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German Pages 256 Year 2007
jürgen Lüdicke (Hrsg.) Besteuerung von Unternehmen im Wandel
Forum der Internationalen Besteuerung
Band 32
Besteuerung von Unternehmen im Wandel Internationale Umwandlungen Funktionsverlagerungen · Betriebsstätten
Herausgegeben von
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Hamburg mit Beiträgen von
Prof. Dr. Gerrit Frotscher Dr. Christian Kaeser Manfred Naumann Dr. Hans-Werner Neye Dr. Wolfgang Peiner Prof. Dr. Thomas Rödder Prof. Dr. Wolfgang Schön Diskussionsteilnehmer
Hans-Henning Bernhardt Gert Müller-Gatermann Prof. Dr. Dietmar Gosch Prof. Dr. Jürgen Lüdicke und die Beitragsverfasser
2007
Verlag Dr.OttoSchmidt Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
V erlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221/9 37 38-01, Fax 022119 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61532-1 ©2007 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck: Grosch, Eppelheim Printed in Germany
Vorwort Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen sind stetem W andel unterworfen. Reaktionen der Unternehmen und des Gesetzgebers beeinflussen sich gegenseitig. Unter dem Generalthema "Besteuerung von Unternehmen im Wandel" hat sich die 23. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung am 1. Dezember 2006 mit verschiedenen Aspekten dieses Wandels beschäftigt. Weltweiter Wettbewerb zwingt die Unternehmen, sich den Herausforderungen durch Anpassung der Unternehmensform und Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit in unterschiedlichen Ausprägungen zu stellen. Der Steuergesetzgeber sucht die Balance zwischen Sicherung des Steueraufkommens, angemessener Reaktion auf staatlichen Steuerwettbewerb und Beachtung der europarechtlichen Vorgaben. Das unmittelbar vor der Tagung beschlossene Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG), die Arbeiten der OECD zur Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten sowie die vom Bundesministerium der Finanzen geplante Regelung zur Funktionsverlagerung standen im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen. Wolfgang Feiner, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, stellt in seinem Grußwort die Bedeutung der Thematik für die Haushalts- und Wirtschaftspolitik dar. Hans-Werner Neye erläutert die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und aktuellen Gesetzgebungsmaßnahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen. Thomas Rödder behandelt die steuerlichen Aspekte von Umwandlungsvorgängen mit grenzüberschreitendem Bezug unter dem Regime des SEStEG. Wolfgang Schön befasst sich kritisch mit der Neuorientierung der OECD zur Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten ("separate entity approach"). Christian Kaeser untersucht die systematischen Zusammenhänge und praktischen Folgen der Neuregelung von Entstrickung und Verstrickung im SEStEG.
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Vorwort
Manfred Naumann erläutert die Hintergründe und den Stand der Arbeiten der Finanzverwaltung zur Regelung der Funktionsverlagerung. Gerrit Frotscher nimmt in seinem Co-Referat zu einigen Grundpositionen im Entwurf eines Funktionsverlagerungserlasses kritisch Stellung.
Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Hans-Henning Bernhardt, Dietmar Gosch, Gert Müller-Gatermann und den Referenten. Hamburg, im August 2007
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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke
Grußwort
Sehr geehrter Professor Lüdicke, meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie als Finanzsenator hier heute begrüßen zu dürfen. Es ist in der Tat das letzte Mal, weil ich zum Jahresende ausscheiden möchte. Aber, Herr Lüdicke, ich verspreche Ihnen, dass ich meinem Nachfolger, Herrn Freytag, dieses ausdrücklich ans Herz legen werde. Aber ich darf Ihnen auch darüber hinaus versichern, dass meine langjährige persönliche Verbundenheit zu dem Förderverein, zu dessen Gründungsvätern ich gehöre, und der traditionellen Hamburger Tagung bestehen bleiben wird, obwohl ich noch nicht sicher bin, ob ich mir in Zukunft die Tagungsbeiträge leisten kann. Ich habe aber festgestellt, für Studenten haben Sie Sonderpreise. Da muss ich sehen, wie ich das in irgendeiner Form nutze. Hamburg, meine Damen und Herren, ist eine wachsende Stadt. Harnburg hat durch die Wiedervereinigung, aber vor allem auch durch die Erweiterung der EU besonders profitiert und eine einmalige Zukunftschance bekommen. Harnburg gewinnt die Funktion als Drehscheibe zwischen den Wachstumsmärkten des Ostseeraumes und den Weltmärkten wieder zurück und erhält auch seine geopolitische Lage als Brücke für Osteuropa wieder. Hamburg, das ist eine Erkenntnis, die man als gesichert betrachten kann, ist Gewinner Europas und auch Gewinner der Globalisierung. Nicht zuletzt hat es gestern Abend noch im Rathaus der Präsident der Europäischen Kommission, Barroso, deutlich festgesteH t. Mit dem Zusammenwachsen Europas wird in den letzten Jahren auch deutlich, dass die Anwendung des Buroparechts tiefgehende Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Staatswesens beinhaltet und auch das Steuerrecht davon maßgeblich betroffen ist, weil es auch im Bereich derjenigen Steuern, für die kein direkter Harmonisierungsauftrag besteht, zunehmend europatauglich ausgestaltet werden muss, damit es nicht zu einem Verstoß gegen europäische Grundfreiheiten kommt. Insofern sind Sie natürlich mit Ihren Themen wieder sehr aktuell:
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Grußwort 2003: 2004: 2005: 2006:
"Deutsches Steuerrecht im europäischen Rahmen", "Tendenzen der europäischen Unternehmensbesteuerung", "Europarecht - Ende der nationalen Steuersouveränität" und nun "Besteuerung von Unternehmen im Wandel" mit den Untertiteln: Internationale Umwandlungen, Funktionsverlagerungen, Betriebsstätten.
Diese Themenauswahl verdeutlicht den Bedeutungszuwachs für die praktische Relevanz des Themas Europa. Sie beschäftigen sich heute mit internationalen Umwandlungen und Funktionsverlagerungen und Fragen im Zusammenhang mit der Besteuerung von Betriebsstätten. Deswegen glaube ich, ist Ihr Tagungsverlauf ausgesprochen interessant, aber auch aktuell. Wie Herr Lüdicke schon eben sagte, der Bundesrat, dem auch das Land Harnburg angehört, hat im vorauseilenden Gehorsam Ihrer Veranstaltung gehandelt und in der letzten Woche, am 24. November 2006, rechtzeitig das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weit reichender steuerlicher Vorschriften verabschiedet. Drei Zeilen - "SEStEG" ist wesentlich kürzer -, aber die Länge des Gesetzes gibt im Grunde genommen auch die Komplexität und den zeitlichen Vorlauf angemessen wieder. Mit diesem SEStEG wurden zum einen die nationalen steuerlichen Vorschriften zur Umstrukturierung von Unternehmen an die jüngsten gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Entwicklungen und Vorgaben des europäischen Rechts angepasst. Aber zum anderen wurden in diesem Komplex auch Maßnahmen zur Vermeidung von Steuergestaltungen und damit auch zur Sicherung deutscher Besteuerungsrechte getroffen. Ich bin davon überzeugt, dass mit diesem Gesetz insgesamt eine recht gute Lösung gefunden wurde. Denn wir stehen immer in dem Spannungsverhältnis, im Spannungsfeld zwischen den notwendigen Sicherstellungen des nationalen Steueraufkommens, denn die Finanzminister des Bundes und der Länder wollen natürlich auch irgendwo eine Grundlage haben, aufgrund deren sie dann die Ausgaben beschließen können. Aber auf der anderen Seite - und das ist uns gleichermaßen wichtig- sind die Bedürfnisse der Wirtschaft, die im EU-Binnenmarkt zu Recht fordert, dass betriebswirtschaftlich sinnvolle oder gar notwendige grenzüberschreitende Umstrukturierungen nicht an steuerlichen Vorschriften scheitern. Dieses Spannungsverhältnis zu lösen, ist in der Tat Aufgabe des Gesetzgebers. Dem Gesetzesbeschluss sind in-
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Grußwort tensive Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung der Neuregelung vorausgegangen. Der Bundesrat hat zu dem Gesetzesbeschluss des Bundestages eine Reihe von Änderungswünschen und Prüfbitten geäußert, die insbesondere auf eine Überarbeitung der Entstrickungsregelung und des Einbringungsteils abzielten. Obwohl die Bundesregierung zunächst den Großteil dieser Vorschläge skeptisch gesehen hatte, hat sie schließlich doch in einigen Punkten eingelenkt. Dieses SEStEG muss meines Erachtens ohnehin im Zusammenhang gesehen werden mit der Unternehmenssteuerreform 2008. Was wollen wir mit der Unternehmenssteuerreform 2008 erreichen? Wir wollen innerhalb von Europa, aber auch über Europa hinaus, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandortes Deutschland verbessern. Wir wollen aber auch den Export von Gewinnen vermeiden. Unser Ziel ist es, dass die Besteuerung der Gewinne dort stattfindet, wo die Gewinne auch erwirtschaftet werden. Dazu dient zum Beispiel die Abschaffung der in der Praxis schwer handhabbaren Regelung der Gesellschafterfremdfinanzierung und die Einführung einer modifizierten Zinsschranke mit Escape-Klausel, das heißt die Beschränkung der Abzugsfähigkeit des Zinsaufwandes auf 30 % des Gewinns vor Abzug des Zinssaldos mit einer Freigrenze, aber vor allen Dingen dank eben der sogenannten Escape-Klausel keine Zinsschranke, wenn der Nachweis erbracht wird, dass das Verhältnis Eigenkapital - Fremdkapital bei allen verbundenen Unternehmen, das heißt auch in einer internationalen Konzernbetrachtung, nicht günstiger ist als bei den zu prüfenden Konzernteilen. Wir wollen gleichzeitig, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, bei der Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften eine weitgehende Rechtsformneutralität herstellen, allerdings möglichst ohne komplizierten bürokratischen Aufwand. Ich verhehle nicht, dass Harnburg hier einen Vorschlag gemacht hatte, lieber Herr Nagel, der aus unserer Vorstellungswelt wesentlich einfacher und handhabbarer gewesen wäre als das, was jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagen wird. Aber die Politik lebt doch auch irgendwo von Kompromissen in der Sache. Deswegen sagen wir auch, wir können das jetzige Modell mittragen. Wir werden das Modell auch unterstützen. Wir glauben aber, dass es kein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung sein wird. Hier möchte ich auch einmal hinweisen auf das Thema der Thesaurierungsbegünstigung für Personengesellschaften, auf die wir uns geeinigt haben. Das ist sicher sinnvoll, weil es auch eine größtmögliche
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Grußwort Gleichbehandlung mit den Kapitalgesellschaften bewirkt. Wir hätten uns lieber gewünscht, dass man die Personengesellschaften von vornherein wie Kapitalgesellschaften behandelt hätte, hier insbesondere, wenn sie zum Beispiel auch Kapitalgesellschaften als Gesellschafter hätten. Das wäre sicher die praktikablere Sache gewesen. Deswegen macht es uns schon Sorge, dass dieses Modell nicht gerade einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung leistet, und wir hoffen, dass wir im Gesetzgebungsverfahren dieses Thesaurierungsmodell doch noch so schlank gestalten können, dass es auch in der Praxis praktikabel ist. Gewisse Befürchtungen haben wir auch im Hinblick auf die Zinsschranke. Als Gedankenmodell mag es sehr interessant sein, und es gab auch viele Denk- und Rechenmodelle dazu. Aber das Modell Zinsschranke im Verbund mit der Escape-Klausel hört sich modellhaftgut an, aber ich glaube, es sind auch da noch zahlreiche Einzelheiten zu klären. Lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen, das auch in die Unternehmenssteuerreform 2008 eingebettet ist und mit dem Sie sich heute auch beschäftigen. Das ist das Thema der Funktionsverlagerung. Dabei geht es darum, dass Kosten für Forschung und Produktentwicklung in Deutschland anfallen und hier die Unternehmensergebnisse mindern. Sobald jedoch marktgängige ertragbringende Produkte entstanden sind, wird deren Verwertung auf verbundene Unternehmen übertragen, die sich in einem niedriger besteuerten Ausland befinden. Wir müssen darauf reagieren, dass in Teilbereichen unserer Wirtschaft Forschung und Entwicklung im Inland belassen werden mit der Folge, dass hier die steuerwirksamen Aufwendungen anfallen, die Produktion der entwickelten Produkte jedoch im Ausland erfolgt, so dass dort die Erträge entstehen und dort auch besteuert werden. Ziel ist es also, dass Produkte, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen mit hohem Kostenaufwand entwickelt hat, von einem ausländischen Unternehmen nur dann vermarktet werden können, wenn es im Gegenzug zu angemessenen Zahlungen an das deutsche Unternehmen kommt. Im Rahmen der Unternehmensbesteuerung sollen gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die es der Steuerverwaltung ermöglichen, die Übertragung wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz besteuern zu können. Allerdings - und hier sind wieder die natürlichen Grenzen - darf bei möglichen Lösungen das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Wir müssen strikt darauf achten, dass die Unternehmerischen X
Grußwort Grundfreiheiten nicht eingeschränkt werden. Selbstverständlich ist jedes Unternehmen in der Entscheidung frei, ob es selbst Funktionen wahrnimmt oder auf ein konzernzugehöriges Unternehmen überträgt, ob Funktionen auf mehrere Unternehmen aufgeteilt oder auf Dritte verlagert werden. Vor allen Dingen dürfen mögliche Regelungen nicht zur Folge haben, dass zukünftig zwar nicht mehr Forschungsaufwendungen als Betriebsausgaben in Deutschland anfallen, aber auch die Forschung selbst nicht mehr in Deutschland stattfindet, weil man sie ebenfalls ins Ausland verlagert hat. Dies würde den Standort nicht stärken, sondern ganz im Gegenteil schwächen. Sie sehen, in welchem Spannungsfeld wir uns hier bewegen. Wir wollen, dass es den Unternehmen gut geht, wir wollen auch, dass es den Unternehmen in Deutschland gut geht, aber wir haben auch die Hoffnung, dass für die Finanzminister ein maßvoller Beitrag dabei abfällt. Das ist das Spannungsfeld, und ich würde mich freuen, wenn Ihre heutige Diskussion gerade in Bezug auf dieses Thema zu weiterführenden Ergebnissen kommt, die von möglichst Vielen aus unterschiedlichsten Interessenpositionen heraus mitgetragen werden können. In diesem Sinne wünsche ich allen Teilnehmern eine interessante Tagung, aber auch den Finanzministern in Zukunft eine gute Besteuerungsgrundlage. Dr. Wolfgang Peiner Finanzsenator der Freien und Hansestadt Harnburg
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Inhaltsverzeichnis* Seite
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Vorwort
Grußwort .. ......... ....... ........ ...... .. ....... ......... .... ....... ..... ..... ......... .... ....... ... VII
Dr. Hans-Werner Neye Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Berlin
Gesellschaftsrechtliche Grundlagen für grenzü herschreitende Umwandlungsvorgänge I. II. III. IV. V.
Einleitung ................................................................................ ... 2 Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft (SE) .... ... .... ..... ..... ........ ... ........ ......... .... .. .. ... ...... ..... ... ......... ........... 2 Die neue Verschmelzungsrichtlinie .... ................. ...... ..... ......... 3 Geplante Umsetzung in Deutschland ....... .......... ..................... 11 Ausblick .......................................................... ............. ............... 22
Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bann
Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht I. II. III. IV. V.
*
Einleitung ................................................................................ .. . Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts und der Regelungen zur Sitzverlegung .. ........ ........ ... ........ .............. ...... Entstrickung ........................................................... ...... .............. Verstrickung ................. ...................... .... .. .................................. Weitere Änderungen im Umwandlungssteuergesetz ... ...... ...
25 26 33 36 37
Ausführliche Inhaltsübersichten zu Beginn der jeweiligen Beiträge.
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Inhaltsverzeichnis Seite
VI. VII.
Regelungen zum Einlagekonto, Körperschaftsteuerguthaben und EK 02 .................... .............. .................. ..... ....... Umwandlungen im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung ..............................................................................
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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge - Podiumsdiskussion - ............. .......................... ................... .............
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Prof. Dr. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München
Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten I. II. III. IV.
Selbständigkeitsfiktion und Innentransaktionen ........ ......... 71 Rechtlicher Rahmen .. .......................... .................................. ... 84 Konzept der verselbständigten Betriebsstätte ...................... 94 Schlusswort .............................................................................. 112
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten - Podiumsdiskussion - ........ .......................................... ............ ...... ... 115
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Inhaltsverzeichnis Seite
Dr. Christian Kaeser Rechtsanwalt, Siemens AG, München
Entstrickung und Verstrickung -Neue Grundsätze nach dem SEStEGI. li. III. IV. V.
VI. VII.
Einleitung .. .......................................... ........... .......................... Begriffe der Verstrickung und Entstrickung ......................... Sachliche Rechtfertigung einer Entstrickungsbesteuerung und der Verstrickungsfolgen ...... ............ ................................ Gemeinschaftsrechtliche Leitplanken einer Entstrickungsbesteuerung .......... ...... .. .. .. .. ... ... .. .... .. ...... ........ ...... ........ ...... ... ... Abkommensrechtliche Rahmenbedingungen- die Entstrickung und Verstrickung bei der Überführung in eine Betriebsstätte ........ ..... ......... ...... ........ .......... ... .. ..... .... .. .. ............ Regelungen des SEStEG zur Entstrickung und Verstrickung ..................................... ................. ....................... Schlussbemerkung ........................ ...... ..... ... ...... ... ..... ... ... ... .. ....
131 132 137 140
141 146 154
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Entstrickung und Verstrickung - Podiumsdiskussion - .... .. ... ... .. ...... ....... .. ...... ........... ........ ...... .... ....... 155
Manfred Naumann Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
FunktionsverIagerung I. II. III. IV.
Einleitung ................................................................................. Entwurf eines BMF-Schreibens zu Funktionsverlagerungen Denkbare Neuregelungen zur Funktionsverlagerung ... ... ... Schlussbemerkung ...................................................................
167 169 180 181
XV
Inhaltsverzeichnis Seite
Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Harnburg
Funktionsver Iagerung I. II. III. IV.
Einleitung ........ ...... ..... ... ... ..... ......... .... ........... ... ..... ...... ...... ... .. .. Steuerliche Rechtsgrundlagen der Funktionsverlagerung .. Ausgewählte Einzelfragen ....... ..... .......................................... Fazit .......................................................... .............................. ...
183 187 198 205
Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
FunktionsverIagerung - Podiumsdiskussion - .... ............. ....... .................... .......... ...... ..... ...... 207
Stichwortverzeichnis ...... ........ .............. ........... ...... .... .... ...... ................ 227
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Gesellschaftsrechtliche Grundlagen für grenzüberschreitende Umwand! ungsvorgänge Dr. Hans-Werner Neye Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Berlin
Inhaltsübersicht I. Einleitung
II. Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft (SE) ............... .
2
2
111. Die neue Verschmelzungsrichtlinie ............................. . 3 1. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen ...... . 5 2. Grundsatz der vorrangigen Geltung nationalen Rechts 6 3. Verschmelzungsplan ....... ... 7 4. Publizität ............................ . 7 5. Verschmelzungsbericht ..... . 8 6. Sachverständigenbericht .... 8 7. Zustimmung der Gesellschafterversammlung ......... 9 8. Rechtmäßigkeitskontrolle .. 9 9. Wirksamwerden ................. 10 10. Eintragung und Bekanntmachung .............................. 10 11. Erleichterungen für die Konzernverschmelzung ... .. 11
IV. Geplante Umsetzung in Deutschland ....................... 1. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen ....... 2. Verschmelzungsplan .......... 3. Bekanntmachung ........ ........ 4. Verschmelzungsbericht .. .... 5. Verschmelzungsprüfung ... 6. Zustimmung der Anteilsinhaber ................................. 7. Schutz von Minderheitsgesellschaftern .................... 8. Gläubigerschutz .................. 9. Verschmelzungsbescheinigung .................................. 10. Eintragung, Bekanntmachung und Wirksamwerden .................................
11 12 13 15 15 16 16 17 19 20
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V. Ausblick 1. SEVIC-Urteil und seine weiteren Konsequenzen
22 2. Geplante Sitzverlegungsrichtlinie ............ ................ .. 23
1
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
I.
Einleitung
In diesem Beitrag soll zunächst kurz auf die Möglichkeit eingegangen werden, eine Europäische Gesellschaft (SE) im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu gründen bzw. nach der Gründung einer solchen Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen wird die geplante Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie in Deutschland stehen. Abschließend soll ein kurzer Ausblick auf die weiteren Folgen, die sich aus dem SEVIC-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ergeben, und auf die demnächst erwartete Sitzverlegungsrichtlinie gegeben werden.
II.
Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft (SE)
Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)1 ist nach Art. 70 SE-VO am 8.10.2004 in Kraft getreten. Bekanntlich gilt eine Verordnung gern. Art. 249 EG unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Auch die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft bedurfte daher grundsätzlich keiner Umsetzung in deutsches Recht. Abweichend vom Regelfall enthält sie aber zahlreiche Regelungsaufträge und Wahlrechte für die nationalen Gesetzgeber, sodass auch in Deutschland ein besonderes Ausführungsgesetz notwendig wurde. Bei dem Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG)2 handelt es sich um ein sog. Artikelgesetz, das mit Ausnahme der notwendigen steuerrechtliehen Begleitbestimmungen, die jüngst gesondert geregelt wurden3, alle notwendigen Vorschriften für die Gründung und die Existenz einer Europäischen Gesellschaft mit Sitz in Deutschland umfasst. Art. 1 SEEG beinhaltet das Ausführungsgesetz zu der EG-Verordnung (SEAG). Durch Art. 2 SEEG (SE-Beteiligungs-
1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. 2 Vom 22.12.2004, BGBl. I 2004, 3675. 3
2
Vgl. das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.
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Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
gesetz - SEBG) wird die ergänzende Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer umgesetzt. Die weiteren Artikel enthalten notwendige Folgeänderungen im Gerichtsverfassungsgesetz (Art. 3 SEEG), im Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 4 SEEG), im Spruchverfahrensgesetz (Art. 5 SEEG), im Arbeitsgerichtsgesetz (Art. 6 SEEG) sowie in der Handelsregisterverordnung (Art. 7 SEEG). Gern. Art. 2 Abs. 1 SE-Verordnung können Aktiengesellschaften, die dem Recht verschiedener EU-Mitgliedstaaten unterliegen, eine Europäische Gesellschaft im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gründen. Die näheren Einzelheiten sind in den Art. 17 ff. SEVerordnung geregelt. Für das deutsche Recht werden sie ergänzt durch die Vorschriften des SE-Ausführungsgesetzes. Eine einmal gegründete Europäische Gesellschaft hat sodann die Möglichkeit, nach Art. 8 SE-Verordnung ihren Sitz identitätswahrend, das heißt ohne vorherige Auflösung und Neugründung, in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Für die Sitzverlegung einer "deutschen" SE sind dabei zusätzlich die§§ 12 ff. SEAG zu beachten. Die Gründung einer SE durch Verschmelzung und die Sitzverlegung einer solchen Gesellschaft sind bislang die einzigen gesetzlich geregelten Möglichkeiten für grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge. Diese Situation wird sich aber demnächst nach Umsetzung der Verschmelzungsrichtliniegrundlegend ändern.
111. Die neue Verschmelzungsrichtlinie Am 15.12.2005 ist die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in Kraft getreten.4 Damit fand ein wichtiges Harmonisierungsvorhaben, das die Organe der Gemeinschaft lange Zeit beschäftigt hat, seinen erfolgreichen Abschluss. Schon im ursprünglichen EWG-Vertrag von 1957 wurde die Niederlassungsfreiheit auch für Gesellschaften erwähnt.5 Nach Art. 220 EGV (heute Art. 293 EG) sollten zwischen den Mitgliedstaaten Verhandlun4
Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABI. EU Nr. L 310 v. 25.11.2005, 1 ff. 5 Vgl. Art. 52 und 58 EGV; jetzt Art. 43 und 48 EG.
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Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
gen geführt werden können, um ein Übereinkommen abzuschließen, das die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften betrifft. Der Entwurf eines solchen Übereinkommens wurde 1972 vorgelegt und in der Folgezeit beraten.6 Nach dem Beitritt Dänemarks, Irlands und des Vereinigten Königreichs zur Gemeinschaft kamen die Verhandlungen später aber zum Erliegen. Nach Verabschiedung der Dritten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie7 schlug die Kommission vor, auch die grenzüberschreitende Verschmelzung nicht durch ein Übereinkommen, sondern ebenfalls durch eine Rechtsangleichungsrichtlinie zu regeln, und legte dazu 1985 einen entsprechenden Text vor.8 Wegen der sich aus den großen Unterschieden zwischen den Rechten und Auffassungen der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer ergebenden Problematik kam ähnlich wie andere Vorhaben auf dem Gebiet des Europäischen Gesellschaftsrechts - erinnert sei vor allem an die Europäische Gesellschaft (SE)9 auch dieses Projekt zunächst nicht voran. Erst der politische Durchbruch bei der SE im Jahr 2000 machte auch den Weg frei für eine Fortsetzung der Arbeiten an der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung. Nach Vorarbeiten einer Expertengruppe unter Leitung des Niederländers ]aap Winter, die ihren Niederschlag im Abschlussbericht10 vom November 2002 fanden, kündigte die Kommission in ihrem Aktionsplan "Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union"11 im Mai 2003 die kurzfristige Vorlage eines neuen Richtlinienvorschlags an.
6 Vgl. EG Bulletin 1973, Beilage 13. 7 Dritte Richtlinie des Rates v. 9.10.1978 gern. Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. EG Nr. L 295 v. 20.10.1978, 36 ff. 8 ABl. EG Nr. C 23 v. 25.1.1985, 11 ff. Vgl. dazu Ganske, DB 1985, 581. 9 Vgl. dazu näher Neye in Festschrift Röhricht, 2005, S. 444 ff. 10 Veröffentlicht auf der Hornepage der Kommission unter http:// europa.eu. int/ comm/ internal_market/ en/ company / company /modern/ consult/ report _de.pdf. 11 Veröffentlicht auf der Hornepage der Kommission unter http:/ /europa.eu. int/ eur-lex/ fr / com/ cnc/ 2003/ com2003 _0284de0l.pdf = NZG 2003, Beilage zu Heft 13.
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Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
Dieser wurde Ende November 2003 als "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten" publik gemacht.12 Nach außerordentlich zügigen Verhandlungen im Rat und nach nur einer Lesung im Europäischen Parlament konnte die Richtlinie am 20.9.2005 vom Rat endgültig verabschiedet werden. Um die geplante Umsetzung verständlicher zu machen, sollen nachfolgend zunächst die wesentlichen Regelungen der Richtlinie13 im Überblick dargestellt werden, soweit sie für das deutsche Recht von Bedeutung sind.
1.
Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Nach Art. 1 VerschmelzungsRL gilt die Richtlinie für Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben, sofern mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Die Definition der Verschmelzung in Art. 2 Abs. 2 VerschmelzungsRL folgt im Grundsatz derjenigen in Art. 2 Buchst. a FusionsRL14. Anders als noch im früheren Vorschlag von 1985 vorgesehen, soll die Richtlinie nicht nur auf Aktiengesellschaften, sondern auf "Kapitalgesellschaften" anwendbar sein. Dies sind nach der Definition in Art. 2 Abs. 1 VerschmelzungsRL zunächst ausdrücklich alle die Gesellschaften, die in der Publizitätsrichtlinie15 aufgeführt sind, also neben Aktiengesellschaften auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung
12 Vgl. Dok. 2003/0277 = Ratsdokument 15305/03. Auch veröffentlicht als ERDrucks. 915/03. Zum Inhalt vgl. Maul(JeichmannjWenz, BB 2003, 2633; Müller, ZIP 2004, 1790; Pluskat, EWS 2004, 1. 13 Vgl. dazu auch die Beiträge von Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401; Drinhausenf Keinath, RIW 2006, 81; Frischhut, EWS 2006, 55; GeyrhalterjWeber, DStR 2006, 146; Nagel, NZG 2006, 97; Neye, ZIP 2005, 1893; Oechsler, NZG 2006, 161; Teichmann, ZIP 2006, 355. 14 Richtlinie 90/434/EWG. Geändert durch die Richtlinie 2005/19/EG v. 17.2.2005, ABI. EU Nr. L 58/2005, 19 ff. 15 Richtlinie 68/151/EWG v. 9.3.1968, ABI. EG Nr. L 65 v. 14.3.1968, 8 ff.
5
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
und Kommanditgesellschaften auf Aktien, und damit die Rechtsformen, die praktisch im Recht aller Mitgliedstaaten bekannt und weitgehend ähnlich strukturiert sind. Darüber hinaus sollen aber ganz generell auch Gesellschaften erfasst werden, wenn es sich um juristische Personen handelt, die über Haftkapital verfügen, und für sie Publizitätsvorschriften gelten. Mit diesen Kriterien werden in einigen Mitgliedstaaten über den Bereich der in der Publizitätsrichtlinie erwähnten "klassischen" Kapitalgesellschaften hinaus auch andere Rechtsformen wie insbesondere Genossenschaften einbezogen. Um den von verschiedenen Delegationen bei den Verhandlungen in Brüssel geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen, räumt Art. 3 Abs. 2 VerschmelzungsRL den Mitgliedstaaten aber das Recht ein, sie nicht auf Genossenschaften anzuwenden, selbst wenn die genannten Kriterien für die Definition der Kapitalgesellschaft erfüllt sein sollten (opt-out-Lösung). Eine weitere Ausnahme findet sich in Art. 3 Abs. 3 VerschmelzungsRL für die sog. OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) i.S.d. Art. 1 Richtlinie 85/611/EWG16.
2.
Grundsatz der vorrangigen Geltung des nationalen Rechts
Art. 4 VerschmelzungsRL schreibt den Grundsatz fest, dass auf grenzüberschreitende Verschmelzungen soweit wie möglich das jeweils für die beteiligten Gesellschaften geltende nationale Recht maßgeblich ist. So sollen grenzüberschreitende Verschmelzungen nur zwischen solchen Rechtsformen möglich sein, die auch innerstaatlich verschmelzen können. Die Verschmelzungsmöglichkeiten sollen durch die neue Richtlinie also nicht erweitert werden. Auch für das Verfahren gelten primär die nationalen Vorschriften. Art. 4 Abs. 2 VerschmelzungsRL nennt zur Verdeutlichung insbesondere die Beschlussfassung über die Verschmelzung und den Schutz der Gläubiger, Gesellschafter und Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften. Soweit notwendig, sind die Mitgliedstaaten allerdings berechtigt, besondere Vorschriften zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern zu erlassen, die der Verschmelzung widersprochen haben.
16 ABI. EG Nr. L 375 v. 31.12.1985, 3 ff.
6
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
3.
Verschmelzungsplan
Mit Art. 5 VerschmelzungsRL beginnt der Teil der Richtlinie, der spezielle Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen enthält (vgl. Eingangssatz in Art. 4 VerschmelzungsRL: "Sofern diese Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt, ... "). Die Bestimmungen zum Inhalt des Verschmelzungsplans folgen zwar weitgehend den Vorbildern in Art. 5 Dritte Richtlinie17 und Art. 20 SEVQ18. Im Vergleich mit diesen Vorschriften schreibt Art. 5 VerschmelzungsRL aber drei zusätzliche Angaben für den Verschmelzungsplan vor. Zunächst sind nach Buchstabe d die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Beschäftigung darzustellen. Einem Wunsch des Europäischen Parlaments entsprechend sind die Leitungen der beteiligten Gesellschaften gehalten, schon im Verschmelzungsplan zu künftigen Entwicklungen Stellung zu nehmen, die sich aus der Verschmelzung für die Beschäftigten ergeben können.19 Auf eine Initiative der französischen Delegation20 zurück geht die Einfügung des Buchstaben k (Angaben zur Bewertung der übertragenen Aktiva und Passiva) und des Buchstaben 1 (Bilanzstichtage), die zu einer größeren Transparenz schon im Verschmelzungsplan führen sollen.
4.
Publizität
Nach Art. 6 Abs. 1 VerschmelzungsRL ist der Verschmelzungsplan wie in den jeweiligen nationalen Vorschriften vorgesehen bekannt zu machen.21 Art. 6 Abs. 2 VerschmelzungsRL entspricht der Regelung in
17 Vgl. Dritte Richtlinie des Rates v. 9.10.1978 gern. Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des 18 19 20
Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABI. EG Nr. L 295 v. 20.10.1978,36 ff. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABI. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. Vgl. im deutschen Recht schon bisher die Regelung in§ 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG. Vgl. im französischen Recht die Regelung in Art. 254 Nr. 3 und 5 Decret Nr.
67-236 V. 23.3.1967. 21 Vgl. für eine deutsche AG§ 61 UmwG.
7
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
Art. 21 SE-VQ22 und verlangt zusätzlich die ausdrückliche Bekanntmachung der folgenden Angaben: Rechtsform, Firma und Sitz der verschmelzenden Gesellschaften23, die für sie zuständigen Register und die Nummern der dort vorgenommenen Eintragungen dieser Gesellschaften Hinweise zu den Rechten der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter.
5.
Verschmelzungsbericht
Nach Art. 7 VerschmelzungsRL ist der Verschmelzungsbericht, der in erster Linie für die Unterrichtung und Meinungsbildung der Gesellschafter bestimmt ist, in derselben Frist wie diesen auch den Vertretern der Arbeitnehmer oder- in Ermangelung von Vertretern- den Arbeitnehmern selbst zur Verfügung zu stellen, damit sie möglichst frühzeitig und zum selben Zeitpunkt wie die Gesellschafter umfassend unterrichtet werden. In Anlehnung an eine Regelung in Art. 9 Abs. 5 Satz 3 ÜbernahmeRL24 ist zusätzlich vorgesehen, dass dem Verschmelzungsbericht eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter beizufügen ist, wenn das jeweilige nationale Recht die Abgabe einer solchen Stellungnahme vorsieht und diese rechtzeitig vorliegt.
6.
Sachverständigenbericht
Art. 8 VerschmelzungsRL betrifft die bereits aus der Dritten Richtlinie und der SE-Verordnung bekannte Prüfung durch unabhängige Sachverständige. Diese können für jede Gesellschaft gesondert oder nach gerichtlicher Bestellung auch gemeinsam tätig werden und den vorgeschriebenen Bericht gemeinsam erstellen. Prüfung und Bericht sind entbehrlich, wenn alle Gesellschafter aller beteiligten Gesellschaften
22 23 24
8
V gl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. Diese Angaben gehören auch schon zum Inhalt des Verschmelzungsplans. Richtlinie 2004/25/EG v. 21.4.2004, ABl. EU Nr. L 142/2004, 12 ff.
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
darauf verzichten.25 Dies kann bei Einigkeit unter den Gesellschaftern Kosten sparen und das Verfahren erleichtern.
7.
Zustimmung der Gesellschafterversammlung
Nach Art. 9 VerschmelzungsRL müssen grundsätzlich die Gesellschafterversammlungen aller beteiligten Unternehmen der Verschmelzung zustimmen. Entsprechend der allgemeinen Verweisung in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b VerschmelzungsRL richten sich die Einberufungsmodalitäten und die Beschlussmehrheiten nach dem jeweiligen nationalen Recht. Wie auch schon in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 SE-VQ26 vorgesehen, kann nach Art. 9 Abs. 2 VerschmelzungsRL das Zustimmungserfordernis ausdrücklich auf die Modalitäten der Mitbestimmung erstreckt werden. Damit bleibt den Gesellschaftern das Letztentscheidungsrecht insbesondere darüber, ob sie mit einer gern. Art. 16 VerschmelzungsRL zwischen den Unternehmensleitungen und den Arbeitnehmervertretern ausgehandelten Mitbestimmungsvereinbarung einverstanden sind.
8.
Rechtmäßigkeilskontrolle
Nach dem Vorbild der Art. 24 und 25 SE-V027 ist auch in Art. 10 und 11 VerschmelzungsRL eine zweistufige Rechtmäßigkeitskontrolle vor-
gesehen. Diese wird entsprechend der Regelung im jeweiligen Mitgliedstaat durch ein Gericht, einen Notar oder eine zuständige Behörde durchgeführt. Im Sitzstaat der übertragenden Gesellschaften wird zunächst vor allem geprüft, ob der gemeinsame Verschmelzungsplan wie vorgeschrieben aufgestellt und publiziert worden ist. Darüber wird gern. Art. 10 Abs. 2 VerschmelzungsRL eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt. Auf der zweiten Stufe wird diese Bescheinigung im Sitzstaat der übernehmenden (oder neuen) Gesellschaft der dort jeweils zuständigen Stelle
25 Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zu dem Richtlinienvorschlag der Kommission eine solche Verzichtsmöglichkeit lediglich für kleinere und mittlere Gesellschaften angeregt, vgl. BR-Drucks. 915 j 03 (Beschluss). 26 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABI. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. 27 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABI. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff.
9
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vorgelegt, die gern. Art. 11 VerschmelzungsRL insbesondere prüft, ob alle Gesellschaften einem gleichlautenden Verschmelzungsplan zugestimmt haben und ob eine Mitbestimmungsvereinbarung abgeschlossen wurde. Auf Wunsch von Deutschland und Österreich ist in Art. 10 Abs. 3 VerschmelzungsRL eine Regelung nach dem Vorbild von Art. 25 Abs. 3 SE-VQ28 enthalten. Damit ist gemeinschaftsrechtlich sichergestellt, dass das in diesen beiden Staaten bekannte und bewährte gerichtliche Verfahren zur Überprüfung von Zuzahlungen und Barabfindungen bei Umstrukturierungen von Gesellschaften (in Deutschland: Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz)29 zugunsten der Gesellschafter übertragender Gesellschaften aus diesen Staaten Anwendung finden kann, wenn die Gesellschafter der Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten, deren Recht ein solches Verfahren nicht kennt, dem zugestimmt haben.
9.
Wirksamwerden
Der Zeitpunkt, an dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, richtet sich gern. Art. 12 VerschmelzungsRL nach dem nationalen Recht, dem die übernehmende oder neue Gesellschaft unterliegt. Voraussetzung für das Wirksamwerden ist in jedem Fall, dass die Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 11 VerschmelzungsRL abgeschlossen wurde. In aller Regel tritt die Wirksamkeit mit der konstitutiven Registereintragung ein. Zu diesem Zeitpunkt erfolgen gern. Art. 14 VerschmelzungsRL der Vermögensübergang, der Gesellschafterwechsel und das Erlöschen der übertragenden Gesellschaften.
10.
Eintragung und Bekanntmachung
Auch die Offenlegung der Verschmelzung erfolgt gern. Art. 13 VerschmelzungsRL nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht, das für die verschiedenen beteiligten Gesellschaften gilt.30 Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine gegenseitige Unterrichtungspflicht der natio-
28 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff. 29 Näher dazu Neye, Das neue Spruchverfahrensrecht, Köln 2003. 30 Vgl. § 19 UmwG.
10
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nalen Register vorgesehen. Die Löschung im bisherigen Register darf erst erfolgen, wenn das neue Register mitgeteilt hat, dass dort die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft eingetragen worden ist.
11.
Erleichterungen für die Konzernverschmelzung
Auch insoweit den Vorbildern der Dritten Richtlinie und der SE-Verordnung folgend werden in Art. 15 VerschmelzungsRL für die Aufnahme einer 100 %igen bzw. 90 %igen Tochtergesellschaft bestimmte Verfahrenserleichterungen eingeräumt. So sind im ersten Fall (Art. 15 Abs. 1 VerschmelzungsRL) im Verschmelzungsplan die Angaben zum Umtausch der Gesellschaftsanteile (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b, c und e VerschmelzungsRL) entbehrlich, da ein solcher nicht stattfindet. Demgemäß bedarf es auch keiner Prüfung durch Sachverständige nach Art. 8 VerschmelzungsRL. Ebenso wenig vollzieht sich der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b VerschmelzungsRL vorgesehene GesellschafterwechseL Beträgt die Beteiligung zwar nicht 100 %, aber mindestens 90 % (Art. 15 Abs. 2 VerschmelzungsRL), so sind die Prüfungsberichte der Sachverständigen nach Art. 8 VerschmelzungsRL und die Vorlage der Unterlagen für die Rechtmäßigkeitskontrolle nur erforderlich, soweit dies nach dem für die beteiligten Gesellschaften jeweils geltenden nationalen Recht vorgesehen ist.
IV. Geplante Umsetzung in Deutschland Nach Art. 19 VerschmelzungsRL muss die Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. In Deutschland soll dies durch eine Ergänzung des Umwandlungsgesetzes erfolgen. Dazu hat das Bundesministerium der Justiz bereits am 17.2.2006 einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt.31 Nach eingehender Beteiligung der Länder und der betraf-
31 Dieser steht im Internet unter www.bmj.bund.de zum Abruf zur Verfügung. 11
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fenen Verbände ist dieser weiterentwickelt und am 9.8.2006 vom Kabinett als Regierungsentwurf32 verabschiedet worden.33 Zur Umsetzung der Richtlinie sollen im Umwandlungsgesetz die Besonderen Vorschriften über Verschmelzungen34 um einen Zehnten Abschnitt über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (§§ 122a-1221 UmwG) ergänzt werden. Nachfolgend werden diese geplanten Änderungen im einzelnen erläutert.
1.
Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Als grenzüberschreitende Verschmelzungen gelten Verschmelzungen, bei denen mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum35 unterliegt.36 An einer grenzüberschreitenden Verschmelzung können nur Kapitalgesellschaften beteiligt sein.37 In Deutschland sind dies die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG genannten Gesellschaften, das heißt Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, sowie Europäische Gesellschaften (SE) mit Sitz in Deutschland.38 Auf ihre Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung finden grundsätzlich die für Kapitalgesellschaften ein-
32 Vgl. BR-Drucks. 548/06 = Anlage 1 der BI-Drucks. 16/2919; letztere enthält als Anlagen 2 und 3 auch die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung. 33 Zu den Gesetzentwürfen vgl. die Beiträge von Bayer/Schmidt, NZG 2006, 841; DrinhausenjKeinath, BB 2006, 725; DrinhausenjGesell, BB-Special 2006, Heft 8, 3 (10 ff.); Forsthoff, DStR 2006, 613; Haritz /von Wolff, GmbHR 2006, 340; Kiem, WM 2006, 1091; Louven, ZIP 2006, 2021; Müller, NZG 2006, 286; Vetter, AG 2006, 613. 34 Zweites Buch, Zweiter Teil. 35 Der Geltungsbereich der Richtlinie wurde inzwischen auf den Europäischen Wirtschaftsraum ausgedehnt. 36 § 122a Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 1 VerschmelzungsRL. 37 Vgl. § 122b Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 2 Nr. 1 VerschmelzungsRL; dazu oben unter III 1. 38 Vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii SE-VO, ABI. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff.
12
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schlägigen Vorschriften über die innerstaatliche Verschmelzung39 Anwendung. Diese werden durch die Vorschriften des neu geschaffenen Zehnten Abschnitts über die grenzüberschreitende Verschmelzung ergänzt und teilweise ersetzt.40 Die genannten deutschen Kapitalgesellschaften können sich mit ausländischen Kapitalgesellschaften verschmelzen, sofern diese nach dem Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen EWR-Staat haben.41 Für die Begriffsbestimmung der Kapitalgesellschaft verweist der Entwurf der Einfachheit halber auf Art. 2 VerschmelzungsRL.42 Allerdings wird von der Möglichkeit43 Gebrauch gemacht, die Umsetzung der Richtlinie nicht auf Genossenschaften zu erstrecken.44 Genossenschaften können an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung im Sinne der neu geschaffenen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes folglich nicht beteiligt sein. Dies gilt auch dann, wenn sie nach ihrem Heimatrecht als Kapitalgesellschaften anzusehen sind. Ebenfalls in Übereinstimmung mit der Richtlinie vom Anwendungsbereich ausgenommen sind sog. Organismen zur gemeinsamen Anlage in Wertpapieren (OGAW) i.S.d. Art. 1 Richtlinie 85/611/EWG.45
2.
Verschmelzungsplan
Grundvoraussetzung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung ist die Aufstellung eines gemeinsamen Verschmelzungsplans durch die beteiligten Gesellschaften.46 Die Verpflichtung zur Aufstellung kann im Umwandlungsgesetz nur für die deutschen beteiligten Gesellschaf-
39 Erster Teil sowie Zweiter, Dritter und Vierter Abschnitt des Zweiten Teils des Zweiten Buches des Umwandlungsgesetzes. 40 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG-RegE. 41 Vgl. § 122b Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 1 VerschmelzungsRL. 42 Vgl. § 122b Abs. 1 UmwG-RegE; zu der Begriffsbestimmung in Art. 2 VerschmelzungsRL vgl. oben unter III 1. 43 Vgl. Art. 3 Abs. 2 VerschmelzungsRL; oben unter III 1. 44 Vgl. § 122b Abs. 2 Nr. 1 UmwG-RegE. 45 Vgl. § 122b Abs. 2 Nr. 2 UmwG-RegE. 46 Vgl. § 122c Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 5 VerschmelzungsRL.
13
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ten geregelt werden; dem trägt die Formulierung in § 122c Abs. 1 UmwG-RegE Rechnung. Die Anforderungen an den Inhalt des Verschmelzungsplans sind so weit wie möglich wörtlich aus der Richtlinie47 übernommen worden48, um insofern einen Gleichlauf mit den Umsetzungsgesetzen in anderen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Mehrzahl der Angaben entspricht ohnehin der bei einer innerstaatlichen Verschmelzung für den Verschmelzungsvertrag vorgeschriebenen Liste.49 Zusätzlich sind im Verschmelzungsplan die Satzung der übernehmenden oder neuen Gesellschaft50, Angaben zur Bewertung des übertragenen Aktiv- und Passivvermögens51, die Bilanzstichtage der beteiligten Gesellschaften52 sowie ggf. Angaben zu einem Verfahren zur Festlegung der Arbeitnehmermitbestimmung in der übernehmenden oder neuen Gesellschaft53 aufzunehmen. Befinden sich alle Anteile der übertragenden Gesellschaft in der Hand der übernehmenden Gesellschaft, so können die Angaben über das Umtauschverhältnis der Anteile und ggf. die Höhe der baren Zuzahlung, über die Einzelheiten der Übertragung der Anteile und über den Zeitpunkt, von dem ab die Anteile deren Inhabern das Recht auf Gewinn gewähren, entfallen.54 Dies entspricht auch der allgemeinen Regelung für Verschmelzungen. 55 Wie der Verschmelzungsvertrag56 ist auch der Verschmelzungsplan bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung notariell zu beurkunden.57
47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57
14
Vgl. Art. 5 Satz 2 VerschmelzungsRL; oben unter III 3. Vgl. § 122c Abs. 2 UmwG-RegE. Vgl. § 5 Abs. 1 UmwG. Vgl. § 122c Abs. 2 Nr. 9 UmwG-RegE und Art. 5 Buchst. i VerschmelzungsRL. Vgl. § 122c Abs. 2 Nr. 11 UmwG-RegE und Art. 5 Buchst. k VerschmelzungsRL. Vgl. § 122c Abs. 2 Nr. 12 UmwG-RegE und Art. 5 Buchst. 1 VerschmelzungsRL. Vgl. § 122c Abs. 2 Nr. 10 UmwG-RegE und Art. 5 Buchst. j VerschmelzungsRL. Vgl. § 122c Abs. 3 UmwG-RegE und Art. 15 Abs. 1 VerschmelzungsRL. Vgl. § 5 Abs. 2 UmwG. Vgl. § 6 UmwG. Vgl. § 122c Abs. 4 UmwG-RegE.
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
3.
Bekanntmachung
Der Verschmelzungsplan ist spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die über die Zustimmung beschließt58, zum Register einzureichen.59 Die Bekanntmachung erfolgt gern.§ 10 HGB und damit ab 1.1.2007 elektronisch.60 Sie muss neben dem Hinweis darauf, dass der Verschmelzungsplan beim Handelsregister eingereicht worden ist61, die Angaben aus Art. 6 Abs. 2 VerschmelzungsRL enthalten.62
4.
Verschmelzungsbericht
Die Vertretungsorgane der deutschen beteiligten Gesellschaft müssen einen Verschmelzungsbericht erstellen. Die für die innerstaatliche Verschmelzung geltenden Vorschriften finden grundsätzlich entsprechende Anwendung.63 Eine zusätzliche Regelung enthält § 122e UmwGRegE. Danach sind im Verschmelzungsbericht auch die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Gläubiger und Arbeitnehmer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erläutern.64 Der Verschmelzungsbericht ist spätestens einen Monat vor der Versammlung der Anteilseigner, die über die Zustimmung zum Verschmelzungsplan entscheidet, den Anteilseignern, aber auch dem zuständigen Betriebsrat oder - falls es keinen Betriebsrat gibt - den Arbeitnehmern direkt zur Verfügung zu stellen.65 Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinie.66 Die Regelung in§ 8 Abs. 3 UmwG, wonach der Verschmelzungsbericht nicht erforderlich ist, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Gesellschaften auf ihn verzichten oder sich alle Anteile der übertragenden Gesellschaft bereits in der Hand der
58 Vgl. unten unter IV 6. 59 Vgl. § 122d Satz 1 UmwG-RegE. 60 Vgl. Art. 1 Nr. 2 und Art. 13 Abs. 2 EHUG (Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister vom 10.11.2006, BGBI. I 2006, 2553. 61 Vgl. § 122d Satz 2 Nr. 1 UmwG-RegE; vgl. auch§ 61 Satz 2 UmwG. 62 Vgl. § 122d Satz 2 Nr. 2-4 UmwG-RegE; zur Richtlinie oben unter III 4. 63 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG-RegE i.V.m. § 8 UmwG. 64 Vgl. § 122e Satz 1 UmwG-RegE und Art. 7 Satz 1 VerschmelzungsRL. 65 Vgl. § 122e Satz 2 UmwG-RegE. 66 Vgl. Art. 7 Satz 2 VerschmelzungsRL; oben unter III 5.
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Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
übernehmenden Gesellschaft befinden, ist nicht entsprechend anzuwenden67, da die Richtlinie keine entsprechende Ausnahme vorsieht.
5.
Verschmelzungsprüfung
Wie der Verschmelzungsvertrag bei einer innerstaatlichen Verschmelzung ist auch der Verschmelzungsplan bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gern. §§ 9-12 UmwG durch einen oder mehrere sachverständige Prüfer zu prüfen.68 Ausdrücklich für unanwendbar erklärt69 wird dagegen § 48 UmwG, der für Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorsieht, dass eine Verschmelzungsprüfung nur auf Verlangen eines ihrer Gesellschafter durchzuführen ist. Eine solche fakultative Verschmelzungsprüfung würde nicht den Vorgaben der Richtlinie entsprechen.70 Die Bestellung eines gemeinsamen Verschmelzungsprüfers ist möglich.71 Der Prüfungsbericht muss spätestens einen Monat vor der Versammlung der Anteilsinhaber, die über die Zustimmung zum Verschmelzungsplan entscheidet, vorliegen.72 Die Gesellschafter aller beteiligten Gesellschaften können auf die Verschmelzungsprüfung und den Prüfungsbericht verzichten.73
6.
Zustimmung der Anteilsinhaber
Auf die Zustimmung der Anteilsinhaber der deutschen beteiligten Gesellschaft zum gemeinsamen Verschmelzungsplan finden grundsätzlich die Vorschriften über die Zustimmung zu einem Verschmelzungsvertrag entsprechende Anwendung.74 Bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung können die Anteilsinhaber ihre Zustimmung zusätzlich davon abhängig machen, dass die Regelung der Mitbestimmung 67 Vgl. § 122e Satz 3 UmwG-RegE. 68 Vgl. § 122f Satz 1 Halbs. 1 UmwG-RegE und Art. 8 VerschmelzungsRL; dazu oben unter III 6. 69 Vgl. § 122f Satz 1 Halbs. 2 UmwG-RegE. 70 Vgl. Art. 8 Abs. 1 VerschmelzungsRL ("wird ein .. . Bericht unabhängiger Sachverständiger erstellt ... "). 71 Vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 UmwG und Art. 8 Abs. 2 VerschmelzungsRL. 72 Vgl. § 122f Satz 2 UmwG-RegE und Art. 8 Abs. 1 VerschmelzungsRL. 73 Vgl. § 12 Abs. 3 und§ 8 Abs. 3 UmwG sowie Art. 8 Abs. 4 VerschmelzungsRL. 74 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG-RegE i.V.m. §§ 13, 50, 65, 73 und 78 UmwG.
16
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
der Arbeitnehmer in der übernehmenden oder neuen Gesellschaft ausdrücklich von ihnen bestätigt wird.75 Die Zustimmung der Anteilsinhaber ist nicht erforderlich, wenn sich alle Anteile der übertragenden Gesellschaft ohnehin bereits in der Hand der übernehmenden Gesellschaft befinden.76 Dies ist eine zusätzliche verfahrensmäßige Erleichterung für grenzüberschreitende Verschmelzungen.
7.
Schutz von Minderheitsgesellschaftern
7.1
Verbesserung des Umtauschverhältnisses
Die Regelung zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses in § 122h UmwG-RegE macht von der Ermächtigung in Art. 10 Abs. 3 VerschmelzungsRL77 Gebrauch. Die Anteilsinhaber einer deutschen übertragenden Gesellschaft können daher eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses ihrer Anteile entsprechend § 14 Abs. 2 und § 15 UmwG nur unter den von der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen verlangen. Voraussetzung ist, dass die Rechtsordnung, der die beteiligten ausländischen Gesellschaften unterliegen, ebenfalls ein solches Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses kennt oder dass die Anteilsinhaber dieser Gesellschaften einem solchen Verfahren im Verschmelzungsbeschluss ausdrücklich zustimmen.78 Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, verbleibt es für die Anteilsinhaber der deutschen Gesellschaft bei der Möglichkeit, den Verschmelzungsbeschluss auch mit der Begründung anzufechten, dass das Umtauschverhältnis nicht angemessen ist. § 122h Abs. 2 UmwG-RegE eröffnet den Anteilsinhabern einer übertra-
genden ausländischen Gesellschaft die Möglichkeit, ein Spruchverfahren zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses vor deutschen Gerichten einzuleiten oder sich an einem solchen zu beteiligen. Voraussetzung ist, dass die Rechtsordnung, der die ausländische Gesellschaft unterliegt, ebenfalls ein solches Verfahren kennt79 und dass die deut-
75 76 77 78
79
§ 122g Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 9 Abs. 2 VerschmelzungsRL. § 122g Abs. 2 UmwG-RegE und Art. 15 Abs. 1 VerschmelzungsRL. Vgl. oben unter III 8. Vgl. § 122h Abs. 1 UmwG-RegE und Art. 10 Abs. 3 Satz 1 VerschmelzungsRL. Dies ist derzeit z.B. in Österreich der Fall.
17
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
sehen Gerichte international zuständig sind.SO Durch diese Regelung, die dem Vorbild in § 6 Abs. 4 Satz 2 SEAG folgt, sollen Doppelarbeit und sich widersprechende Entscheidungen deutscher und ausländischer Gerichte vermieden werden. 7.2
Abfindungsangebot im Verschmelzungsplan
Ebenso wie bei Gründung einer SE81 wird auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung den Minderheitsgesellschaftern ein Austrittsrecht gewährt, wenn die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangene Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt.82 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass kein Anteilsinhaber gezwungen sein soll, die mit dem Wechsel in eine ausländische Rechtsform verbundene Änderung seiner Rechte und Pflichten hinzunehmen. Europarechtliche Grundlage der Regelung in § 122i Abs. 1 UmwG-RegE ist Art. 4 Abs. 2 Satz 2 VerschmelzungsRL, wonach jeder Mitgliedstaat für seinem Recht unterliegende Gesellschaften Vorschriften zum Schutz derjenigen Minderheitsgesellschafter erlassen kann, die sich gegen die Verschmelzung ausgesprochen haben. Die Minderheitsgesellschafter einer deutschen beteiligten Gesellschaft können die Angemessenheit eines Abfindungsangebots unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 3 VerschmelzungsRL in einem Spruchverfahren überprüft lassen.S3 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, verbleibt es bei der Möglichkeit, den Verschmelzungsbeschluss aus diesem Grund anzufechten. Für ein Spruchverfahren vor deutschen Gerichten durch die Gesellschafter einer ausländischen übertragenden Gesellschaften gilt das unter IV 7.1 Gesagte entsprechend.84
80 Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts kann sich aus einer Gerichtsstandsvereinbarung oder aus der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (vgl. ABLEG Nr. L 12 v. 16.1.2001, 1 ff.) ergeben. 81 Vgl. Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v. 22.12. 2004, BGBL I 2004, 3675. 82 Vgl. § 122i Abs. 1 UmwG-RegE. 83 Vgl. § 122i Abs. 2 Satz 1 UmwG-RegE. 84 Vgl. § 122i Abs. 2 Satz 2 UmwG-RegE.
18
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8.
Gläubigerschutz
§ 122j UmwG-RegE enthält eine gesonderte Vorschrift zum Gläubigerschutz, da die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes für innerstaatliche Verschmelzungen lediglich einen Gläubigerschutz nach Eintragung der Verschmelzung gewähren.SS Insbesondere dann, wenn die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz im Ausland hat oder einer anderen Rechtsordnung unterliegt, wird ein nachgelagerter Schutz den Interessen der Gläubiger jedoch in manchen Fällen möglicherweise nicht gerecht.
Die Gläubiger einer deutschen übertragenden Gesellschaft können daher bereits binnen zwei Monaten nach der Bekanntmachung des Verschmelzungsplans ihren Anspruch dem Grund und der Höhe nach schriftlich anmelden und Sicherheitsleistung verlangen.S6 Das Recht auf Sicherheitsleistung bezieht sich auf Forderungen, die vor oder bis zu 15 Tagen nach Offenlegung des Verschmelzungsplans entstanden sind.S7 Dieser Anspruch steht den Gläubigern allerdings nur zu, wenn sie nicht Befriedigung verlangen können.S8 Sie müssen weiterhin glaubhaft machen, dass durch die Verschmelzung die Erfüllung ihrer Forderungen gefährdet ist.89 Mit dieser Einschränkung trägt der Entwurf dem Umstand Rechnung, dass nicht bei jeder grenzüberschreitenden Verschmelzung automatisch von einer Gefährdung der Gläubigerinteressen ausgegangen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn die übernehmende oder neue Gesellschaft ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat oder ausländischem Recht unterliegt. § 122j UmwG-RegE ist den Bestimmungen zum Gläubigerschutz bei
Gründung einer Europäischen Gesellschaft (SE) nachgebildet.90 Ebenfalls nach dem Vorbild des SE-Ausführungsgesetzes91 sind die Regelungen in § 122k Abs. 1 Satz 2 und § 314a UmwG-RegE gestaltet,
85 86 87 88 89 90 91
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
§ 22 UmwG. § 122j Abs. 1 Satz 1 UmwG-RegE. § 122j Abs. 2 UmwG-RegE. § 122j Abs. 1 Satz 1 UmwG-RegE. § 122j Abs. 1 Satz 2 UmwG-RegE. § 8 Satz 1 und§ 13 Abs. 1 und 2 SEAG. § 8 Satz 2, §53 Abs. 3 Nr. 1 SEAG.
19
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wonach bei Beantragung einer Verschmelzungsbescheinigung92 eine strafbewehrte Versicherung zum Gläubigerschutz abzugeben ist.
9.
Verschmelzungsbescheinigung
Die Verschmelzungsbescheinigung93 ist für deutsche übertragende Gesellschaften in§ 122k UmwG-RegE geregelt. Zuständig ist das Register am Sitz der Gesellschaft. Dort hat das Vertretungsorgan der übertragenden Gesellschaft das Vorliegen der sie betreffenden Voraussetzungen zur Eintragung anzumelden.94 Es hat die in§ 17 UmwG geforderten Unterlagen vorzulegen und eine Negativerklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG sowie eine Erklärung zum Gläubigerschutz95 abzugeben. Die Nachricht über die Eintragung in das Register gilt sodann als Verschmelzungsbescheinigung.96 Das Vertretungsorgan der übertragenden Gesellschaft hat diese Verschmelzungsbescheinigung binnen sechs Monaten zusammen mit dem gemeinsamen Verschmelzungsplan der zuständigen Stelle des Staates vorzulegen, in dem die übernehmende oder neue Gesellschaft eingetragen wird.97 Die Einführung einer Verschmelzungsbescheinigung für grenzüberschreitende Verschmelzungen schafft eine wesentliche Verfahrenserleichterung. Die übertragende Gesellschaft muss sich lediglich an das für sie ohnehin zuständige Register wenden, um die Voraussetzungen der Verschmelzung nachzuweisen. Für die Eintragung der Durchführung der Verschmelzung in einem ausländischen Register reicht die Vorlage der Verschmelzungsbescheinigung. Hierdurch werden aufwändige administrative Doppelprüfungen vermieden.
10.
Eintragung, Bekanntmachung und Wirksamwerden
Die Eintragung einer aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft, die deutschem Recht unterliegt, regelt § 1221 UmwG-RegE. Bei der Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen 92 93 94 95 96 97
20
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
unten unter IV 9. Art. 10 VerschmelzungsRL; oben unter III 8. § 122k Abs. 1 Satz 1 UmwG-RegE. § 122k Abs. 1 Satz 2 UmwG-RegE; oben unter III 8. § 122k Abs. 2 Satz 2 UmwG-RegE. § 122k Abs. 3 UmwG-RegE und Art. 11 Abs. 2 VerschmelzungsRL.
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
erfolgt dabei die von der Richtlinie vorgesehene zweite Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle.98 Zuständig ist das Register am Sitz der übernehmenden oder neuen Gesellschaft. 99 Die Anmeldung ist bei einer Verschmelzung durch Aufnahme von dem Vertretungsorgan der deutschen übernehmenden Gesellschaft und bei Neugründung von den Vertretungsorganen der deutschen und ausländischen übertragenden Gesellschaften vorzunehmen)OO Diese haben den gemeinsamen Verschmelzungsplan und die höchstens sechs Monate alten Verschmelzungsbescheinigungen aller übertragenden Gesellschaften vorzulegen101 sowie die sonstigen Eintragungsvoraussetzungen nach deutschem Recht nachzuweisen.102 Für die übertragenden Gesellschaften nicht anzuwenden sind§ 16 Abs. 2 und 3 und § 17 UmwG103, da für die übertragenden deutschen und ausländischen Gesellschaften das Vorliegen der Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Verschmelzung bereits in der Verschmelzungsbescheinigung dokumentiert ist. Vor der Eintragung prüft das Registergericht insbesondere, ob ein die Gesellschafter aller an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften einem gemeinsamen Verschmelzungsplan zugestimmt haben und ob ggf. eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer geschlossen worden ist.104 Die Bekanntmachung der Eintragung und das Wirksamwerden richten sich nach den allgemeinen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes zur Verschmelzung.105
98 Vgl. oben unter III 8. 99 Vgl. § 1221 Abs. 1 Satz 1 UmwG-RegE. 100 Vgl. § 1221 Abs. 1 Satz 1 UmwG-RegE sowie§ 16 Abs. 1 Satz 2 und§ 38 Abs. 2 UmwG. 101 Vgl. § 1221 Abs. 1 Satz 2 und 3 Halbs. 1 UmwG-RegE. 102 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG-RegE. 103 Vgl. § 1221 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 UmwG-RegE. 104 Vgl. § 1221 Abs. 2 UmwG-RegE und Art. 11 Abs. 1 Satz 2 VerschmelzungsRL. 105 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG-RegE i.V.m. § 19 Abs. 3 und§§ 20,21 UmwG.
21
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
V.
Ausblick
1.
SEVIC-Urteil und seine weiteren Konsequenzen
Mit der Umsetzung der Richtlinie werden zugleich die Anforderungen erfüllt, die der Europäische Gerichtshof für den wirtschaftlich im Vordergrund stehenden Bereich der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aufgestellt hat.106 Hinsichtlich der weiteren Konsequenzen aus dem SEVIC-Urteil finden sich im Regierungsentwurf folgende Hinweise107: "Über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften hinaus fehlen für andere Umwandlungsarten und für die Beteiligung anderer Rechtsformen gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsregeln. Es ist auch kaum damit zu rechnen, dass- vielleicht abgesehen von einer Richtlinie über die Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften- solche Regeln in der Zukunft geschaffen werden. In diesem nichtharmonisierten Bereich ergibt sich aber bei demnächst 27 Mitgliedstaaten und weiteren drei EWR-Staaten eine nahezu unüberschaubar große Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten, sowohl was die möglichen Umwandlungsarten als auch die beteiligten Rechtsformen angeht. Vor diesem Hintergrund scheidet zwangsläufig aus, alle im Anwendungsbereich des Art. 48 EG europaweit denkbaren Umwandlungen unter Berücksichtigung sämtlicher von dieser Vorschrift erfassten Rechtsformen mit der bisher vom UmwG bekannten Regelungstiefe zu kodifizieren. Der Gesetzgeber muss hier vielmehr einen anderen Weg beschreiten. Nach dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen (vgl. z.B. das Schweizer Recht) soll ein kollisionsrechtlicher Ansatz gewählt werden. Auf der Grundlage eines Vorschlags des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht (vgl. RIW 2006, Beilage zu Heft 4) soll generell geregelt werden, welches Recht auf Gesellschaften anwendbar ist, die eine Verbindung zum Recht mehrerer Staaten aufweisen. In diesem Zusammenhang sollen auch die Grundprinzipien für grenzüberschreitende Umstrukturierungsvorgänge normiert werden. Aus Gründen der größeren Rechtssicherheit wird angestrebt, diese
106 EuGH, Urt. v. 13.12.2005- Rs. C-411/03- SEVIC Systems AG, EuGHE 2005, I-10805 - zur Verschmelzung einer deutschen Aktiengesellschaft mit einer Iuxemburgischen Societe Anonyme. Vgl. dazu nur die Anmerkungen und Beiträge von Bayer/Schmidt, ZIP 2006, 210; Bungert, BB 2006, 53; Drygala, EWiR § 1 UmwG 1/06, 25; Haritz, GmbHR 2006, 143; Kappes, NZG 2006, 101; Koppensteiner, Der Konzern 2006, 40; MeilickejRabback, GmbHR 2006, 123; Paal, RIW 2006, 142; Ringe, DB 2005, 2806; SchmidtjMaul, BB 2006, 13. 107 Vgl. BT-Drucks. 16/2919, 11.
22
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
Regelungen in eine in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbare EGVerordnung aufzunehmen. Für den Fall, dass eine solche europaweite Regelung nicht zustande kommt, soll zumindest das deutsche Internationale Privatrecht entsprechend ergänzt werden. Die kollisionsrechtliche Lösung bietet dabei auch den Vorteil, dass die Schaffung umfangreicher neuer bürokratischer Regelungen, welche die Unternehmen belasten, vermieden werden kann."
2.
Geplante Sitzverlegungsrichtlinie
Zur Herstellung der vollständigen Mobilität für Gesellschaften im Binnenmarkt gehört auch die Möglichkeit, dass sie grenzüberschreitend ihren Sitz verlegen können. Dazu wird seit geraumer Zeit eine entsprechende Harmonisierungsrichtlinie erwogen. Ein Vorentwurf der Kommission existierte dazu seit 1997. Auf der Basis weiterer interner Arbeitsdokumente gab es dann in den Jahren 2003/2004 erste Beratungen der Gesellschaftsrechtsexperten der Mitgliedstaaten mit der Europäischen Kommission. ln ihrem Aktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts kündigte diese kurzfristig die Vorlage eines offiziellen Vorschlags an.108 Zunächst fand dann aber Anfang 2006 eine erneute, breit angelegte Konsultation zu den künftigen Prioritäten des Aktionsplans statt.109 Dort wurde nochmals ausdrücklich nach der Notwendigkeit und den besonderen Inhalten einer Sitzverlegungsrichtlinie gefragt. In den eingegangenen Stellungnahmen fand das Projekt einer solchen Richtlinie von allen seitens der Kommission zur Diskussion gestellten Vorhaben die breiteste Unterstützung.llO
108 Veröffentlicht auf der Hornepage der Kommission unter http:// europa.eu. int/ eur-lex / fr / com/ cnc /2003/ com2003 _0284de01. pdf = N ZG 2003, Beilage zu Heft 13, S. 24. 109 Das Konsultationsdokument ist abrufbar unter http:// europa.eu.int/ comm/ internal_market/ company / docs/ consultation/ consultation_en.pdf. 110 Vgl. die Auswertung durch die Kommissionsdienststellen unter http:// ec.europa.eu./ internal_market/ company / consultation/ index_en.htm, S. 16 ff.
