so eine äußerst kostbare Substanz spinnt […].« 80
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VI. Henri Michaux Ein Dichter-Maler Kaum ein Maler ist so sehr Grenzgänger zwischen Literatur und Malerei wie Henri Michaux. Die im Zitat Bretons selbstverständlich vorausgesetzte Nähe von Zeichnung und Schrift ist essenziell für sein zeichnerisches Werk, das über weite Strecken wie ein geheimnisvolles, da nicht entzifferbares Schriftbild gelesen oder betrachtet werden kann. Zunächst vertraut – wie eine Buchseite oder ein Brief –, entpuppen sich Michaux’ Tuschezeichnungen als Abbilder von Strukturen. Sie zeigen linear angeordnete, kryptische Schriftzeichen, die aufgrund dieser Anordnung in horizontaler Linearität die Illusion von Lesbarkeit vermitteln. Michaux bestätigt dies in seinen theoretischen Notizen: »Ich male wie ich schreibe. Um zu finden, um mich wiederzufinden, um mein eigenes Gut zu finden, das ich besaß, ohne es zu wissen. Um der Überraschung und gleichzeitig der Freude willen, es zu erkennen. Um eine gewisse Undeutlichkeit erscheinen zu lassen oder zu sehen, eine gewisse Aura, wo andere Volles wollen oder sehen. Um überall den Eindruck von Gegenwart wiederzugeben.« 81 In den 20er-Jahren entstehen parallel zu Michaux’ ersten Dichtungen seine ersten Zeichnungen. Auf geheimnisvolle Weise taucht gleich zu Beginn des zeichnerischen Werks das Symbol der Spinne als Hüterin von Faden und Linie auf. In der Nachfolge Victor Hugos entwickelt Michaux aus einem großen unförmigen Tintenf leck eine monströse Gestalt, von deren dickem schwarzen Körper viele dünne Beine ausgehen. Er nennt das Bild Un poulpe ou Une ville (Abb. 10)82 –
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sicher nicht ohne Assoziation an den spinnenähnlichen Tintenfisch, den Hugo zeichnete und dessen Arme sich zum Monogramm des Dichters formen.83 Wichtiger als diese Assoziation scheint jedoch der mit der Spinne verbundene Verweis auf die durch Faden und Linie garantierte Parallelität von Schrift und Zeichnung zu sein, auf die Michaux in den 1940er-Jahren mit einem ironischen Augenzwinkern in Richtung Surrealismus zurückkommt. Auf einer unbetitelten Lithografie, die Fantasiebuchstaben eines erfundenen Alphabets darstellt, bemerkt man zwischen den ordentlich in horizontalen Linien angeordneten geheimnisvollen Schriftzeichen eine Spinne wie einen störenden schwarzen Klecks, die unbeirrt ihrem Weg folgt.84
Abb. 10
Ein wichtiger Impuls für die bildkünstlerische Arbeit Henri Michaux’ war die Begegnung mit den Werken Paul Klees 1925 in der Galerie Pierre in Paris.85 In dieser ersten Ausstellung surrealistischer Malerei sah er außerdem Gemälde von Max Ernst und Giorgio de Chirico, die ihn beeindruckten. Sie waren Auslöser für seine frühen Zeichnungen: »Max Ernst und Paul Klee ließen mich […] als ich 24 Jahre alt war, zur Malerei kommen. Bis dahin hatte ich sie feindselig abgelehnt. Ich hasste die Maler mehr als sonst irgendwen, da sie die gutmeinenden Gehilfen der lästigen Realität und ihrer nur allzu augenscheinlichen und beschönigenden Erscheinungen
VI. Henri Michaux
waren.«86 Zwar begründet Michaux in dieser Ref lexion über den Charakter der Malerei seine ursprüngliche Abneigung gegen sie mit der täuschenden Wirkung von Bildern, die dem Betrachter eine idealisierte Wirklichkeit vor Augen führen. Gerade seine Zeichnungen und Aquarelle sollten auf einer anderen Ebene aber eine besondere Form von Illusionismus entwickeln. In den nächsten zwei Jahrzehnten trat Michaux in einen Dialog mit Paul Klee, wobei beide Maler fingierte Schriftstücke produzierten, die den Betrachter zum Lesen auffordern, ihn dann aber enttäuschen: Ein nicht zu entziffernder Text wirft ihn auf das Bild zurück, das wiederum ein Text zu sein scheint. Als Henri Michaux 1954 das Vorwort zur französischen Ausgabe der Klee-Monografie Will Grohmanns schrieb, gestaltete sich dieser Text mit dem Titel Linien-Abenteuer zu einer poetischen Hommage an die Linie.87 Er geht zurück auf den Besuch Michaux’ in einer 1948 im Musée d´Art Moderne gezeigten Klee-Ausstellung in Paris.88 »Vielleicht suchte ich vor allem die Hand dessen, der schreiben sollte«, vermutet Michaux im Rückblick und zitiert Klees Vorstellung, als Künstler nahe dem schöpferischen Ursprung zu leben: »Da, wo das Zentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktion veranlaßt, wer möchte da als Künstler nicht wohnen?«89 Die »zeitlich-räumliche Bewegtheit«, essenziell für Klees Kunsttheorie und verkörpert durch die Linie, wird von Michaux unwillkürlich mit dem Schreiben verbunden. Er wird sich dabei an die Formulierung Klees – »Die Genesis der Schrift ist ein sehr gutes Gleichnis der Bewegung.«90 – erinnert haben. Doch zunächst drängt sich Michaux das Unbewegliche, das »stille Leben« der Farben in Klees Bildern auf: »Ich landete beim rein Musikalischen, beim echten Stilleben. Diese bewegten Feinstmodulationen seiner Farben schienen keineswegs aufgetragen, vielmehr an den richtigen Stellen ausgesickert oder auf natürliche Weise eingewurzelt wie Moose oder seltsame Schimmelbildungen. In den zarten Tonalitäten gealterter und reif gewordener Dinge verkörperten diese stillen Leben ein langsames
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organisches Naturgeschehen, entstanden und entwickelt in abgestuften Emanationen.«91 Schließlich lösen sich das Gewirr und die verschlungenen Wege der Linien vom farbigen Bildfonds. Sie geraten in Bewegung. Michaux folgt Paul Klees 35 Jahre zuvor geschriebenem Essay Graphik, in dem Klee die Linie als wesentliches Element seiner Bilder einführt: Als »erste bewegliche Tat«92 des Künstlers, der vom statischen Punkt ausgeht, führt die Linie den Betrachter auf einem Spaziergang durch das Bild. Über Felder und Äcker, beim Durchqueren eines Flusses folgt er der Linie bis in ein Gewitter und vergleicht sie schließlich mit der Fieberkurve eines Kindes. Michaux nimmt dieses Gedankenspiel auf und geht noch einen Schritt weiter, indem er die Linien zu empfindenden, ja sogar denkenden Subjekten macht: »Allmählich trat das komplexe Netz der Linien zutage: solche, die im Kleinvolk der Staubflocken und der Punkte leben, Krumen durchschneiden. Zellen umzingeln, ganze Zellenfelder, oder sich drehen, sich in Spiralen drehen, um zu faszinieren, oder um etwas, das einmal fasziniert hat, wiederzufinden: Blütendolden und Achate./Andere, die Spazierengehen […] die ersten, die in der westlichen Welt so zu sehen waren, spazierengehend . […]/Da ist eine Linie, die denkt. Eine andere vollendet einen Gedanken. Linien, die sich aufs Spiel setzen. Linien, die sich entschließen./Eine Linie erhebt sich. Eine Linie blickt auf. Eine gewundene Linienmelodie durchquert zwanzig Linienschichten./Eine Linie keimt. Tausend andere um sie herum tragen Triebe: eine Wiese. Gräser auf einer Düne./ Eine Linie verzichtet. Eine Linie erholt sich: Ausrast. Eine Ausrast mit drei Klammern: ein Habitat./Eine Linie schließt sich ein. Meditation. Noch fließen Fäden aus, langsam. Eine Teilungslinie hier, eine Überdachung dort, etwas weiter die Beobachtungslinie./Zeit, Zeit […].«93 Es ist nicht genug Zeit, so scheinen diese letzten Worte zu bedeuten, um alle Linien Klees zu charakterisieren und zu verstehen. Der Leitlinie Klees setzt Michaux eine Vielzahl von Linien entgegen,
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eine Typologie, die unendlich fortzusetzen wäre. Eine Bewegung, die nie versiegt: »Noch f ließen Fäden aus, langsam.«94 Eine unbegrenzte Diversität, derer der Künstler kaum Herr wird, sondern die umgekehrt sein Werk bestimmt. In der sich fortsetzenden Zwiesprache mit Paul Klee ist erkennbar, dass Henri Michaux bei der Verbindung von Schreiben und Zeichnen durch die Linie einen neuen Akzent setzt. Für ihn ist weniger entscheidend, dass sowohl das grafische als auch das bildnerische Zeichen aus der linearen Bewegung entstehen, als vielmehr, dass ihre Bedeutung offenbleibt: »Sieht man nicht, dass ich male, um die Wörter links liegen zu lassen, um den Kitzel des Wie und Warum zu unterdrücken? Vielleicht weil ich deutlich dieses oder jenes vor mir sehe, was ich zeichne? Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich zeichne, damit ich wieder in Verlegenheit komme. Und umso besser, wenn ich in Fallen gerate. Ich bin auf Überraschungen aus, wüsste ich etwas, es würde mich langweilen.«95 Michaux folgt der Linie, lässt sich durch sie überraschen und anregen, während Klee den Verlauf der Linie steuert. Einige frühe Blätter, Michaux’ Zeichnungen mit den Titeln Narration und Alphabet (Abb. 11),96 die zunächst wie Briefe oder säuberlich angelegte Schriftstücke wirken, entpuppen sich beim näheren Hinsehen als Kritzeleien, als eine Aneinanderreihung kleiner Figürchen, Miniaturpf lanzen, Landschaftsfragmente. Vor unseren Augen verwandeln sich die Schriftzeichen in figürliche Formen und umgekehrt. Zudem scheint der Schreiber des Dokuments den Überblick verloren zu haben. Die Abstände der horizontalen Reihung geraten in Unordnung, sind mal weiter, mal enger, sodass der Eindruck entsteht, beim Schreiben sei das Format des Papiers aus dem Blick geraten, während das Eigenleben der Zeichen zu weiteren Unregelmäßigkeiten bei der Platzaufteilung führt.
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Abb. 11
Die abstracte Schrif t (Abb. 12) Paul Klees97 dagegen wirkt geradezu abgezirkelt. Sie entwickelt sich auf vier Zeilen etwa gleicher Länge, die in die Mitte eines linierten Blattes gesetzt sind, das wiederum auf einem Untersatzkarton klebt. Säuberlich unterstrichen ist die Darstellung hier datiert und betitelt. Unten rechts auf dem linierten Papier hat Klee signiert. Im Gegensatz zu den vereinzelten, individuellen Zeichen Michaux’, die zahlreiche figürliche Assoziationen
VI. Henri Michaux
erlauben, lässt Klees abstracte Schrif t einen f ließenden Duktus des Schreibers erkennen, eine Handschrift, die jedoch auf einem fremden Alphabet zu beruhen scheint. Einzelne Buchstaben sind zu entziffern, aber sie verbinden sich nur in einem Fall, am Ende der zweiten Zeile zu dem Wort »Jahr«, das vereinzelt und ohne verständliche Verbindung zu den nebenstehenden Zeichen nichts aussagt.
