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German Pages 375 [376] Year 2012
Michael Hißmann Ausgewählte Schriften
Werkprofile Philosophen und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts
Herausgegeben von Frank Grunert und Gideon Stiening Wissenschaftlicher Beirat: Wiep van Bunge, Knud Haakonssen, Marion Heinz, Martin Mulsow, Merio Scattola und John Zammito
Band 3
Diese Reihe versammelt textnahe Interpretationen von umfassenden Werkkomplexen einzelner Philosophen, Wissenschaftler und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Fokus stehen Werke von Autoren, die in den Diskussionen ihrer Zeit als Anreger von Innovationen oder als Hersteller von Synthesen eine gewichtige Rolle spielten, ohne dass die Forschung deren Bedeutung bislang hinreichend wahrgenommen hätte. Bei den in den Bänden der Reihe publizierten Analysen geht es um eine genaue Rekonstruktion der internen Strukturen eines Œuvres und der Diskussion seiner theoretischen Leistungen im Kontext des jeweiligen zeitgenössischen Problemhorizontes. In der doppelten Perspektive eines internen wie externen Blicks werden neue sachliche Einzelheiten ebenso aufgedeckt wie die Genese und die Produktivität von Theoriezusammenhängen, wodurch neue Grundlagen für die Erschließung der intellektuellen Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts entstehen.
Michael Hißmann Ausgewählte Schriften Herausgegeben von Udo Roth und Gideon Stiening
Akademie Verlag
Abbildung auf S. 5: Schattenriss-Porträt von Michael Hißmann; in: Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig, Winterthur 1777, XII. Abschn., IV. Frg., Nr. 3, S. 336.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2013 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe. www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: hauser lacour unter Verwendung eines Kupferstichs von B. Picartin aus dem Jahre 1728, in: Richard Cumberland: Traité Philosophique des Loix Naturelles. Traduit du Latin par Monsieur Barbeyrac. Amsterdam 1747 Satz: Oliver Bach, München Druck: Concept Medienhaus, Berlin Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
ISBN 978-3-05-005746-0 E-Book: ISBN 978-3-05-006375-1
Michael Hißmann (1752–1784)
Inhaltsverzeichnis Udo Roth / Gideon Stiening: Zur Einführung: »Die mehresten Menschen bleiben immer Materialisten.« Michael Hißmann – Materialismus und Aufklärung . .
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I. Aus den Monographien 1. Auszug aus: Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser 2. Psychologische Versuche, ein Beytrag zur esoterischen Logik
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3. Auszug aus: Geschichte der Lehre von der Association der Ideen 4. Untersuchungen, über den Stand der Natur
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II. Beiträge in Zeitschriften 1. Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtsschreiber 2. Ueber den Ursprung der Sprache
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3. Ueber den Hauptzweck der dramatischen Poesie 4. Ueber die Shanscrita
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5. Ueber die Eleusinischen Geheimnisse
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III. Übersetzungen Die Priestley-Übersetzung im Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte
IV. Rezensionen Christian Wilhelm Dohm: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden u.a.
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V. Erläuterungen
VI. Anhang Zeittafel
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Bibliographie Personenregister
EINLEITUNG
UDO ROTH / GIDEON STIENING
Zur Einführung: »Die mehresten Menschen bleiben immer Materialisten.« Michael Hißmann – Materialismus und Aufklärung
»Der ganze Mensch ist Eins.«
Es gehört zu den wirksamsten Dogmen der Aufklärungsforschung, dass die deutschsprachige Philosophie keine materialistische Theorie ausgebildet habe. Schon einer der ersten und nach wie vor bedeutendsten Materialismus-Forscher, Friedrich Albert Lange, war der Überzeugung,1 dass zunächst die leibnizsche und ab den 1780er Jahren die kantische Philosophie zu einflussreich waren, um materialistische Konzepte öffentlich auftreten oder gar wirksam werden zu lassen. Auch Werner Krauss war davon überzeugt, dass durch »die enge Verknüpfung der bürgerlichen Intelligenz mit dem Pfarrhaus« eine »systematische Ausbildung der in der Aufklärung gelegenen Keime des Materialismus und des Atheismus« grundsätzlich verhindert worden sei.2 Zwar rekonstruierte eine weitgehend orthodox-marxistischen Interpretationstradition Spurenelemente eines deutsprachigen Materialismus.3 Doch noch in dem jüngst erschienen Artikel »Matérialisme« des Dictionnaire européen des Lumières wird festgestellt, dass »dans l’Allemagne du commencement des Lumières« nur »de rares traces de matérialisme« zu finden gewesen seien. Eine »école matérialiste« habe es in der deutschsprachigen »Aufklärung« nie gegeben.4 Umfangreiche neuere Studien zum Materialismus des 17. und 18. Jahrhunderts beschäftigen sich ausschließlich mit englischen, vor allem aber den französischen Autoren und Texten.5 Selbst die 1 2 3
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Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1974 [EA: Iserlohn 1866], spez. S. 406ff. Werner Krauss: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Berlin 1963, S. 455. Arsenij V. Gulyga: Der deutsche Materialismus am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Berlin 1966; Otto Finger: Von der Materialität der Seele. Beitrag zur Geschichte des Materialismus und Atheismus im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Berlin 1961, S. 35ff.; Nicolao Merker: Die Aufklärung in Deutschland. München 1982, S. 226ff. Heinz Thoma: [Art.] Matérialisme. In: Dictionnaire européen des Lumières. Hg. von Michel Delon (u.a.). Paris 2007, S. 769–773. Vgl. hierzu u.a. Manfred Overmann: Der Ursprung des französischen Materialismus. Die Kontinuität materialistischen Denkens von der Antike bis zur Aufklärung. Frankfurt a.M. 1993 sowie Aaron Garrett: Human nature. In: Knud Haakonssen (Hg.): The Cambridge History of Eighteenth-Century Philosophy. Cambridge 2006, Bd. 1., S. 160–233; John Yolton: Thinking Matter. Minneapolis 1983; ders.: Locke and French Materialism. Oxford 1991; David Berman: Die Debatte über die Seele. In: Grundriß der Geschichte der Philosophie. Bd. 3:
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jüngste Entwicklung der Aufklärungsforschung mit der Fokussierung auf eine so genannte ›Radikalaufklärung‹ sieht vor allem im französischen und englischen Sensualismus und Materialismus jene Formen ›radikaler‹ Kritik insbesondere in theologischen und religiösen Fragen verwirklicht.6 Dass es allerdings eine intensive Rezeption des französischen und englischen Materialismus, und d. h. vor allem der Werke La Mettries, Diderots, d’Holbachs, Helvétius’ oder Joseph Priestleys seit den 1750er und – verstärkt – seit den 1770er Jahren bei deutschsprachigen Autoren gab,7 wurde lange übersehen. Dass darüber hinaus eine durch namhafte Autoren der Spätaufklärung – wie Georg Friedrich Meier,8 Johann Georg Sulzer,9 Johann Nicolas Tetens,10 Ernst Platner11 oder Christoph Martin Wieland12 – forcierte Materialismus-Kritik zu verzeichnen war, die verdeutlicht, dass es mit Leibniz’ Kritik keineswegs getan war, wurde ebenfalls bislang kaum beachtet.13 Moses Mendelssohn dokumentiert dieses offenkundige Interesse an einer deutlichen Zurückweisung materialistischer Tendenzen noch in den 1780er Jahren – und damit nach Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft –, wenn er 1785 in den Morgenstunden schreibt: Die besten Köpfe Deutschlands sprechen seit kurzem von aller Spekulation mit schnöder Wegwerfung. Man dringet durchgehend auf Thatsachen, hält sich blos an Evidenz der Sinne, sammelt Beobachtungen, häuft Erfahrungen und Versuche, vielleicht mit allzugroßer Vernachlässigung der allgemeinen Grundsätze. Am Ende gewöhnet sich der Geist so sehr ans Betasten und Begucken, daß er
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Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Hg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel 1988, Halbbd. 2. S. 759–781; Ann Thomson: Bodies of Thought. Oxford 2008. Siehe Jonathan Israel: Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650–1750. New York 2001, spez. S. 704ff. sowie als populärwissenschaftliche Variante: Philipp Bloom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München 2010; zu einer längst fälligen Kritik an Methodologie und Systematik dieser Form von Aufklärungsforschung vgl. Rainer Enskat: Aufklärung – ›Erwirb sie, um sie zu besitzen!‹ oder Literarische Spielwiese? Bemerkungen zu Methodenproblemen der Aufklärungsforschung anlässlich von Philipp Bloms Untersuchungen zum vergessenen Erbe der Aufklärung. In: Aufklärung 23 (2011), S. 307–328. Vgl. hierzu u.a. Roland Mortier: Diderot en Allmagne. Paris 1986; Roland Krebs: Helvétius en Allmagne ou la tentation du matérialisme. Paris 2006; Martin Schmeisser: Baron d’Holbach in Deutschland. Reaktionen in deutschen Zeitschriften der Aufklärung. In: Christine Haug u. Winfried Schröder (Hg.): Geheimliteratur und Geheimbuchhandel in Europa im 18. Jahrhundert. Wiesbaden 2011, S. 85–108. Vgl. hierzu neuerdings Paola Rumore: Meier, Kant e il materialismo psichologico. In: Luigi Cataldi Madonna u. Paola Rumore (Hg.): Kant und die Aufklärung. Akten der Kant-Tagung in Sulmona, 24.–28. März 2010. Hildesheim, Zürich, New York 2011, S. 329–355. Vgl. hierzu erstmalig Falk Wunderlich: Johann Georg Sulzers Widerlegung des Materialismus und die Materietheorien der Zeit. In: Frank Grunert u. Gideon Stiening (Hg.): Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume. Berlin 2011, S. 37–55. Vgl. hierzu Gideon Stiening: »Grade der Gewißheit«. Physische Anthropologie als Antiskeptizismus bei Ernst Platner, Johann Nicolaus Tetens und Johann Karl Wezel. In: Wezel-Jahrbuch 10/11 (2007/08), S. 115–146. Vgl. hierzu Martin Bondeli: Reinholds Auseinandersetzung mit Platners Bemerkungen zur Geschichte des Seelenbegriffs. In: Aufklärung 19 (2007), S. 327–342. Vgl. hierzu Carsten Jakobi: Zwischen französischen Materialismus und funktionaler Rechtfertigung des Glaubens. Zur Religionskritik in Christoph Martin Wielands Romanen. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 56.4 (2006), S. 405–428. Vgl. einzig Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. 4 Bde. Darmstadt 1991, Bd. 2, S. 558–582, der sich am Beispiel Christian August Lossius’ und dessen Kontroverse mit Tetens den materialistischen Tendenzen in der deutschen Aufklärung und ihren philosophischen Bedingungsfaktoren widmet.
Zur Einführung
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nichts für wirklich hält, als was sich auf diese Weise behandeln läßt. Daher der Hang zum Materialismus, der in unsern Tagen so allgemein zu werden drohet, und von der andern Seite, die Begierde zu sehen und zu betasten, was seiner Natur nach nicht unter die Sinne fallen kann, der Hang zur Schwärmerey.14
Insbesondere die Tatsache, dass diese Materialismus-Abwehr keineswegs ausschließlich durch den zunehmenden Einfluss La Mettries und d’Holbachs, sondern vielmehr auch durch einen deutschsprachigen Materialismus herausgefordert wurde, entging der Forschung bislang weitgehend.15 Tatsächlich gab es nämlich durchaus eine materialistische deutschsprachige Philosophie, die sich im Göttingen der 1770er Jahre gar zu einer nach Außen wahrnehmbaren Gruppierung verband und insofern als ›école matérialiste‹ wahrgenommen wurde. Neben Christoph Meiners, der mit seiner Studie Revision der Philosophie schon 1772 die öffentliche Darstellungen dieser Tendenzen eröffnete16 und mit den drei Bänden seiner Vermischten philosophischen Schriften in den 1770er Jahren für großes Aufsehen sorgte,17 waren es Georg Christoph Lichtenbergs – wenngleich subkutaner – Materialismus in praktischen Grundanschauung18 sowie die in Göttingen studierenden Dieterich Tiedemann, Karl von Knoblauch oder Christian Gottlieb Selle, die den Eindruck von einem »Göttinger Materialismus« entstehe ließen.19 Zweifellos zählte dabei neben Christoph Meiners sein Schüler und nachmaliger Kollege Michael Hißmann zu jenen Göttinger Philosophen, die am nachhaltigsten zum Ruf einer materialistischen ›Göttinger Schule‹ beitrugen. Denn sowohl in der systematischen Dichte als auch im Hinblick auf den systematischen Umfang einer materialistischen Durchdringung aller Bereiche der Philosophie legte Hißmann die bedeutendsten Texte dem Publikum vor. Hißmann verfasste nämlich – wie in der nachfolgenden Textpräsentation dokumentiert – nicht nur eine der konsequentesten materialistischen Psychologien,20 die in der These, dass ›das Gehirn die Kraft habe zu denken‹ kulminiert,21 sondern er bemühte sich darüber hinaus, das Feld der praktischen Philosophie, und d.h. der Moralphilosophie und der politischen Theorie, sowie der Ästhetik und Geschichte nach materialistischen Prinzipien zu ordnen und zu systematisieren. Dabei kommt es im Felde der politischen Philosophie u.a. zu einer konsequenten Apologie des naturzuständlichen ›Rechts des Stärkeren‹ auch für den status civilis, was Hißmann ausführlich begründet. Damit bildet der Göttinger Philosoph systematisch aus, was der materialistische Dichter Johann Karl Wezel in seinem Roman Belphegor zum gleichen Zeitpunkt literarisch gestaltet, nämlich die
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Moses Mendelssohn: Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes. Hg. von Dominique Bourel. Stuttgart 1979, S. 7. Das gilt auch für den ansonsten reichhaltigen Band von Erick Bödeker, Philippe Büttgen u. Michel Espagne (Hg.): Die Wissenschaft vom Menschen in Göttingen um 1800. Göttingen 2008. Christoph Meiners: Revision der Philosophie. Erster Theil. Göttingen, Gotha 1772. Vgl. hierzu u.a. Manfred Frank: Selbstgefühl. Eine historisch-systematische Erkundung. Frankfurt a.M. 2002, S. 146ff. Vgl. hierzu Luigi Marino: Praeceptores germaniae. Göttingen 1770–1820. Göttingen 1995, S. 166f. Vgl. hierzu jetzt Falk Wunderlich: Empirismus und Materialismus an der Göttinger Georgia Augusta – Radikalaufklärung im Hörsaal? In: Aufklärung 24 (2012) [i.D.]. Vgl. hierzu in Ansätzen Fernando Vidal: Les Science de l’âme. XVIe–XVIIIe siècle. Paris 2006, S. 180–196. Michael Hißmann: Psychologische Versuche, ein Beytrag zur esoterischen Logik. Hannover, Göttingen 21788, S. 252; siehe hierzu auch Udo Thiel: Varieties of Inner Sense. Two Pre-Kantian Theories. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 79 (1997), S. 58–79.
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Unbegrenztheit des Naturzustandes;22 woran zu ersehen ist, dass in den 1770er Jahren durchaus eine bedeutende und über Göttingen hinausreichende materialistische Theoriebildungen in der deutschen Literatur und Philosophie stattfand. Michael Hißmann hat sich neben diesen Kernbereichen der Philosophie auch mit sprachphilosophischen, poetologischen und historischen bzw. geschichtsphilosophischen Fragestellungen befasst und damit die Breite seiner theoretischen Beschäftigungen und Befähigungen eindrucksvoll dokumentiert. Dass er zudem das Genre der popularphilosophischen Darstellungen bediente – u.a. in seinen heute nur schwer zugängigen Briefen über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser – hat zu dem unangemessenen Urteil geführt, seine Texte seien ausschließlich dieser theoriepolitischen Bewegung zuzuordnen. Demgegenüber kann die nachfolgende Edition belegen, dass Hißmann durchaus systematisch stringente, fachphilosophische Texte vorlegte, deren Gehalte er gleichwohl in populäre Darstellungsformen zu transformieren wusste.
Michael Hißmann (1752–1784) – eine biographische Skizze Michael Hißmanns Biographie ist nur fragmentarisch überliefert.23 Er wurde 1752 in Hermannstadt (heute Sibiu) in Transsylvanien als Sohn eines vermögenden Bäckers geboren und bezog nach der Schulausbildung im Jahre 1773 die Universität Erlangen zu einem Studium der Theologie. Schon im Frühjahr 1774 wechselte er auf die Universität Göttingen – dem Zentrum empiristischer Philosophie und empirischer Wissenschaft im Deutschland der 1770er Jahre24 –, um zugleich das Studienfach mit zu wechseln: von der Theologie zur Philosophie. Er habe, so schreibt er seinem Freund Johann Filtsch, die Theologie in jenem Jahr zwar intensiv studiert, doch dabei eigentlich nichts gelernt: Ich hätte immer verlohren, wenn ich Theolog geblieben wäre. Aber so warf ich mich bei Zeiten auf ein anderes Fach, und fand gleich, dass für mich hier etwas zu thun war. Für die Theologie war ich ganz stumpf. Ich fing also die Philosophie recht herzlich zu lieben an. Und eher will ich nun mein Vaterland, als diese Schöne verlassen.25
Bei dieser Entscheidung sollte Hißmann bleiben. Er studiert in den folgenden Jahren vor allem bei Abraham Gotthelf Kästner, der sich auch als sein Mentor betätigte,26 Mathematik und bei 22
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Johann Karl Wezel: Belphegor oder ›Die unwahrscheinlichte Geschichte unter der Sonne‹. Leipzig 1776; zu Wezels Universalisierung des Naturzustandes vgl. Gideon Stiening: Natürliche Geselligkeit? Die aristotelische Tradition als Herausforderung des neuzeitlichen Naturrechts im Spiegel der europäischen Aufklärungsliteratur: Jonathan Swift – Jean-Jacques Rousseau – Johann Karl Wezel. In: Peter-André Alt, Andrew Johnston u. Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.): Zumutung Tradition. Göttingen 2013 [i.D.]. Vgl. hierzu letzthin Falk Wunderlich: [Art.] Hißmann. In: Manfred Kuehn u. Heiner F. Klemme (ed.): Dictionary of Eighteenth-century German Philosophers. London, New York 2010, vol. 2, pp. 79–86. Vgl. Marino: Praeceptores germaniae (s. Anm. 18), S. 154ff. Zitiert nach Johann Karl Schuller: Magister Hißmann in Göttingen. Ein Beitrag zur siebenbürgisch-sächsischen Gelehrtengeschichte. In: Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 6 (1863), S. 201–230. So beförderte Kästner namhaft Hißmanns Aufnahme in die Deutsche Gesellschaft schon im Jahre 1776; zu Kästner vgl. die Arbeit von Rainer Bassner: Abraham Gotthelf Kästner, Aufklärer: 1719–1800. Tübingen 1991.
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Johann Georg Feder sowie Christoph Meiners Logik und Metaphysik, Psychologie und praktische Philosophie. Darüber hinaus belegt er Vorlesungen über Physik bei dem greisen Samuel Christian Hollmann, über Naturgeschichte bei Johann Christian Polycarp Erxleben,27 über antike Literatur und Kunst bei Christian Gottlob Heyne, der ihn auch später gegen Anfeindungen unterstützte,28 und über Geschichte bei Johann Christoph Gatterer und Johann Stephan Pütter, mithin der intellektuellen Elite der aufstrebenden Geistes- und Naturwissenschaften jener Jahre. Darüber hinaus setzt er seine schon in Erlangen begonnene Ausbildung in der englischen, französischen und italienischen Sprache fort, was ihm in der Folge eine umfangreiche und weithin wahrgenommene Übersetzungstätigkeit erlaubt.29 Schon früh pflegt er enge Kontakte zu Christoph Meiners, Christian Garve und Abraham Kästner, aber auch zu Karl Franz von Irwing, Christian Konrad Wilhelm von Dohm und Johann Bernhard Merian. 1776 legt er in Göttingen das Magisterexamen mit einer Arbeit über das Unendliche (de infinito) ab, in der er den mathematischen vom philosophischen Unendlichkeitsbegriff abgrenzt, und dies anhand von Autoren wie Descartes, Spinoza und Wolff exemplifiziert; schon hier zeigt sich seine energische Gegnerschaft gegen die Philosophie Christian Wolffs. Nach erfolgreichem Examen gibt er erste Seminare und Vorlesungen und lebt weitgehend von Hörergeldern, Übersetzungen und Rezensionen, die er in ungeheuren Mengen produzierte. Überhaupt muss Hißmann äußerst arbeitsam gewesen sein, mehr als sein Körper vertrug; »denn selten ging dieser rastlose junge Mann vor 11 oder 12 Uhr von seinen Büchern und dem Schreibpulte zu Bette und war gewöhnlich Morgens um 4 Uhr, ohne Unterschied der Jahrszeit, schon wieder mit gespannter Anstrengung über seinen Arbeiten.«30 Dieses Arbeitspensum ermöglichte es Hißmann, in kurzer Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen fertig zustellen, die seine materialistische Konzeption in unterschiedlichen Bereichen der Philosophie demonstrierte. Dazu gehörte zunächst eine historisch und systematisch angelegte Monographie über das von John Locke für eine empiristische Epistemologie inaugurierte und von David Hartley nach Hißmann systematisierte Modell der Assoziationen von Ideen, nach dem es empirische Regeln für die Konstellation, d.h. Zusammenstellung von einfachen Vorstellungen gibt, die im allgemeinen Reflexions- und besonderen Erinnerungsprozess von konstitutiver Bedeutung sein sollen.31 Ein Jahr später, 1777, publizierte Hißmann jene Psychologischen Versuche, deren philosophische Kernthese der Autor in der folgenden Weise formulierte: »Ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele und ich glaube eben so zuversichtlich an ihre Materiali-
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Zu diesem herausragenden Naturgeschichtler vor Blumenbach vgl. Gerta Beaucamp: Johann Christian Polycarp Erxleben. Versuch einer Biographie und Bibliographie. Göttingen 1994. So schreibt Eichhorn in den 1780er Jahren an Hißmann: »Sie haben an H. [d.i. Heyne] eine große Stütze.« Zitiert nach Schuller: Magister Hißmann in Göttingen (s. Anm. 25), S. 212. Zur wissenschaftlichen Bedeutung Heynes als Gräzist vgl. Martin Vöhler: Christian Gottlob Heyne und das Studium des Altertums in Deutschland. In: Glenn W. Most (Hg.): Disciplining classics – Altertumswissenschaft als Beruf. Göttingen 2002, S. 39–54. Vgl. hierzu Anette Meyer: Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. Die Wissenschaft vom Menschen in der schottischen und deutschen Aufklärung. Tübingen 2008, S. 230f. So Johann Filtsch: Michael Hißmann. In: Siebenbürgische Provinzialblätter 1 (1804/05), S. 88–104, hier S. 92. Michael Hißmann: Geschichte der Lehre von der Association der Ideen, nebst einem Anhang vom Unterschied unter associirten und zusammengesezten Begriffen, und den Ideenreyhen. Göttingen 1777.
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tät.«32 Damit war sein Ruf als Materialist, der schon seit der Assoziationsschrift zu wirken begann, befestigt; noch 1794 macht Wilhelm Ludwig Gottlob Freiherr von Eberstein in seinem Versuch einer Geschichte der Logik und Metaphysik Hißmann für die materialistischen Tendenzen der Aufklärungsphilosophie in den 1770er Jahren verantwortlich. Der Leibnizianer Eberstein macht dabei aus seiner Verachtung für Popularphilosophie und Materialismus keinen Hehl, beschreibt diese Tendenz unter der Überschrift Der Materialismus findet Beyfall in Deutschland jedoch wie folgt: Denn bey vielen unter uns war die Erklärung der Ideen aus der Organisation eine Veranlassung zum Materialismus geworden, welcher bey der Neigung der deutschen zur ausländischen Litteratur in den Werken der Franzosen hinlänglich Nahrung fand.33
Als einer der ersten Autoren dieser Tendenz wird neben August Wilhelm Hupel, Christian Gottlieb Selle und Christoph Meiners wie selbstverständlich Michael Hißmann vorgestellt, dessen Psychologische Versuche ausführlich zitiert und mit einer Passage aus den letzten Kapitel regelrecht denunziert werden: Die Immaterialität der Seele war ihm die auffallenste unwahrscheinlichste Fiktion, unwahrscheinlicher als das unglaubwürdigste Feenmärchen. Er schrieb also dem Gehirne die Kraft zu denken zu und Seele und Seelenkräfte waren bey ihm nichts anders als Anspannungen der Gehirn-Organe.34
Von Eberstein bündelt in dieser Polemik erneut die philosophischen und religiösen Bedenken der Aufklärung gegen den Materialismus. Eine besondere Herausforderung und Provokation musste für jeden Gegner des Materialismus darstellen, dass Hißmann seine materialistische Psychologie und Anthropologie mit dem Unsterblichkeitsgedanken verbinden zu können meinte. Denn die Hoffnung auf bzw. religiöse Gewissheit der Unsterblichkeit der menschlichen Seelen galt vielen Zeitgenossen als eines der entscheidenden Instrumente zur Widerlegung des Materialismus. 35 Im darauf folgenden Jahr 1778 schafft es Hißmann sogar, zwei umfangreiche Monographien erscheinen zu lassen, und zwar zum einen die popularphilosophischen Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser, die neben Ausführungen zum Begriff und zur Systematik der Philosophie überhaupt erneut seine Erkenntnistheorie entwickeln,36 sowie einen Beitrag zur historia literaria, die Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie, die ebenfalls seine umfassenden Kenntnisse aller Teilbereiche der zeitgenössischen Philosophie und deren bedeutendster Vertreter dokumentiert.37 Beide Bücher dienten dem Autor vor allem als Einnahmequelle und zeigen doch zugleich, dass er seinen Materialismus 32 33 34 35
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Hißmann: Psychologische Versuche (s. Anm. 21), S. 13. Wilhelm Ludwig Gottlob Freyherr von Eberstein: Versuch einer Geschichte der Logik und Metaphysik bey den Deutschen von Leibniz bis auf die gegenwärtige Zeit. 2 Bde. Halle 1794, Bd. 1, S. 351. Ebd., S. 353f. Vgl. hierzu u.a. Sulzers theoretische Engagement in dieser Sache: Johann Georg Sulzer: Ueber die Unsterblichkeit der Seele, als ein Gegenstand der Physik betrachtet. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. 2 Bde. Leipzig 1773/1781, Bd. 2, S. 1–84. Michael Hißmann: Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser. Gotha 1778 Michael Hißmann: Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie. Göttingen, Lemgo 1778.
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sowohl in den Bereichen der theoretischen als auch der praktischen Philosophie umzusetzen verstand, und dies in einer Darstellungsweise, die ein breites Publikum ansprach. 1780 beendet Hißmann erstmals ein monographisches Werk zur politischen Philosophie, nämlich die Untersuchungen über den Stand der Natur, die seine Stellung in und zur Naturrechtsdebatte der Aufklärung konturieren und ihm gute Chancen auf einen Lehrstuhl in Helmstedt einbrachten. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich Hißmann in diesem Text nicht nur als Hobbes- und Pufendorf-Kritiker erweist, sondern neben der Widerlegung der weithin akzeptierten These von einem appetitus societatis des Menschen die Sympathie des Menschen als mittelbaren amour propre interpretiert.38 Überhaupt erweist sich an diesem Text Hißmanns genaue Rousseau-Kenntnis, insbesondere seine enge Anbindung an den Discours sur l’inégalité parmi les hommes. Dabei zeigt sich auch, dass die politische Theorie des Materialisten konsequenterweise auf einer Anthropologie basiert, die den ›ganzen Menschen‹ zum Gegenstand hat.39 Anders aber als das Gros der Anthropologietheoretiker der Spätaufklärung erkennt Hißmann, dass die Grundlegung alles Denkens, Handelns und Seins auf eine physische Anthropologie eine monistische Grundlagentheorie erfordert.40 Hißmann, der das seit Wolff, Knutzen und Crusius omnipäsente,41 durch Platners Anthropologie für Aerzte und Weltweise (1772) reaktualisierte und mit neuen Lösungen versehene Problem des commercium mentis et corporis42 je schon gelöst hat, weil der Mensch für ihn nur Körper ist, kann daher auch im Hinblick auf die theoretische und praktische Seite am Menschen feststellen: »Der ganze Mensch ist Eins.«43 Hißmann verband mit diesem Beitrag zur Moral- und politischen Philosophie offenbar erhebliche systematische Ansprüche; an den Freund Franz von Irwing, der ebenfalls eine zeitlang materialistische Grundpositionen vertrat,44 schreibt er im Jahre 1781: »Es wird Zeit, daß wir auch in der Moral aufräumen.«45 1783 gelingt ihm noch – trotz schwindender Gesundheit – eine Biographie über das Leben Gottfried Wilhelm Leibnizens zu verfassen, dessen Philosophie er – bei allem Materialismus – zeitlebens großen Respekt zollte.46 Neben diesen monographischen Arbeiten schreibt er eine Reihe von Aufsätzen zu sprachphilosophischen, poetologischen, philosophiegeschichtlichen und vor allem historischen Gegenständen, übersetzt nahezu 60 Monographien und Aufsätze aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche – darunter Texte von Condillac, Mauper38 39 40
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Hierin folgt er Helvétius’ psychologischem Egoismus; vgl. Claude-Adrien Helvétius: Vom Geist. Aus dem Französischen übersetzt von Theodor Lücke. Berlin, Weimar 1973, S. 125ff. Vgl. hierzu Hans-Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992. Stuttgart, Weimar 1994. Zur ebenso starken wie zumeist verleugneten materialistischen Tendenz aller Fundamentalanthropologie der Spätaufklärung vgl. Gideon Stiening: Ein »Sistem« für den »ganzen Menschen«. Die Suche nach einer ›anthropologischen Wende‹ und das anthropologische Argument bei Johann Karl Wezel. In: Dieter Hüning, Karin Michel u. Andreas Thomas (Hg.): Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum. Berlin 2004, S. 113–139. Vgl. hierzu u.a. Eric Watkins: Kant and the Metaphysic of Causality. Cambridge 2005, pp. 23–100. Vgl. hierzu Werner Euler: Commercium mentis et corporis? Ernst Platners medizinische Anthropologie in der Kritik von Marcus Herz und Immanuel Kant. In: Aufklärung 19 (2007), S. 21–68. Michael Hißmann: Untersuchungen über den Stand der Natur. Berlin 1780, S. 44. Vgl. hierzu Falk Wunderlich: Kant und die Bewußtseinstheorien des 18. Jahrhunderts. Berlin 2005, S. 84–87. Zitiert nach Schuller: Magister Hißmann in Göttingen (s. Anm. 25), S. 213. Michael Hißmann: Versuch über das Leben des Freyherrn von Leibnitz. Münster 1783.
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tuis, Merian, Sulzer oder Batteux –, redigiert sechs Bände einer von ihm herausgegebenen philosophiegeschichtlichen Zeitschrift und rezensiert offenbar hunderte von Büchern.47 Bei diesem exorbitanten Arbeitspensum wird er schnell kränklich (er leidet bald an Tuberkulose) und muss schon seit 1776 seine Arbeiten immer wieder für Kuraufenthalte bzw. verordnete Erholungsreisen unterbrechen. 1782 erhält er jedoch immerhin eine außerordentliche Professur in Göttingen – natürlich ohne festes Gehalt. Zuvor war er als Kandidat für philosophische Professuren in Jena, Erfurt und Kiel im Gespräch; ein Ruf an die Universität Helmstedt auf eine Professur für Naturrecht und Politik zerschlug sich im letzten Moment. Offenbar hatte sich seit der Publikation der Psychologischen Versuche im Jahre 1777 sein Ruf als Materialist und polemischer Gegner der wolffschen Philosophie verfestigt, der ihm nicht nur die Gegnerschaft namhafter Göttinger Gelehrter,48 sondern auch Anfeindungen an anderen Universitäten einbrachte. Sein bekannter cholerischer Charakter, vor dem ihn Freunde wie der Göttinger Orientalist Johann Gottfried Eichhorn oder Christian Wilhelm Dohm häufig warnten,49 den Hißmann allerdings auch in seinen Schriften durch heftige Polemiken auslebte50, weil er seinem Selbstverständnis als Stürmer und Dränger Ausdruck verleihen konnte, tat wohl ein Übriges. Spät erst erhält er 1784 einen Ruf an die Universität Pest, auf den die Universität Göttingen mit dem Angebot auf eine Festanstellung reagiert; beide Angebote kann Hißmann allerdings nicht mehr wahrnehmen; noch vor Antritt der Reise an die Universität Pest, für deren Angebot er sich entschieden hatte,51 erkrankt er schwer und stirbt am 14. August 1784 in Göttingen. Die nachfolgenden Texte können zeigen, dass mit dem Werk Michael Hißmanns der ernstzunehmende Versuch einer materialistischen Grundlegung aufklärerischen Denkens während der 1770er und 1780er Jahre in Göttingen unternommen wurde.
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Vgl. hierzu die Auswahlbibliographie der Rezensionen am Ende des Bandes; schon Schuller (Magister Hißmann in Göttingen [s. Anm. 25], S. 226Anm.37) stellt fest: »So rezensierte er in den Göttingischen Anzeigen im Jahre 1783 57 verschiedene Schriften aus verschiedenen Sprachen, und im Jahre 1784, deren 50.« Vgl. hierzu Schuller: Magister Hißmann in Göttingen (s. Anm. 25), S. 211ff. Vgl. ebd., S. 212ff. So schreibt er in seiner Leibniz-Biographie über Christian Wolff: »Wolf nemlich, der als Philosoph, blos mit Diebstählen aus Leibnitzens Nachlassenschaft, sein Glück machte, gewöhnte seine Schüler an einen stolzen und unbiegsamen Dogmatism, und an eine barbarische Verachtung aller alten und neueren Litteratur, welche Leibnitz in ihrem ganzen Umfang kannte, schätzte und empfahl. Durch diese Seelensclaverey, unter der Tyranney eines Despoten, welcher selbst Sclavenfesseln trug, wurde alles Selbstdenken verbannt, das Studium der Werke der größten Geister aller jahrhunderte wurde angefeindet, der menschliche und insbesondere der philosophische Geist wurde entmannt, und der glückliche Zeitpunkt der vernünftigen Denkens und ungebundenen Forschens wurde, durch die Wolffische demonstrirende Barbarey, durch sein Wörterfädeln und Sylbenspalten, auf ein halbes Jahrhundert weiter hinausgerückt, als er würde gekommen seyn, wenn man in Leibnitzens Fußstapfen hätte treten wollen. Endlich wurde die Bahn, auf welcher er gewandelt, in den Werken, in welchen er lebt, wieder gefunden, und die geistlosen Schriften unwürdiger Papageyen und Raben wurden vergessen.« Michael Hißmann: Versuch über das Leben des Freyherrn von Leibnitz. Münster 1783, S. 69–71. Zu diesen Vorgängen vgl. Schuller: Magister Hißmann in Göttingen (s. Anm. 25), S. 226–230.
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Zur Auswahl der Werke Michael Hißmanns Michael Hißmann hat in den etwa acht Jahren seiner wissenschaftlichen-publizistischen Tätigkeit (1776–1784) eine enorme Fülle an Texten veröffentlicht.52 Diese Arbeiten lassen sich formal in fünf Werkgruppen unterteilen: (1) Monographien (2) Herausgeberschaft (3) Beiträge in Zeitschriften (4) Übersetzungen (5) Rezensionen Mit Ausnahme seiner Herausgeberschaft der philosophiegeschichtlichen Zeitschrift Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte, die er zwischen 1778 und 1781 mit beträchtlichem Erfolg verantwortete, werden in der nachfolgenden Edition ausgewählter Werke Michael Hißmanns alle weiteren Textsorten exemplarisch präsentiert. Dazu zählen in einem ersten Abschnitt seine monographischen Arbeiten, deren Vorstellung mit einem Auszug aus der popularphilosophischen Schrift Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser (I.1.) beginnt. In diesen ersten fünf Briefen jenes Bandes entwickelt Hißmann in zunächst kritischer, dann systematischer Weise einen allgemeinen Begriff der Philosophie. Kritisch grenzt er seine Bestimmung hierbei zunächst von den ›Pedantereyen einer Schulphilosophie‹, von den theologischen Dogmatismen des Mittelalters und insbesondere vom Rationalismus Christian Wolffs ab. Doktrinal unterscheidet Hißmann seine ganz empiristische Philosophie in eine theoretische und praktische und kommt vor dem Hintergrund der fundierenden Stellung der Psychologie, die er als Essenz der Logik bestimmt, zu der folgenden Definition: Die Philosophie ist, wie ich glaube, weiter nichts, als eine räsonnirende, oder, wenn man lieber will, eine pragmatische Geschichte von ein Paar entgegengesetzten menschlichen Seelen, nebst allen merkwürdigen Graden, die zwischen diesen beyden Extremen in der Mitte liegen; oder, welches einerley ist: Sie ist eine räsonnirende Geschichte der menschlichen Seele, in allen bekannten Zuständen, […]. Der einzige Gegenstand der Philosophie, ist demnach das menschliche Denkwesen, in seinen verschiedenen Zuständen, die man aus der Erfahrung kennen lernt.53
Vor dem Hintergrund dieser Bestimmung der Philosophie als räsonierender Geschichte der menschlichen Seele drängt sich eine möglichst umfassende Präsentation des hißmannschen Hauptwerkes auf. Daher wurden die Psychologischen Versuche (I.2.) in dieser Edition ungekürzt abgedruckt. Hißmann gestaltet diese fünf Versuche zunächst durch die Darstellung der zentralen Wahrnehmungsarten des menschlichen Erkenntnisapparates: die äußeren Empfindung (I), die äußeren Sinne (II) und den inneren Sinn sowie die innere Empfindung (III); im vierten Versuch entwickelt er seine Konzeption von Vermögenspsychologie, d.h. der von ihm so genannten Seelenkräfte – allerdings stets unter der Voraussetzung, dass die Seele keine eigenständige, vom Körper unterschiedene Entität ausmacht. Zu diesen Vermögen zählen nach Hißmann »Sensibilität mit Bewustseyn«, »Gedächtnisvermögen und Einbildungskraft«, »Verstand«, »Ver52 53
Vgl. hierzu die Bibliographie am Ende des Bandes auf den S. 349–370. Hißmann: Briefe (s. Anm. 36), S. 48f.
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nunft« und »Wille«. Im letzten »Versuch über die Seele« zieht Hißmann sodann seine materialistische Summe, indem er zunächst sein epistemologisches und methodisches Credo formuliert: »Es muß beobachtet, und nicht gegrübelt werden.« Auf dieser Grundlage, die dezidiert jede immaterielle Seelensubstanz zurückweist, kann Hißmann eine streng materialistische Psychologie ableiten: Nach der Erfahrung, auf die ich mich stütze, glaube ich daher annehmen zu müssen, daß unserem Gehirn die Kraft zu denken zugeschrieben werden müsse. Man kann demohngeachtet den Ausdruck, Seele, und Seelenkräfte immer beybehalten, wenn man unter den letztern nichts als Anspannungen der Gehirnorganen, der intellektuellen Fibern versteht, deren verschiedne Modifikationen und Dispositionen verschiedene Begriffe und Ideen sind.54
Hißmann zeigt in diesem Text neben systematischer Stringenz zudem seine außerordentliche Kenntnis der historischen und zeitgenössischen Literatur zur empirischen und rationalen Psychologie; hier dokumentiert sich auch, dass Kants Träume eines Geistersehers von 1765 eine breite Rezeption erfuhren. Ergänzt wird die Präsentation der hißmannschen Psychologie durch jene Passagen aus dem früheren Werk zu der Assoziation der Ideen (I.3.), in denen der Autor das titelgebende Problem systematisch angeht und damit zeigt, dass er eigenständige und innovative Positionen innerhalb dieses bedeutenden Debattenfeldes der empiristischen Epistemologie zu entwickeln vermochte. Den ersten Abschnitt der Edition schließt eine erneut vollständige Präsentation des hißmannschen Beitrags zum Naturrecht, den Untersuchungen über den Stand der Natur (I.4.). In dieser Monographie entwickelt Hißmann in der Tat ein materialistisches Naturrecht, dessen Geltungsbereich auch den status civilis umfasst und auf einem sensualistischen Eudämonismus beruht. Der Mensch strebt nach uneingeschränkter Glücksmaximierung und für dieses nicht allein legitime, sondern einzig mögliche Handlungsziel dienen die Einrichtungen des Staates: »Recht bestünde demnach in der Folgsamkeit des Naturtriebs zur Glückseeligkeit.«55 Hißmanns Ausführungen zur Mutterliebe, die er als kurzfristige List der Natur interpretiert, seine charakteristischen Ausfälle über die Hässlichkeit des menschlichen Kleinkindes sowie seine Legitimation eines Recht des Stärkeren auch im Gesellschaftszustand weisen ihn deutlich als einen Philosophen aus, der dem Sturm und Drang eine staats- und kulturpolitische Grundlegungstheorie darbieten wollte. Der zweite Teil der Edition präsentiert einige der zahlreichen Zeitschriftenbeiträge Hißmanns, die er zu oftmals aktuellen Themen der 1770er und frühen 1780er Jahre verfasste. Dazu zählen zunächst Hißmanns methodologische Überlegungen zur Philosophiegeschichtsschreibung (II.1.), die er anhand des Theorems der angeborenen Ideen ausführt. Darüber hinaus wurde Hißmanns Beitrag zur weitläufigen Debatte über den Ursprung der Sprache (II.2.), die – von Locke inauguriert – insbesondere durch Herders umfassende Studie befördert wurde;56 erneut zeigt sich hier Hißmanns Interesse an einer durchgehend materialistischen Fundierung aller Wissenschaftsbereiche. Auch Hißmanns kurzer Beitrag über den Hauptzweck der dramatischen Poesie (II.3.) offenbart die Versuche einer materialistischen Grundlegung der Poetik insofern, als 54 55 56
Hißmann: Versuche (s. Anm. 21), S. 253. Hißmann: Untersuchungen (s. Anm. 43), S. 91. Vgl. hierzu u.a. Dae Kweon Kim: Sprachtheorie im 18. Jahrhundert. Herder, Condillac und Süßmilch. St. Ingbert 2002.
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der Versuch unternommen wird, das einzig auf das Vergnügen am Schönen abzielende Telos des Dramas von einer als Korsett interpretierten Moralität abzugrenzen. Gegen Gottsched, aber auch gegen Lessing behauptet Hißmann eine Stellung der ästhetischen Leistungen des Dramas, die sich jenseits von Gut und Böse bewegen. Die wild-polemische Sprache weist diesen Text erneut als einen Beitrag zum Sturm und Drang aus. Hißmann hat darüber hinaus eine Reihe von Beiträgen zu zeitgenössisch aktuellen Fragen der Geschichtswissenschaften verfasst, die auch ein breiteres Publikum interessierten. Dazu gehört seine sprachgeschichtliche Studie zum Sanskrit (II.4.) als Sprache der ›Bhagavad Gita‹, des religiösen Grundlagentextes des Hinduismus. Hißmann interessiert sich vor allem für einige Mythen um die schwer zu erlernende und von religiösen Geheimnissen umgebene Sprache, die er in ganz aufklärerischer Manier auflöst. Der Text zeigt die gerade in Göttingen forcierte Forschung zu den orientalischen Sprachen, die von Hißmanns Freund Eichhorn und von seinem Mentor Johann David Michaelis getragen wurde. Auch sein religionsgeschichtlicher Beitrag zu den Eleusinischen Geheimnissen (II.5.) zeigt ihn als Kenner einer in verschiedenen – u.a. freimaurerischen – Kreisen intensiv debattierten Frage nach der – auch politischen – Bedeutung religiöser und philosophischer Geheimnisse. In einem dritten Abschnitt (III.) wird an nur einem Beispiel Hißmanns Übersetzungsarbeit dokumentiert, und zwar an eben jener Arbeit Joseph Priestleys, die mit ihrer Vermittlung von Physiologie und Psychologie namhaft zu Hißmanns Philosophie, aber auch zur Rezeption des englischen Materialismus in Deutschland beitrug.57 Der Göttinger Philosoph erweist sich an diesem Text als ein eleganter Übersetzer der priestleyschen Neurologie, Assoziationspsychologie, Begriffslehre und naturalistischen Ethik. Auch Hißmanns umfangreiche Rezensionstätigkeit konnte nur an einem einzigen Beispiel dokumentiert werden, sollte aber zugleich auch an genau diesem ausgewählten Exempel vorgestellt werden: Hißmann rezensiert nämlich das Buch seines Freundes Christian Wilhelm Dohm Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden, was zu einem weithin wahrgenommen Skandal Anlass geben sollte.58 Hier zeigt sich der junge Aufklärer von seiner gänzlich unaufgeklärten Seite, weil er im Interesse einer streng säkularen Staatstheorie »mit schockierendem Eifer das gesamte Arsenal antijudaischer Standardvorurteile« aufbietet.59 Hißmanns geifernder Antijudaismus fügt sich ein in seine rassistischen Ausfälle, die ihn mehrfach auch in seinen anderen Schriften zu Urteilen kommen lassen wie dem folgenden: »Der Neger lügt und betrügt; weil er keine Fäuste hat.«60 Dabei bleibt für die weitere Forschung zu überprüfen, ob diese Vorurteile in seiner materialistischen Anthropologie gründen,61 wie dies u.a. für den Rassismus seines Lehrers Chri57 58
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Zur philosophie- und ideengeschichtlichen Bedeutung dieser Arbeit vgl. schon Cassirer: Erkenntnisproblem (s. Anm. 13), Bd. 2, S. 561ff. Vgl. hierzu umfassend Gerda Heinrich: »…man sollte itzt beständig das Publikum über diese Materie en haleine halten«. Die Debatte um die »bürgerliche Verbesserung« der Juden 1781–1786. In: Ursula Goldenbaum (Hg.): Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung. 2 Bde. Berlin 2004, Bd. 2, S. 813– 895, spez. S. 849ff. Ebd., S. 850. Hißmann: Untersuchungen (s. Anm. 43), S. 73. So die These von Dieter Hüning: »Eine fruchtbare philosophisch Fiktion« – Michael Hißmanns Beitrag zur Anthropologisierung des Naturzustandes. In: Heiner F. Klemme, Gideon Stiening u. Falk Wunderlich (Hg.): Michael Hißmann (1752–1784). Eine materialistischer Philosoph der deutschen Aufklärung. Berlin 2012 [i.D.].
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stoph Meiners gilt,62 oder ob er – der Grundlagentheorie äußerlich – Stereotypen der Zeit unreflektiert reproduzieren.63 Die nachfolgende Edition ausgewählter Texte Michael Hißmanns bemüht sich um einen repräsentativen Ausschnitt aus seinem Werk. Dabei wurden Orthographie und Interpunktion des Originals beibehalten und nur in Fällen offensichtlich Druckfehler stillschweigende Verbesserungen vorgenommen. Der Kommentar beschränkt sich auf die notwendigsten, zumeist historischen Erläuterungen und wird ergänzt durch eine Quellen- und Forschungsbibliographie. Die Herausgeber sind – wie stets, so auch in diesem Fall – zu vielfältigen Dank verpflichtet. Dieser gilt zunächst und zumeist Natalie Dunkl und Julia Röthinger, die bei der Erstellung der Texte wertvolle Grundlagenarbeit geleistet haben. Darüber hinaus gilt der Dank dem Akademie-Verlag, und hierbei insbesondere Dr. Mischka Dammaschke, der das Unterfangen dieser Textedition maßgeblich unterstütze.
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Vgl. hierzu Frank W. P. Dougherty: Christoph Meiners und Johann Friedrich Blumenbach im Streit um den Begriff der Menschenrasse. In: Gunter Mann u. Franz Dumont (Hg.): Die Natur des Menschen. Probleme der Physischen Anthropologie und Rassenkunde (1750–1850). Stuttgart, New York 1990, S. 89–111. Letzteres gilt u.a. für Immanuel Kant, vgl. Bernd Dörflinger: Die Einheit der Menschheit als Tiergattung. Zum Rassebegriff in Kants physischer Anthropologie. In: Volker Gerhardt, Rolf-Peter Horstmann u. Ralph Schuhmacher (Hg.): Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses. Berlin, New York 2001, Bd. IV, S. 342–351.
I. AUS DEN MONOGRAPHIEN
Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser.
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»Aber dürfen wol auch Frauenzimmer, die nicht so gelehrt sind, wie Ihre Korrespondentinnen, Ihre Briefe lesen?« – fragte mich eine Dame, der ich die sechs ersten Aushängebogen vorlegte – Lesen mag sie die ganze schöne Welt, – war meine Antwort; – Ich zweifle aber selbst sehr, ob das ganze lesende Frauenzimmerpublikum Geschmack an diesen Gegenständen finden; so auch, ob es, durch Kenntniß ihres wahren Gehalts, warmen Antheil daran nehmen wird. – »Je nun, buchstabiren und lesen doch Leute, die kaum buchstabiren und lesen können, die Bibel die sie eben so wenig verstehn; warum sollten nicht auch diejenigen Individuen meines Geschlechts Ihre Briefe lesen, die sie nur mit einigen Er[A3v]läuterungen kommentirender Väter, Brüder, Gatten etc. durchaus verstehen werden?« Keine bessere Entschuldigung hätt’ ich in der That für meine Briefe ersinnen können, als diese. Dank der würdigen Freundin, die mir durch diesen witzigen Einfall zu Hülfe kam! Das rezensirende Männergeschlecht ist gewiß so diskret, einen Einfall für einen bündigen Grund anzusehn, so bald er von einem Frauenzimmer herrührt. – Der Philosoph, der mit den behandelten Gegenständen bekannt ist, mag immer mehr in meinen Briefen lesen, als ein andrer Leser, der etwa nur ihre Oberfläche kennt. Mit welcher Lektüre ist’s anders? Geständnisse, die auf diesen Punkt hinauslaufen, werden daher lauter Lobsprüche für mich seyn. Den deutschen Schönen, die mehrentheils die Franzosen lieben, an der Lektüre philosophischer Aufsätze Geschmack abzugewinnen, mögte für einen Schriftsteller, der auf fran[A4r]zösische Schöngeisterey nicht den mindesten Anspruch macht, noch machen kann, ein beynahe ganz unmögliches Unternehmen seyn. Mein Buch mag also von hundert Toiletten weggeräumt, und dem Staub zur Speise überliefert werden; wenn’s nur auf einer einige Tage offen lag, und wenn’s von keiner eher verwiesen wurde, als die fünf ersten Briefe gelesen, und wenn ich’s fordern darf, auch einigermaßen verdauet waren. Denn, im Ernst, ich glaube, jedes lesende gelehrte und ungelehrte Frauenzimmer muß wenigstens so viel von der Philosophie wissen, als da gesagt ist. Haben übrigens einige von meinen Leserinnen die Geduld, auch die übrigen an meine Korrespondentinnen, – deren Namen ich ungern habe verschweigen müssen, – gerichteten Briefe durchzulesen, oder auch die Lektüre zu wiederholen: so können sie mit einigen anziehenden philosophischen Materien bekannt werden, und sie haben zu gleicher Zeit einige Proben, wie die Leute, die man Philosophen [A4v] nennt, ihre Sache zu behandeln pflegen. Ich rechne immer darauf, daß ihnen ein kurzer mündlicher Kommentar alles aufklären kann. Die philosophischen Briefe an meine Korrespondenten sind hingegen, wie schon die Ueberschriften lehren, für kein Frauenzimmer geschrieben. Man wird sie hoffentlich, ohne mein Erinnern, überschlagen. Wäre mir die Absonderung leichter geworden; so hätt’ ich sie ganz weggelassen. – Göttingen, den 16. Februar 1778.
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Aus den Monographien [1]
Erster Brief.
An Madame C**. Ueber die Philosophie. – Bey der genauern Bestimmung des Begrifs von der Philosophie braucht man auf die Mißbräuche des Worts gar nicht Rücksicht zu nehmen. 40
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Madame! Unser Briefwechsel ist noch nie von der Erbkrankheit der gewöhnlichen Korrespondenzen, von der aufgedunsenen Komplimentensucht angesteckt worden. Sie wünschten gleich anfänglich, unsre Briefe müßten [2] durch die Wichtigkeit der behandelten Gegenstände von Zeit zu Zeit interessanter werden. Es ist Zeit, daß ich Ihrer Aufforderung nachkomme, und Ihrem Beyspiel nachstrebe. Der Abtrag dieser Pflicht läßt sich um so viel weniger weiter hinausschieben, da mir Ihre Zuschriften allemal den reichhaltigsten Stoff zu tagelangen Meditationen dargelegt haben. O wie oft hab’ ich Ihre Briefe hervorgezogen, entfaltet, gelesen, überdacht, ungern weggelegt; wie man sich aus den Armen eines redlichen Freundes, oder von der Lektüre eines guten Buchs nicht gern losreissen läßt. – Sie sind aber zufrieden, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe, daß ich bey Verfassung derselben alle meine Kräfte sammlen werde; um sie Ihrer Lektür gewissermaßen anzuwürdigen. Sie haben Ihr wichtige Beyträge zur Menschenkenntniß, zu dem Studium mitgetheilt, welches mein ganzes Leben verschlingen wird, eh’ ich noch in die Tiefen werde blicken können, die den Menschen dem Menschen selbst verbergen. Ich hab’ ihn schon mit anhaltendem Beobachtungsgeist in mir selbst studirt. In manchen Situationen hab’ ich ihn schon bey meinen Freunden gefunden; manche Experimente gesehen, und selbst gemacht; manche Charaktere, [3] ohne sie zu zeichnen, mir eingedrückt. – Aber es ist doch nur der sehr enge Bezirk, weniger auserwählter Freunde, in welchem ich Beobachtungen anstellen kann. Und da komme ich freylich nur wenige Schritte weiter; weil ich nur mit solchen Personen umzugehen pflege, die ohngefähr eben so denken und handeln, wie ich. Von Charakteren, die dem meinigen entgegengesetzt sind, entfern’ ich mich, so bald ich sie kennen lerne, und damit hat alles Beobachten ein Ende. Ich weiß aber aus den Erfahrungen, die ich schon in meiner frühern Jugend gesammlet habe, daß bey weitem nicht alle Welt so denkt, handelt, wünscht, verabscheuet, glaubt, zweifelt, lobt, schändet, etc. wie ich. Das frühe Abziehen dieses Grundsatzes hat mir unbeschreiblich viele und wichtige Vortheile zuwegegebracht. Ich bin vor dem Wahn bewahret worden, daß nur die Denkungs- und Lebensart, die Sitten, die Religion, die Gesetze, Nahrung, Kleidung, Regierungsform, die Art von Vergnügungen, kurz, die Modifikationen der Menschheit möglich, wirklich, oder einzig gut seyen, die ich an mir, und um mich her wahrnehme. Dadurch wurde die dumme Anhänglichkeit, die schiefe Bewunderung, die einseitige Lobeserhebung aller dieser Stücke, in so [4] fern sie sich fest auf mich drängen, zu gleicher Zeit aus meiner Seele verbannt. Ihre Briefe haben mich auf diesem Wege weiter fortgeleitet. Der ganze Effekt hat bey mir die sonderbare Wendung genommen, daß ich, seitdem ich die mehrern philosophischen Systeme habe kennen gelernt, eben so wenig irgend einem System blind anhange, so wenig der ausgebreitete Weltkenner an einer Seele hangen kann, die ihn durch ihren ersten Eindruck überraschet. Das sollen Sie denn auch an meinen künftigen Briefen sehen; da Sie gerade über einige
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Gegenstände der theoretischen Philosophie meine Gedanken zu wissen wünschen. Dank Ihnen, daß Sie gerade eine Schilderung des Schönen verlangen, die jezt meine Muse, und die Abgöttin meines Herzens ist, in deren Tempeln ich täglich meine Gelübde bezahle, auf deren Altären ich meine Opfer opfere. In meinen Augen hat diese Schöne besonders auch deswegen vorzügliche Reize, weil es ihren Liebhabern nicht wie den Bewunderern unsrer Schönen geht, die sich gewöhnlich wie Jäger verhalten, denen der Besitz eines Wildprets bey weitem nicht so angenehm ist, als die Jagd selbst. [5] Ihre Vermuthung, Madame! ist gegründet, daß die nachtheiligen Begriffe, die man im gemeinen Leben zuweilen mit dem Nahmen P h i l os op h zu verknüpfen pflegt, eben wie der Mißbrauch anderer Ausdrücke, die richtige Bedeutung und die eigenthümlichen Merkmale der Wissenschaft verhüllen können, wovon wir jezt sprechen. Man hat häufig gar zu übereilt gewisse Eigenschaften oder Wirkungen der Philosophie für wesentlich gehalten; weil man sie bey einigen Menschen, und in einigen Zeitaltern vielleicht bey allen vorfand, die sich Philosophen nannten. Im Grund aber waren es blosse beygemischte Zufälligkeiten, die im Temperament, in den Lieblingsneigungen, und in vielen andern Nebenumständen gegründet waren. Ein heiliger Schriftsteller warnet für der Philosophie, als einer heillosen, seelenverderblichen Kunst. Philosophen und Erbfeinde der christlichen Religion sind in den Schriften mancher Kirchenväter gleichbedeutende Ausdrücke. Ein Philosoph, sagt Herr Ba sed o w, heißt bald ein Mensch, der keinen Gott, oder keine unsterbliche Seele, oder keine Offenbarung glaubt; bald ein solcher, der seinen Verstand durch logikalische oder metaphysische Vorlesungen und Bücher finster und stolz gemacht; bald ein Menschenfeind, der [6] allen Umgang und Scherz, alle unschuldige Mode und Ergötzung flieht, und höchst eigensinnig lebt, und daher mehr den Nahmen eines Eigensinnigen, als eines Freundes der Weisheit verdiente. Sie selbst sezten einstens, aus einem andern Schriftsteller, ein Paar ähnliche Afterzüge zum Bild eines Philosophen hinzu. Die Geschichte, sagten Sie, kennt Philosophen, und ich kenne ihrer noch einige, die aus Kompendien und aus Heften voll Nonsens, voll unnützer Grübeleyen, voll gelehrter Unvernunft, voll kindischer Wortkrämereyen, und abgeschmackter Spielwerke, Dinge lehren, die kein gesunder Verstand begreifen kann, und Dinge beweisen, die nur sehr schadhafte Denkmaschinen beweisen können; die ein Chaos von leeren Sätzen numeriren, paraphrasiren, demonstriren, distinguiren, refutieren; die diesen Wust ein System nennen; die nützliche Wahrheit und das belehrende Gefühl der Menschheit verhöhnen; über ihre ungestalten Hirngeburten jauchzen, und sie mit dem geheiligten Nahmen der Philosophie einweyhen. Auf solche Weise wird Unsinn; Verwirrung; ein Gewebe von Träumereyen der Einbildungskraft, und von finstern Ideen einer kranken Seele, ein wüstes La[7]byrinth von unnützen Sätzen, und leeren Folgerungen; Sophistenzeug; Disputirkunst; Psittacismus; Trödelkram von Meinungen, ohne Kraft und Gewißheit; eine mit alten Lumpen behangene Holzmaschine, ohne Wirkung aufs menschliche Herz; ein Gemisch von Thorheit und Unvernunft, unbrauchbar für das menschliche Leben, dem gesunden Menschenverstand nachtheilig, in einer barbarischen Sprache vorgetragen, mit unbiegsamer, dogmatischer Entschlossenheit behauptet, mit einem wüthenden Geschrey hartnäckig vertheidigt, – P h i lo s op h ie; und gelehrte Marktschreyer werden ihre Priester. – Ich mögte lieber sagen: – ihre barbarischen Henker. Mir ist’s immer, als gieng ein vielschneidiges Schwerd durch meine Seele; sympathethischer Schmerz fällt alle meine Empfin-
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dungswerkzeuge an; wenn ich die Philosophie so unter den Händen der Barbaren leiden, und die Krone der Menschheit, so in Staub und Koth mit Füssen getreten, daliegen sehe. Ich werde im Bild eines wahren Philosophen, weder die trübe finstere Mine des weltvergessenden Stubenhüters; noch des Scherz und Umgang fliehenden mürrischen Menschenfeindes; noch des lächerlichen Grillenfängers, Wortkrämers und Grüb[8]lers; noch die freche Stirn des ungereimten Gottesläugners, oder des vorwitzigen Deisten dulden. Die Blicke des Weltweisen, wie ich ihn schon mehrmals in menschlicher Gestalt zu sehen das Glück gehabt, sind heiter, wie das Sonnenlicht am hellen Mittag; und lieblich, wie ein froher, unbewölkter Frühlingstag. Er sucht Vergnügen, und lehrt die Kunst des Frohseyns, wenn Stürme den Bach des Lebens trüben. Gute Menschen kennen, gute Menschen lieben, guten Menschen wohlthun, und dies alles nach Grundsätzen; – dies ist die Philosophie meines Philosophen. Ich find’ ihn daher beständig unter Menschen. Wol denen, die ihn kennen, und die süssen Lehren, die wie Honig von seinem Munde fließen, zum aufklärenden Unterricht, und zur Besserung des Lebens, wie fruchtbare Felder, aufnehmen, und Frucht bringen. Kein guter Mensch kann seinen Reizen widerstehen. Nur der felsenharte Bösewicht flieht ihn, weil seine Blicke zu tief in die boshafte Seele hineindringen. – Gewiß, Sie würden ihn umarmen, und herzen, und sich nie wieder von ihm trennen können, wenn Sie den wahren Weltweisen sehen sollten. Finden Sie ihn am Pult, oder im Gewühl der häuslichen Gesellschaft, von Kindern umringt, die sein Ebenbild [9] tragen, oder unter philosophischen Freunden, oder in der Kirche; – überall finden Sie den liebenswürdigsten, geschäftigen, heitersten, besten Menschen. Ich schildere Ihnen hier nicht einen Bürger des Himmels. Ich habe das Urbild, von welchem ich Ihnen eben einige unvollkommene Züge mitgetheilt habe, mit meinen leiblichen Augen in menschlicher Gestalt unter Menschen auf Erden gesehen. Es mag wol noch Gegenden geben, in welchen diese philosophische Menschengestalt noch nicht erschienen ist; und es hat ganze Welttheile und ganze Zeitalter gegeben, in welchen die verfolgte Philosophie von der Erde in den Himmel floh. Da traten denn einige menschenähnliche Geschöpfe, Philosophen genannt, in der rauhen Tracht der Schulpedanten, in der Mönchskutte, und den Pfaffenmänteln auf die Katheder; gaben vor, die Weltweisheit habe sich nun aus der Sphäre des Lebens in die Sphäre der Katheder versezt; stimmten ein Te Deum an, wenn sie den gemeinen Menschenverstand mit allerley Spitzfindigkeiten barbarischer Kunstwörter verdumpfet, eingeschläfert, besiegt, und erwürget; die gesunde Vernunft durch scholastische Nomenklatur fern von sich weggeschreckt, und den schönsten Keim [10] der Tugend und Einsicht eines aufkeimenden Genies durch tödlichen Schulstaub erstickt hatten. So wird noch heutzutage das Glück einer gewonnenen Schlacht, das Glück, daß in der Hitze des Treffens Menschenblut, wie Wasser floß, mit dem Donner der Kanonen zelebriret! Neue Wohlthäter der Menschheit, neue So kra tes se mußten der herrschenden Dummheit, oft mit Lebensgefahr, den Hals brechen. Wie manche von diesen unsterblichen Männern büßten Güter, Ehre, und Leben ein? Wie konnt’ es anders seyn, da die Barbarey, wie die Wildheit des Naturmenschen heftig ist? Sie treibt, wie diese, auf einen Schlag Tod und Verwüstung in die menschliche Lebensmaschine. – So stieg die Philosophie von jenen schwindlichten Höhen, und von den Wolken des Olymps herab. Nun erscheint sie im reizenden Gewand, womit sie von den Händen der Grazien bekleidet worden, worin sie Hohe und Niedrige für sich einnimmt, und gleich eine[r] M us ar io n bezaubert, indem sie unterrichtet. – Du n s, T h oma s, S vare s,
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und wie die Väter der Barbarey alle heissen mögen, leben nur noch im Schoos ihrer Brüder, in den Winkeln irgend eines finstern, gothischen [11] Klosters. In hellen Klöstern werden die monströsen Geburten ihres Geistes mit unter die Bank gesteckt, ohngefähr, wie die Bibel vor den Zeiten des Papstes Leo’ s X, und seines entschlossenen Zeitgenossens, Lu the rs. Heil den Zeitaltern, wenn einstens wieder ein Geschenk der Götter, ein Menschenbild mit vollströmenden Menschheitsgefühl, vom Himmel fallen; wenn sich der philosophische Geist in allen Gliedern des Staats durch verschiedene Kanäle herumbewegen; wenn ein neuer S ok ra te s den heilenden Balsam seiner Sittenlehre, und der Verfeinerung auch in die Wunden tröpfeln wird, die Barbarey, Unwissenheit und Aberglauben den Ständen des unaufgeklärten Publikums geschlagen haben; wenn aufgeklärte philosophische Menschenfreunde die Menschen, ihre Brüder, in den Werkstätten besuchen, und sie, wie ihre Schüler und Zuhörer, von der Würde der Menschheit, und ihren besseren Pflichten unterrichten werden. – Aber wehe diesen künftigen Generationen, wenn sie, wie ihre Urväter, diese Boten Gottes tödten, und die zu ihnen gesandt sind, um ihnen wolzuthun, steinigen!
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An Ebendieselbe. Bemerkungen über den Schluß der Skeptiker, der gegen die Existenz der Philosophie gerichtet ist. – Warum läßt sich der Begrif von der Philosophie so schwer bestimmen? 180
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Aber, Madame! wahrscheinlich dachten Sie bey Ihrem Auftrag, wodurch Sie mich zu diesen Briefen verpflichteten, wol nicht mehr an die Vorwürfe, die Sie ehedem der Philosophie und ihren Liebhabern gelegentlich machten. Ich konnt’ es Ihnen zwar in den Augen lesen, daß Sie den Einwurf der alten Zweifler wider das Daseyn der Philosophie nur im Scherz wiederholten; vielleicht, (denn das läßt man sich doch vom schönen Geschlecht eher gefallen, als von Fakultäten, oder von Konsistorien,) um Kopf und Feder einige Minuten durch ein Examen zu beschäftigen. Aber bemerkten Sie nicht, mit welcher vermischten Mine der Verachtung und des Mitleidens ihre umstehenden Gespielinnen seitwärts auf mich hinblickten, wie Sie Ihren, freylich etwas gelehrt klingenden Zweifel aus[13]gesprochen hatten. Guter Himmel! mogten diese guten Seelen bey sich selbst denken; wenn es mit der Philosophie so steht, wie wir der eben gehört haben, was sind denn die Philosophen? was der junge Herr da, den man ebenfalls für einen ausgiebt? Schade, daß er so groß gewachsen ist! Erlauben Sie mir, hier einen widerlegenden Kommentar über Ihre damaligen Worte anzuhängen. Ihnen ist er nicht zugedacht; denn Sie meinten es so böse nicht, als man es durch Mißverstand aufzunehmen beliebte. Wenn nur Ihre Freundinnen dabey die Gesichtsmuskeln wieder bewegen, die sie sonst so gefällig und liebenswürdig machen. – »Erinnern Sie sich, hies es, an einem von den fünf lezten Bewegungsgründen (λoγoι, τρoπoι,) zum allgemeinen Zweifel, und zur Enthaltsamkeit vom Beyfall, die ein gewisser neuerer Zweifler, Agr ik o l a, zu den zehn ältern skeptischen Tropis hinzugesezt haben soll. Es ist fast kein einziger Punkt, sagt Sext us, worüber die Systeme der Dogmatiker nicht im Streit liegen, und den die dogmatischen Partheyen nicht aus entgegengesezten Gründen beweisen sollten. Diese entgegengesezten Gründe sind
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gewöhnlich so stark, daß man sich nur [14] mit der unerträglichsten Frechheit, und mit dem beleidigendesten Stolz das Recht anmaßen kann, der einen Parthei den Prozeß abzusprechen, und der andern beyzufallen, als habe sie Wahrheit behauptet.1 So steht es, sagten Sie, mit der Philo[15]sophie. Es hat schon Jahrtausende hindurch Philosophen gegeben, und wenn man die Erklärung von [16] dem, was sie Philosophie nennen, zusammenhält: so muß man ihr Daseyn in Zweifel ziehen. Man [17] frage die heutigen Lehrer der Weltweisheit, die gewöhnlich dazu berufen zu seyn glauben, um von ihrem hölzernen Thron über die Vernunft junger Genies zu tyrannisiren. Man suche in den scholastischen Ueberbleibseln der geistverdumpfenden Du nse nach dem Begrif der Philosophie nach. Man setze sich in die Hörsäle zu den Füßen, oder man mische sich in die Spaziergänge jener alten Weisen Griechenlandes in der Absicht ein, um von ihnen einen bestimmten Begrif von der Philosophie zu hören. Die Behauptungen darüber in ihren Werken, die ihnen in ihrem Leben ehrwürdige Hochachtung, und bey der Nachwelt rühmliche Unsterblichkeit zuwegegebracht, sind sich eben so entgegengesezt, als es die Aussa1
Skepsis – Zweifelsucht steht dem Dogmatismus entgegen. Man hält gewöhnlich den P y r r h o, einen Oberpriester zu Elea, für den ersten Stifter der suchenden, oder der zweifelnden Philosophie. Allein die älteren Eleastischen Philosophen hatten schon lang vorher die Zweifelsucht begünstiget, und zum Skepticismus vorbereitet. Die größten Unwahrheiten hatten sie schon mit den scheinbarsten Gründen vertheidiget, und die offenbaresten Wahrheiten mit Scheingründen umgeworfen. Von den Zeiten des P y r r h o machten sie eine eigne Parthey unter den Philosophen aus, so wie ohngefähr heutzutage die Skeptiker in England neben den Englischen Dogmatikern. Sie selbst läugneten es, daß sie eine Sekte ausmachten; weil sie keine festgesezte Sammlung von Grundsätzen kannten, die sie gemeinschaftlich vertheidiget hatten. Skepsis war blos eine gemeinschaftliche Methode, die Sätze zu untersuchen, ohne irgend einen zu behaupten, oder zu läugnen. Skepsis, sagt S e x t u s, der größte und gelehrteste Skeptiker, ist die Kunst, alle Kenntnisse, die wir durch die Vernunft und durch die äusseren Sinne erhalten, sich entgegen zu setzen, und dann aus dem gefundenen Gleichgewicht, zur gänzlichen Enthaltung vom Beyfall, zu gelangen. Es giebt nemlich keinen einzigen wahrscheinlichen Satz, dem nicht ein anderer eben so wahrscheinlicher entgegengesezt ist. Man kann daher weder etwas behaupten, noch etwas läugnen. Wir behaupten nicht, daß Wahrheit erfunden sey; wir läugnen es auch nicht. Wir schweben nur wegen des Gleichgewichts der Gründe zwischen Beyfall und Nichtbeyfall, zwischen Ja und Nein. – Die Kunst der alten Skeptiker zu zweifeln, begreift auf der einen Seite zehn Bewegungsgründe, warum sie zweifeln, und den Beyfall und Nichtbeyfall zurückhalten. Diese nannten sie λoγoυς oder τροπouς; (vergl. S e x t u s B. X.) Zu diesen zehn skeptischen Bewegungsgründen sezten die neuern Zweifler, besonders ein gewisser A g r i k o l a, noch fünf andere hinzu. (vergl. Sextus B. I. 15.) Von den Skeptikern hat man sich fast in allen Zeitaltern verkehrte Begriffe gemacht. Man hat ihnen die unsinnige Behauptung zugeschrieben, daß es keine angenehme und unangenehme Empfindungen gebe; daß sie nie Vergnügen oder Schmerz empfinden. Das hat nie ein Skeptiker geläugnet oder behauptet. Der Skeptiker empfindet Vergnügen und Schmerz, wie der Dogmatiker. Er zweifelt nur, ob die Gegenstände auch ausser ihm so beschaffen sind, wie sie ihm nach seiner Empfindung vorkommen; ob die Gegenstände, von denen er angenehme oder unangenehme Eindrücke erhält, auch ausser ihm angenehm oder unangenehm sind; ob sie folglich auch an sich diejenigen sinnlichen Eigenschaften besitzen, die sie nach unsern sinnlichen Werkzeugen zu haben scheinen. Der Skeptiker folgt aber demohngeachtet den sinnlichen Eindrücken, so wie die Gegenstände auf ihn wirken. Er fliegt die Gegenstände, die ihm Schmerz verursachen, eben so sehr, als er die andern mit Eifer sucht, die ihn vergnügen. – Die Skeptiker waren in Griechenland immer die größten Genies, und siegten allemal über die entscheidenden griechischen Philosophen, die, wie noch heutzutage; gewöhnlich mehr behaupteten, als sie beweisen konnten. Diese Blössen und Schwächen der Dogmatiker faßten sie an. Sie selbst gaben jenen keine Blößen, weil sie nichts behaupteten und nichts läugneten, sondern bloß angriffen. Sie giengen übrigens im Zweifel häufig zu weit; so wie die entschlossenen Dogmatiker im hartnäckigen behaupten häufig zu weit giengen.
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gen unsrer heutigen Kompendienphilosophen sind, die gewöhnlich schon bey ihren Lebzeiten ihren Ruhm überleben, und bey der Nachwelt gewisse Vergessenheit zum unausbleiblichen Lohn haben.« Sie haben Recht, Madame! Die Philosophen sind bis auf den heutigen Tag nicht einig, was Philosophie seyn soll. – Aber man philosophirt doch, wie Sie wissen, seit Jahrtausenden, und die wohlthätigen Einflüsse dieser Geistesarbeiten haben sich in [18] den Geschichtsbüchern aller philosophirenden Staaten merkwürdig gemacht. Denken Sie nur an die jämmerlichen Jahrhunderte, in welchen unser Europa mit Finsterniß, wie mit Pfaffen, bedeckt war; an den schimpflichen Zeitpunkt, in welchem der unphilosophische Pfaffenpöbel das Selbstdenken ins schwarze Register der Verbrechen der beleidigten Majestät der Menschheit einschrieb; die Philosophie zur Sklaverey verdammt, in Ketten und Banden geworfen; die Philosophen, die edler und richtiger von Gott dachten, als die durch Aberglauben und Unwissenheit entnervten Seelen ihrer geistlichen Henker, auf den Scheiterhaufen gebracht wurden; weil sie für der gesunden Vernunft eher ihre Knie beugten, als für einer Statue, die Menschenhände gemacht hatten; oder, weil sie die ehrwürdigen griechischen Weltweisen, und ihre belehrenden Schriften inbrünstiger liebten, als die monströsen Gehirngeburten intolleranter Kirchenlehrer. Doch, warum schwebt mir gerade die traurige Periode der europäischen Menschheit, in den finstern Jahrhunderten des mittleren Zeitalters, so lebhaft vor? Ist nicht der heutige ganze Zustand der spanischen Nation, aus eben den Gründen, wie der Zu[19]stand ihres Land, schlecht und bedaurungswürdig? Ist nicht Spanien das Land, wo die Geister noch immer vom Aberglauben unterdrückt; die Thätigkeit der Genies von den Schrecken der teuflischen Inquisition eingeschränkt; das Selbstdenken mit tausend barbarischen Flüchen belegt, und die ehrenvolle Uebung der Nationalfähigkeiten, von der tyrannischen Klerisey, durch Sklavenfesseln verhindert wird? Halten Sie die unaussprechlichen wichtigen Wirkungen dagegen, die die Philosophie in der philosophirenden Welt hervorgebracht hat. Griechenland, und das alte Rom, wie glücklich durch die Philosophie? M onte squ ie u hat es bewiesen, daß Rom seine besten Gesetzgeber, seine tapfersten Helden, die sympathetischten Patrioten, die fürtreflichsten Staatsmänner, und die rechtschaffensten Weltbürger der stoischen Philosophie zu verdanken habe; und daß das menschliche Geschlecht alle philosophische Schulen segnen müsse, weil in ihnen die besten Menschen gezogen worden sind. – Die Bemerkung, in der Philosophie der Geschichte, scheint dabey allerdings richtig zu seyn, daß die wohlthätigen Einflüsse der Philosophie auf die philosophirende Staaten, im Alterthum durchgängig unendlich bemerk[20]barer und wichtiger waren, als sie es heutzutage sind; wo man die Philosophie in ihrem ganzen Umfang nur als Handwerk für sich treibt; da der philosophische Geist ehedem von Geschäften ausgieng, und zu Geschäften eilte, und die Absicht hatte, volle, gesunde, wirkende Seelen zu schaffen. – Philosophie giebt es also, und es hat Philosophie gegeben, so gewiß es Menschen giebt und gegeben hat, die sich Philosophen nennen. Freylich ist in Absicht auf die Bedeutung des Namens Philosoph in den neuern Zeiten ein gewisser Unterschied eingetreten, da sich im Alterthum die Sache anders verhielt. Man vermuthet, daß eben hievon ein Theil der Schwierigkeit bey der Bildung eines bestimmten Begrifs von der Philosophie, oder von der würdigen Klasse von Menschen, die den Namen der Weltweisen mit Recht verdienen, mit herrühre. Py th ago ra s nannte sich zum erstenmal einen Philoso-
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phen, einen Liebhaber der Weisheit, weil er eine gewisse Art von Kenntnissen besaß. C icer o und L aer z geben in der Geschichte des Aufkommens dieser Benennung zugleich die ursprüngliche Bedeutung derselben an. Beyde Schriftsteller gehen zwar in der Erzehlung einiger Neben[21]umstände von einander ab, wodurch aber die Hauptsache nicht verändert wird. Weil ich den erstern eben von mir habe: so will ich ihn erzehlen lassen. Vor den Zeiten des Py tha g or as, sagt C icer o, hießen die Besitzer der Weisheit, das heißt, der Wissenschaft göttlicher und menschlicher Dinge, Wei s e. In der Folge legte man diesen Titel allen denen bey, die die Betrachtung und Erforschung der Dinge in der Welt zu ihrer Beschäftigung wählten. Pyth a g or as war der erste, der diesen Titel bey folgender Gelegenheit abänderte. Er unterredete sich mit dem Fürsten der Phtiesier, Le o n, über mancherley Gegenstände der Gelehrsamkeit. Le on bewunderte seine Einsichten und Beredsamkeit, die ihn zur Frage veranlaßten, mit welcher Kunst sich denn P yt hag ora s eigentlich am meisten abzugeben pflege? Ich verstehe keine Kunst, antwortete Py th ag ora s; Ich bin ein Philosoph. Und was sind denn die Philosophen für Leute, und wodurch unterscheiden sie sich von andern Menschen? erwiederte der durch die Neuheit des Namens in Verwunderung gesezte Fürst. Die olympischen Spiele, gab Pyt hag o r as zur Antwort, und das menschliche Leben scheinen mir sehr viel Aehnlichkeit zu haben. Bey jenen finden sich die Menschen aus sehr ver[22]schiedenen Absichten ein. Einige suchen durch Ringen die Ehrenkrone zu erlangen. Andre treibt der Eigennutz hin. Sie wollen kaufen und verkaufen. Noch andre, und dieses sind die edelsten Menschen, sind bloße Zuschauer. Sie suchen weder Ehre noch Gewinnst. Sie wollen blos aufmerksam beobachten, was bey diesem reichhaltigen Zusammenfluß von Menschen vorgeht. Gerade so verhält es sich mit dem menschlichen Leben. Die Menschen sind aus einem andern Leben in das gegenwärtige gleichsam zu einem großen Markt zusammengekommen, wo einige Ehren, andre Geld suchen. Nur sehr wenige setzen über dem Studium der Natur der Dinge alles übrige hinten an, da diese Wissenschaft an Würde und Wichtigkeit alles übrige übertrift. Diese Menschen heissen Freunde und Liebhaber der Weisheit, Philosophen. Py th ag ora s und seine Schüler nannten also das, was sie studirten und lehrten, die Philosophie. Sonderbar genug: Der Philosoph kann ja auch Klavier spielen, predigen, richten u.s.w. Nennt man denn dasjenige, was der Theolog versteht, Theologie? Giebt ihm nicht eine bestimmte Art von Kenntnissen, Mantel, Kragen und Namen? Ge[23]rade so erhält der Philosoph heutzutage von der Philosophie den Namen. Man setze also die Philosophie voraus, so wie man die Theologie voraussezt, wenn man von Theologen redet. – Liegt in dieser Bemerkung nicht einiger Grund vom Schwanken dieses Begrifs? Doch, ich merke, mein Brief wird zu gedehnt. Nächstens knüpf’ ich den Faden hier wieder an.
Dritter Brief.
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Die Wirkungen der Philosophie sind in der Verbesserung der Welt so sichtbar: Sie selbst sollte eine Chimäre, ein Unding seyn? Der Ungrund dieses Gedankens ist leicht aufgedeckt; die posi-
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tive Bestimmung des Eigenthümlichen der Philosophie ist schwerer. Wären die einzelnen Reiche in der Welt der Gelehrsamkeit eben so genau in ihre eigenthümliche Gränzen eingeschränkt, wie es die Pro[24]vinzen des Globus Terraquens sind: so würde sich eine eben so genaue Charte der Gelehrsamkeit zeichnen lassen, wie man Landcharten von unsrer sublunarischen Welt zeichnet. Man würde durch einen wiederholten Blick auf diese Gränzbeziehungen der Wissenschaften von einer jeden Provinz und ihren Gränzen einen eben so deutlichen und bestimmten Begrif erhalten, wie man sich von den Gränzen und der Gestalt Italiens oder Indiens eindrückt, wenn man diese Reiche auf einer guten Landcharte studiret. Allein die verschiedenen Wissenschaften sind nicht so sehr Theile eines Ganzen, als sie Klassen sind, unter welche die Operationen der Seele und die verschiedenen Gegenstände gebracht werden können, die auf uns wirken, und die die Gegenstände unsrer Erkenntniß sind. Eigentlich ist blos die Aehnlichkeit dieser Gegenstände, oder auch der Kenntnisse selbst, die wir von ihnen haben, der einzige Grund, warum man die ganze Gelehrsamkeit in mehrere Wissenschaften abtheilt. Diese Abtheilungen sind mehr willkührlich, als nothwendig; und man hat sie hauptsächlich deswegen beliebt, um die menschliche Erkenntniß methodischer zu machen, und um die [25] Gelehrsamkeit, wenigstens in ihren Theilen, menschlichen Kräften mehr anzupassen. Lägen nemlich alle die ungleichartigen Begriffe der Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin noch immer über einen Haufen aufgeschüttet: wo würde man einen Sterblichen finden, den man mit Recht einen Gelehrten nennen könnte? Noch hat es keinen Universalgelehrten gegeben, der in allen Fächern der Gelehrsamkeit gleich gros gewesen, der in allen Fächern die Männer erreicht hätte, die in den einzelnen Fächern die größten waren; wiewol es Universalgenies gegeben hat, die in allen Theilen der Gelehrsamkeit gleich gros, und so gros, als die größten Partikulargenies in ihren Wissenschaften, werden konnten. Sie wurden es aber nicht, weil ein menschliches Leben, eben sowol zur Ausbildung aller in den Menschen gelegten Fähigkeiten, als zur Erlernung aller menschlichen Kenntnisse, viel zu kurz ist. Eben deswegen mußte ein wolthätiger Genius dieses Chaos von Begriffen und Kenntnissen scheiden und umschaffen, um ihre Fassung menschlichen Köpfen, oder, welches einerley ist, um menschliche Gelehrten, möglich zu machen. Diese Theilung der gelehrten Kenntnisse ist nicht durchgängig nach den[26]selbigen Theilungsgründen veranstaltet worden. – Bald hat man auf die Wege gesehen, auf welchen uns gewisse Kenntnisse zugeführt werden. Diese Kenntnisse hat man alsdenn in eine Wissenschaft versammlet, und zu einer Wissenschaft gemacht. – Bald sonderte man diejenigen Kenntnisse aus, die eine gewisse menschliche Seelenkraft am meisten beschäftigen, oder gewisse Fibern des Gehirns am meisten bewegen. Das gab wieder eine eigne Klasse von Wissenschaften. – Bald hat man, nach den Hülfsmitteln zur Erlernung gewisser Kenntnisse, die Kenntnisse, zu deren Erlernung ähnliche Hülfsmittel nöthig sind, in ein System vereinigt. – Bald hielte man sich an die Arten von Gegenständen, die man nach den größern Aehnlichkeiten herbeyholte, und aus denen man einen einzigen wissenschaftlichen Körper bildete. Was Wunder, daß die einzelnen Glieder dieser Körper einander häufig ähnlich sind? Hiezu kommt noch; die unter gewisse Klassen gebrachten allgemeinen Begriffe, die wir Wissenschaften nennen, und besonders die Begriffe von den einzelnen Wissenschaften selbst, sind ihrer Natur nach beständig wandelbar, unvollständig und unbestimmt. Fast keiner von den philosophischen allge[27]meinen Begriffen hat den großen Vorzug der Vollständigkeit; wenig-
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stens wird es uns äusserst schwer, ihre Allgemeinheit zu beweisen; zu beweisen, daß man alle gemeinschaftliche Merkmale einer gewissen Art oder Gattung von Gegenständen in den Begrif zusammengefaßt, und keinen merkwürdigen Charakter aus dem Begrif weggelassen habe, der allen diesen ähnlichen Dingen, die eine Gattung oder Art ausmachen, zukömmt. Denn wir sind nur äusserst selten im Stand, alle Individuen zu untersuchen, deren gemeinschaftliche Aehnlichkeiten einen allgemeinen Begrif ausmachen. So lang her also z. B. nicht alle Menschen, unter allen möglichen Zonen haben kennen gelernt: so lang wird der wahre allgemeine Begrif vom Menschen immer unvollständig seyn. Ja, es kann leicht kommen, daß einige Charaktere, die wir jezt in den allgemeinen Begrif vom Menschen aufgenommen haben, aus demselben herausfallen, wenn wir erst alle Menschengestalten auf allen Erdstrichen kennen werden. Unser jetziger allgemeine Begrif vom Menschen kann daher mit dem Wachsthum der Naturgeschichte zum Theil verengert, zum Theil erweitert werden. Aus dergleichen unbestimmlichen Begriffen sind die Wissenschaften zusammengesetzt. Wie können [28] die Begriffe von den einzelnen Wissenschaften selbst durchaus bestimmt seyn? Diese sind noch aus einem andern Grund in einem beständigen Fluß; und sie werden auch, allem Ansehn nach, so lang sie menschliche Begriffe von menschlichen Wissenschaften sind, ihre bewegliche, ambulatorische Eigenschaften behalten. Je weiter wir nemlich in allen Arten gelehrter Kenntnisse fortrücken; desto mehrere wissenschaftliche Gegenstände und folglich auch wissenschaftliche Begriffe, werden entdeckt und erfunden. Diese neue Begriffe müssen in die Wissenschaften aufgenommen werden. Ein jeder Begrif von irgend einer Wissenschaft muß daher, bey dieser Aufnahme, bey dieser Erweiterung des ihr zugehörigen Gebiets, gewissermaßen erweitert, geändert und anders bestimmt werden. Und so glaub’ ich im Ernst, daß der W o lf is che Begrif von der Philosophie, wenn ihn auch dieser um die deutsche Philosophie verdiente Mann, für sein Zeitalter, oder für sein System richtig gebildet hätte, in unserm Zeitalter und bey den großen Fortschritten der heutigen Philosophie, fehlerhaft seyn müßte. Ich kann diese Bemerkung mit Belegen aus der Geschichte der philosophischen Systeme rechtfertigen. [29] Je weiter die Gränzen der Philosophie, mit ihrem allmäligen Fortgang, auseinander gerückt wurden: desto mehr erweiterte sich der Begrif von dieser Wissenschaft. Nach dem die mehreren griechischen philosophischen Schulen einen Theil der Philosophie für einen Haupttheil hielten, und einen andern Zweig nur stiefmütterlich pflegten; nach dem war die Erklärung dieser Schulen über das Wesen der Weltweisheit eingeschränkter oder weitläufiger. Die Pythagoräer, – die an ein Herabsteigen der Seele aus einem bessern Leben in die Hülle dieses Körpers glaubten, und daher, wie P lat o, das Seelerheben über den Körper für die edelste und würdigste Beschäftigung hielten, – erklärten die Philosophie durch die Betrachtung des Todes, durch ein Absondern der Seele von ihrem Körper, oder auch durch ein Bestreben, Gott ähnlich zu werden. Völlig dem schwermüthigen, theoretischen System der Pythagoräer angemessen, das von ihren praktischen Grundsätzen durchaus verschieden war. – Ep i kur sah’ hingegen vorzüglich auf den praktischen Theil der Philosophie, wie er sie zur Wissenschaft eines glücklichen und vergnügten Lebens machte. Nichts konnte der damaligen Denkungsart des glänzenden, Vergnügungen athmenden Athens; nichts den stillen [30] Gärten, der Schule der unverwerflichen und reinen epikurischen Glückseligkeit und Tugend angemessener seyn, als diese Erklärung. Wenn doch das für Wollust zerfließende Athen in diesen Gärten des untadelhaften Vergnügens, zu den Füßen des ehrwürdigen Ep i k ur s, Philosophie studirt, das heißt, die grose
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Wissenschaft des Vergnügens erlernt hätte: schwerlich würde Griechenland, und die Aristippischen unwürdigen Nachfolger E pi k ur s, von der wollüstigen Weichlichkeit der schwelgerischen Ueppigkeit, und der unnatürlichen Wollust angesteckt worden seyn, in welche der wünschenswerthe, alte Epikuräismus ausartete. – Auf gleiche Weise haben P lato, Ar is tot eles, und die übrigen griechischen Sektenstifter, die Definition der Philosophie nach ihren Lehrgebäuden geformt. Lauter Beweise, daß dieser Begrif nicht nur überaus schwankend, sondern auch an sich unbestimmlich zu seyn scheint. – Ich will nicht einmal der Begriffe solcher Weltweisen gedenken, die die Herrschaft der Philosophie über das ganze Reich der Gelehrsamkeit ausdehnen, die der Philosophie eben da ihre Gränzen hinzeichnen, wodurch alle menschlichen Kenntnisse beschränkt sind, kurz, die [31] Philosophie zu Pansophie machen. Schon P la to nennt sie die Wissenschaft dererjenigen Dinge, die mit der Vernunft erkannt werden. Die mehresten Weltweisen folgen ihm, ohne zu bedenken, daß alle Arten von Gelehrten, von Künstlern und Handwerkern mit Begriffen und Sätzen zu thun haben, die entweder ganz oder zum Theil durch den Gebrauch der Vernunft erlangt werden; ohne zu bedenken, daß die besten, brauchbarsten Kenntnisse des Weltweisen Erfahrungs- und Beobachtungsbegriffe sind, die eigentlich seine ganze Wissenschaft gründen müssen, wenn er nicht Chimären bearbeiten will. Scheinen Ihnen, Madame! diese Anmerkungen nicht lauter unüberwindliche Schwierigkeiten zu seyn, die die Bildung eines bestimmten Begrifs von der Philosophie unmöglich machen? Geben Sie doch nicht alle Hofnung auf. Die angezeigten Bedenklichkeiten lassen sich heben, so bald einige andre Schwierigkeiten gehoben sind. – Dann will ich Ihnen meinen Versuch zur Beurtheilung vorlegen.
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An Ebendieselbe. Vorbereitung zur Bestimmung des Begrifs von der Philosophie. – Sind die mathematischen und die physischen Wissenschaften Theile der Philosophie?
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Nur noch ein paar Schritte weiter, Madame! so sind wir an den Gränzen des eigentlichen Gebiets der Philosophie, und in der stillen Gesellschaft der verdienten Weltweisen, die in diesem Gebiet arbeiten. Kaum kann ich an diese Gesellschaft denken, ohne zur Schilderung des unaussprechlichen Vergnügens versucht zu werden, welches ich hier genossen habe. Aber ich schildere es Ihnen nicht. Es strömte schon oft eben so reichlich auf [S]ie selbst zu, und wirklicher Genuß ist ausdrucksvoller, und bedeutender, als alle Schildereyen der Mahler und Dichter. Hier zu den beyden Seiten des Kreuzweges, den unser Fuß eben betritt, liegen die Reiche der Mathematik und der Physik, und dort in jener unfehlbaren Ferne vereinigen sie sich. Mathematik und [33] Physik beherrschen diese große Strecke gemeinschaftlich, bis sich endlich die Physik der Mathematik gänzlich unterwirft. Fest an diese Ebene schließt sich das Gebiet der Philosophie an. Man hat oft gefragt: ob die physischen und die mathematischen nicht auch philosophische Provinzen seyen? Man hat es häufig geglaubt, und nach diesem Glauben die Philosophie definirt. So wurde die Weltweisheit bisweilen die Wissenschaft aller möglichen
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Dinge, wie und warum sie möglich sind. Sie wurde zur Wissenschaft des Allwissenden gemacht, und die Menschenkinder sollten sie doch studiren, und Menschenköpfe beredeten sich, diese Wissenschaft zu besitzen; weil sie nicht blos die Anfangsgründe in deutschen und lateinischen Kompendien vortragen, sondern auch ihren ganzen Gehalt in ausführlichen Systemen lehren konnten. An diesen Systemen wollen sich nun die Menschen, ich weiß nicht, ob ihrer Fülle oder Leere willen, die Köpfe nicht länger schärfen. Würmer schärfen ihre Zähne daran; und da Menschen diese kalten Gerüchte nicht verdauen können: so fangen sie an, Speisen der Motten zu werden. Ich werde mich wenigstens, so lange noch Dinge da sind, die auf [34] meine Glückseeligkeit einen vortheilhaften, oder nachtheiligen Einfluß haben, die mir Schmerz oder Vergnügen bringen können, deren Kenntniß folglich auch das wichtigste Interesse für mich hat, um die Wissenschaft möglicher Dinge, – die mich nicht eher angehen, als ihr Wirklichwerden in unserer Welt der Wirklichkeit wahrscheinlich wird, – wenig bekümmern. – Warum Dinge möglich sind, davon kenne ich keinen andern Grund, als weil sie mir gedenkbar sind. Allein Gedenkbarkeit und Nichtgedenkbarkeit ist kein fixer Punkt, sondern ein blos relativer Ausdruck. Einsichtsvolle Menschen, oder höhere Wesen werden da vielleicht Widersprüche wahrnehmen, wo ich dergleichen Schwierigkeiten zu entdecken zu kurzsichtig bin. So scheint auch dem unaufgeklärten, unwissenden Weltbürger manches möglich, was dem Kunstverständigen gar nicht gedenkbar ist. – Wie endlich Dinge möglich sind, davon weiß ich gar nichts. Daher ist auch die Philosophie gar nicht meine Muse, die ihren Thron in einer unendlichen Entfernung von uns Menschenkindern, im Reich der Möglichkeit, aufschlägt. Von dieser Afterphilosophie, sagt La v ate r, sie war Feindin der Natur. Sie sah alles, was nicht war; und nur das nicht, was war. Sie war viel zu stolz, den gemeinen Menschenverstand auf das anzuwenden, was in die Sinnen [35] fiel, und bauete lieber Systeme, mit denen weder die Sinnen, noch die Erfahrung zu thun hatte. Sie entführte dem Menschen seine natürlichen Empfindungen und Wahrnehmungen so weit, daß er kaum zu sehen glaubte, was er sah’, und zu empfinden, was er empfand. Man braucht, wenn man sich um den Begrif der Philosophie bekümmert, gar nicht auf die mathematischen Wissenschaften und auf die Physik Rücksicht zu nehmen. Es ist vor alle diese Wissenschaften vortheilhafter, wenn sie, als unabhängige, für sich bestehende Reiche, nach eignen Gesetzen regieret werden. Hier müßt’ ich Ihnen nothwendig den wesentlichen Unterschied unter mathematischen und philosophischen Erklärungen, Beweisen und Methode vorlegen. Allein noch kann die Zergliederung dieser Materie nicht vorgenommen werden. Glauben Sie unterdessen so lang auf mein Wort, daß es eine wesentliche Verschiedenheit unter der Mathematik und unter der Philosophie giebt; Oder, wenn Sie etwa zu lange auf diese Auseinandersetzung harren müssten: so könnten sie die beyden deutschen Aufsätze zu Rath ziehen, die die königl. preusische Akademie der Wissenschaften 1763 unter ihre Preisschriften aufgenommen hat. [36] Sie werden sich bald überzeugen, daß die philosophischen Wissenschaften ihrem ganzen Innhalt und Wesen nach von den mathematischen verschieden sind, und daß sie eben deswegen unmöglich als Theile eines Ganzen angesehen werden können. Denn, wenn wir gleich in den Werken der alten und der neuern Weltweisen keine bestimmte Erklärungen über die Philosophie finden: so läßt sich doch unter den Gegenständen, die sie behandelt haben, eine gewisse Gleichartigkeit und Verwandschaft wahrnehmen. Selbst die unvollkommenen Versuche dieser
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Männer zur Erklärung der Philosophie lehren, daß Sie eine Sammlung gewisser ähnlicher Kenntnisse für die Philosophie bestimmten. Im Grund hat es zwar der Mathematiker auch mit einem philosophischen Begrif zu thun. Allein er bildet diesen Begrif nicht erst; Der Philosoph hat ihn gebildet, und der Mathematiker holet ihn fertig aus der Philosophie herüber. Und so philosophisch fehlerhaft auch der gewöhnliche Begrif von der Größe ist: so wissen ihn die Mathematiker doch zu gebrauchen. Der Begrif ist philosophisch falsch und fehlerhaft; weil er sich in einem ewigen logischen Zirkel herumwirbelt. Mathematisch hingegen ist er wahr; weil er möglich ist, und keinen Widerspruch in sich faßt. [37] Der Mathematiker kann nun nicht blos diesen, sondern auch einen jeden andern Begrif, der diese Eigenschaft, und einige Beziehung auf den Hauptbegrif von Größe hat, sogleich gebrauchen, und mit demselben fortarbeiten. Nicht so der Philosoph, der sich, um die Wahrheit eines Begrifs darzuthun, nach ganz andern Beweisen umsehen muß. Der Philosoph muß seine Erklärungen realisiren, d. h. er muß zeigen können, daß die Ingredienzien zu seinem allgemeinen Begrif, oder zu seiner Definition wirklich gemeinschaftliche Eigenschaften von Dingen sind, die wir vermittelst unsrer Sinnen haben kennen gelernt. Wenn der Philosoph diese Realität seines Begrifs nicht beweisen könnte, und doch aus ihm fortschliessen wollte: so würde er Mathematiker genannt werden müssen, wenn nur diese Begriffe, die er nicht realisiren kann, auf das Hauptobjekt der Mathematik, auf die Gröse, allemal nahe Beziehung hätten. Die Philosophen, die auf diesen wichtigen Umstand wenig achteten, und sich von der mathematikartigen Behandlung der philosophischen Wahrheiten beträchtliche Vortheile versprachen, und mathematikartig aus der Voraussetzung willkührlicher, unrealisirter Erklärungen phil[38]osophirten, haben häufig über Undinge philosophirt; d. h. phantasirt. Vielleicht würde S pi n o za seinen Spinozismus als ein ungereimtes Lehrgebäude aufgegeben haben, wenn er sich überzeugt hätte, daß sein Gebäude bey allem demonstrativischen Ansehn der mathematischen Lehrart auf sehr schwachen Grundlagen ruhe. Diese Schwächen mußten ihm sogleich in die Augen fallen, wenn er sich um die Realität der wenigen Erklärungen bekümmert hätte, die er voranschickt, aus denen er folgert, und mit denen sein ganzes räsonnirtes, demonstrativisches System steht, und fällt. – Die neueren Kindereyen und Spielwerke, mit welchen vorzüglich die Metaphysik durch die mathematische Methode überschwemmt worden ist, sind bekannt, und auch noch in unsern Tagen bisweilen gangbar, wenn sie gleich aus der Mode gekommen sind. Ausser der Seichtigkeit ist noch die ermüdende Weitschweifigkeit, wodurch dergleichen nach der mathematischen Methode abgefaßte Schriften unerträglich werden, einer von ihren Hauptmängeln. Diese Philosophen demonstriren denn, wie die Meßkünstler, nur mit dem Unterschied, daß in der Philosophie, durch die Helle der Dinge Ekel erreget, wenn in der Mathematik der Geist geschärft wird. [39] Diese beyden Betrachtungen, – aus denen die wesentliche Verschiedenheit und Ungleichartigkeit der philosophischen und der mathematischen Wissenschaften, in Absicht auf ihren Inhalt, und die Methode; und die Schädlichkeit der Vermischung beyder erhellet, – geben den Satz, daß die Mathematik ein eigner für sich bestehender Körper, und kein Theil der Philosophie ist. In der That würd’ es auch noch nie einen einzigen Philosophen in der Welt gegeben haben; wenn man von einem jeden Philosophen eine Kenntniß der Mathematik in allen ihren Theilen fordern wollte. Wenn man einige wenige große Männer des Alterthums und der neuern Zeiten ausnimmt, die das Feld der Mathematik eben so eifrig bearbeiteten, wie sie mit Anstrengung in die Gegenstände der Philosophie eindrangen: so sind die übrigen Philosophen, so gros
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sie auch sind, durchgängig Unmathematiker. Man würde sie also nur Halbphilosophen nennen müssen, die nur einen Abschnitt der Philosophie erlernt, und im zweyten Theil derselbigen Wissenschaft ganz unwissend gewesen. Dieser Behauptung wird man um so viel weniger beypflichten; so bald man aus der Geschichte weiß, daß viele Weltweisen in der Philosophie Epoche gemacht, die die Mathematik nicht einmal zu ihrem Nebenstudium wählten. [40] Ein menschliches Leben scheint auch wirklich zu einer gründlichen Erlernung dieser beyden Wissenschaften, bey den erstaunlichen Erweiterungen, zu welchen sie schon in unsern Zeiten gelangt sind, zu kurz zu seyn. Es ist dem größten Geist schon völlig unmöglich, beyde Wissenschaften so zu bereichern, daß seine Erfindungen genannt werden könnten, wenn er selbst nicht mehr ist. Das größte Genie muß zufrieden seyn, wenn es in einer von diesen beyden Sammlungen ungleichartiger Wissenschaften gros werden kann. Ich habe selbst grose Männer gekannt, die sich in ihren früheren Jahren mit der Mathematik und zugleich auch mit der Philosophie beschäftigten. Je weiter sie in beyden fortrückten, desto deutlicher sahen sie ein, daß schon die Mathematik, oder die Philosophie einzeln für sich ihr ganzes Leben verschlingen könne, wenn sie eine von beyden Wissenschaften in ihrem ungeheuren Umfang studiren wollten; ohne welches man freylich weder ein groser Mathematiker noch ein groser Philosoph heissen kann. Diese Gründe können zum Theil auch zu einem ähnlichen Beweis dienen, daß die Physik nicht zu den philosophischen Wissenschaften gezählt werden [41] kann. Die Physik muß unaufhörlich mit der Mathematik verbunden werden, wenn sie auf festen Pfeilern ruhen soll. Mathematik ist der Lebenssaft, der wenn er sich in den Kanälen der Physik herumbewegt, diesem Körper Festigkeit und Dauer giebt. Der unmathematische Physiker kann fast keinen einzigen sichern Schritt thun. Seine Versuche lehren keine Gründe, und seine Beobachtungen haben keine wichtigen Folgen. Physik mit Mathematik versezt, ist die Nahrung des denkenden Mannes; ohne Mathematik ist sie Kinderspeise. Der Philosoph kann hingegen in allen Theilen der Philosophie der mathematischen Kenntnisse entbehren. Die Verbindung der Mathematik mit der Physik hat der leztern ausserordentliche Vortheile gebracht. Die Verbindung der Mathematik mit der Philosophie ist der leztern durchgängig nachtheilig gewesen. Daher sind Physik und Mathematik ein Paar wissenschaftliche Körper, die gleichsam zusammen gewachsen, und ohne Schaden nicht von einander getrennt werden können. Jener kann ohne diesen gar nicht fortleben. Dieser aber wird erst durch jenen merkwürdig. Mathematik erhält durch die Physik Interesse, und wird eben dadurch, daß eine Körper[42]welt ist, in welcher ihre Lehrsätze anwendbar sind, eine Wissenschaft, die durch ihren Nutzen, wie durch ihre innere Vortreflichkeit, der ganzen Anstrengung des menschlichen Geistes würdig ist. Man schließe also die mathematischen und die physischen Wissenschaften in dasselbe Gebiet ein, und lasse dieses fest an die philosophischen Provinzen angränzen.
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An Ebendieselbe. Theoretische und praktische Philosophie. – Begrif von der Philosophie überhaupt. Sie werden unfehlbar fragen: In was für Theile zerfällt denn nun die Philosophie, nachdem Mathematik und Physik von ihr abgesondert worden? – Die Eintheilungen der Schule bleiben
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noch immer völlig, wie vorher. Die Philosophie hat ihren theoretischen und ihren praktischen Theil. Ihr praktischer Theil beschäftiget sich vornemlich und allernächst mit dem menschlichen Willen, und mit [43] Vorschriften zu einer vernünftigen Einrichtung freyer Handlungen. Die theoretische Philosophie behält nun nach den gewöhnlichen Systemen noch zwo Wissenschaften, die Logik und die Metaphysik übrig. Beyde haben zu ihrem Vortheil in den neuern Zeiten eine neue Gestalt erhalten. Mir scheint’s indessen doch, sie seyen noch immer sehr unwirthbare Gegenden, so lang man sie nicht mit den fruchttragenden Gewächsen bepflanzt, die der Ver f as ser der Re v is i on der P h i lo s op h ie spezifiziret hat. In beyden Revieren finden sich noch immer zu viele Pflanzen, die entweder gar keine, oder nur solche Blumen und Früchte tragen, an denen sich müßige Grübler die Augen weiden können. Noch immer machen z. B. Narren die Metaphysik unendlich wichtiger, als sie wirklich ist; und Narren laufen diesem Anstrich von Wichtigkeit nach, und wer ihnen nicht nachlaufen will, wird bisweilen mit handgreiflichen Mitteln auf diese Laufbahn gezogen. Noch immer ist die Metaphysik eine Sammlung von Spitzfindigkeiten, die für die Grundfeste aller Wissenschaften, und für die Urquellen aller menschlichen Kenntnisse verkauft werden. Noch immer ist sie im größten Theil von Europa das alte [44] Zeughaus, aus welchem die seelenverderblichen Massen herausgeholet werden, mit denen sich gelehrte Dummheit gegen die gesunde Philosophie rüstet. Noch immer werden durch sie, – besonders in den Klöstern, die die Finsterniß der Du n se und der Aqu i na se mehr lieben, als das Licht der neuern Engländer, Franzosen und Deutschen, – manche junge Genies, unter dem schmeichelnden Vorgeben, als wüßten sie was, da sie doch nicht wissen, wenn sie den Kopf mit noch so vielen metaphysischen Grillen füllen, ich weiß nicht, ob niedergepreßt, oder erhoben; doch ganz gewiß dumm gemacht. O wie klug denkt sich noch mancher junge polemische Mönch, oder auch mancher Exjesuitenschüler; – wenn er die ketzerischen Nebenschriften, die den h. Fra n zisk u s z. B. für einen ganz guten ehrlichen Mann halten, doch aber seine Schwärmerey übertrieben nennen, wie er hingieng und den Wölfen und Hunden das Evangelium predigte; oder in Ansehung ähnlicher Fragen der scholastischen Dogmatik, z. B. ob man beten müsse: Unse r V ate r, oder Va ter Un se r? – mit gelehrten metaphysischen Distinktionen, mit materialiter, virtualiter, formaliter etc. in die Flucht schlagen, und mit Pau[45]ken und Trompeten über den erfochtenen Sieg jauchzen. Ich hab oft in den Gesichtern horchender Eltern den höchsten Ausdruck der Geistesruhe und der Freude zu lesen Gelegenheit gehabt, die mit aufgehobnen Händen dem gütigen Himmel für die guten Gaben ihrer metaphysischen Söhne dankten; wenn diese sich, in dergleichen Stiergefechten das Verstandes, als Männer bewiesen. Ihr hättet euren hoffnungsvollen scholastischen Kindern lieber allemal nach geendigtem Streit eine Ader müssen öfnen lassen; weil nichts mehr zu befürchten ist, als daß diese metaphysische Weisheit am Ende in Tollheit oder in gänzliche Stupidität ausarten werde. Fast scheint ein metaphysischer und ein wüster Kopf aus demselbigen Stoff gebauet zu seyn. Der Anatomiker könnte diese Muthmaßung zur Gewissheit erheben, wenn ein Regent einmal zur Strafe und schreckendem Beyspiele alle scholastischen Metaphysiker dem Messer des Zergliederers ausliefern ließe. In der Metaphysik kommen einige allgemeine Begriffe vor, von denen ich nicht anders glauben kann, als daß sie, durch den Sturm einer im Paroxismus philosophirenden Seele, an diese Stelle verschlagen worden. Was ist dringender als das [46] Zurückführen dieser Verlornen zu ihrer Heerde? Darüber hat man sich fast allgemein vereinigt, daß die ganze Logik, in so fern
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sie den menschlichen Verstand betrift, ein Hauptstück der Seelenlehre sey, weil sie die mehreren Seelenkräfte des Menschen kennen muß, wenn sie für die Anleitung zu ihrem richtigen Gebrauch sorgen will. Die übrigen allgemeinen [o]ntologischen, kosmologischen und theologischen Begriffe müssen ebenfalls der Logik ausgeliefert werden, die die Entstehungsart der allgemeinen Begriffe lehrt, und die eben deswegen auch nothwendig dem Ursprung einzelner wichtiger allgemeiner Ideen nachspüren muß. Eines der vorzüglichen Geschäfte der Logik, die, wenn sie brauchbar seyn soll, Psychologie seyn muß! Die Anzahl der allgemeinen Begriffe der Metaphysik ist ohnehin noch nicht bestimmt worden, und kann auch nicht leicht festgesezt werden. Eine grose Menge, die blos unfruchtbare Nominalerklärungen sind, fällt ganz aus der Philosophie aus. Eine andre Klasse metaphysischer Begriffe greift mehr in die praktische Philosophie ein, als in die theoretische; z. B. die Religionsbegriffe, die Vorstellungen vom Uebel in der Welt, von der menschlichen Bestimmung, u. s. w. Alle einzelne Sätze, die man bisher aus diesen all[47]gemeinen Begriffen gefolgert hat, können auch in der Logik, oder, wenn es praktische allgemeine Begriffe sind, in den praktischen Theilen der Philosophie eben so gut und eben so ausführlich vorgetragen werden, wie man sie bisher in der Metaphysik abzuhandeln pflegte. – Bey dieser Revue würde also fast die ganze Metaphysik ihren Abschied erhalten, in so fern sie nemlich entweder aus unfruchtbaren Spekulationen, oder aus erbeuteten Schätzen besteht, die sie restituiren muß, da man gewiß weiß, daß, und wem sie entwendet worden. – Sieh’ nun, werdender Liebhaber der Philosophie! mit mir alle Unruhen und Kriegen der metaphysischen Streiter ruhig zu, ohne dich darum zu bekümmern, auf welche Seite sich der Sieg neigen werde. Auf solche Weise behält die ganze theoretische Philosophie nur einen einzigen Theil, die Wissenschaft des menschlichen Erkenntnißvermögens, in seinem ganzen Umfang, – übrig. Man pflegt ihn gewöhnlich die Logik zu nennen. Ich mögt’ ihn aber lieber D ia no i t ik nennen; weil man unter jenem Titel weiter nichts, als ein Regelverzeichniß von Definitionen, Distinktionen, Sätzen und Schlüs[48]sen zu suchen pflegt. Dieser ganzen Wust von Regeln schrumpft aber, aus dem Gesichtspunkt des Brauchbaren betrachtet, auf sehr wenige Maximen zusammen, die mit dem Vortheil gebraucht werden können. Ueber die Theile der praktischen Philosophie werd ich mich sogleich näher erklären Nur will ich erst den allgemeinen Begrif von der Philosophie überhaupt vorausschicken. – Ich getraue mir aber nicht eine ganz genau bestimmte Erklärung zu geben, da, nach den obigen Bemerkungen, Unbestimmtheit ihr eigenthümliches Loos zu seyn scheint. Ich werde mich freuen, wenn sich meine Erklärung der Wahrheit nur mehr nähert, als die bisherigen, und wenn sie noch überdem das Verdienst einer grösern Deutlichkeit haben sollte. Die Philosophie ist, wie ich glaube, weiter nichts, als eine räsonnirende, oder, wenn man lieber will, eine pragmatische Geschichte von ein Paar entgegengesezten menschlichen Seelen, nebst allen merkwürdigeren Graden, die zwischen diesen beyden Extremen in der Mitte liegen; oder, welches einerley ist: Sie ist eine räsonnirende Geschichte der menschlichen Seele, in allen bekannten Zuständen, – [49] im Zustand der Klugheit und der Einfalt, des Scharfsinns und der Stumpfheit, der Meditation und des Traums, der Kultur und der Wildheit, der Tugend und des Lasters u. s. w., und aller mittleren Zustände, d. h. der verschiedenen Grade von Klugheit, Einfalt, Scharfsinn, Stumpfheit, Meditation, Traum, Kultur, Wildheit, Tugend, Laster, u. s. w. – betrachtet.
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Der einzige Gegenstand der Philosophie, ist demnach das menschliche Denkwesen, in seinen verschiedenen Zuständen, die man aus der Erfahrung kennen lernt. Räsonniren muß diese Geschichte über die Fakta und Phänomene der menschlichen Seele, deren es unendlich viele giebt, weil die Gegenstände ihrer Meditation unzehlbar sind. Sie muß die verschiedenen Fakta verbinden, und allgemeine Begriffe und Sätze aus ihnen abziehen. Die verschiedenen Begriffe und Sätze betreffen zum Theil die Seele selbst, und ihre Kräfte; zum Theil aber gehn sie die Gegenstände an, mit denen sich die Seele beschäftiget, und die vortheilhafte, oder nachtheilige Einflüsse auf den Menschen haben. Ich beuge dadurch, – daß ich die Philosophie zu einer räsonnirenden Geschichte mache, – einem Hauptfeh[50]ler vor, in welchen die Philosophen bisher verfallen sind, nemlich, der Bearbeitung von Chimären und von Undingen, die gewiß kein Mensch aus der Erfahrung kennen gelernt hat. Die Wissenschaft von der menschlichen Seele, in so fern sie die Erkenntnißkräfte, und die Quelle unserer Erkenntniß, die Empfindungen angeht, giebt die theoretische Philosophie, oder die Dianoitik, die in den Kompendien, wegen ihres etwas ausgedehnten Umfangs in ein paar Wissenschaften zerstückelt werden kann. Die eine davon würd’ ich mit einigen Neuern Psychologie, und die andere Aesthetik nennen. Man hat nemlich, durch eine fast allgemeine Konvention, die sehr weitläufige Lehre von den Empfindungen in Rücksicht des Angenehmen, des Unangenehmen und des moralischen derselben in ein paar philosophische Wissenschaften vertheilt. Aus der Lehre von den angenehmen Empfindungen ist die Aesthetik erwachsen, und die Abhandlung von den moralischen Empfindungen ist der praktischen Philosophie anvertrauet worden, theils, weil sie daselbst unmittelbar benutzt wird, theils auch, weil sie mit der Theorie von den Neigungen und Leidenschaften genau zusammenhängt. Man könnte auch [51] mit der Schule sagen: das Gefühl des Wahren und das Selbstgefühl sey ein Gegenstand der Psychologie; das Gefühl des Schönen mache das Hauptobjekt der Aesthetik aus, und das moralische Gefühl gehöre zur praktischen Philosophie. Allein diese Eintheilung der innern Gefühle und Empfindungen ist zu grundlos, als daß man auf sie wissenschaftliche Eintheilungen bauen könnte. Als Theile der praktischen Philosophie, der Wissenschaft, die es mit dem menschlichen Begehrungsvermögen zunächst zu thun hat, werden ausser der allgemeinen praktischen Philosophie, die natürliche Rechtswissenschaft, die Moral und die Politik angesehen. – Die allgemeine praktische Philosophie untersucht die Natur des menschlichen Willens, nebst dessen Gesetzen. In dem Gehalt, den man dieser Wissenschaft in den neuern Zeiten gegeben hat, ist sie die schönste und nützlichste Wissenschaft, die ich kenne; die Wissenschaft, worohne weder Gesetzgeber, noch Moralist, noch irgend ein Gesellschafter, irgend einen menschlichen Willen menschlich, d. h. untyrannisch regieren und lenken wird. Mit dem menschlichen Willen haben es Gott und Menschen, Könige, Ministers, Vögte, Geistliche, bessernde [52] Philosophen, Dichter, Redner, kurz, alle Fakultäten zu thun; Wo ist ein Studium, welches allgemeiner strenge Applikation verdiente, als dieses: – Das Recht de[r] Natur lehrt die vollkommene Verbindlichkeiten und Pflichten, die nach den strengen Forderungen der Gerechtigkeit vor und in der bürgerlichen Gesellschaft erzwungen werden können. – So wie das strenge Recht der Gegenstand des Naturrechts ist: eben so ist das Hauptobjekt der Moral, Rechtschaffenheit und Tugend, und die natürlichen Mittel zur tugendhaften Einrichtung des menschlichen Lebens. Die natürliche Rechtswissenschaft überzeuget den bürgerlichen sowol, als den aussergesellschaftlichen Naturmenschen, daß er nicht morden, nicht Ungerechtigkeiten verüben dürfe. Die Moral begnügt
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sich nicht mit Menschen, die zwar nichts Böses; aber auch nichts Gutes thun. Sie will nicht nur keine böse, sondern sie will auch gute Menschen bilden. Menschen aus ihrer Schule sollen nicht nur nicht ins Zuchthaus, sondern sie sollen in den Himmel kommen. So ist der Unterschied unter dem Recht der Natur und der Sittenlehre durch Hauptmerkmale gegründet. Nicht so leicht ist der Grund zu finden, [53] warum die Politik zu einer eignen philosophischen Wissenschaft gemacht worden. Politik, wenn sie so viel bedeutet, als Staatswissenschaft, ist, – so fern sie das wechselseitige Verhältniß des Bürgers gegen den Regenten, und des Regenten gegen den Bürger bestimmt, – ein Theil des Naturrechts, nemlich des allgemeinen Staatsrechts. Politik, die Kenntniß der Natur der bürgerlichen Gesellschaften, ihrer Gesetze und ihrer wahren Vortheile, den Bedürfnissen, Kräften und Neigungen der lebenden Menschenwelt angemessen, ist ein Theil des gesellschaftlichen Naturrechts. Der übrige Innhalt der Staatswissenschaft ist historisch. Denn er besteht in der Kenntniß des jedesmahligen Zustandes, und des gegenwärtigen Interesse der europäischen Mächte; ihrer wahren oder nur geglaubten Macht; ihrer ächten oder nur eingebildeten Hülfsquellen; ihrer geheimen oder nur vergeblichen Gesinnungen; ihren aufrichtigen, oder nur gelogenen Freundschaften; der Triebfedern ihrer Ränke und Verbindungen, der Charaktere der mächtigen dem Titel und der That nach u. s. w. – So wenig die Statistik als ein Theil der praktischen Philosophie angesehen werden kann: so wenig die Politik in dieser Bedeutung. [54] Man thut wohl am besten, wenn man die politischen Wissenschaften, – Polizey, Cameral, Finanz, Handlungswissenschaft, Oekonomie, Statistik, eigentliche Politik, u. s. w. – entweder einen eignen für sich bestehenden Körper ausmachen läßt, oder wenn man sie mit den historischen in Verbindung setzen sollte. In allen Wissenschaften durchkreuzen sich zu vielerley ungleichartige Kenntnisse, als daß sie irgend in ein besonderes Hauptfach hineingestellt werden könnten; wenn man sie nicht in ein eignes Repositorium bringt, dem man die allgemeine Aufschrift, politische Wissenschaften geben kann, wenn man gleich nicht leicht eine abgeründete Definition davon zu geben im Stand ist. Ohne Naturgeschichte, Chemie und Mathematik wird die Oekonome z. B. schlecht haushalten. Dem Statistiker sind alte historische, geographische, ökonomische, Handlungs, numismatische Kenntnisse, u. s. w. gleich unentbehrlich. Heißt Politik so viel, als die Untersuchung der Klugheit, und die Wissenschaft von den Mitteln zur Klugheit: so macht sie ein Hauptstück der Moral aus. Denn die Tugend ist nichts weniger, als gebeugte Einfalt. Ohne Klugheit ist keine Tugend [55] möglich. Der tugendhafte Charakter, ist zugleich ein kluger Charakter, d. h. er weiß die Maximen der Sittenlehre, unter allen Umständen, anzuwenden. – Findet man es aber einmal gut, aus einem jeden moralischen Hauptbegrif eine eigne Wissenschaft der praktischen Philosophie zu machen: so kann es am Ende, mit gleichem Recht, eine Frömmigkeitslehre, oder eine Andachtswissenschaft geben, wie es jetzt eine allgemeine Klugheitslehre giebt. Dies, Madame! sind meine Gedanken über die Philosophie, ihren Gegenstand, Innhalt, ihre Gränzen, und Theile. Zur Mittheilung der Grundstriche hatten Sie mich verpflichtet. Ich weiß es. Sie mahlen das Bild selbst ganz aus, wenn Sie die Hauptzüge darzu haben. In Briefen muß man sich nur gar zu kurz fassen. In Briefen an Sie konnt ichs um so viel eher thun, da Sie nur einige bedeutende Winke, ohne den offenbaren Aufschluß, nöthig haben. – Allein das Lesen solcher Briefe ermüdet; wenn alle Posttage ein Paar vollgepfropfte Bogen ankommen, die vielleicht nicht allemal gleich unterhaltend, bisweilen zu trocken seyn mögten; wenn sich auch der
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Schriftsteller Mühe giebt, den Gedanken die schönsten schimmerndsten [56] Feierkleider umzuwerfen. Nicht immer hat man den Putz in seiner Gewalt. Bisweilen beweiset man auch nicht Geschmack genug im Aufputzen. Erlauben Sie mir daher, aus dieser gegründeten Besorgniß, die bey der Reizbarkeit des schönen Geschlechts, um so viel natürlicher ist, auf einige Zeit abzubrechen. Die Medikamente für den gesunden Geist, müssen in mehrere Doses vertheilt, und dürfen am allerwenigsten den Damens auf einmal eingegeben werden. Sie werden den Verfolg dieser Briefe, zu deren Ausfertigung sie mich hauptsächlich angehalten haben, aus der Hand ihrer Freundinn, der Madame von B** erhalten. Da können Sie sie, nach Ihrer Bequemlichkeit lesen, und wieder weglegen. – Ich bin etc.
Psychologische Versuche ein Beytrag zur esoterischen Logik. Disce, sed ira cadat naso, rugosaque sanna Dum veteres avias tibi de pulmone revello. Persius.
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Professor am Carolino in Cassel. Wohlgebohrner Herr Hochzuehrender Herr Professor!
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Wäre ich bey der Ausfertigung dieser Schrift so glücklich, mich E w. W o h lg e b oh r n e n Beyfalls versichern zu können: so würde ich mir sicher auch auf den Beyfall aller guten Köpfe Rechnung machen dürfen. Nur von diesen allein wünsch ich gelesen zu werden. Die seichten Nachbeter mögen diese Blätter ungelesen lassen: sie verlieren nichts. Ihnen werden meine Beweise, wenn sie auch noch so stark wären, noch immer zu schwach seyn. Eine, ihrem auswendig gelernten System entgegenlaufende Meinung kann ohnmöglich ihrem schadhaften Gehirn eingekeilt werden; weil sie mehrentheils unbiegsame, hartnäckige Demonstranten sind. – Ein Glück für die Philosophie, für mein Buch und für [A3v] den Verleger, daß dieses Geschlecht seynsollender Weltweisen schon lange den Weg alles Fleisches zu wandern angefangen hat! Heute ruft nur noch hie und da aus einem unbemerkten Winkel ein unbemerkter Mann von dieser Race hervor. Und wenn er gleich von Morgen bis in die Nacht sich heiser schreyt: so höret ihn ein Mann von Genie nicht. Vergeben S ie mir, t heue rster Her r Pr o fe ss or, daß ich diese Erklärung gerade in einer Zueignungsschrift an S ie thue. Ich habe nichts weiter gethan, als eben die Gedanken wiederholt, die ich I hn en ehedem bisweilen mündlich vorzulegen das Glück hatte. Noch rufe ich mir mit Vergnügen die süßen Augenblicke zurück, die S ie mir zu einer nahrhaften Unterhaltung schenkten. Aber der Gedanke schlägt mich allemal nieder, nun seit so vielen Jahren I hre s lehrreichen Umgangs beraubt seyn zu müssen. Wenn ich an H... und I... denke: so denke ich an S i e, und dann misch ich [A4r] mich noch immer unvermerkt in Ihre Gesellschaft, und wünsche mich nach C... Mein Buch gewinnt gewis dadurch viel, daß ich mich habe unterstehen dürfen, I hre n Namen an seine Stirne zu setzen; und dem Publikum ist es auch kein gleichgültiger Umstand, wenn ich ihm die Versicherung geben kann, ehedem I hrer Freundschaft gewürdiget worden zu seyn. Sagte es etwa meine Schrift nicht, daß ich hier richtig philosophirt habe: so könnte es der eben angezeigte Umstand sagen, daß ich doch richtig philosophiren könne; weil ein guter Kopf schwerlich mit Dumköpfen Freundschaften pflegen wird, und weil ich aus der geringen Anzahl I h rer geheimen Freunde weis, wie wenig S ie vorzüglich damit verschwenderisch waren.
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Finden S ie übrigens darinnen, daß ich diese Aufsätze I h nen vor allen meinen übrigen Freunden zuvörderst gewidmet habe, einen Beweis meiner vorzüglichen Hochachtung gegen S ie: so haben Sie zugleich einen neuen Bewe[A4v]gungsgrund, mich I hr er Geneigtheit empfohlen seyn zu lassen. Und es war wol der Hauptzweck, den ich durch diese Schrift zu erreichen wünschte. Ich bin Hochachtungsvoll E w. W o h lg e b o hr ne n Am 1sten Jänner 1777 Ergebenster Diener der Verfasser.
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Vorbericht.