23
Neye, Gesellschaftsrechtliche Grundlagen grenzüberschreitender Umwandlungen
Nachdem auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom Juli 2006 die Sitzverlegungsrichtlinie dringend gefordert hatte111, kündigte der zuständige Kommissar McCreevy in einer programmatischen Rede112 vor dem Rechtsausschuss des Parlaments einen V arschlag für das Frühjahr 2007 an. Dem sieht auch die Bundesregierung erwartungsvoll entgegen. Sie ist bestrebt, die Verhandlungen im Rat während der deutschen EU-Präsidentschaft zügig aufzunehmen und im ersten Halbjahr 2007 möglichst weit voranzubringen.113
111 Vgl. Dokument P6_TA(2006)0295, auf der website des Parlaments zugänglich unter http://www .europarl.europa.eu/ sides / getDoc.do ?objRefld =124069& language=DE. 112 Abrufbar auf seiner Internetseite unter http:// europa.eu/ rapid/ pressRelea sesAction.do ?reference=SPEECH /06/ 720&format= HTML&aged =O&language =EN &guiLanguage=en. 113 Vgl. den Hinweis im Programm der Präsidentschaft, BI-Drucks. 16/3680, 12.
24
Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn
Inhaltsübersicht I. Einleitung ........... ................ 25 II. Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts und der Regelungen zur Sitzverlegung ..... ..................... .. 26 III. Entstrickung 1. Einführung neuer Gewinnrealisierungstatbestände .... 33 2. Grundsatz der Sofortbesteuerung mit Ausnahmen ...................................... 35 IV. Verstrickung ....................... 36 V. Weitere Änderungen im Umwandlungssteuergesetz 1. Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert und Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes ........... 37
I.
2. Umwandlung von Kapital- in bzw. auf Personengesellschaften ........... ........... 3. Umwandlung von Kapitalauf Kapitalgesellschaften ... 4. Einbringungen von Betrieben etc. in Kapitalgesellschaften ... ............. ............. ... 5. Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in Kapitalgesellschaften (Anteilstausch) ....................
37 39
42
46
6. Einbringung in Mitunternehmerschaften ................... 48 VI. Regelungen zum Einlagekonto, Körperschaftsteuerguthaben und EK 02
49
VII. Umwandlungen im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung .......... ...... ...... .. 50
Einleitung
Am 12.12.2006 ist das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer
25
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2006 im Bundesgesetzblatt verkündet worden.l Ziel des SEStEG ist insbesondere die Anpassung der steuerlichen Vorschriften an die aktuellen EU-rechtlichen Vorgaben, die vor allem mit der Rechtsform der SE zusammenhängen, aber auch darüber hinaus auf Grund der Rechtsprechung des EuGH und der aktuellen umwandlungsrechtlichen Entwicklung zu vergegenwärtigen sind. Dementsprechend enthält das SEStEG vor allem gravierende steuerrechtliche Neuregelungen für Vorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug. Die entsprechenden Neuregelungen haben allerdings auch für rein inländische Umwandlungsvorgänge zu sehr bedeutsamen Veränderungen der steuerrechtliehen Rahmenbedingungen geführt. Darüber hinaus enthält das SEStEG vielfältige weitere Änderungen insbesondere im Umwandlungssteuergesetz, das vollständig neu gefasst wurde. Der Bedeutung des SEStEG für Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug Rechnung tragend werden nachstehend die wesentlichen Neuregelungen durch das SEStEG zusammenfassend dargestellt.
II.
Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts und der Regelungen zur Sitzverlegung
Bisher erfasste das Umwandlungssteuergesetz ganz überwiegend nur inländische Umwandlungsvorgänge (Ausnahme insbesondere die in § 23 UmwStG a.F. geregelten Einbringungsvorgänge innerhalb der EU). Vor diesem Hintergrund bestand ein rechtlicher Regelungszwang zur Europäisierung des Anwendungsbereichs des Umwandlungssteuergesetzes hinsichtlich der seit dem 8.10.2004 möglichen grenzüberschreitenden Verschmelzung zu einer SE sowie der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer SE. Eine zwingende Pflicht zur Realisierung der stillen Reserven war seit dem 1.1.2006 nicht mit EU-Recht verein-
1
26
BGBl. I 2006, 2782. Siehe zu umfassenden Darstellungen dazu RödderjSchumacher, DStR 2006, 1481; RödderjSchumacher, DStR 2006, 1525; DötschjPung, DB 2006, 2648; DötschjPung, DB 2006, 2704; DötschjPung, DB 2006, 2763; Förster, DB 2007, 72; Hagemann u.a., NWB 2007, Sonderheft 1; Schäfer u.a., BB 2006, BESpezial 8 - zum Regierungsentwurf; zu den Änderungen durch den Finanzausschuss insbesondere Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22.
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
bar, da nach der Richtlinie zur Änderung der Fusionsrichtlinie2 unter bestimmten Voraussetzungen Ertragsteuerneutralität auf Gesellschaftsebene und Gesellschafterebene zu gewährleisten ist. Auch die jüngere EuCH-Rechtsprechung zum Steuer- und Gesellschaftsrecht (vor allem de Lasteyrie du Saillant3, N4 und SEVIC Systems5) und die Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes6 führten letztlich zu der Notwendigkeit einer Europäisierung des Umwandlungssteuergesetzes. Das SEStEG hat diesen Vorgaben durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs Rechnung getragen. Dabei ist es nur zu einer Europäisierung, nicht auch - wie ursprünglich erwogen - zu einer Globalisierung des Umwandlungssteuergesetzes gekommen. Damit bleiben für Umwandlungen außerhalb der EU große Lücken (für Drittstaatenverschmelzungen mit Inlandsvermögen gilt der modifizierte § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Eine materielle Verbesserung ist insoweit lediglich in § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG enthalten, nach dem nun auch bei Drittstaatenverschmelzungen eine Ertragsteuerneutralität bei inländischen Anteilseignern durch Anwendung des § 13 UmwStG ermöglicht wird. Europäisierung des Umwandlungssteuergesetzes heißt, dass bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften(§§ 3-16 UmwStG) grundsätzlich nach dem Recht eines EU-/EWR-Staates gegründete Gesellschaften mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in EU/EWR beteiligt sein müssen(§ 1 Abs. 2 UmwStG; übernehmender Rechtsträger kann in bestimmten Fällen auch eine natürliche Person mit steuerlicher Ansässigkeit in EU/EWR sein).
2 Richtlinie 2005/19/EG v. 17.2.2005, ABI. EU Nr. L 58/2005, 19. 3 EuGH v. 11.3.2004- Rs. C-9/02- de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 = DStR 2004, 551. 4 EuGH v. 7.9.2006- Rs. C-479/04- N, DStR 2006,1691. 5 EuGH v. 13.12.2005- Rs. C-411/03- SEVIC Systems, DStR 2006, 49. 6 Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 16/4193; zwischenzeitlich vom Bundestag beschlossen.
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Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel Grenzüberschreitende Verschmelzung
Sowohl die Verschmelzung der D-AG auf die F-SA als auch die Verschmelzung der F-SA auf die D-AG fällt unter den Anwendungsbereich der§§ 11-13 UmwStG, so dass bei Erfüllung der dort geregelten Voraussetzungen die Buchwerte fortgeführt werden können. Je nach Belegenheit des Vermögens und Ansässigkeit der Aktionäre kann deutsches Besteuerungsrecht beschränkt oder begründet werden. 7
7 Zur Entstrickung und Verstrickung siehe unten S. 33 ff. und 36 ff.
28
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel
EU-Abspaltung mit Inlandsvermögen
·-.__ ·..
-.-.-.-.- . -.-.- . - . -.- . -.-. - - - . -
.·:::.... -.-.-.-.- . - ._.,...,-:.:.:·:·_ -- . - . - . - . - . -
- .- .-
Auf die Abspaltung der deutschen Betriebsstätte von der F-SA auf die Fl-SA ist § 15 UmwStG anwendbar, so dass bei Erfüllung der dort geregelten Voraussetzungen (insbesondere Vorliegen von Teilbetrieben) auf der Ebene der D-AG und der F-SA Buchwerte fortgeführt werden können. Bei der Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 UmwStG) gilt grundsätzlich Entsprechendes, so dass der Einbringende eine EU-/EWR-Gesellschaft oder eine in der EU/EWR ansässige natürliche Person und der übernehmende Rechtsträger eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft sein muss (§ 1 Abs. 4 UmwStG). Auf die Steuerverhaftung der als Gegenleistung gewährten Anteile kommt es in diesen Fällen nicht mehr an (abweichend von§ 20 Abs. 3 UmwStG a.F.) . Bei Einbringungen durch Personengesellschaften sind diese für die Prüfung der Anwendbarkeit des Umwandlungssteuergesetzes als transparent anzusehen, das heißt, es ist auf den Status ihrer Gesellschafter abzustellen (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa UmwStG) .
29
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel
Formwechsel einer KG mit EU-Gesellschaftern
Auf den Formwechsel sind wie bisher gern. § 25 UmwStG die Einbringungsregelungen der §§ 20 ff. UmwStG entsprechend anzuwenden. Anders als nach§ 20 Abs. 3 UmwStG a.F. führt die Ansässigkeit der Gesellschafter im EU-Ausland nicht mehr zwingend zur Gewinnrealisierung. Nach dem Regierungsentwurf des SEStEG sollte die Einbringung durch in Drittstaaten ansässige Einbringende (z.B. Einbringung eines Teilbetriebs durch eine Personengesellschaft mit Drittstaatengesellschaftern), die bisher nur in den Fällen des § 20 Abs. 3 UmwStG nicht zu Buchwerten möglich war, nicht mehr vom Umwandlungssteuergesetz erfasst werden. Nach§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG ist auf solche Einbringungen jedoch weiterhin § 20 UmwStG anwendbar, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der als Gegenleistung erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (entspricht im Ergebnis der Regelung des§ 20 Abs. 3 UmwStG a.F.).
30
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel
Teilbetriebseinbringung durch Personengesellschaft mit Drittstaatengesellschaftern
D-KG
YGmbH (TB)
Wie bisher kann die Einbringung des Teilbetriebs durch die D-KG in die Y-GmbH zu Buchwerten erfolgen, wenn Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der Y-GmbH dem deutschen Besteuerungsrecht unterliegen (tatsächliche Zugehörigkeit der Anteile zur Betriebsstätte erforderlich). Beim Anteilstausch (Einbringung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft nach § 21 UmwStG) ist nur erforderlich, dass der übernehmende Rechtsträger eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft ist (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG; die Steuerverhaftung der als Gegenleistung gewährten Anteile ist hier gern. § 21 Abs . 2 Satz 3 UmwStG nur Voraussetzung für den Buchwertansatz). Damit ist- anders als im Regierungsentwurf vorgesehen - nicht nur weiterhin die Einbringung von Beteiligungen an Drittstaatsgesellschaften in inländische Kapitalgesellschaften möglich, sondern darüber hinaus auch die Einbringung von Drittstaatsbeteiligungen in andere EU-/EWR-Kapitalgesellschaften. Der Einbringende kann auch in einem Drittstaat ansässig sein.
31
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel Einbringung einer Drittstaatenbeteiligung
oder
Wie bisher fällt die Einbringung der Beteiligung an der US-Corp in die Y-GmbH unter die Regelung zum Anteilstausch (bisher§ 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG a.F., nunmehr§ 21 UmwStG). Darüber hinaus ist nunmehr auch die Einbringung der Beteiligung an der US-Corp in die F-SA geregelt Bei der Einbringung in Personengesellschaften bestehen für die Anwendbarkeit des § 24 UmwStG - wie bisher und im Gegensatz zum Regierungsentwurf - keine Ansässigkeitsvoraussetzungen (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG). Bei inländischen Umwandlungen gilt nach wie vor die Maßgeblichkeit des Umwandlungsgesetzes (Ausnahme wie bisher: Einbringungen, die auch im Wege der Einzelrechtsnachfolge möglich sind). Bei Umwandlungsvorgängen nach ausländischem Recht ist die Vergleichbarkeit mit dem entsprechenden deutschen Umwandlungsvorgang erforderlich. Auch die Sitzverlegung einer SE in einen anderen EU-Mitgliedstaat ist nunmehr im Grundsatz ertragsteuerneutral möglich (§ 12 Abs. 1 KStG stellt auch beim Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht nur noch auf die Steuerverhaftung der Wirtschaftsgüter ab). Eine Sitzverlegung mit Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem der EU-/EWR-Staaten führt dagegen nach wie vor unabhängig von der Steuerverhaftung stiller Reserven zur Vollrealisation (§ 12 Abs. 3 KStG).
32
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
111. Entstrickung 1.
Einführung neuer Gewinnrealisierungstatbestände
Die Europäisierung des Umwandlungssteuergesetzes wird begleitet von einer umfassenden Sicherstellung des deutschen Besteuerungsrechts für stille Reserven, die unter deutscher Besteuerungshoheit gebildet wurden. Das SEStEG hat zu diesem Zweck für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens allgemeine Entstrickungstatbestände in§ 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 EStG und § 12 Abs. 1 KStG eingeführt mit dem Grundsatz, dass bei Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts eine fiktive Entnahme bzw. eine fiktive Veräußerung zum gemeinen Wert der Besteuerung unterliegt. Auch im Umwandlungssteuergesetz ist die fehlende Entstrickung Voraussetzung für die Möglichkeit einer Buchwertfortführung hinsichtlich des übertragenen Vermögens (§ 3 Abs. 2 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Nr. 3, § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Beim Übergang inländischen Betriebsvermögens auf einen ausländischen Rechtsträger anlässlich einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung ist damit zur Vermeidung einer Besteuerung der stillen Reserven regelmäßig ein Verbleib der betroffenen Wirtschaftsgüter in einer deutschen Betriebsstätte nötig (was Zuordnungsfragen vor allem bei Beteiligungen, dem Firmenwert und anderen immateriellen Wirtschaftsgütern aufwirft). Der durch das SEStEG eingeführte Entstrickungsbegriff ist sehr weit formuliert, jede Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts reicht aus.S Eine Entstrickungsbesteuerung soll - anders als bisher - auch dann erfolgen, wenn zwar das deutsche Besteuerungsrecht erhalten bleibt, aber eine Anrechnung ausländischer Steuern resultieren kann. Dies ist höchst problematisch, zumal der Gesetzeswortlaut nicht auf die im Zeitpunkt des Entstrickungsvorgangs vorhandenen stillen Reserven abstellt und sich die Frage stellt, ob allein die potentielle Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich zukünftig entstehender stiller Reserven zu einer Besteuerung führen kann.
8
Nicht nur hinsichtlich von Veräußerungsgewinnen, sondern sogar für Nutzungserträge. Im letztgenannten Fall resultiert daraus der Ansatz eines fiktiven Nutzungsentgelts.
33
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Beispiel Grenzüberschreitende Überführung von Stammhaus in Betriebsstätte und umgekehrt
B '
' -·-·-·-·-·-•-·-·T·-·-·-·-·-·-·'
8
'
-·-·-·-·-·-·-·-·~·-·-·-·- · -·-·-
'
Die Überführung eines Wirtschaftsguts der D-AG in eine Betriebsstätte in Frankreich soll wegen der Freistellung des Betriebsstättengewinns zur Entstrickungsbesteuerung führen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Betriebsstätte nach Art. 4 Abs. 2 DBA-Frankreich ein Gewinn, der auf die bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven zurückzuführen ist, überhaupt zuzurechnen ist. Wenn dies zu verneinen wäre, läge ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der bis zum Überführungszeitpunkt gebildeten stillen Reserven überhaupt nicht vor. Entsprechendes gilt im Fall der Anrechnungsmethode (gern. § 20 Abs. 2 AStG bei passiven Einkünften der französischen Betriebsstätte), wenn für französische Besteuerungszwecke der gemeine Wert angesetzt wird. In diesem Fall können auf die in Deutschland gebildeten stillen Reserven keine anzurechnenden französischen Steuern entstehen, so dass insoweit auch keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts vorliegen kann. Bei Überführung aus einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus stellt sich in vergleichbarer Weise die Frage der (teilweisen) Zurechnung eines späteren Veräußerungsgewinns zu der inländischen Betriebsstätte.
Der Ansatz des gemeinen Wertes (nicht des Teilwertes) bei Entstrickung führt zu Folgefragen insbesondere bei der Entstrickung von Sachgesamtheiten und der Existenz stiller Lasten (Hinweis auf den bei Umwandlungsvorgängen gern. § 3 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 1 Satz 2,
34
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
§ 20 Abs. 2 Satz 1 und § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG vorgeschriebenen Ansatz von Pensionsrückstellungen mit dem Wert nach§ 6a EStG). Hinsichtlich von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften i.S.d. § 17 EStG ist der Entstrickungstatbestand des § 6 AStG gegenüber dem Regierungsentwurf modifiziert worden. Nach der endgültigen Neufassung führt jede Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Wegzug des Anteilseigners zur Besteuerung, selbst wenn das deutsche Besteuerungsrecht erhalten bleibt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG). Neben anderen Ersatztatbeständen führt jede Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ebenfalls zur Besteuerung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG).
2.
Grundsatz der Sofortbesteuerung mit Ausnahmen
In den Fällen der Entstrickung erfolgt grundsätzlich eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven, was zum Teil eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage bedeutet. Allerdings wurde abweichend vom Regierungsentwurf in § 4g EStG eine Sonderregelung für die Überführung von Anlagevermögen durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen in eine Betriebsstätte in einem anderen EU-Mitgliedstaat eingeführt. Die Regelung gilt nach ihrem Wortlaut nur für natürliche Personen (ihr Anwendungsbereich soll aber auf unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften erstreckt werden). Die Regelung ermöglicht eine zeitliche Streckung der Besteuerung durch Bildung eines Ausgleichspostens in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert, der im Jahr der Überführung und den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 4g Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei Ausscheiden des Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen oder aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU oder einer Aufdeckung der stillen Reserven ist der Ausgleichsposten in vollem Umfang aufzulösen (§ 4g Abs. 2 Satz 2 EStG). Im Fall der Rückführung des Wirtschaftsguts ins Inland ist gern. § 4g Abs. 3 EStG der noch bestehende Ausgleichsposten ohne Auswirkung auf den Gewinn aufzulösen und ein besonderer Verstrickungswert anzusetzen. 9
9
Ausführlich dazu KesslerjWinterhalterjHuck, DStR 2007, 133 (135).
35
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Die Regelung soll zwar den EU-rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Sofortbesteuerung Rechnung tragen. Sie reicht jedoch bei Weitem nicht aus, da die Überführung in eine EU-Betriebsstätte in vielen Fällen zu einer zeitlich früheren Besteuerung als im Inlandsfall führt. Auch gilt sie nicht für beschränkt Steuerpflichtige, so dass bei Entstrickung wegen Überführung in das ausländische Stammhaus, Sitzverlegung oder grenzüberschreitender Hinausverschmelzung etc. eine Sofortbesteuerung nicht zu vermeiden ist. Ein Verzicht auf die Sofortbesteuerung erfolgt jedoch, wenn beim Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft wegen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung oder einer Sitzverlegung der Gesellschaft oder eines Anteilstauschs zwar grundsätzlich eine Entstrickung vorliegt, eine Besteuerung jedoch nach Art. 8 oder 10d FusionsRL unzulässig wäre. In diesen Fällen wird eine spätere Gewinnrealisierung hinsichtlich der Anteile so besteuert, wie es ohne den Vorgang der Fall gewesen wäre (§ 15 Abs. 1a und § 17 Abs. 5 EStG, § 13 Abs. 2 Nr. 2 und § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG).lO Eine an den Grundsätzen der EuCH-Rechtsprechung (de Lasteyrie de Saillant, N) orientierte Stundungslösung ist nur im Fall des § 6 AStG vorgesehen worden. Die Steuerfestsetzung erfolgt auf der Basis des gemeinen Werts mit zinsloser Stundung im Zeitpunkt des Wegzugs und Widerruf der Stundung insbesondere bei späterer Veräußerung oder Wegzug aus der EU bzw. dem EWR.
IV. Verstrickung Die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens steht gern. § 4 Abs. 1 Satz 7 EStG einer Einlage gleich und führt- entgegen dem Regierungsentwurf- gern.§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG unabhängig von einer Besteuerung im Ausland zum Ansatz mit dem gemeinen Wert.
10
36
Dies wird begleitet von einer Erweiterung der beschränkten Steuerpflicht für Einkünfte i.S.d. § 17, 22 Nr. 2 EStG aus solchen Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb und Nr. 8 Buchst. c Doppelbuchst. bb EStG).
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Bei einer Verstrickung von Anteilen i.S.d. § 17 EStG ist es hingegen dabei geblieben, dass der Wert an die Stelle der Anschaffungskosten tritt, der im Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland einer dem § 6 AStG vergleichbaren Besteuerung unterlegen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG).
V.
Weitere Änderungen im Umwandlungssteuergesetzll
1.
Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert und Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes
Bei sämtlichen Umwandlungen kommt es nach dem SEStEG grundsätzlich zum Ansatz der Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert, wobei dies nach § 3 Abs. 1, § 11 Abs. 1 UmwStG nun ausdrücklich auch die nicht entgeltlich erworbenen immateriellen Wirtschaftsgüter betrifft. Bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen kann in der Steuerbilanz auf Antrag der Buchwert oder ein Zwischenwert angesetzt werden (§ 3 Abs. 2, § 11 Abs. 2, § 20 Abs. 2, § 24 Abs. 2 UmwStG). Der Antrag kann unabhängig davon gestellt werden, welcher Wert in der Handelsbilanz angesetzt wird. Dies bedeutet die endgültige Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes im Umwandlungssteuergesetz und war auch auf Grund der Europäisierung des Umwandlungssteuergesetzes erforderlich, da eine Anknüpfung an ausländisches Handelsbilanzrecht nicht sinnvoll möglich wäre. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen, zumal im Ergebnis nur die herrschende Meinung zum bisherigen Recht bestätigt wird.
2.
Umwandlung von Kapital- in bzw. auf Personengesellschaften
Die wesentliche konzeptionelle Änderung bei der Umwandlung von Kapital- in bzw. auf Personengesellschaften gegenüber dem bisherigen Recht ist die Aufteilung des Übernahmeergebnisses in einen "Dividendenteil" (steuerbilanzielle Gewinnrücklagen) und einen "Veräuße11
Die im Regierungsentwurf vorgesehene besondere Missbrauchsvorschrift des § 26 UmwStG-E, die Gegenstand heftiger Kritik war, ist nicht Gesetz geworden.
37
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
rungsteil". Hintergrund ist die Sicherung des deutschen Quellenbesteuerungsrechts gegenüber Steuerausländern. Der Dividendenteil wird gern. § 7 UmwStG wie eine Gewinnausschüttung besteuert und unterliegt dem Kapitalertragsteuerabzug (wie bisher in den Fällen, in denen kein Übernahmeergebnis zu ermitteln war). Eine Befreiung von der Kapitalertragsteuer nach § 43b EStG erfolgt nicht (§ 43b Abs. 1 Satz 4 EStG). Das Übernahmeergebnis wird gern.§ 4 Abs. 5 Satz 2 UmwStG um den separat besteuerten Dividendenteil gekürzt, so dass regelmäßig kein Übernahmegewinn mehr entsteht (die nach § 4 Abs. 7 UmwStG erfolgende Anwendung der Regelungen des§ Sb KStG bzw. der§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG hat daher geringe praktische Bedeutung). Zu beachten ist allerdings, dass vor Ermittlung des Übernahmeergebnisses gern.§ 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UmwStG ein steuerpflichtiger Gewinn entstehen kann, soweit der Buchwert der Anteile an der übertragenden Körperschaft auf Grund steuerwirksamer Abschreibungen oder von Abzügen nach§ 6b EStG o.ä. unter dem gemeinen Wert liegt ("erweiterte Wertaufholung"). Auch kann ein Übernahmegewinn dadurch entstehen, dass das nicht der deutschen Besteuerung unterliegende ausländische Betriebsstättenvermögen gern. § 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG für Zwecke der Übernahmeergebnisermittlung mit dem gemeinen Wert angesetzt wird. Ein Übernahmeverlust wirkt sich gern. § 4 Abs. 6 UmwStG wie bisher bei Körperschaften grundsätzlich nicht aus. Zur Vermeidung einer Überbesteuerung durch die gesonderte Erfassung der Gewinnrücklagen nach § 7 UmwStG ist ein Übernahmeverlust in den Fällen des § Sb Abs. 7 und S KStG bis zur Höhe der Bezüge i.S.d. § 7 UmwStG abziehbar. Bei Einkommensteuerpflichtigen ist der Übernahmeverlust zur Hälfte, höchstens bis zur Höhe der Bezüge i.S.d. § 7 UmwStG abziehbar (nach dem Wortlaut des Regierungsentwurfs bestand noch eine weitergehende Abzugsmöglichkeit). Dies gilt allerdings nicht in den Fällen des§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG und nicht, soweit Anteile an der umgewandelten Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre erworben wurden. Die sich in vielen Fällen ergebende Dividendenbesteuerung der Gewinnrücklagen unabhängig von der Höhe des Beteiligungsbuchwerts ist überschießend.
38
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
3.
Umwandlung von Kapital- auf Kapitalgesellschaften
3.1
Verschmelzung
Auch bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften ist die Besteuerung des Übernahmegewinns bei der Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf ihre Muttergesellschaft konzeptionell geändert worden. Allerdings erfolgt keine Aufteilung in einen Dividendenteil und einen Veräußerungsteil, sondern eine Erfassung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Beteiligungsbuchwert und dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter anzusetzen sind. Wie bisher regelt § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG, dass dieser Übernahmegewinn oder -verlust außer Ansatz bleibt. Während im Regierungsentwurf vorgesehen war, dass 5 % des Übernahmegewinns als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben gelten sollten (vergleichbar § Sb Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 5 KStG), ist nun gern. § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG die Regelung des § Sb KStG anzuwenden, soweit der Übernahmegewinn dem Anteil der übernehmenden Körperschaft an der übertragenden Körperschaft entspricht.12 Die Vorschrift setzt eine Aufwärtsverschmelzung (up-stream merger) voraus. Wenn die übernehmende Körperschaft nicht an der übertragenden Körperschaft beteiligt ist (Seitwärtsverschmelzung, Abwärtsverschmelzung/ down-stream merger), ist § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG somit nicht anwendbar.l3 Nach dem Bericht des Finanzausschusses sollte durch den Verweis auf § Sb KStG die Behandlung als Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung der Sonderregelungen des § Sb Abs. 7, S KStG etc. erreicht wer-
den. So könnte sich auch die Frage stellen, ob ein Übernahmegewinn voll steuerpflichtig sein könnte, wenn auf die Anteile an der übertra12 Der Wortlaut sollte es zulassen, die quotale Berechnung entsprechend der
13
Regelung des § 4 Abs. 4 Satz 3 UmwStG vorzunehmen. Der Gesetzgeber unterstellt offenkundig, dass als Übernahmegewinn i.S.d. § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG auch Vermögensmehrungen zu erfassen sind, die nicht mit der Beteiligungsquote an der übertragenden Körperschaft korrespondieren. Dies gilt insbesondere im Fall einer Seitwärtsverschmelzung, bei der im Grundsatz ein Einlagevorgang in die übernehmende Körperschaft vorliegt. Zum bisherigen Meinungsstand Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 12 UmwStG Rz. 11 f. Ebenso DötschjPung, DB 2006, 2704 (2713).
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Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
genden Körperschaft § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG a.F. anzuwenden ist. Nach dem Wortlaut ist dies jedoch nicht der Fall. Die Anwendung des § 8b KStG auf einen Übernahmegewinn dürfte zwar dazu führen, dass 5 % des Übernahmegewinns gern. § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG als nicht abziehbare Betriebsausgaben gelten.l4 Die Vorschriften des§ 8b Abs. 4, 7 oder 8 KStG können jedoch nur die Anwendung der Freistellung nach § 8b Abs. 2 KStG versagen. Daraus folgt jedoch keine volle Steuerpflicht, da der Übernahmegewinn bereits nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG außer Ansatz bleibt und die Vorschriften des § 8b KStG darauf keinen Einfluss haben.l5 Eine weitere Besonderheit ergibt sich bei Bestehen einer Organschaft. Wenn die übernehmende Körperschaft eine Organgesellschaft ist, ist § 8b Abs. 1-6 KStG bei ihr gern. § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG nicht anzuwenden. Dies gilt jedoch nicht für § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG, so dass ein Übernahmegewinn dennoch außer Ansatz bleibt. Er ist somit nicht in dem Einkommen, das dem Organträger zugerechnet wird, enthalten, und die Regelung des § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG, nach der bei dem Organträger § 8b KStG oder§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG anzuwenden sein könnte, greift nicht. Somit kommt es in diesem Fall auch nicht zur Fiktion von 5 % des Übernahmegewinns als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben bei körperschaftsteuerpflichtigen Organträgern, und auch bei einkommensteuerpflichtigen Organträgern bleibt es bei dem vollständigen Außeransatzbleiben des Übernahmegewinns.l6 Eine Steuerbelastung der Verschmelzung kann sich- wie auch bei der Umwandlung auf oder in eine Personengesellschaft- daraus ergeben, dass die übertragende Körperschaft und die übernehmende Körperschaft aneinander beteiligt sind und auf die Anteile an der Tochtergesellschaft eine steuerwirksame Teilwertabschreibung oder Abzüge nach§ 6b EStG o.ä. vorgenommen wurden. Wenn dadurch der Buchwert der Anteile an der Tochtergesellschaft unter dem gemeinen Wert liegt, kommt es sowohl beim up-stream merger (§ 12 Abs. 1 Satz 2 14 Zur Kritik RödderjSchmumacher, DStR 2006, 1525 (1533). 15 A.A. wohl Dötsch/Pung, DB 2006, 2704 (2707); BeneckejSchnitger, IStR 2007, 22 (26). 16 Die Abführung eines Übernahmegewinns stellt im Übrigen jedenfalls insoweit auch keine Mehrabführung i.S.d. § 14 Abs. 3 KStG dar, als der Übernahmegewinn in Handels- und Steuerbilanz übereinstimmt; dazu WittjDötsclz in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz. 471 m.w.N.; a.A. UmwSt-Erlass Tz. Org. 24.
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i.V.m. § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UmwStG) als auch beim down-stream merger (§ 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 UmwStG)17 zu einer Besteuerung der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert. Eine weitergehende Besteuerung wie nach § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG a.F. erfolgt nicht mehr, so dass eine frühere steuerwirksame Teilwertabschreibung auf die Anteile an der Tochtergesellschaft nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Buchwert der Anteile nicht unter dem gemeinen Wert liegt. Diese zu begrüßende Änderung hängt (auch) damit zusammen, dass der Übergang von Verlustvorträgen nach§ 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG abgeschafft worden ist. Die Streichung des Verlustvortragsübergangs ist ein gravierender Nachteil des SEStEG und steuerpolitisch fragwürdig.18 In der Praxis wird bei Existenz von Verlustvorträgen - unter Beachtung der Restriktionen des§ 8 Abs. 4 KStG- die Verschmelzung auf die Verlustgesellschaft oder - unter Beachtung der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG - eine gezielte Aufdeckung stiller Reserven zu prüfen sein. Auf der Ebene der Anteilseigner der übertragenden Körperschaft ist die Neukonzeption des § 13 UmwStG zu beachten (der gern. § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG nun auch bei Verschmelzungen von Drittstaatsgesellschaften19 gilt). Wenn auf Antrag gern. § 13 Abs. 2 UmwStG ein
17 Durch diese Regelung stellt der Gesetzgeber im Übrigen klar, dass §§ 11 ff.
18 19
UmwStG auf einen down-stream merger unmittelbar anzuwenden sind. Das nach bisheriger Auffassung der Finanzverwaltung bestehende Antragserfordernis (UmwSt-Erlass Tz. 11.24) dürfte somit entfallen. Wenn bei einem down-stream merger wegen des Übergangs von Schulden ein Verschmelzungsverlust entsteht, liegt wie nach derzeitigem Recht keine verdeckte Gewinnausschüttung vor, soweit der Übergang der Schulden gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere nicht zu einem Verstoß gegen§§ 30, 31 GmbHG führt; OFD Koblenz, Vfg. v. 9.1.2006 - S 1978 A-St 33 2, GmbHR 2006, 503; RödderjWochinger, DStR 2006, 684. Zur Kritik RödderjSchumacher, DStR 2006, 1525 (1533). Anders als § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG, der eine Buchwertübertragung von Inlandsvermögen bei grenzüberschreitenden Drittstaatsverschmelzungen nicht zulässt, soll § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG nach der Begründung des Finanzausschusses auch bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen gelten. Dies lässt der Wortlaut auch zu, da§ 12 Abs. 2 Satz 2 KStG sich auf einen "Vorgang im Sinne des Satzes 1" bezieht. Damit wird der in Satz 1 vorausgesetzte "Vorgang", der einer Verschmelzung vergleichbar ist, in Bezug genommen und nicht der gesamte Satz 1.
41
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Anteilstausch zu Buchwerten erfolgt, treten die Anteile an der übernehmenden Körperschaft anders als bisher steuerlich an die Stelle der Anteile an der übertragenden Körperschaft, so dass der steuerliche Status vollumfänglich unverändert bleibt. 3.2
Spaltung
Anders als nach dem Regierungsentwurf vorgesehen ist das Vorliegen von Teilbetrieben gern. § 15 Abs. 1 UmwStG weiterhin Voraussetzung für die Ertragsteuerneutralität auf Gesellschafterebene. Abweichend vom bisherigen Recht führt die Verletzung der Teilbetriebsvoraussetzung allerdings nicht mehr zur Einstufung einer Auf- oder Abspaltung als Liquidation oder Sachausschüttung20, sondern (nur) zur Nichtanwendbarkeit von § 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 UmwStG. Somit hat die übertragende Körperschaft in diesem Fall entsprechend § 11 Abs. 1 UmwStG den gemeinen Wert der übertragenen Wirtschaftsgüter anzusetzen, und beim Gesellschafter liegt entsprechend § 13 Abs. 1 UmwStG ein fiktiver Anteilstausch zum gemeinen Wert vor. Im Unterschied zur Annahme einer Sachausschüttung im bisherigen Recht ist mithin nunmehr weder eine Leistung i.S.d. § 38 KStG, die zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen kann, noch ein kapitalertragsteuerpflichtiger Bezug anzunehmen. Letztere Änderung hat insbesondere für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter Bedeutung, da der fiktive Veräußerungsgewinn nach § 13 Abs. 1 UmwStG bei Bestehen eines Doppelbesteuerungsabkommens regelmäßig nicht in Deutschland besteuert werden kann (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Auf Drittstaatenspaltungen ist, anders als nach dem Regierungsentwurf vorgesehen, bei inländischen Anteilseignern § 13 UmwStG nicht anwendbar. In diesen Fällen bleibt es bei der Behandlung als Liquidation oder Sachausschüttung.
4.
Einbringungen von Betrieben etc. in Kapitalgesellschaften
4.1
Anwendungsbereich des § 20 UmwStG
Die Grundkonzeption des § 20 UmwStG für die Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen in Kapitalgesell-
20 Mangels Anwendbarkeit der§§ 11-13 UmwStG; UmwSt-Erlass Tz. 15.11.
42
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
schaften ist im Grundsatz unverändert geblieben. Auch die im Regierungsentwurf vorgesehene verschärfte Besteuerung der Gewährung anderer Gegenleistungen ist nicht umgesetzt worden. Die wesentliche Änderung liegt in der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Einbringungen mit EU-/EWR-Bezug21 (dies umfasst auch die bisher von § 23 Abs. 1-3 UmwStG geregelten Fälle der Fusionsrichtlinie). Der Anteilstausch (bisher § 20 Abs. 1 Satz 2 und § 23 Abs. 4 UmwStG a.F.) ist nunmehr in§ 21 UmwStG gesondert geregeit.22
4.2
Veräußerung der erhaltenen Anteile durch den Einbringenden
Grundlegend geändert wurde die Sperrfristkonzeption. Bisher war die Veräußerung einbringungsgeborener Anteile innerhalb von sieben Jahren nach der Einbringung voll steuerpflichtig (§ 8b Abs. 4 KStG, § 3 Nr. 40 Sätze 3 und 4 EStG)23, und mangels Aufstockung bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft erfolgte eine Doppelbesteuerung.24 Nunmehr führt eine Veräußerung25 der als Gegenleistung für eine Einbringung unter dem gemeinen Wert erhaltenen Anteile gern. § 22 Abs. 1 UmwStG zu einer rückwirkenden26 Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns I beim Einbringenden. Der Einbringungsgewinn I entspricht der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem bei der Einbringung angesetzten Buch- oder Zwischenwert (abzüglich Umwandlungskosten), vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zei~ahr. Der Einbringungsgewinn I gilt gern. § 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG als nachträgliche Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile, mindert also den Gewinn aus
21 22 23
24
25 26
Siehe oben zu II. Siehe unten zu V 5. Für nach altem Recht entstandene Anteile gilt das alte Recht fort; § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG, §52 Abs. 4b Satz 2 EStG, § 34 Abs. 7a KStG. § 20 Abs. 3 Satz 4, § 21 Abs. 2 Satz 6 UmwStG erstrecken das alte Recht auch auf Anteile, die durch die Einbringung alter einbringungsgeborener Anteile entstehen. Bei Einbringung durch beschränkt steuerpflichtige EU-Kapitalgesellschaften nach§ 23 Abs. 2 UmwStG a.F. führte eine Veräußerung in der Sperrfrist hingegen zu einer rückwirkenden gewinnrealisierenden Einbringung. § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG enthält eine Vielzahl von Ersatztatbeständen zur Vermeidung von Besteuerungslücken. Im Regierungsentwurf war eine Besteuerung im Veräußerungszeitpunkt vorgesehen.
43
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
der Anteilsveräußerung (auf den§ Sb Abs. 2 KStG oder§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG anzuwenden ist). Des Weiteren ist bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft gern. § 23 Abs. 2 Sätze 1 und 2 UmwStG auf Antrag im Jahr der Veräußerung also nicht rückwirkend - und bei Nachweis der Entrichtung27 der Steuer auf den Einbringungsgewinn ein "Erhöhungsbetrag" gewinnneutral anzusetzen. Dies gilt jedoch nur, wenn das eingebrachte Betriebsvermögen entweder noch zum Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft gehört oder zum gemeinen Wert übertragen wurde, das heißt nicht bei einer Weiterübertragung unter dem gemeinen Wert. Nach der Gesetzesbegründung soll aus dem Ansatz des Erhöhungsbetrags eine wirtschaftsgutbezogene Buchwertaufstockung bzw. bei erfolgter Weiterübertragung zum gemeinen Wert sofort abziehbarer Aufwand folgen. Beispiel Im Jahr 2008 bringt die Kapitalgesellschaft A einen Teilbetrieb im Wege der Sachgründung zu Buchwerten in die Kapitalgesellschaft B ein, der Buchwert beläuft sich auf 100 und der gemeine Wert auf 800. Im Jahr 2010 verkauft A sämtliche Anteile an B für 1500. Nach bisherigem Recht erzielt A einen steuerpflichtigen Anteilsveräußerungsgewinn i.H.v. 1400, und in B bleibt es bei den (fortgeführten) Buchwerten von 100. Nun kommt es zu einem steuerpflichtigen Einbringungsgewinn I von 500 (700 - 2/7 · 700) und einem Anteilsveräußerungsgewinn i.H.v. 900 (1500- [100 + 500]), der zu 95 % freigestellt ist. Bei B erfolgt unter den genannten Voraussetzungen eine Buchwertaufstockung i.H.v. 500 oder auch (teilweise) ein Betriebsausgabenabzug. Veräußerungs- - ---------------------------------- -.""=""""'---------------preis= 1500 Anteilsveräußerungsgewinn
Gemeiner Wert = 800
gungsgewinn
Buchwert/ Anschaffungs- kosten= 100
..L_-'..,_.......lL
2008
2009
nachträgliche Anschaffungskosten -f+-;-;-;-;-.,.,.,-l"'----------------
2010
27 Dabei sollte auch die Minderung eines Verlustvortrags ausreichend sein, auch wenn insoweit nicht sofort Steuern tatsächlich "entrichtet" werden.
44
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Variante
Der Anteilsveräußerungspreis im Jahr 2010 beträgt 10. Bisher hätte A einen steuerirrelevanten Veräußerungsverlust i.H.v. 90 erlitten, bei B bliebe es bei (fortgeführten) Buchwerten i.H.v. 100. Nun kommt es zu einem steuerpflichtigen Einbringungsgewinn I von 500, einem steuerirrelevanten Anteilsveräußerungsverlust von 590 sowie zu einer Buchwertaufstockung in B i.H.v. 500. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist, dass der Einbringende gern. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwStG innerhalb der Siebenjahresfrist jeweils bis zum 31. Mai- wohl gegenüber dem Finanzamt, das gern.§ 19 AO für seine Einkommensbesteuerung zuständig ist - den Nachweis zu erbringen hat, wem die erhaltenen Anteile und bei Ketteneinbringungen etc. die darauf beruhenden Anteile zuzurechnen sind. Wenn der Nachweis nicht rechtzeitig erbracht wird, gelten die Anteile als veräußert und der entsprechende Einbringungsgewinn I ist zu besteuern. Nach dem Gesetzeswortlaut ist diese Rechtsfolge bei Fristverletzung zwingend, wenn auch nach der Begründung des Regierungsentwurfs keine Ausschlussfrist vorliegen soll. Nach der systematischen Stellung der Regelung gilt die Veräußerungsfiktion nur für die Anwendung des § 22 UmwStG und führt nicht etwa auch zur Besteuerung des Gewinns aus einer fiktiven Veräußerung.28 Das Konzept des Einbringungsgewinns I gilt gern. § 22 Abs. 1 Satz 5 grundsätzlich nicht, soweit das eingebrachte Betriebsvermögen Anteile an Kapitalgesellschaften enthält; insoweit kommt die Regelung für den Anteilstausch in§ 22 Abs. 2 UmwStG zur Anwendung (dazu sogleich). Wenn bei Einbringung durch beschränkt Steuerpflichtige allerdings kein deutsches Besteuerungsrecht für die erhaltenen Anteile besteht, umfasst der Einbringungsgewinn I auch die stillen Reserven der mit eingebrachten Anteile.
28 So aber wohl DötschjPung, die die Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile für erforderlich halten, vgl. Dötsch/Pung, OB 2006, 2763 (2767). 45
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
5.
Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in Kapitalgesellschaften (Anteilstausch)
5.1
Konzeption des § 21 UmwStG
§ 21 UmwStG regelt als Nachfolgevorschrift zu§ 20 Abs. 1 Satz 2 und § 23 Abs. 4 UmwStG die Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in in- und ausländische EU-/EWR-Kapitalgesellschaften. Grundvoraussetzung für den Ansatz des Buch- oder Zwischenwerts ist weiterhin, dass die übernehmende Gesellschaft nach der Einbringung unmittelbar Anteile mit der Mehrheit der Stimmrechte an der erworbenen Gesellschaft hält(§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Neben der Erweiterung des Anwendungsbereichs - nunmehr ist auch die Einbringung von Drittstaatenbeteiligungen in ausländische EU-/ EWR-Gesellschaften erfasst29 - ist insbesondere der Wegfall der Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden Buchwertverknüpfung bei der Einbringung in eine ausländische EU/EWR-Gesellschaft bedeutsam. Dabei kommt es regelmäßig zum Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der eingebrachten Anteile. In diesem Fall erfolgt unabhängig vom Wertansatz bei der übernehmenden Gesellschaft beim Einbringenden auf Antrag ein Buchwertoder Zwischenwertansatz, wenn das deutsche Besteuerungsrecht für die erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird oder eine Besteuerung nach Art. 8 FusionsRL nicht zulässig ist (§ 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG). Bei einer Einbringung in eine inländische Kapitalgesellschaft, bei der das deutsche Besteuerungsrecht an den eingebrachten Anteilen unverändert fortbesteht, bleibt es hingegen bei der Maßgeblichkeit des Wertansatzes bei der übernehmenden Gesellschaft für die Besteuerung des Einbringenden(§ 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Eine steuerliche Rückbeziehung des Anteilstauschs ist nicht mehr möglich. Anders als nach dem Regierungsentwurf vorgesehen (§ 21 Abs. 2 Satz 4, § 23 Abs. 1 Satz 2 UmwStG-E) treten die erhaltenen Anteile steuerlich nicht an die Stelle der eingebrachten Anteile, sondern die übernehmende Gesellschaft tritt bei Buch- oder Zwischenwertansatz auch hinsichtlich eingebrachter Anteile in die steuerliche Rechtsstellung des Einbringenden ein.
29 Siehe oben zu II.
46
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
5.2
Veräußerung der eingebrachten Anteile durch die übernehmende Gesellschaft
Nach bisherigem Recht war bei Einbringung in eine inländische Kapitalgesellschaft durch eine nicht von § Sb Abs. 2 KStG begünstigte Person eine Veräußerung der eingebrachten Anteile durch die übernehmende Gesellschaft innerhalb einer Sperrfrist von sieben Jahren gern. § Sb Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 KStG voll steuerpflichtig.30 Diese Regelung wird beim Anteilstausch und bei der Miteinbringung von Anteilen im Rahmen einer Einbringung nach§ 20 UmwStG durch das Konzept der rückwirkenden Besteuerung des Einbringenden ersetzt (§ 22 Abs. 2 UmwStG). Wenn der Einbringende keine von § Sb Abs. 2 KStG begünstigte Person ist, führt eine Veräußerung der unter dem gemeinen Wert eingebrachten Anteile durch die übernehmende Gesellschaft innerhalb von sieben Jahren zu einer rückwirkenden Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns II beim Einbringenden. Der Einbringungsgewinn II ist als Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen zu versteuern31 und entspricht der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem bei der Einbringung angesetzten Buch- oder Zwischenwert (abzüglich Umwandlungskosten), vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr. Der Einbringungsgewinn II gilt gern. § 22 Abs. 2 Satz 4 UmwStG als nachträgliche Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile. Gern. § 23 Abs. 2 Satz 3 UmwStG erhöht er bei Nachweis der Steuerentrichtung die Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile bei der übernehmenden Gesellschaft und mindert deren Gewinn aus der Anteilsveräußerung (auf den§ Sb Abs. 2 KStG anzuwenden ist). Die Regelung ist nicht anwendbar, wenn der Einbringende eine Körperschaft etc. ist, da eine solche eine von§ Sb Abs. 2 KStG begünstigte Person ist. Anders als nach § 26 Abs. 2 Satz 1 UmwStG führt somit auch die Veräußerung der eingebrachten Anteile durch eine übernehmende ausländische EU /EWR-Gesellschaft nicht zur rückwirkenden
30 Bei Einbringungen in beschränkt steuerpflichtige EU-Kapitalgesellschaften 31
nach§ 23 Abs. 4 UmwStG führte eine solche Veräußerung hingegen zur rückwirkenden Gewinnrealisierung bei Einbringung. Da nicht eine Besteuerung der Veräußerung der konkret eingebrachten Anteile angeordnet wird, ist nicht zweifelsfrei, ob auf den Einbringungsgewinn II § 3 Nr. 40 Sätze 3 und 4 EStG anzuwenden ist, wenn dies bei einer tatsächlichen Veräußerung der eingebrachten Anteile der Fall gewesen wäre.
47
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Besteuerung des Einbringenden, wenn dieser eine Körperschaft ist. Nach dem Wortlaut dürfte allein auf die persönliche Begünstigung abzustellen sein, so dass dies auch gelten sollte, wenn Anteile eingebracht wurden, auf die§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG a.F. anwendbar ist.
6.
Einbringung in Mitunternehmerschaften
Die Regelung zur Einbringung in Mitunternehmerschaften nach § 24 UmwStG ist materiell weitgehend unverändert geblieben, zumal die nach dem Regierungsentwurf vorgesehene Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht umgesetzt wurde. Neu eingeführt wurde in § 24 Abs. 5 UmwStG eine Regelung, die bei der (Mit-) Einbringung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft unter dem gemeinen Wert durch eine nicht von § 8b Abs. 2 KStG begünstigte Person eine entsprechende Anwendung der Regelungen zur Besteuerung des Einbringungsgewinns II vorsieht, soweit der Gewinn aus einer Veräußerung der eingebrachten Anteile innerhalb von sieben Jahren auf einen von § 8b Abs. 2 KStG begünstigten Mitunternehmer entfällt. Eine entsprechende Regelung enthält § 16 Abs. 5 EStG für die Realteilung, bei der Teilbetriebe übertragen werden (und daher § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG nicht ohnehin einer Übertragung zum Buchwert entgegensteht). Die Regelung des § 24 Abs. 5 UmwStG soll die Erlangung der Freistellung nach § 8b Abs. 2 KStG für stille Reserven in Anteilen verhindern, die durch natürliche Personen eingebracht werden. Wenn bei der Einbringung die bestehenden stillen Reserven in den Anteilen dem nicht von§ 8b Abs. 2 KStG begünstigten Einbringenden durch die Erstellung von Ergänzungsbilanzen zugeordnet werden, gibt es keine Notwendigkeit für die Anwendung der Regelung. Zwar enthält § 24 Abs. 5 UmwStG diese Einschränkung nicht ausdrücklich. Bei einer unmittelbar nach der Einbringung erfolgenden Veräußerung ist sie jedoch auch mit dem Wortlaut der Regelung vereinbar ("insoweit ... , als der Gewinn ... entfällt"), da dann der steuerliche Veräußerungsgewinn unabhängig von der Beteiligungsquote anderer Mitunternehmer vollständig auf den Mitunternehmer entfällt, der die Anteile eingebracht hat. Wenn bei einer zeitlich späteren Veräußerung wegen einer der Einbringung nachfolgenden Wertsteigerung ein Teil des Gewinns auch auf einen anderen Mitunternehmer entfällt, der von § 8b Abs. 2 KStG begünstigt ist, könnte zwar eine Quote ermittelt werden ("soweit"), die zu einer entsprechenden Anwendung der Regelungen zum Einbrin-
48
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
gungsgewinn II führt. Dies wäre jedoch ebenso offenkundig unzutreffend wie die bloße Anwendung der Gewinnbeteiligungsquote der von § Sb Abs. 2 KStG begünstigten Mitunternehmer; die Vorschrift sollte teleologisch reduziert werden.
VI. Regelungen zum Einlagekonto, Körperschaffsteuerguthaben und EK 02 Die bereits im Regierungsentwurf vorgesehene Anwendung des § 27 KStG auf die Einlagerückgewähr von ausländischen EU-Kapitalgesellschaften ist mit geringfügigen Änderungen umgesetzt worden, ohne dass die Zweifel an der mangelnden Praktikabilität der Regelung, die eine Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns der ausländischen Gesellschaft nach inländischen Grundsätzen voraussetzt, berücksichtigt wurden.32 Das Körperschaftsteuerguthaben ist gern. § 37 Abs. 4 KStG letztmals zum 31 .12.2006 zu ermitteln und gern. § 37 Abs. 5 KStG in den Jahren 2008-2017 jeweils zum 30. September in gleichen Jahresbeträgen auszuzahlen.33 Der Anspruch auf Auszahlung ist nicht verzinslich und umfasst nicht den Solidaritätszuschlag. Im Falle einer Verschmelzung der Körperschaft geht der Anspruch auf den übernehmenden Rechtsträger über. Der Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung der Körperschaft umfasst auch§ 37 Abs. 7 KStG, nach dem die mit dem Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens zusammenhängenden Erträge und Gewinnminderungen nicht zu den Einkünften im Sinne des Einkommensteuergesetzes gehören. Die Regelungen in § 40 Abs. 5 und 6 KStG zur Festsetzung und zinslosen Stundung der Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 KStG bei Verschmelzung auf eine EU-Kapitalgesellschaft oder Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat der EU sind trotz der EU-rechtlichen Bedenken wegen der praktischen Probleme des Nachweises der Nichtverwendung Gesetz geworden.
32
Dötsch/Pung, DB 2006, 2648 (2653): "in der Praxis oft unüberwindliche Hürde".
33 Zur Berücksichtigung des Auszahlungsanspruchs im Jahresabschluss Ernsting, DB 2007, 180.
49
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
VII. Umwandlungen im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung Nach bisherigem Recht konnte die Übertragung passiver Wirtschaftsgüter durch eine Umwandlung im Ausland eine Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG auslösen, selbst wenn eine niedrige Besteuerung nur durch eine den deutschen umwandlungssteuerlichen Regelungen vergleichbare Buchwertfortführung im Ausland begründet wurde. Auf Grund der Europäisierung des UmwStG wäre eine Anwendung der umwandlungssteuerlichen Regelungen im Rahmen der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags von EU-/EWR-Gesellschaften konsequent gewesen, zumal §§ 7 ff. AStG nach den Grundsätzen der EuCH-Entscheidung Cadbury Schweppes34 ohnehin jedenfalls in der gegenwärtigen Form EU-rechtswidrig sind. Beispiel
Auslandsverschmelzung und Hinzurechnungsbesteuerung
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CH-~AGII Verschmelzung
Sowohl auf der Ebene der CH-AG als auch auf der Ebene der A-GesmbH kommt es durch die Verschmelzung grundsätzlich zu einer Gewinnrealisierung. Diese kann bei der CH-AG zu passiven Einkünften führen, wenn zum übertragenen Vermögen Wirtschaftsgüter gehören, die passiven Ein-
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EuGH v. 12.9.2006- Rs. C-196/04- Cadbury Schweppes, DStR 2006, 1686; dazu BMF, Sehr. v. 8.1.2007- IV B 4- S 1351 -1/07, DStR 2007, 112.
Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
künften dienen. Bei der A-GesmbH liegen passive Einkünfte vor, wenn die Voraussetzungen des§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG nicht gegeben sind. Während der Regierungsentwurf das Gegenteil - den ausdrücklichen Ausschluss der Anwendung des Umwandlungssteuergesetzes - vorsah, wurde nach der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses eine Regelung in § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG eingeführt, die eine Besteuerung vermeiden soll. Danach liegen keine passiven Einkünfte vor, wenn diese stammen "aus Umwandlungen, die ungeachtet des§ 1 Abs. 2 und 4 UmwStG zu Buchwerten erfolgen könnten; das gilt nicht, soweit eine Umwandlung den Anteil an einer Kapitalgesellschaft erfasst, dessen Veräußerung nicht die Voraussetzungen der Nr. 9 erfüllen würde. Des Weiteren bleiben nach dem neu gefassten§ 10 Abs. 3 Satz 4 AStG die Vorschriften des UmwStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags unberücksichtigt, "soweit Einkünfte aus einer Umwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 hinzuzurechnen sind." Diese Regelungen und ihr Verhältnis zueinander führen zu mehreren Zweifelsfragen. Nach dem Wortlaut ist zunächst zu prüfen, ob die ausländische Umwandlung ungeachtet der Voraussetzung einer Ansässigkeit innerhalb der EU oder dem EWR nach dem UmwStG zu Buchwerten erfolgen könnte. Es müssen somit die Voraussetzungen des Umwandlungssteuergesetzes für eine Buchwertfortführung gegeben sein. Nach den Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes ist eine Buchwertfortführungnur insoweit möglich, als das deutsche Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.35 Bei der Prüfung dieser Voraussetzung im Rahmen des§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG dürfte darauf abzustellen sein, ob eine Entstrickung erfolgen würde, wenn die übertragende ausländische Gesellschaft im Inland ansässig wäre. Bei einer rein nationalen Umwandlung im Ausland sollte diese Voraussetzung somit immer erfüllt sein. Rechtsfolge der Bejahung einer fiktiven Buchwertansatzmöglichkeit ist allerdings keine Buchwertfortführung für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung. § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG setzt vielmehr gerade voraus, dass Einkünfte entstehen, mithin nicht der Buchwert angesetzt wird. Dies scheint in einem gewissem Widerspruch zu dem neu gefassten § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG zu stehen, aus dem sich ergeben dürfte, dass bei 35 Siehe oben.
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Rödder, Umwandlungsvorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug im Steuerrecht
Vorliegen aktiver Einkünfte i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG und Ansässigkeit der an der Umwandlung beteiligten ausländischen Gesellschaften innerhalb der EU oder dem EWR das UmwStG im Rahmen der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags angewendet werden kann. Dies könnte dann von Bedeutung sein, wenn z.B. wegen Gewährung einer anderen Gegenleistung eine Buchwertfortführung nach dem Umwandlungssteuergesetz nicht möglich wäre und daher die Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG nicht vorliegt. Wenn hingegen eine Buchwertfortführung möglich wäre, aber kein entsprechender Antrag gestellt wird, fällt der dadurch entstehende Gewinn unter § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG und unterliegt nicht der Hinzurechnungsbesteuerung. Im Regelfall wird die daraus resultierende Aufdeckung der stillen Reserven für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung vorteilhaft sein. Aktive Einkünfte liegen nicht vor, soweit eine Umwandlung den Anteil an einer Kapitalgesellschaft erfasst, dessen Veräußerung nicht die Voraussetzungen § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG erfüllen würde. Dies betrifft Anteile an Kapitalgesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen. Damit dürfte zum einen der Fall angesprochen sein, dass ein Anteil an einer solchen Kapitalgesellschaft zum übertragenen Vermögen gehört (im obigen Beispiel: CH-AG hält Anteile an einer Gesellschaft, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt). Zum anderen könnte nach dem Wortlaut auch eine ausländische Gesellschaft besteuert werden, die einen Anteil an einer solchen Kapitalgesellschaft hält, wenn letztere verschmolzen oder gespalten wird (im obigen Beispiel: Ebene der A-GesmbH, wenn CH-AG Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt). Die Übertragung des Kapitalanlagevermögens selbst durch eine Umwandlung (im obigen Beispiel: Ebene der CH-AG, wenn diese Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt) dürfte hingegen zu aktiven Einkünften i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG führen, wenn sie bei Ansässigkeit der übertragenden Gesellschaft im Inland zu Buchwerten erfolgen könnte .36
36 Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22 (28).
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Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge Podiumsdiskussion
Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt
Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Harnburg
Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Harnburg
Prof. Dr. Dietmar Gosch
Gert Müller-Gatermann
Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Dr. Hans-Werner Neye
Prof. Dr. Thomas Rödder
Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Berlin
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn
Prof. Dr. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Prof Dr. Lüdicke Ich möchte meine erste Frage an Herrn Bernhardt richten. Wir haben zwei Vorträge gehört zu den gesellschaftsrechtlichen und den steuerrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Umwandlungsvorgänge. Ist die Wirtschaft zufrieden mit dem, was erreicht worden ist, oder sind wesentliche Wünsche offen geblieben?
Bernhardt Das kommt immer darauf an, wo man die Messlatte hinlegt. Wenn man die ersten Planungen bis zum Schluss, eigentlich bis zur Regelung und was dann noch durch den Bundestagsfinanzausschuss hineingekommen ist, betrachtet, gab es zu Recht große Befürchtungen. Viele Dinge sind sicherlich entschärft worden. Ich glaube, Herr Prof Dr. Rödder hat es sehr gut zusammengefasst: Es ist auf der einen Seite eine deutliche Erweiterung des Anwendungsbereiches erfolgt, auf der anderen Seite besteht eben letztlich der hohe GrenzwalL Ich glaube, das ist ein sehr gutes Bild, das die Themen zusammenfasst. Ich würde gerne noch zwei Sätze zu dem sagen, was Herr Dr. Neye am Anfang vorgetragen hat. Ich denke, der Komplex Europäische Aktiengesellschaft ist jetzt dabei, ein wenig entzaubert zu werden. Ich glaube, es gab sehr viele Erwartungen an einfache Möglichkeiten des Auswanderns. Man packt sozusagen seine Wirtschaftsgüter auf seinen Lastwagen. In der Zeitschrift "Stern" habe ich einen netten Artikel über einen Mittelständler gelesen, der mit drei/vier Lkw, beladen mit seinen wichtigsten Wirtschaftsgütern, nach Estland gefahren ist. Danach kam die Frage, ob man nicht bei größeren Gesellschaften ähnlich verfahren könne. Ich glaube, das Thema ist so langsam vom Tisch. In den Unternehmen selbst, auch das muss man deutlich sagen, muss zunächst einmal Aufklärung betrieben werden, dass es sich um eine weitere Gesellschaftsform handelt. Ich glaube, das ist bei Vielen noch gar nicht angekommen. Wenn man damit beginnt und darauf aufsetzt, dann kann man feststellen, dass wir ein weiteres Instrumentarium haben, das in einigen Bereichen, gerade für grenzüberschreitende Verschmelzungen, durchaus von Interesse sein kann, beispielsweise für JointVenture-Bildungen und Umstrukturierungen. Die Frage, wie wandere ich möglichst steuerschonend aus, ist etwas völlig anderes.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Prof Dr. Lüdicke Herr Müller-Gatermann, die Finanzverwaltung war für den steuerlichen Teil dessen, was wir besprechen, der Gehilfe des Gesetzgebers, hat dem Gesetzgeber die Feder geführt. Es ist nicht alles, was ursprünglich in den Entwürfen enthalten war, so Gesetz geworden. Herr Prof Dr. Rödder hat das erwähnt. Der Finanzausschuss des Bundestages hat einige durchaus gravierende Änderungen an dem Regierungsentwurf vorgenommen. Herr Prof Dr. Rödder hat schon einige Probleme benannt, auch Probleme, die sich für den Fiskus bei dieser komplexen Materie ergeben könnten, weil irgendwelche Regelungen nicht ganz trennscharf erfolgt sind. Wird die Finanzverwaltung mit diesen Regelungen leben können? Wie wird der normale Finanzbeamte das anwenden?
Müller-Gatermann Im Großen und Ganzen kann man sagen, das Gesetz ist in der Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern einigermaßen rund geworden. Um ein paar Aspekte anzusprechen: Wir hatten in der Auseinandersetzung im Bund eigentlich vor, das Gesetz weiter auszulegen, nämlich als Globalisierung. Da waren Bedenken der Länder vorgetragen worden, die man wohl auch nachvollziehen kann, wenn man sich vorstellt, wie außerhalb Europas andere Rechtsordnungen aussehen. Wir stellen auf vergleichbare Vorgänge zu Verschmelzungen ab und da kann man sich durchaus fragen: Ist das so leicht zu beurteilen, wie innerhalb Europas? Deswegen kann ich die Zurückhaltung der Länder nachvollziehen. Es ist allerdings positiv zu sehen, wie man die Einbringung mit Drittstaatlern gelöst hat und nicht hinter das geltende Recht zurückgefallen ist. Zur Entstrickung von mir hier nur eine Bemerkung: Ich begrüße es, dass man sich beim Anlagevermögen zu einer "Stundung" durchgerungen hat, weil mir das das Leben in Europa, mit der Kommission, etwas leichter macht. Das Problem der Hinzurechnungsbesteuerung ist am Schluss noch mal diskutiert worden. Ich habe mit Interesse gehört, dass Herr Prof Dr. Rödder hier Zweifel hat, ob die Formulierung letztlich gelungen ist. Ziel der Regelung ist gewesen, im Prinzip keine Hinzurechnung bei ausländischen Umwandlungsvorgängen vorzusehen. Es besteht jedoch eine Ausnahme, wenn eine Kapitalanlagegesellschaft involviert ist.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Wegen der Details muss man noch einmal in die gesetzliche Formulierung hineinschauen. Bei den Verlusten in § 12 UmwStG, also bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaft auf Kapitalgesellschaft, hätte ich mir persönlich gewünscht, dass man noch zum Verlustübergang gekommen wäre, aber auch hier muss man Verständnis haben. Es ist eine Mitteilung der Kommission in Bearbeitung, die tendenziell eine größere Durchlässigkeit von Verlusten bei der Betriebsstättenbesteuerung sieht. Das hat uns natürlich stutzig gemacht und mit Sorge erfüllt. Deswegen also die strenge Lösung, wonach Verluste nicht übergehen! Ich hätte mir ansonsten vorgestellt, dass ausländische Verluste in der ausländischen Betriebsstätte verrechnet werden, damit dem deutschen Fiskus kein Ungemach droht. Wir werden gegenüber der Kommission mit den anderen Mitgliedstaaten bei der Betriebsstättenbesteuerung sicherlich vortragen, dass die Freistellungsmethode bei der Betriebsstättenbesteuerung Substrat verteilt und die Grundfreiheiten gar nicht tangiert sein können. Das wird eine Diskussion im nächsten Jahr sein. Bevor das jedoch entschieden ist, wurde zunächst vorsichtiger entschieden. Was ich persönlich sehr gut finde und was auch von Herrn Prof Dr. Rödder gelobt worden ist, ist, dass wir das neue Einbringungskonzept durchgebracht haben. Die Mehrfachbesteuerung, die aufgrund des komplizierten§ 8b Abs. 4 KStG greift, hat mich nie überzeugt. Dass bei einer so grundlegenden Neuerung zunächst ein gewisses Unbehagen in der Praxis vorhanden ist, ist nachvollziehbar. Ich hoffe aber, dass die Praxis damit leben kann. Insgesamt, um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie geht die Praxis mit den Änderungen um: Die ganze Materie, vor allem das Umwandlungssteuerrecht, ist sehr schwierig. Die Verwaltung geht allerdings schon bisher damit um. Sie wird sich jetzt auf gewisse Neuerungen einstellen müssen, nämlich darauf, Umwandlungen jetzt grenzüberschreitend zu behandeln. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Verwaltung das hinkriegt. Aber eine gewisse Eingewöhnung muss man sich dabei natürlich vorstellen. Zu dem letzten Punkt, den Herr Prof Dr. Rödder angesprochen hat, mit dem Körperschaftsteuerguthaben: Auch da ist in der Tat an uns die Frage herangetragen worden, ob man auf einmal insgesamt 13,7 Milliarden Guthaben aktivieren muss. Manche Unternehmen werden da sehr stark von betroffen sein. Es ist die 56
Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Sorge über eine politische Diskussion geäußert worden, wonach angeblich den Kapitalgesellschaften - einige große werden hohe Beträge zu aktivieren haben - Geschenke gemacht worden sind. Dass das Anrechnungsverfahren das Guthaben begründet hat, ist mittlerweile etwas in Vergessenheit geraten.
Prof Dr. Lüdicke Möglicherweise wird das sogar zu der Frage führen, ob man das Guthaben dann noch erneut mit einem neuen Moratorium versehen oder es sogar irgendwann wieder abschaffen kann. Allerdings soll sogar aus Verfassungsrichterkreisen die Vermutung geäußert worden sein, dass das Guthaben durch die Neufassung zu einem eigentumsähnlichen Anspruch erstarkt sein könnte, und es daher nicht mehr so im Belieben des Gesetzgebers steht wie möglicherweise bisher, damit je nach Finanzbedarf umzuspringen. Herr Prof Dr. Gosch, Sie hatten eben leise angemerkt, als Richter seien Sie eher Rechtshistoriker. Sie können natürlich mit diesen neuen Regelungen noch keine Erfahrungen haben. Aber vielleicht können Sie trotzdem Ihren Eindruck vermitteln, den Sie jetzt von diesen Regelungen haben, und dabei auch berichten, ob Sie im I. Senat mit den bisherigen- wenn auch noch rein nationalen- ähnlich komplizierten Regelungen des Umwandlungssteuerrechts Erfahrungen sammeln konnten.
Prof Dr. Gosch Zunächst einmal: ich habe viel von den Herren Dr. Neye und Prof Dr. Rödder gelernt. Als Richter ist man oftmals mehr oder weniger rechtshistorisch tätig und es tut Not, von den neuesten und sich oftmals geradezu überschlagenden Entwicklungen nicht abgekoppelt zu werden. Ich knüpfe zunächst kurz an das Letzte an, was Sie, Herr Prof Dr. Lüdicke, gesagt haben: Ob der Gesetzgeber so leichte Hand mit dem Umgang der Körperschaftsteuerguthaben hat? Diese Frage ist derzeit noch offen. Wir haben ein Verfahren beim I. Senat anhängig, das das Auszahlungs-Moratorium zum Gegenstand hat. Darüber wird zu befinden sein. Die Frage, wie weit da Eigentumsrechte auch schon de lege lata angesprochen, ja verletzt sind, muss sich erst einmal erweisen. Ich habe gegen eine derartige Annahme beträchtliche Bedenken; dem Gesetzgeber ist sicherlich ein gewisser Gestaltungsfreiraum einzuräumen, nicht zuletzt im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums. Es muss
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ihm möglich sein, im Zuge einer Systemumstellung, wie sie bei der Körperschaftsteuer durch die Umstellung vom Anrechnungs- auf das Halbeinkünfteverfahren nicht zuletzt aus übergeordneten, europarechtlichen Gründen geboten und im Grunde unausweichlich war, nach Maßnahmen zu suchen, die einen Staatsbankrott oder jedenfalls einer deutlichen haushalterischen Schieflage vorbeugen. Diese Maßnahme muss natürlich verhältnismäßig bleiben, sie darf in der Tat nicht enteignen. Ob diese Hürde bei einer nur vorübergehenden Auszahlungssperre bereits überschritten ist, das möchte ich aber doch bezweifeln. Aber wie gesagt, der BFH wird darüber zu entscheiden haben, und deswegen lassen wir das für den Augenblick einmal dahinstehen. Ich habe mir ein paar Punkte notiert, die mir besonders ins Auge fielen. Zunächst zu dem Beitrag von Herrn Dr. Neye. Anlässlich des Urteils des EuCH in der Sache SEVIC1 erinnere ich mich nochmals an die Diskussion in der Literatur bezüglich des grenzüberschreitenden "Hereinverschmelzens". Das war die Konstellation, um die es in SEVIC ging. Dort war es eine luxemburgische Gesellschaft, welche in Deutschland um Handelsregistereintragung nachsuchte. Der EuCH hat hier die Gleichbehandlung mit einer vergleichbaren inländischen Gesellschaft eingefordert. Eine abschließende Antwort dazu, ob Gleiches auch für den Fall des "Hinausverschmelzens" gilt, steht derzeit noch aus, jedenfalls, was die Vergangenheit anbelangt. Gewissheit haben wird hier und heute nur, was den Stand pro futuro anbelangt. Daran, dass das bisherige Umwandlungssteuergesetz und das Umwandlungsgesetz den Anforderungen des Buroparechts hinsichtlich des Hinausverschmelzens hinreichend Rechnung trägt, kann man jedenfalls durchaus berechtigte Zweifel haben. Allerdings: noch gilt das, was der EuCH in Sachen Daily Mail2 entschieden hat; der Wegzugstaat kann mit seinen Bürgern aus europarechtlicher Sicht tun und lassen, was er will. Das leitet dann zu der Frage über, die sich jetzt auch nach dem neuen Gesetz stellt und die wir anlässlich des Beitrags von Herrn Dr. Kaeser diskutieren werden, ob nämlich das Entstrickungspotenzial innerstaatlich dadurch gesichert werden kann, dass man sich auf die EG-Fusionsrichtlinie und die darin sekundärrechtlich geregelte Betriebsstättenanbindung zurückzieht. Misst man diesen Vorbehalt an
1 EuGH, Urt. v. 13.12.2005- Rs. C-411/03- SEVIC, EuGHE 2005, I-10805. 2 EuGH, Urt. v. 27.9.1988- Rs. 81/87- Daily Mai!, EuGHE 1988, 5483.