Abb. 12
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VII. Unlesbare Texte Klees Schriftbilder der 1930er-Jahre Die fundamentale Bedeutung, die die Verbindung von Schreiben und Zeichnen, Lesen und Sehen in Klees Werk hat, gewinnt in seinem Spätwerk, in den 1930er-Jahren, eine neue Dimension. In seinem Essay Paul Klee and the image of t the book schreibt Joseph Leo Koerner, diese späten Werke bezeichneten in ihrer Unlesbarkeit, ihrer besonderen Haptik und dem Oszillieren zwischen Bildgrund und darüber liegenden Zeichen die Grenzen des Buches: »Klee creates the book, or creates a painting which is a book, only to show the books limits.«98 Seit der Antike wurde das Buch als Symbol und Spiegel der Totalität der Welt gedacht: »E. H. Curtius devoted a central chapter of his monumental study European Literature and the Latin Middle Ages to the history of the book as a symbol. Tracing the image of the book from its inauspicious beginnings in ancient Greece to its apotheoses in Dante and the High Middle Ages, Curtius demonstrates how the book in figurative language not only represents different writers‹ regard for the medium of their art, but also reflects the changing way a culture regards itself and its own production.«99 Die Krise des Buches im 20. Jahrhundert und den ausweglosen Versuch, sie zu überwinden, sieht Koerner in zwei Hauptwerken der Moderne, Finnigan’s Wake von James Joyce und Mallarmés Coup de Dé, exemplarisch abgebildet.100 Auch Paul Klee thematisiert aus Koerners Sicht mit seinen Werken einen nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf die Totalität des
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Buches im 20. Jahrhundert. Mit Titeln wie Alphabet WE, Albumblatt, Anfang eines Gedichtes,101 Urkunde,102 Gesetz103 geben die Bilder vor, Schriftstücke zu sein. Ihre technische Beschaffenheit suggeriert Altersspuren und Abnutzung. Die Schriftzeichen bleiben abstrakt oder ergeben nur fragmentarische Zusammenhänge. Im Gegensatz zur malerischen Darstellung chinesischer Gedichte (Abb. 3), mit der Klee sich um 1916 beschäftigte – zur gleichen Zeit, in der er die Linie zur Grundlage seiner Kunst bestimmte – sind Buchstaben und Zeichen in seinen späten Werken scheinbar willkürlich über das Blatt verteilt. So wirkt die Tuschezeichnung Alphabet WE (Abb. 13),104 als seien die Zeichen auf das Blatt gestreut. Die mit breitem Pinsel in Schwarz auf das Blatt geschriebenen Buchstaben sind weder in Zeilen angeordnet noch folgen sie der alphabetischen Reihenfolge. Sie erweitern die Anzahl der Buchstaben des Alphabets auf 25. Im Zentrum stehen W und E, die diesem ungewöhnlichen Alphabet seinen Namen geben, ohne seine Bedeutung verständlich werden zu lassen. Die Augen irren auf dem Blatt umher. Sie können keine Ordnung finden und die fehlende Struktur der natürlichen Leserichtung von links oben nach rechts unten durch keinen alternativen Weg ersetzen.
Abb. 13
VII. Unlesbare Texte
Abb. 14
Im Vergleich mit einem weiteren, ebenfalls 1938 entstandenen Alphabet II105 zeigt sich eine Spur, der sie folgen können. Auch die Buchstaben dieses Alphabets sind wie zufällig auf dem Blatt verteilt. Dies ist umso auffälliger, als der Bildgrund eine Struktur vorgibt. Paul Klee hat Alphabet II (Abb. 14) auf die Anzeigenseite einer Zeitung gemalt. Durch die rechteckige Rahmung der Annoncen ist sie vertikal und horizontal gegliedert, doch folgt Klee diesem Muster nicht. Bewusst ignoriert er unsere gewöhnliche Leserichtung von links oben nach rechts unten. Die Buchstaben, frei um eine dick gerahmte Anzeige in der Mitte des Blattes verteilt, scheinen um dieses Zentrum zu kreisen. Im Gegensatz zu den gedruckten Buchstaben der Zeitung wirken sie frei und beweglich, ohne allerdings gelesen werden zu können. Wie bei Alphabet WE, das, was im Vergleich klar wird, ebenfalls durch eine Kreisbewegung bestimmt wird, ergeben die Buchstaben keine Wörter, keine Sätze, keinen
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Sinn. Ganz im Gegensatz zu den Schriftzügen der Zeitung, die gut lesbar sind. Die Anzeigen preisen Ka-Alba an, »ein schokoladenähnliches Nährmittel«, sie werben für Vogue und Velos, für den Kauf eines »kleinen Kleiderschränklis« oder den Tuchladen Gellert. Die dickgerahmte große Annonce in der Mitte des Zeitungsblattes schließlich lädt ein zu Vorträgen, die sich mit dem »Verderben der Menschheit« beschäftigen. Durch den disparaten Charakter der Anzeigen erscheint die Zeitungsseite, die Klee zur Grundlage seines Alphabeth II machte, ähnlich absurd wie die von den Surrealisten vereinnahmte Sentenz des Dichters Lautréamont von der »zufälligen Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch«.106 Alltägliche Begriffe und Konzepte stehen in völliger Beziehungslosigkeit nebeneinander. Klee unterstreicht diese surreale Wirkung, indem er sein Blatt oben rechts signiert, sodass sein Name unter dem Wort Familie und der Zeichnung einer Mutter mit zwei Kindern steht und einen eigenen, neuen Sinnzusammenhang ergibt: »Familie Klee«. Zwar lassen sich die Sätze und Worte auf der Zeitungsseite, auf die Klee sein Alphabet II schreibt, lesen, aber ihre Lektüre vermittelt ein Gefühl von Sinnlosigkeit. Über das Chaos der banalen alltäglichen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen legt sich die geheimnisvolle Ordnung von Klees Alphabet II. Man könnte die beiden Schriftebenen der Zeichnung Alphabet II mit dem Modell der Sprache von de Saussure in Zusammenhang bringen, das Klee kannte.107 In seinen Schriftbildern scheint es in den übereinander liegenden zwei Ebenen einer mehr oder weniger regelmäßigen Struktur und den darüber liegenden frei beweglichen Zeichen auf. Wie Signifikanten und Signifikate nicht eindeutig verbunden sind, stehen die schwarzen Buchstaben von Klees Alphabet II in keiner direkten Verbindung zu den darunter liegenden, in dem Raster der Zeitungsanzeigen regelmäßig angeordneten Schriftzeichen, Worte und Sätze. Auch auf horizontaler Ebene findet die Sinnbildung durch Beziehungen der Buchstaben und Worte untereinander nicht statt. Koerners Feststellung, Klee male das Buch, um die Grenzen des Mediums abzustecken, klingt euphemistisch.108 Denn in den letzten zehn Jahren seines Lebens geht es Klee nicht mehr darum, Texte zu malen – oder atmosphärisch zu untermalen – sondern seine Schriftbilder werden zu unentzifferbaren, fragmenta-
VII. Unlesbare Texte
rischen Bilddokumenten mit Palimpsestcharakter.109 Sie verweisen auf die Auf lösung von Buch und Schrift, ihren nicht mehr einzulösenden Anspruch, Sinn und Zusammenhang zu stiften. Die Zeitung als Bildgrund ist dabei von besonderer Bedeutung. Sie repräsentiert das von Walter Benjamin evozierte schnelle, zerstreute Lesen der Moderne, dem Klee die langsame, gewissenhafte Lektüre seiner Bilder gegenüberstellt: »Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunstwerk Wege eingerichtet.«110 Auf dem Centrifugalen Gedenkblatt von 1923 (Abb. 15)111 sind diese Wege, die Klee dem Auge des Betrachters einrichtet, schnell zu erkennen. Sie gehen von der dadaistisch in die Bildmitte gesetzten Silbe ei aus, die, liest man sie als Ei oder als Ausdruck des Erstaunens, gleichermaßen absurd wirkt. Das weiße Quadrat, auf dem ei geschrieben steht, ist umgeben von farbigen Rechtecken, die durch Anordnung und Farbgebung eine kreisförmige Bewegung um das Bildzentrum vorgeben. Wie auf Alphabet II ignoriert Klee auch für seine Komposition des Centrifugalen Gedenkblatts die Anzeigenstruktur der Zeitungsseite, die durch die Farbschicht hindurchschimmert und die autonome Kreisbewegung von Farbe und Form dadurch umso offensichtlicher macht.112
Abb. 15
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Auf dem Werk Gesetz (Abb. 16)113 schließlich wird die unleserliche Schrift Klees zu einer Geheimsprache, deren rätselhafte Zeichen die Bildf läche überziehen. Ihr Charakter oszilliert zwischen Bildzeichen und Buchstabe. Diese Bilderschrift liegt über Zeitungspapier, das Klee zuvor mit einer dicken weißen Malschicht überdeckte. Nur an einigen frei gebliebenen Stellen und an den Rändern erahnt man die Zeitung. Die entschieden und präzise wirkende Bilderschrift legt sich gleichsam über die Banalität des Alltäglichen. Der juristischen Willkür im nationalsozialistischen Deutschland der 1930er-Jahre stellt die Kunst ein Gesetz entgegen, das schwer zu entziffern ist, das jedoch schwarz auf weiß hier geschrieben steht.114 Nur dem, der sich dem Rhythmus der Komposition überlässt und der inneren Logik ihrer Zeichensprache folgt, fügen sich die Elemente zusammen, formieren sich zu Gegensätzen oder ergänzen sich. Ein fragend offenes Gesicht am oberen Bildrand findet ein Gegenstück in der dunklen und verschlossenen Physiognomie im unteren Teil der Darstellung. Ein volutenförmig beginnender, vertikal nach unten gerichteter Bischofsstab wird von einem, durch einen breiten Sockel gestützten, Halbkreis in der Horizontale aufgefangen. Vier Bogen, sich rhythmisch von links nach rechts fortsetzend, stehen unterhalb einer statisch wirkenden geschlossenen Rechteckform. Dieser Symmetrie der Gegensätze ordnet sich auch die farbliche Gestaltung des Blattes unter. Mit der schwarzen Schrift auf weißem Grund sind die beiden Pole der Farbkugel bezeichnet, ist ein absoluter Kontrast gesetzt, der in grünlichem Grau und tiefem Gelb, den beiden Schwarz und Weiß benachbarten Tönen, gemildert wieder aufgenommen wird. Die schwachen Akzente in Rosa erscheinen dagegen wie Verwundungen oder Bruchstellen in diesem Spannungsfeld. Nimmt Klee in dem 1938, zwei Jahre vor seinem Tod entstandenen Werk Gesetz den Gedanken von der Synthese der Gegensätze, der sein gesamtes Werk prägt, wieder auf, so stellt er ihn unter gestalterisch neue Vorzeichen: Die Gegensätze treten unbedingter auf, kompromissloser. Sie stehen schwarz auf weiß, wie der schwarze Schriftzug auf dem weißen Blatt. Vermittelnde Übergänge fehlen, die Farbe wird in kontrastreichem Nebeneinander auf das Blatt gesetzt. Es scheint, als habe Paul Klee am Ende seines
VII. Unlesbare Texte
Abb. 16
Lebens, vor dem Hintergrund der tragischen politischen Ereignisse und im Bewusstsein seiner schweren Krankheit und der bedrohlichen Todesnähe, in Kategorien gedacht und gemalt, die ihn zu einer Beschränkung auf das Wesentliche führten. Mit immer wiederkehrenden ausdrucksstarken Formen und Zeichen, Figuren und Strukturen lässt er das eigene Schicksal zum Mythos werden, verwischt die Grenzen zwischen Bild und Schrift, sodass eine Zeichensprache oder Hieroglyphenschrift entsteht, in der sich die Tragik der Epoche spiegelt.