Ich darf vielleicht nicht einmal ausdrücklich anmerken, daß die gegenwärtigen Abhandlungen nicht ohne alle Verbindung und Absicht hintereinander gestellet worden. Die vier ersten Versuche sollen die Prämissen zu der Folge seyn, die durch das ganze Buch in die Augen fällt, und die im letzten Aufsatz aus der angegebenen Reihe von Vordersätzen gezogen wird, deren Abzweckung jeder denkende [10] Leser sogleich errathen muß, ehe er noch am Ende des zweyten und des letzten Versuchs die gefolgerte Konklusion aufsucht. Eben deswegen hätte dieses Buch auch eben so gut ein Ve rsu ch ü ber d ie See le heißen können. Dem uneingenommenen untersuchenden Metaphysiker wird diese Schrift nur in soweit brauchbar seyn, in so fern sie ihm hier und da einige Schwächen in seinen Beweisen aufdeckt, und hauptsächlich, in so fern sie ihn auf die Frage aufmerksam macht; ob bey den Untersuchungen über das Wesen der Seele tiefe Spekulation, oder ob die Erfahrung entscheiden soll? Ich habe Beweise genug, um vom letztern überzeugt zu seyn; vielleicht auch Beweise genug, um zu überzeugen. Immer aber nicht anders, als nach der vortrefflichen Maxime des C icer o: Ut potero explicabo; nec tamen ut Pythius Apollo, certa ut sint, & fixa, quae dixero. Der esoterische Logiker kann aus meinen Betrachtungen einen größern Nutzen ziehen. Nur seine Psychologie ist brauchbar. Sie erklärt die Seelenphänomene, wenn der Metaphysiker sich in unfruchtbare Untersuchungen versenkt. – Aber ist sie wol noch brauchbar, wenn man sich Seelen schaft, die in keinem menschlichen Körper da sind? Ist die Psycho[11]logie nicht Mathematik, wenn sie sich auf willkührliche Begriffe gründet; wenn sie die Erscheinungen auf willkührliche Begriffe zurückführt, die sich nicht nur nicht realisiren lassen, sondern denen die Realität das wirkliche Daseyn widerspricht, das uns Beobachtungen und Erfahrungen kennen lehren? Ist die menschliche Seele eine Monade: so fällt auf einmal die ganze Monadepsychologie
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weg. Ganz unnütz wird diese letztere deswegen doch nicht. Sie bleibt Philosophie über ein einfaches denkendes Wesen. So gut ist sie immer, als andere Abstraktionen; aber menschliche Psychologie ist sie nicht. Das haben nach C ond i ll a c, H e l ve t iu s, B on ne t, H a r t le y, S e a r c h, Ro b i net und P r ies tl ey, auch Deutsche, vorzüglich L oss i us, eingesehen. Ist die menschliche Seele Materie: so müssen wir nothwendig eine neue Psychologie haben, die nur der physiologische und anatomische Psycholog schreiben kann. Außer den Schriften der ebengenannten Philosophen kan man auch in einigen andern Beyträge hiezu finden, die auf deutschem Boden gewachsen sind. In die Hauptkonklusion habe ich nicht mehr hinein zu zwingen gesucht, als aus den Vordersätzen ganz ungezwungen zu fließen schien. Der entgegengesetzte Fehler, den ich, [12] und ein jeder, der nur einen Augenblick das System seiner theologischen und philosophischen Lehrer vergessen will, in den mehrsten psychologischen Schriften ohne Mühe bemerken wird, veranlaßte eben diese Untersuchungen. Ich sehe zum voraus, daß die wenigsten von meinen Lesern mit dem, was ich für das Resultat meiner Untersuchungen halte, übereinstimmen werden, weil es gerade ein Satz ist, der mit denen Lehren, die man von Kindheit auf, aus allen Schulund akademischen Lehrbüchern bei Theologen und Philosophen einsauget, wenig zusammenstimmt. Man weiß insgemein höchstens so viel davon, daß es eine berüchtigte Lehre der Ma ter ia l i ste n sey, und damit sind ihre Widersprüche schon hinlänglich dargethan, und ihre Verfechter zu gleicher Zeit entwafnet und zurückgetrieben. Wenn diese Arten von Leser mich etwa in den ersten vier Versuchen von einer vortheilhaften Seite kennen lernen: so muß ich sie, um meinen Kredit bey ihnen zu erhalten, vorläufig bitten, die letzte Abhandlung ungelesen zu lassen. Mir kann es gar nicht gleichgültig seyn, wenn sie ihre im Anfang von mir gefaßte gute Meinnng wegen eines einzigen sogenannten heterodoxen Satzes aufgeben sollten, den ich aus Ueberzeugung für wahr halten muß. Vielleicht sind in den ersten Aufsätzen einige [13] Ideenverbindungen, Schlüsse, Muthmaßungen und Anmerkungen enthalten, die einsichtsvollen Lesern nicht ganz verwerflich scheinen möchten. Sollte ich damit ihre Geneigtheit gewinnen, die mir wenigstens eine jede Schrift, die einige von diesen Eigenschaften hat, gegen ihren Verfasser abzulocken pflegt; so habe ich meine Absicht bey diesen Ausarbeitungen schon zum Theil mit erreicht. Doch ich wage es, auch die letzten Blätter dieser Klasse von Lesern vorzulegen. Sie enthalten gerade die bündigsten Schlüssen, und ich wünschte, daß auch die Gottesgelehrten den letzten Versuch lesen möchten, die ihre Behauptungen gewöhnlich so sehr überspannen. Ich glaube an die Unsterblichkeit meiner Seele, und glaube eben so zuversichtlich an ihre Materialität. Und wenn ich auch das erste nicht glauben sollte: so müste ich doch tugendhaft seyn; denn ich will glücklich seyn. Tugend ist mir für sich liebenswürdig, ohne Rücksicht auf Lohn und Strafe. Sie flößt mir Gefühl zur Rechtschaffenheit ein, ehe ich noch meine ewige Vortheile mit algebraischer Genauigkeit berechne. So muß ein Weltbürger fühlen und denken. Hinsicht auf ewige Strafe oder Lohn fesselt und macht Sklaven, ohne je die Brust mit Rechtschaffenheit anzufüllen. [14] Und warum sollte ich nicht mit der größten Freymühigkeit meine Gedanken mittheilen, da ich versichert bin, daß heute der Geist der Verträglichkeit der beständige Gesellschafter aller derer seyn muß, die Philosophen heißen wollen? Man weiß die Zeit genau, seit welcher diese Friedfertigkeit und Duldung die Zierde aller Denker ist. Es ist gerade die merkwürdige Epoche,
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da man der geistlichen Gerichtsbarkeit das fürchterliche Recht, neue, wohlgemeinte Lehrsätze, die aber den unsinnigen Behauptungen irgend eines unwissenden Kirchenvaters entgegen zu stehen schienen, mit tausend barbarischen Flüchen zu belegen, fast im ganzen aufgeklärten Europa aus den Händen gewunden hat. Heil den verdienten Menschenfreunden, die die pressende Last, wodurch die Schnellkraft der Seele zusammengedrückt war, weghuben. Seit dieser Zeit hat jedermann das Recht, seine Meynung frey heraus zu sagen, und Denken ist nicht mehr Verbrechen. Die Lehre vom Wesen der Seele war insbesondere seit der Zeit, da die Religion, von der ich überzeugt bin, daß ihre Seele nach der wohlthätigen Absicht ihres Stifters der Ge i st der V ertr äg l ich ke it, und ihr erster praktischer Grundsatz, al lge mei ne Men sc he n lie be seyn soll, sich zum Segen der Welt [15] über die Welt verbreitete, – eine von den kitzlichsten Untersuchungen in der ganzen Philosophie; weil die dogmatischen Gottesgelehrten von Anbegin diese beiden wichtigen Fragen: Wa s b i n ich, und w as werde ic h dere i nst sey n? – beständig mit einander verbunden, und fest geglaubt haben, daß von der Beantwortung der ersteren die vortheilhafte Entscheidung der letzteren völlig abhange. Immer musten man daher in den Untersuchungen über die Seele partheyisch seyn. Man muste den Theologen zu gefallen, um nicht bey ihrem heftigen Durchbruch der Menschenliebe aus lauter Liebe verbrannt zu werden, dichten, und über den Körper und über die Seele Romane, und über beide zugleich metaphysische, physische und moralische Romane schreiben, um den Geistlichen das Vergnügen zu machen, den unsinnigsten von allen, den theologischen Roman über den Menschen schreiben zu können. Und so ein Buch überschrieb man mit dem glänzenden Titel THEOLOGIA DOGMATICA SYSTEMATICA. Zum Unglück kam der Artikel von der Einfachheit der Seele auch in dieses Spruchbüchlein; und wer wollte die Lehre nun leugnen, ohne verdammt zu werden? – Wie freue ich mich, daß auch die heutige Dogmatik nicht die Religion ist? Ich wünschte, man richtete einmal die Reli[16]gion gegen die Dogmatik: wahrlich ein jeder Kampf muß Sieg der Religion seyn! Niemand wird sich übrigens wundern, daß auch die Meinungen der neuern Weltweisen über das Wesen der Seele so sehr von einander verschieden sind; wenn man zumal bedenkt, wie sehr die Gottesgelehrten, die doch in ihren Behauptungen eine festgesetzte Richtschnur haben, in der Beantwortung der Frage: Wa s w ird der M en sch n ach dem T ode? von einander abgehen. Eine Parthei lehret eine ununterbrochene Fortdauer des denkenden Wesens mit Bewustseyn. Nach andern sinkt eben dasselbe Wesen nach dem Tode des Körpers in einen Schlaf. Wenn ein Bote des Friedens unmittelbare, ungemischte Seligkeiten in einem künftigen bessern Zustande verkündiget: so setzt die Seele, nach dem Willen anderer, ihre Reise nicht anders, als nach einer vollendeten Reinigung, in die Unterwelt fort. – Wie können ungefesselte Weltweisen gemeinschaftlich zusammenstimmen? Sollte ich in Absicht auf meinen Vortrag in einigen Stellen Nachsicht nöthig haben: so darf ich mir diese wol von meinen Lesern mit so viel größerm Recht ausbitten, da die Bezeichnung der Gedanken, so wie die Gedanken selbst, nach meinen Grundsätzen von [17] der Disposition des Gehirns abhangen, die man nicht immer nach seinem Willen umschmelzen kann. Ich behielt mir vor, bey der letzten Revision auf die Schreibart acht zu haben, und für eine geschicktere Einkleidung meiner Gedanken Sorge zu tragen. Aber es ist doch unmöglich, seine Seelenorganen auch bey der letzten Durchsicht ganz umzuwühlen. Legt man gar die letzte Hand in einer
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unglücklichen Stunde an sein Werk: so ist man immer in Gefahr, dasselbe zu verschlimmern. Ich wagte es daher nicht, die Redensarten durchgehends zu ändern, in denen ich einige Unordnung und Abweichung von den Regeln der Schreibart wahrzunehmen glaubte. Aber eben die ungleichen Dispositionen unserer Seelenorganen zu verschiedenen Zeitpunkten unsers Lebens gewähren auch dem Schriftsteller selbst den großen Vortheil, daß er seine Leser wieder gewinnen kann, wenn sie ihn bey einer bessern Laune abermal anzusehen würdigen. Ich weiß es aus der Erfahrung, daß man einem Auktor häufig Unrecht thut, wenn man sein Buch, als ein schlechtes Produkt, nach der ersten Lektüre weglegt, und es nachher nicht wieder lesen will. Mehrenteils gefällt dasjenige nachher, was man [18] anfänglich nicht vertragen konnte. Sollte dieser Bemerkung zufolge nicht jeder Recensentenzug eine Beleidigung seyn? Wenn einige Stellen in meiner Schrift etwas affirmatif scheinen sollten: so werden doch meine Leser so billig seyn, und sie in keinem andern Verstande als nach der Erklärung nehmen, die ich an mehreren Orten gethan habe, daß ich nemlich auf keine Demonstration ausgehe, sondern blos das mehr Wahrscheinliche gegen das Unwahrscheinliche abzuwiegen suche. Der Dogmatismus, der vorzüglich die guten deutschen philosophischen Köpfe auf die ungegründeten, und bloß spitzfündigen Verwebungen willkührlicher Begriffe und leerer Worte verleitet hat, war mir immer lächerlich, seit dem ich denken lernte. Und nirgends würde auch das Dogmatisiren und Demonstriren übler angebracht seyn, als in der Seelenlehre; wo wir uns im Geist freuen müssen, wenn wir nur das Wahrscheinlichere auszumachen im Stande sind. – Weg also mit Demonstrirsucht. – Weg mit Mährchen und Hirngespinsten. – Mehr Zufriedenheit mit Wahrscheinlichkeiten, da, wo keine Gewißheit möglich ist, – und in wie wenigen [19] Fällen ist sie es? – Mehr Beobachtungsgeist, und Aufmerksamkeit auf Thatsätze seyen die Beschäftigung der philosophischen Welt! Ich muß selbst hier noch einen kurzen Nachtrag von Beobachtungen über das Gehirn zum ersten Versuch liefern, die ich bey der Ausarbeitung nicht finden konnte. Ich hätte gewiß aus ihnen eine und die andere wichtige Folge ziehen können. Jetzt gebe ich bloß die magern Beobachtungen an. Meine Leser werden leicht finden, wozu sie gebraucht werden können; – und wer macht seinem Leser nicht gern das Vergnügen, ihn mit denken zu lassen? Der Gedanke, den ich aus eigenen Erfahrungen nicht beweisen konnte, daß nemlich die vorzügliche Güte und Vortrefflichkeit des Gehirns nicht auf der größern Masse, sondern auf der größern specifiken Schwere desselben beruhe, – ist einer Menge von Beobachtungen zufolge ganz richtig, die einer von meinen Freunden gemacht hat. Er hat gefunden, daß die Schwere eines Kubikzolls Gehirn von einem Kinde [20] allemal ungleich geringer war, als die Schwere einer gleichen Portion von einem erwachsenen Menschen. Ferner, daß das Gehirn dümmerer Thiere unter einem gleichen Volumen am Gewicht viel leichter war, als das Gehirn klügerer Thiere. Darüber sind Tabellen von einer Menge von Erfahrungen vorhanden, die zu einer andern Zeit bekannt gemacht werden sollen. Wiederum: die Substantia kortikalis des Gehirns ist in jüngern und dümmern Thieren ungleich größer als das Gehirnmark. Je jünger das Thier; je jünger sein Gehirn; je dümmer und einfältiger das Geschöpf: desto weniger Mark; desto mehr Rinde. Diese Erfahrung mit der vorigen verbunden, giebt den Satz, daß die specifike Schwere von dem größern Volumen des Marks abhängt; und daß folglich bey der Berechnung der Fähigkeiten eines Thiers nach der Größe und Schwere des Gehirns, zwar das Mark, nicht aber die das
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Mark umgebende Rinde, in Anschlag kommen kann. Ferner, daß bey wachsender Klug[21]heit des Thiers das eigentliche Gehirnmark mehr wachsen muß als die Rinde; und daß, wenn die Rinde verhältnismäßig mehr wächst als das Mark, die specifike Schwere des ganzen Gehirns nicht sehr zunimmt, und eben so auch seine Geschicklichkeit. Ich setze noch eine Beobachtung hinzu, die bisher durchgängig zugetroffen hat; worauf ich aber mehrere Anatomiker aufmerksam machen möchte. Wenn man die weiche Hirnhaut abzieht: so nimmt man an allen Gehirnen gewisse Vertiefungen auf der Oberfläche derselben wahr. Je dümmer das Thier: desto weniger hat sein Gehirn dergleichen gedärmähnliche Vertiefungen und Krümmungen. – Wie leicht ließe sich nach diesem Merkmale die Geistesfähigkeit und Gelerigkeit einer jeden Thierart durch den Anatomiker bestimmen, wenn er sie bey allen Thierarten genau zusammenzählen und bemerken sollte? Wie würde die Seelenlehre an wesentlichen Vorzügen zunehmen, wenn man sie auf solche Gründe bauen könnte! Die Sammlung dieser Thatsachen; behutsame [22] Folgerungen aus denselben würden alles bisherige psychologische Gewäsche an Vorzügen und Brauchbarkeit unendlich überwiegen: denn sie würden den offenbaren, seltenen Vorzug der Gründlichkeit haben. Aber der Philosoph müste Arzt, und der Arzt Philosoph seyn; und folglich eine neue Art von Kreaturen entstehen. C** den 1sten Jänner 1777.
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Versuch über die äußere Empfindung.
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[24] Dieu ne nous a fourni, par rapport à la plus grande partie des choses, qui regardent nos propres intérêts, qu’une lumiére obscure, & un simple crépuscule de probabilité, conforme à l’état de médiocrité & d’épreuve, où il lui a plû de nous mettre dans ce monde, afin de reprimer par-là notre presomption & la confiance excessive, que nous avons en nous-mêmes, en nous faisant voir sensiblement par une expérience journaliére combien notre esprit est borné & sujet à l’erreur. Locke. [25] Seitdem man die Chimäre der Anima sensitiva der Alten aus der Psychologie hinausgewor-
fen hat, ist man durchgängig darinnen übereingekommen, daß dasjenige am Thier, was die Eindrücke äußerer Gegenstände empfindet, etwas körperliches sey. Der Anatomiker kann einem die über die ganze Oberfläche unsers Körpers gespannten markigten Schnüre, die die einzigen Werkzeuge unsrer Empfindungen sind, vor Augen legen. Die Zergliederungskunst kennt ihre Lagen und Zweigen; sie nennt sie alle mit ihren eignen Namen; sie hat sie, so viel möglich, bis an ihre ersten Anfänge, und bis zu ihren äußersten Enden verfolgt; die Oberfläche untersucht: aber in ihre Bestandtheile ist sie eben so wenig eingedrungen, so wenig man die innere Beschaffenheit irgend einer andern Substanz genau kennt. [26] Müste daher der Seelenlehrer seine Untersuchungen blos auf die Kräfte und Wirkungen des einfachen Wesens, das mit dem Menschen vereinigt seyn soll, einschränken: so würde die Sensibilität nicht ein Kapitel der Psychologie, sondern der Physiologie und der Anatomie aus-
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machen. Aber hier erweitert die Seelenlehre ihr Gebieth, und die systematischen Psychologen, die ihr denkendes Wesen bis zu einer Monade verfeinern, scheinen hier ihr System zu vergessen, da sie kein Bedenken tragen, die Grundlage aller unsrer Seelenwirkungen als ein zusammengeseztes Wesen anzusehen, und neben den Untersuchungen über eine einfache, denkende, auch Bemerkungen über materielle und empfindende Substanzen aufzunehmen. Alle unsere äußere Sinnen haben das gemeinschaftliche Geschäfte zu empfinden. Diejenigen Veränderungen unsers Körpers, die man Empfindungen nennt, lassen sich nach allen mißlungenen Versuchen der Aerzte und der Weltweisen in keine Definition fassen. Gewöhnlich lehrt man: Empfindung sey die Vorstellung der Seele von einer gegenwärtigen Veränderung ihrer selbst. Allein Vorstellungen und Ideen werden ja erst durch die Empfindung veranlaßt, und durch eine Empfindung erlangen wir erst eine Vorstellung. Und wäre nicht ein jeder Gedanke, zu Folge dieser Erklärung, eine Empfindung, da jeder Gedanke eine Veränderung der Seele ist? Endlich, da es [27] auch dunkele Gefühle und Empfindungen giebt, die zu keinem Bewustseyn kommen: so können diese durch die zu eingeschränkte Definition ohnmöglich so willkührlich aus der Zahl der Empfindungen ausgeschlossen werden. So schwer es ist, das Wesen der Empfindung in einer bestimmten Erklärung darzulegen: so weis doch ein jedes mit menschlichen Organen versehenes Geschöpf, ohne alle Beschreibung, was sie ist. Glück genug; ein voller Gedanke wiegt ohnehin mehr, als zehn nach zwecklosen Regeln geschmiedete Definitionen! Jeder Mensch, der da wacht, erhält von den Gegenständen außer ihm augenblicklich auf einen, oder auf mehrere von seinen äußern Sinnen, Eindrücke, und alle gesunde, wachende Menschen empfinden diese Eindrücke. Zwar im Zustande der tiefen Meditation, wo der Körper fast ganz tod ist, und die Seele im Gegentheil ganz in sich selbst zurückgezogen um so viel wirksamer lebt; in diesen Augenblicken der ungetheilten Betrachtung wichtiger Wahrheiten, und der auf einen einzigen Gegenstand gehefteten Aufmerksamkeit, erhalten wir beständig von mancherley äußern Gegenständen fast durch alle unsere äußere Sinnen unzählig viele Eindrücke, ohne nur einen derselben lebhaft zu empfinden. In dem Augenblick, da ich dieses schreibe, hat gewiß ein Bauer seine Früchte, und ein Citronenhändler seine Waare [28] durch Ausrufen vor meinem Fenster feil gebothen; die Bücher im Kasten bey dem Pult, an dem ich meditire, haben immer vor mir gestanden, ohne daß ich jene gehört, und diese gesehen habe. Archimed empfand über seinen mathematischen Spekulationen das Getöse einer siegenden Armee nicht, die in seine Vaterstadt eindrang, und es ist sehr wahrscheinlich, daß er auch den Dolch, der seine Brust durchbohrte, eben so wenig empfunden hat: so wenig der Soldat in der Hitze der Schlacht bisweilen die schrecklichste Wunde empfindet. Diese Beraubung der Empfindung äußerer Gegenstände bey wachendem Leibe geht bey tief denkenden Personen so weit, daß sie viel leichter im Schlaf alle äußere lebhaftere Eindrücke empfinden, als wenn sie wachend in stundenlange Betrachtungen versunken sind. Ihr Schlaf ist gewöhnlich nur ein ganz leiser Schlummer; weil durch die zunehmende Kultur die Empfindlichkeit der Nerven überaus stark vermehret werden muß, da der Denker immer mit Ideen, mit Anspannungen seiner Nerven beschäftiget ist. Daher können die schwächsten Eindrücke seinen Schlaf völlig vertreiben, über dessen Genuß weniger in seiner Gewalt steht, als über die Beharrlichkeit bey einer abstrakten Untersuchung.
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So wie überhaupt die höchste Weisheit mit der grösten Thorheit sehr nahe verwandt ist, und [29] man gerade im Zustande der tiefsten Meditation, wo man bey der außerordentlichsten Anstrengung der innern Seelenorganen am klügsten zu seyn scheint, am meisten in Gefahr ist, ein Narr zu werden, indem tiefe Meditation an jene Ueberspannung der Organen nahe gränzt, die den Unsinn ausmacht: eben so zeigt sich auch die nahe Verwandschaft beider Zustände in der Gefühllosigkeit und Unempfindlichkeit des Meditirenden, und des Unsinnigen sehr deutlich. Auch der Unsinnige empfindet nicht, wenn er gleich wacht. In den Tollhäusern giebt es Narren, die beständig weinen. Man mag ihnen die muntersten englischen Tänze in der süßesten Harmonie der vortreflichsten Instrumente vorspielen; man mag sie in die heitersten Gesellschaften bringen, bey denen Freude und Vergnügen wohnt: sie empfinden den Ton der bezauberndsten Musik eben so wenig, so wenig sie auf den Gesichtern der frölichen Gesellschafter die Heiterkeit lesen, die sich in den kennbahrsten Zügen ausgedrückt hat. Der verliebte Narr nennt seine Schöne bräunlich und dauerhaft, wenn sie schwarz; schlank, wenn ihr Gesicht ein Dreyeck, und ihr Leib hager ist; Diana, wenn sie das Aussehn eines Frosches hat. Hat sie die vierschrötige Gestalt einer Bäurin, und die baumrothe Haut einer Dienstmagd: so findet er doch Rosen und Lilien auf ihren Wangen, die er gerne pflücken möchte. Kurz dieser Anbe[30]ter seiner Schönen empfindet Nichts. – Aber können auch wol Narren gesund seyn? Eben so kann unser Leib bey konvulsivischen Schmerzen, oder überspannten Vergnügungen, wenn beide noch nicht bis zum Grad der Ohmacht getrieben sind, vollkommen wachen, ohne daß man mit irgend einem Sinn das geringste empfindet. Bey und nach den schmerzhaftesten chirurgischen Operationen empfinden die Patienten oft keine äußeren Impressionen, als ihren Schmerz, und ich habe selbst Menschen gekannt, die zu der Zeit, da sie am meisten vergnügt waren, gegen alle äußere Eindrücke unempfindlich wurden; wahrscheinlich, weil in einem solchen Zustande die Nerven zu sehr angespannt sind, als daß sie von leisern Eindrücken sollten können angeschlagen werden. Noch giebt es einen sehr bekannten Zustand, in welchem Menschen wachend bey andern klaren Vorstellungen keine Eindrücke gegenwärtiger Gegenstände empfinden: den Zustand der Zerstreuung. In diesem Zustand befinden sich Menschen alsdenn, wenn sie wachend, bey klaren Vorstellungen, das Bewustseyn ihres äußern Zustandes verlieren; und da sie nun von dem, was sie umgiebt, gar nichts empfinden, auch ganz so handeln, als wenn sie sich in andern Situationen in der Welt befänden. Sehr oft ist Zerstreuung ein Beweis einer mit Willkühr unternommenen Be[31]trachtung gewisser wichtiger Wahrheiten. In diesem Fall entsteht die Beraubung der äußern Empfindlichkeit aus der weit größern Empfindlichkeit der innern Organen, die in solchen spekulirenden Personen heftiger erschüttert werden, als die äußern sinnlichen Werkzeuge. Weil daher die Vorstellungen abwesender Gegenstände, die in den innern Organen liegen, ungleich lebhafter werden, als die Eindrücke auf die äußern Organen: so wird die den leztern mitgetheilte Empfindung fast gar nicht klar, und sie handeln eben deswegen wie Geschöpfe aus einer andern Welt. Wenn die Zerstreuung eine Folge von der Unvollkommenheit unsrer Organisation eine Seelenkrankheit ist: (und das ist sie am häufigsten) so liegt demohngeachtet der Grund gewöhnlich in eben dem Bau der Fibern, den diese bey solchen Personen haben, die sich durch eine angestrengte Beschauung wichtiger Wahrheiten, oder eines einzigen Gedankens, der ihre ganze
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Aufmerksamkeit auf sich zieht, zerstreuen. Ich kannte einen Professor auf einer berühmten Akademie, dem seine Gemahlin, die er ausnehmend liebte, durch den Tod entrissen wurde. Mit ihr wurden ihm zugleich Freude und Zufriedenheit, die ihn bisher zu seinen täglichen Geschäften antrieben, entrissen. Dieser einzige niederschlagende Gedanke erfüllte seine ganze Seele so sehr, daß seine Philosophie ihn aus dem Zustande einer anhaltenden Zerstreu[32]ung nicht heraushelfen konnte. Wenn er uns versprach, den folgenden Tag eine Münze, ein Buch, eine Landcharte u. s. w. im Kollegium vorzuzeigen: so war es so gut, als wenn er es nicht versprochen hätte. Sonst war er ehrlich genug gewesen, allen seinen Versprechungen genau nachzukommen. Aber diese erfüllte er nun fast gar nicht. Ich glaube gewis, daß er die Stücke, die er vorzuzeigen versprach, oft nicht besaß; aber daß er in seiner Zerstreuung auch nicht wuste, daß er sie nicht besaß, vielleicht auch nicht wuste, daß er etwas versprach. In allen diesen Fällen empfinden wachende Personen die Eindrücke der äußern Objekte nicht. Demohngeachtet ist es gewis, daß alle gesunde, wachende Menschen sich Empfindungen verschaffen können, wenn sie nur wollen, weil alle gesunde Menschen die Instrumente der Empfindung, die Nerven, haben, die alle Augenblicke von äußern Gegenständen können gerührt werden. Hier führen uns unsre Sprachen häufig in einen Irrhtum. Nicht immer sind die äußern Gegenstände, deren Eindrücke wir für die Ursachen unsrer äußern Empfindungen halten, wirklich die unmittelbaren Ursachen derselben. Oft sagt man, man sehe das Gemählde vor sich. Aber sieht man auch das Gemählde wirklich? Sind es nicht die Lichtstrahlen, die vom Bilde in das Auge zurückgeworfen werden, und auf der Netzhaut erst das [33] Bild von neuen ins Kleine zeichnen? Ist es also nicht die Sonne oder das Licht, was man unmittelbar sieht? Man kann diese Anmerkung leicht auf alle übrige äußere Sinnen in bestimmten Beyspielen anwenden.1 Die Nerven, weiße markige Schnüre, die sich über den ganzen Körper in unzähligen feinern und gröbern Zweigen verbreiten, sind die einzigen ausschießenden Werkzeuge der Empfindung. Alle übrigen Theile unsers Körpers, Knochen, Muskeln, Membranen, Bänder etc. sind ganz unempfindlich. Man kann alle diese Theile quetschen, brennen, zerstücken und ganz verwüsten, und man empfindet von allen diesen Gewaltthätigkeiten nicht das Mindeste, so bald man die Nerven abgebunden hat, die in ihnen eingewebet sind. Hingegen können Nerven nicht einmal leise berührt werden, ohne daß man es empfinde. Werden die Berührungen und Spannungen heftig: so verursachen sie Schmerz, Konvulsionen, Apoplexie, Tod.2 [34] Jeder Nerve theilt sich in unzählig viele kleinere, die man gar nicht in eine bestimmte Zahl zusammen zu fassen im Stande ist; und ein jeder von diesen kleinern feinen Fäden ist aus einer unbeschreiblichen Menge von unsichtbaren Fibern zusammengesetzt, die nur unter den besten Vergrößerungsgläsern einigermaßen sichtbar werden. Wie unendlich fein eine jede von diesen Nervenfibern sey, läst sich aus der Angabe von Potterfield abnehmen, der eine Nerven1 2
Search’s Light of Nature Vol. I, Ch. 9. Leibniz glaubte, daß die Empfindlichkeit ihren Sitz mehr in den Membranen, als in den Nerven habe, nach einer Stelle in den Nouveaux Essais sur l’entendement humain Liv. II. Chap. III. Je conviens assez, Monsieur, de ce que vous dites (que ce sont les nerfs, qui reçoivent le sentiment) quoique je pourrois remarquer, sui[34]vant l’experience de feu Mr. Mariotte sur le defaut de la vision à l’endroit du nerf optique, qu’il semble, que les membranes reçoivent le sentiment plus que les nerfs. Man vergleiche aber Haller Elementa Physiol. Lib. X. Sect. VII.
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fiber der Netzhaut im Auge des Menschen für 32400, und eine Nervenfiber der Retina eines kleinen Thiers für 1166400 mal feiner hält, als ein Haar. Diese Fibern sind den Psychologen um so viel merkwürdiger, indem er den höchst wahrscheinlichen Schluß von ihnen auf das Gehirnmark selbst machen kann, daß auch dieses aus lauter dergleichen feinen Fäden besteht, weil allen Beobachtungen zufolge Gehirnmark und Nervenmark vollkommen die nemliche Beschaffenheit haben. Nun begreift der Psycholog, wie die ungeheure Menge von Ideen in das Gehirn niedergelegt werden kann, das zwar eine ganz kleine, aber eine außerordentlich zusammengesetzte Masse [35] ist. Alle Nerven vereinigen sich nemlich im Gehirn, dem Mittelpunkt der Empfindung, aus welchem sie entspringen. Das Gehirn ist eine weiße, markartige Substanz, die in die Hölungen des Kopfes eingeschlossen ist, und von mehrern Häuten bedeckt wird. Man hat seine innere Beschaffenheit noch nicht hinreichend erforschen können. Seine Bestandtheile, sagt B o nn et, sind zu fein und zu verwickelt, und unsre Sinnen und künstliche Instrumente zu grob, als daß wir in die Geheimnisse der Mechanik dieses Hauptstücks der irrdischen Schöpfung sollten hineinschauen können. Mehrere Schriftsteller haben zwar von der Größe des Gehirns auf die natürlichen Fähigkeiten, und umgekehrt, von den natürlichen Geschicklichkeiten des Thiers auf die Größe seines Gehirns einen sichern Schluß machen zu können geglaubt. Diese Bemerkung bestätiget sich vorzüglich bey dem Geschlecht der Vögel fast durchgängig. Aber sie hat wiederum so viele Gegenbeobachtungen wider sich, daß man sie für nichts weniger, als für eine allgemeine Regel ansehen kann. Man berechnet die Größe des Gehirns nach dem Verhältniß desselben zur übrigen Masse des ganzen Thiers. Diejenigen Thiere haben ein größeres Gehirn, die im Verhältniß zur ganzen Masse ihres Körpers mehr Gehirn haben, als andre Thiere im Verhältniß zu ihrem Körper. Un[36]ter allen bekannten Thierarten haben die Fische das allerwenigste und die Vögel das allermeiste Gehirn. Es giebt Geschlechter von Fischen, bey denen sich das Gehirn zu ihrem übrigen Körper, wie 1:37440;3 bey andern, wie 1:12000;4 bey andern, wie 1:1344 verhält.5 Das gröste Gehirn hat das Geschlecht der Kanarienvögel, bey denen es sich zum übrigen Körper, wie 1:14 verhält. (Körper = 180 Gran, Gehirn = 13 Gran.) Diese Beobachtungen würden die angezeigte Hypothese sehr begünstigen, wenn die Induktion nicht gar zu unvollständig wäre. Der Elephant, ein sehr gelehriges und fähiges Thier, hat ein sehr kleines Gehirn, gegen die ungeheure Masse seines Körpers gerechnet. Der Fuchs und der Biber müsten ganz unbedeutend seyn, wenn man ihre Geschicklichkeit nach der Größe ihres Gehirns beurtheilen wollte. Unter den größern Thieren hat der Mensch das allermeiste Gehirn. Aber das Kind hat im Verhältniß zu seinem Körper mehr Gehirn als der Erwachsene. Ein werdender Mensch von 8 Pfund gegen einen Erwachsenen von 120 Pfund hat viermal so viel Gehirn, als der leztere. Das Gehirn des Kindes verhält sich [37] zu seinem Körper, wie 1:28, und des Erwachsnen zu dessen Körper, wie 1:38. Und wo sind doch die Fähigkeiten im Kinde, die der Erwachsene besitzt?
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Die ganze Masse des Körpers wog 319 Pfund, und das Gehirn ⅛ einer Unze. Die Masse des Körpers war = 3000 Pfund, die Masse des Gehirns = 3 Unzen. Körper = 25 Pfund, Gehirn = ¼ Unze.
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Fände ich Beobachtungen genug vor mir: so würde ich die Güte des Gehirns lieber nach seiner specifiken Schwere und Reichhaltigkeit schätzen. Es scheint sehr wahrscheinlich, daß dasjenige Gehirn, das unter eben dem Volumen eine größere Schwere, wie das Gehirn eines andern Menschen hat, zugleich das leztere an Güte übertreffen werde. Ich habe nicht Gelegenheit gehabt, diesen Gedanken durch die Erfahrung bestätigt zu finden; allein nach der Analogie ist er ein richtiger Gedanke. Die fetten bessern Theile am thierischen Körper haben eine größere specifike Schwere als die magern Muskeln. Freylich darf man die Gelehrsamkeit nicht nach einem weitläuftigen Bauch schätzen. Selten ist ein gutes Geschick zum Essen und zum Trinken mit einem guten Kopf beysammen. Ich habe fast durchgängig bemerkt, daß fette mönchartige Gelehrte auch ihr Gehirn am unrechten Ort, im Magen, und im Kopf ein vollkommenes Vakuum zu haben pflegen. Nach diesen Erfahrungen kann man annehmen, daß gerade bey solchen Personen das Gehirn sehr reichhaltig wird, und eine große specifike Schwere erhält, die durch die große Anstrengung dieser innern Organen keine Reichhaltigkeit ihres übrigen Körpers überkommen können. Der Versuch, den [38] einige gemacht haben, bestätigt meine Gedanken. Man hat das Gehirn, sowol eines unsinnigen als eines vernünftigen Menschen, von gleicher Größe und gleichem Alter gewogen, und das erstere war allemal merklich leichter. Alle Thierarten, die einen Kopf und Augen haben, haben auch ein Gehirn, und man kennt kein Geschöpf, das zwar Augen, aber kein Gehirn, oder das Gehirn, aber keine Augen haben sollte. Man hat bisher blos bey den mikroskopischen Thierchen kein Gehirn entdecken können, so gewiß man wissen will, daß sie demohngeachtet empfinden. Von andern Thieren weiß man, daß sie fortleben, wenn sie gleich keinen Kopf mehr haben. Nichts ist gewöhnlicher, als daß Fliegen, Wespen, Fische, Wipern, Krokodile etc. fortleben, sich bewegen, Speise suchen, sich an den Feinden rächen, sich begatten, wenn ihnen schon der Kopf abgeschnitten worden. Vögel laufen bisweilen einher und stellen sich zum Flug an, wenn sie vorher den Kopf eingebüßet, und ein glaubwürdiger Schriftsteller erzählt, daß ein enthaupteter Mensch in die Hände geklatscht, und ein Kalb ohne Kopf weit herumgegangen sey.6 Die Wasserköpfe leben ohne Gehirn, und oft werden von Menschen lebendige Geschöpfe ohne Köpfe gebohren. [39] Mit Recht fragt der Physiolog und Psycholog, wie Geschöpfe ohne Gehirn empfinden können? Dieses Problem läst sich in Absicht auf die mikroskopischen Thierchen und die Zoophyten, außer dem, was Ha ll er darüber gesagt hat, durch eine allgemeine Anmerkung lösen. So wenig es nemlich philosophisch ist, alle Thierarten für bloße Maschinen zu erklären: so wenig, deucht mich, hat man auf der andern Seite Grund genug, sie alle für beseelt zu halten. Die Bewegungen einiger Geschöpfe, die man für Thiere hält, lassen sich zureichend aus dem bloßen Mechanismus erklären, ohne daß man dazu eine Seele zu Hülfe zu nehmen bedarf. Es giebt viele Kreaturen, die in ihrem ganzen Leben eine einzige Bewegung vornehmen. Reicht der mechanische Bau zu dergleichen so einfachen Bewegungen nicht zu? Man kann nirgend mit Gewißheit eine Seele annehmen, als wo man die Organisation, die man Gehirn nennt, antrift. Ich würde denen, die hieran zu zweifeln geneigt sind, sogleich eine Blöße geben, wenn ich nur ein einziges bestimmtes Beyspiel von solchen Geschöpfen anführen wollte, weil man in der Anatomie der Polypen und der mikroskopischen Thierchen noch bey weitem nicht so weit gekommen ist, daß man ihnen das Gehirn ganz absprechen könnte. Im Allgemeinen ist vielleicht mei6
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ne Anmerkung annehmungswerth, zumal wenn man die Stufenfolge der Geschöpfe annimmt, und in [40] seinen Behautpungen nicht weiter geht, als einen die Erfahrung leitet.7 H a lle r erklärt die Zeichen willkührlicher Bewegungen und des Lebens bey Insekten, die den Kopf verloren, daraus, daß ihr Mark im Rückengrad ungleich größer sey, als ihr kleines Gehirn. Das Rückenmark kann daher bey ihnen die Quelle des Lebens auf eine Zeitlang seyn. Diese Bemerkung läßt sich einigermaßen auch auf die enthaupteten Thiere und Menschen ausdehnen. Ihre Nerven können eine Zeitlang zur Empfindung geschikt seyn, weil sie mit dem Rückenmark zusammenhangen, welches eine ächte Verlängerung des Gehirns ist. Aber diese Empfindlichkeit kan nur einen Augenblick dauren, indem durch die in geistlichen Betrachtungen durchwachte Nächte, und durch die Furcht für dem Tod, die Nerven ganz schlaff geworden, und bey den Menschen das Gehirn das Hauptprincipium der Empfindlichkeit ist. Daher sterben auch Wasserköpfe wahrscheinlich gerade zu der Zeit, wenn das Gehirn entweder ganz, oder doch der größte Theil desselben zu gebrechen anfängt. [41] Man glaubt gewöhnlich, daß im Gehirn eine Stelle, ein Punkt seyn müsse, wo alle Nerven zusammenkommen. Hier soll die Seele ihren Sitz und Aufenthalt haben. Hier in diesem unbeschreiblich kleinen Mittelpünktchen des Nervengewebes soll sie, gleich einer Spinne, alles, was dasselbe in seinem Unfang berührt, wahrnehmen. Hier soll sie jeden Strang und Hebel bey der Hand haben, um die Glieder ihrer Marionette zu rühren, und die ganze Maschine in Bewegung zu setzen. Aber es ist unerwiesen, daß es ein solches Plätzchen gebe. So weit man die Nerven im Gehirn bis zu ihrem Ursprung hat verfolgen können, lehrt der Augenschein gerade das Gegentheil. Nur das ganze Gehirn muß als der Sammelplatz aller Nerven angesehen werden. Nur das ganze Gehirn darf nicht fehlen, wenn Sensibilität und Bewustseyn, und Bewegungen im Körper nicht aufhören sollen. Man gewinnt übrigens durch die Erdichtung eines Pünktchens im Gehirn, wo sich die Anfänge der ungeheuren Menge von Nerven durchkreuzte, oder vereinigte, gar nichts: denn dieses Pünktchen bleibt doch gegen ein einfaches Ding, das gar keine Ausdehnung hat, dergleichen unsre Seele seyn soll, ein ungeheurer Körper. Man muß daher nothwendig das ganze Gehirn für das Sensorium kommune halten.8 [42] Es ist noch immer zweifelhaft, ob die Empfindung, die die äußeren Gegenstände in uns hervorbringen, an demjenigen Theil des Körpers vorgeht, wo die Eindrücke geschehen, oder ob das Gehirn einzig der Sitz der Empfindung sey. Mehrere Schriftsteller behaupten, daß die Nerven eigentlich gar nicht empfinden; sondern ihre Funktion, die ihnen von allen Theilen der Maschine ausschließend zukomme, sey diese, einen Eindruck bis zu ihrem Ursprung, dem Gehirn fortzupflanzen, wo erst Empfindung und Bewustseyn entstehe. Richtig ist es, daß jeder Eindruck, der wahrgenommen werden soll, sich nothwendig dem Gehirn mittheilen müsse. So bald die Kommunikation eines Nerven mit dem Gehirn aufgehoben, so bald ein Nerve gebunden oder durchschnitten wird: so bald geht alle Empfindung in 7
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Viele Naturforscher halten die Polypen für Maschinen. Die Thierchen, die sie zu verschlucken scheinen, kriechen selbst in sie hinein, und sterben. Dieses glaubt Voltaire, der sich auf große Naturforscher beruft, in seiner Singularité de la Nature Chap. III. p. 7. Keiner unter allen Anatomikern hat die Hypothe[42]se, daß das corpus callosum diese merkwürdige Stelle im Gehirn sey, durch mehr Beobachtungen zu beweisen gesucht als Mr. de la Peyronie in den Memoires de l’Academie Royale des Sciences, Ann[é]e 1741. Allein man vergleiche Haller Elem. Physiol. Lib. X. Sect. VII. §. 32. u. f.
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allen denen Theilen verlohren, die durch den Schnitt aus dem Zusammenhang mit dem Gehirn gesezt worden sind. Dann kan der Nerve selbst zerstückt, gebrannt und verwüstet werden, und er empfindet eben so wenig, als der Muskel, Knoche, Knorpel u. s. w. der von keinem Nerven mehr durchwe[43]bet wird. Wenn daher durch einen unglücklichen Zufall das Mark im Rückengrad gequetschet wird: so hört sogleich alle Empfindung in allen Theilen des Körpers auf, deren Nerven unter dem Ort der Quetschung entspringen, und das aus keinem andern Grund, als weil die freye Gemeinschaft dieser Nerven mit dem Gehirn durch einen solchen Druck des Rückenmarks wegfällt. Auf der andern Seite wird der ganze Körper gefühllos, wenn das Gehirn durch einen gewaltsamen Druck mit den Nerven nicht frey genug zusammenhängt. Neugebohrne Kinder, deren zarte Hirnschale samt dem Gehirn bey einer schweren Geburth sehr zusammengepreßt wird, scheinen lange in einer tödlichen Ohnmacht zu liegen, und eine unvorsichtige Behandlung ihres Kopfes kann den augenblicklichen Tod nach sich ziehen. Wenn durch Extravasation des Geblüts im Gehirn bey Schlagflüssen alle Empfindlichkeit aufgehoben wird: so wird der Gebrauch der Empfindungswerkzeuge alsobald wieder hergestellt, so bald das ausgetretene Blut durch allerhand Operationen weggebracht worden ist, durch welche die aufgehobne Kommunikation der Nerven und des Gehirns bewerkstelliget wird. H a lle r hält folgende Beobachtung für den überzeugendesten Beweis, daß das Gehirn der Sitz der Empfindung sey, und nicht die Stelle des Körpers, wo der Eindruck geschiehet. Personen, [44] denen ein Glied abgenommen worden, glaubten in den abgenommenen Gliedern Schmerzen zu empfinden. Derjenige, der durch eine chirurgische Operation den Arm eingebüßet, klagte über Schmerzen in seinem Arm, nachdem dieser schon längst abgeschnitten war. Diesen Erfahrungen zufolge müssen Schmerzen nicht in den Theilen des Körpers empfunden werden, wohin wir sie zu setzen pflegen. So gewiß es indessen ist, daß jeder Eindruck, den wir empfinden sollen, durch die Nerven bis in das Gehirn fortgepflanzt werden muß: so gewiß ist es auf der andern Seite, daß wir einige Empfindungen nicht blos im Gehirn wahrnehmen. Bey allen Eindrücken auf unsre drey gröbern Sinne, besonders auf den Takt und Geschmack sind wir mehrentheils im Stand, sogar den Ort auf der Oberfläche unsers Körpers genau anzugeben, wo die Eindrücke geschehen, oder wo wir empfinden. Wer einen glühenden Körper anfaßt, empfindet zu seinem Verdruß, wo er ihn angefaßt hat. Selbst unmündige Kinder, die sonst sehr selten anzeigen können, wo ihnen etwas Schmerzen verursacht, sehen ihre Finger weinend an, wenn sie sie gebrannt haben. Ganz anders verhält es sich mit den Eindrücken auf das Gesicht und auf das Gehirn. Auch erwachsene Personen würden nicht anzugeben wissen, wo sie die Mißtöne eines schrecklichen Geheuls [45] empfinden, wenn man sie nicht schon in ihrer frühesten Kindheit gelehret hätte, die Ohren zu verstopfen. Man kann daher nicht allgemein annehmen, daß die Nerven eigentlich nicht empfinden, sondern nur die Instrumente seyn, die die Eindrücke in das Gehirn übertragen. Es kommen noch zweyerley Betrachtungen hinzu, die diese Hypothese unwahrscheinlich machen. Schon nach der Analogie muß man schließen, daß die Nerven selbst, und zwar allein empfinden. Denn alle Nerven entspringen aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Selbst die Enden der Nerven, die sich, nachdem sie ihre Häute verlieren, und dem Auge unsichtbar werden, in einen weichen Brey auflösen, haben mit dem Gehirnmark noch immer alle Aehnlichkeit. Es ist daher wahr-
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scheinlich, daß sie eben die Eigenschaft zu empfinden haben werden, die das Gehirnmark, ihr Ursprung, hat. Wie sehr empfindlich aber das Gehirn selbst seyn müsse, läßt sich aus den unerträglichen Schmerzen abnehmen, die ein gelinder Druck oder Berührung desselben verursacht9. – Ferner, wenn die Nerven, nachdem sie durchgeschnitten worden, völlig vom Gehirn abgesondert sind: so behalten sie noch immer das Vermögen in allen Muskeln, die sie durchkreuzen, Verzuckungen und Krämpfe [46] zu erzeugen. Man könte diese Krämpfe vielleicht am besten aus der Irritabilität der Muskeln herleiten, wenn die Physiologen nicht ausdrücklich bemerkten, daß jene Krämpfe von den Konvulsionen, die durch abgeschnittene oder unterbundene Nerven verursacht werden, ganz verschieden seyn10. So zweifelhaft der Sitz der Empfindungen ist: eben so uneinig ist man über die Art, wie die Nerven die Eindrücke in das Gehirn, den Mittelpunkt der Empfindung, fortpflanzen. Die größsten Aerzte und Weltweisen haben zur Erklärung dieser Erscheinung Hypothesen gewagt, und eben so große Männer haben die Schwächen dieser Erklärungsarten aufgedeckt. Die allerälteste Hypothese, die schon Ga le n, und ältere griechische Aerzte angenommen haben, gründet sich auf die Voraussetzung, daß sich in den Röhren der Nerven ein außerordentlich feines, flüssiges Wesen herumbewege, das man den Nervensaft, oder die Lebensgeister nennt. Diese Lebensgeister sind bisher auch dem mit den schärfsten Vergrößerungsgläsern gewafneten Auge völlig unsichtbar geblieben. Man hat sie sorgfältig in den diksten Strängen oder Kanälen der Nerven aufgesucht, aber noch hat sie kein menschliches Auf entdeckt. Man hat ihr Daseyn einzig aus den Erscheinungen und Wirkungen geschlossen, gerade wie man von der elektrischen [47] und magnetischen Kraft einiger Körper redet, die so etwas äussern. Diesen Umstand machten sich die Gegner dieser Meinung zu Nutz, und verwarfen sie, weil man keine Spur von diesem Nervensaft anzutreffen im Stand sey. Allein man vergas bey diesem Einwurf, daß die Erfinder und Vertheidiger dieser Meinung sie blos für eine Hypothese ausgaben, und als Hypothese sie vertheidigten. Könte der vorausgesezte Nervensaft mit unsern Augen entdeckt werden: so wäre seine Aufnahme zur Erklärung nicht mehr Hypothese. Aber würde er auch, wenn man ihn mit Augen sehen könte, die Dienste thun können, die man ihm in der Hypothese anweiset? H a lle r hat sich dieser Erklärungsart angenommen, sie begreiflich zu machen gesucht, und durch neue Gründe unterstüzt, da man eben anfieng sie als untauglich zu verwerfen. Die Fürsprache dieses Mannes hat ihr ein solches Ansehn zu Wege gebracht, daß man sie fast allgemein für die Wahrscheinlichste von allen zu halten pflegt. Er hat ihre Eigenschaften aufgezählt, die sie haben müssen, wenn sie zu den Funktionen geschikt seyn sollen, um welcher Willen man sie annimmt. Sie müssen, sagt Haller, ein sehr schnelles ungleich feineres Wesen seyn, als daß wie sie durch irgend einen unsrer äussern Sinne empfinden könten; so feurig, daß sie sich in einer Sekunde durch [48] 7750 Schuhe, und folglich 2880 mahl schneller bewegen können, als das Blut. Etwas gröber müssen sie indessen doch seyn, als Feuer, Aether, elektrische und magnetische Materie, damit sie aus ihren Kanälen nicht entfliehen, und aus den Speisen von Zeit zu Zeit mögen können ersezt werden. Nach einer andern Hypothese sollen die Nervenhäute die Instrumente der Fortpflanzung der Empfindung seyn. Allein, da die Anatomie die kräftigsten Gründe an die Hand giebt, die 9
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dieses Vorgeben zernichten: so haben auch nur sehr wenige unbekannte Naturforscher dasselbe zu vertheidigen gesucht. Die Nervenhäute empfinden eben so wenig, als die Membranen, in denen das Gehirn eingewickelt ist. Die Nerven sind gerade an dem Ort, wo sie sich gegen ihr Ende in kleinere Zweige zertheilen, ihre Bekleidungen ablegen, und sich leztlich in einen markigen Brey auflösen, am allerempfindlichsten. Um so viel berühmter hat sich die Hypothese gemacht, die gerade der Gegenfüßler von der Galenischen ist. Wenn für diese in den neuern Zeiten ein Ha l ler das Wort spricht: so findet ein N ewto n im Gegenteil eine befriedigende Erklärung. Nicht ein feines, flüssiges Wesen in den Nerven; sondern die Nerven, als feste elastische Körper bringen die Eindrücke der äußern Gegenstände in das Gehirn. Die Nerven sind als gespante Saiten anzusehen, die bey jedem Eindruck in eine zit[49]ternde Bewegung gesezt werden, und durch diese Vibrationen die Eindrücke bis zum Mittelpunkt der Empfindung fortzittern machen. Diese Schwingungen gehen, nach einigen Schriftstellern, einzig in den Bestandtheilen der Nerven vor. Andre hingegen nehmen den Aether zu Hülfe, der die Nerven umströmt, und der an den Nerven wie die elektrische Materie am Drath auf und absteigt, und mit den elastischen Nervenseiten das gemeinschaftliche Geschäfte haben soll, die äussern Eindrücke zum Gehirn zu führen. Eine dritte Parthey läßt den erdichteten Nervensaft weg; sieht aber die Nervenhäute samt dem Nervensaft als das gemeinschaftliche Fortpflanzungsmittel der Empfindung an, so, daß die Schwingungen der Nerven der Bewegung des Nervensaftes behülflich seyn11. [50] Die Gegenbemerkungen, die H a ll er gegen diese Hypothese anbringt, sind wichtig. Es ist unrichtig, sagt er, die Nerven als gespannte Chorden anzusehen. Sie sind ganz weich, und Breyartig. Sie werden, wenn sie durchgeschnitten werden, nicht kürzer, wie die gespannten Saiten bey einem Durchschnitt kürzer werden. An den durchgeschnittenen Enden geht weiter keine Veränderung vor, außer, daß ein wenig Mark hervorquillet. Kurz man nimmt gar keine Eigenschaft eines elastischen Körpers an ihnen wahr. Auch reizbar sind sie nicht. Wenn sie von äußern Körpern berührt werden: so ziehen sie sich gar nicht zusammen, wie die Muskeln, und man kennt gar kein Mittel, wodurch man sie könte oscilliren machen. Ueberdem sind alle Nerven durch viele Bänder auf allen Seiten an die übrigen Theile des Körpers angebunden. Alle diese Ligamente müsten bey der geringsten Spannung schlechterdings zerreissen, und eben diese Fäden, an die ein jeder [51] Nerve auf allen Seiten angeheftet ist, machen seine Vibration so wenig möglich; so wenig eine gespannte angeschlagene Saite zittern kan, wenn sie auf allen Seiten durch unzählige Schnüre vestgebunden ist. Endlich lehret die Anatomie deutlich, daß die 10 11
Haller Lib. X. Sect. VII. §. 31. Man sehe Haller. Elementa Physiol. Lib. X. Sect. VIII. §. 3. Der Verfasser der Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen Berlin 1772. (v. Irrwing) glaubt aus folgenden Gründen mit der Hypothese von den Nervengeistern die Mitwirkung der übrigen Bestandtheile der Nerven verbinden zu müssen. »Es komt mir immer so vor, als wenn der unendlich vervielfältigte Unterschied in den Empfindungen, welche durch einen und eben denselben Sinn zum Gehirn gebracht werden, ja selbst die Verschiedenheit in den Wiederholungen [50] einer und eben derselben Empfindung sich nicht hinlänglich aus dem einförmigen Nervensaft allein erklären liesse, und daß hinwiederum der Nutzen und die Nothwendigkeit der unzähligen Menge Fasern in jedem Nerven nicht deutlich genug in die Augen falle, wenn das Geschäft der Fortpflanzung der Empfindung und Bewegung dem Nervengeist allein aufgetragen wird.« Diese Erinnerungen sind wich[51]tig, und man kan daher die Redensarten, Anspannung, Erschlaffung der Nerven nicht mit Recht als untauglich ganz verwerfen.
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Nerven nicht blos gegen ihr Ende alle Bedeckungen und Häute ablegen, und sich in ein Mark verwandeln: sondern, daß sie auch eben, wo sie aus dem Gehirn und Rückenmark entspringen, ganz weich sind. In einem weichen Wesen findet aber keine Schwingung oder Schütterung statt. Wenn daher die Empfindung auch wirklich bis an den Ort, wo der Nerve aus dem weichen Gehirn und dem Rückenmark ohne alle Membranen hervorkömt, durch Schwingungen hingebracht werden könte: so müste sie sich gerade hier endigen, und der gehofte Effekt, die Fortpflanzung der Impression bis in das Gehirn, würde nicht erfolgen können. Diese Schwierigkeiten fallen fast gänzlich weg, wenn man aus der Annahme des Nervensaftes die Erscheinungen der Empfindung begreiflich macht. Und wenn sich auch bey dieser Erklä[52]rungsart Bedenklichkeiten finden: so sind sie doch alle leichter zu ertragen, als die vorigen. Nur eine einzige unläugbare Erfahrung, scheint mit, könne mit der Hypothese vom Nervensaft nicht so gut vereinigt werden, als mit der Ne wt onsche n oder Hart ley schen Hypothese, von der elastischen chordenähnlichen Beschaffenheit der Nerven. Es ist offenbahr, daß bey einer jeden äusseren sinnlichen Empfindung die Materie, oder das Medium zur Empfindung vermöge einer Menge von einzelnen successiven Stößen, und nicht vermittelst eines einzigen ununterbrochenen in einem fortgehenden Stoßes auf unsre Organen wirkt12. Eben so gewiß ist es, daß, wenn die Eindrücke von außen aufgehöret haben, die Perceptionen nicht augenblicklich verschwinden, sobald die Impressionen aufhören. Wenn ein leuchtender Gegenstand auf unser Auge Eindrücke gemacht hat: so können wir unsre Augen abwenden oder verschließen, und die erhaltenen Eindrücke werden noch immer eine Zeitlang fortdauren, und erst allmählig absterben. Nie könte jemand ein Feuerrad gesehen haben, wenn der Eindruck der glühenden Materie in demselben Moment aufhören [53] solte. Man würde von dem einen und dem andern Punkt der Zirkellinie Feuer hervorsprützen, aber nie einen feurigen Zirkel sehen können, weil das Feuer doch immer nur an einem Ort in einem Augenblick brennt, wenn die Feuerruthe auch mit noch einer so großen Geschwindigkeit herumbeweget werden solte. Daß wir aber einen feurigen Zirkel zu sehen bekommen, davon ist einzig dieses die Ursache, weil die Empfindung des Feuers an der Stelle, wo jezt kein Feuer, sondern ein dunkler Zwischenraum ist, so lange in dem Auge fortdauert, bis das feurige Ende der herumbewegten Ruthe wieder in der Stelle ist, wo im vorigen Augenblick Dunkelheit war, und nun abermahl die Empfindung erneuert13. Wenn nun diese Erfahrung richtig ist, die, weil sie von einem oder ein Paar Sinnen gilt, wahrscheinlich von Allen gelten muß: so sehe ich nicht, wie sie bey der Hypothese, daß die Nerven hohle Röhrchen sind, in denen sich ein flüssiges Wesen herumbewegt, bestehen könne. Die einzelnen von einander abgerissenen Kügelchen des Nervensaftes bewegen sich nicht anders, als bey dem Eindruck, der ihnen beygebracht worden. So bald dieser Stoß von [54] aussen aufhört: so bald muß ihre Bewegung stocken, und mit der Stockung ihrer Bewegung muß zugleich die Empfindung augenblicklich aufhören, die doch der Erfahrung zu Folge nicht sogleich aufhöret. Ungleich besser verträgt sich diese Erscheinung mit der Ha rt ley sche n Theorie. Denn gespannte, elastische Saiten, behalten ihre Oscillationen noch eine Zeitlang übrig, nachdem sie einmahl angeschlagen worden sind; selbst, wenn diese Schläge nicht alle Augenblicke 12 13
S. Sulzers vermischte philos. Schriften. Abhandl. I. S. 56. Hartley’s Theorie of the human mind; with Essays relating to the subject of it, by F. Priestley London 1775. S. 11 u. f.
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wiederholet werden. Eine scharf angeschlagne Chorde auf dem Klavier zittert noch immer fort, wenn man auch aufgehöret hat, sie zu rühren. Diese chordenähnliche Wirkungen können auch die Nerven in Absicht auf die Empfindung haben, wenn sie anders auch Chorden sind. Mit dieser Materie ist die Untersuchung über das, was eigentlich bey jeder Empfindung in das Gehirn gebracht wird, genau verbunden. Gleich bey dem ersten Anblick sieht man, daß die eben angeführten Hypothesen auch hier entscheiden, weil diese Betrachtung mit der vorigen völlig einerley ist. Allein eine gewisse Behauptung der Philosophen hierüber hat zu einer schönen Bemerkung Gelegenheit gegeben, die man vielleicht nicht würde gemacht haben, wenn nicht so was unglaubliches wäre behauptet worden. Man kan schon aus der Redensart, Vorstellung, die in der Seelen[55]lehre so häufig gebraucht wird, abnehmen, daß man geglaubet, es werden in das Innerste des Gehirns Bilder von den Gegenständen hinein gebracht. Le i bn i z definirt die Idee selbst durch eine Vorstellung. Bey einer Vorstellung denkt man sich aber gewöhnlich eine Aehnlichkeit. Allein man hat bey dieser Definition der Vorstellung gröstentheils blos bildliche Gegenstände vor Augen gehabt: und demohngeachtet paßt die Beschreibung nicht einmahl auf alle körperlichen Gegenstände. Sagt man nicht: diese Zeilen stellen die Gedanken des Verfassers vor? Was ist aber unter Buchstaben und Gedanken für eine Aehnlichkeit? Richtiger ist es, wenn man sagt, dann stellt eine Sache die andre vor, wenn man aus ihr die lezte erkennen kan. Diese Erklärung wird vielleicht auf alle Arten von Vorstellungen angewandt werden können. Nun hat es wirklich Philosophen gegeben, die besonders vom Aug behaupteten, daß das Bild der Gegenstände, welches sich auf der Netzhaut zeichnet, sich in das Gehirn hinein pflanze, und sich daselbst von neuem mahle. In diesen Spuren des Gehirns erblicke es alsdenn ein ander Wesen, das man Seele nannte. Allein man hatte gar keinen Grund, diese beyden unbegreiflichen Dinge, Bilder im Gehirn, Mignaturgemählde, und ein überflüssiges Wesen anzunehmen, das sich [56] an diesen Zeichnungen neue Augen weidet. In das Gehirn kömt weiter nichts, als eine Erschütterung, sie mag nun durch die Lebensgeister, oder durch ein anderes Mittel bewerkstelliget werden. Nur Spuren werden von diesen Eindrücken gezogen, die die Vorstellungen sind. Daher nehmen wir kein einziges mahl den Gegenstand selbst wahr; sondern blos die Bewegung im Gehirn, die ein Eindruck verursacht, und die Eindrücke verschiedner Objekte ziehen verschiedne Erschütterungen der Gehirnorganen nach sich. Folglich ist es ungerecht, wenn man einem andern seine eigne Empfindungen, als die einzig richtigen, aufdringt. Ich empfinde so wenig den Gegenstand, als ihn ein anderer empfindet. Ich empfinde blos eine Bewegung in meinem Gehirn, und die nimmt ein andrer in dem Seinigen auch wahr. Man könte demjenigen den unerträglichsten Stolz zur Last legen, der behaupten wolte, daß gerade der Lauf seiner Lebensgeister an den gehörigen Ort hingeflohen, und die Organen seines Gehirns gerade so bewegt habe, daß sie richtig wahrgenommen. Diesen Versuch habe ich fast ganz als ein Bürger aus der philosophischen Provinz, die am wenigsten bevölkert ist, schreiben müssen, ich meine aus dem Reich der Ungewißheit, in welches ich [57] mich so gerne hinein begebe, wenn ich sonst nirgend vesten Fuß fassen kan. Ich knüpfe hier noch eine ähnliche Materie aus der Lehre, von der äussern Empfindung an, die eben so wenig zur Gewisheit erhoben werden kan. Immer gewinnt man dabey genug, wenn man die wahrscheinlichsten Vermuthungen von den unwahrscheinlichern unterscheidet.
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Noch ist es keinem Menschen eingefallen, die unendliche Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit unsrer Empfindungen, die uns durch dieselben Nerven zugeführt werden, in Zweifel zu ziehen. Wer diese läugnen wolte, müste nothwendig in einem jeden Augenblick nur eine einzige Empfindung in denselben Nerven haben, und diese augenblickliche einzelne Empfindung müste sogleich völlig ausgelöschet werden; so, daß nie eine folgende Empfindung mit einer unmittelbar vorhergehenden zusammengehalten werden könte. Das Gehirn einer solchen Person müste ein Sieb seyn, das jeden einzelnen Eindruck, den ihm die Nerven zuführen, sogleich durchfallen liesse, ohne daß je ein paar Tropfen zusammenfliessen könten. Wenn ich daher die Ungleichartigkeit unsrer Empfindungen, die uns die Eindrücke mehrerer Gegenstände auf dasselbe Instrument der Empfindung verursachen, gar nicht bezweifeln läßt: so [58] entsteht die Frage: wem diese Unähnlichkeit der Empfindungen desselbigen Nervens zuzuschreiben sey? Ich blicke jezt auf meinen Bücherkasten hin. Ich sehe den A lexan d er v o n J och in blauem; S u lzers vermischte philosophische Schriften in französischem; Ba tteux Geschichte der Meinungen der Philosophen, in gelbem Band. Nun blicke ich zum Fenster hinaus. Eine berauchte Kirche stellt sich mir dar; ein Zeitungsträger in der Trauer, u. w. Warum sieht A le xa nder vo n Jo ch blau, Su l zer braun, Ba tteux gelb, der Tempel schwarz, der Zeitungsträger buntscheckigt aus, da doch die Eindrücke auf dieselben Sehnerven geschehen? Die natürlichste Antwort mögte einen auf das Eigenthümliche und auf die Verschiedenheit der Eindrücke selbst verweisen. Bo n net geht weiter. Er sucht zu beweisen, daß zu einer jeden Art von Empfindung auch ganz eigne, und besondre Fibern vorhanden seyen. Die Verschiedenheit der Empfindungen, sagt er, hängt nicht von der Verschiedenheit der Bewegung gleichartiger Fibern ab: sondern man muß annehmen, daß in einem jeden Sinn so viel verschiedne Fibern vorhanden sind, als es verschiedne Arten von Empfindungen giebt, die durch dasselbe Organ erzeugt werden können. Daß also die Rose anders riecht, als die Nelke, kömmt daher, weil die Theilchen, die [59] aus der Nelke ausfließen, auf eine eigne Art von Fibern, die in der schwammigten, löcherigten Haut, womit die Nase überzogen ist, und durch welche häufig weiche Nerven geflochten sind, zuströmen; und weil die Ausflüsse der Rose wiederum eine ganz eigne Art von Fibern desselbigen Organs berühren14. Diesen Satz sucht Bo n net theils durch Räsonnements, theils durch die Erfahrung zu beweisen. Er kan nicht begreifen, wie Gedächtniß und Erinnerung im Menschen seyn können, wenn man nicht für eine jede Art von Eindrücken auf dasselbe empfindende Werkzeug eine eigne Art von Fibern annimmt. Ferner: es lehre eine gemeine Erfahrung, daß eine Saite auf dem Klavier immer nur einen und den nehmlichen Ton hervorbringt, und daß zu einem jeden andern Ton andre Saiten erfordert werden. Daraus müsse man den Schluß ziehen, daß auch die Fiber, die den Ton jener Saite der Seele zuführt, ihr alle übrigen Töne der andern Saiten nicht zuführen könne. Allein diese Erfahrung scheint mir gerade das Gegentheil zu beweisen. Denn es ist bekant, [60] daß eine jede Chorde eine unendliche Anzahl von Mißtönen erzeugen kan, nachdem sie in unendlichen Graden angespannt oder herabgestimmt wird. Nun nehme man an, daß die verschiednen Eindrücke, die völlig gleichartigen Fibern durch heftigere oder sanftere Berührungen 14
Bonnet Essai Analytique Chap. VIII. §. 78–85, verglichen mit dem Essai de Psychologie. Chap. 21.
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in heftigere oder sanftere Erschütterungen zu versetzen, vermögend seyen: so muß auch in beyden Fällen die Empfindung verschieden seyn, so wie der Ton der nehmlichen Chorde nach ihrer größeren oder geringeren Anspannung verschieden ist. Aber diese Grade der Erschütterung gleichartiger Fibern können unendlich verschieden seyn, nach der unendlichen Verschiedenheit der Heftigkeit der Eindrücke. Eben deswegen kan gerade nach den Erfahrungen, auf welche sich Bonnet stüzt, das Gegentheil dargethan werden, indem wir von der Verschiedenheit der Eindrücke in Absicht auf ihre Heftigkeit durch die Erfahrung überzeugt sind. Ueberdem ist B o nne ts Erfahrung, so wie er sie hier brauchen will, außerordentlich verfänglich. Ich will seine Gedanken analysieren. »Zur Hervorbringung mehrerer Töne sind mehrere Arten von Chorden erforderlich: eben so zur Verschiedenheit der Empfindungen desselbigen Organs mehrere Arten verschiedner Fibern.« Allein ist dieses nicht ein Zirkel im beweisen? Es ist ja eben die Frage, woher die Verschiedenheit des Tons [61] rühre? »Eine Chorde giebt nur einen Ton.« Aber was ist ein Ton? und kan ich e i nen T o n bestimmen, wenn kein empfindendes Wesen da ist? Aber dieses empfindende Wesen muß ein Organ haben, das den Eindruck des Tons aufnimmt. Nun will ich gerade wissen: woher kommt die Verschiedenheit dieses Tons von allen übrigen? Kommt sie von der Verschiedenheit der Fibern, oder der Eindrücke auf dieselbigen Fibern? Man kan doch nicht von Verschiedenheit der Töne reden, oder behaupten, daß eine Chorde nur einen bestimmten Ton von sich geben könne, woferne nicht ein Organ und Fibern da sind, die die Eindrücke empfinden. B o nne t kan übrigens die Verschiedenheit der Fibern auch nur so wenig beweisen: so wenig ihm sein Gegner ihre Gleichartigkeit darthun kan. Indessen ist es doch in eben dem Grad wahrscheinlicher, daß die Verschiedenheit der Empfindungen von der Verschiedenheit der Eindrücke, die von den äußern Gegenständen auf gleichartige Fibern gemacht werden, und nicht von der Verschiedenheit der Fibern abhange: in welchem es wahrscheinlich ist, daß von verschiednen ungleichartigen Gegenständen in der Körperwelt unsre Organen ganz verschiedne Eindrücke erhalten müssen: und in welchem es hingegen unwahrscheinlich ist, daß [62] die Natur eine so ganz unendliche Menge von durchaus verschiednen Fibern gegen das allgemeine Gesetz der Sparsamkeit in ein jedes von unsern Organen werde gelegt haben15.
Zweyter Versuch Ueber die äußere Sinnen. [63]
[64] Cerchons le Fait: Voyons ce, qui
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Essai de Psychologie. [65] Das Geschäffte aller unserer Sinnen ist, empf i nde n. Diejenigen, die den bestimmtesten
Begrif von einem äußern Sinn geben, nennen ihn das Vermögen äußerer Empfindungen durch 15
Diese lezte Untersuchung hat mit einer Materie im nächsten Versuch sehr viel Aehnliches, und hätte eben so gut zur folgenden Abhandlung können gezogen werden. Indessen schien mir doch dieser Anhang hier natürlicher zu seyn, weil ich hier von Nerven und Fibern überhaupt, ohne auf einen bestimmten äußern Sinn Rücksicht zu nehmen, handeln wolte.
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besondere Nerven und Organen. Aus dieser Beschreibung glauben sie folgern zu können, daß der Mensch nicht mehr als fünf äußere Sinne habe. Es ist wahr, die Natur hat uns mit fünf äußern Werkzeugen versehen, die man an allen gesunden Menschen wahrnimmt. Und weil diese fünf Wege, auf denen uns die Eindrücke zugeführt werden, die gewöhnlichen bey allen Kreaturen sind, die man nach sichern Merkmahlen zum Menschengeschlecht zählen kan: so hält man diejenigen Menschenkinder für Mißgeburthen, denen eines von diesen Organen fehlt. Nationen von Kultur sehen diese Mißgeburthen für Fehler der Natur an, da rohe Völker den ungestaltesten Menschen in eben dem Grad mehr Heiligkeit zuschreiben, in welchem sie größere Ungeheure sind16. [66] Die Eindrücke der äußern Gegenstände, die unserm Gehirn auf einem jeden von diesen fünf Wegen überliefert werden, sind ganz anders beschaffen, als die Eindrücke auf die übrigen Organe. Wer eine Speise selbst kostet, dem ist dabey anders zu Muthe, als wenn er durch Erzählungen vermittelst des Ohrs Eindrücke bekömmt, wie die Speise andern geschmekt hat. Eine Pastete reizt auf eine andre Art das Gesicht, und wieder auf eine andre Art den Geruch. Wenn ich ein schöngearbeitetes musikalisches Instrument vor mir sehe, und dann einen guten Tonkünstler auf demselben spielen höre: so sind jene Eindrücke des nehmlichen Gegenstandes von diesen wesentlich verschieden. So hat man oft bemerkt, daß der Anblick eines schönen Frauenzimmers bezauberte, da die Eindrücke auf die übrigen Sinne unerträglich waren. Aber ist nun, nach dieser gangbarsten Definition vom äußeren Sinn, die Mehrheit äußerer Sinne bewiesen? Ist es ferner bewiesen, daß wir [67] gerade nur fünf Sinne haben? Gegen beyde Sätze lassen sich erhebliche Zweifel machen. Was den leztern, die bestimmte Anzahl unsrer äußeren Sinnen, betrift: so muß man, so bald man die angegebne Beschreibung zum Grund legt, mehrere Sinne annehmen. Hier sind einige Beweise. Für das Gefühl des Hungers und des Durstes muß man allerdings ein Paar eigne Sinnen annehmen. Man weis, daß der Magen diejenige Werkstätte ist, in welcher unsre Nahrungsmittel verarbeitet werden müssen, ehe sie die zu unsrer Erhaltung nothwendigen Säfte hergeben können. Eben dieser Magen ist das Organ des Hungers, das heißt, derjenigen Empfindung, die durch die Nerven, die die Falten des Magens durchweben, dem Gehirn zugeführt wird. Wenn die Nahrung im Magen durch Abführung, derer zu den Absonderungen der Säfte unbrauchbaren Theile, so sehr abnimt, daß seine Falten zusammenfallen, und die in ihm eingewebten Nerven aneinander kommen: so entsteht durch dieses Reiben der Nerven die Empfindung des Hungers. Es hungert uns also im Magen, nicht im Ohr, oder im Aug. Es ist ein eignes Werkzeug zu einer ganz eignen Empfindung da. Wie ganz eigen diese Empfindung sey, wissen diejenigen am besten, die durch Provinzen reiseten, in welchen keine taugliche Wirthshäuser vorhanden waren. [68] Auf eine ähnliche Weise verhält es sich mit der unangenehmen Empfindung des Durstes, einer Veränderung im Hals, die durch den Mangel eines genugsamen Zuflusses von Feuchtigkeiten verursachet wird. Ein eignes Organ, eine eigne Empfindung, und warum nicht ein
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Auch unter kultivirten Nationen giebt es einige Individuen, denen der Anblick verzerrter, und [66] unglücklich gebildeter Körper mehr angenehme Empfindungen verschaft, als die höchste menschliche Schönheit. – Solche dem Pavian ähnliche, mit vorzüglich großen Zeugungsgliedern versehene Ungeheure, waren so gar Götzen. (Gen. XXXI. 19.) Rahel hatte sich so sehr in diese Mißgeburthen verliebt, daß sie sie ihrem eignen Vater wegstahl. – M. s. auch Büffon Histoire Naturelle Tom. V. und VI.
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eigner Sinn? – Und welchem Sinn soll ich das Gefühl der Abmattung, der Erfrischung, u. s. w. zuschreiben? Auf der andern Seite scheinen die Stoiker in ihrer Behauptung Recht zu haben, daß alle Empfindungen Modifikationen desselbigen Sinnes, des Gefühls, seyen. Denn es ist unläugbar, daß bey jeder Empfindung sich eine Berührung unsrer Nerven findet. Wenn man einen Gegenstand durch den Sinn des Gesichts empfindet: so werden die Lichtstrahlen von demselben auf die sehr empfindliche Netzhaut zurükgeworfen, und die Sehnerven berührt. Erwachsene Personen fühlen diese Berührung nicht, da sie neugebohrne Kinder auf eine sehr schmerzhafte Weise empfinden. Das Kind muß weinen, wenn die Lichtstrahlen zum erstenmahl in seine Augen fallen, und der Schade, den es leidet, wenn man anfänglich nicht vorsichtig genug eine übermäßige Menge des zuströmenden Lichts von seinen Augen abhält, kan unersezlich seyn. Menschen, die in mitternächtlich finstern Kerkern eine Zeitlang gefangen gelegen, können die Schmerzen ihrer Augen nicht genugsam beschreiben, wenn sie von den brennenden Son[69]nenstrahlen plötzlich berührt werden. So bald aber die Berührung heftiger wird: so können sie auch Personen, die die Sonne immer in den Augen haben, lebhaft fühlen. Ein jeder wird die Erfahrung an sich gemacht haben, daß er so wohl bey einem sehr starken, als auch sehr schwachen Licht vorzüglich bey Betrachtung entfernter Gegenstände an einem rauchhaltigen Ort die Berührung hinlänglich gefühlt hat. Eben so ist es kein Zweifel, daß bey der Wahrnehmung eines Schalls im eigentlichen Verstand ein Druck auf die Nerven des Gehörs geschiehet. Die Stärke dieses Druks nimmt in eben dem Verhältniß zu, in welchem die Erschütterung der bewegten Luft zunimmt. Bey einer sanften Musik fühlt man diesen Berührungen fast gar nicht. Fühlbarer sind dem Ohr die Töne einer Feldmusik. Wird gar eine Kanone abgefeurt: so wird der Druck gegen das Trommelhäutchen im Ohr ein empfindlicher Stoß. Und den Duft der Blume empfinde ich nicht anders, als wenn er zu meinen beynahe ganz blos liegenden Nerven der Nase hinaufsteigt, und auf diese einen fühlbaren Eindruck macht. – Was von den übrigen Sinnen gilt, gilt auch vom Geschmack. Diesen Bemerkungen zufolge ist der erste Karakter, warum man gerade fünf Sinne an[70]nimmt, und überhaupt von mehreren Sinnen redet, sehr zweifelhaft. Gegen einen zweyten Grund, um welches Willen man dem Menschen mehrere verschiedne Sinnen zuschreibt, nehmlich die Ungleichartigkeit der Empfindungen, die wir auf diesen mehreren Wegen erhalten, lassen sich eben so bedenkliche Einwendungen machen. Unmöglich kan man aus der Verschiedenheit der Eindrücke auf die wesentliche Verschiedenheit der sinnlichen Werkzeuge schließen. Die Empfindungen des Süßen und des Bitteren, des Rauhen und Glatten, des Rosenduftes und der Ausflüsse eines stinkenden Erdschwammes sind so sehr verschieden, daß man sie allgemein für entgegengesezte Empfindungen ansieht, und doch erhalten wir diese ungleichartigen entgegengesezten Empfindungen durch dieselbigen Werkzeuge. Vergnügen und Schmerz werden uns durch dasselbe Organ zugebracht. Vermittelst desselben Auges empfindet man die Schönheit der Farbenmischung in einem Gemählde, und die schönen Formen belebter und unbelebter Werke der Natur und der Kunst, und auf der andern Seite vermittelst desselben Auges das Geschmier an elenden Wandgemählden, die Grobheit der mehresten Statuen der Heiligen, und den unaushaltbaren Eindruck eines neugebohrnen Kindes.
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Man kann also immer zugeben, daß die Empfindungen durch die fünf angenommene äu[71]ßere Sinne so merklich von einander verschieden sind, daß ein gesundner Mensch nicht leicht eine Gattung derselben mit der andern verwechseln wird. Und doch kann man mit gutem Grunde leugnen, daß zur Erzeugung einer jeden Gattung dieser Empfindungen ein eigner von allen andern wesentlich verschiedner Sinn erfordert werde, weil wir durch dasselbe Organ eben so merklich verschiedne Empfindungen erhalten, die gleichfalls kein Mensch mit einander verwechseln wird, der nicht ganz verdorbene Organen hat. Daß übrigens unsere Empfindungen durch die mehreren sinnlichen Werkzeuge nicht so ganz verschieden sind, als man vorgiebt, erhellet aus einer Erfahrung, auf welche man nicht genug geachtet hat. Wenn man eine gewohnte Speise durch den bloßen Geruch empfindet: so gehen doch in den Nerven unserer Zunge zu gleicher Zeit solche Veränderungen vor, daß man zu sagen pflegt, man empfinde schon, wie die Speise schmecke, die man doch einzig riechen kann. Die Theilchen der Speise, die in meine Nase dringen, berühren zu gleicher Zeit meine Zunge, auf welcher der nemliche Speichel zum Vorschein kömmt, der sonst erst da ist, wenn ich wirklich von der Speise genieße. Eben deswegen ist man auch in eben diesem Augenblick nicht im Stande zu sagen, ob [72] man die Speise riecht oder schmeckt, bis man sich erst besinnt. Um die Verschiedenheit der äußern Sinne darzuthun, muß man mehr beweisen als man bewiesen hat, und als man beweisen kann. Man muß so tief in die Bestandtheile der Nerven eindringen, daß man eine wesentliche Verschiedenheit dieser Bestandtheile darthun könne. Solange aber nicht bewiesen ist, daß die Nerven der sogenannten fünf äußern Sinne in ihrem ursprünglichen Bau wesentlich von einander verschieden sind: so lange muß es immer zweifelhaft seyn, ob die Verschiedenheit der Eindrücke nicht einzig von der Verschiedenheit der Lage der Nerven herrührt, die aus demselben Grundstof gebauet seyn könnten. Wäre einmal bewiesen, daß die Bestandtheile der Nerven in den angenommenen fünf äußern Organen wesentlich von einander verschieden seyn: so müste nothwendig alle Empfindung von ein Paar Organen aufhören, wenn die Nerven dieser Organen versetzt würden. Rückte daher ein höheres Wesen unsere Sehnerven durch ein Wunder in die Stelle des Gehörnervens, und diesen in die Stelle des erstern: so würden wir weder sehen noch hören können. Allein man mag die Nerven mit Feuer und Schwert (c ul tr o a na tom ic o, & i g ne c hem ic o) angreifen: so bringt man dieses Resultat nicht heraus. [73] B o n net hat nicht einmal bewiesen, daß die Fibern desselbigen Nerven zur Erzeugung verschiedener Arten von Empfindungen verschieden seyn müssen, da die Anatomie so tief in den innern Bau, und in den Grundstof der Nerven nicht hat eindringen können. Will man von gewissen anatomischen Beobachtungen Gebrauch machen: so kann der Satz bis zur Wahrscheinlichkeit erhoben werden, daß alle Nerven aus demselben Grundstof gebauet sind. Man weiß, daß sich derselbige Nerve in mehrere Aeste theilt, die, nachdem sie nach verschiedenen Theilen des Körpers hinlaufen, zur Erzeugung verschiedener Empfindungen dienen. Hieraus wird es sehr wahrscheinlich, daß die Verschiedenheit der Empfindungen nicht aus dem ur-
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sprünglich verschiedenen Bau, sondern bloß aus der verschiedenen Lage der Nerven hergeleitet werden müsse.17 [74] Dagegen fällt mir ein anderer Gedanke bey, der das Gegentheil wahrscheinlicher machen könnte, wenn ich nur einen einzigen Schriftsteller auf diesem Wege gefunden hätte. Es giebt so viele Menschen, denen der Gebrauch von ein Paar von den fünf Organen fehlt, ob sie gleich den äußern Bau dieser Organen besitzen. Da die Natur zuweilen die äußern Theile unsers Körpers so sehr versetzt, daß einzig durch eine solche Versetzung die monströsesten Körper zum Vorschein kommen: sollte wol diese Versetzung nicht auch bey den innern Empfindungswerkzeugen statt finden? Ich habe in sichern Briefen die Nachricht von einer Menschengeburt erhalten, die keine Nase hatte; und wo an der Stelle, wo sonst die Nase steht, [75] ein einziges Auge eingegraben war.18 Andere Personen sind stumm und taub; andere taub und blind. Darf man nicht vermuthen, daß Taubheit und Blindheit bisweilen daraus entstehen könne, weil ein solcher Mensch in Absicht auf sein Nervensystem eine Mißgeburt ist, d. h. weil die Gehörnerven an die Stelle der Sehenerven durch eine Verrückung des Nervensystems gekommen sind? Ich kenne die übrigen Ursachen wohl, aus welchen Menschen taub und blind seyn können, so weit sie der Arzt kennt. Allein meine Vermuthung ist doch als Vermuthung wahrscheinlich genug. Die Natur verrückt die äußern Glieder unsers Körpers aus ihrer gewöhnlichen Stelle. Da, wo eine Nase stehen sollte, steht ein Auge. Eben so kann es sich mit den Instrumenten der Empfindung verhalten. Da, wo sie sonst gewöhnlich den Gehörnerven hinbauet, kann sie einmal den Gesichtsnerven hinrücken, und der Mensch höret und siehet bey offenen Ohren und Augen nichts. – Nach dieser Vermuthung müsten die Nerven des Gesichts und des Gehörs, und der übrigen Sinne nothwendig in ihrem Bau wesent[76]lich verschieden seyn. Denn sonst müsten die versetzten Nerven noch immer ihre Dienste leisten, wenn die Verschiedenheit der Empfindungen einzig von der verschiednen Lage derselben, und nicht von ihrer innern Beschaffenheit herrühren sollte. Aus diesem allem läst sich die gewisse Folge ziehen, daß wir nicht entscheiden können, ob wir fünf oder mehrere, oder nur einen einzigen äußern Sinn haben? Hier liegt zugleich der Grund, warum man die Eigenheiten eines jeden angenommenen äußern Sinnes nicht so beschreiben kann, daß man das Eigenthümliche der Empfindung, die uns durch einen jeden von ihnen zugeführt worden, deutlich erkennen sollte. In der Definition des Sinnes des Gesichts, 17
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Merkwürdig sind in dieser Rücksicht ein Paar Stellen aus Büffon. »Si l’on fait attention, que tous ces sens externes ont un sujet commun, & qu’ils ne sont tous, que des membranes nerveuses differrement disposées & placées, que les nerfs sont l’organe général du sentiment, que dans le corps animal nulle autre matière que les nerfs n’a cette propriété de produire le sentiment, on fera porté à croire, que les sens ayant tous un principe commun & n’étant, que des formes variées de la même substance, n’étant en [74] un mot, que des nerfs differemment ordonés & disposés, les sensations qui en resultent ne sont pas aussi essentiellement differentes entre elles qu’elles le paroissent. – Il me parôit donc que la difference, qui est entre nos sens ne vient que de la position plus ou moins extérieure des nerfs & de leur quantité plus ou moins grande dans les differentes parties, qui constituent les organes. C’est par cette raison, qu’un nerf ebranlé par un coup, ou decouvert par une blessure, nous donne souvent la sensation de la lumiere sans que l’oeil y ait part, comme on a souvent aussi, par la meme cause, des tintemens & des sensations de sons, quoique l’oreille ne foit affectée par rien d’exterieur.[«] Buffon Histoire Naturelle Tom. III. p. 352 & 354. Eine sehr ähnliche Beschreibung einer Mißgeburt findet sich in der Histoire de l’Academie de Berlin, Année 1754. pag. 112.
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des Gehörs, Geruchs u. s. w. kömmt überall der Grundbegrif, Berührung der Nerven unsers Körpers, vor. Wenn man auch mit den Beschreibungen aller Sinnen gut genug durchkommen könnte: so hat man von dem einzigen Sinn des Takts noch keine genugthuende Erklärungen gegeben. Der Takt, sagt man, ist das Vermögen zur Aufnahme einer druckartigen Berührung, und zur Fortpflanzung derselben bis ins Gehirn. Aber ist Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack nicht eben dasselbe Vermögen? Man tut vielleicht am besten, wenn man diesen Grundbegrif bey einem jeden Sinn beybehält, weil doch unleugbar bey einem [77] jeden Sinn Gefühl ist: oder wenn man, um das Charakteristische eines jeden derselben anzugeben, den Ort auf der Oberfläche des Körpers genau bestimmt, auf welchem die druckartige Berührung geschehen muß, wenn sie ein Eindruck auf den Sinn des Gesichts, Gehörs, Geruchs, Geschmacks und des Gefühls heißen soll. Wenn man sich diese Methode gefallen läst: so kann der Tak t immer das Vermögen, eine druckartige Berührung aufzunehmen, und diese bis in das Gehirn fortzupflanzen, heißen; so bald man hinzusetzt, daß diese Berührung auf der ganzen Oberfläche unsers Körpers und den Extremitäten geschehen könne, nur die Retina im Auge, das Trommelhäutchen im Ohr, die Nerven in der Nase und auf der Zunge ausgenommen.19 [78] Auf diese Weise läst sich der bestimmteste Begrif von allen sinnlichen Werkzeugen am allerleichtesten bilden. Das Gesicht ist das Vermögen der Aufnahme druckartiger Berührungen der Lichtstrahlen, und ihre Fortpflanzung bis in das Innerste des Gehirns vermittelst des Sehenervens im Auge. Der Zusatz, daß die Berührung durch die Lichtstrahlen geschehen müsse, ist hier nothwendig. Denn wenn vermittelst eines groben Körpers eine Berührung der Netzhaut im Auge möglich wäre, ohne daß die zur Brechung der Lichtstrahlen nöthige Feuchtigkeiten des Auges in Unordnung gebracht werden sollten: so würde man dieses doch keine Empfindung des Gesichts, sondern des Gefühls nennen müssen. Wenn z. B. die Feuchtigkeiten des Auges einmal aus ihren Häuten herausgenommen sind, und man alsdenn mit einem spitzigen Körper die Netzhaut berührte: so würde man die Spitze des Körpers fühlen, aber nicht sehen. [79] Diese Idee läst sich auch durch die übrigen Sinne fortführen. Ein Eindruck oder Berührung des im Ohr aufgespannten Häutchens, dessen Erschütterung im Gehirn eine Bewegung zu Wege bringt, ist die Empfindung, die man das H öre n nennt. – Das Vermögen, die Berührungen von den Ausdünstungen riechbarer Körper aufzunehmen, das der Nase und ihrer nervigten, schwammigten Haut eigen ist, deren Nerven von einem klebrichten Schleim bedeckt werden, heißt der S in n des Ger uch s. – Die Zunge, auf deren Oberfläche gewisse 19
Man pflegt den Takt in einer noch engern Bedeutung blos auf die druckartige Berührung unsrer Finger einzuschränken, deren Spitzen voller Nerven sind; wahrscheinlich weil die Finger ein auszeichnendes Merkmal des menschlichen Körpers sind, vermittelst welcher der Mensch die Körper durch das Gefühl ungleich genauer kennen lehr[n]t, als irgend ein Geschöpf. Unter allen bekannten Thieren haben, außer den Menschen, blos die Affen Finger, wodurch sie menschliche Verrichtungen ausführen können. Merkwürdig ist es, daß der Mensch die Zehen an den Füßen zu denselbigen Diensten gebrau[78]chen kann, wozu er gewöhnlich nun die Finger der Hände braucht. Jene werden blos durch das Einhergehen und das beständige Reiben fast gänzlich unempfindlich, und die Muskeln zu den Geschäften unbrauchbar, die man vermittelst der Hände bewerkstelligt. In Sachsen hat man zuweilen Gelegenheit, ein Mädchen zu sehen, das ohne Hände gebohren, mit dem rechten Fuß leserlich und zierlich schreibt, die Feder zuschneidet, spinnt, nähet etc. – Helvetius de l’Esprit, Discours I, Chap. I.
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Erhabenheiten sichtbar sind, die mit vielen Nervenzweigen ausgerüstet sind, besitzt nicht ausschließend das Vermögen, die Empfindung, die man Gesc hmac k nennt, in uns hervorzubringen. Einige um die Zunge herumliegende Theile unsers Körpers führen uns eben dieselbe Empfindung zu, und man hat bemerkt, daß der Gaume, die Lippen, die Backen, der Oeosophagus gerade zur Empfindung solcher schmekbarer Körper dienen, deren Eindruck die Zunge nicht empfinden kann. Philosophen und Nichtphilosophen reden sehr oft von der Vollkommenheit und Unvollkommenheit der äußern Sinnen, aber selten weiß man zu bestimmen, worauf ihre Vollkommenheit beruhe. Einigen sind feine und vollkommene Sinnen ganz gleichgültige Ausdrücke. Andere [80] rechnen ihre Schärfe zu ihrer Vollkommenheit. Man hat wahrscheinlich beide Eigenschaften von der Vollkommenheit der Sinne wilder Nationen abgezogen. Fein und empfindlich sind unsre Sinnen, wenn sie Gegenstände oder Eigenschaften der Gegenstände wahrnehmen, die andere Menschen nicht wahrnehmen können. Diese Feinheit hat mehrere Grade. Feiner sind sie, wenn sie mehrere Gegenstände und deren Eigenschaften entdecken als andere, oder auch, wenn sie dieselbigen Gegenstände und Eigenschaften mit größerer Lebhaftigkeit wahrnehmen, als andere Menschen. Die entgegengesetzte Beschaffenheit macht sie zu groben sinnlichen Werkzeugen. Nicht immer ist eine außerordentliche Feinheit der Sinne wünschenswerth. Es giebt einen gewissen Grad ihrer Empfindlichkeit, der zugleich der höchste Grad ihrer Vollkommenheit ist, und so bald sie über diesen Grad hinaus empfindlich sind: so werden sie unvollkommen. Die größere Empfindlichkeit der Nerven kann nemlich nicht blos aus ihrer größern Vollkommenheit, sondern auch aus einer gewissen Schwäche derselben entspringen. Fast alle Nervenkrankheiten erhöhen die Empfindlichkeit und die Feinheit der Sinne, und mit der Kränklichkeit der Nerven nimmt ihre Empfindlichkeit mehrentheils zu. Je größer daher das Uebermaaß der Empfindlichkeit ist: desto hefti[81]ger ist das Fieber, in welchem sich die Nerven befinden. Aber selbst für gesunde Menschen giebt es einen gewissen Punkt der Empfindlichkeit, so lange sie als eine Vollkommenheit angesehen werden kann. Es ist kein Zweifel, daß rohe Völker unter andern auch deswegen keine Produkte einer tiefen Meditation liefern würden, so lange sie lebhafter empfinden als wir, wenn sie übrigens auch alle Anstalten zur Kultur hätten, die wir haben. Sie könnten ohnmöglich meditiren, und sich mit den Vorstellungen abwesender Gegenstände beschäftigen, weil sie bey den starken Eindrücken auf ihre empfindlichere Sinnen ganz auf die Dinge außer sich hingezogen, angeheftet, und ausgebreitet seyn müssen. Aber durch dieses Leben der Seele außer sich wird ihre Zurückziehung in sich selbst, und ihre Beschäftigung mit den Gegenständen der Meditation beynahe ganz unmöglich gemacht. Die zu weit getriebene Feinheit der äußeren Sinnen hat in Absicht auf ihre Schädlichkeit mit dem sehr verfeinerten Geschmack in der Aesthetik sehr viel Aehnliches. Es ist kein der menschlichen Glückseligkeit feindseligerer Geschmack, sagt Her r Me in er s, kein sichrerer Vorbothe der gänzlichen Verderbniß des Empfindungssystems einer Person, oder Nation, als der im höchsten Grad verfeiner[82]te Geschmack, der allenthalben nach lüftigen, von der erhizten Fantasie geschaffenen Idealen hascht, der alles schlecht und ekelhaft findet, was unter diesen hohen Urbildern von Schönheit zurükbleibt, dem keine andere Formen gefallen, als die an eine Venus von Medicis, oder einen Apoll von Belvedere reichen, der keine andre Gedanken gros und erhaben nennt, als die den stärksten Kopf schwindeln machen, alles für fade erklärt,
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was uns nicht in ein Fieber von Empfindungen versezt, und keine Gesinnung und Handlung edel und gut nennt, als die aus der reinsten, lebhaftesten Menschenliebe, und dem feurigsten Patriotismus fließen, kurz der bey der Empfindung aller Arten von schönen Gegenständen stets Ideale gegenwärtig hat, die die Werke der Natur und Kunst entweder gar nicht, oder nur selten erreichen20. Die Schärfe der Sinnen, eine zwote Eigenschaft vollkommener Organen, wird nach der weiteren oder engeren Wirkungssphäre derselben geschäzt. Die Sinnen der Wilden sind fast durchgängig schärfer, als man sie bey Nationen von Kultur antrift. Auf den Antillen riechen die Ein[83]wohner die Schlangen, die dem stumpferen Geruch des Europäers unempfindbar sind. Alle Jägernationen sehen in einer Ferne die Gegenstände, die wir mit Hülfe der Fernröhre kaum erreichen können; sie entdecken Fußstapfen von Thieren, die dem Auge des Franzosen in Amerika unbemerkbar sind; und die wilden Thiere können sie auf mehr als eine Viertelmeile in ihren Lagern riechen21. Bey dem ersten Anblick scheint es, daß Feinheit und Schärfe einander ausschließen. Denn je lebhafter die Eindrücke sind, desto weniger können wir von ihnen auf einmahl fassen. Wer demnach sehr feine und sehr scharfe Sinnen hat, der kan schwerlich in derselbigen Zeit auch zugleich von so vielen Gegenständen gerührt werden, als wenn er stumpfere Organen hätte. Allein dieser Einwurf beweiset höchstens so viel, daß Feinheit und Schärfe sich in vielen Fällen nicht beysammen finden, und daß in einem Menschen häufig nur die eine, und in dem andern nur die andre von diesen Eigenschaften vollkommener Organen anzutreffen sey. [84] Feinheit und Schärfe vertragen sich aber nicht blos sehr freundschaftlich; sondern die eine ist schon eine sehr starke Anlage zur andern. Denn was heißt z. B. der Ausdruk, gut in die Ferne sehen? Ich meine, er heiße, Gegenstände, die ein schwächeres Auge nicht wahrnimt, oder Beschaffenheiten ferner Objekte, die einem stumpfen Auge verborgen bleiben, wahrnehmen. Ist denn nicht in der Schärfe ein gewisser Grad der Feinheit schon mit begriffen? Aber Feinheit und Schärfe erschöpfen den Begrif der Vollkommenheit nicht. Wenn man einzig diese beyden Eigenschaften zur Vollkommenheit der äußeren Sinne erfordert: so scheint man blos von ihrer Vollkommenheit in so weit zu reden, in so weit man den unausgebildeten mit dem aufgeklärten Menschen vergleicht. Mich deucht, zur Feinheit der Sinnen eines kultivirten Bürgers müsse etwas mehr gehören. Schon der Sprachgebrauch führt darauf. Ein Aug, das mehr Schönheit und Häßlichkeit in den Farbenmischungen, und den äußeren Formen der Körper gewahr wird, als ein anderes: Ein Ohr, das gegen die Schönheiten der Musik eben so empfindlich ist, als gegen das Geheul, und die beleidigenden Mistöne, wird für eine vortrefliche Gabe unter aufgeklärten Nationen gehalten. Wenn daher auch ein [85] Auge in unermeßliche Weiten hinaussehen, und ein Ohr die leisesten Erschütterungen der Luft empfinden kan: Jenes dagegen die Schönheiten der Farbenmischungen, und dieses das Bezaubernde der Musik nicht mit Lebhaftigkeit wahrnimt: so kann man beyde Sinnen in der Sprache kultivirter Personen nicht wohl vollkommen nennen. Denn der Unterschied ist nach der Erfahrung gegründet, daß gewisse Menschen nur gegen die gleichgültigen Eigenschaften der Gegenstände, die weder mit einem merklichen Grad von Lust oder Unlust vergesellschaftet sind, sehr empfindlich, hingegen
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Meiners vermischte philosophische Schriften, Th. I, S. 146. Göttingische Reisen, Th. III. S. 241. Jens Krafts Sitten der Wilden §. 17.
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gegen angenehme und unangenehme Eindrücke in einem hohen Grad unempfindlich sind. Vollkommene Sinnen kultivirter Menschen müssen beydes leisten. Wenn durch die zu große Schärfe und Feinheit der äußeren Sinnen die Organen des Verstandes und der Vernunft eben so sterben, wie ein zu verfeinerter Geschmack die Organen der Einbildungskraft, und aller übrigen Kräfte, die das Schöne empfinden, tödtet: so konnte es die Natur nicht mehr der Willkühr des Menschen überlassen, seine Sinnen zu schärfen und zu verfeinern. Die Organen des Verstandes und der Vernunft, die ungleich edlere Theile am Menschen sind, und die durch die übertriebne Feinheit und Schärfe der [86] äußeren Sinnen von ihren Geschäften abgezogen werden, durften durch keinen unedleren Theil leiden. Ihre Kultur muste immer der Kultur der leztern vorgehen. Daher hat uns auch die Natur keine Mittel an die Hand gegeben, durch welche wir nach Belieben unsern Sinnen den möglichsten Grad der Schärfe und Feinheit verschaffen könten. Selbst die Wilden erlangen ihre ungleich größerer Schärfe und Empfindlichkeit durch kein anderes Mittel als durch Uebung, und durch Erhaltung desjenigen Grades ihrer Vollkommenheit, den ihnen die Natur gegeben. Man hauet einen Wald nieder, sagt S earc h, um seine Aussichten zu erweitern. Man giebt dadurch seinen Augen kein größeres Vermögen zu sehen, sondern man eröfnet ihnen nur ein weiteres Feld, über welches sie ausschweifen können. Selbst wenn wir durch Wissenschaften unsern Verstand erweitern: so thun wir an unserm Vermögen nichts. Dieses müssen wir lassen, wie es uns die Natur gegeben. Kein Fleiß kan unsre natürlichen Fähigkeiten vergrößern, oder vermindern. Wir können nur einen größern Vorrath von Materialien für sie samlen, damit sie sich mit ihnen beschäftigen mögen22. [87] Ueber diesen von der Natur einem jeden Sterblichen vorgeschriebnen Grad der Feinheit und Schärfe der Sinnen, so wie der Stärke aller übrigen Kräfte, kan der Wilde so wenig hinaus als der bürgerliche Mensch. Der leztere ist gewöhnlich unter diesem Grad der Vollkommenheit, weil er seine Sinnen weniger übt. Diese Vernachläßigung der Uebung der äußeren Sinnen rührt vom Mangel der Bedürfnisse des gesitteten Menschen her, die den Wilden zwingen, seine Organen in dem Grad der Vollkommenheit zu erhalten, in welchem sie ihm die Natur zugetheilt hat. Und wenn sich auch der bürgerliche Mensch durch allerhand Instrumente hilft, die der Wilde noch nicht hat erfinden können: so vermehrt er dadurch die durch den Mangel an Bedürfnissen geschwächte Vollkommenheit seiner Sinnen nicht; sondern er verstärkt nur die Einwirkung der äußeren Gegenstände auf die sinnlichen Werkzeuge, die nicht vollkommener gemacht, wohl aber geschwächt und abgenuzt werden können. Da die Nerven das Privilegium ausschließend besitzen, die Eindrücke der äußeren Gegenstände bis zum Sitz der Empfindung hinzubrin[88]gen, wo sie alsbald Bewustseyn werden: so ist es begreiflich, wie ein jeder von unsern fünf Sinnen zu seinen Funktionen ganz untauglich werden muß, so bald seinen Nerven Schaden leiden. Dieser Satz ist von eben so großer Wichtigkeit, so deutlich und einleuchtend er ist, weil die metaphysische Psychologie hier gleich bey dem ersten Satz, der in die Frage vom Wesen der Seele Einfluß hat, fast in allen philosophischen Schriften romanhaft wird.
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Keine einzige Erfahrung lehrt etwas anderes, als daß zur Fähigkeit zu empfinden und wahrzunehmen die Nerven in den ihnen angewiesenen Lagen in einem fortlaufenden Zusammenhang mit dem Gehirn stehen müssen. Aber das lehrt die Erfahrung gewis, und was sie über den Menschen lehrt, ist nicht mehr und nicht weniger unbegreiflich, als was sie in der ganzen Körperwelt lehrt. So wie ich mit meinen Augen sehe, daß ein schwerer Körper sich nie eigenmächtig ohne eine fremde Kraft von der Oberfläche der Erde über mein Haupt empor hebt, und wenn er von einer fremden Kraft getrieben wird, nur bis auf einen gewissen Punkt steigt, in der Atmosphäre nicht hängen bleibt, sondern wieder herabfällt: eben so deutlich sehe ich, daß zur Empfindung [89] nichts weiter als Nerven und Gehirn erfordert werde. Wozu also ein drittes Erforderniß? Etwa, weil es unmöglich ist, daß Fäden und ein Brey dieses Vermögen besitzen solten? Aber Philosophen, die es wissen, was ihnen für Kräfte zu philosophiren verliehen worden, sind sehr behutsam, etwas unmöglich zu nennen. Hier werden bescheidene, wahrheitsliebende Psychologen es um so viel weniger thun, weil doch dasjenige, was wirklich ist, und was die klare Erfahrung bezeugt, nicht unmöglich seyn kan. Etwa, weil dieses Phänomen unbegreiflich ist? Mir ist es eben so begreiflich, wie die Erfahrung, daß ein schwerer Körper fällt, daß es eine elektrische, und eine magnetische Kraft in gewissen auf eine bestimmte Weise und aus einem bestimmten Stof gebauten Körpern giebt, zu deren Erklärung man nicht elektrische und magnetische oder andre Arten von Geistern zu Hülfe ruft, oder zu andern [90] Chimären seine Zuflucht nimmt. Oder lehrt die Erfahrung diese lezte Erscheinung klärer, als jene im Menschen selbst? Wozu also ein drittes Wesen zur Empfindung und dem Bewustseyn23?
[91] Dritter Versuch Ueber den inneren Sinn, und die innere Empfindungen.
[92] Die Evidenz philosophischer Begriffe, und ihr vernünftiger Zusammenhang ist eine Wir-
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kung der Zeit, und der anhaltenden Bemühungen vieler nachdenkender Köpfe, die die Wahrheit aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, und dadurch von allen Seiten ins Licht setzen. M e nde l s o h n. [93] Man kann Recht die Geschichte der Lehre vom inneren Sinn bey dem Zeitpunkt anfangen,
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in welchem die Lehre von den angebohrnen Begriffen verdächtigt zu werden anfing. Durch das Unglück und den Verfall der lezteren machten die ersten ihr Glück, und diese stieg und [br]eitete sich gerade in eben demselbigen Verhältnis aus, in welchem jene fiel, und ihr Ansehn verlohr.
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Das eine sowohl wie das andere hat das Geschlecht der Weltweisen L oc ke’s Versuch über den menschlichen Verstand zu verdanken. L oc ke war im vorigen Jahrhundert der erste Philosoph, der die Lehre von den angebohrnen Begriffen, die von allen philosophischen Lehrstühlen herabgebetet wurde, mit einem so glücklichen Erfolg widerlegte, daß er durch die Stärke seiner Gründe einen gleichsam angebohrnen und eingesognen Lehrsatz aus den Köpfen aller großen Philosophen auslöschte, und ihren Beyfall erzwang. Zwar gab es schon unter den alten griechischen Schulen einige, die die Angeburth der Begriffe eben so herzhaft läugneten, wie sich die Platoniker hartnäckig vertheidigten24. [94] Allein in L o c ke’s Zeitalter glaubte man gemeint, daß der Finger der Gottheit selbst unseren Seelen bey ihrer ersten Schöpfung alle diejenigen Begriffe eingedrükt habe, die man nicht aus sinnlichen Eindrücken auf die äußeren Sinnen herleiten konte. Der englische Weltweise aber bewies aus Gründen, die fast allen Philosophen des siebzehnten Jahrhunderts überzeugend waren, daß man gar nicht Ursache habe, um der Seelenveränderungen Willen, die man nicht ohne Mühe aus den Eindrücken auf die äußeren Sinnen erklären könne, zur Gottheit seine Zuflucht zu nehmen. Für diese aus den Einwirkungen äußerer Gegenstände auf die äußeren Sinnen ganz unerklärbaren Seelenmodifikationen, müsse man eine zwote Quelle unsrer Ideen, einen inneren Sinn annehmen. L oc ke war zu viel Philosoph, als daß er diesen neuen, und in seinem Zeitalter unerhörten Gedanken blos hinwerfen, und ihn seinem Schiksal überlassen solte. Darinnen übertraf Lo c ke auch den stolz unserer Nation, Le i bn i ze n, der so oft unverdaute Begriffe, von der allgemeinen Karakteristik, der Logik des Wahrscheinlichen, und andre Projekte vortrug, ohne über ihre Möglichkeit nachzudenken. So wie L oc ke mit bündigen Gründen die Angeburth unsrer Begriffe bestritten: so bauete er auch seine neue Lehre vom inneren Sinn auf Beweise, die nicht kräftiger seyn [95] konten, weil er die Entstehungsart fast eines jeden einzelnen merkwürdigen Begrifs in der ganzen Gelehrsamkeit einzeln auf dem Weg zeigte, auf welchem man sie bisher weder gesucht noch gefunden hatte. Ohne Lo cke n gelesen zu haben, wird man sich daher den bestimmten Begrif vom inneren Sinn, den inneren Gefühlen und Empfindungen, nicht machen, den man sich zu machen hat. Und diesem Mangel genauer Bekanntschaft mit dem Lockischen Versuch ist es wohl zuzuschreiben, daß man in den mehresten Logischen Schriften die Veranlassung zu dieser Entdeckung und ihren wahren Gehalt vergeblich sucht25. L ocke sahe ein, daß [96] alle unsre See23 24 25
Das Spöttische im Ausdruck jenes Philosophen abgerechnet, scheint er wirklich Recht zu haben: Admettre une ame, pour les expliquer, c’est être reduit a l’operation du Saint Esprit. Man sehe Bruckeri Historia Philosophica doctrinae de ideis. Augustae Vindelic. 1723. 8. Einer von meinen Freunden rühmte sich einmahl, daß er an demselbigen Tage von seinem Professor in der Logik manches Wichtiges, und leicht Faßliches gelernt habe. Und was ist dieses Wichtige, fragte ich meinen Freund, dessen Sie mich theilhaftig machen wollen? Es ist die Reduktion der Syllogismen Baroco, Bocardo auf Barbara. Zu Beyspielen hatte der Professor die Lehre von den äußeren und inneren Sinnen gewählt, und sie bey dieser bequemen Gelegenheit zugleich vollständig erklärt, weil sein Kompendium ihn sonst nirgend darauf führte. Daß es fünf Sinne gebe, wuste mein Freund schon frühe aus dem Katechismus. Aber, daß es noch außer denen auch innere Sinne gebe, hatte er bey dem Modus Bocardo zuerst gehört. Er konnte mir auch glücklich das ganze Geheimniß entdecken, nachdem er den Diskours buchstäb[96]lich zu Papier gebracht. Durch die innere Sinne, hieß es, empfinden wir alles, was in uns vorgeht. Da ist also ein innerer Sinn, erwiederte ich, wo Sie die Empfindung des Hungers, oder einer Verstopfung Ihrer Gedärme fühlen. Ja wohl, antwortete mir mein Freund, gerade
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lenmodifikationen oder Ideen aus der Einwirkung äußerer Gegenstände auf unsre [97] Sinne ohnmöglich hergeleitet werden könnten. Keiner von unsern äußern Sinnen lehrt uns, daß – und was wir für Seelenkräfte haben. Keiner sagt es uns, daß wir zweifeln, Beyfall geben, Beyfall versagen, Beyfall zurücke halten, daß wir sind, daß wir uns unsers Daseyns bewust sind. Keiner giebt uns die Begriffe von Seele, Wille, Freyheit u. s. w. Die Zuflucht zu den angebohrnen Begriffen hielt L oc ke für eine ganz unphilosophische Ausflucht. Er suchte daher eine zwote Quelle für diese aus den Einwirkungen der äußern Gegenstände auf unsere, äußern Sinnen unerklärbare Vorstellungen, und dieses war die Reflexion, die Zurückbeugung der Seele auf sich selbst, wodurch sie zur Kentnis ihrer selbst und ihrer verschiedenen Wirkungen gelangt26. Nothwendig müssen daher, nach der Sprache und den Grundsätzen, die nach Loc ke allgemein in der Psychologie aufgenommen worden sind, in dem Innersten unsers Gehirns gewisse Organen vorhanden seyn, deren Erschütterung [98] man die verschiedenen Modifikationen der Seele zuschreiben muß, die nicht durch die Einwirkung äußerer Gegenstände auf die äußern Organen verursacht werden. Diese inneren Organen des Gehirns, die der Grund und die Werkstäte von den ideas of refl ex ion sind, heißen der i nn ere S i n, und die verschiedenen Veränderungen dieser innern Organen heißen i n nere Gef üh le und i nn ere Em pf i ndu n ge n. Die besten Philosophen setzen unter den innern Gefühlen und den innern Empfindungen folgenden gegründeten Unterschied fest. Die gleichgültigen Veränderungen des innern Sinnes nennen sie i nn ere G efü h le, und diejenigen Modifikationen dieser innern Organen, die mit einem merklichen Grad von Vergnügen oder Mißvergnügen vergesellschaftet sind, i nn ere Em pf i ndu nge n. Merkwürdig ist es, daß man die Empfindungen der beiden edlern äußern Sinne zu den Empfindungen des innern Sinnes zählt. Auge und Ohr nante man die beiden edlern oder feinern äußern Sinne, hauptsächlich deswegen, weil die Materie, durch welche die Nerven des Gesichts und des Gehörs gerühret werden, ungleich feiner ist als die Materie, die den Geruch, den Geschmack und das Gefühl merklich rührt. Ungleich stärker sind die Gründe, um welcher willen man die angenehmen und unangeneh[99]men Erschütterungen des Auges und des Ohrs zur Klasse der innern Empfindungen
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dieses, oder ein ähnliches Exempel habe ich in meinem Heft beygemerkt. Ich selbst war anfangs nicht viel klüger, wie ich einem von meinem erstern Lehrern genau nachschrieb: Sensatio, quæ versatur circa statum animi, dicitur sensatio interna. Facultas autem sentiendi dicitur sensus. Ergo facultas statum animi sentiendi, dicitur sensus internus. Aehnliche dunkle Klärungen habe ich bey meiner Lekture dieses und jenes Philosophen in Menge gefunden, von denen ich aber gegenwärtig keine weiter abschreiben will. Daß es übrigens ganze Vias ad veritatem gebe, in denen gar keine Erklärung weder von den äußeren, noch von den inneren Sinnen vorkömmt, weiß ein jeder, der ein Paar sehr bekannte Logiken kennt, die vor wenigen Jahren die gesunkene Barbarey in die Philosophie zu bringen, ausgefertigt wurden. Mir hat Locke auch hierinnen, wie in der ganzen Logik, oder welches einerley ist, in der ganzen Psychologie, mehr Licht gegeben, als irgend ein Schriftsteller. Ueberhaupt wolte ich einem jeden, dem es um brauchbare Kenntnisse zu thun ist, den offenherzigen Rath geben, sich statt der logischen Vorlesungen über W–sche, C–sche, D–sche, und andre elende Lehrbücher, die noch immer in der Mode sind, lieber Locke’s Versuch an[97]zulegen, so bald er nur einige mittelmäßige Kenntnisse von der Schule auf die Akademie mitbringt. Essai Philosophique concernant l’entendement humain, Liv. II. Chap. 1. §. 4.
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zog, und beide äußern Sinne als Quellen von innern Empfindungen ansah. Hier sind die vornehmsten: 1) Wenn gleich keine Empfindung irgend eines unserer äußern Organen ohne eine Berührung desselben möglich ist: so sind die Empfindungen des Auges und des Ohrs doch darinnen sehr von den Sensationen der übrigen Sinne unterschieden, daß wir bey jenen die Berührungen gar nicht merken. Dieser Umstand hat einen sehr wichtigen Einfluß auf das Bewustseyn selbst. Wir setzen nemlich im Bewustseyn die Sensationen der drey gröbern Sinne, sie mögen angenehm oder unangenehm seyn, in das berührte sinliche Werkzeug selbst hinein, und halten durch diese Täuschung die Sensationen für körperlich. Aber Auge und Ohr verführen uns in diesem Stücke gar nicht. Wir weisen den Empfindungen beider Sinnen ihren eigentlichen Platz in den innern Organen der Seele an, wo wahrscheinlich alle Empfindungen ihren Sitz haben27. 2) Auge und Ohr sind Quellen von einer ungleich größern Menge von angenehmen Empfindungen, als die drey übrigen Sinne. Wie ist doch das Vergnügen durch den Genuß [100] kostbarer Mahlzeiten erzeugt, so außerordentlich eingeschränkt, und wenig gegen die unbeschreibliche Menge angenehmer Empfindungen, die uns durch das Ohr in eben derselben Zeit zugeführt werden können. Nur ein Blick auf die Farbenmischungen im Regenbogen, und dann das Auge sogleich weggewandt: und wo ist sonst noch ein so augenblickliches Vergnügen der übrigen Sinne möglich? Zwar haben das die Sensationen der gröbern Sinne vor den Empfindungen der feinern voraus, daß sie ungleich lebhafter sind als die letztern. Wie schwach ist das Vergnügen über das vortrefliche Gemisch der Farben im Regenbogen, oder über das herrliche Gemisch der Töne in einem meisterhaften Koncert, im Vergleich mit den Vergnügungen, die ein gröberer Sin erweckt? Die Vergnügungen der feinern Sinne, sagt Su l ze r, gleichen einem sanften Zephyr, und die Vergnügungen des Gefühls einem ungestümen Winde, dem sich nur mühsam widerstehen läst. Aber sind auch die lebhaftesten Vergnügungen allemal die wünschenswerthesten? Auf der andern Seite reicht auch die Stärke der unangenehmen Empfindungen der feinern Sinne bey weitem an die Stärke des Verdrusses der gröbern nicht hin. Noch nie ist jemand durch Mißtöne in eine tödliche Ohnmacht gefallen; wie man durch starke Gerüche der Körper in Konvulsionen hinsinkt. [101] 3) Das Gedächtnis kan uns die angenehmen Empfindungen unsers Auges und des Ohrs nach einer Zeit wieder darstellen: aber mit aller Mühe werden wir uns nur nach sehr wenigen Augenblicken die angenehmen Sensationen des Takts, des Geschmacks und des Geruchs kaum zurückrufen können. Es ist wahr, die ursprüngliche Lebhaftigkeit wird auch denen durch die Einbildungskraft erneuerten angenehmen Empfindungen mangeln. Das Bild vom Regenbogen, da ich ihn jetzt nicht vor mir sehe, ist nur schwach gegen die Empfindung desselben, und Töne, die ich gestern hörte, und die ich mir heute zurückrufe, vergnügen mich in dem hohen Grade nicht, als da ich ihre gestrige Harmonie empfand. Demohngedacht bin ich doch im Stande, mir den Regenbogen jetzt darzustellen, und daß ich eben dasselbe mit dem gestrigen Koncert nicht thun kan, komt blos davon her, weil es ein Koncert, und nicht ein englischer Tanz war. Selbst Passagen aus Koncerten, und das damit verbundene Vergnügen oder Mißvergnügen lassen sich aufwecken, wenn sie uns entweder sehr heftig gerührt oder sehr beleidigt haben, und dabey nicht zu sehr gedehnt sind. Wer nur einmal das Graunisch-Ramlerische Ora27
Home’s Einleitung in seine Grundsätze der Kritik.
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torium vom Tod Jesu hat aufführen gehört, wird nach vielen Wochen das lezte so feyerliche Solo, und die bis zum Ekel wiederholte Tändeleyen des Tonkünstlers über die Worte [102] ü ber wu nde n, der L ö we und dem Stam Jud a, und das Mißvergnügen, das er ehemals darüber empfand, aufwecken können. Hingegen die unnatürliche Gerüche der gebranten Gewässer, die gestern irgendwo auf meine Geruchsnerven strömten, und den Geschmack meiner gestrigen Abendmahlzeit kan ich mir nicht wieder erneuern, oder ist es nur ein Schatten eines genossenen Vergnügens, oder vielleicht gar von Mißvergnügen begleitet. Aber die herrlich besetzte Tafel in Absicht auf die Ordnung, in welcher die Speisen aufgesetzt waren, und die ganze niedliche Anordnung der Abendmahlzeit kan ich ziemlich lebhaft zum zweitenmal genießen. 4) Mit Vergnügungen des Auges und des Ohrs kan man sich entweder gar nicht, oder nur äußerst schwer überladen. Darinnen haben die Vergnügen der beiden edlern Sinne einen Vorzug selbst vor dem intellektuellen Vergnügen. In den angenehmen Empfindungen der gröbern Sinne kan man sich eben so gut erschöpfen, als in den intellektuellen. Diese erfordern Anstrengung, und schwächen durch das Studium, das man anwenden muß, um sie zu kosten, und jene erregen Ekel und Ueberdruß, wenn wir sie nur ein Paar Augenblicke zu lange genossen haben. Wer kan lange schmecken, fühlen und riechen, ohne nicht bald, wie Po pe sagt, einen aromati[103]schen Tod zu sterben? Auge und Ohr schaft uns hingegen tagelange Vergnügungen ohne Ueberladung. 5) Noch faßt Home einige andere schätzbare Eigenschaften der Vergnügungen des Auges und des Ohrs in folgender Stelle zusammen. Da diese Vergnügungen sanft sind, sagt er, und die Seele mäßig erschüttern: so ist ihr Tod gleich weit von der Heftigkeit der Leidenschaft und der Ohnmacht der Trägheit entfernt, und durch diese gelinde Spannung sind sie vollkommen geschickt, nicht nur die Lebensgeister wieder anzufeuern, wenn sie durch sinliche Wollüste gesunken sind, sondern sie auch zu erquicken und gleichsam herabzustimmen, wenn sie durch eine heftige Bestrebung zu sehr angestrengt und überspant werden. Hierin liegt ein Mittel wider viele Bekümmernisse; und um uns von seinen heilsamen Wirkungen zu überzeugen, wird es zureichend seyn, einen Blick auf folgende Bemerkungen zu werfen. Die sinlichen Ergötzungen haben ihrer Natur nach eine kurze Dauer. Wenn wir ihnen zu lange und bis zum Uebermaaße nachhängen: so verlieren sie ihren Reiz, und erzeugen Sättigung und Ekel. Um uns aus diesem verdrüslichen Zustande zu helfen, kan nichts glücklichers ausgedacht werden, als die erheiternde Ergötzungen der Augen und der Ohren, die unvermerkt, und ohne den Ton der Seele sehr zu verändern, ihren Platz [104] einnehmen. Auf der andern Seite wird jede angestrengte Uebung des Verstandes endlich schmerzhaft, indem sie die Seele zu sehr spannet. Die Unterlassung dieser Uebungen erquikt uns nicht sogleich; der Zwischenraum zwischen ihnen und einer gänzlichen Ruhe muß durch eine mäßige Beschäftigung ausgefüllt werden, welche die Lebensgeister allmählig herabläßt. Die sinnlichen Ergötzungen, die wir nur in der Kraft des Körpers genießen können, schicken sich übel hiezu, aber die feinern Ergötzungen der Sinnen, welche die Seele beschäftigen, ohne sie zu erschöpfen, sind vortreflich geschikt, ihren gewöhnlichen Ton sowohl nach einer angestrengten Aufmerksamkeit beym Studiren, und bey Geschäften, als auch nach der Sättigung von sinnlichen Ergötzungen, wieder herzustellen28.
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Home am angeführten Ort. Dü Bos bemerkt, daß die Unruhen der Seele durch die Stille nicht gedämpfet werden, wohl aber durch eine sanfte Musik.
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Doch ich komme wieder auf meinen Hauptgegenstand zurück. Uns ist eine genauere Kenntniß der Organen des inneren Sinnes gänzlich versagt. Sowohl die Organen der inneren Gefühle, als auch der inneren Empfindungen müssen in dem Innersten des Gehirns liegen, dessen Oberfläche wir aber kaum kennen. Man frage daher nicht, [105] ob es nur ein, oder ob es mehrere, und wie viel es Organen gebe, deren Modifikationen innere Gefühle oder innere Empfindungen sind. Derjenige, der vom inneren Sinn redet, redet bey dem jetzigen Maaße unsrer Einsichten eben so richtig, als der innere S i n ne n nennet. Immer denke man hier an unsre Kurzsichtigkeit in Absicht auf unsre äußere sinnlichen Werkzeuge. Ich konte nicht bestimmen, ob unsre fünf äußeren Organen wesentlich von einander verschieden seyen. Ich kan viel weniger bestimmen, ob die Organen des inneren Sinnes, wenn es ihrer anders mehrere giebt, schon in ihrem ursprünglichen Bau verschieden sind. Zwar fühle ich, daß das Organ, oder die Organen des inneren Sinnes ganz entgegen gesezter Modifikationen fähig sind, weil einige Veränderungen desselben angenehm, andre unangenehm, und noch andre gleichgültig sind, und eine jede Veränderung derselben wiederum mehrere Arten unter sich hat. Allein finden nicht schon in einem jeden unserer äußeren Sinne mehrere Veränderungen statt? Kurz, wir kennen die Art gar nicht, wie auf diese inneren Organen von innen Impressionen geschehen, deren Erschütterungen wir unsere inneren Gefühle und Empfindungen zu danken haben. Man pflegt insgemein die Lehre vom inneren Sinn nach vier Gefühlen abzuhandeln. Selbstgefühl, Gefühl des Wahren, des Schönen, des [106] moralisch Guten. Allein mir schien eine solche Vorstellung sehr unvollständig und verworren. Das leztere, weil man gleichgültige Gefühle und Lust oder Unlust erregende Empfindungen in eine und eben dieselbe Klasse zusammenwirft, und die gegründete Eintheilung der Modifikationen des inneren Sinnes, in innere Gefühle und in innere Empfindungen gänzlich vernachlässiget, die doch schon dadurch zur Erweiterung unsrer Kenntnisse dienet, daß unsre Sprachen für ein Paar verschiedne Modifikationen eigne Wörter haben. Unvollständig und undeutlich, weil es mehrere innere Modifikationen giebt, und weil man nicht weis, wie man zur Annahme derjenigen Modifikationen gelang, die man gewöhnlich aufzählt. Ich nehme daher einen andern Weg, und theile gleich zu Anfang alle Modifikationen unsers innern Sinnes mit den neuern Philosophen nach der schon beyläufig angeführten Abtheilung in innere Gefühle, d. h. in Modifikationen der inneren Organen, die mit keinem merklichen Vergnügen und Mißvergnügen verbunden sind, und in innere Empfindungen ein, d. h. in Veränderungen des innern Sinnes, die von merklichen Graden von Lust oder Unlust begleitet werden29. [107] Was nehmen wir also für innere Gefühle in uns war, die sich nicht von äußeren sinnlichen Impressionen herleiten lassen? Diese Aufzählung hat durch die nach der gegebnen Beschreibung der inneren Gefühle genau abgestekten Gränzen nichts Schwieriges. Man darf nur einen Augenblick auf seine inneren gleichgültigen Zustände Acht geben: so wird man bemerken, daß sie ganz von einander verschieden sind. Eine Art derselben belehret uns vom Daseyn der verschiednen Modifikationen des Innersten unsers Gehirns, die man Gedanken, Vorstellungen, Begriffe nennt, und vom Daseyn der in uns durch äußere Eindrücke erzeugten Emp29
Herr Sulzer hat in einigen seiner Abhandlungen, die in den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, und in seinen ver[107]mischten philosophischen Schriften stehen, einige vortrefliche Anmerkungen über diese Lehre gemacht, und Herr Meiners die hieher gehörigen Begriffe genauer bestimmt, als irgend ein Philosoph. S. Meiners vermischte philos. Schriften Th. II. Abhandl. 1.
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findungen. Nur das innere Gefühl sagt es uns, daß wir gegenwärtig gewisse Vorstellungen haben, und kein äußerer Sinn macht uns mit ihrer Gegenwart bekannt. Dieses innere Gefühl der Gegenwart oder des Daseyns unsrer Vorstellungen nennt man seit den Zeiten Leibnizens A p per ze pt i o n. Wenn daher entweder unsre äußeren Sinnen von äußeren Gegenständen gerührt werden, oder, wenn wir sonst irgend eine Geistesarbeit vornehmen, so, daß [108] wir uns der Eindrücke und der Ideen bewust sind, daß wir sie haben: so apperzipiren wir, dort die Veränderungen unsrer äußern, hier unsrer inneren Organen. Fast alle Psychologen behaupten, daß wir bey gesundem und wachendem Körper oft Empfindungen haben, und uns mit den Ueberbleibseln ehemaliger Empfindungen, mit den Ideen, durch Veränderung, Zusammensetzung, Allgemeinmachung beschäftigen können, ohne diese Empfindungen, und die Kombinationen und Allgemeinmachungen der Ideen zu apperzipiren. Die Entscheidung dieser Sache ist ohne Zweifel eine der schwierigsten in der ganzen Seelenlehre, weil sie nicht anders als aus einer überaus schwer zu machenden Beobachtung seiner selbst ausgemacht werden kan. So bald man aber darauf ausgeht, hierüber Beobachtungen an sich selbst anzustellen: so ist kein Zweifel, daß man gewiß allemahl apperzipiren wird. Nur nach gehabten Empfindungen, nur nach geendigter Meditation kan man sich fragen, ob man die gehabten Empfindungen gefühlt, und die da gewesene Vorstellungen anerkannt habe. Da finden aber viele Täuschungen statt. Muß man nicht immer befürchten, daß wir uns bey dem schnellen Strom von Empfindungen und Gedanken in tiefen Geistesarbeiten der Gegenwart der Idee wirklich bewust waren, daß wir aber ihrer Schnelligkeit wegen uns nicht mehr darauf erinnern können? [109] Indessen scheint es doch, daß nach einer bekannten Erfahrung die Frage bejahet werden müsse. Wenn ich mit besonderer Anstrengung meine ganze Aufmerksamkeit auf die anhaltende Behandlung einer wissenschaftlichen Materie hinlenke: so geschiehet es zuweilen, daß ich Gedanken niederschreibe, die mich oft, wenn ich die Arbeit endige, im Zweifel setzen, ob ich sie auch gedacht? Da frage ich mich alsdenn selbst, wie ich darauf verfallen? Und wenn ich meinen Aufsatz mir so gleich von einem andern ablesen ließe: so könte dieser aus meinem eignen Geistesprodukt weglassen, zusetzen, abändern, ohne daß ich die Verfälschung wahrnehmen würde. Es ist daher offenbahr, daß ich die Gegenwart meiner Begriffe in gewissen Zuständen nicht fühle. Man wird eben dasselbe auch bey den Impressionen der äußeren Gegenstände auf unsre äußeren Sinnen zuweilen wahrnehmen. Oft rührt ein Gegenstand unser Auge lange, und von der langen Impression werden wir uns nur im lezten Augenblick bewust, daß wir die Empfindung von dem Gegenstand haben. Um so viel weniger läßt sich daran zweifeln, daß wir im Zustand des tiefen Schlafs und der Ohnmacht Vorstellungen haben können, ohne sie zu apperzipiren. Nichts beweiset dieses deutlicher, als jene Fakta, nach welchen Personen gerade mit denselben Ideen wieder erwachten, mit welchen [110] sie in den Schlaf oder in die Ohnmacht hinsanken. Ich habe dieses vor kurzem an mir bemerkt, wie ich mich einmahl gegen meine Gewohnheit nach dem Mittagsessen dem Schlaf überlassen muste. Ich war angekleidet, und mit der Idee: ob es rathsam sey sich in Kleidern in die Arme des Schlafs zu werfen, schlief ich ein. Nach einer sanften Ruhe von mehr als zwo Stunden wachte ich mit der Vorstellung, e i ne Nacht ange kleidet gesc hlafen zu h a be n, auf. Meine Seele hatte sich also die ganze Zeit des Schlafes hindurch mit dieser Vorstel-
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lung beschäftiget, und sie bearbeitet, weil ich mit einem ganz falschen Zusatz zur Idee, mit welcher ich einschlief, erwachte, der in der Idee von der Nac ht lag. Und doch hatte ich die ganze Zeit hindurch diese Idee gar nicht appercipirt. Apperception kan also bey dem wirklichen Daseyn der Vorstellungen von der Macht der ungetheilten Betrachtung und der Centnerschweren, aber dabey für das Wachsthum der Stärke unsrer inneren und äußeren Organen höchst zuträglichen Last des traumlosen Schlafes und dem Todesschlummer eine tiefe Ohnmacht gänzlich unterdrükt werden. Die Philosophen haben Gründe genug, die Apperception vom Be w ust sey n u nsrer s el b st (Co n sc ie nt ia su i ip s iu s) zu unterscheiden. In diesem Zustand befinden wir uns, wenn wir nicht [111] blos die in unsern äußeren und inneren Sinnen vorgehende Veränderungen wahrnehmen, nicht blos auf eine uns selbst bewußte Art denken und handeln, sondern noch außer dem deutlich wissen, daß wir es sind, deren äußere und innere Sinnen jezt Veränderungen leiden, daß wir es sind, die da denken und handeln. Allemahl findet sich daher bey diesem Bewustseyn unsrer selbst außer der Apperception das Gefühl, daß es unsre Sinne sind, die da verändert werden, daß es unsre Kräfte sind, die da thätig sind. Diesem Gefühl haben wir die Vorstellung von uns selbst zu danken, die einen sehr großen Einfluß auf alle unsre Urtheile und Handlungen hat30. Diese Idee von uns selbst ist, wenn wir sie am deutlichsten haben, immer sehr unvollständig, weil sie die Idee von einem Individuum ist, das nach allen seinen Verhältnissen durchaus bestimmt ist. Wir müssen bey einer vollständigen Idee von uns selbst alle die Eigenheiten umfassen, die unsre Individualität ausmachen. Aber solche komplete individuelle Begriffe können in der Werkstätte eines menschlichen Verstandes nicht verarbeitet werden. Daher wird diese Idee oft so unvollständig, daß sie fast in eine allgemeine Idee verwandelt wird. Und ein solcher Zustand ist für uns [112] alsdenn nichtsweniger als gleichgültig. Su l zer hat einige von den merkwürdigern Zuständen auseinander gesezt, davon der allermerkwürdigste das N ic ht be w us tsey n se in es äuße re n Zus ta ndes ist. Man kan empfinden, denken, begehren, verabscheuen, handeln; man kan wissen, daß man es selbst ist, der da denkt, empfindet, wünscht, verabscheuet, handelt, und dabey doch nicht wissen, in was für Verhältnissen man zu den uns umgebenden Gegenständen steht, in was für Lagen man sich eigentlich in der Welt findet, und was für eine Stelle man mit seinem Körper in der Welt einnimt. Die allzu unvollständige Idee von uns selbst macht, daß wir oft die uns sonst bekantesten Dinge verkennen, d. h. daß wir zer stre uet sind. Weil wir in der Zerstreuung nicht an unsern Zustand und an unsere Lage denken: so handeln wir, als wenn wir in andern Lagen uns befänden, und von andern Gegenständen umgeben wären. Daher ist Zerstreuung eine Folge vom Verlust der Idee von uns selbst. Alte Thiere sind weniger zerstreuet als der Mensch, und der rohe Mensch ist es seltner als der Denker, dessen gewöhnliches Geschäfte die Meditation ist31. Im Zustande der Meditation sind die äußern Organen so gut als unempfindlich. [113] Nur das Innerste ist angespant, und die auf eine einzige bestimte Untersuchung hingezogene Aufmerksamkeit drückt das Bewustseyn seiner selbst zu Boden. Man lächelt, und wird traurig, nach der Beschaffenheit seiner innern Veränderungen, und man vergißt darüber seinen äußern Zustand. Der rohe Weltbürger kan weniger ungetheilte Betrachtungen anstellen, und weil kein einziger Gegenstand seine mittel30
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mäßige Aufmerksamkeit ausschließend fesselt: so kan er auch selbst nie vergessen, in was für Situationen er sich befindet. Der Wilde, der in seinem ganzen Leben auf der Jagd am meisten aufmerksam ist, verliert das Bewustseyn seines äußern Zustandes fast gar nicht, und es ist gewis, daß er vor Hunger sterben müste, wenn er auf der Jagd sich in solche Betrachtungen vertiefen solte, wie der Philosoph auf der Studierstube. Er würde vergessen, daß er jagen solle, und nur zu spät die Meditation fahren lassen. Man weis aus der Erfahrung, daß die Thiere nur dann ganz zerstreuet sind, wenn sie auf eine ihnen ungewöhnliche Art behandelt werden. Der Wolf verhält sich anders, wenn er im freyen Feld einen Jäger erblickt, und wiederum anders, wenn er zur Schau vieler hundert Personen auf einmal aus einem finstern Kerker im Amphitheater hervortreten muß. Im letztern [114] Fall ist er ungleich mehr zerstreut. Er nimt nicht so feige die Flucht, als wenn er die Jägerhunde hinter sich wahrnimt. Das Reh, das ganz sorgenlos weidet, und wenn es einen Menschen erblickt, flieht, steht wie betäubt stille, wenn es von einer Menge Treiber umzingelt, und mit großem Geschrey fortgetrieben wird. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, diese mindere oder stärkere Zerstreuung an mehrern Thieren zu bemerken. Der einzige Löwe lag im Angesicht mehrerer hundert Zuschauer unbeweglich, und es ist zu vermuthen, daß er auch in seinem Vaterlande den Anblick eines einzigen Menschen ebenso starr aushalten wird. Die Ursache, warum Thiere weniger zerstreut sind als Menschen, ist blos in der größern Empfindlichkeit ihrer sinlichen Werkzeuge zu suchen. Weil die Eindrücke auf ihre Organen so lebhaft sind: so ziehen auch die Gegenstände, von welchen sie diese lebhaften Eindrücke erhalten haben, ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sie leben stets außer sich, weil die Gegenstände außer ihnen sie durch die heftigen Erschütterungen der Organen ganz beschäftigen. Der Jäger ist daher gewis in einer größern Zerstreuung, wenn er einen Bären auf sich loskommen sieht, als das Wild bey dem Anblick seines Nachstellers zerstreuet ist; und man würde die Zerstreuung des [115] erstern am allerbesten bemerken, wenn man in eben dem Augenblicke Unterredungen mit ihm anstellen könte. Für den forschenden Geist scheint die Zerstreuung ein ganz unentbehrliches Erforderniß zu seyn, weil es nicht immer in unsrer Gewalt steht, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, die unsre angespanten Nerven erschlappen machen, die unsre Aufmerksamkeit theilen, und uns in unsern Betrachtungen stören. Diese Störungen können wir nicht immer nach unsrer Willkühr entfernen, oder uns ihnen gänzlich entziehen. Daher ist es gut, wenn man nicht blos in der Einsamkeit einer ruhigen Studierstube; sondern auch unter dem Geräusch der geschäftigern Mitbürger denken und Betrachtungen anstellen lernt. Das leztere wird man nie glücklich genug ausführen, wofern man sich nicht aus seiner gegenwärtigen Lage, und denen uns umgebenden Gegenständen, die die Aufmerksamkeit auf die innern Veränderungen verscheuchen, hinausdenkt. Jene Gewalt über sich selbst ist nur das Eigenthum sehr weniger Personen, die mitten unter dem Geräusch einer zahlreichen Familie die tiefste Meditation ohne Zerstreuung anzustellen im Stande sind. Ja es ist zweifelhaft, ob es solche Geister der Spekulation gebe, weil alle Menschen von Kindheit auf in die Winkel gewiesen werden, wenn sie [116] Lektionen erlernen, oder andere Exercitien der jugendlichen Kräfte anstellen sollen. Diese Gewohnheit klebt einem bis in das mänliche Alter an. Auf der Universität hat man die große Bequemlichkeit, seine Kräf31
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te in der Einsamkeit, und nicht in unruhigen Stuben wühlender Kinder anzustrengen. Bey dem Studierenden wohnen die Musen mit ihrer ganzen feyerlichen Stille, und es steht in seiner Gewalt, seine Wohnung einer jeden Person unzugänglich zu machen, die ihn in der ungetheilten Uebung seiner Geisteskräfte unterbrechen könte. Nach dem Schluß der akademischen Jahre sondern sich Bücher und Musen von den Werkstätten des Hauswesens wieder ab, und so hat man fast im ganzen Leben nie Gelegenheit, sich jene Gewalt über sich selbst durch Uebung zu Wege zu bringen. Der entgegengesezte Zustand, in welchem weder die äußern noch innern Sinnen erschüttert werden, oder wenn sie auch erschüttert werden, der Mensch doch nicht weis, daß es seine Sinnen sind, die diese Veränderungen leiden, he ißt d ie B e r aub u ng d e s B e w us t sey n s un s re r se l bs t. Das Selbstbewustseyn aber ist von einer doppelten Art, die aus der größern oder mindern Vollständigkeit des Gefühls entstehen. Das eine wenige vollständige Gefühl, das in dem Selbstbewustseyn enthalten ist, sagt uns weiter nichts, als daß [117] wir gegenwärtig da sind. Wir fühlen zuweilen bey den Erschütterungen unsrer äußern und innern Sinnen, bey der Anstrengung irgend einer Seelenkraft, bey unsern Wünschen und Verabscheuungen, bey unsrer Thätigkeit weiter nichts, als daß gegenwärtig unsre sinlichen Werkzeuge erschüttert werden, daß wir jezt denken, wünschen, verabscheuen, handeln, kurz daß wir jezt existiren. Man nent diese Art des Selbstbewustseyns das G efü h l u n ser s ge ge nw ärt i gen Da seyn s. De scar tes gründete dieses Gefühl unsers gegenwärtigen Daseyns auf die Uebung der sogenannten höhern Denkkräfte der Seele, auf Erinnerung, Abziehung, Allgemeinmachung, Veränderung und Verbindung der Begriffe. Ich denke, so schlos er, folglich bin ich. Wenn man noch die kleine Einschränkung hinzusezt: ich bin mir bewust, daß ich denke; so ist sein Schluß allerdings richtig. Seelenveränderungen mit Bewustseyn, daß sie da sind, erzeugen durchgehends ein Gefühl unsers gegenwärtigen Daseyns. Allein nicht blos Erinnerung, Verbindung und Abziehung allgemeiner Begriffe gewähren uns diese Art von Gefühl. Wir fühlen unser Daseyn auch bey einer jeden Empfindung, die uns durch unsre äußern sinlichen Werkzeuge zugeführt werden. Eine jede nicht zu leise, aber auch nicht zu heftige Erschütterung unsrer äußern Sinnen, die [118] wir gewahr nehmen, gestattet uns das zuweilen so süße Gefühl, daß wir jezt da sind. Und so sind auch alle unsre Wünsche und Verabscheuungen, und alle Thätigkeiten nach diesen Wünschen und Verabscheuungen stets mit einem gewissen Gefühl unsrer Existenz der vergesellschaftet. Wenigstens läßt es sich von solchen sinlichen wahrgenommenen äußern Empfindungen, und einer solchen Anstrengung der innern Seelenkräfte, die mit Vergnügen oder mit Schmerz verbunden sind, mit unwidersprechlicher Gewißheit behaupten, daß das Gefühl unsrer Existenz beständig mit ihnen verbunden sey. Es giebt mehrere Fälle, in welchen wir bey bemerkbaren Sensationen und bey Vorstellungen, von denen wir uns klar bewust sind, daß wir sie haben, doch des Gefühls unsers Daseyns gänzlich beraubt seyn können. Bey dem Anblick erhabner, ehrwürdiger Gebäude oder eines Tempels, wird man in ein solches Nachdenken versenkt, daß man sein Daseyn gar nicht mehr fühlt. Die Betrachtung einer anziehenden, nie gesehenen Statue, eines großen Mannes, eines ernsthaften Schauspiels; Anhörung einer Andachterweckenden Musik veranlassen in uns oft solche auf einen einzigen Gegenstand koncentrirte Betrachtungen, daß wir uns nicht mehr fühlen. Eben so ziehen uns auch einige Meditationen so sehr [119] von uns selbst und unserm innern Gefühl ab, daß wir unsrer völlig vergessen. Nichts beweiset diese Behauptung besser, als
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die Minen und Geberden eines Meditirenden, um welcher willen ihn jedermann, der ihn zum erstenmal beobachtete, ohne davon benachrichtiget zu seyn, daß es der gewöhnliche Zustand der Meditation mit sich bringe, für einen Narren halten müste. Da unsre Seele sich bey tiefsinnigen Spekulationen gleichsam aus dem Körper hinaus begiebt, und ihre Aufmerksamkeit von sich selbst und allen andern Dingen außer ihr, die nicht die Gegenstände ihrer Meditation sind, abwenden, und auf einen einzigen Gegenstand anheften muß: so kan sie im gewöhnlichen Zustand der Betrachtung diesen Gegenstand noch immer von sich selbst unterscheiden, und ihn als außer sich befindlich betrachten, weil sich eben durch diesen Charakter, Meditation und der Zustand der Empfindung, von einander unterscheiden. Allein man hat Erfahrungen, daß bey fortgesezten tiefsinnigen Spekulationen das Bewustseyn unsrer selbst so sehr verdrängt werden könne, daß man den Gegenstand der Meditation nicht mehr als außer sich befindlich anzusehen, und die uns ganz erfüllende Idee desselben nicht mehr von sich selbst zu unterscheiden im Stande ist. Ein solcher Zustand ist unstreitig der allertraurigste, in welchen ein Gelehrter durch [120] Geistesarbeiten gerathen kan, weil es der Zustand der mit der Meditation verschwisterten Narheit ist. T is s ot giebt uns von diesem kläglichen Schicksal einiger Gelehrten Nachricht, die durch fortgesezte Anstrengung im Denken endlich in diese unglückliche Vergessenheit ihrer selbst verfielen, und dadurch verrückt wurden32. Der eine bildete sich ein, daß er von Butter sey, und vermied mit großer Behutsamkeit das Feuer, aus Furcht zu schmelzen; der andre hielt sich für eine Laterne, und ein dritter glaubte ein Gerstenkorn zu seyn, und ersuchte seine Begleiter, aus Besorgniß verschlungen zu werden, die Hüner vor ihm weg zu jagen. Diese Unglücklichen hatten vermuthlich das Abstrahiren von sich selbst, und von ihrem Zustande so weit getrieben, daß endlich auch so gar die lezte glimmende Idee des Bewustseyns ihrer selbst in gänzliche Dunkelheit erlosch, und daher kam es denn, daß sie den lezten Gegenstand, der ihre Vorstellungskraft gerade in diesem entscheidenden Augenblick beschäftigte, da das Bewustseyn ihrer selbst verschied, für sich selbst ansahen. Der eine hatte in diesem Augenblicke des Absterbens seiner Vernunft gerade die Idee von der Butter; der andere von einer Laterne, der dritte von einem Gerstenkorn gegenwärtig ge[121]habt, und ein jeder von ihnen schob nun den Gegenstand dieser seiner lezten Vorstellung der Idee von sich selbst unter, und sahe forthin überall nur Beziehungen auf diesen Gegenstand, wo er Beziehungen auf sich selbst zu sehen, wähnte33. Hieraus folgt, daß das Gefühl unsers Daseyns nicht in dem Grad zu- oder abnimt, in welchem die Anstrengung unsrer Seelenkräfte, und der Grad der Erschütterung unsrer sinlichen Organen zu- oder abnimt; weil wir bey mittelmäßigen Erschütterungen der Sinnen, und bey leisern Anspannungen der Seelenorganen unser Daseyn lebhafter fühlen können, als wenn die Anstrengung derselben auf das höchste getrieben ist. Richtig ist es auf der andern Seite, daß die Lebhaftigkeit des Gefühls unsers Daseyns sich nach der Lebhaftigkeit des Vergnügens und Schmerzens richtet, und mit dieser ab- und zunimt. In einem gleichgültigen Zustande, wie der Zustand der Meditation gewöhnlich ist, fühlen wir uns nur sehr selten. Im Körper geht nichts vor, was uns die Idee von uns selbst und unserm Daseyn erwecken könnte. Alles ist da voll32 33
De la santé des Gens des Lettres pag. 38. Mehrere Beyspiele findet man bey Muratori della forza della fantasia umana. So urtheilt Herr Campe über dieses Phänomen, dessen eigner Worte ich mich hier bedient habe. M. s. die Empfindungs- und Erkenntnißkraft der menschlichen Seele, S. 15. 16.