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Primärrecht, also an den Grundfreiheiten des EG-Vertrages, dann könnte es mit einer solchen Argumentation äußerst eng werden. Ich verweise schon jetzt an dieser Stelle auf eine jüngere Entscheidung des BFH zu § Sb Abs. 5 KStG a.F., in der die Kollision zwischen EG-Sekundär- und Primärrecht ohne Wenn und Aber zu Gunsten des Primärrechts beantwortet worden ist.3 Dann hatten Sie angesprochen, Herr Prof Dr. Rödder, dass bei den Verstrickungsfällen stets der gemeine Wert anzusetzen ist. Das ist richtig und auch konsequent. Der I. Senat des BFH hat das in gewisser Weise in der Vergangenheit übrigens schon vorweggenommen, nämlich bei der Inpflichtnahme der beschränkt Steuerpflichtigen in § 49 Abs. 2 Buchst. f EStG.4 Prof Dr. Lüdicke
Wenn ich da unterbrechen darf- bei§ 17 EStG im Zuzugsfall hat der BFH5 es aber nicht gemacht. Prof Dr. Gosch
So lauten jedenfalls die Erkenntnisse des VIII. Senats des BFH. Der I. Senat hat sich davon aber erst soeben ausdrücklich abgegrenzt, wenn auch nur in einer nicht entscheidungserheblichen Randbemerkung.6 Noch eine Frage bezüglich des wichtigen Punkts "Verlustabzug" gern. § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG: Gehe ich Recht in der Annahme, dass diese Vorschrift völlig gestrichen worden ist? Prof Dr. Lüdicke
Vielleicht möchte Herr Bernhardt da gleich noch etwas zu sagen? Prof Dr. Rödder
Rein technisch wird auf § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG verwiesen.
3 4 5 6
BFH, Urt. v. 9.8.2006- IR 95/05, IStR 2006, 864. BFH, Urt. v. 5.6.2002- IR 81/00, BFHE 199, 300 = BStBl. II 2004, 344; BFH, Urt. v. 5.6.2002- IR 105/00, BFH/NV 2002, 1433. BFH, Urt. v. 30.3.1993- VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597. BFH, Urt. v. 22.8.2006- IR 6/06, BFH/NV 2007, 127.
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Prof Dr. Gosch Dann fällt das weg, was ich dazu anmerken wollte. Das war mir nicht so ganz klar. Was § 8b Abs. 4 KStG anbelangt, werden künftig die bisherigen einbringungsgeborenen Anteile durch sperrfristbehaftete Anteile ersetzt. Das wird nach Lage der Dinge die praktische Regelungsumsetzung vermutlich erleichtern. Aber die einbringungsgeborenen Anteile bleiben uns natürlich erhalten. § 8b Abs. 4 KStG lebt in einer Übergangsvorschrift und für die bereits existenten einbringungsgeborenen Anteile gewissermaßen fort. Das gilt dann auch für die damit in Zusammenhang stehenden vielfachen Probleme. Was mich auch noch interessiert, ist eine Frage, die ich an Sie, Herr Prof Dr. Rödder, stellen möchte, weil ich das nicht so genau gelesen habe: Wie muss ich mir einen rückwirkenden Einbringungsgewinn, in der technischen Umsetzung vorstellen? Sind dazu entsprechende Verfahrensregeln vorgesehen?
Prof Dr. Rödder Verfahrenstechnisch ist das sichergestellt. Die Anteilsveräußerung gilt als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Praxiskonsequenz muss bei größeren Einbringungsvorhaben sein, dass man vorsorglich bewertet. Man kann nicht im Jahr 6 anfangen, sich über einen Wert vor sechs Jahren mit der Finanzverwaltung zu streiten.
Prof Dr. Lüdicke Herr Prof Dr. Wolfgang Schön, Direktor des Max-Planck-Instituts in München für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, hat mir signalisiert, dass er insbesondere zu dem Vortrag von Herrn Dr. Neye noch Anmerkungen hat.
Prof Dr. Schön Eigentlich zu beiden Vorträgen. Es gibt ein Thema, das Herr Prof Dr. Gosch eben angesprochen hat, zu dem auch Prof Dr. Lüdicke7 jüngst publiziert hat. Wie hat man sich eigentlich in alldiesen Fällen gemein7
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LüdickejHummel, Zum Primat des primären Gemeinschaftsrechts, IStR 2006, 694.
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schaftsrechtlich das Verhältnis Primärrecht-Sekundärrecht vorzustellen? Zunächst einmal die Frage an Herrn Dr. Neye: Es wird so allgemein wahrgenommen, dass nach der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie und nach der Verabschiedung der Sitzverlegungsrichtlinie im Grunde die primärrechtliche Frage erledigt sei. Dann haben wir auf europarechtlicher Ebene das Sekundärrecht, und die Praxis wird dann oft sagen: "Und wenn das wieder in nationales Gesetz umgewandelt worden ist, dann muss ich eigentlich nur noch ins deutsche Recht schauen." Ich weiß nicht, ob das so ist. Die Frage, die ich an Sie aus der Sicht des BMJ habe, ist die folgende: Haben wir vielleicht doch auf Dauer eine Art Zweispurigkeit? Werden wir neben dem, was in der Richtlinie steht, und dem, was dann ins deutsche Gesetz kommt, auch noch immer die Wirkungen der Grundfreiheiten haben, die im Prinzip vorrangig sind? Vorrangig gegenüber dem Sekundärrecht und gegenüber dem nationalen Recht? Nur einmal ein Beispiel bezüglich der Sitzverlegungsrichtlinie. Die sieht vor, dass ich Verwaltungssitz und Satzungssitz immer nur gemeinsam verlegen kann. Heißt das, dass die Fälle, die jetzt nach der Niederlassungsfreiheit akzeptiert werden, nämlich die reine Verlegung des Verwaltungssitzes, unzulässig sind oder gibt es das beides nebeneinander? Auch zur Verschmelzungsrichtlinie kann ich das fragen, wenn ich etwa diese ganzen Vorbehalte hinsichtlich der inländischen Mitbestimmung beim Wegzug sehe. Vielleicht wären diese primärrechtlich gar nicht zulässig? Und vielleicht kann ich dann primärrechtlich, wenn Herr Prof Dr. Gosch Recht hat und SEVIC auch für die Outbaundverschmelzung wirkt, sagen, dann gehe ich eben direkt über die Grundfreiheiten und muss mich mit diesem ganzen unangenehmen Regelungswerk gar nicht beschäftigen? Und die Parallelfragen stellen sich dann auch im Steuerrecht. Herr Prof Dr. Rödder hat darauf hingewiesen: Der Übergang der Verlustvorträge bei Verschmelzungen wird nicht mehr vorgesehen. Die Fusionsrichtlinie lässt das zu. Sie sagt nämlich nur, wenn ich für die inländische Verschmelzung den Verlustvortrag, den Übergang vorsehe, muss ich es auch für die grenzüberschreitende tun. Die Frage ist nur, ob das Primärrecht da nicht auch etwas zu sagen hat. Denn es geht nicht nur darum, dass der im Ausland entstandene Verlustvortrag ins Inland gezogen wird. Das war bisher überhaupt nicht Gegenstand der
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Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Regelung, sondern dass etwa der in einer inländischen Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens anfallende Gewinn bei der Verschmelzung auf eine deutsche Gesellschaft auch wegfällt. Und das sind dann Dinge, wo man vielleicht doch über die Anwendung des Beschränkungsverbots nachdenken müsste. Das als Kommentar und Frage vielleicht gerade auch an Herrn Dr. Neye: Gibt es die Zweispurigkeit oder erledigen die Richtlinien die Grundfreiheiten?
Dr. Neye Sie sprechen einen ganz, ganz wichtigen und wunden Punkt an, den noch niemand so richtig beantworten kann. Ich denke, von dieser Zweispurigkeit müssen wir ausgehen, denn das Primärrecht ist nun mal da. Ich hatte in meinem Beitrag schon versucht, das anzudeuten. Bei der SEVIC-Entscheidung hat der EuGH gesagt, die Niederlassungsfreiheit hat zur Folge, dass grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge möglich sein müssen. Mehr sagt er nicht. Er sagt uns insbesondere nicht, wie es konkret geht. Deshalb ist meine These, die ich seit vielen Jahren auch bei den früheren Verfahren vor dem EuGH Centros8, Inspire Art9 etc. immer wieder in die deutschen Stellungnahmen hineingeschrieben habe: allein mit Art. 48 EG und der Grundfreiheit kommen wir nicht zurecht. Wir brauchen zusätzlich das Sekundärrecht. Nur wenn wir das Sekundärrecht als Ermächtigungsgrundlage für ergänzende nationale Regelungen haben, ist der nationale Gesetzgeber in der Lage, für die Praxis handhabbare Vorschriften zu erlassen. Sie können natürlich sagen: "Wunderbar, die Niederlassungsfreiheit ist vom EuGH bestätigt, und auf dieser Basis kann ich alle grenzüberschreitenden Umwandlungen durchführen." Aber das nutzt Ihnen doch in der Praxis herzlich wenig, wenn Sie und auch die Beteiligten, etwa die Registerbehörden, letztlich nicht wissen, wie es konkret gehen soll. Dann muss man also jeden Einzelfall mühsam durchfechten. Das, glaube ich, kann in niemandes Interesse sein. Von daher halte ich an meiner These fest, dass wir einerseits die Grundfreiheiten haben, die die Basis des Ganzen sind. Aber darüber hinaus ist es letztlich unverzichtbar, Sekundärrecht zu haben, das dann mehr ins Detail geht und Basis ist für den nationalen Gesetzgeber, sinnvolle Ausführungsregelungen zu erlassen.
8 EuGH, Urt. v. 9.3.1999- Rs. C-212/97- Centros, EuGHE 1999, I-1459. 9 EuGH, Urt. v. 30.9.2003- Rs. C-167 /01- Inspire Art, EuGHE 2003, I-10155.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Die Frage, die Sie ansprechen, wie ist es, wenn Konflikte zwischen Primärrecht und Sekundärrecht entstehen, ist letztlich vom EuGH selbst zu beantworten. Da muss der Gerichtshof Farbe bekennen und wird sich nicht mehr mit diesen ganz kurzen Feststellungen und dem Hinweis auf die Grundfreiheiten begnügen können. Die Frage nach dem Verhältnis von Primär- und Sekundärrecht stellt sich auch bei der Verschmelzungsrichtlinie. Ich hatte das bereits kurz erwähnt: Die Richtlinie lässt zu, dass ihre Anwendung für Genossenschaften in einzelnen Mitgliedstaaten nicht vorgesehen wird. Wir wollen davon Gebrauch machen. Ist das dann ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten? Noch ganz kurz eine Klarstellung zu der künftigen Sitzverlegungsrichtlinie: Die Richtlinie wird nur die Verlegung des Satzungssitzes regeln und nicht damit das Erfordernis der gleichzeitigen Verlegung des tatsächlichen Sitzes verknüpfen. Letzteres ist schon nach der EuGH-Rechtsprechung zulässig. Die Richtlinie wird letztlich nur den grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel betreffen.
Prof Dr. Schön Aber die bisherigen Entwürfe sahen vor, dass ich den Verwaltungssitz gleichzeitig verlegen muss.
Dr. Neye Richtig.
Prof Dr. Schön Und daraus wird zum Teil der Schluss gezogen, dass das eben gewissermaßen das neue Modell ist und alles andere dahinter verschwindet. Das würden Sie aber nicht so sagen?
Prof Dr. Lüdicke Es gibt mehrere Wortmeldungen auf dem Podium. Wir haben offenbar ein sehr interessantes Gebiet getroffen, und als erster hatte Herr Prof Dr. Rödder sich gemeldet.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Prof Dr. Rödder Vielleicht eine Anmerkung, weil Prof Dr. Schön die Frage auch in steuerrechtlicher Hinsicht gestellt hatte: Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass wir insoweit zweispurig vorgehen. Wenn Sie einmal die Debatte sehen in der Entstehung des SEStEG, als es um die Entstrickungskonzeption ging: da ist offenkundig und durch die neue 5-Jahresraten-Regelung dokumentiert, dass auch der Steuergesetzgeber davon ausgeht, dass es ein primärrechtliches Problem neben der Fusionsrichtlinie gibt, dem Rechnung getragen werden muss. Vielleicht auch noch einmal kurz zu dem Verlustvortragsthema. Nach der Marks & Spencer10_Entscheidung kann der Verlust der Auslandstochter, die theoretisch Gruppenmitglied wäre, in Deutschland dann, aber auch erst dann, berücksichtigt werden, wenn er im Ausland nicht mehr berücksichtigt werden kann. Warum soll bei einer Fusion der französischen Tochter auf die deutsche Mutter ohne Verbleib einer Betriebsstätte in Frankreich Deutschland nicht nach Marks & Spencer verpflichtet sein, den Verlustvortrag zu berücksichtigen? Das hat dann mit der Abschaffung§ 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG gar nichts zu tun.
Prof Dr. Lüdicke Herr Dr. Neye, Sie sprachen eben darüber, dass es ohne Sekundärrecht allein aufgrund des Primärrechtes in der Praxis schwierig ist, die Rechtsgrundsätze wirklich durchzusetzen. Dies ist im Gesellschaftsrecht offensichtlich. Da muss der Handelsregisterrichter wissen, was er eigentlich machen soll. Im Steuerrecht ist die Aufgabe manchmal doch etwas einfacher, es wird zum Schluss die Steuer einfach nicht erhoben. Das ist insofern etwas übersichtlicher. Deswegen haben im Steuerrecht die Steuerpflichtigen vielleicht auch eher ein Interesse daran, dass die Grundfreiheiten unmittelbar neben dem Sekundärrecht angewendet bleiben. Herr Prof Dr. Gosch, Sie wollten dazu auch etwas sagen.
Prof Dr. Gosch Zum einen, Herr Dr. Neye, bin ich schon der Meinung, dass der EuGH in der Sache Keller Holdingll das Verhältnis von Primärrecht zum Sekundärrecht positiv im Sinne des Vorrangs des Primärrechts beant10 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 - Rs. C-446/03 - Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 11 EuGH, Urt. v. 23.2.2006- Rs. C-471/04- Keller Holding, EuGHE 2006, I-2107.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
wortet hat. Das steht in dem Urteil ausdrücklich drin. Darauf haben wir uns in jener Entscheidung vom 9.8.200612, die ich bereits ansprach, deswegen auch beziehen können. Aber unabhängig davon: das, was Sie gesagt haben, erinnert mich ein bisschen an die Problematik des vom BVerfG vor einigen Jahren der Verfassung entlehnten Halbteilungsgrundsatzes. Hier stand- und steht nach wie vor und unbeschadet zwischenzeitlicher gewisser Rückzugsgefechte im BVerfG - im Raum, wie sich dieser Grundsatz mit dem einfachen Gesetz verträgt und wie er in den Niederungen der praktischen Rechtsanwendung "umsetz bar" gemacht werden kann. Das mag im Einzelfall schwierig sein. Dennoch ist der letztliehe und verbindliche Maßstab allein jener Maßstab der Verfassung. Dort ist es der Halbteilungsgrundsatz und hier sind es die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, das Primärrecht. Das Rangverhältnis zwischen "oben" und "unten" lässt sich nicht aushebeln. Ich meine, dass das Primärrecht immer die eigentliche Messlatte setzt. Ich darf noch einen Punkt zu den Verlusten anmerken. Sie erwähnten die Rechtssache Marks & Spencer. Die finalen Verluste sind danach vom Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigen. Im Ergebnis zieht das gewissermaßen den Import der Verlustbeschränkung vom Quellenstaat in den Ansässigkeitsstaat nach sich: Solange der Verlust im Quellenstaat abziehbar ist, bleibt alles im grünen Bereich; sagt der Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft jedoch, nein, wir sperren den Verlustabzug, dann werden die Verlustabzugsansprüche exportiert. Ob das unter allen Umständen funktioniert, auch dann, wenn die Verlustbeschränkung ihrerseits europarechtswidrig ist, mag einmal dahinstehen. Könnte man das aber nicht auch auf den Fall der Verschmelzung übertragen? Wenn Deutschland § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG eliminiert, exportiert es damit nicht auch seine Verlustabzugsbeschränkungen in das Ausland? Dann müsste der Verlust eben in irgendeiner Form im Ausland berücksichtigt werden. Solange Inländer und Ausländer gleichbehandelt werden - und das ist jetzt künftig der Fall -, bliebe das dann beanstandungsfrei.
Prof Dr. Rödder Ich kann den Gedanken nachvollziehen, Herr Prof Dr. Gosch. Nur die französische Tochter ist nicht mehr da. Heißt das dann, der Verlustvor12
BFH, Urt. v. 9.8.2006- IR 95/05, IStR 2006, 864.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
trag fällt ins Nichts? Das, glaube ich, wird nicht funktionieren. Es gibt in einem solchen Fall nur zwei Varianten: Entweder der Verlust wird nirgendwo berücksichtigt oder bei uns. Prof Dr. Gosch
Das ist richtig. Vielleicht wäre für den Staat der Tochtergesellschaft, in welchem die Verluste aufgelaufen sind, aber auch an eine Art Steuergutbringung in Form einer negativen Steuer zu denken. Dass der Staat der aufnehmenden Gesellschaft die importierte Steuerschmälerung hinnehmen muss, erscheint mir noch nicht zwingend ausgemacht. Müller-Gatermann
Zwei Bemerkungen: einmal zum Verhältnis Primärrecht - Sekundärrecht. Zum großen Teil ist das natürlich theoretisch, was wir hier abhandeln, denn immerhin sitzen beim Sekundärrecht 25 Mitgliedstaaten zusammen, schaffen Sekundärrecht und sind alle der Meinung, dass sie sich im Rahmen des Primärrechts halten. Herr Prof Dr. Gosch hat die Entscheidung Keller Holding genannt. Der EuCH hat sich nicht eindeutig mit dem Verhältnis auseinandergesetzt Im Steuerrecht ist es im Übrigen noch so, dass Einstimmigkeit in Brüssel erforderlich ist. Die gesetzlichen Wege, die zur Umsetzung von Sekundärrecht führen, haben keine geringeren Hürden als die, die das primäre Recht, damals EU-Vertrag/EG-Vertrag, gehabt hat. Ich halte es wegen meiner ersten Bemerkung aber für ein theoretisches Problem. Zum Verlust: der Verlust ist im SEStEG so geregelt worden, dass die Verlagerung von Verlusten im Inland, also nationale Sachverhalte, verschlechtert worden sind, das heißt, Verluste können nicht mehr übertragen werden - genauso wie bei grenzüberschreitenden Vorgängen. Das heißt, hier werden keine Grundfreiheiten verletzt, weil nationale Sachverhalte und grenzüberschreitende Sachverhalte absolut gleich behandelt werden. Prof Dr. Lüdicke
Das ist genau die Frage, ob hierin wirklich das Problern liegt. Aber noch einmal zurück zu Ihrer Bemerkung, dass der EuCH in Keller Holding die Frage des Verhältnisses Primärrecht-Sekundärrecht nicht wirklich entschieden hat. Er hatte an sich allen Anlass dazu, das zu tun, denn der Vertreter der Bundesregierung hat in der mündlichen
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
Verhandlung ausdrücklich diesen Punkt vorgetragen, und ich glaube, viele auf dem Podium sind der Ansicht, dass er es getan hat.
Prof Dr. Frotscher Ich habe zwei Bemerkungen zu dieser Diskussion. Herr Müller-Gatermann, ich kann Ihnen in einem Punkt zustimmen, in einem anderen muss ich widersprechen. Fangen wir mit der Zustimmung an: Ich würde davor warnen, aus Marks & Spencer ein uneingeschränktes Verlustübertragungsgebot abzuleiten. Grundlage ist immer erst einmal die Diskriminierung, das heißt, es muss erst einmal eine Diskriminierung vorliegen. Ob das Beschränkungsverbot im Steuerrecht sehr weit trägt, ist völlig offen. Ohne nun alle EuCH-Urteile daraufhin untersucht zu haben, glaube ich, dass praktisch alles Diskriminierungsfälle sind und keine Beschränkungsfälle. Das ist ein durchaus offener Punkt. Zu dem zweiten Punkt: Vorrang des Primärrechts gegenüber dem Sekundärrecht. Ich meine, dass da eigentlich kein Zweifel bestehen kann. Im EG-Vertrag steht, dass der Rat und die Kommission die Kompetenzen im Rahmen des EG-Vertrages haben. Das heißt, außerhalb des EGVertrages haben sie keinerlei Kompetenzen, und damit haben sie auch keine Kompetenz, primärwidriges Sekundärrecht zu setzen. Mal ganz abstrakt gesehen heißt das- wenn Sekundärrecht dem Primärrecht widerspricht -, dass die EG-Kommission oder der Rat - oder wer auch immer gehandelt hat- außerhalb seiner Kompetenz gehandelt hat. Zu Ihrem Argument mit den 25 Mitgliedstaaten, die glauben, sich EGrechtlich richtig zu verhalten. Es gibt auch, ich weiß nicht wie viele, Bundestagsabgeordnete, die glauben, ein Gesetz innerhalb der Verfassung zu erlassen. Und wie oft das daneben geht, wissen wir.13 Vielen Dank.
Prof Dr. Lüdicke Das war jetzt wohl kein Applaus für den Gesetzgeber. Wenn wir schon beim Sekundärrecht sind, noch ein kleiner Punkt. Herr Prof Dr. Rödder hatte erwähnt - und dazu ist bisher noch nichts gesagt worden-, dass bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaf-
13 Applaus im Saal.
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
ten auf Kapitalgesellschaften künftig der Übernahmegewinn einer 5%Besteuerung in einer Weise unterliegt, als ob die Kapitalgesellschaft ihre Tochtergesellschaft verkauft hätte. Nach der Fusionsrichtlinie darf eine solche Verschmelzung keine Ertragsteuerbelastung auslösen. Nun frage ich mich, wie eine Besteuerung von 5 % mit dem Wortlaut dieser Richtlinie in Übereinstimmung zu bringen sein soll, wenn die Bundesregierung meint, dass man sich eher an das Sekundärrecht halten soll. Prof Dr. Schön
Um die Frage noch etwas zu erweitern: wir haben bei diesem Gewinn zwei Teile. Wir haben den Beteiligungskorrekturgewinn, der gewissermaßen frühere Teilwertabschreibungen wieder aufholt, und wir haben den eigentlichen Übernahmegewinn aus dem Umstand, dass jetzt neue Wirtschaftsgüter an die Stelle treten. Meines Erachtens muss man sogar so weit gehen zu sagen, dass die Richtlinie in beiden Fällen die Besteuerung verbietet, denn die Richtlinie sagt zunächst einmal nur, es darf der Umwandlungsvorgang, der Fusionsvorgang, nicht zum Anlass genommen werden, hier eine Differenzbesteuerung vorzunehmen. Ob der deutsche Gesetzgeber das aufspaltet in eine Rückholung von Teilwertabschreibungen und dann den darüber hinausgehenden Teil oder ob er das nicht tut, kann meines Erachtens aus europarechtlicher Sicht keinen Unterschied machen. Im Schrifttum wird dies, wenn ich das richtig sehe, mal so, mal so gewürdigt. Müller-Gatermann
Bei der 5%-Regelung wird nur technisch an die Dividende angeknüpft. Es geht um eine Beschränkung der Aufwandsberücksichtigung, und darin sehe ich keine Verletzung der Richtlinie. Prof Dr. Rödder
Ich glaube, dieses Argument, Herr Müller-Gatermann, basiert auf der 5%-Ausgaben-Abzugs-Verbots-Fiktion, die im Regierungsentwurf vorgesehen war. Jetzt ist man aber im letzten Moment dahin geschwenkt, dass man gesagt hat, wir wenden § Sb KStG wie bei einer Anteilsveräußerung an. Und damit hat man sich dieses Argument genommen. Weiter, Herr Prof Dr. Schön, zum Beteiligungskorrekturgewinn. Ich glaube, dass die Fälle nicht mehr vorkommen werden. Beteiligungskorrekturgewinn kann nach SEStEG nur entstehen, wenn stille Reser-
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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge
ven existieren. Und da haben wir vorher Wertaufholung. Es bleiben also nur alte §-6b-Übertragungen. Das sind aber wirklich absolute Sonderfälle. Ansonsten wird es diese Komponente bei einer Verschmelzung nicht mehr geben.
Prof Dr. Lüdicke Herr Bernhardt, Sie hatten sich am Anfang sehr auf Grundsätzliches beschränkt. Haben Sie noch Anmerkungen zu Einzelfällen?
Bernhardt Das Thema Verlustvortragsbeschränkung schmerzt, weil die Restrukturierungsbemühungen von Unternehmen deutlich belastet werden. Das ist ein deutlicher Minuspunkt in der neuen Regelung. Zu dem, was Herr Prof Dr. Rödder gerade sagte: Ich glaube auch, dass das Thema der 5 %, das Thema Wertaufholung, wie eben diskutiert auch tatsächlich in der Praxis so ausgehebelt wird. Zu solchen Fällen wird es in der Tat nicht kommen. Alte §-6b-Fälle gibt es kaum noch.
Prof Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Beiträge und ganz besonders noch einmal Ihnen, Herr Dr. Neye, Herr Prof Dr. Rödder, für Ihre hervorragenden Referate.
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Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten Prof. Dr. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München
Inhaltsübersicht I. Selbständigkeitsfiktion und Innentransaktionen 1. Organtheorie des Reichsfinanzhofs ..... ........ ............... 71 2. Diskussion in der OECD .... 76 3. Internationale Tendenzen für eine wirtschaftliche Einheitsbetrachtung ... ........ 80 4. Bedeutung selbständiger Leistungsverhältnisse ......... 82 II. Rechtlicher Rahmen .......... 84 1. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben ....... .... .... .............. 84 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben ............................. 90
3. Steuerliche Gesetzeslage .. 4. Gewinnaufteilung und Gewinnerhöhung ..............
91 93
III. Konzept der verselbständigten Betriebsstätte 1. Notwendigkeit einer zweistufigen ZurechnungGrundausstattung einer "selbständigen" Betriebsstätte .......... ....................... .. 94 2. Zulässigkeit und Durchführung von Innentransaktionen ........... .... .... .... .... .. 104 IV. Schlusswort ...................... 112
I.
Selbständigkeitsfiktion und Innentransaktionen
1.
Organtheorie des Reichsfinanzhofs
Die Problematik, die Gegenstand dieses Vortrags ist, lässt sich an folgendem Fall aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung verdeutlichen: Beispiel Eine niederländische Aktiengesellschaft gründet - gemeinsam mit ihren beiden Hauptaktionären - eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Ge-
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
schäftsleitung in Deutschland. Gegenstand des Unternehmens der deutschen Tochtergesellschaft sind die Fabrikation von und der Handel mit Spirituosen nach den Rezepten der holländischen Muttergesellschaft. Die niederländische Obergesellschaft gewährt ihrer deutschen Tochtergesellschaft ein verzinsliches Darlehen und räumt ihr gegen Entgelt das Recht ein, den Firmennamen und die Marke des Mutterunternehmens zu verwenden. Bei ihrer Veranlagung zur Körperschaftsteuer begehrt die deutsche Gesellschaft den Abzug der Kreditzinsen und Lizenzgebühren vom steuerpflichtigen Gewinn. Die rechtliche Würdigung scheint einfach zu sein: Kreditzinsen und Lizenzgebühren sind abzugsfähige Betriebsausgaben, soweit sie betrieblich veranlasst sind und insbesondere in ihrer Höhe den Rahmen der Angemessenheit nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, § 1 AStG und Art. 9 OECD-MA nicht überschreiten. Hinzu treten die Schranken für Gesellschafter-Fremdfinanzierungen nach § 8a KStG. Nach künftigem Recht werden wohl auch die Vorgaben der "Zinsschrankenregelung" für Kreditzinsen und Zinselemente in anderen Leistungsentgelten Beachtung finden müssen. Der Reichsfinanzhof, der über diesen Fall iin Jahre 1937 zu judizieren hatte1, entschied, dass die Leistungsentgelte der deutschen Tochtergesellschaft gegenüber der holländischen Muttergesellschaft grundsätzlich nicht zum Abzug zugelassen werden dürften. Die inländische Gewinnbesteuerung der Tochtergesellschaft müsse den Regeln folgen, die für inländische Zweigniederlassungen ausländischer Steuerpflichtiger gelten würden. Bei inländischen Betriebsstätten könnten solche Leistungsentgelte aber nicht zum Abzug gebracht werden. Eine Minderung des inländischen Gewinns durch vertragliche Leistungsbeziehungen müsse vermieden werden. Wörtlich formuliert der Reichsfinanzhof: "Wenn ein ausländisches Unternehmen sich in Deutschland eine Zweigniederlassung schafft, so darf das Einkommen, das in Deutschland erzielt wird, der deutschen Besteuerung nicht entzogen werden. Unter diesem beherrschenden Gesichtspunkt sind die Maßnahmen zu beurteilen, die zwischen einem ausländischen Unternehmen und einer in selbständige Rechtsform gekleideten inländischen Zweigniederlassung getroffen sind. Gewährt z.B. die Obergesellschaft der inländischen Zweigniederlassung Dauerkredite, durch die eine Zweigniederlassung erhöhte betriebswirtschaftliche Leis-
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RFH, Urt. v. 26.10.1937- I 9/37, RStBl. 1937,46- Nr. 37.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
tungsfähigkeit erhalten soll, dann dürfen die Zinsen selbst dann den steuerpflichtigen inländischen Gewinn nicht mindern, wenn die Darlehnsbedingungen äußerlich die Merkmale eines echten Darlehns zeigen. Denn sonst würde das ausländische Unternehmen steuerfrei den durch die Darlehen erarbeiteten Gewinn beziehen. Ähnliche Gründe sprechen für die Ablehnung einer steuerlichen Gewinnkürzung durch Zahlungen der Zweigniederlassung für die Benützung des Firmennamens und die Führung der Warenmarke ihrer ausländischen Zentrale. Das ausländische Unternehmen will in Deutschland Gewinne erzielen, indem es nach seinen Erfahrungen und Rezepten in Deutschland Liköre herstellt und unter seiner allbekannten Herstellungsmarke verkauft. Dann ist der ganze Gewinn in Deutschland steuerpflichtig und darf nicht durch hoch oder niedrig bemessene Lizenzgebühren beschnitten werden." Das Urteil des Reichsfinanzhofs zeichnet sich durch zwei wesentliche Begründungslinien aus. Die erste zielt darauf, eine Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte im Rahmen der internationalen Gewinnabgrenzung durchzusetzen. Die Selbständigkeit der Kapitalgesellschaft wird ignoriert, die Betriebsstätte als Leitfigur interpretiert.2 Steuerliche Grundlage dieser Einheitsbetrachtung von Mutter- und Tochtergesellschaft ist die "Organtheorie" des Reichsfinanzhofs, der in den 20er und 30er Jahren - und damit lange vor der gesetzlichen Kodifikation der heutigen Organschaftsregeln im Umsatzsteuerrecht, im Gewerbesteuerrecht und im Körperschaftsteuerrecht den Vorrang der wirtschaftlichen Einheit im Konzern gegenüber der rechtlichen Selbständigkeit von wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch eingegliederten Tochtergesellschaften durchgesetzt hatte. Die Organtheorie schafft damit eine Gleichbehandlung der Rechtsformen allerdings in Richtung auf eine durchgehende Annahme unselbständiger Teileinheiten im Konzern. Im internationalen Steuerrecht hat sich die Organtheorie - auch bezeichnet als "Filialtheorie" - jedoch nicht durchgesetzt.3 Die Musterentwürfe von Mexiko und London sahen dies explizit vor und seit 1963 enthält Art. 5 Abs. 7 OECD-MA eine Anti-Organ-Klausel: "Allein dadurch, dass eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft eine Gesellschaft beherrscht oder von einer Gesellschaft abhängig ist oder dort (entweder durch eine Betriebsstätte oder auf andere Weise) ihre Tä-
2 Siehe bereits das "Shell-Urteil" des RFH, Urt. v. 30.1.1930 - I A 226/29, RStBl. 1930, 148- Nr. 220. 3 Bühler, Prinzipien des internationalen Steuerrechts, 1964, S. 101 ff.- Kap. 12 II 1.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
tigkeit ausübt, wird keine der beiden Gesellschaften zur Betriebsstätte der anderen." Seither sind die Selbständigkeit der Tochtergesellschaft und damit auch die Anerkennung von Leistungsbeziehungen zwischen Tochterund Mutterunternehmen in der Praxis der internationalen Besteuerung anerkannt. Die zweite Kernaussage des Urteils liegt darin, die steuerrechtliche Selbständigkeit einer Zweitniederlassung und damit die Anerkennung von Leistungsentgelten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Grundsatz zu verneinen. In diesem Punkt wird die Entscheidung des Reichsfinanzhofs bis heute als grundlegend anerkannt.4 Kreditverhältnisse, Nutzungsüberlassungen oder Dienstleistungsentgelte zwischen unselbständigen Unternehmensteilen werden weder im Inland noch über die Grenze akzeptiert. Lediglich dann, wenn die betreffenden Leistungen von dem gewährenden Unternehmensteil auch im Rahmen seiner Hauptgeschäftstätigkeit gegenüber Dritten ausgeführt werden, soll es möglich sein, im internen Unternehmensverkehr ein verkehrsübliches Entgelt steuerlich abzurechnen.5 Die Begründung des Reichsfinanzhofs bedarf indessen näherer Betrachtung. Ihr liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die Nichtanerkennung von Leistungsentgelten über die Grenze in erster Linie dazu diene, das inländische "Steuergut" vor einer fiskalschädlichen "Verlagerung" über die Grenze zu bewahren. Der Reichsfinanzhof geht ohne nähere Begründung davon aus, dass die mit Hilfe des Gelddarlehens und der überlassenen Immaterialgüter im Inland erwirtschafteten Einnahmen einen genuinen Gewinn der Inlandsbetriebsstätte repräsentieren und die Gewährung von Entgelten an das ausländische Mutterunternehmen allenfalls den Zweck haben könne, eine günstige Besteuerung herbeizuführen. "Die deutsche Aktiengesellschaft und das ausländische Unternehmen"- so formuliert der Reichsfinanzhof- "bilden eine wirtschaftliche Einheit, sie werden sich untereinander nicht 4 Wassermeyer in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen SteuerrechtsFestschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 651 ff., 659. 5 OECD, OECD-MA, Kommentar, Art. 7 Abs. 3 OECD-MA Tz. 17.6 f.; Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze des BMF, Sehr. v. 24.12.1999- IV B 4- S 1300111/99, BStBI. I 1999, 1076- Tz. 2.4; kritisch zu dieser Differenzierung Wassermeyer in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts - Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 651 ff., 660 f.; Roth in Oestreicher (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise, 2003, S. 163 ff., 200 ff.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
selbst Lizenzgebühren auferlegen, es sei denn, um steuerliche Zwecke zu erreichen." (Man glaubt, den heutigen Gesetzgeber zum Thema der Zinsschranke zu hören!) Diese Argumentation ist in zweifacher Hinsicht lehrreich. Sie zeigt zum einen, dass es bei der Frage der Anerkennung von Leistungsverhältnissen zwischen verschiedenen Unternehmensteilen nicht in erster Linie um die zivilrechtliche Wirksamkeit der zugrunde liegenden Verträge geht. Diese Wirksamkeit war in dem vom Reichsfinanzhof entschiedenen Fall einer selbständigen Tochtergesellschaft zweifellos gegeben, und sie kann auch heute - etwa bei zivilrechtlich verselbständigten Betriebsstätten in der Rechtsform der Personengesellschaft nicht ausschlaggebenden Charakter besitzen. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage nach der zutreffenden zwischenstaatlichen Allokation von Einkommen, von wirtschaftlicher und finanzieller Leistungsfähigkeit. Diese Frage hat der Reichsfinanzhof für den Fall von Leistungen des Stammhauses an die Betriebsstätte im Interesse des Betriebsstättenstaates entschieden. Die fiskalischen Interessen Deutschlands, das in den 20er und 30er Jahren stark vom Kapitalimport aus dem Ausland abhängig war, wurden damit deutlich begünstigt. Indem sich die internationale Praxis der "Organtheorie" des Reichsfinanzhofs verweigerte und die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft akzeptierte, schuf sich zugleich die heute weitgehend praktizierte "Zweiklassen-Gesellschaft" internationaler Unternehmen. Soweit grenzüberschreitend Tochtergesellschaften gegründet werden, finden zivilrechtliche Leistungsverhältnisse Anerkennung in den Grenzen des Fremdvergleichs und der Regeln über Gesellschafter-Fremdfinanzierung. Soweit grenzüberschreitend Betriebsstätten gegründet werden, kommen solche Leistungsentgelte nicht in den Blick, und es wird lediglich über die zutreffende Zuordnung der im Gesamtunternehmen anfallenden Einnahmen und Ausgaben diskutiert. Damit ist bei Tochtergesellschaften von vornherein ein höherer Freiheitsgrad erreicht. Durch die Wahl zwischen Eigenkapitalfinanzierung und Fremdfinanzierung oder zwischen gesellschaftsrechtlichem Beitrag und Fremdgeschäft können die beteiligten Unternehmen die Allokation des Steuerguts beeinflussen.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
2.
Diskussion in der OECD
2.1
"Separate Entity Approach"
Diese Dichotomie zwischen der unselbständigen Betriebsstätte und der selbständigen Tochtergesellschaft prägte auch über Jahrzehnte die Arbeiten des Fiskalausschusses der OECD und hatte eine vorläufige Konsolidierung in einer Publikation aus dem Jahre 1994 gefunden.6 In den vergangeneu Jahren sind aus der Arbeit der Warking Party 6 jedoch mehrere Diskussionspapiere hervorgegangen, die einen neuen Weg einschlagen? Vor allem mit Blick auf den Finanzsektor8, auf dem Banken und Versicherungen, aber auch globale Handelsunternehmen weltweit mit unselbständigen Niederlassungen agieren, wird aus dieser Arbeitsgruppe heraus vorgeschlagen, die Selbständigkeit von Betriebsstätten künftig stärker zu betonen und damit auch Leistungsverhältnisse zwischen Stammhaus und Betriebsstätte - oder zwischen verschiedenen Betriebsstätten - im Grundsatz zu akzeptieren.9 Dieser "separate entity approach" wurde zunächst als bloße Arbeitshypothese (working hypothesis) bezeichnet10; er hat inzwischen jedoch den Status eines autorisierten Ansatzes (authorised approach)ll erreicht. Es ist hoch umstritten, ob eine einvernehmliche Änderung des Textes des OECDMusterabkommens selbst oder jedenfalls des Kommentars zum Musterabkommen für eine solche Neuorientierung erforderlich sei. Erst in
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76
OECD, Issues in International Taxation No. 5: Model Tax Convention: Attribution of Profits to Permanent Establishments, 1994. OECD, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, A Discussion Draft, Part I (2001, 2003, 2004, 2005), in van Raad (Hrsg.), Materials on International and EC Tax Law, 2006/07, S. 519 ff. Zu den speziellen Fragen der Finanzdienstleistungsunternehmen siehe z.B. Bakker j van Hoey Smith, International Tax Planning Journal 2004, 20; Seitz, Intertax 2006, 86; Weitbrecht, Internationales Steuerrecht 2006, S. 548 ff. OECD, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, A Discussion Draft, Part I (2001, 2003, 2004, 2005), in van Raad (Hrsg.), Materials on International and EC Tax Law, 2006/07, S. 519 ff. - Tz. 55 ff. OECD, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, A Discussion Draft, Part I (2001, 2003, 2004, 2005), in van Raad (Hrsg.), Materials on International and EC Tax Law, 2006/07, S. 519 ff.- Tz. 3. OECD, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, A Discussion Draft, Part I (2001, 2003, 2004, 2005), in van Raad (Hrsg.), Materials on International and EC Tax Law, 2006/07, S. 519 ff. -Tz. 3 f.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
jüngerer Zeit wird in der internationalen Diskussion- etwa im Generalbericht von Philip Baker und Richard Collier auf dem IF A-Kongress 2006 in Amsterdam12 oder in einem Papier des National Foreign Trade Council aus dem Jahre 200513, aber auch in einigen beachtlichen Stellungnahmen im deutschen Schrifttum14 - Kritik an der neuen Linie formuliert. Im Dezember 2006 wurde der Abschlussbericht "Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Parts I (General Considerations), II (Banks) and III (Global Trading)" publiziert. Erste praktische Folgen haben diese Arbeiten schon bei dem jüngst in Kraft getretenen Doppelbesteuerungsabkommen USA-Großbritannien gezeitigt, welches den "separate entity approach" mit geringen Einschränkungen bereits explizit übernommen hat.15
2.2
Grundlagen in Art. 5 und 7 OECD-MA
Betrachtet man die Grundlagen der Betriebsstättenbesteuerung in Art. 5 und Art. 7 OECD-MA, so fällt auf, dass beide Vorschriften bei oberflächlicher Betrachtung eine Tendenz zur Selbständigkeitsfiktion aufweisen.l6 Wenn in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA die Betriebsstätte als "feste Geschäftseinrichtung" bezeichnet wird, so assoziiert man damit eine gewisse organisatorische Verselbständigung, die auch als Grundlage einer rechtlichen Absonderung genutzt werden könnte. Und wenn in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA einer Betriebsstätte diejenigen Gewinne zuge12 BakerjCollier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 9lb, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21 ff. 13 BennettjDunahoo, Intertax 2005, 51; siehe weiterhin aus dem internationalen Schrifttum: EdgarjHolland, Tax Notes International 2005, 525; SpraguejHersey, Tax Notes International 2002, 629; Pijl, IBFD-Bulletin 2006, 351; Pijl, European Taxation 2006, 29; van Wanrooij, British Tax Review 2004, 248. 14 Andresen in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 2.159 ff.; Bendlinger in Lang/Jirousek (Hrsg.), Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 63 ff., 76 ff.; Ditz, IStR 2002, 210; Ditz, IStR 2005, 37; Förster/ Naumann, IWB, International Gruppe 2, S. 1777 ff. - Nr. 18 v. 22.9.2004; Konrad, IStR 2003, 786; Wassermeyer, IStR 2004, 733. 15 Doppelbesteuerungsabkommen Großbritannien-USA vom 24.7.2001, in Kraft getreten am 31.3.2004, abgedruckt in European Taxatio , Supplementary Service, Section C, Vol. 22, No. 6, S. 13. 16 BakerjCollier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 9lb, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21, 26 f.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
rechnet werden, "die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre", so scheint damit die vom authorised approach geforderte Selbständigkeitsfiktion geradezu angeordnet zu werden. Dieser Eindruck trügt jedoch. Mit Rücksicht auf den Tatbestand der Betriebsstätte in Art. 5 OECD-MA ist zu bemerken, dass die Anforderungen der internationalen Praxis an die organisatorische Verselbständigung einer Betriebsstätte immer mehr zu sinken scheinen.l7 Der Internet-Server oder der Pipeline-Abschnitt sind als Grundlage einer gesonderten Gewinnzuordnung ohnehin schon klein genug geschnitten; als Grundlage einer rechtlichen Selbständigkeitsfiktion dürften sie noch weniger taugen.18 Gleiches lässt sich von der Grundkonzeption einer Montage-Betriebsstätte sagen, die ihrem Stammhaus als bloßes Instrument zur Erfüllung von Verträgen, nicht jedoch als eigenständiger Partner gegenüber steht.l9 Schließlich verfolgt gerade die OECD in ihren jüngeren Arbeiten zu Art. 5 OECD-MA das Ziel, das Merkmal einer räumlichen Verfestigung der Betriebsstätte immer weiter zurückzufahren20, und unterminiert damit selbst die faktischen Grundlagen für die Anerkennung der Betriebsstätte als Quasi-Kapitalgesellschaft. Aber auch im Rahmen der Gewinnermittlungsregel des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA wird die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte überwiegend nicht vollständig durchdekliniert.21 Herrschend dürfte die An-
17 Aus dem deutschen Schrifttum siehe die Bestandsaufnahmen von Buciek, DStZ 2003, 139; Kroppen, IWB, International Gruppe 2, S. 1865 ff. - Nr. 15 v. 10.8. 2005; Wassermeyer in Drenseck/Seer (Hrsg.), Festschrift Heinrich Wilhelm Kruse, 2001, S. 589 ff. 18 Wassermeyer in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts - Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 651 ff., 658 f.; ausführlich Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 32 ff. 19 Bendlinger in Lang/Jirousek (Hrsg.), Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 63 ff., 77 ff.; Pijl, European Taxation 2006, 29 (33 f.); Remberg, StbJb. 2005/06, S. 179 ff. 20 Siehe Pinto, IBFD-Bulletin 2006, 266. 21 Zum Diskussionsstand NaumannjRosenberg, IStR 2005, 617 (619).
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
nahme einer "relativen Selbständigkeit" sein.22 Danach soll die Betriebsstätte zwar im Verkehr zu Dritten die notwendige Selbständigkeit aufweisen, nicht jedoch im Verkehr mit dem Stammhaus und anderen Betriebsstätten. Rechtsgrundlage für diese Einschränkung ist das Erfordernis, dass Gewinne "unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen" von der Betriebsstätte erzielt worden wären - an solchen Bedingungen soll es aber fehlen, weil eine Betriebsstätte mit den anderen Unternehmensteilen einerseits keine zivilrechtliehen Verträge schließen kann und andererseits eine gemeinsame Risiko- und Haftungsstruktur aufweist.23 Insgesamt ergibt sich nicht nur im deutschen Schrifttum, sondern auch in der DBA-Praxis der Staaten ein uneinheitliches Bild. Wie Philip Baker und Richard Collier in ihrem Generalbericht für die IF A 2006 berichten24, stehen Staaten mit weitgehender Selbständigkeitsfiktion wie Argentinien, Chile und Peru solche Jurisdiktionen gegenüber, in denen die Einheitlichkeit des Steuerpflichtigen in seinen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Aktivitäten betont wird, vor allem die USA. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, ob der Sitzstaat des Stammhauses bei der Vermeidung der Doppelbesteuerung der Anrechnungsmethode folgt und daher der Begriff der Betriebsstätte erst bei der Frage nach der Zurechnung ausländischer Steuern zu bestimmten Einkommensteilen eine Rolle spielt, oder ob die Freistellungsmethode Anwendung findet - mit der Folge, dass zwischen Stammhaus und Be-
22 BFH, Urt. v. 27.7.1965- I 110/63 S, BStBl. III 1966, 24; BFH, Urt. v. 20.7.1988- I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; Wassermeyer in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 1.17 ff.; Hemmelrath in Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, 4. Aufl., München 2003, Art. 7 OECD-MA Rz. 91; für eine Fiktion der "absoluten Selbständigkeit" Becker, DB 1989, 10; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 183 ff.; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 202 ff.; Kroppen, IWB, International Gruppe 2, S. 733 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 625 ff.; vermittelnd Heinsen in Löwenstein/Looks (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung, München 2003, Rz. 590. 23 BakerjCollier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21 ff., 26 f. 24 BakerjCollier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21 ff., 38.
79
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
triebsstätte eine scharfe und vollständige Aufteilung des Unternehmensgewinns vorgenommen wird. Die OECD-Arbeitsgruppe sieht einen wesentlichen Vorteil des authorised approach vor allem darin, dass eine weltweit einheitliche Interpretation der Selbständigkeitsfiktion in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA wesentlich zum Abbau von Doppelbesteuerungen (oder Doppel-Nichtbesteuerungen) beitragen könne.25 Dasselbe lässt sich aber von jeder vereinheitlichenden Tendenz sagen, auch einer solchen, die sich auf eine relative Selbständigkeit der Betriebsstätte festlegt. Die weitergehende Annahme, dass die Selbständigkeitsfiktion wesentliche verwaltungstechnische Vereinfachungen mit sich bringen würde26, kann im Hinblick auf die Schwierigkeiten, welche die nachfolgend geschilderte praktische Umsetzung mit sich führen wird, füglieh bezweifelt werden.
3.
Internationale Tendenzen für eine wirtschaftliche Einheitsbetrachtung
Es wäre im Übrigen unrichtig, anzunehmen, dass die Arbeiten der working party 6 einen wachsenden Konsens im internationalen Steuerrecht für eine zunehmende Verselbständigung von Unternehmerischen Untergliederungen repräsentieren würden. Gegenüber diesen Vorschlägen der OECD-Arbeitsgruppe für einen stärkeren Ausbau der Selbständigkeit der Betriebsstätte lassen sich zumindest drei gegenläufige Tendenzen feststellen: Zunächst hat sich in der internationalen Praxis der Steuergerichte in den letzten Jahren eine Neigung entwickelt, die Aktivitäten einer Einzelgesellschaft eines internationalen Konzerns für die Begründung einer Betriebsstätte heranzuziehen.27 Dafür soll es zwar nicht ausreichen, dass die Tochtergesellschaft als solche unter der Kontrolle eines ausländischen Unternehmens steht und deren Zwecken dient. Aber es wird doch zunehmend als möglich angesehen, dass die Tochtergesellschaft - z.B. als abhängige Vertreterin des Mutterunternehmens oder des Gesamtkonzerns - in derselben Weise eine Betriebsstätte begrün25 26 27
80
OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 30 ff. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 3. Siehe zuletzt die Philip-Morris-Entscheidung der Corte di Cassazione v. 28.7. 2006- 17206/06, n.v.; dazu Rossi, Tax Notes International2006, 507.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
det wie dies bei natürlichen Personen der Fall ist, die im Interesse des herrschenden Unternehmens tätig werden. Die daraus resultierende Konstruktion- es wird neben die selbständig steuerpflichtige Tochtergesellschaft eine Betriebsstätte gestellt, die auf Leistungen der Tochtergesellschaft zurückgreift und diese entgelten muss - erscheint hoch artifiziell; sie wird jedoch auch von der OECD aufgegriffen28. JeanPierre Le Gall hat die Konsequenzen in seiner David-Tillinghast-Lecture an der New York University präsentiert.29 Hinzu treten Versuche der Literatur, die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft in Frage zu stellen und eine wirtschaftliche Betrachtungsweise der internationalen Konzernbesteuerung zu etablieren. Im internationalen Schrifttum ist insbesondere Richard Vann von der Universität Sydney zu nennen, der in einem grundlegenden Beitrag aus dem Jahre 2002 die Möglichkeiten privatautonomer Zuordnung von steuerlichen Bemessungsgrundlagen zwischen juristisch selbständigen Konzerngesellschaften einer Fundamentalkritik unterzogen hat.30 Er plädiert- ebenso wie die OECD- für eine Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte, allerdings umgekehrt in die Richtung einer Auflösung juristischer Konstruktionen und einer Betonung der ökonomischen Einheit des Gesamtunternehmens. Nach seiner Auffassung erscheint nicht nur für Betriebsstätten, sondern gerade und auch für Tochtergesellschaften die Annahme einer steuerlichen Selbständigkeit realitätsfremd und manipulationsanfällig. Das eigentliche wirtschaftliche Rationale internationaler Firmen - die synergetische Zusammenführung von Produktionsfaktoren unter einheitlicher Leitung und gerade nicht der marktbezogene Austausch von entgeltlichen Leistungen- werde durch einen transaktionsbezogenen Ansatz im Kern verfehlt.31
28 OECD, OECD-MA, Kommentar, Art. 5 Abs. 7 OECD-MA Tz. 41 ff. - Änderungen 2005. 29 Bericht bei Lee Sheppard, Tax Notes 2006, 210 (212 ff.). 30 Richard J. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Prin31
ciple, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, S. 133 ff. Richard ]. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, S. 133 ff., 139 f.; zu der Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Besteuerung von Betriebsstätten siehe Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 385 ff.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Letztlich weisen auch die Arbeiten der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten an dem Projekt einer einheitlichen körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage in diese Richtung.32 Denn dieses Konzept soll nicht nur grenzüberschreitenden Unternehmen in Europa einheitliche Regeln einer steuerlichen Gewinnermittlung vorgeben, sondern zugleich einer Konsolidierung des steuerlichen Gesamtgewinns in der Unternehmensgruppe ermöglichen.33 Eine solche umfassende Konsolidierung, die nicht nur eine Verrechnung von selbständig ermittelten Einzelergebnissen der konzernangehörigen Gesellschaften bedeutet, sondern zugleich Innentransaktionen im Konzern eliminiert, behandelt letztlich Tochtergesellschaften in derselben Weise wie Betriebsstätten: Sie bilden ohne Rücksicht auf ihre juristische Konstruktion unselbständige Untergliederungen des Gewinnermittlungssubjekts Konzern.
4.
Bedeutung selbständiger Leistungsverhältnisse
Die steuerliche Bedeutung der Annahme selbständiger Leistungsverhältnisse zwischen den einzelnen Untergliederungen eines steuerpflichtigen Unternehmens lässt sich nur im Vergleich zu ihrem gedanklichen Gegenstück, nämlich einer schlichten Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen, erläutern. Eine solche Zuordnung von Ertrag und Aufwand zu einer Betriebsstätte setzt voraus, dass im laufenden Geschäftsjahr des Unternehmens Ertrag und Aufwand anfällt, der wirtschaftlich mit der Aktivität dieser Betriebsstätte verbunden ist. Für den betreffenden Aufwand bedeutet die Zuordnung zur Betriebsstätte, dass deren Gewinnanteil sinkt, während sich der Gewinnanteil des Stammhauses erhöht. Lässt sich hingegen kein Aufwand feststellen oder jedenfalls nicht sinnvoll der Betriebsstätte zuordnen, so kann eine Gewinnkorrektur nicht stattfinden. Demgegenüber setzt die Abrechnung fiktiver Leistungsverhältnisse zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keinen aktuellen tatsächlichen Aufwand des Stammhauses oder umgekehrt voraus. Dies bedeutet dreierlei: Es können Leistungsverhältnisse auch dann fingiert werden, wenn kein Aufwand feststellbar ist. Ein verzinsliches Darlehen zwischen 32 Europäische Kommission, Unternehmensbesteuerung im Binnenmarkt, 2001. 33 Schön, European Taxation 2004, 426.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Stammhaus und Betriebsstätte setzt daher nicht voraus, dass das Stammhaus seinerseits einen Fremdkredit aufgenommen hat, vielmehr kann auch aus freiem Kapital ein solches Darlehen gewährt werden. Bei der Preisfestsetzung für ein solches Leistungsverhältnis müssen nicht lediglich die tatsächlich entstehenden Kosten umgelegt werden; vielmehr kann die leistende Betriebseinheit auch einen marktüblichen Gewinnzuschlag vereinbaren. Schließlich ist es möglich, auch für solche Leistungen einen Marktpreis zu verlangen, deren Erstellung letztlich in früheren Veranlagungszeiträumen finanziert worden ist und daher nicht sinnvoll einer Betriebsstätte zugeordnet werden kann.34 Beispielhaft ist die Vereinbarung von Entgelten für die Nutzung von Immaterialgütern, die vor der Begründung der Betriebsstätte im Stammhaus entwickelt worden sind und nunmehr in ausländischen Niederlassungen verwertet werden. In der Diskussion zu dem OECD-Papier wird übrigens kontrovers diskutiert, ob die vorgeschlagenen Änderungen in ihrer Gesamttendenz zum Vorteil oder zum Nachteil der klassischen "Stammhausnationen" oder der typischen "Quellenstaaten" ausschlagen werden. Der Entwurf selbst deutet nur knapp an, dass mit der verstärkten Zuordnung selbständiger Funktionen an die Betriebsstätte und der Einführung von Leistungsbeziehungen gegenüber dem Stammhaus eine Erhöhung der Gewinnbeteiligung der Quellenstaaten verbunden sein kann.35 Dies wird unter anderem am Beispiel der Vertreterbetriebsstätte exemplifiziert, der in Zukunft neben dem bloßen Entgelt für den Vertreter ein eigenständiger Gewinnanteil zugewiesen werden könne.36 Aus US-amerikanischer Sicht haben Mary C. Bennett und Carol Dunahoo diese Sorge bestätigt.37 Demgegenüber weisen Tim Edgar und David Holland darauf 34 Ausführlich Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 145 ff. 35 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 69 ff. 36 Zur Gewinnermittlung bei der Vertreter-Betriebsstätte siehe Griemla, IStR 2005, 857; Kroppen, IWB, International Gruppe 2, S. 738 ff.; Pijl, European Taxation 2006, 29 (31 ff.); ausführlich Plejsier, Intertax 2001, 167; Plejsier, Intertax 2001, 218; Plejsier, Intertax 2001, 275; Grundsatzkritik bei Richard J. Vann, British Tax Review 2006, 345. 37 BennettjDunahoo, Intertax 2005, 51 (53 ff.).
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
hin, dass es dem Stammhaus nach dem neuen Ansatz verstärkt möglich sein dürfte, auf vertraglicher Grundlage Leistungen gegenüber der Betriebstätte mit Gewinnaufschlag abzurechnen sowie gezielt Risiken und damit Gewinnchancen zu übernehmen.38 Dies scheint mir überzeugender; die Einführung von Darlehensverhältnissen, entgeltlichen Dienstleistungen und Nutzungsverträgen für Immaterialgüter dürfte tendenziell dem Stammhaus als dem Ort zugute zu kommen, an dem sich die immateriellen und finanziellen Werte eines Unternehmens konzentrieren.39 Der zitierte Fall des Reichsfinanzhofs bestätigt diese Vermutung. In jedem Fall werden die Möglichkeiten für Unternehmen, die Allokation des Gewinns quasi-vertraglich zu steuern, deutlich erhöht. Bemerkenswert erscheint, dass in der deutschen Diskussion die Wirkungen der Anerkennung selbständiger Leistungsverhältnisse zwischen unselbständigen Betriebsteilen nahezu ausschließlich auf die Frage der vorzeitigen Gewinnrealisierung bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern über die Grenze und damit auf Fragen der Gewinnermittlung konzentriert werden.40 Demgegenüber wird dieser Vortrag den Schwerpunkt anders legen und zu Fragen der Gestaltung der Gewinnaufteilung auf der Grundlage des separate entity approach Stellung nehmen.
II.
Rechtlicher Rahmen
Wie stellen sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen solchen separate entity approach aus der Sicht des europäischen Rechts, des deutschen Verfassungsrechts und des deutschen Steuerrechts dar?
1.
Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
Bevor eine materielle Aussage zu der Anerkennung von Innentransaktionen zwischen unselbständigen Unternehmensteilen getroffen wer-
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40
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EdgarjHolland, Tax Notes International2005, 525 (526). Richard J. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, 5. 133 ff., 146 ff. Vgl. etwa das 3. Kapitel von Wassermeyer in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
den kann, bedürfen die Vorgaben des europäischen Rechts einer Klärung. Dies betrifft zwei Zielrichtungen.41 1.1
Verbot der Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte
Im Kern der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht die Aussage, dass für grenzüberschreitende Sachverhalte weder das nationale Recht noch das Doppelbesteuerungsrecht Nachteile im Vergleich zu innerstaatlichen Sachverhalten anordnen dürfen.42 Dies wirft die Frage auf, ob die steuerliche Anerkennung von Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder zwischen unterschiedlichen Betriebsstätten sich als Benachteiligung des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehrs darstellt. Dies muss vor allem im Hinblick auf die Freiheit zur Niederlassung über die Grenze nach Art. 43 Abs. 1 EG geprüft werden, die gern. Art. 48 EG auch Kapitalgesellschaften eingeräumt ist. Weder der Sitzstaat des Stammhauses noch der Belegenheitsstaat der Betriebsstätte dürfen einseitig oder gemeinsam Regelungen treffen, welche die grenzüberschreitende Investition im Vergleich zur rein inländischen Investition benachteiligen. Für die Antwort auf die Frage, ob eine Gewinnabgrenzung nach dem separate entity approachsich als Diskriminierung internationaler Investitionen darstellt, ist danach zu unterscheiden, ob sich die Wirkungen dieses Ansatzes in einer bloßen Aufteilung eines diskriminierungsfrei ermittelten Unternehmensgewinns auf verschiedene Staaten erschöpfen oder eine effektive Erhöhung des Gesamtgewinns des Unternehmens, z.B. durch vorzeitige Realisation stiller Reserven, in Rede steht. Eine solche Gewinnerhöhung durch vorzeitige Gewinnrealisation muss zweifellos als Behinderung grenzüberschreitender Engagements gewürdigt werden, zumal sie bei vergleichbaren innerstaatlichen Transaktionen nicht eintreten würde. Dieser gemeinschaftswidrige Effekt
41
42
Ausführlich Schönfeld in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 11.1 ff.; CussonsjFitzGerald, EU Report, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 69 ff.; Tenore, Intertax 2006, 386. Rechtsprechungsüberblick bei Schön, StbJb. 2003/04, S. 28 ff.; Schön, IStR 2004, 289; grundlegend Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002.
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wird im deutschen Schrifttum ausführlich am Beispiel der gewinnrealisierenden Verbringung von Wirtschaftsgütern über die Grenze diskutiert.43 Auch im internationalen Schrifttum wird die Aufdeckung stiller Reserven auf der Grundlage fiktiver Veräußerungsgeschäfte zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht akzeptiert.44 Demgegenüber ist bei Maßnahmen der bloßen Gewinnaufteilung zu beachten, dass die primären Folgen der Anerkennung von Leistungsverhältnissen sich lediglich in einer bestimmten Zuordnung des Ergebnisses auf die beteiligten Staaten niederschlagen. Die eigentlichen materiellen Nachteile folgen dann in einem zweiten Schritt aus den unterschiedlichen Steuerniveaus der beteiligten Staaten. Hinzu treten bei Anwendung der Anrechnungsmethode die Existenz möglicher Anrechnungsüberhänge und bei der Anwendung der Freistellungsmethode die fehlenden Möglichkeiten grenzüberschreitender Verlustverrechnung. Diese nachteiligen Konsequenzen einer von den Mitgliedstaaten festgelegten territorialen Aufteilung der Besteuerungshoheit werden allerdings in der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich akzeptiert. Erstmals in der Entscheidung Marks & Spencer45 und zuletzt in der Entscheidung Cadbury Schweppes46 hat der Gerichtshof die "Aufteilung der Steuerhoheit" als Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen akzeptiert. Unter den Generalanwälten hat namentlich Lendert Geelhoed in mehreren Schlussanträgen47 darauf hingewiesen, dass diese natürlichen Folgen des Fortbestandes mitgliedstaatlicher 43
44
45 46 47
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Siehe aus dem umfangreichen Schrifttum Schönfeld in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 11.15 ff., 11.33; Briick in Löwenstein/Looks (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung, München 2003, Rz. 1003 ff. Cussons/FitzGerald, EU Report, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 69 ff., 77 ff., 87 f. EuGH, Urt. v. 13.12.2005 - Rs. C-446/03 - Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. EuGH, Urt. v. 12.9.2006- Rs. C-196/04- Cadbury Schweppes, IStR 2006, 670. Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006- Rs. C-524/04 -Test Claiments in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/ deRz. 40; Schlussanträge des Generalanwalts Geel/wed, EuGH v. 23.2.2006 - Rs. C-374/04 - Test Claiments Class IV of the ACT Group Litigation, EuGHE 2006, I-11673 - Rz. 55; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 27.4.2006- Rs. C-170/05- Denkavit, EuGHE 2006, I-11949- Rz. 20.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Steuerhoheit in der Europäischen Gemeinschaft letztlich noch nicht einmal den Tatbestand einer relevanten Behinderung der Grundfreiheiten erfüllen, sondern als "Quasi-Beschränkungen" aus dem Prüfungsbereich des Gerichtshof eximiert sind. Vor dem Hintergrund, dass nach der im Urteil Gi11y48 eingeleiteten und zuletzt in der Rechtssache D49 exemplifizierten Rechtsprechung des Gerichtshofs den Mitgliedstaaten sowohl die primäre Zuordnung von Besteuerungsrechten als auch die Art und Weise der Vermeidung der Doppelbesteuerung zur freien Gestaltung überlassen ist50, lassen sich aus den Diskriminierungs- und Beschränkungsregeln des Gemeinschaftsrechts keine sachlichen Festlegungen über die sachlich zutreffende Aufteilung des Unternehmensgewinns auf Betriebsstätte und Stammhaus und damit über die Anerkennung von Leistungsverhältnissen folgern.
1.2
Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte
Eine stärkere inhaltliche Prägung scheint demgegenüber mit der viel zitierten Aussage des Europäischen Gerichtshofs verbunden zu sein, dass im grenzüberschreitenden Verkehr eine unselbständige Zweigniederlassung nicht gegenüber einer selbständigen Tochtergesellschaft diskriminiert werden darf. Diese Aussage scheint gerade zu fordern, dass die Regeln über Gewinnermittlung und Gewinnzuordnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte denjenigen zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft angeglichen werden.51 Dies würde auch die Anerkennung von Leistungsverhältnissen einschließen, die im Verhältnis zwischen verbundenen Unternehmen im Grundsatz akzeptiert sind und lediglich auf ihre Angemessenheit überprüft werden. Der separate entity approachwäre gleichsam europarechtlich geboten. 48 EuGH, Urt. v. 12.5.1998- Rs. C-336/96- Gilly, EuGHE 1998, I-2793. 49 EuGH, Urt. v. 5.7.2005- Rs. C-376/03- D, EuGHE 2005, I-5821. 50 Siehe auch BFH, Urt. v. 9.11.2005- IR 27/03, GmbHR 2006,444 =FR 2006, 503 - Rz. 17 ff. 51 Baker/Collier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21 ff., 58 f.; Cussonsj FitzGerald, EU Report, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 69 ff., 78 f.; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 180 f.; Hintsanen, European Taxation 2003, 114 (117 ff.); van Wanrooij, British Tax Review 2004, 248 (255).
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Schaut man näher hin, so lassen sich wenig inhaltliche Maßstäbe erkennen. Eine enge Interpretation reduziert diese Rechtsprechung ohnehin darauf, das allgemein anerkannte Verbot der Diskriminierung von inländischen und ausländischen Gesellschaften im Rahmen ihrer inländischen Wirtschaftsaktivitäten durchzusetzen.52 Danach muss die inländische Betriebsstätte einer ausländischen Kapitalgesellschaft so behandelt werden wie die organisatorisch gleichartige Niederlassung einer inländischen Kapitalgesellschaft. Da für diese inländischen Untergliederungen allerdings im Verhältnis zur Unternehmensleitung keine Leistungsverhältnisse hypostasiert werden, lässt sich ein separate entity approach insofern nicht begründen. Eine weitergehende Linie versteht das Gebot der Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte jedoch als Ausdruck einer allgemeinen Unternehmerischen Organisationsfreiheit im Binnenmarkt, die nicht durch Präferenzen für bestimmte Rechtsformen in der mitgliedstaatliehen Gesetzgebung behindert werden darf.53 Auch dieses progressive Verständnis zwingt jedoch nicht zur Anerkennung des separate entity approach. Zunächst muss Beachtung finden, dass eine Gleichbehandlung nicht kraft Gemeinschaftsrechts erzwungen werden kann, wo zivilrechtliche Unterschiede einer strengen Vergleichbarkeit der Sachverhalte entgegenstehen.54 Dies kann zum Beispiel die Verrechnung von Verlusten betreffen (hier muss die unterschiedliche Haftungssituation eine Rolle spielen können), aber auch die Anerkennung von Leistungsverhältnissen (weil entsprechende zivilrechtliche Verträge zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden können). Es fehlt insofern an der für ein strenges Gleichbehandlungsgebot erforderlichen Gleichartigkeit der Ausgangssachverhalte. Wichtiger ist jedoch folgender Umstand: Die eigentliche sachliche Rechtfertigung für diese Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs ist in seinem Anliegen zu sehen, die wechselseitige Durchdringung von Märkten in der europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten und dabei den Wirtschaftssubjekten unterschiedlich intensive Formen der Marktdurchdringung zu ermöglichen. Dies beginnt beim schlichten 52 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002, S. 831 ff.; Schlussanträge des Generalanwalts Maduro, EuGH v. 7.4.2005Rs. C-446/03- Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 53 Schön, EWS 2000, 281; Schlussanträge des Generalanwalts Leger, EuGH v. 14.4.2005- Rs. C-253/03- CLT-UFA, EuGHE 2006, I-1831. 54 Schön, EWS 2000, 281 (289 f.); in diese Richtung auch Lang, IStR 2006, 397.