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VIII. Cy Twombly Schrift als Geste Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Suche nach dem Wahren, Authentischen, moralisch Richtigen an den Einzelnen und seine subjektive Ausdrucksfähigkeit gebunden. Schrift im Bild löst sich von strengen kompositorischen Strukturen und wird durch die Geste bestimmt. Informel und Tachismus binden den künstlerischen Ausdruck an das Instinktive, das Unkontrollierte, das zugleich als das nicht rational kontrollierte Wahrhaftige gesehen wird. Der spontane Gestus des Malers, die direkte Übersetzung seiner Empfindung im Malakt auf die Leinwand, gilt als Garant für unverfälschte Aufrichtigkeit.115 Parallel zu diesen Recherchen wird in der Art Brut das Authentische und Unverbildete in Kunstformen gesucht, deren Urheber sich dem künstlerischen Charakter ihrer Tätigkeit nicht bewusst sind. Artefakte von Kindern, Geisteskranken, Autodidakten werden vorbildlich. Alles Raue, Unverfeinerte und Grobe regt die Fantasie an. Jean Dubuffet lässt sich 1945 für Les Murs, einer Serie von 15 Lithografien, Illustrationen zu Gedichten von Eugène Guillevic,116 durch Graffiti inspirieren. Er zeigt Mauern mit ihrer besonderen Oberf läche und Struktur, ihren Verwitterungen, Verschmutzungen, Altersspuren. Sie sind voller Kritzeleien. Neben kleinen Bildzeichen stehen Buchstaben und Wörter. In weißer Kreide sind sie auf die schwarzen Mauern geschrieben. Sie überlagern und durchkreuzen sich, sodass die Textfragmente kaum zu entziffern sind. Die Graffiti sind Teil der Schichten von Schmutz und Moos, die sich im Laufe der Zeit auf den Mauern überlagert haben. In einem Interview mit Nicholas Serota stellt Cy Twombly 2007 fest, dass Graffitis mit seinem Werk nur insofern etwas zu tun ha-
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ben, als sie linear sind und mit einem Stift auf die Wand geschrieben werden. Die kleinen Piktogramme und Inskriptionen in seinen Bildern seien lyrischer – und natürlich auch größer, dem Format seiner Werke entsprechend. Graffitis dagegen seien immer mit einer Haltung des Protests und der Aggression verbunden.117 Tatsächlich könnte man Dubuffets Mauerbilder als Hommage an eine antibürgerliche Alltagskultur betrachten. Die Graffitis, die er zeigt, sind Teil einer neuen Ästhetik, die das scheinbar Ungelenke und Kindliche feiert und zu sehen lehrt. Wie die spontane, intuitive Geste des Informel oder die Zufallsspuren auf den Leinwänden des Tachismus ist auch die Art Brut der Versuch eines Neuauf bruchs nach den moralischen Verfehlungen des Zweiten Weltkriegs, die man unter anderem mit der Kultur des Bürgertums verband. Dubuffet kombiniert in der Lithografieserie Les Murs die abstrakten Muster der alten Mauern mit einer kindlich-expressiven Darstellungsweise von Menschen und Gebäuden (Abb. 17).118 Die Graffitizone auf der Mauer entspricht dieser simplen Direktheit mit obszönen und sentimentalen Bildzeichen und unbeholfenen, wie stotternd hervorgebrachten Schriftzügen: Auf die dunkle Wand, gegen die zwei Männer urinieren, ist ein kleines Herz gezeichnet. Daneben der Name Bernard, ergänzt durch die schematische Darstellung eines männlichen Geschlechtsteils, das weiter oben, als Auftakt und Teil des Namens Marcelle, nochmals auftaucht. Auch ein Schimpfwort und die Jahreszahl 1945 sind zu lesen. Lesbare Worte und Bildzeichen sind von Gekritzel überlagert, sodass ein Netz verworrener, sich überkreuzender Linien entsteht, in die Entzifferbares verwoben ist. Der erigierte Penis mit Hoden, auf den Lithografien Dubuffets ein obszönes Piktogramm, verwandelt sich auf Twomblys Gemälden in ein Symbol der richtungsweisenden Potenz.119 Auf dem Achaeans in battle titulierten Gemälde (Abb. 18),120 Teil IV der Bilderserie Fifty days in Illiam, steht es für den Auf bruch der Griechen in den Kampf. Blutrot nimmt es die Form einer Waffe oder eines rasenden, zweirädrigen Pferdewagens an. Zwischen wirbelnden Kugeln stehen metaphorisch dargestellte Krieger unter dem Schutz von Hera oder Athene. Der lateinische und der griechische Name der
VIII. Cy Twombly
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Göttin sind ebenso wie der von Thetis, der Mutter des griechischen Helden Achilles, entlang der Silhouette zweier Zelte geschrieben, die vom linken Bildrand abgeschnitten werden. Über einem weiteren Penissymbol ist der Name Axaioi zu lesen. Twombly schreibt in Großbuchstaben mit schwarzem Stift, wobei er das A durch eine spitzwinklige Pyramidenform ersetzt und manche Buchstaben ganz wegfallen lässt. Seine Schrift wirkt ebenso ungeschickt wie die Graffitis auf Les Murs von Dubuffet. Zugleich erweckt sie den Eindruck von Fremdheit, wie alte Inschriften, die sich entziffern lassen, aber für manche Buchstaben abstrakte Zeichen einsetzen. Der Klang, den die Namen evozieren, scheint von weither zu kommen; er weckt vage Assoziationen an große, aber längst vergessene mythische Erzählungen.121
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Abb. 18
In den wenigen Kommentaren zu seinem Werk insistiert Twombly auf der Bedeutung der Linie für seine Malerei. Im schon zitierten Interview mit Nicholas Serota erklärt er, die Linie verleihe der Malerei Nachdruck, und fährt fort mit dem Hinweis auf eine Gedichtzeile seines Lieblingsdichters, des frühantiken Poeten Archilochos, »Leaving Paphos Ringed with waves, ringed«, die ihn besonders berührt.122 Die Mehrdeutigkeit des englischen Wortes line, deutsch Linie, hier auch Zeile, die in diesen Sätzen Twomblys aufscheint, spiegelt ein Charakteristikum seines Werks. Einerseits ist das zeichnerische Element auf Twomblys Gemälden dominant: Die Linie führt das Auge und die Farbe dient der atmosphärischen Untermalung. Andererseits schreibt Twombly mit der Linie Worte oder Sätze, die den zentralen Ausdruck eines Gemäldes in sich fassen. In einem Gedicht, so Twombly, haben bestimmte Zeilen (lines) eine so große Wirkung auf ihn, dass er sie als Ausdruck des Essenziellen empfindet, einer Wahrheit, die er in seiner Malerei sucht.123 Die Schilderung der Arbeitsweise Twomblys, die dem kurzen und eruptiven Mal- und Zeichenakt eine lange Phase der Meditation und Ref lexion vorausgehen lässt, erinnert an das DisegnoKonzept der Spätrenaissance. Die schon in dem Wort disegno an-
VIII. Cy Twombly
gelegte doppelte Bedeutung, sowohl Intention als auch Zeichnung, entspricht den zwei Aspekten des kreativen Prozesses, wie er von Federico Zuccari, dem Theoretiker der akademischen Disegno-Lehre im 16. Jahrhundert, formuliert wurde.124 Zuccari zufolge setzt der Künstler die ihm von Gott eingegebene Idee in der Zeichnung um. Die Zeichnung ist deshalb nicht nur der direkteste Ausdruck seines Gedankens oder inneren Konzeptes, sondern als reine und ideale Form hat sie gegenüber der farbigen Gestaltung des Gemäldes Vorrang. Auch Twombly hebt die besondere Bedeutung der Zeichnung für sein Werk wiederholt hervor und ordnet sie der Farbe über. Dabei macht die oben beschriebene Mehrdeutigkeit von line die entscheidende Differenz zum manieristischen Disegno-Konzept aus. Line ist für Twombly die Zeile aus einem Gedicht, die auf seinen milchig-weißen Leinwänden oder cremefarbenen Papieren nicht als Kontur einer Form, sondern als Schrift ihren Niederschlag findet. Dem von Gott eingegebenen Gedanken Zuccaris entspricht für Twombly die line, die Strophe oder einzelne Zeile eines Gedichtes, die ihn anrührt und in ihm nachklingt. Die Zeichnung wird zur Schrift, zu einer Reihe von Buchstaben, mit denen der Maler die Gedichtzeile nachschreibt. Als Ursprung und Vorstufe der Zeichnung als Schrift und der Schrift im Bild lassen sich im Werk Twomblys Ende der 1960erJahre Serien von Bildern ausmachen, die allein die Geste des Schreibens darzustellen scheinen. In einer rhythmischen, kontinuierlichen Bewegung zeichnet Twombly Kringel, Schleifen oder Wellenlinien mit weißem Stift auf dunkelgraue Leinwände, die wie Schultafeln wirken.125 Auf anderen Bildern zeichnet Twombly mit dunklem Stift auf cremeweiße Leinwände. So zeigt Nini’s Painting von 1971 (Abb. 19)126 Schlangenlinien, die die große helle Malf läche füllen und sich in mehreren Farben und Schichten überlagern. Die Bilder sind Ausdruck einer selbstvergessenen Bewegung und eines intensiven Gefühls, wie Twombly 1957 in einem Interview erklärt. Jede Linie sei die vergegenwärtigte Erfahrung ihrer eigenen Geschichte.127 Indem der Maler der Linie zeichnend oder schreibend mit seiner Geste folgt und sie mit dieser Bewegung zugleich produziert, lässt er sich ebenso leiten, wie er einem starken subjektiven Gefühl Ausdruck verleiht. Mit der gestischen
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Malerei und mit der Tendenz, die Malf läche über die Grenzen der Leinwand hinaus zu erweitern, übernimmt Twombly Konzepte des Informel. Er verbindet sie in seinen frühen Werken mit typischen Eigenschaften der Schrift: Die Bewegung des Zeichners oder Schreibers folgt der Leserichtung von links nach rechts. Die Komposition beruht jeweils auf der Horizontalen und einem gedachten Linienraster als Gliederungsprinzip.
Abb. 19
In einer den vier Jahreszeiten gewidmeten Gemäldegruppe kombiniert Twombly auf dem Bild des Winters Druckschrift und Schreibschrift (Abb. 20).128 In Druckschrift schreibt er links oben auf die Leinwand den Bildtitel: Le QUATTRO STAGIONI INVERNO, auf die rechte Seite schreibt er handschriftlich Zeilen eines Gedichtes. Zwischen beiden Beschriftungen gleiten schwarze Barken wie Totenschiffe über das Wasser. Die weiß grundierte Malf läche, auf die Twombly schreibt wie auf ein leeres Blatt Papier, wird in diesem Bereich zur Wasserf läche. Mit Farbschlieren und Spuren hinunterlaufender Farbe erfasst sie auch den Bereich des Gedichtes, was die
VIII. Cy Twombly
Entzifferung des Textes noch schwieriger macht, als sie ohnehin ist, denn Twomblys Schrift ist undeutlich und unregelmäßig. »Man hat gesagt: Cy Twombly, das ist wie mit der linken Hand gezeichnet […] Der Linke (oder der Linkische) ist eine Art Blinder: er sieht nicht richtig die Tragweite seiner Gesten; lediglich seine Hand führt ihn, das Verlangen seiner Hand, nicht sein instrumentelles Geschick: das Auge, das ist die Vernunft, die Evidenz, die Empirie, die Wahrscheinlichkeit, die Kontrolle, die Koordination, die Imitation; als exklusive Kunst der Schau war unsere gesamte Malerei einer repressiven Rationalisierung unterworfen. In gewisser Weise befreit Cy Twombly die Malerei von der Schau; denn der Linke (der Linkische) löst das Band zwischen der Hand und dem Auge; er zeichnet ohne Licht […].«129
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In seinem Essay über Cy Twombly hebt Roland Barthes als ein wesentliches Element und eine Leistung seiner Kunst die unkontrollierte, linkische Weise des Schreibens hervor. Seine zögernde, immer wieder abbrechende Geste hänge nicht von der Ratio, sondern von der Intuition ab. Gerade dieses vermeintlich Ungeschickte seiner Schrift sei Ausdruck einer Befreiung von der Kontrolle des Verstandes.130 Das Lesen von Twomblys Schrift wird nicht nur durch sein unordentliches, linkisches Schreiben erschwert. Oft bleiben Worte oder Gedichtzeilen fragmentarisch. Durch Übermalungen werden sie gelöscht oder sind nur lückenhaft wiedergegeben. Auslassungen, Überschreibungen, Streichungen gehören zum Konzept des Malers, der in seinen Bildern die Leere des meist hellen Malgrundes mit dem leeren Blatt des Dichters assoziieren lässt. Seine Zitate kürzt und fragmentiert Twombly manchmal schon bei der Lektüre vor dem Malakt. In Lyrikbänden aus seiner Bibliothek finden sich Markierungen und Streichungen in Gedichten, die Twombly später in seinen Bildern verwendet hat.131 Diese redigierenden Eingriffe in die Texte führen zu einem großen Verständnisspielraum. Vieles wird nur angedeutet, bleibt ohne Zusammenhang. Der Betrachter oder die Leserin sind auf die Leere des Bildraums zurückgeworfen, konfrontiert mit der Unmöglichkeit, aus Worten und Zeichen auf dem Bild einen eindeutigen Sinn zu rekonstruieren. Die Vorliebe Twomblys für griechische Poeten des 6. und 7. Jahrhunderts vor Christus, wie Archilochos, deren Lyrik nur bruchstückhaft überliefert ist, leistet dieser Tendenz Vorschub. Seit seinem Studium am Black Mountain College zu Beginn der 50er-Jahre suchte Cy Twombly die Auseinandersetzung mit Literatur und Lyrik. Bedeutenden Einf luss auf ihn hatte der Dichter Charles Olson, der am Black Mountain College lehrte. Seine antinaturalistische Poetik geht von der Silbe, nicht vom Wort als Einheit des Gedichtes aus. Über den Atem entwickelt sich der Rhythmus der Poesie, so Olson, er lässt die Gedichtzeile, die Linie oder line entstehen. Er spiegelt auch die Subjektivität des Dichters – oder Malers –, dessen spontane, unwillkürliche Geste über den Atem f ließt. Olsons Lehre zur Dichtung umfasste auch die Seitengestaltung der gedruckten Lyrik, die Leerstellen und weiße Flecken mit-
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einschloss.132 Auf Twomblys Bildern ist die Leere ein wesentliches Element. Die weißen Leerstellen wirken in seinen Gemälden nicht f lach oder opak, sondern räumlich. Die sich überlagernden Farbschichten, der unregelmäßige Auftrag der Farbe oder Fließspuren vermitteln trotz Monochromie den Eindruck von Raum und Tiefe. Buchstaben und Worte laden zum lauten Nachsprechen ein, erweitern die geschriebene Zeichnung in den Bereich des Klangs. Atem, Stimme und Geste verbinden sich zum Ausdruck intensiven subjektiven Erlebens. In seinem Buch Grammatologie erläutert Jacques Derrida, wie nach Aristoteles »das in der Stimme Verlautende […] Zeichen für die in der Seele hervorgerufenen Zustände […] und das Geschriebene Zeichen für das in der Stimme Verlautende ist […].«133 Wenn Twombly durch seine Bilder nicht nur zum Lesen, sondern zum Nachsprechen der Worte und Sätze einlädt, stellt er das ursprüngliche Verhältnis von Stimme oder Sprache und Schrift wieder her. Während der Laut direkter Ausdruck des Gefühls ist und aus dem Herzen kommt, ist die Schrift ein sekundäres Phänomen, das auf einer Konvention beruht. Dieses seit Aristoteles bis in den Rationalismus des 17. Jahrhunderts bestehende Denkmuster134 bildet sich auch in der Poetik von Charles Olson ab, was für Twombly von Bedeutung war. Twombly koppelt das Schriftzeichen eng an den Laut, sodass die Spiegelung des seelischen Zustands evoziert wird. Der Ausdruck seines subjektiven Gefühls über die besondere line, die ihn berührende Gedichtzeile, über die laszive, unkontrollierte Geste wird ergänzt durch den Klang, den die Stimme der Betrachterin beim Nachsprechen der Buchstaben und Worte auf Twomblys Gemälden erzeugt. Die Zitate auf Twomblys Bildern, die von Dichtern der Antike oder auch Lyrikern des 20. Jahrhunderts stammen, lassen sein Werk als eine melancholische Hommage an einen humanistischen Bildungskanon erscheinen. In seinem Essay über den Maler schreibt Roland Barthes dazu: »Wenn TW dieses eine Wort schreibt und wiederholt: Virgil, so ist das bereits ein Kommentar zu Virgil, denn der Name, mit der Hand geschrieben, beschwört nicht nur eine ganze (übrigens leere) Idee von der antiken Kultur; er erinnert auch an eine Zeit altmodischer,
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stiller, müßiger, diskret dekadenter Studien: englische Colleges, lateinische Verse, Pulte, Lampen, feine Bleistiftschriften. Das ist die Kultur für TW: eine Gemächlichkeit, eine Erinnerung, eine Ironie, eine Pose, eine Geste: Dandy.« 135 Barthes löst Twomblys Kunst von dem Anspruch einer Hommage und führt sie zurück zur individuellen Einfühlung des Malers in eine ganz bestimmte Atmosphäre. Sie ist geprägt von der mediterranen Welt, in der Twombly lebte, der Literatur, die er liebte, der Kunst, die er sammelte. In der nachlässigen Haltung des Dandys, der lasziven Geste des schreibenden Malers kommt sie zum Ausdruck. Es ist verlockend, Cy Twomblys Situation mit der von Nicolas Poussin zu vergleichen, einem Maler, der Rom drei Jahrhunderte zuvor, im 17. Jahrhundert, zu seiner Wahlheimat machte. Nur einmal kehrte er widerwillig auf Anordnung Ludwig XIV. für einige Monate nach Paris zurück. In Rom mit seinen antiken Monumenten und Ruinen und in der römischen Campagna fand Poussin die Kulisse für seine Gemälde, die christliche und historische Themen aus der antiken Geschichte und Mythologie behandelten. Poussin wollte mit seinen Bildern die Malerei der Antike wieder auf leben lassen und recherchierte die entsprechenden Inhalte sorgfältig. Auch für ihn war die Linie, im Sinn von Kontur, von zentraler Bedeutung und der Farbe übergeordnet. Seinem wichtigsten Sammler und Mäzen, Paul de Chantelou, schrieb er, dass seine Bilder zu lesen seien.136 Twombly bewunderte die Malerei Poussins und er folgte seiner Spur: Umgeben von einer Antikensammlung und einer Bibliothek, zuhause in einem römischen Palazzo, die Monumente des antiken Roms vor Augen, spielt auch für Twombly die mediterrane Kultur eine entscheidende Rolle. Die Referenz an die Vergangenheit ist jedoch nicht von dem zuversichtlichen Bemühen Nicolas Poussins, die Kunst der Anciens wiederzubeleben, geprägt. Twomblys Haltung entspricht in Bezug auf die Antike einer sentimentalischen Melancholie.137 Die Lyrik der antiken Poeten erscheint auf seinen Bildern ebenso fragmentiert wie die Dichtung der Moderne.