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kommen ruhig und stille. Das Vergnügen, das aus der [122] Meditation zu entspringen scheint, entspringt nie aus dem Nachdenken und aus den Geistesarbeiten selbst. Wenn wir Begriffe aufklären, verwickelte Entschlüsse entwickeln; so entzükt uns nie eine angenehme Empfindung. Allein gleich auf das Nachdenken kan Vergnügen folgen, so bald die Seele nur auf sich selbst zurücksieht. Dann freuet sie sich erst, daß es ihr gelungen, in eine schwere Materie tief einzudringen, und in dunkeln Gegenden hell zu sehen. Dann fühlen wir auch unser Daseyn; denn angenehme und unangenehme Empfindungen sind stets mit dem Gefühl unsers Daseyns vergesellschaftet. So wohl Vergnügen als Mißvergnügen läßt uns deswegen unser Daseyn beständig fühlen, weil wir es sind, die Lust und Unlust angreift. Schmerzhafte und ergötzende Empfindungen des Körpers so wohl als der Seele, machen uns ungleich mehr auf uns selbst aufmerksam, als die gleichgültigen Eindrücke und Modifikationen unsrer Kräfte. Wenn wir die leztern zuweilen gar nicht zu uns rechnen: so sind jene zu mächtig, als daß sie nicht unser Gefühl anfallen, und uns gleichsam in uns selbst zurükschlagen sollten. Schmerz zieht die Brust zusammen; das Vergnügen erweitert sie. Die Cirkulation des Bluts wird stärker oder schwächer, als im Zustande gleichgültiger Eindrücke. Wir nehmen unsern Zustand deutlicher wahr. [123] Nur verrükte Narren sind im wachenden Zustande des Körpers bey Eindrücken von Vergnügen und Schmerz gleichsam gelähmt. Die Freuden der Tafel, der Gesellschaft, der Musik, alle körperlichen Vergnügungen, die die empfindsamen Theile anschlagen solten, sind für das Nervensystem des beständig weinenden Narren nicht scharf und spitzig genug, und der stets lachende Narr schwärmt bey denen für andere Personen äußerst schmerzhaften Eindrücken stets in Freuden herum. Beyde fühlen ihr Daseyn gerade da nicht, wo es andere fühlen; oder sie fühlen es wenigstens bey Freuden und Leiden nicht lebhafter, als in ihrem gewöhnlichen Zustande, wenn sie gleich ihr Daseyn immer fühlen. Sollen aber Lust und Unlust uns unser Daseyn lebhafter fühlen machen, als die gleichgültigen Eindrücke und Veränderungen unsrer Organen: so dürfen beyde Empfindungen nicht in einem zu hohen Grad heftig seyn. So wie entzückende Freude und konvulsivischer Schmerz uns unsre äußern offenen Organen zudrükt, daß sie gegen alle Eindrücke unempfindlich werden: so rauben sie uns auch das Gefühl unsers gegenwärtigen Daseyns, durch die Unempfindlichkeit, in welche sie unsre Nerven durch ihre Lebhaftigkeit versetzen. Diese Wirkung überspanter angenehmer und unangenehmer Empfindungen kanten al[124]le diejenigen Personen, die ihre Sorgen in Wein ersäuften, da sie sich zuerst ein körperliches Vergnügen, den Genuß des Herzerfreuenden Weins verschaften, dadurch ihre Leiden in Freuden umschmelzten, und endlich durch das Uebermaß im Genuß in eine gänzliche Gefühllosigkeit zurückfielen. Da nun die Ohnmacht die Wirkung eines zu großen Schmerzens oder Vergnügens, oder einer zu großen Erschöpfung der Kräfte ist: so wird das Gefühl unsers gegenwärtigen Daseyns auch in der Ohnmacht erstikt34. 34
Nach einer gemeinen Redensart scheint es, als wenn auch bey einer gemäßigten Wollust dieser Zustand eintreten könne. Man sagt oft: Ich fühlte mich die ganze Zeit über, die ich in der Gesellschaft dieser Person zubrachte, nicht. Man wurde auf die angenehmste Weise verändert; aber man knüpfte keine Veränderungen an sein Daseyn. So komt es, daß man nicht weis, wie einem die Zeit vergeht, und die Zeit scheint einem gerade alsdenn lang, wenn man mit Fleiß die Veränderungen an sein Daseyn zu knüpfen sucht.
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Die oben35 über die Zustände, in welchen die äußern Organen gegen äußere Eindrücke unempfindlich sind, mitgetheilte Anmerkungen lassen sich alle in der Lehre vom Bewustseyn unsers gegenwärtigen Daseyns anwenden. In allen jenen Fällen, da unsre äußern Sinne nicht em[125]pfinden, wenn überdas keine einzige von unsern Seelenkräften geübt wird, und wenn wir gar nicht thätig sind, geht das Gefühl unsers Daseyns verlohren. Aber alle diese Zustände müssen sich beysammen finden, wenn das Gefühl unsrer Existenz aufhören sol. Wir dürfen weder mit Bewustseyn empfinden, noch mit Anstrengung denken, noch begehren und verabscheuen, noch handeln, wenn wir uns nicht mehr fühlen sollen. Wenn wir also mit ofnen Augen, die uns aber eine tiefe Meditation so gut als verschließt, die Gegenstände nicht vor uns sehen, dabey aber in unsern Gedanken uns über das Sichtbare emporschwingen, und dieses Leben der innern bey dem Tod der äußern Organen genießen, und es mit Bewustseyn genießen: so können wir das Gefühl unsers Daseyns noch immer lebhaft genug haben. Im strengsten Verstande giebt es gar keinen Zustand des Menschen, in welchem diese zur Beraubung des Bewustseyns unsrer selbst nöthigen Erfordernisse beysammen seyn solten, weil selbst im tiefen Schlaf unsre äußern Sinne zwar ruhen, aber die Denkkraft unaufhörlich fortwirkt, ohne daß wir ihre Wirkungen gewahr nehmen. Es giebt aber einen Zustand, den man mit diesem für gleichgültig ansehen kan; einen Zustand, in welchem wir die Veränderungen unsrer äußern, und die Thätigkeit unsrer innern nie ganz ruhen[126]den Sinnen nicht gewahr nehmen, in welchem folglich die gänzliche Beraubung des Bewustseyns unsers Daseyns eintrit. Dieses geschieht im tiefen Schlaf. Im tiefen Schlaf leiden zwar unsre Sinnen, und unsre Seelenorganen sind thätig; aber auf eine uns ganz unbemerkbare Art. So bald aber unsre äußern und innern Sinnen ihr angewiesenes Geschäfte auszusetzen scheinen, und keine Aeußerung einer Seelenkraft zum Bewustseyn kömt: so bald gerathen wir in die gänzliche süße Vergessenheit unsers Daseyns. Dank sey der gütigen Natur, die uns durch den Schlaf dieses Bewustseyn raubt, und uns von uns selbst abzieht. Ohne eine gänzliche Erschöpfung könte das Gefühl unsers Daseyns nicht unaufhörlich da seyn. Wolten wir unser Daseyn beständig fühlen: so m[ü]sten unsre Sinnen und Kräfte in unaufhörlicher Wirksamkeit seyn. Wir m[ü]sten ihre Tätigkeit immer fühlen. Aber dieses alles k[ö]nte ohne frühe Abnutzung und Erschöpfung der Kräfte nicht erhalten werden. Kein empfindendes und denkendes Wesen könte zur Erreichung seiner Zwecke fortdauern, wenn seine empfindenden Theile stets beschäftiget, seine Organen stets angespant, und seine Kräfte in einer ununterbrochenen Wirksamkeit erhalten würden. Wir ermüden bey einer mäßigen Arbeit unsers Körpers und unsrer Seele so sehr, daß wir uns um [127] Mittel zur Ersetzung unsrer Kräfte umsehen müssen. Nahrhafte Speisen und Getränke frischen unsre müden Lebensgeister ein wenig an. Aber Speisen und Getränke würden bey weitem nicht zureichen, stets gespannten Triebfedern und Kräften den durch Arbeit verursachten Abgang in einem zureichenden Maaße zu vergüten. Daher sorgte die Natur dafür, daß auf einen Zustand der Wirksamkeit ein Zustand der Ruhe folgen muste: und weil diese Absicht so wichtig war: so überlies sie es nicht der Willkühr de[s] Menschen, ob er stets wachen, oder auch schlafen will. Er muß schlafen, und wenn er seine Kräfte auch während seines Wachens nicht anstrengt: so verlieren
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sich doch schon blos durch sein Wachen einige Theile derselben, um deren Ergänzung Willen er sich nach Ruhe sehnt. Durch eine andre Art von inneren Gefühlen nehmen wir die verschiedne Eigenschaften unsrer Vorstellungen wahr. Man hat in unsrer Sprache noch keinen Nahmen zur Bezeichnung dieses Gefühls, wahrscheinlich aus der Ursache, weil man es gewöhnlich zum Gefühl des Daseyns unsrer Begriffe zieht. Allein man muß dieses Gefühl nothwendig zu einer eignen Klasse machen, zumahl da es sich in mehrere Zweige theilt. Unsre Kenntnisse vom bloßen Daseyn eines Dinges sind noch lange nicht die Kenntnisse von seinen Beschaffenheiten, und jemehr der Gelehrte von den leztern auffinden [128] kan, desto mehr wird seine Wissenschaft brauchbar. Wie spornt nicht der Mangel unsrer Einsichten in die Beschaffenheiten der Dinge, deren Daseyn man erkannt hat, die Köpfe in allen Theilen der Gelehrsamkeit zu Untersuchungen und Beobachtungen an, um die verborgenen Eigenschaften der Dinge zu entdecken? Um den Aetna besser kennen zu lernen, als man ihn kante, lies sich P l i niu s von der Gefahr, unter den tödlichen Auswürfen des Berges vergraben zu werden, nicht abschrecken. Rich ma n n wurde über seinen Untersuchungen über die elektrische Materie ein Märtyrer, deren die Geschichte der Physik mehrere kennt. Mit Recht müssen daher diejenige von unsern Gefühlen, die uns mit der Eigenschaft der Begriffe, die wir haben, bekannt machen, eine eigne Klasse von innern Gefühlen ausmachen. Man kan es das Gef üh l der Be sch af fe nhe it u nsre r Vo rs te ll un gen nennen. Eine Benennung, die auch bedeutend genug ist. So mannigfaltig nun die Beschaffenheiten und die Eigenschaften unsrer Begriffe sind: so mannigfaltig sind die Zweige dieses innern Gefühls. Unter unsern Begriffen giebt es nach einer gegründeten Eintheilung der Schule einen gedoppelten Unterschied, in Rüksicht auf eine gedoppelte Beschaffenheit derselben. [129] Unsre Begriffe sind nemlich entweder einfache oder zusammengesezte, und die zusammengesezte entweder partikuläre, oder allgemeine. Diesen Unterschied unter unsern Ideen nennt man ihren wesentlichen Unterschied, (D if fere nt ia m ater ia l i s) weil die Merkmahle ganz unveränderlich sind, in welchen diese verschiedne Arten von Ideen von einander abweichen. Siehet man auf diejenige Beschaffenheit der Ideen, die man ihre Klarheit und Dunkelheit zu nennen pflegt: so heißt das auf ihren formellen, oder blos zufälligen Unterschied sehen, weil die Begriffe klar und dunkel werden können, ohne daß sie aufhören die Begriffe zu seyn, die sie vorher waren. Nach diesem gedoppelten Unterschied der Begriffe sind auch die Gefühle, die uns ihn kennen lehren, als ein gedoppelter Zweig des Gefühls der Beschaffenheit unsrer Vorstellungen anzusehen. Der eine entdeckt uns den materiellen, und der zweyte den formellen Unterschied unsrer Begriffe. Nichts in der ganzen Welt, als der erste von diesen Zweigen des innern Gefühls, kan uns lehren, ob unsre Ideen einfach oder zusammengesezt sind. Nur alsdenn erst könten wir ohne das innere Gefühl die wesentlichen Unterschiede unter unsern Ideen entdecken, wenn zur Erzeugung einfacher und zusammengesezter Ideen in jenem Fall ganz einfache, und in diesem zusammengesezte Gegenstände erfordert, würden. Aber so wenig zur [130] Hervorbringung einfacher Sensationen und Empfindungen ganz einfache Gegenstände erforderlich sind, weil diese von unsern Sinnen gar nicht empfunden werden können: eben so wenig sind alle Reste einfacher Empfindungen und Sensationen, oder die einfachen Ideen, Ideen von ganz einfachen
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Gegenständen. Gegenstände dürfen, um einfache Sensationen und Empfindungen in uns hervorzubringen, nicht einmal aus ganz gleichartigen Theilen bestehen. Sie können heterogene Theile haben, wenn unsre Sinnen nur nichts Mannigfaltiges und Gemischtes an ihnen wahrnehmen. Ohne diesen Zweig des innern Gefühls würden wir auch den wichtigen Unterschied unter zusammengesezten und blos associirten Ideen gar nich[t] bemerken können. Associirt sind ein Paar Begriffe, wenn eines nie in der Seele da ist, ohne den andern zugleich mit aufzuwecken. Darinnen sind associirte Begriffe von zusammengesezten unterschieden, daß wir die mehreren einfachen Ideen, die eine zusammengesezte ausmachen, als Theile einer einzigen ganzen Idee uns denken, da wir hingegen die associirten Ideen nicht als Bestandtheile einer einzigen zusammengesezten Idee, sondern als mehrere für sich bestehende Ganze ansehen. Von diesem allem unterrichtet uns einzig unser inneres Gefühl36. [131] Mehr sind wir unstreitig vom Gefühl unabhängig, wenn wir darüber urtheilen wollen, ob ein Begrif ein allgemeiner, oder ein partikulärer Begrif ist. Dieses können wir schon a p r io r i, ohne uns auf das Gefühl zu berufen, fast allemal ganz sicher bestimmen, weil wir sichrer vom Gefühl fast ganz unabhängige Merkmahle haben, wodurch sich partikuläre von allgemeinen Begriffen unterscheiden. Hier sind ein Paar davon. Die partikulären Begriffe rühren blos von einzelnen Gegenständen und deren Eigenschaften her. Diese könten wir haben, wenn auch nur der einzelne Gegenstand einzig und gar keiner mehr von seiner Art vorhanden wäre. Allgemeine Begriffe setzen hingegen immer mehrere Gegenstände voraus, aus deren abgezogenen Aehnlichkeiten sie bestehen. Nun aber läßt sich ohne das innere Gefühl blos durch das Gefühl der äußern Sinne erkennen, ob ein Begrif von einem einzelnen Gegenstand in uns erzeugt worden, oder von mehreren ähnlichen. Ferner, die partikulären Begriffe enthalten vorzüglich diejenigen Eigenschaften, die den Gegenstand von andern derselben Art unterscheiden. Gerade das Gegentheil thun die allgemeinen Begrif[132]fe, indem sie in sich alle gemeinschaftliche Eigenschaften der Individuen einer Art versamlen. Auf der andern Seite kan uns den formellen Unterschied unsrer Begriffe nichts kennen lehren, als unser inneres Gefühl. Dieses innere Bewustseyn ist der einzige Probierstein, vermittelst dessen wir klare Vorstellungen von dunkeln zu unterscheiden im Stande sind. Und so wie die Grade der Klarheit und der Dunkelheit unendlich sind: so können auch diese alle nicht anders, als durch das innere Bewustseyn uns bekannt werden. Keines unter allen Gefühlen, die zu dieser zwoten Klasse gehören, ist in der Philosophie bekannter geworden, als das Ge fü h l de s W ah re n, das man zu unsern Zeiten sehr richtig aus der Philosophie verdrängen will. Man hat, wie mich deucht, bey der Entscheidung dieses Streits über ein inneres Gefühl, und dessen Daseyn und Nichtdaseyn, festern Fuß, als bey irgend einem Streit über innere Gefühle, die insgemein sehr schwer beyzulegen sind. So sehr man es den dogmatischen Partheyen von jeher zur Last legte, daß sie in ihrer Behauptung unerträglich stolz seyn, nach welcher sie das, was sie bewiesen zu haben glaubten, für lauter unwidersprechliche Wahrheiten verkauften: so sehr, und noch viel mehr kan man einen Empiriker eines unbiegsamen Stolzes beschuldigen, wenn er die Wahrheit zu fühlen von sich rühmen will. Diejenigen, die zuerst von ei[133]nem Gefühl des Wahren sprachen, fehlten gewis nicht darinnen, daß sie
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sich etwa eingebildet haben solten, etwas zu fühlen, was sie nicht fühlten. Sie fühlten recht, und fühlten gerade das, was noch immer ein jeder fühlen muß, der nur im geringsten auf sich aufmerksam ist. Allein, daß sie das, was sie fühlten, sogleich zu Gefühlen das Wahren erhoben, flos entweder aus dogmatischem Stolz, oder war es die Folge einer sehr nachtheiligen Unachtsamkeit in Absicht auf die Sprache. Das erstere scheint mir deswegen wahrscheinlicher, weil es noch bis diese Stunde eine Familienkrankheit aller Dogmatiker ist, ganz entscheidend von Wahrheit und Irrthum zu sprechen, und diejenigen Sätze, die sie behaupten, für ewige, unumstösliche an sich wahre Sätze auszugeben. Was man nemlich fühlte, und was ich und ein jeder andrer noch immer fühlt, ist blos dieses, daß man gewissen Sätzen Beyfall oder nicht Beyfall giebt, oder den Beyfall und Nichtbeyfall zurückhält, sie für wahr, oder für falsch, oder weder für wahr noch für falsch, sondern für zweifelhaft hält. Aber ist dieses ein Gefühl des Wahren, ein Vermögen, Wahrheit und Irrthum unmittelbar ohne weitere Ideenassociation und Raisonnement wahrzunehmen? Nur dann könte man von einem solchen Gefühl reden, wenn alles dasjenige, was wir für wahr, oder für falsch, oder für zweifelhaft [134] halten, wirklich wahr, falsch, zweifelhaft wäre. Unser Glauben an gewisse Sätze ist aber bey weitem kein Beweis ihrer Wahrheit, und unsre Nichtaufnahme andrer Sätze kein Beweis ihrer Falschheit. Wäre dieses: so müsten tausend Sätze, denen ein jeder ehedem Beyfall gegeben, und die er jezt für falsch hält, noch immer wahr seyn, und die Sätze, die ein Zeitalter oder eine ganze Nation glaubte, und die unser Zeitalter für Chimären hält, müsten demohngeachtet wahr seyn. Umgekehrt müsten diejenigen Sätze, die man in seiner Jugend, oder die eine ganze Vorwelt für falsch hielt, und denen man in einem folgenden Zeitraum seines Lebens, oder denen die heutige ganze Welt mit fester Ueberzeugung Beyfall giebt, noch immer falsch seyn. Eben dieselbigen Sätze würden also zu gewissen Zeiten wahr, und zu andern wieder falsch seyn, wenn das innere Gefühl des Beyfalls, des Nichtbeyfalls, und des Zweifels ein Beweis der Wahrheit, der Falschheit und der Zweifelhaftigkeit der Sätze wäre. Eben deswegen hat man auch hinlänglichen Grund, ein erdichtetes Gefühl des Wahren aus dem Capitel vom inneren Sinn auszustreichen, und dafür das Gefühl des Beyfalls einzurücken, über welches sich ungleich mehr Brauchbares sagen läßt, als über das eingebildete Gefühl des Wahren. Eine von den bisherigen Gefühlen des Daseyns und der Beschaffenheit unsrer Begriffe, oder [135] unsrer inneren Modifikationen, ganz verschiedne Art von Gefühlen sind diejenigen Gefühle, vermittelst welcher wir nicht die Modifikationen unsrer Seelenkräfte, sondern die Seele selbst und ihre Kräfte in uns entdecken. Nur dieser Theil unsers innern Sinns belehret uns von dem Daseyn eines Theils in uns, der da denkt, und will. Hätten wir diese Gefühle nicht: so könten wir schlechterdings nicht wissen, daß wir eine Seele haben. Aus diesem Gefühl hat man zu gleicher Zeit ausmachen wollen, was die Seele in uns sey, und das mit Recht. Aber man fühlte ganz unrecht. Man lies die Erfahrungen, die am Tage lagen, aus den Augen; und man baute fast die ganze Seelenlehre auf ein unrichtiges Gefühl. Daß wir ohne diesen Theil des innern Sinnes gar nicht wissen können, daß wir eine Seele haben, lehrt das Beispiel solcher Personen, denen er wirklich fehlt. Fast alle ungelehrte Personen, die in ihrem Leben wenig oder gar nicht gedacht, wissen gar nicht, daß in ihnen eine Denkkraft wohnt, deren Gewahrnehmungen, nachdem sie 36
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mit Lust oder mit Unlust vergesellschaftet sind, die Aeußerungen des Willens erwecken; oder wenn sie es wissen: so haben sie es dem Unterricht ihres Pfarrers zu verdanken, der das Daseyn seiner Seele zuweilen eben so wenig fühlt, als die Menschengestalten, zu deren Seelensorge er bestellt worden. [136] Aber wir fühlen nicht blos, daß wir ein Vermögen zu denken besitzen. Die mehreren in einer Kraft zu denken eingewickelte Fähigkeiten, die aus der Fähigkeit der mancherley Anspannungen und Anstrengungen der Organen des Gehirns bestehen, und die man gewöhnlich S eel en kr äfte nennt, nehmen wir durch eben dasselbe innere Gefühl war, so bald wir nur die mehreren Denkarten bey uns wahrnehmen. Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand, Vernunft könten im ganzen menschlichen Geschlecht vorhanden seyn, und kein Menschenkind würde sie auf irgend einem andern Weg in sich entdekt haben, als durch das innere Gefühl. Wenn es daher wahrscheinlich wäre, daß die Gottheit uns das Gefühl einiger unsrer Seelenkräfte aus besondern Absichten versagt hätte: so könten sich die Seelenkräfte wirklich in uns finden, ohne daß wir es wüsten, daß sie da seyn. So wenig sich seichte und blödsinnige Menschen einen Begrif von Scharfsinn und Tiefsinn machen, so wenig sie wissen können, daß es so was giebt, was man Scharfsinn und Tiefsinn nennt, weil sie nie ein Gefühl von diesen herrlichen Geschenken gehabt: eben so wenig würde das ganze menschliche Geschlecht von allen denen Kräften wissen, die die Gottheit in dasselbe gelegt, wenn sie ihm die Gefühle derselben nicht mit verliehen hätte. Der Fall, den ich hier setze, ist nicht ganz unmöglich, ob er gleich in eben dem Grad [137] unwahrscheinlich wird, in welchem es wahrscheinlich ist, daß die Gottheit, da wir wenigstens keine Absicht dazu sehen, es nicht wird gethan haben. Indessen leuchtet doch die Schwäche im Schluß, vom Mangel des Gefühls gewisser Seelenkräfte auf ihre gänzliche Abwesenheit in den Geschöpfen, aus dieser Bemerkung deutlich in die Augen. Eine Lücke im inneren Gefühl der Kräfte setzte nicht nothwendig eine Lücke oder einen gänzlichen Mangel der Kräfte selbst voraus. Wenn also die Seelen der Thiere gleich gegenwärtig kein Gefühl von Verstand und Vernunft hätten: so würde doch nicht folgen, daß sie diese Kräfte gar nicht besitzen. Nur die wenigsten Menschen fühlen die Gegenwart ihre Begriffe und die Eigenschaften derselben in Absicht auf ihre Einfachheit, und Zusammengeseztheit, Allgemeinheit und die Partikularität, Klarheit und Dunkelheit; und doch sind die Begriffe wirklich in ihrer Seele, und sie sind gewis entweder einfach oder zusammengesezt, entweder partikulär oder allgemein, und in einem gewissen bestimten Grade von Klarheit und Dunkelheit in ihrer Seele vorhanden. Um so viel richtiger ist der entgegengesezte Schluß von der Wirklichkeit gewisser innerer Gefühle von gewissen Seelenkräften auf diese Seelenkräfte selbst. Denn die inneren Gefühle sind ganz unveränderlich wahr. Wir fühlen nie etwas, als was wir wirklich fühlen. Menschen, die durch [138] Krankheit eine oder die andre von ihren Seelenkräfte eingebüßt, fühlen daher diese ihre mangelnde Seelenkräfte nicht mehr, und es ist zweifelhaft, ob sie den Abgang derselben fühlen. Viel wahrscheinlicher ist, daß sie ihn nicht fühlen, sondern, daß sie es blos schließen, daß eine und die andre Seelenkraft bey ihnen abgestorben sey. Alle Gelehrte, die ein hohes Alter erreichen, verlieren im Alter ihr Gedächtniß entweder ganz, oder zum Theil. Vielleicht wür-
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den sie gar nicht wissen, daß sie ehedem im Besitz dieser schäzbaren Seelenkraft waren, wenn sie es nicht aus ihrem ganzen Betragen schließen solten. Ueberhaupt ist es zu bekant, daß alle unsre Kräfte in einem beständigen Fluß, in einem unaufhörlichen Uebergang von Abnahme zur Zunahme, von Verbesserung zur Verschlimmerung, und umgekehrt, von Schwäche zu Stärke sich befinden. Nach der Abänderung der Vorzüge und der Vortreflichkeit unsrer Kräfte müssen sich die Gefühle derselben von Zeit zu Zeit ändern. Immer habe ich mich wundern müssen, wie dieser Fluß der Gefühle unsrer Seelenkräfte nicht mehr Einfluß auf unser handelndes Leben hat, als er wirklich hat. Es scheint unbegreiflich, wie Ne wt o n und Le ib n i z jene verdrießlichen Augenblicke so ruhig ausgehalten, in welchen sie sich wegen des Mangels des Gefühls ihrer Kräfte fast nichts werth zu seyn schienen. Diese Augenblicke der [139] gänzlichen Unthätigkeit ihrer Kräfte mit jenen glüklichen Stunden, in denen sie, wie Wesen höherer Art, schnell und gründlich dachten, verglichen, hätten nothwendig auch die grösten Männer ganz niederschlagen müssen, wenn sie nicht die häufige Erfahrung gemacht, daß auch hierinnen, wie in allen Vorfällen des Lebens, auf trübe Augenblicke helle Tage folgen müssten. Schon hieraus läßt sich eine gemeine Erscheinung erklären, daß sehr viele Menschen ein ungleich größeres Zutrauen zur Stärke ihrer Geisteskräfte haben, als sie wirklich Kräfte besitzen. Ich rede hier von Menschen, die wirklich zuweilen ihre Kräfte geübt haben, und doch in einem solchen Wahn stehen. Denn bey Personen, die nie ihre Kräfte geprüft, nie die mindesten Schwierigkeiten erfahren haben, die mit Arbeiten unsrer Denkkraft verbunden sind, ist es bloße Pralerey, wenn sie Stärke des Geistes von sich rühmen. Aber bey Personen, die ihre Kräfte wirklich versucht haben, kann diese heimliche Ueberredung des Besitzes einer Vortreflichkeit der Seelenvermögen, die sie in dem hohen Grad doch nicht besitzen, daher rühren, daß sie immer, oder doch die mehreste Zeit gerade in den glüklichen Stunden des Genies ihre Geistesarbeiten vornahmen, und dagegen die unfruchtbaren Zeitpunkte für den Geist entweder durchschliefen, oder mit leichten Beschäftigungen des Spiels und der Gesellschaft zubrachten, und daher [140] gar nichts Arges davon hatten, daß sie auch schwach seyn. Was von einzelnen Menschen, und dem Gefühl ihrer Seelenkräfte zu verschiednen Zeiten gilt, gilt auch vom Gefühl mehrerer Menschen. Ganze Nationen können sich bereden aufgeklärter zu seyn, als ihre Nachbaren, und in dieser Perswasion auf andre Völker des Erdbodens mit Verachtung herabsehen. Auf dem ganzen Erdboden giebt es vielleicht keine Nation, die in diesem Stück ungerechter, und unerträglicher wäre, als die Sinesische, die den Europäern höchstens ein Auge zugestehen, ihren Nachbarn das ganze Gesicht absprechen, sich selbst aber ein Paar vollkommene Augen in den Kopf setzen will. Eben diejenigen physischen Ursachen, die die Seelenkräfte in demselbigen Menschen bald heruntersetzen, bald wieder erhöhen, müssen auch auf die Kräfte mehrerer Menschen einen ähnlichen Einfluß haben, wenn auch übrigens die Natur alle Menschen mit denselben Kräften und in demselben Grad von Vollkommenheit ausgerüstet hätte. Allein die Natur hat nicht ein Paar der kleinsten Dinge sich völlig gleich und ähnlich gebildet: Solte sie dem Gehirn einer so zusammengesezten Maschine in allen Menschen dieselbe Organisation gegeben haben? So wenig daher arme Personen ein Gefühl vom Reichthum haben: so wenig kan der seichte [141] Denker ein Gefühl von Ba yl e’s Scharfsinn, oder von Ne wt o ns Tiefsinn haben. Dem wilden Huronen gehen dagegen auch alle Gefühle des mittelmäßigen Kopfes ganz ab. Man kan,
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wenn man will, die Vergleichung des Gefühls, das Arme an zeitlichem Vermögen vom Reichthum, und das Gefühl, das Arme an Verstand von Seelenkräften haben, noch weiter fortsetzen. Jene haben zwar kein Gefühl des Reichthums; allein sie fühlen doch, daß ihnen einige Bequemlichkeiten des Begüterten abgehen. Diese fühlen keine Seelenkräfte, allein so viel fühlen sie, daß doch die Gelehrten wirklich etwas mehr besitzen müssen, als sie selbst besitzen. Wenn Menschen zu ihren Gefühlen gar keine Urtheile der Selbstliebe beymischen: so können sie immer aus der Stärke des Gefühls ihrer Seelenkräfte auf die Stärke der Kräfte selbst, in welcher sie sie besitzen, einen sichern Schluß machen. Weil aber eine außerordentliche Größe und Stärke des Geistes dazu erfordert wird, gegen die nie schweigende Stimme der Selbstliebe taub zu seyn: so sind auch die grösten Philosophen allemal in Gefahr, hintergangen zu werden, so bald sie sich auf das Gefühl der Stärke der Vorzüge ihres Geistes berufen. Auch die grösten Männer sind von einer gewissen Eitelkeit nie ganz frey, von welcher sie in keinen Schriften einleuch[142]ternde und fühlbarere Beweise geben, als in ihren Streitschriften. Man würde ungerecht seyn, wenn man W ol fen manche wichtige Vorzüge, die er vor andern Philosophen und Mathematikern besaß, absprechen wolte. Allein sein Gefühl dieser Vorzüge schien sich, so bald er in gelehrte Streitigkeiten verwickelt wurde, zu verdoppeln, und wenn einer blos aus seinen Streitschriften seinen ganzen Charakter abziehen wolte: so würde in seinem Bilde ein Zusammenfluß von beleidigendem Stolz, und von einer unerträglichen Eitelkeit, als zween sehr bemerkbare Züge, hervorstechen. Er wagte es so gar, Schriften herauszugeben, w ie er e s m it s ei ne n S tre iti g ke ite n h a lte n w o l le. Wenn er nun sprach: so geschahe es in Orakelsprüchen mit einer gewissen Mine der Untrüglichkeit. Da gab er sich für einen Erleuchter des ganzen Erdbodens, für einen Zerstreuer der Nebel und der Finsterniß der Unwissenheit aus, die die ganze Welt bedekte. Aber W o lf ist nicht der einzige Gelehrte, der diese Schwachheit hatte. Die ganze Geschichte der Philosophen ist von Beyspielen voll. G as send i allein, der in seinem Zeitalter und auch im unsrigen bey weitem nicht so geschäzt und benuzt wird, als er es verdiente, macht unter den Philosophen des vorigen Jahrhunderts eine Ausnahme. Er blieb bescheiden im Dogmatisiren, sanftmüthig in der Behandlung seiner Gegner, und [143] liebenswürdig in Prüfung und Widerlegung ihrer Meinungen, selbst da ihm De scar te s, dem er weit überlegen war, die bittersten Vorwürfen machte, und ihm den Namen eines Philosophen abzusprechen sich erkühnte; selbst da unter dem Geräusch und Geschrey der Cartesianer seine Talente und Gelehrsamkeit ganz verkant wurden. Immer arbeitete er, wie die Natur, im Stillen, unbemerkt, aber wohlthätig wie sie. Wenn denkende Personen reine Gefühle von der Vortreflichkeit oder der Schwäche ihrer Seelenkräfte haben; wenn sie alle beygemischte Urtheile ihrer Eigenliebe gehörig absondern, und wenn sie offenherzig genug diese unvermischten Gefühle, die sie von der Stärke ihrer Seelenkräfte haben, dem Publikum vorlegen wolten: so könte sich das Publikum sicherer auf das eigne Geständniß derselben von ihrem Werth oder Unwerth verlassen, als auf die Urtheile, die man auf die der Welt vorgelegten Proben ihres Genies gründet. Denn diese Produkte können gerade in den unglüklichen oder wenig glüklichen Stunden geliefert worden seyn, da ihre Stärke schwach, und ihr Feuer verloschen war. Man thut ihnen daher im Grunde etwas Unrecht, wenn man aus solchen mißrathenen Versuchen ihr ganzes Vermögen beurtheilt. Aber weil die Gelehrten wenig Ehrlichkeit und viel Eitelkeit in Ab[144]sicht auf dieses eigne Bekentniß nach den fast allgemeinen Bemerkungen der Geschichte an den Tag zu legen pflegten: so trauet das Pub-
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likum gar keine mehr, sondern es urtheilt von dem, was es in Händen hat, wenn gleich einigen wenigen ehrlichen Gelehrten Unrecht damit geschehen solte. Man kan diese jezt beschriebne Art von Gefühlen, durch welche wir das Daseyn und die Verschiedenheit unsrer Seelenkräfte entdecken, am allerschiklichsten das Se l bst gefü h l nennen. Dieser Ausdruk ist schon längst in die Psychologie aufgenommen worden; allein er hat noch immer eine sehr schwankende Bedeutung. Einige Psychologen fassen fast alle Modifikationen unsers innern Sinnes unter dem Selbstgefühl zusammen: andere nehmen das Gefühl des Daseyns unsrer Seelenkräfte, und der Begriffe, und derselben Verschiedenheit dazu. Weil aber die leztern im Grunde zweyerley Arten von Gefühlen sind: so braucht man auch zweyerley Namen, und für das Gefühl der Seele und ihrer Kräfte möchte sich der Name des Selbstgefühls am besten schicken. Keines unter allen innern Gefühlen ist in gewisser Rücksicht wichtiger, als das Ge füh l u ns ers Ic h s, oder der Personalität, das von allen bisherigen Gefühlen sehr verschieden ist. Die[145]ses Gefühl findet sich dann bey uns, wenn wir nicht blos fühlen, daß wir jezt sind, sondern auch, daß wir ehedem in den vorigen Zeitpunkten unsers Lebens existirten. Um fühlen zu können, daß wir ehedem waren, müssen wir nothwendig unsre gegenwärtigen Empfindungen, Vorstellungen, Wünsche, Verabscheuungen und Handlungen gegen die Empfindungen, Vorstellungen, Wünsche, Verabscheuungen, die wir ehedem gehabt, und gegen die Handlungen, die wir ehedem ausgeübt haben, halten. Aus dieser Zusammenhaltung jetziger Empfindungen, Vorstellungen, Wünsche, Verabscheuungen und Handlungen mit ehemals gehabten Empfindungen, Vorstellungen, Wünschen, Verabscheuungen und Handlungen müssen wir uns überzeugen, daß wir auch ehedem empfunden, gedacht, begehrt, verabscheuet und gehandelt haben, daß wir folglich schon ehedem da gewesen sind. Ohne Association gegenwärtiger Empfindungen, Vorstellungen, Wünsche, Verabscheuungen und Handlungen mit dem, was wir ehedem empfunden, gedacht gewünscht, verabscheuet und gehandelt haben, findet kein Gefühl der Personalität statt. Eben darinnen liegt zugleich der Unterschied des Gefühls der Persönlichkeit vom Gefühl unsers gege nwär ti ge n Das eyn s. Jenes kan kein Mensch ohne Gedächtniß haben, da das leztere [146] gar keine Verbindung jetziger mit ehemaligen Veränderungen der äußern und innern Organen, keine Erinnerung voraussezt. Personen, die durch Krankheit und andere Zufälle ihr Gedächtnis einbüßen, haben daher auch kein Gefühl der Personalität, weil wir, um zu fühlen, daß wir auch ehemals waren, uns erinnern müssen, daß wir auch ehemals empfunden, gedacht und gehandelt haben. Nach der Volkommenheit und der Güte des Gedächtnisses richtet sich die Lebhaftigkeit des Gefühls der Personalität. Im werdenden Menschen, ohngefähr bis in das achte Jahr, sind alle Organen, und so auch das Gehirn sehr weich und zart. Die Eindrücke können sich in eine so flüssige Masse nicht dauerhaft genug einpflanzen. Mit zunehmenden Jahren werden die Organen fester und beweglicher. Beyde Eigenschaften dienen dazu, daß sie nicht einen jeden Eindruck, wenn er auch nur wenig lebhaft ist, aus sich sogleich hinausfließen lassen. Im Alter werden durch die Abnahme der Feuchtigkeiten die Organen zu trocken, zu steif, zu hart, als daß sie gelindere Impressionen annehmen solten. Hieraus läßt sich die Lebhaftigkeit des Gefühls der Personalität nach allen Perioden des menschlichen Lebens bey einzelnen Personen berechnen. Kinder und Greise können ungleich schwächer fühlen, daß sie [147] waren, als das Mansalter,
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weil jene, so wie die betagten Personen, ungleich weniger Gedächtnisimpressionen dauerhaft aufbewahren. Menschen von gesunden Organen haben allemal das Gefühl der Personalität, so oft sie das Gefühl ihres gegenwärtigen Daseyns haben. Keine Empfindung, kein Gedanke komt ganz abgerissen in unsre äußern und innern Organen hinein. Wir haben nie eine Vorstellung, die sich gar mit keiner einzigen verknüpfen solte, weil die Gehirnfibern, die durch die Vorstellungen gerührt, und in denen sie aufbewahrt werden, auf das genaueste mit einander verknüpfet sind. Es kan nicht ein einzelnes Organ, oder eine einzelne Fiber bewegt oder angeschlagen werden, ohne daß die benachbarten, mit denen sie physisch verbunden sind, zugleich mit bewegt würden. Durch diese Bewegung der physisch verbundenen Organen werden die Ideen, die wir in das Gedächtniß niedergelegt haben, aufgewekt, und mit dieser neu hinzukommenden Idee verbunden. So bald wir aber die lebendig gemachten Modifikationen unsrer Organen mit den neuen, gegenwärtigen Veränderungen derselben mit Bewustseyn wahrnehmen: so ist alles da, was zum Gefühl der Personalität erfordert wird. Denn Person oder Ich sind weiter nichts, als diejenigen Organen in uns, die neue Eindrücke, Vorstellungen [148] und Handlungen mit den ehemaligen, die diesen neuen ihre Auferstehung zu verdanken haben, vergleichen, und sich dadurch ihre vormaligen Existenz bewust sind. Daher sind wir auch nicht dieselben Personen, die wir vorher waren; so bald unsre jetzige Art zu empfinden, zu denken, zu begehren und zu handeln sehr merklich von unsrer vorigen Art zu empfinden, zu denken, zu begehren und zu handeln verschieden ist. In dieser Bedeutung ist das Gefühl der Personalität der andere Zweig vom Bewustseyn unsrer selbst. Allein nicht alle Philosophen bestimmen dieses Gefühl unsers Ichs auf diese Art. Es giebt noch vornehmlich eine gedoppelte Bedeutung, in welcher man vom Gefühl der Persönlichkeit redet. In der einen Bedeutung verwechselt man das Gefühl der Personalität mit dem Gefühl der Identität, mit dem Gefühl, daß wir, die wir jezt auf die Schaubühne hervortreten, nicht nur mehrere Rollen schon ehedem gespielt, sondern daß wir gerade auch dieselbigen sind, die wir ehedem mehrere Rollen spielten. Allein wir können gar nicht fühlen, daß wir, diese jezt sind, noch gerade dieselbige Personen seyn, die ehedem waren. Ein solches Gefühl ist physisch unmöglich, und wer es zu haben glaubt, wird getäuscht. Gefühl der Einerleyheit ist hauptsächlich aus dem Grunde unmöglich, [149] weil unsre Seele das unwandelbare und unveränderliche Wesen nicht ist, wofür man es in den heutigen gangbaren psychologischen Systemen zu halten pflegt. So bald aber diese Voraussetzung durch die Erfahrung umgestoßen ist: so kan die Seele schlechterdings kein Gefühl der Identität haben. An allen unsern Seelenkräften nehmen wir eben die großen Veränderungen wahr, denen unsre körperlichen Theile alle Augenblicke unterworfen sind. So wie die Glieder unsers Körpers nicht ein Paar Augenblicke dieselbigen sind, sondern alte Theile unaufhörlich verfliegen, und neue hinzukommen: so sind auch unsre Seelenorganen in einem beständigen Fluß. Wir behalten nicht ein Paar Augenblicke unsre Seelenkräfte in demselbigen Grade von Vollkommenheit. Diese ihre Wandelbarkeit bemerkten schon die allerältesten griechischen Philosophen, und es ist zu verwundern, wie die neuern auf den sonderbaren Einfall haben kommen, oder so lange und so allgemein dabey haben verharren können. Nur nach und nach kommen Kräfte im jungen Menschen zum Vorschein, die sich immer mehr und mehr entwickeln. Im mänlichen Alter kommen Kräfte zum Vorschein, von denen man in den Jünglingsjahren fast gar keine
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Spur entdekt hatte. Endlich im Alter verlieren sie sich gewöhnlich eben so sehr, wie sie sich allmählig gesamlet hatten. [150] Da also die Werkzeuge, vermittelst welcher wie empfinden, denken und handeln, nicht ein Paar Augenblicke dieselbigen bleiben; da es physisch unmöglich ist, daß auch nur zwo unmittelbar auf einander folgende Empfindungen, Vorstellungen und Handlungen mit ein Paar vorhergehenden Empfindungen, Vorstellungen und Handlungen genau dieselbigen wären: so muß nothwendig mit dem Fluß dieser Organen das Gefühl der Einerleyheit schwinden. Es ist um so mehr zu verwundern, daß Lock e und andere Philosophen ein solches offenbar gegen alle Erfahrung und Schlüsse streitendes Gefühl dem Menschen haben andichten können, da man nach der ungereimten Eintheilung der Seelenkräfte in die höhern und niedern, das Gedächtniß, die Erinnerung, und die Phantasie zu den leztern zu zählen pflegte, von denen man lehrte, daß sie im Gehirn wohnten, so wie man die höhern in ein einfaches Wesen übertrug. Nun aber solte doch ein jeder Philosoph, der von einem Gefühl der Identität oder der Personalität sprach, bedenken, daß das Gehirn, und mit ihm alle niedern Seelenkräfte, und vornehmlich das Gedächtniß, den allergrösten Veränderungen unterworfen seyn müssen, die das Gefühl der Einerleyheit so gleich aufhoben. [151] Wenn es gewiß ist, daß kein Gefühl der Einerleyheit im Menschen anzutreffen sey: so ist es auf der andern Seite eben so gewiß, daß ihm das Gefühl der Einheit seiner Person gar nicht abgesprochen werden kan. Wir fühlen die Einheit (nicht die Einerleyheit oder Einfachheit) unsrer Person immer, wenn wir während eines gewissen Zeitraums unsers Lebens uns gewisser Empfindungen, Vorstellungen und Handlungen bewust sind, und dabey uns bewust sind, daß wir die Eindrücke empfunden, die Vorstellungen gehabt, und die Handlungen ausgeübt haben. Alles, dessen wir uns nicht mehr erinnern, daß wir es gelitten oder gethan, rechnen wir nicht mehr zu unsrer Person, und können dafür weder belohnt noch bestraft werden. Demzufolge können Einheit und Veränderlichkeit unsrer empfindenden und denkenden Werkzeuge immer beysammen seyn: aber Einerleyheit und Wandelbarkeit heben sich auf. Auch ein andrer Mensch ist immer e ine Person. Auch ein andrer kan die Einheit seiner Person eben so fühlen, als ich die Einheit der meinigen fühle, weil er sich in den vorigen Zeitraum seines Lebens zurükwerfen, und sich ehemaliger Empfindungen, Begriffe und Handlungen erinnern, und sie mit den gegenwärtigen verbinden kan. Unter diesen Umständen können wir [152] uns kräftig genug überzeugen, daß wir ohngefähr von unserm vierten Jahre an, aus welchem wir uns auf eine dunkle Art einige unsrer damaligen Empfindungen und Handlungen zurükrufen können, noch immer dieselbigen Personen sind. Um so viel schwerer muß es auf der andern Seite seyn, einem andern die Einheit seiner Person zu beweisen, der mit dem Beweis, daß wir die Einheit unsrer Person fühlen, nicht zufrieden ist. In diesem Falle bleibt nichts mehr übrig, als daß man den andern aus seiner Art zu empfinden, zu denken und zu handeln, den ziemlich unzuverlässigen Schluß ziehen läßt, daß man ohngefähr ei ne Person mit derjenigen sey, wovon die Rede ist. Kein Wunder, daß sich nach der Geschichte mehrere Betrüger diesen unzuverlässigen Beweis, mit dem man zufrieden seyn muß, zu Nuz gemacht, und sich für Personen ausgegeben haben, die sie nicht waren37. Vielleicht würde man die Einheit andrer Menschen besser beurtheilen, wenn man blos auf die äußere Bildung derselben acht haben sol37
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te, weil Menschen in Absicht auf ihre äußere Gestalt sich oft unähnlicher sind, als in ihrer Art zu empfinden, zu denken und zu handeln. Allein es ist doch auch kein zulängliches [153] Kriterium, weil die Larven von ein Paar Personen doch zuweilen sehr ähnlich gebildet sind. Am besten ist es, wenn man beyde Merkmale bey dieser Beurtheilung mit einander verbinden kan. B o nne t hat über das Gefühl der Personalität einige vortrefliche Anmerkungen gemacht, die einen jeden seiner Leser gewinnen müssen38. Er wirft die anziehende Frage auf: W ie s ieh t e s u m d a s G e f ü h l d e r P e r s o na l itä t d e r er je n igen Gesc höpfe aus, d ie, ehe sie s ter be n, meh rere Ver wa nd lu nge n du rch gehe n, u nd nac h e i ner jede n V er wa nd lu ng i n e i ner neu en Ge sta lt ers che i ne n? Es ist bekant, daß gewisse Thierarten zuerst unter der Gestalt eines Wurms erscheinen, dann verwandeln sie sich in eine Puppe, an welcher man fast gar keine unterschiedene Theile wahrnimt; endlich wird aus der Puppe ein Schmetterling, der die Luft durch den Flug theilt, da dieses Geschöpf erst in seiner ersten Gestalt auf der Erde kroch. Nicht blos die äußerliche Gestalt des Schmetterlings ändert ab; sondern er bekömt auch ganz neue Organen, deren er bey seiner ersten Schöpfung beraubt war. Als Wurm sehnt er sich nach andern Gegenständen, und sucht andre Nahrungsmittel. Als Puppe scheint er [154] tod, und keine Nahrung zu bedürfen. Als Schmetterling frißt er keine Blätter mehr, die als Wurm seine gewöhnliche Speise waren, sondern er saugt die süßesten Säfte aus den Blüthen39. Wie verhält es sich mit der Person dieses umgeschaffenen Wurms? Vorausgesezt, daß diese Thierarten Gedächtniß und Erinnerung haben: so fühlt sich der Schmetterling bey seiner lezten Verwandlung vor der großen Verwandlung im Tode, noch immer als dieselbige Person, wenn er bey seinen Veränderungen in den entwickelten Schmetterlingsorganen sich die Veränderungen im Zustande der Raupe und der Puppe zurük zu rufen, im Stande ist. Die Möglichkeit dieses Zurükrufes hat Bonnet gezeigt, und die Anwendung, die er auf den Menschen macht, ist eben so ergötzend, als sie witzig und dabey gründlich ist. Man wird die erhabnen, trostreichen Gedanken des vortreflichen Verfassers (vornehmlich von §. 726–735) allemal mit dem Vergnügen lesen, das sie zuerst in unsre Seele gossen, indem sie uns allemal Aufrichtung und Heiterkeit einflößen, wenn wir über einen Zustand nachdenken, in welchen wir über lang oder kurz ganz gewis versezt werden. Was ist [155] unser Tod anders, als eine Art der Verwandlung unsers Raupenstandes, über welchen der Dichter uns die lehrreiche Ermahnung giebt: Mac h’ de inen Ra upe nstand, und einen Tropfe n Ze it, De n nic ht zu de inem Zwe k; d ie nicht zur E w igke it.
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Wir behalten das Gefühl unsers Ichs auch im Zustande der Puppe, und bringen es dereinst, wenn die Stimme des Allmächtigen uns aus dem Grabe ruft, in den verklärten Zustand des Körpers hinüber, so bald wie nur über das Grab weg, Gedächtniß und Erinnerung dessen, was wir hier als Wurm auf diesem Erdhügel empfunden und gethan haben, behalten. Freylich scheint Gedächtniß und Erinnerung im Tode schwinden zu müssen, weil die Organen, in denen die Gedächtnißimpressionen liegen, im Tode aufgelöset, so wie sie durch Krankheiten zuweilen gänzlich gelähmt werden. Mir indessen ist Gott und die Vernunft Bürge dafür, daß die Allmacht meinen Staub, so wie die Bestandteile meines Gedächtnisses dereinst wieder samlen, und so 38
Essai Analythique Chap. XXIV, vornehmlich von §. 714–735.
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zusammenfügen wird, daß ich das Gefühl meiner Persönlichkeit wieder erhalten werde, das ich vielleicht bis auf jenen merkwürdigen Zeitpunkt nicht werde erhalten können. Und eben diese Hand der [156] Allmacht wird, um mich belohnen zu können, und um mir die Freuden der Ewigkeit als Belohnungen um so viel schmakhafter zu machen, diesem zerfallenen Staub die Erinnerung aller meiner guten Thaten, für die ich belohnt werden soll, (wenn der unwürdige Sterbliche anders von Belohnungen reden darf,) und die ich in diesem Leben schon gröstentheils vergessen habe, eindrücken. Mehrere Philosophen nehmen das Gefühl der Personalität in einem von den bisher angegebnen Bedeutungen ganz verschiednen Sinn. Sie nennen es, das der Zeit nach ungetrennte Gefühl mehrerer in demselben Augenblick entweder in den äußern, oder in den inneren Organen des Gehirns vorgehenden Veränderungen. Per s o n, in dieser Bedeutung ist daher das Etwas, das diese gleichzeitigen Veränderungen der inneren und der äußeren sinnlichen Werkzeuge mit Bewustseyn wahrnimt. Alle unsre äußern Sinnen könne[n] nemlich in derselbigen Zeit durch die Eindrücke mehrerer Gegenstände erschüttert, und mehrere innere Gehirnfibern zu gleicher Zeit bewegt werden. Diese Philosophen nehmen an, daß außer den äußeren und inneren sinlichen Organen im Menschen, deren Erschütterungen, Empfindungen und Vorstellungen sind, noch ein Wesen in uns sey, das diese Erschütterungen anschauet, in sich vereinigt, und als in sich existirend fühlt. Dieses Wesen, [157] das im Gehirn wohnt, und wie eine Spinne alle Bewegungen ihres Gewebes wahrnimt, nannte man Seele, und man sah sie hauptsächlich als ein ganz einfaches Wesen an, weil das innere Gefühl mehrerer gleichzeitiger Veränderungen unsrer Organen ein untheilbares, unzertrenliches, e i n Gefühl sey. Man hat also die Einfachheit des Bewustseyns für den Hauptbeweis des Wesens, das sich bewust ist, angesehen, und noch gestehen die besten Vertheidiger der Lehre von der Einfachheit der Seele, daß mit dem Ruin dieses Beweises zugleich die ganze Lehre über einen Haufen fallen müsse. Allein auf die Frage: ob wir dieses unzertrenliche Gefühl wirklich haben? antwortet ein scharfsinniger Schriftsteller so. »Meinen Erfahrungen nach hat man das, was in uns vorgeht, wenn wir mehrere gleichzeitige Eindrücke und Vorstellungen in demselben Moment wahrnehmen, nicht genug beobachtet, und aus unrichtigen Beobachtungen unbegreifliche, oder doch sehr schwer zu fassende Sätze gezogen. Bey einer Menge sinlicher Eindrücke, die wir durch den einen, oder mehrere unsrer äußern Sinnen erhalten, sind wir uns offenbar bewust, daß sie nicht in denselbigen empfindlichen Theilen entstehen, oder ihren Sitz haben. Wo aber diese gleichzeitigen, an mehreren Seiten unsers Nervensystems erregte Impressionen sich endigen; ob sie in einer, oder [158] mehreren Fibern, oder nur in einem unzertrenbaren Theilchen einer Fiber zusammenlaufen, darüber sagt mir wenigstens mein inneres Gefühl ganz und gar nichts. »Eben so wenig fühlen wir bey mehreren gleichzeitigen Vorstellungen, die nicht durch gegenwärtig in unsere Sinnen wirkende Gegenstände erregt werden, den Sitz, oder die Beschaffenheit des in uns wahrnehmenden Wesens. Wir können an mehrere abwesende Gegenstände zu gleicher Zeit denken, ohne durch die angestrengteste Aufmerksamkeit, oder innere Beobachtung zu erfahren, in welcher, oder welchen Gegenden wir denken, durch welchen, oder welche Theile wir uns entfernte Objekte vorstellen. Ich fühle wenigstens niemahls, daß das, was in mir
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Bonnet Contemplation de la Nature, Part. IX. Chap. 5–15.
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mehrere klare Begriffe zu gleicher Zeit hat, an einem unveränderlichen Ort wohne, und eine einfache unzusammengesezte Substanz sey. »Das klare Gefühl, oder Bewustseyn mehrerer zu gleicher Zeit in uns entstehender Bewegungen ist auch niemals eins, sondern nur gleichzeitig: nicht unzertrent dem Ort, sondern der Zeit nach. Wir fühlen, daß diese mehrere Bewegungen nicht in mehreren ganz von einander getrennten Wesen, sondern in einer, zu einem (nicht einfachen) Ganzen verbundnen Substanz vorgehen. [159] »Ich sehe auch nicht, warum man die gleichzeitige Wahrnehmung mehrerer Veränderungen eher in einer einfachen, als in mehreren zusammengesezten Theilen einer verbundenen Substanz begreiflich findet. Wir wissen es durch die Erfahrung, daß die Nerven unsrer äußeren Sinnen mehrere Impressionen zu gleicher Zeit erhalten können. Man kan daher als wahrscheinlich vermuthen, daß die ihnen ähnliche Organen des Gehirns, in denen die Reste sinlicher Eindrücke aufbewahret werden, durch ihre gleichzeitige Bewegungen mehrere Vorstellungen in demselbigen Augenblick hervorbringen können. Allein, wie in einem durchaus einfachen Wesen mehr, als eine klare Perzeption zur selbigen Zeit seyn, oder mehrere, ohne sich einander zu zerstören, statt finden können, das läßt sich kaum denken: für meine Kräfte ist der Gedanke wenigstens zu kühn40.« Die zwote Modifikation des inneren Sinnes ist die i n nere Em pf i ndu n g. Dem richtigen Sprachgebrauch zufolge rechnet man auch die angenehmen und unangenehmen Eindrücke, die wir durch die beyden edleren äußeren Sinnen erhalten, zu den inneren Empfindungen, und man hat zum Unterschied derselben von den angenehmen und unangenehmen Erschütterungen der gröberen Sinnen [160] für beyde Arten eigne Benennungen. Die Franzosen nennen jene erstern se nt iments, und die Erschütterungen der gröberen Sinnen, wenn sie mit Lust unter Unlust verbunden sind, se ns at ions. In unsrer Sprache kan man die ersteren am besten a nge ne hme und u na nge ne hme Em pf i ndun ge n, und die letztern a nge ne hme und un an geneh me S en sat i o nen nennen. Auch die Gegenstände, die auf die edleren, und die Gegenstände, die auf die gröberen Sinnen angenehm oder unangenehm wirken, haben ihre eigne Bezeichnungen. Objekte, die auf die drey gröberen Sinnen auf eine schmeichelhafte Art wirken, heiße a nge n eh me; und diejenigen, die auf Auge und Ohr angenehme Eindrücke machen, heißen sc h ön e Ge genstä nd e. Schwer ist es hier auch nur auf eine erträgliche Art vollständig zu seyn, ohne daß man zu gleicher Zeit in die Aesthetik Ausfälle thun müste. Meine Abhandlung soll sich blos auf eine vollständige Anzeige der verschiednen Quellen unsrer angenehmen und unangenehmen Empfindungen einschränken, die man in der Theorie der schönen Künste und Wissenschaften nur selten mit Fleiß aufzuzählen pflegt. Die e rste Art angenehmer Empfindungen wird uns durch die sinlich schönen Gegenstände zugeführt. Die Untersuchung über das Wesen der Schönheit ist eine Lieblingsbeschäftigung der Philosophen unsers Jahrhunderts gewesen. Nimt [161] man aber alles zusammen, was sie durch diese Untersuchungen über die innere Natur der Schönheit zu Stande gebracht: so ist es etwas sehr Unbeträchtliches. Man hat das Schöne in bestimmte Definitionen fassen wollen, und man bedachte nicht, daß die Empfindung des Schönen gar keiner Definition fähig sey, weil sie 40
Meiners vermischt philos. Schriften, Th. II. S. 24.
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eine ganz einfache Empfindung ist, die sich nicht mit Worten beschreiben läßt. So wenig man einem andern die Eigenheiten gewisser Gouts und Gerüche anders begreiflich machen kan, als durch Vorlegung der Gegenstände selbst: eben so wenig ist ein allgemeiner Begrif von der Schönheit möglich. Das, was sich schon aus der Natur der Sache abnehmen läßt, haben auch die fruchtlosen Versuche der Philosophen deutlich gelehret, die über das Wesen der Schönheit, und über den Grund, warum schöne Gegenstände schön sind, ganz entgegengesezte Meinungen fällen. Die allergewöhnlichste Definition von der Schönheit, bey welcher sich die meisten Philosophen beruhigen, ist diese, daß die harmonische Verbindung der Mannigfaltigkeit und der Einförmigkeit die Schönheit ausmache. Allein ein jeder, dem es um deutliche Begriffe zu thun ist, wird sich mit so unbestimmten Ausdrücken schwerlich abweisen lassen, die noch dazu so dunkel sind, daß sie in [162] den Köpfen weniger Licht zurüklassen, als der simple Ausdruck: Schönheit. Kein Philosoph hat es gewagt, Mannigfaltigkeit und ein Einförmigkeit auf bestimmte Begriffe zurückzuführen, wahrscheinlich, weil sie einsahen, daß beyde sich eben so sehr entgegen gesezt sind, und einander aufheben, wie Licht und Finsterniß. Und doch soll Vielheit und Einheit, Mannigfaltigkeit und Einförmigkeit, in demselben Gegenstand auf eine harmonische Weise vereinigt, die Schönheit ausmachen. Und wenn man dann fragt; welche Gegenstände sind schöner? Wächst die Schönheit mit der Mannigfaltigkeit oder mit der Einheit: so liegen die Behauptungen mehrerer ästhetischer Partheyen aufs neue im Streit. Und kennt man nicht Gegenstände, die ganz einförmig, und andre die ganz mannigfaltig sind, und doch schön genannt werden? Und wer weis es nicht, daß Mannigfaltigkeit und Einförmigkeit, daß eine verschworne Räuberbande, die mit einfacher List ihr schändliches verwickeltes Vorhaben ausführt, nicht schön genannt werden kan? P ou i l ly und Dü Bo s scheinen eher etwas Bestimtes zu sagen, wenn sie diejenigen Gegenstände schön nennen, die unsre Sinnen und Kräfte auf eine mäßige Art anstrengen. Ihr Raisonnement, wodurch sie diesen Gedanken unterstützen, [163] ist vorzüglich geschikt, den Beyfall der Leser zu gewinnen. Mäßige Anstrengung, sagen diese großen Kenner des Schönen, ist uns deswegen allemal angenehm, weil sie uns ein Gefühl unsrer Kräfte verschaft, das mit Vergnügen vergesellschaftet ist. Der Mensch ist ein thätiges, wirksames Wesen, und so oft ihn ein Gegenstand mäßig beschäftigt: so gefällt er ihm, weil er dabey sein Vermögen fühlen kan. – Allein schon deswegen wird diese Definition sehr verdächtig, weil man bey der Empfindung eines schönen Gegenstandes gar nie darauf gedacht hat, was in dieser Erklärung gelehret wird. Es komt hinzu, daß H el vet iu s den Grundsatz, auf welchen die Definition gebauet ist, daß der Mensch ein thätiges Wesen sey, sehr zweifelhaft zu machen gesucht hat, indem er behauptet, daß der Mensch mehr zum Müssiggang als zur Wirksamkeit geneigt sey. Und wenn auch der angenommene Grundsatz unwidersprechlich war sey: so giebt es doch manche überspannte Beschäftigung unsrer Organen und Kräfte, die man auch schön, und manche mäßige Empfindungen und Anstrengungen seiner Kräfte, die man nicht schön nennet. Proben genug von den fruchtlosen Bemühungen der Philosophen, das innere Wesen der Schönheit zu erforschen! Wenn man bey der blo[164]ßen Erfahrung stehen bleibt: so sieht man offenbar, daß nicht alles, was angenehm ist, schön genannt werden kan. Aber schwer ist es, das Erforderniß aufzufinden, das zur angenehmen Empfindung hinzukommen muß, um die Empfindung des Schönen hervorzubringen, oder, welches einerley ist, die Modifikationen anzuge-
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ben, die zur genehmen Empfindung hinzukommen muß, um die Empfindung des Schönen zu erwecken. Diese Schwierigkeiten wird man leichter überwinden, wenn man einmal darüber einig ist, daß es keine absolute Schönheit an sich gebe. Die Schönheit ist nichts Inhärirendes in den Gegenständen. Sie ist blos etwas relatives zu den Organen, mit denen wir die Welt, und die schönen Gegenstände wahrnehmen, und richtet sich nach der Association der Ideen. Daher können andre Geschöpfe mit andern Organen diejenigen Gegenstände häßlich finden, die uns als Schönheiten Vergnügen verschaffen. Da also bey der Schönheit alles auf unsre Organen, und auf die Art, wie wir empfinden und associiren, ankömmt: so ist es ganz vergeblich, das Wesen der Schönheit mühsam aufsuchen zu wollen. Man muß sich begnügen, wenn man die verschiednen Arten schöner Gegenstände, oder, welches einerley ist, wenn man die Organen, ver[165]mittelst welcher wir schöne Gegenstände wahrnehmen, aufzuzählen im Stand ist. Gewiß ist die außerordentliche Mannigfaltigkeit der schönen Gegenstände, und die Verschiedenheit der Organen, durch welche wir die Schönheit wahrnehmen, wenn Haupthinderniß, warum wir den allgemeinen Grund, warum schöne Gegenstände schön sind, nicht angeben können. Die allerphilosophischsten Aesthetiker kennen vornemlich vier Arten von schönen Gegenständen, die durch eben so viele verschiedne Organen perzipiert und genossen werden. Die er ste Klasse schöner Gegenstände macht das sin n li ch Sc hö ne aus, das wir einzig durch unsre beyden edleren Sinnen empfinden. Man hatte dem Auge und dem Ohr den Vorzug über sinnlich schöne Gegenstände zu urtheilen, ausschließend zugeeignet. Gesicht und Gehör sind die eigenthümlichen Sinnen der Schönheit. Alle Gegenstände, die auf das Auge und das Ohr an-genehme Eindrücke machen, heißen daher sinnlich schöne Gegenstände. Selbst der Bau unsrer Sprache hat den angenehmen Sensationen der drey gröberen Sinnen das Vermögen, Schönheiten zu empfinden, abgesprochen. Bey den edleren Sinnen überträgt man die angenehmen Eindrücke in die Gegenstände selbst, und schreibt ihnen Schönheit zu. Man sagt: ein schönes Bild, [166] eine schöne Musik. Das findet man in Absicht auf die angenehmen Empfindungen der gröberen Sinnen nicht. Man sagt nicht, daß Zucker schön sey, wohl aber daß er schön schmecke; und nie nennt man Blumen schön, weil sie schön riechen: sondern man kan sie, selbst wenn sie schön riechen, noch immer häßlich nennen. Die Organen der Einbildungskraft sind die Mutter von einer zwo ten Art von Schönheit, die man das Im ag in at i v Sc hö ne nennt. Die Imagination ist das Vermögen unsrer innerer Organen, alle angenehme und unangenehme Eindrücke aller Art eine Zeitlang zu konserviren, zu reproduciren, auf eine mannigfaltige Weise zu verändern, zu associiren und zu verbinden. Alle schönen Werke der Einbildungskraft, sie mögen nun Erhöhungen gleichgültiger, oder Verschönerungen häßlicher Gegenstände, oder Sammlungen zerstreuter Schönheiten, die sich in der Natur nicht beysammen finden, goldnes Zeitalter, Elysium, arcadisches Schäferleben, u. s. w. oder Verstärkungen und Ideale durch Versetzung wirklicher Schönheiten seyn, machen das Imaginativ Schöne aus. Man glaubt durchgängig, daß der Künstler Ideale von Schönheit schaffen könne, die die höch[167]ste Schönheit der wirklichen Natur übertreffen: weil er von tausend schönen Gegenständen der Schöpfung die vorzüglichsten Reitze in einem einzigen Bild vereinigen könne. Aber ohnmöglich wird je ein Gemählde, oder eine andre künstliche Nachahmung der Natur, durch die Versammlung ihrer schönsten Seiten, die volle Schönheit der Natur selbst übertreffen. Man
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setze das schönste Gesicht eines cirkassischen oder georgianischen Mädchens auf den schönsten Rumpf einer wohlgewachsenen Französin, und man wird nie eine schöne idealische Schönheit haben. Die Natur hat für die Schönheit eben so mütterlich gesorgt, als für andre schäzbaren Eigenschaften des Ganzen, die den aufmerksamen Beobachter zu ihrem Dank auffordern. Das s itt l ic h S ch ö ne ist die d ri tte Klasse Schönheit, dessen Quelle die Eigenschaft unsrer Organen ist, an allem an- und unangenehmen Empfindungen fühlender Wesen Theil zu nehmen, und entweder in dieselbige, oder in ähnliche Empfindungen versezt zu werden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Sympathie eigne Organen voraussetze. Wir dürfen nur durch unsre übrigen Sinnen Freude und Leid fühlender Wesen wahrnehmen: so ist unsern Nerven eine Disposition eingepflanzt, ähnliche Empfindungen zu haben. Es [168] hat mehrere Philosophen gegeben, die dieses Vermögen unsrer Nerven läugneten, und alle sympathetischen Empfindungen aus der bloßen Einsicht auf das persönliche Interesse herzuleiten suchten. Diese Philosophen musten nothwendig allen Unterschied unter dem Imaginativ und dem moralisch Schönen aufheben. Wir freuen uns mit dem Glück andrer, sagten sie, weil wir uns aus ihrem Glück selbst manche Vortheile versprechen. Wir leiden mit, weil wir uns fürchten, auch von ihrem Unglück ergriffen zu werden. Moralisch Schön nennen wir daher eine Handlung nicht deswegen, weil sie die Summe der menschlichen Glükseligkeit vermehrt: sondern, weil wir wissen, daß ihre vortheilhafte Folgen auch über uns selbst sich erstrecken müssen. Was wir daher moralisch Schön nennen, ist Vorspiegelung der Imagination, ist imaginativ schön. – Aber warum sympathisiren wir mit dem Glük und Unglük verstorbener Personen, an deren Glük unser persönliches Interesse heute eben so wenig Theil nehmen kan, als an ihrem Unglük? Sind es nicht die gemeinnützigen rühmlichen Eigenschaften, die sie besaßen, und die unsre sympathetische Nerven anschlagen? Sympathetische Geschöpfe vergnügen sich an Handlungen und Gesinnungen, wenn sie gemeinnützig sind, und leiden peinlich mit, wenn Gottlose die Leiden in der Welt vermehren. Wohlthäter [169] am menschlichen Geschlecht reizen sie zum Vergnügen, und die Verwüster der allgemeinen Glükseligkeit erwecken ihren Abscheu. Daher heißen Handlungen moralisch schön, wenn durch sie die allgemeine Wohlfahrt erhöhet, und moralisch häßlich, wenn eben diese Wohlfahrt zerstöret wird41. Auch die Organen des Verstandes und der Vernunft sind angenehmer und unangenehmer Erschütterungen fähig, die man unter dem Namen des ver st änd l ic h Schö ne n und H äs l i c he n begreift. Dieses Schöne macht die le zte Klasse von Schönheit aus. Die Organen des Verstandes und der Vernunft sind durch ihr Vermögen, auf eine angenehme und unangenehme Art erschüttert zu werden, eine sehr reiche, und die Hauptquelle von angenehmen und unangenehmen Empfindungen, die der Mensch vorzüglich kosten kan. Gewisse Gedanken und Sätze gewähren uns, so bald wir sie denken oder hören, angenehme Empfindungen, die wir schön nennen. Mit andern Gedanken und Sätzen ist Mißvergnügen [170] vergesellschaftet, wenn man sie denkt, und man nent sie häsliche Gedanken. Die Philosophen sind auch hier noch nicht so glüklich gewesen, die Eigenschaften der Gedanken und Sätze ausspüren zu können, um welcher willen sie schön oder häslich sind. Die Analytiker der Seelenkräfte haben zur Hervorbringung mehrerer Seelenmodifikationen sehr annehmungswerthe Hypothesen ersonnen. Aber über die eigne Art der Bewegung der Gehirn41
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fibern bey schönen und häßlichen Gedanken hat keiner, so viel ich weis, eine Muthmaßung vorgetragen: vielleicht weil man Verstand und Vernunft dem einfachen Wesen nicht zu rauben wagte, da man ohne Bedenken Gedächtnis und Einbildungskraft in das Gehirn versenkte. Ich vermuthe, daß man über den Mechanismus bey dem Zurükruf der Ideen, und über andre Phänomene in der menschlichen Natur eben so wenig physische Erklärungen würde gewagt haben, als man über den Mechanismus des Verstandes und der Vernunft gewagt hat, wenn man das Gedächtnis und die Einbildungskraft dem einfachen Wesen nicht frühe abgenommen hätte. [171] Ich will diesen Versuch mit einigen Bemerkungen zur Geschichte der Lehre von innern Sin schließen, um damit meine obige Behauptung, daß L oc ke zuerst die Lehre vom innern Sin bearbeitet, theils einzuschränken, theils zu rechtfertigen. Derjenige Schüler des S o k ra te s, der in seinem System von seinem Lehrer am meisten abwich, ob er gleich der Sklav vom Vergnügen nicht war, zu dem ihn seine Feinde machen, trug die Lehre von den Empfindungen ungleich besser vor, als irgend ein alter Philosoph. A r ist i p redete von einem in te r i or tac tu s, (C i c e ro Acad. Qu aes t. IV. 7.) die bei S extu s und D i oge nes πάθαι heißen. Wir empfinden, sagt er, innerlich genau, was für Eigenschaften diese unsre innere Modifikationen haben, die alle ohne Ausnahme wahr sind, und wir fühlen, ob sie angenehm, unangenehm oder gleichgültig sind. – Die E p ik uräe r, die in der Geschichte der wichtigsten Lehren der Psychologie als eine Hauptparthey genant werden müssen, drangen auch in dem Kapitel von den Sinnen und den Empfindungen ungleich tiefer ein, als andre dogmatische Schulen in Griechenland. Es war natürlich, daß sie zur Erklärung der Entstehungsart vieler Begriffe neue Quellen aufsuchen musten, da sie abgesagte Feinde von der Platonischen Behauptung angebohrner Ideen waren. – An ihnen hatte [172] also L oc ke sowol in Absicht auf seine Behauptung vom innern Sin, als auch von der Nichtigkeit angebohrner Begriffe die merkwürdigsten Vorgänger. Aber schwerlich kante L ocke seine Vorgänger. Es ist wahrscheinlicher, daß ihn sein eignes Genie seine Lehre hat erfinden machen, so wie es ihn im Beweis derselben leitete; als daß er aus den unvollständigen Systemen der Alten sie hergeholt hätte. Seine Gründe, mit welchen er über die angebohrnen Begriffe siegte, sind eben so neu, als die Beweise, mit welchen Le ib n i z die abgedankte Lehre vom Daseyn angebohrner Begriffe in die Philosophie zurükzubringen suchte. Le i bn i z brauchte keinen Platonischen Grund für die Angeburt gewisser Vorstellungen; so wenig als Locke aus den Alten seine Gründe gegen diese Lehre zusammengesucht hatte. Darinnen hatte Lo ck e immer den großen Vorzug vor Le ib n i z, daß er seinem System getreu blieb, das er eigentlich ganz auf seinen sinreichen Angrif der angebohrnen Begriffe bauete. Le ib n i z hingegen verlor, da er L oc ken widersprach, sein System ganz aus den Augen, indem er nur einen Augenblik von angebohrnen und nichtangebohrnen Begriffen, und von ihrem Unterschied redete. Dem System zufolge, dessen Schöpfer er selbst war, muste er schlechterdings blos an angebohrne Begriffe und Grundsätze glauben. Der erste Grund[173]satz in seinem Lehrgebäude, nach welchem alle unsre Begriffe von freyen Stücken aus der Seele sich herauswickeln, und nie eine äußere Impression auf unsre äußern Sinne zur Seele gelangen kan, – dieser Grundsatz seines Systems muste ihn lehren und ermahnen, daß er keinen Unterschied unter angebohrnen und nichtangebohrnen Begriffen machen könne. Hätte nach Leibnizens Hypothese nicht der Finger der Gottheit in unsre Seele alle unsre Vorstellungen, sie mögen partikuläre oder allgemeine Begriffe seyn, hineingeschrieben, und den ganzen Vorrath von Kentnissen, die wir haben und haben werden, in sie hineingesenkt: so könten wir nie eine Vorstellung haben,
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und folglich müssen alle unsre Begriffe uns angebohren sein. – Ar is to tele s, der die Seele mit einer ta bu la r as a, bey ihrer ersten Vereinigung mit dem Körper, vergleicht, nimt außer den fünf äußern Sinnen noch einen Sin an, den er für die Vereinigung der Eindrücke aller übrigen fünf Sinne hält. – In der St oi sc he n Ph i l os o p hie ist die Seele ursprünglich einem unbeschriebenen Papier ähnlich, und diese Weltweisen machten ausdrüklich einen Unterschied unter denen durch äußere Impressionen auf die äußern Sinne erzeugten Vorstellungen, und unter gewissen Begriffen, die sich die Seele selbst hervorbringt. – Allein alle diese Bemühungen der Alten hatten nicht einmal auf ihr Zeitalter einen merklichen [174] Einfluß, geschweige, daß sie bis ins vorige Jahrhundert wären erhalten worden. Eben deswegen kan man den englischen Philosophen billig für den Schöpfer dieses Theils der Psychologie halten42.
[175] Vierter Versuch über die Seelenkräfte.
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[176] Avant d’attaquer une erreur généralement reçue, il faut envoyer, comme les colombes de l’arche, quelques vérités à la découverte, pour voir si le déluge des préjugés ne couvre point encore la face du monde, si les erreurs commencent à s’écouler, & si l’on apperçoit çà & là dans l’univers quelques isles où la vertu, & la vérité puissent prendre terre pour se communiquer aux hommes. Helvetius. [177] Eine vorläufige Kentniß der Wirkungen der Seele mit Rüksicht auf die Erfahrungen, nach welchen die Wirkungen gehindert werden, ist um so viel nöthiger, da im nächsten Versuch Urtheile über das Wesen der Seele abgefaßt werden sollen. Wir unterscheiden nach der Verschiedenheit der Wirkungen mehrere Kräfte in der Seele, so wie wir es bey allen Wirkungen der Körper zu thun gewohnt sind. Allein daraus, daß wir die Benennungen der Wirkungen, oder der Phänomene überhaupt, die wir bey einem Körper entdecken, mit der Benennung Kr aft zusammensetzen, ist noch lange nicht bewiesen, daß wirklich mehrere Kräfte im Körper da seyn, die diese verschiedne Wirkungen hervorbringen. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß dieselbige Kraft mehrere Wirkungen erzeugen kan, das heißt, Phänomene, die mit andern Phänomenen gewöhnlich verbunden sind. Man schreibt dem Feuer die Kräfte zu, gewisse Körper auszudehnen, zu härten, flüssig zu machen, in Asche zu verwandeln; und das Gemeinschaftliche bey diesen Wirkungen scheint doch blos die Kraft zu seyn, [178] schnel in die Zwischenräume der Körper einzudringen. So ist fast durchgängig in allen Begriffen von mehreren Kräften, die man einem und ebendemselbigen Dinge zuschreibt, ein Gemisch von den Wirkungen mit enthalten. Wie sehr vermischt, und aus den Wirkungen zusammengesezt die Begriffe von
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In der Pariser Enzyclopädie finden sich ein Paar vortrefliche Artikel über dieses Lehrstük, nemlich
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den mehreren Kräften eines einzelnen Dinges seyn, erhellet vorzüglich daraus, daß solche Begriffe von mehreren Kräften desselbigen Dinges gar nicht können gebildet werden, woferne man die bestimten Gegenstände nicht mit in Erwegung ziehet, an denen sich die mehreren Kräfte äußern. Wir würden keinen Begrif von der Kraft des Feuers haben, Körper zu schmelzen, oder in Asche zu verwandeln, wenn es nicht bestimte Körper, Bley und Holz, oder ähnliche Materialien geben solte, an denen man diese Wirkungen wahrnahm, und davon man den Begrif von den mehreren Kräften des Feuers abzog. Daher scheint es blos von den mehreren Gegenständen abzuhangen, auf welche ein Ding wirkt, warum man ihm mehrere Kräfte zuschreibt. Wenn diese Gedanken richtig sind: so hat man nicht nöthig, die mehrern sogenanten Seelenkräfte für eben so viel verschiedne Kräfte zu halten, als man Benennungen in allen ausgebildeten Sprachen für sie antrift. Die nemliche Kraft kan Einbildungskraft und Urtheilskraft heißen, wenn sie gerade von solchen Ideen beschäf[179]tiget wird, an welchen sich die Wirkung, die man entweder Phantasie oder Raisonnement nent, ausüben läßt. So wie dem Feuer bald eine Kraft auszudehnen, bald flüssig zu machen, bald zu verzehren, zugeschrieben wird, nachdem bald Eisen, bald Bley, bald Holz mit ihm vereinigt wird: eben so schreibt man der Seele Gedächtniskraft, Einbildungskraft, Verstand und Vernunft zu, je nachdem eine bestimte Art von Ideen unsre Gehirnorganen auf eine bestimte Art erschüttert, daß wir entweder erinnern, oder phantasiren, oder raisonniren. Denn es ist kein Widerspruch, daß nicht dieselbige Seelenkraft sich mit ganz ungleichartigen Ideen beschäftigen, und dieselben auf eine ganz verschiedne Weise behandeln könne: so wie das Feuer zwar allerley Körper, aber nach der Beschaffenheit der Körper, verändert43. [180] Allein die große Verschiedenheit der Ideen, die die Gehirnorganen beschäftigen oder erschüttern, kan unmöglich der einzige Grund gewesen seyn, warum die philosophischen Erweiterer unsrer Sprachen für so verschiedne Seelenkräfte Namen erfunden haben. Hätte man blos wegen der Ungleichartigkeit der Begriffe oder der Seelenerschütterungen mehrere Seelenkräfte angenommen: so würde man zwar Einbildungskraft und Vernunft, aber schwerlich Verstand, Urtheilskraft und Vernunft von einander haben unterscheiden können, weil alle diese Modifikationen mehrentheils von Begriffen derselbigen Art erzeugt werden. Der zweyte Theilungsgrund wurde daher wahrscheinlich die Menge der Begriffe, über deren Beziehungen man
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Incomprehensible und Philosophie de Locke. Die mehresten neuen Monadologisten sind von Leibniz und Wolf darinnen abgewichen, daß sie Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand, Vernunft für Aeußerungen derselbigen Kraft ansehen, die nur verschiedene Gegenstände angewandt, und an verschiedenen Gegenständen auf eine verschiedene Weise geübt wird. L e i b n i z hielt alle diese Kräfte für Unterkräfte der Urkraft seiner Monade, und stimte darinnen mit dem den Menschen in ganz Geist umschaffenden Plato vollkommen überein. Die nachher durch die Wolfische Schule so allgemein ausgebreitete Eintheilung der Seelenkräfte in die obere [180] und untere Seelenkräfte, (eine der unfruchtbarsten und ungegründesten Eintheilungen in der ganzen Psychologie,) wich von der Leibnizischen Behauptung schon ab; und heute nimt man fast durchgängig für eine einfache Seele nur eine einzige Kraft an. Man hat eine Belehrung darüber verlangt, wie durch Anwendung einer und der nemlichen Kraft auf verschiedene Objekte die verschiedenen Kräfte entstehen? Ich glaube, in der Voraussetzung verschiedener Gegenstände liegt schon die Antwort. Man braucht nur das Beyspiel von den verschiedenen Kräften des Feuers bey verschiedenen Materialien, auf die es wirkt, hier anzuwenden.
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seine Organen anstrengt44. [181] Durch diesen Theilungsgrund verfiel man auf die Urtheils- und die Schließkraft. Jene übt man bey der Beschauung der Verhältnisse von ein Paar Begriffen; und man schließt, wenn man eben dasselbe mit mehreren Ideen thut. Selbst die Ausdrücke, Scharfsin und Tiefsin, die weiter nichts als Grade der Vortreflichkeit derselbigen Kraft bezeichnen, gründen sich auf diesen Eintheilungsgrund. Man ist aber über dieses Stük der Seelenlehre, ob man wegen des Grades der Vortreflichkeit, mit welchem die Seele die eine und die andre Idee durchschauet, und wegen der Mehrheit der Begriffe, die in den Seelenorganen zu gleicher Zeit Erschütterungen verursachen, mehrere Seelenkräfte annehmen müsse, eben so uneinig; als man darüber uneinig ist, ob man wegen der Ungleichartigkeit und der Verschiedenheit der Ideen, mit denen wir uns beschäftigen, dieses zu thun, Grund genug habe? Mich deucht, es sey zu beyden Behauptungen kein Grund vorhanden. Denn warum solte dieselbige Seelenkraft, die ein Paar Begriffe mit einander vergleicht, nicht auch mehrere derselben von einander bejahen oder verneinen können? Das Gegentheil würde man nur denn erst vermuthen dürfen, wenn etwa mit der Anzahl der Ideen, die die Seele bearbeitet, die sie vergleicht, über die sie urtheilt, aus denen sie Schlüsse zieht, die Seelenoperationen schwie[182]riger werden solten. Allein das mühsame der Anspannungen der Seelenorganen nimt nicht in dem Verhältnis zu, in welchem die Anzahl und Menge derer die Organen anspannenden Ideen zunimt. Oft lassen sich die Verhältnisse unter ein Paar allgemeinen Ideen ungleich schwerer durchschauen, als unter einer großen Menge individueller Begriffe. Die gehörige Einsicht in die Beziehungen des Begrifs von Gott zum Begrif vom Daseyn hat in allen philosophischen Jahrhunderten alle Weltweisen aufgefordert, da die unwissendste Person über die Harmonie des Kopfputzes einer Dame mit allen ihren übrigen Kleidungsstücken urtheilen, und daraus den verwickelten Schluß ziehen kan, ob die Dame Geschmak habe, oder nicht? Diese Bemerkungen können zureichen, um die Schwäche und Unzulänglichkeit der Eintheilungsgründe und der Behauptung mehrerer Seelenkräfte in ihrem Licht darzustellen. Noch mehr erhellet das Seichte in diesen Voraussetzungen aus der Entwickelung des Begrifs von Kraft, und es ist zu vermuthen, daß das Dunkle in den mancherley Arten der Kräfte gröstentheils von der Dunkelheit des allgemeinen Begrifs von Kraft herrühre, in die er in den meisten Köpfen eingehüllet ist. Bey den wenigsten allgemeinen Begriffen sind wir im Stande, ihre Entstehungsart so leicht und so genau anzugeben, als vom allge[183]meinen Begrif von Kraft. Wir nehmen durch unsre äußern Sinne wahr, daß gewisse Gegenstände in uns, und in den Gegenständen außer uns gewisse Veränderungen hervorbringen. Und diese Eigenschaft, Veränderungen hervorzubringen, ist es, warum man einem Gegenstande Kraft zuschreibt. Auf der andern Seite bemerken wir auch durch unser inneres Gefühl, daß Kraft in uns ist; und dieses ist der zweyte Weg, der uns zum allgemeinen Begrif von Kraft führt. Ohngeachtet wir aber innerlich fühlen, daß wir Kraft haben, indem wir den innern und äußern Theilen unsrer Maschine und in andern Gegenständen außer uns Veränderungen hervorzubringen, im Stande sind, und ohngeachtet wir in andern außer uns eben dieselbige Eigenschaft wahrnehmen: so können wir doch nicht beschreiben, was Kraft ist. Der Begrif löset sich leztlich in den sehr allgemeinen Begrif von etwas auf, daß man in einem Dinge, welches Kraft äußert, deswegen annehmen muß, weil man findet, daß mit diesem Dinge gewöhnlich etwas 44
Meiners Psychologie, S. 45.
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anders verknüpfet ist, das nur aus jenem begriffen werden kan. Keiner unter allen Philosophen hat die Analyse dieses Begrifs so weit fortgetrieben als Hu me45. Aber gerade bey dieser besten Er[184]hellung des Begrifs ist unsre ganze Vorstellung von Kraft ein gewisses etwas, das wir weiter nicht kennen, als daß mit ihm beständig gewisse Erfolge und Umstände verknüpfet sind. Nun beruhet auch der Grund aller Eintheilungen der Kräfte auf nichts weiter, als auf dem Unterschied der Wirkungen, das heißt, der Phänomene, die mit dem Etwas verknüpfet sind. Nichts ist daher gewisser, als daß die mehreren Seelenkräfte, die man in der Psychologie abzuhandeln pflegt, nicht eigne verschiedne Kräfte sind, wenigstens reicht kein Beweis zu, durch welchen diese Mehrheit unwidersprechlich dargethan werden könte. Alle Kräfte unsrer und der Thierseelen, sagt Herde r, sind nichts als metaphysische Abstraktionen, Wirkungen! sie werden abgetheilt, weil sie von unserm schwachen Geiste nicht auf einmal betrachtet werden konten: sie stehen in Kapiteln, nicht weil sie so kapitelweise in der Natur würkten, sondern ein Lehrling sie sich vielleicht so am besten entwickelt. Daß wir gewisse ihrer Verrichtungen unter gewisse Hauptnamen gebracht haben, z. E. Wiz, Scharfsin, Phantasie, Vernunft ist nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geistes möglich wäre, wo der [185] Wiz oder die Vernunft allein wirkt: sondern nur weil wir in dieser Handlung am meisten von der Abstraktionen entdecken, die wir Wiz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Ideen: überall aber wirkt die ganze ungetheilte Seele46. Man kann indessen diese Eintheilungen immer beybehalten, wenn man nur weis, daß sie nicht so fest gegründet sind, als man sich gewöhnlich beredet. Nimt man eine wirkliche Verschiedenheit der Seelenkräfte an: so ist man immer in Gefahr, sie nicht alle aufgezählt zu haben. Offenbar giebt es Seelenorganen, oder Organisationen derselben, die wir nicht kennen. Wer weis, ob nicht in diesem oder jenem Winkel des Gehirns eine Seelenkraft liegt, deren Wirkung nicht kenbar genug ist? Wer weis, ob es nicht Fibern im Gehirn giebt, die nur in den wenigsten Köpfen die glükliche Lage haben, wirken zu können? Wer weis, ob wir nicht Organen haben, die nur in ganz außerordentlichen Fällen bewegt werden können, in die der gröste Theil der Menschen versezt zu werden keine Gelegenheit hat? Gewiß ist es, daß Le ib n i z die bekanten Seelenkräfte in einem ganz ungewöhnlichen Grade der Vollkommenheit besaß. Ob er aber nicht noch mehrere [186] Seelenkräfte gehabt, als unsre Sprachen bezeichnen können, würde nur ein Man, auf welchem Le i bn i ze ns Geist zweyfältig ruhet, bey der Lektüre der Leibnizischen Werke beurtheilen können. Jedes Genie hat daher die Verbindlichkeit auf sich, mit der grösten Aufmerksamkeit auf sein Innerstes, auf die verschiedenen Anspannungen seiner Gehirnorganen acht zu haben, um das Verzeichniß der sogenanten Seelenkräfte zu vermehren. Die Engländer, und besonders S h a k es pea r, haben durch ihr Beyspiel dieses alles in den neuern Zeiten bestätigt. Kein komischer Schriftsteller der Griechen und Römer, und keiner von den heutigen aufgeklärten Nationen Europens besizt das, was man Humour nent, oder die Fähigkeit, Bilder und Gedanken plözlich zusammenzudrücken, die in allen Köpfen, die englischen ausgenommen, weit von einander entfernt liegen, weil sie keine Aehnlichkeit mit einander haben. Durch den Humour der Engländer ist die Zahl der Seelenkräfte vergrößert, und wer weis, ob nicht in den Köpfen der Deut45 46
Hume Essays and Treatises on several subjects [184] Vol. III, S. 89 der Londner Ausgabe von 1770; und Enquiry concerning human understanding, Sect. VII. S. Herrn Herders Preisschrift: Ueber den Ursprung der Sprache, S. 44.
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schen, der Franzosen und der Italiäner ähnliche O[r]ganisationen vorhanden sind, die man noch nicht genug bemerkt hat? Vielleicht vermehren Spanier und Portugiesen dieses Verzeichniß auf eine für die ganze Gelehrsamkeit vortheilhafte Art, so bald es in diesen geistlich sklavischen Reichen nicht [187] mehr ein Verbrechen seyn wird, zu denken. Der Humour der Engländer ist zwar eine bloße Art des Witzes. Allein ist Gedächtniß und Einbildungskraft nicht dem Vermögen zu empfinden untergeordnet; und ist Urtheilskraft, Raisonnement, Scharfsin, Tiefsin nicht Aeußerung der Vernunft? Könte ich nun selbst ein festeres Gebäude aufrichten, da ich bisher blos niedergerissen habe! Aber dürfte ich es auch nur versuchen, da ich einsehe, daß eine solche Reformation bey der Armuth unsrer Sprachen gar nicht möglich ist? Alle Sprachen sind das Behältniß, in welches alle erfundne Kenntnisse einer jeden Nation niedergelegt worden sind. So lange als die Sprachen nicht erweitert werden, muß daher die Mittheilung neuer Erfindungen eingeschränkt bleiben. Ich wil mich bemühen, alle Wirkungen der Seele, so viel möglich, nach ihren Aehnlichkeiten auf dieselbige Seelenkraft zurük zu führen; und diejenigen Phänomene, die zu ungleichartig sind, werde ich mehreren ungleichartigen Anspannungen unsrer innern Organisation zuschreiben.
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Daß die Sensibilität eine Gabe unsrer Nerven sey, ist durch die oben angezogene Erfahrungen deutlich genug dargethan. Allein das Be[188]wustseyn der Aufnahme dererjenigen Eindrücke, die unsre Nerven rühren, hält man durchgängig für die Kraft der Seele. Wenn der Ausdruk, Seele, weiter nichts bedeuten sol als das Vermögen, sich gewisser Eindrücke bewust zu seyn, sie vorzustellen, zu denken: so ist kein Zweifel, daß das Erheben der Eindrücke bis zum Bewustseyn das Geschäfte der Seele seyn müsse. Immer bleibt dabey noch unausgemacht, ob dieses Vermögen, sich der Eindrücke bewust zu seyn, die Gabe eines einfachen oder zusammengesezten Wesens sey? Was die Erfahrung hierüber lehrt, ist dieses, daß zum Bewustseyn die Fortpflanzung des Eindruks, den die Nerven erhalten, bis in das Innerste des Gehirns erfordert werden. Nur die Impressionen im Gehirn machen erst die Vorstellungen aus. Wenn man daher bestimt und richtig reden wolte: so müste man die Sensibilität der Nerven, und die Vorstellungskraft oder das Bewustseyn der eingedrükten Empfindungen entweder einem Theil, oder dem ganzen Gehirn, oder einer mit dem Gehirn verbundnen fremden Substanz zuschreiben. Nerven empfinden; das Gehirn, oder ein im Gehirn wohnendes Wesen stelt die Empfindung vor, ist sich der Empfindung bewust. Folglich sind Empfindungs- und Vorstellungskraft im Grunde zwey verschiedene Vermögen, die ihren Grund in verschiednen Organen haben, und davon eines sich auch ohne [189] das andere äußern kan. Unsre Nerven können oft von äußern Gegenständen Eindrücke erhalten, die sie, wenn sie gesund sind, nothwendig empfinden müssen, ohne daß diese Empfindung bis zum Bewustseyn kömt. Auf der andern Seite haben wir sehr oft von etwas ein Bewustseyn, ohne daß zu eben derselben Zeit die Nerven unsers Körpers durch eine äußere Impression erschüttert werden solten. Nerven können erschüttert werden, ohne daß die Gehirnorganen mit erschüttert werden müssen, und wiederum kan das Gehirn und seine Fibern bewegt werden, ohne daß nothwendig die Nerven des übrigen Körpers angeschlagen werden dürfen. Dieser Verschiedenheit des Empfindens und Bewustseyns ohn-
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geachtet, faßt man gewöhnlich im Ausdruck, Empfinden, auch die Operation des Bewustseyns zusammen. He l vet i us hielt die Sensibilität für die Grundkraft der menschlichen Seele. Allerdings ist sie es in einem gewissen Verstand, in so weit nemlich, daß ohne sie keine einzige Seelenkraft im Menschen seyn kan. Hätten die Nerven nicht Empfindlichkeit: so könten wir gar nicht begreifen, wie Gedächtniß, Verstand und Vernunft sich bey dem Menschen solten finden können. Wenn die Nerven keine Eindrücke aufnehmen könten: so würden sie auch keine Eindrücke aufbewahren, sie nicht mit einander verbinden, noch associiren, folg[190]lich kein Gedächtniß, und keine Vernunft haben können. Aber auf der andern Seite ist es nicht schlechterdings nothwendig, daß mit der Sensibilität zu gleicher Zeit alle übrige Seelenkräfte vorhanden seyn müssen. Es ist nicht nothwendig, daß Nerven, die das Vermögen zu empfinden haben, auch die Fähigkeit haben müssen empfundene Eindrücke eine Zeitlang aufzubewahren, und durch neue Erschütterungen wieder zu erneuren, sie zu associiren, auf eine mannigfaltige Weise zu verbinden, sie in allgemeine Begriffe umzubilden, und in Sätze und Schlüsse zusammenzureyhen. Nichts ist gewisser, als daß Thiere Sensibilität haben, und daß einige Thierarten sie in einem ungleich vollkommenern Grad haben, als der Mensch. Das Hausgeflügel nimmt die bevorstehende Veränderungen des Wetters durch das Gefühl war, die der Mensch mit Hülfe aller Wettergläser nicht vollkommen zu entdecken im Stande ist. Demohngeachtet hat kein Thier so viele Eindrücke seinem Gedächtniß eingepräget; so viele allgemeine Begriffe abgezogen; so viele Raisonnements zusammengekettet, wie der Mensch. Es kan gar nicht geläugnet werden, daß die Werkzeuge der Empfindung und des Bewustseyns einiger Thierarten nicht zugleich nebst der Sensibilität und der Vorstellungskraft auch mit den mehresten Seelenfähigkeiten ausgerüstet seyn könten, [191] mit denen der Mensch begabt ist. Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß die vollkommenern von den uns bekanten Thierarten eben so gut allgemeine Begriffe bilden, und sie in Urtheile und Schlüsse zusammenketten können, wie es der Mensch kan. Wenn auch hier der so wichtige analogische Schluß, von den empfindlichen Nerven, und den erinnernden, denkenden und schliessenden Gehirnorganen des Menschen, auf die Nerven und die Gehirnorganen der Thiere nicht zureichen solte: so lehrt es die Erfahrung unwidersprechlich, daß Thiere in gewissen Graden Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand und Vernunft bey ihrer Sensibilität haben. Thiere, die nur mittelmäßig glücklich organisirt sind, bewahren die Eindrücke eine Zeitlang auf, und erwecken sie nach einer Zeit wieder. Sie associiren Begriffe, und lassen uns in ihrem Schlaf eben die Phänomene an sich wahrnehmen, die man an rohen Menschen wahrzunehmen pflegt. Ihr Schlaf ist mehr traumlos, als der Schlaf der Menschen. Nichtsdestoweniger bellen doch die Hunde im Schlaf, so wie träumende Personen artikulirte Sprache reden. Wenn es daher gewis ist, daß der Traum die Meditation des Schlafs ist: so meditiren die Thiere allerdings im Schlaf. Diese Meditation des Schlafs ist von der Meditation im wachenden Zustand in nichts weiter unterschieden, als daß wir im Traum Seelenarbeiten vornehmen, ohne die [192] Absicht zu haben, sie vorzunehmen. Daher komt es denn, daß wir bey der Meditation im Schlaf uns weder Mühe geben, die Begriffe, die in uns aufgewekt werden, gehörig zu erhellen, noch sie uns durch lange Betrachtungen lange gegenwärtig zu erhalten, und neue Verbindungen unter ihnen zu veranstalten. Hingegen bey der Meditation im Wachen schwebt uns die Absicht, daß wir meditiren wollen, immer vor
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Augen, und dieser Absicht zufolge wenden wir alle Mühe auf eine genaue Entwickelung der Begriffe, die in der ganzen Reyhe von Gedanken vorkommen, die wir mit Sorgfalt zu verlängern bemühet sind. Wenn es nun gewis ist, daß die Thiere im Schlaf meditiren, weil sie Träume haben: so kan man auch mit Gewißheit den Schluß ziehen, daß sie es auch im Zustand des Wachens thun. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß die Erschütterungen der inneren Organen im Schlaf Meditation nach sich ziehen, und daß sie es im Wachen nicht thun, daß das Gehirn im Schlaf nach den Gesetzen der Association Ideen verknüpfen, und daß es im Zustand des Wachens nicht associiren solte. Zwar muß man zugeben, daß einige Thierarten im Zustand des Wachens zur Meditation weit ungeschikter seyn müssen, als im Schlaf, weil ihre Organen durch die äußeren Eindrücke zu lebhaft gerührt werden, als daß sie sich von den äußern Gegenständen in sich selbst zurücke ziehen, und [193] sich mit den Bewegungen im Innersten des Gehirns mit den Vorstellungen abwesender Gegenstände beschäftigen könten. Dagegen werden im Schlaf die Erschütterungen der inneren Organen ungleich lebhafter, als die Eindrücke der äußeren Gegenstände auf die äußeren Werkzeuge der Empfindung, und dann kan das Thier erst meditiren, weil es sich in sich selbst samlen kan. Immer ist es freylich nur Meditation im Traum, das heißt, Meditation bey einem kränklichen Zustande der Nerven, oder bey einer unordentlichen Bewegung der flüssigen Theile in thierischen Körper, wodurch gerade solche Organen unsers Gehirns erschüttert werden, in welchen Vorstellungen und Ideen liegen, die gar keine Aehnlichkeit mit einander haben, und die auch nach keinem Gesetz der Ideenassociation an einander können gekettet werden. Dieser Umstand macht alsdenn, daß die Vorstellungen im Schlaf ganz unregelmäßig laufen, und daß die Frucht der Meditation ein verworrenes Ganzes wird, (wenn man sie anders ein Ganzes nennen kan,) in welchem Bilder und Ideen zusammengerükt werden, die nie zusammen empfunden, noch von einem vernünftigen Wesen je zusammengedacht worden sind. Demohngeachtet kan man schließen, daß die Thiere im Zustande des Wachens wenigstens einigermaaßen zum Meditiren geschikt seyn müssen, weil im Traum keine andre Organen erschüttert werden, [194] als diejenigen, in welche das Thier seine Ideen im Zustande des Wachens niederlegt. Immer hat man es geläugnet, daß die Thiere allgemeine Begriffe abziehen können, weil sie keine artikulirte Sprache haben. Allein der sprachlose Mensch sowohl, als das Thier kan allgemeine Begriffe bilden, weil beyde das Gemeinschaftliche an den Gegenständen bemerken, und die Gegenstände dieser Aehnlichkeiten wegen als Dinge derselben Art ansehen können. Man hat Proben hievon fast an allen Thierarten allgemein bemerkt. Die Taube rechnet die Raubvögel, die ihr nachstellen, zu Wesen derselben Art, man mag sie in eine Gegend hinbringen, wohin man will. Wiederum diejenige Art von Raubvögeln, denen die Hüner zu Leckerbissen dienen, rechnet die Hüner zu Geschöpfen derselben Art, und erwürgt nie einen Vogel, der nicht zum Hünergeschlecht gehöret. Auf der andern Seite bemerkt eine jede Thierart das Gemeinschaftliche in den Kräutern und Körnern, die ihr Nahrung geben, so gut, daß sie nie solche Nahrungsmittel genießen mag, die ihr tödlich seyn könten, und daß sie hingegen gerade diejenige Nahrung sorgfältig hervorsucht, die ihr vorzüglich zuträglich ist. Die Philosophen haben dieses Vermögen der Thiere, sich von vielen Gegenständen der Körperwelt allgemeine Begriffe zu bilden, von je her deutlich genug an ihnen wahrgenommen. Allein, [195] weil man kein besseres Unterscheidungsmerkmal des Menschengeschlechts von
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den Thieren kante, als den schwankenden Charakter der Vernunft: so sprach man ihnen das Vermögen, allgemeine Begriffe zu bilden, ab, und schrieb mit der grösten Partheylichkeit alle Erscheinungen bey den Tieren, die ein solches Vermögen verriethen, einem bloßen sinlichen Instinkt zu. Im Grunde gewan man weiter nichts damit, als daß man das bloße Wort, Vernunft, nicht leiden wolte. Man machte den Instinkt vernünftig, und Vernunft oder vernünftiger Instinkt scheint doch etwas ziemlich gleichviel geltendes zu seyn. Eben so wenig läßt sich daran zweifeln, daß die Thiere urtheilen können. Ein empfindendes mit Bewustseyn ausgerüstetes Wesen muß bey ein Paar Eindrücken, die es zu derselbigen Zeit erhält, nothwendig die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, die Aehnlichkeit oder die Unähnlichkeit dieser Eindrücke bemerken. Das Urtheil ist ein ganz nothwendiges physisches Resultat von ein Paar gleichzeitigen Empfindungen. Nerven müssen entweder gar nicht empfinden, und ganz gelähmt seyn, oder sie müssen auch die Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit ihrer Empfindungen wahrnehmen. Wenn aber die Thiere die Uebereinstimmung und Verschiedenheit von zwo Empfindungen und Ideen einsehen können, und einsehen müssen: so [196] ist es sehr wahrscheinlich, daß sie dieselbige Operation auch mit dreyen Begriffen werden vornehmen können, weil wir schon bey den stupidesten Menschen, die von den vollkommenern Individuen unsers Geschlechts ungleich weiter abstehen, als von den Thieren, finden, daß sie nicht nur urtheilen, sondern auch schließen können. Daß Thiere wirklich raisonniren, beweisen alle Beobachtungen, die die Jäger in Menge an Hirschen, Hasen und andern wilden Thieren gemacht haben. So viel wir aber schließen können: so sind ihre Reihen von Schlüssen alle kürzer, als die des Denkers, der bey den Wissenschaften grau geworden ist. Diese Anmerkungen waren für eine Note zu lang. Ich habe sie meinen Lesern im Text mitgetheilt, und will nun meine Gedanken wieder an den Faden anknüpfen, den ich fahren lassen muste. Ich habe durch das Beyspiel der vollkommenern Thiere zu beweisen gesucht, daß diese neben der Sensibilität auch Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand und Vernunft besitzen. Allein, weil die Fähigkeit ihrer Nerven, Eindrücke eine Zeitlang aufzubewahren und wiederum hervorzubringen, Eindrücke zu associiren, allgemeine Begriffe abzuziehen, und diese in allgemeine Sätze und Schlüsse zusammenzuketten, gegen das Vermögen der menschlichen Organen gerechnet, ungemein schwach, und auf wenige Begriffe von den äußerlichen körperlichen Gegenständen ein[197]geschränkt zu seyn scheint: so läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß es empfindende Geschöpfe geben werde, die außer der Sensibilität und dem Bewustseyn kein Gedächtniß und Einbildungskraft, keine Urtheilskraft, keinen Verstand und keine Vernunft besitzen. Ueberhaupt ist die Fähigkeit, etwas zu empfinden, nicht gleich die Fähigkeit, alles zu empfinden, und die Fähigkeit, einige Wirkungen des Verstandes und der Vernunft hervorzubringen, ist nicht gleich die Fähigkeit, alle Wirkungen dieser Kräfte zu erzeugen. Kein seichter französischer Kopf hat ganze Welten umfaßt, wie De scart es, New t on und Le i bn i z, und Vo l ta ire’s Phantasie, so dichterisch sie auch ist, die Gegenstände nie so lebhaft wahrgenommen, wie S h ake s pea r. Unsre Organen müssen daher nothwendig neben der Sensibilität noch gewisse ganz eigne Dispositionen haben, vermöge welcher sie nicht blos empfinden; sondern auch die Empfindungen in gewisse Partikeln niederlegen, aus denen sie bey ihrer öfteren Erschütterung nicht
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leicht ganz verlohren gehen, diese Empfindungen erneuren, und auf eine mannigfaltige Art verbinden und allgemein machen können. Empfindungsvermögen sowohl als Vorstellungskraft können durch allerhand körperliche Zufälle aus dem Menschen verschwinden. Schlagflüsse und andre Verwüstungen des Gehirns haben [198] oft gänzliche Unempfindlichkeit der Nerven, gänzliche Beraubung des Bewustseyns, und den Tod nach sich gezogen47.
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Bey keinem einzigen Seelenvermögen ist es sichtbarer, daß es auf der nemlichen Gabe der Nerven und der Gehirnorganen beruhet, auf die das Empfindungsvermögen gegründet ist, als bey dem Gedächtniß und der Einbildungskraft. Diese beyden Ausdrücke zeigen bey verschiednen Philosophen verschiedne Kräfte an. In der weitläuftigsten Bedeutung heißt Gedächtniß die Fähigkeit, Eindrücke, die man durch die äußeren und inneren Sinnen erhalten hat, eine Zeitlang aufzubewahren, nachdem die Gegenstände, von denen diese Eindrücke herrührten, auf die Organen der äußeren und inneren Sinnen nicht mehr wirken. Die Wolfische Schule nent das Gedächtniß ein Vermögen, sich dessen bewust zu seyn, daß man [199] die Gedanken, die man jezt hat, schon ehedem gehabt habe, und die Einbildungskraft ist das Vermögen, die Eindrücke, die man ehedem gehabt, wieder zu erneuren, wenn die Gegenstände gleich nicht mehr da sind, die sie uns eindrükten, und zwar so zu erneuren, daß im ganzen Gehalt des Eindruks, oder der Idee gar nichts geändert werde. Wird bey der Erneurung einer ehedem gehabten Idee etwas in der Komprehension der Idee geändert: so ist das, nach W o lf e n, die Operation des Dichtungsvermögens. Allein bey diesen Beschreibungen häufen sich viele Bedenklichkeiten, die ihre Annehmlichkeit widerrathen. Fürs erste wird durch die Wolfische Erklärung der Unterschied unter dem Gedächtniß und der Reminiscenz aufgehoben. Man schreibt das Bewustseyn, daß man gewisse gegenwärtige Vorstellungen bey der Abwesenheit des Objektes schon ehedem gehabt, allgemein der Reminiscenz zu, und nicht dem Gedächtniß. Ferner legt man, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, die Ideen nicht in die Imagination, sondern in das Gedächtniß nieder. Und denn ist auch der Unterscheidungsgrund unter der Einbildungskraft und dem Dichtungsvermögen ein Grund, der etwas physisch Unmögliches voraussezt, weil es physisch unmöglich ist, daß die Reproduktion einer Idee je ohne Veränderung der Komprehension derselben statt haben solte. In dieser Bedeutung ist das [200] Dichtungsvermögen ein ganz leerer Ausdruck, und mit der Phantasie völlig einerley, indem auch diese die gehabten Ideen nie ohne alle Veränderung hervorbringen kan. Daher muß man das Dichtungsvermögen ganz aus der Psychologie ausstreichen, und dafür von der dichterischen Einbildungskraft reden. Keiner von allen Unterschieden zwischen dem Gedächtniß und der Imagination ist so sehr gegründet, als derjenige, bey welchem man auf die Beschaffenheit der Eindrücke siehet, die der 47
Diese Schlußanmerkung, so abgebrochen sie scheinen möchte, ist für das Folgende eines von den wichtigsten Stücken, welches ich voraus zu schicken hatte. Für den Erfahrungssatz selbst sind alle große Aerzte Bürge, die Haller zu Rathe gezogen hat. Die Folgerung aus dieser wichtigen Prämisse ist der Gegenstand des nächsten Versuchs.
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Mensch erhalten, aufbewahren und wieder hervorbringen kan. Alle Eindrücke nemlich, die auf die Organen unserer äußeren und inneren Sinnen geschehen können, sind von einer gedoppelten Art. Entweder sind sie mit merklichen Graden von Vergnügen oder von Schmerz vergesellschaftet, oder sie sind gleichgültig. Die Gabe, diejenigen Eindrücke, die mit keinem merklichen Grad von Lust oder Unlust vergesellschaftet sind, eine Zeitlang aufzubewahren, und nachher zu reproduciren, ist die Gabe des Gedächtnisses, und dann ist die Einbildungskraft die Behälterin aller angenehmer und unangenehmer Eindrücke, und das Vermögen, diese Gattung von Eindrücken, wenn die Gegenstände nicht mehr da sind, wieder aufzuwecken, und auf eine mannigfaltige Art mit einander zu verbinden. [201] Durch diese Bestimmung der Begriffe ist man in den Stand gesezt, die Einbildungskraft nicht allein vom Gedächtniß, sondern auch von der Vernunft sehr leicht zu unterscheiden. Die Vernunft kombiniret zwar auch die Vorstellungen auf eine mannigfaltige Art. Allein sie beschäftiget sich blos mit den allgemeinen Begriffen, und überläßt die Reproduktion, die Veränderung und Verbindung der Vorstellungen von schönen und häßlichen Gegenständen, der Einbildungskraft. Die wissenschaftliche Präzision der Begriffe ist aber nicht der einzige Vortheil, den man durch dieses Unterscheidungsmerkmal erreicht. Selbst die Beobachtungen des menschlichen Geistes rathen eine solche Bestimmung der Begriffe an. Es giebt viele Menschen, die die Gabe in einem hohen Grade besitzen, die gleichgültigen Eindrücke, trokne Chronologien, und magere historische Nachrichten leicht zu fassen und dauerhaft aufzubewahren, ohne daß sie angenehme und unangenehme Eindrücke, schöne Auftritte, reitzende Scenen, bezaubernde Musiken, und auf der andern Seite häßliche Gestalten sich tief eindrücken, und nach einiger Zeit wieder lebhaft erneuren könten. Jene erstere Gabe ist ungleich gemeiner als die leztere, so wie die Gabe, Fakta der Geschichte zu behalten, gemeiner ist, als die Gabe zu dichten. Die mehresten Historiker besitzen das Gedächtniß ohne die Einbildungskraft, weil sie zwar ihre Chronologien und [202] Fakta richtig bemerken und vortragen, aber selten die Eindrücke, die schöne und häßliche Charaktere, angenehme und unangenehme Vorfälle des Lebens verursachen, lebhaft zu schildern im Stande sind. Demohngeachtet ist es nichtsweniger als nothwendig, daß ein gutes Gedächtniß und eine starke Einbildungskraft sich nicht in demselbigen Subjekt beysammen solten finden können, so wenig es nothwendig ist, daß ein gutes Gedächtniß ein Hinderniß eines guten Verstandes seyn müsse. Beydes hat man in den neueren Zeiten angenommen; so daß man es heute fast nicht mehr wagen darf, sein gutes Gedächtniß zu rühmen, wenn man nicht für einen Dumkopf angesehen seyn will. Diese Behauptung, so unähnlich sie den Lobsprüchen ist, die die Alten dem Besitz eines guten Gedächtnisses darbrachten: so ungegründet ist sie. M nem osy ne war bey den Alten die Mutter der Musen, und das Gedächtniß, der Grund und die Quelle aller Gelehrsamkeit. Man hätte nur die Vortheile eines guten Gedächtnisses erwegen dürfen, die Qu i nk t i l i a n aufzählt48, und man würde schwerlich aus einer ganz einseitigen Erfahrung den allgemeinen Satz gefordert haben, daß das Daseyn eines glücklichen Gedächtnisses ein Kennzeichen vom Mangel eines vorzüglichen Grades der übrigen Seelenkräfte sey, wie man wirklich gethan [203] hat. Der sicherste Beweis vom Genie, sagt Qu i n kt ili a n, ist die Wahrnehmung eines guten Gedächtnisses an den Kindern. Denn die Dauerhaftigkeit der Vorstellungen im Gedächt48
Instit. Orat. I. 3. XI. 2.
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niß, und die Leichtigkeit, sie wiederum zu erwecken, folglich die ganze Güte des Gedächtnisses, hängt gröstentheils von der Leichtigkeit ab, die Vorstellungen häufig an andre Vorstellungen anzuknüpfen. Aber ist diese Gabe, Begriffe auf eine mannigfaltige Art zu associiren; sie so zu associiren, wie sie vom gemeinen Haufen nicht angereyhet zu werden pflegen, nicht der überzeugendste und unfehlbarste Beweis von der Vortrefflichkeit der übrigen Seelenkräfte, um welcher willen man einem Menschen Genie zuzuschreiben pflegt. Worauf beruhen alle neue Wendungen, Beweise und Erfindungen in der ganzen spekulativen Weltweisheit anders, als auf einer mehr als gewöhnlichen Leichtigkeit, Associationen unter Begriffen zu veranstalten, die kein Kopf ehedem mit einander verband49? Richtig ist es, was Qu i nk ti li a n ferner bemerkt, daß alle unsre besten Kentnisse auf dem Gedächtniß beruhen. Denn was kan uns alles, was wir lernen, für Nutzen bringen, wenn die [204] neu hinzukommenden Kentnisse nur wie ein Strom durch die Seele gehen, und ganz unvermerkt dahin fließen, ohne daß eine Spur von ihrem Daseyn übrig bleibt? Der gänzliche Mangel sowol als die Schwäche dieser Fähigkeit, Kentnisse leicht zu bekommen, lange zu erhalten und leicht zu reproduciren, sind die einzigen Ursachen, die den grösten Theil der Menschen aus der Zahl der Gelehrten ausschließen. Billig müste daher unter den Vorzügen eines jeden großen Mannes sein Besitz eines glüklichen Gedächtnisses eben so gerühmt werden, als die Vorzüglichkeit irgend einer andern Seelenkraft. Eben deswegen wird man unter den alten Rednern nicht leicht einen finden, der seinen Feldherren, Volksführer und Imperatoren nicht auch von dieser Seite auf das vorteilhafteste schildern solte. Im Alterthum konte ein großer Man ohne ein vorzügliches Gedächtniß nicht glänzen. Alle Imperatoren, Feldherren und Staatsmänner unter den Griechen und Römern musten zugleich die Gabe, einen überzeugenden und hinreißenden Vortrag zu thun, in einem sehr hohen Grade besitzen. Die Beschuldigungen gegen sie waren ausgearbeitete Reden, die im Angesicht vieler tausend Zuhörer deklamirt wurden, und der glükliche und unglükliche Ausgang ihrer Verantwortungen hieng fast einzig davon ab, wie sie ihre eignen lebhaften Empfindungen des Unwil[205]lens, oder des Mitleidens, oder des Schmerzens auf eine gewaltsame Art den Seelen derer, die sie hörten, mitzutheilen geschikt waren. Oft rissen sie ihre Zuhörer, den Bürger, Pöbel, Soldaten, durch den Strom von erhobnen und pathetischen Ausdrücken, der von ihrem Munde floß, so mit sich fort, daß man nicht Zeit hatte, die Kunst zu bemerken, durch welche man betrogen wurde. Unter diesen Umständen musten nothwendig alle Großen im Staate alle Mittel anwenden, den Organen des Gedächtnisses durch Uebung eine gewisse Festigkeit und Beweglichkeit zu verschaffen, um die Vorstellungen sich leicht und dauerhaft eindrücken, und sie wiederum leicht aufwecken zu können, zumal da dergleichen Anreden und Verantwortungen oft ohne alle Vorbereitung vorgetragen werden musten. So wie die Alten, von politischen Gründen angetrieben, für die Erlangung eines guten Gedächtnisses Sorge tragen musten: so sind alle Gelehrten in unsern Zeiten wegen der ungeheuren Mannigfaltigkeit der gelehrten Kentnisse eben so wohl genöthigt, alle mögliche Mittel aufzusuchen, durch welche das Behalten der Begriffe verstärkt werden kan. Die künstlichen Mittel, die die Psychologie zur längern Lebendigerhaltung einzelner Begriffe kent, sind vornemlich eine öftere Wiederholung und eine häufige Association einzelner klarer Vorstellungen zu sehr vielen 49
Man vergleiche hierüber An Essay on Genius, By Alexander Gerard. London 1774. Deutsch von Christ.
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an[206]dern50. Wie außerordentlich groß die Vortheile eines guten Gedächtnisses für den Gelehrten seyn, siehet man an den Beyspielen der grösten Genies der letztern der Jahrhunderte. L i ps iu s, Pa sk a l, Bay l e, Le i bn i z sollen entweder gar keine klare Vorstellung, die sie je gehabt, vergessen haben, oder wenn ein solches Vorgeben die Unwissenheit dessen, der es erzählt, an den Tag legt, doch ein ungeheures Gedächtniß gehabt haben. Es ist nemlich schlechterdings nicht möglich, daß alle unsre Vorstellungen sich in das Gedächtniß ganz unauslöschlich einpflanzen solten. Die mehresten derselben verschwinden entweder ganz, oder ihre Spuren wachen nach einer Zeit wieder auf, ohne daß wir uns bisweilen besinnen können, sie schon ehedem gehabt zu haben. Beydes würde gar nicht geschehen können, wenn das Gedächtnißvermögen das Vermögen eines einfachen Wesens wäre. Aber eben diese Erscheinung, daß [207] Begriffe verlöschen, die wir schon klar gedacht haben, ist der offenbarste Beweis, daß unser Gedächtnißvermögen das Vermögen eines zusammengesezten Wesens sey, das viele Theile einbüßen, und neue Zusätze erhalten kan. Eben das Gehirn, welches die Eindrücke aufnimt und zum Bewustseyn erhebt, ist das Verhältnis aller Gedächtnißimpressionen denkender, und mit Bewustseyn empfindender Thiere. Diese Organen des Gedächtnisses können aber nichts anders als sehr untreue Behälter der Ideen seyn, weil sie selber sehr veränderlich sind. Man hat berechnet, wie groß die Reihe von Jahren seyn müsse, in welcher alle Theile unsers äußern Körpers verfliegen müssen, und es ist sehr zu vermuthen, daß die Fibern des Gehirns ungleich eher verwandelt werden, theils weil ihre Substanz ganz breyartig ist, theils weil nach dem Gehirn eine verhältnismäßig ungleich größere Quantität Blut getrieben wird, als sich in den übrigen Körper ergießt. Und das baldige Verschwinden klarer Vorstellungen, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit angefrischt werden, bestätiget diesen Satz eben so nachdrüklich. Mit der Vollkommenheit des Gehirns nimt die Güte des Gedächtnisses ab und zu. Im Kinde sind die Organen des Gehirns beynahe ganz flüssig, und die durch die Eindrücke der Gegenstände eingegrabene Spuren ganz unkentlich. [208] Selbst die Theile, auf welche der Eindruk geschieht, müssen bey dem schnellen Wachsthum des Körpers zu schnell den kommenden Theilen weichen. Die Ideen müssen daher aus einem so weichen Element sogleich durchfließen, oder sie werden auch durch das starke Wachsthum des Gehirns überzogen und verdrungen. Schwerer sind diese Spuren auszulöschen, wenn mit dem zunehmenden Alter die Festigkeit des Gehirns zunimt, bey welcher sie dauerhafter und kentlicher gezeichnet werden können. Endlich gelangen im hohen Alter alle unsre Gliedmaßen und Organen zu einer solchen Konsistenz und Härte, daß sie ganz steif, und gegen alle Eindrücke fast gänzlich unempfindlich werden. Durch diese Verhärtung des Gehirns werden die Ideen, die im mänlichen Alter dasselbe erschütterten, so sehr zusammengedrängt und eingekerkert, daß sie nicht wieder aufgewekt werden können, so wenig neue Eindrücke in eine verhärtete Substanz tief einätzen können. Daher vergißt der Greis die Vorstellungen aus den durchgelebten Perioden seines Lebens, und die Begriffe seines Alters sind nur Vorstellungen weniger Augenblicke. Kein Wunder, daß sehr
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Garve. Leipzig 1776. Les frequentes representations des mêmes objets à la memoire sont, pour ainsi dire, autant de coups de burin, qui les y gravent autant plus profondement, qu’ils s’y representent plus souvent. De l’Esprit, Tom. II, Disc. III. Chap. 3. – Locke stellt die Sache eben so vor: La memoire est une table d’airain remplie de characteres, que le tems efface insensiblement, si l’on n’y repasse quelquefois le burin.
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alte Personen leztlich so gar vergessen können, daß sie Speise und Trank zu sich nehmen müssen, wenn sie ihr unbemerkbares Leben erhalten wollen. Aber nicht allein die langsamste von allen Krankheiten, das Alter, sondern auch sehr viele [209] plözliche körperliche Unfälle haben oft eben dieselbe traurige Wirkung einer gänzlichen Beraubung des Gedächtnisses. Verschiedne hitzige Krankheiten zerrütten das innere Organensystem so sehr, daß die besten Kentnisse des Menschen ganz verschwinden51. Und wenn uns auch jemand für eine gänzliche Befreyung von dergleichen körperlichen Unfällen Bürge wäre; so hat doch keine einzige von unsern Vorstellungen das Privilegium der Unauslöschlichkeit. Wir müssen ganz nothwendig eine ganz ungeheure Menge von Begriffen einbüßen, weil Organen und Begriffe denselbigen Gesetzen der Veränderlichkeit und des Flusses unterworfen sind. Das einzige Mittel, das uns zur Erhaltung der Begriffe bekant ist, die öftere Wiederholung derselben, wird bey der unbeschreiblichen Anzahl von Vorstellungen, die wir unser ganzes Leben hindurch von Zeit zu Zeit erhalten, ganz unbrauchbar, wofern wir nicht vorsezlich alle unsre Organen gegen alle, oder doch sehr viele neuen Eindrücke verschließen, und uns blos mit den schon erlangten Vorstellungen be[210]schäftigen wollen. Gesezt, wir hätten dieses in unsrer Gewalt: so müsten wir schon sehr frühe mit Fleiß angefangen, dum und unwissend zu werden, weil wir schon in unsrer frühesten Kindheit so viele Ideen erhalten, daß wir uns blos mit ihrer einzelnen Wiederholung, um sie nicht zu vergessen, oft unser ganzes Leben hindurch beschäftigen könten. Durch eine solche unaufhörliche Beschäftigung mit einer eingeschränkten Anzahl von Ideen müsten unsre Kentnisse außerordentlich eingeschränkt werden. Diese Verstopfung und Verküttung unsrer Organen gegen den Zufluß neuer Ideen ist aber in Absicht auf die Organen des innern Sinnes nicht einmal möglich, weil diese auf eine mechanische Art ohne unser Zuthun bewegt werden, und nach den Associationsgesetzen uns Vorstellungen zuführen können, die sich gegen unsern Willen aus dem Gehirn hervorwickeln. Schon aus der vorhergehenden Bemerkung ist es klar, daß unser Gedächtniß nicht ein bloßes Phänomen der Ordnung sey. He lv et ius glaubt, daß die Ungleichheit des Gedächtnisses in mehreren Menschen aus der ungleichen Anwendung der Aufmerksamkeit hergeleitet werden müsse, und daß das Gedächtniß eben deswegen ganz machbar sey. Wäre aber ein gutes Gedächtniß ganz und einzig eine Wirkung des menschlichen Fleißes: so könten unsre Wissenschaften noch lange den ho[211]hen Grad der Vollkommenheit nicht erreicht haben, den sie wirklich schon erreicht haben. Eben deswegen, weil einige Genies sehr große Schritte vor andern thun; sehr viele Kentnisse leicht fassen und lange behalten, ohne denjenigen Fleiß darauf zu wenden, den sie nothwendig anwenden müsten, wenn ihre Gabe, Vorstellungen leicht zu fassen und sie dauerhaft zu behalten, nicht ihrer ersten Anlage nach von dem Gedächtniß andrer Personen verschiedenen wäre, die mit eben derselben, und oft weit größern Applikation gehabte Kentnisse sich auf immer eigen zu machen suchen. Auf diesen Grund, daß die Ungleichheit des Gedächtnisses fast ganz von der ungleichen Anstrengung der Aufmerksamkeit abhange, bauet He l vet ius den Satz, daß alle gesunde Menschen ohngefähr ein gleich gutes Gedächtniß besitzen. Allein wenn auch die unleugbare Erfahrung an Kindern und andern Menschen, die bey aller Mühe nicht im Stande sind, ihrem Ge51
Man sehe Haller Element. physiol. Lib. X. Sect. VII. §. 22. Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen, S. 69. – Die Heilung gewisser Wunden am Kopf zieht bisweilen den Verlust des Gedächtnisses nach sich, und bey Eröfnung der Wunde findet sich das verlohrne Gedächtniß wieder ein.
