Liebe schreiben: Paarkorrespondenzen im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts [1 ed.] 9783666301155, 9783525301159


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German Pages [360] Year 2017

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Liebe schreiben: Paarkorrespondenzen im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783666301155, 9783525301159

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Ingrid Bauer / Christa Hämmerle (Hg.)

Liebe schreiben Paarkorrespondenzen im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts

Ingrid Bauer / Christa Hämmerle (Hg.)

Liebe schreiben Paarkorrespondenzen im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts

Vandenhoeck & Ruprecht

Diese Publikation wurde gefördert durch die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien und die Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg

Mit 11 Farbabbildungen und 3 Grafiken Umschlagabbildung: Perndl+Co, Gerhard Bauer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-30115-5

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de. © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.  Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

»Nun ist es wieder zwei Tage her, seit wir brieflich miteinander geplaudert haben.«

»Und das Porto für Liebesbriefe sollte auch verbilligt werden, wäre ein Parlamentsantrag, gelt!«

»Diese verfluchten (verzeih’) Papierküsse gehen mir auf die Nerven. Ich möchte einen echten.«

Inhalt

Ingrid Bauer, Christa Hämmerle Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹ – ein Forschungsprojekt im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Ines Rebhan-Glück Gefühle erwünscht Normiertes Liebeswerben in Verlobungskorrespondenzen aus den 1860er/70er Jahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Nina Verheyen »[…] mein Eheweib und nicht mein College«? Liebe und Beruf(ung) in Paarkorrespondenzen vor dem Hintergrund der Frauenbewegung/en um 1900 . . . . . . . . . 87 Ines Rebhan-Glück Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Barbara Asen »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin« Zur Konstruktion von Liebesbeziehungen in der Briefkommunikation von Paaren der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . 139 Christa Hämmerle Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt Paarkorrespondenzen aus zwei Weltkriegen: 1914/18 und 1939/45 . . . . . 171 Ingrid Bauer 1968 ff. – Neuverhandlungen der Balance zwischen Liebe, Sexualität und Selbstverwirklichung Befunde aus Paarkorrespondenzen von den ausgehenden 1960er bis in die frühen 1980er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Inhalt

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Brigitte Semanek Von »schönen Stunden« Die Sprache des Sexuellen in Briefen von den 1870er zu den 1970er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Barbara Asen Liebe vernetzt Zur Verortung von Paaren innerhalb ihres familialen und sozialen Umfelds in Briefquellen: 1840 bis 1980 . . . . . . . . . . . 325 Unser Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Verzeichnis der Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

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Inhalt

Ingrid Bauer, Christa Hämmerle

Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹ – ein Forschungsprojekt im Kontext

»Mein geliebter Mann, mein Einziger!«, eröffnete eine jener Schreibenden, deren ›private‹ Korrespondenz im Zentrum dieses Bandes steht, im Mai 1918 einen Brief an ihren als Offizier der Reserve eingerückten Ehemann. Aufgrund der kriegsbedingten Posthindernisse hatte sie diesmal gleich mehrere Sendungen von ihm auf einmal erhalten. Darunter waren, wie die Lehrerin Mathilde Hanzel-Hübner betonte, »gerade zwei heiße Liebesbriefe«.1 Und knapp 27 Jahre später, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, heißt es in einem der vielen erhalten gebliebenen Feldpostbriefe des Sanitäters Friedrich Kettler an seine Verlobte, die damalige Angestellte Helga Böhm in Wien: »[…] bin jetzt doch nicht in der richtigen Stimmung, einen guten, echten Liebesbrief zu schreiben.«2 Der männliche Part eines anderen, schon älteren Ehepaares, das im Laufe der Jahrzehnte von 1928 bis 1984 insgesamt rund 1.100 Briefe ausgetauscht hat, hielt im Jahr 1963 fest: »Meine liebste Olga, ich hab gar nicht gewußt, daß Du noch Liebesbriefe – echte von Herzen kommende Worte – schreiben kannst.« Worauf sie antwortete: »Papschl – natürlich kann ich noch liebe – Liebesbriefe schreiben!«3 Ähnliche Formulierungen finden sich im langen Untersuchungszeitraum zwischen den 1870er und frühen 1980er Jahren auch in anderen Paarkorrespondenzen, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts »(Über) Liebe schreiben«* mit emotions- und geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen im Kontext einer Geschichte des popularen ›privaten‹ Schreibens ausgewertet haben. Wir konnten feststellen, dass die aus unterschiedlichen sozioökonomischen Verhältnissen kommenden Verfasserinnen und Verfasser der untersuchten Briefbestände ein konkretes Verständnis davon hatten, was ein ›Liebesbrief‹ ist oder * Dieses Forschungsprojekt mit dem Titel »(Über) Liebe schreiben. Historische Analysen zum Verhandeln von Geschlechterbeziehungen und -positionen in Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts« wurde von Mai 2010 bis April 2014 vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert (P22030-G15) und von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle im Rahmen einer Kooperation zwischen den Universitäten Salzburg und Wien geleitet. Der vorliegende Band versammelt die zentralen Projektergebnisse.

Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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sein sollte. Sie vermerkten mitunter dezidiert, ob sie gerade »einen wirklichen Liebesbrief«4 geschrieben oder zumindest beabsichtigt hatten, dass ihr Schreiben »ein Liebesbrieflein werden [sollte]«5 beziehungsweise trotz des Bemühens, gerade das zu vermeiden, »doch wieder ein Liebesbrief«6 geworden war. In einer Korrespondenz aus den frühen 1920er Jahren wiederum wird ein Briefdialog von beiden Seiten eines aus dem Wiener Bildungsbürgertum stammenden Paares sogar grundsätzlich als »Liebesbriefschriftstellerei« gewertet,7 und in anderen Fällen von einer solchen Zuschreibung durch das soziale Umfeld berichtet – wie von einer ländlichen Dienstmagd, die im Kriegsjahr 1916 vom Postmeister ein Schreiben ihres Verlobten mit der Bemerkung ausgehändigt bekam: »[…] heute bekommen Sie wieder einen Liebesbrief«.8 Mit diesen wenigen Zitaten aus dem großen Quellenfundus unseres Projekts ist schon eines der zentralen Spannungsfelder angedeutet, in dem wir unsere Forschungen durchgeführt haben. Wir gingen davon aus, dass das, was ein ›Liebes­brief‹ ist oder sein sollte, ungeachtet der Wirkmächtigkeit der damit verbundenen Konzepte und Definitionen nur eine Dimension der Möglichkeiten des »(Über) Liebe Schreibens« in Paarkorrespondenzen des 19. und 20.  Jahrhunderts darstellt. Dabei ist der erste Begriff ›Liebesbrief‹ jener, der bislang in den Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften zu einem eigenen, mehr oder weniger eng definierten und primär dem Bildungsbürgertum zu­geordneten Genre erhoben wurde. Der zweite – Paarkorrespondenzen – ist hingegen weit offener und umfasst eine größere inhaltliche und stilistische Bandbreite auch des popularen Schreibens zwischen sich liebenden Paaren. Die gerade zitierten Beispiele aus solchen Paarkorrespondenzen zeigen das ebenso wie der Befund, dass sich der Begriff ›Liebesbrief‹ oder ähnliche Formulierungen im Gesamtquellenbestand des Projekts eher selten finden. Beides fordert zu offenen Konzeptualisierungen auf  – sowohl in Hinblick auf genretheore­tische Annahmen und ihre notwendige Erweiterung um die vielfältigen Schreibpraxen in allen gesellschaftlichen Schichten als auch in Hinblick auf emotions- und geschlechtergeschichtliche Ansätze, die Liebe und ihre Kommunikation in Briefen fokussieren. Diese betonen ebenfalls die Bedeutung dieses Mediums bei der Gestaltung von Paarbeziehungen, die darauf bezogenen Wünsche und Erwartungen an ›den Anderen‹, die von den Schreibenden formuliert und verhandelt werden, sowie ihre Selbstdarstellung und Positionierung als Frauen und Männer. Dabei bedeutet ihr Schreiben immer auch Handeln, bis hinein in den Bereich der Gefühle, etwa wenn dieses in einem performativen Sinn, das heißt als ›doing‹ oder ›trying emotion‹,9 danach trachtet, Liebe (neu) zu entfachen oder zu verstärken und festzuschreiben, damit aktiv zu gestalten und zu verändern – worauf der Titel des vorliegenden Bandes deutet. Alle diese Aspekte benennen zugleich seine zentralen Leitfragen, die im Folgenden genauer erläutert werden.

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1. Brief – Liebe – Liebesbrief – Paarkorrespondenz – Geschlecht: Begriffliche Prämissen Was also ist ein ›Liebesbrief‹, dessen Formalien und Inhalte die gerade zitierten Paare, sei es im 19. oder sei es im 20. Jahrhundert, durchaus zu kennen meinten  – und gleichzeitig oft doch nicht einhielten, anders gestalteten, weiteten und veränderten? Wie verhält es sich mit dem ganz offensichtlich auch in ihren Köpfen (und Herzen) bestehenden Spannungsfeld zwischen einer starken Normierung des Genres ›Liebesbrief‹ einerseits, das bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von literarischen oder ästhetischen Vorgaben und Konventionen determiniert scheint, und den ebenso vielen, historisch anwachsenden Praktiken von Schriftlichkeit andererseits? Und warum – davon geht unser zum Fallbeispiel des österreichischen Raums10 entstandener Band aus  – haben solche Korrespondenzen einen großen Aussagewert für die Geschichte der Liebe und des ›privaten‹ Schreibens oder die Frage nach dem Wandel und den Kontinuitäten von Diskursen und Praktiken in Paarbeziehungen zwischen Frauen und Männern?11 In der einschlägigen Forschung, die sich lange primär auf bildungsbürger­ liche oder intellektuelle und künstlerische Kontexte und Traditionen des ›Liebes­briefes‹ seit der Aufklärung beziehungsweise dem Zeitalter der »Empfindsamkeit« im 18.  Jahrhundert konzentriert hat,12 wird vor allem betont, dass ›Liebes­ briefe‹ als »besondere ästhetische Kommunikationsformen«,13 als »cultural artifact« oder »highly coded forms«14 zu definieren sind. Dabei wird insbesondere auf ihre Prägung durch spezielle Anleitungsliteratur  – die Universal- oder ausdrücklichen Liebesbriefsteller mit ihren vielen Musterbriefen – verwiesen, die umfassend wirkt: von der Anrede bis zur Schlusssequenz, von einzuhaltenden äußeren Formalien bis hin zu oft nach Geschlecht unterschiedlichen Vorgaben, welche schriftlichen Signale, Zeichen, Gesten  – und damit Liebescodes – zu setzen sind.15 Diese Codes wiederum sind in der Moderne eng an literarische Konven­ tionen der Romantik und das diskursive Konzept der romantischen Liebe gebunden, die ihrerseits – nicht weniger normierend – gerade das ›Eigene‹ oder ›Individuelle‹, und damit auch den ›wahren‹ oder ›natürlichen‹ und ›authentischen‹ Ausdruck von Emotion kultiviert haben.16 Regina Schulte hat diesbezüglich sogar von einer erlernten »Kunst des authentischen Schreibens« gesprochen.17 Vor diesem Hintergrund wird der ›Liebesbrief‹ als »intimste[r] aller Textkörper«18 überhaupt gesehen beziehungsweise als »intimste Spielart« des sich im 18. Jahrhundert etablierenden ›Privatbriefes‹, der die Tendenz habe, »der ganz persönlichen Selbst-Äußerung den meisten Raum zu bieten, das eigene Ich dem geliebten Partner so unverhüllt wie in keiner anderen Briefart zu manifestieren«.19 Oder man definiert ihn generell als »Schreiben Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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über die Liebe in einem ihr gewidmeten Medium«20, auch indem etwa explizit festgehalten wird, dass der »Liebesbrief […] auf das einzige Thema ›Ich liebe Dich‹ [fokussiert]« und »letztendlich keine weitere Information als diese [vermittelt]«.21 Nicht zuletzt steht der ›Liebesbrief‹ selbst  – in seiner schon erwähnten, auch für unser Projekt geltenden performativen Dimension – für eine Geste der Zärtlichkeit und Nähe,22 der Herstellung von Intimität, der Öffnung eines entsprechenden ›Gefühlsraums‹ zwischen zwei sich liebenden Menschen.23 All das bezeichnet jedoch nur einige Facetten solcher Briefe. Dies gilt umso mehr für das lange ›Zeitalter des Briefes‹, in dem sich auch unser Projekt situiert. Als solches kann  – angesichts der von der Forschung mittlerweile ausreichend dokumentierten, stetig wachsenden Schriftlichkeit auch sozial nicht privilegierter, bildungsferner Schichten sowie der »Explosion« des ›privaten‹ Schreibens in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts24 – keinesfalls primär das 18. Jahrhundert mit der damals etablierten ›Empfindsamkeit‹ der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft gelten. Auch wenn sich – ausgehend von Christian Fürchtegott Gellerts einflussreichem Konzept einer am mündlichen Gespräch orientierten epistolarischen »Unmittelbarkeit« und »Natürlichkeit«, die primär das weibliche Geschlecht auszeichne25 – zumindest in den gebildeten Schichten die oben zitierten Normen des sich verbreiternden ›Privatbriefes‹ durchsetzten.26 Zu kurz greift auch die Ausweitung der Taxierung ›Zeitalter des Briefes‹ auf das von einem massiven Ausbau des Postwesens und steigender Alphabetisierung geprägte 19. Jahrhundert,27 in dem das Korrespondieren – zunehmend eingeübt durch schulische Curricula28 – zu einer »kulturellen Institution«29 wurde. Diese Relativierung gilt, obwohl sich schon gegen dessen Ende die »Verkündung eines allmählichen Verfalls oder gar Untergangs der Briefform« häufte.30 Solche Klagen, die als Ressentiment konservativ-bürgerlicher Kreise nicht zuletzt mit der um 1870 eingeführten und daraufhin rasch gewachsenen Popularität der Postkarte zusammenhingen,31 kennt auch das 20. Jahrhundert. Dabei standen dem wiederkehrenden »Abgesang auf den Brief«32 nun bislang unerreichte Massen von ›privaten‹ Korrespondenzen gegenüber – nicht zuletzt zwischen sich liebenden Frauen und Männern. Sie konnten zwar immer leichter und öfter unter verschiedenen Kommunikationstechnologien wie dem Telegramm oder dem Telefon wählen, schrieben sich in einem »Mixing Media« jedoch weiterhin auch zahlreiche Briefe und Karten.33 Unser bis in die frühen 1980er Jahre reichendes Projekt nimmt aus dem ›Zeitalter der Briefe‹ jene Spanne in den Blick, in der postalische ›private‹ Korrespondenzen auch über bildungsbürgerliche Kontexte hinaus weit verbreitet und ein ganz wichtiges, weitgehend funktionierendes Medium waren, um Liebesbeziehungen anzubahnen, zu entwerfen, dauerhaft zu machen oder zu trennen. Die Ära des Internets und eine seiner meistgenutzten Ressourcen, die EMail, wurden nicht mehr eingehend in die Untersuchung miteinbezogen, auch

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wenn einige Studien nahelegen, dass die neuen Möglichkeiten der ›elektronischen Post‹ zu einer – frühere Gepflogenheiten aufgreifenden – Renaissance briefähnlicher Liebes- beziehungsweise Paarkorrespondenz geführt haben.34 In Bezug auf das andere Ende unseres Untersuchungszeitraums wiederum setzten unsere Quellenforschungen erst mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ein, da wir für diese Zeit davon ausgehen konnten, dass es trotz großer Überlieferungsprobleme35 bereits weniger elaborierte, weniger ›kunstvoll‹ gestaltete und nicht nur in der bildungsbürgerlichen ›Liebesbriefkultur‹ zu verortende Paarkorrespondenzen gab. Das hat auch die Sprachwissenschaftlerin Eva Lia Wyss betont, die sich im Zuge ihrer langjährigen Forschungen mit popularen ›Liebesbriefen‹ – zunächst vor allem der Schweiz im 20. Jahrhundert – beschäftigt und dazu ein Archiv angelegt hat.36 In einer vergleichenden Ausweitung ihrer Analyse auf einen Briefbestand der 1870er Jahre »aus einfachen Verhältnissen«37 tritt Wyss dafür ein, auch solche Beispiele der Textsorte ›Liebesbrief‹ zuzurechnen. Sie seien häufig durch »geringe Ästhetisierung« gekennzeichnet, wozu die Linguistin einerseits eine auffallende Anlehnung an Mündlichkeit, das Fehlen weitgehend üblicher »Strukturierungsmittel wie Satzzeichen, Absätze und Anführungs­ zeichen«, »Freizügigkeit in Bezug auf die Rechtschreibung«, Ellipsen und syntaktische Brüche, andererseits auch die Verwendung »hyperkorrekte[r] Formen« zählt, »die auf eine gewisse Überanpassung hinweisen oder auch einer geschäftlichen Briefstilistik entstammen«. Alles in allem würden solche Schreiben, die dennoch wie ihre »bürgerlichen Vorbilder« auch Passagen mit dem Ausdruck von Liebe und Fürsorge enthielten, daher zwischen »Formlosigkeit und Konformität [oszillieren]«.38 Das lasse ›Liebesbriefe‹ schon des 19.  Jahrhunderts damit ganz generell zwischen den zwei Möglichkeitspolen einer »starken« oder »geringen Ästhetisierung« pendeln  – mit unterschiedlichen »Vermischungen« und »stilistischen Ausprägungen«.39 Einer solchen Konzeptualisierung in Richtung Vielfalt folgt im Prinzip auch dieser Band, geht dabei aber noch einen Schritt weiter. Denn unser Ansatzpunkt ist, dass keinesfalls alle Briefe zwischen sich liebenden Paaren auch eine Liebeserklärung enthalten – woran Wyss in ihrem Kriterienkatalog für ›Liebes­ briefe‹ mit »geringe[r] Ästhetisierung« festhält.40 Hingegen sprechen wir im Folgenden, um die große Bandbreite, die angesprochene Vielfalt des Schreibens über Liebe in den untersuchten Briefbeständen von den 1870er bis in die frühen 1980er Jahre zu adressieren, prinzipiell und breiter definiert von Paarkorrespon­ denzen. Diese können, müssen aber nicht den gängigen oder oben wieder­ gegebenen Definitionen des ›Liebesbriefes‹ entsprechen und inkludieren damit auch all jene Bestandteile einer Paarkorrespondenz, die den eingangs zitierten Briefschreiberinnen und -schreibern nicht als »guter«, »echter« oder »wirklicher« ›Liebesbrief‹ galten. Die Grenzen sind dabei fließend; der ›Liebesbrief‹ ist in diesem Sinne weniger als eigene, klar abgrenzbare ›Textsorte‹, Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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sondern – wie Selbstzeugnisse generell41 – als äußerst hybrides Genre zu definieren. Das heißt, dass das »(Über) Liebe Schreiben« sich brieflich in vielerlei Form, mit vielerlei sprachlichen, metasprachlichen und inhaltlichen Elementen manifestieren kann  – davon gingen unsere Forschungen aus. Es gilt, wie die untersuchten Quellen veranschaulichen, mitunter selbst in der Korrespondenz zwischen neu verliebten Paaren oder in sogenannten ›Brautbriefen‹ beziehungsweise – geschlechtsneutral formuliert – in Verlobungskorrespondenzen, die gemeinhin als Inbegriff des ›Liebesbriefes‹ gelten und im Rahmen der bürgerlichen Eheanbahnung bis ins 20. Jahrhundert hinein zur viel praktizierten Konvention gehörten.42 In formaler Hinsicht bedeutet eine solche offene Konzeptualisierung zudem, dass auch der Austausch von materiellen Gegenständen wie Fotografien, getrockneten Blumen oder – in Kriegszeiten besonders wichtig – Paketen, der viele Paarkorrespondenzen nicht nur begleitet, sondern mitkonstituiert, in den Blick zu nehmen ist. Oder die in ihnen zu beobachtende Aufhebung einer dialogischen Briefstruktur in Richtung Selbstdarstellung, autobiografische Erinnerung oder Tagebucheintrag beziehungsweise die ebenso häufig vorkommenden Missachtungen dessen, was in der Brieftheorie als »epistolarischer Pakt«43 definiert wurde und sich auf das Einverständnis bezieht, auf erhaltene Briefe umgehend in zumindest gleicher Ausführlichkeit zu antworten und bestimmte Schreibgepflogenheiten einzuhalten. Und nicht zuletzt sind auch die minimalisierten Korrespondenzformen bis hin zum bloßen Zettel, zur eilig geschriebenen Postkarte, einer versteckten Botschaft unter der Briefmarke,44 der Verwendung von Sprichwörtern, Gedichten oder Liedern als ›Boten‹ der eigenen Liebesnachricht zu berücksichtigen. Das alles ist ebenso Kommunikationsmedium und zugleich mit der inhaltlichen Ebene eng verschränkt; eine prinzipielle Offenheit und Fluidität gilt selbst­verständlich auch in Bezug darauf. So wie uns der Begriff ›Liebesbrief‹ in unserem Projekt zwar durchaus als heuristische Kategorie, nicht aber als verbindlicher Gattungsbegriff für die von uns untersuchten Quellen diente, wollten wir auch nicht von vornherein festlegen oder unhinterfragt implizieren, was denn jene ›Liebe‹, von der Paarkorrespondenzen zwischen Männern und Frauen auf unterschiedliche Art und Weise handeln, genau ist. Daher haben wir in Übereinstimmung mit neueren emotionsgeschichtlichen Ansätzen, die gerade die Fluidität von Gefühlen betonen,45 auch in Bezug darauf einen »definitionsoffenen Begriff« gewählt, der – so Caroline Arni – »anschlussfähig« ist für vieles, was die Binnenseite von Paarbeziehungen ausmachen kann. Dazu gehören »Fürsorge, Respekt, Leidenschaft, Freundschaft«46 ebenso wie Sehnsucht, Sinnlichkeit und Sexualität, oder Langeweile, Enttäuschung, Eifersucht, Hass, Konflikte und die vielen damit verbundenen Ambivalenzen. All das kann, neben materiellen Interessen,47 in Paarkorrespondenzen als Liebe in Erscheinung treten. Auch geteilte oder

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kommunizierte Alltäglichkeit und ihre Themen können  – das haben jüngst aus dem Feld der Literaturwissenschaft Renate Stauf und Jörg Paulus ebenfalls betont – selbst im bildungsbürgerlichen ›Liebesbrief‹ realiter in vielerlei Form mit dem »Liebesgespräch« verschmelzen, ja mehr noch, darin oft sogar »den Ausgangspunkt und das Erhaltungsprinzip der Liebe« ausmachen.48 Liebe ist außerdem, von der Briefforschung noch viel zu wenig untersucht, immer auch in einen spezifischen historischen  – politischen, sozioökonomischen und kulturellen – Rahmen eingebunden. Krieg oder Frieden, politische Systeme und Zäsuren, Wirtschaftswachstum oder Rezession, ungleich verteilte Bildungs-, Berufs- und materielle Lebenschancen, Religion/en und ihr Stellenwert, soziale Bewegungen wie die Frauen- oder Studentenbewegung/en – kurz: Dimensionen des historischen Kontexts49 sind demnach unbedingt in die Analyse einzubeziehen. Auch sie leiten das »(Über) Liebe Schreiben« im Medium des Briefes, und das nicht nur in Hinblick auf die darin verhandelten Weiblichkeits- und Männlichkeitsnormen, Beziehungs- und Ehemodelle sowie die damit verknüpften Gefühle. Die historischen Rahmenbedingungen, zu denen auch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts gehören, formatierten die Spielräume und Möglichkeiten des Schreibens wie des Liebens, mitunter auf ganz existenzielle Weise. Neben anderen, stärker individuellen Faktoren relativieren die gerade ge­ nannten Dimensionen auch die den Untersuchungszeitraum prägende Wirkmacht des Konzepts der romantischen Liebe, die insbesondere mit dem An­ spruch auf Seelenverwandtschaft, Einzigartigkeit und Exklusivität sowie der Herausbildung von Paarintimität beziehungsweise eines ›Paarkosmos‹ assoziiert wird. Außerdem ist dem Konzept gemeinhin die Verbindung von sexuellem Begehren und emotionalem Empfinden mit dem Ideal der Liebesheirat eingeschrieben, das die Ehe aus der traditionell vorherrschenden Bindung an soziale und ökonomische Verhältnisse herauslöste.50 Von seinen europäischen Wurzeln her lässt sich diese Konzeption, nach ersten Tendenzen in der ›höfischen Liebe‹ des 11. und 12.  Jahrhunderts,51 als ein Gefühlsarrangement fassen, das an eine künstlerische und intellektuelle Avantgarde des ausgehenden 18. Jahrhunderts gebunden und an deren literarischen Werken orientiert war; im Sinne einer gewissen Egalität forderte es damals beide Geschlechter zur Grenzüberschreitung heraus.52 Zum kulturellen Leitbild wurde die romantische Liebe jedoch in der spezifischen Form des geschlechterpolaren und hie­ rarchischen bürgerlichen Ehe- und Liebesmodells, das sich im 19. Jahrhundert als Norm verfestigte und im Untersuchungszeitraum des Projekts schichtübergreifenden Einfluss gewann.53 Dennoch wurde diese hegemoniale Leitidee in verschiedenen historischen Kontexten unterschiedlich gedeutet und in soziale Praxen umgesetzt, etwa in Form der eher auf ein freundschaftliches Verhältnis bauenden und ›sachlicheren‹ Kameradschaftsehe im frühen 20.  Jahrhundert54 oder ab den späten 1960er Jahren, als sie, gerahmt durch eine »skeptische Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Rhetorik der Liebe«,55 zum »Gegenstand extremer Reflexivität«56 wurde. Ab den 1970er Jahren begann sich auch ein Ideal partnerschaftlicher Liebes- und Lebensformen zu etablieren, wobei nun insgesamt von einem Nebeneinander der Diskurse ausgegangen werden muss.57 Alle diese Entwürfe und Gestaltungen bleiben trotz ihrer Unterschiede zum romantischen Code der Liebe »an diesen partiell rückgebunden« beziehungsweise lassen sich, wie die Historikerin Alexandra Kofler reflektiert, »als Auseinandersetzung mit diesem […] verstehen«, sind Reaktion auf seine »unauflösbaren und paradoxen Anforderungen und lockern diese zugleich«.58 Wie sich die Verfasserinnen und Verfasser der unserem Projekt zugrunde liegenden Paarkorrespondenzen vor diesem diskursiven Hintergrund gesellschaftlicher Liebesauffassungen und ihrem Wandel mit ihren individuellen Entwürfen positionierten, ob und wie sie die kulturellen Codes schreibend aufgriffen, modifizierten oder verwarfen, gehörte mit zum Fragehorizont unserer ­Forschungen. Aufgrund der oben angedeuteten Paradoxien und (weitgehenden) Unein­ lösbarkeiten der romantischen Liebe könnte daher  – um noch einmal auf die stark normierte Idealform des ›Liebesbriefes‹ zurückzukommen  – davon gesprochen werden, dass dieser in der Praxis des »(Über) Liebe Schreibens« immer auch bedroht ist. Das gilt nicht nur, weil er sich dem »Wunsch nach Originalität und Einmaligkeit [versagt]«59 oder gewissermaßen an seiner »Janusköpfigkeit«60 leidet. Die für die europäische ›Moderne‹ kennzeichnende romantische Überhöhung der Liebe (die demnach immer auch ein fiktionales Moment in sich trägt) kämpft gleichzeitig stets mit Alltäglichkeit, Banalität, Organisatorischem und Materialität oder anderen Faktoren wie Konflikten und der Liebe vielleicht gegenläufigen Gefühlen, die in Paarkorrespondenzen ebenso thematisiert werden wollen oder – je nach Anspruch und Situation – thematisiert werden sollten. Und sie kämpft – so eine letzte zentrale Grundannahme unseres Projekts – in sehr unterschiedlicher Art und Weise auch mit den von Dichotomie und Hie­ rarchie geprägten hegemonialen Geschlechterkonzepten, den vorherrschen­den Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Kontext einer Liebesbeziehung, einer Eheanbahnung, den Rollenerwartungen und -verteilungen eines Beziehungspaares. Gerade das zu untersuchen, das heißt die frauenund geschlechtergeschichtlichen Dimensionen des »(Über) Liebe Schreibens« im Medium des Briefes zu ergründen,61 war uns im langen Bogen des Untersuchungszeitraums von der Ersten zur Zweiten Frauenbewegung wichtig; wir koppelten diesen daher an entsprechende Zäsuren. Denn im letzten Drittel des 19.  Jahrhunderts erfuhr das eben erst hegemonial gewordene bürgerliche Liebeskonzept erste nachhaltige Erschütterungen durch die Ehekritik der Ersten Frauenbewegung/en,62 während es dann noch einmal rund hundert Jahre dauerte, bis es zu gravierenden Diskursbrüchen mit weit­reichenden Folgen

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für alternative Ehe-, Familien- und Liebesverhältnisse kam.63 Dazwischen liegen Phasen wie das ›Fin de Siècle‹ um 1900 mit einer damals diagnostizierten ›Krise der Männlichkeit‹ und dem bereits be­ginnenden, dann vor allem in den 1920er Jahren geführten ›Kulturkampf‹ um die Neue Frau; weiters die Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs beziehungsweise des Nationalsozialismus, als es – in sehr verschiedener Art und Weise – zu besonders stark ausformulierten Ideologisierungen der Geschlechterrollen und gravierenden Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter zueinander kam; oder die Nachkriegszeiten, in denen wiederum eine Krise der Geschlechterbeziehungen konstatiert wurde. In den 1950er Jahren setzte dann – bezogen auf die hohen Heirats- und Geburtenzahlen – ein ›goldenes Zeitalter der Familie‹ ein, seit Mitte der 1960er Jahre die sogenannte Sexuelle Revolution sowie ein gesellschaftlicher Modernisierungs-, Demokratisierungs- und, damit verbunden, ein weiblicher Bildungsschub. Diese Entwicklungen brachten die Geschlechterverhältnisse stärker in Bewegung denn je und mündeten in den 1970er Jahren in die nachhaltigen Hinterfragungen, Debatten und Impulse der Neuen Frauenbewegung.64 In all diesen Entwicklungen und Konzepten konnte die relationale Kategorie Geschlecht, deren Wirkmacht im Projekt in Verbindung mit anderen Kategorien wie Alter, Region, Schicht oder Stand et cetera untersucht werden sollte, auch für Briefschreiberinnen und -schreiber sehr unterschiedliche Dynamiken entfalten – davon gingen wir wiederum aus. Sie diente ihnen, einer zentralen Funktion von Geschlechterdefinitionen entsprechend,65 zur Strukturierung und Ordnung ebenso wie als Ressource für Durchsetzungskraft und Beziehungsmacht,66 die von Männern wie Frauen sehr verschieden eingesetzt werden konnte – sei es, indem sie gesellschaftliche Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen für sich zu nutzen suchten,67 oder sei es, indem sie solche Normen für sich selbst zurückwiesen und kritisierten, gar ins Gegenteil kehrten. Dabei konnten hierarchische Geschlechterkonzepte auch unterminiert oder spielerisch ins Paradoxe gewendet werden, um so zumindest in der Dynamik einer Briefbeziehung auch Egalität oder Rollentausch zu imaginieren oder zu erproben.68 Daraufhin wollten wir unsere Quellen ebenso befragen wie wir sie, einem weiteren zentralen Postulat der Frauen- und Geschlechterforschung entsprechend, keinesfalls als lediglich einer ›privaten Sphäre‹ zugeordnet betrachten. Auch in den sogenannten ›Privatbriefen‹ verschränken sich ›Öffentlichkeit‹ und ›Privat­heit‹ in vielen Facetten.69

Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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2. Paarkorrespondenzen und ihre Aussagekraft: Quellenkritische Reflexionen Das Projekt »(Über) Liebe schreiben« wurde in enger inhaltlicher Verbindung zur Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien durchgeführt. Es profitierte von den ›Schätzen‹, die von dieser nicht nur in Österreich einzigartigen Einrichtung seit ihrer Gründung im Jahr 1990 gesammelt, systematisch geordnet und dokumentiert werden.70 Wie das jüngste Bestandsverzeichnis ausweist, umfasste die Sammlung 2012  – also in der Mitte der Laufzeit unserer Forschungen  – in zweihundert teilweise sehr umfangreichen Beständen die Vor- und Nachlässe von 301 Frauen und 29 Männern.71 Darin sind viele Paarkorrespondenzen enthalten, die dem Projekt in vollem Umfang zur Verfügung standen, nicht selten erweitert durch andere Dokumente sowie durch biografische Informationen. Da sie uns sehr oft im Original zugänglich waren, ließ sich damit auch ein Augenmerk auf ihre Materialität richten – auf die Beschaffenheit des Briefpapiers, auf ihr Aussehen, ihre Form, das Schriftbild et cetera. Die im Projekt erschlossenen Quellen konnten demnach zum Teil auch als Objekte erfasst werden, in ihrer materiellen Substanz, mit ihrer parasprachlichen, visuellen und haptischen Ebene72 – ausgehend von der Annahme, dass die äußere Form des Schreibens gleichfalls Bedeutung trägt, worauf ja nicht zuletzt die oben erwähnten Briefsteller mit ihren exakten Anweisungen auch für die formale Gestaltung rekurrieren. Der Großteil der in der Sammlung Frauennachlässe archivierten Paar­ korrespondenzen wurde im Zeitraum vom letzten Drittel des 19.  Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre hinein geschrieben. Ihre Verfasserinnen und Verfasser lebten zumeist im geografischen Raum des heutigen wie des ehemaligen Österreich beziehungsweise in der westlichen Reichshälfte der Habsburgermonarchie (»Cisleithanien«). Am stärksten sind Briefwechsel73 aus dem Großraum Wien sowie aus Nieder- und Oberösterreich vertreten, neben solchen aus anderen Bundesländern und die Grenzen Österreichs überschreitenden Korrespondenzen, wenn ein Teil des Paares in einem anderen europäischen oder überseeischen Land lebte. In sozialer Hinsicht sind  – in Entsprechung zur schon thematisierten Geschichte der Schriftlichkeit und der Überlieferungssituation ›privater‹ Korrespondenzen – zwar überwiegend Frauen und Männer aus dem breiten Spektrum bürgerlicher Milieus repräsentiert, aber nicht nur. Vor allem für die Zeit der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts gibt es in der Sammlung Frauennachlässe auch Bestände aus nicht-bürgerlichen, bildungsfernen Schichten.74 Diese uns von vornherein zur Verfügung stehende, an sich schon reich­ haltige Quellenbasis konnte zu Beginn des Projekts noch erweitert werden. Das geschah zum einen aufgrund der außerordentlich hohen Resonanz, die

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das Projektthema »(Über) Liebe schreiben« in den Medien beziehungsweise in der Öffentlichkeit fand, was uns auch eine Reihe von Korrespondenzen aus Privatbeständen zuführte, mit denen etwa der Untersuchungszeitraum ab den 1960er Jahren quellenmäßig gestärkt werden konnte. Außerdem haben wir, entsprechend den Fragestellungen des Projekts, auch in anderen österreichischen Archiven recherchiert.75 Der Suche nach Korrespondenzen frauenliebender Frauen und männerliebender Männer, die wir vergleichend miteinbeziehen wollten, war dabei kein Erfolg beschieden – trotz gezielter Recherchen, etwa im Wiener Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung »STICHWORT« oder mit Inseraten in den österreichischen feministischen Medien »AUF. Eine Frauenzeitschrift« und »an.schläge. Feministisches Magazin für Politik, Arbeit, Kultur und Wissenschaft«. Jedoch konnten wir durch unsere Zusatzrecherchen die geografische, zeitliche und insbesondere soziale Bandbreite noch vergrößern. So gehören im definitiven Quellenkorpus des Projekts zu den Verfasserinnen und Verfassern der Briefe nicht nur Angehörige des städtischen und ländlichen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums beziehungsweise der späteren neuen Mittelschichten sowie künstlerischer Kontexte  – vom Beamten, Kaufmann oder Architekten bis hin zur akademischen Malerin, Lehrerin oder Sekretärin.76 Vertreten sind zudem – allerdings weniger häufig – solche aus handwerklichen, (unter-)bäuerlichen oder proletarischen Milieus, wie zum Beispiel Schneiderinnen und Schneider, ein Maurer, ein Dienstmädchen oder ein Bauernsohn.77 Dabei war es am schwierigsten, Korrespondenzen aus den Arbeiterschichten zu finden, was nicht heißt, dass hier nicht geschrieben wurde. Die (kolorierte)  Korrespondenzkarte scheint sogar ein häufig genutztes Medium gewesen zu sein,78 das allerdings  – abgesehen von ihrer Sammlung in für den Markt produzierten Steckalben – selten dauerhaft aufbewahrt wurde. Für ein ausgeprägteres Überlieferungsbewusstsein fehlten hier vielfach wohl nicht zuletzt die räumlichen Möglichkeiten, etwa Dachböden, oder häufige Übersiedlungen standen dem entgegen. Dennoch ließ sich von der beschriebenen Quellenlage her unser Anspruch eines Vergleichs der Schreibpraxen in unterschiedlichen sozialen Milieus zumindest in Einzelaspekten umsetzen. Er war in den meisten Teilstudien des Projekts im Kontrast, jedoch nicht systematisch vergleichend möglich. Alles in allem standen unseren Forschungen als Orientierungsrahmen letztlich siebzig Korrespondenzen mit einigen tausend Einzelbriefen und Postkarten zur Verfügung. 52 dieser Bestände konnten vollständig transkribiert werden oder lagen, in einigen wenigen Fällen, schon als Transkripte vor, die noch einmal auf ihre Übereinstimmung mit dem Original überprüft wurden. Die folgende grafische Darstellung dokumentiert die zeitliche Verteilung der transkribierten Paarkorrespondenzen. Der Kernbestand umfasst den Zeitraum der 1870er bis in die frühen 1980er Jahre; vereinzelt reichen Briefsammlungen darüber hinaus, etwa im Falle eines ›galanten‹ Schreibens aus Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Grafik 1: Verteilung der Quellenbestände im Untersuchungszeitraum des Projekts

dem Jahr 1840 oder der schriftlichen Dokumentation einer SMS-Korrespondenz aus dem Jahr 2007. Die zwei Spitzen, die sich in der Grafik zeigen, spiegeln das erhöhte Schreibaufkommen durch die kriegsbedingten Trennungszeiten in den Jahren 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 – und damit gleichzeitig die schon erwähnte Rolle der beiden Weltkriege als Katalysatoren des ›privaten‹ Schreibens. Auch in Hinblick auf die dialogische Struktur der untersuchten Paarkorrespondenzen hatten wir mit ungleichen Verteilungen umzugehen. Immerhin sind von 28 und damit mehr als der Hälfte der transkribierten Briefwechsel – wenn auch teilweise sehr unausgewogen – Schreiben beider Seiten vorhanden, was ein wichtiges Kriterium für deren Auswahl und Erschließung war. Vermutlich auch aufgrund geschlechtsspezifisch differierender Überlieferungspraxen, überwiegen in den übrigen Fällen die männlichen Schreibenden (20) deutlich gegenüber den weiblichen (4). Aber auch in diesen Beständen ist nicht nur die Perspektive des Verfassers oder der Verfasserin, sondern zugleich auch die oder der adressierte ›Andere‹ greifbar, weil in den Briefen oft ausführlich auf die Gegenseite Bezug genommen oder aber das ›Du‹ des Adressaten, der Adressatin entworfen wird. Hinsichtlich der Beziehungskonstellationen und -phasen der Korrespondierenden sind in den untersuchten Quellen ebenfalls sehr unterschiedliche Formen und Verläufe repräsentiert: solche die – wie das historisch lange der Regelfall war – vom Kennenlernen über die (Anbahnung einer) Verlobung hin zur Ehe oder in späterer Zeit zu anderen beständigen Modellen des Zusammen­

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lebens führten; aber auch jene, die nicht auf Dauer gestellt werden konnten oder wollten, mit einer Trennung endeten, überhaupt unklar blieben oder sogar heimlich gelebt wurden. Einige der Briefwechsel erstrecken sich dabei über einen Zeitraum von mehr als sechzig Jahren, enthalten also Korrespondenzstücke aus vielen Phasen eines langen Beziehungsverlaufes. Die meisten der erschlossenen Bestände sind allerdings schriftliche Zeugnisse aus der Zeit der ›Paarwerdung‹, in der Briefe – wie vorne erwähnt – historisch lange ein besonders häufig genutztes Medium waren für das Aufbauen von Gemeinsamkeit, das Erklären von Liebe, das Entwerfen und Gestalten einer geteilten Zukunft; dafür steht nicht zuletzt der schon angesprochene klassische ›Brautbrief‹, die Verlobungskorrespondenz. Solche eine Ehe oder eine andere dauerhafte Beziehung einleitenden, oft umfangreichen und in der zeitlichen Abfolge sehr dichten Briefserien waren für die Auswertung ausgesprochen ergiebig und wurden von daher im Projekt mehr genutzt als andere. Eine besondere Herausforderung im forschenden Umgang mit Paarkorrespondenzen – und das gilt für die Analyse von Selbstzeugnissen generell – war das Austarieren der Balance zwischen einer entstehenden Nähe zur Quelle und notwendiger kritischer Distanz. Ohne sich in einem ersten Schritt auf deren Subjektivität einzulassen, und demnach auch in einen durch Briefe etablierten ›Paarkosmos‹ einzutreten, ist es nicht möglich, zu weiterführenden Einsichten zu kommen. Und auch wenn solche natürlich das Erkenntnisziel sind, darf das Intime gleichzeitig nicht mit einem ›harten‹, wissenschaftlichen Blick enteignet werden. Bei der Auswertung spielten daher Quellennähe und Forschungsfragen eine dialektische Rolle, um die erschlossenen Korrespondenzbestände nicht einfach durch ein vorab formuliertes Raster zu pressen und damit in ihrer Komplexität und Aussagekraft zu reduzieren. Zudem haben wir, wo das möglich war, im Rahmen unserer Recherchen auch biografische Gespräche mit den Verfasserinnen und Verfassern der Briefe oder deren Nachkommen geführt, oder sind mit manchen von ihnen in einen Dialog über mögliche Lesarten der betreffenden Korrespondenzen getreten. In anderen Fällen waren Grenzen zu akzeptieren, etwa in Hinblick auf eine Tabuisierung biografischer Details oder wenn nur die eine Seite einer Briefkommunikation zur Auswertung und zum Zitat freige­geben wurde. Das Spannungsfeld, das aus der Intimität von Paarkorrespondenzen und deren wissenschaftlicher Auswertung entsteht, hat auch die Frage aufgeworfen, ob und wie diese Quellen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen.79 Dabei konnten wir davon ausgehen, dass die Mehrzahl der untersuchten Briefbestände von den Verfasserinnen und Verfassern oder deren Nachkommen der Sammlung Frauennachlässe beziehungsweise dem Projekt im Wissen um eine mögliche wissenschaftliche Auswertung selbst übergeben wurden.80 Dazu motiviert hat sie zunächst gerade der Erinnerungswert beziehungsweise der hohe persönliche Stellenwert, den die überlassenen Briefe und Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Karten nach wie vor für sie hatten, verbunden mit der Hoffnung, deren Weiterbestehen langfristig zu sichern. Auch der Gedanke, den Korrespondenzen durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung besondere Geltung zu verleihen und damit einer früheren Liebe, einer langjährigen Ehe, einer heimlichen Affäre oder aber den bereits verstorbenen Eltern, anderen nahestehenden Menschen vielleicht ein ›Denkmal‹ zu setzen, ihnen einen Platz in der Geschichte zu bewahren, war nicht selten ein Beweggrund. Alle Nachlass- oder Leihgeberinnen und -geber wurden zudem in einem Rundschreiben über die konkreten Fragestellungen unseres Projekts informiert und noch einmal um ihr ausdrückliches Einverständnis zur Einbeziehung des jeweiligen Bestandes in unsere Forschungen gebeten. Gleichzeitig sicherten wir ihnen zu, bei der Veröffentlichung der Ergebnisse mit Pseudonymen zu arbeiten, was auch für in den Korrespondenzen genannte Drittpersonen gilt, und berufliche wie räumliche Bezüge möglichst zu verfremden. Ausnahmen gibt es im vorliegenden Sammelband, für den ein für alle Beiträge gleichbleibendes Verzeichnis solcher Pseudonyme erstellt wurde, nur dort, wo das ausdrücklich anders festgelegt war oder wenn bereits wissenschaftliche Publikationen mit den originalen Namen vorliegen.81

3. Methodische Zugänge oder: Paarkorrespondenzen zum ›Sprechen‹ bringen In Hinblick auf die potenzielle, über ihre individuell-subjektive Dimension hinausgehende Aussagekraft von Paarkorrespondenzen machten sich in dem einen oder anderen Fall auch deren Verfasserinnen und Verfasser selbst Gedanken. »Interessante Briefeschreiber verdichten gleichsam ihre Epoche in sich und drücken sie in origineller Weise aus. Können wir das auch von uns sagen?«, schrieb etwa Gernot Mehring im Oktober 1993 an Karola Schmidt82 in skeptischer Reaktion auf den von ihr gemachten Vorschlag, die gesammelte gemeinsame Korrespondenz zu veröffentlichen. Solche Schreiber hätten auch »eine Lebensgeschichte, die kulturelle, politische oder allgemeinmenschliche Be­ deutung besitzt«,83 argumentierte er weiter, der Geltung des eigenen Briefwechsels in dieser Hinsicht nicht sicher. Zehn Jahre später entschlossen sich die beiden dennoch, diesen der Sammlung Frauennachlässe zu übergeben und stellten ihn später auch unserem Forschungsprojekt zur Verfügung – was darauf deutet, dass sie nun um die allgemeine, auch für die Geschichtswissenschaft gegebene Bedeutung ihrer ehedem geführten Paarkorrespondenz wussten. In der Tat kann ein wissenschaftlich geleiteter, methodisch reflektierter und theoretisch fundierter Umgang mit Selbstzeugnissen deren Potenzial als historische Quelle sehr klar benennen und erkenntnisreich nützen. So lässt sich, um noch einmal auf grundsätzliche Überlegungen zu den untersuchten Paarkorrespondenzen zurückzukommen, mit Michael Maurer ganz allgemein

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festhalten, dass in Briefen aufgrund ihrer prinzipiell dialogischen Form (die jedoch Monologe nicht ausschließt) »die Beziehungen zwischen zwei Personen Gestalt an[nehmen]«.84 Diese spezifische, auf ein ›Du‹ gerichtete Qualität, ihre kommunikative Funktion – von der Herstellung von Intimität über den Austausch von Emotionalität und den Ausdruck von Sehnsucht und Begehren bis zum Schmieden von Plänen, Berichten aus dem Alltag, Austragen von Konflikten et cetera – machte sie für die auf das Beziehungspaar gerichteten Fragestellungen des Projekts besonders aufschlussreich. Gleichzeitig konnten wir davon ausgehen, dass die uns vorliegenden Korrespondenzen, ungeachtet des gängigen sie charakterisierenden Begriffs ›privat‹, immer auch im weiten Feld gesellschaftlicher Deutungsmuster und Sinnstiftungsangebote verortet sind und damit – so die englische Historikerin Miriam Dobson – eine aussagekräftige Schnittstelle »between the social and the inner being, between conventions and their use in practice«85 darstellen. Auf diese Verflechtungen gezielt befragt, können sie Auskunft geben über die »›Normalitäten‹, Gepflogenheiten und Konventionen« in einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Zeit sowie »über darauf bezogene Handlungsmöglichkeiten«.86 Auch in ihrer Dimension als Dokumente individueller Erfahrung sind Paarkorrespondenzen nicht jenseits von sozialen und diskursiven Strukturen und Bedingungen positioniert und damit als nur subjektiv zu betrachten. Vielmehr gilt ›Erfahrung‹ – so die seit Jahren intensiv geführte theoretische Diskussion dazu87 – als Ergebnis der Verarbeitung von unmittelbarem Erleben durch »Akte der Interpretation, in welchen dem Widerfahrenen Sinn abgewonnen wird«; und diese Aneignungen sind ebenfalls »auf kulturelle Deutungsressourcen« angewiesen.88 Das gilt ähnlich und damit verschränkt für in diesen Quellen formulierte Gefühle, die auch im Kontext bestehender »Gefühlsnormen« oder des »Gefühlswissens« einer spezifischen historischen Zeit zu untersuchen sind.89 Die Analyse von Paarkorrespondenzen eröffnet demnach einen doppelten Erkenntnishorizont: Sie ermöglicht ein tieferes Verständnis davon, wie Individuen sich ihren eigenen Platz in der Welt schaffen und dabei zwar von existierenden Diskursen beeinflusst werden, aber keineswegs deren »prisoner« sind – wie es wiederum Dobson formuliert hat,90 um das Spannungsverhältnis von Diskurs und Erfahrung zu benennen. Demnach zeigen sich in Briefen gleichermaßen die Wirkkraft kultureller Diskurse wie deren ›eigensinniges‹ Um- und Neu-Denken, Verändern und Weitertreiben durch die Korrespondierenden.91 Konformität gegenüber gesellschaftlichen Normen steht so neben individueller Erfindungsgabe im Brechen und Irritieren der Vorgaben. Auf der Suche nach beiden Dimensionen ließen wir uns bei der konkreten Auswertung unserer Quellen von geschichts-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Zugängen und Verfahren leiten  – wobei in den einzelnen Teilstudien jeweils ein unterschiedlicher methodischer Mix gewählt wurde. Zentral war dabei die konsequente, auf mehrere Ebenen zielende Kontextualisierung der Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Korrespondenzen.92 Soweit möglich, wurde  – neben der jeweiligen biografischen Verortung eines Briefbestandes und des familiären und sozialen Umfeldes der Schreibenden sowie der Erschließung seiner medialen Einbettung93 – insbesondere der historische Kontext umfassend erhoben, also die jeweilige gesellschaftliche beziehungsweise politische, sozioökonomische und kulturelle Gesamtsituation, in die unsere Quellen eingebettet sind. Dabei haben wir vor allem auf briefexternes zeit-, kultur- und frauen- wie geschlechtergeschichtliches Wissen, das heißt auf unsere Expertise als Historikerinnen zurückgegriffen. Zur systematischen inhaltlichen Bearbeitung der Briefe und Karten als Texte und um eine Vergleichbarkeit zwischen den Beständen herzustellen, orientierten wir uns außerdem an Lektüre- und Auswertungsstrategien, die aus der Forschungslogik der qualitativen Inhaltsanalyse94 und aus diskursanalytischen Verfahren95 kommen. Auch spezifische Überlegungen zu einem methodisch reflektierten Umgang mit Selbstzeugnissen, insbesondere Briefen, spielten eine Rolle.96 Wie dort meist vorgeschlagen, folgt zudem auch unser Band dem Prinzip, aus den Quellen in der originalen Schreibweise zu zitieren, ohne bei Abweichungen von den sich historisch wandelnden Regeln der Orthografie und Grammatik eigens darauf hinzuweisen. Das zur Verfügung stehende umfangreiche Gesamtkorpus von siebzig Korrespondenzen wurde zunächst einmal hinsichtlich der inhaltlichen und sonstigen Aspekte des Materials gesichtet und, soweit möglich, ganz gelesen oder zumindest quergelesen. Aus dieser Quellennähe heraus reflektierten wir im Team noch einmal über die inhaltlichen Dimensionen, entlang derer wir die Quellen untersuchen wollten. Als Ergebnis dieser noch überblicksmäßigen ersten Grobanalyse des Bestandes wählten wir jene 52 Briefwechsel aus, die transkribiert und entlang eines Leitfadens konsequent und differenziert befragt werden sollten. Dabei wurde bei der Entwicklung der inhaltlichen Kategorien neben der Erschließung der Sachebene der Briefe oder Karten sowie der Beziehungsebene zwischen den Schreibenden bis zu einem gewissen Grad auch die Dimension von Sprache als potenzieller Trägerin von Bedeutung mitgedacht.97 Denn was von wem wie sagbar ist, lässt Rückschlüsse auf die »Beschaffenheit sozialer Beziehungen«98 zu – und damit auch auf das Aushandeln von Standpunkten zu Paarbeziehungen, Geschlechterpositionen und Liebe beziehungsweise auf die Prozesse der Aneignung und Umdeutung von diesbezüglichen Diskursen.99 Kategorien wie »Paarsprache«, »Kosenamen«, »Anredeformen«, »Verabschiedungsformeln«  – auch in ihrer möglicherweise unterschiedlichen Verwendung durch Frauen und Männer – bildeten daher explizite Inhalte unseres Leitfadens. Bei den Feinanalysen signifikanter Briefausschnitte sollten zudem Besonder­heiten auf der Text-, Satz- und Wortebene miteinbezogen werden.100 Die Beziehungsebene wurde über mehrere Kategorienpole erhoben: über den Schwerpunkt »Liebe/Gefühle« in einer Bandbreite, die von »Ängsten/Sorgen« über »Dankbarkeit«, »Eifersucht«, »Enttäuschung«, »Freude«, »Glück«, »Sehn-

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Grafik 2: Ein zentraler Pol der forschungsleitenden Kategorien des Projekts

sucht« bis zu »Trauer« und »Verzweiflung« reicht, über die zwischen den Schreibenden deutlich werdenden »Aushandlungsprozesse/Spielräume«, mit Subkategorien wie »Verhandeln«, »Konflikt«, »Vorwurf«, »Entschuldigung« und »Widerständigkeit«, sowie über die in Grafik 2 visualisierten Kategoriengruppen »Selbstentwürfe/Zuschreibungen« und »Geschlechterpositionen/Macht«. Ein besonderes Augenmerk lag auch auf der inhaltlichen Ebene der Briefe, also bei den angesprochenen, die Beziehung konkretisierenden Themen  – seien es nun »Allgemeine Themen« (wie »Finanzen«, »Arbeit«, »Wohnen«, »Organisatorisches« et cetera) oder »Geburt/Tod«, »Körper«, »Ernährung« im Übergang zu spezifischen »Paarthemen«, die wiederum Aspekte wie »Kinderwunsch/Schwangerschaft«, »Sexualität«, »Erotik«, »Zukunft«, »Getrennt-Sein« oder »Wiedersehen« versammeln (vgl. Grafik 3). Diese inhaltlichen Thematisierungen verbinden sich mit jenen Kategorien, die wir vergeben haben, um in den Briefbeständen möglicherweise angesprochene historische Phänomene oder Kontexte zu verdeutlichen, etwa »Politik«, die »eigene Zeit« und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, »Frauenbewegung/ en«, »Krieg«, »Antisemitismus« oder »Feindbild«. In der Vielschichtigkeit und Differenziertheit des beschriebenen, aus insgesamt mehr als 100 Kategorien bestehenden Leitrasters, das uns bei der inhalt­ lichen Durchdringung des Bestandes getragen hat, dokumentiert sich nicht Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Grafik 3: Visualisierung der Inhaltsebene der untersuchten Paarkorrespondenzen

zuletzt die überaus große Komplexität von Paarkorrespondenzen als Quellen. Daher entschieden wir uns, eine nachträgliche Anregung aufgreifend,101 auch die Möglichkeiten eines halbautomatisierten Codierverfahrens auszuloten. Die Wahl fiel auf die Data Analysis & Research Software Atlas.ti, die für die Verwaltung großer Bestände von ›weichen‹ Daten entwickelt wurde102 und geeignet schien, die Bestände zu erfassen, zu ordnen und damit bei der Auswertung die Such- und Abfragearbeit zu erleichtern.103 Als heuristisches Instrument hat sich Atlas.ti im Rahmen unseres Projekts in mancher Hinsicht bewährt, zum Beispiel in Hinblick auf die Häufigkeit und Verteilung von Themen beziehungsweise deren Auftauchen und Verschwinden über den Untersuchungszeitraum hinweg; dabei erfolgte die Wahl der vorzunehmenden Einzelstudien primär auf dieser Basis. Auch die Suche nach mehreren codierten Kategorien mit überlappenden Referenzbereichen war aufschlussreich, also das Verknüpfen von Abfragen, wie zum Beispiel bei der Suche nach den thematischen Kontexten, in denen in den Briefen von Liebe die Rede war, oder bei der Frage, über welche Inhalte Konflikte ausgetragen wurden. Als hilfreich erwies sich das Programm zudem beim Eruieren von Aspekten der sprachlichen Dimension der Briefe  – etwa in Hinblick auf die verwendeten Kosenamen oder andere Aspekte der Wortwahl wie die Häufigkeit und Verteilung der Personalprono­ men ›Ich‹, ›Du‹, ›Wir‹.

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Andererseits war die systematische Erfassung der Bestände mittels Atlas. ti dermaßen zeitintensiv, dass eine umfassende Anwendung im Rahmen unseres Projekts und seiner zeitlichen wie finanziellen Möglichkeiten an Grenzen stieß. Vollständig mit Atlas.ti codiert werden konnten 22 der transkribierten Korrespondenzen. Das dafür entwickelte differenzierte Kategoriensystem bildete jedoch über diese systematisch codierten Bestände hinaus die allgemeine, den analytischen Blick schärfende Richtschnur. In die einzelnen Teilstudien des Projekts, aus denen die Beiträge des nunmehr vorliegenden Sammelbandes hervorgingen, wurden Korrespondenzen aus allen drei oben genannten Bereichen  – den codierten, den transkribierten sowie den Originalbriefen  – mit­ einbezogen.

4. Die Teilstudien und ihre Ergebnisse: Eine Zusammenschau Im Sinne einer erkenntnisreichen Auswertung der Quellen sowie einer möglichst anschaulichen, der Dichte einzelner Korrespondenzbestände entsprechen­ den Aufbereitung der Ergebnisse haben wir  – ungleich verteilt  – zwei Strategien verfolgt. Es wurden einerseits stark kontexteingebundene Fallstudien erarbeitet, die markante frauen- und geschlechtergeschichtliche Zeitabschnitte und Zäsuren in den Blick nehmen und sich über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilen, ja diesen partiell noch ausgeweitet haben. Andererseits wurde der Quellenbestand auch in Längsschnitten auf eine bestimmte, als besonders wichtig erachtete inhaltliche Dimension hin untersucht. Dabei sind die drei Erkenntnisfelder des Projekts, das heißt seine emotions- und frauen-/ geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen im Kontext einer Geschichte des popularen ›privaten‹ Schreibens (sowie die Verflechtungen dieser Felder), je nach individuellen Forschungsinteressen unterschiedlich gewichtet und ausgeleuchtet worden. Es entstanden so für diesen Sammelband insgesamt acht Beiträge,104 die sich eng auf den Diskussionszusammenhang des Gesamt­ projekts und damit auch aufeinander beziehen, aber ebenso als Einzelstudien zu lesen sind. 4.1 Liebesmodelle verhandeln: Suchbewegungen – Konflikte – Neupositionierungen Der erste Beitrag führt an den Beginn unseres Untersuchungszeitraums. Ines Rebhan-Glück fragt unter dem Titel »Gefühle erwünscht« in der Feinanalyse zweier umfangreicher Verlobungskorrespondenzen aus den 1860er und 1870er Jahren danach, ob diese auch als »normiertes Liebeswerben« aufgefasst werden Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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können. Für ihre Studie hat sie mit einem emotions- und zugleich explizit männergeschichtlichen Fokus gearbeitet, was die Briefe nahegelegt haben, die auf Seiten der männlichen Schreibenden eine besondere Gefühlsdramatik zeigen. Diese mit dem Augenmerk auf das Verhältnis von Emotion und Männlichkeit sowie die Praxis bürgerlicher Eheanbahnung zu untersuchen, erwies sich folglich als besonders erkenntnisreich. Damit erschließt sich ein Handlungsfeld, das sozial und kulturell stark reglementiert war, wie oft eigens dem Thema Liebe gewidmete Briefsteller der Zeit deutlich machen, die in die Analyse einbezogen sind. Folgt man den darin vorgeschlagenen Musterbriefen, dann waren diese etwa in der Verteilung eines aktiven und passiven Parts zwar strikt nach traditionellen Geschlechterzuschreibungen aufgebaut; aber zum aktiv-werbend-männlichen Part gehörte es auch, ausführlich und eloquent die eigenen Gefühle und insbesondere die Liebe für die zukünftige Ehegattin zu beschreiben. Im Rahmen der Eheanbahnung waren (gewisse) Gefühle für Männer daher nicht nur sag- und zeigbar, sondern ihr Ausdruck wurde regelrecht erwartet. Die tatsächliche Rezeption und Wirkmacht der auch im damaligen Österreich in jeweils mehrfacher und teilweise hoher Auflage erschienenen (Liebes-) Briefsteller ist eine Frage, zu der bislang noch wenig konkrete Forschungsergebnisse vorliegen. Daher besteht kaum ein Wissen darüber, ob sich die darin repräsentierten gesellschaftlichen Normen und Liebescodes auch in die konkreten Lebenswelten oder Emotionspraxen hinein übersetzt haben. Die von Ines Rebhan-Glück untersuchten Korrespondenzen zeigen jedoch deutlich, dass es tatsächlich in erster Linie die korrespondierenden Männer waren, die in ihren Schreiben ausführlich ihre Liebe beteuerten, nicht nur als Ausdruck von Gefühlen, sondern – in einem performativen Sinn – auch als deren Verstärkung, ja geradezu theatralische Inszenierung. Etwa, wenn in einer der beiden von ihr untersuchten Korrespondenzen vom Schreiber wortreich das körperliche Leiden am räumlichen Getrenntsein beschworen wurde, um die ›Wahrhaftigkeit‹ und Ernsthaftigkeit der eigenen Gefühle zu unterstreichen. Die in geringerem Umfang überlieferten Briefe der beiden Frauen, die dieser Beitrag ebenfalls einbezieht, lesen sich demgegenüber entweder zurückhaltender und sogar pragmatisch auf ihren ›guten Ruf‹, das heißt auf gesellschaftliche Vorgaben vor der Eheschließung bedacht; sie sind selbst dann, wenn es sich um Liebesbriefe handelt, weniger ›schwärmerisch‹. Letzteres könnte auch auf unterschiedliche Bildungsstandards zurückzuführen sein – noch befinden wir uns ja in einer Zeit der nur sehr unzureichend durchgesetzten Frauenbildung. So scheint ein weiterer inhaltlicher Aspekt, den Ines Rebhan-Glück in den Briefen der männlichen Schreibenden untersucht hat, auf den ersten Blick wenig überraschend: nämlich ein signifikanter, immer wieder auch belehrender sowie geschlechterhierarchischer Ton in erzieherischer Absicht. Er war, wie weiter vorne angesprochen, schon in Verlobungskorrespondenzen des späten

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18. Jahrhunderts gängig und kennzeichnete auch die bürgerliche Schreibkultur des ›langen‹ 19.  Jahrhunderts. Im Quellenkorpus unseres Projekts findet sich diese Dimension über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg, und zwar in unterschiedlicher Intensität, je nachdem auch, in welchem gesellschaftlichen Umfeld Paare situiert waren. Erst in den Briefbeispielen aus den 1970er Jahren wird diese erzieherische Tendenz seitens der schreibenden Männer durchaus auch selbstkritisch reflektiert beziehungsweise die damit verbundene Rolle als »langweilig« abgelehnt. Konflikte konnte eine solche Haltung im Kontext des Verhandelns von Geschlechterpositionen aber schon früher hervorrufen und die Frauen wiesen sie mitunter auch mehr oder weniger kritisch zurück. Das ist in den von uns untersuchten Quellen eindeutig feststellbar, ebenso wie der Umstand, dass es schon um 1900 in Paarkorrespondenzen aus bürgerlichen und künstlerischen Milieus egalitärere Tendenzen des Sich-aufeinanderBeziehens gab. Dem widmet sich der Beitrag von Nina Verheyen unter dem Zitattitel »[…] mein Eheweib und nicht mein College«. Er ist im beginnenden 20. Jahrhundert und damit in frauen-/geschlechtergeschichtlich besonders dynamischen Zeiten positioniert. Die verschiedenen Strömungen der Ersten Frauenbewegung stellten damals schon seit längerem das hierarchische Ehe- und Familienmodell der bürgerlichen Geschlechterordnung und deren dichotome Polarisierung ›weiblicher‹ und ›männlicher‹ Handlungsfelder infrage. In avantgardistischen Kreisen wurde mit neuen, über solche normativen Festlegungen hinausgehenden Lebensentwürfen experimentiert. Außerdem hatte, bei gleichzeitig weiter bestehenden rechtlichen und strukturellen Hindernissen, die weibliche Erwerbstätigkeit um 1900 deutlich zugenommen, sei es aus finanzieller Notwendigkeit, aber auch aus emanzipatorischen Motiven heraus. Bei Frauen aus dem Bürgertum konnte die Hoffnung auf eine erfolgreiche Berufslaufbahn überaus ausgeprägt sein. Vor diesem Hintergrund wählte Nina Verheyen für ihre Fallstudie aus den Quellenbeständen des Projekts die Korrespondenzen von fünf bürgerlichen Paaren aus, bei denen es der Arbeitsplatz war, der als – historisch neuer – Ort der Anbahnung von Beziehungen firmierte. Bei der Erschließung der Bildungs- und Berufsverläufe der in den 1870er und 1880er Jahren geborenen Korrespondentinnen zeigt sich allerdings eine Heterogenität in Hinblick auf ihre Lebensentwürfe und beruflichen Aspirationen, die vom Berufsausstieg nach der Verlobung bis zur Vision, als Paar gemeinsam künstlerisch tätig zu sein, reichten. Die Frage, ob und wie in den Briefwechseln über die Erwerbstätigkeit von Frauen kommuniziert wurde, sowie nach möglicherweise unterschiedlichen männlichen und weiblichen Perspektiven auf das Thema, das auch ein zentrales Anliegen der zeitgenössischen Frauenbewegung/en war, führt zu einem überraschenden Ergebnis: Denn es kam, wie dieser Beitrag darlegt, in den untersuchten Paarkorrespondenzen, die alle aus der Zeit vor der EheschlieLiebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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ßung stammen, diesbezüglich kaum zu offenen Kontroversen oder Dissens. Die Gründe für ihren von Nina Verheyen konstatierten »harmonischen Tonfall« lassen sich nicht nur daran festmachen, dass die Funktion der Briefe vor allem darin lag, Zweisamkeit und Intimität im Sinne eines ›Wir‹ herzustellen. Nach Verheyens Lesart könnte vielmehr auch das Wissen um die damals schon gegebene Pluralität beruflicher Möglichkeiten und darauf bezogener Träume von Frauen dazu geführt haben, dass für zukünftige Ehepaare die Übereinstimmung in dieser Frage von besonderer Bedeutung war, ja dass diese gewissermaßen zu den Vorbedingungen für eine gelingende Eheanbahnung gehörte. Tatsächlich heirateten, wie die Autorin für die in den Blick genommenen Paare pointiert resümiert, eher an Rollenkonformität orientierte Schreiberinnen und Schreiber in dieser Hinsicht Gleichgesinnte, »während ansatzweise ›neue Frauen‹ den Geschlechterkampf nicht in der Liebe ausfochten, sondern sich in ansatzweise ›neue Männer‹ verliebten  – und umgekehrt«. Die beiden im untersuchten Sample präsenten ›frauenbewegten‹ Pionierinnen wurden in ihren beruflichen und künstlerischen Leistungen von ihren Partnern nicht nur geschätzt, sondern auch aktiv unterstützt. Die Korrespondenzen von Paaren der 1920er und 1930er Jahre, die Barbara Asen für ihre ebenfalls mit einem Zitattitel versehene Fallstudie »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin« vorlagen, waren deutlich kontroversieller. Das zeigten bereits die für diesen Zeitraum häufig zu vergebenden inhaltlichen Codes, mit denen wir im Projekt Aushandlungsprozesse erfassen wollten: »Verhandeln«, »Konflikt«, »Widerständigkeit«, »Geschlechterasymmetrie«, »Erziehen«, »Selbstpositionierung als Frau/als Mann« et cetera. Zudem war in der Briefkommunikation nun genauso oft von der »Kameradin« oder der »Gefährtin« die Rede wie von der »Gattin« oder dem »Weib«, was schon von den verwendeten Begriffen her darauf verweist, dass diese Zeit im Diskurs wie in der Praxis eine Phase der intensiven Neubewertung und Verschiebung von Geschlechter-, Beziehungs- und Liebeskonzepten war. In der Feinanalyse von fünf überwiegend im Vorfeld einer Eheschließung entstandenen Korrespondenzen hat sich herausgestellt, dass die Vehemenz der Aushandlungsprozesse zu einem guten Teil auf die Koexistenz, Verflechtung und vor allem Konkurrenz von romantischen und sachlichen Liebesvorstellungen, von bürgerlichen und nachbürgerlichen Idealen, des Modells polarer Geschlechtscharaktere und neuer kameradschaftlicher Beziehungsformen zurückgeführt werden kann. Mit großer Regelmäßigkeit finden sich auf all das in den Briefen explizite Bezug­ nahmen, die demonstrieren, wie vielschichtig und ambivalent sich die Positio­ nen der Beteiligten dabei gestalteten, zumindest in den vorwiegend städtischen Kontexten, um die es in diesem Beitrag geht. Dabei spielte das kameradschaftliche, auf Gleichrangigkeit basierende Modell des Zusammenlebens nicht nur bei Schreibenden aus der modernen Angestelltenkultur eine Rolle, sondern auch in Korrespondenzen bürgerlich-konservativer Paare  – hier zumindest

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rheto­risch. Der Blick auf einen der wenigen erhaltenen Bestände mit Briefen eines Dienstmädchens belegt wiederum, dass diese junge Frau den von ihr angestrebten Lebensentwurf gerade an der Hoffnung auf das vielfach an Autorität verlierende bürgerliche Geschlechtermodell ausrichtete. Insgesamt ist für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bekanntlich nur von einer graduellen Aufweichung der komplementären Geschlechterdichotomie auszugehen. Die Schreiberinnen des von Barbara Asen untersuchten Quellensamples dieser Jahre waren allerdings – mit einer Ausnahme – berufstätig, als sie ihre (Korrespondenz-)Partner kennenlernten. Das stärkte die Position speziell der aus dem Bürgertum stammenden Frauen in den brieflichen Aushandlungsprozessen erheblich. Sie waren es, die nach Selbstbestimmung strebten und sich an modernen Lebensentwürfen orientierten. Das daraus resultierende Konfliktpotenzial innerhalb der Liebesbeziehung manifestierte sich auch in den Kontroversen um die zunehmende Präsenz von Frauen in Männerdomänen, wie etwa dem Bergsport. In den Briefquellen oft angesprochen, firmieren sie einerseits als Bergkameradinnen und »gern gesehene Tourengefährten«, andererseits brachen auf gemeinsamen Bergtouren geschlechtsspezifische Hierarchien deutlich durch. Ab den späten 1960er Jahren, dem Zeitraum, den Ingrid Bauer in ihrer umfassenden Fallstudie bis in die beginnenden 1980er Jahre hinein untersucht, wurden die ›privaten‹ Lebenszusammenhänge auch in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion zu einem offenen, kritisch reflektierten und zwischen Frauen und Männern neu formulierten ›Projekt‹. Für diese intensive Phase von – so der Titel des Beitrags – »Neuverhandlungen der Balance zwischen Liebe, Sexualität und Selbstverwirklichung« konnte auf der Basis von acht Paarkorrespondenzen die bislang noch wenig erforschte intime Innenseite der damit verbundenen Dynamiken ausgelotet werden: das Zusammenspiel eines Umbaus sowohl in den strukturellen und diskursiven gesellschaftlichen Mustern als auch in den individuell-persönlichen Wahrnehmungen und Praxen. Dass die in den untersuchten Briefen zutage tretenden Transformationen im Zusammenhang mit Zweierbeziehungen, Liebe, Sexualität und Geschlechterrollen sehr weit über eine gesellschaftlich vorregulierte Lebensführung hinausgingen, hat auch damit zu tun, dass die Korrespondierenden aus jungen Altersgruppen sowie aus den soziokulturellen Kontexten der neuen Mittelschichten und eines im weitesten Sinne links-feministisch-alternativen Milieus kamen. Sie alle waren für solche Veränderungsprozesse besonders aufgeschlossen. Zu diesen wurden sie nicht zuletzt von der sich formierenden Neuen Frauenbewegung motiviert beziehungsweise herausgefordert. Als vergleichend-kontrastierendes Beispiel wird eine weitere  – neunte  – Paarkorrespondenz einbezogen, die vom kulturkonservativen Paradigma, der geschlechterhierarchischen Rollenkonformität und den Normalitätserwartungen der langen 1950er Jahre gerahmt war. Diese macht deutlich, wovon sich Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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die Korrespondierenden und Liebenden der Post-1968er-Zeit mit ihrer Haltung eines lebhaften Experimentierens abgrenzten: nämlich von der klassischbürgerlichen Ehe und ihrem Monopol, der einzig legitime Ort für Sexualität und das Zusammenleben zu sein, von geschlechterpolaren und asymmetrischen Ausdeutungen der Liebesordnung und von normativen Direktiven in der erotisch-sexuellen Kultur. Die Impulse für vielfältige Suchbewegungen zwischen ›alt‹ und ›neu‹ kamen zwar deutlicher von den schreibenden Frauen, aber die von Ingrid Bauer untersuchten Korrespondenzen belegen, mit wieviel Elan auch Männer in das Projekt der Ergründung und Erprobung gleichheitlicher Beziehungsmodelle involviert sein konnten und wollten, weil sie das als Zuwachs an eigenem Spielraum und als Bereicherung im Verhältnis der Geschlechter bewerteten. Symptomatisch ist, wie selbstverständlich und positiv besetzt Beziehung nun als Raum notwendiger Auseinandersetzung begriffen wurde, nicht zuletzt, weil man die damit verbundenen Reibungen als herausfordernden ›Funken‹ für die Entfaltung und Weiterentwicklung des eigenen Selbst verstand. Das hat auch die Bedeutung von Briefen in der Paarkommunikation verschoben, die – wenn man denn am Ende des ›Zeitalters der Briefe‹ überhaupt noch schrieb – nicht mehr nur die Herstellung eines ›Wir‹ der Beziehung ver­ körperten, sondern verstärkt zum Ort einer Arbeit am eigenen ›Ich‹ wurden. Das korrespondierte mit der gestiegenen Bedeutung von Werten wie Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. 4.2 »(Über) Liebe schreiben« im Ausnahmezustand Krieg Zwei Beiträge im vorliegenden Sammelband nehmen jene Paarkorrespondenzen in den Blick, die während der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts verfasst wurden. In diesen Katastrophenjahren ist das ›private‹ Schreiben gleichsam explodiert; die millionenfach erzwungene Trennung von Paaren aller Bevölkerungsschichten wirkte als dessen Katalysator, sodass uns, wie vorne schon erwähnt, für die Zeiträume 1914/18 und 1939/45 mehr Korrespondenzen auch aus nicht-bürgerlichen, ›bildungsfernen‹ Milieus vorlagen. Im Rahmen des Projekts wurden sie in unterschiedlich ausgerichteten Mikrostudien vor allem von Ines-Rebhan Glück und Christa Hämmerle analysiert, die damit gleichzeitig an die reichhaltige, seit den 1980er Jahren entwickelte Feldpostforschung anknüpfen konnten. Dabei zeigten sich deren Desiderate gerade in Hinblick auf die primären Fragestellungen des Projekts umso deutlicher, aber ebenso, dass zukünftige Studien verstärkt auch vergleichende Zugänge wählen sollten. Die besonderen Dynamiken der Geschlechterbeziehungen und diskursiver Männlichkeits- wie Weiblichkeitskonzepte sowie damit verbundener Emotionen im Krieg werden so besser nachvollziehbar.

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Vor diesem Hintergrund hat Ines Rebhan-Glück eine Teilstudie zum Ersten Weltkrieg erarbeitet, in der sie unter dem Titel »Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen« auf die Auswertung von Inhaltskategorien wie »Untreue/ Treue«, »Konflikt« und »Verhandeln« fokussiert. Sie konstatiert, dass insbesondere die Frage nach Eifersucht und damit zusammenhängenden Gefühlen  – wiewohl ein Thema der neueren Emotionsgeschichte und gerade in Kriegszeiten aus naheliegenden Gründen virulent – bislang in der Feldpostforschung zu 1914/18 nicht gestellt wurde. In den zwischen ›Front‹ und ›Heimatfront‹ zirkulierenden Paarkorrespondenzen jener Zeit ist dieses komplexe und historisch äußerst variable, immer auch auf eine oder einen ›Dritte/n‹ bezogene Gefühl aber durchaus präsent, ebenso wie die damit verbundene Frage nach Vertrauen, was Ines Rebhan-Glück ebenfalls emotionsgeschichtlich verortet. Sie kann an fünf aus verschiedenen Milieus überlieferten Briefbeständen zeigen, dass darin direkt oder indirekt, stark maßregelnd oder auch humorvoll angesprochene Eifersucht einerseits vor dem Hintergrund einer in der Forschung immer wieder konstatierten Irritation der hegemonialen Geschlechterordnung zu lesen ist. Das allein konnte schon Konflikte evozieren, die durch das mangelhafte Funktionieren der Feldpost noch verstärkt wurden. Andererseits wussten auch Ehepaare um die kriegsbedingt deutlich gesteigerte sexuelle Mobilität, die vor allem den Soldaten im Etappenraum nachgesagt wurde – aber auch als Angst der eingezogenen Männer auftauchte, dass ihre Frauen sich daheim nach jemand anderem ›umschauen‹ könnten. In den Paarkorrespondenzen wird all das als Thema der via Feldpost verhandelten Liebesbeziehung sichtbar – ungeachtet der Überlieferungslücken und Tabuisierungen. Wenn Ines Rebhan-Glück zudem betont, dass das ›private‹ Schreiben im Ersten Weltkrieg stets auch »zahlreichen Kontroll- und Normierungsversuchen ausgesetzt war«, verweist sie überdies auf die in der internationalen Feldpostforschung immer wieder konstatierte Instrumentalisierung derselben in Zeiten des ›totalen‹ Krieges. Das bedeutete unter anderem schon 1914/18, dass – geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausbuchstabiert – zahlreiche Anweisungen veröffentlicht wurden, die zum ›richtigen‹, das hieß patriotischen, siegesgewissen und sogar »fröhlichen« Briefschreiben aufforderten; Feldpost sollte demnach die Kriegs- und Durchhaltemoral beider Seiten stützen. Der Ausdruck des Gefühls von Eifersucht konnte dem tendenziell entgegenlaufen, so wie ebenfalls formulierte Angst, Verzweiflung, Friedenssehnsucht. Diese Fallstudie schließt demnach mit einem Plädoyer für vergleichende Forschung  – auch zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg  –, um die Frage, inwieweit Feldpostbriefe letztlich eine ›Heimat‹ und ›Front‹ zusammenbindende und kriegsstützende Funktion hatten oder nicht, umfassender beantworten zu können. Hier setzt die beide Weltkriege in den Blick nehmende Untersuchung von Christa Hämmerle an, die in ihrem Beitrag über »Gewalt und Liebe – ineinander Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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verschränkt« ebenfalls mit spezifischen Überlieferungslücken konfrontiert war. Ihre Feinanalyse bestätigt zunächst, dass für diese dramatischen Zeiträume überwiegend Briefe von Männern erhalten geblieben sind, während die Korrespondenz ihrer Partnerinnen häufiger verloren ging oder nicht aufbewahrt wurde. Dennoch gibt es, wie dieser Beitrag eindringlich belegt, auch solche Schreiben in ausreichender Zahl. Er kann sich auf 17 zum Teil sehr umfangreiche und beide Seiten enthaltende Feldpostbestände des Ersten und Zweiten Weltkriegs beziehen, die auch in Bezug auf ihre soziale und militärische Verortung differieren. Sie werden vor allem fokussierend auf die komplexen Verbindungen der schriftlichen Liebeskommunikation mit kriegsbezogenen Gewalterfahrungen beziehungsweise dem Gewalthandeln und -erleiden analysiert. Dabei geht die Untersuchung vom sich in Paarkorrespondenzen mannigfaltig widerspiegelnden Umstand aus, dass eine ›totale‹ Kriegsführung nicht nur an der ›Front‹, sondern ebenso an der ›Heimatfront‹ propagiert und praktiziert wurde und dass sich das vom Ersten Weltkrieg hin zum national­ sozialistischen ›Vernichtungskrieg‹ radikalisierte. So lassen sich in Christa Hämmerles vergleichender Analyse für beide Geschlechter enge Korrelationen zwischen den 1914/18 und 1939/45 je unterschiedlich etablierten »Gefühlsregimen« und Männlichkeits- wie Weiblichkeitsidealen einerseits und den von den Briefschreiberinnen und -schreibern verwendeten narrativen Ausdrucksformen von Liebe und damit verbundenen Gefühlen andererseits ausmachen; ja mehr noch: Ihre Studie zeigt, dass gerade das »(Über) Liebe Schreiben« im Krieg ein die bestehenden Verhältnisse und militarisierte Geschlechterkonzepte verankerndes Handeln war und dass dieses ungeachtet auch ambivalenter Positionierungen weitgehend dazu diente, das ›Durchhalten‹ zu stabilisieren; die – in den Korrespondenzen stark idealisierte – Liebe firmiert geradezu als Voraussetzung dafür. Nicht nur, aber vor allem im Zweiten Weltkrieg kam den Briefen, zusammen mit hier ebenfalls untersuchten Porträt- und Familienfotografien oder Paketen, die nun seitens der Soldaten zu einem Gutteil ›Beutewaren‹ aus okkupierten Ländern enthielten, eindeutig eine kriegsstützende Funktion zu. Die nationalsozialistische ›Volksgemeinschaft‹ wurde damit in diesen Quellen zur bindenden ›Geschlechtergemeinschaft‹  – was keinesfalls allein auf die Zensur zurückgeführt werden kann. Liebeserklärungen und -beteuerungen, der Einsatz von Kosenamen, Strategien der ›Verkörperung‹ zur Herstellung von Intimität sowie andere auch in Friedenszeiten gängige Bestandteile einer seit dem späten 19. Jahrhundert schichtübergreifend etablierten ›Kultur des Liebesbriefes‹ hatten im Krieg eine »erhöhte Performativität«, wie Christa Hämmerle konstatiert. Dabei verschränkten sie sich nun oft mit Bezugnahmen auf Gewalteinwirkungen oder die Verbrechen der Wehrmacht, die im Einzelfall durchaus thematisiert wurden. Im Ersten Weltkrieg waren solche Tendenzen der Kommunikation über Kriegsgewalt zwar bereits angelegt, im untersuchten Sample aber noch nicht durchgehend präsent.

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4.3 Im Spannungsverhältnis von Intimität und sozialen Netzwerken: Zwei Längsschnitte Mit den bislang vorgestellten sechs Beiträgen wurde in Form von Mikro­studien ein zeitlicher Bogen über den gesamten Untersuchungszeitraum gespannt. Dabei konnten umfangreiche, beide Seiten der Paarkommunikation enthaltende Briefwechsel in Feinanalysen ebenso ausgewertet werden wie stärker fragmentarisch überlieferte Korrespondenzen, die Thesen punktuell zu untermauern oder Denkbewegungen zu erweitern vermochten. In den zwei letzten Studien des Bandes, die explizit den Gesamtzeitraum des Projekts in den Blick nehmen, stehen Feinanalysen hingegen im Hinter­ grund. Ihre Quellenbreite ist umfassender und auch stärker an eine quantifizierende Auswertung mit Atlas.ti angelehnt. Zudem hat sich die thematische Ausrichtung der so entstandenen Längsschnitte im Zuge des Lesens, Diskutierens und Erschließens der Korrespondenzen im Projektteam geradezu aufgedrängt. Sie folgen zwei inhaltlichen Strängen, die sich durch einen Großteil der Briefbestände unseres umfassenden Quellensamples ziehen. Das gilt zum einen für den Beitrag von Brigitte Semanek, »Von ›schönen Stunden‹«, in dem sie von der Beobachtung ausgeht, dass und wie sehr sich in viele der im Projekt untersuchten Paarkorrespondenzen Sexuelles eingeschrieben hat, und zwar über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg. Es stellte demnach keineswegs, wie von der Forschung im Zusammenhang mit Selbstzeugnissen für die Zeit bis zur sogenannten Sexuellen Revolution immer wieder konstatiert, einfach eine Leerstelle dar, blieb aber an der sprachlichen Oberfläche lange Zeit verschlüsselt. Um solchen Codierungen nachzugehen, hat Brigitte Semanek auch ihr linguistisches Know-how genutzt und sich primär für die Sprache des Sexuellen von den 1870er bis in die 1970er Jahre inte­ ressiert  – nicht ohne ihren langen Untersuchungszeitraum auch sexualitätsgeschichtlich zu verorten, die Briefquellen in diskursive Zusammenhänge einzubetten und gleichzeitig Wechselwirkungen zwischen Sprache, Schreiber/ Schreiberin und der jeweiligen historischen Gesellschaft auszuloten. Ein erster Auswertungsschritt führt die Autorin zum Ergebnis, dass von den 32 in ihre Studie einbezogenen Briefbeständen nur vier ohne jegliche Bezugnahme auf Sexuelles auskamen. Die minutiöse Analyse ergibt vielmehr eine Formenvielfalt im Ausdruck sexuellen Begehrens, etwa durch äußerst tradi­ tionsreiche Metaphern wie jene vom »Sieden« und »Brennen« oder vom »Hunger« und »Gusto« auf die geliebte Person. Brigitte Semanek definiert sie als Ersatzausdrücke für das, was eigentlich gesagt beziehungsweise geschrieben werden wollte. Ähnliches gilt für Verbalisierungen sexueller Fantasien: Auch hier griffen die Korrespondierenden im Sinne von sprachlichen Ersatzstrategien auf Andeutungsvokabeln und Diskretionstopoi zurück, etwa mit Formulierungen wie »einander ganz angehören« oder – für diese Studie ja titelgebend – ein Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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Bezugnehmen auf »schöne Stunden«. Zu den etablierten Intimitätsritualen gehörten zudem Kosenamen oder der brieflich-sprachliche Umgang mit Küssen, die in zahlreichen Variationen auftauchen. So lässt sich in einzelnen Korrespondenzen etwa allein an den gewählten Kussformeln – vom Handkuss über die innigsten Busserln bis zu den vielen ›heißen‹ Küssen – ein immer höherer Grad an Intimität beschreiben. Der Befund des Beitrags mündet in eine Kritik an der neueren Sexualitätsgeschichte beziehungsweise an deren gängiger These von der Durchsetzung medizinisch-biologischen Wissens als hegemonialem Diskurs im Bereich des Sexuellen. Ihr entsprechen die Briefschreiberinnen und Briefschreiber unseres Projekts nicht; ihre Sprache des Sexuellen präsentierte sich vielmehr bildhaft und andeutungsvoll, auch in Phasen größerer sexueller Offenheit, die Brigitte Semanek etwa in Korrespondenzen aus den 1920er Jahren oder aus dem Zweiten Weltkrieg ausmachen konnte. Aber auch schon in Briefen aus der Zeit um 1900 demonstrierten mehrere Schreiber und – was beim bisherigen Forschungsstand zur Sexualsprache besonders zu betonen ist – auch Schreiberinnen eine »ihnen jeweils eigene Formulierungslust«. Eine deutliche Zäsur in der direkten Thematisierbarkeit des Sexuellen dokumentieren die Briefquellen für den Zeitraum ab den späten 1960er Jahren. Auch der Längsschnittbeitrag von Barbara Asen greift eine Beobachtung auf, die im Zuge der Quellenerschließung deutlich geworden ist. Unter dem Titel »Liebe vernetzt« fragt sie, orientiert an sozial- und familiengeschichtliche Studien, nach den brieflichen Verortungen von Paaren im Spannungsfeld zwischen ihrer notwendigen Integration in das familiale und soziale Umfeld einerseits und dem Anspruch auf Exklusivität und Intimität der Liebes­beziehung andererseits. Dafür sind hier 22 mit Atlas.ti codierte sowie 15 weitere Korrespondenzen aus dem Quellensample des Projekts herangezogen worden. Auf dieser umfassenden Basis, bei der auf eine Ehe zusteuernde Paare die Mehrheit bilden, kommt Barbara Asen zum Ergebnis, dass für diese bis in die 1960er Jahre hinein ein  – wie die Autorin es formuliert  – durchaus »schmaler Grat zwischen Eigen- und Fremdbestimmung« gegeben war. Denn Eltern oder Verwandte beziehungsweise deren von Rechts wegen eingesetzte Vertreter sowie andere soziale Netzwerke hatten auch im Zeitalter der – den intimen Paarkosmos hochhaltenden  – romantischen Liebe einen ungemein starken normierenden wie unterstützenden Einfluss auf die Konstituierung sowie die Institutionalisierung einer Liebesbeziehung. Der traditionelle »Segen« der Eltern beziehungsweise vor allem des Vaters war vielen Paaren ein zentrales Anliegen; er firmiert in Quellen des 19.  Jahrhunderts als Voraussetzung für eine Eheschließung und blieb noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein überaus wichtig. Das kommt in Paarkorrespondenzen immer wieder zum Ausdruck, vor allem dann, wenn diesbezüglich verhandelt beziehungsweise Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. Der Brief war dafür ein wichtiges Medium, in dem

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entsprechende Strategien und Konflikte abgewogen wurden, und diente darüber hinaus der Einführung oder Einbindung der Liebenden in die jeweils andere Herkunftsfamilie und die Verwandtschaft. In Hinblick darauf hat ­Barbara Asen fast den ganzen Untersuchungszeitraum hindurch das Vorherrschen eines Bemühens beobachtet, Konsens herzustellen oder aufrechtzuerhalten, das heißt eine »Kultur des Ausgleichs und der Konformität« zu etablieren. Umgekehrt konnten sich angehende Ehepaare, einem weiteren Befund der Autorin zufolge, sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert auf die »Solidargemeinschaft« insbesondere der Herkunftsfamilie und der näheren Verwandtschaft stützen. Das bedeutete eine Bandbreite finanzieller und instrumenteller, aber auch Rat gebender Hilfeleistungen, wobei die Hochzeit und ihre Organisation sowie die damit verbundene Gründung eines eigenen Haushalts diesbezüglich besondere Brennpunkte darstellten. In den untersuchten Korrespondenzen nahm all das einen großen, verhandlungsintensiven Raum ein. Die intergenerationelle Solidarität verlief jedoch – auch das gehört zu den Ergebnissen, die sich aus den Quellen herausfiltern ließen – nicht nur in eine Richtung, sondern stellte sich als wechselseitiges Geflecht dar, welches »die Beziehungszeit eines Paares vom Kennenlernen bis ins Alter beeinflusste«. Vieles von dem, was wir in unseren Studien zu »(Über) Liebe schreiben« im Medium der Paarkorrespondenzen erarbeitet haben, kann durch zukünftige Forschungen sicher noch vertieft oder erweitert werden. Gerade für frauenund geschlechtergeschichtliche Perspektivierungen einer Geschichte der Liebe besteht weiterhin Forschungsbedarf. Dies gilt vor allem in Hinblick auf in den letzten Jahren besonders fruchtbar gewordene emotionsgeschichtliche Ansätze und die notwendige Erweiterung des Blicks auf homosexuelle und queere Liebe, für deren Geschichte ebenfalls verstärkt Selbstzeugnisse recherchiert und erschlossen werden müssten. Ungeachtet dessen hoffen wir, weiterführende Impulse für die Neuausrichtung einer Geschichte der Liebe im 19. und 20. Jahrhundert gegeben zu haben.

Anmerkungen 1 Mathilde Hanzel-Hübner an Ottokar Hanzel, 13.5.1918, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 1.  Zur Zeit dieses Schreibens war der Lehrer Ottokar Hanzel im Etappenraum zu Italien stationiert und seine Frau, eine Aktivistin der bürgerlichen Frauenbewegung, als Lehrerin tätig. 2 Friedrich Kettler (Pseud.) an Helga Böhm (Pseud.), 20.3.1945, SFN, NL 41 II. Er hatte damals sein Medizinstudium kriegsbedingt unterbrochen, seine Briefpartnerin, die 1939 maturiert und dann einen Handelsschulkurs absolviert hatte, arbeitete in einem Büro. 3 Ernest und Olga Josefa Adelsgruber (Pseud.), 15.3. u. 18.3.1963, SFN, NL 152 I. Vgl. auch seinen späteren Brief vom 6.8.1968: »Maux, liebes Kleines, als vordringlichstes muß ich Dir sagen, wie sehr ich mich über Deinen lieben Brief gefreut hab, der in vielen Dingen gerade­

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zu ein Liebesbrief war […].« Olga Josefa Adelsgruber war gelernte Schneiderin, Ernest Adelsgruber Kapellmeister und Offizier mit handwerklicher Ausbildung, dann Beamter bei der Polizei. 4 Mathilde (Tilly) Hirschfeld (Pseud.) an Henri Mandel (Pseud.), 27.10.1910, SFN, NL 120. Henri Mandel arbeitete zum Zeitpunkt der Korrespondenz als Nervenarzt in Berlin, Mathilde Hirschfeld war die Tochter eines wohlhabenden Fabrikanten in Nordböhmen. Das Paar heiratete 1911. 5 Hans G. an Gerda S., 11.12.1952, Privatbestand. Der Verfasser dieses Schreibens war Maschinenbaukonstrukteur, seine Verlobte arbeitete als Näherin. 6 Christine Danek (Pseud.) an Raimund Vos (Pseud.), 30.8.1976, SFN, NL 215. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefwechsels arbeitete Christine Danek als Sekretärin in der Werbeabteilung einer Firma, Raimund Vos war Sozialarbeiter im Jugendbereich. 7 Emilie Fuhrmann (Pseud.) und Georg Scheicher (Pseud.) im Jahr 1920, mit verschieden abgewandelten Formulierungen: »Liebesbriefstellerin«, »Liebesbriefstellerei(schreiberei)«, Liebesbriefschriftstellerei«; vgl. SFN, NL 17 I. Emilie Fuhrmann, die Tochter eines beamteten Juristen, hatte an der Universität Wien Botanik studiert und arbeitete damals als Adjunktin der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in Wien. Ihr Briefpartner war Baurat im Bundesministerium für Bauwesen. 8 Magdalena Zenker (Pseud.) an Alois Simatschek (Pseud.), 16.2.1916, SFN, NL 148 I. Die Verfasserin des Briefes arbeitete damals als Magd in einer großen Forstverwaltung, ihr Verlobter – als Soldat eingerückt – war im zivilen Beruf Metallgießer. 9 Vgl. den mittlerweile etablierten Ansatz des ›doing gender‹ sowie z. B. Pascal Eitler u. Monique Scheer, Emotionengeschichte als Körpergeschichte. Eine heuristische Perspek­ tive auf religiöse Konversionen im 19.  und 20.  Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft, 35, 2 (2009), 282–313, 293. Schon früh hat auf Emotion als Praxis bzw. auf »Gefühlsarbeit« in unterschiedlichen ›privaten‹ wie berufsbezogenen Kontexten, die bestimmten ›Gefühlsregeln‹ folgt, Arlie Russell Hochschild hingewiesen; vgl. dies., Das gekaufte Herz. Die Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt a. M. 2006 (engl. Erstausgabe 1983). 10 Untersucht werden in diesem Band vor allem Briefwechsel, deren Verfasserinnen und Verfasser aus dem Raum des heutigen oder ehemaligen Österreichs bzw. der westlichen Reichshälfte der Habsburgermonarchie (»Cisleithanien«) stammen. Vgl. dazu auch die Erläuterungen zum Quellenbestand weiter hinten. 11 Unser Forschungsprojekt stellte zwar von vornherein die von der Frauen- und Geschlechtergeschichte lange vernachlässigte Erforschung heterosexueller Liebe ins Zentrum, um durch die Auswertung brieflicher Kommunikation zwischen Männern und Frauen in unterschiedlichen Beziehungsphasen auch einen Beitrag zur Geschichte der Geschlechterbeziehungen leisten zu können; vgl. im Sinne eines Plädoyers für umfassendere Forschungen zu heterosexuellen Liebesbeziehungen: Edith Saurer, Liebe, Geschlechter­ beziehungen und Feminismus, in: L’Homme. Z. F. G., 8, 1 (1997), 6–20; sowie Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch, Liebe widerständig erforschen: eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien/Köln/Weimar 20092, 9–35. Dennoch wollten wir im Rahmen des Projekts »(Über) Liebe schreiben« vergleichend auch Briefbestände gleichgeschlechtlicher Paare miteinbeziehen, waren jedoch in der Recherche nicht erfolgreich. 12 Vgl. auch als eine der jüngsten Publikationen im deutschsprachigen Raum: Renate Stauf u. Jörg Paulus (Hg.), SchreibLust. Der Liebesbrief im 18.  und 19.  Jahrhundert, Berlin/ Boston 2013. 13 Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus, Liebesbriefkultur als Phänomen, in: dies. (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18.  Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008, 1–19, 2.

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14 Martyn Lyons, Love Letters and Writing Practices: On Écritures Intimes in the Nineteenth Century, in: Journal of Family History, 24, 2 (April 1999), 232–239, 232, 233. 15 Vgl. z. B. Wilhelm Hegenauer, Großer, vollständiger Briefsteller für Liebende. Ein treuer Rathgeber bei Abfassung von Liebesbriefen für alle möglichen Angelegenheiten des Herzens. Nebst einem Anhange: Soldatenbriefe und Liebesgedichte, Wien 1900; Musterbriefe für alle Verhältnisse des menschlichen Lebens, als: Freundschafts-, Erinnerungs-, Bitt-, Empfehlungs-, Glückwunsch-, Einladungs-, Liebes- und Beileids-Briefe. Ein Hand- und Hilfsbuch für jedermann, Brünn 18944; Carl Theodor Fockt, Großer Wiener Liebesbriefsteller. Ein bewährter Rathgeber für alle Liebenden, welche sich der Zuneigung des geliebten Gegenstandes versichern wollen, Wien 1890; Neuester Briefsteller für Liebende beiderlei Geschlechts, Wien/Leipzig 18843; vgl. zur Forschung auch: Susanne Ettl, Anleitungen zur schriftlichen Kommunikation. Briefsteller von 1880–1980, Tübingen 1984, 123–149; sowie Eva Lia Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Schriftliche Liebeskommunikation vom 19. Jahrhundert bis in die Internet-Ära, in: Martin Luginbühl u. Daniel Perrin (Hg.), Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text, Bern/Berlin/Bruxelles u. a. 2011, 81–123, 92 f. 16 Vgl. etwa Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 20016; Wolfgang Müller-Funk, Die Erfindung der Liebe aus dem Medium des Briefes. Sophie Mereau und Clemens von Brentano, in: Bauer/Hämmerle/Hauch, Liebe und Widerstand, 89–109; Anne-Charlott Trepp, Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls. Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters, in: Manfred Hettling u. Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000, 23–55. 17 Regina Schulte, »Die Luis ist eine Närrin«. Suppositions about the Betrothal Letters of Queen Luise of Prussia (1793), in: dies. u. Xenia von Tippelskirch (Hg.), Reading, Interpreting and Historicizing: Letters as Historical Sources, EUI Working Paper HEC No. 2004/2, 163–171, 170; vgl. auch Annette C. Anton, Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1995. 18 Ute Jung-Kaiser, Vorwort, in: dies. (Hg.), Intime Textkörper. Der Liebesbrief in den Künsten, Bern/Wien/Bruxelles u. a. 2004, 7–8, 7.  19 Reinhard M. G. Nickisch, Brief, Stuttgart 1991, 43, 15. 20 Bettina Marxer, »Liebesbriefe, und was nun einmal so genannt wird«. Korrespondenzen zwischen Arthur Schnitzler, Olga Waissnix und Marie Reinhard: Eine literatur- und kultur­wissenschaftliche Lektüre, Würzburg 2001, 2. 21 Ute Jung-Kaiser, Der Liebesbrief und die Künste. Eine Einführung, in: dies., Intime Textkörper, 9–32, 28. 22 Vgl. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 106. 23 Das ist hier im übertragenen Sinn gemeint; der Begriff ›Gefühlsraum‹ wird derzeit auch in emotionsgeografischer und, anknüpfend an ältere emotionsphilosophische Konzepte, in emotionssoziologischer Hinsicht verwendet; vgl. jüngst Benno Gammerl u. Rainer Herrn, Gefühlsräume – Raumgefühle. Perspektiven auf die Verschränkung von emotionalen Praktiken und Topografien der Moderne, in: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 3, 2 (2015), 7–21; Robert Gugutzer, Hermann Schmitz: Der Gefühlsraum, in: Konstanze Senge u. Rainer Schützeichel (Hg.), Hauptwerke der Emotionssoziologie, Wiesbaden 2013, 304–310. Vgl. auch Hermann Schmitz, Der Gefühlsraum, Bonn 1969. 24 Vgl. z. B. bezogen auf die reichhaltige Auswandererkorrespondenz des 19.  Jahrhunderts: Wolfgang J. Helbich, Walter D. Kamphoefner u. Ulrike Sommer (Hg.), Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt 1830–1930, München 1988; Meinrad Pichler, »Dort ist ein armes und dahier ein reiches Land …« Auswandererbriefe aus den USA am Beispiel eines Vorarlberger Bestandes (1850–1914), in: Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten

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Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 163–185; sowie für die beiden Weltkriege, als Bündelung der reichhaltigen Feldpostforschung seit den 1990er Jahren in Form von knappen Einzelbeiträgen: Veit Didczuneit, Jens Ebert u. Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011. 25 Vgl. Anton, Authentizität als Fiktion, 21; Doris Niemeyer, Der Brief als weibliches Bildungsmedium im 18. Jahrhundert, in: Elke Kleinau u. Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt a. M./ New York 1996, 440–452. 26 Das 18. Jahrhundert wurde schon zeitgenössisch als ›Zeitalter des Briefes‹ gewertet, was die literatur- und kulturwissenschaftlich orientierte Forschung vielfach fortgeschrieben hat. Vgl. etwa Robert Vellusig, Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert, Wien/ Köln/Weimar 2000, 8; Matthias Rothe, Lesen und Zuschauen im 18.  Jahrhundert. Die Erzeugung und Aufhebung von Abwesenheit, Würzburg 2005, 66–69. 27 Für die Habsburgermonarchie gilt das freilich nicht generell. Insbesondere in süd-/östlichen Regionen bzw. in ethnischen Gruppierungen, die an der Peripherie lebten, blieb der Anteil illiterater Menschen bis ins beginnende 20. Jahrhundert hoch, während diesbezüglich in den westlichen Kronländern um 1910 nur noch Raten zwischen zwei und fünf Prozent gezählt wurden. Vgl. z. B. Martin Seger, Räumliche Disparitäten sozioökonomischer Strukturen in der Spätphase der Habsburgermonarchie. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, in: Helmut Rumpler u. ders. (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1948–1918, 9/2: Soziale Strukturen, Wien 2010, 27–44; Harvey J. Graff, The Legacies of Literarcy. Continuities and Contradictions in Western Culture, Bloomington 1991, 295. 28 Vgl. für Frankreich, richtungsweisend: Martha Hanna, A Republic of Letters: The Epistolary Tradition in France during World War I, in: American Historical Review, 108, 5 (2003), 1338–1361. 29 Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 86, mit dem Hinweis auf Roger Chartier, Alain Boureau u. Cécile Dauphin, Correspondence. Models of LetterWriting from the Middle Ages to the Nineteenth Century, Cambridge 1997, wo das 19. Jahrhundert daher als »Jahrhundert der Korrespondenz« bezeichnet wird. 30 Christa Hämmerle u. Edith Saurer, Frauenbriefe – Männerbriefe? Überlegungen zu einer Briefgeschichte jenseits von Geschlechterdichotomien, in: dies., Briefkulturen und ihr Geschlecht, 7–32, 7; vgl. ausführlicher: Angelika Ebrecht, Brieftheoretische Perspektiven von 1850 bis ins 20.  Jahrhundert, in: dies., Regina Nörtemann u. Herta Schwarz, unter Mitarbeit von Gudrun Kohn-Wächter u. Ute Pott (Hg.), Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990, 239–256, 240–243, u. a. in Anlehnung an Georg Steinhausen, Geschichte des Deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Berlin 1889–91. 31 Anett Holzheid, Affectionate Titbits: Postcards as  a Medium of Love around 1900, in: Eva Lia Wyss (Hg.), Communication of Love. Mediatized Intimacy from Love Letters to SMS. Interdisciplinary and Historical Studies, Bielefeld 2014, 253–273, 253. Der Autorin zufolge wurden »love postcards« rasch zum Bestandteil der popularen Kultur des späten 19. Jahrhunderts. In Österreich-Ungarn wurde die »Correspondenzkarte« am 1. Oktober 1869 eingeführt. 32 Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914–1933, Essen 1997, 28. 33 Vgl. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 100–106. Unberücksich­ tigt bleibt in der Annahme einer solchen linear verlaufenden Entwicklung und Nutzung von Kommunikationstechnologien, dass die beiden Weltkriege diesbezüglich viele Menschen wieder auf das Korrespondieren allein beschränkten; neuere Medien der Kommunikation konnten in diesen Jahren – sehr ungleich verteilt – weit seltener genutzt werden.

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34 Vgl. Anette Simonis, Liebesbrief-Kommunikation in der Gegenwart zwischen alt und neu: Schrifttradition, SMS, MMS und Internet, in: Stauf/Simonis/Paulus, Der Liebesbrief, 425–447; Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 111–115; dies., Metamorphosen des Liebesbriefs im Internet. Eine korpusgestützte, textlinguistische und kommunikationswissenschaftliche Bestimmung des Liebesbriefs und seiner Pendants im Internet, in: Joachim Höflich u. Julian Gebhardt (Hg.), Vermittlungskulturen im Wandel: Brief – E-Mail – SMS, Frankfurt a. M. 2003, 199–231; sowie einzelne Beiträge in: Wyss, Communication of Love. 35 Vgl. dazu, konkret auf unsere Forschungen bezogen, weiter hinten. 36 Vgl. Eva Lia Wyss (Hg.), Leidenschaftlich eingeschrieben. Schweizer Liebesbriefe, München/Wien 2006; dies., Brautbriefe, Soldatenbriefe, Zettelchen, E-Mail-Korrespondenzen und SMS. Liebesbriefe im 20.  Jahrhundert, in: Das Archiv. Gesellschaft für Telekommunikations- und Postgeschichte, 11, 1 (2004), 1–12. Das ursprünglich in Zürich aufgebaute Liebesbriefarchiv wird von Wyss seit 2012 an der Universität Koblenz fortgesetzt. 37 Als Grundlage dafür diente insbesondere der Briefwechsel eines Paares der unteren Mittelschicht, den Isa Schikorsky ediert hat: dies. (Hg.), »Wenn doch dies Elend ein Ende hätte.« Ein Briefwechsel aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Köln/Weimar/Wien 1999. Vgl. insbes. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 94–100. 38 Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 94 f., sowie die Tabelle zum »Grad der Ästhetisierung«, 98. 39 Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 98. 40 Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 98. 41 Vgl. z. B. einzelne Beiträge in: Trev Lynn Broughton (Hg.), Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, IV, London/New York 2007; Gisela Brinker-Gabler, Metamorphosen des Subjekts, in: Magdalena Heuser (Hg.), Autobiographien von Frauen, Stuttgart 1996, 393–404; und zum Frauentagebuch jüngst auch Christa Hämmerle u. Li Gerhalter, Tagebuch – Geschlecht – Genre im 19. und 20. Jahrhundert, in: dies. (Hg.), Krieg – Politik – Schreiben. Tagebücher von Frauen (1918–1950), Wien/Köln/Weimar 2015, 7–31. 42 Vgl. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Im Rahmen unseres Projekts haben wir uns diesbezüglich für den Begriff Verlobungskorrespondenz entschieden. 43 Cécile Dauphin, Pierrette Lebrun-Pézerat u. Danièle Poublan, Ces bonnes lettres. Une correspondance familiale au XIXe siècle, Paris 1995, 131, entwickeln in Anlehnung an Philippe Lejeunes Konzept des »autobiografischen Paktes« die Theorie eines »pacte épistolaire«. 44 Vgl. zu dieser Praxis auch Holzheid, Affectionate Titbits. 45 Vgl. etwa Ute Frevert, Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft, 35, 2 (2009), 183–208, 191 f.; in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive: Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, bes. 20–39; Nina Verheyen, Geschichte der Gefühle, in: Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithistorischen Forschung, 8.6.2010, unter: https:// docupedia.de/zg/Geschichte_der_Gefühle, Zugriff: 1.9.2016. 46 Caroline Arni, Entzweiung. Die Krise der Ehe um 1900, Köln/Weimar/Wien 2003, 240. 47 Vgl. z. B. Karin Hausen, Die Ehe in Angebot und Nachfrage. Heiratsanzeigen historisch durchmustert, in: Bauer/Hämmerle/Hauch, Liebe und Widerstand, 428–448; sowie, das Forschungsfeld eröffnend: Hans Medick u. David Sabean (Hg.), Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, Göttingen 1984; aus emotionssoziologischer Perspektive auch Eva Illouz, Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus, Frankfurt a. M./ New York 2003; dies., Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004, Frankfurt a. M. 2006.

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48 Renate Stauf u. Jörg Paulus, Schreibszenen des Liebens, in: dies., SchreibLust, 1–11, 2. 49 Vgl. dazu, umfassend entwickelt und posthum erschienen: Edith Saurer, Liebe und Arbeit. Geschlechterbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Margareth Lanzinger, Wien/Köln/Weimar 2014. 50 Im Feld einer Erforschung der romantischen Liebe differieren deren inhaltliche Besetzun­ gen allerdings. Die Soziologie arbeitet mit einem Modell, für das sie aus den verschiedenen konzeptionellen Definitionen und zugleich aus den historischen Aus­prägungen dieser kulturellen Leitidee die genannten Merkmale gebündelt hat. Vgl. dazu etwa: Karl Lenz, Romantische Liebe – Ende des Beziehungsideals?, in: Kornelia Hahn u. Günter Burkart (Hg.), Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts. Studien zur Soziologie intimer Beziehungen, Opladen 1998, 65–85; Kornelia Hahn, Romantische Liebe als Phänomen der Moderne. Anmerkungen zur Soziologie intimer Beziehungen, in: Yvonne Niekrenz u. Dirk Villàny (Hg.), LiebesErklärungen. Intimbeziehungen aus soziologischer Perspektive, Wiesbaden 2008, 40–52; vgl. auch: Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle, Editorial, in: dies. (Hg.), Romantische Liebe. Themenheft von L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 5–14; sowie Trepp, Emotion und bürgerliche Sinnstiftung, 23–55. Trepp spricht aus einer historischen Perspektive zusätzlich von einer Anthropologisierung und Säkulari­sierung von Liebe bei gleichzeitiger »quasi-religiöser« (ebd., 47) emotionaler Aufladung, die das Konzept der romantischen Liebe auszeichnet. 51 Vgl. William M. Reddy, The Making of Romantic Love. Longing and Sexuality in Europe, South Asia, and Japan, 900–1200 CE, Chicago/London 2012, der die These entwickelt, dass die romantische Liebe ein genuin europäisches Konzept sei. Zur Kritik daran vgl. z. B. Heike I. Schmidt, Keine romantische Liebe in Afrika? Männer, Mission, Monogamie, in: Bauer/Hämmerle, Romantische Liebe, 93–102; sowie als ausführliche Rezension: Claudia Olk, Romantische Liebe in globaler Perspektive?, in: ebd., 103–108. 52 Vgl. das Schlüsselwerk der Frühromantik und sein damals geradezu revolutionär anmutendes Geschlechterkonzept: Friedrich Schlegel, Lucinde. Ein Roman, Berlin 1799 (Erstausgabe); sowie Luhmann, Liebe als Passion; Müller-Funk, Die Erfindung der Liebe. 53 Vgl. Bauer/Hämmerle, Editorial. 54 Dagmar Reese, Die Kameraden: eine partnerschaftliche Konzeption der Geschlechter­ beziehungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: dies., Eve Rosenhaft, Carola Sachse u. a. (Hg.), Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozess, Frankfurt a. M. 1993, 58–74. 55 Reinhard Sieder, Von der romantischen zur skeptischen Liebe, in: ders., Die Rückkehr des Subjekts in den Kulturwissenschaften, Wien 2004, 169–209, 170. 56 Anthony Giddens, Wandel der Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1993, 42. Giddens betont diese Reflexivität insbesondere auch bezogen auf die Sexualität und das ›Selbst‹. 57 Vgl. etwa Michael Corsten, Das Ich und die Liebe. Subjektivität, Intimität, Vergesellschaf­ tung, Opladen 1993. 58 Alexandra Kofler, Erzählen über Liebe. Die Konstruktion von Identität in autobiografischen Interviews, Frankfurt a. M. 2012, 73. Von einer nach wie vor gegebenen Geltung des Modells der romantischen Liebe, wenn auch in Form wechselnder Aneignungen, gehen auch Soziologen wie Karl Lenz aus; vgl. ders., Romantische Liebe  – Ende eines Beziehungsideals?, in: Hahn/Burkart, Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts, 65–85. 59 Wyss, Vorwort, in: Leidenschaftlich eingeschrieben, 9–16, 10. 60 Stauf/Paulus, Schreibszenen des Liebens, 2, wo unter »Janusköpfigkeit« verstanden wird, dass der ›Liebesbrief‹ einerseits »ein Medium der Proklamation von Mangel« ist, da in ihm oft die Unzulänglichkeit des schriftlichen Dialogs beklagt wird, er aber gleichzeitig gerade daraus »seinen ganzen Reichtum« bezieht. 61 Vgl. bisher v. a. Anita Runge u. Lieselotte Steinbrügge (Hg.), Die Frau im Dialog. Studien

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zu Theorie und Geschichte des Briefes, Stuttgart 1991; Mary A. Favret, Romantic Correspondence. Women, Politics, and the Fiction of Letters, Cambridge 1993; Christine Planté (Hg.), L’épistolaire, un genre féminin? Paris 1998; Caroline Bland u. Maire Cross (Hg.), Gender and Politics in the Age of Letter-Writing, 1750–2000, Aldershot/Brookfield 2004; Hämmerle/Saurer, Briefkulturen und ihr Geschlecht; Anton, Authenzität als Fiktion; sowie die meisten Beiträge in: Rebecca Earle (Hg.), Epistolary Selves. Letters and LetterWriters, 1600–1945, Aldershot/Brookfield 1999. 62 Vgl. u. a. Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung, Reinbek bei Hamburg 1990, 243 f.; Bauer/Hämmerle/Hauch, Liebe widerständig erforschen, 14–19; breiter angelegt auch Saurer, Liebe und Arbeit, 133–139. 63 Vgl. u. a. Reinhard Sieder, Besitz und Begehren, Erbe und Elternglück. Familien in Deutschland und Österreich, in: André Burguière, Christiane Klapisch-Zuber, Martine Segalen u. a. (Hg.), Geschichte der Familie, 4: 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York/ Paris 1998, 211–294, 239–263; Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2005, bes. Kap. 4, 173–267. 64 Vgl. zu all dem für Österreich u. a.: Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005; Gabriella Hauch, Frauen.Leben. Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19.  und 20.  Jahrhundert, Linz 2013; Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2014; Ingrid Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, in: Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer u. a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 409–443; Johanna Gehmacher u. Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zweiten Republik, Innsbruck/Wien/Bozen 2007; Anneliese Gidl, In einer (un)weiblichen Gesellschaft? Eine Analyse der österreichischen Printmedien 1945–1995, Innsbruck/Wien/Bozen 2000; Ingrid Bauer, 1968 und die sex(ual) & gender revolution. Transformations- und Konfliktzone: Geschlechterverhältnisse, in: Oliver Rathkolb u. Friedrich Stadler (Hg.), Das Jahr 1968 – Ereignis, Symbol, Chiffre, Göttingen 2010, 163–186; Franz X. Eder, Die »Sexuelle Revolution« – Befreiung und/oder Repression, in: Bauer/Hämmerle/Hauch, Liebe und Widerstand, 397–414; Barbara Asen, Mit Witz auf der Zunge und Wut im Bauch. Feministisches Kabarett als Ort der Geschlechterpolitik in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland (1970 bis 2000), unveröffentlichte Dissertation, Universität Salzburg 2011. 65 Grundlegend noch immer: Joan W. Scott, Gender: Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse, in: Nancy Kaiser (Hg.), Selbst Bewußt. Frauen in den USA, Leipzig 1994, 27–75 (Orig. 1986). 66 Dabei betrachten wir im Sinne eines an Michel Foucault sensibilisierten und differenzierten Konzepts von Macht diese nicht als einseitig gesetzt, sondern als relationales Kräftefeld. Gleichzeitig ist im Kontext des Geschlechterverhältnisses von einem Geflecht verschiedener Dimensionen und Ressourcen von Macht (wie sexuelle und körperliche Attraktivität, Beziehungsmacht im Sinne eines Gebrauchtwerdens oder eines Wissens um persönliche Dinge, Besitz und Geld, soziales Ansehen, Bildung, beruflicher Status, Definitionsmacht etc.) auszugehen. Dabei sollte jedoch die Relation der geschlechtsspezifischen Kräfteverhältnisse in Paarbeziehungen nicht schon vorab als festgelegt gesehen werden, sondern Untersuchungsfrage bleiben. Nur das kann die mögliche Bandbreite von egalitäreren Konstellationen über Asymmetrien bis hin zu Dominanz in den Blick bringen. Vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a. M. 1983 (Orig. 1976), 113–124; Margarete Jäger, Diskursanalyse: Ein Verfahren zur kritischen Rekonstruktion von Machtbeziehungen, in: Ruth Becker u. Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2004, 336–341, 340; Birgit Rommelspacher, Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und

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Macht, Berlin 1995, 26–30; Gudrun-Axeli Knapp, Macht und Geschlecht. Neuere Entwicklungen in der feministischen Macht- und Herrschaftsdiskussion, in: dies. u. Angelika Wetterer (Hg.), Traditionen Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Freiburg 1992, 287–325. 67 Das gilt z. B. in Hinblick auf den von der Forschung immer wieder betonten Erziehungs­ anspruch in den Verlobungskorrespondenzen männlicher Briefschreiber, wofür im 18. und 19.  Jahrhundert literarische Vorbilder stehen, etwa der Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und seiner Braut Caroline Flachsland (1770–1773) oder jener zwischen Theodor Storm und Constanze Esmarch (1844–1846); vgl. z. B. Ulrike Prokop, Liebe und Lektüre oder: Was bedeuten die Tränen der Leserin? Aus dem Briefwechsel zwischen Caroline Flachsland und Johann Gottfried Herder 1770–1773, in: Jürgen Belgrad, Bernard Görlich, Hans-Dieter König u. a. (Hg.), Zur Idee einer psychoanalytischen Sozialforschung. Dimensionen szenischen Verstehens. Alfred Lorenzer zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1987, 259–302; Konstanze Fliedl u. Karl Wagner, Briefe zur Literatur, in: Hämmerle/Saurer, Briefkulturen und ihr Geschlecht, 35–53. 68 Vgl. z. B. für die Zeit der Romantik: Juliane Vogel, Briefwechsel und Geschlechtertausch. Rahel Varnhagen und Friedrich Gentz, in: Hämmerle/Saurer, Briefkulturen und ihr Geschlecht, 55–70; Barbara Hahn, »Antworten Sie mir!« Rahel Levin Varnhagens Brief­ wechsel, Basel/Frankfurt a. M. 1990. 69 Vgl. etwa Leonore Davidoff, »Alte Hüte«. Öffentlichkeit und Privatheit in der feminis­ tischen Geschichtsschreibung, in: L’Homme. Z. F. G., 4, 2 (1993), 7–36; Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2012. 70 Vgl. die umfassende Website der Sammlung Frauennachlässe unter: http://www.univie. ac.at/geschichte/sfn; sowie u. a. Li Gerhalter, »Quellen für die Frauen- und Geschlechtergeschichte haben wir auf jeden Fall benötigt«: Die Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte, in: Hubert Szemethy, Marianne Klemun, Martina Fuchs u. a. (Hg.), Gelehrte Objekte?  – Wege zum Wissen. Aus den Sammlungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Wien 2013, 122–141; Christa Hämmerle, Fragmente aus vielen Leben. Ein Portrait der »Sammlung Frauennachlässe« am Institut für Geschichte der Universität Wien, in: L’Homme. Z. F. G., 14, 2 (2003), 375–378. 71 Bestandsverzeichnis der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien. 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, zusammengestellt von Li Gerhalter unter Mitarbeit von Brigitte Semanek, Stand: September 2012, Wien 2012. Bis zur Drucklegung dieses Bandes ist diese Zahl auf 236 verzeichnete Bestände von 388 Personen (357 Vor- und Nachlässe von Frauen und 31 Nachlässe von Männern) angestiegen. 72 Vgl. Nikola Langreiter, »… greif ’ zur Feder wieder, schreib’, ach schreibe nur ein Wort …« Mit Liebesbriefen in den Geschichtsunterricht, in: Peter Eigner, Christa Hämmerle u. Günter Müller (Hg.), Briefe – Tagebücher – Autobiographien. Studien und Quellen für den Unterricht, Wien 2006, 46–62, 51 f.; am Beispiel von Tagebüchern aus der Sammlung Frauennachlässe: Li Gerhalter, Materialitäten des Diaristischen. Erscheinungsformen von Tagebüchern von Mädchen und Frauen im 20. Jahrhundert, in: L’Homme. Z. F. G., 24, 2 (2013), 53–71; zur visuellen Ebene allgemein etwa Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse, Tübingen 2001, 129 f. 73 Der Einfachheit halber inkludieren wir unter Begriffe wie diesen auch die in vielen Beständen ebenfalls enthaltenen (Bild-)Postkarten unterschiedlichster Art.  74 Vgl. Christa Hämmerle, »… vielleicht können da einige Briefe aus der Kriegszeit bei Ihnen ein ständiges Heim finden«. Die »Sammlung Frauennachlässe« am Institut für Geschichte der Universität Wien, in: Eigner/Hämmerle/Müller, Briefe  – Tagebücher  – Autobiographien, 132–139; dies., »Und etwas von mir wird bleiben …« Von Frauennachlässen und ihrer historischen (Nicht)Überlieferung, in: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, 55, 2 (2003), 154–174.

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75 Dabei haben wir zusätzliche Briefsammlungen in Gemeinde-, Stadt- und Landesarchiven in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg sowie in Spezialarchiven – etwa dem Jüdischen Museum Hohenems oder dem Zeitgeschichte Museum und der KZGedenkstätte Ebensee – recherchiert. Die Auswertung dieser Spezialbestände konnte in den vorliegenden Sammelband nicht aufgenommen werden und erfolgt in einer späteren Forschungsarbeit von Ingrid Bauer. 76 Das beinhaltet des Weiteren etwa auch einen Eisenhändler, einen Psychiater, einen Gymnasiallehrer und einen Sozialarbeiter, eine Sekretärin, eine kaufmännische Angestellte, eine Rezeptionistin, eine Zahnarzthelferin, eine Buchhalterin, eine Dolmetscherin sowie weibliche und männliche Studierende. 77 Daneben beispielsweise auch ein Buchbinder, ein Fliesenleger, ein Tischlergeselle, ein Bäckergeselle, eine Friseurin, ein Konditorgehilfe, eine ländliche Magd, ein Holzknecht, ein Eisenbahner. 78 Vgl. Anett Holzheid, Affectionate Titbits, 253–255; vgl. auch Hans-Christian Täubrich, Alles auf eine Karte. Correspondenz-Postkarte statt Briefkorrespondenz?, in: ders. u. Klaus Beyrer (Hg.), Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, 112–119; sowie Christine Brocks, Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg, Essen 2008. 79 Vgl. die Frage, ob wir Bedenken hatten, ein so intimes Thema mit so persönlichen Quellen aufzugreifen: Franziska Bauer, Liebe schwarz auf weiß. Interview mit Christa Hämmerle und Ingrid Bauer. Zwei Forscherinnen berichten über ein in Kooperation geleitetes FWFForschungsprojekt zu Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Paradigmata. Zeitschrift für Menschen und Diskurse, 8 (2012), 9–13, 10. 80 Die Sammlung Frauennachlässe schließt für alle übergebenen Vor- und Nachlässe Übergabeverträge ab, die den Umgang mit den personenbezogenen Daten und das Recht auf die wissenschaftliche Auswertung definieren. 81 Die Herausgeberinnen und der Verlag danken für die Überlassung der jeweiligen Urheberund Personenrechte. Trotz sorgfältiger Recherche konnten in vereinzelten Fällen die Urheber oder deren Erben nicht ausfindig gemacht werden. Die Herausgeberinnen und der Verlag bitten in diesen Fällen um Mitteilung. 82 Gernot Mehring (Pseud.) an Karola Schmidt (Pseud.), 24.10.1993, SFN, NL 151 I. Die Anfänge dieses Briefwechsels liegen in den Jahren 1969/1970, als die beiden noch das Gymnasium besuchten. Nach dem Ende ihrer damaligen Liebesbeziehung führten sie ihre Korrespondenz weiter und haben den Kontakt bis heute nicht verloren. 83 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 24.10.1993, SFN, NL 151 I. 84 Michael Maurer, Briefe, in: ders. (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, 4: Quellen, Stuttgart 2002, 349–371, 349. 85 Miriam Dobson, Letters, in: dies. u. Benjamin Ziemann (Hg.), Reading Primary Sources. The interpretation of texts from nineteenth- and twentieth-century history, London/New York 2008, 57–73, 57. 86 Langreiter »… greif ’ zur Feder wieder«, 47. 87 Vgl. insbes. Kathleen Canning, Feminist History after the Linguistic Turn: Historicizing Discourse and Experience, in: Signs, 19, 2 (1994), 368–404; Joan W. Scott, The Evidence of Experience, in: Critical Inquiry, 17, 4 (1991), 773–797; Diskussionsbeiträge von Gadi Algazi, Ute Daniel und Ulrike Strasser zur Tagung »Blickwechsel: Frauen- und Geschlechtergeschichte: Bilanzen und Perspektiven«, in: L’Homme. Z. F. G., 11, 1 (2000), 105–129; Marguérite Bos, Bettina Vincenz u. Tanja Wirz (Hg.), Erfahrung: Alles nur Diskurs? Zur Verwendung des Erfahrungsbegriffs in der Geschlechtergeschichte, Zürich 2004. 88 Caroline Arni, Amor und die Schuhfabriken. Erzählung der Ehekrise, Erzählung des ›Ich‹, in: L’Homme. Z. F. G., 14, 2 (2003), 225–243, 237. 89 Vgl. Ute Frevert, Monique Scheer, Anne Schmidt u. a., Gefühlswissen. Eine lexikalische

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Spurensuche in der Moderne, Frankfurt a. M./New York 2011; Ute Frevert, Emotions in History – Lost and Found, Budapest/New York 2011. 90 Dobson, Letters, 64. 91 Für die uns im Spannungsverhältnis von Diskurs und Erfahrung interessierende Frage nach Handlungsmöglichkeiten und Spielräumen und ob bzw. wie diese ›sozial kreativ‹ oder widerständig genutzt worden sind, sei auch auf Alf Lüdtkes alltagsgeschichtliches Schlüsselkonzept »Eigensinn« oder »Eigen-Sinn« verwiesen; vgl. u. a. Alf Lüdtke, The History of Everyday Life. Reconstructing Historical Experiences and Ways of Life, Princeton 1995, 313–314 (Glossar); ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993 (Neuauflage Münster 2015). 92 Anregung dafür waren die diesbezüglichen Vorschläge bei Landwehr, Geschichte des Sagbaren, 105 ff.; Peter Haslinger, Diskurs, Sprache, Zeit, Identität. Plädoyer für eine erweiterte Diskursgeschichte, in: Franz X. Eder (Hg.), Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen, Wiesbaden 2006, 27–50, 46. 93 Damit ist die jeweilige Schreibsituation ebenso gemeint wie ein gegebenes postalisches System, die Geschwindigkeit und Verlässlichkeit der Beförderung und der Zustellung, deren Kosten sowie Postsperren, Zensur im Krieg etc. 94 Nach Philipp Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim 2000; und Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken, Weinheim 20025, 114–121. 95 Vgl. Jäger, Diskursanalyse, 336–341; Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse, Frankfurt a. M./New York 2008; Haslinger, Diskurs, Sprache, Zeit, Identität. 96 Hier insbes. die Empfehlungen der kanadischen Anglistin Helen M. Buss, A feminist revision of new historicism to give fuller readings of women’s private writing, in: Broughton, Autobiography, 4, 14–31; zu Briefen vgl. auch Eva Lia Wyss, Sprache, Subjekt und Identität. Zur Analyse der schriftlichen Genderpraxis am Beispiel von Liebesbriefen aus dem 20.  Jahrhundert, in: Tamara Faschingbauer (Hg.), Neuere Ergebnisse der empirischen Genderforschung, Hildesheim 2002, 176–206. 97 Vgl. Landwehr, Historische Diskursanalyse, 122–126; Wyss, Sprache, Subjekt und Identität, 4–10. 98 Landwehr, Historische Diskursanalyse, 49; vgl. auch Jäger, Diskursanalyse, 339, die auf die Erschließbarkeit der Machtdimension durch die Decodierung von Sprache verweist. 99 Vgl. Haslinger, Diskurs, Sprache, Zeit, Identität, 47. 100 Etwa nach Landwehr, Geschichte des Sagbaren, 117–128. 101 Aus einem Gutachten zum Projektantrag. 102 Vgl. Bernhard Hadolt, Qualitative Datenanalyse mit Atlas.ti, in: comment. computer & communication, 23, 1 (2009), 14–17, unter: http://comment.univie.ac.at/09-1/14/, Zugriff: 4.10.2016; Wilfried Schütte, Atlas.ti 5 – ein Werkzeug zur Qualitativen Datenanalyse, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 8 (2007), 57–72, unter: http://www.gespraechsforschung-ozs.de/heft2007/px-schuette.pdf, Zugriff: 4.10.2016. 103 Dabei konnten wir unter anderem auch auf Erfahrungen zurückgreifen, die Benno Gammerl im Rahmen seines Projekts »Homosexualität und Gefühlsleben auf dem westdeutschen Land (1960–1990)« gemacht hat, für das er mit Zeitzeugen geführte Interviews ebenfalls über Atlas.ti erschließt. Das Projekt wird am Schwerpunkt »Geschichte der Gefühle« des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung/Berlin durchgeführt; vgl. z. B. Benno Gammerl, Queer Romance? Romantische Liebe in den biographischen Erzählungen von westdeutschen Lesben und Schwulen, in: Bauer/Hämmerle, Romantische Liebe, 15–34. 104 Als weitere, an anderen Orten bereits publizierte Projektbeiträge vgl. Barbara Asen, Vom »Götterfunken der Liebe« bis zu »des Papstes heil’gem Segen«. Romantische

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Ingrid Bauer, Christa Hämmerle

Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich, in: Bauer/Hämmerle, Romantische Liebe, 53–72, und das in dieser Ausgabe von L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013) erschienene Editorial der Herausgeberinnen; sowie Christa Hämmerle, »… den ganzen Tag hab ich zwischen der Arbeit von unserer Zukunft geträumt« – Liebesbriefe der 1950er Jahre, in: Sandra Maß u. Xenia von Tippelskirch (Hg.), Faltenwürfe der Geschichte. Entdecken, entziffern, erzählen, Frankfurt a. M./New York 2014, 113–125; dies., »Mit Sehnsucht wartent …« Liebesbriefe im Ersten Weltkrieg – ein Plädoyer für einen erweiterten Genrebegriff, in: Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, März 2014, unter: http://dx.doi.org/10.14280/08241.23 (engl. Fassung: http:// dx.doi.org/10.14280/08241.24), Zugriff: 24.10.2016; dies., Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Didczuneit/Ebert/Jander, Schreiben im Krieg, 243–254; Ines Rebhan-Glück, Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: Österreich in Geschichte und Literatur, 56, 3 (2012), 231–246; Nina Verheyen, Verbriefte Gefühle. Eine Quellencollage 1910/11, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 66, 12 (2012), 1118–1129.

Liebe und Paarbeziehungen im ›Zeitalter der Briefe‹

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In Nachlässen finden sich oft über Jahrzehnte aufbewahrte Liebesbriefe – sorgfältig gebündelt und mit Zierbändern geschmückt. (Sammlung Frauennachlässe, NL 67)

Paarkorrespondenzen enthalten verschiedenste Träger des Liebesdialogs – hier eine mit den Initialen der Schreiberin geprägte Karte aus 1903. (Sammlung Frauennachlässe, NL 70 I)

In diesem Portemonnaie wurden auch Briefe aus einer im Jahr 1909 unglücklich zu Ende gegangenen Liebesbeziehung aufbewahrt. (Sammlung Frauennachlässe, NL 67)

»Schau’ ich Dein Götterantlitz lichtumwoben …« – ein Schreiber aus den 1870er Jahren findet poetische Worte und gestaltet seinen Liebesbrief in schönster Schrift. (Sammlung Frauennachlässe, NL 76 I)

Mitteilungen unter der Briefmarke waren um 1900 besonders beliebt. Nicht nur auf Karten, sondern auch auf Kuverts wurden so geheime Botschaften und Küsse versteckt. (Privatsammlung Erwin Mathe)

Bis weit ins 20. Jahrhundert haben Paare aus schreibferneren Milieus vorrangig kolorierte Bildpostkarten verwendet – hier ein Beispiel mit einem beliebten Sehnsuchtsmotiv, abgeschickt 1921. (Privatsammlung Christa Hämmerle)

Feldpostkarten wurden im Ersten Weltkrieg millionenfach versandt. In dieser berichtet ein k. u. k. Reserveoffizier seiner Frau 1918 aus der besetzten Ukraine. (Sammlung Frauennachlässe, NL 14 III)

Dieses Schreiben eines Wehrmachtssoldaten aus einem Internierungslager in Irland wurde dort ebenso zensuriert wie dann beim Eintreffen im nationalsozialistischen Österreich. (Sammlung Frauennachlässe, NL 45)

Mit diesen Briefen, während des Unterrichts verfasst, beginnt eine Maturantin in den 1950er Jahren ihre Beziehung zum späteren Ehemann aufzubauen. (Sammlung Frauennachlässe, NL 78)

Dieser von der Schreiberin so genannte »Zettelbrief« aus 1971 ist aus Fahr- und Eintrittskarten zusammengeklebt – und damit ein Beispiel für eine kreativ gestaltete Paarkorrespondenz. (Sammlung Frauennachlässe, NL 152 II)

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Gefühle erwünscht

Normiertes Liebeswerben in Verlobungskorrespondenzen aus den 1860er/70er Jahren?

1. Bürgerliche Eheanbahnung – im Blickpunkt: Der männliche Part Verlobungskorrespondenzen oder sogenannte ›Brautbriefe‹1 wurden ab dem späten 18. Jahrhundert zu einem ›Muss‹,2 ja zu einer spezifischen sozialen Praktik im streng geregelten Prozess der bürgerlichen Eheanbahnung. Die briefliche Kommunikation diente dem näheren Kennenlernen von Braut und Bräutigam ebenso wie einer Intensivierung der Beziehung, dem Austausch von Emotionalität und der Herstellung gemeinsamer Intimität. In ihrer Funktion als rite de passage3 wurden in diesen Verlobungskorrespondenzen außerdem die zukünftige Lebensgestaltung mit ihren Rollenverteilungen und damit  – der damaligen hierarchischen Geschlechterordnung entsprechend – auch Machtverhältnisse ausgehandelt.4 Zudem sollte als Vorbereitung auf die Ehe ein geschlechtsspezifisches Fühlen und Handeln5 eingeübt werden. Dass gerade Männer in den Briefen an ihre Verlobten immer wieder belehrend auftraten, war in der bürgerlichen Schreibkultur des 18. und des langen 19. Jahrhunderts durchaus üblich. Man denke etwa an die literarischen Briefwechsel von Gotthold Ephraim Lessing und Eva König oder von Johann Gottfried Herder und Karoline Flachsland. Ein Jahrhundert später fasste Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, in seinen Verlobungsbriefen die Ansprüche und Forderungen an seine spätere Ehefrau Martha Bernays in das geradezu formelhafte Diktum: »Sei mein, wie ich mir’s denke«,6 das die HerausgeberInnen der Korrespondenz wohl nicht zufällig als Titel wählten. Die Möglichkeit eines solchen ›erzieherischen‹ Moments muss auch mitgedacht werden, wenn sich die folgenden Ausführungen zwei Briefbeständen aus den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zuwenden. Anders als der literarische Schriftverkehr bekannter Personen und Liebespaare aus adeligen und bildungsbürgerlichen Milieus, sind sie einem nicht-literarischen ›privaten‹ Schreiben zuzurechnen. Es handelt sich zum einen um die 1869 in der Zeit ihrer Verlobung entstandene Korrespondenz von Emilie Meister (1843–1935) und Anton Schröfl (1842–1916), zum anderen um den aus den Jahren 1874 und Gefühle erwünscht

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1875 stammenden Briefwechsel zwischen Maria Anna Seitz (1852–1909) und Johann Georg Frimberger (1851–1919).7 Da in beiden Fällen quantitativ mehr Schreiben der männlichen Seite überliefert sind, fokussiert dieser Beitrag insbesondere auf die Briefe, die von den beiden Männern verfasst wurden – auch wenn die Schreiben ihrer Partnerinnen immer wieder miteinbezogen werden. Neben der Überlieferungssituation ist die Entscheidung zur Auswertung dieser Briefe auch von einem ganz spezifischen Forschungsinteresse geleitet, dem unter anderem Studien wie jene von Anne-Charlotte Trepp zum deutschen Bürgertum im 18.  und frühen 19.  Jahrhundert zugrunde liegen. Ihre Arbeiten zeigen, dass in diesem Zeitraum gerade in Selbstzeugnissen von Männern die Äußerungen über die Liebe sowie zur Ehe aus Liebe immer wieder zum Gegenstand ihres Schreibens wurden, woraus die Autorin schließt, dass eine damals vorherrschende, auf Emotionalität und Empfindsamkeit ausgerichtete »[…] spezifisch bürgerliche Gefühlshaltung […] von Männern wenigstens ebenso mitgestaltet und mitgetragen [wurde] wie von Frauen«.8 Untersuchungen aus dem inzwischen sehr breiten Forschungsfeld der Emotionsgeschichte arbeiten außerdem heraus, dass das Leitbild bürgerlicher Männlichkeit – entgegen dem diskursivierten Modell einer polaren Geschlechterdichotomie und der damit einhergehenden Zuweisung von Emotionalität an Weiblichkeit einerseits, Rationalität an Männlichkeit andererseits – nicht eines der Gefühllosigkeit war. Vielmehr ging es um einen ›gekonnten‹ Umgang mit Gefühlen, der erwartet wurde.9 Entsprechend galt »im späten 18. und über lange Phasen des 19. Jahrhunderts« bei bürgerlichen ›Meisterdenkern‹ »nur jene[r] Mann als ›ganz‹, der auch seine Gefühle zu kultivieren wusste«.10 Diesen »ganzen Mann«11 gilt es in den Blick zu nehmen, wie Manuel Borutta und Nina Verheyen in der Einleitung zu ihrem Sammelband »Präsenz der Gefühle« fordern.12 In diesem Zusammenhang plädieren die beiden dafür, sich dem Verhältnis von Männlichkeit und Emotionen vor allem unter dem Gesichtspunkt der vielfältigen und immer auch gleichzeitig vorherrschenden Handlungs­möglichkeiten und -räume von Männern zuzuwenden, um so zu nuancierten Forschungsergebnissen in Hinblick auf das emotionale ›Tun‹ und die emotionalen Ausdrucksweisen von Männern zu gelangen.13 Von diesem Forschungsplädoyer angeregt, nimmt der vorliegende Beitrag die spezifische Form der Verlobungskorrespondenz in den Blick und untersucht sie im Rahmen des sozial und kulturell reglementierten Handlungsfeldes der männlichen Liebeswerbung. Es wird zu fragen sein, ob und auf welche Art und Weise vor allem Männer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über ihre Gefühle schrieben. Welche Erwartungen an die Beziehung und die Partnerin lassen sich in den beiden analysierten Briefwechseln auffinden? Auf welche zeitgenössischen Liebes- und Ehekonzepte griffen die Schreibenden dabei zurück? Da die bürgerliche Praxis der Verlobungskorrespondenz stark von historisch wandelbaren kulturellen Idealen und (Vor-)Bildern beeinflusst und durch spe-

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zielle Anleitungsliteratur, darunter eigene ›Liebesbriefsteller‹, geprägt war, gilt es auch die normative Ebene in den Blick zu nehmen. Dazu wurden sechs solcher Anleitungsbücher, die im Zeitraum von 1859 bis 1900 erschienen sind, in die Analyse miteinbezogen: Welche Regulierungsversuche in Hinblick auf das ›richtige‹ Verfassen eines Liebesbriefes und das Schreiben über die eigenen Gefühle lassen sich darin ausmachen?