IX. Anselm Kiefer Schrift als Spur der Erinnerung Auch bei Anselm Kiefer sind die Atmosphäre, in der er arbeitet, die Landschaft, die sein Atelier umgibt, das Licht, das hineinfällt, die Farbigkeit der Umgebung prägend für das Werk. Das gilt insbesondere für die ersten Jahrzehnte seiner künstlerischen Arbeit, die er im Odenwald verbrachte. Das Irdische seiner Bilder, die dunklen Farben, die ungewöhnliche, dichte und schwere Materialität sind das vollkommene Gegenteil von Cy Twomblys lichtdurchdrungenen Gemälden, von ihren hellen, milchigen Tönen und der leichten, träumerischen Geste des Malers. Kiefers Bildwelt öffnet sich nicht auf die Wiederentdeckung einer mythischen Ära voll Poesie und mediterraner Lebensfülle. Sie ist in den 1960er- und 1970er-Jahren vielmehr von den Schatten der jüngsten deutschen Vergangenheit verdunkelt. »Seine Materialien, die er auch wie Farben verwendet, bezog er aus seinem damaligen Wohnumfeld. Die Materialien Erde, Sand, Asche, Stroh sind dabei bewusst gewählt. Der Sand, nicht etwa ein weißer feiner Strandsand, sondern ein gelblicher grober Sand aus dem Odenwald prägt die Farbe der Bilder. Das Stroh, nicht etwa von heißer Sonne geblichen und hell, sondern im satten Goldgelb des Odenwalds schafft die Farbqualität. […] Die Dachbodenbilder der ersten Werkphase als Transformation von konkreten Erfahrungsräumen bilden dabei das direkte Umfeld des Künstlers ab, gleich einer Integration seines Schaffensumraumes als geschichtsträchtiger Ort.«138 Mit Georg Baselitz und Gerhard Richter gehört Anselm Kiefer zu den deutschen Künstlern, die, während oder kurz nach dem Zwei-
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ten Weltkrieg in Deutschland geboren, sich einem allgemeinen traumatischen Schweigen über den Nationalsozialismus entgegenstellten: »Ich lebte unter Leuten, die alle dabei waren und nicht darüber reden wollten. Diese Zeit war ein leerer Raum«, so Anselm Kiefer.139 Die Nichtanerkennung der Rede von der »Stunde Null« ist Ausgangspunkt für Kiefers Werk, das sich in der Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit und der Shoa tief in die deutsche Romantik und die germanische Mythologie versenkt. Neben Gemälden und Installationen entstehen in dieser ersten Phase von Kiefers Werk Bücher. Fast ohne Text bieten sie sich nicht in gewohnter Weise zum Lesen an; sie lassen beim Durchblättern durch die Aufeinanderfolge von Bildern aber eine Erzählung entstehen, zu deren Verständnis die Buchtitel – so etwa: Ausbrennen des Landkreises Buchen (1974), Märkischer Sand III (1976/77), Siegfried’s Dif ficult Way to Brünhilde (1977)140 – und wenige Worte oder Satzteile im Buch Hinweise geben. Kiefers Bücher sind schwere und unhandliche Objekte, deren Material befremdet. Die auf die Seiten collagierten, verblichenen Schwarz-Weiß-Fotografien sind mit Sand überklebt, mit Eisenoxid und Leinöl geschwärzt. Durch ihre materielle Beschaffenheit wirken die Bücher alt und beschädigt, wie ausgegraben. Sie vertiefen und variieren bestimmte Ideen, die in Kiefers Gemälden und Installationen wieder auftauchen oder schon dargestellt wurden. »Bei mir gibt es einen Weg, der von den Büchern zu Gemälden und von Gemälden zu Büchern führt […] ich mache ein Buch, dann kristallisiert sich von ihm aus eine Idee.«141 Die Texte der Bücher sind sehr sparsam, stichwortartig. Es sind Überschriften, Titel oder auf die Bilder geschriebene Worte – immer in einer bemühten, kindlichen Schulschrift, oft schief auf die Seite gesetzt. Die Zusammenhänge bleiben rätselhaft. Der Text offenbart das im Buch verschlossene Geheimnis nicht. »Die Bücher sind das intime Labyrinth Kiefers inmitten des großen Labyrinths, das sein Gesamtwerk konstituiert.«142 »Im Anfang war das Wort. Aber bei mir gab es zuerst Bücher aus Blei. Und diese Bücher sind interessant in dem Sinn, dass es unmöglich ist, sie zu lesen. Sie sind zu schwer, das Blei lässt nichts durchscheinen, es ist die vollständige Verschleierung. Eine Anspielung an
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die Dialektik von Sein und Nichtsein. In allem was wir tun ist die Negation immer schon enthalten. Bleibücher sind das totale Paradox. Du kannst sie weder durchblättern noch lesen und Du weißt nicht was sie enthalten.« 143 Die Vitrine Tagebücher der Könige von Juda (Abb. 21)144 zeigt solche Bücher, die ihre eigene Negation repräsentieren. Bleiern und schwer, übereinander gestapelt liegen sie in einer großen Holzkiste. Es scheint unmöglich, die Bücher herauszuheben und noch unmöglicher, sie zu lesen. Sie bergen Geheimnisse, Vergessenes und Verdrängtes, eine weit zurückliegende und zugleich bis in die Gegenwart reichende Geschichte der Juden, die der Erzählung des Alten Testaments zufolge von Juda, einem der zwölf Stammesväter Israels, abstammen.
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Diese weit zurückreichende zeitliche Dimension wird über die Materialität der Bücher vermittelt. Durch die Holzkiste, deren Deckel sich über dem Bücherstapel öffnet und nicht mehr schließen lässt, wird ihre bleierne Bedeutungsschwere mit der Gegenwart verbunden. Während die Bleibücher die in ihnen enthaltenen Worte und Texte nicht freigeben, ist die Kiste beschriftet. Über einer gedruckten, stark verblichenen Aufschrift »SCHNEINDER« liest man »Tagebücher der Könige v. Juda« in weißer Kreide auf die Kiste geschrieben. Bei der Betrachtung lassen die beiden Schriftzüge sich nicht trennen. Man hat immer beide im Blick, sodass sie sinnbildlich für die tragische Verbindung des deutschen und des jüdischen Schicksals seit dem Holocaust stehen. Zwischen 1985 und 1989, als Anselm Kiefer Blei als Material für seine Werke entdeckte, entstand ein fünf Meter hohes und acht Meter langes Regal mit etwa 200 Bleibüchern. Sein Titel, Zweistromland – The High Priestess,145 verweist auf vorbiblische Zeiten, frühere Kulturen, in denen Bücher als heilig verehrt wurden. Dagegen lassen sich die vertrockneten und abgeknickten Palmzweige, die die Kiste mit den Tagebüchern der Könige von Juda zieren, mit der Schändung der jüdischen Kultur und der Kultur im Allgemeinen, unter anderem durch die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, verbinden. Schrift und Beschriftung haben nicht nur für die Bücher Kiefers, sondern in seinem gesamten Werk eine zentrale Funktion. Sie legen eine Spur zur Bedeutung des Werks, so rätselhaft der Zusammenhang auch scheinen mag. Er bleibt geheimnisvoll in dem Sinn, in dem Kiefer über die Heiligkeit der Buchstaben in der hebräischen Mythologie spricht. Dort »gelten die Buchstaben als heilig, demzufolge ergeben sie wie auch immer kombiniert einen Sinn. Ein Sinn, der oft in der jetzigen Zeit nicht erkannt werden kann, der sich aber einmal in der Zukunft enthüllen wird.«146 Tatsächlich vermittelt die Schrift in Kiefers Werk den Eindruck von etwas Vergangenem. Man hat den Eindruck, ein gewissenhafter, aber wenig klarsichtiger Archivar sei am Werk gewesen und habe die Gemälde und Objekte, die Vitrinen und Bücher beschriftet. Die Betrachter und Leserinnen stoßen auf Relikte, deren Bedeutung uns über die Beschriftung vielleicht heute und erst jetzt nach akribischer Recherche klar wird.