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dächtniß viele Vorstellungen einzuverleiben, nicht das Gegentheil von der Helvetiusschen Voraussetzung lehren solte: so ist der gefolgerte Schluß doch falsch, weil nichts gewisser ist, als daß die Anstrengung und Aufmerksamkeit nach der verschiedenen Konstitution aller Organen in mehrern Menschen verschieden seyn muß. Eine sehr große Verwandschaft hat die Einbildungskraft mit dem Gedächtnißvermögen. [212] Nach einer sehr wahrscheinlichen Vermuthung könten dieselbigen Organen des Gedächtnisses zugleich die Organen der Einbildungskraft seyn, wenn man etwa den feinsten Fibern der Gedächtnißorganen das Vermögen zuschreiben will, von den angenehmen und unangenehmen Eindrücken gerührt zu werden, sie aufzubewahren, zu reproduciren, und auf eine mannigfaltige Art zu verändern. Die gröbern Theile der Gedächtnißorganen kan man für die Niederlage der gleichgültigen Eindrücke halten, und der feinern Organisation das Geschäfte der Imagination überlassen, weil man schon nach dem gemeinen Sprachgebrauch den, einen feinen und zärtlichen Menschen, nent, der von angenehmen und unangenehmen Gegenständen leicht gerührt wird. Man hält das Dichtungsvermögen gewöhnlich für eine Art von Imagination, wenn sie solche Gegenstände zusammensezt, die man nie zusammen empfunden hat. Allein darinnen kan das Dichtungsvermögen vornemlich aus dem Grunde nicht bestehen, weil man allgemein diejenigen Dichter als Dichter vorzüglich schäzt, die die Gegenstände in der Natur gerade so schildern und mahlen können, wie sie sie empfunden. Nie hat man die Regel als allgemein angenommen oder festgesezt, daß die Größe des Dichters aus der Menge seiner poetischen Fiktionen geschäzt werden müsse. Ja wenn man nach der größern [213] Menge dererjenigen Dichter urtheilen solte, die die wildesten Fiktionen ersonnen: so solte man bey der ungleich geringern Anzahl solcher Dichter und Künstler, die schöne und häßliche Gegenstände so schildern und vorstellen, wie sie in der Natur sind, den Schluß ziehen, daß die leztere Gabe weit seltner sey als die erstere. Schäferspiele und wahrhafte Schilderungen der schönen und häßlichen Natur haben vielen großen Kennern mehr Beyfall abgenöthigt, als Gedichte, die mit den wildesten Fiktionen überhäuft sind. Da sich das Dichtungsvermögen auf die bloße Fiktion nicht einschränken läßt: so muß dieses Kapitel aus der Psychologie weggelassen, und dagegen von der dichterischen Einbildungskraft gehandelt werden. Eine Einbildungskraft aber ist alsdenn d ic hter i sch, wenn sie die angenehmen und unangenehmen Eindrücke länger erhält, und lebhafter wieder hervorbringt, es mag nun mit einer großen Veränderung derselben geschehen, oder nicht, als die Menschen es gewöhnlich zu thun im Stande sind. Wenn hingegen die Einbildungskraft Faunen, Hyänen, geflügelte Pferde, Elysium und Tartarus schaft; wenn sie Schönheiten versamlet, die sich nirgend so koncentrirt finden; wenn sie Ideale von Schönheit oder von Häßlichkeit entwirft; wenn sie neue Welten, neue Systeme von Dingen werden läßt: so verdient sie den Namen einer s c h ö pf e r i s c he n Einbildungskraft, [214] und diese Art der Aeußerung der Imagination ist es eigentlich, die man allein unter dem Ausdruk, Dichtungsvermögen, begriffen hat. Die Einbildungskraft und alle ihre Aeußerungen haben in den neuern Zeiten sich eben so viele bittere Vorwürfe müssen gefallen lassen, wie das Gedächtniß. Wenn man ein glükliches Gedächtniß für ein gewisses Zeichen des Mangels des Verstandes und der Vernunft ausgab: so verschrie man eine starke und fruchtbare Einbildungskraft, als die fruchtbarste Mutter von Schwärmerey und Verfolgungsgeist und von allen Uebeln, die die Ruhe des menschlichen Ge-
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schlechts gestört, und dieses Leben verachtungswerth gemacht haben. Eine starke Einbildungskraft ist eben so fürchterlich, wie ein hitziges Fiber. In beyden sieht man die Dinge von ganz andern Seiten an, und findet Vorzüge an ihnen, die sie nicht besitzen. Man phantasirt sich in die Gegenstände viele Vollkommenheiten hinein, die gar nicht da sind, und wahre Vorzüge, die wirklich da sind, sieht man nicht. Sie hindert uns eben so sehr in den Arbeiten unsers Verstandes. Keine Meditation kan bey ihrer Lebhaftigkeit zu Stande gebracht werden, weil sie die Seele blos an schöne und häßliche Gegenstände anbindet, ohne ihr die Zurükziehung in sich selbst, oder das Anschauen ewiger Wahrheiten zu erlauben52. [215] Allein man mag noch so schwärmerisch in der Beschuldigung dieser Seelenfähigkeit seyn: so wird man doch ihre absolute Schädlichkeit nimmermehr beweisen, weil Geschichte und Erfahrung uns die grösten Philosophen zugleich als die grösten Dichter kennen lehrt. Schwerlich aber hat ein wahrer Philosoph das große Unheil in der Welt angerichtet, dessen Mutter eine lebhafte Imagination seyn sol. P la to durchwebte seine philosophischsten Raisonnements mit Allegorien, die gröstentheils prächtig und erhaben sind. Die abgezogensten Wahrheiten sind in Bilder eingehüllet, deren Werth alle Zeitalter erkant haben, die über solche Meisterstücke zu urtheilen im Stande waren. Der schönste unter allen Träumen dieses dichterischen Philosophen ist seine Allegorie im Phädrus über den Zustand der menschlichen Seele vor ihrem Einzuge in diesen Leib, über ihr Herabsinken in die grobe Materie, und über ihr Aufsteigen zur Gottheit, zum Besitz aller verlohrnen Seeligkeiten. Und wie zusammenhängend und regelmäßig die Raisonnements in diesem Dialog fortlaufen, müssen alle diejenigen bewundern, die ihn lesen53. Regelmäßigkeit und System [215] läßt sich mit der stärksten Phantasie vereinigen. Es ist wahr, die Einbildungskraft schwingt sich über die Regeln hinaus, die ihr Feuer auslöschen. Allein sie kan regelmäßig arbeiten, ohne sich an Regeln zu binden, wenn nur die übrigen Seelenkräfte nicht ganz durch ihr Leben ertödtet sind. Zu geschweigen, daß der Philosoph, der die Gabe einer lebhaften Einbildungskraft besizt, es in seiner Gewalt hat, alle unregelmäßige Auswüchse an seinen Geistesprodukten weg zu feilen, so bald das Feuer erkaltet ist. Wie sehr die Lebhaftigkeit der Einbildungskraft vom Körper, und vom Einfluß der äußern Gegenstände auf den Körper abhange, läßt sich am deutlichsten aus der allgemeinen Bemerkung in der Geschichte der Menschheit abnehmen, nach welcher alle Nationen, die sehr nahe an der Linie wohnen, eine außerordentlich starke Einbildungskraft haben. Die Morgenländer und alle südlichen Nationen dichten ungleich feuriger und schöpferischer, als alle Völker des kalten Nordens und des Occidents. Der vortheilhafte Einfluß des Klima auf die Einbildungskraft läßt sich um so viel weniger bezweifeln, wenn man bedenkt, wie sehr die Fibern der innern Organen nach der Beschaffenheit des Himmelstrichs feiner oder gröber, biegsamer oder steifer, und die Lebensgeister feuriger oder träger seyn müssen. [217] Eben so unläugbar ist es, daß die Vortreflichkeit der Einbildungskraft in einem hohen Grade dem Alter des Körpers, und der durch das Alter veränderlichen Beschaffenheit der inneren Organen des Gehirns unterworfen ist. Mit den lebhaften Empfindungen des jugendlichen Körpers verschwindet ihre Lebhaftigkeit. Der Jüngling dichtet feuriger, als der abgelebte Alte, und nur die allerwenigsten Dichter bleiben sich in allen Altern gleich. – Man versenke also diese 52 53
S. Search Light of Nature, Vol. I, S. 477. Herr Prof. Meiners hat diese Allegorie, so wie sie Plato zusammengedichtet hat, für deutsche Leser vorgetragen, in seinen vermischten philosophischen Schriften, Th. 1. S. 120. u. f.
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Kraft in eine Monade, und man versenkt sie in ein Wort. Aber es sey, sie sey reell; kan sie etwas verliehren? Hat sie Theile? Und womit soll ihr Abgang ersezt werden? Läßt sie sich mit Begriffen mästen? Was ist ihr Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Aequator, Pol, Jugend, Alter? – Urtheile Weltweiser!
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III. Verstand. Hier und bey der folgenden Aufschrift müste ich die Klage über das Unbestimte der allgemeinen psychologischen Ausdrücke widerholen. Man hat den allgemeinsten Benennungen der Seelenkräfte so viele unrichtige Bedeutungen untergeschoben, daß man durch dieses schwankende der Hauptbenennungen alle mögliche seichte Behauptungen in der Seelenlehre durchzusetzen im Stande ist. Das Vermögen, allgemeine Begriffe zu bilden, oder schon gebildete allgemeine Begriffe zu [218] fassen, und richtig zu gebrauchen, scheint die dem Ausdruk, V erst a nd, angemessenste Bedeutung zu seyn. Denn, wenn man auf die Redensarten im gemeinen Leben, V ers ta nd hab e n, gute n Ver sta nd, ke i ne n Vers ta nd h a be n, Acht giebt: so wird man ihnen nach dieser Erklärung den schiklichsten Sinn geben können, indem man demjenigen billig einen Mangel des Verstandes zuschreiben kan, der nicht einmal gebildete allgemeine Begriffe zu fassen und zu gebrauchen weis. Die ersten Erfinder, und die nachherigen Fortbilder und Erweiterer unsrer Sprachen haben uns in der Bildung allgemeiner Begriffe wenig übrig gelassen. Die mehresten Gegenstände, die auf ihre äußeren und inneren Sinnen auf eine ähnliche Art wirkten, faßten sie unter einem gemeinschaftlichen Namen zusammen, weil sie voraussezten, daß Gegenstände, die ähnliche Eindrücke auf uns machen, ähnliche Eigenschaften haben müssen. Wenn wir demnach noch heute allgemeine Begriffe abziehen: so haben sie die Erfinder und Erweiterer der Sprachen schon lange vor uns abgezogen, weil sie für diese Begriffe Benennungen in der Sprache erfunden haben, die wir selbst gebrauchen. Wir können also heute in Absicht auf die Bildung und Bezeichnung allgemeiner Begriffe nur an solchen Gegenständen Verstand üben, die man vor uns entweder gar nicht gekant, oder an denen doch das Gemeinschaftliche nicht [219] wahrgenommen hat, um welches willen man es mit einem eignen allgemeinen Ausdruck hätte bezeichnen, und die Subjekte dieser Aehnlichkeiten zu Dingen von derselben Art oder Gattung hätte zählen sollen. Daher verschaffen uns die neuen Entdeckungen in allen drey Reichen der Natur Gelegenheit, entweder ganz neue allgemeine Begriffe zu bilden, oder die allgemeinen schon gebildeten Begriffe vollständiger zu machen. L i nn e und Bü ff o n haben allerdings mehrere ganz neue allgemeine Begriffe gebildet, und mit neuen Ausdrücken bezeichnet, indem sie unter einer ganz ungeheuren Anzahl von Gegenständen im Thier, Pflanzen und Mineralreich ähnliche Eigenschaften bemerkten, oder besser aus den ähnlichen Eindrücken, die eine gewisse Anzahl von Gegenständen in ihnen erzeugten, auf die ähnlichen Eigenschaften dieser Gegenstände schlossen, und sie eben deswegen zu Dingen derselbigen Art rechneten. Vollständiger ist auf der andern Seite unter andern der allgemeine Begrif vom Menschen, seit der genaueren Bemerkung zwoer Eigenschaften an allen menschlichen gesund gebildeten Individuen der Sympathie und der Sprachfähigkeit, geworden, als er bisher war, da man ihn auf ein vernünftiges Thier einschränkte.
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Nach dieser richtigen Bestimmung des Begrifs ist die Folge richtig, daß der Verstand eine gemeinschaftliche Gabe für Menschen und für die [220] Thiere sey. Unläugbare Erfahrungen bestätigen diesen Satz, daß sich die Thiere gewisse allgemeine Begriffe bilden54. Allein, wie sie die von andern Individuen ihres Geschlechts schon gebildeten allgemeinen Begriffe fassen, und ob sie sie fassen können, sind wir nicht auszumachen im Stande, da wir keine artikulirte Sprache an ihnen wahrnehmen. Hier, deucht mich, liegt also ein größerer Unterschied der Thiere vom Menschen, als in ihrer angeblichen Unfähigkeit allgemeine Begriffe zu bilden. Thiere, wenigstens die vollkommeneren Geschlechter unter ihnen, können gewis allgemeine Begriffe bilden; allein sie können die von andern Individuen ihres Geschlechts gebildeten allgemeinen Begriffe nicht fassen, oder annehmen. Eben deswegen müssen sie in der Erweiterung ihrer Kentnisse immer weit zurükbleiben, weil ein jedes Individuum von vorne anfangen, und sich den ganzen Schatz seiner Kentnisse selbst samlen muß, ohne durch Belehrung die schon erfundnen Kentnisse sich eigen machen zu können. Menschen hingegen, wenn sie glüklich organisirt sind, kön[212]nen beydes, allgemeine Begriffe selber bilden, und gebildete durch Sprache sich beybringen lassen. Diese Bemerkung ist wichtig, weil in ihr ein Hauptunterschied der Menschen von den Thieren liegt, der nicht auf dem gänzlichen Mangel einer Seelenkraft beruht, sondern blos auf dem Mangel des höhern Grades von Vortreflichkeit eines Seelenvermögens, womit Menschen und Thiere gemeinschaftlich ausgerüstet sind, der Gelehrigkeit. Thiere sind unstreitig in Absicht auf partikuläre Begriffe, die ohne artikulirte Sprache ihnen beygebracht werden können, eben so gelehrig, wie der Mensch. Der Hund weis die Bedeutung der Minen seines Herrn oft besser, als manche Menschen, die eben die Züge lesen. Allein der Mensch ist gelehriger, so bald es auf allgemeine Begriffe ankömt. Nur ganz stupide Menschenähnliche Geschöpfe lassen sich bisweilen eben so wenig allgemeine Begriffe beybringen, als die Tiere; und sie können ihnen gar nicht beygebracht werden, so bald sie sprachlos und taub sind. Die Organisation des tauben und des sprachlosen Menschen scheint der Organisation der Thiere völlig gleich und ähnlich zu seyn. Es läßt sich daher gar nicht daran zweifeln, daß man es mit den Thieren nicht eben so weit solte bringen können, als mit tauben und sprachlosen Menschen, wenn man sich mit jenen eine gleiche Mühe geben solte, als man auf diese menschliche Monstra wenden [222] muß, bis man sie ein wenig menschenähnlich handeln lehret. Solte daher in einer vollständigen Definition vom Menschen nicht sein Vermögen, allgemeine Begriffe zu fassen, d. h. seine Gelehrigkeit, einen Hauptcharakter ausmachen müssen? Man berufe sich hier in der Vertheidigung des Gegentheils nicht auf diejenige Arten von Vögeln, die allgemeine Ausdrücke fassen und nachsprechen lernen, ohne daß sie die durch diese Wörter bezeichneten allgemeinen Begriffe an dieselbigen anknüpfen, indem sie die erlernten Wörter die mehreste Zeit ganz am unrechten Ort anbringen. Ich erinnere mich noch aus meiner Kindheit eines solchen Beyspiels. Man hatte einem Papagey den allgemeinen Ausdruck, H ure, aussprechen gelehrt. Der Vogel war aber häufig so ungerecht, daß er den keuschesten Frauenzimmern diesen schimpflichen Namen gab. – Allein hieraus läßt sich gar kein Schluß auf 54
Montagne schließt sehr richtig: Nous devons conclure de pareils effets, pareilles facultés, & de plus riches effets des facultés plus riches, & confesser par consequent, qie ce même discours, cette même voye que nous tenons à œuvrer, aussi la tiennent les animaux ou quelque autre meilleure. Essais de MONTAGNE. Liv. II. Chap. 12. Tom. III. p. 55.
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die Gelehrigkeit machen, von welcher hier die Rede ist. Man hat nemlich nie die Absicht bey den Vögeln, die man einige Wörter aussprechen lehrt, ihnen zu gleicher Zeit auch die allgemeinen Begriffe, die an den allgemeinen artikulirten Lauten kleben, beyzubringen. Sie lernen Wörter, und lernen ihre Bedeutung nicht. Es scheint, als wenn diejenige Personen, die die Vögel an die Aussprache gewisser Wörter gewöhnen, gerade die Absicht hätten, ihnen ihre Bedeutung vorzuenthalten, weil sie ein so ganz [223] verkehrtes Verfahren in diesen Lehrstunden vornehmen. Man stellt ihnen die bezeichneten Gegenstände nie vor, und man entwickelt ihnen die Begriffe nie, die ein gewisser allgemeiner Ausdruck andeutet. Jenem Papagey hatte man nie den allgemeinen Begrif eines solchen Mädchens vorlegen können, dem der Name zukam, den er nachsprach. Das war die Ursache, warum er so häufig die unschuldigsten Damen, er selbst unschuldig, schimpfte. Diese unverschuldete Unart nimt man auch an Kindern wahr, die eben die Sprache erlernen. Unter der ungeheuren Menge von Ideen, die ihnen durch die Sprache beygebracht werden, ist es nicht anders zu erwarten, als daß eine sehr große Anzahl derselben dunkel und verworren seyn müsse. In diese Klasse gehören vornemlich die Ideen, die durch allgemeine Wörter ausgedrückt werden. Kinder erlernen häufig die allgemeinen Ausdrücke, ohne einen klärern allgemeinen Begrif mit denselben zu verknüpfen, als die, eben diese artikulirte Töne nachahmenden Vögel. Daher gebrauchen sie diese Art von Ausdrücken eben so häufig ganz unrichtig, wie die Vögel. Man sieht z. B. voraus, daß unerwachsene Kinder den rechten Gebrauch jenes Wortes, den der Papagey verfehlte, eben so gut verfehlen müssen. Das lehrt auch die Erfahrung. Ein kleiner Junge, der sich mehrentheils in der Gesellschaft unausgebildeter Mägde befand, hatte von diesem Gesindel zu frühe den Ausdruck, [224] Hure, sich eigen gemacht, ohne die Bedeutung desselben wissen zu können. So viel hatte das Kind schon abgemerkt, daß es ein Schimpfname sey. Kein Wunder also, daß er bey Mans- und Frauenspersonen in der Folge in einer gleichvielsagenden Bedeutung von ihm angebracht wurde. Wir kennen also kein Mittel, wodurch wir den Thieren allgemeine Ideen eindrücken könten, und ihre Gelehrigkeit ist uns daher immer wenigstens sehr zweifelhaft, da auf der andern Seite der Mensch diese Fähigkeit ohne Widerspruch besizt. Aber auch unter den allgemeinen Begriffen, die sich die Thiere selbst von den Gegenständen bilden, und den allgemeinen Begriffen, die der Mensch von eben derselben Klasse von Gegenständen hat, muß es nothwendig sehr große Unterschiede geben; so wie die allgemeinen Begriffe, die sich mehrere Klassen von Menschen von denselbigen Gegenständen machen, oft sehr von einander verschieden sind. Mehrere Menschen müssen sich von denselbigen Gegenständen vornemlich aus dem Grunde von einander abgehende allgemeine Begriffe bilden, weil sie zur Entdeckung gemeinschaftlicher Aehnlichkeiten an den Gegenständen, nicht dieselbigen Werkzeuge in demselbigen Grad von Vortreflichkeit besitzen. Nach dem die sinlichen Werkzeuge einer Person feiner oder schärfer sind, als die Sinnen der andern, nach dem wird jene mehr Aehnlichkeiten an den Gegenständen wahrnehmen, als diese, [225] und ihr allgemeiner Begrif wird daher ungleich vollständiger seyn, als der allgemeine Begrif der leztern, der durch Hülfe stumpferer Sinne abgezogen worden ist. Außer der Verschiedenheit der Vortreflichkeit der äußeren Sinnen giebt es noch andre Ursachen der Verschiedenheit der allgemeinen Begriffe bey mehreren Menschen. Die wilden Nationen des Erdbodens haben unstreitig feinere und schärfere äußere Sinnen, als die kultivirten Europäer, und doch können sie die Aehnlichkeit unter dem Gold, und die Verschiedenheit unter dem Gold und den gelben Metallen nicht entdecken. Sie sehen alle gelbe Metalle für
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Gold, für Dinge derselbigen Art an, die der bürgerliche Mensch bald zu unterscheiden im Stande ist. Dieser Abstand der Wilden vom kultivirten Menschen in Absicht auf die Bildung allgemeiner Begriffe ist wahrscheinlich der nemliche, der sich unter den Thieren, die vollkommener organisiret sind, und unter den unvollkommeneren Thierarten findet. Beyde können nicht dieselbige allgemeine Begriffe bilden, weil sie die Gegenstände nicht auf dieselbige Art empfinden. Eben dieser Grund findet auch bey Thieren und Menschen statt. Sehr viele körperliche Zufälle können uns das Vermögen, allgemeine Begriffe zu bilden, zu fassen [226] und zu gebrauchen, gänzlich rauben. Alle Personen, die das Unglück hatten durch schrekliche Lähmungen den Gebrauch ihrer äußeren Sinnen zu verlieren, büßten zu gleicher Zeit die Fähigkeit ein, allgemeine Begriffe abzuziehen, oder sie von andern anzunehmen. Durch einen Schlagfluß verlohr, nach H a l ler s Bemerkung, ein Mann alle Substantive aus dem Gedächtniß. Diese unglükliche Person muß zugleich alle allgemeinen Begriffe, die sie an Substantiva geknüpft hatte, verlohren haben. Hua rt erzählt eine merkwürdige Geschichte von einem Menschen, der in einer Krankheit eine Menge von allgemeinen Begriffen überkam, die er vorher nicht besaß. Es war ein wahnsinnig gewordner Page eines der vornehmsten Magnaten in Spanien. »In gesunden Tagen hatte man ihn durchgängig für einen Menschen von sehr wenigem Verstand gehalten. Als er aber in die Krankheit verfiel, brachte er so viele anmuthige Sachen, so viele sinnreiche Gleichnisse, so viele vortrefliche Antworten, wenn man ihn fragte, und so viele unverbesserliche Vorschläge, das Reich, (dessen Herr zu seyn er sich einbildete,) wohl zu regieren, vor, daß nicht wenig Leute aus fremden Orten so was wunderbares zu hören herbeykamen, daß selbst sein Herr sein Bette selten oder gar nicht verlies, und nichts eifriger von Gott wünschte, als daß er nie wieder hergestellt werden mögte. Dieses gab er ganz deutlich zu verstehen, als der [227] Page gesund worden war, und der Arzt, in der gewissen Hofnung Lob und Belohnung davon zu tragen, sich von ihm beurlauben wolte. Mein Herr, sagte er zum Arzt, ich kan sie versichern, daß mich niemals ein Unfall mehr geschmerzt hat, als die Genesung meines Pagen. Eine so weise Narrheit hätte man gar nicht wieder in eine so langsame gesunde Vernunft, wie er sie jezt hat, da er genesen ist, verwandeln sollen. Es komt mir vor, als wenn sie ihn mit gutem Bedacht wieder zum Narren gemacht hätten, welches doch die elendste Krankheit ist, in die ein Mensch verfallen kan.«55 Hu art hörte einen Landmann in einer phrenetischen Krankheit eine Rede halten, worinnen er die Umstehenden, für seine Seligkeit zu beten, und wenn er von diesem Lager nicht aufkommen solte, für seine Kinder und seine Frau zu sorgen, mit solchem oratorischen Nachdruck, und mit so ausgesuchten Worten ermahnte, daß C ic ero auch vor dem Senat nicht hätte beredter seyn können. Alle, die zugegen waren, erstaunten, und fragten, woher doch einem Menschen so viel Weisheit und Beredsamkeit kommen könne, der bey gesunden Umständen kaum habe reden können56? Le C amu s [228] führt ein Beyspiel von einem jungen Menschen an, der ganz stupide war, so daß man ihn in einem Kloster zu weiter nichts als zum Glockenläuten brauchen konte. Nur nachdem er einmal einen
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Johann Huarts Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften, aus dem Spanischen übersezt von Gotth. Ephr. Leßing. S. 56. Huart am angeführten Ort. S. 54.
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schweren Fall gethan, wurde sein Gehirn so sehr erschüttert, daß er Merkmahle des Genies von sich gab, und in den Wissenschaften schnell sehr glükliche Fortgänge that57. Merkwürdig ist es, daß diejenige Psychologen, die die Sensibilität, Einbildungskraft und das Gedächtniß für Vermögen unsrer Nerven halten, dennoch nicht Muth genug haben, Verstand und Vernunft als Gaben eines Theils unsers Körpers anzusehen, gleich als wenn jene geringer seyen, als diese, oder als wenn diese ohne jene in einem erträglichen Grad der Vollkommenheit vorhanden seyn könten. Die ganze Wolfische Schule nimt der Seele, als einem einfachen Wesen, Sensibilität, Gedächtniß und Einbildungskraft ab, und legt sie ins Gehirn nieder. Ha l ler stimt dieser Hypothese bey58. Aber alle Erfahrungen, [229] die er selber angemerkt hat, beweisen, daß durch allerhand Krankheiten und körperliche Zufälle alle unsre Kentnisse, und die so genanten höheren Seelenkräfte verlohren gehen können. Wer daher nur einen Augenblick das System seiner Schule vergessen will, der wird durch eben dieselbigen Erfahrungen, nach welchen er Sensibilität, Gedächtniß und Einbildungskraft dem einfachen Wesen abspricht, bewogen werden, ihm auch Verstand und Vernunft abzunehmen, und dem Gehirn zuzueignen. Aber was behält das einfache Wesen alsdenn noch übrig?
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Die Philosophie wird fast durchgängig für eine Samlung vernunftsmäßiger Kentnisse gehalten. [230] Gut ist es, daß man einmal die Dienste, die man sich von dieser Beschreibung verspricht, in Zweifel zog, und die Verwirrung und Dunkelheit bemerkte, die sie im Kopf eines jeden zurücke läßt, der sich mit der Untersch[ei]dung mehrerer dunkler Worte für ein einziges dunkles Wort befriedigen läßt. In der That, wenn man einem in einer Erklärung der Philosophie nichts bestimteres zu sagen weis, als daß sie der Inbegrif vernunftsmäßiger Kentnisse sey: so solte man, ehe man einen durch den schwankenden Begrif, Vernunft, vernunftmäßig verwirrt, einen jeden lieber bey den dunkeln Vorstellungen lassen, die der Ausdruck Philosophie für sich schon erzeugt. Der Ausdruck, V er nu nf t, kan zur Bezeichnung desjenigen Vermögens, vermittelst dessen wir Begriffe mit einander verbinden, und durch diese Verbindung ihre Uebereinstimmung oder ihren Widerspruch wahrnehmen, am besten gebraucht werden. Man sagt gewöhnlich, Vernunft sey die Fähigkeit, den Zusammenhang unter den Wahrheiten einzusehen. Allein diese Erklä57
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Medicine de l’Esprit, par Antoine le Camus. Tom. II. p. 55 – Man vergleiche auch Haller Element. Physiol. Lib. X. Sect. VII. §. 12. »Homo parvi ingenii, dum sanus fuerat, ingeniosus ex ictu in cranio accepto, sanatus ad priorem simplicitatem rediit.« Element. Physiol. Lib. XVII. Sect. I. §. 6. »Cum [229] ex corporis diversis conditionibus memoria crescat, minuatur, pereat, restituatur, neque animam tegulæ ictum sentire probabile sit, aut vim effusi sanguinis: erit adeo in corporeo cerebro sedes vestigiorum, quæ a sensationibus superfuerunt, & imprimis signorum, quæ mens nostra cum sensationibus didicit conjungere[.«] Vergl. mit Helvetius de l’Esprit Disc. I. Hartley Observations on man Tom. I. p. 374. und Bonnet Essai Analytique. Tom. I. Chap. 7. Demohngeachtet billigt es Haller nicht, daß Helvetius die Urtheilskraft, und die so genannten höheren Seelenkräfte als körperliche Vermögen ansieht, ob sie gleich mit der Zerrüttung des Gehirns zugleich verwüstet werden. Lib. XVII. Sect. I. §. 10 u. f. Eine solche Art zu philosophiren scheint mir unrichtig.
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rung ist zu enge, weil die Urtheilskraft eine Aeußerung der Vernunft ist, die uns doch nicht den Zusammenhang unter den Wahrheiten, sondern nur die Verhältnisse von ein Paar Begriffen einsehen macht. Uebrigens ist auch ein zweyter Fehler dieser gewöhn[231]lichen Definition eben so beträchtlich. Man hat nemlich zur Bezeichnung des Vermögens, den Zusammenhang der Wahrheiten einzusehen, in allen Sprachen einen eignen Ausdruck, und man nent es Schließkraft, Raisonnement, Ratiocinatio. Diejenigen, die die Sprachen erfunden und ausgebildet haben, musten daher nothwendig unter Ratio und Ratiocinatio, Vernunft und Schließkraft, Raison und Raisonnement einen Unterschied machen, der darinnen liegt, daß Vernunft etwas allgemeineres ausdrükt, als Schließkraft, und daß folglich die Schließkraft, so wie die Urtheilskraft als eine besondere Aeußerung der Vernunft anzusehen ist. Denn man urtheilt, wenn man zwo Ideen mit einander verbindet, um ihr gegenseitiges Verhältniß wahrzunehmen. Man schließt, wenn man eben diese Vergleichung unter drey oder mehreren Begriffen anstellt. Es läßt sich nicht leicht ein empfindendes Wesen gedenken, das nicht wenigstens eine Operation der Vernunft solte verrichten können. Ein jedes Thier muß bey ein Paar gleichzeitigen Impressionen nothwendig das Verhältniß beyder Impressionen wahrnehmen, d. h. es muß urtheilen. Das Raisonnement ist weiter nichts als eine mehr zusammengesezte Operation, die aber im Grunde auf derselbigen Fähigkeit der Nerven beruht, die [232] zum Urtheil erforderlich ist. Zum Urtheil sind gar nicht abstrakte Ideen nöthig, und auf solche Weise fält der von den meisten Philosophen aufgenommene Satz, daß die Thiere keine Vernunft haben, alsobald weg. Aber auch bey jener Voraussetzung bleibt der Satz immer falsch, weil die Voraussetzung, daß die Thiere keine abstrakte Begriffe haben, falsch ist59. Nichts ist denkenden und empfindenden Wesen natürlicher, als der Zustand des Urtheils und das Raisonnements. Es kan keine neue Idee in die Seele kommen, oder in der Seele aufwachen, ohne daß sie andre Begriffe zu gleicher Zeit mit aufwecken solte, die in eben derselben Zeit die inneren Organen erschüttern. Wir urtheilen daher beständig, ob wir gleich die wenigsten unsrer Urtheile zur Klarheit hervorziehen. Unsre Meditation ist eine lange Anstrengung der Organen unsrer Vernunft, die bald urtheilen, bald vom Urtheil zum Schluß übergehen. In der Meditation behalten wir ein oder ein Paar Ideen uns immer klar gegenwärtig, die wir mit einer ganz unbestimmten Anzahl andrer Ideen associiren. Wir suchen [233] ihr Verhältniß sorgfältig auf, und je scharfsinniger wir ihre Uebereinstimmung oder Widersprüche entdecken, desto glücklicher sind wir bey unsrer Unternehmung. Je mehr wir daher Begriffe vorräthig haben, die sich an einen gewissen Hauptbegrif, über den wir meditiren wollen, leicht anschließen, und zur Gegeneinanderhaltung derselben uns Gelegenheit geben, desto glücklicher ist der Ausgang der Meditation. Es kömt aber bey dem richtigen Urtheil und Schluß in der Meditation vorzüglich auf die formelle Beschaffenheit der Ideen an, die sich zur Association herzudrängen. Wir müssen die große Menge von Ideen, die wir mit einander zu verbinden haben, sehr klar gegenwärtig haben. Wenn uns diese Klarheit die einzelnen Theile des Begriffes darlegt, den wir auseinander setzen wollen: so wird die ganze Masse so bearbeitet, daß auch ihre Theile in die Feinheit getrieben werden, deren sie nur immer fähig sind, und der glükliche Erfolg davon ist ein tiefer Blick auf alle zergliederten Theile, bey welchen uns kein beygemischtes fremdes Licht verführen kan.
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Dieser helle Tag, dieses volle Licht, das uns einen jeden Gegenstand, wie ein nahe vor Augen liegendes, und hinlänglich erleuchtetes Gemählde vorstellt, darinnen man jedes Einzelne genau bemerken kan, herrscht nur in der Seele des Mannes von Genie. [234] Da es die Vernunft mit Ideen zu thun hat, deren Verhältniß gewisse innere Organen sind: so ist es nicht zu verwundern, daß mit der Zerrüttung dieser Organen zugleich die Organen der Vernunft zerstöret werden. Die ganze Gesundheit der Vernunft hängt von der Gesundheit einiger weniger Organen der thierischen Natur ab. Alle Erfahrungen bezeugen es, daß dieses Vermögen in eben dem Grad leidet, in welchem gewisse Theile unsers Körpers verwüstet werden. Starke Getränke benebeln unsre Vernunft, und hitzige Fieber machen den grösten Raisonneur fabeln. Sonderbar ist es, daß die Einbildungskraft in eben dem Verhältniß gewinnt, in welchem die Vernunft verliert. Jene wird immer desto lebhafter, je schwächer diese wird, und je mehr die Realität unsrer Begriffe abnimt, desto häufiger stellen sich Chimären dar. Es scheint also, daß die Organen beyder Vermögen, so nahe sie auch zusammen gränzen, ganz entgegen gesezt gebauet seyn müssen, und daß durch die Betäubung der Organen der Vernunft die Organen der Phantasie entweder desto ungehinderter erschüttert werden, oder, daß die Organen der Vernunft zwar immer selber fortarbeiten, aber, weil sie betäubt sind, bloße Produkte der Imagination hervorbringen können. Wäre man im Stande genauer zu bestimmen, was für Veränderungen die Weine, Ge[235]würze, und andre starke Getränke eigentlich in unserm Gehirn verursachen, ob sie den Lauf der Lebensgeister sehr vermehren, oder ob ihr Dampf das Gehirnmark selbst von seiner Festigkeit in eine gewisse Weichheit verwandeln: so hätte ich einer Erklärung dieser Bemerkung nachgedacht, die man in der Fibernpsychologie gar nicht gemacht hat.
*** Alle Aeußerungen unsers Erkenntnißvermögens lassen sich auf diese beschriebene Stücke zurücke führen. Wir nehmen entweder Erschütterungen unsrer Organen wahr; oder wir legen die Reste dieser Erschütterungen zu einem künftigen Gebrauch bey, und rufen sie bey Gelegenheit wieder hervor, oder wir bilden diese Reste in allgemeine Begriffe um; oder wir verbinden sie, um ihr gegenseitiges Verhältniß einzusehen, auf eine mannigfaltige Weise miteinander. Kein Psycholog wird den Beweis auf sich nehmen, daß Sensibilität mit Bewustseyn, Gedächtniß und Einbildungskraft, Verstand und Vernunft eben so viele eigne Kräfte und Fähigkeiten voraussetzen, als ihre Wirkungen von einander verschieden zu seyn scheinen. Vielleicht ist es eine einzige Kraft, die alle diese Wirkungen hervorbringen kan, nachdem sie in dieser, oder in jener Region unsers Gehirns wirkt, oder nach dem die Ideen für sich beschaffen sind, die diese einzige Kraft bearbeitet, nach dem [236] in dieses Feuer Gold oder Holz oder Thon hingelegt werden. So lange wir mit unserm Innersten nicht besser bekant sind, als wir es jezt sind, dürfen wir diese Untersuchung nicht einmal vor uns nehmen, woferne wir nicht Dinge, die außer unserm Gesichtskreis liegen, erforschen, und Chimären verfolgen wollen. Wir müssen uns begnügen, alle Erscheinungen der menschlichen Natur so zu vereinfachen, als möglich, ohne demon59
Ich müste mich hier selbst ausschreiben, wenn ich noch ein Wort hierüber hinzusetzen wolte. Ich verweise daher meine Leser auf die Abhandlung in diesem Versuch: Ueber den Verstand.
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strativisch darthun zu wollen, daß die menschliche Natur entweder so einfach oder so zusammengesezt sey, als wie wir sie analysiren, oder zusammensetzen. Wenn man mit dieser Eintheilung der Arbeiten unsers Verstandes zufrieden ist: so wird es einem jeden leicht seyn, alle übrigen Operationen desselben, die man in der Sprache mit eignen Namen bezeichnet hat, diesen vier Hauptäußerungen des Erkenntnißvermögens als Arten unterzuordnen. So ist der W it z keine eigne Fähigkeiten unsrer Organen, die nicht schon in den angegebnen mitbegriffen wäre. Ich kan nicht einmal begreifen, wie man nach der gewöhnlichen Beschreibung des Witzes ein eignes Wort zur Bezeichnung einer und eben derselbigen Fähigkeit erfunden hat. Witz soll das Vermögen seyn, die Aehnlichkeiten unter den Gegenständen zu entdecken. Diese Beschreibung hat einen gedoppelten Fehler. Sie ist, in der Sprache der Logiker, zu gleicher Zeit zu weitläuf[237]tig, und zu eng. Jenes, weil die Vernunft völlig eben dieselbe Gabe ist, und weil die Aufsuchung der Aehnlichkeiten häufig das Geschäfte der Einbildungskraft und des Verstandes ist. Zu eng, weil auch die Entdeckung der Unähnlichkeiten, und das Zusammenrücken der entferntesten Ideen witzig sein kan. Immer muß der Witz als eine Unterart von der Einbildungskraft, und dem Verstand, und der Vernunft angesehen werden, und so sind gerade diejenigen Gedanken allein witzig, wenn sie solche Ideenverbindungen enthalten, die jene Verzuckungen der Muskeln unsers Gesichts nach sich ziehen, die man das Lachen nent.
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Der Wille scheint eine vom Erkentnißvermögen wesentlich verschiedne Kraft des Menschen zu seyn. Der Mensch empfindet und denkt. Aber nach der Beschaffenheit der Empfindungen und Gedanken wird er entweder mit Lust, oder mit Unlust erfüllt. In beyden Fällen ist er nicht gleichgültig. Er hat ein Vermögen, dasjenige, was ihn auf eine angenehme Art rühret, zu begehren, und das Gegentheil zu verabscheuen. So wohl der Zustand des Vergnügens als auch des Schmerzens, Wohlgefallen und Mißfallen, bringen ihn zu Entschließungen, und machen ihn thätig und wirksam. Dieses Vermögen zu Entschließungen ist es, was man den Willen nent. Meh[238]rere Philosophen nehmen an, daß man außer der Erkentnißkraft noch die Kraft des Wollens als eine Grundkraft ansehen müsse, und daß diese ganz f[ü]r sich, ohne jener untergeordnet zu seyn, sich im Menschen finde, weil wir das Wollen nicht für eine bloße abgeleitete Folge der Denkkraft halten, sondern es vielmehr für den Grund andrer Seelenwirkungen ansehen müssen, die gar nicht aus der bloßen Denkkraft begriffen werden können. Wer sich von der Beschaffenheit dieser Untersuchung über die Grundkräft wie, die der Mensch bey keinem einzigen Dinge in der Welt erkennen kan, die gehörigen deutlichen Begriffe machen will, der muß schon voraus einsehen, daß die Systeme der Philosophen hier nothwendig im Streit liegen müssen. Grundkraft einer Substanz heißt ihr Vermögen, Veränderungen hervorzubringen, das aus ihrer ursprünglichen Einrichtung entspringt, und worauf sich mehrere abgeleitete Fähigkeiten gründen. Wer daher Grundkräfte kennen will, muß Einfachheiten in der Natur kennen, und die wesentlichen Grundbeschaffenheiten des Dings erforschet haben. Aber unsre Welt ist eine Welt der Phänomene. Wir kennen keine Wirkung anders, als aus dem Zusammenlauf unzählig vieler Kräfte, die, nachdem sie in verschiedne Verknüpfungen und Ver-
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hältnisse [239] gebracht worden, verschiedne Wirkungen hervorbringen. So bald wir uns um die Kentniß einer nur in etwas isolirten Kraft bekümmern; die Dinge aus ihren Verknüpfungen herausreißen; und sie so viel möglich, in ihrer einfacheren Bestandtheile auflösen, die aber demohngeachtet noch immer zusammengesezt genug sind, weil wir sie mit unsern Sinnen entdecken: so bringen wir auch aus den Kräften, so wie aus den Körpern, zulezt ein Kaput Mortuum heraus, von dem wir so gut als nichts wissen, wenn wir wissen, daß es ein geschmakloses und unriechbares Ding sey. Hätten die Philosophen, die über die Grundkräfte der menschlichen Seele nachdachten, immer diese Bemerkungen lebhaft vor Augen gehabt: so würden sie vorausgesehen haben, daß die Streitfrage von Menschenkindern in Ewigkeit nicht werde entschieden werden. Ich will ihre Meinungen anzeigen, die sich, so bald sie über die Sache zu raisonniren anfangen, gröstentheils darauf gründen, daß sie einen weniger strengen Begrif von Grundkraft einmischen. Nach einigen ist die Denkkraft des Vermögen, aus welchem das Vermögen zu wollen fließt. Denn man begehrt, wenn man sich bestrebet, eine Vorstellung zu erhalten, und man verabscheuet, wenn man sich bestrebet, einen Gedanken zu verdunkeln und auszulöschen. Die Grundlage des Willens ist al[240]so die Erkenntnißkraft. Bey einer jeden angenehmen und unangenehmen Empfindung, die die Seele zu stärken oder zu schwächen sucht, beschäftiget sie sich blos mit sich selbst, mit ihren Vorstellungen, die ihr angenehm oder unangenehm sind. Der Schmerz, sagt De scar te s, liegt nicht in der Nadel, die ihn hervorbringt. Man empfindet sich selbst, und nicht den Gegenstand. Hieraus schließt man, daß der Wille einer aus der Grundkraft des Erkenntnißvermögens abgeleitete Kraft sey. – Allein, wenn auch diese Reduktion, der man das steife und gezwungene anfühlt, ihre Richtigkeit hätte: so folgt daraus, daß man die Begriffe mehrerer Fähigkeiten auf den Begrif einer Fähigkeit zurükführen kan, gar nicht, daß auch jene mehrere Fähigkeiten aus dieser leztern entspringen, die man blos deswegen für eine Grundkraft hält, weil ihr Begrif uns keiner weitern Reduktion auf einen einfachen Begrif fähig scheint. Denn die Frage ist nicht, ob die Begriffe aus einander hergeleitet werden können; sondern ob eine Kraft aus der andern fließt? Zwar könte man sich zur Verstärkung dieser Hypothese auf die offenbahre Abhängigkeit des Willens vom Verstande, der Begierden und Verabscheuungen von den Ideen berufen. Schwache Vorstellungen, undeutliche Wahrnehmungen rühren den Willen fast gar nicht. Lebhaftere Erschütterungen durch Vorstellungen setzen [241] auch den Willen in eine lebhaftere Bewegung. Schnelle Abänderung der Vorstellungen zieht Veränderlichkeit in den Wünschen nach sich. Verworrene Begriffe verstärken die Heftigkeit der Gemüthsbewegungen. Kurz, eine jede Modifikation der Organen des Willens sezt eine Modifikation der Organen des Erkentnißvermögens voraus. Allein die Gegenparthey, die in der menschlichen Seele zwo Grundkräfte findet, würde meiner lezten Bemerkung zur Vertheidigung ihrer Meinung so gleich den Grund entgegen stellen, worauf sie sich selbst stützen, daß zwar die Kraft des Willens durch die Kraft des Denkens veranlaßt und erwekt werde, folglich daß sie eine Veranlassung zum Wollen sey; daß aber die Erkentnißfähigkeit die Kraft des Wollens weder in ihrer Richtung noch in ihrer Wirksamkeit bestimme, und daß daher die Kraft des Wollens zur Kraft des Denkens sich nicht wie Instrument zur wirkenden Ursache verhalte, wie sich doch eine jede abgeleitete und untergeordnete Kraft zu ihrer Grundkraft verhalten müsse. Die leztern Philosophen, die für das Vermögen zu denken, und für das Vermögen zu wollen, zwo von einander ganz unabhängige Grundkräfte annehmen, sind in der Bestimmung die-
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ser Kräfte ganz von einander unterschieden. Man hat sie gewöhnlich als zwey wirkende Principia, als zwo eigentliche Quellen von Thätigkeit ange[242]sehen. Allein Sea rc h verwandelt das Erkentnißvermögen in eine leidende Kraft, und läßt nur dem Willen Thätigkeit. Seine Gründe machen seine Behauptung zu etwas mehr, als zu einer Hypothese, so sehr auch der ganze Bau der Sprachen den Gegenständen, mit denen unser Verstand sich beschäftiget, ein Leiden, und dem Verstande selbst ein Handeln zuschreibt. Bey allen unsern Empfindungen, und bey dem Bewustseyn derselben sind die Gegenstände offenbahr das Handelnde, und wir selbst das Leidende. Bey dem Sehen und dem Hören, und bey dem Bewustseyn aller äußern Empfindungen sind Eindrücke nothwendig, die bis in das Gehirn fortgepflanzt werden. Eben so sind die innern Empfindungen, Vergnügen und Schmerz, Wohlgefallen und Mißfallen weiter nichts, als angenehme oder unangenehme Erschütterungen unsrer innern Organen, die diese Erschütterungen leiden müssen. Auch bey den übrigen Denkarten verhält sich das Vermögen zu denken ganz leidend, weil sich alle Begriffe nach bestimten Gesetzen an einander anschließen, unter denen sich kein M a le bra nch i sc hes Gesetz der Willkühr findet. Bey Meditationen strömen die Gedanken herbey, nachdem wir vorher von den Gegenständen die nöthigen Kentnisse eingesamlet hatten. Dieses Gedränge der Gedanken werden wir nicht bewerkstelligen, wenn wir mit noch so vieler Mühe sie herbeyrufen, [243] woferne sie sich nicht selbst nach den Gesetzen der Ideenassociation rege machen. Ueberlegung und Untersuchung, sagt S earc h, sind dem Spüren eines Hundes gleich. Er geht und riecht aus eigenem Vermögen herum: aber die Spur, die er findet, kömt nicht von ihm her; den Weg, den er nimt, schrieb er sich nicht selbst vor. Die Seele fängt nur an zu denken, oder hält die Gedanken nur in einem gewissen Gleise; aber die Gedanken selbst bringen einer den andern hervor. Derjenige, der über eine Sache meditirt, kan mit einem Menschen verglichen werden, durch dessen Feld ein Fluß läuft, der sich in viel kleine Zweige vertheilt. Dämt er die übrigen zu: so fließt das Wasser nur in dem einen, den er offen läßt. Findet er, daß der Fluß zur Seite ausbricht: so kan er diese Ströme verstopfen. Sieht er, daß der Gang, den er nimt, ihm nicht vortheilhaft ist, so kan er einen Dam aufwerfen, und an jeder Stelle, wo es ihm vortheilhaft scheint, das Wasser überfließen lassen. Das Wasser fließt vermöge seiner eignen Gewalt, ohne von dem Manne getrieben zu werden, und es wird immer an einer Stelle Abfluß finden, er mag auch thun, was er will. Er kan die Bewegung des Stroms wenden, verändern und leiten, aber nie aufheben. So verhält es sich auch mit unsern Gedanken, die, so lange wir wachen, und bisweilen noch länger, geschäftig sind. Es steht nicht in unserm Vermögen, [244] diesen Strom der Gedanken gänzlich zu hemmen; einleiten können wir ihn, und in diesen oder jenen Weg führen, nachdem wir es für gut befinden. Aber nie können wir die Gedanken gänzlich in ihrem Zufluß hindern. Hieraus folgt, daß die Gedanken eine eigne Kraft haben müssen, die von der Seele unabhängig ist, und die sie nicht von der Wirksamkeit der Seele haben, noch auf ihren Befehl unterdrücken können60. Diese Bemerkung des englischen Untersuchers empfiehlt sich um so viel mehr, da sie auf alle Operationen unsrer Denkkraft angewandt werden kan, wenn gleich einige Beweise, die S earc h führt, mehr spitzfündig als gründlich scheinen mögen. Da ich unterdessen über die Grundkräfte wegen der unüberwindlichen Schwierigkeiten mich nicht zu entscheiden getraue: so sehe ich die Bemerkung von S ea rch als einen artigen Gedanken an, der gegründet genug 60
Light of Nature, Vol. I, p. 11 u. 13.
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ist, wenn man ihn von den Kräften des Menschen überhaupt nimt, ohne ihn gerade zur Entscheidung in Absicht der Grundkräfte zu gebrauchen.
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[246] Qui dissentientem odio habet, stultus est.
Wolfius. [247] Das Wesen unsrer Seele läßt sich nicht aus tiefsinnigen, sich auf willkührliche Begriffe und 3210
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Voraussetzungen gründenden Spekulationen bestimmen. Diesen Satz haben fast alle alten und neuern Weltweisen, die über diesen Gegenstand philosophirt haben, eingesehen. Aber ihre psychologischen Behauptungen zeigen, daß sie diesen Grundsatz entweder ganz aus den Augen sezten, oder doch die Beobachtungen, auf die sie ihre Lehrsätze stüzten, mit solchen Augen ansahen, die vorgefaßte Meinungen verkleisterten. Man studirte sich selbst; aber mit einer unerwarteten Partheilichkeit, mit welcher man sonst an das Studium der Naturgeschichte andrer Dinge in der Welt nicht zu gehen pflegte. Man suchte, man bemerkte; aber immer mit dem Wunsch etwas gewisses zu finden. Und wie der Schwärmer gemeiniglich das sieht, was er gerne sehen will: so fand man auch in sich selbst allemal dasjenige Ding, welches man gerne finden wolte. Und so fand man mehrentheils, was man wirklich nicht fand. Um diese Abwege zu vermeiden, habe ich bey allen Operationen unserer Seelenkräfte in den vorangeschikten Versuchen, sorgfältig einige Hauptbeobachtungen der Aerzte gesamlet, aus denen ich [248] allein, ohne alle Beymischung andrer Rüksichten, das ungezwungene Resultat folgern werde. Prinzipien müssen von den Begebenheiten abgezogen, und nicht nach willkührlich angenommenen Sätzen gebildet werden. Es muß beobachtet, und nicht gegrübelt werden. Wenn Sensibilität und Bewustseyn, Gedächtniß und Einbildungskraft, Verstand und Vernunft, nach allen Erfahrungen, lediglich von gewissen inneren Theilen unsers Körpers abhangen; noch mehr, wenn die Stärke und Schwäche aller dieser Kräfte mit der Stärke des inneren und des äußeren Mechanismus, mit der glüklichen oder unglüklichen Constitution der festen und der flüssigen Theile unsers Körpers zu- und abnimmt; wenn insbesondere mit der Zerrüttung des Gehirns durch Krankheiten, Alter und Medikamente der Verlust aller Seelenfähigkeiten unzertrennlich verbunden ist; wenn die lebhaftesten, klärsten und erhabensten Begriffe sich im Menschen verdunkeln, und ganz verschwinden; endlich, wenn mich keine einzige Erfahrung auf ein einfaches Wesen führt, das vom Gehirn wesentlich verschieden, das das Behältniß aller Empfindungen und Vorstellungen, die der ganze Mensch hat, und der uneingeschränkte Besitzer und Beherrscher aller dieser Reichthümer wäre, die nur Menschen in einer solchen Fülle besitzen: so kömt mir kein Gedanke, der je von einem Menschen gedacht worden, sonderbarer und [249] unbegreiflicher vor, als der Gedanke von einem einfachen, im Menschen wohnenden Wesen, und die willkührliche Umschaffung des Gehirns in ein einfaches Wesen.
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Ich finde in der ganzen Geschichte keine einzige so auffallende unwahrscheinliche Fiktion unwahrscheinlicher, als das unglaublichste Feenmährchen, die demohngeachtet so allgemein ihr Glück gemacht hätte, als diese, und ich bin überzeugt, daß die große Unwahrscheinlichkeit derselben einem jeden sogleich einleuchten muß, so bald er sich überzeugt, daß es eine Erdichtung ist, die schlechterdings alle Erfahrungen wider, und keine einzige für sich hat. Unsre äußeren sinlichen Werkzeuge werden durch Krankheiten oft gänzlich verdorben, und die Seelenkräfte werden eben so sehr geschwächt und zerrüttet, so bald die inneren Organen angegriffen werden. Gesezt aber die Seelenkräfte seyen das Eigenthum eines einfachen Wesens, das keine Theile einbüßen kan: so ist eine solche Schwächung und ihr gänzlicher Verlust schlechterdings unmöglich. So wenig es sich daher ein Philosoph hat beyfallen lassen, Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Takt, für Kräfte eines einfachen Wesens zu halten: so wenig hätte auch je ein Philosoph auf den Einfall kommen sollen, Sensibilität, Bewustseyn, Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand, Vernunft zu Kräften eines einfachen Wesens zu machen. [250] Daher schlagen verständigere Psychologen mit Recht vor, daß man, um an der Seele Experimente zu machen, den Körper in einen außerordentlichen Zustand versetzen, oder auch diejenigen Zeitpunkte abmerken müsse, in welchem sich der Körper von selbsten durch Krankheiten in einem ungewöhnlichen Zustande befindet. Physiolog und Anatom müsse man werden, um Psycholog zu seyn. Desc arte s forderte schon, daß die Arzneywissenschaft die Mittel zur Erhöhung unsrer Geisteskräfte aufsuchen müsse. In der That ist es auch sehr merkwürdig, daß die ganze spekulative Philosophie lehrreicher, fruchtbarer und vollkommener geworden ist: je mehr die Simplinisten abgenommen, je irrdischer man vom Menschen, je materialischer man von der Seele gedacht, und je mehr man das Monadenforschen verabscheuet hat. Wie viele vortrefliche Materien sind seit der Zeit gründlicher bearbeitet, und wie viel demonstrativische Pedanterie aus dem aufgeklärten Europa verbannet worden? Ganze neue Systeme sind da, die, wenn sie gleich gerade das Gegentheil von der Monadologie, doch viel wahrscheinlicher sind, als dieser metaphysische Traum. Freylich waren die Deutschen unglüklicher Weise die lezten. C on d il l ac, B onn et, Sear c h, He l vet i us, und andre Engländer und Franzosen hatten schon lange gewinkt, und es hielte hart, bis einige würdige Deutsche folgten, die die Wolfische Philosophie nicht hartnäckig noch [251] rechthaberisch gemacht hatte. Nun samlet man Fakta; man giebt auf ihre Folgen Acht; man erklärt sie nicht mehr aus kraftlosen Abstraktionen, sondern befriedigend. Man hat Fakta, man hat Erklärungen; man hat folglich das Brauchbare. Z. B. Sehr gescheute Kinder sterben gewöhnlich frühzeitig. Was ist der Grund von diesem Phänomen? Der zu frühzeitige Verstand des Kindes ist mehrentheils der sicherste Beweis von der Kränklichkeit seines Körpers, und besonders seiner inneren Organen. Es ist zu frühe ausgebildet. Sein Gehirn hat vor der Zeit diejenige Festigkeit erlangt, die nur dem männlichen Alter Verstand und Vernunft giebt. Es ist ein junger Greis. Nichts ist daher natürlicher, als daß es, als ein Monstrum, dessen inneres Organensystem fehlerhaft gebauet ist, frühe stirbt. Doch unvermerkt blicke ich in das Register, worin ich Erfahrungen über die Seele eingetragen habe. Die bisherigen werden zureichen. Ich habe ihrer noch eine große Menge vorräthig, die den Einfluß des Klima, des Alters, der Nahrungsmittel auf die Denkkraft in einem hellen Licht darstellen, und die man nicht befriedigend erklären kan, wenn man das Substratum dieser Kräfte für ein einfaches Wesen hält, bey dem man gar nicht begreifen kan, wie Hitze und Kälte
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der Luft dieses Wesen witzig, forschend oder dum machen, oder wie es mit den Jahren an Geschiklichkeit anladen [252] könne, so wie der Körper und das Gehirn an Festigkeit zunimmt61. Nach der Erfahrung, auf die ich mich stütze, glaube ich daher annehmen zu müssen, daß unserm Gehirn die Kraft zu denken zugeschrieben werden müsse. Man kan demohngeachtet den Ausdruck, See le, und See le n krä fte immer beybehalten, wenn man unter den leztern nichts als Anspannungen der Gehirnorganen, der intellektuellen Fibern versteht, deren verschiedne Modifikationen und Dispositionen verschiedene Begriffe und Ideen sind. Diese Behauptung, die nicht auf Grübeln, sondern auf der Erfahrung beruht, ist so gefährlich nicht, als sich mancher vorstellen mögte, der die Hofnung zur seligen Unsterblichkeit blos auf die er[253]dichtete, oder wenigstens höchst zweifelhafte Immaterialität der Seele zu bauen gelernt hat. Warlich diese vortrefliche Lehre ist auf Sand gebauet, woselbst sie nicht gegen den ersten Sturm gesichert fest steht, wenn sie auf die Immaterialität gegründet wird. Zum Glück werden lermende Lehrsysteme, und der Beyfall der Schulen über das künftige Schiksal der Redlichen nicht entscheiden, davon die allerwenigsten von der Einfachheit ihres über das Grab hinaus daurenden denkenden Wesens einen Begrif haben. Der gröste Theil der Tugendhaften denkt sich seine Seele ohnehin nicht als einfach. Die mehresten Menschen bleiben immer Materialisten, wenn ihr Lehrer ihnen gleich in allen Lehrstunden von der Einfachheit der Seele prediget, weil sie sich eine solche Substanz, die ganz Negation ist, gar nicht denken können. O man lasse ihnen ihre besseren Gründe der Hofnung ihrer Unsterblichkeit, die gewiß nicht erschüttert wird, wenn der Philosoph an einem theologisch-dogmatischen Beweis zweifelt. B o nne t, für dessen warmen Eifer für die Religion eine jede Zeile seiner Schriften Bürge ist, der zum Vortheil der Religion denkt, schreibt und lebt, und alle Hofnung eines künftigen Lebens hegt, die uns die Vernunft einspricht, – sagt es dreiste heraus, daß die Seele die Hofnung zur Unsterblichkeit behält, wenn sie gleich materiel ist; und könte jemand beweisen, daß sie wirklich mate[254]riel sey: so müste man die Macht bewundern, die der Materie die Fähigkeit zu denken verliehen habe62. Es ist ein ganz unerwiesener Satz, daß die materielle Seele zu gleicher Zeit mit verwesen müsse, wenn der grobe Körper zerfält, weil nicht eine jede Materie nothwen61
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Es ist allemal eine merkwürdige Erfahrung, die zur Unterstützung meiner Hypothese gewissermaßen dienen kan, daß sich bey der Bildung des Thieres die kleine Blase, worinnen das Gehirn, und die übrigen in der Mitte des Kopfs befindlichen einfachen Theile enthalten sind, nebst dem nach der Länge herunter gehenden Mark des Rückgrades, am ersten zeigen. Dieses Mark, das Gehirn, die Nerven, diese vornehmsten Grundtheile der thierischen Organisation bekommen zuerst ihre Wirklichkeit, und entwickeln sich am ersten. Läßt sich hieraus nicht mit Grund eine meinem System günstige Folgerung ableiten? – Ueber die Richtigkeit des Faktums vergleiche man Büffons Histoire Naturelle Tom. II. und III. an mehreren Stellen. Vortreflich ist die Stelle im Essai Analythique Chap. XXIV. §. 716. L’Immortalité de notre Ame ne repose pas uniquement sur la Simplicité, DIEU pourroit accorder l’Immortalité à une Portion de Matiere, même très composée, très organisée. – Nous sommes assez heureux, pour que nos espérances ne reposent pas sur la base infiniment étroite d’un Point de Métaphysique. C’est mettre la Pyramide sur sa pointe, que de faire dépendre la Religion de la Question abstraite si l’Ame est Matiere ou Esprit? – Und in der Vorrede: La Vertu perdroit-elle de son Prix aux yeux du philosophie, des qu’il seroit prouvé qu’elle tient en partie á certaines Fibres du Cerveau? Je dis plus; & cet aveu ne me rendra pas suspect de Matérialisme: quand l’Homme tout entier ne seroit que Matiere, il n’en seroit pas moins parfait, ni moins appellé á l’Immortalité. La VOLONTE qui a crée l’Univers materiel, cette Machine si composée, ne pourroit – ELLE le conserver?
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dig zerstörbar ist. B on net s Keime haben sich von Anbegin der Schöpfung in dem Gewühl der Natur herumtreiben lassen, ohne zerstört zu werden, und die Keime, die sich am Ende der Tage entwickeln werden, haben der Zerstückung durch lange Jahrtausende widerstan[255]den. Es giebt sehr feste Körper, die beynahe durch kein Mittel getrent werden können. Nur der höchste Grad des Feuers löset den Diamanten auf, und der Rubin behält auch in dieser Gluth noch immer seine Farbe. Was hindert also, daß man die Seele für ein zusammengeseztes, unzertrenbares Wesen halte? Unzerstörbarkeit sey ihr Charakter, der sie vom groben Körper unterscheide. Mit eben der Kraft, mit welcher Gott eine einfache Monade erhält, kan er eine materielle Substanz ewig leben lassen. Immer kömt es einzig und allein auf seinen gnädigen Willen an, ob er jene in Ewigkeit nicht vernichten, und diese durch seine Allmacht ewig unterstützen und beleben werde. Wenn daher der grobe Körper dem Zahn der Zeit und der Verwesung des Grabes nicht widerstehen kan: so wird sich die körperliche Seele über Tod, Grab und Verwesung weit erheben, wenn Gott es will. Und will es Gott nicht: so ist mir die Einfachheit meiner Seele der allerunzuverlässigste Bürge für meine ununterbrochene Fortdauer. Meine Seele mag aber seyn, was sie will: so wird sie nicht sterben, wenn ich mich durch anderweitige zureichende Gründe überzeugen kan, daß sie nach dem weisen Willen ihres gütigen Schöpfers nicht sterben werde, und nicht sterben könne. Gott wird meine Seele (und darüber ist er mir selbst, und seine Weisheit und Güthe Bürge ge[256]nug,) nimmermehr untergehen lassen, sie sey einfach oder zusammengesezt. Mit den göttlichen Eigenschaften, mit der perfektibeln Natur der Seele, mit dem ganzen Naturlauf läßt sich der Tod der Seele nach einem Aufenthalt im Leibe seit gestern nimmermehr zusammenreimen. Dergleichen Vorstellungen beruhigen mich überzeugend, und eröfnen mir die frohen, schönen Aussichten in die seligen Gefilde der Unsterblichkeit. Suchet diese moralischen Gründe sorgfältig auf, drücket sie euch tief ein, und dann wird euch nichts in Schrecken setzen, wenn ihr den Grund seicht findet, den meine Betrachtungen umkehren, auf welchen nie ein Philosoph und Theolog die Hofnung der Unsterblichkeit bauen solte. Solten die wärmsten Lehren der Religion an nakten, kalten, troknen, leeren Principien haltbare Stützen haben? Am allerwenigsten ist die Ueberzeugung von der geistigen Natur der Seele und ihrem Daseyn nach dem Tode ein so vorzüglicher Bewegungsgrund zu einem tugendhaften Wandel, wofür man sie gewöhnlich ausprediget. »Wie? Ist es denn nur darum gut tugendhaft seyn, weil es eine andere Welt giebt? Oder werden die Handlungen nicht vielmehr dereinst belohnet werden, weil sie an sich selbst gut und tugendhaft waren? Enthält das Herz des Menschen nicht unmittelbare sittliche Vorschriften, und muß man, um ihn hier seiner [257] Bestimmung gemäs zu bewegen, durchaus die Maschinen an eine andre Welt ansetzen? Kan derjenige wol redlich, kan er tugendhaft heißen, der sich gern seinen Lieblingslastern ergeben würde, wenn ihn nur keine künftige Strafe schrekte, und wird man nicht vielmehr sagen müssen, daß er zwar die Ausübung der Bosheit scheue, die lasterhafte Gesinnung aber in seiner Seele nähre, daß er den Vortheil der tugendähnlichen Handlungen liebe, die Tugend selbst aber hasse63?[«] Ueberhaupt ist es sehr unphilosophisch, wenn man bey Beobachtungen über die Natur und das Wesen der menschlichen Seele zuvor fragt: besteht aber auch Tugend, Geistesgröße, Strafe, Belohnung; besteht die Hofnung der Fortdauer mit dem, was mich die Erfahrung ausdrüklich 63
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lehret; oder gehen alle diese schönen Aussichten, die so viel Reiz haben, ganz verlohren? Ist das Resultat der auf Erfahrung sich gründenden Untersuchungen gerade die Quelle von sehr unangenehmen Folgen: so bleibe man jener noch immer treu, und sey nun auf Mittel bedacht, diese auf Beobachtung sich gründende Theorien durch vernünftige Nebenbetrachtungen annehmungswerth zu machen. Nie darf man eine Lehre wegwerfen, die die tägliche Erfahrung lehrt, wenn sie gleich we[258]gen der Vorurheile, die unsern Verstand benebeln, schwer zu verdauen wäre64. Braucht man jene Maxime denn nicht sehr häufig in allen andern Wissenschaften? Selbst in der Theologie, wo es am wenigsten zu vermuthen ist? Wie hilft sich der Gottesgelehrte in der Lehre von den Geheimnissen? Begreift jemand besser oder weniger, (so heißt es,) wie die Zeugung vorgeht, oder wie die Blüthe Früchte trägt, oder wie der Magnet das Eisen an sich zieht, als er irgend ein Religionsgeheimniß begreifen kan? Wie sonderbar müste z. B. nicht die Definition von der Welt ausfallen, wenn man zuvor alle theologische und moralische Betrachtungen über sie samlen, und dann in Rüksicht dieser Betrachtungen eine Beschreibung von ihr geben wolte. Gewis, ein Chaos, das mit ungleich dickerer Finsterniß bedekt [259] seyn müste, als jenes ursprüngliche, aus welchem sie hervorgebracht seyn sol. Gerade so ist es mit der Bestimmung des Wesens der Seele beschaffen, wenn man vorher immer ihre künftige Bestimmung ausmachen, und sich denn aus diesem Licht eine Seele schaffen wil, die sonst nirgends als im verworrenen Kopf ihres Schöpfers existirt. Hier gleich die logische Scheidekunst angewandt, wenn man reine Produkte haben wil. Hier Gefühl und Erfahrung dem Raisonnement aus willkührlichen Begriffen vorgezogen! Aber ganz unbegreiflich, sagt man, ist es doch, wie ein zusammengeseztes Wesen empfinden, wie es Empfindungen in allgemeine Begriffe verwandeln, wie es sie aufbewahren und wieder hervorrufen, wie es sie in Urtheile und Schlüsse zusammenketten könne. Wie kan man sich vorstellen, daß ein zusammengeseztes Wesen Empfindlichkeit, Bewustseyn, Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand und Vernunft besitzen und üben könne? – Von dieser Meinung bin ich gerade der Gegenfüßler. Mir ist es ungleich unbegreiflicher, wie ein einfaches Wesen diese Seelenkräfte in sich schließen, und wie es eine so ungeheure Menge von Ideen verschlingen und wiederum ausspeyen könne. Ein solcher Gedanke übersteigt die Kräfte des menschlichen Verstandes weit, und wer sich deutliche Begriffe zu machen gewöhnt [260] hat, wird dergleichen Vorstellungen nimmermehr als begreifliche Vorstellungen annehmen können. Wir kennen überhaupt weder die Kräfte, noch die Natur einfacher Wesen. Keiner von unsern äußern oder innern Sinnen macht uns mit ihnen bekant, ja es ist ganz unbegreiflich, und nach manchen metaphysischen Büchern ganz unmöglich, wie einfache Wesen mancherley Kräfte und Geschiklichkeiten haben solten. Macht man die Seele gar zu einem einfachen geistigen Wesen: so ist bisher weder ein bestimter Begrif von einer geistigen Substanz gegeben, noch aber die Möglichkeit solcher Wesen bewiesen worden. Alle Welt, Gelehrte und Ungelehrte, groß und 64
Hume erklärt sich mit dem ihm eignen Scharfsin hierüber: There is no method of reasoning more common, and yet none more blameable, than in philosophical debates, to endeavour the refutation of any hypothesis, by a pretence of its dangerous consequences to religion and morality. When any opinion leads into absurdities, it is certainly false, but it is not certain, that an opinion is false, because it is of dangerous consequences. Such topics, therefore, ought entirely to be farborne; as serving nothing to the discovery of truth, but only to make the person of an antagonist odious. Enquiry concerning human understanding. Sect. VIII.
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klein wil von Geistern wissen; und vielleicht könte man die ganze Welt auf die Tortur bringen, ohne daß ein Menschenkind es sagen würde, was denn das eigentlich für ein Ding sey, von welchem man unter dem Namen des Geistes so viel zu verstehen glaubt. Man darf sich über diese Unwissenheit nicht wundern, da der Begrif von einem Geiste weder ein Erfahrungsbegrif, noch eine Vorstellung ist, die leicht nach der Analogie verständlich werden könte. Es scheint, als wenn dieser Begrif ganz negativ sey. Man leugnet von einem Geiste alle Eigenschaften der Materie, und man überschüttet ein solches Etwas, das keine materielle Beschaffenheit hat, mit der Kraft zu denken. Seine Haupteigenschaft ist die Undurch[261]dringlichkeit, oder die Eigenschaft, im Raum seiner Gegenwart zu widerstehen. Klumpen von einfachen Wesen, die in ihrer Zusammensetzung ein undurchdringliches, zusammengeseztes Ganzes ausmachen, können in ihrer Einheit nicht geistige Wesen seyn. Sie sind Atome, materielle Einheiten, Elemente der Materie, die in einem von Materie ausgestopften Raum nicht Platz haben können, ohne andre Elemente der Materie, die sich schon in einem bestimten Raum befinden, zu verdrängen. Einfache, geistige Wesen können hingegen in einem mit Materie ausgefüllten Raum zugegen seyn und daselbst wohnen, ohne gerade die Zwischenräume in der Materie aufzusuchen, oder durch Zusammenpressen, oder durch Austreiben der vorhandnen Materie sich Raum zu verschaffen. Alles kan in seinem Zustande unverändert bleiben, und geistige Wesen können sich doch einlogiren. Wenn daher ein Kubikfuß Raum mit einem Kubikfuß Materie, oder mit einfachen Bestandtheilen der Körper überschwenglich angefüllet wäre: so könte doch noch ein Kubikfuß geistiger, einfacher Wesen in dem von Materie voll gefüllten Raum Platz haben, ohne daß deswegen in der Materie die geringste Veränderung hervorgebracht werden dürfte. Sie wirken im Raume, ohne ihn zu erfüllen, ohne ihn für körperliche Substanzen undurchdringlich zu machen. [262] So hat Herr Ka nt diesen Begrif vom Geiste am deutlichsten auseinander gesezt. Aber wie verworren ist immer die ganze Vorstellung davon? Was ist das Etwas? Ein Hirngespinst oder eine Realität? Gewis ist es, daß es ein bloßer willkührlicher Begrif ist, über den sich der Philosoph freylich freuen muß, daß ihn der Scharfsin eines Menschen ersonnen hat. Wie weit ist aber von der Erklärung der Ingredienzen zum Begrif eines Geistes der Schritt von dem Satz, daß dergleichen Naturen wirklich oder auch nur möglich seyn? Alle Beweise für die Möglichkeit immaterieller geistiger Wesen reichen nicht zu, so wenig auf der andern Seite das Gegentheil bewiesen werden kan, weil wir keine Erfahrungsvorstellung von einem Geiste haben, mit welcher auf einmal die Möglichkeit sicher dargethan ist. Diese ganze Vorstellung besteht ja aus lauter Negationen, und eine geistige Natur kan gar nicht als etwas positives gedacht werden. In der ganzen Masse unsrer Empfindungen ist kein einziges Datum zu diesem Begriffe. Selbst die Möglichkeit der Verneinungen beruht weder auf Erfahrung, noch auf richtigen Schlüssen der Vernunft, sondern auf einer Erdichtung, zu denen eine von allen Hülfsmitteln entblößte Vernunft ihre Zuflucht nimt. Wenn daher der Philosoph auch das Recht hätte, unabhängig von der Erfahrung, blos aus der Voraussetzung willkührlicher Begriffe, das [263] Wesen seiner Seele zu bestimmen: so hat er doch nicht den mindesten Grund, und es ist ihm ganz unmöglich, seine Seele zu einem einfachen geistigen Wesen zu machen, weil er nicht einmal die Möglichkeit solcher Substanzen zu beweisen im Stande ist. Geht man hingegen in diesen Untersuchungen den einzig richtigen
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Weg, den Weg der Erfahrung: so wird man nimmermehr auf den Gedanken von einem im Menschen wohnenden geistigen Wesen verfallen. Was insbesondre die Frage, von der Begreiflichkeit und Unbegreiflichkeit der Seelenoperationen, als Gaben zusammengesezter Substanzen betrift: so ist es sehr begreiflich, wie ein zusammengeseztes Wesen alle diese Wirkungen hervorbringen könne, wenigstens ungleich begreiflicher, als wenn man zu einem Geiste seine Zuflucht nimt. Zusammengesezte Wesen kennen wir schon durch unsre äuseren Sinnen, wenn diese Kentniß auch gleich nur Oberfläche wäre. Aber wir wissen von zusammengesezten Wesen in der Seelenlehre noch mehr. Wir wissen aus der Erfahrung zuverlässig, daß körperliche Substanzen die erste Fähigkeit, die der Grund aller übrigen Seelenfähigkeiten ist, die Fähigkeit zu empfinden besitzen. Unsre Nerven, eine sichtbare körperliche Substanz, empfinden, und wenn sie mit einem andern körperlichen Theil des Menschen zusammenhangen: so sind wir uns der Empfindung bewust. [264] Eben so unleugbar ist eine andre Erfahrung, daß eben diese körperlichen Theile auch Gedächtniß und Einbildungskraft haben. Der allererste Funke des Gedächtnisses, oder der Fortdauer der Empfindungen als eine Kraft der Nerven läßt sich durch Experimente beweisen. Die in einem Kreise schnell herum gedrehete glühende Ruthe erzeugt die fortdaurende Empfindung eines glühenden Kreises in den Sehenerven, die den Eindruk von dem einen erleuchteten Punkt der Peripherie bis zum Eindruk vom entgegengesezten Punkt des Kreises aufbewahren. Der Schall von einem starken Geläute dauret im Ohre fort, wenn schon die Luft nicht mehr in jene zitternde Bewegung gesezt wird, die die Empfindung des Geläutes erzeugte. Die lebhaften Berührungen der Nerven unsers ganzen Körpers durch den Druk, und die Empfindung davon verschwinden nicht so gleich, wenn der Druk aufgehöret hat. Selbst ein sehr starker Geruch und Geschmak schwebt uns noch eine Zeitlang vor, wenn wir uns schon von den Gegenständen, die ihn uns zubrachten, entfernt haben. Eben diese Bemerkungen lassen sich auch auf die Organen des innern Sinnes ausdehnen. Es sind unleugbare Erfahrungen da, daß Nerven und Gehirn auch die Gabe haben, Empfindungen, und die von den Empfindungen zurükgebliebenen Eindrücke, oder die Ideen mit einander zu vergleichen und zu verbinden, das heißt, zu urtheilen und zu schließen, oder welches einerley ist, [265] daß sie Vernunft haben. Denn Urtheil und Schluß sind ganz nothwendige Resultate von ein Paar oder mehrern gleichzeitigen, oder von ehemaligen, aber noch fortdaurenden, und neu hinzukommenden Erschütterungen der Empfindungswerkzeuge. Ferner, wenn die Nerven und die innern Organen des Gehirns von selbsten so erschüttert werden, wie die Erschütterungen bey den Empfindungen selbst beschaffen waren: so rufen sie sich die Ideen selbst wieder hervor. Sie üben zu der Zeit Gedächtniß, wenn die Ideen gleichgültige Gegenstände betreffen, und Einbildungskraft, wenn diese Reste der Empfindungen mit Vergnügen oder mit Schmerz vergeselschaftet waren. Das sind klare Lehren der Erfahrung. Nur eine einzige Operation scheint etwas schwerer aus dem Mechanismus der Werkzeuge unsrer Empfindungen erklärbar zu seyn, nemlich die Gabe, allgemeine Begriffe abzuziehen. Allein, wenn auch der Verstand aus den Nervenkräften und aus der Gehirnorganisation, die wir so wenig kennen, ganz und gar nicht begreiflich gemacht werden könte: so ist der analogische Schluß demohngeachtet hier so wichtig, daß kein Zweifel mehr übrig bleiben kan. Wenn das Gehirn, und die aus ihm entspringenden Organen die Fähigkeit haben zu empfinden; Empfindungen aufzubewahren, und wiederum hervorzubringen; Empfindungen zu vergleichen und
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mit einander zu [266] verbinden: so ist es höchst wahrscheinlich, daß sie auch Verstand haben. Aehnlichkeiten und Unähnlichkeiten können sie zufolge der Erfahrung wahrnehmen. Wahrscheinlich ist es, daß sie auch die Aehnlichkeiten von mehreren Gegenständen samlen, und diese mehreren Gegenstände ihrer Aehnlichkeiten wegen zu Dingen von derselbigen Art und Gattung rechnen können. Wenn man aber auch nicht begreifen könte, wie ein zusammengeseztes Wesen Sensibilität, Gedächntiß und Einbildungskraft, Verstand und Vernunft und Thätigkeit haben könne: so ließe sich aus der Unbegreiflichkeit gar nicht auf das Nichtdaseyn schließen. Wäre ein solcher Schluß gültig: so müsten schlechterdings die mehresten Erscheinungen in der sichtbaren Körperwelt geleugnet werden. Alle Eigenschaften der Körper müste man geradezu wegleugnen, die doch der unwissendste Mensch an ihnen wahrnimt. Kein Körper könte die Kraft haben, sich gegen den Mittelpunkt der Erde zu bewegen, weil kein Mensch begreifen kan, wie ein Klumpen von Materie die Kraft der Schwere besitzen könne. Und wo bleiben die theologischen Unbegreiflichkeiten? Außerdem sind begreiflich und unbegreiflich sehr relative Dinge. Dem gemeinen Man ist die Bewegung der Erde um die Sonne unbegreiflich, so wie manchem Gelehrten die Attraction. Viel[267]leicht begreift man aber immer besser, daß Materie; und immer weniger, daß ein einfaches Wesen denken könne, wenn man nur erst an diese Sprache mehr gewöhnt ist, die in Deutschland nicht gerne gesprochen wird. Die denkenden Köpfe in England, die noch dazu vortrefliche Beobachter sind, begreifen dieses System fast durchgängig, und was H art ley nicht ganz laut heraussagen mochte, ob es gleich in seinem System völlig eingewickelt lag, hat P ri est ley bey seiner neuen Ausgabe des Hartleyschen Werkes nachdrüklich gelehrt. Aber ist es denn nun auf der andern Seite so begreiflich als man vorgiebt, daß alle diese Kräfte in ein einfaches Wesen versenkt seyn solten? Man urtheile selbst. Wie unbegreiflich ist nicht die Gemeinschaft eines einfachen, geistigen, denkenden Wesens mit einem Aggregat von Materie, und wie geheimnisvoll die Vereinigung beyder mit einem Ganzen? Wie können körperliche Dinge auf ein ganz fremdes und ungleichartiges Wesen wirken, das ihnen keine Undurchdringlichkeit entgegenstellen, das sie nicht hindern kan, sich in eben demselben Raum zugleich zu befinden, worinnen es selbst gegenwärtig ist? Da unsrer Seele unwidersprechlich durch die Sinnen unsers Körpers Begriffe und Kentnisse zugeführet werden: so behauptet der Influxist hier offenbar etwas Unbegreiflicheres, als der Harmonist. Da[268]her bekennen auch alle Philosophen ganz offenherzig, daß hier unbegreifliche Geheimnisse der Natur sind, in die kein menschliches Auge eindringen kan, und der Vorwurf der Unbegreiflichkeit trift entgegengesezte Hypothese des Materialismus gewiß nicht in einem so hohen Grade, zumahl, da es gar nicht wahrscheinlich ist, daß der Mensch aus zwey so ganz heterogenen Wesen, aus Einheit und Vielheit, aus Punkt und Körper bestehen solte. Das System des physischen Einflusses wäre, wie ich schon bemerkt habe, gewiß die allerunbegreiflichste Erklärungsart. Und das soll sie doch nicht seyn. Alles, was wir in Ansehung der Harmonie unsrer Geistesarbeiten mit den Veränderungen unsers Körpers an uns wahrnehmen, muß dem Influxisten unbegreiflich seyn, so bald er die Seele für ein einfaches Wesen hält. Hier hilft es nichts, daß man das Vehikel, die Brücke, die Ueberbringer, den Nervensaft, der die Eindrücke der äußern Gegenstände in die einfache Seele hinüber tragen soll, so sehr verfeinert, als man nur mit seiner Einbildungskraft immer kan. Das möglichst feine Nervenkügelchen, das in
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den Nerven hin und herschlüpft, ist, gegen ein einfaches Wesen gerechnet, allemal ein ungeheures Gebürge. Dieses bedachten diejenigen nicht, die durch Aussinnen mancherley Hypothesen die Einwirkung einfacher Wesen in zusammengesezte faß[269]lich machen wolten. Man warf der Seele zu dem Ende ein sehr feines Körperchen um; als wenn dadurch die Sache begreiflicher würde, als bey der Annahme des sichtbaren groben Körpers. P remo n tv a l schuf eine Menge dienstbarer, einfacher, aber doch stufenweise niedriger werdender Substanzen zum Dienst der Hauptsubstanz, der einfachen Seele, als wenn die Einwirkung des Körpers in eine Menge einfacher Adjutanten nicht eben so unbegreiflich wäre, als seine Einwirkung in den einfachen Chef. Mir scheint es daher allerdings merkwürdig, wie das System der vorherbestimten Harmonie bey dem System der Einfachheit der Seele, das doch in den neuern Zeiten fast allgemein aufgenommen worden ist, nicht alle übrigen Erklärungsarten, und vornehmlich die Hypothese des physischen Einflusses, ganz niedergeschlagen hat. Nur mit der Leibnizischen Hypothese verträgt sich das System der Einfachheit; und der physische Einfluß wird in eben dem Grade wahrscheinlicher, in welchem die Seele an Complexion zunimmt. Man hätte in der That sehr philosophisch gehandelt, wenn man bey der Aufnahme des alten Systems des physischen Einflusses, zu gleicher Zeit die alte Hypothese des Materialismus aufgenommen hätte. Da nun die Erfahrung ganz unwidersprechlich lehrt, daß es etwas körperliches ist, was in uns empfindet und denkt: so ist die Untersuchung [270] sehr unnüz, ob auch die Materie denken könne, gerade wie es unnüz ist zu untersuchen, ob die Materie schwer sey, ob sie elektrische und magnetische Kraft haben könne? Demohngeachtet hat man jene Untersuchung vorgenommen, und ihr Resultat soll seyn, daß keine Materie, sie mag organisirt seyn, wie sie will, mit Seelenkräften von der Gottheit versehen werden könne. Nichts ist leichter, als auch in diesem Punkt mit Grund zu widersprechen. Ich glaube, die Materie könne, den strengsten Raisonnements zufolge, allerdings denken, wenn sie auf eine gewisse Weise organisiret ist, die ich näher nicht bestimmen will, weil ich das Gehirn nur sehr unvollständig kenne. L oc ke sahe dieses deutlich ein, und unstreitig hat er hier, wie in andern Stücken, besser gesehen, als diejenigen, die ihn dieser Behauptung wegen für schwach gehalten haben. Der rechtgläubige Buddeu s stimmt dem englischen Weltweisen bey. Er glaubt nicht, daß das Denken eine der Materie widersprechende Eigenschaft sey. Ein Beweis, daß die Orthodoxie bey der Annahme einer materiellen Seele gar nicht leide, und daß dadurch die beruhigende Lehre von der Unsterblichkeit der Seele gar nicht in Gefahr kommen könne. W o lf hingegen hält die denkende Materie für Unsinn, und meint, daß Materie so wenig Materie seyn, und doch zugleich denken könne, so wenig Gott machen könne, daß Eisen zugleich [271] Gold sey. Er hat es aber mit keinem erträglichen Argument bewiesen. Und wenn er es auch aus der Voraussetzung willkührlicher Begriffe bewiesen hätte: so widersprechen doch alle im Lauf dieses Werks angeführte Erfahrungen, die alle Raisonnements überwiegen. Man prüfe doch alle Beweise, die die Unmöglichkeit der Denkkraft materieller Substanzen darthun sollen, und es muß sich ein jeder überzeugen, daß kein Satz in der ganzen Philosophie auf so schwachen Stützen beruht, als dieser. Dieses ist kein Machtspruch. Ich will mein Urtheil durch Prüfung einiger Beweise rechtfertigen, die man für die besten hält. H utc hes o n deklamirt über ein Argument sehr hinreissend, in welchem schon P l at o und C ic ero Kraft fanden. Er fragt: Welches sind die Eigenschaften der Materie? Ist es Thätigkeit,
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Bestreben, Flug, Erhebung? Das alles nicht. Ihr kommen einzig und allein Trägheit und Unthätigkeit und Leiden zu65. – Falsche Voraussetzungen; falsche Folgerungen! Ist es denn bewiesen, daß das Denkungsvermögen Thätigkeit sey? Giebt das Sea rch zu? Und ist es bewiesen, daß die Materie blos leidend sey? Sind Sturmwinde, und Magnetismus, und Elektricismus, [272] und Attraktion, und Gift, und Schiespulver, und Medikamente bloßes Leiden? Und, wenn es bloßes Leiden ist: ist denn alle Materie blos leidend? Muß nicht eine jede Materie nach ihrer Bestimmung mancherley Kräfte haben? Was ist es, das wir in der körperlichen Natur kennen? Etwa die unbemerkbare Feinheiten der materiellen Welt? – Grobheit und äußerste Rinde, so wie überall nur Oberfläche. – Und ist das Gehirn mit irgend einem Körper zu vergleichen? Ist es Schutt, Stein, Erdklumpe, Fleisch, Knoche? Ist es nicht das wunderbarste, komplicirteste Ding, und eine nicht durchzuschauende Organisation? – Gerecht ist daher mein Wunsch, daß dieser Beweis in keines Philosophen Seele kommen möge. Und so auch der andre, den B o nne t für überzeugend hält. Denken und Gedanke soll zufolge eines innern Gefühls etwas ganz einfaches und untheilbares seyn. Und so was kan nirgend anders, als in einem einfachen Subjekt vorgehen. – Wie deutlich leuchtet auch hier die Falschheit der Voraussetzung und der Folge hervor? Daß das Gefühl für ein einfaches Wesen zeuge, welches das Substratum des Bewustseyns sey, ist, da die Sache ein Gefühl betrift, wo nicht eine gar falsche, doch eine sehr zweifelhafte Voraussetzung. Wenn aber auch das Bewustseyn wirklich etwas untheilbares wäre: so muß das Prin[273]cipium des Bewustseyns deswegen nicht auch ein untheilbares Wesen seyn. Dieses kan zusammengesezt seyn, und demungeachtet ungetheilte, einfache Empfindungen und Gedanken haben, wenn anders diese unverständlichen Worte etwas bedeuten sollen. Die vielen Räder in einer Uhr haben einen einzigen einfachen Effekt, die Bewegung des Zeigers zur Zeitmessung. Können viele Gehirnfibern nicht auf eine ähnliche Weise zur Erzeugung eines einfachen Gedankens zusammenwirken66? Ich würde den Gegnern eine Freude machen, wenn ich ihre stärkste Stütze ganz unangetastet solte stehen lassen. Herr M ende l so h n hat den Beweis gegen die Möglichkeit des Denkungsvermögens materieller Substanzen und für die Einfachheit der Seele, den man, seit dem ihn ein alter Weltweise erfunden, mit allgemeinem Beyfall als den besten Beweis aufgenommen hat, am deutlichsten und kraftvollsten vorgetragen. Ich will ihn, um ihm seine volle Stärke zu lassen, da ich ihn nicht wörtlich abschreiben kan, in dem körnigten Auszug verlegen, in den ihn schon ein andrer Verfasser vor mir gebracht, und mit treffenden Erinne[274]rungen begleitet hat. »Wenn die Seele ein körperliches Wesen ist: so muß der Grund ihrer Wirksamkeit in ihren Theilen liegen. Diese haben nun entweder eine der Kraft des Ganzen ähnliche, oder eine ihr unähnliche, oder gar keine Kraft. Ein vierter Fall läßt sich nicht erdenken. Die drey angezeigten geben keine Seele. Hätte jeder Bestandtheil, oder nur etliche derselben, eine der ganzen Seele ähnliche Kraft: so hätten wir, statt einer, viele Seelen; das Zusammensetzen wäre unnütz; ein einziger Bestandtheil wäre schon die Seele. Haben die Bestandtheile gar keine Kraft: so kan auch deren Verbindung keine hervorbringen. Viele leblose Dinge zusammen können kein Leben, viele verstandlose keinen Verstand, undenkende Theile kein denkendes Ganzes ausmachen. Nur der mittelste Fall bleibt übrig, nach welchem die Wirksamkeit der Bestandtheile der Wirksamkeit des Ganzen unähnlich seyn müßte. Dieser Fall existirt blos bey solchen Eigen65
Man vergleiche: Sulzers vermischte philosophische Schriften. S. 348.
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schaften, die aus der Anordnung und Zusammensetzung der Theile entspringen, wie bey der Harmonie, Ordnung, Symmetrie: Solche erfordern ein Vergleichen und Gegeneinanderhalten der Theile; folglich setzen sie eine Wirkung der Seele voraus, und können nicht selbst die Seele seyn: und ferner bey gewissen Erscheinungen, wo unsre Sinnen die Wirkungen der Bestandtheile nicht deutlich auseinander setzen und unterscheiden, da denn die [275] unähnliche Wirksamkeit nicht sowohl in den Sachen außer uns, als vielmehr in unsrer Vorstellung anzutreffen ist, welches abermals als eine Wirkung der Seele dieselbe voraussezt. – Den Atomen, wie etliche Philosophen thun, dunkle Begriffe zuzuschreiben, und aus deren Verknüpfung deutlichere erwarten, ist Irrthum. Durch Hinzuthun ändert man wohl die ausdehnbare Größe, aber nicht den Grad der Kraft, wenn nicht die Wirkungen der Menge in eine koncentrirt werden. Aus vielen dunkeln Begriffen entsteht kein deutlicher, wenn sie nicht von einem einfachen Wesen gesamlet, und gleichsam übersehen werden. – Da die Seele auf keine Weise durch ein Zusammensetzen ihre Wirksamkeit empfangen kan; da ferner ihre Neigungen und Kentnisse so genau verknüpfet sind, daß sie nicht zerstreuet in Theilen, sondern nothwendig irgendwo unzertrennt zugegen seyn müssen: so kan die Seele keine zusammengesezte Substanz, sie muß einfach seyn67.« Mich hat dieser Beweis hauptsächlich deswegen nicht überzeugen können, weil man sich gerade da, wo er am nervösesten ist, eine Kentniß der Körperwelt, und der Bestandtheile der Materie anmaßt, die Menschenkinder nicht haben können. Wer kennt die Oberfläche genau? Wer kennt die [276] Kräfte des sichtbaren Körperlichen? Und doch sezt man im Beweis voraus, daß wir so gar von den unsichtbaren, einfachen Bestandtheilen der Materie die genauste Kenntniß besitzen, und von ihren Kräften die pünktlichste Rechenschaft zu geben im Stande seyn. Gerade deswegen ist die Frage: Ob die denkende Kraft ihren Ursprung aus einfachen, nichtdenkenden Bestandtheile haben könne, ohne Rüksicht auf die Erfahrung ganz unbeantwortlich. Wer kent die ganz eigne Art von Materie, aus welcher das Gehirn gebildet ist? – Und allerdings können aus der Samlung und Zusammensetzung gewisser Dinge gewisse Erfolge kommen, die man aus den Bestandtheilen vergeblich erwartet hätte. Ist denn der Satz so ganz unzweifelhaft, daß aus unbelebten Theilen kein belebtes Ganze, aus undenkenden Theilen kein denkendes Ganze zusammengesezt werden könne? Warum kan aus unharmonischen Theilen ein harmonisches Ganze werden? Zugegeben, daß einzelne Seelenpartikeln das, was man Vorstellungsvermögen nent, nicht haben, kan es ihr koncentrirter Zusammenfluß nicht haben? Ich wil die Gegenbemerkungen, die der Verfasser d er An mer ku nge n u nd Z we ifel ü be r d ie g e wö h n l ic hen L e hrs ä t ze vom W e s e n d e r m e ns c h l ic h e n u nd d e r t h ie r i sche n See le n, ge[277]gen die Mendelsohnische Einkleidung dieses Beweises nicht rügen. Sie sind eben so stark, wie der Beweis, dem sie entgegengestellt sind, und ich war es nur der Wahrheit schuldig, auf diese Gegenerinnerungen hin zu verweisen. Doch diese ganze Untersuchung war, wie schon bemerkt worden, überflüssig. Denn, was man mit Augen sieht, was wirklich ist, dessen Möglichkeit darf nicht erst bewiesen werden. Uebrigens, wenn die Gegner dieser Lehre ihre Hypothese nicht anders als aus Raisonnements, gegen welche so sehr viel eingewandt werden kan, darthun können; wenn sie auf keine nächste Erfahrungen achten wollen: so ist die Gegenparthey ebenfalls berechtigt, mit ähnlichen Ver66
M. vergl. den dritten Versuch. – Meiners vermischte philosophische Schriften Th. II. S. 24. u. f.
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nunftschlüssen zu erscheinen, gegen welche man weniger möchte erinnern können, als gegen die Beweise der Einfachheit. Wo bleibt z. E. der so schöne, einförmige, allgemeine Plan der Schöpfung? Welch ein Sprung vom Körper auf Geist, vom Zusammengesezten aufs Einfache? Welche ungefüllte Lücke? Wie reißt die Kette ab? Wie unwahrscheinlich, daß der Mensch aus zween so ganz heterogenen Haupttheilen zusammengesezt seyn solte? Wie kan eine Monade an Materie angeklebt seyn, so wie die einfache Seele am äußersten Ende nothwendig mit körperlichen Partikeln zusam[278]menhangen muß? Wodurch kan eine Seele von der andern unterschieden seyn? Wie kan ein Geist im Körper einen Raum ausfüllen, ohne ausgedehnt zu seyn? Und was heiß einfach? – Verneinung, Nichts68. Muß nicht einem jeden, der sich in diese Schwierigkeiten hinein gedacht, und die Stärke der Gegenbeweise gefühlt hat, der Wunsch abgenöthigt werden, daß doch einmal die unbegreifliche Psychologie verbant seyn möchte! Unmöglich kan sich über die psychologischen Phänomene Licht verbreiten, wenn man seine Augen gegen die täglichen Erfahrungen vorsezlich verschließt, aus deren Samlung einzig und allein das Wesen der Seele am sichersten bestimt werden kan. Unbegreiflich ist es allemal, wie die neuern Philosophen durch so schwache, gekrümte, künstliche Beweise bewogen, die Meinung der Alten haben können fahren lassen, die die Seele fast durchgängig für ein zusammengeseztes Wesen hielten. Gewis diejenigen großen Männer sahen das Unbegreifliche der Seeleneinfachheit ein, die um ihrer [279] Hypothese einen Geruch der Begreiflichkeit zu geben, auf Körperchen, Keime, psychokratische Geisterchen sonnen, mit denen man wie mit Trabanten die Königin, die Seele, umgab. Hätte ihnen die große Anhänglichkeit an das seelenfesselnde Sektensystem nur einen Schritt zugelassen: so hätten sie ihre unbegreiflichen Hypothesen ersparen können. – Hütet euch, Weltweisen, Seelensklaven zu werden!
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Phädon von Moses Mendelsohn, zweytes Gespräch. Mehrere Schlüsse von dieser Art, in ihrer Stärke vorgetragen, kan man bey dem Verfasser der Anmerkungen und Zweifel etc. S. 265 u. f. finden.
Geschichte der Lehre von der Association der Ideen, nebst einem Anhang vom Unterschied unter associirten und zusammengesezten Begriffen, und den Ideenreyhen.
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Vorbericht.
Es schien mir nicht ganz überflüßig, die Geschichte eines einzigen Lehrsatzes der Psychologie zusammen zu setzen, auf welchen die allermerkwürdigsten Seelenoperationen sowohl im Zustand des Wachens, als des Schlafes zurückgeführt werden müssen. Eben diese grosse Wichtigkeit der Assocoationsgesetze unserer Ideen, war die Ursache, warum ich bey meinem Studium der besten philosophischen Schriften allemahl darauf [):( 4v] aufmerksam war, wie, und ob der Psycholog diese Gesetze bey der Erklärung der mancherley Phänomene der menschlichen Seele angewandt, und genutzt hat. Auf diese Weise hatte ich aus den neuern Schriftstellern ziemlich vollständige Bemerkungen zur Geschichte der Entdeckung der Associationsgesetze beysammen. Daß ich aber auf die ältesten Spuren der Kenntniß dieser Gesetze kam, habe ich blos dem Unterricht gemeinnütziger Lehrer zu verdanken. So war ich endlich im Stande einige vollständige Beyträge zu dieser Geschichte zu liefern, die ich zuerst der hiesigen Königlichen Deutschen Gesellschaft im Grundriß vorlegte, und nun umgearbeitet, erweitert und verbessert dem ganze Publikum vorlegen kann. Vielleicht hätte ein jeder anderer diese Geschichte ausarbeiten können, der den nöthigen Vorrath von Büchern besaß, und der gerade die Stellen nachlesen und ausziehen [):( 5v] wolte, die ich angeführt habe. Allein, so wenig ich auch bequem bin; so würde mir doch diese Arbeit, auf eine solche Art angefangen, zu peinlich gewesen seyn. Und wahrscheinlich würde es auch einem jeden andern so geschienen haben; und so würde diese ganze Geschichte niemahls zu Stande gekommen seyn.1 Aber die Methode, die ich bey dem Zusammentragen der Materialien zu dieser Geschichte befolgt habe, ist so leicht, daß ich Lust hätte, und bald im Stande wäre, die Geschichte mehrerer wichtiger psychologischer Lehren von Zeit zu Zeit zu liefern. [):( 5r] Ich würde den Einsichten meiner Leser zu nahe tretten, wenn ich mich über den Nutzen solcher detaillirter Geschichten einzelner Lehrsätze der philosophischen Wissenschaften ausbreieten würde. Mir scheinen sie blos deswegen wichtiger und würdiger, als alle übrigen Geschichten, weil sie die schönsten Beyräge zur Geschichte des menschlichen Verstandes sind. Der grosse Bruc ker lieferte als Jüngling seine Geschichte der Lehre von den Ideen, die jeder Kenner noch immer schätzt.2 Dürfte ich vom Beyfall, den er sich schon durch die Auswahl dieser Materie zu Wege brachte, auf einen verhältnismäßigen Beyfall schliessen, den mein Stof 1
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Einen Hauptumstand, der eine solche Arbeit verdrüßlich macht, führt L o c k e an: Quiconque s’est un peu appliqué a examiner les citations des Ecrivains, ne peut pas douter qu’elles ne meritent peu de creance lorsque les Originaux viennent a manquer, & par consequent qu’on ne doive se fier encore moin à des citations de citations. De l’Entendement humain. Liv. IV Ch. XVI. § 11. Historia Philosophica doctrinae de ideis. Augustae Vindelicorum 1730. 8.
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erhalten könnte: so wäre schon der erste Gedanke eine solche Geschichte zu liefern, verdienstlich. Ferne sey es von mir, die Behandlung meines Stoffes mit der Arbeit eines Br uc kers zu vergleichen, so wie ich mit [):( 6r] allem Recht meinen Gegenstand mit dem Seinigen vergleichen kann. Nur der Leser allein hat zu jenem Geschäfte Recht. Daß man mir offenbar Unrecht thun kann, wenn man meine Arbeit mit der Bruc ker i sc hen zusammen stellen, und aus dieser Gegeneinanderhaltung die Güthe der Meinigen schätzen will, ohne alle Rücksicht auf die Zeit, in welcher Brucker schrieb, und in welcher ich schreibe, – brauche ich nicht einmahl zu erinnern. Ich habe gerade da den Faden von neuem angeknüpft, wo Br uc ker am Ende war. Er wirft am Ende seines Buchs nur einen einzigen Gedanken über die Geschichte der Lehre von der Association der Ideen hin, der nach meinen Bemerkungen unrichtig ist. Wenn man zur Zeit, da Br uc ker diesen Versuch lieferte, auf die Assiciationsgesetze noch nicht so aufmerksam, wie man in der letzten Helfte dieses Jahrhunderts es worden ist. [):( 6v] Die Philosophen, die ich in meiner Geschichte aufgestellt habe, kennt ein jeder, der auf den Nahmen eines Philosophen Anspruch macht. Allein ich habe gefunden, daß man sie nicht alle von der Seite gehörig kennt, von der man sie billig auch kennen solte. Ho b bes z. B. wird in einigen Theilen der praktischen Philosophie angeführt, und man giebt sich, vorzüglich im Recht der Natur, Mühe, seine Grundsätze zu prüfen. Allein in der Psychologie achtet man weniger auf ihn, als man solte. Auch hier hat er eben so viele Gedanken, die, wie die Fehler aller grossen Genies, immer für den Denker lehrreich zu seyn. Schon Ho b bes hatte den Gedanken, den unter den alten philosophischen Schulen, die er nicht kannte, die Stoiker hatten, die Lehre von der Sprache, oder eine philosophische Grammatik zu einem beträchtlichen Theil der Logik zu machen. Diesen Gedanken führte er, obgleich mangelhaft, aus. Und hätte man nicht [):( 7r] glücklicher Weise in den neuesten Zeiten diese Lehre in die Logik gebracht: so hätten die kurzen Kapitel über diese Materie im H o bbe s einem jeden Logiker den Gedanken dazu zuerst einflössen müssen. – Einem Geschichtschreiber der einzelnen philosophischen Hauptgrundsätze ist es daher immer erwünscht, das Andenken solcher Männer zu erneuern, die man zu vergessen anfängt. Man wird auch aus diesem Beytrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes den Gedanken einiger Philosophen widerlegt oder bestättiget finden, daß das Reich der Wahrheit immer einerley Gränzen gehabt; daß die einzelnen Provinzen in diesem Reiche, so wie die kleinen Bezirke zu allen Zeiten den Menschen bekannt gewesen, und daß es also keine neue Wahrheiten gebe, sondern daß immer die Wahrheiten, die man längst erkannt hat, wieder von neuem erscheinen, aber bald in einem neuen Kleid, bald nach[):( 7v]dem man sie vorwärts, bald im Profil, bald in der Nähe, bald in einer gewissen Entfernung, nach unendlichen Graden der Stärke und Schwäche des Lichts, aus hundert verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Ich mag diese Streitfrage nicht beantworten, weil mir zur Bejahung derselben alle philosophische Sekten, die sich durch eigenthümliche Lehren von einander unterschieden, entgegen sind: so wie ich keinen verneinenden Ausspruch thun darf, weil sich das, was C ow ley sagt, auch durch die Geschichte bestätigen läßt. Der König der Vögel, heißt es, verzehrt nie seine ganze Beute. Er begnügt sich, das reinste Blut zu saugen. Trotzig und stolz in seinem Hunger verachtet er die überflüßige Natur, fliegt muthig auf ein neues Wild, und läßt den Rest der zerrissenen Beute, den Geyern, und den Vögeln, die er verachtet. So die bessern alten Genies! Wir kauen, und
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zerfetzen Wahrheiten so lange, biß gar kein Saft [):( 8r] mehr in ihnen ist, die schon die Alten vor sich liegen hatten, die sie aber nicht so ganz aussaugen mogten. Ich hätte sehr gewünscht eine vollständige Theorie der Lehre von der Association der Ideen zu geben, und ihre ausgebreitete Anwendung in der ganzen Psychologie in einer dogmatischen Abhandlung zeigen zu können. Allein, ob ich mich gleich nie entschliessen würde, etwas heraus zu geben, wenn ich nicht wüste, daß Gelehrte von stärkern Einsichten meine Fehler verbesserten, und vollkommenere Arbeiten lieferten: so kann ich doch den theoretischen Theil schlechterdings noch lange nicht bekannt machen, weil schon gar zu viel zu dieser Sache geleistet worden ist, das ich noch nicht einmahl übersehen kann. [):( 8v] Dagegen war die beygefügte Abhandlung v om Unte rs ch ied zus amme nge set zte r u nd a sso c ii rter Begr i ffe ungleich unentbehrlicher zur gehörigen Bestimmung der Lehre, deren Geschichte ich ausgefertigt habe. Zusammengesetzte Begriffe haben Menschen wohl seitdem immer gehabt, seitdem Menschen waren. Allein ob sie die Gesetze der Ideenassociation gewust, nach welchen sie meditirten und träumten, – das ist die Frage, auf welche die Geschichte abzielt. Ich habe beyläufig einige Plane der Ho ra zis che n Oden in ihrer nakten, natürlichen Gestalt vorgelegt. Ich darf wohl hoffen, daß meine Leser nur so viel Plan in Lyrischen Poesien erwarten werden, als diese Art von Gedichten ihrer Natur nach haben kann. Es ist die Natur der Lyrischen Dichtkunst, so wie die Natur der menschlichen Seele, [):( ):(r] die eine Ode ausarbeitet, ganz zuwider, nach kalten Planen, Ordnung und Methoden zu arbeiten. Der Lyriker muß die Ordnung, die ihm Fantasie, Empfindung und Enthusiasmus vorschreibt, halten. Fortlaufende durchgedachte Räsonnements klingen in seinem Munde nicht. Er besingt nur die wärmsten und lebhaftesten Empfindungen, und die heftigsten Leidenschaften, auf eine erschütternde Weise, mit einem Wohllaut, den der Gesang erheischet. Wie läßt sich da zwingende Methode, oder vorläufige Entwerfung regelmäßiger Plane gedenken? Nur in einem einzigen Fall darf man in der Ode einen gewissen Grad von Regelmäßigkeit suchen, wenn man es dem Gedicht ansieht, daß der Dichter nicht wirklich die Empfindung oder Leidenschaft gehabt, die er besingt, sondern, daß er sich mit Mühe [):( ):(v] in eine ähnliche Lage versetzt, und blos nachgeahmt habe. Hier kann er einen Gedanken, oder einen Satz fassen, und ihn lyrisch behandeln. Und da dieses nicht mehr Ode der Empfindung ist: so verlangt man mit Recht bey dem mit Mühe angesteckten Lyrischen Feuer, mehr Kunst und Ordnung. Die Lyrische Unordnung ist uns allemahl da unerträglich, wo sie unnatürlich ist. Sie ist aber nur da natürlich, wo die allerheftigste Leidenschaften, und die lebhaftesten Empfindungen ausgedrückt werden. Da lassen wir uns das Sonderbahre und Fremde in der Sprache, den Wendungen, den Konstruktionen, und den Uebergängen gefallen, weil sich die heftigen Leidenschaften nicht von der Grammatik binden lassen. H or a z war aber nur selten in diesem Fall. Er ist kein Original. Er hat griechische [):( ):( 2r] Lyriker vor sich, deren Versbau er studirte, und sie häufig übertraf. Daher ist seine Ode überdachter, regelmäßiger und feiner, und seine Plane fallen in die Augen, von denen ich eben deswegen einige entwickelt habe. G ött i nge n, den 25sten September 1776.
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[2] Naturane nobis, inquit, datum dicam, an errore quodam, vt, cum ea loca videamus, in quibus memoria dignos viros acceperimus multum esse versatos, magis moveamur, quam si quando eorum ipsorum aut facta audiamus, aut scriptum aliquod legamus? Velut egonunc moveor. Venit enim mihi P L A T O N I S in mentem, quem accepimus primum hic disputare solitum: Cuius etiam illi hortuli propinqui non memoriam solum mihi afferunt, sed ipsum videntur in conspectu meo hic ponere. Hic S P E V S I P P V S, hic X E N O C R A T E S, hic eius auditor P O L E M O; cuius ipsa illa sessio fuit, quam videamus. Equidem etiam curiam nostram, Hostiliam dico, non hanc nouam, quae mihi minor esse videtur, postquam est maior, solebam intuens, S C I P I O N E M, C A T O N E M, L A E L I V M, nostrum vero inprimis auum cogitare. Tanta vis admonitionis est in locis, vt non sine causa ex his memoriae deducta sit disciplina.
C I C E R O. [3] Die neuere Philosophie ist mit mehreren wichtigen Kapiteln bereichert worden. Einige von 130
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diesen Entdeckungen, die der menschliche Verstand in den neueren Zeiten gemacht hat, waren den größten Philosophen des Alterthums völlig unbekant. Andere hingegen finden sich in ihren Schriften schon ziemlich deutlich angegeben, und unsere Zeiten haben blos das Verdienst sie erweitert, und aus einzelnen Paragraphen der alten philosophischen Schriften ganze Kapitel, und ganze Wissenschaften gemacht zu haben Wenn man die neuesten Werke der Englischen Weltweisen nachlieset: so kann man zweifelhaft gemacht werden, zu welcher Klasse von Bereicherungen der neueren Philosophie, [4] die wichtige Lehre von der As so c iat i on der I dee n g ezäh l et werden müsse. Locke, sagt P ri est le y, im zweyten Versuch zu seiner neuen Ausgabe von H art ley ’s Be trac ht un gen ü be r d e n Men s c he n; Locke redete zuerst von der Association der Ideen, und nach ihm Gay, und Hartley leitete endlich alle Erscheinungen der menschlichen Seele allein aus dieser Lehre her.3 Nach dieser Stelle müste das Philosophische Alterthum nichts von der Association unserer Begriffe gewust haben, und die Engelländer müsten die ersten seyn, deren Beobachtungsgeist eine gemeine Erscheinung in der menschlichen Natur nicht hat entfleihen, und die das ganze Alterthum bis auf einen unbekannten Britten, G ay, nicht hat bemerken können. Allein, entweder geht P ri est ley hier darauf aus, L oc ke n, dessen Philosophie er kurz vorher gegen die Schottländer, Re id, Beat tie und Os wa ld vertheidigt hatte, ein Verdienst um die Philosophie zuzuschreiben, das nicht geringer wäre, als die glückliche Behauptung der ideas of reflexion, deren Quelle ein innerer Sinn ist: oder zeigt er, wie mehrere [5] Engelländer, daß er sich um die Geschichte der wichtigsten Lehren wenig bekümmert habe. Bey P r iest ley ist eher 3
Man sehe Hartley’s Theorie of the human mind; with Essays relating to the subject of it, by Ios. Priestley. London 1775. 8vo. Essay 2.
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das erstere zu vermuthen, weil man von ihm gewiß erwarten kann, daß er wenigstens die Schriftsteller seiner Nation, Ho b be s und Hum e, und ihre Gedanken über diese Materie werde gelesen haben. In eine ähnliche Verwunderung geräth Hu me darüber, daß kein Philosoph vor ihm sich die Mühe genommen, die Gesetze aufzuzehlen, nach welchen sich unsere Ideen verbinden, und wechselweise aufwecken, da doch die Bemerkung, daß sich Ideen zusammen verknüpfen eine gemeine Bemerkung, und die Kenntniß der Associationsgesetze eine wichtige Kenntniß sey4. Wenn sich dieses Urtheil der Engelländer auch bloß auf die alten Philosophen beschränken sollte: so würde man ihnen bey einer mittelmässigen Kenntniß der Alten, nicht beypflichten können; zu geschweigen, daß die neueren grossen Beobachter der menschlichen Seele es ihnen zuvorgethan. [6] In den vortreflichen Ueberbleibseln des philosophischen Alterthums finden sich die deutlichsten Spuren der Lehre von der Ideenassociation. Alle alte Philosophen wusten es, daß unsere Ideen nicht isolirt in der Seele liegen, sondern daß sie auf das genaueste mit einander zusammenhangen, und daß sie wegen dieses Zusammenhanges gemeinschaftlich aus ihrem Schlumer aufwachen, wenn nur eine aus der ganzen Kette rege gemacht wird. Die Alten kanten zwar die Gesetze der Ideenverbindung nicht so deutlich, wie wir sie heute kennen. Die Begierde der späteren Philosophen veste Systeme zu bauen, hat den grossen Vortheil gehabt, daß man im System die Behauptungen deutlich entwickelt, wenn man gleich häufig bey den deutlichsten Entwickelungen die Wahrheit blos wegen des Systems verfehlet. In der That ist es zu verwundern, daß man im Reiche der Ideen die Attraktion, und ihre Gesetze lange vorher bemerkte, ehe man in der Körperwelt eben diese Eigenschaft wahrnahm. Wären die alten Physiker auf die Phänomene der Körperwelt eben so aufmerksam gewesen, wie die alten Psychologen auf Seelenoperationen, und ihre Gesetze aufmerksam waren: so hätte Ne wt o n ohnmöglich der erste Entdecker dieser mächtigen Triebfedern der Natur seyn können, die die ungeheuren [7] Weltkörper in ihren ewigen Gleisen erhalten, in denen sie Jahrtausende sich gewälzt haben; so wenig L ock e, oder irgend ein Philosoph der letzteren Jahrhunderte auf die Ehre der Erfindung der Associations- und Attraktionsgesetze für die Ideen, Anspruch machen konnte. Uebrigens ist gar kein Zweifel, daß eine frühere Bemerkung der Anziehungskraft in der körperlichen Natur weit nothwendiger gewesen wäre, als die Bemerkung derselbigen Eigenschaft in der Seelenlehre. Verborgene Qualitäten, plastische Kräfte, Wirbel und andere physikalische Romane würden schwerlich erdichtet worden seyn, wenn sich die Natur schon vor Newt on den Augen eines Sterblichen eben so offenbahret hätte, wie sie sich diesem grossen Mann darstellte. Die Gesetze der Koexistenz und der Aehnlichkeit wuste man im Alterthum ohne dieselben zu allgemeinen Gesetzen zu erheben, sie in der Dialektik besonders abzuhandeln, und aus ihnen zu erklären, was sich aus ihnen erklären läst. Darinnen haben die letzteren philosophischen Jahrhunderte unstreitig einen sehr grossen Vorzug vor allen merkwürdigen Zeitaltern der Weltweisheit, in welchen sie unter Griechen und Römern geblühet hat, daß man in den neueren Zeiten sich nicht mit blossen Beobachtungen begnügt, sondern allgemeine Grund[8]sätze, und Theorien aus denselben gezogen hat, aus de4
Siehe Hume’s Enquiry concerning human understanding, Sect. III. Though it he too obvious to escape observation; I do not find, that any philosopher has attempted to enumerate or class all the principles of association, a subject, however, that seems worthy of curiosity.
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nen sich die Erscheinungen ohne Mühe herleiten lassen, die man ohne sie anstaunen müste. Die blossen einzelnen Erfahrungen, und ihre Beobachtung, sind so lange noch immer das Geschäfte des Historikers, bis sie der Philosoph sammlet, um ihr Gemeinschaftliches zu bemerken, und um einzelne Fälle vermittelst jener vortreflichen Gabe, die der Mensch zwar nicht ausschließend, aber doch in einem weit vorzüglicheren Grad besitzt, als irgend ein uns bekanntes Thier, zu einer solchen Allgemeinheit zu erheben, von welcher nur ganz ausserordentliche Fälle in vielen Jahrtausenden Ausnahmen machen können. Wenn daher die Griechen, denen wir an Kultur sehr ähnlich sind, die ersten scharfsinnigen Beobachter aller Produkte des menschlichen Geistes waren: so musten sie doch häufig, bald den vollständigen Bau einer und der anderen Theorie, bald aber die Ausbesserung und Erweiterung derer Lehrgebäude, die sie gründeten, der philosophischen Nachwelt überlassen, die erst mit dem Fortgang der Philosophie viel leichter und sicherer Zusätze hinzufügen konte, die sie, als die ersten Grundleger, ohnmöglich zu allen Abschnitten der philosophischen Wissenschaften hinzuzuthun im Stande waren. Wir wissen aus unläugba[9]ren Zeugnissen der Geschichte, daß die griechischen Weisen manche Kenntnisse von den Ufern des Nils geholet. Allein, ich glaube, daß alle gelehrte Kenntnisse, die T ha le s und Py th ag or as und andere Griechen bey den Aegyptischen Priestern einsammleten, nichts weiter waren, als einzelne Beobachtungen, die diese erst in wissenschaftliche Kenntnisse umschufen, da die Aegypter selbst zu einer solchen Schöpfung ganz unfähig waren. Alle griechische Philosophen, die nach Afrika reiseten, machten zuerst mehrere Erfindungen, die sie nicht hätten machen können, wenn sie etwas mehr als die Erfahrungen, worauf sie ihre Erfindungen gründeten, von den Aegyptern geborget hätten. In Aegypten konte nie eine Wissenschaft blühen, und nie hat eine Wissenschaft an Nils Ufern geblühet, weil der Priesterorden mit allem, was man, in einem sehr nachgebenden Verstand, Wissenschaft nennen könte, ein ausschliessendes Gewerbe trieb. So wie im mittleren Zeitalter alle Wissenschaften, die die Griechen und Römer bis auf den höchsten Grad der Vollkommenheit erhoben hatten, gröstentheils durch das Monopolium der abergläubischen Geistlichen von ihrer ehrwürdigen Höhe herabsanken: so muste in Aegypten die Gelehrsamkeit stets in der Wiege winseln, aus der sie sich bei Afrikens Reichthum, und bey [10] allen seinen übrigen Vorzügen, die den Wissenschaften vortheilhaft sind, nicht herauswinden konte. Nichts ist also gewisser, als, daß die Griechen, die der aegyptischen Nation die gemeinsten Kenntnisse mittheilten, von ihr weiter nichts, als Erfahrungen erhielten, die sie wissenschaftlich zu benutzen wusten. Auf eine ähnliche Weise haben die aufgeklärten Griechen den späteren Philosophen Erfahrungen aufgezeichnet, die diese eben so vortheilhaft gebraucht haben, wie die Griechen die Aegyptischen. Eine solche Bewandniß scheint es mit der Lehre von der Association unsrer Ideen zu haben. Alle Alten merkten der Seele die Gesetze der Ideenverbindung ab, so wie wir sie kennen. Allein ihre fruchtbare Folgen hat unser Jahrhundert erschöpft. Nur die neuere Psychologie leitet aus ihnen die Erscheinungen der Meditation, der Reverie, des Traums, oder der Meditation des Schlafs, des Unsinns und der Raserey, und aller wichtigen Zustände der menschlichen Seele ab, die sich ohne diese Gesetze nur durch allerhand gezwungene Krümmungen erklären lassen. [...] [82] Hier schliessen sich meine historischen Betrachtungen. Ich kenne zwar mehrere Schriftsteller, die die bemerkten Gesetze zergliedert, und deutlich auseinander gesetzt haben. Aber ich
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kenne keinen, der ein neues Gesetz hinzugethan hätte, das in den schon gefundenen nicht liegen solte. Herr P l att ner hat nicht blos die mechanische Erklärung für das Gesetz der Koexistenz, die schon M a l leb ra nc he und L ock e vortrug, durch Gründe zu einer annehmungswerthen Hypothese erhoben: sondern er hat auch für sehr viele Fälle gesammlet, in welchen das Gesetz der Koexistenz der Ideen seine Anwendung findet. – Hier sind sie. Wenn es allgemein wahr ist, daß Objekte, welche zu gleicher Zeit empfunden, oder gedacht worden sind, uns zu gleicher Zeit wieder einfallen, so beruhen folgende Erfahrungen hierauf: 1) Bey den Subjekten fallen uns ein die Eigenschaften, und bey den Eigenschaften die Subjekte. 2) Bei dem Ganzen der Theile, und bey den Theilen das Ganze; bey den Geschlechtern die Arten, und einzelnen Dinge, und umgekehrt. [83] 3) Bey dem Ort die einzelnen Dinge, und bey den einzelnen Dingen der Ort. 4) Bey dem Ort und der Zeit die Begebenheiten, und bey den Begebenheiten der Ort und die Zeit. 5) Bey dem Kennzeichen das Bezeichnete, und bey dem Bezeichneten das Kennzeichen. 6) Bey der Ursache die Wirkung, und bey der Wirkung die Ursach; wenn wir nehmlich die Kausalverbindungen durch Erfahrung oder Unterricht kennen; eben so bey einem Korrelat das andere. 7) Begebenheiten und Umstände, sie mögen eine Verbindung mit einander haben, oder nicht, fallen uns zu gleicher Zeit wieder ein, wenn wir sie zu gleicher Zeit selbst erfahren, oder doch zu gleicher Zeit in Gedanken gehabt haben. 8) Wenn mit der sinnlichen oder imaginarischen Vorstellung ein gewisser Gedanke, oder auch eine gewisse, oft nur dunkle Empfindung von dem Zustand unsers Körpers vergesellschaftet ist: so wird die sinnliche, oder imaginarische Vorstellung wieder in das Gedächtniß gerufen, wenn derselbige Gedanke wieder [84] erwacht, oder wenn der Zustand unsers Körpers wieder dieselbige Empfindung erregt. Dies ist die unerkannte Ursache vieler unerwarteter Gedächtnißeinfälle. 9) Die Vorstellung der Hauptidee erinnert uns an die damit verbunden gewesenen Empfindungen oder Gedanken.5 Ich kann den physischen Grund nicht mit Stillschweigen übergehen, den dieser Arzt und Philosoph für das Gesetz der Aehnlichkeit ausfündig gemacht hat. Locke und Mallebranche kanten dieses Gesetz noch nicht, und eben deswegen konten sie auch nicht auf physische Erklärungen desselben denken. Bonnet hohlt den Schlüssel dazu auf einem sehr ungewissen Weg, aus der nähern Lokalverknüpfung der Bündel von Fibern im Gehirn, die zur Erweckung ähnlicher Ideen erforderlich sind.6 Einen ganz andern Grund sucht Plattner auf. Aehnliche Objekte sind solche, welche entweder ganz, oder in einigen Theilen ähnliche innere Impressionen, oder folg[85]lich ähnliche Bewegungen des Nervensaftes erregen. Nun aber ist erweislich, daß Bewegungen, zu welchen eine Maschine schon vorbereitet ist, durch ähnliche Bewegungen erregt werden. Also macht die aus einem ähnlichen Eindruck entstandene Bewegung des Nervensaf5
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P l a t t n e r s Anthropologie für Aerzte und Weltweise. T h . I. §. 439. – Durch einige Zusätze z. E. bey N u m 6. weicht Hr. Pl. den Erinnerungen geschikt aus, die ich gegen einige Gesetze, die H o m e angenommen, gemacht habe. Essai Analytique §. 86.
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tes, daß dadurch andere ähnliche Bewegungen, zu welchen das Gehirn durch die Gedächtnißimpression schon vorbereitet ist, erregt werden.7 – Diese Hypothese, die im Grund mit der M a l leb ra nc hi sc he n über das Physische der Koexistenz der Ideen sehr viel Aehnliches hat, möchte vielleicht den Einwürfen H al le rs ganz ausweichen, der Ho o k’s, H art ley’ s und B o nne ts mechanische Erklärungsarten deswegen ausstreicht, weil die Anatomie von ihren Voraussetzungen nichts wisse.8 Meine Leser werden durch diese historischen Beyträge in den Stand gesetzt seyn, selber über den Grund oder Ungrund der angeblichen Associationsgesetze zu urtheilen, die nach der Geschichte von den Philosophen vestgesetzt worden sind. Solte ich zu befürchten haben, [86] Jemanden im Urtheil vorzugreifen: so würde ich nicht mit einem einzigen Wort Dogmatiker seyn. Da ich aber gelegentlich meine Anmerkungen über die mehresten Gedanken der Philosophen über die Associationsgesetze unsrer Begriffe eingestreuet habe: so will ich kurz das Dogmatische Resultat dieser Geschichte angeben. Zwey Gesetze, scheint es mir, seyen für die Association unsrer Ideen gefunden, die in der menschlichen Natur Grund haben. Das Gesetz der K oex is ten z, das M a l leb ra nc he bekannt machte, und das Gesetz der A eh n l ic h kei t der Idee n, das der deu tsc he P hi l o s o p h zuerst bemerkte, und Hum e deutlicher auseinander setzte. Für die Association unsrer innern Empfindungen und Leidenschaften könte man mit Recht noch ein dr itte s Gesetz vestsetzen, dessen Hauptstücke schon Ma l leb ra nc he vorgelegt hat, ich meyne, das Ges et z d er p hys isc he n Ver b i nd un g u nse rer in ne rer Org an e n. Aus diesem Gesetz läßt sich allein erklären, wie es kömmt, daß uns eine Trauermusik bis zur tiefsten Bestürzung niederschlagen kann, selbst, wenn wir das Trauerstück nie mit einem traurigen Gegenstand zusammen empfunden, und da auch Töne und Leidenschaften [87] nichts Aehnliches mit einander haben? Gerade diejenigen zärtlichen Präambula bey Kirchenmusiken setzen uns am meisten in Bewegung, die wir nicht mehr gehört haben. Wahrscheinlich hat daher in diesem Fall die Natur selbst die Organen der Leidenschaften mit den Gehörorganen so miteinander verknüpfet, daß die letztern auf eine bestimmte Weise nicht bewegt werden können, ohne daß die ersteren zugleich mit erschüttert würden.9 Ueberhaupt haben die Leidenschaften so sehr viel Eigenes, daß sich mit Grund vermuthen läßt, daß sie auch eigne Associationsgesetze haben. Ihre Wirkungen auf die äusseren Theile des Körpers sind insbesondere so sehr sichtbar, daß man annehmen kann, daß auch die inneren Organen, die durch sie bewegt werden, viel Eigenes haben müssen. Sie offenbahren sich durch Erstarrung der Nerven [88] und der Muskeln, und erzeugen Konvulsionen im ganzen Körper. Sie betäuben die inneren Organen des vernünftigen Denkens. Eine jede angenehme und unangenehme Empfindung, so bald sie heftig wird, hat ihren eigenen natürlichen Ausdruck in den äusseren Theilen des Körpers, und besonders in dem sanften oder wilden Blick des Auges, und 7 8 9
P l a t t n e r s Anthropologie. T h . I. §. 442. Halleri Element. Physiol. Lib. XVII. Sect. 1. § 8. Siehe Herrn Prof. M e i n e r s Abriß der Psychologie. S. 38. Der Zusatz: »Diese drey Gesetze der Association der Ideen, nehmlich der Koexistenz der Ideen, ihrer Aehnlichkeit, und der organischen Verbindung gewisser Fibern, sind durch Induktion entdekt, die vielleicht noch nicht untrügliche ist.« – beweiset auch, daß H u m e’ s Vermuthung über die genaue Anzahl der Associationsgesetze nicht ungegründet sey.
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in der eigenthümlichen angenehmen oder unangenehmen Verziehung der Muskeln des Gesichts. So wie diese natürliche Minen und Geberdensprache einzelner Leidenschaften von einander verschieden ist: eben so ist der Ausdruck der verschiedenen Leidenschaften in der artikulirten Sprache verschieden. Einige derselben sind ganz stumm; andere geschwäzzig; einige reden eine ungekünstelte und sanfte; andere eine kühne, bilderreiche, körnigte, kraftvolle Sprache.10 Noch mehr: Oft wekt eine Leidenschaft die andere auf, und wir sind gar nicht im Stand die Art anzugeben, wie sie miteinander verbunden gewesen. Weder haben sie jemahls zusammen existirt, noch haben sie etwas Aehnliches mit einander. Wahr ist es, daß die Musik die Stimmen der Leidenschaften, des [89] Kummers, der Freude, der Liebe, des Zorns u. s. w. nachahmt, und uns dadurch entweder dieselbe Leidenschaften einflösset, oder in ähnliche Gemüthsverfassungen versetzet. Die Leidenschaften, sagt Sm ith, sind ihrer Natur nach mehrentheils musikalisch. Ihre natürlichen Töne sind sanft, deutlich und melodisch. Sie drücken sich natürlich in Perioden aus, die sich durch regelmässige Pausen unterscheiden, und eben deswegen sich zu der regelmässigen Wiederkehr der übereinstimmenden Töne in einem Stück sehr gut passen. Aus dieser Bemerkung liesse sich die Erfahrung, die ich kurz vorher berührte, sehr befriedigend erklären; wie es nehmlich geschehen kann, daß eine Musik uns gewisse Leidenschaften einflösset, da doch Töne und Leidenschaften keine Aehnlichkeit haben. Allerdings ist die Musik in vielen Fällen der Ausdruck der Leidenschaften und ihre Sprache. Sie ist die Schilderung leidenschaftlicher Aeusserungen, und wekt daher mehrentheils die Leidenschaften nach dem Gesetz der Aehnlichkeit und der Koexistenz auf. Aber die Leidenschaften lassen sich bey weitem nicht alle durch Töne musikalischer Instrumente ausdrücken, so wenig sie sich alle durch Sprache karakteristisch genug schildern lassen. Das Koncert, das gänzlich in Nachahmungen des Hasses [90] und des Zorns bestünde, würde ein seltsames Koncert seyn. – Man kann daher mit grosser Wahrscheinlichkeit die physische Verbindung der Organen der Leidenschaften, als ein Associationsgesetz bey solchen Erfahrungen ansehen, die sich aus den andern beyden nicht erklären lassen.11 [91] Dieses Gesetz wird denen Philosophen sich um so vielmehr empfehlen, die die Sprache von den Organen der Leidenschaften, des Verstandes und der Vernunft vertragen können, die es wissen, daß alle unsre Seelenkräfte nichts als Anspannungen und Anstrengungen gewisser Organen des Gehirns, und daß Ideen, Urtheile und Schlüsse nichts, als die Resultate aus diesen Veränderungen und Anstrengungen der inneren Organen sind. – Ich will in der folgenden Ab10 11
S. Hrn. S u l z e r s allgemeine Theorie der schönen Künste. Artikel: L e i d e n s c h a f t e n. Man darf überhaupt nicht erwarten, daß sich in allen Fällen die Ideen nach den genannten Associationsgesetzen ohne alle Ausnahme aufwecken solten. So bald die Fibern mit Associationen überladen sind: so bald wecken sich Ideen, die nach dem Gesetz der Koexistenz und der Aehnlichkeit verbunden seyn müsten, nicht mehr auf. Der Briefträger, den wir an so unzehlich viele Personen Briefe abgeben gesehen haben, kann unmöglich alle Ideen von jenen Personen in uns rege machen. Eben so verhält es sich mit der Verbindungspartikel, u n d, und mit der Kopula in den Sätzen, i s t. Nie wird uns die ungeheure Menge von Sätzen und Ideen beyfallen, mit welchen diese alle Augenblicke vorkommende Wörter verbunden gewesen sind, wenn wir auch alle Mühe auf die Aufsuchung ihrer Associationen eines einzigen Tages wenden wolten. Denn es scheint, als wenn die Fibern, in welchen solche gangbare Ideen liegen, letztlich durch Ueberladung mit Associationen, gelähmet werden müssen, gerade wie ein äusseres Organ durch den Ueberfluß an Blut, wenn es die Gefässe zerreißt, gelähmt wird.
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handlung einige von diesen Gedanken weiter fortführen, die ich meinen Lesern so gleich vorlegen will.
Anhang über den Unterschied associirter und zusammengesetzter Begriffe, und der Ideenreyhen. [93]
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[94] In all compositions of genius it is requisite, that the writer have some plan or object; and
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though he may be hurried from this plan by the vehemence of thought, as in an ode, or drop it carelesly, as in an epistle or essay, there must appear some aim or intention, in his first setting out, if not in the composition of the whole work. A production without a design would resemble more the ravings of madman, than the sober efforts of genius and learning. HUME. [95] Man darf auf die Beschaffenheit seiner eignen Empfindungen und Vorstellungen nur mit-
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telmässig aufmerksam seyn: so wird man bemerken, daß so wohl Sensationen und Empfindungen, als auch die Reste derselben, das heißt, die Begriffe oder Vorstellungen, die wir vermittelst der Empfindungen überkommen, auf eine mannigfaltige Weise von einander verschieden sind.12 Dieser Verschiedenheit wegen hat [96] man unsre mannigfaltigen Empfindungen und Begriffe schon längst in den Schulen in gewisse Klassen geordnet, und sie mit eignen Nahmen bezeichnet. 12
Darf ich meine Leser vorläufig bitten auf die bestimmten Bedeutungen Acht zu geben, die ich den Worten, S e n s a t i o n, E m p f i n d u n g und V o r s t e l l u n g gebe. S e n s a t i o n e n nenne ich alle angenehme, unangenehmer und gleichgültige Eindrücke äusserer Gegenstände auf unsre drey gröberen Sinne. E m p f i n d u n g hat die Bedeutung, die die Franzosen mit dem Wort Sentiment verknüpfen, nehmlich die Aufnahme angenehmer und unangenehmer Eindrücke, die wir durch die beyden feinern Sinne, Auge [96] und Ohr erhalten. Die angenehmen und unangenehmen Veränderungen der Organen des innern Sinnes werden i n n e r e E m p f i n d u n g e n genannt: so wie die gleichgültigen Modifikationen dieser inneren Organen, i n n e r e G e f ü h l e genannt werden. Man siehet indessen gewöhnlich auch die beyden edleren äusseren Sinne als Quellen innerer Empfindungen an, und das zwar um mehrerer Vorzüge willen, die sie vor den Modifikationen der drey gröberen Sinnen haben. Daraus erhellet, was angenehme und unangenehme Sensationen und Empfindungen heissen. Die Reste gehabter Sensationen und Empfindungen der äusseren, und die Spuren von den Erschütterungen der inneren Sinne heissen V o r s t e l l u n g e n, B e g r i f f e, I d e e n, G e d a n k e n. Dieses sind, wie mich deucht, die richtigen Bedeutungen, die man diesen Worten geben solte, wenn sie etwas bestimmtes bezeichnen sollen. Allein man pflegt diese Genauigkeit besonders mit dem Ausdruck E m p f i n d u n g nicht zu beobachten, und deswegen muste ich hierinnen, um nicht zum Mißverstand Anlaß zu geben, häufig dieses Wort in der Bedeutung nehmen, in welcher man allen unsern Nerven das Vermögen zu empfinden, zuschreibt.