2. Das Leiden an der Liebe: Anton Schröfl und Emilie Meister (1868/69) Wenn ich Deinen Namen dachte, sprach ihn schon leise auch mein Mund; anfangs leise, dann lauter immer lauter rief mir die innere Stimme zu. Und Liebe – heiße Liebe war hievon der Grund. Emilie! In Dir sah ich mein Glück! Schon lange liebt ich heiß und innig Dich bevor ichs wagte, Dirs zu offenbaren, und zu fragen schüchtern und bewegt: »Gibt es eine Hoffnung wohl für mich?« Was Dein Auge damals sagte, was als Antwort über Deine Lippen schlich, es brachte mir das wahre höchste Glück. Und selbst dann, wenn sich mein Auge schließt, werd ich als letzte Worte sagen: Emilie, ich liebe Dich.14

Diese Zeilen richtete der damals 27-jährige Anton Schröfl im Mai 1869 an die um ein Jahr jüngere Emilie Meister. Er schilderte rückblickend und in poe­ tischer Sprache die erste Offenbarung seiner Liebe und Emilies ebenfalls Liebe bekundende Antwort. Die beiden hatten sich ein Jahr zuvor in der kleinen, agrarisch geprägten Stadt Zwettl im Nordosten Österreichs kennengelernt, wo sie auch wohnten. Anton Schröfl arbeitete seit September 1868 im dortigen Notariat, Emilie Meister war als Krankenpflegerin bei einer bürgerlichen Familie tätig. Noch im Jahr 1868 verlobten sie sich und binnen einen Jahres erfolgte im September 1869 die Eheschließung.15 Während der einjährigen Verlobungszeit schrieb sich das Liebespaar 36 Briefe, die schön gestaltet, auf violettem, rosarotem oder blauem Papier, in sorgfältiger Kurrentschrift und mit schwarzer Tinte verfasst waren.16 Obwohl sich die beiden gerade zu Beginn der Verlobungszeit am selben Ort aufhielten und regelmäßig persönlich trafen, standen sie auch in einem steten brieflichen Kontakt. Schriftlich ließen sie gemeinsame Spaziergänge Revue passieren, tauschten sich über gelesene Romane aus und verfassten Gedichte, in denen sie ihre Gefühle darstellten und beschworen. Für Liebespaare, die wie Anton Schröfl und Emilie Meister auf eine Ehe zusteuerten, war es durchaus nicht unüblich, sich regelmäßig zu schreiben, auch wenn man nur wenige Meter voneinander entfernt wohnte.17 Angesichts der gängigen (bürgerlichen) Moral­vorstellungen, die ein aktives ›Beziehungsleben‹ erst für die Zeit nach der Eheschließung legitimierten, wurde die Verlobungskorrespondenz nicht nur zu dem Ort, an dem eine Paarbeziehung aufgebaut und verfestigt, sondern – ohne Zeugen oder Gefühle erwünscht

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familiäre Einflussnahme und Kontrolle – auch Nähe und Intimität hergestellt sowie intensiviert werden konnten.18 2.1 Trennungsschmerz oder: Was tut das Schreiben über Gefühle? Der Brief im Allgemeinen – und das schließt die hier untersuchten Verlobungskorrespondenzen mit ein – war aber in erster Linie ein Kommunikationsmittel zwischen zwei durch größere räumliche Distanz voneinander getrennten Personen.19 Während der Verlobungszeit von Anton Schröfl und Emilie Meister trat eine solche Trennung erstmals im Mai 1869 ein, als sich die junge Frau für vier Wochen nach Wien begab. Sie wurde zu dieser Reise von einem mit der Familie befreundeten Ehepaar eingeladen. Die Männer nahmen nicht daran teil, Emilie Meister und ihre Begleiterin reisten am 16.  Mai 1869 alleine ab. Drei Tage später verfasste Anton Schröfl einen ersten, sieben Seiten langen Brief an seine Verlobte. In diesem beschrieb er ihre Abwesenheit vor allem als Einschnitt in bereits gewohnte und gewachsene Alltagsstrukturen. Die aus der Trennung resultierende Unmöglichkeit, sich regelmäßig zu sehen, miteinander zu sprechen und in der Nähe der geliebten Person zu sein, hätten bei ihm, so schrieb er, Sehnsucht und Verlangen nach der körperlichen Anwesenheit seiner Braut ausgelöst und ihn tiefsinnig und missmutig werden lassen: Emilie! Ich kann die Worte nicht finden um meinem Verlangen, meiner Sehnsucht nach Dir Ausdruck zu geben; ich, an Deine Gesellschaft gewohnt, von Deiner zarten liebenswürdigen Unterhaltung in stetter Aufheiterung erhalten jede Stunde, ja fast jeden Augenblick benützend wo ich Dich sehen, mit Dir sprechen konnte, glücklich in Deiner Nähe und durchdrungen von einer so innigen Liebe, wiedergeliebt von Dir, dem guten, anziehenden Wesen, entbehre jetzt Alles dessen, was meine einzige Freude ist und verfalle seit Sonntag Abends, wo es mich so zu sagen mit eisernem Griffe an meinen Gedanken packte, mehr und mehr dem Tiefsinn und Mißmuthe. Selbst das erleichtert mich kaum, daß ich denke und daß man es mir allerseits sagt, daß Du ja wiederkommst, da ich nur erwiedern kann: »Ja! Wäre Sie schon da«.20

Die in diesen Zeilen zu beobachtende schriftliche Fixierung der gegenseitigen Liebe des Paares bildete dieses Gefühl aber nicht nur ab. Vielmehr trug der Brief in seiner materiellen und haptischen Dimension auch dazu bei, Gefühle zu vergegenständlichen, die oftmals als flüchtige und damit schwer greifbare Phänomene erfahren und erlebt werden. Auf Papier festgehalten, waren sie nun fassbar und wurden mit Faktizität aufgeladen.21 Besonders breiten Raum nahm im weiteren Verlauf dieses ersten Schreibens nach Wien die ausführliche Schilderung von Anton Schröfls Trennungsschmerz ein:

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Theure Emilie! Ich kann Dir, wie gesagt nicht schildern, in welch trauriger Lage ich mich befinde, Du magst vielleicht glauben ich übertreibe; aber nein! – nein theure Emilie! Ich kann nicht einmal den geringsten Theil meines Schmerzes schildern, welchen ich auch nicht zu bändigen, nicht zurückzudrängen vermag. Ich bitte Dich Emilie, wenn Du etwas beitragen kannst, so bleibet nicht länger als 14 Tage in Wien; ich glaube ich werde wahn­witzig, ja ich habe beinahe bange, daß mir mein jetzt sich plötzlich einstellender Tiefsinn, das Kränken um Dich und Deine Gesellschaft, bleibend an meiner Gesundheit oder doch wenigstens an meinem Gedächtniße schade; ich sträube mich seit gestern mit allem Ernste dagegen aber es ist umsonst; alles ist mir öde, leer und ohne Reiz, das Gespräch anderer Leute mir größtentheils fade und ich horche nicht darauf.22

In einem emotionalen, ja beinahe verzweifelten Ton schilderte sich der Schreiber dieser Zeilen als eine an der Abwesenheit seiner Verlobten leidende Person. Seine aus der Trennung resultierenden Gefühle kämen nicht nur einer übermächtigen, schmerzhaften Erfahrung gleich, sondern hätten ebenso Auswirkungen auf seine physische und psychische Gesundheit. Darüber hinaus artikulierte er auch die Bitte, dass seine zukünftige Ehefrau bald wieder nach Hause kommen möge, da nur sie oder vielmehr ihre körperliche Anwesenheit dazu beitragen könne, seinen Trennungsschmerz zu lindern und damit die befürchteten schädlichen Folgen für seine »Gesundheit« und sein »Gedächtnis« abzuwenden. Damit wurde Anton Schröfls Leiden an der räumlichen Abwesenheit von Emilie Meister zu einem Gegenstand des Aus- und Verhandelns in Hinblick auf das Getrenntsein an sich. In ihrem Antwortschreiben reagierte seine Verlobte darauf folgendermaßen: Mein lieber Anton! Sehr erfreute mich dein Schreiben, obwohl es durchaus nichts beiträgt, mich heuterer [heiterer, I. R.-G.] zu stimmen, da ich ge­leßen, daß Du dich gar so verlaßen und einsam fühlst, glaube sicher auch mir geht es nicht beßer. Nie noch zog es mich so heftig auf Heim, nie kante ich das Heimweh, welches ich jetzt umso heftiger fühle, jenes drükende Gefühl, das zu beschreiben nicht möglich, das man nur fühlen kann.  – Glaube sicher, Anton, daß mir das Leben ohne Dir, jetzt schon fast unerträglich wird. Interessenlos geht alles an mir vorüber. Kann es aber auch anders sein, da ich hier nicht Leben nur vegetiren kann, denn mein Leben, mein inneres Sein ist ja in Zwettl geblieben. – Was ja auch dich trösten muß.23

Emilie Meister hielt sich damals, so ist anzunehmen, zum ersten Mal in der damaligen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien auf, wo sie gemeinsam mit ihrer Begleiterin bei einer von deren Bekannten wohnte. Die junge Frau, die dem Eintrag in den Taufmatriken des Diözesanarchivs St. Pölten zufolge als uneheliches Kind einer Inwohnerin und Handarbeiterin aus eher bescheidenen Verhältnissen stammte,24 wurde in Wien sowohl in das dortige kulturelle Gefühle erwünscht

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Leben als auch in diverse bürgerliche Familien eingeführt. So schilderte sie in späteren Schreiben an ihren Verlobten regelmäßige Besuche des Wiener Burgtheaters und des Theaters an der Wien, Ausflüge in den Wiener Volksgarten, die Teilnahme an Musikveranstaltungen und Visiten bei mehreren Wiener Familien.25 Emilie Meister beschrieb in diesen Briefen die vielen neuen Eindrücke und Erlebnisse, welche die Großstadt für sie bereithielt, durchaus positiv. Demgegenüber betonte sie in den zitierten Zeilen, dass ihr Aufenthalt eine von Heimweh geprägte Erfahrung sei, die sie »interessenlos« an sich vorüberziehen lasse. Sie könne in Wien nur »vegetiren«, da ihr »Leben«, ihr »inneres Sein« ja zu Hause, bei ihrem zukünftigen Bräutigam geblieben sei. Hier lässt sich ein Sprachduktus erkennen, der in hohem Maße an einer Einheit mit dem Verlobten, einem ›Wir‹ orientiert war. Das äußerte sich in vielen Textpassagen der Briefe dieses Paares sogar darin, dass eine sprachliche Nähe zwischen der/dem geliebten Anderen und dem Begriffspaar Leben/Tod hergestellt wurde. So hieß es in einem Schreiben Anton Schröfls, das dieser einen Monat vor Emilie Meisters Abreise nach Wien verfasst hatte und in dem er sich auf ihren späteren Aufenthalt dort bezog: »[…] solche Gelegenheiten überzeugen mich stets aufs Neue, daß ich ohne Dich theure Emilie nicht leben könnte. An Dich denke ich ja stets, für Dich fühle ich, nur in Deiner Nähe bin ich glücklich, ohne Dich wäre ich Nichts, denn mein Leben, mein Alles hängt an Dir.«26 Dem hegemonialen Liebesdiskurs des 19.  Jahrhunderts entsprechend, begriffen beide Liebe in erster Linie über deren emotionale Qualität, als ein, wie Emilie es ausdrückte, »Gefühl so tief, so inig«, ein Gefühl, das »heilig« ist und »wo nur das Herz zum Herzen spricht«.27 Ein durch das idealisierte Leitbild der romantischen Liebe beeinflusstes Liebes- und Beziehungsverständnis dürfte ihnen in diesem Zusammenhang sprachliche Muster geboten haben, auf die beide wiederholt zurückgriffen. Doch die briefliche Kommunikation des Liebespaares tat mehr, als einfach jene (romantische) Gefühlswelt – zumindest teilweise  – abzubilden und nachzuzeichnen, in der sich die beiden vor dem Eintreten der räumlichen Trennung befunden hatten. Denn das ›Ob‹ und das ›Wie‹ des sprachlichen oder schriftlichen Ausdrucks von Gefühlen ist – wie die kulturwissenschaftliche Emotionsforschung nahelegt  – »entscheidend dafür […], wie wir unsere Gefühle wahrnehmen«.28 Die Benennung gestaltet, so die Emotionshistorikerin Bettina Hitzer, »wesentlich das empfundene Gefühl«29 – oft mit »ungewissem Ausgang für den Akteur selbst«.30 »Jede Gefühlsäußerung tut [dabei]«, so wiederum Hitzer, »etwas mit der inneren und/oder äußeren Welt«.31 Im Falle Anton Schröfls und Emilie Meisters wirkte das briefliche Festhalten ihrer Gefühle somit zugleich nach ›außen‹, wo diese an ein Gegenüber gerichtet »geradezu zwangsläufig eine Gefühls-Reaktion [hervorriefen]«,32 wie nach ›innen‹, indem sie selbstreferentiell auf ebendiese verwiesen, sie verändern oder ebenso gut bestätigen konnten.33

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2.2 Mangel an Gefühl oder: Die Belehrung der Braut Das Schreiben an sich, also mit dem anderen brieflich zu kommunizieren, signalisierte auch in diesem Fall Zuneigung und vermittelte Interesse am Wohlergehen des Gegenübers. In einer brieflichen Botschaft vom 22. Mai 1869 – das Liebespaar war sechs Tage getrennt – formulierte Anton Schröfl diesen Zweck implizit folgendermaßen: Daß das Sprichwort »Aus den Augen aus dem Sinn« sich bewahrheitet, sehe ich recht deutlich an Dir und Deiner Handlungsweise. Du mußt schon verzeihen, daß ich so spreche und denke, aber nicht ich allein thue es, sondern auch noch andere Personen. Ich weiß nicht, was ich hier anfangen und be­ginnen soll, fühle mich allein und verlassen […]. Wie sehr ich da in der Erwartung lebe, wenigstens schriftliche Nachricht von Dir zu erhalten, und wenn es nur einige Zeilen wären, könntest Du ermessen, wenn Du den Kopf und ich möchte sagen auch das Herz nicht vor lauter Unterhaltung oder Sonstigen – verloren hättest. […] Mir thut es gewiß sehr wehe, mich so behandelt zu sehen, wenn Du wüßtest wie es mir hier geht, so könntest Du so etwas nicht thun. Ich weiß mir nicht zu helfen, mich nicht zu trösten, kann Dir überhaupt nicht schildern, was ich leide; aber das kann ich Dir sagen, daß ich mich jetzt auch kränke.34

Die zeitliche Verzögerung zwischen Brief und Antwort wurde, wie dieser Quellenausschnitt gezeigt hat, zu einem Moment des Konflikts und der Infrage­ stellung von Emilie Meisters Gefühlen. Denn ihr vermeintliches Nicht-Schreiben erschien in den Augen ihres Verlobten als ein »Zeugniß von Leichtsinn, von Rücksichtslosigkeit«, ja sogar als ein »Mangel an Gefühl«.35 Erst zwei Tage nach den obigen Zeilen traf die so sehnsüchtig erwartete Post seiner Braut ein, die – so stellte Anton Schröfl wiederum vorwurfsvoll fest – »lange – sehr lange gedauert [hat]«.36 Dadurch hätte er sich nicht nur »gekränkt und verlassen, zurückgesetzt«37 gefühlt, sondern durch seine aus dieser Situation resultierenden Gefühle sei – wie er in einem Brief vom 24. Mai 1869 betonte – zudem sein körperliches Befinden beeinträchtigt worden: »Ich war auch Samstag schon so angegriffen und so gedrückt, daß ich nicht einmal den äußeren Schein mehr wahren konnte; ich konnte kaum mehr sprechen, bekam ein fürchterliches Stechen in der Brust und […] Schmerz im Kopfe und mußte mich Nachmittags […] zu Bette legen; ich genoß von Samstag früh bis Sonntag Mittags keinen Bissen – ich konnte nicht.«38 Das Verständnis von Gefühlen als einer nach außen zielenden und andererseits durch ein äußeres Ereignis oder einen äußeren Umstand bewirkten Kraft mit gleichzeitiger Fixierung im Körper war im 18.  und teilweise noch im 19.  Jahrhundert weit verbreitet.39 Seine Wurzeln hatte dieses Gefühls­ konzept unter anderem in der auf die Antike zurückgehenden Viersäftelehre,40 Gefühle erwünscht

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die – wenn auch in modifizierter Art und Weise – bis weit ins 19. Jahrhundert einflussreich blieb.41 Gerade ab der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts vertraten Mediziner die Auffassung, »dass Gefühle eindeutig im Körper zu lokalisieren waren«,42 ja Gefühle wurden im Sinne eines umfassenden »Prozess[es] der Somatisierung«43 gewissermaßen »selbst zum Körper«.44 Darüber hinaus lässt sich auch die Vorstellung von Liebe als Krankheit und/oder Wahnsinn historisch weit zurückverfolgen. Sie wurde von der Mystik des Hochmittelalters und der höfischen Minne bis zur amour passion und dem Leitbild der romantischen Liebe in unterschiedlichen und vielfältigen Ausprägungen und Überschneidungen diskursiviert und in die jeweiligen Liebeskonzeptionen integriert.45 Anton Schröfl, der in den eben zitierten Zeilen eindrücklich seinen körperlichen Liebesschmerz beschwor, band diesen im selben Schreiben an ein ›rettendes Wort‹ in Form eines Briefes von Emilie Meister. Erst durch dessen Erhalt hätte er sich besser gefühlt, ja dieser Brief sei das »beste Heilmittel« gewesen, habe »alles kränkende und schmerzliche […] wieder gut«46 gemacht. Da sich seine »Aufregung […] gelegt [hat]«47, nahm er im weiteren Verlauf dieser Antwort seinen vorwurfsvollen Ton teilweise zurück und wählte stattdessen einen rechtfertigenden beziehungsweise didaktischen Sprachmodus. Mit seinen Vorwürfen hätte er seine Verlobte zwar nicht »verletzen«, sie aber »warnen«, ihr »Gutes rathen«, sie »aufmerksam machen«48 wollen, denn er wisse und verstehe: »[…] sobald viele und verschiedene Dinge […] auf eine Person, besonders auf ein Mädchen einstürmen, so vergißt man darüber oft andere, an die man aber jedenfalls zuerst denken muß«, was bei seiner zukünftigen Ehefrau ja »schon öfter passirt«49 sei. Durch diese ihre Handlungsweise wäre es daher gerechtfertigt, dass er »ihr eine Rüge ertheilt«.50 Dieses Schreiben unterschied sich von jenen Briefen, die Anton Schröfl zuvor verfasst hatte. Sie waren, wie die bisher zitierten, von Sehnsuchts- und Liebesbezeugungen sowie Schilderungen seines Trennungsschmerzes geprägten Passagen zeigen, sehr gefühlsbetont. Nun nahm er jedoch die Haltung eines beinahe gestrengen Lehrmeisters ein, der fordernd äußerte, was er von seiner zukünftigen Braut erwartete und wie diese zu sein hätte. Emilie Meister ließ sich in ihrem Antwortschreiben zumindest auf einer sprachlichen Ebene nicht auf seinen didaktischen Ton ein, wenn es hieß: Lieber Anton! Wo soll ich wol zuerst anfangen: Soll ich Zanken oder dich trösten wo ich selbst des Trostes bedarf ? – Dein vorhergehender Brief, war in einem solchen Ton geschrieben, daß es mir fürchterlich ist daran zu denken, den anstadt daß mir die Briefe von Zwettl Aufheiterung verschaffen sollten, quält auch ihr mich noch damit und zwar in einer Weise die ich gewiß nicht verdine. Den Kopf und das Herz habe ich wol in Wien nicht verlieren können, da es ja in Zwettl gebliben. – Ich bedaure recht sehr, daß du mich noch nicht beßer kennst.51

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Emilie Meister schilderte in der Folge, dass ihr in Wien wenig Zeit blieb, sich ungestört an einen Brief zu setzen. Nicht nur habe sie »keine Ruhe«, sondern sie sei auch »keinen Augenblick allein«,52 was sich auf ihre Möglichkeiten und Gelegenheiten, dem Verlobten zu schreiben, ausgewirkt hätte. Somit reagierte sie auf die vorwurfsvollen und zudem erzieherisch gehaltenen Zeilen ihres zukünftigen Ehemannes zwar mit Unverständnis, allerdings nicht ohne gleichzeitig hervorzuheben, sie habe ihn auf keinen Fall beleidigen, kränken oder gar unglücklich machen wollen. In einem ihrer Schreiben, in dem sie sich auf Anton Schröfls Vorwürfe bezog, hieß es dazu: Jene Schattenseiten in meinen Glüke, machen mich stets Unglüklich, weil ich diejenige bin, die an Ihren erscheinen Schuld trägt, und ich dan jedesmahl mir den Vorwurf mache, daß ein Mann wie Du, mit einen solchen Mädchen doch nicht volkommen Glüklich sein kann; was mich im Geheimen oft sehr kränkt, und mir villen Kummer macht. Mir, die dich ja folkommen Glüklich machen will.53

2.3 Physisch und psychisch oder: Zur Wahrhaftigkeit von Gefühlen Die unregelmäßige Briefkommunikation des Paares blieb zwar auch im weiteren Verlauf der Korrespondenz ein wesentliches Thema; doch je länger sich Emilie Meister in Wien aufhielt, desto mehr rückten Anton Schröfls Leiden an der Trennung und das erhoffte Ende ihrer Abwesenheit ins Zentrum seiner Schreiben. In einem Brief vom 1. Juni 1869 äußerte er daher die Bitte, dass seine Verlobte bald wieder nach Hause kommen möge und machte ferner seinen (Trennungs-)Schmerz erneut an seinem körperlichen Befinden fest: […] was mich aber wieder traurig macht, ist das, daß ihr gar keine Andeutung gebt, wann ihr endlich kommen werdet; ich erwartete Dich schon so bestimt für Donnerstag oder Freitag diese Woche, allein alle meine Freude ist vorbei und wieder zerronnen. Ich kann dir nur das Eine sagen liebe Emilie! Was ich seit der Zeit leide, – wo Du fort bist, – habe ich noch in keiner Lage meines Lebens gelitten, wenn selbe auch noch so krittisch war; […] es nagt in mir, obwohl ich mich sträube und kämpfe eine Sehnsucht, aber nicht eine angenehme stille, sondern es ist ein Gram, der mir alles verleidet, alles verbittert, und der wie ich selbst glaube, auch für mein physisches Leben bleibende Folgen haben wird. Ich finde keine Ruhe, keine Zerstreuung, keine Rast und bin dennoch taub für Alles, was um mich vorgeht; die Leute hier sagen mir, ich sähe aus, als ob ich von einer Krankheit erst aufgestanden wäre; ich sträube mich stets gegen die inneren Wirkungen meines Kummers, um wenigstens den äußeren Schein zu erhalten, allein es ist Alles  – Alles vergebens  – Du fehlst mir, Du, meine ganze Freude – Du, mit der mein Leben so innig verbunden ist. […] ich kann nur immer die einzige Bitte an Dich stellen, Emilie komme – komm bald.54 Gefühle erwünscht

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Das in beschwörendem Ton Geschilderte wurde in dieser Briefpassage zu einem sinnstiftenden Moment. Lässt sich doch der von Anton Schröfl artikulierte Trennungsschmerz auch als Liebesbezeugung verstehen, der er durch das Rekurrieren auf sein körperliches Leiden eine Unmittelbarkeit verlieh, die sich gleichsam aus dem ›Naturhaften‹ des Körpers speiste. Denn, so der Emotionshistoriker Jan Plamper, spätestens »die Aufklärer [begannen] Natur mit dem menschlichen Körper gleichzusetzen, vor allem mit seinen innerlichen, wenig veränderlichen Aspekten«.55 Kurz bevor Emilie Meister nach vier Wochen Aufenthalt in Wien ihre Rückreise nach Zwettl antrat, verfasste ihr Verlobter einen letzten, beinahe verzweifelten Brief, in welchem er ihr nochmals seine »wahrhafte« Liebe beweisen wollte: Man wird dir bei deiner Ankunft hier in Zwettl vielleicht von vielen Seiten sagen, wie sichtlich mir deine Gesellschaft fehlte, man wird vielleicht darüber spotten, aber ich kann eben nicht anders – ich zwinge mich ohnedieß genug – und denke mir, Personen, welche nie wahrhaft liebten können eben keinen Maßstab für meinen Schmerz, für meine traurige Verlassenheit nehmen, – und so, wie ich dich liebe, so – glaube ich kann Niemand mehr lieben; mehr kann ich Dich selbst nicht mehr lieben, sonst wäre Wahnsinn das Ende davon.56

Im Gegensatz zu Anton Schröfls Schreiben nahmen sich jene von Emilie Meister wesentlich nüchterner aus. Zwar kamen auch in ihren Briefen emotionale Formulierungen und Sehnsuchtsbekundungen vor, dies war jedoch seltener der Fall als bei ihrem Verlobten. Das könnte einerseits damit zusammenhängen, dass in ihren Schreiben aus Wien gerade die Neuartigkeit ihrer dortigen Erfahrungen und ihre Erzählungen darüber inhaltlich dominierten. Andererseits dürfte sich auch ihr begrenzter Bildungszugang auf den ›Ton‹ und ihre Art zu schreiben ausgewirkt haben. Anders als Anton Schröfl, der das Unterstufengymnasium bei den Sängerknaben im Stift Zwettl besucht und damit eine gute schulische Ausbildung erhalten hatte,57 war dies seiner zukünftigen Ehefrau – da Mädchen damals der Zugang zur Gymnasial- und generell zu einer höheren Schulbildung verwehrt blieb – nicht möglich gewesen. Angesichts eingeschränkter (Aus-)Bildungsmöglichkeiten und Kompetenzen dürften Schreiberinnen wie Emilie Meister nur begrenzte Sprachrepertoires und Codes zur Verfügung gehabt haben, mit Hilfe derer sie die eigenen Gefühle schriftlich ausdrücken und darstellen konnten. Somit war es vor allem ihr Verlobter, der die schriftlichen Darlegungen seines Trennungsschmerzes eng an Liebeserklärungen und -bezeugungen knüpfte und Bilder eines (körperlichen) Liebesschmerzes beschwor – was in Hinblick auf die Gattung (Liebes-)Brief eine überraschende Feststellung ist. Gerade der (Liebes-)Brief wurde in den vielen Abhandlungen zur Geschichte des ›privaten‹ Schreibens und der bürgerlichen Briefkultur ja immer wieder

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dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Meist verweist die historische Briefforschung in diesem Zusammenhang – zumindest im deutschsprachigen Raum  – auf Christian Fürchtegott Gellert und sein 1751 erschienenes Werk »Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmack in Briefen«. In diesem und anderen seiner Briefbücher kürte Gellert den »weiblichen Briefstil – durch ein geeignetes Naturell und geeignete Lektüre entstanden – […] zum Stilideal, ja zum einzig möglichen Stil für den Brief«.58 Diese Zuschreibung entfaltete vor dem Hintergrund der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft eine besondere Wirkmacht, die auch das lange 19.  Jahrhundert überdauern sollte. Waren Anton Schröfls Schreiben an seine Verlobte in diesem Sinne also außergewöhnlich? Um dieser Frage nachzugehen, wird in einem nächsten Schritt nun der zweite für diesen Beitrag ausgewählte Briefwechsel zwischen Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz herangezogen.

3. Schwärmerei versus wahre Gefühle: Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz (1874/75) Rund fünf Jahre nachdem Anton Schröfl und Emilie Meister die Ehe geschlossen hatten, traten der damals 23-jährige Johann Georg Frimberger und die um ein Jahr jüngere Maria Anna Seitz in einen regen Briefwechsel ein. Die beiden hatten sich kurz vor dem Jahreswechsel 1873/74 kennengelernt, ineinander verliebt und begannen sich im Januar 1874 regelmäßig zu schreiben. Ihre überlieferte Korrespondenz reicht bis in den Juni 1875 und umfasst insgesamt 110 Schreiben, die Mehrzahl von Johann Georg Frimberger. Dieser stammte aus einem kleinen Ort im niederösterreichischen Weinviertel, arbeitete seit 1870 als Zeichner in einem Maschinenkonstruktionsbüro der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn in Wien und versuchte sich nebenbei als (Mundart-)Dichter.59 Seine an Maria Anna Seitz gerichteten Briefe waren tatsächlich sehr poetisch formuliert und von seinen literarischen Ambitionen geprägt, die in Form von Gedichten und Liedern auch immer wieder selbst zum Gegenstand der schriftlichen Kommunikation wurden. Gleichzeitig war die zu Beginn des Jahres 1874 einsetzende Korrespondenz des Liebespaares Ausdruck einer Beziehungsanbahnung, die in erster Linie schriftlich stattfand. Denn die beiden Schreibenden wohnten zwar in derselben Stadt und konnten sich daher regelmäßig persönlich treffen, bei diesen Treffen waren jedoch zumeist Dritte, wie die Arbeitgeberin von Maria Anna Seitz, anwesend.

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3.1 Das Herz und die Religion oder: Zur Aufrichtigkeit von Gefühlen Ähnlich wie in der Korrespondenz zwischen Emilie Meister und Anton Schröfl war es auch bei Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz im Großen und Ganzen der männliche Briefpartner, der in beschwörendem, oftmals sogar forderndem Ton ausführlich das Wesen der eigenen Gefühle zum Gegenstand der Kommunikation erhob. So hieß es in einem seiner ersten Schreiben an seine zukünftige Ehefrau: Hätten Sie hineinzublicken vermocht in meine Brust, wie es da drinnen bebte und zitterte; hätten Sie dieß Herzens geheimste Tiefe erschaut, die unnennbare Seligkeit gefühlt, die da auf- und niederwogte – unbegränzt, Alles überfluthend, allen Schmerz, das kleinste Weh verdrängend, […] Maria-Engel! Glauben Sie mir, es sind keine erheuchelten – es sind meine wahren Gefühle, denen ich Ausdruck gab – so tief-schmerzlich und so hoch-freudig zugleich.60

In einer emotionalen Sprache und mittels ihrer Dramaturgie positionierte Johann Georg Frimberger in diesen Zeilen seine Gefühle als in seinem ›Inneren‹ angesiedelt. Darauf deuten die Worte »hineinzublicken« und »da drinnen« ebenso wie sein Verweis auf die »Brust« als Sitz des Herzens beziehungsweise der Verweis auf das »Herz« an sich. Das Herz spielte in historisch weit zurückreichenden theologischen, philosophischen und medizinischen Gefühls­ diskursen immer schon eine wesentliche Rolle und galt sowohl als Ort der Empfindung und der Seele wie auch als Zentrum des Körpers und des Lebens an sich.61 Gerade im Umfeld der Leitidee der romantischen Liebe, die ja durch einen regelrechten »Absolutismus des Herzens«62 charakterisiert war, erfuhr es eine immense Aufwertung und wurde in diesem Sinne »nicht nur [zum] Sitz der Gefühle und Ursprungsort der Liebe«, sondern zu dem Ort, an dem sich »das ›Innerste‹ des Menschen verbirgt«.63 Diese Zuschreibungen sind in den oben zitierten Zeilen manifest, in denen Johann Georg Frimberger sein »Herz« zudem mit den Attributen des »geheimsten« und der »Tiefe« versah. Dass das Herz etwas sei, das »[…] geheim und allen außer Gott verborgen«64 ist, fand sich als Topos in unterschiedlicher Ausprägung zudem im Umfeld theologischer und religiöser Strömungen und Diskurse wieder. Wie Barbara Asen gezeigt hat, verwendete in der Korrespondenz dieses Paares vor allem Johann Georg Frimberger wiederholt religiöse Bilder und Metaphern, die einer Überhöhung beziehungsweise einer romantisierenden Sakralisierung seiner Liebe dienten.65 Er platzierte seine Gefühle für Maria Anna Seitz aber nicht nur in seinem ›Inneren‹, vielmehr ›taten‹ sie dort auch etwas, wie in den folgenden Zeilen vom 29. Januar 1874 zum Ausdruck kommt: »Heftiger pocht mein Herz – erregter eilen die Pulse – wilder jagen sich die Gedanken – ach und tausend wonnige Gefühle leben in mir auf, die ich sonst nie gekannt! Ja viele tausend

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sind es, die mein Innerstes durchstürmen und doch alle Eins – nur eines Stammes – einer Mutter zahlloser Kinder – einer Zauberin – die ›Liebe‹ heißt.«66 Um der Briefpartnerin seine Liebe zu schildern, gebraucht Johann Georg Frimberger hier rhetorische Schreibmuster, die einerseits die Intensität dieses Gefühls und andererseits in ihrer Bezugnahme auf das ›Innerste‹ seine ›Aufrichtigkeit‹ und ›Wahrhaftigkeit‹ bezeugen sollten. Er konnte dabei an eine emotionale Praxis anknüpfen, die seit dem frühen 19. Jahrhundert in bürgerlichen Kreisen ausgebildet worden war und in deren Rahmen »der ›spontane‹ und ›natürliche‹ Ausdruck, bei dem das ›unverfälschte‹ Innere nach außen dringt, […] zur emotionalen Norm der Aufrichtigkeit [gehörte]«.67 Diese »Norm der Aufrichtigkeit« fand sich als zentrales Charakteristikum im Leitbild der romantischen Liebe, in deren Konzeption, so Rebekka Habermas, nicht nur »die emotionalen Qualitäten beschworen«, sondern auch »die Natürlichkeit und Aufrichtigkeit des Umgangs betont [wurden]«.68 3.2 Jugendliche Schwärmerei oder: Die Notwendigkeit klarer Worte Dass Johann Georg Frimberger im brieflichen Liebeswerben seine Gefühle vordergründig als »wahre« Phänomene beschrieb, muss vor dem Hintergrund der Beziehung des Liebespaares jedoch differenzierter betrachtet werden. Zu Beginn der Korrespondenz war diese einerseits in ihrer Anfangsphase, worauf der Anredemodus des »Sie« verweist.69 Andererseits war sie durch gewisse Unsicherheiten und Zweifel vonseiten Maria Anna Seitz’ begleitet, was die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit der Gefühle und Absichten ihres Briefpartners anging. Das wird etwa implizit in einem seiner Schreiben aus dem Januar 1874 lesbar. Dort hieß es, mit besonderer Betonung des Gesagten durch eine Vielzahl an Unterstreichungen: Maria-Engel! … Glauben Sie mir, es sind keine erheuchelten – es sind meine wahren Gefühle, denen ich Ausdruck gab – […] Ich müßte mich selbst verabscheuen, wenn ich scherzen wollte mit Gefühlen; verachten müßte ich mich bis in’s Innerste meines Lebensbaues […] Sie erinnern mich, ich soll das Ganze nicht etwa als jugendliche Schwärmerei betrachten! – – – O wüßt’ ich einen Namen zu ersinnen, der deinem ›Zauberwesen‹ würdig schien; O könnt’ ich tausend Himmel dir gewinnen – Ich gäb’ d’rum Glück und Leben freudig hin! Verstünd’ ich’s, Paradiese dir zu schaffen, So herrlich, wie sie noch kein Geist gedacht – Sollt’ d’rob für immer meine Kraft erschlaffen, daß sie gar nimmermehr zur That erwacht –; Könnt’ ich dir ewig Glück und Wonne reichen? – Ach was noch All’s – ich selber weiß es kaum: Du Engel, Himmlisch-Schöne sondergleichen – das wär’ mir der beseligenste Traum! Maria, werden Sie das jugendliche Schwärmerei nennen? … Kann ich aufrichtiger, offener sein?! – – –70

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Um den Zweifel von Maria Anna Seitz beziehungsweise ihre Verunsicherung in Hinblick auf die Beziehungs- und Eheabsichten ihres zukünftigen Mannes zu erklären, muss etwas ausgeholt und ihr biografischer Kontext betrachtet werden. Die 22-jährige Frau stammte zwar aus einem gutsituierten wirtschaftsbürgerlichen Milieu, wurde jedoch infolge des Todes ihrer Eltern – beide starben in den 1860er Jahren innerhalb kürzester Zeit an Tuberkulose – früh zur Waise, wodurch sie zudem eine erhebliche Verschlechterung ihrer sozialen Situation erfuhr.71 Nachdem sie einige Jahre unter der Vormundschaft ihrer Tante und ihres Onkels gelebt hatte, war sie als Kindermädchen und Haushaltshilfe bei einer bürgerlichen Wiener Familie tätig.72 In dieser Zeit lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die Biografie der jungen Frau war damit sowohl durch Verlusterfahrungen als auch durch einen sozialen Einschnitt in ihrem Lebenslauf gekennzeichnet. Dabei wirkte gerade ihre unklare gesellschaftliche und finanzielle Situation in hohem Grade verunsichernd und führte zur Notwendigkeit, den geliebten Anderen ob der Ernsthaftigkeit seiner Gefühle und Zukunftsabsichten zu prüfen. Während Johann Georg Frimberger also in stark emotional gefärbter und poetischer Sprache um seine zukünftige Ehefrau warb, erwartete sich diese von dem jungen Mann in erster Linie klare Worte und Absichten, was die gemeinsame Zukunft und damit auch die Eheschließung anbelangte. Denn einen anderen Weg als die Vermählung einzuschlagen kam in Hinblick auf die zeitgenössische gesellschaftliche und im Fall von Maria Anna Seitz vor allem kirchliche Ehemoral nicht in Frage. Die junge Frau war daher von Anfang an bemüht, die Beziehung der beiden moralisch und rechtlich-religiös zu legitimieren.73 Als essentiell dafür galt die Zustimmung und Einwilligung zur Eheschließung durch Eltern und Familie, worüber sie Ende Januar 1874 schrieb: Lieber Freund! Meinen innigsten Dank für das Gedicht, es sind die Gefühle darin enthalten, die auch ich empfand. O, ich verstehe  – Wen Sie zu Ihren werthen Eltern kommen gestehen Sie Alles offen, ich bitte recht sehr, und nur dan wen der Elternsegen darauf ruht, können wir glücklich sein und sagen Zwei Seelen eine Stube Zwei Herzen ein Dach.74

Johann Georg Frimberger war Anfang Februar 1874 zu einem mehrwöchigen Aufenthalt bei seinen Eltern aufgebrochen, um diese von seiner Verbindung mit Maria Anna Seitz zu unterrichten. In einem ausführlichen Schreiben an seine zukünftige Braut schilderte er ihr, dass seine Eltern nun »Alles wissen« und der zukünftigen Eheschließung des Paares freudig zugestimmt hätten.75 In der Zwischenzeit hatte auch Maria Anna Seitz ihrem Onkel und ihrer Tante, als ihren Vormündern, von ihrer Liebe zu Johann Georg Frimberger und den gemeinsamen Eheabsichten erzählt und ebenfalls deren Einverständnis eingeholt.76 Trotz der nun beiderseitig vorhandenen familiären, somit auch moralischen und rechtlichen Legitimierung der Beziehung verschwanden ihre

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Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit der Liebe und Eheabsichten des »Freundes« nicht. Vielmehr hieß es nur wenige Tage nach dem Einholen des Segens der Eltern in einem seiner Schreiben darüber: So kategorisch, so ohne jede – Ursache kannst Du fragen: »Wird Georg (ich!) in 2 oder 3 Jahren noch so liebevoll an mich denken?« – Also gilt all mein seelisch Fühlen, all mein Bekennen, Flehen und – Weinen noch immer – für – – »jugendliche Schwärmerei«?! Maria  – Freundin  – warum und woher diese Zweifel ob der Wahrheit meiner Worte – ob meiner Liebe, meiner unnennbaren Hingebung und Verehrung für Dich?77

3.3 Über das Schwärmen und die Entfremdung Die in den obigen Zeilen beschworene »Wahrheit« seiner Worte bezog sich hier nicht nur auf Johann Georg Frimbergers Gefühle, sondern auch auf sein Eheversprechen, das in seinen Briefen immer wieder implizit präsent war. Für Maria Anna Seitz steuerte der junge Mann jedoch zu inkonsequent auf eine Vermählung hin,78 wobei sie dafür vor allem seine schriftstellerischen Ambitionen verantwortlich machte, die in der Korrespondenz der beiden wiederholt und deutlich als Konfliktpotenzial hervortraten. Denn Johann Georg Frimberger versuchte sich zu der Zeit literarisch zu etablieren und arbeitete an einer ersten Kompilation seiner Gedichte. Zudem suchte er Kontakte zu Künstlerkreisen und engagierte sich in mehreren Vereinen. Dass die Position von Maria Anna Seitz zu diesem Engagement ambivalent war, darauf verweisen die folgenden Zeilen vom 5. Mai 1874: »Sie [die ›Vereinsleute‹, I. R.-G.] verleiten Dich theuerer Georg noch zum Schwärmen das ist für mich nicht erfreulich da ich sehe es dient Dir nicht zum Nutzen. […] Wen Du oft meine Gedanken wüßtest ich träume oft von häußlichen Glücke, einfachen zufriedenen Leben ein Herz und ein Sinn!«79 In zeitgenössischen Lexika, wie beispielsweise in der von 1885 bis 1892 erschienenen vierten Auflage von »Meyers Konversations-Lexikon«, wurde der Begriff der »Schwärmerei« folgendermaßen definiert: »[…] krankhafte Richtung des Gemüts, wobei der Mensch von seinem Gefühl und seiner Phantasie so sehr beherrscht wird, daß eine verständige Überlegung und vernünftige Besinnung […] nicht Platz greifen kann«.80 Eine ähnliche Deutung findet sich bei dem Kultursoziologen Andreas Reckwitz, der betont, dass »die Subjektfigur des ›Schwärmers‹« für »eine Subjektivität, welche die Grenze des Bürgerlichen bereits zugunsten einer überschießenden Affektivität überschreitet […]«,81 stand. Für Maria Anna Seitz hingegen war das »Schwärmen«, wie sie es in den oben zitierten Zeilen thematisierte, vordergründig an die Vereinstätigkeit ihres Freundes gebunden, von der sie ein nächtelanges Ausbleiben in Dichter- und Gefühle erwünscht

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Schriftstellerkreisen und damit seine Entfremdung von dem angestrebten Ziel eines »häuslichen Glücks« und »einfachen Lebens« befürchtete: Du nimmst das Wort schwärmen anders auf als ich meine, ich verstehe darunter wen man erst gegen früh zuhauße kommt wen auch nüchtern. Das letzte Schwärmen […] ist schon längst vergeßen! Du frägst wie ich nur der Vermuthung Raum geben kann das du vielleicht vormals öfter geschwärmt? erzähltest ja selbst das du früher nie so zeitlich zuhauß gegangen bist; ich meinte auch nichts anderes damit.82

In der vorliegenden Korrespondenz wurde der Topos der (jugendlichen) Schwärmerei damit auf zwei unterschiedlichen Begriffsebenen verhandelt: In Maria Anna Seitz’ Briefen schien sie in Verbindung mit dem literarischen Vereinsengagement ihres zukünftigen Ehemannes und seinem dahingehenden gegenwärtigen und zukünftigen Verhalten auf, und wurde vordergründig negativ bewertet oder sogar als Gefahr für die eigenen Beziehungs- und Zukunftsvorstellungen interpretiert. In Johann Georg Frimbergers Schreiben hingegen wurde die Schwärmerei zu einer Negativfolie, von der es sich gegenüber seiner zukünftigen Braut abzugrenzen galt, um ein »wahres« Fühlen beglaubigen zu können. Dazu bediente sich Johann Georg Frimberger eines poetischen und hochemotionalen brieflichen Werbens, von dem sich die Zeilen seiner zukünftigen Ehefrau – ähnlich wie schon bei Anton Schröfl und Emilie Meister der Fall – in Ton und Duktus unterschieden. Diese waren zumeist nüchterner gehalten, was jedoch nicht heißen soll, dass in ihren Briefen keine emotionalen Formulierungen vorkamen. Auch hier finden sich wiederholt Metaphern, die die gegenseitige Liebe und deren Aufrichtigkeit zum Gegenstand haben. Diese Schreibweise schien jedoch an Bedeutung zu verlieren, wenn beziehungsweise weil Alltägliches im Briefwechsel zum Thema wurde.83 Da Johann Georg Frimberger zu Beginn des Jahres 1875 in die Werkstättenleitung der Kaiser-FerdinandNordbahn nach Mährisch-Ostrau/Ostrava versetzt worden war,84 traten in den Schreiben des Paares nun insbesondere die Organisation eines gemeinsamen Haushaltes und die Vorbereitungen für die Vermählung in den Vordergrund. Als treibende Kraft zeigte sich in diesem Zusammenhang vor allem Maria Anna Seitz, die ihre Wünsche und Vorstellungen in Hinblick auf das zukünftige Zusammenleben sehr zielstrebig und klar artikulierte. So beispielsweise, wenn es in Hinblick auf den Vorschlag Frimbergers, doch eine größere Wohnung in Mährisch-Ostrau/Ostrava zu beziehen, in ihrem Antwortschreiben hieß: […] Du weißt das Du Dir ein schlichtes Mädchen heiratst die über kein Vermögen zu verfügen hat; bei wahrer Überlegung mußt Du einsehen das ich recht habe. Das Geld für die größere Wohnung können wir sparen […] wie gut ists wenn man sich etwas erspart hat und es geht nicht für Alles aufgeht, ja lieber Georg Du wirsts auch einsehen lernen. […] Wenn Du mich liebst so folge mir, wenn Du das thust so bist Du sicher gut daran […].85

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Der soziale Hintergrund von Maria Anna Seitz bot hier durchaus Argumentations- und Handlungsräume in Hinblick auf ein Liebes- und Beziehungsverständnis, in das unter Rückgriff auf die bürgerliche Tugend der Sparsamkeit zudem ökonomische Kriterien integriert wurden.86 Dass letztere in Sachen Eheschließung auch für Johann Georg Frimbergers Vater eine Rolle spielten, darauf verweist der Umstand, dass dieser sich – trotz zuvor gegebener Zustimmung  – im Frühjahr 1875 nun doch gegen die Wahl seines Sohnes aussprach. Als er nämlich erfuhr, dass seine zukünftige Schwiegertochter keine Mitgift in die Ehe bringen würde, schien die junge Frau keine geeignete Kandidatin mehr für eine standesgemäße Ehe seines Sohnes gewesen zu sein.87 Maria Anna Seitz’ briefliche Reaktion aus dem Mai 1875 liest sich folgendermaßen: Mein erster Wunsch war die Bewilligung Deiner Eltern Du hast mir dieselbe von Deiner Heimath geschrieben hast Du mich nur getäuscht oder haben Deine Eltern Ihr Wort gebrochen daß hätte ich nie geahnt. Also Sie sind es noch die unserer Vereinigung entgegentreten sie sind so hart gegen Ihr Kind das stets die besten Absichten gegen Sie hatte […] Jetzt erst errathe ich erster warum sich Deine Eltern nicht bestrebten mich kennen zu lernen, ach warum mußte ich Dich kennen lernen […] Wie schwer ist das für mich meiner Tante und Onkel gegen über darf ist so etwas gar nicht sagen Sie würden mich einer unüberlegten Handlung schelten und mir vielleicht gar nicht glauben wie vorsichtig ich war u. wie ich Dich um der Eltern Willen bat.88

Maria Anna Seitz’ ökonomischer Hintergrund wurde in diesen Zeilen als das verunsichernde Moment in der Eheanbahnung des Paares kommuniziert. Dieses beziehungsweise eine damit einhergehende »Vorsicht« hatte zumindest implizit, teils aber auch explizit den gesamten vorangegangenen Briefwechsel zwischen dem Liebespaar mitbestimmt. Dennoch mündete, wie auch bei Anton Schröfl und Emilie Meister, Johann Georg Frimbergers Korrespondenz mit Maria Anna Seitz in eine Eheschließung. Denn trotz seines Einspruchs willigte Johann Frimberger senior nach einem abermaligen persönlichen Treffen mit seinem Sohn schlussendlich in die Heirat ein. Einen Monat später, am 1. Juni 1875, fand in Wien die Hochzeit statt.89 Dass beide hier untersuchten Verlobungskorrespondenzen in eine Ehe führten beziehungsweise mit ihr endeten, mag nicht weiter überraschen, war doch das genau jener Zweck, der ihnen  – folgt man den Anleitungsbüchern der Zeit – zukam. Gerade in Liebesbelangen erfreuten sich Briefsteller besonderer Beliebtheit und entfalteten eine nicht zu unterschätzende Breitenwirkung, worauf alleine schon die Vielfalt an Titeln und die Anzahl ihrer Auflagen verweisen. Welche Vorgaben und Normen des Liebeswerbens finden sich in dieser Anleitungsliteratur, was das ›richtige‹ Verfassen von Liebesbriefen und Verlobungskorrespondenzen betrifft? Und lassen sich in den hier untersuchten Gefühle erwünscht

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Briefwechseln zwischen Anton Schröfl und Emilie Meister einerseits und Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz andererseits in Hinblick auf die dort formulierten Normen Tendenzen der Übernahme beziehungsweise Differenzierung beobachten?

4. Normierte Gefühle: (Liebes-)Briefsteller aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gegen Ende des 18.  Jahrhunderts erschienen erstmals spezielle Liebesbriefsteller.90 Die sechs hier ausgewählten Beispiele91 wurden zwischen 1859 und 1900 – vereinzelt bereits in der sechsten oder siebten Auflage – publiziert. Sie trugen so schillernde Titel wie »Großer Wiener Liebesbriefsteller. Ein bewährter Rathgeber für alle Liebenden, welche sich der Zuneigung des geliebten Gegenstandes versichern wollen«, oder »Amor als Geheimschreiber in allen vorkommenden Liebes-Angelegenheiten. Ein vollständiger Original-LiebesBriefsteller und Rathgeber für Liebende beiden Geschlechts, die Liebe gewinnen und erwidern wollen«. Wie diese Titelgebung bereits vermuten lässt, schrieben sich alle hier untersuchten Anleitungsbücher die Aufgabe zu, »Wegweiser und Rathgeber«92 beziehungsweise »Behelf«93 zu sein. Ihr »Zweck« bestand daher nach Eigendefinition in erster Linie darin, es den Schreiberinnen und Schreibern zu ermöglichen, »die im Herzen aufkeimenden Gefühle und Empfindungen in jener Weise zum Ausdrucke zu bringen, die geeignet ist, eine Annäherung an den geliebten Gegenstand zu ermöglichen«.94 In diesem Zusammenhang sprachen sie alle »von der Notwendigkeit eines ›natürlichen‹, ›aufrichtigen‹, ›einfachen‹ Stils«,95 denn »das wahre Gefühl kleidet sich stets in einfache Worte«.96 Dem Liebesbrief kam dabei die Aufgabe zu, das mündliche Gespräch zu ersetzen: »Man schreibe so, wie man mit dem, an welchen man schreibt, sprechen […] würde«.97 Wie bereits Susanne Ettl für deutsche (Liebes-)Briefsteller beobachtet hat, war der Aufbau der vorgeschlagenen schriftlichen Kommunikation auch in den hier untersuchten Anleitungsbüchern an jenen Etappen ausgerichtet, die nach den damaligen gesellschaftlichen Konventionen zum richtigen Ablauf einer Liebesbeziehung gehörten.98 Am Anfang stand die Bitte des Schreibers um (nähere) Bekanntschaft oder eine Zusammenkunft, der in einem nächsten Schritt das Liebesgeständnis oder die Liebeserklärung folgte. War so die Liebe erklärt, kam es schließlich zum Heiratsantrag, den der Mann an die geliebte Person selbst und an die Eltern beziehungsweise den Vormund stellte.99 Bei all diesen Schritten sollte »das Herz […] immer das Wort führen«,100 denn – und darin waren sich alle hier untersuchten (Liebes-)Briefsteller einig  – »das Herz ist bei dieser Gattung Briefe der beste Lehrer […]«.101 Die eine Beziehung anbahnenden Musterschreiben, etwa die Bitte um ein

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(näheres) Kennenlernen, waren noch eher zurückhaltend formuliert. Erst jene Vorlagen, die von der Liebeserklärung oder dem Liebesgeständnis handelten, legten in erster Linie die Benennung und Präsentation der eigenen Gefühle dar.102 Dabei sollten die Schreiber nach Empfehlung des »Neuesten Wiener Briefstellers« aus dem Jahr 1859 vor allem das »zärtliche Gefühl, welches durch den Verstand geleitet wird«,103 ausdrücken, »Übertreibungen«104 oder »Überschwengliche[s]«105 dabei aber tunlichst vermeiden. Die Ratgeber beriefen sich auf die Freundschaft als Kriterium für die Liebes- und Ehewahl;106 die »strenge Tugend« und der »gute Ruf« der Adressatinnen107 wurden, ganz im Sinne des bürgerlichen Wertekanons, als zentrale ›Charaktermerkmale‹ der künftigen Partnerin propagiert. Diese Zuschreibungen an das weibliche Geschlecht verschwanden im weiteren Untersuchungszeitraum ebensowenig aus der Anleitungsliteratur wie das Freundschaftsideal oder eine Thematisierung der eigenen sozioökonomischen Position. An ihre Seite traten jedoch zunehmend auch Aspekte, die sich an einzelnen Charakteristika des Leitbilds der romantischen Liebe orientierten.108 So hieß es im »Großen Wiener Liebesbriefsteller« aus dem Jahr 1890 über das ›Wesen‹ der Liebe: Die wahre Liebe will vor allen Dingen sich von der Innigkeit der gegenseitigen Gefühle überzeugen. […] Ein Jeder liebt in dem Andern Alles, was auch schon in der Idee gut, edel, schön und der Huldigung der Menschheit würdig erscheint. […] Es giebt vielmehr weder Zweck noch Mittel für sie außerhalb der Liebe, die zugleich Mittel und Zweck an sich ist. In dieser Verleugnung seines Ichs, die da macht, daß man sich selbst vergißt, daß man nichts auf sich, Alles auf den geliebten Gegenstand bezieht, liegt freilich die höchste Glückseligkeit. […] Der Mensch überläßt sich dann der Gewalt der Wahlverwandtschaften, welche diese Gegenstände seiner Liebe mit ihm haben. Er liebt sie, weil sie sind, was sie sind, weil er selbst ist, was er ist, weil ihr Glück ihm anvertraut, von ihm abhängt.109

Das bürgerliche Liebes- und Ehemodell mit seiner spezifischen Ausformung der romantischen Liebe gewann im Laufe des 19. Jahrhunderts an schichtübergreifendem Einfluss, was sich auch in den untersuchten Anleitungsbüchern niederschlug. Darüber hinaus wurden die Musterschreiben während des Untersuchungszeitraumes »immer glühender, beschwörender […]«110  – so die Einschätzung von Diethelm Brüggemann anhand ausgewählter deutscher Liebesbriefsteller aus dem 19. Jahrhundert. Schmückende Adjektive und der oftmalige Gebrauch von Superlativen fanden sich in solchen die Liebe erklärenden Vorlagen nun ebenso wie der sprachliche Topos der Unsagbarkeit angesichts des eigenen Gefühls der Verliebtheit.111 Diese häufig auftretende rhetorische Figur ist uns bereits in den Briefen Anton Schröfls aus dem Jahr 1869 begegnet.112 Gefühle erwünscht

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Wurde die eigene Sprache als nicht ausreichend für den Ausdruck der Gefühle erachtet, dann legten die Anleitungsbücher den Rückgriff auf literarische Vorgaben nahe: »Fräulein, ich liebe Sie unaussprechlich, mit jener aufopfernden reinen Liebe, wie sie der unvergleichliche Schiller in ›Kabale und Liebe‹ schilderte.«113 Andere fiktive Briefe benutzten Naturmetaphern, um die Einzigartigkeit der Liebe zu schildern oder verwendeten theatralische Bilder, die der (un-)erfüllten Liebe die Macht über Glück und Unglück, Leben und Tod zuschrieben. Dramatisch gesteigerte sprachliche Wendungen angesichts eines Getrenntseins von der Geliebten – so wie wir das in ähnlicher Weise in der Korrespondenz von Anton Schröfl gefunden haben – gehörten ebenfalls zum Repertoire, das in den Vorlagen vorgeschlagen wurde. So hieß es beispielsweise: Theure Anna! Was ich seit meiner Abreise um Dich, geliebtes Mädchen, gelitten habe und täglich leide, vermag Keiner zu begreifen, der nicht eine so zärtliche, liebende Seele besitzt, wie ich. […] Jetzt erst fühle ich, was es heißt, sich von einem Wesen trennen zu müssen, das unsere ganze Glückseligkeit in sich schließt, für das wir leben und weben, in dessen Besitz unser Himmel schon hienieden begründet ist.114

In den Musterbriefen wurden Gefühle und insbesondere die Liebe immer wieder als »Ausdruck [m]eines innersten Gefühles«115 thematisiert; sie »durchbebten [das] Herz«,116 und ließen »Pulse rascher [schlagen]«,117 sie »bewegten«118 und »glühten«.119 In dieser Rhetorik, auf die auch Johann Georg Frimberger in seinen Briefen setzte, äußert sich ein Verständnis von Gefühlen und insbesondere der »Liebe […] als eine von innen wirkende natürliche Kraft des Exzessiven […], die nicht zu begrenzen ist«.120 Eine solche Vorstellung, die in hohem Maße im Leitbild der romantischen Liebe angelegt war,121 wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend zu einem wichtigen – jedoch keineswegs ausschließlichen  – Referenzpunkt in den (Liebes-)Briefstellern. Ihnen zugrunde lag ja immer auch der Versuch, Gefühle an Normen anzupassen und geschlechtsspezifische Gefühlsregeln und Gefühlspraktiken festzuschreiben.122 Dies äußerte sich – wie Ettl für deutsche (Liebes-)Briefsteller herausgearbeitet hat – vor allem im Aufbau der vorgeschlagenen schriftlichen Kommunikation, die in allen hier untersuchten Anleitungsbüchern durch strikte Anweisungen zur Rollenverteilung der Geschlechter geregelt war, die sich wiederum an den geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen einer bürgerlichen »Ordnung der Geschlechter« orientierte.123 Denn es kam durchgehend dem männlichen Briefpartner zu, als Initiator des jeweiligen Schriftverkehrs in Erscheinung zu treten. Ihm ordnete man den agierenden, werbenden Part in der Kommunikation zu, während die Schreiberin stets die Reagierende, Antwortende und Kommentierende zu sein hatte.124 Die fiktiven ›werbenden‹ Männer wurden aber zugleich durchgehend als fühlende Individuen dargestellt, die im beschwörenden Ton die eigenen Gefühle, insbesondere die Liebe und mitunter das Leiden

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an ihr eloquent und ausführlich thematisierten und reflektierten.125 Anders als in jenen Diskursen des 19. Jahrhunderts, die Emotionalität und Liebe in hohem Maße mit ›Weiblichkeit‹ assoziierten und an ›die Frau‹ banden, wurden Gefühle in diesem Kontext also primär den Männern zugeschrieben beziehungsweise im Rahmen der schriftlichen Eheanbahnung sogar eingefordert. Vor dem Hintergrund der strikt nach traditionellen Geschlechterzuschreibungen aufgebauten Briefkommunikation konnte die in den Muster­vorlagen aufscheinende Emotionalität von Männern daher in ›männliche‹ Geschlechterzuschreibungen eingepasst und in der sozialen Praktik des schriftlichen Werbens legitimiert werden.

5. Schlussbemerkungen Wie die beiden EmotionshistorikerInnen Nina Verheyen und Manuel Borutta formulieren, muss »die genuin historische Frage nach dem Wandel der Beziehung von Emotion und Männlichkeit […] durch eine möglichst differenzierte Beschreibung emotionalen Handelns und Ausdrucks in den pluralen, synchronen Praxisfeldern von Männern […]«126 erweitert werden. An dieses Forschungsplädoyer hat der vorliegende Beitrag angeknüpft, indem er sich dem spezifischen Handlungsfeld des männlichen Liebeswerbens mittels Brief zuwandte und versuchte, sowohl die subjektive Ebene, also den Ausdruck und – in einem performativen Sinn – das Herstellen von Gefühlen in Verlobungskorrespondenzen, wie auch die normative Ebene in Form ausgewählter (Liebes-) Briefsteller der Zeit in den Blick zu nehmen.127 Die dort vorgeschlagene Briefkommunikation, das zeigten die hier untersuchten Beispiele, war strikt nach traditionellen Geschlechterzuschreibungen aufgebaut: Dem Schreiber wurde der aktive, der Schreiberin der passive Part in der brieflichen Liebeswerbung zugewiesen. Damit übernahmen und reproduzierten diese Anleitungsbücher jene Geschlechterrollenverteilung, die im bürgerlichen Prozess der Wahl des Partners und der Partnerin sowie der Eheanbahnung vorgesehen war. Für die männlichen Schreiber hieß dies  – folgt man den Musterbriefen in den hier herangezogenen (Liebes-)Briefstellern –, dass sie ausführlich und eloquent ihre Gefühle und insbesondere ihre Liebe für die zukünftigen Ehegattinnen zu beschreiben hatten. Die ›werbende‹ Emotionalität von Männern wurde damit in ein geschlechtsspezifisches Verhalten eingebunden und in diesem Rahmen anerkannt und gleichzeitig eingefordert. Im Rahmen dieser bürgerlichen Praxis waren (gewisse) Gefühle für (bürgerliche) Männer daher nicht nur sag- und zeigbar, ihr Ausdruck wurde regelrecht erwartet. Dabei hat sich anhand der Briefwechsel von Anton Schröfl und Emilie Meister beziehungsweise Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz Gefühle erwünscht

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gezeigt, dass es tatsächlich in erster Linie die Männer waren, die in ihren Schreiben ausführlich ihre Gefühle und ihre Liebe für die Verlobte/Freundin beschworen. In beiden Verlobungskorrespondenzen konnte in diesem Zusammenhang eine bestimmte Ausdrucksweise identifiziert werden, welche die ›Unverfälschtheit‹ und ›Aufrichtigkeit‹ der emotionalen Äußerungen betonte. Eine Semantik des ›Innen‹ und eine Metaphorik des Herzens dienten dabei ebenso als rhetorisches Repertoire wie das (körperliche) Leiden an der Liebe und die Abgrenzung zu einer als übertrieben und lebensfern charakterisierten »(jugendlichen) Schwärmerei«. Beide Schreiber griffen dabei in der Rhetorik ihrer Briefe zumindest teilweise auf zeitgenössische Liebes- und Beziehungskonzepte und in Hinblick auf den Typus der Verlobungskorrespondenz auch auf normierte Schreibweisen und Gefühlspraktiken zurück. Das mag einerseits nicht überraschen, entfalteten die hier untersuchten Anleitungsbücher doch eine beachtliche Wirkung, worauf alleine schon die Auflagenzahlen und das Spektrum an Publikationsformen verweisen. Andererseits wissen wir aber »über die tatsächliche Rezeption und Wirkmacht all dieser Briefsteller«, so Christa Hämmerle und Edith Saurer in ihrer Einleitung zum Sammelband »Briefkulturen und ihr Geschlecht«, »noch wenig«.128 Sind sie ›nur‹ »als deontische Bewertungen von Briefstilen [zu] verstehen«, wie Eva Lia Wyss erst jüngst festgestellt und damit auch verneint hat, dass »die gesellschaftlich repräsentierten Normen in Briefstellerliteratur […] auf die Gebrauchsnorm [verweisen]«?129 Ich würde diese Verneinung  – zumindest in Hinblick auf die beiden hier analysierten Verlobungskorrespondenzen – zu einem ›Ja, aber‹ umformulieren. Denn die Normierungsversuche der untersuchten (Liebes-)Briefsteller verlangten von den Briefschreibern ein gewisses Maß an Gefühlsmanagement,130 das gerade vor dem Hintergrund ihrer jeweils individuell gestalteten und gelebten Beziehung implizit wirksam wurde. In der Korrespondenz zwischen Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz war etwa zu beobachten, dass in seinen Briefen der romantisierende Ausdruck seiner Liebe gleichzeitig als Mittel der Inszenierung des eigenen Beziehungs- und Liebesverständnisses fungierte, dessen Ernsthaftigkeit seine zukünftige Braut wiederholt anzweifelte. Anton Schröfl hingegen, der in den Briefen an Emilie Meister sehr eloquent und ausführlich seinen (körperlichen) Liebesschmerz angesichts des räumlichen Getrenntseins von der Verlobten thematisierte, setzte diesen als Möglichkeit des Aus- und Verhandelns in Hinblick auf die Briefkommunikation an sich ein. Die entsprechenden Briefe wurden dabei implizit zu einem Medium, in welchem Anton Schröfl seine zukünftige Braut nicht nur belehren, sondern im Sinne eines geschlechtsspezifischen Verhaltens und Fühlens ›erziehen‹ konnte. Das machte ihre Verlobungskorrespondenz zu einem ›Ort‹, an dem eine zukünftige Lebensgestaltung im Sinne einer geschlechterhierarchisch aufgebauten Beziehungsstruktur eingeübt wurde. Gerade Anton Schröfls Briefe

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zeigen damit, dass – betrachtet man den konkreten sozialen Handlungskontext der brieflichen Liebeswerbung  – immer auch verschiedene Gefühlspraktiken gleichzeitig wirksam sein konnten. Weitere Studien in diese Richtung – aus linguistischer wie historischer Perspektive – wären daher wünschenswert.

Anmerkungen 1 Auf den Begriff ›Brautbrief‹ wird in den folgenden Ausführungen verzichtet, da die Autorinnen der vorliegenden Publikation den diesem Terminus innewohnenden Genderbias als problematisch erachten. Denn der Begriff ›Brautbrief‹ verweist ausschließlich auf den vorehelichen Statusübergang der Frau(en), wofür unter anderem bereits ältere Begriffsdefinitionen verantwortlich sein dürften, wie beispielsweise das niederdeutsche brutbref oder brudbreev, das in diesem Zusammenhang auf eine vordergründig rechtliche Dimension verwies, insofern es die »Verschreibung über das Eingebrachte der Frau« bedeutete. Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch, 2, Weimar 1932–1935, 465–466, unter: http://drw-www.adw. uni-heidelberg.de/drw-cgi/zeige?index=lemmata&term=Brautbrief&darstellung=%DC , Zugriff: 7.10.2016. Vgl. auch Eva Lia Wyss, From the bridal letter to online flirting. Changes in text type from the 19th century to the Internet era, in: Journal of Historical Pragmatics, 9, 2 (2008), 225–254, 248, sowie ausführlicher dies., Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Schriftliche Liebeskommunikation vom 19. Jahrhundert bis in die InternetÄra, in: Martin Luginbühl u. Daniel Perrin (Hg.), Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text, Bern/Berlin/Bruxelles u. a., 2011, 81–123, 88. 2 Vgl. Wyss, Bridal letter, 228. 3 Vgl. Arnold van Gennep, Les rites de passage, Paris 1909, zit. nach: Ernst Leisi, Paar und Sprache. Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung, Heidelberg 1978, 25. Vgl. auch Wyss, Bridal letter, 229. 4 Vgl. Beatrix Niemeyer, Der Brief als weibliches Bildungsmedium im 18. Jahrhundert, in: Elke Kleinau u. Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt a. M./New York 1996, 440–452, 448. 5 Vgl. Christa Hämmerle u. Edith Saurer, Frauenbriefe – Männerbriefe? Überlegungen zu einer Briefgeschichte jenseits von Geschlechterdichotomien, in: dies. (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 7–32, 10. 6 Sigmund Freud an Martha Bernays, 30.6.1883, in: Sigmund Freud u. Martha Bernays, Die Brautbriefe, 1: Sei mein wie ich mir’s denke. Juni 1882–Juli 1883, hg. von Gerhard Fichtner, Ilse Gubrich-Simitis u. Albrecht Hirschmüller, Frankfurt a. M. 2011, 478. 7 Der Briefwechsel zwischen Anton Schröfl und Emilie Schröfl, geb. Meister, umfasst insgesamt 67 Schreiben aus dem Zeitraum 1869–1879 und ist im Stadtarchiv Zwettl (StAZ) archiviert. Die Korrespondenz zwischen Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz liegt im Umfang von 110 Schreiben aus den Jahren 1874 und 1875 vor und befindet sich in der Sammlung Frauennachlässe (SFN) am Institut für Geschichte der Universität Wien. Die Briefwechsel sind jeweils nur ein Teil  eines umfangreicheren Familienbestandes. In beiden Fällen sind die Namen der Schreiberinnen und Schreiber nicht pseudonymisiert. Zitiert wird exakt in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 8 Anne-Charlotte Trepp, Gefühl oder kulturelle Konstruktion. Überlegung zur Geschichte der Emotionen, in: Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung, 7 (2002), 86–103, 95. Vgl. auch dies., Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls: Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters, in: Manfred Hettling u. Stefan-Ludwig Hoffmann

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(Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19.  Jahrhunderts, Göttingen 2000, 23–55, insbes. 30–31; Ute Frevert, Emotions in History  – Lost and Found, Budapest/New York 2011, 112, mit dem Hinweis, dass vor allem während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Männer die ›verliebteren‹ waren: »They fell madly in love and talked eloquently about the ›ecstasy of romantic love‹.« Vgl. auch Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 1994, insbes. 185. Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Emotionalität von Männern in Tagebüchern und Briefen sei für den deutschsprachigen Raum auf Anne-Charlott Trepps Monografie Sanfte Männlichkeit und selbstständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996, verwiesen, sowie auf Rebekka Habermas, Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850), Göttingen 20022. Für den anglo-amerikanischen Raum vgl. Peter Gay, The Bourgeois Experience: Victoria to Freud, 2: The Tender Passion, New York/Oxford 1986; Karen Lystra, Searching the Heart. Women, Men and Romantic Love in Nineteenth-Century America, Oxford/New York/ Toronto 1989; Ellen K. Rothman, Hands and Hearts. A History of Courtship in America, New York 1987. 9 Vgl. Frevert, Emotions, 111–112. Vgl. auch Ute Frevert, Gefühlvolle Männlichkeiten. Eine historische Skizze, in: Manuel Borutta u. Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010, 305–330, 314–317. 10 Manuel Borutta u. Nina Verheyen, Vulkanier und Choleriker? Männlichkeit und Emotion in der deutschen Geschichte 1800–2000, in: dies. (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010, 11–39, 12. 11 Vgl. Martina Kessel, The ›Whole Man‹: The Longing for a Masculine World in Nineteenth-Century Germany, in: Gender and History, 15, 1 (2003), 1–31; dies., Balance der Gefühle. Langeweile im 19. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie, 4, 2 (1996), 234–255. 12 Vgl. Borutta/Verheyen, Vulkanier, 11–39, insbes. 12. 13 Vgl. Borutta/Verheyen, Vulkanier, 22. 14 Anton Schröfl an Emilie Meister, ohne Datum (Mai 1869), Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Kt. 485. 15 Entnommen den biografischen Notizen zu Anton Schröfl und Emilie Meister, die vom Archivar des Stadtarchivs Zwettl, Herrn Dr. Friedel Moll, angefertigt wurden. Dr. Moll danke ich an dieser Stelle besonders für seine Recherchen und die Bereitstellung von biografischen Hintergrund- und Kontextmaterialien. 16 Die Verlobungskorrespondenz zwischen Anton Schröfl und Emilie Meister ist nur ein Teil des überlieferten Briefbestandes. Dieser umfasst insgesamt 67 Schreiben, die bis in das Jahr 1879 reichen. 17 Vgl. dazu Wyss, Brautbriefe, 90. 18 Das zeigen auch andere Beiträge dieses Bandes. 19 Vgl. Michael Maurer, Briefe, in: ders. (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, 4: Quellen, Stuttgart 2002, 349–371, 349. 20 Anton Schröfl an Emilie Meister, 19.5.1869, StAZ, Kt. 485. 21 Vgl. Nina Verheyen, Verbriefte Gefühle. Eine Quellencollage 1910/11, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 66, 12 (2012), 1118–1129, 1118. 22 Anton Schröfl an Emilie Meister, 19.5.1869, StAZ, Kt. 485. 23 Emilie Meister an Anton Schröfl, 21.5.1869, StAZ, Kt. 485. Hervorhebung wie im Original. 24 Taufbuch der Pfarre Zwettl-Stadt, 1830–1850, 141, Diözesanarchiv St. Pölten, Sign. 01/12, unter: http://www.data.matricula.info/php/view.php?ar_id=3670&link=333439384dx60, Zugriff: 7.10.2016. 25 So hieß es zum Beispiel in einem Brief: »Sontag waren wir im Theater an der Burg […]. Montag waren wir im Theater an der Wien, sie gaben No. 28 ein ausgezeichnetes Stük.« Emilie Meister an Anton Schröfl, 3.6.1869, StAZ, Kt. 485.

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26 Anton Schröfl an Emilie Meister, 10.4.1869, StAZ, Kt. 485. 27 Emilie Meister an Anton Schröfl, 20.5.1869, StAZ, Kt. 485. 28 Bettina Hitzer, Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen, in: H-Soz-u-Kult, 23.11.2011, unter: http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1221, Zugriff: 7.10.2016. 29 Hitzer, Emotionsgeschichte, 8. 30 Hitzer, Emotionsgeschichte, 9. Sie bezieht sich hier auf ein Konzept von William Reddy, The Navigation of Feeling: A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001. 31 Hitzer, Emotionsgeschichte, 9. 32 Hitzer, Emotionsgeschichte, 9. 33 Vgl. dazu ausführlicher das Konzept von Reddy, Navigation. 34 Anton Schröfl an Emilie Meister, 22.5.1869, StAZ, Kt. 485. 35 Anton Schröfl an Emilie Meister, 22.5.1869, StAZ, Kt. 485. 36 Anton Schöfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 37 Anton Schöfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 38 Anton Schöfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 39 Vgl. Nina Verheyen, Alter(n) mit Gefühl, in: Ute Frevert, Monique Scheer, Anne Schmidt u. a., Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt a. M./New York 2011, 153–178, 162. 40 So zum Beispiel in Form der maßgeblich vom griechischen Arzt Galen gestalteten antiken Diätik, die ein Gleichgewicht der vier Körpersäfte und der vier sogenannten Temperamente als entscheidend für das physische und psychische Wohlbefinden ansah. Vgl. dazu Bettina Hitzer, Gefühle heilen, in: Frevert/Scheer/Schmidt u. a., Gefühlswissen, 121–151, 124–125. 41 Im Unterschied zur Antike waren es im 19. Jahrhundert zeitgenössische Auslegungen einer bürgerlichen Lebensführung, von Pädagogik und bürgerlichen Tugenden, die in den Vordergrund traten. Vgl. dazu Verheyen, Alter(n), 159–161. 42 Hitzer, Gefühle, 135. 43 Hitzer, Gefühle, 135. 44 Hitzer, Gefühle, 135. 45 Vgl. dazu exemplarisch Ortrun Riha, Psychosomatische Dichtung oder: Von der Metapher zur Krankheit, in: Angelika Corbineau-Hofmann u. Pascal Nicklas (Hg.), Körper/Sprache. Ausdrucksformen der Leiblichkeit in Kunst und Wissenschaft, Hildesheim/Zürich/New York 2002, 95–113; Peter Toohey, Love, Lovesickness and Melancholia, in: Illinois Classical Studies, 17, 2 (1999), 265–286; Michal Altbauer-Rudnik, Love, Madness and Social Order: Love Melancholy in France and England in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: Generus, 63, 1/2 (2006), 33–45. 46 Anton Schröfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 47 Anton Schröfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 48 Anton Schröfl an Emilie Meister, 24.5.1869, StAZ, Kt. 485. 49 Anton Schröfl an Emilie Meister, 27.5.1869, StAZ, Kt. 485. 50 Anton Schröfl an Emilie Meister, 27.5.1869, StAZ, Kt. 485. 51 Emilie Meister an Anton Schröfl, 26.5.1869, StAZ, Kt. 485. Hervorhebung wie im Original. 52 Emilie Meister an Anton Schröfl, 26.5.1869, StAZ, Kt. 485. 53 Emilie Meister an Anton Schröfl, 30.5.1869, StAZ, Kt. 485. Hervorhebung wie im Original. 54 Anton Schröfl an Emilie Meister, 1.6.1869, StAZ, Kt. 485. 55 Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, 16. 56 Anton Schröfl an Emilie Meister, 27.5.1869, StAZ, Kt. 485. 57 Entnommen den biografischen Notizen von Dr. Moll im Stadtarchiv Zwettl. Auf Anton Schröfls hohen Bildungsstandard verweist auch die Tatsache, dass er während seines Militärdienstes wiederholt in Schreibstuben eingesetzt war.

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58 Anette C. Anton, Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1995, 21, zit. nach: Hämmerle/Saurer, Frauenbriefe, 7, die auch auf die historisch weiter zurückreichende Tradition dieser Zuschreibung aufmerksam machen. 59 Vgl. Erich Roubicek, J. G. Frimberger. Der Dichter des niederösterreichischen Weinlandes, unveröffentlichte Dissertation der Universität Wien 1949, 8–9. 60 Johann Georg Frimberger an Maria Anna Seitz, 9.1.1874, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte  – Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 76. Hervorhebungen wie im Original. Vgl. zum Briefwechsel zwischen Johann Georg Frimberger und Maria Anna Seitz unter ähnlichen Fragestellungen auch Barbara Asen, Vom »Götterfunken der Liebe« bis zu »des Papstes heil’gem Segen«. Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich. in: L’Homme, Z. F. G., 24, 1 (2013), 53–72, insbes. 57–65, und Nikola Langreiter, »…greif zur Feder wieder, schreib’, ach schreibe nur ein Wort …« Mit Liebesbriefen in den Geschichtsunterricht, in: Peter Eigner, Christa Hämmerle u. Günter Müller (Hg.), Briefe – Tagebücher – Autobiographien. Studien und Quellen für den Unterricht, Wien 2006, 46–62, insbes. 58–59. 61 Vgl. als ein kulturgeschichtliches Überblickswerk aus v. a. europäischer Perspektive Ole Martin Høystad, Kulturgeschichte des Herzens. Von der Antike bis zur Gegenwart, Köln/ Weimar/Wien 2006. 62 Reinhart Meyer-Kalkus, Werthers Krankheit zum Tode. Pathologie und Familie in der Empfindsamkeit, in: Friedrich A. Kittler u. Horst Turk (Hg.), Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik, Frankfurt a. M. 1977, 76–138, 101. 63 Høystad, Kulturgeschichte, 182. 64 Monique Scheer, Topografien des Gefühls, in: Frevert/Scheer/Schmidt u. a., Gefühlswis­ sen, 41–64, 55. 65 Vgl. Asen, »Götterfunken«, insbes. 59–62. 66 Johann Georg Frimberger an Maria Anna Seitz, 29.1.1874, SFN, NL 76 I. 67 Scheer, Topografien, 63. 68 Rebekka Habermas, Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750– 1850), Göttingen 20022, 278. 69 Diese Anredeform wurde bereits im Februar 1874 vom »Du« abgelöst. 70 Johann Georg Frimberger an Maria Anna Seitz, 9.1.1874, SFN, NL 76 I. Hervorhebungen wie im Original. 71 Vgl. Asen, »Götterfunken«, 57. 72 Entnommen den biografischen Notizen der Bestandsgeberin, SFN, NL 76 I. 73 Vgl. dazu ausführlicher Asen, »Götterfunken«, insbes. 59–65. 74 Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, 24.1.1874, SFN, NL 76 I. Hervorhebung wie im Original. 75 Johann Georg Frimberger an Maria Anna Seitz, 1.2.1874, SFN, NL 76 I. 76 So schrieb sie: »Was meine Angehörigen betrieft, nämlich Onkel und Tante, Sie sind von unserer Liebe schon verständigt und haben nichts dagegen […].« Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, 4.2.1874, SFN, NL 76 I. 77 Johann Georg Frimberger an Maria Anna Seitz, 4.2.1874, SFN, NL 76 I. Hervorhebung wie im Original. 78 Vgl. Asen, »Götterfunken«, 62. 79 Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, 5.5.1874, SFN, NL 76 I. 80 Meyers Konversations-Lexikon, 14, Leipzig/Wien 1885–18924, 688. 81 Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Göttingen 2010, 149. Vgl. dazu auch Manfred Engl, Die Rehabilitation des Schwärmers. Theorie und Darstellung des Schwärmers in Spätaufklärung und früher Goethezeit, in: Hans-Jürgen Schings (Hg.), Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1994, 469–498.

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82 Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, 13.3.1874, SFN, NL 76 I. Hervorhebung wie im Original. 83 Vgl. Asen, »Götterfunken«, 61. 84 Vgl. Roubicek, Frimberger, 12. 85 Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, ohne Datum (April 1875), SFN, NL 76 I. Durchstreichung wie im Original. 86 Vgl. dazu u. a. Peter Borscheid, Geld und Liebe. Zu den Auswirkungen des Romantischen auf die Partnerwahl im 19. Jahrhundert, in: ders. u. Hans J. Teuteberg (Hg.), Ehe, Liebe, Tod. Zum Wandel der Familie, der Geschlechts- und Generationsbeziehungen in der Neuzeit, Münster 1983, 112–134. 87 Vgl. Asen, »Götterfunken«, 58–59. Da Johann Georg Frimberger jünger als 24 und damit – nach dem ABGB von 1811 – noch nicht volljährig war, benötigte er für die Eheschließung mit Maria Anna Seitz die Zustimmung seiner Eltern. 88 Maria Anna Seitz an Johann Georg Frimberger, 7.5.1875, SFN, NL 76 I. 89 Vgl. Roubicek, Frimberger, 12. Das war auch Maria Anna Seitz’ Dienstgeberin zu verdanken, welche die Verbindung der beiden gegenüber Frimbergers Vater unterstützte und dem jungen Paar auch finanziell unter die Arme griff. Vgl. dazu den 34 Schreiben umfassenden Briefwechsel »Verlobung und Hochzeit mit Schwierigkeiten«, geführt im Zeitraum Februar 1875 bis Juni 1875 zwischen Johann Georg Frimberger, dessen Vater, Maria Anna Seitz und deren Dienstgeberin, SFN, NL 76 I. 90 Vgl. Diethelm Brüggemann, Vom Herzen direkt in die Feder. Die Deutschen in ihren Briefstellern, München 1968, 75. 91 Mit der Ausnahme von zwei Büchern, die gleichzeitig den sogenannten Universalbriefstellern zuzurechnen sind, handelt es sich bei den übrigen vier dezidiert um Liebesbriefsteller: J. G. Schmidter’s neuester Wiener Briefsteller. Gründliche und ausführliche, durch viele Beispiele erläuterte Anleitung zur Abfassung von Briefen aller Art, von Privaturkunden, von Eingaben in politischen und Rechts-Angelegenheiten, Wien 18597; Musterbriefe für alle Verhältnisse des menschlichen Lebens, als: Freundschafts-, Erinnerungs-, Bitt,- Empfehlungs-, Glückwunsch-, Einladungs-, Liebes- und Beileids-Briefe. Ein Hand- und Hilfsbuch für jedermann, Brünn 18944; Neuester Briefsteller für Liebende beiderlei Geschlechts, Wien/Leipzig 18843; Carl Theodor Fockt, Großer Wiener Liebesbriefsteller. Ein bewährter Rathgeber für alle Liebenden, welche sich der Zuneigung des geliebten Gegenstandes versichern wollen, Wien 1890; J. Frötschner, Amor als Geheimschreiber in allen vorkommenden Liebes-Angelegenheiten. Ein vollständiger Original-Liebes-Briefsteller und Rathgeber für Liebende beiderlei Geschlechtes, die Liebe gewinnen und erwidern wollen. Mit einer Anleitung zu mündlichen und schriftlichen Liebeserklärungen, Heiratsanträgen und schwärmerischen Briefen und einem Anhange, Stammbuchverse enthaltend, Brünn 18946; Wilhelm Hegenauer, Großer, vollständiger Briefsteller für Liebende. Ein treuer Rathgeber bei Abfassung von Liebesbriefen für alle möglichen Angelegenheiten des Herzens. Nebst einem Anhange: Soldatenbriefe und Liebesgedichte, Wien 1900. 92 Neuester Briefsteller, 4. 93 Fockt, Liebesbriefsteller, V. 94 Fockt, Liebesbriefsteller, Vorrede, 1. 95 Hämmerle/Saurer, Frauenbriefe, 20–21. 96 Neuester Briefsteller, 4. 97 Frötschner, Amor, 1.  Dass die Natürlichkeit und die Nähe zur Mündlichkeit als Stilprinzipien einen ›gelungenen‹ Briefes nicht erst eine ›Erfindung‹ des 18.  Jahrhunderts waren, darauf verweist u. a. Regina Nörtemann, Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert und ihre Genese, in: dies., Angelika Ebrecht u. Herta Schwarz (Hg.), Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990, 211–224, insbes. 213–214.

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98 Vgl. Susanne Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation. Briefsteller von 1880 bis 1980, Tübingen 1984, 126. 99 Vgl. Ettl, Anleitungen, 126–127. 100 Schmidter’s Briefsteller, 137. 101 Musterbriefe, 121. 102 Vgl. Ettl, Anleitungen, 126–127. Wie leidenschaftlich die Darstellung und der Ausdruck des je eigenen Gefühls ausfallen sollte, war in den hier untersuchten (Liebes-) Briefstellern eine Angelegenheit des Lebensalters. Während die fiktiven Musterbriefe »jugendlicher Werber« in ihrer Sprache durchaus »leidenschaftlich« sein konnten, wurde älteren Männern oder Witwern eher dazu geraten einen etwas »vernünftigeren« Ton anzuschlagen Vgl. dazu Musterbriefe, 121, und Ettl, Anleitungen, 131–140, die auch den sozialen Hintergrund als Distinktionsmerkmal ausmacht. 103 Schmidter’s Briefsteller, 136. 104 Musterbriefe, 120, sowie Schmidter’s Briefsteller, 137. 105 Neuester Briefsteller, 1. 106 Vgl. Schmidter’s Briefsteller, 137. 107 Vgl. Schmidter’s Briefsteller, 138. 108 Vgl. Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle, Editorial, in: dies. (Hg.), Romantische Liebe. Themenheft von L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 5–14, sowie deren Einleitung zu diesem Band. 109 Fockt, Liebesbriefsteller, 213–215. 110 Brüggemann, Herzen, 89. 111 Vgl. Ettl, Anleitungen, 133–134. 112 Vgl. beispielsweise Anton Schröfl an Emilie Meister, 19.5.1869, StAZ, Kt. 485. Vgl. dazu Franz Meier, Die Verschriftlichung des Gefühls im englischen Briefroman des 18. Jahrhunderts: Richardsons Pamela, in: Renate Stauf, Anette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008, 273–291, 284. 113 Musterbriefe, 129. Vgl. Ettl, Anleitungen, 133. 114 Großer, vollständiger Briefsteller, 125. In einem Musterbrief aus Neuester Liebesbriefsteller für Liebende beiderlei Geschlechts, Reutlingen 18746, Brief Nr.  45, zit. nach: Brüggemann, Herzen, 90, hieß es: »[…] vom Schmerz niedergebeugt, blaß, krank, mir selbst unkennbar, wandle ich still den Weg heimlich Leidender, und finde nirgends Ruhe für mein Herz.« 115 Musterbriefe, 126. 116 Neuester Briefsteller, 8. 117 Hegenauer, Briefsteller, 33. 118 Hegenauer, Briefsteller, 8. 119 Vgl. Hegenauer, Briefsteller, 8, wo von der »Glut der Liebe« die Rede ist. Vgl. dazu auch Ettl, Anleitungen, 134. 120 Reckwitz, Subjekt, 218. 121 Vgl. Reckwitz, Subjekt, 217–223. 122 Vgl. Hämmerle/Saurer, Frauenbriefe, 21. 123 Vgl. Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib, 1750–1850, Frankfurt a. M./New York 1991. Vgl. auch Ettl, Anleitungen, 130–131, sowie 142–143. 124 Vgl. Ettl, Anleitungen, 131. Vgl. auch Wyss, Brautbriefe, 93. 125 Vgl. Ettl, Anleitungen, 141–142. Vgl. auch Wyss, Brautbriefe, 93, die allerdings auf einen anderen Befund für Briefe von Frauen im nordamerikanischen Raum verweist und sich dabei auf die Monografie von Lystra, Heart bezieht. 126 Borutta/Verheyen, Vulkanier, 22.

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127 Vgl. Borutta/Verheyen, Vulkanier, 22–25, wo eine Berücksichtigung der drei analytischen Ebenen »Diskurs, Performanz und Handeln« in Untersuchungen zu Männern und Emotionen gefordert wird. 128 Hämmerle/Saurer, Frauenbriefe, 21. 129 Wyss, Brautbriefe, 94. 130 Vgl. die Ausführungen von Arlie Russell Hochschild, Das gekaufte Herz. Die Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt a. M./New York 2006.

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»[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

Liebe und Beruf(ung) in Paarkorrespondenzen vor dem Hintergrund der Frauenbewegung/en um 1900

1. Prolog Im Dezember 1902 besuchte der österreichische Maler Richard Harlfinger, zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt, die Jahresausstellung der Kunstschule für Frauen in Wien. Mit einer der dort ausstellenden Schülerinnen, Fanny ­Zakucka, verband ihn schon seit mehreren Monaten eine enge Beziehung, aber es war das erste Mal, dass er Fannys Kunstwerke sah. Richard zeigte sich begeistert: »Liebste! Sie hätten mir keine größere Freude und Überraschung bereiten können, als durch die Einladungskarte zu Ihrer Ausstellung.« So habe er »endlich« etwas von ihr zu sehen bekommen, dabei »gleich eine ganze Menge und so gute Sachen«. Er sei »wieder einmal stolz« auf sie gewesen und gratuliere zum Verkauf eines Exponats, für welches sie sogar einen höheren Preis hätte verlangen können: »Sehen Sie, ich hab’ Sie immer für riesig begabt gehalten, ohne daß ich etwas von Ihnen gesehen hätte. Man merkt das doch aus dem Reden und ich glaube, ich hab’ es Ihnen auch zuweilen gesagt. Daß ich aber nun mit eigenen Augen sehen konnte, was Sie leisten, dafür dank’ ich Ihnen viel-, vielmahl.«1 Fanny Zakucka und Richard Harlfinger heirateten wenige Jahre später und beide etablierten sich in der österreichischen Kunstszene, wobei Richard deutlich erfolgreicher war als Fanny, die als Grafikerin, Malerin und Kunsthandwerkerin tätig war. Außerdem verdiente er nicht nur als Maler Geld, sondern avancierte auch zum Professor an der Wiener Frauenakademie sowie zum Präsidenten der Wiener Secession.2 Als ›Doppelkarrierepaar‹ wird man die beiden daher nicht unbedingt bezeichnen wollen. Dieser soziologische Terminus bezeichnet das Modell einer heterosexuellen Beziehung, in der nicht nur der Mann, sondern auch die Frau erfolgreich eine Karriere verfolgt, wobei beide Seiten die Karriereorientierung des jeweils anderen unterstützen und gleichberechtigt zum Familieneinkommen beitragen.3 Solche Paare sind bis heute nicht selbstverständlich, im 20. Jahrhundert waren sie eine Seltenheit. Das zeigen auch die Paarkorrespondenzen unseres Projekts, selbst »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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aus der Phase um und nach ›1968‹.4 Es gibt in unserem Quellenbestand aber Liebende, die in die Richtung eines Doppelkarrierepaares weisen. Dazu gehören auch Richard Harlfinger und Fanny Zakucka, ein bürgerliches Paar der Jahrhundertwende. Das mag überraschen. Denn bekanntlich steht die Vision vom Doppelkarrierepaar in besonderem Kontrast zum bürgerlichen Beziehungs-, Ehe- und Familienmodell des 19. Jahrhunderts, das die normative Polarisierung männlicher Erwerbstätigkeit und Produktion versus weiblicher Nicht-Erwerbstätigkeit in einer um Hausarbeit und Kindererziehung kreisenden, gefühligen Sphäre der familiären Reproduktion maßgeblich hervorgebracht hat  – selbst wenn ›Öffentlichkeit‹ und ›Privatheit‹ auf der Ebene sozialer Praktiken hochgradig durchlässig waren.5 Die feministische Lesart der heterosexuellen Liebe als Instrument der Unterdrückung von Frauen ist daher mit der Ausformung der bürgerlichen Ehe, welche Ehefrauen idealiter auf die Familie als Handlungsspielraum einengte und sie ihrem Ehemann unterstellte, eng verknüpft.6 Im cisleithanischen Teil  der österreichisch-ungarischen Monarchie bot das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) Frauen zwar die Möglichkeit, eigenes Vermögen unter bestimmten Umständen auch selbst zu verwalten. Im Vergleich zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) und zum französischen Code Napoleon war die Ehefrau im ABGB, wie Margret Friedrich resümiert, »besser gestellt, sofern sie vermögend war, ihre Rechte kannte und die Macht hatte, sie durchzusetzen«.7 Außerdem wurde das Zölibat für Lehrerinnen  – eine der wenigen anerkannten beruflichen Tätigkeiten von Frauen der Mittel- und Oberschichten  – nicht immer so kompromisslos durchgesetzt wie im Deutschen Kaiserreich.8 Trotzdem war das österreichische Familienrecht streng hierarchisch strukturiert. Es definierte den Mann als Familienoberhaupt, dem faktisch die Vermögensverwaltung oblag, und fixierte unter anderem, dass die Ehefrau Haushalt und Kinder zu versorgen habe.9 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Frauenbewegung, ausdifferenziert in verschiedene Strömungen, zwar als politische Stimme in Österreich fest etabliert,10 und die Möglichkeiten der Frauenbildung und Frauenerwerbsarbeit hatten sich leicht verbessert.11 Aber die bürgerlichen Konventionen beschränkten den Spielraum weiblicher Berufswege weiterhin massiv  – vor allem wenn eine Frau heiratete. Selbst innerhalb der Frauenbewegung/en war umstritten, wie weit sich Mutterschaft und Frauenerwerbsarbeit verbinden lasse, und die meisten bürgerlichen Berufe standen Frauen ohnehin nicht offen.12 Dass Männer die beruflichen Aspirationen ihrer Partnerinnen unter Rekurs auf die Ehe auch autoritär unterbanden, zeigt das prominente Beispiel des Komponisten Gustav Mahler. Er verliebte sich 1901 in die junge Alma Schindler, die selber komponierte und dies auch weiterhin tun wollte. Mahler aber hielt dagegen:

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Wie stellst Du Dir so ein componierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung wie lächerlich und später herabziehend vor uns selbst, so ein eigenthümliches Rivalitätsverhältnis werden muss? Wie ist es, wenn Du gerade in »Stimmung« bist, und aber für mich das Haus, oder was ich gerade brauche, besorgen, wenn Du mir, wie Du schreibst, die Kleinigkeiten des Lebens abnehmen sollst. Mißverstehe mich nicht! Glaube nicht, daß ich mir das Verhältnis zweier Gatten in diesem philiströsen Sinne denke, der das Weib als eine Art Zeitvertreib, daneben aber doch wieder als die Haushälterin des Gatten ansieht. Nicht wahr, das muthest Du mir nicht zu, daß ich so fühle oder denke. Aber daß Du so werden musst, »wie ich es brauche«, wenn wir glücklich werden sollen, mein Eheweib und nicht mein College – das ist sicher!13

Offenbar war Gustav Mahler die Vorstellung, die eigene Ehefrau könne sich als »College« begreifen und eigenständig nach beruflich-künstlerischen Erfolgen streben, dabei auch noch im selben Beruf mit ihm rivalisieren, unerträglich. Das ist wenig verwunderlich. Gerade in gutsituierten Familien war die Ehe ganz auf den Beruf des Mannes ausgerichtet, der Bürger sollte Berufsmensch sein – und dabei seiner inneren Berufung folgen, was für Künstlerkreise besonders galt.14 Die männlichen Erfolge strahlten auf die Ehefrau ab, die sich vor allem über ihre Kinder und auch ihr Äußeres definieren, zugleich die beruflichen Tätigkeiten ihres Ehemannes mit aller Kraft unterstützen sollte  – freiwillig, so die männliche Wunschvorstellung, die auch Gustav Mahler hegte. Er erinnerte Alma, sie habe einst geschrieben: »ich will werden, wie Du es wünschtest, brauchst!« Diese Worte hätten ihn »tief beglückt«.15 Dass Mahler an diesen Wunsch nach Selbstaufgabe dann aber so nachdrücklich erinnern musste, zeigt, wie sehr die bürgerliche Geschlechterordnung im ausgehenden 19. Jahrhundert bereits hinterfragt wurde. Die Avantgarde experimentierte mit neuen Lebens- und Liebesmustern, manche hoch gebildete Frau entwickelte eigene berufliche Träume. In vielen Familien, weniger innerhalb als vor allem außerhalb, war die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern ohnehin verbreitet, da finanziell notwendig. Die vermeintlich klar definierte Ausrichtung der Frau auf die Mutterschaft als eigentlicher Berufung und einzigem Beruf stand damit auf brüchigem Fundament.16 Das zeigen auch die Themen und kritischen Diskurse der europäischen Frauenbewegung/en. So forderte Clara Zetkin in einer Rede für und vor Studie­renden 1899 einen »weiblichen Vollmenschen« ein. Dieser sei mehr als eine auf den Beruf fixierte, kinderlose »neue Frau«, sondern eine »ideale ›neue Frau‹«, die ihre Erwerbstätigkeit mit der Kindererziehung verbinde. Die Sozialistin fügte gleich hinzu, dass die Studierenden zu diesem Zweck ihre »Konkurrenzfurcht« vor den Frauen würden aufgeben müssen. Das eigentliche Hemmnis weiblichen »Vollmenschentums« sah sie allerdings in den ökonomischen Strukturen ihrer Zeit: »Die Frau, die heute als Erwerbende den besten Theil ihrer Kraft und Zeit der Berufsarbeit widmen muß, kann im Allgemeinen »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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den Kindern und dem Manne nicht geben, was ihnen gebührt«.17 Damit diskutierte Zetkin die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einer kapitalistischen Gesellschaft, wobei die Forschung wenig darüber weiß, wie politisch nicht exponierte Frauen aus den Mittel- und Oberschichten mit diesem Thema im Alltag umgingen, was sie darüber dachten, welche Arrangements sie fanden, und vor allem: ob sie sich darüber mit ihren Partnern austauschten? Im Folgenden werden ausgewählte österreichische Paarkorrespondenzen daraufhin beleuchtet, wie zentrale Themen der Frauenbewegung/en um 1900 darin verhandelt wurden.18 Es geht damit um Frauenbildung, Frauenerwerbsarbeit und schließlich die Möglichkeit, Mutterschaft und Beruf als »weiblicher Vollmensch« in der Ehe zu kombinieren. Dabei folgt die Auswahl der Briefe einem zeitlichen und einem sozialen Kriterium. Erstens geht es ausschließlich um Korrespondenzen von Paaren, die zwischen 1900 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, also in der Hochphase der österreichischen und auch europäischen Frauenbewegung/en des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts heirateten. Aus allen diesen Beziehungen gingen später Kinder hervor, wobei die hier untersuchten Schriftstücke überwiegend kurz vor der Eheschließung entstanden, also noch in kinderlosen Zeiten. Das zweite Kriterium ist sozialer Art: Behandelt werden sämtliche im Gesamtbestand des Projekts enthaltenen Korrespondenzen des genannten Zeitraums mit Männern, die studiert hatten und einem bürgerlichen Beruf nachgingen. Da die Paare damit den gebildeten Mittel- und Oberschichten beziehungsweise dem Bildungsbürgertum zugeordnet werden können, dürften sie über die in der Öffentlichkeit intensiv debattierten Forderungen der Frauenbewegung/en zumindest in Grundzügen informiert gewesen sein.19 Wie standen sie zu deren Forderungen, und lässt sich das anhand ihrer Briefe erkennen? Insgesamt handelt es sich um fünf Korrespondenzen, die unterschiedlich lang sind und zusammen über 1300 Transkriptseiten umfassen.20 Sie werden keineswegs als repräsentativ für ihren Entstehungszeitpunkt und ihr Herkunftsmilieu verstanden, und es geht auch nicht darum, die Spielräume weiblicher Berufstätigkeit in der ›bürgerlichen‹ oder ›bildungsbürgerlichen‹ Liebe eindeutig zu bestimmen. Das Bürgertum hat es nie gegeben, die analytische Kategorie verweist auf eine um Besitz und Bildung kreisende, aber gleichwohl hochgradig heterogene und poröse Sozialformation jenseits ständischer Strukturen, die in einer bestimmten »Kultur und Lebensführung« einen gemeinsamen, aber auch beweglichen Orientierungspunkt fand, wobei sich Bürgerinnen und Bürger im späten 19. Jahrhundert besonders scharf nach ›unten‹, gegenüber der Arbeiterschaft, abgrenzten.21 Neben der Differenz zwischen Wirtschafts- und Bildungsbürgertum sind weitere Unterschiede zu beachten, die sich auch an den ausgewählten Korrespondenzen zeigen: Die Schreibenden waren ökonomisch sehr unterschiedlich gestellt, sie kamen ebenso aus der Metropole Wien wie aus deutlich kleineren Städten Cisleithaniens; eine

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Beziehung wurde zudem zwischen Österreich und dem Deutschen Kaiserreich gelebt, wobei diese beiden Schreibenden im Unterschied zu den anderen Paaren jüdischer Konfession waren. Methodisch-theoretisch ist außerdem zu bedenken, dass Selbstzeugnisse nicht als Spiegel einer außertextlichen Realität zu lesen sind. Sie waren vielmehr selbst realitätsstiftend und ein Element von sozialer Praxis, welches sich sowohl an soziokulturellen Konventionen wie an bestimmten Genreregeln orientierte.22 Gerade deshalb waren Briefe ein wichtiges und durchaus auch eigenständiges Element von Beziehungskommunikation, mit denen Liebe ›gemacht‹ und hergestellt wurde.23 Die Darstellung ist in drei Abschnitte gegliedert, die dicht an den Quellen bleiben. Zunächst geht es um die – aus den Briefen und weiterem biografischem Material erschlossenen  – Bildungs- und Berufsbiografien der insgesamt fünf schreibenden Frauen sowie um ihre Haltung zu den frauenbewegten Forderungen ihrer Zeit. Über welche Bildungsabschlüsse und welche berufliche Erfahrung verfügten sie selbst, ist ein frauenbewegtes Engagement überliefert? Zweitens ist zu fragen, inwiefern Aspekte weiblicher Berufstätigkeit in den Briefen selbst verhandelt wurden: War sie ein Thema der Liebeskommunikation? Kam es diesbezüglich zu Dissens? Abschließend geht es dann darum, wie über männliche Erwerbstätigkeit geschrieben wurde, ob sich von hier ein verbindendes Element der Beziehungen ergab: Waren diese Liebenden durch ihre Arbeit miteinander verbunden?

2. Frauen, Frauenbildung und die Frauenfrage: Fünf Personen, zwei Positionen? Wer waren nun die Frauen, die für diesen Beitrag aus dem Quellenbestand des Projekts ausgewählt wurden, weil sie zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg einen Mann heirateten, der einem akademischen Beruf nachging? Es handelt sich – im Folgenden die Mädchennamen verwendend – um Mathilde (Tilly) Hirschfeld, Mathilde Hübner, Martha Louise Leeb, Irmgard Schneider und Fanny Zakucka.24 Sie alle wurden im nördlichen und westlichen Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie in den 1870er und 1880er Jahren geboren, wobei – soweit bekannt – das Spektrum der väterlichen Berufe vom Postbeamten über den Gymnasiallehrer bis zum Fabrikdirektor reichte. In dieser Zeit hatten sich die gesellschaftlichen Mittel- und Oberschichten vor dem Hintergrund von Urbanisierung, Industrialisierung und Professionalisierung verbreitert und zugleich pekuniär aufgefächert. Den wohlhabenden Bankiers und Unternehmern sowie Professoren, Ärzten und Anwälten standen die kleinen Beamten im staatlichen Verwaltungsapparat sowie die zahlenmäßig rasant zunehmenden Angestellten im Dienstleistungssektor gegenüber.25 Nicht nur aus emanzipatorischem Interesse, sondern vor allem auch aus finanzieller »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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Notwendigkeit nahm weibliche Erwerbstätigkeit in diesen Kreisen zu, zumindest als Option für unverheiratete Frauen und als Überbrückungsphase vor der Eheschließung.26 Zuweilen gingen die beruflichen Aspirationen aber auch darüber hinaus, wie das Leben von Mathilde Hübner, später Mathilde Hanzel, zeigt. Die 1884 geborene Tochter eines Gymnasiallehrers arbeitete auch nach der Eheschließung noch viele Jahre als Lehrerin, sie wurde in ihrer Berufstätigkeit erst 1934 gestoppt, und zwar durch das »Doppelverdienergesetz«, das die Entlassung verheirateter Frauen aus dem Staatsdienst vorsah.27 Als Jugendliche hatte sie ein privates Mädchen-Lyzeum besucht und damit die neuen Möglichkeiten genutzt, welche die Frauenbewegung/en gerade erst erkämpft hatten.28 Mathilde schloss außerdem die k. k. Lehrerinnen-Bildungsanstalt und zusätzlich als Externe die Maturaprüfung ab, um an einer Universität studieren zu dürfen. 1908 bekam sie nach hartnäckigen Interventionen die Erlaubnis, an der Technischen Hochschule Wien einige Vorlesungen als Hospitantin zu besuchen, als erste Frau in Österreich.29 Im gleichen Jahre folgte ihre erste definitive Anstellung an einer Mädchenbürgerschule in Wien, die Lehrbefähigung als Bürgerschullehrerin hatte sie kurz zuvor erhalten. Außerdem engagierte sich Mathilde in frauenpolitischen Fragen und wurde 1910 Vizepräsidentin des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (AÖFV), der den radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung repräsentierte.30 Ebenfalls 1910 heiratete sie den Lehramtskandidaten für Mittelschulen und späteren Gymnasiallehrer Ottokar Hanzel, der zuvor Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule studiert hatte. Ottokar und Mathilde bekamen zwei Kinder, dennoch übte Mathilde ihren Beruf weiterhin aus und avancierte 1926 sogar zur Direktorin einer Bürgerschule in Wien. Mathilde war also eine Pionierin auf dem Gebiet der Frauenbildung und -berufstätigkeit, und das galt in gewisser Weise auch für Fanny Zakucka, geboren 1873. Sie war eine der ersten Kunststudentinnen ihrer Zeit, von 1899 bis 1903 an der eingangs schon erwähnten, 1897 gegründeten Kunstschule für Frauen und Mädchen, danach an der Wiener Kunstgewerbeschule. Fanny heiratete wenige Jahre später, bekam Kinder, blieb aber auch als Malerin, Grafikerin und Kunstgewerblerin tätig. 1914 wurde sie Mitglied der Vereinigung bildender Künstlerinnen in Österreich, 1926 gründete sie den Verband bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen Wiener Frauenkunst, dem sie bis zu ihrem Tod als Präsidentin vorstand.31 Ihr Ehemann Richard ­Harlfinger hatte zunächst an der Universität Wien studiert und war dann  – von 1892 bis 1894 – an verschiedenen Malschulen ausgebildet worden. Seit 1899 war er als Maler tätig, 1906 wurde er Mitglied, 1918/19 Präsident der Wiener Secession. Sein erfolgreicher beruflicher Werdegang führte ihn bis zur Auszeichnung mit dem österreichischen Staatspreis 1930.32 In geschlechterhistorischer Perspektive ist dabei seine 1917 begonnene Tätigkeit an der Wiener

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Frauenakademie besonders interessant. Lässt sich daran doch erkennen, dass künstlerische und berufliche Aspirationen von Frauen und damit gleichzeitig Anliegen der Frauenbewegung/en von manchen Männern durchaus toleriert, teilweise sogar unterstützt wurden.33 Die anderen drei Frauen des ausgewählten Samples waren beruflich und frauenpolitisch weniger exponiert. Über ihren Lebensweg ist allerdings auch nicht so viel bekannt, sie entsprachen den bürgerlichen Konventionen anscheinend stärker. Die 1874 geborene Postbeamtentochter Marie Louise Leeb, die 1906 in Wien den wenige Jahre älteren Finanzbeamten Dr. Albert Leopold Fiedler heiratete, arbeitete vorübergehend als Angestellte.34 Irmgard Schneider – Geburtsdatum und berufliche Tätigkeit der Eltern sind ungewiss – gab ihre Erwerbstätigkeit als Angestellte auf, nachdem sie sich 1903 mit Dr. Johann Schuller verlobt hatte, einem Finanzbeamten in Krems.35 Und Mathilde (Tilly) Hirschfeld, 1884 als Tochter eines wohlhabenden, jüdischen Fabrikbesitzers in einer mittelgroßen Stadt in der Nähe von Prag geboren, führte ein begütertes Leben im Hause ihrer Eltern, das sie vorübergehend nach Berlin brachte – als Gesangsschülerin und als Zuhörerin im Fach Physik an der Technischen Hochschule in Berlin. Sie kam als einzige der ausgewählten Schreiberinnen aus einem großbürgerlichen Haushalt und war damit nicht zwingend auf eine berufliche Tätigkeit angewiesen. 1911 heiratete sie den in Berlin lebenden, deutschen Psychiater Dr. Henri Mandel und zog zu ihm. Ab 1915 war sie dort im Charlottenburger Hausfrauenverein aktiv und so mit der bürgerlichen Frauenbewegung vernetzt.36 Davon unabhängig prägten die Frauenbewegung/en die Biografien aller drei Frauen auch schon vor dem Zeitpunkt der Eheschließung. Denn sie alle nutzten die erkämpften neuen Bildungsmöglichkeiten – oder sie spielten damit in Gedanken. So verfügte Martha Louise Leeb über einen Abschluss der Handelsschule des Wiener Frauen-Erwerb-Vereins, einer Institution zur Förderung der Ausbildung und Erwerbstätigkeit von Mädchen und Frauen, die 1866 von der Lehrerin Iduna Laube nach dem Vorbild des Berliner Lette-Vereins gegründet worden war.37 In der Zeit vor und während der Verlobung, in welcher die hier beleuchteten Briefe verfasst wurden, war sie dann erwerbstätig. Die Art der Beschäftigung ist unbekannt, aber die Briefe lassen vermuten, dass sie in einem Amt arbeitete, wie es für weibliche Verwaltungsangestellte in dieser Zeit typisch war.38 Tilly Hirschfeld erwog zeitweilig sogar, ein reguläres Universitätsstudium aufzunehmen. Dass sie dann doch nicht studierte, war keineswegs das Ergebnis eines elterlichen Verbots oder administrativer Schwierigkeiten. Vielmehr hatte Tilly freiwillig auf ein Studium verzichtet, weil sie sich einen erfolgreichen Verlauf nicht zutraute. So jedenfalls erläuterte sie es ihrem späteren Ehemann in einem Brief aus der Zeit des frühen, noch förmlichen Briefkontaktes. Henri Mandel, wie Tilly jüdischer Konfession, war in Berlin als Nervenarzt tätig, als ihm seine Bekannte im September 1910 schrieb: »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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Auch ich hatte, was Sie vielleicht wundern wird, einmal den Traum, Medizin zu studieren, es ist schon eine Weile her, und ich beneide keine Frau mehr um ihr Studium, vielmehr nur die Männer um die nicht zu leugnende höhere Potenz, die das Frauenstudium, Ausnahmen abgerechnet, höchstens auf Durchschnittsleistungen kommen läßt  – bei doppelter Anstrengung.  – Das hätte mir, wie ich heute denke, gewiß keine Befriedigung gegeben. Die Anerkennung der höheren geistigen Potenz des Mannes soll keineswegs eine Selbstunterschätzung sein. Ich bin auch mit meiner geistigen Potenz (öfter kommt das Wort jetzt nicht mehr) zum mindesten nicht unzufrieden, obwohl ich sehr im Zweifel bin, beinahe sicher, daß ein ernsthaftes Studium über meine Kräfte gegangen wäre.39

Diese Passage lässt eine gewisse Wehmut durchscheinen, denn es war offenbar nicht das fehlende Interesse, sondern das fehlende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das Tilly vom einstigen »Traum« eines Medizinstudiums abgebracht hatte. Die ursprünglichen Motive für dieses Interesse sind nicht bekannt, aber möglicherweise ließ sie sich von ihrem Bruder Hans inspirieren, der Medizin studierte. Dass sie den angeblich nicht ausreichenden Intellekt mit ihrem Geschlecht begründete und damit als Defizit aller Frauen beschrieb, hatte sie zwar mit prominenten Gegnern des Frauenstudiums wie beispielsweise dem deutschen Neurologen und Psychiater Paul Julius Möbius gemein.40 Im Gegensatz zu den lautstarken Antifeministen ihrer Zeit dachte Tilly aber offenbar keineswegs an ein Verbot des Frauenstudiums. Und sie bedauerte die angebliche intellektuelle Unterlegenheit von Frauen zutiefst. Während Tilly Hirschfeld bei größeren Erfolgsaussichten gerne Medizinerin geworden wäre, entwarf sich Irmgard Schneider als Lehrerin. Über ihre Ausbildung ist wenig bekannt, nach eigenen Angaben arbeitete sie in einem »Amt«, vermutlich dem Finanzamt.41 Wegen der geplanten Verlobung reichte sie aber ihre Kündigung ein, wobei die Heiratspläne zu diesem Zeitpunkt noch geheim bleiben sollten. Daher begründete sie diesen Schritt gegenüber ihrem Chef mit dem angeblichen Plan, Lehrerin werden zu wollen. Sie erläuterte dies ihrem Partner wie folgt: Es ist gewiß viel besser, wenn ich ihm [dem Vorgesetzten, N. V.] sage, daß ich mich noch in Sprachen, besonders in Englisch ausbilden will, um dann die Staatsprüfung zu machen und eine Anstellung als geprüfte Lehrerin zu bekommen. Dr. L. [der Vorgesetzte, N. V.] ist auf eine Woche in Lussin und kommt Dienstag wieder zurück. Mittwoch werde ich dann gleich mein Anliegen vorbringen. Es werden wohl alle große Augen machen und später werden sie sich von der Überraschung gar nicht erholen können.42

Der Entschluss, Lehrerin zu werden, entsprach in diesem Fall also nicht der Wirklichkeit. Aber gerade als Täuschungsmanöver verwies er auf das Spektrum dessen, was Irmgard Schneider als eine mögliche, realistische und vielleicht

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auch attraktive Zukunftsplanung erschien – hätte nicht eine Veränderung ihres Familienstandes bevorgestanden. Auch das letzte Beispiel hat somit gezeigt, dass die vordergründig so eindeutige Trennung der fünf weiblichen Schreibenden in zwei Lager – hier zwei ›frauenbewegte‹, akademisch gebildete und über die Eheschließung hinaus berufstätige Frauen, dort drei Frauen, die dem konventionellen bürgerlichen Eheideal stärker anhingen – nicht überbetont werden darf. Bei genauerem Blick treten durchaus Ähnlichkeiten zutage, die eng mit der Generationenzugehörigkeit der Frauen zusammenhingen. Geboren in den 1870er und 1880er Jahren, profitierten sie alle von den punktuellen Erfolgen der Frauenbewegung/en im Bereich der höheren, teilweise auch berufsvorbereitenden Bildung. Sie gehörten zur ersten Alterskohorte von Frauen, die überhaupt die Matura erlangen und zumindest eingeschränkt in einigen Fächern ein Hochschulstudium aufnehmen konnten oder denen der Besuch neu gegründeter Bildungsinstitutionen speziell für Frauen formal offen stand. Und tatsächlich, die Schreibenden besuchten diese Institutionen. Vier von ihnen waren zeitweilig in einem Beruf erwerbstätig, der an eine spezifische (Berufs-)bildung gekoppelt war, und die fünfte hatte laut eigener Aussage einst den Traum gehabt, Medizinerin zu werden. Auch wenn sich ihr Leben faktisch in den verhältnismäßig engen Bahnen einer erwerbslosen ›höheren‹ Tochter und angehenden Gattin abspielte, war ihr Blick vorübergehend auf einen weit dahinter liegenden Horizont gerichtet. Als Sehnsuchtsort bürgerlich-weiblicher Biografien stand die eigene Karriere im Raum. Inwiefern kommunizierten die Paare auch über diese genutzten oder verpassten Chancen der beruflichen Entwicklung von Frauen? Waren sie Thema der brieflichen Liebeskommunikation? Veränderte sich der Erwartungshorizont durch die Eheschließung?

3. Weibliche Erwerbstätigkeit als Thema der Briefkommunikation Dass die Zeit um 1900 geschlechtergeschichtlich gesehen ausgesprochen turbulent war, zeigt sich auch an Briefbeständen unseres Projekts. Henri Mandel zum Beispiel berichtete seiner späteren Verlobten von dem holprigen Lebensweg seiner in Berlin lebenden Schwester, um die er sich ausgesprochen sorgte. Diese Schwester hatte sich scheiden lassen – wo und unter welchen Umständen, ist unbekannt –, arbeitete nun »auf das Abiturium hin« und wollte Lehrerin werden. Henri bedauerte diese Entscheidung: »Ihrer Anlage nach eignete sie sich nicht zum Studium, die Verhältnisse haben sie erst dazu geeignet gemacht. In einer besseren Ehe wäre sie die glücklichste Frau geworden und hätte ihre individuellen Vorzüge besser zur Geltung bringen können.«43 Er war sich sicher, dass das Interesse an einer höheren Schulbildung auch das Ergeb»[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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nis der gescheiterten Ehe war: »Sie schwankte sehr zwischen einer angeborenen Neigung zum Vergnügen und einem doch recht erheblichen Interesse für Wissenschaft. Ausserdem malte sie sehr hübsch. Erst nachdem sie durch das Unglück ernster geworden war, geht sie ganz in der Arbeit auf.«44 Aber der Zusammenhang könnte auch umgekehrt gewesen sein: Vielleicht war diese Ehe unglücklich verlaufen, weil Henris Schwester sich intellektuelle Spielräume erhoffte, welche ihr eine Ehe nicht ließ? Prominente Beispiele für solche Biografien gab es jedenfalls ebenso im Deutschen Kaiserreich wie im damaligen Österreich. Während dort Alma Mahler unter einem Ehemann litt, der sie entgegen ihren eigenen Erwartungen nicht als seine Kollegin wünschte, begrub in Deutschland Clara Haber, geborene Immerwahr, ihre beruflichen Träume. 1900 als erste Frau an der Universität Breslau mit einer physikalischchemischen Arbeit promoviert, heiratete sie kurz darauf den außerordentlichen Professor für Chemie, Fritz Haber. Haber wurde bald darauf berühmt, sie aber sah sich als verheiratete Frau zum Verzicht auf ihre wissenschaftliche Arbeit genötigt; »[…] und was von mir eben übrig ist«, so schrieb sie 1909 an ihren Doktorvater, »erfüllt mich selbst mit tiefster Unzufriedenheit«.45 Was genau zu ihrem Unglück beitrug – sie nahm sich 1915 das Leben –, ist in der Forschung umstritten.46 Aber eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit »war für eine Professorengattin damals schlechterdings unvorstellbar«, wie Margit Szöllösi-Janze resümiert.47 Und nur wenige akademisch gebildete Frauen sicherten bei einer Eheschließung die Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit so konsequent ab, wie es die 1872 geborene Hermine Heusler-Edenhuizen tat. Diese erste niedergelassene Frauenärztin in Deutschland war 1903 an der Universität Bonn promoviert worden und ließ sich bei ihrer Hochzeit 1912 das Recht auf uneingeschränkte Erwerbstätigkeit per Ehevertrag garantieren.48 Angesichts solcher Szenarien nehmen sich die hier analysierten Briefbestände auffällig friedlich aus: Offener Dissens über Fragen der höheren Frauenbildung und einer daran anschließenden Berufstätigkeit ist ihn ihnen nicht zu finden. Stattdessen demonstrierte Irmgard Schneider sogar explizit ihre Zustimmung zur Beendigung der eigenen Erwerbstätigkeit für die Ehe. Wie erwähnt, gab sie ihre berufliche Tätigkeit als ›Fräulein vom Amt‹ vor der Verlobung auf, was sie in den erhaltenen Briefen an Dr. Johann Schuller intensiv thematisierte. Datum und Form der Kündigung wurden gemeinsam mit ihrem Partner und dessen Mutter geplant: Eines wollte ich Dich noch mündlich fragen. Nämlich ob es Dir und Deinem lieben Mutterl recht ist, dass ich am 1. Mai austrete, da es doch unbestimmt ist, ob wir uns bis zum 15. dieses Monates noch sehen, möchte ich Dich bitten, mir Deine Meinung und die Meinung Deiner lieben Mutter hierüber mitzuteilen. Und welchen Grund soll ich angeben? Vielleicht wie wir bereits besprochen, Herrn Ob. Insp. gegen unbedingtes Stillschweigen die Wahrheit sagen und alle Übrigen bei dem Glauben lassen, daß ich eine bessere Stelle gefunden

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hätte. Oder was meinst Du, liebstes Herz, könntest Du nicht die Sache mir Dr. [Lendl] ins Reine bringen, wie Du ja schon angedeutet hast?49

Der letzte Satz lässt nicht nur vermuten, dass Johann den Vorgesetzten seiner Braut kannte, sondern er zeigt auch, wie sehr Irmgard ihren Austritt aus dem Erwerbsleben als seine Angelegenheit begriff. Damit ordnete sich Irmgard ihrem Partner unter, schon vor der Hochzeit sah sie in ihm die Person, die ihre Interessen nach außen vertreten sollte, wobei er diese Interessen vielleicht auch in hohem Maße definierte. Als er jedenfalls ihren Vorschlag ablehnte, »die Sache« mit »Dr. [Lendl] ins Reine« zu bringen, stimmte sie ihm gleich wieder zu: »Ich bin auch vollkommen Deiner Meinung, daß wir Dr. L. noch nicht unser süßes Geheimnis anvertrauen.«50 Nur deshalb war sie es schließlich selbst, die die Kündigung einreichte – ohne männlichen Sprecher. In ihren Briefen liest sich der Übergang vom Leben einer Angestellten zur erwerbslosen Verlobten eines Finanzbeamten wie ein aufregender rite de passage, dessen Verlauf von ihrem Partner bestimmt wurde und an dem sie diesen intensiv Anteil haben ließ: Dienstag ersuchte ich Dr. L. wie Ihr wünschet, um meine Entlassung ab 1. Mai. Er war sehr bestürzt über meine Mitteilung, glaubte, daß mich jemand gekränkt hätte und wollte sofort Ordnung machen; ich versicherte aber daß ich über niemanden zu klagen hätte. Wenn sie aber wüßten, daß meine weitere Ausbildung noch in der genauen Erforschung der edlen Kochkunst besteht! Ich kann es nicht hindern, daß man Verschiedenes munkelt; natürlich verhalte ich mich absprechend dagegen.51

Auch Henri Mandel und Tilly Hirschfeld, nach der Hochzeit Mathilde (Tilly) Mandel, entschieden sich für einen konventionell-bürgerlichen Lebens- und Eheentwurf. Dieser sah für die weibliche Seite – so lange noch keine Kinder geboren waren – zunächst einmal die Haushaltsführung als zentrale Aufgabe vor, unterstützt durch ein oder mehrere Dienstmädchen. Tilly war das anscheinend recht. Damit entsprach sie Henris Frauenideal sehr viel stärker als dessen eigene Schwester. Die Frage der weiblichen Bildung und Erwerbstätigkeit beschäftigte ihn auch aufgrund seiner schon angesprochenen familiären Erfahrungen, wie wiederholte Exkurse zu diesem Thema in seinen Briefen zeigen. Die im folgenden abgedruckte Passage umfasst nur einen Bruchteil seiner diesbezüglichen Erläuterungen insgesamt. Die Ausführlichkeit demonstriert die Erregung, welche die Frage einer akademischen Berufstätigkeit von Frauen in dem promovierten Arzt und Psychiater auslöste. Auf Tillys Bekenntnis, das Studium freiwillig verworfen zu haben, reagierte er entsprechend mit Zustimmung: Dass Sie sogar den Gedanken hatten, Medizin zu studieren, finde ich schön, dass Sie es nicht getan haben, finde ich schöner. Früher begnügten sich die jungen Mädchen mit der Krankenpflege, aber die proklamierte Gleichberechtigung hat ihnen die verleidet. Und doch ist die Krankenpflege ein spezifisch weiblicher Beruf, der weibliche Arzt aber wird aus verschiedenen Gründen »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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keine große Zukunft haben. Daran ändert nichts, wenn einige als Frauen& Kinderärztin vorwärts kommen. Speziell für mein Fach ist die Frau nicht geeignet, wenn das auch grade von vielen Laien angenommen würde. Die geistige Begabung der Frau ist eine andere als die des Mannes, natürlich im Durchschnitt, – damit ist nicht gesagt, dass sie minderwertiger ist. Am geeigneten Platz ist die Frau wertvoller und umgekehrt. Die Frage ist nur, welcher Platz ist der geeignete, und die muss und kann nur individuell entschieden werden. Der geeignetste Platz ist für die Frau zweifellos die Ehe und erst, wenn ihr diese aus irgend welchen Gründen verschlossen ist, soll sie nach einem andern streben. Damit ihr das jederzeit möglich ist, soll sie sich von Anfang an irgend wie, vor allem aber ihren speziellen Anlagen und Neigungen entsprechend betätigen. Also für die Vorbildung will ich die Frauenbewegung im weitesten Umfang gelten lassen – nur bestreite ich, dass sich Berufe wie Arzt, Jurist, Droschkenkutscher (wir haben hier 1 weibl. Exemplar) für die Frau eignet. Im Notfall wird sich manche damit abfinden und ihn gut ausfüllen – glücklich allein ist die Seele, die liebt.52

Henri bot in diesem Brief eine durchaus gemäßigte Fassung der hegemonialen, männlich-bürgerlichen Perspektive zu Fragen der Frauenbildung und Frauenerwerbsarbeit.53 Und Tilly widersprach seinen Ansichten nicht direkt, aber sie stimmte ihnen auch nicht vollkommen zu. Stattdessen verwies sie darauf, ihre eigene Position zur Frauenbewegung bereits erläutert zu haben: »Was Sie vom Studium der Frau schreiben, habe ich Ihnen ja schon im vorigen Briefe, wie ich schon schrieb, mit einigem Bedauern, zugestanden.«54 In dem hier erwähnten Brief, aus dem vorne bereits zitiert wurde, hatte sie die Beschränkung weiblicher akademischer Tätigkeit aber wohlgemerkt anders begründet als ihr Gegenüber. Denn während Henri auf die Liebe verwies, die allein eine Frau glücklich mache, und anmerkte, dass Frauen im Namen ihres eigenen Glücks auf Studium und Berufstätigkeit verzichten sollten, waren es nach Tillys Ansicht mangelnde kognitive Fähigkeiten, die ihren beruflichen Ambitionen Grenzen zogen – was sie bedauerte. Das Glück lag in dieser Perspektive sehr wohl in einer erfolgreichen Berufsausübung, die Frauen jedoch vorenthalten schien, nämlich von der ›Natur‹. Zugleich deutete Tilly an, ihrer vermeintlichen weiblichen Natur gar nicht zu entsprechen. Henri war zwar überzeugt: »Es braucht Ihnen also wirklich nicht leid zu tun, dass Sie dem Drang, sich wissenschaftlich zu betätigen, entsagt haben. Ich habe diese Dinge schon vor Jahren mit meiner Schwester miterlebt.«55 Ganz so sicher war Tilly sich aber offenbar nicht, denn gerade mit dieser Schwester, der angehenden Lehrerin, identifizierte sie sich: Auch das muß ich Ihnen zugeben, daß Krankenpflege ein echt weiblicher Beruf ist. Ich könnte die Selbstaufopferung, die Be berufsmäßige Krankenpflege erfordert, wie ich glaube, nur in ganz verzweifelnder Stimmung aufbringen, und würde, meinen Neigungen nach immer noch eher nach dem Wege greifen, den Ihre, mir leider unbekannte Schwester, verfolgt.56

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Henri blieben diese Ambivalenzen verborgen oder er ging bewusst darüber hinweg. Er sähe »keinen Grund«, das Frauenstudium »prinzipiell zu verweigern«, schrieb er, denn er sei »überzeugt, dass die meisten verheirateten Lehrerinnen ihren Beruf bald aufgeben würden. Der Mann braucht einen Beruf, die Frau im allgemeinen nicht, daran wird keine Frauenbewegung etwas ändern.«57 Wie vorschnell diese Deutung war, zeigt nicht nur die langfristige Entwicklung der Frauenerwerbsarbeit im 20. Jahrhundert, sondern auch die Biografie von Mathilde Hübner. Für Mathilde war die Tätigkeit als Lehrerin Beruf und Berufung, sie sah darin einen zentralen Erfüllungszweck ihres Lebens und einen wichtigen Teil ihrer Identität.58 Sie kämpfte lange um ihren innerberuflichen Aufstieg als Lehrerin, aber auch um ihr zusätzlich geplantes Studium, das sie sich nicht zuletzt dank der Unterstützung von Ottokar Hanzel ermöglichen konnte. Mathilde war seine Schülerin gewesen; er hatte sie als Privatlehrer in mathematischen Fächern auf die Externistinnen-Matura – im Sinne eines Hochschulzugangs – vorbereitet. Mathildes berufliche Erfolge bewertete Ottokar allerdings ambivalent. So schrieb er ihr im Juli 1907, dem Jahr, in dem sie die Lehrbefähigung für Bürgerschulen erhielt: »Frau definit. Bürgerschullehrerin 2. Klasse habe ich also bald zu sagen. Das ist mir zu lange. Tilly, Weib, Geliebte u. Gattin sind viel kürzer und …«59 Dazu passend begriff sich Ottokar schon vor der Eheschließung als Familien­ oberhaupt. Nachdem Mathildes Vater gestorben war, erteilte er seiner Partnerin und deren Schwestern selbstbewusst Ratschläge zum Umgang mit dem Erbe. Im Kern drang Ottokar darauf, sparsam zu sein und sicherzustellen, dass die Schwestern einen Beruf erlernten, um sich selbst finanzieren zu können. Sie verfügten über unterschiedliche Verdienst-Sicherheiten: Berta Hübner war Postangestellte, Olga Hübner Malerin, Mimi Hübner Schauspielerin und Alla Hübner Näherin. Ottokar argumentierte also für weibliche Erwerbstätigkeit, aber nicht aus allgemeinen politischen, sondern aus sehr konkreten ökonomischen Erwägungen.60 Unter den Schwestern entstand außerdem der Verdacht, Ottokar habe weniger die Absicherung der jungen Frauen als seinen eigenen Profit als zukünftiger Ehemann von Mathilde im Auge. Daraufhin war Ottokar gekränkt: »Man mißtraut mir u. auch dir.« Dabei gehe es ihm doch nur darum, »daß die Lasten der Versorgung gerecht verteilt werden u. jeder nach seinen Kräften dazu beitrage, womit zugleich ein anderer für die fernere Zukunft wichtigerer Zweck verbunden wird, indem jede deiner Schwestern sich zugleich für die Zukunft vorsorgt«. Das wiederum müsse »der Rat jedes klugen Mannes sein, der die Verhältnisse kennt u. es ehrlich meint«. Und er ergänzte: »Einerseits kann u. darf man deiner Mutter neue Sorgen nicht mehr aufbürden anderseits können 6 Personen weder einen Haushalt führen, noch wirtschaften u. verwalten (die Folge wäre ein Verwirtschaften u. ein Wirwar in infinitum) Es muß ein Koch gefunden werden.«61 Folgt man diesen Zeilen, war weibliche Erwerbstätigkeit in der eigenen Familie für Ottokar zunächst einmal »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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aus ökonomischen Gründen legitim, ja sogar notwendig, und zwar so lange, bis ein gut verdienender oder vermögender Ehemann gefunden war. Vom Beruf als Berufung war nicht die Rede, jedenfalls nicht für Frauen. Genau dieser Gedanke scheint für Richard Harlfinger dagegen selbstverständlich gewesen zu sein, zumindest im Hinblick auf einen Beruf im Bereich der Kunst. Wie die eingangs zitierten Briefe zeigen, schätzte er die künstlerischen Leistungen seiner späteren Ehefrau in hohem Maße und stilisierte sie zum Ausdruck ihrer Identität. In seinen Briefen steigerte sich der erste Besuch einer Ausstellung mit ihren Werken schließlich zu einer intimen Erfahrung. Als er ihrer Kunst begegnete, so Richard, da sei »sonst kein Mensch in den Räumen« gewesen: »[…] ich fühlte mich gewissermaßen allein mit Ihnen, mit Ihren Arbeiten, die ja doch ein Stück von Ihnen sind«.62 In Erweiterung des bürgerlichen Künstlerkults des 19. Jahrhunderts, der den Künstler als ein schaffendes, autonomes, aber eben auch männliches Subjekt beschrieb, nahm er Fanny Zakucka als ebensolche Künstlerin wahr, deren Persönlichkeit sich in ihrer Kunst manifestierte.63 Kunst und Liebe, Arbeit und Liebe waren in dieser Beziehung von Anbeginn eng miteinander verwoben. Und je enger die Verbindung zwischen den beiden wurde, desto expliziter wurde auch der Plan formuliert, Seite an Seite nach künstlerischen Erfolgen zu streben. »Herr-Gott, Du,« schrieb sie ihm im Juni 1903, als sich der Hochzeitstermin nach hinten verschoben hatte, »bis wir verheiratet sind, weißt Du, da wollen wir so prachtvolle, unerhört schöne Sachen malen, daß wir auf einmal gräßlich berühmt sind u. dann werden Deine Eltern auch mit mir ein wenig zufrieden sein, glaubst nicht?«64 Wie diese Zeilen ­zeigen, wollte Fanny nicht nur Richard, sondern auch seine Eltern, die ihrer Heirat möglicherweise skeptisch gegenüberstanden, durch künstlerische Leistung beeindrucken und für sich einnehmen. Damit war sie weit davon entfernt, sich in erster Linie über ihre Fähigkeiten als Mutter und Hausfrau, über ihre Schönheit oder die Unterstützung ihres Mannes zu definieren. Vielmehr demonstrierte sie ein enormes Leistungsethos, und sie entwickelte auf dieser Grundlage die Vision eines gemeinsam schaffenden Paares, wobei sie sich darüber im Klaren war, wie sehr sie sich damit von anderen abheben würden.65 »Schau«, schrieb sie ihm zum Beispiel im Juli 1903, »wir wollen doch was Besonderes Originelles u. s. w. leisten, nicht wahr, u. so müssen wir doch auch eigentümlich leben, besonders denken u. weißt Du, wir müssen uns als besonders fülen. (od. soll ich das mit h. schreiben?).«66 Darin wurde Fanny von Richard unterstützt. Denn in Kontrast zu der eingangs schon vorgestellten, unglücklichen, mehrmals verheirateten Alma Schindler, später Alma Mahler und schließlich Alma Mahler-Werfel, musste Fanny sich mit ihren künstlerischen Ambitionen nicht gegen den Willen ihres Partners durchsetzen, jedenfalls nicht in den hier untersuchten Briefen. Die Korrespondierenden waren durchaus widerspruchsfreudig, wie noch zu zeigen sein wird. Aber im Hinblick

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auf den hohen Stellenwert der Kunst im Leben von beiden waren sie sich einig. Die Liebe dieses Paares verschmolz mit den geteilten beruflichen Aspirationen, vielleicht wurden die Gefühle durch die gemeinsamen beruflichen Probleme und Träume sogar gestärkt. Das leitet zum nächsten Abschnitt über.

4. Männliche Berufstätigkeit, gemeinsame Arbeit und heterosexuelle Liebe Die Berufstätigkeit des Mannes war in allen hier untersuchten Korrespondenzen Thema, deutlich öfter noch als die weibliche – auch das gehört zu den Gemeinsamkeiten der vorliegenden Briefe. Die Art und Weise, wie über männliche Erwerbstätigkeit geschrieben wurde, verweist dann aber auf ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Richard Harlfinger zum Beispiel schrieb Fanny Zakucka zwei Jahre nach dem Kennenlernen, dass er durch ihre Liebe nicht nur menschlich, sondern auch künstlerisch zu sich selbst gefunden habe. Die Liebe erschien als Stimulus seines beruflichen Schaffens – ein Deutungsmuster, das sich in keiner anderen der hier untersuchten fünf Korrespondenzen findet: »Ich bin mir selbst näher gekommen durch Dich. Und wenn ich hinzufüge, künstlerisch näher gekommen, so ist das, glaube ich, keine Einschränkung.«67 Trotzdem war er sich seiner Erfolgsaussichten als Künstler unsicher. Immer wieder artikulierte er Zweifel an der eigenen Begabung, was im Rahmen der ausgewählten Briefbestände ebenfalls eine Besonderheit darstellt. Gerade jetzt, wo ich immer tiefer zur Erkenntnis komme, welches Glück ich in Dir gefunden habe, macht sich die Kehrseite dieses Glückes zuweilen recht abscheulich bemerkbar. Diese Kehrseite liegt in dem mangelnden Vertrauen auf mich selbst. Ich sag’ Dir, Fan, ich bin so unsicher darüber, was ich von mir zu halten hab’, so unklar über die Grenzen meines Könnens. Ich möchte so gern recht Großes leisten und doch sagt mir zuweilen eine innere Stimme, ich solle mich bescheiden und nur Dinge arbeiten, die mir liegen. Sollte diese Stimme recht haben? Ich hoffe nein.68

In dieser psychisch labilen Situation bat er Fanny, ihn »immer wieder zu künstlerischen Arbeiten« hinzudrängen. Richard erhoffte sich von ihr aber nicht nur eine disziplinierende Wirkung, sondern erbat auch intellektuellen Austausch. Zwar würde er ihre »Anregungen so oft scheinbar in den Wind« schlagen, aber das solle sie »nicht abschrecken«, denn dieser Eindruck täusche: »Und wenn ich sie auch nicht direkt befolge, so sind sie doch immer ein mächtiger Bundesgenosse jenes besseren Teils in mir, der nach Hohem strebt.«69 Richard adressierte Fanny damit als eine Kollegin, auf deren fachkundiges Urteil er vertraute. Diese Rolle nahm Fanny für sich selbst ebenfalls in Anspruch. Anfangs war sie noch unsicher, wie viel Kritik er wirklich wünschte: »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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»Aber heut schreib ich nix weiter; ich muß erst sehen, ob Sie überhaupt noch mehr ›Urteil‹ haben wollen.«70 Dann aber äußerte sie sich immer selbstbewusster über seine Arbeiten, und zwar durchaus kritisch: »Die Bilder sind wirklich schrecklich, verlass Dich doch auf mein Urteil, gleich bin ich von neuem beleidigt wennst fortwährend an meinem Urteil zweifelst.«71 Außerdem stachelte sie seinen Ehrgeiz an, forderte ihn auf, neue Wege zu gehen. Er solle sich »mal was Interessantes« aussuchen, »nicht Bestellung«; »ganz frei« arbeiten »u. ganz sonderbar. Groß.«72 Die Selbstwahrnehmung als fachkundige Kollegin kulminierte schließlich in Fannys Anspruch, ihr Urteil über seine Bilder müsse Richard vom Urteil anderer unabhängig machen: Über das »Bewußtsein des eigenen Wertes« wie Du schreibst, läßt sich auch streiten. Ich weiß, der Künstler braucht Anerkennung. Manchmal muß man das haben das ist schon so. Aber es ist doch ganz gleichgiltig ob diese Anerkennung dreihundert haben oder zwei. Und an sich zweifeln darf man überhaupt nicht. Wenn Du also selber der eine bist, u. ich der andere (nämlich die an Dich glauben) so wäre es in Anbetracht der vorläufig noch nicht gegen wärtigen dreihundert sehr hübsch wenn Dir das ein wenig genügte.73

Keine andere der fünf ausgewählten Schreibenden äußerte sich so selbstbewusst und kritisch über die berufliche Tätigkeit ihres Partners. Als fachkundige Vertreter des gleichen Berufes begegneten sich aber auch Mathilde Hanzel und Otto Hübner, die beide im Lehramt tätig waren. Zwar sind für den hier interessierenden Zeitraum fast nur Briefe von ihm überliefert, und Darstellungen von Mathildes Berufsalltag fehlen schon deshalb. Aber in seinen Briefen erschien die Erwerbstätigkeit als ein Thema, das die Liebenden ebenso unmittelbar wie selbstverständlich verband. Er adressierte Mathilde als eine fachlich informierte Person, die sich auch für konkrete Unterrichtsinhalte interessierte und gängige Abkürzungen ohne weitere Erläuterung dechiffrieren konnte. Als Ottokar beispielsweise im August 1907 in Königinhof eine Stelle als Privatlehrer angetreten hatte, schrieb er ihr wenige Tage später: Schon Dienstag nahm ich den Unterricht auf u. arbeite täglich 3h (1∕2 9–10, 1 ∕2 4–5); Die Projekt. auf 1 Proj. Ebene, die Proj. des Punktes u. der Geraden in den 4 Räumen auf 2 Projeb. sind bereits absolviert. Nachmittags’ komme ich zur Bestimmung der Spurpunkte einer Geraden. Meinem Schüler ist das Vorstellen im Raume völlig neu, aber er wird als aufgeweckter Bursche sich bald zurechtfinden. So hoffe ich.74

Auch Henri Mandel und Tilly Hirschfeld fanden in seiner Arbeit ein gemeinsames Thema. Tilly hatte medizinisches Interesse, und hin und wieder gab er ihr Einblicke in diese fachlichen und beruflichen Welten.75 Außerdem berichtete er von seinen Kollegen vor Ort76 und hielt Tilly über seine Karriereaussich-

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ten auf dem Laufenden. So schrieb er ihr im November 1910, »dass die Deputation den Kollegen [Scherer] nach Herzberge schicken will, damit ich dauernd hier bleiben kann. Die Gehaltserhöhung hat sie mir allerdings abgeschlagen – die kommt dann Oktober.«77 Einen Monat später war dann auf einmal unklar, ob dieser Kollege oder er selber an den anderen Ort wechseln sollte.78 Schließlich fiel das Los auf Henri, was einen beruflichen Misserfolg bedeutete. Doch Fragen des beruflichen Erfolgs verloren für ihn angesichts des privaten Glücks an Relevanz, wie er zumindest Tilly versicherte. Seine berufliche Leistungsfähigkeit schien ihm durch seine neue Liebe zwar regelrecht geschwächt. Denn Arbeit und Liebe verbanden sich für ihn nicht positiv, wie dies Richard Harlfinger erlebte, sondern sie konkurrierten um die nur begrenzte Aufmerksamkeit des Berufsmenschen. Aber Henri nahm die neue Übermacht der Liebe in seinem Leben gerne in Kauf, jedenfalls behauptete er das: »Verlobt sein und Arbeiten paßt nicht zusammen. Ich glaube nicht, dass wichtige Entdeckungen in verlobtem Zustande gemacht worden sind. Die Wissenschafft muss sich eben gedulden. Die Hauptsache ist, dass Du morgen kommst und wir nun ein tüchtiges Stück vorwärts kommen.«79 Während Henris wissenschaftlicher Ehrgeiz durch die Aussicht auf ein glückliches Eheleben temporär an Relevanz verlor, wurde Tillys Interesse an Medizin durch die Bekanntschaft zu Henri neu entfacht. Jedenfalls zeigte sie sich ausgesprochen aufgeschlossen gegenüber seinen wissenschaftlichen Anschauungen.80 Diese Neigung hielt ein Leben lang: In den späten 1930er Jahren, Henri war bereits verstorben, emigrierte Tilly als letzte in der Familie in die USA. Nach einer Fachausbildung arbeitete sie dann noch mehrere Jahrzehnte als Diätistin in einem New Yorker Krankenhaus.81 Als Witwe und damit frei von ehelichen Beschränkungen erfüllte sie sich also teilweise doch noch den »Traum«, im medizinischen Bereich berufstätig zu werden. Zeitlich versetzt avancierte sie zu einer Art Kollegin im Geiste ihres verstorbenen Mannes. Wie bereits gezeigt, rührte Tillys Interesse an der Medizin keineswegs daher, dass sie die Haltung ihres Mannes passiv übernahm. Sie hatte es nachweislich schon vor der Eheschließung entwickelt. Tilly heiratete damit einen Mann, der genau jenen Beruf ausübte, für den sie sich selbst von vornherein interessiert hatte. Dasselbe galt für die Lehrerin und Lehrerfrau Mathilde sowie die Künstlerin und Künstlerfrau Fanny. Es ist daher zu erwägen, ob die Gefühle dieser drei Frauen für ihre Partner auch mit den Berufen zusammenhingen, denen diese nachgingen und mit der Möglichkeit, sich über diese Berufe intellektuell auszutauschen.82 Das allerdings würde noch einmal ein neues Schlaglicht auf die Bedeutung der Berufstätigkeit von Ehemännern der Mittel- und Oberschichten des ausgehenden 19. Jahrhunderts für die Geschichte der Liebe werfen. Der bürgerliche Beruf erscheint in dieser Perspektive als Praxisfeld, das Liebende zusammenführte und Liebe stiftete, und die Ehe erscheint als eine Institution, über die Frauen einen Zugang zu jenen »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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Berufswelten erhielten, die ihnen selber ganz oder teilweise verschlossen blieben oder zu denen sie sich Zugang erhofften und erkämpften. Diese Überlegung erhält dadurch zusätzlich Gewicht, dass Frauen sich durchaus aktiv an der Partnerwahl beteiligten. Selbst die verhältnismäßig konventionelle Tilly war keineswegs ein passives Objekt der Partnerfindung, die im gutsituierten jüdischen Bürgertum zuweilen noch von den Eltern organisiert wurde.83 So zeigen die Briefe, dass sie ihre Verlobung gegen den Rat der Eltern durchsetzte. Insbesondere der Vater war zunächst gegen eine Verlobung mit Henri gewesen, wobei er als Grund nicht auf das ökonomische Gefälle der beiden Familien verwies, sondern auf eine Nervenkrankheit, an der Henris Vater gestorben war. Er hielt diese für erblich und fürchtete ganz offen um gesunde Nachkommen. Henri, der sich die Nichterblichkeit des väterlichen Leidens sogar medizinisch attestieren ließ, verstand diese Haltung nicht und mutmaßte, es könne noch andere Gründe geben. Kurz zuvor hatte er bei einem Treffen unter vier Augen aber ohnehin bereits um Tillys Hand angehalten, und Tilly hatte spontan zugesagt – vorschnell. Erst nach aufwühlenden Tagen, in denen sich Henri angesichts der elterlichen Intervention regelrecht verzweifelt zeigte, erhielten die beiden schließlich die familiäre Zustimmung.84 Auch die Bekanntschaft von Dr. Albert Fiedler und Martha Louise Leeb entsprach nicht dem konventionellen bürgerlichen Muster, wonach der Frau bei der Beziehungsanbahnung eine bloß passive Funktion zukam. Im Gegenteil, die 1874 geborene Angestellte Martha übernahm den aktiven, den werbenden Part. Sie war es, die dem drei Jahre jüngeren, promovierten Albert als erste ihre tiefen Gefühle gestand, und zwar per Brief: O ich hätte es Ihnen ja so gerne gesagt, aber ich konnte es nicht, doch es ist ja keine Schande u. auch keine Sünde, wenn man Jemanden lieb hat, u. wenn man sich daher an der Anwesenheit dessen freut! Jetzt habe ich es ausgesprochen, aber ich bitte verurtheilen Sie mich nicht! Es ist ja nicht eine Leidenschaft, die vorübergeht, nein, es ist das die auf der größten Hochachtung basierende, innige und unauslöschliche Neigung, die nur der liebe Gott allein dem Menschen gibt. Oft habe ich innig gebetet, der liebe Gott möge mir einen Fingerzeig geben, ob ich mich über mein Gefühl nicht etwas täusche, u. wenn Wir das nächste Mal beisammen waren, mußte ich mir nur immer wieder sagen, nein, es ist so, ich hab ihn unaussprechlich …!85

Im Vergleich zu dem Künstler/innenpaar Fanny Zakucka und Richard Harlfinger sowie dem Lehrer/innenpaar Ottokar Hanzel und Mathilde Hübner waren das ›Fräulein vom Amt‹ und der promovierte Finanzbeamte gleichwohl ein höchst ungleiches Paar. Neben das Bildungsgefälle trat die Tatsache, dass die Erwerbstätigkeit für Martha keine intellektuelle Anregung bot; jedenfalls lässt das die weitgehende Abwesenheit dieses Themas in ihren Briefen vermuten. Anders als Tilly wollte sie von ihrem männlichen Gegenüber auch nichts über

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die Inhalte erfahren, mit denen er sich täglich beschäftigte, also nicht von ihm lernen und nicht in seine Welt eintauchen. Aber auch dieses Paar verband die gemeinsame Arbeit. Denn in der Phase des Kennenlernens standen die beiden beruflich in Kontakt, wie einer von Marthas Briefen dokumentiert. Sie erteilte ihm, der offenbar auch als Übersetzer tätig war, im Namen ihres Vorgesetzten einen Geschäftsauftrag: Vor Allem übermittle ich Ihnen den besten Dank meines Chefs für Ihre besondere Liebenswürdigkeit. Nachdem Sie es aber gar so gut gemacht haben, ist er sehr besorgt, daß Sie diesbezüglich nicht aus der Übung kommen, und läßt Sie daher nochmals freundlichst bitten, ihm noch die weitere Gefälligkeit zu erweisen, beiliegendes Schreiben, welches die Ergänzung des Contractes ist, in’s Ungarische zu übersetzen. Ich hoffe, daß Sie dieser Belästigung halber nicht ungehalten sein werden, und glaube, daß ich diesbezüglich Sie nicht mehr in Anspruch nehmen muß, was mir ja in wiederholten Fällen gewiß selbst sehr unangenehm wäre; – Aber wie gesagt, wir konnten uns eben in ganz Wien keinen sonstigen bekannten Translator finden.86

Offenbar empfand Martha das Eindringen eines geschäftlichen Anliegens in die private Kommunikation als unvorbereitet und unpassend, als eine Art von Störung. Sie selbst wollte diese beiden Sphären trennen. Liebe und Berufstätigkeit verwoben sich also nicht im Verlauf der Beziehung, sondern wurden auseinanderdividiert, nachdem sie ursprünglich verbunden gewesen waren. In der Arbeitswelt begegneten sich auch Irmgard Schneider und Dr. Johann Schuller, die vermutlich beide in einem Finanzamt beschäftigt waren – sie als schreibende Kraft, er in leitender Position. Ähnlich wie bei Martha und Albert kam es in ihren Briefen zu keinem intellektuellen Austausch, und mit der Verlobung gab Irmgard ihre Tätigkeit ohne Bedauern auf. Zuvor bekundete sie wiederholt ihre innige Anteilnahme an seinen beruflichen Aufgaben, freilich ohne die Bitte, ihr mehr davon zu erzählen: »Meine Gedanken sind unausgesetzt mit Dir beschäftigt ich erlebe im Geiste alle Schwierigkeiten einer Amtsübergabe mit Dir, liebstes Herz, und möchte Dir, wenn ich könnte, so gerne alle Hindernisse aus dem Wege räumen.«87 Immerhin aber tauschte sie sich mit ihm vertraulich über interne Personalfragen aus. So berichtete Irmgard über die »Amtsübergabe an Herrn G. Dr. [Lendl]«, der damit Irmgards Vorgesetzter wurde – und dankte Johann für entsprechende Informationen über dessen Person: Auch für Deine Schilderung bezüglich Dr. [Lendl] danke ich Dir wärmstens, liebes Schatzerl! Weißt Du, man ist doch gleich viel beruhigter, wenn man weiß, wie der zukünftige Chef ist. Ich glaube, O. F. R. [Leeb] und Oh. [Newerka] halten Oh. [Berner] nicht für fähig, das Amt weiter zu leiten, weil beide Herren ihn in Anwesenheit des Personales […] Ausstellungen [sic] machten. Du, liebster [ Jo], dürftest also Recht haben, daß die Versetzung ein »[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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Mißtrauensvotum für ihn bedeutet. Ich bedauere sehr, daß es so enden mußte; wenn es Ihn [sic] nur nicht in seiner ferneren Laufbahn schadet.88

Die Korrespondenzen von Irmgard Schneider und Martha Louise Leeb deuten zudem an, dass mit dem seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert rasant wachsenden Verwaltungs- und Dienstleistungssektor, in dem viele unverheiratete Frauen tätig waren, auch neue Wege der Anbahnung heterosexueller Romanzen im bürgerlichen Umfeld entstanden. Neben die familiären Netzwerke und die Sphäre der bürgerlichen Geselligkeit, etwa das Theater, in dem sich Tilly und Henri das erste Mal begegneten, trat der Arbeitsplatz im Büro und in der Verwaltung. Er avancierte zu einer Arena der heterosexuellen Begegnung und der flüchtigen, potentiell erotischen Begegnung, auch und gerade unter den auf die Trennung von ›Öffentlichkeit‹ und ›Privatheit‹ so bedachten Bürgerinnen und Bürgern. Die Erwerbstätigkeit wurde von den hier beleuchteten weiblichen Angestellten jedoch ganz offensichtlich nicht als Quelle persönlicher Vervollkommnung überhöht, keine bemühte sich daher um einen intellektuellen Austausch mit dem schließlich gefundenen, promovierten und intellektuell deutlich überlegenen Partner. Auch im Geiste waren diese Liebenden keine Kollegen, und sie standen beruflich auf weit entfernten Hierarchiestufen. Aber sie standen beide im Beruf – und waren deshalb in Kontakt.