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Warenverkauf und der gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen über die Grenze, setzt sich fort in dem Einsatz von Handelsvertretern und anderen dauerhaften Vertriebsstrukturen, entwickelt sich fort zur kontrollierten Zweigniederlassung und endet mit der vollen Integration einer Tochtergesellschaft in die Wirtschaft des Zielstaates. Es würde daher den Blick auf diese Rechtsprechung verkürzen, wenn man lediglich eine diskriminierungsfreie Wahl zwischen Tochtergesellschaft und Betriebsstätte und damit ein europarechtliches Gebot der Rechtsformneutralität behaupten würde. Es geht vielmehr um die Anwendung der Grundfreiheiten im gesamten Kontinuum zwischen Warenverkehr, Dienstleistung, Betriebsstätte und Tochtergesellschaft. Bei dieser weiter gefassten Betrachtung wird zugleich deutlich, dass nicht in allen diesen Fällen eine gleichartige Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten gefordert werden müsste. Der Umstand, dass bei gewerblicher Betätigung über die Grenze die Einkünfte aus Waren- und Dienstleistungsverkehr ausschließlich im Sitzstaat besteuert werden, während mit der Begründung einer Betriebsstätte das Besteuerungsrecht des Quellenstaates den Vorrang erhält, kann nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass das Europäische Gemeinschaftsrecht einen diskriminierungsfreien Übergang zwischen unterschiedlichen Organisations- und Vertriebsstrukturen fordere. Wenn und soweit für gewerbliche Gewinne die Verdichtung einer Aktivität zum Tatbestand der Betriebsstätte zu einer Verlagerung des Besteuerungsrechts auf den Quellenstaat führt, so handelt es sich bei diesem Wechsel des Besteuerungsrechts schlicht um das Ergebnis der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten, welche durch die Beschränkungs- und Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten nicht in Zweifel gezogen wird. Gleiches gilt, wenn die Anerkennung von Leistungsverhältnissen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Rede stehen. Soweit eine solche Berechnungsmethode lediglich dazu dient, den Gesamtgewinn einer Unternehmung zutreffend auf die beteiligten Unternehmenseinheiten zu verteilen, begründet das Postulat einer Gleichbehandlung der Rechtsformen keinen konkreten Anspruch darauf, dass bestimmte Gewinnanteile im Quellenstaat und andere im Stammhausstaat steuerlich erfasst werden.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
2.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
In der vorzüglichen Dissertation von Xaver Ditz über die Gewinnabgrenzung im internationalen Steuerrecht wird die Frage positiv beantwortet, ob die Grundrechte des Grundgesetzes - namentlich der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG - eine strenge Rechtsformneutralität der Besteuerung gebieten und damit auch eine Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte bei der Gewinnzurechnung verlangen.55 Ein kurzer Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass der Gesetzgeber hier einen erheblichen Gestaltungsspielraum besitzt. Für eine deutliche Differenzierung zwischen der Besteuerung von Personenunternehmen und von Kapitalgesellschaften setzte sich das Gericht mit Nachdruck in einem Beschluss aus dem Jahre 1962 ein, der die Hinzurechnung von Geschäftsführer-Gehältern in den Gewerbeertrag mit dem Hinweis auf die Selbständigkeit der juristischen Person für unzulässig erklärte.56 Eine stärkere Angleichung ließ das so genannte Schwarzwaldklinik-Urteil aus dem Jahre 1999 erkennen, welches aus Art. 3 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Umsatzsteuer den Schluss zog, dass die steuerliche Belastung des Verbrauchers nicht von der Rechtsform des leistenden Unternehmers abhängen dürfe.57 Ob diese Überlegungen auf das Recht der direkten Steuern übertragen werden können, wurde im Anschluss heftig diskutiert. Für das hier im Vordergrund stehende Feld der Einkommen- und Körperschaftsteuer hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2006 das Recht der Gesetzgebung zur Differenzierung zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften betont und dabei auf die selbständige Vermögensträgerschaft der juristischen Personen hingewiesen.58 Dabei verkennt das Gericht zwar die Fortschritte bei der zivilrechtliehen Verselbständigung der Personengesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern, es hat aber sicherlich für den Regelfall einer unselbständigen Betriebsstätte das Richtige getroffen. Kurzum: ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte besteht nicht.
55 Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 109 ff. 56 BVerfG, Urt. v. 24.1.1962-1 BvR 845/53, BVerfGE 13,331. 57 BVerfG, Urt. v. 10.11.1999 - 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151 = BStBI. II 2000, 160. 58 BVerfG, Beschl. v. 21.6.2006- 2 BvR 2/99, DStRE 2006, 988- Tz. 119.
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Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
3.
Steuerliche Gesetzeslage
Es ist das Verdienst von Franz Wassermeyer, in der jüngeren Diskussion mit Nachdruck den Umstand betont zu haben, dass die Besteuerung eines in Deutschland tätigen Unternehmens- inländisches Stammhaus mit ausländischer Betriebsstätte oder ausländisches Stammhaus mit inländischer Betriebstätte - einer Rechtsgrundlage im deutschen Recht bedarf.59 Dies gilt sowohl für die Ermittlung des Unternehmerischen Gewinns in seiner Gesamtheit als auch für die Aufteilung des Gesamtergebnisses auf inländische und ausländische Untergliederungen des Unternehmens. Damit scheint die Frage verbunden zu sein, ob es für die Anerkennung von Leistungsverhältnissen und Entgelten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder zwischen verschiedenen Betriebsstätten eine Grundlage in der deutschen Steuergesetzgebung gibt. Wassermeyer kann eine solche gesetzliche Basis nicht erkennen. Ausgangspunkt der Gewinnermittlung sei nach § 5 Abs. 1 EStG das Recht der Handelsbilanz, modifiziert durch Abweichungen und Ergänzungen im Einkommensteuerrechts und im Körperschaftsteuerrecht. Beachte man, dass einerseits die handels- und steuerrechtliche Gewinnermittlung nur tatsächliche Erträge und Aufwendungen abbildet und dass andererseits Korrekturregeln wie diejenigen über Entnahmen, Einlagen oder verdeckte Vermögensverlagerungen im Körperschaftsteuerrecht eine private oder gesellschaftsrechtliche Veranlassung von Vermögensbewegungen voraussetzen, so fehle es für die Annahme eines gewinnwirksamen Leistungsaustauschs zwischen unselbständigen Unternehmensteilen an einer Rechtsgrundlage. Lediglich eine Aufteilung der tatsächlichen Einnahmen und tatsächlichen Aufwendungen auf die inländischen und ausländischen Unternehmensteile sei möglich und geboten. Dafür setze § 49 Abs. 1 Nr. 1, § 50 Abs. 1 EStG einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Betriebseinnahmen oder Betriebsausgaben des Gesamtunternehmens und der konkreten Tätigkeit einer Betriebs-
59 Wassermeyer in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts - Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 651 ff., 653 ff.
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stätte voraus.60 Dies ist im Wesentlichen auch die Linie der Finanzverwaltung, welche in ihren Betriebsstätten-Grundsätzen eine verursachungsgerechte Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben unternimmt und nur in Ausnahmefällen echte Leistungsverhältnisse akzeptiert.61 Die Frage nach der gesetzlichen Grundlage für die Anerkennung von Leistungsverhältnissen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder zwischen verschiedenen Betriebsstätten wird im Schrifttum darauf zugespitzt, ob die Abgrenzungsregel des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA- oder genauer: die parallel formulierten Regelungen in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen- für die deutsche Besteuerung als unmittelbar geltendes Recht angesehen werden müssen. An der formellen Gesetzesbindung mangelt es nicht, denn die Doppelbesteuerungsabkommen sind nicht nur nach Art. 59 GG in die nationale Rechtsordnung transformiert worden, sondern auch gern. § 2 AO als leges speciales im Verhältnis zu den gewöhnlichen steuerlichen Vorschriften ausgestaltet. Fraglich ist allerdings, ob die Teleologie der Doppelbesteuerungsabkommen es ausschließt, Art. 7 Abs. 2 OECD-MA für die Anerkennung von Leistungsentgelten zwischen unselbständigen Unternehmensteilen einzuordnen. Dies wird von Wassermeyer mit der Begründung bejaht, dass die Regel der Doppelbesteuerungsabkommen einen Besteuerungsanspruch nur einschränken, nicht jedoch begründen könnten.62 Art. 7 Abs. 2 OECD-MA sei insoweit nicht als self-executing einzuordnen.
60 Zum "Veranlassungsprinzip" im internationalen Steuerrecht siehe Andresen in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 2.61 ff.; Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76; NaumannjRosenberg, IStR 2005, 617 (618); Wassermeyer, IStR 2005, 84; kritisch zur Verwendbarkeit des Veranlassungs61
62
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prinzips Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 36 ff. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze des BMF, Sehr. v. 24.12.1999- IV B 4S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 - Tz. 2.2; siehe auch Baranowski, IWB, Deutschland Gruppe 2, S. 813 ff. - Nr. 2 v. 26.1.2000; Kraft, StbJb. 2000/2001, S. 205 ff.; Kraft, European Taxation 2001, 82; KumpfjRoth, DB 2000, 787; Kumpf/ Roth, DB 2001, 741. Wassermeyer in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts -Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 651 ff., S. 656.
Schön, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
4.
Gewinnaufteilung und Gewinnerhöhung
Schaut man näher hin, so empfiehlt es sich, das Kontinuum der möglichen Leistungsverhältnisse zwischen unselbständigen Unternehmensteilen danach zu separieren, ob mit ihrer Anerkennung eine Erhöhung oder jedenfalls eine vorgezogene Realisierung von Teilen des Gesamtgewinns eines Unternehmens verbunden ist oder ob sich die Wirkungen eines fiktiven Leistungsaustauschs in einer Verschiebung der Anteile am Gesamtergebnis erschöpfen.63 In diesem Punkt unterscheidet sich die Zahlung von Zinsen, Lizenzgebühren oder Dienstleistungsentgelten maßgeblich von der Entrichtung eines Kaufpreises für ein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut. Die erstgenannten Zahlungen rufen bei bilanzieller Betrachtung synchron bei dem fiktiven Entgeltschuldner einen Aufwand und dem fiktiven Entgeltgläubiger eine Einnahme hervor. Im Gesamtergebnis des Unternehmens neutralisieren sich diese Buchungen, und zwar auch dann, wenn eine Leistung mit Gewinnaufschlag abgerechnet wird, diese erhöht lediglich beim leistenden Unternehmensteil die Einnahme und beim empfangenden Unternehmensteil den Aufwand. Demgegenüber kommt es im Veräußerungsfall einerseits bei dem bisherigen "Inhaber" zu einer gewinnerhöhenden Realisierung stiller Reserven und andererseits bei dem "Erwerber" zu einem fiktiven Aktivtausch, insgesamt also zu einer Erhöhung des Gesamtgewinns der Unternehmung. Andere Leistungsentgelte haben nur dann einen vergleichbaren Effekt, wenn sie im Rahmen von Herstellungsprozessen aktiviert werden müssen. Soweit die Wirkungen einer Anerkennung innerbetrieblicher Leistungsverhältnisse und der entsprechenden Entgelte sich darin erschöpfen, den Gesamtgewinn eines Unternehmens den einzelnen inländischen und ausländischen Unternehmensteilen zuzuordnen, bestehen keine Bedenken, Art. 7 Abs. 2 OECD-MA unmittelbar zur Anwendung zu bringen. 64 Denn der Versuch einer sachlich angemessenen Gewinnabgrenzung betrifft unmittelbar die Zielsetzung einer Vermeidung der Doppelbesteuerung und bedarf daher auch einer inhaltlichen Abstimmung zwischen den beteiligten Staaten. Wenn und soweit auf diese 63 Andresen in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 2.2 ff. 64 Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 53 ff.; Ditz, IStR 2005, 37 (40 ff.).; Rothin Oestreicher (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise, 2003, S. 163 ff., S. 170; NaumannjRosenberg, IStR 2005, 617 (619).
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Weise den beteiligten Vertragsstaaten andere Anteile am Gesamtgewinn zugewiesen werden als dies nach nationalem Steuerrecht der Fall wäre, liegt darin eine natürliche Folge des Zwangs zu symmetrischen Gewinnabgrenzung. Aus der Sicht des Unternehmens kann eine solche Zuteilung zu steuerlichen Nachteilen führen, wenn im Vergleich zum nationalen Recht der Anteil des Staates gesteigert wird, der das höhere Steuerniveau aufweist, allerdings wird diese Folge von den Doppelbesteuerungsabkommen in Kauf genommen. Selbst dann, wenn die Anerkennung von Leistungsverhältnissen zur Folge hat, dass im Sitzstaat hohe Gewinne und im Betriebsstättenstaat nicht verrechnungsfähige Verluste entstehen, hindert das Doppelbesteuerungsrecht diese Effekte einer Fraktionierung von Teilergebnissen nicht. Demgegenüber kann Art. 7 Abs. 2 OECD-MA keine Grundlage dafür abgeben, das jährliche Gesamtergebnis für das grenzüberschreitende Unternehmen zu erhöhen.65 Dies trifft vor allem den Fall der fiktiven Veräußerung über die Grenze mit anschließender Realisierung stiller Reserven. Fehlt es im Inland an einer entsprechenden Rechtsgrundlage, vermag ein Doppelbesteuerungsabkommen, das lediglich Schranken errichten und Abgrenzungen ermöglichen soll, nicht zu helfen.
111. Konzept der verselbständigten Betriebsstätte 1.
Notwendigkeit einer zweistufigen ZurechnungGrundausstattung einer "selbständigen" Betriebsstätte
1.1
Geographische und personelle Zuordnung
Wie hat man sich eine Gewinnabgrenzung vorzustellen, welche die Selbständigkeit von Betriebsstätten in Analogie zu Tochtergesellschaften fingiert und damit zugleich die Möglichkeit von steuerlich relevanten Innentransaktionen akzeptiert? Es wäre unrichtig, in dieser Frage von vornherein auf die Thematik der Innentransaktionen, ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, ihrer Dokumentation und der Prüfung der Angemessenheit durch die Finanzbehörden zuzugehen. Denn die Vereinbarung und Durchführung von Innentransaktionen setzt gedanklich eine vorgängige rechtliche Separierung der jeweiligen Wirtschaftsein65 Kroppen, IStR 2006, 74 (74 f.); NaumannjRosenberg, IStR 2005, 617 (619 f .).
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heiten voraus, welche dem Stammhaus und den Betriebsstätten eine personelle, sachliche und finanzielle Grundausstattung zubilligt.66 Erst wenn festgestellt worden ist, welche Personen, Wirtschaftsgüter und Kapitalien einer Betriebsstätte (nach dem Vorbild einer selbständigen Tochtergesellschaft) als Initialausstattung zugewiesen sind, kann in einem zweiten Schritt überlegt werden, ob und wie die einzelnen Unternehmensteile miteinander durch fiktive Rechtsgeschäfte in einen Leistungsaustausch eintreten können. Bereits die Feststellung dieser Initialausstattung - die sich die Arbeitsgruppe als sachverhaltsorientierte factual and functional analysis vorstellt67 - ist kein triviales Unterfangen.68 Der authorised approach geht - wie Edgar und Holland zutreffend bemerkt haben69 -von einer primär geographischen Zuordnung von Personen und Betriebsmitteln aus. Eine solche geographische Zuordnung lässt sich im Ausgangspunkt damit begründen, dass das Besteuerungsrecht des Quellenstaates aus der territorialen Belegenheit der Betriebsstätte auf seinem Staatsgebiet resultiert. Sie greift jedoch zu kurz, wenn man bedenkt, dass Tatbestand und Einkünfte eines Unternehmens im Allgemeinen und daher auch seiner Untergliederungen nicht -wie im Falle eines Grundstücks- aus der schlichten Verwertung von Vermögensgegenständen unter der Herrschaft eines bestimmten Staates hervorgehen, sondern dass ein Gewerbebetrieb in erster Linie eine Betätigung (§ 15 Abs. 2 EStG) voraussetzt. Es geht daher darum, dem Betriebsstättenstaat bestimmte mit Gewinnerzielungsabsicht durchgeführte Unternehmensaktivitäten zuzuordnen. Erst in einem zweiten Schritt kann dann überlegt werden, welche Personen, Wirtschaftsgüter und Kapitalien an dieser Betätigung teilhaben. Dabei ist selbstverständlich, dass die der Betriebsstätte zuzuordnende Ausstattung nicht durch die geographischen Grenzen des Belegenheitsstaates vorgeprägt ist: Es kann Wirtschaftsgüter und Personen im Betriebsstättenstaat geben, die sachlich dem Stammhaus zugeordnet werden müssen, und es kann umgekehrt die Betriebsstätte Zugriff auf Betriebsmittel in anderen Staaten haben. Dem entspricht die traditionell anerkannte Annah66 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 13 und 86. 67 OECO, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 16 ff. 68 Konrad, IStR 2003, 786 (786 f.). 69 EdgarjHolland, Tax Notes International2005, 525 (526, 533 f.).
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me, dass die Zurechnung von Einnahmen und die Abzugsfähigkeit von Ausgaben für eine Betriebsstätte nicht davon abhängt, auf welchem Staatsgebiet die jeweilige Vereinnahmung oder Verausgabung tatsächlich durchgeführt wird.70 Dieses aktivitätsbezogene Verständnis der Betriebsstätte wird vom authorised approach dahin ausgeführt, dass die im Betriebsstättenstaat ausgeübten "Unternehmensfunktionen" den wichtigsten Anknüpfungspunkt für die spätere Gewinnaufteilung darstellen.71 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Auf der Grundlage dieser Unternehmensfunktionen lassen sich in einem ersten Schritt die Personen feststellen, welche für eine bestimmte Funktion im Gesamtunternehmen eingesetzt werden. Es fällt daher auf, dass der authorised approach in starkem Umfang "personenbezogen" argumentiert.72 Dies gilt nicht nur für die Zuordnung von Personalaufwand, sondern vor allem für die Zuordnung von Risiken und Gewinnchancen, die den unternehmerisch orientierten Risikoentscheidern - den key entrepreneurial risk takers - zugeordnet werden sollen. Darauf komme ich später zurück. Die Zuordnung von Funktionen und die daraus resultierende Zuordnung von Personen zu einer Betriebsstätte sind im Grundsatz einleuchtend.73 In einem dritten Schritt sollen nun der Betriebsstätte die für die Durchführung dieser Funktionen eingesetzten Wirtschaftsgüter (assets used) zugewiesen werden.74 Auch dies lässt sich durchführen, wenn man - mit der ganz überwiegend praktizierten, wenn auch in ihren Differenzierungen durchaus kontroversen, traditionellen Lehre - den Veranlassungszusammenhang zwischen einer bestimmten Unternehmerischen Tätigkeit und dem Erwerb und Einsatz von bestimmten
70
RFH, Urt. v. 29.10.1935- I A 76/35, RStBl. 1935, 1516- Nr. 1165.
71 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, 72 73 74
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Paris 2006, Tz. 89. EdgarjHolland, Tax Notes International2005, 525 (529). Zum Sonderproblem der "Zentralfunktion" des Stammhauses siehe Blumers, DB 2006, 856 (857 ff.). OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 21 und 101.
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Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und des Umlaufvermögens in den Blick nimmt.75 1.2
Zuordnung von Risiken
1.2.1 Zuordnung von Risiken nach dem authorised approachund nach dem Veranlassungsprinzip Mit dem Einsatz von Personen und Wirtschaftsgütern lässt sich nun eine hinreichende Grundlage dafür schaffen, ob und in welchem Umfang die mit dem Einsatz dieser Personen und Wirtschaftsgüter verbundenen Kosten - etwa für Gehaltszahlungen oder Abschreibungen der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Es ist aber noch keine hinreichende Aussage darüber vorhanden, ob und in welchem Umfang die aus einer bestimmten Tätigkeit resultierenden Gewinne der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Eine am Veranlassungsprinzip orientierte Prüfung würde in erster Linie auf die Einnahmenseite blicken und dabei prüfen, ob und in welchem Umfang die Funktion der Betriebsstätte für die jeweiligen Einnahmen ursächlich geworden ist. Aus dem Zusammenklang von Ertrag und Aufwand ließe sich dann der auf die Betriebsstätte entfallende Gewinn ermitteln. Hier geht der authorised approach einen wesentlichen Schritt weiter. Maßgeblich für die Zuordnung von Gewinnen sei in erster Linie, ob und in welchem Umfang die Betriebsstätte bestimmte geschäftliche Risiken übernommen habe76 und daher auch die entsprechenden geschäftlichen Chancen wahrnehmen und Gewinne beanspruchen dürfe. Diese deutliche Betonung der Risikoübernahme hat ihre gedankliche Grundlage in den Arbeiten der working party 6 zu den Finanzdienstleistungen77, sie hat vor diesem Hintergrund Eingang in das Diskussionspapier zu den Betriebsstätten im Allgemeinen gefunden. Mit der Übernahme von Risiken als Grundlage der Zuordnung von Geschäfts75 Andresen in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln
76 77
2006, Rz. 2.78 ff.; Maier in Löwenstein/Looks (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung, München 2003, Rz. 615 ff.; Nowotny, Betriebsstättengewinnermittlung, Wien 2004, S. 88 ff.; Rothin Gestreicher (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise, 2003, S. 163 ff., 174 ff. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 18, 24 und 97. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part II and III, Paris 2006.
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chancen ist gemeint, dass einer Betriebsstätte oder einem Stammhaus mögliche Vermögensverluste zugeordnet werden, denen entsprechende Chancen korrespondieren. Im Bankgeschäft geht es um die Zuordnung von Kreditrisiken, im Versicherungsgeschäft um den Eintritt von Schadensfällen. Im Produktions- und Handelsgeschäft geht es - neben besonderen Produkthaftungsrisiken - in erster Linie um das Absatzrisiko für Waren. Wie behandelt die klassische Linie die Zuordnung von Risiken und Chancen? Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in einem einheitlichen Unternehmen alle Risiken und Chancen bei dem Gesamtunternehmen liegen. Risiken werden daher nicht individuell zugeordnet, vielmehr werden schlicht die jeweiligen Aufwendungen dort alloziert, wo sie wirtschaftlich verursacht worden sind. Wassermeyer78 führt dies am Beispiel des Absatzrisikos aus: Wenn eine Ware im Stammhaus hergestellt und in eine Vertriebsbetriebsstätte ausgeliefert worden ist, wo sie trotz erheblicher Werbemaßnahmen sich als unverkäuflich erweist, so schlage sich das Unternehmerische Risiko jeweils für das Stammhaus und die Betriebsstätte darin nieder, dass die in ihrem Bereich anfallenden Aufwendungen - dem abgeschriebenen Herstellungsaufwand für das Stammhaus, dem nutzlosen Werbeaufwand für die Betriebsstätte - keine relevanten Einnahmen gegenüberstehen. Wenn demgegenüber Herstellungsaufwand und Werbeaufwand in eine geglückte Verkaufsstrategie einmünden, seine die entsprechenden Einnahmen nach Maßgabe der Veranlassungsanteile aufzuteilen. Dieser Ansatz hilft aber nicht weiter, weil er das Problem nur auf die Frage verlagert, welchem Unternehmensteil welche vorausgehenden (und später verlorenen) Aufwendungen zugeordnet werden sollen. Auch dies kommt nicht ohne Betrachtung von Risiken aus, wenn man nicht simplifizierend auf eine geographische Zuordnung der unmittelbaren Aufwandsrealisierung zurückgreifen will. Daher wird man der Betriebsstätte eines Handelsunternehmens, welche die tatsächlichen Ausgaben für den Wareneinkauf tätigt, nicht das gesamte Risiko aus der späteren Unverkäuflichkeit dieser Waren anlasten können, wenn die eigentlichen Ursachen in einer verfehlten Vertriebsstrategie des Stammhauses oder unzureichenden Werbemaßnahmen der für den Absatz bestimmten Betriebsstätten ihre Ursache haben.
78
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Wassermeyer, IStR 2005, 84 (87).
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Der authorised approach legt der Gewinnaufteilung die Annahme zugrunde, dass Risiken nicht notwendig das Gesamtunternehmen treffen, sondern gesondert einzelnen Betriebsstätten oder dem Stammhaus zugeordnet werden können. So könne eine Produktions-Betriebsstätte schlicht Auftragsfertigung für das Stammhaus tätigen - dann trägt es das Herstellungsrisiko, aber nicht das Absatzrisiko. Eine Vertriebsbetriebsstätte könne wie ein Eigenhändler oder wie ein Kommissionär tätig werden - je nachdem trifft sie das Risiko der Unverkäuflichkeit der Ware. Und auch im Hinblick auf die Betriebsstätte einer Bank oder einer Versicherung müsse überlegt werden, ob die Betriebsstätte als solche die mit ihrer Kreditvergabe oder Assekuranztätigkeit verbundenen Ausfall- oder Haftungsrisiken trägt oder ob sie letztlich nur als "verlängerter Arm" des Stammhauses die dort gefällten Risikoentscheidungen ausführt und daher in jedem Fall einen Gewinnanteil verlangen kann, der als ergebnisunabhängiges Entgelt für ihre Dienstleistungen bemessen werden muss. Eine solche Zuordnung von Risiken an einen bestimmten Unternehmensteil kann - so der autlwrised approach - nur dadurch nachvollzogen werden, dass die tatsächliche Übernahme der entsprechenden Risiken durch die maßgeblichen Entscheidungsträger festgestellt wird. Dieser Rekurs auf die relevanten Entscheidungsträger führt zu den bereits erwähnten key entrepreneurial risk taking functions, die von bestimmten Mitarbeitern - im Stammhaus oder in der Betriebsstätte wahrgenommen werden. Im Abschlussbericht spricht man - ohne wesentliche sachliche Änderungen - von significant people functions relevant to the assumption and I or management (subsequent to the transfer) of risks. Erneut wird deutlich, dass die Zuordnung von Personen zu den zentralen Anliegen des authorised approach gehört. 1.2.2 Problem der personalen Zuordnung von Risiken Dieser Vorschlag ist in doppelter Hinsicht überprüfungsbedürftig. In einem ersten Schritt muss überlegt werden, ob die Übernahme von Teilrisiken durch Teileinheiten des Gesamtübernehmens der wirtschaftlichen und juristischen Realität gerecht wird. Der bloße Umstand, dass das Gesamtunternehmen einen einheitlichen Rechtsträger bildet und daher Vermögensverluste oder Einnahmeausfälle immer das Unternehmen in seiner Gesamtheit treffen79, scheint mir dabei 79 Ditz, IStR 2002, 211 f.; Konrad, IStR 2003, 786 (786 f.).
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noch keine ausschlaggebende Rolle zu spielen, denn auch eine solche Einheitsbetrachtung kommt nicht um die geschilderte Notwendigkeit herum, Risiken zuzuordnen, z.B. die finanziellen Einbußen aus einer Produkthaftung dem Fabrikationsbetrieb, der Vertriebsorganisation oder der Entwicklungsabteilung anzulasten. Diese Zuordnung wird man bei klassischer Betrachtung nach dem Veranlassungsprinzip vornehmen und prüfen, ob die maßgebliche Pflichtverletzung in der Produktentwicklung, im Herstellungsvorgang oder im Vertrieb eingetreten ist.SO Bei Unternehmerischen Risiken ist eine solche Zuordnung nicht ganz so einfach, aber deshalb nicht ausgeschlossen. Wenn eine Betriebsstätte mit Überkapazitäten ausgestattet wird oder die Nachfrage verfehlende Konsumgüter herstellt, kann dies auf eine unternehmerische Fehlentscheidung vor Ort oder eine ungeschickte Produktstrategie der Firmenzentrale zurückzuführen sein. Insofern kann man die Einführung der key entrepreneurial risk taking function durchaus als Ausprägung des Veranlassungsprinzips verstehen, nämlich als das Unterfangen, die wirtschaftlichen Folgen bestimmter unternehmerischer Entscheidungen den dafür verantwortlichen Personen zuzurechnen. SI Die eigentliche Schwierigkeit liegt indessen darin, dass die personale Zuordnung von Entscheidungen innerhalb einer komplexen Organisation eine nahezu unlösbare Aufgabe darstellt82. Erneut zeigt sich nämlich, dass die im internationalen Steuerrecht erforderliche geographische Aufteilung nicht notwendig mit der organisatorischen Aufteilung von Funktionen innerhalb des Gesamtunternehmens korreliert. Dies gilt zunächst für die im Stammhaus ausgeübten Funktionen. Muss man Entscheidungen des Gesamtvorstandes dem Gesamtunternehmen zurechnen und Entscheidungen des für eine bestimmte Region zuständigen Vorstandsmitglieds den zu seinem Verantwortungsbereich gehörenden Betriebsstätten? Und was bedeutet die Zuordnung von Entscheidungsfunktionen an das Gesamtunternehmen - doch wohl nicht eine schlichte Allokation aller Risiken und Chancen an den Sitzstaat
SO 81 82
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Anderer Ansicht Wassermeyer, IStR 2005, 84. Pijl, European Taxation 2006, 29 (31). BennettjDunahoo, Intertax 2005, 51 (56 f.); Edgar/Holland, Tax Notes International2005, 525 (534 ff.).
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des Stammhauses, also an die "Geschäftsleitungs-Betriebsstätte"83, sondern möglicherweise eine gleichmäßige Verteilung auf sämtliche geographischen Untergliederungen des Einheitsunternehmens? In aller Regel reden wir übrigens über gestufte Entscheidungen - die regionale Geschäftsleitung schlägt eine bestimmte Strategie vor, die später von der Zentrale gebilligt wird oder die Zentrale gibt allgemeine Richtlinien vor, die in der örtlichen Betriebsstätte den Besonderheiten des regionalen Marktes angepasst werden. Dann wird man vielleicht sogar von einer Aufteilung der key entrepreneurial risk taking functions reden müssen. Das sachliche Problem der key entrepreneurial risk taking functions liegt daher weniger in der zutreffenden Annahme einer Verursachung von Risiken und Übernahme von Entscheidungen durch Personen in der Gesamtorganisation und auch nicht in der schlichten Notwendigkeit, diese Risiken den jeweiligen Unternehmerischen Einheiten zuzuordnen. Sie liegt in der schwindenden Möglichkeit, innerhalb komplexer, integrierter Organisationen derartige persönliche Entscheidungen geographisch zu lokalisieren.
1.2.3 Risikozuordnung bei Tochtergesellschaften Schaut man noch näher hin, muss man feststellen, dass die Identifikation von key entrepreneurial risk taking functions letztlich die Analogie zu den Tochtergesellschaften überreizt. Denn die Ermittlung des Gewinns einer selbständigen Tochtergesellschaft (und wir reden an dieser Stelle noch nicht über konzerninterne Schuldverhältnisse und deren Überprüfung) wird von der Frage nach der subjektiven Entscheidungsfreiheit ihrer Organe weitgehend nicht beeinflusst. Es ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit (und gerade Ausdruck einer Ablehnung der Organtheorie des Reichsfinanzhofs), dass die Gründung und Indienstnahme einer Tochtergesellschaft für Zwecke des Mutterunternehmens als solche nichts an der Selbständigkeit ihrer eigenen Gewinnermittlung und Gewinnzurechnung ändert. Wird eine Tochtergesellschaft mit einem fehlgeleiteten Betriebskonzept gegründet, so sind die eintretenden Verluste deren eigene Verluste und nicht Verluste der Oberge-
83 Zur Problematik der Verrechnung von Geschäftsführer-Leistungen siehe Haarmann in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung - Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 723 ff.
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sellschaft, auf deren Entscheidungen das unglückliche Engagement zurückgeht.S4 Die Organe der Tochtergesellschaft sind in ihrer Tätigkeit naturgemäß durch den Zweck und Gegenstand des ihnen zugewiesenen Unternehmens sowie durch den Umfang des Gesellschaftsvermögens beschränkt und daher in vielfacher Hinsicht von den Vorgaben der Zentrale abhängig. Sie müssen weiterhin - im deutschen GmbHRecht ist dies gesetzlich vorgesehen - Weisungen der Gesellschafter beachten und regelmäßig im Konzerninteresse handeln. Eine Konsequenz für den steuerlichen Gewinn hat dies nicht, solange die Grenzen zur verdeckten Gewinnausschüttung nicht überschritten werden. 1.2.4 Risikozuordnung und Äquivalenzprinzip bei der Betriebsstättenbesteuerung Schließlich kommt folgende Überlegung in den Blick: Die Aufteilung von Gewinnen im Konzern ist in erster Linie eine Aufteilung zwischen selbständigen juristischen Personen, die in ihren jeweiligen Sitzstaaten als selbständige Steuerpflichtige anerkannt werden. Es geht bei der Einkommenszuordnung daher zunächst um die Frage, welche Person welche Vermögensmehrung erfahren hat. Dies hat mit der geographischen Aufteilung eines Gewinns, wie er durch das Betriebsstättenprinzip erfordert wird, zunächst nichts zu tun. Vielmehr sind sowohl die Muttergesellschaft als auch die Tochtergesellschaft im Ausgangspunkt mit ihrem jeweiligen Welteinkommen steuerpflichtig.S5 Die steuerliche Zuordnung von Einkommen an Personen nach dem Welteinkommensprinzip richtet sich nun in erster Linie nach ihrem subjektiven Zuwachs an Vermögen und damit ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit. Demgegenüber ist im Verhältnis des Stammhauses zur Betriebsstätte darauf angelegt, nach Maßgabe des Äquivalenzprinzips eine
Zur Kritik an dieser Risikoverteilung im Internationalen Steuerrecht siehe Kane, Virginia Law Review 2006, 867. 85 Richard ]. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm' s-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, S. 133 ff., 142 ff. 84
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territoriale Aufteilung des Gesamtgewinns vorzunehmen86. Diese territoriale Zuordnung soll darauf Rücksicht nehmen, ob und in welchem Umfang der jeweilige Betriebsteil von den öffentlichen Gütern im Belegenheitsstaat profitiert, die dortige staatliche Infrastruktur in Anspruch nimmt, die lokalen Märkte zur Beschaffung und zum Absatz von Gütern nutzt. Für diese Fragestellung ist allerdings die Zuweisung von Ergebnissen und Verlustrisiken innerhalb eines Einheitsunternehmens ganz und gar irrelevant.87 Andernfalls könnte sich durch eine weitgehend fiktive Übernahme unternehmerischer Risiken von Seiten der Geschäftsleitungs-Betriebsstätte zugleich eine wesentliche Verlagerung von Besteuerungsgut ohne Rücksicht auf die territoriale Erwirtschaftung ergeben. Das Äquivalenzprinzip als wesentliche Grundlage der territorialen Steueraufteilung lässt sich daher mit der Zuordnung von Unternehmerischen Risiken an einzelne Unternehmensteile so gut wie nicht vereinbaren. Die Übernahme von Risiken und die Erzielung korrespondierender Mehrgewinne gehören in eine Welt personaler Zurechnung von Einkommen - im deutschen Steuerrecht spiegelt sich dies in den Konzepten der Gewinnerzielungsabsicht und des Unternehmerrisikos wieder, während die geographische Aufteilung eines Unternehmensergebnisses sich nach der Inanspruchnahme von Märkten und öffentlichen Gütern richtet. Vor diesem Hintergrund erscheint es unmöglich, eine sinnvolle geographische Abgrenzung zwischen Betriebsstättengewinn und Stammhausgewinn nach Maßgabe der jeweiligen Risikoübernahme durch einzelne Personen vorzunehmen. Dies entbindet allerdings nicht von der praktischen Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass die Risiken, welche das Gesamtunternehmen im Verhältnis zum Wirtschafts- und Rechtsverkehr trägt- z.B. das Absatzrisiko der Waren oder das Produkthaf-
86 Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 100 f.;
87
Richard J. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits und er Tax Treaties, 2003, S. 133 ff., 142 ff.; Vogel in Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrech, Verfassungsrecht, Finanzpolitik - Festschrift für Franz Klein, Köln 1994, S. 361 ff.; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), Einkommensteuergesetz, § 1 EStG Rz. A 160 ff.- Stand 2000. Zur fehlenden Korrelation zwischen Äquivalenzprinzip (benefit principle) und Risikoübernahme siehe ausführlich Kane, Virginia Law Review 2006, 867 (902 ff., 905).
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tungsrisiko für Herstellungsfehler - innerhalb des Gesamtunternehmens zutreffend alloziert werden. Für diesen territorialen Bezug wird man sich nach Maßgabe des Art. 5 OECD-MA an der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit- die Wahrnehmung einer bestimmten Unternehmensfunktion - auf dem Staatsgebiet des Betriebsstättenstaates oder des Stammhausstaates orientieren müssen. Postuliert man weiterhin eine einheitliche Risikostruktur für das Gesamtunternehmen, so muss man für jede Betriebsstätte - wenn das Gesamtunternehmen im Rechtsverkehr auf "eigene Rechnung" handelt - unterstellen, dass sie ihre konkrete Unternehmerische Funktion auf dem Territorium des Quellenstaates ebenfalls auf eigene Rechnung ausführt. Auf der Grundlage der "Selbständigkeitsfiktion" des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA wird man in einem weiteren Schritt fragen müssen, welche typische Risikostruktur der jeweiligen betrieblichen Funktion zukommt, wenn man sie als eigenständiges Unternehmen betrachtet. Mit anderen Worten: produziert das Gesamtunternehmen Waren auf eigene Rechnung, so muss dies auch für die eingesetzte Betriebsstätte unterstellt werden; sie kann nicht im Innnenverhältnis zum Stammhaus als bloßer Auftragsfertiger eingeordnet werden. Betreibt das Gesamtunternehmen jedoch Auftragsfertigung, schlägt diese Risikostruktur auch auf die jeweiligen Untereinheiten durch. Aus dem Zusammenspiel von einheitlicher Risikostruktur, territorialem Tätigkeitsbezug und Selbständigkeitsfiktion muss die Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten gefolgert werden. Eine besondere Zuordnung von Risiken und Chancen nach Maßgabe der Entscheidungszuständigkeit von Personen erscheint demgegenüber nicht angemessen. Ob und in welchem Umfang diese Risikozuweisung vertraglich modifiziert werden kann, ist eine Frage, die in einem zweiten Schritt geklärt werden muss.
2.
Zulässigkeil und Durchführung von Innentransaktionen
2.1
Tatbestand der Innentransaktion
Auf der Grundlage, dass allen unselbständigen Untergliederungen eines Unternehmens die jeweils ihren Funktionen folgenden Personen, Wirtschaftsgüter und Risiken zugeordnet werden müssen, kann nach Maßgabe des jeweiligen aus der Funktion folgenden Veranlassungszusammenhangs der Versuch einer Gewinnaufteilung unternommen werden.
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In einem zweiten Schritt ist jedoch zu prüfen, ob es zulässig ist, wenn für diese Personen, Wirtschaftsgüter und Risiken zwischen den einzelnen Einheiten des Gesamtunternehmens vertragsähnliche Vereinbarungen geschlossen werden.88 So kann die Tätigkeit von Personen einerseits unmittelbar der Betriebsstätte zugerechnet und der entsprechende Aufwand dort verbucht werden. Es erscheint aber auch vorstellbar, die Person dem Stammhaus oder einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen und ihre Tätigkeit für die Betriebsstätte als entgeltpflichtige Dienstleistung zwischen den Unternehmensteilen zu bezeichnen. Gleiches gilt für den Einsatz von Wirtschaftsgütern. Der authorised approach geht davon aus, dass Wirtschaftsgüter zwischen Unternehmensteilen bewegt und dabei unterschiedliche fiktive Rechtsbeziehungen hypostasiert werden können. So kann die Nutzung eines Wirtschaftsguts auf einem fiktiven Veräußerungsgeschäft zwischen den Betriebsteilen beruhen, sich als miet-oder pachtähnliches Verhältnis darstellen oder - bei gemeinsamer Nutzung - auf eine gesellschaftsähnlichen Kostenteilungsabrede zurückgeführt werden.89 Je nach Wahl der "Rechtsgrundlage" werden unterschiedliche Entgelte abgerechnet, die Abschreibungen zugeordnet und das Risiko des Sachverlustes alloziert. Mit einer solchen Fiktion von Leistungsverhältnissen innerhalb des Unternehmens verschiebt sich mittelbar auch die Zuordnung von Aufwendungen gegenüber außen stehenden Personen. Wenn die Nutzung eines Wirtschaftsguts durch eine Betriebsstätte auf einer Leistung des Stammhauses beruht - etwa einem fiktiven Leasingvertrag - dann müssen auch der Erwerb des Wirtschaftsgutes und die damit verbundenen Aufwendungen dem Stammhaus und nicht der Betriebsstätte zugeschlagen werden.90 Personalaufwand für abrechnungsfähige Dienstleistungen der Betriebsstätte an das Stammhaus ist ausschließlich der Betriebsstätte und nicht zusätzlich dem Stammhaus zuzuordnen. Vereinbaren die Teile eines grenzüberschreitend agierenden Unternehmens, dass die auswärtigen Betriebsstätten ihr Fremdkapital ausschließlich
88 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 41, 99 und 207; ausführliche Darstellung solcher Innentransaktionen bei Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin
2004, 5.361 ff. 89 Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 287 ff. 90 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 234.
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durch interne Darlehensvergaben von Seiten des Stammhauses beziehen, so müssen im Gegenzug alle Zinsaufwendungen gegenüber den Drittgläubigern des Gesamtunternehmens beim Stammhaus zum Abzug gebracht werden. Schließlich - und das ist für den authorised approach besonders prägend kann auch die Risikostruktur innerhalb des Unternehmens durch derartige Vereinbarungen verändert werden. Produktionsbetriebsstätten können auf eigene Rechnung agieren oder im Wege der Auftragsfertigung das Absatzrisiko bei anderen Unternehmensteilen anfallen lassen. Vertriebsniederlassungen können wie Eigenhändler oder wie Kommissionäre auftreten. Eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung kann als eigenständiges Profit-Center arbeiten und daher einen unternehmeTisehen Gewinn aus der Herstellung von Immaterialgütern ziehen, sie kann im fremden Auftrag gegen festes Entgelt Dienstleistungen erbringen und sie kann schließlich als gemeinsame Einrichtung mehrerer Betriebsteile nach Maßgabe eines cost contribution arrangement geführt werden. Das Scheitern der Entwicklungsarbeit bleibt im ersten Fall an der Betriebsstätte hängen, während in den beiden anderen Fällen der Auftraggeber oder die Gemeinschaft der Kostenträger die wirtschaftlichen Folgen des Fehlschlags zu tragen haben. Im deutschen Schrifttum wird dieser Anerkennung von Innentransaktionen häufig entgegengehalten, dass sie der zivilrechtliehen Realität von Einheitsunternehmen nicht gerecht würden.91 Vertragliche Verpflichtungen und Entgelte könnten nur dort Anerkennung finden, wo sie zwischen unterschiedlichen Rechtsträgern abgeschlossen würden. Dieser Rückzug auf eine zivilrechtliche Betrachtung reicht jedoch nicht aus, um die Anerkennung von Innentransaktionen a limine auszuschließen. Denn die Einheitlichkeit des Unternehmens wird aus der Sicht des Doppelbesteuerungsrechts gerade an den geographischen Grenzen zwischen den beteiligten Staaten aufgebrochen und es geht nur darum, die Beteiligung der jeweiligen Einheiten an dem Gesamtgewinn des Unternehmens korrekt an diesen geographischen Grenzen aufzuschlüsseln. Versteht man Innentransaktionen nicht als Ursache
91
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Bendlinger in Lang/Jirousek (Hrsg.), Festschrift für Helmut Loukota, 2005, S. 63 ff.; Raab in Löwenstein/Looks (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung, München 2003, Rz. 718; Wassermeyer, IStR 2004, 733 (735 ff.); Wassermeyer, IStR 2005, 84 (87); Wassermeyer, SWI 2006, 254 (255 f.); Wassermeyer in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 3.1 ff.
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für eine fiktive Erhöhung des Gesamtgewinns, sondern als Maßstab für eine sachgerechte Aufteilung des Gesamtgewinns, so lässt sich kein durchschlagender Einwand aus der fehlenden zivilrechtliehen Grundlegung gewinnen.92 Maßgeblich müssen vielmehr die Prinzipien des internationalen Steuerrechts sein. 2.2
Steuerpolitische Grundprobleme der Anerkennung von Innentransaktionen
2.2.1 Freiwilligkeit von Vereinbarungen Ausgehend von dem Verständnis der Betriebsstätte als separate entity akzeptiert der authorised approach die steuerliche Relevanz solcher Innentransaktionen im Grundsatz. Vorausgesetzt werden allerdings eine nachvollziehbare Dokumentation in den Büchern der beteiligten Unternehmensteile sowie eine wirtschaftliche Durchführung der jeweiligen Wertverschiebungen oder Risikoübernahmen.93 Er imitiert damit den Abschluss und Vollzug von Verträgen zwischen selbständigen, wenn auch verbundenen Unternehmen. Eine Grenze vermag der authorised approach erst dort zu erkennen, wo die einheitliche Schuldenhaftung und Kreditwürdigkeit in Rede steht: entgeltpflichtige Bürgschaften oder andere Kreditgarantien können unselbständige Unternehmensteile füreinander nicht gewähren.94 Das Diskussionspapier der OECD behandelt die Frage der Dokumentation und Durchführung von Innentransaktionen im Wesentlichen als ein Problem des Nachweises ihrer ökonomischen Realität. Hinzu tritt eine Angemessenheitsprüfung nach Maßgabe der Regeln über Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen.95 Damit wird das eigentliche Problem jedoch nur am Rande gestreift. Wichtiger ist die Grundfrage, ob es überhaupt möglich sein soll, die Zuordnung von Gewinnen zwischen Betriebsteilen von freiwilligen Erklärungen, Ver92
OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 210; Kroppen, IWB, International Gruppe 2, S. 734; Kroppen, IStR
2006,74. 93 94 95
OECO, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 36 und 210. OECO, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 36 und 130. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 80 und 220.
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einbarungen und Dokumentationen abhängig zu machen. Umgekehrt gefragt: Bedarf es überhaupt der Vereinbarung und Dokumentation einer solchen Innentransaktion, wenn die ökonomische Realität auf den Bestand eines solchen Leistungsverhältnisses hinweist oder steht es im Belieben des Unternehmens, einen bestimmten wirtschaftlichen Vorgang unterschiedlich abzurechnen. Im Verhältnis zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften ist eine solche Freiwilligkeit im Grundsatz zu akzeptieren. Eine Muttergesellschaft kann ihrer Tochtergesellschaft Liquidität als Eigenkapital zuführen oder einen verzinslichen Darlehensvertrag schließen. Wirtschaftsgüter können ad dominium als gesellschaftsrechtlicher Beitrag eingelegt oder entgeltlich veräußert werden. Diese freiwillig getroffenen Differenzierungen werden steuerlich im Ausgangspunkt akzeptiert. In der Frage der Gewinnabgrenzung zwischen unselbständigen Unternehmensteilen ergibt die Annahme einer solchen Freiwilligkeit jedoch keinen Sinn. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, Leistungsverhältnisseund Entgeltzahlungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzunehmen, aber es würde zu Manipulationen der zwischenstaatlichen Steueraufteilung führen, wenn die bloße Deklaration durch den Steuerpflichtigen über Sein und Nichtsein einer Innentransaktion entscheiden könnte. Schließt man sich dem OECD-approach an, muss man daher konsequent die wirtschaftliche Realität in den Vordergrund stellen und auch gegen die Dokumentation des Steuerpflichtigen entsprechende Leistungsverhältnisse feststellen können, wenn sie der ökonomischen Realität entsprechen. 2.2.2 Sachgerechte Zuordnung von Kosten Zu den positiven Konsequenzen einer Anerkennung von Innentransaktionen gehört die Möglichkeit, auf dem Wege von Entgeltzahlungen tatsächliche Wertverschiebungen abrechnen zu können, die zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten stattfinden. Beispielhaft sind Leistungen, die das Stammhaus an die Betriebsstätte aufgrund erheblicher Vorabinvestitionen erbringt, für die im Nachhinein keine sinnvolle Kostenaufteilung mehr möglich erscheint.96 Wenn im Stammhaus umfangreiche Investitionen in Verwaltungsstellen, Forschung und Entwicklung oder den Aufbau von Marken und anderen Schutzrechten stattgefunden haben, bevor im Ausland Betriebsstätten gegründet 96
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Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 169 ff.
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worden sind, bedarf es eines Mechanismus, der für die spätere Nutzung dieser Vorteile bei den Betriebsstätten einen sachgerechten Ausgleich ermöglicht. Dafür reicht die bloße verursachungsgerechte Aufteilung von Kosten nicht aus, denn diese kann nur den tatsächlich in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum gebuchten Aufwand erfassen. Künstlich erscheint auch eine Aufteilung von späteren Gewinnen nach Maßgabe der ursprünglichen Kostentragung, da deren Höhe nicht notwendig miteinander korreliert.97 Demgegenüber ermöglicht die Anerkennung von Leistungsverhältnissen über die Grenze eine solche Abrechnung. Die Vereinbarung von Innentransaktionen dient in diesen Fällen lediglich einer Dokumentation und Konkretisierung der wirtschaftlichen Verursachung von Kosten durch die einbezogenen Unternehmensteile. Dies gilt in erster Linie für Dienstleistungen von Personen und die Nutzung materieller und immaterieller Vermögensgegenstände, die im Stammhaus hergestellt oder erworben worden sind und nunmehr der Betriebsstätte zur Verfügung gestellt werden (oder vice versa). Innentransaktionen können und müssen daher akzeptiert werden, soweit sie darauf angelegt sind, reale Aufwendungen einzelner Betriebsteile sachgerecht gegenüber anderen Untereinheiten des Gesamtunternehmens anzulasten. Dies gilt beispielhaft für die Vereinbarung von Kostenumlagen für gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. 2.2.3 Gewinnzuschläge und Risikoübernahmen Eine über die bloße Kostenumlage hinausgehende Vereinbarung von Innentransaktionen wäre darauf gerichtet, Gewinnzuschläge zu vereinbaren und auf diese Weise dem leistenden Unternehmensteil einen höheren Anteil am Gesamtgewinn des Unternehmens zuzuweisen. Bei ökonomischer Betrachtung sind solche Gewinnzuschläge darauf gerichtet, das allgemeine Unternehmensrisiko des Leistenden abzugelten. Er trägt das Risiko der fehlenden Verwertbarkeit seiner Ressourcen (und der damit verbundenen Ressourcen) und kann im Gegenzug in einer Welt knapper Güter eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals sowie einen Residualgewinn beanspruchen. Zweifelhaft ist, ob solche Gewinnzuschläge auch im internationalen Einheitsunternehmen überzeugend begründet werden können.
97 Wassermeyer, IStR 2005, 84 (88).
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Dies hängt mit der weiteren Frage zusammen, ob die Übernahme von Risiken durch einzelne Betriebsteile Gegenstand "vertraglicher" Vereinbarungen innerhalb des Einzelunternehmens sein kann. Nach Auffassung des authorised approach ist eine solche privatautonome Zuordnung von Risiken innerhalb des Einheitsunternehmens möglich. Dabei korrespondiert dem Umfang des übernommenen Risikos auch die Höhe des zuzuweisenden Gewinns.98 Beispielhaft sei wiederum die Situation genannt, dass Produktionsleistungen im Wege der Auftragsfertigung oder für den eigenen Verkauf erbracht werden können, dass ein Vertrieb als Eigenhandel oder Kommissionsgeschäft durchgeführt werden kann oder dass Forschungsarbeit wie bei einem freiberuflichen Erfinder oder als bloße Serviceleistung vorgenommen wird. Die entscheidende Problematik liegt nun darin begründet, ob eine solche Übernahme von Risiken aus der Sicht der Gewinnaufteilungsregeln des internationalen Steuerrechts eine sinnvolle Rolle spielen kann. Dafür scheint zu sprechen, dass im Verhältnis zwischen selbständigen, wenn auch verbundenen Unternehmen derartige Gewinnzuschläge und Risikozuweisungen möglich sind und steuerlich anerkannt werden. Allerdings ist oben bereits ausführt worden, dass die Gewinnzuordnung an Betriebsstätten von Grundsätzen beherrscht wird, die im Ausgangspunkt nichts mit der Risikostruktur eines Unternehmens und der internen Zuordnung von Risiken zu tun haben. Vielmehr hat die geographische Aufteilung von Besteuerungsgut keinen sachlichen Zusammenhang mit der persönlichen Zurechnung von Einkommen im Sinne der Erträge einer riskanten wirtschaftlichen Tätigkeit. Dann ergibt es allerdings noch weniger Sinn, diese Risikozuweisung zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen zu machen. Dies würde die Manipulationsanfälligkeit der Gewinnaufteilung erhöhen. Es wäre mit dem Äquivalenzprinzip als Grundlage der Quellenstaatsbesteuerung nicht vereinbar. 2.2.4 Unterschiedliche Besteuerung von Eigen- und Fremdkapitalentgelten
Als problematisch erweist sich die Anerkennung von firmeninternen Transaktionen auch dann, wenn die Anerkennung von Leistungsverhältnissen dazu führt, dass der gewerbliche Gewinn, also der Ertrag des im Unternehmen investierten Eigenkapitals, im Rahmen des Leis98 Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004, S. 298 ff.
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tungsverhältnisses in ein Entgelt für Fremdkapital umqualifiziert wird. Auch dies erkennt der Bericht in gewissem Umfang an. Zwar soll es weiterhin Grundsätze zum "Dotationskapital" geben, doch können auf der Grundlage zentraler "Treasury-Funktionen" auch unternehmensinterne Darlehen gegeben werden.99 Mit der Anerkennung von Zinszahlungen für unternehmensinterne Darlehen an das Mutterunternehmen und mit der Anerkennung von Lizenzgebühren für die unternehmensinterne Nutzung von Immaterialgütern verschiebt sich die Qualifikation dieser Einkünfte. Aus unternehmerischem Gewinn werden Kapitalerträge oder Entgelte für Nutzungsüberlassung. Für die Zinsen steht in erster Linie dem Sitzstaat des Darlehensgläubigers das Besteuerungsrecht zu (Art. 11 OECD-MA); für die Einnahmen aus Lizenzgebühren gilt dasselbe (Art. 12 OECD-MA). Die Gewinnzuordnung verschiebt sich durch diese Aufspaltung zu Lasten des Betriebsstättenstaates. Nur dann, wenn dieser ein Quellenbesteuerungsrecht geltend machen oder Sonderregeln seines nationalen Rechts - etwa zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung - zur Anwendung bringen kann, verbleibt es trotz dieser Umqualifizierung bei einer Besteuerungshoheit des Quellenstaates. An einer solchen Quellenbesteuerung für fiktive Zinsen und Lizenzgebühren fehlt es jedoch in aller Regel in den zugrunde liegenden Doppelbesteuerungsabkommen.100 Eine Anzahl von Staaten hat auf die drohende Verlagerung von Besteuerungsgut zu ihren Lasten denn auch schon hingewiesen.l01 Eine solche Umqualifizierung von Eigenkapitalentgelten in Fremdkapitalentgelte lässt sich jedoch- anders als bei unternehmensinternen Dienstleistungen, Veräußerungsgeschäften oder Miet- und Pachtverträgen - nicht sinnvoll begründen. Denn die Zuordnung von Fremdkapitalerträgen an den Wohnsitzstaat geht davon aus, dass diese Erträge an einem weltweiten Kapitalmarkt erzielt werden, ohne dass eine volle Integration in die Wirtschaftsordnung eines bestimmten Quellen-
99 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Part I, Paris 2006, Tz. 186. 100 BakerjCollier, The Attribution of Profits to Permanent Establishments, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International, Band 91b, 2006 Amsterdam Congress, Amersfoort 2006, S. 21 ff., 46; Richard ]. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, S. 133 ff., 163 f. 101 Naumann/Rosenberg, IStR 2005, 617 (623).
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staates vorliegt. Mit Rücksicht auf die freie und weitgehend einheitliche Bildung eines Marktzinses am internationalen Kapitalmarkt bildet die Besteuerung im Wohnsitzstaat eine verzerrungsfreie Zuordnung des jeweiligen Besteuerungsguts. Anders müssen demgegenüber Finanzinvestitionen in die eigene Betriebsstätte beurteilt werden. Der Investition in eine Betriebsstätte liegt in keinem Fall eine dem allgemeinen Kapitalmarkt zuzurechnende Beziehung nach Art eines Darlehensverhältnisses zugrunde. Vielmehr ist das dort vom Stammhaus investierte Kapital gerade wegen der besonderen Ertragsaussichten im Betriebsstättenstaat dort angelegt und wird in Gemeinschaft mit den übrigen dem Unternehmen gehörenden Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte etc.) gezielt eingesetzt. Der Einsatz dieses Kapitals muss daher nach dem Quellenstaatsprinzip besteuert werden; andernfalls würde ein genuin unternehmerischer Gewinn durch fiktive Umqualifizierung aus dem Äquivalenzzusammenhang mit der Gesamtordnung des Betriebsstättenstaate gelöst. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die schlichte Qualifikation von Zinsen und Lizenzgebühren als Kapitalertrag, der nach dem Wohnsitzprinzip zu erfassen ist, immer dann problematisiert wird, wenn Darlehen und Immaterialgüter von ihrem Inhaber in einem selbst gesteuerten betrieblichen Zusammenhang eingesetzt werden und daher letztlich den Charakter von Betriebskapital annehmen. Beispiele sind die Situation der thin capitalisation sowie der Lizenzgebührenbesteuerung nach Maßgabe der commensurate with income-Regeln des US-Steuerrechts_102
IV. Schlusswort Der vorstehende Vortrag wird diejenigen enttäuscht haben, welche das Problem der Verselbständigung der Betriebsstätte in erster Linie mit zwei wichtigen Sachfragen in Verbindung bringen, die hier nicht behandelt wurden: der Aufdeckung stiller Reserven bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern über die Grenze und der Zuordnung von Eigenund Fremdkapital zwischen unselbständigen Unternehmensteilen. Bei-
102 Richard J. Vann, Reflections on Business Profits and the Arm's-Length Principle, in Arnold/Sasseville/ Zolt (Hrsg.), The Taxation of Business Profits under Tax Treaties, 2003, S. 133 ff., 141.
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de Fragestellungen sind letztlich Folgeprobleme der grundlegenden Weichenstellung, welche die Fiktion der Betriebsstätte als eines selbständigen Unternehmens im Rechts- und Wirtschaftsverkehr betrifft. Mir waren diejenigen Themen wichtiger, die für die Verteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Staaten aus der Annahme einer solchen Selbständigkeitsfiktion folgen. Hier zeigt sich, dass der separate entity approachnicht nur mit dem Maßstab der Risikoübernahme durch key entrepreneurial risk takers einen nicht sachgerechten und schwer feststellbaren Ausgangspunkt wählt; er erhöht die Manipulierbarkeit der Gewinnabgrenzung durch die hinzutretende Fiktion von Vereinbarungen. Diese können und müssen akzeptiert werden, soweit sie eine zutreffende Allokation von Kosten im Gesamtunternehmen konkretisieren; sie sollten allerdings nicht in der Lage sein, Gewinnchancen und Risikohaftung zwischen unselbständigen Unternehmensteilen zu verlagern.
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Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten Podiumsdiskussion
Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt
Prof. Dr. Dietmar Gosch
Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Harnburg
Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
Gert Müller-Gatermann
Manfred Naumann
Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Thomas Rödder
Prof. Dr. Wolfgang Schön
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn
Max-Planck-Ins ti tut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München
Prof Dr. Lüdicke
Herr Prof Dr. Schön, Sie haben es verstanden, die aktuellen Diskussionen in der OECD auf die Grundfragen zurückzuführen. In der Tat, wer hier nur etwas über Gewinnrealisierungstatbestände zu hören hoffte,
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
wird wahrscheinlich enttäuscht sein, aber wir behandeln das hier noch. Insofern haben Sie bitte ein bisschen Geduld. Ich bin sehr froh, dass Sie diese Grundfragen angesprochen haben. Sie zeigen nämlich, dass in der OECD seit einigen Jahren auf der Basis des bestehenden Musterabkommens gearbeitet wird - möglicherweise mit der Option, dieses Musterabkommen zu ändern. Dabei fragt man sich freilich, wie viele Jahrzehnte es dauern soll, bis die Änderung dann Eingang in die Abkommenspraxis findet, wenn man nicht mit einem Treaty Override arbeitet (da bietet sich aktuell ein § Süd Abs. lü EStG an, denn§ Süd Abs. 9 EStG ist jetzt besetztl). Herr Müller-Gatermann, ich habe mir an mehreren Punkten die Frage gestellt, wie steht denn Deutschland, wie steht die deutsche Bundesregierung dazu. Die Regierung ist in der OECD auch in den genannten Warking Parties repräsentiert und muss sich irgendwann fragen, ob sie das, was am Ende herauskommt, mitmacht. Wird es Vorbehalte zum Musterabkommen oder Bemerkungen zum Musterkommentar geben? Soll das umgesetzt werden? Wenn ja, wie? Prof Dr. Schön hat darauf hingewiesen, dass er gewisse praktische Probleme sieht. Müller-Gatermann
Ich glaube, der Vortrag hat gezeigt, wie komplex diese Thematik wirklich ist. Wie schon angesprochen wurde, wird in der OECD in zwei Warking Parties gearbeitet. Das eine hat Herr Prof Dr. Schön nur sehr kurz gestreift, nämlich die Frage der Voraussetzungen einer Betriebsstätte in der Warking Party 1. Dort, um es gleich vorweg zu sagen, wird eine Tendenz von den meisten Ländern verfolgt, die wir kritisch beobachten. Sie sagten auch, so glaube ich, dass die Voraussetzungen, sowohl was die Festigkeit der Einrichtung angeht als auch was das zeitliche Moment betrifft, von anderen Staaten tendenziell zurückgeführt werden. Vornehmlich sind das Quellenstaaten, die dies tun. Das hat natürlich auch eine negative administrative Bedeutung. Denn je häufiger, je schneller eine Betriebsstätte entsteht, umso schwieriger ist dann die ganze Gewinnermittlung. Deswegen ist also auch die deutsche Wirtschaft an dieser Stelle sehr kritisch. Sehr viel komplexer wird das Ganze in der Warking Party 6. Dort ist das Thema der Einkünftezurechnung angesiedelt. Hier verfolgt man
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In der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007.
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das Ziel eines Separate Entity Approach, wonach die Betriebsstätte der Tochtergesellschaft gleichgestellt werden soll. Hinsichtlich des Verfahrensablaufs ist ein sehr schwieriger Meinungsbildungsprozess zu erkennen, an dessen Ende nun ein Bericht zu den allgemeinen Grundsätzen dieser Zurechnung erscheinen wird. Zudem wird ein besonderer Bericht zu Banken und Handel erscheinen. Im neuen Jahr wird noch ein Bericht über Versicherungen veröffentlicht. In einem weiteren Akt wird dann der Kommentar vorsichtig in die Richtung eines Separate Entity Approach verändert, so dass alle Staaten damit leben können. Denn diese Dinge werden keineswegs alle im großen Einvernehmen diskutiert. Der letzte Schritt, den man sich vorstellt, ist der, dass man auch das Muster selbst umformuliert, so dass es die Voraussetzungen des Separate Entity Approach erfüllt, und danach den Kommentar entsprechend anpasst. Der Zwischenschritt, wonach man zunächst den Kommentar vorsichtig verändert, soll darauf hinauslaufen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen weiterarbeiten können. Aber in der Zukunft wird es dazu kommen, dass man auch Doppelbesteuerungsabkommen neu fassen muss. Dies betraf den Verfahrensweg. Fortzufahren ist mit den sehr schwierigen materiellen Fragen: Wir stehen in Deutschland den Überlegungen, die den Separate Entity Approach betreffen, in der Arbeitsgruppe 6 vorsichtig aufgeschlossen gegenüber. In der Tendenz erkennt man Dealings zwischen Betriebsstätte und Stammhaus an. Aber man ist sehr vorsichtig bei der Anerkennung von Nutzungsverhältnissen. Diese sollen nur ausnahmsweise berücksichtigt werden. Die Hauptschwierigkeit ist dabei, die Funktionen zu erkennen, die der Betriebsstätte im Unternehmen zugerechnet werden. Diese Funktionen müssen sich aus einer Dokumentation ergeben. In letzter Konsequenz könnten Dealings sogar zur Quellensteuer führen . Aber so weit wird man wohl nicht gehen. Gerade ist auch Herr Naumann zu uns gestoßen. Er hat die Aufgabe, Deutschland in der Arbeitsgruppe 6 zu vertreten, und vielleicht kann er im Zuge der weiteren Diskussion auch noch Details beitragen.