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Auch die Schrif t selbst erinnert an Archiv und Kartei, an Listen und Kataloge. Sie ist unpersönlich und unverbunden mit der Geste des Malers. Kiefers Schrif t ist von der Emotionalität der unregelmäßigen Schrif tzüge Cy Twomblys weit entfernt. Kiefer bezeichnet, erklärt, weist auf etwas hin, während die Schrif t Twomblys die emotionale Befindlichkeit des schreibenden oder zeichnenden Malers spiegelt. Of t sind die Beschrif tungen Kiefers fehlerhaf t im orthografischen Sinn, so als wären ihm der Name einer mythologischen Figur, der Satz aus einem Gedicht oder ein biblischer Ort nicht mehr recht in Erinnerung. Wie ein Schüler schreibt er langsam, stockend und mit Absicht fehlerhaf t. »Diese gezeichnet erscheinende Schulnormschrift zieht sich durch das ganze Werk. Indem sich Kiefer zu den Anfängen der Schrift eines Menschen wendet, geht er symbolisch zu den Anfängen kultureller Äußerung zurück. Er verschafft sich dieses visuelle Material der optischen Alphabetisierung durch die Schule als Zeichen für den Beginn eines kulturgeschichtlichen Systems. Die scheinbar individuelle Schülerschrift bekommt dabei eine natürlich kollektive Dimension. […] Kiefer integriert diesen Ursprung der kollektiven Aneignung von Wissen im Bild, er thematisiert damit die Vorstellung von Veränderung und Weiterentwicklung des kollektiven Wissens, was durch die Inhalte der im Werk enthaltenen Worte und Namen bewirkt wird. […] Man trifft auf schon gehörte, bekannte, scheinbar vertraute Namen oder Orte, ohne dass eine direkte Bekanntheit im Sinne einer geschichtlichen oder literarischen Einordnung gemacht werden kann. Mit diesem ›unbekannt vertrautem‹ Wissen spielt Kiefer. Erinnerungen als Schriftzeichen, vor allem als Schulschriftzeichen, bauen sich vor dem Betrachter auf. Kollektives Kulturwissen wird so als Präsenz aus dem Gedächtnis abrufbar. Schulschrift ist innerhalb des Werkes ein Zeichen für kollektives kulturelles Wissen, welches im Individuum schlummert.« 147 Woher stammen die Satzteile und Wortkombinationen in Kiefers Werk, die uns wie von weither treffen und berühren? Seit den 1980er-Jahren weitet sich die thematische Perspektive des Malers, verbunden mit der »Sehnsucht nach vorwissenschaftlichen Zeiten
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und Kulturen, als der Mensch noch über eine kosmische Erfahrung verfügte, welche durch die Moderne unwiderruf lich verloren gegangen ist.«148 In seinem Werk begegnen sich die jüdische Kabbala, die griechischen Gottheiten, die biblischen Erzählungen und die Lyrik von Paul Celan, Ingeborg Bachmann und Ossip Mandelstam. Es lebt von den Wiederholungen, Überkreuzungen und Assoziationen, die durch immer wiederkehrende Themen und Motive evoziert werden. »Ich denke in Bildern«, sagt Anselm Kiefer. »Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen; dazwischen, ohne sie, bin ich verloren. Sie sind die Haltepunkte, wo sich in der unendlichen Weite etwas zusammenballt aus dem interstellaren Staub, ein bisschen Materie im Abgrund der Antimaterie. Manchmal verdichten sich die Trümmer von Gewesenem zu neuen Worten und Zusammenhängen.«149 In einem quasi alchemistischen Prozess, so könnte man dieses Zitat verstehen, macht der Maler Worte, Gedichtzeilen oder Erzählungen zu Bildern, verbindet im Meer der Worte die besonderen Sätze der Dichter zu einem neuen bildnerischen Zusammenhang. Kiefer entwickelt sein malerisches Werk im Dialog mit Dichtern und Erzählern und die Spuren dieses kontinuierlichen Austauschs mit den großen Texten und Mythen der Weltliteratur lassen sich auf seinen Bildern ablesen. Kaum ein Werk Kiefers ist nicht beschriftet, überall trifft man auf seine linkisch geschriebenen Zeilen. »Anselm Kiefer schreibt immer zum Schluß auf seine Leinwände, wenn sich die Distanz zwischen seiner Arbeit und ihm einstellen muß. Gedichtfetzen, Eigennamen, die von Künstlern und Gestalten aus deren Werken klammern sich an die verkümmerten Getreidehalme, an die Wolkenschleppen, an den Himmelsstreifen.«150 Erst das abgeschlossene Werk offenbart dem Maler die eigenen Inspirationsquellen. Man muss die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die autobiografischen Skizzen von Ossip Mandelstam nicht kennen, muss nicht wissen, woher die Walküren kommen und wer die Verwandlung der Daphne geschildert hat, um einen Zugang zu Kiefers Werk mit seinen geheimnisvollen Inhalten zu finden. Die Worte sind Wegweiser der Betrachtung. Sie geben aber nur die Richtung an, denn Anselm Kiefer erzählt die uns allen bekannten, wenn auch nur vage erinnerten Geschichten neu und
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anders. »Der Mythos stellt dar, er gibt Antwort auf die Frage woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir sind. Nur wir können ihn nicht immer lesen. Deswegen enthüllen ihn Kunstwerke durch die Zeiten immer anders.«151 Auch Gedichte inspirieren Kiefer zu Neuinterpretationen und verbinden schon bekannte Kompositionen mit einem neuen Sinn. Die motivischen Wiederholungen in seinem Werk gewinnen jeweils neue Aussagekraft durch Zitate und Gedichtzeilen. So ist das 2015 gemalte großformatige Gemälde Under der Linden an der Heiden da mugget ihr finden schöne beide gebrochen Blumen (Abb. 22) eine Variante des ein Jahr zuvor entstandenen, gleichformatigen Gemäldes Der Morgenthau Plan.152 Beide Gemälde zeigen Gräser und Blüten in Nahsicht, darüber einen breiten Himmelsstreifen. Durch die Aufschrift, jeweils am oberen Bildrand, ergibt sich ein konkreter historischer Bezug des Morgenthau-Bildes, das sich auf den Plan des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau vom August 1944 bezieht, nach dem absehbaren Sieg der Alliierten Deutschland in einen Agrarstaat zu verwandeln. Das wogende Meer der Blüten und Halme, die in einer dicken Farbschicht aufgetragen sind, verwandeln die politische Strategie in ein sinnliches Bild von heuduftenden Wiesen im Wind, zeigen die Vision von etwas Ursprünglichem, das als Realität kaum noch vorstellbar ist. Man kann Morgenthau als Morgentau lesen. Mit dieser poetischen Beschriftung und aus der historischen Distanz öffnet sich das Bild für neue Visionen.
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Der Titel des großen Gemäldes Under der Linden […] ist der Anfang eines Gedichtes, das Anselm Kiefer aus der Erinnerung in linkischer Kinderschrift an den oberen Rand seines Gemäldes geschrieben hat. Die Zeilen werden ergänzt durch die Widmung für Walther v. d. Vogelweide, dessen Gedicht im Originaltext mit folgenden Worten beginnt: »U`ndèr der linden/an der heide,/dâ unser zweier bette was,/ Da`múget ir vinden/schône beide/gebrochen bluomen unde gras./ Vor dem walde in einem tal,/tandaradei, […].«153 Das Bild ist eine Hommage an den Dichter und Minnesänger, dessen mittelhochdeutsche Lyrik von Melancholie geprägt ist, einer untergründigen Traurigkeit, die das rasche Vergehen der Liebe, des Lebens und der Blumen beklagt. Ein in der deutschen Lyrik dieser Zeit voraussetzungsloser Ausdruck des subjektiven Empfindens der Liebe. Kiefers Gemälde spiegelt diese Emotion – die Erinnerung des Glücksmoments im Bewusstsein des Verlustes – durch eine überbordende Blütenpracht, deren fragile Schönheit gerade zum Zeitpunkt ihrer Entfaltung bedroht erscheint. Vom Wind gepeitscht, knicken die Pf lanzen zu Boden, sodass ihre Stängel fast brechen. Nur ein kleines Stück tief blauer Himmel bleibt ihnen wie ein Hoffnungsschimmer. Hinter diesem von Anselm Kiefer, im Rückgriff auf Walther von der Vogelweide geprägten Bild tut sich ein Abgrund auf, der nicht nur die Vanitasvorstellungen des frühen Mittelalters, sondern auch die jüngere deutsche Geschichte berührt: Unter den Linden, der Prachtboulevard Berlins, wo Aufmärsche der Nationalsozialisten stattfanden, die Heide, als von ihnen missbrauchte Vorstellung einer spezifisch deutschen Landschaft und Stimmung. Selbst die Dichtung Walther von der Vogelweides, seine Naturmetaphern in mittelhochdeutscher Sprache werden sich von den Schrecken dieser Erinnerung nie mehr trennen lassen. Darüber täuscht die Schönheit der exzessiven malerischen Geste Anselm Kiefers nicht hinweg. Sie hebt das hinter der Schönheit liegende Dunkel hervor. Die Dichtung Walthers von der Vogelweide, die Lyrik von Paul Celan oder Ingeborg Bachmann, die Kiefer besonders verehrt, verleihen seinen Werken eine Vielschichtigkeit und Tiefe, die sie wahrhaftiger macht. Das, was Anselm Kiefer über den Mythos sagt, gilt auch für die Lyrik. Sie gibt Antwort auf die Frage, woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir sind.
Abgesang des Buchs?
Was heißt es, Bilder zu lesen, und wie verhält sich diese Art der Lektüre zum klassischen Bücherlesen? Schriftbilder des 20. und 21. Jahrhunderts vermitteln uns das Gefühl, das Lesen verlernt zu haben und es neu lernen zu müssen. Wir sind mit einem ungewöhnlichen Schriftbild konfrontiert, Zeilen und Buchstaben scheinen in Unordnung geraten, das Geschriebene ist oft undeutlich, manchmal durch Übermalung, durch den Bildgrund oder die farbige Gestaltung verunklart. Dem deutlichen Schwarz auf Weiß der Buchseite stellt sich die Vielschichtigkeit eines Gemäldes, einer Zeichnung oder – im Falle Anselm Kiefers – einer Vitrine entgegen. Der sich so öffnende, weite Assoziationsraum erinnert an die langsame Lektüre eines Romans, an Gedanken zwischen den Zeilen, an eine kreative, den Text vielfach erweiternde Lesearbeit. Weit davon entfernt, nostalgisch das Ende einer Epoche der Lesekultur zu thematisieren, nutzen die Künstlerinnen und Künstler die Schrift im Bild vielmehr dazu, das eigene Anliegen zu vertiefen. Paul Klee geht von der prozessualen Qualität der Schrift aus, um eine innovative Abstraktionstheorie zu entwickeln. Else LaskerSchüler verbindet Handschrift mit Zeichenmalkunst und vermittelt so die Zeichen- und Bildhaftigkeit ihrer Dichtung mit kleinen, ihre Handschrift tautologisch bereichernden Symbolen. Henri Michaux folgt dem Weg der Linie indem er die endlose, intuitive Geste des Schreibens nutzt, um die Idee einer nicht rational kontrollierten écriture automatique in die Zeichnung zu übersetzen, die wiederum die Schrift darstellt. Twombly zeichnet und schreibt im Dunkel und folgt auf diese Weise der eigenen Geste, ohne sie zu kontrollieren, sich ihr überlassend. Seine Inspiration durch Lyrik beruht auf dem
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Empfinden, dass in den Zeilen der Dichter die grundlegende Wahrheit zu finden ist, die er in seiner Malerei zum Ausdruck bringen will. Die Wahrheitssuche Kiefers dagegen ist anders motiviert. Er greift auf die Erzählungen des Mythos oder Gedichtzeilen zurück, um die Betrachterinnen zur Entschlüsselung eines Geheimnisses zu motivieren, das die eigenen Ursprünge neu verstehen lehrt. Vielleicht sind die monumentalen, in jeder Hinsicht verschlossenen Bücher in Kiefers Œuvre repräsentativ für das Verhältnis der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zum Schreiben. Denn sie verdeutlichen dem Leser, »dass die Chancen seines Eindringens in die archaische Stille des Buches gering geworden sind«154 und dass das langsame Lesen seinen Platz gewechselt hat und vom Buch ins Bild gewandert ist.