5. Fazit Die Frauen der hier untersuchten Korrespondenzen engagierten sich nur teilweise selber für die damalige/n Frauenbewegung/en. Aber sie alle profitierten von deren Kämpfen, denn sie erhielten jene Bildungsabschlüsse, die in diesen eingefordert und gerade erst durchgesetzt worden waren. Die beruflichen Perspektiven, Wünsche und Träume fallen in den Korrespondenzen dann aber sehr unterschiedlich aus. Sie reichen aufseiten der Schreiberinnen vom Verzicht auf jegliche Erwerbstätigkeit über den gemeinsam geplanten Berufsausstieg als Angestellte im Zuge der Verlobung bis hin zur Planung einer doppelten Künstlerkarriere. Neben dieser Heterogenität der Lebensentwürfe sind zwei Ergebnisse festzuhalten. Auffällig ist zum einen, dass die beruflichen Interessen der Frauen – wenn sie solche artikulierten – in den hier untersuchten Beispielen den Berufen ihrer Partner entsprachen, was aber kein Ergebnis der Liebe war. Vielmehr ging dieses berufliche Interesse der Frauen der Partnerwahl voraus. Und da, wo die Liebenden nicht intellektuell durch ihre beruflichen Interessen verbunden waren, waren sie es durch den Berufsalltag selbst: Sie begegneten sich während der Arbeit. Die Erwerbsarbeit erscheint damit als ein Feld, das Liebe stiftete und Liebende miteinander verband.

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Zum anderen wurden die Spielräume weiblicher Berufstätigkeit in den Briefen zwar angesprochen und thematisiert, aber keineswegs argumentativ ausgehandelt, ausgefochten oder gar verschoben. Zu offenem Dissens kam es nicht, was auch einschließt, dass das Ausmaß weiblicher Erwerbstätigkeit an keiner Stelle von männlicher Seite aktiv eingeengt wurde. Im Gegenteil: In der Frage des Umgangs mit den Möglichkeiten weiblicher Berufstätigkeit waren sich die Liebenden offenbar einig – oder jedenfalls demonstrierten sie in den erhalten gebliebenen Briefen relative Einigkeit. Wie ist diese Abwesenheit von Dissens zu erklären? Zum einen dürfen die Genreregeln bürgerlicher Briefkommunikation ebenso wenig übersehen werden wie die spezifische Funktion solcher Briefe, sich wechselseitig der Zuneigung und Liebe zu vergewissern, und schließlich wog das strukturelle, juristisch und ökonomisch institutionalisierte Machtgefälle der Partner. All das könnte zum meist harmonischen Tonfall der hier untersuchten Korrespondenzen beigetragen haben. Denn teilweise scheint der Konsens durchaus auf brüchigem Fundament gestanden zu haben. So widersprach die Fabrikantentochter Tilly dem Psychiater Henri nicht offen. Aber sie war auch nicht exakt seiner ­Meinung. Möglich ist aber auch, dass das Wissen um die Pluralität beruflicher Praktiken und Träume von Frauen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert bereits so groß war, dass angehenden Eheleuten Konsens in diesem Punkt besonders wichtig erschien. Er könnte gleichsam Voraussetzung einer erfolgreichen Eheanbahnung gewesen sein – und vielleicht auch Voraussetzung einer ›glücklichen‹ Ehe? Schaut man auf die hier beleuchteten Paare, dann heirateten jedenfalls eher konventionell Denkende eher konventionell Denkende, während ansatzweise ›neue Frauen‹ den Geschlechterkampf nicht in der Liebe ausfochten, sondern sich in ansatzweise ›neue Männer‹ verliebten – und um­ gekehrt. Gustav Mahler dagegen verschätzte sich. Erst kurz vor der Verlobung wurde ihm klar, mit welcher Selbstverständlichkeit die 1879 geborene und damit zwei Jahrzehnte jüngere Alma Schindler in der Ehe weiter komponieren wollte. Er schrieb ihr, das betreffe »gerade jene Seite« ihres Verhältnisses, »die für alle Zukunft, als die Grundlage unserer Beziehung, geklärt und durchgesprochen sein muss, wenn wir glücklich werden wollen!«89 Und tatsächlich: Glücklich wurden sie miteinander nicht.

»[…] mein Eheweib und nicht mein College«?

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Anmerkungen 1 Alle Zitate Richard Harlfinger (1873–1948) an Fanny Zakucka (1873–1954), ohne Datum (Poststempel 15.12.1902), Privatbestand. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 2 Vgl. zu beiden die knappen biografischen Angaben in Art. Harlfinger, Richard, in: Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950, 2, Graz/Köln 1959, 189. 3 Vgl. Jürgen Schulte, Dual-career couples. Strukturuntersuchung einer Partnerschaftsform im Spiegelbild beruflicher Anforderungen, Wiesbaden 2002; Janet Stocks, Capitolina Díaz u. Björn Halleröd (Hg.), Modern Couples Sharing Money, Sharing Life, Basingstoke 2007; in der Perspektive der Geschlechter- und Männerforschung Cornelia Behnke u. Michael Meuser, »Wenn zwei das Gleiche wollen«. Konkurrenz und Kooperation bei Doppelkarrierepaaren, Beitrag für AIM-Gender, 4. Tagung, Stuttgart-Hohenheim, ­2.–4.2.2006, unter: https:// web.archive.org/web/20140407080015/, Zugriff: 13.3.2016; sowie in Hinblick auf das akade­ mische Feld Allesandra Rusconi u. Heike Solga (Hg.), Gemeinsam Karriere machen. Die Verflechtung von Berufskarrieren und Familie in Akademikerpartnerschaften, Berlin 2011. 4 Vgl. den Beitrag von Ingrid Bauer in diesem Band. 5 Vgl. etwa Leonore Davidoff, »Alte Hüte«. Öffentlichkeit und Privatheit in der feministischen Geschichtsschreibung, in: L’Homme. Z. F. G., 4, 2 (1993), 7–36. 6 Über das »bürgerliche Liebes- und Ehemodell in der feministischen Kritik« vgl. Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch, Liebe widerständig erforschen. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien u. a. 2005, 9–35, Zitat 14. 7 Margret Friedrich, Zur Genese der Stellung der Ehefrau im österreichischen Allge­meinen Bürgerlichen Gesetzbuch, in: L’Homme. Z. F. G., 14, 1 (2003), S. 97–109, 109. 8 Zu dem in Österreich nicht einheitlich geregelten Zölibat für Lehrerinnen vgl. Gunda Barth-Scalmani, Geschlecht: weiblich, Stand: ledig, Beruf: Lehrerin, in: Brigitte MazohlWallnig (Hg.), Bürgerliche Frauenkultur im 19. Jahrhundert, Wien 1995, 343–400, 382 f. 9 Vgl. Friedrich, Zur Genese der Stellung der Ehefrau, 97–109. 10 Vgl. zu den Frauenbewegungen Österreichs die grundlegende Studie von Gabriella Hauch, Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938, Innsbruck/Wien/Bozen 2009. 11 Vgl. etwa Margret Friedrich, »Dornröschen schlafe hundert Jahr …« Zur Geschichte der Mädchenbildung in Österreich im 19. Jahrhundert, in: dies. u. Peter Urbanitsch (Hg.), Von Bürgern und ihren Frauen, Wien/Köln/Weimar 1996, 181–195; Gertrud Simon, Hintertreppen zum Elfenbeinturm. Höhere Mädchenbildung in Österreich. Anfänge und Entwicklung. Ein Beitrag zur Historiographie und Systematik der Erziehungswissenschaften, Wien 1993. 12 Zur Frauenerwerbsarbeit in der österreichischen Geschichte des ausgehenden 19.  Jahrhunderts vgl. die tabellarische Übersicht bei Hauch, Frauen bewegen Politik, 35, aber auch die immer noch anregenden, älteren Studien von Edith Rigler, Frauenleitbild und Frauenerwerbstätigkeit in Österreich vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, Wien 1976, sowie Erna Appelt, Von Ladenmädchen, Schreibfräulein und Gouvernanten. Die weiblichen Angestellten Wiens zwischen 1900 und 1934, Wien 1985. Zu frauenbewegten Debatten über ›Arbeit‹ im Spannungsfeld von Erwerbs- und Hausarbeit vgl. außerdem Erna Appelt, Feministische Diskurse über den Begriff der Arbeit, in: Heide Dienst u. Edith Saurer (Hg.), »Das Weib existiert nicht für sich«. Geschlechterbeziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft, Wien 1990, 7–20. Zum Frauenstudium vgl. Waltraud Heindl u. Marina Tichy (Hg.), »Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …« Frauen an der Universität Wien (ab 1897), Wien 1990. 13 Gustav Mahler an Alma Schindler, 19.12.1901, in: Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav

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Mahlers an Alma. Erste Gesamtausgabe, hg. v. Henry-Louis de la Grange u. Günther Weiß, Berlin 1995, 104–111, 108. 14 Zum besonderen Stellenwert des Berufes in der ›bildungsbürgerlichen‹ Ehe vgl. Karin Hausen, »… eine Ulme für das schwanke Efeu«. Ehepaare im Bildungsbürgertum. Ideale und Wirklichkeiten im späten 18. und 19. Jahrhundert, in: Ute Frevert (Hg.), Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988, 85–117. Zur Bedeutung des Berufes für die Konstruktion und Geschichte von Männlichkeiten vgl. Jürgen Martschukat u. Olaf Stieglitz (Hg.), Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt a. M. 2008, 84–111. 15 Gustav Mahler an Alma Schindler, 19.12.1901, in: Ein Glück ohne Ruh’, 104. 16 Vgl. die frühen, prägnanten Ausführungen von Ute Frevert, »Wo du hingehst …« Aufbrüche im Verhältnis der Geschlechter. Rollentausch anno 1908, in: August Nitschke, Gerhard A. Ritter, Detlev J. K. Peukert u. a. (Hg.), Jahrhundertwende. Der Aufbruch in die Moderne 1880–1930, 2, Reinbek bei Hamburg 1990, 89–118, mit überwiegendem Fokus auf das Deutsche Kaiserreich. Im Hinblick auf die österreichische Geschichte vgl. Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20.  Jahrhunderts, Wien/Köln/ Weimar 2005, 127–164. Ausgehend von Scheidungsfällen in der Schweiz hat Caroline Arni die Verwerfungen zwischen den Geschlechtern eindrucksvoll beschrieben: Caroline Arni, Entzweiungen. Die Krise der Ehe um 1900, Köln/Weimar/Wien 2004. 17 Clara Zetkin, Der Student und das Weib, Berlin 1899, 12.  18 Vgl. zum Projekthintergrund und den Quellen die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 19 Vgl. Ernst Bruckmüller u. Hannes Stekl, Zur Geschichte des Bürgertums in Österreich, in: Jürgen Kocka (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert, 2, München 1988, 160–192. 20 Es handelt sich – die Mädchennamen der Frauen verwendend – um die Korrespondenzen von Fanny Zakucka und Richard Harlfinger, 1903–1905, Privatbestand; Mathilde Hübner (1884–1970) und Ottokar Hanzel (1879–1959), 1907–1937, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 1; Mathilde (Tilly) Hirschfeld (Pseud., 1886–1979) und Henri Mandel (Pseud., 1876–1931), 1910/11, SFN, NL 120; Irmgard Schneider (Pseud.) und Johann Schuller (Pseud., persönliche Daten unbekannt), 1900–1930, SFN, NL 70 I; Martha Louise Leeb (Pseud., 1874–1943) und Albert Leopold Fiedler (Pseud., 1877–1950), 1904–1906, SFN, NL 80 I. Mit Ausnahme der Korrespondenzen Zakucka/Harlfinger sowie Hübner/Hanzel, zu denen bereits Veröffentlichungen vorliegen, sind alle Namen Pseudonyme und bei ihrer ersten Nennung in den Endnoten also solche gekennzeichnet. Die überlieferten Bestände, aus denen hier in der originalen Schreibweise zitiert wird, umfassen teilweise einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten; es wurden für diesen Aufsatz aber nur die Briefe vor Kriegsbeginn einbezogen. Zu Paarkorrespondenzen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs vgl. die Beiträge von Ines Rebhan-Glück und Christa Hämmerle in diesem Band. 21 Vgl. Jürgen Kocka, Das europäische Muster und der deutsche Fall, in: ders. (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Eine Auswahl, 1: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, 9–75, Zitat 17. Statt vom Bürgertum wird im Folgenden daher – offener und weiter – von den gebildeten Mittel- und Oberschichten gesprochen, die in eine Vielzahl von Gruppen zerfielen, auch wenn sie in der Vorstellung von Bürgerlichkeit einen gemeinsamen Bezugspunkt fanden. Vgl. dazu sowie als aktuellen Forschungsüberblick Manfred Hettling, Bürger, Bürgertum, Bürgerlichkeit, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 4.9.2015, unter: http://docupedia.de/zg/B.C3.BCrger?oldid= 107499, Zugriff: 4.10.2016. 22 Vgl. etwa die methodischen Überlegungen von Dagmar Günther, »And now for something completely different«. Prolegomena zur Autobiographie als Quelle der Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift, 272, 1 (2001), 25–61, sowie die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band.

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23 Vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 24 Vgl. die Angaben in Anm. 20. 25 Vgl. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 66–116. 26 Vgl. Hauch, Frauen bewegen Politik, 13; Hanisch, Der lange Schatten, 110. 27 Die Angaben zur Biografie hier und auch im Folgenden nach dem Bestandsverzeichnis der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, zusammengestellt von Li Gerhalter unter der Mitarbeit von Brigitte Semanek, Stand: September 2012, 18–22; vgl. außerdem Monika Bernold u. Johanna Gehmacher, Auto/Biographie und Frauenfrage. Tagebücher, Briefwechsel, politische Schriften von Mathilde Hanzel-Hübner (1884–1970), Wien/Köln/Weimar 2003; Ines Rebhan-Glück, »Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären …« Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2010; dies., Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: Österreich in Geschichte und Literatur, 56, 3 (2012), 231–246. 28 Das erste Privat-Mädchengymnasium auf dem Boden des heutigen Österreichs hatte 1892 seine Pforten geöffnet, und zwar auf Initiative des Vereins für erweiterte Frauenbildung. Vgl. Simon, Hintertreppen zum Elfenbeinturm, 155–157. 29 1878 war der Ausschluss von Frauen vom Universitätsstudium reichsweit verordnet worden, und erst ab 1897 wurde das Studium in Österreich langsam und schrittweise für Frauen geöffnet. Im Wintersemester 1911/12 studierten an der Universität Wien bereits 500 Frauen, bei 8812 Studenten insgesamt. Zahlen nach Waltraud Heindl, Die Studentinnen der Universität Wien. Zur Entwicklung des Frauenstudiums (ab 1897), in: Dienst/Saurer, »Das Weib existiert nicht für sich«, 174–188, 176, 179; vgl. außerdem Heindl/Tichy, »Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …«. 30 Vgl. Harriet Anderson, Vision und Leidenschaft. Die Frauenbewegung im Fin-de-Siècle Wiens, Wien 1994; Bernold/Gehmacher, Auto/Biographie und Frauenfrage; Li Gerhalter, Freundinnenschaft als geschriebener Ort. Briefliche Selbst/Inszenierungen von Frauenfreundschaften der jungen Lehrerin Tilde Mell (Wien, 1903–1912), in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 48/2005, 62–69. 31 Die obigen Angaben folgen Megan Brandow-Faller, Harlfinger-Zakucka Fanny, in: biografiA – biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen, unter: http://www. univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/Harlfinger-Zakucka_Fanny.htm, Zugriff: 1.8.2013. Weitere biografische Angaben sowie Informationen zur Struktur der künstlerischen Ausbildung von Frauen im Wien der Jahrhundertwende bei Julie M. Johnson, The Memory Factory. The Forgotten Women Artists of Vienna 1900, West Lafayette, IN 2012; Megan Brandow-Faller, An Art of Their Own. Reinventing Frauenkunst in the Female ­Academies and Artist Leagues of Late-Imperial and First Republic Austria, 1900–1930, unveröffentlichte Dissertation, Georgetown University, Washington, DC 2010, unter: https://repository.library.georgetown.edu/bitstream/handle/10822/553120/brandowMegan. pdf, Zugriff: 5.10. 2015; Sabine Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich, 1­ 897–1938, Wien 1994, 270, 73–77. 32 Vgl. Art. Harlfinger, Richard. 33 Vgl. Harriet Anderson, »Mir wird es immer unmöglicher, ›die Männer‹ als die Feinde der Frauenbewegung zu betrachten …« Zur Beteiligung von Männern an den Bestrebungen der österreichischen Frauenbewegung/en um 1900, in: Dienst/Saurer, »Das Weib existiert nicht für sich«, 189–201; Anne Lopes u. Gary Roth, Men’s Feminism. August Bebel and the German Socialist Movement, Amherst, NY 2000. 34 Vgl. Martha Louise Leeb und Albert Leopold Fiedler, SFN, NL 80 I. 35 Vgl. Irmgard Schneider und Johann Schuller, SFN, NL 70 I.

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36 Vgl. Mathilde (Tilly) Hirschfeld und Henri Mandel, SFN, NL 120. 37 Vgl. etwa Margret Friedrich, »Vereinigung der Kräfte, Sammlung des kleinen Gutes zu einem gemeinschaftlichen Vermögen, kurz die Assoziation ist hier die einzige Rettung«. Zur Tätigkeit und Bedeutung der Frauenvereine im 19. Jahrhundert in Metropole und Provinz, in: Mazohl-Wallnig, Bürgerliche Frauenkultur, 125–173. 38 Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten. 39 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 4.9.1910, SFN, NL 120. 40 Vgl. Paul Julius Möbius, Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, Halle 1900. 41 Vgl. u. a. Irmgard Schneider an Johann Schuller, 2.3.1901, SFN, NL 70 I: »Vorige Woche lustrierte Finanzrath B. bei uns, zwei Tage hindurch. Er war bis auf die Personalein­ kommensteuer zufrieden, da wir damit noch sehr im Rückstande sind, verlängerte Herr Ober-Insp. die Amtsstunden bis 5h.« 42 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 10.4.1903, SFN, NL 70 I. 43 Alle Zitate Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, SFN, NL 120. 44 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, SFN, NL 120. 45 Zit. nach: Barbara Beuys, Die neuen Frauen  – Revolution im Kaiserreich 1900–1914, München 2014, 252; vgl. auch die quellenkritisch problematische Biografie von Gerit von Leitner, Der Fall Clara Immerwahr. Leben für eine humane Wissenschaft, München 1993, sowie als Korrektiv Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber 1868–1934. Eine Biographie, München 1998, 124–131, 393–405. 46 Von Leiter, Der Fall Clara Immerwahr, interpretiert den Selbstmord als Protest gegen den Einsatz von Giftgas bei Ypern unter der wissenschaftlichen Leitung von Fritz Haber. Diese Deutung wird aber entkräftet durch die quellenkritischen Anmerkungen von ­Szöllösi-Janze, Fritz Haber, 393–399. 47 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, 129. 48 Vgl. Beuys, Die neuen Frauen, 269. 49 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 5.4.1903, SFN, NL 70 I. 50 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 10.4.1903, SFN, NL 70 I. 51 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 16.4.1903, SFN, NL 70 I. 52 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, SFN, NL 120. 53 Vgl. für Deutschland Ute Planert, Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurse, soziale Formation und politische Mentalität, Göttingen 1998. 54 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 22.9.1910, SFN, NL 120. 55 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, SFN, NL 120. 56 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 22.9.1910, SFN, NL 120. Vgl. auch ihren Brief vom 4.9.1910: »Ob Sie recht haben, daß ernsthaftes geistiges Streben, (in Gedanken meinten Sie wohl, ›bei den Frauen‹) so selten ist, möchte ich dahingestellt lassen. Bei meinen Bekannten stimmt es zwar, trotzdem kommt es mir unwahrscheinlich vor.« Ebendort stellte sie aber auch fest: »Aus allen diesen Schwierigkeiten ist, wie Sie ebenfalls richtig sagen, für die Frau die Ehe der einzig mögliche und wahrscheinlich auch angenehmste Weg. Es gibt aber so viele, bei denen es sowohl zum heiraten, als zum Studium zu spät ist und ich glaube, daß das sich immer mehr verbreitende Studium seinen Ausgang aus solchen verfehlten Existenzen genommen hat, sagen wir um für alle späteren Eventualitäten gewappnet zu sein. Nur in diesem Sinne ist es mir sympathisch, da es doch immer meistens eine Halbheit bleibt.« 57 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, SFN, NL 120. 58 Vgl. die in Anm. 27 zitierte Literatur. 59 Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 10.7.1907, SFN, NL 1. 60 Vgl. Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 24.7.1907, SFN, NL 1. 61 Alle Zitate Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 26.7.1907, SFN, NL 1. Hervorhebungen wie im Original.

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62 Richard Harlfinger an Fanny Zakucka, 14.12.1902, Privatbestand. 63 Vgl. Wolfgang Ruppert, Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19.  und frühen 20.  Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998. 64 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 29.7.1903, Privatbestand. 65 Zur Historisierung und Relativierung ›bürgerlicher‹ Leistungsorientierung vgl. Nina Verheyen, Bürgerliches Leistungsethos? Geschichtswissenschaftliche Korrekturen einer irreführenden Formel, in: Denis Hänzi, Hildegard Matthies u. Dagmar Simon (Hg.), Erfolg – Konstellationen und Paradoxien einer gesellschaftlichen Leitorientierung, BadenBaden 2014, 45–61. 66 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 29.7.1903, Privatbestand. Vgl. auch ihren ironischen Kommentar vom 19.8.1903. 67 Richard Harlfinger an Fanny Zakucka, 7.2.1904, Privatbestand. 68 Richard Harlfinger an Fanny Zakucka, 3.1.1904, Privatbestand. 69 Alle Zitate Richard Harlfinger an Fanny Zakucka, 2.1.1904, Privatbestand. 70 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 9.9.[1902], Privatbestand. 71 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 12.8.1903, Privatbestand. 72 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 2.8.1903, Privatbestand. 73 Fanny Zakucka an Richard Harlfinger, 4.6.1903, Privatbestand. 74 Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 8.7.1907, SFN, NL 1. 75 Vgl. u. a. Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, 31.10.1910, 2.10.1910, 5.10.1910, 6.11.1910, SFN, NL 120. 76 Vgl. Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 6.11.1910, 18.1.1911, 9.2.1911, SFN, NL 120. 77 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 2.11.1910, SFN, NL 120. 78 Vgl. Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 6.12.1910, SFN, NL 120. 79 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 7.12.1910, SFN, NL 120. 80 Vgl. u. a. Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 13.9.1910, 31.10.1910, 2.10.1910, 5.10.1910; Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 4.9.1910, 4.10.1910, SFN, NL 120. 81 Vgl. SFN, NL 120. 82 Denn Gefühl und Verstand sind keine Antipoden, das zeigen Ergebnisse der Neuroebenso wie der Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaften.Vgl. zuletzt Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der historischen Emotionsforschung, München 2012. 83 Vgl. zu Heiratsstrategien im jüdischen Bürgertum das Kapitel »Geld oder Liebe?« in Marion A. Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, Hamburg 1997, 130–164, sowie in kritischer Auseinandersetzung mit Kaplan Trude Maurer, Partnersuche und Lebensplanung. Heiratsannoncen als Quelle für die Sozial- und Kulturgeschichte der Juden in Deutschland, in: Peter Freimark, Alice Jankowski u. Ina S. Lorenz (Hg.), Juden in Deutschland. Emanzipation, Integration, Verfolgung und Vernichtung, Hamburg 1991, 344–374. 84 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 19.10.1910, 21.10.1910, 22.10.1910, 23.10.1910, 24.10.1910, 25.10.1910, 27.10.1910. Vgl. dazu Nina Verheyen, Verbriefte Gefühle. Eine Quellencollage 1910/1911, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 66, 12 (2012), 1118–1129. 85 Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler, 8.8.1905, SFN, NL 80 I. 86 Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler, 21.7.1905, SFN, NL 80 I. 87 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 6.1.1903, SFN, NL 70 I; vgl. auch 22.12.1902, 09.03.1903. 88 Irmgard Schneider an Johann Schuller, 16.8.1902, SFN, NL 70 I. 89 Gustav Mahler an Alma Schindler, 19.12.1901, in: Ein Glück ohne Ruh’, 104.

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Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg 1. Einleitung – vom Fallbeispiel zur Forschungsfrage Vor einigen Wochen schriebst Du: Ich wäre ein Ungeheuer, wenn sie (Deine Eifersucht) ohne Grund wieder erwachte. Denke, was Du tust, wenn Du mich verletztest, denk an und zerstöre nicht, was wundervoll und einzig herrlich /in/ unserm Besitz war: das gegenseitige völlige hingebungsvolle Vertrauen […].1

Mit diesen Zeilen wandte sich die ›frauenbewegte‹ Bürgerschullehrerin Mathilde Hanzel im Januar 1918 an ihren Ehemann Ottokar Hanzel, der zu dieser Zeit als Landsturm-Hauptmann in den Verteidigungswerken Garda und Brione und damit am südlichen Frontabschnitt zwischen Österreich-Ungarn und Italien stationiert war.2 Ihre Worte stammen aus einem der wenigen Feldpostbriefe, in denen das seit 1910 verheiratete Paar offen einen Konflikt thematisierte. Es ging dabei um eine eigenständige finanzielle Entscheidung Mathilde Hanzels, die »ohne […] Einwilligung«3 ihres Mannes an gemeinsame Bekannte, die Familie von Holler, Geld verliehen hatte. Ottokar Hanzel fühlte sich durch das ›eigenmächtige‹ Handeln seiner Ehefrau offenbar in seiner – nicht zuletzt durch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 18114 festgeschriebenen  – Rolle als Haushaltsvorstand und Familienoberhaupt hintergangen und machte ihr den Vorwurf der »Unaufrichtigkeit«.5 Die daraus resultierende Auseinandersetzung generierte im Briefwechsel der beiden sowohl ein Schreiben über ihr gegenseitiges Vertrauen als auch über Ottokar Hanzels Eifersucht. Denn für ihn als Ehemann ging es nicht nur um das Geldverborgen an sich, sondern vielmehr um jene Person, der dieses Geld zukommen sollte: den Bildhauer Erich von Holler6 als männlichen Vorstand der befreundeten Familie. Dieser war, wie Mathilde Hanzel ihrem Mann brieflich berichtete, durch das kriegsbedingte Ausbleiben von Werkaufträgen und der finanziellen Unterstützungen seiner Schwiegermutter in wirtschaftliche Bedrängnis geraten.7 Schon in einem früheren Schreiben Mathilde Hanzels und vor diesem ehelichen Konflikt um die wirtschaftliche Situation und Verfügungsmacht der Ehepartner waren der gemeinsame Bekannte und Ottokar Hanzels Eifersucht zum Gegenstand der schriftlichen Kommunikation geworden. In einem Brief vom 8. Januar 1918 hieß es dazu in Anlehnung an einen vorangegangenen Besuch Erich von Hollers in der Wohnung des Paares: Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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Gestern machte Tini [Hausmädchen der Familie, I. R.-G.] eine köstliche Bemerkung: sie sagte nämlich, sie hätte gemerkt, daß Du eifersüchtig seiest an Folgendem: Als damals [Holler] hier war, einige Minuten bevor Du kamst, zeigte ich ihm meinen Modellierkasten. Als er dann weg war, sagtest Du ›So? Das hast Du ihm gleich gezeigt?‹ Welche Worte T. als Eifersuchtsbeweis in der Küche hörte.8

Während Mathilde Hanzel in diesen Zeilen die Worte des Dienstmädchens über Ottokar Hanzels potenzielle Eifersucht noch in Form einer belustigend erscheinenden Anekdote schilderte, veränderte sich die Schreibweise im Laufe der Auseinandersetzung des Ehepaares über den Geldverleih. Denn Ottokar Hanzels Eifersucht schien in diesem Kontext offenbar zu einem Gefühl geworden zu sein, das nicht nur ernstere Bezüge erhielt, sondern auch eine tatsächliche Vertrauenskrise zwischen dem Ehepaar hervorrief: »Wenn Du auch nur das geringste peinliche Gefühl hast, daß ich mit dem Manne bei meinen Besuchen auch zusammentreffen könnte lasse ich – Deiner Ruhe zuliebe – den ganzen Verkehr. Ich kann ja im Schopenhauer lesen oder Strümpfe stopfen, oder? Oder?? … Meine Wangen sind heiß, aber ich will mich weder ärgern noch kränken.«9 Trotz der hier zu beobachtenden konflikthaften Situation blieb – das dokumentiert der weitere überlieferte Briefwechsel  – der Verkehr mit der Familie von Holler aufrecht. Verantwortlich dafür dürften wohl primär Mathilde Hanzels schriftliche Distanzierung von der Person Erich von Hollers gegenüber ihrem Ehemann gewesen sein, sowie ihre gleichzeitige Versicherung, dass das Darlehen nichts mit dem männlichen Oberhaupt der befreundeten Familie zu tun hatte, sondern in erster Linie eine Hilfeleistung und »Solidaritätshandlung«10 für dessen Frau und Schwiegermutter gewesen war: Ich weiß, daß jemand, der seine Pflicht nicht tut, für dich erledigt ist, der Betreffende war es längst f[ür] mich, als da ich beim ersten Zusammentreffen hörte /u. sah/, er rauche x fach überzahlte Zigaretten, dann wieder erfuhr ich, daß er abends Wein trinke, also viel zu teuer lebe … Seine Frau hat 2 Jahre lang ohne Mädchen durchgehalten und sich ein Leiden durch Kohlenschleppen etc. zugezogen. Nicht dem Haushalte des Mannes wollte ich helfen, sondern der Frau und ihrer Mutter […].11

Mathilde Hanzels eben zitierte Briefstellen werfen Fragen nach den Geschlechterbeziehungen im Ersten Weltkrieg und nach Irritationen in diesen Beziehungen auf. Und sie führen uns zu einer bisher in der historischen Forschung wenig beachteten Thematik in Kriegs- und Feldpostkorrespondenzen von sich liebenden beziehungsweise verheirateten Paaren, nämlich der Eifersucht und damit zusammenhängenden Emotionen. Ausgangspunkt für eine Annäherung an diese Gefühle ist im Folgenden der Versuch einer Verknüpfung der neueren Feldpostforschung mit frauen-, geschlechter- und emotionsgeschichtlichen

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Ansätzen. Gerade letztere fristen in Untersuchungen zu Paarkorrespondenzen aus dem Ersten Weltkrieg noch immer ein Randdasein. Die in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den letzten Jahren zu beobach­ lexandra tende und weiter zunehmende »Sehnsucht nach Gefühlen«,12 wie A Przyrembel es nennt, scheint in diesem Feld nur sehr zögerlich zum Vorschein zu kommen. Emotionsgeschichtliche Studien sind daher gegenwärtig – ungeachtet des ›Booms‹ neuer Forschungen zum Ersten Weltkrieg im Kontext des Erinnerungsjahres 2014 – noch eher die Ausnahme denn die Regel.13 Ein ähnlicher Befund lässt sich auch hinsichtlich der Inklusion frauen- und geschlechtergeschichtlicher Ansätze in Untersuchungen zu Kriegs- und Feldpostkorrespondenzen festhalten. Zwar hat es in den 1990er Jahren zweifellos Bestrebungen zu einer Zusammenführung dieser beiden Forschungsfelder gegeben,14 doch scheint diese – zumindest im deutschsprachigen Raum – nicht von nachhaltiger Dauer gewesen zu sein.15 Gerade solche Forschungsarbeiten zeigen jedoch, wie zentral die als mehrfach relational konzeptualisierte Kategorie Geschlecht für eine Analyse beziehungsweise das Verständnis der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts ist. In Hinblick auf die von 1914 bis 1918 milliardenfach zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ gewechselten Kriegs- und Feldpostbriefe haben Untersuchungen beispielsweise gezeigt, wie sehr diese beiden Sphären der Kriegsgesellschaft in Wechselbeziehung zueinander standen, beziehungsweise wie zentral die Funktion der Feldpost nicht nur als ›Lebenszeichen‹, sondern auch als Beziehungsmedium war.16 Dabei wurden auch mannigfaltige Gefühle kommuniziert, sei es die Angst und Sorge um das Wohlbefinden des/der geliebten Anderen, Wut über die katastrophale Ernährungssituation in den letzten Kriegsjahren, Sehnsüchte angesichts eines ausbleibenden Wiedersehens, Liebe und Zuneigung, die gegenseitig erklärt wurden, oder eben die Eifersucht. Der hier verfolgte analytische Fokus auf Eifersucht und damit zusammenhängende Emotionen in Kriegs- und Feldpostkorrespondenzen von verheirateten beziehungsweise sich liebenden Paaren erscheint daher insofern lohnenswert, als er – am Beispiel des damaligen Österreich – einen Einblick in die noch immer stark vernachlässigte Geschichte der Gefühle in den Kriegsgesellschaften des Ersten Weltkrieges bieten kann und zudem eine Emotion aufgreift, die durch die Trennungssituation besondere Bedeutung gewann.

2. Eifersucht – Komplexität und historische Variabilität In der emotionsgeschichtlichen und -soziologischen Forschung zu Eifersucht besteht Konsens darüber, dass es sich hierbei um eines der »komplexe[n] und komplizierte[n] Gefühle«17 handelt, das sich aus verschiedenen anderen Emotionen zusammensetzt oder diese in sich vereint. Als starke Komponente von Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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Eifersucht wird wiederholt das Gefühl der Angst genannt, konkret die Angst, eine geliebte Person beziehungsweise deren Zuneigung und Liebe zu verlieren.18 In diesem Verständnis bezieht sich Eifersucht auf eine reale (oder auch imaginierte)  dritte Partei, die als Bedrohung für den eigenen ›Paarkosmos‹ wahrgenommen wird und damit in diesen involviert ist.19 Eine solche Konnotation von Eifersucht wurde im eingangs zitierten Briefwechsel des Ehepaares Hanzel bereits lesbar; ihr in Briefform ausgetragener Konflikt verweist zudem darauf, dass Eifersucht eng mit Vertrauen20 verknüpft ist. Implizit ging es bei der Auseinandersetzung um den Geldverleih Mathilde Hanzels auch um Kontrolle und Macht, die von ihrem Ehemann angesichts ihres ›eigenmächtigen‹ Handelns und des Kontaktes mit dem männlichen Oberhaupt der Familie von Holler als gefährdet wahrgenommen wurde. Vertrauen und Macht wiederum sind eng gekoppelt an Eifersucht, ebenso wie Ärger, Wut und Traurigkeit bis hin zur Verzweiflung.21 Doch Eifersucht ist nicht nur ein Bündel an Gefühlen, sondern unterliegt – wie alle Gefühle  – einem historischen Wandel.22 So definierte die 14.  Auflage des »Brockhaus’ Konversations-Lexikon« (1894–96) »Eifersucht« als eine »unangenehme Erregung beim Gedanken an ein Gut, das ein anderer besitzt, während man selbst ein Recht darauf hat oder zu haben glaubt […]. Die E[ifersucht] kann sich auf die verschiedensten Güter beziehen, wie Macht, Gewinn, Zuneigung, Ruhm; namentlich aber wird das Wort in Verhältnissen der Geschlechtsliebe gebraucht.«23 Mehr als hundert Jahre später liest man im Brockhaus von 1997 hingegen folgenden Eintrag: »[…] starke, übersteigerte Furcht, jemandes Liebe oder einen Vorteil mit einem anderen teilen zu müssen oder an einen anderen zu verlieren«.24 Diese beiden Lexikoneinträge, die stellvertretend für das »Gefühlswissen«25 ihrer Zeit stehen können, unterscheiden sich in ihrer Definition in zweierlei Hinsicht. Zum einen konnte sich Eifersucht in den 1890er Jahren noch auf Macht, Gewinn, Zuneigung oder Ruhm beziehen,26 wobei die »Geschlechtsliebe« in der dortigen Reihung als Letztes erwähnt wurde. Im Brockhaus aus dem Jahr 1997 hat sich die Reihung umgekehrt: Nun ist es die Liebe, die an erster und fast ausschließlicher Stelle steht. Zum anderen veränderte sich in der lexikalischen Definition die Intensität dieses Gefühls. Es schien am Ende des 19. Jahrhunderts noch als »unangenehme Erregung« auf und wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer »starken, übersteigerten Furcht«.27 Wir können daher davon ausgehen, dass Eifersucht im 19. Jahrhundert etwas anderes hieß und bedeutete als im 20.  Jahrhundert, in dem Aspekte, soziale Bewertungen, Rede- und Darstellungsweisen sowie Intensitäten mit ihr verknüpft wurden, die von jenen des 19. Jahrhunderts differierten.28 Wie der Emotionshistoriker Peter N. Stearns für den nordamerikanischen Raum herausgearbeitet hat, setzte sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Liebe zwischen Mann und Frau als zentraler Bezugspunkt von Eifersucht durch.29

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Das qualitativ Neue dabei war jedoch nicht so sehr ihre Koppelung an die Liebe, die eine lange historische Tradition besaß, sondern vielmehr die Ausschließlichkeit, mit der eine solche Verbindung ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert vorgenommen wurde. Andere Bezüge, wie etwa die Verteidigung der familiären und der weiblichen Ehre, und damit zusammenhängend der Schutz patriarchaler Macht- und Besitzansprüche, traten in den Hintergrund. In diesen Kontexten verlor Eifersucht ihre Legitimation und wurde zunehmend negativ bewertet.30 Das Konzept der romantischen Liebe, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts als hegemoniales Modell schichtübergreifend durchzusetzen begann,31 löste parallel, so Stearns, eine Entwicklung aus, die bis weit ins 20. Jahrhundert andauern sollte und Eifersucht aus Liebe mehr und mehr zur Diskussion stellte.32 Widersprach diese doch zentralen Werten der »gesellschaftlichen Leitidee«33 der romantischen Liebe, die Beständigkeit, Aufrichtigkeit, Vertrauen und Treue geradezu beschwor. Oder, um es mit dem Soziologen Karl Lenz zu formulieren: »Für die durch romantische Liebe Verbundenen dagegen ist die Treue selbstverständlich und Eifersucht überflüssig […].«34 Soweit zum Ideal. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob und wie Liebespaare in ihren Briefwechseln aus dem Ersten Weltkrieg über Eifersucht schrieben. Wie wurde dieses Gefühl unter der kriegsbedingten Situation der Trennung schriftlich artikuliert und welche sprachlichen Repertoires verwendeten die Schreiberinnen und Schreiber dabei? Welche Beziehungs- und Liebesvorstellungen könnten hinter dem Thema gestanden haben? Wie alle Gefühle, ist Eifersucht »flüchtig und instabil«,35 gleichzeitig »immer auch sprachlich verfasst und somit an Kultur und Gesellschaft gebunden«.36 Insofern steht das Schreiben über Eifersucht in einem sozialen wie kulturellen Kontext und »markier[t] Praktiken, die gesellschaftlich mehr oder weniger anerkannt sind«.37 Wie also lässt sich das Phänomen in Hinblick auf den spezifischen Kontext der österreichischen Kriegsgesellschaft des Ersten Weltkrieges einordnen? Um sich diesen Fragestellungen anzunähern, wurden insgesamt fünf Korrespondenzbestände aus dem Ersten Weltkrieg untersucht. Von dreien sind beide Seiten der schriftlichen Kommunikation überliefert; sie umfassen den Zeitraum 1914 bis 1918 und decken somit die gesamten vier Kriegsjahre ab.38 Bei zwei Beständen ist nur eine Seite des Briefwechsels – nämlich einmal die männliche, einmal die weibliche – erhalten geblieben. Sie sind zeitlich im Jahr 1917 beziehungsweise zwischen Januar 1916 und August 1918 entstanden.39 Insgesamt ergibt sich damit in Hinblick auf alle fünf Briefbestände ein Über­ gewicht an Schreiben der korrespondierenden Frauen, das es im Folgenden zu berücksichtigen gilt. Zudem sind soziale Kriterien zu bedenken: Während die beiden Korrespondenzbestände mit nur einer überlieferten Seite der Briefkommunikation aus einem bäuerlichen beziehungsweise kleingewerblichen Milieu Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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stammen, sind die drei erstgenannten Briefwechsel in (bildungs-)bürgerlichen Verhältnissen zu verorten. Generell verfassten während des Ersten Weltkrieges so viele Menschen wie nie zuvor regelmäßig Feldpostbriefe und Karten. Das private Schreiben wurde zu etwas Alltäglichem und entwickelte sich während der vier Kriegsjahre zu einem schichtübergreifenden Massenphänomen. Das spiegelt sich auch auf der quantitativen Ebene wider: Schätzungen gehen für Österreich-Ungarn von neun Millionen Postsendungen aus, die damals täglich zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ hin und her gesandt wurden.40 Dass während des Ersten Weltkrieges Briefschreiben eine in allen Gesellschaftsschichten gepflegte Praxis war, zeigt sich bis zu einem gewissen Grade auch in den zur Untersuchung herangezogenen Korrespondenzen. Die beiden Bestände aus bäuerlichen und kleingewerblichen Verhältnissen ermöglichen es, eine größere Bandbreite an sozialen Milieus einzubeziehen. Damit soll auch die noch immer vorherrschende Konzentration der Feldpostforschung zum Ersten Weltkrieg auf Briefserien vor allem aus dem (Bildungs-)Bürgertum ein Stück weit aufgebrochen werden. Dieses Ungleichgewicht hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass in solchen Milieus Bestandserhaltung und Überlieferungstraditionen weitaus breiter praktiziert wurden als beispielsweise in bäuerlichen oder proletarischen Milieus.41 Die hier untersuchten fünf Briefbestände wurden systematisch nach den aus der Lektüre heraus induktiv entwickelten Kategorien »Eifersucht«, »Untreue/ Treue«, »Konflikt«, »Verhandeln« sowie »Humor/Ironie« erschlossen.42 Bei drei der ausgewählten Briefwechsel konnte dieser Schritt mittels der Software Atlas.ti durchgeführt werden.43 Dabei ist zu beobachten, dass – betrachtet man die rein quantitative Ebene der mit Atlas.ti generierten Ergebnislisten zur Kategorie »Gefühl«44 – das Gefühlswort »Eifersucht« (neben »Enttäuschung«) mit jeweils drei Briefstellen, in denen es genannt wird, ausgesprochen selten vertreten war. Andere Emotionen, wie etwa »Freude« oder »Sehnsucht«, wurden mit 77 beziehungsweise 45 Textstellen weit häufiger kommuniziert, und auch »Angst« oder »Sorge« um die geliebte Person waren in den untersuchten Kriegskorrespondenzen mit 18 Code-Verweisen sechsmal so häufig Thema wie die Eifersucht. Anhand der Atlas.ti-Suchabfragen45 und der zusätzlichen Auswertungen zeigte sich zudem, dass in vier der fünf Briefwechsel das Schreiben über Eifersucht im Umfeld der Kategorie »Treue/Untreue« angesiedelt war und mit einer dritten ›Partei‹ – sei es eine bestimmte reale oder imaginierte Person oder ein unbestimmtes Kollektiv – verbunden wurde. In drei der fünf Korrespondenzen war die schriftliche Kommunikation über Eifersucht dabei zudem auf einer humorvoll-spielerischen oder herausfordernden Ebene angesiedelt (Kategorie »Humor/Ironie«), konnte aber auch ernstere Bezüge erhalten oder zu tatsächlichen Unstimmigkeiten und Krisen führen (Kategorien »Konflikt«, »Verhandeln«). Darauf soll nun näher eingegangen werden.

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3. Räumliche Trennung und unregelmäßige Kommunikation – (k)ein Grund für Eifersucht? Die Begriffe »Eifersucht« beziehungsweise »eifersüchtig« kommen nur in zwei der insgesamt fünf untersuchten Briefbestände explizit vor. Dabei handelt es sich um die eingangs zitierte Korrespondenz des Ehepaares Hanzel und um den unter ähnlichen Fragestellungen bereits von Christa Hämmerle ausgewerteten Briefwechsel zwischen dem in gutbürgerlichen Verhältnissen situierten Paar Christl, geborene Lang, und Leopold Wolf.46 Im Februar 1918 stand die damals 26-jährige Christl Wolf kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes und suchte zur Unterstützung im Haushalt ein neues Dienstmädchen, als sie die folgenden Zeilen an ihren Ehemann richtete: Sie [das Dienstmädchen, I. R.-G.] reflektiert hauptsächlich auf »gute Behandlung« nun ich werde mich bemühen, mir ihre Sympathien zu erwerben, Du musst natürlich auch sehr artig sein mit ihr, nur nicht zu sehr, sonst werd ich eifersüchtig! Das mit der Damenbedienung im dortigen Kaffeehaus, stimmt das, daß Du garnicht neugierig bist? Oder sagst Du’s damit ich in Dir den treuesten und solidesten Ehemann erblicke und Dich mit 22 Busserln belohne? Bis Du kommst werd ich Dir gleich aufs Nasenspitzerl greifen, um zu sehen, ob Du mich nicht angeplanscht hast.47

Aus wohlhabenden Verhältnissen stammend  – ihre Adoptiveltern besaßen ein angesehenes Wiener Hut- und Modegeschäft –, war die Anstellung eines Dienstmädchens für die junge Frau auch noch im vierten Kriegsjahr finanziell leistbar.48 Sie und der zu Kriegsbeginn als Kadett der Reserve zur Festungsartillerie eingezogene Bauingenieur Leopold Wolf hatten sich zu Beginn des Jahres 1914 kennengelernt, 1916 verlobt, im April 1917 geheiratet und sich ungeachtet der Kriegssituation in einer neu eingerichteten Wohnung ein gemeinsames Heim geschaffen. Seit 1917 war Leopold Wolf, nunmehr im Rang eines Oberleutnants, in der Etappe nahe der südlichen Front zwischen ÖsterreichUngarn und Italien stationiert. Die Schilderungen über seinen Kriegseinsatz sind fast durchwegs in einem verharmlosenden Ton gehalten, nicht nur für seine Zeit in der Etappe: Sie beinhalteten vor allem Erzählungen über ›Alltägliches‹ wie das Wetter, das Essen und Schlafen, den Offiziersdiener und so weiter, oder Geschichten über die freie Zeit und Unterhaltung im Offizierskasino oder im Kaffeehaus.49 Der oben erwähnte Kaffeehausbesuch, auf den sich Christl Wolf bezog, ist Thema einer dieser Schilderungen. Dabei war es vor allem die dortige »Damenbedienung«, der ihr auch brieflich ausgesprochenes Interesse galt. Zwar schien Leopold Wolf in einem seiner vorangegangenen Schreiben versichert zu haben, »nicht neugierig zu sein«, doch lässt das erneute Nachfragen in diese Richtung Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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dennoch auf Zweifel seiner Ehefrau schließen. Ihre indirekt formulierte Metapher von der ›langen Lügennase‹, die sie mit der angekündigten Überprüfung des »Nasenspitzerls« ihres Mannes umschrieb, und das gleichzeitige Hinterfragen der Worte und Motivationen ihres Mannes brachten wohl eine real empfundene Verunsicherung zum Ausdruck. Diese dürfte sich auch aus dem Gefühl, so kurz vor der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes auf sich allein gestellt zu sein, genährt haben, was in den Briefen an ihren Ehemann ebenfalls lesbar wird. Denn in den Wochen vor der Entbindung äußerte Christl Wolf wiederholt die Bitte, er möge eine Versetzung nach Wien anstreben, um bei und nach der Geburt in unmittelbarer Nähe zu sein.50 Das gelang zwar zum Teil, indem es Leopold Wolf zumindest möglich war, zur Geburt anzureisen, doch blieb der Wunsch seiner Frau nach seiner Transferierung zum Dienst im ›Hinterland‹ beziehungsweise in Wien bis zum Kriegsende unerfüllt  – was auch Konflikte hervorrief. Umso dringlicher wurde für beide die regelmäßige Korrespondenz, wobei das tägliche Schreiben und das Eintreffen oder Ausbleiben von Postsendungen schon zuvor zu einem zentralen Thema ihrer schriftlichen Kommunikation geworden waren. Zahlreiche Forschungsarbeiten belegen inzwischen, wie wichtig der regelmäßige Erhalt eines ›Lebenszeichens‹ in Form eines Briefes oder einer Karte für die Soldaten und ihre Angehörigen in der ›Heimat‹ war.51 Für Paare, deren Beziehung sich, wie jene von Christl und Leopold Wolf, erst im Laufe der vier Kriegsjahre entwickelt und gefestigt hatte, wurden ihre Feldpostbriefe ferner zum zentralen Kommunikations- und Beziehungsmedium sowie zum »Liebesbeweis«.52 Das entsprach auch jener Funktion, die man in der damaligen Kriegsöffentlichkeit breit propagierte, indem der Feldpostbrief in Zeitungsartikeln, Broschüren und Heftchen als Ort des Ausdrucks von Liebe und Treue gepriesen wurde. Das österreichisch-ungarische »Armeeblatt« vom 19.  Februar 1916 etwa deutete diese Bestimmung unter der Rubrik »Skizzen aus dem Deutschmeisterleben in der Front: Soldatenbriefe« folgendermaßen an: »Die Liebe, die große unendliche Liebe, bildet das Leitmotiv aller dieser Briefe«.53 Dass Christl Wolf sich von den Feldpostbriefen ihres Ehemannes tatsächlich solche »Liebesbeweise« erwartete, und dass ein regelmäßiges Schreiben für sie Ausdruck von Aufmerksamkeit, Zuneigung und Fürsorge war, darauf verweisen die folgenden, geradezu sarkastisch formulierten Zeilen vom 19. April 1918 – also aus jener besonders konfliktreichen Phase ihrer noch jungen Ehe: Schönen Dank für Deinen heutigen Brief, der allerdings erst nach 5 tägiger Pause eintraf. Also trotzdem Dich die Langeweile plagt wie ich bemerke entwickelst Du nicht einmal den in letzter Zeit so bewährten Schreibfleiß. Oder, nimmt Dich die ominöse Kaffeehausbedienung, auf die Du ein Auge (wie schön von Dir, daß Du nicht gleich alle zwei wirfst) zu werfen beabsichtigtest so in Anspruch? Armes Kind was hast du für einen Vatta!!!54

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Während des Ersten Weltkrieges funktionierte der groß angelegte k. u. k. Feldpostapparat oft nur sehr mangelhaft, was sowohl an Überlastungen angesichts des außerordentlich hohen Postaufkommens als auch an den zahlreichen militärischen Postsperren55 lag. Die briefliche Kommunikation zwischen ›Heimat‹ und ›Front‹ war daher in vielen Fällen durch wiederholte Unterbrechungen, größere Lücken oder Leerstellen gekennzeichnet. Blieb eine Postsendung über einen längeren Zeitraum aus, rief dies Beunruhigung, Ängste und Sorgen ebenso hervor, wie dadurch ein Nachsinnen und Suchen nach möglichen Gründen für den unregelmäßigen Erhalt von Post ausgelöst wurde.56 Im Fall von Christl Wolf scheint das Nichteintreffen eines Briefes ihres Ehemannes auch zu Misstrauen geführt zu haben, welches in den obigen Zeilen an seine Erzählung über die Kaffeehausbedienung, und damit auch an seinen Alltag in der Etappe und die dortigen Erlebnisse und Erfahrungen gebunden war. Anders als Christl Wolf, die auf diese Art ihren Ärger über den Nichterhalt eines Briefes und damit verbunden ihre Unsicherheiten, die sie in Form von Eifersucht auch direkt und über die Projektionsfläche einer dritten, ihr unbekannten Person kommunizierte, griff ihr Ehemann in seinen Briefen auf eine andere Schreibweise zurück. So richtete er im Dezember 1917, als sich seine schwangere Ehefrau zu einem Kuraufenthalt in der Nähe des Semmeringgebietes befand und so der katastrophalen Versorgungssituation in Wien wenigstens für eine Zeit entkam, die folgenden Worte an sie: Aus Deinem Brief entnehme ich, daß da oben lauter alte Schachteln (sagen wir nur so) sind. Das wär doch viel lustiger, wenn ein paar junge Offiziere oben wären, mit denen Du Dich besser unterhalten könntest. Und ihnen wär’s doch auch recht. Bitte – eine junge Frau, der Mann im Feld, ein jeder würde glauben, Dich abspenstig gemacht zu haben und weiß Gott was mehr.57

Es kann angenommen werden, dass Leopold Wolf eine »zunehmende sexuelle Mobilität«58 von Mannschaftsoldaten und Offizieren während des Ersten Weltkrieges zumindest miterlebt hat. Gleichzeitig hörte er im Laufe seines Kriegseinsatzes – wie viele andere Soldaten auch – immer wieder Gerüchte und Erzählungen von Kameraden über außereheliche Liebschaften von Frauen.59 Dies konnte zu Beunruhigungen führen und Zweifel hervorrufen, denen Leopold Wolf in den oben zitierten Zeilen an seine Frau hauptsächlich im Modus einer humorvoll-ironisch zugespitzten Schreibweise begegnete. Das ermöglichte es ihm offenbar, die Ernsthaftigkeit des schriftlich Formulierten und damit die mögliche eigene Eifersucht bis zu einem gewissen Grade offen zu lassen.60 Sein Schreiben darüber bekam dadurch eine gewisse – um es mit der Germanistin Helga Kotthoff zu sagen – »Doppelbödigkeit, die sie der Anspielungshaftigkeit des Humoristischen verdankt«.61 Denn Leopold Wolfs zwischen den Zeilen eingeforderte Versicherung der Treue seiner Ehefrau kann sowohl darauf verweisen, dass er diese tatsächlich als gefährdet wahrnahm, als Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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auch eine Anknüpfung an den damals gängigen Diskurs der »untreuen Soldatenfrau« gewesen sein, worauf noch zurückzukommen sein wird.

4. Das Schreiben über (Un-)Treue – ein ›Spiel‹ oder doch nur im Traum? Anders als in den Schreiben von Christl und Leopold Wolf, ist in den in einem weit geringeren Umfang vorliegenden Feldpostbriefen der zu Kriegsbeginn 20-jährigen Magdalena Zenker seltener von Eifersucht die Rede. Die junge Frau arbeitete als Dienstmagd in einem kleinen Dorf in einer bäuerlich geprägten Gegend im nordöstlichen Österreich. Während des Ersten Weltkrieges schrieb sie an ihren Verlobten und späteren Ehemann Alois Simatschek, der an einem östlichen Frontabschnitt stationiert war. In ihren Briefen62 berichtete sie, von wenigen Bezugnahmen auf den Krieg abgesehen, vorwiegend über ihre täglichen Arbeiten und Erledigungen, schilderte das Wetter und den Fortschritt der Feldarbeiten oder erzählte von der Familie, Freunden und dem Dorf. Ihre Liebesbeziehung zu dem zwei Jahre älteren Alois Simatschek thematisierte Magdalena Zenker hingegen nur selten explizit, sondern machte vor allem die Beziehungen in ihrem Umfeld zum Gegenstand der brieflichen Kommunikation. Das Rekurrieren auf Verhaltensweisen und Beziehungsmuster anderer schien es ihr zu erleichtern, eine Sprache auch für ihre eigenen Gefühle, Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen gegenüber dem Verlobten zu finden.63 Eine der wenigen Ausnahmen, in denen Magdalena Zenker sich direkt auf ihre Beziehung zu Alois Simatschek bezog, findet sich in einem Feldpostbrief an ihren Verlobten vom 25. Februar 1916. In ihm ging es um die gegenseitige Treue des Paares, über die Magdalena Zenker folgende Zeilen formulierte: »Na warte nur, Du schreibst Untreuer. Ich bin es schon längst. Habe deswegen gestern auch noch abends Herrenbesuch gehabt bis Zehne. Siehst Du, [Loisi], glaube ja nicht, daß Du ein treues Liebchen hast. Doch genug von dem. Der Sonntag ist mir wenigstens schnell vergangen. […]«64 Die junge Frau antwortete in dieser herausfordernden Briefstelle offenbar auf ein vorangegangenes Schreiben ihres Verlobten, das dieser mit der Unterschrift »Dein Untreuer« beschlossen hatte. Ihre Bezugnahme darauf könnte geradezu als Spiel mit Treue/Untreue und damit auch der Eifersucht des Partners interpretiert werden. Letztere wurde hier von der Schreiberin angestachelt oder vielmehr als spielerische Rache formuliert, vermutlich auch bedingt durch jene Defensivposition, in die sie der Briefabschluss des Verlobten vorderhand gebracht hatte.65 Gleichzeitig dürfte der Rückgriff auf einen humoristisch-provozierenden Ton als eine Schreibpraxis fungiert haben, die es ihr ermöglichte, Unklarheiten und eigene Verunsicherungen in Hinblick auf die tatsächliche Treue ihres Briefpartners offen beziehungsweise unausgesprochen zu lassen.

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Etwa zweieinhalb Jahre später, am 25.  August 1918, griff Magdalena Zenker diesen spielerischen Umgang mit Treue/Untreue in einem Brief an Alois Simatschek indirekt erneut auf. In ihm schilderte sie dem Verlobten ihre Korrespondenz mit einem anderen Soldaten, die sie jedoch abrupt beendete, als dieser einen persönlichen Besuch im Rahmen seines ›Heimaturlaubs‹ vorschlug: Will Dir noch in Kürze mitteilen, hab mir wieder einmal eine Hetz erlaubt. Hab einen Soldaten meine Adresse gegeben, weißt Du damals am Militärzug. Nach längerer Zeit bekomm ich eine Karte. Ich bedanke mich und folgt dann wieder eine, wo er schreibt daß er in Urlaub fährt u. will mich besuchen. Jetzt hab ich schnell mit Frl. Hermine studiert, was ich tun soll. Sofort geschrieben, das war am 13., daß ich am 15. nach Budapest fahre, ganz weg von Hohenau u. Adresse später. Jetzt kann er mich suchen, der arme Kerl, hat sich gefreut. Nicht wahr, ich kanns. […]66

Es kann angenommen werden, dass Magdalena Zenkers Worte nicht nur dazu dienten, ihrem Verlobten von einer »Hetz«, also einem Spaß zu erzählen. Vielmehr könnten ihre Zeilen einerseits signalisiert haben, dass sie nie ernsthaftes Interesse am näheren Kennenlernen eines anderen Mannes gehabt hatte, womit ihren Worten unter anderem eine stabilisierende Funktion zugekommen wäre. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass die junge Frau Alois Simatschek ganz im Gegenteil selbstbewusst darauf hinweisen wollte, dass ein anderer Mann durchaus ›Interesse‹ an ihr hatte, und sie mit Letzterem zumindest ›zu spielen‹ geneigt war, was die Eifersucht des Partners gewissermaßen auf den Prüfstand gestellt hätte. Dass junge Frauen wie Magdalena Zenker in brieflichem Kontakt mit ihnen nur flüchtig oder überhaupt nicht bekannten Soldaten standen, war während des Ersten Weltkrieges nicht unüblich. Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme beziehungsweise zum Adressentausch gab es beispielsweise, wie die Briefschreiberin auch erwähnte, im Rahmen der zahlreichen Verabschiedungen oder Begrüßungen von einrückenden oder durchfahrenden Soldatenzügen.67 Darüber hinaus wurden Kontakte zwischen den Soldaten der k. u. k. Armee und den in der ›Heimat‹ verbliebenen Mädchen und Frauen vor allem durch die sogenannten ›Liebesgaben-Aktionen‹, die das staatliche Kriegsfürsorgeamt, karitative Initiativen, Schulen und Frauenvereine organisierten, offiziell unterstützt und gelenkt. Denn die Mädchen und Frauen an der ›Heimatfront‹ wurden auch dazu angehalten, ihren ›Liebesgaben‹, die oft aus selbstgestrickten Socken, Schneehauben, Schals und so weiter, Wäsche, Süßigkeiten und ähnlichen Geschenken bestanden, kurze Briefe oder Karten beizulegen.68 Diese Art der Korrespondenz war nur eine der zahlreichen offiziell geförderten Indienstnahmen des privaten Schreibens von Frauen und Männern für Kriegszwecke.69 Gerade der Feldpostbrief erlangte mit Verlauf des Krieges zunehmend den Stellenwert einer »Waffe«,70 indem man ihm einen großen Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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Einfluss auf den Kampfwillen der Soldaten, ihre Bereitschaft zum ›Durchhalten‹ und damit auch auf den Fortgang des Krieges attestierte. Neben den Soldaten, die über ihren Fronteinsatz in den Briefen an ihre Familien in erster Linie auf patriotische, kampfeswillige und siegesbewusste Weise schreiben sollten,71 wurde es primär den Frauen zur Aufgabe gemacht, nur fröhliche und aufbauende Briefe an ihre Angehörigen an der Front zu senden. Ihre Schreiben sollten »ermutigen«, die »Zuversicht« und den »Lebensglauben« der Soldaten stärken sowie »schöne Blicke auf die Zukunft« bieten.72 Die eigenen Ängste, Sorgen, Eifersüchteleien, Wut oder gar Kritik an den bestehenden Verhältnissen mussten hingegen – so der Tenor der damaligen »Herrschaft des Feldpostbriefes«73  – ausgespart bleiben. Entsprechend publizierte etwa »Danzer’s Armee-Zeitung«, die während des Ersten Weltkrieges wöchentlich erschien und in deren Redaktion auch höhere Offiziere mitwirkten, im Oktober 1914 unter der eigens eingerichteten Rubrik »Feldpostbriefe« das folgende fiktive Schreiben einer Frau an ihren Ehemann im Felde – wohl im Sinne eines Vorbildes: Soll ich nun in diesen kurzen, flüchtigen Augenblicken, da ich zu Dir sprechen darf, Trauriges sagen? Darf ich auch noch die Last meiner Schmerzen Dir aufladen? Dir, der Du Deine ganze Kraft für das große Werk brauchst, das Ihr so todesmutig vollbringt! Ich denke, ein Brief von uns Frauen müßte Euch sein wie eine leise Musik aus dem Lande des Friedens, die Euch froh und glücklich stimmt. Statt Tränen sollte nur unser Lächeln Euch erreichen.74

Zudem unterlagen die milliardenfach zwischen ›Heimat‹ und ›Front‹ gewechselten Briefe und Karten weiteren Regulierungs- und Normierungsversuchen durch die in allen offiziell anerkannten Sprachen der Habsburgermonarchie arbeitende Briefzensur.75 Wir können zwar davon ausgehen, dass ein briefliches Thematisieren der eigenen Liebesbeziehung, das Schreiben über Liebe, Eifersucht und damit zusammenhängende Gefühle nicht zu den Briefinhalten gehörte, denen vorrangig Zensurmaßnahmen drohten.76 Doch war den Briefschreiberinnen und -schreibern die Existenz der Zensur bewusst, und dieses Bewusstsein konnte sich in ihrer Feldpostkorrespondenz auch konkret manifestieren – nicht nur in Hinblick auf die Inhalte, die von den Zensurstellen offiziell beanstandet wurden, sondern auch bezogen auf jene Kommunikation, die als zu persönlich oder zu intim für fremde Augen und Ohren erachtet wurde. So schrieb etwa Mathilde Hanzel kurz nach Kriegsausbruch im August 1914 an ihren Ehemann: Also die Zensur läßt die längsten Briefe durch. Wenn [jemand] aber gerne Dinge, Liebesdinge, schreiben möchte, die nur für den einen Einzigen gehören, dann kann man sie eben nicht schreiben und sie bewirken im Gemüt ein immer stärker anwachsendes Maß der Sehnsucht, endlich sagen, mündlich sagen zu dürfen, was man in vielen, vielen Stunden der Trennung empfand.77

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Das Schreiben über »Liebesdinge« erfolgte in den über zweitausend Feldpostbriefen, die das Ehepaar Hanzel während der vier Kriegsjahre verfasst hat, demgemäß vor allem auf implizite Art und Weise, indem bestimmte, gesellschaftlich vorgegebene Normen und Konventionen reproduziert und eine eindeutige Benennung des intimen Zusammenseins vermieden wurde.78 Eine Ausnahme waren die einander mitgeteilten nächtlichen Träume, die als jene ›Orte‹ fungierten, wo körperlich-intime Nähe nicht nur imaginiert, sondern durch das Erzählen im Brief auch sagbar werden konnte.79 Dass diese Träume und die darin vorgestellte Nähe mitunter verwirrend waren, auch weil sie sich nicht immer unmittelbar auf den eigenen Ehemann bezogen, darauf verweisen die folgenden Zeilen, die Mathilde Hanzel im Oktober 1917 an ihren Gatten schrieb: »Heute nacht träumte ich von fremden Männern, die sich mir zu nähern suchten. Es ist immer das bloß ein Ausdruck meiner Sehnsucht nach dir, die im Traume für mich quälend ist, wenn das Gehirn mir das Bild eines andren Mannes leiht.«80 Drei Monate später hieß es auf ähnliche Weise in einem ihrer Briefe: »Du Teurer! Ich habe geträumt, ich ginge mit einem jungen Ehepaar, der Mann aber schmiegte sich an mich, er nahm deine Züge an, ich war in großer Verlegenheit […]«.81 Da Ottokar Hanzels Briefe aus diesem Zeitraum während der Laufzeit des Forschungsprojekts noch nicht zugänglich waren, lässt sich über seine direkte Reaktion auf diese Zeilen nichts Konkretes sagen. Eine Antwort auf die erste zitierte Briefstelle spiegelt sich jedoch bis zu einem gewissen Grade als Randnotiz in einem von Mathilde Hanzels darauffolgenden Schreiben wider: »Das Gegenstück zu den ›fremden Männern‹ mußt Du mir erzählen!«82 Im weiteren Verlauf der Korrespondenz nahm dieses Thema jedoch in der schriftlichen Kommunikation des Paares keinen Raum mehr ein. Wie ihre überlieferten Briefe belegen, evozierten Mathilde Hanzels Trauminhalte weder ein Schreiben über Misstrauen noch ernsthafte Eifersüchteleien. Das könnte darauf verweisen, dass die »fremden Männer« gerade durch ihr Verortetsein im Traum ihrer realen Bezüge enthoben erschienen. Ihre dortige Präsenz wurde von der Briefschreiberin zudem vordergründig negativ bewertet und mit Ottokar Hanzels körperlicher Abwesenheit begründet, die – zumindest in der zweiten oben zitierten Briefstelle – mittels Traum transzendierbar war. Nach Ernst Leisi ließen sich die obigen Zeilen aber auch als »sprachliche[s] Mittel zur erotischen Stimulierung«83 lesen, beziehungsweise als Sprachspiel, das auf den Partner einerseits beunruhigend wirken sollte, indem es ihn aus seiner emotionalen Gelassenheit riss und eine bestimmte Gefühlsreaktion hervorzurufen suchte. Andererseits musste das aber auch eine beruhigende Komponente beinhalten, die bei Mathilde Hanzel in Form ihrer (körperlichen) Sehnsucht nach Ottokar Hanzel und der schlussendlichen Transformation des fremden in den eigenen Mann brieflich lesbar ist.84

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5. Vertrauen und/oder Eifersucht? Zur Performanz von Gefühlen Als der 21-jährige Franz Kundera zu Beginn seiner überlieferten Korrespondenz im März 1917 an die um vier Jahre jüngere Anna Mitterhofer schrieb, befand er sich  – anders als die bisher eingeführten Schreiberinnen und Schreiber  – mit seiner Briefpartnerin in keiner Liebesbeziehung.85 Da beide in demselben nördlich von Wien gelegenen Dorf wohnten, kannten sie sich zwar bereits vor ihrem kriegsbedingt einsetzenden Briefwechsel, waren jedoch – zumindest in der ersten Zeit ihrer erhalten gebliebenen Schreiben – ›nur‹ Freunde. Häufig ist in Franz Kunderas Briefen daher vom gemeinsamen Freundeskreis, Familienmitgliedern und Bekannten oder vom alltäglichen, dörflichen Geschehen die Rede. Seine Korrespondenz mit Anna Mitterhofer stellte insofern auch ein zentrales ›Bindeglied‹ zur ›Heimat‹ dar, von der Franz Kundera – als Zugbegleiter in Podgórze-Plaszów, einem Stadtteil der seit Kriegsbeginn heftig umkämpften Festungsstadt Krakau/Kraków stationiert – im März 1917 und in den Folgemonaten weit entfernt war.86 Wie Christa Hämmerle herausgearbeitet hat, thematisierte er den dortigen Dienst in seinen Briefen jedoch nur selten explizit, vielmehr schrieb er von seinen Ängsten, doch noch zum Militär einrücken zu müssen, sowie von seiner Sehnsucht nach der ›Heimat‹ und damit verbundenen Hoffnungen auf die Bewilligung von Urlaub. Daneben waren Themen wie das Wetter, die Versorgung mit Zigaretten und – sehr zentral – der Erhalt von Post besonders häufig.87 Welche große Bedeutung Franz Kundera den aus der ›Heimat‹ übermittelten Briefsendungen und hier vor allem jenen von Anna Mitterhofer zuschrieb, wird in seinem Schreiben vom 18. Juni 1917 deutlich, wo es hieß: »Es hatt mich wieder sehr gefreut daß ich eine Post aus der Heimat bekommen hab. Das ist noch meine einzige Freude ein Brief von Dir und Dein liebes Bilet. Ich weiss garnicht wie ich es Dir liebstes Annerle danken soll daß Du immer an mich denkst. Den Du bist ja noch der einzige gute Mensch der mir schreibt.«88 Wie für die Mehrheit der während des Ersten Weltkrieges miteinander korrespondierenden Frauen und Männer, waren für Franz Kundera die Schreiben seiner Briefpartnerin vordergründig Ausdruck eines An-den-Anderen-­ Denkens, und damit von Interesse, Wohlwollen und Fürsorge. Dazu gehörte auch die materielle Versorgung in Form regelmäßiger Paketsendungen, die warme Kleidung, selbstgemachte Lebensmittel, kleine Bedarfsgegenstände oder – wie im Falle Franz Kunderas besonders wichtig – Zigaretten beinhalteten, die Anna Mitterhofer ihm aus der ›Heimat‹ sandte. In dem Wissen, dass das eigene Wohlbefinden dem oder der anderen am Herzen lag, schuf die regelmäßige briefliche Korrespondenz damit nicht nur ein Gefühl des Umsorgtseins, sondern auch ein Vertrauensverhältnis zwischen den

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beiden Schreibenden. Dieses wiederum dürfte essenziell für die Anbahnung und Entstehung der späteren Liebesbeziehung des Paares gewesen sein, indem es nicht nur Nähe herstellte, sondern, wie auch die Emotionshistorikerin Ute Frevert betont, nicht zuletzt eine Basis dafür schuf, »sich der geliebten Person anzuvertrauen, an sie zu ›glauben‹, die eigenen (geheimen) Gefühle und Wünsche beim Namen zu nennen, sich zu offenbaren und hierin auf Annahme und Verständnis zu hoffen […].«89 All das setze, so wiederum Frevert, »einen immensen Vertrauensvorschuss«90 voraus, der es im Fall von Franz Kundera zumindest erleichtert haben dürfte, seiner Briefpartnerin schriftlich seine Liebe zu erklären. Dazu bedurfte es jedoch  – das zeigen seine überlieferten Briefe  – eines ganz bestimmten Anlasses und einer ganz bestimmten Gefühlslage. Zu dieser gehörte auch eine Emotion, die gemeinhin als unvereinbar mit Liebe und Vertrauen gedacht wird, nämlich die Eifersucht. Denn so sehr Vertrauen und Liebe im Rahmen des Ideals der romantischen Liebe aneinander gekoppelt sind,91 so sehr wurde Eifersucht – wie bereits eingangs gezeigt – daraus verbannt. Aber eben dieses Gefühl scheint im Falle Franz Kunderas ausgelöst worden zu sein, als ihm seine Briefpartnerin schriftlich mitteilte, dass sie mit dem gemeinsamen Freund Hansl »gehe«. Anna Mitterhofers briefliche Neuigkeit, anderweitig ›vergeben‹ zu sein, stellte für ihn eine erhoffte zukünftige Liebesbeziehung zu ihr nicht nur plötzlich in Frage, sondern ließ sie sogar unmöglich erscheinen. Das dürfte bei Franz Kundera mannigfaltige Gefühle hervorgerufen haben, darunter wohl sehr zentral die Angst, Anna Mitterhofers Vertrauen und ihre Zuneigung zu verlieren, und damit verbunden die Eifersucht auf den gemeinsamen Freund Hansl und dessen Beziehung mit Anna Mitterhofer. Eben diese Emotionen schienen für den Briefschreiber gleichzeitig zum Anstoß und Auslöser geworden zu sein, seine eigenen Gefühle für die Briefpartnerin zu prüfen, darüber nachzudenken und zu reflektieren, sie zu benennen und durch diesen »kognitive[n] Akt […] in die subjektive Erfahrung [zu] heb[en]«.92 Erst dadurch wurden diese Gefühle wohl bewusst und mitteilbar. In Franz Kunderas Antwortschreiben vom 11. Juli 1917 liest sich dies folgendermaßen: War ganz erstaunt über die Nachricht von Hansl die Du mir schriebst. Den das habe ich nicht gewust daß Du mit Hansl gehst. Den wie Du liebstes Annerl schon selbst aus meinen Briefen bemerken kanst habe ich Dich sehr lieb. Natürlich habe ich es Dir nicht wollen schriftlich mitteilen und lieber warten bis ich nach Hause komme um es Dir liebstes Annerl mündlich zu sagen und Dich zu fragen ob auch Du damit einferstanden bist. Mit gebrochenen Herzen schreibe ich dir heute diesen Brief den ich sehe meine Hoffnung ist vorbei.93

Tatsächlich war Franz Kunderas »Hoffnung« aber nicht »vorbei«, sondern seine eben zitierte briefliche Liebeserklärung an Anna Mitterhofer führte vielmehr Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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dazu, dass sich ihre Freundschaft  – ohne ein weiteres persönliches Wiedersehen – durch das Medium Brief in eine Liebesbeziehung verwandelte.94 Sein Schreiben über seine Liebe war daher auch mehr als ein ›bloßes‹ In-WorteFassen, Festhalten oder Aussprechen. Es war vielmehr, wie Christa Hämmerle betont, »ein Handeln, ja das ›Machen‹ von Gefühl  – getragen vom Wunsch, damit beim Empfänger/der Empfängerin etwas in Gang zu setzten«.95 Das verweist darauf, dass kommunizierte Gefühle in ihrem sprachlichen und/oder schriftlichen Ausdruck sowohl in einem selbst als auch im jeweiligen Gegenüber immer auch etwas auslösen, indem sie auf eben diese Gefühle hindeuten, sie in Frage stellen, verändern, bestätigen oder bekräftigen können.96 Im Falle Franz Kunderas führte dies dazu, dass eine Freundschaftsbeziehung zwischen den beiden Schreibenden (neu) verhandelt beziehungsweise verändert und damit gleichzeitig eine Liebesbeziehung angebahnt wurde.97 Franz Kunderas und Anna Mitterhofers Vertrauensverhältnis dürfte dafür wohl genauso Basis gewesen sein, wie es die Eifersucht des Briefschreibers war, die ihn vordergründig erst zur Introspektion und Reflexion seiner Gefühle bewog, und dadurch Wirkungsmacht entfaltete.

6. Außereheliche Sexualität oder das »Babylon« zwischen ›Front‹ und ›Etappe‹ Während in den bereits diskutierten Briefen von Magdalena Zenker an ihren Verlobten Alois Simatschek die gegenseitige Treue/Untreue auf spielerischherausfordernde Weise thematisiert wurde, legte dieselbe junge Frau einen ernsteren Tonfall an den Tag, wenn es um Beziehungen in ihrem näheren Umfeld ging, und damit auch um die (vermeintlichen) sexuellen Verhaltensweisen anderer. So hieß es etwa am 25. Oktober 1916: Frl. Irene hat auch Pech gehabt. Sie sagt sie hat überhaupt kein Glück mit den Männern. Der letzte hat auch schon vom Heiraten gesprochen, ja dann bekommt sie einen Brief von einem Mädel aus Schlesien. Diese schreibt Ihr in seinem Namen, da er es nicht imstande ist und keinen Mut besitzt, daß sie einen Buben hat von ihm. Sie hat Ihm sofort abgeschrieben. Er hat aber nichts mehr hören lassen. So falsch sind die Männer. Sie hat sich wieder schnell getröstet. Es weiß aber niemand davon, bitte auch Dich, nichts zu erwähnen.98

Zu vermuten ist, dass Magdalena Zenkers Schreiben über die sexuelle Untreue eines anderen keine rein berichtende Funktion beziehungsweise nicht allein die Intention hatte, einen Brief mit Neuigkeiten und Klatsch aus dem dörflichen Mikrokosmos zu füllen. Vielmehr ermöglichte ihr das Bewerten eines solchen Verhaltens, sich von diesem zu distanzieren und damit ihrem Verlobten gegenüber auch die eigene Positionierung zu dieser Thematik zu verdeutlichen. Da­

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rüber hinaus sprachen die zitierten Briefinhalte indirekt an, was in Bezug darauf als sozial akzeptiert oder nicht-akzeptiert galt und wahrgenommen wurde.99 Während des Ersten Weltkrieges konnten Briefschreiberinnen wie Magdalena Zenker an einen damals breit geführten Diskurs über ein außereheliches (sexuelles) Verhalten von Frauen anknüpfen. Bereits Anfang 1915 hieß es dazu beispielsweise in einem Beitrag der »Illustrierten Frauenzeitschrift. ElisabethBlatt«, einer »Monatsschrift für die christliche Frauenwelt«: Leider hat der Krieg viele Frauen und Mädchen noch nicht zur Erkenntnis dessen gebracht, was die große Zeit von ihnen verlangt. Sie vertändeln ihre Zeit in Nichtigkeiten, putzen sich mit ausländischem Zeug und kokettieren weiter mit undeutscher Art und Sitte. Manchem Krieger, der vom Schlachtfelde, wo er für die Freiheit und Sicherheit des Vaterlandes und seiner Bewohner gekämpft, heimkommt und das vaterlandslose Gebaren solcher Damen sieht, mag da das Herz wund werden und die Frage sich aufdrängen: »Sind solche Frauen des Einsatzes von so viel Blut und Leben wert?«100

Wie diese Zeilen zeigen, geriet das (sexuelle)  Verhalten von Frauen an der ›Heimatfront‹ während des Ersten Weltkrieges zu einem Politikum. Die Loyalität und Treue der »Kriegersfrau«101 gegenüber ihrem eingezogenen Mann war nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch eine »vaterländische« Pflicht. Im öffentlichen Sexualitätsdiskurs sprach man dem ›unsittlichen‹ Verhalten der Frauen eine unmittelbare und vor allem negative Wirkung auf die ›Kampfmoral‹ der Soldaten zu. Darüber hinaus wurde die eheliche Treue auch zu einer Angelegenheit der ›Vaterlandsehre‹ stilisiert, die vor allem dann als höchst gefährdet erschien, wenn Frauen sexuelle Kontakte und Beziehungen mit ›feindlichen‹ Kriegsgefangenen eingingen.102 Das galt insbesondere für ländliche Gebiete, wie beispielsweise in Salzburg, wo Frauen, denen man sexuelle Kontakte mit Kriegsgefangenen nachsagte, nicht nur kriminalisiert, sondern durch eine Verordnung des k. k. Landespräsidenten auch öffentlich stigmatisiert wurden,103 indem man ihre Namen und das über sie verhängte Strafmaß, welches meist in mehrtägigem Arrest bestand,104 in den jeweiligen Heimatorten kundmachte. Eine wesentliche Antriebsfeder für den damals weit verbreiteten Topos der »untreuen Kriegerfrau« dürfte, wie Karen Hagemann betont hat, »nicht zuletzt die männliche Angst […], das Verhalten von Ehefrauen, Töchtern und Bräuten aus der Ferne nicht mehr unmittelbar kontrollieren zu können«, gewesen sein.105 Männliche Briefschreiber konnten also an die im damaligen Österreich herrschende Wahrnehmung einer kriegsbedingt umso mehr »in soziosexueller Hinsicht in Bewegung geratenen Gesellschaft«106 anknüpfen, in die auch das Bild von der »untreuen Kriegerfrau« eingebunden war. Von offizieller Seite versuchte man dieser Wahrnehmung mit der umfassenden Propagierung einer traditionellen, aus der Vorkriegszeit übernommenen und zum Teil noch Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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radikali­sierten dichotomen Geschlechterordnung zu begegnen. Zu den damit verbundenen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzeptionen gehörte es, ganz im Sinne einer »tradierten bürgerlichen Doppelmoral […], die sexuelle Mobilität des Mannes als Krieger zu naturalisieren und zu tolerieren, jede Art weiblicher sexueller Entfaltung aber ausschließlich negativ zu konnotieren«.107 Anders als im Falle weiblicher Sexualität interpretierten die offiziellen militärischen Stellen demnach »die zunehmende sexuelle Mobilität der Soldaten als Folge eines naturgegebenen und im Krieg potenzierten männlichen Triebverhaltens«.108 Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr bot sich den Soldaten, neben der (Geheim-)Prostitution in den Etappen- oder Garnisonsorten,109 vornehmlich in den behördlich sanktionierten und auch kontrollierten Feldbordellen, die man in der Habsburgermonarchie, wie der Historiker Ernst Hanisch belegt, euphemistisch sogar als »sanitäre Erholungsstätten mit weiblichen Hilfskräften bei der Armee im Felde«110 bezeichnete. Es mag daher nicht verwundern, dass über die »weiblichen Hilfskräfte«,111 die ab dem Frühjahr 1917 vom Militär massenhaft rekrutiert wurden und deren Ruf schlecht war, zahlreiche Erzählungen kursierten. Der auf sie bezogene Klatsch und Tratsch drehte sich dabei nicht zuletzt um die potenzielle außereheliche Sexualität der eingezogenen Männer.112 Das wiederum konnte als Thema auch Eingang in die schriftliche Korrespondenz von sich liebenden oder verheirateten Paaren finden, wie das Beispiel des seit 1913 verheirateten, aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammenden Paares Anna, geborene Hofwirth, und Alfred Ertl belegt. Der 1885 geborene Alfred Ertl war, nachdem er im März 1915 zum Militär eingezogen worden war, dessen ungeachtet jedoch im Dezember 1917 die Anwaltsprüfung erfolgreich abgelegt hatte, im letzten Kriegsjahr als Praktikant beim Militärgericht des Etappen-Gruppen-Kommandos Görz in Latisana, Görz/Gorizia und Cormons stationiert.113 Zu dieser Zeit leitete ihm seine damals 27-jährige Ehefrau Anna brieflich Gerüchte über die »babylonischen« Zustände an seinem Frontabschnitt weiter und erkundigte sich über deren Wahrheitsgehalt. In seinem Antwortschreiben gab sich Alfred Ertl in erster Linie ahnungslos und versicherte seiner Frau, dass er »auswärts« und damit abseits des kolportierten Geschehens stationiert sei: »Dass hier ein ganzes Babylon sei, wie Dr. [Mielach]114 behauptet, weiß ich gar nicht; es sind zwar sehr viele weibliche Hilfskräfte in allen möglichen Kanzleien, und mag schon allerhand vorkommen, mir aber ist wenig hievon bekannt, Grund wird der sein, weil wir vom Gericht doch ziemlich auswärts wohnen u. nur zum Essen herein in die Stadt kommen.«115 Für Anna Ertl scheint diese Antwort ihres Ehemannes zufriedenstellend gewesen zu sein, denn zumindest in den weiteren überlieferten Briefen des Paares war diese Thematik kein Gegenstand ihrer schriftlichen Kommunikation mehr – so wie in vielen anderen Kriegskorrespondenzen auch.

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7. Eifersucht – ein Gefühl in Feldpostbriefen oder: (K)ein Fazit Gefühle und ihr sprachlicher beziehungsweise schriftlicher Ausdruck sind, folgt man emotionsgeschichtlichen Forschungsansätzen, immer auch »in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet«.116 Ausgehend von einem solchen Verständnis hat dieser Beitrag anhand von Beispielen gezeigt, dass das ›private‹ Schreiben im Ersten Weltkrieg zahlreichen Kontroll- und Normierungsversuchen ausgesetzt war. In dieser Situation wurden manche Gefühle und deren Benennung im Brief bevorzugt oder je nach situativen Kontexten bestimmte Emotionen eingefordert, andere aber zurückgewiesen.117 In der österreichischen Kriegsgesellschaft des Ersten Weltkrieges entwickelte sich so eine spezifische Gefühlskultur, in deren Rahmen Eifersucht zu jenen Emotionen gehörte, die von offizieller Seite in Briefen weder erwartet noch erwünscht waren – sollten diese doch vor allem in einem fröhlichen, aufbauenden und patriotischen Duktus verfasst sein. Damit wurden auch Regeln festgeschrieben, die den einzelnen Briefschreiberinnen und -schreibern ein gewisses Maß an Gefühlsarbeit abverlangten, was auch die hier untersuchten Kriegs- und Feldpostkorrespondenzen belegen. Wie die quantitative Auswertung ergeben hat, war Eifersucht im Unterschied zu anderen Emotionen, wie beispielsweise Sehnsucht oder Freude, nur sehr selten ein Gegenstand der brieflichen Kommunikation. Dies dürfte einerseits in den angesprochenen Normierungen und politischen Vorgaben für eine Gesellschaft im Kriegszustand begründet gewesen sein, die durchaus Einfluss hatten, lag andererseits aber auch an der ›Fragilität‹ der Briefkommunikation, die für viele Frauen und Männer während des Ersten Weltkrieges oft über lange Zeit die einzige Kontaktmöglichkeit war. Dementsprechend wurde versucht, primär oder ausschließlich jene Inhalte zu kommunizieren, die »eine Paare ›bindende‹ Funktion«118 hatten. Trotzdem fand Eifersucht Eingang in die Mehrzahl der hier untersuchten Briefwechsel. Und zwar primär im Rahmen der Thematik »Treue/Untreue«, wo sich dieses Thema auf einen gemeinsamen Freund oder Bekannten, eine nur vom ›Hörensagen‹ geläufige Person, einen fast Fremden oder aber auf eine diffuse Gruppe beziehen konnte. Wurde Eifersucht erwähnt, so geschah dies einerseits durch eine humorvoll-spielerisch beziehungsweise herausfordernde Schreibweise, andererseits konnte der darauf bezogene schriftliche Gefühlsausdruck auch ernstere Bezüge und Intensitäten enthalten und zu Unstimmig­ keiten und Konflikten führen. Als Bestandteile der und implizit eingebunden in die briefliche Kommunikation über Eifersucht traten dabei sowohl Ängste, Vertrauenskrisen sowie Kontrollversuche seitens der Männer in Erscheinung, als auch die Notwendigkeit, sich der Zuneigung, Liebe und Treue der Briefpartnerin oder des Briefpartners zu versichern. Gerade diese Gefühle wurden Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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durch die oftmals langen Trennungsphasen, Schreibunterbrechungen, das Ausbleiben von Post oder die zahlreichen Gerüchte über außereheliche Sexualität in der ›Heimat‹ sowie nahe der Fronten beziehungsweise in den Etappenorten immer wieder als gefährdet wahrgenommen. Es ließe sich in diesem Zusammenhang zudem weiter fragen, ob und wie ein Schreiben über Eifersucht im spezifischen Kontext des Ersten Weltkrieges mit den Selbstbildern und den damit verbundenen Männlichkeitsvorstellungen von Offizieren und Soldaten in Einklang zu bringen war. Damit verbunden würde es sich lohnen, die These des Emotionshistorikers Peter N. Stearns, der für den nordamerikanischen Raum von einer zunehmenden Feminisierung von Eifersucht in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgeht, ausführlicher in den Blick zu nehmen und anhand weiterer Studien zu überprüfen.119 Darüber hinaus böte sich auch ein Vergleich in Hinblick auf ein Schreiben über Eifersucht in Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg mit solchen aus dem Zweiten Weltkrieg an. Lassen sich manifeste Unterschiede in den Schreibweisen dieses Gefühls, denen ja jeweils zeitgenössisch spezifische Wertungen von Eifersucht vorausgingen, festmachen? Konnte Eifersucht, gerade in Hinblick auf die potenzielle (Un-)Treue des eigenen Partners/ der eigenen Partnerin oder anderer, in den Jahren 1938 bis 1945 brieflich offener thematisiert werden? Und was hieße dies im Zusammenhang mit der in der Forschung vertretenen These von einem weitaus ungezwungeneren Sprechen über Sexualität in der Zeit des Nationalsozialismus – allerdings nur die vom Regime geförderte Sexualität zwischen Männern und Frauen der nicht diskriminierten und nicht verfolgten Mehrheitsbevölkerung betreffend – im Vergleich zu den Jahren zwischen 1914 und 1918?120

Anmerkungen 1 Mathilde Hanzel (geb. Hübner, 1884–1970) an Ottokar Hanzel (1879–1959), 18.1.1918, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 1. Durchstreichung wie im Original. Aus der Zeit des Ersten Weltkrieges sind von Mathilde und Ottokar Hanzel insgesamt mehr als 2000 Briefe und Karten überliefert. Daraus zitiert wird  – wie auch aus allen anderen Beständen  – in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 2 Vgl. dazu und zu den weiteren kriegsbiografischen Angaben Ines Rebhan-Glück, Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: Österreich in Geschichte und Literatur, 56, 3 (2012), 231–246, 233. 3 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 18.1.1918, SFN, NL 1. 4 Im Juni 1811 kundgemacht, trat das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch am 1.1.1812 in Kraft. 5 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 18.1.1918, SFN, NL 1. 6 Es handelt sich um ein Pseudonym. 7 Da die Schwiegermutter von Hollers aus dem ›feindlichen‹ England stammte, war es ihr

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durch den Kriegszustand zwischen der Habsburgermonarchie und ihrem Heimatland nicht mehr möglich, auf ihr dortiges Privatvermögen zuzugreifen. 8 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 8.1.1918, SFN, NL 1. 9 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 13.1.1918, SFN, NL 1. 10 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 19.1.1918, SFN, NL 1. 11 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 19.1.1918, SFN, NL 1. Durchstreichung wie im Original. 12 So der Titel von Alexandra Przyrembel, Sehnsucht nach Gefühlen: Zur Konjunktur der Emotionen in der Geschichtswissenschaft, in: L’Homme. Z. F. G., 16, 2 (2005), 116–124. Einen Überblick zu den diversen Theoriekonzepten in der Emotionsforschung bietet Nina Verheyen, Geschichte der Gefühle, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18.6.2010, unter: http://docupedia.de/zg/Geschichte_der_Gef.C3.BChle?oldid=84615, Zugriff: 7.10.2016. Zum gegenwärtigen ›Boom‹ emotionsgeschichtlicher Publikationen vgl. auch den Forschungsüberblick von Bettina Hitzer, Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen, in: H-Soz-u-Kult, 23.11.2011, unter: http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/ forschungsberichte-1221, Zugriff: 7.10.2016. 13 Vgl. aber beispielsweise Michael Roper, The Secret Battle. Emotional Survival in the Great War, Manchester/New York 2009, sowie Martha Hanna, A Republic of Letters: The Epistolary Tradition in France during World War I, in: American Historical Review, 108, 5 (2003), 1338–1361. 14 Exemplarisch seien genannt: Ulrike Jordan, »This silly old war …« Briefe englischer Frauen an die Front (1940–1945), in: Detlef Vogel u. Wolfram Wette (Hg.), Andere Helme  – Andere Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich, Essen 1995, 237–256; Judy B. Litoff u. David C. Smith, Macht Euren Job und kommt bald heim! Briefe amerikanischer Frauen an die Fronten, in: ebd., 307–327; Ulrike Jureit, Zwischen Ehe und Männerbund. Emotionale und sexuelle Beziehungsmuster im Zweiten Weltkrieg, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 61–73; Inge ­Marszolek, »Ich möchte dich so gern mal in Uniform sehen.« Geschlechterkonstruktionen in Feldpostbriefen, in: ebd., 41–60; Margit Sturm, Lebenszeichen und Liebesbeweise aus dem Ersten Weltkrieg. Eine sozialdemokratische Kriegsehe im Spiegel der Feldpost, in: Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 237–259; Benjamin Ziemann, Geschlechterbeziehungen in deutschen Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs, in: ebd. 261–282. Christa Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares, in: dies., Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2014, 55–83 u. 220–230 (Anmerkungen) (Orig. 1998); dies., »You let  a weeping woman call you home?« Private correspondences during the First World War in Austria and Germany, in: Rebecca Earle (Hg.), Epistolary Selves. Letters and Letter-Writers, 1600–1945, Aldershot 1999, 152–182. 15 Vgl. Christa Hämmerle, Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert u. Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 242–252, 242–243. 16 Vgl. Hämmerle, Beziehungen, insbes. 246–252. Vgl. ausführlicher dazu die Einleitung in: dies., Oswald Überegger u. Birgitta Bader-Zaar (Hg.), Gender and the First World War, Basingstoke 2014, 1–15. 17 Ute Frevert, Gefühlvolle Männlichkeiten. Eine historische Skizze, in: Manuel Borutta u. Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der ­Moderne, Bielefeld 2010, 305–330, 311. Vgl. auch Peter N. Stearns, Jealousy. The Evolution of an Emotion in American History, New York/London 1989, 2; David Konstan, Before Jealousy, in: ders. u. N. Keith Rutter (Hg.), Envy, Spite and Jealousy. The Rivalrous Emo­ tions in Ancient Greece, Edinburgh 2003, 7–27, insbes. 8–11.

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18 Vgl. Aaron Ben-Ze’ev, Jealousy and Romantic Love, in: Sybil L. Hart and Maria ­Legerstee (Hg.), Handbook of Jealousy. Theory, Research, and Multidisciplinary Approaches, Chi­ chester 2010, 40–54, 40; Konstan, Jealousy, 9–10. 19 Vgl. Ben-Ze’ev, Jealousy, 41, der von Eifersucht als »three-party relationship« spricht. 20 Vgl. ausführlicher Ute Frevert, Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, München 2013. 21 Vgl. Konstan, Jealousy, 9, und Ben-Ze’ev, Jealousy, 42–43. Als weitere Gefühle, die Bestandteile von Eifersucht sein können, identifiziert beispielsweise Ben-Ze’ev, Jealousy, 43, Scham, Verlegenheit, Demütigung, Hilflosigkeit oder Unsicherheit. Vgl. zur Beziehung von Eifersucht und Macht: Stearns, Jealousy, 15–17; ders., Jealousy in Western History. From Past toward Present, in: Hart/Legerstee, Handbook, 7–26, 9–10. 22 Vgl. u. a. Ute Frevert, Vergängliche Gefühle, Göttingen 2013, 9–11. 23 Brockhaus’ Konversations-Lexikon, 5, Leipzig/Berlin/Wien 1894–189614, 778, unter: http:// www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=125155, Zugriff: 7.10.2016. 24 Brockhaus. Die Enzyklopädie, 6, Leipzig/Mannheim 199720, 143. 25 Einen breit angelegten Überblick zu Gefühlen in diversen Lexika vom 18. zum 20. Jahrhundert bietet der Sammelband von Ute Frevert, Monique Scheer, Anne Schmidt u. a., Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt a. M./New York 2011. 26 Vgl. Brockhaus, 14. Aufl., 5, 778. Vgl. dazu auch Stearns, History., insbes. 9–10. 27 Brockhaus, 20. Aufl., 6, 143. 28 Vgl. Frevert, Gefühle, 9. 29 Vgl. Stearns, Jealousy, 39. 30 Vgl. Stearns, Jealousy, 39. 31 Vgl. Karl Lenz, Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung, Wiesbaden 20094, insbes. 275–280. Vgl. auch das Editorial von Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle zum Themenheft »Romantische Liebe« in: L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 5–14. 32 Vgl. Stearns, Jealousy, insbes. 39–41. 33 Bauer/Hämmerle, Editorial, 6. 34 Lenz, Soziologie, 278. 35 Frevert, Gefühle, 7. 36 Frevert, Gefühle, 11. 37 Frevert, Gefühle, 11. 38 Es handelt sich um die Briefwechsel zwischen Mathilde Hanzel, geb. Hübner, und Ottokar Hanzel, SFN, NL 1; Christl Wolf, geb. Lang (1891–1975), und Leopold Wolf (1891–1952), SFN, NL 14 I; Anna Ertl, geb. Hofwirth (Pseud., 1890–1926) und Alfred Ertl (Pseud., 1885–1952), SFN, NL 174. 39 Im Briefbestand Franz Kundera (1896–1955) an Anna Mitterhofer (1900–1988), SFN, NL 75 I ist nur die männliche Seite erhalten geblieben. Seine Schreiben liegen für die Monate März 1917 bis Dezember 1917 vor. In der Korrespondenz Magdalena Zenker (Pseud., 1894–1970) an Alois Simatschek (Pseud., 1892–1979), SFN, NL 148 I stammen alle Schriftstücke – bis auf eine sechszeilige Motivpostkarte von Alois Simatschek – von der Schreiberin. Mit Ausnahme von Korrespondenzen, zu denen bereits Veröffentlichungen vorliegen, sind alle Namen Pseudonyme und bei ihrer ersten Nennung in den Endnoten als solche gekennzeichnet. 40 Diese Zahl umfasst auch Pakete. Vgl. Frederic Patka, Auch das war die Feldpost. Episoden aus dem dienstlichen Alltag der k. u. k. Feldpost 1914–1918, in: Joachim Gatterer u. Walter Lukan (Red.), Studien und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Feldpost im Ersten Weltkrieg, 1, Wien 1989, 55–75, 74. 41 Vgl. zur problematischen Quellenlage von Feldpostbriefen aus dem Arbeitermilieu Ziemann, Geschlechterbeziehungen, 264. Vgl. aber Doris Kachulle (Hg.), Die Pöhlands im

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Krieg. Briefe einer sozialdemokratischen Bremer Arbeiterfamilie aus dem 1. Weltkrieg, Köln 1982; zu Feldpostbriefen aus einem ländlich-bäuerlichen Milieu u. a. Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914–1923, Essen 1997. 42 Die Inklusion der Kategorie »Humor/Ironie« erfolgte aufgrund der Annahme, dass mittels dieser Sprechweise die Kommunizierbarkeit von Eifersucht in der brieflichen Korrespondenz erleichtert wird. 43 Zum methodischen Vorgehen im Projekt insgesamt vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 44 Die Überkategorie »Gefühl« umfasst die Unterkategorien Angst, Sorge, Dankbarkeit, Eifersucht, Enttäuschung, Freude, Glück, Sehnsucht, Trauer und Verzweiflung. 45 Bei diesen wurde die Kategorie »Eifersucht« jeweils mit den Kategorien »Untreue/Treue«, »Konflikt«, »Verhandeln« sowie »Humor/Ironie« verbunden. 46 Vgl. Hämmerle, Feldpostbriefe. 47 Christl Wolf an Leopold Wolf, 5.2.1918, SFN, NL 14. 48 Zu Kriegsbeginn wurde Leopold Wolf zur schweren Artillerie eingezogen und war – nach Einsätzen am westlichen und östlichen Kriegsschauplatz  – schließlich in der Etappe zwischen Österreich-Ungarn und Italien stationiert. Insgesamt sind für die Jahre 1914 bis 1918 189 Schreiben des Paares überliefert. Vgl. ausführlicher Hämmerle, Feldpostbriefe, 60. 49 Vgl. Hämmerle, Feldpostbriefe, 69. Vgl. auch die Erzählperspektive des Leutnants Adolf Schärf, in Sturm, Lebenszeichen, 86–88, sowie jene des Landsturm-Hauptmanns Ottokar Hanzel, in Ines Rebhan-Glück, »Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären  …« Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2010, 59–60. 50 Vgl. Hämmerle, Feldpostbriefe, 76–81. 51 Vgl. Hämmerle, Beziehungen, 245. 52 So auch der Gesamttitel von Sturm, Lebenszeichen, und Hämmerle, Feldpostbriefe, inbes. 60. 53 Armeeblatt. Militärwissenschaftliche Wochenschrift für die Interessen unserer Land- und Seemacht, 35, 7, 19.2.1916, 8. 54 Christl Wolf an Leopold Wolf, 19.4.1918, SFN, NL 14 I. Hervorhebung wie im Original. 55 Vgl. Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914–1933, Essen 1997, 40, der für das Deutsche Reich von etwa 600 Postsperren im Verlauf des Krieges ausgeht. Für Österreich-Ungarn liegen keine konkreten Zahlen vor, es kam jedoch auch hier wiederholt zu Postsperren, was vielfach auf Kritik stieß. Die Einführung der in allen Sprachen der Monarchie vorgedruckten Karte »Ich bin gesund und es geht mit gut.« im August 1916 ist darauf zurückzuführen. Sie durfte von den Soldaten auch während der Postsperren im Zuge von Kriegshandlungen verschickt werden. 56 Schon kurz nach Kriegsbeginn wurde etwa in der Tageszeitung Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 7, 264, 19.9.1914, 5–6, in einem Beitrag versucht, den vielen Beschwerden entgegenzuwirken: »Täglich laufen zahlreiche Klagen über das Nicht- oder Schlecht-Funktionieren der Feldpost bei allen in Betracht kommenden Stellen ein. […] Die Besorgnis der Eltern um ihre Söhne, der Frauen um ihre Männer, die im Felde stehen, macht ja eine gewisse Ungeduld gewiß begreiflich, wenn von denselben länger keine Nachricht kommt. Aber man muß sich den Feldpostbetrieb nur ordentlich vorstellen, um zu begreifen, daß Vorwürfe hier nicht am Platze sind.« 57 Leopold Wolf an Christl Wolf, 10.12.1917, SFN, NL 14 I. 58 Oswald Überegger, Krieg als sexuelle Zäsur? Sexualmoral und Geschlechterstereotype im kriegsgesellschaftlichen Diskurs über die Geschlechtskrankheiten. Kulturgeschichtliche Annäherungen, in: ders. u. Hermann Kuprian (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck 2006, 351–366, 360.

Eifersucht – (k)ein Gefühl in Feldpostbriefen

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59 Vgl. Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/ Köln/Weimar 2005, insbes. 31–32. Vgl. für Bayern Ziemann, Front, insbes. 244–246. Daneben veröffentlichten auch diverse Feld- und Militärzeitungen kurze scherzhafte Anekdoten, die auf ein weibliches sexuelles Verhalten fokussierten, wie beispielsweise die Karnisch-Julische Kriegszeitung. Nachrichten für unsere Truppen im Felde, 13/14, 5.7.1916, 15, unter der Rubrik »Lustige Ecke«, wo es etwa hieß: »Klein-Annchen, dessen Kindermädchen sehr soldatenfreundlich ist, sieht ein Regiment vorbeimarschieren und ruft erfreut: ›O, Mammi, sieh’ mal! Lauter Schätze‹.« Vgl. dazu auch Illustrierte UnteroffiziersZeitung, 1, 7, 15.11.1916, 16, unter »Scherzhaftes«: »Stubenmädchen: Sag mal, Marie, wie lautet die Mehrzahl von ›Liebhaber‹? Köchin: ›Eine Kompagnie.‹« 60 Vgl. Helga Kotthoff, Spaß verstehen. Zur Pragmatik von konversationellem Humor, Wien 1996, 23. 61 Kotthoff, Spaß, 23. 62 Insgesamt sind 22 Schreiben überliefert, die im Zeitraum von Januar 1916 bis August 1918 verfasst wurden und bis auf eine Motivpostkarte von Alois Simatschek alle von Magdalena Zenker stammen. 63 Vgl. die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Brigitte Semanek in diesem Band, die ähnliches für Magdalena Zenkers Schreiben über Sexuelles feststellt. Vgl. u. a. auch Isa Schikorsky, Private Schriftlichkeit im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte des alltäglichen Sprachverhaltens kleiner Leute, Tübingen 1990. 64 Magdalena Zenker an Alois Simatschek, 25.2.1916, SFN, NL 148 I. Unterstreichung wie im Original. 65 Vgl. Ernst Leisi, Paar und Sprache. Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung, Heidelberg 1971, 54–55. 66 Magdalena Zenker an Alois Simatschek, 25.8.1918, SFN, NL 148 I. 67 Vgl. ausführlicher Ingrid Bauer, Frauen im Krieg. Patriotismus, Hunger, Protest – Weibliche Lebenszusammenhänge zwischen 1914 und 1918, in: Brigitte Mazohl-Wallnig (Hg.), Die andere Geschichte, 1: Eine Salzburger Frauengeschichte von der ersten Mädchenschule (1695) bis zum Frauenwahlrecht (1918), Salzburg/München 1995, 283–334, 286–287. 68 Vgl. ausführlicher Christa Hämmerle, Wäsche für Soldaten. Die Militarisierung des weiblichen Handarbeitens, in: dies., Heimat/Front, 105–137 u. 238–249 (Anmerkungen) (Orig. 1992); dies., Habt Dank, Ihr Wiener Mägdelein … ›Liebesgaben‹ für die Soldaten, in: ebd., 139–159 u. 249–257 (Anmerkungen) (Orig. 1997). 69 Wie Christa Hämmerle herausgearbeitet hat, sollte durch diese Korrespondenzen einerseits das Kollektiv der Frontsoldaten für den weiblichen Bevölkerungsteil individueller und damit personifizier- und identifizierbar, andererseits der Kampfeswille der Soldaten durch die Gaben und Briefe aus der Heimat gestärkt werden. Vgl. Hämmerle, Wäsche, insbes. 121–123. 70 Martin Humburg, Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachtssoldaten aus der Sowjetunion 1941–1944, Wiesbaden 1998, 16, sowie ders. Deutsche Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg. Eine Bestandsaufnahme, in: Vogel/Wette, Helme, 13–36, 16. 71 Vgl. beispielsweise Karnisch-Julische Kriegszeitung, 10, 1.8.1915, 7, wo folgender fiktive Feldpostbrief abgedruckt wurde: »Jetzt bin ich stolz und hochbeglückt, daß man mich in den Krieg geschickt, denn es wär’ ja eine Schand’, zu kämpfen nicht fürs Vaterland. Stets heiter, froh und munter, auf schönen Bergeshöhen; geht’s drüber auch und drunter, was kann uns geschehen! […]« 72 So hieß es in der Unteroffiziers-Zeitung, 1, 4, 1.10.1916, 1, unter der Rubrik »Brief aus der Heimat«: »Indessen ich will Dir […] nicht über die Kriegsereignisse berichten, sondern Dir lieber von den Dingen erzählen, die dazu angetan sind, Dich zu ermutigen, Deine Zuversicht und Deinen Lebensglauben zu erhöhen und Dir schöne Blicke auf die Zukunft zu eröffnen!« Ähnliches hat schon Angelika Tramitz für das Deutsche Reich festgestellt.

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Ines Rebhan-Glück

Vgl. dies., Vom Umgang mit Helden. Kriegs(vor)schriften und Benimmregeln für deutsche Frauen im Ersten Weltkrieg, in: Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart 1989, 84–113, insbes. 97. 73 Ulrich, Augenzeugen, 36. 74 Danzer’s Armee-Zeitung, 19, 38, 22.10.1914, 6. 75 Vgl. zur Briefzensur in Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkriegs, noch immer unersetzt, Gustav Spann, Zensur in Österreich während des Ersten Weltkriegs 1914–1918, unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1972. 76 Vgl. Hämmerle, Beziehungen, 248. Die k. u. k. Briefzensur hatte die Aufgabe, in erster Linie jene Nachrichten zu unterbinden, die einem staatlichen und hier vor allem mili­ tärischen Interesse zuwider liefen. Insbesondere Angaben über den Aufenthaltsort des Schreibers oder die Weitergabe militärisch-taktischer Informationen waren verboten. Vgl. Spann, Zensur, 122–123. 77 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 13.8.1914, SFN, NL 1. 78 Vgl. Rebhan-Glück, Liebe, 244. 79 Vgl. Rebhan-Glück, »Wenn …«, 129–131, sowie den Beitrag von Brigitte Semanek in diesem Band. 80 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 9.10.1917, SFN, NL 1. 81 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 8.1.1918, SFN, NL 1. 82 Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 10.10.1917, SFN, NL 1. 83 Leisi, Paar, 58. 84 Vgl. ausführlicher Leisi, Paar, 58–60. 85 Insgesamt sind 44 Schreiben von Franz Kundera an Anna Mitterhofer überliefert, die im Zeitraum vom 22. März 1917 bis zum 15. Dezember 1917 verfasst wurden. 86 Vgl. ausführlicher Christa Hämmerle, »Mit Sehnsucht wartent …« Liebesbriefe im Ersten Weltkrieg – ein Plädoyer für einen erweiterten Genrebegriff, in: Geschichte der Gefühle. Einblicke in die Forschung, März 2014, unter: http://dx.doi.org/10.14280/08241.23, Zugriff: 7.10.2016. 87 Vgl. Hämmerle, »Sehnsucht«. 88 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 18.6.1917, SFN, NL 75 I. 89 Frevert, Vertrauensfragen, 63. 90 Frevert, Vertrauensfragen, 63. 91 Vgl. Frevert, Vertrauensfragen, 53. 92 Frevert, Gefühle, 10. 93 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 11.7.1917, SFN, NL 75 I. 94 Vgl. ausführlicher Hämmerle, »Sehnsucht«. 95 Hämmerle, »Sehnsucht«. 96 Vgl. ausführlicher das Konzept von William Reddy, The Navigation of Feeling: A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001. 97 Diese Liebesbeziehung mündete nach Kriegsende rasch in eine Eheschließung. Vgl. Hämmerle, »Sehnsucht«. 98 Magdalena Zenker an Alois Simatschek, 25.10.1916, SFN, NL 148. Hervorhebung wie im Original. 99 Vgl. das Beispiel der französischen Feldpostkorrespondenz von Marie und Paul Pireaud in Martha Hanna, Your Death Would Be Mine. Paul and Marie Pireaud in the Great War, Cambridge, MA/London 2006, 263–277, insbes. 267. 100 Illustrierte Frauenzeitschrift. Elisabeth-Blatt. Monatsschrift für die christliche Frauenwelt, 10, 1, Jänner 1915, 15. 101 Dieser Begriff findet sich beispielsweise in einem Bericht über »Eine eifersüchtige Kriegersfrau«, in: Karnisch-Julische Kriegszeitung, 26, 19.9.1915, 7. Vgl. auch den Titel von

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Birthe Kundrus, Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995. 102 Vgl. Kundrus, Kriegerfrauen, 212–215. Dass Frauen, die eine Beziehung mit Kriegsgefangenen eingingen, vielfachen Stigmatisierungen und Diffamierungen ausgesetzt waren, zeigen Überegger, Krieg, 360, und Bauer, Frauen, 304. 103 Vgl. Bauer, Frauen, 300. 104 Vgl. Bauer, Frauen, 304–305, sowie Rudolf Koch, Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg, Horn 2002; ders., Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg 1915–1919, Wien 1981. 105 Karen Hagemann, Heimat  – Front. Militär, Gewalt und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, in: dies. u. Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat – Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a. M./New York 2002, 13–52, 15. Vgl. auch Ziemann, Geschlechterbeziehungen, inbes. 270–272. 106 Überegger, Krieg, 363. 107 Überegger, Krieg, 358. 108 Überegger, Krieg, 353. 109 Vgl. insbes. Nancy Wingfield, The Enemy Within: Regulating Prostitution and Controlling Venereal Disease in Cisleithanian Austria during the Great War, in: Central European History, 46, 3 (2013), 568–598. 110 Hanisch, Männlichkeiten, 31. 111 Ab dem Frühjahr 1917 wurden in der österreichisch-ungarischen Armee sogenannte »weibliche Hilfskräfte« massenweise durch eine eigens geschaffene Institution rekrutiert. Sie sollten für wehrtaugliche Männer in diversen Berufsfeldern eingesetzt werden und damit den damals herrschenden Mangel an Soldaten für den aktiven ›Kampfeinsatz‹ ausgleichen. Vgl. ausführlicher Alexandra Hois, »Weibliche Hilfskräfte« in der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2012. 112 Vgl. Hois, Hilfskräfte, insbes. 98–105. 113 Die angehende Lehrerin Anna Hofwirth und der Jusstudent Alfred Ertl lernten sich 1908 kennen und heirateten fünf Jahre später. Die überlieferten Briefe des Paares aus dem Ersten Weltkrieg bilden nur einen Teil der gesamten, die Jahre 1908 bis 1925 umfassenden Korrespondenz und liegen im Umfang von mehreren hundert Schreiben vor. Seine militärische Ausbildung erhielt Alfred Ertl im März 1915 in Görz/Gorzia, danach wurde er zurück in die Heimatstadt transferiert und musste erst ab April 1917 als Militärgerichtspraktikant wieder zum Einsatz an verschiedene Orte nahe der Front gegen Italien. Biografische Angaben nach: Familie und Zeittafel, SFN, NL 174. 114 Pseudonym. 115 Alfred Ertl an Anna Ertl, 26.2.1918, SFN, NL 174. 116 Frevert, Gefühle, 12. 117 Vgl. Frevert, Gefühle, 12. 118 Hämmerle, Beziehungen, 248. 119 Vgl. Stearns, Jealousy, 36–39. 120 Vgl. u. a. Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2005; Franz X. Eder, »Auf die ›gesunde Sinnlichkeit‹ der Nationalsozialisten folgte der Einfluss der Amerikaner«: Sexualität und Medien vom Nationalsozialismus bis zur Sexuellen Revolution, in: zeitenblicke, 7, 3 (2008), unter: http://www.zeitenblicke.de/2008/3/eder/index_html, Zugriff: 7.10.2016. Vgl. dazu auch Christa Hämmerles Beitrag in diesem Band.

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Ines Rebhan-Glück

Barbara Asen

»[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

Zur Konstruktion von Liebesbeziehungen in der Briefkommunikation von Paaren der Zwischenkriegszeit

1. Veränderte Geschlechter- und Beziehungsmodelle: Neue Perspektiven [E]s schaut ganz so aus, als wenn alle drei Mädels als vertrocknete alte Jungfrauen durch’s Leben gehen sollen […]. Es wurden Ansprüche gestellt, die in den seltensten Fällen vereint zu finden sind. Selbst bei ganz tadellosen netten Menschen ist der eine um einige Centimeter zu klein, der andere zu wenig unterhaltend, der dritte um einige Monate zu jung etz. etz. Dagegen kämpfe ich seit Jahren. […] Wenn ich daran denke, daß das jetzt wieder so frische u. muntere [Bärbele] der Karriere einer alten Jungfer entgegensteuern soll, wird mir ganz weh zu Mute; [Konstanze] hat sich nun in den Kopf gesetzt, daß ein Mädel, das im Berufe gut versorgt ist, gut daran thut, sich nicht mit einer Wirtschaft (Wohnungssorge, Dienstbotennot etz.) zu belasten, also Mädel zu bleiben. Das ist an sich Unsinn, ganz besonders aber, wenn doch viel von uns beigesteuert werden kann.1

Diesen am 8. Oktober 1922 verfassten Brief richtete der höhere Wiener Beamte Konrad (Ritter von) Nittmann an seine Schwester, um ihren Rat zu erbitten und sich ihre Unterstützung bezüglich der Verheiratung seiner drei Töchter zu sichern. Als Zeitgenosse des 19. Jahrhunderts ganz dessen bürgerlichen Idealen verpflichtet, wünschte sich der selbst seit 1896 verheiratete Vater für die drei Frauen eine Zukunft an der Seite eines Ehemannes, die ihnen nicht nur das als Stigma geltende Schicksal der »alten Jungfrau«2 ersparen, sondern auch – wie er glaubte – eine finanzielle Absicherung, sozialen Status und emotionales Glück garantieren würde. Der Eigensinn seiner »Mädels« stand diesen Plänen im Weg. So zog etwa die erwähnte Barbara, genannt Bärbele, deren Briefwechsel mit ihrem späteren Ehemann Hermann Illing in diesem Beitrag noch näher untersucht wird, zum damaligen Zeitpunkt die Gesellschaft ihrer Freundinnen vor. In Konrad (von) Nittmanns Brief heißt es dazu: »Schwierig ist nur […] die jetzige Einseitigkeit im Verkehr mit den 2 Freundinnen, die aber gewiß nicht so abgeneigt wären, sich jemanden zu suchen.«3 Aus dem Brief geht ebenso »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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hervor, dass die Vorstellungen von Konrads Ehefrau Konstanze den seinen diametral entgegenstanden und die beiden darüber einen ernsthaften Beziehungskonflikt riskierten. Hatte Konstanze (von) Nittmann während ihrer eigenen Verlobungszeit die Ehe noch glühend herbeigesehnt,4 zweifelte sie nun die allgemeine Gültigkeit des bisher Selbstverständlichen an und hielt für ihre Töchter den Lebensstil der »selbständige[n], unverheiratete[n] Frau, die sich gegen die Ehe als traditionellen Lebensentwurf stellt«,5 für erstrebenswerter. Der Meinungsumschwung, den Konstanze (von) Nittmann in der Wahl der von ihr präferierten Lebensmodelle vollzog, manifestierte sich nicht von ungefähr gerade in Briefen der 1920er Jahre. Denn die Zwischenkriegszeit gilt nicht nur als politische, wirtschaftliche und kulturelle Umbruchsphase, sondern im Speziellen auch als Phase einer intensiven Neubewertung und Verschiebung von Geschlechter-, Beziehungs- und Liebeskonzepten. In der Frage, von welcher Dauer und Tiefe diese Irritationen waren und in welchem Ausmaß sie auf den Ersten Weltkrieg und seine Begleiterscheinungen – Entfremdung von (Ehe-)Paaren durch die kriegsbedingte Trennung, übereilt geschlossene Kriegsehen und so weiter – zurückzuführen sind, ist die Forschung geteilter Meinung. Auch welche Reichweite nun auftauchende Konzepte wie jenes der Neuen Frau, der sachlichen Liebe6 oder der Kameradschaftsehe jenseits von literarischen oder ikonografischen Vorlagen erlangen konnten, wie stark sie also Eingang in die soziale Praxis der Menschen fanden, wird unterschiedlich bewertet. Letzteres mag zum einen daran liegen, dass in Österreich wie in Deutschland jene literatur- und medienwissenschaftliche Untersuchungen das Forschungsfeld dominieren, die ihr Interesse auf die diskursive Darstellung der genannten Phänomene in (Mode- und Frauen-)Zeitschriften, in zeitgenössischer Belletristik oder in philosophischen Schriften richten. Nicht oder nur ansatzweise gefragt wird hingegen danach, ob und wie historische Individuen und Paare diese Modelle in ihre Lebens- und Partnerschaftsentwürfe integrieren konnten.7 Zum anderen wurden bei der Erforschung der Geschlechter­verhältnisse der Zwischenkriegszeit – im Gegensatz etwa zur Feldpostforschung8 oder zu kulturwissenschaftlichen und mentalitätsgeschichtlichen Analysen zur Aufklärung und (Früh-)Romantik, die sich vor allem in letzter Zeit stark auf Briefe oder Tagebücher stützen9  – Ego-Dokumente zugunsten von Zeitungen und Zeitschriften, Plakaten, normativen Texten oder Statistiken10 als Quellen wenig genutzt.11 Doch gerade Selbstzeugnisse wie die im vorliegenden Beitrag untersuchten Korrespondenzen können Einblick geben in die Positionierungen von historischen Subjekten und Paaren in einer Gesellschaft, die durch eine – sich später bis zum Bürgerkrieg steigernde  – politische Polarisierung und ökonomische Krisenhaftigkeit ebenso gekennzeichnet war wie durch die zunehmende He­ rausforderung bürgerlicher Geschlechternormen durch die Modelle der Neuen Frau, der Kameradschaftsehe oder der sachlichen Liebe. Die Analyse von Brief-

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wechseln und der differenzierte Blick auf Prozesse der Anbahnung oder Aufrechterhaltung von Beziehungen, insbesondere auf die dabei zahlreich zutage tretenden Verschiebungen in den Bezugnahmen auf unterschiedliche zeitgenössische Ehe- und Liebesmodelle können einen Beitrag dazu leisten, die in der wissenschaftlichen Literatur weit verbreiteten, aber auch immer wieder kritisierten »Polarisierungen rund um die Topoi ›emanzipierte Frau‹ versus ›verstörter Mann‹«12 zu entschärfen und die Graustufen zwischen diesen Extremen zu zeigen. So werden die im Folgenden näher charakterisierten Paarbriefe etwa danach befragt, welche Erwartungen an eine Partnerschaft oder Ehe in ihnen zum Ausdruck kommen. Besonderes Augenmerk soll auf die Positionierungen der Schreibenden im vielschichtigen Netzwerk unterschiedlicher gesellschaftlicher Geschlechtermodelle und auf die Handlungsspielräume und -barrieren, die sich in der Kommunikation mit dem Gegenüber eröffneten, gelegt werden. Auf welche Liebes-, Beziehungs- und Ehekonzepte griffen die SchreiberInnen zurück? Wurde ein bestimmtes Modell (jenes der Kameradschaft, der sachlichen Liebe, der romantischen Liebe oder das polarer Geschlechtscharaktere13) bevorzugt? Traten diese Konzepte in Konkurrenz zueinander oder ließen sich Versatzstücke davon problemlos in die in den Briefen geäußerten Lebensentwürfe der untersuchten Paare integrieren? (Wie) Wirkten sich neue Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale (insbesondere das der Neuen Frau) auf die Selbstpositionierungen der BriefschreiberInnen und auf die Gestaltung ihrer Beziehung aus? Welche Gefühle wurden in den Briefen artikuliert und unterschieden sich die in der Zeit der ›versachlichten‹ Liebe geäußerten Gefühlsregungen von jenen, die gemeinhin mit der romantischen Liebe in Verbindung gebracht werden?

2. Das Quellenkorpus: Beziehungsverläufe im Spiegel von Paarkorrespondenzen Analysiert werden fünf im Zeitraum zwischen 1918 und 1931 verfasste Briefbestände. Vier davon sind bildungsbürgerlichen Ursprungs – entsprechend der dort stärker als in anderen sozialen Schichten verankerten Praxis des (Brief-) Schreibens und dem höheren Archivierungsgrad von privaten Dokumenten.14 Der fünfte Briefwechsel zwischen einem Dienstmädchen und dem Sohn ihres Arbeitgebers15 dient als Kontrastbeispiel und als Exempel für den Austausch eines hinsichtlich seiner sozialen Herkunft heterogenen Paares. Alle Briefwechsel dokumentieren die Anbahnungs- beziehungsweise Frühphase der jeweiligen Liebesbeziehungen. Als Leitlinie der Untersuchung dienen die Korrespondenzen von Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, die zwischen 1925 und 1931 entstanden, sowie jene von Emilie Fuhrmann und Georg Scheicher aus den Jahren 1918 bis 1921. Sie werden stärker kontextualisiert und bilden die Basis, von der aus sich Quer»[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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verbindungen zu weiteren Briefwechseln erschließen lassen. Beide Paare ähneln einander in ihren biografischen Grundvoraussetzungen und sind daher gut vergleichbar: Sowohl Hermann Illing (1888–1977) als auch Georg Scheicher (1882– 1921) waren als Beamte in einem Ministerium tätig, gutbürgerlicher Herkunft, reisten gerne und vertraten, wie noch zu sehen sein wird, konservative Ehe­ vorstellungen, die sich stark an bürgerlichen Geschlechternormen des 19. Jahrhunderts orientierten. Barbara (von) Nittmann (1897–1978) und Emilie Fuhrmann (1888–1959) kamen ebenfalls aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern und befanden sich ungefähr im gleichen Alter, als sie ihre Partner kennenlernten – Erstere war damals 28 und Letztere 30 Jahre alt. Sie hatten bereits eine qualifizierte Ausbildung – in Emilies Fall sogar ein Studium – abgeschlossen, waren finanziell unabhängig, selbstbewusst und in ihren Berufen als Lehrerin beziehungsweise Botanikerin tätig. Wie schon im eingangs zitierten Briefausschnitt von Barbaras Vater Konrad (von) Nittmann deutlich wurde, war diese zumindest aus ökonomischen Gründen nicht auf eine Ehe angewiesen und durchaus für alternative Lebensmodelle offen. Ähnliches gilt für Emilie Fuhrmann, für die die Aufgabe ihrer Berufstätigkeit, trotz der in den Briefen artikulierten Schwierigkeiten Georg Scheichers mit ihrer hohen beruflichen Position, nie in Frage kam. Beide Paare feierten Verlobung und steuerten auf eine Ehe zu. Danach verliefen die Wege jedoch sehr unterschiedlich, denn während Barbara und Hermann heirateten, die frischgebackene Ehefrau ihren Beruf aufgab und 1931 ein Baugrund für die Errichtung eines eigenen Heims erworben wurde, fand die Liebesbeziehung von Emilie und Georg ein tragisches Ende. Aus verschiedenen Gründen, die später noch erläutert werden, beging Georg am Abend vor der Hochzeit in einem Hotelzimmer Suizid. Emilie verlobte sich einige Jahre danach erneut und heiratete schließlich im Jahr 1924 einen anderen Mann. Die Erwerbstätigkeit und zunehmende Karriereorientierung von Briefschreiberinnen wie Emilie Fuhrmann und Barbara (von) Nittmann, ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit, die etwa auch im Vordringen in männliche Domänen wie dem Bergsteigen zum Ausdruck kamen, sind es, die diese Briefwechsel so interessant machen. Denn durch die dialogische Form der Quelle wird auch die Reaktion des oder der jeweils Anderen greifbar und gleichzeitig wird deutlich, ob und wie sich eventuell voneinander abweichende Lebensmodelle in die Paarbeziehung integrieren ließen. Die Vehemenz der in diesen Korrespondenzen geführten Aushandlungsprozesse, die in den Schreiben artikulierten Konfliktpotentiale, aber auch die Kompromisse und Annäherungen zwischen den Liebenden machen die Briefe zu exzellenten Quellen für die Frage nach den mit einer Paarbindung verknüpften Vorstellungen und Erwartungen, die gerade in den 1920er und beginnenden 1930er Jahren so offen und breit waren wie selten zuvor. Aufgrund des zur Verfügung stehenden Quellensamples müssen allerdings einige Aspekte der Thematik unberücksichtigt bleiben: Zum einen fehlen Kor-

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respondenzen aus der Arbeiterschicht und bäuerlichen Verhältnissen, zum anderen von Paaren aus kommunistischem und sozialdemokratischem Milieu und damit aus Kontexten, in denen man sich intensiv mit neuen Formen des Zusammenlebens sowie deren rechtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen auseinandersetzte. Im Umfeld der österreichischen Sozialdemokratie beschäftigte sich etwa die Journalistin und Schriftstellerin Gina Kaus in ihren Erzählungen mit dem Bild der Neuen Frau oder den Anforderungen der modernen Ehe.16 Die Sozialwissenschaftlerin Helene Bauer, Ehefrau des sozialdemokratischen Politikers Otto Bauer, erstellte die Typologie einer »Vielfalt der Ehen« in der Zwischenkriegszeit und ordnete dabei das kameradschaftliche, auf der Gleichrangigkeit des Paares basierende Zusammenleben vorwiegend dem akademischen Milieu zu.17 Und die Psychologin Sofie Lazarsfeld veröffentlichte nicht nur Handbücher wie »Die Ehe von heute und morgen« (1927), »Erziehung zur Ehe« (1928) oder das auf Material aus einer Eheberatungsstelle basierende Buch »Wie die Frau den Mann erlebt« (1931), sondern setzte sich – ausgehend von einem differenzfeministischen Ansatz – massiv für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein.18 Umgekehrt wird in der Forschungsliteratur trotz der Vorstöße der genannten Autorinnen im Allgemeinen eine Orientierung der Sozialdemokratie an bürgerlichen Werten festgestellt. Zwar vertrat die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) Österreichs besonders in Fragen wie der Liberalisierung des Abtreibungsverbotes eine Sichtweise, die jener des bürgerlichen (und deutschnationalen) Lagers diametral entgegenstand, dennoch unterschieden sich die »Vorstellungen […] nicht wesentlich von jenen der Bürgerlichen. Das Ideal stellte auch bei den Sozialdemokraten die Kleinfamilie dar.«19 Einen  – theoretischen  – Unterschied zum konservativen Lager meint Karin Schmidlechner in ihrer Studie zur Neuen Frau in der Ersten Republik jedoch auszumachen: »Theoretisches Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen bürgerlichen und sozialdemokratischen Vorstellungen von der Ehe bildete die in sozialdemokratischen Konzepten geforderte Gleichrangigkeit von Frau und Mann, wenngleich die traditionelle Aufgabenteilung zwischen beiden nicht in Frage gestellt wurde.«20 Dass Modelle von Gleichrangigkeit  – in modifizierter Form und angepasst an individuelle Bedürfnisse – abseits der politischen Bühne auch in Aushandlungsprozessen bürgerlich-­konservativer Paare zumindest rhetorisch eine große Rolle spielten, wird noch zu sehen sein. In den untersuchten fünf Briefbeständen, die alle mithilfe der Software Atlas.ti systematisch codiert und ausgewertet wurden, griffen die einander schreibenden Paare eine große Bandbreite von Themen auf. Es ging um das Verhältnis zu den (Schwieger-)Eltern ebenso wie um Fragen der Ernährung, um Eindrücke einer gerade getätigten Reise oder um Meinungen zu aktuellen Kinofilmen und Theaterproduktionen. Probleme mit einem angeblich zu faulen Dienstmädchen wurden besprochen, Fragen der Wohnungseinrichtung »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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geklärt, Berichte von der letzten Bergtour ausgetauscht. Auch die alltäglichsten Themen dienten den Korrespondierenden dazu, eine Beziehungsebene herzustellen, sich einander anzunähern oder eine schon länger bestehende Verbindung aufrechtzuerhalten. Als besonders verhandlungsintensiv präsentierten sich dabei folgende Motive und Faktoren, die auch in die Analyse miteinbezogen wurden: die psychischen und physischen Dispositionen der vom Krieg heimkehrenden Männer, die eine Partnerschaft oder Ehe schwer belasten konnten; die soziale Differenz innerhalb eines Paares, die vielfach nicht nur eine ablehnende Haltung des Umfelds, sondern auch die Frage ökonomischer Abhängigkeit mit sich brachte; oder unterschiedliche Vorstellungen eine gemeinsame Zukunft betreffend, die unter anderem durch das gesteigerte Selbstbewusstsein und die zunehmende Karriereorientierung der Frauen hervorgerufen oder verstärkt wurden.