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[97] Man redet von reinen und von vermischten Empfindungen, indem man auf den Umstand
siehet, ob die Empfindungen entweder durchaus mit Vergnügen ohne Zusatz von Schmerz oder durchaus mit Mißvergnügen ohne alle Beymischung von Vergnügen vergesellschaftet; oder aber, ob sie zu gleicher Zeit von merklichen Graden der Lust und der Unlust begleitet werden. Die letztern aus Schmerz und Vergnügen zusammengesetzte Empfindungen werden v erm i sch te genannt; so wie jene entweder durchaus angenehme, oder durchaus unangenehme Empfindungen rei ne Empfindungen heissen. Man hat erst in den neuern Zeiten über die Realität dieser Klassification unserer Empfindungen nachgedacht, und man fand bald, daß sie auf die menschlichen Empfindungen gar nicht anwendbar sey. Die Empfindungen überhaupt können im strengsten Verstand in reine und vermischte eingetheilt werden, aber nicht die Empfindungen der Menschen. Es kann höhere Wesen geben, und es ist gewis, daß die Gottheit ein solches Wesen ist, die ganz reiner und unvermischter Empfindungen fähig sind. Allein nichts ist gewisser, als daß endliche Wesen, so bald sie es wissen, daß sie eingeschränkt sind, nimmermehr ganz reine [98] Empfindungen sowohl von Vergnügen, als von Schmerz haben können. Am allerwenigsten läßt sich vom Menschen, einem in Rücksicht auf seine Empfindungen so ausserordentlich vermischten Wesen, dessen Nerven bald von Lust, bald von Unlust angeschlagen werden, behaupten, daß er ganz reiner Empfindungen fähig sey. Nur Wesen, die die ganze Zeit ihres Daseyns über keine einzige unangenehme Empfindung gehabt haben, sind zu ganz reinen angenehmen, und Wesen, die von keiner einzigen angenehmen Empfindungen je aufgeheitert worden, sind zu ganz reinen unangenehmen Empfindungen geschikt. Ausser diesem Fall ist nur noch ein einziger, in welchem man annehmen kann, daß Wesen die des Vergnügens und des Mißvergnügens fähig, und die während ihrer Existenz auch häufig, sowohl vom Vergnügen als auch vom Mißvergnügen gerührt worden sind, dem ohngeachtet ganz ungemischte Freuden oder Schmerzen empfinden können, nehmlich, wenn diese Wesen kein Gedächtniß und keine Erinnerung haben. Man denke sich den Fall, daß ein Wesen in diesem Augenblick das vollkommenste Vergnügen geniesse: so kann es im künftigen Augenblick von einem eben so unvermischten Mißvergnügen erschüttert werden, woferne es mit jedem Augenblick seine gehabte Em[99]pfindung so vergißt, daß es sich derselben in seinem ganzen Leben nicht mehr erinnern kann. Unter keinen andern Umständen ist eine reine Empfindung, sie mag angenehm oder unangenehm seyn, gedenkbar. Menschen insbesondere sind, so lange sie Menschen sind, keiner reinen Wollust; so wie keiner ungemischten Unlust fähig. Denn keine einzige Empfindung, wir mögen sie auf einem Weg erhalten, auf welchem wir wollen, kann so ganz abgerissen uns zugeführt werden, daß sie nicht andre schon gehabte Empfindungen aufwecken müste. Es kann sich nach den Gesetzen der Association der Ideen, unsern Empfindungswerkzeugen keine einzige Empfindung ganz isolirt einverleiben, so daß sie sich mit keiner einzigen schon gehabten Empfindung verbinden, und sie aufwecken sollte. Wäre das Gegentheil möglich: so müsten folgende Bedingungen eintreten. Er st l ich müsten in dem Augenblick, da wir eine neue Empfindung erhalten, keine Reste gehabter Empfindungen in unserm Gehirn vorhanden seyn, oder welches einerley ist, wir müsten kein Gedächtniß haben, weil sich sonst die neue Empfindung, nach dem Gesetz der Koexistenz, mit derjenigen, die sie eben vorräthig findet, associiren müste. Aber [100] diese vorgefundene Empfindung, an welche sich die neue hinzukommende anschließt, kann eine ange-
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nehme Empfindung seyn, wenn die neue eine unangenehme ist; oder sie kann eine unangenehme seyn, wenn die neue angenehm ist. In beyden Fällen wird die neue Empfindung durch die nach dem Gesetz der Koexistenz mit ihr verbundene alte modificirt, so daß sie im ersten Fall nicht ganz unangenehm, und im letzten nicht ganz angenehm ist. War hingegen die alte Empfindung ganz angenehm, oder unangenehm, und die neue angenehme schließt sich an eine alte angenehme, und die neue unangenehme, an die alte unangenehme an: so muß die neue Empfindung doch immer vermischt seyn, weil die vorhergehende Empfindung nicht völlig in dem Grad angenehm oder unangenehm seyn kann, in welchem es die neue ist. Z weyte ns die neue Empfindung dürfte mit keiner vormahligen die geringste Aehnlichkeit haben, weil sie sonst nach dem zweyten Gesetz der Association, die ehemalige ähnliche rege machen würde. – Diese beyden Bedingungen können, so lange der Mensch Gedächtniß hat, sich nie zusammen finden, und man muß daher als eine allgemeine Erfahrung annehmen, daß ein jeder neuer Eindruck, den wir mit Bewustseyn empfinden, uns, wenigstens [101] auf eine dunkle Art, müsse fühlen lassen, daß, und was wir ehemahls empfunden. Gesetzt also, eine neue Empfindung sey völlig rein und unvermischt: so muß sie gleich vermischt werden, wenn sie zum Bewustseyn kömmt, wegen der unzertrennlichen Verknüpfung, in welcher gegenwärtige mit vergangenen dunkeln und klaren Empfindungen und Vorstellungen stehen. Hieraus ergiebt sich so viel, daß die Eintheilung menschlicher Empfindungen in reine und in vermischte ganz ungegründet sey. Will man sie beybehalten: so muß man diesen Ausdrücken eine mehr nachlassende Bedeutung geben. Man kann mit den neuern Weltweisen diejenige Empfindung eine reine Empfindung nennen, bey welcher der Zusatz von den rege gemachten Nebenempfindungen, so unbemerkbar ist, daß er unserm Bewustseyn fast gänzlich entwischt. Eine grössere Bemerkbarkeit der fremdartigen Ingredienzen unserer Empfindungen würde die vermischten Empfindungen bestimmen.13 [102] Sehr viel Aehnliches mit dieser Eintheilung unserer Empfindungen und Vorstellungen, hat eine andere, nach welcher sie in einfache und in zusammengesetzte abgetheilt werden. L o c ke sahe vornehmlich auf dieser Abtheilung hin, er handelte sie besser ab, als irgend ein Philosoph vor ihm, und lieferte unter diesem Titel einige der schätzbarsten Arbeiten seines ganzen Werks. Allein so vortreflich auch die Abschnitte des zweyten Buchs seines Ve rsuc h s [103] ü ber de n men sc h l iche n V ers ta nd durchgängig sind: so wenig wird ihm doch irgend ein Philosoph gerade in der Stelle Recht geben, in welcher er das Resultat seiner Untersuchungen angiebt. Er will auf acht einfache Ideen alle unsere zusammengesetzte Begriffe zurückführen,
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Die Frage: Ob der Mensch reiner und unvermischter Empfindungen fähig sey, ist besonders in den neuern Zeiten durch die Anwendung der Verneinung derselben, die Hr. L e ß i n g auf die Beschaffenheit des Zustandes [102] der Glückseeligkeit unserer Seele nach dem Tode gemacht hat, merkwürdig geworden. Vor ihm, und gröstentheils auch nach ihm, behauptet das ganze Geschlecht der Gottesgelehrten, daß der Zustand der Seeligen im künftigen Leben ein Zustand reiner Glückseeligkeit und ungemischter Wollust sey, sowie der Zustand der unglücklichen Gottlosen ein Zustand der ungemischten Pein und Quaal seyn würde. Hr. L e ß i n g zeigte unwidersprechlich, daß nach der Natur unsrer Seele eine Empfindung bis auf ihre feinsten Bestandtheile unmöglich weder durchaus angenehm, noch durchaus unangenehm seyn könne. Im strengsten Verstand wird daher der Seelige im Himmel noch immer seine Hölle, und der Verdammte in der Hölle noch immer seinen Himmel haben. Freylich werden die unangenehmen Empfindungen des Gerechten bey der Wonne des Himmels immer fast
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und behauptet, daß die Ideen von A usd eh nu n g, Solid ität, Mobilität, (das Vermögen bewegt zu werden,) Perce pt i vi tä t, (das Vermögen gewahr zu nehmen und zu denken,) Mo t i v i tä t, (das Vermögen zu bewegen,) Ex is ten z, Da uer, Za h l, die originellen Ideen seyen, aus denen alle übrigen zusammengesetzt sind.14 Allein diese Begriffe sind bey weitem weder Grund noch einfache Begriffe. Die Metaphysiker können von den mehresten derselben Definitionen geben, in die sich kein einfacher Begrif fassen läßt, und nur wenige von unsern zusammengesetzten Ideen bestehen aus denen Begriffen, die L oc ke aufzählt. Richtig ist es, daß alle benannten Begriffe abstrakte Ideen sind, und daß L oc ke hier einmahl um seinen gewöhnlichen Scharfsinn gekommen, indem er offenbahr abstrakte und einfache Begriffe mit einander verwechselt. Diese Stelle ist indessen eine Hauptstelle im [104] ganzen L ock i sc he n V ers uch, die seine Leser in Irrthum geführt hat.15 Die Eintheilung unserer Empfindungen und Begriffe in einfache und zusammengesetzte hat mehrern Philosophen eben so ungegründet geschienen, als jene in reine und in vermischte. Es ist nicht zu läugnen, daß sich besonders in Absicht auf die Empfindungen bey dieser Eintheilung sehr viele Bedenklichkeiten finden müssen, so bald die Begriffe nicht [105] genau bestimmt werden. Keine andere Bedeutung läßt sich realisiren, als diejenige, die schon den Ausdrücken selbst anklebt. E i nfa c h ist eine E m p f ind u n g, in welcher sich gar nichts Mannigfaltiges unterscheiden, und die sich eben deswegen nicht in einfachere Empfindungen zerlegen läßt. Von dieser Art sind alle Eindrücke einfacher Farben, alle eintönichte Schälle, alle ungemischten Gerüche und Gouts, und die unbeschreibbaren Eindrücke äusserer Körper auf den Takt. Daher ist es zur Erzeugung einer einfachen Empfindung gar nicht nothwendig, daß die Objekte, die diese Empfindung erzeugen, selbst einfach, oder durchaus gleichartig seyn müssen. Es ist genug, wenn wir nur nichts Ungleichartiges in den Empfindungen dieser Art wahrnehmen. So bald aber ein Gegenstand heterogene Eindrücke auf uns macht: so bald haben wir eine zu s amme nge set zte Em p fi ndu n g, in welcher das Ungleichartige auseinander gelegt, und der ganze Klumpen der Empfindung in einfachere Bestandtheile aufgelöset werden kann. Aber gerade dieser Umstand war die Ursache, um welcher Willen sehr viele Philosophen diese Abtheilung unserer Empfindungen verworfen haben. Man stellte sich nehmlich [106] vor, daß einfache Empfindungen von ganz einfachen Gegenständen erzeugt werden müsten. Eine Voraussetzung, die offenbahr mit der Natur unserer Empfindungen streitet, und durch welche diese ganze Eintheilung verdächtigt werden müste.
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unbemerkbar, und die Freuden in der Hölle sehr wenig dichterisch seyn. S. L e ß i n g s Beyträge zur Geschichte und Litteratur. Livr. II. Chap. 21. §. 73. Ich kann mich nicht sehr irren, wenn ich behaupte, daß L o c k e gewissermaassen selbst Schuld war, daß ihn P r i e s t l e y, im dritten Versuch zu seiner neuen Ausgabe des H a r t l e y, zu widerlegen unternahm. P r i e s t l e y hat L o c k e n gewiß nicht verstanden, indem er allgemeine und abstrakte Begriffe mit L o c k e’ s Reflexionsideen verwechselte, und nun richtig beweiset, daß die Quelle der mehresten abstrakten Begriffe die äussern Sinne seyen. Das hat L o c k e selbst nie geläugnet: aber wahrscheinlich hat er auch P r i e s t l e y durch jene Stelle verführt. Man sehe David Hartley’s Theorie of the human mind; with Essays relating to the subject of it, by Jos. Priestley. Essay 3. – Ich habe gefunden, daß auch Hr. L a m b e r t in diesem Stück L o c k e n genau folgt. Ob die Konklusion im § 36 u. 68 der A l e t h i o l o g i e in Herrn L a m b e r t s n e u e n O r g a n o n, aus den Prämissen folge, mag ein jeder von seinen Lesern beurtheilen.
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Wir können nichts als Individua in der Natur empfinden, Gegenstände, die in allen ihren Verhältnissen und Eigenschaften durchaus bestimmt sind. Diese unzählige Bestimmungen und Merkmahle, die einem jeden einzelnen Ding, das wir empfinden können, ganz eigenthümlich und ausschliessungsweise zukommen, können da, wenn wir sie empfinden, nicht anders, als sehr zusammengesetzte Eindrücke und Vorstellungen erzeugen. Ja, wir haben fast in keinem einzigen Fall eine vollständige, durch eine Empfindung hervorgebrachte Vorstellung von einem individuellen Ding. Bald fassen wir mehr, bald weniger von den unzähligen Eigenheiten eines Individuums bey unserer Empfindung desselben in unserer Vorstellung zusammen. Bald heben wir mit Vorsatz nur ein einziges Merkmahl eines Dinges heraus, das sich unsern Empfindungswerkzeugen darlegt. Aber auch dieses einzelne Merkmahl kann nicht eine ganz untheilbare Empfindung in uns erwecken, weil wir es durch unsre Sinne wahrnehmen, die keine Mo[107]nade empfinden können. Und wenn auch diese Absonderung einer einzigen Beschaffenheit des Dinges eine schlechterdings einfache Vorstellung veranlassen könte: so wäre es nicht mehr Empfindung, sondern Abstraktionen, da die Seele ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Betrachtung dieses einzigen Merkmahls der Sache koncentrirt, und sie von allen übrigen Beziehungen des Gegenstandes theils auf andere Gegenstände, theils auf die mehrern Karaktere und Bestimmungen desselbigen Gegenstandes abwendet. Daher muß eine jede Empfindung, die sich bis in die Organen des Gehirns fortpflanzen kann, eine zusammengesetzte Vorstellung bilden.16 [108] Gegen diesen wichtigen Einwurf schützt jene Einschränkung hinlänglich, daß es zu einer einfachen Empfindung zureiche, wenn wir in derselben, und in den Spuren, die sie ins Gehirn zeichnet, oder in den einfachen Ideen, nichts Mannigfaltiges zu unterscheiden im Stand sind. Man giebt also gerne zu, daß diejenigen Thiere, die feinere und schärfere Sinnen haben, als wir, selbst in denen Empfindungen der Farben, Töne, Gerüche, [109] Gouts, und Takte, die wir für einfache Empfindungen halten, Mannigfaltigkeiten und heterogene Eigenschaften wahrnehmen können; so wie andere Thierarten, die mit mehrern Sinnen versehen sind, als der Mensch, Eigenschaften in der Natur wahrnehmen werden, die wir durch keinen einzigen unse-
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Diese Bedenklichkeiten bewogen unter andern einen neuern Schriftsteller vor die Eintheilung unserer Empfindungen in einfacher und zusammengesetzte die Eintheilung derselben in e i n a r t i g e und v i e l a r t i g e vorzuschlagen, weil jene Benennung bey Unwissenden leicht den Irrthum veranlassen könnte, daß es Empfindungen gebe, die in einer einzigen einfachen Vorstellung bestünden. – Allein man kann mit Recht allemahl voraussetzen, daß diejenigen, die sich eine philosophische Schrift, in welcher von einfachen und von zusammengesetzten Empfindungen und Vorstellungen die Rede ist, zu lesen vornehmen, den eingeführten Sprachgebrauch, und die Bedeutung desselben kennen werden. Und [108] dann scheint die Eintheilung der Empfindungen in einartige und vielartige doch in keiner andern Bedeutung reell zu seyn, als in welcher ich den Sinn der Ausdrücke von einfachen und zusammengesetzten Empfindungen festgesetzt habe. Denn wahrscheinlicher Weise gibt es in der ganzen empfindbaren Natur keinen einzigen Gegenstand, der aus ganz gleichartigen Theilen bestehen, und daher ganz gleichartige und unvermischte Empfindungen hervorbringen könnte. Immer bleibt daher, wenn man auch die neue Abtheilung jener unterschieben wollte, der einzige richtige Abtheilungsgrund derjenige, nach welchem es nicht auf die eigenthümliche Beschaffenheit der Empfindungen an sich, sondern blos auf unsere Fähigkeit ankömmt, Mannigfaltigkeiten in denselben zu unterscheiden, oder keine mannigfaltige Mischung in ihnen wahrzunehmen. Man sehe: d i e E m p f i n d u n g s- u n d E r k e n n t n i ß k r a f t d e r m e n s c h l i c h e n S e e l e etc. von J . H . C a m p e, Leipzig 1776. S. 22.
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rer Sinnen zu entdecken, und folglich auch keine Empfindung von ihnen zu haben im Stand sind.17 [110] Zweifelhaft ist es auch, ob es nicht schon Individuen aus unserm Geschlecht giebt, die da zusammengesetzte Empfindungen haben, wo der grössere Theil von Menschen gar nichts Mannigfaltiges zu empfinden glaubt. Jene Entzündungen der Augen, die die Empfindlichkeit der Sehnerven so ausserordentlich [111] vermehren, und sehr viele Arten von hitzigen Krankheiten, in welchen durch die Kränklichkeit der Nerven diese Empfindungswerkzeuge in so hohen Grad empfindlich werden, könnten vieleicht alle Arten von einfachen Empfindungen in zusammengesetzte verwandeln. Hier hat der Psycholog die Hülfe des Arztes und seine Beobachtungen nöthig, die bisher aus dieser Rücksicht nicht in einer zureichenden Anzahl gemacht worden sind, daß man hier etwas Allgemeines behaupten könnte. Die vorräthigen Erfahrungen, die die Heilungskunst hierüber gemacht hat, sind zu dieser Absicht gar nicht zu gebrauchen, weil sie an unwissenden Personen gemacht worden sind, die weder wissen konten, was Empfindung, noch was einfache und zusammengesetzte Empfindung bedeute. Nur Erfahrungen an gelehrten und aufgeklärten Männern könten hierinnen den Aufschluß geben, den ich erwarte. Wahrscheinlich würden diese durch die Entzündung ihrer Sehenerven eben die Phänomene an einzelnen Farben wahrnehmen, die Ne wt o ns Prisma am ganzen Lichtstrahl hervorbringt. Sie würden z. B. diejenigen Farben, die wir für einfache Grundfarben halten, blos durch die erhöhete Empfindlichkeit ihrer Empfindungswerkzeuge eben so theilen, wie Ne wt on [112] durch sein Prisma den vollen Lichtstrahl in sieben Theile zerlegte. Das Rothe, Blaue u. s. w. das in uns ganz einfache Empfindungen hervorbringt, würde er vermischt finden, und seine einfachern Eigenschaften angeben können.18 17
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Sehr deutlich legt M. M o n t a g n e seine Vermuthung über diesen letzten Satz, den heute alle Philosophen annehmen, vor. Er sagt: »La premiére considération, que j’ay sur le subject des Sens, est que je mets en doute que l’Homme soit pourveu de tous sens naturels. Je voy plusieurs animaux qui vivent une vie entiére & parfaicte, les uns sans la veue, autres sans l’ouye: qui sçait si à nous aussi il ne manque pas encore un, deux, trois, & plusieurs autres Sens? Car s’il en manque quelqu’un, nostre discours n’en peut descouvrir le défaut. C’est le privilége des Sens, d’estre l’extresme borne de nostre appercevance: il n’y a rien audelá d’eux, qui nous puisse servir à les descouvrir: voire ny l’un des Sens ne peut descouvrir l’autre. An poterunt oculos Aures reprehendere, an Aures Tactus, an hunc porro tactum Sapor arguet oris, An cunfutabunt Nares, Oculive revincent? [110] Ils sont trestous la ligne extresme de nostre Faculté. – Que sçait-on, si les difficultez que nous trouvons en plusieurs ouvrages de Nature, viennent du défaut de quelques Sens? & si plusieurs effects des animaux qui excédent nostre capacité, sont produicts par la faculté de quelque Sens que nous ayons à dire; & si aucuns d’entr’eux on tune vie plus pleine par ce moyen, & plus entiére que la nostre? Nous saisissons la pomme quasi par tous nos Sens: nous y trouverons de la rougeur, de la polisseure, de l’odeur & de la douceur: outre cela elle peut avoir d’autres vertus, comme d’asseicher ou restraindre, auxquelles nous n’avons point de Sens qui se puisse rapporter. Les propriétez que nous appellons occultes en plusieurs choses, comme, à l’aymant d’attirer le Fer, n’est·il pas vray-semblable qu’il y a des facultez sensitives en nature propres à les juger & à les apercevoir, & que le défaut de telles facultez nous apporte l’ignorance de la vraye essence de telles choses?« ESSAIS, Tom. II. Liv. II. Chap. XII. pag. 562. & 565. Edit. de la Haye 1727. M a l l e b r a n c h e hat einen mit dem meinigen in etwas verwandten Gedanken, ob er gleich eine ganz andere Wendung bey ihm hat. Er meinet, daß mehrere Menschen von denselbigen sinnlichen Gegenständen verschiedene Empfindungen und Vorstellungen haben könnten, so daß z. E. dasjenige Ob-
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[113] Dasjenige, wovon wir keine Definition zu geben im Stand sind, würde ein solcher Mann
beschreiben können, indem er die mannigfaltigen Ingredienzen, und das Gemeinschaftliche in dem uns einfach scheinenden Eindruck bestimmen würde. Durch diese Analyse würde [114] man solchen Personen, die entweder desjenigen Sinnes, wodurch uns jetzt eine gewisse Art von einfachen Empfindungen zugeführt wird, gänzlich beraubet sind, oder die doch wenigstens eine solche uns einfach scheinende Empfindung noch nie gehabt haben, durch Definition und Beschreibung diese Empfin[115]dung begreiflich machen können. Jetzt aber sind einfache Empfindungen ganz von der Erfahrung abhängig, und die einfachen Begriffe lassen sich durch keine Definition oder Beschreibung einem andern beybringen. Man muß einfache Farben gesehen, und einfache Töne gehört, und alle übrigen einfachen Eindrücke unmittelbahr selbst empfunden haben, wenn man von ihnen einen Begrif haben will. Da ist kein anderes Mittel zu einfachen Begriffen und Empfindungen zu gelangen, als Selbstsehen, Selbsthören, Selbstempfinden. Denn Beschreibungen bestehen in den Aufzählungen von Mannigfaltigkeiten, die ein gewisses Objekt in sich vereiniget. Aber einfache Sensationen und Empfindungen, und deren Begriffe werden gerade deswegen einfach genannt, weil man in ihnen nichts Mannigfaltiges wahrnimmt. Blinde werden daher nie Theorien von Farben, und Taube nie Theorien der Musik, und Geschmacklose nie Theorien der Kochkunst verfertigen, weil man solche Personen mit den sinnlijekt, das dem Einen blau aussieht, dem Andern grün oder anderfarbigt scheinen könne. Ganz Recht, denn eben deswegen sind unter andern die Ideen von einander unterschieden, weil sich die Empfindungen nach der Beschaffenheit der Organen richten, die Eindrücke empfangen. So wie nun einem Menschen eine Speise angenehm schmekt, die dem andern zuwider ist: so kann durch eine gewisse Beschaffenheit der Nerwen des Auges einem Menschen etwas blau vorkommen, was dem anderen grün oder blau scheint. Wirklich giebt es solche Krankheiten, in denen die Sehenerven sich in diesem Zustand befinden. Und wenn ein gesunder Mensch auf eine solche Art empfinden sollte: so würde er sich den Vorwurf unrecht zu empfinden, oder kranke Organen zu haben, schon deswegen müssen machen lassen, weil seine Art zu empfinden, von der gewöhnli[113]chen ganz und gar abweicht. Ein Beweis, daß unsere Empfindungen den Eigenschaften der Gegenstände gar nicht entsprechen, und daß die Wahrheit unserer Sinnen in diesem Verstand ohne alle Einschränkung geläugnet werden müsse. Das ist es, warum auch M a l l e b r a n c h e diese Anmerkung macht. Nous jugeons que tout le monde a les mêmes sensations des mêmes objets. Nous croyons, p. e. que tout le monde voit le ciel bleu, les prés verds, & tous les objets visibles de la même maniere, que nous les voyons, & ainsi de toutes les autres qualités sensibles des autres sens. Plusieurs personnes s’etonneront de ce que je mets en doute des choses, qu’ils croyent indubitables. Cependant je puis assurer, qu’ils n’ont jamais eu aucune raison d’en juger de la maniere, qu’ils en jugent, & quoique je ne puisse pas demontrer mathematiquement, qu’ils se trompent, je puis toute fois demontrer, que s’ils ne se trompent, c’est le plus grand hazard du monde. – Il se peut faire, que des mouvements semblables des fibres interieurs du nerf optique ne fassent pas avoir à differentes personnes [114] les mêmes sensations, & qu’il peut arriver, que le mouvement, qui causera dans une personne la sensation du bleu, causera celle du verd ou du gris dans une autre, ou même une nouvelle sensation, que personne n’aura jamais eu. De la Recherche de la Verité. Tom. I. p. 179. – Meine Vermuthung hat M a l l e b r a n c h e nicht. Er hat blos den allgemeinen Satz mit mir gemein, daß die sinnlichen Vorstellungen in mehrern Personen verschieden sind. Aus eben diesen Gründen läßt sich die ungezwungene Folge ziehen, daß es viele Eigenschaften in der Körperwelt geben könne, die noch kein Mensch empfunden oder gedacht hat, weil wir die dazu nöthigen Empfindungswerkzeuge nicht besitzen. Ferner, daß es viele Eigenschaften giebt, die die Menschen nur in ganz ausserordentlichen Situationen empfinden können. Diesen Gedanken hegt schon R i d i g e r, wenn er behauptet, daß vornehmlich Menschen im Todeskampf, Dinge entdecken könnten, die man im gewöhnlichen Zustand der Gesundheit nicht entdeckt. Diese Anmerkung braucht er in der Lehre von den Ahndungen sehr vortheilhaft, die er in Schutz nimmt.
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chen Eindrücken der einfachen Farben, der Töne und der Gouts auf keine andere Weise bekannt machen kann, als durch die kurze Anleitung, komm und siehe, höre, schmecke.19 [116] Wenn man mit der Natur seiner Empfindungen nicht bekannt genug ist: so kann man sich leicht einbilden, daß es nur eine ganz kleine Anzahl von einfachen Empfindungen gebe, die uns durch unsere äussern Sinnen beygebracht werden. Allein eine genauere Beobachtung muß einen jeden vom Gegentheil überzeugen, und der Grund dieser Täuschung kann sehr leicht gefunden werden. Man nehme nur die einfachen Empfindungen eines einzigen Sinnes, und man wird ihre ungeheure Anzahl, die alle in einen einzigen Ausdruck eingewickelt sind, sogleich erkennen, wenn man die mehrern Gegenstände, die sie erzeugen, einzeln durchgeht. Rosen, Veilchen, Nelken, Blüthen von verschiedenen Bäumen, und unzählige andere Blumen und Kräuter duften Gerüche aus. Alle diese Gerüche sind wesentlich von einander unterschieden, die Rose riecht nicht wie das Veilchen, und eine jede andere Art von Rosen und Blüthen nicht wie eine andere Art eben derselben Blume und Blüthe, und doch hat man zur Bezeichnung aller möglicher Arten von Gerüchen nur zwey gangbare Ausdrücke, nehmlich angenehme und unangenehme Gerüche. Rosen, Veilchen, Nelken, Blüthen, alles riecht entweder angenehm oder unangenehm. Und doch ist der Geruch der Rose ein eigenthüm[117]licher, von allen andern angenehmen Gerüchen verschiedener Geruch. Um die unaussprechliche Menge von einfachen Gerüchen zu begreifen, müste man daher für den eigenthümlichen Geruch einer jeden Rosenart, so wie für die Arten einer jeden andern Blume eigene Ausdrücke haben. Eben so faßt man unter dem einzigen Ausdruck süß eine sehr grosse Menge von verschiedenen einfachen Empfindungen zusammen. Nicht blos Zucker und Honig sind süß, sondern auch eine Menge von Weinen schmecken alles süße, die vom Geschmack des Zuckers und des Honigs oft ungleich mehr verschieden sind, als die Empfindung des Süßen vom Geschmack, den man sauer nennt, verschieden ist. Für die dem Süßen entgegen gesetzte Empfindungen des Geschmacks hat man schon mehrere eigenthümliche Ausdrücke. Die Wörter, sauer, bitter, herbe, salzigt, sollen alle etwas Eigenthümliches bezeichnen, wenn gleich ihre Bedeutung nicht bestimmt genug ist. Dieser Armuth der Sprachen sollte man mit Recht abzuhelfen suchen. Durch eine Bereicherung derselben würde man zu gleicher Zeit unsere Kenntnisse bereichern, und manchem Irthum ausweichen, dem man ohne [118] diese Bereicherung nicht ausweichen kann. Die Unbequemlichkeiten, die aus dieser Armuth abstammen, nimmt man schon in den gemeinen Geschäften des Lebens wahr. Oft möchte man gerne den Geschmack einer Speise, nach seinen Verhältnissen zum Geschmack anderer Speisen bestimmen. Man sagt: sie schmeckt nicht süß, aber auch nicht sauer, und weiter kann man sich gar nicht belehren. Hätte man hingegen für alle Arten und Grade des Süssen eigne Namen: so wäre diese Belehrung sehr leicht.20 Wenn man nun die Reste gehabter Empfindungen Ideen nennt: so sieht man ohne weitere Erklärung, was einfache Ideen und Begriffe in der Sprache der Philosophen bedeuten. Merkwürdig ist es, daß unsere Begriffe von einfachen Dingen, zu denen wir vermittelst der Abstrak19 20
Locke: De l’entendement humain. Liv. III. Chap. IV. §. 4–11. Dieses sahe L o c k e sehr wohl ein. Er hält es daher nach Liv. II. Chap. III. §. 4. weder für nöthig, noch für möglich, alle einfachen Ideen, die die verschiedenen Objekte in unsern Sinnen erzeugen, aufzuzählen. In der Folge aber scheint er vergessen zu haben, daß er auf diese Aufzählung Verzicht gethan hatte. Man vergleiche Liv. II. Chap. XXI. §. 73.
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tion gelangen, zusammengesetzte Begriffe sind. Von dieser Art sind unsere abstrakten Begriffe von Gott, und Geist. [119] Man könte, wenn man dieses bedenkt, leicht gegen die abstrakten Begriffe einfacher Gegenstände mißtrauisch werden, weil diese Begriffe den Gegenständen, von denen sie Begriffe seyn sollen, gar nicht zu entsprechen scheinen. Allein, wenn man in der Zergliederung dererjenigen Begriffe, die von einfachen Gegenständen abgezogen werden, nur einen Schritt zurückgeht: so findet man, daß sich die mehreren Karaktere in den abgezogenen Begriffen von einfachen Gegenständen in einfache Merkmahle auflösen. Z. B. Der Begriff von Gott, als des allervollkommensten Geistes, bestehet zwar aus mehrern Karakteren. Allein diese Karaktere selbst sind einfache, unbestimmliche Ideen. Denn der Ausdruck Geist zeigt ein denkendes Wesen an, das kein Theil, oder Element der Materie ist. Aber ist nicht das Denken eine einfache Idee, die sich nicht beschreiben läßt? Eine andere Täuschung findet sich noch bey den einfachen Ideen, die eben so wenig bemerkt wird, ohngeachtet sie in den Sprachen selbst eine grosse Unrichtigkeit veranlaßt hat. Wir haben nehmlich von mehrern Gegenständen, die nichts als Negationen sind, einfache, aber positive Begriffe; wenigstens sind alle unsere Sprachen so gebauet, daß sie den grösten Haufen von Menschen, selbst die Ge[120]lehrten, die die Naturlehre nicht gründlich studieret haben, hintergehen; und selbst die geschicktesten Physiker haben anfangs Mühe bey den positiven Ausdrücken, Schatten, Kälte, Schwärze, die Verneinung zu denken, die diese Ausdrücke bezeichnen müssen, wenn sie uns nicht ganz täuschen sollen. Gewis wurden die Erfinder und Fortbilder der Sprachen von den einfachen Empfindungen dieser Art hintergangen, weil sie für Abwesenheiten positive Ausdrücke erfanden; und, daß wir heute verführt werden, haben wir gröstentheils diesen unrichtigen Wörtern zu verdanken. Aus diesen und aus mehrern anderen Gründen läßt sich nicht behaupten, daß alle unsere einfachen Ideen reell seyen. Kranke Personen haben oft eine einfache Empfindung des Geruchs, Geschmacks, Gefühls, Gehörs und des Gesichts, wenn entweder gar keine Gegenstände vorhanden sind, die diese Empfindungen in ihnen erwecken, oder wenn sie zwar Dinge vor sich haben, die aber eine solche Empfindung, wie sie von ihnen haben, nicht erzeugen können. Oft sind die Empfindungswerkzeuge eines Kranken so sehr verdorben, daß die wohlschmeckendeste Speise, die allerunangenehmste Empfindung auf seinen Geschmack hervorbringt. Dieselbigen Dinge und ihre Beschaffenheiten erzeugen daher nicht bestän[121]dig dieselbigen einfachen Empfindungen. Sehr häufig sind die Beschaffenheiten, die wir an den Gegenständen wahrzunehmen glauben, nicht wirklich an ihnen vorhanden. Eben deswegen kann man in keinem erträglichen Verstand, mit L ock e, alle einfache Empfindungen und Ideen reell nennen, weil sie eben so häufig ungegründete Einbildungen sind, wie die zusammengesetzte Begriffe.21 Diese Betrachtungen über die einfachen Begriffe und die obige Beschreibung der zusammengesetzten Empfindungen erklären zu gleicher Zeit den philosophischen Begriff von den zusammengesetzten Ideen. Ohne weitere Zerstückelung dieses leichten Begriffes füge ich einige
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Locke de l’entendement humain Liv. II. Chap. XXX. §. 2. L o c k e selbst giebt die richtige Erklärung von den r e e l l e n I d e e n an. Par idées réelles j’entens celles, qui ont du fondement dans la Nature; qui sont conformes à un etre réel, a l’existence des choses, ou à leurs archétypes. Et j’appelle Idées phantastiques, ou chimeriques celles, qui n’ont point de fondement dans la Nature, ni aucune conformité avec la réalité des choses, auxquelles elles se rapportent tacitement comme à leurs archétypes.
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Anmerkungen über die zusammengesetzten Ideen hinzu, die zur Beantwortung der Haupt[122]frage, auf welche es bey dieser Abhandlung abgesehen ist, dienen sollen. Man kann alle zusammengesetzten Begriffe in zwo Hauptklassen abtheilen. Entweder sind es zusammengesetzte sinnliche Begriffe, die von zusammengesetzten sinnlichen Empfindungen unserer äussern Sinne in unsern Gehirnorganen zurückgeblieben sind; wie z. E. die zusammengesetzte Idee von der Kirche, die ich schon sehr oft vor mir gesehen habe, und die ich mir sehr lebhaft vorstellen kann, wenn ich sie auch in diesem Augenblick nicht ansehe. Oder es sind zusammengesetzte Begriffe, die nicht Reste äusserer sinnlicher Empfindungen sind; sondern, die wir vermittelst einer Operation unseres Verstandes aus einzelnen Empfindungen und Ideen zusammensetzen, und uns willkührlich bilden, z. E. die Idee von einer Armee bey einem Menschen, der noch nie eine Armee gesehen hat. Diese Eintheilung ist allgemeiner, als die L oc k isc he, in welcher nur die letzte Klasse zusammengesetzter Ideen eingeschlossen ist. Lo c ke konnte zwar die erstere Klasse, die ich festgesetzt habe, ohne deswegen unvollständig zu seyn, ganz übergehen, weil bey ihrer Bildung nichts weiter vorgeht, als bey der Bildung einfacher Ideen, die die einfachen Em[123]pfindungen zurücklassen. Eben deswegen bringt er auch alle zusammengesetzte Ideen unter diese drey Rubriken; zusammengesetzte Ideen von Substanzen, von Eigenschaften der Substanzen und von Verhältnissen. Das erste Glied in meiner Eintheilung läßt diese L o c k isc he n Klassen zusammengesetzte Ideen nicht zu, weil Verhältnißideen keine blosse Empfindungsbegriffe seyn können. Verhältnisse sind nichts Reelles in den Dingen, sondern blosse Ideen, die aus der Zusammenhaltung von ein Paar, oder mehrerer Gegenstände entstehen. Dem ohngeachtet verdient bey der ersten Klasse der zusammengesetzten Ideen bemerkt zu werden, daß der größte Theil unserer Empfindungsbegriffe zusammengesetzte Begriffe sind. Dieser Anzahl von sinnlichen Eindrücken, und ihre Reste, die uns durch alle äussere sinnlichen Werkzeuge zugeführt werden, ist bey weitem die gröste, in denen wir heterogene Ingredienzien, mehrere Theile und Mannigfaltigkeiten entdecken können. Wahr ist es, daß die Anzahl unserer einfachen Empfindungen und Begriffe ganz unbestimmlich ist: dem ohngeachtet übersteigt die Menge zusammengesetzter Empfindungen und Ideen jene unendlich. Unsere einfachen Empfindungen und Begriffe sind gröstentheils blos Be[124]griffe von den Eigenschaften der Dinge ausser uns, da hingegen auf der andern Seite fast alle Substanzen allemahl zusammengesetzte Empfindungen in uns hervorbringen. Alle für sich bestehende Gegenstände in der Natur äusseren nehmlich gewöhnlich auf mehrere, als auf einen unserer äussern Sinne ihre Wirkungen. Wir können fast nie einen äusseren Gegenstand durch unser Gefühl erkennen, ohne daß es nicht in unserer Gewalt stehen solte, zu gleicher Zeit unser Gesicht und noch andere Sinnen dabey zu gebrauchen. Wenn wir eine Billardkugel zum erstenmahl in die Hand bekommen: so werden wir es schwerlich unterlassen nicht auch mit den Augen auf die Streifen und die Farbe des Elfenbeins acht zu geben. Der Zucker, der auf unsern Geschmack wirkt, war vorher ein Gegenstand unsers Gesichts. Wir können also in den mehresten Fällen die Individuen in der Natur durch mehr als durch einen unserer äussern Sinnen erkennen, und wenn wir sie wirklich durch mehr, als durch einen von unsern äussern Sinnen empfunden haben: so ist der Begrif, den wir uns davon mache, ein zusammengesetzter Begrif. Aber auch alsdenn wenn Substanzen sich nur einem einzigen von unsern äussern Sinnen darstellen: so sind diese Eindrücke fast nie einfach. Wir sind mehren-
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theils im Stande an ihnen Mannig[125]faltigkeiten zu entdecken, die wir nacheinander aufzählen können. Jenes grosse Gebäude, welches ich jetzt vor mir erblicke, hat mehrere Oefnungen, zu deren einigen, Menschen ein und ausgehen. Ich nehme hervorragende Pfeiler wahr, Gesimse um eine jede Oefnung herum, Ritzen zwischen den Baumaterialien, die Farbe von ihnen, u. s. w. Wie zusammengesetzt ist nicht diese Empfindung eines für sich bestehenden Dinges, durch ein einziges äusserliches Organ? Hier macht das Gehör allein eine kleine Ausnahme. Wir können Töne hören, ohne zugleich die tönende Gegenstände selbst zu sehen, oder zu fühlen, oder durch einen andern Kanal zu empfinden. Da es bey dieser ersten Art von zusammengesetzten Begriffen blos auf die Eindrücke der Gegenstände auf unsere sinnlichen Werkzeuge ankömmt: so muß sich die Vollkommenheit derselben blos nach der Güte unserer Sinnen richten. Je schärfer und feiner daher die Sinnen eines Menschen sind, desto geschickter ist er zur Erhaltung dieser zusammengesetzten Empfindungen, und zum Behalten der zusammengesetzten Begriffe, weil er ganz genau die Mannigfaltigkeiten derer sich seinen Sinnen darstellenden Gegenstände zu bemerken im Stande ist. Hier muß der gelehrteste Mann, wenn er von der Natur stumpfe und grobe Organen erhalten hat, dem sinnlichsten Wil[126]den weichen, weil die Vollständigkeit zusammengesetzter Begriffe von der Güte der Sinnen, ihrer Schärfe, Feinheit und Weitläufigkeit abhängt: Vollkommenheiten, die sich alle bey unkultivirten Nationen durchgängig in einem vorzüglicheren Grade finden, als bey bürgerlichen Menschen.22 [127] Auf der andern Seite ist die richtige Bildung solcher zusammengesetzter Begriffe, die nie das blosse Werk sinnlicher Eindrücke, sondern eigner Geistesarbeiten sind, das ausschliessende Eigenthum des Mannes von Kultur, und das grosse Vorrecht des Gelehrten. Dieses Vermögen vermittelst der Operationen unserer innerer Seelenorganen aus einfachen Begriffen zusammengesetzte zu bilden, nimmt in eben dem Grad zu, in welchem sich unsere Kenntniß der Natur erweitert. Kein physikalischer Laye hat den Begrif vom Donner, den der Naturforscher hat, und kein Fremdling in der Weltweisheit den Begrif von der Sprache, den der Philosoph hat. Der Goldarbeiter weis vom Gold mehr, als daß es gelb, hart und kostbar ist. Er kennt es als ein Metall, das sich ausserordentlich verdünnen und ausdehnen, und in Königswasser auflösen läßt. Dagegen hat der beste spekulative Philosoph wiederum schwerlich den zusammengesetzten Begrif von Land- und Stadtwirthschaft, den der Bauer und der Handwerksmann hat. 22
Wie vielen Einfluß Nebenumstände auf die Bildung zusammengesetzter Begriffe dieser Art haben, erhellet vorzüglich aus den Ideen, in welchen der Begriff von Bewegung in die zusammengesetzte Idee mit eingewickelt ist, so daß dadurch so gar eigne Benennungen nothwendig gemacht worden sind. z. E. Wind, Bach, Fluß. Bloß die zur Idee von Luft hinzugesetzten Idee von Bewegung gab den Ausdruck, Wind; und die zur Idee des Wassers hinzugethane Nebenidee von minderer oder heftigerer Bewegung, gab die Idee von Bach, Fluß, Strom. Der Meister im Aufsuchen treffender Beyspiele, S e a r c h, zeigt den grossen Einfluß der Vereinigung der Gegenstände auf die Zusammensetzung der Begriffe, am Beyspiel von einem Freund, den man in einer ungewohnten Kleidung erblickt. Was für eine erstaunliche Veränderung kann nicht eine Perucke, oder nur eine Perucke von einer anderen Farbe, an einer Person machen, so, daß es scheint, als pflegten Kleider und Perucke mit in die zusammengesetzte Idee überzugehen, die man von einer Person hat, die sie trägt? Ich setze hinzu, daß Kleider und Perucken in die [127] Idee von Ehrfurcht und Hochachtung überzugehen scheinen, weil, nach einer gemeinen Erfahrung, ein gesetztes Kleid Hochachtung, und eine Perucke Ehrfurcht zu erwecken pflegt.
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[128] Zusammengesetzte Begriffe und ihre Güte hangen von der grössern Bekanntschaft mit den Gegenständen ab. Der Meister in seiner Kunst, der er sich gewidmet hat, übertrift in der vollständigen Kenntniß dererjenigen Gegenstände, deren Erforschung zu seiner Kunst gehört, alle übrigen Fremdlinge in eben dieser Kunst, wenn gleich andere Personen in Dingen, die wiederum ihre gewöhnliche Beschäftigung ausmachen, ihn bey weitem überwiegen. Daraus folgt, daß kein Mensch, und kein Geschöpf, das, wenn gleich nur auf eine unmerkliche Art eingeschränkt ist, sich vollkommene zusammengesetzte Ideen von allen Gegenständen zu bilden im Stand ist. Hier werfen die Philosophen die Frage auf: wie die Bildung zusammengesetzter Ideen vorgehe? Unter allen Weltweisen, die ich kenne, hat Searc h diese Untersuchung am gründlichsten vorgenommen, und man würde ihm immer getreu folgen können, wenn er nicht in der Ausführung den Unterschied zusammengesetzter und associirter Begriffe sehr oft aus den Augen gesetzt hätte, den er doch anfänglich sehr richtig festgestellt hatte.23 [129] Scharfsinnig genug bemerkt Searc h, daß vor der Zusammensetzung allemahl eine Auswahl einiger Ideen vorhergeht, deren wir uns zu derselben Zeit gerade bewust sind. Die einzelnen mehreren Ideen, aus welchen ein einziger zusammengesetzter Begrif bestehen soll, müssen wir aus der ganzen Menge herausheben, und in ein einziges Ganzes versammlen. Wenn das Kind eben gebohren ist, und ihm zum erstenmahl durch seine Sinnen Empfindungen zugeführet werden: so kann es anfänglich eben deswegen, weil es nicht sammlen und vereinigen kann, sich von gar keinem Gegenstand einen zusammengesetzten Begrif bilden, das heißt, alle, oder doch die vornehmsten Eindrücke eines äusseren Gegenstandes auf seine Sinnen, für Eindrücke von demselbigen Gegenstand ansehen; weil die sukcessiven Eindrücke sich nicht dauerhaft genug in das Gehirn einprägen können, sondern, wegen der zu grossen Flüßigkeit dieses Markes augenblicklich verschwinden müssen, ohne eine Spur von sich zurücke zu lassen. Neugebohrne Kinder empfinden daher kaum die aufeinander folgenden Eindrücke einzeln. Zur Vereinigung dieser einzelnen Eindrücke sind sie physisch unfähig. Daher unterscheiden sie die unartikulirten Laute der kranken Mutter, die durch ihre schmerzhaften Empfindungen her[130]ausgepreßt werden, vom Geplauder und Kramen der Gevattern eben so wenig; so wenig sie die Seufzer mit der Mutter, und das Gewühl der geschäftigen Gevattern mit den Gevattern in eine Idee verkütten können. Daher rechnen sie die Armen der Hebamme eben so wenig zur Hebamme, als sie sie zur Wand und zu den Bettpfosten rechnen. Nur erst bey zunehmenden Jahren nimmt das Kind bey zunehmender Festigkeit seiner Organen, die Gegenstände in einer zusammengesetzten Idee war. Es bemerkt, daß die Amme, wenn sie hinausgeht, zwar ihre Arme aber nicht die Wand, oder die Bettpfosten mit sich nimmt; sondern, daß mit ihrer Entfernung nur gewisse Theile verschwinden, die wieder zum Vorschein kommen, wenn sie zur Thür hereintritt. Diese Theile rechnet es zu einem Ganzen. Nachdem wir nun in dieser Trennung und Vereinigung der einzelnen Ideen glücklich oder unglücklich sind; nachdem muß auch die zusammengesetzte Idee richtig, oder unrichtig, vollständig oder unvollständig seyn. Und hier kommt es freylich auf die Stärke an, mit welcher die Objekte unsere sinnlichen Werkzeuge rühren. Aus dem Kaos von Eigenschaften, die wir an einem Gegenstand durch unsere Sinnen entdekten, werden wir viel eher diejenigen Beschaffen-
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heiten desselben in einen einzigen zu[131]sammengesetzten Begrif bringen, die auf unsere Organen sehr starke Eindrücke machten. Die Zusammensetzung allgemeiner Begriffe, die aus der Sammlung gemeinschaftlicher Aehnlichkeiten mehrerer Gegenstände entstehen, ist die beste Erläuterung und Bestättigung dieses Satzes. So bald unsre Organen durch sehr viele gemeinschaftliche Aehnlichkeiten stark gerührt werden: so bald wird unser allgemeine Begrif sehr vollständig. Hingegen, wenn das Aehnliche in den Dingen sehr verstekt liegt, und sich unserm Empfindungsvermögen verbirgt: so muß der allgemeine Begrif an Richtigkeit, Vollständigkeit und Brauchbarkeit verlieren. So lange man in den allgemeinen Begrif vom Menschen blos das Gemeinschaftliche einer thierisch vernünftigen Natur versammlete: so lange war der Begrif vom Menschen sehr unbestimmt und unrichtig, weil die Karaktere auch auf Thiere paßten, die man doch durch diesen Begrif vom Geschlecht der Menschen ausschliessen wolte, indem es gemeinschaftliche Aehnlichkeiten der Thiere und der Menschen waren, die der Begrif enthielt. Endlich war man so glücklich einen versteckten gemeinschaftlichen Karakter aller Menschenkinder zu entdecken, der ihnen ganz ausschliessend, wenigstens in Absicht auf den bey Menschen sehr grossen Ausdehnungs[132]kreis der sympathetischen Gefühle, zukömmt. Die Sympathie lag in der Natur des Menschen ein wenig zu tief eingehüllet, als daß flüchtige Beobachter diese Gabe, als einen eigenthümlichen menschlichen Karakter hätten bemerken können. Der Hund mag sympathetisch heulen, wenn ein anderer Hund seine Nachbarschaft mit Geheul erfüllet. Die Eule mag durch die Sympathie zu einem ähnlichen Geschrey von einem Vogel ihres Geschlechts aufgewekt werden. Noch nie ist ein Hund durch das Gebrüll einer Kuh, oder durch das klägliche Rufen einer Eule sympathetisch gerühret worden, und die Eule hat noch nie nach einem sympathethischen Gefühl mit der Nachtigal oder der Lerche, oder einem andern Vogel einen Gesang angestimmt. – Aber der Mensch sympathisirt mit allen empfindenden und nicht empfindenden Wesen aus allen Klassen der Geschöpfe. Die Klagen aller leidender Wesen fordern ihn zum Mitleiden auf, das ihm so gleich überströmt: so bald er durch irgend einen seiner Sinnen diese Leiden empfindet. Oft habe ich mich betrübt, wenn ich einen fruchtbaren Baum verdorren sahe, nachdem der Muthwille eines verderbenden Menschen ihn tödlich beschädiget hatte. Und doch ist der Baum keiner sinnlichen Empfindung fähig. [133] Sympathie ist also die gemeinschaftliche Aehnlichkeit des Menschengeschlechts, die man nicht so gleich als eine eigenthümliche Aehnlichkeit bemerken konnte, weil sie nicht einen ausserordentlich blendenden Glanz von sich giebt, ob sie gleich die gröste Zierde der Menschheit ist, ohne welche man ein jedes menschenähnliches Geschöpf für ein Monstrum ansehen muß, gerade wie man solche Individuen unseres Geschlechts für Ungeheuer hält, denen einer, oder mehrere äussere Sinnen fehlen. Der allgemeine zusammengesetzter Begrif vom Menschen war daher bis auf die Zeit, da man die Sympathie, als die eigenthümlichste Aehnlichkeit aller Menschen erkannte, mangelhaft und unrichtig. An dieser Unrichtigkeit war nichts Schuld als die Unbemerkbarkeit dieser Eigenschaft. Sonst hätte gewis dieses herrliche Vorrecht der Menschheit um so viel eher in den allgemeinen zusammengesetzten Begrif vom Menschen frühe aufgenommen werden müssen, weil wir auf dasjenige, was uns angenehme Empfindungen verursacht, um so viel eher unsere Aufmerksamkeit hinwenden. Wo ist aber einer unter den Menschen, der sich, da er nun einmahl weis, daß er so uneingeschränkte sympathethische Gefühle hat, nicht von ganzem Herzen über sich, und über seine Vortreflichkeit freuen solte?
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[134] Nach dieser vorläufigen Operation, nehmlich der Bemerkung und Aushebung einiger
vorzüglichen Karaktere, die das Objekt uns ehedem einzeln eindrückte, da wir es empfanden, braucht es zur Bildung einer zusammengesetzten Idee nichts weiter, als daß man diese ausgehobenen einzelnen Beschaffenheiten, die die Theile des zusammengesetzten Begrifs ausmachen, so genau zusammenküttet wird, daß ein einziges Ganzes herauskommt, dessen Theile zwar auch in der Folge trennbar bleiben, und auseinander gelegt werden können; aber doch nicht anders, als durch eine neue Operation, die man eine willkührlich unternommene Auseinanderlegung nennt, die kein Werk ungelehrter Personen ist. Wenn man daher den allgemeinen Begrif vom Menschen, als eines uneingeschränkten sympathetischen Thiers zusammengesetzt hat; so fügen sich diese Ingredienzen des Begrifs dergestalt in einander zusammen, daß man sie sich nicht mehr einzeln, sondern zusammen, als einzig vorstellt. Auf solche Weise sind die einzelnen Theile zusammengesetzter Begriffe immer associirt, das heist, es wacht in der Seele nie ein Theil auf, der den andern nicht zu gleicher Zeit mit aufwecken solte. Eben deswegen ist der Grund zusammengesetzter Begriffe eigentlich das Associationsvermögen, [135] und die Associatiosgesetze, nach welchen sich Ideen miteinander verknüpfen, sind zugleich die Gesetze für die Bildung komplexer Begriffe. Daher fliessen sowohl die Reste ehemaliger gleichzeitiger, als auch die Reste ähnlicher Empfindungen in eins zusammen. Die Ideen von vielen auf einen Platz errichteten Pallästen vereinigen sich in die einzige Idee von einer Stadt, nachdem wir dergleichen in eine Ordnung gestellte Gebäude ehedem wahrnahmen. So schmelzen auch die ähnlichen Ideen von allerley Arten von Gegenständen, die auf irgend einen unserer äusseren und inneren Sinnen angenehme Eindrücke machen, in dem allgemeinen Begrif von Schönheit zusammen, der in so weit, daß mehrere Arten von Gegenständen diejenige angenehme Empfindung in uns erzeugen, um welches Willen man Gegenstände schön nennt, ein zusammengesetzter, in so weit aber ein einfacher Begrif ist, in so ferne die Empfindung von Schönheit eine ganz unbeschreibbare einfache Empfindung ist. Freylich ist es gewis, daß wir nicht allemahl an einen jeden einzelnen Umstand denken, der in einer zusammengesetzten Idee begriffen ist. Aber daran ist einzig eine lange Gewohnheit Schuld. Wir denken letztlich nicht mehr an die Triebfedern und Räder, die den Zeiger an der Uhr in Bewegung setzen. [136] Aber anfangs wurden doch alle diese Theile immer lebhaft erneuert, so oft wir auf die Uhr blikten, da wir einmahl die Uhr in ihre Theile auseinander gelegt gesehen hatten. Es scheinet daher, daß Leute, die sich ausserordentlich lange mit gewissen Gegenständen beschäftigen, zuletzt die Ideen von diesen Gegenständen sehr unvollständig gegenwärtig haben müssen. Wenn der geschikteste Uhrmacher von der Uhr spricht: so hat er schwerlich die vollständige Idee von dieser Maschine, die der Lehrjunge hat, in dessen Organen die einzelnen Theile, und die ganze Zusammensetzung derselben, sehr lebhaft sind, weil die Eindrücke noch neu sind. Immer wird sich der Meister bey den Gegenständen seiner Kunst mehr denken, als der Lehrjunge, wenn er sich es vorsetzt, eines und das andere aus dem Bezirk seines Handwerks oder seiner Kunst, deutlich zu denken. Aus allen diesen Betrachtungen folgt, daß alle unsere zusammengesetzten Begriffe, associirte Vorstellungen sind. Aber das Karakteristische der zusammengesetzten Begriffe besteht in der Vereinigung der Associationen in ein einziges Ganzes. Bey associirten Begriffen sieht man die einzelnen Begriffe, die mit einander verknüpfet sind, als stets von einander getrennte, von einander unabhängige, und [137] als verschiedene Ideen an. Hingegen die einzelnen Stücke einer
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zusammengesetzten Idee denken wir uns als verbundene Bestandtheile einer einzigen Idee. Wir denken sie uns als einfache Ideen, die aber alle zu einem einzigen Begrif, zu einem Ganzen gehören. Daher wird der Unterschied zusammengesetzter und associirter Begriffe blos durch das innere Gefühl wahrgenommen. Dieser Probierstein ist so wenig schwierig, als eine jede andere Sache, die sich fühlen läßt; und dieses Gefühl kann keinem Menschen mangeln, so bald er nur weis, was associirte, und was zusammengesetzte Begriffe bedeuten.24 So wie sich die einzelnen Ingredienzen eines zusammengesetzten Begrifs auf das genaueste mit einander verbinden, und einander aufwecken: so wekt theils die ganze zusammengesetzte Idee noch viele andere associirte mit auf, theils machen die einzelnen Bestandtheile einer zusammengesetzten Idee viele andere Ideen rege, die nicht in die zusammengesetzte hinein gehören. Die Idee von einem [138] Mann wekt nicht blos die Idee von seiner Frau, seinen Kindern, seiner Haushaltung, seinen Knechten u. s. w. auf; sondern die einzelnen Theile, die der Begrif von einer Mannsperson in sich schließt, haben einen eben so weitläuftigen Anhang von Ideen, die sie aufwecken. Man denkt an das männliche und weibliche Geschlecht, und an die Unterschiede von beyden, an die Kleider der Mannspersonen, an den Huth, den Bart u. s. w. Diese Anzahl von Ideen, die durch eine einzige aufwachende Idee lebendig gemacht wird, heißt eine Idee nrey he, (a train) die also weiter nichts ist, als eine mit den einzelnen Bestandtheilen so wohl, als mit dem ganzen Umfang der zusammengesetzten Idee, associirte Menge von Vorstellungen, die bey der Auferstehung eine Idee zugleich aus ihrem Schlaf aufwachen, und ohne alle unsere Bemühung auf einander folgen, und einander zum Bewustseyn einführen. Zur Verkettung unserer Ideen in eine solche Reyhe ist ebenfalls keine andere Ursache, als die, so der Grund von der Association überhaupt ist, nehmlich Koexistenz und Aehnlichkeit der Vorstellungen. So wie wir es aber in unserer Gewalt haben, durch Vermehrung unserer Aufmerksamkeit die Association zu verstärken, und die An[139]zahl der associirten Begriffe bis auf einen gewissen Grad zu vermehren: so können wir auch die Reyhen von Ideen durch Anstrengung unserer Aufmerksamkeit verlängern. Ueberhaupt hat auf die Bildung der Ideenreyhen alles Einfluß, was auf die Association der Ideen Einfluß haben kann. Bey der Verlängerung oder der Verkürzung, und der Wendung der Ideenreyhen kommt es daher eben so wohl auf den gegenwärtigen Ton der Seele an, wie bey der Wendung, den die Ideenassociation dadurch gewinnt. Was mit diesem Ton harmoniret, schliesset sich leichter und fester an, als das Gegentheil, wenn man dieses gleich durch noch einen so vorzüglichen Grad von Aufmerksamkeit, zu einem Glied in der Kette zu machen, sich Mühe giebt. Sind wir aufgeräumt, so wird jeder heitere Gegenstand in die Reyhe passen, da wir mit aller Mühe eine traurige Idee nicht werden hinein zwingen können. Lustige Einfälle strömen uns zu, wenn wir sie in einer üblen Laune vergebens suchen, und dagegen in eine Reyhe unangenehmer Ideen hineingezogen werden. Wie weit dieses bey Gegenständen und Ideen, die unser Interesse betreffen, gehe, hat S h ake s pear in einem vortrefflichen Beyspiel sehr fein bemerkt. H ome hat diese Stelle aus dem V ene ti a ni sc he n
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Man giebt gewöhnlich vor, daß es sehr schwer sey, associirte und zusammengesetzte Begriffe voneinander zu unterscheiden, z. E. S e a r c h Light of Nature Vol. I. Ch. IX. §. 13. Nach meiner Idee ist dieses Vorgeben falsch.
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Kauf [140]m a n n angeführt.25 »Wenn ich daran dächte, was für einen Schaden ein starker Wind auf der See anrichten könne: so würde das Lüftgen, das meine Suppe kühlt, mich in ein kaltes Fieber blasen. Ich würde den Sand nicht durch mein Stundenglas können rieseln sehen, ohne an Sandbänke zu denken, und meinen reichen Andreas (der Name des [141] Schifs) stranden zu sehen, zu sehen, wie er den hohen Mast über die Seiten herab neigt, um sein Grabmahl zu küssen. Würde ich in die Kirche gehen, und das heilige steinerne Gebäude betrachten; würde mich dasselbe nicht so gleich an gefährliche Felsen erinnern, die die Seite meines herrlichen Schifs nur berühren dürften, um alle Specereyen in die See auszuschütten, die brausenden Fluthen in meine Stoffe zu kleiden, und, mit einem Wort, jet zt s o v i e l wert h, u nd je t zt n ic hts wert h, einander gleich zu machen?« [142] Demohngeachtet haben manche Begriffe schon selbst die Eigenschaft, daß sie unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hier können wir nach Belieben verweilen, und unsere Ideenreyhen durch sie verlängern. Daher sind bey weitem nicht alle unsere Ideenreyhen gleich lang. Die allerkürzesten sind diejenigen, die die allerwenigsten Begriffe aufwecken. Zu diesen gehören die aller allgemeinsten Begriffe der Metaphysik, von denen man ohne eine genauere Untersuchung bey dem ersten Anblick gerade das Gegentheil erwarten solte. Denn es scheint, als wenn diejenigen Begriffe, die sehr allgemein sind, alle die vielen Arten von Gegenständen, und deren Ideen, die sie unter sich begreifen, hinter einander müssen angereyhet haben. Allein ihrer Allgemeinheit wegen, haben sie sehr wenige Ingredienzen, und verwandeln sich letztlich fast in einfache Begriffe. Wegen dieses Mangels von Ingredienzen können sich sehr wenige Ideen anschliessen, und die Reyhen müssen daher sehr kurz seyn. Von der Aufmerksamkeit hängt auch die Richtung dieser Ideenreyhen grossentheils ab. Viele Ideen aus der Reyhe würden zu den Seiten einbrechen, und die Seele auf einmahl bestürmen, wenn man sie nicht mit Vorsatz gleich anfangs ordnen solte. Es scheint in[143]dessen gar nicht rathsam zu seyn, diese Anordnung zu streng anzustellen, weil es nicht dienlich ist, wenn unsere Ideen immer in einer unverrückten Ordnung aufwachen, in der wir sie zusammen gekettet haben. Liefen unsere Vorstellungen immer an derselben Reyhe fort: so würde das Vermögen zu schliessen erstikt werden.
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– My wind, cooling my broth Would blow me in to an ague, when I thought What harm a wind too great might do at sea. I should not see the sandy hour-glass run, But I should think of shallows and of flats, And see my wealthy Andrew dock’d in sand, Vailing her high top lower than her ribs, [141] To kiss her burial. Should I go to church. And see the holy edifice of stone, And not bethink me strait of dangerous rocks, Which touching but my gentle vessel’s side, Would scatter all the spices on the stream, Enrobe the roaring waters with my silks, And, in a word, but even now worth this, And now worth nothing? Merchant of Venice, Act. I. Scene I.
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Nur die Gedächtnißgelehrten, die blos auswendig lernen, ohne ihre übrigen Seelenkräfte in eben derselben Thätigkeit zu erhalten, reyhen die Folge ihrer Ideen so streng an, daß sie sich die meiste Zeit gerade in derselbigen Ordnung aufwecken. Aber der Denker muß aus der ungeheuren zusammengesetzten Idee, die sein Gedankensystem ausmacht, bald diese bald jene Idee hervorziehen, um seine Begriffe aus dem ganzen Vorrath seiner Kenntnisse, den man mit Recht, als eine einzige, weitläuftige, komplexe Ideen ansehen kann, nach Beschaffenheit der Umstände, bald in diese, bald in jene Verbindung und Stellung bringen zu können. Aus diesen mannigfaltigen Zusammenstellungen und Trennungen der Begriffe leuchtet das Genie hervor, auf welches der blosse Gedächtnißgelehrte, wenn er diese Seelenkraft auch noch in einem so hohen Grad besitzt, nimmermehr Anspruch machen [144] kann. Das Genie durchreiset eine Menge von Associationen, ohne seinen Faden zu verlieren. Fällt es in Gleise, die es auf Abwege führen könten: so hilft es sich durch leichte Wendungen auf den rechten Weg. Es spinnt gleich eine neue Reyhe an, und wenn diese zerreißt: so findet es zur abgebrochenen Kette gleich neue Glieder, die ohne Zwang in den Zusammenhang passen.
Untersuchungen, über den Stand der Natur.
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– – – – Deus ille fuit, – – – – Qui princeps vitae rationem invenit eam, quae Nunc appellatur sapientia: quique per artem Fluctibus e tantis vitam, tantisque tenebris, In tam tranquillo, et tam clara luce locavit. LUCRETIUS.
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[A 2r] Der Verfasser wollte seine kurze Vorrede, mit der passenden Vergleichung der Geistesprodukte mit den mancherlei Münzsorten, beginnen. Aber sie ist abgenuzt, und nur ganz zu oft entweiht. Das Interesse der Untersuchungen, die die Menschheit zum Gegenstand haben, ist bisher allgemein anerkannt worden. Der Verfasser hat darüber noch einiges auf dem Herzen, welches er künftig, in einer Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, abzusprechen gedenkt. Wenn die Lektüre dem Leser dieser Schrift so viel Vergnügen bringt, als ihr [A 2v] Verfasser bei der Ausarbeitung genossen hat: so soll ihm wol das treuherzige Dankgefühl eine unausbleibliche Belohnung seyn. Diesen Lohn hat er wenigstens dem Verfasser der vor einigen Jahren erschienenen kleinen Schrift, über den Stand der Natur, schon zu wiederholtenmalen in der Stille dargebracht. Daß er übrigens, wenn’s bei dergleichen Untersuchungen fruchtete, mit Gelehrsamkeit und Litteratur hätte aufwarten können, werden die kundigen Leser hoffentlich aus der Ausführung selbst abnehmen. Es war ihm aber mehr um anziehende Beobachtungen, und um Neuheit in der Anreihung derselben, zu thun. – Im Fe br uar, 1 7 80 .
I. Schilderung des Standes der Natur, nach ein Paar entgegengesezten Systemen. [5]
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S ta nd de r Na tur ! – In den Ohren Vieler das fürchterlichste Donnerwort. Ihr gekränktes Gefühl empöret sich beim Anblick einer Lage der Menschheit, in welcher kein menschliches Individuum, mittelst irgend eines Fadens, an dem andern hängt; keines auf das Interesse des Andern achtet, sondern ihm, wenn der Zwang physischer Bedürfnisse mitwirkt, un[6]gescheut und ungestraft geradezu entgegen arbeitet; keines des Andern Vater, Freund, Nachbar ist; keines in den Armen, oder an der Brust des Andern, durch eine wohlthätige Pflege erwärmt wird; keines den Wirkungskreis des Andern mit guten Rathschlägen erweitert; keines des Andern Macht, durch eine gesellige Mithülfe, vermehrt; keines in eines Andern Atmosphäre frei athmen kann. – Sie beben zurück, wenn sie sich selbst in Gedanken in einen Zustand versezen, in welchem die edlen Menschheitsgefühle von den stürmischen Fluthen der Zügellosigkeit, Wildheit
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und Barbarei weggeschwemmt und ersäuft werden, oder bei einer nie gereizten, schlafenden, unbeweglichen Unthätigkeit stocken und verfaulen; in einen Zustand, in welchem sich die Natur und alles, was drinnen ist, als Feind wider den versäumten Menschen wafnet; in welchem Geschöpfe seiner Art die Mordkeule gegen ihn empor schwingen, ihn von der labenden Wasserquelle forttreiben, ihm die Frucht, die er vom Baum abgebrochen, oder das Kraut, welches er für sich zusammen getragen, oder das Wild, das er, nach vollbrachtem beschwerlichem Tagewerk, mit saurer [7] Mühe erlegt hat, wegstehlen, ohne dafür vor irgend ein Gericht zur vergeltenden Ahndung gezogen werden zu können; in einen Zustand, in welchem ihm jeder Bissen Speise, jeder Trank Wassers, Gift seyn kann, und die er demohngeachtet genießen muß, wenn er nicht dem Hunger oder dem Durst, den fürchterlichsten Feinden, die er kennt, kraftlos unterliegen will; in einen Zustand, in welchem er an keinem Abend sein wankendes Haupt, mit Gewißheit, es, wenn der kommende Tag aufdämmert, unzerschmettert wieder empor zu heben, hinlegen kann; in einen Zustand endlich, in welchem er sehr oft von den schmerzhaftesten Empfindungen des Hungers und des Durstes gefoltert, oder doch wenigstens alle Augenblicke von der eben so peinlichen innern Empfindung der Gefahr zu verhungern oder zu verdursten, bedrohet und gequält wird. S ta nd de r Na tur! – Heiterkeit ergießt sich über die Gesichter einer andern Klasse von Menschen; wenn sie sich das Bild dieses in ihren Augen wünschenswerthen Zustandes vorhalten. Keine Schaaren pressender Bedürfnisse lagern sich um diesen glücklichen Stand der Genügsamkeit [8] herum. Kein Troß von Menschen, die durch Armuth, Dürftigkeit und Elend ausgezehrt, gleichsam nur wie Schatten in der bürgerlichen Gesellschaft umherschleichen, und die so oft ihr durch den jammervollsten Nothstand und den zerreißendesten innerlichen Schmerz, abgehärmtes Leben bis auf den letzten Tropfen allmählig ausdünsten müssen, gleichsam um es recht tief zu fü h len, daß sie sterben. Keine Klagen rechtschaffener, verdienter, aber unglücklicher Menschen schlagen dem mitfühlenden Herzen des Edlen unheilbare Wunden, deren schmerzende Wirkungen nur dann von Grund aus herausgerissen werden könnten, wenn sie zu helfen Macht genug hätten. Kein Wurm habsüchtiger Begierden benagt die Wurzel des Baums der Glückseeligkeit, daß er verwelkt oder verdorret. Ungebeten sezt sich der vorüberstreifende hungrige Wandrer an den ersten besten Tisch, den die Natur bereitete; unbekümmert, ob ein Andrer die Frucht des Baumes, das Kraut des Feldes, die Wurzeln der Pflanzen und das Fleisch des Thieres auf denselben ausgelegt hat. Sey’s auch so. Man geizt hier nicht so stiefmütterlich mit seinem Ueberfluß, wie der [9] bürgerliche Reiche mit seinem überflüssigen Eigenthum, welches ihm, beim gränzenlosen Umfang seiner rafinirten Bedürfnisse, noch immer zu klein scheinen muß. Ein so mäßiger Gast kann allenthalben, wo er auch seyn mag zu Tische gehen. Die ganze Erde ist seine Speisekammer, und ihr Wasser, sein Keller. Sollte ja die gewohnte Quelle versiegt; keine Feld- oder Baumfrucht zu finden; kein Thier aufzutreiben seyn: so hungert er, bis das Glück günstiger ist. Die mit unsrer Leckerhaftigkeit und Schwelgerei verknüpften Unbequemlichkeiten und Sorgnisse drücken ihn nicht. Wundern würd’ er sich, wenn er hörte, daß Menschen beym Ueberfluß darben, und daß andre, Nothleidende genannt werden, weil sic nichts als trockenes Brod und Quellwasser zu ihrer Nahrung haben. Er sammlet nicht für den Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Tagesluft und Nachtruhe entfliehen ihm nicht. Daher quälen ihn keine unerfüllbare Wünsche, täuschende Hofnungen und lästige Sorgen; und Neid, Mißgunst und die übrigen erkünstelten lasterhaften Gemüthsbe-
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wegungen zehren ihn nicht aus. Seinen ge[10]stählten Nacken können keine Unbequemlichkeiten, keine schmerzhaften Ereignisse beugen. Denn mit allen diesen Stürmen, deren periodisches Herstürzen in den Hafen seiner Ruhe unvermeidlich ist, wird er mit jedem Athemzug bekannter.
II. Prüfung dieser entgegengesezten Vorstellungsarten.
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Sind dies Züge desselbigen Urbildes? Werden nicht die Farben des erstern Gemäldes, durch die ersten Schilderungen, ganz verwischt? Unmöglich können daher beide Bilder nach der Natur gezeichnet seyn. Entweder ist nur eines von beiden ähnliches Bild und treffendes Gemälde der Natur; oder sie haben beide mit dem Urbild selbst so wenig Aehnlichkeit, so wenig im Mond oder im Saturn gezeichnete Erdcharten die Länder und Meere unsrer sublunarischen Welt genau darstellen können. – Hier entsteht demnach die Frage, in welchen von diesen beiden Schilderungen ist [11] die wahre Natur charakterisirt? Mich deucht, in keiner. Der Sohn der Natur ist weder ein hobbesisches Raubthier, noch ein puffendorffscher geselliger Philantrop. Unser Urtheil über das Wünschenswerthe, oder über das Verabscheuungswürdige des Standes der Natur, muß sich nach Maasgabe dieser Entscheidung, wenn sie erst gründlich bewiesen ist, so oder anders stimmen. H o bb es schöpfte nicht aus der reinen, unvermischten Quelle der Natur. Er dachte sich die Entstehung des Naturstandes auf eine Art, nach welcher zwar unabhängige und gesezlose Menschen, aber nicht ursprüngliche Söhne der Natur erzeugt werden können. Er glaubte, der Staub einer zerstäubenden bürgerlichen Gesellschaft verwandle sich in Naturmenschen; und wenn die Bürgerbanden zerrissen seyen: so trete die völlige Zügellosigkeit des Naturstandes, mit allen seinen übrigen Eigenschaften ein. Nach dieser Voraussezung mußte er freilich, ohne eben seinen Folgerungen großen Zwang anthun zu müssen, behaupten: »daß der Stand der Natur die verabscheuungswürdigste Lage der Menschheit; daß er ein Staub des Krieges, des Raubes und ewiger [12] Gewaltthätigkeiten aller wider alle sey, und daß daher das Zusammenwachsen vereinzelter Menschen zu einem einzigen Staatskörper, den dieselbigen Säfte durchströmen, und derselbige Hauch belebt, die merkwürdigste und wohlthätigste Epoche sey, die die Menschheit erreichen konnte.« Wir wollen uns weder mit dem schwarzblütigen, grämlichen, menschenfeindlichen Sw i ft an der menschlichen Natur, durch muthwillige, bishafte Ejakulationen auf die Würde der Menschheit, versündigen; noch mit dem gutherzigen Je a n Ja que o dem bürgerlichen Leben fluchen; weil es uns bei den Seeligkeiten wohl ist, die wir in seinem Schooß in reicher Fülle genießen. Allein unter den Ruinen einer, durch selbstsüchtiges Entgegenstreben der einzelnen Glieder, oder durch die Tyrannei eines gekrönten despotischen Wahnsinnes aufgeriebenen bürgerlichen Gesellschaft, dürfen wir doch den Stand der Natur nicht suchen, wenn wir der Wahrheit mit offner Treue folgen wollen. Immerhin mag die Olive der Ruhe und des Friedens in einem Boden, den der gemeinschaftliche Fleiß verbündeter Freunde oder der Bürger befeuchtet, die stärkendste Nah[13]rung finden; immerhin mag der Duft ihrer Blüthen in Palläste und in
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Hütten dringen, und die unternehmende Begeisterung des Volksführers, wie des Eseltreibers, zur Ruhe herabdämpfen: so kennt doch auch der unverstimmte Sohn der Natur, bei aller Unabhängigkeit, die reizende Pracht ihrer Zweige. Denn nur Bedürfnisse und die selbstischen Neigungen, deren Mütter sie sind, trüben den ruhigen, in der Stille vorübergleitenden Bach des Lebens. Nur Habsucht, Gierigkeit, Geiz, Mißgunst, Neid etc. sezen den Menschen in eine unvermeidliche Thätigkeit, die sich nothwendig sehr oft mit dem Wirken seines nach demselbigen Ziel laufenden Nachbars, der ähnliche Bedürfnisse zu befriedigen sucht, reiben muß. Und, siehe da ist Zank, Streit, Krieg! Diese einander entgegen strebende Spannungen, die auf der einen oder der andern Seite schlechterdings mit Mißvergnügen und mit Schmerz verschwistert seyn müssen, sind kein Antheil des aus der Hand der Natur kommenden Menschen. Keine feindseelige, auf den gewaltthätigen Umsturz der Ruhe des Andern ab[14]zweckende Leidenschaften schwellen seine Brust auf, oder ziehn sie zusammen. Ihre Glut kann nur in dessen Adern den Kreislauf des Bluts beschleunigen, der von der Stillung eines Bedürfnisses nach der Befriedigung eines neuen Wunsches schmachtet, der ewig genießt und ewig geizt, und sich auf diese Weise unaufhörlich in einem Kreise von Wünschen und Bedürfnissen herumwirbelt. Den ächten Menschen der Natur kann nicht der tausendste Theil dieser Wünsche beunruhigen. Was er verlangt, kann er haben; was er hoft, trift zu. Denn die Sphäre seiner Güter ist begränzt, und der vergnügende Kützel derselben ist meistens in den Augenblick des Genusses selbst beengt. Dieser Umstand macht, daß keiner von seinen Wünschen leicht heiß werden kann; weil die Erinnerung und der Zurückruf der genossenen Vergnügungen äußerst schwach ist. Eben deswegen kann er auch nur sehr wenige Uebel befürchtenn; und was er befürchtet, sieht, da es vom Zufall abhängt, beim wirklichen Erfolg entweder ganz anders aus, als er sich’s dachte, oder es fällt ihn doch nicht mit unaushaltbarer Pein an. Da also wegen der engen Schranken seiner Bedürfnisse, [15] das Herz in seiner Brust ruhiger klopft, und der Zunder kriegerischer Neigungen nur in ganz außerordentlichen Fällen Feuer fangen kann: so bleibt zur Behauptung – daß der Stand der Natur ein Stand des Krieges und der gegenseitigen Verwüstung sey, – gar kein Grund weiter übrig. Aus diesen Bemerkungen erhellet zugleich; warum ein hobbesischer Naturmensch nothwendig das verworfenste und abscheulichste unter allen Geschöpfen in der ganzen Natur seyn muß. Einem solchen möchte’ ich nicht auf dem Felde begegnen. Seine mißgünszigen Augen würden mir den Thierbalg, den ich um meine Schultern herum geworfen, beim ersten Blick schon in der Ferne abneiden, und in der Nähe würden ihn mir seine gewafneten Fäuste herunterreißen. Denn die misanthropischen Gesinnungen und Neigungen, die bei den endlosen bürgerlichen Bedürfnissen aufleben, sich allmählig immer tiefer ins Gemüth einfassen, und am Ende den gänzlichen Verfall der Staatsverfassung veranlaßten, müssen nothwendig im Zustand der gänzlichen Unabhängigkeit, ungleich schrecklichere Verwüstungen veranlassen, als im Staat, wo der Zaum [16] der bürgerlichen Unterwürfigkeit den Ausbruch ihrer vollen Wuth zurückhielt. Da hätten wir den vollständigen Sammelplaz von menschlichen Ungeheuren; und gewiß schildert keine hogartsche Gruppe eine solche Vielfachheit von Bosheiten, als auf dieser Scene, in lebendige Menschen eingefleischt, auftreten würde. Nur das gesellschaftliche Leben ist es, was die Keime der unerhörtesten Bosheit ins menschliche Herz ausstreuet, deren Entwickelung es auch pflegend begünstiget. Diese Unbe-
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quemlichkeit häckelt sich in das bürgerliche Leben ein, ohne daß man sie aus demselben herausreissen kann; oder der bürgerliche Mensch wird ein zahmes Vieh. Von Natur hingegen ist der Stoff des Menschen edel und gut; und er muß erst zum Böseseyn gezwungen werden, wenn er böse seyn soll. Diesen Zwang zur Verschlimmerung seines Charakters thun ihm hauptsächlich die kollidirenden gegenseitigen Absichten an. Das diese Kollision im Naturstand gar nicht Statt findet, und H o b bes und Konsorten dennoch ihren Naturmenschen mit allen ersinnlichen boshaften Gesinnungen ausrüsten: so folgt, daß sie ihren Stand der Natur [17] ganz aus der Phantasie zeichnen, ohne daß ihren Pinselstrichen irgend ein Zug in der Natur entspricht. Aus Natursöhnen werden, wenn erst gewisse Vorfälle vorher gegangenen sind, Söhne des Staats; nicht aber werden, wie doch diese Philosophen annehmen, aus verdorbenen, zertrümmerten Bürgern, die sich, als ehemalige Glieder eines Staatskörpers, von demselben gewaltsam losreißen, und nun in freien, unbewohnten Gegenden, die Zügel- und Gesezlosen machen wollen, – Naturmenschen. Die ganze Aehnlichkeit des ursprünglichen Naturmenschen und einer solchen bürgerlichen Mißgeburt, eines Boucaniers, liegt blos in ihrer beiderseitigen gänzlichen Unabhängigkeit. Ihre himmelweite Verschiedenheit aber fließt aus der durchgängigen Verschiedenheit ihrer Neigungen. Jener ist, was den äußerlichen politischen Zwang betrift, völlig frei; und dieser ist es auch. Nur einige wenige sinnliche Reize haben einige Gewalt über ihn. Dieser hingegen zappelt, als Sklave, unter den Fesseln und der Bürde der feindseeligen Leidenschaften, die ihm eben so beschwerlich sind, als den Gegenständen, auf die sie ihre Wuth anschäumen. Habsucht, [18] Geiz, Betrug, Ungerechtigkeit, Haß, Neid, Rache, den allgemeinen Geist des Eigennutzes, die Ertödtung aller edlen Triebe des menschlichen Herzens, und die ganze Schaar dieses Gelichters suchet in London, Paris, und auf der Küste von Guinea, und in den europäischen Pflanzungen in den beiden Indien, und in jedem polizirten Flecken; im Paradiese des Naturstandes sucht ihr sie vergebens. Bei diesem Suchen werdet ihr finden, daß die Tyrannei dieser Feinde des menschlichen Friedens gerade in eben dem Verhältnisse ausgebreiteter wird, in welchem die bürgerliche Politur steigt, und daß sie über die Gränzen des bürgerlichen Lebens gar nicht hinausgeht, sondern mit demselben entsteht, und beim Fortgang desselben an Macht und Kraft zunimmt, und in ihren Aeßerungen immer fürchterlicher wird. Ein Paar Naturmenschen, die auf demselben Pfade zusammentreffen, werden daher nicht, wie Ho b bes meint, ohne irgend einen weiten Grund zu kennen, als daß sie beide zwei Beine, zwo Hände, zwei Augen, zwei Ohren, ähnliche Nasen, Stirne und Mund haben, feindseelig übereinander herfallen, sich aufs Blut bal[19]gen, und einander die Köpfe zusammenhauen. – Ob sie sich auf der andern Seite, nach Puf fen do rf s Hypothese, gleich beim ersten Auftritt, um den Hals fallen, sich herzen und küssen werden, ist wieder eine andere Frage, die nach reifer Untersuchung, wie die vorige, verneinet werden muß. Der ursprüngliche Mensch der Natur ist nicht reissender Wolf, aber er ist auch nicht der puffendorfsche freundliche Engel. Was ist er denn? Ein Mittelding zwischen der englischen Geselligkeit, und der widerspenstigen, verfolgerischen, teufelischen Ungeselligkeit, dessen nähere eigenthümliche Bestimmungen aus den nachstehenden Bemerkungen einleuchten werden.
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Unter allen Schriftstellern, die den ungeselligen Menschen für ein erträumtes Phantom halten, haben sich Rei ma rus und H ome am ausführlichsten mit der Wiederlegung diese in ihren Augen chimärischen Charakters der natürlichen Menschen beschäftiget. In so fern wurden sie Advokaten der guten Sache, die sie aber auf der andern Seite dadurch wieder ganz verderben, daß sie den Menschen für gesellig erklären, und ihm gar einen eignen Trieb zur Geselligkeit einpflanzten1. Wir wollen diese Parthei auch abhören, um endlich dieser streitigen Untersuchung, die nicht nur an und für sich anziehende Reize, sondern für die gegenwärtige Hauptfrage, von der Beschaffenheit des Standes der Natur, auch [21] Interesse genug hat, ihr unverrückbares Ziel zu stecken. Der Mensch, sagt Re im aru s, ist nicht zum ungeselligen, sondern zum geselligen Zustand gemacht. E rstl i c h: »Weil eine nackte, waffenlose Kreatur, welche viel schwächer ist, als viele andre bösartige Thiere, nothwendig schüchtern ist, und sich aus Furcht zu ihres Gleichen hält.«2 – Diese Erinnerung ist kraftlos; weil sie zu hoch in der Religion des Allgemeinen hangen bleibt. Die genauere Analyse deckt ihre Schwäche auf. Die Furcht nemlich ist nicht eine natürliche, ungereizte Empfindung. Kein Mensch kann sich fürchten, wofern er nicht zu wiederhohltenmalen gewisse Ereignisse erfahren, die er für Uebel und Unglück hielt. Diese wiederhohlte Empfindung unangenehmer Vorfälle erzeugt die Empfindung der Furcht. Man seze nun den Fall, daß ein Mensch nie in Umstände gerathen, die er für schmerzhaft hielt; so wird man auch nicht von ihm sagen können, daß er sich fürchte. Dieser Fall ist beim Naturnmenschen sehr leicht gedenkbar; weil die Zahl der Vorfälle, die er als schmerzerzeugende Uebel verabscheuen kann, ungemein klein ist. Man denke sich ihn in jenen glücklichen Klimaten, wo er Jahr aus Jahr ein Früchte, Kräuter, Wurzeln, Wasser findet. Da hat er alle Güter, die er kennt; und kein Uebel ist da, welches er befürchten dürfte. Ja, er könnte überall gar nichts befürchten, wenn er sein ganzens Leben in diesem Wohlstand verleben sollte. Ein solches Menschenkind würde daher gar nicht Ursache haben, sich aus Furcht zu seines Gleichen zu halten, und, bei dieser Voraussetzung, würde dieser Grund für die menschliche Geselligkeit eine Lücke haben, die die Ueberzeugung von jenem Saz unmöglich machen müßte. Hiezu kömmt noch, daß sich auch die zaghafteste Furcht mit der Zeit vermindert, und daß man sich gewöhnen kann, auch den größten hereinbrechenden Uebeln, mit Muth und Entschlossenheit entgegen zu gehen. Auch unter diesen Umständen würde ein isolirtes Geschöpf nicht zu seines Gleichen seine Zuflucht zu nehmen brauchen. Die isolirte Ulme bedarf des Anschlingens, an [23] ein anderes Gehölz nicht; mit eigner Kraft strebt sie einsam nach den Wolken auf. Der bürgerliche Mensch selbst hat ja sehr oft Gelegenheit, in der unzugänglichsten
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Dies thut besonders H o m e, nach seiner bekannten unphilosophischen Weise, in seinen sketches of the History of Man. Vol. I. Book II. Essay 1. D i e v o r n e h m s t e n W a h r h e i t e n d e r n a t ü r l i c h e n R e l i g i o n. Abhandlung VII. §. 5.
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Einsamkeit, von allen Menschen abgesondert, zu handeln und zu wandeln. Es wäre sonderbar, wenn er’s mit Furcht und mit Schrecken thun müßte. Und ist der Mensch denn auch wirklich eine so nackte, waffenlose, schwache Kreatur, die, ohne sich wie die Eppichranke an einen andern Stab anzuschmiegen, und von diesem empor zu kriechen, siechen und verdorren müßte? Vom werdenden Menschen, wer wills bezweifeln? Aber von diesem ist hier auch die Rede nicht. Denn gegenseitiges Bedürfniß schmiedet, wie unten (VIII.) gezeigt werden soll, die Ketten der Gesellschaft unter Mutter und Kind fest zusammen. Das Letztere ist der Vasall der mütterlichen Pflege; weil es physisch unmöglich ist, daß es ihrer Gesellschaft entlaufen sollte. Die Mutter findet auch, daß sie sich der Bürde der Muttermilch auf keine leichtere, bequemere und angenehmere Art entledigen kann. [24] So wenig sich daher, aus der Zwangsverbindung zwischen Mutter und Kind, die Geselligkeitsliebe der menschlichen Natur mit irgend einiger Wahrscheinlichkeit folgern läßt: eben so wenig darf man das menschliche Kind als Ebenbild der Schwäche darstellen, nach welchem alle menschliche Körper, auf eine gleiche Art, zusammenschrumpfen müßten. Der menschliche Mann ist auch Mensch. Von Natur ist er robust und mannhaft; Seine Knochen sind markigt; Seine Sehnen straff; Seine Muskeln fleischigt; Sein Nacken ist steif; Sein Puls lebendig. Das Verdünsten der körperlichen Geister und Säfte wird nur durchs heilige Feuer bewirkt, welches auf dem Heerd des Staats ewig brennt. Von der physischen Erschlaffung der Federkräfte, die im bürgerlichen Leben, durch Weichlichkeit, Debanchen und Mangel, ganze Generationen in wandelnde Leichen umschaft, bis am Ende kein chirurgisches Einschnüren der rachitischen Glieder weiter helfen will, sondern die ganze Race ausgehen muß, – von solchen Entnervungen und Entkräftungen weiß der Naturmensch nichts, und es ist ärgerlich, wenn man von den Puppenseelchen, [25] den Minneknäblein, und den marklosen seidenen Strümpfen unsers verblasenen Zeitalters, auf die Riesenkörper unsrer Urväter fortschließt. Der Städtler saugt durch alle Oefnungen seiner Haut unaufhörlich die schädlichsten Dünste ein. Die Luft, die schon von mehreren Lungen ein- und ausgeathmet worden, und die so ihre Elastizität eingebüßt hat, dehnt seine Brust oft so wenig aus, daß er mühsam nach ihr schnappen muß. Ferner, die tausendfachen gekünstelten Vermischungen der Nahrungsmittel, die nicht selten eine aufbrausende Gährung ihrer sich verzehrenden Säfte verursachen, und ein schleichendes Gift in den Körper bringen. Sodann, der Unsinn der meisten modischen Kleidertrachten; da der Weltweise von Knaben ausgezischt, von Erwachsenen verspottet, von Hunden auf der Straße angebellet, und das Gelächter von ganz Paris wurde, wie er im gemächlichern orientalischen Puz hervortrat, der seinen kränklichen Körper angemessener war, als der Zwang der Polonoise, der französischen Weste und der preußischen Beinkleider. Endlich, das Heer hiziger auszehrender Leidenschaften; das Ueberwa[26]chen, Ueberessen, Ueberarbeiten, die fauligten Passatkrankheiten der Brust, die jeden Frühling so viele Menschen aus ihren dumpfigten Stuben wegraffen, oder ihnen doch ihr nahes Grab öfnen; – Alles, alles schwellt die Kranken und Todtenlisten der bürgerlichen Menschen in einem so ungewöhnlichen Grad an. Lauter Umstände, die, ohne daß sie auf den gesündern Sohn der Natur ihre fürchterlichen Einflüsse äußern könnten, jeden Liebhaber des Lebens im bürgerlichen Zustand beugen und niederschlagen müssen, der es am Ende doch für kein geringes Glück erachten muß, daß er, nach aller Erschöpfung seines durch die zahllose Menge von Krankheiten und Schmerzen abgehärmten und ausgesogenen Lebens, zulezt noch aus dem Fluß des Todes einen labenden
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Trank schöpfen darf, dessen berauschende Kraft eine angenehme, vielleicht eine ewige Vergessenheit alles erlittenen Jammers, bewirken wird. Auf solche Weise verwischt das ähnliche Bild eines vollständig gesunden Naturmenschen alle ihm angedichteten Spuren von körperlicher Schwäche, die nur unsre Cicisbeo’s und [27] petits Maitres charakterisiren. Der Mensch ist in der That das galiste und geschmeidigste unter allen größern lebendigen Geschöpfen unserer Erdwelt. Diese Geschmeidigkeit ersezt den ganzen Ueberschuß an Stärke, wodurch ihm etwa ein anderes ungelenksames und unbehülflicheres Thier überlegen seyn könnte. Durch sie ist er in den Stand gesezt, die Anwendung aller seiner Kräfte so zu vertheilen, daß er alle übrigen Thiere zähmen und bändigen, und folglich schon, nach dem Recht des Stärkern, ihr Herr seyn kann. Daher sind, wie Bu ff on ausdrücklich anmerkt, die reizendesten, gierigsten und boshaftesten Thiere an keinem Ort ruhiger, und kein Wohnsitz behagt ihnen besser, als Wildnisse und Wüsteneyen; Sie fliehen die Wohnungen der Menschen; und der Löwe selbst greift nie einen Menschen sondern nur jedes andre Thier an, wenn er Menschen und Thiere beisammen findet. Die Krokodille, die in großer Menge in den Flüssen leben, von denen die Küste von Guinea durchströmt wird, begeben sich, um die Sonnenhitze desto lebhafter zu empfinden, gewöhnlich an die Ufer der Ströme. Sie stürzen sich aber sogleich ins [28] Wasser, wenn sie einen Menschen gewahr werden, ohne sonst vor irgend einem andern Thier zu fleihn. Die Ankunft des wehrlosen A da ns on konnte ein Tiger nicht aushalten; Er entfernte sich, ehe der Reisende noch Anstalten machte, um ihn zu verscheuchen. Diese Bemerkungen werden hoffentlich sowol über den ersten Grund des Verfassers, dessen Behauptung wir näher untersuchen, als auch über die folgenden Beweise desselben, einiges Licht verbreiten. Sein zwe it er Grund für den Satz, daß der Mensch ein geselliges Thier sey, ist dieser: »Weil wir die natürliche Geselligkeit an vielen andern Thieren, die dem Menschen an Friedfertigkeit und Schwäche ähnlich sind, wirklich wahrnehmen, daß sie sich und ihre Jungen auf eine solche Art zu schützen suchen«3. A nt w or t. Das gegenseitige Verhältniß der jungen zu den alten Thieren darf mit nichten der Untersuchung über eine eingepflanzte Zuneigung derselben zu einander beigemischt werden. Denn dieser Drang ist phy[29]sisches Bedürfniß; und man kann daher, so lang die Sache nicht aus andern Gründen erhärtet ist, immer sagen, daß das junge Thier die Bande der Anhänglichkeit an seiner Mutter vielleicht gern zerreissen würde, wenn es in seiner Gewalt stünde; und wiederum, daß das alte Thier seine Verbindung mit dem Jungen gar wohl als eine Last ansehn könne, die es wider seinen Willen tragen muß. Wie läßt sich da von Neigung und von Disposition zur Geselligkeit sprechen? Daß dies wahrscheinlich bei allen Thieren der Fall sey, lehren alle Beobachtungen der Naturforscher. Das junge Thier scheint seiner Mutter gar nicht mehr anzugehören, sobald es seine Speise, seine Feinde, und die Gefahren seiner Gattung kennen gelernt hat. Nach dieser Zeit bekümmert sich die Mutter gleichfalls nicht weiter um ihr Junges. Nur die Zeit der Pflege ist die Zeit der Geselligkeit. Mit dieser Periode im thierischen Leben scheint die Liebe zur Geselligkeit in beiden Individuen zu erkalten. Der Mensch selbst ist hievon das sprechendste Beispiel. Das menschliche Kind ist gegen die Person, die es geboren hat, durchaus gleichgültig; wenn es nicht [30] täglich in ihrem Schoß liegt, nicht aus ihren Brüsten seine Nahrung saugt, nicht von ihrer Hand gestreichelt und gepflegt wird. Nur seiner Wärterin lächelt es frölich seine dankbare 3
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Empfindungen zu; Nur an sie allein drückt es sich fest an; und es weint, wenn man es den Armen seiner ihm unkenntlichen Mutter anvertrauet. Ein klarer Beweis, daß nur die Empfindung befriedigter Bedürfnisse die gesellige Liebe anfacht; daß diese Liebe nur solche Personen umfaßt, durch deren Wirksamkeit jene Bedürfnisse gemildert und gestillt werden; und endlich, daß sie selbst gegen diese Personen nur gar zu geschwind kalt wird, wenn ihr Feuer nicht von Zeit zu Zeit, durch wiederhohlte Liebesdienste, frische Nahrung erhält. Sodann beweiset dieser Grund – »daß wir die natürliche Geselligkeit an vielen andern Thieren, die dem Menschen an Friedfertigkeit und an Schwäche ähnlich sind, wirklich wahrnehmen,« – dieser Grund, sag’ ich, beweiset zu viel. Denn dies scheinbare gesellige Beisammensein der Alten und der Jungen, ist auch bei sehr vielen Raub[31]thieren anzutreffen, die den Menschen an Friedfertigkeit und an Schwäche ganz und gar unähnlich sind. Wenn die jungen Wölfe zween Monate in ihrem Lager zugebracht, worinnen sie von ihrer Mutter gefüttert wurden: so traben sie ihr endlich nach, zerreissen mit ihr gemeinschaftlich lebende Thiere; machen sich stuffenweise zum Raub geschickter, und bringen es endlich so weit, sich selbst nebst ihr mit Lebensvorrath zu versorgen. Die beständige Uebung im Rauben, unter der Aufsicht und nach dem Beispiel einer schon abgerichteten Mutter, macht ihnen diese gesellschaftliche Verbindung bald entbehrlich, und die Uneinigkeit bei der Theilung des Raubes macht sie ihnen lästig. Der Instinkt, der die Mutter zu einer abermaligen Begattung gewaltsam treibt, zerstört endlich den aufkeimenden Saamen der mütterlichen Zärtlichkeit. Sie folgt diesen stärkern Ruf der Natur, paaret sich von neuem, und schüttelt sie Fesseln des gesellschaftlichen Umgangs ab4. Nach A d a ns o n’s Bericht gehen am Senegal Löwen und Wölfe gemeinschaftlich [32] auf den Raub aus, und sie verzehren nachher auch das Geraubte gemeinschaftlich. Vergeblich bemüht sich der L ord K a imes dieses Analogon von der geselligen Vereinigung der Wölfe damit zu entkräften, daß die Wölfe jeden ihrer Brüder, wenn er verwundet wird, tödten, und auffressen. Das thut der Grönländer auch; er schlägt seinen alten, lebenssatten, kranken Vater todt, und frißt ihn hernach. – Aber, das ist das klägliche Schicksal des Philosophen; der überall darauf ausgeht, Endursachen der Allweisheit aufzuspüren; überall, mit dem kurzsichtigen menschlichen Blick, Fußstapfen der göttlichen Providenz auszuspähen. Es klingt freylich anfänglich sehr schön: »Die Glückseeligkeit hängt so sehr von der Gesellschaft ab, daß wir es ungern sehn würden, wenn Löwen, Tiger, Bären oder Wölfe einen Trieb zur Gesellschaft hätten. Die Güte der Vorsehung gegen die Menschen zeigt sich darinnen sehr deutlich, daß sie dergleichen Thieren diesen Trieb versagt hat. Ihre Stärke, Geschwindigkeit und Gefräßigkeit machen sie schon einzeln furchtbar; und ich würde für das menschliche Geschlecht erzittern, wenn sie den Trieb hät[33]ten, in Gesellschaft Krieg zu führen«5. Aber was hilft’s, wenn die gewissesten Fakta widersprechen? Diese Thiere, so wie auch viele Raubvögel, suchen ihren Raub allerdings in Gesellschaft auf. Die Gegenvorkehrungen aber, die das Schreckliche ihrer gemeinschaftlichen räuberischen Unternehmungen vermindern, sind gerade eben dieselbigen, die die möglichst fürchterlichen Progressen eines aus mehreren unabhängigen Staaten kombinirten Kriegsheeres sehr beengen: ich meine, die Uneinigkeit; eine fast nothwendige Folge einer aus vielen unabhängigen Gliedern zusammengesezten Gesellschaft.
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Re ima rus selbst nimmt das, was er oben (Nu m. 2.) behauptet hatte, gleich auf der nächsten Seite, mit dürren Worten zurück. »Löwen und Tiger, heißt es, Wölfe und Bären wohnen paarweise in den Höhlen beisammen, schützen, nähren und führen ihre Brut gemeinschaftlich zur Jagd an«[.] Dies sind doch wohl nicht Thiere, die den Menschen an Friedfertigkeit und an Schwäche ähnlich sind. – Ueberhaupt [34] ist der Mensch in jedem Zustand, im Zustand der Wildheit so gut, als der Natur, Mensch. Man kann kein Thier zum Modell unsrer Natur, in ihrem ursprünglichen Zustand annehmen. Man kann nicht aus der Zusammenstellung unsers Zustandes mit dem Thier seine Natur kennen lernen; wofern man nicht ungegründete Vorspiegelungen der Phantasie unter die Materialien der wahren Geschichte der Menschheit aufnehmen will, die wir freilich, beim gänzlichen Mangel ächter Denkmäler, unmöglich bis zum ersten Pulsschlag der Menschheit hinaufführen können. Der dr it te Beweis dieses Schriftstellers verbleibt noch erwogen zu werden. Der Mensch ist von Natur gesellig. »Weil nicht der geringste Grund vorhanden ist, warum er vermöge seiner eignen Natur lieber allein, als bei seines Gleichen seyn wollte; da er von diesen nichts zu fürchten; hingegen, wegen des Mitleids, welches ihnen Ro us sea u selbst als natürlich beilegt, allen Beistand von ihnen zu erwarten hat.« – Aber, wer sieht nicht, da derjenige, der diesen Beweis brauchen kann, die Sache, worüber gestritten wird, schon für ganz entschieden halten muß? [35] Wie? Wenn der Mensch sich selbst genug wäre; sollte denn nicht Grund genug vorhanden seyn, warum er, vermöge seiner eignen Natur, lieber allein und für sich, als im hindernden Gewühl von Wesen seiner Art, leben und weben wollte? Das Bewußtsein von Andern so sehr abzuhangen, daß man ohne sie die Stuffen von Glückseeligkeit nicht erreichen kann, auf die man zu gelangen wünschte, muß jeden selbstständigen Menschen empfindlich kränken. Wie? Wenn diese angeklammerte Abhängigkeit; wenn das vermischte Durcheinanderwirken mehrerer Kräfte, mehrerer Menschen, zur Bewirkung eines einzigen wünschenswerthen Zwecks, der die gewünschte Glückseeligkeit eines einzigen ihrer Brüder betrift, eine von den bittersten Früchten der bürgerlichen Verfassung wäre? Wie? Wenn der Naturmensch sich durch jeden Punkt der kleinen Sphäre seines Glücks, aus eigner Kraft bewegen könnte; ohne das oft so lästige Bitten, Flehn und Seufzen um die gesellige Hülfe nöthig zu haben? Die Lehre von der Sympathie, auf die sich Reima rus beruft, hat, nach unsrer Vorstellungsart, auch eine von der gewöhnlichen Form [36] sehr abweichende Gestalt. Wer uns auf dem Wege, den wir betreten werden, folgen will, wird erkennen, wie sie aussieht, und ob wir ihr Bild treu kopirt haben.
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Was also die Fähigkeit des Menschen anlangt, an allen Arten an- und unangenehmer Empfindungen fühlender Wesen Theil zu nehmen; durch diese Theilnehmung in ähnliche Empfindungen versezt zu werden; durch diese Versezung in ähnliche Empfindungen, so wohl vom Vergnügen andrer froher Wesen auf eine angenehme Weise erschüttert, als von ihrem Schmerz, mit Schmerz angefallen zu werden, und folglich der Regung des natürlichen Triebes zur Glückseeligkeit gemäß, jene zu verlängern, diesen zu tilgen; so ist es noch sehr zweifelhaft, ob nicht erst
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die Gesellschaft dieses Organ schaft. Der Kreis von Vergnügungen im bürgerlichen Leben [37] ist (wol zu merken, neben die Schaaren von Bedürfnissen und Unannehmlichkeiten desselben gestellt,) so außerordentlich beschränkt, daß der polizirte und aufgeklärte Mensch, um sich die Bitterkeit seiner Politur und Aufklärung so viel möglich zu versüßen, nothwendig früh auf die Erweiterung seiner Fähigkeit, Vergnügen zu schmeken, denken mußte. Das Mittel hiezu war eine unaufhörliche Anspannung und Uebung seiner Nerven; die Verfeinerung ihrer Empfindlichkeit, und eine ökonomische Benutzung ihrer Mitleidenschaft. Sobald der Mensch in Gesellschaft trat, öffnete sich, so zu sagen, ein neues vorher verschlossenes Organ, welches von einigen Weltweisen das Mo ra l is che genannt wird. Zuverläßig ist die Sympathie eine Hauptfiber an diesem Organ. Durch sie gewann der Mensch so viel, daß er alle Vergnügungen, die von irgend einem fühlenden Wesen, auch in Meilen weiter Entfernung von ihm genossen wurden, sogleich mit genießen konnte; sobald er nur umständlich davon benachrichtigt wurde. Freilich floß aus dieser neuen Quelle von Empfindungen, neben dem Nektar [38] des Vergnügens, auch eine Stromader aus, die galligtes und vergiftendes Wasser führte. Denn die Sympathie erzeugt zwar neues Vergnügen; aber auch neuen Schmerz; und es werden, der Erfahrung zu folge, wirklich ungleich mehr Menschen vom sympathetischen Schmerz angefallen, als vom sympathetischen Vergnügen erheitert werden. Dies Vergnügen ist von unendlich feinerer Art, und es erheischt eine ungleich größere Feinheit der Empfindungswerkzeuge, als zum Gefühl des sympathetischen Schmerzes nöthig ist. Beim Leiden des Freundes mit leiden, ist auch den stumpfen Seelen vergönnt; aber sich bei seiner Freude mit freuen, ist nur die himmlische Gabe edlerer, verfeinerter, geschärfter Seelen. Und nur diese waren es, die auf die Ausbildung der sympathetischen Gefühle drangen; Jene würden sie wahrscheinlich, wegen des Uebergewichtes von sympathetischem Schmerz, das sie bei der Grobheit ihrer Nerven trift, wie aufgeweckt haben. Die Natur hat nun einmal die Einrichtung beliebt, daß der Mensch überall das Unangenehme lebhafter fühlen muß, als das Ange[39]nehme; daß Schmerz und Betrübniß tiefere, daurende und fühlbarere Eindrücke auf ihn machen sollen, als die entgegen gesezten gewünschten Gemüthszustände; weil ihr Stachel spitziger, ihre Gewalt kräftiger, und ihre anziehende Kraft zum Nachdenken und Ueberlegung größer ist, als beim Freudegefühl. Schmerz ist der Triebstachel zum Fortstreben und zur Thätigkeit. Warum nicht auch das Vergnügen, wenigstens nicht in dem Maaß? Wer diese Frage thun kann, der hadere mit der Natur; Ich sage mich von ihrer Verteidigung, wenn es auf dergleichen Eigenheiten ankömmt, los. Nur eins will ich hiebei im vorbeigehen bemerken. Diejenigen, die das überschwenglich Uebergewicht des Guten, über das Böse in der Welt, so schwärmerisch herausstreichen, müßten die Würkung und die Nutzbarkeit des Uebels nicht mit einer so hinschwebenden Unachtsamkeit übersehn. Auf der andern Seite müßte der schwermüthige, mißvergnügte Ankläger der Natur, die Unbilligkeit seiner Klagen, über das endlose Unglück gleichfalls erkennen. Es ist gewiß mehr Gutes als Böses in der Welt. Demohngeachtet möchten die Subjektivischen Empfindungen des [40] Leidens und der Freude einander doch das Gleichgewicht halten, und zwar wegen der größern Attraktionskraft der erstern; indem sie uns in verdrießliche, quälende Betrachtungen versenken, da man hingegen das Glück, ohne viel zu reflektiren, genießt. Dieser Satz – daß die sympathetischen Empfindungen, Mitleid sowol als Mitfreude, vom bürgerlichen Leben Nachbarn sind, und besonders, daß sie durch die Sorgfalt der Erziehung
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ihre gehörige Richtung erhalten müssen, – findet in den richtigsten Beobachtungen über das menschliche Herz seine volle Bestätigung. Nichts ist gewöhnlicher, als die Erfahrung, daß die noch unausgebildeten Kinder am Leben gequälter Geschöpfe Vergnügen finden; daß sie ihre Marter gern durch neue Peinigungen erhöhen; ihr Zappeln mit neuen Konvulsionen vermehren! daß sie die Wermuth verspotten, und dergleichen. Die pflegende Hand des aufmerksamen Erziehers muß ihre Gefühle und Gesinnungen lenken; er muß ihren Seelen edlere, menschenfreundlichere Grundsätze einprägen, und ihrem Gemüth, durch oft wiederhohlte Erinnerungen, diejenige Stimmung zu geben suchen, die seinen Adel ausmacht. [41] So war ist’s, daß die Gesellschaft an der Sympathie alles thut! Die Fähigkeit zu sympathisiren ist ja nicht einmahl bei allen Erwachsenen, durch eine gute Erziehung ausgebildeten Menschen, in gleichen Grad vorhanden. Denn nicht alle Menschen sehen dieselbigen Vorfälle des Lebens, die ihre Brüder treffen, als Leiden, wenn es Leiden sind, oder als Freuden an, wenn sie zu den Freuden gehören; und nicht alle halten die wirklichen Leiden oder Freuden derselben für gleich groß. Sie können es auch nicht; weil sie sehr oft gar keine Gelegenheit gehabt, sich entweder aus eigner Erfahrung, oder aus Beschreibungen, von gewissen Leiden und Freuden die gehörigen Begriffe zu erwerben. So schön und leibenswürdig die menschliche Natur mit diesen sympathetischen Eigenschaften erscheint; so bleibt sich doch, auch ohne ihren Besitz, noch eben so schön. Denn die gemeinnützige Beeiferung für die Wolfahrt, für das Glück und das Vergnügen Andrer löset sich am Ende doch nur in den einigen Grundtrieb der Selbstliebe auf. Wir befördern das Glück und die Freude andrer [42] Menschen; weil die erheiternde Folge ihrer Wohlstandes am Ende mittelbarer Weise auch auf uns zurückfallen. Wir wenden die sie bedrohenden Unglücksfälle, durch unsern Diensteifer ab; weil wir befürchten müssen, über lang oder über kurz, von ähnlichen Unglücksfällen ergriffen, oder gar schon von den hineinbrechenden Uebeln unsrer Freunde, mittelbarer Weise selbst heimgesucht zu werden. Diese Hofnung und Furcht mag nun eine bloße Illusion seyn: so können wir uns des Wunsches doch nicht verwehren, daß des Leidens in der Welt wenig, und Freude die Fülle seyn möchte, um unser Haupt gegen jenes um so vile sicherer zu stellen, und um diese in so viel reicherem Maaße genießen zu können. Sympathie ist Selbstliebe, mit der neuen Modifikation, daß sie aus den glücklichen und unglücklichen Ereignissen, die andre Menschen treffen, Vortheile und Nutzen zu ziehn sucht. Was soll sie anders seyn; was könnte sie anders seyn? Sympathie ist kein eigenthümlicher, unabhängiger, zweiter Grundtrieb, der etwa in der einen Herzkammer wohnt, da die Selbstliebe in der andern residiret. Mehrheit von Grundtrie[43]ben, die für sich subsistiren, in einem einzelnen Menschen annehmen wollen, geschieht so wenig aufs Anrathen einer gesunden Philosophie, so wenig das Abtheilen mehrerer Grundkräfte einer menschlichen Seele in mehrere Kapitel, in der wirklichen Natur so aussieht, wie in den gangbaren Kompendien der Psychologie. Der ganze Mensch ist Eins. Es laufen nicht mehrere von einander unabhängige Triebwerke in ihm neben einander fort; sondern es ist ein großes Triebwerk, in welches alle Lebenskräfte eingreifen. Unser Selbst also ist es, welches sich auch bei den sympathetischen Gefühlen regt. Wir fühlen nicht für Andere, sondern für uns. Nur ein Paar Beweise aus sichern Beobachtungen; und damit soll es gut seyn. Woher kömmt’s, daß wir oft sehr lebhafte, vom scheinbaren Gefühl des Vergnügens oder des Mißvergnügens anderer Menschen erzeugte Empfindungen haben; wenn diese Menschen gleich gar kein Vergnügen oder Mißvergnügen genießen, und wenn wir es auch
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wissen, daß sie weder Gutes noch Böses empfinden? Warum färbt jungfräuliche Schaamröthe unser Antlitz, wenn ein Andrer den Wohlstand [44] beleidiget, ohngeachtet wir wissen, daß er es selbst nicht merkt, eine Ungeschicklichkeit begangen zu haben, und daß er folglich auch keine kränkende Reue darüber empfinden kann? Fühlen wir in dergleichen Fällen für ihn, oder fühlen wir für uns? Man suche dieses scheinbare Mitgefühl bei seinem ersten Ursprung auf; und man wird finden, daß es eigentlich aus der Versezung unsrer Person in die Stelle des Andern erzeugt wird, vergesellschaftet mit der Vorstellung, was wir unter solchen Umständen, nach unsrer jezigen Art zu empfinden, fühlen würden, und was auch der Andre wirklich fühlen müßte, wenn der Bau und die Beschaffenheit seiner Empfindungswerkzeuge mit den unsrigen eine merkliche Aehnlichkeit hätte. Wir empfinden demnach in diesem Fall, der uns die Natur in ihrem Gang aufgedeckt, und ohne Hülle ertappen läßt, um unsrer Selbst, nicht um Andrer Willen, was wir empfinden. – Ferner: Wir können mit keiner Empfindung sympathisiren, die wir nicht vorher selbst schon gehabt, und von deren Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit wir nicht aus eigner Erfahrung schon überzeugt sind. Mit dem begüterten Schwelger, [45] dessen Vermögen, durch Unbekanntschaft mit dem Lauf der Dinge und besonders mit dem Satz, daß auch die größten Schätze leicht erschöpft werden, zusammengekrochen ist, und der nun bei den hereinbrechenden Tagen des Mangels klagt, daß sie ihm nicht gefallen, mit einem solchen kann nur derjenige sympathisiren, der dieselbige oder eine ähnliche Verwandlung erlebt hat. Alle übrigen Menschen nehmen zwar sein jeziges Leiden zu Herzen; allein sie bemitleiden ihn nicht als einen unvernünftigen verarmten Verschwender, sondern überhaupt als jeden andern Thoren, der als ein Opfer der ökonomischen Ignoranz an den Bettelstab gerathen ist. Dies ist so wahr, daß sich auch solche Leidenschaften durch die Sympathie mittheilen, von den man glauben sollte, daß sie gar nicht anstecken, weil sie blos unser Ich zum Gegenstand haben. Unter gewissen Umständen sympathisirt der Neidische mit dem Neidischen, der Zornige mit dem Zornigen, der Eitle mit dem Eitlen. Ein jeder Andrer hingegen, der diese Leidenschaften nie gehorsamet hat, wird gerade mit Unwillen und mit Antipathie gegen denjenigen erfüllt, bei dem er sie wüthen sieht; eben weil er sich [46] nicht in den Zustand des leidenschaftlichen Menschen versezen, noch das bittere Vergnügen desselben schmecken kann. Es wird ihm dagegen viel leichter, das Mißvergnügen dessen zu fühlen, der der Gegenstand jener menschenfeindlichen Leidenschaften ist; vielleicht, weil er selbst schon oft ihr Gegenstand zu seyn Gelegenheit gehabt, und folglich aus eigner Erfahrung wissen muß, wie sehr ihre Wuth schmerzt. Ein unläugbarer Beweis von der Rückführung alles anscheinenden Theilnehmens auf unser Ich, oder von der Einerleiheit der Sympathie und der Selbstliebe. Hiezu nehme man noch den Umstand, daß unser Mitgefühl da am lebhaftesten ist, wo der frohe oder der niedergeschlagene Theil ungefähr zu unserm Geschlecht, Alter und Stand gehört; daß hingegen bei einer etwas großen Verschiedenheit dieser Momente, Anderer Glück nicht leicht unser Glück, und Anderer Kleiden nicht leicht unser Leiden werden kann. Die Schlußfolge ist folglich unleugbar, daß wir deswegen sympathisiren, damit Andre wiederum mit unsern Ereignissen mitleiden, oder sich mitfreuen; daß wir deswegen da nicht sympathisiren, wo wir voraus be[47]rechnen, daß wir nie in denselbigen Fall kommen, oder daß uns die anund unangenehmen Folgen vom gegenwärtigen, einen Andern betreffenden Schicksale, nicht zu Theil werden können, und daß sich folglich die Sympathie ganz in die Selbstliebe auflöset.
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Die Geschichte der wilden Völkerschaften ist diesen auf Beobachtungen beruhenden Räsonnements nicht entgegen. Sie sagt uns; die Fähigkeit durch die Gefühle Andrer zu ähnlichen Gefühlen angeregt und gereizt zu werden, mangele den rohen, unaufgeklärten, wilden Völkern, und die politische Kultur schaffe diese Art von Empfindungen. Wenn einige unter den Wilden, sagt Ro ber tso n, mit Krankheit heimgesucht werden: so fliehen alle ihre Nachbaren vor ihnen, aus Furcht angesteckt zu werden. Wenn sie sie aber auch nicht verlassen: so zeigen sie doch die kälteste Unempfindlichkeit. Da ist kein mitleidiger Blick, kein tröstendes Wort, keine Dienstbeflissenheit, den Kranken ihre Leiden zu erleichtern. Die nächsten Anverwandten nehmen sich ihrer nicht im mindesten an. Die Spanier mußten daher den Eheleuten, Eltern und Kindern, durch posi[48]tive Geseze, den Beistand in solchen Fällen zur Pflicht machen. Merkwürdig ist es, daß auch in polizirten Staaten eben nicht die am meisten zu schätzenden Charaktere die meiste Sympathie haben. Es sind gewöhnlich weichgeschaffne Seelen; Menschen mit einer sehr feurigen Imagination, mit sehr reizbaren Organen, woran mehrentheils Nervenschwäche Schuld hat; Schwärmer; frömmelnde, schwachköpfige Religiose; alte Weiber; feige Nonnen; Harlemsche Waisenkinder; verliebte Gecken; Genies etc. Alle empfindsamen Menschen dieser Art schaden im Ganzen mehr, als sie nuzen. Es sind sympathisirende Kinder. Wenn die anflammende Wuth verzehrender Leidenschaften dem politischen oder dem religiösen Enthusiasten das Schwerd in die Hand giebt: so impfet ihnen ihre Sympathie eine ähnliche Raserei ein. Mich grauset beim Greuel einer solchen Verwüstung. Geseegnet ist mir dagegen der geseztere Mann, dessen Sympathie, durch ein anhaltendes Studium des Naturverlaufs, durch aufmerksame Beobachtungen und Erfahrungen, durch den Genuß eigner Freuden und Leider gebildet und ge[49]nährt ist. Niemand verdient wärmer geliebt und höher geschätzt zu werden, als er. Er weis, wo er mitlachen; er weis, wo er mitweinen soll. * * * Der Verfasser dieser Schrift hat Zeit und Fleiß verschwendet; wenn seine Leser die bisherigen Anmerkungen für unbegründet erklären; wenn sie finden sollten, daß sie die Behauptungen, gegen die er streitet, nicht ganz aufwiegen. Er selbst hingegen ist von der Richtigkeit seiner Sätze so fest überzeugt, daß er sogar in denselben den reichhaltigsten Saamen ausgestreuet zu haben glaubt, der nicht nur dem Unkraut des Irrthums alle Nahrungssäfte entzieht; sondern auch alle zur Ausschmückung desselben hingepflanzte schöne, aber stinkende Blumen, ersticken soll. Er kann daher die übrigen Reimarusschen und Homeschen Gründe, die dem Lehrsatz, von der natürlichen Geselligkeit des Menschen, zur Bedeckung mitgegeben worden sind, um so viel eher mit Stillschweigen übergehen, da die genugthuende Antwort auf dieselben schon im vorigen eingewickelt liegt.
[50] V. Gleichgültigkeit des Menschen.
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Wenn nun der Mensch der Natur, nach Maaßgabe aller Beobachtungen über seine Gesinnungen und Empfindungen, weder gesellig, noch ungesellig genannt werden kann: so frägt sich’s,
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was ist er denn in Ansehung seines Wesens? – Er ist, was der gesellschaftliche bürgerliche Mensch gegen einen jeden, den er nicht kennt, auch noch ist; er ist g le ic hg ül ti g. Er geht bei ihm vorbei, ohne ihn weiter zu beachten, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, ohne über ihn herzufallen, um ihn zu prügeln oder zu küssen. Diese Gleichgültigkeit gegen Andre, dieser kummerlose Zustand ist der wahre Charakter der menschlichen Natur, der sich sogar bei den verwickeltesten Verbindungen in der bürgerlichen Gesellschaft nicht ganz verleugnen läßt. Wir sind auf keinen Menschen, der uns nicht durch Verwandschaft oder durch Bekanntschaft näher angeht, aufmerksam, so lang er ein Alltagsgesicht, einen Alltagsrock, einen Alltagsnamen, u. s. w. [51] hat. Zeichnet ihn seine Physiognomie, seine Kleidung, sein Betragen aus: so zieht er zwar unsre Aufmerksamkeit auf sich; allein, dies bleibt doch mehrentheils nur ein kaltes Angaffen: und es müssen sehr viele Umstände zusammentreffen: wir müssen ihn auf eine eigne Art denken, reden, wollen, handeln, sehn, ehe wir ihn unter dem Mikroskop näher zu untersuchen wünschen. Diese Eigenschaft der unbekümmerten Gleichgültigkeit scheint auch Rou ss eau in einigen Stellen seiner Schrift, über den Ursprung der Ungleichheit der Menschen, im Sinne gehabt zu haben. Allein seine Bestreiter belegten demohngeachtet seine Hypothese mit dem Fluch des hobbesischen Namens; weil er in der That nicht selten mit den Gedanken dieses sonst scharfsinnigen englischen Weltweisen zusammenstimmt; ohne seiner eignen richtigen Grundidee durchaus treu zu bleiben. Schon der natürliche Hang des Menschen zur Ruhe, zu Unthätigkeit und zur Trägheit läßt das Dasein der Gleichgültigkeit in seinem natürlichen Charakter vermuthen. Daß der Mensch jenen Hang wirklich hat, hat H e l ve t i u s aus dem [52] Beispiel der heutigen wilden Völker, die ein schärferes Gepräge der unverlarvten Natur an sich tragen, als der kultivirte Bürger Europens, besser dargethan; als einige deutsche Philosophen das Gegentheil bewiesen haben, die dem Menschen die Liebe zur Arbeit und Beschäftigung als natürlich aufdringen, und die, aus dieser ungegründeten, oder doch zweifelhaften Voraussezung, allerhand Erklärungen der mancherlei Phänomene der menschlichen Natur haben herauspressen wollen. Das Thätigsein des Menschen scheint einen Zustand der Unbehaglichkeit, eine Kränklichkeit seiner Nerven, und besonders der innern Gehirnorganen vorauszusetzen. Im Zustand des höchsten Wohlseins des Geistes, und der blühendesten Gesundheit des Körpers interessiret einen nichts; alles kömmt einem zu klein, zu unbedeutend vor, als daß man sich damit abgeben sollte. Man thut gerade nichts. Dem Baum müssen die Wurzeln abgehauen werden, wenn er Früchte tragen soll. Je gesunder der Baum, desto unfruchtbarer, und je gesunder der Mensch, desto unthätiger ist er. Beiden muß durch eine Unbehaglichkeit die vollströmende, über[53]fließende Kraft abgezapft werden. Zwar ist das Gefühl der Kraft gerade in dem Augenblick seines höchsten Wohlseins am lebhaftesten; allein es ist nicht scharf genug bestimmt; sondern der Mensch fühlt sich zu einer Verrichtung so gut aufgelegt, wie zu einer andern. Bei diesem Hin- und Herschwanken bleibt es denn gewöhnlich; und das Gefühl von Kraft scheint nicht eher in Thätigkeit und Wirksamkeit überzugehn, bis die Nerven nicht durch einen gewissen unnatürlichen Zustand sehr stark gereizt werden. – Doch, unser Ziel! Schöner erscheint unstreitig das Bild des Naturzustandes des Menschen, wenn dieser Grundzug seiner Gleichgültigkeit durch alle Farben durchschimmert, und sich alle übrigen Schattirungen zum Ausdruck jener Eigenschaft mischen; als der hobbesische und puffendorf-
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sche Mensch der Natur aussieht. Beim Anblick des Bildes der Natur, wie es H ob be s zeichnete, durchströmt uns Grausen und Schauder, und bei der puffendorfschen Schilderung schmelzt man in starre Unthätigkeit hin. Puf fe ndo rf s engelreine Zuneigung, Gefälligkeit, Sanftmuth und Zärtlichkeit verbannet alle Festigkeit und Standhaftigkeit des [54] Charakters, ohne welche der Mann ein läppisches Kind ist, bei dessen Tändeleien uns die Augen eben so übergehn müßten, als beim Rauben und Würgen des hobbesischen Naturmenschen. Wer daher in der Aufsuchung der vermuthlichen Endursachen Vergnügen findet, der kann auch bei der Betrachtung dieser Grundeigenschaft des Menschen, nach welcher er sich um Vettern und Basen wenig bekümmert, in bewundernde Lobpreisungen der Fürsehung ausbrechen. Denn jener Satz steht auch hier fest: G ot t h a t d e n Men s c he n z u r G le ic h g ü lt ig ke it g e s c ha f f e n.
VI. In wie fern ist die Geselligkeit in der menschlichen Natur gegründet? Diese Gleichgültigkeit gegen Wesen seiner Art verwandelt sich in eine wirkliche Neigung zur Gesellschaft; sobald gewisse Bedürfnisse hinzukommen, die in einem isolirten Zustand nicht be[55]friedigt werden können. Einige von diesen Bedürfnissen sind vorübergehend. Diese veranlassen auch blos eine transistorische gesellschaftliche Verbindung. Dahin gehört hauptsächlich die Befriedigung des Geschlechtstriebes, der, wenn er sich beim Menschen gleich nicht periodisch regt, doch allemal einer gewissen zufälligen Anregung bedarf. Weit unwiderstehlicher und angemessener wirkt in diesem Stück der Begattungstrieb in den übrigen Thieren. Aus diesem Grund ist die Meinung nichts weniger als wahrscheinlich, so allgemein sie auch die Geschichtschreiber der Menschengeschichte aufgenommen haben; daß nemlich der Drang des Geschlechtstriebes die Hauptursache von der Vereinigung der Menschen in die Gesellschaft sey. Wie? Wenn z. B. der männliche Mensch, nach der Stillung jenes Triebes, des Instrumentes seiner Brunst fernerhin gar nicht nöthig hätte? Je bleibender hingegen die Bedürfnisse sind, desto bleibender ist der gesellige Umgang; sobald jene durch diesen aufgehoben werden können. Nur einen Blick auf Erfahrungen, die in der Geschichte des bürgerlichen Menschen verzeich[56]net sind; und man hat den Beweis. Je selbstständiger ein Mann ist; je mehr er Andrer entbehren kann; – und das kann er, wenn er die volle Befriedigung seiner Bedürfnisse in seiner Gewalt hat, – desto mehr zieht er sich, wenn übrigens die vielen Nebenumstände gleich sind, in sein Kämmerlein zurück; desto ungeselliger wird er. Nicht leicht wird indessen irgend ein bürgerlicher Mensch, der mit seinem Vergnügen gehörig Haus zu halten weis, selbst wenn er in aller Rücksicht von allen seinen Mitbürgern ganz unabhängig wäre, dem Umgang mit Menschen Feindschaft schwören. Oder, wenn er’s thäte: so würde er mit Recht als ein moralisches Monstrum angesehn werden können, dem gewisse Organen entweder ganz fehlen, oder die er absichtlich ertödtet haben muß. Denn er würde ein Feind des Vergnügens seyn, welches ein geselliges Leben so reichlich uns darbietet, daß der weisere Oekonom des Vergnügens viele Nebenbäche ableiten muß, um sich am Hauptstrome desto ungestörter laben zu können. Das ist eben das Angenehme bei den Freuden der Gesell-
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schaft, daß man sich nur im Kreise auserwählter Menschen befinden, und daß [57] man diesen Kreis einem jeden Andern unzugänglich machen kann. Und, wer dann nicht genießen will, der ist dieses reinsten Genusses nicht würdig. Unter allen Bedürfnissen, die zur Unterhaltung der durch andre Mittel entzündeten Neigung zur Geselligkeit das meiste beitragen, scheint dies Bedürfniß des Vergnügens das hauptsächlichste zu seyn. Ganz gewis ist es das bleibendeste menschliche Bedürfniß. Es wirkt, zur Befestigung der einmal gegründeten politischen Verfassungen, und zur besseren Einhäckelung der mancherlei Räder der Staatsmaschiene, mehr mit, als alle übrige Flicken der Staatskunst. Nur aus ihm allein läßt es sich erklären, warum so viele Menschen einander aufsuchen, und so gern bei und um einander seyn mögen, da sie doch dieser Verbrüderung weder zu ihrer Vertheidigung, noch zur Hebung andrer Mängel nöthig haben. Sie finden Vergnügen im geselligen Umgang.
[58] VII. Resultat.
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Mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der bisherigen Betrachtungen steht und fällt das Resultat derselben: daß der Mensch, seiner Natur nach weder gesellig, noch ungesellig; und daß folglich der primitive Stand der Natur weder ein Stand des Krieges, noch ein goldenes Zeitalter der Geselligkeit ist. – Auf diesen Mittelweg, der bei dieser Untersuchung aufgefunden worden, möchten die an den beiden Seiten gehenden Parteien vielleicht leichter hinüber gebracht werden können, als wenn wir einen von den Seitenpfäden der streitenden Parteien hätten betreten müssen. Und der Streit wäre denn, auf diese Weise, nicht zum Vortheil irgend einer Partei, sondern zum Vortheil der Wahrheit entschieden, die der Menschenverstand auffinden muß, wenn er ausgemachte Fakta und realisirte Begriffe zum Grund legt. Wie sehr sich beide Partheien, durch eine nachlassende Folgsamkeit diesem Mittelweg nähern, [59] ist in den H ome sc he n Versuchen, über die Geschichte des Menschen, sichtbar. Dieser Schriftsteller vertheidiget die Gesellschaft, als eine natürliche Eigenschaft des Menschen; Er zeigt aber aus vielen Thatsachen, daß sich der Trieb zur Gesellschaft, selbst beim bürgerlichen Menschen, nicht über alle Wesen seiner Gattung ausdehne; Er folgert aus der großen Beschränkung dieses Triebes, den Satz, der sich noch auf eine andre Art beweisen läßt, daß eigentlich nur die kleineren bürgerlichen Gesellschaften der menschlichen Natur angemessen sind, und daß nur in diesen die menschlichen Kräfte am leichtesten verbessert, und die männlichen bürgerlichen Tugenden, Patriotism und Diensteifer, am besten gestärkt werden können6. Der allgemeine Gesellschafter ist in der That eben so wenig gesellig; so wenig der allgemeine Freund jemandes Freund ist. Diejenigen, die im Menschen einen außerordentlich starken, von der Natur ihm eingepflanzten Hang zu seines Gleichen finden wollen, [60] mögen zusehn, wie sie mit dem Faktum, daß Menschen einander fressen, und daß ursprünglich wahrscheinlich alle Nationen Kannibalen 6
M o n t e s q u i e u ’s Beweis für eben diesen Satz steht im Esprit des Loix, Liv. IX. Chap. 6.
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waren, bei Aufhaltung ihrer Theorie, durchlangen wollen. Die Löwen, Tiger und andere Raubthiere scheinen einen bei weitem stärkern natürlichen Abscheu für dem Fleischessen ihrer Art zu haben, als Menschen für Menschenfleisch, welches allen Menschenfressern die größte Delikatesse seyn soll; da doch die Thiere derselbigen Art einander nur in der äußersten Hungersnoth aufzehren. A r ist ote le s bringt alle Thiere unter drei Hauptklassen. Sie leben nemlich entweder in Gesellschaft, oder einzeln, oder bald in Gesellschaft, bald in der Einsamkeit, nachdem es eben die Gelegenheit mit sich bringt. Der Mensch gehört zu dieser lezten Hauptklasse. Er ist nicht ausschliessend gesellig; auch nicht durchaus ungesellig; sondern beide Eigenschaften kommen ihm zu. Er kann in Gesellschaft leben, kann es auch nicht; so wie denn in seiner Natur überall entgegengesezte Eigenschaften vorhanden sind. Er hat z. B. Verstand, und auch nicht; Er geht auf zwei Beinen, und auch nicht etc. So wenig er aber ge[61]zwungen ist, in Gesellschaft zu leben; so wenig ist er auf der andern Seite genöthigt, in einem vereinzelten Zustand zu existiren. Folglich liegt die hieher gehörige Eigenschaft seines Wesens in der Mitte zwischen diesen beiden Zuständen, in welchen wir den Menschen noch immer antreffen7. Andre Naturforscher haben geglaubt, der Mensch müsse wegen der eigenthümlichen Beschaffenheit seiner Zähne und Eingeweide, diese mittlere Klasse von Thieren ausmachen. Wir fühlen aber dieser Art von Beweisen zu wenig Kraft an, als daß wir ihnen eine nähere Beleuchtung widmen dürften.
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Oben hieß es, die Mutterliebe sey eine durch das pressendeste physische Bedürfniß erzwungene Verbindung mit ihrem Kind, aus welcher der Besitz einer dem Menschen eingepflanzten natürlichen Neigung zur Geselligkeit eben so wenig gefolgert werden könne; so wenig sich von dem an der Kette liegenden frölichen Wahnsinnigen sagen lasse, daß er Neigung zu diesem traurigen Aufenthaltsorte habe. Hier sind einige Erläuterungen und Beweise. Die mütterliche Pflege ist anfänglich nichts weniger, als eine Frucht ihrer Zuneigung zum gebornen Kind. Sie hängt es an ihre Brüste; weil der Stich der Muttermilch, der ihr den heftigsten Schmerz verursachte, durch das Saugen des Kindes nachläßt. Das Gefühl des Schönen müßte in der That bei den Müttern ganz abgestumpft; und ihr Geschmack müßte in einem ungewöhnlich hohen Grad verdorben seyn; wenn sie [63] den häßlichsten unter allen Gegenständen der ganzen Schöpfung schön finden, oder sich gar in denselben verlieben könnten. Denn so wie der erwachsene Mensch, den die Natur übrigens nicht versäumt hat, das schönste unter allen schönen Objekten ist: eben so ist, auf der andern Seite, ein ungebornes, oder ein ebengebornes menschliches Kind, das häßlichste unter allen Dingen. Widerlich, unangenehm und beleidigend sind die Eindrücke, die es auf einen jeden unsrer äußeren Sinne macht. Der Anblick 7
Histor. Animal. Lib. I. Cap. 1. Wir können hier eine Emendation dieser offenbar korrumpirten Stelle mittheilen; wenn dem Leser mit griechischen Konjekturen gedient wäre.