Anmerkungen
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S. Kap. III, Anm. 43. Annie Bourneuf, Paul Klee. The visible and the legible, Chicago und London 2015. Ebd., Kapitel 3: »A Refuge for Script«. Joseph Leo Koerner, »Paul Klee and the image of the book«, in: Rainer Crone und Joseph Leo Koerner, Paul Klee. Legends of the sign, New York 1991, S. 64. Die weibliche und die männliche Form von Funktionsbezeichnungen umfassen in diesem Buch, soweit nicht anders gekennzeichnet oder durch den Kontext vorgegeben, immer auch die männliche bzw. weibliche Form. Edi Zollinger, Herkules am Spinnrad. Rubens, Velázquez, Picasso, München 2020. S. Kapitel VIII, Anm. 127. Vgl. die folgenden Ausstellungskataloge: Blaues Land und Großstadtlärm. Ein expressionistischer Spaziergang durch Kunst und Literatur, Kochel am See 2017, Else Lasker-Schüler. Gestirne und Orient, Kochel am See 2012/13, Lektüre. Bilder vom Lesen – vom Lesen der Bilder, Kochel am See 2018, Anselm Kiefer. Opus Magnum, Kochel am See 2020/21 sowie die Publikation von Cathrin Klingsöhr-Leroy und Barbara Vinken, Krieg als Opfer. Franz Marc illustriert Gustave Flaubert, Paris 2021. Wie wir lesen. Zur Geschichte, Praxis und Zukunft einer Kulturtechnik, transcript-Verlag, Bielefeld. Bisher erschienen: (Bd. 1) Werner Sollors, Schrift in bildender Kunst. Von ägyptischen Schreibern zu lesenden Madonnen, Bielefeld 2020; (Bd. 2) Klaus Benesch, Mythos Lesen. Buchkultur und Geisteswissenschaften im Informationszeitalter, Bielefeld
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2021; (Bd. 3) Julika Griem, Szenen des Lesens. Schauplätze einer gesellschaftlichen Selbstverständigung, Bielefeld 2021. Vgl. Kat.-Ausst. Lektüre. Bilder vom Lesen – vom Lesen der Bilder, Kochel am See 2018. 1916 wurde Ferdinand de Saussures Cours de Linguistique Générale in Lausanne publiziert. Seine linguistische Theorie war grundlegend nicht nur für das Verständnis der Struktur von Sprache, sondern lässt sich auch auf andere Zeichensysteme wie dem der bildenden Kunst übertragen. Vgl. Rainer Crone, »Cosmic fragments of meaning: on the syllables of Paul Klee«, in: Crone und Koerner 1991 (wie Anm. 4), S. 1-15. Jean-Paul Sartre, Was ist Literatur? Ein Essay, Hamburg 1958, S. 28. Online verfügbar unter: http://rainer-maria-rilke.de/090091derle ser.html. Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Frankfurt a.M. 1982, S. 38. Pablo Picasso, Die Lektüre, 1953, Öl auf Holz, 81 x 100 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Museum Berggruen. Marcel Proust, Werke, Frankfurter Ausgabe, Werke 2: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 7: Die wiedergefundene Zeit, Frankfurt a.M. 2002, S. 301f. Vgl. Luzius Keller, »Prousts Bild vom Lesen«, in: Kat.-Ausst. Kochel am See 2018 (wie Anm. 10), S. 27-31. Marcel Proust, Sur la lecture. Tage des Lesens, Transkription, Kommentare und Essays, Frankfurt a.M. 2004, S. 141f. Walter Benjamin, Einbahnstraße, Werke und Nachlass. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Detlev Schöttker unter Mitarbeit von Steffen Haug, Frankfurt a.M. 2009, Bd. 8, S. 30. Vgl. zu dieser Diskussion bei Walter Benjamin und am Bauhaus: Bourneuf 2015 (wie Anm. 2), S. 153-157. In: Das Bauhaus. Weimar, Dessau, Berlin. 1919-1933, hg. von Hans M. Wingler, Bramsche 1962. Johannes Molzahn, »Nicht mehr lesen! Sehen!«, in: Das Kunstblatt 12 (1928), S. 78-82. In: Merz 4. Banalitäten, hg. von Kurt Schwitters (Juli 1923), S. 47. Paul Klee ist gegenüber den konstruktivistischen Tendenzen am Bauhaus, die mit Moholy-Nagy und El Lissitzky als Vermittler des
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russischen Konstruktivismus eingeführt werden, grundsätzlich kritisch eingestellt und formuliert in seinen Bildern ironisch und hintersinnig eine aus romantischem Gedankengut schöpfende Kritik an der Selbstgenügsamkeit der Form. Vgl. Cathrin Klingsöhr-Leroy, »En équilibre. Paul Klee au Bauhaus«, in: Kat.-Ausst. Paul Klee. L’Ironie à l’Œuvre, Paris 2016, S. 126-130. Annie Bourneuf (2015, wie Anm. 2) überschreibt das letzte Kapitel ihres Buches, das Klees am Bauhaus entstandenen Schachbrettbildern gewidmet ist, dementsprechend: »A refuge for script« (S. 141ff.). Michel Foucault, Dies ist keine Pfeife, München und Wien 1997, S. 26. 1920, Öl auf Karton, 48,5 x 54,2 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Pinakothek der Moderne, München. Die Form könnte auch als Haus, als Architektur gedeutet werden. In unserem Kontext ist die Möglichkeit, sie als Buch zu sehen, verlockend und nicht abwegig, denn die Verankerung des Motivs auf einer unteren, überdeckten Malschicht verweist auf das zeitliche Moment des Schaffensprozesses, das Klee mit dem langsamen Lesen seines Bildes durch den Betrachter verbindet und das auf dem Gemälde darüber hinaus durch die Kirchturmuhr angesprochen wird. Einst dem Grau der Nacht enttaucht, 1918, Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier und Silberpapier auf Karton, 22,6 x 15,8 cm, Paul-KleeStiftung, Zentrum Paul Klee, Bern. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 2: 1913-1918, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Bern 2000, Nr. 1864. Foucault 1997 (wie Anm. 26), S. 12f. 1938, Öl auf Leinwand, 32 x 63 cm, Von der Heydt-Museum, Wuppertal. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 7: 1934-1938, hg. von der PaulKlee-Stiftung, Bern 2003, Nr. 7521. Genauer: zwischen 1917 und 1920. Vgl. Christian Rümelin, »Erläuterungen zum Catalogue Raisonné«, in: Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 1: 1883-1912, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Bern 2000, S. 25. Michel Butor, Die Wörter in der Malerei, Frankfurt 1993, S. 24. Paul Klee, »Schöpferische Konfession«, in: Paul Klee, Schriften. Rezensionen und Aufsätze, hg. von Christian Geelhaar, Köln 1976, S. 120. Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766. § XVIII. Online verfügbar unter: https://www.proj ekt-gutenberg.org/lessing/laokoon/laok011.html.
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Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 120. Paul Klee, Beiträge zur bildnerischen Formlehre, (14. November, 1921). Faksimilierte Ausgabe des Originalmanuskripts von Paul Klees erstem Vortragszyklus am staatlichen Bauhaus Weimar 1921/22, hg. von Jürgen Glaesemer, Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Stuttgart 1979, S. 6. Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 118. Vgl. Annie Bourneuf, »›Ein Blitz am Horizont (Die Zickzacklinie)‹. Über Paul Klees graphische Abstraktion«, in: Kat.-Ausst. Paul Klee. Landschaften, Kochel am See 2018, S. 127-135. Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 118. Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 119. Online verfügbar unter: https://www.psyalpha.net/de/biografien/fer dinand-de-saussure/ferdinand-de-saussure-langage-langue-parolesignifikant-signifikat-bedeutung. Rainer Crone, »Cosmic fragments of meaning: on the syllables of Paul Klee«, in: Crone und Koerner 1991 (wie Anm. 4), S. 9 u. 21, sieht Klees Kunst eine Struktur zugrunde liegen, die vergleichbar ist mit dem linguistischen System, das von Ferdinand de Saussure analysiert wurde und das davon ausgeht, dass das Zeichen (Signifikant) in arbiträrer und nicht direkter Weise mit dem bezeichneten Ding (Signifikat) verbunden ist. Erst die Integration des individuellen Zeichens in eine Struktur, den Satz oder den Text, führt zu einer bestimmten Bedeutung. Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe, Bd. 1-11, Frankfurt a.M. 1996-2010, Bd. 3, S. 158. Else Lasker-Schüler, Die Töchter des Emirs von Aphganistan, um 1918, Tusche auf Velin, 14,5 x 9,3 cm. Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, Wuppertal, Dauerleihgabe an das Zentrum für verfolgte Künste, Solingen. Kat.-Ausst. Else Lasker-Schüler. Gestirne und Orient. Die Künstlerin im Kreis des »Blauen Reiter«, Kochel am See 2012/13, S. 16 (Abb.). Else Lasker-Schüler, Gedicht in Brief an Franz Marc, 23. Dezember 1915, Franz Marc Museum, Kochel am See, Stiftung Etta und Otto Stangl. 1914, Tinte und radierter Buntstift, 22,5 x 15,3 cm, Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Universität Innsbruck. Kat.-Ausst. Kochel am See 2012/13 (wie Anm. 44), S. 13 (Abb.).
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(Die wilden Juden), 1913, Kunstmuseum Solingen, Else Lasker-SchülerStiftung, Wuppertal. Kat.-Ausst. Kochel am See 2012/13 (wie Anm. 44), S. 27 (Abb.). Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung, Berlin 1922. Vgl. Michael Baumgartner, »›Es ist an ›Candide‹ ein Höheres, was mich anzieht‹. Paul Klees Illustrationen zu Voltaires ›Candide‹«. In: Kat.-Ausst. Franz Marc. Paul Klee. Dialog in Bildern, Kochel am See, Halle und Bern 2010/11, S. 49-61. Jeweils Federzeichnungen mit unterschiedlichen Maßen. Alle: PaulKlee-Stiftung, Zentrum Paul Klee, Bern. Klee, Catalogue Raisonné 1998 (wie Anm. 32), Bd. 1, Nr. 672ff. Vgl. Zollinger 2020 (wie Anm. 6), S. 16. (Ovid) Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, Lateinisch/Deutsch, übersetzt und hg. von Michael von Albrecht, Stuttgart 1994. Online verfügbar unter: https://ge dichte.xbib.de/Ovid_gedicht_Metamorphosen+VI%2C+Arachne. htm. Vgl. zur Bedeutung des Mythos für das Selbstverständnis der Maler: Zollinger 2020 (wie Anm. 6). In seinem Buch widmet Zollinger sich intensiv Velázquez’ Gemälde Las Meninas (1656, Öl auf Leinwand, 318 x 276 cm, Museo del Prado, Madrid), für dessen Interpretation er vor dem Hintergrund des Arachne-Mythos neue Aspekte erschließt. Für unseren Zusammenhang ist interessant, dass man Velázquez auf diesem Gemälde zwar mit Palette und Pinsel sieht, dass der Maler seinen Pinsel aber so wie eine Schreibfeder hält und dass der Pinselstiel wie eine Fortsetzung seiner Hand wirkt, so als sei er mit ihr verschmolzen. Damit erinnert er an den Arachne-Mythos, an die Verlängerung ihrer Arme und Beine, an die Verwandlung ihrer Gliedmaßen in die Beine einer Spinne und die Verbindung mit den Fäden des von ihr gesponnenen Netzes. Ebd., S. 139. Horaz, De Arte Poetica, 14 v. Christus. Online verfügbar unter: www. thelatinlibrary.com/horace/arspoet.shtml. Vgl. Wolfgang Kemp, »Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1974, Nr. 19, S. 219ff. So zum Beispiel Nicolas Poussin auf seinem Selbstbildnis, 1649, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie Alter Meister.
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Vgl. Guido Reni, Zeichnung und Farbe, 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts, Öl auf Leinwand, Musée National du Château de Versailles. Paul Klee, Tagebücher, 1898-1918. Textkritische Neuedition, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988, S. 401ff. (1008). 1913, Öl auf Leinwand, 195 x 263,5 cm, Kunstmuseum Basel. Annegret Hoberg und Isabelle Jansen, Franz Marc. The Complete Works, 3 Bde., Bd. 1: The Oil Paintings, München und London 2004, Nr. 217. Vielleicht wurde die Beschäftigung mit dem Text, den Marc auf Französisch las, durch das Erscheinen der ersten deutschen Gesamtausgabe des Werks von Gustave Flaubert in den Jahren 1907 bis 1909 veranlasst: Gustave Flaubert, Drei Erzählungen: Ein schlichtes Herz. Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien. Herodias (Gesammelte Werke, Bd. 5), übers. von Ernst Wilhelm Fischer, Minden 1907. Zum Illustrationsprojekt Franz Marcs: Cathrin Klingsöhr-Leroy und Barbara Vinken, Krieg als Opfer? Franz Marc illustriert Gustave Flauberts Legende des heiligen Julian, Paris 2021. Franz Marc, Skizzenbuch XXVIII, S. 20, 17a, 33. Annegret Hoberg und Isabelle Jansen, Franz Marc. The Complete Works, Bd. 3: Sketchbooks and Prints, München und London 2011, S. 244ff. (Abb.). Vorstudie zu Tierschicksale, 1913, Bleistift, Tusche und Aquarell, 14,4 x 11,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München. Ebd., Skizzenbuch XXVIII, S. 34f. Vianden à travers une toile d’araignée, 1871, Tusche, Aquarell und Bleistift, 25,5 x 30,3 cm, Musée de la Ville de Paris, Maisons de Victor Hugo, Paris und Guernesey. Kat.-Ausst. Stones to Stones, The drawings of Victor Hugo, Los Angeles 2018, S. 115 (Abb.). »Le hasard fait tomber sous vos yeux, quelques espèces d’essais de dessins faits par moi à des heures de rêveries presque inconscient avec ce qui restait d’encre dans ma plume sur des marges ou des couvertures de manuscrits […].« Victor Hugo an den Editeur Castel, 1895. Zit. nach: Danielle Moinari, Victor Hugo, Visions graphiques, Paris 2010, S. 4 (Übersetzung d. Verf.). In diesem Abschnitt folge ich Edi Zollinger, der die Bedeutung des Spinnennetzes als Symbol des Schicksals bei Victor Hugo herleitet, ohne dass ich die Komplexität der Zusammenhänge und Bedeutungsfacetten, die Zollinger darlegt, in allen Einzelheiten überneh-
Anmerkungen me, da es mir vor allem um den Hintergrund von Klees Raumbildern der 20er-Jahre und ihre Wertschätzung durch die Surrealisten geht. 65 Victor Hugo, Der Glöckner von Notre-Dame, Übersetzung aus dem Französischen und Nachwort von Hugo Meier, Zürich 1986, S. 386f. 66 Bei Victor Hugo heißt es: »subtile toile d’araignée tendue par le destin«. Vgl. Zollinger 2020 (wie Anm. 6), S. 73. 67 André Breton, Die Manifeste des Surrealismus, Hamburg 1968, S. 28, Anm. 1. 68 Kat.-Ausst. Paul Klee. 39 aquarelles, Galérie Vavin-Raspail, Paris, 1925. Mit einer Einführung von Louis Aragon und einem Gedicht von Paul Eluard. 69 Ebd. 70 1921, Ölpause und Aquarell, 48,5 x 31,7 cm. Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 3: 1919-1922, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Bern 1999, Nr. 2615. 71 »Très loin un homme s’apprète à gravir la montagne entrouverte.« André Breton und Robert Desnos, Vorwort zum Katalog der Ausstellung La Peinture Surrealiste, Galerie Pierre, Paris, 1925 (Übersetzung d. Verf.). 72 Das andere Geisterzimmer (neue Fassung), 1925, Ölpause und Aquarell, 48 x 34 cm, Privatbesitz Argentinien. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 4: 1923-1926, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Bern 2000, Nr. 3790. Die Darstellung weist in dieser zweiten Version kaum Unterschiede auf, denn es handelt sich um eine Ölpauszeichnung, bei der Klee die gleiche Zeichnung mehrmals durchpausen und jeweils anders kolorieren konnte. 73 1923, Ölpause, Bleistift und Aquarell, 26,2 x 26,8 cm, Sammlung Rosengart, Luzern. Klee, Catalogue Raisonné 2000 (wie Anm. 72), Bd. 4, Nr. 3237. 74 Klee 1976 (wie Anm. 34). 75 Siehe Anm. 71. 76 Klee 1976 (wie Anm. 34). 77 Öl auf Leinwand und Karton, mit Bleistift und Kleisterfarbe eingefasst, 40,5 x 35 cm. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 5: 1927-1930, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Bern 2001, Nr. 4241. 78 Paul Klee, »Exakte Versuche im Bereich der Kunst«, in: Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 131.