3. Gefühlswelten: Sachliche Liebe und Entemotionalisierung des Subjekts? »Wir sind kühl geworden fast bis ans Herz heran; ohne Phrase, ohne Pathos, ohne Sentimentalität, ohne Liebesgedichte«,21 schrieb der Autor Frank Matzke im Jahr 1930. In ähnlicher Weise stellte die Entwicklungspsychologin Charlotte Bühler, die von 1922 bis 1938 in Wien lebte, in ihrer richtungsweisenden Studie für die junge Generation der 1920er Jahre einen »Zug zur neuen Sachlichkeit«22 fest. Und gegenwärtig heben vor allem VertreterInnen der literaturwissenschaftlichen Forschung hervor, dass damals die »Klagen um den Verlust der Liebe, die im versachlichten modernen Leben nicht mehr zeitgemäß schien«,23 zahlreich waren, sprechen – wie Elke Reinhardt-Becker – von einer »radikale[n] Umwälzung der Liebessemantik«24 und meinen Indizien dafür zu entdecken, dass das Konzept der romantischen Liebe aufgrund seiner Abgehobenheit und Alltagsuntauglichkeit zur sachlichen Liebe umgedeutet wurde.25 Doch ist diese »Profanierung eines ›Gefühls‹«26 nur in literarischen Quellen zu beobachten oder zeigt sich eine – wie es Andreas Reckwitz ausdrückt – »Entemotionalisierung des Subjekts«27 auch in den untersuchten Paarkorrespondenzen? Um Fragen wie diese zu beantworten, wurden in den ausgewählten Briefbeständen jene mit Atlas.ti vorgenommenen Codierungen abgerufen, die sich auf den Bereich der Gefühle beziehen. Solchermaßen aufbereitet, offenbart sich schon auf den ersten Blick eine enorme Vielfalt an Gefühlsäußerungen, die von Angst und Sorge über Sehnsucht und Eifersucht bis zu Freude und ekstatischen Glücksbekundungen reicht.28 Da Briefe im Allgemeinen, und die untersuchten Liebesbriefe im Besonderen, als Kommunikationsmittel zweier räumlich getrennter Personen fungieren, partnerorientiert und dialogisch angelegt sind,29 verwundert es wenig, dass die Gefühlskategorie »Sehnsucht« im Quellen­

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sample mit Abstand am häufigsten zu vergeben war.30 Die korrespondierenden Frauen und Männer koppelten Beschreibungen des Trennungsschmerzes mit Liebeserklärungen und -bezeugungen, beschworen – manchmal mit traurigem Unterton, manchmal auch genuss- und lustvoll – Bilder, die dem ›süßen‹ Liebesschmerz zugeordnet werden können. Damit verliehen sie gerade diesen Sequenzen die nach Elke Clauss für Liebesbriefe typische »spezifische Doppelheit von literarisch-ästhetischer Stilisierung und alltäglicher Information, in die die kommunikativen Bezüge notwendig eingeschrieben sind«.31 Die Tiefe des emotionalen Ausdrucks äußerte sich vor allem in den Briefen der sprachgewandten bürgerlichen Paare durch die Verwendung einer poetischen, metaphernreichen Sprache – wie bei dem damals 22-jährigen Grazer Architekturstudenten Johann Feichtinger, der im Jahr 1920 an seine geliebte Gretl schrieb, nachdem er sie nach gemeinsam verbrachten Tagen zum Bahnhof gebracht hatte: Aus den schwarzen Kästen des Zwangszuges: Deine Händchen, sie wachelten, sie sagten von dem traurigen Abschiede; traurig, denn bange waren Dir die nächsten Stunden; und mich, mich schüttelte quälender, unheimlicher Schmerz, im Herzen nagend, unsagbar. Da fand ich heimkehrend Deiner Liebe Spuren: eine Spange Deiner Löckchen, den unglückseligen Wecker und die Blumen alle; von lauter Liebe sprachen sie mir zu, aber auch vom … solch wehrlosen Verlassenmüssen.32

Demgegenüber betonte das sprachlich weniger gewandte Dienstmädchen Lisa Albrecht, das sich im Jahr 1922 in den Beamten Heinrich Mader, den gutbürgerlichen Sohn ihrer »Herrschaft« verliebt hatte, stärker die konkreten alltäglichen Auswirkungen ihrer Sehnsucht: »Lieber Heinrich die ersten Tage nach Deiner Abfahrt waren mir furchtbar. Es kam mir alles so leer vor, mich freute keine Arbeit, besonders das Aufräumen abends dauerte richtig lange, ich hatte gar keine Lust, wußte ja daß Du mir nicht wartest. Liebster wann werden wir uns Wiedersehn?«33 Die hier nur kurz umrissenen Gefühlswelten waren vielschichtig und breit angelegt. Es überrascht allerdings, dass in zwei der analysierten Bestände nicht Sehnsucht, sondern Angst die Liebesbeziehung determinierte: und zwar zum einen die – durchaus begründete – Angst des Dienstmädchens Lisa Albrecht, ungewollt schwanger zu werden und als ledige Mutter nicht nur die Unterstützung ihres Liebhabers zu verlieren, sondern auch gesellschaftliche Ächtung zu erfahren; zum anderen die Angst des Beamten Georg Scheicher, seine Liebsten – allen voran die Verlobte Emilie – aufgrund seiner unter anderem aus der Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg resultierenden Depressionen zu verletzen, sowie seine stets geheim gehaltene Syphilis-Erkrankung nach der Hochzeit öffentlich machen zu müssen. Während ich auf den Briefwechsel von Lisa Albrecht und Heinrich Mader im Abschnitt 4 dieses Beitrags näher eingehen werde, möchte ich zunächst die in seinen Briefen sehr offenherzig dargestellten Probleme Georg Scheichers umreißen. »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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Georg und Emilie, genannt Muzzi, hatten sich 1918 im Speisewagen eines Nachtzuges kennengelernt und waren sich über das gemeinsame Hobby des Bergsteigens  – das, wie später noch zu sehen sein wird, in den analysierten Briefquellen eine enorm große Rolle spielt – sehr nahe gekommen. Allerdings zog sich Georg phasenweise immer wieder zurück, da er – wie auch aus einem Brief seines Schwagers an Emilie ersichtlich ist34 – tief traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war. Im Juli 1920 schrieb er, wobei er es in der gesamten Briefkommunikation vermied, ins Detail zu gehen: Über meinem Leben liegt seit Jahren ein dunkler Schatten; er hat mir die Furchen in die Stirne gegraben und den »Finstern« oder wie manche sagen den »traurigen« Blick verschafft. Und er zwingt mich auch von Dir zu lassen. Wenn Du nach Wien zurückkommst, so werde ich Dir, falls Du weiter in mich dringst, tieferen Einblick in die Gründe meiner Weigerung zu heiraten geben, lieber wäre es mir jedoch, Du würdest mir dies erlassen.35

Wie aus diesem Zitat hervorgeht, führte Georg Scheichers psychische Er­ krankung zunächst sogar zur Weigerung, Emilie Fuhrmann zu heiraten. Das Paar kannte sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit eineinhalb Jahren und trotz Emilies wiederholten Vorstößen hatte Georg, der sich selbst als »alter Träumer und Unwirklichkeitsmensch«36 bezeichnete, ihre Heiratswünsche stets abgeblockt. Ein nichteheliches Zusammenleben kam für Emilie aber nicht in Frage, obwohl sie finanziell unabhängig und in ihr Arbeitsumfeld sowie ihren Freundeskreis gut integriert war. Zudem trat sie durchaus selbstständig und selbstbewusst auf.37 Georgs Scheu vor einer Hochzeit, und damit auch vor dem körperlichen Vollzug der Ehe, war zudem wohl auch auf sein Syphilis-Leiden zurückzuführen – in den 1920er Jahren durchaus keine Seltenheit, hatten sich doch zahlreiche Soldaten der k. u. k. Armee während des Ersten Weltkrieges mit dieser und anderen Geschlechtskrankheiten angesteckt. Ernst Hanisch fasst diesbezüglich zusammen: »Vor dem Krieg waren 5 Prozent des militärischen Iststandes wegen Geschlechtskrankheiten in Behandlung, 1915/16 stieg die Zahl auf 12 Prozent. Zwischen 1914 und 1917 waren 1,2 Millionen Soldaten geschlechtskrank.«38 Im Gegensatz zu den Depressionen fand Georgs gesellschaftlich stark tabuisierte und moralisch stigmatisierte Erkrankung keinen Eingang in seine Briefe und Emilie wusste offensichtlich auch nichts davon. Dokumentiert ist die Erkrankung durch ein im Nachlass erhalten gebliebenes ärztliches Attest über die Durchführung der »Wassermannprobe«. Mitte Juli 1920 kam es zu einer Aussprache zwischen Emilie und Georg, nach der dieser einlenkte und – angesichts der fürsorglichen Art Emilies39 und der wieder aufflammenden Liebe zwischen den beiden – in Hinblick auf seine psychische Erkrankung neue Hoffnung schöpfte:

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Ich war – wohl infolge der Dir nun bekannten Ereignisse – oft cynisch und dachte von allen Menschen das Schlechteste, nun aber werde ich durch Dich darüber belehrt, daß es doch auch in unserer sonst so kühl denkenden Zeit Frauen gibt, die wirklicher Liebe und Aufopferung fähig sind. Und ich bin Dir tief dankbar dafür und werde es Dir nie vergessen. Dieser Tag könnte vielleicht meinem Leben eine neue Richtung und neuen Inhalt geben.40

Zu Weihnachten 1920 feierte das Paar Verlobung, doch kurz vor der Hochzeit, die im August 1921 stattfinden sollte, wurde Georg Scheicher erneut von seiner Vergangenheit eingeholt. Obwohl er in seinen Briefen immer wieder die Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung als heilsamen Rückzugsort äußerte, gewann schließlich doch die Krankheit die Oberhand. Er nahm sich in der Nacht vor der Eheschließung in einem Hotelzimmer das Leben.41 Die Intensität, mit der Georg Scheichers Emotionen in den Briefen zum Ausdruck kommen, die Offenheit, mit der er seine Depressionen ansprach und das Ausmaß, in welchem diese die Liebesbeziehung zu Emilie Fuhrmann beeinflussten, überrascht umso mehr angesichts der in der Gesellschaft der Zwischenkriegszeit vorherrschenden Tabuisierung der physischen und psychischen Versehrtheit von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Denn das Schweigen über daraus entstehende eheliche Probleme war – wie Sabine Kienitz für Deutschland ausführt – »von nationalem Interesse und diente der innenpolitischen Stabilisierung«.42 Doch gerade innerhalb sich erst anbahnender langfristiger Beziehungen konnten psychische oder physische Probleme in dieser Größenordnung wohl schwer ignoriert werden. Und der Paarbrief als sehr intimes Medium, das einerseits den Austausch mit dem geliebten Menschen ermöglichte und dadurch Nähe erzeugte, andererseits durch die räumliche Entfernung, den zeitlichen Abstand von Brief und Antwort sowie die schriftliche Form eine gewisse Distanz erzeugte, scheint ein idealer Ort gewesen zu sein, um solch schwierige Themen anzusprechen. Daruf verweist auch die Tatsache, dass Georg selbst nach der vorläufigen Trennung von Emilie und seiner Versicherung, ihr in Zukunft fern bleiben zu wollen, um die Fortsetzung des Briefverkehrs bat. Allein der Akt des Korrespondierens – Georg teilte ­Emilie sogar mit, keinen Antwortbrief von ihr zu erwarten  – hatte also die Wirkung, sich die Ängste und Probleme buchstäblich von der Seele schreiben zu können und damit wenigstens vorübergehend Erleichterung zu erlangen. Ähnlich wie das Führen eines Tagebuchs bedeutete für ihn das Verfassen von Briefen, Psychohygiene zu betreiben: Ich werde Deine Wege nicht kreuzen, solange Du mich nicht rufst und ich bettle auch nicht um Mitleid, aber erleichtere mir den Übergang zu der furchtbaren Einsamkeit, die nun über mich kommt, indem Du mir erlaubst, daß ich Dir hin und wieder einmal schreibe und Dir mein Herz ausschütte, wie ich es immer so gern getan. Du brauchst mir ja nicht darauf zu antworten.

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Die Einsamkeit, das ist es, vor dem mir bange ist. Ich habe sie zehn Jahre lang kennen gelernt, bevor Du in meine Kreise tratest. Sie ist umso schrecklicher, je älter man wird.43

Wie die oben umrissenen Quellenbeispiele zeigen, wurden emotionale Befindlichkeiten – wenn auch nicht immer mit jener hohen Intensität wie im Briefwechsel von Georg Scheicher und Emilie Fuhrmann  – auch im Zeitalter der Neuen Sachlichkeit geäußert. Kann man also davon ausgehen, dass die von Helmut Lethen für die 1920er Jahre untersuchten »Verhaltenslehren der Kälte«44 oder die von Andreas Reckwitz festgestellte »Entemotionalisierung des Subjekts«, die der Kultursoziologe  – was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag – auf die zunehmende Außenorientierung und Eingliederung in soziale Gruppen zurückführt,45 keine Auswirkungen auf die Schreibpraxis in Liebesbriefen beziehungsweise Paarkorrespondenzen hatten? Ganz so einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten, denn auch das Genre des Liebesbriefes unterliegt dem historischen Wandel und die darin geäußerten Emotionen »tauchen je nach Epoche und Kulturraum in sehr verschiedenen Kombinationen und Legierungen auf und suchen sich unterschiedliche Ausdrucksformen«.46 Zudem kommunizierten auch die SchreiberInnen selbst immer wieder ihren Eindruck, ›sachlich‹ zu schreiben – ein Schreibstil, der schwer mit den Anforderungen eines Liebesbriefes in Einklang gebracht werden konnte und daher beim Gegenüber entschuldigt werden musste. So schrieb Hermann Illing an die um zehn Jahre jüngere Barbara (von) Nittmann im ersten Jahr ihres Kennenlernens: »Im übrigen brauchst Du nicht zu denken, daß ich wenn ich nur sachlich schreibe, nicht auch anders denken und mich über Liebes freuen kann. Aber ich müßte, um dies auszudrücken, mehr Ruhe und Muße haben.«47 Wenn dieser Eindruck von Sachlichkeit aber nicht in erster Linie in der ›Gefühlskälte‹ der schreibenden Subjekte begründet liegt, wie lässt er sich dann erklären? Die Impression einer Sachlichkeit des Schreibens kommt wohl durch die zunehmend skeptische Betrachtung von Liebesdiskursen sowie eine häufig über das Mittel der Ironie hergestellte Distanz zu Vorstellungen von romantischer Liebe zustande, die im Bestand von Georg Scheicher und Emilie Fuhrmann besonders präsent ist. So werden in diesem Briefwechsel aus blutigen Liebestränen bisweilen Himbeerflecken auf dem Briefpapier, wenn es heißt: »Falls Du in dem Brief einige rote Flecken findest, so sind das nicht blutige Tränen, die ich um Dich geweint habe, sondern Himbeerflecken.«48 In blumigen Ausdrücken dargebrachte Liebesbekundungen, wie man sie in einem klassischen Liebesbrief erwartet, findet man durchaus auch in den Korrespondenzen der Zwischenkriegszeit, allerdings wird oft im selben Atemzug versucht, Abstand zu ebenjenen romantischen Äußerungen zu gewinnen: Und wenn Du im grünen Gras liegst und hinauf in den blauen Himmel schaust, dann denk auch manchmal ein bißchen an mich, wie auch ich Dich

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oft vor mir stehen sehe, die ausdrucksvollen Augen fragend auf mich gerichtet als wolltest Du sagen: »Liebst Du mich wirklich oder treibst Du nur Scherz mit mir.« Es ist kein Spiel, liebe Muzzi, es ist schöne Wahrheit, wir lieben uns, wie nur je zwei gute Menschenkinder sich liebten. Und nun will ich schließen, sonst wirds wieder ein Liebesbrief. Zwar lesen kleine Fräuleins solche nicht ungern im allgemeinen, aber Frl. Muzzi nicht, nicht wahr?!49

Offene Liebeserklärungen werden in der Briefkommunikation des akademi­ schen, sich als aufgeklärt und modern verstehenden Paares zum selten offenbarten ›Geständnis‹, wenn es heißt: »Und nun, liebe Emilie, ein kleines Geständnis: Du gehst mir sehr ab, kleiner Liebling.«50 Das Unbehagen an direkten Sehnsuchts- und Liebesbekundungen lässt sich im Fall von Georg Scheicher relativ eindeutig auf die Angst zurückführen, dem Bild des virilen Mannes nicht zu entsprechen und als Schwächling zu gelten. Im September 1920 schreibt er: »Gestern abends, als ich nachhause kam, war mir beinahe bange nach Dir, aber nur ›beinahe‹, denn Schwächegefühle soll der Mann nicht aufkommen lassen. Ich habe mich in den schönen Tagen seit Schladming so an unser stetes Zusammensein gewöhnt, daß ich allein mich gar nicht mehr zurechtfinde.«51 Er bleibt in seinen Aussagen allerdings inkonsequent, denn trotz einer partiellen Zurücknahme der schriftlichen Versicherung seiner Zuneigung macht Georg seiner geliebten Emilie doch deutlich, dass er auf sie angewiesen ist und sie vermisst. All das spricht weniger für eine ›Gefühlsarmut‹ der VerfasserInnen der untersuchten Paarkorrespondenzen, sondern zeugt vielmehr von einer Verunsicherung hinsichtlich ihrer Positionierung im Rahmen verschiedener Liebeskonzeptionen und Geschlechtermodelle. Die Distanzierung von romantischen Liebesvorstellungen und die ›Versachlichung‹ der Liebe kann also, wie in den nächsten beiden Abschnitten näher ausgeführt wird, auch an das Hervortreten egalitärer Beziehungsformen und die Irritierung bürgerlicher Geschlechter­ normen durch Modelle wie das der Neuen Frau gekoppelt werden.

4. Die Überschreitung der Geschlechtergrenzen: Neue Frau, Frauenerwerbstätigkeit und Bergsport Die Geschlechtergrenzen galten in den 1920er und frühen 1930er Jahren – vor allem im urbanen Raum – als so durchlässig wie selten zuvor. So spricht etwa Andreas Reckwitz von einer Angleichung des Geschlechterhabitus und betont das Auftauchen neuer, auf Kameradschaftlichkeit basierender Beziehungsformen – allerdings bei einem parallelen Weiterwirken bürgerlicher Geschlechterideale.52 Diese Angleichung des Geschlechterhabitus ist aber als eine einseitige zu betrachten, waren es doch in erster Linie die Weiblichkeitsbilder, die »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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etwa durch das Modell der Neuen Frau eine Erweiterung erfuhren. Diese durch Werbung und Massenkultur vermittelten »progressive[n] Weiblichkeitsbilder« besaßen nach Ulrike Wohler zwar »mehr oder weniger Idealfunktion und [waren] nur für wenige real lebbar […], [durchdrangen] jedoch auf ihre Weise die Gesellschaft«.53 »Erstaunlicherweise«, wie Christiane Eifert feststellt, »trat neben die neue Frau […] während der zwanziger Jahre kein neuer Mann, um ihr vergleichbar, einen unabhängigen, rationalen, zielstrebigen Gegenpart zu bilden«.54 In den analysierten Briefen zeigt sich ein ähnliches Bild. Zwar bezogen die Schreiberinnen den Terminus der Neuen Frau nicht auf sich selbst und bisweilen scheinen ihnen die Entwicklungen vor allem in den Großstädten nicht ganz geheuer gewesen zu sein  – etwa wenn Emilie Fuhrmann berichtet: »In Wien hast Du – abgesehen von meiner Nähe – nichts versäumt. […] Hasten und Treiben der Großstadt; sehr viele halbweltlich elegante Gestalten, sodaß ich wirklich glaube, daß sich auch anständige Mädels so zweifelhaft herrichten.«55 Andererseits treffen viele Attribute, die mit dem Konzept der Neuen Frau in Verbindung gebracht werden, auch auf die Verfasserinnen der untersuchten Paarkorrespondenzen zu. In der Literatur wird die Neue Frau als »sexually and financially independent«56 beschrieben, als Streiterin für Selbstbestimmung und politische Mitsprache,57 als »rational, unabhängig, schnell, zielstrebig, unbekümmert«58 und als Person, die »einen Anspruch auf Selbstverwirklichung [erhebt], der Verliebtheit mit einschließt, aber den Traum von der einzig großen Liebe unter den Buchdeckeln lässt«.59 Auffällig ist, dass alle Schreiberinnen des Quellensamples – mit Ausnahme der bisher noch nicht näher erwähnten Lilli Weber-Wehle (1894–1987)60  – berufstätig und finanziell unabhängig waren, als sie ihre Partner kennenlernten. Emilie Fuhrmann und Barbara (von) Nittmann kamen aus wohlhabenden bürgerlichen Familien und ergriffen ihre Berufe als Wissenschaftlerin und Lehrerin nicht aus ökonomischer Notwendigkeit oder auf Druck des Elternhauses, sondern aus eigenem Antrieb. Das Dienstmädchen Lisa Albrecht hatte demgegenüber keine Wahl – sie musste nicht nur ihr eigenes Geld verdienen, sondern auch ihre Familie, und dabei insbesondere ihre kranke Mutter, unterstützen. Die ökonomische Unabhängigkeit und das durch den Beruf erlangte Selbstbewusstsein stärkten die Position speziell der aus dem Bürgertum stammenden Frauen in den brieflichen Aushandlungsprozessen erheblich. Sie waren es, die nach Selbstbestimmung strebten und sich viel stärker als die Adressaten ihrer Briefe an modernen Lebensentwürfen orientierten. All dies stellte aber auch ein erhebliches Konfliktpotential innerhalb der Liebespaare dar. Hermann Illing betrachtete die Erwerbstätigkeit seiner Braut sehr skeptisch und äußerte in seinen Briefen die Sorge darüber, dass Barbara (von) Nittmann den zukünftigen gemeinsamen Haushalt zugunsten ihres Berufs und ihrer Freizeitgestaltung vernachlässigen würde.61 Und auch Georg Scheicher hatte beträchtliche Schwierigkeiten mit Frauen, die in bisher Männern vorbehaltene

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Domänen vordrangen. So schreibt er: »Schade, daß Sie nicht Medizinerin sind, von Ihnen würde ich mich ausnahmsweise behandeln lassen, trotzdem, wie Sie wissen, mein Zutrauen zu den Ärzten und besonders zu den weiblichen sehr gering ist.«62 Doch der Beamte argumentierte nicht nur auf einer allgemeinen Ebene. In seinen Briefen wird deutlich, dass er Emilie aufgrund ihrer akademischen Laufbahn und ihrer ausgezeichneten beruflichen Position  – sie hatte einen Doktortitel, während er ›nur‹ Ingenieur war  – nicht bloß als Geliebte, sondern auch als Konkurrentin wahrnahm. Vor allem Emilies Universitäts­ studium wurde in ironischen Passagen immer wieder bagatellisiert: »Wie hast Du das zustande gebracht, diesen alten hartgesottenen Sünder und Junggesellen so um den Finger zu wickeln? Hast Du das auf der Universität gelernt? Oder wars die angeborene Weiberschlauheit, gegen die wir Männer alle Tölpel sind?«63 Diese Mischung aus persönlichen und grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber Frauen, die die Geschlechtergrenzen überschritten und in Männer­ domänen vordrangen, lässt sich außerdem anhand eines Themas demonstrieren, das in den analysierten Paarkorrespondenzen zu den am häufigsten behandelten zählt: das Bergsteigen. Stärker noch als das in der Forschungsliteratur als herausragendes Exempel des Körperkults und der Sportbegeisterung der Zwischenkriegszeit genannte Turnen, spielt es in den untersuchten Korrespondenzen aus bürgerlichem Milieu eine erstaunlich große Rolle. Dieser extensive Austausch über Freizeitaktivitäten, die neben dem Wandern und Bergsteigen auch noch Besuche in Theatern und Kinos, Buchlektüre, Gesellschaften und Tanzveranstaltungen umfassten, zeugt von einer unter anderem durch neue Arbeitszeitregelungen64 ermöglichten stärkeren Einbindung der Liebesbeziehung in die Freizeitgestaltung. Andreas Reckwitz geht sogar so weit, die gemeinsamen »Freizeit-performances als eigentliche […] Grundlage der Partnerschaft«65 in den 1920er Jahren zu verstehen – eine Partnerschaft beziehungsweise Ehe, die »nach dem Vorbild der unkomplizierten wie im Prinzip gleichberechtigten, die Freizeit ausfüllenden Interaktion unter Sportlern und Sportlerinnen modelliert [wird]«.66 Ob diese Gleichberechtigung – idealtypisch verkörpert unter anderem in der Beziehung zwischen Bergkameraden – in der untersuchten Briefkommunikation aufzufinden ist, oder ob dort nicht auch hierarchische Verhältnisse zum Ausdruck kommen, lässt sich anhand der in der Zwischenkriegszeit langsam auch von Frauen eroberten Männerdomäne des Bergsteigens gut erläutern. Bereits auf einer sprachlichen Ebene offenbart sich die hohe Relevanz des Bergsports für die VerfasserInnen der genannten Paarkorrespondenzen: Dieser nimmt nicht nur quantitativ breiten Raum ein, sondern wird in eine enorme Begriffsvielfalt gefasst. Vom »Bergesriesen« ist ebenso die Rede wie von der »Bergfreude«, der »Felsformation«, dem »Gletschereis«, dem »Hütten­ bummeln« oder dem »Kraxeln«.67 Außerdem fand das Bergsteigen auch meta»[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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phorisch Eingang in die Briefquellen – etwa wenn Hermann Illing im Kontext seines Berufslebens von »Aktendolomiten« spricht68 oder Georg Scheicher die Nebelschwaden des Hochgebirges als Bild für seinen Trennungsschmerz benutzt.69 Der Berg trat als Ort des Kennenlernens, des Zelebrierens von Zusammengehörigkeit und der Inszenierung von Männlichkeit in Erscheinung. Zwar legt Peter Grupp dar, dass »sich Frauen zunehmend auch ganz ohne Männer selbständig in die Berge [wagten]«, nachdem der Erste Weltkrieg »gesellschaftliche Verkrustungen aufgebrochen hatte«.70 Dennoch setzt er den entscheidenden Durchbruch von Frauen im Alpinismus erst im Gefolge der »gesellschaftlichen Umwälzungen [an], die nicht zuletzt die 68er-Bewegung mit sich gebracht hat«.71 Und auch die männlichen Schreiber des Quellenbestandes scheinen, selbst wenn sie – mit Ausnahme von Heinrich Mader72 – regelmäßig gemeinsam mit ihren Verlobten oder Ehefrauen Touren unternahmen, den Berg noch als Raum männlicher Ehre und Verbundenheit verstanden zu haben. Der damals gerade erst 20 Jahre alte Johann Feichtinger erinnert sich in einem Brief durchaus selbstironisch an alpine Mutproben, die einem Initiationsritus gleichkamen und mit einem Leistungs- und Konkurrenzgedanken zwischen jungen Männern verbunden waren: [E]in solches Hüttenbummeln liebe ich nicht. Als wir lustige Lausbuben uns dort einmal herumtrieben, fielen gar viele Stolze in unsere Hände, wir handelten gerade um jeden Gipfel, wobei einzig und allein der Schwierigkeitsgrad maßgebend war, und erzählten abends beim Herdfeuer der Alm, wie Vieles und Großes jeder geleistet hatte, um den andern nicht herabpurzeln zu lassen.73

Auch Georg Scheicher hebt – ebenso selbstironisch – die Bedeutung des Berges als Ort, »an dem Männer noch unter sich sind«, hervor: »Am Mittwoch Abend haben wir dann dem ›Deutschen Haus‹ einen Besuch abgestattet und die Strohwitwerschaft gefeiert. Die Weinvorräte dieses Restaurants erfuhren hiebei eine beträchtliche Verminderung. Daß wir bei diesem Anlasse gemeinsam grimmig über die ›Weiber‹ geschimpft haben, brauche ich wohl nicht hervorzuheben.«74 Die zunehmende Präsenz von Frauen am Berg wirkte vor diesem Hintergrund irritierend und beunruhigend, wobei die Reaktionen darauf nur als widersprüchlich bezeichnet werden können. Denn wie in so vielen Bereichen, ist in der Zwischenkriegszeit auch hier – sowohl in den Briefen als auch in den gesellschaftlichen Debatten – ein Pendeln zwischen kameradschaftlichen Idealen, die sich zumindest annähernd an Konzepten gleichberechtigter Partnerschaft orientierten, und konservativen Modellen, die die Hierarchien zwischen den Geschlechtern betonten und männliche Privilegien zu verteidigen suchten, zu beobachten. Im zeitgenössischen Diskurs wurde der (Berg-)Sport einerseits

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»als Ort der kameradschaftlichen Geschlechterannäherung propagiert«,75 andererseits betrachtete man seine emanzipatorischen Tendenzen mit Skepsis oder warf den Sportlerinnen vor, ihre Aktivitäten allein zum Zweck der Beziehungsanbahnung auszuüben. In einem Artikel aus dem Jahr 1928 wurde aber auch mit positivem Tenor – wenngleich in etwas zweideutiger Art und Weise – auf die beziehungsfördernden Seiten des Bergsteigens hingewiesen. Einmal mehr griff der Autor dabei auf das Stereotyp des virilen Mannes zurück, der sich im gefährlichen alpinen Gelände beweisen muss: »Die Frau jocht den Mann wo sie will; dazu bedarf sie nicht erst der Fallstricke der Berge. […] Es ist aber ganz natürlich, wenn sie ihren Auserwählten gerade dort suchen, wo sie seinen Wert, Mut, Kühnheit und Ausdauer am besten beurteilen können: beim Wandern und in den Bergen.«76 Die Paare der untersuchten Bestände hatten sich zwar nicht während einer Bergtour kennengelernt, waren jedoch sportbegeistert und naturverbunden und vertieften  – mit Ausnahme des Dienstmädchens Lisa Albrecht und des Beamten Heinrich Mader – ihre Beziehung auf gemeinsamen Wanderungen. Die Funktion deutschsprachiger Berg- und Alpenvereine als Kitt für bereits bestehende Liebespaare war nicht unerheblich und wurde in Publikationen der Zeit immer wieder hervorgehoben: »Ein schöner Zug ist auch das kameradschaftliche Verhältnis, das sich auf Hochtouren zwischen Gatten ausbildet, jene Freundschaft der Seelen, die im Alltagsleben gewiss über vieles hinweghilft.«77 Frauen galten als Bergkameradinnen78 und wurden in den Briefen als »gern gesehene Tourengefährten«79 bezeichnet – Termini, die »zumindest im deutschsprachigen Teil des alpinistischen Diskurses« eine große Rolle spielten, »als die ›neue Frau‹ die Alpen eroberte«.80 Von Gleichberechtigung kann man dabei allerdings kaum sprechen und die Position von Bergsteigerinnen war gerade in Hinblick auf die Interaktion mit ihren männlichen Gefährten eine äußerst zwiespältige. Denn zum einen wurde der Sport als herausragende Möglichkeit für Frauen gesehen, die Geschlechtergrenzen zu überschreiten81 und »die körperliche Konkurrenzfähigkeit zum männlichen Geschlecht«82 herzustellen, zum anderen diente er aber nicht unmittelbar »der Befreiung von traditionellen Geschlechterrollen, sondern setzt[e] die Frau neuen Zwängen aus. Sie muss[te] selbstbewusste Kameradin und fraulich zugleich sein.«83 Tanja Wirz fasst dieses Dilemma punktgenau zusammen: Mit der ›Bergkameradin‹ entstand […] eine Frauenrolle, welche die ›neue Frau‹ mit der herkömmlichen Geschlechterordnung versöhnte: Bergkameradinnen durften, ja, sie sollten mit dabei sein, im Prinzip als Gleichberechtigte, aber zum Preis des Verzichts auf ihre Sexualität. Die Kameradin war eine entgeschlechtlichte junge Frau. Sobald sie als Liebespartnerin in Betracht gezogen wurde, verlor sie in den Augen der meisten damaligen Bergsteiger den Kameradinnenstatus und gehörte wieder zurück an ihren Platz in der herkömmlichen Geschlechterordnung.84 »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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So umriss in einer der untersuchten Korrespondenzen etwa auch der »treue Bergführer«85 Georg Scheicher seine Vorstellungen von einer angemessenen Aufgabenteilung in einer Liebesbeziehung ganz klar. Während er sich als Führer durch die Wildnis betätigte, sollte Emilie zuhause für ihn sorgen: Neujahrswunsch für 1920 Im Nachtzug Wien-Amstetten Früh morgens um halb vier Sah ich ein braunes Mädel, Traun, die gefiel mir schier. Seither war jene Fraue Auf Fahrten sonnig hell Durch Wald und Flur und Aue Mein fröhlicher Gesell. Und führte ich sie treulich Durch Schnee und Fels und Eis, So sorgte sie sich freundlich Daheim um mich mit Fleiß. Und lehrt’ ich sie verstehen Der Bergesriesen Art, erwies sie mir viel Liebes, daß warm ums Herz mir ward. Gar schnell ist so vergangen Lieb’ Trautgeselle mein Das alte Jahr uns beiden.86

Der Übergang vom Dasein als alleinstehende Frau hin zur Ehefrau stellte im Freizeitbereich einen wesentlichen Einschnitt dar. Für eine weitere Schreiberin aus dem Korrespondenzbestand, die 1894 geborene Lilli Wehle, war die in eine moderne Erziehung eingebettete sportliche Betätigung stets von großer Bedeutung gewesen, mit durchaus befreiender und emanzipatorischer Wirkung. Sie hatte die Mädchenschule von Eugenie Schwarzwald besucht, Radfahren gelernt und betrieb Wintersport. Ab 1911 besuchte sie Schikurse und gewann auch mehrere Rennen, war 1913 sogar österreichische Abfahrtssiegerin am Semmering. Mit ihrer Hochzeit im gleichen Jahr reduzierte sie, wie ihr Sohn berichtet, diese Freizeitaktivitäten jedoch stark: »Die letzte freie Unternehmung Fräulein Lillis war eine Schitour mit dem österreichischen Wintersportklub auf den Kaibling bei Admont. Lilli erhielt von einigen Sportkameraden Heiratsanträge, aber im Mai war die Verlobung mit Friedrich Ludwig Weber, im Juli die Hochzeit.«87 Die Geschichte von Lilli Weber-Wehle und Friedrich Weber kann nicht nur als Beispiel für die Zurückstellung sportlicher Hobbies nach einer Heirat dienen; sie zeigt auch, dass Sportkameradschaft nicht uneingeschränkt als Realität, sondern auch als »intellektuelles Wunschdenken«88 zu bewerten ist.

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Denn auf den gemeinsamen Bergtouren dieses Paares brachen geschlechtsspezifische Hierarchien mit voller Wucht durch – so etwa wenn Lilli in ihr Tagebuch notierte, dass sie ihrem Mann am Berg vorangegangen sei und er darüber wütend wurde: »Und nun ruf ich meinen Burschi, er antwortet nicht, erschreckt eile ich zurück und finde ihn auf dem letzten Stück Wegs. Er ist bös, dass ich vorauseilte. Verzeih mir Burschi, ich war voll Sehnsucht das Neue zu sehen …«89 Doch nicht nur die Beanspruchung des traditionell Männern vorbehaltenen Vorstiegs durch Bergsteigerinnen konnte zu Missstimmungen innerhalb einer Paarbeziehung führen – gleiches galt auch für andere Männlichkeitsrituale. Als Barbara (von) Nittmann ihrem Verlobten Hermann Illing ein Edelweiß aus den Dolomiten schickte, reagierte er ungehalten und stellte klar, dass das Edelweiß »in den Dolomiten ja meist nicht so gefährlich wächst, wie in der Schladminger Gegend, wo ich eines vor za. 20 Jahren das letzte Mal pflückte«.90 Das Nebeneinander verschiedener Geschlechtermodelle und die daraus entstehenden Ambivalenzen und Brüche ziehen sich durch jeden einzelnen der hier untersuchten Briefwechsel und machen die Verhandlungen zwischen den Paaren der Zwischenkriegszeit so spannend. Konfliktpotential war reichlich vorhanden. Es zeigt sich, wie oben besprochen, an unterschiedlichen Auffassungen zu Frauenbildung und -erwerbstätigkeit sowie der damit verbundenen ökonomischen Unabhängigkeit ebenso wie an heftigen Kontroversen rund um die zunehmende Präsenz von Frauen im Bergsport. Die Konkurrenz einerseits zwischen dem Verständnis einer »Sportkameradschaft [als] Modell für die gleichberechtigte Partnerschaft«91 und den Bergen als liminalem Raum, in dem die Alltagsordnung teilweise außer Kraft gesetzt ist,92 und andererseits der Tatsache, dass die traditionelle Rollenverteilung durch den Frauensport kaum in Frage gestellt wurde,93 zeugt von weitreichenden Umformungen in den Beziehungs- und Geschlechteridealen. Diese werden im folgenden Abschnitt des Beitrags – gleichsam als ›Essenz‹ der bisher in diesem Artikel beschriebenen Aspekte – näher untersucht werden.

5. Kameradschaft, sachliche Liebe und bürgerliches Ehemodell: Integration, Koexistenz oder Konkurrenz? Mit Andreas Reckwitz, der die Zeit um 1920 – ähnlich wie die Jahre rund um 1970  – als »Epochenschwelle« einschätzt, möchte ich davon ausgehen, dass Subjektkulturen und kulturelle Ordnungen in historischen Umbruchszeiten zwar einerseits ›umkippen‹ können, andererseits aber alle Ordnungen – auch die aus vergangenen Epochen – stets präsent sind. Der Kultursoziologe spricht dabei von »konfligierenden multiple modernities« oder einer »Multiplizität von Modernitätskulturen«.94 Obwohl sich also das »nachbürgerliche Subjekt« und die organisierte Moderne der Angestelltenkultur in den 1920er Jahren als »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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dominant erwiesen, verschwanden jene Ideale und Normen, die das bürgerliche, moralisch-souveräne Subjekt des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgebracht und geprägt hatten, nicht gänzlich von der Bildfläche. Das mehr oder we­ niger konfliktreiche Nebeneinander verschiedener kultureller und sozialer (Geschlechter-)Ordnungen, welche als Orientierungspunkte für Paarbeziehungen dienten und die Erwartungen an eine Ehe – alternative Beziehungsformen wurden in den vorliegenden Quellen kaum angedacht – beeinflussten, ist in der Sprache der Briefe stets präsent. Die Vorstellungen über die Art und Weise des zukünftigen Zusammenlebens als Eheleute klafften dabei jedoch häufig weit auseinander. Die Positionen von Frauen und Männern mussten abgesteckt, verteidigt oder einander angenähert werden, Spielräume wurden ausgelotet, Verbündete in Form von Autoritäten ins Feld geführt. Schon die Häufigkeit, mit der im Zuge der Quellenaufbereitung jene Kategorien zuzuordnen waren, die diese Aushandlungsprozesse fassen,95 deutet auf massive Differenzen aller Beteiligten im gesamten Material aus der Zwischenkriegszeit hin. Die daraus folgende »Dominanz des Appellativen«96 ist in allen Quellenbeständen zu beobachten, wobei ich den Blick zunächst auf den Briefwechsel zwischen dem Dienstmädchen Lisa Albrecht und dem Beamten Heinrich Mader richten möchte, der hinsichtlich der Argumentationsrichtung einen Ausnahmefall darstellt: Denn im Unterschied zu allen übrigen, aus dem Bürgertum stammenden Paarkorrespondenzen war es hier die Frau, die ihren Briefpartner von einem Leben im Sinne polarer Geschlechtermodelle zu überzeugen suchte. Der zwischen Februar 1922 und August 1923 entstandene und die gesamte Zeit des Liebesverhältnisses abdeckende Briefwechsel gibt Einblick in eine äußerst konfliktreiche Affäre, die trotz Schwangerschaft und Kind nie ernsthaft auf eine Legitimierung durch eine Ehe hinauslief – auch wenn diese von Lisa Albrecht heiß ersehnt wurde. Erhalten sind nur die Briefe des Dienstmädchens, die den vielen Höhen und Tiefen der Beziehung entsprechend die ambivalenten Emotionen der Schreiberin wiedergeben, welche von Schwärmerei, Freude und Glück über Unsicherheit und Gefühle von Zurückweisung bis zu tiefen Zukunftsängsten, Wut und Verzweiflung reichten. Ihrer Zukunftsvorstellungen war sie sich jedoch vollkommen sicher. In einer Briefpassage heißt es: Liebster ich will dir kein Räthsel bleiben. Weißt wir Frauen haben halt eine sehr große Sehnsucht nach einem eigenen Herd, nach einer stillen Häuslichkeit und darin ein Männchen daß wirklich mit Herz und Hand einem gehört. […] Es gibt wohl Mädls, welche auf Ihr späteres Leben nicht denken, Sie sagen daß Leben muß man genießen. Es ist ihnen ganz gleich ob es dießer oder jener Mann ist, die Hauptsache ist ihnen, daß Sie Ihre Wohlust befriedigen und viel Vergnügen haben. Moral kennen Sie keine. Es hatten sich für mich gewiß auch solche Gelegenheiten geboten, aber meine Ehre sagte mir nein.97

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Während Heinrich Mader vorrangig den sexuellen Kontakt forderte, wünschte Lisa Albrecht sich ein Dasein als Ehefrau in einem bürgerlichen Haushalt, was für sie nicht den Verzicht auf Selbständigkeit, sondern den sozialen Aufstieg bedeutet hätte.98 Um ihren Argumenten Nachdruck zu verleihen, setzte sie biologistische Auffassungen von der ›Natur der Frau‹ ebenso systematisch ein wie ihre »Moral« und »Ehre« und die daraus resultierende Weigerung, ohne Trauschein mit Heinrich zu schlafen. Als dieser sie dennoch dazu überredete, fand die Beziehung einen dramatischen Ausgang. Lisa wurde unerwünscht schwanger und da Heinrich seine Vaterschaft nicht anerkannte, folgte die Bestellung eines Berufsvormundes.99 Die gesellschaftliche Stigmatisierung, die mit einem Dasein als alleinstehende Mutter verbunden war, spürte Lisa Albrecht bereits während der Schwangerschaft: »Ich kann hier niemandem was klagen wenn mir nicht wohl ist, was im Anfang dießer Zeit häufig vorkommt, fürs erste weil sie ja den Zustand nicht wissen und fürs zweite, wenn sie meinen Zustand einmal erkennen werden, wird man mir sagen Du bist selber Schuld daran und man wird mich höchstens ein schlechtes Frauenzimmer heißen.«100 Mitte der 1920er Jahre wurde rund ein Fünftel der Kinder unehelich zur Welt gebracht101 – und Dienstmädchen waren hierbei besonders gefährdet. So warnte die sozialdemokratische Frauenzeitschrift »Die Unzufriedene« ausdrücklich vor sozial ungleichen Beziehungen und einer allzu offenherzigen Sexualmoral: Und ist es ein Mann aus der Klasse der Besitzenden, so steht es meist von vornherein fest, dass die »Freundin« zum Heiraten nicht gut genug ist und nur vorübergehend als Spielzeug dienen darf. Das Mädchen macht sich aber doch Hoffnungen, dass er sie »zu sich erheben« wird. Manchmal kommt das ja vor, in Kinostücken öfter, im Leben seltener. […] Oft ist sie aber Mutter und muss mit ihrem kleinen Arbeitsverdienst für Kinder sorgen, oft ist sie infolge künstlicher Beseitigung einer oder mehrerer Mutterschaften oder infolge von Ansteckung krank, arbeitsunfähig oder sie findet infolge ihres »schlechten Rufes« keinen dauernden Posten. Die Heiratsfähigkeit, die früher nur durch Armut erschwert wurde, ist durch alle diese eventuellen Folgen noch mehr herabgemindert worden.102

Anders als bei Lisa Albrecht und Heinrich Mader, waren es in den übrigen Briefbeständen überwiegend die Männer, die ihre Erwartungen und Ziele im Sinne einer lebenslangen, über polare männliche und weibliche Aufgabenbereiche definierten Ehe formulierten und ihre erwerbstätigen und unabhängigen Frauen von ihrem Standpunkt zu überzeugen suchten. So etwa im Briefwechsel zwischen Hermann Illing und Barbara (von) Nittmann: Um aber einmal ganz ernst zu sein, wünsche ich Ihnen, daß sich Ihr Ehrgeiz auch in dem Punkte entwickelt (hier wird er Ihnen wohl vielleicht ferner sein), einem sehr gut geführten Haushalte vorzustehen. Wobei ich natürlich nicht

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der Ansicht bin, daß eine Frau in Haushalt und – z. B. Schule – aufgehen solle. Auf diesem Gebiete dürfte wohl die Anwendung der Tailer’schen Lehre von großer Tragweite sein, was die Hausfrauen von gestern nie begreifen wollen. Meiner Mutter predige ich es öfters: auf die besten Reihenfolge der Handgriffe aufpassen, nicht zu viele Wege umsonst machen, mit der geringsten Anstrengung den größten Erfolg erzielen usw. Die Betätigung dieses Ehrgeizes hat aber noch eine bedeutende praktische Seite, sie bedingt nämlich die billigste Führung des Haushaltes. Und das ist in der heutigen Zeit viel wert. Sie ermöglicht dann wieder ein Vergnügen, das man sich sonst versagen müßte.103

Wie im oben zitierten Textausschnitt zu sehen ist, schritt die Beziehungsanbahnung bei diesem Paar recht schnell voran, machte Hermann Illing doch bereits einen Monat nach dem Beginn des brieflichen Austauschs104 seine Erwartungen an eine potentielle Ehefrau deutlich. Die Eindringlichkeit, mit der dies geschah, war wohl auch der Tatsache geschuldet, dass Barbara (von) Nittmann ihren Beruf als Lehrerin und ihre vielen Sport- und Freizeitaktivitäten der Tätigkeit im Haushalt vorzog. Auffallend ist aber nicht in erster Linie, dass der Beamte im Sinne der polaren Ordnung des bürgerlichen Geschlechterideals argumentierte. Noch interessanter erscheint mir die Art und Weise der Legitimation seiner Anschauungen: nämlich durch die Bezugnahme auf die in den 1920er Jahren entstehenden Arbeitspraktiken der organisierten Moderne, die Rationalisierung und Technologisierung der Industrie und die Verkürzung der Arbeitswege, welche sich neben dem Taylorismus105 etwa auch in der Entwicklung der Frankfurter Küche durch die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky106 bemerkbar machten. In Anlehnung an die Tendenz, den »Code des Technischen im Sinne eines allgemeinen social engineering«107 auszuweiten, wie das Andreas Reckwitz für die USA in den 1920er und 1930er Jahren feststellt, übertrug Hermann Illing die ökonomischen Modelle »einer formalisierten, effizienten Koordinierbarkeit […] menschlicher Handlungen«108 auf die Tätigkeit im Haushalt. Er setzte sie gezielt für sein individuelles Ziel ein, die zu diesem Zeitpunkt immerhin schon 28 Jahre alte Lehrerin Barbara (von) Nittmann nach seinen Vorstellungen zu formen und ihr – durch effizientes Zeitmanagement und die Ökonomisierung der Hausarbeit – einen Anreiz dafür zu bieten, ihre Position im Haushalt einzunehmen, ohne auf ihre Freizeitaktivitäten verzichten zu müssen. Die Tatsache, dass der Standpunkt, die Frau solle den Haushalt führen, einer derartigen Begründung überhaupt bedurfte, zeigt aber vor allem, dass das bürgerliche Geschlechtermodell in der Zwischenkriegszeit an Autorität verloren hatte. So war sich Hermann Illing durchaus der Angreifbarkeit seiner Position bewusst, nahm den Widerstand seines Gegenübers wahr109 und zog sich immer wieder ein kleines Stück zurück, um die Paarbeziehung nicht bereits im Anfangsstadium zu gefährden. Anfang September 1925 schrieb er leicht relativierend: »Eine Frau, die außer Häuslichem nichts kennt, ist entsetzlich«, nur

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um im gleichen Atemzug fortzufahren: »Aber es ist hier dasselbe, was ich Ihnen schon ein paarmal gesagt und mir als eine meiner Lebensmaximen gestellt habe, alles möglichst gut und möglichst intelligent zu machen. Im Übrigen stelle ich mir (laienhaft) z. B. die Anfertigung eines schicken Kleides ganz lustig vor.«110 Die beiden heirateten einige Jahre später, woraufhin die Braut ihren Beruf als Lehrerin aufgab. Da das Paar in Wien lebte, geschah dies zumindest anfangs auf freiwilliger Basis. Denn nachdem zu Beginn der Ersten Republik auf sozialdemokratische Initiative hin die Ehebeschränkungen und -verbote für Frauen dieser Berufsgruppe beziehungsweise für weibliche Staatsbedienstete aufgehoben worden waren, hatten – beginnend mit dem Bundesland Salzburg im Jahr 1922  – nach und nach fast alle österreichischen Bundesländer das Lehrerinnenzölibat wieder eingeführt.111 Im Jahr 1935, »zum Zeitpunkt, als die Doppelverdienerverordnung in Kraft trat [und verheiratete Beamtinnen ihre Anstellungen verloren, B. A.], galt nur in Wien und Burgenland für Lehrerinnen das uneingeschränkte Recht auf Verehelichung«.112 Für die so verhasste Hausarbeit wurde im Falle des Ehepaares Illing ein Dienstmädchen eingestellt – Thema zahlreicher späterer Briefe, die den Alltag der Eheleute dokumentieren. Auf den ersten Blick verkörpert dieses Paar geradezu idealtypisch jenes Beziehungsmodell, das die Sozialwissenschaftlerin Helene Bauer in ihrer 1927 publizierten Studie »Ehe und soziale Schichtung« als »großbürgerliche Ehe« bezeichnet.113 Bauer fasst darunter das Zusammenleben im Sinne bürgerlicher Ordnung, eine Ehe also, »in der die Frau von der ökonomischen Position des Mannes zwar profitierte, aber von seiner Tätigkeit ausgeschlossen war«.114 Doch ganz so eindeutig ist diese Zuordnung nicht zu treffen, denn zum einen fügte sich Barbara (von) Nittmann, wie wir gesehen haben, nur widerstrebend in die für sie vorgesehene Rolle, und zum anderen waren sachliche Liebes- und Ehemodelle wie das der Kameradschaftsehe zumindest rhetorisch in der Paarkorrespondenz präsent. Hermann Illing inszenierte sich beispielsweise immer wieder als guter Freund, der sich eine »Kameradin« als Ehefrau wünscht – allerdings nicht ohne in der für ihn typischen Zweideutigkeit gleichzeitig auf die Differenzen zwischen Mann und Frau und die daran geknüpften Bedingungen im alltäglichen Zusammenleben hinzuweisen: Sie brauchen somit nichts weiter zu tun, als über Alles, was Sie innerlich denken, fühlen und erleben, wie mit sonst einem guten Freunde männlichen oder weiblichen Geschlechts zu sprechen oder zu diskutieren. […] Aber wie können Sie so wenig selbstsicher /sein/, daß Sie erst sehen müssen, ob Sie für jemand etwas leisten können. Als ob es nicht vielleicht mehr wäre, als ein Mann vergelten kann, wenn eine Frau ihm die Kameradin ist /(äußerlich u. innerlich)/ und ihm eine große Liebe schenkt. […] Jedenfalls (und das wird vielfach übersehen und bildet /dann/ die Quelle schwerer Mißverständnisse und Irrtümer) darf die Frau nie die andersgeartete körperliche Konstitution des Mannes übersehen und muß sich in dieser Beziehung einzufühlen suchen.115

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Der hier verwendete Begriff der »Kameradin« findet sich – im Gegensatz zur maskulinen Form des »Kameraden«, welche selten und nur in der Bedeutung von »Front-« und »Kriegskamerad« benützt wurde – mit erstaunlicher Regelmäßigkeit in den Briefen männlicher wie weiblicher Schreibender der Zwischenkriegszeit. Dabei ist in etwa genauso oft von der »Kameradin« oder der »Gefährtin« die Rede wie von der »Gattin« oder dem »Weib«. Dass zwischen den Begriffen entsprechend den mit ihnen verknüpften Konzepten qualitative Unterschiede gemacht wurden, zeigt das folgende Zitat. Emilie Fuhrmann schrieb dem sich auf einer Bergtour befindenden und scherzhaft »mit blonden Touristinnen anbandelnden«116 Georg Scheicher schon in den frühen 1920er Jahren: »Geggi, Geggi, ich sehe, es fehlt Dir mein Einfluß, meine energische Nähe! Der Mann verwildert schon wieder! Nichts destoweniger ist und bleibt er doch mein lieber Geggi, der sich in letzter Zeit auffallend meinen Wünschen und Vorstellungen von dem Manne nähert, dem ich mein ganzes Leben nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin sein will.«117 Nach Emilies Verständnis ging also das Kameradin-Sein über das Gattin-Sein hinaus, auch wenn sie nicht genau deutlich machte, durch welche Attribute sich ein kameradschaftliches Zusammenleben in einer Paarbeziehung im Vergleich zur konventionellen Ehe auszeichnet. Auftrieb und wissenschaftliche Unterfütterung erhielt dieses Konzept noch einmal im Jahr 1928, als das vieldiskutierte Buch »Die Kameradschaftsehe« (im Original: »Companionate Marriage«) der Sexualwissenschaftler und -reformer Ben B. Lindsey und Wainwright Evans ins Deutsche übersetzt wurde.118 Die beiden Autoren schlugen darin einen »Kompromiss zwischen freier Liebe und christlichen Ehevorstellungen« vor und definierten die Kameradschaftsehe als »eine leicht lösbare Ehe, sozusagen auf Probe oder Zeit, in der Verhütungs­mittel zugänglich sind. Damit soll eine relativ feste Verbindung etabliert werden, die aber keinen Anspruch darauf erhebt, lebenslang zu halten, und in der die Partner bewusst (noch) keine Kinder wollen.«119 »An die Stelle jener Komplikation, die das Mann-Frau-Verhältnis in der spätbürgerlichen Kultur der zwei Sphären und zwei Geschlechtscharaktere gewinnt«, tritt nun – nach Andreas Reckwitz – »das Modell einer Partnerschaft unter im Prinzip Gleichen«.120 Georg Scheicher, der höhere Beamte, und Emilie Fuhrmann, die Botanikerin und Wissenschaftlerin, bewegten sich in vielen Bereichen auf Augenhöhe: im Beruf, beim gemeinsamen Hobby des Bergsteigens und auch hinsichtlich ihres Bildungsstandes. Ob man dabei von Gleichrangigkeit sprechen kann, ist allerdings fraglich, denn einerseits war sich Emilie durchaus der Tatsache bewusst, dass die Verantwortung für den zukünftigen gemeinsamen Haushalt trotz ihrer Erwerbstätigkeit bei ihr liegen würde: »Ich hoffe, daß Du so bleibst, wie Du bist und es werden mir dann die ehelichen und Hausfrauen-Pflichten wirklich leicht fallen, weil ich sie Dir zuliebe erfüllen werde.«121 Und andererseits orientierten sich Georgs Idealvorstellungen ähnlich wie die von Hermann

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Illing an einem konservativen Weiblichkeitsbild, was er Emilie immer wieder in ironisch-humorvoll verpackten Erziehungsversuchen mitteilte. Sehr einprägsam ist etwa folgendes Gedicht, das er anlässlich des Nikolaustages 1920 verfasste: Dies schickt der heil’ge Nikolaus Der lieben kleinen Muzzimaus, Obwohl sie schlimm gewesen ist Das ganze Jahr zu jeder Frist, Wobei er hofft, daß sie mit Fleiß Sich bessere auf jede Weis: Die Bussis abgewöhne sich Und pünktlich werde fürchterlich, Die Chokolade nicht mehr esse, Sich niemals mehr soweit vermesse, Noch klüger wohl als »Er« zu sein, Ansonsten kriegt im nächsten Jahr Sie eine große Rute gar, Womit der gute Geggibus Sie täglich dreimal wichsen muß, Damit aus ihrem harten Köpfel Man die Rosinen aussi kletzel Und aus der bösen Doktorin Wird eine sanfte Emilin, Ein gutes Frauerl zum Genuß Ausschließlich für den Geggibus.122

Georg Scheicher wünschte sich also – ganz im Sinne der bürgerlichen Geschlech­ ternormen der Vorkriegsgesellschaft  – ein »gutes Frauerl« und eine »sanfte Emilin« statt einer selbstbewussten, klugen, selbständigen und beruflich erfolgreichen »bösen Doktorin«. Neben einem weiteren Nachweis für die bereits in Abschnitt 3 behandelte berufliche Konkurrenzsituation innerhalb des Paares liefert er uns damit ein Indiz dafür, dass – mit Christa Hämmerle, Sabine Kienitz und Birthe Kundrus – nicht von einer vollständigen, sondern nur von einer graduellen Aufweichung der komplementären Geschlechterdichotomie nach dem Ersten Weltkrieg auszugehen ist.123 Nach Kienitz habe man »je nach soziokulturellem Umfeld die neuen Handlungsspielräume von Frauen durchaus als Chance für die Gestaltung ›kameradschaftlicher‹ Beziehungen begriffen«. Letztendlich sei jedoch »der männliche Machtanspruch in Familie und Gesellschaft unter den veränderten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen neu formuliert worden, und zwar unter Rückgriff auf die Wertehierarchie der Vorkriegsgeschlechterordnung.«124 Dafür sprechen auch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die zwar mit der Einführung des Frauenwahlrechts eine Lockerung erfuhren, aber in wesentlichen Punkten eine »[…] nicht nur Gattin, sondern auch treue Kameradin«

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Restauration der alten Ordnung beförderten. Ernst Hanisch nennt hier neben dem Doppelverdienergesetz von 1935 folgende Punkte: »Die Scheidung blieb für Katholiken verboten, der Mann blieb Haupt der Familie, Abtreibung und Homosexualität waren weiterhin kriminalisiert. Die ›neue Frau‹ wurde mehr medial vermittelt als in der Realität verwirklicht.«125 Die Antwort Emilies folgte jedoch auf dem Fuße. Während sie im zuvor zitierten Textausschnitt mit der Versicherung, dass ihr die »Hausfrauen-Pflichten wirklich leicht fallen« würden, noch ihren guten Willen signalisiert hatte, scheute sie nun nicht davor zurück, ihrem Partner – ebenfalls auf humorvolle, sarkastische Art und Weise – mitzuteilen, dass er zu weit gegangen war: Hölle, den 5.12.1920 Du schlimmer Geggimann Ich rat’ Dir Bess’rung an, Sonst bring ich Dir auf ’s Jahr Bloß Rut’ und Kohle dar! […] Dein Krampus.126

6. Fazit Alle fünf in den 1920er und frühen 1930er Jahren verfassten Korrespondenzen, die im vorliegenden Beitrag diskutiert wurden, vermögen zu demonstrieren, wie intensiv die in den Blick genommenen Paare im Vorfeld einer Ehe oder einer erhofften Eheschließung verhandelten und wie vielschichtig und ambivalent sich die Positionen der Beteiligten dabei gestalteten. Sie zeigen aber auch, dass diese Aushandlungsprozesse zu einem guten Teil der Koexistenz, Verflechtung und vor allem der Konkurrenz von romantischen und sachlichen Liebesvorstellungen, von bürgerlichen und nachbürgerlichen Idealen, des Konzepts polarer Geschlechtscharaktere und des Kameradschaftsmodells geschuldet waren. Nicht umsonst stellte die russische Schriftstellerin, politische Autorin und Revolutionärin Alexandra Kollontai, die sich für die ökonomische, gesellschaftliche und sexuelle Befreiung der Frau einsetzte, im Jahr 1920 fest: »Das neue Beginnen wird gehemmt von Tradition und Gefühlen der Vergangenheit. […] Altes und Neues ringt in den Seelen der Frauen in dauernder Feindschaft.«127

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Anmerkungen 1 Konrad (von) Nittmann (Pseud., 1860–1926) an seine Schwester, 8.10.1922, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 31 I. 2 Zum Stereotyp der ›alten Jungfrau‹ vgl. Bärbel Kuhn, Familienstand ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum (1850–1914), Köln/Weimar/Wien 20022, 27–36. 3 Konrad (von) Nittmann an seine Schwester, 8.10.1922, SFN, NL 31 I. 4 Vgl. die zwischen Dezember 1895 und Juli 1912 verfasste Paarkorrespondenz von Konrad (von) Nittmann und Konstanze (von) Stein (Pseud., 1862–1932), verh. (von) Nittmann, SFN, NL 31 I. 5 Gesa Kessemeier, Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ›Neuen Frau‹ in den zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929, Dortmund 2000, 28. 6 Vgl. zur »Neuen Sachlichkeit der Liebe« das gleichnamige Kapitel in: Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005, 189–237. 7 Vgl. z. B. Ulrike Baureithel, »Kollektivneurose moderner Männer«. Die Neue Sachlichkeit als Symptom des männlichen Identitätsverlusts – sozialpsychologische Aspekte einer literarischen Strömung, in: Germanica, 9 (1991), 123–143; Manuela Hauptmann, Der Bubikopf. Aspekte der ›Neuen Frau‹ in österreichischen Frauenzeitschriften der 20er Jahre, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2008; Kerstin Krenn, Androgyn und hybrid. Bewegt und bewegend: die Garçonne. Versuch über ein Phänomen, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2003; Lydia Marhoff, Von der ›Kameradschaftsehe‹ zur ›gesunden‹ Sexualität. Frauenliteratur der Dreißiger- und Vierzigerjahre zwischen Frauenbewegung und Nationalsozialismus, in: Walter Delabar, Horst Denkler u. Erhard Schütz (Hg.), Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Nationalsozialismus, Bern/Berlin/Frankfurt a. M. u. a. 1999, 179–198; Elke Reinhardt-Becker, Seelenbund oder Partnerschaft? Liebessemantiken in der Literatur der Romantik und der Neuen Sachlichkeit, Frankfurt a. M./New York 2005; Peter Schmerenbeck, Die ›neue Frau‹. Überlegungen zum modischen Wandel der Zwischenkriegszeit, in: Uwe Meiners (Hg.), Korsetts und Nylonstrümpfe. Frauenunterwäsche als Spiegel von Mode und Gesellschaft zwischen 1890 und 1960, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Schlossmuseum Jever vom 1.  Juli 1994 bis 15.  Jänner 1995, Oldenburg 19973, 49–74; Hartmut Vollmer, Liebes(ver)lust. Existenzsuche und Beziehungen von Männern und Frauen in deutschsprachigen Romanen der zwanziger Jahre, Oldenburg 1998; Antje Wischmann, Auf die Probe gestellt. Zur Debatte um die ›neue Frau‹ der 1920er und 1930er Jahre in Schweden, Dänemark und Deutschland, Freiburg i. Br./Berlin 2006. 8 Vgl. Christa Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares, in: dies., Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in ÖsterreichUngarn, Wien/Köln/Weimar 2014, 55–83 u. 220–230 (Orig. 1998); Gerhard Lamprecht, Feldpost und Kriegserlebnis. Briefe als historisch-biographische Quelle, Innsbruck 2001; Klaus Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung. Wie können Feldpostbriefe zur erfahrungsgeschichtlichen Quelle werden, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 7–23; Inge Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«. Geschlechterkonstruktionen in Feldpostbriefen, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 41–59; Clemens Schwender, Liebesdiskurse in Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg, unter: http://www.feldpostsammlung.de/08-x-cs-liebesbriefe.html, Zugriff: 6.6.2016; Margit Sturm, Lebenszeichen und Liebesbeweise im Ersten Weltkrieg. Eine sozialdemokratische Kriegsehe im Spiegel der Feldpost, in: Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht.

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Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/ Weimar 2003, 237–259; Barbara Treptow, »Meine liebe, süße, kleine Braut« – »My darling sweetheart«. Geschlechterkonstruktionen in deutschen und englischen Feldpostbriefen des Zweiten Weltkriegs, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2005; Benjamin Ziemann, Geschlechterbeziehungen in deutschen Feldpostbriefen des Ersten Weltkrieges, in: Hämmerle/Saurer, Briefkulturen, 262–282. Vgl. auch die entsprechenden Beiträge von Ines Rebhan-Glück und Christa Hämmerle in diesem Band. 9 Diese Untersuchungen beschäftigen sich zumeist mit Briefen berühmter Schriftsteller­ Innen oder Gelehrter, die nicht nur aufgrund der »besonders dichten Phase bürgerlicher Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert« – so der Befund von Christa Hämmerle u. Edith Saurer, Frauenbriefe – Männerbriefe? Überlegungen zu einer Briefgeschichte jenseits von Geschlechterdichotomien, in: dies., Briefkulturen, 7–32, 8 – zahlreich vorhanden, sondern mittlerweile auch in großer Zahl ediert und publiziert sind und sich daher für wissenschaftliche Analysen bestens eignen. Vgl. z. B. Cord-Friedrich Berghahn, Das Schreiben der Liebe. Wilhelm von Humboldt an Caroline von Dacheröden, in: Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008, 81–106; Elke Clauss, Liebeskunst. Der Liebesbrief im 18. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1993; Jörg Paulus, »Simultan­ liebe« in »Schäfersekunden«. Liebesbriefkultur im Jean-Paul-Kreis, in: Stauf/Simonis/ Paulus, Liebesbrief, 35–60; Wolfgang Müller-Funk, Die Erfindung der Liebe aus dem Medium des Briefes, in: Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch (Hg.), Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien/Köln/Weimar 2005, 89–109; Angela Steidele, Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens, Berlin/Frankfurt a. M. 2010; Juliane Vogel, Briefwechsel und Geschlechtertausch. Rahel Varnhagen und Friedrich Gentz, in: Hämmerle/Saurer, Briefkulturen, 55–70. 10 Etwa Gesetzestexte oder Statistiken zu Versehrtenzahlen des Ersten Weltkrieges, zu Scheidungsraten oder zum Anteil von Frauen an den Erwerbstätigen. 11 Natürlich gibt auch die Quelle Brief nur einen gebrochenen Eindruck von der sozialen Praxis ihrer ProduzentInnen, da ihr stets ein Moment der Inszenierung, der Selbst- und Fremdzensur innewohnt und weder sie noch andere Selbstzeugnisse einen »unmittelbaren Zugang zur ›historischen Wirklichkeit‹« – so Ulrike Jureit, Editorial, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 3–6, 3 – zu bieten vermögen. Dennoch können die im vorliegenden Artikel analysierten Briefwechsel von Liebespaaren im Österreich der Zwischenkriegszeit Aufschluss geben über die vielschichtigen Aushandlungsprozesse zwischen Liebenden, über die dabei genutzten rhetorischen Strategien und über die Art und Weise, wie das Leben in einer Paarbeziehung empfunden und im brieflichen Zwiegespräch konstruiert wurde. 12 Gabriella Hauch, Weiche Welt? Weiche Politik? Zum Geschlecht in Revolte, Rätebewegung, Parteien und Parlament, in: Helmut Konrad u. Wolfgang Maderthaner (Hg.),  … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, 1, Wien 2008, 317–338, 318. Die Formulierung geht in der österreichischen Historiografie zurück auf Alfred Pfoser, Verstörte Männer und emanzipierte Frauen. Zur Sitten- und Literaturgeschichte der Ersten Republik, in: Franz Kadrnoska (Hg.), Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938, Wien/München/Zürich 1981, 205–222. 13 Vgl. Karin Hausen, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, 363–393. 14 Es handelt sich um die Korrespondenzen von Hermann Illing (Pseud.) und Barbara (von) Nittmann (Pseud.), verh. Illing, SFN, NL 31 II; Georg Scheicher (Pseud.) und Emilie Fuhrmann (Pseud.), SFN, NL 17 I; Johann Feichtinger (Pseud.) an Gretl (Pseud., Nachname unbekannt), Stadtarchiv Salzburg (AStS), PA 867; Lilli Weber-Wehle und Friedrich

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Weber, SFN, NL 21 II. Mit Ausnahme der Korrespondenz von Lilli Weber-Wehle und Friedrich Weber, zu der bereits Veröffentlichungen vorliegen, sind alle Namen Pseudonyme und bei ihrer ersten Nennung in den Endnoten als solche gekennzeichnet. Aus den Quellen zitiert wird in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 15 Lisa Albrecht (Pseud.) an Heinrich Mader (Pseud.), Privatbestand. 16 Viele dieser Erzählungen wurden im Jahr 2000 im Band »Die Unwiderstehlichen« gesammelt und neu aufgelegt: Gina Kaus, Die Unwiderstehlichen. Kleine Prosa, hg. und mit einem Nachwort versehen von Hartmut Vollmer, Oldenburg 2000. 17 Vgl. Helene Bauer, Ehe und soziale Schichtung, in: Der Kampf. Sozialdemokratische Monatsschrift, 20, 7 (1927), 319–324. Zu Helene Bauer allgemein vgl. Johann Dvorak, Helene Bauer, in: Brigitte Keintzel u. Ilse Korotin (Hg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Wien/Köln/Weimar 2002, 42–48. Hanisch, Männlichkeiten, 214. 18 Vgl. Sofie Lazarsfeld, Die Ehe von heute und morgen, München 1927; dies., Erziehung zur Ehe, Wien u. Leipzig 1928; dies., Wie die Frau den Mann erlebt. Fremde Bekenntnisse und eigene Betrachtungen, Leipzig 1931. Zu Sofie Lazarsfeld vgl. Martina Siems, Sofie Lazarsfeld. Die Wiederentdeckung einer individualpsychologischen Pionierin, Göttingen 2015, bes. 119–164. 19 Karin Maria Schmidlechner, Die neue Frau? Zur sozioökonomischen Position und kulturellen Lage, in: Konrad/Maderthaner, Österreich, 2, 87–102, 100. 20 Schmidlechner, Frau, 100. 21 Frank Matzke, Jugend bekennt. So sind wir!, Leipzig 1930, 173. 22 Charlotte Bühler, Drei Generationen im Jugendtagebuch, Jena 1934, 59. 23 Vollmer, Liebes(ver)lust, 47. Vollmer zitiert dabei die Werke Alfred Döblins ebenso wie das »Berliner Tagblatt« oder die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners. 24 Reinhardt-Becker, Seelenbund, 22. 25 Vgl. Reinhardt-Becker, Seelenbund, 9. 26 Vgl. Reinhardt-Becker, Seelenbund, 205–310. 27 Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006, 288. 28 Als »Gefühlskategorien« wurden vergeben: »Angst/Sorge«, »Dankbarkeit«, »Eifersucht«, »Enttäuschung«, »Freude«, »Glück«, »Sehnsucht«, »Trauer«, »Verzweiflung« sowie »Gefühl« als Restkategorie, welche auch die nicht näher spezifizierten Gefühle  – wie z. B. Wut – umfasst. 29 Vgl. Michael Maurer, Briefe, in: ders. (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, 4: Quellen, Stuttgart 2002, 349–371, 349; Reinhard M. G. Nickisch, Brief, Stuttgart 1991. 30 Es folgen »Dankbarkeit (Brief )«, »Freude«, »Angst/Sorge« und »Enttäuschung«. 31 Clauss, Liebeskunst, 12. 32 Johann Feichtinger an Gretl (Nachname unbekannt), ohne Datum (Anfang März 1920), AStS, PA 867. 33 Lisa Albrecht an Heinrich Mader, 8.2.1922, Privatbestand. Unterstreichung wie im ­Original. 34 Vgl. Ottfried Pranger an Emilie Fuhrmann, 22.8.1921, SFN, NL 17 I. 35 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 9.7.1920, SFN, NL 17 I. 36 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, ohne Datum (Anfang Juli 1920), SFN, NL 17 I. 37 Eine ähnliche Tendenz lässt sich in allen untersuchten Briefwechseln der Zwischenkriegszeit beobachten: Wie in Abschnitt 4 des vorliegenden Beitrags noch detaillierter ausgeführt wird, diskutierten die Paare zwar intensiv über die Art und Weise des Zusammenlebens sowie über ihre Position und ihre Aufgabengebiete innerhalb der Partnerschaft, die Institution der Ehe selbst wurde jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen in Zweifel gezogen und galt als jener Punkt, auf den sich ein Liebesverhältnis zubewegen sollte. Kritik

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an der Ehe findet sich breitenwirksam erst fünfzig Jahre später, als im Gefolge von Studentenbewegung und sexueller Revolution neue Formen des Zusammenlebens abseits der Ehe erfolgreich erprobt wurden. Vgl. dazu den Beitrag von Ingrid Bauer in diesem Band. 38 Hanisch, Männlichkeiten, 190. 39 Emilie hatte bereits während der kurzen Trennung sehr fürsorglich reagiert und sich – um Georgs Depressionen wissend – große Sorgen um ihn gemacht. So schließt sie ihren Brief vom 6.7.1920 mit dem »innigen Wunsche, Du mögest Dich wohl fühlen und etwaige trübe Gedanken nicht mit Wein und anderer Alkoholform etc. vertreiben«, oder sendet ihm ein vierblättriges Kleeblatt als Glücksbringer: »Im Tale trachtete ich durch dick und dünn einen Weg zu finden, der nach Bärndorf führt, um von dort aus wieder heraufzukommen. Dabei fand ich auf einem Kleefelde den 4blättrigen Klee, den ich Dir beilege mit dem herzlichen Wunsche, er möge Dir, lieber Geggi, recht viel Glück bringen! Du kannst diesen Artikel auch anscheinend recht gut brauchen, denn Du stehst Dir, wie ich glaube, oft selbst hindernd im Wege zum Glück; drum möge Dir der Klee dies wieder wett machen.« Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 6.7.1920, SFN, NL 17 I. 40 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 13.7.1920, SFN, NL 17 I. 41 In seinem Abschiedsbrief bittet er Emilie um Verzeihung und wünscht ihr eine glückliche Zukunft: »Ich danke Dir, liebe Muzzi, für all Deine Liebe und Güte, für all das Schöne, das Du mir gegeben hast. Die drei Jahre unserer Bekanntschaft waren die glücklichsten meines Lebens, wohl auch, wenn die Gemütsdepressionen mich befielen, die unglücklichsten. Und ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich soviel Schmerz und Ungemach über Dich bringen muß. Doch Du wirst es überwinden. Du bist noch so jung in Deinem Fühlen und Denken und so gesund am Körper, daß Du diesen Schlag überwinden und wie ich hoffe, noch recht glücklich wirst im Leben. Vergib mir und vergiß mich und werde glücklich, so glücklich wie Du es stets verdient hast.« Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 12.8.1921, SFN, NL 17 I. 42 Sabine Kienitz, Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914–1923, Paderborn/München/Wien u. a. 2008, 239. 43 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, ohne Datum (Anfang Juli 1920), SFN, NL 17 I. 44 Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a. M. 1994. 45 Bei Reckwitz heißt es: »Wenn die zentrale Anforderung an das nachbürgerliche Subjekt die geschickte Eingliederung in gruppenförmige Zusammenhänge sowohl im Bereich der Arbeit, als auch der Privat- und Freizeitsphäre ist, dann erscheint Emotionalität jeglicher Art riskant und als eine potentielle Quelle intersubjektiver Peinlichkeit.« Andreas Reckwitz, Umkämpfte Maskulinität. Zur Historischen Kultursoziologie männlicher Subjektformen und ihrer Affektivitäten vom Zeitalter der Empfindsamkeit bis zur Postmoderne, in: Manuel Borutta u. Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2012, 57–77, 68. 46 Ute Frevert, Angst vor Gefühlen? Die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen im 20. Jahrhundert, in: Paul Nolte, Manfred Hettling, Frank-Michael Kuhlemann u. a. (Hg.), Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, München 2000, 95–111, 95. 47 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 7.8.1926, SFN, NL 31 II. 48 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 13.8.1920, SFN, NL 17 I. 49 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 13.7.1920, SFN, NL 17 I. 50 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 13.7.1920, SFN, NL 17 I. 51 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 10.9.1920, SFN, NL 17 I. 52 Reckwitz, Maskulinität, 68. 53 Ulrike Wohler, Weiblicher Exhibitionismus. Das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur, Bielefeld 2009, 41. Vgl. auch Ute Planert, Kulturkritik und Geschlechterverhältnis. Zur Krise der Geschlechterordnung zwischen Jahrhundertwende und »Drittem

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Reich«, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007, 191–214. 54 Christiane Eifert, Die neue Frau. Bewegung und Alltag, in: Manfred Görtemaker u. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hg.), Weimar in Berlin. Porträt einer Epoche, BerlinBrandenburg 2002, 82–103, 82. 55 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 21.8.1920, SFN, NL 17 I. 56 Katie Sutton, The Masculine Woman in Weimar Germany, New York 2011, 4. 57 Diese Forderungen sieht Carrol Smith-Rosenberg in ihrer mittlerweile als Klassiker zu bezeichnenden Studie als typisch für die Neue Frau an, allerdings setzt sie das Phänomen der New Woman bereits ab den 1880er Jahren an. Vgl. Carrol Smith-Rosenberg, The New Woman as Androgyne. Social Disorder and Gender Crisis 1870–1936, in: dies. (Hg.), Disorderly Conduct. Visions of Gender in Victorian America, New York 1985, 245–196. 58 Eifert, Frau, 82. 59 Katja Kauer, Popfeminismus! Fragezeichen! Eine Einführung, Berlin 2009, 80. Karin Schmidlechner betont außerdem das kameradschaftliche Verhältnis insbesondere auch zum Partner: »Die neue Frau der Nachkriegsjahre war also eine sportliche, kameradschaftliche Person, eine gleichberechtigte Partnerin des Mannes, eine Frau, die ihr eigenes Geld verdiente, die Sport betrieb und ohne Begleitung Reisen unternahm und damit das Gegenteil der von der bürgerlichen Gesellschaft propagierten Weiblichkeit zu verkörpern schien. Eine Massenerscheinung war sie nicht unbedingt, sondern eher ein Phänomen gehobener und intellektueller Kreise, obwohl sich der Bubikopf zumindest in den Städten großer Beliebtheit erfreute.« Schmidlechner, Frau, 101. Vgl. außerdem Hanisch, Männlichkeiten, 195 f.; Helga Embacher, Der Krieg hat die »göttliche Ordnung« zerstört! Konzepte und Familienmodelle zur Lösung von Alltagsproblemen, Versuche zur Rettung der Moral, Familie und patriarchalen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitgeschichte, 15, 9/10 (1988), 347–363. 60 Lilli Weber-Wehle, Tochter eines wohlhabenden Fabrikantenehepaares, heiratete 19-jährig im Jahr 1913 den Angestellten und Offizier Friedrich Ludwig Weber (1886–1968). Sie hatte eine moderne Erziehung und gute Schulbildung genossen, durfte allerdings auf Betreiben ihres Ehemannes keinen Beruf ergreifen. Erst nach der Trennung im Jahr 1925 erfüllte sich Lilli einen Traum und wurde Schriftstellerin. Der gemeinsame Sohn Hans-Heinz berichtet: »Als ich 5 Jahre alt war, wurden meine Eltern geschieden. Da begann meine Mutter zu schreiben (was ihr mein Vater nie erlaubt hätte) und sie wurde Schriftstellerin.« HansHeinz Weber, Über die Bedeutung des Schreibens in meinem Leben. Brief an das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien vom 19.12.1996. 61 Näheres dazu in Abschnitt 4. 62 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 24.10.1918, SFN, NL 17 I. 63 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 16.8.1920, SFN, NL 17 I. Vgl. dazu auch Abschnitt 4. 64 Etwa: Achtstundentag, Sonn- und Feiertagsruhe in gewerblichen Betrieben, Mindestruhezeit und Ladenschlusszeiten im Handel, Arbeiterurlaubsgesetz, Angestelltengesetz, Verbot der Nachtarbeit von Frauen und Jugendlichen. 65 Reckwitz, Subjekt, 366. 66 Reckwitz, Subjekt, 366. 67 Diese Begriffsvielfalt und damit das semantische Feld rund um den Bergsport lässt sich mithilfe des Programms Atlas.ti systematisch ermitteln. Zu jenen Begriffen, die mit den Codierungen »Berg« und »Freizeit« versehen wurden, zählen: »Berg«, »Bergesriesen«, »Bergfreude«, »Bergsteigerei«, »Bergtour«, »Bergwelt«, »erklettern«, »erklimmen«, »Fels«, »Felsformation«, »Felsgrat«, »Felsklippen«, »Felsscharte«, »Felswand«, »Gipfel«, »Gletscher«, »Gletschereis«, »Gletscherspalte«, »Hochgebirge«, »Hochtour«, »Höhenfahrt«, »Höhenweg«, »Hütte«, »Hüttenabend«, »Hüttenbummeln«, »Kraxeln«, »Partie«, »Schneealpe«, »Schneeberg«, »Tour«, »Tourengefährte« und »Wanderung«. Daneben finden sich –

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im Zusammenhang mit Tourenplanungen oder -berichten – topografische Angaben, etwa die »Dolomiten«, eine »Glocknertour«, der »Tauernkamm« oder die »Giglachseehütte«. 68 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 18.8.1925, SFN, NL 31 II. 69 Anfang Juli 1920 schrieb er nach einer vorläufigen Trennung an Emilie Fuhrmann: »Solange ich noch Sie neben mir hatte, war ich mir der ganzen Schwere unserer Entschlüsse nicht voll bewußt, erst beim wirklichen Abschied und nachher wurde mir klar, was das alles für mich bedeutet. Es ist wie wenn im Hochgebirge der Nebel plötzlich einfällt, der helle Sonnenschein verschwindet und Kälte und Finsternis auf uns eindringen. Ich habe das Gefühl wie der Verstossene, der aus wohnlichem Hause hinaus muß in Nacht und Elend. Ich glaube, das ist der Beginn meines Unterganges.« Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, ohne Datum (Anfang Juli 1920), SFN, NL 17 I. 70 Peter Grupp, Faszination Berg. Die Geschichte des Alpinismus, Köln/Wien/Weimar 2008, 236. 71 Grupp, Faszination, 237. 72 Die Affäre zwischen Heinrich Mader und dem Dienstmädchen Lisa Albrecht stellt mehrfach eine Ausnahme dar, handelt es sich doch – im Rahmen der hier untersuchten Bestände – um das einzige sozial heterogene Paar und um die einzige Beziehung, die geheim gehalten wurde bzw. nur wenigen Familienmitgliedern und Freunden bekannt war und nie ernsthaft auf eine Legitimierung durch eine Ehe hinsteuerte. 73 Johann Feichtinger an Gretl, 31.7.1920, AStS, PA 867. 74 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 14.6.1920, SFN, NL 17 I. 75 Janina Nentwig, Akt und Sport. Anton Räderscheidts »hundertprozentige Frau«, in: Michael Cowan u. Kai Marcel Sicks (Hg.), Leibhaftige Moderne. Körper in Kunst und Massenmedien 1918 bis 1933, Bielefeld 2005, 97–116, 100. 76 Cyrill Herbeck, Die Frau als Bergkamerad, in: Der Bergsteiger. Wochenschrift für Bergsteigen, Wandern und Skilaufen, 6 (1928), 67. 77 Maud Wundt, Berühmte Bergsteigerinnen, in: Die Woche. Moderne Illustrierte Zeitschrift, 31 (1901), 1368. 78 Zum Begriff des Kameraden oder der Kameradin vgl. auch Abschnitt 4. 79 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 22.6.1920, SFN, NL 17 I. 80 Tanja Wirz, Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840–1940, Baden 2007, 255. 81 Vgl. Sutton, Woman, 66–89. 82 Nentwig, Akt, 103. 83 Nentwig, Akt, 114. 84 Wirz, Gipfelstürmerinnen, 256. 85 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 13.7.1920, SFN, NL 17 I. 86 Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, Neujahr 1920, SFN, NL 17 I. 87 Hans-Heinz Weber, »Schlürfen und schmatzen waren Todsünden …«, in: Andrea Schnöller u. Hannes Stekl (Hg.), »Es war eine Welt der Geborgenheit …« Bürgerliche Kindheit in Monarchie und Republik, Wien/Köln/Weimar 1987, 255–288, 260. 88 Nentwig, Akt, 104. 89 Tagebuch (»Sonntagsbuch«) von Lilli Weber-Wehle, SFN, NL 21 II. 90 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 19.8.1926, SFN, NL 31 II. Konkret heißt es: »Ihr Brief mit den 2 hübschen Karten und dem Edelweiß – das in den Dolomiten ja meist nicht so gefährlich wächst, wie in der Schladminger Gegend, wo ich eines vor za. 20 Jahren das letzte Mal pflückte; aber die Geschichten, mit denen wir die Erlangung eines jeden Stämmleins schmückten, waren noch 10mal so grauslich wie die Wirklichkeit, außer wenn Mama dabei war; da wurde es nicht absolut formlos geschildert, weil sie sonst von einer Angst in die andere gefallen wäre – also dieser Brief hat mich derart angenehm berührt, daß ich in unsere Kanzlei stürzte und mir, aller ›mit Rücksicht auf die derzeitige schlechte

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Lage der Bundesfinanzen besonders gebotenen Sparsamkeit mit Bundesmitteln‹ zum Trotz dieses herrliche, aber leider im Format etwas anstrengend umfangreiche Briefpapier samt Kuvert ausschnorrte.« 91 Nentwig, Akt, 103. 92 Vgl. Wirz, Gipfelstürmerinnen, 253 f. 93 Vgl. Nentwig, Akt, 100. 94 Reckwitz, Subjekt, 16. 95 Etwa: »Verhandeln«, »Konflikt«, »Widerständigkeit«, »Geschlechterasymmetrie«, »Erziehen«, »Selbstpositionierung als Frau und als Mann«, »Liebes- und Ehemodell«, »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«. 96 Ralph J. Poole, Liebesbriefe einer puritanischen Gattin, in: Andreas Kraß u. Alexandra Tischel (Hg.), Bündnis und Begehren. Ein Symposium über die Liebe, Berlin 2002, 103–124, 112. 97 Lisa Albrecht an Heinrich Mader, 17.2.1922, Privatbestand. 98 Wie in Abschnitt 3 kurz angesprochen, steht der Briefwechsel auch in diesem Punkt in völligem Kontrast zum restlichen Quellensample. Zwar waren die SchreiberInnen aller Bestände wie Lisa Albrecht berufstätig, doch den bürgerlichen Frauen in guten beruflichen Positionen ging es darum, die Berufstätigkeit beizubehalten und trotzdem eine Ehe einzugehen. 99 Die Berufsvormundschaft wurde im Jahr 1922 österreichweit eingeführt. Vgl. Peter Eigner, Günter Müller u. Andrea Schnöller (Hg.), »Als lediges Kind geboren …« Autobiographische Erzählungen 1865–1945, Wien/Köln/Weimar 2008, 317. 100 Lisa Albrecht an Heinrich Mader, 9.10.1922, Privatbestand. 101 Eigner/Müller/Schnöller, lediges Kind, 309. 102 Hanna Nowotny, Freundin oder Frau, in: Die Unzufriedene, 3, 8 (1925), 2 f., zit. nach: Hauptmann, Bubikopf, 111. 103 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 28.8.1925, SFN, NL 31 II. 104 Der erste Brief wurde am 22. Juli 1925 abgeschickt. 105 Vgl. Walter Hebeisen, F. W. Taylor und der Taylorismus. Über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus, Zürich 1999; Richard Vahrenkamp, Von Taylor zu Toyota. Rationalisierungsdebatten im 20. Jahrhundert, Köln 2010, 37–74. 106 Vgl. Renate Flagmeier, Frankfurter Küche. Die Rationalisierung des Haushalts und die Industrialisierung des Privaten, in: Museumsjournal. Berichte aus Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam, 25, 1 (2011), 42 f. 107 Reckwitz, Subjekt, 338. 108 Reckwitz, Subjekt, 337. 109 In einem Brief vom 1.10.1925 heißt es: »Angesichts des Widerstandes, den ich ja natürlich gespürt habe, fällt auch mir, wo dieser Moment als in der Ferne nicht wirkend wegfällt, eine schriftliche Behandlung leichter.« Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 1.10.1925, SFN, NL 31 II. 110 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 4.9.1925, SFN, NL 31 II. 111 Vgl. Christa Hämmerle, Krank, feige muthlos … Eine ›Krise der Männlichkeit‹ nach dem Ersten Weltkrieg? In: dies., Heimat/Front, 183–201 u. 268–276 (Orig. 2007), 190; Ulrich Nachbaur, Lehrerinnenzölibat. Zur Geschichte der Pflichtschullehrerinnen in Vorarlberg im Vergleich mit anderen Ländern, Regensburg 2011, 84–123. 112 Irene Bandhauer-Schöffmann, Der »Christliche Ständestaat« als Männerstaat?, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 20055, 254–280, 273 f. 113 Vgl. Bauer, Ehe, 319–324. Bauer unterscheidet fünf Ehetypen: die »bäuerliche Wirtschaftsehe« und die »gewerblich-kleinbürgerliche Ehe«, die um Hof bzw. Kleinbetrieb zentriert waren und sich durch hohe Immobilität sowie eine niedrige Trennungs- und

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Scheidungsrate auszeichneten, die »proletarische Ehe«, in der beide Ehepartner aufgrund ökonomischer Zwänge erwerbstätig sein mussten, das »lose Ehegefüge der Akademiker und Angestellten«, das auf Kameradschaftlichkeit und Gleichrangigkeit des Paares basierte und bei der aufgrund der Erwerbstätigkeit beider Partner »die ökonomischen Bindekräfte wegfielen«, und eben die »großbürgerliche Ehe«. Vgl. zu Helene Bauers Typologie auch Hanisch, Männlichkeiten, 214. 114 Hanisch, Männlichkeiten, 214. 115 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 25.10.1925, SFN, NL 31 II. 116 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 19.6.1920, SFN, NL 17 I. Im vorhergehenden Brief von Georg Scheicher hieß es mit einem Augenzwinkern: »In der Windberghütte fing dann eine schöne blonde Touristin ein ›Gschpusi‹ mit mir an, leider hatte sie schon so einen Kerl von ›Kavalier‹ mit und so war weiter nichts zu machen.« Georg Scheicher an Emilie Fuhrmann, 14.6.1920, SFN, NL 17 I. 117 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 16.8.1920, SFN, NL 17 I. 118 Ben B. Lindsey u. Wainwright Evans, Die Kameradschaftsehe, Stuttgart 1928 (Orig. The Companionate Marriage, New York 1927). 119 Marhoff, Kameradschaftsehe, 180. 120 Reckwitz, Subjekt, 365. 121 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 16.8.1920, SFN, NL 17 I. 122 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, Dezember 1920, SFN, NL 17 I. 123 Vgl. Hämmerle, Krise; Kienitz, Helden, 252; Birthe Kundrus, Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik, in: Karen Hagemann u. Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat  – Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a. M./New York 2002, 171–187, 171. 124 Kienitz, Beschädigte Helden, 238 f.; vgl. auch Christa Hämmerle, Von den Geschlechtern der Kriege und des Militärs, in: Thomas Kühne u. Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, 229–262, 254–257. 125 Hanisch, Männlichkeiten, 200. 126 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 5.12.1920, SFN, NL 17 I. 127 Alexandra Kollontai, Die neue Moral und die Arbeiterklasse, Neuaufl. mit einer Einführung von Monika Israel, Münster 1977, 50 (Orig. 1920).

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Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

Paarkorrespondenzen aus zwei Weltkriegen: 1914/18 und 1939/45 Die Abwesenheit dauert an, ich muß sie ertragen. Also manipuliere ich sie: ich verwandle die Verzerrung der Zeit in ein Hin und Her, bringe Rhythmus hervor, eröffne die Sprachszene […]. Die Abwesenheit manipulieren heißt diesen Augenblick verlängern, den Moment, da der Andere aus der Abwesenheit kurzerhand in den Tod stürzen könnte, so lange wie möglich hinauszögern.1

1. Prolog: Zwei Liebesgeschichten im Krieg – zur Einstimmung Es war zu Beginn des letzten Kriegsjahres 1918. Wie so oft zuvor, suchte Anna Ertl in einem langen Brief an ihren im Etappenraum zu Italien stationierten Ehemann Alfred innere Nähe herzustellen, diesmal unter anderem mit den folgenden Worten: »Mein Lieb! […] Ich begleite Dich durch Schutt und Trümmer, mitten in die Überreste blühenden Lebens, ich sehe Dich mühsam Quartier suchen und lese in Deinen lieben Augen den Ausdruck des Schreckens und der Trauer.« Und weiter heißt es in diesem Schreiben einer Frau, die – wie ihr Partner vice versa – schon zuvor brieflich immer wieder beteuert hatte, wie sehr ihre Gedanken unaufhörlich beim fernen Mann weilen, gleich im Anschluss: »Dann möchte ich Dir sanft und lind über Deine Stirne streichen und Dich das Geschaute für Augenblicke vergessen machen. Ich möchte Dir meine warme Liebe zeigen und Dir viel Glück geben. Ich möchte gesund und stark sein und Dir nie Kummer und Sorgen machen. Ich möchte unsere Kinder so erziehen, wie Du geworden bist.«2 Diese Worte und die damit einhergehende Liebesbeteuerung, die Imagination der Anwesenheit in der Abwesenheit waren entstanden, nachdem Alfred Ertl seiner Frau geschrieben hatte, dass er im Zuge seiner Tätigkeit als Militärgerichtspraktikant auf dem Weg von Triest zu einem neuen Einsatzort Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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zunächst »über die Stätten der furchtbarsten Kämpfe vom Karst gefahren« war.3 Wenige Tage darauf kam er in das bis Ende Oktober des Vorjahres ebenfalls heftig umkämpfte Görz/Gorizia, wo ein neues »Gericht des k. u. k. EtappenGruppen-Kommandos Görz« errichtet wurde: »[…] sei froh, dass Du keine Ahnung hast, wie es im armen, toten, totalzerstörten u. ausgeplünderten Görz ausschaut u. nicht weißt, wie schrecklich zerstörend der Krieg hier gewirkt hat«, hieß es in seinem Brief, und weiter: »Ich habe derzeit noch keine Ahnung, wie man hier unsere Kanzleien u. Zimmer finden soll, es ist im Ganzen ein Bild, das ans Herz greift.«4 Der Plan dieses Reserveoffiziers, die gerade von einer schweren Tuberkuloseerkrankung genesende Ehefrau im Frühjahr für einen Monat an seinen Einsatzort zu holen, schien nun nicht realisierbar; nur Briefe und Karten sollten deshalb weiterhin fast täglich Brücken schlagen. Das taten sie für unzählige Liebespaare auch während des Zweiten Weltkriegs. Mitten in dieser Katastrophe sandte der Tischlergeselle und Soldat Vinzenz Zirner am 30.  März 1943 seinem »liebe[n] [Traude]-Kind« innige, aber auch schon schier verzweifelte Worte vom Kriegseinsatz rund um Tunis. Die beiden bauten, nachdem sie sich während seiner Ausbildung zum Panzerschützen im Sommer 1942 in Laxenburg bei Wien kennengelernt und dort nur einen einzigen Sonntag miteinander verbracht hatten,5 erst kurz vor der Abfassung dieses Schreibens eine Liebesbeziehung auf; sie ›gingen‹ also, nach anfänglich noch vorsichtig formulierten Annäherungen und einer expliziten Liebeserklärung in Briefform,6 ab Februar 1943 miteinander. In ihrer Sehnsucht schrieben sie sich nun so oft wie möglich und beteuerten immer wieder auch ihre Liebe. Erhalten sind dabei jedoch fast nur Briefe seiner Seite,7 wie jener, der datiert ist mit »Afrika, 30.III.43« – verfasst etwa zehn Tage nachdem Vinzenz Zirner von Neapel nach Tunis verlegt worden war und kurz vor der Niederlage der Deutschen Wehrmacht im ›Afrikafeldzug‹.8 In diesem Schreiben hielt er gleich im Anschluss an die Eröffnungsformel fest: Liege jetzt an vorderster Front auf Beobachtung. Noch geht es mir gut was ich auch von Dir hoffe. Den ganzen Tag werden wir von der feindlichen Artillerie beschossen. […] Ihr könnt euch keinen Begriff machen. […] An Schlaf ist fast nicht zu denken. Wenn wir eingenickt sind dann ist die Hölle wieder los. Meine liebe [Traude] halte mir die Daumen. Ich brauche dich. Allein der Gedanke an Dich gibt mir immer wieder Kraft durchzuhalten. Wenn du mich jetzt verlassen würdest, hätte ich kein Glück mehr.9

Damit ist erneut eindringlich angesprochen, wovon der folgende Beitrag vor allem handeln wird. Geleitet durch Beispiele wie die zitierten, geht er davon aus, dass der Liebesdialog in Paarkorrespondenzen der beiden Weltkriege mit Erfahrungen der Eskalation unterschiedlicher Formen von Gewalt eng verbunden war. Er entstand ja in diesem Kontext, auf den in irgendeiner Form immer wieder Bezug genommen wurde, sei es direkt oder indirekt und unter-

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schwellig, in konkrete Beschreibungen oder abstrakte Formeln gekleidet. Dabei galt es dennoch gleichzeitig vor allem die Liebe zum Briefpartner beziehungsweise zur Briefpartnerin zu betonen; eine Liebe, die der eigentliche Anlass, der Angelpunkt des Briefschreibens war, und eine Liebe, die den Krieg – auch darauf verweisen die obigen Zitate – erträglicher machen konnte oder sollte: Im ersten Beispiel spricht zunächst eine in gutbürgerlichen Verhältnissen situierte Frau zu ihrem seit April 1917 eingezogenen Ehemann. Sie bettet ihre Liebe zu ihm in das Szenario der Zerstörungen, von denen er ihr zuvor geschrieben hatte, und versucht auch in dieser Kriegssituation als innere Begleiterin zu bestehen, zu trösten, zu lindern – »durch Schutt und Trümmer«. Im zweiten Beispiel wird seitens eines Soldaten die Liebe der Briefpartnerin als Voraussetzung für sein ›Durchhalten‹ geradezu beschworen: »Ich brauche dich.« Dass Vinzenz Zirner eine Adressatin für solche Gefühle hatte, an die er denken, mit der er mehr oder weniger täglich in Briefkommunikation treten konnte und die ihm schrieb, die auf ihn wartete, machte seine Situation »an vorderster Front« offensichtlich zumindest aushaltbar: »Wenn Du warten willst bis ich wieder zurückkomme dann wird bestimmt alles wieder gut werden. Du musst Geduld haben und darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Ich gebe die Hoffnung nicht auf weil ich wieder zu Dir nach Wien kommen muss. Ich muss Dich wiedersehen.« So hieß es schon in jenem Brief, in dem er ihr rund sechs Wochen zuvor seine Liebe erklärt und mit den Worten »Bitte schick mir ein Foto von Dir ja? Ich schicke Dir heute ein kleines, hoffe aber dass die grossen bald fertig sind« um eine Fotografie von ihr gebeten hatte.10 Wie also – lässt sich ausgehend von solchen ›Liebesgeschichten‹ umfassender fragen – gestalteten sich in jenen Jahren die Verschränkungen von Liebe und Krieg? Welche Rolle spielte dabei die milliardenfach zwischen der ›Front‹ oder ›Etappe‹ und der ›Heimat‹ ausgetauschte Feldpost – von Postkarten über Briefe bis hin zu Fotografien und Paketen?11 Lassen sich in einem Vergleich zwischen den beiden Weltkriegen der Jahre 1914/18 und 1939/45, mit ihren je verschiedenen Kontexten und Formen der Kriegsführung, übergreifende Funktionen von Paarkorrespondenzen ausmachen? Was kann über individuelle Fallgeschichten hinaus zu den darin manifest werdenden Bezugnahmen auf kriegsbedingte Gewalterfahrungen, den im »kommunikative[n] Ausnahmezustand«12 formulierten Emotionen, Geschlechterbildern und Paar- oder Liebesmodellen ausgesagt werden? Wie schafften es die Briefpartnerinnen und -partner, ein­ ander von jeweils sehr unterschiedlichen und damit auch schmerzlich trennenden Kriegserfahrungen zu berichten und dennoch Zweisamkeit oder Intimität zu bauen, indem sie ihre Korrespondenz als ›Begegnungsraum‹ oder  – konkreter  – als ›Gefühls-‹ und ›Beziehungsraum‹ gestalteten? Und inwieweit schrieben sie sich in zeitgenössische (Geschlechter-)Diskurse, die propagierten Anforderungen an eine Gesellschaft im Kriegszustand, die differierenden Zuschreibungen an Männer und Frauen ein? Verhandelten sie auch solche Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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normativen Konzepte oder, wie die historische Emotionsforschung es nennt, solche zeitgenössischen »Gefühlsregime«,13 und welchen Einfluss hatten dabei hegemoniale Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder?

2. Feldpost als ›Brückenschlag‹ und ›Beziehungsraum‹ – zum Forschungsstand Nach den komplexen Verschränkungen von Krieg und Liebe zu fragen, ist in der Feldpostforschung zu beiden Weltkriegen lange nicht selbstverständlich gewesen. Diese hat sich, bezogen auf die ›Mehrheitsbevölkerung‹, die auch in diesem Beitrag im Zentrum steht,14 zunächst primär für das ›soldatische Kriegserlebnis‹ interessiert beziehungsweise dafür, wie sich das Kampfgeschehen oder Kriegsgewalt und -politik in den Briefen der eingezogenen Soldaten beschrieben und gedeutet finden. Dabei sind die Wirkungen der äußeren, institutionellen Zensur wie der sich von den Schreibern auferlegten Selbstzensur zumeist hoch veranschlagt worden, sodass man den Quellenwert von Feldpostbriefen als gering erachtet hat – auch für die Geschichte des Ersten Weltkriegs, als noch kein so drastisch abschreckendes, bis hin zur möglichen Todesstrafe sanktionierendes Zensursystem bestand, wie später im NS-Regime.15 Die im deutschsprachigen Raum viel zitierte linguistische Untersuchung von Isa Schikorsky ist 1992 diesbezüglich zum Ergebnis gekommen, dass Kriegsbriefe von den Napoleonischen Kriegen bis zum Zweiten Weltkrieg durch die »Konversationsmaximen« Verschweigen, Verharmlosung, Poetisierung, Phraseologisierung und Imagepflege bestimmt gewesen seien und »die Erfahrungen von Gewalt, Grauen und Tod sowie die damit verbundenen Gefühle« als das »Unbeschreibbare« kaum thematisiert hätten.16 Gipfeln konnte diese etwa auch im französischen und angloamerikanischen Raum länger anhaltende Tendenz der Feldpostforschung sogar in Aussagen, dass sich auch Paare in ihren Feldpostbriefen angesichts der ›äußeren‹ und ›inneren‹ Zensur gegenseitig oft ›anlogen‹.17 Solche Wertungen, die aus heutiger Sicht nur als sehr vorläufig gelten können, haben sich mit einer zweiten Forschungstendenz verbunden, die erst in jüngerer Zeit wenn noch nicht aufgehoben, so doch nachhaltiger in Frage gestellt wurde. Denn die zum Topos geronnene Einschätzung vieler einschlägiger Untersuchungen, dass Kriegsbriefe von Frauen kaum überliefert seien, hat sich nicht bewahrheitet, auch wenn aus verschiedenen Gründen häufiger von Soldaten verfasste Feldpostbestände erhalten geblieben sind als umgekehrt.18 Dennoch ist klar geworden, dass der Forschung durchaus Paarkorrespondenzen beider Seiten zur Verfügung stehen. Auf dieser Basis haben insbesondere, wenn auch nicht nur seit den 1990er Jahren entstandene frauen- und geschlechtergeschichtliche Studien19 den Fokus allmählich verschieben können und gezeigt,

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dass die primäre Funktion von Feldpost, die zwischen Männern und Frauen ausgetauscht wurde, in der Überbrückung kriegsbedingt »entzweite[r] Beziehungen«20 lag. Solche Korrespondenzen sollten demnach vor allem die Verbindung zwischen ›Heimat‹ und ›Front‹ aufrechterhalten und »die Sphären Krieg und Privatleben miteinander […] vermisch[en]«,21 was als »essential to the well-being and morale of soldiers and civilians alike«22 gewertet wird. Das geschah zum einen durch die als Zeichen der Liebe gedeutete Materialität der Korrespondenz selbst sowie durch die vielen Beigaben und Pakete, die sie begleiteten,23 und zum anderen, auf der inhaltlichen Ebene eng damit verschränkt, mittels entsprechender Identitätskonstruktionen und der Evokation verbindender Gefühle wie »love and longing, jealousy and fear, anxiety and grief«.24 Beispielgebend für einen solchen Ansatz kann die Historikerin Martha Hanna zitiert werden, von der diese Auflistung stammt. Sie hat für den Ersten Weltkrieg untersucht, wie weitgehend französische Paar- und Familienkorres­ pondenzen als stetes Bemühen zu lesen sind, zivile Identitäten oder Rollen fortzuschreiben. Zu ihrem primären, die Zensoren kaum interessierenden ›privaten‹ Inhalt und der damit verbundenen »affective power«25 gehörten insbesondere der Austausch von Liebesbeteuerungen und Intimität oder Erotik sowie die Kommunikation über Erinnerungen und Zukunftsentwürfe, ein sich stets aufs Neue Einschreiben in familiäre oder verwandtschaftliche und freundschaftliche Netzwerke.26 Zudem hat Hanna belegt, dass französische Soldaten des Ersten Weltkriegs trotz solcher Prioritäten in ihren Schreiben auch den Frauen gegenüber durchaus offen von ihren Fronterlebnissen und dem damit verbundenen Grauen berichteten. Die Gewalterfahrungen im industrialisierten Krieg waren demnach in vielen Feldpostbriefen kein Tabuthema und gingen Hand in Hand mit dem Primat des Liebesdialogs.27 In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und die Deutsche Wehrmacht liegen diesbezüglich dichtere Forschungsergebnisse vor.28 Dabei kommen neuere Arbeiten ebenfalls zum Ergebnis, dass ein »Großteil der überlieferten Feldpostbriefe […] Liebesbriefe [sind]« und sich darin gleichzeitig »Zerstörung, Tod und Gewalt […] auf mannigfache Weise […] [spiegeln]«.29 Oder, wie von Ulrike Jureit in ihrer primär geschlechtergeschichtlich orientierten Fein­ analyse eines Briefbestandes argumentiert, dass »in Ehepaarbriefen […] die Fortsetzung der Liebesbeziehung eine entscheidende Rolle [spielt]«30  – in ihrem Beispiel inklusive erotischer oder sexueller Inhalte. Schon früh hat auch Klaus Latzel von der »Zumutung des Krieges und der Liebe« gesprochen und an einem Beispiel dargelegt, wie sich die Liebe eines jungen Paares nicht nur mit dem NS-Frauenbild verschränkte, sondern seitens des Soldaten auch »zum letzten Fluchtpunkt und Halt« wurde.31 In einer umfangreichen Studie hat Latzel dann die Sinnbildungsprozesse vor allem von ›einfachen‹ Soldaten zwischen 1939 und 1945 ins Zentrum gestellt und ihre Briefe zudem mit Feldpost Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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aus dem Ersten Weltkrieg verglichen.32 Dabei stellte sich heraus, dass darin insgesamt »besonders viel über den unblutigen militärischen Alltag des Krieges«, das heißt die Themen »Dienst/Arbeit« mitgeteilt wurde, und an nächster Stelle die »Erfahrung von Gewalt und Tod […], solange damit nicht die persönliche, aktive und konkrete Beteiligung daran gemeint ist«, stand.33 Gleichzeitig sprachen die Schreiber prioritär das Verhältnis »zur Ehefrau, Verlobten oder Freundin«34 an, da Feldpostbriefe, wie Latzel festhält, »oft auch Liebesbriefe«35 waren – was in seiner Untersuchung entsprechende Teilkapitel evoziert hat. Sie analysieren Zukunftsentwürfe der Soldaten, wie jenen des ›Heims‹ als »Refugium« und »Phantasieobjekt«,36 aber auch sich aus der großen Distanz ergebende Probleme und Belastungen wie Eifersucht,37 Unwissenheit über das Leben zu Hause oder die Sorge um die Gesundheit, und damit nicht zuletzt die ›Gebärfähigkeit‹ der Frauen.38 Besonders Letzteres nährte sich auch aus der Eugenik der nationalsozialistischen Ehe- und Familienpolitik, ähnlich wie viele Soldaten in ihren Feldpostbriefen die politischen und rassistischen Kriegsziele des ›Dritten Reiches‹ gut hießen und sich oft mit dem ›Führer‹ identifizierten.39 Oder sie schrieben sich, wie Inge Marszolek am Beispiel eines Paares untersucht hat, aktiv in die ›Volksgemeinschaft‹ und die ›NS-Opfergemeinschaft‹ ein beziehungsweise partizipierten »an der Herrschaftspraxis des Regimes«.40 Die Studie von Michael Humburg über Wehrmachtssoldaten in der Sowjetunion deutet ebenfalls auf einen hohen Stellenwert der mit solchen Themen eng verschränkten ›privaten‹ Inhalte von Feldpostbriefen.41 In seinem Sample zeigte sich, dass die an Eltern und Ehefrauen adressierten Schreiben die »gegenseitige Versicherung der Zuneigung, Anteilnahme, Treue« am häufigsten ansprachen, was – mit nur leichten Verschiebungen – über den Untersuchungszeitraum hinweg gleich blieb. Auch Humburg zufolge zeichnet demnach »den Feldpostbrief typischerweise aus, dass er die Angehörigen der Zuneigung versichern soll« – nicht zuletzt um deren Beruhigung willen: »Der Feldpostbrief hat die Aufgabe, […] das poröse Band der Kommunikation zu stabilisieren.«42 Er kommt sogar zu dem Ergebnis, dass sich »Krieg und Liebe  – zugespitzt formuliert  – […] gegenseitig [bedingen]«,43 beziehungsweise dass die in vielen Briefen als »Schutzraum gegen die Anfeindungen von außen und innen« überhöhte (Paar-)Liebe im Zweiten Weltkrieg eine stabilisierende Funktion hatte.44 Dies erkannten auch die Militärbehörden, die emotionale Bindungen entsprechend funktionalisierten und eine Reihe von Maßnahmen setzten, um die Feldpostkommunikation zwischen ›Heimat‹ und ›Front‹ in ihrem Sinne zu beeinflussen.45 Damit sind wir bei weiteren Theoremen dieses Beitrages angelangt. Er geht, auf Grundlage des geschlechtergeschichtlichen Konzepts einer steten Verschränkung der Sphären des ›Privaten‹ oder ›Intimen‹ und des ›Politischen‹ oder ›Öffentlichen‹, ebenfalls von einem im Kontext der Jahre 1914/18 und

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1934/45 letztlich nicht aufzulösenden Nexus von Liebe und Krieg aus. Gleichzeitig bezieht er in die Analyse des zweiten Bestandteils dieser Verbindung den im Anschluss an neuere Forschungen zur Totalisierung, Politisierung und Industrialisierung der Kriegsführung breit definierten Aspekt der Gewalt46 stärker mit ein, versucht also eine Zusammenschau der beiden Dimensionen. Denn Liebe und Kriegsgewalt waren, so lautet die Hypothese, im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg so eng ineinander verwoben, dass sie sich in der Untersuchung insbesondere von Paarkorrespondenzen analytisch nicht auseinanderdividieren, das heißt nicht getrennt untersuchen lassen. Das gilt auch dort, wo kriegsbedingte Gewalt, in welcher Form auch immer, erfahren oder selbst ausgeübt, nur angedeutet oder umschrieben, gar verschwiegen wird – in der postalischen Kommunikation von Liebespaaren ist sie dennoch zumindest implizit stets präsent. Dabei ist für die Jahre 1914/18 beziehungsweise 1939/45 selbst­ verständlich von vielen Unterschieden auszugehen, vor allem in Hinblick auf den Holocaust beziehungsweise die Judendeportationen, den Völkermord und die NS-Besatzungspolitiken. Dass auch das in zeitgenössische Paarkorrespondenzen einfloss, ja sogar zu einem offen kommunizierten Thema werden konnte, hat jüngst Nicholas Stargardt eindringlich und anhand zahlreicher ›deutscher‹ Liebes- und Ehepaare gezeigt  – auch indem er bislang gängige Zäsuren in Hinblick auf die Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur NSKriegsführung kritisch hinterfragt und relativiert hat. In einer mentalitätsgeschichtlichen Perspektive gilt das sogar für die Niederlage bei Stalingrad im Winter 1942/43, die keinen andauernden Einstellungswandel nach sich zog.47 Es gab jedoch in Bezug auf den Konnex von Liebe und Gewalt im Ersten und im Zweiten Weltkrieg durchaus auch ähnliche Tendenzen. In beiden Fällen haben wir es mit Gesellschaften zu tun, die nur vor dem Hintergrund der Totalisierung und der Industrialisierung des Krieges in der ›Moderne‹ zu verstehen sind.48 Das trifft zu, obwohl man teilweise auch unterschiedliche Kriegsstrategien oder Waffensysteme und -einsätze favorisierte beziehungsweise das, was 1914/18 gewissermaßen erst erprobt wurde, im Zweiten Weltkrieg dann vielfach weiterentwickelte, radikalisierte und perfektionierte. Und es gilt, wie eine Reihe von neueren Forschungen zum Ersten Weltkrieg gezeigt hat, sogar in Hinblick auf die damals bereits erkennbaren Tendenzen zu den auch zivile Bevölkerung vernichtenden (genozidalen) Kriegsverbrechen.49 Zudem wurden die zwei Weltkriege in der Perspektive vieler Zeitgenossen ab dem September 1939 zueinander in Bezug gesetzt. Verschiedenste, negativ konnotierte Erinnerungen an die Kriegsjahre 1914/18 waren demnach in der Bevölkerung des ›Dritten Reiches‹ äußerst präsent, etwa indem kursierende Gerüchte sich aus solchen Deutungsmustern ›speisten‹. Dies wussten die nationalsozialistischen Machthaber und die ›gleichgeschalteten‹ Behörden sehr genau und richteten daher ihre Kriegspolitik und -propaganda nicht zuletzt vor diesem Hintergrund aus.50 Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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Gleichzeitig orientierte sich die Meinungslenkung  – in beiden Weltkriegen – immer auch entlang der Kategorie Geschlecht. Demensprechend waren alle Angehörigen einer Nation, eines Staates, einer ›Volksgemeinschaft‹ zur Unterstützung der Kriegsführung aufgerufen, und die darauf bezogene Propaganda argumentierte auch geschlechtsspezifisch, um Männer und Frauen zu je unterschiedlichen Tätigkeiten und Rollen an der ›Front‹ wie in der ›Heimat‹ oder an der ›Heimatfront‹ zu mobilisieren. Man appellierte nicht nur an deren Männlichkeit oder Weiblichkeit, sondern damit verschränkt auch an ihre Gefühle, ihre Liebesfähigkeit, ihr sexuelles Begehren; das bedeutet letztlich eine massive Instrumentalisierung von Liebe für den Krieg.51 Solchen Verschränkungen möchte ich im Folgenden nachgehen und dabei insbesondere die Frage stellen, inwieweit der von der Forschung bereits zur Diskussion gestellte Befund, ob gerade Liebesbriefe beziehungsweise, im Sinne unseres Projekts breiter definiert, Paarkorrespondenzen kriegsstützende Funktionen hatten und das ›Durchhalten‹ der Menschen bestärkten.

3. Der Quellenbestand Von besonderem Wert sind in dieser Diskussion selbstverständlich Bestände, die beide Seiten, das heißt Männer- wie Frauenbriefe beinhalten. Sie zeigen die schon angesprochene Verflochtenheit, die mittels Korrespondenz unternommenen Versuche einer steten Kommunikation zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ in hohem Ausmaß, auch indem sie Irritationen oder Konflikte in den zwischen diesen unterschiedlichen situativen Kontexten der Kriegserfahrung changierenden Beziehungen gut sichtbar machen. Was vorne für die neuere Feldpostforschung ausgesagt wurde, gilt daher auch für den vorliegenden Beitrag. Er kann sich auf einige umfangreiche, beide Seiten umfassende Paarkorrespondenzen der Jahre 1914/18 und 1939/45 stützen, wobei ein Großteil – für Kriegszeiten charakteristisch  – gleichzeitig lückenhaft ist; in Einzelfällen ist das Ungleichgewicht von erhalten gebliebenen Frauen- und Männerbriefen sogar besonders auffallend. Zusätzlich wurden daher für die folgenden Ausführungen Korrespondenzen herangezogen, die nur Briefe und/oder Karten einer Seite beinhalten. Auch sie sind unterschiedlich umfangreich und verweisen ebenso auf eine alles in allem sehr heterogene und fragmentarische Überlieferungssituation, deren konkreten Ursachen oft unklar bleiben beziehungsweise aus den Beständen selbst nicht unbedingt erschlossen werden können. Dennoch kristallisiert sich erstens klar heraus, dass die Feldpost eingezogener Soldaten in beiden Weltkriegen in der Tat häufiger überliefert ist als diejenige ihrer Schreibpartnerinnen, obwohl Briefe und Karten aus der ›Heimat‹ statistisch gesehen einst überwogen haben.52 Zweitens zeigt sich deutlich eine Erweiterung der Quellenlage, indem der Forschung spätestens für die Zeit des Ersten

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Weltkriegs auch Paarkorrespondenzen aus sozialen ›Unterschichten‹ zur Verfügung stehen, selbst wenn – zumindest so Briefserien untersucht werden sollen – das breite Spektrum (klein-)bürgerlicher Milieus weiterhin dominiert.53 Insgesamt wurden, mit den genannten Einschränkungen, für diesen Beitrag 17 Briefbestände herangezogen, und zwar sieben aus dem Ersten und zehn aus dem Zweiten Weltkrieg.54 Für die Jahre 1914/18 waren dies der eingangs vorgestellte, besonders umfangreiche Bestand des Ehepaares Ertl55 sowie zwei andere Briefserien aus gutbürgerlichen Verhältnissen: einerseits von einem ab Anfang August 1914 als Reserveoffizier der Festungsartillerie eingesetzten Wiener Bauarchitekten namens Leopold Wolf und seiner Verlobten Christl Lang, die im April 1917 heirateten und im Frühjahr 1918 ihre Tochter bekamen,56 und andererseits von dem Wiener Ehepaar Weber, das zwischendurch einige Monate in der Etappe zur italienischen Front zusammen leben konnte und dessen Feldpost nur bruchstückhaft überliefert ist.57 Aus diesen Korrespondenzen sind Schreiben beider Seiten erhalten geblieben. In einem weiteren Bestand aus bürgerlichem Milieu existieren hingegen nur die vielen Brief- und Postkarten des ab Mai 1915 an galizischen und ukrainischen Kriegsschauplätzen eingesetzten Rechnungsrates Albert Maier an seine Ehefrau Emilie, die mit ihren zwei Söhnen in Wien oder verschiedenen Orten in Niederösterreich, Südmähren und Kroatien lebte.58 Umgekehrt liegen im Falle einer Korrespondenz aus dem ländlichen Milieu Niederösterreichs nur die 20 Briefe der damals bei einer großen Forstverwaltung arbeitenden Dienstmagd Magdalena Zenker an ihren eingezogenen Verlobten, den Metallgießer Alois Simatschek vor, verfasst zwischen Januar 1916 und Mai 1918.59 Darüber hinaus standen mir vom Kleinbürgertum abwärts beziehungsweise für die Masse der Mannschafts­ soldaten im Ersten Weltkrieg zwei zusätzliche Feldpostbestände zur Verfügung: nämlich jener des Handwerkers Gustav Malik, der zunächst aus einem Hospital in Moskau und dann aus russischer Kriegsgefangenschaft in Astrachan an seine in einem Dorf im Böhmerwald lebende Verlobte schrieb,60 und der eines jungen Eisenbahners namens Franz Kundera, welcher 1917 im weitgehend zerstörten, von vielen Kriegshandlungen direkt betroffenen Galizien bei der dem Militär unterstellten Bahn im Einsatz war.61 Für den Zweiten Weltkrieg ist sowohl die regionale als auch die soziale und militärbezogene Bandbreite der untersuchten Paarkorrespondenzen, die alles in allem unterschiedliche Naheverhältnisse zum Nationalsozialismus aufweisen, größer. Für diese Jahre konnten, neben dem eingangs bereits zitierten Bestand aus dem Nachlass des Panzerschützen Vinzenz Zirner und seiner späteren Ehefrau Traude,62 wiederum zwei Briefserien herangezogen werden, die beide Seiten beinhalten und sehr umfangreich sind. Dies gilt für Rudolf und Charlotte Kretschmar, die im April 1938 geheiratet haben und einander oft und ausführlich schrieben, nachdem er ab August 1940 zur Luftwaffe eingezogen wurde,63 und ebenso für Olga Josefa und Ernest Adelsgruber, deren Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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erhalten gebliebene Kriegskorrespondenz aus den Jahren 1938 bis 1945 vier ­ renneis, verheiratet seit September Ordnermappen umfasst.64 Vom Ehepaar B 1938,65 und vom frisch verliebten Paar Hans Hatschek und Maria Kundera, deren Schreiben an ihn über seinen Tod im Zuge der Einnahme der Festung Brest durch die Alliierten im September 1944 hinausging,66 sind zwar ebenfalls Briefkonvolute beider Seiten erhalten, jedoch sehr unausgewogen  – während die anderen Korrespondenzen des Samples aus dem Zweiten Weltkrieg jeweils nur eine Seite repräsentieren: So im Falle von Helmut Breiteneder, der 1943 von seinem Kriegseinsatz in Frankreich und 1944 vom »Osten« voller Hoffnung auf eine Liebesbeziehung an seine Bekannte Anneliese Kastenhuber aus dem gleichen Dorf in Oberösterreich zumindest zehn Schreiben adressierte,67 und im Falle der durch ebenfalls zehn Briefe von ihm überlieferten Korrespondenz zwischen Maximilian Höllwarth und Hermine Hofstätter aus Wien, die sich im Sommer 1940 kennenlernten und ein knappes Jahr darauf heirateten.68 Das Gleiche gilt für den Anfang 1945 an der Ostfront vermisst gemeldeten Josef Wiesauer, von dem 81 Feldpostschreiben an seine Frau Franziska vorliegen,69 und für den ab dem Sommer 1941 unter anderem an verschiedenen östlichen Kriegsschauplätzen eingesetzten Kanonier Richard Schuster, der an Wally Kuklinski aus Wien schrieb.70 Schließlich fällt ein Briefbestand aus der Beziehung von Helga Böhm, einer Büroangestellten, und dem Medizinstudenten und Sanitäter Friedrich Kettler, der nur seine 48 Schreiben aus der Zeit von Januar bis März 1945 enthält, in diese Kategorie; die Seite der Adressatin ist hier aber in Ansätzen in Form eines Tagebuches, in dem sie auch Briefentwürfe festhielt, überliefert.71 Alle diese Kriegskorrespondenzen repräsentieren damit – auch wenn sie ausschließlich von Paaren stammen, die entweder (noch) nicht oder erst relativ jung verheiratet waren – unterschiedliche Formen und Phasen einer (Liebes-) Beziehung; teilweise ist eine solche sogar erst im Zuge des Schreibens entstanden. Auch in ihrer Beschaffenheit, das heißt hinsichtlich der verwendeten Papiermaterialien und Schreibwerkzeuge, der Länge, des Schriftbildes et cetera sind sie sehr verschieden, wobei dieses Spektrum eilig verfasste, zum Teil mit Bildmotiven versehene Feldpostkarten ebenso beinhaltet wie kunstvoll verzierte, eher aufwändig gestaltete Schreiben oder engst beschriebene Luftpostbriefe, deren Platzvorgabe von vornherein sehr begrenzt war. Nur ein geringer Teil der Bestände lag dem Projekt ausschließlich als Transkript vor, sodass solche Aspekte nicht erschlossen werden konnten. Damit spiegeln diese Quellen auch die spezifischen, häufig besonders schwierigen Rahmen- und Überlieferungsbedingungen des ›privaten‹ Schreibens in Zeiten des Krieges wider, die sich im Inhalt auf mannigfaltige Weise ausdrückten. Sie scheinen zudem mehr oder weniger stark vom Wissen um eine stets mögliche – und vielfach selbst erfahrene – Zensur bestimmt und zeigen durchaus auch ähnliche Strategien des Umgangs mit den vielen Widrigkeiten der Feldpostzustellung, die vor

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allem im Ersten Weltkrieg, zum Teil aber auch in den Jahren 1939/45 lange, oft vergebliche Wartezeiten nach sich zog. Das führte – in beiden Weltkriegen – vorrangig zum Nummerieren der Briefe, Karten und Pakete, was vom Großteil der Schreiberinnen und Schreiber praktiziert wurde, um ihren realiter ja immer wieder durchbrochenen Dialog entlang einer zeitlichen und inhaltlichen Chronologie besser strukturieren zu können.72 Zudem entwickelten viele von ihnen Informationstechniken bezüglich des Aufenthaltsortes oder umgingen die entsprechenden Bestimmungen der Zensur, wodurch zumindest ein Teil der herangezogenen Feldpost auch kriegsgeografisch gut verortet werden konnte. Bei einem anderen Teil  war eine Kontextualisierung, auch in biografischer Hinsicht, generell schwieriger; hier bleiben im Folgenden Lücken bestehen, die nur im Zuge von Feinanalysen vermindert werden könnten. Die Themen Liebe und Gewalt kommen in all diesen Beständen in vielerlei Hinsicht ähnlich, aber auch unterschiedlich zum Ausdruck, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf ihre narrative Darstellung, ihre Codierungen, ihre Semantik. Dennoch und trotz der ungleichen Verteilung von Leerstellen leiteten sie alle meine Fragestellungen, schärften und veränderten diese im Zuge der wiederholten Lektüre, Diskussion73 und genaueren Erschließung. In die konkrete Auswertung sind die vorne beschriebenen Korrespondenzbestände in verschiedener Dichte eingeflossen, nicht zuletzt wegen der Anschaulichkeit ausgewählter Briefstellen. Dabei war aufgrund der heterogenen Quellenlage ein Vergleich zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht immer gleichermaßen durchführbar; er diente jedoch als Leitfrage und sollte zukünftig noch umfassender exemplifiziert und weiterentwickelt werden. Vor diesem Hintergrund entwickle ich die Analyse der vorgestellten Paarkorrespondenzen in drei Stufen. Zunächst wird gezeigt, dass auch im Krieg gängige Möglichkeiten und Strategien zur Re-/Konstruktion eines Liebes­ dialogs genutzt wurden und dass sich gerade daraus ein ›Durchhalten‹ in der oft lange anhaltenden Trennungssituation wie im Gewalthandeln und -erleiden ›nährte‹. Darauf folgt eine Untersuchung der zwischen Paaren ausgetauschten Paketpost, die ebenfalls ganz essenzielle Funktionen für die Fortführung und Stützung von Liebesbeziehungen hatte und die Kriegssituation jedenfalls erträglicher machte, gleichgültig woher die übersendeten Waren auch kommen mochten. Schließlich wird konkreter nach der Wirkmacht militarisierter Geschlechterkonzepte und der damit korrelierenden Gewaltakzeptanz gefragt, um zuletzt zu zeigen, wie die Bombardierungen der ›Heimatfront‹ im Laufe des Zweiten Weltkriegs in den Quellen verarbeitet und gedeutet wurden.

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4. Romantische Liebe als Funktion des ›Durchhaltens‹ In ihrer Zusammenschau belegen die beschriebenen Paarkorrespondenzen, so disparat und fragmentarisch sie auch sein mögen, nicht nur die immense Bedeutung, die ein zwischen ›Front‹ und ›Heimatfront‹ beziehungsweise den unterschiedlichen Orten der kriegsführenden Gesellschaft zirkulierendes ­›privates‹ Schreiben hatte, sondern noch mehr: Nämlich dass es gerade eine (Liebes-) Beziehung war, die damit auch in der Situation des Krieges gesucht und aufoder weitergebaut, stets aufs Neue formuliert und stabilisiert werden sollte. Das eingangs gegebene Beispiel von Vinzenz Zirner, der seiner Briefpartnerin eine Liebeserklärung machte und im Anschluss gemeinsam mit ihr – so weit im Krieg möglich – einen eigenen ›Paarkosmos‹ gestaltete, ist dabei keine Ausnahme; und ebenso ist die Tatsache, dass seine Adressatin vor dem Beginn ihrer im Akt des Schreibens initiierten Liebesbeziehung auch mit anderen Soldaten korrespondierte, die sich ihrerseits Hoffnung auf eine solche Verbindung machten,74 keine Seltenheit – im Gegenteil. Die Kriegsgesellschaften sowohl des Ersten als auch des Zweiten Weltkriegs förderten genau das insbesondere unter jungen, noch ledigen Menschen immens, indem sie dazu aufriefen, auch unbekannten und alleinstehenden Soldaten zu schreiben, oder an die Frauen (und Kinder) der ›Heimatfront‹ appellierten, den Eingerückten ihres Umfeldes ermutigende Briefe, Karten und Pakete zu senden. Das geschah insbesondere im Ersten Weltkrieg nicht zuletzt durch das äußerst populäre ›Liebesgabenwesen‹, von dem weiter hinten noch die Rede sein wird; zu diesem gehörte es vielfach, dass eine inliegende Karte mit der Adresse der Senderin eine Korrespondenz zwischen ihr und einem Soldaten nach sich zog. Im Zweiten Weltkrieg kam zu solchen ›vergeschlechtlichten‹ Praktiken der Verbindungsstiftung zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ der Usus, explizit auch zu Brieffreundschaften unter jungen Menschen einzuladen, indem »in Magazinen, Zeit- und Frontschriften Kontaktadressen verbreitet« oder Feldpostanschriften ausgetauscht wurden.75 Das hatte ebenfalls weitgehend jene Orte der Begegnung und Beziehungsanbahnung zu ersetzen, die in Friedenszeiten gängig waren: wie das Wirtshaus, der Ball und das Fest, jugendliche Freizeitaktivitäten et cetera; auch der Bahnhof oder Zugfahrten mit Soldaten traten nun an die Stelle solcher Begegnungsräume. All das bewirkte im Verein mit den millionenfach zirkulierenden Paar­ korrespondenzen, die im Rahmen schon länger existierender Liebesbeziehungen verfasst wurden, trotz oder gerade wegen der Kriegssituation eine wahre ›Hochzeit‹ des »(Über) Liebe Schreibens« und damit verbundener Handlungen. Darauf hat die Forschung, wie dargelegt, zwar durchaus hingewiesen, allerdings meist ohne die große Bandbreite der diesbezüglichen Formen oder Praktiken genauer in den Blick zu nehmen. Nur durch einen solchen Fokus

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wird aber deutlich, wie vielfältig die Möglichkeiten zur Re-/Konstruktion romantischer Liebe auch im Krieg blieben und dass gerade dadurch vielfach ein ›Durchhalten‹ der Menschen – bis zu welchem Ende auch immer – motiviert wurde. Dabei kam es zum Einsatz verschiedenster, häufig miteinander kombinierter Mittel, die wie der ›Liebesbrief‹ als »Metazeichen« der Liebe fungierten.76 Sie erscheinen in den hier erschlossenen Beständen als soziale Praxis oder »mikrosoziales Interagieren«77 je nach konkreter Situation, Beziehungsphase und -form facettenreich thematisiert und unterschiedlich gewichtet, mit dem Ziel, so einen Begegnungs- und Gefühlsraum zu öffnen.78 In ihm sollte Intimität erzeugt und geteilt werden – möglichst Tag für Tag, über all die Zeit der Trennung und die Grauen des Krieges hinweg. Dieses kontinuierliche, auch als ›doing emotion‹79 zu definierende Handeln werde ich nun in den Blick nehmen. 4.1 Strategien der ›Verkörperung‹ Damit dieses ›doing emotion‹ oder, noch konkreter, dieses ›doing love‹80 im intendierten Sinne gelingen konnte, war es unter anderem notwendig, den oder die real Abwesende/n auch zu ›verkörpern‹, das heißt in seiner oder ihrer konkreten Körperlichkeit zu imaginieren, zu vergegenwärtigen. Mit der Medienhistorikerin Esther Milne, die unterschiedliche »Technologien der Präsenz« im Brief, der Postkarte und der E-Mail untersucht hat, könnte diesbezüglich von einem »disembodied embodiment« gesprochen werden, welches durch die Trennungssituation bedingt war und daher stets ambivalent oder uneindeutig – also eigentlich ein Paradoxon – blieb; sie schreibt in diesem Zusammenhang, dass »the dance between absence and presence« jedenfalls ein »defining feature of epistolary discourse« ist.81 Dabei kann der Körper des oder der Abwesenden auf unterschiedliche Art und Weise ›sichtbar‹ (»visible«) gemacht werden, wozu Milne zum Beispiel zählt, dass der Brief selbst in seiner Materialität meto­ nymisch »for the correspondent’s body« steht. Das sei vor allem im Briefwechsel von sich Liebenden der Fall, »where the letter is kissed, held, cried over or adored in place of the lover’s body«.82 In Erweiterung eines solchen Ansatzes sollen hier zunächst die auffallend oft thematisierten Porträt-, Paar- und Familienfotografien in den Blick genommen werden. Diese sind in unserem Kontext besonders wichtige Medien einer mehr oder weniger stark gefühlskonnotierten ›Verkörperung‹ und scheinen schon im Ersten, und dann umso mehr im Zweiten Weltkrieg geradezu ein Muss gewesen zu sein. So beispielsweise als Aufforderung im Moment der brieflich formulierten Liebeserklärung, ein Foto zu senden, wie schon das eingangs vorgestellte Beispiel von Vinzenz Zirner und Traude Kalinka aus 1943 illustriert hat. Ähnliches findet sich ungeachtet der damals noch höheren Kosten auch für die Kriegsjahre 1914/18 oft belegt, und zwar nicht nur für bürgerGewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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liche oder wohlhabendere Paare, und ebenfalls schon für die Phase der Anbahnung einer Liebesbeziehung. In diesen Fällen begann das Porträtfoto – meist noch im Atelier aufgenommen – seine Wirkmacht vor einer Liebeserklärung zu entfalten. »Habe mich auch vorgestern in Krakau Fotographieren lassen und bekome die Bilder am 3./IV. Wenn ichs bekomm werde ich Dir gleich ein Bild schicken«,83 schrieb diesbezüglich der in Galizien stationierte Eisenbahner Franz Kundera 1917 und sprach das Thema auch in seinen weiteren Schreiben mehrfach an; etwa indem er dem »Annerl« davon erzählte, dass er seinem »Zugführer« ihr Bild gezeigt habe,84 oder indem er die Bedeutung desselben unterstrich und dabei gleichzeitig auf das vorne angesprochene Paradoxon  – ihre reale Abwesenheit, in der sie nur imaginär ›verkörpert‹ werden konnte – hinwies: »Sehe mir jeden tag Dein liebes Bild ein paarmal an aber am liebsten möchte ich Dich wieder einmal in Wirklichkeit sehen.«85 Seine Liebeserklärung folgte dennoch auf dem Fuß und glückte; daraufhin konnte Franz Kundera unter anderem festhalten: »Mein Schatzerle!! […] Die ganzen Tage denke ich an Dich mein Schatz und sehe mir immer Dein liebes Bild an. Deine schöhnen Augen und Gestalt. Es kann für mich kein schöneres Mädchen geben als du mein Annerl.«86 Unter den Auspizien unmittelbarer Bedrohung steigerte sich der emotive Wert einer Fotografie noch. Das bedingte mitunter ein schieres ›Flehen‹ seitens der Soldaten beziehungsweise ihre aus Feldpostbriefen oder -karten implizit ablesbare Hoffnung, dass aus dem Austausch von Fotografien mit jungen ledigen Frauen eine Liebesbeziehung resultieren könnte  – und damit eben etwas, das den Kriegseinsatz erträglicher gestalten würde. Ein solches Sehnen ist in den wenigen überlieferten Briefen und Karten von Helmut Breiteneder erkennbar, der 1943 im »verfluchten Frangreich«87 stationiert war und dann im Osten »gegen den Iwan (Russe)  kämpf[t]e«;88 dort wurde er vermutlich getötet. Zuvor hatte er – offenbar auf seinen Wunsch hin – mit der in seinem Heimatdorf in Oberösterreich lebenden Anneliese Kastenhuber mehrere Fotografien ausgetauscht, wozu er zum Beispiel, wenig schreibgewandt, festhielt: »Besonders hat mich das kleine Bield gefreud und ich glaube das du an meinen Bield auch eine gleine Freude daran hast. Es Grüßt dich recht Herzlich [Helmut]. Auf dem Bield bin ich noch als Schütze aber das spielt keine rolle.«89 Erst nach diesem Austausch von Fotografien suchte Breiteneder, nachdem er eine Beziehung zu einer anderen, seiner Briefpartnerin ebenfalls bekannten jungen Frau gelöst hatte, sich ihrer Liebe zu versichern und schließlich, in einem letzten erhalten gebliebenen Brief, sein Liebesgeständnis zu formulieren: »[…] meine Lieber gehört jetzt einzig und allein Meiner lieben kleinen [Anneliese]!!!!!!!«90 Es muss wohl kaum umfassend belegt werden, wie wichtig Fotografien vom Partner oder der Partnerin, der Familie, den gemeinsamen Kindern, im Krieg auch für schon länger liierte beziehungsweise verheiratete Paare waren.