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desselben ist unaushaltbar; und man muß Mutter seyn, um es nur einen Augenblick sehn und hören zu können. Mädchen! die Grazie deiner Jungfrauschaft verwundet des Jünglings Herz nur durch dein Gebilde, mit dem Pfeil der Liebe. Deine Augen, Brunnen des Lichts und des Lebens. Um deinen Busen schlang die Natur den Gürtel des Liebreizes: Sie wusch ihn mit Milch der Unschuld; krönte ihn mit der Rose der Liebe, die lange im Knöspchen blühet. – Aber den ungestalteten, unproportionirten, schwachen, unmündigen Säugling lieben, ist dem menschlichen Herzen unmöglich; so unmöglich dem [64] Philosophen die Erklärung einer solchen Liebe seyn müßte. Zum Glück ist diese Erklärung auch nicht nöthig. Denn was soll eigentlich erklärt werden? Was liegt für ein Faktum zu Grunde? Widersprechen nicht die wirklichen Fakta den erdichteten Erscheinungen der Mutterliebe, die man bisweilen mühsam zu erklären gesucht hat; Daß in den ersten Tagen keine liebreiche Zuneigung der Mutter zu ihrem Kind da ist, lehrt schon die Gleichgültigkeit, mit welcher die Mütter das frühe Verwelken der jungen, schwachen Pflanze ertragen. Wenn Tage und Wochen verflossen sind, geht erst jene ursprüngliche Bedürfnißverbindung in wahre Zuneigung und Liebe über. Und das ist kein Wunder. Die Mutter findet gar bald in ihrem sich verschönernden Kind ihr eignes Bild wieder. Es ist Blut von ihrem Blut, Fleisch von ihrem Fleisch. Das Gemisch von zunehmender Kraft, bei aller noch vorhandenen Schwäche und Dürftigkeit; diese Hülflosigkeit selbst; die immer sichtbarer hervorstechenden Reize der äußern Form, die innern Geistesfähigkeiten, und [65] des stufenweise sich entfaltenden ganzen Adels der Menschheit; die Gewahrnehmung, daß die angewandte Sorgfalt und Pflege nicht fruchtlos ist, sondern sich in der Zunahme der kindlichen Kräfte deutlich äußert; die Gewohnheit selbst, um welcher Willen auch Pflegeeltern ihre Pflegekinder zärtlich lieben können, besonders wenn sie sehn, daß die Kinder ihren schönsten Hofnungen entsprechen, und daß sie die auf ihre Pflege verwendeten Kosten und Sorgen frühe mit den rührenden Ergießungen eines dankbaren kindlichen Herzens erwidern; endlich die süße Belohnung der mütterlichen mühsamen und schmerzhaften Aufopferung, durch ein unschuldiges, dankbares Lächeln des sonst so unbesorgten Säuglings – sind lauter neue hinzukommende Veranlassungen zur mütterlichen Liebe und Erbarmung. Bei solchen Aufforderungen zur geselligen Liebe eiskalt bleiben, ist keiner Mutter möglich, wenn sie auch noch so barbarisch wäre. Ja, es möchte sich fast finden, daß in Müttern, bei welchen die Natur noch am stärksten arbeitet, in Wildinnen, die Liebe feuriger glühn müsse, als im Herzen solcher Personen, die mit dem Firniß einer hohen Kultur überzogen [66] sind. Denn die Lezteren haben weit mehr Gegenstände in der belebten und unbelebten Natur, unter die sie ihre Liebe zu vertheilen pflegen, als die Erstern. Diese Zuneigung der Eltern zu ihren Kindern erscheint bei den verschiedenen Völkern des Erdbodens in ganz verschiedenen Gestalten. Ihre Nuancen und Modifikationen sind oft so abweichend, daß man bei der einen Nation die zärtlichste Zuneigung und die wärmste Liebe; bei andern, ungerührte Gleichgültigkeit; bei der dritten, gar tyrannische Härte, und die heftigsten Ausbrüche der unumschränkten Gewalt des Tyrannen über seine Sklaven, statt der Vaterund der Mutterliebe, wahrnimmt. Und das nicht bei einzelnen Individuen, sondern bei ganzen Völkerschaften; und zwar bei Völkerschaften, über deren Scheitel die Sonne der Kultur schon sehr hoch stand; zum Beweis, daß sich die menschliche Natur auf der Erde wie ein Chamäleon verändert, daß die Begriffe von Moralität, Recht etc. wandelbar sind, und daß alles ländlich sitt-
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lich bleibt. So hatten z. B. die Römer ein Gesez, nach welchem es ihnen verboten war, ihre Kin[67]der ohne hinlänglichen Grund zu enterben. Ein solches Gesez war ganz überflüßig; wenn des Römers Brust mit Zärtlichkeit und Liebe gegen sein Kind wäre erfüllt gewesen. Denn bei andern Völkern ist die natürliche Zuneigung der Eltern zu ihren Kindern, Motif und Gesez genug, daß sie den Leztern kein Unrecht zufügen werden. Selbst die natürliche Gewalt, die bei den Römern fast gar keine Gränzen hatte, und die ihnen ihre Geseze erlaubten, scheint bei den Eltern Strenge, in den Kindern aber Furcht und Mißtrauen bewirkt zu haben. Wer mag gern mit einem privilegirten Henker sein tägliches Brod essen, und mit ihm unter einem Dach wohnen; wenn ihm die Geseze das Schwerdt in die Hand geben, womit er uns nach seinem Belieben die Köpfe herunter hauen darf? Schon das ewige Wanken des Kopfs auf dem Rumpf, besonders wenn es durch die Winde der Laune, des Gouts, und der Kaprize hervorgebracht wird, ist ganz unaushaltbar. Man würde dies Phänomen einer so barbarischen Behandlung der Kinder, wenn es höchst selten gewesen wäre, dadurch hinlänglich erklären, daß es unnatürliche, monströse Auswüchse der Mensch[68]heit waren, die in der beseelten und unbeseelten Schöpfung unvermeidlich zu seyn scheinen. Ganze Nationen hingegen sind nicht Monstra. Wer Lust hat, denke hier an die Sinesen.
IX. Eine Anmerkung, zur Einschränkung der vorgetragenen Theorie, über die menschliche Natur. Aber hier stemmt sich ein bedeutender Einwurf gegen dies System vom gleichgültigen Menschen. Wir wollen ihn durch eine Einschränkung zurücktreiben. Es wird, wenn wir erst diese Anmerkung mitgetheilt haben, nicht einmal nöthig seyn, jenen Einwurf ausdrücklich anzuführen; weil es sich schon aus den Gegenbemerkungen errathen läßt. Allerdings nemlich kann der aufgefundene Charakter der Gleichgültigkeit des Menschen im Stand der Natur, in einzelnen Fällen, nach der [69] mannigfaltigen Beschaffenheit der Individuen in Rücksicht auf die hinzukommenden Modifikationen, bald das Hobbesische, bald das Puffendorfsche System mehr oder minder begünstigen. Dieser natürliche Charakter nüancirt sich nach Maasgabe der Stärke und der Schwäche der übrigen Eigenschaften des Herzens, die wiederum durch mehrere Gründe so oder ganz bestimmt werden. Es kann demnach sehr gut geschehn, daß einige Naturmenschen, oder daß sich auch alle, in gewissen Erdgürteln, Hobbesische Geschöpfe sind; da sie hingegen, unter einem andern Himmelsstrich, nach Puf fe n d orf s M odell geformt werden. In solchen Fällen aber entstellen gewisse mitwirkende äußere Ursachen die Form der Natur. Beim polizirten Bürger ist die Zahl dieser von aussen den natürlichen Charakter so oder anders modifizirenden Ursachen ansehnlich. Beim aussergesellschaftlichen Natursohn hingegen scheinen diese Schattirungen des natürlichen Charakters nur durch zween Gründe veranlaßt und bewirkt zu werden, durch Klima und durch Nahrungsmittel. Er fühlt die ganze Macht ihres Einflusses, und er lässet sich von ihnen, wie Pflanze und Thier, ganz bilden.
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[70] In den nördlichen Gegenden verliert der thierische Körper weit weniger durch die unmerkliche Ausdünstung, als in Süden. Die Kälte in Norden zieht die Fiebern zusammen; verenget die Oefnungen der Haut, länget und stärkt den Körper, mittelst der vielen zurückbleibenden Theilchen, die der Südländer einbüßt. Die Gehirnorganen sind kompakter, gespannter und unbeweglicher; die flüssige Theile sind dicker und gröber. Dies ist der Grund von der Rohheit der Nordländer; aber auch von ihrer Beharrlichkeit, ihrem Muth, ihrer Abhärtung, von der größern Lebhaftigkeit ihres Kraftgefühls, wenn sie durch außerordentliche Triebfedern in Thätigkeit kommen. Nichts ist begreiflicher, als daß eine solche Stimmung einzelner Menschen nachher Geist der ganzen Nation wird. Kein Wunder, daß alle Eroberer aus Norden ausgegangen, und daß fast nie aus dem Süden nach Norden Eroberungen unternommen worden, viel weniger daß sie geglückt wären8. [71] Ein ungebildeter Naturmensch, der in den Wäldern der Nordwelt herumirret, wird demnach, (andre zufällige Wirkungen auf seinen Charakter abgerechnet,) wegen des lebhaften Gefühls seiner Kraft und Superiorität, weniger rachsüchtig seyn. Aus eben diesem scharf hervorstechendem Kraftgefühl entspringt seine Ueberredung von Sicherheit und Unverlezbarkeit. Daher eine größere Offenherzigkeit und Freimüthigkeit; Mangel von argwöhnischen Wesen, Entfernung von Arglist, um wirklichen oder eingebildeten Schlingen zu entgehn, oder sie selbst Andern zu legen; Standhaftigkeit und Tapferkeit; Munterkeit des Geistes und des Körpers; Beseelung von wirksamen Eifer zur Behauptung der Würde ihrer Menschheit. – Alle diese vom kalten Klima bewirkten Eigenschaften sind Modifikationen jenes Hauptzugs im Bild des Naturmenschen, seiner Gleichgültigkeit ziemlich vortheilhaft. Unter dem Aequator leben ganz andre Menschen. Welche Kleinheit, Magerkeit und Schwäche des Körpers! Welche Feigheit und Schlaffheit der Seele! Sie scheinen zur Sklaverei geboren zu seyn. Wie sie sich so wenig mit [72] Kraft ausgerüstet fühlen: so nehmen sie zum Berücken ihre Zuflucht. Der Neger lügt und betrügt; weil er keine Fäuste hat. Hier sucht man die nördliche Offenheit des Charakters vergeblich. Die Fibern werden reizbar, durchs Vertrocknen, und durchs Verfliegen der Lebensgeister, Ruhe ist diesen Menschen, die ohngefähr aus Puffendorfschem Stoff gebildet sind, schon Genuß. Die gemäßigten Klimate mischen die Wirkungen der kalten und der heißen Zone; und dies Gemisch ist größtentheils für Verstand und Charakter wohlthätig. Sehr leicht aber kommen oft ganz neue und unbekannte Dispositionen zum Vorschein, die dem Menschen die Geschöpfe seiner Art verhaßt machen, z. B. Eigensinn, Geist der Selbstheit, Eifersucht; kurz, das Hobbesische menschenfeindliche Wesen. Aehnliche Veränderungen bringen die mancherlei Arten von Nahrungsmitteln in der menschlichen Art zu denken und zu handeln hervor. Früchte geben einen andern Humor, als Fleisch, und das Thierfleisch wieder einen andern, als das Fleisch der Fische. Es ist in andern Büchern schon ausführlich genug erklärt worden, wie die [73] physisch nicht anders seyn kann; und wir nehmen die hiedurch bewirkte Verschiedenheit der Temperamente schon an den Europäern wahr, die sich von merklich verschiedenen Nahrungsmitteln nähren. Den Engländer macht sein Rostbeef brutal und ungesellig; der Franzose ist durch den haut gout spirituöser; der
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Eine Bemerkung, die schon Aristoteles macht, Politic. VII. 7.
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Deutsche durchs Biertrinken beliebter und gravitätischer. Kaum läßt es sich aussprechen, wie mächtig die hievon rührenden Einflüsse auf die menschliche Geselligkeit und Ungeselligkeit wirken; die Verschiedenheit der Kultur auch abgerechnet, da bekanntlich die rohesten Nationen ohnehin die geselligsten sind, bei denen man die Gastfreundschaft aufs höchste getrieben hat. Endlich versteht es sich von selbst, daß nicht alle Seelen aus demselbigen Thon, und nach demselbigen Ebenbild geformt sind; oder, mit P lat o zu reden, daß die Gottheit nicht alle Menschenseelen in demselbigen Becher gemischt hat. Dieser Umstand mußte nothwendig die erste Grundlage der Ungleichheit der menschlichen Gemüthsart ausmachen, und die frühere Entwilderung entweder befördern, oder verhindern. [74] Vielleicht macht das Weib, das in keinem einzigen Zustand Mann ist, auch eine Ausnahme von jener Regel. Die ausgezeichnete Sanftheit des Weibes, seine Weichheit und Nachgiebigkeit sind gerade entgegengesezte Eigenschaften von der Mannheit des Mannes. An diesen wenigen Ausnahmen scheitert freilich die durchgängige Allgemeinheit jener Theorie vom menschlichen Herzen, wie es aus den Händen der Natur kommt. Allein es sind nur Ausnahmen!
X. Giebt es einen Stand der Natur; oder hat es je einen solchen Zustand der Menschheit gegeben?
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Nach dieser Zergliederung kann uns die Beurtheilung der Richtigkeit der Behauptung so vieler Schriftsteller, Monte squ ieu’ s, Fer gus ons, und andrer, nicht mehr schwer fallen, wenn sie sagen: »Der Mensch ist in Gesellschaft [75] geboren, und bleibt es.« Dies ist der Ausspruch der Wahrheit; denn er zeiget nicht einen ursprünglichen Trieb zur Geselligkeit, sondern nur das unleugbare Faktum an, daß der Mensch, wenn er einmal die Vortheile der Gesellschaft kennt, diese Vortheile unmöglich verabscheuen könne; und das nicht etwa deswegen, weil ihm ein Hang zur Geselligkeit eingedrückt worden; sondern, weil er einen unbestimmten Trieb zur Glückseeligkeit hat, der in der Gesellschaft auf eine befriedigende Weise gesättiget wird9. Eben deswegen hat es auch nie einen solchen gleichgültigen oder ungeselligen Stand der Natur gegeben; und die Menschheit wird auch, so lange die Welt stehn wird, nie in diesen rohen Zustand der außergesellschaftlichen Wildheit herabsinken können. Der Mensch ist stets in Gesellschaft gewesen; wenn auch die ursprünglichen Gesellschaften nur aus Mutter und Kind bestanden hätten. [76] Denn zugegeben, daß der Naturmann, nach der Begattung, nicht wieder nach sein Weibchen frägt; – (welches sich doch, beim wiederkehrenden Instinkt zum Beischlaf, nicht leicht denken läßt;) – zugegeben, daß zwischen Vater und Mutter, im Stand der Natur, nie eine Gesellschaft entstehn möchte; weil sie wenigstens durch kein positives Gesez dazu gezwungen werden, einander nicht wieder zu verlassen, und weil der Zweck ihrer Liebe der Genuß ist, der im Schooße der Sättigung sein Grab findet: so sind doch Mutter und Kind, durch 9
Aus diesem Grund erheben Montesquieu und Ferguson die Geselligkeit zu einem Naturgesez. Jener, im Esprit des Loix, Liv. I. Chap. 1. Dieser, in den Grundsätzen der Moralphilosophie, S. 80.
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die unauflösbarsten Bande physischer Bedürfnisse, an einander gebunden. Die Mutter bedarf des Kindes; weil das Säugen, selbst die schwere Last abgerechnet, die sie durch dasselbe abwälzt, noch ausserdem mit einem angenehmen physischen Kützel vergesellschaftet ist. Der Säugling selbst ist ein zu ohnmächtiges Geschöpf, als daß er die Pflege von sich stoßen, oder sie boshaft mit Füßen treten könnte. So gut ist für die Keime der Menschheit gesorgt! Aber diese Hülfsleistung geht doch mit den Jahren der Kindheit zu Ende, und die Mutterliebe wird kälter; Sollte dies nicht die Periode [77] seyn, da sich der junge Natursohn, der nun den mütterlichen Beistand ganz entbehren kann, aus der bisherigen Gesellschaft herausreissen dürfte? Schwerlich. Denn nun können ihn zwar seine Beine tragen; er kann sich selbst speisen, tränken und kleiden; und in so fern könnte er nun seine Mutter verlassen. Er wird sie aber nicht verlassen; weil er an sie gewöhnt ist: so viele Wohlthaten von ihr empfangen, so viel glückliche und unglückliche Ereignisse mit ihr getheilt hat. Lauter Verstärkungsmittel der geselligen Anhänglichkeit, wodurch diese Bande so fest zusammengezogen werden, daß nur widernatürliche Gewaltthätigkeiten, nur der Tod sie trennen kann. So verhält sich die Sache, wenn man sie oben beim Ursprung des menschlichen Geschlechts ansieht. Noch weniger hat man zu befürchten, daß je eine zertrümmerte bürgerliche Gesellschaft in einen außergesellschaftlichen Zustand der Wildheit herabfallen werde. Denn die Glieder einer solchen verwüsteten Gesellschaft würden einander gar bald wieder aufsuchen müssen; wobei der gewohnte Umgang unstreitig das mächtigste Zwangs[78]mittel seyn würde. Dieses scheinen viele Schriftsteller nicht bedacht zu haben, die den mißvergnügten europäischen Bürgern anrathen, ihre Hälse aus dem Joch des immer drückender werdenden Despotisms der Fürsten Europens herauszuziehn, und, in den glücklichen Freistädten der Südseeinseln, Freiheit und Glück zu suchen; damit auch dieser Welttheil der Sitz der Künste und der Wissenschaften werden möge10. Der Stand der Natur ist daher weiter nichts, als eine fruchtbare philosophische Fiktion, die der Weltweise, zur tiefern Ergründung der mancherlei Eigenschaften der menschlichen Natur, voraussezt; da die Natur, beim bürgerlichen Menschen, oft zu sehr unter der Hülle der Kunst versteckt ist, als daß wir sie in ihrer wahren nakten [79] Gestalt beobachten könnten. Eben diese erdichtete Voraussezung kann auch zur richtigen Darstellung der moralischen und politischen Verhältnisse der Menschheit, mit gutem Nutzen gebraucht werden. So gewaltsam dies Scheiden und Abziehn der menschlichen Bestandtheile ist: so lehrreich ist es; wenn mir der Geist beim Abziehn nicht durch ein starkes Feuer der Phantasie ganz verfliegen muß. Die Operationen des Chemikers zur Erforschung der Bestandtheile der körperlichen Natur sind auch violent. Eins der wichtigsten politischen Verhältnisse, welches aus der Beschaffenheit der Beziehungen einzelner Menschen im Stand der Natur beurtheilt werden muß, ist das Verhältniß einzelner Staaten zu einander. Die mehreren einzelnen Völker sind ursprünglich, vor allen vorhergegangenen Verbindungen durch Verträge und durch wechselseitige Abtretungen gewisser ihnen zukommender Rechte, einzelne Individuen im Stand der Natur. Keine selbstständige Nation braucht der andern zu gehorchen, und keine darf der andern gebieten. Eine jede kann, in den Gränzen ihrer Besitzungen, mit ihrem Eigenthum schal[80]ten, wie sie will. Sie kann glauben was sie will; ohne daß ein angränzendes Volk sie über ihre Handlungen, über ihren Glauben etc.
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zur Rechenschaft ziehn darf. In so weit hat sich ein Staat, ehe gewisse Fakta vorfallen, um den andern gar nicht zu bekümmern. Der benachbarte und alle andre Staaten müssen ihm ganz gleichgültig seyn. Auch hier findet demnach unsre von der Gleichgültigkeit des Naturmenschen aufgefundene und bewiesene Theorie die schönste Bestätigung; und dieser Umstand allein, daß sich, bei der politischen Benutzung dieses Systems, alles so vortreflich schließt, giebt schon das günstigste Vorurtheil für ihre durchgängige Richtigkeit.
XI. Soll man den Stand der Natur nicht bei den alten und neuen Wilden suchen? [81]
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Die Pongos sind nicht Naturmenschen, aber die Ichthyophagen, die Hylophagen, die Grönländer, die Esquimaux, die Algonquinen, die Huronen, die Karaiben, die Vaddahs auf Ceylon, die Wiatches auf Borneo, die unglücklichen Bewohner vom Cap Horn, und die ihnen sehr ähnlichen Bewohner der Nordküste von Neuholland etc. sind auch nicht Söhne der Natur. Die Pongos sind es nicht; wenigstens können wir sie nicht dazu machen, weil wir sie nicht genug kennen. Wer hat ihnen ihre ganze Oekonomie abgelauscht? Wer, die Beschaffenheit ihres Zustandes und ihrer Natur so ausgeforscht, daß man mit Gewißheit den Anspruch thun könnte: die Pongos sind Affen und nicht Menschen, oder sie sind Menschen und nicht Affen? Wer weis es, daß sie artikulirte Sprache haben, oder daß sie sprachlos sind? Wer hat ihre Sprachorgane untersucht, um entscheiden zu können, ob sie nicht [82] vielleicht im Stand sind, künftig bei dringenderen Anlässen, Sprache zu erfinden? Ty so n hat es wenigstens nicht gethan. Wir wollen also kein Wort weiter über ein Ding verlieren, welches wir erst näher zu kennen wünschen. Man hat sie bisher nur im einsamen Zustand einzeln zu beobachten Gelegenheit gehabt. Allein, sie leben doch, wie alle Reisebeschreiber berichten, in Gesellschaft; und vielleicht sind sie, wie viele andre Thiere, und wie der Mensch selbst, nur in ihrer Gesellschaft, was sie sind. Gesezt auch, sie gehören, wie einige Schriftsteller glauben, zu unserm Geschlecht: so scheint es doch, als wenn sie abbrutirte Menschenkinder seyen, die eben so wenig ein natürliches Menschenmodell abgeben können, so wenig man die tauben, stummen, lahmen, blinden Menschen, die, im Verhältniß zu andern unversäumten Menschen, an Kopf und Herz immer sehr schwach sind, zum Ebenbild des Natursohns machen kann. Diese wenigen Individuen sind verwahrloset; da der Keim entweder in seiner Entwickelung verhindert, oder nach seiner Entwickelung in einzelnen Theilen gelähmt oder getödtet wurde. Eben so [83] kann die Natur zuweilen von ganzen Völkerschaften ihre pflegende Hand zurückziehn, sie vom unordentlichen Gewühl der Ereignisse forttreiben, und von den wirkenden Kräften in unabsichtlichen Direktionen mit sich fortreissen lassen. Ist ein solcher Zustand anhaltend: so können sich die Spuren dieser Verviehischung im veränderten Bau des Körpers deutlich ausdrücken. Das menschliche Gesicht erhält 10
Herr Forster schlägt insonderheit Neuholland dazu vor, in den Observations made during a Voyage round the World. S. 11.
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ein Orang-Outang Physiognomie; der ganze Mechanism des Körpers wird anders organisirt. Auf diese Weise können aus Menschen, Pongos werden. Dies lehren schon die seltenern Beispiele abbrutirter Menschenkinder, die man in den neuern Zeiten unter den wilden Thieren gefunden hat. Naturmenschen können diese Unglücklichen gleichfalls nicht genannt werden. Ihre Menschheit würde ihnen, durch die von allen Seiten hereinbrechenden Unglücksfälle von der härtesten gänzlich ausgezogen. Der Mensch der Natur hat mit dergleichen harten Vorfällen, der Regel nach, nicht zu kämpfen. Seine Mutter gab ihm schon mehr körperliche Stärke mit, als daß, wie bei den [84] S e l k ir ks, B la n ks etc. die Strenge der äußeren Umstände sogleich auf die inneren Denkorganen eine so fürchterliche Wirkung hervorbringen, und aus dem Menschen ein kompletes Vieh machen können. Diejenigen Philosophen, die den Stand der Natur bei den wilden Völkern, der alten sowol als der neuen Welt, gefunden zu haben glaubten, bedachten nicht, daß die Verwilderung eine vorhergegangene Kultur voraussezt, und daß man hier folglich auch keine primitive Natur suchen darf. He ro do t, (IV. 180, 183, 191) und D i odo r (I. 1, 8, III. 11) beschreiben einige wilde afrikanische Horden völlig so, wie wir die Wilden des vierten und fünften Erdtheils in den neuern Reisebeschreibungen geschildert finden. Aber wie weit ist ihr Abstand von der Natur? Wie in wenigen Stücken waltet diese? Wie ausgebreitet ist dagegen die Herrschaft gesellschaftlicher Vorurtheile? Wie vielfach ihre Verbindungen? Sie sind Väter, Brüder, Gatten, Hordenverwandte. Der Naturmensch hingegen hat keine Familie, kein Vaterland. [85] Die Wildheit ist aus einer vormaligen Aufklärung entstanden, die dem Menschen ein gewisses Gepräge aufdrückt, welches von keiner Generation ganz verwischt werden kann. Die Geschichte ist ein sehr sicherer Führer bei dieser Untersuchung. Diese meldet, die Menschheit habe durch große Revolutionen der Natur, wichtige und merkwürdige Veränderungen erlitten. Von eben diesen Revolutionen durch Ueberschwemmungen sind die Eingeweide der Berge laute Zeugen. Es ist natürlich, daß die damaligen Menschen den anschwellenden Fluthen zu entrinnen suchten. Sie bestiegen, mit den steigenden Gewässern, die Gipfel der Gebürge. Aber nur wenige fanden hier Rettung und Leben. Die ofnen Schlünde des Todes, der aus den Fluthen heulte, verschlangen gerade die edelsten, aufgeklärtesten Menschen; nur die rohesten entflohen des Meeres Rachen; wahrscheinlich retteten sie sich durch ihre größere Bekanntschaft mit den Pfäden, die auf die unzugänglichen, unwegsamen Gipfel der höchsten Berge führten, die das Wasser nicht bedeckt zu haben scheint. Alles übrige Fleisch kam um. [86] Diese wenigen Ueberreste von Menschen, die schon im vorhergegangenen Zustand der bürgerlichen Kultur unwissend und abergläubisch waren, sind es wahrscheinlich, die den Stand der Wildheit ausgemacht haben, und noch ausmachen. Wer eine bessere Erklärungsart kennt, setze sie an die Stelle der meinigen. Unglücksfälle möchten doch überall die wirkenden Ursachen bleiben. Nach meiner von den historischen Ueberlieferungen begünstigten Hypothese lassen sich noch überdem viele alte Sagen und Nachrichten fassen und begreifen, an denen der Glaube ganzer Völker hing. Was sind z. B. die Halbgötter der Vorwelt anders, als die geschickteren, klügeren Menschen, die vor der Revolution lebten, von den Fluthen ersäuft wurden, und die vormals die Obrigkeiten, Heerführer, Lehrer der übrig gebliebenen rohen Menschen gewesen waren? Dieser Stand der durch fatale Begebenheiten hervorgebrachten Verwilderung ist nicht der Stand der Natur; weil Körper und Geist schon durch die vorhergegangene Kultur, wenn sie
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auch noch so gering war, geschwächt und so modifizirt wurden, daß diese vormalige Lage, bei der Unauslöschbar[87]keit der zurückgebliebenen Spuren, auf alle sich später entwickelnden Keime einen bemerkbaren Einfluß hatte. Der Naturmensch ist es schon in seinem Keim; und aus einer gezähmten Race wird kein Naturthier erzeugt. Der Grund hievon läßt sich nur errathen. Mit Gewißheit würde man ihn angeben können; wenn der Natursohn irgendwo aufzufinden wäre. Ich weis nicht, ob es ein bleibenderes Merkmal vom wesentlichen Unterschied der Natur, der bürgerlichen Politur, und der Verwilderung geben dürfte; als die Verschiedenheit der Instinkte ist, deren Anzahl und Stärke im Stand der unverkünstelten Natur weit größer zu seyn scheint, als im Zustand der bürgerlichen Kultur, und der aus ihr zufälliger Weise entstandenen Wildheit. Die Kultur scheint manche Instinkte des Menschen ganz zu ertödten; manchen in einem hohen Grade zu schwächen. Wenn diese Ertödtung und Schwächung der Instinkte einmal die Menschheit betroffen hat: so kann sie alle Zügellosigkeit nicht wieder beleben, wenigstens nicht in dem Maas, in welchem sie ursprünglich wirkten. [88] Wären endlich Einsichten, gesammlete Erfahrungen, Aufmerksamkeit auf den Gang der Natur, und dergleichen nicht ein gar zu zufälliger Antheil der Menschheit: so würde man auch in diesen Stücken ein charakteristisches Merkmal von der großen Verschiedenheit des Natursohns und der alten und neuen Wilden, die man bisher immer in Gesellschaft angetroffen hat, wahrnehmen. Beide sind zwar unwissenschaftliche Menschen; allein der Wilde besizt doch eine größere Masse von rohen Kenntnissen, als der Naturmensch, der neben jenen gestellt durchaus unwissend ist. Zur Verdeutlichung dieser Angabe denke man an die Religionsbegriffe, an die Kenntnisse von Krankheiten etc.
[89] XII. Hauptfrage, den Stand der Natur betreffend.
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Es hat keinen Stand der Natur gegeben; es existirt jetzt kein Stand der Natur; und es wird keinen solchen Zustand geben, so lange der Mensch, Mensch seyn wird. Und doch wollen wir von dieser erträumten Lage noch mehr wissen; unsre Phantasie noch vollständiger ausmalen; die unbelebte Natur noch genauer analysiren? Ja, das wollen wir; eben weil wir Fälle kennen, in welchen Menschen nur im allgemeinen unbestimmten Verhältniß der Menschheit zu einander stehn. Der Anatom zergleidert auch Leichen, denen gewiß nie ein anderes Individuum ähnlich gewesen ist, noch je ähnlich seyn wird. – Also zur Untersuchung; Sie ist fruchtbar. Giebt es im Stand der Natur Recht und Unrecht, und wie sieht es damit aus? Den Menschen der Natur kennen wir schon; wir dürfen uns daher nur noch nach den wesentlichen Bestandtheilen der Begriffe von Recht und Unrecht umsehn, und wir wandeln im Licht. [90] Der Mensch hat, wir mögen ihn in bestimmten, oder außer allen Verhältnissen betrachten, einen Durst nach Glückseeligkeit, einen Trieb nach Vollkommenheit und nach Vergnügen. Alles, was er thut; alles, was er unterläßt, zweckt darauf ab, jenen Durst zu löschen, und jenen Trieb, der wahrscheinlich in Ewigkeit fortwirken dürfte, von Zeit zu Zeit zu befriedigen. Das
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Hauptrad seiner Wirksamkeit wird, durch die Kräfte des Wunsches eines behaglichen Zustandes, der Ruhe und der Glückseeligkeit, in Bewegung gesezt. Er wirkt, um zu genießen; und handelt um des Genusses froh zu seyn. Dieser Trieb liegt ganz unbestimmt, ohne weitere Einschränkung, in der menschlichen Seele; und da er das Werk der Natur ist, und sich regt, ehe andere Belehrungen, Vorurtheile und Wahrheiten hinzu kommen: so folgt, daß alles Recht seyn muß, was der Mensch auf Anregung und Drang seines Triebes zur Glückseeligkeit verrichtet. Der Natursohn handelt in der That einzig und allein aus diesem Grund. Freilich kann er sich in der Wahl seiner Güter irren; er kann sich [91] von gewissen Gegenständen die seeligsten Folgen versprechen; wenn sie gleich Mütter von Mißvergnügen und Unglück sind, die er aber erst bei und nach ihrer Geburt kennen lernt. Das kann alles seyn. Der aufgeklärteste Weltbürger fällt auch, bei der Berechnung der menschlichen Güter, sehr oft in Irthum. Um so viel schwerer wird der unausgebildete Sohn der Natur diese Schlingen vermeiden. Er handle nach Ueberzeugung; oder er strebe auch nur nach der Einsprache der Hoffnung, daß ihn ein gewisses scheinbares Gut seiner Vollkommenheit näher bringen möchte, nach demselben; Er handelt recht, wenn gleich der wirkliche Genuß desselben bitter, und die kommenden Erfolge mit Unglück gegattet sind. Denn er folgt dem Ruf der Natur, die ihn nicht mit unwiderstehlicher Gewalt nur blos nach solchen Gegenständen hintreibt, die ihm wirklich heilsam und gut sind; sondern die es ihm überläßt, zu wählen, zu prüfen, zu versuchen. Recht bestünde demnach in der Folgsamkeit des Naturtriebs zur Glückseeligkeit; oder welches einerlei ist, in der Befolgung dessen, was einem jedesmal das Rathsamste und Beste scheint. Denn [92] dies Beste ist es eigentlich, was uns Vergnügen bringen kann. Diesem aus der Grundbeschaffenheit des menschlichen Willens herausgehobenen Begriff vom Rechthandeln zu Folge ist das Recht und das Rechtverhalten blos etwas Subjektivisches. Es hängt ganz von unserm Urtheil ab, daß ein gewisses Objekt unsrer Glückseeligkeit zuträglich sey, daß es folglich gewünscht, begehrt und erreicht werden müsse. Nur in dieser Rücksicht liegt in der Behauptung der würdigsten Rechtslehrer und Staatsmänner Wahrheit, daß es nemlich schon vor allen positiven Gesezen Recht und Unrecht giebt, und daß derjenige, der das Gegentheil lehrt, ohngefähr eben so viel sagt, als daß sich nicht alle Halbmesser eines Kreises gleich seyen, ehe man den Kreis nicht wirklich hingemalet hat. Die positive Geseze machen das Recht eben so wenig, so wenig es der Obere machen kann, der ein Gesez giebt. Sonst wär’s ja thöricht, über das Recht und das Unrechtsein eines Gesezes zu urtheilen. Auch positive Geseze sind nur alsdann Recht, wenn sie im Labyrinthe der bürgerlichen Gesellschaft wolthätige und sichere Wegweiser zum [93] Elysium der Ruhe und der Glückseeligkeit sind. Der Bürger folgt dieser Stimme des Wolthäters, die vom Throne Geseze verkündigt nur deswegen; weil er überzeugt ist, daß sein Gesezgeber die Quellen des Vergnügens näher kennt, den Werth der Güter richtiger beurtheilt, und die Möglichkeit einer zusammengesezten, öfterer wiederkehrenden Kollision beim Genuß derselben, deutlicher einsieht, als er selbst. Findet er, daß der Lohn seiner Folgsamkeit wahres Unglück ist; wer wird ihn auf den Mund schlagen, wenn er redet? Der Sklave fühlt den Fuß des Tyrannen auf seinem Nacken, krümmt sich im Staub, und schweigt. Nicht so der Bürger. Der Bürger kann, wenn die Rechte seiner Menschheit durch räuberische Eingriffe des Gesezgebers gekränkt werden, reden, und doch gehorchen.
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Das Zwangsverhältniß, welches jedes Gesez anzeigt, liegt, bei den bürgerlichen sowol, als auch bei den Naturgesezen, in der Beziehung des gesezlichen Gebots oder Verbots zur Glückseeligkeit. Beim bürgerlichen Gesez ist der Gesezgeber der Obere, der über die Aufrechthaltung des gegebenen Gesezes wacht. Man kann eigentlich nicht [94] sagen, daß er die Geseze macht; sie waren schon da, ehe sie promulgirt wurden. Er war aber der erste, der die Verbindung derselben mit der Glückseeligkeit bemerkte, und seine Unterthanen durch ihre Bekanntmachung, darauf aufmerksam machte. Das Hinzuthun der Pönalsanktion wäre an sich gar nicht erforderlich; wenn jeder Bürger einsehn könnte, daß das Gesez nichts anders befiehlt, als was ihm sein Trieb zur Glückseeligkeit ohnehin auflegt. Auch noch wär’s unnöthig, auf die Uebertretung des Gesezes Strafe zu legen; weil jeder Uebertreter desselben schon dadurch gestraft genug seyn muß, daß er, durch die Ausübung des Gegentheils, Unglück erndtet; da die gewissenhafte Befolgung der vorgeschriebenen Regel des Gesezgebers Vergnügen zur Folge hatte. Geseze, die so beschaffen sind, sind unstreitig die vortreflichsten unter der Sonne. Von dieser Art sind die Geseze der Natur, die ihnen weiter keine Zwangs- oder Strafklausel anhing, als ihre Wirksamkeit zur Glückseeligkeit. Was Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft eigentlich nothwendig macht, ist die Besorgniß, daß der folgsame Bürger, durch seine widerspenstigen [95] Mitbürger, im Wirken gehindert und gestört werden möchte. Im Stand der Natur ist kein Oberer, der von außen gewisse Handlungen fordern, und andre dagegen verbieten könnte; keiner, der dem Natursohn die mancherlei Wege zur Glückseeligkeit zeigt. Die Winke seines eignen Triebes sind Geseze für ihn, die auch wirklich alle mögliche Zwangskraft haben; weil der Trieb selbst zwingend ist. Er muß alles thun, was ihm dieser befiehlt; er muß alles unterlassen, was ihm dieser untersagt. In so fern also hat der Mensch seinen Gesezgeber in sich selbst. So lang er seiner Stimme folget, wandelt er auf dem pfeilgeraden Pfad des Rechts. – Ob er wol auch alsdenn noch Recht thut, wenn er gleichfalls auf Antrieb seines Verlangens nach Glückseeligkeit, auf den Menschen, auf den er hie oder da stößt, so wirkt, daß er ihn unter sich bringt, und sein Oberer und Beherrscher wird? Oder, welches einerlei ist, o b d as Rec ht d es S tär ker n im S ta nd de r N atur gerech tfe rt igt werde n k a n n? [96] Wer sollte die genugthuende Antwort auf diese Frage nicht aus der mitgetheilten Theorie von Recht herausfinden können? Dem Grundtrieb, sich so glücklich zu machen, als möglich, muß er gemäß leben und handeln. Denn die Gottheit selbst hat ihm diesen Trieb mitgegeben. Fühlt er demnach ein Uebergewicht an körperlicher Stärke, oder an geistigen Vorzügen; und sagt ihm der ihn begleitende Genius des Glückseeligkeittriebes, daß er den Schwächern, den Blödsinnigern, von seinen Anweisungen und Rathschlägen abhängig machen müsse: so folgt er den gerechtesten Vorschriften der Natur, die mit Flammenschrift dies große Gesez – daß die größere Kraft die schwächere treibt, und daß die leztere der erstern weichen muß, – in alle Theile der körperlichen und unkörperlichen Natur hingeschrieben hat. Die Sonnen reissen die Planeten in ihren Wirbeln mit sich fort; der größere Fisch verschlingt, wie S p in o za in ähnlicher Absicht erinnert, den kleinern; das Weib ist dem Mann unterthan; der verschmizte Betrüger schleppt Heere von unwissenden Bewunderern nach sich her. [97] Das ist das Recht des Stärkern. Es ist so fürchterlich nicht, als es beim ertsen Anblick zu seyn scheint. Denn das Uebermaas der körperlichen sowol, als der Geisteskräft, durch deren Anwendung einer, nach dem Zuruf des Naturtriebs, zur Vollbringung des möglichst Besten,
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das Recht die schwächern Kräfte des Andern zu lenken, überkömmt, ist ja nicht die Kraft des Wüterichs und des Zerstörers; sondern es kann gar wol die Kraft des Wolthäters und des Unterstützers seyn. Daß es dies, der Regel nach, und in den allermeisten Fällen seyn müsse, und daß der entgegengesezte Fall nur als eine seltene Ausnahme zu betrachten sey, erhellet daraus; weil der mit großen psychischen Kräften ausgerüstete Bösewicht, (und ein Bösewicht müßte doch der seyn, der dem andern Schwächern seinen Harnisch in der Absicht nimmt, um ihn zu tyrannisiren,) nur äußerst selten seine zerstörenden Entwürfe auszuführen im Stande seyn möchte. Das Uebergewicht an physischen Kräften scheint, bei der Ausführung böser, schädlicher Anschläge, zu schwinden; weil die einzelnen Theile solcher Plane, eben weil sie böse sind, gewöhnlich in der äussersten Disharmonie [98] zu einander stehn, und weil folglich auch die zur Ausführung solcher Plane verwendeten Kräfte einander häufig widerstreben und sich wechselseitig zerstören müßen. Die Güte des Herzens, oder die Befolgung der wahren Anregungen des menschlichen Grundtriebes zur Glückseeligkeit scheint dagegen die physische Kraft aus den entgegengesezten Grund zu vermehren. Auf der andern Seite läßt es sich leicht denken, daß die Nachgiebigkeit und Folgsamkeit des Schwächern, Furchsamen, Trägern, Unwissendern etc. wiederum zu Folge ihres Wunsches nach Glückseeligkeit geschieht; so daß in diesem Fall die ganze Idee von Gewaltthätigkeit, Unterjochung und Unterdrückung weggeräumt werden muß. Wie? Wenn diesen auch ihr Genius anzeigte, daß sie sich die Kräfte und Einsichten der stärkern und klügern Menschen zu Nutz machen, ihnen folgen, und das thun müßten, wozu sie angehalten werden? Denn diese seyen ihre sichersten Wegweiser zum Glück, welches sie suchen. Die Planeten wälzen sich um ihre Sonnen herum und lassen sich von ihnen anziehn: Sie werden dafür von ihnen erleuchtet und erwärmet. [99] Was wäre, von diesem Gesichtspunkt betrachtet, Herrschen und Gehorchen? Herrschen wäre, leiten, beschützen, glücklich machen. Gehorchen wäre, folgen, gesichert seyn, glücklich werden. Wie wolthätig erschiene das große Mißverhältniß der körperlichen und der geistigen Eigenschaften der Individuen, welches Menschen von Menschen so fühlbar unterscheidet, daß der Schwächere seine Schwäche, der Stärkere seine Stärke, auf die lebhafteste Weise, fühlen muß, wenn sie nur eine Minute lang beisammen sind? Gewis, so wolthätig, als die Absicht und Einrichtung der schaffenden und erhaltenden Natur selbst war, die in allen ihren Werken Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit herrschen ließ, um die Kräfte ihrer Geschöpfe, in eben so tausendfachen Richtungen, wirken zu lassen. Nur wegen dieses Mißverhältnisses der Kräfte der Wesen, und besonders der Menschen, streben diese Wesen nach so ganz verschiedenen Gütern, laufen nach so ganz verschiedenen Zielen, arbeiten nach so ganz verschiedenen Planen. Ohne diese Mannigfaltigkeit würde ein ewiges Geitzen nach demselbigen Gut, ein ewiges Ablaufen des[100]selbigen Ziels, ein ewiges Zerstören desselbigen Plans unvermeidlich gewesen seyn. Eine durchgängige Gleichheit der Kräfte mehrerer gleichartiger Wesen würde nicht blos unübersteigliche Hindernisse in der Ausübung und Wirksamkeit dieser Kräfte gelegt, sondern wahrscheinlich auch eine gänzliche Stockung und Unthätigkeit derselben verursacht haben. Denn der Sporn der Nacheiferung würde in diesem Fall nicht länger zum rastlosen Fleiß und zur nachstrebenden Anspannung der Kräfte antreiben; weil gleich von Anfang kein höheres Muster da wäre, dem z. B. die perfektible Natur des Menschen nachzukommen trachten könnte.
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Die rechtliche Gründung des Rechts des Stärkeren beruhet daher auf einer gedoppelten Beobachtung. Einmal, des uns von der Natur eingepflanzten unbegränzten Triebes zur Glückseeligkeit, nach welchem wir uns so vollkommen und glücklich machen dürfen, als wir immer können. Zweitens, der Ungleichheit der physischen und der moralischen Kräfte mehrerer Menschen. Wenn man sich auch nicht darauf berufen will, daß die Natur dabei, – daß sie der Länge des [101] einen eine Elle mehr zusezte, und ihn mit einem größern Maas von Kräften ausrüstete, als den Andern – die Absicht gehabt haben muß, daß jener einen größern Wirkungskreis haben soll, als dieser: so ist schon das einzige Dasein der Ungleichheit der Kräfte, der Stärke und Schwäche, für das Recht des Stärkern Beweis genug. Denn, wenn sich diese ungleichen Kräfte äußern: so ist es nicht anders möglich, als daß die kleinere Kraft der Ueberlegenheit unterliegen muß. Daß man einander, wie gewöhnlich gelehrt wird, in der Kollision ausweichen müße, ist eine nichtsbedeutende Ausflucht; weil es keine einzige Handling giebt, die nicht mit irgend einer Handlung eines andern Menschen kollidire. Es ist in der That die härteste Zumuthung, wenn man es einem vorzüglichen Menschen, der den andern, die um ihn sind, an Kräften und Talenten bei weitem überlegen ist, zur Pflicht machen will, daß er völlig so mit ihnen existiren soll, wie sie mit ihm. Unsinnig ist diese Forderung. Seine Vorzüge müssen sich auch als Vorzüge und Superioritäten äußern; eben weil sie vorzüglich sind. Wie schmerzhaft müßte die Aufopferung seyn, wenn [102] ein vorzüglich kluger und weiser Mann mit thörigten Jungfrauen existiren müßte; ohne diese nicht unter sich bringen und als thörigt behandeln zu dürfen? Gerade das Gefühl seiner Kraft und das Unbehagliche der Subsistenz mit solchen Menschen, die weit schwächer und dümmer sind, als er selbst, treiben ihn an, nach dem Recht des Stärkern zu wirken. Ich trage kein Bedenken, die Vertheidigung des Satzes – daß auch die Gottheit, nach dem Recht des Stärkern, die Welt beherrscht und mit Weisheit und Güte regieret, – zu übernehmen. Es haben schon einige aufgeklärte Denker diesen Gedanken gewagt. Aber man denke ihn ja nicht, wie sie ihn dachten. Sie wußten nicht, was das Recht des Stärkern eigentlich andeutet. Es verkündiget nicht Tyrannei, sondern Beglückung. Um der Vorstellung vom Recht des Stärkern, – welches kein einziger Philosoph, nach einer gehörigen Analyse der hier eingreifenden Begriffe, mit diesen ihm eigenthümlichen Charakteren abgebildet hat, seitdem H o bb es und seine menschenfeindlichen Anhänger das fürchterliche Bild desselben ausgemalt und in Gang gebracht haben, – alle nachtheiligen Eindrücke, alles Schreckhafte zu benehmen, mögen folgende Betrachtungen vielleicht nicht ohne Nutzen zu gebrauchen seyn. 1) Der am Körper und Geist schwache Mensch, der sich wegen seiner Schwäche vor dem [103] Andern bückt, hält diese Unterwürfigkeit nicht für ein Unglück; so wenig es ein Europäer für ein Unglück halten kann, daß er nicht großer Mogol, oder der Dalai-Lama ist. Das läßt sich aus der allgemeinen Beobachtung abnehmen, daß es nicht leicht einen Menschen giebt, der mit der ganzen Individualität irgend eines andern zu tauschen Lust hat. Kein Unterthan giebt sich hin, um ganz das zu seyn, was sein Beherrscher ist. Jeder Mensch glaubt doch im Ganzen besser und glücklicher zu seyn, als ein jeder Andrer. Ein jeder freut sich, daß er die Flecken nicht hat, die er an seinem Nachbar wahrnimmt, wenn er selbst übrigens mit vielen andern Mängeln überladen ist.
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Hinzu kömt: Die Wünsche der Menschen sind doch gewöhnlich der Stärke ihrer Kräfte und Triebe proportionirt. Nach unthunlichen Unmöglichkeiten ringt niemand absichtlich. Nun aber sagt dem Schwachen schon das eigne Gefühl seiner Ohnmacht, daß er nicht zum befehlen, sondern zum gehorchen geboren worden. Er argwöhnet daher auch nicht einmal, daß ihm doch die Stelle eines Volksführers angemessener seyn möchte; weil er fühlt, daß er auf einem solchen Posten, bei seiner Schwäche, unglücklich seyn müßte. Er freuet sich daher, daß er geleitet wird. Er gehorcht, ist unterthan; und ist glücklich. Gerade sein Trieb, der ihn, in der Aufsuchung der Gegenstände seines Vergnügens und seiner Glückseeligkeit, zum [104] Handeln bestimmt; dieser Trieb ist es, der ihn von allen herrschsüchtigen Ideen entfernt, und der ihm fühlbar genug zu erkennen giebt, daß er nur durchs Gehorsamen glücklich seyn könne. Sollte man von einem Menschen, der solche Begriffe, Gesinnungen und Neigungen hat, nicht schon zum voraus vermuthen können, daß er sich von freien Stücken an einen Andern anschmiegen werde, den er für vollkommener hält; sobald ihm dieser zur Unterthänigkeit winkt. In diesem Fall befindet sich das weibliche Geschlecht. 2) So wie der gehorchende Theil, nach dieser Vorstellungsart, nicht als eine unter einer schweren Bürde seufzenden Kreatur betrachtet werden kann; indem er sich auf Anregung seines eignen Triebes unterwirft: eben so darf auch der Herrscher, der sich durch die Ueberlegenheit seiner Kräfte den Schwächern unterwirft, eben nicht als ein wütender Starker beschrieben werden. Denn außerdem, daß ihn eigentlich sein Trieb glücklich zu seyn, und glücklich zu machen, der sich, in Verhältniß seiner größern Kraft, gleichfalls wirksamer äußern muß, zum Herrscher oder zum Obern bestellt hat: so dringt sich ihm auch [105] eine andre Wahrheit gar bald auf, diese nemlich, daß seine Glückseeligkeit, mit der Wohlfart des Andern, nicht nur sehr gut bestehen könne, sondern, daß sie auch durch des andern Glück, in einem hohen Grad erhöhet werde. Je mehr er sich hievon überzeugt; (und keinem Menschen ist diese Ueberzeugung unentbehrlicher, als dem Gebieter,) desto mehr wird sich sein Begriff vom Recht erweitern. Recht wird ihm nun seyn, was gemeinnützig, was in Beziehung auf seine eigne sowol, als auf die Glückseeligkeit Andrer, die er um sich herum versammlet hat, das Beste ist. Wenn er endlich im Beobachten und in der Aufklärung ganz weit fortgerückt ist: so wird er auf den allergemeinsten Begriff von recht kommen, welches in der Vollbringung dessen besteht, was in allem Betracht, nach allen seinen Wirkungen und Folgen, das Zuträglichste, das Nützlichste, das Beste ist. Hieraus erhellet zugleich, wie sich die Begriffe vom Recht allmählig dessen entäußern, was einem anfänglich anstößig seyn konnte, ich meine, des Umstandes, daß man die Bestimmung von Recht und Unrechtseyn ursprünglich dem Trieb überlassen muß. Die Grundidee bleibt indessen immer dieselbe. Handlungen zur Glückseeligkeit sind Recht, sind Tugend, die wir auch eigentlich nur um ihres Nutzens willen lieben. Diese Grundidee aber wird beim Fortgang der bürgerlichen Aufklärung, vom Gefühl immer mehr und [106] mehr unabhängig, bis es am Ende das ausschliessende Geschäfte der Vernunft wird, das, was in allem Betracht das Beste ist, zu beurtheilen, und die Folgen der Handlungen in ihrem ganzen Umfang zu übersehn. Dieses Umwandeln des Begriffs von Recht in Rücksicht auf den Richter, der den Ausspruch darüber thut, ist sowol beim einzelnen Menschen, in verschiedenen Zeitaltern seines Lebens, als auch bei ganzen Nationen, die auf verschiedenen Stufen der Kultur stehn, sehr leicht erkennbar. Was das Kind für ein seiner Glückseeligkeit angemessenes Gut hält, ist in den Augen des Erwachsenen entweder gleichgültig oder schädlich. Was bei einer rohen Nation die höchste,
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wünschenswertheste Glückseeligkeit ausmacht, das sieht der verfeinerte Bürger von ganz andern Seiten an. Selbst, wenn er einen gewissen Gegenstand, den sein roher Nachbar schäzt, gut nennen muß; wird er doch selten den Grad von Güte in demselben wahrnehmen, den der Andre sich in ihn hineingeträumt hat. Denn die Ideen des Verstandes sind deutlicher und mehr entwickelt, als die oft sehr unverständlichen Anzeigen des Gefühls. Dies haben die Vertheidiger sowol, als auch die Bestreiter des moralischen Gefühls übersehn. Die Bestimmung des Rechtmäßigkeit oder der Unrechtmäßigkeit einer Handlung, das Wohlgefallen an rechtschaffenen, und der Abscheu für schäd[107]lichen Thaten, ist eben sowol das Geschäfte des nach den Anzeigen der menschlichen Grundtriebe richtenden Gefühls, als es das Geschäfte des nach deutlichen und bestimmten Begriffen urtheilenden Verstandes ist. Nur muß man Menschen von Menschen unterscheiden. Der fühlende Mensch kann nicht räsonniren, und der Räsonneur kann nicht fühlen. Jenem zeigen seine Triebe zur Glückseeligkeit den Charakter dessen, was Recht und Unrecht ist, unmittelbar an. Denn die Kräfte seines Verstandes sind unentwickelt; er hat sich keinen großen Vorrath von Begriffen beigelegt, mit denen seine Vernunft operiren, an die sie die vorkommenden Handlungen halten, und durch deren Hülfe sie, nach reifer Untersuchung, Recht und Unrecht anerkennen könnte. Dieser hingegen hat die Aussagen seines Gefühls in Begriffe und Sätze verwandelt. Er hat sich die Fertigkeit erworben, mittelst häufiger Ideenassociationen, nach allgemeinen Gründen, seine Urtheile, über die moralische Güte der Handlungen, zu bilden. Durch diese stet Uebung im Urtheilen und im Schließen wird die Feinheit des Gefühls abgestumpft; weil es in diesem Zustand der Aufklärung nicht so fleißig geübt und angestrengt wird, als die Organen des Verstandes und der Vernunft. Dies ist auch der Grund, warum sich der polizirte Bürger nicht auf sein Gefühl berufen darf, wenn er über das Recht [108] oder Unrechtseyn eigner oder fremder Handlungen erkennen will. Da, wo alle Welt Begriffe bearbeitet und räsonnirt; wer wollte da fühlen? Selbst, wenn sein Gefühl in einzelnen Fällen richtiger wäre, als die Räsonnements seiner Mitbürger, die freilich bisweilen falsch seyn können; theils, weil die nach den Gefühlen gemodelten Begriffe nicht immer ächte Abdrücke derselben sind, theils aber auch, weil aus den richtigsten Grundbegriffen falsche Folgen gezogen werden können. 3) Je mehr Einer dem Andern an phisischen und an moralischen Vollkommenheiten überlegen ist, und je mehr er Weisheit und Klugheit besitzt; desto weniger hat er nöthig, Gewalt zu üben, um den Andern, der sich nicht selber führen kann, zum Guten anzuleiten. Seine Klugheit wird ihm Mittel genug, zu einer sanften Lenkung solcher Individuen, an die Hand geben, die sich ohne Führer in den Wüsten verirren, und die mit der Natur hadern müßten, wenn sie, unzufrieden mit ihrem Schicksaal, die fremde Beihülfe als eine beschwerliche Last ansehn wollten. Die Natur hat ihnen ja dadurch die ihnen abgehenden Kräfte mit mütterlicher Milde ersezt, daß sie sie an Andre weist, die ihre Helfer und Rathgeber seyn sollen. Gepflegt, beschützt und versorgt werden, ist dem Schwachen eben so angenehm, als es dem Starken ein himmlisches Vergnügen ist, Menschen zu pflegen und zu beglücken. [109] Aller Wahrscheinlichkeit nach, waren es durchgängig die intellektuellen Vorzüge, die ihre Besitzer antrieben, ihr Licht leuchten zu lassen, und mit dem Glanz ihres Scheins die matter leuchtenden Lampen zu erhellen. Denn Fette des Fleisches ohne Nerven des Geistes entstockt in Trägheit, die in allen großen Unternehmungen feind und nachtheilig ist.
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Es kam also dabei nicht so sehr auf straffere Sehnen, oder auf robustere Fäuste, als auf ein reichhaltigeres klügeres Gehirn an. Nun aber lehrt die Erfahrung, die wir noch jeden Augenblick in der Geschichte unsers eignen Lebens machen können, daß uns eine Verbindlichkeit, eine drückende Last, eine schwer zu erfüllende Pflicht, – wenn wir uns durch eingreifende Vorstellungen eines klugen ehrwürdigen Mannes, zur Befolgung derselben bequemt, oder auch, wenn wir uns ins künstliche Gewebe eines verschmizten Betrügers, der uns eine gewisse Verbindlichkeit zu seinem einseitigen Vortheil von der angenehmsten Seite vorzustellen wußte, haben verstricken lassen, – bei weiten so unangenehm und beschwerlich nicht ist, als wenn wir mit handgreiflichen Motiven, mit Druck, Stoß und Schlägen, zu demselbigen Geschäfte angehalten werden sollten. Der Grund hievon liegt ohne Zweifel darinnen, daß wir im ersten Fall nothwendig einige reizende Seiten bemerken mußten, ehe [110] wir uns, durch den geschlossenen Vertrag, zur Erfüllung dieser Pflicht anheischig machten. Diese Gesichtspunkte, woraus wir damals die Sache ansahen, konnten in der Folge unmöglich so ganz verändert werden, daß nicht wenigstens eine oder ein Paar angenehme Seiten noch immer hervorschimmerten; selbst, wenn es sich am Ende auch fand, daß wir wirklich berückt worden sind. Es bleibt daher noch immer ein Schimmer derjenigen Vortheile in der Seele übrig, die wir uns damals versprachen, als wir jene Verbindlichkeit übernahmen. Im lezten Fall hingegen ist keine einzige Gegenvorstellung da, die uns die Last einer erzwungenen Pflicht wegheben könnte. Ihr unangenehmes stellt sich uns in seiner ganzen Größe dar; und wir erliegen unter einer solchen Bürde, die uns die Imagination noch dazu sehr oft weit schwerer vorstellt, als sie wirklich ist. So wünscht’ ich, daß man sich das Recht des Stärkern dächte. Ich bin überzeugt; der so gefaßte Gedanke schließt kein feinseeliges Niederdrücken der menschlichen Kräfte ein, und das Gefühl des friedliebendesten Mannes kann sich aus keinem Grund gegen diesen Gedanken sträuben. Man muß dieser Vorstellungsart unter andern auch deswegen gut seyn; weil die Lehren, die zur Anordnung des Verhaltens der Regenten in ihr eingewickelt liegen, unaussprechlich wich[111]tig und wohlthätig sind. Der Herrscher muß, auch nach dem Recht des Stärkern, seine Unterthanen beglücken. Dies ist seine erste und höchste Pflicht , die unmittelbar aus der Entstehungsart seiner Würde fließt. Was brauchen wir endlich weiter Zeugniß; da wir dies natürliche Recht auf dem ganzen Erdboden, bei barbarischen sowol, als bei kultivirten Nationen, in der Praxis befolgt sehn? Alle Völker handeln nach diesem Grundprinzipium des Rechts; nur ist es, bei den mancherlei Denkungsarten der verschiedenen Nationen, auf eine mannigfaltige Weise modifizirt worden. Einige, und das sind alle Wilden ohne Ausnahme, schätzen große körperliche Stärke. H omer s Götter und Helden, die mehr fressen und saufen können, als die gewöhnlichen Menschen, sind die Führer, denen sie sich anvertrauen. Wer unter den Karaiben nach der königlichen Würde strebt, muß den heftigsten Schmerz und die peinlichste Marter, mit unerschütterter Standhaftigkeit, überwinden. Er muß wachen können, wenn Andre schlafen; sich auf der Jagd und beim Fischfang vor Andern hervorthun; kurz, sich durch Handeln und durch Leiden auszuzeichnen wissen11. 11
Wir finden zu wenig Kraft in den Beweisen, die aus der Vergleichung der Thiere mit den Menschen, zur [112] Erhärtung einer muthmaaßlichen Eigenschaft des Leztern, hergenommen werden. Wir würden uns sonst auf den Stier berufen können, dem sich die Heerde nicht eher unterwirft, er habe sich
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[112] Die meisten polizirten Staaten Europens haben, seit den leztern Jahrhunderten, für gut befunden, den einen Zweig vom Recht des Stärkern, nemlich die Ueberlegenheit an körperlicher Kraft, abzuhauen. Man hat dagegen diese abgeschafte Faustkraft auf gewisse andre Dinge übertragen, die schlechterdings nichts mehr und nichts weniger bedeuten, als das körperliche Faustrecht. Dahin gehören Reichthum, Geburt, Konnexionen, u. s. w. Ueberflüßig würde die ausdrückliche Anmerkung seyn, daß das Uebergewicht an Geisteskräften, in unsern Staaten, volle Rechtsgültigkeit habe; wenn der Geist des Widerspruchs dieses ganze Lehrstück nicht so sehr entstellt hätte.
denn zu dieser Würde durchgefochten, und das Feld gegen alle, die es ihm streitig machten, behauptet. Vergl. H o m e’s Sketches. Book II. Essay. 1.
II. BEITRÄGE IN ZEITSCHRIFTEN
Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtschreiber philosophischer Systeme; über D u t e n s U n t e r s u c h u n g e n; – und über die angebohrnen Begriffe des P l a t o, D e s k a r t e s und L e i b n i t z.
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Bey einem philosophischen Studium der Systeme der alten und der neuern Schulen, oder der einzelnen großen Männer, – die bey einem fürs Ganze vortheilhaften Zusammenfluß von mehrern äussern Nebenursachen nicht so glücklich waren, Häupter und Anführer von Nachbetern zu werden, die in ihrem Nahmen Heil und zeitliche Seligkeit hätten finden können – stößt einem die Bemerkung augenblicklich auf, daß sich die mehrern Systeme der dogmatischen Weltweisen nicht so sehr durch eigenthüm[23]liche Behauptungen, als durch eine verschiedene Behandlung und Bestimmung der nemlichen gemeinschaftlichen Lehrsätze von einander unterscheiden. Wenn sich gleich nicht behaupten läßt, daß das Reich der entdeckten philosophischen Wahrheiten von dem Augenblick an immer dieselbigen Gränzen gehabt, da sich die Philosophie ganz von der Dichtkunst absonderte, da dichterische Bildersprache in philosophische Prosa übergieng, da man sagen konnte, jetzt steht das erste System der Spekulation, gut oder schlecht gegründet und ausgebauet, da: so ist es doch gewis, daß das kleine ursprüngliche Gebäude der Philosophie unter den meisternden Händen der spätern Weltweisen mehr durch Versetzung der einzelnen Theile desselben, als durch Erweiterung und durch Hinzufügung neuer Stockwerke verändert wurde. Diejenigen Philosophen, die beym Fortleben der Weltweisheit, entweder, wie A r ist ote le s, E p ik ur, De sk ar te s, Le i bn i t z, Sektenstifter wurden, oder die, wie G as se nd i, Ma le bra nc he, Sp i n oza, L oc k e, ohne den geistverdumpfenden Taumel des lauten Jubels kriechender nachlallender Seelensklaven, in der Stille philosophirten, in der Stille einen massifen Pallast auf Felsen, oder ein armes Strohhüttchen auf ein verrieselndes Sandbänkchen baueten, – hatten zwar ihrem erfinderischen Geist mehr oder weniger neue Wahrheiten, oder neue Aussichten in das unermeßliche Reich der Wahrheit zu ver[24]danken, wodurch sie sich zum Rang selbstständiger Philosophen emporschwangen: allein häufig sind die alten, bekannten, philosophischen Lehren oder Grillen, durch die neue Art, wie sie sie erklären, beweisen, verbinden, benutzen, weit karakteristischere Züge im Bild ihrer Lehrsysteme, als jene neue Erfindungen die ihnen etwa eigen sind. Der aufmerksame Untersucher der Systeme und Meynungen der Weltweisen muß daher ausser der kritischen Prüfung seiner Quellen hauptsächlich auf zwey Stücke Rücksicht nehmen: auf die Aufsuchung der neuen Erfindungen, und der auszeichnenden Behauptungen eines jeden großen Mannes; und dann auf die neue Behandlung der schon erfundnen Wahrheiten von den merkwürdigern philosophischen Genies. So sehr die nothwendige Verbindung beyder Regeln in die Augen fällt; so sehr sie sich dem über die Natur der Sache räsonnirenden Verstand empfiehlt: so wenig haben die Geschichtschreiber der philosophischen Systeme auf eine genaue Beobachtung der letztern Vorschrift gedacht, so, daß man sie aus der Betrachtung der philosophischen Geschichtbücher vom Aristoteles an, bis auf die historischen Werke Bruc ker s und
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Ba tteu x, und andrer Neuerer, wenn man ihrer noch einige nennen kann, – nur sehr schwer würde abziehen können. Ist diese Maxime etwa weniger wichtig, als die erstere? Ohne Zwei[25]fel in eben dem Grad erheblicher, in welchem unvollständige historische Anaalen erträglicher sind, als unrichtige und falsche Nachrichten. Unaufmerksamkeit auf das erstere Erforderniß erzeugt unvollständige Geschichten; Ungenauigkeit in Absicht auf die letzte Regel macht die Geschichte der Philosophie in einem hohen Grad unrichtig und falsch. Man schreibt den Weltweisen, die einen gewissen gangbaren Lehrsatz unter allerhand neuen Bestimmungen, Erklärungen und Einschränkungen behaupteten, im Grund eine Behauptung zu, die sie nicht vertheidigten, wenn man nicht auf die eigenthümlichen Seiten Acht giebt, von welchen der Philosoph die alte Lehre ansah. Keiner von allen Geschichtschreibern der philosophischen Systeme wandelt häufiger auf diesem Abweg, als Dutens. Aber ich kenne auch von allen Schriften, die die historische Auseinandersetzung der behaupteten philosophischen Lehren zur Absicht haben, fast keine einzige, – selbst die planlose, unkritische Geschichte der Philosophie des Deslandes, des platten Provinzial-Schöngeistes, wie ihn V o lta ir e nennt, nicht ausgenommen, – die so tief in Unrath und in den Pfützen historischer Irrthümer stecken sollte, als die Recherches sur l’origine des Decouvertes attribuées aux Modernes, (à Paris 1766. 2. Vol. 8.) deren Verfasser Lo u is Dute n s ist, der [26] Herausgeber der Leibnitzischen Werke. Diese Untersuchungen durften sich gewis nicht unter die Augen Teutscher Kenner der philosophischen Geschichte wagen, die unstreitig, was die genauere Auseinandersetzung und Entwickelung der alten Systeme betrift, viel weiter sehen, als die kurzsichtigen Franzosen. Selbst unter den vielen Aufsätzen über Gegenstände der Geschichte der Weltweisheit, die in der Akademie der Innschriften vorgelesen werden, kömmt nur selten eine Abhandlung vor, die der kritische Geschichtsforscher brauchen kann. Um so viel gewisser ist es, daß Dutens in Teutschland augenblicklich den Tod schlechter Schriftsteller würde gestorben seyn, wenn nicht ein dienstbarer Geist seinem Buch durch Verteutschung in unserm Vaterlande Leben und Othem, (wenn gleich nur ein kränklendes Leben, und einen kurzen Othem) eingeblasen hätte.1 Dutens gieng mit der erklärten Absicht an sein Werk, alle Hauptlehren der Philosophie in irgend einem Alten zu finden. Ihm war daher eine jede Stelle willkommen, die – wenn er sie auch häufig aus dem Zusammenhang herausgerissen, ja wenn er sie vielleicht auch nie im Zusammenhang gelesen hatte – die Spuren von irgend einem wichtigen philosophischen Satz enthielt, den man für eine Entdeckung der [27] neuern Weltweisen auszugeben pflegte. Ihm war es genug, wenn er nur den vermuthlichen Namen einer Bemerkung in irgend einem Alten antraf. Aus einem einzigen Wort, dessen eigentliche Bedeutung man zuweilen nicht mit völliger Gewißheit angeben kann, schloß er auf das uralte Daseyn einer ganzen ausgebildeten Theorie, der man es, wenn man den physiognomischen Sinn nur in den mindesten Graden besitzt, sogleich ansehen kann, daß ihre Erfindung, wegen ihrer Verschlungenheit und wegen andern Schwierigkeiten unmöglich in die Zeiten der ersten Entstehung der Philosophie hinaufsteigen kann. Und, wenn er auch wirklich alte Stellen entdeckte, in welchen eine für neu gehaltene philosophische Lehre entweder ausdrücklich liegt, oder bey denen sich doch mit vieler Wahrscheinlichkeit vermuthen läßt, daß etwas besonders, und daß gerade dieser auszeichnende Lehrsatz eines neuern Weltweisen in ihnen enthalten sey: so untersucht’ er gar
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nicht, ob nicht das Wesentliche der alten Lehre in den neuern Zeiten ganz verändert werden, und ob wir nicht unter denselbigen Ausdrücken, durch Veränderung der Erklärung ganz neue Theorien haben, an die kein alter Philosoph gedacht hat. Hätte sich Dutens diese Mühe geben wollen: so würd’ er bey Ersparung des größesten Theils seines Buchs eine richtige Geschichte haben liefern kön[28]nen; weil er aus der Zusammenhaltung der alten und der neuern gleichlautenden Lehrsätze die Nichteinerleyheit beyder würde entdeckt haben. So aber fand er immer, was er sich zu finden vorgenommen hatte. Er fand Le i b ni tze ns Monadologie bey den Pyt ha go räer n und im P lat o; B üf fo ns System beym An axago ra s und Emp edo k le s; New t on s allgemeine Gravitation, und die Centripetal und Centrifugalkraft in der pythagoräischen Schule, im Pl at o, P lut arch, Lu kr e z, und in Andern; New to n s Farbentheorie beym P lat o; Die Erbsünde bey ebendemselben; Le ibn i t ze ns beste Welt im T im äu s, P l at o und P l utarc h; Des k arte s, und Le ibnitze n s angebohrne Begriffe beym P la t o. Andere Du ten sc he n Behauptungen nicht zu gedenken. Nach den Untersuchungen, die ich bisher über die mehresten von diesen Gegenständen habe anstellen können, muß ich alle diese, und die ähnlichen Angaben des genannten Verfassers für unrichtig halten, und mein Urtheil über sein Werk ist sehr gelinde, wenn ich sage, daß man unter lauter rauhen Ruinstücken kaum hie und da eine glatte, parische Marmorsäule entdecken kann. D e s k a r t e s, N e wt o n, L e i b n it z, B ü f f o n haben ihre Theorien unmöglich aus den Alten schöpfen können, weil die meisten von diesen großen Männern die Alten, die etwa ähnliche Systeme vertheidigten, oft nicht einmal dem Na[29]men nach kannten, vielweniger sie zu der Zeit schon studirt haben, wie sie auf ihre Erfindungen verfielen. Allemal konnten sie daher mit dem reinsten Bewußtseyn, und mit einem ungeheuchelten Ehrlichkeitsgefühl von Erfindungen sprechen, weil sie ihre Theorien wirklich selbst geschaffen hatten. Hier entscheidet nicht allein die Bemerkung, die in der Geschichte des menschlichen Verstandes, bey sehr seltenen Ausnahmen, fast zu einem allgemeinen Satz erhoben werden kann: daß Genie und große Gelehrsamkeit nur äusserst selten in derselbigen Person vereinigt sind – sondern die individuelle Geschichte eines jeden von diesen großen Geistern, den größten Teutschen Geist ausgenommen, lehrt es, daß sie mit den Quellen, aus denen sie sollen geschöpft haben, vor der Bildung ihrer Systeme entweder gar nicht bekannt waren, oder, daß sie sich höchstens nachher, wie ihr Gebäude schon ganz ausgebaut dastand, in den philosophischen Werken der Vorzeit umsahen, und da die Spuren wieder fanden, die sie schon lange vorher betreten hatten. Aber, was das wichtigste ist: diese den Neuern zugeschriebne Entdeckungen, Theorien und Lehrsätze sind, wenn man sie genauer untersucht, nicht einmal ihrem eigentlichen Sinn und Umfang nach in den Schriften der alten Weisen enthalten. Nur äusserst selten trift es sich, daß man die Alten bey den eigentlichen neuen Hypothesen und Theorien gerade auf den Wegen finden sollte, auf [30] welchen die Neuern gewandelt haben. In den meisten Fällen nimmt man bey den Alten höchstens etwas Aehnliches wahr, wobey indessen doch durch allerhand neue Bestimmungen, Erklärungen und Anwendungen die Uebereinstimmung und Einerleyheit des Alten und des Neuen ganz verlohren geht. Daher bin ich in dieser Rücksicht und so auch überhaupt überzeugt, daß die Alten auf der einen Seite weder die enth[u]siastische Bewunderung und die überspannten Lobeserhebungen, 1
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noch auf der andern Seite die Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit verdienen, womit sich zwoo Klassen von Menschen an den Ueberbleibseln des philosophischen Alterthums versündigen. Es ist gewiß, daß die alten Weisen, vorzüglich bey den Griechen, ungleich größer waren, als sie sich uns in den wenigen Monumenten ihrer Gelehrsamkeit zeigen, die auf uns gekommen sind; und ich schätze den P l at o, Ar ist ote le s, Ze n o, E p ik ur ungleich mehr deswegen, weil sie Plat o, Ar istote les, Ze no, E p iku r waren, als weil noch einige Reste auf uns gekommen sind,2 durch deren Hülfe wir in das Heiligthum ihrer Theologie und Philosophie eindringen können. Die Schriften dieser Weltweisen sind bey weitem nicht der Maas[31]stab ihrer Kenntnisse. Tausend Entdeckungen haben diese große Männer gemacht; tausend Lehrsätze haben sie bewiesen und vertheidiget, die sie in Schriften in das Publikum zu schicken gar nicht für rathsam achteten. Wir hätten ihre Schüler seyn müssen, wenn wir den Vorhang ganz weggethan wünschten, der die Eigenheiten ihrer Behauptungen und Erfindungen vor unsern Augen verbirgt. Ihre schriftlichen Aufsätze sollten blos Lockspeisen und Fingerzeige seyn, über welche man den ausführlichen Aufschluß und Unterricht von ihnen selbst zu hohlen hatte. Eben deswegen hüllten sie ihre Lehren in das Dunkel einer unverständlichen, allegorischen,3 apokalyptischen Sprache ein, die sie nur in ihren Hörsälen entzifferten. So erklärt sich noch mancher große Mann in der Gesellschaft verbrüderter Freunde über gewisse Lehren ohne Zurückhalt, da er sie in seinen Schriften übergehen mußte, weil sie ganze Nationen, und sein Zeitalter für zu heilig halten, als daß man sie vor den Richterstuhl des gemeinen Menschenverstandes hervorziehen dürfte. Gewöhnlich pflegen zwar die neuern Gelehrten über ihre Unwissenheit Vorhänge zu ziehen, und ihr geheimnißvolles Betragen ist mehrentheils Charlatanerie gelehrter Marktschreyer. Nicht so die bessern alten Weltweisen. [32] Uns ist es übrigens nicht mehr vergönnt, die ganze Weisheit, mit allen ihren Reitzen an die griechischen Philosophen vermählt, in den Abdrücken ihres Geistes zu entdecken. Wir kennen wenigstens kein Mittel, durch dessen Hülfe wir die Tiefen finden könnten, in welche diese Geister hineingeschauet haben. So viel wissen wir aus der Geschichte gewiß, daß ihre Schriften ihren Geist nicht fassen. Ist das: so können wir ohne Bedenken den Neuern Entdeckungen, Erfindungen, und neue Aussichten zuschreiben, wenn wir bey den Alten keine Spur von ihnen antreffen. Die französischen Geschichtschreiber der Philosophie scheinen durchgängig von der Seuche angesteckt zu seyn, die den Helden des neuern und neusten philosophischen Zeitalters alles wegraft, und es in den Urnen versammlet, die die Asche des philosophischen Alterthums fassen. Da soll eine jede wichtige Lehre immer von Anbeginn in der Welt gewesen seyn. B atteux will die Behauptung der Einheit bey allen Völkern des alten Erdbodens finden. Dutens übereilte Urtheile hab’ ich schon gelegentlich angeführt. – Um mein Urtheil über sein Werk zu rechtfertigen, will ich, im wahren Geist der Geschichte der Philosophie, eine Vergleichung unter den angebohrnen Begriffen des P la t o, des Desk ar te s, und des Le ib n it z anstellen. Wenn aus [33] dieser Parallele die verschiednen Eigenschaften und die ungleichartige Natur der angebohrnen Begriffe, die diese Männer in ihren Schutz genommen haben, in die Augen fallen: so wird
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ben werden. Leipz. 1772. 8. Platons und des Stagyriten noch vorhandne Werke machen wenigstens einen dicken Folioband – das sind doch wohl mehr als einige Reste? Dies scheint auf den Aristoteles, Zeno und Epikur nicht zu passen.
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zu gleicher Zeit das Fehlerhafte unsrer gewöhnlichen philosophischen Lehrbücher und aller einzelner Abhandlungen offenbar werden, in welchen Platonische, Deskartesische, und Le i bn i tzi sche angebohrne Begriffe mit denselbigen Waffen bestritten werden. Man wird einsehen, daß die Pfeile, die Lo c ke auf die Vertheidiger dieser Lehre abschießt, bey der Waffenrüstung des teutschen Genies größtentheils abprallen, und daß die Gründe, mit welchen jener diese Lehre lächerlich macht, auf die Eigenschaften, die Le ib n it z seinen angebohrnen Begriffen giebt, nicht einmal anwendbar sind. Der Hauptgrund, auf welchen P l at o seine Lehre von den angebohrnen Begriffen bauet, ist die Erfahrung, daß man ohne allen weitern Unterricht, durch bloße Sokratische Fragen, die schwersten Wissenschaften aus einer jeden menschlichen Seele herauswickeln kann. In der Seele liegen also alle menschlichen Kenntnisse, die sie schon in einem andern Leben gehabt, aus welchem sie sie in dieses Leben mit herübergebracht hat. Denn die menschliche Seele, die die höchste Gottheit in eben dem Becher schuf, in welchem sie die Weltseele gemischt hatte, [34] lebte eine zahllose Menge von Jahrhunderten körperlos neben der Gottheit, wo sie die ursprüngliche Wahrheit und Schönheit ohne Schleyer gesehen, und ihr unermeßliches Gebiet durchgewandelt hat. Sie senkte sich aber in die Tiefe der sinnlichen Erkenntniß aus der erbaulichen Gemeinschaft der Götter herab, und wurde zur Strafe für dieses Verbrechen in irrdische Wohnungen eingeschlossen, die nicht die Hand oder der Wink der höchsten Gottheit gebauet, sondern die nur die untergeordneten Götter gedrehet haben. Ich thue am besten, wenn ich meinen Lesern den Gang der platonischen Ideen so vorlege, wie ich ihn im Gespräch, Men o n, gefunden habe. Die Frage, mit deren Untersuchung sich So kr ates mit seinem Gesellschafter Me n on in diesem Gespräch beschäftiget, ist diese: kann man einen mit Worten lehren, was Tugend ist; oder muß man sie durch Uebung erlangen? oder ist sie dem Menschen auf eine andre Art von der Natur eingedrückt worden? S o krat es versucht mittelst verschiedner Fragen, die von ihm den Namen haben, von seinem Freund eine Erklärung der Tugend herauszulocken. Men o n antwortet auf die Fragen des Sokratischen Unterrichts immerfort; seine Erklärungen aber sind, wie S o kra tes zeigt, allemal fehlerhaft. Demohngeachtet führt der beste Mensch das Gespräch [35] fort, und behauptet, man müsse gerade diejenigen Dinge am sorgfältigsten untersuchen, die einem unbekannt seyen. Diese Behauptung läugnet Me no n; und er glaubt dagegen, das Ausfragen eines Menschen über einen Gegenstand im Reich der Wahrheit den er gar nicht kennt, sey ganz unnütz; theils, weil einem in diesem Fall die Wege unbekannt sind, auf welchen man etwas Unbekanntes finden kann; theils auch, weil man, wenn man eine Wahrheit findet, nicht wissen könne, ob das gerade eine Wahrheit sey, die einem unbekannt war. Hier trägt nun Pl a t o durch den Mund seines Lehrers seine eigenthümliche Lehre über die Beschaffenheit der menschlichen Reminiszenz in einer lehrreichen Episode vor. – »Die Seele des Menschen, heißt es hier, ist unsterblich. Sterben heißt blos aufhören mit dem Körper verbunden zu seyn. Wenn dieses Leben aufhöret, so geht wieder ein neues an; und da die Seele diesen Zirkel immer von Neuem macht: so findet sich auch in der Natur kein einziger Gegenstand, keine einzige Wahrheit, die sie nicht gelernet hätte. Man braucht sich daher nur einen einzigen Gegenstand in das Gedächtniß zurückzurufen, und anhaltend nachzuforschen: so kann man alle übrige verbundne Wahrheiten wieder finden. Denn Untersuchen und Lernen heißt weiter nichts, als, sich erinnern. Zu allen Wissenschaften liegt schon der Saame in unsrer Seele, und er sproßt hervor, so
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[36] bald er gehörig erwärmt und gepflegt, so bald er durch fleißiges Bestreben hervorgelockt 200
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wird. Nur eine solche Lehre über die Beschaffenheit des Lernens und des Untersuchens kann unsern Eifer zu anhaltenden Geistesarbeiten anspornen, da eine jede andre unsern Fleis niederschlagen und uns träge und unthätig machen muß.4 »Daß aber auch der unwissendeste Mensch wirklich nie etwas Neues lernet, sondern sich blos erinnert; daß alle Meynungen, die der Mensch auch nicht weis, in seiner eignen Seele enthalten sind, – erhellet am besten aus der lehrreichen Erfahrung, nach welchem man durch bloße Fragen die tiefsten Wahrheiten aus jeder menschlichen Seele herauswinden kann, die alle ohne Ausnahme in ihr eingewickelt liegen. So wird das in der Mathematik ganz unbewanderte Kind alle Fragen beantworten, die man ihm geschickt vorlegt; weil die Lösung aller Probleme in seiner Seele schon vorhanden ist, die weiter nichts als Anlässe und Reitze braucht, um sie von sich zu geben. – Hier macht So k rate s mit [37] einem Knaben sogleich den Versuch. S. Platon. Opp. Tom. III. p. 82. edit. Serran. in Menon. »Wenn nun der Mensch, der in einer gewissen Wissenschaft nie ist unterrichtet worden, alle Keime zu dieser Wissenschaft in sich selbst hat; wenn diese Keime nicht durch einen irrdischen Unterricht in seine Seele haben gelegt werden können: so muß es eine Zeit gegeben haben, in welcher dieser Saame zu wissenschaftlichen Kenntnissen ausgestreuet worden, der sich in diesem Leben nur gelegentlich entwickelt. Dieser Zeitpunkt fällt ausser die Grenzen dieses irrdischen Lebens hinaus. Er steigt in jene frühere, englische Perioden des menschlichen Geistes hinauf, in welchen er noch nicht Mensch war. Eben deswegen ist unser Vermögen, Wahrheiten zu erkennen, eben so ewig wie die Seele selbst, die diese Kraft schon lang vorher besaß, ehe sie in den Kerker dieses irrdischen Leibes eingeschlossen wurde. Und gerade dieser Kerker, der unsern Geist beschränkt, macht es nothwendig, daß wir mit Fleis und Mühe dieses in uns glimmende Feuer anfachen, und mit saurer Anstrengung diese schlafende Kräfte aufwecken müssen, um uns die Kenntnisse ins Gedächtnis zurückzuruffen, an die wir uns nicht erinnern.5 Daher [38] ist unsre Seele einer mit Wachs überzogenen Tafel ähnlich, auf welcher die Spuren der ehemaligen Schrift wieder zum Vorschein kommen, sobald der wächserne Ueberzug weggethan wird. Nur der Körper und die Sinnen hindern unsre Seele an der Erkenntniß dieses in sie gelegten Saamens der Wahrheit. So bald aber diese Hüllen wegfallen; so bald gelangen wir zum Anschauen dieser angebohrnen Kenntnisse. »Eben dieser Satz, sagt P la t o, daß unsre Seele einen größern oder einen kleinern Schatz von allgemeinen Begriffen in ihren irrdischen Körper mitbringt, erhellet auch aus folgender Beobachtung. Wir haben von Schönheit, Wahrheit, Tugend, Recht, u. s. w. Begriffe, die wir uns mit unsern Sinnen unmöglich verschaffen können; weil sie sich an den Dingen, die sich unsern Sinnen darstellen, so nicht finden, wie wir sie haben. Diese allgemeinen Begriffe sind also gewiß Ueberbleibsel aus jenem glückseligen Zustand unsrer Seelen vor ihrer Herabsenkung in 4
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Dies läugnet Locke Essay concerning human understanding Book I. Ch. III. 5. 24. Die Lehre von den angebohrnen Begriffen, sagt er, macht kommode Menschen. Denn sie macht die Untersuchung der Grundsätze, und die damit verknüpfte Anstrengung überflüßig. Sie ist die Freystätte für alte Irrthümer, u. s. w. Vergl. Phädrus; Opp. Tom. III. p. 249. Daß sich Plato in dieser Behauptung nicht gleich geblieben: daß er an andern Stellen, – z. B. im Theâtet, wo er die Seele mit einem Taubenhaus vergleicht; im Philebus, wo sie ihm einem Buch ähnlich scheint, – lehrt, Wissenschaft entstehe aus Induktion, man erlange sie u. s. w. hat schon Brucker bemerkt. Historia Philos. doctrinae de Ideis. p. 109.
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menschliche Körper. Die ursprüngliche [39] Klarheit haben sie zwar nicht, weil sie die Grobheit der Materie verdunkelt. Wir können sie aber sehr leicht zu einem hohen Grad der Klarheit emportreiben, wenn wir ein der Absicht unsrer Einkörperung, nehmlich der Reinigung der Seele, gemäßes Leben führen.« Gegen diese ganze Vorstellung der angebohrnen Begriffe, – die P l at o auf die Erinnerung und auf die Voraussetzung eines ehemaligen bessern Zustandes der menschlichen Seele gründet, – erinnert Le i bn i tz mit Recht: daß durch diese Platonische Ausflucht die Frage »ob der Finger der Gottheit unsern Seelen Begriffe eingedrückt habe oder nicht« gar nicht beantwortet werde; weil das Problem dadurch noch immer unaufgelöset bleibt »ob die Seele nun in dem Zustand, der vor dem jetzigen vorhergegangen, und beym Anbeginn ihrer Schöpfung Begriffe von Gott überkommen habe, oder nicht?«6 Der Beweis, den De sk arte s für die angebohrnen Begriffe führt, ist mit dem lezten Räsonnement völlig einerley, welches ich kurz zuvor aus P l ato angeführt habe.7 »Wenn ich alle Sinnen ver[40]schließe, sagt De sk arte s (Meditat. III.), und alle Bilder körperlicher Gegenstände aus meiner Seele auslösche, und meinen eignen Blick in mich selbst werfe: so erkenn’ ich noch immer und überzeuge mich kräftig davon, daß ich selbst denke. Von meinen Gedanken kann ich folgende Klassen machen. Einige derselben sind gleichsam Bilder der Gegenstände, und im eigentlichen Verstand kömmt diesen allein der Name Ide e zu. Andre haben ausserdem, daß sie Bilder sind, noch andre Formen. Von der ersten Gedankenart, oder von den Ideen scheinen einige angebohren; andre durch die Sinnen herzukommend, (aduentitiae,) und noch andre von mir selbst durch Zusammensetzung gebildet zu seyn (factitiae.) Denn, daß ich z. B. erkenne, was die Sache, die Wahrheit, der Gedanke ist, hab’ ich einzig meiner eignen Natur zu verdanken; daß ich aber jezt ein Geräusch höre, die Sonne sehe, die Wärme fühle, rührt von den Gegenständen her, die ausser mir vorhanden sind; daß ich mir endlich Sirenen und Ungeheuer vorstelle, hab’ ich selber erdichtet, durch Zusammenstellung, und Zusammendrängung. Es kann indessen doch sehr wohl seyn, daß sie mir entweder alle angebohren, oder alle durch die Sinnen zugeführt, oder alle von mir selbst gedichtet wor[41]den. Denn ich kenne ihren gewissen Ursprung noch nicht deutlich.« »Zu den angebohrnen Begriffen gehören die Ideen vom Selbstseyn, von Wahrheit, von den mathematischen Axiomen, und vorzüglich die Idee von Gott, die ich auf keinen andern Weg habe überkommen können, als dadurch, daß sie mir Gott bey meiner Geburt selber eingedrückt hat. Durch die Sinnen ist mir dieser Begriff gewiß nicht zugeführt worden. Ich selbst hab’ ihn auch nicht erdichtet, oder zusammengesetzt, weil ich gar nichts zu ihm zusetzen, nichts von ihm wegthun kann. Aus dem Universum hab’ ich mir die Bestandtheile dieser Idee gar nicht sammlen, nicht von einem Gegenstand eine von einem andern wiederum eine andre Eigenschaft Gottes entlehnen können, die in dem Begriff von ihm eingeschlossen ist. Denn die Einheit, die Einfachheit, oder die Unzertrennlichkeit dessen, was in Gott ist, ist eine von den vorzüglichsten Vollkommenheiten, die ich im göttlichen Wesen wahrnehme. Und gerade diese Idee, von der Einheit der Vollkommenheiten bey Gott, hat von keinem Gegenstand in mir 6 7
Leibnitz Nouveaux Essais sur l’entendement humain. Livre I. Chap. 1. S. Cartesii Meditat. de prima Philosoph. Medit. III. und V. Epistol. Part. II. Epist. 54–59. Princip. Philos. Part. I. 5. 13. »Ideae innatae sunt generaliter omnes, quae aliquas essentias veras, immutabiles et aeternas repraesentant.«
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erzeugt werden können, der nur eine einzige von diesen Vollkommenheiten besitzt; und folglich von keinem endlichen Wesen. Denn aus Nichts kann nichts entstehen, und in der Wirkung kann unmöglich mehr seyn, als in der wirkenden Ursache. [42] Im Menschen aber ist etwas, was mehr Realität hat, als der Mensch selbst, nehmlich der Gedanke von Gott, den nur sein Finger unsern Seelen hat einprägen können. Eben deswegen ist diese angebohrne Idee von Gott nicht nur wahr, sondern sie ist auch der stärkste Beweis für sein Daseyn.« – So groß ist das Interesse, welches die angebohrnen Begriffe im Cartesianischen System erhalten! Ganz anders, und ganz eigenthümlich räsonnirt Le i bn i tz über die angebohrnen Begriffe. »Ich hab’ ehedem, sagt er von sich, wie Deskartes und Mallebranche geglaubt, die Idee von Gott, und andre Ideen, die wir unmöglich durch Hülfe unsere Sinnen erhalten können, seyen uns angebohren. Ich glaub’ es noch, und behaupte nun zu Folge meines Systems noch mehr, nemlich: daß sich alle Gedanken und Handlungen unserer Seele aus ihrem eignen Fond herauswickeln, ohne daß sie ihr durch die Sinnen zugeführt werden. Ich bedienen mich indessen doch der gangbaren Redensarten, weil sie wirklich Grund haben, und weil man in einem gewissen Verstand sagen kann, daß die äussere Sinnen zum Theil der Grund von unsern Ideen sind. In so fern nemlich unsre Sinnen zur Entwickelung der in unsere Seele eingehüllten angebohrnen Begriffe Anlaß geben, in so fern läßt sich behaupten, daß diese Begriffe durch die Sinnen entstehen. Ich [35] nehm’ aber an der Meinung andrer Weltweisen gar keinen Theil, nach welcher man die angebohrnen Prinzipien, unter welchem Namen man häufig seine Vorurtheile begreift, ohne Beweis anzunehmen, und keine weitere Untersuchungen über sie anzustellen braucht. Darinnen geb’ ich Lo c ke’n Recht, daß er diese superfizielle Denkungsart verdächtig gemacht, und die Philosophen einer Nachläßigkeit beschuldiget hat, die sich gar nicht die Mühe geben wollen, die Quellen, Gründe und Gewißheit dieser Art von Kenntnissen aufzusuchen. Ich wünsche dagegen, man definire alle Ausdrücke genau die sich definiren lassen, und man demonstrire alle Axiome, die nicht primitif sind, ohne sich um die Meinungen der Menschen darüber zu bekümmern, und ohne zu fragen, ob sie ihnen Beyfall geben, oder nicht.« »Es giebt indessen gewisse nothwendige Wahrheiten, deren Quelle im Verstand selbst zu suchen ist, und die man von den durch Empfindung der Sinnen erworbenen Begriffen sorgfältig unterscheiden muß. Die Wahrheit dieser angebohrnen Prinzipien gründet sich im geringsten nicht, wie die Vertheidiger der angebohrnen Begriffe gewöhnlich behaupten, auf den allgemeinen Beyfall der Menschen, den sie diesen Grundsätzen geben. Die allgemeine, oder auch der fast durchgängige Beyfall des menschlichen Geschlechts ist höchstens eine Anzeige, aber keine [44] Demonstration eines angebohrnen Grundsatzes, dessen entscheidender Beweis einzig darinnen zu suchen ist, daß seine Gewißheit blos auf dem, was in uns ist, beruhet. Wenn daher auch die beyden großen spekulatifen Grundsätze – Was ist, das ist, und: Es ist unmöglich, daß ein Ding zu gleicher Zeit sey, und nicht sey, – nicht allen Menschen den Beyfall abnöthigten, weil sie vielleicht nicht alle Menschen ausdrücklich kennen: so würden sie demohngeachtet angebohren seyn, weil ihre Wahrheit von jedem Menschen anerkannt wird, so bald er nur ihren Sinn versteht. Wahr ist’s, diese Anerkenntniß der Wahrheit gewisser Sätze kann häufig aus der Betrachtung ihrer Natur selbst herrühren, die unserm Verstand nicht anders zu urtheilen erlaubt. Allein selbst in dieser Rücksicht sind angebohrne Begriffe von nichtangebohrnen unterschieden. Die Betrachtung der Natur der Sachen ist häufig weiter nichts, als die Kenntniß der Natur unsers eignen Verstandes, und der angebohrnen Ideen. Da sind alsdenn angebohrne
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Wahrheiten gerade diejenigen, die keiner andern Betrachtung bedürfen, um für wahr gehalten zu werden.« »Die beyden angeführte, und viele andre Grundsätze sind in unsern Seelen eingewickelt, ohne daß wir sie beständig wahrnehmen. Denn es ist gar nichts unbegreifliches, daß in unsrer Seele etwas da [45] sey, wenn sie’s gleich noch nie erkannt oder wahrgenommen hat. Die Natur selbst kann uns einige Kenntnisse absichtlich verborgen haben. Eine Substanz, wie die menschliche Seele muß höchst wahrscheinlich sehr viele Eigenschaften und Beschaffenheiten haben, die sie anfänglich unmöglich alle, geschweige auf einmal, an sich wahrnehmen kann. Wenigstens ist gar kein Grund vorhanden, warum nicht etwas in der Seele seyn könnte, dessen sie sich niemals bedienet. Man kann also sagen: es sind Wahrheiten möglich, die uns angebohren sind, die von der Natur in unsre Seelen eingegraben worden, und die wir demohngeachtet weder jemals erkannt haben, noch jemals erkennen werden. Alle reine Ideen, die Gegensätze der sinnlichen Phantome, und alle nothwendige, oder alle Wahrheiten der Vernunft, die den Thatwahrheiten gegen über stehen, sind unsern Seelen von der Natur eingedrückt. Man kann daher mit Grund behaupten, daß uns die ganze Arithmetik und Geometrie angebohren sind, und daß sie sich auf eine virtuelle Art in jedem Menschen finden, weil sich ein jeder diese Wissenschaften ohne alle Erfahrungswahrheiten bilden kann, wenn er nur dasjenige, was im Verstand schon von Natur vorräthig ist, aufmerksam betrachtet, und sich schicklich unterordnet. So führte z. B. S o kra tes ein Kind durch bloße Fragen, ohne die [46] geringste anderweitige Belehrung, zu den abstraktesten und verwickelsten Wahrheiten fort. Der Unterschied unter den nothwendigen, ewigen, und unter den Erfahrungswahrheiten liegt nemlich gerade darinnen, daß die Quelle der erstern der Verstand ist, und daß ihr ursprünglicher Beweis einzig aus dem Verstand, oder welches einerley ist, aus intellektuellen Ideen hergeleitet werden muß; da die leztern aus der Erfahrung, und aus vielen Beobachtungen unsere Sinnen fliessen. Denn es giebt auch sinnliche Ideen und allgemeine Begriffe und Wahrheiten, die aus sinnlichen Ideen gebildet werden. Die Sinnen können dem Verstand freylich auch die nothwendigen Wahrheiten vorstellen, und sie bekräftigen; allein ihre unfehlbare Gewißheit können sie nicht demonstriren. Das kann der Verstand allein. Zur Erkenntniß angebohrner Wahrheiten können wir also auf zwey Wegen gelangen: durch Aufmerksamkeit auf ihre Quelle, die Seele selbst, woraus sie eigentlich entspringen, und durch die Erfahrung. »Es ist aber nicht genug, wenn man sagt, der Verstand habe ein bloßes Vermögen diese Wahrheiten zu erkennen. Hier ist mehr als Möglichkeit. Es ist eine Disposition, Geschicklichkeit, eine Präformation der Seele da, die es macht, daß die angebohrnen Wahrheiten aus ihr herausgewickelt wer[47]den können. Die Wahrheiten selbst sind in der Seele enthalten, so wie die Figuren der künftigen Natur im rohen Stein, oder im Block Marmor durch seine Adern schon daliegen, wenn der Künstler nur diese feinen Grundstriche beobachten will. Denn die unbeschriebene Tafel, oder die Seele ohne Ideen, ist eine Fiktion, die sich auf unvollständige Begriffe der Philosophen gründet. Aus folgenden Gründen kann die Seele keine ganz glatte Tafel seyn. 1) Es giebt keine Substanz ohne Merkmahle, woran man sie von andern Substanzen unterscheiden kann. Die menschlichen Seelen sind nicht allein von andern Seelen, sondern auch unter einander selbst verschieden. Diejenigen, die die Seele mit einer unbeschriebenen Tafel vergleichen, wissen, wenn sie ihr alle Ideen abgenommen haben, gar nicht anzugeben, was ihr noch übrig bleibt. Die Ausflucht hilft hier nichts, daß die Seele ursprünglich und von Natur
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blos Ver mö ge n habe. Denn bloßes Vermögen ohne Thätigkeit ist eine neue Erdichtung, die man durch Abstraktion herausbringt, die aber in der Natur gar keinen Grund hat. In der ganzen Natur ist kein einziges Vermögen zu finden, welches blos Können oder Möglichkeit wäre, ohne daß es irgend einen Akt verrichten sollte. Immer ist eine Disposition, und ein Hang zur Thätigkeit dabey, der nie ohne allen Effekt bleibt. Und zwar geht dieser Hang auf eine gewisse besondere [48] Handlung. Es ist ein Hang mehr zu einer, als zu einer andern Handlung. 2) Man macht die Seele zur Materie, wenn man sie für eine unbeschriebene Tafel hält.« »Es giebt also angebohrne Grundsätze, die allen Menschen gemein, und leicht erkennbar sind. Andre von ihnen lassen sich eben so leicht finden; sie sind aber in einem Kopf heller und mehr umfassend als im andern. In einem weitläuftigern Verstand kann man auch alle Wahrheiten angebohren nennen, die man aus den angebohrnen primitifen Begriffen und Kenntnissen folgern und ableiten kann, weil sie der Verstand doch immer aus seinem eignen herausbringt. Daher kann es kommen, daß gewisse einzelne Sätze, die die Folgen von andern angebohrnen, allgemeinen Prinzipien sind, von den Menschen als unzweifelhaft gewis angenommen werden können, wenn sie gleich die allgemeinen Maximen nicht kennen, aus denen diese Sätze fliessen. Die Sätze gründen sich in diesem Fall doch immer auf jene allgemeine Maximen, an die man nicht denkt; gerade wie man bey enthymematischen Schlüssen die Obersätze wegläßt. Demohngeachtet haben diese allgemeine Prinzipien an unsern Gedanken Theil. Sie machen ihre Seele und ihre Verbindung aus. Sie sind, wenn man gleich nicht an sie denkt, zum Denken doch so nothwendig, wie die Muskeln und Seh[49]nen zum Gehen unentbehrlich sind, wenn man gleich beym Gehen und Hüpfen nicht ausdrücklich daran denkt was man thut.« »Alle angebohrne Prinzipien sind unzweifelhaft und gewis. Nicht immer hat aber alles, was angebohren, oder was mit diesen angebohrnen Grundsätzen verbunden ist, eine eben so unzweifelhafte Evidenz. Auch können angebohrne Ideen und Wahrheiten, wodurch wir uns von den Thieren unterscheiden, durch Erziehung und Gewohnheit aus der Seele nie ganz ausgelöscht und vermischt werden. Sie sind aber durch allerley Ursachen in allen Menschen verdunkelt. Dieses innere Licht der angebohrnen Ideen würde im Verstand immer hervorscheinen, und seine Wärme würden den Willen immer erhitzen, wenn sich die konfusen Perzeptionen der Sinnen nicht unsre Aufmerksamkeit unterwürfig machen sollten.« »Aus diesem allen, sagt Le i bni t z, folger’ ich den Satz, daß das philosophische Axiom – Es ist nichts im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war – eingeschränkt, und die Seele selbst und ihre Affektionen ausgenommen werden müssen. Wenn das ist: so schließt die Seele zu gleicher Zeit die Ideen von Wesen, Substanz, Einheit, Identität, Ursache, Perzeption, Schluß, und eine Menge [50] andrer Begriffe in sich, die ihr die Sinnen nicht darbringen können. L o c ke stimmt hierinnen selbst mit mir überein, da er in der Reflexion der Seele auf sich selbst den Ursprung einer großen Menge von Ideen aufsucht. Ich geh’ indessen doch von L oc ke ab. Wenn ich behaupte, daß alle unsre Ideen entweder durch Sensation oder durch Reflexion in uns entstehen: so heißt das bey mir nur so viel, ihre aktuelle Perzeption wird durch eine von diesen beyden Ursachen veranlaßt, und ohne Hinzukunft der Sinnen und des Räsonnements würden
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diese Ideen in der Seele verborgen geblieben seyn. Denn ich glaube, sie waren schon in ihr vorhanden, ehe sie sie gewahr nahm.8 Res ul ta t. Aus dieser Darstellung des Systems dreyer Weltweisen über die angebohrnen Begriffe, welches man gewöhnlich für ein einziges System hält, erhellet deutlich, das die Behauptungen P la t o n’s, D e s ka r t e s, und L e i b n it ze ns nichts weniger als einerley sind. Ich will mit der Anzeige einiger Hauptunterschiede schliessen. 1) P l at o gründet seine ganze Lehre auf die Hypothese vom ehemaligen Zustand der menschlichen [51] Seele, und auf die Erinnerung, die sie in dieses Leben herübergebracht. De sk arte s, und Le ib n it z verwerfen beyde diese Voraussetzung. 2) P lat o und De sk arte s behaupten die gänzliche Angeburt gewisser Begriffe, die die Gottheit der Seele schon ganz entwickelt mitgiebt. Nach Le ib n it ze n s Theorie sind die angebohrne Ideen nur feine Grundstriche in der Seele, die der Verstand erst entwickeln und erhellen muß. Sie äussern sich nicht eher, als bis sie durch Erfahrung und Räsonnement entwickelt werden. Und doch sind sie mehr als bloße Möglichkeiten; denn sie liegen in der Seele, wie die Grundstriche zur künftigen Statue im Marmor. 3) Le i bn it z läßt der menschlichen Seele mehr Macht beym Geschäfte der angebohrnen Begriffe, als P la to und Desk ar te s. Diese Philosophen senken in die Seele gewisse Begriffe, und lassen sie ihr den Finger der Gottheit gleich bey ihrer Erschaffung eindrücken, weil sie ihre Entstehungsart aus sinnlichen Erfahrungen und Empfindungen nicht erklären konnten. Im Leibnitzischen System ist die Seele nicht blos Quelle dieser Ideen, sondern auch die einzige Ideenbildende Kraft. 4) Alle Vertheidiger der angebohrnen Begriffe vom P la to bis auf Le ibn i t z hielten den Umstand [52] für den stärksten Beweis einer angebohrnen, und folglich unzweifelhaft gewissen Wahrheit, wenn sie vom ganzen, oder vom größten Theil des menschlichen Geschlechts geglaubt wurde. In einem solchen Beweis fand Le i bn i tz dieses Gewicht nicht. 5) Vor Le i b ni t z hatten alle angebohrne Begriffe und Grundsätze das Privilegium ohne Beweis überall für wahr zu paßiren. Le ib n itz räumt ihnen diesen großen Vorzug nicht ein. Er dringt vielmehr auf ihre Demonstration, und weiset dadurch sehr viele Gründe ab, mit welchen L oc ke die Lehre seiner Gegner lächerlich machte. So sehr sind die Leibnitzischen angebohrnen Begriffe, durch ihre Eigenschaften, von den angebohrnen Begriffen aller ältern Philosophen verschieden.
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Ich habe diese zerstreuten Anmerkungen gesammlet, und in Ordnung gebracht aus den Nouveaux Essais, Liv. I. Chap. 1–3. Liv. II. Ch. 1. Vergl. mit den Act. Eruditorum 1684. S. 541.
Ueber den Ursprung der Sprache.
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Die Frage vom Ursprung der Sprache hat die Philosophen der letzten Hälfte unsers Jahrhunderts mehr als irgend ein ehemaliges philosophisches Zeitalter beschäfftigt. In Jahrbüchern ganzer Akademien der Wissenschaften1, in Preisschriften2, und in einzelnen wichtigen Werken3, hat man bey der Bemühung jene Aufgabe zu lösen, die vortrefflichsten Bemerkungen über den ganzen Bau der Sprache gemacht, die ohne Widerspruch ungleich wichtiger sind, als die [1146] Beantwortung der Frage selbst mit Ja oder mit Nein: ob Menschen Sprache erfunden, oder ob sie ihnen die Gottheit eingeflößt? die mehr anziehend, als beträchtlich zu seyn scheint. Es kann allen Classen von Lesern dieser Blätter nicht unangenehm seyn, wenn ich ihnen auf wenigen Seiten die vornehmsten Resultate der bisherigen Untersuchungen, so wie ich sie in großen und kleinen Schriften gefunden habe, vorlege. Denkende Köpfe wissen es ohnehin, was für Aufschlüsse die [1147] Untersuchung dieser Materie in der ganzen Philosophie gegeben, und was für herrliche Aussichten sie besonders in die sehr begränzte Philosophie der Sprache, und in alle Kenntnisse, die mit Hülfe der Sprache erfunden worden, eröffnet hat. Und für die Andern, die den philosophischen Untersuchern auf den oft schwierigen Gängen nicht folgen mögen, hat die aufgeworfene Frage an sich schon Reiz genug. Schon als Thier hat der Mensch Sprache, und zwar mehr als Eine Sprache. Natursprachen, die er ohne sie zu erlernen versteht, und ohne es zu wissen, spricht; die seine Verrätherinnen sind, wenn er verborgen bleiben, und die ausbrechen, wenn er schweigen will. Sprachen, die alle empfindende Wesen mit den Nerven und Muskeln zu gleicher Zeit mit erhalten, und die eben deswegen allgemeine Sprachen sind, die bey allen Thierarten gleich viel bedeuten, ob sie gleich nicht bey allen gleich ausdrucksvoll sind. Aber was bedeuten diese im harmonischen Bau der thierischen Natur gegründete Sprachen? Sind sie unterrichtende Ausdrücke abgezogener Begriffe, bedeutende Zeichen verborgner Gedanken, verständliche Anzeigen kalter, gleichgültiger Meditationsarbeiten? Das alles nicht. Es sind Empfindungssprachen, die ein jeder von Vergnügen oder Schmerz angeschlagene Nerve redet. Was sind jene abgebrochenen Laute, die in gewissen bedenklichen Situationen, in Freude und Leid, zu unsern [1148] Sprachorganen herausgepreßt werden, anders als eine Art dieser Empfindungssprache? Alle heftige angenehme und unangenehme Empfindungen, sie mögen Schmerzen der groben Maschine, oder Leidenschaften der innern feinern Werkzeuge des Empfindens und des Denkens seyn, zwingen gewisse unartikulirte Laute aus uns heraus. Gegenwärtiger hereinbrechender Schmerz sowohl, als die Furcht für wahrscheinlichen künftigen Uebeln, gegenwärtiges Entzücken so wohl, als frohe Aussichten in künftige wünschenswerthe Glückseligkeiten erschüttern unser ganzes Empfindungssystem so sehr, daß unser Gefühl tönen muß. 1 2 3
Man sehe z. B. die Histoire de l’Academie Royale des Sciences & belles lettres de Berlin. Année 1754, 1756, 1767. Z. B. die Berlinischen Preisschriften von 1759. Herrn H e r d e r s Preisschrift von 1770. Hier steht des Präsidenten von B r o s s e s Traité de la formation mechanique de la langue. Paris 1765. oben an. Der berühmte Verfasser thut die schärfsten Blicke in die ganze Oekonomie der Sprache.
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II. Zeitschriftenbeiträge
Dieses ist also Naturgesetz, das jedem empfindenden Wesen vorgeschrieben ist: K erk ere de ine frohen und sc hmer zha fte n Em pf i ndu ngen n i ch t in de i ne Br ust e i n. U nd d u, Men sc h! da in d ic h e i ne eige ne Que l le v o n Ver gnü ge n, e i n sym pa t het i sche s Ge fü h l h i nge leg t i st: so em pf i nde d ie Se l ig ke ite n, d ie in vo l le n S tr öme n auf di e We lt her ab f li eße n, an de ne n s ic h a ber n ur wen i ge Me nsc he n l a be n, n ic ht f ür D ich a l le i n. De in Ge fü hl d iese r Se l ig ke ite n t ö ne l aut, dam it de i ne Br üder s ic h m it fre ue n. Auf der andern Seite fordert jedes leidende Geschöpf durch eine Natursprache des Schmerzens, durch ein abgebrochenes Winseln, Wimmern, Aechzen, Seufzen, durch ein Ac h! die ganze sympathetische Natur zum Mitleiden auf. Wenn es dem bren[1149]nenden Hauch des Leidens Luft giebt: so füllt ein ähnlicher Schmerz, wie ein ansteckender Othem, seine Mitgeschöpfe an. Diese Sprache der Empfindung, die ein jedes Thier in gewissen unschreibbaren Lauten redet, vereinigt die ganze empfindende Natur durch eine nie zerstörbare Kette. Immer erhalten die Nerven empfindender Wesen eine ähnliche Spannung, und ihre Seele einen ähnlichen Ton. Sie sind zum Mitleiden, wie zur Mitfreude mechanisch gezwungen. Eine jede Thierart versteht diese Laute, in so ferne sie ein Individuum ihrer Art ausstößt. Der Mensch versteht sie am allerallgemeinsten, weil er ganz uneingeschränkt sympathisirt. Alle angenehme und unangenehme Empfindungen aller empfindenden Wesen in der ganzen Natur zünden seine Sympathie an, und wecken sie zu ähnlichen Freuden oder Leiden auf; es sey denn, seine Nerven seyen gelähmt, oder er habe seine Fibern mit Fleiß gestählt, und alle Oeffnungen seiner Empfindsamkeit verstopft. Dann wird sein Herz felsenhart, und er Barbar. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Empfindungslaute eine allgemeine Sprache aller Bürger des Erdbodens sind, vom Menschen bis auf das Thierchen, das ganz lautlos ist. Hier scheint nicht Völkersprache für eine jede Gattung der Thiere unter sich, nicht eine besondre Sprache für das Erdthier, Wasserthier, und das Volk der Luft vorhanden zu seyn, weil man noch [1150] keinen Unterschied unter den Empfindungswerkzeugen aller dieser Thiere wahrgenommen hat; oder besser, weil wir den Nervenbau der einen Thierart so wenig kennen, als der andern. Daß wir aber die Sprache der Leiden gewisser Thiere besser verstehen, als die peinlichen Seufzer der andern, rührt unstreitig daher, weil jene entweder vernehmlicher tönen, oder weil wir durch einen nähern und häufigern Umgang sie besser haben verstehen lernen. Man kann die Abweichungen hierinnen höchstens als verschiedene Provinzialdialekte ansehen, die schon deswegen in mehrern Menschen von einander abgehen müssen, weil ihre Sprachorganen, die Instrumente dieser Naturlaute der Empfindungen nicht auf dieselbige Weise gebauet sind. Da diese erste Natursprache Sprache der Empfindung und der Leidenschaften ist: so muß sie nothwendig in Geschöpfen, die beynahe ganz gefühllos sind, sehr eingeschränkt seyn; und sie muß in eben dem Verhältniß bey einem jeden Individuum eingeschränkter werden, in welchem seine Nerven durch häufige Anspannungen und durch andere Zufälle unempfindlicher, und seine Leidenschaften sanfter werden. Sie muß endlich bey ganzen Nationen fast gänzlich aussterben, wenn hohe bürgerliche Cultur das Feuer der heftigen Leidenschaften auslöscht, ihre Fluth dämmet, und in sanft rieselnde Bäche ruhigerer Gemüthsbewegungen ableitet. Aber völlig wird diese Sprache nie [1151] aussterben, wenn sich gleich die vollen Ausbrüche der Leidenschaften dämpfen lassen. Der heftigste Augenblick der Empfindung, sagt Herde r, wo und wie selten er sich finde, nimmt noch immer sein Recht wieder, und tönt in seiner müt-
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terlichen Sprache unmittelbar durch Accente. Der auffahrende Sturm einer Leidenschaft, der plötzliche Ueberfall von Freude oder Froheit, Schmerz und Jammer, wenn sie tiefe Furchen in die Seele graben, ein übermannendes Gefühl von Rache, Verzweiflung, Wuth, Schrecken, Grausen, u. s. w. alle kündigen sich an, und jede nach ihrer Art verschieden an. So viel Gattungen von Fühlbarkeit in unsrer Natur schlummern, so viel auch Tonarten. Diese Tonarten, in welchen sich eine jede angenehme und unangenehme Empfindung ganz charakteristisch in ihrem eigenthümlichen Laut ausdrückt, sind dem ohngeachtet für unser Ohr nicht allemal so charakteristisch von einander unterschieden, daß alle Menschen ihre eigenthümliche Bedeutung allemal richtig zu errathen im Stande wären. Wenn also gleich eine jede lebhafte angenehme und unangenehme Empfindung, und eine jede heftige Leidenschaft ihren eigenthümlichen Ton hat, in welchem sich keine andere Empfindung und Leidenschaft äußert: so mischen und verwandeln sich dennoch diese charakteristischen Ausdrücke der Leidenschaften und Empfindungen in unartikulirten Lauten [1152] häufig so sehr in einander, daß wir ihr Unähnliches und Eigenthümliches nicht mehr wahrnehmen können. Daher kann es kommen, daß wir einen unartikulirten Laut für den Ausdruck einer gewissen Leidenschaft oder Empfindung halten können, da es doch der Ausdruck vom Gegentheil ist. »Das matte Ac h! ist so wohl Laut der zerschmelzenden Liebe, als der sinkenden Verzweifelung. Das feurige O! so wohl Ausbruch der plötzlichen Freude, als der auffahrenden Wuth; der steigenden Bewunderung, als des zuwallenden Bejammerns.«4 Richtig ist indessen Herder s Bemerkung, daß diese unartikulirten Laute in ihrem lebendigen Zusammenhang, im ganzen Bild der wirkenden Natur, begleitet von so vielen andern Erscheinungen rührend und genugsam sind; aber von allen getrennt, herausgerissen, ihres Lebens beraubt, freylich nichts als Ziffern. Die Thräne, die in diesem trüben, erloschenen, nach Trost schmachtenden Auge schwimmt; wie rührend ist sie im ganzen Gemählde des Antlitzes der Wehmuth; nehmet sie allein, und sie ist ein kalter Wassertropfe; bringet sie unter das Mikroskop, ich will nicht wissen, was sie da seyn mag? Dieser ermattende Hauch, der halbe Seufzer, der auf der vom Schmerz verzogenen Lippe so rührend stirbt; sondert ihn ab von allen seinen lebendigen Gehülfen, und er ist ein leerer Luftstoß! Kann es mit den Tönen der Empfindung anders seyn? [1153] Hierinnen, daß unser stumpferes Ohr die Unähnlichkeiten unähnlicher Laute unähnlicher Empfindungen nicht allemal zu unterscheiden vermag, liegt zugleich der Hauptgrund, warum die mehrsten unartikulirten Töne der Empfindungssprache durch kein bisher erfundenes Alphabet geschrieben und ausgedruckt werden können. Noch mit keinem Alphabet hat man die verschiedenen aus dem Innersten unsrer Brust herausgezwängten leisen Seufzer der Menschen und der Thiere, buchstabiren, und dem Auge durch Schrift sichtbar machen können. Wer hat je das liebkosende Lallen des unmündigen Säuglings, [1154] jenes Wimmern des zuckenden Gequälten; jenes bange Stönen der Sterbenden durch Buchstaben ausgedrückt? Selbst die Ingredienzien dieser Empfindungssprache, die wir mit unsern Alphabeten erreichen können, drücken das Charakteristische der Laute niemals genau aus. Wann hat man das O! der frohen Bewunderung von dem ähnlichen Laut des kläglichsten Jammers durch alphabetische Schriftzeichen unterschieden? Aber dazu war auch weder die alphabetische Schrift da, um diese 4
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Laute und ihre Unterschiede anzugeben; noch war die unartikulirte Empfindungssprache dazu bestimmt, um geschrieben werden zu können5. »Ob [1155] der Klageton von Wunden der Seele oder des Körpers wimmert? Ob dieses Geschrey von Furcht, oder von Schmerz ausgepreßt werde? Ob dieses weiche Ach! sich mit einem Kuß, oder mit einer Thräne an den Busen der Geliebten drücke? – alle solche Unterschiede zu bestimmen, war diese Sprache nicht da. Sie sollte zum Gemählde hinrufen; dies Gemählde wird schon vor sich selbst reden. Sie sollte tönen, nicht aber schildern.« Allein die unartikulirten, durch angenehme und unangenehme Empfindungen, und durch heftige Leidenschaften herausgepreßten Laute sind nicht die einzige Natursprache, die Mensch und Thier redet, die sie ohne Mühe und Unterricht besitzen, und ohne Rücksicht auf Zeit, Ort und Umstände vernehmlich sprechen. Die durch Vergnügen und Schmerz angeschlagene Saiten unsers thierischen Gefühls reden noch eine Sprache, ohne zu tönen. Dies ist eine Sprache für das Gesicht, so wie jene Natursprache für das Gehör ist. In beyden Fällen thun die Nerven ihre Naturpflicht; Sie mögen, wenn sie angeschlagen werden, Töne fürs Ohr herauszwingen, oder fürs Gesicht die [1156] thierische Maschine in gewisse bedeutende Bewegungen versetzen. Eine jede lebhafte Empfindung und Leidenschaft hat nemlich auch ihre eigene G eberde nspra c he, indem sie entweder den ganzen Körper, oder nur einzelne Gliedmaßen desselben in bedeutende Bewegungen und Stellungen versetzt6. In den mehrsten Fällen sind die Geberden ein so genauer Abdruck dessen, was in unserm Innersten vorgeht, daß der beredteste Ausdruck durch Worte diesen innersten Zustand bey weitem nicht so lebhaft vorlegen würde. Kann auch eine Zunge Vergnügen und Misvergnügen, Hochachtung und Verachtung, Haß und Liebe so bestimmt, so lebhaft, so kräftig, so schnell ausdrücken, wie die Geberdensprache? Aus diesem Grunde hat man frühe die Geberdensprache, die anfänglich in der Organisation des thierischen Körpers als Natursprache ganz nothwendig gegründet war, in eine künstliche Sprache umgebildet, die Schauspieler und Redner mit großem Fleiß studiren mußten, und noch jetzt immer studiren müssen, wenn sie anders schnell
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Diejenigen Laute aus dieser Empfindungssprache, die geschrieben werden können, heißen in der Grammatik I n t e r j e c t i o n e n. In allen Sprachen sind sie da; In den verfeinerten seltener; In den alten und in den wilden Sprachen häufiger. In ihren Interjectionen, und den Wurzeln ihrer Nominum und Verborum, wie viele aufgefangene Reste dieser Töne! Die ältesten morgenländischen Sprachen sind voll von Ausrüfen, für die wir später gebildeten Völker oft nichts als Lücken, oder stumpfen, trüben Mißverstand haben. In ihren Elegien tönen, wie bey den Wilden auf ihren Gräbern, jene Heul- und Klagetöne, eine fortgehende Interjection der Natur. In ihren Lobpsalmen das Freudengeschrey, und die wiederkommenden Hallelujahs, die S h a w aus dem Mund der Klageweiber erklärt, und die bey uns so oft feyerlicher Unsinn sind. Im Gang, im Schwung ihrer Gedichte und der Gesänge anderer alter Völker tönet der Ton, der noch die Kriegs- und Religionstänze, die Trauer- und Freudengesänge aller Wilden belebt; sie mögen am Fuß der C o r d i l l e r a s, oder im Schnee der I r o k e s e n, in B r a s i l i e n, oder auf den K a r a i b e n wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachsten, wirksamsten, frühesten Verben sind jene ersten Ausrüfe der Natur, die erst später gemodelt wurden; und die Sprachen aller alten und wilden Völker sind daher in diesem innern, lebendigen Ton für Fremde ewig unaussprechlich. H e r d e r S. 12. So erklärt C i c e r o diese Art von Natursprache: Nempe gestus est in corporis, vel totius, vel partium ejus quodam motu & conformatione temporaria, affectionibus animi vel veris, vel quas fingere volunt, accomodata, easque exprimens. De Natura Deorum. Lib. II. Cap. 12.
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und kräftig auf die Gemüther wirken wol[1157]len7: die Grundlage zur künstlichen Geberdensprache, sie mag nun in der Pantomime gesprochen, oder um den Nachdruck zu verstärken der Wortsprache zugesellet werden, muß aber immer die Natur bleiben. Künstliche Geberden deren Anlage nicht Natur ist, sind frostig. Durch unnatürliche Geberden kann der unwissende Schauspieler das höchste Tragische komisch, und das feinste Komische lächerlich machen. So wird er nie Meister über die Empfindungen seiner Zuschauer. Sein ganzes Spiel wird unerträglich8. Die Geberdensprache, so lange sie bloße Natursprache ist, ist auch nur bloß Sprache der Empfindung und der Leidenschaften, und so wenig man aus den unzusammenhangenden Tönen der Empfindung auf eine Meditation des tönenden und empfindenden Wesens schließen kann: eben so wenig ist die Gestikulation eine Aeußerung des Zustandes der Betrachtung. Wenn sie aber künstliche Pantomime zu werden anfängt: so können durch sie auch die gemäßigten Seelenveränderungen, die Gedanken, angezeigt werden. Ist daher die natürliche Gestikulation die Sprache der Empfindungen und der Leidenschaften, und hat eine [1158] jede heftige Gemüthsbewegung ihre kenntliche Aeußerung durch eine charakteristische Bewegung des ganzen Körpers, oder einzelner Glieder desselben; so muß diese Natursprache nach der Anzahl der heftigen Erschütterungen des Nervensystems und der Organen der Seele bey einer jeden Thierart in Absicht auf ihre Ausdehnung und Weitläuftigkeit verschieden seyn[.] Wahrscheinlich giebt es kein empfindendes Wesen, das nicht einige Geberdensprache haben sollte, weil es wahrscheinlich ist, daß die Empfindungswerkzeuge aller empfindenden Geschöpfe verschiedener Grade der Empfindung fähig sind. So bald aber die Nerven eines Thiers von einer Empfindung angeschlagen werden, die angenehmer oder unangenehmer ist, als seine gewöhnlichen Empfindungen: so bald muß sich dieser erhöhete ungewöhnliche Zustand der Empfindung den Nerven des ganzen Thiers mittheilen, und sich durch eine Art von Convulsion des Körpers äußern. Der lautlose und gehörlose Wurm, der seinen Schmerz nicht durch einen kläglichen Ton oder Seufzer zu erkennen geben kann, windet und krümmt sich doch im Staub, wenn er zertreten wird. Das sterbende Thier, wenn es [1159] durch kein Stönen mehr seine schmerzhaften Empfindungen an den Tag legen kann, fordert unser Mitleiden durch die Geberdensprache, durch Convulsionen und Verzückungen auf. So allgemein indessen diese Sprache ist: so außerordentlich verschieden ist sie in verschiedenen Thierarten in Absicht auf ihren Umfang, und auf ihre Weitläuftigkeit, weil nicht alle fühlenden Wesen gleich viele oder gleich lebhafte Empfindungen und Leidenschaften haben. Wer will die unthätige Auster hierin mit einem vollkommenern Thier vergleichen? Die Weitläuftigkeit der natürlichen Geberdensprache nimmt daher in eben dem Grad zu, in welchem die Fähigkeit einer Thierart zu heftigen Erschütterungen ihrer Organen zunimmt. Außerdem muß man bey der Berechnung der Weitläuftigkeit der Gestikulation verschiedener Thierarten noch 7
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Die Geberdensprache, oder die Geberdenkunst wurde von den Alten für einen Theil der schönen Wissenschaften angesehen, und sie hieß Musica hypocritica. Schon P l a t o gedenkt ihrer unter dem Namen O c h e r s i s. – Q u i n t i l i a n sagt: Wenn der Redner nicht rührt: so wird er abgeschmackt. Denn die Mine, die Stimme, und das ganze Ansehen eines in Affect gesetzten Beklagten werden denen, die dadurch nicht wirklich gerührt werden, zum Gespötte. Hier ist keine Mittelstraße; entweder weint man mit ihm, oder man lacht ihn aus. Institut. Orat. Lib. VI. Cap. 1. Dieser künstlichen Geberdensprache habe ich hier deswegen mit ein paar Worten Erwähnung gethan, weil ich mich bey der Anzeige der Fortbildung der Sprache darauf beziehen muß.
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einen Umstand mit in Anschlag bringen, nemlich die Geschwindigkeit der thierischen Maschine. Gewisse Thierarten können zu außerordentlich heftigen Leidenschaften aufgelegt seyn. Ihre Nerven können die Gabe einer vorzüglichen Empfindsamkeit haben, vermöge welcher sie sehr leicht von allen auch noch so unbemerkbaren angenehmen und unangenehmen Empfindungen lebhaft gerührt werden, und doch kann ihre Gestikulation bey einem unbeweglichen, unbiegsamen Körper, bey starken Muskeln und ungelenksamen Gliedern sehr eingeschränkt seyn, weil sie unbemerkbar wird. Ohne Zweifel drücken sich alle Empfindungen und [1160] Leidenschaften einer solchen Thierart durch eine charakteristische Stellung und Bewegung der Körper und seiner Glieder aus. Allein weil ihr Körper nicht geschmeidig genug ist: so nehmen wir diese Ausdrücke nicht so leicht wahr, gerade wie wir die unartikulirten Laute der unähnlichsten Leidenschaften sehr oft für ähnliche Laute halten. Der vollständige Lehrsatz ist also dieser: Die Weitläuftigkeit der Geberdensprache richtet sich nach der Anzahl lebhafter Empfindungen, und heftiger Leidenschaften, und nach der Geschmeidigkeit des thierischen Körpers. Noch hatte sich die Natur durch ein Geschenk von zwo angebornen Sprachen, die sie jedem empfindenden glücklich organisirten Geschöpf, als eine Morgengabe mitgab, nicht erschöpft. Sie gab allen vollkommenern Thierarten ein Gesicht, und mit dem Gesicht eine dritte Natursprache, die M ine n spr ach e, die auch, so weit sie bloß natürlich ist, bloße Empfindungssprache seyn kann. Durch Blicke des Auges und durch Verziehung der Muskeln des Gesichts wird uns das Innerste des Menschen kenntlich. Aus seinen Augen lesen wir seine Empfindungen, und auf sein Gesicht schreiben sich seine Leidenschaften in kennbaren Zügen hin. Sein Blick ist wild; fliehe den Unruhigen! Er lächelt dich freundschaftlich an; eile seinen Umarmungen entgegen! Es ist außerordentlich schwer einen jeden redenden Zug im Gesicht, und einen jeden bedeutenden Blick mit Worten zu beschreiben. Noch ist keine [1161] Sammlung redender Gesichtszüge vorhanden, die nur erträglich vollständig wäre: wahrscheinlich, weil die verschiednen Züge verschiedener Leidenschaften sich zu ähnlich, und die Bewegung der Muskeln des Gesichts, und die Blicke des Auges zu schnell vorübergehend sind, als daß sie durch Zeichnung ausgedrückt werden könnten. Gewiß ist es, daß in uns keine heftige Gemüthsbewegung vorgeht, die sich nicht unsern Gesichtern offenbaren sollte. Allein wir sind wiederum nicht im Stand allemal ihre Bedeutung glücklich zu errathen. Die unähnlichsten Leidenschaften runzeln unsre Stirne, verwandeln unsern Blick, verzerren die Muskeln des Gesichts, auf eine so sehr ähnliche Art, daß unser Aug keine Verschiedenheit wahrnimmt. Lachen z. B. ist so wenig allemal ein Beweis von angenehmen Empfindungen, so wenig die Thränen allemal Ausdrücke des Schmerzens sind. Man weint für Freuden. Man lacht über komische Gegenstände. Man lacht ein schmerzhaftes Lächeln der Verzweiflung, und ein peinliches Lachen der Verachtung. Schwermuth und Nachdenken lassen sich schwerlich an den Gesichtszügen beobachten. Die Natur hat auch die vollkommenern Thiere mit der Minensprache begabt. Allein wir verstehen sie weit weniger, als die Minensprache unsers Geschlechts. Ihr Gesicht ist zu grob, als daß wir die feinern Züge auf demselben sollten lesen können, und ihr Blick sagt entweder zu viel, oder nichts, da [1162] wir uns zumal um ihre Gesichtszüge und um ihren Blick wenig bekümmern.
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Da tritt er also auf den Schauplatz, der Mensch, redet als Thier drey Sprachen, und weder Mensch, noch Thier kann seine unartikulirten Laute, seine Gestikulationen, seine Gesichtszüge und Blicke vollkommen enträthseln. Er spricht noch immer nicht verständlich genug, wenn er gleich zu eben derselben Zeit eine dreyfache Sprache redet. Und wenn auch die ganze Welt Laute, Geberden, Gesichtszüge und Blicke verstünde; was verstünde sie? Empfindungen, heftige Erschütterungen der innern und äußern Empfindungswerkzeuge, Brausen, Stürme. Noch keine Stille, keine ruhige Geistesarbeiten, keine Gedanken. Die Natur mußte daher noch eine neue Sorge für ihn tragen. Sie mußte Fähigkeit, Vermögen, Receptivität, oder gar Thätigkeit in ihn legen, Wörter, zusammenhangende verbundene Töne, willkührliche Zeichen der Gedanken auszusprechen; kurz Anlage, oder Wirklichkeit eine tönende Sprache zu reden, die er weder spricht, noch versteht, ohne sie vorher zu erlernen. Hier frägt es sich nun: Is t dies e S prac he ei n e men sc h lic he Erf i ndun g: l äßt s ic h a us den b loße n Natu rkr äfte n des M en sc he n, u nd au s dem Wes en di ese r S pr ac he er wa rte n, daß der Me nsc h si e ha be erf in den k ö nnen; u nd we nn er s ie e rf i nden k o n nt e, au f w e lche m Wege h at er s ie er f inde n mü sse n: Oder i st i h r U r s pr u ng g öt t l ic h. [1163] L ä ß t e r s ic h a u s d e n m e n s c hl ic h e n na t ü r l ich e n Kr äfte n du rc hau s ni cht b egre i fe n; un d s ie ht m an d ie U rsa ch e deut l ic h, w a r um e i ne s olc he S prac he f ür M en sc he n une rf i ndb ar w a r; u nd f ind et m an i m We se n der Sp rac he u nd der G ot the i t d ie Urs ac he, war um N iem an d, a ls Go tt s ie erf i nde n k o n nt e? Ich habe diese Frage mit Fleiß so entwickelt vorgelegt, weil dieses ihr Sinn seyn muß, wenn man anders von einem Menschen eine Beantwortung derselben erwarten kann. Denn im Grunde betrifft die Sache ein Faktum der Geschichte, und sie müßte, als Thatsache, eigentlich aus historischen Urkunden ausgemacht werden. Aber uns ist es nicht mehr möglich, vermittelst der Geschichte bis zur Morgendämmerung der Vernunft und der Sprache zurückzugehen. Da ist kein Archiv mehr vorhanden, aus welchem wir ächte Documente, und urkundliche Nachrichten herholen könnten. Selbst jene älteste Urkunde des Menschengeschlechts, (wenn sie anders hierüber Urkunde seyn kann,) hat leider, einen gedoppelten, einen bejahenden und einen verneinenden Sinn, nachdem man gerade diesen oder jenen Sinn zu seiner Absicht am besten gebrauchen kann. Derselbige Schriftsteller findet in derselbigen Rolle bald die klärste Anzeige der menschlichen Spracherfindung, bald den Finger Gottes. Die ganze [1164] vieltönige, göttliche Natur, sagt He rder, ist Sprachlehrerinn und Muse. Da führt sie alle Geschöpfe bey ihm vorbey; jedes trägt seinen Namen auf der Zunge, und nennt sich diesem verhüllten, sichtbaren Gott, als Vasall und Diener. Es liefert ihm sein Merkwort ins Buch seiner Herrschaft, wie einen Tribut, damit er sich bey diesem Namen seiner erinnere, es künftig rufe und genieße. Ich frage, ob je diese Wahrheit: e be n de r Verstand, durch de n der Mensc h ü ber d ie Natu r herr sc ht, war der V ater e i ner le be nd ige n S prac h e, di e er aus Tö ne n sc ha l le nder Wesen zu M er kma le n d er U nt ersch e id u ng s ich a b z o g! Ich frage, ob je diese trockene Wahrheit auf morgenländische Weise edler und schöner könne gesagt werden, als: G ott f üh rte die T h iere zu i hm, daß er säh e, w ie er s ie ne nne te, un d wie er s ie ne nne n würd e: s o s o ll ten s ie he iße n! Wo kann es auf morgenländische poetische Weise bestimmter gesagt
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werden: Der Mensch erfand sich selbst Sprache aus Tönen lebender Natur zu Merkmalen seines herrschenden Verstandes9. Eine ganz andere Erklärung schiebt derselbige Verfasser diesem ehrwürdigen Stück des hohen Alterthums unter. Siehe da, sagt er, den großen Beytrag Gottes zur Schrift und Sprache. Siehe da den ersten Schriftversuch Gottes mit dem Menschen! Und in welcher sanftsteigenden Progression! Erst wenig, simple, große Geschöpfe [1164] sehr deutlich ihm vorgenannt, bis er geübt ist, mehr verwirrte Geschöpfe zu bezeichnen10. Unter diesen Umständen ist das Problem vom Ursprung der Sprache historisch ganz unauflöslich, weil uns kein historisches Monument darüber aufbehalten worden ist. Dem ohngeachtet läßt sich die Frage: h at de r M en sc h Sprac he erf unde n? befriedigend genug beantworten, und eben so gut beantworten, als wenn eine ächte alte Urkunde darüber vorhanden wäre, weil sie mit der Frage: Hat der M en sc h d urc h se i ne b l oße n Nat ur krä fte S pr ac he er f i nde n k ö n ne n? für völlig gleichgültig angesehen werden kann. Denn so bald die innere nächste Möglichkeit der menschlichen Spracherfindung dargethan ist: so bald ist ihre Wirklichkeit in einem so hohen Grad bewiesen, als man in solchen Fällen nur Beweise fordern kann. Wozu hätte ihm denn sonst die Natur die Kräfte sie zu erfinden, gegeben? Umsonst? Das befriedigt den Philosophen nie. Die Natur schenkt Kräfte nicht verschwenderisch umsonst. Giebt sie sie: so thut sie nachher nicht selbst Wunder. Also 1) L äß t s ic h a us d e n blo ß e n N at urk rä fte n des M en sc he n, u nd a us dem We se n der S pr ac he d ie M ö g l ich ke it des men sch l ic he n Ur sp ru ng s der se l ben b egre i fe n? Die Solution beyder Theile dieser Auf[1166]gabe ist für einen jeden nicht mehr ganz rohen Weltbürger nichts weniger, als leicht. Die erste Hälfte: Reichen die bloßen Naturkräfte des Menschen zu einer solchen Erfindung zu? wie schwierig ist sie? kann sie durch ein bürgerliche Cultur, durch Gelehrsamkeit und Unterricht verfeinerter Sterblicher beantworten, der alle seine Kräfte durch Sprache entwickelt, und den ganzen Schatz seiner Kenntnisse mit Hülfe der Sprache gesammelt hat? Wo weiß ein solcher Bürger der gelehrten Republik, wie viel, und welches die Kräfte des rohen Naturmenschen sind, ehe er Sprache hat? Oder giebt es irgend eine Nation auf unsrer Erdwelt, die, so roh sie auch wäre, keine willkührliche Sprache hätte? Die Weltentdecker, die Juden- und Heidenbekehrer, von Habsucht oder von heiligem Eifer auf Meer und Land hingetrieben, haben wilde Völker genug gefunden, deren Sprache von den uns bekannten himmelweit verschieden sind. Sie haben Nationen gefunden, die sich mehr durch künstliche Gestikulation belehren, als durch Tonsprache. Aber noch ist kein Volk entdeckt, das gar keine tönende willkührliche Sprache hätte; folglich kein Volk, das hier, wo ausgemacht werden soll, wie viel Seelenkräfte und Kenntnisse der Mensch ohne Sprache üben und besitzen könne, zum Muster dienen könnte. Eben so wenig können diejenigen unglücklichen Individuen der bürgerlich [1167] cultivirten Gesellschaft hier einen Aufschluß geben, die von Mutterleib an bis in ihr Alter taub und sprachlos waren. Es ist wahr, diese Unglücklichen überkommen durch artikulirte Sprache keine Kenntnisse ihrer aufgeklärten Mitbürger. Allein sie leben doch unter aufgeklärten Mitbürgern, 9 10
H e r d e r s Preisschrift. S. 78. 79. Eben desselben älteste Urkunde des Menschengeschlechts. S. 115. 122. Ich befürchtete die Stelle zu verfälschen, wenn ich einen vollständigern Auszug geliefert hätte. Ganz konnte ich sie auch nicht abschreiben. – Mir scheint indessen die erste Erklärung ungezwungener.