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Fotografie aus Minotaure, Nr. 5, Mai 1934. Cathrin Klingsöhr-Leroy, Surrealismus, Köln 2006, S. 31 (Abb.). André Breton, Der Surrealismus und die Malerei, Berlin 1965, S. 55-88, S. 70. Henri Michaux, in: Henri Michaux. Momente, Kat.-Ausst Winterthur und Düsseldorf 2013, S. 68. 1926, Öl und Tinte, 23 x 32 cm, Privatsammlung. Alfred Pacquement, Henri Michaux, Peintures, Paris 1993, Abb. Nr. 4, S. 13. La pieuvre, 1866, Paris, Bibliothèque Nationale. Kat.-Ausst. Soleil d’encre. Manuscrits et dessins de Victor Hugo, Paris 1985/86, Nr. 312, S. 216 (Abb.). Vgl. Zollinger 2020 (wie Anm. 6), S. 89. 1944, Tinte auf Papier, 32 x 24 cm, Privatsammlung. Kat.-Ausst. Taking a line for a walk: Olav Christopher Jenssen, Paul Klee, Jonathan Lasker, Brice Marden, Henri Michaux, Mark Tobey, Cy Twombly und Christopher Wool, Bern 2014, Abb. S. 77. Siehe Anm. 71. Henri Michaux an Patrick Waldberg, 30.5.1956. Œuvres complètes, Bd. 3, hg. von Raymond Bellour und Ysé Tran, Paris 2004, S. 1614. Abdruck der deutschen Übersetzung in: Kat.-Ausst. Henri Michaux. Das bildnerische Werk, München, Graz, Salzburg 1993/94, S. 53-57. Ebd., S. 53, Anm. 1. Zitat nach Paul Klees Vortrag über Moderne Kunst in Jena 1924. Kat.Ausst. Paul Klee in Jena 1924. Der Vortrag, Jena 1999, S. 66. Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 120. Kat.-Ausst. München, Graz, Salzburg 1993/94 (wie Anm. 87), S. 53. Klee 1979 (wie Anm. 37). Kat.-Ausst. München, Graz, Salzburg 1993/94 (wie Anm. 85), S. 53, 56f. Ebd., S. 56. Henri Michaux, Kat.-Ausst. Galerie van de Loo, München, 1963, o. S. Tinte auf Papier, 37 x 27 cm u. Tinte auf Papier, 36 x 26,5 cm, jeweils 1927, Privatbesitz. Kat.-Ausst. Bern 2014 (wie Anm. 84), Abb. S. 63f. 1931, Feder auf Papier auf Karton, 8,4 x 21,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern. Paul Klee. Catalogue Raisonné, Bd. 6: 1931-1933, hg. von der PaulKlee-Stiftung, Bern 2002, Nr. 5689. Kat.-Ausst. Bern 2014 (wie Anm. 84), S. 98/99 (Abb.). Koerner 1991 (wie Anm. 4).
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Ebd., S. 49.
100 Ebd., S. 53f. 101 Kat.-Ausst. Bern 2014 (wie Anm. 84), Abb. S. 95, 97, 102f. 102 1933, Aquarell auf Gipsgrundierung auf Gaze auf Sperrholz, 23,3 x 19
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cm. Sammlung Rosengart, Luzern. Klee, Catalogue Raisonné 2002 (wie Anm. 97), Bd. 6, Nr. 6329 (Abb.). 1938, Kleisterfarbe auf Zeitungspapier auf Karton, 48,5 x 32,5 cm, München, Privatbesitz. Klee, Catalogue Raisonné 2003, (wie Anm. 31), Bd. 7, Nr. 7239 (Abb.). 1938, 226, Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 27,1 x 21 cm, Zentrum Paul Klee, Bern. Klee, Catalogue Raisonné 2003 (wie Anm. 31), Bd. 7, Nr. 7428 (Abb.). 1938, 188 M8, Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 49 x 33 cm, Zentrum Paul Klee, Bern. Kat.-Ausst. Bern 2014 (wie Anm. 84), Abb. S. 100. Lautréamont (Lucien Ducasse), Chants de Maldoror, 1868-1870. Online verfügbar unter: www.poetes.com/textes/lau_mal.pdf. Vgl. Crone 1991 (wie Anm. 42). Vgl. Anm. 4. Vgl. Urkunde (wie Anm. 102), ein Werk, das wie ein archäologisches Fundstück wirkt: Der Schriftblock, von einem breiten Rand umgeben, ist in die Mitte einer Seite gesetzt. Die unentzifferbaren Buchstaben sind in eine dicke Malschicht geritzt, so als würden sie durch eine jahrhundertalte Schicht von Staub und Zersetzung gesehen. Klee 1976 (wie Anm. 34), S. 120. Aquarell auf Kreidegrund auf Zeitungspapier, 54,7 x 41,7 cm, Museum Ludwig, Köln. Klee, Catalogue Raisonné 2000 (wie Anm. 72), Bd. 4, Nr. 3265 (Abb.). Vgl. Bourneuf 2015 (wie Anm. 2) S. 177-179. Vgl. Anm. 103. Vgl. Cathrin Klingsöhr-Leroy, Paul Klee. Staatsgalerie Moderner Kunst, Ostfildern 1994, S. 59-62. Jutta Göricke, Cy Twombly – Spurensuche, München 1995, S. 28f. Jean Dubuffet, Les murs. 12 poèmes d’Eugène Guillevic avec 15 lithographies de Jean Dubuffet, 1945, Paris (les éditions du livre), 1950. »Well graffiti is linear and it’s done with a pencil and it’s like writing on walls. But (in my paintings) it’s more lyrical. […] Graffiti is usually
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a protest or has a reason for being naughty or aggressive.« Cy Twombly. Making Past present, Kat.-Ausst. Boston 2020, S. 53. Les Murs (wie Anm. 116) Planche VIII Pisseurs au mur. Lithographie, 40 x 35cm. Sophie Webel, L’œuvre gravé et les livres illustrés par Jean Dubuffet. Catalogue raisonné, Paris 1991, Bd. 1, Nr. 62. »The penis makes a direction. But body parts are always just […] the penis marks a direction, and that’s used as a direction in the painting to force you one way. But also the scale is so enormous. I use body parts, male or female. The female or male presence in the painting.« Interview mit Nicholas Serota, in: Kat.-Ausst. Boston 2020 (wie Anm. 117), S. 53. 1978, Öl, Fettkreide und Bleistift auf Leinwand, 300 x 380 cm. Heiner Bastian (Hg.), Cy Twombly. Catalogue raisonné of the paintings, Bd. 4: 1972-1995, München 1994, Nr. 13. Statt Athens in battle hat Twombly seinem Bild den Titel Achaeans in battle gegeben und die Namen der trojanischen Helden mit einem viel später, 149 v. Christus stattgefundenen Krieg verbunden. Auch der Titel der gesamten Bilderserie weist eine leichte Verschiebung auf: Statt Illias schreibt Twombly Illiam. »Lines have a great effect on paintings. They give great emphasis. There’s a line in Archilocos, who is my favorite poet, a general, a mercenary: ›Leaving Peplos rimmed with waves, rimmed.‹« Interview mit Nicholas Serota, in: Kat.-Ausst. Boston 2020 (wie Anm. 117), S. 51. Vgl. Mary Jacobus, Reading Cy Twombly. Poetry in painting, Princeton und Oxford 2016, S. 18: »›Poetic thought works by suggestion, crowding maximum meaning into the single phrase pregnant, charged, and luminous from within.‹ Twombly’s remark, ›I always look for the phrase‹ has its prehistory in Fenollosa’s proto-modernists poetics of the charged phrase.« »I like poets because I can find a condensed phrase […] my greatest one to use was Rilke, because of his narrative, he’s talking about the essence of something. I always look for the phrase.« Interview mit Nicholas Serota, in: Kat.-Ausst. Boston 2020 (wie Anm. 117), S. 50. Vgl. Sergio Rossi, »Idea e Accademia. Studio sulle teorie artistiche die Federico Zuccari. I. Disegno interno e disegno esterno«, in: Storia dell’Arte 1974, Nr. 20, S. 37ff.
Anmerkungen 125 Vgl. bspw. Heiner Bastian (Hg.), Cy Twombly. Catalogue Raisonné of the
paintings, Bd. 3: 1966-1971, München 1994, Nr. 32-41. 126 Ölbasierte Wandfarbe, Fettkreide und Graphit auf Leinwand, 250,3 x
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300,4 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Museum Brandhorst, München. Bastian 1994 (wie Anm. 125), Bd. 3, Nr. 129 (Abb.). »Each line now is the actual experience with its own innate history. It does not illustrate – it is the sensation of its own realization.« Zitiert nach Christine Kondoleon, »Color and Line, Gods and Poetry«, in: Kat.-Ausst. Boston 2020 (wie Anm. 117), S. 38. Quattro Stagioni, Part IV: Inverno, 1993/94, Acryl, Öl, Fettkreide und Graphit auf Leinwand, 313 x 190,1 cm, The Museum of Modern Art, New York. Bastian 1995 (wie Anm. 120), Bd. 4, Nr. 63 (Abb.). Roland Barthes, Cy Twombly, o. O. 1979, S. 16. Ähnlich auch Paul Klee an seine Studenten: »Üben Sie ihre Hand, am besten beide Hände, denn die linke schreibt anders als die rechte, ist weniger geschickt und deshalb manchmal brauchbarer. Die rechte schreibt natürlicher, die linke hieroglyphischer. Handschrift ist aber nicht Sauberkeit, sondern Ausdruck […].« Zit. nach Will Grohmann, Paul Klee. Handzeichnungen, Köln 1959, S. 375. Von Cy Twombly ist bekannt, dass er als junger Maler nachts stundenlang im Dunkeln zeichnete, um Intuition und Gefühl zu trainieren. Kondoleon 2020 (wie Anm. 127), S. 37. Auch hier ist der Vergleich mit Paul Klee interessant. Er schrieb 1914 in sein Tagebuch: »Die Graphik als Ausdrucksbewegung der Hand mit registrierendem Stift, wie ich sie wesentlich betreibe, ist vom Umgang mit Ton und Farbe so grundverschieden, dass man diese Kunst motivisch ganz gut im Dunkeln ausüben könnte, in finsterster Nacht.« Paul Klee, Tagebücher 18981918. Textkritische Neuedition, hg. von der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988, S. 361 (928). Jacobus 2016 (wie Anm. 122), S. 17. Kondoleon 2020 (wie Anm. 127), S. 38. Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt 2021 (frz. De la grammatologie, Paris 1967), S. 24. »Die natürliche Schrift ist unmittelbar an die Stimme und den Atem gebunden. Ihr Wesen ist nicht grammatologisch, es ist pneumatologisch. Sie ist hierartisch, ganz nahe der heiligen, inneren Stimme
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der Profession de foi, der Stimme, die man, in sich kehrend, vernimmt: die erfüllte und wahrhafte Präsenz in der Innerlichkeit unseres Gefühls […].« Derrida (ebd., S. 33f.) zu Jean Jacques Rousseaus Essai sur l’origine des langues. Barthes 1979 (wie Anm. 129), S. 14f. »Lesen sie die Geschichte und das Bild, um herauszufinden, ob alles dem Stoff gemäß wiedergegeben ist.« Vgl. Matthias Bruhn, Nicolas Poussin. Bilder und Briefe, Berlin 2000, S. 53. Eine Haltung, die an die des sentimentalischen Dichters, den Friedrich Schiller in seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung beschreibt, denken lässt. Online verfügbar unter: https:// www.projekt-gutenberg.org/schiller/naivsent/chap001.html. Cordula Meier, Anselm Kiefer – die Rückkehr des Mythos in der Kunst, Essen 2013, S. 133. Interview Anselm Kiefer, FAZ, 12.7.2008, S. 33. Ausbrennen des Landkreises Buchen, 1974. Originalfotografien, Eisenoxid und Leinöl auf Rauhfasertapete, 27 Seiten, 62 x 45 x 3 cm, Privatsammlung; Märkischer Sand III, 1976/77, Leinöl und Sand auf Originalfotografien und Rauhfasertapete, 17 Seiten, 62 x 42 x 6,5 cm, Privatsammlung; Siegfried’s Difficult Way to Brünhilde, 1977, Acryl und Emulsion auf Originalfotografien, 53 Seiten, 62 x 42 x 10 cm, Privatsammlung. Daniel Arasse, Anselm Kiefer, München 2001, S. 53f., S. 58, S. 58f. (Abb.). »Chez moi, il y a un chemin qui conduit des livres aux tableaux et des tableaux aux livres […] je fais un livre, puis une idée se cristallise à partir de lui.« Anselm Kiefer im Gespräch mit Christoph Ransmayr, Kat.-Ausst. Anselm Kiefer. L’Alchimie du Livre, Paris 2015, S. 142 (Übersetzung d. Verf.). Arasse 2001 (wie Anm. 140), S. 62. Kat.-Ausst. Paris 2015 (wie Anm. 141), S. 237 (Übersetzung d. Verf.). Opus Magnum – Tagebücher der Könige von Juda, 2016, Glas, Metall, Blei, Holz, Kreide, getrocknete Pflanzen und Papier, 280 x 150 x 100 cm, Sammlung Grothe. Kat.-Ausst. Anselm Kiefer. Opus Magnum, Kochel am See 2020/21, S. 88-93 (m. Abb.). 1985-1989. Etwa 200 Bleibücher in stählernem Regal, mit Glas und Kupferfaden, ca. 500 x 800 x 100 cm, Privatsammlung. Arasse 2001 (wie Anm. 140), S. 160f. (Abb.).