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In deren Korrespondenz werden solche Bilder zum Inbegriff imaginierter Präsenz; immer wieder ausgetauscht und betrachtet, begleiteten sie auf beiden Seiten durch den Kriegsalltag – wenn auch der Unterschied zur realen Anwesenheit oft schmerzhaft bewusst gemacht wurde, wie etwa Alfred Ertl im Mai 1917 nach Hause schrieb: »[…] Du hast ja wenigstens die Kinder daheim ich habe aber von allen nur  – eine Photographie«.91 Seine Frau bemühte sich in der Folge umso mehr, in ihren vielen Schreiben auch »von den Kindern [zu] erzähle[n]«, ihn damit gleichsam »in unsere Mitte hineindenken lassen, so daß Du alles miterlebst, weil es um Dich und in Dir oft recht einsam sein muss«.92 Die Fotografien – und eigene Tagebücher für ihre Kinder, die Anna Ertl fortlaufend verfasste  – erscheinen somit in einem Ensemble von narrativen und medialen Strategien, deren Ziel der Familienzusammenhalt trotz der kriegsbedingten Trennung und Sorge war. Zudem wurde eingezogenen Soldaten so eine Fortführung ihrer zivilen Identität auch als Vater möglich,93 was ihr ›Durchhalten‹ wohl ebenfalls stützte. Im Zweiten Weltkrieg, als schon ein beachtlicher Teil der Bevölkerung einen Fotoapparat besaß,94 wurden dann massenhaft auch selbst geknipste Bilder, etwa vom Heimaturlaub, ins Feld geschickt. In Briefen des damals an der Ostfront stationierten, ab Anfang 1945 als vermisst gemeldeten Obergefreiten Josef Wiesauer firmiert das beispielsweise so: »Ich freue mich schon so auf ein Bildlein wo wir uns abbusselten mein Schatzi denn das möchte ich ja immer, immer tun.«95 »Ja und erst die ganzen wunderschönen Bildlein. Die sind ja so reizend am Schönsten ist aber das was wir draußen an dem Platzerl machten nachdem!!! wo Du so im Grase liegst einfach wunderbar sowie ein Mädchen, ja aber Du bist ja auch mein kleines Mädgelein mein Süßes.«96 Ernest Adels­gruber, im Kriegsjahr 1944 zum »Oberzahlmeister« im Offiziersrang avanciert und in Kroatien mit seiner Einheit am unerbittlichen Kampf der Deutschen Wehrmacht gegen Partisanen und die jugoslawische Volksbefreiungsarmee beteiligt, versicherte seiner Frau in einem Schreiben, dass er in dieser für beide Seiten »harten Zeit« umso mehr an Fotografien von ihr und den beiden Kindern hing: »Immer mehr liebe ich eure Bilder. In mehr und mehr kürzeren Abständen nehme ich sie aus der Hülle und betrachte sie! Die Sucht nach Liebe und fürsorglich-liebenden Händen wird immer größer«, heißt es hier zunächst. Darauf folgt die Aussage, dass er aufgrund der vielen tagtäglichen »Schwierigkeiten, die überwunden werden wollen«, wirklich froh sei, »herzlich wenig Zeit« zum Denken zu haben.97 Stattdessen wirkte die Fotografie, was Adelsgruber im selben Brief ausführte und kurz vor Weihnachten 1944, als der Druck auf die Deutsche Besatzungsmacht in Jugoslawien zugenommen hatte, erneut unterstrich  – nicht ohne nun den unter Wehrmachtssoldaten gängigen »HärteCode«98 zu verwenden und auf ein angebliches Schicksal zu verweisen, welches den Kriegseinsatz erfordere. Dabei wird auch der enge Konnex zwischen dem ›Durchhalten‹ des Soldaten im Kampf gegen die Befreiung Jugoslawiens einerGewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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seits und der emotiven Praxis der Betrachtung des Bildes seiner Lieben andererseits deutlich: Wenn nun wie jetzt mein Blick zu euren Bildern geht – sie liegen offen vor mir – dann weiß ich, dass nichts uns trennen kann, denn alles in uns ist ausgerichtet auf die Liebe und das Leben des anderen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie kindisch ich mit euch umgehe. Jedesmal, wenn ich meine große Brieftasche ziehen muß, klappe ich das Soldbuch auf und betrachte still vergnügt und – ich kann sagen – glücklich eure Gesichter!99 […] aber ich will mich bemühen, keine Wehmut aufkommen zu lassen und nüchtern und hart dem Schicksal ins Auge zu sehen. Die Zeit fordert dies von uns und wir kleinen Menschlein müssen gehorchen. Ist es nicht so? […] In unverminderter Liebe und schmerzlicher Sehnsucht bin ich euch – Dir und den Kindern – zugetan. Am besten ist das daraus für mich zu erkennen, weil ich früher jeden Tag morgens eure Bilder betrachtete, um Kraft für die Ereignisse des Tages zu sammeln. Jetzt aber passiert es fast täglich, dass ich nicht einmal, sondern drei- fünf- ja sechsmal eure Bilder betrachte, meine Gedanken zu euch fliegen und Glück und Segen wünsche. Ich glaube bestimmt, die innere Verbundenheit ist – wenn überhaupt möglich – noch inniger geworden.100

Was aber, wenn eine solche Vergegenwärtigung des oder der Geliebten nicht (mehr) funktionierte? Oder wenn kaum Briefe mit darauf bezogenen Inhalten ausgetauscht werden konnten, wie im Falle von Maria Kundera und Hans Hatschek? Auch sie nutzten im Jahr 1944 einerseits Porträtfotografien, um ihre noch sehr junge Beziehung zu stabilisieren. Ihr Bild half ihm »so schön beim träumen«,101 er trug es im Soldbuch ebenfalls immer bei sich, wobei er es mitunter »aus Freude [abbusselte]«102 und sogar »da vor mir am Gerät [einer Waffe? C. H.] stehen« hatte103  – während sie umgekehrt seine gerahmte Fotografie, die in der über ihrem Dienstort liegenden Wohnung seiner Eltern aufgestellt war, in einer zum Ritual gerinnenden Art und Weise auch so oft wie möglich betrachtete und sogar mit frischen Blumen schmückte, obwohl ihre Liebesbeziehung noch geheim war: »Ich wollt mich heute in der früh noch schnell raufschleichen und zu Deinem Bilderl Blumen stellen ohne das es jemand weiß […].«104 Hans Hatschek verwendete ebenso Blumen, die er gepresst ihrem Foto beigab: »[…] das kleine Sträuserl, dass du mir von deinem Ausflug auf die Hohe Wand geschickt hast, Maiglöckerl und Enzian, dass hab ich bei Deinem Bild im Soldbuch liegen. Das duftet jetzt noch immer so herrlich. Und jedes Mal, wenn ich dich anschau da glaub ich, ich bin bei euch zu Haus. Denn damals hat ja alles nach Maiglöckerl gerochen.«105 Darüber hinaus schuf sich dieses junge Liebespaar einen ›kosmischen‹ Begegnungsort, indem es einen Stern erwählte und diesen zu »unserem Sternderl« machte, um mit dessen Hilfe kontinuierlich aneinander zu denken und sich Küsse zu senden; auch so erfolgte eine ›Verkörperung‹ des/der anderen. Darüber schrieb Maria zum

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Beispiel in einem Brief, der auch von ihrer Hoffnung auf eine ungetrübte Zu­ kunft nach dem Krieg handelt und in dem sie versprach, »stark zu bleiben« – ganz in Entsprechung mit dem, was im Nationalsozialismus von einer »Soldatenfrau« erwartet wurde und Hans ihr offenbar auferlegt hatte: Ich saß vorher in der Laube, da wurde mir aber ein bisserl zu traurig ums Herz. Nein Hänschen, ich will stark bleiben, du willst ja ein tapferes Mitzerl und was Du von mir verlangst, dass mache ich auch, soweit es eben möglich ist. Wie herrlich diese Nacht ist kann ich Dir gar nicht schildern. Das brauch ich ja auch nicht, wir werdens ja einmal zusammen erleben, jetzt will ich einstweilen davon träumen. […] Ja, ich schließ auch die Augen zu und glaube, jetzt Deinen Kuss zu spüren. Es ist bestimmt nicht Einbildung, unser Sternderl überbringt mir ja all Deine Busserl, die Du mir ja jetzt bestimmt grad schickst. Ich schick ihm ja auch so viel Wünsche, Grüße und Küsse zu, die ja nur für Dich bestimmt sind. Hansiburli, mach’s zu, Deine Guckerln, spürst die Bussi? Ach, so viele sind’s ja.106

Der hier eingeschriebene Selbstappell ans ›Durchhalten‹ bezog sich zu jener Zeit auch auf die vielen Bombardements der ›Heimatfront‹, die Maria K ­ undera immer wieder in den Luftschutzkeller trieben.107 Das schien ihr jedoch, zumindest ihren Briefen zufolge, weit weniger auszumachen als die Angst um ihren Geliebten, wenn sie länger keine Post von ihm erhielt, wodurch das »grüne Band der Hoffnung […] so schwach« wurde.108 In dieser Situation wechselte sie mitunter vom Brief- zum Tagebuchschreiben, um die Kommunikation fortsetzen zu können109 – während Hans Hatschek umgekehrt mehrfach darüber klagte, dass das schlechte Wetter ihm manchmal die Sicht auf ihr »Sternderl« versperrte. Dessen Bedeutung beschrieb er folgendermaßen: Mein goldiges Herzerl! […] Hast Du schon öfter auf unser Sternderl, an unsren Kinderwagen das hinterste, geschaut? Fast jede Nacht sehe ich ihn jetzt. Kurz nach Mitternacht, wenn ich vorm Bunker im Gras lieg und auf die Entwarnung warte. Wenn Du in der Früh zum Zug gehst, siehst Du ihn da noch? Viele Bussi, so viel wie die Sternderl schick ich Dir wieder und viele liebe Grüße Dein Hansl.110

4.2 Zur Intermedialität des Liebesdialogs Das zuletzt gegebene Beispiel zeigt besonders eindringlich, dass in den hier untersuchten Paarkorrespondenzen eine Bandbreite verschiedener Liebesmarkierungen oder auf die Herstellung von Paarintimität zielender Handlungsformen sichtbar werden kann. Diese sind weitestgehend dem im 20. Jahrhundert gängig gewordenen diskursiven Repertoire zur Re-/Konstruktion romantischer Liebe entnommen; Liebespaare der beiden Weltkriege unterscheiden Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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sich diesbezüglich nicht prinzipiell von jenen in Friedenszeiten. Dementsprechend schöpften auch sie aus der breit diffundierten Kultur des Liebesbriefschreibens,111 was insbesondere, aber keinesfalls nur bei jüngeren, aus (klein-) bürgerlichen Verhältnissen stammenden Paaren der Fall war. Andere wiederum lehnten sich stärker an eine schon vor ihrer Trennung selbst entwickelte Paarsprache an und nutzten als Zeichen der Liebe neben dem Ehering oder geweihten Gegenständen auch Träger, die ihre Bedeutung aus der gemeinsamen Lebensgeschichte vor dem Krieg bezogen. Das diente ebenso dazu, die Trennung zumindest in der Imagination zu überwinden, sich gegenseitig zu behüten, zu schützen, und zwar möglichst kontinuierlich. So entstand im Kontext eines realiter ja immer wieder unterbrochenen, sich ins Monologische kehrenden und die Einhaltung des »epistolarischen Pakts«112 oft verunmöglichenden Liebesdialogs eine mitunter reichhaltige Intermedialität,113 die weit über die Nutzung neuer technischer Kommunikationsmöglichkeiten hinausging. Diese waren zwar beginnend mit dem Ersten Weltkrieg je nach Schichtzugehörigkeit oder militärischem Rang in unterschiedlichem Ausmaß zugänglich geworden, werden aber in Paarkorrespondenzen seltener erwähnt.114 Ganz oben im Ensemble der Strategien zur Herstellung von Zweisamkeit über die kriegsbedingte Trennung hinweg rangierte, oft in Verbindung mit einer Liebeserklärung als »wesentliche Funktion des Liebesbriefs«,115 der Verweis auf ein stetes Aneinander-Denken. Er ist häufig in Worten formuliert, die das Aufeinander-Bezogen-Sein gleichsam ›entzeitlichen‹ sollten und sich beide Kriege hindurch gleichen – wie hier nur zwei Beispiele belegen können: »Ich denke immer an Dich und tue alles Mögliche, um nicht trüb und traurig zu sein.«116 (1918) »Ja, mein Lieb, Du und mein Kind, ihr füllt all mein Denken aus vom Morgen bis zum Abend. Immer nur hab ich Euch im Kopf. Mein Liebstes ich sage Dir, ich bin hier ohne mein Herz, denn es ist bei Dir, in Deiner geliebten Nähe, immer um Dich und unser liebes Kinderl.«117 (1939) Was für eine Funktion solche Beteuerungen haben sollten, brachte der Sanitäter Friedrich Kettler im März 1945, kurz vor dem Abmarsch in seinen letzten Einsatz gegen die sich abzeichnende Niederlage des ›Dritten Reiches‹, seiner Verlobten gegenüber auf den Punkt; er nutzte dafür, neben wenigen Telefonaten, insbesondere die Form des Briefes, um so zu zeigen, »wie das Leben – obwohl Du hunderte von Kilometern von mir entfernt – in Deines hinwächst; wie Du Stunde um Stunde aus meinem Leben erfährst und Deines mit meinen Erfahrungen bereicherst«.118 Auch die Vereinbarung imaginärer Treffen oder des Schreibens zu bestimmten Zeiten war eine gängige Praxis in beiden Kriegen. Im Falle des Ehepaares Ertl firmierte das zum wöchentlichen »Sonntagsbrief«, der  – anders als die sonstige, fast tagtäglich und oft auch in Form von Karten geführte Korrespondenz – länger und inniger ausfallen sollte. Die beiden hatten demnach ihren selbst definierten »epistolarischen Pakt«119 geschlossen und sprachen den »obligatorischen Sonntagsbrief«120 regelmäßig an, nicht zuletzt wenn diesem

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Widrig­keiten entgegenstanden: »Weil heute wieder Sonntag ist und mein letzter Sonntagsbrief Dir scheinbar recht viel Freude gemacht hat, will ich Dir heute wieder einmal ausführlich, und so lieb ich kann schreiben«,121 konnte es daher von seiner Seite lauten, oder: »Im Felde, am 8. Juli 1917. Liebe [Anna] Ich will heute den Sonntagsbrief Dir recht lieb schreiben, doch kommts mir selbst diesmal so schwer vor.«122 Die Angesprochene betonte immer wieder die Bedeutung solcher längeren Schreiben: »Dein lieber Sonntagsbrief macht mir viel Freude.«123 »Mein Lieb. Ich weiß nicht, wie oft ich Deinen so warmen Sonntagsbrief gelesen habe!«124 Manchmal explizit mit solchen Abmachungen verbunden, findet sich in den Quellen zudem eine Traditionslinie des ›Privatbriefes‹, der zufolge im Schreiben der Ersatz für das (Alltags-)Gespräch gesucht wurde.125 Dementsprechend erscheint die Metapher des Miteinander Plauderns in vielen Feldpostbriefen: etwa wenn die Offiziersfrau Lilli Weber 1918 festhält, dass sie – um 4 Uhr früh, während ihr Säugling trinkt  – schreibend »gern mit Dir ein bissi plauschen [möchte]«,126 oder wenn die Dienstmagd Magdalena Zenker eine solche Situation des fiktiven Gesprächs inszeniert: »In Gedanken bin ich immer bei meinen Herzliebsten. Jetzt wo so schöne Mondnacht war bin ich oft draußen gesessen auf einen Klotz, wo mich niemand störte, und hab mir gedacht, was du wohl machen wirst.«127 Auch in den Korrespondenzen aus dem Zweiten Weltkrieg wird ein »Plauschen« oft erwähnt, wie in den Briefen von Josef Wiesauer an sein »Frauli«; das Schreiben setzt er damit in eins: »So plauschen wir wieder ein Stündlein, es ist ja doch die einzige Möglichkeit die uns geblieben ist.«128 In einem anderen Brief beschreibt dieser Soldat sehr offen, dass kriegsbedingte Hindernisse – wie hier im Geschehen »von der anderen Seite von Warschau«129 – das schriftliche »Miteinander Plauschen« auch verunmöglichten. In dieser Extremsituation setzte er auf ein anderes, ihn beruhigendes und damit sein ›Durchhalten‹ nährendes Medium, nämlich einen Talisman,130 den ihm seine Frau mitgegeben hatte und der ihn schützen sollte: […] eine Stunde danach als ich Dir den Brief schrieb ging es schon wieder weg auf Umwegen, Feld- und Waldwegen hintenherum […] in den schon halbgeschlossen[en] Kessel noch hinein und es waren viele lange Stunden wo ich nimmer hoffte noch einmal mit Dir plauschen zu können. Es waren wohl die langsten Wochen dieses Krieges für mich und immer dachte ich an Dich was wird aus Euch. Aber das Schicksal hat es gut gemeint mit uns, wir hatten nur 2 Schwerverwundete und zum Glück auch noch alle die anderen die so vermießt [sic] waren wieder gefunden. Ja und so ging es bald wieder zur Front, dann wieder ein Stück retour und wieder vor […] die Rauchfahnen der Front und oft glaubten wir schon na wenn es jetzt nicht passiert ist, dass sie uns kassieren dann haben wir Glück na und die Schlachtflieger und so alles was halt drum und dran ist im Gefahren [sic]. Ich glaube fest an Deinen Talisman Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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»kehre wieder« steht darauf und [Franzi], na und siehst immer hatte ich das Gefühl wenn es eine besondere schwere Stunde war, ich habe etwas von meinem Frauli am Herzen und es war ein beruhigendes Gefühl.131

Schließlich ist vor dem Hintergrund der gegebenen Beispiele noch hervorzuheben, dass selbstverständlich auch in den hier untersuchten Paarkorrespondenzen mehr oder weniger intensiv verschiedene Kosenamen und das Diminutiv – von Eva Lia Wyss als »eine besondere Form der Zärtlichkeit« in der Sprache der Liebenden bezeichnet132 – eingesetzt wurden. Beides gehört wiederum zu den fixen Bestandteilen eines ›Liebesbriefes‹133 – eben auch im Krieg. Es erscheint in den Quellen variiert oder gleichbleibend eingesetzt, indem – nicht nur als Anrede oder in der Abschiedsformel – allseits gebräuchliche, teilweise umgangssprachlich gefärbte Kosenamen ebenso verwendet werden wie Abkürzungen, Verkindlichungen und Verballhornungen des Eigennamens des oder der Geliebten.134 Daneben finden sich mit steigender Tendenz vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg aber auch Selbstschöpfungen, die in der ›Geschichte‹ eines Paares Bedeutung hatten. Das belegt im Sample am eindringlichsten der Fall des besonders NS-affinen Ehepaares Kretschmar, das ein schier unerschöpfliches Repertoire verschiedener, im Zuge des Briefwechsels offenbar auch neu erfundener Kosenamen einsetzte. Deren Bandbreite beinhaltete  – durchaus ironisch oder sogar sarkastisch gemeint und mitunter von Brief zu Brief geradezu im Stakkato verwendet – auch Namen wie »Kuschelchen«, »mein Kleiner Neapolitaner«, »Drecksackulienchen«, »Schlampamperchen«, »Trottelweib­ chen«, »liebes, süßes, kleines, frischgeputztes Mauseöhrchen!«, »Lieber süßer, kleener Rumtreiber!« und, nachdem sie sich im Herbst 1944 an der Kunstakademie in Wien eingeschrieben hatte: »Liebes kleenes Akademikerchen!«135 All das ging hier, wie wir noch sehen werden, einerseits mit einer sehr weitgehenden Partizipation dieses Paares am ›totalen Krieg‹ einher und deutet andererseits auf jene Tendenz des Nationalsozialismus, die »ideologisch und ›rassisch‹ genehm[e]« Menschen »zu spielerischer, lustvoller Heterosexualität ermunterte«  – wie Dagmar Herzog es in ihrer Pionierstudie zur »Politisierung der Lust« im 20. Jahrhundert formuliert hat.136 Von daher wird verständlicher, dass es im untersuchten Quellensample just das Ehepaar Kretschmar war, welches in Bezug auf Kosenamen große Kreativität entfaltete und auch sonst das »(Über) Liebe Schreiben« intensiv und vielschichtig einsetzte  – was hier nicht mehr genauer belegt werden kann. Das Ergebnis ist dennoch eindeutig: Es hat sich gezeigt, dass in den unter­ suchten Paarkorrespondenzen beider Weltkriege die schriftliche Liebeskommunikation schier unaufhörlich gesucht wurde, um eine Beziehung herzustellen, aufrechtzuerhalten, zu stabilisieren und weiterzuentwickeln oder, mit anderen Worten, an einem ›Paarkosmos‹ zu bauen, der die Kriegssituation und die damit einhergehende Trennung überbrücken und erträglicher gestalten

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sollte; das inkludierte durchaus auch ein »creating fictions of oneself for the other«.137 Die Emotion Liebe erscheint dabei als umso ›reiner‹, der Krieg wirkte noch als Katalysator für ihre auch in Friedenszeiten oft formulierte ­ideelle Überhöhung – was Michael Humburg für die von ihm untersuchte Feldpost von Soldaten des Zweiten Weltkriegs, der er eine »kompensatorische« und »kathartische« Funktion zuschreibt,138 pointiert so formuliert hat: »Die Liebe ist aufgrund der erzwungenen Entfernung den Niederungen des Alltags, ihrer konkreten Stofflichkeit, damit auch ihrer in der Lebensrealität oft kümmerlichen Banalität enthoben. Durch die Trennung unter dem Vorzeichen der Gefahr, einander nicht wiederzusehen, wird die Liebe gleichzeitig entschlackt von den Auseinandersetzungen, die eine tägliche Begegnung zwischen Menschen normalerweise prägen. Die Liebe wird zu einem reinen Ort und damit im Kriegsalltag auch zu einer Quelle von Kraft und zumindest seelischer Erholung.«139

Das scheint für Korrespondenzen des Zweiten Weltkriegs, in dem breiten­ wirksamst auch neue Medien wie insbesondere der Liebesfilm140 und das »Wunschkonzert«141 eine idealisierte (Liebes-)Beziehung zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ inszenierten, noch mehr zu gelten als für solche des Ersten. Aus diesem sind nicht nur weit mehr tendenziell kritische oder defaitistische Briefe vorwiegend von Mannschaftssoldaten und »Jammerbriefe« vieler Frauen überliefert,142 sondern – teilweise mit solchen Tendenzen einhergehend – auch mehr eindringliche Beispiele für via Feldpost ausgetragene Konflikte zwischen Liebespaaren; von der Forschung wurde Letzteres zunächst, wohl zu stark verallgemeinernd, unter dem Topos einer ›Entfremdung‹ zwischen ›Front‹ und ›Heimat‹ gefasst.143 Hingegen hat sich im hier untersuchten Quellenbestand für beide Kriege in einem ersten Analyseschritt gezeigt, dass die durch die Kriegskorrespondenz ermöglichte, bis hin zu Praktiken der ›Verkörperung‹ gehende ›Beziehungsarbeit‹ als sehr starke Dimension zu veranschlagen ist, die auf emotiver Ebene mit Sicherheit Wirkmacht entfaltete – ungeachtet aller möglichen Missverständnisse und Unsicherheiten, Eifersüchteleien und Konflikte, die aufgrund der räumlichen Trennung, der sehr oft thematisierten Probleme mit der Postzustellung und der Kriegssituation generell evoziert wurden.144 Narrative Strategien oder die Rhetorik und Codes des ›Liebesbriefes‹ sowie andere, durchaus auch in Friedenszeiten gängige Formen der Liebesanbahnung oder -erklärung, des Liebesbeweises und der Intimitätskonstruktion spielten dabei – teilweise schichtspezifisch unterschiedlich ausdifferenziert – eine große Rolle, was sich in Extremsituationen wohl noch verdichtete. Man könnte daher – zumindest für die Ebene der Kommunikation und des dieser immer eingeschriebenen Selbstentwurfs  – von einer erhöhten Performativität des »(Über) Liebe Schreibens« beziehungsweise einem intensivierten ›doing love‹ in Zeiten des Krieges sprechen. Ähnlich hat Kate Hunter ihre Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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Untersuchung über die Liebesbriefe eines im Ersten Weltkrieg getrennten australischen Paares resümiert, die in Anlehnung an Liz Stanleys brieftheoretische Erwägungen festhält: »[T]he experiences of war and the likelihood of death provided […] a theatre for the construction and performance of self in which the distances of time, space and the absence of face-to-face contact enables rather than disables communication‹«.145 Diese Situation evozierte sogar bei in der schriftlichen Liebeskommunikation wenig geübten Menschen eine entsprechende Tendenz  – wie im Sample der hier vorgenommen Untersuchung bei Herbert Brenneis: Er hatte im Dezember 1937 noch unumwunden zugegeben, »nicht sehr talentiert« zu sein, »um schmachtende Briefe zu schreiben, denn der was solche Briefe schreibt, der meint es bestimmt nicht wie ich, es ist besser man schreibt kurz und bündig aber ehrlich!«146 Während des Krieges versicherte hingegen auch dieser Soldat seiner nunmehrigen Ehefrau von Brief zu Brief seine immerwährende Liebe und Treue und dass er in Gedanken stets bei ihr sei. Der Ton seiner Schreiben war damit trotz mancher Konflikte aufgrund einer zeitweise schlecht funktionierenden Postzustellung eindeutig zärtlicher geworden, näherte sich dem, was Charlotte Kretschmar schon kurz vor Kriegsausbruch an ihren Ehemann geschrieben hatte: »Schreibste mir noch ein bischen Liebesbrief ? Au ja!«147

5. Materielle Fürsorge – zur Bedeutung der Pakete Trotz ihres kaum zu überschätzenden Stellenwerts für die Durchhaltemoral beider Seiten waren die bislang skizzierten Praktiken der Liebeskommunikation nur eine Dimension der hier untersuchten Korrespondenzen der Jahre 1914/18 und 1939/45. Diese hatten selbstverständlich eine Reihe von anderen, nicht zuletzt auf den Ausnahmezustand Krieg rekurrierende Inhalte und Funktionen, die das engere Genre des ›Liebesbriefes‹ sprengten – wie Paarkorrespondenzen in ihrer Gesamtheit es immer tun.148 Das soll nun, bezogen auf materielle Interessen oder Bedürfnislagen der Liebenden im Krieg, genauer ausgeleuchtet werden. Beim Lesen der hier analysierten Quellen ist das große Ausmaß der gegenseitigen materiellen (Für-)Sorge und Zuwendung deutlich geworden, die durch die Institution der Feldpost  – trotz aller Unzulänglichkeiten der Zustellung und oftmaliger Zerstörungen von Paketpost149 – ermöglicht wurde. Daher überrascht es umso mehr, dass die Forschung diese in ihren subjektiven Implikationen bislang kaum untersucht hat, insbesondere nicht im Zusammenhang mit der Frage nach der kriegsstützenden Funktion solcher Sendungen. Die Bezugnahmen darauf sind in Paarkorrespondenzen vielfach geradezu überbordend, in manchen Fällen sogar ein primäres, von Schreiben zu Schreiben ausgebreitetes Thema. Dabei geht es schier um alles, von Zigaretten und der Tageszeitung, Büchern und Schreibpapier über Unterwäsche, Socken und andere Kleidungs-

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stücke, Seife und Läusemittel, Fett, Wurst oder Speck, Zucker, Obst, Schokolade, Kuchen, Eier, Konserven, Tee und Likör oder Wein und so weiter bis hin zu verschiedensten Luxuswaren und Geldüberweisungen.150 Das mag auch überraschen, zumindest wenn man bedenkt, dass die Ausstattung der Truppen in der primären Verantwortung der Militärs und eine funktionierende Versorgung der ›Heimatfront‹ in jener der dortigen Verwaltungen gelegen wäre. Die Kriegskorrespondenzen geben jedoch einen ganz klaren und eindeutigen Eindruck davon, dass die Re-/Produktion der Soldaten ohne die stete Mithilfe der Angehörigen (und einschlägiger Initiativen an der ›Heimatfront‹) wohl nicht möglich gewesen wäre; und vice versa, dass die ›Ernährerfunktion‹ des eingezogenen männlichen Familienoberhaupts auch in die umgekehrte Richtung wirkmächtig blieb. Ein Aufeinander-Schauen auch in materieller Hinsicht scheint sogar – so ist man angesichts der Quellen verführt zu verallgemeinern – geradezu eine Voraussetzung der Kriegsführung mit Massenheeren gewesen zu sein.151 Dabei reicht das Phänomen, trotz vieler Paketsperren, weit über Anlässe wie Weihnachten oder Ostern, Geburts- und Feiertage hinaus, auch wenn sich der Paketversand zu solchen Stoßzeiten noch massiv steigerte – was mitunter zu rasch verlautbarten Begrenzungen führte. 5.1 Nicht nur von der ›Heimat‹ an die ›Front‹ – 1914/18 Schon im Ersten Weltkrieg herrschte in Bezug auf den Paketversand absolute Hochkonjunktur. Er erfolgte zunächst primär in Richtung ›Front‹, was durch das staatlich wie privat breit organisierte ›Liebesgabenwesen‹ der ersten Kriegshälfte zusätzlich gefördert wurde.152 Schon ab dem 10. August 1914 konnten im damaligen Österreich neben leichteren, portofreien »Warenproben­ paketen« mit alltäglichen Gebrauchsartikeln153 auch größere private Pakete bis zu 5 Kilogramm und 60 Zentimeter Seitenlänge via Feldpost an Angehörige der »Armee im Felde« versandt werden, die mit 60 Heller freizumachen waren. In der Folge änderten sich diese Bestimmungen rasch, etwa um den Versand von Winterbekleidung an die Soldaten zu erleichtern oder kurz vor Weihnachten, und es kam immer wieder zu Sperren des Paketversands; erst ab Januar 1916 wurde er, von örtlichen Einschränkungen abgesehen, im Prinzip ohne Unterbrechung zugelassen. Hingegen blieb diese Form der Feldpost von der ›Front‹ in die ›Heimat‹, nach einem anfänglichen generellen Verbot »aus sanitären Gründen«, noch lange beschränkt, war jedoch ab Oktober 1917 ebenfalls in großem Ausmaß möglich.154 Das deutet auf eine partielle, auch in Zahlen ablesbare Umkehr des Paketversands in jener Zeit infolge der Okkupation Rumäniens, des ›Durchbruchs‹ der k. u. k. Armee nach Oberitalien in der 12. Isonzoschlacht Ende Oktober 1917 und der Einnahme von Gebieten in der Ukraine und auf der Krim durch die Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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Mittelmächte nach dem Friedenvertrag mit Russland ab Februar 1918.155 Diese scheinbaren Erfolge konnten zwar die sich ansonsten bereits abzeichnende Niederlage nicht aufhalten, machten aber die umfassende Inbesitznahme oder Plünderung von Ressourcen der betreffenden Regionen möglich, während vor allem in den Städten und Industrieregionen des so genannten Hinterlandes längst Hunger und Not grassierten. Nicht nur »Sendungen […], die aus den besetzten Gebieten im Osten eine Verbesserung der Lebensmittellage zuhause bringen sollte[n]«,156 wie in der Literatur eingestanden, sondern auch jene aus Norditalien zielten daher darauf, die oft missliche Lage der Angehörigen zu verbessern. Realiter bedeutete dies eine Verquickung solcher Paketsendungen mit kriegerischen Handlungen. Kommen wir jedoch zunächst zur Seite der ›Heimatfront‹: Die Quellen be­ legen, dass es auch in ärmeren oder besitzlosen Verhältnissen selbstverständlich war, sich im Rahmen einer Liebesbeziehung für die Ausstattung der Soldaten mitverantwortlich zu fühlen. So schrieb etwa Magdalena Zenker ihrem Verlobten noch im November 1916, als viele Bedarfsgüter bereits äußerst knapp geworden waren, Folgendes: »Die Pulswärmer kannst Du haben, Du weißt ja doch, daß ich alles recht gern tun möchte; Du brauchst mir nur sagen, denn Du wirst ja wahrscheinlich mehr wärmere Sachen brauchen und weil ich jetzt noch Wolle haben kann, so bitte ich Dich, mir es mitzuteilen.«157 Zudem war es in allen Milieus gang und gäbe, den Soldaten Zigaretten zu schicken, woraus sich im Falle von Anna Mitterhofer und Franz Kundera alsbald mehr als Freundschaft entwickelte: »Liebes Annerl es freut mich auch sehr daß Du an die Zigaretten so denkst den hier bekommt man sehr wenig zu rauchen«,158 hielt er schon in einem seiner ersten Briefe fest, und einige Monate später: »Noch einmal besten dank für die lieben Zigaretten welche sehr gut sind und mir noch besser schmecken weil sie von Dir sind.«159 Kurz darauf steigerte sich das folgendermaßen: »Hat mich sehr gefreut daß Du mir gleich geschrieben hast […]. Den Du weißt garnicht mein liebstes Annerl wie ich Dich liebe. Wie werde ich Dir nur einmal danken können für die lieben Briefe und für die große Mühe die Du Dir mit die Zigaretten gibst und alles nur für mich.«160 Materielle Zuwendungen wurden also als Zeichen der Liebe wahrgenommen, sie hatten – neben ihrer oft unabdingbaren Notwendigkeit – einen hohen emotiven Wert. Das zeigt auch ein Beispiel aus der Kriegsgefangenschaft, in der Pakete aus der Heimat mitunter das schiere Verhungern verhindern konnten.161 Gustav Malik hatte im russischen Astrachan immerhin die Möglichkeit, sich manches zu kaufen, wofür er seine Verlobte wiederholt um Geldsendungen bat. So er das, wie meist der Fall, auf knapp bemessenen Postkarten tun musste, waren diese von solchen Bitten mehr oder weniger ausgefüllt. »Sei so gut und sende mir eine Winter-Unterhose, ein Unterhemd und Fusslappen. Auf der karte vom 4. d. ersuchte ich um etwas Geld […]«,162 konnte es dann etwa heißen. Und auf den langersehnten Erhalt eines Paketes, das er »hocherfreut und

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dankend in Empfang« genommen hatte, nachdem ein erstes, früheres »Kistel« seines »[Fini]-Madl« nur mehr »halbleer« angekommen war, reagierte Malik, indem er genau beschrieb, wie er einen Großteil des Honigs aus einem zerbrochenen Glas retten konnte. Anschließend gab er ihr zwar, »nur nebenbei bemerkt«, einen Ratschlag, wie diese Sendung korrekt zu verpacken gewesen wäre, hob dann aber vor allem seine Freude hervor und imaginierte ein Zusammensein mit seiner Verlobten: Ach, das war ein Genuss, [Fini]! Der gute weisse Kaffe, die ausgezeichneten Keks, noch dazu 2 Stücke Zucker, sage zwei Stücke Zucker im Kaffe, [Fini], Du musst wissen, was das heisst, denn wir fassen für drei tage viereinhalb Würfel, dazu rauchte ich eine österr. Zigarette, oje oje, [Fini], beinahe dünkte es mir, als sei es ein Sonntag nachm. im Apartement Fehlingerg[asse]. Aber schliesslich fehlte dazu doch noch manches.  –  – Was den Tabak anbelangt, bekommen wir ja hier auch welchen zu kaufen, aber einen Vergleich hält er ja lange nicht aus.163

Noch weit deutlicher wird die bisher skizzierte Bedeutung von Paketpost schon für den Ersten Weltkrieg in Paarkorrespondenzen aus (gut-)bürgerlichen Verhältnissen. Hier erscheint das Thema durchgehend abgehandelt und immer wieder mit vielen direkten Anweisungen verbunden. So forderte beispielsweise Albert Maier seine Frau auf, ihm »wöchentlich 2-mal eine Zeitung mit je 3 Knorr Würfeln« zu schicken, damit sein »kräftiges Nachtmahl« gesichert sei,164 oder er verlangte von ihr, geradezu befehlsmäßig, »in Zeitungen eingefaltet & verbunden Kleinigkeiten [zu] senden wie es sämtliche Kameraden erhalten. Es kämen da in erster Linie in Betracht: Socken, Pulswärmer, Wollhandschuhe & ähnliche wenig Raum einnehmende Gegenstände.«165 Außerdem finden sich bei Maier wiederkehrend finanzielle Belange formuliert,166 ebenso wie von ihm vorgegebene Neuregelungen der gegenseitigen Versorgungsstrategie. Dabei dürfte der Schreiber insgesamt  – die scharfen Klassen- oder Standesgegensätze in der k. u. k. Armee widerspiegelnd – in einer privilegierten Versorgungslage gewesen sein, da er noch im Januar 1917 festhielt, dass sich aufgrund verschiedener Paketsendungen »der Tisch biegt!«167 Mitunter kritisierte er auch unumwunden den Nutzen erhaltener Dinge: »Die Kerzen, die du geschickt hast, kann man vielleicht als Nachtlicht verwenden, zum Schreiben ist das Licht, das sie spenden, zu gering!«168 Auch in der Korrespondenz zwischen Christl Lang und dem Festungsartilleristen Leopold Wolf zeigt sich der Spielraum, den Offiziere der k. u. k. Armee bei der Beschaffung von Lebensmitteln und Bedarfsgütern vielfach hatten. Nicht zuletzt die Feldpost ermöglichte ihnen einen gewissen Luxus im Kriegseinsatz, den sie innerhalb ihres Standes mitunter auch zu teilen schienen.169 So schrieb Leopold Wolf im März 1915, dass es, »wenn ein Brief, eine Karte oder gar manchmal ein Paket kommt«, mit seinen Kriegskameraden Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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»immer eine Konversation über die Christl« gebe, wodurch sich »ein jeder eine fixe Vorstellung machen [kann] von Dir«.170 Ihre Pakete dienten somit auch einem Sich-Einschreiben in die ›Frontgemeinschaft‹ der Offiziere, die – wie Soldaten generell  – Neuigkeiten von daheim beziehungsweise erhaltene ­(Liebes-)Briefe und Pakete oft untereinander kommunizierten. Letztere teilten sie manchmal auch, wie ein Schreiben von Leopold vom April 1915 belegt, in dem er seiner »Liebste[n] Christl« gleich für mehrere Paketsendungen dankte, die er – ganz dem propagandistischen Geschlechterdiskurs der Zeit entsprechend  – auch als »Liebesgaben« bezeichnete: »Vor allem dank ich Dir recht herzlich für Deine Briefe und Deine beiden Osterpakerln, die mir die größte Freude gemacht haben. Wir von der Burg haben die beiden ›Liebesgaben‹ natürlich gleich untersucht und nach Gebühr gelobt.«171 Solche Sendungen von daheim wurden jedoch im weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs seltener, ja schier unmöglich. Dass Leopold Wolf zu Weih­ nachten 1917 seiner nunmehrigen Ehefrau von zwei gerade abgehenden »Urlauber[n]« schrieb, die für sie »2 Pakete mitbringen« würden,172 verweist auf die vorne schon angesprochene partielle Umkehr der Fürsorge und Versorgung im Kontext einer Liebesbeziehung, die in allen drei hier analysierten Briefserien aus gutbürgerlichen Verhältnissen sichtbar wird, und die sich neben der Feldpost auch anderer Wege bediente. Das Phänomen eines stark zunehmenden Paketversands von der »Armee im Felde« an die Angehörigen zu Hause muss daher insgesamt – das sei hier betont – de facto weit umfassender gewesen als verfügbare Statistiken ermessen lassen.173 Es basierte nicht zuletzt auf der wachsenden Einsicht vieler Soldaten, dass die Versorgung ihrer Frauen und Familien vielfach äußerst prekär geworden war. Davon schrieb auch Albert Maier, der von seinem Einsatzort beim Bataillonsstab im ukrainischen Podkamien/ Pidkamin aus rege Paketlieferungen an seine Frau organisierte: »Aus der Zeitung ersehe ich nur, daß ihr heuer im Winter in Wien verhungern & frieren werdet.«174 »Ja, wovon lebt ihr denn dann eigentlich?«175 Und auch er sandte durch ›Boten‹ Lebensmittel nach Hause: »Gestern sind […] Rgl. [Burda] & Inf [Briler] aus Wien gekommen, der letztere, dem ich in einem Sacke Mehl & Bohnen mitgegeben habe, sagt, dass er sie bei Frau [Schorner] abgegeben hat. Hast du sie schon bekommen? Wie ist das Mehl?«176 Im Falle des Ehepaares Ertl zeigt sich diese Entwicklung besonders deutlich. Nicht nur sie sandte oder übermittelte ihm viele Pakete an seine wechselnden Einsatzorte, sondern auch er tat alles ihm Mögliche, um die materielle Situation seiner Familie zu verbessern. Dabei nahm er ebenfalls mehrfach auf Heimaturlaub abgehende Bekannte oder einen Offiziersdiener in Anspruch, denen er sogar gefüllte Koffer mitgab. Alfred Ertl sandte heim, was immer er sich in der offenbar üppig ausgestatteten Offizierskantine vom Mund absparte oder was er aus den ärarischen Zuteilungen – etwa an Tabak – nicht benötigte. Die Hinweise darauf sind in dieser Korrespondenz so häufig, dass sie hier

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nicht annähernd dargelegt werden können.177 Sie reichen von diesbezüglichen Wünschen und umfassenden Auflistungen der abgegangenen Paket- oder Kofferinhalte (etwa auch mit Obst und Gemüse, Süßigkeiten für die Kinder, zu waschender oder zu flickender Wäsche) über die Weitergabe von Informationen zu Gewichtsbegrenzungen und Feldpostpaketsperren bis hin zur Organisation eines regen Tauschgeschäftes, das es Anna Ertl ermöglichen sollte, die Versorgungsengpässe der Familie zu umgehen und sich gut ernähren zu können. Stellvertretend für alle diese Briefpassagen sei hier ein Ausschnitt vom 6. November 1917 zitiert, gefolgt von einem zweiten vom 16. März 1918 – das heißt aus der Zeit, als der k. u. k. Armee bereits die Lager und Güter des zurückgedrängten italienischen ›Feindes‹ in Oberitalien zur Verfügung standen: Heute habe ich wieder 1 Doppler gekauft u. Seife, leider keine Waschseife mehr; sobald ich am 21/8 Zigaretten gefaßt habe, werde ich Dir ein Pakett senden: Mehl ungefähr 1–1 1 ⁄2 kg, 1 Kaffeekonserve, 2 Doppler, Seife: 2 Stück Toilette u 1 Rasierseife, – letzteres holt sich vielleicht [Anrather], ich habe noch 1 Stück daheim, das kannst Du ihm für 50 h geben. Wenn Du das Leder, es sind dann zusammen 3 Doppler, nicht selbst für Dich, Mama oder die Kinder brauchst, glaube ich, dass Leder doch ein gutes Tauschmittel für Milch für Dich wäre, wenn Du einem Bauer das Leder zeigst, wird er Dir doch regelmäßig Milch liefern.178 Heute habe ich wieder ein Paket hergerichtet, hoffentlich kann ich es morgen zur Post aufgeben, darin befindet sich noch nicht die Hälfte dessen, was ich gekauft habe, die Menge kann ich nicht angeben, was alles im Paket ist, nur die Species: Wolle, Bandeln, Seidenzwirn, 3 Spulen Spagat u. Spitzen. […] Wenn ich Zeit finde, schicke ich morgen ein 2. Paket und werde wieder angeben, was darinnen ist. Heute haben wir eine weitere sehr angenehme Überraschung erlebt, die Offiziere des Kds bekamen geschenkt: 1 Italienische Winterblouse, 1 Sommerbluse, 1 Sommerhose, 1 (allerdings sehr kurze u. schlechte) Pelerine, 1 Decke, 3 sehr feine Woll-Winterhemden, 1 Winter-, 2 Sommerunterhosen, 2 Leintücher, 1 Kopfpolster u. 15 Sandsäcke. Vom Sandsacke lege ich Dir auch ein Muster bei, daraus kannst Du ersehen, dass man daraus wird mancherlei machen können, wenn nicht Damenkleider, so doch Kleider u. Anzüge für die Buben, mindestens Hemden. […] Alles ist von italienischer Beute.179

5.2 Teilhabe an der Okkupation Europas – 1939/45 Das Stichwort »Beute« soll hier direkt in den Zweiten Weltkrieg führen, in dem damit verbundene Praktiken der Deutschen Wehrmacht oder anderer militärischen Verbände sich häuften und radikalisierten. Es ist daher wenig überraschend, dass sich in der Mehrzahl der analysierten Kriegskorrespondenzen jener Jahre Spuren davon finden und dass nun auch Mannschaftssoldaten verGewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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schiedener Ränge ihren Angehörigen Pakete verschiedensten Inhalts zukommen ließen. Dass es sich dabei vielfach um aufgrund der Kriegslage günstig erworbene »Beutewaren«, im Zuge der Politik der »verbrannten Erde« geplünderte Gegenstände oder das Eigentum vertriebener und ermordeter Juden handelte, wird jedoch nicht explizit angesprochen. Dennoch deuten die Quellen darauf hin, dass manche Versuche der Wehrmachtsführung, durch Zollkontrollen oder andere Maßnahmen den Ausverkauf von Versorgungs- und Luxusgütern in den besetzten Gebieten zu verhindern,180 eher Lippenbekenntnisse waren und entweder kaum umgesetzt oder aber – wie von Nicholas ­Stargardt dargelegt – bald wieder aufgehoben wurden.181 Im Verein mit Maßnahmen wie der Aufwertung der Deutschen Reichsmark im Jahr 1940 wirkte das wohl insbesondere dort, wo Versorgungsdenken der Soldaten in Bezug auf die eigene Familie, auf Frau und Kinder waltete. Sie durften im Zweiten Weltkrieg von Anfang an Pakete in die ›Heimat‹ senden,182 nicht zuletzt, um wiederum die Fortführung der ›weiblichen‹ Reproduktionsarbeit, das heißt »Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit« zu gewährleisten.183 Zunächst daher kurz zum ›privaten‹ Paketversand an die Soldaten, der in vielerlei Hinsicht ähnliche Funktionen erfüllte wie schon im Ersten Weltkrieg. Unterbrochen durch periodische Sperren, erfolgte er ab dem September 1939 millionenfach184 und konnte ebenfalls von der Ausbeutung der okkupierten Länder profitieren, da diese die im Laufe des Krieges schwieriger werdende Versorgungssituation im Deutschen Reich erheblich ›abgefedert‹ hat. Dort aufgegebene Päckchen an Soldaten mit einem Gewicht bis 250 Gramm waren gebührenfrei, jene bis zu einem Kilo mit 20 Reichspfennig zu frankieren. Dabei änderten sich diese Vorgaben auch und es war nur eine begrenzte Anzahl solcher Sendungen erlaubt, für die »Feldpostpäckchen-Zulassungsscheine« ausgegeben wurden; ansonsten fielen die Gebühren des öffentlichen Post­dienstes an.185 All das fand seinen Niederschlag in den Paarkorrespondenzen der Zeit, die auch in Bezug auf das Thema Paketpost – und das ist in unserem Zusammenhang wichtiger als das Dickicht wechselnder normativer Bestimmungen – wie schon im Ersten Weltkrieg eng mit der hegemonialen Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern verknüpft waren. Sie belegen erneut, dass (Ehe-) Frauen die via Feldpost ermöglichte Fürsorge und Übernahme reproduktiver Arbeiten im Kontext einer Liebesbeziehung auch in den Jahren 1939/45 als selbstverständlich erachteten. In diesem Sinne schickte beispielsweise Klara Brenneis ihrem Mann bereitwillig nicht nur zahlreiche Lebensmittelpakete, die unter anderem Selbstgebackenes enthielten, sondern sie bemühte sich auch, die in seinen Briefen immer wieder deponierten Wünsche nach Übermittlung verschiedenster Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände wie Bürsten und Hausschuhe umgehend zu erfüllen. Außerdem blieb sie selbst im Krieg, soweit wie möglich, für das Reinigen und Flicken seiner Wäsche zuständig, was sie einmal so begründete: »[Herberti] hast recht wenn Du mir die Wäsche schickst

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zum Waschen den Du wirst Dich doch nicht herstellen und waschen, wozu hast Du den eine Frau das ich wenigstens etwas für Dich tun kann wenn schon sonst nichts.«186 Umgekehrt hielt Josef Wiesauer in Form einer an sein »Frauli« gerichteten Notiz in einem Paket einmal kurz und bündig fest: »Anbei 3 Stück Seife und ich bitte Dich das beigelegte Wams zu stopfen und wieder anständig herzurichten für den kommenden Winter.«187 Hier soll jedoch vor allem noch die umgekehrte Richtung interessieren, wie sie im Verweis auf »3 Stück Seife« schon anklingt. Es ist ein Beispiel von vielen anderen in den Quellen – wobei die Art und Weise, wie konkretere Informationen zu den an (Ehe-)Frauen versandten Paketen formuliert sind, kaum Aussagen über die genaue Provenienz des Inhalts zulässt. Diese war, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitteilenswert; dem Tenor der Briefe zufolge nahm oder kaufte man sich im ›Feindesland‹ einfach, was auch immer für die Lieben daheim zu bekommen war. Daher konnte es zum Beispiel heißen wie wiederum bei Josef Wiesauer, der Mitte 1944 in und um Warschau eingesetzt war, welches nach dem niedergeschlagenen Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die deutsche Besatzung fast vollständig zerstört wurde. Thematisiert werden in diesem Brief jedoch nicht etwa die damit verbundenen massenhaften Ermordungen und Deportationen der (zum Teil  noch jüdischen) Zivilbevölkerung, sondern es dominieren, neben Feindbildern, die Fürsorge und das Versorgungsdenken des Ehemannes, der sich auch fragt, ob seine Frau wieder schwanger sei: Ich habe vorgestern, gestern und heute je ein Päckchen mit ungefähr einem Kilo mit Inhalt gute schöne Seife weggeschickt, 3 Päckchen mit nämlichem Inhalt folgen noch. Gelt das ist fein den 5 kg Seife ist bei der heutigen Zeit kein Pappenstiel. So kann ich nun doch Deinen Wunsch nach Seife erfüllen, na damit kommst schon wieder eine Zeit aus. Dann habe ich noch in einem Geschäft 6 Stück Strampelhöschen für ganz kleine Kinder gefunden, die habe ich natürlich mitgenommen, wenn Du sie nicht brauchst? ich weiß ja eigentlich nicht wie die Lage jetzt ist weil ich schon solange keine Post bekam, so kannst Du eventuell etwas eintauschen. Sie sind weiß und so schön weich, wirklich sauber […]. Ich hätte ja so gerne Wäsche für Dich gehabt und Strümpfe aber leider leider, war schon alles weg, na die Polen haben soviel solches Zeug weggeholt, es wurde ohne Punkte verkauft, und als wir in diese Stadt kamen war es schon aus. Auch Landser die so dortlagen haben eine Menge Zeug, Stoffe und Wäsche davongetragen. Wenn wir wenigstens den Tag vorher noch gekommen wären, hätte es noch geklappt. Aber so kann man nichts mehr machen, vorbei ist vorbei. Die Polen sind sehr falsch überall […].188

Noch deutlicher zeigt sich ein solches auf die materielle Sorge um die Lieben daheim gerichtetes Denken und Handeln im hier untersuchten Sample bei Rudolf und Charlotte Kretschmar. Sie sandten einander besonders viele Pakete, wobei in der Korrespondenz vor allem jene von ihm Erwähnung finden. Dabei Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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konnte es sogar vorkommen, dass seine völlig teilnahmslose Thematisierung der Judendeportationen aus den okkupierten Gebieten der Sowjetunion Hand in Hand ging mit dem Thema des gegenseitigen Paketversands, wie in einem Brief vom 7.  Juni 1942, als er sich in Stalino/Donezk aufhielt. Darin schrieb Kretschmar zunächst, dass sie für ihre dortige Unterkunft »Möbel bekommen […] aus den ehemaligen Judenwohnungen«, weil »[d]ie Juden alle evakuiert sind«. Das begründete er relativ ausführlich mit deren angeblichen »großen Vorrechte[n] in der Union«, die »ihnen zum Verhängnis geworden [sind]« und auch die lokale Bevölkerung aufgebracht hätten, sodass diese nun mit der SS und dem S. D. kooperiere. Die Verantwortung für ihre nunmehrige Deportation lag in seiner Darstellung somit bei der jüdischen Bevölkerung selbst. Anschließend an diese Passage folgt eine Beschreibung des Überflusses, der ihm und seiner Einheit vor Ort zur Verfügung stand, was auch die Adressatin seines Briefes berücksichtigen sollte: »Ich werde Dir 2 kleine Päckchen mit Schokolade schicken, welche ich empfangen habe. Das Essen ist so reichlich, daß ich sie überhaupt nicht entbehre. Schicke mir auf keinen Fall Lebensmittel in Päckchen, denn ich kann sie doch kaum essen.«189 Charlotte Kretschmars Briefe machen deutlich, dass die Pakete ihres Ehemannes eine sehr große Bandbreite an Geschenken für sie enthielten. Sie verknüpfte das explizit mit Liebe, etwa folgendermaßen: »Ich danke Dir nun herzlichst für das mit Liebe gepackte Paket, es ist Dank der guten Verpackung unversehrt angekommen, und ich kann alles gut gebrauchen.«190 Und 1944, als das gemeinsame ›Nest‹ des Paares in Berlin ausgebombt worden war und sie an verschiedenen Orten wohnte, verwendete Charlotte für seine Pakete explizit die Bezeichnung »Liebesgaben« – wodurch ihr Selbstverständnis in Bezug auf die hier dargelegte, maßgeblich durch die deutsche Kriegsführung und -gewalt in den besetzten Ländern ermöglichte Umkehr des Paketversands auch begrifflich auf den Punkt gebracht ist: »Wann ich wieder in Wien bin, kann ich ja nun noch nicht sagen, vielleicht schickst Du Deine Liebesgaben doch lieber hier nach Sch. […].«191 Dieses Paket dürfte Charlotte kurz darauf erhalten haben, und zwar an jenem Tag, an dem die Alliierten in der Normandie landen konnten – worauf sie antwortete: Mein liebster Schnuck! Heute kam ein großes, süßes Paket von Dir. Du bist zum Fressen nett. Ich danke Dir. Schuhe passen wundervoll, Kekse knorke, Hüfthalter noch nicht probiert, ist bestimmt gut. Fotozubehör auch eingetroffen. Wie mag es Dir sonst gehen. Heute ist ein schicksalschwerer Tag, was mag mit uns werden! Wir müssen hoffen. Hoffentlich passiert Dir nichts, vom Schnaps habe ich leider schon ein Viertel intus, Du wirst es bald merken, ist aber heute die willkommene Gelegenheit, mich trotz der Abendstunde noch in Stimmung zu einem Brief zu bringen […] Der Schnaps ist prima, kannst mehr von schicken. Wo hast Du bloß die prima Schuhe her. Ich bin ganz weg, Schnuckchen. Immer denkst Du an mich.192

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6. Geschlechterkonzepte und Gewaltakzeptanz Aus den bisherigen Beispielen dürfte deutlich geworden sein, wie sehr auch Liebesbeziehungen mit der mörderischen Kriegsführung und Besatzungspolitik des NS-Regimes verschränkt waren. Die Wehrmachtssoldaten wie auch die Frauen an der ›Heimatfront‹ litten einerseits unter den mit der Kriegssituation einhergehenden Belastungen, der Trennung und den akuten Bedrohungen für ihr Leben, und formulierten andererseits ihre gegenseitige Liebe als Voraussetzung für das ›Durchhalten‹ in all dem. Zudem profitierten Liebespaare der ›deutschen‹ Bevölkerung davon, dass sie ihr Handeln und Fühlen in Ideologeme des Regimes und die gegebenen Umstände ›einschrieben‹, diese nicht nur stützten, sondern auch aktiv mitgestalteten  – nicht zuletzt in ihrer Korrespondenz. Wie schon gezeigt, wurde darin der (Vernichtungs-)Krieg und mit ihm verbundenes Gewalthandeln oder -erleiden nicht völlig ausgeblendet, auch wenn die postalische Kommunikation nicht die primäre Funktion hatte, solche Erfahrungen zu verschriftlichen und zu deuten. Dennoch erscheint das so wichtige »(Über) Liebe Schreiben« sehr oft in Bezug zu verschiedenen Formen von Gewalt gesetzt beziehungsweise in den Kontext des Krieges eingepasst, und zwar auf unterschiedliche Art und Weise. Anders ausgerichtet und an zeitgenössischen Vorgaben sowie am »Gefühlsregime«193 einer militarisierten Gesellschaft orientiert, war das auch im Ersten Weltkrieg der Fall; hierfür wurden vorne bereits ebenfalls einige Briefpassagen zitiert. Im Folgenden geht es darum, solche Dimensionen zu bündeln und vor dem Hintergrund jener hegemonialen Geschlechtermodelle zu beleuchten, die durch die Formulierung kriegsbezogener Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte Männern und Frauen unterschiedliche Aufgaben zuwiesen. Zudem soll dargelegt werden, wie in den Korrespondenzen auch das die zivile Bevölkerung treffende Kampfgeschehen thematisiert wurde – was aufgrund der spezifischen Quellenlage weit mehr für den Zweiten Weltkrieg gezeigt werden kann als für die Jahre 1914/18. 6.1 Militarisierung und Geschlecht Es gibt im untersuchten Sample zwar durchaus Belege dafür, dass den Anforderungen, die in der Kriegssituation an beide Geschlechter gestellt wurden, keinesfalls durchgehend entsprochen werden konnte und dass auch Defaitismus, Angst oder Verzweiflung und vor allem das Hoffen auf Frieden formuliert wurden. Dies geschah seitens der Soldaten insbesondere im Kontext einer Bedrohungslage beziehungsweise vor einem Kampfeinsatz, vermehrt gegen das Kriegsende hin. Es erscheint aber, wenn überhaupt, nur punktuell, kurz Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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und formelhaft, als bloße Andeutung geäußert – gleichsam wie ein Splitter in einer ansonsten konziseren Narration: »Aber nur aus sollte er schon sein der – Krieg.«194 (1918) »Armes Großdeutschland.«195 (1943) Oder von einer Frau, in dieser Art einmalig in ihren Briefen und schon 1915 geschrieben: »Mein Gemüt ist doch etwas angegriffen, so daß es nie von blutigen Schlachtfeldern, hungernden Menschen und unsagbarem Elend loskommt! Ich wehre ja jedem Gedanken!«196 Noch im Zweiten Weltkrieg konnte dabei auch Gott angerufen werden, wie von Friedrich Kettler im Februar 1945, kurz bevor er noch einmal »gegen die Russen eingesetzt« wurde: »Gäbe doch Gott auch den Völkern, die im Dunkel sich bekriegen, endlich wieder Licht und Friede.«197 Und Josef Wiesauer, ihm selbst zufolge Mitglied der SA und im Sommer 1944 weiterhin auf Hitler vertrauend, schrieb im Anschluss an die Erwähnung des Attentats »auf unseren Führer«, das er als Ausdruck schwindenden Rückhalts deutete, kurz nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte aus der Sowjetunion: »[…] jetzt wird die Sache wirklich schon sehr brenzlich […]. Wenn blos dieser Gottverdammte Krieg einmal aus würde.«198 Viel häufiger finden sich in den Quellen aber Appelle wie jener, den Wiesauer im selben Brief, direkt nach dem eben zitierten Satz, an sich selbst wie an seine Frau, das heißt an beide Geschlechter gerichtet hat: »Sollte die Post weiterhin so schlecht gehen, so liegt es am Mangel der Beförderung, es geht halt leider nicht anders, wir müssen die Zähne noch fester zusammenbeißen. Gelt mein so liebes, tapferes, kleines Frauelein.«199 Das ist ein Beispiel dafür, wie in Paarkorrespondenzen jener Zeit selbst noch aus dem gerade erst unversehrt überstandenen Kampfgeschehen heraus Bestärkung und Stützung formuliert werden konnte – ob aus Rücksicht auf die Zensur oder nicht, scheint einerlei, da das Verschriftlichen, die Mitteilung solcher Aussagen ja jedenfalls Wirkmacht entfaltete. Die gesellschaftlichen Rollenerwartungen und eine dichotome Geschlechterordnung, die ›dem Mann‹ vorrangig den Status als Soldat und ›der Frau‹ die dessen Kampfeinsatz stützende ›Heimat(front)‹ zuordneten, wurden demnach akzeptiert. Das ist aus umfangreicheren Briefbeständen eindeutig ablesbar, wobei es eine klare Tendenz der Zuspitzung im Zweiten Weltkrieg gibt. In ihnen erscheint das rassistisch ausbuchstabierte Konzept der ›Kampf-‹ und ›Volksgemeinschaft‹, dem auch eine entsprechende ›Geschlechtergemeinschaft‹ und damit die Mitwirkung von ›Mann‹ und ›Frau‹ gemäß ihren angeblich »›arteigenen‹ Aufgaben«200 unterlegt war, bis hinein in den Emotionsausdruck präsent; nicht von ungefähr hat Andrew Stuart Bergerson daher von der ›Volksgemeinschaft‹ »als Erfahrung« gesprochen.201

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6.1.1 Soldatische Männlichkeit im Ersten Weltkrieg Im Ersten Weltkrieg war ein soldatisches Männlichkeitsideal, aufbauend auf eine seit Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1868 zunehmend durchgesetzte soziale Militarisierung, auch im damaligen Österreich hegemonial geworden – was freilich nicht heißt, dass das Konzept für alle Soldaten gleichermaßen attraktiv war oder durchgehend identitätsstiftend wirkte.202 Im Quellensample bestätigt sich für diese Jahre insgesamt eher eine von der Forschung schon mehrfach konstatierte ›Unsichtbarkeit‹ von Männlichkeit,203 die Frank Werner demnach zu Recht als »Kategorie des Selbstverständlichen«204 definiert hat. Entsprechend finden sich konkrete soldatische Männlichkeitsattribute in den Korrespondenzbeständen des Ersten Weltkriegs selten explizit formuliert, wobei jedoch in jenen Briefserien, die beide Seiten beinhalten und in bürgerlichen Verhältnissen situiert sind, ganz klar wird, dass der Kriegseinsatz des Mannes mit Patriotismus oder Kaiserstreue, seiner männlichen Ehre205 und seinem männlichen Habitus (ausgedrückt nicht zuletzt in der Uniform und militärischen Beförderungen) korreliert. Die Frauen versuchten im Gegenzug – nicht zuletzt aus Sorge – mit ihren eingezogenen Männern ein Wissen um konkrete Kampfhandlungen zu teilen, wobei sie sich oft auf die offiziellen, siegesgewiss bleibenden oder zumindest beschönigenden Heeresberichte in den Zeitungen stützten mussten, wie zum Beispiel Christl Lang: »Lieber Olly Du verweist mich auf die Zeitung da steht aber nicht viel drinnen. Solange die Offensive war konnte man öfters von dem Südflügel am Karstplateau lesen. […] Ich glaube aber Ihr seid seit dem ihr unten seid, ein ziemliches Stück vorgegangen, stimmt das?«206 Im Falle von Lilli Weber, die schon im Dezember 1915 in der Hoffnung, ihr Mann würde nun bald zurückkehren, davon schrieb, dass »[w]ir […] in Serbien so gut [stehen]«,207 hieß es diesbezüglich noch im März 1918: »Du, die deutschen Siege im Westen sind fein!«208 Anna Ertl schrieb hingegen im Spätherbst 1917, kurz nach dem ›Pyrrhussieg‹ der k. u. k. Armee bei Kobarid: »Was meinst Du, [Alfred], ob uns die kolossalen Erfolge im Süden, dem Frieden näher bringen?«209 Die ›Arbeitsteilung‹ der Geschlechter in einer Gesellschaft im Kriegszustand wurde letztlich auch von diesem Paar mitgetragen. Dementsprechend war Anna Ertl trotz schwerer Krankheit, einer kräfteraubenden Geburt und anderer Belastungen in Übereinstimmung mit den vielen kriegspropagandistischen Appellen an Soldatenfrauen210 in einem steten Prozess des schriftlichen »Self Governing«211 darum bemüht, eine »frohe, zuversichtliche Stimmung«212 zu bewahren. Gleichzeitig hat sie die ›soldatische Seite‹ des eingezogenen Ehemannes und Vaters ihrer Kinder nicht nur in der Korrespondenz, sondern auch in den von ihr parallel verfassten »Muttertagebüchern«213 fixiert. In diesen hielt sie neben eingeklebten Postkarten mit patriotischen Motiven viele Erzählungen von ihren kleinen Buben fest, was eindeutig mit Stolz – geteilt wohl auch zwischen Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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den Ehepartnern  – verbunden war: »4. Februar […] Übrigens liebt er [der damals zweieinhalbjährige Sohn H. alias »Nusserl«, C. H.] alle Soldaten und ist ganz glücklich über [Alfreds] Beförderung zum Feldwebel. Immer wieder fragt er: ›Papa hast du noch den Stern? – Ich habe meinen noch!‹ [H.] steckt sich nämlich alle alten Sterne auf sein Röckl und zeigt sie jedem in Stolz und Freude.«214 Bei Albert Maier und Leopold Wolf finden sich Verweise auf ihre solda­ tische Männlichkeit beziehungsweise eine von ihnen akzeptierte, aus der bürgerlichen Geschlechterdichotomie abgeleitete männliche Rolle und Aufgabe im Krieg interessanterweise just dann klar formuliert, wenn es einen Konflikt mit ihrer Briefpartnerin gab oder sie deren Unverständnis anprangerten. Dabei wiesen sie Vorwürfe oder Maßregelungen, welcher Art auch immer, in die Schranken und machten unmissverständlich deutlich, wo sie sich aufhielten: nämlich im Krieg – der von Frauen und Männern eben Verschiedenes verlange. Albert Maier kritisierte im kurzen Text einer Korrespondenzkarte vom 29.  August 1917 nicht nur seine Mutter, die von ihm gefordert hatte, ihr im Falle eines Urlaubs seine Ankunft »wenigstens 5 Tage vorher (!!) mitzuteilen«, sondern im selben Atemzug auch seine Frau. Diese hatte ihm zuvor offenbar von »Explosionen« geschrieben; vermutlich bezog sie sich dabei auf ein dramatisches Ereignis in der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1917, als auf dem Steinfeld bei Wiener Neustadt Munitionsdepots explodierten. Es gab laut amtlicher Bestätigung zwanzig tote Soldaten sowie zwei tote Zivilisten und 360 Verwundete, die – unter großem öffentlichen Aufsehen – mit dem Zug an den Wiener Ostbahnhof gebracht wurden.215 Albert Maiers schriftliche Reaktion beharrte unmissverständlich auf der Hierarchie zwischen ›Front‹ und ›Heimatfront‹ beziehungsweise zwischen kombattanten und nicht-kombattanten Männern,216 aus der er – ironisierend – auch den Status ›der Frau‹ ableitete: »[…] denn es vergeht bei uns ja doch kein Tag, wo nicht die feindliche Artillerie mindestens ½ Stunde herüber trommelt. Und das hört sich anders an, als die Explosionen in W., die dich ›Heldenmutter‹ so ›aus dem Häusel‹ brachten.«217 Leopold Wolf wiederum, dessen bis zum Kriegsende aufrecht gehaltene Offiziersehre und soldatische Männlichkeit ich an anderer Stelle bereits genauer analysiert habe,218 ließ Vorwürfe seiner Eltern und seiner Verlobten, dass er nicht oft genug beziehungsweise nicht vor allem ihr schreibe, kaum zu. In einem Brief vom 21.  März 1915, als er in der Festung Krakau stationiert war, rechnete er damit ab, indem er sie, ganz im Frontjargon, als »Nesthocker« bezeichnete, die aufgrund ihrer »nebelhafte[n] Vorstellung vom Krieg« keine Ahnung hätten, »daß wir auch sonst noch was zu tun haben, wenn auch grad nicht geschossen wird, und daß unsere Beschäftigung nicht in erster Linie Briefschreiben sein kann«. Und weiter, eine Postsperre aufgrund von Kampfhandlungen andeutend: »Wenn auch hier der Grund bekannt ist, […] weißt Du natürlich nicht weshalb solange keine Post an Deine Adresse gelangte.

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Aber auf alle Fälle werde ich verurteilt! Wenn es Euch Friedensleutchen wirklich nur auf Nachrichten ankäme, hättet Ihr Euch niemals beklagen können, aber es scheint doch, als gälte nur die Überschrift.«219 Wenige Monate später appellierte Wolf auf einer Bildpostkarte von Warschau an den Stolz seiner Verlobten, da er mit dem »Fall von Nowogeorgiewsk« nun die »7te Festung« hinter sich habe: »Davon drei belgische, eine französische, eine österreichische (!!) und zwei russische! Da kannst Du auch stolz sein! So eine ›Heldenbraut‹ gibts nur eine!«220 Trotz solcher Worte entwickelte sich Anfang 1918 ein veritabler Geschlechterkonflikt zwischen diesem Reserveoffizier und seiner nun schwangeren Ehefrau, die ihn aufforderte, ein Gesuch zur Transferierung nach Wien zu stellen. Das konnte Leopold Wolf mit seiner soldatischen Ehre und Männlichkeit nicht vereinbaren, was nur in einem den Streit darüber gleichzeitig ›befriedenden‹ Schreiben von ihr überliefert ist: »Du brauchst Dich doch nicht schämen liebster Poldi, daß Du Dich, wie Du sagst, von einem ›Weib heimflennen läßt‹. Ich mein Dir’s doch nur von ganzem Herzen gut, und nicht aus, vielleicht, aus rechthaberischen Gründen, wie Du Dir es sonst bei Frauen vielleicht vorstellst, nicht wahr?«221 Damit bestätigt sich in diesen Quellenbeispielen in Bezug auf Offiziere nicht, was Klaus Latzel für die von ihm vergleichend untersuchten Feldpostbriefe von Mannschaftssoldaten des Ersten Weltkriegs feststellen konnte, nämlich dass damals »die bewundernde bis fanatische Apostrophierung des ›Soldaten‹« noch fehlte.222 Eindeutig trifft das nur in Hinblick auf das Attribut »fanatisch« zu, ansonsten ist der Befund zwiespältiger. Jedenfalls stand das Thema der soldatischen Männlichkeit in der Feldpost nicht nur unhinterfragt am Podest, sie scheint noch nicht durchgehend und mehr oder weniger friktionslos anerkannt gewesen zu sein – zumindest nicht aufseiten der Frauen, denen gegenüber eingezogene Soldaten sich mitunter rechtfertigen mussten. 6.1.2 Martialisierung und ›Volksgemeinschaft‹ Kriegskorrespondenzen der Jahre 1939/45 re-/produzieren viel deutlicher das Konzept des ›soldatischen Mannes‹, welches nun »in historisch beispielloser Weise Deutungshoheit als ›hegemoniale Männlichkeit‹« erlangte, »konkurrierende Entwürfe marginalisierte und den Diskurs über Männlichkeiten insgesamt orchestrierte«, wie Frank Werner es formuliert hat.223 An anderer Stelle spricht er davon, dass »[in] keiner Phase sozialer Militarisierung […] Männlichkeit so konsequent und konkurrenzlos auf soldatische Werte geeicht [wurde] wie im Nationalsozialismus«,224 und konstatiert eine nochmalige Zuspitzung ab dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Juni 1941. Denn der »Feldzug im Osten« galt nun – inklusive des dortigen Massenmordes auch an der Zivilbevölkerung beziehungsweise der vielen von der Wehrmacht verübten Kriegsverbrechen – als »extreme Mannprobe«.225 Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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Für all das, was damit verbunden wurde, wie ›Härte‹, ›Stärke‹, ›Wille zum Sieg‹, ›Treue‹, ›Pflicht‹ und das schon viel zitierte ›Durchhalten‹, findet sich in den untersuchten Paarkorrespondenzen eine Reihe von Manifestationen. Diese sind nicht einfach als »Effekt äußerer Schreibrichtlinien und -restriktionen« zu deuten, welche die Soldaten, veröffentlicht zum Beispiel in den »Mitteilungen für die Truppe«, dazu anhielten, »männliche, feste und klare Briefe« zu schreiben.226 Sondern solche Passagen verquicken sich mannigfaltig mit den bereits skizzierten Liebesdialogen, auch seitens der Briefpartnerinnen, die an der ›Heimatfront‹ ihrerseits auf Plakaten, in Zeitschriften und anderen Medien dazu aufgefordert wurden, der tapferen ›deutschen Frau‹ und Kameradin zu entsprechen und ausschließlich Briefe »voll Liebe und Vertrauen« ins Feld zu senden. Die »Jammerbriefe« des Ersten Weltkriegs galten dem NS-Regime dabei als besonders stark angeprangerte Negativfolie.227 Das zu vermeiden gelang zwar auf beiden Seiten nicht durchgehend, ist aber eine klare Tendenz in den analysierten Briefen. Herbert Brenneis etwa hatte kurz nach dem ›Anschluss‹ Österreichs an das ›Dritte Reich‹ hoffnungsfroh und vermutlich auch mit Blick auf das nationalsozialistische Ehestandsdarlehen davon geschrieben, dass sie nun, »[n]achdem es ja mit aller Wahrscheinlichkeit bei uns auch so werden soll [wie] im Altreich, […] um unsere Zukunft nicht zu bangen [brauchen]«.228 Im Oktober 1939 erläuterte er seiner nunmehrigen Frau, warum der mittlerweile begonnene Krieg zu führen sei: Weiters mußt du dich eben auch damit abfinden, genau so wie ich, denn wenn jetzt nicht wirklich einmal richtig aufgeräumt wird, so wird ja nie Ruhe sein, das geht eben jetzt in einem Aufwaschen, damit muß man eben einige Zeit verstreichen lassen, wenn es auch länger dauert. Was hab ich schon davon, wenn ich jetzt nachhause komme, beginne ich zu arbeiten und eines Tages werde ich wieder einberufen, nun da glaube ich, es ist schon besser es dauert jetzt länger und wir können dann in Frieden leben nicht? Ich glaube du wirst mir schon recht geben. Mir ist es ja vielleicht noch peinlicher als dir, ich bin schon mehrere male dem Tode oder der Verwundung entronnen, und ich glaube, Gott wird mir auch im künftigen beistehen. Nun liebes Frauchen überlege dir meine Zeilen, die ich dir heute schreibe und teil mir in deinem nächsten Brief mit, ob ich nicht recht habe, wir müssen eben beide durchhalten, schließlich sind wir ja noch nicht so alt, daß wir nicht noch ein bischen Liebe genießen können. Ich freu mich ja schon so auf meine Familie und vielleicht ist es das einzige was mich so richtig erhält, daß ich nicht verzage und immer noch der Hoffnung Ausdruck gäbe.229

Rudolf Kretschmar wiederum setzte schon sein Einrücken zur Deutschen Luftwaffe im August 1940 damit gleich, dass es nun »[für] einige Zeit […] aus mit dem molligen Kuscheln [ist]« und er »ein rauher, ein wilder Krieger [werde]«230 – was dieser überzeugte Nationalsozialist, manchen Hinweisen in seinen Briefen zufolge, in der Tat ebenso umzusetzen wusste wie die Liebe zu

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seiner Frau. Und zwar nicht nur, indem er, wie er selbst es einmal beschönigend nannte, wo auch immer es ihm notwendig schien, den »Zauber der Uniform«231 einsetzte. Sondern wohl auch in Situationen wie etwa Anfang Juni 1942, als Kretschmar aus Stalino/Donezk beziehungsweise dem »Osten«, wo die Deportation der jüdischen Bevölkerung gerade auf Hochtouren lief,232 ebenfalls lange Briefe schrieb. In einem davon erläuterte er Charlotte zunächst die Funktion von Luftpostmarken, dann sprach er von seiner Sehnsucht und Liebe zu ihr und davon, »daß ich trotz der netten Menschen die um mich sind […] allein bin und mein Leben nur noch mit Dir zusammen einen Sinn hat, Sinn ist dabei das richtige Wort, denn ohne Dich, fehlt mir ein Sinn.« An diese die Liebe zur Ehefrau über die militärische Kameradschaft unter Offizieren setzende Passage anschließend, wird die im Mai 1942 stattgefundene »Einkesselung« von Charkov/Charkiw thematisiert,233 wo seiner Schilderung zufolge »die Felder […] besät sein [sollen] von Russen u. Pferdekadavern«, während »[d]eutsche Gefallene […] überhaupt nicht mehr herum [liegen] u. die erstaunlich wenigen deutschen Toten, […] schon in Gräbern mit saubern Hügel, Kranz und Stahlhelm [liegen]«. Sein diesbezügliches Resümee lautet: »Die Deutschen machen trotz der unmenschlichen Strapazen einen frischen u. fröhlichen Eindruck.«234 Dass das Deutsche Reich nicht nur ›durchhalten‹, sondern auch siegen würde, durchzieht als Grundhaltung auch die späteren Briefe dieses Solda­ ten. Darüber herrschte zumindest im schriftlichen Austausch meist Einigkeit mit seiner Frau, die selten Zweifel am Erfolg des Krieges formulierte. Sie besuchte ihrerseits Abendveranstaltungen der SS sowie der politischen Organisation »Kraft durch Freude« (KDF) und gestaltete als Künstlerin – von ihm mehrfach dafür gelobt  – noch Ende Mai 1944 Propagandaplakate für die NS-Frauenschaft, auf denen sie unter anderem den Stahlhelm als Emblem einer vorbildlichen martialischen Männlichkeit einsetzte: »Ich habe ein Plakat gemacht. Deutschland lebt. Als Unterschrift zu einem großen Soldatenkopf, der den Beschauer gerade aus ansieht und bis zum Hals geht. Mit Stahlhelm. Auf grauem Grund mit schwarzer Fettkreide, nur in den Augen etwas weiße Kreide, damit sie leuchten.«235 Wenig später, nunmehr versehen mit einer in den Brief eingefügten Skizze, heißt es bei ihr, so anschaulich die »politische Aufladung auch der ›weiblichen Sphäre‹« im Nationalsozialismus illustrierend:236 »Mein drittes [Plakat, C. H.] an dem ich heute weitergearbeitet habe: Lindern und helfen – Deutsches Mädchen, deine schönste Pflicht. Das ist der Adler mit dem roten Kreuz.«237 Die Landung der Alliierten in der Normandie war für Rudolf Kretschmar Anlass zu einer Briefpassage, in der er auf die von seiner Frau zuvor eingeführte Bezeichnung des 6. Juni 1944 als »schicksalsschwerer Tag«238 Bezug nahm. Er verkehrte dabei in Übereinstimmung mit den Durchhalteparolen des NSRegimes, das bis zuletzt die angebliche Notwendigkeit eines »rassischen ÜberGewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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lebenskampfes« gegen die »jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung« propagierte,239 das Verhältnis von Schuld und Recht. Und zeigte sich überzeugt davon, »daß sich jetzt die Gunst des Schicksals uns, den Aufrichtigen und Ehrlichen zuwendet. An solch schicksalsschwerem Tag ist es mir ganz leicht um die Brust geworden.« Denn, so Kretschmar weiter ganz sozialdarwinistisch: »Wenn nun uns, als den reinen und ehrlichen nicht der Sieg zuteil wird, dann gibt es weder eine allgewaltige Gerechtigkeit, noch eine gütige Vorsehung und damit auch keinen größeren Sinn in dieser Welt.« Die Deutschen, hier gefasst im »[W]ir«, seien »unbestreitbar die Tüchtigeren, und wenn das nicht belohnt wird, dann soll uns auch das Scheiden nicht schwer fallen. Da ich aber an den Sieg des Guten glaube, an die Unbezwingbarkeit der Tüchtigen und Mutigen glaube, so ist wohl jetzt auch die Schicksalsstunde unserer großen Zukunft angebrochen.« Der Brief endet mit einem Aufruf zur Pflichterfüllung an jeden, »wo er gerade steht, denn alles andere ist nebensächlich. Der Sieg muß errungen werden und der letzte Arm muß dazu beisteuern« – womit Kretschmar auch seine Frau meinte: »Unter diesem Gesichtspunkt nimm auch Du, mein liebes, einziges [Lottchen], alles auf, was dieser Tag für Dich persönlich gebracht haben sollte.«240 Was damit gemeint war und dass das NS-Frauenbild in der Tat auch von »Inkongruenzen und Flexibilitäten« geprägt war, wie Ingrid Bauer in Bezug auf seine sich im Verlauf des Krieges verstärkenden Widersprüche und Paradoxien resümiert hat,241 wird in den folgenden Briefen deutlich. Sie enthalten den mehrfachen Appell an die künstlerisch aktive Ehefrau, sich freiwillig zu melden, um einer zwangsweisen Einberufung zur Kriegsarbeit an der ›Heimatfront‹ zuvorzukommen  – zumal, wie Kretschmar Ende August 1944 schrieb, »mit der letzten Verordnung […] doch alle künstl. Arbeiten u.s.w. eingestellt [sind]«.242 Seine Befürchtung war, dass es ansonsten so aussehen könnte, als wolle sich seine Frau »nun, bei Verkündung des totalen Einsatzes, […] um den Einsatz drücken. Es wäre deshalb schon gut, wenn Du Dich rechtzeitig um eine Dir zusagende Beschäftigung bemühen würdest, ehe du eingeteilt wirst. Ich hörte z. B. daß die Staatsoper geschlossen zu Siemens zur Arbeit gegangen sein soll.« Als Argument führte er ihre berufliche Zukunft ebenso ins Treffen wie jene des Deutschen Reiches: »Auf jeden Fall darfst du aber jetzt nicht zur Sünderin am totalen Einsatz werden, denn 1. geht es jetzt wirklich um die Wurst u. 2. wären damit alle Aussichten selbständige Aufträge zu erhalten, vernichtet, denn gerade Dr Goebbels […] wird ein besonderes Augenmerk darauf richten niemandem Gelegenheit zu bieten sich um den kriegswichtigen Einsatz zu drücken.«243 Dieses Beispiel ist in seiner sehr klar benannten Bezugnahme auf national­ sozialistische Ideologeme und das Konzept der nationalsozialistischen »Kampfund Opfergemeinschaft«, die im ›totalen Krieg‹ alle ›arischen‹ Männer und Frauen umfassen sollte,244 im untersuchten Quellenbestand die Ausnahme;

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Liebe und Nationalsozialismus verschränken sich hier besonders eng und die ›Volksgemeinschaft‹ fand, wie Andrew Bergerson es für das von ihm untersuchte Paar Hilde Laube und Roland Nordhoff aus dem deutschen Hildesheim formuliert hat, in der Tat »nicht auf dem Paradeplatz, sondern im Liebesbrief statt«.245 Im Sample ist dies, sogar zugespitzt auf das absolut gesetzte Primat der »Partei«, ansonsten nur bei dem nicht eingezogenen Wiener Nationalsozialisten Maximilian Höllwarth zu beobachten, der seiner zukünftigen Frau im September 1940 unmissverständlich klar machte, dass er »ein fanatischer Parteimann« sei und »der Führer« sein »höchstes Ideal kurz das Gröste […] auf dieser Welt ist«. Für ihn wäre daher ungeachtet dessen, dass er seine Minna »sehr lieb« habe, »ein Leben mit einer Frau die in politischer Hiensicht anders denkt wie ich, ausgeschlossen […] Wer das Hackenkreuz trägt ist verpflichtet zu verzichten! Verzichten auch auf seine persönlichen […] Ansprüche!«246 Über klare und eindeutige Positionierungen hinaus lassen sich in Paarkorrespondenzen aber auch Selbstentwürfe finden, die sich zwar ebenfalls an Leitbilder oder den hegemonialen Diskurs anlehnten, gleichzeitig jedoch ambivalenter sind. Um sie zu verstehen, kann auf Alf Lüdtkes Konzept vom Eigen-Sinn zurückgegriffen werden, dem zufolge dieser mehrdeutig ist und auch »das eigene aktive Fördern vorgegebener oder mehrheitlich akzeptierter Ziele, mehr noch […] das Übererfüllen, wenn nicht Weitertreiben von Anforderungen« inkludiert, »die […] von den gesellschaftlich-politischen ›Kommandohöhen‹ formuliert oder signalisiert worden sind«.247 Das meint eben auch Widersprüchlichkeit, wie sie uns weiter vorne schon bei Vinzenz Zirner begegnet ist, der auf berührende Art und Weise ›Kriegsmüdigkeit‹, ja generelle Kritik am Krieg äußerte und ein »Ende dieses grausige[n] Völkerringen[s]« herbeisehnte. Gleichzeitig benutzte aber auch er die Topoi des ›Durchhaltens‹ und der ›Härte‹, wenn er eine heilende Zukunft nach dem Krieg beschwor, in der die jetzigen Soldaten »das Lachen wieder lernen« würden und für sie »das Glück [aufblüht]«. Weiters schrieb er etwa: »Ernst und hart sind wir geworden in den Jahren dieses Krieges. […] Alles geht vorüber, alles geht vorbei. […] Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Kopf hoch und alles geht.«248 Während Vinzenz Zirner tatsächlich »Glück« haben sollte, nachdem er wenige Tage vor der Niederlage des Deutschen Afrikakorps bei Tunis von einem Militärgericht eigentlich zum Tode verurteilt worden war, dann aber in US-Gefangenschaft kam und überlebte,249 gilt das für einen anderen Soldaten namens Richard Schuster nicht; er fiel Anfang 1945 bei Danzig. Seine Briefe aus den Jahren zuvor, adressiert an Wally Kuklinski aus Wien, sind ein eindringliches Beispiel für die Verwendung des »Härte-Codes« beziehungsweise damit verbundener Haltungen und Zukunftsentwürfe  – und zwar in einer durchaus auch widersprüchlichen Gemengelage. Folgt man seinen vielen gegen die Zensurbestimmungen getätigten Ortsangaben, befand sich Schuster ab Juni 1941 an Brennpunkten des deutschen Vernichtungskrieges im Osten – Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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was einerseits defätistische oder resignative Passagen evoziert hat. Das betrifft, im Unterschied zu den weiter vorne in den Blick genommenen Schreiberinnen und Schreibern, mitunter sogar die Liebe, etwa wenn er datiert mit »Im Felde, 6. März 1942« schrieb: »Weiß denn hier einer noch was Liebe ist?«250 Andererseits traf er bis zuletzt viele Aussagen, die wiederum auf eine Akzeptanz, ja die Verinnerlichung seines Soldat-Seins in der Deutschen Wehrmacht verweisen. Dabei nahm er nur selten ausführlicher Bezug auf das ›Du‹ der Adressatin, sondern schilderte sehr viel häufiger Kampfhandlungen und Zerstörungen, getätigte Requirierungen oder ›Beutezüge‹, die Stimmung unter den Kameraden et cetera. All das, oftmals formuliert, bevor es »hinein in das Grollen der Front«251 ging, lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Soldat »in sehr ernsten Kämpfen […] täglich« viele »Tote und Verwundete«252 sah. Ein einziges Mal heißt es diesbezüglich in einem seiner Briefe: »Viel Unglück ist schon geschehen über das ich ja nicht schreiben darf.«253 In diesem Kontext wird die martialische Dimension des ›soldatischen Mannes‹ umso deutlicher, was nicht nur ›Härte‹ oder sogar eine Essenzialisierung des Soldat-Seins inkludiert, sondern auch ›Verrohung‹, ›Enthemmung‹, ›Brutalisierung‹. Einige Zitate sollen dies veranschaulichen; das erste bezieht sich auf den in diesen Briefen des Öfteren angesprochenen exzessiven Gebrauch von Alkohol, die weiteren enthalten auffallende Aussagen zum ›Durchhalten‹, zu seinen männlich-soldatischen Werten, zur Gewöhnung an den Krieg, den Kampf: »Und viel Wodka! Wodka macht Leben rosig. Macht müde Krieger glücklich! Das Zeug hat 90 % Alkohol.«254 »Müde bin ich wie ein alter Gaul aber sonst gesund und munter. […] Wir wissen kein Datum, nicht welcher Tag ist, was die Welt macht erfahren wir erst nach Wochen, ist auch alles egal und wir haben nur die eine Aufgabe, den Gegner niederzuwerfen.«255 »Hier an der Front ist mein Platz, hier finde ich Essen, Bekleidung und alles was ich brauche.«256 Und in einem in einer besonders bedrohlichen Situation verfassten Schreiben, als Schuster in einem stark verminten Gebiet als »Munifahrzeugführer« eingesetzt war, heißt es: Gerippe von Tieren und Menschen erzählen Tragödien aller Art. Fliegen und Hitze quälen. Nachts ist es kalt. Geschlafen wird im Freien. […] Der Leichengeruch und Brandgeruch überall ist kaum erträglich. […] Nachts alle zwei Stunden Wache. Kein Schlaf ! Und doch sind wir irgendwie alle zufrieden. Die Gewißheit, daß alle Strapazen nicht umsonst und daß es rüstig weitergeht gibt stolze Zuversicht.257

Von jenen, die dem nicht entsprachen und neu an die Front kamen, grenzte sich dieser Soldat  – auch unter Anwendung präjudizierender Geschlechter­ klischees – folgendermaßen ab: Der Nachschub der recht zahlreich kommt ist, nicht der Beste. D ­ rückeberger, Kranksein wollende, Feiglinge und Gerüchtemacher. Wir müssen sie erst zurecht stauchen und ich, der ich doch selbst kein Fanatiker bin, habe so einem

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Helden die volle Waschschüssel um die Ohren geknallt. Nun ist er schon viel vorsichtiger und brauchbarer. Ja der Zweck heiligt die Mittel. Einem Frontsoldaten darf man nicht daherreden wie ein Waschweib, sonst knallts. Das ist vielleicht Adolf [sic] größter Erfolg, daß er aus lamentierenden und debattierenden Leutchen ein zweckbewußtes und entschlußfrohes Volk gemacht hat.258

In einem anderen Brief, in dem auch deutlich wird, dass die Form der Beziehung zwischen ihm und seiner durchaus mit Küssen verabschiedeten »Lieben [Wally]« nicht eindeutig war, schrieb dieser Soldat geradezu kategorisch: »Natürlich nehme ich mir da Gesellschaft mit. Wem man, wie mir, unzählige Male das Leben geschenkt hat, der muß doch damit etwas richtiges anfangen können ehe es zu spät ist.« Und weiter, gleich im Anschluss: »Sonst hätte ich mich ja in Rußland verscharren lassen können. Alle Not, alle Entbehrung ist längst vergessen jetzt wird nachgeholt was alles versäumt wurde. Wir haben jetzt vier Nachrichtenhelferinnen in der Stellung. Das sind lauter liebe lustige Dinger.« Bemerkenswert ist, dass solche Ausschweifungen zumindest indirekt auch der Adressatin dieses Briefes zugestanden werden, die Schuster aufforderte, sie solle »doch auch mal weiter denken und anpacken wo sich eine Gelegenheit trifft. Kann mir nicht vorstellen, daß es keine rechten Männer mehr gibt. Freilich an Heiraten ist nicht zu denken solange der Krieg alles unsicher und unmöglich macht. Aber verkümmern braucht doch ein gesunder Mensch doch auch nicht!«259 Damit ist  – wenn auch aus der Perspektive eines Soldaten  – auch jenes Phänomen angesprochen, das die Historikerin Dagmar Herzog untersucht hat: nämlich dass die »offenkundig brutalen Aspekte der NS-Sexualpolitik« – Eugenik beziehungsweise Sterilisationen, Abtreibungen und Mord – »nicht in eine insgesamt sexualitätsfeindliche Haltung eingebettet« waren. Im Gegenteil wurde in Fortsetzung liberalisierender Tendenzen der Weimarer Republik und trotz uneinheitlicher Positionen innerhalb des Regimes die heterosexuelle Mehrheit der ›deutschen‹ Bevölkerung »angespornt und ermuntert, sexuelles Vergnügen zu suchen und zu erfahren«260 – was durchaus auch für ledige junge Frauen gelten konnte.261 Die »Dynamik des totalen Krieges« verstärkte noch diese »Lockerung der sexuellen Sitten«262 die selbstverständlich auch Implikationen für Emotionen beziehungsweise die romantische Liebe »mit ihren sowohl kurzfristigen als auch dauerhaften Glücksgefühlen« hatte,263 wie Herzog weiter schreibt. Eine solche doppelte Auslegung scheint auch den Soldaten Richard Schuster umgetrieben zu haben, der zwischen der Perspektive auf eine längerfristige, in eine Ehe mündende Liebesbeziehung nach dem Krieg und sexueller Promiskuität schwankte – so als ob er sich durch seinen langen Kriegseinsatz ein diesbezügliches ›Recht‹ erworben hätte.

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6.2 Der Krieg erreicht die ›Heimat‹ Es kam jedoch nicht nur so, dass auch der zuletzt vorgestellte Briefschreiber seine auf die ›Heimat‹ nach dem Krieg bezogenen Wünsche nicht mehr realisieren konnte; diese hatte sich zudem massiv verändert. Denn im Zuge des ›totalen Krieges‹ war die von vielen Soldaten so sehnsüchtig apostrophierte und idealisierte ›Heimat‹ ebenfalls zum Kampfplatz geworden; Beispiele dafür sind vorne schon angedeutet. Damit wurde auch die Zivilbevölkerung, wurden auch die Familien, Frauen und Kinder der Soldaten zum Ziel- und Angelpunkt unmittelbarer Gewalteinwirkung und der Mythos, dass der Krieg geführt würde, um gerade sie gegen alle ›Feinde‹ zu ›schützen‹, fiel im wahrsten Sinne des Wortes in sich zusammen. Das war teilweise schon im Ersten Weltkrieg der Fall gewesen, und dann vor allem im Zweiten, als es in Reaktion auf den von Anfang an auch ›aus der Luft‹ vorangetriebenen Angriffskrieg des ›Dritten Reiches‹ schon im September 1939 zu ersten taktischen Bombardements der Alliierten kam. Ab 1942, als viele Regionen Europas von deutschen Truppen besetzt waren, steigerten sie sich zu strategischen Flächenbombardements, die nicht nur Anlagen der Rüstungsindustrie trafen, sondern ebenso zahlreiche Städte – auch in der ›Ostmark‹, wo größere Luftangriffe jedoch erst ab 1943 beziehungsweise vor allem ab dem Sommer 1944 einsetzten. Ihr Ziel war nicht zuletzt die Demoralisierung der nach wie vor weitgehend ›durchhaltenden‹ Bevölkerung.264 Gehen wir damit ein letztes Mal zu den hier analysierten Paarkorrespondenzen. Beim Lesen und Gewichten jener Briefpassagen, die sich mit Bombardierungen oder anderen Kriegshandlungen gegen die Zivilbevölkerung befassen, hat sich rasch eine auf die eigene Familie bezogene Engführung des Themenfeldes gezeigt. Es war auch in dieser Hinsicht allem voran die Sorge um die Frauen (und Kinder) ›daheim‹, die Soldaten in ihren Schreiben umtrieb; dass diese ebenfalls zu unmittelbaren Opfern des Krieges werden könnten, war ihnen bewusst, erfuhren sie aus der Korrespondenz und Zeitungen, den »Mitteilungen an die Truppe«, neuen Gerüchten et cetera. Hingegen sind Bezugnahmen auf die getötete Zivilbevölkerung allgemein selten und wenn, dann abstrahierend und floskelhaft. Eine Ausnahme im Sample stellt diesbezüglich – bezeichnenderweise für den Ersten Weltkrieg – nur Alfred Ertl dar,265 der sich, wie wir bereits wissen, mit seiner Ehefrau 1917/18 intensiver über Kriegszerstörungen im Raum der Südwestfront austauschte und mehrfach auch Bombardierungen durch feindliche Flieger thematisierte. Diese kamen bis weit in den Etappenraum hinein und waren eben nicht nur, wie Ertl Ende Juli 1917 auf einer Feldpostkarte schrieb, »sogar recht schön«, wenn sie »so in großer Höhe ruhig abziehen«.266 Denn wenige Tage später trafen Angriffe aus der Luft auch die Zivilbevölkerung: »[…] das Aufschlagen der Bomben, die Explosionen, das Gekreisch der armen Frauen, – der Krieg ist etwas schreckliches. Es sind sicher

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20 Bomben gefallen, 2 Häuser verbrannt, 1 einjähriges Kind verbrannt, und schließlich noch die militärischen Verbände!«267 Allerdings beschrieb Alfred Ertl solche Erlebnisse nur, indem er gleichzeitig unterstrich, dass er nicht mehr in Gefahr sei und seine Lieben daheim »nicht die geringste Angst zu haben« bräuchten.268 In der Folge beruhigte er auch die Sorge seiner Frau, feindliche Flieger könnten die steirische Stadt, in der sie mit den Kindern lebte, erreichen: »Wenn […] Flieger wirklich kämen, die Gegend, wo wir wohnen, ist ja ganz sicher, keine militärischen Objekte. Also nur keine Angst.«269 Damit ist – zumindest für den Kernraum des damaligen Österreichs, in dem es im Unterschied zu Deutschland, Frankreich und Großbritannien270 im Ersten Weltkrieg noch nicht zu größeren Bombardements des ›Hinterlandes‹ aus der Luft kam – bereits die Entwicklung im Zweiten Weltkrieg avisiert. Die darauf bezogenen Briefe changieren nach größeren Angriffen zwischen Angst oder Unwissen einerseits und einem solchen Gefühlen wiederum entgegenhaltenden Willen zum ›Durchhalten‹ andererseits. In diesem Kontext wurde auch der vom nationalsozialistischen Regime so wirkmächtig eingesetzte Begriff der alliierten »Terrorflüge« gegen das Deutsche Reich verwendet, wie von Josef Wiesauer im Juni 1944, als er die Kriegslage wie folgt kommentierte: Im Westen geht es aber jetzt schon richtig zu, da müssen sie sich schon zusammenreißen das sies derhalten können, das wäre ja was fürchterliches wenn da was passieren würde, na und in Italien geht es auch noch immer im gleichen Tempo zurück. Und da haben die Ludern so nebenbei auch noch Zeit Terrorflüge zu machen, da waren sie jetzt wieder in München und Ihr werdet wieder Alarm gehabt haben. Da ist es tatsächlich jetzt hier noch am allerbesten.271

Auch das Ehepaar Kretschmar setzte auf diesen Begriff. In ihrer Korrespondenz spielten die alliierten Bombenangriffe auf das ›Dritte Reich‹ schon früher eine Rolle, wobei Charlotte ihre beachtliche Mobilität jener Jahre geradezu vor diesem Hintergrund stilisiert hat. Sie pendelte zwischen dem schon ab Juni 1940 immer öfter bombardierten Berlin, wo das Paar ein in den Briefen oft angesprochenes ›Nest‹ gebaut hatte, und dem Sitz ihrer Schule, dem Wohnort ihrer Eltern, verschiedenen Kur- oder Urlaubsorten und später Wien hin und her, was sie einmal veranlasste zu schreiben: »Aber da ich ja nun Globetrotter bin […].«272 In diesem Szenario einer trotz vieler Hindernisse ›geglückten‹, ihre Handlungsräume weitenden Reisetätigkeit erscheinen die Bombenangriffe auf Berlin oder Wien auch als Abenteuer, dem sie durch Geschick, Planung, Improvisation und Furchtlosigkeit gleichermaßen entkommen konnte. Jedenfalls ließ sich Charlotte Kretschmar davon, zumindest dem oft witzelnden Duktus ihrer Briefe zufolge, nicht ›unterkriegen‹ und zeichnete kein düsteres Bild – während ihr Ehemann sich wiederholt Sorgen um sie machte: »Seit 2 Nächten bemühe ich mich wieder ein Ferngespräch nach Berlin durch zu bekommen, weil mich Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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der Wehrmachtsbericht mit den Terrorangriffen auf Berlin so sehr beunruhigt. Du armes Kleenes, bist haarscharf in den Schlamassel hineingefahren. Vorher war alles ruhig, als Du dann kamst, gings wieder los. Am liebsten wäre es mir, Du haust wieder ab.«273 Kurze Zeit später kritisierte Kretschmar, dass seine Frau diesen Rat immer wieder in den Wind schlug: »Was machst Du eigentlich noch in Berlin? Warum bist Du kleiner Fratz so unfolgsam und haust nicht ab? Jetzt zeig mal, daß Du [gehen] kannst! […] vor den Bomben mimst Du den eisernen Gustav.«274 Dass im Jahr 1944, aus dem dieses Zitat stammt, von Frauen aber durchaus auch Defätismus geäußert werden konnte, soll zuletzt noch das Beispiel von Olga Josefa Adelsgruber veranschaulichen. Sie schrieb ihrem Ehemann am 5. April dieses Jahres, kurz nachdem Wien erstmals bombardiert worden war:275 »Gestern habe ich eine Zeitung für Dich aufgegeben – damit Du daraus ersiehst, wie es nun öfters in unserer Gegend zugeht. […] in allen Gegenden regnet es Bomben, teils im Notwurf u. auch anders. Es ist alles gleich geworden – nur mehr Schicksal jedes Menschen – ob er davon kommt oder nicht.«276 Ihr Mann, der seinerseits Berichte vom Kampfgeschehen in Jugoslawien übermittelte, legte ihr daraufhin nahe, sich möglichst nicht in Wien aufzuhalten, wo die »hohen alten Häuser« im Bombenregen »zusammenstürzen wie die Kartenhäuser und […] alles unter sich begraben«, während dies in Städten oder Gegenden, in denen »eine aufgelockerte Bauform vorherrscht«, nicht der Fall sei. Gleichzeitig hielt er mit der Einschätzung nicht zurück, dass nun »Wien genauso dran [kommt] wie alle anderen Städte bisher«. Und er schloss das Thema ab, indem er gegen all das die Macht ihrer Liebe setzte: »Genug mit dem Zeug, es passiert uns ja nichts, wirst sehen! Wir müssen doch wieder zusammenkommen, schon um unserer Kinder wegen. Und weil wir uns so gern haben!«277

7. Resümee »Wir müssen doch wieder zusammenkommen, […] weil wir uns so gern haben!« Dieses letzte Zitat beschwört einmal mehr jene Formen oder Re-/Konstruktionen von Liebe, die im Zentrum meines Beitrages standen. Sie sollte stärker und dauerhafter sein als der anhaltende Krieg und wirkte so wohl immer wieder als eine Art von »Gegenmittel«, wie Nicholas Stargardt es bezogen auf eines der vielen von ihm in den Blick genommenen Paare der Jahre 1939/1945 formuliert hat.278 Auch wenn sich dieser Begriff hier allein auf die individuelle Ebene bezieht, legt er doch die Frage nahe, ob der in Paarkorrespondenzen ›gebaute‹ Mikrokosmos einer Liebesbeziehung mitunter auch zu einem ›Ort‹ oder Katalysator der Opposition gegen die vielfach lebensbedrohenden Umstände werden konnte – zumal diese ja gerade den oder die Geliebte/n gefährdeten. Eine solche, im Prinzip ebenfalls mögliche Dimension hat kürzlich auf einer Tagung

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John Horne zur Diskussion gestellt, indem er auf die vielen Ambivalenzen in ›privaten‹ Korrespondenzen des Ersten Weltkriegs hinwies. Diese seien, so auch Horne, zwar in der Tat einer starken Instrumentalisierung durch die herrschende Kriegskultur, die Politik und das Militär ausgesetzt gewesen, die sich auch auf Inhalte oder manifest werdende Tabuisierungen auswirkte. Umgekehrt habe jedoch gerade der hohe Grad an Intimität, der solche Schreiben prägte, zu einer »force de résistance à la guerre«279 werden können – was eine Frage ist, der durch zukünftige Forschungen gerade auch im internationalen Vergleich unbedingt nachgegangen werden sollte. So könnte etwa umfassender verstanden werden, warum in den in diesem Beitrag untersuchten Quellen aus Österreich beziehungsweise dem ›Dritten Reich‹ ganz eindeutig partizipierende Übereinstimmung mit den herrschenden (Kriegs-)Ideologien und Machtverhältnissen dominierte. Widersprüchliche Positionierungen oder kritische Äußerungen zur Kriegssituation und -politik wurden darin zwar mitunter ansatzweise formuliert, im Kontext eines gleichzeitigen Primats der schriftlichen Liebeskommunikation aber stets aufs Neue ›eingeebnet‹. Dass – wie ich argumentiert habe – durch diese Liebeskommunikation trotz einer möglichen Einbettung in auch ambivalente Aussagen insbesondere kriegsstützende Haltungen gestärkt wurden, ist zum einen wohl im vielschichtigen und historisch flexiblen Konzept der romantischen Liebe verankert. Dieses hatte in Paarkorrespondenzen beider Weltkriege gewissermaßen Hochkonjunktur; es verband sich – unterschiedlich ausbuchstabiert – wirkmächtig mit den militarisierten Männlichkeits- und Weiblichkeitsdiskursen beziehungsweise ließ sich im Nationalsozialismus auch in die von rassistischen und eugenischen Prinzipien bestimmte Bevölkerungs-, Sexualitäts- und Gefühlspolitik ›einpassen‹. Im Verein mit der langen kriegsbedingten Trennung und damit verbundenen Ängsten und Gewalterfahrungen bewirkte dies eine erhöhte Performativität des an diesem Modell ausgerichteten »(Über) Liebe Schreibens«, was unter anderem am Beispiel der in Paarkorrespondenzen der Jahre 1914/18 und 1939/45 intensiv eingesetzten Strategien des klassischen ›Liebesbriefes‹ und der ›Verkörperung‹ des/der Anderen gezeigt wurde. Der so immer wieder und gegen viele Hindernisse konstruierte Paarkosmos, der den Krieg erträglicher zu gestalten vermochte, diente als Angel- und Fluchtpunkt, ja als Voraussetzung des ›Durchhaltens‹ – vielfach bis zuletzt. Gestützt wurde das zudem, wie ebenfalls gezeigt, durch den Austausch von Fotografien und Paketen; auch dieser fügte sich, als weiteres Moment des ›doing love‹, ein in die Rahmenbedingungen des (Vernichtungs-)Krieges und funktionierte doch gleichzeitig im Sinne des (Geschlechter-)Modells der romantischen Liebe. Insbesondere der Paketdienst diente der damit verbundenen gegenseitigen Fürsorge und ›Liebesarbeit‹, in wechselnden Verhältnissen zwischen ›Front‹ und ›Heimatfront‹. Zum anderen gründete die kriegsstützende Funktion vieler Paarkorrespondenzen in der Art und Weise, wie sich ihre Verfasser und Verfasserinnen im Gewalt und Liebe – ineinander verschränkt

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Kontext des Krieges und der mit ihm verbundenen Gewalteskalation verorteten. Dabei folgten sie auch jenen »emotional politics« oder »politics of emotion«,280 die von verschiedenen Medien und Instanzen der kriegsführenden Gesellschaft beziehungsweise dem NS-Regime propagiert wurden  – womit hier auch an ein in den letzten Jahren vor allem von Ute Frevert betontes und für unterschiedliche historische Kontexte exemplifiziertes Theorem der vielschichtig möglichen politischen ›Nutzbarmachung‹ von Emotionen angeknüpft werden soll.281 Zeitgenössisch stark politisierte Emotionen wie zum Beispiel Ehre oder Härte, Mut, Stolz, Opferbereitschaft und Tapferkeit fanden, wie wir gesehen haben, in den untersuchten Paarkorrespondenzen ihren Widerhall, zumal diese eindringlich von der Gemengelage, der unauflösbaren Verschränkung der schriftlichen Liebeskommunikation mit den Dimensionen Politik und Gesellschaft beziehungsweise, konkreter, Krieg und Gewalt zeugen und zeitgenössische Gefühlspolitiken perpetuierten. Als eine Art von Transmissionsriemen dienten dabei nicht zuletzt hegemoniale Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte. Auch in dieser Hinsicht ist eine klare Steigerung vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg, das heißt hin zum Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht ab 1939 deutlich geworden. In den analysierten Briefbeständen wurden jedoch nur bestimmte Formen des Gewalthandelns und -erleidens manifest, und es ließen sich darin – um das noch einmal zu betonen – keine umfassenderen Zweifel an der Legitimität der eigenen Kriegsführung finden. Die untersuchten Paarkorrespondenzen waren sowohl in den Jahren 1914/18 als auch 1939/45 mehrheitlich von Identifikation mit den Ansprüchen und Ideologemen der militarisierten Gesellschaften getragen, was nicht nur auf herrschende Zensurbestimmungen zurückgeführt werden kann. Vermutlich gerade deswegen finden sich auch Leerstellen, etwa in Bezug auf Konkretisierungen der Tötungsgewalt seitens der Soldaten, Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung und alle Formen sexueller Gewalt. Darüber zu berichten, hätte wohl wesentliche Funktionen der Paarkorrespondenzen im Krieg unterminiert – oder aber jene Widerständigkeit motivieren können, die wir in den Quellen schmerzlich vermisst haben.

Anmerkungen 1 Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt a. M. 1988, 30. 2 Anna Ertl (Pseud.) an Alfred Ertl (Pseud.), 16.1.1918, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 174. Erhalten sind, neben anderen Selbstzeugnissen, amtlichen Dokumenten und Fotografien, insgesamt ca. 1.150 Briefe und Karten des Paares, von denen der größte Teil im Laufe des Ersten Weltkriegs verfasst wurde. Diese Schreiben liegen in Form eines durch die Enkelin erstellten Transkripts vor. Alfred Ertl (1885–1952) hatte 1911 sein Jus-Studium abgeschlossen, Anna Ertl (1890–1926) vor der Eheschließung 1913 eine Ausbildung zur Klavierlehrerin absolviert. Zu

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Kriegsende hatten sie drei Kinder, geb. 1913, 1915 und 1917. Die Familie lebte im Haus ihrer Eltern in einer ostösterreichischen Stadt. 3 Alfred Ertl an Anna Ertl, 4.1.1918, SFN, NL 174. Der neue Einsatzort war zunächst Latisana, wo Ertl bis zum 10.1.1918 blieb. 4 Alfred Ertl an Anna Ertl, 12.1.1918, SFN, NL 174. 5 Vgl. Vinzenz Zirner (Pseud., 1922–1978) an Traude Kalinka (Pseud., 1923–2008), 17.8.1942, SFN, NL 123. Dieser erste überlieferte Brief ist noch in »Sie«-Form gehalten. Darin heißt es: »Nun möchte ich Ihnen noch einen Vorschlag machen, wollen wir nicht lieber Du zu einander sagen? Wenn ja dann schreiben Sie mir mit Du zurück. Aber bestimmt.« Danach wurde Zirner zunächst nach Landeck verlegt, dann nach Neapel und schließlich, um den 20.3.1943 herum, nach Tunis. Seine Briefpartnerin und spätere Ehefrau war die Tochter eines Angestellten bei der städtischen Friedhofsverwaltung und einer Hilfsarbeiterin, sie war später Verkäuferin im Einzelhandel. 6 Vgl. den Brief von Vinzenz Zirner an Traude Kalinka vom 20.2.1943, SFN, NL 123, in dem er ihr im Anschluss an das Schreiben einer gemeinsamen Bekannten, die ihm Traudes Verliebtheit angedeutet hatte, eine explizite Liebeserklärung machte: »Ich habe Dich an dem Tag wo wir uns in Laxenburg kennen gelernt haben sehr liebgewonnen obwohl ich nur einen Tag mit Dir zusammen hab sein können.« 7 Das Konvolut SFN, NL 123 enthält neben anderen Quellen insgesamt 322 Korrespondenzstücke. Aus dem Zweiten Weltkrieg ab 1942 bzw. der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft in den USA bis Oktober 1945 und den darauffolgenden Monaten sind 111 Schreiben von Vinzenz Zirner und nur drei Briefe von Traude Kalinka erhalten; zudem einige an sie adressierte Briefe von Angehörigen seiner Familie und anderen Soldaten. 8 Das gepanzerte und motorisierte Deutsche Afrikakorps unter General Rommel landete im Februar 1941 in Tripolis, die Kapitulation der deutschen und italienischen Truppen erfolgte am 12./13.5.1943. Fast 250.000 Soldaten – darunter auch Vinzenz Zirner – kamen daraufhin in Kriegsgefangenschaft. 9 Vinzenz Zirner an Traude Kalinka, 30.3.1943, SFN, NL 123. 10 Vinzenz Zirner an Traude Kalinka, 20.2.1943, SFN, NL 123. 11 Die Zahlen sind gigantisch, schon für den Ersten Weltkrieg. Bezogen auf die Habsburgermonarchie finden sich Angaben, dass via Feldpost pro Tag etwa 9 Millionen Sendungen aller Art transportiert wurden – wobei vermutlich, wie im Deutschen Reich, jene von der ›Heimat‹ Richtung ›Front‹ bei weitem überwogen. Vgl. auch den Beitrag zum Ersten Weltkrieg von Ines Rebhan-Glück in diesem Band; sowie Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914–1933, Essen 1997, 40, mit der Schätzung, dass hier 1914/18 insgesamt etwa 28,7 Milliarden Feldpostsendungen befördert wurden. Im Tagesdurchschnitt standen dabei rund 9,9 Millionen Sendungen an die ›Front‹ rund 6,8 Millionen in umgekehrter Richtung gegenüber. Im Zweiten Weltkrieg waren es im Deutschen Reich allein rund 40 Milliarden Postsendungen; vgl. z. B. Klaus Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrung 1939–1945, Paderborn/München/Wien u. a. 1998, 27. Rund 24 % davon stammten von Fronttruppen und rund 76 % aus der Heimat. 12 Isa Schikorsky, »Dein bis in den Tod« – Zur Sprache der Liebe unter den Bedingungen des Krieges, in: Stefan J. Schierholz in Zusammenarbeit mit Eilika Fobbe, Stefan Goes u. Rainer Knirsch (Hg.), Die deutsche Sprache in der Gegenwart. Festschrift für Dieter Cherubim zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M./Berlin/Bern u. a. 2001, 69–79, 70. 13 Der Begriff »Gefühlsregime« bzw. »emotional regime« geht zurück auf William Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001, 129, wo er breiter und bezogen auf politische Systeme generell definiert wird als Bündel »normativer Emotionen und die offiziellen Rituale, Praktiken und emotives, die diese ausdrücken und einschärfen«: Jan Plamper, Wie schreibt man die Geschichte der Gefühle?

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Im Gespräch mit William Reddy, Barbara Rosenwein und Peter Stearns, in: Werkstatt Geschichte, 54 (2010), 39–69, 44. 14 Insbesondere was den Zweiten Weltkrieg anbelangt, geht es demnach im Folgenden nicht um verfolgte (jüdische)  Paare oder Angehörige anderer vom Nationalsozialismus ausgegrenzter Minderheiten. In Hinblick auf den Fokus auf Cisleithanien bzw., noch enger, auf die österreichische deutschsprachige Bevölkerung im Ersten Weltkrieg folgt der Beitrag der räumlichen Fokussierung des Projekts, wie in der Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle beschrieben. 15 Vgl. als Zusammenschau etwa Benjamin Ziemann, Feldpostbriefe und ihre Zensur in den zwei Weltkriegen, in: Klaus Beyrer u. Hans-Christian Täubrich (Hg.), Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996, 163–171. 16 Isa Schikorsky, Kommunikation über das Unbeschreibbare. Beobachtungen zum Sprachstil von Kriegsbriefen, in: Wirkendes Wort, 42, 2 (1992), 295–315, 295. Vgl. schon früher für den angloamerikanischen Raum etwa Paul Fussell, The Great War and Modern Memory, Oxford 1975, 183. 17 Vgl. als Bilanz solcher Forschungen Martha Hanna, A Republic of Letters: The Epistolary Tradition in France during World War I, in: American Historical Review, 108, 5 (2003), 1338–1361, 1340 f., u. a. Bezug nehmend auf Frédéric Rousseau, La guerre censurée. Une histoire des combattants européens de 14–18, Paris 1999. 18 Das hängt v. a. damit zusammen, dass die Postwege von der ›Front‹ in die ›Heimat‹ weniger unsicher waren als umgekehrt und dass Briefe an die Soldaten oft im Kampfgeschehen verloren gingen, wenn z. B. Stellungen rasch verlassen werden mussten oder Feldpostämter, -züge usw. zerstört wurden. Auch die Einschätzung des Überlieferungswerts von Kriegskorrespondenzen scheint einen Geschlechterbias aufzuweisen. Vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 19 Vgl. als Bilanz und in einer kritischen Perspektive auf die Feldpostforschung: Christa Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares, in: dies., Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/ Köln/Weimar 2014, 55–83 u. 220–230 (Anmerkungen) (Orig. 1998); sowie z. B. Inge Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«. Geschlechterkonstruktionen in Feldpostbriefen, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 41–59; Ulrike Jureit, Zwischen Ehe und Männerbund. Emotionale und sexuelle Beziehungsmuster im Zweiten Weltkrieg, in: WerkstattGeschichte, 22 (1999), 61–73. Betont wird das für den Ersten Weltkrieg etwa auch von ganz neuen Forschungsüberblicken, wie jenem von Martha Hanna, War Letters: Communication between Front and Home Front, in: Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz u. a. (Hg.), 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, Freie Universität Berlin, 8.10.2014, unter: http://dx.doi.org/10.15463/ie1418.10362, Zugriff: 16.10.2016. 20 Vgl. Christa Hämmerle, Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert u. Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 243–254. 21 Latzel, Deutsche Soldaten, 333; ähnlich schon Schikorsky, Kommunikation über das Unbeschreibbare, 297. 22 Hanna, War Letters, Abs. 1. 23 Vgl. Hanna, War Letters, Abs. 9–20; Hämmerle, Entzweite Beziehungen?, 244 f. 24 Hanna, Republic of Letters, 1341. 25 Hanna, Republic of Letters, 1341. 26 Vgl. am Beispiel eines australischen Liebespaares auch Kate Hunter, More than an Archive of War: Intimacy and Manliness in the Letters of  a Great War Soldier to the Woman He Loved, 1915–1919, in: Gender & History, 25, 2 (2013), 339–354; sowie, fokussierend auf Mutter-Sohn-Beziehungen, Großbritannien und die Westfront: Michel Roper, The secret

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battle. Emotional survival in the Great War, Manchester/New York 2009; Inge Marszolek, Liebe und Politik im Ersten Weltkrieg: Der Briefwechsel Helene und Wilhelm Kaisen, in: Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann u. Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup, Frankfurt a. M./New York 1999, 137–159. 27 Vgl. Hanna, Republic of Letters, 1343–1348. Vgl. auch John Horne, Soldiers, Civilians and the Warfare of Attrition: Representations of Combat in France, 1914–1918, in: Frans Coetzee u. Marilyn Shevin-Coetzee (Hg.), Authority, Identity and the Social History of the Great War, Providence, RI/Oxford 1995, 223–249. 28 Vgl. auch, als Zusammenstellung einer großen Bandbreite von (hier stark komprimiert dargestellten) einschlägigen Studien, entstanden im Anschluss an eine mehrtägige Konfe­ renz im Museum für Kommunikation Berlin: Didczuneit/Ebert/Jander, Schreiben im Krieg. 29 Katrin A. Kilian, Kriegsstimmungen. Emotionen einfacher Soldaten in Feldpostbriefen, in: Jörg Echternkamp (Hg.), Die Deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Zweiter Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung, München 2005, 251–288, 265, 269. 30 Jureit, Zwischen Ehe und Männerbund, 62. 31 Klaus Latzel, Die Zumutungen des Krieges und der Liebe – zwei Annäherungen an Feldpostbriefe, in: Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart 1989, 204–221, 215. 32 Damit gemeint sind Soldaten unterschiedlicher Ränge bis hin zum Leutnant als dem untersten Offiziersrang; ein weiteres Auswahlkriterium war Kampferfahrung. Herangezogen wurden 4.802 Briefe aus dem Zweiten und 2.053 Briefe aus dem Ersten Weltkrieg; vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, 106 f. 33 Latzel, Deutsche Soldaten, 123 f.; vgl. auch ebd., 120 f. 34 Latzel, Deutsche Soldaten, 124. 35 Latzel, Deutsche Soldaten, 329. 36 Latzel, Deutsche Soldaten, 333. 37 Vgl. für den Ersten Weltkrieg den Beitrag von Ines Rebhan-Glück in diesem Band. 38 Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, 338–344. 39 Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, 295–299. 40 Marszolek, »Ich möchte dich zu gern mal in Uniform sehen«, 44; vgl. auch ebd., 45–51. 41 Vgl. Martin Humburg, Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachts­soldaten aus der Sowjetunion 1941–1944, Wiesbaden 1998. Deren Dienstgrade reichen vom Schützen bis zum Leutnant als dem untersten Offiziersrang, beinhalten also vor allem Mannschaftsund Unteroffiziersränge. Einbezogen wurden 739 Einzelbriefe von 25 Soldaten; vgl. ebd., 87. 42 Humburg, Das Gesicht des Krieges, 89. 43 Humburg, Das Gesicht des Krieges, 173. 44 Humburg, Das Gesicht des Krieges, 182 f. 45 Vgl. etwa Humburg, Das Gesicht des Krieges, 175; zu Letzterem auch Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«, 41f; Christa Hämmerle, Between Instrumentalisation and Self-Governing: (Female)  Ego-Documents in The European Age of Total War, in: Francois-Joseph Ruggiu (Hg.), The Uses of First Person Writings. Africa, America, Asia, Europe/Les usages des écrits du for privé. Afrique, Amérique, Asie, Europe, Bruxelles/Bern/Berlin u. a. 2013, 263–284, 274. 46 Vgl. z. B. in Hinblick auf den Einschluss der zivilen Bevölkerung in das Gewalthandeln und -denken kriegsführender Staaten: John Horne, Civilian populations and wartime violence: towards an historical analysis, in: International Social Science Journal, 174 (2002), 483–490. 47 Vgl. Nicholas Stargardt, Der deutsche Krieg 1939–1945, Frankfurt a. M. 2015. 48 Vgl. z. B. Stig Förster, Das Zeitalter des totalen Kriegs, 1861–1945. Konzeptionelle Überlegungen für einen historischen Strukturvergleich, in: Mittelweg 36, 8, 6 (1999), 12–29; ders. u. Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification, 1861–1871, Cambridge 2002 (revised edition); für Österreich-Ungarn

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z. B. Felix Butschek, Organization of War Economies (Austria-Hungary), in: Daniel/Gatrell/ Janz u. a., 1914–1918-online, unter: http://dx.doi.org/10.15463/ie1418.10835, Zugriff: 16.10.2016. 49 Vgl. für die k. u. k. Monarchie nun v. a. Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser u. a., Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014; sowie Oswald Überegger, »Verbrannte Erde« und »baumelnde Gehenkte«. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel u. Daniel Hohrath (Hg.): Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien u. a. 2008, 241–278; Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt 2008; in Bezug auf die Westfront das Standardwerk von John Horne u. Alan Kramer, German Atrocities 1914. A History of Denial, New Haven/London 2002. 50 Vgl. Stargardt, Der deutsche Krieg, z. B. 128, 138, 314, 340 f. 51 Vgl. ausführlicher Hämmerle, Between Instrumentalisation and Self-Governing. 52 Vgl. Anm. 18. 53 Vgl. auch die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Sammelband. Gerade soziale Unterschichten kommunizierten im Ersten Weltkrieg wohl noch häufiger im Medium der später nicht aufbewahrten (Feld-)Postkarte. 54 Ein geringer Teil dieser 17 Bestände gehört zu jenen, die im Rahmen des Projekts mit Atlas.ti codiert wurden. In Bezug auf die Zitierweise folge ich den gemeinsamen Richtlinien: Im gesamten Beitrag handelt es sich bei den verwendeten Namen meist um Pseudonyme, das gilt auch für in den Briefen genannte Drittpersonen. Ausnahmen gibt es nur bei jenen Korrespondenzen, zu denen bereits wissenschaftliche Publikationen bzw. Editionen unter Verwendung der richtigen Namen vorliegen. Zitiert wird in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 55 Vgl. Anm. 2; SFN, NL 174. Teile dieser Korrespondenz stammen auch vom März und April 1915, als Alfred Ertl als Einjährig-Freiwilliger in Görz/Gorizia und Laibach/Ljubljana war. Dann v. a. aus 1917/1918, konkret vom 16.4.1917 bis zum 2.6.1918, als er seine Transferierung von Cormons/Krmín/Kremaun im östlichen Friaul in seine Heimatstadt ankündigt. 56 SFN, NL 14 I. Überliefert sind aus der Zeit des Ersten Weltkriegs 189 Schreiben, wovon 124 von Leopold Wolf (1881–1952) stammen; auch Christl Lang, verh. Wolf (1881–1975) kam aus gut situierten Verhältnissen. Leopold Wolf avancierte zum Oberleutnant, er war zunächst in Belgien, dann an der Ostfront und schließlich – nunmehr für den Autofuhrpark seiner Einheit zuständig – im Etappenraum zu Italien stationiert. 57 SFN, NL 21 II. Die Feldpostkorrespondenz von Friedrich Weber (1886–1968), einem Angestellten, der Offizier der Reserve war, und Lilli Weber, geb. Wehle (1894–1987), einer vom Judentum konvertierten Fabrikantentochter, ist Teil eines umfangreichen Familiennachlasses. Erste Briefe der beiden sind aus 1913 überliefert, dem Jahr der Hochzeit. Beginnend mit einer vom 19.3.1915 datierenden Karte mit dem Motiv des »Wehrmann in Eisen« folgen daraufhin im Bestand sieben teilweise lange Feldpostschreiben. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, geb. 1917 und 1919, und trennte sich auf sein Betreiben hin 1925; ab nun führte Lilli den Doppelnamen Weber-Wehle. 58 SFN, NL 14 III. Die 120 eng beschriebenen Brief- oder Ansichtskarten mit verschiedenen Motiven datieren vom 5.5.1915 bis zum 11.10.1918. Die zwei Söhne von Emilie (Pseud., Mädchenname unbekannt, 1886–1926) und Albert Maier (Pseud., 1881–1944) wurden 1910 und 1913 geboren, an sie sind neun weitere Bildpostkarten des Vaters adressiert. 59 SFN, NL 148 I; konkret vom 16.1.1916 bis 19.5.1918. Zusätzlich sind aus der Zeit des Ersten Weltkriegs ein Brieffragment von Magdalena Zenker, verh. Simatschek (Pseud., ­1894–1970), sowie eine Bildpostkarte von Alois Simatschek (Pseud., 1922–1943) erhalten. Er war u. a. in Rumänien im Kriegseinsatz.

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60 SFN, NL 74. Biografische Einzelheiten sind unbekannt; die Annahme, dass Gustav Malik (Pseud., 1884–1953) ein Handwerk erlernt hatte, erschließt sich aus dem Bestand selbst. Seine Kriegsgefangenenkorrespondenz umfasst 19 Schreiben  – zwei lange Briefe und 17 Postkarten – von Juni 1916 bis Oktober 1917. In einem der Briefe schildert Malik seiner Verlobten und späteren Ehefrau Josephine Gebhard (Pseud., 1881–1957) sehr detailliert seine Verwundung und Gefangennahme. 61 SFN, NL 75 I. Franz Kundera (1896–1955) wurde wie die Adressatin seiner Schreiben, Anna Mitterhofer, verh. Kundera (1900–1988), im damaligen Mähren geboren. Ihre Jugend verbrachten beide in Kritzendorf bei Wien und heirateten bald nach Kriegsende. Von den 44 erhalten gebliebenen Briefen des Franz Kundera, datiert vom 22.3.1917 bis zum 15.12.1917, sind fast alle mit Bleistift und auf einem vierseitigen Papierbogen verfasst. Vgl. zu diesem Bestand auch: Christa Hämmerle, »Mit Sehnsucht wartent …« Liebesbriefe im Ersten Weltkrieg – ein Plädoyer für einen erweiterten Genrebegriff, in: Geschichte der Gefühle – Einblicke in die Forschung, März 2014, unter: http://dx.doi.org/10.14280/08241.23, Zugriff: 16.10.2016. 62 Vgl. Anm. 5; SFN, NL 123. 63 SFN, NL 60. Rudolf Kretschmar (Pseud., geb. 1907, Todesjahr unbekannt) war Diplomingenieur, seine Frau Charlotte (Pseud., 1915–1999) hatte eine Modeschule in Berlin besucht und arbeitete als Kunstlehrerin und Zeichnerin. Ab 1944 lebte sie in Wien, wo sie sich im Oktober desselben Jahres in die Kunstakademie einschrieb; von daher begründet sich die Aufnahme in das Quellensample. Rudolf Kretschmar war an verschiedenen Einsatzorten, etwa in Stalino/Donezk und in Budapest, als »Reichsbauleiter« tätig, am 1.4.1940 war er der NSDAP beigetreten. Die Korrespondenz der beiden ist nicht vollständig erhalten; aus der Kriegszeit liegen insgesamt 162 Schreiben von Oktober 1939 bis März 1945 vor, die meisten davon aus 1939/40 und 1943/44. 64 SFN, NL 152 I. Olga Josefa Adelsgruber (Pseud., 1914–2011), eine Schneiderin, stammte aus einer bäuerlichen Familie, ihre Großeltern hatten einen großen Gutshof betrieben. Ernest Adelsgruber (Pseud., 1910–1998) war gelernter Tischler und Regimentsmusiker. Die beiden hatten sich 1928 kennengelernt und heirateten im August 1937, ihre Kinder wurden 1939 und 1943 geboren. Die 653 Briefe und Karten (355 Schreiben von ihr und 298 Schreiben von ihm) aus den Jahren 1939 bis 1945 sind Teil eines umfangreichen Familiennachlasses. Ernest Adelsgruber geriet, nachdem er 1942 die Heeresverwaltungsschule in München absolviert hatte und zunächst in Polen, dann als Oberzahlmeister in Kroatien eingesetzt war, 1945 in Kriegsgefangenschaft. 65 SFN, NL 33. Der Korrespondenzbestand von Klara Brenneis, geb. Stubenvoll (Pseud., 1919–1983) und dem Fliesenleger Herbert Brenneis (Pseud., 1916–1945), einem Anfang 1945 in Südbelgien gefallenen Unteroffizier, beginnt mit dem Antritt seines Militärdienstes im Jahr 1936 in Imst/Tirol. Die beiden heirateten im November 1938 und hatten zwei Kinder. Hier einbezogen wurden 29 Briefe von ihm und eine Karte von ihr aus 1937/38 (beginnend mit dem Datum 2.10.1937) sowie die Feldpost des Paares, die in Form von 65 Schreiben (darunter drei Briefe von ihr) aus 1939, 1940 und 1944 erhalten geblieben ist; der letzte Brief von Herbert Brenneis datiert vom 24.12.1944. Er war zunächst in Polen eingesetzt, dann dürfte er verwundet gewesen sein und war länger auch in Deutschland stationiert, bis er an den westlichen Kriegsschauplatz musste. 66 SFN, NL 75 II. Von Hans Hatschek (Pseud., 1921–1944), einem seit Anfang 1940 zunächst in Italien und Russland, dann in Frankreich und zur weiteren Ausbildung vorübergehend in Deutschland stationierten Fallschirmjäger, der 1944 Obergefreiter war, sind 71 Briefe und elf Post- bzw. Ansichtskarten, datiert zwischen 8.1.1944 und 16.8.1944, überliefert; von Seiten Maria Kunderas (1923–2013), die damals in einem Bahnhof nahe Wien arbeitete und im Oktober 1944 zur FLAK einberufen wurde, 32 Briefe und eine Geburtstagskarte, datiert zwischen 31.7.1944 und 22.2.1945. Diese Schreiben haben Hans Hatschek nicht mehr

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erreicht, sie wurden mit dem Vermerk »An Absender zurück. Neue Anschrift abwarten« bzw. »An Absender zurück. Nicht zustellbar« retourniert oder gar nicht mehr abgesendet, d. h. – ab dem Briefdatum 15.9.1944 – in einem Kuvert mit der Aufschrift »An mein Hänschen« aufbewahrt und bis zur Übergabe in die Sammlung Frauennachlässe nicht mehr geöffnet. Andere Briefe, die er erhalten hat, wurden seinem letzten Brief zufolge »irgendwo mit dem Rucksack gesprengt« (Hans Hatschek an Maria Kundera, 16.8.1944). Vgl. zu diesem Bestand auch Stargardt, Der deutsche Krieg, 505 f., 525, wo Hans Hatschek unter dem Namen Hans H. firmiert. 67 SFN, NL 108; von Anneliese Kastenhuber (Pseud., 1926–1998). Die biografischen Daten von Helmut Breiteneder (Pseud.) sind unbekannt. Seine Briefe datieren vom 12.11.1943, als er als »SS Strm.« (Gefreiter) in Frankreich stationiert war, bis zum 27.4.1944, als er in Russland ein­gesetzt war. 68 SFN, NL 77 I. Diese Schreiben an Hermine Hofstätter, verh. Höllwarth (Pseud., 1­ 903–1982), sind zwischen Juli 1940 (ohne genaues Datum) und dem 27.3.1941 verfasst. Sie wurden hier einbezogen, obwohl Maximilian Höllwarth (Pseud., Geburtsjahr unbekannt, gest. 1945) – ein überzeugter Nationalsozialist – in dieser Zeit nicht im direkten Kriegseinsatz stand. Das Paar heiratete im Juni 1941, vorher war Höllwarth mit einer anderen Frau verheiratet gewesen, die im Dezember 1940 Suizid beging. Um das Kriegsende herum wählte er ebenfalls den ›Freitod‹. 69 Stadtarchiv Salzburg (AStS), PA 016/01 und PA 016/02. Der erste erhalten gebliebene Brief von Josef Wiesauer (Pseud., geb. 1911, vermisst ab Januar 1945, für tot erklärt 1958), einem gelernten Zuckerbäcker, der 1940 Angestellter beim Reichsfinanzamt war, dann aber an die Ostfront eingezogen wurde, ist datiert mit 23.3.1942, der letzte mit 7.1.1945. 75 Schreiben stammen aus 1944 und nur vier von Anfang 1945. Seine Ehefrau Franziska/Franzi (Pseud., geb. 1915, Sterbedatum unbekannt) arbeitete damals als Näherin und Bohristin in einer Metallfabrik. Das Paar hatte im März 1939 geheiratet und ein Kind. 70 SFN, NL 55 IV. Richard Schuster (Pseud., 1906–1945), zuletzt im Rang eines Obergefreiten, ist in Danzig-Oliva gefallen. Seine 25 überlieferten Schreiben an Wally Kuklinski (Pseud., biografische Daten unbekannt) datieren vom 28.5.1939 bis zum 21.11.1944. Der Beziehungsstatus zwischen den beiden bleibt in der Korrespondenz unklar, sie könnten eine (frühere)  Liebesbeziehung oder aber Hoffnungen in diese Richtung gehabt haben. Richard Schuster hatte einen Sohn aus seiner nach dem »Anschluss« geschiedenen Ehe, der nicht bei seiner Mutter aufwuchs. 71 SFN, NL 41 II. Friedrich Kettler (Pseud., geb. 1916, Sterbedatum unbekannt), der vor seinem Kriegseinsatz Medizin studiert hat, geriet nach Ostern 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Das Paar kannte sich seit Juli 1944 und trennte sich nach seiner Rückkehr 1949. Helga Böhm (Pseud., 1922–2015) hat 1939 die Matura abgelegt; ihre Großmutter war jüdischer Herkunft. Nach einem Handelsschulkurs leistete sie 1944 den RAD-Dienst im Büro einer Wiener Maschinenfabrik. 72 Das Nummerieren der Postsendungen diente auch dazu, eine Orientierung über die Dauer der Zustellung zu bekommen; Buch führen und gegenseitiges Bestätigen war daher wichtig. 73 Neben den Diskussionen im Rahmen unseres Projekts und insbes. mit Ingrid Bauer konnte ich erste Thesen dieses Beitrages auch auf Vorträgen zur Diskussion stellen, u. a. am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung/Forschungsbereich Geschichte der Gefühle in Berlin (2011), beim Netzwerktreffen »Welt aneignen. Alltagsgeschichte transnational« zum Thema »Gefühle und Sinnlichkeit. Transnationale Annäherungen« im Moulin d’Andé/Frankreich (2013), auf der Konferenz »War – an Emotional History« an der British Academy/London (2015), im Rahmen des Workshops »Love, Sex, and War: Towards another History of the Twentieth Century Europe« in Sciences Po/Paris, und beim Workshop »›Volksgemeinschaft‹ als Geschlechtergemeinschaft? Die Relationalität der Geschlechter und der Nationalsozialismus« in Braunschweig (2015). Viele Kolleginnen

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und Kollegen haben mir dabei wichtige Anstöße vermittelt; namentlich danken möchte ich insbes.  – in alphabetischer Reihenfolge  – Andrew Bergerson, Patrick Farges, Ute ­Frevert, Claire Langhamer, Alf Lüdtke, Klaus Latzel, Franka Maubach, Elissa Mailänder, Julia Paulus und Claudia Siebrecht. 74 Solche Schreiben sind im Bestand SFN, NL 123 ebenfalls enthalten. 75 Kilian, Kriegsstimmungen, 265; vgl. auch Stargardt, Der deutsche Krieg, 502. 76 In Anlehnung an Roland Barthes’ 1977 erschienene »Fragments d’un Discours Amoureux« schreibt Eva Lia Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Schriftliche Liebeskommunikation vom 19. Jahrhundert bis in die Internet-Ära, in: Martin Luginbühl u. Daniel Perrin (Hg.), Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text, Bern/Berlin/Bruxelles u. a. 2011, 81–123, 81, vom Liebesbrief als »Metazeichen« der Liebe, dem als Ganzes (das heißt auch in seiner Materialität) die Funktion zukomme, die Liebe der Schreibenden zu bezeichnen. 77 Ich danke Andrew Stuart Bergerson für die Überlassung seines Manuskripts (hier mit Seite 7 zitiert), das publiziert wird als: ders., Das Sich-Einschreiben in die NS-Zukunft. Liebesbriefe als Quelle für eine Alltagsgeschichte der Volksgemeinschaft, in: Detlef Schmiechen-Ackermann, Marlis Buchholz, Bianca Roitsch u. a. (Hg.), Der Ort der ›Volksgemeinschaft‹ in der deutschen Gesellschaftsgeschichte. Bilanz und neue Perspektiven einer produktiven Forschungsdebatte, Paderborn 2017 (in Vorbereitung). 78 Vgl. auch die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 79 Vgl. etwa Ute Frevert, Emotions in History – Lost and Found, Budapest/New York 2011, 7. 80 Vgl. Peter-Paul Bänziger, Liebe tun. Arbeiten an einer Emotion am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie, 17, 1 (2009), 1–16. 81 Esther Milne, Letters, Postcards, Email. Technologies of Presence, New York/London 2010, 52. 82 Milne, Letters, Postcards, Email, 53. 83 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 25.3.1917, SFN, NL 75 I. 84 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 21.5.1917, SFN, NL 75 I. 85 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 4.6.1917, SFN, NL 75 I. 86 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 25.7.1917, SFN, NL 75 I. 87 Helmut Breiteneder an Anneliese Kastenhuber, 21.1.1943, SFN, NL 108. 88 Helmut Breiteneder an Anneliese Kastenhuber, 25.4.1944, SFN, NL 108. 89 Helmut Breiteneder an Anneliese Kastenhuber, 18.12.1943, SFN, NL 108. 90 Helmut Breiteneder an Anneliese Kastenhuber, 27.4.1944, SFN, NL 108. 91 Alfred Ertl an Anna Ertl, 1.5.1917, SFN, NL 174. 92 Anna Ertl an Alfred Ertl, 7.5.1917, SFN, NL 174. 93 Vgl. Hanna, War Letters, Abs. 1. 94 Petra Bopp schätzt, dass im Jahr 1939 rund zehn Prozent der Deutschen eine eigene Kamera besaßen; vgl. die von ihr kuratierte Ausstellung »Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg«, Volkskundemuseum Wien, 14.10.2016–19.2.2017, sowie den gleichnamigen Katalog dazu. 95 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 20.8.1944, AStS, PA 016/02. 96 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 5.10.1944, AStS, PA 016/02. Vgl. zu diesem in Hinblick auf die offene Thematisierung von Erotik und Sexualität außergewöhnlichen Briefbestand auch den Beitrag von Brigitte Semanek in diesem Band. 97 Ernest Adelsgruber an Olga Josefa Adelsgruber, 27.10.1944, SFN, NL 152 I. 98 Frank Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg. Geschlechtsspezifische Dimensionen der Gewalt in Feldpostbriefen 1941–1944, in: Didczuneit/Ebert/Jander, Schreiben im Krieg, 283–294, 289, mit der Erläuterung, dass der »Härte-Code« bei Soldaten als »innerer Unterdrückungsmechanismus« wirkte, der einerseits »Ängste und Heimweh disziplinierte« und andererseits »Gewissensbisse kontrollierte, moralische Widersprüche

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austarierte und speziell an der Ostfront einen kollektiven Habitus konstituierte«. Vgl. auch weiter hinten in diesem Beitrag. 99 Ernest Adelsgruber an Olga Josefa Adelsgruber, 27.10.1944, SFN, NL 152 I. 100 Ernest Adelsgruber an Olga Josefa Adelsgruber, 5.12.1944, SFN, NL 152 I. 101 Hans Hatschek an Maria Kundera, 11.1.1944, SFN, NL 75 II. 102 Hans Hatschek an Maria Kundera, 31.1.1944, SFN, NL 75 II; vgl. auch ebd., 19.4.1944: »Kriegst ein Busserl am Bild (15 Uhr 35), hast es g’spürt?« 103 Hans Hatschek an Maria Kundera, 29.6.1944, SFN, NL 75 II. 104 Maria Kundera an Hans Hatschek, 26.8.1944, SFN, NL 75 II. 105 Hans Hatschek an Maria Kundera, 16.7.1944, SFN, NL 75 II. 106 Maria Kundera an Hans Hatschek, 20.8.1944, SFN, NL 75 II. 107 Nach ersten, hier 1942 einsetzenden Fliegeralarmen und Bombardierungen insbesondere von Wiener Neustadt ab August 1943 kam es in Wien im Zeitraum von 1944 bis Kriegsende zu mehr als 50 größeren Luftangriffen; vgl. Christine Holler u. Franz Severin Berger, Ich habe überlebt. Fragen an, Erinnerungen von, Gespräche mit Wiener Frauen über den Bombenkrieg gegen Wien 1943 bis 1945, in: Peter Eppel (Hg.), Frauenleben 1945 – Kriegsende in Wien, Wien 1995, 26–40. Vgl. auch weiter hinten in diesem Beitrag. 108 Maria Kundera an Hans Hatschek, 7.9.1944, SFN, NL 75 II. 109 Diese Praktik ist des Öfteren belegt. Vgl. auch Sabine Grenz, Feldpostbriefe, die nie versandt wurden. Das Brieftagebuch der Ursel H. – Konstruktion einer Beziehung, in: Didczuneit/Ebert/Jander, Schreiben im Krieg, 253–261. 110 Hans Hatschek an Maria Kundera, 1.6.1944, SFN, NL 75 II, wohl bezogen auf den Großen oder Kleinen Wagen. Zum Zeitpunkt dieses Briefes war Hatschek vor seinem Abgang an die Front gegen Frankreich noch in der Nähe von Köln stationiert, daher meint er hier vermutlich Luftangriffe der Alliierten. 111 Vgl. u. a. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts; Martyn Lyons, Love Letters and Writing Practices: On Écritures Intimes in the Nineteenth Century, in: Journal of Family History, 24, 2 (1999), 232–239; Renate Stauf, Anette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008. 112 Vgl. Cécile Dauphin, Pierrette Lebrun-Pézerat u. Danièle Poublan (Hg.), Ces bonnes lettres. Une correspondance familiale au XIXe siècle, Paris 1995, 131. Der im Anschluss an Philippe Lejeunes Konzept eines »autobiografischen Paktes« definierte »epistolarische Pakt« bedeutet die implizite Vereinbarung, auf erhaltene Briefe umgehend zumindest in gleicher Ausführlichkeit zu antworten und dabei bestimmte Schreibrituale einzuhalten. 113 Vgl. Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts, 108 f. u. 114 f. 114 Nur besser gestellte Paare thematisierten mitunter, dass sie auch per Telegramm oder – im Einzelfall schon im Ersten Weltkrieg – per Telefon miteinander kommunizierten. 115 Eva Lia Wyss, Fragmente einer Sprachgeschichte des Liebesbriefs. Liebesbriefe im 20.  Jahrhundert im Spannungsfeld von Sprach-, Kommunikations- und Mediengeschichte, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, 64 (2002), 57–92, 59. Vgl. zur Definition auch dies., Der Liebesbrief zwischen Kunst, Alltagsschriftlichkeit und populärer Kultur. Zur Bestimmung und historischen Variation einer Textsorte, in: Helga Arend (Hg.), »Und wer bist du, der mich betrachtet?« Populäre Literatur und Kultur als ästhe­ tische Phänomene, Bielefeld 2010, 351–373. 116 Anna Ertl an Alfred Ertl, 4.1.1918, SFN, NL 174. 117 Ernest Adelsgruber an Olga Josefa Adelsgruber, 8.9.1939, SFN, NL 152 I. 118 Friedrich Kettler an Helga Böhm, 29.3.1945, SFN, NL 41 II. 119 Vgl. Anm. 112. 120 Alfred Ertl an Anna Ertl, 10.3.1918, SFN, NL 174. 121 Alfred Ertl an Anna Ertl, 6.5.1917, SFN, NL 174.

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Alfred Ertl an Anna Ertl, 8.7.1917, SFN, NL 174. Anna Ertl an Alfred Ertl, 7.6.1917, SFN, NL 174. Anna Ertl an Alfred Ertl, 18.4.1918, SFN, NL 174. Zum Feldpostbrief als »Gesprächsmedium« vgl. auch Latzel, Deutsche Soldaten, 31 f. Lilli Weber an Friedrich Weber, 20.3.1918, SFN, NL 21 II. Magdalena Zenker an Alois Simatschek, 25.8.1918, SFN, NL 148 I. Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 13.10.1944, AStS, PA 016/02. Ab dem 1. August 1944 war es im besetzten Warschau zur Erhebung der polnischen Heimatarmee gekommen. Sie endete nach über zwei Monaten mit deren Kapitulation und führte seitens der deutschen Besatzungstruppen zur fast gänzlichen Zerstörung der Stadt sowie zahlreichen Massenmorden unter der Zivilbevölkerung. 130 Obwohl Hinweise auf Amulette oder Talismane in meinem Quellensample seltener sind, kann davon ausgegangen werden, dass das Mitgeben oder Übersenden solcher Gegenstände als Zeichen der Liebe und der damit verbundenen Hoffnung auf Schutz, neben dem Einsatz religiöser Schutzbringer wie Andachtsbilder oder Marien- und Schutzengelamulette, sehr verbreitet war – im Ersten wohl weit mehr als im Zweiten Weltkrieg. Das scheint so selbstverständlich gewesen zu sein, dass brieflich kaum darüber kommuniziert wurde. 131 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 3.8.1944, AStS, PA 016/02. 132 Eva Lia Wyss (Hg.), Leidenschaftlich eingeschrieben. Schweizer Liebesbriefe, München/ Wien 2006, 13. 133 Vgl. wiederum die Definition von Wyss, Der Liebesbrief zwischen Kunst, Alltagsschriftlichkeit und populärer Kultur, 352. 134 Vgl. auch den Beitrag von Brigitte Semanek in diesem Band. 135 Vgl. Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, SFN, NL 60. Ein Teil  dieser Kosenamen taucht in der Korrespondenz häufiger auf. 136 Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, München 2005, 36. 137 Hunter, More than an Archive of War, 347, in Anlehnung an brieftheoretische Erörterungen. 138 Humburg, Das Gesicht des Krieges, 62. 139 Humburg, Das Gesicht des Krieges, 174. Vgl. auch, als Vorarbeit zum hier vorgelegten Beitrag bzw. diese These von Humburg aufgreifend: Hämmerle, Entzweite Beziehungen?; sowie Ines Rebhan-Glück, Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18), in: Österreich in Geschichte und Literatur (ÖGL) 56, 3 (2012), 231–246. 140 Vgl. am Beispiel eines großen ›Kassenschlagers‹ des ›Dritten Reiches‹ u. a. Elissa Mailänder, Der NS-Spielfilm »Die große Liebe« (1942). Auftakt zum Vernichtungskrieg oder Liebeserklärung an den Krieg?, in: Maren Büttner, Christine Hartig u. Tilmann Siebeneichner (Hg.), Montagen zur Herrschaftspraxis in der Klassischen Moderne. Alltagshistorische Perspektiven und Reflexionen, Essen 2013, 69–96. 141 Vgl. Stargardt, Der deutsche Krieg, 91–94 u. 392. 142 Vgl. z. B. Ulrich, Die Augenzeugen, 156–168; Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst!, 71–82. 143 Vgl., kritisch gegenüber dem Narrativ der ›Entfremdung‹: Benjamin Ziemann, Geschlech­ terbeziehungen in deutschen Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs, in: Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.) Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 261–281, 262 f. 144 Vgl. den Beitrag von Ines Rebhan-Glück in diesem Band; sowie u. a. Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! 145 Hunter, More than an Archive of War, 351, Bezug nehmend auf Liz Stanley, The Episto­ larium: On Theorizing Letters and Correspondences, in: Auto/Biography, 12, 3 (2004), 201–235, 208.

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146 Herbert Brenneis an Klara Stubenvoll, 6.12.1937, SFN, NL 33. 147 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 27.7.1939, SFN, NL 60. 148 Vgl. zum von unserem Projekt gewählten, breiteren Begriff der ›Paarkorrespondenzen‹ die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 149 Am Beginn des Ersten Weltkriegs kam es auch zu beträchtlichen Verlusten durch Paketwaggonbrände, die durch Sendungen mit Benzinfeuerzeugen ausgelöst wurden; vgl. Paul Höger, Das Post- und Telegraphenwesen im Weltkrieg, in: Joachim Gatterer u. Walter Lukan (Red.), Studien und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Feldpost im Ersten Weltkrieg, 1, Wien 1989, 23–54, 52. 150 Letzteres kommt in den Quellen ebenfalls vor, kann aber im Folgenden nicht näher thematisiert werden. 151 Vgl. Hämmerle, Between Instrumentalisation and Self-Governing, 271–274; Roper, The secret battle, 93–106. 152 In dieses waren auch die Schulen und Frauenvereine involviert, es adressierte millionenfach den Absenderinnen und Absendern unbekannte Soldaten. Vgl. Christa Hämmerle, Wäsche für Soldaten. Die Militarisierung des weiblichen Handarbeitens, in: dies., Heimat/Front, 105–137 u. 238–249 (Anmerkungen) (Orig. 1992); dies., Habt Dank, Ihr Wiener Mägdelein … ›Liebesgaben‹ für die Soldaten, in: ebd., 139–159 u. 249–257 (Anmerkungen) (Orig. 1997). 153 Vgl. Höger, Das Post- und Telegraphenwesen, 45; Alfred Clement, Handbuch der Feld- und Militärpost in Österreich, Graz 1964, 379 f. Diese fielen unter »gewöhnliche Briefsendungen aller Art« und enthielten etwa Seife, Kämme und Bürsten, haltbare Lebensmittel oder kleinere Wäschestücke; sie durften nicht mehr als 250 g, später nicht mehr als 500 g wiegen. 154 Vgl. Clement, Handbuch der Feld- und Militärpost, 379–382 u. 504 f. 155 So sollen allein die ab dem 11.2.1917 eingerichteten k. u. k. Feldpostanstalten in Rumänien bis zum 19.10.1918 rund 3.856.000 Pakete heimwärts befördert haben; deren erlaubtes Maximalgewicht wurde sogar auf 20 kg angehoben. Insgesamt standen 1917/18 den statistisch erfassten rund 12 Millionen Paketen an die »Armee im Felde« mindestens fünf, wenn nicht über sechs Millionen Stück gegenüber, die nun in die andere Richtung versandt wurden – wobei sich das Verhältnis 1918 sogar umkehrte: Nur mehr 3.950.989 gezählten Paketstücken aus der ›Heimat‹ standen nun 5.470.026 von Angehörigen der »Armee im Felde« versandte Feldpostpakete gegenüber. Vgl. Höger, Das Post und Telegraphenwesen, 46 u. Tabelle 2, 48; Clement, Handbuch der Feld- und Militärpost, 333 f., 504. Manche Zahlenangaben variieren hier allerdings. 156 Clement, Handbuch der Feld- und Militärpost, 333 f. 157 Magdalena Zenker an Alois Simatschek, 21.11.1916, SFN, NL 148 I. 158 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 20.4.1917, SFN, NL 75 I. 159 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 2.8.1917, SFN, NL 75 I. 160 Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 21.7.1917, SFN, NL 75 I. Zur Genese der Liebesbeziehung im Modus der Korrespondenz vgl. den Beitrag von Ines Rebhan-Glück zum Ersten Weltkrieg; sowie Hämmerle, »Mit Sehnsucht wartent …«. 161 Vgl. etwa Hannes Leidinger u. Verena Moritz (Hg.), In russischer Gefangenschaft. Erlebnisse österreichischer Soldaten im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2008. 162 Gustav Malik an Josephine Gebhard, 11.7.1916, SFN, NL 74. 163 Gustav Malik an Josephine Gebhard, 7.6.1917, SFN, NL 74. Vgl. zu dieser Passage auch den Beitrag von Brigitte Semanek in diesem Band. 164 Albert Maier an Emilie Maier, 7.1.1916, SFN, NL 14 III. 165 Albert Maier an Emilie Maier, 28.9.1916, SFN, NL 14 III. 166 So gibt er ihr mehrfach Anweisungen zur Zeichnung von Kriegsanleihen oder zur Überweisung von Geld.

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167 Albert Maier an Emilie Maier, 12.1.1917, SFN, NL 14 III. 168 Albert Maier an Emilie Maier, 20.12.1916, SFN, NL 14 III. 169 Für die k. u. k. Armee fand ich keinen Hinweis darauf, dass Offiziere Lebensmittelpakete auch mit ihren Mannschaften teilten  – wie für die britische und französische Armee belegt; vgl. Hanna, War Letters, Abs. 6. 170 Leopold Wolf an Christl Lang, 26.3.1915, SFN, NL 14 I. 171 Leopold Wolf an Christl Lang, 4.4.1915, SFN, NL 14 I. 172 Leopold Wolf an Christl Wolf, 24.12.1917, SFN, NL 14 I. 173 Vgl. Anm. 155. 174 Albert Maier an Emilie Maier, 10.9.1917, SFN, NL 14 III. 175 Albert Maier an Emilie Maier, 7.4.1918, SFN, NL 14 III. 176 Albert Maier an Emilie Maier, 9.6.1918, SFN, NL 14 III. 177 Eine Abfrage nach dem Wort »Paket« im Transkript dieser Korrespondenz ergibt für 1917 65 und für 1918 46 Treffer. 178 Alfred Ertl an Anna Ertl, 17.8.1917, SFN, NL 174. 179 Alfred Ertl an Anna Ertl, 16.3.1918, SFN, NL 174. 180 Vgl. Kilian, Kriegsstimmungen, 256 f., auch mit dem Verweis darauf, dass einmal im Monat 1-Kilo-Sendungen von Wehrmachtsangehörigen aus dem Generalgouvernement abgabefrei waren. Im hier analysierten Sample werden Maßnahmen gegen den grassierenden Versand von »organisierten oder Beutesachen« nur einmal erwähnt, und zwar von Josef Wiesauer am 29.10.1944, damals irgendwo »im Osten« stationiert. Zuvor hat er seiner Frau immer wieder Pakete verschiedensten Inhalts, z. B. mit mehreren Kilo Seife, geschickt; vgl. AStS, PA 016/02. 181 Vgl. Stargardt, Der deutsche Krieg, 166–169, u. in Hinblick auf »Beutewaren« 349 f. 182 Auch diesbezüglich veränderten sich die Bestimmungen immer wieder. Als Göring 1940 durchsetzen konnte, dass Militärangehörige nunmehr sogar »unbegrenzt Päckchen bis zu einem Gewicht von einem Kilogramm mit der Feldpost in die Heimat schicken konnten«, wie Stargardt, Der deutsche Krieg, 168, festhält, verfünffachte sich z. B. allein die Zahl solcher Sendungen aus dem besetzten Frankreich. 183 Vgl. die Pionierstudie von Gisela Bock u. Barbara Duden, Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus, in: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin 1977, 118–199. 184 Vgl. Anm. 11. 185 Vgl. Bodo Gericke, Die deutsche Feldpost im zweiten Weltkrieg – eine Dokumentation über Einrichtung, Aufbau, Einsatz und Dienste, in: Archiv für deutsche Postgeschichte, 1 (1971). 186 Klara Brenneis an Herbert Brenneis, 5.11.1940, SFN, NL 33. 187 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 16.3.1944, AStS, PA 016/02. 188 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 3.8.1944, AStS, PA 016/02. 189 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 7.6.1942, SFN, NL 60. 190 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 27.9.1939, SFN, NL 60. 191 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 2.6.1944, SFN, NL 60. 192 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 6.6.1944, SFN, NL 60. 193 Vgl. Anm. 13. 194 Albert Maier an Emilie Maier, 30.9.1918, SFN, NL 14 III. 195 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 23.1.1943, SFN, NL 55 IV. 196 Anna Ertl an Alfred Ertl, 26.3.1915, SFN, NL 174. 197 Friedrich Kettler an Helga Böhm, 2.2.1945, SFN, NL 41 II. 198 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 24.7.1944, AStS, PA 016/02. In anderen Briefen taucht diese Formulierung ähnlich auf; vgl. z. B. ebd., 10.7.1944, 2.1.1945. Zur SA-Uniform ebd., 7.1.1945.