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die alle mögliche Mittel zu Hülfe nehmen, um sie zu unterrichten. Winket ihm, diesem von der Natur versäumten Glied eures Geschlechts; es versteht euch eben so gut, als wenn ihr ihm zurieft: komm! Drohet ihm: es fliehet, gerade, als wenn in seine Ohren donnert: Weiche! Ihre Kräfte sind also nicht reine Naturkräfte. Man könnte fragen: die wilden Menschenkinder unter den Bären, hatten keine Sprache: was hatten sie für Kenntnisse? Keine Sprache, keine Kenntnisse. Aber diese sind auch kein Bild des rohen, sprachlosen Naturmenschen. Ihr Zustand ist der widernatürlichste Zustand der Wildheit. Sie waren Blumen, die, aus ihren Wurzeln gerissen, von ihrem Stamm gebrochen, da lagen und welkten. Bären waren ihre Gesellschafter. Von Bären wurden sie aufgefüttert. Sie verwilderten und wurden Vieh. Und Menschen wurden sie nicht erst, nachdem sie Sprache erlernt hatten, sondern nachdem sie ein Mensch fand11. – Hier ist also kein Muster. [1168] Und so ist auch kein Muster zur Bestimmung des Wesens menschlicher Sprachen da. Wenigstens sind es unsere ausgebildeten Sprachen nicht. Denn diese sind Gebäude, an denen Nationen und Welttheile und Jahrtausende gearbeitet haben. Die erste Sprache, wenn sie der Mensch erfunden und gebauet hat, konnte kein solcher Pallast seyn. Eine arme Hütte ohne Ordnung und Schönheit war der Ursprung der Baukunst, war die Sprache des Ursprungs. Doch hier laufen unsere Einsichten in die Beschaffenheit der Kenntnisse der Wilden, und in das Wesen ihrer Sprache ziemlich parallel. Wir wissen aus den Nachrichten der Reisebeschreiber ohngefähr eben so viel, was sie für einen Reichthum oder Armuth an Kenntnissen haben, als wir wissen, wie ihre Sprachen beschaffen sind. Und so können wir immer nach den wahrscheinlichsten Vermuthungen eine höchst befriedigende Antwort auf die Hauptfrage geben, daß der Mensch nemlich, noch vor dem Besitz der artikulirten Sprache, Kenntnisse zur Erfindung einer Sprache besaß, zum Deutlichdenken des großen Gedankens einer Sprache. Denn dasjenige, was der ununterrichtete Mensch jetzt thut, kann uns das, was der Sprache beraubte Mensch that, ziemlich begreiflich machen. [1169] Zuerst zur letzten, leichtesten Hälfte der Aufgabe: ü ber d ie Besc ha ffe n he it der S pr ac he. – Die Einrichtung der Sprache, so wie wir sie uns in ihrer Kindheit gedenken müssen, und wie die Sprachen alter Völker und der heutigen Wilden noch immer beschaffen sind, zeugt von gar keiner halsbrechenden Erfindung. Nichts kann leichter und simpler seyn, als der Bau einer werdenden menschlichen Sprache. Der Anfang einer jeden andern Kunst oder Wissenschaft ist immer unbegreiflicher, als die Grundlage zu einer Sprache. Hier sind Wörter, Laute, zu deren Hervorbringung der Mensch schon von Natur gestimmt ist, da dergleichen Töne in gewissen bedenklichen Situationen schon von selbst herausbrechen. Diese Wörter zeigen sichtbare, hörbare und empfindbare Gegenstände an, und zwar so, wie sich die Natur selbst darstellt, wie sie selbst das Wort vorspricht, wie sie selbst tönet. Donner, tonitru, tonnerre, dörgés, βροντη was anders, als der volle Schall dieser Naturveränderung? In einer Sprache des Ursprungs ist nun auch [1170] gar nichts mehr, als Zusammensetzung dieser einzelnen Wörter des Redenden nach Gefallen. Noch immer keine Regeln der Grammatik, höchstens Gewohnheit, täglicher Gebrauch, der diese Zusammenfügung leitet. Mehr suche man in keiner Sprache, ehe sie sich fortbildet. Man suche keine Wörter für lautlose oder unempfindbare Gegenstände. Keine Ausdrücke für Abstrakte sind noch da. Die allgemeinen Ausdrücke kommen nur bey einer 11
S. Connor Evang. Med. Art. 15. – Histoire d’un jeune fille sauvage. Paris 1755.
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merklichen Ausbildung der Sprache hinzu, weil sie aus der ursprünglichen Quelle mit den sinnlichen nicht gemeinschaftlich fließen. Dieses bemerken alle Reisebeschreiber. Die Ausbreitung der christlichen Religion unter den Wilden fand eben deswegen so unüberwindliche Hindernisse. Alle Missionarien klagen über die große Armuth der Wilden an Ausdrücken für unsichtbare Gegenstände, oder gar für abstrakte allgemeine Begriffe. Kein Hottentotte weiß ein Wort für den Begriff, Ge i st. Da findet sich nun der geschäfftige Heidenbekehrer freylich in einer sehr verdrießlichen La[1171]ge. Seine Lehren vom heiligen Geist, von der Unsterblichkeit eines in uns wohnenden Geistes; vom Geist des Christenthums kann ihnen nicht beygebracht werden. C ran z führt in seiner Geschichte von Grönland eine wehmüthige Klage darüber, daß es den Grönländern an vielen zum Vortrag der Dogmatik und der Moral erforderlichen Wörtern fehle12. Im Mund des Californiers und Peruaners, des Kamtschadalen und Tatarn, sind keine Ausdrücke für unsichtbare Eigenschaften des Herzens, für Tugend und Laster, für die verschiedenen Tugenden und Laster, für Freundschaft und Liebe, für Gerechtigkeit, Unschuld, Freyheit, Erkenntlichkeit, u. s. w. Lauter Hindernisse in der Predigt der Moral! Keine Ausdrücke für Person, Wesen, Zustand, Dauer, Ewigkeit, Nichts, Erleuchtung, Wiedergeburt, u. s. w. Lauter Hindernisse im Vortrag der Dogmatik, wenn es auch nicht eine scholastische wäre13. So, und im geringsten nicht vollkommener konnte die Sprache des Ursprungs seyn. Ein simples, armes Wörterbuch; reich, bis zur Ueberladung reich, an Ausdrücken der augenblicklichen Bedürfniß. Noch hat der Araber für das Pferd, Säbel, Honig, u. s. w. einen ungeheuren Wortschatz, und dabey zugleich die pressendste Dürftigkeit. Ich komme zur Frage, von den Kennt[1172]nissen und Kräften des der Sprache entbehrenden Menschen. Ohne mich hier in die Untersuchung einzulassen, ob die sogenannten Seelenkräfte nur verschiedene Anspannungen derselbigen Seelenorganen seyn, oder ob die Natur selbst sie wirklich in so viele Abschnitte eingetheilt habe, als wir sie im System abtheilen? sehe ich sogleich auf die erste Quelle unsrer Erkenntniß, auf die äußern Sinne. Sinne hat der sprachlose Mensch eben in solchen Graden der Vollkommenheit, in welcher sie der kultivirteste Weltbürger besitzt. Durch ihre Hülfe kann er die Gegenstände außer sich deutlich empfinden, und sie alle als von einander verschieden wahrnehmen. Diese Kanäle, durch welche uns unsre ersten Kenntnisse zufließen, sind bey ihm so offen, wie bey den Beredtesten. Und wenn man vom Beyspiel der Wilden auf den Sprachlosen schließen darf: so hat er ungleich feinere und schärfere Sinne, als der Mann von Cultur. Die Wilden sehen mit den bloßen Augen weiter und schärfer, als unsere mit den besten Fernröhren gewaffneten Augen. Sie riechen die Thiere in ihrem Lager auf mehr, als auf eine Viertelmeile. Kurz, alle ihre Sinne sind vollkommener, weil sie durch Uebung den Grad von Vollkommenheit zu erhalten suchen, den ihnen die Natur gegeben. Wir hingegen im Stand der Cultur sinken in Absicht auf die Vollkommenheit unsrer Sin[1173]ne von diesem Grad durch Verwöhnung herab, bey den Mitteln, mit denen wir sie zu stärken suchen. Nun aber können wir uns den sprachlosen Menschen schlechterdings nicht anders, als im außergesellschaftlichen Zustand der rohesten Barbarey gedenken, weil der Mensch nothwendig in der einfachsten kleinsten Gesellschaft Sprache haben muß. Folglich ist der Schluß von der 12
G e s c h i c h t e v o n G r ö n l a n d. Buch III. Abschnitt 6.
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Vortrefflichkeit der sinnlichen Werkzeuge der Wilden, die wir heute kennen, auf die Vortrefflichkeit der Sinne des sprachlosen Menschen gegründet. – Und wozu dieser etwas weit hergeholte Beweis? Empfinden wir nicht täglich eine große Menge von Gegenständen, die wir nicht zu nennen wissen, oder an deren Namen wir wenigstens bey der Empfindung nicht denken? Eben so wohl kann Gedächtniß und Einbildungskraft ohne Sprache im Menschen Statt finden. Nach allen Erfahrungen der größten Physiologen ist das Gedächtnißvermögen weiter nichts, als das Vermögen, Eindrücke der Objecte auf uns, im Gehirn aufzubewahren. Alle klaren Eindrücke der äußern Gegenstände verschwinden nicht sogleich mit der Empfindung, sondern eben die Fibern des Gehirns, die die Eindrücke, nach ihrer Fortpflanzung durch die Nerven bis in das Gehirn, zum Bewußtseyn erheben, wickeln die Eindrücke zu einem künftigen Gebrauch in sich ein, und bewahren sie sorgfältig auf. Hier ist abermal keine artikulirte [1174] Sprache im Spiel. Sprache macht kein Gedächtniß. Gedächtniß und Gehirn sind eben so unzertrennlich verbunden, als die Gabe Eindrücke aufzunehmen mit gesunden Nerven unzertrennlich vergesellschaftet ist. Lähmungen der Nerven ziehen Gefühllosigkeit nach sich, und ausgetretenes Blut der Gefäße im Gehirn hat den Verlust des Gedächtnisses zur Folge. Daher hat der Sprachlose, wenn er auch anders bloß Gefühl, oder Geschmack, oder Geruch, oder Gehör, oder Gesicht wäre, immer Gedächtniß, so lange er ein gesundes Gehirn hat. Um die Vollkommenheit oder die Unvollkommenheit des Gedächtnisses des Sprachlosen bestimmen zu können, müssen wir aus den Büchern der Physiologen einen flüchtigen Blick in die Reisebeschreibungen hinüber werfen, in denen uns wilde Nationen geschildert werden, um nach der Analogie von diesen auf jene schließen zu können. Es ist einmüthiges Zeugniß aller Reisebeschreiber, daß die Wilden bessere Sinne haben, als die aufgeklärten Völker, das heißt, daß sie vermittelst ihrer sinnlichen Werkzeuge alle äußeren Gegenstände lebhafter und deutlicher empfinden, als der bürgerliche Mensch. Nun aber lehrt die Erfahrung, daß stärkere, lebhaftere Eindrücke sich tiefer in das Gedächtniß einpflanzen, daß sie tiefere Spuren in das Gehirn eingraben, und sich eben deswegen länger klar erhalten, als leichte, vorbeyfliegende Empfindungen. Lebendige Farben schweben uns länger vor, als matte: der Donner [1175] einer Kanone, oder das Geläut einer Glocke länger, als die bezaubernde Harmonie eines sanften Concerts; Stiche länger, als ein leiser Kitzel. Kurz, heftig angeschlagene Nerven tönen, wie stark gerührte Saiten, länger, oder, wenn man es lieber hat, Stöße auf die Kügelchen des Nervensafts, dauren länger fort, als unmerkliche Berührungen. Hieraus folgt: Wilde und Sprachlose haben Gedächtniß; und beyde müßten ein besseres Gedächtniß haben, als kultivirte Menschen, wenn die kultivirte Sprache bey den letztern nicht dasjenige ersetzen sollte, was sie durch die Cultur an der Schärfe und Feinheit ihrer Sinne einbüßen. Man kann aus den lebhaften Schilderungen in den feurigen Liedern der Wilden die Lebhaftigkeit und das Feuer ihrer Einbildungskraft abnehmen. Sie sind gegen Schöne und häßliche Gegenstände, die sie in ihren Gesängen beschreiben, eben so empfindlich, wie wir. Daß sie ganz andere Begriffe von Schönheit und Häßlichkeit haben, als wir haben, ändert hier nichts,
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S. Nachrichten von Californien (von P. B e r g e r t) Mannheim 1772. S. 178.
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weil auch ein kultivirtes Volk einen Gegenstand oft schön heißt, den das andere als abscheulich verwirft. Diese Empfindlichkeit gegen das Schöne und Häßliche, und das Vermögen, das empfundene Schöne und Häßliche in gewisse Organen niederzulegen, und aus denselben nachher wieder herauszunehmen und zu genießen, wenn die Gegenstände nicht mehr da sind, ist gleichfalls von der Sprache ganz unabhängig. Sie beruht wahr[1176]scheinlich auf den feinern, empfindlichern Fibern des Gedächtnisses. Folglich hat der Sprachlose mit dem Gedächtniß zugleich auch die Imagination, wenn beyde Vermögen ein und eben dasselbe Organ haben. Sind sie aber verschieden: so behält der Sprachlose doch die Einbildungskraft in einem eignen Organ übrig. Die bisher aufgezählten Seelenkräfte des sprachlosen Menschen, Sensibilität und Bewußtseyn, Gedächtniß und Einbildungskraft werden ihm von den Philosophen um so viel eher zugestanden, weil man sie, nach einer ungereimten Abtheilung der Schule, zu den niedern Seelenkräften zählt, die der Mensch mit den Thieren gemeinschaftlich besitzen soll. Aber die sogenannten höhern Seelenkräfte sollen das ausschließende Vorrecht der redenden Menschheit seyn. So werdet ihr uralte sprachlose Menschen doch, nachdem euch Verstand und Vernunft abdisputirt wird, für thierähnliche Geschöpfe gehalten, eurer menschlichen Vorzüge beraubt, zu etwas besserm, als Thier, zu etwas geringerm als Mensch, zu einer neuen Classe von Wesen gemacht. Ich versuche eine kurze Apologie eurer Menschheit. Nicht aus einer willkührlichen Voraussetzung neugeschaffener Begriffe mit deren Fall der ganze Beweis hinfällt, soll der Beweis für euren Verstand und für eure Vernunft geführt werden. Ich setze die gangbaren Begriffe der Schule von beyden Seelenvermögen voraus, und folgere euren Besitz derselben. [1177] Fürs erste, Verstand. Ver sta nd ist das Vermögen allgemeine Begriffe zu bilden. Die Bildung allgemeiner Begriffe beruhet auf der Sammlung gemeinschaftlicher Eigenschaften mehrerer Gegenstände, die man um dieser Eigenschaften willen zu Gegenständen von derselben Art oder Gattung zählt. Ein von der Sprache ganz unabhängiges Vermögen! Lasset eine Compagnie gleichgekleideter, mit ähnlichen Mordgewehren versehener Soldaten vor den Augen eines Sprachlosen vorbeyrücken. Laßt ihnen eine Heerde Vieh nachziehen. Nie wird er jene mit diesen, oder die Feldmusik der erstern mit dem Gebrüll der letztern verwechseln. Jene machen ihm, ohne daß er sie nennen kann, eine, und diese wiederum eine, von der vorigen ganz verschiedene Classe von Geschöpfen aus. Das ist es, was wir noch täglich thun. Selbst wenn wir Linnés Natursystem nicht studirt, und uns die Namen der Pflanzen nicht bekannt gemacht haben: so zählen wir doch, da wir in diesem Fall so gut, als für sprachlos anzusehen sind, die Pflanzen, die gemeinschaftliche Charaktere haben, zu Gegenständen derselben Art. Und verstehen die Thiere diese Regeln der Logik, die uns die Bildung allgemeiner Begriffe lehren, nicht eben so gut, als der ausdrucksvollste Weltweise? Tauben kennen ihren Feind. Sie fliehen ihn bey dem ersten Anblick. Laßt ganze Züge von Sperlingen, oder von Wachteln auf sie los stürzen; sie weichen nicht. Warum? Gewiß, weil [1178] sie diese zu Vögeln einer Art rechnen, die nicht ihre Nachsteller sind. Warum gräbt der Ameisenlöwe nicht für Fliegen oder Würmer sein Grab? Warum sucht eine Thierart gerade diese Gattung von Körnern, Blumen, Gräsern, Kräutern und Früchten zu ihrer Nahrung auf? Warum wählt das Huhn bloß Körner von einer gewissen Art unter einer Menge von andern Körnern aus? Offenbar, weil es sich von denen zu seinem Unterhalt nöthigen und von allen andern heilsamen Gewächsen einen eben so vollkommenen allgemeinen Begriff gemacht hat, als der Deutsche Reisende vom englischen
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Braten, oder von den spanischen Weinen. Man sage nicht: die Thiere sehen aus blindem Instinkt. Der Mensch durchs Fernrohr, oder, wie man es nennen will, durchs Mikroskop des Verstandes. Jener Instinkt trägt alle Merkmale des verständigen an sich, und so kommt es ja am Ende bloß auf den Namen an, ob man die Sache einen verständigen Instinkt, oder im Allgemeinen Verstand nennen will. Aber, in Absicht auf die Menge der allgemeinen Begriffe, leuchtet ein sehr großer Unterschied unter dem sprachlosen und dem sprachbesitzenden Menschen hell hervor. Der erstere kann sich, so wie die Thiere, höchstens von sinnlichen, auf Auge, Ohr, Geruch, Geschmack, Gefühl scharf wirkenden, an seine Bedürfnisse nahe gränzenden Gegenständen, allgemeine Begriffe abziehen. Der letztere theilt mit Hülfe der Sprache die innern Vorzüge oder Ge[1179]brechen des Verstandes und des Herzens, Klugheit und Thorheit, Tugend und Laster, und alle unsichtbaren, unempfindbaren Gegenstände in Classen, Gattungen und Arten ab. Der redende Wilde ist hierinnen wieder das ähnlichste Bild der Sprachlosen. Man sucht in den Sprachen wilder Völker umsonst allgemeine Ausdrücke unsinnlicher Gegenstände. Diese Armuth hat ihren Grund einzig darinnen, daß sie sich im Stand ihrer Rohheit noch keine allgemeinen Begriffe von unempfindbaren Gegenständen gemacht haben, die sie mit Worten zu bezeichnen Ursache hätten. Hat der Sprachlose Vernunft? Ve rn un ft heißt in der Psychologie aller Psychologen das Vermögen, das Verhältniß, die Uebereinstimmung oder den Widerspruch unter den Begriffen einzusehen. Werden nur zween Begriffe mit einander verbunden; so ist die Einsicht in das Verhältniß derselben eine Geschäfft der Urtheilskraft. Geschieht es mit mehrern: so ist es Raisonnement, Schließkraft. Man kann vielleicht in der tiefen nahe an Träume gränzenden Seelenlehre ganz fremde seyn, und man wird ohne Krümmungen das Ungezwungene, Natürliche und Richtige in dem Satz wahrnehmen, daß der sprachlose Mensch vernünftig ist. Was braucht man denn, um vernünftig zu heißen, mehr, als die gemeine Gabe, die Uebereinstimmung, oder Nichtübereinstimmung von ein Paar Ideen einzusehen? Ich will vom simpelsten Fall in der Anwendung auf den Sprachlosen anfangen. [1180] Man lasse seine Empfindungswerkzeuge von ein Paar, oder von mehreren Eindrücken zu gleicher Zeit gerührt werden. So bald es von zwoen unterschiedenen Empfindungen angeschlagen wird, muß er nothwendig vernünftig seyn, das heißt, er muß die Aehnlichkeit oder die Unähnlichkeit unter beyden Empfindungen fühlen, und wahrnehmen; er muß urtheilen. Dazu ist er physisch durch seine Organisation, und durch seinen ganzen Bau genöthiget. – Wiederum, wenn der Sprachlose Gedächtniß und Einbildungskraft hat, wie er sie wirklich hat: so muß er bey einer gegenwärtigen Empfindung, die eine mit ihr associirte Idee nach den mechanischen Gesetzen der Association aufweckt, eine Operation der Vernunft vornehmen; er muß über die gegenwärtige Empfindung und über die mit ihr associirte Vorstellung urtheilen. An diese associierte Idee kann eine andere, es können zwo, es können mehrere angeschlossen seyn. So bald sie zu gleicher Zeit aufwachen: so bald ist Urtheil und Schluß eine nothwendige mechanische Folge gleichzeitiger Bewegungen der innern Organen des Denkens. Nur Thiere, die in einem und eben demselbigen Moment nur einer einzelnen Empfindung fähig wären, und die dabey kein Gedächtnis hätten, würden der Urtheilskraft, des Raisonnements und der ganzen Vernunft beraubt seyn.
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Aus diesem allem erhellt zugleich, daß die Vernunft bey weitem kein ausschließender Charakter des Menschen [1181] sey. – Bey dem sprachlosen Menschen ist dieses Vermögen zu urtheilen und zu schließen nicht bloß auf einzelne individuelle Begriffe eingeschränkt. Mit allen allgemeinen Begriffen, in deren Besitz er sich versetzt hat, weiß er alle Operationen der Vernunft vorzunehmen, und nur da hört sein Urtheil und Raisonnement auf, wo seine allgemeinen, partikulären und individuellen Begriffe aufhören. Darum ist er aber auch kein Stubenphilosoph, kein Sektenstifter, kein Seelensklav. Daraus folgt, daß man, um Vernunft zu üben, keine Sprache nöthig hat. Gerade das Gegentheil von Süßm i lc hs Behauptungen14. Süßm i lc h ist der ausführlichste Vertheidiger des göttlichen Ursprungs, und der nachdrücklichste Verwerfer der Menschenmöglichkeit der Erfindung einer Sprache. Er will bewiesen haben, »daß der Gebrauch der Sprache zum Gebrauch der Vernunft, und die Vernunft zur Erfindung der Sprache nothwendig sey.« Hätte also der Mensch sich Sprache erfinden sollen: so hätte schon Sprache da seyn müssen, ehe sie da war, weil schon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehört, die ohne Sprache nicht möglich ist. – Freylich ist Spracherfindung nicht eine Geburt der Stupidität. Aber ist nach den bisherigen Betrachtungen der sprachlose Mensch stupide? Herr He r[1182]d er, der in seiner vortrefflichen Schrift über den Ursprung der Sprache aus andern Voraussetzungen die Folge zieht, daß mit der Vernunft nothwendig zu gleicher Zeit die Sprache habe da seyn müssen, und daß aus dem ersten Actus der Vernunft ohne alle Beyhülfe der Gottheit die Sprache ganz natürlich folge, – nennt des seligen Süßm i lc hs Schlußart einen ewigen Kreisel, den man immer herumdrehen kann. »Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft ist er keines göttlichen Unterrichts fähig, und ohne göttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache: wo kommen wir da hin? Wie kann der Mensch durch göttlichen Unterricht Sprache lernen, wenn er keine Vernunft hat? Und er hat ja nicht den mindesten Gebrauch der Vernunft ohne Sprache. Er soll also Sprache haben, ehe er sie hat, und haben kann: Oder vernünftig werden können, ohne den mindesten eigenen Gebrauch der Sprache? Um der ersten Silbe im göttlichen Unterricht fähig zu seyn, mußte er ja, wie Herr Süß m i lc h selbst zugiebt, ein Mensch seyn, das ist, deutlich denken können, und bey dem ersten deutlichen Gedanken war schon Sprache in seiner Seele da. Sie war also aus eignen Mitteln, und nicht durch göttlichen Unterricht erfunden.«15 [1183] Ich sehe einen neuen Einwurf. Wenn die Menschen, könnte man sagen, vor dem Gebrauch der Sprache ohne Ausnahme alle Seelenkräfte und ihren Gebrauch besaßen: so haben sie denn schlechterdings gar nichts mit ihr, oder durch sie erhalten? So ist es leeres Geschwätz und Pralerey, mit der Sprache als einem so vorzüglichen Geschenk der Gottheit? – Ein übereilter Schluß! Wenn wir durch die Sprache keine weitere Vortheile, als den einzigen hätten, daß sie der einzige haltbare ausschließende Charakter des Menschengeschlechts ist: so wäre sie doch immer, als Vorrecht der Menschheit, für etwas Wichtiges anzusehen. Alle vollkommenere Thiere sind mit allen Seelenkräften nach verschiedenen Graden begabt, deren Güte sich nach der 14
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S. Süßmilchs Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht von Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe. Berlin 1766. Man vergleiche hier den zweyten und dritten Abschnitt. P r e i s s c h r i f t. S. 61. 62. Ich habe einen andern Weg eingeschlagen, und aus Voraussetzung der gangbaren Begriffe geschlossen. Vielleicht führt mein Weg näher und sicherer zum Ziel.
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Güte des Gehirns richtet. Der Menschenähnliche Affe besitzt Vernunft, die sich nur in entferntern Graden der menschlichen nähert, weil er vielleicht nicht so vortheilhaft organisirt ist, wie der Mensch. Aber er hat keine Sprach[1184]organen, keine Sprache. Der Mensch hat beyde. Immer ist es für den systematischen Philosophen eine lehrreiche Bemerkung, daß die Natur durch körperliche Organen, und deren Geschmeidigkeit, und nicht durch merkliche Vorzüglichkeit der Kräfte eines einfachen Wesens, einen so wichtigen Abschnitt in der Schöpfung gemacht hat. Dieses ist aber ein unbedeutender Vortheil. Ungleich größere zieht der Mensch, nach Herrn S u lzers Bemerkungen, aus der symbolischen Bezeichnung seiner Ideen.[16] Wörter und Namen stärken und verbessern unser Gedächtnisvermögen. Sie versichern uns den Besitz klarer Ideen, von denen wir, ohne ihre Beyhülfe, sehr viele einbüßen würden. Durch sie bekommen die Ideen einen Körper. Sie bleiben länger im Gedächtniß und in der Einbildungskraft hangen, und Gedächtniß und Einbildungskraft können zu gleicher Zeit eine größere Menge von Ideen fassen, als ohne ihre Beyhülfe. [1185] Eben so sehr gewinnt Verstand und Vernunft durch die Sprache. Die Wörter kürzen, wie Herr Su l zer richtig bemerkt, alle Operationen des Verstandes ab, indem sie oft die Stelle der Begriffe, die sie bezeichnen, vertreten. Bey Meditationen, und bey weitläuftigen Schlüssen leisten sie eben die Vortheile, die man bey weitläuftigen Rechnungen durch die algebraischen und arithmetischen Zeichen erhält. Beym Rechnen beschäfftiget man sich mit Buchstaben, oder mit Ziffern, ohne die angedeuteten Ideen an ihre Stelle zu setzen. Vermittelst der Wörter kann man raisonniren, ohne alle Augenblicke an ihre Bedeutung zu denken, nachdem wir durch eine häufige Association der Wörter und ihrer Bedeutung, von deren Richtigkeit und Realität wir uns vorher überzeugt haben müssen, eines für das andere zu substituiren uns gewöhnt haben. Und so operiren wir mir den Zeichen der Begriffe eben so kurz, geschwind und glücklich, wie der Mathematiker mit Buchstaben und mit Ziffern. [1186] Ein dritter ungemein wichtiger Vortheil erwächst uns aus der Sprache dadurch, daß die Wörter auf die Beobachtung der Sachen selbst, oder auf das Nachdenken über dieselben führen, und dadurch den Erfindungsgeist stärken. Die Sprache einer Nation ist nemlich das gemeinschaftliche Magazin, in welches alle Kenntnisse und Erfindungen der ganzen Nation niedergelegt worden sind. Denn ein jeder, der einen neuen unbezeichneten Gegenstand entdeckte, machte seine Erfindung ohne alle eigennützige Hinsicht auf Prämien, durch Bezeichnung desselben gemeinnützig. Wir lernen folglich mit der Sprache die ganze erkannte, bezeichnete Natur kennen, ob wir gleich die wenigsten dieser Gegenstände selbst empfunden oder irgend angetroffen haben. Aber dieser Umstand, daß wir die Gegenstände bloß durch ihren Namen haben kennen lernen, schärft unsern Beobachtungsgeist, indem wir in der Folge bey einem jeden uns unbekannten Gegenstand sogleich aufmerksam werden, und um seinen Namen fragen, den wir schon lange vorher [1187] wußten, ehe wir den Gegenstand selbst gekannt hatten. Wer die ungeheure Menge Pflanzen, wenn auch nur den Namen nach, aus Linné hat kennen gelernt, wird gewiß in der Folge nie bey einer ihm unbekannten Pflanze kalt vorübergehen, ohne nach den Charaktern den ihr eigenthümlichen Namen aufzufinden, und ihr beyzulegen, der ihm schon lange vorher bekannt war. 16
S u l z e r s vermischte philosophische Schriften. S. 179. 182. 183.
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Wenn also das Kind Sprache erlernt: so gewinnt es gerade so viel, als der Schüler metaphysischer Lehrstunden, in denen Begriffe oder besser Worte, vorgelegt, aber nicht realisirt werden. Die Amme lehrt das Kind Worte, ohne Begriffe. In einem metaphysischen Cursus von dieser Art lernt das metaphysische Kind eben so viel. Aus diesem allem, was ich über die Beschaffenheit der Sprache des Ursprungs, und über die Kräfte und Kenntnisse des sprachlosen Menschen bemerkt habe, kann ich mit vieler Gewißheit den Hauptschluß ziehen: daß de r Men sch a uch v o r dem Bes it z e i ner art i ku li rte n S pr ac he Ken n tn i sse z ur E rf i ndu ng e i ner S prac he ge nug be sa ß. Und es läßt sich vermuthen, daß die vollkommenern Thiere selbst Sprache erfinden würden, wenn sie mit Sprachwerkzeugen ausgerüstet wären. ― Ich bearbeite also keine Chimäre, wenn ich zur andern Hauptfrage übergehe. 2) We lc hes i s t der vermu th l ic he We g, au f we lc hem der M en sc h w ahr sche inlich Sprache [1188] er funde n, und for tge bildet hat? Ich antworte: Der s prac her f inde nde Me nsc h m ußte Ge se ll sc ha fte r sey n. Freylich im Zustand der außergesellschaftlichen Wildheit hat der Mensch zur Erfindung einer Sprache schlechterdings keine Veranlassung. Er findet alles, was er braucht. Die ganze Welt ist eine offene Speisekammer für ihn. Alles schmeckt ihm gut. Er hat keine Bedürfnisse, die er nicht ganz egoistisch befriedigen könnte. Nahrung und Schlaf sind die einzigen Güter die er kennt, und Hunger das einzige Uebel, das er fürchtet. Wozu braucht er artikulirte Sprache? Wem hat er seine Gedanken und Wünsche mitzutheilen? Wen zu Hülfe zu rufen? Wen um Rath zu fragen? Wem Rath zu ertheilen? Wen durch Unterricht vollkommener zu machen, da er keines Menschen bedarf, und da ihn kein Mensch angeht? Da sind keine Sessionen, in denen er politische Vorschläge in förmlichen Chrien zu thun hätte: keine kirchliche Versammlungen, in denen er predigen: keine Schulen und Universitäten, auf denen er tönender Professor werden könnte. – Nur in der Gesellschaft hatte er Veranlassung zur Spracherfindung; nur da konnte er mit der erklärten Absicht an diesen Bau gehen. Es ist aber auch ganz unmöglich, daß der Mensch jemals nur auf eine kurze Zeit sich in dem rohesten Zustand der außergesellschaftlichen Wildheit befunden, oder daß er je in diesen schreck[1189]lichen Zustand herabsinken könne. Der Mensch muß, wenn anders das menschliche Geschlecht nicht auf einmal ausgehen soll, nothwendig allemal in einiger Gesellschaft, und wenn sie auch nur aus Mutter und Kind bestehen sollte, leben. Die Natur hat sich nicht nur Mühe gegeben, die Menschen durch gegenseitige Bedürfnisse zusammenzubringen, und dadurch die Erfindung und Fortbildung der Sprache zu befördern: sondern sie machte sich es gleich anfangs zum Gesetz, daß der Mensch ein gesellschaftliches Geschöpf seyn müsse: so lange Menschen da seyn sollen. Man versetze den Menschen der ersten Welt in einen solchen außergesellschaftlichen Zustand: so findet folgendes Dilemma statt. Entweder wurde der Trieb, Vater und Mutter zu seyn, niedergeschlagen und gänzlich erstickt: oder der außergesellschaftliche Mensch behielt ihn übrig. Der erste Fall ist ganz unmöglich, weil bey der Voraussetzung desselben das menschliche Geschlecht hätte aussterben müssen, das doch noch immer fort-
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dauert. Im letzten Fall ist eine Gesellschaft, wenigstens unter zweyen Subjecten, physisch nothwendig17. Nemlich: Wenn ich auch nicht untersuche, ob im Stand der Natur der Mann nach der Befriedigung seines Geschlechtstriebes die Frau fernerhin nöthig habe, und die Frau den Mann, und ob folglich nicht schon aus Mann und Frau der roheste Zustand der Natur sogleich in einen gesellschaftlichen umgeschaf[1190]fen werden müsse, der aus Mann und Frau besteht: so ist es gewiß, daß die Mutter nach ihrer Niederkunft des Kindes, und das Kind der Mutter bedürfe. Beyde sind durch das stärkste Band physischer, zwingender Bedürfnisse an einander gebunden, und folglich zur Gesellschaft unter einander gezwungen. Die Mutter braucht das Kind ganz nothwendig, um sich von der Bürde der Muttermilch zu entledigen, die in den Brüsten der Wildinnen weit stärker sticht, als bey bürgerlichen Müttern, die den Schmerz zu lindern Mittel gefunden haben. Die wilde Mutter, wenn auch kein Mensch, kein Mann um sie ist, muß also säugen. Und der Säugling ist auf der andern Seite wiederum durch die pressendste physische Bedürfnisse gezwungen, der Vasall mütterlicher Hülfe und geselliger Erbarmung zu seyn. Er, das schwächste Geschöpf kommt elend auf die Welt, ohne es zu wissen, daß er elend ist. Die Mutter, die sich ihrer Frucht entledigt hat, sieht es, daß er elend ist. Und aus einem gedoppelten Grund kann sie ihm ihre Erbarmung nicht versagen. Sie muß ihn, wie schon gezeigt worden, an ihre Brüste hängen, um ihren Schmerz zu mildern, der, wenn sie es nicht thut, in ihren Brüsten unaushaltbar wühlt. Und dann die Bande der mütterlichen Liebe, die ganz unzerreißbar sind; wie wird sie nicht durch diese Bande an ihre Kind so fest angezogen! [1191] Unter Mutter und Kind mußte also nothwendig eine Gesellschaft entstehen, die wenigstens bis ans Ende der Kindheitsjahre physisch nothwendig fortdauren muß, bis an die Jahre, in denen dem Kind die mütterliche Hülfe entbehrlich, und eben deswegen die Mutterliebe kälter wird. Und sie muß noch länger fortdauren, auch dann fortdauren, wann das Kind, wie eine blühende Pflanze, schon Kräfte genug hat, einzeln, ohne die Mutter fortzukommen. Denn wo ist ein vernünftiger Grund, warum sich das Kind aus dem gewohnten gesellschaftlichen Zustand herausreißen, und der Mutter nun entlaufen sollte: da es vielmehr durch die Macht der Gewohnheit, auch ohne Rücksicht auf die Bequemlichkeiten, nicht leicht von der Mutter los werden kann. Warum sollte der Knabe als Jüngling nicht eben die Lebensart ertragen, an die er von Kindheit auf gewöhnt war? – Hier ist also schon nothwendige Familienverbindung, die den außergesellschaftlichen Zustand, wenn seine Dauer auf viele Menschenalter angerechnet wird, zur Chimäre macht. In dieser allereinfachsten Gesellschaft war schon Anlaß und Drang genug zur Spracherfindung. Die Mutter hatte ihrem Kind manches mitzutheilen. Ihre eingeschränkten Bemerkungen über die Schädlichkeit dieses und jenes Gegenstandes, auf den man alle Tage stieß, den man alle Augenblicke vor sich hatte, z. E. nicht in den vorbeyrauschenden Strom zu gehen, um nicht mit hingerissen zu werden; ferner das [1192] Vorhaben, das man ausführen wollte, z. B. dieses Kraut zu sammeln – alles dieses, und wenn es auch noch so unbedeutend gewesen wäre, mußte man einander zu erkennen geben, und dazu gebrauchte man Gedankenzeichen. Die Mutter hatte das, was sich ihr in Aug und Ohr und alle Sinne hineingedrängt hatte, nicht hinter eine Menge Schlösser beygelegt. Ihr Kind sollte ihre Erfahrung erben. Aber bey dieser Erbschaft kam es 17
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noch nicht auf geschriebene Testamente an. Die Mutter mußte sie selbst herausgeben, so wie sie sich herausgeben ließ. Die Mutter lehrte, das Kind füllte das ideenlose Bedürfniß seiner Natur, indem es lernte. Das Kind selbst, wenn es auch keine Neugierde, oder andere Bewegungsgründe antrieben, die Mutter eines und das andere zu fragen, mußte doch der Mutter unzählig vieles anzeigen, was ihm beschwerlich war. Unter Mutter und Kind konnte und mußte also Sprache entstehen, und es hat nicht Menschenalter gewährt, bis Sprache erfunden worden ist, so wie der Mensch nicht Jahrhunderte im außergesellschaftlichen Zustand gelebt hat. Aber es ist zweifelhaft, ob diese kleine Familienverbindung gerade artikulirte tönende Sprache zu Zeichen ihrer Gedanken wählte. Der ungenannte Verfasser des Versuchs einer Erklärung des Ursprungs der Sprache (Riga 1772) macht es sehr wahrscheinlich, daß der Mensch in dieser mütterlichen und kindlichen Familienverbindung nicht auf artikulirte Töne [1193] verfiel, die er zu Zeichen seiner Gedanken hätte machen sollen: sondern die ursprüngliche Sprache dieser Gesellschaft sey eine Art von künstlicher Pantomime, Minen- und Geberdensprache. Dieser Hypothese sprach schon der Präsident Maupertuis das Wort18. Es ist wahr, die Reizbarkeit unsrer Sprachorganen ist vorzüglich groß, und man könnte daher erwarten, daß der erste gesellschaftliche Mensch gleich Töne gesprochen. Frühe lallen die Kinder. Allein sollten sie wohl auch lallen, wenn ihnen Niemand vorlallet, und Niemand vorgelallet hat? Und in diesem Zustand muß man sich doch das erste sprachlose Kind denken, dessen Mutter selbst sprachlos war. Es ist daher wahrscheinlicher, daß sie anfänglich durch Gestikulation einander ihre Gedanken zu erkennen gaben, da ihr Körper ohnehin geschmeidig genug war, als durch Töne bey noch ganz ungeübten Sprachorganen. Denn in Hervorbringung ausdruckvoller Stellungen des Körpers waren sie doch gewiß geübter, als in Bildung der Töne. Die Geschichte der Menschheit bestätiget diese Hypothese. Fast alle Amerikanische wilde Nationen haben eine jede ihre eigene artikulirte aber sehr wortarme und unverständliche Sprache, die sie wechselseitig sehr selten verstehen. Aber ihre Geberdensprache ist außerordentlich ausdrucksvoll, und sie das ist gemeinschaftliche Sprachrohr durch welches mehrere [1194] Nationen verständlich sprechen können19. So brauchbar diese künstliche Geberdensprache mit wenigen Tönen vermischt in der kleinen Gesellschaft unter Kind und Mutter war: so unbrauchbar mußte sie auf den folgenden Stuffen der Menschheit, bey ihrem Zusammentritt in zusammengesetztere Verbindungen werden. Sie wurde schon bey der Erhebung der Menschheit von ihrer untersten Stuffe, bey ihrer Verwickelung in eine größere Gesellschaft, als die unter Mutter und Kind ist, ganz unzulänglich. Denn so bald die Verbindungen stärker wurden; so bald nahmen die gemeinschaftlichen Bedürfnisse, so wie die Nothdurft einzelner Glieder, an der Zahl zu. Die Gegenstände, die man zu bezeichnen hatte, häuften sich. Man hatte sich mehr zu belehren, mehr und weitläuftigere Plane zu entwerfen, die geschickteste Ausführung derselben auszusinnen, und bekannt zu machen. Folglich: Wenn der Vater seinen Sohn zur Jagd gewöhnte: so gieng dieses nicht nur ohne Unterricht und Sprache nicht an: sondern, da nun Vater, Sohn und Mutter, die das Kind so weit gebracht hatte, daß es auf die Jagd mit gehen konnte, zusammen waren, und der Körper aus
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des gesunden philosophischen Menschenverstandes. In der Histoire de l’Academie Royale de Berlin. Année 1754. S. 349. Lafitau Mœurs des Sauvages Americains.
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drey Gliedern bestand: so reichte die Pantomime schon nicht mehr zu. Denn in der einfachsten Jägergesellschaft unter Vater, Sohn und Mutter mußten mehrere [1195] Thiere bezeichnet werden, die der Mutter und dem Kind auf der ersten Stuffe der Menschheit gleichgültig waren. Diese Thiere waren sich häufig zu ähnlich, als daß ihre Verschiedenheit durch bloße Bewegungen und Geberden des Körpers hätte kenntlich gemacht werden können. Den Hasen konnte der Jäger z. B. dadurch bezeichnen, daß er schnell lief, wie dieses Thier: aber wie konnte er nun das Schwein, und andere schnell laufende Thiere durch eine schnelle Bewegung seines Körpers anzeigen? Dieses ist der merkwürdige Zeitpunkt, da der Mensch den sehr wichtigen Schritt zur förmlichen Erfindung der tönenden Sprache that. Nun gebrauchte er zur Bezeichnung tönender Gegenstände diesen Ton, zur Bezeichnung der Thiere ihr eignes Geschrey, wodurch sie sich ihm zu erkennen gaben. Nun wurde er das Organ der ganzen tönenden Natur; blökendes Schaaf, wenn er das Schaaf; brummender Bär, wenn er den Bären; heulender Wolf; wenn er den Wolf; wieherndes Pferd, wenn er das Pferd; bellender Hund, wenn er den Hund bezeichnen wollte. Der Ton bezeichnete die Sache, so wie die Sache selbst den Ton gab. Schon die kleinste Jägernation trug also die Elemente eines Wörterbuchs zusammen, welches sie aus den Lauten aller Welt sammelten. Eine gar nicht schwierige Arbeit für menschliche Sprachorganen! Wir sind freylich nur selten im Stand diese Nachahmungen der Thierlaute in unsern ausgebildeten [1196] Sprachen aufzufinden, weil sie durch viele unnatürliche Beugungen ganz unkenntlich worden sind. In den rohen Sprachen aller Wilden stechen sie deutlich hervor. Da diese Nachahmungen der Laute tönender Gegenstände noch unartikulirt sind: so konnten sie von verschiednen Menschen verschiedentlich nachgeahmt, und nach der Feinheit der Sprachorganen, nach der Geschmeidigkeit der Kehle, nach der Zärtlichkeit der Ohren, auf die der Schall wirkte, nach den Umständen unter welchen ein Gegenstand tönete, bald fein bald grob nachgesprochen werden. So entstund musikalischer unartikulirter Gesang, der sich nicht in Silben aussprechen, sondern in Tönen singen und moduliren läßt. Dieses Zeitalter lebt unter vielen wilden Nationen noch immer fort; und dieses ist die Sprache der Sinesen bis auf den heutigen Tag, in welcher man die Benennungen vieler Thiere nach ihren Lauten ebenfalls entdeckt hat. Die Katze z. B. nennnen sie M i aa20. Mit dieser Vermuthung, daß die tönende Sprache, ehe sie artikulirt wurde, musikalischer Gesang war, stimmt eine Tradition des Alterthums überein, nach welcher die erste Sprache des menschlichen Geschlechts Gesang war. Aus diesem Gesang ist die älteste Poesie und Musik entsprossen. Daher der Wohlklang in den Poesien der Alten, die die besten Reste dieser Sprachsingenden Zeiten sind21. [1197] Nahe war die menschliche Spracherfindung ihrer Hauptepoche, die damals angieng, da man auf die Erfindung artikulirter Wörter dachte. Artikulirte Sprache zu erfinden, war für den rohen sprachlosen Menschen allerdings ein zu schweres Geschäffte. Er mußte sich zu diesem Schritt zuerst durch künstliche Pantomime, dann durch Onomatopoeie, endlich durch den musikalischen Gesang vorbereiten. Bis er endlich Alphabete, Buchstaben und Silben erfand. Eine der allerschwersten Erfindungen, die der menschliche Geist gemacht hat! Immer blieb sein
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O s b e c k s Reisen nach Ostindien und China. S. 226. H e r d e r s Preisschrift. Abschn. 2.
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uraltes Wörterbuch auch hier die Grundlage, nemlich die tönende Natur, und seine Nachahmung dieser Töne wurde nur in Worte umgebildet. Das ist der Weg, den der Mensch in der Erfindung der Sprache gegangen ist. Aber nicht alle Weltweisen suchen und finden den spracherfindenden Menschen auf diesem Weg. Nach einigen soll Sprache durch Convention, durch Verabredung erfunden worden seyn: als wenn irgend eine Erfindung dieser ähnlich durch Convention gemacht worden sey, und als wenn rohe, sprachlose Menschen dergleichen gelehrte Conventen zu veranstalten wüßten22? Der Abt C o nd i ll ac sucht in den unartikulirten, durch heftige Empfindungen und Leidenschaften herausgepreßten Naturlauten den Ursprung der artikulirten Sprache: als wenn irgend in einer menschlichen Spra[1198]che diese Laute Wurzelwörter wären23? Der verdiente Süßmilch sieht die Sprache als einen Abdruck einer göttlichen Weisheit an, die sie dem Menschen eingegossen, als wenn nicht Bau, Grundriß und Grundstein dieses Pallastes Menschheit verrathen sollte24. Aber noch ist dieses weitläuftige herrliche Gebäude nicht völlig aufgeführt. Es müßte noch ein Stück hinzukommen, ehe der ganze Bau fertig war. Wenn nemlich die Grundsprache aller Sprachen die Nachahmung der tönenden Gegenstände ist, die aber durch langen Gebrauch mehrerer Jahrtausende, und durch die erste Artikulation der unartikulirten Schälle der körperlichen Natur versetzt, verändert, verstümmelt und unkennbar geworden: so frägt es sich, wie es der Mensch anfieng, das was nicht Schall ist, in Schall zu verwandeln. Denn nicht alle Gegenstände in der Natur tönen, für die der Mensch Benennungen erfunden hat. Noch mehr: wie viele Gegenstände, die man mit Tönen bezeichnet hat, wirken auf gar keinen von unsern äußern Sinnen. Sie rühren nicht nur das Gehör nicht, sondern sie sind schlechterdings unempfindbar. Woher dem Menschen diese Kunst unempfindbare Gegenstände zu benennen? Wenige Philosophen, die über den Ursprung der Sprache Muthmaßungen gewagt, haben diese wichtige Untersuchung über ihre Fortbildung übergangen. Mir scheint diejenige Erklä[1199]rung, die der vortreffliche Verfasser einer vorzüglich unterrichtsvollen Abhandlung, die sich unter den Preisschriften der Akademie der Wissenschaften zu Berlin findet, und die nachher Herr S ul ze r, und andere große Weltweisen angenommen haben, sehr genugthuend zu seyn. Es ist Naturgesetz, daß sich ähnliche Begriffe und Gegenstände im menschlichen Gehirn associiren. Der Mensch fand unter den Objekten, die er durch nachgeahmte Naturschälle benannt hatte, und unter solchen, die nicht töneten, ohne viele Mühe gewisse Aehnlichkeiten. Diese Aehnlichkeiten waren ihm Grund genug, diejenigen Körper oder Gegenstände, die von ihrem Schall keinen Namen bekommen konnten, weil sie keinen Ton von sich gaben, mit dem Namen des verwandten und ähnlichen Gegenstandes zu belegen, der einen Ton von sich hören ließ. Diese Ableitung der Namen hörbarer Gegenstände auf unempfindbare Gegenstände aller Art, nach Aehnlichkeiten, geht so gar bis auf die Abstrakte, und bis auf die unsichtbaren Geschäffte der Seele, weil diese doch immer noch einige Aehnlichkeit mit körperlichen Veränderungen behalten. Z. B. der Zo r n des Menschen hat große Aehnlichkeit mit der Leidenschaft des Hundes, in welcher er den Laut err giebt, den einige als i r r, oder or r verstanden haben. 22 23 24
M a u p e r t u i s am angeführten Ort. Essai sur l’origine des connoissances humaines. Vol. II. S ü ß m i l c h am angeführten Ort. – H e r d e r hat mit vielen Bemerkungen das Menschliche in den besten menschlichen Sprachen aufgedeckt.
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Daher die Benennung des Zorns in mehreren Sprachen durch ira, irrité, οργη25. Eben so puritas von πυρ. (Feuer). Dieses aber von u h r oder F uh r, dem Ton, den das Feuer verursacht, wenn Stoppeln verbrannt werden. Noch mehr: Diese Aehnlichkeiten unempfindbarer Gegenstände wurden in der Folge dazu gebraucht, sie auf andere ähnliche unempfindbare Gegenstände abzuleiten. Z. B. der L ic hts tra h l wurde vom Pfeil (Strala im Sklavon.) benannt, weil er mit dem Pfeil einige Aehnlichkeit hat. Der Pfeil selbst aber giebt auch keinen Laut von sich. Er muß also selbst schon, nach diesem Gesetz der Aehnlichkeit in der Fortbildung der Sprache, seinen Namen von einem verwandten ähnlichen Gegenstand erhalten haben26. Freylich fanden die Fortbilder der Spra[1200]chen oft bloß in ihren eigenthümlichen Situationen gewisse Aehnlichkeiten unter hörbaren, und den sichtbaren, riechbaren, fühlbaren, und schmeckbaren, und unter den unsichtbaren Gegenständen, die wir und ein jeder andrer Mensch schwerlich würden gefunden haben. In solchen Fällen ist es und ganz unmöglich die Wurzelwörter aus dem ursprünglichen Wörterbuch der tönenden Natur aufzusuchen. Dieses Wörterbuch bleibt indessen das uralte Chaos, aus welchem alle Sprachen geschaffen worden, und es hat kein Spracherfinder oder Fortbilder für die nichthörbaren oder auch für die nichtempfindbaren Gegenstände neue Stammwörter erfunden. Nimmt man noch endlich die größtentheils richtige Bemerkung des Präsidenten von B ro s s e s und He rder s hinzu: so verbreitet sich über alles Licht und Helle. Der Mensch ist ein denkendes sensorium commune, nur von verschiedenen Seiten berührt. Alle Sinne wirken zusammen. Alle Sinne sind nichts als Arten des Gefühls, davon ein jedes nach einem Empfindungsgesetz der thierischen Natur seinen Laut hat, der sich allen Nerven der ganzen Maschine mittheilt. Bey dieser Harmonie des ganzen Nervensystems konnten die Fortbilder der Sprachen einen jeden Gegenstand, der auf Auge, Geschmack, Geruch und Gefühl einen unangenehmen Eindruck machte, auch nach seinen Aehnlichkeiten mit einem rauhen und unangenehmen Namen belegen; so wie er die Gegenstände mit rauhen Tönen bezeichnete, die sein Ohr auf eine unangenehme Weise rühreten. Z. B. K er ker. Auf der andern Seite gab er allen sanften Eindrücken auf die vier äußern Sinne wiederum wegen der Harmonie der Nerven sanfte Namen, z. B. H im me l, so wie er angenehm tönende Gegenstände nicht anders als sanft bezeichnen konnte, weil er ihren charakteristischen Laut nachahmte. Auf solche Weise ist die menschliche Sprache in allem Betracht menschliche Sprache, von Menschen erfunden, von Menschen allmählig fortgebildet.
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S u l z e r am angeführten Ort. Berlinische Preisschriften vom Jahr 1759; die zwote Abhandlung S. 87.
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Die mehresten Urtheile über die Moralität des Theaters sind eben so unmoralisch, überspannt und ungegründet, als die gewöhnlichen Forderungen und Regeln, mit welchen die Kritik den theatralischen Dichter zu fesseln gesucht hat, unphilosophisch, unpsychologisch und unästhetisch sind. Nie hat eine Person unkompetentere Sittenrichter; nie ein Geistesprodukt unverständigere Beurtheiler gehabt, als die Muse des Theaters, und ihre Produkte. Man hat sie gewöhnlich vor den Richterstuhl solcher Moralisten gezogen, die in ihrem ganzen geistlichen Leben weder Theaterstücke gelesen, noch aufführen gesehen. Allemal waren daher die Urtheile solcher Männer die unverantwortlichste Ungerechtigkeit, und die gröbste Beschimpfung dieser Schönen, die sie nie verdient hatte. Denn gesezt auch, der Richterspruch eines solchen Richters fiel zu ihrem Vortheil aus: so waren es doch beleidigende Lobeserhebungen eines Unwissenden, die sogleich mit des Narrenlob in der Fabelmoral ausgestrichen werden müssen. Noch weher that man ihr, wenn gar das Verdammungsurtheil über sie ausgesprochen würde; wenn man sie als eine Pest guter Sitten, als eine Verführerin unverdorbner Seelen verfluchte; wenn man ihre Wohnung für einen traurigen Aufenthaltsort von geschäftigen Zeitdieben, für einen gefährlichen Sammelplaz der List und der Verschmiztheit, für eine Schule ausschrie, in welcher die schändlichen Ränke in der ehelichen Gesellschaft, die heimlichen Berückungsarten, mit welchen Kinder ihre Eltern, Bürger ihre Mitbürger hintergehen, und alle Arten der sogenannten politischen [554] Kniffe, Geburten der Hölle, gelehrt, und wo tausend Menschen durch die lächerlichmachende Entwickelung allerley Gattungen von Lastern, die nur die Wenigsten kennen, aus ihrer glücklichen Unwissenheit herausgerissen würden. Ihrer Meynung nach sah’ man auf dem Theater nichts als Harlequins, Possensezer, ausgelassene Aktrizen, schaamlose Tänze, freche Stellungen, buhlerische Kleidungen, u. s. w., und man hörte nichts, als schlüpfrige, säuische Reden, verführerische Dialogen, die bald die Leidenschaft der unkeuschen Liebe rege machen, bald zu einer romanhaften, schwärmerischen Freundschaft anflammen, bald eben dieses Feuer zu einer kalten Gleichgültigkeit dämpfen, und die Seele entweder zur Wildheit und Zügellosigkeit hinreissen, oder sie in eine spekulirende, gebethreiche Unthätigkeit versenken, kurz – die gröste Unbeständigkeit im Karakter hervorbringen. So sind die meisten Urtheile über die Schaubühne, von Seiten ihrer Sittlichkeit betrachtet, beschaffen. Ich nenne keinen von den Schriftstellern, aus denen ich diese kleinstädtische Beschuldigungen gezogen habe, weil sie sich ihrer eignen Worte schämen müsten. Aber kleinstädtisch nenn’ ich dergleichen unüberlegte Vorwürfe mit Vorbedacht. Sie fliessen aus dem Mund, der Feder und dem Herzen entweder solcher Pedanten, die aus der kleinen Anzahl von Erfahrungen, die sie in dem engen Bezirk eines Landstädtchens von den unbeträchtlichen Wirkungen stümperischer, vorstädtischer Kreuzerschauspieler eingesammlet haben, auf die gleichmässige Einrichtung und Nuzenstiftung der meisterhaften Schaubühnen in der grössern, begüthertern Welt; von den theatralischen Landscheunen auf die prächtigen Schausäle grosser Städte; von den Rübenöllampen an den spanischen Wänden der Dorfstheater, auf die vortrefflichen Dekorazionen der Bühnen in den Hauptstädten der Provinzen; von den bettelarmen, herumirrenden
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Lumpenschauspielern, die sich, um Zulauf und Brod zu haben, nach dem Beyfall, den unwissende, äusserstsinnliche Zuschauer ihren läppischen Harlequinaden zuklatschen, richten müssen, auf die reichlichbesoldeten Schauspieler von Paris und [555] Wien, und vom verdorbenen, oder nie ausgebildeten Geschmack ihrer schusterschen, schneiderschen, schul- und bürgermeisterschen Beichtkinder auf den verfeinerten Geschmack und auf die ausgebreiteten Kenntnisse des Parterre und der Logen im Schautempel ihres Königs, – mit verkehrtem, kurzsichtigem Sinn fortschliessen; oder sie rühren von ganz blinden Eiferern her, die gar nicht einmal wissen, worüber sie eifern. O Richter! die ich, eurer ungerechten Rechtssprüche wegen, meinem ärgsten Feinde nicht wünschen könnte, selbst wenn die Unschuld ihn bey euch anklagte, hättet ihr aus der Erfahrung gewust, daß die dramatische Poesie, die die innersten Saiten der Menschheit trifft, die Menschen bis auf die niedrigste Menschenklasse herab, empfindungsvoll, gefühlvoll, theilnehmend, mitleidig, menschenfreundlich macht; daß sie ihnen bewährte Grundsäze der Tugendlehre, befolgungswerthe Maximen der Klugheit einflöst; daß sie durch das ihnen eingegossene, lebendige, vollstürmende, tugendhafte Urgefühl weit kräftiger zur Rechtschaffenheit anspornet, als nervenlose, nachgesprochene Bußwecker, und unverdauliche Aufmunterungen, in unverständlichen mystischen Ausdrücken, zur seelenzerknirschenden Reue, zum Durchbruch der Menschenliebe, von der heiligen Stätte herabgeplaudert, oft zur blossen Betäubung herabgedonnert; hättet ihr je den frohen Anblick der Feinheit der Sitten des gemeinen Mannes in grossen Städten, genossen, der gröstentheils dem Theater seine Verfeinerung verdanken muß; hättet ihr erfahren, daß der unbedeutendste Bediente in Wien (hier sprech’ ich zuversichtlich, denn ich sprech’ aus eigner Erfahrung,) mehr Weltkenntniß, Lebensart und Feinheit durch die Dramen überkommen hat, als sich im Innren Deutschlands mancher Junker, so lang er lebt, nicht erbetteln kann; hättet ihr bedacht, daß das Schauspiel das kräftigste Mittel ist, wodurch die Grossen aus dem Wirbel ihrer zerreissenden Geschäfte herausgerissen, wodurch ihre Sorgen verscheucht werden können, die ihnen euretwegen Vergnügen und Ruhe verschwemmen; das beste Mittel zur Beschäftigung müssiger, niedlicher, flattrichter Puppenseelchen, mark[556]loser, seidener Strümpfe; hättet ihr die menschliche Seele gekannt, die durch Beyspiele und anschauliche Schilderungen unendlich leichter erhizt, und in Wirksamkeit, der Absicht des Lebens, gesezt werden kann, als durch kalte Räsonnements, der aus der tief in sich selbst zurückgezogenen Seele herausgearbeiteten Spekulazion: – hättet ihr dieses alles gewust und bedacht, ihr würdet gewiß die Besuchung der Schauspiele nimmermehr in das ohnehin schon lange Sündenregister eingerückt haben. Doch ich habe mir nicht vorgenommen über den moralischen Werth des Theaters zu schreiben. Marm o nte ls Apologie des Theaters1, und Su l zer s philosophische Betrachtungen über die Nüzlichkeit der dramatischen Dichtkunst sind bekannt genug2. Ich muste aber diese Anmerkungen über den Nuzen der Schaubühne vorandrängen, weil ich einen Gegenstand untersuchen will, den die Apologeten des Theaters mit gutem Erfolg zur Erhärtung ihrer Behauptung gebrauchen, und den man eben deswegen in der Aesthetik zu einem Grundsaz für die dramatische Dichtkunst gemacht hat. Man schrieb nämlich dem theatralischen Dichter die Regel vor, die Tugend in allen seinen Stücken in ihrem grösten Glanze darzustellen, um sie dem 1
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Zuschauer um so viel liebenswürdiger, und um die Schaubühne zur vollkommensten Sittenschule zu machen. Man glaubte, der Dichter würde diese Absicht um so viel leichter erreichen, wenn er vollkommen tugendhafte Karaktere und verhältnißmässig glückliche Erfolge und Aufschlüsse seiner Geschichte dazu auswählte; wenn er dem Parterre Ideale von Tugend vorhielte, um die edle Betriebsamkeit, die ernstlose Begeisterung der gefühlvollen Zuschauer, deren Herz der Wahrheit und der Tugend schon lang ahnend entgegen schlug, immer mehr anzuflammen; wenn er die menschliche Tugend zu einer englischen hinaufidealisirte, und das menschliche Laster zur teufelischen Bosheit herabkarrikaturirte, um jener liebenswürdigen Schönen noch mehr [557] Reize, und dem Bild dieses Scheusals noch mehr abscheuliche Züge einzuverleiben, damit jenes um so viel mächtiger Liebhaber fest anziehen, dieses aber alles, was menschlichen Odem hat, fern von sich zurückschrecken möge. – Eine sehr wohlthätige Absicht! Schade, daß man, um sie zu erreichen, ein unpsychologisches Mittel vorgeschlagen hat. Hier sind einige Betrachtungen sowol über die eigentliche Absicht des Drama, als über das angezeigte Mittel. Wenn man nicht allen Beobachtungen über die Urtheile, ― die man aus dem Mund und den Schriften einsichtsvoller Männer über die Güte und Nichtgüte, über die Vortrefflichkeit und Mängel einzelner Theaterstücke, und der Werke der schönen Künste und des Geschmacks überhaupt, kennet, – geradezu widersprechen will: so kann man die moralische Bildung des Menschen unmöglich zu ihrem Hauptzweck machen. Ich habe noch nie einen bewährten Kunstkenner ein dramatisches Stück deswegen vortrefflicher, oder ein anderes deswegen schlechter nennen gehöret, weil jenes moralischer war, als dieses. Der Kritiker der Werke schöner Geister ist Kritiker, und nicht Moralist. Die Grundsäze der Aesthetik sind nicht Vorschriften der Sittenlehre. Gedichte werden deswegen nimmermehr vortrefflich heissen, weil eine jede Zeile mit einer wässerigen Sittenregel, oder mit einem kraftlosen Gebeth, oder mit einem erbaulichen Spruch aus einem heiligen Buch ausgestopft ist. Die allermoralischten Stücke können freylich auch die besten seyn; aber sie sind nicht nothwendig allemal die besten. Das müsten sie aber allemal seyn, wenn man ihre Güte nach der Menge oder nach der philosophischen Richtigkeit ihrer moralischen Vorschriften schäzen, oder nach einer auf die reinste Moral hinweisende Aufschürzung der ganzen Geschichte beurtheilen müste. Man schäzt sie aber nach Regeln der Schönheit, die nicht nur von den moralischen Maximen ausserordentlich verschieden sind, sondern auch auf Gründen in der menschlichen Natur beruhen, die nichts mit den erstern gemein haben. [558] Zwar hat die wahre Kritik in den neuern Zeiten einige verunstaltete Auswüchse erhalten, da eine Menge von Kritikastern die Werke des Geschmacks nicht nach den ächten Regeln des Geschmacks beurtheilen, sondern sie hauptsächlich von der Seite der Reinheit ihrer Sittenvorschriften ansehen, anfassen, Lob und Tadel über sie ausschütten, gewöhnlich ausschelten und ausschimpfen. Das heist aber Gemälde, die man von vorne betrachten sollte, umkehren, auf den Kopf stellen, und nun sagen, ob sie einem gefallen, oder nicht, und wenn’s angeht, ob man sie konfiziren und ins Verzeichniß verbothener Stücke sezen soll, oder nicht? Sie sollten Dich ja ergözen; Dir Annehmlichkeiten zuströmen; die Nerven Deines Schönheitsgefühls anschlagen. Warum verlangst Du denn, daß sie dich erbauen, in der Sittlichkeit unterrichten, und Dein moralisches Gefühl rühren sollen? Dazu siehe Dich um biblische Spruchbüchleins um, 2
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um Systeme, Kompendien, moralische Wochenschriften, Predigten, Postillen, Gebethe im A rnd t, oder in der Zend-Avesta, die Z or oaster nicht gemacht hat. Warum willst Du etwas da finden, wo’s niemand hingelegt hat, von dem Dir niemand verspricht, daß Du’s da finden werdest? Lies also W ie la nds oder Gö th e’s, oder die Werke andrer Dichtergenies nicht, wenn Du morgen Deine Missethaten ohne Zurückhalt ins Ohr beichten, und zu dem Ende heute die Kinder Deiner Gottlosigkeit alle um Dich herum versammlen willst. Diese vortrefflichen Werke sind dem Geschmack, nicht bußfertigen Sündern gewidmet; sie zerstreuen und heitern auf; und Du willst gerade Busse thun, und für lauter Reue zerfliessen. Was Wunder, daß Du Dir, durch Deine eigne Schuld, an diesen Pyramiden den Kopf zerstössest, ehe Du schmelzen kannst? Urtheile nun selbst, wie ungerecht Deine giftige Lästerungen sind, die Du auf Männer ausschäumest, die die ehrwürdigsten Aufklärer Deines Zeitalters, und die Ehre Deiner Nazion bey den Ausländern sind! – Ich wünschte: Kunstrichter schimpften nicht auf G öt he, und Theologen nicht auf die Berliner! [559] Wenn diese allgemeine Bemerkungen auf die dramatische Dichtkunst vornehmlich anwendbar sind: so ist es offenbar, daß der Hauptzweck der Schauspiele nicht Moral ist. Hier entscheidet das Urtheil und der Geschmack aller Zeitalter, in welchen dramatische Stücke gelesen und aufgeführt worden sind, mehr, als die unnüzen Forderungen der Räsonneurs, die in Tag hineinurtheilen, ohne die Beschaffenheit der dramatischen Poesie von den besten Stücken abgezogen zu haben. Das vortreffliche Gebäude der Sittenlehre mit allen seinen Grundpfeilern kann auf keinem Theater aufgebauet werden. Die einzelnen Theile dieses Pallastes, die reizenden Aussenseiten, und alle Gemächer, in denen einen jede Art von Tugend mit jeder Art von Glückseligkeit vermählt wohnet, können unsern Augen lebhaft dargestellt werden. Eben so können die buhlerischen Laster, und ihr ganzes höllisches Gefolg in ihrer ganzen Blösse vor die Augen der Zuschauer zur beschimpfenden Schau auf die Schaubühne hervorgezogen werden. Aber nur eine einzige, immer sehr wichtige Art von Gründen und Aufmunterungen zur Tugend; nur eine einzige Klasse von Schrecknissen der Laster und ihrer Hölle, – steht dem dramatischen Dichter zu seinem Gebrauche frey. Sein ganzer Triebstachel zum ruhelosen Fortstreben nach Rechtschaffenheit, zum geschlachteten Dulden, zum unabänderlichen Anhalten an der Tugend unter allen peinlichen Foltern unaufhörlicher Leiden, zum triebkräftigen Zurückstreben vom anlockenden, hellglänzenden Laster, zur unbefleckten Liebe der unverlarvten, unbemerkten Tugend, – ist die Anschaulichmachung jenes seelerhebenden Grundsazes, der, wie der Thau der Morgenröthe, die oft dürren Zweige des Baums des Guten belebt: Tu ge nd mac ht se i ne V e re hre r g lüc k l ich, d a s La ste r s e i ne R o t te u ng lüc k l ic h. – Aber wie oft wird nicht die leidende Tugend von der Last tausendfacher Unglücksfälle niedergeprest; wie oft sind ihre Tage, die lieblich, wie ein Frühlingstag und heiter, wie ein Sonnenlicht dahinfliessen sollten, in die Finsterniß der Mitternacht eingehüllet? Wie häufig wird dagegen der Schnellkraft des glücklichern Lasters die le[560]bendige Wirksamkeit durch allerley glückliche Umstände erleichtert? O die Unschuld, – auf die die Leiden, wie Waldwasser hervorbrechen, und die, so lang sie noch immer menschliche Unschuld ist, nur selten bey dem beruhigenden Bewustseyn Gutes gethan zu haben, und unschuldig zu seyn, auf dem unwegsamen stachlichten Pfad pfeilgerade nach dem Tugendtempel fortwandeln wird, – sieht den Felsen, der hinter dem Vorhang dieses Lebens steht, und an dessen Fuß die furchtbaren Fluten zerschäumen, und ihre ganze Wut sich legen wird, auch im prächtigsten Schautempel des grösten Königs nicht. Und für den triumphi-
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renden Bösewicht ist die Täuschung zu groß, und eben deswegen ganz unwirksam, wenn auf dem Theater einer von seinen schwelgerischen Brüdern auferstünde, und die Ermahnung, Busse zu thun, an sein versteinertes Herz legte. Hier liegt abermal ein Hauptgrund, um welches Willen die moralische Besserung des Menschen unmöglich als Hauptzweck der dramatischen Dichtkunst angesehen werden kann. Denn gerade die ersten Gründe der Sittlichkeit und der Religion lassen sich nicht in theatralische Handlungen bringen. Der merkwürdigste Grundsaz der Moral, ohne welchen man gerade in den verschlungensten Fällen nicht fertig werden kann, der Saz, – daß sich unser Leben nicht in diesem Irdischen wirbelt, sondern, daß gerade beym Herabsinken der Nacht des Todes, Lichtsaame der Unsterblichkeit auf die zerfallende Seele fliest, – diese Grundfeste der Ruhe ist nicht theatralisch. Eine solche Wahrheit erreicht nur das Klimmen der ruhigforschenden Vernunft, und sie würde vom Munde des Komödianten ausgesprochen, und in Handlung eingekleidet, an Würde und Wichtigkeit unendlich verlieren. Wenn aber die Schaubühne die Beförderung der moralischen Gesinnungen nicht zur Hauptabsicht hat: so ist diese doch unstreitig einer von ihren vornehmsten Nebenzwecken. Man glaube nicht, daß es hier auf weiter nichts, als auf blosse Wörter ankomme. Wäre die Schaubühne weiter nichts, als eine Sittenschule, und müste das Praktische ihre Haupt[561]absicht sey: so würde der Kritiker alle dramatische Stücke verwerfen müssen, die bloß unterhalten und vergnügen. So aber können dergleichen Stücke, die bloß die lezten Eigenschaften haben, allerdings vortrefflich, und vortrefflicher seyn, als die Schauspiele, die einen gewissen moralischen Karakter, eine gewisse Tugend anempfehlen, und gegen ein gewisses Laster Abscheu in die Seele leiten. Dagegen müssen unter diesen Umständen alle theatralische Gedichte vor dem Richterstuhl der Kritik verdammt werden, die den Nebenzweck, die moralische Besserung des Menschen, nicht nur nicht befördern, sondern die gerade seinem Gegentheil, der moralischen Verschlimmerung aufhelfen, und der Lasterhaftigkeit Vorschub thun. Da möcht’ ich aber nicht auf dem Richterstuhl sizen, nicht dieses Endurtheil über ein Produkt des Genies fällen. Ich müste die Lage des Dichters, sein Publikum, für welches das Stück eigentlich bestimmt war, und tausend Umstände wissen, die sein Verbrechen in einem hohen Grad herabstimmen könnten. Wichtig kann und muß also das Drama für die moralische Bildung, als für einen Nebenzweck, immer werden. Durch seine Zauberkraft werden die menschlichen Seelenkräftte auf die leichteste Art entwickelt und verfeinert, und die Nerven ihrer Wirksamkeit zur tugendhaften Thätigkeit gereizt. Geist und Herz wird in Bewegung gesezt. Sinnen und Einbildungskraft werden gerührt, und alle Arten von Gefühlen des bürgerlichen Menschen werden angeschlagen. Wer in schönen Dramen nicht alle Arten von Schönheit, oder wer keine einzige empfindet; wer in moralischen Schauspielen die Moral nicht fühlt, der bethe um Schönheits- und um moralisches Gefühl. Merkwürdig ist in dieser Rücksicht die Bemerkung philosophischer Aesthetiker, daß das Idealschöne in allen schönen Künsten am schwersten zu erweisen, und die grösten Meister glücklich sind, wenn sie ihm nur nahe kommen. Für den Dichter hingegen sind gerade die vollkommen tugendhaften Karaktere mit den wenigsten Schwierigkeiten verbunden. Ri c har d[562]so n ist mit seinem vollkommenen Grandison gewiß leichter fertig geworden, als mit seiner Clementina, und vielleicht auch mit der Clarissa leichter, als mit dem Lovelace. Hieraus
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folgt, daß die Dichtkunst als schöne Kunst betrachtet, eine ganz andre Idealschönheit habe, als die sittliche Vollkommenheit der Karaktere3. Der Dichter also, der die Erreichung und Zusammendrängung der höchsten Schönheiten zur Absicht hat, entfernt sich von der höchsten Dichterschönheit in eben dem Maas, in welchem er vollkommen tugendhafte Karaktere bearbeitet. Der Grund davon liegt ohne Zweifel in der eigenthümlichen Beschaffenheit der Tugend, und in der Natur der menschlichen Seele. Tugend, man mag sie in Situazionen ansehen, in welchen man will, ist Einheit, Uebereinstimmung, Ruhe, Stille, Gleichförmigkeit. Lauter Eigenschaften, die keinen Dichter, am wenigsten den dramatischen, lange beschäftigen können. Der dramatische Dichter kann einen vollkommen tugendhaften Karakter als Hauptkarakter seiner Geschichte gar nicht gebrauchen, wenn er sein Stück nicht durch allerhand unzeitige Episoden zur Grösse eines Dramas auszerren will. Denn vollkommene Tugend müste auf dem Theater zu ruhig seyn, vielleicht würde sie gar einschlafen. Der Dichter hingegen braucht Karaktere, die ihm Gelegenheit zu sehr vielen Handlungen geben. Vollkommene Tugend hat auf dem Theater nur sehr wenige Reize, das heist, sie ist selbst für empfindsame Seelen nicht interessant genug. Interessanter ist die Schilderung thätiger, lebhafter, merkwürdiger Auftritte des menschlichen Lebens, die unsre eigne Thätigkeit anfachen, unsre eigne Leidenschaften erregen, und alles, was an uns bewegt werden kann, in Bewegung sezen. Interessanter ist die nach dem Leben abgegossene Darstellung menschlicher Gedanken, menschlicher Gemüthsneigungen, und ihrer vortheilhaften, oder nachtheiligen Wirkungen. Was kann die Aufmerksamkeit des Zuschauers besser an sich ziehen; was seine Neugierde und Er[563]wartungen, wenn sie auch tief schliefen, besser aufwecken, als die Zurückführung grosser, oder auch unwichtiger, aber bekannter Menschen aus allen Ständen, auf den Schauplaz, von dem sie schon seit Jahrtausenden abgetreten sind; als die Bestellung der Zuschauer zu Zeugen der merkwürdigsten Thaten ungewöhnlicher Menschen, mit deren Glückswechseln das Glück und das Unglück vieler tausend Menschen verknüpft war. Allein, nicht bloß das Wesen der vollkommenen Tugend selbst, die zu viel Einheit, zu viel Stille, zu wenig dramatische Thätigkeit in sich fast, schliest sie von der Zahl theatralischer Karaktere aus; sondern auch die Natur der zuschauenden und zuhörenden menschlichen Seele. Denn, wenn die Tugend idealisirt, und über ihre gewöhnliche menschliche Grösse hinausgetrieben wird, (und das geschieht bey einer jeden Einkörperung der vollkommenen, englischen Tugend): so wird wegen ihrer Nichterreichbarkeit in der Seele des Zuschauers ein bloß kaltes Staunen, und eine gleichgültige Veränderung erzeugt. Diese Empfindungen vergnügen nicht und bessern nicht. Sie vergnügen nicht in den Augenblicken, da man sie hat; und, weil sie aufgehöret haben, sind sie auch ohne allen bessernden Nuzen, vielleicht gar mit einigem Nachtheil für die Gesundheit vergesellschaftet, weil sie die Nerven ausserordentlich anspannen. Eben deswegen wählten die Griechen zu den Hautpersonen ihrer Dramen ganz natürliche Personen; denn sie nahmen ihre Süjets aus der Geschichte. Und alle Komiker und Tragiker haben es in ihren Arbeiten durch ihr lehrreiches Beyspiel bewiesen, daß die vollkommene Tugend, – die, wenn sie in leiblicher menschlicher Gestalt unter uns wandeln sollte, die liebenswürdigste Schöne seyn würde, – von den erdichteten Personen eines dramatischen Stücks umringt, sehr viele Reize verlieren würde. Ich weis, sagt ein Mitarbeiter an den Litteraturbriefen, 3
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(Th. IV. S. 291.) kein einziges dramatisches Stück von den Alten, in welchem vollkommen tugendhafte Personen vorkommen sollten. Nicht einmal Oedip und Alceste sind auszunehmen, so sehr man auch beyde für morali[564]sche Idealschönheiten zu halten pflegt. Oedip hat zwar nicht solche Fehler, daß man sein Unglück eine verdiente Strafe nennen könnte. Er zeigt aber doch seine menschliche Schwachheit allzusehr, und ist von der vollkommenen Tugend eines S o kr ates und C at o weit entfernt. Es ist eine Vermischung von Tugenden und Schwachheiten, die einen individuellen Karakter ausmacht. Der Karakter der Alceste ist mehr übermässige Zärtlichkeit, als Tugend, und die Haupthandlung derselben, die Aufopferung für ihren Gemahl ist vielleicht, nach den strengsten Regeln der Vernunft, eine zu weitgetriebene Zärtlichkeit und Schwachheit. Aber zu welchen vortrefflichen Situazionen hat diese Schwachheit Gelegenheit gegeben? Mir scheint’s überhaupt, daß die Frage: – ob der Dichter idealisiren, ob er alle Schönheiten, die in der ganzen Natur, oder in ganzen Geschlechtern und Arten von Gegenständen zerstreuet sind, auf einen kleinen Fleck sammlen, und in ein einziges Individuum zusammendrängen, und ob er sie auf höhere Grade hinauftreiben dürfe, als sie in der ganzen Natur vorhanden sind? – nur unter vielen Einschränkungen beantwortlich zu seyn. Minder schöne Gegenstände gewinnen ohnehin allemal an Schönheit, wenn man sie mit schönen Gegenständen zusammenstellt; sie idealisiren sich selbst. Vorsezliche idealische Gemälde verewigen am Ende den Werth der so schönen Natur. Eben so können unerreichbare Ideale von sittlichen Vollkommenheiten und Schönheiten die Liebe zur Tugend schwächen. Der dramatische Dichter kann sie daher in allem Betracht nicht gebrauchen. Et prodesse volunt, et delectare Poëtae.
Ueber die Shanscrita.
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Die Europäer, die ihre Beobachtungen über die bürgerliche und kirchliche Verfassung der heutigen Hindus, über ihre Gesetze, Gebräuche, Sitten, Lebensart, kurz, über den ganzen Zustand ihrer Cultur bekannt gemacht haben, stimmen, (wenn man etwa die Nachricht vom durchgängigen Glauben dieses Volks an die Metempsychose ausnimmt, der seiner Allgemeinheit wegen in allen Zeitaltern eine charakteristische Nationalangelegenheit gewesen zu seyn scheint,) in keiner einzigen andern Angabe so genau zusammen, als darinnen, daß die heiligen Schriften der Hindus in einer alten, ausgestorbenen Sprache, Shanscrit, Shanscrita, Samscret, Samscrut, Samscrit genannt, verfaßt worden sind1. Birmah, so lautet die Tradition der Braminen, [270] dies erste unter den drei vornehmsten Wesen, machte einem Engel vom ersten Rang, Namens Bramah, der zur Verkündigung des göttlichen Willens und seiner Gesetze für die östlichen Theile der Erde auserwählt wurde, die Bedingungen bekannt, unter welche[n] die gefallenen Engel und Menschen wieder zu Gnaden aufgenommen werden könnten. Bramah stieg hierauf vom Himmel herab, nahm Menschengestalt an, wurde Regent vom Hindostan und übersetzte jenes ihm durch den Mund des Birmah in der Engelsprache mitgetheilte Gesetzbuch in die Shanscritsprache, die damals die allgemeine Landessprache in Indien war2. [271] So weit besteht die Sache in aller Zeugen Mund; Allein sie gehn schon in der Bestimmung der Ausgebreitheit oder Beschränktheit der Bekanntschaft der heutigen indischen Gelehrten mit dieser Sprache, und der Bereitwilligkeit oder Hartnäckigkeit dieser Schriftgelehrten zur Mittheilung ihrer Sprachkentnisse ganz von einander ab. Nach einigen ist sie nur das Eigenthum der gelehrten Braminen und der Pundits oder der Rechtsgelehrten, die sich dieses ausschliessenden Besitzes wegen, der tiefsten Hochachtung und der reichlichsten Einkünfte zu erfreuen haben3. Im Hindostanischen Athen, auf der Universität zu Benares, ist das Studium der Shanscrita der erste wissenschaftliche Zweig, mit dem sich die Studirenden genau bekannt machen müssen. Viele und zwar die besten Jahre des auflebenden Genies schwinden über dieser Beschäftigung hin, die den Durst nach reellem Wissen nicht nur nicht stillt, sondern auch jeden Keim der wünschenswerthern Wisbegierde, eh er noch aufbrechen kann, erstickt. Z ie ge n ba lg meldet, daß in Indien überhaupt wenigstens sechs volle Jahre nöthig sind, um die Sprache, bei allem angewandten Fleis [272] und bey der erforderlichen Uebung und Anstrengung, schreiben zu lernen4. 1
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Dies sind die richtigen Benennungen dieser Sprache. Sie allein haben Sinn und Bedeutung; weil sie sich [270] auf die Regelmäßigkeit der Grammatik beziehn. Samscret nemlich bedeutet so viel als synthetisch, »res suo ordine bene completa ac numeris omnibus absoluta.« Im Grandonischen zeigt demnach Samscrudam die Sprache der Gelehrten an. Die Inder selbst nennen sie Grantham, welches ursprünglich der Name für jedes Buch überhaupt war. Dennoch heissen alle alten Bücher so, wenn sie auch nicht in der Shanscrita verfaßt sind. Falsch sind daher Benennungen Hanscret, Hanskritishe, die Kircher und Müller angenommen haben. – Man sehe den Brief des P. Pons an Du Halde in den Lettres edifiantes et curieuses. Recueil XXVI. S. 222–227. Alphabetum Grandonico-Malabaricum sive Samscrudonicum, vom Carmelitermönch Clemens Peanius, Rom 1772. S. 5, u. f. Holwell’s Interesting historical Events, II. 11. 12. Halhed’s Code of Gentoo Laws. Preface p. XXII. Continuation III. des Berichts. S. 127.
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Diesen Schriftstellern zu Folge lassen sich die Besitzer dieser Kenntnisse, durch kein Bitten, durch keine Versprechungen, durch keine obrigkeitliche Auktorität, zur Mittheilung dieser Sprache bewegen. Christen und Muhamedander haben den Braminen ihren Wunsch, in diese Geheimnisse eingeweihet zu werden, unter den annehmlichsten Bedingungen, zu wiederholtenmalen eröfnet. Immer vergebens. Die dringendesten Motive waren ohne Zwangskraft; die reizendesten Verheissungen ohne Reiz, und man blieb beim rührendesten Flehn taub. Der Generalgouverneur der Englischen Besitzungen in Ostindien, W arre n H asti n g s, der die Sammlung der Gesetze der Gentus veranstaltete, fand unter den Pundits die zur Verfertigung ihres Gesetzbuchs, oder besser zur Kompilation der zur Regel dienenden juristischen Gutachten, und ältern und neuern gerichtlichen Decisionen, aus ganz Bengalen nach Calcutta versammlet wurden, keinen einzigen, der das in diesem besondern Fall vorzüglich einträgliche Amt eines geheimen Shanscritsprachlehrers übernommen hätte. Eben [273] so fruchtlos waren die Versuche des Grosmogol Mu h amed A kb ar, der alle bekannten Religionen zu kennen und ihre Geschichte zu untersuchen wünschte, der auch im christlichen Religionssystem Unterricht nahm, seinem Mutterglauben, der muhamedanischen Religion, unbeschadet. Dieser aufgeklärte Fürst war nicht so glücklich, in der Religion seiner eignen Unterthanen, der Hindus, die gewünschte Belehrung erhalten zu können. Denn dies Volk macht keine Proselyten, und es nimmt auch keine freiwilligen Ueberläufer an. In vielen Fällen haben Verschlossenheit und List geholfen, wenn erklärte Wünsche und aufgedeckte Offenherzigkeit nicht mehr helfen wollten. Zu jenen nahm A kba r seine Zuflucht. Die Geschichtschreiber haben uns dies Faktum, welches im Orient überhaupt viel Aufsehn gemacht haben muß, eben wegen der Seltenheit ähnlicher Ereignisse, sorgfältig aufgezeichnet. Fe i zi, der Bruder des damaligen Staatssekretairs am Mogolischen Hof, wurde nach Benares geschickt. Man gab vor, der Knabe sey ein armer verlassener Waise aus der Braminencaste. Er wurde sogleich von einem gutherzigen gelehrten Braminen aufgenommen, der ihn wie seinen eignen Sohn erzog, ihm die Shanscrita und alle ge[274]lehrten Schätze seiner Nation und seines Stammes eröfnete, und ihm die Geheimnisse der Bedas offenbarte. Zehn Jahre hatte der junge Fe i zi den Unterricht seines Wolthäters genossen, als A kb ar ihn zurück berief. Sein Lehrer fand unterdessen, daß sein Zögling seine Tochter liebte; Er wünschte daher ihre Verbindung. Aber Hochachtung und Dankbarkeit regten sich beim edlen Jüngling zu fühlbar, als daß er dem guten Alten seine Geburt und Bestimmung länger verheelen konnte. Der Bramin grif bey dieser unerwarteten und schrecklichen Nachricht nach dem Dolch, um diese Schmach keinen Augenblick zu überleben. Fe i zi hielt ihn vom Selbstmord zurück; Er versprach, durch eine pünktliche Erfüllung aller seiner Forderungen, wenn sie auch noch so drückend wären, sein gethanes Unrecht gut zu machen. Nur unter zwey Bedingungen antwortete der Bramin, kann ich länger leben; Nur unter zwey Bedingungen ist eine Aussöhnung zwischen mir und dir möglich. Du mußt mir angeloben, weder die Bedas zu übersetzen, noch die Religion der Inder auf irgend eine Art bekannt zu machen5. [275] D o w läßt die Sache unentschieden, ob F e i zi, bei A k ba r’s Zudringlichkeiten, die Lehren der Bedas so geheim gehalten, als sein eidliches Versprechen von ihm erzwang. Das sey hingegen unläugbar, daß weder er noch irgend ein Andrer je diese Bücher übersetzt habe. Die5
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ser Erzehlung widerspricht An que ti l ausdrücklich. Er behauptet, Fe i zi habe die Bedams oder Bedas wirklich ins Persische übersetzt; nachdem er sich drey Jahre zu Benares mit der Erlernung des Samscretanischen beschäftigt habe6. Dies zugegeben, so scheint doch so viel gewiß zu seyn, daß eine solche persische Uebersetzung in Asien nicht nur nicht gemein, sondern daß sie ganz unbekannt seyn müsse. Denn im ersten Fall hätte sie An que ti l auf seinen planlosen Streifereien nothwendig irgendwo aufgetrieben; so wie sich auch erwarten läßt, daß ihm auch hierinnen seine gefälligen Destours in Surate aus der Noth würden geholfen haben, wie sie’s mit den Zoroasterschen Schriften mit so vieler Bereitwilligkeit thaten. A n quet i l hat die drey berühmtesten Samscretanischen Wörterbücher nach Europa gebracht. So wichtig [276] diese Bereicherung der europäischen Handschriftensammlungen beym ersten Anblick scheinen dürfte: so wenig dürfte sie doch das Fortrücken unsrer Kenntnisse, die wissenschaftliche Kultur der Asiaten betreffend, befördern. Nach langen Hinbrüten über Zoroaster und Magie will sich dieser Erzmagier nunmehr an den Bächen Braminischer Weisheit laben, über welchen er künftig eben so hinzuschweben gedenkt, wie ehemals der Geist Gottes über der Tiefe. Er wird nächtens einen in persischer Sprache verfaßten Auszug aus den vier Bedas ins Französische übertragen und bekannt machen. Der Titel dieses Werks ist sehr physiognomisch: Oupnekat d. h. Parole qu’il ne faut pas dire7. Aber, wenn die drey Samscretanischen Wörterbücher zu gebrauchen wären, warum übersetzt Herr A nquet i l nicht die Bedas selbst, die schon C a lmet auf die Königl. Bibliothek zu Paris schenkte?8 Er versichert uns vorläufig seine parole, qu’il ne faut pas dire, enthalte in LI Abschnitten das kom[277]plete System der Indischen Religion, dessen Resultat die Einheit Gottes sey. Dies einzige Datum sagt uns schon, daß wir ein Werk zu erwarten haben, welches wenigstens eben so vortreflich seyn dürfte, als sein Ze nd -A ve st a, Zo roa ster s le be nd ige s W ort . Viele Europäer und alle Braminen möchten der Shanscrita den Anstrich und Credit eines geheimnißvollen Repositoriums der Hindostanischen Theologie und Philosophie verschaffen. Jeder Bramin verpflichtet sich, durch die härtesten Selbstverfluchungen und Eidschwüre, zur Geheimhaltung der Religionsschriften, die keiner andern Sekte und keiner andern Caste der Nation zur Lektüre ausgeliefert werden dürfen. Derjenige Bramin, der irgend einem Profanen diese Bücher vorgelesen zu haben überführt wird, wird mit einer Strafe belegt, die weit schrecklicher ist, als der Tod selbst; Er und seine ganze Nachkommenschaft wird aus der vornehmsten und geschätztesten Klasse der Nation in die verachteste und unglücklichste Caste verstossen. Wenn einer aus der niedrigsten Caste der Nation, ein Sooder, die Beids des Schasters zu lesen wagt: so soll ihm die Obrigkeit siedendes bitteres Oel in den Mund giessen lassen. Hat ein Sooder der Vorlesung der h. Bücher zugehorcht: so soll ihm [278] das heisse bittre Oel in die Ohren gegossen, Wachs und Zinn unter einander geschmelzt und in die Ohren gestopft werden9.
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Zend-Avesta. Tome I. Part I. Discours préliminaire. pag. CCCXXXVIII. Anquetil’s Legislation Orientale. p. 244. Dieses Calmetsche Geschenk soll nur drey Beids enthalten, nemlich die Rick, Chama und Zozourbeids. – P o n s sagt, die vier Bedams seyen auch arabisch in der Königl. Pariser Bibliothek vorhanden. Lettres edifiantes. Rec. XXVI. p. 233. Wozu also Neupersische Auszüge? Die Gesetze und Strafbestimmungen für dies Verbrechen sind im Code of Gentoo Laws hie und da zerstreut. Man vergleiche unter andern Chapt. XXI §. 7.
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Hier entsteht nun die Frage, ob wol hinter diesem Vorhang wirklich Bücher des Lebens aufgeschlagen liegen, und ob er wirklich wichtige Wahrheiten für dem Auge des gemeinen Mannes verbirgt, welches überall keine helle Erleuchtung vertragen kann? Ich ahnde Charlatanerie und Pfaffenbetrug und den in Mysterien verhüllten Luftgeist, der im Alterthum in Delph auf dem Dreifuß, und in Rom durch die Sybille orakelte. Den Vorhang haben die Bramen gewebt; Er ist ihr Händewerk. Hier sind ein Paar Gründe. Er st l ic h: In keinem Zeitalter, bey keiner Nation war der Athemhauch der Hierarchie so giftig und tödtend, als in Hindostan; und die Geschichte kennt kein ähnliches Beispiel, da der Geist irgend einer Nation in so beschwerliche theokratische Fessel geschlagen worden, als er es nun seit vielen Jahrhunderten in Hindostan ist. Das ganze Gesezbuch der Gentus ist ein Codex der ab[279]scheulichsten und unmenschlichsten Pfaffentyrannei, die uns mit unwiderstehlichem Abscheu gegen diese Gesezgeber erfüllt, deren Stand von jeher, die Menschheit am ersten und am meisten ausgezogen hat, wie man ein Kleid auszieht. Uns bleibt es in der That ein grösseres Geheimniß, als irgend eines in den Bedas seyn kann, wie die geschundenen unteren Casten der Nation, besonders die Suders, noch immer fortdauern können; da eine so grausame Gesezgebung, die einen Theil ihrer Unterthanen, als den unwürdigsten Kehrigt der Menschheit behandelt, nothwendig die physische Vollsaamigkeit dieser Menschen tilgen, die Bevölkerung hemmen, und die Lust zur Auswanderung anregen müßte. Eine genugthuende Erklärung dieses so drückenden bürgerlichen Unterschieds der mehrern Indischen Casten dürfte sich unter andern auch deswegen nur schwer geben lassen, weil dies sonderbare Phänomen einzig ist. Meiner Meinung nach kann diese Schwierigkeit nur mittelst einer einzigen Voraussetzung gehoben werden. Mir ist es nehmlich wahrscheinlich, daß diese Einrichtung von einem fremden hereinbrechenden siegreichen Volk (ich vermuthe von den Baramas,) eingeführt, und vielleicht mit Hülfe der in den Bedas verzeichneten Religion befestigt worden ist, die in jedem Zeit[280]alter eine Haupttriebfeder in der Staatsmaschine war. Allemal bleibt dies Castenwerk ein Beweis von der Nervenlosigkeit der Hindostanischen Menschheit, die ihre Würde nicht fühlt, zu keiner Grosthat begeistert wird, sich unter dem Fuß des Tyrannen krümmt und – schweigt. Schon der Neger ist aus dieser Rücksicht mehr Mensch. Wenn er keine Faustkraft mehr hat, mischt er doch Gift. Z we ite n s: Der Samscrut und der Braminisch-Hindostanische Charakter, oder das Bekà Boll, welches auf der Universität zu Kasì oder Benares öffentlich gelehrt wird, ist, was das wesentliche der Buchstaben, den Werth und die Ordnung derselben betrift, völlig ein und eben derselbe Charakter. Beide sind höchstens in der Form und in der Art, die Vokalen mit den Konsonanten zu verbinden, ohngefähr so von einander verschieden, wie das europäische Fraktur vom Kurrent10. Eben dies gilt auch von der Sprache. Das gemeine Hindostanische, das Cuncanische, Guzuratische, Balabandische, Canarische und Samscretanische oder Granthamsche sind [281] so nahe mit einander verwandt, daß man sie nur für eine Sprache halten muß. Aus einem Wortverzeichnis, welches mir H. Prof. Bütt ne r mitzutheilen die Güte gehabt, läßt sich ihre Gleichförmigkeit auch vom ungeübtesten Auge leicht übersehn. Da das ist: so wär’s ja höchst albern, wenn die Braminen das Interpretiren ihrer heiligen Bücher ihr Eigenthum nennen wollten; weil ja die verwandte Hindostanische Schrift und Sprache in Indien öffentlich ge-
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lehrt wird. Ich vermuthe daher, daß das Geheimhalten, wodurch sich die Braminen auf dem nördlichen Theil der Halbinsel besonders auszeichnen, nichts anders, als ein marktschreierisches Verheelen ihrer Unkunde solcher Shanscritausdrücke und Redensarten seyn könne, die sie nicht mehr verstehn, weil sie obsolet, oder weil es veralterte Kunstwörter sind. Ohnehin haben einige behaupten wollen, daß die grossen Bedas verlohren gegangen, daß jezt nur noch verstümmelte, verfälschte und unverständliche Fragmente von denselben vorhanden sind, und daß sie zum Theil wegen ihrer natürlichen Dunkelheit, zum Theil wegen der Modulation, womit sie recitirt werden müssen, schwer oder gar nicht zu verstehen seyen. Daher giebt es nur sehr wenige der gelehrtesten Pundits, die nach einem vieljährigen müh[282]samen Studium dieser Sprache etwas weniges aus den Originalen zu verstehn vorgeben11. Wenn man diese beiden Bemerkungen miteinander verbindet: so hat man die sehr wahrscheinliche Folge, daß der mysteriöse Schleier, den die Braminen über ihre h. Sprache und Schriften ziehn, eigentlich die Decke eigner Ignoranz ist, und daß sie die Larve des Geheimnisses vorhalten, weil sie nichts Reelles besitzen. Aus diesem Umstand, daß die Sprache der alten Richi oder der Busfertigen in den Bedams, auch den geschicktesten Gelehrten unbekannt ist, weil sie von den grammatikalischen Regelwerken und von den Wörterbüchern sehr oft hülflos verlassen werden, läßt sich auch die Entstehung des Widerspruchs der europäischen Reisenden begreifen, die die Braminen bald als bereitwillige, dienstfertige Menschen, bald als eigensinnige, hartnäckige Mysterienkrämer schildern. Ihre Bereitwilligkeit dürfte, so viel ich wenigstens einsehen kann, kaum über die Belehrung im gemeinen Hindostanischen oder Bramanischen hinausgehn, welches viele Schriftsteller mit der Shanscrita verwechselt haben12. [283] Nach einigen nemlich ist es gar nicht schwer, die Freundschaft der gelehrten Braminen und viele zuverlässige Nachrichten von denselben zu erhalten. Denn sie sind mit den Grundsätzen ihrer Religion und Moral nicht so geheim, wie die Drusen, Nasseirier und Jesidier, die unter dem Druck der Türken leben, und sich Muhamedaner nennen müssen13. Ber n ier zehlt viele Religionslehren der Hindus auf. Die Shanscrita, sagt er, verstehe er selbst nicht; er sey aber doch im Stande, vieles aus den in dieser Sprache ausgefertigten Büchern bekannt zu machen. Denn sein Agah, der Da ne sc hme nd-K a n, einer der größten muhamedanischen Gelehrten und Staatsmänner in Hindostan, habe einen der berühmtesten Pundits zu sich genommen, der ihnen die Fabeln seiner Religion von Zeit zu Zeit vortrug14. D o w sowol als Ha l hed fanden am Ende jeder einen gefälligen Lehrer, der sie mit ihrer alten Litteratur bekannt machte, und ihnen ihr Religionssystem entwickelte. Allein kein Europäer, der des Glücks, in dieser Sprache Unterricht zu erhalten, theilhaftig wurde, hat [284] sie sich in irgend einem erträglichen Grad von Vollkommenheit eigen machen können. Keiner konnte es so weit bringen, irgend ein in der Shanscrita verfaßtes Geschichts10 11 12 13 14
Thesaurus Epistol. La Crozianus. p. 381. – Th. S. Bayer in Commentariis Academiae Scient. Imperial. Petropolitanae. Tom. III. p. 389. Tom. IV. p. 289. Halhed’s Preface zum Code of G. L. p. XXX. Dies merkt auch P e a n i u s an, im Alphab. Grandonico-Malab. p. 5. N i e b u h r’s Reisebeschreibung nach Arabien. II. 22. S. Bernier’s Lettre touchant les superstitions etc. des Indous. pag. 70., bey der Suite des Mémoires sur l’Empire du Grand Mogol. Tom. III. A Paris 1671. 12.
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buch über die alte Geschichte der Hindus in seine Muttersprache zu übertragen. D ow schiebt die Schuld auf ein unvorhergesehenes Ereigniß, wodurch die politischen Afairen in Bengalen, und mit diesen, sein eigner Zustand eine veränderte Lage erhielten. Ha l hed hingegen wurde kurz vor der Ausfertigung seiner Arbeit mit dem Braminen bekannt, der ihm diese Art von Kenntnissen beyzubringen bereit war. Alles also, was wir von der Philosophie und Religion der Braminen in Händen haben, ist aus dem Persischen, der ausgebildesten, gelehrtesten und allgemeinsten Sprache in Asien, übersetzt, oder aus persischen Schriftstellern herausgenommen. Diese Angaben müssen um so viel unzuverlässiger seyn, da die Muhamedanischen Gelehrten zur Erlernung dieser Sprache und zur Bekanntschaft mit der alten Litteratur der Hindus eben so wenig Gelegenheit haben, als die Europäer. Jene sind auch durch ihr Vorurtheil, daß die Hindus gar keine Annalen haben, in welchen ihre authentische Geschichte ins Alterthum zurückgeführt werde, zu einer solchen Be[285]kantmachung historischer Nachrichten von diesem Volk ganz unfähig. Den Blick auf Menschheit hat kein Schalksauge; am wenigsten auf ein Volk, welches bey den mancherley Revolutionen, die es durchgegangen, bey den mancherley übermächtigen Unterjochungen von andern Völkern, die andre Sprachen reden, andre Begriffe, Sitten und Vorurtheile haben, an andre Götter glauben, andre Religionsbücher und Priester besitzen, so wenig von seiner alten Verfassung eingebüßt hat, als die Bewohner Hindostans und die Bekenner der Braminischen Religion, bey denen es das Ansehn hat, als wenn die Castenbande mit jeder frischen Anspannung stärker würden. Aber, wenn nun dies Vorurtheil der Muhamedaner noch dazu grundlos wäre? Be rn ie r sah zu Benares einen grossen Saal, der mit alten in der Shanscrita geschriebenen Büchern angefüllt war. Es waren theils philosophische, theils medicinische in Versen verfaßte Werke, theils Poesien, theils eine Menge andrer Schriften, die in andre Wissenschaften einschlugen15. Wahr ist’s, der Geschmack am Wunderbaren, den alle Morgenländer mit einander gemein haben, und der grossen[286]theils von der Beschaffenheit der dichterischen an philosophischen Ausdrücken preßhaft armen orientalischen Sprachen erzeugt wird, verträgt sich mit der Kunst der Geschichte nicht, deren erstes Gesetz Treue im Darstellen fordert. Allein diese Unfähigkeit ist nur in sofern das Antheil der Hindus, in sofern es ein auszeichnender Charakter aller Asiaten ist. P o ns zweifelt gar nicht, daß in den Bibliotheken der Fürsten fortlaufende Schriften und Monumente über die Geschichte ihrer Vorfahren anzutreffen seyn dürften; und zwar besonders im eigentlichen Hindostan, wo die Fürsten mächtiger, und zugleich die Rajeputres der Casten sind. Vorzüglich sollen die Bücher Natak viel alte Geschichte ohne alle Beimischung von Fabeln enthalten. In den indischen Gedichten liegen viele köstliche Reste des Alterthums. Die Mogolen waren immer grosse Liebhaber der Geschichte. Zu Delhi erscheint monathlich wenigstens ein Stück von der Reichszeitung, die am Hofe des Grosmogols selbst geschrieben wird16. Alle Reisebeschreiber vereinigen sich im Lobpreisen der Vortreflichkeit des Baues der einzelnen Wörter sowol, als der Syntaxe der Shanscrita. Sie ist unge[287]mein wortreich und dabey nervös. Die Schreibart der besten Schriftsteller ist ausnehmend gedrungen. Ihres Reichthums ungeachtet übertrift sie in der Regelmässigkeit der Etymologie sogar das Griechische und das Arabische. Sie besitzt, wie diese Sprachen, eine ungeheure Menge von Derivativen, die von 15
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einer und eben derselben Wurzel abgeleitet werden. Diese Derivations- und Inflexionsregeln sind so gleichförmig, daß das Etymon eines jeden Worts sehr leicht aufgefunden werden kann. Annomalien gieb’s in dieser Sprache wenig, und doch sind die grammatikalischen Regeln sehr zahlreich und schwer17. Denn die Nomina haben z. B. sieben Deklinationen, die alle im Singularis, Dualis und Pluralis gebraucht, und sowol nach der Verschiedenheit ihres Genus, als auch nach Maasgabe ihrer Endigung auf Konsonanten, oder auf lange oder kurze Vokalen, verschiedentlich formirt werden. Niemand kann einen [288] Nominativ eines Nomen formiren, ohne wenigstens vier Regeln anwenden zu müssen, die nach der eben angezeigten Verschiedenheit der Nennwörter wiederum verschieden sind. Hiezu kömmt noch, daß ein jedes Wort der Sprache in einer jeden von diesen sieben Deklinationen gebraucht werden kann. Da sich dies auch mit den übrigen Redetheilen so verhält: so ist es kein Wunder, daß sich die Schwierigkeiten so sehr häufen. Die Shanscritsprachlehren heissen Beeakerun. Sie sind in grosser Menge vorhanden. Einige aber sind so dunkel, daß sie selbst den Braminen unverständlich und unbrauchbar sind. Andre hingegen sind wiederum für die Erlernung der Sprache zu weitläufig. Der erste der ein grammatikalisches Werk schrieb, war A n ou b ho ut. Er betitelte es Sarasvat, und es soll ein der Indischen Sprachgöttin Sarasvadi würdiges Werk seyn, welches seiner Kürze und hohen Alters wegen, in allen Schulen von Hindostan gebraucht wird. Mit Hülfe dieses Buchs verfertigte Pania ein ungeheures Regelwerk über die Shanscrita. Auf Befehl des Königs J amo ur wurde es vom Kramadisvar abgekürzt, und P o ns hat diese abgekürzte Sprachlehre nach Europa geschickt. Es ist diesem Missionar unbegreiflich, wie sich der menschliche Verstand [289] zu einer solchen Vollkommenheit erheben konnte, die in diesen Sprachlehren hervorleuchtet. Mittelst der Analyse haben die Grammatiker diese reichste Sprache auf eine kleine Anzahl von primitiven Elementen gebracht, die man als das Caput mortuum des ganzen Sprachschatzes betrachten kann. Jeder Schüler kann, wenn er genau nach den Regeln seiner Grammatik operiert, aus jeder Wurzel viele tausend ächte samscretanische Wörter bilden. Analyse und Synthese soll nirgends glücklicher angewandt worden seyn, als in der Grammatik dieser reichen, energischen, harmonischen Sprache. Diese übertriebenen Lobsprüche waren wahrscheinlich der Grund, warum einige Schriftsteller einen Gedanken über die Entstehung der Shanscrita wagten, der die ganze Geschichte des menschlichen Geistes und der menschlichen Erfindungen gegen sich hat. D o w glaubt im Genie des Ganzen und in den einzelnen Bestandtheilen dieser Sprache die deutlichsten Spuren wahrzunehmen, daß ihre Erfindung und Ausbildung ohnmöglich, wie die Bildung der übrigen Sprachen, von zufälligen Ursachen habe abhangen können. Man sehe es dieser Sprache auf den ersten Blick an, daß sie von einem Corps gelehrter Männer, die die Regelmäs[290]sigkeit, die Harmonie, die bewunderungswürdige Simplicität, die Energie des Ausdrucks und die ganze Philosophie der Sprache gründlich studirt hatten, gebildet und auf die vernünftigsten Principien 16 17
Pons, am angef. Ort. S. 229. 230. H a l h e d, S. XXII. – D o w sagt gerade das Gegentheil; Dissert. p. XXX. »A very small grammar and vocabulary serve to illustrate the principles of the whole.« Er findet dagegen die meiste Schwierigkeit in der Aussprache. Habe man einmal die richtige Aussprache: so werde das Ohr, durch den eigenthümlichen Nachdruck und durch die grosse Harmonie dieser Sprache, auf die angenehmste Weise gerührt.
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gegründet worden sey. Er sieht daher die Sache für problematisch an, ob die Shanscrita in irgend einem Zeitalter die gemeine Hindusprache gewesen; und es kömmt ihm beinahe wahrscheinlich vor, daß sie von den Braminen absichtlich erfunden worden, um damit für einem jeden die Schätze ihrer Weisheit zu verschliessen, den der Zufall der Geburt in eine Lage hinschleuderte, in welcher er zur Kenntniß derselben keinen Beruf vom Himmel erhielt. Bramenpolitik wäre demnach memphitische Priesterpolitik, deren Ungrund War bur ton gezeigt hat. Haben doch weder die Dairis in Japan, noch die Lamas in Tibet, noch die Päbste in Rom solche Thaten gethan. Do w hätte insbesondere folgende Punkte beherzigen müssen: daß gerade die unausgebildetesten und rohesten Sprachen die regelmässigsten und natürlichsten sind: daß noch nie eine Sprache in förmlichen Sessionen gelehrter Männer, oder von Akademien und Societäten der Wissenschaften erfunden worden: daß die gelehrten und einsichtsvollen Männer, die so tief in die philosophische [291] Grammatik eindrangen, daß sie, eine in einem so hohen Grad vollkommene Sprache zu bilden, Weisheit und Kenntniß genug hatten, daß, sag’ ich, dergleichen Männer schlechterdings auch die Fruchtlosigkeit und Unnützlichkeit eines solchen Mittels hätten einsehn, und folglich an eine solche Erfindung gar nicht hätten denken müssen: daß dergleichen scharfsinnige und aufgeklärte Sprachakademisten einer solchen Charlatanerie, wodurch alle künftige Kultur in den Staub getreten, und alle Wege zur Ausbildung versperrt werden, überall nicht fähig seyn können: daß es keine todte Sprache giebt, die nie gelebt hätte: daß, der allgemeinen Tradition zu Folge, die Shanscritsprache zur Zeit der Bekanntmachung des göttlichen Willens durch den Brahma, eine lebendige und bekannte Sprache in Hindostan war: daß endlich die verschiedenen Dialekte der heutigen Hindostanischen Völker ganz gewiß aus der Shanscrita abstammen sollen, die sich zu jenen ohngefähr wie das Angelsächsische zum heutigen Englischen oder wie das reine Latein zum Italiänischen verhalten mag18. [292] K i rche r ist der erste, der das ihm vom P. Rot h mitgetheilte samscretanische Syllabarium in Europa bekannt machte. Aber so wol die Ordnung, als auch die Bedeutung ist in einigen Stellen unrichtig angegeben. Nach ihm gab C ha rdin das erste Alphabet dieser Sprache in seiner richtigen Ordnung, ohne daß er, (wie man aus seinem Stillschweigen abnehmen kann,) selbst gewußt zu haben scheint, was dies für Charaktere waren; und zuletzt lieferte T h. S. B ayer das vollständige und ächte Syllabarium, wobey er nicht Handschriften, sondern den Druckcharakter zum Grund legte. [293] Zu diesen Bemerkungen haben mich meine Untersuchungen über die Religionsgeschichte der Hindostaner veranlaßt. Ich habe sie diesem Werke um so viel lieber einverleiben wollen, da sie die Bibelsprache einer Nation betreffen, die aus so vielen Gründen von den Europäern allgemeiner gekannt zu seyn verdiente. 18
Ueber diesen letzten Punkt verdient Herrn H a l h e d’s Vorrede zu seiner Grammar of the Bengal Language. [292] Hoogly in Bengal 1778. 4. nachgesehn zu werden. Vergl. Zugabe zu den Götting. Gel. Anzeigen. Stück 44. 1780. S. 689. u. f. H a l h e d merkt S. III. ausdrücklich an, daß die Shanscrita die Mutter der meisten morgenländischen Dialekte sey, und daß sie sich im höchsten Alterthum wahrscheinlich über den größten Theil des Orients verbreitet habe, wenn sie gleich jezt nur noch in den Religionsschriften der Braminen vorhanden ist. Von jenem Satz hat mich der Verf. gar nicht überzeugt. Ich möchte gerade den umgekehrten Satz behaupten, daß nemlich die Shanscritwörter, denen ähnliche Ausdrücke im Persischen, Arabischen, Lateinischen und Griechischen entsprechen, aus den leztern Sprachen in die Shanscrita, nicht aber aus der Shanscrita in diese genannten Sprachen gekommen sind. Auf diese Spuren ihrer Verwandtschaft leitet uns die Geschichte.
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Wenn man irgend eine Art von Geheimnissen für die Folge von der Eingeschränktheit der menschlichen Erkenntniß anzusehen hat: so scheint es, daß man dieses im eigentlichsten Verstand bey den historischen thun müsse. Man braucht, um sich hievon zu überzeugen, nur über die mögliche Entstehungsart der historischen Geheimnisse nachzudenken. In der Geschichte können vornemlich auf eine zweyfache Weise Geheimnisse vorkommen, die der Geschichtforscher eben so wenig, als der Theolog die biblischen, und der Naturforscher die physischen zu erklären im Stand ist. Ein Umstand kann nemlich selbst den Geschichtschreibern, die uns von demselben Nachricht ertheilen, Geheimniß seyn, weil sie zu keiner genauern Kenntniß davon gelangen konnten. Sie wußten nichts weiter, als die Resultate. Diese erzählten sie, ohne sie pragmatisch erzählen zu können, weil sie die Veranstaltungen, Veranlassungen, und die Ausführungen, die insgesammt geheimnißvoll vorgiengen, nicht wissen konnten. In diesem Fall [866] sind die gleichzeitigen Geschichtschreiber in Rücksicht auf die mehrsten Entwürfe, die in den Cabineten gemacht werden. Zwar haben sie gewöhnlich die Schwachheit, daß sie dem ohngeachtet Erklärungen und Muthmaßungen wagen, von denen man aber nach einigen Jahren, da die Sachen durch unvermuthete Vorfälle mehr Licht bekommen, sieht, daß es Hirngespinste waren. Daher kommt es, daß man in der Auflösung historischer Geheimnisse, solchen Schriftstellern, die nach mehrern Jahrhunderten dieselben berühren, mehrentheils ungleich mehr Glauben beymessen kann, als den gleichzeitigen, indem nach vielen Jahren die Absichten schon völlig konnten erhalten seyn, warum man Etwas geheimnißvoll zurückhielt. Zum Beyspiel, wie H i p po l it u s a L a p id e sein bekanntes Buch schrieb, mußte der wahre Verfasser desselben nothwendig in die dickste Finsterniß eingehüllt seyn, die kein menschliches Auge durchdringen konnte. Nach Ablauf weniger Jahre konnte man frey den unsterblichen Mann nennen, der solche vernünf[867]tige Begriffe von der Staatsverfassung des Deutschen Reichs in seinem Werkchen geäußert hatte. Auf eine zwote Weise kann der Nachwelt in der Geschichte etwas ein Geheimniß werden, wenn zwar die Geschichtschreiber vollständige Nachrichten von einer gewissen Begebenheit hinterließen, die aber alle verloren gegangen, und auf welche nur hier und da ein späterer Schriftsteller anspielt. So sind gewiß unzählig viele wichtige Anstalten in der Welt gemacht worden, die auch aufgezeichnet wurden. Sie sind aber aus der Geschichte gänzlich verschwunden, so, daß wir Nichts mehr von ihnen, und auch oft nicht einmal wissen, daß sie da gewesen. Je ne gründen sich auf die Eingeschränktheit der Kenntnisse der Geschichtschreiber, und d iese auf den Mangel von Nachrichten, aus denen man eine gehörige Einsicht in dieselbe erhalten könnte: Beyde auf menschliche Kurzsichtigkeit. Die meisten von diesen Anmerkungen lassen sich auf die E leu s in i sch en Ge he im n iss e anwenden, von denen ich gegenwärtig eine kurze Nachricht mitzutheilen habe. Einem jeden, der an der Lektüre der Alten auch nur ein mittelmäßiges Vergnügen findet, muß diese Nachricht um so viel angenehmer seyn, da sie Eines der wichtigsten Institute unter den Griechen betrifft, das die Alten häufig nur mit Einem Wort berühren. Und sollte nicht die Entwickelung
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eines Geheimnisses, in welches sich alle große Philosophen und [868] Volksführer haben einweihen lassen, die ganze Aufmerksamkeit eines jeden Lesers auf sich ziehen? Die Eleusinischen Geheimnisse sind für heute, und waren zu den Zeiten, da man sich in dieselbe einweihen ließ, für alle barbarische Nationen, die der Einweihung in ein solches Heiligthum nicht würdig waren, weiter nichts, als bloße historische Geheimnisse. Ja, es ist gewiß, daß wir ihre ganze Beschaffenheit und Einrichtung in unsern späten Jahrhunderten weit besser kennen können, als alle Alte sie kennen konnten, die nicht zu denselben gelassen wurden. Denn den obigen Anmerkungen zufolge können Fakta, und ihre Ursachen, Veranlassungen, und Beschaffenheiten vor den Augen gleichzeitiger Geschichtschreiber so sehr verborgen bleiben, daß sie höchstens wissen, daß sie sich ereignet. Aber eben diese Fakta können von spätern Geschichtschreibern ungleich pragmatischer, umständlicher und richtiger erzählt, und durch sie alle Dunkelheiten völlig gehoben werden, in welche die Begebenheiten zur Zeit, da sie sich zutrugen, eingehüllt waren. Die Geschichte kennt kein Beyspiel, das dieses Raisonnement mehr erläutern sollte, als die Eleusinischen Geheimnisse. In allen jenen Jahrhunderten, in welchen diese Feste gefeyert wurden, durfte kein Mensch bey Strafe des fürchterlichsten Todes bey diesen Feyerlichkeiten erscheinen, der nicht schon unter allerhand Cerimonien in dieselben eingeweihet war; und keiner, [869] der eingeweihet war, durfte das Geringste von Allem, was er an diesen Festtagen gesehen und gehört hatte, bey eben derselben unvermeidlichen Todesstrafe bekannt machen. Alle große Geschichtschreiber und Philosophen des Alterthums, durften es daher nicht wagen, das Geringste von diesen Geheimnissen der Nachwelt zu überliefern; so frey sie es auch sagen durften, daß sie der Gnade der Einweihung theilhaftig gemacht worden seyn. Man sieht leicht ein, daß in den spätern Zeiten, da die Eleusinischen Geheimnisse ihr großes Ansehen allmählig verloren, und die Bannstrahlen Griechenland nicht mehr so häufig durchkreuzten, die diejenigen zu Boden warfen, die aus der Eleusinischen Schule den Lehrinhalt und die Methode austrugen, eher Nachrichten von diesem Institut aufgezeichnet werden konnten. Die alten Weisen Griechenlands würden gewiß die Bekanntmachung des Inhalts der Eleusinischen Geheimnisse auf alle mögliche Weise verhindert haben, wenn diese Bekanntmachung auch nicht ein solches Capitalverbrechen gewesen wäre; weil sie ihre Religion, ihr Göttersystem, und alle Religionsgebräuche der Griechen für das ansahen, was sie wirklich waren, für politische Institute, und heilsame Vorurtheile, die man nicht angreifen dürfte, ohne zugleich die ganze Ruhe des Staats zu stören. Die Weltweisen ließen den Aberglauben thronen, weil er ein nothwendiges Uebel, und sein Sturz der Umsturz [870] der öffentlichen Glückseligkeit war. Sie sahen ein, daß der Aberglauben dem Flor der griechischen Staaten wenig oder gar nicht nachtheilig war, da der Unglaube schlechterdings ganz Griechenland zerrütten mußte. Aus eben dieser schonenden Nachsicht ließen sich alle einsichtsvolle Patrioten in die Geheimnisse einweihen, und sogar zu Priestern derselben bestellen. Unter solchen Umständen darf man in den gelehrten Ueberbleibseln des frühen Alterthums keine Nachrichten von den Eleusinischen Geheimnissen suchen. Nur die spätern Schriftsteller durften von diesen Mysterien in ihren Geschichten die Fragmente von Nachrichten, auf die Nachwelt bringen, die sie noch hier und da zerstreut vorfanden. Man ist freylich immer in Gefahr von diesen spätern Historikern hintergangen zu werden; und gerade bey denen ist man am
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meisten in Gefahr, die eine zu sehr zusammenhängende Beschreibung von einem vor mehrern Jahrhunderten eingegangenen Institut liefern. In der ganzen griechischen Dogmatik ist kein einziger Artikel, den die spätern griechischen und römischen Historiker, Kritiker, und Interpreten auf eine so verschiedene Art erklären, als der Artikel: Vo n d e n G e he im n is s e n d e r G ot t he it C e r e s z u E le u s is. Größtentheils waren ihre Erklärungen bloße Conjekturen; und hätte ein späterer Grieche, der die sichern Schlüssel zum Geheimniß der Gottheit zu Eleusis hatte, eine Ketzerhistorie [871] über diesen einzigen Artikel schreiben wollen: so würden die mehrsten, die darüber Erklärungen gewagt, in dieses Register haben kommen müssen. P l utarc h, der zu dieser Arbeit Talente genug besaß, hat uns eine Nachricht von diesen Mysterien aufgezeichnet, die, so kurz sie auch ist, doch, nebst dem, was C ic ero von ihnen sagt, die meiste Wahrscheinlichkeit hat. Denn die neuern Compilatoren, die aus den Alten geschöpft, sind eben so uneinig, so bald sie die Absicht und den Inhalt der Eleusinischen Geheimnisse bestimmen wollen. Nur wenige von den Neuern haben den Unterschied bemerkt, durch dessen Bemerkung man nur allein allen Schwierigkeiten abhelfen kann, die einem augenblicklich bey der Lectüre der Alten aufstoßen. Dieser Unterschied betrifft die Eintheilung der Eleusinischen Geheimnisse in die k le ine n, und in die gro ße n. Es ist nicht zu läugnen, daß viele von den Alten diesen Hauptumstand nicht ausdrücklich anmerken. Allein aus den Beschreibungen, die sie geben, kann man deutlich genug abnehmen, daß es zweyerley Geheimnisse, zwo ganz verschiedene Arten von Feyerlichkeiten seyn mußten. Die Dinge, die dabey sollen vorgegangen seyn, sind gar zu ungleichartig, als daß sie vor den Augen und Ohren derselben Zuschauer und Zuhörer sollten erschienen, und geprediget worden seyn. So erzählt Cicero, daß die [872] Eleusinischen Mysterien eine Schule des Lebens und des Todes gewesen, in welcher die Kunst zu leben und zu sterben gelehrt worden sey; daß alle Griechen männlichen und weiblichen Geschlechts, Jünglinge, Mädchen und Kinder in dieselben hätte eingeweihet werden müssen, und daß man es stets für ein fürchterliches Verbrechen gehalten habe, wenn ein rechtgläubiger Grieche die Initiation versäumt1. Ganz widersprechend ist die Beschreibung, die er in einer andern Stelle von diesen Mysterien giebt, wenn man nicht den Unterschied unter den kleinen und großen Eleusinischen Geheimnissen vor Augen hat, den er selbst nicht ausdrücklich anzeigt2. Hier sagt er: daß nur wenige auserwählte Personen eingeweihet worden seyn, die man von der innern Beschaffenheit der griechischen Religion unterrichtet, die man gelehrt habe, daß die Götter, die das Volk und die ganze Nation der Griechen anbeten müsse, zuerst bloße Menschen gewesen; und daß die griechische Religion weiter nichts, als ein bloßes politisches Institut sey, das aber, so wie auch die menschenähnlichen Götter, geschont zu werden verdienen, indem die gemeinschaftliche Glückseligkeit und die öffentliche Ruhe unzertrennlich mit ihnen vergesellschaftet sey. Ich will bald zeigen, wie sich diese beyden entgegengesetzten Nachrichten desselbigen Schriftstellers mit einander vereinigen lassen, wenn ich nur vorher [873] einige andere hieher gehörige Nachrichten werde mitgetheilt haben. 1 2
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Die Eleusinischen Geheimnisse wurden in einem kleinen Städtchen im Atheniensischen Gebiete, E le us i s, zum Theil alle Jahre, zum Theil alle fünf Jahre gefeyert. Diese Feyerlichkeiten waren die vornehmsten von allen Feyerlichkeiten in der ganzen griechischen Religion. Eben ihrer außerordentlichen Heiligkeit wegen, wurden sie oft schlechthin ohne allen Beysatz die M yste r ien genannt. Die Zeit ihrer Entstehung ist ungewiß. Nach dem Arundelianischen Marmor sollen sie ohngefähr vierzehn Jahrhunderte vor Christi Geburt eingeführt worden seyn. Ueber ihren Stifter sind die Geschichtschreiber nicht weniger uneinig. Einige schreiben die Ehre der Stiftung derselben dem König E rec ht heu s zu, der sie von den Ufern des Nils herübergeholt haben soll, wo ähnliche Geheimnisse bey dem Dienst des Osi r is und der Is i s gefeyert wurden. Nach andern soll M us äus diesen Artikel zur griechischen Religion hinzugefügt haben. Noch andere schreiben dem Eum ol pu s, einem alten griechischen Dichter, und wiederum andere dem Or p heu s dieses Verdienst zu, der noch vor dem Durchgang der Israeliten durch den arabischen Meerbusen, (folglich vor 2453) diese Anstalten aus Aegypten nach Griechenland ge[874]bracht, und eine Menge von gottesdienstlichen Gebräuche mit dem den alten Griechen so ehrwürdigen Schleyer der Eleusinischen Geheimnisse verdeckt haben soll. Der Urheber mag seyn, wer er wolle: so ist so viel gewiß, daß diese Stiftung in das hohe Alterthum hinauf steigt, ob man gleich nicht sagen kann, daß sie im höchsten Alterthum eingeführt worden. Wenigstens läßt sich mit vieler Wahrscheinlichkeit behaupten, daß sie nicht älter sind als Homer (um 2984). Dieser Dichter hätte sehr oft Gelegenheit gehabt, den Stifter und den Namen der Eleusinischen Geheimnisse zu nennen. Er flechtet in seine Odyssee die ganze Geschichte der Vorzeit von Griechenland ein. Ulyß steigt (Odyß.) bloß deswegen in den Orkus, damit er Gelegenheit habe, alles Merkwürdige, was sich in den ältesten Zeiten in Griechenland zugetragen, erzählen zu können. Er findet die Schatten aller großen Personen, die in ausführlichen Unterredungen ihn mit ihrem Schicksal, und zu gleicher Zeit mit den merkwürdigsten Begebenheiten ihres Zeitalters bekannt machen. Was für unbekannte Dinge, was für Personen nennt ihm nicht seine Mutter, die sie mit ihren Augen gesehen? Aber die Eleusinischen Geheimnisse berührt Homer nicht in einziges mal3. Man [875] kann also mit Gewißheit schließen, daß sie zu seiner Zeit entweder noch gar nicht da waren, oder daß sie die wichtige Anstalt bey weitem nicht waren, die sie in den spätern Zeiten wurden. Wollte man auch den Or pheu s als den Stifter dieser Feyertage ansehen: so würde man zwar so viel gewinnen, daß man das Zeitalter des Orpheus für die Zeit ihrer Stiftung anzusehen hätte. Allein das Zeitalter des Orpheus ist eben so ungewiß. Die so ihn in die Gesellschaft der Argonauten versetzen, (Jahr der Welt 2721.) und ihn Musik, Mysterien, Religion, Dichtkunst, Künste, u. s. w. unter die Griechen einführen lassen, bedenken nicht, daß ein Sterblicher sie dergleichen Künste zuerst hätte lehren können. Eine Nation, die eine solche Expedition vornahm, konnte nicht mehr ganz roh und barbarisch seyn, wenn anders die Geschichte der Menschheit allgemein richtige Bemerkungen abgezogen hat. Hiezu kömmt: Homer, der alle Helden nennt, die bey dieser Expedition waren, hätte gewiß auch den Orpheus genannt, wenn er ein Begleiter des Argonautenzugs gewesen wäre. – Das Resultat aus diesen beyden Betrach3
Der Ausdruck τελεται, womit die Eleusinischen Geheimnisse bezeichnet werden, wird von Homer mehr als einmal gebraucht. Allein die geschicktesten Interpreten haben bewiesen, daß dieses Wort bey ihm nicht die Mysterien; sondern Opfer anzeige, die den Göttern den Vorschriften gemäß gebracht wurden.