Anmerkungen 146 Anselm Kiefer, »Grenzen«, in: Kat.-Ausst. Anselm Kiefer. Bücher, hg.
von Heiner Bastian, Berlin 2008, S. 14. 147 Meier 2013 (wie Anm. 138), S. 147. 148 Daniel Arasse, Anselm Kiefer, München 2015, S. 22. 149 Anselm Kiefer, Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 150 151 152
153 154
des deutschen Buchhandels 2008. Danièle Cohn, Anselm Kiefer. Ateliers, München 2013, S. 44. Ebd. 2015, Acryl, Emulsion, Öl und Schellack auf Fotografie auf Leinwand aufgezogen, 280 x 570 cm, Sammlung Grothe. Kat.-Ausst. 2020/21 (wie Anm. 144), S. 164-167; 2014, Acryl, Emulsion, Öl, Schellack auf Fotografie auf Leinwand aufgezogen, 280 x 570 cm, Privatsammlung. Kat.-Ausst. Anselm Kiefer, hg. von Jean-Michel Bouhours, Paris 2015/16, S. 222f. (m. Abb.). Walther von der Vogelweide, Die Gedichte Walthers von der Vogelweide, Halle (Saale) 1895, S. 41. Benjamin 2009 (wie Anm. 19), Bd. 8, S. 30.
99
Abbildungen
Abb. 1: Pablo Picasso, Die Lektüre, 1953, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Museum Berggruen © Berlin, bpk/Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Museum Berggruen, Foto: Jens Ziehe VG Bildkunst 2022 Abb. 2: Paul Klee, Landschaf t mit gelbem Kirchturm, 1920, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Pinakothek der Moderne, München © Bayer &Mitko – ARTOTHEK Abb. 3: Paul Klee, Einst dem Grau der Nacht enttaucht, 1918, Paul-KleeStiftung, Zentrum Paul Klee, Bern © Hans Hinz – ARTOTHEK Abb. 4: Else Lasker-Schüler, Gedicht in Brief an Franz Marc, 23. Dezember 1915, Franz Marc Museum, Kochel am See, Stiftung Etta und Otto Stangl © www.collecto.art Abb. 5: Franz Marc, Vorstudie zu Tierschicksale, 1913, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München © bpk/Bayerische Staatsgemäldesammlungen Abb. 6: Victor Hugo, Vianden à travers une toile d’araignée, 1871, Musée de la Ville de Paris, Maisons de Victor Hugo © akg images 294608 Abb. 7: Paul Klee, Zimmerperspektive mit Einwohnern, 1921, Kunstmuseum Bern © akg images/De Agostini Picture Lib. Abb. 8: Paul Klee, Spinnennetz, 1927, Privatbesitz © akg images 359378 Abb. 9: George Brassaï, Fotografie aus Minotaure, Nr. 5, Mai 1934 © Estate Brassaï – R.N.M. Paris 2022 Abb. 10: Henri Michaux, Un poulpe ou Une ville, 1926, Privatbesitz © VG Bild Kunst 2022
102
Buch und Bild — Schrift und Zeichnung
Abb. 11: Henri Michaux, Narration und Alphabet, 1927, recto, Privatbesitz © https://journals.openedition.org/genesis/1237, VG Bildkunst 2022 Abb. 12: Paul Klee, abstracte Schrif t, 1931, Zentrum Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern Abb. 13: Paul Klee, Alphabet WE, 1938, Zentrum Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern Abb. 14: Paul Klee, Alphabet II, 1938, 188 M8, Zentrum Paul Klee, Bern © Zentrum Paul Klee, Bern Abb. 15: Paul Klee, Centrifugales Gedenkblatt, 1923, Museum Ludwig, Köln, Internet https://www.kunstkopie.ch/a/paul_klee/eincent rifugalesgedenkblatt.html Abb. 16: Paul Klee, Gesetz, 1938 D 18, Privatbesitz © https://www. christies.com/lot/lot-paul-klee-1879-1940-gesetz-law-6073964/? Abb. 17: Jean Dubuffet, Les Murs, Planche VIII Pisseurs au mur, 1945, Sprengel Museum Hannover © bpk/Sprengel Museum Hannover, Schenkung Sammlung Sprengel (1969)/Stefan Behrens (Nr. 70267614), VG Bildkunst 2022 Abb. 18: Cy Twombly, Achaeans in battle, 1978, Philadelphia Museum of Art © bpk/Philadelphia Museum of Art/Art Resource, NY © Cy Twombly Foundation Abb. 19: Cy Twombly, Nini’s Painting, 1971, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Museum Brandhorst, München © bpk/Bayerische Staatsgemäldesammlungen © Cy Twombly Foundation Abb. 20: Cy Twombly, Quattro Stagioni, Part IV: Inverno, 1993/94, The Museum of Modern Art, New York © Cy Twombly/Cy Twombly Foundation, Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abb. 21: Anselm Kiefer, Opus Magnum – Tagebücher der Könige von Juda, 2016, Sammlung Grothe © Anselm Kiefer, Foto: www.col lecto.art Abb. 22: Anselm Kiefer, Under der Linden an der Heiden da mugget ihr finden schöne beide gebrochen Blumen, 2015, Sammlung Grothe © Anselm Kiefer, Foto: www.collecto.art
Index A Arachne 9, 36, 40, 41, 43, 47, 91 Aragon, Louis 43, 93 Archilochos 70, 74, 96 Aristoteles 75 Art Brut 67, 68
B Bachmann, Ingeborg 82, 84 Barthes, Roland 74, 75, 76, 97, 98 Baselitz, Georg 77 Bauhaus 8, 19, 20, 21, 28, 45, 88, 89, 90 Benjamin, Walter 19, 20, 21, 63, 88, 99 Beschrif tung 21, 72, 80, 81, 83 Bildzeichen 20, 21, 22, 24, 25, 30, 35, 64, 67, 68 Blauer Reiter 30, 90 Brassaï 47, 48, 101 Breton, André 43, 44, 45, 49, 51, 93, 94 Buchstabe 13, 22, 23, 24, 25, 30, 31, 35, 36, 57, 60, 61, 62, 64, 67, 69, 71, 75, 80, 85, 95
C Celan, Paul 82, 84
D Dante 59 de Chirico, Giorgio 52 de Saussure, Ferdinand 29, 62, 88, 90 Derrida, Jacques 75, 97, 98 Descartes 17 Disegno 37, 70, 71, 91, 96 Dubuffet 67, 68, 69, 95, 96, 102
E Ernst, Max 52, 92 Expressionismus 8, 9, 35
F Faden 9, 36, 41, 43, 46, 47, 49, 51, 52, 54, 55, 91 Flaubert 38, 39, 40, 87, 92 Foucault, Michel 21, 22, 24, 89, 92
G Graf fiti 67, 68, 69, 95 Guillevic, Eugène 67, 95
104
Buch und Bild — Schrift und Zeichnung
H Hieroglyphenschrif t 65 Horaz 36, 37, 91 Hortus Conclusus 12 Hugo, Victor 9, 41, 42, 43, 45, 51, 52, 92, 93, 94, 101
I Informel 67, 68, 72
J Jawlensky, Alexej 35 Joyce, James 59
K Kalligramm 24 Kandinsky, Wassily 35 Kiefer, Anselm 7, 77, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 98, 99, 102 Klee, Paul 7, 8, 19, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 43, 44, 45, 46, 47, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 85, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 101, 102 Konstruktivismus 8, 20, 89 Kubin, Alfred 37
L Lasker-Schüler, Else 7, 30, 31, 32, 33, 34, 85, 87, 90, 91, 94, 101 Lautréamont 62, 95 Lesearbeit 85 Lesekultur 85
Lessing, Gotthold Ephraim 27, 28, 35, 89 Liniensystem 22, 28 Lissitzky, El 88, 20 Lyrik, chinesische 23, 60
M Magritte 24 Mallarmés 59 Mandelstam, Ossip 82 Marc, Franz 8, 30, 35, 37, 38, 39, 40, 87, 90, 91, 92, 101 Masson, André 49 Michaux, Henri 9, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 85, 94, 101, 102 Moholy-Nagy, László 20, 88 Morgenthau, Henry 83 Münter, Gabriele 35 Mythologie 76, 78, 80
N Netz 9, 36, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 49, 54, 68, 91
O Olson, Charles 74, 75 Ovid 9, 36, 41, 91
P Paragone 8, 35, 37 Picasso, Pablo 9, 15, 16, 87, 88, 101 Piktogramm 68 Poussin, Nicolas 76, 91, 98 Proust, Marcel 16, 17, 19, 88
Index
R Rembrandt 16 Richter, Gerhard 77 Rilke, Rainer Maria 14, 15, 16, 88, 96 Rubens 9, 87 Ruskin, John 17, 19
S Sartre, Jean Paul 13, 14, 16, 88 Schrif tzeichen 22, 29, 35, 51, 52, 55, 60, 62, 75, 81 Schulschrif t 78, 81 Spinne 9, 36, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 49, 51, 52, 91 Spinnennetz 41, 42, 43, 46, 47, 48, 92, 101 Spur 9, 36, 39, 61, 72, 76, 77, 80, 82 Surrealismus 43, 44, 47, 52, 93, 94 Surrealist 41
T Tachismus 67, 68 Twombly, Cy 7, 8, 9, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 81, 94, 95, 96, 97, 102
V Velázquez 9, 87, 91 Vermeer 16 Voltaire 33, 91 von der Vogelweide, Walther 84, 99
Z Zeichensprache 64, 65 Zuccari, Federico 71, 96
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Kunst- und Bildwissenschaft Elisa Ganivet
Border Wall Aesthetics Artworks in Border Spaces 2019, 250 p., hardcover, ill. 79,99 € (DE), 978-3-8376-4777-8 E-Book: PDF: 79,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4777-2
Ivana Pilic, Anne Wiederhold-Daryanavard (Hg.)
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Annika Haas, Maximilian Haas, Hanna Magauer, Dennis Pohl (Hg.)
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Katharina Eck, Johanna Hartmann, Kathrin Heinz, Christiane Keim (Hg.)
Wohn/Raum/Denken Politiken des Häuslichen in Kunst, Architektur und visueller Kultur April 2021, 376 S., kart., Dispersionsbindung, 90 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-4517-0 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4517-4
Thomas Gartmann, Christian Pauli (Hg.)
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