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199 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 24.7.1944, AStS, PA 016/02. 200 Franka Maubach, »Volksgemeinschaft« als Geschlechtergemeinschaft. Zur Genese einer nationalsozialistischen Beziehungsform, in: Gudrun Brockhaus (Hg.), Attraktion der NS-Bewegung, Essen 2014, 251–268, 263. 201 Bergerson, Das Sich-Einschreiben in die NS-Zukunft, 3. 202 Vgl. z. B. Christa Hämmerle, Opferhelden? Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, in: Nicola Labanca u. Oswald Überegger (Hg.), Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2015, 156–180; als Forschungsüberblick: dies., Traditionen, Trends und Perspektiven. Zur Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkriegs in Österreich, in: Geschichte und Region/Storia e regione, 23, 2 (2014), 21–48, 39–43. 203 Vgl. z. B. Stefan Dudink, Karen Hagemann u. John Tosh (Hg.), Masculinities in Politics and War. Gendering Modern History, Manchester/New York 2004. 204 Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, 285. 205 Vgl. zum Wandel von Ehrkonzepten und ›verwandter‹ Emotionen im Laufe des Ersten Weltkriegs insbes. Ute Frevert, Wartime Emotions: Honour, Shame, and the Ecstasy of Sacrifice, in: Daniel/Gatrell/Janz u. a., 1914–1918-online, unter: http://dx.doi.org/10.15463/ ie1418.10409, Zugriff: 16.10.2016. 206 Christl Lang an Leopold Wolf, 13.12.16, SFN, NL 14 I. Vgl. zu diesem in dieser Kriegskorres­ pondenz oft auftauchenden Thema auch Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst!, 60–62. 207 Lilli Weber an Friedrich Weber, 3.12.1915, SFN, NL 21 II. 208 Lilli Weber an Friedrich Weber, 23.3.1918, SFN, NL 21 II. 209 Anna Ertl an Alfred Ertl, 4.11.1917, SFN, NL 174. 210 Vgl. den Beitrag von Ines Rebhan-Glück in diesem Band. 211 Vgl. in Anlehnung an Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität: Hämmerle, Between Instrumentalisation and Self-Governing, 276–281. 212 Anna Ertl an Alfred Ertl, 1.6.1917, SFN, NL 174. 213 Solche Tagebücher wurden, beginnend mit der Geburt eines Kindes, im 20. Jahrhundert meist von Müttern angelegt; sie sollten der späteren Erinnerung dienen und sind oft in Ich-Form, d. h. aus der Perspektive des Kindes geschrieben; vgl. u. a. Li Gerhalter, Materialitäten des Diaristischen. Erscheinungsformen von Tagebüchern von Mädchen und Frauen im 20. Jahrhundert, in: L’Homme. Z. F. G., 24, 2 (2013), 53–72, 62. 214 Eintrag von Anna Ertl im »Nusserl-Tagebuch«, 4.2.1917, SFN, NL 174; vgl. auch Anna Ertl an Alfred Ertl, 9.6.1917, SFN, NL 174. 215 Vgl. https://erster-weltkrieg.wien.gv.at/site/explosionen/, Zugriff: 31.7.2016. 216 Vgl. u. a. Maureen Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004, 258–279. 217 Albert Maier an Emilie Maier, 29.8.1917, SFN, NL 14 III. 218 Vgl. Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! 219 Leopold Wolf an Christl Lang, 21.3.1915, SFN, NL 14 I. 220 Leopold Wolf an Christl Lang, 21.8.1915, SFN, NL 14 I. 221 Christl Wolf an Leopold Wolf, 7.2.1918, SFN, NL 14 I. 222 Latzel, Deutsche Soldaten, 312. 223 Frank Werner, »Noch härter, noch kälter, noch mitleidloser«. Soldatische Männlichkeit im deutschen Vernichtungskrieg, in: Anette Dietrich u. Ljiljana Heise (Hg.), Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus. Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion in der pädagogischen Praxis, Frankfurt a. M./Berlin/Bern u. a. 2013, 45–63, 46. 224 Werner, »Noch härter, noch kälter, noch mitleidloser«, 48. 225 Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, 285; vgl. auch Latzel, Deutsche Soldaten, 310–325.

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226 Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, 284. 227 Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«, 41. 228 Herbert Brenneis an Klara Stubenvoll, ohne Datum (Poststempel 1.4.1938), SFN, NL 33. 229 Herbert Brenneis an Klara Brenneis, 30.10.1939, SFN, NL 33. 230 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 25.8.1940, SFN, NL 60. Gleich im Anschluss an diese Passage wies Kretschmar einschränkend  – vielleicht auch sarkastisch gemeint – darauf hin, dass dieser »Krieger« gerade magenkrank sei, das heißt »nicht kalt trinken nicht gewürzt u. fett essen darf«. 231 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 12.7.1944, SFN, NL 60. 232 Stargardt, Der deutsche Krieg, 296 f. Vgl. zu einer Briefpassage dazu weiter vorne in diesem Beitrag, Anm. 189. 233 Die mit der Einkesselung der Stadt endende Schlacht um Charkov im Mai 1942 gilt als eine der letzten siegreichen Kesselschlachten der Deutschen Wehrmacht. Rund 240.000 sowjetische Soldaten kamen dadurch in Kriegsgefangenschaft. 234 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 7.6.1942, SFN, NL 60. Unterstreichungen wie im Original. 235 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, ohne Datum (vermutl. 26.5.1944), SFN, NL 60. 236 Ingrid Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, in: Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer u. a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 409–443, 413. 237 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 2.6.1944, SFN, NL 60. 238 Vgl. Anm. 192. 239 Vgl. Stargardt, Der deutsche Krieg, bes. eindringlich 197–230; Marszolek, »Ich möchte dich zu gern mal in Uniform sehen«, 49. 240 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 6.6.1944 (vermutlich falsche, d. h. zu frühe Datierung), SFN, NL 60. 241 Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, 413. 242 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 30.8.1944, SFN, NL 60. Er bezieht sich hier auf den von Goebels verfügten »totalen Kriegseinsatz der Kulturschaffenden«, der am 1.9.1944 in Kraft trat und zur Schließung der meisten Theater und Kulturinstitutionen führte, um so Arbeitskraft für kriegswichtige Tätigkeiten freizusetzen. Schon 1943 wurde – ganz im Gegensatz zum ursprünglichen NS-Frauenbild, das im Rückgriff auf die ›Natur‹ die Rolle der Frau als Mutter, in der Ehe und im Heim verabsolutierte – im Zuge der Propagierung des ›totalen Krieges‹ auf eine verstärkte Mobilisierung der Frauenerwerbsarbeit gesetzt; vgl. u. a. Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, 428–430. 243 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 1.9.1944, SFN, NL 60. 244 Vgl. u. a. Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung, 411; Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«, 49; Maubach, »Volksgemeinschaft« als Geschlechtergemeinschaft, 255–259. 245 Bergerson, Das Sich-Einschreiben in die NS-Zukunft, 32. 246 Maximilian Höllwarth an Hermine Hofstätter, 5.9.1940, SFN, NL 77 I. 247 Alf Lüdtke, Eigen-Sinn revisited. Vorwort zur Neuauflage, in: ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrung und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Münster 2015, 10–16 u. 13, wo Lüdtke das im Rückblick auf die Rezeption seines Konzepts noch einmal betont. 248 Vinzenz Zirner an Traude Kalinka, 6.4.1943, SFN, NL 123. 249 Der Spruch des Militärgerichts ist nicht überliefert. Für diese Information danke ich der Seminargruppe Lea Luna Holzinger, Tom Juncker, Matthias Markl und Eva Maria Pirker.

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250 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 6.3.1942, SFN, NL 55 IV. 251 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 23.8.1942, SFN, NL 55 IV. 252 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 20.12.1942, SFN, NL 55 IV. 253 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 8.12.1942, SFN, NL 55 IV. 254 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 8.7.1942, SFN, NL 55 IV. 255 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 14.9.1942, SFN, NL 55 IV. 256 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 6.5. (1942 oder 1943), SFN, NL 55 IV. 257 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 23.8.1942, SFN, NL 55 IV. 258 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 8.7.1942, SFN, NL 55 IV. 259 Richard Schuster an Wally Kuklinski, 9.3.1944, SFN, NL 55 IV. 260 Herzog, Die Politisierung der Lust, 15 f. 261 Vgl. Herzog, Die Politisierung der Lust, 64, 79. 262 Herzog, Die Politisierung der Lust, 76; vgl. auch ebd., 22 u. 80. 263 Herzog, Die Politisierung der Lust, 40. 264 Vgl. eindringlich und mit vielen Belegen wiederum Stargardt, Der deutsche Krieg; sowie Holler/Berger, Ich habe überlebt. 265 Es könnte allerdings sein, dass sich eine längere Passage in einem Brief von Friedrich Kettler an Helga Böhm, 25.1.1945, SFN, NL 41 II, auf Massaker an der Zivilbevölkerung oder von ihm beobachtete Todestransporte aus den Konzentrationslagern bezieht: »Ich hab heute Schreckliches gesehen, so Hässliches, Unmenschliches, daß ich es Dir gar nicht erzählen kann, ohne Dein gutes Herz damit schwer zu verletzen. […] Du liebes Kind, sag was haben wir verbrochen, Zeitgenossen dieser Menschen zu sein. Menschen? Was sag ich denn; das können doch höchstens Raubtiere sein, die zufällig Verstand – und das ist noch das schlimmste daran – geerbt haben.« 266 Alfred Ertl an Anna Ertl, 29.7.1917, SFN, NL 174. 267 Alfred Ertl an Anna Ertl, 3.8.1917, SFN, NL 174. 268 Alfred Ertl an Anna Ertl, 3.8.1917, SFN, NL 174. Unterstreichungen wie im Original. 269 Alfred Ertl an Anna Ertl, 4.9.1917, SFN, NL 174. 270 Dafür wurden Luftschiffe und Flieger eingesetzt. 271 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 10.6.1944, AStS, PA 016/02. 272 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 26.7.1944, SFN, NL 60. 273 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 25.11.1943, SFN, NL 60. 274 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, [21?].1.1944, SFN, NL 60. 275 Das geschah am 17.3.1944. 276 Olga Josefa Adelsgruber an Ernest Adelsgruber, 5.4.1944, SFN, NL 152 I. 277 Ernest Adelsgruber an Olga Josefa Adelsgruber, 15.4.1944, SFN, NL 152 I. Unterstreichung wie im Original. 278 Stargardt, Der deutsche Krieg, 244. 279 Vgl. John Horne, Publique ou privée? La correspondence intime pendant la Grande Guerre, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript der Tagung »En guerre avec les mots. Lettres, journaux et mémoires de soldats, de femmes et d’enfants durant le premier conflit mondial« / »In guerra con le parole. Lettere, diari e memorie di soldati, donne e bambini nel Primo conflitto mondiale«, 25.–28.11.2015, Palazzo Ducale, Genua; erscheint in den Actes du colloque, hg. von der Fondazione Museo Storico del Trentino. 280 Vgl. Frevert, Emotons in History, 3–6. 281 Vgl. u. a. Frevert, Wartime Emotions; dies., Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne, München 2013; dies., Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen 2012; dies. Glaube, Liebe, Hass: Die nationalsozialistische Politik der Gefühle, in: Winfried Nerdinger (Hg.), München und der Nationalsozialismus. Katalog des NSDokumentationszentrums München, München 2015, 482–489 u. 596–597 (Anmerkungen).

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1968 ff. – Neuverhandlungen der Balance zwischen Liebe, Sexualität und Selbstverwirklichung Befunde aus Paarkorrespondenzen von den ausgehenden 1960er bis in die frühen 1980er Jahre

1. Am Ende des ›Zeitalters der Briefe‹ … Mit den Quellen, die diesem Beitrag zugrunde liegen, befinden wir uns am äußersten Rande des Zeitraumes, der im Projekt »(Über) Liebe schreiben« untersucht wurde. Damit ist gleichzeitig auch das Ende jenes Zeitalters der privaten Briefe markiert, in dem diese weit verbreitet und funktionierend ein Medium waren, um Zweierbeziehungen anzubahnen, zu entwerfen, zu erschreiben, dauerhaft zu vertiefen oder zu trennen und dabei immer auch Gefühle, Erwartungen, Wunschbilder und Zuschreibungen an das jeweilige Gegenüber, weibliche und männliche Selbstentwürfe und Positionierungen, Konzepte von Liebe und Ehe zu verhandeln. Das ist, wie in der Einleitung zu diesem Sammelband bereits dargelegt wurde, zugleich auch der Fragenkosmos, in dem sich das Projekt insgesamt bewegte und der in der Folge für die Phase von den ausgehenden 1960er bis in die frühen 1980er Jahre ausgelotet wird. Ein Blick auf diesen Zeitraum ist immer auch einer auf die »Nachgeschichte von ›1968‹«,1 das heißt auf die Nachwirkungen der sehr unterschiedlichen Dynamiken, die unter dieser Chiffre subsumiert werden.2 Die damit verbundenen Spezifika werden noch zu konkretisieren sein. Das sich darauf beziehende Erkenntnisinteresse ist im Titel des vorliegenden Beitrages mit dem Kürzel »1968 ff.« präsent. Hinsichtlich der in den Alltag der Briefschreibenden integrierten und für die Beziehungskommunikation genützten Medien ist eine auch aus den Quellen herauszulesende Übergangsphase zu konstatieren. »Weißt Du es ist doch jammerschade, daß man in Briefen nicht lachen kann«, formulierte etwa eine Schreiberin angesichts der Begrenzungen an Unmittelbarkeit des brieflichen Dialogs: »Überhaupt fehlt mir die Akustik sehr. Hast Du einen Cassettenrecorder? […] Vielleicht könnten wir manchmal ein Band hin- und herschicken.«3 Das Telefon wiederum scheint als Träger intimer Kommunikation in Phasen räumlichen Getrenntseins noch nicht selbstverständlich angeeignet gewesen zu 1968 ff. – Neuverhandlungen

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sein: Damals noch hohe Fernsprechkosten, besetzte Leitungen aufgrund sogenannter ›Viertelanschlüsse‹, unerwünschte Mithörende, weil der einzige Apparat im gemeinschaftlich genutzten Räumen untergebracht war, oder gar ein Verwiesensein auf öffentliche Telefonzellen begrenzten die Möglichkeiten, die erhoffte Intimität ›fernmündlich‹ herstellen zu können. »Eben habe ich wieder mit Dir telephoniert. Diese Groschengespräche mag ich eigentlich überhaupt nicht«, wurde angesichts solcher Bedingungen in einer der untersuchten Korres­ pondenzen geklagt, die aus Ende der 1960er Jahre auf dem Land verbrachten Urlaubstagen stammt: Erstens stehst Du ewig Schlange an den drei Telephonzellen hier im Dorf, und dann ist wegen Überlastung die Leitung gesperrt. Und dann überlegst Du Dir, was das wichtigste wäre, was Du in der kurzen Zeit unbedingt erzählen mußt. Ja, und wenn Du endlich Anschluß hast, stehst Du da, wie vom Blitz getroffen. Das einzige, was mir hundertprozentig einfällt, nein nicht einfällt, was ich immer weiß, ist, daß ich Dich ganz doll lieb habe. Und daß ich nur anrufe, um Deine Stimme zu hören.4

Ein anderer Schreiber bringt die erlebte Ambivalenz dieses Mediums »für die Kommunikation von (Höchst-)Persönlichem«5 in zweifacher Weise zum Ausdruck: Sie bestand für ihn nicht nur in der Störung durch Zuhörende in einer »vollen Küche«,6 sondern auch durch einen »Verbalisierungszwang«, der gerade im Liebesgespräch, wo sich »das Wesentliche wortlos« und körpernahe er­ füllen soll, zum Problem werden kann.7 Im angesprochenen Brief selbst heißt es: »Liebes, es hat weh getan. Obwohl ich mich nach dir sehnte, war ich ›kühl‹ (die Küche war voll!) […] Ich will dich bei mir haben, dich an mich drücken. So ein Telefonanruf ist eigentlich schlimmer als gar nichts. Ich möchte dir so viel sagen, aber nur wenn du bei mir bist.«8 Blieb man bei der brieflichen Kommunikation als Überbrückung einer Situation des Getrenntseins oder als Erweiterung des intimen Austausches, dann wurde  – vor dem nicht mehr so fernen, aber doch noch zwei Jahrzehnte entfernten ›Zeitalter‹ von Mobiltelefon, SMS sowie E-Mail und den damit möglich werdenden Textsorten »zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit«9  – der erwünschten Unmittelbarkeit ›nachgeholfen‹: insbesondere mit einer Express-Zustellung der Briefe. Jenen Rahmen, der »das Gespräch zu einem Abenteuer macht«,10 konnte das allerdings auch nicht ersetzen, wie es im nachstehenden Ausschnitt aus einer Paarkorrespondenz der 1970er Jahre formuliert wurde: Natürlich bin ich froh, dass es eine Post gibt und dass Briefe verhältnismäßig schnell das Ziel erreichen (oder manchmal auch nicht!) aber bei mir ist es meistens so dass ich manchmal das wirkliche Bedürfnis habe mit bestimmten Personen zu reden und dann ist schreiben so furchtbar umständlich und in dem Augenblick höchst einseitig. Die Antwort, die Reaktion die das Gespräch zu

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einem Abenteuer macht, lässt so lange auf sich warten, ich weiß nicht, ob Du verstehst was ich meine.11

Metakommunikative Passagen, in denen die Beschwerlichkeit des Schreibens, die Tücken des Postweges, das Warten auf das Ankommen des eigenen Briefes und auf den Gegenbrief thematisiert werden, finden sich in Quellen unseres gesamten Untersuchungszeitraumes. ›1968 ff.‹ bekommen sie aber eine andere Beschaffenheit, wirken ungeduldiger und sind direkter in ihrer Sprache: »Diese verfluchten (verzeih’) Papierküsse gehen mir auf die Nerven. Ich möchte einen echten. [Ch.]«12 Genährt wurde eine solche Ungeduld von einer gesteigerten Erwartungshaltung der Unmittelbarkeit und einem Vorbehalt gegenüber einschränkenden »Hindernissen entfalteter Subjektivität«,13 wie es der Kultursoziologe Andreas Reckwitz nennt. Das individuelle Ich äußert sich zugleich immer auch als »historisches Ich«,14 also eingebettet in die jeweiligen gesellschaftlich-kulturellen Verhältnisse. Es sind andere Subjekte, die ›1968 ff.‹ schreiben – mit zeittypisch entwickelten Ansprüchen an Individualität, Selbstentdeckung, Selbstentfaltung und ›authentischer‹ Selbstverwirklichung15 sowie einer neuen Expressivität. Das macht sich in den hier untersuchten Briefen auch sprachlich und formal bemerkbar, etwa in einer Betonung der ganz individuellen Handschrift, in der kreativen Verwendung unterschiedlichster Materialien als Brief›papier‹ oder durch das Experimentieren mit Sprache. Insgesamt lässt sich also in diesem Zeitraum mit der Soziolinguistin Eva Lia Wyss eine »Stilistik des Spontanen« beobachten, die sich nicht mehr um Formen kümmern will und an die Stelle des sorgfältig, in schöner Schrift auf gutem Papier aufgesetzten Briefes die Dringlichkeit und »Authentizität des Gefühls«16 treten lässt. Etwa wenn ein studentischer Schreiber einer jungen Frau, die er bei einer Zugfahrt kennengelernt hatte und die er umwarb, erläuterte: Liebe [Nora]! Ein offensichtlich permanentes Problem bei mir scheint zu sein, daß ich nie geeignetes Briefpapier – auch im Zug mußte ich Dir abgerissene Zettel übergeben – zur Hand habe, allerdings möchte ich Deinen Brief sofort beantworten – das ist für mich fast ein Bedürfnis – und ich will mich dann nicht durch den Mangel an schönem, Dir entsprechenden Schreibpapier hemmen lassen.17

In den Paarbeziehungen selbst, die – so die Befunde soziologischer wie historischer Forschungen – zu einem »zentralen Praxisfeld dieser individuellen Erfahrungserweiterung«18 und Expressivität wurden, haben das Postulat der Selbstverwirklichung, die Erosion der traditionellen Geschlechterideologie sowie rollenspezifischer Steuerungen von Liebe und Intimität eine gesteigerte Notwendigkeit von Beziehungskommunikation ohne thematische Beschränkungen gebracht.19 Mussten doch nun, wie Regina Mahlmann betont, »zwei sich als autonome Individualitäten begreifende Personen«,20 die sich weder für ihre eigene Identität noch für ihre Beziehung an objektiven Grundsätzen und Ord1968 ff. – Neuverhandlungen

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nungen orientieren können oder wollen, das Zusammenleben probieren und dessen Regeln sowie Stabilität stets aufs Neue aushandeln.21 Zentrales Medium dafür und für eine wachsende Vertrautheit wurde das Gespräch. »Du hast mir immer Löcher in den Bauch gefragt, was ich denke und fühle, denn du wüßtest nicht wer ich bin«,22 wird beispielsweise in einem der untersuchten Briefe auf die Dimension des Beziehungsgesprächs Bezug genommen. Seine Aufwertung und Verbreitung sowie einen allgemeinen Trend zur Verbalisierung und Diskursivierung des Privaten seit den 1960er Jahren hat jüngst Nina Verheyen in einem Aufsatz zur kommunikativen Praxis in der Geschichte des Intimen thematisiert.23 Angesichts der Herausforderungen einer solchen »kommunikativen Wende«24 wird die – in der wissenschaftlichen Literatur konstatierte25 – zurückgehende Bedeutung des Mediums Brief für die Paarkommunikation nachvollziehbar. Setzt diese doch, bei zunehmender Komplexität des Auszutauschenden, des zu Verhandelnden und des Selbstausdrucks, ein hohes Maß an Konzentration, an Fähigkeit zu bewusster Artikulation und an vielschichtiger Schreibfertigkeit voraus, was die Korrespondierenden selbst explizit formulierten.26 Bei den meisten uns aus dem Zeitraum der späten 1960er bis frühen 1980er Jahre vorliegenden Beständen handelt es sich um lange, ausführliche narrative Briefe, die versuchen, den gemeinsamen mündlichen Austausch zu ersetzen oder zu erweitern  – und damit eher um schriftliche Gespräche. In der deutlich werdenden Vermischung mündlicher, fernmündlicher und schriftlicher Formen intimer Kommunikation bleibt das Korrespondieren per Brief ein ergänzender Baustein, für manche Paarkonstellationen allerdings sogar ein zentraler.27

2. … und doch wurde geschrieben – warum? Situative, biografische, soziokulturelle und gesellschaftliche Kontexte Für den im vorliegenden Beitrag untersuchten Zeitraum fanden sich im Quellenfundus des Gesamtprojekts mehrere hundert Briefe aus insgesamt acht verschiedenen Korrespondenzen.28 Im vergleichend-kontrastierenden Rückblick auf die ›langen‹ 1950er Jahre, die von ihren gesellschaftlichen Charakteristika her bis in die Mitte des folgenden Jahrzehnts reichen, wird noch ein neunter, zwischen 1959 und 1963 verfasster Briefwechsel einbezogen.29 Zudem kommt als zehnter Bestand die SMS-Korrespondenz eines Liebespaares aus dem Jahr 2007 in den Blick, das demselben Generationszusammenhang angehört wie die Korrespondierenden der anderen untersuchten Briefquellen.30 Was lässt sich – vorerst bezogen auf den Kernbestand der acht Korrespondenzen von Ende der 1960er Jahre bis zum Anfang der 1980er Jahre – zu den Schreibkontexten sagen, mit ersten Verweisen auf eine zeittypische Aussage-

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kraft? In einigen Fällen des Samples handelt es sich um ›junge‹ Liebesbriefe: Briefe von Schreibenden im Alter zwischen 16 und 19 Jahren, deren noch traditionell orientierte und kontrollierende Elternhäuser häufigere unmittelbare Begegnungen verhinderten und die sich damit das »Anrecht auf eine von den Eltern losgelöste Privatsphäre«31 erschrieben  – das gilt jeweils zumindest für eine Seite der Briefwechsel. Inhaltlich bedeutungsvoll sind sie, weil sie veranschaulichen, wie sehr die für diese lebensgeschichtliche Phase typische Suche nach Identität, nach dem eigenen Selbstverständnis, auch als Frau oder Mann, nach Sexualität, Liebe, Beziehung damals in kollektive gesellschaftliche Lernprozesse eingebunden war. Sie wurde von aktuellen gesellschaftlichen Diskursen beflügelt, musste sich aber zugleich in konkurrierenden Deutungsangeboten zwischen alt und neu orientieren. Auch wenn in den sich wandelnden europäischen Gesellschaften bislang fest verankerte Verhaltensmuster ihre unabwendbar scheinende Verbindlichkeit und Bindungskraft verloren, lösten sich bisherige Werte und Normen deswegen nicht unbedingt auf. Sie wurden durch alternative Optionen erweitert.32 Und das nicht von selbst: Es brauchte AkteurInnen, die diese aufgriffen, umsetzten, durchsetzten  – oft gegen Widerstand. Ungleichzeitigkeiten im dynamischen Wandel der Gesellschaft – zwischen den Generationen zum Beispiel – sind auch in den uns vorliegenden Korrespondenzen vielfältig präsent. Etwa wenn ein junger Mann die mit »In LOVE, Dein Johnny« signierten Briefe an seine Freundin wegen der familiären Kontrolle nur postlagernd verschicken konnte, oder versehen mit einem zweiten Briefende – »[…] sozusagen als ›Entminung‹ des Briefes […], solltest Du diesen Deinen Eltern vorlegen müssen«.33 Die Notwendigkeit, auf das Medium Brief zurückzugreifen, um überhaupt eine Sphäre des Intimen und des Sich-Anvertrauens herstellen zu können, war in diesem Fall nicht nur auf Seiten der jungen Frau gegeben. Auch der 19-Jährige selbst (er lebte in einer österreichischen Kleinstadt und aufgrund der noch nicht abgeschlossenen schulischen Ausbildung in der Herkunftsfamilie)  musste, was häufigere persönliche Treffen betrifft, festhalten, dass seine Eltern »auf diesem Gebiet fast ein wenig zu engstirnig und konservativ sind«34 – und Telefon gäbe es in seiner Familie leider keines. Long Distance-Beziehungen zwischen Österreich und den USA sowie zwischen Österreich und den Niederlanden waren der Hintergrund zweier weiterer Briefwechsel, die für diesen Beitrag vorlagen. Bei einem dritten handelt es sich um eine innerösterreichische ›Fernbeziehung‹ und im Ganzen genommen damit um einen Beziehungstyp, der schon per se als Ausdruck der Zeit begriffen werden kann. Neue materielle Möglichkeiten  – Reisen wurde billiger, Telefonieren alltäglicher – und neue mentale Befindlichkeiten begannen, Horizontverschiebungen zwischen Nähe und Ferne auch im Bereich persönlicher, intimer Beziehungen zu erleichtern. Die Briefkommunikation blieb in den genannten Beispielen trotzdem wichtig. 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Einen spezifischen Grund für die Wahl der brieflichen Kommunikation hatte jener 27-jährige Schreiber, dessen Briefe der kommunikative Rahmen für eine leidenschaftliche erotische Beziehung mit einer verheirateten Frau waren und Ausdruck seines Konzepts, keine Besitzansprüche zu stellen: Er wähne sie »in glücklich-guter Ehe« und sehe sich selbst »als ›Bacchanal‹, als seltnes Fest für Dich! Auch bin ich nicht mehr fünfzehn und kenne die fruchtbare Dialektik von Nähe und Distanz, freies Strömen unserer Liebe in ewigen Augenblicken. Fühle Dich also bitte in keiner Weise gedrängt; komme nur, wenn es wirklich möglich ist.«35 Im Fall einer anderen Korrespondenz war es die intellektuelle Grundierung eines Paares aus dem links-feministisch-studentischen Kontext, die mit zum Briefschreiben mobilisierte. Die AkteurInnen waren eingebunden in jenes vielgliedrige, ›alternative‹ gegenkulturelle Milieu, das sich im Gefolge der Studentenbewegung beziehungsweise der kulturrevolutionären 68er-Bewegungen insgesamt herauszubilden begann.36 In weiteren untersuchten Korrespondenzen sind solche Bezüge vermittelter, aber immer auch gegeben. Der »Geist des Experiments«,37 der zu ›1968 ff.‹ gehörte, hatte eine weit über die unmittelbaren Kerngruppen hinausreichende Haltung des Erprobens von alternativen Lebensstilen, Umgangs- und Ausdrucksformen, Beziehungs- und Wohnmustern sowie eine Dynamisierung der kulturellen Rollen der Geschlechter zur Folge – eingebettet in gesamtgesellschaftliche Trends des Wandels und der Veränderung.38 Schon seit den beginnenden 1960er Jahren hatten Lebensentwürfe auch durch den steigenden wirtschaftlichen Wohlstand und die damit verbundene »soziale Entbindung und kulturelle Diversifizierung«39 einen Individualisierungsschub erhalten, der rund um ›1968‹ eine besondere Akzentuierung erfuhr. In Österreich begann sich die Spannung zwischen der ökonomischen und soziostrukturellen Modernisierung sowie weiter bestehenden kulturkonservativen Werten, und damit jener »kulturelle Modernisierungsstau«,40 der als wichtiger Mobilisierungsfaktor für ›1968‹ gilt, erst in den 1970er Jahren aufzulösen. Die österreichische Variante der weltweiten Bewegungen gegen den politischen und kulturellen Status Quo hatte hier zunächst nur ein kleines kritisches, gegen ›verkrustete‹ gesellschaftliche wie private Strukturen, Denkweisen und Lebensformen gerichtetes Protestpotential mobilisiert. Doch die Ideen des globalen ›1968‹ sind in den 1970er Jahren durch den Rückenwind der Reformpolitik einer sozialdemokratischen Alleinregierung verstärkt in die österreichische Gesellschaft eingesickert.41 Gleichzeitig formierten sich mit der Zweiten Frauenbewegung und anderen neuen sozialen Bewegungen damals weitere, den gesellschaftlichen Wandel kritisch vorantreibende Impulsgeber.42 Das Beziehungsgeschehen der hier untersuchten Korrespondenzen war, mit den beiden schon erwähnten Ausnahmen, vor diesem sexualitäts-, b ­ eziehungsund geschlechterrollendiskursiven Hintergrund von ›1968 ff.‹ sowie von be­ schleunigtem gesellschaftlichen Wandel und Liberalisierung in den Grund-

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mustern des sozialen Lebens angesiedelt. Von der sozialen Zugehörigkeit her handelt es sich bei allen Schreibenden um Angehörige jener neuen, städtischen wie bildungsnahen Mittelschichten, die am offensten waren für diesen diskursiven Hintergrund – als RezipientInnen wie als TrägerInnen. Sie waren damals Studierende oder standen kurz vor dem Abschluss eines Gymnasiums, arbeiteten als Fremdsprachenkorrespondentin, als leitender Angestellter in einem Unternehmen, als Sekretärin im PR-Bereich oder als Sozialarbeiter. Die Generationszugehörigkeit der Schreibenden differenziert sich hingegen um zwei, wie sich zeigen wird, von ihrem Erfahrungshintergrund differierende Pole: um die Jahrgänge 1939 bis 1941 und um Geburtsjahrgänge aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Im Unterschied zu manchen anderen Beiträgen der vorliegenden Publikation wurden nicht nur österreichische Korrespondenzen, sondern auch eine aus dem süddeutschen Raum einbezogen – ausgehend von der begründeten und in der Erstlektüre aller herangezogenen Briefbestände bestätigten Annahme, dass alle diese Schreibenden und Liebenden von ihrem Profil her einer gemeinsamen transnationalen Diskursgemeinschaft zugehörig waren und damit in ihren Sinnwelten und Ausdrucksweisen vergleichbar sind.

3. Exemplarische Korrespondenzen in dichter Beschreibung Der empirische Zugang dieses Beitrages basiert also auf acht (+ zwei) Briefbeständen und damit auf exemplarischen Einzelfällen, die nicht als repräsentativ, sondern als »symptomatisch«43 zu verstehen sind. Jede der vorliegenden Korrespondenzen lässt sich als ein »Indikator des Möglichen ihrer Zeit«44 sehen und auswerten. Um den Briefen diese grundsätzliche Aussagekraft entlocken zu können, galt es, sich zunächst auf ihre Subjektivität einzulassen und gleichzeitig durch eine differenzierte Kontextualisierung zu zeigen, wodurch sie  – über das Individuelle hinaus  – auf »die historische Erfahrungswelt der Zeitgenossen«45 verweisen. Besonders dicht soll das in der folgenden Feinanalyse von vier ausgewählten Beispielen erfolgen. Diesen wird dann  – nach ersten, die bisherigen Ergebnisse zusammenführenden Gedanken – der schon erwähnte Briefwechsel aus den langen 1950er Jahren gegenübergestellt: als Kontrastbeispiel. In einem Resümee werden schließlich aus den Lesarten der exemplarischen Korrespondenzen sowie auf Basis aller für den Beitrag vorliegenden Bestände und fundiert mit Ergebnissen aus der Forschungsliteratur generelle Befunde abgeleitet. Dem folgt zuletzt – unter Einbeziehung der genannten SMS-Korrespondenz – noch ein kurzer Ausblick auf den von der Forschung konstatierten Medienwandel der Paarkommunikation seit den späten 1980er Jahren.

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3.1 »Ich weiß (noch) nicht, welche Erfüllung Sex sein kann«46 Karola Schmidt und Gernot Mehring Der Liebesbriefwechsel von Karola und Gernot, ein regelmäßiger und intensiver schriftlicher Austausch, ging über eineinhalb Jahre und setzte 1969 ein. Die Schreiberin war zu diesem Zeitpunkt im 16., Gernot im 19.  Lebensjahr. Sie besuchten in einer süddeutschen Stadt das Gymnasium und hatten sich im Rahmen einer Tanzveranstaltung kennengelernt, bei der sogenannten ›Damenwahl‹, also der Umkehrung des traditionellen Rituals der Aufforderung, an die sie einander in den späteren Briefen erinnern: »Ich habe mir Dich ausgesucht aus dem reichen Angebot«,47 wird Karola schreiben. Und Gernot betonte, dass er es keineswegs »bereue«, dass sich »die Emanzipation […] im Partnerangeln voll und ganz durchgesetzt« habe, »ganz im Gegenteil, wie Du weißt. Ich könnte jetzt wieder davon anfangen, wie schüchtern ich doch bin, aber ich tue es nicht. (Zurückhaltung ist wohl das treffende Wort).«48 Mit ihrer Korrespondenz, von der beide Seiten erhalten sind, bekundete, begleitete, intensivierte und reflektierte dieses Paar eine – so Gernot – »unbeschreibliche Verliebtheit«49 und, mit den Worten von Karola, eine »Seligkeit, die ich bis dahin nicht kannte«.50 Neben eindringlichen Bezeugungen der eigenen Gefühle und der Sehnsucht nach dem Anderen wurde der zärtliche Briefwechsel bald auch zum Ort eines vertrauensvollen und zugleich einander herausfordernden Austausches über elementare Fragen der adoleszenten Lebensphase, die jedoch sehr deutlich im von Widersprüchen durchzogenen zeitgenössischen Kontext der ausgehenden 1960er Jahre verhandelt wurden: Wer bin ich und wer möchte/darf ich sein, als Frau, als Mann  – angesichts neuer Diskurse und alter familiär tradierter Normen? Welchen Raum gibt es für das Ausleben von Gefühlen und Erotik – in Zeiten einer medial verkündeten Sexuellen Revolution, in denen gleichzeitig (nicht nur) mit dem Kuppeleiparagrafen51 ein wirkmächtiger Moralhüter existierte, der auf die Ehe als dem einzig legitimen Ort für Sexualität ausgerichtet war? Themen wie diese und solche, die Treue, Flirts mit anderen und Eifersucht betrafen, wurden in den vorliegenden Briefen reflektiert und offen diskutiert. Auch die Klärung, in welcher Begrifflichkeit über eine sich intensivierende Beziehung zwischen einem 19-Jährigen und einer 16-Jährigen gesprochen und geschrieben werden kann, durchzieht diesen Briefwechsel. Das persönliche terminologische Ringen  – »fest befreundet«52 sein, »glücklich verliebt (oder sogar verlobt?!?)« sein,53 einen »boy-friend«,54 ein »Verhältnis«55 haben, eine »wilde Ehe«56 führen wollen – lässt sich als Ausdruck einer Auseinandersetzung lesen, die nach Optionen jenseits des Masterszenarios ›Ehe‹ suchte. Ihre besondere Dynamik bekam diese Liebeskorrespondenz, und wohl auch die sich in ihr ausdrückende wie gestaltende Beziehung dadurch, dass mit Karola und Gernot zwei sehr konträre familiäre Herkunfts- und Wertesysteme

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aufeinandertrafen. Das ließ den brieflichen Dialog der beiden auch zu einer Auseinandersetzung mit dem »sozialen Erbe«57 der jeweiligen Familie werden, was mit dem forcierten gesellschaftlich-kulturellen Wandel der ausgehenden 1960er Jahre zusammentraf. Zugleich fällt als weiteres Charakteristikum eine besonders ausgeprägte mediale Vermitteltheit dieser persönlichen Such- und Absetzbewegungen und des Sich-aufeinander-Zubewegens auf, insbesondere bei der jungen Frau. Karola, aus einem Elternhaus kommend, das traditionsver- und -gebunden und zugleich durch biografische Brüche in Folge von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gekennzeichnet war,58 bezog sich beim Ausdruck ihrer Gefühle, Sehnsüchte und Erwartungen auf vielfältige Diskurswelten. Sie reichten von Goethe-Gedichten und solchen von anderen Klassikern über Liedtexte deutscher Schlager und englischer Pop-Songs bis zu Frauenzeitschriften wie »Brigitte« oder dem Pärchen-Magazin »Jasmin«. Letzteres war 1968 mit großem Anfangserfolg gestartet und propagierte in Wort und Bild das »aphrodisische Flair eines Lebens zu zweit«.59 »Schade, dass ich immer klauen muss«, formulierte die Schreiberin gleichzeitig Ansprüche an einen eigenen authentischen Ausdruck: »Ich hätte Dir so gerne mal selbst etwas gedichtet, aber in der Beziehung bin ich phantasielos.«60 Besonders ausführlich und vertrauensvoll reichte Karola – gleich zu Beginn der Korrespondenz – die Abhandlung eines Pfarrers über das Küssen an Gernot weiter. Denn, »wenn es auch ein bißchen pathetisch geschrieben« ist, »so stimme ich ihm im Grunde doch zu«. Mit diesem Bekenntnis baute sie eine Brücke zu ihren eigenen Gefühls- und Denkwelten und zitierte in der Folge direkt aus der Broschüre: Im Kuß gibt der Mensch seine Seele dem anderen hin […]. Sind aber die Seelen nicht tief und treu für immer verbunden, dann ist der Kuß – eine Lüge. Dann geschieht äußerlich etwas, was innerlich nicht mitgeschieht. Dann zerreißt er den Menschen, reißt sein Äußeres und Inneres auseinander. Dann wird der Kuß ein böses Abenteuer, ein Rausch, ein Sich-Preisgeben und Wegwerfen. Ja, der Kuß ist etwas Geheimnisvolles. Er dringt tief ein.

»Weißt Du«, machte die junge Schreiberin nach dieser Passage den Artikel zu einer unmittelbaren Botschaft an den Adressaten ihres Briefes: »[…] ein Mädchen ist wie eine wohlbewachte Burg« und der »Schlüssel zum Tor ist der Kuß«. Diesen Schlüssel habe sie ihm gegeben, als Ausdruck ihrer »ehrfürchtigen, bleibenden und treuen Liebe«, in der sie sich als Mädchen »wie eine Knospe« fühle: »Wenn man aber eine solche Knospe mit groben Fingern auseinanderblättert, dann geht die zarte Schönheit verloren. […] Weißt Du, was mir auffällt? Ich fange langsam an, Dir mein Innenleben, meine ›Psyche‹ zu enthüllen. Findest Du, daß ich sehr kompliziert aufgebaut bin?«61 Dass sie ihm ihre Psyche enthülle, sei für ihn »sehr aufregend«, reagierte Gernot in seinem Antwortbrief und ergänzte, darum gebeten, seine eigenen Eindrücke von Karola: 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Ihren »Charakter« könne man mit den Stichwörtern »jung, adrett, sportlich, aktiv, aufgeschlossen« beschreiben, sowie mit dem Kennzeichen »viel Gefühl mit etwas Instinkt«: Rationalität fehlt Dir vollkommen. Logik ist wahrscheinlich nicht Deine Stärke. Also kein Kopfmensch, kein eiskalter Berechner, der auf seinen Vorteil bedacht ist. […] Es tut mir leid, aber ich kann es mir nicht vorstellen, daß Du Generaldirektor bist; wegen Deiner Liebenswürdigkeit wirst Du Dich nur schwer durchsetzen können.

Gleichzeitig ließ Gernot sie im selben Schreiben wissen, dass er im Allgemeinen »nicht viel vom dem, was katholische Pfarrer sagen« halte, aber der Artikel sei »ungeheuer romantisch geschrieben und passt daher ausgezeichnet zu Dir«.62 Seine eigenen Werte würden sich jedoch »grundlegend« von den Vorstellungen jener unterscheiden, »denen die Erziehung zum Guten, Wahren und Schönen sehr am Herzen liegt, wie es in der bayr[ischen] Verfassung vorgeschrieben ist«,63 deponierte der junge Mann. Nach Eigendefinition kam er aus den »toleranten« Verhältnissen eines liberalen bildungsbürgerlichen und materiell gut situierten Elternhauses, hatte Kontakte zur SPD-Jugend und verwies in den Briefen zudem auf seine Lektüre der Jugendzeitschrift »Twen«, die sich in einem weiten Sinn dem publizistischen Umfeld der 68er-Bewegung zuzählen lässt.64 An mehreren Stellen der Korrespondenz hielt Gernot auch fest, wie froh er sei, in einer Zeit zu leben, in der »fast alle Tabus vernünftig abgebaut« werden, »eine bessere« hätte er sich »nicht aussuchen können«.65 Er werde aber versuchen, sein »hemmendes realistisches Gedankengut abzuschütteln um nicht ganz so unromantisch zu sein«.66 Und nach einer neuerlichen Lektüre der Briefe, die »Du mir in den vier Monaten unserer Bekanntschaft geschrieben hast«, zog er das Resümee: »Es ist wunderschön, [Karo], daß Du Deine Gefühle in Worten ausdrücken kannst  – ich kann es nicht und ich beneide Dich deswegen.«67 Er habe ihre Briefe vor sich liegen »und da es in der Mentalität des Sohnes eines Rechnungsprüfers liegt«, habe er diese katalogisiert: 14 gelb-grüne Briefe / 2 weiße Briefe / 1 langer weißer Brief und was das Schönste ist, es sind alles Liebesbriefe. […] Es sind tatsächlich Liebesbriefe in höchster Vollendung. Ich habe immer gedacht, daß es so etwas in unserer technisierten Welt nicht mehr gibt, aber Du beweist das Gegenteil, was mich am meisten freut. Ich glaube, gerade in der Zeit von Computern und Maschinen braucht man solche Briefe am nötigsten.

Es sei daher »umso trauriger«, dass er selbst keine solchen Briefe schreiben könne, schloss Gernot seine Bilanz mit dem Eingeständnis eigener Begrenzungen und bedauerte dieses Unvermögen. Die Beziehung zu Karola habe ihn, den Reservierten, aber »insofern verändert, daß ich alles stehen und liegen lasse, um mich mit Dir zu treffen«.68

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Beide nahmen in ihrer Selbstwahrnehmung und ihren Bildern vom jeweils anderen Bezug auf den klassischen Beschreibungsrahmen der Geschlechterdifferenz und dessen polare Charakterisierung von Männern und Frauen mit dichotomen Eigenschaften und Haltungen wie sachlich versus romantisch, Kopfmensch versus Gefühlsmensch, kraftvoll versus schutzbedürftig. Und gleichzeitig drängten beide darüber hinaus. Das gilt auch für Karola, obwohl sie so stark auf das Modell einer sich ergänzenden Mann-Frau-Polarität setzte. Sie habe »gern jemand Stärkeren« an ihrer Seite, schrieb sie, möchte aber »eigener Herr«69 ihrer Entscheidungen bleiben. Und vor allem brauche sie jemanden, ergänzte sie in einem anderen Brief, der bei ihr »einen gesunden (mir völlig abgänglichen) Realismus zu Tage fördert«, sie wolle nicht »in brodelndem Schmalz« von »zuviel Romantik«70 versinken. Was sich an Briefstellen wie dieser als Strategie der eigenen Weiterentwicklung lesen lässt, scheint für Karola auch den Altersunterschied zu Gernot reizvoll gemacht zu haben: Sie wolle als Mädchen »einen gewissen Schutz«71 bei ihrem Freund. »Nicht unbedingt muskulöse Verteidigung, die kann ich auch bei jüngeren finden, sondern geistig soll mir mein Freund überlegen sein«, »eine Reife voraus« haben, »die ich mir noch erlangen muss«. Dem fügte sie noch als »ganz persönliche Feststellung« hinzu, dass sie nicht »die erste« bei einem Jungen sein möchte. Denn an der werde »unweigerlich doch ein wenig herumprobiert. Und das muß doch für ein Mädchen unheimlich deprimierend sein, zu fühlen, daß der Freund es als Versuchskaninchen benützt«. – »Oh welch philosophische Gedanken mit 15 Jahren! Aber ich bin so froh, daß Du mein Freund bist. Du bist zärtlich und so rücksichtsvoll und höflich«, beendete Karola diesen Brief, nicht ohne ihm noch ein Gedicht und ein »Ich liebe Dich, Deine [Karo]« anzufügen.72 Dem Erwartungsdruck einer solcherart zugewiesenen Rolle und Verantwortung als Mann versuchte sich Gernot auf vielfältige Weise argumentativ zu entziehen, etwa durch Anspielungen wie jener, dass sich nicht nur die Zeiten, sondern auch die Mädchen verändert hätten; aber er befürchte, »die meisten warten auch heute auf einen Prinzen«.73 Und doch blieb er auch selbst ambivalent. Etwa als er im Verlauf der Korrespondenz  – dabei ins briefliche ›Stottern‹ kommend – feststellen musste, dass Karola eine »große Wandlung« durchgemacht habe, vom »[Karo]-Mädchen« zu einer selbstbewussten »jungen Dame«, die »in ihrem [Gernot] kein Genie mehr sieht, der sich von /zu/ seiner Höhe aus hinauf anhimmeln läßt. (Tut mir leid, daß ich stottere).«74 Und im selben Brief bekannte er, beim Sinnieren darüber, »warum ich Dich so gerne mag«, dass ihm die Rolle des Beschützers schon auch entgegenkomme, gebe diese doch jedem Jungen Selbstbestätigung: »Genauso geht es mir. Es gibt natürlich Mädchen, die diesen schwachen Punkt der Männer auf skrupellose Art ausnützen, indem sie so tun als ob. Bei Dir glaube ich aber, daß Du tat­ sächlich jemanden brauchst, der auf Dich aufpassen muß.« In selbstreflexiv1968 ff. – Neuverhandlungen

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spielerischer Rollendistanz fügte Gernot an dieser Stelle in Klammer hinzu: »[…] sollte ich mich geirrt haben, dann laß mich trotzdem in dem Glauben. All you need is love.«75 Für die angestrebte Selbstbestätigung als Mann stand Gernot allerdings noch ein weiterer und konträrer Weg offen – im Kontext der linken Protestkultur, mit der er sympathisierte, wie er in einem seiner Briefe konkretisierte: Er habe keine Lust auf das »Image des umgänglichen Ja-Sagens«, schrieb Gernot: »Agieren, protestieren und aggressiv sein ist in meiner Situation nichts Schlechtes, [Karo]. Schließlich habe ich das Recht zu denken, daß ich in der Lage bin, die Welt zu verändern. Ich will ein Mann werden.«76 Und Karola hielt ihm entgegen: »Du steckst voller revoltierender Ideen. Das ist Dein gutes Recht […]. Aber Du übersiehst leicht«, dass »in der ›Tradition‹ die Erfahrung vieler Generationen liegt und daß die sich nicht einfach über den Haufen werfen lassen können.« Mit ihren weiteren Argumenten stellte sie sich auf die Seite eines reflektierten Bewahrens: Selbstverständlich seien Traditionen »ständig auf Neuerungen angewiesen«, aber ihren »guten Kern« gelte es zu erkennen.77 Und im Gegensatz zu Gernot, für den zum Mannwerden auch ein Sich-Positionieren in gesellschaftlichen Zusammenhängen gehörte – er stellte sich der Wahl zum Klassensprecher, war Redakteur bei einer Schülerzeitung, betonte Werte wie Zivilcourage  –, spielten in Karolas damaligem Selbstverständnis über den privaten Bereich hinausgehende Überlegungen keine Rolle. Ihre Prioritäten und Ambitionen waren auf die Beziehung konzentriert, die sie zu einer großen Liebe und späteren Ehe reifen lassen wollte. Mit der von ihr angedeuteten Bereitschaft, dafür ihre eigene Ausbildung zurückzustellen, schockierte sie Gernot, in dessen Familie Bildung einen geschlechterübergreifenden Wert darstellte. Auch von solchen im Raum stehenden Zukunftsentwürfen grenzte sich Gernot ab; einerseits ironisch – »Heirate mich bloß nicht […]. Ich bin schrecklich, ekelhaft, sadistisch und pervers«;78 aber er tat das andererseits auch entschieden und wortgewaltig, dabei viele Bausteine zeitgenössischer Ehekritik aufnehmend: »Vor allem der Ehemann« glaube »durch den Trauschein ca. 110 Pfund Körper und eine Seele auf billige Art erworben zu haben«,79 legte er Karola dar. »Die meisten Ehefrauen« wiederum wüssten nicht, »ob sie ihren Mann lieben, ihn brauchen, oder von ihm abhängig sind. Sie können es nicht unterscheiden.« Was er damit sagen wolle, strich Gernot seine eigene Position heraus, sei, »daß wahre Liebe nur zwischen zwei völlig unabhängigen Leuten möglich ist und wünschenswert wäre«, die sich gleichzeitig »auch nur der Liebe wegen brauchen würden.«80 Mit diesem als Gegenhorizont entworfenen Modell einer Beziehung ohne Zwänge und Abhängigkeiten versuchte sich der 19-Jährige freizuspielen für das unmittelbare Ausleben eines drängenden Erfahrungshungers. Den wollte er nicht durch Planungen für eine Zukunft verstellt wissen, »in der diese Pläne vielleicht keinen Platz haben werden.«81

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Gleichzeitig setzte er darauf, Karola »mit zu erziehen« – »unverschämterweise (ich meine: ich bin mir nicht im Klaren, ob mir das zusteht)«.82 Überdeckt wurden die Kontraste in den Liebes- und Lebensentwürfen von Gernot und Karola offensichtlich durch die Kraft und Faszination einer starken gegenseitigen Anziehung. In den ersten Monaten war die brieflich vermittelte zärtliche Intimität eine der Umarmungen, der gedanklich-symbolischen Treffen »auf der Venus«83 sowie der Küsse, die fantasievoll verpackt wurden. Im Fall von Gernot geschah dies etwa neckend-ironisch: »[…] in Zellophan, vorsichtig auspacken, nicht knicken.«84 Aber auch auf einer Metaebene wurde das Küssen analysiert, etwa wenn sich Karola Gedanken machte, »wie die Menschheit auf den Kuß kam.«85 Wenige Wochen später artikulierte die junge Frau die Empfindung, »regelrecht liebeshungrig«86 zu sein und warnte neckend: »Du solltest etwas tun um mich zu stoppen. Sonst verliebe [sic!] ich Dich noch.«87 Und schließlich überraschte sie, wie wir aus späteren Briefen erfahren, den zurückhaltend-höflichen Mann damit, dass sie seine Geliebte werden, Sexualität mit ihm erfahren wolle: »[…] vielleicht liebe ich Dich deshalb so mit Haut und Haaren weil Du ein Verlangen in mir erweckt hast, für das ich noch keine Namen gefunden habe.«88 Eine Möglichkeit, sich in diesem Verlangen auszudrücken und es zu kommunizieren, fand Karola in der Popmusik der ausgehenden 1960er Jahre, deren Songlyrics sie nun zunehmend in ihre Briefe einfließen ließ: etwa den Refrain Come back and shake me, take me in your arms89 aus einer gleichnamigen britischen Single, die 1969 erfolgreich in die Charts kam; auch von einer auf Schallplatte gehörten Nummer mit dem Titel Why don’t you take all of me?90 erzählte sie Gernot angeregt in einem Brief. Zu ihrem »Lieblingslied erkoren« habe sie aber ein anderes: »Es ist ein langsames Lied, und eine Frauenstimme flüstert immer: Oui, je t’aime.«91 Ihre Mutter sei »regelrecht entsetzt über die Platte«,92 die ja auch tatsächlich als »Affront gegen traditionelle Moralauffassungen«93 gedacht war. Unmissverständliche sexuelle Anspielungen in Wort und Ton ließen die vom französischen Singer-Songwriter Serge Gainsbourg und der Schauspielerin Jane Birkin aufgenommene Nummer zum Skandalhit werden. Für viele aus der Generation von Karola hingegen gehörte dieser zu jenem »Bezugssystem aus der Ferne«,94 mit dessen Hilfe sich Distanz zum Herkunftsmilieu und seinen Normen herstellen ließ. Popmusik ganz allgemein habe damals, wie sich der Kulturpublizist und Zeitgenosse Wolfgang Kos im Rückblick auf eigene Erfahrungen erinnert, »emotionale Rückendeckung« vermittelt in Hinblick auf »Selbsterkundungen, für die es vor Ort kaum Ermutigung gab«.95 Das an einen Song der Beatles angelehnte All you need is love von Karola und Gernot, welches dieser in einem seiner Briefe notiert hatte,96 bekam nun nachdrücklich auch die Dimension der körperlichen Liebe, des Entdeckens und der Neuformulierung von Sexualität, abermals eingebunden in die zeitgenössischen Diskurse und ihre Widersprüchlichkeit. »Touching, Anfassen, Fummeln ist 1968 ff. – Neuverhandlungen

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wunderbar«, schrieb Gernot enthusiastisch, es sei »zur Zeit Lebensinhalt«, und erwartungsvoll formulierte er, sie hätten beide »noch viel zu entdecken«.97 An anderer Stelle beschwor er einen Kosmos allumfassender Erfüllung: Für mich hat das Wort Geliebte eine ungeheure Bedeutung. Noch viel größer und klarer als z. B: Ehetum. Es schließt für mich alles ein, was ein Mensch sich nur wünschen kann: Kameradschaft, Treue, Zuneigung, Zärtlichkeit, Einklang, vollständige Ergänzung, Glück, Erfüllung, Sinnlichkeit, Harmonie, Verführerisches, Leidenschaft, Liebesspiel, Liebeskunst, Verlockung, Charme, Geschlechtlichkeit, Nacktheit, eben die ganz große Liebe. Himmel, ich glaube, ich habe Dich jetzt mit meinen Vorstellungen vollkommen überrannt. Laß Dich nicht einschüchtern.98

Für die junge Frau wurde aus dem Entdecken der Sexualität eine komplizierte Gratwanderung. Sie hatte sich in ihrem Erleben zurechtzufinden zwischen dem drängender werdenden Begehren Gernots, der eigenen erotischen Neugier und traditionellen Selbstbildern, zwischen neuen gesellschaftlichen Diskursen und tief verankerten konventionellen Normen, die sich auch in elterlichen Mahnungen und Merksätzen äußerten: »Ich bekomme oft von meinen Eltern zu hören: ›Ihr seid nicht verheiratet. Also benehmt Euch entsprechend!‹ […] ›Prüfe erst einmal Deinen Freund, ob er es Wert ist, daß Du dich ihm hingibst.‹ ›Hüte Dich wie eine Kostbarkeit!‹ ›Wirf Dich niemandem an den Hals.‹«99 »Ach [Gernot], über das Thema Liebe und das, was ich mir darunter vorstelle könnte ich Bücher schreiben«, lässt Karola einen brieflichen Stoßseufzer los: »Ich denke so viel darüber nach; letztlich nicht wenig animiert durch Schriften wie das ›Lexikon der Erotik‹ im Jasmin oder Erzählungen von Frauen über ihre Liebeserlebnisse in anderen Zeitschriften.« Da stoße sie dann oft auf »Lebensbeichten«, in denen die Betroffenen »entweder jämmerlich prüde, frigide waren oder auf grauenvollste Weise in ihren Gefühlen mißbraucht worden sind. Und solche Artikel bewirken auf mich immer, daß ich für geraume Zeit Angst vor der körperlichen Liebe bekomme.« All das trage dazu bei, ihr »das Liebeserlebnis, auf das ich mich wirklich freue ohne daß ich ihm entgegenfiebere, zu komplizieren«.100 Manchmal habe sie zudem Angst, daß sie »zu stürmisch« sei in ihren »Liebesbezeugungen«, machten ihr doch von Beginn an auch traditionelle Rollenvorgaben Probleme: »Eigentlich sollte ich Dir gar nicht so viel entgegenkommen, sondern mich scheu zurückhalten. […] Ist es richtig, wenn ich Dich aktiv und manchmal vielleicht zu stürmisch lieb habe, oder soll ich ganz passiv bleiben?«101 Der Freiraum für körperlich-erotische Begegnungen musste zudem gegen familiären Widerstand erobert werden. »Das, was wir betreiben, nennt man ­ ernot Triebunterdrückung«, aufgezwungen »von der Umgebung«,102 kritisierte G immer wieder in seinen Briefen, hier in einer Sprache mit psychoanalytischem Bezugshorizont, die von den Elternhäusern verhinderten Möglichkeiten, »wo

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wir uns in die Arme schließen können – ungestört […]. Bitte lüge so viel Du kannst, bettle, schmeichle, schwindle, damit Du zu mir kommen kannst, so oft und so lange wie möglich.«103 – »Du mußt kommen! Come on baby, light my fire. Du bist eine Frau. Ich liebe Dich«,104 unterlegte er an anderer Stelle seinen Appell mit dem Refrain aus einem der erfolgreichsten, aus dem Jahr 1967 stammenden Songs der US-amerikanischen Rockband The Doors. Und in mehreren Briefen ergänzte er seine leidenschaftlichen Zurufe dezidiert um eine aus Karolas Wertewelt übernommene Bitte: »Wenn Du kommst, vergiss Deine Seele nicht.«105 Als ein weiteres Hindernis beim Überschreiten der Schwelle zu einem sich endlich auch genital Lieben-Können – in der Paarsprache der beiden war das so codiert, dass Karola von der »kleinen Geliebten« zur »großen Geliebten«106 werden wollte und sollte – wird in diesen Phasen des Brief­ wechsels auch die Angst vor Schwangerschaft thematisiert: »Trotz aller Liebe müssen wir vorsichtig sein; Du hast keine Anti-Baby-Pille und ich lehne ein Condom aus ästhetischen Gründen ab. Sage mir bitte, wann Deine Periode war. Du weißt auch, daß wir uns jetzt […] kein Baby leisten können.«107 Die bewegte und spannungsreiche – für die Forschung schwer zugängliche – Innenseite des Wandels der gesellschaftlichen Sexual- und Liebesmoral wird aus Paarkorrespondenzen wie der vorliegenden aufschlussreich nachvollziehbar. Die niederländische Soziologin Cas Wouters hat diesen für den Zeitraum 1960 bis 1980 so markanten Prozess als Verhandeln einer neuen Balance zwischen Lust und Liebe bezeichnet, vor allem auch hinsichtlich der damit verbundenen traditionellen Geschlechterordnung, die den Mann auf der Seite der lustbetonten Sexualität und Frauen auf der Seite von Liebe und dem Wunsch nach langfristigen Beziehungen sah.108 Cas Wouters spricht von unterschiedlichen Tempi, in denen die Beteiligten  – als »Radikale«, »Gemäßigte« oder »Nachzügler und Nachzüglerinnen«109 – einen solchen Wandel vollzogen. Die Korrespondenz zwischen Karola Schmidt und Gernot Mehring hält in diesem Sich-aufeinander-Zubewegen noch eine überraschende Wende bereit. Die brieflich zum Ausdruck gebrachte Verteilung des Bedürfnisses nach Freiheit und Bindung, nach Sicherheit und Experiment, nach langfristiger Lebensplanung und unmittelbarer, gegenwärtiger Lebensintensität begann sich zwischen den beiden neu zu ordnen. Die Briefe, die voll Liebe und Zutrauen waren, wurden ab dem Sommer 1970 kühler. Und aus einer Reihe bald darauf folgender von Karola verfasster »kratziger Abschiedsbriefe«,110 wie Gernot das viel später rückblickend bezeichnete, wird deutlich, dass es unter anderem die nicht bis zum Letzten gelebte Sexualität war, die zum Ende der Beziehung führte. Es war Karola, die ausbrach und zu diesem Zeitpunkt kritisch von ihrer Enttäuschung über die bisherigen sexuellen »Erlebnisse mit Tempotaschentüchern und selbstgefälligem Eigenlob von wegen Verantwortungsbewusstsein«111 schrieb. Als ihr die Anti-Baby-Pille zugänglich geworden war, eröffnete sich auch für sie jene neue »Sagbarkeit der Themen Sexualität und Verhütung 1968 ff. – Neuverhandlungen

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im öffentlichen und privaten Raum«,112 die Eva-Maria Silies in ihrer Studie über die Auswirkungen der Durchsetzung dieses Verhütungsmittels als meist genutztes Kontrazeptivum hervorgehoben hat. Doch während die von Silies geführten Oral-History-Interviews zur »Pille als weiblicher Generationserfahrung« und andere sexualwissenschaftliche Studien davon sprechen, »dass sich zwar an der Einstellung zur Sexualität etwas änderte, nicht aber schlagartig das Verhalten«,113 begann sich Karola, wie gesagt, aus der Beziehung zu lösen. Sie suchte Kontakte, die über diese hinausgingen. Ihr schon früher konstatiertes Empfinden »Ich weiß (noch) nicht, welche Erfüllung Sex sein kann«,114 wurde für die inzwischen 17 Jahre junge Frau zum Motor für die Suche danach, »stürmisch« und »auf faszinierende Weise«115 geliebt zu werden. Wahrscheinlich habe sie »viel zu viele wissenschaftliche Büchlein über die körperliche Liebe gelesen. Und darin ist immer wieder eine gewisse Reihenfolge. Und irgendwie warte ich auf Dinge, die ich in diesen Büchern gelesen habe.«116 Der Weg, den Cas Wouters wohl als »radikal« bezeichnen würde, führte Karola zu einem jungen Mann namens »Flo«, und mit ihm, wie sie schrieb, zu jener »Erfüllung, die ich mir erhofft habe, und von der ich jetzt weiß, daß es sie gibt«.117 Und Karola strich noch weitere Unterschiede heraus: Mein Verhältnis zu Flo ist völlig anderer Natur, als unseres. Ich bin frei (nicht pseudofrei, wie Du meinst!), denn ich kann alleine weggehen, und ich kann sogar mit Flo zusammen auf einem Fest sein, ohne daß wir uns durch gegenseitige Bemühungen die Freude am Kennenlernen von andren Leuten stören. Es stört ihn nicht, wenn ich mit anderen Jungs flirte, er erzählt mir im Gegenteil noch, wer nett ist, und wer nicht. […] Das hat überhaupt nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Es ist einfach so, daß man keinerlei Ansprüche auf einander erhebt. Du hast einmal gesagt, am schönsten sei Liebe, wenn sich zwei freie Menschen treffen, um sich nur zu lieben, auf geistiger genauso wie auf körperlicher Ebene. Wir beide konnten das nicht verwirklichen, aber in Flo habe ich einen Jungen gefunden, bei dem das zutrifft.118

Offenbar begann sich Karola auch von einer Haltung Gernots zu distanzieren, die dieser rückblickend selbst als »Hang zum Besserwissen und Dozieren«119 bezeichnete. »[…] ich rauche jetzt gerne und viel«, ließ Karola ihn wissen, »kaue mit Genuß Kaugummi und ziehe Hosen an. Es ist mir egal, ob Du sagst, Kaugummi kauen verwandelt einen Menschen in eine Kuh und für Hosen bin ich zu dick. Ich gefalle mir so. Und ich lasse mich von keinem Menschen mehr umpolen oder ›aktivieren‹, wie Du es seit 1 ½ Jahren versucht hast. Denn ich weiß endlich, was ich will. Und ich will ich sein.«120 Mit solchen Abgrenzungen muss diese junge Frau wohl auch die Bindungskraft der familiären Herkunft verlassen haben. Denn nach ihrem Ausbrechen aus der Beziehung zu Gernot begann für Karola ein Abschnitt, zu dem unter

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anderem eine »Chaotenkommune«121 auf dem Land, mehrere Wohnungsund Beziehungswechsel oder sich schnell wieder zerschlagende Pläne, nach Kanada auszuwandern, gehörten. Im Nachhinein sollte sie diese Zeit als Phase eines »Wirrwarr« bezeichnen, auch deshalb, weil die ›Freiheit‹, die sie nun lebte, überfordernd war. Einige Jahre später, nunmehr 21-jährig, konnte Karola jedoch an Gernot vermelden, dass sie, auch wenn sie nicht »im siebten Himmel schwebe«, doch »immerhin ganz zufrieden mit beiden Beinen auf der Erde«122 stehe. Sie habe eine Buchhändlerlehre abgeschlossen, genieße es, »nicht mehr der kleine Lehrling« zu sein, sondern an einer neuen Stelle als »voll eingesetzte Kraft mit Kompetenzen und Verantwortung« zu arbeiten und habe Pläne, das Abitur nachzuholen. Zentral sei auch die Erkenntnis, dass man sich das Zusich-selbst-Finden »stark erarbeiten muß. Und das macht Spaß auf der einen, ist aber auch mit bitteren Erfahrungen auf der anderen Seite verbunden. Aber wenn ich mir überlege, gibt es eigentlich nichts, was ich missen möchte an sogenannten Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe.«123 Karola und Gernot führen ihren Briefwechsel bis heute weiter und haben »den Kontakt über so viele Jahrzehnte nicht verloren«.124 Als sie sich zudem entschlossen, das gesamte Konvolut ihrer ab den späten 1960er Jahren geführten Korrespondenz zusammenzuführen und dieses geschlossen der Sammlung Frauennachlässe zur Verfügung zu stellen, begaben sie sich selbst noch einmal auf eine »Zeitreise anhand unserer Briefe«,125 aus der interessante nachträgliche Einschätzungen entstanden: So waren sich Karola wie Gernot im Rückblick einig in der »Einschätzung, dass uns die öffentliche Debatte über sexuelles Verhalten verwirrt hat«.126 Und Gernot resümiert in einem maschinschriftlich verfassten Brief aus dem Jahr 2011: Einiges an meinem Leben ist mir nach wie vor ein Rätsel. Beispielsweise, warum wir nie richtig miteinander geschlafen haben. Ich behaupte, dass U. [seine Mutter, I. B.] mir eine einzige Angst vor Frauen eingepflanzt hat, denen höflich zu begegnen ist (das versteht sich von selbst), denen man sich aber nicht mit Haut und Haaren hingeben darf. Wären wir zusammen geblieben, wenn wir Sexualität gehabt hätten?127

3.2 »Ich möchte so gerne neu beginnen, mit etwas ganz Schönem«128 Christine Danek und Raimund Vos sowie Charlotte M. Obersteiner und Ewald Horner Im Gesamttitel dieses Beitrages – »Neuverhandlungen der Balance zwischen Liebe, Sexualität und Selbstverwirklichung«  – verweist der dritte Begriff auf einen Elan, der in den Korrespondenzen des untersuchten Zeitraums und damit offensichtlich auch als ›Verhandlungsgegenstand‹ in den dahinter stehenden Beziehungen deutlich fassbar wurde. Selbstverwirklichung und Selbst1968 ff. – Neuverhandlungen

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entfaltung hatten ganz allgemein im »umfassenden Prozess des Wandels von materiellen zu postmaterialistischen Werthaltungen«129 an Gewicht gewonnen und wurden zu Leitcodes einer neuen »Subjektkultur«,130 die sich seit den 1960er herauszukristallisieren begann. In den vorliegenden Korrespondenzen zeigte sich das auf Seiten der schreibenden Frauen in einer spezifischen Ausprägung. Für sie war der Anstoß zur beziehungsweise die Richtung der brieflichen Kommunikation auch durch eine Suche nach Anerkennung motiviert: nach einem Gesehen- und Gehörtwerden mit ihren individuellen Bedürfnissen und den vielfältigen Ausdrucksformen der eigenen, in manchem erst zu findenden Identität. Dabei wurde zum einen eine neue Balance in den beziehungsinternen Austausch-Verhältnissen angepeilt. Zum anderen ließ sich mit den gedanklich-brieflichen Selbstpositionierungen, die schreibend über den privaten Beziehungskosmos hinauszielende Bedeutungsfäden für das eigene Leben knüpften, der »Mut mit Neuem zu beginnen«131 stärken – wie es eine der Briefschreiberinnen formuliert hat. Besonders eindrücklich kam das im schriftlichen Niederschlag zweier Fernbeziehungen zum Vorschein. In beiden Fällen waren es die Schreiberinnen, die den Briefwechsel und eine damit verbundene räumlich distanzierte Beziehung initiierten: als Garant dafür, mit dem ganz Eigenen auch wirklich zu Wort zu kommen. Teils in einem sehr unmittelbaren Sinn: »[…] bei Gesprächen bin ich immer hinten nach«, hielt eine dieser beiden Frauen fest, »das kommt, weil ich nicht schlagfertig genug bin. Ich mag schön gesetzte Worte (auch harte Worte kann man gut plazieren mehr als eine rasche Entgegnung, möglich, weil man dabei (unüberlegt) leichter verletzt.«132 Mit der Korrespondenz eröffnete sich jedoch zugleich ein essentieller Möglichkeitsraum für Selbstentwurf und Selbstausdruck jenseits erlebter Zwangsjacken mehrfacher Art. Die beiden Korrespondentinnen gehören den Jahrgängen 1939 beziehungsweise 1941 an, was hinter ihren brieflich artikulierten und erschriebenen Akten der Selbstsetzung generations- wie geschlechtsspezifische »lebensgeschichtliche Störfaktoren«133 sichtbar werden lässt. Das waren hier vor allem die Herkunft aus autoritären, in einem Fall auch NS-affinen Familienverhältnissen, Geschlechterhierarchien zwischen den Eltern und/oder zwischen männlichen und weiblichen Geschwistern – etwa was die Möglichkeit zur Verwirklichung biografischer Lebenschancen betrifft  –, die Nicht-Anerkennung von Ausbildungswünschen, frustrierende berufliche Erfahrungen sowie das Auseinanderbrechen früherer, nach traditionellem Muster geführter Ehe- beziehungsweise Liebesbeziehungen.

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3.2.1 »[…] daß es da eine wahrhaftige Adresse gibt, an die ich meine Briefe richten darf (?). Nein kann!«134 Christine Danek, zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefwechsels Mitte dreißig und Sekretärin in der Werbeabteilung einer Firma, sowie der niederländische Sozialarbeiter Raimund Vos, Anfang dreißig, lernten sich zu Beginn des Jahres 1975 im Zusammenhang mit der geplanten Gründung eines autonom verwalteten Jugendzentrums kennen, das in einer österreichischen Stadt im kritischengagiert-katholischen Kontext entstehen sollte. Als das Vorhaben scheiterte, ging Raimund Vos zurück in die Niederlande. Ab Herbst 1975 wurde der Kontakt über Telefon und Briefe weitergeführt und entfaltet, ausgelöst durch Christines auch für sie selbst überraschendes Bekenntnis: »Ich wusste gar nicht, wie sehr Du mir gefehlt hast.«135 Bald finden sich in ihren Briefen hohe und drängende Erwartungen an eine ganz besondere Beziehung  – »Ich möchte so gerne neu beginnen, mit etwas ganz Schönem«136 –, die gleichzeitig auf keine eindeutig anvisierte äußere Form hinausliefen: Es ist im Verlauf der Korrespondenz ihrerseits von Freundschaft die Rede, von einem Austausch der Seelen, auch von einer »wunderhübschen Sache […] ohne Brief und Siegel und irgendwelche Verpflichtungen!«137 Dann wieder gerieten ihr Briefe doch, wie Christine Danek es selbst ausdrückte, zu »Liebesbriefen«.138 Von beiden Seiten her wurde schon in der Phase der Anbahnung einer möglichen festen Verbindung überaus große Skepsis gegenüber der Lebensform der traditionellen Ehe formuliert. Von Raimund Vos geschah das in Anschauung dieses Modells bei Eltern und Verwandten: Er sei »inmitten von Eheproblematiken aufgewachsen« und »meine Begeisterung ist dann auch für diese Form des Zusammenlebens nicht sehr groß«,139 schrieb er an Christine. Dezidiert hielt er fest – vielleicht auch befürchteten Erwartungen zuvorkommend –, dass er viel »Luft zum Atmen« brauche und auch deshalb »die Mitverantwortung für eine Ehe noch gar nicht tragen möchte«.140 Christine stimmte mit einem »Ich habe zwei Ehen meiner Mutter und ja auch auf meiner Seite zwei Verbindungen förmlich in Zeitlupe erlebt« in Raimunds skeptischen Tenor ein. Auch eine Reihe anderer »unvernünftiger Dinge«141 habe sie versucht. Die nunmehr von der Briefschreiberin angestrebte Art der ganz besonderen Beziehung lässt sich am ehesten als vertraute, beständige ›platonische Freundschaft‹ beschreiben – und letztlich als eine Spielart der »Liebe ohne den Ballast der Sexualität«.142 Ich möchte Dich zum Freund haben, weil ich Dir von allen meinen Gefühlen erzählen kann ohne dabei zu denken: Oje, heute Nacht. Überlege es Dir jetzt zu glauben ich bin abnormal. Bin ich nicht!!!! Aber ich kenne wirklich niemanden, der so ist wie ich. Afrika dürfte für mich auch nicht passend sein, eventuell der Mars?143 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Doch auch wenn die Schreiberin in Briefpassagen wie dieser Sexualität vordergründig hintanstellte, verschaffte sie sich mit einer über das Medium Brief vertieften Beziehung letztlich Freiraum gerade auch für ein schreibendes Erkunden und Darlegen der individuellen Gestimmtheiten und damit für eine »Wiederaneignung des Selbst«144 in diesem intimsten Bereich: »Das größte Glück für mich bedeutet es, daß ich zuerst mit meiner Seele lieben kann, die mir die sanftesten Worte zeigt, und die mich veranlaßt zu fühlen ob der Gegenstand meiner Zuneigung meinem Körper zärtliche Bewegung verleiht. Es ist so sehr einfach zu lieben und – man kann sich kaum irren.«145 In dieser schriftlich zum Ausdruck gebrachten sehr persönlichen Balance von Liebe, Zuneigung und Lust als »zärtlicher Bewegung« des Körpers schimmert gleichzeitig ein die Geschlechterverhältnisse der 1970er Jahre in ihrem Kern bewegendes Thema durch: die über traditionelle männliche Erwartungshaltungen und die neuen Zwänge der sogenannten Sexuellen Revolution hinausgehende Suche von Frauen nach selbstbestimmten – ein Schlüsselwort des westlichen Feminismus dieser Zeit146 – Ausdrucksweisen von weiblicher Erotik und Sexualität.147 Auch wenn sich aus den Briefen von Christine Danek kein unmittelbares Nahverhältnis der Schreiberin zur Neuen Frauenbewegung erschließen lässt, scheinen deren Wirkungszusammenhänge in diese Korrespondenz hineinzureichen, unter anderem in Christines dezidierter Abkehr von Normalitätsansprüchen. Schrieb sie doch im Zusammenhang mit ihrem – Sexualität eher nachordnenden – Beziehungswollen das schon zitierte Statement: »Überlege es Dir jetzt zu glauben ich bin abnormal. Bin ich nicht!!!!« Jene »Transformation des Wissens und der Normen über Frauen und weibliche Sexualität«,148 die von der Frauenbewegung mit ausgelöst wurde, begann sich nicht zuletzt auch deshalb in der Gesellschaft auszubreiten, weil Frauen wie Christine Danek »durch Irritationen der eigenen Erfahrung« schon »innerlich in dieser Weise gestimmt« waren.149 Die größte Anziehungskraft der Begegnung mit Raimund Vos scheint für Christine Danek in der Möglichkeit zur Erkundung des eigenen Selbst und jenes des männlichen Gegenübers – jeweils im Spiegel des Anderen – gelegen zu sein. Das lässt sich auch aus einem Brief herauslesen, in dem sie auf die zwischen Freundschaft und Liebe changierende und zu diesem Zeitpunkt schon beendete Verbindung zurückblickte und schrieb: »Ich träume manches Mal noch von langen Gesprächen mit Dir« – bevorzugt brieflichen – »und wünsche mir gelegentlich, in diesem [R. Vos] herumzustöbern.«150 Solche von Beginn des Briefwechsels an durchklingenden Wünsche und Hoffnungen – sie wisse »ganz sicher«, daß ihr »Innenleben« bei ihm »besser« als sonstwo aufgehoben sei,151 deponierte die Schreiberin – mögen auch dadurch beflügelt worden sein, dass Raimund Vos, der fortschrittliche, in der offenen Jugendarbeit engagierte Sozialarbeiter, eine in den Briefen vage anklingende Vergangenheit als »Pfarrer«152 hatte. »Wie hundert Deiner ›Fälle‹ habe auch ich

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ein angenehmes Gefühl, wenn ich mit Dir reden kann (hier eben schreiben)«,153 bekundete Christine Danek in diesem Zusammenhang; auch um die von ihrer Seite her dichte Abfolge solcher ›schriftlichen Gespräche‹ zwischen Österreich und den Niederlanden zu erklären. Sie genoss das Schreiben und die »Tatsache, daß es da eine wahrhaftige Adresse gibt, an die ich meine Briefe richten darf (?). Nein kann!«154 Ja, es vermochte sie, wie sie an anderer Stelle der Korrespondenz vermerkte, in einen richtigen »Glückstaumel«155 zu versetzen, mit dem Resümee: »Schau, nach all meinen Briefen liegt meine Seele vor Dir, nackt wie ein Baby auf dem Eisbärfell.«156 Aber auch ein Sohn Christine Daneks, den Raimund von seinem Aufenthalt in Österreich her persönlich kannte, seine Entwicklung und Freunde oder der bevorstehende Beginn der Lehre waren immer wieder Thema der Korrespondenz. »Mein lieber, lieber [Raimund]«, eröffnete Christine eines der brieflichen Gespräche und betonte, wie kostbar diese für sie seien, um für ihn noch einmal »wirklich« spürbar zu machen, »wenn Du nicht schon längst davon weißt, warum ich über Dich so froh bin, warum ich Dich so lieb habe und Dich auch auf dem Nordpol suchen würde«.157 Gleichzeitig stellte sie mehrmals besorgt die Frage, ob sie ihn mit ihrer »Wortfabrik«158 nicht zu sehr belaste und versprach »das ›ZUVIEL‹ wieder ins Tagebuch zu sperren. Ja? – ein­verstanden.«159 Diese rege, auch in anderen Briefen angesprochene »Wortfabrik«, mit deren ›Produkten‹ die Schreiberin den Empfänger ihrer Briefe konfrontierte, wurde neben der Möglichkeit zur »Seelenwäsche«160 noch durch ein weiteres  – bislang aufgestautes – Bedürfnis in Gang gehalten. Christine Danek erlebte ihre frauentypische berufliche Position der Sekretärin als höchst unbefriedigend. Sie habe es satt, schrieb sie, dauernd »dem blöden Gerede, das die Typen in dieser Branche von sich geben, zuhören zu müssen«.161 Ganz offensichtlich fühlte sie sich in ihrem kreativen Selbst stark eingeschränkt und war auf der Suche nach einem anerkennenden Gesehen- und Gehörtwerden mit ihren bislang nicht wahrgenommenen Befähigungen. Sie habe es sich »angewöhnt alle Taschen und Säcke voll Papier zu haben und, frag’ mich nicht, wo überall man bei mir Bleistifte findet«, weihte sie Raimund Vos in ihre literarischen Ambitionen ein: »[…] weißt Du, es macht mir so großen Spaß, so wie eben auch an Dich zu schreiben.«162 Der intensive briefliche Kontakt mit einem Adressaten in der Ferne schuf für diese Ziele zwar noch nicht die erhoffte Öffentlichkeit im eigentlichen Sinn, aber einen erweiterten Resonanzraum, in den hinein sich Christine Danek als Autorin entwerfen und erproben konnte. Mehrmals schickte sie an Raimund Vos »Muster meines ruchlosen Treibens«: »Lauter Fragmente, aus denen einmal etwas werden soll, die zum Teil schon verwertet wurden.« Offenbar nicht ganz sicher bezüglich der Qualität beziehungsweise einer möglichen Kritik vorab den Wind aus den Segeln nehmend, wurde von ihr ein »Ich weiß, es klingt nach nichts« nachgeschoben. Doch schon in der nächsten Briefpassage begann sie sich herausfordernd-kritisch und mit ironi­ 1968 ff. – Neuverhandlungen

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schem Unterton an anderen Textprodukten  – wie etwa ihr bekannten TVDrehbüchern – zu messen und die in diesem Genre ihrer Meinung nach geltenden Qualitätskriterien in Frage zu stellen: Die Farbe Weiß »und das Wort ›lieblich‹« würden schon genügen, um Romantik darzustellen. Während Du mit zweimal »Scheiße« in einem Stück bei den Kritikern schon […] eine qualifizierte Interpretationspotenz besitzt und überhaupt die progressivste Aktionsstruktur aufweist. Frag mich nicht was das alles heißt. […] Und ich nörgle schon wieder auf ’s allerschönste. Wenn ich nur ein bißchen schlechtes Gewissen aufbringen könnte! Jetzt lieb ich Dich gerade sehr!!!! [Christine]163

Die für Christine Danek so stimmigen Möglichkeiten, die sich für sie aus dem intensiven Fernkontakt mit Raimund Vos auftaten, stellten für ihn schwierige Rahmenbedingungen dar. Das zeigt sich in seinen eigenen, viel selteneren Briefen. Während die Briefkommunikation Christine in einen Beziehungsschwung versetzen konnte, der sich etwa in der Passage oben zu einem mit vier Rufzeichen versehenen »Jetzt lieb ich Dich gerade sehr!!!!« steigerte, sei das alles bei ihm und für ihn »nicht so einfach«, ließ Raimund sie wissen. Er sei noch »dermaßen« mit sich selbst beschäftigt und damit, für sich eine »neue Richtung zu bestimmen«164  – ohne die frühere »wasserdichte Zusammensetzung« einer »theologischen Füllung«165 seines Lebens. Daher brauche er viel Zeit und vor allem das unmittelbare persönliche Gespräch. Das Schreiben – noch dazu in der ihm nicht so vertrauten deutschen Sprache – sei für ihn »so furchtbar umständlich und in dem Augenblick höchst einseitig«.166 Auch fehle es ihm an Ausdruckskraft. Für seinen Applaus an die Wortkünstlerin Christine holt ­Raimund sich Unterstützung bei einem Lied von Hildegard Knef: Ich bin nicht so ein Dichter, der poetische Briefe schreiben kann, und muss mich beim Schreiben dauernd festhalten an ganz gewöhnlichen alltäglichen Dingen die manchmal so furchtbar trivial sind, dass es kaum der Mühe wert ist darüber zu berichten. »Für mich soll’s rote Rosen regnen«, singt Hildegard Knef gerade. Schön wäre es. Jedenfalls wünsche ich Dir so einen Rosenschauer von Herzen zu! Ich will – ich möchte – ich hätte so gerne – und wie anders kommt es immer. Manchmal sind die Dinge sooooo weit von mir entfernt; ich kann dann richtig traurig werden.167

Nach ihrem ersten Besuch bei Raimund in den Niederlanden im Frühjahr 1976 schrieb Christine Danek von einem »leise summenden Gefühl zwischen Trauer und Erwartung«168 – Trauer wegen des Abschieds nach einer Woche der nichtbrieflichen Nähe und Erwartung bezüglich einer sich entfaltenden Zukunft, in der beide im Leben des anderen jeweils eine Rolle spielen. Im Sommer des­ selben Jahres, nach einem zweiten Besuch, musste sie jedoch mit Bedauern konstatieren, »daß die Verständigung zwischen uns nicht mehr so richtig klappt«.169

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Von den »kleinen weißen Kuverts mit dem Absender [R. V.]«, die man, wie sich die Empfängerin freute, »sogar unters Kopfkissen legen konnte«,170 war schon länger keines mehr eingetroffen. Und von Christine Daneks Seite brachen die Briefe dann im Spätherbst ab. 3.2.2 »Warum erzähle ich?«171 Eine Briefe schreibende Scheherazade »Wollen wir mit dem Kennenlernen beginnen (sobald der Zustand der Angst – to get involved  – überwunden ist)?«172 Mit Signalen wie diesem ist es auch im nunmehrigen Fallbeispiel die Schreiberin, von der die Initiative zu einer fernen intimen Nähe ausging, die erst über das Korrespondieren zum ›Du‹ fand und sich zu einer transatlantischen Romanze in Briefform intensivierte. Ein Arbeitskollege, der Charlotte M. Obersteiner schon länger interessiert hatte  – in einer zusätzlichen biografischen Information sprach sie ihrerseits von »Anziehung auf den ersten Blick« –,173 war als leitender Angestellter in das Überseebüro der Firma entsandt worden. Über die schriftliche Kontaktaufnahme aus der österreichischen Heimat und das Bekenntnis Charlottes, dass sie ihn vermisse, war der Angeschriebene zunächst erstaunt. Mit ihren lebhaften und geistreichen Briefen voll poetischer Ausdruckskraft konnte sie ihn jedoch dafür gewinnen, sich auf das Abenteuer eines Vertrautwerdens über das Medium Brief einzulassen und damit unbekannte, noch nicht ausgetretene Wege zu beschreiten, wie beide erwartungsvoll reflektierten. Über 13 Monate hinweg schrieben sich Charlotte M. Obersteiner und Ewald Horner in den Jahren 1971 und 1972 regelmäßig und ausführlich. In nahezu 150 Briefen korrespondierten die beiden über ihre aktuellen Lebensumstände, tauschten Erinnerungen an Kindheit und Jugend aus, diskutierten über Literatur, zeitgenössische Beziehungskonzepte und Geschlechterrollen, führten schriftlich philosophische Gespräche über Glück und Zufriedenheit und machten für den anderen das eigene Leben sinnlich fassbar – wie die jeweilige Stadt roch, die Spaziergänge schmeckten, sich die Jahreszeiten anhörten. Charlotte M. Obersteiner war besonders erfinderisch darin, ihre Briefe weit über lesbare Zeichen hinaus zu etwas Erlebbarem werden zu lassen. Sie schickte Honigduft in die USA, verfolgte beim Verfassen ihrer Schreiben eine Art lukullischer Dramaturgie – »Heute hast Du ein ganzes Briefmenü. Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Dessert«174 – und setzte mit einer Vielfalt an weiteren sprühenden Ideen immer wieder Impulse zur Fortsetzung des intensiven Austausches. Horner begann auf diese Briefe zu warten, wusste aber nicht so recht, wie er das, was hier entstand, einschätzen sollte. »Die Frage ist auch meine«, reagierte Charlotte, »aber ich schiebe sie beiseite. Let life have its own way. I am happy.«175 In ihren weiteren Briefen deuten beide wachsende Gefühle füreinander an und begannen, sich Umarmungen und Küsse zu schicken. Die Korrespondenz 1968 ff. – Neuverhandlungen

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wurde nunmehr auch erotisch grundiert. Wiederum ging die Initiative dazu von Charlotte aus. »Du darfst Dir für jedes große ›T‹ im Brief einen Kuß nehmen. Wohin Du ihn am liebsten hast. Ich nehme [an], die Nasenspitze wird nicht zuvorderst rangieren!!«,176 formulierte sie einige Wochen nach dem Einsetzen des schriftlichen Kontakts und schickte wenig später »einen Kuß für jedes fünfte kleine ›i‹ in diesem Brief. Hoffentlich leidest Du dann nicht an Übersättigung«,177 um bald darauf ihr Angebot spielerisch-neckend wieder zu reduzieren: »Weil Dir anscheinend die Arbeit mit den T’s und i’s zu viel war, sollst Du heute darben. Es gibt einen Kuß für jedes kleine ›qu‹. Wirst nicht viele finden!«178 Küsse wurden ihrerseits nicht nur in unterschiedlichen Qualitäten brieflich gewährt oder entzogen, sondern auch ebenso detailliert für sich selbst eingefordert: »Bitte beginn’ mit zärtlich und dann geh’ das Register durch bis wild und wieder retour. Das dauert bestimmt eine Stunde  …  oder mehr. Hast Du so viel Zeit für Deine [Charlotte]?«179 Aus den Briefen Ewald Horners, die ebenfalls vorliegen, wird auf seinen Wunsch hin in diesem Beitrag nicht direkt zitiert. Aber alleine daraus, wie Charlotte M. Obersteiner in ihren Schreiben darauf Bezug nahm, lässt sich erschließen, dass die Korrespondenz auch seine ›fünf Sinne‹ durcheinander rüttelte. Auf Horners argwöhnendes briefliches Nachdenken darüber, dass in ihrem intensiven schriftlichen Kontakt Projektionen eine Rolle spielen könnten, reagierte Charlotte – abermals mit viel Poesie unterlegt – unbekümmert und zugleich herausfordernd. Berichtigungen an jenem Bild, das sie von ihm entworfen habe, nehme sie jederzeit entgegen. [Ewald], Dein Gesicht ist ein leeres Oval, darin ich mit sehnsuchtsvollen Gedanken Deine Züge zeichne, die wechseln, wie die Wolken an stürmischen Frühlingstagen, dräuend und verheißend; die lachen, wie weite Sommer­ himmel über heiteren Feldern, blau und heiß; die leuchten, wie goldene Blätter in der zitternden Herbstsonne, versponnen und träumerisch; die strahlen können, wie Eiskristalle um die Weihnachtszeit, hell und hart. Papier ist ge­duldig und Dir bleibt auch nichts anderes übrig als Dir gefallen zu lassen, wie ich den [Ewald] sehe. Solltest Du damit nicht einverstanden sein, warte ich auf Korrekturen.180

Die Briefe Charlottes zeigen sie als Meisterin im schreibenden Umwerben, Bezaubern, Herausfordern und gleichzeitig Sich-selbst-Zeigen mit Worten. Ganz offensichtlich genoss sie den schöpferischen Ausdruck, der durch ihre Gefühle für Ewald Horner so lebhaft in Fluss gekommen war. Sie mache es mit ihren Briefen wie Scheherazade aus »Tausendundeiner Nacht«, mit jedem Schreiben komme ein Stein mehr zum Mosaik, hielt Ewald Horner in einem seiner Briefe fest. Diese Assoziation aufnehmend verglich sich auch Charlotte selbst mit der »schönen und klugen Scheherazade«181 aus der Rahmenhandlung der alten persischen Geschichtensammlung, die, wie sie reflektierte, »um ihr

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Leben« erzählte und »vor allem, um einen aus Enttäuschung und Verzweiflung schwermütig gewordenen Tyrannen wieder zu sich finden zu lassen«.182 Ihre an sich selbst gestellte Frage »Warum erzähle ich?« beantwortete Charlotte mit dem vorsichtig formulierten Gedanken: »Vielleicht um ein Stückchen zusätzliches Glück und um Dich von der Unruhe zu befreien.«183 Letzteres signalisiert, dass die im Scheherazade-Szenario angelegte Dimension ›Frau lindert männliche Krise‹ auch im Fall von Charlotte zum Tragen kam. Denn im Verlauf der Korrespondenz hatte sich herausgestellt, dass Horner bereits in einer für ihn schwierigen ehelichen Beziehungskonstellation gebunden war. Er bat Charlotte daher mehrmals um Verschwiegenheit und äußerte indirekt zudem die Befürchtung, dass ihre Erwartungen an ihn zu groß sein könnten. Erzählte/schrieb Charlotte als Scheherazade der 1970er Jahre mit ihren Briefen letztlich auch dagegen an, dass die Bereitschaft und Möglichkeit, die Briefromanze fortzuführen oder gar deren diskreten Rahmen zu überschreiten, zwischen ihr und Horner ungleich verteilt waren? »Ewald, ich bin verboten* glücklich. Verstehst Du das. Ich nicht. Never mind. Kuß Deine Charlotte«, hieß es nach mehrmonatiger Korrespondenz in einem ihrer Briefe, wobei sie am linken Rand noch hinzufügte: »* wird sicher nicht anhalten, wundert mich, daß es schon sooo lange hält.«184 Und in einem früheren Schreiben hatte Charlotte, auch hier auf das Motiv der Scheherazade Bezug nehmend, mit scherzhaftem Unterton formuliert: »Ich fürchte, ich bin weder so schön, noch so klug wie die Dame und mein Vorhaben ist daher zum Scheitern verurteilt. Solange mir nicht der Riegel vorgeschoben wird, plaudere ich gerne noch ein Weilchen weiter.«185 Der Schwung, der Charlotte M. Obersteiner in ihrem brieflichen ­Plaudern an- und weitertrieb, scheint mehrfach grundiert gewesen zu sein. So ließ sich im Korrespondieren mit dem fernen ›Du‹ auch eine Art Gegenwelt zu jenen beschränkenden Erfahrungen kreieren, mit denen sich die Schreiberin in an­ deren Lebenszusammenhängen konfrontiert sah. In derselben Firma wie Ewald Horner als Fremdsprachenkorrespondentin eingesetzt, erlebte die Anfang 30-Jährige diese Position im Rahmen der innerbetrieblichen Hierarchien als – so ihr eigener Ausdruck – »Schuhabstreifer-Job«,186 der keine befriedigende Anerkennung für sie bereithielt. Ihre Ambition zu studieren war nach der Matura vom Vater gestoppt worden, der seine zu dieser Zeit noch notwendige Zustimmung zur Inskription verweigerte und die Tochter auf einen Beamtenposten bei der Österreichischen Post drängte. Das entsprach der traditionellen Logik dessen, was man in den späten 1950er Jahren in ­Charlottes Herkunftsmilieu  – die Mutter arbeitete damals als Schneiderin, der Vater war Kapellmeister bei der Polizei – als angemessen für eine Frau hielt.187 Studieren durfte nur der Bruder. Volljährig geworden, brach Charlotte aus, ging 1961 mit einer Freundin als Haus- und Au-Pair-Mädchen nach London und Paris, absolvierte dort Hochschullehrgänge für Englisch und Französisch und 1968 ff. – Neuverhandlungen

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begann damit gleichzeitig jene intensive, Grenzen überschreitende Reisetätigkeit, die sich als roter Faden auch durch ihr späteres unkonventionelles Leben ziehen sollte. Von diesem Elan des Aufbruchs, das eigene Leben selbstbestimmt und produktiv zu gestalten, scheint auch die briefliche Aufnahme eines nahen Kontakts zu Ewald Horner beflügelt worden zu sein. Im Möglichkeitsraum ihrer von Liebesgefühlen getragenen Korrespondenz konnte Charlotte M. Obersteiner gewissermaßen auch ihr kreatives Selbst in Schwingung bringen und sich facettenreich zeigen und entwerfen: als originelle, unabhängige, am geistig-intellektuellen Austausch interessierte Frau; als Liebende, die ihr Gegenüber mit der Verführungskraft von Worten umwarb, und als literarisch begabte Schreibende, die für ihre Autorschaft vom Adressaten der Briefe ausdrückliche Anerkennung erhielt. Diesen Beifall Ewald Horners wollte Charlotte M. Obersteiner jedoch nicht für sich allein und verwies auf den für sie wichtigen Resonanzraum, der durch ihre gemeinsame intensive Korrespondenz entstanden war: »Wenn man nicht versteht, mich in die richtige Stimmung zu versetzen, bringt man nur Mißtöne oder gar nichts aus mir heraus.«188 Aus den Briefen Charlottes lässt sich zudem herauslesen, dass ihre Suche nach einem für sie stimmigen Lebensentwurf und danach  – um wieder die These von Cas Wouters aufzugreifen –, »neue Ideale und Wege zur Befriedigung ihrer Sehnsucht sowohl nach Sexualität als auch nach Liebe zu finden«,189 eine nicht hintergehbare Prämisse hatte: »Jeder Zwang ist mir verhaßt«,190 schrieb sie Ewald Horner in die USA und erzählte ihm von den Ursachen dafür, die zurückreichen zu ihren Jugenderfahrungen der Nachkriegszeit in einem Ordnung, Gehorsam und Disziplin fordernden Elternhaus. Der Vater war im Zweiten Weltkrieg zunächst als Militärmusiker im Offiziersrang, später als Oberzahlmeister und damit als Militärbeamter des gehobenen Dienstes in Polen und Jugoslawien im Wehrmachtseinsatz und nach seiner Entnazifizierung im Rahmen der Polizei tätig gewesen.191 Ich wurde  – zwar in Liebe  – aber mit der Trillerpfeife […] aufgezogen, da war kein Platz für Träume. Obwohl ein Musiker Haushalt, durfte kein Radio gehört werden, es hätte vom Lernen abhalten können, tanzen lernte ich erst mit 18, obwohl ich eine leidenschaftliche Tänzerin war und an Ausgehen war auch dann nicht gedacht. […] Träume und Romantik lagen mir ferner als heute die andere Seite der Welt. Es war eine harte Lektion und mühselige Arbeit, zu beiden zu finden, aber jetzt freue ich mich über die Fähigkeit, alles zu genießen. Es ist immer noch neu und erstaunlich für mich.192

Vielleicht gehörte Charlottes Gestimmtheit dafür, eine so unkonventionelle transatlantische Briefromanze zu initiieren und mit ihrer expressiven Kreativität in Gang zu halten, noch ein Stück weit mit zu jener zunächst »mühse­ ligen Arbeit«, die Zwänge einer umfassenden, eigenständige Lebensäußerun-

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gen erstickenden väterlich-familiären Kontrolle hinter sich zu lassen – und sich gleichzeitig immer deutlicher und genussvoll in das eigene Leben hinein zu schreiben? In solchen Abgrenzungen von bisherigen lebensgeschichtlichen Erfahrungen und in der Skepsis gegenüber traditionellen Beziehungsmodellen wurden in beiden – in diesem Abschnitt vorgestellten – Fallbeispielen über die Briefe neue Bedeutungszusammenhänge für das eigene Leben erschrieben. Aber sowohl dieses Sich-selbst-neu-Erfinden als auch die textschöpferischen Ambitionen haben die Schreiberinnen – zumindest damals – noch nicht »mit einem kulturellen und sozialen Sinn verknüpft«, der das Private »transzendiert« und sich »in die kulturellen Formen der Welt« außerhalb eines vertrauten, persönlichen Bezugssystems »einschreibt«.193 Der »Wunsch nach weiblicher Selbstthematisierung« hat sich in den 1970er Jahren im Kontext der Neuen Frauenbewegung allerdings zum Kennzeichen eines Genres emanzipatorischer »Frauenliteratur« entwickelt, die darauf pochte, »die aus dem etablierten Diskurs ausgeschlossenen weiblichen Erfahrungen«194 im öffentlichen Raum zur Sprache zu bringen. 3.3 »Ich möchte mit Dir reden, streiten – deine ›Gescheitheit‹ spüren (überall), mit dir lachen und dich festhalten … alles zugleich«195 Markus Kern und Ines Auberger In Erweiterung der bisherigen paradigmatisch erläuterten Korrespondenzen führte die Suche der AkteurInnen des nun folgenden Briefwechsels nach neuen Wegen deutlich über den Entfaltungsraum des Privaten hinaus. Die briefliche Kommunikation zwischen Markus Kern und Ines Auberger lässt sich als ein Beispiel für dezidiert angepeilte Veränderungen in den Grenzziehungen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten lesen – und für ein Politischwerden des Letzteren. Denn die Abgrenzung von – wie es die Soziologin Ute Gerhard ausdrückt  – »gesellschaftlich vorgefertigten Entwürfen«196 bekam hier auch eine sich in die Gesellschaft gestaltend einmischende Dimension. Markus Kern und Ines Auberger waren zum Zeitpunkt ihrer Briefkorrespondenz 25 Jahre alt und befanden sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bereits in der Endphase ihrer Studienzeit. Markus absolvierte ein gesellschaftswissenschaftliches, Ines ein literaturwissenschaftliches Studium. Kennengelernt hatten sie sich in einem Studentenheim, aus dem sie später auszogen, allerdings nicht in eine gemeinsame Wohnung, sondern in getrennte Projekte: er in eine ›linke‹ Wohngemeinschaft, sie in eine der ersten ›FrauenWGs‹ der Stadt. Markus war, wie er in seinen Briefen betonte, Marxist, Ines begann sich in einer feministischen Frauengruppe zu engagieren. Das, was die beiden verband, benannten sie in der vorliegenden Korrespondenz als »unsere 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Beziehung« und verwendeten damit einen Begriff, der sich damals in der Alltagssprache ihres Milieus »für eine auf Anziehung begründete Paarbildung, die grundsätzlich auf der Eigenständigkeit beider Partner beruhte«, durchzusetzen begann: »Freund und Freundin konnten zusammenziehen oder jeweils in der eigenen Wohnung leben. Denn wesentlich war, wie beide ›die Beziehung‹ definierten.«197 Aus dem Briefwechsel dieses Paares hat sich nur eine Seite erhalten, jene des männlichen Schreibers. In seinen häufigen, sehr konkreten Bezugnahmen auf Haltungen und Äußerungen der Adressatin seiner Briefe wird jedoch auch die junge Frau indirekt greifbar, wenngleich eher aus der Perspektive, wie ein junger Mann auf die damalige Suche von Frauen nach einem neuen Selbstbewusstsein, nach Ich-Stärke, nach einer eigenständigen Position im Priva­ ten und Öffentlichen und nach Unabhängigkeit reagierte. Dabei zeigte sich auch, welche Schritte »des Entgegenkommens«198 er zu setzen vermochte, welche Impulse er selbst einbrachte, was für ihn irritierend, bedrohlich war, was er für sich als Gewinn verbuchte. Auch das spezifische  – links-feministischalternative – Milieu, in dem Markus Kern und Ines Auberger sich bewegten, reichte in die Briefkommunikation herein: seine soziokulturellen und habituellen Gemeinsamkeiten199 ebenso wie seine stützende Funktion. Insgesamt liegen 14 Briefe vor, die in den Monaten vom Sommer 1979 bis zum Februar 1980  – im dritten Jahr der Beziehung dieses Paares  – verfasst wurden. Mit ihren acht, zehn und mehr Seiten sind sie von einer bemerkens­ werten Länge und signalisieren »ein hohes Maß an Selbstthematisierungs­ kompetenz«200 sowie eine Reflexionskultur, für die es zum konkreten Zeitpunkt verstärkende beziehungsexterne wie -interne Auslöser gab. Die Briefe von Markus Kern waren sogenannte »Ferienbriefe«,201 als solche wurden sie einmal in einem Schreiben bezeichnet. Markus war 1979/1980 in den vorlesungsfreien Zeiten in seinem Heimatort, um dort Geld für sein Studium zu verdienen. In dieser Zeit lebte er im Haus seiner Eltern, das Paar sah sich selten, das Getrenntsein wurde mittels Briefen und gelegentlichen Telefonaten überbrückt. Auch »alle roten, lila, schwarzen Schwestern u Brüder«,202 wie es in einem der Briefe hieß, wurden immer wieder – mit der Bitte, Nachrichten an diese weiterzuleiten – angesprochen: »Grüß mir die WGlerinnen! (und alle anderen aufrührerischen Elemente). Viel Liebe, Dein [Markus]«; und ein handschriftlicher Nachtrag in roter Tinte in der sonst durchgängig mit Schreibmaschine verfassten Briefquelle ergänzte: »Noch ein dickes rotes Bussi … mmh!«203 Während seine Weichenstellung, »nicht den Rollenmustern des bürgerlichen Lebens [zu folgen]«,204 in der sonstigen Lebenspraxis von Markus durch den Rückhalt der »anderen aufrührerischen Elemente« gestützt wurde, sah er sich in diesem Elan durch seine wenn auch zeitlich begrenzte Rückkehr in das elterlich-familiäre Umfeld und dessen Konformitätsorientierung  – so seine

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Bewertung – massiv eingeschränkt. Ob sie sich vorstellen könne, was es heißt, »drei Monate geballte Kleinbürgerlichkeit über sich ergehen zu lassen. Auch wenn alle recht ›lieb‹ sind – es nützt nichts. Es ist die Struktur die lähmt«,205 schrieb er an Ines in einem seiner Briefe, die ihm in dieser Situation zu einem wichtigen Ort der kritischen Abgrenzung und zugleich zu einem Fluchtpunkt wurden. Im Sommer 1979 drei Monate nicht in der »gewohnten Umgebung«206 zu sein, forderte Markus aber auch zu einem intensiven Reflexionsprozess seine Beziehung zu und mit Ines betreffend heraus, in dessen Rahmen es auch zur erneuten Lektüre ihrer früheren Briefe kam. Das sei »das Positive an einer [räumlichen, I. B.] Trennung«, dass man »über seine eigene Beziehung zum anderen« nachdenke, weil man die Sehnsucht nicht mit dem Partner »zudecken« kann. Jetzt spüre ich das noch mehr als in der Wohngemeinschaft. Es geistern mir alle mög­ lichen Fragen herum: warum gerade mit dir, warum noch, wieso empfinde ich Sehnsucht? Bin ich nur aus der Alltäglichkeit herausgerissen oder fehlt mir tatsächlich was zu meinem Leben  – die Gespräche mit dir z. B.? […] Hier wird mir also viel klarer […], warum ich an dir hänge. Wir haben gemeinsam gestritten, uns gekränkt, geliebt – haben uns gemeinsam mit einander geändert – ich kenn dich also. Du bist was Besonderes für mich […]: ich kenne viele liebenswerte Menschen, aber ich kenne nicht ihre Geschichte (oder nicht gut), aber deine u ein Teil deiner Geschichte ist auch meine. Das ist alles.207

Mit diesem sachlichen »Das ist alles« wird hier ein Gedankenbogen abgeschlossen, in dem Sehnsucht und Verbundenheit auf einer Metaebene kommuniziert und für das »warum ich an dir hänge« nach zugrunde liegenden Motivlagen gesucht wird. Diese verweisen zugleich auf das gelebte Modell von Liebe und Beziehung. Was Ines für Markus zu etwas Besonderem machte, waren demnach der intensive, auch erstrittene gemeinsame Veränderungsprozess, die Intimität der gemeinsamen Geschichte, die sich daraus ergab, sowie ein Vertraut-worden-Sein mit der individuellen Lebensgeschichte des anderen. Gedanken wie oben seien ihm in den letzten Wochen oft durch den Kopf gegangen, »gerade weil ich spürte, daß unsere Beziehung kurz vor dem Ende stand«. Mit diesen Worten wurde auf eine Krise zurückgeblickt und ausgelotet, was eine mögliche Trennung bedeutet hätte: Zuerst war es nur das Denken übers Alltägliche, das verschwindet  – doch dann fragt man sich danach was da verschwindet. Es würden auch die ganzen Schwierigkeiten verschwinden, die später einmal wieder auftauchen würden, wieso also die Schwierigkeiten nicht gleich angehen? Und die ganzen Schwierigkeiten will ich mit dir u nicht mit einer anderen. Ich brauche dich auch um mich selbst zu kontrollieren – weil du momentan der einzige Mensch bist, dessen Urteil mir wichtig ist. Das verstehe ich unter »dich brauchen« – deshalb liebe ich dich – das macht’s für mich aus.208 1968 ff. – Neuverhandlungen

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In Briefpassagen wie dieser und vielen ähnlichen wird deutlich, wie selbstverständlich und vom Schreiber bejahend besetzt ›Beziehung‹ als Raum von Auseinandersetzung und Konflikten begriffen wurde, nicht zuletzt, weil aus den damit verbundenen Reibungen herausfordernde Funken für die Entfaltung und Weiterentwicklung des eigenen Selbst entstanden. Zu diesem wechselseitigen Prozess gehörte für Markus auch das Schreiben der Briefe, als ein dezidiert geistiger und emotionaler Einsatz, der sich in einer engagierten Sprache und in manchen Passagen auch durch häufige Rufzeichen – einfache!, mehrfache!!! – widerspiegelte; ständig »rattert[e]«, wie er es selbst ausdrückte, seine Schreibmaschine, und: »[…] es gehört eine Konzentration dazu, weil ich mir bewußt Gedanken machen muß«.209 Ines Auberger und Markus Kern waren, wie die Briefe zeigen, ein intellektuelles Paar, dem Liebe, Beziehung, Sexualität, Geschlechterbeziehungen und das eigene Selbst zum immer wieder neu überdachten Projekt wurden. Auch konkrete Gesten der Zuneigung verblieben nicht im Fraglosen, sondern wurden als über sich selbst hinausweisende Praxis in Szene gesetzt. »Liebe [Ines], ich will dir einfach was schenken, weil ich dich gern hab«, heißt es etwa auf einer kleinen linierten Karteikarte aus dem Jahr 1980, die als Geschenkanhänger diente, und dieser Eröffnung folgt ein Textausschnitt aus Ernst Blochs »Das Prinzip Hoffnung«:210 Auch aus nichts wird etwas. Aber es muß in ihm zugleich angelegt sein. So läßt sich keinem etwas geben, was er nicht vorher hat. Mindestens als Wunsch hat, sonst wird das Gereichte nicht als Geschenk empfunden. Gefragt muß es gewesen sein, wenn auch nur in einem dunklen Gefühl. Nichts wirkt als Antwort, was nicht vorher gefragt gewesen ist. Daher bleibt so viel Helles unge­ sehen, als wäre es nicht da. ernst bloch Dein [Markus], Jän 80

Dass Ernst Bloch, der marxistische Philosoph der »Konkreten Utopie«, in dieser Korrespondenz auftaucht, kann nicht als Zufall gewertet werden; nicht nur aus dem Wissen heraus, dass sich Teile der Studentenbewegung auf ihn bezogen. In Blochs Ideengebäude steht der über sich hinausdenkende Mensch im Zentrum  – sein Wünschen und »Träumen nach vorwärts«211 als Haltung, die gesellschaftlich noch nicht realisierte Potentiale bewusst zu machen vermag. Das korrespondiert mit dem gesellschafts- wie privatpolitischen Veränderungswillen, von dem diese Briefe insgesamt getragen sind: sich selbst und repressive Strukturen in Familie und Gesellschaft betreffend. Beide – Markus Kern wie Ines Auberger – waren, wie sich aus seinen Briefen vielfältig herauslesen lässt, auf der Suche nach Subjektentwürfen und Lebensgestaltungen weit jenseits jener Kultur der Kleinbürgerlichkeit, aus der sie kamen und die sie mit persönlichem und politischem Unbehagen erfüllte. Auf dieser Suche bewegten sie sich, jeweils unterschiedlich eingebunden, im

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Kontext marxistischer und feministischer Deutungs- und Sinnangebote, auch solchen der Psychoanalyse und einer damals einsetzenden therapeutic culture: Diese Diskurse wurden in den Briefen aufgegriffen, auf das eigene Leben bezogen und für die eigene Person weitergedacht, in Teilen verworfen, erweitert, mitgestaltet. Das macht die vorliegende Korrespondenz und ihre beiden AkteurInnen zu einem aussagekräftigen Beispiel der im links-feministischalternativen Milieu der 1970er Jahre kreierten Gefühls- wie Beziehungskulturen. In den Briefen findet sich vielfältig konkretisiert, was Sven Reichardt in seinen Forschungen zu Politik und Lebensstil in diesem Milieu als dessen gemeinsame Bestimmungsmerkmale herausgearbeitet hat: nämlich eine »lebensweltliche Erweiterung marxistischer Kritik an der ›Entfremdung‹«, eine »Revolutionierung des Alltagslebens« sowie eine »politische Problematisierung des Geschlechterverhältnisses«.212 Dass es sich bei der Beziehung von Markus und Ines nicht nur um ein »kopflastiges Experiment«213 handelte und auch nicht um eines allein unter der Deutungshoheit ›des männlichen Geistes‹, wie das die Literaturwissenschafterin Hannelore Schlaffer in ihrem Buch über intellektuelle Paare von Max Weber bis Simone de Beauvoir ausführt,214 legt eine briefliche, mit Sinnlichkeit aufgeladene Aufforderung nahe: »Ich möchte mit Dir reden, streiten – gegen deinen Kopf rennen, ›deine Gescheitheit‹ spüren (überall), mit dir lachen und dich festhalten … alles zugleich«, schrieb Markus und strich heraus, dass er eine »[Ines] in allen ihren möglichen Gestaltungen u Ausdrücken«215 brauche und wolle. Die wechselseitigen Ansprüche dieses Paares scheinen hoch gewesen zu sein und ihre Einlösung war, wie schon erwähnt, keineswegs konfliktfrei. Das signalisiert unter anderem eine Art – offenbar von Ines initiierter – »Vertrag«, der sich in dem Briefbestand findet. Auf einem herausgerissenen Kalenderblatt wurde von den beiden mit Datum und Unterschrift und gleichzeitig in spielerisch-ironischer Übertreibung festgehalten, dass sie »angesichts des geistigen Elends unserer BISherigen Beziehung« beide »das Bedürfnis haben diesen unproduktiven Zustand zu beenden« und dass sie für sich daraus einen nächsten zu setzenden Schritt ableiten: »Also: gemeinsames Lesen u. Diskutieren anhand von beiden alternativ vorgeschlagenen Texten.« In nachträglicher Ergänzung eingefügt wurde noch der Vermerk: »1 × / Woche.«216 Dass Markus und Ines »in liebender Verve«217 gemeinsam um Selbst-, Beziehungs- und Lebensentwürfe gerungen haben, zieht sich als ein roter Faden durch die Briefe. Dieser rote Faden ist gleichzeitig häufig verknotet mit den großen Themen nicht nur des linksalternativen Milieus, sondern der Zeit insgesamt: dem Hinterfragen gesellschaftlicher Strukturen, der Vermitteltheit der Individuen durch diese Strukturen, der Suche danach, was Autonomie des Subjekts bedeuten könnte. Den persönlichen, tief in die Beziehung hineinreichenden und auf sich selbst umgelegten Austausch über das »Verhältnis von Subjek1968 ff. – Neuverhandlungen

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tivität und Gesellschaftlichkeit«218 und über eine Verbindung von »politischen Ansprüchen und neuen Lebensweisen«219 hatten die beiden offenbar zunächst von den entgegengesetzten Polen dieses Spannungsverhältnisses her gestartet: Bei Markus lag die Konzentration seines Elans auf einem kritisch-theoretischen Verständnis gesellschaftlicher Strukturen und ihrer politischen Veränderung und damit auf einem analytischen Blick, in dem er, wie er bekannte,220 das handelnde Individuum und dabei auch sich selbst und seine unmittelbaren sozialen Beziehungen manchmal aus den Augen verlor. Bei Ines waren unmittelbare Erfahrungen und Betroffenheiten der Ausgangspunkt für eine anvisierte Transformation – der eigenen Person, der Liebes- und Geschlechterbeziehungen und von hier aus auch der Gesellschaft als Ganzes. Aus dieser zunächst fast klassisch anmutenden Rollenverteilung heraus kam es, wie die Briefe zeigen, zu einem wechselseitigen Lern- und Annäherungsprozess. »Du hast mir sehr geholfen über meine Beziehungen zu anderen nachzudenken, mir geholfen mein ›Umkippen‹ hin zu Objektivem u zu ›Strukturen‹ etwas gerade zu biegen«,221 hielt Markus so oder ähnlich mehrmals in seinen Briefen fest. Viel zu dieser Selbsterkenntnis habe beigetragen, dass »du […] einen schönen Patzen Selbstbewußtsein dazu gewonnen [hast]«222 – eine Entwicklung und Enthierarchisierung, die sich aus seiner Perspektive so darstellte: Am Anfang sei »klar« gewesen, »daß ich der Stärkere in der Beziehung bin und wir haben beide diese Rolle akzeptiert. […] Nachdem nichts ewig ist, hat sich auch dieses Verhältnis zwischen uns gelöst und ist – so wie ich es jetzt sehe – ein wirklich partnerschaftliches geworden.«223 An dieser Stelle und auch an anderen verweist Markus abermals affirmativ auf jene »Reibungen«, ohne die diese Veränderungen nicht vor sich gehen hätten können: »[…] heute bin ich froh, mit dir diese Reibungen gemacht zu haben. Jetzt weiß ich noch besser, was ich an dir habe, und warum ich dich so gern hab.«224 Das alles sei ihm eingefallen beim erneuten Lesen ihrer früheren Briefe, beendete er, nach vielen eng mit Schreibmaschine beschriebenen Seiten, sein Resümee und warf einen Blick auf Zukünftiges: Wenn man so viel denke und schreibe, dann hat man meistens das Bedürfnis, sich körperlich weiter zu unterhalten. Du warst zwar vor einigen Tagen da, doch ich sehne mich wahnsinnig nach dir; ich bin eifersüchtig auf die Leute (Männer und Frauen), die mit dir zusammen sein können – ja manchmal möchte ich dich ganz für mich haben und dich bei mir einschließen (aber das geht nicht ganz fürcht’ ich), ein bisserl halt – du weißt schon. Ich stelle mir in Ermangelung von Tatsachen eben vor, was wir im Herbst gemeinsam unternehmen werden, wie wir bewußter miteinander leben können, ob wir vielleicht auch einmal miteinander etwas arbeiten können usw. [Ines], das Schreibmaschineschreiben ist nach einer gewissen Zeit etwas anstrengend, […] ich werde also jetzt unser Beisammensein mehr oder weniger abrupt abbrechen – obwohl ich dir ganz nahe bleibe.225

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Mit einem »›Ich mags heute schreiben‹: ich liebe dich«, in dem sich eine Skepsis vor solch großen Worten zugleich zeigt und überwunden wird, endet dieses intensive briefliche »Beisammensein«. Das vom Schreiber oben angesprochene »Bedürfnis, sich körperlich weiter zu unterhalten« – verstanden im Sinne eines gemeinsamen sexuellen Erlebens – war für ihn das zentrale Bindemittel einer Beziehung: »Dieses gemeinsame Wegtauchen, diese Komplizenschaft der Körper, das ist absolutes Vertrauen und dieses Vertrauen ist Liebe.«226 Und an anderer Stelle desselben Briefes heißt es: »Möchte mich zu dir hinwenden voll Achtung u. Zärtlichkeit, möchte mit dir fühlen u. sehen – wie in der Nacht damals. Du warst wunderschön weich, offen, alles war so spielerisch, so selbstverständlich. […] Wer offen ist, hat keine Angst etwas zu verlieren – ich möchte diesen Abend immer wieder leben …«227 Sexualität ist in den Briefen von Markus ein besonders markant präsentes Thema: Er schrieb darüber, wie in der Briefserie vom Februar 1980, offen, sehnsüchtig, leidenschaftlich entgegenkommend, aber auch fordernd, verhandelnd, wie in den kritisch-reflexiven Schreiben aus dem Sommer 1979 – dies entstand aus seiner Perspektive deshalb, weil sich Ines seinem Verlangen offenbar immer wieder auch entzog. Welche Gründe die junge Frau dafür hatte, lässt sich nur indirekt erschließen. Ihr Engagement in einer feministischen Gruppe und ihr Leben in einer Wohngemeinschaft mit Frauen signalisieren, dass sie damals auf der Suche nach einem eigenständigen sozialen und politischen Ort war, um sich selbst, ihr sexuelles Bewusstsein, die gesellschaftliche Rolle und Position von Frauen, die kulturellen Bilder über Weiblichkeit und Männlichkeit, Liebe, Sexualität und Beziehungen von Grund auf zu überdenken. Wie wir wissen, spielten in diesen Bestrebungen, sich aus den Seh-, Denk- und Bewertungsgewohnheiten der traditionellen Geschlechterordnung zu lösen, die Erfahrungs- und Reflexionsräume einer »autonomen weiblichen Kultur und Kreativität«228 eine wichtige und stützende Rolle. Mobilisiert von den »Partizipationsansprüchen und kritischen Einsprüchen«229 der Neuen Frauenbewegung haben sich damals junge Frauen auch »immer stärker in der öffentlichen Sphäre zu Geltung gebracht«, bei dort nach wie vor gegebener »ausgeprägter Ungleichheit«230 im Verhältnis der Geschlechter. Auch Ines Auberger scheint für sich die Tür zu einem anerkannten Platz in der Welt weit aufgemacht zu haben. In diesen Kontext lässt sich jedenfalls eine durch Markus Kerns Briefe überlieferte Aussage von ihr einordnen. Sie wolle »berühmt werden«,231 soll sie scherzend-provokativ gesagt haben. Auf der Ebene des biografischen Handelns waren solche Neubestimmungen des Verhältnisses zwischen privaten Lebensbereichen, beruflicher Verankerung und öffentlichem gesellschaftlichem Engagement ein herausforderndes Anliegen, denn für ein Gelingen gab es erst wenige weibliche Vorbilder und zugleich galt es, Ängste vor einer neuen, noch unvertrauten sozialen Fallhöhe zu über­ winden.232 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Diese Grenzen erweiternde Dynamik in der damaligen Lebensphase von Ines Auberger wurde auch für Markus Kern zu einer Herausforderung, die ihn verunsicherte, wie er in brieflich festgehaltener Selbstreflexion anmerkte: »Reagiere übersensibel  – weil bedrohend  – auf Äußerungen wie: möchte andere Menschen kennenlernen, möchte weiter kommen, allein Dinge tun … (ist ja logisch  – eben logisch). Warum bedrohend?«233 Und direkt an Ines stellte er die Frage, warum ihr Projekt der umfassenden Neuorientierung als Frau von Separation und Zurückstellen der Sexualität begleitet sei: »Daß du raus willst ist klar. […] dazu willst du die Decke sprengen.« Aber: »Was nützt es dann wenn man frei, stark, unabhängig, selbstsicher ist, wenn man dafür die Zärtlichkeit, Geborgenheit der anderen verliert?« – »Warum entweder – oder?« Und an anderer Stelle dieses Briefes sinnierte der Schreiber: »Aber wie dies erreichen, daß Ich-Stärke, Selbstvertrauen einerseits und sich fallen lassen andrerseits zusammenströmen?«234 Welche Antworten dieses Paar auf solche, damals vielfach gestellte Fragen im Kontext eines Spannungsverhältnisses von Identität und Sexualität gefunden hat, geht aus den nur einen kurzen Zeitraum umfassenden Briefen nicht hervor. Was in diesem Fallbeispiel aber deutlich wird, ist das spezifische Beziehungsideal, das sich mit Francesca M. Cancian als »androgyn«235 bezeichnen lässt. Es war eines, in dessen Kontext sich beide Seiten in offener Kommunikation dazu herausforderten, die Geschlechterdualität ein Stück weit ein­zuebnen  – etwa wenn sich in beidseitiger Integration männlich codierte Autonomie mit weiblich codierter Affektivität verbindet. Und dabei stellte Markus Kern für sich als Mann einen Zuwachs an Spielraum, an Optionen fest, wenn gelebte Beziehung und Liebe weniger asymmetrisch und geschlechterdualistisch ausgedeutet wird:236 So sei für ihn die frühere Position des Starken »mit einer gewissen Langeweile […] gepaart« gewesen;237 sie habe ihn auch von der großen Bandbreite möglicher Gefühle abgeschnitten: »Früher: Unabhängigkeit, seelisch nicht engagieren, daher keine Gefahr. Keine festen Bindungen (miteinander etwas durchstehen, sich öffnen, Vertrauen – alles). […] Jetzt: Der ganze Gefühlsbogen wirbelt durch meinen Bauch wenn ich an dich nur denke. Fühle mich ganz nahe bei dir.«238 Ein Ende der Beziehung würde »wieder ein ›Zurück-in-die-Rolle‹ des Starken bedeuten – alles von vorne«,239 weil die »Mehrzahl der Frauen«, wie Markus in einem anderen Brief befürchtete, noch ungebrochen traditionelle Erwartungshaltungen habe: Ich als linker Mann habe da sicher Schwierigkeiten. Da wird man patriar­ chalisch erzogen: der Mann ist intelligenter, die Frau soll die Wünsche des Mannes erfüllen – aber doch gleichberechtigt sein; sie soll zu ihm aufschauen können usw. … heiße Geliebte und diese Sachen. So wird man erzogen; später steigt man dann mühsam um (durch »andere Frauen«), lernt die Beziehungen aus einem neuen Winkel kennen, lernt eigene, bisher unentdeckte

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patriar­chalische Züge an sich kennen, versucht zu lernen, nicht weil das »in« ist, sondern weil die Beziehung intensiver wird, weil es einfach mit Denken überhaupt nicht zu vereinbaren ist, daß jemand den ganzen Mist aufladen soll, damit der Partner hurtig durchs Leben eilen kann! Und dann die Konfrontation mit einer »normalen Frau«. Einer Frau, die Frau spielt, auf gewisse Reaktionen wartet, kokettiert, sich putzt, sich dem Mann unterwirft und doch beteuert »gleich zu sein«.240

Darüber hinaus rechnete Markus damit, außerhalb der stützenden links-alternativen Szene auf Abwertungen  – durch Frauen, aber vor allem auch Männer – gegenüber jenen zu stoßen, die sich einer anderen Form der Begegnung und des Austausches zwischen den Geschlechtern öffnen. Vielfach würde man sich denken, ohne es immer offen auszusprechen: »Wenn ein Mann das macht, dann muß er wohl total vertrottelt sein! [Ines], ich fühle das, wenn ich den anderen ins Gesicht sehe.«241 Solche die Ambivalenzen einer emanzipatorischen Praxis auf eindrückliche Weise thematisierenden Gedankenbögen, wie sie Markus Kern in seinen Briefen aufspannte, lassen sich als symptomatisch verstehen: nämlich für »zeitgenössische männliche Selbstreflexion« im Kontext des Bemühens um eine »radikale Neubestimmung des privaten Zusammenlebens«242 und eine ebensolche in der Ordnung der Geschlechter. Und sie zeigen zudem, wie sehr auch Männer innerlich in das feministische Projekt involviert sein konnten.

4. Erste zusammenführende Überlegungen, ein besonderer Brief und ein Kontrastbeispiel aus den 1950er Jahren 4.1 Abkehr von Hierarchien und Rollenkonformität In den bislang für den vorliegenden Beitrag paradigmatisch untersuchten und in dichter Beschreibung vorgestellten Briefwechseln von den ausgehenden 1960er bis in die beginnenden 1980er Jahre manifestierte sich im Zusammenhang mit Geschlechterrollen, Beziehungen, Liebe und Sexualität ein dynamischer Umbau sowohl in den gesellschaftlich-strukturellen Mustern als auch in den individuell-persönlichen Wahrnehmungen. Über die spezifische Quelle der Paarkorrespondenzen wird die subjektive Dimension dieser Erosion bislang gültiger Normen, Diskurse und gelebter Praxen sichtbar – die intime Innenseite einer beschleunigten »Transformation von Lebensmodellen«243 und die Feinmechanismen solcher Neugestaltungen. Dass sie, wie gezeigt werden konnte, weit hinaus über eine »bis dato gesellschaftlich vorherbestimmte Lebensführung«244 und das ihr zugrundeliegende »geschlechterspezifische Regelwerk«245 strebten, hat auch damit zu tun, dass die Korrespondierenden aus Altersgruppen und soziokulturellen Kontexten kamen, die für Veränderungsprozesse beson1968 ff. – Neuverhandlungen

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ders aufgeschlossen waren. Das war insbesondere in jenen gegenkulturellen Milieus der Fall, die sich im Zusammenhang mit Studentenbewegung, Neuer Frauenbewegung und Alternativbewegung herausgebildet hatten – und das in vielfältigen Verflechtungen. Impulse für eine entsprechende Transformation, auch hin zu einer neuen Paarwirklichkeit und den darin gelebten Geschlechterbeziehungen, gingen in den Briefen zwar deutlich vom »weiblichen Subjekt« aus, wie es der Kultursoziologe Reckwitz und andere als allgemeinen Befund formuliert haben.246 Es zeigte sich aber gleichzeitig, wie sehr neue Blickwinkel auf Liebe, Beziehung und Sexualität sowie »Verhaltens- und Gefühlsalternativen«247 jenseits »rollenmäßiger Vorregulierungen«248 vielfach geschlechterübergreifend entdeckt wurden – im wechselseitigen Austausch und Ringen. Lust am Ausprobieren, wie ein Sich-Näherkommen und Aufeinander-Beziehen jenseits der alten Hierarchien möglich ist, war Teil  davon, und kreative Strategien dafür konnten von den schreibenden Frauen wie auch Männern kommen, wie hier noch eine Briefquelle aus dem Jahr 1982 auf originelle Weise zeigt. »Die Wirklichkeit und die Fantasie. Oder meine Beziehung zu Dir« übertitelt etwa Bernhard Stelzer seinen Liebesbrief an eine Frau, für die er in ein und demselben Schreiben zwei unterschiedliche Namen hat. Damit will er sowohl einer Beziehungsrealität Ausdruck geben, in der er noch nach einem angemessenen Umgang auf Augenhöhe sucht, als auch einer in die Zukunft weisenden Imagination, die das Bild einer erfüllten gemeinsamen lustvollen Stärke entwirft. Liebe [Beate]! Wenn Du mich streichelst, läuft mir jedesmal ein Schauer über den R ­ ücken. Tatsache ist auch, daß ich zu Dir sehr viel Vertrauen habe, obwohl ich noch Schwierigkeiten habe frank und frei, also ohne Hemmungen, drauflos zu reden. Dies wohl deshalb, weil ich Angst habe Dich zu verletzen. Zu oft wurde mir gesagt, dass ich ein unsensibler Rüpel bin. Vielleicht bin ich’s auch, wo aber hätte ich es lernen sollen? Im Internat oder gar beim KSV [Kommunistischer Studentenverband, I. B.]. Apropos verletzen: ich bin froh Dir nicht auf das Ruderboot geholfen zu haben, weil ich glaube, daß Du sehr gut ohne mein Eingreifen aufs Boot gekommen bist. Verletzend wäre gewesen Dich (mit meinen ach so männlichen Muskeln) herauszuziehen. Von jemanden vertrauen zu jemanden etwas zutrauen ist kein weiter Weg. Liebe [Katharina]! Schön war’s, als wir beide auf unseren Motorrädern so stark, so unverletzbar, jede Sekunde uns selbst, uns zusammen, uns und die Landschaft, die an uns vorüberbrauste, LEBTEN. Oder: Schweißtriefend die Pedale tretend riechen wir uns und die Natur und dann […] lieben wir uns im hohen Gras. Die Zitronenfalter klatschen mit ihren Flügeln Beifall und ein geschwätziger Spatz erzählt seiner Freundin, daß er es nicht nur gesehen, sondern auch

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gehört hat. Gerüchte besagen, daß eine griechische Landschildkröte dazu einen Song der Beatles gesungen haben soll: »Will you still need me, will you still feed me, when I’m sixty-four.« Liebe [Beate]! Das gestrige Telefongespräch hat mir wieder Mut gegeben. Ich fühlte mich aufgebaut. Ciao, piu carina che conosco.249

»The goal of self-development replaces conformity to roles«,250 konstatiert ­Francesca M. Cancian in ihrem Buch »Love in America: Gender and SelfDevelopment« für die USA ab den 1950er Jahren. Im westlichen Europa kann man von diesem Prozess der Freisetzung aus traditionellen Geschlechter-, Beziehungs- und Familienrollen erst ab Mitte der 1960er Jahre sprechen, und für Österreich ist er mit größerer Reichweite überhaupt erst ab den 1970er Jahren anzusetzen. In den brieflichen Auseinandersetzungen der schreibenden Frauen und Männer war  – im kritischen Nachvollziehen der eigenen Sozialisation und Entwicklung – auch präsent, von welchen Vorgaben und Modellen man sich abzugrenzen begann. Das geschah nicht im Sinne einer linearen Abkehr davon, sondern in suchenden Pendelbewegungen zwischen neuen Diskursen/Optionen und alten, auch familiär tradierten gesellschaftlichen Normen. Besonders deutlich, weil zunächst selbst angestrebt und gelebt, werden letztere jedoch in einer Paarkorrespondenz aus einer niederösterreichischen Kleinstadt, deren 1941 geborene Schreiberin derselben Teilgeneration angehört wie die beiden bereits vorgestellten Schreiberinnen Christine Danek und Charlotte M. Obersteiner. Mit ihrer schon 1960 eingegangenen Ehe war sie allerdings in einen gesellschaftlichen Kontext und dessen »konservatives kulturelles Paradigma«251 eingebettet, in dem auch »das bürgerliche Geschlechtermodell mit seinen geschlechtsgebundenen Hierarchien und seiner ›markanten Abgrenzung männlich-weiblicher Funktionsbereiche‹«252 noch beziehungsweise wieder hohe Wirkkraft hatte. Dieses wurde vielfach verknüpft mit dem Werteund Moralsystem der katholischen Kirche, die in den Feldern Sexualität, Ehe und Familie nach 1945, insbesondere in den langen 1950er Jahren, noch einmal großen Einfluss entfaltete, bevor der Durchbruch der Konsumgesellschaft das Alltagsleben der Bevölkerung tiefgreifend zu verändern begann.253 Der genannte Briefwechsel soll als Kontrastbeispiel zu jenen, in denen sich jeweils ein Beziehungsgeschehen aus den 1970er Jahren entfaltet hat, nunmehr noch kurz skizziert werden, um anschließend zu einem vergleichenden Resümee zu kommen.

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4.1. »Sag mir, wie Du mich haben willst«254 Hertha Feldbauer und Friedrich Kastner im Kontext der langen 1950er Jahre In den neunzig Briefen, die sich Hertha Feldbauer und Friedrich Kastner in den Jahren 1959 bis 1963 insbesondere in der Phase vom Kennenlernen bis zur Eheschließung schrieben, zeigt sich, wie sehr »kirchliche Ehemoral und die Vorstellung einer als polar beziehungsweise komplementär verstandenen Geschlechterdifferenz«255 zu diesem Zeitpunkt in die Selbst- und Beziehungsentwürfe integriert sein konnten: als aktive Aneignung und Interpretationsleistung, als Folie, vor der die gemeinsame Zukunft entworfen und verhandelt wurde.256 Die Mehrheit der Briefe stammt von Hertha, die als 18-jährige Schülerin aus gutbürgerlichem Umfeld damals kurz vor der Matura stand. Die Schreiberin tritt darin als vielseitig, auch künstlerisch talentierte junge Frau in Erscheinung – mit Liebe zur Musik, begabten Versuchen in der Malerei bis hin zum Besuch der Salzburger Sommerakademie von Oskar Kokoschka. Auf einem Ball der Katholischen Jugend verliebte sie sich in einen um elf Jahre älteren, streng katholischen Volkschullehrer. Im nun einsetzenden Briefwechsel mit Friedrich Kastner steuerte sie – mit dem Schwung des Verliebtseins und gleichzeitig mit einem unmissverständlichen Rollenkonzept – auf Ehe und Familie zu, in atemberaubendem Tempo: »Ich habe immer gedacht, daß ich unendlich viel Zeit habe bis zu Liebe und Ehe. Ich hatte gerade begonnen ernst und vernünftig zu werden. Ich hatte das Schwärmen aufgegeben, ja ich hatte sogar gebetet, mich nicht zu verlieben, daß ich Zeit habe, ruhig an mir zu arbeiten. Da kamst Du. Und ich wußte sofort, daß es anders war.«257 Trotz der hier bekundeten Absage an ein idealisierendes Träumen bricht in den Briefen Herthas »wiederkehrend einerseits ein schwärmerisches Liebesmodell hervor«.258 Mit diesem folgte sie der für die 1950er und frühen 1960er Jahre typischen »Verkündung der Liebe als dem großen Glück« sowie der »Beschwörung der Ehe als Beziehungsnorm«,259 wie sie auch in zeitgenössischen Anstandsbüchern, katholischen Ehebroschüren, in Filmen oder Illustrierten vermittelt wurden. Andererseits begann sich die Schreiberin gedanklich und praktisch »in ein pragmatisches, beinahe schon desillusioniert zu nennendes Ehemodell ein[zuüben], das für sie durch ihre Mutter, eine Kriegswitwe, verkörpert wurde«. So ist, wie Barbara Asen in ihrer Analyse des Briefwechsels feststellt, »in den Briefen der jungen Frau etwa von ›furchtbar viel Illusionen von Eheglück und Paradies der Verliebtheit‹ die Rede, und davon, dass sie sich bewusst sei, ›daß die Ehe kein Paradies ist und schon garnicht das Leben einer Hausfrau‹«.260 Mit diesem Doppelblick, der die Mechanismen durchschaute und sich ihnen gleichzeitig freiwillig anheimgeben wollte, versichert Hertha dem »lieben, ­lieben

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[Friedrich]«,261 dass sie alle wichtigen Voraussetzungen habe, um heiraten zu können: »Wirklich ohne Schwärmen und so weiter. Ich möchte einfach Deine Frau sein. Tu nicht so, wie wenn Du das nicht glaubst und verstehst. Ich lieb Dich doch. Innig umarmt und küßt Dich Deine [Hertha].«262 Es ist spannend, bei der Lektüre der Briefe zu verfolgen, mit welchem Eifer diese junge Frau – angespornt von ihren Liebesgefühlen und dem Ziel, dem offensichtlich skeptischen Friedrich zu beweisen, dass sie mit ihrer Liebe eben nicht wie ein träumerischer Backfisch »auf den Wolken schwebe« –263 in das den zeitgenössischen Konventionen entsprechende weibliche Rollenkleid hineinschlüpft. Das zeigt sich auch in der folgenden Selbstbeschreibung, die sie Friedrich, damit um ihn und eine gemeinsame Zukunft werbend, übermittelte: Sie sei »soweit gesund«, zudem »sparsam und immer mit sehr wenig zufrieden gewesen«. Und weiter heißt es in diesem langen Brief, an dem sie offenbar mehrere Tage schrieb: Ich bin nicht fad und nicht spießerisch und habe ein frohes Herz. Ich bin trotz meiner Malerei kein hauswirtschaftliches Antitalent (also Du brauchst da keine Angst zu haben) und jetzt überhaupt, wie Du Dir denken kannst, mit Feuereifer dabei, Kochen, Nähen etc zu lernen. Ich habe auch ein Haus und eine Wohnung. Ich bin nicht dumm und kann mich benehmen und würde Dir keine Schande machen. Und du kannst Dich verlassen, dass ich Dir treu bin. Und die Freude, die würde uns nicht fehlen. Ich kann mich freuen über alles. Ich liebe die Musik, die Blumen, Bäume, Berge, das Meer, die Seen, eine schöne Wohnung, die Sonnen- und die Regentage, den Sommer und den Winter, schwimmen und Radfahren, tanzen, alles, was es an schönen Dingen gibt. […] Man braucht gar nicht viel Geld um die Freude zu finden. Und was meinst Du, wie reich und schön sie unser Leben machen kann. Ich würde es Dir nicht einsam werden lassen. Sicher nicht. – Hoffentlich denkst Du Dir nicht: Dieses dumme Mädchen preist sich an wie bei einem Inserat. Aber weißt Du, ich muß Dich doch überzeugen, daß wir nicht so unglücklich würden wie Du meinst. Noch etwas, ich bin furchtbar gutmütig. […] Sei ver­ sichert, dass ich Dir nie wissentlich und absichtlich weh tun würde.264

Den Briefen nach zu schließen, nahm die 18-jährige Maturantin die gesamte Anbahnung einer vertieften Beziehung bis hin zu Verlobung und Eheschließung aktiv in die Hand und entwarf im Rahmen ihres geschlechterpolaren Konzepts auch den männlichen Part: Und nun zu Dir: Wie soll ich Dir begreiflich machen, daß ich mir gar nicht mehr und nicht weniger wünsche als gerade wie Du bist, Liebster. Ich wünsch mir einen Mann, einen ganz richtigen Mann. Er kann ruhig Fehler haben, aber ich muss aufschauen können zu ihm. Das kann ich zu Dir. Er soll mir ­geistig auf jeden Fall ebenbürtig sein. – Trifft ebenfalls zu. Er soll katholisch sein, soll kein Maler sein, soll nicht reich sein, weil reiche Leute fast immer nichts wert sind. Er soll mich vor allem lieb haben und mir treu sein.265 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Diese Kriterien der Partnerwahl und die Argumentation Herthas waren einerseits von einem zeitgenössisch-typischen Ideal des homogenen Paares266 – gleiches soziales Milieu und gleiche Religionszugehörigkeit, ähnliches Bildungsniveau, vertrautes Umfeld, auch in ihrer Familie war der Beruf des Lehrers vertreten  – getragen. Gleichzeitig finden sich darin auch romantische Elemente – Liebe, Treue und gemeinsame Freude seien wichtiger als Geld – sowie ein Konzept, das ausgeprägt in komplementären, zum Teil auch hierarchischen Geschlechterrollen dachte. Zum eigenen weiblichen Part gehörten das Aufschauen-Wollen, Altruismus, Betonung der eigenen Opferbereitschaft und als explizit genannter Liebesbeweis die Aufgabe des eigenen Selbst, worin Hertha aber für sich eine Chance der Verwirklichung sah: »[I]ch glaube, ich gebe […] nicht meine Persönlichkeit auf, wenn ich sage: Sag mir, wie Du mich haben willst, was Du von mir brauchst. Denn ich glaube, daß es keine Schande ist, zu lieben und für die Liebe, um dieser Liebe willen Opfer zu bringen und wegzugehen vom eigenen Ich.«267 Als »Übung für die Ehe – Wir mögen doch nicht dauernd Streit!«268 begann sich Hertha in Strategien der Konfliktvermeidung und Harmonieherstellung zu erziehen und das bereits im aktuellen Zusammenleben mit ihrer Mutter gewissenhaft zu befolgen: Die »schwerste Arbeit« sei, »sein Reden ganz in Kontrolle zu bekommen. Immer daran denken, ja kein böses Wort zu sagen, sich immer bemühen, Mutti in jeder Kleinigkeit Recht zugeben […] – Nein es ist garnicht immer so leicht, nachzugeben. Aber das ist sicher das allerallerwichtigste, was man lernen muß. Das ist mir schon gedämmert.«269 Bei diesem Prozess der Selbsterziehung nahm sie sich wohl auch die briefliche Bekundung Friedrichs, wie sehr ihm, im Fall einer künftigen Ehe, an Harmonie ohne »Schererein« liege, zu Herzen; hatte dieser doch – letztlich mit Liebesentzug drohend – klargestellt: Ich liebe meine kleine, fröhliche Hertha und wünsche Ihr (und mir altem Egoisten), dass alle künftigen Schererein, ohne viel Gerede, und ohne allzugroßen Schaden an unseren Seelen anzurichten, vorübergehen möchten. […] Ich bin ein mißtrauischer, schweigsamer Kautz, aber ich mag Dich, ich sehne mich nach Dir – ich kann aber auch verzichten, wenn meinem Seelenheil Gefahr drohen sollte.270

Dass Hertha, wie sie betonte, aus freien Stücken ihre vielen Talente und Beschäftigungen dem Ziel einer am geschlechterpolaren Programm orientierten, die Frau im Häuslichen, Familiären und Emotionalen verortenden Ehe unterordnen wollte, mag auch aus einer erhofften Reduzierung von verunsichernder Komplexität und aus Schutzbedürfnissen heraus entstanden sein. Ihre Malerei-Studien gebe sie gerne auf, argumentierte sie etwa, denn für die »Intrigen und Gemeinheit« im Kunstbetrieb sei sie ohnehin »nicht geschaffen«. »Ich weiß nicht, ob Du das kennst: wie schmutzig der Wettbewerb ist«, ein

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Mädchen allein gehe dort »zu 80 % vor die Hunde«.271 Überhaupt sei Studieren für ein Mädchen »ein Blödsinn. Glaub mir, wenn ich wollte, könnte ich auch studieren. Kunstgeschichte oder das Lehramt oder Sprachen oder Architektur. Interessieren würde mich vieles, zusammenbringen tät ich auch manches.« Aber sie habe »gar keinen Ehrgeiz danach«, finde »keine Erfüllung darin viel zu wissen. Mich interessiert es wohl, mein Glück ist aber ganz woanders.«272 Jemand anderen glücklich zu machen, sei mehr wert als Studium und Geld – da fühle man sich wunderbar leicht und froh. In eine andere Richtung gehende Ratschläge der Berufsberatung wehrte sie entschieden ab – ja, sie kämpfte, wie sie Friedrich in einem Brief berichtete,273 geradezu mit der Beraterin um den im Kopf selbst entworfenen, ihr ideal erscheinenden Weg. Als die beiden 1960 heirateten, war Hertha Feldbauer, nun verehelichte Kastner, 19 Jahre alt, ein Jahr später bekam das Ehepaar sein erstes Kind, drei weitere sollten innerhalb weniger Jahre folgen. Für die späteren Phasen der Ehe liegen nur mehr ganz wenige, nach 1963 überhaupt keine Briefe mehr vor. Ein Rat, den Friedrich Kastner in einem Brief aus dem Jahr 1963 seiner Ehefrau Hertha gab, deutet indirekt auf Risse in der erhofften Eheharmonie hin: »[U]nterlasse alle diese Beziehungen mit Leuten, die in Ihrer [sic] Ehe gescheitert sind. Wenn Du Dich nicht mit Ihnen abgeben würdest, so würden wir sicher besser leben.«274 Den biografischen Notizen bei der Übergabe der Briefbestände an die Sammlung Frauennachlässe durch Hertha Kastner selbst war zu entnehmen, dass sie 1978 nach 18 Jahren Ehe und nunmehr 37 Jahre alt die Scheidung einreichte, mit ihren Kindern nach Wien zog, dort unter anderem auch journalistisch tätig wurde, in den Bereichen Kunst und Kultur, und sich in verschiedenen gesellschaftspolitischen Zusammenhängen, etwa einem von ihr mitbegründeten Netzwerk »Mut zur Demokratie« zu engagieren begann.275 Damit entfaltete sich ganz offensichtlich auch in diesem Lebensentwurf die ab den 1970er Jahren so deutlich »zunehmende Partizipation von Frauen am ganzen Spektrum gesellschaftlicher Lebens­vollzüge«.276 Im Vergleich mit dem eben skizzierten Korrespondenzbeispiel, in dem die briefliche Kommunikation entschlossen und zielsicher auf eine Ehe zusteuerte, die in komplementären, auch hierarchisierten Rollen formatiert wurde und für die eine ihren Sinn aus Liebe gewinnende strikte »Rollenerfüllung als Chance der Verwirklichung«277 angestrebt worden war – zumindest auf Seiten der jungen Frau  –, fällt das Resümee für den eigentlichen Untersuchungszeitraum noch expliziter aus.