Prof Dr. Lüdicke Darf ich zur Klarstellung noch einmal nachfragen? Sie haben gesagt, wenn ich das richtig verstanden habe, dass man sich zunächst im Musterkommentar vorsichtig äußern will, so dass die Mitgliedstaaten in
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einer Übergangszeit damit arbeiten können. In einem zweiten Schritt soll dann das Musterabkommen und darauf aufbauend der Kommentar noch einmal geändert werden. Ist denn das, was in dieser Zwischenzeit passieren soll, sozusagen ein Minus, nur ein kleiner Teil der Ergebnisse, die man jetzt erarbeitet? Ich meine, es kann nicht beides gleichzeitig richtig sein: Entweder braucht man eine Rechtsänderung in den Abkommen, die durch eine Änderung des Musterabkommens vorgezeichnet wird, oder man braucht sie nicht. Müller-Gatermann
Man möchte den Kommentar so vorsichtig ändern, dass man das Muster damit auch nicht überinterpretiert Denn das zeigt der notwendige letzte Schritt, also die Vorstellung eines Separate Entity Approach, den im Augenblick das Muster noch nicht hergibt. Prof Dr. Schön
Gestatten Sie mir eine Nachfrage? Sie würden sagen, dass eine Grundsympathie für den Ansatz besteht? Und worauf gründet sich diese Grundsympathie? Müller-Gatermann
Diese Grundsympathie begründet sich darauf, dass man sich mit diesem Approach klare Zuordnungen verspricht, und das geht in der Tat in die Richtung, dass man die Betriebsstätte ähnlich wie eine Tochtergesellschaft behandeln möchte. Prof Dr. Lüdicke
Und soll die klare Zuordnung- das wäre nämlich meine zweite Frage an Sie gewesen - soll die aus der von Ihnen eben erwähnten Dokumentation kommen? Prof Dr. Schön hat gezeigt, dass es auf die Dokumentation nicht ankommen kann, sondern nur auf die Fakten. Müller-Gatermann
Nur in der Dokumentation werden die Fakten festgehalten.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Prof Dr. Lüdicke
Und wenn die Fakten nicht dokumentiert werden, sind sie dann anders? Oder darf Herr Prof Dr. Gosch sie dann doch von der 1. Instanz im Wege der Rückverweisung des Verfahrens so feststellen lassen, wie sie sich wirklich darstellen? Müller-Gatermann
Es geht konkret darum, welche Rolle die Betriebsstätte spielt, inwieweit sie eigenverantwortlich in irgendeinen Fertigungsprozess - Sie haben ein paar Beispiele genannt - eingebunden ist. Ein reiner Lohnfertiger erhielte deshalb auch nur einen Kostenaufschlag. Aber man kann sich natürlich auch sehr viel mehr Risikoanteil mit entsprechender Teilhabe am Gewinn vorstellen. Jedoch muss sich dann aus der Dokumentation ergeben, wie stark hier die Eigenverantwortung der Betriebsstätte ist. Prof Dr. Lüdicke
Eine Zwischenfrage aus dem Publikum von Prof Dr. Kaminski2. Prof Dr. Kaminski
Sehr geehrter Herr Müller-Gatermann, es ist vor einigen Wochen in IStR ein Beitrag von Herrn Ulrich Wolff erschienen.3 Er vertritt die Auffassung, dass im neuen Doppelbesteuerungsabkommen DeutschlandUSA, ratifiziert am 24. November, dieser Ansatz erstmals in der deutschen DBA-Politik umgesetzt wurde. Man kann sich darüber streiten, ob man diesen Inhalt herausliest oder nicht, aber es steht im Gegensatz zu dem, was Sie hier gesagt haben. Nun würde mich interessieren, wie das Podium zu dieser Aussage steht. Legen Sie das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-USA in seinerneuen Fassung jetzt im Sinne dieses Ansatzes aus? Da gibt es keine weitergehenden Änderungen hinsichtlich der Artikel zu Zinsen, Divi-
2 Prof Dr. Bert Kaminski, Universität Greifswald, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Rechnungs-, Revisions- sowie betriebliches Steuerwesen. 3 Vgl. Endres/Wolff Musterfälle zum revidierten deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2006, 721.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
denden und Lizenzen. Da wurden im Prinzip ein paar Quellensteuerregelungen geändert, aber nicht speziell auf diesen Ansatz hin. Die zweite Frage: Ist es eine vorsichtige Umsetzung, wenn die Probleme nicht geklärt sind und trotzdem erste Doppelbesteuerungsabkommen geändert werden? Müller-Gatermann
Vielleicht darf ich Herrn Naumann um Antwort bitten, der etwas näher dran ist. Prof Dr. Lüdicke
Ich begrüße einen weiteren Redner des heutigen Tages, Herrn Manfred Naumann aus dem BMF. Ich freue mich, dass Sie gerade rechtzeitig gekommen sind, um sozusagen aus erster Hand aus der Warking Party 6 und von den deutschen Umsetzungsüberlegungen zu berichten. Naumann
Ich bin ein etwas irritiert über diese Diskussion. Selbstverständlich haben die Amerikaner und wir auch im Hinblick auf die kommenden Änderungen bei der OECD, die das Musterabkommen betreffen, Interesse daran gehabt, dass die rechtlichen Entwicklungen, die sich dort abzeichnen, im Doppelbesteuerungsabkommen USA-Deutschland bereits im Vorfeld ansatzweise berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der OECD liegen partiell schon auf dem Tisch. Die Teile 1-3 sind vorhanden. Der Separate Entity Approach ist die Auffassung der OECD-Staaten und soll für die zukünftige Abkommenspraxis komplett umgesetzt werden. Von daher weiß ich nicht ganz genau, wo die Kritik an dem Doppelbesteuerungsabkommen USA-Deutschland jetzt eigentlich ihre Grundlage finden soll. Das Zweite, was ich gehört habe, ist, dass sich die OECD entschlossen hat, die Kommentierung zum derzeitigen Musterabkommen so zu ändern, dass alles, was an Fremdvergleich möglich ist, also nicht der derzeitigen Kommentierung widerspricht, in den Kommentar aufgenommen wird. Wie das konkret aussieht, darüber beraten die OECD-Mitgliedstaaten in einer ]oint-Drafting-Group. Das ist also noch nicht am Ende. Das wird Anfang nächsten Jahres vermutlich mit ersten Verlautbarungen seitens der OECD veröffentlicht. Die OECD möchte unter allen Umständen vermeiden, dass im OECD-Kommentar etwas steht,
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
was nicht den alten Abkommen entspricht. Insofern wird ein Schritt gemacht, so viel Fremdvergleichsgrundsatz wie möglich in die derzeit geltenden Abkommen zu bekommen, aber jeden Konflikt mit der bisherigen Auslegung durch den OECD-Musterkommentar tunliehst zu vermeiden. Und damit wären die alten Abkommen ordentlich und, wie ich hoffe, auch wenig streitig in der Praxis zu handhaben. Nun zur Zukunft. Die Zukunft wird sich an einem neuen Art. 7 OECDMA orientieren. Die Aufgabe, die die Joint-Drafting-Group insoweit hat, ist es, einen Art. 7 OECD-MA zu formulieren, der eine komplette Grundlage für die Umsetzung des Authorized Approach der OECD darstellt. Selbstverständlich geht die OECD davon aus - und ich denke auch mit gutem Grund -, dass sich in Zukunft alle Mitgliedstaaten, wenn sie neue Abkommen mit anderen Staaten abschließen oder vorhandene Abkommen revidieren, an dem neuen Art. 7 OECD-MA, der voraussichtlich Ende des Jahres 2007, vielleicht Anfang des Jahres 2008 in das Musterabkommen aufgenommen werden wird, orientieren, so dass dann an der Stelle eine klare Unterscheidung existiert: Soweit ich ein altes Abkommen habe, habe ich nur eine begrenzte Anwendbarkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes, soweit ich neue Abkommen habe, die eben im Anschluss an das geänderte Musterabkommen abgeschlossen wurden, habe ich den Fremdvergleichsgrundsatz in vollem Umfang auf Betriebsstätten anzuwenden. Die OECD hat lange genug gerungen, wie man das macht und wie man eine Lösung findet, die gravierende Rechtsunsicherheiten vermeidet. Denn es wäre sicher eine ausgesprochen problematische Position gewesen zu sagen, der Fremdvergleichsgrundsatz, so wie er im Authorized Approach drinsteht, kann auch für alte Abkommen ohne Weiteres angewendet werden. Das hätte sicherlich zu Problemen mit den Gerichten, und ich denke auch zu Recht, führen können. Deswegen bedarf es eines klaren Schnittes, wie er hier gerade angesprochen wurde. Diesen hat die OECD sozusagen vorgezeichnet, und es ist für jeden Mitgliedstaat möglich, denselben entsprechend zu ziehen. Prof Dr. Lüdicke
Herr Prof Dr. Gosch, angesprochen worden ist, dass durch den neuen Kommentar nicht in die alten Abkommen eingegriffen werden soll. Ist das so unproblematisch, wenn jetzt im Kommentar sozusagen die Grenzen ausgetestet werden und wir hier konkret über die Anwendung eines alten deutschen Abkommens reden?
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Prof Dr. Gosch
Ja, sicherlich. Wir müssen hier schon aus meiner Sicht deutlich die Ebenen auseinander halten. Es gibt drei Ebenen. Zunächst in erster Linie diejenige, die Sie, Herr Prof Dr. Schön, angesprochen haben, nämlich die abkommensrechtliche Ebene. Diese wurde jetzt auch von Herrn Naumann und Herrn Müller-Gatermann angesprochen. Es gibt zweitens noch die Ebene des Europarechts, die ich gleich noch einmal ganz kurz streifen will, und es gibt drittens die Ebene des nationalen Rechts. Diese Ebenen können sich miteinander verschränken, das ist gewiss. Dennoch sind sie zu trennen. In Deutschland wenden wir deutsches, nationales Recht an und nicht OECD-interne Verständigungen. Wir legen der Rechtserkenntnis auch keinen OECD-Musterkommentar zugrunde. Der Musterkommentar dient zwar als eine wichtige Auslegungshilfe, die uns hilft, Abkommenstexte und Abkommensregelungen zu verstehen, wobei sich hierbei aber immer auch die Frage stellt, ob der Kommentar dynamisch oder - was wohl allein richtig ist - nur statisch zu verstehen ist, also in welcher Weise aktuelle Änderungen des Musterkommentars auf die eigentliche Regelungsauslegung durchschlagen. Jedenfalls wenden wir nicht unmittelbar Musterkommentare an. Darin kann stehen, was darin stehen will - es handelt sich immer nur um eine Meinungsäußerung der beteiligten Fisci, anzuwenden ist nur und ausschließlich das einschlägige nationale Recht. Vor diesem Hintergrund können sich aus meiner Sicht in Einklang mit der besagten Ebene des OECD-Musterabkommens und der danach abgeschlossenen Abkommen die Parameter der Veranlassungsprüfung, die wir vornehmen, um die Gewinnermittlung vorzunehmen und auf dieser Basis die Gewinnaufteilung zu bewerkstelligen, möglicherweise ändern. Bisher urteilen wir danach, welche Wertschöpfungsanteile auf die Betriebsstätte und welche auf das Stammhaus entfallen. An dieser Stelle kann man möglicherweise Änderungen anbringen und statt auf die Wertschöpfungsanteile auf die Chancen oder die Risiken abheben. Das wäre aus meiner Sicht denkbar. Ob das allerdings dann auf nationaler Ebene nach gegenwärtiger Rechtslage ohne Änderung unserer Vorschriften auch dazu führt, Dealings oder Innentransaktionen jedwelcher Art zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzuerkennen, da habe ich doch größte Bedenken. Dafür sehe ich derzeit keine Grundlage.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Prof Dr. Schön
Das sind Dinge, die ich wegen der knappen Zeit nicht habe vortragen können. Zunächst einmal: das OECD-Musterabkommen ist an sich nicht deutsches Recht, aber die abgeschlossenen Abkommen sind es. Prof Dr. Gosch
Ja gut, die abgeschlossenen, die eine entsprechende Regelung jedenfalls nach gegenwärtigem Stand der Dinge zumeist aber nicht enthalten. Prof Dr. Schön
Herr Prof Dr. Gosch, das ist aber ein wichtiger Punkt. Prof Dr. Gosch
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Prof Dr. Schön
Nach § 2 AO gehen die Abkommen auch anderen Regeln vor. Ich würde sagen, die Gewinnabgrenzungsfunktion, die darin steckt, ist auch insoweit self-executing. Also es geht dabei darum, die Gewinne, soweit sie auf das Stammhaus und die Betriebsstätte entfallen, sachgerecht zuzuordnen. Wenn das durch ein formelles deutsches Gesetz, nämlich das Umsetzungsgesetz zu einem bestimmten, dem Musterabkommen entsprechenden bilateralen Abkommen, geschieht, ist das auch von Ihrem Senat zu beachten. Dann können Sie nicht sagen, das ist eine Empfehlung, über die ich einmal im Rahmen des Veranlassungsprinzips nachdenke. Das Problem sind die Fälle der Gewinnerhöhung, das heißt die Gewinnrealisierung, wenn sich der Gesamtgewinn plötzlich erhöht. Dafür gibt es in der Tat keine Grundlage, und da kann auch das Doppelbesteuerungsabkommen nicht die §§ 4 ff. EStG verändern. Aber die Unterscheidung wäre mir schon wichtig, bei aller Kritik, die ich am Separate Entity Approach habe. Herr Naumann hat sich sicher schon vorher meine Reaktion denken können. Deswegen möchte ich sagen, dass man es sich in diesem Punkt zu leicht macht. Ich würde sagen, wenn Herr Naumann jetzt so fortfährt, wie er es tut, dann macht er Doppelbesteuerungsabkommen, die einen neuen Artikel 7 enthalten und die-
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
ser Artikel 7 sieht dies und das vor, was dann natürlich bei der Gewinnabgrenzung zu beachten und nicht nur eine Empfehlung wäre, sich im Rahmen der §§ 4 ff. EStG etwas zu überlegen. Prof Dr. Gosch
Das deckt sich aber nicht mit dem bisherigen Verständnis des Art. 7 OECD-MA. Art. 7 Abs. 2-6 OECD-MA wird ganz allgemein und zu Recht nur als abkommensrechtliche Erlaubnis- und Schrankennorm verstanden. Sie bedarf der Auffüllung durch nationales Recht. Und hier gilt der allgemeine Veranlassungsgedanke. Das betrifft die Gewinnermittlung ebenso wie die Gewinnabgrenzung, die im "Idealfall" sowieso übereinstimmen. Das halte ich auch für richtig. Prof Dr. Schön
Die herrschende Meinung im Schrifttum sieht diesen Teil, also die Gewinnabgrenzung, nicht die Gewinnerhöhung, als self-executing an. Ich würde auch sagen, von der Teleologie der Norm muss es doch so sein. Ich kann es mir gar nicht anders vorstellen. Bernhardt
Ich würde gerne noch einmal auf den Boden der Fakten zurückkommen und anknüpfen an das, was Herr Prof Dr. Schön vorgetragen hat, nämlich zwei Punkte: einmal die Zuordnung von Risiken und zum anderen die Innentransaktionen. Es ist interessant zu sehen, was in Unternehmen aus ganz anderen Gesichtspunkten heraus abläuft, also nicht gezielt mit der Frage verbunden ist, wie ich Betriebsstättenergebnisse ermittele und wie ich dort abgrenze. Aus rein betriebswirtschaftliehen Überlegungen gibt es Bereiche, die sich damit beschäftigen, intensiv Risk Management zu betreiben. Einzelne Prozesse des Unternehmensalltages werden sehr feinsinnig analysiert, zerlegt und dargestellt. Mittlerweile gibt es dafür auch IT-Unterstützung. Da wird sich Herr Naumann natürlich freuen, weil das Anknüpfungspunkte für die Dokumentationen sein werden. Wir kommen später noch einmal auf das Thema zurück. Das ist der eine Punkt. Den anderen bilden die sehr umfangreichen Leistungsverrechnungen, die in Unternehmen stattfinden, und zwar nicht nur zwischen schon existierenden Betriebsstätten und Stammhaus sowie Tochtergesell-
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
schaften und Muttergesellschaft oder auf der Ebene zwischen Tochtergesellschaften, sondern auch innerhalb legaler Einheiten, einfach mit dem Ziel, konkret Leistungsmessung zu betreiben, was letztlich auch in zivilrechtliche Vereinbarungen einmünden kann. Wenn man diese Dinge betrachtet, dann kann man deutlich sehen, dass Innentransaktionen und Risikozuordnungen durchaus Maßstäbe sein können, weil sie in der Unternehmenspraxis auch vorkommen. Ich sehe daher eher die Gefahr, dass man aus betriebswirtschaftliehen Steuerungsüberlegungen vielleicht hier und da schneller und ungewollter in einer Betriebsstätte landet als die Steuerabteilung das gerne sehen würde, weil natürlich diejenigen, die sich mit diesen Bereichen beschäftigen, nicht an die steuerrechtliehen Folgen denken. Prof Dr. Rödder
Herr Naumann, noch eine konkretisierende Frage zum Verständnis der Bundesregierung zum Separate Entity Approach. Heißt das nach Ihrer Vorstellung, dass Stammhaus und Betriebsstätte ab dem Jahr 2008 Darlehensbeziehungen miteinander vereinbaren können? Hat sich das Thema Dotationskapital für Betriebsstätten dann erledigt? Naumann
Die OECD hat sich dazu entschlossen, Stammhaus und Betriebsstätte möglichst gleichzustellen mit Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Ausgangsüberlegung die war, die Herr Bernhardt angesprochen hat, dass eben in vielen Unternehmen tatsächlich zwischen Betriebsstätten und Stammhaus entsprechend verfahren wird. Im Übrigen haben das auch alle Wirtschaftsvertreter bei der OECD (BIAC) unterstützt. Die Working Party 6 der OECD bearbeitet den Bereich der Betriebsstätten, in dem nach wie vor gewisse Grenzziehungen vorgenommen werden müssen, denn eine vollständige Gleichstellung von Stammhaus und Betriebsstätte mit Tochtergesellschaft und Muttergesellschaft ist nicht möglich. Die Rechtsgestaltungen sind einfach zu unterschiedlich. Der Ansatz der OECD ist so zu verstehen, dass die Annäherung so weit wie möglich vorgenommen wird, so weit also, wie die Vertragsstaaten meinen, dass in ihren gegenseitigen Beziehungen eine Annäherung möglich ist, ohne dass es zu permanenten Konflikten kommt.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Jetzt komme ich zu der konkreten Frage mit den Darlehensbeziehungen: Darlehensbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind grundsätzlich möglich. Aber sie sind nicht beliebig möglich, nicht wie zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Sie sind nur dann möglich - und das ist der entscheidende Punkt, sonst braucht man sich über den OECD-Ansatz nicht weiter zu unterhalten -, wenn die funktionale Struktur bei Stammhaus und Betriebsstätte- bei Personal etwa, das bestimmte Aufgaben in Stammhaus und Betriebsstätte erledigt Anlass dafür gibt, eine solche Geschäftsbeziehung anzunehmen. Die OECD hat die Antwort insofern konkretisiert, dass solche Darlehensbeziehungen immer dann möglich sind, wenn entweder das Stammhaus oder die Betriebsstätte eine sog. Treasury-Funktion für das Gesamtunternehmen ausübt. Das ist der Fall, wenn eine Poolungsfunktion wahrgenommen wird, wenn also z.B. Liquidität, die bei der Betriebsstätte aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit entstanden ist, von jemandem im Stammhaus verwaltet und das Geld angelegt wird. Wenn solche funktionalen Unterscheidungen erkennbar sind, geht die OECD davon aus, dass die Annahme von Darlehensbeziehungen möglich ist. Ansonsten bleibt es selbstverständlich dabei, dass eine fremdvergleichskonforme Dotation, nach deutscher Auffassung vorzugsweise nach der Kapitalaufteilungsmethode, vorzunehmen ist und dass ansonsten Darlehensbeziehungen des Gesamtunternehmens partiell der Betriebsstätte zugeordnet werden. Für bestimmte Spezialfälle, in denen solche Treasury-Funktionen ausgeübt werden, sind nach den Diskussionen bei der OECD Darlehensbeziehungen denkbar. Prof Dr. Rödder Ich muss gestehen, ganz habe ich den Punkt mit der Treasury-Funktion noch nicht erfasst. Ich habe jedenfalls aufgenommen, dass es zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nur einen stark modifizierten Fremdvergleich geben soll. Naumann Leicht. Prof Dr. Rödder Nach dem, was Sie berichtet haben, würde ich das als stark modifiziert betrachten, weil es nur in Ausnahmefällen Darlehensbeziehungen gibt.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Im Übrigen hätte ich auch einen sehr großen Wertungswiderspruch gesehen zu dem, was wir im Moment als Planung zur Unternehmenssteuerreform 2008 haben. Die diskutierte Zinsschranke im Konzern mit Escape-Clause ist letztlich die Kapitalspiegelmethode. Damit löst man sich ganz bewusst bei Kapitalgesellschaften für die Finanzierungskostenabzugsfrage vom Fremdvergleichsgrundsatz, wenn wir einen Konzern, eine wirtschaftliche Einheit haben. Es wäre schon paradox, wenn man nun im Fall einer rechtlichen Einheit (Stammhaus und Betriebsstätte) für die Finanzierungskostenabzugsfrage auf einmal auf den Fremdvergleich gehen würde und gleichzeitig für konzernverbundene Unternehmen den Fremdvergleich jedenfalls für die Finanzierungskostenabzugsfrage im wirtschaftlichen Ergebnis aufheben würde.
Prof Dr. Schön Vielleicht, Herr Prof Dr. Rödder. Ich würde gerne - bevor Sie sprechen, Herr Naumann - noch etwas ergänzen. Das, was der Reichsfinanzhof 1937 gesagt hat über die Abzugsfähigkeitvon Zinsen der deutschen Tochter an die holländische Mutter, ist im Grunde wortwörtlich das, was heute zur Begründung der Zinsschranke gesagt wird. Da wird im Inland Steuergut erwirtschaftet. Das soll jetzt nicht durch Zinsen ins Ausland gehen. Wir erleben - da stimme ich Herrn Prof Dr. Rödder ganz zu - auf der einen Seite die Aussage der Bundesregierung im Rahmen der Unternehmenssteuerreform: "Das wollen wir alles nicht." Und jetzt werden an dieser Stelle plötzlich, und zwar ohne Quellensteuerberechtigung, weil das nur fiktive Zinsen sind, den Gestaltungengroße Tore geöffnet. Dass die Unternehmen in der BIAC dafür waren, kann ich mir allerdings auch gut vorstellen.
Naumann Über die "großen Gestaltungsmöglichkeiten" müsste man sich vielleicht wirklich noch etwas länger unterhalten. Da wäre ich natürlich auch interessiert, von Ihnen zu erfahren, was Sie gerne machen möchten. Ansonsten muss ich sagen, dass ich es für wirklich absolut verwirrend halte, wenn man Verhältnisse zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft platt auf Betriebsstätten überträgt. Sie haben wirklich einen rechtlich nicht wegzudiskutierenden Unterschied, nämlich dass Sie im
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
einen Fall Vertragsbeziehungen haben und im anderen definitiv nicht. Da können Sie dokumentieren, was Sie möchten, zu einer Vertragsbeziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kommt man nicht. Deswegen hat die Frage der Zinsschranke usw. mit dem Fremdvergleichsgrundsatz überhaupt nichts zu tun, weil die entsprechende Prüfung an einer anderen Stelle stattfindet. Für das Verhältnis zwischen selbständigen Unternehmen ist zunächst zu beantworten, ob die Zinsen fremdvergleichskonform zwischen den beiden Unternehmen vereinbart sind. Das ist die erste Frage. Wenn Sie die gelöst haben, dann können Sie immer noch an die Zinsschranke kommen, so wie es die Bundesregierung in der Unternehmenssteuerreform 2008 machen möchte. Dagegen haben Sie bei Betriebsstätten überhaupt keinen Vertrag. Sie haben kein formelles Darlehensverhältnis. Da baut sich die Passivseite der Betriebsstätte dadurch auf, dass Sie dort zunächst einmal das angemessene Dotationskapital ausweisen, dass Sie sodann zuweisen, was an Fremdkapital des Gesamtunternehmens der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Und damit haben Sie die Passivseite dargestellt, es sei denn, Sie müssen über Treasury-Funktionen in irgendeiner Form, spezielle Funktionen des Stammhauses, wenn dort derjenige sitzt, der die Verwaltung für das entsprechende Kapital übernimmt, nachvollziehen. Aber die beiden Problemkreise in Verschränkung zu diskutieren, ohne jedes Mal darauf hinzuweisen, dass die vertragliche Situation wirklich grundlegend und völlig anders ist, das führt, so glaube ich, nicht dazu, dass man zu einer klaren Diskussion kommt. Prof Dr. Lüdicke
Aber andererseits, wenn man sieht, was die OECD zu den so genannten Dealings sagt - das sollen bekanntlich vertragsähnliche Beziehungen sein -, dann scheint da schon die Vorstellung zu herrschen, dass man die vertraglich natürlich nicht möglichen Vereinbarungen durch eben diese Dealings in gewissem Maße ersetzt. Und ein letzter Punkt: ich könnte mir vorstellen, dass man, wenn es der Steuerersparnis dient, auch einen Treasurer beschäftigen könnte. Wo da genau das Problem in der Praxis liegen soll, erschließt sich mir jetzt auf Anhieb noch nicht.
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Müller-Gatermann
In der Tat ist das eine interessante Diskussion, aber ich möchte auch von mir aus versuchen, in diesen vermeintlichen Gegensatz etwas Ordnung zu bringen. Es ist ohne Frage ein vernünftiges Anliegen des Gesetzgebers, eine Begrenzung der Fremdfinanzierung steuerlich zu regeln. Ob das wie bisher in § 8a KStG oder in einer neuen Regelung der Zinsschranke geschieht, muss man noch abwarten. Die Diskussion ist an dieser Stelle sehr schwierig. Hier in der Diskussion über die Betriebsstättenbesteuerung geht es um die Zuordnung von Gewinnen. Sich dieser Frage zu nähern, indem man so weit wie möglich versucht, die Betriebsstätte der Tochtergesellschaft anzunähern, ist ein mögliches Denkmodell. Der deutsche Fiskus kann natürlich kein Interesse daran haben, dass auf diesem Wege irgendwelche Erträge ins Ausland verschoben werden. Herr Naumann und ich sind deshalb dankbar für die Hinweise, damit das angedachte Konzept nicht zu Missbräuchen benutzt wird. Prof Dr. Schön
Wir reden jetzt seit Jahren und Jahrzehnten darüber, dass wir, wenn es deutsche Tochtergesellschaften mit Auslandsmüttern gibt, ein Problem damit haben, wenn über Fremdfinanzierung - sei es im Rahmen des § 8a KStG, sei es im Rahmen von Back-to-Back-Finanzierung, sei es im Rahmen von Lizenzgebühren, was auch immer - eine Gewinnabsaugung erfolgt. Die Betriebsstätte war eigentlich immer der Rocher de Bronze, über dessen Ergebnis man immer sagen konnte, das ist nun wirklich im Inland erwirtschafteter gewerblicher Gewinn. Da passiert uns dann so schnell nichts. Und jetzt ist ganz klar, dass die Umwandlung in eine Betriebsstätte dazu führt, dass ich § 8a KStG nicht habe, die Zinsschranke nicht habe, weil Herr Naumann mir sagt, dass das kein echter Zins ist, ich auch keine Quellensteuern habe, ich aber über einen Treasurer, den ich in Dublin beschäftige, große Anteile des Gewinns als fiktiven Zins rauslotsen kann. Ich will es einmal so sagen: Politik kann man so und so betreiben, aber was mir dabei ein bisschen fehlt, ist eine gemeinsame Linie. Denn wenn das bei der Betriebsstätte so geht, warum machen wir dann die ganzen anderen Sachen überhaupt noch?
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Podiumsdiskussion: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten
Prof Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, vielen Dank für den Applaus. Ich nehme das als den Applaus für alle Redner des Vormittags, die heute Nachmittag nicht mehr hier auf dem Podium sitzen werden, allerdings auch für die Diskutanten.
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Entstrickung und Verstrickung -Neue Grundsätze nach dem SEStEG-
Dr. Christian Kaeser Rechtsanwalt, Siemens AG, München
Inhaltsübersicht I. Einleitung
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II. Begriffe der Verstrickung und Entstrickung ............. 132 1. Veränderung in der persönlichen Steuerpflicht ..... 133 2. Veränderung in der sachlichen Steuerpflicht ........... 134 III. Sachliche Rechtfertigung einer Entstrickungsbesteuerung und der Verstrickungsfolgen ........ 137 IV. Gemeinschaftsrechtliche Leitplanken einer Entstrickungsbesteuerung
140
V. Abkommensrechtliche Rahmenbedingungen - die Entstrickung und Verstrickung bei der Überführung in eine Betriebsstätte .................... 141
I.
1. Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte als Entstrickung ... ... .. .. .. ................ 142 2. Überführung als Entnahme 143 3. Finaler Entnahmebegriff und Verwaltungspraxis ... 145 VI. Regelungen des SEStEG zur Entstrickung und Verstrickung 1. Grundtatbestand der Entstrickung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ... ... .. ................ 146 2. Spezielle Entstrickungstatbestände ........................ 153 3. Grundtatbestand der Verstrickung in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG ........................ 153 VII. Schlussbemerkung .......... 154
Einleitung
Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war, mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (im folgenden "SEStEG")1 die Entstrickungsregelungen systematisch zusammenzufassen, fortzuentwickeln und im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht allgemeine und spezifische Entstrickungstatbestände zu etablieren.2 Dadurch soll es stets zu einer Besteuerung stiller Reserven kommen, wenn ein Rechtsträgerwechsel stattfindet (gleich ob durch Einzeloder Gesamtrechtsnachfolge), Betriebsvermögen betriebsfremden Zwecken zugeführt wird, die Steuerpflicht endet oder Wirtschaftsgüter nicht mehr dem deutschen Besteuerungszugriff unterliegen. Umgekehrt wird auch der Fall der Verstrickung von Wirtschaftsgütern erstmals grundsätzlich geregelt. Durch den vom Bundestag dem Bundesrat zur Entscheidung vorgelegten Gesetzentwurf, insbesondere durch die neuen Grundsätze zur Entstrickung, wäre es insofern zu einer deutlichen Verschärfung gegenüber der bisherigen Praxis gekommen.3 Es war diese Verschärfung, die den Bundesrat letztlich dazu bewegte, mit Beschluss vom 22.9.2006 zu einigen Punkten, darunter auch der Entstrickung, im Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen und den Bundestag um die Überarbeitung des Gesetzentwurf auf der Basis bestimmter Eckpunkte zu bitten.4 Dabei spielten vor allem gemeinschaftsrechtliche Bedenken eine entscheidende Rolle. Auch wenn einige Bedenken des Bundesrats zu einer Entschärfung der letztendlich in Kraft getretenen Neuregelung dieses Themenkomplexes geführt haben, so wirft insbesondere der Entstrickungstatbestand eine Reihe von Zweifelsfragen zu Lasten des Steuerpflichtigen auf.
II.
Begriffe der Verstrickung und Entstrickung
Die Begriffe der Verstrickung und Entstrickung haben sich im steuerlichen Sprachgebrauch etabliert, auch wenn bislang weder in geltenden Steuergesetzen noch im SEStEG explizit von der Verstrickung und Entstrickung die Rede ist.
1 Vom 12.12.2006, BGBL I 2006, 2782; Berichtigung, BGBL I 2007, 68. 2 Begründung zum Regierungsentwurf des SEStEG BR-Drucks. 542/06, S. 38 f. 3 Verglichen mit der Behandlung der Entstrickung auf der Basis des Betriebsstättenerlasses des BMF, Sehr. v. 24.12.1999- IV B 4- S 1300- 111/99, BStBl. I 1999,
1076. 4 Beschluss vom 22.9.2006, BR-Drucks. 542/06.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Unter "Entstrickung" versteht man einen Vorgang, durch den stille Reserven eines Wirtschaftsgutes, die dem Zugriff des deutschen Fiskus unterliegen, dieser Besteuerung entzogen werden.5 Umgekehrt bezeichnet die "Verstrickung" einen genau entgegengesetzten Vorgang: stille Reserven, die bislang nicht der deutschen Besteuerung unterlagen, unterfallen nunmehr der deutschen Besteuerungshoheit. 6 Entscheidendes Merkmal beider Vorgänge ist demnach ein Wechsel des Rechts auf steuerlichen Zugriff. Entweder besteht dieses bereits und fällt nun weg, oder es ist noch nicht existent und wird erstmals begründet. Die verschiedenen denkbaren Entstrickungs- bzw. Verstrickungsvorgänge lassen sich somit aus den Tatbestandsmerkmalen ableiten, die das deutsche Besteuerungsrecht eröffnen. In einigen Fällen besteht bereits eine gesetzliche Regelung der Konsequenzen einer Entstrickung oder Verstrickung, in anderen Fällen fehlt eine solche bzw. es sind nur Verwaltungsregelungen oder allgemeine Grundsätze entwickelt worden.
1.
Veränderung in der persönlichen Steuerpflicht
So kann der Wegfall der persönlichen Steuerpflicht i.S.d. § 1 EStG durch Aufgabe des Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts zur Entstrickung von dem steuerlichen Zugriff unterliegenden Wirtschaftsgütern führen, sofern nicht wiederum ein Doppelbesteuerungsabkommen die deutsche Besteuerungshoheit nicht an die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen, sondern die Belegenheit des Wirtschaftsgutes anknüpft bzw. das Wirtschaftsgut zu einer deutschen Betriebsstätte gehört. Umgekehrt kann der Zuzug des Steuerpflichtigen die Verstrickung von Wirtschaftsgütern, das heißt das entsprechende deutsche Besteuerungsrecht im Rahmen bestehender Doppelbesteuerungsabkommen eröffnen. Entsprechende gesetzliche Regelungen hält hier z.B. das Außensteuergesetz parat. So führt § 6 AStG zu einer Besteuerung der stillen Reserven in der wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Steuerpflichtige aufgrund eines Wegzugs nicht mehr der deutschen Besteuerungshoheit unterliegt und somit § 17 EStG im Falle der Veräußerung der Beteiligung ins Leere gehen muss. Die Entstrickung, das heißt der Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts ist hier der Regelfall, da die Doppelbesteuerungsabkommen hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften 5 Heinicke in Schmidt, EStG, 25. Aufl., § 4 EStG Rz. 360 - "Steuerentstrickung". 6 Vgl. Rödder, DStR 2006, 1481 (1486).
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
fast durchgängig dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers die Besteuerungshoheit zuweisen (so z.B. Art. 13 Abs. 3 OECD-MA).7 Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG ist jedoch mit der Entscheidung des EuCH "de Lasteyrie du Saillant" vom 11.3.2004, die zu der § 6 AStG vergleichbaren französischen Regelung ergangen ist, als gemeinschaftsrechtswidrig gebrandmarkt.S Der EuCH hat dabei darauf abgestellt, dass die Besteuerung stiller Reserven anlässlich des Wegzugs eines Steuerpflichtigen von einem in einen anderen Mitgliedstaat der EU gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Basierend auf dieser Entscheidung hat die Kommission die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, die Regelung des § 6 AStG außer Kraft zu setzen. Das SEStEG fasst die Vorschrift mit Blick auf die gemeinschaftsrechtlichen Bedenken neu.
2.
Veränderung in der sachlichen Steuerpflicht
Bleibt die persönliche Steuerpflicht unverändert, kann die Entstrickung bzw. Verstrickung eines Wirtschaftsguts aus einer Veränderung in der sachlichen Steuerpflicht erwachsen. So führt die Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen eines Steuerpflichtigen in dessen Privatvermögen dazu, dass der Steuerzugriff des Fiskus beendet wird. Ein Vorgang, der vom Gesetzgeber als Entnahme in§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelt worden ist. Umgekehrt begründet die Überführung eines Wirtschaftsguts vom Privatvermögen ins Betriebsvermögen den steuerlichen Zugriff - als Einlage ist dieser Verstrickungsvorgang in§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG geregelt. Zu einer Entstrickung kommt es aber auch beispielsweise dann, wenn bei einem Wirtschaftsgut, das der Veräußerungsgewinnbesteuerung des § 23 EStG unterliegt, die entsprechende Spekulationsfrist abläuft bzw. bei einbringungsgeborenen Anteilen i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG die siebenjährige Steuerverstrickung des § Sb Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 KStG abläuft. Da hier der steuerliche Zugriff bewusst zeitlich begrenzt ist, hat der Gesetzgeber die Entstrickung bewusst in Kauf genommen. Keine Entstrickung liegt hinge-
7
8
Ausnahmen z.B. in Art. 13 Abs. 3 DBA Korea; Art. 13 Abs. 5 DBA Norwegen; Art. 13 Abs. 5 DBA Pakistan; Art. 13 Abs. 3 DBA Tschechoslowakei; Art. 13 Abs. 4 DBA Mexiko; Art. 13 Abs. 3 DBA Urugay. EuGH, Urt. v. 11.3.2004- Rs. C-9/02- de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409; die Entscheidung erging zur französischen Wegzugsbesteuerung; viele andere Staaten kennen eine Exit Tax, so z.B. Kanada.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
gen vor, wenn ein dem deutschen Steuerzugriff unterliegendes Wirtschaftsgut untergeht. Hier fallen die stillen Reserven als solche mit dem Untergang des Wirtschaftsguts weg, an den rechtlichen Voraussetzungen des Steuerzugriffs ändert sich hingegen nichts. In den Fällen der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils zu Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft, an der der Einbringende die Mehrheit der Anteile hält, gegen Ausgabe neuer Anteile nach§ 20 UmwStG kommt es streng genommen weder zu einer Entstrickung noch zu einer Verstrickung. Die in den eingebrachten Wirtschaftsgüter enthaltenen stillen Reserven unterliegen nach wie vor dem deutschen Steuerzugriff - allein der Steuerpflichtige, dem diese stillen Reserven zuzuordnen sind, hat gewechselt. Dies gilt auch dann, wenn nach§ 23 UmwStG die Einbringung einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Kapitalgesellschaft erfolgt. Zwar weist Art. 13 OECD-MA das Besteuerungsrec]1t für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich dem Vertragsstaat zu, in dem der Veräußerer ansässig ist, jedoch steht nach Art. 7 OECD-MA das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne der Betriebsstätte nach wie vor dem Betriebsstättenstaat zu - was auch den Gewinn aus der Veräußerung der Betriebsstätte einschließt.9 Die neuen Anteile an einer übernehmenden inländischen Kapitalgesellschaft unterfielen eigentlich den Vorschriften des Halbeinkünfteverfahrens, so dass ein Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei bzw. nach § 3 Nr. 40 EStG zur Hälfte steuerbefreit wäre. Hier hatte der Gesetzgeber jedoch mit § 21 UmwStG a.F. eine gesetzliche Verstrickung normiert. Die einbringungsgeborenen Anteile unterfallen erst nach Ablauf von sieben Jahren nach der Einbringung den Regelungen des Halbeinkünfteverfahrens (§ 8b Abs. 4 KStG und § 3 Nr. 40 Satz 3 EStG). Der Gesetzgeber nahm insofern die Verdoppelung stiller Reserven in Kauf.lO Das SEStEG hat auch diese Systemwidrigkeit beseitigt.
9 Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 171 ff. 10 Die Begründung lautete stets, es solle die steuerfreie Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils durch Einbringung in eine Tochterkapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG verhindert werden - da der Erwerber der Tochterkapitalgesellschaft insofern aber auch keinen abschreibungsfähigen und damit steuerwirksamen "Step Up" erhält, konnte dieser Begründungsansatz nicht wirklich überzeugen.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Dasselbe gilt beim Wegzug bzw. der Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft insoweit, als diese noch über eine Betriebsstätte im Wegzugsstaat verfügt und dieser Betriebsstätte auch weiterhin die entsprechenden Wirtschaftsgüter zugeordnet bleiben. Mangels eines Wegfalls des Besteuerungsrechts fehlt es hier an einer Entstrickung. Insofern kommt es auch spiegelbildlich zu keiner Verstrickung dieser Wirtschaftsgüter im Zuzugsstaat Sofern jedoch infolge des Wegzugs bzw. der Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft Wirtschaftsgüter nicht mehr einer im Wegzugsstaat verbleibenden Betriebsstätte zuzuordnen sind, werden diese Wirtschaftsgüter im Wegzugsstaat entstrickt und im Zuzugsstaat verstrickt.ll Das deutsche Steuerrecht hat bislang nicht auf diese Differenzierung abgestellt, sondern mit§ 12 KStG a.F . den Wegzug bzw. die Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft stets einer Liquidation i.S.d. § 11 KStG gleichgestellt. Das hat zur Folge, dass sämtliche stillen Reserven in den Wirtschaftsgütern der betroffenen Kapitalgesellschaft aufzulösen und zu versteuern sind. Eine Rechtsfolge, die bereits die ein oder andere Kapitalgesellschaft an einer Sitzverlegung ins Ausland gehindert hat.12 Dass § 12 KStG nicht mit dem Regelwerk der Societas Europea (SE) in Einklang steht, das gerade eine unbehinderte Sitzverlegung der SE innerhalb Europas vorsieht und in diesem Zusammenhang explizit auch eine Besteuerung anlässlich der Sitzverlegung einer SE ausschließt, liegt auf der Hand. Der Gesetzgeber hat auf diese Vorgaben durch eine Neufassung des § 12 KStG sowie einiger weiterer Vorschriften reagiert.
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Hier kann es zu einem Auseinanderfallen kommen, sofern Wegzugs- und Zuzugstaat unterschiedliche Kriterien bei der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte anlegen. Bei einer Holdingbetriebsstätte verwendet der BFH z.B. eine funktionale Betrachtungsweise; danach müssen die Anteile an den Kapitalgesellschaften der Holdingbetriebsstätte einen funktionalen Nutzen bringen - andernfalls können sie ihr nicht zugeordnet werden. Andere Länder sind bei der Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zu einer Betriebsstätte großzügiger und lassen es bereits ausreichen, wenn in der Betriebsstätte Shareholder Aktivitäten ausgeführt werden - so z.B. die Niederlanden. So hat z.B. die Infineon AG unter ihrem damaligen Vorstandsvorsitzenden SeJmmacher eine Sitzverlagerung in die Schweiz erwogen, diese dann aber letztlich u.a. wegen der erheblichen steuerlichen Belastung aus der Sitzverlagerung sowie damit verbundener bilanzieller Effekte unterlassen.
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
111. Sachliche Rechtfertigung einer Entstrickungsbesteuerung und der Verstrickungsfolgen Die Entstrickung bzw. Verstrickung beschreibt einen tatsächlichen Vorgang, der durch die Begründung bzw. den Wegfall eines Merkmals des Besteuerungstatbestandes unmittelbare rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, in dem der Steuerzugriff auf stille Reserven eines Wirtschaftsguts wegfällt oder begründet wird. Welche Reaktion der betroffene Steuergesetzgeber auf eine Entstrickung bereithält, ist damit genauso wenig gesagt, wie die Behandlung der Verstrickung. Da in dem einen Fall stille Reserven dem Besteuerungszugriff entzogen, in dem anderen zugeführt werden, lautet die entscheidende Frage, ob der Gesetzgeber bei der Entstrickung auf die stillen Reserven zugreifen kann oder akzeptieren muss, dass diese seiner Besteuerung entzogen werden und umgekehrt bei der Verstrickung in seinem Steuerzugriff auf künftige stille Reserven beschränkt ist oder auch auf die ihm durch die Verstrickung zugewachsenen stillen Reserven zugreifen kann. Ansatzpunkt und Rechtfertigung der Einkommensbesteuerung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, die sich in dem von ihm erzielten Einkommen widerspiegelt. Auch wenn sich das Leistungsfähigkeitsprinzip wenig eignet, um Detailfragen des Ertragsteuerrechts exakt zu beantworten, kann es doch als äußerste Grenze des Besteuerungsrechts dienen und damit zumindest eine grobe erste Orientierung ermöglichen. Werden bei der Entstrickung vorhandene stille Reserven dem Besteuerungszugriff entzogen, kann somit eine Entstrickungsbesteuerung erfolgen, sofern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen tatsächlich um diese stillen Reserven erhöht ist. Daran kann man insofern zweifeln, als der Steuerpflichtige allein durch den Vorgang der Entstrickung in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht besser gestellt wird als er ohne die Entstrickung stehen würde, da die Entstrickung kein echter Realisierungstatbestand wie beispielsweise die Veräußerung ist. Das heißt aber noch nicht, dass die Entstrickung nicht zum Anlass genommen werden könnte, den Wertzuwachs eines Wirtschaftsgutes zu besteuern. Vielmehr offenbart sich hierin das Kernproblem der Entstrickungsbesteuerung: Ist eine Besteuerung nicht realisierter Gewinne mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar? Anders gewendet: setzt der Steuerzugriff zwingend einen Realisierungsakt voraus?
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Für den steuerlichen Zugriff kann es auf einen Realisierungsakt nicht ankommen, die Realisierung der stillen Reserven ist allein ein denkbarer Anknüpfungspunkt der Besteuerung und gleichzeitig ein einfacher Maßstab für die relevante Steuerbasis. Die Realisierung des Wertzuwachses materialisiert diesen Wertzuwachs, macht ihn sichtbar und messbar. Sie schafft aber selbst keinen Wertzuwachs, sondern transferiert diesen lediglich in ein anderes Wirtschaftsgut, im Regelfall in Geld. Auch der Tausch bzw. tauschähnliche Vorgang führt nach§ 6 Abs. 6 Satz 1 EStG genauso wie die verdeckte Einlage nach § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG zu einer Realisierung der in dem hingegebenen Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven. Die Steuerzahlung kann der Steuerpflichtige auch hier nicht ohne weiteres aus dem Realisierungsvorgang heraus bestreiten, da er gerade kein Geld erhält, sondern ein anderes Wirtschaftsgut bzw. er bei der verdeckten Einlage noch nicht einmal ein neues Wirtschaftsgut erhält, sondern lediglich eine Wertsteigerung eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts bewirkt. Damit kann eine Besteuerung der Entstrickung auch ohne Realisierung im herkömmlichen Sinn vor dem Leistungsfähigkeitsprinzip Bestand haben. Lediglich die Bemessungsgrundlage für den steuerlichen Zugriff leidet unter der Schwierigkeit, dass eine Bewertung des Wirtschaftsgutes zu erfolgen hat und nicht einfach auf eine Gegenleistung abgestellt werden kann. Dieses Problem ist identisch mit dem der verdeckten Einlage; auch bei dieser erhält der Steuerpflichtige keine Gegenleistung, das verdeckt eingelegte Wirtschaftsgut ist daher anlässlich der Einlage zu bewerten. In beiden Fällen können dem Steuerpflichtigen mangels Realisierung die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld fehlen. Verstößt der Verzicht auf eine klassische Realisierung nicht per se gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, so tauchen dennoch neue Probleme auf. Diese hängen damit zusammen, dass es bei der Bewertung eines Wirtschaftsguts nie ein zutreffendes Ergebnis geben kann, da ein objektiver "Wert" eines Wirtschaftsguts nicht existiert. Mit jeder Bewertung erfolgt lediglich die Auswahl aus einer Bandbreite denkbarer Werte, die somit beliebig falsch oder zutreffend sein kann. Als Maßstab für die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erscheint das kritisch, sofern bei einer auf die Entstrickung folgenden Realisierung zu einem unter dem bei Entstrickung angesetzten Wert keine Berücksichtigung der Differenz in zumindest einem der beiden beteiligten Staaten erfolgt. Es erscheint somit nicht zwingend geboten, dass eine Korrektur der Entstrickungsbesteuerung für diesen Fall vorgesehen wird; es
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
reicht vielmehr aus, wenn der Minderwert im Betriebstättenstaat berücksichtigt werden kann. Im Gegensatz zur Entstrickung verengt sich bei der Verstrickung die Fragestellung grundsätzlich darauf, mit welchem Wert das Wirtschaftsgut verstrickt wird. Anders gewendet: darf der deutsche Gesetzgeber als Folge der Verstrickung bei einer späteren Veräußerung des Wirtschaftsguts nur auf die stillen Reserven, die nach der Verstrickung entstanden sind zugreifen, oder dehnt sich sein Besteuerungsrecht auch auf die stillen Reserven aus, die bis zum Zeitpunkt der Verstrickung angewachsen sind? Die stillen Reserven eines Wirtschaftguts sind letztlich nichts anderes als die Differenz zwischen den Anschaffungskosten - gemindert um steuerlich wirksame Abschreibungen, was in der vorliegenden Konstellation nicht denkbar ist - und dem Verkehrswert. Es geht somit darum, ob das Wirtschaftsgut mit seinem Verkehrswert im Zeitpunkt der Verstrickung oder mit seinen Anschaffungskosten anzusetzen ist. Sowohl die Anschaffungskosten als auch der Verkehrswert eines Wirtschaftsguts sind zeitbezogene Momentaufnahmen. Da das Wirtschaftsgut erst mit der Begründung des deutschen Besteuerungsrechts verstrickt wird, hat die Verstrickung auf das Wirtschaftsgut in diesem Zeitpunkt abzustellen. Der Wertansatz hat dem zu folgen. Diese Überlegungen lassen sich aber nur schwer auf die Verstrickung sog. "einbringungsgeborener" Anteile i.S.d. § 21 UmwStG a.F. übertragen. Diese Anteile entstehen aus der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils zu Buch- oder Zwischenwerten in eine Kapitalgesellschaft gegen Ausgabe neuer Anteile. Ohne die Regelung in den § 21 Abs. 1 UmwStG a.F. und § Sb Abs. 4 KStG könnten diese Anteile nach § Sb Abs. 2 KStG steuerfrei veräußert werden - eine sachgerechte Konsequenz, da durch die Einbringung zu Buch- oder Zwischenwerten keine stillen Reserven dem deutschen Besteuerungszugriff entzogen werden. Die in den eingebrachten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven bleiben vielmehr durchgängig steuerlich verstrickt, allein der Steuerpflichtige wechselt. Die Verstrickung der Anteile anlässlich einer Einbringung nach§ 20 Abs. 1 UmwStG wurde somit ohne zwingenden Grund angeordnet. Durch die Verstrickung kam es zu einer Verdoppelung der stillen Reserven, die sich nur schwer mit der Systematik des Ertragsteuerrechts in Einklang bringen ließ.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
IV. Gemeinschaftsrechtliche Leitplanken einer Entstrickungs besteuerung Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist die Behandlung einer Entstrickung zunächst mit der Behandlung eines vergleichbaren Vorgangs auf rein nationaler Ebene zu vergleichen. Dabei muss man die Entscheidung des EuGH "de Lasteyrie du Saillant"13 dahingehend verstehen, dass allein der Unterschied, dass bei einer rein nationalen Überführung von Wirtschaftsgütern aus der einen in die andere Betriebsstätte das Besteuerungsrecht ununterbrochen fortbesteht, während es bei der Überführung in eine ausländische Betriebsstätte wegfällt, kein sachlicher Differenzierungsgrund für beide Tatbestände darstellt. Die Überführung über die Grenze darf grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden als das rein nationale Verbringen. Damit wäre eine Entstrickungsbesteuerung für die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine EU-Betriebsstätte genauso unzulässig wie eine Wegzugsbesteuerung nach Art des § 6 AStG a.F. oder die Liquidationsbesteuerung anlässlich der Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft bzw. deren Wegzugs. Dieses apodiktische Urteil kann so jedoch der EuGH Rechtsprechung nicht entnommen werden. Der EuGH erkennt zumindest das Bedürfnis des nationalen Fiskus an einer Sicherung seines Steuersubstrates an. Diese Sicherung muss allerdings in einer Weise erfolgen, die den Binnenmarkt nicht behindert und keinen Verstoß gegen die durch den EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten darstellt. So hat auch die Kommission von der Bundesrepublik nicht etwa den Verzicht auf jede Art der Wegzugsbesteuerung, sondern lediglich eine gemeinschaftsrechtskonforme Ausgestaltung verlangt. Für eine solche gemeinschaftskonforme Ausgestaltung der Entstrickungsbesteuerung bestehen verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Denkbar wäre zunächst, die Besteuerung der stillen Reserven bis zur Veräußerung des entstrickten Wirtschaftsguts aufzuschieben und im Zeitpunkt der Entstrickung lediglich eine Wertfeststellung zu treffen. Diese Ausgestaltung lehnt sich an die durch den Betriebsstättenerlass14 vorgesehene Merkpostenmethode an.lS Dasselbe Resultat kann
13 EuGH, Urt. v. 11.3.2004- Rs. C-9/02- de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409. 14 BMF, Sehr. v. 24.12.1999- IV B 4- S 1300-111/99, BStBI. I 1999, 1076. 15 Dazu im Detail weiter unten.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
verfahrensrechtlich auch durch eine Steuerfestsetzung im Zeitpunkt der Entstrickung erreicht werden, sofern die Steuer bis zu einer späteren Veräußerung gestundet wird. Der Einwand, dass eine Steuervollstreckung in diesen Fällen erschwert wird, da sich das Wirtschaftsgut ja nicht mehr in Deutschland und damit nicht mehr im Zugriffsbereich des deutschen Fiskus befindet, steht diesen beiden Lösungen nicht entgegen. Dieser Einwand wurde vom EuCH bereits in den Fällen der Wegzugsbesteuerung nicht als ausreichend erachtet- und das, obwohl in dieser Konstellation nicht nur ein einzelnes Wirtschaftsgut dem Besteuerungszugriff entzogen wird, sondern der Steuerpflichtige selbst seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt.
V.
Abkommensrechtliche Rahmenbedingungen- die Entstrickung und Verstrickung bei der Überführung in eine Betriebsstätte
Das deutsche Besteuerungsrecht fällt auch dann weg, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Zugriffs auf die stillen Reserven eines Wirtschaftsguts einem anderen Staat zuweist. Das ist zum einen denkbar, sofern noch kein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem anderen Staat existiert und durch den Neuabschluss nun das Besteuerungsrechts hinsichtlich eines Wirtschaftsguts dem anderen Staat zugewiesen wird. Anders als in dieser fast schon exotischen Konstellation kommt es bei einem bereits bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zur Entstrickung oder Verstrickung eines Wirtschaftsguts, wenn sich ein für die Zuweisung der Besteuerungshoheit relevanter Sachverhalt verändert. Dies ist z.B. bei der Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem Stammhaus in eine Betriebsstätte bzw. umgekehrt aus der Betriebsstätte in das Stammhaus bzw. eine andere Betriebsstätte der Fall, da nach Art. 7 OECD-MA der Gewinn, der in der Betriebsstätte erzielt wird, vom Betriebsstättenstaat besteuert werden darf, während der Stammhausstaat in der Regel diesen Gewinn von der Besteuerung auszunehmen bzw. zumindest die Steuer des Betriebsstättenstaates anzurechnen hat.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
1.
Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte als Entstrickung
Auch wenn somit bei der Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine Betriebstätte das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus einer späteren Veräußerung auf den ersten Blick auf den Betriebsstättenstaat überzugehen scheint und somit eine Entstrickung bzw. Verstrickung erfolgte, lässt der Wortlaut des Art. 7 OECD-MA ausreichend Spielraum für die Frage, ob hier tatsächlich ein vollständiger Ausschluss des Besteuerungsrechts des Stammhausstaates erfolgt oder nicht auch eine entsprechende Aufteilung des Besteuerungsrechts an einem späteren Veräußerungsgewinn zwischen Stammhaus- und Betriebsstättenstaat abgedeckt ist.16 Da Art. 7 OECD-MA das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns der Betriebsstätte regelt, nicht aber explizit den Gewinn aus der Veräußerung eines der Betriebsstätte zugeordneten Wirtschaftsguts anspricht, ist auch dieser Veräußerungsgewinn lediglich ein Teil des über die Betriebsstättengewinnermittlung vom Gesamtgewinn des Unternehmens abzugrenzenden Betriebsstättengewinns. Die konkrete Methodik der Betriebsstättengewinnermittlung selbst ist im OECD-Musterabkommen aber nicht geregelt. Als zulässige Methoden haben sich insofern die indirekte sowie die direkte Gewinnermittlung eingebürgert.l7 Zumindest im Rahmen der indirekten Gewinnermittlung kann auch der Gewinn aus der Veräußerung eines vom Stammhaus in die Betriebsstätte überführten Wirtschaftguts auf den Betriebsstätten- sowie den Stammhausstaat aufgeteilt werden. Aber auch bei Anwendung der direkten Gewinnermittlungsmethode scheint eine Zuweisung des Gewinns aus einer späteren Veräußerung des in eine Betriebsstätte überführten Wirtschaftsguts insoweit möglich, als er sich auf die im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts bereits vorhandenen stillen Reserven beschränkt. Erforderlich wäre allein die Bildung eines entsprechenden außerbilanziellen Merkpostens, der im Zeitpunkt der Veräußerung des in die Betriebsstätte überführten Wirtschaftsguts gewinnwirksam aufzulösen wäre. Auch wenn somit die Regelung des Art. 7 OECD-MA so interpretiert werden kann, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts vom Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte gar keine Entstrickung in dem 16 Vgl. Rödder, DStR 2006, 1481 (1486). 17 Vgl. dazu grundsätzlich Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, Rz. 18.18 ff.
142
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Sinne bewirkt, dass zwangsläufig das deutsche Besteuerungsrecht wegfällt, lässt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA gleichzeitig Raum für eine Besteuerung dieser Überführung. Die Regelung stellt für die Gewinnzurechnung zur Betriebsstätte klar, dass diese in der Weise zu erfolgen hat, als ob die Betriebsstätte ein selbständiges und vom Stammhaus unabhängiges Unternehmen wäre. Den Abkommensstaaten steht es somit abkommensrechtlich frei, die Überführung eines Wirtschaftsguts vom Stammhaus in die Betriebsstätte als Realisationsakt zu behandeln.
2.
Überführung als Entnahme
Zur Behandlung der Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte fehlt bislang eine klare gesetzliche Regelung. Als allgemeiner Tatbestand käme allein die in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelte Entnahme in Betracht. Bei der Gewinnermittlung nach§ 4 Abs. 1 EStG zu korrigierende Entnahmen sind demnach alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen), die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. Der Entnahmetatbestand unterscheidet somit zwischen Sach- oder Substanzentnahmen einerseits und Nutzungs- bzw. Leistungsentnahmen andererseits.lS Tatbestandlieh wird die Rechtsfolge an eine Entnahmehandlung angeknüpft, die eine unmissverständliche und endgültige Lösung eines Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen (Sachentnahme) bzw. die vorübergehende betriebsfremde Nutzung eines Wirtschaftsgutes erfordert (Nutzungsentnahme).l9 Schon hier unterscheidet sich der Entnahmetatbestand vom Entstrickungstatbestand: Bei der Entstrickung bleibt das Wirtschaftsgut weiterhin in der betrieblichen Sphäre, allein das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den Gewinn aus einer Veräußerung oder Nutzung des Wirtschaftsgutes entfällt.20
18 19
Heinicke in Schmidt, EStG, § 4 EStG Rz. 301 f. Heinicke in Schmidt, EStG, § 4 EStG Rz. 303.
20 Der BFH verneinte in seiner früheren Rechtsprechung bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte das Vorliegen einer Entnahme, vgl. BFH, Urt. v. 16.12.1975- VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246.
143
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Eine Entnahme könnte insofern nur dann angenommen werden, wenn die ausländische Betriebsstätte "betriebsfremd" sein kann. Unter anderen betriebsfremden Zwecken sind Zwecke eines anderen Betriebs zu verstehen21, wobei der Gesetzgeber hinsichtlich des Verständnisses des "Betriebsbegriffs" wenig Schützenhilfe leistet. So decken auch die in der Literatur zu dieser Frage vertretenen Interpretationen die gesamte denkbare Bandbreite ab: vom Betrieb i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG als Summe aller Betriebe eines Steuerpflichtigen bis zum Betrieb als jeweils einzelner organisatorisch selbständiger Betrieb.22 Bei einem extrem engen Verständnis des Betriebsbegriffs ist es somit denkbar, dass auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte im Einzelfall eine Entnahme darstellen kann - vorausgesetzt die Betriebsstätte qualifiziert als organisatorisch selbständiger Betrieb. Dass wird oftmals der Fall sein, aber genauso oft wird es an einer organisatorischen Verselbständigung fehlen, da diese zumindest nicht konstitutiv für das Vorliegen einer Betriebsstätte ist.23 Es erscheint wenig sinnvoll, bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Betriebsstätte, die sich als organisatorisch selbständige Einheit präsentiert, zu einer Entnahme zu kommen, während die Überführung in eine nicht organisatorisch verselbständigte Betriebsstätte ein bloßes innerbetriebliches Verbringen darstellt. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber von einem engen Betriebsbegriff auszugehen scheint. Andernfalls macht beispielsweise § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG keinen Sinn: Fehlt es bei der Überführung eines Wirtschaftsguts zwischen zwei inländischen Betrieben ein und desselben Steuerpflichtigen bereits an einer Entnahmehandlung, hätte eine Regelung zur Bewertung dieser Überführung wie§ 6 Abs. 5 Satz 1 EStG noch nicht einmal deklaratorischen Gehalt, da es bereits an dem Bewertungsbezug eines Realisationstatbestandes fehlen würde. Die Entstrickung durch Überführung eines Wirtschaftsguts in eine DBA-Betriebsstätte scheint somit jedoch zumindest strukturell kein Unterfall der Entnahme zu sein, auch wenn in beiden Fällen -der Überführung des Wirtschaftsguts in die Privatsphäre wie auch in eine ausländische DBA-Betriebsstätte - das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entfällt bzw. bei engem Betriebsverständnis im Einzelfall der Entnahmetatbestand erfüllt sein kann.
21 Crezelius in Kirchhof, EStG, § 4 EStG Rz. 93. 22 Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 4 EStG Rz. B 9 ff. 23 Vgl. die nationale Definition der Betriebsstätte in§ 12 AO.
144
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
3.
Finaler Entnahmebegriff und Verwaltungspraxis
Auf der Basis dieser Überlegungen hat dann auch der BFH den sog. "finalen Entnahmebegriff"24 entwickelt. Der finale Entnahmebegriff beurteilt das Vorliegen einer Entnahme danach, ob die steuerrechtliche Erfassung der stillen Reserven sichergestellt ist oder nicht. Danach liegt eine Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG auch dann vor, wenn das Wirtschaftsgut zwar im Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen verbleibt, jedoch in eine ausländische Betriebsstätte überführt wird, deren Gewinn auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht der deutschen Besteuerung unterliegt. Der BFH hat somit den Tatbestand der Entnahme losgelöst von der dort vorausgesetzten Handlung mit Blick auf das durch diese herbeigeführte Ergebnis - die Entstrickung des betroffenen Wirtschaftsguts - und somit final interpretiert. Der finale Entnahmebegriff führt auf der anderen Seite dazu, dass bei der Überführung eines Wirtschaftsgutes von einem inländischen Betrieb in einen anderen inländischen Betrieb desselben Steuerpflichtigen keine Entnahme vorliegen kann, da der steuerliche Zugriff auf die stillen Reserven unverändert gegeben ist.25 Damit kollidiert die finale Interpretation des Entnahmebegriffs jedoch mit den später ins Einkommensteuergesetz aufgenommenen Regelungen des § 6 Abs. 3 EStG oder des § 6 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 EStG. Dadurch, dass § 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG ausdrücklich die Bewertung einer Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen zwei inländischen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen für den Fall zu Buchwerten erlaubt, dass die Besteuerung sichergestellt ist, geht die Regelung vom Vorliegen einer Entnahme in dieser Konstellation aus.26 Damit entpuppt sich der finale Entnahmebegriff des BFH insoweit als unzulässiger Analogieschluss zu Lasten des Steuerpflichtigen, als er eine Entnahme davon abhängig macht, ob das deutsche Besteuerungsrecht weiter fortbestehen bleibt - ein Umstand, den der Gesetzgeber in § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG erkennbar erst im Rahmen der Bewertung einer Entnahme berücksichtigt hat und damit als nicht konstitutiv für die Entnahme als solche bewertet.
24 BFH, Urt. v. 30.5.1972- VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760. 25 BFH, Beschl. v.7.10.1974- GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168. 26 Crezelius in Kirchhof, EStG, § 4 EStG Rz. 94.
145
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Auf dem finalen Entnahmebegriff der Rechtsprechung aufbauend hat die Finanzverwaltung mit dem Betriebsstättenerlass vom 24.12.199927 aufgesetzt, der seitdem in der Praxis angewendet wird. Der Betriebsstättenerlass sieht bei Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in eine ausländische Betriebsstätte ein Wahlrecht vor. Der Steuerpflichtige kann sich für die Sofortbesteuerung der stillen Reserven entscheiden; im Billigkeitswege wird aber auch die Bildung eines Merkpostens (Ausgleichsposten) zugelassen, der über zehn Jahre ratierlich bzw. bei Veräußerung des überführten Wirtschaftsguts auf einen Schlag aufzulösen ist, so dass die Besteuerung der stillen Reserven im Regelfall zeitlich gestreckt erfolgt.28 Das SEStEG greift nun den finalen Entnahmebegriff mit dem in§ 4 Abs. 1 Satz 3 SEStEG geregelten Grundtatbestand der Entstrickung auf.
VI. Regelungen des SEStEG zur Entstrickung und Verstrickung 1.
Grundtatbestand der Entstrickung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG
Der Grundtatbestand der Entstrickung knüpft systematisch wie inhaltlich an die in § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG geregelte Entnahme an, indem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleichgestellt wird. 1.1
Gleichstellung mit Entnahme
Die gesetzliche Fiktion einer Entnahme hat insofern konstitutive Bedeutung, da der in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG legaldefinierte Entnahmetatbestand die vom Gesetzgeber ins Visier genommenen Entstrickungsfälle nicht erfasst (vgl. oben). Aber auch in subjektiver Hinsicht besteht keine Deckungsgleichheit zwischen der Entnahme und der Entstrickung. 27 28
146
BMF, Sehr. v. 24.12.1999- IV B 4- S 1300-111/99, BStBI. I 1999, 1076. BMF, Sehr. v. 24.12.1999 - IV B 4 - S 1300- 111/99, BStBI. I 1999, 1076 - Tz. 2.6.1, Buchst. A.
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Die Entnahme setzt das Vorhandensein eines entsprechenden Entnahmewillens voraus - der Steuerpflichtige muss das Wirtschaftsgut für sich, seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke entnehmen.29 Auch wenn für eine Entnahme somit keineswegs ein Rechtsfolgebewusstsein vorhanden sein muss30, kommt der Entstrickungstatbestand doch anders als die Entnahme vollständig ohne subjektive Komponente aus. Der schlichte tatsächliche Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der späteren Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts reicht aus. Aufgrund der mangelnden tatbestandliehen Übereinstimmung der Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG n.F. mit der Legaldefinition der Entnahme des§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. muss bei der Auslegung des Entstrickungstatbestands jeweils genau geprüft werden, ob und in welchem Umfang auf die zum Entnahmebegriff entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Allein hinsichtlich der Rechtsfolge der Entstrickung ist im Grundsatz die volle Übereinstimmung zur Entnahme bezweckt.
1.2
Tatbestand der Entstrickung
Tatbestandsmäßig knüpft § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG n.F. an den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts ab. Der Gesetzgeber sieht hierin eine Klarstellung zum geltenden Recht, insofern als der bereits höchstrichterlich entwickelte und im Betriebsstättenerlass niedergelegte finale Entnahmebegriff gesetzlich normiert werde. Dabei geht die Neuregelung jedoch sowohl tatbestandsmäßig als auch in ihren Rechtsfolgen weiter als die bisherige Entstrickung nach dem Betriebsstättenerlass. So führt bereits die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland zur Besteuerung der stillen Reserven. Damit werden die Fälle erfasst, in denen ein Wirtschaftsgut nicht in eine Betriebsstätte überführt wird, für die das Doppelbesteuerungsabkommen die Freistellungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorsieht, sondern die Überführung in eine Betriebsstätte erfolgt, für die 29 Crezelius in Kirchhof, EStG, § 4 EStG Rz. 91. 30 Heinicke in Schmidt, EStG, § 4 EStG Rz. 316 f.
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
die Anrechnungsmethode gilt. Das sind nicht nur die Fälle, in denen das Doppelbesteuerungsabkommen in seinem Methodenartikel die Anrechnungsmethode für Betriebsstättengewinne vorsieht, sondern auch die Fälle, in denen Deutschland mit dem Betriebsstättenstaat überhaupt kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Ohne Doppelbesteuerungsabkommen sieht § 34c EStG bei ausländischen Einkünften i.S.d. § 34d EStG und damit auch bei Betriebsstätteneinkünften eine Anrechnung der ausländischen Ertragssteuern auf die deutsche Einkommensteuer vor. In der Höhe, in der insofern tatsächlich ausländische Steuern auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet werden, geht dem deutschen Staat Steueraufkommen verloren. Es handelt sich hierbei somit um keine Entstrickung im engeren Sinne, da das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland weiter fortbesteht. Die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland besteht bei wirtschaftlicher Betrachtung dann nicht, wenn das Wirtschaftsgut in eine Betriebsstätte überführt wird, deren Belegenheitsstaat zwar mit der Bundesrepublik kein bzw. ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Anrechnungsmethode abgeschlossen hat, selbst aber einen Steuersatz von Null auf die Betriebsstättengewinne anwendet. In dieser Konstellation geht der Bundesrepublik Deutschland kein Steuersubstrat verloren, da zwar rechtlich eine Anrechnungssituation besteht, jedoch keine anzurechnende Steuer vorhanden ist. Eine anzurechnende Steuer kann dabei auch dann fehlen, wenn die Betriebsstätte in dem Betriebsstättenstaat als Gruppenträger einer Steuergruppe fungiert und ihre Gewinne insofern im Betriebstättenstaat mit Verlusten anderer Gruppengesellschaften ausgeglichen werden. Denkbar ist auch, dass der Betriebsstättenstaat das überführte Wirtschaftsgut mit dessen Verkehrswert ansetzt, so dass bei späterer Veräußerung im Betriebsstättenstaat eventuell gar kein zu versteuernder Gewinn und somit auch keine in der Bundesrepublik Deutschland anzurechnenden Steuer anfällt. Vom Wortlaut der Vorschrift her ist jedoch nicht die wirtschaftliche Beschränkung des Besteuerungsrechts entscheidend, sondern es reicht bereits die bloße rechtliche Beschränkung des Besteuerungsrechts aus.31 Das Ergebnis mag zunächst unbefriedigend erscheinen. Auf der Basis dieser Auslegung lassen sich aber andere denkbare Sachverhaltsgestal31 Rödder, DStR, 2006, 1481 (1485).