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5. Erneuerung und Bereicherung im Verhältnis der Geschlechter: Ein Resümee Was lässt sich nun in einer abschließenden Zusammenschau der Bilanzen, die in den Fallbeispielen gezogen wurden, an Tendenzen resümieren – mit stützender Einbeziehung aller für diesen Beitrag in den Blick genommenen Briefwechsel? Bereits genannt wurde die sich in unterschiedlichen Graden abgrenzende Skepsis gegenüber tradierten Weiblichkeits- und Männlichkeitsmustern sowie diesbezüglichen Rollenkonformitäten, die in der untersuchten brieflichen Kommunikation von den ausgehenden 1960er bis in die beginnenden 1980er Jahre so deutlich war. Die Dynamisierung im Verständnis der Geschlechterrollen zeigte sich besonders explizit auf Seiten der schreibenden Frauen, die im Kontext von Neuer Frauenbewegung und Emanzipation im Begriff waren, Hemmschuhe vielfältiger Art abzulegen: durch Grenzen überschreitendes biografisches Handeln, von dem die Briefe berichten, aber auch durch den als kreativ-befreiend erlebten Modus des Korrespondierens selbst und die damit verbundene Möglichkeit, sich brieflich-sprachlich neu zu entwerfen. In den Briefen der schreibenden Männer artikulierte sich Rollendistanz dort, wo der Erwartungsdruck der zugeordneten beziehungsweise eingenommenen Position ›des Starken‹, ›des Beschützers‹, ›des Realisten‹, ›des Klügeren‹ et cetera reflektiert oder sogar zurückgewiesen wurde  – als einengend, überfordernd oder in gewisser Hinsicht langweilig, wie es ebenfalls hieß. Die Bereitschaft, aktiv Impulse zu setzen für neue Formen einer Beziehung und Begegnung der Geschlechter, war in jenen Fällen ausgeprägt, in denen es der männliche Blick als Zuwachs an eigenem Spielraum wertete, wenn Zweierbeziehung und Liebe weniger geschlechterdualistisch und asymmetrisch ausgedeutet werden. Schon zeitgenössische soziologische Befunde sprachen von einer »Dekomposition von Rollen in Komponenten«, die nun »für eine Vielzahl neuer Kombinationen zur Verfügung«278 standen und, wie sich in den Paarkorrespondenzen zeigte, in diesem Sinne auch aufgegriffen und genutzt wurden.279 Besonders signifikant war in diesem Prozess des Aufbrechens »der Identifizierung mit dem Etablierten«,280 wie sehr sich die Umbauarbeiten an der Geschlechter- und Liebesordnung auf deren Liaisonen mit einer asymmetrischen geschlechtsspezifischen Machtbalance bezogen. Während die damaligen Ergründungen und Erprobungen von »gleichheitlichen Beziehungsformen« heute »weitgehend vergessen sind«281 – wie Ilse Lenz schreibt –, ist ihre Präsenz in den untersuchten Korrespondenzen eindrücklich. Nicht in den vorliegenden Briefen aufzufinden ist hingegen jener sich schon in den 1970er Jahren, aber verstärkt in den 1980er Jahren verbreitende Trend, der – wie Pascal Eitler jüngst in einem Text über männliche Identitätsnormen ausgeführt hat – »esoterisches Wissen« zum »Schmelztiegel und Durchlauferhitzer« einer Transformation der traditio­

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nellen Ordnung der Geschlechter werden ließ. Er bezog sich abermals auf Vorstellungen von Liebe, Sexualität, Beziehungen, nunmehr allerdings wieder stärker auf Geschlechterpolaritäten setzend.282 Dass die klassisch-bürgerliche Ehe »ihr Monopol, die einzige voll legitime und legale Form des Zusammenlebens und der sexuellen Beziehung zu sein, verloren«283 hatte, spiegelt sich in der untersuchten brieflichen Paarkommunikation wiederum mit hoher Intensität. Die im gesellschaftlichen wie auch privaten Rahmen kritisch geführten Diskussionen über die mit dieser Institution verbundenen »korrekturbedürftigen Kosten«284 und dass diese insbesondere auf der Seite der Frauen anfielen, verknüpfte sich auf der brieflich sichtbar werdenden Beziehungsebene vielfach mit einer dringlichen Suche nach Optionen jenseits des angefochtenen Masterszenarios ›Ehe‹. In dieser Hinsicht erweisen sich die 1970er Jahre, auch im privaten Schreiben dokumentiert und vorangetrieben, als eine Transformationsphase, in der aus der »Distanz zu sozialen Normalitätserwartungen«285 eine Haltung des lebhaften Experimentierens erwuchs. Die Nuancen- und Gestaltungsvielfalt, die in den konkreten Lebens- und Liebespraxen ins Spiel gebracht und ausprobiert wurde, ist in den Korrespondenzen unverkennbar und schrieb sich in diese in unterschiedlichsten Formen ein: als sinnlich-erotische Affäre ohne Besitzansprüche; als Briefromanze, mit der ferne intime Nähe gesucht und gleichzeitig ein Möglichkeitsraum für das Erfahren und Entwickeln des ganz Eigenen bewahrt wurde; als Spielen mit androgynen Idealen, wenn sich beide Seiten dazu herausforderten, die Geschlechterdualität ein Stück weit einzuebnen; als Ausloten des Symme­ trie-Ideals von Partnerschaft, die sich in den 1970er Jahren zu einem neuen Leitcode entwickelte;286 bis hin zur – Allgemeinheitsansprüche zurückweisenden – Maxime, die Beziehung überhaupt »nach Maßgabe eines selbstbestimmten Entwurfes zu führen«.287 Allerdings ist aus den Briefquellen auch die durchaus aufwendige Beziehungsarbeit herauszulesen, die aus den Anforderungen der angestrebten Selbstregulierung des privaten Lebens jenseits normativer Vorgaben erwuchs.288 Das Austragen von Kontroverse und Konflikt gehör(t)en dazu, wobei die Soziologie vom Trend einer »fraglosen Positivwertung«289 dieser Dimensionen spricht. In den untersuchten Briefwechseln ist es jedenfalls symptomatisch, wie selbstverständlich und bejahend Beziehung als Raum von Auseinandersetzung begriffen wurde. Die damit verbundenen Reibungen verstand man als herausfordernden Funken für die Entfaltung und Weiterentwicklung des eigenen Selbst und gleichzeitig als wertvolles Element in jenem Prozess, »in dem eine gemeinsame Biographie geschaffen wird«.290 »Das private Leben ist zu einem offenen Projekt geworden«,291 umreißt der Soziologe Anthony Giddens die Rahmenbedingungen der zweiten, reflexiven Moderne, seit der nun vieles ausgehandelt werden kann und muss. Das gilt auch für die »erotisch-sexuelle Liebeskultur«,292 die sich in den 1970er Jahren schon deutlich herausgelöst hatte aus ihrer »Überformung von normativen, 1968 ff. – Neuverhandlungen

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Schuld- und Schamgefühle erregenden Direktiven«,293 wenngleich solche in den Korrespondenzen durchaus noch kritisch thematisiert wurden – als Beschränkungen, über die man hinausdrängte. Sexualität, Erotik, Lust sowie deren Neuformulierungen nehmen in allen untersuchten Briefwechseln Raum ein.294 Dabei bezogen sich die Schreibenden auf recht unterschiedliche Dimensionen und Ausrichtungen: die einen auf erlebte oder imaginierte leidenschaftliche sexuelle Erfahrungen; andere auf eine erste gemeinsame Suche danach, was denn Sexualität überhaupt sein könnte und auf eine Verwirrung angesichts widersprüchlicher öffentlicher Debatten über sexuelles Verhalten; in weiteren Fällen artikulierte sich die Präferenz, Beziehung/Liebe ohne »den Ballast der Sexualität«295 leben zu wollen oder die Briefe wurden zum Medium eines erotischen Umwerbens, das bewusst auf die schriftliche Begegnung fokussiert blieb. Gemeinsam gekennzeichnet sind die Quellen jedoch durch die offene An- und Aussprechbarkeit dieser Themen sowie die besonders intensiv reflektierte und artikulierte Suche der schreibenden Frauen nach selbstbestimmten Ausdrucksweisen ihrer sexuellen und erotischen Bedürfnisse. Im Kontext der Neuen Frauenbewegung vermittelten sich solche  – über männliche Erwartungshaltungen sowie neue Zwänge der sogenannten Sexuellen Revolution hinausgehende – private Neuorientierungen in die Gesellschaft hinein und trugen in der Folge wesentlich dazu bei, dass – wie Dagmar Herzog betont – »eine Sexualkultur geschätzt wird, in der Werte wie Aushandeln und Konsens einen hohen Stellenwert haben«.296 In den untersuchten Frauenbriefen zeigt sich aber auch, dass dem »Lustgewinn als Erwartung an die Sexualität«297 der Gewinn an Identität vorgezogen werden konnte, unter Zurückstellung von Sexualität, weil in der damaligen Lebensphase die angestrebte persönliche Neubestimmung des Verhältnisses zwischen privaten Lebensbereichen, beruflicher Verankerung sowie zum Teil auch öffentlich-gesellschaftlichem Engagement besonders he­ rausfordernd war. Mit den oben skizzierten Prozessen der Freisetzung und der Dekonstruktion von bislang als fix und unveränderlich gedachten Rollen und Konzepten waren auch Identitäten in Bewegung gekommen, die in den untersuchten Korrespondenzen als »Gegenstand inneren Wachstums«298 und als etwas Lebensprojekthaftes begriffen wurden. Von einem, dem postmodernen Subjekt zugeschriebenen ›flüchtigen Spiel‹ mit Selbsterfindungen und Selbst-Inszenierungen war man jedoch fern. Aus den Briefen sprechen vielmehr der Glaube und die Suche nach einem wahren, innersten Brennpunkt – das eigene Selbst, Männlichkeit und Weiblichkeit, Liebe, Beziehungen oder eine bessere Gesellschaft betreffend –, den es freizulegen gilt, mit unterschiedlichen Strategien, individuellen wie gesellschaftlichen. Diese Befunde sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Briefquellen insbesondere den Erfahrungs- und Artikulationsraum eines im sehr weiten Sinne verstandenen »alternativen Milieus« repräsentieren, in dem, wie Sven Reichhardt schlüssig herausgearbeitet hat, gerade der

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Anspruch, authentisch zu sein, zu jenem »Distinktionsmerkmal« wurde, das »eine gegenkulturelle Identitätssuche in Gang [setzte]«.299 Vom »Wahrheitssucher«, der sich »offen hält« für eine »möglichst umfassende Begegnung mit der Welt« war in einem der Briefe entsprechend die Rede.300 Damit verschob sich auch die Funktion des Korrespondierens. Die Briefe verkörpern weniger als in früheren Phasen unseres gesamten Untersuchungszeitraumes die Herstellung von Zweisamkeit und Intimität im Sinne eines ›Wir‹ der Zweierbeziehung, sondern wurden verstärkt zum Ort einer Arbeit am eigenen ›Ich‹,301 was mit einer gesteigerten Bedeutung von Individualität und dem neuen gesellschaftlichen Leitwert der Selbstverwirklichung korrespondiert. Das Aufbrechen der Identifikation mit dem Etablierten betraf demnach auch die sogenannte »Wir-Ich-Balance«302 in Beziehungen, mit einem deutlichen Trend hin zum ›Ich‹. In den Briefen wird mit Elan und explizit darüber reflektiert, »wie man sich selbst entwickeln und entfalten könnte«,303 und gleichzeitig nach einem »angemessenen Zugang zur Individualität des anderen«304 gesucht. Ein überaus hohes Maß an Reflexion ist generell signifikant, etwa auch über das Warum von Beziehungen, warum gerade dieser Mensch? et cetera – eine diesbezügliche Metaebene lief kontinuierlich mit. Die solcherart reflektierenden liebenden und schreibenden AkteurInnen, die »Intimitätssubjekt[e] des ›self-growth‹«,305 erhielten ›Beistand‹ durch ein in den 1970er Jahren auch das Alltagsbewusstsein erreichendes psychologisches Wissen,306 welches das Herausfinden-Wollen, was einen verbindet und bindet, allerdings zur immer subtiler werdenden Analysearbeit machen konnte. So heißt es etwa in einem der Briefe: »Wir fallen immer wieder Bildern zum Opfer am Altare der konkreten Gegenwart. Bis wir die Projektionen heimholen graut nicht nur das Haar.«307 Solche Strategien, durch bewusste »Ent-Täuschung« zu einer »reicheren« Beziehung zu kommen, die sich ihre »ganz eigene Form«308 gibt, verlaufen konträr zu Bausteinen des romantischen Codes wie jenem von der Liebe als ›Himmelsmacht‹, die einschlägt wie der Blitz, oder einer Idealisierung der geliebten, ganz besonderen Person, die das eigene Leben erst erfüllt. Diesen Redeweisen über die Liebe wird in den untersuchten Briefen misstraut und im eigenen Schreiben darüber ein vorsichtiger, bisweilen bewusst unpathetischer und sogar ironischer Unterton angeschlagen. Doch auch im Kontext einer solchen, wie Reinhard Sieder sie bezeichnet, »skeptische[n] Rhetorik der Liebe«309 wurde um diese gerungen, etwa durch ein Sich-Investieren für eine »reichere« und damit besondere Beziehung entlang einer egalitären Anerkennungs- und Machtbalance der Geschlechter und eines Liebesideals, »das einen größeren Spielraum zur Selbstentfaltung beider Partner«310 betont. Besitzmetaphern wie ›Du gehörst mir‹, ›Dir alleine gehöre ich‹, ›Wie glücklich ich bin, Dich zu besitzen‹, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – und auch im Quellenbestand unseres Projekts deutlich präsent  – in die Sprache der Liebe eingeschrieben 1968 ff. – Neuverhandlungen

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waren, sind in den für den vorliegenden Beitrag untersuchten Briefen nicht mehr zu finden. Dass all dieses Suchen nach »neuen Idealen und Wegen« durch die – wie das Wouters so trefflich ausdrückt  – »Gemütsruhe des Wohlfahrtsstaates«311 erleichtert wurde, soll dabei auch nicht unerwähnt bleiben. Die Grenzen des Wachstums und die Gefährdung der Umwelt traten zwar seit den beginnenden 1970er Jahren verstärkt in den Blick. Aber im Jahrzehnt einer sozialdemokratischen Alleinregierung in Österreich sollte der Ausbau des Sozialstaates einem Höhepunkt zusteuern.312 Auch in anderen westeuropäischen Ländern wurde er »nur schrittweise und kaum merklich zurückgenommen, der materielle Wohlstand ging nur verzögert zurück«.313 Aus den vorliegenden Korrespondenzen der späten 1960er bis frühen 1980er Jahre lassen sich Erneuerung und Bereicherung im Verhältnis der Geschlechter herauslesen. Liebe, Lust und Auseinandersetzung zweier gleich stark werdender AkteurInnen klingen in den Briefen an. Dauerhafte Bindungen wurden aus den konkreten dahinter stehenden Beziehungen nicht. Und doch wurden die Briefe aufbewahrt, ein Signal dafür, dass diese Phase des Suchens nach neuen Modi des Sich-aufeinander-Beziehens von Frauen und Männern im persönlichen Lebensentwurf eine bedeutsame war und der man, in den meisten Fällen ›frau‹, noch zusätzliche Bedeutung verlieh, indem die damit verbundenen Korrespondenzen in die Sammlung Frauennachlässe gebracht oder direkt unserem Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt wurden.

6. Als Ausblick: Eine SMS-Liebeskorrespondenz Es wäre spannend gewesen, weitere – bis in die Gegenwart hereinreichende – Veränderungen in den Konzepten und Praxen von Liebe, Sexualität und Geschlechterrollen in den Blick zu nehmen. Doch die spezifische Quellenbasis unseres Forschungsprojekts hat den Endpunkt des Untersuchungszeitraumes auf die 1970er beziehungsweise beginnenden 1980er Jahre festgelegt. Schon davor war ja in der Liebes- und Paarkommunikation die Schriftlichkeit in großem Ausmaß zurückgegangen. Und deren »papiernahe Formen«314 wurden im digitalen Zeitalter weitgehend von medialen Neuerungen wie E-Mail, SMS, MMS oder zuletzt WhatsApp et cetera abgelöst. Gerade das Internet habe aber gleichzeitig eine »Kommunikationskonstellation« geschaffen, in der  – so die Soziolinguistin Wyss – »nach einer langen Zeit der Abwesenheit der schriftlichen Beziehungsgestaltung« der Briefverkehr wieder »angekurbelt« worden sei: eben medial adaptiert in Form von E-Mail-Korrespondenzen, die »Persönliches, Vertrauliches und Intimes« in hoher Intensität austauschen.315 Die Zugänglichkeit solcher privater Quellen, die aus der auch von der Literaturwissenschafterin Annette Simonis betonten »Rückkehr der älteren Briefform ins

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neue digitale Medium«316 entstehen, ist bislang allerdings nur in seltenen Fällen im notwendigen Ausmaß gegeben, um so auswertungsintensiv forschen zu können, wie uns das für das ›Zeitalter der Briefe‹ möglich war. Der konstatierte Medienwechsel beziehungsweise das gegenwärtige »Spektrum der möglichen Liebeskommunikationen«317 kann hier aber – als Ausklang gewissermaßen – mit Ausschnitten aus einer unserem Projekt zur Verfügung gestellten SMS-Korrespondenz präsent werden. Diese bleibt zudem insofern an den vorliegenden Beitrag rückgebunden, als das Generationsprofil des auf diese Weise kommunizierenden Paares zu den vorgestellten Fallbeispielen passt. Christian Berger und Katja Firlinger sind beide Jahrgang 1954 und lernten einander im Frühjahr 2007 kennen. Kommuniziert haben der Psychologe und die Kulturwissenschafterin wegen des räumlichen Getrenntseins in der Anfangsphase ihrer Beziehung unter anderem auch per SMS, insbesondere als morgendliches Ritual. Gleichzeitig wurden die in den ersten Wochen und Monaten gesendeten und empfangenen Liebesbotschaften in einem bewusst gesetzten Akt der Flüchtigkeit des Short Message Service entzogen und im Nachhinein protokolliert: mit Angabe von Datum und Uhrzeit. Und ganz offensichtlich haben sich die beiden von Einschränkungen wie »der geringen Zeichenmenge und der verhältnismäßig umständlichen Texteingabe« nicht auf die üblichen »syntaktischen und lexikalischen Reduktionsmuster in SMSNachrichten«318 festlegen lassen. Sprache und Stil, mit denen sie Liebe und Nähe ausdrücken und aufbauen, bleiben an narrative Muster angelehnt, spielerisch erweitert um SMS-typische Zeichencodes. Einen wunderschönen guten Morgen, liebe [Katja], ich spüre Dich nahe und genieße dieses schöne Gefühl :) [Christian] 8. März, 7.53 Lieber [Christian], ich bin heute auch schon seit dem frühen Morgen mit meinen Gefühlen und Gedanken bei Dir. Aus dieser Verbundenheit heraus schicke ich für Dich eine morgendliche Umarmung auf den Weg. [Katja] 8. März, 8.01 Oh das macht mich glücklich, liebe [Katja], ich spüre, wie gut Du zu um­armen bist und drücke Dich liebevoll an mich :) Soo süß! [Christian] 8. März, 8.12 im ganz wirklichen leben ist es noch »ein bisschen« süßer :-) bis bald. [Katja] 8. März, 8.26 Einen wunderschönen guten Morgen, meine süße, geliebte [Katja], ich sende Dir einen zärtlichen Kuß! [Christian] 9. März, 8.31

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Für Dich auch einen guten  – sanften, dich umarmenden  – Morgen, mein Lieber: mich auf viele Weisen berührender Mann. Ich spüre, was für ein Geschenk Du in Deinem SoSein für mich bist – und ich spüre mein klopfendes Herz, mein vorsichtiges, stilles Staunen, meine zärtliche Behutsamkeit, meine Freude und Dankbarkeit beim langsamen Öffnen (das Geschenk, und zugleich auch mich). [Katja] 9. März, 9.37 Auf dem Weg in die Praxis lese ich immer wieder Dein wunderschönes sms :) behutsam streichel … [Christian] 9. März, 9.54 @->-> der duft dieser rose möge deinen tag begleiten. [k.] 9. März, 10.03 Guten Morgen, Du Lieber. Ich habe gerade ein paar zärtlich-erfrischende Küsse für Dich auf die Reise geschickt – mit unterschiedlichen »Ankunftszeiten« – Du sollst Dich den ganzen Tag darüber freuen können ;-) [Katja] 13. März, 7.55 Ah [Katja] was für eine wunderbare Idee! Ich werde Deine Küsse in vollen Zügen genießen und erwidern! Einen guten Arbeitsbeginn wünsche ich Dir. Kuss [Christian] 13. März, 8.26 Wir sind sonnige Gedanken, am Grünmarkt geboren und fanden mühelos zu Dir :)) 15. März, 16.46 Liebe sonnige Gedanken, ihr habt mich nicht nur erreicht, sondern auch erfreut – beim Verzehren von Bärlauchknödeln, um meinen bärenhungrigen Magen zu besänftigen. Einen lieben Gruß an euren Urheber. [Katja] 15. März, 17.38319

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Anmerkungen 1 Pascal Eitler, »Alternative« Religion. Subjektivierungspraktiken und Politisierungsstrategien im »New Age« (Westdeutschland 1970–1990), in: Sven Reichardt u. Detlef Siegfried (Hg.), Das Alternative Milieu. Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik Deutschland und Europa 1968–1983, Göttingen 2010, 335–352, 335; vgl. auch Meinrad Ziegler, Das soziale Erbe. Eine soziologische Fallstudie über drei Generationen einer Familie, Wien/Köln/Weimar 2000, 71–83 (Kapitel: 1968  – Modernisierungsschub und Wunschmaschine). 2 Vgl. Ingrid Bauer, Editorial, in: dies. u. Hana Havelková (Hg.), Gender & 1968. Themenheft von L’Homme. Z. F. G., 20, 2 (2009), 5–12, 7. 3 Christine Danek (Pseud.) an Raimund Vos (Pseud.), 2.2.1976, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 215. Die Namen der BriefschreiberInnen sowie von Drittpersonen sind im vorliegenden Beitrag alle Pseudonyme und werden bei ihrer Erstnennung in den Endnoten als solche gekennzeichnet. Aus den Korrespondenzen zitiert wird in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 4 Karola Schmidt (Pseud.) an Gernot Mehring (Pseud.), 1.8.1969, SFN, NL 151. 5 Regina Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«. Die Verwissenschaft­ lichung des Diskurses über Ehe, Opladen 1991, 293. Zum Begriff »höchstpersönliche Kommunikation« vgl. auch Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 1994, 24. 6 Markus Kern (Pseud.) an Ines Auberger (Pseud.), 5.8.1979, Privatbestand. 7 Robert Vellusig, To whom it may concern. Facetten einer Geschichte des Liebesbriefs. (Rezension über: Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18.  Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008), in: IASL online [26.06.2010], unter: http://www.iaslonline.de/index.php? vorgang_id=2997, Abs. [11], Zugriff: 28.8.2016. 8 Markus Kern an Ines Auberger, 5.8.1979, Privatbestand. 9 Ulla Günther u. Eva Lia Wyss, E-Mail-Briefe – eine Textsorte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, in: Ernest W. B. Hess-Lüttich, Werner Holly u. Ulrich Püschel (Hg.), Textstrukturen im Medienwandel, Frankfurt a. M./Berlin/Bern 1996, 61–86, 61. 10 Raimund Vos an Christine Danek, 15.1.1976, SFN, NL 215. 11 Raimund Vos an Christine Danek, 15.1.1976, SFN, NL 215. Hervorhebung wie im Original. 12 Charlotte M. Obersteiner (Pseud.) an Ewald Horner (Pseud.), 19.4.1972, SFN, NL 152 II. Hervorhebung wie im Original. 13 Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006, 456. 14 Holger Herma, Liebe und Authentizität. Generationswandel in Paarbeziehungen, Wiesbaden 2009, 67 f. 15 Vgl. Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 297. 16 Eva Lia Wyss, Metamorphosen des Liebesbriefs im Internet. Eine korpusgestützte textlinguistische und kommunikationswissenschaftliche Bestimmung des Liebesbriefs und seiner Pendants im Internet, in: Joachim R. Höflich u. Julian Gebhardt (Hg.), Vermittlungskulturen im Wandel: Brief – E-Mail – SMS, Frankfurt a. M. 2003, 199–231, unter: http://www. germanistik-im-netz.de/gindok/frontdoor?source_opus=11568, Zugriff: 27.8.2016. 17 Günter Seibert (Pseud.) an Nora Hofer (Pseud.), ohne Datum (1974), Privatbestand. 18 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 532. 19 Vgl. Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 292–298.

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20 Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 300. 21 Vgl. Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 292–300. 22 Markus Kern an Ines Auberger, ohne Datum (1979), Privatbestand. 23 Vgl. Nina Verheyen, Der ausdiskutierte Orgasmus. Beziehungsgespräche als kommunikative Praxis in der Geschichte des Intimen seit den 1960er Jahren, in: Peter-Paul Bänziger, Magdalena Beljan, Franz X. Eder u. Pascal Eitler (Hg.), Sexuelle Revolution? Zur Geschichte der Sexualität im deutschsprachigen Raum seit den 1960er Jahren, Berlin 2015, 181–198. Verheyen bettet ihre Befunde zum Beziehungsgespräch in breitere Tendenzen des kommunikativen Wandels auch in über den Alltag und das Private hinausgehenden Bereichen ein; vgl. auch ihre Publikation: dies., Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des »besseren Arguments« in Westdeutschland, Göttingen 2010, 288–300. 24 Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 298. 25 Vgl. etwa Wyss, Metamorphosen des Liebesbriefs, 20, die bezüglich der in den 1960er Jahren eintretenden Entwicklung festhält: »Das vertrauliche Gespräch, gemeinsame Unternehmungen und eine gelebte Sexualität treten zunehmend an die Stelle des Korrespon­ dierens.« 26 Vgl. auch Vellusig, To whom it may concern, Abs. [29]. 27 Vgl. Eva Lia Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Schriftliche Liebeskommunikation vom 19. Jahrhundert bis in die Internet-Ära, in: Martin Luginbühl u. Daniel Perrin (Hg.), Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text, Bern/Berlin 2011, 81–123, 101–103. 28 Es handelt sich um die folgenden, nachstehend in der Chronologie ihres Entstehens gereihten Korrespondenzen: Karola Schmidt (Pseud.) und Gernot Mehring (Pseud.), Korrespondenzzeitraum: 1969/1970 (144 Schreiben) sowie die nach dem Ende der Liebesbeziehung von 1972 bis heute weiter geführte freundschaftliche Korrespondenz, SFN, NL 151; Alexander Felber (Pseud.) an Karola Schmidt (Pseud.), 1969/1970 sowie 1980–1987 (insgesamt 50 Schreiben), SFN, NL 151; Heinz Gnigler (Pseud.) an Angelika Körber (Pseud.), 1969/1970 (31 Schreiben und 2 Karten 1971), Archiv der Stadt Salzburg (AStS), PA 975; Charlotte M. Obersteiner (Pseud.) und Ewald Horner (Pseud.), 1971/1972 (128 Schreiben) sowie 1973–1976 einige Karten und ein Abschiedsbrief aus dem Jahr 1993, SFN, NL 152 II; Günter Seibert (Pseud.) an Nora Hofer (Pseud.), 1974/1975 (19 Schreiben), Privatbestand; Christine Danek (Pseud.) und Raimund Vos (Pseud.), 1975/1976 (29 Schreiben), SFN, NL 215; Markus Kern (Pseud.) an Ines Auberger (Pseud.), 1979/1980 (14 Schreiben), Privatbestand; Bernhard Stelzer (Pseud.) an Beate Furtner (Pseud.), 1982 (5 Schreiben), Privatbestand. 29 Hertha Feldbauer (Pseud.), verh. Kastner, und Friedrich Kastner (Pseud.), 1959–1963 (90 Briefe), SFN, NL 78. 30 Katja Fierlinger (Pseud.) und Christian Berger (Pseud.), SMS-Nachrichten (schriftlich protokolliert) aus dem Zeitraum März bis Juni 2007, Privatbestand. 31 Wyss, Metamorphosen des Liebesbriefs, 6. 32 Vgl. Axel Schildt u. Detlef Siegfried, Youth, Consumption, and Politics in the Age of ­Radical Change, in: dies. (Hg.), Between Marx and Coca-Cola. Youth Cultures in Changing European Societies, 1960–1980, New York/Oxford 2007, 1–35, 21. 33 Heinz Gnigler an Angelika Körber, 2.6.1969, AStS, PA 975. 34 Heinz Gnigler an Angelika Körber, 2.6.1969, AStS, PA 975. 35 Alexander Felber an Karola Schmidt, ohne Datum (1980), SFN, NL 151. 36 Vgl. Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaftsbindung. Politik und Lebensstil im linksalternativen Milieu vom Ende der 1960er bis zum Anfang der 1980er Jahre, in: Forschungsjournal NSB (Neue Soziale Bewegungen), 21, 3 (2008), 118–130; vgl. auch ders., Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014. 37 Ingrid Bauer, 1968 und die sex(ual) & gender revolution, Transformations- und Konflikt-

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zone: Geschlechterverhältnisse, in: Oliver Rathkolb u. Friedrich Stadler (Hg.), Das Jahr 1968 – Ereignis, Symbol, Chiffre, Göttingen 2010, 163–186, 164. 38 Vgl. Bauer, 1968 und die sex(ual) & gender revolution, 164; sowie Sven Reichardt u. Detlef Siegfried, Das Alternative Milieu. Konturen einer Lebensform, in: dies., Das Alternative Milieu, 9–24, 12; zur Thematik Bruch versus Wandel vgl. auch Peter-Paul Bänziger, Kom­ mentar: Geschlechtlichkeit und Sexualität aus körpergeschichtlicher Perspektive, in: Julia Paulus, Eva-Maria Silies u. Kerstin Wolff (Hg.), Zeitgeschichte als Geschlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik, Frankfurt a. M./New York 2012, 246–254, 248. 39 Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 17. 40 Karin Fahlenbrach, Protestinszenierungen. Die Studentenbewegung im Spannungsfeld von Kultur-Revolution und Medien-Evolution, in: Martin Klimke u. Joachim Scharloth (Hg.), 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart/Weimar 2007, 11–21, 11 f. 41 Vgl. Ingrid Bauer, Das 68er-Gedächtnis in Österreich, männergeschichtliche Deutungen und Models als ›Expertinnen‹ der Emanzipation, in: dies/Havelková, Gender & 1968, ­129–136, 131 f.; zur zeitlichen Verspätung in Österreich bzw. zu den in der sozialdemokratischen Reformära aufgegriffenen Themen vgl. u. a. Reinhard Sieder, Heinz Steinert u. Emmerich Tálos, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in der Zweiten Republik. Eine Einführung, in: dies. (Hg.), Österreich 1945–1995. Gesellschaft, Politik, Kultur, Wien 1995, 9–32, 20 f.; Peter Berger, Kurze Geschichte Österreichs im 20.  Jahrhundert, Wien 20082 (Kap. »Das lange sozialistische Jahrzehnt 1970–1983«, insbes. 330–332). 42 Vgl. u. a. Johanna Gehmacher u. Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zweiten Republik, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, 19–26 u. 53 f.; Herbert Gottweis, Neue soziale Bewegungen in Österreich, in: Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst ­Hanisch u. a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik, Wien 19973, 342–368. 43 Aribert Reimann, Zwischen Machismo und Coolness. Männlichkeit und Emotion in der westdeutschen »Kulturrevolution« der 1960er und 1970er Jahre, in: Manuel Borutta u. Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010, 229–253, 231. 44 Mit dieser Formulierung brachte die Schweizer Historikerin Caroline Arni bei einem Workshop, der im Rahmen des Projekts »(Über) Liebe schreiben« im Februar 2012 am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung/Forschungsbereich Geschichte der Gefühle organisiert werden konnte, die spezifische Repräsentativitätsqualität der dem Projekt zugrundeliegenden Quellenbasis auf den Punkt. 45 Reimann, Zwischen Machismo und Coolness, 231. 46 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Dezember 1969), SFN, NL 151. 47 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Anfang Juni 1969), SFN, NL 151. 48 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 49 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 28.5.1969, SFN, NL 151. 50 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Mitte Juni 1969), SFN, NL 151. 51 Während sich die Bevölkerung einerseits in Medien und Werbung einer ersten Erotikwelle gegenübersah, verbot der Kuppeleiparagraf in Westdeutschland wie in Österreich bis in die 1970er Jahre hinein – und das zeigt die Widersprüche in der damaligen Sexualmoral – VermieterInnen und Eltern, unverheirateten Paaren Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, in denen sie, wie es hieß, »Unzucht« treiben konnten. In Österreich standen dafür »mehrere Monate bis zu fünf Jahren Gefängnis in Aussicht«. Franz X. Eder, Die »Sexuelle Revolution« – Befreiung und/oder Repression, in: Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch (Hg.), Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien/Köln/Weimar 20092, 397–414, 399 f.; vgl. auch Bauer, 1968 und die sex(ual) & gender revolution, 170.

1968 ff. – Neuverhandlungen

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52 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 2.8.1969, SFN, NL 151. 53 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 4.8.1969, SFN, NL 151. 54 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 6.8.1969, SFN, NL 151. 55 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Ende Juni 1970), SFN, NL 151. 56 Diese Formulierung brachte Karola Schmidt gegenüber ihren Eltern ins Spiel, Gernot Mehring nahm darauf in einem seiner Briefe Bezug: Gernot Mehring an Karola Schmidt, 12.12.1969, SFN, NL 151. 57 Zu den Prozessen der Tradierung von und der Auseinandersetzung mit »sozialen Erbschaften« – im Sinne von innerfamiliär und transgenerationell weitergegebenen, angenommenen oder transformierten Grundorientierungen, Werten und Einstellungen – vgl. den auch konzeptionell aufschlussreichen Zugang von Ziegler, Das soziale Erbe, insbes. 43–70. Ziegler betont, dass sich diese Prozesse »nicht unabhängig von den historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, in denen die vererbenden und erbenden Generationen leben«, vollziehen; ebd. 57. 58 In persönlichen Gesprächen sowie in schriftlichen Informationen an die Verfasserin des vorliegenden Beitrages hat Karola Schmidt dankenswerter Weise und mit Dokumenten gesichert u. a. die folgenden biografischen Informationen festgehalten, die nicht direkt aus den Briefen zu eruieren waren: Der Vater war schwer versehrt aus dem Krieg zurückgekommen und sah sich nach 1945 auf Grund seiner NSDAP-Mitgliedschaft einem Entnazifizierungsverfahren gegenüber, in dem er dann als ›Mitläufer‹ eingestuft wurde; 1948 fiel er zudem unter die sogenannte Weihnachtsamnestie. Die Mutter der Briefschreiberin war 1948 »arm wie eine Kirchenmaus« aus Sachsen in den Westen gekommen, ihre großbürgerliche Familie hatte dort eine Kartonagenfabrik besessen, die im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen war. Zum Zeitpunkt des Entstehens der untersuchten Briefkorrespondenz von Karola Schmidt war ihr Vater als leitender kaufmännischer Angestellter, die Mutter als Hausfrau tätig. 59 Der Spiegel, 48, 26.11.1973, Artikel: Lustvoller Höhepunkt. 60 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Anfang Juni 1969), SFN, NL 151. 61 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 1.5.1969, SFN, NL 151. 62 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Anfang Mai 1969), SFN, NL 151. 63 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Anfang Mai 1969), SFN, NL 151. 64 Vgl. Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006, 283–294. 65 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.11.1969, SFN, NL 151. 66 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Anfang Mai 1969), SFN, NL 151. 67 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 28.5.1969, SFN, NL 151. 68 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 28.5.1969, SFN, NL 151. 69 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Ende Mai 1969), SFN, NL 151. 70 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (September 1969), SFN, NL 151. 71 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 12.8.1969, SFN, NL 151. 72 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 12.8.1969, SFN, NL 151. 73 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 74 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 75 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 76 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 12.12.1969, SFN, NL 151. 77 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Ende Mai 1969), SFN, NL 151. 78 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 12.12.1969, SFN, NL 151. 79 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 80 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 31.1.1970, SFN, NL 151. 81 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Februar 1970), SFN, NL 151. 82 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.11.1969, SFN, NL 151.

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Ingrid Bauer

83 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 14.8.1969, SFN, NL 151. 84 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 6.8.1969, SFN, NL 151. 85 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Mitte Juni 1969), SFN, NL 151. 86 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 13.8.1969, SFN, NL 151. 87 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 2.7.1969, SFN, NL 151. 88 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 18.8.1969, SFN, NL 151. 89 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 2.9.1969, SFN, NL 151. 90 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Anfang September 1969), SFN, NL 151. 91 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 28.8.1969, SFN, NL 151. 92 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 1.9.1969, SFN, NL 151. 93 Hans-Joachim Erwe, »Je t’aime … moi non plus (Serge Gainsbourg & Jane Birkin)«, in: Songlexikon. Encyclopedia of Songs, hg. v. Michael Fischer, Fernand Hörner u. Christofer Jost, unter: http://www.songlexikon.de/songs/jetaimemoinonplus, 12/2011 [revised 10/2013], Zugriff: 16.6.2016.  94 Wolfgang Kos, Aus der Kaserne in die Box, in: Willi Resetarits u. Hans Veigl (Hg.), Beatles, Bond und Blumenkinder. Unser Lebensgefühl in den 60er Jahren, Wien/Köln/ Weimar 2003, 75–78, 76. 95 Kos, Aus der Kaserne in die Box, 76; zur Rolle populärer Musik in den 1960er Jahren als zentrales jugendkulturelles »Vergemeinschaftungsmedium« vgl. das Resümee in: Siegfried, Time Is on My Side, 747–748; allgemein zum Phänomen ›Pop‹ als Chiffre einer Abgrenzung vom »Wertekanon des (Bildungs-)Bürgertums« vgl. Bodo Mrozek, Popgeschichte, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.5.2010, unter: http://docupedia. de/zg./popgeschichte [Seite 2], Zugriff: 16.6.2016. 96 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 8.8.1969, SFN, NL 151. 97 Gernot Mehring an Karola Schmidt, ohne Datum (Ende Oktober 1969), SFN, NL 151. 98 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 25.12.1969, SFN, NL 151. 99 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Anfang Dezember 1969), SFN, NL 151. 100 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 13.8.1969, SFN, NL 151. 101 Karola Schmidt und Gernot Mehring, ohne Datum (Anfang Juni 1969), SFN, NL 151. 102 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 20.12.1969, SFN, NL 151. 103 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 25.12.1969, SFN, NL 151. 104 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 20.12.1969, SFN, NL 151. 105 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 25.12.1969, SFN, NL 151. 106 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 21.12.1969; Gernot verwendete in den Monaten danach in seinen Briefen an Karola aber weiterhin die zärtliche Anrede »Meine kleine Geliebte«, z. B. in den Briefen 25.12.1969, 1.1.1970, 31.1.1970, 31.3.1970, SFN, NL 151. 107 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 25.12.1969, SFN, NL 151. 108 Cas Wouters, Wandlungen der Lustbalance: Sexualität und Liebe seit der sexuellen Revolution, in: Gabriele Klein u. Katharina Liebsch (Hg.), Zivilisierung des weiblichen Ich, Frankfurt a. M. 1997, 271–305. Wouters bezieht sich auf den von Norbert Elias geprägten – und von ihm im umfassenden Sinne der gesamten Lustökonomie »des Menschenverbandes« gebrauchten – Begriff der »Lustbalance«, um, wie sie schreibt, »die Beziehung zwischen Sexualität und Liebe in den Mittelpunkt zu stellen«; ebd. 274. 109 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 296. 110 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 24.4.2011, SFN, NL 151. 111 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 1.8.1970, SFN, NL 151. 112 Eva-Maria Silies, Liebe, Lust und Last. Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960–1980, Göttingen 2010, 428. 113 Silies, Liebe, Lust und Last, 429. 114 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (ca. Dezember 1969), SFN, NL 151. 115 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 1.8.1970, SFN, NL 151.

1968 ff. – Neuverhandlungen

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116 Karola Schmidt an Gernot Mehring, ohne Datum (Ende Oktober 1969), SFN, NL 151. 117 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 1.8.1970, SFN, NL 151. 118 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 17.7.1970, SFN, NL 151. 119 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 5.3.2011, SFN, NL 151. 120 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 17.7.1970, SFN, NL 151. 121 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 26.4.1974, SFN, NL 151. 122 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 26.4.1974, SFN, NL 151. 123 Karola Schmidt an Gernot Mehring, 26.4.1974, SFN, NL 151. 124 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 24.4.2011, SFN, NL 151. 125 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 27.2.2011, SFN, NL 151. 126 Gernot Mehring an Karola Schmidt, darin der Einschätzung von Karola zustimmend, 24.4.2011, SFN, NL 151. 127 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 5.3.2011, SFN, NL 151. 128 Christine Danek an Raimund Vos, 25.1.1976, SFN, NL 215. 129 Ziegler, Das soziale Erbe, 73. 130 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 449; vgl. auch 452–468. 131 Christine Danek an Raimund Vos, 31.1. 1976, SFN, NL 215. 132 Christine Danek an Raimund Vos, 25.1.1976, SFN, NL 215. 133 Ziegler, Das soziale Erbe, 118. 134 Christine Danek an Raimund Vos, 30.10.1975, SFN, NL 215. Hervorhebung wie im Original. 135 Christine Danek an Raimund Vos, 30.10.1975, SFN, NL 215. 136 Christine Danek an Raimund Vos, 25.1.1976, SFN, NL 215. 137 Christine Danke an Raimund Vos, 25.8.1976, SFN, NL 215. 138 »Jetzt ist es doch wieder ein Liebesbrief geworden. Servus! Deine [Christine]«: Christine Danek an Raimund Vos, 30.8.1976, SFN, NL 215. 139 Raimund Vos an Christine Danek, 21.1.1976, SFN, NL 215. 140 Raimund Vos an Christine Danek, 21.1.1976, SFN, NL 215. 141 Christine Danek an Raimund Vos, 26.1.1976, SFN, NL 215. 142 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 287. 143 Christine Danek an Raimund Vos, 27.1.1976, SFN, NL 215. 144 Yasmine Ergas, Der Feminismus der siebziger Jahre, in: Francoise Thébaud (Hg.), Geschichte der Frauen. 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 1995, 559–580, 576. 145 Christine Danek an Raimund Vos, 25.1.1976, SFN, NL 215. 146 Vgl. Bauer, 1968 und die Sex(ual) & Gender Revolution, 178. 147 Vgl. u. a. Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch, Liebe widerständig erforschen: eine Einleitung, in: dies., Liebe und Widerstand, 9–35, 18 f. Zum Entstehen einer Sexualkultur unter Einschluss der Bedürfnisse von Frauen – als einem der zentralen Anliegen der neuen, feministischen Frauenbewegung – vgl. auch Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20.  Jahrhunderts, München 2005, 269–286; sowie Kristina Schulz, 1968: Lesarten der ›sexuellen Revolution‹, in: Matthias Frese, Julia Paulus u. Karl Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 20052, 121–133. 148 Lenz, Das Private ist politisch!?, 399. 149 Ziegler, Das soziale Erbe, 125. 150 Christine Danek an Raimund Vos, 17.11.1976, SFN, NL 215. 151 Christine Danek an Raimund Vos, 2.2.1976, SFN, NL 215. 152 Christine Danek an Raimund Vos, 6.2.1976, SFN, NL 215. 153 Christine Danek an Raimund Vos, 6.2.1976, SFN, NL 215. 154 Christine Danek an Raimund Vos, 30.10.1975, SFN, NL 215. Hervorhebungen wie im Original.

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Ingrid Bauer

155 Christine Danek an Raimund Vos, 27.1.1976, SFN, NL 215. 156 Christine Danek an Raimund Vos, 27.1.1976, SFN, NL 215. 157 Christine Danek an Raimund Vos, 3.2.1976, SFN, NL 215. 158 Christine Danek an Raimund Vos, 30.1.1976, SFN, NL 215. 159 Christine Danek an Raimund Vos, 6.2.1976, SFN, NL 215. 160 Christine Danek an Raimund Vos, 30.1.1976, SFN, NL 215. 161 Christine Danek an Raimund Vos, 3.2.1976, SFN, NL 215. 162 Christine Danek an Raimund Vos, 30.1.1976, SFN, NL 215. 163 Christine Danek an Raimund Vos, 30.1.1976, SFN, NL 215. 164 Raimund Vos an Christine Danek, 21.1.1976, SFN, NL 215. 165 Raimund Vos an Christine Danek, 15.1.1976, SFN, NL 215. 166 Raimund Vos an Christine Danek, 15.1.1976, SFN, NL 215. 167 Raimund Vos an Christine Danek, 15.1.1976, SFN, NL 215. 168 Christine Danek an Raimund Vos, 1.3.1976, SFN, NL 215. 169 Christine Danek an Raimund Vos, 30.9.1976, SFN, NL 215. 170 Christine Danek an Raimund Vos, 25.1.1976, SFN, NL 215. 171 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 172 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, ohne Datum (5. oder 12.9.1971), SFN, NL 152 II. 173 90-minütiges Telefongespräch mit Charlotte M. Obersteiner am 14.1.2015 (schriftliche Notizen). 174 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 26.3.1972, SFN, NL 152 II. 175 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 28.9.1971, SFN, NL 152 II. 176 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 177 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 22.10.1971, SFN, NL 152 II. 178 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 7.11.1971, SFN, NL 152 II. 179 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 26.3.1972, SFN, NL 152 II. 180 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, ohne Datum (September 1971), SFN, NL 152 II. 181 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 182 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 183 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 184 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 9.1.1972, SFN, NL 152 II. 185 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 16.10.1971, SFN, NL 152 II. 186 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 12.7.1972, SFN, NL 152 II. 187 Vgl. auch Ziegler, Das soziale Erbe, 129. 188 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 4.10.1971 SFN, NL 152 II. 189 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 275. 190 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 26.9.1971, SFN, NL 152 II. 191 Vgl. Telefongespräch mit Charlotte M. Obersteiner, 14.1.2015 (schriftliche Notizen) sowie SFN, NL 152 II. 192 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, ohne Datum (September 1971), SFN, NL 152 II. 193 Ziegler, Das soziale Erbe, 227. 194 Sigrid Weigel, Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen, Dülmen-Hiddingsel 1987, 94 u. 96. 195 Markus Kern an Ines Auberger, 9.2.1980, Privatbestand. 196 Ingrid Bauer, »In diesem Sinn ist ›1968‹ auch Teil meiner Geschichte«. Im Gespräch mit Ute Gerhard über den gesellschaftlichen Wandel der sechziger Jahre, »1968« und die Neue Frauenbewegung, in: dies./Havelková, Gender & 1968, 105–115, 114. 197 Lenz, Das Private ist politisch!?, 380.

1968 ff. – Neuverhandlungen

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198 Im Sinne von Cas Wouters, die von »Prozessen des Entgegenkommens« spricht, in denen, »als Gegenstück zu Emanzipationsprozessen«, Männer sich in ihren wohldefinierten privilegierten Positionen zurücknehmen und Frauen entgegenkommen; Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 275. 199 Vgl. Reichardt, Authentizität und Gemeinschaftsbindung, 120 f. 200 Sven Reichardt, Von »Beziehungskisten« und »offener Sexualität«, in: Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 267–289, 267. 201 Markus Kern an Ines Auberger, 2.12.1979, Privatbestand. 202 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. 203 Markus Kern an Ines Auberger, 2.12.1979, Privatbestand. 204 Detlef Siegfried, Superkultur. Authentizität und politische Moral in den linken Subkulturen der frühen siebziger Jahre, in: Habbo Knoch (Hg.), Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren, Göttingen 2007, 251–268, 251. 205 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. 206 Markus Kern an Ines Auberger, 21.9.1979, Privatbestand. 207 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. Hervorhebungen wie im Original. 208 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. Hervorhebungen wie im Original. 209 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 210 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde., Frankfurt a. M., 1954–1959 [Erstveröffentlichung]. 211 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1976, Vorwort, 4. 212 Reichardt, Authentizität und Gemeinschaftsbindung, 120 f. 213 Adam Soboczynski, Sprechen wir über die Liebe, in: ZEIT ONLINE LITERATUR 12/2012, unter: http://www.zeit.de/2011/12/Intellektuelle-Ehe, Zugriff: 27.8.2016. 214 Vgl. Hannelore Schlaffer, Die intellektuelle Ehe. Der Plan vom Leben als Paar, München 2011: »Die intellektuelle Ehe wird zwischen zwei männlichen Geistern geschlossen, von denen der eine weiblichen Geschlechts ist«, analysiert Schlaffer in ihrem Buch; ebd., 21.  215 Markus Kern an Ines Auberger, 9.2.1980, Privatbestand. 216 Dieses gemeinsam mit den Briefen von Markus Kern an Ines Auberger erhalten gebliebene Schriftstück ist datiert mit 17.4.1979, Privatbestand. 217 Soboczynski, Sprechen wir über die Liebe: vgl. Anm. 213. 218 Ute Frevert, Gefühlvolle Männlichkeiten. Eine historische Skizze, in: Borutta/Verheyen, Präsenz der Gefühle, 305–330, 319. 219 Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 14. 220 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. 221 Markus Kern an Ines Auberger, 4.7.1979, Privatbestand. 222 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 223 Markus Kern an Ines Auberger, 3.9.1979, Privatbestand. 224 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 225 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 226 Markus Kern an Ines Auberger, 9.2.1980, Privatbestand. 227 Markus Kern an Ines Auberger, 9.2.1980, Privatbestand. 228 Lenz, Das Private ist politisch!?, 378 f. 229 Reimann, Zwischen Machismo und Coolness, 245. 230 Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 14. 231 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 232 Vgl. Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 295 sowie auch Ziegler, Das soziale Erbe, 124. 233 Markus Kern an Ines Auberger, 17.2.1980, Privatbestand. 234 Markus Kern an Ines Auberger, 9.2.1980, Privatbestand. 235 Francesca M. Cancian, Love in America. Gender and self-development, Cambridge/

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New York 1987, 7 f., die hier Aspekte einer »androgynous love« umreißt; vgl. in derselben Publikation auch Cancians Ausführungen zu »Self-development through androgynous love«, 105–145. 236 Vgl. Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle, »Gefühle als geschichtsmächtige Kategorie«. Im Gespräch mit Ute Frevert, in: dies. (Hg.), Romantische Liebe. Themenheft von L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 109–117, 114 f. 237 Markus Kern an Ines Auberger, 3.9.1979, Privatbestand. 238 Markus Kern an Ines Auberger, 17.2.1980, Privatbestand. Hervorhebungen wie im Original. 239 Markus Kern an Ines Auberger, 17.2.1980, Privatbestand. 240 Markus Kern an Ines Auberger, 21.9.1979, Privatbestand. 241 Markus Kern an Ines Auberger, 21.9.1979, Privatbestand. 242 Reimann, Zwischen Machismo und Coolness, 229. 243 Ziegler, Das soziale Erbe, 133. 244 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 278. 245 Frevert, Gefühlvolle Männlichkeit, 313; vgl. auch Lenz, Das Private ist politisch!?, 383. 246 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 529; vgl. Lenz, Das Private ist politisch!?, 397–399. 247 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 285. 248 Andrea Leupold, Liebe und Partnerschaft: Formen der Codierung von Ehen, in: Zeitschrift für Soziologie, 12, 4 (1983), 297–327, 297. 249 Bernhard Stelzer an Beate Furtner, 17.9.1982, Privatbestand. 250 Cancian, Love in America, 30; vgl. u. a. auch die Kapitel »Love vs. self-development«, 3–12 sowie »From role to self: the emergence of androgynous love in the twentieth century, 30–48. 251 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 427 u. 427–430. 252 Barbara Asen, Vom »Götterfunken der Liebe« bis zu »des Papstes heil’gem Segen«. Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich, in: Bauer/Hämmerle, Romantische Liebe, 53–72, 56. 253 Vgl. Asen, Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext, 66; Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 426–430. 254 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 14.2.1959, SFN, NL 78. 255 Asen, Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext, 72. 256 In der Folge kann ich neben eigenen Überlegungen auch auf die Analyse von Barbara Asen zurückgreifen, die sie ihm Rahmen des Forschungsprojekts zu diesem Briefwechsel gemacht hat: dies., Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext, 65–71. Vgl. auch die Ausführungen von Christa Hämmerle zu einer weiteren, gleichfalls zum Quellenbestand des Projekts gehörenden Korrespondenz: dies., »… den ganzen Tag hab ich zwischen der Arbeit von unserer Zukunft geträumt« – Liebesbriefe der 1950er Jahre, in: Sandra Maß u. Xenia Tippelskirch (Hg.), Faltenwürfe der Geschichte. Entdecken, entziffern, erzählen, Frankfurt/New York 2014, 113–125. 257 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 23.2.1959, SFN, NL 78. 258 Asen, Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext, 68. 259 Maria Wolf, Liebe als Erlösung, in: Elisabeth Vavra (Hg.), Aufmüpfig & angepaßt. Frauenleben in Österreich. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 1998, Wien/Köln/Weimar 1998, 117–134, 121. 260 Asen, Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext, 68, die hier Passagen aus Hertha Feldbauers Briefen an Friedrich Kastner vom 14.2.1959 und vom 9.3.1959 zitiert. 261 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 24.3.1959, SFN, NL 78. 262 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 18.3.1959, SFN, NL 78. 263 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 24.3.1959, SFN, NL 78.

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264 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 2.–5.3.1959, SFN, NL 78. 265 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 2.–5.3.1959, SFN, NL 78. 266 Vgl. u. a. Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005, 231 f. 267 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 14.2.1959, SFN, NL 78. 268 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 24.3.1959, SFN, NL 78. 269 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 24.3.1959, SFN, NL 78. 270 Friedrich Kastner an Hertha Feldbauer, 9.9.1959, SFN, NL 78. 271 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 2.–5.3.1959, SFN, NL 78. 272 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, ohne Datum (März 1959), SFN, NL 78. 273 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, ohne Datum (März 1959), SFN, NL 78. 274 Friedrich Kastner an Hertha Kastner, geb. Feldbauer, 20.10.1963, SFN, NL 78. 275 Vgl. Sammlung Frauennachlässe, Bestandsverzeichnis 2012, 181–182. 276 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 297. 277 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 306. 278 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 321. 279 Vgl. auch Reckwitz, Das hybride Subjekt, der vom »experimentellen Umgang mit ­Gender-Festlegungen« spricht; ebd. 489. 280 Wouters, Wandel der Lustbalance, 294. 281 Lenz, Das Private ist politisch!?, 399. 282 Pascal Eitler, Der »Neue Mann« des »New Age«. Emotion und Religion in der Bundesrepublik Deutschland 1970–1990, in: Borutta/Verheyen, Präsenz der Gefühle, 279–304, 281. 283 Reinhard Sieder, Besitz und Begehren, Erbe und Elternglück. Familien in Deutschland und Österreich, in: Geschichte der Familie, Bd.  4: 20.  Jahrhundert, hg. v. André Burguière, Christiane Klapisch-Zuber, Martine Segalen u. a., Frankfurt a. M./New York 1998, 211–284, 245. 284 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 324. 285 Vgl. Reckwitz, Das hybride Subjekt, 443. 286 Vgl. Leupold, Liebe und Partnerschaft, 313–321. 287 Soboczynski, Sprechen wir über die Liebe, wie Anm. 213. 288 Vgl. Wouters, Wandel der Lustbalance, 280. 289 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 320. 290 Anthony Giddens, Wandel der Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1993, 58. 291 Giddens, Wandel der Intimität, 17 f. u. 75. 292 Sieder, Besitz und Begehren, 260. 293 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 483. 294 Vgl. auch den Beitrag von Brigitte Semanek in diesem Band. 295 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 287. 296 Herzog, Politisierung der Lust, 306. 297 Ulrike Heider, Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt, Berlin 2014, 146. 298 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 532. 299 Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft, 59 f.; vgl. auch Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 17. 300 Gernot Mehring, Tagebucheintrag vom 22.12.1994, brieflich übermittelt an Karola Schmidt, SFN, NL 151. 301 Vgl. Reckwitz, Das hybride Subjekt, 528. 302 Wouters, Wandel der Lustbalance, 298. 303 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 25.12.1993, SFN, NL 151. 304 Leupold, Liebe und Partnerschaft, 303.

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305 Reckwitz, Das hybride Subjekt, 529 u. insg. 529–539. 306 Vgl. Mahlmann, Psychologisierung des »Alltagsbewusstseins«, 291. 307 Alexander Felber an Karola Schmidt, 11.6.1987, SFN, NL 151. 308 Alexander Felber an Karola Schmidt, 11.6.1987, SFN, NL 151. 309 Reinhard Sieder, Von der romantischen zur skeptischen Liebe? in: ders., Die Rückkehr des Subjekts in den Kulturwissenschaften, Wien 2004, 167–209 u. 237–240 (Anmerkungen), 170. 310 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 277. 311 Wouters, Wandlungen der Lustbalance, 298. 312 Vgl. u. a. Berger, Geschichte Österreichs im 20.  Jahrhundert, 330f; Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 464–475. 313 Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu, 15. 314 Annette Simonis, Liebesbrief-Kommunikation in der Gegenwart zwischen alt und neu: Schrifttradition, SMS, MMS und Internet, in: Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008, 425–448, 425. 315 Wyss, Metamorphosen des Liebesbriefs, 225. 316 Simonis, Liebesbrief-Kommunikation in der Gegenwart, 426. 317 Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus, Liebesbriefkultur als Phänomen, in: dies., Der Liebesbrief, 1–19, 16. 318 Gurly Schmidt u. Jannis Androutsopoulos, löbbe dich. Beziehungskommunikation mit SMS, in: Gesprächsforschung  – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 5 (2004), 50–71, 51 unter: http://www.gespraechsforschung-ozs.de, Zugriff: 16.10.2016. 319 Katja Fierlinger und Christian Berger, 8.–15.3.2007, Gesamtumfang des SMS-Protokolls März bis Juni 2007, Privatbestand.

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Von »schönen Stunden«

Die Sprache des Sexuellen in Briefen von den 1870er zu den 1970er Jahren

1. Sexuelles und Sprache »Was soll ich Dir noch schreiben? Dass ich mich freue, ganz schrecklich auf Dich freue, Sehnsucht nach Dir habe u. heute besonders aufgelegt wäre für eine unserer so schönen Stunden!«1 Mit diesen Worten wandte sich eine der Briefschreiberinnen der Projektbestände, Olga Josefa Adelsgruber, wenige Monate nach ihrer Heirat im November 1937 an ihren Ehemann, um ihr Begehren auszudrücken. Ihre Worte, formuliert in der Mitte des Untersuchungszeitraums, werfen Fragen nach dem sprachlichen Repertoire auf, das die Briefschreibenden verwendeten oder erst erfanden, damit sie in schriftlicher Form zärtlich, leidenschaftlich und erotisch sein konnten. Wie der Verweis auf die »schönen Stunden« belegt, kann die Sprache des Sexuellen in den Paarkorrespondenzen eine metaphorische, andeutende und individuelle sein; sie spiegelt aber auch die historische Wandelbarkeit der Vorstellungen von Sexualität von den 1870er zu den 1970er Jahren. In einer Systematisierung der äußerst materialreichen Paarkorrespondenzen sollen im Folgenden Charakteristika dieser Sprache nachgezeichnet werden. Ausgangspunkt hierfür ist der Begriff »Sexualität«, der in der historischen Forschungsliteratur unter verschiedenen Aspekten diskutiert wird. Diese Begriffsfacetten reichen von sexuellen Identitäten über die Unterdrückung von ›devianten‹ Formen von Sexualität, rechtliche Normen und moralische Bedenken, die Dekonstruktion des ›natürlichen‹ Geschlechts bis hin zu sexuellen Freiheiten, Problemen beim Sex und Beratung zu deren Lösungen.2 Die in den vorliegenden Briefen thematisierte Sexualität hingegen ist vordergründig eine weitgehend ›unproblematische‹: Heterosexuelle Paare schrieben einander, wollten zusammen sein und bekundeten in den Briefen ihre Liebe zuein­ ander. Damit liegen hier Quellen vor, mit denen auch ein Forschungsdesiderat der Geschichte der Sexualität bearbeitet werden kann, nämlich »eine […] Fokussierung auf die Hetero-Sexualität […], die Körper und Beziehungen derjenigen, die nicht aufgrund ihres als deviant betrachteten Verhaltens schon früh in den Blick von Sexual- und anderen Wissenschaften sowie der BetrofVon »schönen Stunden«

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fenen selbst geraten sind«.3 Die Definition von Sexualität soll daher im Folgenden sehr offen gehalten werden, um in den Bereichen der Intimität, Lust und Leidenschaft nichts auszuschließen, was in den Briefwechseln zur Sprache kommt. Dies umfasst auch Erotik, das »kulturelle […] Kunststück, sexuelle Erlebnisse, vor allem die mit ihnen verbundene Lust, von der Fortpflanzung zu trennen, also von der ursprünglichen Funktion des Sexes und seiner raison d’etre«.4 Um diese offene Definition sprachlich sichtbar zu machen, wird hier der Begriff des »Sexuellen« verwendet, wie ihn der Schweizer Historiker PeterPaul Bänziger eingeführt hat. Er möchte »nicht alle Beschreibungen von Körpern von vornherein durch die Brille der ›Sexualität‹ […] betrachten«.5 Denn Sexualität stelle sich in einer Foucault’schen Sicht dar als »Verknüpfung von Vorstellungen von Fortpflanzung, Geschlechtlichkeit und Begehren mit der Überzeugung, dass darin das ›Wesen‹ des Subjekts verborgen sei«, verbunden mit »der Annahme, dass etwas lange Unterdrücktes ›befreit‹ werden könne/ müsse«.6 Dem setzt Bänziger das »Sexuelle« entgegen. Es steht »ganz allgemein für Handlungen und Vorstellungen, in denen Körper in der Absicht, ›Lust‹ zu erregen, zueinander in Beziehung treten, ohne dass damit gleich eine Aussage über die Bedeutung solcher Akte gemacht werden soll«.7 Auch die beiden LinguistInnen Deborah Cameron und Don Kulick, deren Studien zu »Language und Desire« ebenfalls wichtige Impulse für diesen Beitrag gaben, sehen »sexuality« als etwas häufig mit Identitätsfragen Verbundenes und plädieren für eine Erweiterung auf »all kinds of erotic desires and practices«.8 Andere Nachbardisziplinen der Geschichte wie Filmwissenschaft und Soziologie haben ebenfalls zur Erweiterung des Begriffs beigetragen; für Eva Flicker beispielsweise ist Sexualität ein »bio-psycho-soziales Phänomen«.9 Sie sieht Sexualität als Kommunikation10 und betont deren kulturelle und soziale Aspekte, wozu auch eine Ausweitung der Vorstellungen von Sexualität über das Genitale hinaus zähle, etwa hin zu Umarmungen und Küssen,11 die – wohl wenig überraschend – in den Briefbeständen durchgängig eine Rolle spielen. »Jede ›Geschichte der Sexualität‹ ist […] eine Geschichte ihrer kulturellen Manipulation«,12 schreibt schließlich der Philosoph Zygmunt Bauman und weist damit eindrücklich darauf hin, dass es in der Beschäftigung mit dem Sexuellen in Paarkorrespondenzen die Wechselwirkungen zwischen Sprache, SchreiberIn und Gesellschaft auszuloten gilt. Sprache formt nach Cameron und Kulick unter anderem das jeweils zeitspezifische Verständnis davon, was Menschen tun und was sie tun sollten, wenn sie ›Sex haben‹.13 Die beiden LinguistInnen betonen auch »[the] structuring significance of the not-said, of silence«14 in der Thematisierung des Sexuellen, die in den hier analysierten Briefen – bei aller Formenvielfalt von »Wohlust«15 über die »Brust der Geliebten«16 bis zu der Frage, »ob ein Männerharem vielleicht die Falten vertreibt«17 – ein bedeutender Aspekt zu sein scheint.

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Um Wandlungstendenzen der Sprache des Sexuellen von den 1870er zu den 1970er Jahren aufzeigen zu können, gilt es die längerfristigen Veränderungen der (deutschen) Sprache in diesem Bereich zu berücksichtigen, die philologisch gut erforscht sind. So führt etwa der Germanist Wolfgang Müller aus, dass es im 15. und 16. Jahrhundert »in Sachen Sexualität in der Volkspoesie […] noch recht derb und genußfroh« zugegangen sei, ab dem 17.  bis ins 19.  Jahrhundert jedoch eine »Ausgrenzung der Sexualität aus dem öffentlichen Sprachgebrauch« stattgefunden habe und »[d]er volkstümliche sexuelle Wortschatz […] als vulgärsprachlich eingestuft« worden sei.18 Umfangreiche Wortschatzuntersuchungen liegen ebenfalls vor: Die »Sexualsprache« bediene sich demnach »bereits bekannter Wörter, um […] die sexuellen Bedeutungen nicht zu offensichtlich in Erscheinung treten zu lassen«.19 Beispiele für solche Wörter in der Gegenwartssprache wären etwa »miteinander schlafen«, »Scheide« und »Glied«.20 Auch aktuell in Österreich verbreitete und ›unmarkierte‹, das heißt für die SprecherInnen unauffällige sexualsprachliche Begriffe haben also ihre metaphorische Geschichte, und eine ebensolche haben die von den BriefschreiberInnen verwendeten Ausdrücke, wie noch zu sehen sein wird. In Hinblick auf das Sexuelle in Selbstzeugnissen wird von Historikern wie Matti Bunzl die These vertreten, dass dieses dazu tendiere, in »first person«-Quellen wie Briefen und Tagebüchern nicht zu erscheinen.21 Der öster­ reichische Sexualhistoriker Franz X. Eder formuliert es ganz ähnlich: »Sexuelle Erfahrungen und Empfindungen machen – egal ob in Memoiren, Tagebüchern oder Briefen – entweder die große Leerstelle der Texte aus oder kommen eher am Rande und in wenig expliziter und reflexiver Form vor.«22 Diese Einschätzung, die in Bezug auf Feldpost des Zweiten Weltkriegs schon Klaus Latzel in Zweifel gezogen hat,23 hält bereits einer ersten Durchsicht der hier vorliegenden Briefbestände nicht stand. Deshalb ist es ein Ziel in der Folge zu zeigen, wie – mit einer weiten Definition des Begriffs und einer linguistischen Aufmerksamkeit für Details und Implizites – gerade die Analyse von Paarkorrespondenzen zur Geschichte des Sexuellen beitragen kann. Der vorliegende Beitrag beruht auf der Auswertung von insgesamt 32 Briefbeständen, von denen 22 im Rahmen unseres Projekts über die Codiersoftware Atlas.ti erfasst worden sind.24 Sie wurden im Zeitraum von 1860 bis 1987 verfasst und reichen von Verlobungskorrespondenzen des späten 19. Jahrhunderts bis zu den Beständen der Zeit nach ›1968‹, in der sowohl die Formen der Briefe als auch Vorstellungen von Beziehungen aufbrachen. Das codierte Korpus ist durch die Detailstudien in unserem Sammelband in seiner Tiefe erschlossen, sodass der Schwerpunkt hier auf einen historischen Längsschnitt und auf die Vielfalt an sprachlichen Formen gelegt werden kann. Um die Thesen zum Schreiben über Sexuelles noch breiter untermauern zu können, sind die 22 codierten Korrespondenzen um zehn zusätzliche Briefbestände ergänzt. Drei davon stammen von Paaren, die einander über einen längeren Zeitraum Von »schönen Stunden«

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geschrieben haben, sodass sprachliche Veränderungen im Laufe der Beziehung sichtbar werden.25 An sechs weiteren lässt sich die besonders intensive erste Beziehungsphase im historischen Vergleich beobachten,26 und in einem Fall dominiert die sexuelle Dimension.27 Insgesamt liegt die Aufmerksamkeit darauf, eine möglichst große Bandbreite an sozialen Milieus und österreichischen Regionen einzubeziehen. Die 32 Paare, deren Schreiben im Folgenden für die Analyse herangezogen werden, lebten in Wien, Graz, Salzburg oder kleineren Städten und Dörfern, manchmal auch außerhalb der Grenzen des heutigen Österreich. Sie waren etwa als Beamter oder als Lehrerin, als Künstlerin, Arzt, Friseur oder Magd tätig und zum Zeitpunkt des Schreibens zwischen 17 und 72 Jahre alt. Ähnlich wie unser Forschungsprojekt verfügt die Schweizer Linguistin Eva Lia Wyss über einen umfangreichen Bestand an ›Liebesbriefen‹, der sich jedoch im Unterschied zu dem hier untersuchten Korpus eher aus einzelnen Schreiben zusammensetzt.28 Sie sieht eine Funktion dieser Briefe darin, »einen gemeinsamen Erlebnisraum zu schaffen, um durch eine verbale Inszenierung eine Intimität auf Distanz herzustellen«,29 die auch eine sexuelle Intimität einschließt. Auf welche Art dieser Erlebnisraum gestaltet wurde, dem soll nun zunächst in einem chronologischen Überblick und danach in Detailbeobachtungen zu Metaphern des Begehrens einerseits und zu sprachlichen Codierungen für sexuelle Fantasien andererseits nachgespürt werden.

2. Wie Sexuelles in die Briefe kommt – Bestandsaufnahme eines Jahrhunderts In den hier untersuchten Korrespondenzen ist Sexuelles in vielerlei Form präsent, wie die Abfragen über die Codiersoftware Atlas.ti und die ergänzenden Auswertungen belegen. Die Bandbreite reicht von Träumen, Fantasien und Erinnerungen über Anspielungen auf Untreue und (humorvoll verborgene) Eifersucht bis hin zu Fragen nach der Menstruation, der Sorge um eine Schwangerschaft, dem Wunsch nach einem Kind oder Bemerkungen zum sexuellen Verhalten von Dritten; des Weiteren gehören dazu vor allem Abschlussfloskeln und das sprachliche Herstellen von Nähe durch die Bezugnahme auf gemeinsame Erinnerungen. Die Wörter »Sex« oder »Sexualität« selbst kommen in den Paarkorrespondenzen hingegen nur sehr spärlich vor, und zwar bis auf frühe Ausnahmen30 erst in den 1960er/1970er Jahren, dann auch in verschiedenen Komposita wie »Sex-shops«31 und »Sexualtrieb«.32 In fast allen der 32 Bestände wird Sexuelles thematisiert, die sprachliche Ausgestaltung kann dabei jedoch sehr verschieden sein. Nur in vier Fällen ist Sexuelles nicht brieflich erwähnt: Einmal war noch gar nicht klar, dass eine Liebesbeziehung entstehen könnte,33 einmal musste eine Schreiberin aus bäuer­lichem

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Milieu erst eine Sprache der Liebe für die Feldpost an ihren Verlobten im Ersten Weltkrieg finden und tat dies vor allem in Berichten über die Beziehungen anderer,34 und im dritten Fall sind überhaupt nur spärliche vier Briefe vorhanden.35 Ein viertes Paar entschied bewusst, dass Sexuelles etwas Geheimes sei. Die Verlobten aus großbürgerlichem Umfeld waren in ihren Briefen intensiv mit dem Aufbau ihrer Beziehung beschäftigt, körperliche Nähe wurde jedoch weder vor anderen gezeigt noch verschriftlicht: »Es freut mich jetzt immer so, Dein Lob in allen Tonarten singen zu hören und dann freut mich auch immer so, dass die Leute keine Ahnung haben können, wie lieb wir uns haben, weil wir doch so gar keine Faxen machen, wie man das leider von Brautpaaren so oft sieht. Ich habe immer das Gefühl, es geht niemanden etwas an.«36 In den übrigen 28 Korrespondenzbeständen stechen verschiedene Aspekte des Sexuellen besonders hervor, die jeweils in ihren zeitspezifischen Kontexten gelesen werden können. 2.1 Vom »Anstand« zur erwünschten »Anwesenheit« Zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums spielte neben teils floskelhaften regelmäßigen »Küssen«,37 auf die noch näher einzugehen sein wird, vor allem Sittlichkeit eine Rolle. In den 1870er Jahren war alles Leidenschaftliche mit moralischen Bedenken verbunden, was sich in den Briefen auch äußert: »Du wirst etwa, was ich nun geschrieben, für – unanständig halten, […] und doch ›will ich im Wort des Anstands und der guten Sitte Gränzen niemals frewelnd überschreiten‹«.38 Gleichzeitig konstituierte sich just in diesem Zeitraum ein sexualwissenschaftlicher Diskurs. »Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beginnen Mediziner nämlich jene Art und Weise auszubilden, sexuelle Störungen zu erkennen, über sie zu sprechen und sie zu therapieren, die uns auch heute noch geläufig ist.«39 Wie vertraut diese Sprache jedoch den BriefschreiberInnen in unserem Korpus war, wird sich noch erweisen. Um 1900 war Wien laut der Sexualitätshistorikerin Dagmar Herzog »the city of sex«40 – und die Stadt der Psychoanalyse.41 Zu dieser Zeit kamen zudem neue Ideale der Paar-Erotik auf: Abwechslung und Fantasie beim Geschlechtsverkehr wurden wichtig, dafür bekamen Paare auch Tipps von Ärzten. Lustorientierte Heterosexualität wurde – zumindest in bestimmten, vorwiegend städtischen Gesellschaftsschichten – zu einer sozialen Norm.42 Die Aktivität der Frau beim Geschlechtsverkehr wurde für empfängnisfördernd gehalten, Lust konnte damit als vor allem der Reproduktion und damit letztlich dem Erhalt des Staates dienend positiv gedeutet werden.43 Für die ländliche Bevölkerung hingegen prägten noch weitgehend andere Vorgaben wie »Arbeitsorganisation, traditionelle Vorstellungen, rechtliche Bedingungen, kirchliche Dogmen«44 das Bild des Sexuellen; das zugehö­ Von »schönen Stunden«

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rige Sprachrepertoire lässt sich etwa am Vokabular in erotischen Volksliedern erkennen, worauf besonders der Historiker Ernst Hanisch hingewiesen hat.45 Ob bereits dem von Wien ausgehenden städtischen Zeitgeist entsprechend oder ihrer individuellen Spontaneität folgend, ist die dem Grazer Großbürgertum angehörende Konstanze von Stein in unseren Beständen die erste Frau, die in der Korrespondenz mit ihrem Verlobten 1896 ihre Leidenschaft nach außen kehrte und sich selbst als »verrückt« nach ihm beschrieb: […] ich brauch’ Dir heute noch nicht viel gescheites zu schreiben, ich kann wirklich nicht, ich bin ja deine Schlimme, deine dolkeke [Stanzi]. ›Verrückt‹ hast Du auch gesagt und Du hast recht gehabt, wie immer, mein großer, schwarzer Schatz. Soll ich nicht verrückt sein, wenn ich Dich endlich, endlich gern haben darf wie ich will, halt schon schrecklich gern! Wenn ich Dich nur jetzt wieder da bei der Hand hätte, gleich kriegtest Du allerhand große, kleine, mittlere u. s. w. Bussi drauf gepickt.46

Um 1900, zur Entstehungszeit dieser Zeilen, waren in Österreich wie in anderen europäischen Staaten Medizin und Literatur die wichtigsten Bereiche, die den Diskurs über Sexualität formten.47 Studien zur Nationalitätenvielfalt der Habsburgermonarchie zeigen allerdings, wie auch die nationale Frage im Feld des Sexuellen gespiegelt wurde.48 Das Selbstbild einer (etwa der deutsch-österreichischen) Nationalität war eng an sexuelle Gesundheit und Respektabilität gebunden, begleitet von sexuell abwertenden Stereotypen für andere (vor allem slawische)  Nationalitäten.49 Dem Zusammenhang von Religion und Sexualität wiederum hat die Forschung eher für protestantische Länder Rechnung getragen, zu katholischen Gebieten gibt es diesbezüglich wenig Literatur.50 Ein kleiner Einblick in diese Thematik kann jedoch mit den nicht sehr umfangreichen Briefen von Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler ­(1904–1906) gegeben werden. Deren Liebeserklärungen enthalten Hinweise darauf, dass katholische Zurückhaltung und ein Bedürfnis nach körperlicher Nähe durchaus zusammenfallen können, worauf auch Barbara Asen in ihrem Aufsatz »Vom ›Götterfunken der Liebe‹ bis zu ›des Papstes heil’gem Segen‹« hinweist.51 Martha Louise Leeb beschrieb eine »innige und unauslöschliche Neigung, die nur der liebe Gott allein dem Menschen gibt«, und im selben Brief formulierte sie zuvor ihre Scheu vor dieser: »Sie haben mich gestern gefragt, was ich damit bezwecke, warum ich Sie so oft rufe. O ich hätte es Ihnen ja so gerne gesagt, aber ich konnte es nicht, doch es [ist] ja keine Schande u. auch keine Sünde, wenn man Jemanden lieb hat, u. wenn man sich daher an der Anwesenheit dessen freut.«52 An der Anwesenheit des oder der Geliebten freuen konnten sich die Paare, deren Briefwechsel aus dem Ersten Weltkrieg erhalten sind, oft lange nicht. Zum Sexuellen ist in ihren Korrespondenzen dennoch kaum etwas Explizites zu lesen.53 Dies mag auch mit schichtspezifischer Zurückhaltung zu tun haben – durch die bessere Überlieferungssituation liegen uns für diese Phase

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auch Korrespondenzen aus bäuerlichem und kleingewerblichem Milieu vor. Bisweilen tritt in die Erinnerung an den gemeinsamen Alltag implizit eine sexuelle Episode herein, hier in einem Brief vom Juni 1917 aus der Kriegsgefangenschaft in Astrachan in Russland, wo der Schreiber ein Paket seiner Verlobten erhalten hatte: Ach, das war ein Genuss, [Fini]! Der gute weisse Kaffe, die ausgezeichneten Keks, noch dazu 2 Stücke Zucker, sage zwei Stücke Zucker im Kaffe, [Fini], Du musst wissen, was das heisst, denn wir fassen für drei tage viereinhalb Würfel, dazu rauchte ich eine österr. Zigarette, oje oje, [Fini], beinahe dünkte es mir, als sei es ein Sonntag nachm. im Apartement Fehlingerg[asse]. Aber schliess­lich fehlte dazu doch noch manches.54

Nach Kriegsende und der Etablierung der Ersten Republik wurden in den 1920er Jahren im »Roten Wien« neben vielen anderen gesellschaftspolitischen Maßnahmen auch Sexualberatungsstellen eingeführt. Es kamen jedoch entschieden weniger KlientInnen als erwartet, und diese erhofften sich vor allem Verhütungsratschläge.55 Die Beratungsstellen brachten den ArbeiterInnen bisher kaum verfügbar gewesenes Wissen, das nun aber mit normativen Strategien der Führung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verbunden war und deshalb nicht nur als empowerment verstanden werden sollte.56 Abseits der ArbeiterInnenschaft konnte für weibliche Angehörige unterer Schichten ihre Ehre immer noch ein wichtiges Kapital sein, wie Barbara Asen in diesem Band in ihrem Beitrag zur Zwischenkriegszeit nachweist. 2.2 Normen und Normalisierung, Erotik und Ekel War normative Sexualpolitik also nicht nur in früheren Jahrhunderten, sondern auch in den vorgeblich ›freieren‹ 1920er Jahren gängige Praxis, so richtete sich die Sexualpolitik des Nationalsozialismus in extremer Weise auf Geburtenförderung und -verhinderung mit dem Ziel eines ›gesunden Volkskörpers‹. Politisch erwünscht war die sexuelle Aktivität der »arischen« Mehrheitsbevölkerung.57 Im Zweiten Weltkrieg, in dem sechs der 32 Paare meines Quellenkorpus zahlreiche Briefe geschrieben und erhalten haben, artikulierten in den – erzwungenen – Trennungsphasen besonders die Männer sexuelle Wünsche häufiger. In Einzelfällen kommunizierten die Briefpartnerinnen mit ihnen trotz der Distanz etwa über Probleme beim Geschlechtsverkehr und über Schwangerschaftswünsche: »Jedoch unser beider Hoffnungen scheinen wieder unerfüllt zu bleiben, aber wir wollen nicht grollen. Unsere Ehe hat soviel Süßes und Einmaliges, daß auch die Krönung nicht ausbleiben wird.«58 Für den Zweiten Weltkrieg lässt sich also ein zumindest vordergründig sprachlich offenerer, aber auch männlich-autoritärer Umgang mit dem Sexuellen in Von »schönen Stunden«

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den Paarkorrespondenzen postulieren. In der spezifischen sozialen ›Unordnung‹ der Nachkriegszeit reichten – das hat Ingrid Bauer in ihren Forschungen herausgearbeitet – konfliktreiche sexuelle Verhältnisse von Affären und Ehen mit Besatzungssoldaten und der Entfremdung von den heimkehrenden Ehemännern bis zu Prostitution und Vergewaltigungen.59 Während der 1950er und der frühen 1960er Jahre gab es in ›konventionelleren‹ Beziehungen ein zwar diskursiv konservativ geprägtes, in der Praxis jedoch oft ›freieres‹ Sexualleben, einhergehend mit einer »Sexualisierung des jugendlichen Körpers«.60 Dies lässt sich etwa in einem Rückblick aus dem Jahr 1958 erkennen, den die erst 19-jährige Hertha Feldbauer auf ihre Begegnungen in einem künstlerischbohémienhaften Umfeld einige Jahre zuvor warf: »Ich streifte meine Kinderschuhe ab zwischen Aktmodellen und Männern, die Verlangen nach mir hatten aber nie die Ehrfurcht vor meiner Unberührtheit verloren, zwischen in einer so bunten Welt voll Konkurrenzneid, Schönheit, Liebesgeplänkel, Leidenschaften und zarter Wehmut.«61 In dieser »so bunten Welt« wurde Sexuelles immer mehr kommerzia­ lisiert, wie Sybille Steinbacher für die Bundesrepublik Deutschland anhand des Unternehmens von Beate Uhse gezeigt hat62 – während es für Österreich noch kaum vergleichbare Studien gibt. Erotikmagazine oder Aufklärungsschriften waren kein Thema in den Paarkorrespondenzen, allerdings wurden hier Menstruationszyklen und Verhütungsmethoden implizit zum Gebiet männlicher Kontrolle, bereits ab der Zeit um 1950 und auch bei einem noch nicht verheirateten Paar: Über Dein körperliches Wohlbefinden bin ich ebenfalls sehr erfreut. Ich möchte dich jetzt folgendes bitten, mein kleines Schwammerl mir den genauen Beginn, also möglichst den Kalendertag und die Uhrzeit, Deines Unwohlseins bekanntzugen [sic] und zwar jedesmal. Den Grund möchte ich Dir nicht brieflich erklären, denn das wäre zu langwierig. Aber wenn wir das nächste mal zusammenkommen, werde ich Dir alles des längeren und breiteren erklären.63

Für die Zeit um ›1968‹ gehe ich mit Peter-Paul Bänziger davon aus, »dass es die sexuelle Revolution  – im Sinne einer grundlegenden Veränderung der Intimverhältnisse innerhalb einer kurzen Zeitspanne  – nicht gab«.64 Es kam im 20.  Jahrhundert langfristiger zur »Regulierung und Normalisierung von ehemals devianten Objektwahlen und Praktiken« und zu »Veränderungen im Bereich von Beziehungsidealen und des Eherechts«.65 Bedeutsam scheint auch der Hinweis der Linguistin Silke Schimpf, es seien neben den »eher akademischen Diskursen« der Sexualwissenschaft und -medizin »vor allem die Medien [gewesen], die verstärkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die menschliche Sexualität in all ihren Phänotypen gezeigt, benannt und der Mehrheit der Bevölkerung verfügbar gemacht haben«.66 Als eines von vielen Beispielen dafür, wie sich das Schreiben über Sexuelles zum Informellen hin veränderte,67 sei auf

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die penibel nummerierten und feministische, aber floskelhaft auch religiöse Argumentationsmuster aufnehmenden Thesen eines 17-jährigen verwiesen, geschrieben 1969, nachdem seine Angebetete ihn abgewiesen hatte:   1.) Meine Hintergedanken sind nicht schmu/d/delig, denn ich betrachte einen Geschlechtsakt als das Schönste, das /was/ uns der »liege [sic] Gott???« auf Erden beschert hat.   2.) Du glaubst D doch wohl nicht im ernst, daß ich Dich, falls ich bei Dir übernachten würde, was Du ja nun leider schon widerrufen hast, vergewaltigen würde. In dieser Richtung bin ich doch völlig, wie schon gesagt, für die Gleichstellung der Frau, und somit sollte sie den Anstoß geben.   3.) Daß Du ein ›bisschen‹ Angst vor einem Baby hast, ich ist mir klar und ich akzeptiere dies völlig. Im Notfall, falls »no Pill«, gäbe es da ja noch einen »Pariser«. Es ist klar, daß ich Dich gerne glücklich machen würde, aber nur wenn Du dies auch möchtest. Wenn nicht, na ja, da kann ich Dir keine Gefühle aufzwängen. O. K.?68

Dass jemand den anderen oder die andere wie auch sich selbst »gerne glücklich machen würde«, ließe sich als implizite Aussage vieler Briefstellen herausfiltern, an denen das Sexuelle zur Sprache kommt. Zum Abschluss dieser Bestandsaufnahme lohnt ein Blick darauf, wie in den Briefen über jene sexuellen Realitäten außerhalb der eigenen Beziehung geschrieben wurde, die nicht den gängigen gesellschaftlichen Normen entsprachen. In mehreren Beständen wurden andere anhand ihrer (vermeintlichen) sexuellen Verhaltensweisen bewertet, interessanterweise immer von Schreibenden, die mit Leuten aus anderen Ländern oder Schichten Kontakt hatten. Dieses Phänomen ist von den 1910er bis zu den 1960er Jahren zu beobachten. Wie Ignaz Lindenberg 1914 in Marseille feststellte, »giebt es hier ganze Straßenzüge mit öffentlichen Häusern. Vor denselben sitzt eine Frau von 60–70 Jahren u. lädt zum Besuch ein. […] Nun genug von dem Schmutz, der aber interessant ist u. Beweis dafür ist daß der Mensch sittlich weit unter den letzten Tieren steht«.69 Weniger schmutzig als vielmehr »sehr lustig« schildert Hermann Illing seiner Verlobten die Situation in Italien 1925, wo einem »in Neapel an allen Ecken u. Enden und in allen Sprachen ›interessante‹ Bilder und Mädchen zu allen möglichen Zwecken angetragen werden«.70 Während die reisenden Männer überlegen von Prostitution berichteten, fühlte sich Olga Josefa Adelsgruber, die in den 1960er Jahren mehrmals auf Saison­arbeit war, dort nicht wohl, was für sie an den Zimmergenossinnen lag, von denen sie eine als Prostituierte bezeichnete. »Bis ich heimkomme – u. dann will ich alles vergessen – [pfui] dieser Sumpf und Dreck u. Moral. Heute Nacht gab es den Höhepunkt. Die 2 Jugoslawinnen bekamen Besuch von Ihren Männern u. das lag [auch] noch in den Betten u. die Hure kam um 4-früh. Ich habe bis jetzt kaum eine Nacht geschlafen.«71 Für die Vorfreude auf die gemeinsamen Von »schönen Stunden«

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Nächte mit dem Ehemann fand Olga Josefa Adelsgruber hingegen wesentlich harmlosere Worte, wenn sie etwa von einem zu erwartenden »ankuscheln an Deiner Seite« schreibt.72 Damit versprachlichte sie wie viele andere SchreiberInnen ein Begehren. Dessen Ausdruck ist in den Briefen besonders von einer Vielfalt an Metaphern geprägt.

3. Wie Feuer, Hunger oder eine große Kraft – Metaphern des Begehrens »Der Liebesbrief ist derjenige Text, in welchem Liebende ihr Begehren ausdrücken«,73 stellt die bereits eingangs zitierte Sprachwissenschaftlerin Eva Lia Wyss fest. Ihre amerikanischen KollegInnen Deborah Cameron und Don Kulick definieren sexuelles Begehren für ihre linguistische Untersuchung in Anlehnung an mehrere (psychoanalytische) Theoretiker. Von Sigmund Freud übernehmen sie die These, Begehren konstituiere sich durch teilweise unbewusste Prozesse; von Lacan jene, dass es unausweichlich sozial und sprachlich, transitiv und relational sei. Mit Deleuze und Guattari betonen sie, Begehren hänge stets mit Machtverteilungen zusammen.74 Seine Transitivität bedeutet, dass es zwei Bezugspunkte gibt: »[…] desire is always for someone or something«.75 Die Beziehung zwischen Begehrendem und Begehrtem wird über Sprache konstruiert, und zudem benötigt Begehren auch Sprache, um nicht abzuebben.76 Beim Ausdruck von Begehren können aber psychische Mechanismen der Unterdrückung und des Verbots wirksam werden,77 weshalb Metaphern, also uneigentliche Ausdrucksweisen, dabei von Bedeutung sind. LinguistInnen weisen den »sprachlichen Mittel[n] zur erotischen Stimulierung« die Funktion zu, den Partner oder die Partnerin »zugleich zu beunruhigen und zu beruhigen«, damit er oder sie einerseits »aus dem Zustand der Gleichgültigkeit herausgeführt« und andererseits »entspannt, gelöst« wird.78 Das Gelingen des Ausdrucks von sexuellem Begehren hänge davon ab, dass es zitierbare, wiederholbare Codes dafür gibt, wie zum Beispiel jemanden auf ein Getränk einzuladen.79 Diese Codes sollen hier allerdings in ihrer kulturellen und historischen Situiertheit begriffen werden, und eine solche Möglichkeit der Codierung sind die im Folgenden in den Blick genommenen Metaphern, verstanden als etablierte Ersatzausdrücke für das, was man eigentlich sagen beziehungsweise schreiben will.80 Mit dem Blick auf diese Ersatzausdrücke ist also auch konventionalisierte, floskelhafte Sprache als Sprache des Sexuellen identifizierbar. Bei Metaphern lassen sich Tenor und Vehikel unterscheiden. Der Tenor ist das, worüber gesprochen wird (in diesem Fall das Begehren), das Vehikel hingegen das, anhand dessen gesprochen wird. Beide teilen bestimmte Merkmale, aber nicht alle, daher streicht die Metapher manche Facetten (des Begehrens)

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hervor und verdeckt andere.81 Für den sprachlichen Ausdruck des Verlangens nach dem Zusammensein mit dem oder der Geliebten gibt es mehrere Quellbereiche, also Vehikel, die in der Metaphernforschung bereits gut belegt sind. Erstens kann Begehren als Appetit beschrieben werden, was eine Analogie zwischen zwei Bedürfnissen, zwei »most basic physical wants«82 darstellt. Zweitens könnte Begehren ein Feuer sein, das von der oder dem anderen entfacht wird.83 Begehren wird zum Dritten als eine externe Kraft konzipiert, sie wäre demnach ein Eindringling in den Körper, dem gegenüber kaum Widerstand möglich sei.84 Dieses vielfach auch literarisch verwertete Konzept belegt etwa die Germanistin Kirsten Esser an Heinrich Bölls Werken aus der Nachkriegszeit, in denen sie das Schema einer »anarchischen Kraft« des Sexuellen aufzeigt.85 Verwandt mit der Kraft-Metapher ist das Vehikel, Begehren zu erleben sei körperliche Schwäche, Schmerz, Krankheit oder Verrücktheit.86 Begehren wird also über die Wahl der Metaphernquellen oft als getrennt vom Selbst gefasst und muss nicht immer positive Konnotationen haben.87 3.1 »Auffresserln täte ich Dich« … Wie kommen die drei Konzepte Hunger, Feuer und Kraft nun in den untersuchten Paarkorrespondenzen zum Tragen? Wendet man sich zuerst dem Konzept Hunger zu, zeigt sich, dass diese Metapher in den Paarkorrespondenzen bei mehreren SchreiberInnen präsent ist. Appetit auf den Geliebten oder die Geliebte erscheint zunächst als etwas Impulsives, leicht Animalisches – so bei zwei Männern, die gerade als Soldaten dienten. Jakob Hyzdal schrieb von einer Wehrübung 1931 an Helene Sladek: »Ich liebe Dich Mädel und sehne mich schon sehr wieder bei Dir zu sein, Dich umarmen und zu küssen, zu fressen!«88 Josef Wiesauer schilderte im Kriegseinsatz 1944 seiner Frau Franziska seine Fantasie mit den Worten »Auffresserln täte ich Dich«.89 Zwei Monate zuvor hatte er einen solchen Hunger in einem religiösen Kontext dargestellt, mit Bezug auf den katholischen Fasttag am Freitag: »Na und wie Du meinst es sei Freitag da ist es fleischlos, na na das kenne ich ja schon wenn wir so sagten, heute ist fasttag, dann konnten wir der Versuchung doch nicht wiederstehen und es packte uns die Liebe erst recht! Gelt, so war es doch!«90 In einer Feldpostkorrespondenz aus den Jahren 1944/45 neigten beide Schreibenden dazu, Hunger statt Lust sprechen zu lassen. Hans Hatschek bemerkte gegenüber seiner Freundin: »Also mit dem Hunger das ist ja bei mir ein bisserl anders als bei Dir. Den hab ich nämlich fast immer und den Hunger nach deinem Goscherl und allem, was rundherum, oben und unten dran ist, den hab ich ständig. Jetzt kannst Dir ungefähr vorstellen, wie mir zu Mute ist.«91 Maria Kundera erzählte ein paar Monate später die Geschichte ihres ersten Kusses ebenfalls auf diese Weise, codierte ihr Begehren aber weniger als allumfassend, Von »schönen Stunden«

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doch genauso als natürlich: »Ja Hänschen, wenn ich ans erste Busserl denk, schön wars […]. Wir sind halt ordentlich am Gusta gekommen und jetzt können wir ohne dem nicht mehr sein. Mann so gut war’s, ich freue mich schon wieder auf ’s nächste.«92 Mit »Hunger« und »Gusto« griffen die BriefschreiberInnen auf ein historisch sehr langlebiges Metaphernkonzept zurück – findet sich die Übertragung, körperlicher Genuss sei ebenso sättigend wie Speisen, doch bereits in der griechischen Antike bei Xenophon.93 Auch im »Hohelied der Liebe« im Alten Testament steht sie als Vergleich: »Deine Brüste will ich genießen wie Trauben des Weinstocks, den Duft deiner ›Nase‹ wie Äpfel und deinen Mund wie besten Wein.«94 Ernst Leisi konstatiert in seiner Untersuchung zu »Paar und Sprache«, dass »das Bezugsfeld ›Kulinarisches für Erotisches‹ ausgedehnt, alt und produktiv [ist]«,95 und nennt Shakespeares Werke als Beispiel – »das zumFressen-Gernhaben wird auf wechselnde Weise immer wieder ausgedrückt«.96 Die Konzeption von sexueller Begierde als Hunger findet sich nicht nur bei männlichen Autoren kanonisierter literarischer Texte, sondern auf eine andere Weise auch bei Theoretikerinnen der Ersten Frauenbewegung/en, die kritisch über Sexuelles schrieben: »Die fortwährende Unterdrückung eines aufwühlenden Hungergefühles, sei es nun des Magens, der Seele, der Sinne oder des Blutes, macht schwach und elend.«97 In den Briefbeständen ist die Metapher »Begehren ist Hunger« durchgängig über den gesamten Untersuchungszeitraum vorhanden, aber – wie gezeigt – im Zweiten Weltkrieg häufiger. Stetig ändern sich die Ausdrucksformen analog zu dem in unserem gesamten Projekt beobachtbaren stilistischen Wandel im österreichischen Deutsch. Von den poetischen Brautwerbungen des 19.  Jahrhunderts, wie sie Ines Rebhan-Glück vorstellt, reichen die Ausdrucksweisen zu eher prosaischen, aber nicht weniger kunstvollen Neckereien in den von Ingrid Bauer betrachteten 1970er Jahren.98 Die folgenden beiden Stellen markieren mögliche Anfangs- und Endpunkte dieses Wandels, einmal geschrieben von einem Angehörigen des Bildungsbürgertums im Jahr 1874, einmal von einer weltgewandten Fremdsprachenkorrespondentin im Jahr 1972, die zum konkreten Essen zurückkehrte. Ein Kuß von dir  – ich wähne alles Glück zu schlürfen / In gier’gen Zügen ohne Zahl und End!99 […] ich werde mein Plauderstündchen mit Dir abbrechen müssen, denn es knurrt mir der Magen schon wieder ganz abscheulich. Wie ich letztes Mal gemerkt habe, würden Küsse ganz gut meinen Magen füllen. Leider ist niemand da, der sich mit Dir messen kann (schlägst Du jetzt ein Rad, Pfau?!), daher werde ich mir lieber einen Shrimp-Cocktail erlauben.100

Zwei weitere Briefautoren der Zeit nach ›1968‹ formulierten ihre Gelüste ebenfalls als metaphorische Mahlzeiten, einer davon sehr einfach mit: »Noch ein

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dickes rotes Bussi…mmh!«,101 der andere in poetischem Überschwang: Er »möchte Labsal sein Dir, möchte Lust wecken in Dir, die beinah himmlisch ist und auch sie stillen, am Tag und in der Nacht und immerda solang sie währt«.102 Dem Konzept »Begehren ist Hunger« entspringen nicht nur diese wohlformulierten Sätze, sondern auch gleichsam personalisierte Metaphern, nämlich einige der zahlreichen Kosenamen, die in den Paarkorrespondenzen erscheinen. Auch hier wurde die Gleichung, der oder die Begehrte sei etwas Süßes oder Appetitanregendes, von den BriefschreiberInnen kreativ genutzt. »Mein theures einziges Zuckerbubi«103 nannte Martha Louise Leeb ihren Verlobten Albert Fiedler 1905, und noch außergewöhnlicher ist 1949 Erich Riehls Bezeichnung für seine Braut Anneliese Kastenhuber: »[M]ein liebes kleines Griesnockerlschwammerl«.104 In unserem Korpus finden sich solche Schöpfungen, die über »Liebster« oder »Schatz« weit hinausgehen, bereits ab den 1890er Jahren.105 Damit können wir die Forschungen von Eva Lia Wyss ergänzen, in deren Bestand an Schweizer Liebesbriefen eine von Frauen gesetzte kreative Kosenamenbildung für Männer erst ab den 1970ern vorkommt.106 In den 1970er Jahren hatte die Konsumentin des oben erwähnten Shrimp-Cocktails eine weitere zeitgemäße Idee der Herstellung von Nähe: »Ich weiß nicht, ob Du ihn magst, aber ich sende Dir einen Tiefkühl-*Kuß. Er kann nach Belieben aufgetaut und verwendet werden (verdirbt garantiert nicht).«107 3.2 … »in mir zittert und siedet alles« Wenn ein Kuss »aufgetaut« werden kann, steckt dahinter die Vorstellung, Begehren mit Wärme zu verbinden. Wie der Philosoph Simon May in seiner Geschichte der Liebe feststellt,108 kommt der Vergleich von Begehren mit Feuer, also mit etwas Starkem, Heißem, Loderndem, aber auch Gefährlichem, ebenfalls bereits im »Hohelied der Liebe« im Alten Testament vor. Dort heißt es über die Leidenschaft: »Denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie die Unterwelt die Leidenschaft. Ihre Brände sind Feuerbrände, eine mächtige Flamme.«109 Leidenschaftliche Liebe als Feuer, Hitze und Brennen tritt im Alten und im Neuen Testament noch an weiteren Stellen auf, etwa im Buch Hiob oder im ersten Brief des Paulus an die Korinther.110 In der Bibelexegese erscheint dieses Feuer als etwas, das mit jenem des Heiligen Geistes nicht zu vergleichen sei.111 In englischen Texten des Mittelalters hingegen ist Feuer-Metaphorik »der häufigste Hinweis auf das leidenschaftliche sexuelle Begehren«,112 denn in rationalen Liebesbeziehungen komme das Feuer nicht vor.113 Dass Feuer-Metaphern nicht nur im Bereich des Begehrens gebraucht werden, sondern oft auch zum Ausdruck von Zorn, unterstreicht ihre Assoziation mit Gefahr, als die auch das Sexuelle erscheinen kann.114 In ihrer »Kulturgeschichte der Elemente« weisen Gernot und Hartmut Böhme darauf hin, dass Von »schönen Stunden«

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die antike Mythologie »das, was den Menschen von den übrigen Lebe­wesen zu unterscheiden scheint, Seele und Geist, mit den Qualitäten des Feuers belegt« habe.115 Somit wäre die Feuer-Metapher auch eine Weise, sexuelles Begehren als etwas spezifisch Menschliches zu betrachten. Das Erglühen in Liebe und Leidenschaft taucht in der Literatur der europäischen Romantik wieder auf, beispielsweise in Charlotte Brontës frühviktorianischem Roman »Shirley« als »glow«.116 Hier ließ sich auch schon an einzelne Werke aus dem 18. Jahrhundert anknüpfen. In »A Patch-Work Screen for the Ladies« von Jane Barker (erschienen 1723) löst eine Nonne Feuer in ihrem Konvent aus, als sie mit ihrem Geliebten »durchbrennt«  – das Kloster und »her passion«117 stehen gleichzeitig in Flammen. Das glühende Begehren wird also ins romantische Liebesmodell integriert. Bis in die Filmindustrie zieht sich die Verbindung zwischen Begehren und Flammen, hier »dienen Brände zur optischen Verstärkung von besonders leidenschaftlichen, gefühlvollen Handlungen«, etwa in »Vom Winde verweht«.118 Als einer der ersten in unseren Beständen drückte Ottokar Hanzel im Brief an seine Verlobte Mathilde Hübner sein heißes Verlangen 1907 auf solche Weise aus: »Schon zu Weihnachten, stets um dich, bei dir, in deinen Armen, deine Liebkosungen, deine Hingabe, dich besitzen dürfen schon zu Weihnachten – in Freiheit lieben …. Mein Athmen […] geht schwer, in mir zittert u. siedet alles, […] komm mir zu Hilfe.«119 In den 1920er Jahren dagegen gibt es in unseren Quellen, zumindest in jenen aus bürgerlich-intellektuellen Kreisen, bereits ein erstes Aufbrechen durch einen ironischen Umgang mit dieser Metapher. Emilie Fuhrmann fragte ihren Verlobten: »Und was machst Du jetzt mit den unverbrauchten heißen Bussis? Legst Du die auf Gletschereis? Wie Du siehst, lauter hochwichtige Fragen.«120 Dass hier »Gletschereis« vorkommt, verweist ebenfalls auf einen besonderen Kontext. In den 1920er Jahren entwickelte sich für einige schreibende Paare das Bergsteigen zu einem neuen Hobby und einem Austragungsort von Konflikten zwischen den Geschlechtern, wie Barbara Asen analysiert hat.121 Zugleich wurde in diesem Jahrzehnt das Feuer aber auch weiterhin als natürliche Kraft dargestellt: »Liebster, wenn ich vom daheim sein träume ist mir so wohl und gut! – Wie freue ich mich darauf. An gewisse Dinge kann ich nicht denken, ohne daß mir heiß wird.«122 Zwanzig Jahre später, im Kontext der Imagination einer gemeinsamen Weihnacht zwischen ›Front‹ und ›Heimatfront‹, wurde ein feuriger Kuss zur erklärten Absicht: »[…] schicke ich lieber für den Fall der Fälle einen ganz furchtbar dollen Weihnachts-Kuß, den Du bitte Heilig Abend punkt 6 Uhr auf Deinem Kirschenmund brennen fühlst«.123 Ebenso wie heißes Brennen als Beleg für gute Küsse diente, ließ sich die Metapher – und damit wären wir wieder in den ›expressiven‹ 1970er Jahren angekommen  – auch zur Kritik an der fehlenden Leidenschaft einer Beziehung ins Gegenteil verkehren: »a) waren wir die Zeit davor ziemlich abgekühlt […]«124 war das erste Argument eines jungen Brief-

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schreibers in der nüchternen Analyse des Verhältnisses zu seiner Partnerin. Im Laufe des Untersuchungszeitraums wurde das Feuer des Begehrens offensichtlich gezähmt; das mit dieser Metapher dargestellte sexuelle Begehren ist also auch, wie Feuer, ein »Kippphänomen zwischen Natur und Kultur«.125 3.3 … und so »werden wir morgen ineinander verschmelzen« Die dritte relevante Metaphernquelle ist, wie bereits gesagt, Begehren als Anziehungskraft, die die Einheit zweier Hälften herstellen soll. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Metapher für romantische Liebe. Das Konzept geht über körperliches Begehren hinaus, die Liebesbeziehung wird als Einheit zweier komplementärer Teile verstanden,126 was wie die vorigen beiden Konzepte antike Wurzeln hat. »Der platonische Dialog Symposion berichtet, wie die Götter die Menschen, einstmals Kugelwesen mit zwei Gesichtern und acht Gliedmaßen, zur Strafe für frevelhaften Übermut in der Mitte durchtrennen.«127 Danach würden die Durchtrennten die jeweils andere Hälfte suchen (müssen).128 »Wahrscheinlich formulierte Platon als erster den Gedanken, irgendwo müsse der vollkommene Lebensgefährte zu finden sein.«129 Die Metapher der Anziehung suggeriert also Harmonie.130 Entsprechend ist das Verschmelzen in den Paarkorrespondenzen ein Ziel, das während des Getrenntseins unmöglich war, aber baldigst wieder erreicht werden sollte. Ignaz Lindenberg formulierte es 1914 so: »Auch wenn ich bei dir bin kommt mir jedes Liebeswort das ich dir sage, wie eine Persiflage vor, daher die Sucht und das Verlangen dich an mich zu pressen, meinen Körper mit dem deinen zu verschmelzen, mit einem Worte in irgend einer Form zu handeln, nicht nur schwätzen.«131 Diese Harmonie, das Verschmelzen mit dem oder der anderen, kann jedoch, wie das literarische Beispiel in Dantes »Inferno« belegt, zur Qual und Strafe werden. Die Liebenden, körperlich miteinander verschmolzen, doch mit der je eigenen Individualität ausgestattet, könnten einander auch nicht ertragen.132 Für die BriefschreiberInnen ist das Verschmelzen aber durchwegs positiv besetzt, es konnte dabei jedoch, wie bei Olga Josefa Adelsgruber 1937, auch um mehr als die beiden Körper gehen: »Nun gute Nacht, eigentlich wird es bald morgen. In dem Kuß, den ich mir jetzt vorstelle, werden wir morgen ineinander verschmelzen, werden Geist u. Körper ein Ganzes werden.«133 Dass zum Verschmelzen Hitze benötigt wird, deutet auf eine enge Verbindung dieses und des vorher behandelten Metaphern-Quellbereichs hin. Neben dem Verschmelzen ist »elektrische Spannung« eine Metaphernquelle der körperlichen Anziehung beziehungsweise der Kraft der Liebe. In dem von Edith Saurer untersuchten Brieftagebuch Otto Leichters aus dem Zweiten Weltkrieg etwa sind Nähe und der Körper das Zentrum der SehnVon »schönen Stunden«

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süchte, Otto Leichter schrieb auch wörtlich von »Spannung«.134 Diese Übertragung kommt aus einem metaphorischen Diskurs über Elektrizität, der seit dem späten 19.  Jahrhundert das Sprechen über Gefühle mitgeprägt hat, wie Jan Plamper jüngst erläutern konnte.135 In unseren Beständen berichtete erst Alexander Felber zu Ende der 1970er Jahre von »erotische[r] Spannung«.136 Als eine Kraft, der man nicht widerstehen kann, erscheint sexuelles Begehren jedoch am Anfang und am Ende unseres Untersuchungszeitraums bei männlichen Briefautoren. Zu Beginn, 1874, ist sie allerdings in die »Naturgewalt Liebe« inkorporiert: »Die Worte alle, wie sie aus der Feder floßen, sind des Herzens inn’ge Kunde, das nicht Zaum und Zügel kennt, wenn Liebe darin tost  – die Macht, der keine gleich und hieß man sie die größte auch auf Erden!«137 Am Ende, in den 1970er Jahren, hingegen ist es eher eine Kraft, der der Liebende sich freiwillig und (sprach-)spielerisch unterwirft: »Na gut, bring mich nur VÖLLIG durcheinander, ver-rück mich nur, mach mich verrückt / ich geb’ Dir alles tausendfach zurück!«138 Die drei untersuchten Metaphernquellen können selbstverständlich auch in Kombinationen auftreten, etwa wenn Rudolf Kretschmar 1943 in »freudiger Erwartung« schrieb: So »küsse ich Dich schon jetzt viel rasender als Du mich, Dein Dich […] auffressender Schnuck.«139 Robert Wallner packte vier Jahre später nach langer, kriegsbedingter Trennung von seiner Frau sogar alle drei Konzepte in einen Satz: »Wenn ich nur Deine schönen Hände streicheln kann, so ist das schon ein herrliches Gefühl und erst Dein Mund, der zuckersüße der wird dann so lange geküßt bis er brennen wird und Robi wird ganz toll vor Liebe werden.«140 Die Wahl der Quellbereiche Feuer und starke Kraft legt nahe, dass Begehren etwas zu Fürchtendes ist, das Potenzial hat, den gewohnten Lebensalltag zu erschüttern. Dazu kommt in einigen Fällen, wie erwähnt, eine Verneinung des Umstands, dass das Begehren Teil von einem oder einer selbst ist: Es wird auf ein Objekt projiziert und damit der eigenen Verantwortung entzogen.141 Dies geschieht aber vergleichsweise selten in den hier untersuchten Beständen, in denen die SchreiberInnen vielmehr besonders oft und geschickt mit der Hunger-Metapher arbeiten, was die Atlas.ti-gestützte Auswertung als eine signifikante Tendenz zeigt. In den etablierten Beziehungen zwischen Verlobten oder Eheleuten, die die meisten BriefpartnerInnen führten, war Begehren wohl ungefährlich. Über die Metaphernwahl können die SchreiberInnen also ihr Einverständnis mit oder ihre Ablehnung von einer bestimmten Form von Begehren ausdrücken,142 wie wir auch speziell beim Wandel der Feuermetapher gesehen haben. Metaphern des Begehrens, die in den Paarkorrespondenzen keine beziehungsweise kaum eine Rolle spielen, sind etwa die vor allem für die englische Sprache festgestellte »Containermetapher« (wie in »to fall for somebody«), das Erwecken des schlafenden Begehrens, das im Zusammenhang mit dem

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Coming-out von Homosexuellen oder auch in einem langen Eheleben häufig präsent ist,143 sowie die vor allem in der Berichterstattung über sexuelle Gewalt verwendeten Ausdrücke, mit denen Begehrende als ›Bestien‹ oder allgemeiner als Tiere dargestellt werden.144 Diese Vehikel sind entweder jenseits der Sprachgrenzen des Deutschen angesiedelt oder waren für eine junge beziehungsweise von beiden akzeptierte Beziehung nicht gebräuchlich. Aus den zitierten Briefpassagen dürfte bereits deutlich geworden sein, dass sexuelle Fantasien nicht nur über Metaphern des Begehrens artikuliert werden. Die folgende Analyse erschließt die Fantasien daher als komplexe sprachliche Gebilde.

4. Küssen, Streicheln und »na was dann?« – Sexuelle Fantasien Mein liebes, liebes ♥ilein! Nun bin ich heute den letzten Tag hier im Lazarett und morgen werde ich abdampfen zur Kompanie, nein zu meinen lieben Briefleins, denn diese sind mir ja die Hauptsache, gelt mein liebes, goldiges Frauli, mein Schatzi. Du, ach ich weiß gar nicht was ich so mit Dir alles täte, wenn ich Dich bei mir [hätte], so zusammenmugerln, ganz ganz zusammen und so zärtlich streicheln u. dann? na was dann?145

Mögliche Antworten auf die Frage »na was dann?« gibt die folgende Betrachtung der sexuellen Fantasien in Paarkorrespondenzen. Die sprachlichen Formen, mit denen solche Fantasien und Erinnerungen verschriftlicht wurden, sind weit vielfältiger, als in der bisherigen Diskussion der Begehrensmetaphern deutlich geworden ist. Deshalb lohnt es sich, den Blick auf das Schreiben über Intimität, Nähe und sexuelle Aktivitäten zu weiten. 4.1 Andeuten, Ersetzen und Ritualisieren Dass sich die SchreiberInnen wie im obigen Zitat auf Andeutungen beschränken, damit sind sie in modernen westlichen Gesellschaften nicht allein. Linguistische Forschungen zum Sprechen und Schreiben über Sexuelles konstatieren eine Fülle an – durch kulturelle Tabus bedingten – »Andeutungsvokabeln, Euphemismen und sprachliche[n] Ersatzmittel[n] (Diskretionstopoi)«,146 die für den Geschlechtsverkehr verwendet wurden und werden. Dazu zählen beispielsweise verkürzte Sätze, also Ellipsen oder auch sogenannte Null-Euphemismen, wie in den Floskeln »Der kann jede Nacht« oder »Sie will immer«,147 die sich in dieser saloppen Form jedoch im hier untersuchten Briefkorpus nicht wiederfinden. In »Andeutungsvokabeln« und metaphorischen Ausdrücken äußert sich, wie der Literaturwissenschaftler Wolfgang Müller in seiner Von »schönen Stunden«

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Untersuchung zur Entwicklung der deutschen Sexualsprache im Laufe der Jahrhunderte gezeigt hat, ein geschlechterhierarchisches Wertesystem. Als Beispiele dafür nennt er »sich nicht wegwerfen« oder »sie zur Frau machen«.148 In den von Müller untersuchten literarischen Werken sind die sexuellen Wünsche von Frauen allerdings hauptsächlich aus der Sicht von Männern erzählt.149 Die hier ausgewerteten Briefbestände hingegen erlauben Einblicke in von Frauen selbst niedergeschriebene Ausdrücke für Sexuelles, weswegen besondere Aufmerksamkeit darauf gelegt wird, von Frauen und Männern verfasste Briefe gleichermaßen zu betrachten. Im Gegensatz zu den Literaturwissenschaften nehmen ForscherInnen, die sich konkret der Sprache in Briefen zuwenden, auch Distanzierungsprozesse von Themen, über die man nicht offen schreiben will, in den Blick. Nach Isa Schikorsky, die private Schriftlichkeit im 19.  Jahrhundert untersucht hat, wird Distanzierung unter anderem durch den Verweis auf Nicht-Darstellbarkeit ausgedrückt, etwa mit dem Wort »unbeschreiblich«,150 oder über »Formen [von] Verallgemeinerung« und durch »Aussparung des handelnden Subjekts«.151 Eva Lia Wyss konzentriert sich in einer Längsschnittanalyse vom Ende des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts hingegen auf jene Aspekte, die dann tatsächlich verschriftlicht werden, im Falle der Sprache des Sexuellen konkret die Erinnerung an eine gemeinsam verbrachte Nacht.152 Wenige Worte würden dafür nicht ausreichen: »Schriftliche Fantasieräume«153 müssten erst ge­ schaffen werden; »das Zusammengehen der Fantasie des Schreibers mit der im Moment des Lesens sich aufbauenden Fantasie der Leserin benötigt Zeit und dies bedeutet für den Brief, dass eine bestimmte minimale Menge an Text notwendig ist.«154 Den hier in den Blick genommenen BriefschreiberInnen gelang es durchwegs, ausgehend von Alltagserzählungen recht rasch diese Fantasien zu erreichen, wie beispielsweise mit den Sätzen: »[…] und zusammen bezogen wir das Zimmer, in dem Ihr gewohnt habt. Und da schlaf ich natürlich, in Deinem Bett. Und weißt du, was mir träumte? Ich hoffe, Du wirsts erraten.«155 Das handelnde Subjekt wurde in diesem Fall allerdings nicht völlig ausgespart, vielmehr diente das »Bett« als verallgemeinertes Signalwort für den Inhalt des Traums. Wie das Sexualvokabular lassen sich solche sexuellen Fantasieräume in Anschluss an Müller und Wyss als spezifisch vergeschlechtlicht dekonstruieren: Meistens sei es »ein Mann, der handelt, der seinen Körper aber nicht thematisiert«.156 Damit wurde »die körperliche Autorität des Mannes«157 geschützt, jedoch nicht jene der Partnerin. So reagierte eine Briefschreiberin 1918 auf die Wünsche ihres Ehemanns und verteidigte ihre Körperlichkeit: »Du, Burschi, so glücklich machts mich, daß Du wild mit mir sein möchtest, jetzt tät ich mich nicht spießen, wenn Du auch allerhand Dummes verlangen tätst; ich war damals halt doch noch zu nervös u. matt von der Geburt.«158 Nicht nur sexuelles Fantasieren im Allgemeinen, auch das Küssen ist als etabliertes Intimitätsritual in Alltagssprache und Literatur bereits erforscht und

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als »exposure of intimacy to publicity« beschrieben worden.159 In den Paar­ korrespondenzen zeigt sich dementsprechend, dass der sprachliche Umgang mit Küssen für die SchreiberInnen offensichtlich einfach und gewohnt war, in allen untersuchten Beständen tauchen »Küsse« und »Bussis« in Briefen von Männern wie von Frauen gleichermaßen regelmäßig auf. Die Variationen jedoch sind zahlreich: Während einige Paare Kussformeln wie »Sei herzlich gegrüßt und geküßt«160 von der männlichen und »Herzlichste Grüße und Küsse«161 von der weiblichen Seite über Monate beibehielten, auch wenn sie sich während dieser Zeit näher gekommen waren, ist bei anderen an den Worten für die Küsse ein immer höherer Grad an Intimität ablesbar. Von »Handkuß u. Empfehlungen zu Hause« bis zu »viele innigste Busserln« und »viele viele heiße Bussi«162 ließe sich die Geschichte einer Annäherung allein mit den Grußworten erzählen. Die Küsse in der eben zitierten Korrespondenz zwischen Leopold und Christine Wolf fallen bei der Atlas.ti-Abfrage als besonders verdichtet ins Auge. Die Innigkeit von Küssen über die Angabe einer sehr hohen Zahl bestärken zu wollen, ist dabei ein Phänomen, das über unseren gesamten Untersuchungszeitraum hinweg und in 18 der 32 hier analysierten Bestände präsent ist: »1000 Küsse du mein Herz«163 und »Küsse Dich ohne Zahl«164 hieß es bereits 1874 beziehungsweise 1879. 1944, in einer Zeit der kriegsbedingten Trennung, waren es noch mehr: »Viele 100 000 Küsse, bis Du ohne Atem bist, schicke ich Dir im Geiste in diesem Päckchen mit.«165 Diese Worte hatte Rudolf Kretschmar an seine Frau Charlotte geschrieben, und auch in diesem Briefwechsel spielen die in einer großen sprachlichen Vielfalt, aber überwiegend mit Bezug auf die Zahl Tausend ausgedrückten Küsse auf beiden Seiten eine hervor­ stechende Rolle.166 Ähnlich bedeutsam, aber in den Formulierungen weniger abwechslungsreich, sind die in jedem Brief vorkommenden »Bussis« von Josef Wiesauer, Konditorgehilfe im Zivilberuf, der ebenfalls Soldat im Zweiten Weltkrieg war, jedoch weniger sprachgewandt agierte als das bürgerliche Ehepaar Kretschmar. Gemeinsam haben die beiden Korrespondenzen, dass Küssen und intime Nähe einen wichtigen und offensichtlich dringlichen Part in den brieflich artikulierten Themen einnehmen, was sie von den uns vorliegenden Beständen aus dem Ersten Weltkrieg unterscheidet. Und auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen die »Küsse« wieder seltener. In den 1970er Jahren wurden dann wie vieles andere auch die Zahlen-Codes für Küsse individualisiert: »Ich schick Dir noch einen Kuß für jedes fünfte kleine ›i‹ in diesem Brief. Hoffentlich leidest Du dann nicht an Übersättigung.«167

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4.2 Auch Träume haben sprachliche Grenzen In Formen, die über die Versprachlichung von Küssen hinausgehen, beginnen sexuelle Fantasien in die hier untersuchten Briefe ungefähr um 1900 einzufließen: »Gute Nacht liebs Burschi; wenn ich jetzt zu Dir kriechen u. den Kopf auf Dein Brusti legen könnt!«,168 schrieb etwa Lilli Weber-Wehle 1918 an ihren Ehemann. In jenen Fällen, wo beim Schreiben eine mehr oder weniger eindeutig auf Geschlechtsverkehr bezogene sprachliche ›Leerstelle‹ erscheint, kann diese auf verschiedene Weise gefüllt werden. Vergleichsweise konkret wurde Josef Wiesauer 1942, als er einen sexuellen Traum ausformulierte: Mein süßes, heiß geliebtes [Franzi]! Ach mein Frauili denke Dir mir hat es heute morgens von Dir mein Herzi recht, recht schön geträumt. Ich war bei Dir und alles, alles durfte ich tun was ich nur wollte und Du warst so lieb zu mir und alles busselte ich ab und spielte so mit meinen Tuti und sah Dir recht tief ins Auge und Lausi war so beschäftigt mit seinem [Franzi], also wie beinahe Wirklichkeit. Aber der Enderfolg war das ich im Bette bald davongeschwommen wäre. Aber es war ja so schön und wahrheitsgetreu, also mit einem Wort ein Gedicht.169

Dieses Zitat lässt sich im Sinne der Erkenntnisse einer weiteren Studie über »Sex-Stellen«170 in der deutschsprachigen Literatur deuten, denn laut dieser »dominiert die metaphorische Rede oder die Periphrase […], wenn das männliche Geschlechtsteil benannt wird, dann nur als Ding und nie als Werkzeug; fast alle Bewegung ist aus der Aktion getilgt«.171 Einer solchen Entkoppelungstendenz des Geschlechtsorgans von sich selbst entsprach der Schreiber damit, dass er – nicht nur in diesem, sondern in zahlreichen weiteren Briefen – seinem Penis den Namen »Lausi« gab und hier ein neutrales Tätigkeitsverb, nämlich »beschäftigt«, verwendete. Seine Korrespondenz dokumentiert das Getrenntsein im Verlauf des Zweiten Weltkriegs; zweieinhalb Jahre nach dem oben zitierten Brief war der Ton rüder geworden – vermutlich geprägt durch den Kriegsalltag des Schreibers. Denn nun, im Oktober 1944, erscheint im Satz eine tatsächliche Leerstelle mit drei Punkten und einem unvollständigen Sprichwort: »Es ist Montags Abends und nach getaner Arbeit ist gut ruhen, heißt das Sprichwort, aber ich [bin] ja so angefressen, nach dem Essen sollst Du rauchen, oder … Na ich muß rauchen, habe ja Dich nicht bei mir obwohl ich das andere tausendmal lieber täte.«172 Wie Wiesauers Ehefrau Franziska auf diese Worte reagierte, lässt sich leider nicht nachvollziehen, denn ihre Briefe sind nicht erhalten. Das für diesen Beitrag als Titel gewählte Zitat benennt eine andere Möglichkeit des sprachlichen Ersatzes, die »schönen Stunden«,173 die gleichzeitig für die gemeinsam verbrachte Zeit und angenehme Gefühle stehen. Ähnliche Formen lassen sich auch im Zürcher Liebesbriefarchiv von Eva Lia Wyss finden, denn »etwas Schönes« ist dort ebenfalls als Umschreibung belegt.174 Die im

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hier vorliegenden Korpus häufigste Art der Umschreibung, die früh auch von Frauen verwendet wurde, umfasst das Begriffsfeld von Nahe-Sein oder Berührenwollen, wie etwa in einem Beispiel aus dem Jahr 1922: »Heute in den Morgenstunden warst du bei mir. Ich fühlte deine warmen Finger weich und zärtlich auf meiner rechten Brust. Und ich durfte dich berühren, ich fühlte deine Stärke. O Herzl, warum dauerte der Traum nicht länger!«175 Das »bei ihr sein«, welches die Verfasserin des Briefs, Mathilde Hanzel, hier hervorhob, wurde noch Jahrzehnte später als Ausdruck bemüht. In einem Briefwechsel aus der Zeit nach ›1968‹, in dem das Wort »Geschlechtsakt«176 auch direkt vorkommt, formulierte der Schreiber seine sexuellen Wünsche mit Bezug auf eine Fernsehserie, in der die Hauptfigur sich innerhalb eines Augenblicks zum Partner hinbewegen kann: »Du kannst Dir gar nicht vorstellen wie oft ich mir gewünscht habe, bei Dir zu sein. Und im Traum, da gehts’ ganz wüst zu. Das einfachste in dieser Angelegenheit wäre, sich eine ›Jeanny‹ anzuschaffen.«177 Im späten 20. Jahrhundert waren Ausdrücke der Nähe bereits etwas sehr Konventionalisiertes, wie der Metaphernforscher Zoltan Kövecses ausführt. Dies würden Liedtexte wie »I wanna hold your hand« oder »I wish you were here« belegen, die nicht metaphorisch seien, sondern sich einfach auf die Beobachtung, dass Liebende gerne zusammen sind, bezögen. Aus solchen Sätzen könne auf Liebende geschlossen werden, ohne dass dies gesagt werden müsse. Dies ist eine Metonymie, wobei der Bezug auf physische Nähe für Liebe steht.178 Mit Begriffen für Nähe konstruierte Umschreibungen für Geschlechtsverkehr ziehen sich in den vorliegenden Briefen durch das ganze 20. Jahrhundert. Dass es beim Thema Geschlechtsverkehr eine durch ein sprachliches Tabu geschützte Leerstelle gab, konnte bereits um die Jahrhundertwende auch explizit gemacht werden, etwa als Ottokar Hanzel brieflich sein Szenario im Wald aufbaute – offenbar dem Ort der ersten sexuellen Erfahrung des Paares: »Dichter Wald um uns. Kannst du es fassen, Geliebte? Ich werde dich küssen, ich werde … (Ich darf ’s nicht sagen.)«179 Ein paar Jahre später sind Erinnerungen ans Küssen sprachlich bereits als Ausdruck von Leidenschaft erkennbar, allerdings beschränkt auf die Korrespondenz intellektueller Paare. So schrieb die Naturwissenschaftlerin Emilie Fuhrmann 1920 im Brief an ihren Verlobten, den Ingenieur Georg Scheicher: Zuhause veranstaltete ich eine eigenartige Georg-Gedenkfeier: Ich legte mich auf den Diwan, las Deine Briefe und fraß dazu Schokolade und dachte an meinen lieben, lieben Georgi und an die vielen Bussis, die Du mir gestern gabst, wobei ich die »stürmischen« nicht vergaß. Gelt, das war schön? Ich glaube, wenn wir verheiratet sind, werden wir viele »stürmische« konsumieren. Bist Du diesbezüglich gleicher Meinung mit mir? Wenn ja, so hast diesmal Du recht!180

Für die meisten SchreiberInnen existierte offenbar eine sprachliche Grenze zwischen den mit direkten Ausdrücken benannten Küssen und UmarmunVon »schönen Stunden«

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gen und dem Geschlechtsverkehr, der – wie im Fall von Ottokar Hanzel – mit Andeutungen umschrieben wurde. Dies gilt bis in die Jahre vor dem Aufbruch um ›1968‹, wie in einem Brief von Hertha Feldbauer an ihren Verlobten Friedrich Kastner aus den späten 1950er Jahren deutlich wird, bei dem allerdings auch das jugendliche Alter der Schreiberin zu berücksichtigen ist: »Hoffentlich fühlst Du nun, wie ich Dich nun langsam in meine Arme nehme und Dich zum Abschied zärtlich auf das Ohrläppchen und auf den Hals küsse, Liebes ich muß schließen.«181 Zwanzig Jahre später hingegen war ein ebenfalls noch junger Schreiber vom Wortschatz her deutlich, im Satzbau assoziativ und mit den Metaphern unter anderem wieder beim Appetit, als er seine sexuellen Gedanken für seine Partnerin festhielt: Die Sonne kommt durchs Fenster – ich träume – Tränen – Gefühle wechseln blitzschnell – alle aufeinmal – durcheinander – Irene – deine Muschel, möchte aus ihr trinken – Wärme, meinen Schwanz hineinstecken, Zerbrechen, Ruhe, an deiner Brust saugen, albern, Pläne schmieden, Kopf anrennen  – lachen. Beißen, Kratzen, Kneten Kaum berühren Nur ansehen – und wissen: Liebe Du Ich Wir182

Auch dieser junge Mann formulierte bei aller ›Wildheit‹ ein wenig vorsichtig und tastend, worauf die Wortketten mit Gedankenstrichen hindeuten. Außerhalb einer solchen im Bereich des Sexuellen über lange Jahrzehnte doch recht behutsamen Sprache in den 32 untersuchten Korrespondenzen steht jene pornografische Ausdrucksweise, mit der ein einziger Schreiber unseres Gesamtbestandes, ein Wiener Schauspieler, 1931 seine Affäre mit einer um einiges jüngeren, von ihrem Mann getrennt lebenden Schriftstellerin seitenlang dokumentierte: »Ach Du Buhldirne wie schön ist das wie Du mich Deinen Hurer, Schwanzspritzer, Tuttelgreifer, Fudwetzer u. Arschlecker nennst  – […].«183 Seine Wortwahl begründet sich wohl unter anderem dadurch, dass in dieser Briefbeziehung wie in sonst keiner der analysierten die sexuelle Komponente dominierte. Wie die Adressatin diese Schreiben beurteilte, muss offen bleiben; sie bewahrte die Briefe zumindest auf, sonst hätten sie nicht den Weg ins Archiv finden können. Aus den zitierten Quellenausschnitten und der software-gestützten und linguistisch detaillierten Analyse des übrigen vorliegenden Materials lassen sich mehrere Schlüsse in Hinblick auf biografische Kontexte ziehen. Erstens haben sexuelle Fantasien keine ›Altersgrenze‹. Korrespondenzen zwischen jungen Paaren in der Anfangsphase ihrer Beziehung zeichnen sich nicht durch ent-

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sprechend mehr Briefstellen als bei länger zusammenbleibenden Paaren aus. Die Präsenz dieses Themas scheint vielmehr von individuellen Umständen und Vorlieben sowie von der Dauer der Trennung voneinander abzuhängen. Zweitens konnte nachgewiesen werden, dass die aus der Forschung bekannte Geschlechterhierarchie im Bereich der Sprache des Sexuellen bei den BriefschreiberInnen zwar zum Tragen kam, aber auch – in sich über die Jahrzehnte wandelnden Ausdrucksformen  – kreativ unterlaufen werden konnte. Zudem waren – so zeigt der Blick auf die jeweilige Abfolge der Sätze – aufgrund der Abwesenheit des Partners oder der Partnerin die eigenen Wünsche, und nicht unbedingt die geschlechtsspezifischen Normen das Entscheidende, das den Text gestaltete.184 Ebenso naheliegend war es, Fantasien an den alltäglichen Umständen zu orientieren, wie das folgende Briefzitat aus den 1890er Jahren nochmals demonstriert. Konstanze von Stein adressierte es an ihren Verlobten, einen höheren Ministerialbeamten: Du das wär’ aber wirklich lustig, wenn ich in Deiner Schreibtischlade hausen könnte, manchesmal möchtest Du mir dahinein schnell einen Kuß geben, od. ich möchte ein bisl meinen Finger herausstecken um dein liebes Pratzerl zu erwischen, und wenn Du mich zu lange nicht anschauen würdest und Dich zu sehr mit den Haupt- und Staatsaktionen beschäftigen würdest, da könntest Du auf einmal ganz leise ein Klopfen hören dann immer lauter lauter und zum Schlusse ein schreckliches Gepumper und alle Schriften gingen drunter und drüber! Mein lieber, lieber [Konrad] im Geiste pack’ ich Dein Gesicht fest mit meinen Händen und gib Dir unendlich viele Bussele.185

Drittens sind schließlich jene Wechselwirkungen nicht zu unterschätzen, die die Implikationen des Formats, des Genres Brief, mit der sprachlichen Gestaltung sexueller Fantasien hatten. An verschiedenen Schreiben ist zu beobachten, wie die sprachliche Form den sexuellen Wünschen folgte: Die Sehnsucht danach, viele »Bussis« über den ganzen Körper der Partnerin verteilen zu können, äußerte sich etwa in vielen »Bussis« untereinander auf dem Papier. Gute Nacht mein Herzi, gerne würde ich das Betti ein bischen erwärmen und recht an Dich drücken, so lieb, so lieb. Innigste […], recht weiche, warme Bussi auf Alles, Alles mein liebes tapferes Frauli. Dein so lieb an Dich denkender, sehr sehnsüchtiger tapferer treuer [Pepi] Lausilein. Bussi Bussi Bussi Bussi Bussi Bussi Bussi186 Von »schönen Stunden«

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Umgekehrt wurde in den Paarkorrespondenzen immer wieder Bezug auf den Erhalt und das Schreiben von Briefen genommen. Es gibt darin also viel Metasprache, auch innerhalb des Schreibens über Sexuelles und der Herstellung von Nähe. So wurde bereits 1896 die Beschwerde geäußert, dass das Verschriftlichte eben nur Fantasien wären: »Langweilig sind sie die papierenen Pusseln, hast recht, weil’s aber nicht anders sein kann, so küßt und umarmt Dich, […] so fest und innig als nur möglich Deine [Stanzi]«.187 Ein halbes Jahrhundert später waren die Formulierungen noch sehr ähnlich, denn Erich Riehl grüßte 1950 »mit papierenen Ersatzküssen«.188 Dass der Bezug auf die Form des Briefes und die notwendige Beschränkung auf schriftliche Zärtlichkeiten besonders am Ende eines Schreibens virulent werden, korrespondiert mit einer Beobachtung von Ina Dietzsch, wonach in Anrede, Eingang und Schluss von Briefen »eine Definition der Situation vollzogen und zugleich der beteiligte Personenkreis festgeschrieben«189 werde; es erfolge ein Wechsel der »Wirklichkeitsebenen« in die Welt des Briefes: »Die Eingangsund Schlusssequenzen markierten den Raum dazwischen als einen, in dem die gesamte Aufmerksamkeit dem Schreiben und somit der Briefbeziehung galt.«190 Selbst im Feld des Sexuellen, bei aller Neigung zu dessen individueller sprachlicher Gestaltung, spielten also Genre-Definitionen mit, welche die SchreiberInnen der Briefe im Kopf hatten.

5. Die Sprache des Sexuellen hat viele SprecherInnen – ein Fazit Wie der chronologische Überblick über die Themenfelder, die verwendeten Metaphern des Begehrens und die verschriftlichten sexuellen Fantasien gezeigt haben, können auch in der Sprache des Sexuellen die für Paarkorrespondenzen der 1870er bis 1970/80er Jahre allgemein in unserem Projekt festgestellten historischen Wandlungsprozesse im Schreiben über Liebe aufgefunden werden. So lässt sich erkennen, wie die je aktuellen gesellschaftlichen und auch explizit politischen Kontexte selbst das ›privateste‹ Schreiben definieren.191 Bei dem wegen der Ausführlichkeit seiner Fantasien hier häufig zitierten Briefschreiber Josef Wiesauer etwa, der seine Briefe vom Fronteinsatz im Zweiten Weltkrieg nach Hause sandte, brach in späteren Kriegsphasen auch im intimen Text die Grausamkeit des Krieges durch. Außerdem sind, wie einleitend zu den Phasen der Sexualitätsgeschichte erläutert, Aufbruchszeiten erkennbar, in denen die Geschlechterordnung brüchiger und die Sprache des Sexuellen freier wurde. Ein früher Beleg für eine solche Tendenz findet sich im untersuchten Quellenbestand für die 1920er Jahre in den Briefen von Emilie Fuhrmann. Durchschlagend sind die Veränderungen im Schreiben über Sexuelles dann in den späten 1960er und den 1970er

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Jahren, in denen sprachliche Metaebenen wie Ironie und Reflexion eingeführt wurden und bei Frauen und Männern größere Offenheit beim Schreiben über den Geschlechtsverkehr herrschte als zuvor. Gut belegen und weiter ausbauen lassen sich daher die Thesen, die Eva Lia Wyss zur historischen Veränderung der sprachlichen Formen aufgestellt hat: Seit den 1970er Jahren macht sich ihr zufolge »eine Stilistik des Spontanen bemerkbar«.192 Diese Expressivität hat Ernst Leisi bereits im Jahr 1978 damit begründet, dass zwar einerseits eine »Verzweckung« der Sprache, im Sinne von Direktheit und Sachlichkeit, »in den letzten Jahren fortgeschritten«,193 andererseits aber »auch die Lust am sprachlichen Spiel gewachsen«194 sei. Allerdings demonstrierten mehrere Schreiber und – was angesichts des bisherigen, häufig an einem männlich dominierten literarischen Kanon orientierten Forschungsstandes zur Sprache des Sexuellen zu betonen ist – vor allem Schreiberinnen in ihren Briefen an den Partner schon ab der Jahrhundertwende eine ihnen jeweils eigene Formulierungslust. Beim reflektierten Schreiben über Sexuelles im Sinne von Geschlechts­ verkehr ist ›1968‹ also durchaus als Zäsur zu sehen. Was hingegen die in den Briefen ausgedrückten sexuellen Wünsche, das Aufbauen von Nähe und Zärtlichkeit angeht, so ist dieses ein über unseren Untersuchungszeitraum hinweg stets präsentes und, wie gezeigt werden konnte, vielfältig ausgedrücktes Bedürfnis. Die im sprachlichen Repertoire in einer langen Tradition vorhandenen Metaphern und Andeutungsmuster konnten einerseits individuell, andererseits je nach sozialer Schicht und den damit verbundenen Sprachregistern verschieden genutzt und verändert werden. Ein sprachlich offenerer Umgang mit Sexuellem entwickelte sich in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums zu etwas Üblicherem, woraus sich aber nicht einfach darauf schließen lässt, dass Sexuelles auch unbeschwert erlebt wurde. »Indem sich Menschen im 20.  Jahrhundert eine instrumentell-rationale Sprache für das Sexuelle aneigneten, konnten sie über das sexuelle Begehren ›befreit‹ und wie über jeden anderen Lebensbereich sprechen.«195 Dieser Befund von Franz X. Eder kann für das Sprechen über Sexuelles außerhalb einer Paarbeziehung stehen; die Sprache des Sexuellen in den untersuchten Paarkorrespondenzen jedoch präsentiert sich bis in die 1960er Jahre verspielt, bildhaft und andeutungsvoll. Es lässt sich also eher mit Caroline Arnis Antwort auf die »Frage nach dem kulturellen und diskursiven Ort von Ehe, heterosexueller Paarbeziehung und Liebe um 1900«196 festhalten, dass dieser Ort »keineswegs so eindeutig im sexualwissenschaftlichen Diskurs verankert [ist], wie es bisweilen eine Geschichte der Sexualität im Nachgang der foucaultschen Thesen […] zur Verwebung von Paarbindung und Sexuellem seit dem 18. Jahrhundert suggeriert«.197 Der These von der Durchsetzung medizinisch-biologischen Wissens als hegemonialem Diskurs im Bereich des Sexuellen entsprechen die BriefschreiberInnen also nicht. In ihrer Wortwahl zeigt sich eine Konzentration auf allVon »schönen Stunden«

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tagsweltliche Vokabeln, auf paarsprachliche Konstruktionen und auf kulturelle Codes, die auch, wie im Falle der Begehrensmetaphern, auf historisch weit zurückreichenden Konzepten beruhen können. In den Briefen erscheinen sprachliche Leerstellen oder Andeutungen, die der Partner oder die Partnerin (trotzdem) verstand. Zum Abschluss sei dies noch einmal an zwei Briefauszügen verdeutlicht, die – von einer Frau aus dem Großbürgertum 1896 und von einem Yogalehrer 1980 verfasst – beispielhaft sind für diese historisch wandelbare Formenvielfalt und die Bezüge auf den Paarkosmos, auf das gemeinsame Wissen um die Beziehung und auf die Grenzen des Geschriebenen: So glücklich und so seelenvergnügt hab’ ich Deine 1000 P. [Pusseln] in Empfang genommen! Weil ich mir aber von einem Herrn doch nicht so ohneweiters so etwas schenken lassen kann, beeile ich mich diesen Herrn, meinen Herrn, meinen Bösewicht und was er schon noch alles ist, ganz gleich viel solcher guten Dinger wieder zu senden.198 Ich möchte Dich nicht drängen, beiße keine Telefonschnüre durch, trete nicht in Hungerstreik […] Wenn die Nacht ein Dich umarmen ist – jetzt hör ich auf, sonst kommt das Müsli, das ich aß wieder hoch bei dem Anblick meiner Liebesstatt, auf der Du nicht liegst.199

Anmerkungen 1 Olga Josefa Adelsgruber (Pseud.) an Ernest Adelsgruber (Pseud.), 5.11.1937, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 152 I. Zitiert wird aus dieser Korrespondenz – wie auch aus allen anderen Beständen – in der originalen Schreibweise. Bei den verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme, die bei ihrer ersten Nennung in den Endnoten als solche gekennzeichnet werden. Die Pseudonymisierung gilt auch für alle anderen Briefbestände, es sei denn es liegen dazu bereits Veröffentlichungen unter Nennung des richtigen Namens vor. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 2 Vgl. im Überblick Peter-Paul Bänziger u. Julia Stegmann, Politisierungen und Normalisierung: Sexualitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, in: H-SozKult, 5.11.2010, unter http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1120, Zugriff: 10.8.2016. Vgl. auch Franz X. Eder, Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, München 2002, insbes. 227–243. 3 Bänziger/Stegmann, Politisierungen. 4 Zygmunt Bauman, Über den postmodernen Gebrauch der Sexualität, in: Gunter Schmidt u. Bernhard Strauß (Hg.), Sexualität und Spätmoderne. Über den kulturellen Wandel der Sexualität, Stuttgart 1998, 17–35, 18. 5 Peter-Paul Bänziger, Sex als Problem. Körper und Intimbeziehungen in Briefen an die »Liebe Marta«, Frankfurt a. M./New York 2010, 24. 6 Bänziger, Sex, 24. 7 Bänziger, Sex, 24. 8 Deborah Cameron u. Don Kulick, Language and Sexuality, Cambridge 2003, xi.

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9 Eva Flicker, Zur sozialen Konstruktion von Liebe und Sexualität im Spielfilm. Soziologische Studie über Semantik und Semiotik von Liebe, Sexualität und Geschlechterbeziehung beim heterosexuellen Paar in ausgewählten Liebensromanzen US-amerikanischer Filmkassenschlager, unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 1997, 23. 10 Vgl. Flicker, Konstruktion, 27. 11 Vgl. Flicker, Konstruktion, 31. 12 Bauman, Gebrauch, 17 f. Hervorhebung wie im Original. 13 Vgl. Cameron/Kulick, Language, 12. 14 Cameron/Kulick, Language, 12. 15 Lisa Albrecht (Pseud.) an Heinrich Mader (Pseud.), 17.2.1922, Privatbestand. 16 Charlotte Kretschmar (Pseud.) an Rudolf Kretschmar (Pseud.), 16./18.10.1940, SFN, NL 60. 17 Charlotte M. Obersteiner (Pseud.) an Ewald Horner (Pseud.), 26.3.1972, SFN, NL 152 II. 18 Wolfgang Müller, Seid reinlich bei Tage und säuisch bei Nacht (Goethe) oder: Betrachtungen über die schönste Sache der Welt im Spiegel der deutschen Sprache – einst und jetzt, in: Rudolf Hoberg (Hg.), Sprache – Erotik – Sexualität, Berlin 2001, 11–61, 14. 19 Norbert Kluge, Sexualsprache der Deutschen. Eine Erkundungsstudie über den aktuellen sexuellen Sprachgebrauch in West- und Ostdeutschland, Landau 1997, 15. 20 Kluge, Sexualsprache, 15. 21 Vgl. Matti Bunzl, Desiderata for a History of Austrian Sexualities, in: Austrian History Yearbook, 38 (2007), 48–57, 51. 22 Eder, Kultur, 207. Hervorhebung wie im Original. 23 Wie Klaus Latzel schreibt, wurden »[s]exuelle Wünsche und Erwartungen […] in den Briefen aus dem Zweiten Weltkrieg nicht tabuisiert, sondern, wenn auch selten, mehr oder minder deutlich ausgesprochen«. Ders., Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrung 1939–1945, Paderborn/München/Wien u. a. 1998, 332. 24 Die 22 Paare und die Zeiträume, über die ihre Korrespondenzen reichen, sind: Emilie Schröfl, geb. Meister, und Anton Schröfl, 1860–1873; Anna Maria Seitz und Johann Georg Frimberger, 1874; Martha Louise Leeb (Pseud.) an Albert Leopold Fiedler (Pseud.), 1904–1906; Mathilde (Tilly) Hirschfeld (Pseud.) und Henri Mandel (Pseud.), 1910–1911; Lilli Weber-Wehle und Friedrich Weber, 1913–1925; Christl Wolf, geb. Lang, und Leopold Wolf, 1914–1918; Magdalena Zenker (Pseud.) und Alois Simatschek (Pseud.), 1916–1918; Gustav Malik (Pseud.) an Josephine Gebhard (Pseud.), 1916–1917; Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 1917; Johann Feichtinger (Pseud.) an Margarethe (Pseud., Nachname unbekannt), 1921; Emilie Fuhrmann (Pseud.) und Georg Scheicher (Pseud.), 1918–1921; Lisa Albrecht (Pseud.) an Heinrich Mader (Pseud.), 1922–1923; Hermann Illing (Pseud.) an Barbara Illing, geb. von Nittmann (Pseud.), 1925–1931; Maximilian Höllwarth (Pseud.) an Hermine Höllwarth, geb. Hofstätter (Pseud.), 1940–1941; Richard Schuster (Pseud.) an Wally Kuklinski (Pseud.), 1939–1944; Charlotte Kretschmar (Pseud.) und Rudolf Kretschmar (Pseud.), 1939–1944; Agathe Wallner (Pseud.) und Robert Wallner (Pseud.), 1944–1948; Josef Wiesauer (Pseud.) an Franziska Wiesauer (Pseud.), 1944–1945; Anneliese Riehl, geb. Kastenhuber (Pseud.), und Erich Riehl (Pseud.), 1947–1953; Hertha Kastner, geb. Feldbauer (Pseud.), und Friedrich Kastner (Pseud.), 1959–1963; Alexander Felber (Pseud.) an Karola Schmidt (Pseud.), 1969–1987; Charlotte M. Obersteiner (Pseud.) und Ewald Horner (Pseud.), 1971–1976. 25 Zu diesen SchreiberInnen, von denen (auszugsweise) Brieftranskripte über längere Zeiträume vorliegen, zählen: Therese Lindenberg, geb. Trestl, und Ignaz Lindenberg, 1913–1947; Mathilde Hanzel, geb. Hübner, und Ottokar Hanzel, 1907–1922; Olga Josefa Adelsgruber, geb. Obersteiner (Pseud.), und Ernest Adelsgruber (Pseud.), 1928–1977. 26 Emilie Leitner, geb. Kandler (Pseud.), und Conrad Leitner (Pseud.), 1874–1879; Konstanze von Nittmann, geb. von Stein (Pseud.), an Konrad von Nittmann (Pseud.), 1895–1912; Jakob Hyzdal (Pseud.) an Helene Sladek (Pseud.), 1931–1932; Maria Kundera und Hans ­Hatschek

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(Pseud.), 1944–1945; Markus Kern (Pseud.) an Ines Auberger (Pseud.), 1979–1980; Michael Löffler (Pseud.) an Irene Brandmayer (Pseud.), 1980–1982. 27 Valentin Koller (Pseud.) an Louise Wagner (Pseud.), 1931. 28 Vgl. die Edition von Eva Lia Wyss (Hg.), Leidenschaftlich eingeschrieben. Schweizer Liebesbriefe, Zürich 2006. 29 Eva Lia Wyss, Figurationen des männlichen Körpers in Liebesbriefen des 20. Jahrhunderts, in: ROSA. Die Zeitschrift für Geschlechterforschung, 25 (2002), 18–19, 18. 30 Eine Ausnahme ist etwa eine retrospektive Betrachtung eines Ehemanns: »Während bei den meisten mit dem Nachlassen der Sexualität, das Band lockerer wird, hat es sich bei uns noch gefestigt, weil beiderseits der Egoismus fehlt, und einer vom anderen weiß, daß er nur für den anderen Teil lebt.« Ignaz Lindenberg an Therese Lindenberg, 17.3.1947, SFN, NL 3 I. 31 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 3.7.1972, SFN, NL 152 II. 32 Alexander Felber an Karola Schmidt, 29.5.1970, SFN, NL 151. 33 Vgl. die Feldpostkorrespondenz von Franz Kundera an Anna Mitterhofer, SFN, NL 75 I. 34 Vgl. die Korrespondenz der Magd Magdalena Zenker und des Metallgießers Alois Simatschek, SFN, NL 148 I. 35 Vgl. vier Schreiben des Studenten Johann Feichtinger an Margarethe (Nachname unbekannt), Stadtarchiv Salzburg (AStS), PA 867. 36 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 18.1.1911, SFN, NL 120. 37 Vgl. z. B. Anton Schröfl an Emilie Meister, 19.5.1869 oder 27.5.1869, Stadtarchiv Zwettl, Kt. 485; Anna Maria Seitz an Johann Georg Frimberger, 18.1.1874 oder 10.2.1874, SFN, NL 76 I. 38 Johann Georg Frimberger an Anna Maria Seitz, 21.3.1874, SFN, NL 76 I. Das Zitat im Zitat bezieht sich auf ein vom Briefschreiber gelesenes »Familien-Journal«; und das, was die Briefadressatin für »unanständig« halten könnte, ist ein Liebesgedicht im selben Brief, in dem unter anderem die Zeile »Wie träumt es sich so schön von Liebesküssen« vorkommt. 39 Christa Putz, Verordnete Lust. Sexualmedizin, Psychoanalyse und die »Krise der Ehe«, 1870–1930, Bielefeld 2011, 13. 40 Vgl. Dagmar Herzog, Sexuality in Twentieth-Century Austria, in: Günter Bischof, Anton Pelinka u. Dagmar Herzog (Hg.), Sexuality in Austria, New Brunswick/London 2007, 7–20, 9. 41 Vgl. zum Thema Sexualität ausgehend von Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Leipzig/Wien 1905, die zahlreichen Publikationen zur (Geschichte und Kritik der) Psychoanalyse, z. B. Anne Springer, Karsten Münch u. Dietrich Munz (Hg.), Sexualitäten, Gießen 2008, besonders Teil  I: »Sexualität und psychoanalytische Theorie«; Putz, Lust; aus geschlechterkritischer Sicht Edith Seifert, Was will das Weib? Zu Begehren und Lust bei Freud und Lacan, Weinheim/Berlin 1987. 42 Vgl. Putz, Lust, 148 f. 43 Vgl. Rudolf Helmstetter, Der stumme Doctor als guter Hirte. Zur Genealogie der Sexualratgeber, in: Peter-Paul Bänziger, Stefanie Duttweiler, Philipp Sarasin u. a. (Hg.), Fragen Sie Dr. Sex! Ratgeberkommunikation und die mediale Konstruktion des Sexuellen, Frankfurt a. M. 2010, 58–93, 74. 44 Elisabeth Katschnig-Fasch, Ehre und Schande. Zur soziokulturellen Bewertung und Bedeutung vorehelicher Sexualität, in: Weiblichkeit und Erotik in der Volksmusik, hg. vom Steirischen Volksliedwerk, Gnas 1997, 69–78, 75. 45 Vgl. Ernst Hanisch, Der Liebhaber, in: ders., Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005, 127–285, 144–147. 46 Konstanze von Stein an Konrad von Nittmann, 2.1.1896, SFN, NL 31 I. 47 Vgl. David Luft, Thinking about Sexuality and Gender in Vienna, in: Bischof/Pelinka/ Herzog, Sexuality, 21–30, 26. 48 Vgl. Bunzl, Desiderata, 55. 49 Vgl. Bunzl, Desiderata, 55.

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50 Vgl. Bunzl, Desiderata, 53. Zum Stand der Literatur vgl. auch Barbara Asen, Vom »Götterfunken der Liebe« bis zu »des Papstes heil’gem Segen«. Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich, in: Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle (Hg.), Romantische Liebe. Themenheft von L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 53–72, bes. 62–64. 51 Vgl. Asen, »Götterfunken«. 52 Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler, 8.8.1905, SFN, NL 80 I. 53 Zum Thema Liebe in Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs vgl. auch den Beitrag von Christa Hämmerle in diesem Band sowie dies., »Schau, daß Du fort kommst!« Feldpostbriefe eines Ehepaares, in: dies., Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2014, 55–83 (Orig. 1998); dies., Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert u. Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 243–254. 54 Gustav Malik an Josephine Gebhard, 4.6.1917, SFN, NL 74. 55 Vgl. Maria Mesner, Educating Reasonable Lovers: Sex Counseling in Austria in the First Half of the Twentieth Century, in: Bischof/Pelinka/Herzog, Sexuality, 48–64, 53. 56 Mesner, Lovers, 61. 57 Vgl. Franz X. Eder, The National Socialists’ »Healthy Sensuality« Succeeded by the American Influence. Sexuality and Media from National Socialism to the Sexual Revolution, in: Bischof/Pelinka/Herzog, Sexuality, 102–130; Dagmar Herzog, Sexuality in Europe. A Twentieth-Century History, Cambridge/New York/Melbourne u. a. 2011, 67–95; Ingrid Bauer, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, in: Emmerich Talos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer u. a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 409–443, bes. 410–415. 58 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 29.5.1944, SFN, NL 60. 59 Vgl. Ingrid Bauer u. Renate Huber, Sexual Encounters across (Former) Enemy Lines, in: Bischof/Pelinka/Herzog, Sexuality, 65–101; Ingrid Bauer, Odysseus, Penelope und die »Besatzungsbraut«. Anmerkungen zum Verhältnis der Geschlechter im Nachkriegsjahrzehnt, in: Gernot Heiss, Alena Mísková, Jiří Pešek u. a. (Hg.), An der Bruchlinie. Österreich und die Tschechoslowakei nach 1945/Na rozhraní světů. Rakousko a Československo po 1945, Innsbruck/Wien 1998, 205–215. 60 Daniela Tauderer, Sexualität im Wandel. Kultur-, geschlechter- und jugendgeschichtliche Aspekte im 20. Jahrhundert, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Salzburg 2007, 56. Vgl. auch Eder, Kultur, 212–217. 61 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 14.2.1958, SFN, NL 78. Die Maturantin ist in ihren Briefen bestrebt, eine gute, untertänige Ehefrau und Hausfrau zu werden, berichtet aber gleichzeitig stolz und selbstbewusst von der Wirkung ihrer Knutschflecke auf ihre Mitschülerinnen. 62 Vgl. Sybille Steinbacher, Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011, 239–346. 63 Erich Riehl an Anneliese Kastenhuber, 17.10.1949, SFN, NL 108. 64 Bänziger, Sex, 26. 65 Bänziger, Sex, 26. 66 Silke Schimpf, Sprache im Bereich der Sexualität – Versuch einer linguistischen Einordnung, in: Hoberg, Sprache, 62–81, 62. 67 Vgl. den Beitrag von Ingrid Bauer zur Post-1968er-Zeit in diesem Band. 68 Alexander Felber an Karola Schmidt, 17.12.1969, SFN, NL 151. Unterstreichung wie im Original. 69 Ignaz Lindenberg an Therese Trestl, Marseille, 12.5.1914, SFN, NL 3 I.

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70 Hermann Illing an Barbara Nittmann, Neapel, 30.10.1925, SFN, NL 31 IV. 71 Olga Josefa Adelsgruber an Ernest Adelsgruber, 7.2.1963, SFN, NL 152 I. 72 Olga Josefa Adelsgruber an Ernest Adelsgruber, 18.3.1963, SFN, NL 152 I. 73 Wyss, Figurationen, 18. 74 Vgl. Cameron/Kulick, Language, 113. 75 Cameron/Kulick, Language, 107. 76 Vgl. Keith Harvey u. Celia Shalom, Introduction, in: dies. (Hg.), Language and Desire: Encoding Sex, Romance and Intimacy, London/New York 1997, 1–17, 1. 77 Vgl. Cameron/Kulick, Language, 113. 78 Ernst Leisi, Paar und Sprache. Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung, Heidelberg 1978, 58. 79 Cameron/Kulick, Language, 127. 80 Zur Metapherntheorie vgl. das Standardwerk von George Lakoff u. Mark Johnson, Metaphors We Live By, Chicago/London 1980 (dt.: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 1998), seit dem Metaphern nicht mehr als schmückendes rhetorisches Beiwerk, sondern als kognitive Kategorien der Alltagssprache betrachtet werden. 81 Vgl. Alice Deignan, Metaphors of Desire, in: Harvey/Shalom, Language, 21–42, 21 f. 82 Deignan, Metaphors, 30. 83 Vgl. Deignan, Metaphors, 33–35. 84 Vgl. Deignan, Metaphors, 25. 85 Kirsten Esser, Inszenierung und Diskursivierung von Sexualität im deutschen Roman nach 1945, Stuttgart 2010, 51. 86 Vgl. Deignan, Metaphors, 28 f. 87 Vgl. Deignan, Metaphors, 33. 88 Jakob Hyzdal an Helene Sladek, 10.10.1931, Privatbestand. 89 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 7.12.1944, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. 90 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 7.10.1944, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. 91 Hans Hatschek an Maria Kundera, 2.2.1944, SFN, NL 75 II. 92 Maria Kundera an Hans Hatschek, 6.8.1944, SFN, NL 75 II. 93 Vgl. Xenophon, Symposion, 8,15, zit. nach: Jürgen-Thomas Supthut, Zur antiken Philosophie des Begehrens unter besonderer Berücksichtigung der Konzeption der epithymía, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2006, 46. 94 Hohelied 7,9, zit. nach: Herbert Haag, Katharina Elliger, »Wenn er mich doch küßte …« Das Hohe Lied der Liebe. Mit Gemälden von Marc Chagall, Solothurn/Düsseldorf 1993, 62. 95 Leisi, Paar, 19. 96 Leisi, Paar, 19. 97 Grete Meisel-Hess, Die sexuelle Krise. Eine sozialpsychologische Untersuchung, Jena 1909, 367. 98 Vgl. die entsprechenden Beiträge der beiden Autorinnen in diesem Band. 99 Johann Georg Frimberger an Anna Maria Seitz, 25.2.1874, SFN, NL 76 I. 100 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 29.4.1972, SFN, NL 152 II. 101 Markus Kern an Ines Auberger, 2.12.1979, Privatbestand. 102 Alexander Felber an Karola Schmidt, 15.8.1980, SFN, NL 151. 103 Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler, 11.8.1905, SFN, NL 80 I. 104 Erich Riehl an Annliese Kastenhuber, 9.11.1949, SFN, NL 108. 105 Als Beispiele für kreative Kosenamen für Männer auch über die Hunger-Metapher hinaus seien genannt: »Du mein herzlichster Bösewicht!«, Konstanze von Stein an Konrad von Nittmann, 29.1.1896, SFN, NL 31 I; »mein Esili, Du«, Lilli Weber-Wehle an Friedrich Weber, 6.4.1917, SFN, NL 21 II; oder »Schleckamaul«, Christl Wolf an Leopold Wolf, 5.8.1918, SFN, NL 14 I.

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106 Vgl. Eva Lia Wyss, Intimität und Geschlecht. Zur Syntax und Pragmatik der Anrede im Liebesbrief des 20. Jahrhunderts, in: Bulletin suisse de linguistique appliquée, 72 (2000), 181–204, 203 f. 107 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, ohne Datum (vermutlich September 1971), SFN, NL 152 II. 108 Simon May, Love. A History, New Haven/London 2011, 20. Vgl. auch meine Rezension dieses Buches in: L’Homme. Z. F. G., 24, 1 (2013), 141–144. 109 Hohelied 8,6, zit. nach: Haag/Elliger, »Wenn«, 68. 110 Vgl. Hiob 31,9–12; Sprüche 6,25; I Korinther 7,9, zit. nach: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg/Basel/Wien, 2009 (Nachdruck). 111 Vgl. Wilhelm G. Busse, Courtly Love oder Paramours. Die Liebesauffassungen in der mittelenglischen Literatur vor dem medizinischen und moraltheologischen Hintergrund der Zeit, Düsseldorf 1975, 108. 112 Busse, Love, 165. 113 Vgl. Busse, Love, 165. 114 Vgl. Deignan, Metaphors, 40. 115 Gernot Böhme u. Hartmut Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München 1996, 90. 116 Vgl. Rainer Emig, Befreiung zur Ordnung: Körper, Erotik und Sexualität im englischen Frühviktorianismus, in: Gustav Frank u. Detlev Kopp (Red.), »Emancipation des Fleisches«. Erotik und Sexualität im Vormärz, Bielefeld 1999, 89–126, 111. 117 Ruth Perry, Romantic Love and Sexual Fantasy, in: dies., Women, Letters, and the Novel, New York 1980, 137–167, 154. 118 Wolfgang Christian Huber, »Ich hab ja an sich Feuer gern«. Die Faszination von Bränden auf Bildern, in: Birgit Trinker (Red.), Feuer und Erde. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 2007 in Waidhofen a. d. Ybbs und St. Peter i. d. Au, Schollach 2007, 124–133, 124. 119 Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 28.7.1907, SFN, NL 1. 120 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 19.8.1920, SFN, NL 17 I. 121 Vgl. den Beitrag von Barbara Asen zur Zwischenkriegszeit in diesem Band. 122 Mathilde Hanzel (geb. Hübner) an Ottokar Hanzel, 27.9.1922, SFN, NL 1. 123 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, ohne Datum (vermutlich Weihnachten 1943), SFN, NL 60. 124 Markus Kern an Ines Auberger, 16.8.1979, Privatbestand. 125 Cornel Zwierlein, Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Göttingen 2011, 9. 126 Vgl. Zoltán Kövecses, Metaphors of Anger, Pride, and Love. A Lexical Approach to the Structure of Concepts, Amsterdam/Philadelphia 1986, 62. 127 Andreas Kraß u. Alexandra Tischel, Liebe zwischen Bündnis und Begehren  – Eine Einführung, in: dies. (Hg.), Bündnis und Begehren. Ein Symposium über die Liebe, Berlin 2002, 9–20, 9. 128 Vgl. Kraß/Tischel, Liebe, 9. 129 Martin S. Bergmann, The Anatomy of Love. The Story of Man’s Quest to know what Love is, New York 1987, 72 (dt.: Eine Geschichte der Liebe. Vom Umgang des Menschen mit einem rätselhaften Gefühl, Frankfurt a. M. 1999). 130 Vgl. Kövecses, Metaphors, 72. 131 Ignaz Lindenberg an Therese Trestl, 2.9.1914, SFN, NL 3 I. 132 Vgl. Bergmann, Geschichte, 72 f. 133 Olga Josefa Adelsgruber an Ernest Adelsgruber, 18.9.1937, SFN, NL 152 I. 134 Vgl. Edith Saurer, »Aber wie unendlich weit ist diese Stimme …« Nähe und Erinnerung in Otto Leichters Brieftagebuch geschrieben in der Pariser Emigration 1938/1939, in:

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Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 219–234, 229. 135 Vgl. Jan Plampers Ausführungen zu Zusammenhängen zwischen Elektrizität, physikalischen Laborexperimenten und Emotionsforschung im späten 19. Jahrhundert in: ders., Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, 214–223. In eine ähnliche Richtung geht das Bild der Lokomotive als Symbol für eine überwältigende sexuelle Kraft, das Peter Gay in literarischen Werken derselben Zeit aufgefunden hat. Vgl. ders., The Bourgeois Experience: Victoria to Freud, 2: The Tender Passion, New York/ Oxford 1986, 319–328. 136 Alexander Felber an Karola Schmidt, ohne Datum (vermutlich 1979), SFN, NL 151. 137 Johann Georg Frimberger an Anna Maria Seitz, 21.3.1874, SFN, NL 76 I. 138 Alexander Felber an Karola Schmidt, ohne Datum (Mitte der 1970er Jahre), SFN, NL 151. 139 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 27.7.1943, SFN, NL 60. 140 Robert Wallner an Agathe Wallner, 1.7.1947, Privatbestand. Die beiden lebten noch in der Nachkriegszeit räumlich getrennt in Salzburg bzw. Wien. 141 Vgl. Deignan, Metaphors, 40. 142 Vgl. Deignan, Metaphors, 41. 143 Vgl. Deignan, Metaphors, 26–28. 144 Vgl. Deignan, Metaphors, 32 f. Einzig Alexander Felber bezeichnete seine Freundin mehrmals als »Löwenweib«, vgl. z. B. Alexander Felber an Karola Schmidt, 15.8.1980, SFN, NL 151. 145 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 1.10.1944, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. 146 Müller, Tage, 17. 147 Müller, Tage, 17. 148 Müller, Tage, 17. 149 Vgl. Müller, Tage, 35. 150 Isa Schikorsky, Private Schriftlichkeit im 19.  Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte des alltäglichen Sprachverhaltens »kleiner Leute«, Tübingen 1990, 156. 151 Schikorsky, Schriftlichkeit, 158. 152 Vgl. Eva Lia Wyss, Brautbriefe, Liebeskorrespondenzen und Online-Flirts. Schriftliche Liebeskommunikation vom 19. Jahrhundert bis in die Internet-Ära, in: Martin Luginbühl u. Daniel Perrin (Hg.), Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text, Bern/Berlin/Bruxelles u. a. 2011, 81–123, insbes. 107. 153 Wyss, Figurationen, 18. 154 Wyss, Figurationen, 18. 155 Leopold Wolf an Christl Lang, 19.7.1915, SFN, NL 14 I. 156 Wyss, Figurationen, 18. 157 Wyss, Figurationen, 19. 158 Lilli Weber-Wehle an Friedrich Weber, 20.3.1918, SFN, NL 21 II. 159 Cathy Popkin, Kiss and Tell. Narrative Desire and Discretion, in: Jane T. Costlow, Stephanie Sandler u. Judith Vowles (Hg.), Sexuality and the Body in Russian Culture, Stanford, CA 1993, 139–155, 139. 160 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, z. B. 16.11.1910, 24.1.1911, 3.3.1911, SFN, NL 120. 161 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, z. B. 26.11.1910, 23.12.1910, 11.1.1911, SFN, NL 120. 162 Leopold Wolf an Christl Lang, 2.7.1915, 16.1.1916; Christl Lang an Leopold Wolf, 21./22.10.1916, SFN, NL 14 I. 163 Anna Maria Seitz an Johann Georg Frimberger, 18.1.1874, SFN, NL 76. 164 Conrad Leitner an Emilie Leitner, 20.8.1879, SFN, NL 16 I. 165 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 20.8.1943, SFN, NL 60. 166 Vgl. z. B.: »Ich küsse Dich innigst, Du bist der beste Mann der Welt«, Charlotte Kretschmar

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an Rudolf Kretschmar, 25.6.1944, SFN, NL 60; »100 000 süßeste Pfingstküsse«, dies., ohne Datum (Mai 1944); »Nun liebes gutes süßes Frauchen mein kleines Rumpelstilzchen sei vieltausendmal geküßt von Deinem Dich liebenden [Kretsch]«, Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, ohne Datum (vermutlich Herbst 1940), SFN, NL 60. 167 Charlotte M. Obersteiner an Ewald Horner, 22.10.1971, SFN, NL 152 II. 168 Lilli Weber-Wehle an Friedrich Weber, 20.3.1918, SFN, NL 21 II. 169 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 23.3.1942, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. Vgl. dazu bes. Hämmerle, Beziehungen. 170 Thomas Hecken, Gestalten des Eros. Die schöne Literatur und der sexuelle Akt, Opladen 1997, 13. 171 Hecken, Gestalten, 175. 172 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 30.10.1944, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. 173 Olga Josefa Adelsgruber an Ernest Adelsgruber, 5.11.1937, SFN, NL 152 I. 174 Wyss, Figurationen, 18. 175 Mathilde Hanzel (geb. Hübner) an Ottokar Hanzel, 2.9.1922, SFN, NL 1. 176 Alexander Felber an Karola Schmidt, 17.12.1969, SFN, NL 151. 177 Alexander Felber an Karola Schmidt, 19.11.1969, SFN, NL 151. 178 Vgl. Kövecses, Metaphors, 65. Die Metonymie ist eine Vertauschung, die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes aus einem benachbarten Bereich; so können etwa Urheber und Werk vertauscht werden wie in »Mozart hören«. 179 Ottokar Hanzel an Mathilde Hübner, 25.7.1907, SFN, NL 1. 180 Emilie Fuhrmann an Georg Scheicher, 3.8.1920, SFN, NL 17 I. Aus den vorliegenden Briefen ist zu schließen, dass dieses Paar noch keinen Geschlechtsverkehr hatte; vgl. auch Barbara Asens Beitrag zur Zwischenkriegszeit in diesem Band. 181 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 20.9.1959, SFN, NL 78. 182 Michael Löffler an Irene Brandmayer, 17.7.1980, Privatbestand. Im Gegensatz zu den übrigen Briefzitaten in diesem Beitrag wurden hier zur Verdeutlichung die Zeilenumbrüche aus dem Original übernommen. 183 Valentin Koller an Louise Wagner, 30.9.1931, SFN, NL 21 II. Unterstreichungen wie im Original. 184 Eine linguistische Studie stellt erotische Erzählungen ebenfalls als geschlechterübergreifend gleich strukturiert dar: »Both sexes are equally likely […] to tell a story with a self-oriented objective.« Michael Hoey, The Organisation of Narratives of Desire. A Study of First-Person Erotic Fantasies, in: Harvey/Shalom, Language, 85–105, 93. 185 Konstanze von Stein an Konrad von Nittmann, 11.1.1896, SFN, NL 31 I. 186 Josef Wiesauer an Franziska Wiesauer, 30.4.1944, AStS, PA 016,01 u. PA 016,02. Hier wurden die Zeilenumbrüche aus dem Original übernommen. 187 Konstanze von Stein an Konrad von Nittmann, 9.4.1896, SFN, NL 31 I. 188 Erich Riehl an Anneliese Kastenhuber, 9.3.1950, SFN, NL 108. 189 Ina Dietzsch, Grenzen überschreiben? Deutsch-deutsche Briefwechsel 1948–1989, Köln/ Weimar/Wien 2004, 45. 190 Dietzsch, Grenzen, 45. 191 Vgl. die Beiträge zu den beiden Weltkriegen in diesem Band. 192 Eva Lia Wyss, Metamorphosen des Liebesbriefs im Internet. Eine korpusgestützte textlinguistische und kommunikationswissenschaftliche Bestimmung des Liebesbriefs und seiner Pendants im Internet, in: Joachim R. Höflich (Hg.), Vermittlungskulturen im Wandel. Brief, E-Mail, SMS. Frankfurt a. M./Berlin/Bern u. a. 2003, 199–231, 205. 193 Leisi, Paar, 50. 194 Leisi, Paar, 50. 195 Eder, Kultur, 209. 196 Caroline Arni, Entzweiungen. Die Krise der Ehe um 1900, Köln 2004, 330.

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197 Arni, Entzweiungen, 330 f. 198 Konstanze von Stein an Konrad von Nittmann, 2.1.1896, SFN, NL 31 I. Unterstreichung wie im Original. 199 Andreas Felber an Karola Schmidt, ohne Datum (1980), SFN, NL 151.

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Liebe vernetzt

Zur Verortung von Paaren innerhalb ihres familialen und sozialen Umfelds in Briefquellen: 1840 bis 1980

1. Über den Paarkosmos hinaus: Ein aufschlussreicher Forschungsblick Ich bin mit Dir eins geworden und diese Einheit zwischen zwei Menschen kann nicht einmal noch größer sein. Ich bin bei Dir und weiß, daß Du gleich vollkommen bei mir bist.1 Ich hab heute bei der Aufstellung der Personallisten sehr darauf geachtet, wie sich die Leute in meinem Alter familiär stehen und hab gefunden, daß es höchstens 20 % meines Jahrganges gibt, die nicht verheiratet sind. Weißt Du, wohin ich hinaus will. Ich muß heiraten und zwar bald, sonst werde ich neben dem Blindgänger noch eine komische Figur. Was sagst Du dazu? Was hast Du vor allem in der Sache herausgebracht – oder gar unternommen? Ich bin jedenfalls auf dem besten Wege, meine Papiere zu ordnen. Meine Mutter, meine Geschwister sind bereits davon unterrichtet, daß sie in kürzester Zeit mit einem neuen Familienfest zu rechnen haben. Hast Du mit Deinen Eltern schon darüber gesprochen? Oder muß da ich zuerst offiziell um Deine Hand bitten? Wenn ja – ist dies auch schriftlich möglich?2

Diese beiden Textstellen finden sich in zwei dicht aufeinander folgenden Feldpostbriefen, die der 1916 geborene Friedrich Kettler an seine um sechs Jahre jüngere Verlobte Helga Böhm im Februar 1945 verfasst hat. Kettler diente, nachdem er sein Medizinstudium kriegsbedingt abbrechen musste, im Zweiten Weltkrieg als Sanitäter und nutzte jeden freien Moment dazu, seiner Verlobten lange Briefe zu schreiben. Die oben angeführten Zitate stehen stellvertretend für eine Tendenz, die in seiner gesamten Korrespondenz an sie zu beobachten ist: ein Oszillieren zwischen romantisierenden Formulierungen, welche eine Einheit und Abgeschlossenheit des Paares nach außen betonen, und einem ›Einbrechen‹ der  – wie es der Schreiber ausdrückt  – »realeren Dinge«3 in Gestalt staatlicher und gesellschaftlicher Normierungen sowie sozialer Konventionen und familialer Gegebenheiten. Das Eingehen einer Ehe war demnach auch oder gerade im Krieg keinesfalls nur ausschließlich Sache Liebe vernetzt

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eines sich liebenden Paares, sondern erforderte neben der Einhaltung bürokratischer Vorgaben  – so musste Friedrich Kettler etwa die Heiratspläne bei seinem Kommandeur melden – vor allem auch die Einbindung der Herkunftssowie der Schwiegerfamilien. Wie ging diese Einbindung im konkreten Fall, und darüber hinaus im gesamten Untersuchungszeitraum unseres Projekts, vor sich? Und welche Erkenntnisse lassen sich gewinnen, wenn der Fokus nicht auf die Liebespaare selbst, sondern auf ihre Verortung im sozialen Umfeld gelegt wird? In der Forschung wurden Liebe und PartnerInnenschaft bisher unter mehreren Blickwinkeln betrachtet: Einerseits stand das liebende ›Ich‹ im Zentrum des Interesses – ein ›Ich‹, das sich im Rahmen eines ab dem 18. Jahrhundert zunehmend an Individualisierungsprozesse gebundenen Liebesmodells als Individuum und Subjekt konstituierte.4 Andererseits richtete sich der Blick auf das ›Wir‹ des Paares und die ›Einheit von zwei‹.5 In diesem Beitrag wird eine weitere Perspektive in den Mittelpunkt rücken, nämlich die Verortung von Liebespaaren innerhalb sozialer Beziehungszusammenhänge. Um welche Netzwerke es sich dabei handelte und welche ›anderen‹ Einfluss auf die PartnerInnenwahl, die Eheanbahnung, die Haushaltsgründung und bis zu einem gewissen Grad auch auf die Gestaltung der Beziehung ausübten, soll anhand von 37 zwischen 1840 und 1980 entstandenen Paarkorrespondenzen untersucht werden. Mit ihrer qualitativen Auswertung werden bereits vorliegende Studien zur historischen Familien- und Verwandtschaftsforschung um eine tiefergehende Dimension ergänzt. Diese nimmt die historischen AkteurInnen unmittelbar in den Blick und schließt den Ausdruck ihres subjektiven Empfindens mit objektivierbaren Kenntnissen über die jeweilige Zeit kurz.6 Wie aber wurde im Untersuchungszeitraum die Notwendigkeit der Integration in das soziale Umfeld mit dem Anspruch einer Exklusivität der Paarbeziehung in Einklang gebracht? In welchen Dimensionen zeigt sich in den Briefquellen das Interagieren der Paare mit den ›anderen‹  – von den Eltern über den Freundes- und KollegInnenkreis bis zur Dorfgemeinschaft? Von welcher Qualität waren soziale Zusammenhänge, und in welchen Phasen der Paar­ beziehung nahmen sie besondere Bedeutung ein? Wie gelang es den Liebenden, auf dem oft schmalen Grat zwischen Eigen- und Fremdbestimmung zu balancieren? Solchen Fragestellungen geht der vorliegende Beitrag nach, wobei die Dar­stellung in mehrere größere Abschnitte gegliedert ist. Zunächst erfolgen ein Überblick über das zur Untersuchung herangezogene Quellenmaterial sowie eine kurze Beschreibung der in den Briefbeständen thematisierten Familien- und Bekanntenkreise. Danach werden mehrere Stationen im Beziehungsverlauf herausgegriffen, die – wie die untersuchten Korrespondenzen nahelegen – eine besonders dichte Interaktion mit dem sozialen Umfeld aufweisen: die Einführung des neuen Partners/der neuen Partnerin in die Familie, die Organisation der Hochzeit, die Gründung eines eigenen Hausstandes und die

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Versorgung der Angehörigen – besonders der Eltern – im Alter. Den Abschluss bildet die Zusammenfassung der wichtigsten Forschungsergebnisse in einem Resümee.

2. ›Andere‹ im Medium Brief: Die Quellen im Überblick Zwar werden Liebesbriefe im Allgemeinen als »intime Textkörper«7 und als Medium der Kommunikation zwischen zweien verstanden. Dennoch wurde in den analysierten Paarkorrespondenzen der zum Teil  massive Einfluss des Umfelds auf die Beziehungsanbahnung und -gestaltung intensiv diskutiert und dokumentiert. Neben stets präsenten Familienmitgliedern wie Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten und Geschwister spielten hier etwa auch FreundInnen, ArbeitskollegInnen und DienstgeberInnen sowie ›das Dorf‹ – vom Briefboten bis zum Pfarrer – eine Rolle. Die große Bandbreite der in den Quellen angesprochenen Netzwerke kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Familie und Verwandtschaft gleichsam das Herzstück jener sozialen Verortungsprozesse bildeten, welche die Paare ihr Leben lang begleiteten. Daher werden sie am stärksten in die vorliegende Untersuchung einfließen. Nach der Gründung eines gemeinsamen Hausstandes des Paares kamen außerdem die eigenen Kinder, Bedienstete oder Angestellte hinzu. Um die Häufigkeit abzuschätzen, mit der sich diese Gruppierungen in den analysierten Briefen erwähnt finden, wurde, wie schon in der Einleitung zum vorliegenden Band beschrieben, auf die Ordnungs- und Abfragemöglichkeiten der Software Atlas.ti zurückgegriffen.8 In 22 relativ gleichmäßig über den Untersuchungszeitraum verteilten und hunderte von Einzelbriefen umfassenden Briefbeständen9 wurden Textstellen, die das Umfeld der Schreibenden zum Thema haben, über die Codes »Bekannte«, »Beziehungen im Umfeld«, »Dorf«, »Freunde« und »Familie« erfasst und letztere wiederum differenziert in »(Schwieger-)Eltern«, »Geschwister«, »Kind/ Enkel« und »Verwandtschaft«. Die tragende Rolle, welche diesen Gruppierungen zukam, wird am besten im Vergleich mit der Verteilung anderer Kategorien erkennbar: So bekamen im gleichen Quellenkorpus 882 Quellenzitate den Code »Körper« zugewiesen. 1.450 Briefstellen, die Eifersucht, Angst, Dankbarkeit, Freude, Glück, Sehnsucht und so weiter zum Inhalt haben, wurden mit der Kategorie »Gefühl« codiert. Und während nur 197 Abschnitte um das Thema »Religion und Kirche« kreisen, haben eine immense Menge von 2.773 Textabschnitten das Umfeld der Schreibenden zum Thema. Zusätzlich zu den 22 codierten Paarkorrespondenzen wurden vierzehn weitere, nur transkribierte Briefwechsel zur Analyse herangezogen, um die zeitliche, soziale und geografische Ausgewogenheit der untersuchten Quellenbestände zu erhöhen.10 Von der zeitlichen Verteilung der Quellen her ermöglichte das für den Längsschnitt des vorliegenden Beitrages die folgende Basis: Liebe vernetzt

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1840

1 Bestand

1860–1914

8 Bestände

1914–1918

4 Feldpostbestände

1918–1938

6 Bestände

1938–1948

7 Bestände (davon 5 Feldpostbestände)

1948–1968

4 Bestände

1968+

6 Bestände

Außerdem findet ein Briefwechsel Beachtung, der 1907 beginnt, bis in die 1950er Jahre andauert und damit fünf Jahrzehnte eines Liebes- und Ehelebens abdeckt.11 Bei vier der insgesamt 37 untersuchten Korrespondenzbestände sind ausschließlich die von den Frauen verfassten Briefe erhalten, 14 stammen nur von Männern und bei 19 waren beide Seiten zugänglich. In sozialer Hinsicht beziehungsweise von den ausgeübten Berufen her kommt der Großteil der SchreiberInnen aus bürgerlichen Milieus oder, in zeitlich späteren Phasen des Längsschnitts, aus den (neuen) Mittelschichten, ist also tendenziell besser situierten Bevölkerungsgruppen zuzuordnen.12 Sie arbeiteten etwa als LehrerIn, höhere Verwaltungsbeamte, Architekt, Ingenieur, Sekretärin, Naturwissenschaftlerin, Künstlerin, SchriftstellerIn oder Psychiater. Ferner finden sich da­ runter aber auch AkteurInnen aus weniger schreibaffinen Milieus, beispielsweise ein Dienstmädchen, ein Konditorgehilfe, ein Metallgießer, ein Eisenhändler, ein Herrenschneider oder ein Friseur. Desiderate bestehen allerdings im Bereich der Arbeiterschaft, für die uns kaum Briefquellen zugänglich waren.13 So fokussiert der Beitrag am stärksten auf bürgerliche SchreiberInnen, während andere soziale Milieus – etwa das bäuerliche oder handwerkliche – zumindest ansatzweise einbezogen sowie im Fall der Korrespondenz eines Bauernsohnes besonders intensiv ausgewertet werden konnten. Ähnlich verhält es sich mit den Beziehungskonstellationen, auch hier gibt es einen eindeutigen Schwerpunkt: Es fallen zwar auch Dreierformierungen, Affären oder zwischen Freundschaft und Liebe oszillierende BriefpartnerInnenschaften in das Untersuchungssample, dennoch dominieren verheiratete oder auf eine Ehe zusteuernde Paare. Dies ist für die Fragestellungen des vorliegenden Beitrags insofern von Bedeutung, als der Verwandten- und Bekanntenkreis natürlich je nach Art der Beziehung unterschiedliche Einflussmöglichkeiten und ‑reichweiten hatte und auch das gesellschaftliche Konfliktpotential bei normabweichenden Verbindungen ein wesentlich größeres war. Verstärkt in den Blick genommen wird dabei die in den Briefen am deutlichsten vertretene Phase des Kennenlernens, sowie jene der Institutionalisierung und »Etablierung der Liebe«14 – also etwa die Einführung des Partners/der Partnerin in die Herkunftsfamilie oder die Vorbereitung der Hochzeit.

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3. Erste Schritte: Kennenlernen und Einführung in die Familie Dass sich Paare aufeinander beziehen, sich im jeweils anderen wiederfinden und – wie es in einem Schreiben aus dem Jahr 1959 heißt – nach einem »Paradies der Einsamkeit«15 suchen, ist nicht nur im eingangs zitierten Brief von Friedrich Kettler, sondern im gesamten Quellensample des Untersuchungszeitraums von mehr als hundert Jahren durchgehend beobachtbar. In einem Korrespondenzbestand aus dem Jahr 1913 nahm dies Formen an, die in der Vehemenz ihrer Formulierungen herausstechen und daher an den Beginn der folgenden Ausführungen gestellt werden sollen. In einem vier Wochen vor der Hochzeit verfassten Brief des aus einer Wiener Beamtenfamilie stammenden Angestellten und späteren Offiziers Fritz Weber an seine erst 19-jährige Verlobte Lilli Wehle, der Tochter eines wohlhabenden Fabrikantenehepaares, heißt es: [Die Liebe, B. A.] ist ein Aufgehen nur Aufleben in Dir selbst  – ein volles Hingeben meines ureigensten Ich – Du wirst mir zur Vorbildung + Darstellung der Schöpfung – der Sturm des Lichtes + der Kraft Burschi, Burschi – ich schreie nach Dir, wirst Du mirs sein können? Wirst Du auch so in mir aufgehen können? […] Verstehst Du mich Burscherl? Wirst Du Dich von Allen absorbieren können und nur mit mir leben wollen? Eine neue Welt mit mir schaffen, ein Leben führen wollen nur für uns […] selbst und nur für die Zukunft – Burschi.16

Die Abgrenzung von nicht genauer definierten, sondern generalisierend angesprochenen »Allen« wurde vom acht Jahre älteren und autoritär agierenden Friedrich Weber dezidiert als Teil  einer auf die Ehe vorbereitenden Diszi­ plinierung verlangt. Liebe erscheint hier – wenn auch mit sehr erzieherischem Unterton – im Sinne von Luhmanns passionierter Liebe17 als Konzept, das ein »hohes Maß der [gesellschaftlichen, B. A.] Nichtintegriertheit«18 beziehungsweise eine Konzentration auf den Paarkosmos miteinschließt. Die rhetorische Exklusion der ›anderen‹ war allerdings von kurzer Dauer, denn diese brachen bereits mit dem Anwortbrief Lilli Wehles abrupt in die Paarbeziehung ein: »Ich hab’ der Mutti Deine Briefe gezeigt, das ist auch ein Fortschritt, daß ich nicht verstecken mag, wie’s mit uns steht, sondern daß ich offen & ehrlich zeig’, was Du verlangst & daß ich’s tun will.«19 Dieser Textausschnitt macht deutlich, wie sehr das familiale Umfeld trotz wiederkehrender Beteuerungen uneingeschränkter Zweisamkeit Teil der Paarkommunikation war – und das sowohl in Form von Briefinhalten als auch im Prozess der Produktion und Rezeption der Korrespondenzen. Einerseits rangen die VerfasserInnen von Paarkorrespondenzen beziehungsweise Liebesbriefen im engeren Sinne – vor allem bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Liebe vernetzt

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wenn sie in beengten Verhältnissen lebten – beim Schreiben um Privatsphäre. So beklagte sich etwa das in Salzburg lebende Dienstmädchen Lisa Albrecht20 in einem Brief an ihren Liebsten im Jahr 1922: »Gelegenheit zu Schreiben hab ich sehr wenig, da ich ja kein eigenes Zimmer besitze und bis auf den heutigen Tag nie allein zu Hauße war. Neben meinen Angehörigen will ich nicht schreiben, weil sie ja ihre Neugierde nicht bezähmen können.«21 Und 13 Jahre später formulierte die angehende Kunstlehrerin und Zeichnerin Charlotte Wegner: »Ich weiß kaum, wie ich schreiben soll, die ganze Familie sitzt um den Tisch herum, aber ich muß Dir doch noch heute schreiben, denn morgen geht es weiter.«22 Andererseits war aber – wie besonders die untersuchten Briefwechsel aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigen – das Vorlesen einzelner Korrespondenzstücke im Rahmen der Familie durchaus gängige Praxis. Die schriftliche Kommunikation bot ein breites Funktionsspektrum,23 das besonders den noch nicht verheirateten Paaren Handlungsspielräume eröffnete: Briefe waren für sie häufig der einzige Ort, an dem Intimität stattfinden konnte und sie ersetzten oder ergänzten so das persönliche Gespräch. Im Quellensample ist dies aufgrund rigider gesellschaftlicher Moralvorstellungen, die näheren – vor allem sexuellen – Kontakt vor der Ehe untersagten, besonders in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg der Fall. So wurde bereits im chronologisch ersten Briefwechsel des untersuchten Quellenmaterials die Forderung nach einer gemeinsamen Zeit, von der andere Personen ausgeschlossen sein sollten, formuliert. Friedrich Maurer, Beamter im Kontext der k.k. Armee, schrieb im Herbst des Jahres 1840 an Isabella von Mewald, die Tochter eines Hofbuchhalters: Sie theuerste [Isabella] sind es, welcher ich so gerne mein Herz öffne! Doch leider wird mir dieses, für mich so unendliche Glück entweder so selten, oder gar nicht zu Theil und wenn wirklich immer nur vor so vielen lästigen Zeugen. […] Es ist doch nicht so schwer, und nicht so viel gefordert, wenn ich bitte, mir die Woche nur Einmahl die mich beglückende Gelegenheit zu geben, wo wir sich sehen und sprechen könnten ohne Zeugen, und wenn nur auf einige Augenblicke!!24

Die Praxis, vor allem bürgerliche Töchter stets unter Aufsicht zu halten und ihnen bei Treffen mit dem Heiratskandidaten Verwandte  – etwa die ältere, bereits verheiratete Schwester – oder Gouvernanten zur Seite zu stellen, spiegelt sich in den Briefquellen wider, hat aber im Fall von Friedrich Maurer und Isabella von Mewald ganz konkrete Gründe. Das Beziehungsgeflecht, in dem sich dieses Liebespaar bewegte, war ein äußerst komplexes, denn Friedrich betete zwar die junge Isabella obsessiv an, führte allerdings gleichzeitig eine – laut seinen Angaben – äußerst unglückliche Ehe mit einer anderen Frau. Während Friedrich seine Liebe zu Isabella anfangs vor allen seinen Bekannten und Verwandten verheimlichte, vertraute er sich dann doch seiner Mutter und seiner Schwester an, wobei er letztere Isabella als »Busenfreundin«,25 wel-

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cher sie ihre Geheimnisse erzählen könne, weiterempfahl. Während die Familie also zu Beginn vollständig außen vor blieb und die wenigen Treffen im Geheimen stattfanden, wurde die Schwester später zum Bindeglied und überbrachte auch regelmäßig Briefe. Die ›anderen‹ nahmen hier also verschiedene Rollen ein: Zum Ersten waren da Isabellas Eltern, die das Werben Friedrichs skeptisch beobachteten und von diesem als unerwünschte »Zeugen« wahrgenommen wurden, und zum Zweiten die Ehefrau Friedrichs, die in den Quellen als »Furie« bezeichnet wird, als »böse […], giftige […] Schlange, die alles zu verheeren sucht«.26 Hinzu kamen, zum Dritten, der mit großem Aufwand ahnungslos gehaltene Bruder Friedrichs und zum Vierten dessen Schwester, welche als Eingeweihte und Verbündete fungierte. Dieser besondere Fall deutet auf eine allgemeinere Praxis hin: Korrespondenzen dienten im gesamten Untersuchungszeitraum als Plattform des Austauschs über die Mitglieder jenes sozialen Geflechts, in das die schreibenden Paare eingebunden waren. Sie wurden darüber hinaus aber auch als Medium der Interaktion mit Familie, Verwandten oder  – seltener  – dem Freundeskreis genutzt und bewusst dazu eingesetzt, diese in den Paarwerdungsprozess zu integrieren. So diente der aus einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie stammenden Tilly Hirschfeld das Vorlesen von Liebesbriefen ihres Verlobten Henri Mandel dazu, die Eltern von dessen guten Absichten und der Authentizität seiner Gefühle zu überzeugen.27 Das Ziel dieses dem Umfeld gewährten Blicks ins Intime war hier ein eindeutiges: Die Eltern sollten den Hochzeitsplänen zustimmen und dem jungen Paar ihren Segen geben. Diese Aktion war notwendig geworden, weil Henri Mandel, Arzt und Psychiater, im Jahr 1910 in Berlin um Tilly Hirschfelds Hand angehalten hatte, ohne zuvor deren Eltern um Erlaubnis zu bitten. Deshalb, und weil ihm das Gerücht einer eventuellen Erbkrankheit Mandels zu Ohren gekommen war, hatte der Vater der jungen Frau interveniert, ließ sich aber von dem Liebespaar, das schließlich im März 1911 heiratete, umstimmen. Das gerade skizzierte Beispiel ist aus mehrerlei Hinsicht interessant: Es dokumentiert eine Konfliktsituation, die aufgrund einer individuellen und nicht mehr primär durch die Familie gesteuerten PartnerInnenwahl entstand – wobei letzteres gerade bei ›höheren Töchtern‹ damals durchaus noch möglich war.28 Darüber hinaus zeigt es, wie wichtig die Einhaltung ritueller Abläufe – beispielsweise das Einholen der elterlichen Zustimmung zur Verlobung – war. Und nicht zuletzt weist es darauf hin, welch hohe Bedeutung dem ›Segen‹ der Eltern zugemessen wurde. Da sich alle drei genannten Faktoren gerade für die frühe Beziehungsphase nach dem Kennenlernen als zentral erweisen konnten, sollen sie an dieser Stelle in den Fokus der Analyse rücken. Mit der Entwicklung des romantischen Liebesideals im 18.  Jahrhundert und der allmählichen Durchsetzung einer Individualisierung der Ehe gegenüber den Wünschen der Herkunftsfamilie beziehungsweise des erweiterten Liebe vernetzt

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Familien­verbands29 fand auch die Ablösung der Vernunftheirat durch die Liebesheirat breiteren Anklang.30 Dennoch wurde die »Eheschließung […] nicht einfach für die romantische Liebe freigegeben und von sachlichen Überlegungen entkoppelt«, blieb doch das »Abwägen der materiellen Vor- und Nachteile der Verbindung« durchaus gängige Praxis.31 Brisanz erlangte dieses Thema in den untersuchten Briefquellen besonders dann, wenn die PartnerInnenwahl der schreibenden Paare nicht mit den Vorstellungen der Familie übereinstimmte. Die offene Ablehnung von Eltern und Familie findet sich in den untersuchten Briefbeständen allerdings äußerst selten. Dennoch kam sie vor, wobei besonders Zweifel um die Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit der Absichten des Brautwerbers oder ökonomische Gründe, welche oft auch mit Standes- und Milieuunterschieden einhergingen,32 ins Feld geführt wurden. So musste der Konstruktionszeichner Johann Georg Frimberger beispielsweise noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts all seine Überredungskünste einsetzen, um die ursprünglich aus dem Wirtschaftsbürgertum stammende, aber früh verwaiste und an Mitgift arme Maria Anna Seitz heiraten zu können.33 Sein Vater, der sich eine bessere Partie für seinen Sohn erhofft hatte, fand klare Worte: »Nun lieber Sohn Du schreibst mir, daß Du von Annas Seite nichts Zugesichertes erhalten kannst, so bin ich damit nicht einverstanden. […] Verehlicht ist man bald, aber dann die Folgen? Weist Du denn das alte Sprichwort nicht, jung Geheirat, hat oft manchen schon Gereut.«34 Dieses junge Paar erlebte das intensive Einwirken der Familie auf die PartnerInnenwahl als erdrückend, erwies sich doch die väterliche Eheeinwilligung gerade in seinem Fall als essenziell für die Zukunftsplanung. Denn da der 23-jährige Johann Georg Frimberger das im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 festgelegte Ehemündigkeitsalter von 24 Jahren noch nicht erreicht hatte, bedurfte er der elterlichen Zustimmung zur Hochzeit.35 Der Konsens mit den Eltern und damit die Inklusion von jenen, die außerhalb des Paarkosmos‹ standen, erscheinen hier also als Voraussetzung für gelebte Zweisamkeit. Ähnlich wie bei Henri Mandel und Tilly Hirschfeld gelang die Aussprache jedoch – das Paar heiratete am 1. Juli 1875. Die Argumentation für beziehungsweise gegen einen (Ehe-)Partner oder eine (Ehe-)Partnerin von Seiten der Familie ist im Quellenmaterial am häufigsten durch die Konkurrenz zwischen dem Gedanken an ökonomische und materielle Absicherung einerseits und der Paarliebe als Gefühl andererseits geprägt. Soweit in den Korrespondenzen greifbar, ist gerade bei konfliktreichen Verbindungen zwischen den Liebespaaren und deren (Schwieger-)Eltern beobachtbar, dass die Elterngeneration – und das nicht nur im gerade vorgestellten Beispiel, sondern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – durchaus ökonomische Faktoren und sachliche Überlegungen36 im Blick hatte, wenn es um die Verheiratung ihrer Kinder ging. Hierbei erwiesen sich »Besitz und Bildung«  – nach Gunilla Budde die »beiden grundlegenden Qualifikationskriterien« der

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»gesellschaftlichen Formation« des Bürgertums37 – als besonders bedeutsam. So wünschte sich etwa der Beamte Konrad (von) Nittmann für seine drei Töchter, die sich in den 1920er Jahren im heiratsfähigen Alter befanden, eine abgesicherte Zukunft an der Seite eines finanziell potenten, beruflich erfolgreichen und gesellschaftlich angesehenen Ehemanns. Wie im vorliegenden Band im Beitrag zu Liebesbeziehungen in der Zwischenkriegszeit näher beschrieben,38 sträubten sich seine Töchter jedoch lange dagegen, ermuntert durch den Abschluss einer beruflichen Ausbildung und die Erweiterung traditionell bürgerlicher Lebensmodelle um die Option, als unverheiratete Frau zu leben. Die Handlungsspielräume gerade für bürgerliche Frauen hatten sich – wie auch der Vergleich mit jenen Briefwechseln zeigt, die aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen  – durch die Möglichkeit, zumindest in einigen Berufsfeldern tätig zu sein und damit für sich selbst sorgen zu können, wesentlich erweitert.39 Ein breiteres Spektrum an Frauenbildern sowie finanzielle Unabhängigkeit gegenüber der Herkunftsfamilie verringerten deren Einflussmöglichkeiten darauf, wer zur Frau oder zum Mann gewählt wurde. Durch soziale Abhängigkeiten und gesellschaftliche Normierungen konnte aber weiterhin Druck bei der geplanten Schließung einer Ehe ausgeübt werden, und ebenso darauf, wie diese geführt werden sollte. So gab Barbara Illing, eine der oben angesprochenen Töchter Konrad (von) Nittmanns, nach ihrer Hochzeit mit einem »in einem entfernten dienstlichen Zusammenhange mit [dem] H[errn] Papa«40 stehenden Bundesbeamten in den späten 1920er Jahren ihren Beruf auf und konzentrierte sich fürderhin auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Nicht immer gipfelte der Lenkungsversuch der Familie in einem offenen Konflikt: Um das Kennenlernen möglicher zukünftiger EhepartnerInnen zu steuern, wurden die ersten Begegnungen bis ins 20. Jahrhundert streng ritualisiert und reguliert. Wie der Historiker David Sabean feststellt, waren die Situationen, »in which contacts were made […] carefully ›choreographed‹«. Als Beispiel nennt er »the ball season providing one of the most important stages for negotiation«.41 Solchermaßen gesteuerte Szenarien des Kennenlernens spielten etwa in der zeitgenössischen Literatur, in Regelwerken rund um gutes Benehmen und durchaus auch in der Praxis von Adel und Bürgertum eine Rolle. Wie unser Quellenmaterial zeigt, nahmen sie jedoch keineswegs eine Monopolstellung ein. Zwar erfährt man nur in knapp der Hälfte der analysierten Briefwechsel, die ja erst nach dem ersten persönlichen Kennenlernen einsetzen, Näheres über die Umstände dieser Begegnungen; sie sind allerdings breiter gefächert, als man angesichts der Diskurse rund um eine von außen regulierte Kontaktaufnahme vermuten könnte. Die Paare lernten sich beispielsweise über ihr gemeinsames Engagement in der religiösen Gemeinde,42 im Zug,43 über FreundInnen und KollegInnen,44 im Kaufhaus45 und mit zunehmender Berufstätigkeit von Frauen auch am Arbeitsplatz46 oder – im vorliegenden Quellenmaterial erst ab den 1960er Jahren – im Zusammenhang mit dem Universitätsstudium kennen.47 Liebe vernetzt

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Geschah das erste Kennenlernen damit oft abseits von Familie und Verwandtschaft, kamen diese in den analysierten Paarkorrespondenzen verstärkt dann wieder ins Spiel, wenn es um die Konsolidierung der Beziehung ging. Vor allem bei der Einführung der neuen Partnerin/des neuen Partners in familiale Netzwerke oder bei der Vorbereitung beziehungsweise Bekanntgabe einer Verlobung waren auch festgeschriebene Rituale wieder Thema. Das gilt etwa in Bezug auf die Verlobungsfeier an Weihnachten im Kreis der Familie48 oder die Unterredung mit dem Vater oder den Eltern der Braut, bei der vom künftigen Schwiegersohn in aller Form um die Hand der Tochter angehalten wurde. Solche in den Briefen behandelten rituellen Akte entsprachen den gesellschaftlichen Konventionen, sie dienten dazu, einen familialen Konsens herzustellen und stärkten die intergenerativen Bindungen. Welche Irritationen entstehen konnten, wenn diese stark konventionalisierten Handlungen nicht wie erwartet durchführbar waren, zeigt der letzte Absatz der zu Beginn dieses Beitrages zitierten, von Friedrich Kettler verfassten Briefpassage: »Meine Mutter, meine Geschwister sind bereits davon unterrichtet, daß sie in kürzester Zeit mit einem neuen Familienfest zu rechnen haben. Hast Du mit Deinen Eltern schon darüber gesprochen? Oder muß da ich zuerst offiziell um Deine Hand bitten? Wenn ja – ist dies auch schriftlich möglich?«49 Aufgrund seines Kriegseinsatzes konnte Friedrich Kettler nicht persönlich bei Helga Böhms Eltern vorsprechen. Dieser Umstand löste hier Unsicherheiten bezüglich des weiteren Vorgehens aus und machte die Suche nach Alternativen, wie einem schriftlichen Antrag, notwendig. Eine behutsame und in angemessener Form ablaufende Einführung der/ des Auserwählten in die Familie war auch aus dem folgenden Grund zentral. Denn damit ließ sich  – wie später noch detaillierter gezeigt wird  – an einer aus Familienmitgliedern und Verwandten bestehenden Solidargemeinschaft teilhaben und potenziell eine anerkannte Position in der künftigen Schwiegerfamilie sichern. Wie schnell diese Position äußerst wichtig werden konnte, ist am Beispiel des Lehrers Ottokar Hanzel zu beobachten. Noch zu Beginn der Beziehung mit Mathilde Hübner und immerhin zweieinhalb Jahre vor der Hochzeit, übernahm er 1907 nach dem Tod des Vaters seiner späteren Ehefrau eine einflussreiche Funktion in deren Familie und traf etwa wichtige Entscheidungen die Finanzen oder den beruflichen Werdegang von Mathildes Schwestern betreffend.50 Der Weg dorthin war nicht frei von Konflikten gewesen, wie Hanzel beklagte, der seine Vorschläge als »Rat [eines] klugen Mannes […], der die Verhältnisse kennt u. es ehrlich meint«51 verstand: Es ist das eingetreten, was ich befürchtet habe. Man mißtraut mir u. auch dir. Ersteres ist erklärlich, da mich deine Schwestern zu wenig kennen u. in mir nur den Menschen sehen, der dich baldigst heiraten möchte. Ich will nur haben, was billig ist. Nämlich, daß die Lasten der Versorgung gerecht verteilt werden u. jeder nach seinen Kräften dazu beitrage […].52

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Gelöst wurde diese Konfliktsituation durch Besonnenheit. In dem Maß, wie das Misstrauen der Familie zunahm, nahm sich Ottokar Hanzel zurück und hielt auch Mathilde Hübner, welche durch ihre Beziehung mit Hanzel ebenso in Misskredit geraten war, dazu an, möglichst nicht anzuecken: »Ein dringender Rat. Vermeide deinen Schwestern gegenüber ja die Gebärden der Unfehlbarkeit od. der Autorität u. der Überlegenheit. Das reizt zum Widerspruch u. gefährdet die besten Absichten. Sei vielmehr recht behutsam, sanft u. ruhig. So wirst du allen (u. der Sache) am besten dienen.«53 Damit stellte der junge Lehrer sicher, dass es nicht zu einem Bruch mit der Familie kam  – was wiederum verallgemeinert werden kann: Es ist auffällig, dass beinahe im gesamten Quellenmaterial Strategien dominieren, welche den Konsens bei unterschiedlichen Interessen aufrechterhalten sollten. So standen etwa das Streben nach dem Segen der Eltern und die Integration in die jeweiligen Familien – auch wenn die Kontakte zu diesen schwierig waren – fast über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg im Vordergrund. Man könnte hier also durchaus mit Michael Mitterauer davon sprechen, dass Liebespaaren daran gelegen war, im Umgang mit Familie und Verwandtschaft eine »Kultur der Konformität«54 zu pflegen. Mit den ausgehenden 1960er Jahren verstärkte sich allerdings ein anderer Trend. Nun sind im Quellenmaterial zunehmend Ansätze einer konsequenten und häufig konfliktreichen Ablösung von der Elterngeneration zu beobachten. Wie Ingrid Bauer in diesem Band über die »Neuverhandlungen der Balance zwischen Liebe, Sexualität und Selbstverwirklichung« von den ausgehenden 1960er Jahren bis in die 1980er Jahre feststellt, wird vor allem in jenen Korres­ pondenzen, welche von jungen, 16- bis 19-jährigen SchreiberInnen stammen, die massive Einflussnahme ihrer traditionellen, kontrollierenden Elternhäuser55 beklagt. Solche Konflikte, die unter anderem »aus der Beibehaltung traditioneller Elternkompetenzen«56 – etwa dem »Überleben historischer Vorstellungen von der elterlichen Zuständigkeit für Sexualität und Partnerwahl«57 – entstanden, waren zwar nichts Neues; sie sind aus dem 19.  wie aus dem frühen 20. Jahrhundert überliefert. Neu sind aber die Vehemenz und Häufigkeit, mit der die Werte sowie Lebens- und Beziehungspraxen der Herkunftsfamilien abgelehnt werden. Schon 1959 nahm Hertha Feldbauer eine ambivalente Position ein, wenn sie in ein und demselben Brief ihre Mutter einerseits als Vorbild bezeichnete: »Aber immer wieder denk ich mir: Mein Gott wie wunderbar ist so eine Mutter.« Deren Lebensalltag aber charakterisierte sie gleichzeitig mit einer deutlich anderen Wertung: »Ich bin mir vollkommen bewußt, daß die Ehe kein Paradies ist und schon garnicht das Leben einer Hausfrau. Ich seh doch wie sich meine Mutter abschindet.«58 In jenen Quellen, die im Gefolge der 1968er Jahre entstanden, finden sich aber auch über diese junge Altersgruppe hinaus Beispiele dafür, dass die Lebensverhältnisse und auch die Ehen der Elterngeneration äußerst kritisch Liebe vernetzt

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reflektiert wurden und diese nuancierten Haltungen durchaus messbare Auswirkungen auf den Umgang mit eigenen (möglichen oder sich anbahnenden) Paarbeziehungen hatten. So schrieb etwa die Sekretärin Christine Danek im Jahr 1976: »Ich habe zwei Ehen meiner Mutter und ja auch auf meiner Seite zwei Verbindungen förmlich in Zeitlupe erlebt, viele unvernünftige Dinge selber versucht, es gab in meinem Bekanntenkreis die ›Drüber‹ und die ›Drunter‹.«59 Und ihr Briefpartner, der Sozialarbeiter Raimund Vos, sträubt sich gegen ein Lebensmodell als verheiratetes Paar, weil er schon »inmitten von Eheproblematiken aufgewachsen«60 sei. In den untersuchten Briefbeständen werden vor allem kleinbürgerliche, autoritäre, oft katholisch geprägte Elternhäuser erwähnt, deren Kontrolle die Liebenden als »Triebunterdrückung«61 und deren Struktur sie als »lähmend«62 erlebten. Eine Verschiebung von Mentalitäten und Wertesystemen, gekoppelt an eine zunehmende ökonomische Unabhängigkeit von der Elterngeneration, führten nun dazu, dass die Ablösung von der Herkunftsfamilie radikaler vollzogen wurde. Und obwohl auch in dieser Generation das Streben nach Konsens mit den Eltern und die Einhaltung von familienbezogenen Ritualen nicht völlig an Wert verloren hatten, war es den Paaren zumindest kein so großes Anliegen mehr, sich offiziell in verwandtschaftliche Netzwerke einzuführen.

4. Vom Geben und Nehmen: Hochzeitsvorbereitungen, die Gründung eines gemeinsamen Haushalts und die Versorgung der Angehörigen War der oder die Auserwählte erfolgreich in die Familie und das soziale Umfeld eingeführt, trat das Gros der Paare, welches auf eine Ehe zusteuerte, in jene Phase der Beziehung ein, die in den Quellen wie auch in der Forschungsliteratur – oft in Verbindung mit dem Genre des »Brautbriefes«63 – als »Brautzeit« bezeichnet wird. Diese Begrifflichkeit wird im Allgemeinen mit den Praktiken der Eheanbahnung und Verlobungszeit bürgerlicher Schichten des späten 18. und des 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht.64 Doch noch im Jahr 1955 heißt es in einem Brief aus dem ländlich strukturierten Vorarlberg, den der aus bäuerlichem Milieu stammende Josef Mittendorfer an »seine liebe Braut«65 Veronika schrieb: »So wollen wir beide in unserer kommenden Brautzeit manches noch lernen, was wir später in unserem gemeinschaftlichen Leben u. Familie brauchen können. Du jetzt als Hausfrau u. ich im Beruf.«66 Neben den Erwartungen an eine klare Rollenaufteilung nach der Hochzeit – noch war Veronika genauso wie Josef berufstätig – wird hier die Auffassung von der »Brautzeit« als Zeit des Lernens, des Sich-Annäherns, der Konsolidierung der Beziehung sowie des Verhandelns und der Erprobung einer gemeinsamen Zukunft deutlich. Betont der Schreiber in der zitierten Textstelle noch die

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Intensivierung der Zweierbeziehung in den Monaten vor der Eheschließung, liegt der eigentliche Fokus der übrigen Korrespondenz des Paares – welche im Folgenden als Ausgangs- und Vergleichspunkt der Analyse dient – auf einem anderen Aspekt: nämlich auf dem Austausch mit der Familie und der Integration in dieselbe sowie in das soziale Umfeld. Josef und Veronika Mittendorfer hatten sich in der Schweiz kennengelernt, wo beide als Saisonkräfte tätig gewesen waren, obwohl Veronika ursprünglich aus dem Elsass und Josef, wie schon erwähnt, aus dem westösterreichischen Vorarlberg stammte. Im Jahr 1955 bestellten sie das Aufgebot am Wohnsitz Josefs, wobei klar war, dass Veronika zu ihm ziehen würde, sobald er in der Nähe des künftig gemeinsamen Heimes eine feste Arbeitsstelle gefunden hatte. Ihr über 14 Monate laufender Briefwechsel gibt nicht nur raren Einblick in die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie die Lebenswelten von AkteurInnen aus bäuerlich-ländlichem Umfeld. Aufgrund des hohen Stellenwerts, den soziale Netzwerke in diesen Quellen einnehmen, erlauben sie auch eine differenzierte Analyse jener Mechanismen und Funktionen, die mit der Einbindung des jungen Paares in die Gemeinschaft der Familie und des Dorfes einhergingen. Dabei ist kaum ersichtlich, was Hermann Dettmer in seiner bereits 1976 erschienenen, aber wegweisenden Studie zum Hochzeitsbrauchtum im deutschen Sprachraum festgestellt hatte, nämlich dass sich im Gefolge der Industrialisierung »im ländlichen Bereich eine veränderte Einstellung gegenüber der Öffentlichkeit [zeigte]«. Ihm zufolge hingen die »allgemeine Anerkennung der Ehe sowie die soziale Integration der Brautleute […] nicht mehr entscheidend von öffentlicher Trauung und Beteiligung der Dorfgemeinschaft am Hochzeitsfest ab«.67 Hingegen dokumentieren die Briefe Josef Mittendorfers – nur seine Seite der Korrespondenz ist erhalten  –, wie engmaschig die dörfliche Gesellschaft Anfang bis Mitte der 1950er Jahre immer noch strukturiert war und wie sehr die Menschen dort an seinen Hochzeitsplänen Anteil nahmen. Eine zentrale Position hatten dabei natürlich Eltern und Geschwister inne, die zwar anfangs etwas »erstaunt über die rasche Entschließung in dießem Falle« waren, nachdem er »denen von zu Hause [sein] Verhältniß mit [Veronika] bekannt[gegeben hatte]«.68 Sie standen dem Paar aber bei den Hochzeitsvorbereitungen und der Gründung eines gemeinsamen Haushalts mit Rat und Tat zur Seite. Neben weiter entfernten Verwandten, welche sich regelmäßig im Hause Mittendorfer einfanden, spielten zudem Nachbarn und Bekannte eine Rolle, außerdem dörfliche Funktionsinhaber  – von Gemeindebediensteten, bei denen die notwendigen Papiere vorzulegen waren, über den Briefträger bis zum Pfarrer. Die Kirche war unter anderem deshalb bedeutsam, weil hier auf umfassende Traditionen zur Einbeziehung des sozialen Umfelds in die Hochzeitsvorbereitungen zurückgegriffen wurde, welche sich ursprünglich in Reaktion auf das Problem klandestiner  – also ohne Zustimmung der Eltern Liebe vernetzt

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geschlossener  – Ehen69 herausgebildet hatten.70 Das Beispiel zeigt, dass sich diese Praktiken vor allem in den ländlichen Gebieten Österreichs bis weit hi­ nein ins 20. Jahrhundert hielten, sie umfassten etwa das dreimalige Verlesen des Aufgebots in der Kirche oder die Hinzuziehung von Zeugen bei der Trauung.71 Darüber hinaus blieben die Kirche im Allgemeinen und der Besuch der Heiligen Messe im Besonderen in ländlichen Gemeinden ein Ort der Selbstrepräsentation und -inszenierung, der Begegnung und Kommunikation, aber auch der kollektiven Observanz und Kontrolle.72 Entsprechend hieß es in einem Brief Josef Mittendorfers über die neue Freundin eines nahen Verwandten:73 »Das Mädchen gefällt allen gut. [Hansi] ist ganz glücklich. Kannst Dier natürlich wieder das Wispern in und vor der Kirche vorstellen. Manchmal eine abfällige Bemerkung hinten herum.«74 Doch welche Funktionen erfüllte das soziale Umfeld – und hier vor allem Familie und Verwandtschaft  – im Leben der untersuchten Paare und ihrer Briefwechsel speziell in der Zeit rund um die Hochzeit? Wie und zu welchem Zweck wurden nun familiale Netzwerke aktiviert und in welcher Form manifestierte sich deren Unterstützung? Ging mit dem Auszug aus dem Elternhaus und der Gründung eines eigenen Haushalts auch eine Veränderung im Familiengefüge einher? Und (wie)  reagierten die SchreiberInnen der analysierten Briefe auf erhaltene Hilfeleistungen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, sollen im Folgenden zwei im Quellensample besonders häufig genannte und ausgiebig formulierte Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, welche über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg gleichsam einen Brennpunkt familialer Unterstützung markieren: einerseits die Organisation der Hochzeit, andererseits die Gründung eines neuen Hausstandes. 4.1 Die Organisation der Hochzeit Die Hochzeit, welche mit der Romantisierung des Liebes- und Eheideals zunehmend zum »Höhepunkt im Lebenslauf zweier Menschen aufgewertet«75 wurde, fungierte nicht nur als ritualisierte Festschreibung des Versprechens eines Paares, als Rechtsakt und/oder als Ausdruck religiöser Gesinnung. Da­ rüber hinaus bekam sie in hohem Maß den Stellenwert eines gesellschaftlichen Ereignisses und Familienfestes mit Öffentlichkeitscharakter. Vor allem bei aufwendigen Hochzeitsfeiern wurden, wie das Quellenmaterial nahelegt, Familienmitglieder schon in die Planung und Organisation miteinbezogen, wobei hier besonders die Mütter involviert waren und oft an die Grenze ihrer Belastbarkeit gingen. Ein Zitat aus einem Brief Josef Mittendorfers aus dem Jahr 1954 spiegelt deutlich die Anstrengungen der Organisationsarbeit für seine Mutter wider: »Meine Mutter hatt heute geschrieben! Sie ist nicht bei bester Gesundheit, u. jetzt noch die Aufregungen mit dem Fest. Sie meint es wäre gut

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wenn alles vorbei ist.«76 Und bereits 43 Jahre zuvor – konkret am 11. Februar 1911  – heißt es etwa in einem Schreiben von Tilly Hirschfeld an den Berliner Arzt und Psychiater Henri Mandel: »Dass Mama sich die Sache schwerer macht, als nötig ist sicher, aber auch begreiflich. Meine Hochzeit hat von jeher in ihren Gedanken eine große Rolle gespielt und es ist ja sehr natürlich.«77 Die Involvierung der Familienmitglieder und der Aufwand, der bei der Organisation einer Hochzeit betrieben wurde, waren also weder an bestimmte Epochen, noch an die Religionszugehörigkeit – Josef und Veronika Mittendorfer waren katholischer, Tilly Hirschfeld und Henri Mandel jüdischer Konfession – oder an die soziale Herkunft gebunden. Dabei kreiste die Kommunikation um mehrere Themen, wie die Wahl des Ortes, die Organisation der erforderlichen Papiere oder die Besorgung vieler anderer Dinge, die zu einem solchen Anlass gehören. Zwei Problembereiche waren jedoch besonders häufig Gegenstand brieflicher Diskussion: die Frage, wer zur bevorstehenden Hochzeit eingeladen werden sollte, und die Bewältigung der durch das Fest entstehenden Kosten. Da beide Themen Aufschluss geben über die Einbindung des Paares in soziale Netzwerke und die Qualität verwandtschaftlicher Beziehungen, sollen sie anhand einzelner Briefwechsel exemplarisch untersucht werden. Am 4. Februar 1911 schrieb die damals 25-jährige Tilly Hirschfeld in Hinblick auf die am 12.  März dieses Jahres stattfindende Hochzeit an ihren um zehn Jahre älteren Verlobten: »Die Eltern bitten Dich, doch festzustellen, wer von Deinen Verwandten kommt. Es liegt ihnen daran, zu wissen, wer die Absicht hat.«78 Die verhandlungsintensive Zusammenstellung der Gästeliste, welche die Briefkommunikation dieses Paares über mehrere Wochen hinweg dominierte, zeigt nicht nur die Einflussnahme der Eltern bei der Gestaltung der Hochzeit, sondern lässt auch ermessen, welche Überlegungen und Strategien der Inklusion und Exklusion bei der Auswahl der Hochzeitsgäste eine Rolle spielten. So mussten zum einen familieninterne Konflikte und Verwandtschaftskonstellationen bedacht werden, über die sich das Paar nicht einfach hinwegsetzen konnte. Im Antwortbrief Henri Mandels, der am 5. Februar 1911 folgte, wird deutlich, dass dabei nicht immer diplomatisch vorgegangen werden konnte: »Wer von der Familie eingeladen werden muss, habe ich nun auch bald ausgeknobelt. Tante [Elfriede] ist unmöglich, weil die andern, die mir doch näher stehen, erklärt haben, dann nicht kommen zu können. Ich würde ihr das ev. ruhig sagen, werde aber wohl keine Gelegenheit dazu haben.«79 Zum anderen kann eine Gästeliste auch als Akt sozialer Kommunikation verstanden werden, der dazu diente, Zugehörigkeiten abzustecken und Prioritäten festzulegen. Da die Gästezahl überschaubar bleiben und vierzig Personen nicht überschreiten sollte, stellte sich für Tilly Hirschfeld und Henri Mandel etwa die Frage, ob man nur Verwandte, denen traditionell der Vorzug gegeben werden musste, oder auch Freunde und Freundinnen einladen sollte. Zunächst sprach sich der Bräutigam aus persönlichen Beweggründen für Letzteres aus, Liebe vernetzt

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allerdings – um nicht ganz mit der Tradition zu brechen – nur bei Absagen von Familienmitgliedern: Wenn Du Fräulein [Kirschner] gern einladen würdest, hätte ich natürlich garnichts dagegen. Eine Freundin steht einem doch in solchem Falle näher als entfernt Verwandte. Überhaupt würde ich die Zahl der Gäste doch nur meiner Mutter wegen gern einschränken und, wenn die Zusammenstellung ergibt, dass garnicht so viel Familienmitglieder teilnehmen, könnten immer noch einige Freunde zugezogen werden.80

Interessant ist aber, dass und vor allem aus welchen Gründen Tilly Hirschfeld diese Einstellung ihres Verlobten im Antwortbrief revidierte, denn nun bezog sie die Religionszugehörigkeit als neues Kriterium in die Entscheidung mit ein: Frl. [Kirschner] will ich nicht einladen, sie wäre sicher gern gekommen und ich hätte ihr auch das Vergnügen gegönnt, aber ich lade ja auch nicht die mir viel, viel näher stehende [Irene Gassner] ein. Ich finde, einzelne Christen passen nicht in eine jüdische Hochzeit hinein und wenn es denn auch die einzigen Fremden sind, kommen sie sich sehr verloren vor. Ich selbst hätte nichts davon und sie von mir auch nicht.81

Da Tilly Hirschfeld zumindest auf dem Papier – sie selbst bezeichnet sich in ihren Briefen als Atheistin – jüdischer Konfession war, sollte die Hochzeit in einer Synagoge ihres Heimatortes, einer österreichischen Kleinstadt im heutigen Tschechien, stattfinden.82 Und obwohl beide Briefpartner dem Freundeskreis ein größeres Naheverhältnis bescheinigten als entfernten Verwandten, gaben sie letzteren aufgrund familiärer Konventionen und der Religionszugehörigkeit doch den Vorzug. Dem Paar gelang es zwar immer wieder, eigene Interessen gegenüber jenen der beiden Elternhäuser und Familien durchzu­ setzen  – auch bei der PartnerInnenwahl, wie oben beschrieben. Dennoch scheint eine Hochzeit nicht der Platz gewesen zu sein, festgeschriebene Rituale und Traditionen aufzubrechen. Die Einwirkung des sozialen Umfelds auf die Gestaltung der Hochzeit war enorm und manifestierte sich in den zur Untersuchung herangezogenen Briefquellen sowohl als Einflussnahme auf die notwendigen Hochzeitsvorbereitungen – etwa bei der Auswahl des Essens oder beim Kauf des Brautkleides83 –, als auch in Form von Unterstützungsleistungen die Kosten des Hochzeitsfestes betreffend. Fand in Korrespondenzen aus bürgerlichen Schichten über den gesamten Untersuchungszeitraum von den 1840er bis in die beginnenden 1980er Jahre die finanzielle Beihilfe durch die Eltern immer wieder direkte oder subtile Erwähnung, stellt sich die aus bäuerlichem Milieu stammende Paarkorrespondenz Josef und Veronika Mittendorfers diesbezüglich als besonders erkenntnisreich heraus. Denn dieser Briefwechsel dokumentiert die Suche nach Alternativen beim Ausbleiben jener materiellen Unterstützung, welche

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üblicherweise von Verwandten ersten Grades übernommen wurde.84 Da es weder für das Paar selbst noch für deren Familien einfach war, die finanziellen Aufwendungen für die Hochzeit zu tragen, wurden die Überlegungen zur Kostenbewältigung in diesem Fall  – unter Rekurs auf weitere Familienmitglieder  – äußerst erfinderisch. Ebenso wie er selbst, wollte auch Josef Mittendorfers Bruder Manfred 1955 heiraten und hatte bereits für den Mai desselben Jahres eine Doppelhochzeit mit dem Bruder seiner Braut Amalia arrangiert. Als dieser jedoch kurzfristig einen Rückzieher machte, sah Josef Mittendorfer die Chance, die Kosten seiner eigenen Hochzeit reduzieren zu können: »Der [Amalia] ihr Bruder hatt gesagt er wolle keine Doppelhochzeit es wäre festlicher alleine. Nun meinen unsere zu Hause so könnten [Manfred] u. wir 2 miteinander machen. Denn die [Amalia] bringt höchstens 2–3 Personen mit. Also würde der Kreis nichts größer u. doch ginge die Bezahlung in 2 Teilen.«85 Was aus einem ökonomischen Blickwinkel durchaus vernünftig anmuten mag, stand hier in Widerspruch zu jenen Tendenzen der Individualisierung und Romantisierung, welche die Hochzeit als eines der wichtigsten Ereignisse im Leben zweier Menschen positionierten. Dementsprechend kann man auch aus einem Folgeschreiben Josef Mittendorfers herauslesen, dass seine Braut Veronika diesem Plan sehr skeptisch gegenüberstand. Sie fand es schwierig, sich in eine Familie zu integrieren, die selbst bei einem solchen Anlass und den damit verbundenen finanziellen Ausgaben zu pragmatischen Strategien der Problemlösung neigte und in deren Selbstverständnis der Fokus auf die Arbeit und das Geldverdienen eine so große Rolle spielte. Ersichtlich wird dies auch in einem Briefzitat, in dem Josef Mittendorfer von einem Besuch seiner Mutter bei ihrem zweiten Sohn Manfred und dessen Braut Amalia berichtet: »Die Mutter ist bei [Manfred]. Die [Amalia] war 16 Tage auf Urlaub bei ihm. Sehr zum Leidwesen der Mutter, denn die sagte sie sollte lieber schaffen u. Geld verdienen. Aber gelt Du Schatz wenn man verliebt ist?«86 Ob die Hochzeit schlussendlich nun wirklich als Doppelhochzeit gefeiert wurde, kann dem Briefwechsel nicht mehr entnommen werden, da er vorher abbricht. Fest steht aber, dass Veronika und Josef Mittendorfer heirateten und einen gemeinsamen Haushalt gründeten. 4.2 Der eigene Hausstand und die Versorgung der Angehörigen Ebenso wie die Organisation und Durchführung des Hochzeitsfestes, war die Gründung eines gemeinsamen Haushalts von der massiven Beteiligung vor allem der Familie, aber auch des Freundeskreises geprägt. Im gesamten Quellenmaterial sind der Typus der Kernfamilie – allerdings häufig erweitert um Personal und Gesinde  – und folglich auch ein eigener Hausstand sowie Wohnsitz als Voraussetzung einer »spezifischen Sphäre der Privatheit«87 vorLiebe vernetzt

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herrschend.88 Wie die oft auf statistischen Quellen beruhende diesbezügliche Forschung belegt, war es im Untersuchungszeitraum unseres Projekts der Normalfall – bäuerliche Familienzusammenhänge bisweilen ausgenommen89 –, dass eine Heirat zu einem Ausscheiden der Kinder aus dem elterlichen Haushalt führte. Trotz der räumlichen Trennung spielten Familien- und Verwandtschaftssysteme weiterhin eine tragende Rolle. Im Sinne einer mittlerweile in der sozialwissenschaftlichen Forschung gängigen Definition können sie als Solidarbeziehungen90 begriffen werden, in denen »Solidarleistungen von einer Generation in die nächste gegeben werden«.91 Im untersuchten Quellenmaterial wird sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert die Bedeutung der nahen Verwandtschaft als Unterstützungsnetz vorrangig über finanzielle und instrumentelle Hilfeleistungen definiert,92 während David Warren Sabean, der unter anderem Egodokumente wie Autobiografien untersuchte, einen wesentlichen Beitrag familiärer Hilfe in der Fürsprache bei Ausbildung und Beruf ortet. Bezogen auf das württembergische Neckarhausen des späten 19. Jahrhunderts stellt er fest: Kin helped and supported one another in many ways, but there seems to be more information in biographical and autobiographical literature about the use of kin for obtaining an education than about anything else – getting a place in a school or Gymnasium, receiving a scholarship or free board […], arranging for lodging, or helping out with expenses.93

Dieses Ergebnis kann durch die für den vorliegenden Beitrag vorgenommene Auswertung des Quellensamples an Paarkorrespondenzen nicht bestätigt werden. Das mag aber daran liegen, dass die VerfasserInnen zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Briefe schrieben und verschickten, zum überwiegenden Teil bereits eine Ausbildung abgeschlossen hatten und mitten im Berufsleben standen. Stattdessen definierten sie Solidarleistungen über die elterliche Rolle als Ratgebende, wie auch über materielle Unterstützung oder  – nach der Familiengründung – die Übernahme von Pflegeaufgaben in Bezug auf die Enkelkinder. Geht man nach der Intensität, mit welcher in den Briefen der Aufbau eines neuen Haushalts verhandelt wurde, stellte dieser einen tiefen Einschnitt in der Paarbiografie dar. Das finanzielle Risiko, das damit verbunden war, wurde durch das soziale Umfeld abgefedert – durch die Gabe einer Mitgift oder die Hilfe beim Ansparen einer Aussteuer sowie durch aktive Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung, beim Umzug und bei der Einrichtung des neuen Domizils. Ganz deutlich geht dabei aus dem Quellenmaterial hervor, dass die Paare erst nach der Hochzeit in ein gemeinsames Heim zogen, auch wenn sie schon vorher auf Wohnungssuche gingen – und das bis in die 1960er/1970er Jahre. Neben den gesellschaftlichen Moralvorstellungen spielten dabei sicher auch gesetzliche Regelungen eine Rolle. Denn schon das Angebot an ein verlobtes Paar, bei den Eltern wohnen zu dürfen, konnte sich

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als risikoreich herausstellen, galt doch noch bis weit ins 20.  Jahrhundert hi­ nein der sogenannte ›Kuppelei-Paragraf‹,94 welcher der Unterdrückung der ›wilden Ehe‹ diente und durch den »Vermieter oder auch Eltern, die in ihrer Wohnung unverheiratetes Zusammenwohnen der Kinder gestatteten, mit zum Teil schweren Strafen belegt werden«95 konnten. Ein funktionierendes Beziehungsgeflecht und breit aufgestellte Kontakte erwiesen sich bei der Suche nach einem Heim als hilfreich, wobei auch hier in erster Linie auf das familiäre Netzwerk zurückgegriffen wurde. Henri Mandel schrieb etwa eine Woche nach der Verlobung und vier Monate vor der Hochzeit am 20. November 1910: »Vormittags war ich auf der Wohnungssuche. Es ist nicht so leicht, aber morgen werden bereits die Tanten sich der Sache annehmen.«96 Und aus einem Schreiben der erst 18-jährigen Hertha Feldbauer an den um elf Jahre älteren Lehrer Friedrich Kastner aus dem Jahr 1959 geht hervor, dass die intergenerationellen Solidarleistungen auch materiellen Transfer beinhalteten. Die junge Frau, damals noch Schülerin, sollte bei ihrer Hochzeit eine Wohnung im Haus ihrer Großmutter übertragen bekommen – eine Tatsache, die integraler Bestandteil ihrer Zukunftspläne war: Etwas ganz wichtiges muß ich dir noch erzählen. Wir haben doch eine Wohnung in dem Haus, das der Omi und später zur Hälfte mir gehört. […] Wenn ich heirate, gäbe mir Mutti nämlich die Wohnung. Verzeih, daß ich so real und praktisch denke. Vielleicht ist das noch verfrüht und unangebracht und steht einem verliebten kleinen Mädchen nicht zu. Aber ich bin nun mal sehr praktisch […].97

War ein neues Heim gefunden, bestand die Unterstützungsleistung vor allem in der aktiven, tatkräftigen Hilfe beim Umzug  – hier waren die Mütter und Schwiegermütter führend98  – und bei der Zusammenstellung des Mobiliars. Wie ein Auszug aus einem Brief Josef Mittendorfers zeigt, maß man dabei gerade in ländlichen Gebieten dem Schlafzimmer besondere Bedeutung zu: Jetzt eine Sensation. Ich habe eine neue Schlafzimmerausstattung gekauft. Mutter u. [Marianne] gefällt sie. Sie ist zwar nicht hart, aber wunder gemasert gestrichen u. ich sage dier um 530.- Fr. Hoffentlich bekomme ich wie man mir versprochen hatt Unter- u. Obermatratze auch noch dazu. Und nun bist Du nicht sprachlos. So kurze Zeit fort u. was kommt dem nicht alles in den Sinn.99

Die zentrale Stellung des Schlafzimmers kam nicht von ungefähr. So benennt Andreas Gestrich in seinen Arbeiten zu einer Geschichte der Familie in der Neuzeit vor allem für kleinbürgerliche Mittel- und Unterschichten bis ins 19.  Jahrhundert das Bettzeug und die Betten selbst als »die wichtigsten und teuersten Ausstattungsgegenstände«.100 Speziell in den ländlichen Gebieten Österreichs wurden aber gerade die Einrichtungsgegenstände für das Schlafzimmer noch bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus als WertgegenLiebe vernetzt

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stände gehandelt. Zudem ist aus dem angeführten Briefzitat herauszulesen, dass Josef Mittendorfer auf die Meinung seiner Mutter und seiner Schwester, der Hebamme Marianne, großen Wert legte  – umso mehr als sich seine Braut immer noch auf Saisonarbeit in der Schweiz aufhielt, während er allein beziehungsweise mit Hilfe seiner Herkunftsfamilie die Hochzeit und das neue Zuhause organisierte. Auch der jeweilige historische Kontext zeichnet sich im Zusammenhang mit familialen Unterstützungsleistungen in den Briefquellen ab. So trat etwa gerade in Krisenzeiten  – besonders während der beiden Weltkriege und un­ mittelbar danach  – der Verwandtschafts- und Familienverband verstärkt in Aktion, federte Versorgungsengpässe ab und trug so essenziell zur Bewältigung des Alltags vor allem an der ›Heimatfront‹ bei. Staatliche Leistungen, wie zum Beispiel der im Ersten Weltkrieg für die einberufenen Ehemänner und Familienväter gezahlte »Unterhaltsbeitrag«,101 konnten diese familienbezogene intergenerationelle Hilfe nicht ersetzen.102 Ein Zitat aus der Korrespondenz zwischen der damals schwangeren Wiener Modistin Christl Wolf und ihrem als Offizier dienenden Ehemann, dem Architekten und Baumeister Leopold Wolf, greift im letzten Kriegsjahr des Ersten Weltkriegs eine solche alltägliche Geste der Unterstützung auf – hier allerdings bezogen auf damals noch wohlhabende Verhältnisse:103 »Diese Woche war ein ausgezeichnetes Rindfl. das Kilo 8.60. Also Du siehst sehr schlecht gehts mir nicht, allerdings fallen die elterlichen Zuschüsse sehr in die Waagschale.«104 Ein halbes Jahr später wird das Thema in einem anderen Brief ebenfalls erwähnt; diesmal hatte sich eine Tante von Christl Wolf dafür eingesetzt, dass sie mit ihrem mittlerweile geborenen Kind in einem Dorf im niederösterreichischen Waldviertel unterkommen konnte, um angesichts der katastrophal gewordenen Lebensmittelsituation in Wien die letzten Kriegsmonate am besser versorgten Land verbringen zu können: Heute vormittag, gleich nach meiner Ankunft, bekam ich einen dringenden Brief von der Tante Marie. […] Ich habe jetzt gerade nachgedacht darüber u. zwar. Wie wäre es wenn ich z. B. jetzt gleich von hier nach Gars ginge und bis Ende November bis Du kommst dort bliebe? Man würde mich dort mit Mehl Butter u. Eier u. Brot versorgen, so daß ich für den Winter für die Zeit wenn Du dann da bist etwas gehamstert hätte. […] Ich könnte täglich 2 l Kuhmilch, – 80 pro Liter und außerdem 2 l Ziegenmilch in der Woche haben, Butter u. Eier würde mir die Köchin von der Baronin besorgen, sogar Brot backen würde sie mir, wenn ich mir von meinem Bäcker statt Brot, Mehl geben ließe. Auch Mehl ohne Marken für 2–3 K das Kilo könnte sie mir verschaffen.105

Auch dieser Umzug wurde erst durch finanzielle Zuschüsse der Eltern ermöglicht, wobei sich Solidarleistungen wie diese weder im zitierten Briefwechsel noch in den anderen untersuchten Korrespondenzen als Einbahnstraße gestalteten. Denn einerseits bestand für junge Paare die durch gesellschaftliche

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Moralvorstellungen genährte Verpflichtung, sich im Gegenzug um (Schwieger-)Eltern und Geschwister zu kümmern. Andererseits spielten »[b]ei der Frage, wer die Versorgung oder die Verantwortung dafür übernimmt, […] nicht nur gesellschaftliche Normen eine Rolle, sondern auch das bisher gemeinsam Erlebte«,106 das natürlich eine emotionale Komponente beinhaltete. Gefühle wie Dankbarkeit oder Zuneigung, aber auch Enttäuschung und Wut kamen im Briefwechsel von Christl und Leopold Wolf etwa dann zum Ausdruck, wenn die Wahl des Wohnorts diskutiert wurde. Während der frischgebackene Ehemann – die beiden hatten im April 1917 geheiratet – eine räumlich und wirtschaftlich von seinen Schwiegereltern getrennte Wohnung anmieten wollte, schloss sich Christl Wolf den Plänen ihres Vaters an; dieser hatte nämlich vor, ein Haus für beide oder, rechnet man das gerade geborene Mädchen der Wolfs dazu, für drei Generationen zu erwerben. Poldi Du ahnst und weißt ja nicht was Du mir antust, wenn wir in die Meißelstraße ziehen. Mama u. Papa erklärten mir heute Nachmittag in dem Moment wo ich es tu, bin ich verloren für sie, und sie für mich. Poldi denke Dir das aus und frag Dich, kann ich das auf mein Gewissen nehmen, meine Eltern die tatsächlich so viel für mich getan haben so zu kränken, indem ich ihnen die einzige Freude, die ich ihnen bin und Du mit, nehme? Nein Poldi, das wirst Du nicht verlangen und mich nicht zur unglücklichen Frau machen. Papa und Mama meinen, sie rechnen auf keine Dankbarkeit, nur ein bissl Erkenntlichkeit von uns hätte sie glücklich gemacht. Papa sagt Du hast gewußt daß er ein Haus kaufen will wo auch wir drinnen wohnen könnten und nun hast Du so gehandelt. Wir wollen fort von ihnen, trotzdem sie es uns so gut meinen. Mamas einzige Lebenszweck und Freude wäre gewesen wenn sie mich in der Nähe gehabt hätte, schon wegen der Kleinen. Nun habe ich all ihre Freude zerstört, auf die sie sich ein Leben lang gefreut haben, sie sind um all ihre Hoffnungen betrogen.107

Die »prinzipielle Trennung der Generationen«, die »in Mittel- und Nordwesteuropa zu einem ganz spezifischen Problem der Versorgung der alternden Eltern bzw. Großeltern«108 führte, war in manchen Briefbeständen als enorm verhandlungsintensives und konfliktanfälliges, von Zweifeln und Diskussionen begleitetes Thema präsent. Den Korrespondierenden stellte sich die Frage, ob eine Integration der Herkunftsfamilien in den Haushalt überhaupt stattfinden sollte und wie diese bei Zustimmung aller Beteiligten bewerkstelligt werden könnte – in Kriegs- und Friedenszeiten gleichermaßen. Für Hertha Feldbauer war es im Jahr 1959 beispielsweise selbstverständlich, dass ihre Mutter mit in die neue Wohnung ziehen sollte, was vielleicht auch auf das noch junge Alter der erst 18-jährigen Schreiberin zurückzuführen ist: [W]ir [hätten], wenn wir Mutti das eine Zimmer geben, wo jetzt das Schlafzimmer ist, einen ganzen Flügel für uns mit 2 großen Zimmern, Küche, zwei

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Kabinette und Badezimmer. Es ist ja auch gut wenn man eine eigene Wohnung hat und keinen Zins zahlen muß. Und auf Möbel hab ich ja ohnehin schon lang angefangen zu sparen.109

Insgesamt ist die Thematisierung einer Zukunft innerhalb eines Mehrgenerationenhaushalts in den untersuchten Quellen allerdings selten. Das mag auch daran liegen, dass mit »dem Rückgang der bäuerlichen Bevölkerung […] schon in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts der Anteil der Dreigenerationenhaushalte an allen Haushalten [sank], und [sich] dieser Rückgang […] seitdem verstärkt fortgesetzt [hat]«.110 Die Multilokalität der Mehrgenerationenfamilie ist aber, wie Rosemarie Nave-Herz herausstellt, keinesfalls mit einer Aufkündigung der familialen Solidargemeinschaft gleichzusetzen.111 So fand die intergenerationelle Unterstützung – unter anderem in Form einer (materiellen) Hilfe für die Angehörigen – auch bei getrennten Haushalten eine Fortsetzung. Angesichts der Tatsache, dass die Pensionen während des Zweiten Weltkriegs nicht mit den Teuerungen mithalten konnten, beschlossen etwa Rudolf und Charlotte Kretschmar, ihren Eltern beziehungsweise Schwiegereltern regelmäßig finanziell behilflich zu sein. Der damals 28-jährigen Kunstlehrerin und Zeichnerin fiel dabei eine Schlüsselrolle zu, da ihr Mann zu diesem Zeitpunkt in der Ukraine als Baurat der Wehrmacht eingesetzt war. In einem Brief vom 25. November 1943 schrieb Rudolf Kretschmar an seine Ehefrau: Daß Du Dich auch um meine Eltern kümmern willst, freut mich sehr und ich bin Dir sehr dankbar. Es ist traurig, wenn Menschen nach einem arbeits- u. entbehrungsreichen Leben dann im Alter schlechte Tage haben sollen. Und wenn die Hilfe noch so klein ist, allein das Bewußtsein nicht vergessen zu sein und, daß sie Hilfe erhalten, lindert manchen Schmerz u. macht sie hoffnungsvoller. Ich hatte an den VDA112 in der Martin Lutherstraße geschrieben und um Beschaffung einer Überweisungsmöglichkeit von regelmäßigen kleinen Geldbeträgen gebeten. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du Dich danach mal erkundigen würdest.113

Wieder klingen in diesen Zeilen Dankbarkeit, Bewunderung und das Gefühl an, sich bei den Eltern für das bisher Geleistete revanchieren zu können, vielleicht auch zu müssen. Das Geflecht der Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen stellte demnach in vielerlei und zudem wechselseitiger Hinsicht einen stabilisierenden Faktor dar, welcher sich vor allem in Krisenzeiten als existenziell herausstellen konnte und die Beziehungszeit eines Paares vom Kennen­ lernen bis ins hohe Alter beeinflusste.

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5. Resümee Wie durch die Analyse von zwischen 1840 und 1980 verfassten Paarkorrespon­ denzen gezeigt werden konnte, war zwar für die Entwicklung und Konsolidierung einer Beziehung ein gewisses Maß an Intimität oder abgeschlossener Zweisamkeit wichtig. Jedoch waren die Paare immer auch eingebunden in ein dichtes Netz sozialer Kontakte. Allen voran standen dabei die Eltern und Geschwister, die sich über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg als die wohl einflussreichste Gruppe herausgestellt haben und daher hier ins Zentrum gerückt wurden. Zusätzlich reichte die Bandbreite von Einflüssen auf das Paar von der dörflichen, aber auch der städtischen Umgebung – unter anderem in Form der Nachbarschaftshilfe oder des Kontakts mit kirchlichen Funktionären oder Gemeindebeamten etwa bei der Planung und Durchführung der Hochzeit –, bis hin zu Freundschaften – was in diesem Beitrag nicht genauer untersucht werden konnte. Vor allem letztere spielten in den nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders in den 1960er und 1970er Jahren verfassten Briefen eine größere Rolle als zuvor, konnten die Thematisierung der Familienverhältnisse jedoch nur ergänzen und nicht ersetzen. Familiäres beziehungsweise verwandtschaftliches Leben erscheint in den Quellen  – gebrochen durch die Sprache der Briefe  – als dynamische, zum Teil  auch problembehaftete und von Aushandlungsprozessen durchzogene soziale Praxis, die durch verschiedene Faktoren geprägt war. Dazu gehören die jeweilige Beziehungsphase, in der sich die Paare gerade befanden, sowie ihre finanzielle und berufliche Situation; desgleichen Sympathien oder Disharmonien innerhalb beziehungsweise zwischen den jeweiligen Herkunftsfamilien und die Notwendigkeit einer materiellen Versorgung der Angehörigen. Auch das soziale Milieu und die Verortung innerhalb eines urbanen oder ländlichen Umfelds spielten eine Rolle. Zudem fielen zeittypische Liebes- und Ehevorstellungen ins Gewicht, insbesondere wenn zwischen den Generationen Un­ einigkeit darüber bestand, wie diese zu realisieren seien. Die Phase des Kennenlernens und der Einführung in die Familie ging vielfach mit festgeschriebenen Ritualen einher, wobei sich die Paare häufig in einem Spannungsfeld zwischen der Liebesheirat einerseits, und ökonomischen Faktoren oder ›standesgemäßen‹ Erwägungen andererseits bewegten, die vor allem für die Eltern als wichtige Entscheidungskriterien fungierten. Dagegen kreisten nach der Hochzeit verfasste Briefe stark um alltägliche Problemstellungen, wie materielle und immaterielle Hilfeleistungen durch und für das soziale Umfeld. Dabei manifestierte sich die Bedeutung der Familien­ solidarität im untersuchten Quellenbestand in unterschiedlicher Weise: in Form finanzieller Zuschüsse, in der Weitergabe von Eigentum, sozialer Stellung, Wissen und Erfahrung, in der Unterstützung durch Arbeitskraft und Liebe vernetzt

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Fürsprache ebenso wie in der Hilfe durch emotionalen Rückhalt und durch Ratschläge. Die Einbindung von Paaren in soziale Netzwerke und die Qualität verwandtschaftlicher Beziehungen waren dabei – bis es in den späten 1960er und den 1970er Jahren zu einer immer häufiger bewusst vollzogenen Ablösung von der Elterngeneration kam  – von einer Kultur des Ausgleichs und der Kon­ formität geprägt.

Anmerkungen 1 Friedrich Kettler (Pseud.) an Helga Böhm (Pseud.), 1.2.1945, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien (SFN), Nachlass (NL) 41. Hervorhebung wie im Original. Im gesamten Beitrag handelt es sich bei den verwendeten Namen um – bei der ersten Nennung in den Endnoten als solche gekennzeichnete – Pseudonyme; das gilt auch für in den Briefen genannte Drittpersonen. Ausnahmen gibt es nur bei jenen Korrespondenzen, zu denen bereits wissenschaftliche Publikationen bzw. Editionen unter Verwendung der richtigen Namen vorliegen. Zitiert wird aus den Quellenbeständen in der originalen Schreibweise. Zum Gesamtzusammenhang des Projekts vgl. die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 2 Friedrich Kettler an Helga Böhm, 3.2.1945, SFN, NL 41 II. 3 Friedrich Kettler an Helga Böhm, 30.1.1945, SFN, NL 41 II. 4 Das geschieht verstärkt in Publikationen, die sich mit dem Entstehen der romantischen Liebe und den damit verbundenen Individualisierungsprozessen auseinandersetzen, aber auch als Aspekt in theoretischen Betrachtungen. So etwa, wenn Niklas Luhmann hervorhebt, dass Verliebte in der Liebe »eine unbedingte Bestätigung des eigenen Selbst, der personalen Identität« finden; ders., Liebe. Eine Übung, hg. v. André Kieserling, Frankfurt a. M. 2008, 21. 5 Vgl. auch soziologische Forschungen, etwa: Oliver Arránz Becker, Was hält Partnerschaften zusammen? Psychologische und soziologische Erklärungsansätze zum Erfolg von Paarbeziehungen, Wiesbaden 2008; Johannes Kopp, Daniel Lois u. Christina Kunz, Verliebt, verlobt, verheiratet. Institutionalisierungsprozesse in Partnerschaften, Wiesbaden 2010; Karl Lenz, Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung, Wiesbaden 20094, 275–285. 6 Diese Vorteile bei der Analyse von Egodokumenten wurden besonders pointiert vom Sozialhistoriker Michael Mitterauer hervorgehoben, der aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit der Auswertung qualitativer Quellen, die unter anderem aus der von ihm gegründeten »Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen« am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien stammen, deren Aussagewert in vielen Studien belegt hat. Vgl. etwa Michael Mitterauer, Historische Verwandtschaftsforschung, Wien/Köln/Weimar 2013. 7 Ute Jung-Kaiser (Hg.), Intime Textkörper. Der Liebesbrief in den Künsten, Bern 2004. 8 Vgl. dazu die Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band. 9 Bei den 22 mit Atlas.ti codierten Briefbeständen handelt es sich um: Emilie Meister (verh. Schröfl) und Anton Schröfl, Zeitraum des Briefwechsels 1860–1873, Stadtarchiv Zwettl (StAZ); Maria Anna Frimberger, geb. Seitz, und Johann Georg Frimberger, 1874/1875, SFN, NL 76; Martha Louise Leeb (Pseud.), verh. Fiedler, an Albert Leopold Fiedler (Pseud.), 1904–1906, SFN, NL 80; Mathilde (Tilly) Hirschfeld (Pseud.), verh. Mandel, und Henri Mandel (Pseud.), 1910–1911, SFN, NL 120; Lilli Weber-Wehle und Friedrich Weber,

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1913–1925, SFN, NL 21 II; Christl Wolf, geb. Lang, und Leopold Wolf, 1914–1918, SFN, NL 14 I; Magdalena Zenker (Pseud.) und Alois Simatschek (Pseud.), 1916–1918, SFN, NL 148 I; Gustav Malik (Pseud.) an Josephine Gebhard (Pseud.), 1916–1917, SFN, NL 74; Franz Kundera an Anna Mitterhofer, 1917, SFN, NL 75 I; Johann Feichtinger (Pseud.) an Margarethe (Pseud., Nachname unbekannt), 1921, Stadtarchiv Salzburg (AStS), PA 867; Emilie Fuhrmann (Pseud.) und Georg Scheicher (Pseud.), 1918–1921, SFN, NL 17 I; Lisa Albrecht (Pseud.) an Heinrich Mader (Pseud.), 1922–1923, Privatbestand; Hermann Illing (Pseud.) an Barbara Illing, geb. (von) Nittmann (Pseud.), 1925–1931, SFN, NL 31 IV; Maximilian Höllwarth (Pseud.) an Hermine Höllwarth, geb. Hofstätter (Pseud.), 1940–1941, SFN, NL 77 I; Richard Schuster (Pseud.) an Wally Kuklinski (Pseud.), 1939–1944, SFN, NL 55 IV; Charlotte (Lotte)  Kretschmar, geb. Wegner (Pseud.), und Rudolf Kretschmar (Pseud.), 1939–1944, SFN, NL 60; Agathe Wallner (Pseud.) und Robert Wallner (Pseud.), 1944–1948, Privatbestand; Josef Wiesauer (Pseud.) an Franziska Wiesauer, geb. Pflüger (Pseud.), 1944–1945, AStS, PA 016/01 und PA 016/02; Anneliese Riehl, geb. Kastenhuber (Pseud.) und Erich Riehl (Pseud.), 1947–1953, SFN, NL 108; Hertha Kastner, geb. Feldbauer (Pseud.) und Friedrich Kastner (Pseud.), 1959–1963, SFN, NL 78; Alexander Felber (Pseud.) an Karola Schmidt (Pseud.), 1969–1987, SFN, NL 151; Charlotte M. Obersteiner (Pseud.) und Ewald Horner (Pseud.), 1971–1976), SFN, NL 152 II. 10 Dabei handelt es sich um: Friedrich Maurer (Pseud.) und Isabella von Mewald (Pseud.), 1840, Privatbestand; Konstanze von Stein (Pseud.), verh. von Nittmann, an Konrad von Nittmann (Pseud.), 1895, SFN, NL 31 I; Richard Harlfinger und Fanny Zakucka, 1902–1905, Privatbestand; Johann Riedl (Pseud.) und Johanna Riedl, geb. Raith (Pseud.), 1869/1870, SFN, NL 38 II; Irmgard Schuller, geb. Schneider (Pseud.), und Johann Schuller (Pseud.), 1900–1930, SFN, NL 70 I; Jakob (›Jack‹) Hyzdal (Pseud.) und Helene (Helly) Sladek (Pseud.), 1931/1932, Privatbestand; Klara Brenneis, geb. Stubenvoll (Pseud.), und Herbert Brenneis (Pseud.), 1937–1944, SFN, NL 33; Friedrich Kettler (Pseud.) und Helga Böhm (Pseud.), 1945, SFN, NL 41 II; Josef Mittendorfer (Pseud.) und Veronika (Pseud., Geburtsname unbekannt), verh. Mittendorfer, 1954/1955, Stadtarchiv Dornbirn (StAD), Privatschriftgut 2007/190; Gerda S.  (Pseud.) und Hans G. (Pseud.), 1946–1958, Privatbestand; Christine Danek (Pseud.) und Raimund Vos (Pseud.), 1975/1976, SFN, NL 215; Gernot Mehring (Pseud.) und Karola Schmidt (Pseud.), 1969/1970, SFN, NL 151; Heinz Gnigler (Pseud.) an Angelika Körber (Pseud.), 1969–1971, AStS, PA 975; Markus Kern (Pseud.) an Ines Auberger (Pseud.), 1979/1980, Privatbestand. 11 Mathilde Hanzel-Hübner und Ottokar Hanzel, 1907–1937, 1942–1946, 1952 u. 1957, SFN, NL 1. 12 Zu einer präzisen und anschlussfähigen Definition des Bürgertums vgl. Gunilla-Friederike Budde, Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914, Göttingen 1994, 15. 13 Die ausführlichsten Studien zum Heiratsverhalten in Arbeiterfamilien liegen bezogen auf England und das Deutsche Kaiserreich vor. Querverweise auf Österreich finden sich außerdem bei Josef Ehmer, Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel. England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1991. Für das Deutsche Kaiserreich aufschlussreich: Claudia Hiepel, Die katholische Arbeiterfamilie im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914/18. Programm, Praxis und Prägung, in: Andreas Holzem u. Ines Weber (Hg.), Ehe-Familie-Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn 2008, 401–420. 14 Luhmann, Liebe. Übung, 59. 15 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 12.2.1959, SFN, NL 78. 16 Sowohl Fritz Weber als auch Lilli Wehle verwendeten füreinander den Kosenamen ›Burschi‹  – dieser galt für Frauen und Männer. Im angeführten Zitat wird Lilli Wehle damit angesprochen. Fritz Weber an Lilli Wehle, 4.6.1913, SFN, NL 21 II, Hervorhebungen wie im Original.

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17 Vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main 20037. 18 Luhmann, Liebe. Übung, 66. 19 Lilli Wehle an Fritz Weber, 5.6.1913, SFN, NL 21 II. 20 Zum Briefwechsel von Lisa Albrecht und Heinrich Mader vgl. den Beitrag von Barbara Asen zur Zwischenkriegszeit in diesem Band. 21 Lisa Albrecht an Heinrich Mader, 17.9.1922, Privatbestand. 22 Charlotte Kretschmar an Rudolf Kretschmar, 14.9.1935, SFN, NL 60. 23 Zum Thema Paarbrief vgl. beispielsweise die Beiträge der Sammelbände: Christa Hämmerle u. Edith Saurer (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16.  Jahrhundert bis heute, Köln/Weimar/Wien 2003; Renate Stauf, Annette Simonis u. Jörg Paulus (Hg.), Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18.  Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin/New York 2008; sowie Elke Clauss, Liebeskunst. Der Liebesbrief im 18. Jahrhundert, Weimar 1993. Wolfgang MüllerFunk, »Die Erfindung der Liebe aus dem Medium des Briefes«, in: Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch (Hg.), Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien/Köln/Weimar 20092, 89–109. 24 Friedrich Maurer an Isabella von Mewald, ohne Datum (Herbst 1840), Privatbestand. Hervorhebung wie im Original. 25 Friedrich Maurer an Isabella von Mewald, ohne Datum (Herbst 1840), Privatbestand. 26 Friedrich Maurer an Isabella von Mewald, ohne Datum (Herbst 1840), Privatbestand. 27 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 21.10.1910, SFN, NL 120. Vgl. auch Nina Verheyen, Verbriefte Gefühle. Eine Quellencollage 1910/11, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 66, 12 (2012), 1118–1129, 1126 f. 28 Zur Entkopplung der PartnerInnenwahl von den Vorstellungen der Eltern und zu ihrer Liberalisierung vgl. Andreas Gestrich, Jens-Uwe Krause u. Michael Mitterauer, Geschichte der Familie, Stuttgart 2003, 498–504. 29 Vgl. Rosemarie Nave-Herz, Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde, Weinheim/München 2004, 48. 30 Zum Stellenwert ökonomischer Faktoren im Ideal der romantischen Liebe bzw. zum Verhältnis von Liebes- und Vernunftehe vgl. Sigrid Schmid-Bortenschlager, Liebe, Sexualität und Ehe, Vernunft und Leidenschaft im Roman des 18. Jahrhunderts, in: Bauer/ Hämmerle/Hauch, Liebe, 79–88, und für das 19. Jahrhundert beispielhaft Peter Borscheid, Geld und Liebe. Zu den Auswirkungen des Romantischen auf die PartnerInnenwahl im 19. Jahrhundert, in: ders. u. Hans J. Teuteberg (Hg.), Ehe, Liebe, Tod. Zum Wandel der Familie, der Geschlechts- und Generationsbeziehungen in der Neuzeit, Münster 1983. 31 Karl Lenz, Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung, Wiesbaden 20094, 284 f. 32 So im Falle von Maria Anna Seitz und Johann Georg Frimberger in den 1870er Jahren, SFN, NL 76, sowie bei Lisa Albrecht und Heinrich Mader, Privatbestand, in den frühen 1920er Jahren. 33 Nähere Informationen zu diesem Briefbestand vgl. in: Barbara Asen, Vom »Götterfunken der Liebe« bis zu »des Papstes heil’gem Segen« Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich, in: Ingrid Bauer u. Christa Hämmerle (Hg.), Romantische Liebe. Themenheft von L’Homme. Z. F. G. 24, 1 (2013), 53–72. Vgl. auch den Beitrag »Gefühle erwünscht« von Ines Rebhan-Glück in diesem Band. 34 Jakob Frimberger an Johann Georg Frimberger, 7.4.1875, SFN, NL 76. 35 Vgl. Daniel Kaiser, Die elterliche Eheeinwilligung. Rechtsgeschichte der familialen Heiratskontrolle in Mitteleuropa, Berlin/Münster/Wien u. a. 2007; Ursula Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, Wien/New York 20086, 86 f.; für Deutschland: Thomas Rauscher, Familienrecht, Heidelberg/München/Landsberg u. a. 20082, 101. 36 Vgl. Nave-Herz, Ehe- und Familiensoziologie, 51.

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37 Budde, Weg ins Bürgerleben, 15. 38 Vgl. den Beitrag von Barbara Asen zur Zwischenkriegszeit in diesem Band. 39 Vgl. den Beitrag von Nina Verheyen in diesem Band. 40 Hermann Illing an Barbara (von) Nittmann, 28.8.1925, SFN, NL 31 IV. 41 David Sabean, Kinship in Neckarhausen, 1700–1870, Cambridge 1998, 467 f. 42 Martha Louise Leeb und Albert Leopold Fiedler wohnten im selben Stadtviertel, lernten sich – wie aus dem Briefwechsel hervorgeht – aber erst 1904 über die Kirchengemeinde kennen. Die sehr gläubige und immer wieder zu Maria, Mutter vom Guten Rat betende Martha Louise Leeb sah dies als Zeichen, dass ihre Liebe unter göttlichem Segen stehe. In einem Brief vom 8.8.1905 heißt es: »Die liebe Gottesmutter selbst hat Sie mir in den Weg geführt, im Ehrendienste Mariens habe ich Sie kennen, hochschätzen aber auch lieben gelernt, u. so dachte ich mir immer, die Mutter Gottes wollte es so, und ich will mich daher eines Gefühles nicht mehr schämen, das ja keine Sünde ist!« Martha Louise Leeb an Albert Leopold Fiedler, 8.8.1905, SFN, NL 80 I. 43 Georg Scheicher und Emilie Fuhrmann begegneten sich das erste Mal 1918 im Nachtzug von Amstetten nach Wien, vgl. SFN, NL 17. 44 Gerda S. und Hans G. etwa lernten sich gegen Ende der 1940er Jahre über eine Arbeitskollegin von Gerda, die gleichzeitig Hans’ Schwester war, kennen, Privatbestand. Vgl. näher Christa Hämmerle, »… den ganzen Tag hab ich zwischen der Arbeit von unserer Zukunft geträumt« – Liebesbriefe der 1950er Jahre, in: Sandra Maß u. Xenia von Tippelskirch (Hg.), Faltenwürfe der Geschichte. Entdecken, entziffern, erzählen, Frankfurt/New York 2014, 113–125. 45 Vgl. die Briefe von Heinz Gnigler an Angelika Körber aus den Jahren 1969 bis 1971, AStS, PA 975. 46 Vgl. den Beitrag von Nina Verheyen in diesem Band. 47 Vgl. den Briefwechsel Markus Kern an Ines Auberger, Privatbestand, der im Beitrag von Ingrid Bauer für diesen Band in einer Intensivauswertung untersucht wird. 48 Beispielsweise Konstanze von Stein und Konrad von Nittmann 1895, SFN, NL 31 I, oder Tilly Hirschfeld und Henri Mandel 1910, SFN, NL 120. 49 Friedrich Kettler an Helga Böhm, 3.2.1945, SFN, NL 41 II. 50 Vgl. die Korrespondenz Ottokar Hanzel und Mathilde Hanzel-Hübner, besonders die Briefe aus dem Jahr 1907, SFN, NL 1. 51 Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel-Hübner, 26.7.1907, SFN, NL 1. 52 Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel-Hübner, 26.7.1907, SFN, NL 1. Hervorhebung wie im Original. 53 Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel-Hübner, 26.7.1907, SFN, NL 1. 54 Michael Mitterauer, Die Toten und die Lebenden. Zu religiösen Bedingungen von Verwandtschaft, in: ders., Historische Verwandtschaftsforschung, Wien/Köln/Weimar 2013, 15–25, 24. 55 Vgl. den Beitrag von Ingrid Bauer in diesem Band. 56 Reinhard Sieder, Der Jugendliche in der Familie, in: Michael Mitterauer u. Reinhard Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel in der Familie, München 19843, 118–140, 139. 57 Sieder, Jugendliche, 139. 58 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, 9.3.1959, SFN, NL 78. 59 Christine Danek an Raimund Vos, 26.1.1976, SFN, NL 141. 60 Raimund Vos an Christine Danek, 21.1.1976, SFN, NL 141. 61 Gernot Mehring an Karola Schmidt, 20.12.1969, SFN, NL 151; vgl. auch die Feinanalyse des Briefwechsels im Beitrag von Ingrid Bauer in diesem Band. 62 Vgl. die Auswertung des Briefwechsels von Markus Kern und Ines Auberger im Beitrag von Ingrid Bauer in diesem Band.

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63 Vgl. die kritischen Überlegungen zum Begriff der »Brautbriefe« in der Einleitung von Ingrid Bauer und Christa Hämmerle zu diesem Band sowie im Beitrag von Ines RebhanGlück »Gefühle erwünscht«. 64 Vgl. etwa Eva Lia Wyss, From the bridal letter to online flirting. Changes in text type from the 19th century to the Internet era, in: Journal of Historical Pragmatics 9, 2 (2008), 225–254, 228. 65 So lautet die Anrede in vielen Briefen von Josef Mittendorfer. 66 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), ohne Datum, da die erste Seite fehlt (vom Archivar des Stadtarchivs Dornbirn auf den 29.4.1955 datiert), StAD, Privatschriftgut 2007/190. 67 Hermann Dettmer, Die Figur des Hochzeitsbitters. Untersuchungen zum hochzeitlichen Einladungsvorgang und zu Erscheinungsformen, Geschichte und Verbreitung einer Brauchgestalt, Frankfurt a.  Main 1976, 319. 68 Josef Mittendorfer an Zenzi (Pseud., Nachname unbekannt), die Schwester seiner Braut Veronika, 28.4.1954, StAD, Privatschriftgut 2007/190. 69 Ganz konkret waren das Ehen, die zwar mit gegenseitigem Einverständnis und rechtlich gültig durch einen Priester, aber ohne Zustimmung der Eltern geschlossen wurden. 70 Als besonders bedeutsam erwies sich diesbezüglich die Abhaltung des Konzils von Trient im Jahr 1563. Vgl. Alexandra Maschwitz, Die Form der Eheschließung. Ehe im Zentrum der Interessen von Staat und Religion. Eine rechtsvergleichende Untersuchung der obligatorischen und fakultativen Zivileheschließung am Beispiel Deutschlands und Schwedens, Göttingen 2014, 74 f.; außerdem Paolo Prodi u. Wolfgang Reinhard (Hg.), Das Konzil von Trient und die Moderne, Berlin 2001. 71 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, 373. 72 Vgl. zur Funktion der Kirche im Sozialleben eines Dorfes: Andreas Heller, Zur Sozialgeschichte des Katholizismus in lebensgeschichtlichen Erinnerungen, in: ders., Therese Weber u. Oliva Wiebel-Fanderl (Hg.), Religion und Alltag. Interdisziplinäre Beiträge zu einer Sozialgeschichte des Katholizismus in lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen, Wien/Köln/Weimar 1990, 287–300. 73 Ob es sich dabei um einen Bruder oder einen Cousin des Briefschreibers handelt, geht aus den Quellen nicht klar hervor. 74 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), 8.4.1954, StAD, Privatschriftgut 2007/190. 75 Annette Remberg, Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt. Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung, Münster/New York 1995, 14. 76 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), 31.3.1954, StAD, Privatschriftgut 2007/190. 77 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 11.2.1911, SFN, NL 120. 78 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 4.2.1911, SFN, NL 120. 79 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 10.2.1911, SFN, NL 120. 80 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 10.2.1911, SFN, NL 120. 81 Tilly Hirschfeld an Henri Mandel, 10.2.1911, SFN, NL 120. 82 Vgl. auch Verheyen, Verbriefte Gefühle, 1128. 83 So war üblicherweise die Familie der Braut für die Auswahl des Brautkleides zuständig, vor allem waren oft deren Schwestern federführend. Aus einem Briefwechsel aus dem Jahr 1903, den Irmgard (geb. Schneider) und Johann Schuller im Jahr ihrer Hochzeit führten, geht jedoch hervor, dass der Bräutigam das Brautkleid zusammen mit seiner Mutter für seine Braut gekauft hatte: »Für das herrliche Brautkleid und den schönen Schleier, welchen ich gestern durch Dein liebes Mutterl von Dir erhielt, danke ich Dir herzinnigst. Die prachtvolle Seide macht mir große Freude und in jeder freien Minute sehe ich mir sie

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wieder an und denke der seligen Stunde, wo Du mich in diesem Kleide begrüßen wirst.« Irmgard Schneider an Johann Schuller, 29.5.1903, SFN, NL 70 I. 84 Geschichtswissenschaftliche und volkskundliche Studien zu Hochzeitsbräuchen, wie etwa der Regelung der Kostenaufteilung innerhalb der Familie, sind für den Alpenraum im Allgemeinen und für Österreich im Speziellen relativ dünn gesät. Vgl. Heidemaria Abfalterer, Tiroler Hochzeitsbrauchtum im Wandel der Zeit, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Innsbruck 1996; Michael Becker, Das Hochzeits- und Verlobungsbrauchtum im Salzburger Flachgau, unveröffentlichte Dissertation, Universität Innsbruck 1979; Michael Greger, Traditionelle Hochzeitsbräuche, Salzburg 2015; Franz Koschier, Kärntner Hochzeit, Klagenfurt 1981; Sabine Kronberger u. Monika Krautgartner, Hochzeitsbräuche in Österreich. Bräuche, Geschichte, Gedichte und Anekdoten rund um den schönsten Tag im Leben, Linz 2015. Einen Aufschwung erleben in letzter Zeit aber Überblickswerke zu Hochzeitsbräuchen und Ratgeberbücher, die auf eine historische Dimension allerdings weitgehend verzichten. 85 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), 23.4.1955, StAD, Privatschriftgut 2007/190. 86 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), ohne Datum (da die erste Seite fehlt, vom Archivar des Stadtarchivs Dornbirn auf den 29.4.1955 datiert), StAD, Privatschriftgut 2007/190. 87 Michael Mitterauer, Funktionsverlust der Familie?, in: ders./Sieder, Patriarchat, 92–117, 114. Zum Prinzip der Neolokalität vgl. auch Mitterauer, Formen, 319 f.; ders., Familie und Arbeitsteilung. Historisch-vergleichende Studien, Wien/Köln/Weimar 1992, 286 f. u. 331. 88 Vgl. Gestrich, Geschichte der Familie, 632. 89 Mehrgenerationenfamilien waren auf Bauernhöfen zwar noch am häufigsten anzutreffen, jedoch stellt Michael Mitterauer eingrenzend fest, »dass im ländlichen Raum in historischen Zeiten Neolokalität keineswegs eine seltene Erscheinung war«. Michael Mitterauer, Formen ländlicher Familienwirtschaft. Historische Ökotypen und familiale Arbeitsorganisation im österreichischen Raum, in: ders. u. Josef Ehmer (Hg.), Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften, Wien/Köln/Graz 1986, 185–325, 320. 90 Vgl. etwa Fred Berger, Auszug aus dem Elternhaus – Strukturelle, familiale und persönlichkeitsbezogene Bedingungsfaktoren, in: ders., Helmut Fend u. Urs Grob (Hg.), Lebensverläufe, Lebensbewältigung, Lebensglück. Ergebnisse der LifE-Studie, Wiesbaden 2009, 195–244; Rüdiger Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, Wiesbaden 20128, bes. 593–640; Laszlo A. Vaskovics, Wandel und Kontinuität der Familie im Spiegel der Familienforschung (Einführung), in: ders. (Hg.), Familienleitbilder und Familienrealitäten, Opladen 1997, 20–49, bes. 32 f. 91 Anke Spory, Familie im Wandel. Kulturwissenschaftliche, soziologische und theologische Reflexionen, Münster 2013, 74. 92 Uwe Schmidt und Marie-Therese Moritz nehmen in ihrem Grundlagenband zur Familiensoziologie diesbezüglich weiterführend eine Differenzierung nach Art der Hilfeleistung vor und kommen zu dem Schluss, dass Familie und Verwandtschaft vor allem in instrumenteller Hinsicht als wichtigstes Beziehungssystem gelten können, während die »Emotionalität der Sozialkontakte […] über Verwandtschaft, Nachbarschaft und Freundeskreis in ihrer Qualität als auch in ihrer Bedeutung streut«; dies., Familiensoziologie, Bielefeld 2009, 85. 93 Sabean, Kinship, 460. 94 Im österreichischen und deutschen Strafgesetz von 1930 (im Rahmen der Rechtsangleichung hatten seit November 1927 gemeinsame Sitzungen der deutschen und österreichi­ schen Strafrechtskonferenzen stattgefunden) § 304, heißt es: »Kuppelei [ …] im Sinne dieses Gesetzes ist die Vorschubleistung zur Unzucht zwischen anderen durch Vermitteln, Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit«; Ergebnisse der deutschen und österreichischen

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parlamentarischen Strafrechtskonferenzen (März 1930), zit. bei: Werner Schubert (Hg.), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, Berlin/New York 1995, 836. Vgl. auch Ilya Hartmann, Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870, Berlin 2006, 192 f.; Uwe Wesel, Die Geschichte der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft, in: Die Zeit, Nr. 52 (1996), o. S., unter: http://www.zeit.de/1996/52/ehe. txt.19961220.xml, Zugriff: 25.10.2016. Es gab 1930 kein länderübergreifendes, gemeinsames Strafgesetz. Im Fall des Kuppeleiparagrafen hatten sich deutsche und österreichische Vertreter der Strafrechtskonferenzen aber auf den gleichen Wortlaut geeinigt. 95 Gestrich, Geschichte der Familie, 510 f. 96 Henri Mandel an Tilly Hirschfeld, 20.11.1910, SFN, NL 120. 97 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, Brief nur mit »Donnerstag, 4. Stunde« datiert, stammt aber laut inhaltlichen Anhaltspunkten vom Februar/März 1959, SFN, NL 78. 98 Der 1841 geborene Beamte Anton Schröfl schrieb an seine um ein Jahr jüngere Frau angesichts eines Umzugs, der aufgrund einer neuen Stellung in einer niederösterreichischen Gemeinde im August 1873 in Angriff genommen wurde: »Ersuche daher die Mutter, sie möge Dir beim Einpacken der kleineren Sachen helfen, damit dieses bereits längstens Sonntag vor sich gegangen ist […]. Zugleich muß ich die Mutter bitten, daß sie mit uns herausfährt, um dir in den ersten 2 bis 3 Tagen hier ein bischen zu helfen, es ist das unbedingt nothwendig.« Anton Schröfl an Emilie Schröfl, 25.8.1873, StAZ, K 485. Hervorhebung wie im Original. 99 Josef Mittendorfer an Veronika (Nachname unbekannt), 1.2.1955, StAD, Privatschriftgut 2007/190. 100 Gestrich, Geschichte der Familie, 467. 101 Ernst Hanisch, Alltag im Krieg. Erfahrungen an der Heimatfront, in: Oskar Dohle u. Thomas Mitterecker (Hg.), Salzburg im Ersten Weltkrieg. Fernab der Front – dennoch im Krieg, Wien 2014, 32–46, 38; vgl. auch Manuela Hauptmann, Unterhaltsbeiträge für Soldatenfamilien der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg, unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien 2015; dies., Frauenprotest und Beamtenwillkür. Die Unterhaltsbeitragszahlungen im Ersten Weltkrieg in Norm und Praxis, in: Österreich in Geschichte und Literatur (ÖGL), 56, 3 (2012), 247–258. 102 Das war umso mehr der Fall, als der Unterhaltsbeitrag nicht mit den raschen Preissteigerungen Schritt halten konnte. 103 Zur Korrespondenz von Christl und Leopold Wolf vgl. auch Christa Hämmerle, Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares, in: dies., Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2014, 55–83 u. 220–230 (Orig. 1998); dies., ›You let a weeping woman call you home?‹ Private correspondences during the First World War in Austria and Germany, in: Rebecca Earle (Ed.), Epistolary Selves. Letters and Letter-Writers, 1600–1945, Aldershot 1999, 152–182; sowie im vorliegenden Band den entsprechenden Beitrag von Ines Rebhan-Glück. 104 Christl Wolf an Leopold Wolf, 16.2.1918, SFN, NL 14 I. 105 Christl Wolf an Leopold Wolf, 10.9.1918, SFN, NL 14 I. Hervorhebung wie im Original. 106 Christina Geister, Biografische Fallrekonstruktion in der Alternsforschung am Beispiel pflegender Töchter, in: Andreas Motel-Klingebiel u. Udo Kelle (Hg.), Perspektiven der empirischen Alter(n)ssoziologie, Wiesbaden 2002, 191–220, 212. 107 Christl Wolf an Leopold Wolf, 16.6.1918, SFN, NL 14 I. Da der Briefwechsel mit Ende des Krieges abbricht – Christl Wolf befindet sich zu dieser Zeit immer noch auf dem Land in Niederösterreich – ist aus der Korrespondenz nicht ersichtlich, ob der Umzug tatsächlich stattfand. 108 Gestrich, Geschichte der Familie, 633. 109 Hertha Feldbauer an Friedrich Kastner, ohne Datum (Brief stammt laut inhaltlichen Anhaltspunkten vom Februar/März 1959), SFN, NL 78.

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110 Rüdiger Peuckert, Großeltern, Eltern und Kinder. Familie als Solidargemeinschaft, Wiesbaden 2012, 594. 111 Rosemarie Nave-Herz, Der Familienzyklus als empirischer Forschungsansatz, in: dies. u. Friedrich W. Busch (Hg.), Familie und Gesellschaft. Beiträge zur Familienforschung, Oldenburg 2005, 207–218, 215; Rosemarie Nave-Herz, Kontinuität und Wandel der Familie in Deutschland. Eine zeitgeschichtliche Analyse, Stuttgart 2002, 45 f. 112 Gemeint ist der »Volksbund für das Deutschtum im Ausland« (VDA), mit Adresse in der Martin Lutherstraße 97 in Berlin. Zum VDA vgl. Hans-Werner Retterath, Von »deutscher Treue« bis zu »deutscher Vergeltung«. Zur Symbolik der auslanddeutschen Kulturarbeit in der Zwischenkriegszeit am Beispiel ihrer Institutionsabzeichen, in: Rolf Wilhelm Brednich u. Heinz Schmitt (Hg.), Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongress in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995, Münster 1997, 408–421, 409–412. 113 Rudolf Kretschmar an Charlotte Kretschmar, 25.11.1943, SFN, NL 60.

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Unser Dank

geht an viele, die uns während der Entstehung dieses Buches bereichert, ermun­ tert und unterstützt haben. Es hätte vor allem ohne all jene Menschen nicht geschrieben werden können, deren Korrespondenzen im Rahmen unseres Forschungsprojekts ausgewertet wurden. Manche haben den Prozess der Lektüre, des Erschließens und der Interpretation dieser Quellen aktiv begleitet: Die Gespräche und biografischen Informationen sowie die Bereitschaft, ihre für sie persönlich so wertvollen, mit vielen Erinnerungen verbundenen Briefe einer wissenschaftlichen Zugangsweise zur Verfügung zu stellen, waren ein unschätzbarer Beitrag. Ihnen und all jenen, die uns beziehungsweise der Sammlung Frauennachlässe Bestände ihrer verstorbenen Eltern, Großeltern oder anderer Verwandter überlassen haben, möchten wir dieses Buch widmen. Besonders inspirierend war auch die intensive Zusammenarbeit im Team des Projekts »(Über) Liebe schreiben«. Darüber hinaus hat Li Gerhalter, als Betreuerin der Sammlung Frauennachlässe, aus der ein großer Teil der untersuchten Quellen stammt, unsere Forschungen von Anfang an mitgetragen, mit dem ihr eigenen Enthusiasmus und ihrer profunden Kenntnis einzelner Vorund Nachlässe. Wichtige Unterstützung erhielten wir bei den Recherchen auch in anderen österreichischen Archiven: im Stadtarchiv Zwettl von Friedel Moll, im Stadtarchiv Salzburg/Haus der Stadtgeschichte von Sabine Veits-Falk und Thomas Weidenholzer, im Stadtarchiv Dornbirn von Werner Matt sowie im »Zeitgeschichte Museum Ebensee« und seinem Archiv von Nina Höllinger. Der nächste Schritt im Forschungsprozess, nämlich die Transkription der umfangreichen Quellen, wäre ohne eine Mitwirkung anderer gleichfalls nicht realisierbar gewesen: Das waren in Wien vor allem – bevor sie ins Projektteam einstieg – Brigitte Semanek sowie Thomas Tretzmüller und Helmut Osberger, und in Salzburg Rosemarie Linortner, Barbara Hufnagl und Susanne Höll. Von überaus großem Engagement haben schließlich auch die fertigen Beiträge des vorliegenden Sammelbands profitiert, die von Thomas Tretzmüller und Silvia Hovdar mit bemerkenswerter  – auch inhaltlich interessierter  – Sorgfalt und profundem Sprachgefühl lektoriert wurden. Bei den vielen technischen, grafischen, auf das Layout bezogenen und sonstigen Fragen im Zuge der Manuskripterstellung und -gestaltung sowie bei eiligen Hilfestellungen in diese Richtung konnten wir stets mit Jürgen Ehrmann, Michaela Hafner, Ulrich Hantsch, Angelika Hofer, Hans Kanitschar, Birgit Unser Dank

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Nagy-Glaser und Beate ­Pamperl rechnen – auch ihnen gilt unser Dank. Die Abbildung für das Buchcover wurde, nach einer ersten Idee von Li Gerhalter, von Gerhard Bauer/Perndl+Co professionell-kreativ gestaltet. Unser Forschungsprojekt wurde in den Jahren 2010–2014 vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich (FWF) finanziert, die Stiftungs-und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg und die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien haben Druckkostenbeiträge bewilligt. Namentlich danken möchten wir in diesem Zusammenhang insbesondere Beatrix Asamer (FWF), Claudia TheuneVogt und Brigitte Keltner (Universität Wien) sowie Marcus Hanke (Universität Salzburg). Konzept und Ergebnisse des Projekts konnten auch außerhalb des engeren Projektteams, das heißt der Autorinnen dieses Bandes, intensiv diskutiert werden, auf Vorträgen, unter Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Disziplinen, in Form von Workshops et cetera. Dafür möchten wir insbesondere Ute Frevert, Benno Gammerl und Anja Laukötter vom Forschungsbereich Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung danken, und Caroline Arni, Karin Hausen, Elissa Mailänder, Waltraud KannonierFinster und Meinrad Ziegler. Und schließlich, last, but not least, richtet sich unser Dank an Susanne Franzkeit, die uns mit dem Sammelband »Liebe schreiben« in den Verlag Vandenhock & Ruprecht geholt hat, sowie an den dortigen Lektor für Geisteswissenschaften Kai Pätzke und die Herstellungsleiterin Ulrike Bade für ihre kompetente und entgegenkommende Begleitung vom Manuskript bis zum nunmehr vorliegenden Buch. Ingrid Bauer und Christa Hämmerle

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Verzeichnis der Autorinnen

Barbara Asen, Lektorin am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Ingrid Bauer, Ao. Universitätsprofessorin a. D. am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg und freie Autorin in Wien. Christa Hämmerle, Ao. Universitätsprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Wien und Leiterin der Sammlung Frauennachlässe. Ines Rebhan-Glück, Universitätsassistentin am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien. Brigitte Semanek, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten. Nina Verheyen, Akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl Neuere Geschichte der Universität Köln.

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