148
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
tungen stringent lösen. Erhöht der Betriebsstättenstaat seine Steuerbelastung, kann dies bei bereits überführten Wirtschaftsgütern nicht zu einer erneuten bzw. erstmaligen Entnahme führen, da nicht die wirtschaftliche Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland ausschlaggebend ist, sondern allein die rechtliche Beschränkung. Diese besteht aber bereits. Das gleiche gilt bei der Überführung zwischen zwei ausländischen Betriebsstätten, die beide der Anrechnungsmethode unterliegen. Auch in diesem Fall ist das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik bereits beschränkt, die tatsächliche Auswirkung der Beschränkung auf das deutsche Steueraufkommen ist irrelevant. In einem Qualifikationskonflikt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Betriebsstättenstaat muss es auf die deutsche Sichtweise ankommen: Nimmt der "Betriebstättenstaat" eine Betriebsstätte an, während aus deutscher Sicht keine Betriebstätte besteht, wird auch das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland rechtlich (und auch wirtschaftlich) nicht beschränkt. Im umgekehrten Fall besteht zwar keine wirtschaftliche Beschränkung, da der ausländische Staat keine Betriebsstätte annimmt und somit auch keine Besteuerungshoheit für sich reklamieren wird, aus deutscher Perspektive ist jedoch das Besteuerungsrecht rechtlich beschränkt, so dass der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG-E erfüllt ist. Die Gleichstellung der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland mit einer Entnahme wirft die Frage auf, wie die spätere Veräußerung des Wirtschaftsguts bzw. die Überführung des Wirtschaftsguts von der Anrechnungsbetriebsstätte in eine Freistellungsbetriebstätte behandelt werden soll. Abstrakt ausgedrückt geht es darum, ob bei Tatbestandserfüllung durch Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland das Wirtschaftsgut als "totalentnommen" zu betrachten ist, also dem Besteuerungszugriff durch die Entstrickungsbesteuerung vollständig entzogen wird. Bei genauer Analyse wird man hingegen nicht zu diesem Ergebnis kommen können. Zum einen spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift dafür, dass der Gesetzgeber nicht von einem Verlust seines Besteuerungsrechts durch die Entstrickungsbesteuerung ausgeht, da explizit auf die bloße "Beschränkung des Besteuerungsrechts" abgestellt wird. Dies allein wäre jedoch noch nicht ausschlaggebend, da die "Beschränkung des Besteuerungsrechts" allein die Tatbestandsseite der Entstrickungsbesteuerung anspricht und damit noch nichts über
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
deren Rechtsfolgen aussagt. Letztlich entscheidend dürfte jedoch der Befund sein, dass der Entstrickungstatbestand hinsichtlich seiner Rechtsfolgen auf die Gleichstellung mit der Entnahme verweist. Bei dieser tritt als Rechtsfolge eine Gewinnkorrektur ein; die Rechtsfolge ist aber keinesfalls, dass das betroffene Wirtschaftsgut dem weiteren Besteuerungszugriff entzogen würde. Dies ist auch bei der Entnahme allein ein Tatbestandselement. Damit bleibt auch bei der Entstrickungsbesteuerung wegen der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Anrechnungsbetriebsstätte das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich einer späteren Veräußerung des Wirtschaftsguts erhalten. Der Entstrickungstatbestand baut auf einem Verlust bzw. einer Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland auf, will dieses aber nicht selbst ausschließen. Damit ist auch bereits das Verhältnis der beiden Entstrickungsvorgänge zueinander beschrieben: Der Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland durch Überführung eines Wirtschaftsguts von einer Anrechnungsbetriebsstätte in eine Freistellungsbetriebsstätte erfüllt den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG-E. Das mit einer Besteuerung stiller Reserven anlässlich der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Anrechnungsbetriebsstätte der Besteuerungszugriff der Bundesrepublik Deutschland nicht für die Zukunft wegfällt, das heißt keine Entstrickung im engeren Sinne erfolgt, führt bei einer späteren Veräußerung insofern nicht zu einer Doppelbesteuerung, da es durch die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 EStG-E zu einem Step Up des Wirtschaftsguts auf den für die "Entstrickung" zugrunde gelegten höheren Wert kommt. Zum ersten Mal wird mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG-E auch die Nutzungsentstrickung erfasst. Dabei sollen die Fälle eine Entnahmebesteuerung auslösen, bei denen das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Da in diesen Fällen das Wirtschaftsgut selbst dem deutschen Steuerzugriff erhalten bleibt, also beispielsweise keine Zuordnung des Wirtschaftsgut zu einer Betriebsstätte erfolgt, können nur die Fälle erfasst sein, in denen einer ausländischen Betriebsstätte ein bloßes Nutzungsrecht an einem Wirtschaftsgut, wie z.B. an Patenten oder sonstigen immateriellen Wirtschaftsgütern eingeräumt wird. Der Wortlaut bildet diese Intention jedoch nicht spiegelbildlich ab. Vielmehr bleibt auch in diesen Fällen das grundsätzliche Besteuerungsrecht Deutschlands sowohl an dem Gewinn aus der Veräußerung als auch der Nutzung des Wirtschafts-
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
guts erhalten. Der Tatbestand muss insofern so gelesen werden, dass das Besteuerungsrecht an "jeder" Nutzung unverändert bestehen bleiben muss. Die Behandlung dieser "Nutzungsentstrickung" wirft viele, insbesondere praktische Fragen auf - nicht zuletzt die, ob nicht auch umgekehrt eine "Nutzungsverstrickung" ins Gesetz hätte aufgenommen werden müssen. So sind insbesondere im Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter Streitigkeiten vorgezeichnet, da hier eine Nutzung anders als bei materiellen Wirtschaftsgütern oftmals nicht oder nur schwer erkennbar ist. Problematisch erscheint auch das Zusammenspiel der Nutzungsentstrickung mit der Beschränkung des Besteuerungsrechts. Soll etwa die Anrechnung einer ausländischen Quellensteuer auf die deutsche Steuer auf Einkünfte aus der Lizenzierung eines in Deutschland belegenen Rechts an einen ausländischen Lizenznehmer zu einer Entstrickungsbesteuerung führen? Letztlich ist vor allem die Rechtsfolge problematisch. Ein Ausgleichsposten nach § 4g EStG ist für die Nutzungsentstrickung nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung wäre daher überlegenswert. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass das BMF die erkennbaren Auslegungsprobleme im Zusammenhang mit den neuen Entstrickungstatbeständen zeitnah klärt. Anders als bei§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG, der eine Entnahme zu bestimmten Zwecken und damit einen Entnahmewillen voraussetzt, verzichtet § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG-E auf einen Entstrickungswillen. Damit kommt es auf eine subjektive Komponente nicht an. Somit führt auch der Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Freistellungsmethode zwischen Deutschland und dem Betriebsstättenstaat zur Entstrickung, obwohl der Steuerpflichtige erkennbar keinerlei Verantwortung an der insofern erfolgenden Entstrickung trägt. Die fehlende subjektive Komponente kann in Kombination mit der Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG-E zu schwer mit dem der Ertragsbesteuerung zugrunde liegenden Leistungsfähigkeitprinzip vereinbaren Konsequenzen führen. 1.3
Rechtsfolge
Das SEStEG siegt für den Fall der Entstrickung einen Ansatz des überführten Wirtschaftsgut mit seinem gemeinen Wert vor. Der gemeine Wert wird durch§ 9 BewG näher definiert. Er repräsentiert den Wert, der bei einer gedachten Veräußerung unter Außerachtlassung in der 151
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
Person des Veräußerers oder Erwerbers begründeter persönlicher Umstände zu erzielen wäre und schließt somit einen Gewinnaufschlag grundsätzlich mit ein. Demgegenüber erfolgt die Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG mit dem Teilwert. Der Teilwert ist der Wert, der bei einer Veräußerung des gesamten Betriebs für das entsprechende Wirtschaftsgut anzusetzen wäre und damit dessen funktionalen Bezug und Wert in der entsprechenden Wirtschaftseinheit zum Ausdruck bringt. Der Teilwert beinhaltet insofern nicht automatisch einen Gewinnaufschlag und wird daher im Regelfall unter dem gemeinen Wert liegen. In den Fällen der Nutzungsentstrickung wird aus dem Gesetzeswortlaut nicht klar, ob die stillen Reserven im Wirtschaftsgut selbst erfasst sein sollen oder ob der gemeine Wert der Nutzung besteuert werden soll. Nur die letztere Lösung erscheint jedoch sinnvoll, da das Wirtschaftsgut als solches nach wie vor dem inländischen Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen zugeordnet bleibt. Anders als zunächst bei der Verstrickung geplant, hat der Gesetzgeber bei der Entstrickung auf eine Verknüpfung des zugrunde zu legenden deutschen Wertansatzes mit der ausländischen Bewertung von Anfang an verzichtet. Hierdurch entstand der Eindruck, der deutsche Gesetzgeber wolle beide Konstellationen primär fiskalisch regeln. Auf der anderen Seite offenbart sich in einer Verknüpfung des ausländischen mit dem inländischen Wertansatz das grundsätzliche Dilemma grenzüberschreitender Vorgänge: Eine rechtliche Wertverknüpfung ist nicht vorgegeben. Sie ergibt sich auch nicht aus den Doppelbesteuerungsabkommen. Diese bezwecken zwar, eine Doppelbesteuerung durch die Vertragsstaaten zu vermeiden; der Ausschluss der Doppelbesteuerung erfolgt aber nur im Rahmen der jeweiligen Vorschriften des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens und dominiert nicht als allgemeiner, rechtlich bindender Grundsatz die Besteuerung durch die Vertragsstaaten. Selbst wenn man einen solchen allgemeinen Grundsatz aus den Doppelbesteuerungsabkommen herauslesen möchte, ist damit noch nicht gesagt, wie im konkreten Fall eine Doppelbesteuerung zu vermeiden ist. Insofern erscheint es überzeugend, dass der Staat, aus dem das Wirtschaftsgut in einen anderen Staat überführt wird, sich bei der Bestimmung des Abgangswerts nicht an die sachlogisch später erfolgende Bewertung des Zugangs durch den Aufnahmestaat bindet, sondern diese autonom vornimmt. Umgekehrt erschiene die Verknüpfung der Wertbestimmung durch den Aufnahmestaat mit der sachlo-
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Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
gisch vorangegangen Bewertung durch den Abgangsstaat in diesem Licht konsequent. Neu eingefügt worden ist§ 4g EStG. Die Vorschrift sieht die Bildung eines Ausgleichspostens für die Fälle der Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vor. Danach kann ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Buchwert und dem nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG anzusetzenden Wert eines Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens auf Antrag einen Ausgleichsposten bilden, soweit das Wirtschaftsgut infolge seiner Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU gern. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG als entnommen gilt. Dieser Ausgleichsposten ist dann über fünf Jahre gewinnerhöhend aufzulösen, so dass die Steuerbelastung aus der Entstrickung zeitlich gestreckt wird. Die Regelung findet dem Wortlaut nach keine Anwendung auf die Fälle der Nutzungsentstrickung, da eine Zuordnung des Wirtschaftsguts selbst zur ausländischen Betriebsstätte vorausgesetzt wird. § 4g EStG erfasst zudem seinem Wortlaut nach nur Überführungen vom Stammhaus in eine Betriebsstätte, nicht aber umgekehrt. Das dürfte zumindest für Verbringungsfälle innerhalb der EU mit Blick auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben kritisch sein.
2.
Spezielle Entstrickungstatbestände
Neben dem neu eingefügten allgemeinen Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG sind auch eine Reihe spezieller Entstrickungstatbestände neu gefasst worden. So ist § 6 AStG mit Blick auf die oben genannte Entscheidung "de Lasteyrie" um eine Stundungsmöglichkeit für Wegzugsfälle innerhalb der EU ergänzt worden. Ob die Beschränkung der begünstigenden Stundungsmöglichkeit auf Staatsangehörige eines EU-/EWR-Staates gemeinschaftskonform ist, erscheint insofern jedoch zweifelhaft. Die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheit schützt auch nicht EU-/EWR-Staatsangehörige. Auch § 17 EStG und § 12 KStG sind neu gefasst worden. Beide Vorschriften sollen die notwendige Flexibilität für die SE schaffen.
3.
Grundtatbestand der Verstrickung in § 4 Abs. 1 Satz 8
Parallel zur Entstrickung ist in § 4 Abs. Satz 7 Halbs. 2 EStG auch ein Verstrickungsgrundtatbestand neu eingeführt worden. Danach steht es
153
Kaeser, Entstrickung und Verstrickung
einer Einlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 EStG gleich, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts begründet wird. Die Nutzungsverstrickung wird somit von der Neuregelung nicht erfasst. Der Gesetzgeber hat den Verstrickungstatbestand aber ansonsten spiegelbildlich zum Entstrickungstatbestand ausgestaltet. Die Auslegung der Vorschriften muss somit auch spiegelbildlich erfolgen. Das heißt etwa, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts von einer Freistellungs- in eine Anrechnungsbetriebsstätte vom Tatbestand erfasst ist. Auch hinsichtlich der Rechtsfolge kommt es bei der Verstrickung nunmehr generell zu einem Ansatz des Wirtschaftsguts mit dem gemeinen Wert.32
VII. Schlussbemerkung Der Grundansatz, eine allgemeine Regelung der Verstrickungs- und Entstrickungsfälle gesetzlich zu etablieren, ist zu begrüßen. Dabei wäre es allerdings sinnvoll gewesen, sich einer vollständigen Lösung behutsam zu nähern. Die bislang in Wissenschaft und Praxis noch nicht behandelten Fälle der Nutzungsentstrickung sowie der bloßen Beschränkung des Besteuerungsrechts bergen ein hohes Maß an Komplexität. Um den Steuerpflichtigen hier nicht das Risiko einer Fehlinterpretation aufzubürden, sollte das BMF schnellstmöglich einen Anwendungserlass veröffentlichen.
32 Der Regierungsentwurf des SEStEG sah hingegen noch eine Verknüpfung mit dem Wert vor, den der ausländische Staat der korrespondierenden Entstrickung zugrunde legte.
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Entstrickung und Verstrickung Podiumsdiskussion
Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt
Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Harnburg
Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Harnburg
Prof. Dr. Dietmar Gosch
Dr. Christian Kaeser
Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
Rechtsanwalt, Siemens AG, München
Gert Müller-Gatermann
Manfred Naumann
Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof. Dr. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
Prof Dr. Lüdicke
Herr Dr. Kaeser, Sie haben deutlich gemacht, dass die Neuregelung in einigen Punkten besser ist, in manchen sicherlich hinter dem zurück bleibt, was wir bisher hatten. Sie wird uns eine Menge Arbeit bescheren, weil vieles unklar ist und einiges auch ein bisschen daneben gegangen zu sein scheint. Herr Bernhardt, die Verstrickung und Entstrickung ist ein wichtiges Thema für die Industrie, jedenfalls dann, wenn sie mit Betriebsstätten arbeitet. Können Sie mit der Regelung zufrieden sein, insbesondere mit der zeitlich begrenzten Fünf-Jahres-Regelung, die zudem nur innerhalb der EU gilt? Bernhardt
Zufrieden kann man damit sicherlich nicht sein. Wenn man es zusammenfasst, ist es sicherlich so, dass es gegenüber der noch geltenden Rechtslage eine Verschärfung darstellt. Insbesondere wird letztlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt. Es fließen bei Umstrukturierungen grenzüberschreitend liquide Mittel ab. Und gerade im Zuge von Umstrukturierungs- und Anpassungsmaßnahmen ist Flexibilität von besonderer Bedeutung. Insbesondere die Anwendung auf die bloße Nutzungsüberlassung ist ein Punkt, der uns sehr trifft, denn das betrifft Bereiche, in denen mit immateriellen Wirtschaftsgütern gearbeitet wird. Prof Dr. Lüdicke
Hinsichtlich der Nutzungsüberlassung, habe ich noch ein gewisses Verständnisproblem. Ich glaube, Herr Dr. Kaeser, Sie hatten auch gewisse Schwierigkeiten, mit diesem Tatbestand klarzukommen. In der Gesetzesbegründung steht fast nichts dazu. Herr Müller-Gatermann, nach dem Gesetzeswortlaut stellt es jetzt einen Besteuerungstatbestand dar, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Nutzung eines Wirtschaftsgutes ausgeschlossen oder eingeschränkt wird. Ich vermute, dass trotz der weiten Formulierung nicht der folgende Fall gemeint sein soll. Ich bin Inhaber eines Patentes, das ich bisher entweder selbst im Inland nutze oder an einen inländischen Lizenznehmer in Lizenz vergeben habe. Die Einkünfte daraus unterliegen uneingeschränkt der deutschen Besteuerung. Künftig habe ich nur noch einen ausländischen Lizenznehmer in einem Nicht-DBA-Staat oder in einem DBA-
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
Staat, dem das Doppelbesteuerungsabkommen erlaubt, dass er auf die Lizenzgebühr eine Quellensteuer erhebt. Diese muss Deutschland anrechnen. Damit dürfte nach der gängigen Leseart dieses neuen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Nutzung dieses Patentes beschränkt sein. Aber das kann wohl nicht gemeint gewesen sein.
Müller-Gatermann Zunächst ist die Nutzungsüberlassung vom Wortlaut erfasst. Bei einer Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts greift auch die von Herrn Dr. Kaeser dargestellte Sofortbesteuerung ein.
Prof Dr. Lüdicke Aber doch nicht ernsthaft! Wir wollen doch jetzt nicht, wenn wir in Deutschland tatsächlich Patente haben und sie weltweit durch Lizenzierung nutzen können, das zum Anlass für eine Sofortbesteuerung nehmen?
Müller-Gatermann Sie sprechen jetzt natürlich die wirtschaftspolitische Situation an.
Prof Dr. Lüdicke Die wird doch durch die Gesetzgebung immer unterstützt.
Müller-Gatermann Die wird nachher noch stärker bei der Funktionsverlagerung diskutiert werden. Zunächst müssen wir uns doch einmal nüchtern darüber unterhalten, wie es ist, wenn Besteuerungsrechte eingeschränkt werden. Das ist zunächst Gegenstand unserer Betrachtung.
Prof Dr. Lüdicke Herr Dr. Kaeser hat die Frage angesprochen, was dann die Rechtsfolge ist. Soll irgendein Zeitwert zukünftiger Lizenzgebühren oder gleich der Substanzwert besteuert werden? Das kann doch alles nicht sein.
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
Müller-Gatermann
Die Frage der Rechtsfolge, das muss ich Ihnen gestehen, bedarf sicherlich noch der Auslegung. Die Nutzungsüberlassung ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingebracht worden. Ich bin leider auch nicht bei jeder Besprechung dabei gewesen. Wenn ich Herrn Dr. Kaeser richtig verstanden habe, geht es dabei nur um die Frage, ob der Nutzungswert als Einmalbetrag oder verteilt entsprechend dem Gedanken des § 4g EStG - versteuert werden muss. Prof Dr. Lüdicke
§ 4g EStG ist außerhalb der EU nicht anzuwenden. Im Übrigen war ich bisher der Auffassung, dass die Gesetze auch für Leute gemacht werden, nämlich für die Rechtsanwender, die nicht bei jeder Besprechung dabei gewesen sind. Herr Prof Dr. Gosch, Sie waren auch nicht dabei, Sie werden es auslegen müssen. Prof Dr. Gosch
Gottlob nicht sofort. Es ergibt sich schließlich ein ganzer Strauß von Problemen. Gut finde ich - und das sei einmal klar gesagt-, dass die bisherigen Verwaltungsgrundsätze sich jetzt normativ in einem Gesetz wiederfinden und nicht mehr nur abstrakt in irgendwelchen Richtlinien oder BMF-Schreiben. Gut ist aus meiner Sicht auch, dass die Neuregelungen nicht auf der alten, der überkommenen Rechtsprechung des BFH mit der dort vertretenen Entnahmetheorie aufbauen. Herr Dr. Kaeser hat diese Rechtsprechung zwar zum Teil gutgeheißen, er hat die Entnahmetheorie zumindest für gut vertretbar gehalten. Aber diese Rechtsprechung galt seit geraumer Zeit- und aus meinem Dafürhalten auch völlig zu Recht - als überholt; sie stand mit den gesetzlichen tatbestandliehen Vorgaben nicht in Einklang. Die Verwaltung hat das ganze jetzt auf normative Füße gestellt. Insofern sind wir da im sicheren Hafen. Dafür haben wir uns jedoch eine ganze Reihe neuer Probleme eingekauft. Das betrifft zum einen ganz konkret die Frage, was nun unter einer Nutzungsentnahme zu verstehen und wie diese zu bewerten ist. Das größte Problem scheint mir aber zunächst nach wie vor die drohende EG-Rechtswidrigkeit zu sein, ungeachtet des§ 4g EStG und der "Steuerstreckung" auf fünf Jahre, die im Zuge des parlamentarischen Werdegangs offenbar noch in letzter Minute in das Gesetz aufgenom-
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
men worden ist. Immerhin stellen auch diese fünf Jahre eine Benachteiligung grenzüberschreitender Sachverhalte dar, und der möglicherweise immanente Gedanke des Gestaltungsmissbrauchs wird mit den fünf Jahren pauschal kodifiziert und belässt keine Möglichkeit der Einzelfallentscheidung. Die Verwaltung wird das übliche Gegenargument bringen, nämlich dass in derartigen grenzüberschreitenden Sachverhalten die Kontrollfunktion geschmälert sei und wir aus diesen Gründen hier doch mit anderer Messlatte an die Sache herangehen müssten als bei Inländern. Aber wir wissen, die Antwort des EuCH lautet, dass es Amtshilferichtlinien und damit auch für die Administration die Möglichkeit gibt, sich in irgendeiner Form im Ausland die notwendigen Informationen für eine gleichmäßige Besteuerung zu verschaffen. Von daher meine ich, die EG-Rechtswidrigkeit steht hier nach wie vor massiv im Raum. Das gilt übrigens auch - um da noch einmal anzuknüpfen, worüber wir schon gesprochen haben- beim Betriebsstättenvorbehalt, der zwar möglicherweise im Einklang mit der FusionsRichtlinie steht, der aber natürlich gleichwohl mit heißer Nadel gestrickt ist, wenn man die sekundärrechtliche Regelung an den EU-Primärrechten misst. Aber darüber haben wir, wie gesagt, schon gesprochen. Was ich noch für sehr relevant halte - Herr Prof Dr. Wassermeyer hat das in einem Beitrag jüngst in "Der Betrieb" problematisiert -, ist namentlich der Aspekt der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Was ein Besteuerungsausschluss ist, erscheint vor dem Hintergrund der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode noch einigermaßen eingängig und nachvollziehbar. Bei der Besteuerungsbeschränkung wird es schon deutlich schwieriger. Offenbar ist damit die Anrechnung von Auslandssteuern gemeint. Verknüpft man diese Tatbestandsvorgabe deshalb, was ich für richtig halte, mit § 34c EStG, dann entstehen gewissermaßen "weiße Flecken" in der normativen Erfassung. Denn § 34c EStG setzt für eine Anrechnung die im Ausland festgesetzte und fällige und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende Steuer voraus. Der Entstrickungstatbestand nimmt darauf aber keinerlei Rücksicht. Er greift sozusagen schon bei der virtuellen Anrechnung. So gesehen tut sich dann aber eine Zeitlücke zwischen zwei Sachverhaltselementen auf: auf der einen Seite der Entstrickungstatbestand, der hier uno acto sofort virulent wird, und auf der anderen Seite der Anrechnungstatbestand, der möglicherweise erst Jahre später beim tatsächlichen Realisationsakt greift. Daran erweist sich ein syste-
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
matischer Strickfehler, der eine gewisse Überbesteuerung nach sich ziehen kann, aber offenbar vom Gesetzgeber gewollt ist. Soviel vielleicht in einem ersten Angang.
Müller-Gatermann Direkt zu diesen letzten Anmerkungen: es ist richtig, dass die Beschränkung in dem weiteren Sinne zu verstehen ist, wie Herr Dr. Kaeser das angesprochen hat. Das muss im konkreten Fall gar nicht zu einer Beschränkung kommen. Es reicht die virtuelle Beschränkung. Was das EU-Recht angeht, greifen wir mit unserer Entstrickungsregelung unstreitig in die Grundfreiheit ein. Wir sehen uns dazu jedoch berechtigt aufgrund der schwierigen grenzüberschreitenden Kontrollen in einem Massengeschäft. Nach den Kontakten auf Arbeitsebene mit der Kommission wird dies grundsätzlich auch anerkannt; die Kommission wirbt lediglich dafür, den Eingriff so gering wie möglich zu halten. Auf der Basis des neuen § 4g EStC tun wir dies mit der vorgesehenen "Stundungsmöglichkeit". Wenn wir diese Möglichkeit nur für die Verbringung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte zulassen und nicht aus einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus, so hat dies mit den eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten zu tun. Die EuCH-Rechtsprechung verweist uns wegen der eingeschränkten Steueraufsicht bisher zwar stets lakonisch auf die Möglichkeit der Amtshilfe, wir weisen demgegenüber in gleicher Regelmäßigkeit jedoch darauf hin, dass die Amtshilfe in der Praxis die Probleme eines Masseverfahrens nicht lösen kann. Wenn wir uns mit der nun gefundenen "Stundungslösung" mit der Kommission auf einer Linie befinden, wird es in einem eventuellen EuCH-Verfahren auch leichter sein, die gefundene Entstrickungsregelung gegenüber einem von der Wirtschaft favorisierten Verfahren der nachgelagerten Besteuerung zu verteidigen. Interessant ist übrigens auch, wie andere Mitgliedsstaaten mit dem Problem umgegangen sind. Großzügig ist Österreich vorgegangen. Aber viele Staaten in der EU haben sogar die Sofortbesteuerung ohne "Stundung" vorgesehen. Man darf gespannt sein, wie die Kommission darauf reagiert. Auf eine Parallele möchte ich noch verweisen, nämlich die OECD-Überlegung des Separate Entity Approach. Diese Überlegung führt bei der
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Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte ebenfalls zu einer Entstrickung, da man die Betriebsstätte weitestgehend wie eine Tochtergesellschaft behandelt.
Prof Dr. Lüdicke Ich habe Prof Dr. Schön ein bisschen anders verstanden. Aber das wollen wir jetzt nicht noch mal diskutieren.
Prof Dr. Frotscher Ich muss gestehen, dass mich selten eine gesetzliche Vorschrift so verwirrt hat wie diese Vorschrift. Ich weiß auch nicht, ob ich das alles missverstanden habe. Aber ich stelle mir einmal einfach vor, dass ich das, was wir jetzt gerade gehört haben, mit dem verknüpfe, was wir heute Morgen gehört haben: Nehmen wir ein inländisches Stammhaus und eine ausländische Betriebsstätte. Die Finanzverwaltung steht immer noch auf dem Standpunkt, dass der Betriebsstätte ein Dotationskapital zuzuordnen ist, das heißt, sie verbietet dem Steuerpflichtigen, dem deutschen Stammhaus, der Betriebsstätte ein Darlehen zu geben, so dass die Zinsen dann in Deutschland besteuert werden könnten. Das heißt, sie zwingt den Steuerpflichtigen (das deutsche Stammhaus), Kapital in die Betriebsstätte zu geben. Andererseits geht damit die Besteuerung der Nutzungsmöglichkeil für dieses Kapital dem deutschen Stammhaus verloren, das heißt, es kommt zu einer Entstrickung, also einer Nutzungsentstrickung. Ich frage mich, was der Steuerpflichtige tun soll? Er sitzt hier zwischen Skylla und Charybdis. Ich kann verstehen, dass Herr Steinbrück Geld braucht, aber so deutlich sollte man das dann doch nicht konzipieren.
Naumann Die Diskussion über die Nutzungsüberlassung hat mich einigermaßen irritiert, wie sie hier geführt wurde. Denn wenn ich von der Nutzungsentnahme ausgehe, dann muss ich doch nach dem Gesetzeswortlaut unterstellen, dass diese Nutzungsentnahme zu dem gemeinen Wert zu verpreisen ist. Und das bedeutet, dass eine lizenzähnliche Vergütung unterstellt werden muss. Und von daher geht es nicht um das Wirtschaftsgut als solches, für das ggf. eine Komplettentstrickung vorgenommen werden muss. Es kommt mir wirklich extrem fremd vor, dass
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sämtliche stille Reserven eines Wirtschaftsgutes entstrickt werden müssten, wenn die Finanzverwaltung eine Nutzungsentnahme annimmt. Wenn ich Herrn Dr. Kaeser richtig verstanden habe, hat er es auch so gesehen, dass es nur darum geht, dass die Nutzung angemessen zu vergüten ist, dass ein dem gemeinen Wert entsprechendes Entgelt gezahlt werden muss. Von daher weiß ich nicht, was insofern besonders nach § 4g EStG gestundet werden sollte. Nutzungsentgelte laufen für eine bestimmte Nutzung, die in einem bestimmten Zeitrahmen zu zahlen sind. Die Idee, in diesem Zusammenhang § 4g EStG ins Spiel zu bringen, verwirrt mich wirklich. Das ist mir völlig schleierhaft.
Prof Dr. Frotscher Vielleicht wollen wir einfach einmal ein primitives Beispiel nehmen: Das Stammhaus hat ein Patent entwickelt, und dieses Patent wird in der ausländischen Betriebsstätte genutzt. Ein Patent läuft- ich bin kein Zivilrechtier- vielleicht 18 Jahre, das heißt, Sie müssten dann das Nutzungsentgelt für 18 Jahre kapitalisiert sofort versteuern. Das war die Annahme. Wenn Sie natürlich sagen, es wird jedes Jahr 1/18 versteuert, dann reden wir über einen anderen Fall. Aber auch hier haben wir das Problem, das ich eben mit dem Darlehen auseinandersetzte. Die Finanzverwaltung untersagt es quasi dem Steuerpflichtigen, dass die Betriebsstätte ein steuerlich anzuerkennendes Nutzungsentgelt zahlt. Das geht nämlich nicht, weil die Zinszahlung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht verrechnet wird. Trotzdem will sie etwas, was sie verbietet, versteuern. Damit habe ich, ehrlich gesagt, systematische Probleme.
Prof Dr. Schön Vielleicht noch einmal zu dem Nutzungsfall, weil es auch ein bisschen anschließt an heute Morgen. Wenn man einem Institut angehört, in dem Patent- und Steuerrecht betrieben wird, weiß man, es sind 20 Jahre, aber Sie waren schon sehr nahe dran mit den 18 Jahren. Vielleicht gehen wir einmal aus von dem Fall, den Prof Dr. Lüdicke gebildet hat. Der Inhaber des Patents überlässt das Patent einem ausländischen Lizenznehmer gegen Entgelt. Da ist zunächst einmal die Frage, wer nutzt jetzt? Und da haben wir den § 100 BGB, der spricht von Nutzung, verweist auf den § 99 BGB. Da gibt es zwei, die nutzen. Da gibt es den, der unmittelbar gebraucht, das ist der ausländische Lizenznehmer, und denjenigen, der Rechtsfrüchte bezieht, wie man sie
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nennt, also die Lizenzgebühr, das ist der Inhaber. Das heißt, solange ich Lizenzgebühren vom ausländischen Lizenznehmer erziele, nutze ich das Patent. Ich glaube, die Vorschrift ist gar nicht einschlägig. Dann kann es den Fall geben, dass der ausländische Lizenznehmer etwa eine Tochtergesellschaft ist und ich überlasse unentgeltlich. Das wäre ein Fall, den ich auch nicht hierunter fassen muss. Das kann ich über den§ 1 AStG regeln. Da muss dann eben das angemessene Entgelt verrechnet werden. Und erst in dem Fall, den Herr Prof Dr. Frotscher gebildet hat, dass nämlich die Auslandsbetriebsstätte nutzt, bin ich bei dem Problem. Da gibt es eigentlich mehrere Möglichkeiten. Wenn wir von dem ausgehen, was heute Morgen gesagt worden ist, nach dem alten Veranlassungsprinzip, müsste ich jetzt fragen: welche Kosten? Die im Inland anfallen, etwa Abschreibungen auf das Patent, sind in Wahrheit Kosten des Auslandes, werden dort abgezogen, und entsprechend habe ich zwar keine Gewinnbesteuerung, aber ich habe doch einen höheren Gewinn im Inland, weil die Abschreibungen dort nicht mehr anfallen, und einen ermäßigten Gewinn im Ausland, weil dort die Abschreibungen anfallen. Und wenn man das alles nicht mehr will, gibt es zwei Wege für den nächsten Schritt: einmal die Fiktion einer Innentransaktion, dass nämlich ernsthaft gezahlt wird. Dann wird er noch im Inland genutzt, dann kriege ich im Inland noch Gebühren. Oder die Nutzungsentnahme. Aber an dem Punkt, Herr Naumann, ist das Gesetz unklar. So wie man es liest, dass es nämlich auf die Beschränkung oder den Ausschluss entweder der Nutzung oder der Veräußerung ankommt, ist genau die Frage, die Sie hier meinen, eindeutig beantworten zu können, eben im Gesetz nicht eindeutig angelegt: Ist die Rechtsfolge die Gewinnaufdeckung hinsichtlich der gesamten stillen Reserven oder ist die Parallele zur Nutzungsentnahme zu ziehen? So, wie Sie es vorgetragen haben, leuchtet es ein, aber das Gesetz gibt dies nicht deutlich her. Dr. Kaeser
Ich glaube, ein Thema hier ist einfach: liest man das Gesetz wohlwollend, wie Herr Naumann, oder liest man es bösartig, wie es vielleicht gerne in der Literatur gemacht wird? Aber das hat natürlich seine Ursache darin, dass der Wortlaut in der Tat ein bisschen an Klarheit vermissen lässt. Das liegt wiederum daran, dass wir hier zwei neue Elemente haben: die Beschränkung des Besteuerungsrechts und den Ge-
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winn aus der Nutzung. In dem Bereich, in dem es um den Wegfall des Besteuerungsrechts geht und den Gewinn aus der Veräußerung, ist eigentlich alles ziemlich klar. Auch im Zusammenspiel mit§ 4g EStG gibt es keine wesentlichen Probleme. Aber bei den neuen Tatbestandselementen kommt es zu Auslegungsproblemen. Die werden sich klären, und ich bin mir auch sicher, dass Sie, Herr Müller-Gatermann, da eine vernünftige Anwendungsvorschrift finden werden, die uns das Leben in der Praxis im Unternehmen auch mit dieser Neuregelung leicht machen wird. Prof Dr. Lüdicke
Lassen Sie uns nun einmal auf die Verstrickung zu sprechen kommen. Sie hatten den § 4 Abs. 1 Satz 7 EStG angesprochen und gesagt, die Regelung sei im Grunde zu begrüßen, jedenfalls aus der Sicht des deutschen Steuerpflichtigen, da zum gemeinen Wert verstrickt wird. In der Tat, es fällt auf, dass die Nutzung an dieser Stelle nicht erwähnt ist. Herr Naumann, Sie zucken mit den Achseln. Möglicherweise kommt später eine wohlwollende Regelung aus der Finanzverwaltung, aber es wäre schön, wenn das im Gesetz geregelt wäre. Ferner fällt auf, dass das Konzept, zum gemeinen Wert zu verstricken, nicht im ganzen Einkommensteuergesetz stringent durchgehalten worden ist, denn beim § 17 EStG hat man sich für etwas anderes entschieden, nämlich für die Wertverknüpfung mit dem Ausland. Erlauben Sie an dieser Stelle einen kleinen Seitenblick: Auch was die aufgeschobene Gewinnrealisierung betrifft, gibt es kein einheitliches Konzept. Der Grundsatz des § 4 Abs. 1 EStG - nämlich Sofortversteuerung ohne aufgeschobene Gewinnrealisierung - ist für die EU-Fälle interessanterweise nicht für die EWR-Fälle - nach § 4g EStG durch aufgeschobene Gewinnrealisierung über fünf Jahre durchbrachen. In § 6 AStG ist der Steueraufschub aber auf unbegrenzte Dauer möglich. Ein durchgängiges Konzept vermag ich da nicht zu erkennen. Gibt es Differenzierungsgründe oder ist das Zufall? Müller-Gatermann
Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG und die Entstrickung und Verstrickung im betrieblichen Bereich sind grundsätzlich unterschiedlich geregelt worden. Bei der Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen verfolgt man das Prinzip der nachgelagerten Besteuerung, auch
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wenn wegen des Verlustes der Steuerhoheit zunächst beim Wegzug besteuert, dann aber zinslos gestundet wird. Deutlich wird dies durch die Möglichkeit der Berücksichtigung nachträglicher Wertminderungen bei der endgültigen Besteuerung. Im betrieblichen Bereich wird demgegenüber bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern im Zeitpunkt der Verlagerung endgültig besteuert. Bei Anlagevermögen ist lediglich die zeitlich gestreckte Besteuerung auf fünf Jahre vorgesehen. Die unterschiedliche Behandlung ist darin begründet, dass die fehlende wirkliche Kontrolle in einem Masseverfahren wie dem betrieblichen Bereich keine weitere Verfolgung der verlagerten Wirtschaftsgüter zulässt. Auch im Falle der Verstrickung wird unterschiedlich vorgegangen: Bei der Verstrickung im betrieblichen Bereich, das heißt, bei der Überführung von Wirtschaftsgütern ins Inland, erfolgt in jedem Fall eine Bewertung zum gemeinen Wert. Auf diese Weise können sogar weiße Einkünfte entstehen, wenn der Wegzugsstaat die bei ihm entstandenen stillen Reserven nicht besteuert. Bei der Verstrickung im Falle des Zuzugs von natürlichen Personen wird demgegenüber eine Wertverknüpfung vorgesehen. Man hätte die Verstrickungsfälle sicher auch gleich regeln können, zumal dem Steuerpflichtigen im betrieblichen Bereich der Nachweis für die Besteuerung im Wegzugsstaat hätte aufgebürdet werden können. Prof Dr. Lüdicke
Das ist politischer Wille statt systematischer Gesetzgebung. Wir halten das einmal für das Protokoll fest. Frage aus dem Publikum
Wann kommt die Klarstellung des Betriebsstättenerlasses, in den Sie die ganzen Wohltaten reinschreiben könnten? Naumann
Von Wohltaten weiß ich in dem Zusammenhang noch nicht ganz so viel. Publikum
Wohlwollende Ausführungen.
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Podiumsdiskussion: Entstrickung und Verstrickung
Naumann
Wir werden dann schon sehen, dass wir auch den Betriebsstättenerlass, der natürlich auch in Folge des SEStEG neu formuliert werden muss, nach betriebswirtschaftlich sinnvollen Erwägungen formulieren. Es ist aber zunächst einmal vorgesehen, bei dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 die Verrechnungspreisgrundlagen, also den § 1 AStG zu modernisieren. Das heißt eben auch, innerstaatliche Rechtsgrundlagen für Betriebsstättenbesteuerung grenzüberschreitend definitiv ins Gesetz zu schreiben, so dass wir insofern den Fremdvergleichsgrundsatz auch als innerstaatlichen Grundsatz bei der Betriebsstättenbesteuerung haben werden. Mit diesem Handwerkszeug, das wir hoffentlich zum 1.1.2008 haben, werden wir den Betriebsstättenerlass in die Richtung, in die die OECD denkt, neu formulieren: dass insofern der Fremdvergleichsgrundsatz für Betriebsstätten in ganz ähnlicher Weise gelten wird, wie er jetzt für selbständige Unternehmen gilt. Wie gesagt, Wohlwollen, Wohltaten sehe ich da noch nicht so ganz. Es geht darum, dass man eine Regelung trifft, die international fair ist und sicherstellt, dass die Bundesrepublik die ihr aus betriebswirtschaftlicher Sicht zustehende Bemessungsgrundlage tatsächlich auch sicherstellen kann. Zunächst muss die Unternehmenssteuerreform 2008 bewältigt werden. Und dann wird man sicherlich den Betriebsstättenerlass völlig neu formulieren müssen. Prof Dr. Lüdicke
Das heißt mit anderen Worten: bis dahin wird aus dem BMF zu den neuen Vorschriften keine Auslegungshilfe kommen? Naumann
Wir sind so gut ausgelastet mit der Unternehmenssteuerreform, dass ich im Moment die Kapazitäten dafür nicht sehe. Prof Dr. Lüdicke
Gilt das gleiche auch für den Umwandlungssteuererlass? Der müsste doch auch angepasst werden. Müller-Gatermann
Da gilt das mit den Kapazitäten, was Herr Naumann für seinen Bereich gesagt hat.
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Funktionsverlagerung Manfred Naumann Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Inhaltsübersicht I. Einleitung
II. Entwurf eines BMFSchreibens zu Funktionsverlagerungen 1. Zweischneidigkeit von Funktionsverlagerungen .. 2. Definition der Funktionsverlagerung ....................... 3. Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ...... 4. Dispositionsfreiheit des Unternehmens ................... 5. Besteuerung eintretender Folgen ................................ 6. Substance over Form ........ 7. Mitwirkungspflichten ......
I.
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169 170 171 172 172 173 174
8. 9. 10. 11. 12.
Transferpaket Gewinnpotenzial .............. Transparenz ...................... Bandbreiten ....................... Steuerlich unerhebliche Funktionsverlagerungen .. 13. Entsendung von Mitarbeitern ..................................... 14. Weitere Aspekte des Entwurfs eines BMF-Schreibens ....................................
174 175 175 176 177 178
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111. Denkbare Neuregelungen zur Funktionsverlagerung 180 IV. Schlussbemerkung .......... 181
Einleitung
Was für ein schönes Wortspiel: "Der Gesetzgeber wird sich nicht davon abhalten lassen, noch gesetzgeberisch tätig zu werden, auch wenn die Verwaltung auf der Grundlage des geltenden Rechts ein Funktionsverlagerungspapier produziert hat." Funktionsverlagerungen sind ein Thema, das die Finanzverwaltung schon sehr, sehr lange umtreibt. Seit Jahren wird von Betriebsprüfern über Fälle berichtet, mit denen sie große Schwierigkeiten haben und für die sie nicht leicht Lösungen finden. Wir finden Funktionsverlage-
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Naumann, Funktionsverlagerung
rungenfür alle möglichen Unternehmensfunktionen. Produktionsfunktionen werden entweder verlagert, zum Teil aber auch in Deutschland belassen und zum Lohnfertiger abgeschmolzen. Wir haben eine Fülle von Fällen. Erst vor einiger Zeit hat mich ein Berater einer der großen vier Beratungsunternehmen angesprochen, er habe noch nie so viele Funktionsverlagerungen für Forschung und Entwicklung begleitet, wie in den letzten fünf bis sechs Jahren. Und wir haben auch klassische Funktionsabschmelzungsfälle für Vertriebsunternehmen, die selbstverständlich große Probleme aufwerfen. Überall stößt die Betriebsprüfung auf diese Fälle. Wie ich aus einem Bundesland gehört habe, als ich über den Inhalt des Funktionsverlagerungspapiers gesprochen habe, wurde mir gesagt: "Ja, die Fälle haben wir alle, wir wussten nur nicht, dass das so heißt." Das Problem, wie man letztlich mit den Fällen umgeht, ist aus der Sicht eines Betriebsprüfers in der Praxis schwierig lösbar. Betriebsprüfer haben immer den Verdacht- zu Recht oder zu Unrecht-, dass mit einer Funktionsverlagerung Immaterialwirtschaftsgüter übergegangen sind und dass auch Know-how im Spiel war. Beides sind ziemlich sensible und häufig auch sehr wertvolle Dinge, die einfach, um es laienhaft zu sagen, über die Grenze hinweg verschwinden, die aber häufig im Inland durchaus ganz erhebliche Betriebsausgaben verursacht haben. Gerade wenn es um selbst geschaffene Immaterialwirtschaftsgüter geht, ist klar: die findet der Betriebsprüfer nicht in der Bilanz, die findet er nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung, die sind irgendwie da. Häufig, auch nach dem, was ich auch aus der Industrie gehört habe, werden die wirklich wichtigen immateriellen Wirtschaftsgüter nicht patentiert, weil sonst ein Konkurrent geschwind nach München gehen und sich anschauen könnte, was da so erfunden worden ist. Es ist ein höchst heikles Thema aus der Sicht der Finanzverwaltung, weil die Gefahr besteht, dass infolge solcher Vorgänge ganz erhebliche Gewinne im Ausland entstehen, die dadurch begründet sind, dass in Deutschland entsprechende Immaterialwirtschaftsgüter tatsächlich geschaffen worden sind.
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Naumann, Funktionsverlagerung
II.
Entwurf eines BMF-Schreibens zu Funktionsver Iagerungen
1.
Zweischneidigkeit von Funktionsverlagerungen
Um zum Entwurf des BMF-Schreibens zu kommen, zu einem wichtigen Punkt, den wir in unserer allerersten Version - glaube ich - noch nicht deutlich genug gemacht hatten, der aber immer einvernehmlich Stand der Dinge war: Funktionsverlagerungen sind unter allen Umständen, wie sie auch definiert werden, zweischneidig zu betrachten. Die Fälle, die die Finanzverwaltung besonders ärgern, sind die Fälle, in denen Funktionen von Deutschland ins Ausland verlagert werden, weil in diesen Fällen der Verdacht eines Verlustes von immateriellen Wirtschaftsgütern besteht. In diesen Fällen sollen die Immaterialwirtschaftsgüter besteuert werden, deren Wert, deren Gewinnpotenzial wie auch immer das betriebswirtschaftlich benannt wird - dem Grunde nach in Deutschland mit Recht besteuert werden soll, weil eben hier für zukünftige Gewinne eines ausländischen Unternehmens die Grundlage gelegt worden ist. Zweischneidigkeit bedeutet andererseits, dass - wenn wir eine Punktionsverlagerung vom Ausland nach Deutschland haben - selbstverständlich aus der Sicht der Finanzverwaltung Bereitschaft bestehen muss, zu akzeptieren, dass der Staat die Berechtigung hat, eine Besteuerung vorzunehmen, und dass das deutsche Unternehmen, das hier aufgrund von Immaterialwirtschaftsgütern des anderen Staates und des anderen Unternehmens arbeitet, berechtigt sein muss, eine entsprechende Aktivierung in Deutschland vorzunehmen, die letztlich zu einer Abschreibung führt oder wie auch immer Einfluss auf die deutsche Bemessungsgrundlage hat. Das ist aus meiner Sicht, aus der Sicht des deutschen Standortes, fast selbstverständlich. Im Fall eines ausländischen Investors, der hierher kommt und z .B. sagt, ich möchte in Harnburg eine Produktion und einen Vertrieb aufmachen- ich komme mit meinem amerikanischen Unternehmen bzw. mit einem Teil davon nach Deutschland und eröffne hier die Produktion und den Vertrieb für den europäischen Markt mit Hilfe von Immaterialwirtschaftsgütern der amerikanischen Mutter-, hätte ich keinerlei Bedenken, eine entsprechende Aktivierung hinzunehmen. Denn Verrechnungspreise sorgen dafür, dass es zu einem fairen Ausgleich kommt. Das heißt, wenn das deutsche Unternehmen diese Immaterialwirtschaftsgüter
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Naumann, Funktionsverlagerung
kauft oder wenn sie ihm lizenziert werden - wie auch immer das geschieht -, wird es nicht zu Dauerverlusten in Deutschland führen, sonst würden fremde Dritte das Geschäft nicht gemacht haben. Insofern denke ich, sind wir völlig offen, in umgekehrten Fällen gleich zu verfahren, wie wir gerne möchten, dass bei den Auslagerungsfällen aus Deutschland vorgegangen wird.
2.
Definition der Funktionsverlagerung
Ein schwieriger Punkt ist, wie man Funktionsverlagerungen definiert. Das ist kein Standardausdruck, der schon in allen Kommentaren im Detail definiert worden wäre. Wir definieren diesen Ausdruck so, dass er alle Aufgaben betreffen kann, die ein Unternehmen ausführt und die von einem Staat in einen anderen Staat verlagert werden. Damit ist im Allgemeinen verbunden, dass Personalfunktionen, die in dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden sind, nunmehr in dem anderen Unternehmen ausgeübt werden, dass bestimmte Wirtschaftsgüter übergehen, dass zusätzliche Dienstleistungen erbracht werden und dass möglicherweise auch Immaterialwirtschaftsgüter von Deutschland ins Ausland verbracht werden können. Das ist der Ansatz, von dem aus Funktionsverlagerungen definiert werden. Wir treffen klare Aussagen in dem, was wir als BMF-Schreiben produzieren möchten. Darin heißt es, dass mit Funktionsverlagerungen nicht die Einzelverbringung einzelner Wirtschaftsgüter gemeint ist, wenn das Interesse der Beteiligten darin besteht, eben ein einzelnes Wirtschaftsgut zu übertragen; nicht gemeint ist die Erbringung einer einzelnen Dienstleistung oder die Bereitstellung eines einzelnen immateriellen Wirtschaftsgutes. Das alles lässt sich mit traditionellen Verrechnungspreismethoden erledigen. Probleme entstehen immer dann, wenn ein Bündel, eine Funktion als solche, die aus Chancen und Risiken, aus Personalfunktionen und Wirtschaftsgütern besteht, von einem Unternehmen im Inland ins Ausland verlagert wird, aber genauso gut auch umgekehrt. Die große Schwierigkeit ist - ich kann es nur noch einmal wiederholen - zu identifizieren, was genau da eigentlich übergegangen ist. Die Betriebsprüfer, insbesondere die des Bundeszentralamtes, sagen: "Materielle Wirtschaftsgüter spielen in dem Zusammenhang selten eine Rolle, die finden wir auch im Zweifel, das ist nicht das Problem." Aber was da an Know-how, was da an selbst geschaffenen immateriellen Wirtschafts-
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Naumann, Funktionsverlagerung
gütern transportiert wird, das ist extrem schwierig herauszufinden. Die Unternehmen sind da in der Vergangenheit auch nicht sonderlich hilfreich gewesen.
3.
Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes
Deswegen gibt es schon heute eine Formulierung in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung zu Funktionsverlagerungen. Entsprechende Aufzeichnungspflichten sind den Unternehmen im Regelfall, wenn es sich um einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall handelt, auferlegt, zeitnah eine Dokumentation zu erstellen und auf diesem Weg klare Entscheidungsgrundlagen zu produzieren. Die Rechtsgrundlage ist ausschließlich der Fremdvergleichsgrundsatz, den man in § 1 AStG und ausdrücklich normiert in den Doppelbesteuerungsabkommen findet, die Deutschland verbindlich abgeschlossen hat. Diese Abkommen sind - da kann ich die vorausgegangene Diskussion nur noch einmal aufnehmen - durch das Zustimmungsgesetz bindendes deutsches Steuergesetz. Wie die Parteien, die diese internationalen Verträge abgeschlossen haben, die Doppelbesteuerungsabkommen, den Fremdvergleichsgrundsatz verstehen, ergibt sich aus der OECD-Musterkommentierung. Ich halte es nicht für ganz richtig zu sagen, es handele sich um irgendein beliebiges Papier, das die Staaten zusammengeschrieben haben und das vielleicht eine Art Interpretationshilfe für ein Gericht sein könnte. Man muss, glaube ich, zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, dass immer dann, wenn der Wortlaut eines Abkommens, das die Bundesrepublik abgeschlossen hat, mit dem Abkommenstext des Musterabkommens übereinstimmt- und das ist relativ häufig der Fall - der Parteiwille bezogen auf diesen internationalen Vertrag sich inhaltlich für die weitere Auslegung unmittelbar aus den betreffenden OECD-Papieren ergibt, das heißt im vorliegenden Zusammenhang aus den Guidelines (OECD-Leitlinien 1995). Darüber, inwiefern eine dynamische oder eine weniger dynamische Auslegung vorzuziehen ist, will ich mich nicht auslassen, aber insofern sind die OECD-Guidelines eine ganz wichtige Vorschrift, um internationale Verträge, die Doppelbesteuerungsabkommen, auszulegen. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass deutsche Gerichte manchmal äußern, es handele sich lediglich um etwas Unverbindliches, daran müsse man sich überhaupt nicht halten. Die Konsequenz dieser Position ist, dass internationale Besteuerungskonflikte entstehen, dass weiße Einkünfte entstehen können. Das sollte weder im Interesse der Finanzverwaltung noch der Richterschaft sein.
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Naumann, Funktionsverlagerung
Ich denke, auch vernünftige Unternehmer sehen solche Entwicklungen nicht unbedingt gerne, denn letztlich, wenn so eine Lücke aufgeht, ist plötzlich jeder dazu gezwungen, diese Lücke auch zu nutzen, auch wenn es betriebswirtschaftlich vielleicht nicht unbedingt soviel Sinn macht. Also: der Fremdvergleichsgrundsatz in diesem Sinne ist der Grundsatz, der dem Funktionsverlagerungspapier zugrunde liegt.
4.
Dispositionsfreiheit des Unternehmens
Ganz wichtig ist: Wir, die deutsche Finanzverwaltung, sind nicht die besseren Kaufleute. Wir sagen keinem Unternehmen, du darfst nicht verlagern. Wenn ein Unternehmer aus welchen Gründen auch immer zu der Entscheidung kommt, es möchte eine Produktion von Deutschland nach Slowenien oder nach China oder nach Südamerika verlagern, dann ist das seine autonome Entscheidung. Die deutsche Finanzverwaltung ist nicht dazu berechtigt, jedenfalls nicht nach dem bislang herrschenden Rechtsverständnis, zu sagen, das darfst du aber nicht. Von daher besteht Entscheidungsfreiheit. Und ich denke, die Unternehmen tragen letztlich die Verantwortung dafür, was passiert, wenn sie eine Verlagerungsentscheidung treffen. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite, wenn solche Entscheidungen getroffen werden und wenn Immaterialwirtschaftsgüter, Gewinnpotenzial - wie auch immer man es nennen möchte- übertragen werden, dann dürfen die Unternehmen aber andererseits nicht sagen, sie möchten die daraus entstehenden steuerlichen Folgen nicht tragen.
5.
Besteuerung eintretender Folgen
Das ist der Zweiklang: Jeder hat das Recht, sein Geschäft so zu strukturieren, wie er es ökonomisch für vernünftig hält. Aber die daraus sich ergebenden steuerlichen Folgen müssen getragen werden, und dass stille Reserven in verlagerten Wirtschaftsgütern aufzudecken sind, sollte nicht streitig sein. Dies wird auch von Unternehmensvertretern immer wieder betont: Das sei überhaupt nicht das Thema. Wenn Wirtschaftsgüter übergehen und damit sind eindeutig stille Reserven verbunden, habe ich bisher von niemandem aus der Wirtschaft gehört, dass Zweifel bestünden, dass diese stillen Reserven realisiert und besteuert werden müssen. Das ist Konsens. Daraus ergibt sich
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Naumann, Funktionsverlagerung
aber auch das Spannungsverhältnis, in dem sich dieses Funktionsverlagerungspapier befindet.
6.
Substance over Form
Hiermit möchte ich mich nicht ausführlich beschäftigen. Ich weise nur darauf hin: das ist ein Thema, das die OECD im Moment gerade sehr beschäftigt. Es geht um die Frage, inwiefern bei Funktionsverlagerungen sog. "Recaracterisations" vorgenommen werden können, das heißt die Nichtanerkennung von zivilrechtlich wirksam abgeschlossenen Verträgen. Ich halte das Thema aus deutscher Sicht, aus der Sicht der deutschen Finanzverwaltung in der ganz weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht für relevant. In den allermeisten Fällen, die ich sehe und die Betriebsprüfer vortragen, passiert tatsächlich etwas. Man kann aus unserer Sicht selten davon sprechen, dass Rechtsmissbrauch vorliegen würde, z.B wenn ein deutscher Automobilbauer eine Teilproduktion tatsächlich in Tschechien errichtet. Auch wenn der Vorgang überwiegend steuerlich motiviert sein sollte, sind wir weder dazu in der Lage noch halten wir es für sinnvoll, in einem solchen Zusammenhang über Missbrauch zu sprechen. Das ist auf OECD-Ebene durchaus anders, vielleicht deswegen, weil andere Staaten wohl sehr viel auch mit zumindest relativ künstlich erscheinenden Gestaltungen zu tun haben. Es wird intensiv darüber gesprochen und gestritten, unter welchen Voraussetzungen die Nichtanerkennung von zivilrechtliehen Verträgen möglich ist. Ich glaube, diese Diskussion sollten wir in Deutschland nicht in besonders großem Umfang führen. Bei tatsächlich völlig künstlichen Gestaltungen wird man sicherlich Mittel und Wege finden, diese vielleicht sogar wieder mit§ 42 AO zu bekämpfen. Ich denke da durchaus an Cadbury-Sclnveppes1 und was der EuCH in diesem Zusammenhang zu Missbrauch gesagt hat. Das ist aus unserer Sicht deutlich günstiger und deutlich vernünftiger als die Rechtsprechung des BFH aus der letzten Zeit. Aber wie gesagt, das ist ein Thema, das wir bei Funktionsverlagerungen eigentlich nicht sehr intensiv diskutieren sollten.
1
EuGH, Urt. v. 12.9.2006 - Rs. C-196/04 - Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995.
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7.
Mitwirkungspflichten
Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen sind geregelt in § 90 Abs. 1-3 AO. In der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung sind Funktionsverlagerungen ausdrücklich als ein Fall, der ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall sein kann, aufgeführt; dies ist immer dann der Fall, wenn sie von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Ist das der Fall, dann sind vom Steuerpflichtigen entsprechend zeitnah Aufzeichnungen zu erstellen und der Finanzverwaltung vorzulegen. Insofern ist schon ein guter Grund gelegt, mit Funktionsverlagerungen klarzukommen, auch wenn wir der Meinung sind, dass noch etwas zugunsten der Finanzverwaltung verändert werden müsste. Darauf komme ich noch zurück.
8.
Transferpaket
Grundvorstellung für Funktionsverlagerungen ist, dass wir vom Übergang eines Transferpakets ausgehen. Ich habe es oben schon beschrieben: zum einen übergegangene Personalfunktionen- das ist durchaus eine Folge der Diskussion über die Betriebsstättenbesteuerung bei der OECD, dass Funktionen eigentlich immer nur in engem Zusammenhang mit Personal stehen - und zum anderen dazugehörende Wirtschaftsgüter, Chancen und Risiken und ggf. erbrachte Dienstleistungen. Das alles ist als ein Paket anzusehen. Um in diesem Zusammenhang Immaterialwirtschaftsgüter und auch Know-how überhaupt finden zu können, nehmen wir ein Transferpaket an. Wir kommen gleich bei der Bewertung dazu, wie wir denken, dass die Einzelteile inklusive dieser schwer zu entdeckenden Teile definiert werden können. Betriebswirtschaftlich, damit haben wir uns eine Weile beschäftigt, ist es so, dass dann, wenn Funktionen unter fremden Dritten verlagert werden, in aller Regel nicht auf einzelne Wirtschaftsgüter geschaut wird, sondern dass, wenn eine Funktion auf ein anderes Unternehmen verlagert wird, sich die Frage stellt, ob der Preis, den derjenige zu zahlen hat, der dieses Paket übernimmt, so bemessen ist, dass er mit den zu erwartenden Erträgen unter Berücksichtigung seines "Einkaufspreises" eine auskömmliche Rendite erwirtschaftet. Die andere Frage ist, was der Mindestpreis ist, den derjenige, der das Transferpaket abgibt, zu verlangen hat, um wirtschaftlich vernünftig zu agieren.
174
Naumann, Funktionsverlagerung
9.
Gewinnpotenzial
Deswegen ist das Gewinnpotenzial, das übergeht, aus unserer Sicht vom Standpunkt beider beteiligten Unternehmen zu betrachten. Der BFH hat die Denkfigur des "doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" aus unserer Sicht richtig aus den OECD-Grundsätzen abgeleitet. Wenn man über Fremdvergleichspreise spricht, muss immer von dem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter ausgegangen werden, der sich nicht "über den Tisch ziehen" lässt. Von dieser Fiktion - Fremdvergleichspreise sind fiktiv, Betriebsstättenbesteuerung ist in noch größerem Umfang fiktiv - muss ausgegangen werden. Das ist das Leitbild: Ich habe zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter, ich habe einen Geschäftsvorfall, der, wenn die Betriebsprüfung kommt, bereits stattgefunden hat. Dann ist zu fragen, wie wäre dieser Geschäftsvorfall zwischen zwei unabhängigen Geschäftsführern tatsächlich abgewickelt und verpreist worden. Ob das Gewinnpotenzial, wenn es festgestellt worden ist, mit einer Einmalzahlung vergütet wird oder ob dieses Gewinnpotenzial ganz oder teilweise "lizenziert" wird, ist durch die bloße Feststellung, dass Gewinnpotenzial übergegangen ist, nicht entschieden. Die Unternehmen haben im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit die Möglichkeit, das so oder so zu machen. Ich denke, es wird aus der Sicht der Unternehmen ein großes Interesse daran bestehen, nicht zu einer Einmalbesteuerung zu kommen, weil diese zu einer ganz erheblichen Liquiditätsbelastung führt. Wenn möglich, wird versucht werden, über lizenzähnliche Verträge zu einem fremdvergleichsüblichen Entgelt zu kommen. Das ist aus unserer Sicht sachgerecht, weil der Blick in die "Glaskugel" gefordert wird, wenn über Gewinnpotenziale gesprochen wird. Niemand kann sicher sein, was letztlich herauskommt. Ich denke, es ist vernünftig für zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter - wenn es nicht um Kleinigkeiten geht, sondern wirklich um eine bedeutende Funktionsverlagerung -, dass sie nicht "Alles-oder-Nichts" spielen, sondern dass sie Möglichkeiten finden, Anpassungen vorzunehmen, wenn die Entwicklung völlig anders verläuft als sie sich das vorgestellt haben. Das wollen wir als Finanzverwaltung ausdrücklich begünstigen.
10.
Transparenz
Was auch wesentlich ist: Ausgangsbasis muss die Kenntnis sein, die im Konzern vorhanden ist, denn der Konzern entscheidet tatsächlich für
175
Naumann, Funktionsverlagerung
die zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter. Der Konzern verfügt über alle Entscheidungsunterlagen, und die müssen der Besteuerung einer Funktionsverlagerung zugrunde gelegt werden. Aus meiner Sicht ist für den Einstieg in eine Prüfung absolut entscheidend die Entscheidungsgrundlage desjenigen im Unternehmen, der die Entscheidung tatsächlich getroffen hat, dass die Funktionsverlagerung durchgeführt wird. Da stecken im Kern alle maßgeblichen betriebswirtschaftlich vernünftigen Erwägungen darin, aus welchem Grund die Betriebsverlagerung stattfindet, warum die Funktionsverlagerung vorgenommen worden ist. Das ist die Ausgangsbasis für die Besteuerung und auch für die Betriebsprüfung, weil ich unterstelle, dass der Entscheidungsträger im Unternehmen ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ist; bis zum Beweis des Gegenteils wird man das wohl unterstellen können. Deswegen sind alle Informationen, die diese Person hatte, für die Preisfindung und Besteuerung zu Grunde zu legen, um daraus das Verhaltenzweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter abzuleiten. Ich halte überhaupt nichts davon, im Rahmen der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu sagen, es könne auch ein Geschäftsführer unterstellt werden, der volltrunken oder nicht im Besitz seiner geistigen Kräfte ist. Vielmehr muss man von zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern ausgehen - das ist auch die Denkfigur des BFH -, die die erforderlichen Informationen haben und auch entsprechend fair Verhandlungen führen. Die Entscheidungsgrundlagen, die demjenigen zur Verfügung standen, der die Entscheidung hatte, sind ein ganz wesentlicher Punkt. Von diesen Entscheidungsgrundlagen hat das Unternehmen auszugehen, das zunächst bei seiner Steuererklärung die entsprechenden Folgen ziehen muss. Sie müssen der Betriebsprüfung vorgelegt werden; davon hat aus unserer Sicht auch die Betriebsprüfung auszugehen.
11.
Bandbreiten
Bandbreiten gibt es in dem Bereich aus unserer Sicht regelmäßig nicht. Wenn man von einem Transferpaket ausgeht, dann ist das etwas höchst Individuelles. Bislang hat noch niemand behauptet, dass, wenn es um tatsächliche Funktionsverlagerungen geht, echte Fremdwerte nachgewiesen werden könnten. Wenn das nicht der Fall ist, dann komme ich tatsächlich in diesen Fällen zum hypothetischen Fremdvergleich und muss Erwägungen anstellen, was die zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter getan hätten. Aus den betriebswirtschaftliehen
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Naumann, Funktionsverlagerung
Kalkulationen auf der Grundlage der Entscheidungsunterlagen ergeben sich die Preisuntergrenze desjenigen, der verlagert, und die Preisobergrenze desjenigen, der die Funktion übernimmt. Das ist eine "Schmerzgrenzenberechnung", um festzustellen, was noch akzeptabel wäre. Unsere Überzeugung ist, dass, wenn ein Unternehmen entscheidet, eine Funktionsverlagerung durchzuführen, wirtschaftlich ein Vorteil durch diese Funktionsverlagerung für das Unternehmen erreicht werden soll. Wir gehen nicht davon aus, dass Unternehmen gegen die eigenen Interessen verstoßen. Wenn es so ist, dass mit einer Funktionsverlagerung ein Vorteil verbunden ist, dann gibt es auch etwas, was zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter im Wege von Verhandlungen aufzuteilen hätten. Aus unserer Sicht ist jeder Wert in dem sich ergebenden Einigungsbereich denkbar, aber aus der Sicht des hypothetischen Fremdvergleichs begründungspflichtig. Es handelt sich nicht um echte Fremdwerte, für die man sagen kann, da hat schon einmal jemand in einem vergleichbaren Fall einen entsprechenden Preis tatsächlich akzeptiert. Wenn davon auszugehen ist, ein echter Fremdpreis existiert nicht, dann komme ich nicht zu Bandbreiten, sondern dann bin ich dabei, Verhandlungsspielräume zu beschreiben und Verhandlungen nachzuvollziehen. In diesem Zusammenhang haben die Unternehmen die Möglichkeit, jedes Argument, warum sie sich für einen Wert oben oder unten im Einigungsbereich entschieden haben, vorzubringen, und diese Möglichkeiten sollen die Unternehmen auch haben. Nur wenn keine Argumente vorgebracht werden oder wenn die Argumente offensichtlich fadenscheinig sind, wird die Finanzverwaltung nach der älteren BFH-Rechtsprechung von dem Erfahrungssatz ausgehen, dass zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter sich im Mittelbereich dieses Verhandlungsspielraums einigen werden.
12.
Steuerlich unerhebliche Funktionsverlagerungen
Ganz wichtig ist: wir wollen nicht jede Funktionsverlagerung diesem Preisbestimmungsverfahren unterziehen. Insbesondere in Fällen ausländischer Lohnfertiger (oder auch umgekehrt - das ist immer zweischneidig), richtet sich die Vergütung für diesen Lohnfertiger regelmäßig nach der cost-plus-Methode, denn echte Fremdvergleichspreise unter gleichen oder vergleichbaren Bedingungen sind im Allgemeinen für die hergestellten Wirtschaftsgüter nicht festzustellen. In dieser Situation kann ich davon ausgehen, dass alles, was an Know-how und an "intangibles" von dem verlagernden Unternehmen dem anderen
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Naumann, Funktionsverlagerung
Unternehmen für die Produktion zur Verfügung gestellt wird, lediglich beigestellt wird, das wird nicht übertragen. Wenn ich weiter davon ausgehe, dass die Vergütung für den Lohnfertiger eine Tätigkeitsvergütung ist, dann ist das das Ende der Überlegungen. Dann ist nicht zusätzlich noch über die Funktionsverlagerung Gewinnpotenzial zu versteuern. Ich möchte darauf hinweisen, dass alle diese Fälle - auch die, in denen von einem Unternehmen, das Routinefunktionen ausübt und keine besonderen Marktrisiken trägt, konzerninterne Dienstleistungen erbracht werden -Fälle sind, in denen die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass es sich nicht um Fälle steuerlich interessanter Funktionsverlagerungen handelt, so dass die Grundsätze nicht angewendet werden müssen. Es reicht aus, für die Leistungsbeziehungen nach Funktionsverlagerung das zutreffende Entgelt nach der cost-plusMethode festzustellen. Die Funktionsverlagerung als solche hat dann keine steuerlichen Auswirkungen. Voraussetzung ist allerdings auch, dass ein solches Unternehmen seine Leistungen gegenüber dem verlagernden Unternehmen erbringt. Sobald es selbst am Markt tätig wird und sozusagen die zur Verfügung gestellten immateriellen Wirtschaftsgüter selbst im Außenverhältnis nutzt, müssen die Grundsätze angewandt werden, weil das Unternehmen dann am Markt echte Marktpreise realisieren kann; dann wird ihm eine zusätzliche Gewinnchance eingeräumt, und daraus müssen selbstverständlich die steuerlichen Konsequenzen gezogen werden. Das bedeutet: nicht alles, was vom Tatbestand gesehen eine Punktionsverlagerung sein mag, führt zu besonderen steuerlichen Folgen. Lohnfertigerfälle spielen insofern keine Rolle.
13.
Entsendung von Mitarbeitern
Zur Versetzung von Mitarbeitern wurde schon diskutiert, inwiefern Überschneidungen zu dem Arbeitnehmerentsendeerlass2 vorhanden sind. Ich denke, wenn man Tz. 2.1 dieses Arbeitnehmerentsendeerlasses prüft, ist festzustellen, dass in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle keine Überschneidungen zu erwarten sind, weil die Fälle, in denen eine Arbeitnehmerentsendung angenommen wird, sich in der Struktur von dem unterscheiden, was bei Funktionsverlagerungen geschieht.
2
BMF, Sehr. v. 9.11.2001- IV B 4- S 1341- 20/01, BStBl. I 2001, 796.
178
Naumann, Funktionsverlagerung
14.
Weitere Aspekte des Entwurfs eines BMF-Schreibens
Schließungskosten, Standortfaktoren, Synergieeffekte - das sind alles Punkte, die aus unserer Sicht bei der Bemessung des Einigungsbereichs mit hineinzurechnen sind und nicht außerhalb der Berechnung des Einigungsbereichs berücksichtigt werden müssen. Wir sind bereit, Schadensersatzansprüche - zum Beispiel wenn ein Kommissionär zum Agenten abgeschmolzen wird- als Entgelt zu akzeptieren, wenn der ursprüngliche Vertrag fremdvergleichskonform abgeschlossen worden ist und wenn auch die entsprechende Abwicklung, die zu dem Schadensersatzersatzanspruch führt, dem Fremdvergleich entspricht. In vielen Fällen spielen aber § 89b HGB und entsprechende Vorschriften keine Rolle. Wir raten mehr oder weniger zu Anpassungsklauseln. Das wird man dem BMF-Schreiben entnehmen können, denn wie gesagt, der "Blick in die Glaskugel" ist relativ unzuverlässig. Wenn der Steuerpflichtige Anpassungsklauseln wählt, hat er aus unserer Sicht die Chance, spätere Änderungen sowohl in Deutschland als auch in dem anderen Staat ohne besondere steuerliche Schwierigkeiten zu vermitteln, wenn hinterher die Ergebnisse völlig anders sind, als das zum Zeitpunkt, zu dem der Vertrag abgeschlossen worden ist, vorstellbar war. Wenn der Steuerpflichtige dagegen die Einmalbesteuerung wählt, ist erstens die Liquiditätsfrage offen, und zweitens könnte es leicht sein, dass er in dem einen oder anderen Staat richtige Schwierigkeiten bekommt, wenn es hinterher völlig anders läuft als erwartet. Insofern besteht Anlass, darüber nachzudenken, "Hopp-oder-Top-Experimente" zu vermeiden. In dem BMF-Schreiben sollen außerdem bestimmte Fälle noch im Einzelnen etwas näher beleuchtet werden. Von besonderer Bedeutung ist die Vertreterbetriebsstätte, die bei der OECD "Dependent Agent PE" heißt. Dabei handelt es sich um ein schwerwiegendes Problem, und das BMF-Schreiben würde die erste Äußerung der Finanzverwaltung zu dieser Konstruktion enthalten. Bei der OECD sind inzwischen die entsprechenden Grundsätze von allen Mitgliedstaaten akzeptiert. Jetzt kommen wir zu Spekulationen zu dem Punkt, ob das BMF-Schreiben tatsächlich kurz vor der Tür steht. Es wird wohl Anfang 2007 als Entwurf im Internet stehen und nach Ablauf der Anhörungsfrist, wenn
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Naumann, Funktionsverlagerung
nicht etwas ganz Gravierendes geäußert wird, im Bundessteuerblatt veröffentlicht werden.
111. Denkbare Neuregelungen zur Funktionsver Iagerung Für das Jahr 2008 ist bei der Unternehmenssteuerreform in den Eckpunkten die Funktionsverlagerung ausdrücklich erwähnt. Aus meiner Sicht ist das eine gewisse Fehletikettierung, weil das, was das Referat an der Stelle vorhat, die Modernisierung der Verrechnungspreisgrundsätze ganz allgemein ist. Nur in diesem Zusammenhang wird es Regelungen geben, die speziell und besonders auf Funktionsverlagerungen zugeschnitten sind. Da ist zunächst einmal die Pflicht, für vorhandene und sich in Entwicklung befindende immaterielle Wirtschaftsgüter Transparenz für die Finanzverwaltung zu schaffen. Soweit also ein Unternehmen eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung hat, werden wir darauf drängen, dass eben hier die einzelnen Forschungsprojekte differenziert dargestellt werden, damit der Betriebsprüfer weiß, was in dem Unternehmen gelaufen ist, und überprüfen kann, was davon gegebenenfalls bei einer Verlagerung auf ein anderes Unternehmen übergegangen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es ganz schwierig für die Finanzverwaltung ist, von einem Konzern, der die Konzernspitze im Ausland hat, Unterlagen zu bekommen. Nachdem wir vom doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter ausgehen, ist dies aber gerade für Funktionsverlagerungen unabdingbar. Wir werden uns etwas überlegen, um die entsprechenden ausländischen Steuerpflichtigen dazu zu zwingen, die entsprechenden Unterlagen im Inland vorzulegen, um den Fremdvergleichsgrundsatz durchsetzen zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die notwendige Bewertung des im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung übertragenen Gewinnpotenzials mit einem mittleren Wert. In diesem Punkt ist die BFHRechtsprechung nicht eindeutig, das ist jedenfalls meine Auffassung. Sie hat einerseits ausgesagt, ein Steuerpflichtiger könne im Rahmen einer Bandbreite den für ihn günstigsten Wert aussuchen. Eine Bandbreite beinhaltet für mich immer, dass echte Fremddaten vorliegen, während der hypothetische Fremdvergleich, ich habe es oben schon
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Naumann, Funktionsverlagerung
ausgeführt, einen Verhandlungsspielraum beschreibt und keine echten Fremddaten voraussetzt. Von daher sehe ich einen ganz gravierenden Unterschied. Aus Sicherheitsgründen planen wir, diesen Mittelwert als eine Art gesetzliche Vermutung zu kodifizieren. Dann werden wir auch darüber nachdenken, wie wir eine nachträgliche Korrektur sicherstellen können, wenn die Ergebnisse der Funktionsverlagerung anders aussehen, als das Unternehmen sie der Preisbildung zugrunde gelegt hat.
IV. Schlussbemerkung Der Beitrag sollte einen ganz kurzen Einblick in unsere Überlegungen geben, wie Funktionsverlagerungen in Zukunft besteuert werden sollen. Ich möchte zusammenfassend darauf hinweisen, dass es darum geht, dass eine betriebswirtschaftliche Bewertung vorgenommen werden soll. Es geht nicht darum, den Unternehmen Funktionsverlagerungen unmöglich zu machen, es geht darum, dass, wenn Funktionsverlagerungen durchgeführt werden, die deutsche Finanzverwaltung, der deutsche Haushalt, angemessen an dem, was in Deutschland erwirtschaftet worden ist und ins Ausland transportiert wird, beteiligt wird.
181
Funktionsverlagerung Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Harnburg
Inhaltsübersicht I. Einleitung
183
II. Steuerliche Rechtsgrundlagen der Funktionsverlagerung 1. Begriff der "Funktionsverlagerung" ......... ............ 187 2. Geplante Neuregelung in § 1 Abs. 3 AStG des Entwurfs zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 .. 192 111. Ausgewählte Einzelfragen ................................ 198 1. Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise ......... 198
I.
2. Verlagerung der Produktion auf eine ausländische konzernangehörige Kapitalgesellschaft .................... 3. Funktionsverlagerung ohne Übertragung von Wirtschaftsgütern ............. 4. Verlagerung von ungeschütztem Know-how ...... 5. Behandlung von Liquidations-, Schließungs- und sonstigen Kosten ........... ... . 6. Aufzeichungspflichten .....
200
202 203
204 205
IV. Fazit ................................... 205
Einleitung
Die Funktionsverlagerung, das heißt die Verlagerung von (regelmäßig gewinnbringenden) betrieblichen Funktionen in einen ausländischen Staat mit besseren Rahmenbedingungen ist kein neues Phänomen. Deutschland als ein Staat mit hohem Kosten- und Steuerniveau war immer der Konkurrenz von Staaten ausgesetzt, die dem Investor niedrigere Arbeits-, Sozial-, Bürokratiekosten, aber auch niedrigere Steuern boten. Anfällig für eine Verlagerung waren dabei insbesondere Produktionsfunktionen, und zwar insbesondere solche Funktionen, die eine hohe Arbeitsintensität, aber eine vergleichsweise geringe Technologieintensität aufwiesen. Gleiches gilt für Finanzfunktionen, da sich
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Frotscher, Funktionsverlagerung
Finanzmittel besonders einfach und zum Teil in Minutenschnelle verlagern lassen. In der weiteren Entwicklung hat die Funktionsverlagerung eher noch größere Ausmaße angenommen als in der Vergangenheit. Maßgebend dafür sind zwei Entwicklungen, eine technologische und eine politische. Die technologische Entwicklung besteht aus der Schaffung einer weltweiten Infrastruktur, deren herausragende Faktoren die Informationstechnologie und die Transporttechnologie (insbesondere durch den Containerverkehr) sind. Auf Grund dieser Entwicklung ist weder die weltweite Kommunikation noch der weltweite Transport von Waren ein wesentliches Problem mehr. So ist die Produktion von Verbrauchsgütern in oder nahe bei den Verbrauchszentren keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr. Kein Staat kann daher mehr darauf vertrauen, dass die auf seinem Staatsgebiet verbrauchten Güter auch auf seinem Staatsgebiet produziert werden. Für die Standortentscheidung steht den Unternehmen nicht mehr nur die nähere Umgebung der Verbrauchszentren zur Verfügung, sondern praktisch die gesamte Welt. Diese "Globalisierung" des Wirtschaftslebens hat zu einer früher unbekannten Mobilität der Produktionsfaktoren geführt. Kapital, Unternehmensfunktionen und Mitarbeiter werden weltweit an diejenigen Standorte verlagert, die sich in der Unternehmerischen Entscheidungsfindung als die vorteilhaftesten erwiesen haben. Da die Nähe zu den Verbrauchsorten kein entscheidender Standortfaktor für die Produktion mehr ist, erhalten andere Faktoren eine überragende Bedeutung für die Standortentscheidung. Dazu gehören neben der Qualität der Infrastruktur auch die Sozial-, Arbeits- und sonstigen Kosten, zu denen auch die steuerliche Belastung zählt. Hier kommt nun die zweite, die politische Entwicklung ins Spiel. Durch den Zerfall des Ostblocks und die Osterweiterung der EU ist Deutschland im Osten von Staaten umgeben, die hinsichtlich der Infrastruktur, der Stabilität des politischen und wirtschaftlichen Systems und der Verlässlichkeit des Rechtssystems keinen Vergleich mit westeuropäischen Staaten zu scheuen brauchen. Diese Staaten bieten den Unternehmen deutlich niedrigere Arbeits- und Sozialkosten und eine niedrigere Steuerbelastung. Dazu kommt der Steuerwettbewerb mit den etablierten Staaten West- und Mitteleuropas. So mag für viele Unternehmen Irland mit einem Körperschaftsteuersatz von 12,5 % keine wirkliche
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Frotscher, Funktionsverlagerung
Alternative als Produktionsstandort darstellen, bei Österreich mit einem Körperschaftsteuersatz von 25 % ist dies sicherlich anders. Für Deutschland hat das Problem der Funktionsverlagerung daher eine neue Dimension erhalten. Die Zeiten, in denen Deutschland als Hochlohnland, als Land mit einem teuren Sozialsystem und als Hochsteuerland diese Nachteile durch die Größe des Marktes, die gute Infrastruktur, der Effizienz des rechtlichen und die Stabilität des politischen Systems sowie durch eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft wettmachen konnte, sind unwiederbringlich vorüber. Die steuerliche Behandlung der Verlagerung von Produktions- und anderen betrieblichen Faktoren in einen ausländischen Staat mit günstigeren Rahmenbedingungen ist daher zu einer der wichtigsten Fragen des deutschen Steuerrechts geworden. Der Gesetzgeber plant daher auch im Rahmen der Unternehmenssteuerreform, das Problem der Funktionsverlagerung mit einer gesetzlichen Regelung zu lösen(§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG). Der "Steuerstaat" des Grundgesetzes stützt sich für die Deckung des staatlichen Finanzbedarfs auf Steuern1, also darauf, dass ein für den finanziellen Bedarf der Verwaltungsorganisation, der Außenrepräsentation, der staatlichen Investitionen und der sozialen Sicherungssysteme ausreichendes Steuersubstrat vorhanden ist. Die Globalisierung mit ihren Möglichkeiten der Verlagerung von Steuersubstrat lässt diese Annahme zunehmend als unrealistisch erscheinen. Solange sich das zu besteuernde Substrat unverrückbar in Deutschland befand, konnte der Staat mit den Steuergesetzen eine nach seiner Auffassung angemessene Beteiligung an diesem Substrat erzwingen. Die Globalisierung schafft für die Unternehmen aber die nahezu unbegrenzte Möglichkeit, diesem Anspruch des Staates auf Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg durch Verlagerung der Unternehmerischen Funktionen auszuweichen. Der einzelne Staatsbürger hat dadurch nicht nur die herkömmliche "voice option", das heißt die Möglichkeit, durch Abgabe seiner Stimme bei den Wahlen die Entscheidungen des Staates- und damit auch die Entscheidung über die Höhe der Steuerbelastung - zu beeinflussen. Der Staatsbürger hat durch die Globalisierung und die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes in der EU zusätzlich die "exit option" gewonnen, nämlich die Option, sich einen für die Gestaltung des eigenen Lebens und insbesondere für die Gestaltung des Wirtschattens ge-
1
Kirchhof in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, IV. Band, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 1.
185
Frotscher,
Funktionsverlagerung
eigneteren (und das heißt häufig: kostengünstigeren) Staat zu suchen. Der Staatsbürger - und das heißt, auch der Unternehmer - ist nicht mehr gezwungen, die Folgen des demokratischen Willensbildungsprozesses, die nicht seinen Vorstellungen oder Bedürfnissen entsprechen, hinzunehmen. Er kann ihnen vielmehr ausweichen und sich einem anderen staatlichen Organismus anschließen, wenn er glaubt, in diesem anderen staatlichen System seine Ziele besser verwirklichen zu können.2 Daher kann auch das Recht zur Teilnahme am staatlichen Willlensbildungsprozess allein die steuerliche Belastung nicht mehr rechtfertigen) Der Schutz, den der Staat den wirtschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmers, und die Förderung, die er durch die Infrastruktur gewährt, wird den Unternehmer nicht veranlassen, zu diesen Kosten beizutragen, wenn der gleiche Schutz und eine für seine wirtschaftliche Aktivität gleich geeignete Infrastruktur in einem anderen Staat zu geringen Kosten zur Verfügung steht. Ein im Rahmen der Globalisierung weltweit agierender Unternehmer wird kaum zu überzeugen sein, dass er eine besondere Finanzierungsverantwortung für den Finanzbedarf Deutschlands trägt.4 Natürlich wäre eine steuerrechtliche Abschottung Deutschlands eine nahe liegende Lösung, doch gerade diese Abschottung wird zunehmend unmöglich. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages lassen jede gesetzliche Regelung, die eine solche Abschottung zum Ziel hat, Makulatur werden. So besteht wohl kaum ein Zweifel mehr, dass die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG europarechtswidrig ist, wie das Schicksal der weitgehend vergleichbaren britischen CFC-Regelung beweist.5 Gerade in der Entscheidung Cadbury Schweppes6 hat der EuGH noch einmal betont, dass die Ausnutzung des internationalen Steuergefälles kein Missbrauch, sondern durch die Grundfreiheiten geschütztes Recht des Steuerpflichtigen ist.
2 Vgl. hierzu Schön in Mellinghoff/Morgenthaler/Puhl, Die Erneuerung des Verfassungsstaates, Heidelberg 2003, S. 151 ff. 3 Im Sinne eines "no taxation without representation". 4 Vgl. hierzu auch Frotscher (Hrsg.), Anforderungen an ein modernes Steuersystemangesichts der Globalisierung, 2006, S. 44. 5 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.9.2006 - Rs. C-196/04 - Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 = IStR 2006, 670. 6 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 - Rs. C-196/04 - Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 = IStR 2006, 670.
186
Frotscher, Funktionsverlagerung
II.
Steuerliche Rechtsgrundlagen der Funktionsverlagerung
1.
Begriff der "Funktionsverlagerung"
Der Begriff der Funktions-"verlagerung" enthält die Aussage, dass etwas, was in einem bestimmten Staat belegen ist, in einen anderen Staat "verlagert" wird. Dem entspricht die geplante Neuregelung in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG, wo der Beriff des "Transferpaketes" benutzt wird, also zum Tatbestand der gesetzlichen Regelung ebenfalls ein "Transfer", also eine "Verlagerung" gehört. Diese Aussage ist insofern wichtig, als sie die Ansiedlung einer neu geschaffenen Funktion in einem bestimmten Staat ausklammert. Das ist rechtlich auch zutreffend. Wird eine neue Funktion geschaffen, die vorher nicht bestand, ist der Kaufmann völlig frei in seiner Entscheidung, wo er diese Funktion ansiedeln will. Entscheidet der Unternehmer beispielsweise, eine Produktionsstätte für ein neues Produkt, das er bisher nicht produziert hat, zu erstellen, kann er dies in einer bereits vorhandenen Produktionsstätte im Inland tun, er kann die neuen Anlagen in einer vorhandenen Produktionsstätte im Ausland bauen, oder er kann einen gänzlich neuen Produktionsstandort schaffen (sog. GreenHeld project). Es gibt steuerlich keine Kriterien, die für eine solche erstmalige Investitionsentscheidung zwingend einen Standort in einem bestimmten Staat vorsehen, also weder im Inland noch im Ausland. Die erstmalige Schaffung und Ansiedlung einer bisher nicht ausgeübten wirtschaftlichen Funktion ist daher steuerlich neutral, das heißt, die Entscheidung selbst kann weder positive noch negative steuerliche Konsequenzen hervorrufen. Steuerliche Bedeutung hat erst die operative Tätigkeit dieser Funktion. So knüpfen sich bei einer neuen Produktionsfunktion (einem neuen Produktionsstandort) an die Lieferung der hergestellten Waren innerhalb von verbundenen Unternehmen die Rechtsfolgen nach den Regeln über Verrechnungspreise. Eine Funktionsverlagerung bedeutet daher immer die Verlagerung von "Etwas" von dem abgebenden auf das aufnehmende Unternehmen. Dieses "Etwas" werden in der Regel Wirtschaftsgüter sein; nach bisherigem Verständnis müssen es Wirtschaftsgüter sein, da nur Wirt-
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Frotscher, Funktionsverlagerung
schaftsgüter "verlagert" werden können und nur Wirtschaftsgüter stille Reserven enthalten können, die zu einer Besteuerung führen? Die übertragenen Wirtschaftsgüter können immaterieller Art (Patente und know how, Kundenbeziehungen, Geschäftschancen, Firmenwert) oder, seltener, materieller Art (Verlagerung von Produktionsmaschinen) sein. Dass bei der Funktionsverlagerung die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter im Vordergrund steht, macht auch die Neuregelung in§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG i.d.F. des Referentenentwurfs zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 deutlich. In dieser Vorschrift wird nämlich die Bewertung des "Gesamtpakets" im Gegensatz zu einer sonst üblichen Bewertung der Einzelwirtschaftsgüter davon abhängig gemacht, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile übergegangen sind. Die Funktionsverlagerung kann auch in einer Verlagerung des Firmenwertes bestehen; das setzt aber voraus, dass bei dem abgebenden Unternehmen ein Firmenwert vorhanden ist, und dass dieser tatsächlich (als immaterielles Wirtschaftsgut) auf das übernehmende Unternehmen verlagert wird. Eine solche Verlagerung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich nichts Neues. Im Geschäftsverkehr wird eine solche Übertragung zwischen Gesellschaften, die dem gleichen Konzern angehören, oder zwischen Stammhaus und Betriebsstätte häufig vorkommen. Was die "Funktionsverlagerung" zu etwas Besonderem macht, ist der Umstand, dass eine ganze betriebliche Tätigkeit (eine "Funktion") verlagert wird und dabei der Eindruck vorherrscht, dass der Wert dieser Funktion sich nicht in der Summe der Teilwerte oder der gemeinen Werte der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter erschöpft. Schon hier sei angemerkt, dass diese Sicht, die der Neuregelung in § 1 Abs. 3 AStG i.d.F. des Entwurfs zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 zugrunde liegt, einen Paradigmenwechsel darstellt, dessen Berechtigung schwer zu erkennen ist. Natürlich kann das "Ganze" (die Funktion) einen höheren Wert haben als die Summe der einzelnen immateriellen und materiellen Wirtschaftsgüter. Diese Erkenntnis ist aber nicht neu und von der Rechtsprechung auch bisher schon berücksichtigt worden. Diese (bisherige) Sicht hat zu Konzeptionen wie Firmenwert, Geschäftschancen und auch dem Teilwert geführt, der gerade den (höheren) Wert eines Wirtschaftsgutes im 7 Zu der gesetzlichen Neuschöpfung eines "Transferpaketes" vgl. unten S. 193.
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Frotscher, Funktionsverlagerung
Gesamtzusammenhang einer betrieblichen "Funktion" berücksichtigen soll. Wer besondere Regelungen für eine Funktionsverlagerung für notwendig hält, geht unausgesprochen von der Vorstellung aus, dass ein betrieblicher Teilorganismus (eine "Funktion") einen Wert besitzt, der über die Summe der Teilwerte der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, des Firmenwerts und der Geschäftschancen hinausgeht - er müsste dann aber auch mit der auf Grund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots notwendigen Präzision sagen, worin dieser Mehrwert besteht. Die Funktionsverlagerung stellt eine auf einem Gesamtplan beruhende Übertragung eines betrieblichen Teilorganismus dar. Dieser Teilorganismus kann, muss aber nicht ein Teilbetrieb sein; eine Funktionsverlagerung kann auch in der Übertragung eines solchen Teilorganismus bestehen, der nicht die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllt. Die Funktionsverlagerung ähnelt aber insoweit der Verlagerung eines Teilbetriebs, als sich der Vorgang nicht in der Verlagerung einzelner, isoliert voneinander zu betrachtender Wirtschaftsgüter beschränkt. Vielmehr erlangt die "Funktion", ebenso wie ein Teilbetrieb, einen besonderen Wert durch die organisatorische, aufeinander bezogene Zusammenfassung von materiellen, immateriellen und unter Umständen personellen Ressourcen. Von diesem Grundverständnis aus, nämlich der Funktionsverlagerung als Übertragung von organisatorisch aufeinander bezogener Wirtschaftsgütern unter Wahrung dieses betrieblichen Organisationszusammenhangs, ist die steuerliche Behandlung der Funktionsverlagerung zu entwickeln. Die steuerliche Behandlung der Übertragung von Wirtschaftsgütern setzt als selbstverständliche Annahme voraus, dass tatsächlich Wirtschaftsgüter übertragen worden sind. Es ist also zu prüfen, welche Wirtschaftsgüter bei dem abgebenden Unternehmen bestanden und welche von diesen Wirtschaftsgütern tatsächlich auf das übernehmende Unternehmen übertragen worden sind. Ein Wirtschaftsgut ist nach der bekannten Formel des BFH8 ein nach der Verkehrsanschauung im
8
Vgl. BFH, Beschl v. 2.3.1970 - GrS 1/69, BStBl. II 1970, 382; BFH, Urt. v. 3.12.1974- VI R 31/74, BStBl. II 1975, 446; BFH, Urt. v . 12.4.1984- IV R 112/81, BStBl. II 1984, 554; BFH, Urt. v. 9.7.1986 - I R 218/82, BStBl. II 1987, 14; BFH, Urt. v. 10.8.1989- X R 176-177/87, BStBl. II 1990, 14; BFH, Urt. v. 16.12.1990III B 90/88, BStBl. II 1990, 794.
189
Frotscher, Funktionsverlagerung
Wirtschaftsleben selbständig bewertbares Gut, das in seiner Einzelheit von Bedeutung ist, das einen über den Steuerabschnitt hinausreichenden Wert für das Unternehmen hat und das zumindest im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebs übertragen werden kann. Selbständig bewertbar ist das Gut dann, wenn ein potenzieller Erwerber des gesamten Unternehmens für das Gut im Rahmen des Gesamtkaufpreises ein Entgelt ansetzen würde. Mit dem Abstellen auf den gedachten "Gesamtkaufpreis" wird bereits berücksichtigt, dass das Wirtschaftsgut in seiner Integration in den betrieblichen Organismus einen höheren Wert haben kann als bei einer Einzelveräußerung. Dabei ist jedoch nicht jeder Vermögenswert ein Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) . Seine Greifbarkeit macht erst das Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) aus.9 Das Wirtschaftsgut ist dem Grunde nach bilanzierungsfähig; das heißt aber auch umgekehrt, dass nur das ein Wirtschaftsgut sein kann, was dem Grunde nach bilanzierungsfähig ist. Danach setzt jedes Wirtschaftsgut voraus, dass es auch nach den handelsrechtliehen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Deshalb stimmen die Begriffe "Vermögensgegenstand" und "Wirtschaftsgut" inhaltlich überein.lO Dieses Verständnis schließt es aus, nicht präzisierte und nicht konkretisierte Möglichkeiten und Chancen im Rahmen einer Funktionsverlagerung als Übertragung von "Wirtschaftsgütern" steuerlich anzusetzen. Was nicht selbständig bewertbar und in seiner Einzelheit greifbar ist, also kein Wirtschaftsgut ist, kann auch nicht übertragen oder verlagert werden. Daran ändert auch nichts, dass die Funktionsverlagerung aus einem Bündel von Einzelmaßnahmen besteht bzw. bestehen kann. Steuerlich konstituiert ein "Bündel" keinen neuen Besteuerungsgegenstand; besteuert werden können immer nur einzelne Wirtschaftsgüter. Ein nicht konkretisiertes, nicht definiertes und damit nebelhaftes "Gewinnpotenzial" (oder "Transferpaket") ist kein Wirtschaftsgut und kann daher auch im Rahmen einer "Funktionsverlagerung" keine entscheidende Rolle spielen. Maßgebend ist immer nur die Übertra-
9 BFH, Beschl. v. 26.10.1987 - GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH, Beschl. v. 7.8.2000- GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632. 10 BFH, Beschl. v. 2.3.1970- GrS 1/69, BStBl. II 1970, 382; BFH, Beschl. v. 26.10. 1987- GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH, Beschl. v. 7.8.2000- GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632; seitdem ständige Rechtsprechung.
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gung von Wirtschaftsgütern, seien es materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter, denen ein "Gewinnpotenzial" anhaften kann. Die Vorstellung eines "Gewinnpotenzials" kann hilfreich sein, um den Wert von Geschäftschancen oder eines Firmenwertes festzustellen. Das setzt aber immer voraus, dass konkretisierte Geschäftschancen11 bzw. ein Firmenwert übergegangen sind und dies mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt worden ist. Das "Gewinnpotenzial" kann also immer nur im Rahmen der Bewertung eines konkreten Wirtschaftsgutes (und sei es des Firmenwerts) eine Rolle spielen; es ist selbst kein Wirtschaftsgut Daraus folgt, dass eine "Übertragung von Gewinnpotenzial" im Steuerrecht - und damit auch im Rahmen einer Punktionsverlagerung - eine Fiktion ist und also solche keine Rolle spielen kann. Für die steuerliche Behandlung der Übertragung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter enthalten die Steuergesetze klare und eindeutige Rechtsgrundlagen. Es sind dies national die Grundsätze der Gewinnrealisierung, die Regeln über die verdeckte Gewinnausschüttung(§ 8 Abs. 3 KStG) und über grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen (§ 1 Abs. 1 AStG). International gilt der arm's-length-Grundsatz, der in Art. 9 OECD-MA bzw. den entsprechenden Artikeln der Doppelbesteuerungsabkommen niedergelegt ist. Alle diese Regeln beruhen auf dem Grundsatz des Fremdvergleichs oder Drittvergleichs. Damit bietet der Grundsatz des Drittvergleichs eine sichere und international anerkannte Beurteilungsgrundlage12, die auch für die Übertragung von Wirtschaftsgütern bei einer Funktionsverlagerung eine zuverlässige Lösung darstellt. Diese Regeln ermöglichen auch bei Übertragung eines Betriebs bzw. eines Teilbetriebs eine angemessene, auch international anerkannte Bewertung.
11 Zur Konkretisierung von Geschäftschancen vgl. BFH, Urt. v. 30.8.1995 - I R 155/94, BFHE 178, 371; BFH, Urt. v. 12.10.1995 - I R 127/94, BFHE 179, 258; BFH, Urt. v. 11.6.1996- IR 97/95, BFHE 181, 122; BFH, Urt. v. 13.11.1996- IR 149/94, BFHE 181, 494; BFH, Urt. v. 12.6.1997- IR 14/96, BFHE 183, 459; BFH, Urt. v. 9.7.2003 - I R 100/02, BFHE 203, 77; vgl. hierzu FrotscherjMaas, KStG, UmwStG, zu Anhang zu § 8 KStG Rz. 87. 12 Der Drittvergleichsgrundsatz entspricht internationalen und europarechtlichen Regeln; vgl. BFH, Urt. v. 9.11.2005 - I R 27/03, BStB!. II 2006, 564; die offenen europarechtlichen Fragen im Zusammenhang mit § 1 AStG werden hier ausgeklammert; vgl. hierzu BFH, Urt. v. 29.11.2000- IR 85/99, BStB!. II
2002,720.
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Wenn somit die Funktionsverlagerung nur eine auf einem Gesamtplan beruhende Zusammenfassung der Übertragung von in einem betrieblichen Funktionszusammenhang stehenden materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern ist, besteht kein Bedarf, auf die steuerliche Behandlung der zusammengefassten Maßnahmen andere steuerliche Regeln anzuwenden. Das bedeutet, dass die Funktionsverlagerung den Regeln über die verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 KStG) und des § 1 AStG unterliegt; bilateral werden die dadurch erreichten Ergebnisse und Einkunftsabgrenzungen durch Art. 9 OECD-MA abgesichert. Im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bietet die durch das SEStEG eingeführte "fiktive Entnahme" nach§ 4 Abs. 1 EStG bzw. für Körperschaften die "fiktive Veräußerung" nach § 12 Abs. 1 KStG eine entsprechende gesetzliche Grundlage auf der Basis des gemeinen Werts der Wirtschaftsgüter. Dies bietet den Vorteil, dass für die steuerliche Beurteilung der Punktionsverlagerung international anerkannte und auch europarechtlich im Wesentlichen unbedenkliche Beurteilungsmaßstäbe zur Verfügung stehen.l3 Der Rückgriff auf Art. 9 OECD-MA ermöglicht auch, etwaige Doppelbesteuerungen durch ein Verständigungsverfahren14, innerhalb der EU auch durch ein Schiedsverfahren15 zu vermeiden. Folge der Anwendung der bestehenden gesetzlichen Regeln und international anerkannten Grundsätze ist, dass eine "Verlagerung von Gewinnpotenzial", das kein Wirtschaftsgut ist, auch im Rahmen der Funktionsverlagerung keine selbständige Bedeutung erlangt.
2.
Geplante Neuregelung in§ 1 Abs. 3 AStG des Entwurfs zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008
Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass jedenfalls auf der Grundlage des geltenden Rechts eine Besteuerung eines "Gewinnpotenzials", das nicht an ein Wirtschaftsgut oder an eine organisatorische Zusam-
13
14 15
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Auf die Frage der Vereinbarkeit des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4g EStG soll hier nicht eingegangen werden. Es genügt hier die Feststellung, dass die diesen Regelungen zugrunde liegenden Konzeptionen durchaus europarechtsverträglich sind. In der konkreten Ausgestaltung bieten diese Vorschriften jedoch erhebliche Angriffsflächen aus europarechtlicher Sicht. Vgl. Art. 9 Abs. 2, Art. 25 OECD-MA. Schiedskonvention 90/ 436/EWG v. 23.7.1990, BStBl. I 1993, 818.
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menfassung von (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgütern anknüpft, nicht möglich ist; hierzu fehlt die Rechtsgrundlage. Das sieht offensichtlich auch die Finanzverwaltung so und schlägt daher im Referentenentwurf zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 die Schaffung einer eigenständigen Rechtsgrundlage für die Besteuerung der Funktionsverlagerung durch einen neuen § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG vor. Dort wird die Funktionsverlagerung als "Verlagerung einer betrieblichen Aufgabe als Funktion als Ganzes einschließlich der dazugehörenden Chancen und Risiken (Transferpaket)" beschrieben. Sehr sybillinisch ist der anschließende Halbsatz: "Zu einem Transferpaket können auch Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile gehören." Aus dieser Formulierung des Gesetzentwurfs wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber in dem inzwischen erlassenen Gesetz von der Vorstellung der Besteuerung (nur) der Wirtschaftsgüter und ihrer Übertragung verabschiedet. In der Definition des "Transferpakets" spielen Wirtschaftsgüter keine besondere Rolle mehr. Das Transferpaket, das verlagert wird, besteht in einer "Aufgabe" mit Chancen und Risiken. Wenn dabei gesagt wird, dass zu dem Transferpaket auch "Wirtschaftsgüter gehören können" fragt man sich, was außer Wirtschaftsgütern (die offensichtlich nicht immer zu einem Transferpaket gehören müssen) Bestandteil eines Transferpakets sein kann (oder muss). Das Ertragsteuerrecht knüpft bisher an "Wirtschaftsgüter" an; dies spricht § 4 Abs. 1 EStG mit der Definition des Gewinns als bilanzielle "Vermögensmehrung", die nur auf Wirtschaftsgütern beruhen kann, auch eindeutig aus. Diese Konzeption wird jetzt, und zwar nur für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen16, durch die Vorstellung eines "Transferpaketes" ersetzt. Durch dieses inzwischen erlassene Gesetz wird das Steuerrecht um eine weitere unpräzise, in Inhalt und Auswirkung kaum mehr auslegungsfähige Norm erweitert. Die in dem Tatbestand verwendeten Begriffe wie "betriebliche Aufgabe" oder "Transferpaket" sind im deutschen Steuerrecht bisher nicht verwendet worden und inhaltlich unbestimmt. Das Gesetz gibt kaum Anhaltspunkte, wie diese Tatbestands16 Dass dies europarechtliche Probleme hervorrufen wird, da nur grenzüberschreitende Beziehungen geregelt und damit diskriminiert werden, liegt auf der Hand. Dies ist umso gravierender, als die wesentlichen Staaten, in die Funktionsverlagerungen stattfinden, EU-Mitglieder sind (beispielsweise Polen, Tschechien und Ungarn, aber auch Österreich, das insoweit eine aggressive Werbung betreibt). Vgl. hierzu S. 196 f.
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merkmale auszulegen sind.17 Der Gesetzentwurf gibt insoweit widersprüchliche Signale. Das "Transferpaket", zu dem auch Wirtschaftsgüter gehören "können", vermittelt den Eindruck, dass dieser Begriff losgelöst von dem Begriff der Wirtschaftsgüter zu verstehen ist, also in seinem Inhalt nicht notwendig den Begriff des Wirtschaftsgutes enthält. Man kann sich dann fragen, was dieser Begriff dann enthalten soll. Es ist kaum zu sehen, wie der Begriff eines "Transferpakets" und die übrigen in der Vorschrift enthaltenen in der juristischen Begriffswelt bisher unüblichen Begriffe mit juristischen Auslegungsmethoden konkretisiert werden sollen. Ein deutliches Warnsignal ist hier, dass der Entwurf selbst eine Konkretisierung durch Rechtsverordnung für erforderlich hält. Die Regelung hat, sollte sie Gesetz werden, gute Chancen, ein weiteres unrühmliches Beispiel für eine Steuervorschrift zu geben, die gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstößt.18 Nach der Gesetzesbegründung19 sollen Grundlage der Bewertung die Gewinnauswirkungen der Funktionsverlagerung für das verlagernde und das übernehmende Unternehmen sein. Dabei sollen die Gewinnauswirkungen unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze bestimmt werden. Dadurch soll ein "Einigungsbereich" bestimmt werden, der durch den Mindestpreis des verlagernden Unternehmens und den Höchstpreis des anderen Unternehmens begrenzt wird; grundsätzlich soll dann der Mittelwert maßgebend sein (§ 1 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Satz 5 AStG i.d.F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008).
17 Nach
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§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.d.F. des Referentenentwurfs soll der BMF ermächtigt werden, Einzelheiten (auch zur "Funktionsverlagerung") durch Rechtsverordnung zu bestimmen, "um eine einheitliche Rechtsanwendung und die Übereinstimmung mit den internationalen Grundsätzen zur Einkunftsabgrenzung sicherzustellen". Diese Verordnungsermächtigung vermittelt den Eindruck, dass ihr Verfasser Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG noch nie gelesen hat. Zwar mag mit dieser Formulierung der Zweck der Ermächtigung ausreichend bestimmt sein (nebenbei bemerkt: dann darf die Verordnung aber keine Bestimmungen zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts enthalten, weil das durch den Zweck nicht mehr gedeckt wäre), zu Inhalt und Ausmaß der Verordnung sagt diese Ermächtigung aber nichts. Sie wäre daher verfassungswidrig. Vgl. zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot BFH, Urt. v. 6.9.2006 XI R 26/04, BStBI. II 2007, 167. BI-Drucks. 16/4841.
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Damit wird deutlich, was die Verfasser des Entwurfs des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 beabsichtigen. Das Mindestentgelt des die Funktion abgebenden Unternehmens, das die Untergrenze des "Einigungsbereichs" bildet, ist der kapitalisierte Gewinn, den das abgebende Unternehmen ohne die Funktionsverlagerung aus der Ausübung der verlagerten Funktion erzielen könnte. Dieser Gewinn, also die Untergrenze des Einigungsbereichs, wird verhältnismäßig niedrig sein, da eine Funktionsverlagerung regelmäßig dann erfolgt, wenn im Inland ein auskömmlicher Gewinn nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten erzielt werden kann. Das Höchstentgelt des die Funktion übernehmenden Unternehmens wird gebildet durch den kapitalisierten Gewinn, den dieses Unternehmen aus der verlagerten Funktion erzielen wird. Innerhalb dieses Einigungsbereichs ist als Preis für die zu übertragende Funktion regelmäßig der Mittelwert anzusetzen. Zwar kann der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass ein anderer (also für den Steuerpflichtigen günstigerer) Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, jedoch dürfte es sich nur um Sonderfälle handeln, in denen diese Glaubhaftmachung gelingen wird. Interessanterweise behält sich die Finanzverwaltung nicht das Recht vor, ihrerseits einen anderen (für den Steuerpflichtigen ungünstigeren) Wert als Fremdvergleichspreis nachzuweisen. In der praktischen Auswirkung bedeutet diese Regelung, dass Deutschland im Falle der Funktionsverlagerung durch den Ansatz des Mittelwerts die Besteuerung der Hälfte des durch die Funktionsverlagerung erzielten Mehrwerts für sich beansprucht. Sie will daher einen Gewinn besteuern, der in Deutschland gar nicht zu erzielen gewesen wäre. Der in Deutschland erzielbare Gewinn, auf dessen Besteuerung Deutschland allein ein Recht hat, ist der (kapitalisierte) Gewinn, den das die Funktion übertragende Unternehmen aus der Fortführung der Funktion erzielen könnte, also die "Untergrenze" des Einigungsbereichs. Diesen Betrag bzw. einen etwas darüber liegenden Betrag als Entgelt für die Funktionsverlagerung anzusetzen, entspricht auch dem Drittvergleichsgrundsatz. Der ordentliche und gewissenhafte Kaufmann würde die Funktion verlagern, wenn er nach der Funktionsverlagerung einen höheren als den bisher erzielten Gewinn erwarten darf. Keinesfalls kann er glauben, die Hälfte des von dem übernehmenden Unternehmen geschaffenen Mehrwerts zu erhalten. Das abgebende Unternehmen hat diesen Mehrwert nicht geschaffen und konnte dies auch nicht. Es gibt also insoweit keine Gewinnchancen und kein Gewinnpotenzial ab. Vielmehr wird nach der vorgeschlagenen Regelung
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verlangt, dass sich das abgebende Unternehmen fremdes Gewinnpotenzial verschafft, das ihm unter keinen Umständen zur Verfügung stand. Die Neuregelung erwartet von dem die Funktion übernehmenden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter, dass er einen wesentlichen Teil (nämlich die Hälfte) des Gewinnpotenzials abgibt, das durch die künftige Tätigkeit seines Unternehmens erzielt werden kann. Ein unabhängiger Dritter würde dies niemals tun; er würde nicht ein Gewinnpotenzial abgeben, das dem Vertragspartner gar nicht zur Verfügung steht, sich dieser also gar nicht verschaffen kann. Da das abgebende Unternehmen das Gewinnpotenzial nicht realisieren kann, steht es insoweit nicht in "Konkurrenz" mit dem übernehmenden Unternehmen um das gleiche Gewinnpotenzial, und kann auch nicht erwarten, im Kaufpreis für die Funktionsverlagerung eine Vergütung für dieses (ihm gar nicht zur Verfügung stehende) Gewinnpotenzial zu erhalten. Die Überlegungen der Entwurfsverfasser sind tragfähig, wenn abgebendes und übernehmendes Unternehmen in Konkurrenz um das gleiche Gewinnpotenzial stehen. Dann wird das abgebende Unternehmen den Wettbewerb und dieses Gewinnpotenzial nur aufgeben, wenn es einen erheblichen Teil dieses Potenzials erhält. Wenn es aber dieses Gewinnpotenzial selbst gar nicht realisieren kann, ist kein sachlicher Grund ersichtlich, dass es Anspruch auf einen so erheblichen Teil (die Hälfte) des von dem anderen Unternehmen durch dessen eigene Tätigkeit realisierten Gewinns erheben kann - und es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich, dass Deutschland einen entsprechenden Besteuerungsanspruch erheben kann. Daraus folgt, dass die Gesetzesbegründung zu Unrecht den Eindruck zu erwecken versucht, dass es sich nur um eine Konkretisierung des Drittvergleichsgrundsatzes handelt. In Wirklichkeit handelt es sich um eine fiskalisch motivierte Ausdehnung des deutschen Besteuerungsanspruchs über den Drittvergleichsgrundsatz hinaus, mit denen Deutschland international nicht wettbewerbsfähige Strukturen schützen will. Regelungen mit einer solchen protektionistischen Zielsetzung haben in einem Steuergesetz nichts verloren. Sie begründen nur Doppelbesteuerungskonflikte und verhindern die notwendige strukturelle Anpassung der deutschen Wirtschaft. Es liegt auch auf der Hand, dass solche Regeln über eine Gewinnrealisation nur für die grenzüberschreitende Funktionsverlagerung gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) und die Kapitalverkehrs-
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freiheit (Art. 56 EG) verstoßen würden. Eine Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich. Es ginge bei einer solchen Regelung nicht einmal um den Schutz des eigenen Besteuerungspotenzials; dieses ist durch die Regeln über die Gewinnrealisierung bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern ausreichend geschützt20. Es geht vielmehr um die Besteuerung eines Gewinnpotenzials, das im eigenen Staat nicht erzielt worden ist und auch nicht erzielbar gewesen wäre, also um das Übergreifen in die Steuerhoheit des anderen Staates.21 Dass es dafür unter EU-Recht keine Rechtfertigung geben kann, liegt auf der Hand. Außerdem hat die Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen speziell zur Behandlung der Funktionsverlagerung den Nachteil, dass solche Regeln international nicht anerkannt sind und daher zu Doppelbesteuerungen führen werden. Eine Vielzahl von Verständigungs- und Schiedsverfahren wären die Folge, bei denen die Chancen Deutschlands, zusätzliche Steuereinnahmen realisieren zu können, angesichts der international unüblichen, von Deutschland neu erfundenen Regeln äußerst gering sind. Deutschland hat einen Anspruch darauf, die in seinem Territorium entstandenen stillen Reserven auch bei einer Funktionsverlagerung besteuern zu können. Dies ist aber bereits sichergestellt durch die Gewinnrealisierung bei Übertragung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern einschließlich eines Firmenwerts22 und der Geschäftschancen. Insbesondere der Begriff der "Geschäftschancen", der einem Unternehmen zur Verfügung steht, stellt in seiner Konkretisierung durch den BFH23 eine angemessene Erfassung des dem Unter20 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Regeln zum Schutz der Besteuerung der in Deutschland entstandenen stillen Reserven vgl. EuGH, Urt. v. 11.3.2004 Rs. C-9 /02 - Hughes de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 = IStR 2004, 236. 21 Hierzu näheres Beispiel S. 201. 22 Im Einzelfall kann die Besteuerung eines Firmenwerts problematisch sein, z.B. wenn als Bewertungsmaßstab der "gemeine Wert" zugrunde gelegt werden soll, den es als Einzelveräußerungspreis für einen Firmenwert nicht gibt. Hier wäre allein der Teilwert angemessen. 23 Vgl. zur Konkretisierung von Geschäftschancen BFH, Urt. v. 30.8.1995 IR 155/94, BFHE 178, 371; BFH, Urt. v. 12.10.1995- IR 127/94, BFHE 179, 258; BFH, Urt. v. 11.6.1996- IR 97/95, BFHE 181, 122; BFH, Urt. v. 13.11.1996- IR 149/94, BFHE 181, 494; BFH, Urt. v. 12.6.1997- IR 14/96, BFHE 183, 459; BFH, Urt. v. 9.7.2003 - IR 100/02, BFHE 203, 77; vgl. hierzu Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, zu Anhang zu § 8 KStG Rz. 87.
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nehmen zur Verfügung stehenden Gewinnpotenzials sicher. Die erforderlichen rechtlichen Grundlagen sind durch das SEStEG24 in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und in § 12 Abs. 1 KStG geschaffen worden. Diese Regeln bilden allerdings keine Grundlage für die Besteuerung von Gewinnen, die in Deutschland nicht erzielbar waren, und bleiben daher hinter der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG i.d.F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 zurück - für dieses Übergreifen in die Besteuerungshoheit eines anderen Staates gibt es auch keine Rechtfertigung. Besondere gesetzliche Regelungen für die Funktionsverlagerung sind daher weder notwendig noch empfehlenswert. Knüpfen an die Funktionsverlagerung laufende Geschäftsbeziehungen zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden Unternehmen an, richten sich diese Geschäftsbeziehungen nach den Grundsätzen über Verrechnungspreise. Auch insoweit sind keine neuen Regeln erforder lieh. 25
111. Ausgewählte Einzelfragen Im Folgenden sollen nur einige Beispiele zur Illustration der vorangegangenen Ausführungen gemacht werden.
1.
Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise
Eine Funktionsverlagerung wirft regelmäßig zwei Fragen auf, die miteinander zusammenhängen. Die erste Frage besteht darin, welche steuerlichen Konsequenzen der Vorgang der Übertragung materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter (einschließlich der Geschäftschancen und eines Firmenwerts) selbst hat. Es geht also um die Frage, den Drittvergleichspreis der übertragenen Wirtschaftsgüter (einschließlich der Geschäftschancen und des Firmenwerts) festzustellen. Die zweite Frage betrifft die der Funktionsverlagerung folgenden operativen Beziehungen zwischen der ausländischen aufnehmenden Gesellschaft und den im Inland verbliebenen Funktionen. Das ist eine Frage des Verrechnungspreises, z.B. für die Lieferung von Produkten, die durch 24 SEStEG v. 7.12.2006, BStBl. I 2007, 4. 25 Besondere Einzelfragen werden im Folgenden in Abschn. III behandelt.
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die verlagerte Produktion hergestellt worden sind, an die verbliebene inländische Gesellschaft. Beide Fragen hängen miteinander zusammen. So hängt der Wert der verlagerten Produktionsfaktoren und insbesondere der immateriellen Wirtschaftsgüter (des Firmenwerts) von der Vereinbarung der Verrechnungspreise für die Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im operativen Betrieb ab. Wenn z.B. in Frage steht, welchen Wert die übertragenen Geschäftschancen hatten, kann dieser Wert nur bestimmt werden unter Berücksichtigung der Verrechnungspreise, die für den folgenden Lieferungs- und Leistungsverkehr vereinbart werden. Sind diese Verrechnungspreise relativ hoch, sinkt der Gewinn des verbleibenden inländischen Unternehmens sehr stark, das heißt, das übertragene Gewinnpotenzial ist hoch. Sind die Verrechnungspreise dagegen niedrig, verringert sich der Gewinn des verbleibenden inländischen Unternehmens durch die Funktionsverlagerung nur wenig. Denkbar ist sogar, dass der Gewinn des verbleibenden inländischen Unternehmens durch die Funktionsverlagerung steigt, weil Verlustquellen abgegeben worden sind bzw. der Verrechnungspreis auf Grund des niedrigeren Kostenniveaus im Ausland niedriger ist als die Selbstkosten des verbleibenden inländischen Unternehmens bei Eigenfertigung. In diesem letzten Fall ist eine Vergütung für das die Funktion abgebende Unternehmen nicht angezeigt, und zwar auch dann nicht, wenn auch das die Funktion übernehmende Unternehmen ebenfalls erheblichen Gewinn realisiert. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter würde eine Funktion abgeben (outsourcen), wenn er hierdurch auch ohne Vergütung für die Funktionsverlagerung seinen Gewinn steigern kann. Dies wird durch die Realität belegt; es ist meines Wissens unüblich, dass bei einem Outsourcing an Dritte dieser für die übernommene Funktion eine Vergütung bezahlt. Vielmehr erfolgt ein Outsourcen schon dann, wenn das abgebende Unternehmen auf der Grundlage der Vergütungen für die künftigen Lieferungen oder Dienstleistungen des übernehmenden Unternehmens geringere Kosten hat als bei Eigenerledigung. Ein "Einigungsbereich" wie er den Verfassern des Entwurfs des Steuerreformgesetzes 2008 vorschwebt, durch den die Hälfte des künftigen Gewinns des übernehmenden Unternehmens auf das abgebende Unternehmen übertragen wird, ist nach meinen Erfahrungen völlig unüblich.
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Frotscher, Funktionsverlagerung
2.
Verlagerung der Produktion auf eine ausländische konzernangehörige Kapitalgesellschaft
Wird eine bestehende Produktion von einer inländischen Gesellschaft auf eine ausländische Kapitalgesellschaft übertragen, so stellt die Übertragung von materiellen Wirtschaftsgütern in der Regel kein Problem dar. Es ist unwahrscheinlich, dass die Funktionsverlagerung zur Übertragung der bestehenden Produktionsanlagen führt; regelmäßig werden diese verschrottet und neue Anlagen durch das aufnehmende Unternehmen errichtet. Kommt es doch zur Übertragung von Anlagevermögen, ist dieses mit dem Drittvergleichspreis zu bewerten; das aufnehmende Unternehmen hat einen entsprechenden Kaufpreis zu bezahlen. Stille Reserven werden dadurch im Inland aufgedeckt und versteuert; allerdings ist bei solchen (meist älteren) Anlagegütern das Vorhandensein von stillen Reserven unwahrscheinlich, bei degressiver Abschreibung aber auch nicht ausgeschlossen. Wenn Umlaufvermögen übertragen wird, gelten grundsätzlich die gleichen Regeln; auch hier ist der Drittvergleichspreis anzusetzen. Auch hier ist das Vorhandensein wesentlicher stiller Reserven unwahrscheinlich. Das wesentliche Problem bei der Übertragung einer Produktionsfunktion ist die Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern (Patenten, Warenzeichen, Know-how, aber auch von Geschäftschancen bis hin zum Firmenwert). Diese sind zum Fremdvergleichspreis zu bewerten. Ein speziell bei der Verlagerung von Produktionsfunktionen entstehendes Problem betrifft die Verrechnungspreise, wenn das aufnehmende Unternehmen produzierte Waren, in der Regel Halbfertigfabrikate, an das abgebende Unternehmen oder ein anderes inländisches Unternehmen derselben Unternehmensgruppe liefert. Hierzu hat die Finanzverwaltung das Konzept der "verlängerten Werkbank" entwickelt. Eine "verlängerte Werkbank" liegt danach vor, wenn die Produktion von Halbfertigfabrikaten von dem abgebenden auf das aufnehmende Unternehmen verlagert wird. Weitere Voraussetzung ist, dass die aufnehmende Gesellschaft die Produktion der Halbfertigfabrikate weitgehend oder ganz auf den Bedarf des abgebenden Unternehmens ausrichtet, dass zwischen den beiden Gesellschaften langfristige Verträge über die Abnahme dieser Haltfertigfabrikate bestehen und dass die abgebende Gesellschaft der einzige ins Gewicht fallende Abnehmer die-
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ser Halbfertigfabrikate ist, dass also hinsichtlich der Produktion der Halbfertigfabrikate das aufnehmende Unternehmen wirtschaftlich von dem abgebenden Unternehmen abhängig ist. Folge soll sein, dass der Verrechnungspreis für die Halbfertigfabrikate auf der Basis der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist. Offen bleibt, ob auf der Basis des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 nicht auch hier der Mittelwert des "Einigungsbereichs" anzusetzen ist mit der Folge, dass der im Ausland ansässigen "verlängerten Werkbank" die Hälfte des Gewinns verbleibt und damit mehr als nach der Kostenaufschlagsmethode. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Finanzverwaltung diese (sicherlich ungewollten) Folgerungen aus dem Gesetzentwurf nicht ziehen wird, sondern weiter auf dem Konzept der Kostenaufschlagsmethode bestehen wird. Der Rechtsfolge des Konzepts der "verlängerten Werkbank", dass der Verrechnungspreis auf der Basis der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden muss, kann nicht zugestimmt werden. Die Verrechnung der Produkte nach der Kostenaufschlagsmethode widerspricht der wirtschaftlichen Stellung des aufnehmenden Unternehmens. Dieses ist wirtschaftlich selbständig und trägt das volle wirtschaftliche Risiko; die Liefermöglichkeit bietet nicht mehr Vorteile, als mit jeder konzerninternen langfristigen Lieferbeziehung verbunden ist. Es handelt sich um eine Ausprägung des "Rückhalts im Konzern", die bei der Bestimmung der Verrechnungspreise nicht berücksichtigt werden darf.26 Im Ergebnis nimmt die Finanzverwaltung den vollen Vorteil des Rückhalts im Konzern für die Besteuerung des abgebenden Unternehmens in Anspruch. Die Kostenaufschlagsmethode entspricht dem arm' slength-Grundsatz nur bei Verarbeitungsverträgen, nicht bei Produktion und Verkauf im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Im Ergebnis nimmt die Finanzverwaltung mit dem Konzept der "verlängerten Werkbank" wiederum die Besteuerung der Ergebnisse von Standortvorteilen für sich in Anspruch, die das abgebende Unternehmen nicht hat und auch nicht erlangen kann. Es wird also ein Gewinnpotenzial besteuert, das in Deutschland nicht besteht und das das abgebende Unternehmen daher auch gar nicht realisieren kann. Im Ergebnis ordnet sich Deutschland damit die finanziellen, steuerrechtliehen Vorteile zu, die ein anderer Staat geschaffen hat. 26 Vgl. BMF, Sehr. v. 23.2.1983 - IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBI. I 1983, 218- Tz. 6.3.2.
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Auch hier ergibt sich die Lösung aus den Grundsätzen über Verrechnungspreise. Abzustellen ist auf die Alternativen, die dem abgebenden Unternehmen offen stehen. Dabei würde ein unabhängiger Dritter die Verlagerung auf die übernehmende Gesellschaft akzeptiert haben, wenn seine finanzielle Situation auf Grund der nach der Funktionsverlagerung zu vereinbarenden Verrechnungspreise günstiger wäre als bei Eigenfertigung.27 Dabei spielt die finanzielle Situation des Dritten, das heißt seine Möglichkeit, Gewinn zu erzielen, keine Rolle.28 Auch der BFH29 hat als Untergrenze bei solchen Überlegungen die Kosten der Eigenerledigung angesetzt.
3.
Funktionsverlagerung ohne Übertragung von Wirtschaftsgütern
Besonders deutlich wird der Irrweg, den der Gesetzgeber des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 mit der Neuregelung der Punktionsverlagerung beschritten haben, in dem Fall, in dem keinerlei Wirtschaftsgüter übertragen werden. Es soll angenommen werden, dass in Deutschland eine veraltete Produktionsstätte besteht, deren Produktion wegen veralteter Anlagen (bei denen aus Umweltschutzgründen eine kostenintensive Nachrüstung erforderlich ist), veralteter Technik und Prozesse, hoher Personal-, Material- und Energieintensität usw. nicht mehr gewinnbringend abgesetzt werden kann. Die Kunden des Unternehmens sind ausschließlich konzerninterne Vertriebsgesellschaften in anderen europäischen Ländern bzw. Drittkunden in Deutschland. Längerfristige Lieferverträge mit den konzernangehörigen Vertriebsgesellschaften bestehen nicht. Es wird nun beschlossen, die Produktionsanlage zu schließen, da sie nur Verluste verursacht, und eine neue, modernen Anforderungen entsprechende Produktionsanlage in einem osteuropäischen Land zu er27 Das ist bei Übertragung von Funktionen durch Outsourcing an unabhängige Dritte die in der Wirtschaft übliche Überlegung.
28 Meines Erachtens gibt es die Figur des "doppelten Geschäftsleiters" nicht; entgegen BFH, Urt. v. 17.5.1995- IR 147/93, BStBI. II 1996, 204; BFH, Urt. v. 6.12.1995 - I R 88/94, BStBI. II 1996, 383; BFH, Urt. v. 28.11.2002 - I R 44/00, BFH/NV 2002, 543. Die Beurteilung hat immer nur aus der Sicht des Ge29
202
schäftsleiters desjenigen Unternehmens, dessen Besteuerung in Frage steht, zu erfolgen. BFH, Urt. v. 9.7.2003- IR 100/02, BFHE 203, 77.
Frotscher, Funktionsverlagerung
richten. Diese Produktionsanlage wird infolge der neuen Technik und der geringeren Kosten hohe Gewinne erwirtschaften. Das deutsche Unternehmen, das deutsche Drittkunden weiterhin beliefern wird, jetzt aber mit Produkten aus der neuen Anlage, erwartet an Stelle der bisherigen Verluste aus der Produktion und dem Vertrieb Gewinne, da die Verrechnungspreise für die Produkte unter den bisherigen Selbstkosten der Eigenproduktion liegen werden. In diesem Fall führt die Regelung über die Funktionsverlagerung im Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen. Danach würde der "Einigungsbereich" durch die kapitalisierten Verluste bei Fortführung der Produktion und den kapitalisierten Gewinnen des osteuropäischen Konzernunternehmens bei Übernahme der Produktionsfunktion gebildet.30 Das übernehmende Unternehmen müsste also einen "Kaufpreis" in Höhe des Mittelwertes zahlen. Man fragt sich aber, wofür dieser Kaufpreis zu zahlen ist. Es werden weder materielle noch immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen, auch kein Firmenwert. Auch Geschäftschancen werden nicht übertragen, die für das abgebende Unternehmen ein geschütztes Wirtschaftsgut darstellen.31 Das übernehmende Unternehmen hat nur konzerninterne Kunden, die für das abgebende Unternehmen keinen greifbaren Wert darstellen, da diese Kundenbeziehungen jedem konzernangehörigen Unternehmen offen stehen. Eine Zahlung für die Punktionsverlagerung wäre also grundlos und verstößt gegen den Drittvergleichsgrundsatz.
4.
Verlagerung von ungeschütztem Know-how
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang, der durch die Verlagerung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern noch nicht erfasst ist, ist die Verlagerung von Personal. Personal kann im Wege einer Arbeitnehmerentsendung oder Versetzung in eine ausländische konzernangehörige Gesellschaft entsandt werden. Die Kenntnisse und Fähigkeiten des in das aufnehmende Unternehmen versetzten Personals stehen damit diesem Unternehmen zur Verfügung.
30 Wobei offen bleibt, wie die durch die Funktionsverlagerung verbesserte finanzielle Situation des abgebenden Unternehmens dabei zu berücksichtigen ist.
31 Vgl. BFH, Urt. v. 20.8.1986- IR 152/82, BFH/NV 1987,471.
203
Frotscher, Funktionsverlagerung
Besondere Fragen wirft die Versetzung von Personal nur auf, wenn das aufnehmende Unternehmen ständig oder auf eine bestimmte Zeit die Arbeitgeberfunktion übernimmt. Bleibt das abgebende Unternehmen Arbeitgeber, handelt es sich um Dienstleistungen des abgebenden Unternehmens an das aufnehmende Unternehmen, die nach den Grundsätzen über Verrechnungspreise zu behandeln sind. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung problematisch kann nur die Versetzung, das heißt der arbeitsrechtliche Arbeitgeberwechsel, von dem abgebenden an das aufnehmende Unternehmen sein, problematisch deshalb, weil dann die Fähigkeiten und Erfahrungen (das know-how), das der Arbeitnehmer bei dem abgebenden Unternehmen gesammelt hat, dem aufnehmenden Unternehmen zur Verfügung steht. Auch hier bieten aber die oben dargestellten Grundsätze eine sichere und dem Gesetz entsprechende Lösung. Weder das Wissen und die Erfahrungen des Arbeitnehmers noch der Arbeitnehmer selbst bilden ein "Wirtschaftgut" des abgebenden Unternehmens. Mit der Versetzung des Arbeitnehmers wird also kein Wirtschaftsgut übertragen, das zu vergüten wäre. Nur diese Lösung entspricht dem Drittvergleichsgrundsatz. Der Arbeitnehmer könnte zu einem Konkurrenten wechseln; dieser wäre unter keinem Gesichtspunkt bereit, eine "Ablösesumme" zu zahlen.32 Dann kann für den Wechsel zu einem anderen konzernangehörigen Unternehmen nichts anderes gelten. Eine "Gewinnrealisierung" auf Grund des neuen § 1 Abs. 3 AStG wäre wegen Verstoßes gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG), die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG) europarechtswidrig.
5.
Behandlung von Liquidations-, Schließungs- und sonstigen Kosten
Die Kosten der Schließung von Anlagen, der Reduzierung des Personals und etwaige Liquidationskosten der abgebenden Gesellschaft sind Kosten dieser Gesellschaft, auch wenn diese Maßnahmen im Rahmen einer Funktionsverlagerung erfolgen. Ein unabhängiger Dritter würde sich an diesen Kosten nicht beteiligen. Sie sind daher Betriebsausgaben
32
204
Wettbewerbsverbote mit Karenzzahlungen sind bei Arbeitnehmern nicht üblich.
Frotscher, Funktionsverlagerung
der abgebenden Gesellschaft.33 Allerdings sind diese Kosten bei der Prüfung einzubeziehen, ob eine Beibehaltung der übertragenen Funktion kostengünstiger wäre. Ein unabhängiger Dritter würde eine Funktion nur verlagern bzw. aufgeben, wenn seine finanzielle Situation nach der Funktionsverlagerung unter Einschluss der Schließungskosten günstiger wäre als bei Fortführung der übertragenen Funktion.
6.
Aufzeichungspflichten
Die Funktionsverlagerung ist ein "außergewöhnlicher Geschäftsvorfall" i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Er ist daher zeitnah in der Verrechnungspreisdokumentation zu dokumentieren.34 Diese Vorschriften sind ausreichend, so dass auch hier eine besondere Regelung für die Punktionsverlagerung nicht erforderlich ist.
IV. Fazit Als Fazit ist festzuhalten, dass die Funktionsverlagerung nichts anderes darstellt als einen besonderen Fall der Übertragung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern in das Ausland. Sie ist selbstverständlicher Ausfluss der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen und durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages geschützt. Die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften in Verbindung mit den international anerkannten Verrechnungspreisgrundsätzen bieten eine angemessene und ausreichende Grundlage, um die mit der Funktionsverlagerung verbundene steuerliche Problematik bewältigen zu können. Besondere gesetzliche Regeln für die Funktionsverlagerung sind weder notwendig noch sind sie angesichts der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten europarechtskonform. Deutschland wäre gut beraten, anstatt neue Regeln zu schaffen, deren Scheitern vor dem EuGH voraussehbar ist, den Wettbewerb der Stand33 Das in der politischen Debatte oft gehörte Argument, Deutschland dürfe die
34
Verlagerung von Arbeitsplätzen über den Abzug von Betriebsausgaben nicht auch noch selbst finanzieren, spielt in der steuerrechtliehen Beurteilung natürlich keine Rolle. Auf die europarechtliche Problematik der Verrechnungspreisdokumentation und die damit verbundenen Sanktionen soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu Frotscher in Schwarz, AO, zu§ 162 AO Rz. 19h, 19u.
205
Frotscher, Funktionsverlagerung
ortfaktoren anzunehmen und insoweit proaktiv, nicht nur reaktiv, zu agieren. Versuche, die ungünstigen deutschen Rahmenbedingungen durch gesetzliche Regelungen zu schützen und dabei die Abwanderung zu Standorten mit günstigeren steuerlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch offen oder verdeckt protektionistische steuerliche Regelungen einzuschränken, sind zum Scheitern verurteilt.
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Funktionsverlagerung Podiumsdiskussion
Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Harnburg
Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt
Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Harnburg
Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Harnburg
Dr. Christian Kaeser
Manfred Naumann
Rechtsanwalt, Siemens AG, München
Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Prof Dr. Lüdicke
Obwohl zwischen Ihnen, Herr Naumann und Herr Prof Dr. Frotscher, offenbar weiterer Diskussionsbedarf besteht, führen wir hier natürlich eine geordnete Podiumsdiskussion durch. Zunächst darf ich Herrn Bernhardt bitten. Bernhardt
Zunächst einmal, Herr Naumann, ich war ganz begeistert, als Sie als Eingangssatz gesagt haben: "Wir sind nicht die besseren Kaufleute." Die Entscheidungsfreiheit liege bei uns. Das hören wir gerne. Nur im
207
Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
weiteren Verlauf kamen mehr als große Zweifel daran auf, was das in der Praxis wirklich bedeutet und wie weit Sie wirklich dahinter stehen. Ich will versuchen, das in einigen wenigen Thesen zusammenzufassen, denn ich glaube, die wesentlichen Kernargumente gegen den Angang, den Sie planen, hat Herr Prof Dr. Frotscher in vorbildlicher Weise schon zusammengefasst, und ich möchte das nicht wiederholen. Das Grundproblem ist - und das ist auch schon von Herrn Prof Dr. Frotscher gesagt worden - nichts Neues: Jeder im Konzern, der sich damit beschäftigt, dass Funktionalitäten wandern, dass an anderer Stelle Produktionen auf- oder abgebaut werden, muss letztlich jede Veränderung immer unter dem Gesichtspunkt der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen daraufhin überprüfen, ob es zu einem steuerpflichtigen Vorgang, also zur Übertragung eines Wirtschaftsgutes mit entsprechender Gewinnrealisierung, kommt oder nicht. Da hat sich nichts geändert. Die Gesetzeslage ist unverändert. Insofern bedarf es auch nicht dieses Erlasses. Wenn man- wir kennen den Erlass nicht- das bedenkt, was Sie heute gesagt haben, dann wird man den Eindruck nicht los, dass Sie nicht nur eine Verlagerung, sondern jede Veränderung von Rahmenbedingungen innerhalb eines Konzerns letztlich umdeuten in eine Veräußerung. Und das ist, so glaube ich, der ganz gefährliche und nicht nachzuvollziehende Angang. Das ist ein ganz krasser Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, aber insbesondere natürlich gegen die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen, sich so zu strukturieren und dort zu produzieren, wo es nach wirtschaftlich vernünftigen Aspekten auch angebracht ist. Ich habe so ein bisschen den Eindruck - ich will da nicht Schärfe hineinbringen -, Ihr Angang scheint eher von einer gewissen Hilflosigkeit vor dem Hintergrund der Globalisierungsdebatte getrieben zu sein. Sie wollen protektionistische Zäune bzw. Hürden aufbauen, um die Ergebnisse und Produktionen im Lande festzuhalten. Man muss sich aber fragen, ob eigentlich bei derartigen Fällen, die Sie im Auge haben, die aufnehmende Einheit bereit ist, dafür ein Entgelt zu zahlen. Das dürfte in den meisten Fällen nicht der Fall sein. Ich möchte ein ganz simples Beispiel nennen. Die Debatte leidet zurzeit darunter, dass sie sehr abstrakt geführt wird. Man kann sich dem Problem wirklich nur nähern, wenn man Einzelfälle bespricht und sie ganz einfach Schritt für Schritt durchprüft im Hinblick auf die Frage,
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
ob dort ein Wirtschaftsgut vorhanden ist, das übergeht, oder es aber etwas ist, das aus steuerrechtlicher Sicht irrelevant ist. Nehmen wir also den simplen Beispielsfall: Es gibt eine Produktionsanlage in Deutschland. Es handelt sich um eine durchschnittliche Cammadity-Technologie, und das produzierende Unternehmen in Deutschland hat entschieden, dass dringend eine Kapazitätserweiterung erfolgen muss. Aus räumlichen Gründen, aus Zeitgründen und auch aus logistischen Gründen lässt sich am schnellsten eine neue Anlage in den USA errichten, weil man dort auch näher am Kunden ist und die Transportkosten geringer sind. Jetzt wird also diese neue Anlage, diese Erweiterungsanlage, in den USA gebaut. Die deutsche Anlage läuft mit voller Auslastung weiter, es geht nur um eine Erweiterung. Wenn man hier zu der Idee käme, darin ein immaterielles Wirtschaftsgut zu sehen, das über die Grenze wandert, dann hieße das, dass der Standortvorteil der USA, in diesem konkreten Fall Zeit und die Nähe zu den Kunden, in Deutschland versteuert werden müsste. Da frage ich mich ganz schlicht, ob das ein Fall ist, in dem Sie eine Geschäftschance annehmen würden? Das wäre ein Punkt, den ich gerne mit Ihnen besprechen würde. Des Weiteren würde ich gerne noch vom zeitlichen Ablauf her eine Frage stellen. Sie haben vorgetragen, dass der Erlass in Kürze kommen soll. Wahrscheinlich wird es dann gesetzgeberische Maßnahmen geben im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008. Nun habe ich gelernt, vielleicht sind Sie da näher dran, dass die OECD im Jahr 2008 einen Bericht zum Thema "Business Restructuring" vorlegen will. Die OECD scheint sich die Zeit zu nehmen, um das Thema sehr gründlich zu bearbeiten. Und da frage ich mich vor dem Hintergrund, dass es eigentlich keinen rechtlichen Regelungsbedarf in Deutschland gibt, warum warten Sie nicht einfach dieses Ergebnis ab? Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen sich auch an die Guidelines als strenge Auslegungsregel halten. Dann also die einfache Frage an Sie: Warum überstürzen Sie das Thema? Warum warten Sie nicht ab, bis dieser Bericht 2008 vorliegt? Naumann
Fangen wir gleich mal mit der OECD an. Die OECD hat tatsächlich unter Einschaltung der Warking Party 1, die sich allgemein mit Abkommenspolitik beschäftigt, und der Warking Party 6, die sich mit Verrechnungspreisen und Betriebsstättenbesteuerung beschäftigt, eine gemein-
209
Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
same Arbeitsgruppe errichtet, die sich mit Business Restructuring beschäftigt, und das ist im Wesentlichen das, was wir unter Funktionsverlagerung verstehen. Es geht also nicht um Umwandlungsvorgänge im rechtlichen Sinne, das könnte man unter Business Restructuring auch verstehen. Gemeint sind tatsächliche Änderungen in den Produktionsabläufen usw. in einem internationalen Konzern. Ihre Frage war, warum wir nicht warten, bis diese Arbeitsgruppe damit fertig ist. Erstens kann man das im Moment nicht konkret absehen. Und zweitens ergibt sich aus unseren Kontakten mit Betriebsprüfern, dass diese mit diesen Fällen nicht fertig werden, weil sie nicht dazu in der Lage sind, bei so einer Gelegenheit übergehende, selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter und Know-how zu identifizieren. Das bedeutet, wir brauchen ein Instrumentarium, um die Fälle zu erfassen, in denen das geschieht. Es geht nicht um Peanuts, sondern es geht um bedeutende Wirtschaftsgüter, die aber wirklich schwer zu identifizieren sind. Jetzt mache ich einmal eine etwas flapsige Bemerkung und zitiere Betriebsprüfer vom Bundeszentralamt und auch Spezialprüfer der Länder, die sagen, wenn wir weitere drei Jahre warten, dann brauchen wir keine Regelung mehr, weil es dann keine hochwertigen Funktionen in Deutschland mehr gibt, die verlagert werden. Das ist mit Sicherheit übertrieben, aber wir erleben die Verlagerungen seit etlichen Jahren. Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine Untersuchung gestartet, in welchem Umfang solche Funktionsverlagerungen dort stattgefunden haben. Die haben, glaube ich, bei einer überschlägigen Berechnung ungefähr 80 Fälle gefunden. Wir müssen uns genauer ansehen, auf welche Art und Weise diese tatsächlich gelöst worden sind. Ich denke, dass Betriebsprüfer immer dann, wenn sie nach einzelnen Wirtschaftsgütern suchen, vor unlösbaren Schwierigkeiten stehen, weil diese selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter weder in der Bilanz noch in der Gewinn- und Verlustrechnung zu finden sind. Jetzt möchte ich noch eine zusätzliche Bemerkung zur Grundkonzeption des BMF-Entwurfs machen. Wir gehen von der Entscheidung für die Funktionsverlagerung aus, die das Unternehmen selbst als ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter getroffen hat. Das ist nicht irgendein Hirngespinst irgendeines Betriebsprüfers, sondern das ist die Kalkulation eines - das will ich in jedem Fall annehmen - ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, der die Geschicke des betreffenden Unternehmens lenkt. Das ist der Ausgangspunkt dafür,
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Funktionsverlagerungen zu bewerten. Wir setzen wirklich bei dem an, was das Unternehmen selbst zugrunde gelegt hat für seine Entscheidung. Von daher meine ich, dass wir ausgesprochen fair mit den Unternehmen umgehen und nicht irgendwas in den Vorgang hinein interpretieren, sondern wirklich von dem betriebswirtschaftliehen Entscheidungsrahmen ausgehen, den das Unternehmen selbst gesetzt hat. Ich halte es für völlig gerechtfertigt, von den Berechnungen des Unternehmens auszugehen, die entsprechende Vorteile ausweisen, und auf dieser Basis zu unterstellen, dass ein gedachter fremder Dritter, der ebenfalls als ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter anzusehen ist, für diese Vorteile auch bereit wäre, etwas zu bezahlen. Wenn das Unternehmen die Kosten für die Funktionsverlagerung hinnimmt, um den entsprechenden Vorteil zu erzielen, dann ist es meiner Meinung nach gerechtfertigt, auch zu unterstellen, dass ein fremder Dritter, der vor der Frage steht, ob er diese Funktion übernimmt, bereit wäre, für die Übernahme der Funktion etwas zu bezahlen. Um den doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter kommen wir bei diesen Überlegungen erstens nach den OECD-Grundsätzen und zweitens aber auch nach dem, was der BFH in mehreren Entscheidungen dazu festgestellt hat, nicht herum. Wie die Bewertung im Einzelnen aussieht, wie die Berechnung durchzuführen ist, das ist eher eine betriebswirtschaftliche als eine steuerrechtliche Frage. Das Ergebnis in einem konkreten Fall kann ich nicht vorhersagen. Juristen meinen immer, sie könnten alles, aber ich bin mir meiner Grenzen insoweit durchaus bewusst. Deswegen haben wir, als wir das Papier geschrieben haben, dafür gesorgt, dass wir betriebswirtschaftliehen Sachverstand mit in der Gruppe hatten.
Prof Dr. Lüdicke Ich habe Sie so verstanden, dass der Funktionsverlagerungserlass, der die Zeit vor der Gesetzesänderung abdecken soll, Fälle betrifft, in denen die Betriebsprüfer wissen, dass da - Sie haben gesagt: keine Peanuts - wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter übergehen, die aber keiner finden kann. Naumann Richtig.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Prof Dr. Lüdicke
Woher weiß man denn dann, dass sie übergehen, wenn man sie nicht findet? Naumann
Weil wir gerne über Fälle reden, kann ich Ihnen einen Fall nennen. Es gibt einen Fall, in dem ein großes deutsches Unternehmen auf der grünen Wiese in Slowenien oder Tschechien, in einem der ehemaligen Ostblockstaaten, ein Produktionsunternehmen und den entsprechenden Vertrieb errichtet hat - mit den modernsten Maschinen, mit den selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern, mit einem Trupp von Arbeitnehmern, die von Deutschland aus für eine bestimmte Zeit hinüber gegangen sind, nicht im Wege der Arbeitnehmerüberlassung, sondern im Wege von Dienstleistung. Diese wurden nicht Arbeitnehmer des ausländischen Unternehmens. Danach lief dieses Unternehmen mit exorbitanten Gewinnen. Das Unternehmen war nicht auf die Idee gekommen, in irgendeiner Form hierfür eine Vergütung zu berechnen. Wenn ich jetzt anfange, nach Einzelwirtschaftsgütern zu suchen, die bei der Gelegenheit zur Verfügung gestellt worden sind, werde ich im Zweifel, weil die nirgends niedergelegt sind, keine Basis für eine Besteuerung als Betriebsprüfer aufdecken können. Aber selbstverständlich- ich meine, der Fall ist noch nicht abgeschlossen- gibt es da Konflikte. Prof Dr. Lüdicke
Es mag einzuräumen sein, dass in dem geschilderten Fall auch immaterielle Wirtschaftsgüter und Know-how usw. übergegangen sind. Allerdings war einer der Hauptkritikpunkte von Herrn Prof Dr. Frotscher und auch von Herrn Bernhardt, dass jetzt Gewinne versteuert werden sollen, die u.a. auch deswegen entstehen, weil man auf diesen grünen Wiesen in den genannten Ländern etwas billiger produzieren kann als in Deutschland. Und diese Gewinne dann hier zu besteuern, ist wohl das Problem.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Krebühl1
Herr Prof Dr. Lüdicke, ich muss gestehen, ich bin etwas verwirrt. Allen, die sich mit dem Steuerrecht beschäftigen, geht das natürlich täglich so, allerdings heute auf besonders hohem Niveau. Herr Naumann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie auf der Basis eines Verwaltungserlasses jetzt etwas schaffen zu können, wonach laut den Veröffentlichungen Ihres obersten Dienstherrn pro Jahr 1,7 Mrd. € Steuern hereingeholt werden können. Herr Nage/2, ich muss sagen, schämen Sie sich nicht, dass die Landesfinanzverwaltung bisher nicht in der Lage war, auf der Basis des geltenden Rechtes diese 1,7 Mrd. € hereinzuholen, so dass wir dafür einen Verwaltungserlass brauchen? Denn ein Verwaltungserlass kann eigentlich nur eine Interpretation geltenden Rechtes sein. Herr Naumann, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Finanzverwaltung, wie sie das immer tut bei vergleichbaren Fällen, nicht nur den Outboundfall betrachtet, sondern auch den Inboundfall. Jetzt unterstelle ich einfach einmal, dass in Zukunft irgendeiner so blöd ist und Funktionen ins Inland hinein verlagert. Und da er nicht weiß, was er jetzt genau verlagert, schaut er sich so ein Transferpaket an, bewertet das, sieht, dass da noch ein Gewinnpotenzial ist, und kommt zu einem Wert. Und jetzt kommt der Betriebsprüfer von Herrn Nagel und sagt: "Das muss doch irgendwie bilanziert werden." Und bilanzieren, Herr Naumann, kann ich doch nur Wirtschaftsgüter. Also entheben mich doch diese neuen Begriffe des "Transferpakets" und des "Gewinnpotenzials" nicht der Mühe, Wirtschaftsgüter zu identifizieren und diesen Wirtschaftsgütern einen Wert zuzuweisen. Denn wenn ich kein Wirtschaftsgut habe, dem ich einen Wert zuweisen kann, muss ich sofort eine Abschreibung vornehmen oder habe sofortigen Aufwand. Von daher frage ich mich, warum kreieren Sie neue Begriffe, mit denen niemand etwas anfangen kann, wenn Sie am Ende des Tages doch wieder auf das schlichte und einfache Steuerrecht zurückkommen müssen, wonach Sie einzelne Wirtschaftsgüter identifizieren müssen und diesen einzelnen Wirtschaftsgütern Werte zuweisen müssen. Das habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden. Aber wie gesagt, ich war auf hohem Niveau verwirrt und bin einfach gestrickt. 1 2
Hans-Herbert Krebühl, ExxonMobil Central Europe Holding GmbH, Leiter Steuern, Hamburg. ]ohannes Nagel, Senatsdirektor, Finanzbehörde Hamburg.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Naumann Wir sind uns darüber einig, dass die Frage, in welcher Form ich zu dem Betrag komme, der für diese Verschiebung zu bezahlen ist, von fremden Dritten im Wege der Verhandlung festgelegt wird. Im Konzern habe ich diese Situation nicht. Das bedeutet, dass ich einen entsprechenden Betrag vernünftigerweise nur aus den Entscheidungsgrundlagen ermitteln kann, die das Unternehmen selbst hatte. Da geht nicht irgendeiner mit der Nase in der Luft durch die Landschaft und überlegt sich, ob er eine Funktionsverlagerung macht. Da geht es nicht nur für die Steuerverwaltung, da geht es insbesondere für die Unternehmen um richtig viel Geld. Das bedeutet, derjenige, der über so einen Vorgang entscheidet, hat harte Entscheidungsgrundlagen, soweit die in dem Moment, in dem die Entscheidung zu fällen ist, vorliegen. Das ist nicht irgendwie ein Luftikus. Das ist das, was das Unternehmen vorlegen kann, und ich nehme das ernst, was die Unternehmen an der Stelle als Entscheidungsgrundlage haben. Das ist für die Bepreisung zugrunde zu legen. Auf diese Art und Weise mit zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern, so wie ich das dargelegt habe, kommen Sie zu einem Einigungsbereich zwischen Obergrenze und Untergrenze und ggf. zu einem Betrag in der Mitte, bei dem das Unternehmen sagen kann, aus diesen oder jenen Gründen lande ich da oder da. Das muss das Unternehmen für seine Steuererklärung ohnehin tun. Ich kann mich noch erinnern, ich war zehn Jahre lang bei der Bundesfinanzakademie und habe mich da mit Personengesellschaften beschäftigt: Da gab es - ich habe es gerne gehört - das einfache Steuerrecht. Da gab es Fälle, Schulfälle: Wenn jemand gegen einen Barbetrag in eine Personengesellschaft eintritt und sozusagen die Hälfte aller Wirtschaftsgüter erwirbt, dann hatte man diese netten Ergänzungsbilanzen, wo das mit der Einfachheit schon wieder nicht ganz so weit her ist. Da hat man genau das gemacht, was in dem Fall der Funktionsverlagerung auch zu machen ist: Ich ermittle einen Betrag. Für die Bilanzierung muss ich diesen Betrag selbstverständlich Wirtschaftsgütern zuordnen. Und dann machen Sie das im Rahmen des Vorsichtsprinzips, wie Sie das zu tun haben. Bei den Personengesellschaften war das so, und das wird bei den Funktionsverlagerungen gleich sein, wenn da ein übersteigender Betrag übrig bleibt, dann haben Sie einen Geschäftswert, der bei der Gelegenheit übergegangen ist. Und den können Sie als Wirtschaftsgut bilanzieren. Das ist überhaupt kein Problem.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Es gab Diskussionen mit Leuten aus der Wirtschaft, die sagten, sie möchten das alles mit Einzelbewertung machen. Das können wir gerne machen. Wir können gerne in die Verwaltungsgrundsätze hineinschreiben: "Für die Ermittlung des Fremdvergleichsgrundsatzes möchten wir die Gesamtbetrachtung haben." Denn das ist, was sich fremde Dritte angucken, wenn Sie so etwas machen. Die gucken nicht nach einzelnen Wirtschaftsgütern. Die gucken danach, ob der Vorgang als solches rentabel ist oder nicht, genau wie der entscheidungsbefugte Mensch in dem jeweiligen Unternehmen. Aber wenn das die Unternehmen gerne möchten, ich bin gerne dazu bereit, dann schreibe ich auch noch rein: "Zusätzlich muss dieser Gesamtbetrag für Zwecke der deutschen Besteuerung, wo er im Allgemeinen völlig irrelevant ist, wenn es hinausgeht, auch noch auf Einzelwirtschaftsgüter aufgeteilt werden, und ein Betrag, der dann übrig bleibt, das ist der Geschäftswert." Ich weiß nicht, wem wirklich damit gedient ist. Für die deutsche Besteuerung spielt diese Aufteilung im Allgemeinen keine besonders große Rolle. Natürlich spielt sie eine Rolle, wenn die Funktionen hier hineinkommen. Aber da habe ich auch den Gesamtbetrag, weil der eben betriebswirtschaftlich ökonomisch sinnvoll ist. Krebühl
Das spielt in der Slowakei eine Rolle. Sie wollen doch keine Doppelbesteuerung. Naumann Richtig. Krebühl
Sie dürfen doch nicht nur auf das deutsche Steuersubstrat schauen, sondern müssen auch sehen, dass das Unternehmen im Ausland ein entsprechendes Abschreibungspotenzial hat. Naumann Deswegen bin ich sehr eng daran interessiert, was bei der OECD passiert. Die OECD spricht in ihrem Diskussionspapier davon - das kennen Sie nun wirklich nicht, nehme ich an, es ist nämlich in Englisch, deswegen verbreitet sich das nicht so schnell.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Prof Dr. Lüdicke
Herr Naumann, Sie haben eben auch erwartet, dass alle die OECDGuidelines kennen, die es auch nur in Englisch gibt. Naumann
Die gibt es auch noch in Österreichisch, aber das ist egal. Die reden sehr wohl auch von Profit Potential. Und die reden von diesen ganzen Geschichten. Bei der letzten Sitzung, die bei der OECD stattfand, habe ich mit Vertretern von maßgeblichen Staaten in der OECD gesprochen, weil Unternehmensvertreter insofern Bedenken geäußert haben, ob es nicht zu einer Doppelbesteuerung führt. Selbstverständlich erhalten Sie keinen Persilschein oder dergleichen. Die sagen natürlich nicht: "Wir schlagen die Hacken zusammen, und dann läuft das so, wie die Deutschen sich das vorstellen." Aber die Aussage von dem amerikanischen Vertreter war mir besonders wichtig, weil dort immer ab und zu so etwas noch passiert. Er hat gesagt, wenn ein deutsches Unternehmen mit einer Funktionsverlagerung in die USA kommt und eine betriebswirtschaftlich saubere Analyse darüber hat, dass insofern Goodwill, wie die das auch immer in Amerika bilanzierungsmäßig nennen, übergegangen ist aufgrund einer betriebswirtschaftlichen Berechnung, wie ich sie Ihnen einmal ganz überschlägig und vermutlich laienhaft vorgetragen habe, dann sieht er prinzipiell kein Problem, dass das in den USA bilanziert und abgeschrieben wird. Und wenn das der Fall ist, dann gibt es kein Doppelbesteuerungsproblem. Von daher mögen da Befürchtungen in Richtung China und Brasilien bestehen, das sehe ich ein. Ich weiß nicht genau, wer da noch ist. Aber gegenüber OECD-Mitgliedstaaten sehe ich das nicht. Und nur, weil es in Richtung China- oder wo auch immer- Probleme gibt, kann man nicht auf eine prinzipiell richtige Regelung- und dafür halte ich sie - verzichten. Dann muss man sehen, wie man im Verhältnis zu solchen Staaten zu Sonderregelungen kommt. Die werden Sie aber nicht in einem BMF-Schreiben finden, sondern das wird man dann im Detail absprechen müssen. Da muss man Lösungen finden, denn wenn es für ein deutsches Unternehmen zu einer Doppelbesteuerung kommt, müssen wir versuchen, dies über Billigkeitsmaßnahmen zu lösen. Das ändert aber am Prinzip nichts. Und an dem Prinzip möchte ich ganz gerne festhalten, weil uns ansonsten in großem Umfang Gewinnpotenzial fehlt. Das ist, um es klar zu sagen, kein Wirtschaftsgut, sondern ein Bewertungsmaßstab für Wirtschaftsgüter, eben das "Transferpa-
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
ket". Darauf wollen wir nicht zu Lasten des deutschen Fiskus verzichten.
Prof Dr. Lüdicke Selbst wenn es in dem gerade zwischen Ihnen und Herrn Krebühl diskutierten USA-Fall nicht zur Doppelbesteuerung kommt, kommt es zu einer Vorverlagerung der Besteuerung in Deutschland und einer erst sich über die Jahre ergebenden Abschreibung. Wollen Sie das auch im Inlandsfall machen, um das von Herrn Prof Dr. Frotscher genannte EUProblem aus der Welt zu räumen, wenn von einer Kapitalgesellschaft auf die andere Kapitalgesellschaft verlagert wird?
Naumann Zu dieser Zeitdifferenz in der Besteuerung kommt es nur dann, wenn das Unternehmen im Rahmen seiner eigenen Vertragsfreiheit eine Übertragung von diesem Transferpaket vornimmt. Es ist aus unserer Sicht sehr wohl möglich, hier eine Lizenzierung vorzunehmen.
Prof Dr. Lüdicke Muss man das dann auch im Inlandsfall machen ...
Naumann Man muss überhaupt nichts machen!
Prof Dr. Lüdicke ... , um die Sofortversteuerung bei dem abgebenden Unternehmen im reinen Inlandsfall zu vermeiden?
Naumann Ich weiß nicht genau, von welchem Fall Sie eigentlich ausgehen.
Prof Dr. Lüdicke Von dem gleichen wie Herr Krebühl, nur dass die zweite Gesellschaft, also die, die aufnimmt, nicht in den USA, sondern in Bayern sitzt.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Naumann Warum sollen Sie das nicht in gleicher Weise machen? Das können Sie so oder so machen.
Prof Dr. Lüdicke Man muss es dann so machen.
Naumann Sie müssen gar nichts. Wir schreiben nichts vor. Sie können die Sofortversteuerung machen, wenn Sie das gerne machen möchten. Das ist nicht die Entscheidung, die die Finanzverwaltung zu treffen hat, die trifft das Unternehmen. Oder aber Sie können eben in die Lizenzierung gehen. Ich meine, mehr als die Wahlmöglichkeit, das so oder so zu machen, können Sie doch beim besten Willen nicht verlangen.
Bartsch3 Herr Naumann, wenn ich Sie richtig verstehe, ist es so, dass Einzelwirtschaftsgüter, seien sie materiell oder immateriell, so oder so schon steuerverstrickt sind. Das haben wir heute den ganzen Tag über besprochen. Ich verstehe Sie so, dass es Ihnen um den Firmenwert geht, um die künftigen Gewinnaussichten, um alle solche Sachen, die man nicht als Wirtschaftsgut in Deutschland bezeichnet. Um das auch noch einmal klar zu sagen, ein Firmenwert ist im deutschen Steuerrecht kein Wirtschaftsgut. Ich verstehe Sie so, dass Sie Sorgen haben, dass solche Nicht-Wirtschaftsgüter bei der Übertragung von ganzen Betrieben nach derzeitigem Steuerrecht eigentlich gar nicht besteuert werden können und Sie deshalb mit einem Erlass und mit einer Gesetzesänderung dagegen anarbeiten wollen. Die einzige Frage, die ich habe - es ist dem Gesetzgeber dahingestellt, so etwas auch besteuern zu wollen-, geht in die Richtung, was Siegerade gesagt haben: Wir müssen doch sicherstellen, dass in dem anderen Land, wo das alles hinwandert, genau das, was wir hier in Deutschland versteuern mussten, auch wieder abgeschrieben werden kann.
3
Gerrit Bartsch, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner, Watson, Farley & Williams, Hamburg.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Das ist Ihr ErgänzungsbilanzbeispieL Denn beim Eintritt in die Personengesellschaft kann natürlich der Eintretende seinen Kaufpreis voll abschreiben. Und nur wenn das sichergestellt ist, kann man doch überhaupt in Deutschland auf die Idee kommen, das zu besteuern. Und genau da habe ich ein Problem. Wenn es kein Wirtschaftsgut ist und mal angenommen wird, das aufnehmende Land hat auch wie in Deutschland für Firmenwerte nicht den Wirtschaftsgutbegriff erkannt, dann kann ich es nicht abschreiben, weil ich keinen Verkauf habe. Das ist doch ein großes Problem.
Naumann In dem Moment, in dem zwischen den beiden nahe stehenden Unternehmen ein zivilrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird und wenn dafür was bezahlt wird, haben Sie den Wirtschaftsgutbegriff erfüllt. Der Steuerpflichtige muss das nur alles ordentlich machen, dann hat er an der Stelle kein Problem. Bartsch
Aber in dem anderen Land habe ich nichts, was ich abschreiben kann, weil ich nichts verkauft habe.
Naumann Doch. Das habe ich versucht, gerade zu sagen. Ich habe nicht mit allen sprechen können, dazu sind zu viele bei der OECD, aber mit den Hauptstaaten habe ich gesprochen, also mit den großen europäischen Nachbarstaatenund den USA. Und da war die Aussage dazu: Wenn ein solcher Verkauf eben in der Steuererklärung entsprechend deklariert wird, wenn es dazu entsprechende betriebswirtschaftliche Berechnungen gibt, wenn das alles der Steuererklärung beigefügt wird und bei der Betriebsprüfung selbstverständlich vorliegt, ist das im Prinzip wohl kein Problem. Zu der Frage der Doppelbesteuerung und dem Problem, das es kein Wirtschaftsgut ist: in dem Moment, in dem es ein Entgelt dafür gibt, ist es ein Wirtschaftsgut. Dann löst sich das Problem in Wohlgefallen auf. Und im Rahmen der Lizenzierungen, denke ich, haben Sie nicht einmal das Problem mit dem Wirtschaftsgut.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Prof Dr. Lüdicke
Also zusammengefasst: entweder man hat verkauft oder man ist verkauft. Frage aus dem Publikum
Ich bin etwas verwirrt über den Begriff "Funktionsverlagerung". Ich hatte mir etwas ganz anderes darunter vorgestellt, nämlich das, was man im Augenblick in der Fachliteratur liest: "internationales Management", wo Leitungsfunktionen, Finanzierungsfunktionen synthetisch zusammengefasst werden und dann gewissermaßen auch gestreut werden können, so wie es im Globalisierungsprozess sehr häufig stattfindet. Ich erinnere mich daran, dass wir vor einigen Jahren auch eine Studie der OECD im Sinne dieser Definition hatten. Und nun haben Herr Bernhardt und Herr Prof Dr. Frotscher Beispiele genannt, die mich sehr an die 70er Jahre erinnern. Das waren die nach damaligem Sprachgebrauch klassischen Auslandsinvestitionen. Wir haben damals vom Harnburgischen Weltwirtschaftsarchiv eine große Untersuchung dazu gemacht, was dabei vor sich ging. Das waren natürlich immer synthetische Entscheidungen, zusammengefasste Prozesse. Das waren nicht individualisierte Prozesse. Damals hatte die Steuerverwaltung offenkundig damit keine großen Probleme. Jetzt sieht das etwas anders aus, sicherlich auch vor dem Hintergrund, dass die Intensität auf Technologie und skill-intensive Güter zurückgeht und dass das auch im Steueraufkommen eine Rolle spielt. Ich kann daraus für mich nur den Schluss ziehen, dass dieser Begriff "Funktionsverlagerung" extrem schwierig ist, weil er sozusagen nach allen Seiten offen ist und weil er möglicherweise das, was wirklich betriebswirtschaftlich passiert - auf das Sie, Herr Naumann, abstellen- noch gar nicht richtig erfasst. Hier sehe ich wirklich noch Nachholbedarf, auch bei der Finanzverwaltung. Das ist schillernd, das bleibt auch offen, aber so wie es sich hier in der Abgrenzung darstellt, reicht mir das nicht aus. Dr. Winnefeld4
Ich wollte gerne Herrn Naumann unterstützen in seinem Beispiel der Produktionsverlagerung auf eine grüne Wiese in der Slowakei. Man
4
Dr. Robert Winnefeld, Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, HCR Hanse Capital Revision GmbH, Lehrbeauftragter der Universität Hamburg.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
kann vielleicht hier die Rechtsfigur des Franchising zugrunde legen. Dabei werden auch Wirtschaftsgüter transferiert, aber es wird zudem eine ganze Menge Know-how transferiert, und Know-how kann unter gewissen Voraussetzungen auch ein Wirtschaftsgut sein. Folglich könnte man hier ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass ein Know-howTransfer vorliegt, wie er sich zum Beispiel im Franchising ganz besonders darstellt. Folglich kann man auch hier an ein Wirtschaftsgut anknüpfen und davon sprechen, dass ein Wirtschaftsgut transferiert wird. Prof Dr. Frotscher
Wir haben natürlich in der Kürze der Zeit nur ganz wenige Beispiele aus dem Funktionsverlagerungserlass nehmen können. Da steckt natürlich sehr viel mehr drin. So ist dort zum Beispiel diese Frage der Verlagerung von Finanzierungsfunktionen angesprochen. Ich würde sagen, die Finanzverwaltung hat das schon sehr breit untersucht. Wir haben aber hier einfach nicht die Zeit, das alles zu besprechen. Ich möchte eigentlich, ausgehend von meiner Position, nochmals auf die Grundlagen zurückkommen, auch zu dem, was Herr Naumann gesagt hat. Ich habe überhaupt keine Bedenken, bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern zu einer Besteuerung im Inland zu kommen. Ich habe auch keine Bedenken in Bezug auf das, was Herr Naumann gesagt hat, dass nämlich die Unternehmen ihre internen Kalkulationen und die Planungsrechnung vorlegen müssen. Damit bin ich völlig einverstanden. Aber diese Planungsrechnung ergibt nicht das Wirtschaftsgut, sondern diese Planungsrechnung kann nur der Anlass für die Finanzverwaltung sein, nach identifizierbaren Wirtschaftsgütern zu suchen. Ich meine, wenn Sie diese Planungsrechnung haben, müssten Ihre Betriebsprüfer in der Lage sein zu untersuchen, was wirklich an Wirtschaftsgütern übergegangen ist. Was mich - etwas salopp gesagt - auf die Palme gebracht hat, sind zwei Dinge: Das Erste ist, dass die Finanzverwaltung in dem Erlass ausdrücklich die Besteuerung von Gewinnen in Anspruch nimmt, die ein deutsches Unternehmen ohne Funktionsverlagerung gar nicht erwirtschaften kann. Das kann nicht richtig sein. Das Zweite, was ich wirklich als Sklavenhandel bezeichnen möchte, ist, dass die bloße Versetzung von Mitarbeitern, die in ihren Köpfen Know-how haben, zu einer Besteuerung führen soll. Ich bin, als ich noch bei einem Unternehmen war, mit meinen steuerlichen Kenntnissen nach London ver-
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
setzt worden. Hätte Deutschland dafür Steuern erheben müssen? Ich glaube, wenn ich zu einem fremden Unternehmen gewechselt wäre, hätte niemand mir oder meinem ursprünglichen Arbeitgeber eine entsprechende Zahlung geleistet. Naumann
Das müssen wir noch prüfen! Prof Dr. Frotscher
Das ist schlicht und einfach nicht richtig. Ich möchte noch sagen, dass ganz primitive Fälle der Funktionsverlagerung in dem Erlassentwurf nicht richtig behandelt werden. Nehmen Sie einfach an, ein deutsches Unternehmen produziert einfache Produkte, so dass in der Produktion nicht viel Know-how steckt, und beliefert europaweit konzernangehörige Kunden. Wenn jetzt auf der grünen Wiese in Polen, Tschechien oder sonst irgendwo eine neue Anlage gebaut wird, die die Belieferung dieser konzerninternen Kunden übernimmt, dann gehen nicht einmal Geschäftsbeziehungen über. Der BFH hat entschieden, dass konzerninterne Kunden jedem konzernangehörigen Unternehmen offen stehen, und daher gehen weder materielle noch immaterielle Wirtschaftsgüter über. Dass die Finanzverwaltung Schwierigkeiten hat, immaterielle Wirtschaftsgüter zu finden und zu bewerten und dass man das der Finanzverwaltung erleichtern muss, würde ich voll unterschreiben, damit habe ich kein Problem. Es geht um Auswüchse in dem Entwurf des Erlasses, dass nämlich anstelle von Wirtschaftsgütern ein nebelhafter Begriff von Gewinnpotenzial gesetzt wird und wir die Ebene von Wirtschaftsgütern völlig verlassen. Herr Naumann, hinsichtlich Ihres Beispiels zu Personengesellschaften muss ich Ihnen leider aus einem einfachen Grund widersprechen: Ergänzungsbilanzen sind Steuerbilanzen und keine Handelsbilanzen. Bei Kapitalgesellschaften muss durch den noch existierenden Grundsatz der Maßgeblichkeit die Steuerbilanz gleich der Handelsbilanz sein. Wir können bei der Kapitalgesellschaft keine Ergänzungsbilanzen bilden. Deshalb kann man sie nicht mit Personengesellschaften vergleichen. Dr. Kaeser
Herr Prof Dr. Frotscher, wenn Sie so weitermachen, dann legt er noch etwas drauf, wenn Sie wieder nach London gehen.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Ich gebe es ungern zu, aber ich bin noch einfacher gestrickt als Herr Krebühl. Er wird mir das jetzt ewig auf die Nase binden, aber ich wollte einmal zwei Sachen wirklich ganz down-to-earth sagen. Es ist etwas skurril. Wir reden hier über etwas, das wir alle gar nicht kennen, das gar nicht existent ist. Wir können gar nicht über den Inhalt reden. (Wir kennen es natürlich alle.) Wie hier mit diesem für die Wirtschaft doch sehr wesentlichen Aspekt der Funktionsverlagerung umgegangen wird - dass die verschiedenen Versionen nicht wirklich offiziell publik gemacht werden, ist es die vom September oder ist es die vom November, man kommt schon durcheinander -, ist eigentlich nicht das, was man sich in der Kommunikation und in der Abstimmung in so einem zentralen Punkt wünscht. Das nur nebenbei. Der andere Punkt ist, dass hier natürlich- wir haben als Unternehmen die Wahl- eine wirtschaftliche Mauer um Deutschland gezogen wird. Wenn wir nur einmal den Aspekt Know-how in den Köpfen der Mitarbeiter betrachten: Wir haben weltweit 475 000 Mitarbeiter beim Siemens-Konzern, 161000 davon im Inland. Die Zahl im Inland hält sich relativ konstant. Wir haben eine Population, so heißt das im ExpatBereich, von 9 000 permanenten Delegierten, die irgend wo auf der Welt unterwegs sind. Die meisten sind natürlich outbound - von Deutschland aus betrachtet - unterwegs. Wir begegnen gleichzeitig einem extremen Nachwuchsmangel in Deutschland. Vor allem im Ingenieurbereich ist es schwer, Nachwuchskräfte zu finden. Da wird es für die Entscheidungsbasis im Konzern nicht einfacher: Bauen wir jetzt hier neues Know-how auf, obwohl wir wissen, dass wir, wenn wir sie dann als delegates durch die Gegend schicken, immer damit rechnen müssen, dass wir irgendwie eine Besteuerung bekommen? Und mit Begriffen wie "Gewinnpotenzial" wird man auch im Unklaren gelassen, ob es dann doch vielleicht zu einer Besteuerung kommt. Die Diskussion in der Betriebsprüfung wird man auf jeden Fall haben. Und diese wirtschaftlichen Auswirkungen auch für den Standort scheinen mir bei der ganzen Sache nicht wirklich berücksichtigt. Prof Dr. Lüdicke
Herr Naumann, ich glaube, es wäre unfair, Ihnen jetzt kein Schlusswort zu gestatten. Ich möchte Sie aber bitten, in diesem Schlusswort mit einem Satz die Frage zusammenzufassen: Geht es in dem Erlass aus-
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
schließlich um die Regelung von Nachweisproblemen, oder geht es auch um materielles Steuerrecht? Naumann
Ich neige immer dazu, damit anzufangen, was als Letztes gefragt worden ist, sonst vergesse ich das am Ende noch. Da wird nichts neues Materiellrechtliches geregelt. Dieser Erlass beruht - aus unserer Sicht- in vollem Umfang auf dem Fremdvergleichsgrundsatz und auf einem betriebswirtschaftliehen Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes. Das ist alles, was dieser Erlass macht. Für die Gesetzesänderung 2008 werden vor allen Dingen weitere Dokumentationspflichten geschaffen werden, wenn es so geht, wie ich mir das vorstelle. Und zwar gerade im Hinblick auf eine Funktionsverlagerung. Ich hatte schon darauf hingewiesen. Der Grund ist, dass, wenn die Konzernmutter im Ausland sitzt, Deutschland im Moment kaum Möglichkeiten hat, an die entsprechenden Unterlagen zu kommen, die erforderlich sind, um diesen doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter zu fingieren. Und der Mittelwert ist auch eine Geschichte, die man aus Sicherheitsgründen unter allen Umständen ins Gesetz schreiben müsste. Aber der Erlass, wie er jetzt ist, ist materiellrechtlich keine Änderung. Deswegen ist es ein BMF-Schreiben, weil es eben eigentlich die geltende Rechtslage aus der Sicht der Finanzverwaltung darlegt. Insofern ist es ganz einfach und klar zu beantworten. Dass BMF-Schreiben immer vorab veröffentlicht werden, ist ein echtes Problem. Wir sind da in einem Spannungsverhältnis, weil wir solche BMF-Schreiben meistens in Bund-Länder-Arbeitsgruppen erarbeiten, und wir möchten, bevor wir mit diesen BMF-Schreiben an die Öffentlichkeit gehen, meistens schon vorab ganz gerne wissen, was die Wirtschaft davon hält. Deswegen ist dieses BMF-Schreiben an den BDI und an die American Chamber of Commerce im Wege der Vertraulichkeit herausgegeben worden, damit man in der Sache darüber diskutieren kann. Und wir haben bei der Gelegenheit wertvollen Input bekommen. Da muss man dann aber auch damit rechnen, dass das Schreiben an die Öffentlichkeit kommt. Das kann man nicht vermeiden. Ich mache aber weder dem BDI noch der American Chamber of Commerce irgendwelche Vorwürfe; da können auch Leute im BMF sein, die den Entwurf verteilen, da kann irgendeiner in der Poststelle bei irgendeinem Landesfinanzministerium sein, der damit vielleicht den einen oder ande-
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
ren Euro verdient. Das ist nicht vermeidbar. Wenn man im Vorfeld eine vernünftige Kommunikation mit den Wirtschaftsverbänden haben will, muss man das bedauerlicherweise in Kauf nehmen. Ich hoffe, das ganze Thema wird dann relativ kurzfristig weiteren Spekulationen entzogen, wenn das Schreiben zumindest Ende Januar im Internet steht. Dann gibt es wenigstens etwas, worüber wir uns wirklich unterhalten können. Die nicht Verlagerbaren Chancen, die das inländische Unternehmen nicht wahrnehmen kann, scheinen Sie doch sehr zu beschäftigen. Prof Dr. Frotscher
Unter anderem. Naumann
Auch in dem Fall, in dem ich fremde Dritte habe - auch wenn das deutsche Unternehmen mit seinem Know-how nicht dazu in der Lage ist, in dem Stand, in dem es im Moment gerade ist, die Kapazitätsausweitung durchzuführen, wenn deswegen im Konzern eine andere Gesellschaft die Möglichkeit erhält, mit diesem Know-how und mit diesen immateriellen Wirtschaftsgütern zu arbeiten -, dann ist das ein Vorgang, der fremden Dritten nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden würde. Und wenn das ein Paket ist, dann ist eben an der Stelle aus betriebswirtschaftliehen Gründen sinnvoll zu sehen, wo die Vorteilhaftigkeit für das aufnehmende Unternehmen ist, und anhand dessen und auch anhand der Situation des abgebenden Unternehmens eine Bewertung durchzuführen. Ich meine, dass wir darin vielleicht nicht unbedingt alle miteinander übereinstimmen. Damit muss ich leben. Aber was ich in Anspruch nehme, ist, dass ich Fälle, die zwischen nahe stehenden Unternehmen stattfinden, wirklich möglichst punktgenau so behandeln möchte, wie sie fiktiv unter fremden völlig unabhängigen Geschäftsleitern durchgeführt worden wären. Insofern nehme ich den Fremdvergleichsgrundsatz ernst. Ich würde niemals eine Versteuerung für einen Fall verlangen, in dem ich der Meinung bin, ein fremder Dritter hätte keinen Anspruch auf ein Entgelt oder würde nicht bereit sein, für das, was da übergeht, etwas zu bezahlen auf der Grundlage der Unterlagen des Unternehmens, das letztlich die Verlagerung macht. Ich denke, darauf kann man nicht oft genug hinweisen.
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Podiumsdiskussion: Funktionsverlagerung
Prof Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Tagung angelangt. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, insbesondere den Referenten und den Diskutanten noch einmal ganz herzlich zu danken, ebenso den vielen Mitarbeitern unseres Instituts. Die Tagung findet in jedem Jahr am ersten Freitag im Dezember statt, im nächsten Jahr ist das der 7. Dezember 2007.
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Stichwortverzeichnis
Abfindungsangebot 18 Abkommensrecht 141 Abschreibung 217 - steuerwirksame 38 Abschreibungspotenzial 215 Abspaltung - Inlandsvermögen 29 - Teilbetrieb 42 Abwärtsverschmelzung 39,41 Abziehbarkeit - Übernahmeverlust 38 Äquivalenzprinzip - Betriebsstättenbesteuerung 102 ff. Aktionsplan 4 Amtshilfe - EG-Richtlinie 159 f. Analysis - factual and functional 95 Anlagevermögen - Überführung 35 Anpassungsmöglichkeit 175 ff. Anrechnung - ausländische Steuer 33 Anrechnungsmethode 34,148 Anrechnungsverfahren 57 Ansässigkeit - Einbringender 31 - Gesellschafter 30 - steuerliche 27 - Umwandlung 51 f. Ansässigkeitsstaat 65 Anschaffungskosten - nachträgliche 43, 47
Anteil - Besteuerungsrecht 46 - Buchwert 38, 40, 43 - einbringungsgeborener 60, 134 f., 139 - Kapitalgesellschaft 35 - Nachweis der Zurechnung 45 - sperrfristbehafteter 60 - Steuerverhaftung 29,31 - stille Reserve 48 - Veräußerung 43 ff., 47 f. - Veräußerungsfiktion 45 - Veräußerungsgewinn 31,43 f., 47 f. - Verstrickung 37 Anteilseigner - Entstrickung 36 - Spaltung 42 - Verschmelzung mit Drittstaatsgesellschaft 41 - Wegzug 35 Anteilsinhaber 16 Anteilstausch 31 f. - Buchwert 42, 46 - Einbringung 43 - Entstrickung 36 - fiktiver 42 - § 21 UmwStG 46 - steuerliche Rückbeziehung 46 Anti-Organ-Klausel 73 Antrag - Buchwert 41 f., 52 - Erhöhungsbetrag 44 - Steuerbilanz 37
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Stichwortverzeichnis
Anwendungsbereich 5, 12 - § 20 UmwStG 42 f.
- SEStEG 27 - Umwandlungssteuergesetz 26 ff. Anwendungserlass 154 Arbeitnehmer - Funktionsverlagerung 221, 223 - immaterielles Wirtschaftsgut 212 Aufdeckung - stille Reserve 35, 41, 52 Aufspaltung - Teilbetrieb 42 Aufstockung - Buchwert 44 f. Aufwärtsverschmelzung 39 f. Aufwand - Berücksichtigung 68 - sofort abziehbarer 44 Aufzeichnungspflicht 171 f. - außergewöhnlicher Geschäftsvorfall 171 f. - Funktionsverlagerung 205 Ausgleichsposten 35, 146, 153 Auslandstochter 64 Auslandsverschmelzung - Hinzurechnungsbesteuerung 50 Auszahlungsanspruch - Körperschaftsteuerguthaben 49 Auszahlungssperre - Körperschaftsteuerguthaben 58 Bandbreite 176 - echter Fremdwert 176 Begriffsbestimmung 12
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Bekanntmachung 10, 15, 21 Belegenheit 133 Bemessungsgrundlage - einheitliche körperschaftsteuerliche 82 Beschränkung - Besteuerungsrecht 46 - rechtliche 148 - wirtschaftliche 148 Beschränkungsverbot 62, 67 Besteuerung - Anteil 46 - potenzielle Beschränkung 33 ff., 46 - rückwirkende 43 - Standortvorteil 209 - stille Reserve 33, 35 - Übernahmegewinn 39 - Veräußerungsgewinn 30 f., 36 - Vorverlagerung 217 - zeitliche Streckung 35 Beteiligung - Einbringung 31 f. - wesentliche 133 - Zuordnung 33 Beteiligungskorrekturgewinn 68 Beteiligungsquote - Mitunternehmer 48 Betrieb - Einbringung 29, 42 ff. Betriebsausgabe - nicht abzugsfähige 39 f. Betriebsprüfung 168 Betriebsstätte 64, 141 f. - Abspaltung 29 - Art. 5 OECD-MA 78 - ausländisches Vermögen 38 - Dotationskapital 125 f., 128, 161 - Gewinnabgrenzung 71 ff.
Stichwortverzeichnis
- Gewinnaufteilung 118, 122 ff., 129 - Gewinnermittlung 78, 122, 124 - Gewinnzurechnung 78 - Gleichbehandlung mit Tochtergesellschaft 81, 87 ff. - grenzüberschreitende Überführung eines Wirtschaftsguts 34 - Grundausstattung einer selbständigen 94 ff. - Innentransaktion 117, 122, 124, 128 - Kapitalaufteilungsmethode 126 - Kapitalspiegelmethode 127 - Konzept der verselbständigten 94 ff. - Leistungsentgelt 72 - Leistungsverhältnis mit Stammhaus 76,88 - Selbständigkeit 76 - Überführung von Anlagevermögen 35 - Voraussetzung 116 - Zugehörigkeit eines Anteils 31 Betriebsstättenanbindung 58 Betriebsstättenbesteuerung 56 - Äquivalenzprinzip 102 ff. Betriebsstättenerlass 140, 146 Betriebss tä ttengewinn - Freistellung 34 Betriebsvermögen - Ausscheiden eines Wirtschaftsguts 35 f. - Einbringung 44 f. - Übergang auf ausländischen Rechtsträger 33 - Wirtschaftsgut 33 Betriebswirtschaft 169 ff.
Beurkundung - notarielle 14 Bewertung 138 - Funktionsverlagerung 211 - gemeiner Wert 3 7 - Kapitalisierungszinssatz 194 Binnenmarkt - Organisationsfreiheit 88 Buchwert - Anteil 38, 40, 42, 46 - Anteilstausch 46 - Aufstockung 44 f. - Ausgleichsposten 35 - Einbringungsgewinn I 43 f. - fiktiver Ansatz 51 - Fortführung 28 ff., 33, 45, 50 ff. - Steuerbilanz 37 - Umwandlung 51 Buchwertverknüpfung - grenzüberschreitende 46 Bundesministerium der Finanzen - Veröffentlichung von BMFSchreiben 224 Bundesverfassungsgericht - Rechtsprechung 90 Business restructuring 209 f. Cadbury Schweppes 173 Cost contribution arrangement 106 Cost-plus-Methode - unerhebliche Funktionsverlagerung 177 Dauerverlust 170 de Lasteyrie du Saillant 27, 140 Dienstleistung 170 Differenzbesteuerung 68 Diskriminierung 67
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Stichwortverzeichnis
Diskriminierungsverbot - grenzüberschreitender Sachverhalt 85 ff. Dispositionsfreiheit 172 f. Dividendenbesteuerung - Gewinnrücklage 38 Dividendenteil - Übernahmeergebnis 37 Dokumentation - zeitnahe 171 f. Dokumentationspflicht 118 f., 124 Doppelbesteuerung 215 ff., 219 Doppelbesteuerungsabkommen 141 f., 171 - Freistellungsmethode 159 - Lizenzgebühr 157 Doppelentstrickung 149 Dotationskapital - Betriebsstätte 125 f., 128, 161 Down-stream merger 39, 41 Drittstaatsgesellschaft - Einbringung 30 ff., 46 - Spaltung 42 - Verschmelzung 27,41 Drittvergleichsgrundsatz - Funktionsverlagerung 196 Eigenkapitalentgelt - Besteuerung 110 f. Eigentum - Sozialbindung 57 Eigentumsrecht - Körperschaftsteuerguthaben 57 Einbringender - Ansässigkeit 31 - Anteilsbesteuerung 46 - Anteilsveräußerung 43 ff. - Einbringungsgewinn II 47 - Körperschaft 47 - Nachweis 45
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- rückwirkende Besteuerung 47 - Zuordnung stiller Reserven 48 Einbringung - Anteilstausch 46 ff. - Beteiligung 31 f. - Betrieb 42 ff. - Drittstaatsbeteiligung 30 ff., 46 - Kapitalgesellschaft 29, 31, 46 ff. - Mitunternehmerschaft 48 f. - Personengesellschaft 29, 32 - Teilbetrieb 30 f. - Wertsteigerung 48 Einbringungsgewinn - Erhöhungsbetrag 44 - rückwirkende Besteuerung 43,47 - rückwirkender 60 - stille Reserve 45 Einbringungskonzept 56 Einheitsbetrachtung - wirtschaftliche 80 ff. Einigungsbereich 177 ff. - Funktionsverlagerung 195 - Mittelbereich 177 - Preisobergrenze 177 - Preisuntergrenze 177 Einkaufs preis - Transferpaket 174 Einkommensteuergesetz - § 5 Abs. 1 91 Einkünfte - aktive 52 - Auszahlung eines Körperschaftsteuerguthabens 49 - passive 34, 50 f. Einlage - verdeckte 138 Einlagekonto 49 Einmalzahlung - Fremdvergleichspreis 175 f.
Stichwortverzeichnis
Eintragung 10, 20 Einzelbewertung 215 Einzelrechtsnachfolge 32 Einzelwirtschaftsgut 212, 218 Entnahme 143 - fiktive 33, 192 Entnahmebegriff - finaler 145 Entnahmewille 147 Entsendung - Mitarbeiter 178 Entstrickung 131 f. - Anteilseigner 36 - Begriff 33 - fiktive 51 - gemeiner Wert 34 - Konzeption 64 - neuer Gewinnrealisierungstatbestand 33 ff. - Potenzial 58 - Wille 151 Entwicklung - Unternehmensfunktion 168 Ergänzungsbilanz 48, 222 Ermächtigungsgrundlage - Sekundärrecht 62 Ertragsteuerneutralität - Drittstaatenverschmelzung 27 - Fusionsrichtlinie 27 Escape-Klausel IX Europäische Aktiengesellschaft 54 - Sitzverlegung 32 Europäische Gesellschaft 2, 136 Europäischer Gerichtshof 22 - Diskriminierungsfall 67 - Grundfreiheit 63 - Niederlassungsfreiheit 62 - Vorrang des Primärrechts 64, 66
Europäisierung - Sitzverlegung 26 ff. - Umwandlungssteuerrecht 26 ff., 33, 37, 50 Europarecht VII, 122, 140 - EG-Rechtswidrigkeit 158 - Grundfreiheit 160 - Rechtsprechung 160 Fiktion - Leistungsverhältnis 105 Filialtheorie 73 Finanzierungsfunktion - Verlagerung 221 Firmenwert - Funktionsverlagerung 188 - Zuordnung 33 Formwechsel - Kapitalgesellschaft 30 Forschung - Unternehmensfunktion 168 Franchising 221 Freistellung - Betriebsstättengewinn 34 - stille Reserve 48 Freistellungsmethode 56, 147 - Doppelbesteuerungsabkommen 159 Freiwilligkeit - Vereinbarung 107 f. Fremdkapitalentgelt - Besteuerung 110 f. Fremdvergleich - hypothetischer 176 f. Fremdvergleichsgrundsatz 121, 126 ff., 166, 176, 215, 224 f. Fremdvergleichspreis 175 - Einmalzahlung 175 f. - Lizenz 175 231
Stichwortverzeichnis
Frist - Nachweis 45 Funktionsbündel 170 Funktionsverlagerung X, 157, 167 ff., 183 ff., 207 ff. - Arbeitnehmer 221, 223 Aufzeichnungspflicht 205 Begriff 187, 210, 220 Bewertung 211 cost-plus-Methode 177 Drittvergleichsgrundsatz 196 Einigungsbereich 195 Erlass 209, 211, 213, 224 - Firmenwert 188 - Geschäftschance 188 - Gewinnchance 178 - Gewinnpotenzial 190 f. - Gewinnrealisierung 191 - Greenfield project 187 - Grund 183 - immaterielles Wirtschaftsgut 188 - Kapitalverkehrsfreiheit 196 - Know how 203 f. - Lohnfertiger 177 f. - Mitarbeiterversetzung 221 - Niederlassungsfreiheit 196, 208 - Personalversetzung 204 - Routinefunktion 178 - Schiedsverfahren 197 - Standortbedingungen 184 - Steuerstaat 185 - Teilbetrieb 189 - Transferpaket 190 f. - Umfang 210 - unerhebliche 177 - verdeckte Gewinnausschüttung 191 - Vermögensgegenstand 190
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- Verrechnungspreis 198 f. - Verständigungsverfahren 197 - Werkschließung 202 f. - Wirtschaftsgut 187, 190 Fusionsrichtlinie 58, 61, 64, 68, 159 - Änderung 27 Gemeinschaftsrecht 140 Genossenschaft 6, 63 Geschäftschance - Funktionsverlagerung 188 Geschäftseimich tung - feste 77 f. Geschäftsleiter - doppelter ordentlicher und gewissenhafter 175 ff. Geschäftsvorfall - Aufzeichnungspflicht bei außergewöhnlichem 171 f. Geschäftswert 214 Gesellschafter - Ansässigkeit 30 - fiktiver Anteilstausch 42 Gesellschafterversammlung 9 Gesetzgeber - nationaler 62 Gewinn - steuerpflichtiger 38 Gewinnabgrenzung - Betriebsstätte 71 ff. Gewinnaufteilung 86, 93 f. - Betriebsstätte 118, 122 ff., 129 Gewinnausschüttung - Übernahmeergebnis 38 - verdeckte 191 Gewinnchance - unerhebliche Funktionsverlagerung 178 Gewinnerhöhung 85,93 f.
Stichwortverzeichnis
Gewinnermittlung 87 - Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 78,92 - Betriebsstätte 122, 124 - direkte 142 - indirekte 142 - § 5 Abs. 1 EStG 91 Gewinnkorrektur 82 Gewinnpotenzial 169 ff., 222 f. - Funktionsverlagerung 190 f. - Transferpaket 213 Gewinnrealisierung 208 - Formwechsel 30 - Funktionsverlagerung 191 - neuer Tatbestand 33 ff. - spätere 36 - Verschmelzung 50 - vorzeitige 84 Gewinnrücklage - Dividendenbesteuerung 38 - gesonderte Erfassung 38 - steuerbilanzielle 37 Gewinnzuordnung 87 Gewinnzurechnung - Betriebsstätte 78 Gewinnzuschlag - marktüblicher 83 - Risikoübernahme 109 f. Gläubigerschutz 19 Gleichbehandlung - Betriebsstätte und Tochtergesellschaft 81, 87 ff. Glo balisierung - Funktionsverlagerung 184 - Umwandlungssteuergesetz 27 Goodwill 216 Greenfield project - Funktionsverlagerung 187 Gründung 3 Grundfreiheit VII, 56, 59, 61 ff., 160
Gruppenmitglied 64 Halbeinkünfteverfahren 58 Halbteilungsgrundsatz 65 Handelsbilanz - Maßgeblichkeit 37 Hereinverschmelzen 58 Hinausverschmelzung 58 - grenzuberschreitende 36 Hinzurechnungsbesteuerung 50 ff., 55, 186 Hinzurechnungsbetrag - Ermittlung 51 f. Inlandsvermögen - Drittstaatenverschmelzung 27 - EU-Abspaltung 29 Innentransaktion 71 ff. - Betriebsstätte 117, 122, 128, 163 - Durchführung 104 ff. - steuerpolitisches Grundproblem 107 ff. - Tatbestand 104 ff. - Zulässigkeit 104 ff. Joint-Venture-Bildung 54 Kapitalanlagecharakter - Zwischeneinkünfte 52 Kapitalanlagegesellschaft 55 Kapitalaufteilungsmethode - Betriebsstätte 126 Kapitalertragsteuer - Abzug 38 Kapitalgesellschaft 5 - Anteil im Privatvermögen 35 - Betriebsvermögen 44 - Einbringung 31, 42 ff.
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Stichwortverzeichnis
- Einbringung einer Drittstaatsbeteiligung 31 - Entstrickung 36 - Erhöhungsbetrag 44 - Formwechsel 30 - Sitzverlegung 36 - Umwandlung 27, 37 ff., 52 - Verschmelzung 27, 67, 39 ff. Kapitalisierungszinssatz - Bewertung 194 Kapitalspiegelmethode - Betriebsstätte 127 Kapitalverkehrsfreiheit - Funktionsverlagerung 196 Ketteneinbringung - Anteilszurechnung 45 Know how 210 - Funktionsverlagerung 203 f. Körperschaft - Einbringender 47 Körperschaftsteuererhöhung 49 Körperschaftsteuerguthaben - Auszahlungsanspruch 49 - Auszahlungssperre 58 - Eigentumsrecht 57 - Moratorium 57 Kollision - Sekundär- und Primärrecht der EG 59, 63, 66 f. Kollisionsrecht 22 Konzernbesteuerung - wirtschaftliche Betrachtungsweise der internationalen 81 Konzernverschmelzung 11 Korrektur - nachträgliche 181 Kosten - sachgerechte Zuordnung 108 f.
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Kostenaufschlagsmethode - Standortvorteil 201 - verlängerte Werkbank 201 Last - stille 34 Leistungsentgelt - Betriebsstätte 72 Leistungsfähigkeit 137, 156 Leistungsverhältnis - fingiertes 82, 105 - selbständiges 82 ff. - zwischen Stammhaus und Betriebsstätte 76, 88 - zwischen verschiedenen Unternehmensteilen 75 Liquidation 42, 136 Liquidationsbelastung 179 Liquidationskosten 204 f. Lizenz - Fremdvergleichspreis 175 Lizenzgebühr - Doppelbesteuerungsabkommen 157 Lizenzierung 217, 219 Lohnfertiger - unerhebliche Funktionsverlagerung 177 f. Marktpreis 83 Maßgeblichkeit - Wertansatz 46 Maßgeblichkeitsgrundsatz - Aufgabe 37 Mehrfachbesteuerung 56 Merkposten 146 - außerbilanzieller 142 Merkpostenmethode 140 Minderheitsgesellschafter 17 Mindestbesteuerung 41
Stichwortverzeichnis
Mindestverkaufspreis - Transferpaket 174 Missbrauch 173 - Cadbury Schweppes 173 Mitarbeiter - Entsendung 178 - Versetzung 221 Mitbestimmung 4 Mittelwert - gesetzliche Vermutung 181 Mitunternehmer - Beteiligungsquote 48 Mitunternehmeranteil - Einbringung 29, 42 f. Mitunternehmerschaft - Einbringung 48 f. Mitwirkungspflicht 174 - ausländisches Unternehmen 180 Moratorium - Körperschaftsteuerguthaben 57 Muttergesellschaft - Verschmelzung 39 N-Urteil 27 Nachweis - Anteilszurechnung 45 - Nichtverwendung 49 - Steuerentrichtung 47 Nichtanerkennung - Vertrag 173 Nichtwirtschaftsgut 218 Niederlassungsfreiheit 61 f., 134, 208 - Funktionsverlagerung 196 Nutzungsentnahme 143 Nutzungsentstrickung 150 Nutzungsüberlassung - Wirtschaftsgut 156, 158, 161 Nutzungsverstrickung 151, 154
OECD - seperate entity approach 76 f. OECD-Musterabkommen 142 - Art. 5 77 ff. - Art. 7 77 ff., 92, 94 - Auslegung durch Musterkommentar 120 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinie 171 OGAW 6 Organisationsfreiheit - Binnenmarkt 88 Organschaft - Übernahmegewinn 40 Organtheorie 71 ff., 75 Outboundverschmelzung 61 Pensionsrückstellung - Wert 35 Personalfunktion 170 Personalversetzung - Funktionsverlagerung 204 Personengesellschaft - Einbringung 29 ff. - Umwandlung 37 f., 40 Planungsrechnung 221 Preiso hergrenze - Einigungsbereich 177 Preisuntergrenze - Einigungsbereich 177 Primärrecht 61 f., 64 f. - Kollision mit Sekundärrecht der EG 59, 63, 66 f. - Vorrang 64 Privatvermögen - Anteil an Kapitalgesellschaft 35 - Überführung eines Wirtschaftsguts 134 Produktion - Unternehmensfunktion 168
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Stichwortverzeichnis
Produktionsverlagerung 200 Profit potential 216 Publizität 7 Qualifikationskonflikt 149 Quellenbesteuerung - Sicherung 38 Quellenstaat 65 Realisationsakt 137 Realteilung - Teilbetrieb 48 Rechtmäßigkeitskontrolle 9 Rechtsfolgebewusstsein 147 Rechtsfolgenverweis 150 Rechtsformneutralität IX Rechtsformwechsel 63 Rechtsträgerwechsel 132 Reichsfinanzhof - Organtheorie 71 ff., 75 Rendite 174 Reserve - stille 26, 32 ff., 41, 45, 48, 52, 68, 162 f., 165, 172 Risiko - personale Zuordnung 99 f. - Zuordnung 97 ff. - Zuordnung bei Tochtergesellschaft 101 f. Risikoentscheider - unternehmerisch orientierter 96 Risikoübernahme - Gewinnzuschlag 109 f. Routinefunktion - unerhebliche Funktionsverlagerung 178 Rückführung - Wirtschaftsgut 35
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Sachausschüttung 42 Sachentnahme 143 Sachgründung - Einbringung eines Teilbetriebs 44 Sachverständigenbericht 8 Schadensersatzanspruch 179 Schiedsverfahren - Funktionsverlagerung 197 Schließungskosten 179, 204 f. Schutz 17 SE 2,136 - Sitzverlegung 32 Seitwärtsverschmelzung 39 Sekundärrecht 62, 64 - Kollision mit Primärrecht der EG 59, 63, 66 f. Selbständigkeit - Betriebsstätte 76 - relative 79 Selbständigkeitsfiktion 71 ff. Selbstkosten - Verrechnungspreis 199 Self-executing 93 Separate entity approach 76 f., 84 f., 88, 117 ff., 123, 125, 160 SEStEG 25 ff., 37, 64, 66, 68 - Entstrickungstatbestand 33 - Regierungsentwurf 30 - Verlustvortrag 41 SEVIC-Urteil 22, 27 Sicherung - Besteuerungsrecht 33, 38 - Steuersubstrat 140 Sitzverlegung 3, 136 - Europäische Aktiengesellschaft 32 - Europäisierung 26 ff. - Kapitalgesellschaft 36 - Körperschaftsteuererhöhung 49
Stichwortverzeichnis
- Sofortbesteuerung 36 - Vollrealisation 32 Sitzverlegungsrichtlinie 23, 61 Sofortbesteuerung - Grundsatz 35 - Sitzverlegung 36 - Verzicht 36 Solidaritätszuschlag 49 Sozialbindung - Eigentum 57 Spaltung 42 Sperrfrist - Anteilsveräußerung 43, 47 Spruchverfahren 10, 18 Staatsbankrott 58 Stammhaus - grenzüberschreitende Überführung eines Wirtschaftsguts 34 - Leistungsverhältnis mit Betriebsstätte 76, 88 Stammhausstaat 141 f. Standortvorteil 179 - Besteuerung 209 - Kostenaufschlagsmethode 201 Standortwahl - Funktionsverlagerung 184 Step up 135, 150 Steuer - Anrechnung ausländischer 33 - negative 66 Steueraufkommen VIII Steuerbilanz - Buchwert 37 Steuerentrichtung - Nachweis 47 Steuerfestsetzung - Wegzug 36 Steuerpflicht - unbeschränkte 32 Steuerstundung 141
Steuersubstrat - Sicherung 140 Steuerverhaftung - Anteil 29, 31 - stille Reserve 32 - Wirtschaftsgut 32 Steuervollstreckung 141 Stimmrechtsmehrheit 46 Stundung - zinslose 36, 49 Substance over form 173 Tausch 138 Teilbetrieb - Einbringung 29 ff., 42 ff. - Funktionsverlagerung 189 - Realteilung 48 - Spaltung 42 Teilwert 34, 152 Teilwertabschreibung 41, 68 Thesaurierungsbegünstigung X Tochtergesellschaft - Anteilswert 40 - Gleichbehandlung mit Betriebsstätte 81, 87 ff. - Risikozuordnung 101 f. - Verschmelzung 39 Totalentnahme 149 Transferpaket 174, 216 - Begriff 193 - Einkaufspreis 174 - Funktionsverlagerung 190 f. - Gewinnpotenzial 213 - Mindestverkaufspreis 174 Transparenz 29, 175 Treaty Override 116 Überbesteuerung - Vermeidung 38 237
Stichwortverzeichnis
Überführung - Anlagevermögen 35 - grenzüberschreitende eines Wirtschaftsguts 34 - Wirtschaftsgut in Privatvermögen 134 Übernahmeergebnis - Aufteilung 37 - Ermittlung 38 Übernahmegewinn 68 - Besteuerung 39 f. - Organschaft 40 - Übernahmeergebnis 38 Übernahmeverlust 38 Übertragung - Kapitalanlagevermögen 52 - Wirtschaftsgut 208 Umsetzung 11 Umstrukturierung 54 Umtauschverhältnis 17 Umwandlung - Buchwert 51 - Hinzurechnungsbesteuerung 50 ff. - inländische 32 - Kapitalgesellschaft 27, 37 ff., 52 - passive Einkünfte 51 - Personengesellschaft 37 f., 40 - Spaltung 42 Umwandlungsgesetz - Änderung 27 - Maßgeblichkeit 32 Umwandlungssteuergesetz - Änderungen 37 ff. - Anwendungsbereich 26 ff. - Buchwertfortführung 51 f. - fehlende Entstrickung 33 - Maßgeblichkeitsgrundsatz 37 Umwandlungssteuerrecht - Europäisierung 26 ff., 33, 37, 50
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Umwandlungsvorgang - ausländischer 55 - grenzüberschreitender 25 ff., 53 ff. - inländischer 26 Untergang - Wirtschaftsgut 135 Unternehmen - Mitwirkungspflicht des ausländischen 180 Unternehmensfunktion 96, 168 - F&E-Funktion 168 - Produktionsfunktion 168 - Vertriebsfunktion 168 Unternehmenssteuerreform 2008 IX, 180 Unternehmensteil - Leistungsverhältnis 75 Up-stream merger 39 f. Veräußerung - Anteil 43 ff., 47 f. - fiktive 33, 45, 192 Veräußerungsgewinn - Anteil 43 f., 47 f. - Besteuerung 30 f., 36 - fiktiver 42 - Wirtschaftsgut 51 - Zurechnung 34 Veräußerungsteil - Übernahmeergebnis 37 Veräußerungsverlust - Anteil 45 Veranlassungsprinzip 97, 123, 163 Vereinbarung - Freiwilligkeit 107 f. Verkaufspreis - Transferpaket 174 Verkehrswert 139
Stichwortverzeichnis
Verlagerung - Finanzierungsfunktion 221 Verlustabzug 59, 65 Verlustbeschränkung 65 Ver Ius tgesellschaft - Verschmelzung 41 Verlustübergang 56 Verlustübertragungsgebot 67 Verlustverrechnung 148 Verlustvortrag 64 f. - Beschränkung 69 - Übergang 41, 61 Vermögensgegenstand - Funktionsverlagerung 190 Vermutung - gesetzliche für den Mittelwert 181 Veröffentlichung - BMF-Schreiben 224 Verrechnungspreis 169 ff. - Funktionsverlagerung 198 f. - immaterielles Wirtschaftsgut 199 - Leitlinie der OECD 171 - Selbstkosten 199 Verrechnungspreisgrundsätze - Modernisierung 180 Verschmelzung 65 - Drittstaat 27, 41 - Gewinnrealisierung 50 - grenzüberschreitende 26 ff., 36, 54, 61 - Hinzurechnungsbesteuerung 50 - inländische 61 - Kapitalgesellschaft 39 ff., 67 - Körperschaftsteuerguthaben 49 - Outboundverschmelzung 61 - Steuerbelastung 40 - Verlustgesellschaft 41
Verschmelzungsbericht 8, 15 Verschmelzungsbescheinigung 20 Verschmelzungsplan 7, 13 f. Verschmelzungsprüfung 16 Verschmelzungsrichtlinie 3, 61, 63 Verständigungsverfahren - Funktionsverlagerung 197 Verstrickung 131 f., 36 f. - Anteil 37 Verstrickungswert 35,37 Vertrag - Nichtanerkennung 173 Vertreterbetriebsstätte 179 Vertrieb - Unternehmensfunktion 168 Verwaltungssitz 63 Verzicht - Sofortbesteuerung 36 Vollrealisation - Sitzverlegung 32 Vorverlagerung - Besteuerung 217 Wegzug 136, 153 - Anteilseigner 35 - Steuerfestsetzung 36 Wegzugsbesteuerung 134, 164 Werkbank - verlängerte 200 f. Werkschließung - Funktionsverlagerung 202 f. Wert - gemeiner 33 ff., 37 f., 41 ff., 48, 151 - Pensionsrückstellung 35 Wertansatz - Maßgeblichkeit 46 Wertaufholung 69 - erweiterte 38
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Stichwortverzeichnis
Wertsteigerung - Einbringung 48 Wertverknüpfung 152, 154 Wirksamwerden 10, 21 Wirtschaftsgut - Arbeitnehmer 212 - Ausscheiden aus Betriebsvermögen 35 - Begriff 219 - Bewertung 37,42 - Buchwertaufstockung 44 - Entstrickung 33 - Funktionsverlagerung 187 f., 190 - Identifikation 213 - immaterielles 37, 151, 156, 168 ff ., 188, 199, 208, 210 f., 225 - Nutzungsüberlassung 156 f., 161 - passives 50 - Rückführung 35 - Steuerverhaftung 32 - stille Reserve 162 f., 165 - Überführung ins Privatvermögen 134 - Übertragung 208 - Untergang 135
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- Veräußerung 36 - Veräußerungsgewinn 51 - Verrechnungspreis 199 - Zuordnung 33 Wohnsitz - Aufgabe 133 Zinsschranke IX, 127 ff. Zuordnung - geographische 94 ff. - personale eines Risikos 99 f. - personelle 94 ff. - Risiko 97 ff. - sachgerechte von Kosten 108 f. - Wirtschaftsgut 33 Zurechnung - Veräußerungsgewinn 34 - zweistufige 94 ff. Zustimmung 9, 16 Zuzugsfall 59 Zweck - betriebsfremder 144 Zweischneidigkeit 169 Zwischeneinkünfte - Kapitalanlagecharakter 52 Zwischenwert - Anteil 46