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tungen ist, daß wir nicht mehr im Stande sind, weder das Zeitalter der Stiftung der Eleusinischen Geheimnisse, noch der Orpheuschen Wunderthaten zu bestimmen. [876] Wenn man die Absicht und das Wesen dieser Mysterien untersucht: so kann man annehmen, daß die mehrsten Gebräuche schon bey ihrer ersten Stiftung bestimmt, und die Uebertretung der verordneten Gesetze gleich Anfangs zu einem Capitalverbrechen gemacht worden sey. So wohl initiirte Personen, als auch diejenige, die zu diesen Heiligthümern nicht gelassen wurden, konnten sich die unausbleibliche Strafe des Todes augenblicklich zuziehen. Wenn sie unvorsichtiger Weise das Geringste von den heiligen Gebräuchen bekannt machten, die bey den Mysterien gewöhnlich waren. Solche Personen wurden als Schänder der Gottheit angesehen, über deren Haupt sich die göttlichen Gerichte zu einer fürchterlichen Strafe zusammenziehen; die eine Pest der bürgerlichen Gesellschaft seyen, und daher sogleich aus dem Volk ausgerottet werden mußten. Man hielt diese Unheiligen für infam, und diejenigen, die das Unglück hatten, mit ihnen unter einem Dach zu wohnen, flohen sogleich von ihnen, um sich vor ihrem pestilenzialischen Athem zu sichern. Keine Vergebung hatten diese Unglückliche zu hoffen. Sie mußten des Todes sterben. Daher kostete es den Dichter Aesc hy lu s viel, der Todesstrafe zu entgehen, nachdem er im Verdacht war die Eleusinischen Geheimnisse auf das Theater zu Athen in undeutlichen Anspielungen gebracht zu haben. D i ago ra s, der ausgelassenste Religionsspötter, hatte sich auch [877] über diesen Religionsgebrauch lustig gemacht. Er wurde darüber vertrieben, oder, nach andern, umgebracht. Einige gleiche Strafe hatte derjenige auszustehen, der sich bey der Feyer der Geheimnisse einfand, ohne vorher in dieselben eingeweihet zu seyn. Auch hier fand gar keine Entschuldigung Statt. Man sah nicht darauf, ob es nicht etwa eine Ungewissenheitssünde sey; ob einer nicht ganz von Ohngefähr, oder in der besten Absicht dabey zugegen war. Er wurde für einen Kirchenräuber gehalten, der die Heiligthümer habe entwenden wollen; und das gewisse Urtheil über ihn war: der To d. Nach ihrer ersten Einrichtung sollten nur Griechen von allerley Altern und Geschlechtern in diese Geheimnisse eingeweihet werden; alle Fremden hingegen wurden dieser Seligkeiten unwürdig geachtet. Man hielt die Initiation für ein Gnadenmittel, durch welches der Mensch mit der Gottheit genauer vereinigt werden. Nun schließe sich, glaubte man, das Auge der Götter nicht mehr, sondern es wache stets über die Geweihten. In diesem Leben stehen sie unter ihrem gnädigen und steten Einfluß, und in jener Welt warten die ungemischten und reinsten Freuden auf sie, deren alle diejenigen nicht einmal fähig sind, die nicht schon hier durch die Initiation in den Stand der Gnaden getreten. Daher durften auch nicht ein[878]mal alle Griechen zur Einweihung hinzutreten. Bösewichter, deren Gottlosigkeiten ruchtbar waren, wurde nicht zu Gliedern der Kirche aufgenommen, wenn sie gleich Bürger im Staat waren. So wenig verdächtigen Griechen die Gnade der Einweihung zu gut kam: so wenig durften sich Barbaren, wenn sie auch noch so rechtschaffen waren, diesen Mysterien nähern. Indessen man ließ von dieser Ungerechtigkeit gegen Fremde bald nach, und in der Folge konnten auch wichtige Personen aus andern Nationen zum Genuß dieses Glücks gelangen. Die Veranlassung zu dieser Nachgiebigkeit der Griechen wird von verschiednen Schriftstellern nicht auf dieselbige Weise erzählt. Nach einer der bekanntesten Sagen soll man einzig aus Erkenntlichkeit gegen den Herkules den Ausländern diese Himmelsthür geöffnet haben. Herkules reisete einstens gerade zur Zeit dieser Feyerlichkeiten durch das Attische Gebiet. Er bekam große Lust sich mit
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ihnen näher bekannt zu machen. Als ein Fremder konnte er nach den Gesetzen unmöglich zugelassen werden; aber eben so wenig konnte man ihm diese Bitte abschlagen, da er durch so manche Dienste sich schon für die Republik aufgeopfert hatte. Eumolpus machte daher eine Ausnahme, und ertheilte bey dieser Gelegenheit den Fremden das Privilegium ihrer Tüchtigkeit zur Initiation4. [879] Und auf solche Weise wurde nun der Eleusinische Tempel, der Tempel aller Völker des Erdbodens5. Dieses war die Veranlassung zu der bis auf diese Zeit unbekannten und ungewöhnlichen Eintheilung der Mysterien in die großen und die kleinen Eleusinischen Geheimnisse. Die let zte rn wurden alle Jahre neun Tage hinter einander gefeyert. In ganz Griechenland wurde kein einziges Religionsinstitut von einem so feyerlichen und kostbaren Gepränge begleitet, als die Einweihung in diese Geheimnisse. Alle Candidaten mußten sich erst eine lange Zeit durch Fasten und Enthaltsamkeit kasteyen. Sie zogen Feyerkleider an, und wuschen ihre Hände. Sie opferten dem Gott der Götter, und traten mit Blumenkränzen gekrönt vor den Altar. Die heiligen Personen, die in die kleinen und großen Eleusinischen Geheimnisse einweiheten, waren nicht von gleichem Rang: alle aber waren sie mit außerordentlichen Vorzügen versehen. Die erste Classe heiliger [880] Personen, die die Initiation verrichteten, waren die Hierophanten, eine Art von Priestern, die diesen geheiligten Gebräuchen vorstunden. Der Hierophant mußte sich gänzlich dem Dienst der Gottheit widmen, das Gelübde der Keuschheit thun, und sich ein ganz einsames Leben gefallen lassen. Nur die einzige Familie des Eumolpus konnte taugliche Subjecte zu dieser Würde hergeben. Es wurde ein gewisses Alter, eine besondere Bildung und andere Umstände mehr erfordert, unter welchen man Hierophant werden konnte. Bey der Feyer der Geheimnisse trat er in einer ganz ausgezeichneten Kleidung hervor, die sein heiliges Angesicht noch mehr glänzen, und seine ganze Person ehrwürdiger machte. Die Stimme, mit der er an diesen Tagen der Initiation einige wenige Worte aussprach, war wie die Stimme eines Gottes, und mit der tiefsten Ehrfurcht antwortete ihm die ganze Gemeine in einer Formel, die in den heiligen Büchern bey den übrigen Ceremonien aufgeschrieben war. [881] Von den Hierophanten waren die Herolde (κηρυκες), eine zwote Classe heiliger Personen, unterschieden. Diese hatten zu ihrem Geschäffte, alle unheilige, uneingeweihte Personen von der Theilnehmung an der Feyer der Eleusinischen Geheimnisse abzuhalten. Sie geboten durch bestimmte Machtsprüche einem jeden von diesen sich zu entfernen. »Diesen Oertern nahe sich kein Unheiliger, und nur die Eingeweiheten müssen die erhabenden Wahrheiten hören! O du Sohn der glänzenden Selene, Musäus, leihe meinen Accenten ein aufmerksames Ohr! – Keine eitle Vorurtheile, noch die Begierden deines Herzens müssen dich von dem glückseligen Leben abkehren! Oeffne deine Seele dem Licht, und betrachte, da du den geraden Weg fortwandelst, den König der Welt! [882] Er ist Einer; Er ist aus sich selbst hat geboren; Von
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Buchstäblich kann diese Zusammenstellung des Eumolp und des Herkules nicht [879] genommen werden, weil beyde mehrere Menschenalter von einander gelebt haben. Vielleicht soll also diese Nachricht bloß anzeigen, daß die Priester bey dem Institut des E u m o l p u s dem H e r k u l e s diese Dispensation gegeben, und sie hernach auf alle Fremde ausgedehnt. Cicero de Nat. Deorum. I. 42. Eleusina, sancta illa & augusta, ubi iniantur gentes orarum ultimæ.
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Ihm sind alle Wesen; Er ist in ihnen, und um sie; Er hält die Augen über alle Sterblichen geöffnet, und kein sterbliches Auge siehet ihn.«6 Die dritte Classe gottesdienstlicher Personen, die bey diesem Geschäffte zugegen seyn mußten, waren die Fackelträger. Diese waren um so viel unentbehrlicher, da die kleinen Eleusinischen Geheimnisse alle bey der Nacht gefeyert wurden. Um der Sache ein so wichtiges Ansehn zu geben, als nur möglich; so war sogar eine eigene Commission niedergesetzt, die mit äußerster Sorgfalt auf die Ordnung Acht geben, nach geendigten Feyerlichkeiten den ganzen Verlauf derselben untersuchen, und die Uebertreter der Eleusinischen Gesetze bestrafen mußte. [883] Die k le in en E leu s ini sc he n Gehei m n iss e bestanden in weiter nichts, als in dramatischen Vorstellungen des Zustandes der Seele nach dem Tode, durch welche sowohl die Glückseligkeit reiner und unbefleckter Seelen im Elysium, als auch die Quaalen unreiner abgeschiedener Geister im Tartarus abgebildet wurden. Hier lernte man in Bildern im Genusse eines ruhigen und sanften Vergnügens leben, und mit der Hoffnung eines noch seligern Schicksals sterben7. Hier empfand man die tausendfachen Schauder der Hölle, und die verwüstenden Schrecken des Abgrundes. Man hörte und sah nichts, als Vorstellungen aus der Unterwelt. Bald brach eine dicke Finsterniß in die Gewölber des Tempels ein, in welche die Initiirten zugelassen wurden. Bald rollten die fürchterlichsten Donner über ihren Häuptern weg. Bald schlugen Blitze in die Mitte der heiligen Gewölber ein, und das ganze Heiligthum bebte, und alles war furchtbar. Bald aber verwandelte sich diese schreckliche Scene in die angenehmste Wohnung des Friedens. Eine feyerliche Stille stellte sich ein. Es wurde helle, wie am Mittag. Die Schatten wichen dem einbrechenden Tage, und eine selige Zufriedenheit verbreitete sich über die erschrockenen Seelen der Zuschauer. [884] Wenn denn diese mit Wohllust gesättigt waren: so folgte wieder ein Auftritt, der den Tartarus vorstellte. Es erschienen erschreckliche Ungeheuer. Ihr Anblick schauderte, bis man diese monströse Gestalten mit Vergnügen des Elysiums abwechseln ließ. T hem is ti us hat uns ein vollständiges Gemählde hievon aufbehalten. Man sah, sagt er, den Menschen, in allegorischen Bildern, von seiner Wiege an, zuerst dem Jammer der Kindheit überlassen, dann durch die Hitze und das Ungestüm der Jugend fortgerissen, wie er, mitten unter den Schrecken, Besorgnissen und Unglücksfällen aller Art, zu den Pforten des Todes geht. Nach Zurücklegung dieses für den unwissenden Haufen so schrecklichen Weges, genoß der tugendhafte Mann einer unveränderlichen Glückseligkeit, in einem reinen Licht. Er irrte in Wiesen voll Blumen umher, wo er die erhabene Erzählung heiliger Sachen hörte, die mit leichten Tänzen und harmonischen Gesängen begleitet war. Dann sah der Weise, frey und Herr 6
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Diese Worte der Begeisterung führt C l e m e n s A l e x a n d r i n u s an. Man hat sehr viel Grund, die ganze Stelle, den Anfang ausgenommen, für eine Verdichtung des Kirchenvaters zu halten, da die Grundsätze der christlichen Religion gar zu deutlich in den Worten liegen. Aber die ersten Worte dieser Stelle scheinen wirklich Worte des Ausrufers gewesen zu seyn, da H o r a z schon (Ode III. 1.) dieselbigen Ausdrücke gebraucht. – Abgeschmackt ist es, wenn man den Herold bey den kleinen Eleusinischen Geheimnissen diese Predigt halten läßt. Cicero de Legibus II, 14. Cum multa eximia divinaque videntur Athenæ peperisse, atque in vita hominum attulisse: tum nihil melius illis mysteriis, quibus ex agresti immanique vita exculti ad humanitatem & mitigati sumus: Initiaque, ut appellantur, ita re vera principia vitæ cognovimus, neque solum cum lætitia vivendi rationem accepimus, sed etiam cum spe meliore moriendi.
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über sich selbst, mit Ruhm bekränzt, in der Gesellschaft der heiligen Seelen die Erde mit allen ihren Reichthümern unter seinen Füßen, als einen Ball von Koth und Finsterniß, in welche die Unheiligen, die den Tod fürchten, oder an einem bessern Leben nach dem ge[885]genwärtigen zweifeln, auf immer versenkt werden8. Dieses sind ohngefähr die merkwürdigsten Umstände, die sich bey der Feyer und der Einweihung in die kleinen Eleusinischen Geheimnisse fanden. Von ihnen waren die g roße n Eleusinischen Mysterien ihrer Absicht und dem Inhalt nach, ganz und gar unterschieden. Diese hatten einen ungleich mehr politischen und würdigern Zweck, als die kleinern. Sie wurden nur alle fünf Jahre einmal gefeyert, und nur einige wenige Personen wurden zu ihnen zugelassen, die die kleinen Geheimnisse schon durchgegangen, und noch überdem durch die härtesten Prüfungen und Untersuchungen waren bewährt befunden worden. Nur Könige, Fürsten, Demagogen, Philosophen, und aufgeklärte Köpfe durften sich auf die Einweihung in diese großen Eleusinischen Mysterien Rechnung machen. Die Prüfungsjahre waren ungleich härter, als daß schwache Geister sie hätten aushalten können. Die Einzuweihenden wurden sehr lange unter allerhand Untersuchungen und schweren Proben hingehalten, damit man ihre Gesinnungen und die Kräfte ihres Ver[886]standes und Herzens gehörig erforschen könnte. In eben dieser Absicht versetzte man sie in allerhand Situationen, und beobachtete sie in allerley Lagen des Lebens. Man sah auf ihre Seelenstärke im Unglück, und auf ihre Klugheit im Glück; bis man sich endlich hinlänglich versichert hatte, daß man alles sicher in sie hinlegen konnte, was man in den großen Eleusinischen Geheimnissen zu lehren hatte. Denn hier sah man nicht mehr bildliche Vorstellungen des künftigen Lebens, nicht mehr Schattenrisse vom Elysium und Tartarus. Hier wurden Wahrheiten gepredigt, die man in keinem Tempel in ganz Griechenland verkündigen durfte. Man wurde in das Innerste des Tempels der Göttin Ceres zu Eleusis geführt, und in Gemächer gebracht, die nur für wenige Auserwählte zubereitet waren. Keiner unter allen alten Schriftstellern hat uns den wahren Gehalt dieser esoterischen Lehren deutlicher aufgezeichnet, als Cicero, in einer Stelle, die über die ganze griechische Götterlehre, über ihre Entstehung und Absicht das meiste Licht verbreitet9. Nach dieser Stelle wurde bey der [887] Einweihung in die großen Eleusinischen Geheimnisse der wahre Ursprung der Götter im griechischen Himmel gelehrt, die vom ganzen Staat auf das eifrigste verehrt werden mußten. Hier lehrte man ohne Zurückhaltung, daß die griechischen Götter zuerst Menschen waren, und daß die griechische Religion ein bloßes politisches Institut sey, nicht dazu bestimmt Menschen zu bessern, sondern Menschen zu bezähmen. Hier wurde also die ganze griechische Religion umgestoßen, die dem ohngeachtet von einem jeden, dem diese Wahrheit anvertrauet wurde, beständig geschont werden mußte. Denn obgleich das Göttergeschlecht aus menschlichem Geblüt abstammte, und aus dem Menschengeschlecht von Zeit zu Zeit recrutirt werden 8
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Beym S t o b ä u s 119. B a t t e u x hat in seiner Histoire des Causes premieres diese Stelle angeführt. Die ganze Abhandlung des Abts über die Eleusinischen Geheimnisse ist aus zwey Ursachen unbrauchbar. Er macht gar keinen Unterschied unter kleinen und großen Eleusinischen Geheimnissen. Er geht darauf aus, die Lehre vom Glauben an E i n e n Gott in diesen Mysterien zu finden. Beydes ist gefehlt. Cicero Tuscul. Quæst. I, 13. Quid? totum prope cælum nonne humano genere repletum est? Si vero scrutari vetera, & ex bis ea, quæ scriptores Græciæ prodiderunt, eruere coner, ipsi illi majorum gentium Dii qui habentur, hinc a no[887]bis profecti in cælum reperientur. Quære, quoniam demonstratur sepulcra in Græcia; reminiscere, quoniam es initiatus, quæ traduntur mysteriis? tum denique, quam hoc late poteas, intelliges.
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konnte: so wurde derjenige doch mit Recht als ein Feind des Vaterlandes angesehen, der dieses Lehrgebäude zu erschüttern wagte, eben weil der Verfall der griechischen Religion den Verfall des griechischen Staats nach sich ziehen mußte, da der griechische Catechismus zugleich das System der griechischen Staatswissenschaft war, die aber nur sehr wenige studiren durften. Man setze den ganz unwahrscheinlichen Fall, daß heute ein außerordentliches Genie, das in achtzehn Jahrhunderten gar nicht seines gleichen gehabt, unwiderlegliche Beweise aus der Philosophie und der Geschichte [888] gegen die Wahrheit der christlichen Religion erfände: würde ein solcher Mann nicht sein ganzes Zeitalter verwirren; ein Feind des ganzen cultivirten Erdbodens werden; den würdigen Eifer der Menschheit nach dem Segen der Welt, der Tugend, niederschlagen; und das Bestreben nach rechtschaffenen Handlungen, wenn es gleich durch ein Vorurtheil erzeugt würde, ersticken; wenn er seine neuen Lehrsätze in allen Zungen des cultivirten Europens nach Osten, Westen, Süden und Norden verschicken sollte? Und doch beruht das Wohl der christlichen Staaten bey weitem nicht so sehr auf dem Eigenthümlichen der christlichen Religion, wie der Flor Griechenlandes auf das Eigenthümliche der griechischen Religion gegründet war. Wenn daher auch nicht die außerordentlich harte Strafe auf die Bekanntmachung der Eleusinischen Geheimnisse wäre gelegt worden: so würden doch die rechtschaffensten und vernünftigsten Weltweisen Griechenlandes, die mit vereinigten Kräften an der Ausrottung der Vorurtheile, und an der Verbreitung der Aufklärung über ihr Vaterland arbeiteten, nie allgemein nützliche Vorurtheile in der Religion zu ersticken gesucht haben. Denn ihre Reformation war Tumult. Immer waren die großen Eleusinischen Geheimnisse, Anordnungen, die [889] ihrem Stifter Ehre machen. Sie waren die Schule, in welcher der aufgeklärte Theil der Nation, die Führer des Volks, und die Häupter des Staats zu der großen Absicht unterrichtet wurden, für Aberglauben und Schwärmerey bewahrt, von Nationalvorurtheilen unabhängig, vom dogmatischen Stolz befreyet, und verträglich gemacht zu werden. Es ist nicht zu läugnen, daß die Vorsteher der Eleusinischen Geheimnisse ihre Gewalt, die sie sich bey der Initiation vorbehielten, auf die fürchterlichste Art hätte misbrauchen können. Da sie nemlich alles unter der Bedingung des tiefsten Stillschweigens offenbarten, und die schrecklichsten Verfluchungen, und den unvermeidlichen Tod allen denen androhe[890]ten, die diese Bedingungen nicht erfüllen würden: so ist es zu verwundern, daß man die Einweihung der Eleusinischen Geheimnisse, wegen der Bekanntmachung ihres Inhalts, nicht mehrern Demagogen Schuld gegeben. Man hätte einem jeden großen Mann bey einem jeden Wort dieses Verbrechen aufbürden können. Die Feinde eines jeden Eingeweihten hätten durch Bestechungen und andere Ränke dem Hierophanten beweisen können, daß er bundbrüchig geworden, und die Eleusinischen Geheimnisse geschändet habe. So könnte bisweilen eine Sache die fürchterlichsten Folgen haben. Sie hat sie aber nicht, weil der Mensch nicht scharfsichtig genug ist, den bösen Gebrauch davon zu machen, der sich machen ließe.
III. ÜBERSETZUNGEN
Erster Versuch. Allgemeiner Abriß der Lehre von den Schwingungen1.
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Weil alle Sensationen und Ideen der Seele vermittelst der äußern Sinnen, oder eigentlicher, vermittelst der den äußeren Sinnen zugehörigen Nerven zugeführt werden: so müssen die Sensationen, so wie sie im Gehirn existiren, Dinge von solcher Beschaffenheit [10] seyn, daß sie vermittelst der Nerven fortgepflanzt werden können. Weil ferner die Nerven und das Gehirn aus derselben Substanz bestehen: so ist die Veränderung eines Nerven, während der Fortpflanzung einer Empfindung, und wiederum die Veränderung des Gehirns, während der Gewahrnehmung der Gegenwart der Empfindung, wahrscheinlich dieselbige Veränderung. Wir kennen das Wesen der Empfindungen, oder der Ideen, so wie sie in der S eel e, oder im em pf i ndende n P ri n zi pi um (sentient principle) existiren, eben so wenig, so wenig wir die Seele, oder das empfindende Prinzipium selbst kennen. Und bey diesem Mangel der Kenntniß Unserer selbst wird das Geschäfte der Philosophie hinlänglich erfüllt seyn, wenn wir eine solche wahrscheinliche Eigenschaft des Gehirns angeben können, die aller der Mannigfaltigkeit von Empfindungen und Begriffen und den Eigenschaften derselben, deren wir uns bewußt sind, entspricht. Begriffe, wie sie in [11] der Seele entstehen, mögen etwa so verschieden von dem seyn, was sie in dem Gehirn sind, wie die besondere Verschiedenheit der Textur, (oder vielmehr, wie die Verschiedenheit der Lichtstrahlen) welche die Verschiedenheit der Farbe verursacht, von den Farben selbst, so wie wir sie uns vorstellen, unterschieden ist. Bis auf die Zeiten Ne wt on s, der, wie ich glaube, zuerst die Lehre von den Schwingungen vorgetragen hat, nahm man allgemein an, daß ein Eindruck auf das äußerste Ende eines Nerven dem Gehirn, durch Hülfe eines f lü ss ige n We se ns, mit welchem der Nerve angefüllet wäre, mitgetheilt würde. Man setzte zu dieser Absicht voraus, die Nerven seyen röhrenförmig. Aber 1
Diese Abhandlungen hat P r i e s t l e y seiner neuen Ausgabe von Hartley’s Theorie of the human mind, on the principle of association of ideas, London 1775, vorangesetzt. Ich habe sie hier um so viel lieber mittheilen wollen, da dieses Buch schwerlich, so wie es P r i e s t l e y herausgegeben hat, übersetzt werden wird. H a r t l e y ’ s Betrachtungen über den Menschen sind schon vor einigen Jahren mit brauchbaren Zusätzen übersetzt erschienen. Es fehlt aber in dieser Uebersetzung fast alles, was P r i e s t l e y aus den Hartleyschen Observations on man hat abdrucken lassen. Dem deutschen Herausgeber mogten H a r t l e y ’ s theologische Betrachtungen, die im zweyten Theil der Observations stehen, mehr behagen, als die Theorie dieses Philosophen über den Mechanism der menschlichen Seele, die der erste Theil der englischen Ausgabe in sich faßt. Die Deutschen erhielten also den ersten Theil von den Observations blos im Auszug. P r i e s t l e y hingegen liefert nur den ersten Theil des Hartleyschen Buchs, unter dem neuen Titel: Hartley’s Theorie of the human mind, u. s. w. Aus jenem deutschen Auszug läßt sich H a r t l e y s psychologisches System bey weitem nicht in seinem ganzen [10] Umfang kennen lernen; und in dieser Rücksicht möchten wol manche Psychologen mit mir die Uebersetzung der Priestleyschen Ausgabe wünschen. Aber, wer wird das Buch verlegen, da wir schon einen deutschen H a r t l e y in Händen haben? – Hier sind P r i e s t l e y ’ s Introductory Essays zum H a r t l e y. Sie betreffen blos den Hartleyschen Mechanism der Seele, den der Verfasser deutlicher entwickelt, und mit mehrern Gründen unterstützt. Den Besitzern der deutschen Ausgabe wird diese Uebersetzung willkommen seyn, und die andern können aus diesen Versuchen H a r t l e y ’ s Theorie, von Hartleyschen Chimären gereinigt, kennen lernen. A n m e r k . d e s H e r a u s g e b e r s.
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III. Übersetzungen
von der Art, wie dieser Eindruck fortgepflanzt würde, ob es allmählig durch eine schwingende Bewegung der Theile dieses Nervensafts, oder augenblicklich geschehe, war noch keine deutliche Hypothese angegeben. Demohngeachtet ist die erstere Voraussetzung dem herrschenden Begriffe von diesem Nervensaft, als einem außerordentlich feinen und elastischen Wesen, mehr angemessen. Noch weniger wurde irgend eine erträgliche Hypothese in Absicht auf die Art, wie das Gehirn durch diese Bewegung des Nervensafts affizirt wurde, weiter ausgeführet. Blos um der Einbildungskraft zu Hülfe zu kommen, aber auf keine Weise in einiger Uebereinstimmung mit dem Begrif von einem Nervensaft, stellte man sich vor, [12] daß Begriffe den Charaktern auf einer T afe l glichen; und selbst die Sprache, in welcher man allgemein von Begriffen und ihren Eigenschaften spricht, ist von dieser Hypothese entlehnt. Allein es ist weder eine solche Tafel, noch ein Gr i ffe l, womit die Charaktere zu ziehen wären, in dem Gehirn zu finden. Und wenn gleich einige von den einfachern Phänomenen bey den Ideen, als: daß sie mehr oder weniger tief e i ngedr ück t, daß sie einer längere oder kürzere Zeit be ha l te n, daß sie nach Gefallen wieder erw ec kt werden können, u. s. w. durch die Voraussetzung einer solchen Tafel und darauf gezogener Charaktere sehr artig erklärt werden können: so ist sie doch zur Erklärung anderer und sehr merkwürdiger Erscheinungen der Ideen, besonders ihrer wechselweisen A sso zi at i on ganz unzulänglich. Ueberdas giebt diese Hypothese nichts an die Hand, wodurch man die Oper at io ne n des Ver sta nde s, in so fern sie sich auf die Ideen beziehen, erklären könnte. Nachdem also diese Hypothese, wenn man sie so nennen darf, verworfen worden, so weiß ich keine, die zu untersuchen übrig wäre, als die von den Schwingungen, welche Newton, am Ende seiner Principia phil. und in den Fragen, am Ende seiner Optik, obgleich nur im Vorbeygehen, vorgetragen hat. Die erstere Stelle hat Hart ley selbst angeführt, und deswegen will ich sie hier nicht einschalten, aber die letztere will ich beyfügen. [13] »Verursachen nicht die Lichtstrahlen, indem sie auf den Boden des Auges fallen, Schwingungen in der Netzhaut, die, da sie längst den soliden Fasern des Sehnervens in das Gehirn fortgepflanzt werden, das Sehen erregen? Denn weil dichte Körper ihre Wärme lange, und die dichtesten Körper die ihrige am längsten behalten: so sind die Schwingungen ihrer Theile fortdaurend. Eben deswegen können sie längst soliden Fasern von gleichförmiger dichter Materie nach einer weiten Entfernung fortgepflanzt werden, um die auf alle Werkzeuge der Sinne gemachten Eindrücke zu dem Gehirn fortzuführen. Denn die Bewegung, welche lange in einem und demselben Theil eines Körpers fortdauren kann, kann auch weit von einem Theil zum andern fortgepflanzt werden; vorausgesetzt, daß der Körper homogen ist, so daß die Bewegung nicht reflektirt, gebrochen, gehemmt, oder sonst durch eine Ungleichheit der Theile des Körpers in Unordnung gebracht werden kann.« »Dreyzehnte Frage. Müssen nicht die verschiedenen Arten von Strahlen Schwingungen von verschiedener Stärke verursachen, welche, zufolge ihrer Stärke, Empfindungen verschiedener Farben auf eben die Art erregen, wie die Schwingungen der Luft, nach ihrer verschiedenen Stärke, Empfindungen verschiedener Töne veranlassen? Und erregen nicht insbesondere die brechbarsten Strahlen die kürzesten Schwingungen, um die Empfindung von dunkelviolet hervorzubringen; die wenigsten brech[14]baren hingegen die größten, um die Empfindung von dunkelroth zu bewirken? Und die verschiedenen mittleren Arten von Strahlen bringen die nicht
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Schwingungen von verschiedener mittlerer Größe hervor, um die Empfindung der verschiedenen mittlern Farben zu verursachen?« Herr H art ley bekennt, daß er auf diese Winke sein ganzes System von den Schwingungen gebaut habe, welches mir mit allem dem, was wir von den Ideen und ihren Eigenschaften wissen, übereinzustimmen, und so überzeugend von ihm bewiesen zu seyn scheint, als es nur bey einem so schweren Gegenstande, wie dieser nothwendig ist, erwartet werden kann. Die Evidenz dieses Systems fällt, in vielen Fällen, zur Genüge in die Augen, und sie kann auch nach der Analogie auf andere Fälle angewandt werden, in welchen eine eigne unabhängige Evidenz nicht dargethan werden kann. Nach dieser Hypothese brauchen die Nerven nicht Rö hre n zu seyn, oder aus Bündeln von Röhren zu bestehn, um ein f l üs s ige s We sen enthalten zu können, wenn sie gleich auch mit der Voraussetzung, daß die Nerven diese Beschaffenheit haben, vollkommen bestehen kann. Man muß nach dieser Hypothese blos annehmen, daß die Nerven so gebauet sind, daß, wenn ihre äußersten Enden in eine schwingende Bewegung gesetzt werden, diese Bewegung frey zu dem Gehirn könne fortgepflanzt, und daselbst fortdaurend unterhalten werden. [15] Daß aber wol die Nerven von einer solchen Beschaffenheit seyn mögen, die diese Voraussetzung zuläßt, kann nicht geläugnet werden, wenn gleich die Struktur, die diese Voraussetzung erfordert, noch so besonder seyn mag; zumal wenn man bedenkt, daß alle Körper, sie mögen von einer Art und Beschaffenheit seyn, von welcher sie wollen, diese Eigenschaft in einem mehrern oder mindern Grad besitzen, zufolge welcher sich ihre Bestandtheile nicht wirklich einander berühren, sondern, mittelst einer zurückstoßenden Kraft, auf eine gewisse Weite von einander entfernt gehalten werden. Daß Empfindungen durch Schwingungen zu dem Gehirn überbracht werden, wird durch die bekannten Phänomene der vollkommnern Sinne, des Sehens und Hörens, sehr wahrscheinlich. Daß die Netzhaut durch die Lichtstrahlen in eine zitternde Bewegung gesetzt wird, ist dadurch klar, daß der Eindruck einige Zeit fortdauert, und nur allmählig abstirbt, nachdem die Ursache des Eindrucks aus dem Wege geräumt worden. Mir scheints, Niemand könne sein Auge auf einen erleuchteten Gegenstand richten, der, wenn er nur bemerkt hat, wie der Eindruck, wenn sich das Auge geschlossen hat, aufhört, sich noch einbilden könnte, daß die Netzhaut auf irgend eine andere Weise, als durch eine zitternde Bewegung gerührt worden sey. Und ist es nicht äußerst wahrscheinlich, wenn es anders nicht ganz gewiß ist, daß, da der Eindruck wirklich zum Gehirn fortgepflanzt [16] wird, es vermittelst derselbigen Art von Bewegung geschehen müsse, mittelst welcher das äußerste Ende des Nerven affizirt wurde, das ist, mittelst einer schwindenden? Und da das Ge hi rn selbst eine Fortsetzung der nemlichen Substanz ist, aus welcher die Nerven bestehn, wird es nicht eben so evident, daß die Rührung des Gehirns bey einer Empfindung, und folglich bey einer Idee, eine schwingende Bewegung seiner Theile ist? Da nun die Textur aller Nerven zum wenigsten beynahe völlig dieselbige ist, so folgt nach der Analogie, daß, wenn ein Nerve die Empfindungen, mittelst einer schwingenden Bewegung seiner Theile fortführt, auch alle die übrigen dasselbige Geschäfte auf eben diese Weise verrichten werden. Daß dieses der Fall mit dem Geh ö rne rv en sey, ist schon ohne einen von dem Sehnerven herzunehmenden analogischen Beweis wahrscheinlich. Denn was ist natürlicher, als die Vorstellung, daß die zitternde Bewegung der Lufttheilchen, woraus der Ton besteht, da sie
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vermittelst auf einander folgender Stöße wirkt, den Theilen des Gehörnerven eine zitternde Bewegung mittheilen müsse, und daß sich dieselbe zitternde Bewegung ins Gehirn fortpflanzt, und in demselben verbreitet? Man hat nicht einmal nöthig anzunehmen, daß die Schwingungen der Lufttheile, und die Schwingungen der Theile der Nerven g le ic hzei ti g seyen; weil selbst die Schwingung einer musikalischen Saite einen [17] Andern um eine Oktave höher oder um eine Oktave tiefer affizirt. Daß Schwingungen, die allen den verschiedenen Empfindungen und Begriffen, die nur immer im menschlichen Verstand vorhanden sind, entsprechen, in dem nemlichen Gehirn, zu gleicher Zeit, Platz finden; kann bey dem keine Schwierigkeit veranlassen, der sich erinnert, daß die Luft selbst in verschiedene gränzenlose Schwingungen in demselbigen Augenblick versetzt werden kann. Ich habe mir sagen lassen, daß ein Musikverständiger in einem Konzert, in welchem noch so viele Instrumente gespielt werden, unter allen blos auf dasjenige aufzumerken im Stande sey, welches ihm beliebt. Es mögen in demselbigen Augenblick noch so viele Personen sprechen, und Töne von allerley Art hervorgebracht werden; so wird doch ein jeder derselben, ohne die geringste Störung der übrigen, fortgepflanzt. Wie unendlich zusammengesetzt müssen die Schwingungen der Luft, in einer geringen Höhe der Atmosphäre, über den Straßen einer solchen Stadt seyn, wie London ist? Und doch ist gar kein Zweifel, daß nicht jeder Ton seine eigne Wirkung hervorbringe, und daß nicht ein jeder einzeln von einem hinlänglich geübten Ohr bemerkt werden könne. Daß Schwingungen, welche beynahe gleichzeitig sind, einander so affiziren und ändern, daß sie wirklich gleichzeitig werden, stimmt mit den Erscheinungen der Ideen [18] genugsam überein, und giebt zu keinem Einwurf gegen diese Lehre Gelegenheit. Die Verschiedenheiten der Schwingungen, welche das Gehirn affiziren, reichen zu, allen Verschiedenheiten zu entsprechen, die wir in unsern ursprünglichen Begriffen oder Empfindungen bemerken. Der Unterschied im Gr ade der Schwingung, die mit dem stärkern oder schwächern Ton übereinkömmt, ist beträchtlich. Der Unterschied in der A rt, wie sie der Verschiedenheit des Tons entspricht, ist noch beträchtlicher. Hiezu kömmt noch: eine Schwingung im Gehirn kann auch durch die S tel l e, an welcher sie im Gehirn hauptsächlich vorgeht, wie auch durch ihre Di re kt ion s l i ni e, von einer andern Schwingung unterschieden werden, nachdem sie nemlich durch einen besondern Nerven ins Gehirn gebracht wird. Wenn nun diese ursprüngliche Verschiedenheiten der Schwingungen zureichen, allen Verschiedenheiten unserer ursprünglichen oder e in fac he n Idee n zu entsprechen; so müssen auch die Verbindungen, deren sie fähig sind, in beyden Fällen gleich seyn; so daß die Anzahl der zusamme ngeset zte n Ideen keine besondere Schwierigkeit erregen kann. Wirklich muß ja irgend eine mechanische Eigenschaft der Nerven und des Gehirns mit allen unsern Sensationen und Begriffen nothwendig übereinstimmen; und ich glaube, es ist sehr augenscheinlich, daß in dieser Rücksicht keine andere Hypothese den Grund nur von der [19] Hälfte der Unterschiede der Begriffe angeben kann, die durch die Lehre von den Schwingungen erklärt werden können. Eben deswegen muß Ha rt ley’ s oder vielmehr New ton ’ s Theorie vor einer jeden andern, zum wenigsten vor einer jeden von denen Hypothesen, die man bisher ersonnen hat, den Vorzug haben. Außer den vier oben angeführten Unterschieden in den Schwingungen, bey welchen Dr . Ha rt ley stehen bleibt, giebt es noch eine andere Verschiedenheit, die entweder in der Be sch af fe nhe it der Nerv e n, die zu verschiedenen Sinnen gehören, oder in den vielen Nebenumständen liegt, wodurch ihre Schwingungen so modifizirt werden, daß sie so leicht von
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einander zu unterscheiden sind, wie verschiedene menschliche Stimmen, die den nemlichen Ton anstimmen, von einander unterschieden werden können. Denn wahrscheinlich können nicht zwey menschliche Individua denselbigen Ton so vollkommen auf dieselbige Art angeben, daß sie nicht noch immer von einander zu unterscheiden wären. Es läßt sich leicht denken, daß in einer Substanz, die nicht, wie die Luft, flü ss i g, sondern d ic ht, wenn gleich weich ist, wie das Gehirn, eine Schwingung, die einen Theil dieser Substanz in Bewegung setzt, diesen Theil auch leicht dahin disponiren werde, daß er eher auf diese, als auf irgend eine andere Art wieder oszillire; so daß ein gleichartiger zweyter E i ndruc k von dem ers ten unterschieden bleibe. Dieser Umstand erklärt gewisser[20]maßen den Unterschied unter einer neuen Empfindung und der Wiederholung einer alten Sensation. Hauptsächlich aber können sie durch die Verschiedenheit ihrer As s ozi at io ne n sowol mit andern Ideen, als auch mit der verschiedenen Verfassung des Verstandes oder des Gehirns in mannigfaltiger Rücksicht von einander unterschieden werden. Wenn also eine Schwingung hinlänglich stark gewesen ist, so kann man sich leicht vorstellen, daß die durch sie in Bewegung gesetzte Stelle des Gehirns einen größern Hang zu derselbigen Schwingung, als zu irgend einer andern behalten werde; so daß diese Schwingungen auch auf Veranlassung von ganz andern Ursachen, als die erste ursprünglich war, wieder erfolgen können. Diese Schwingungen sind indessen an Stärke und an andern Nebenumständen von den ursprünglichen beträchtlich verschieden. Und diese Verschiedenheit macht den Unterschied zwischen den Ideen von gegenwärtigen Objekten, und den nemlichen Ideen, die aber ohne die Gegenwart der Gegenstände rege werden, kenntlich. Auf solche Weise können Farbenkreise durch einen Druck der Finger auf das Auge, und durch andere Ursachen hervorgebracht werden, die aber sehr leicht von der nemlichen Rührung der Netzhaut, die durch den Eindruck der Lichtstrahlen erzeugt wird, zu unterscheiden sind. [21] Wollte man sagen, eine von diesen Schwingungen könnte ja gar zu leicht für die andere aus Mißverstand angesehen werden, da sie hauptsächlich nur dem Grad nach von einander verschieden sind: so antworte ich, daß auch wirklich viele Täuschungen und Irrthümer des menschlichen Geschlechts aus dieser Quelle entspringen. Sehr lebhafte Ideen trügen den Verstand so sehr, daß sie für Realitäten gehalten werden, wie es in den Träumen und Reverien, und besonders in den traurigen Fällen der Tollheit wirklich geschieht. Diese Voraussetzung, daß die Theile des Gehirns einen Hang behalten, in dieselbigen Schwingungen zu gerathen, worinn sie vormals versetzt wurden, wird dadurch noch wahrscheinlicher, wenn man erwägt, daß alle dichte Substanzen einen Hang behalten, in dem ihnen vorher eingedrückten Zustand zu bleiben. So bekommt kein Bogen, wenn er gekrümmt worden ist, wieder die nemliche Form, die er vorher hatte, sondern er neigt sich ein wenig zu der andern krummen Gestalt, weil die Kreise der Attraktion und der Zurückstoßung, die allen Theilen eigen sind, durch die Veränderung ihrer Lage auch verändert wurden. So was ähnliches kann auch beym Gehirn Statt haben. Die Phänomene der Schwingungen stimmen glücklich genug mit dem Unterschied zwischen a nge neh me n und sch mer zha fte n Empfindungen zusammen; weil [22] diese Sensationen nur dem Grade nach unterschieden sind, und nur unmerklich in einander überzugehn scheinen. So ist ein mäßiger Grad von Wärme angenehm, und das Angenehme diese Empfindung wächst mit der Hitze bis zu einem gewissen Grad, wo die Empfindung schmerzhaft zu
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werden anfängt; und nun nimmt der Schmerz mit dem zunehmenden Grad der Hitze eben so zu, wie vorher das Vergnügen zunahm. Dr . H art ley muthmaßt, und, wie ich glaube, mit vieler Wahrscheinlichkeit, daß die Gränze des Vergnügens und des Schmerzes in einer T re n n u ng des Zu samm en han gs unter den Nerven und Gehirnpartikeln bestehe; und diese Trennung, glaubt er, werde durch die starken Schwingungen, die mit dem Gefühl des Schmerzes vergesellschaftet sind, verursacht. Wenn man zugiebt, wie ich glaube, daß man es thun muß; daß bey allen Erscheinungen die Schwingungen im Gehirn alle unsere Ideen begleiten, und sie verursachen: so bleibt nur eine einzige Eigenschaft der Ideen, oder vielmehr des Verstandes, der sich mit ihnen beschäftigt, übrig, die die ganze Theorie bestätigt, wenn gezeigt werden kann, daß sie bey der Lehre von den Schwingungen bestehen könne; und das ist die As so zi at ion d er Idee n. Denn man wird in der Folge einsehen, daß diese einzige Eigenschaft alle die übrigen Eigenschaften unserer Ideen in sich begreift, und daß durch sie von [23] allen Phänomenen des menschlichen Verstandes, und von dem, was wir gewöhnlich seine verschiedenen Operationen nennen, mit Rücksicht auf Empfindungen und Ideen aller Art, der Grund angegeben werden kann. Wenn zwey verschiedene Schwingungen zu derselbigen Zeit im Gehirn entstehen; so kann es nicht anders kommen, die eine muß die andere ein wenig ändern oder modifiziren. Und so geschieht es alsdenn, daß die Theilchen der markigten Substanz nicht völlig so oszilliren, wie sie würden gethan haben, wenn diese Schwingungen für sich abgesondert entstanden wären. Eine jede von diesen Schwingungen wird nun so ausfallen, wie sie ausfallen muß, wenn zwey Kräfte zu gleicher Zeit auf sie gewirkt hätten. Da nun auf alle diese Theile auf dieselbige Art gewirkt wird; so folgt nothwendig, daß, wenn eine von diesen Schwingungen von irgend einer Ursache bewirkt wird, die andere zugleich auch mit in Bewegung gesetzt werden müsse; so, daß der ganze Zustand des Gehirns genau dem ehemaligen Zustand gleicht; und dieses scheint zur Erinnerung an eine Idee, durch Hülfe einer andern, zuzureichen. Ich darf gar nicht erwarten, daß diese allgemeine Schilderung der Lehre von den Schwingungen denen Genüge leisten werde, die jede Materie, auf die gröbste und allgemeinste Art, als wenn sie keinem andern Gese[24]tzen, als den Gesetzen der fünf mechanischen Kräfte unterworfen seyn könnte, zu betrachten gewohnt sind. Diese Denkungsart war wenigstens ohngefähr vor einem halben Jahrhundert sehr gewöhnlich. Die Aerzte selbst versuchten die Natur der Krankheiten und die Wirkungen der Arzeneyen blos aus der Gestalt und der Schwere der Theile verschiedener solider und flüssiger Körper, und aus den allgemeinen Gesetzen der Hydrostatik zu erklären. Nachdem man aber dieses System aufgegeben hat; nachdem man mit den feinern und wichtigern Gesetzen der Materie, die durch chemische Operationen erforscht werden, bekannter geworden ist; so sollte ich denken, wir seyen nun, da wir sehen, daß die Gesetze und Eigenschaften der Materie unendlich zusammengesetzter sind, als man sonst geglaubt hat, vorbereitet genug, um die M ö gl ic h ke it einer solchen Masse von Materie, wie das Gehirn ist, zuzugeben, die von dem allmächtigen Schöpfer mit solchen besondern Kräften, in Ansehung der Schwingungen, ausgerüstet worden sey, die zu allen den oben genannten Zwecken hinreichend wären; wenn gleich das Besondere in ihrer Einrichtung und die Art ihrer Beschaffenheit unsern Verstand weit übersteigt. Und blos diese Mö g lic h kei t ist es, die ich gegenwärtig behaupte. D r. H art ley hat indessen noch mehr Licht über die eigentliche Wirkungsart in verschiedenen be-
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son[25]dern Fällen verbreitet. Und wenn einstens dieser Gegenstand die Aufmerksamkeit der Philosophen mehr auf sich ziehen wird; da schon die a ll geme i ne V ors te l lu ng desselben es zu verdienen scheint: so zweifle ich nicht, daß diejenigen vorzüglich, die sich mit medizinischen und anatomischen Untersuchungen abgeben, hierüber noch mehr Licht bringen werden. Es wird Einige befremden, daß beym Geschäfte des Denkens so sehr vieles blos von der M ate rie abhangen sollte, als die Lehre von den Schwingungen voraussetzt. Denn in der That läßt diese Theorie, das einzige P er zep ti o nsverm öge n ausgenommen, keinem andern Prinzipium das mindeste Geschäfte übrig; so daß, wenn der Materie diese Eigenschaft beygelegt werden könnte, die Imma teri a l itä t, so fern sie nemlich beym Menschen angenommen wird, schlechterdings ganz aufgegeben werden müßte. Ich sehe aber auch nicht, daß diese Voraussetzung bey jemand nothwendig Anstoß erregen müsse, außer etwa bey denen, die ein zukünftiges Leben einzig von der Immaterialität der menschlichen Seele abhängig machen. Wenigstens wird diese Voraussetzung diejenigen gar nicht schrecken, die alle ihre Hofnung einer künftigen Existenz auf die christliche Lehre von der Au fers teh un g der T odte n gründen. Mehrere Philosophen, und unter andern auch H err L oc ke, haben geglaubt, daß unter den Dingen, [26] die wir kennen, die Fähigkeit zu denken, unter andern auch der Materie habe zugetheilt werden können. Demohngeachtet scheint Dr. Ha rt ley, obgleich seiner Hypothese dadurch sehr aufgeholfen werden würde, anders zu denken. Er nimmt an, daß es einen mittlern e leme nt ar isch en K ör per zwischen der Seele und dem groben Körper gebe, welche nach dem Tod existiren, und das Werkzeug seyn soll, wodurch dem empfindenden Wesen Vergnügen oder Schmerz zugeführt werden wird. Aber ich gestehe es, ich sehe nicht, warum seine Theorie mit einer solchen drückenden Last, als dieser Gedanke ist, beschwert zu werden braucht. Ich bin vielmehr zu glauben geneigt, daß, wenn gleich gegenwärtig dieser Gegenstand über unsern Verstand geht, der Mensch doch nicht aus zwey so wesentlich von einander verschiedenen Prinzipien, als M ater ie und Gei st sind, bestehe; da diese beyden Prinzipien immer so beschrieben werden, als hätten sie keine einzige gemeinschaftliche Eigenschaft, wodurch sie einander affiziren oder auf einander wirken könnten. Dies eine, heißt es, nimmt einen Raum ein; das andere hingegen nimmt nicht nur den kleinsten gedenkbaren Theil eines Raums nicht ein, sondern es ist auch unfähig, irgend eine Beziehung auf jenes zu haben. Das heißt aber, um eigentlich zu reden, meine Seele ist nicht mehr und nicht weniger i n m ei nem Kö rpe r, als sie im [27] Mond ist. Ich glaube vielmehr, der Mensch sey aus einförmigen T he i len zusa mme nge set zt, und ich halte sowol die Per ze pt i o n, als auch alle die übrigen Kräfte, die man S eel en kr äfte zu nennen pflegt, für das Resultat (es mag nun nothwendig seyn, oder nicht) einer solchen organischen Struktur, wie das Gehirn ist. Ich glaube demnach, der ganze Mensch hört bey seinem Tode auf, und wir haben keine Hofnung, das Grab zu überleben, als in so fern sie uns die Offenbarung einspricht. Wenn wir unsere Zuflucht zu einem imma ter ie l len Pr i n zi p ium nehmen, um den Grund von Gewahrnehmung und Gedanke angeben zu können; so ist das nichts anders, als daß wir mit andern Worten sagen, wir wissen nicht, worinn Perzeption und Gedanke bestehe. Denn kein Mensch kann sagen, daß er es einsehe, wie das Prinzipium des Denkens mehr Beziehung auf die Immaterialität, als auf die Materialität haben könne.
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Diese Hypothese begünstigt vielmehr den Begriff von solchen organischen Systemen, als die Pflanzen sind, die einigen Grad von Empfindung haben. Und hierüber muß sich ein gutherziges Gemüthe eher freuen, als betrüben. Nach dieser Hypothese sind die unvollkommnern Thiere blos dem Gr ade, nicht der Art [28] nach, von uns verschieden. Dieses ist erfreulich genug, wenn gleich alsdenn die Meinung bey weitem noch keine nothwendige Folge ist, daß die Thiere ihren Tod eben so überleben werden, als wir selbst. Denn dieses Vorrecht kommt uns durch einen p os it i ve n Ra th sc hluß zu, und hängt von der Verheißung Gottes ab, die durch eine ausdrückliche Offenbarung dem Menschen bekannt worden ist.
[29] Zweyter Versuch. Allgemeine Schilderung der Lehre von der Assoziation der Ideen.
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Ehe man den folgenden Versuch ließt, in welchem alle Phänomene des Denkens aus dem einzigen Prinzipium der Assoziation hergeleitet werden sollen, kann eine allgemeine Schilderung dieses Systems, in welcher die vorzüglichsten Umrisse einander näher gebracht, und das Ganze unter einem Blick dargestellt wird, einigen Nutzern schaffen. Ich will mir daher Mühe geben, diesen Entwurf so kurz, als es mir möglich ist, mitzutheilen. Der mechanischen Assoziation der Ideen, welche dem Verstand zu derselbigen Zeit oft dargestellt worden ist, hat, wie ich glaube, zuerst Her r Locke erwähnt; allein er nimmt nur da seine Zuflucht zu ihr, wo er diejenigen Sympathien und Antipathien erklären will, die er im Gegensatz von denen u nn atü rl ic he nennt, die, wie er sagt, mit uns gebohren sind. Er leitet sie, Th ei l I. S . 3 6 7. »von den Spuren der Bewegung der Lebensgeister her, die, wenn sie einmal in Gang ge[30]bracht worden, in den nemlichen Fußstapfen, die sie gemacht haben, verweilen. Diese Fußstapfen werden durch wiederholtes Betreten so eben geformt, daß die Bewegung der Lebensgeister in der Folge so leicht vor sich geht, als wenn sie natürlich wäre. Die Ideen scheinen, in so fern wir einen Begriff vom Denken haben, auf diese Art in unserm Verstand hervorgebracht zu werden; oder wenn sie nicht zu entstehen, so kann dies doch zur Erklärung dienen, wie sie in einer gewöhnlichen Reihe auf einander folgen, wenn sie einmal auf diesen Weg gesetzt worden sind. Diese Hypothese reicht auch zur Erklärung der Bewegungen des Körpers vollkommen zu.« Aus dieser Stelle erhellt zur Genüge, wie überaus unvollkommen die Begriffe des H err n L oc ke in Absicht auf die Natur, die Ursache und die Wirkungen dieses Prinzipiums waren. Nachher hat He rr Gay, ein Geistlicher in dem westlichen Theile von England, in einer Abhandlung, die er der La w sc he n Uebersetzung von K in gs Ursprung des Uebels vorgesetzt hat, sich zu zeigen bemühet, daß alle unsere Leidenschaften und Neigungen von der Assoziation hergeleitet werden können. Er setzte aber zu dem Ende voraus, daß die L ie be zur G lüc k se li gke it ein ursprüngliches und eingepflanztes Prinzipium sey, und daß die Leidenschaften und Neigungen einzig daraus hergeleitet werden könnten, daß man die empfindenden und vernünftigen Geschöpfe, als in Ansehung ihrer Glückseligkeit [31] von einander abhän-
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gend, annehme. S. 50. »Unsere Billigung der Sittlichkeit, und alle unsere Neigungen, sagt er S. 32, können auf den Grund von unserm Privatwohl zurückgeführt werden. Sie haben nur solche Dinge zu Gegenständen, von welchen wir glauben, daß sie dienliche Mittel zu diesem Zweck seyen; und wenn dieser Zweck auch nicht immer erreicht wird; so kann man doch den Grund dieser Neigungen aus der Ideenassoziation angeben, und da können sie schicklich Gewohnheiten genannt werden. Wenn dieses völlig ausgemacht wäre; so würde die Nothwendigkeit, ein moralisches Gefühl, oder allgemeine uns eingepflanzte Neigungen anzunehmen, (da diese Nothwendigkeit nur von der Unzulänglichkeit aller übrigen Systeme, die von den menschlichen Handlungen Rechenschaft geben, herrührt) unmittelbar verschwinden.« Seine Beobachtungen über diesen Gegenstand sind indessen wenig mehr, als Muthmaßungen. Er hatte so wenig Einsichten in die Lehrer der Assoziation, daß er nicht einmal bemerkte, daß die Lehre von der No th we nd ig ke it aus ihr folge. Nachdem Dr. H art ley von der Meinung des Herrn Gay gehört hatte, stellte er eigne Untersuchungen über diesen Gegenstand an. Wie er endlich mehrere Jahre hindurch seine ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatte, schien es ihm sehr wahrscheinlich, daß nicht nur [32] alle unsere i nte l le ktue l le n V erg nüg un ge n und Sc hmer ze n, sondern auch alle Phänomene des Gedäc ht n is se s, der E i n bi ldun gs kr af t, des W o l len s, des Urt he ile n s, und jede andere Seelenoperationen blos verschiedene Arten und Fälle der Assoziation der Ideen seyen; so daß, um einen Menschen, und um das aus einem jeden Menschen zu machen, was er nun ist, weiter nichts, als ein empfindendes Prinzipium mit dieser einzigen Eigenschaft (wobey doch eine große Verschiedenheit statt findet) und der Einfluß ähnlicher Umstände, denen der Mensch wirklich ausgesetzt gewesen, erfordert wird. Die ausnehmende Simplizität dieser Hypothese sollte sie gewiß der Aufmerksamkeit aller Philosophen empfehlen; da sie, unabhängig von andern Betrachtungen, das Bild der Ei n fac h h e it i n d e n U r s a c he n, und der Ver s c hi e d e nhe i t in d e n W ir ku n g e n an sich trägt, welches wir an allen übrigen Theilen der Natur entdecken. In human works, tho’ laboured on with pain, A thousand movements scare one purpose gain; In God’s, one single can its end produce; Yet serves to second too soome other use. POPE’S Essay on Man2.
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[33] Dem Novizen in philosophischen Untersuchungen wird es freylich unmöglich scheinen, wie alle die Verschiedenheiten des Denkens auf einen so simplen und einförmigen Prozeß sollten zurückgeführt werden können. Allein ebenso unmöglich muß es ihm a priori vorkommen, daß die große Verschiedenheit der Sp rac he n aller Nationen auf der Welt vermittelst eines kurzen Alphabets ausgedrückt werden kann. Die Erscheinungen in der Natur, die von der Schwere, der Elektrizität u. s. w. herrühren, sind nicht weniger mannigfaltig und zusammengesetzt. Aber je mehr wir von der Natur wissen, desto mehr besonderer Fakta und besondere Gesetze können wir auf einfache und allgemeine Gesetze zurückführen; und es scheint noch 2
Bey menschlichen Unternehmungen, wenn sie gleich mit Mühe ausgeführt werden, erreicht kaum die Tausendste eine Absicht; bey Gott bringt eine jede ihren Zweck hervor, und eine jede dient sogar zur Begünstigung eines neuen Vortheils.
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nicht unmöglich, daß endlich ein einziges, alles in sich begreifendes Gesetz werde gefunden werden, wornach beydes, die materielle und die intellektuelle Welt, regiert wird. Um die Möglichkeit der Theorie des Dr. Hart ley vom menschlichen Verstand zu zeigen, und um zu gleicher Zeit einen solchen Begriff davon zu geben, der denenjenigen nützlich seyn möge, die darüber weiter nachdenken wollen; muß ich bemerken, daß alle Phänomene der Seele auf die Gedäc ht n ißfä h ig ke it, auf das Urt he i ls ve rmöge n, auf die Le ide nsc ha fte n, und auf den W i l le n, wozu noch die Kraft der Mu s ke lbe wegu ng beyzufügen ist, reduzirt werden können. [34] Wenn man annimmt, der menschliche Verstand habe eine Anzahl von Ideen vermittelst der äußern Sinnen überkommen, und diese Ideen haben sich verschiedentlich assoziirt; so daß, wenn eine von ihnen gegenwärtig ist, sie wiederum andere, die mit ihr am nächsten verbunden sind, rege macht: so scheint zur Erklärung der Erscheinungen des Gedäc ht n iss es weiter nichts nöthig zu seyn. Denn wir vermögen nicht, eine Idee nach Gefallen aufzuwecken; sondern wir erinnern uns nur solcher Begriffe, die, durch Hülfe vorhergegangener Assoziationen, in Verbindung mit denen Ideen stehen, die zu einer gewissen Zeit dem Verstand gegenwärtig sind. So veranlaßt gewöhnlich der Anblick oder die Idee eines Menschen auch die Idee seines N amen s, weil diese beyde häufig mit einander assoziirt worden sind. Wird durch sie der Name nicht in Erinnerung gebracht, so sind wir in Verlegenheit, und gar nicht im Stand, uns desselben zu erinnern, bis nicht irgend ein andrer assoziirter Umstand uns hilft. Wenn wir eine Anzahl von Wörtern in einer Redensart, oder Versen eines Gedichts hersagen, wo das Ende jedes vorhergehenden Wortes mit dem Anfang des folgenden zusammenhängt: so können wir sie leicht in der nemlichen Ordnung wiederholen; aber wir sind nicht im Stande, sie rückwärts zu wiederholen, bis sie nicht öfters in dieser entgegengesetzten Ordnung ausgesprochen worden sind. Hierdurch erlangen wir indessen die Leichtigkeit es zu thun, [35] so wie es bey den Namen der Zahlen von Eins bis Zwanzig geschieht. Es ist wahrscheinlich, daß bey den wildesten Ausschweifungen der Imag i nat i o n keine andere, als solche Ideen vorkommen, die schon mit einer andern Impression, oder mit einer andern Idee, die vorher in der Seele vorhanden war, in Verbindung stehn. Auf solche Weise ist das, was wir n eue Geda nk e n nennen, nur eine neue Zusammensetzung alter einfacher Ideen, oder auch eine neue Trennung einiger zusammengesetzter Begriffe. Ein S ch luß ist weiter nichts, als die Gewahrnehmung der allgemeinen Uebereinstimmung, oder der vollkommenen Gleichheit zweyer Ideen; oder des Mangels dieser Uebereinstimmung und Gleichheit; z. B. M i lc h is t we iß; zwey ma l zwey m ach t v ier. Man kann daher auch sagen: Ein Schluß besteht im Uebertragen des Begriffs von W ah rhe i t, durch die Assoziation, von einem Satz auf einen anderen, der mit jenem zusammen stimmt. Wenn wir sagen, Ale xa nder h at de n Dar iu s übe rw un de n; so wollen wir anzeigen, die Person, welche wir durch den Namen, Al exa nde r, unterscheiden, sey eben dieselbe mit der Person, die den D ar ius überwand; und wenn wir sagen, G ott i st g ut: so ist unsere Meinung, die Person, welche wir mit dem Namen, [36] G o t t, bezeichnen, bezeige durch ihre Handlungen und ihr Betragen, daß sie dieselbige Disposition besitze, die wir an Menschen gu t oder gü nst ig nennen. Und sind wir zur Kenntniß a l lgeme i ner W ahr he ite n gelangt: so haben wir, mittelst der Assoziation, die Idee oder die Empfindung, welche die Gewahrnehmung der Wahrheit begleitet, auf alle die darunter begriffene partikuläre Wahrheiten, und auf
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andere analogische Sätze übergetragen; nachdem wir uns aus der Erfahrung überzeugten, daß wir nie hintergangen wurden, wenn wir dergleichen Schlüsse machten. Wenn wir sagen, daß eine Idee oder ein Umstand eine besondere Le ide ns ch aft erwecke: so klärt sich das aus der Bemerkung auf, daß gewisse Empfindungen und Bewegungen vormals mit dieser besondern Idee oder mit diesem Umstand verbunden gewesen sind, die diese Idee oder dieser Umstand nun durch die Assoziation zurückrufen kann. So läßt sich in Rücksicht auf die Leidenschaft der Furc ht leicht bemerken, daß ein Kind mit dieser Empfindung ganz unbekannt ist, ehe es etwas Uebles erlitten hat, wodurch die schmerzhafte Idee, die nun im Verstand zurückgeblieben, vermittelst der Erinnerung an dieses Uebel, mit der Idee der Umstände, unter welchen es dieses Uebel erlitten hat, und allmählig nur mit demjenigen Umstand für sich allein assoziirt wird, der dabey wesentlich ist; und den es daher als die eigentliche Ursache seines Uebels ansieht. Wenn verschie[37]dene schmerzhafte Bewegungen und unangenehme Empfindungen mit der Idee desselbigen Umstandes verbunden worden sind: so werden sie alle durch diese Idee zu einer allgemeinen zu sam menge set zte n Gem üth s bew eg un g erweckt, deren Bestandtheile nicht leicht zu unterscheiden sind; und die endlich durch ihre gegenseitige Assoziationen so vollkommen mit einander verwachsen, daß sie nie einzeln wahrgenommen werden können. Ein Kind hat keine Furcht für dem Feuer, ehe es sich am Feuer gebrannt hat, noch fürchtet es sich für einem Hund, ehe es von einem Hund gebissen worden ist; weil es ja bis zu der Zeit keinen Grund hat, sich vorzustellen, daß ein Hund es beißen würde, und weil es auch keinen ähnlichen Begriff hat, was ohngefähr der Biß eines Hundes sey. Auf eben die Art wird die Leidenschaft der L ie be durch die Assoziation angenehmer Empfindungen mit der Idee des Gegenstandes, der sie veranlaßt, erzeugt. Im Grund sind alle unsere Leidenschaften bloße Modifikationen dieser allgemeinen Leidenschaften; nemlich der F urc ht und der Lie b e. Diese Modifikationen werden, nach der Lage des Gegenstandes, den man fürchtet oder liebt, und nach seiner Beziehung auf uns, ob nah oder entfernt, erwartet oder unerwartet ist, u. s. w. verschieden. Dieser Hypothese zufolge sind alle unsere Leidenschaften ursprünglich eigennützig, indem sie sich auf unser [38] eigenes Vergnügen oder unsern Schmerz beziehen. Dieses stimmt auch mit unserer Beobachtung hinlänglich überein. Die Leidenschaften werden aber u ne ige nn üt zi g, wenn diese zusammengesetzte Gemüthsbewegungen, durch die Assoziation, auf andere Personen oder auf andere Dinge übergetragen werden. So liebt das Kind seine Amme oder seine Eltern, indem es mit dem Begriff der Amme und der Eltern verschiedene Vergnügungen, die es von ihnen oder in ihrer Gesellschaft erhalten hat, verbindet. Und, wenn es die meiste Glückseligkeit von ihnen, oder bey ihnen damals genossen, wenn sie selbst auch glücklich waren: so fängt es alsdenn an, auch ihre Glückseligkeit zu wünschen; und mit der Zeit wird diese fremde Glückseligkeit eben so sehr ein Gegenstand seines Verlangens, als es sein eignes Glück ist. Der natürliche F o rtga ng einer Leidenschaft kann am deutlichsten an der L ie be zum Ge ld bemerkt werden. Diese Leidenschaften entsteht so allmählig und langsam, daß man leicht jeden Schritt im Fortgang derselben nachspühren kann. Niemand wird mit der Liebe zum Geld gebohren. In der That vergnügt sich ein Kind bey seinem Geldstück nur eben so, wie es sich bey andern Dingen vergnügt, deren Gestalt oder Glanz seine Augen auf sich zieht. Dieses
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Vergnügen ist ganz von derjenigen Gemüthsbewegung verschieden, die ein Mensch fühlt, der an den Gebrauch des Geldes gewöhnt ist, und der [39] die Unbequemlichkeit des Geldmangels erfahren hat, wenn ihm nun eine Guinee oder ein Schilling überreicht wird. Diese Gemüthsbewegung ist eine sehr zusammengesetzte Empfindung, deren Bestandtheile gar nicht von einander zu unterscheiden sind, die aber alle einzeln mit der Idee des Geldes und des Nutzens desselben schon verknüpft worden waren. Denn, wenn ein Kind die erste Art von Vergnügen durch ein Geldstück, als durch ein bloßes Sp i e l ze ug, genossen hat: so erhält es durch den Besitz desselben ein hinzukommendes Vergnügen; indem es die Idee des Geldstücks mit der Vorstellung der verschiedenen Vergnügungen und Vortheile, die es ihm verschaffen kann, verbindet. Und mit der Zeit wird diese zusammengesetzte Idee des Vergnügens, welche ursprünglich aus den verschiedenen Vergnügungen, die ihm das Geld verursacht hätte, gebildet worden war, so genau mit der Idee des Geldes verkettet, daß das Geld ein Gegenstand einer eignen Leidenschaft wird; so daß sich die Menschen endlich gewöhnen, dem Geld nachzugehn, ohne auf den möglichen Nu tze n zu denken, den sie vom Besitz desselben haben könnten. Das W o l len ist eine Modifikation der Leidenschaft des Ver l an gen s, entfernt von einer t umu ltu ar isch en Be wegun g, welche die Idee eines vorzüglich angenehmen Gegenstandes, den man nicht in seiner Gewalt hat, erregt. Gewöhnlich folgen solche Handlungen auf das Verlangen, mit denen diese Gemüthsverfassung assoziirt [40] war; je nachdem man aus Erfahrung gefunden hat, daß diese Handlungen Mittel abgeben, uns zum Besitz des angenehmen Gegenstandes zu verhelfen. Ein Kind streckt anfänglich seine Hand ohne eine besondere Absicht aus, und es macht die Bewegung des Ergreifens, so oft die innere Fläche seiner Hand gereizt wird, oder ein allgemeiner Reiz da ist, welcher das System der Muskeln in Bewegung setzt. Wenn ihm aber Spielzeug und dergleichen in die Hand gegeben worden, und es nun die Hand zuschließt: so lernt es allmählig, sowol seine Hand von sich zu strecken, als auch nach etwas zu greifen. Endlich wird dieser Handlung zur Gewohnheit, und sie ist so innig mit dem Anblick eines angenehmen Gegenstandes verbunden, daß die Aktion des Ausstreckens und Greifens in dem Augenblick erfolgt, da das Kind einen angenehmen Gegenstand wahrnimmt. Jedermann, der die Handlungen der Kinder oft beobachtet hat, wird alle diese Schritte in dem Verfahren des Kindes öfters gesehen haben; und eben so muß man sich es vorstellen, daß wir auf gleiche Art allen unsern Wünschen genugthun lernen. Nichts hat mehr den Anschein des In st i nk ts, als die Bewegung besonderer Muskeln unter gewissen Umständen; und doch unterstehe ich mich zu behaupten, daß es schwerlich eine derselben giebt, von der nicht D r. H art ley einigermaßen gewiesen hätte, daß sie ursprüng[41]lich a ut omat i sch gewesen sey. Anfänglich wurden die Muskeln gezwungen, sich unwillkührlich zusammen zu ziehn; nachher aber werden sie so sehr mit der Idee des Umstandes assoziirt, daß auf die eine die andere unmittelbar und mechanisch erfolgt. Was geschieht augenblicklicher; was hat mehr den Anschein des Instinkts, als das Bestreben aller Thiere, das Gl eic hg ew ic ht ihrer Körper wieder zu erlangen, wenn sie Gefahr laufen zu fallen? Dennoch bin ich aus meiner eignen Erfahrung überzeugt, daß Kinder dieses Vermögen nicht haben; sondern es nur stufenweise und allmählig erhalten[.] Der nemliche Fall ist beym S aug en und der Bew egu ng der Au gen l iede r, wenn sich etwas dem Auge nähert. Diese Assoziation wird zwar in der Folge der Zeit so stark, daß es kaum möglich ist, wenn wir er-
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wachsen sind, ihr auch mit dem bestimmtesten Vorsatz zuwider zu handeln; ob man gleich dem Auge eines jungen Kindes, wenn es auch vollkommen wach ist, etwas noch so nahe und so plötzlich entgegen bringen kann, ohne bey ihm eine Bewegung seiner Augenlieder zu verursachen. Wer sollte in dieser Fürsorge für das Wac hst hu m a ller u ns erer Le ide nsc ha fte n und Neigungen, gerade so, wie wir sie nöthig haben, und in eben dem Grade, als sie uns durch unser Leben hindurch erforderlich sind, nicht die erstaunliche Simplizität der Natur, und die [42] Weisheit ihres großen Urhebers bewundern? Alles wird durch die allgemeine Disposition der Seele, sich nach allen Umständen zu richten, und von ihnen modifizirt zu werden, bewirkt, ohne die, dem Anscheine nach, beschwerliche und unschickliche Einrichtung verschiedener ursprünglicher, unabhängiger Instinkte, die zu tausend verschiedenen Gelegenheiten geschickt gemacht worden wären, und entweder zu unterschiedenen Zeiten uns eingepflanzt, oder so lange zu ruhen bestimmt seyn sollen, bis man sie nöthig hätte. Gewiß findet sich bey der allgemeinen Uebersicht dieses letzten Systems gar nichts, was es einem Philosophen empfehlen könnte, der sich an eine sehr verschiedene Gattung von System, bey andern Theilen der Natur, die den nemlichen Urheber haben, gewöhnt hat.
Dritter Versuch. Von zusammengesetzten und abgezogenen Begriffen. [43]
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Es giebt außer den einfachen S en sat i o ns idee n – wie H err L oc ke diejenigen Eindrücke nennt, welche die äußern, die Sinne affizirenden Gegenstände, als Fa rb e, T o n, Ge sc hm ack u. s. w. auf den Verstand machen – noch andere, die bey ihm Ref lex i o ns idee n heißen, dergleichen die Worte: Ve rst and, Geda n ke, Urt he i l, Kr af t, D aue r, Raum u. s. w bezeichnen. Er nimmt an, daß wir die letztern durch Reflexion über die Operationen unseres eignen Verstandes erlangen; und daß, wenn gleich sinnliche Ideen sie veranlassen können, diese doch nicht eigentlich sie au smac he n. Auf der andern Seite setzt He rr H art ley voraus, daß unsere äußern Sinne den Grundstof zu allen Begriffen, die wir besitzen, hergeben, und daß sie, welche Herr L oc ke Reflexionsideen nennt, nur Ideen von einer so zusammengesetzten Natur, und von so vielen Sensationsideen entlehnt sind, daß ihr Ursprung schwer auszuspühren ist. Und in der That ist es beym ersten Anblick derselben nicht sehr leicht zu begreifen, wie sie aus sinnlichen Ideen zusammengesetzt seyn können. [44] Um diese Schwierigkeit ein wenig zu mindern, überlege man, wie außerordentlich unterschieden in dem Auge de s Ver sta nde s, wie wir sagen möchten, unsere Vorstellungen sinnlicher Dinge von irgend einem Gegenstand sind, von dem sich vermuthen ließe, daß er ihre Wirkung auf uns angehe, wie z. B. die Idee vom Sch a ll e, von der zitternden Bewegung der Lufttheilchen, und noch mehr die Ideen von verschiedenen F ar be n, von den verschiedenen Graden der Brechbarkeit der Lichtstrahlen. Und was dem vorliegenden Falle noch näher kommt; was für eine verschiedene Wirkung hat nicht die M i sc hu ng mehrerer Farben von
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der, die wir a priori hätten vermuthen können? Welche Aehnlichkeit ist zwischen We iß und der Mischung der sieben Hauptfarben, woraus das Weiße besteht, die alle so sehr vom Weißen unterschieden sind, als die eine von der andern verschieden ist? Welche Kraft des Verstandes würde bloß durch die Aufmerksamkeit auf die Idee diesen Eindruck in seine Bestandtheile zerlegen können, ohne die Ver suc he machen zu müssen, die den Ne wt on auf diese wichtige Entdeckung geleitet haben? Gewiß eine Person, die in optischen Wissenschaften unerfahren ist, kann schwer überredet werden, daß Schw ar z nicht eben so eine wirkliche Farbe sey, wie Ro th oder We iß. Auf gleiche Art können aus der Vereinigung der Ideen, und besonders sehr unähnlicher Ideen, Vorstellungen entspringen, welche dem Anschein nach von den Theilen, woraus sie bestehen so [45] verschieden sind, daß sie eben so wenig durch die Ref lex i o n de s V ers ta ndes zerlegt werden können, so wenig die Idee von der We iße analysirt werden kann. So ausgesucht ist die Struktur unsers Verstandes! Ein ganzer Haufe von Ideen kann so vollkommen in eine verwachsen, daß sie nur eine einfache Idee zu seyn scheinen; und einzelne Worte können mit einem solchen Haufen so vereinigt werden, daß sie jene Ideen mit der nemlichen Gewißheit und Deutlichkeit erwecken, als wenn sie ursprünglich einfache Sensationen gewesen wären. Wie zusammengesetzt sind zum Beyspiel die Ideen, die solche Worte ausdrücken, welche verschiedene Be sch äf ti gun ge n, Bed ien u nge n und S tä nde bezeichnen, als: K ön i g, Ka ufm an n, Sc hau s pi ele r, Rec hts ge lehrt er, P red iger u. s. w. oder auch diejenigen, die verschiedene Sp i el e, wie Kri c ket, Wh i st, P iq uet u. s. w. bedeuten. Die an diese Worte angehefteten Ideen müssen ein kurzer Auszug aus ihren De f in it i o nen seyn; und wenn sie ohne Definitionen, vermittelst einer Reihe von Be ob ac ht un ge n, erlangt worden sind, so werden die Ideen noch zusammengesetzter seyn. Man führe ein Kind in das Theater, damit es eine Gesellschaft von Menschen von Zeit zu Zeit in sehr verschiedenen Charakteren sehn möge. Man sage ihm, es müsse diese Personen S ch aus p ie ler nennen. Dieses [46] Wort wird in ihm einen kurzen Begrif von allem dem erwecken, was es sie verrichten gesehen hatte; und wenn es auf diese zusammengesetzte Idee Acht giebt, so werden selbst die Gesichtszüge und die auffallendsten Gebehrden der vorzüglichen Schauspieler in dieser Idee deutlich seyn. So wie aber nach und nach alle diese besonderen Umstände unter einander vermischt, und vollkommen assoziirt werden, so verliert sich am Ende alles, was bloß einzelnen Personen eigen war; und nur was an allen bemerkt wurde, bleibt an dieses Wort angeheftet zurück, wenn dasselbe anders mit der gehörigen Genauigkeit erklärt worden ist. Dies ist das Geschäfte, welches die Ab str a kti on en genannt wird, und vermittelst dieses Prozesses erlangen wir hauptsächlich diejenigen Ideen, welche der Ref lexi o n zugeschrieben wurden. Ihre Ableitung von sinnlichen Ideen ist zu entfernt, und zu dunkel, um kenntlich zu seyn, oder sie ist auch beym ersten Anblick eben so sehr verdächtig. Auf eben die Art, wie wir die Ideen erlangen, welche wir an die Worte: S c hau sp ie ler, Ka ufm an n, K ön ig u. s. w. angeknüpft haben, die zuerst außerordentlich zusammengesetzt sind, erhalten wir auch die Idee, die wir bey dem Wort: der Ged a nke oder das De nken haben. Diese Idee ist in der That eine Abkürzung oder Vereinigung verschiedener äußerlicher
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Zeichen oder Merk[47]male, und eben so auch innerlicher Empfindungen, durch welche ein Mensch (außer der allgemeinen äußerlichen Gestalt) von den Thieren unterschieden ist. Wenn wir nur auf die kurze und einfache Art, wodurch wir die Idee von We iß oder von der We iße bekommen, Acht haben, – nemlich, daß wir alles, was den verschiedenen Gegenständen, die wir von dieser Farbe gesehen, besonders eigen ist, auslassen, und die Bedeutung des Worts nur auf das einschränken, was sie alle gemein haben: – so können wir nicht in Verlegenheit seyn, zu bestimmen, auf welche Weise wir solche Ideen erhalten, wie durch die Worte: S u b s t a n z, Ra u m, D a u e r, E in f a c h he it, W ir k l ic hk e i t, M ög l ic hke it, N ot h wen d ig k e it, Zuf ä ll ig ke it u. s. w. bezeichnet werden. Denn diese Worte drücken nur diejenigen Umstände aus, in welchen eine große Verschiedenheit von partikulären Dingen, die alle ursprünglich Gegenstände unserer Sinne sind, übereinkommen, wobey die besondern Eigenschaften eines jeden übersehen werden. Auf gleiche Weise scheint die Idee von K ra ft bey dem ersten Anblick sehr einfach zu seyn, aber in der That ist sie erstaunend zusammengesetzt. Ein Kind stößt an etwas, das ihm im Wege steht; es weichet. Das Kind wünscht zu gehen oder zu laufen, und findet, daß es das thun kann, wenns ihm gefällt. Auf eben die Art unternimmt es eine Menge von andern körperlichen und Geistesübun[48]gen, wobey es findet, daß es nur von ihm selbst abhängt, ob es sie ausüben will oder nicht; und endlich benennt es dies allgemeine Gefühl, welches der Erfolg tausend verschiedener Eindrücke ist, mit dem Namen: Kr af t. Es sieht andere Personen eben das vornehmen, was es selbst that, und deswegen sagt es, daß sie die nemlichen Kräfte haben, die es selbst hat; und indem andere Leute verschiedene Dinge ausrichten, so giebt ihm das die Idee von v e r s c h ied e ne n K r ä f t e n oder F ä h ig ke it e n. Selbst leblose Dinge haben gewisse unveränderliche W ir ku nge n, wenn sie auf eine besondere Art angewandt werden. So erhält ein Seil eine Last, ein Magnet zieht Eisen, eine geladene elektrische Flasche giebt einen Schlag, u. s. f. Aus diesen und andern ähnlichen Beobachtungen erhalten wir die Idee von K raf t im a l lge mei ne n betrachtet; so daß wir den Begrif von Kraft wirklich auf dieselbige Art erlangen, wie wir die Idee von irgend einer andern Eigenschaft, die einer Anzahl von Körpern eigen ist, erhalten; indem wir nemlich das auslassen, was jedem eigenthümlich ist, und das Wort nur dem besondern Umstand oder der Erscheinung zueignen, worinnen sie alle übereinkommen. Ein fürtreflicher und sehr schätzbarer Schriftsteller hat den Begrif von So l id it ät oder Und urc hdr in g l ich ke it ausgelesen, als wenn er nicht von den S i nn en hergeleitet werden könne, sondern seinen Ursprung in [49] dem V ers ta nde haben müßte; weil »wir keine wirkliche Erfahrung von wahrer Undurchdringlichkeit gehabt haben, indem alle Beobachtungen und Versuche, welche wir bisher an Körpern gemacht, ohne diese Voraussetzung erklärt werden können.« Man sehe des D o kt or P ri ce Un ter suc hu ng der vo r zügl i ch ste n Fr age n a us d er Mora l. S. 23. Allein es ist leicht einzusehen, daß die Meinung von der Undurchdringlichkeit der Materie, und die dazu gehörigen Ideen eher erzeugt worden sind, als man einen Irrthum in diesem Falle entdeckt hat. Man wird leicht annehmen, daß, was ein Kind, oder besser ein Knabe unter I mp en etra b i l ität versteht, bloß von dem Eindruck herrühre, der in seinem Verstand zurückgelassen wird, wenn er gegen einen Körper drückt, der ihm nicht weicht, und wenn er öfters Körper beobachtet, die gegen einander stoßen, und ihre Plätze ändern, ohne jemals sich in einem zu vereinigen; ausgenommen, wenn verschiedene Körper vereinigt werden, um einen größern zu
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bilden, oder wenn einige in die Zwischenräume von andern aufgenommen werden. Aus der Geschichte des Pater B os k owi ch und des Herrn M ich el l sehen wir, daß sogar über den Begrif von der eigentlichen Un durc hdr i ngl i ch ke it der Materie gestritten werden kann. [50] Bey dem Begrif von der Kr aft de r Trä ghe i t der Materie, oder von ihrem W ider s ta nd und Un t hät ig ke i t, sehe ich nicht mehr Schwierigkeit. Denn, »wenn wir gleich nie einen Theil der Materie ohne alle Schwere, oder andere wirkende Kräfte gesehen haben,« S. 26: so ist es doch eben so leicht, als irgend eine andere Verrichtung der Abstraktion, die Idee von diesen Kräften bey der Betrachtung der Materie auszulassen. Wenn wir aus allgemeinen Erfahrungen schließen, so können wir auch keinen Begrif von Ver ände ru nge n entweder von der Ruhe oder von der Bewegung haben, ohne daß etwas äußerlich auf sie wirke. Diese Phänomene auf einer Billardtafel können sich nicht anders als auf diese Art dem Verstande eindrücken. Wir sehen daselbst, daß stille liegende Kugeln sich anfangen zu bewegen, oder daß ihre Direktion in der Bewegung durch das Anstoßen anderer Körper verändert wird; aber nie sahen wir eine Kugel plötzlich von selbst sich bewegen. Da die Tafel eben ist, so wird die Idee von Sc h were oder von dem Hange, sich abwärts zu bewegen, leicht ausgeschlossen. Um den Grund von dem Begrif der Ze it angeben zu können, scheint es mir hinlänglich, wenn nur auf einige bekannte Thatsachen Acht gegeben wird, nemlich auf folgende: daß die Eindrücke, die durch äußere Gegenstände gemacht werden, eine Zeitlang in dem Verstand [51] zurückbleiben; daß diese Zeit nach der Stärke des Eindrucks, und nach andern Umständen verschieden ist, und daß die Spuren von diesen Eindrücken, d. i. d ie Idee n, nach der Zwischenkunft anderer Ideenreihen, zu verschiedenen Zeiten wieder zurückgerufen werden können. Wenn ich ein Haus ansehe, und dann meine Augen zuschließe, so verschwindet der Eindruck, den es auf meinen Verstand gemacht hat, nicht unmittelbar, sondern ich kann die Idee von dem Hause so lange gegenwärtig haben, als ich will; ja sie kann auch vermittelst unterschiedener assoziirter Nebenumstände einige Jahre nachher wieder zurückgerufen werden. Müssen nun nicht diese Thatsachen, und tausend andere von der nemlichen Art, nothwendig die Begriffe von D auer und F o lge hervorbringen, da sie die ersten Gründe unseres Begrifs von der Ze it sind? Wenn alle unsere Empfindungen und Begriffe in dem Augenblick, da ein äußerlicher Gegenstand den Sinnen entzogen wird, gänzlich vernichtet würden, so könnten wir keine Begriffe von der Da uer und der Fo lge haben, weil es an Gelegenheit fehlte, unsere Ideen zu vergleichen. Aber bey der Annahme des Gegentheils, (welches, wie bekannt, die Wahrheit ist) werden die Begriffe von der F ol ge, D auer, Ze i t nothwendig erzeugt; das ist, es werden solche Beschaffenheiten des [52] Verstandes hervorgebracht, auf welche diese Namen oder andere gleichbedeutende Zeichen angewandt werden können. Die Begriffe von der Folge, Dauer und Zeit werden eben so, wie andere Ref lex i on s idee n, – Redensarten, die wirkliche Verschiedenheiten in unsern geistigen Em pf i ndu nge n ausdrücken, – durch den Eindruck äußerlicher Gegenstände veranlaßt. Ich habe alle die andern Ideen, die D o kt or P ric e erwähnt, sehr sorgfältig untersucht, aber ich muß gestehn, ich sehe keinen Grund, warum ich zu etwas anderm meine Zuflucht nehmen sollte, als zur bloßen Sensation, und zur Einschränkung des Gebrauchs der Worte auf einen gewissen Theil einer sinnlichen Idee, oder auf einen sich darauf beziehenden Umstand, um von ihnen Rechenschaft geben zu können.
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In der That, sagt er S. 37: »Unsere abgezognen Begriffe scheinen auf das eigentlichste zum Verstande zu gehören. Sie sind bey allen seinen Operationen vollkommen wesentlich; da jedwede Handlung des Urtheilens eine gewisse abgezogne oder allgemeine Ideen sich faßt Würden sie auf die bereits im Allgemeinen angeführte Art von der Seele gebildet, so scheint es, man müsse schlechterdings auch annehmen, die Seele habe sie schon zu der Zeit, da [53] man sie mit ihrer Bildung beschäftigt zu seyn glaubt. So sagt man, z. B., wir können aus irgend einer besondern Idee von einem Dreyec k die allgemeine Idee bilden. Aber setzt nicht eben dieses Nachdenken über ein größeres oder kleineres Dreyeck, welches doch hiezu nothwendig seyn soll, gerade voraus, daß die allgemeine Idee bereits in der Seele seyn müsse? Wie würde die Seele sonst wissen, wie sie es anzufangen habe, oder was zu überdenken sei?« Es ist wahr, daß jemand, dessen Begriffe schon lange gebildet worden sind, kein besonderes Dreyeck ein g le ic hse it ig es Dre yec k nennen kann, ohne dadurch, daß er es auf diese Art von andern Dreyecken unterscheidet, zu verrathen, er habe schon einen abgezognen Begrif von einem Dreyeck. Allein dieses war nicht der Fall, da die Idee zuerst entstund. Ursprünglich ist der Seele eines Kindes die Idee eines besondern Dreyecks eingedrückt. Zu dieser Zeit würde ihm das Wort, Dreyeck, wenn es gelehret würde, diese Figur mit diesem Namen zu nennen, nichts mehr darstellen, als eine Figur von eben der Gestalt und Größe, wie es sie gesehn hatte. Sieht es aber nachher andere Figuren, die auch, wie jene, von drey ger aden L i n ien begränzt sind, und lehrt man es, diese gleichfalls Dreyec ke zu nennen: so abstrahirt es alsdenn [54] von seiner vorigen Idee eines Dreyecks alles, was das erste, das es zu sehen bekam, besonderes hatte, und eignet den Ausdrucken nur denen Beschaffenheiten zu, die das bestimmte Gemeinschaftliche haben. Dann also, und nicht eher zeigt das Kind, wenn es von verschiedenen Dreyecken redet, daß es einen Begrif von dem hat, was ein Dre yec k im A l lg eme ine n sey, das ist, es weiß, was die eigentliche De fi nit i on desselben ausmacht. Denn alle Ideen von Dreyecken, die es wirklich betrachtet, sind immer Ideen von besondern Dreyecken, aber sie sind veränderlich und unbestimmt. – Nun gehen wir in der Betrachtung einiger zusammengesetzten Ideen, die einfach zu seyn scheinen, weiter. Jedermann, glaube ich, empfindet eine Art von Vergnügen in dem Augenblick, da Licht in eine finstere Stube gebracht wird; und unangenehme, Melancholie einflößende, und zuweilen den Gränzen des Schreckens sich nähernde Empfindungen, wenn man plötzlich aus einem hellen an einen ganz dunkeln Ort kömmt. Diese Empfindungen entstehn in einem Augenblick, sind beständig, und dem Anschein nach ein f ac h; allein sie sind ohne Zweifel die Frucht der Assoziation, aber aus tausend Sensationen und Ideen gebildet, die man unmöglich trennen oder analysiren kann. Sie sind auch bey verschiedenen Personen, vorzüglich nach [55] den Umständen ihres frühern Lebens, außerordentlich verschieden. Die Begriffe, die an den Worten: m or a li sch Rec ht und Un rec ht, kleben, sind gleichfalls bey weitem nicht einfache Begriffe, wenn gleich die Assoziation ihrer Theile nach einem langen Zeitraum so innig und so vollkommen geworden ist, daß, so bald man sie nennt, sie diesen Anschein der Einfachheit annehmen. Auf eben die Art scheint die Bewegung des Kopfs, oder irgend eines besondern Gliedes ein sehr einfaches Ding zu seyn; wenn gleich, um sie zu bewirken, eine große Anzahl von Muskeln beschäftigt ist. Die ersten Gründe der Ideen von Rec h t, Un rec ht und V er bi nd l ic hk e it, scheint ein Kind alsdann zu erlangen, wenn es sich durch eine höhere Gewalt zurückgehalten und be-
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herrscht findet. Zuerst fühlt es nichts als St är ke, und folglich hat es keinen Begrif von irgend einer Art von Zwang, als den von der bloßen N ot h we ndi g ke it. Es findet dabey, daß es seinen Willen nicht haben kann, und darum unterwirft es sich. Nachher bemerkt es mancherley Umstände, welche das Ansehn eines V ater s, eines Le hre rs, von dem Ansehn, welches andere Personen haben, unterscheiden. Begriffe von E hrer b ietung, L iebe, Hochac htung begleiten ihre Befehle, und allmählig lernt es die besondern V orthe i le der kindlichen Unterwerfung. Es sieht auch, daß [56] alle seine Gesellschafter, die ihren Eltern gehorchen, von andern bemerkt und bewundert werden, und daß die andern, die widerspenstig sind, allgemein mißfallen. Diese und andere Umstände fangen nun an, die Idee von der bloßen N ot hw e ndi gk ei t zu verändern und zu modifiziren, bis das Kind nach und nach die Befehle der Eltern als etwas ansieht, dem man sich nicht widersetzen, oder wogegen man nicht disputiren dürfe, wenn man auch die Kraft hätte, es zu thun. Wenn nun alle diese Ideen sich zusammen vereinigen, so bilden sie die Ideen vom m ora l is che n Rec ht, und von m ora l i sche r V er bi nd l ich k ei t, welche sehr leicht von den Befehlen der Eltern auf die Befehle eines Magistrats, Gottes, und des Gewissens übergetragen werden. Ich unterstehe mich zu sagen, daß jemand, der auf die Ideen der Kinder Acht giebt, es wahrnehmen wird, daß Ideen von moralischem Recht, und moralischer Verbindlichkeit, nur stufenweise und sehr langsam, aus einer langen Reihe von Umständen gebildet werden, und daß eine beträchtliche Zeit hingeht, ehe sie alle zur Deutlichkeit und Vollkommenheit gelangen. Diese Meinung von der allmähligen Bildung der Ideen vom moralischen Recht und Unrecht, aus sehr verschiedenen Grundstoffen, giebt von der wunderbaren Verschiedenheit der Gesinnungen der Menschen, in Anse[57]hung der Gegenstände der moralischen Verbindlichkeit, sehr leicht den Grund an; und ich finde nicht, daß irgend eine andere Hypothese diese Thatsachen erklären könne. Wäre die Idee von der m ora l is che n Verb i nd l ic hk ei t eine e i nfa che Idee, die von dem Anblick gewisser Handlungen oder Gesinnungen entstünde, so sehe ich nicht ein, warum sie nicht eben so u n verä nde rl ic h seyn sollte, als die Gewahrnehmung der Farben und der Töne. Die Gestalt und Farbe einer Blume erscheint jedem menschlichen Auge als eben dieselbe. Aber ein Mensch unternimmt etwas, als eine moralische Pflicht, was ein anderer mit Abscheu ansieht, und woran er nicht ohne Gewissensangst denken kann. Ein Ding also, welches nach der mannigfaltigen Erziehungsart, und zufolge des verschiedenen Unterrichts verschieden ist, wie dieses von den moralischen Gesinnungen gilt, hat gewiß allen Anschein, daß es auf eine solche Art, die ich eben beschrieben habe, aus einer Reihe verschiedener Eindrücke erzeugt werde. Die anstößigsten Laster, die Menschen begehen können, sind Ung erec ht ig ke it und T odsc h la g; und doch wird man schwerlich einige Umstände angeben können, unter welchen nicht irgend ein Theil des menschlichen Geschlechts sich ohne die geringste Gewissensangst eines Eigenthums bemächtigt, oder andern das Leben genommen hätte; so daß die Definition dieser Laster bey[58]nahe in jedem Lande verschieden seyn muß. Eine Idee also, oder eine Empfindung, die auf einer willkührlichen Erklärung beruht, kann, eigentlich zu reden, nicht natürlich, sondern sie muß machbar seyn. Ein Laster, dessen Erklärung am wenigsten einer Verschiedenheit ausgesetzt ist, ist das Laster der Lü ge; und doch getraue ich mich zu sagen, daß ein Kind bey der geringsten Versu-
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chung eben so leicht die Unwahrheit sagen wird, als die Wahrheit; nemlich so bald es muthmaßen kann, daß es zu seinem Vortheil gereichen werde. Die Furcht, eine Lüge zu sagen, die sich in der Folge bey ihm findet, bekömmt das Kind hauptsächlich dadurch, daß es von denen, die es auf einer Lüge angetroffen haben, bedroht, gestraft und erschreckt worden ist; bis endlich eine Anzahl von schmerzhaften Eindrücken an die Erzählung einer Unwahrheit angeheftet wird, so daß das Kind schon beym Gedanken an dieselbe zu schaudern anfängt. Bey Kindern aber, bey welchen man diese Sorge nicht angewandt hat, entsteht eine solche Fertigkeit, Lügen zu sagen, und eine solche Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit, daß es Personen, die auf eine andere Art erzogen worden sind, kaum glauben können. Ich selbst wurde so streng und so anständig erzogen, daß das Hören des geringsten Eides oder eines unehrerbietigen Gebrauchs des Namens Gottes in mir eine Sen[59]sation erweckt, die mehr als geistig ist. Sie gränzt zunächst ans Schaudern, und ich glaube, daß Tausend eben das fühlen, da hingegen andre tugendhafte und ehrliebende Personen, wie ich aus meiner eignen Beobachtung überzeugt bin, in andern Rücksichten, nicht die geringste moralische Unschicklichkeit bey der größten möglichen Entweihung der Sprache empfinden. Bey einer andern Erziehung würde ich auch eben so profan, wie sie, geworden seyn; und meine Erziehung würde ihnen (bey der übrigen gleichen Empfindlichkeit gegen die Eindrücke im Allgemeinen, wiewol, gegen sie alle gleich indifferent) diese meine besondere Empfindlichkeit verschaft haben. Nun kann kein Grundsatz, der als a nge b o hre n, oder als natürlich angenommen wird, gewisser und mechanischer wirken, als dieser, wovon ich weiß, daß er in Beziehung auf mich selbst erst erlangt worden ist. Aber ohne Reflexion und Beobachtung, und aus meinen eignen ge gen wä rt ige n Emp f in du nge n zu urtheilen, würde ich, ohne die geringste Besorgniß, mich zu irren, geschlossen haben, daß die Sc heu v or d em E ide dem menschlichen Geschlecht natürlich und unveränderlich sey. Doch die Empfindungen, welche die Begriffe von Tugend und Laster begleiten, mögen durch Instinkt entstehn, oder sie mögen erworben seyn: ihre W ir ku ng ist immer dieselbe; so daß das Interesse der Tugend, bey dieser Theorie sowol, als bey einer andern, gleichmäßig [60] gesichert ist. Es findet sich im Lauf unsers Lebens ein hinlänglicher Vorrath, woraus moralische Grundsätze, Gesinnungen und Empfindungen in eben dem Maas erzeugt werden, in welchem sie uns im Leben nöthig sind, mit allen Verschiedenheiten in Ansehung der Moden und anderer Umstände, die wir in verschiedenen Altern und Gegenden antreffen, und die die verschiedenen Umstände des menschlichen Geschlechts in verschiedenen Altern und den mehreren Gegenden zu erfordern scheinen.
IV. REZENSIONEN
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Bey Nicolai: Ue ber d ie bür ger liche Ver besseru ng de r Jude n, von Christ ia n W i l hel m D oh m. 1781. 13 B. Oct. – Eine wackere Schrift, voll der lichtesten Blicke in das Wesen der Staatskunst, Gesezgebung und der davon abhangenden bürgerl. Glückseligkeit. Man muß wünschen, daß die nachdrückl. Fürsprache dieses eifrigsten unter allen Vertheidigern der Juden nicht bloß von dem kleinen Theil des lesenden gelehrten, meist unwirksamen, Publikums, sondern hauptsächl. von den Grossen dieser Erde gehört werde, denen das glückl. Loos gefallen, versäumte Menschen zu beglücken. Wenn die Vorschläge des V. auch nicht in der weiten Ausdehnung ausführbar wären, (wie wir wenigstens nicht glauben); so könnte doch einiges zur Verbesserung der polit. Verhältnisse dieses Volks gethan werden. Aber die Sache hat zu viele Seiten, als daß wir sie hier alle fassen, und über die Güte so ausgedehnter Verbesserungsvorschläge im Allgemeinen entscheiden dürften. Wir werden daher bloß thun, wozu uns [754] der Verf. auffordert, seine Gedanken prüfen, und untersuchen, ob er, da er uns alles in einem gewissen Lichte zeigt, nicht bisweilen einem mehr blendenden als erleuchtenden Schimmer nachgegangen ist. Er beginnt mit einer beklemmenden Schilderung der traurigen Lage dieses Volks. Fast in ganz Europa zielen die Gesetze dahin ab, die Vermehrung der Juden zu verhindern. In den Staaten, in welchen man ihnen den Aufenthalt nicht ganz versagt, werden sie doch nur unter den lästigsten Bedingungen geduldet. Sie müssen selbst die Vergünstigung ihres Aufenthalts im Lande jährlich durch eine starke Abgabe erkaufen. (Wie stark ist die? Hier zu Lande sind die Abgaben der Juden nur um ein geringes beträchtlicher, als die der Christen, und die ganze Judensteuer ist nur in so fern drückend, als sie dem Reichen wie dem Armen abgefordert wird; aber diese Unbequemlichkeit hat ja auch die Kopfsteuer. Auch die vom Verf. gerügte Verhinderung der Vermehrung der Juden ist so arg nicht. Viele Kinder sind noch immer des Juden größte Ehre; und die haben sie. Sie heirathen früher; sie geniessen viele zum Beischlaf anreizende Nahrungsmittel; und wenn die durch viele Geburten geschwächten Mütter wegsterben, so sehen sich die Männer, bei welchen die Zeugungskraft länger ausdauert, gewöhnlich wieder nach jungen Weibern um. Daher besteht die an manchen Orten oft zahlreiche Judenschaft meistens aus sehr wenigen Stammfamilien; der Stamm eines Christen verbreitet sich selten in so viele Aeste.) Bey so mannigfaltigen Abgaben ist ihr Gelderwerb aufs äusserste beschränkt, gewöhnlich auf einen kleinen Detailhandel und auf Ausleihung ihrer Kapitalien zu bestimmten Zinsen, wobey sich die Gesetze wiederum fast immer partheyisch für den [755] Schuldner beweisen. Unmöglich kann ihre Religion unsere Regierungen zu diesem harten Betragen gegen sie rechtfertigen, da ja das Mosaische Gesezbuch auch den Christen ehrwürdig ist. (Nur nicht als jezt geltendes Gesezbuch. Sehr weise waren diese Gesetze allerdings in jenem frühen Zeitalter der Beschränkheit der geselligen Gefühle, und passend für eine Horde von Menschen, die erst zu einer Nation, und zwar zu einer s o lch en Nation, welche die Greuel der Abgöttereyen verabscheuen mußte, gebildet werden sollte. Der Jude liebte seinen Nächsten; aber der Nächste war nur der Mitjude. Dieser Nationalstolz und Religionshaß mußte dem Volk damals tief eingewurzelt werden. Wenn sie sich demnach jezt, da sie nicht mehr unter Abgöttern wohnen, an den Buchstaben jener Gesetze, meist ein blosses Schild Rabbinischer Sophismen, halten, so berauben sie sich selbst der ihnen zukommenden natürlichen Rechte. Die Juden könnten, wie uns dünkt, Juden bleiben, und doch die richtigere Schätzung des wahren Gehalts der Mosaischen Gesetze, wie ihn die Vernunft und unsere christlichen Lehrer aufgefunden haben, annehmen, da sie ohnehin in unsern Staaten so vielen Mosaischen Gesetzen nicht nach-
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leben können. So liesse sich vielleicht jene Schwierigkeit heben, die auch unserm Verf. Mühe gemacht zu haben scheint, weil er sich mit der mißlichen Voraussetzung behilft, daß jede Religion ihren Anhängern eine Art von Abneigung gegen die aller übrigen behauptet. Wir wollen hievon den Geist des Christenthums ausnehmen, und überhaupt noch anmerken, daß die politische Güte und Nichtgüte der Religionen nicht einmal nach der Vernunftmässigkeit und Wahrheit ihrer in Bücher verfaß[756]ten Lehren, sondern nach dem Leben der Bürger beurtheilt werden muß.) Die Freyheit des Menschen, das höchste Wesen auf die Art zu verehren, die er ihm die würdigste und gefälligste glaubt, und die Glückseligkeit eines andern Lebens auf dem, nach seiner Meinung, sichersten Weg zu suchen, gehört zu den natürlichen Rechten, die er sich auch als Bürger vorbehält. (Der Staat schreibt hierin seinen Beherrschern Gesetze vor, und bey einzelnen Individuen sollte er nicht bestimmen dürfen, unter welchen Bedingungen sie alle Bürgerrechte erlangen können? Pen sezt fest, wer einen Gott glaubt, kann Bürger werden, und wer an Christum glaubt, kann auf Aemter im Staat Anspruch machen. Das strenge Recht kann dem Staat nicht abgesprochen werden. Die Politik wird freylich die ausschliessenden Grundsätze verschiedener Religionspartheyen so zu mildern suchen, daß sie der grossen Gesellschaft nicht nachtheilig werden.) Die Regierung müßte sich bemühen, den Einfluß der ungeselligen, gehässigen Grundsätze des Judenthums, wenn es deren hat, dadurch zu schwächen, daß sie die allgemeine Aufklärung der Nation, und ihre von der Religion unabhängige Sittlichkeit beförderte. (Das hat die beste Politik noch nie geleistet, und sie kann es nicht leisten, weil eine solche allgemeine Aufklärung, deren Bewirkung der Sittlichkeit für alle Stände zureichte, nie zu erreichen ist. Der Jude müßte aufhören, Jude zu seyn, wenn ihm einmal jene hohe Aufklärung zu Theil würde. Der Grund von der Sittlichkeit der meisten Menschen hat immer im Gebiet der Religion gelegen; und er lag fest.) Hauptsächlich würde der Genuß der bürgerlichen Glückseligkeit und Freyheit die ungeselligen Religionsgesinnungen verscheuchen. War[757]um sollte er Menschen hassen, die keine kränkenden Vorrechte mehr vor ihm geniessen? (Weil er Jude ist, d. h. von seinen Geszbüchern, Traditionen und Sophistereyen seiner Rabbinen nicht abweicht. Sie haben, die Geschichte lehrt’s, Freyheiten genug genossen, und sie sind gerade in solchen Perioden immer dreister geworden in Verschwörungen und Aufruhren; und diese werden immer zu befürchten seyn, so lange sie auf die Ankunft des Messias harren, und sie werden darauf harren, so lang sie Juden sind. Durch den Genuß völlig gleicher Rechte verschiedener Religionspartheyen wird, unsern Beobachtungen zufolge, Eifersucht und Neid auf irgend einer Seite vermehrt. Dies lehrt die neueste Englische Geschichte. Nun wäre die Frage, ob der Staat durch die politische Eifersucht des Juden, oder des Christen mehr verlieren würde?) Der Verf. kann nicht läugnen, daß die Juden sittlich verdorbener sind, als andere Menschen; aber er glaubt, ihr unglücklich gebildeter Charakter sey eine Wirkung der fehlerhaften Politik, die sie seit so vielen Jahrhunderten gedrückt hat. Daß sie uns also hassen und betrügen, ist Alles unser Werk. Dies ist der Hauptsetz, auf welchen der Verf. immer wieder zurückkömmt. (Einigen Beytrag dieses Moments zu ihrer grössern Verschlimmerung wollen wir allenfalls zugeben. Allein wenn nun die Geschichte, die doch hier allein entscheiden kann, lehrte, daß die Juden gedrückt worden sind, weil sie nichts taugten? Hier nur ein Paar Data. Als ihr Erretter ihnen zum Glück der Freyheit verhalf, klagten sie zur Dankbarkeit über den Verlust der Aegyptischen Fleischtöpfe. Ihre ganze auf den Glauben an einen Gott gegründete Rechtsverfassung und die unausbleiblichen Bestrafungen des Hochverraths konnten sie [758] doch nicht von wiederholten Rückfällen
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zur Abgötterey zurückhalten. Die schönsten Titel bey Moses und den Propheten sind diese, ein undankbares, freches, hartnäckiges, widerspenstiges Volk. Sie haben späterhin, unter den Ptolemäern sowol, als unter den Römern, glänzende Perioden der Freyheit gehabt. Immer aber haben sie sich durch Empörungen und Schelmereyen derselben unwürdig gemacht. Daß sie dem Cäsar anhingen, geschah aus Jüdischem Eigennutz; er hatte ihren Bezwinger, dem Pompejus, gedemüthigt. Schon unter Tiberius mußten sie aus Rom fort, wegen des schändlichen Streichs, den ein Jude der Fulvia spielte. Dies war gerade ein solcher, der den Zutritt in grossen Häusern hatte, ein Hofjude, für uns ein lehrreiches Beispiel, wie schwer sie den Mißbrauch einer gefälligen freundschaftlichen Behandlung vermeiden können. Später die Empörungen unter Trajan, Hadrian u. s. w.) Der bestimmte Charakter einer Nation sey nicht eine unterscheidende unabänderliche Eigenschaft einer ihr eigenen Modification der menschlichen Natur, sondern des Himmelstrichs, der Nahrungsmittel, und vornehmlich der politischen Verfassung. (Die Religion hat der Verf. unter diesen Stücken nicht genannt; er würde in der Anwendung seines Räsonnements auf die Juden gewiß ein anderes Resultat gefunden haben.) Wir überschlagen die kurze Geschichte der Entstehung der heutigen Verfassung der Juden. Sie hebt mit der Herrschaft der Römer an. Der Verf. hat insonderheit die Verordnungen aus dem Römischen Gesezbuche, welche die Juden angehen, sehr fleissig gesammlet. Wir hätten gewünscht, daß er auch die Gründe, warum ihnen ihre Rechte von Zeit zu Zeit beschnitten wurden, aufgesucht hätte. Er würde [759] gefunden haben, daß allemal ihre Unarten Veranlassung dazu gegeben, und daß also ihr damaliger und heutiger Druck nicht willkührliche Kränkung ihrer Rechte oder Tyranney war, sondern daß sie sich selbst einer milden Regierung unfähig machten. Einige vom Verf. zum Ruhm der Juden angeführte historische Data (zu ihrem Nachtheil hat er, wie es scheint, absichtlich keine gesammlet,) werden von ihm noch künftig berichtigt werden können. Wir zweifeln z. B. sehr, daß sich die Jüdische Religion im Zeitalter des Claudius eine Art von Achtung vor allen übrigen erworben. (Kurz vorher muthete ihnen Caligula zu, daß sie seine Statue in ihren Tempeln anbeten sollten. Und die Spöttereyen der Dichter, z. B. Juvenals, und der Geschichtschreiber, lassen uns an keine solche Achtung denken.) Man wird sich nicht wundern, daß Hr. D. viele Gesetze im Römischen Corpus Juris, die Juden betreffend, für drückend und ungerecht hält, die sich doch rechtfertigen lassen, besonders, wenn man bedenkt, daß dies Volk durch sein schlechtes Betragen die Gesezgeber dazu zwang. So würden wir auch die in andern Länder üblichen Verfügungen entschuldigen; daß die Juden z. B. in Frankfurt des Nachts in ihre Strasse eingesperrt werden, hat sicherlich irgend ein warnendes Faktum zum Grund. Die Juden, fährt der Verf. fort, würden bey der Neuheit und Ungewöhnlichkeit einer mildern Behandlung auch eine neue und ungewöhnliche Rechtschaffenheit beweisen. (Das sollte man a priori erwarten. Aber die Beispiele schrecken wieder sehr, zum Beweis, daß die Gemüthsart der Nation durchaus verdorben ist. Man denke hier nur an die Geschichte des Wirtenbergischen Ministers Süß, dessen ungewöhnliche Ehrlichkeit ihm auf seinen Kopf vergolten [760] wurde. Die Juden brachten aus dem Römischen Reich noch mehr Kenntnisse und Cultur herüber, als die herrschenden Nationen im ersten Zeitalter der neuen Staaten besassen; sie wurden nicht durch scholastische Mönchsphilosophie und Aberglauben aufgehalten. (Sie wühlten dagegen in den faulen Sümpfen der Kabbala, einer nie versiegenden Quelle des Aberglaubens. Die Kabbalisten dürften daher den Scholastikern wenig vorzuwerfen haben. Sogar in den beiden goldenen Jahrhunderten ihrer Cultur, unter der Herrschaft der Araber in Spanien, haben sie nur einen
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Mosche Ben Maimon hervorgebracht, und auch dieser schwizte im Schwefelbad der Kabbala. In den frühern Zeitaltern hatten sie Pharisäer, Saducäer und Essener, Scheinheilige, Ungläubige und Narren. Das ist Alles.) Daß die verschiedensten Grundsätze, über die Glückseligkeit jenes Lebens, die Einheit der Gesinnungen über die Pflichten dieses und die Ausübung derselben nicht hindern, und daß die Verbindungen dieses Lebens stärker wirken, als die, welche sich aufs künftige beziehen, daran zweifeln wir sehr. Die Herrschaft der Päpste wurde so allgemein, weil sie die Maschine an eine andere Welt hingen und für die Zukunft zittern machten. Auch wir halten den Colonisten für ein sehr zweideutiges Geschenk. Wir sind aber überzeugt, daß sich sogar die Zigeuner, auf welche sich der Verf. beruft, zu einem bessern Volk werden modeln lassen, als die Juden; denn ein unerzogenes Kind ist bildsamer, als ein verzogenes. Hr. D. meint, die steife Anhänglichkeit der Juden an den Glauben ihrer Väter gebe ihrem Charakter eine Festigkeit, die auch der Bildung ihrer Moralität überhaupt vortheilhaft sey. Wir würden ihnen dagegen mehr Biegsamkeit wünschen. Es folgt [761] eine schöne Untersuchung über die eigenthümlichen Wirkungen einer jeden Art von Gewerbe auf die Denkungsart und den sittlichen Charakter; die des Handels sind eben nicht die vortheilhaftesten. Die Kaufleute haben nicht das feine Gefühl von Billigkeit; die Gelegenheiten, durch kleine Uebertretungen der Gerechtigkeit die Vortheile zu vergrössern, kommen zu oft; eine Uebersetzung in den Preisen gränzt zu nahe an das, was nur kluge Benutzung der Umstände heißt, u. s. w. Alle diese nachtheiligen Einflüsse des Handels müssen sich bey den jüdischen Kaufleuten stärker äussern, als bey den christlichen. Sie haben eine schlechtere Erziehung und weniger Gefühl von Ehre, weil sie gewinnen müssen, indem der Gewinn das einzige Mittel ihrer Erhaltung ist. Jezt, da der Verf. die Quelle der Jüdischen Verderbtheit in den Drückungen und in der bloß auf den Handel eingeschränkten Beschäftigung der Juden gefunden zu haben glaubt, ist es ihm nicht mehr schwer, die Mittel, sie davon zu heilen und zu bessern Menschen und Bürgern zu machen, anzuzeigen. Er schlägt unter andern vor, man müsse die Juden den Zünften nicht aufdringen, ihnen aber völlig gleiche Rechte mit den zünftigen Handwerkern geben. (Da stünden jene sich aber offenbar besser, als diese; weil sie die Lasten der Meisterschaft nicht zu tragen hätten, die diese zur zunftmässigen Erprobung ihrer Geschicklichkeit tragen müssen.) Keine Forderung ist billiger, als diese, daß man die Juden verpflichte, ihre Handelsbücher in der Landessprache zu führen. Von öffentlichen Aemtern sollten sie nicht ganz ausgeschlossen seyn, aber sie sollten dazu nicht ermuntert werden, und bey Collisionen soll der Christ den Vorzug haben. (Also etwas Druck bleibt doch übrig, und den sollen gerade diejeni[762]gen fühlen, die sich durch Wissenschaften ausgebildet haben?) Sie sollen nach ihren Gesetzen gerichtet, und die Verwaltung der Rechtspflege soll, in allen Privatstreitigkeiten der Juden mit Juden, den Richtern aus der Nation selbst, in erster Instanz anvertraut werden, und bey Appellationen sollen die christlichen Richter nach den Jüdischen Nationalgesetzen Recht sprechen. (Allein die Juden werden sich nie überzeugen, daß die Christen ihre Gesetze so gut verstehen, als ihre Rabbinen, und sie werden daher heimlich von diesen die ihre Processe entscheiden lassen. Zudem haben nicht einmal auswärtige Christen sich dieses Rechts zu erfreuen, und sie können es nicht, so lange man nicht vom Richter fordern kann, daß er alle Gesetze aller Nationen, und besonders die so sehr verwickelten Jüdischen, studirt habe.) Zulezt sucht der Verf. die Einwürfe zu beantworten, welche man gegen die Ausführbarkeit seiner Gedanken machen kann. Ueber die beiden leztern können wir nicht wegkommen, daß nemlich der Jude zur Feyer zweyer Tage würde gezwungen seyn, weil ihm die
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Christen doch die Handhabung lärmender Gewerbe und Ackerbaues unmöglich gestatten können; und daß sie sich zu keinen Kriegsdiensten bequemen, weil sie am Sabbath weder fechten noch starke Märsche thun dürfen. Sehr richtig wird bemerkt, daß Moses dies leztere Gebot nicht gegeben. Genug, der Jude glaubt’s; seine Lehrer haben es in die Bibel hineingetragen. Daß diese Nation so feige sey, thue nichts zur Sache; denn die persönliche Tapferkeit der gemeinen Soldaten sey, bey der jetzigen Art Krieg zu führen, keine so wesentliche Eigenschaft. Wir übergehen einige andere Behauptungen, z. B. daß die Juden bis ins fünfte Jahrhundert ruhige Bürger im Römi[763]schen Reich gewesen, daß der ängstliche Cerimonien- und Kleinigkeitengeist sich späterhin in die Religion eingeschlichen, daß Cäsar vorzüglich durch den Muth der Juden den Mithridat besiegt habe, daß der Grund der Beschwerden über die Juden in Polen in der unförmlichen Verfassung des Staats zu suchen sey u. s. w. Der Anhang enthält das von der Elsassischen Judenschaft dem königl. Staatsrath im vorigem vorgelegte Mémoire sur l’Etat des Juifs en Alsace. Wirklich ein interessanter Aufsatz. – Uns soll es übrigens freuen, wenn irgend ein Staat durch eine glückliche Realisirung dieser vom Verf. gethanen Vorschläge, beweisen wird, daß wir ohne hinlänglichen Grund an der Ausführbarkeit derselben gezweifelt haben. Für die Richtigkeit unserer historischen Bemerkungen hingegen können wir bürgen. U e ber d ie b ür ger l iche V er bes serun g d e r Jud e n, v on C hr i st ia n W i lhe l m D o hm. Zweyter Theil; bey Nicolai, 1783. 376 Seiten, kl. Octav. – Voran gehen Urtheile des Hrn. Verf. über seine Beurtheiler und über einige neuere Schriften, in welchen derselbe Gegenstand ist behandelt worden. Sie weichen von den unsrigen sehr ab; Wir können uns aber damit trösten, daß wir unserm Freund die schöne Stelle S. 151, über die Quelle der Mißverständnisse, wieder zurückgeben dürfen: »Der Unfall, mißverstanden und nach dem Mißverstand unrichtig beurtheilt zu werden, ist eine Folge der unendlich verschiedenen Begriffe, die jeder Leser zu einer Schrift mitbringt, der verschiedenen Grade von Aufmerksamkeit, der er sie wür[490]digt, seiner Fähigkeit in die Ideen eines Andern einzudringen, so wie der Talente des Schriftstellers, seine Begriffe deutlich zu entwickeln.« Den Verf. haben die Einwendungen vieler gelehrten Männer, deren Briefe er (S. 112–150), jedoch ohne sie zu nennen, einrückt, zu einer solchen deutlichen Entwickelung seiner Begriffe und Meynungen veranlaßt. Die Scheidewand ist so ziemlich weggethan; er nähert sich, durch Bestimmungen und Einschränkungen, seinen Gegnern; und diese werden sich ihm gern wieder nähern; wenigstens hat der Rec. ihm, hinter den Bergen von Schwierigkeiten, wieder begegnen müssen, nachdem er den zweyten Punkt der Hauptschrift S. 171 u. f. gelesen. Hier nemlich wird der Haupteinwurf geprüft, warum die Juden der völligen Gleichmachung mit andern Bürgern des Staats nicht fähig sind, ihr Gesetz, die Vorurtheile, welche mit der Beobachtung desselben unzertrennlich verknüpft sind, u. s. w. Dies läugnet der Verf. nicht; aber er meynt: »die Juden werden aufhören, eigentliche Juden zu seyn;« sie werden ihre Vorurtheile ablegen; der Verf. bezeichnet sogar die möglichen, auf welchen sie es thun werden. Nun aber haben wir immer von Juden geredet, s ol a nge s ie J ud e n s i nd u nd b le i be n. Dieser Einwurf fiele also weg, bis auf einen einzigen Umstand, welchen der Politiker, der nothwendig rech ne n muß, unmöglich übersehen darf: Ist die Ertheilung aller bürgerlichen Vorrechte und Freyheiten, um die Juden von ihren gemeinschädlichen Vorurtheilen zurückzubringen, nicht ein Wagestück? Wir sollen ein Jahrhundert, und wenn das nicht zureicht, noch ein Jahrhundert, und dann wieder ein Jahrhundert etc. versuc he n; Wir sollen,
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wer weiß wie viele Menschenalter, die Ju[491]den alle Bürgervortheile genießen lassen, in der Hoffnung, daß sie sich vielleicht endlich auch zu den Bürgerpflichten bequemen oder entschließen werden? Diesen Entschluß soll man blos ihrem Gutdünken überlassen, welches in gar vielen Fällen starrer Eigensinn seyn könnte? Wäre der Zuruf an sie nicht natürlicher und billiger: Erf ül le t d ie B ürge rp fl i ch ten , u nd i h r seyd s og le ic h B ürger, w ie A ndere ! – – Den übrigen Bemerkungen des Hrn. Geh. Raths wird niemand seinen Beyfall versagen. Auch in den Abschweifungen ist er lehrreich. Einige erhebliche Materien sollen noch in einem dritten Theil, den wir mit Ungedult erwarten, nachgeholt werden: Feyertage, Kirchenrecht und Autonomie. [1652] Das K. K. Toleranzedict, die Juden und ihre bürgerlichen Verhältnisse Begehrentreffend, hat einige Schriften veranlaßt, welche wir, da in den spätern gewisse Anspielungen oder Beziehungen auf die vorhergegangenen vorkommen, in chronologischer Ordnung anzeigen wollen. Wir haben uns, nach der Lesung und Prüfung aller, und besonders der einen, die wir als die Hauptschrift empfehlen werden, von neuem überzeugt, daß das mildeste Urtheil hierüber nicht milder seyn könne, als das unsrige war, welches wir in diesen Blättern, zu wiederholtenmalen, mitzutheilen Gelegenheit gehabt: Die bürgerlichen Verhältnisse der Juden können nemlich allerdings bis auf einen gewissen Punkt verbessert werden; nur ist eine völlige Gleichheit der Rechte, mit den Rechten der übrigen Bürger, deswegen nicht möglich, weil, so lange sie Juden sind, (auf Bart und Vorhaut kömmt es nicht an,) keine Gleichheit der Pflichten statt findet. Von Rechten der Menschen kann die Rede nicht seyn; diese aber dürfen nicht mit den Rechten des Bürgers verwechselt werden, die die Judenvertheidiger in der Hitze des Streits gethan, die eben dadurch die christlichen Regierungen, mit unverdienten und ungerechten Vorwürfen gekränkt haben. […] [889] Berlin und Stettin. Bey Nicolai ist ein Anhang zu der im vorigen Jahr (Zug. S. 753–763) von uns angezeigten Abhandlung des Hrn. KR’s Dohm, ü ber die b ür ger l iche V er bes seru ng d er Jud e n, unter folgendem Titel erschienen: M a nas se h Be n I srae l Ret tu ng der J ude n. A us dem E ng l isc he n ü ber set zt; neb st e ine r V orr ede vo n Mo se s M ende ls s oh n. 1782. LII, und 64 Seiten, klein Octav. Der Verf. war Chacam der portugiesischen Judenschaft zu Amsterdam. Unter Eduard I. wurden die Juden aus England vertrieben; der Verf. suchte ihnen unter Cromwel die Wiederaufnahme auszuwürken. Seine Schrift erschien zuerst 1656; hier ist sie aus einer periodischen Sammlung verschiedener Aufsätze (T he P h en i x, [890] London 1708.) ins Deutsche übersetzt worden. (Den Litteratoren ist dieser Aufsatz bekannt genug, besonders durch die französische Uebersetzung, welche man der Bibliothèque raisonée XII 176–209 und 439–474. einverleibt hat. Wir merken dies an, weil diese Nachricht bey der deutschen Uebersetzung ganz fehlt.) Die Beschuldigungen, deren Ungrund der Rabbi darthut, sind Vorurtheile der Christen seines Zeitalters, z. B. daß die Juden die christlichen Heiligthümer mißhandeln, Christenblut zur Osterfeyer brauchen etc. Wir trauen es der Aufklärung unsers Zeitalters zu, daß dergleichen Erdichtungen keinen Glauben finden werden; vielleicht finden sie indessen bey dem leichtgläubigen gemeinen Haufen noch immer einige Aufnahme; diesem würden wir, wenn er überall Bücher läse, diese Schrift gleichwol nur mit vieler Vorsicht empfehlen, weil wir be-
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sorgen, daß sie ihn mit neuen unwürdigen abergläubischen Vorurtheilen überladen könne, indem sie ihn nur von einem schädlichen Vorurtheil heilt. Denn der Verf. bestreitet christliche Vorurtheile, zum Theil mit jüdischem Aberglauben, der von der Gottheit eben so unwürdige Begriffe macht, als jene Vorurtheile der Christen gegen die Juden, von Menschen. Einige Beyspiele. S. 16. heißt es: Ein Christenweib ermordete die elfjährige Tochter eines benachbarten Edelmannes, um ihr die Juwelen abzunehmen. Beym gerichtlichen Verhör sagte sie aus, sie habe es auf Anrathen und Zureden eines gewissen Isaac Jeschunn gethan, weil dieser Jude zur Feyer des Osterfestes Blut nöthig hatte. Sie wurde gehangen; der Jude aber bestand, bey aller Marter, auf der Falschheit der Anklage. Demungeachtet wurde er zu einer 20jährigen Gefangenschaft verdammt, in welcher er aber nur drey Jahre blieb. Der Elende rief [891] Gott an, flehete zu ihm, ein Zeugniß seiner Unschuld durch ein Zeichen an den Tag zu legen, und die Richter vor seinen göttlichen Richterstuhl zu fordern. Und der Ewige war ein gerechter Richter; denn der Fürst starb plötzlich bey einem Schmause, den nächsten Sonntag, nachdem er den Urtheilsspruch gegeben, und eben so fielen, während der Zeit seiner Gefangenschaft, die erwähnten Richter nach und nach hin und starben. (Dergleichen Histörchen konnten wohl in einem Zeitalter der Schwärmerey, dergleichen das Cromwelsche war, sehr erbaulich seyn; soll die bessere Denkungsart des unsrigen wieder dahin zurückgebracht werden? Wenn unsre Mitbürger aus den niedrigeren Classen sich vorstellen, daß sie durch ihr Gebet die Gottheit gegen ihre Obrigkeit aufbringen, zur Rache reizen, interessiren können; so ist dies ein für Staat und Menschheit ungleich schädlicheres und schimpflicheres Vorurtheil, als das andre ist, daß die Juden ihre Ostern mit Christenblut feyern. Denn die gemeinen Christen werden an den Orten, wo Juden unter ihnen leben, mit der Zeit von dem letztern zurückgebracht, indem es sich auf kein glaubwürdiges Faktum gründet, vielmehr jährlich durchs Faktum widerlegt wird. Jenes hingegen, welches bisweilen durch den blossen Zufall bestätigt zu werden scheint, nährt den Geist der Erbitterung zwischen Unterthanen und Obrigkeiten, und es kann, wenn es in Schwärmerey und That übergeht, der ganzen bürgerlichen Ordnung fürchterlich werden. Es kömmt noch hinzu, daß eben dieses Vorurtheil auch da Schaden stiften kann, wo das letztere unschädlich ist, nemlich an den Orten, wo es keine Juden giebt. Also ist das, was der Verf. in der angeführten Stelle lehrt, auch extensiv schädlicher, als das, was er bekämpft). S. 56. Ich kann versichern, daß viele Juden, weil sie sich nicht an an[892]drer Leute Güter vergreifen, (wir würden sagen, weil sie nicht arbeiten wollen,) zu Amsterdam sehr arm sind, und sehr kümmerlich leben; und diejenigen, die es aus Noth thaten, wurden um desto elender, daß sie hernach von Allmosen lebten. (Diese hätten das Brod der Züchtlinge essen sollen; So machen’s Heiden und Christen. Aber wie? wenn Juden die Diebstähle vertuschen, und dem Diebsgesindel Bettelbrod und Allmosen reichen! Auch können wir uns den Fall, da man, besonders in Amsterdam, aus Noth stehlen müsse, gar nicht denken.) – – Wir glauben daher das Buch am besten als eine Widerlegung solcher Beschuldigungen charakterisiren zu können, dergleichen man etwa in Hoornbeek’s und des spätern Eisenmenger’s und Consorten Schriften antrift, welche jetzt, wie wir hoffen, mit gar geringer Glaubenstheilnehmung gelesen werden. Die Klagen unsers Zeitalters betreffen ganz andre Punkte; sie stehen meist im Jüd isch en B a ldo ber, in der Geschichte der lüneburgischen Tafeldiebe, und in andern Aktenstücken, aus denen man die gemeinschädlichen Grundsätze der Juden am besten kennen lernt; die widerlege man, wenn’s möglich ist.
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Ungleich erheblicher, als die Hauptschrift selbst, ist Hrn. Mendelssohn’s Vorrede, über welche wir doch, bey aller Achtung für den würdigen Schriftsteller, einiges erinnern müssen. Sie ist zum Theil gegen einige Anmerkungen gerichtet, mit welchen die Recension der Dohmschen Abhandlung in diesen Anzeigen begleitet wurde. Ungerecht sey es, daß man seiner Nation die Unarten ihrer Väter anrechne. (Aber eben so ungerecht ist man, wenn man sieht, bey einer partheyischen Würdigung ihrer Verdienste, an den Tugenden der letztern Theil nehmen läßt. Nur in dieser Hinsicht wurden jene von uns berührt.) Es sey eine ungegründete Vermuthung, daß die Juden zu keinem christlichen Richter das Zutrauen ha[893]ben, daß er ihre Gesetze verstehe. (Und gerade Hr. Mendelssohn ist es, der jene Vermuthung beym Rec. veranlaßte; denn er hatte, als er jenes schrieb, seinen Vorbericht und die Einleitung des Berlinischen Oberrabbiners zu den Rit ua lges et zen der Jude n vor Augen, wo unter andern S. XXI gesagt wird: Wir halten für unumgänglich nothwendig, daß ein Urtheilsverfasser in Rechtssachen, die von jüdischen Ritibus abhängen, nicht nur die hebräische Sprache verstehe, sondern auch den Talmud und die übrigen Gesetz- und Ritualbücher der Juden mit Fleiß studirt habe, u. s. w. Heist das nicht so viel, daß er Rabbiner sey? und solange das kein christlicher Richter ist, noch seyn kann, daß der Rabbiner die Rechtspflege behalte? Aus dieser wiederholten Insinuation mußten wir nothwendig schliessen, daß man dem königl. Preuss. Justizdepartement eigentlich begreiflich machen wollte, kein christl. Justizcollegium könne die Juden richten; dies sey die Sache des Rabbiners; und sie wird es auch bleiben, so lange die jüdische Autonomie beybehalten wird, welche besonders, wegen der lästigen Formalitäten beym Eide, jederzeit verderblich war.) Es folgt ein merkwürdiger Abschnitt von den kirchlichen Rechten. Der V. will von keinem Rechte auf Personen und Dinge wissen, das mit Lehrmeinungen zusammenhängt und auf denselben beruht. Auch positive Gesetze und Verträge können kein solches Recht möglich machen; denn durch Verträge können blos unvollkommene Rechte in vollkommene, unbestimmte Pflichten in bestimmte verwandelt werden. Wo aber ohne Vertrag, sich weder Pflicht noch Recht denken läßt, da sind alle Verträge der Menschen und ihre Abkommnisse leerer Schall und Ton, Worte in den Wind gesprochen, ohne Kraft und Wirkung. (Das alles ist neu und hart. Die ersten Grundsätze sind weggeläugnet, und aller Streit hat ein Ende. Wir [894] wollen sie indessen auf einen bestimmten Fall anwenden. Die Judenschaft in Berlin bestellt eine Person, die nach den Gesetzen ihrer Religion die Kinder männl. Geschlechts beschneiden soll; diese Person erhält durch ein Pactum gewisse Rechte auf so viel Einkünfte, auf diesen bestimmten Rang in der Gemeinde etc. Nach einiger Zeit kommen ihr Bedenklichkeiten über die Lehrmeinung oder das Gesetz von der Beschneidung bey; sie weigert sich den Vertrag zu erfüllen. Bleiben ihr denn nun auch die Rechte, die sie durch den Vertrag erhielt? So überall.) Zuletzt wider die Kirchenzucht, welche freylich von jeher von den Juden gemißbraucht wurde. Wir können nicht ohne Schauder an die Mißhandlungen des Acosta denken; und in unsern Tagen scheint ein Rabbiner wieder ein ähnliches Beyspiel gegeben zu haben, welches Hrn M. kränkt, und dessen Bekanntmachung wir mit ihm wünschen. Wir verbinden hiemit folgenden Artikel. A l t o n a. A nm e r ku ng e n z u d e r S c h r ift d e s H e r r n Do hm, üb er d ie bü rger l. Ver fas sun g der Jude n, vo n J. C. U. (Un ze r), gedruckt bey Eckhard, 1782. 32 Octavs. Der V. zeigt, daß die bürgerl. Verbesserung der Juden nicht leicht zu erwarten sey, so lange ihnen das schäd-
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liche Vorrecht der Autonomie gelassen wird. Die Freyheit, sich selbst nach eignen mitgebrachten Gesetze zu richten, ist Kolonisten oft gegeben worden, um sie grössere Sicherheit ihres Eigenthums in einem Land hoffen zu lassen, in welchem sie als Flüchtlinge ankamen, und um ihnen den Verlust ihres angebornen noch existirenden Vaterlandes, welches immer in der Idee viele Reize behält, erträglicher zu machen. Dergleichen Kolonisten brachten Gesetze kultivirter Nationen mit. Ganz anders verhält es sich mit den Juden; diese [895] haben kein Vaterland, und sie folgen entweder orientalischen Gesetzen, die jetzt nicht einmal mehr auf ihr vormaliges Vaterland, vielweniger auf unsers passen, oder neuern, unsrer Verfassung gänzlich widersprechenden, Statuten. Die Obrigkeit hat die Eigenschaften und Fähigkeiten des Rabbiners nicht untersucht, weil sie’s nicht kann; und sie giebt also das Wohl eines beträchtlichen Theils ihrer Unterthanen einem Mann in die Hände, der Justitiarius, Oberhaupt der Kirche, Sittenrichter etc. ist, ohne oft eines von diesen Aemtern gehörig verwalten zu können. Sein Einfluß auf Sitten und Denkungsart ist in jeder Rücksicht zu gros. In Altona treibt unter 5 bis 600 Familien nur ein einziger Mann das Schneiderhandwerk, da sie doch alle Professionisten seyn können. Sie wollen sich lieber bey einem Betrieb erhalten, der doch die Hoffnung zur Stelle eines Aeltesten giebt, wodurch man denn dem Oberrabiner und dem Herrschen näher gebracht wird. Mißbräuche der Kirchenzucht durch die hierarchischen Proklamationen in den Synagogen, z. B. daß alle und jede, bey Strafe der Excommunication, dem Rabbiner alle Vergehungen gegen irgend ein Gesetz, die einer vom andern weis, anzeigen möge, damit die Heerde gereinigt werde. – – Noch ein Paar Anmerkungen über einige irrige historische Angaben in Hrn. Dohms Abhandlung. In Dänemark kann der Jude den Bürgereid ablegen, und in Kopenhagen gelangt er dadurch, daß er Bürger wird, zum Genuß adelicher Rechte, welche Friedrich III. der gesamten Bürgerschaft ertheilte.
V. ERLÄUTERUNGEN
Erläuterungen
Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser. 93–98 Ein Philosoph […] der Weisheit verdiente.] leicht abgewandeltes Zitat aus der Philalethie. Neue Aussichten in die Wahrheiten und Religion der Vernunft bis in die Gränzen der glaubwürdigen Offenbarung. 2 Bde. Altona 1764 des Theologen und Philanthropen Johann Bernhard Basedow (1724–1790), Bd. 2, S. 80f. 110 Psittacismus] als »psittacisme« (griech. psittacos ›Papagei‹) bezeichnet Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in den Nouveaux essais sur l’entendement humain (1703/04; Erstdruck in: ders.: Œuvres philosophiques latines et françoises. Hg. von Rudolf Erich Raspe. Amsterdam, Leipzig 1765, S. 1–496) das bloße Wiederholen von »Gedanken und Räsonnements« anderer, ohne auf diese zu reflektieren; dieses unreflektierte Sprechen und Denken führt dazu, dass die »schönsten Vorschriften der Moral nebst den besten Klugheitsregeln« zwar artikuliert bzw. gedacht, nicht aber im Handeln umgesetzt werden (vgl. Nouveaux essais II c.21 § 35 [Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Übers., mit Einl. u. Anm. versehen von Ernst Cassirer. Hamburg 1996, S. 164f.]). 161 Musarion] vgl. Christoph Martin Wielands (1733–1813) Versdichtung Musarion, oder die Philosophie der Grazien (Leipzig 1768), in der die anmutige Musarion den einer sinnenfeindlichen Philosophie ergebenen Phanias in einer Liebesnacht zur Abkehr von metaphysischer Dunkelheit bekehrt. 161 Duns, Thomas, Svares] Johannes Duns Scotus (um 1266–1308), schott. Theologe und Philosoph, erster Vertreter der Spätscholastik; Thomas von Aquin (um 1225–1274), ital. Theologe und Philosoph, Kirchenlehrer und einer der Hauptvertreter der Scholastik; Francisco Suárez (1548–1617), span. Theologe und Philosoph, Jesuit und Spätscholastiker. 165 Leo’s X] Giovanni de’ Medici (1475–1521), seit 1513 als Leo X. Papst. 195–203 »Erinnern Sie sich […] Wahrheit behauptet. mit Anm. 1] den historischen Abriss des antiken Skeptizismus, als dessen Begründer Pyrrhon von Elis (um 360 v. Chr. – um 270 v. Chr.) gilt (ältere skeptische Schule, Pyrrhonismus) und der den Zweifel zum Denkprinzip erhob, entlehnt Hißmann den die Lehre des Pyrrhon zusammenfassenden Pyrrhoneiai hypotyposeis (Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingel. u. übers. von Malte Hossenfelder. Frankfurt a.M. 2002) des Sextus Empiricus (fl. 2. Jhd.), auch wenn diese kein zehntes Buch aufweisen (vgl. dazu dessen elf Bücher Adversus mathematicos (Gegen die Wissenschaftler [Adversus mathematicos]. Aus dem Griech. übers., eingel. u. komment. von Fritz Jürß. Würzburg 2001); als skeptische Tropen (griech. tropoi ›Gesichtspunkte‹) werden im antiken Skeptizismus die Gründe der Unzuverlässigkeit der Sinneserkenntnis bezeichnet, die dazu dienen, die Unmöglichkeit eines positiven Urteils (und damit sicheren Wissens) zu verdeutlichen; Ainesidemos (fl. 1. Jhd. v. Chr.) soll zehn tropoi benannt haben, vgl. Pyrrh.
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Erläuterungen
Hyp. I, 38ff. u. 164ff., sowie Diogenes Laertios (fl. 3. Jhd.): Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt neu hg. von Klaus Reich. 2 Bde. Hamburg 2008, IX, 79–88; der Pyrrhoneer Agrippa (Lebensdaten unbekannt) – Hißmann nennt ihn fälschlich »Agrikola« – soll den zehn Tropen des Ainesidemos fünf weitere hinzugefügt haben (vgl. Laertios IX, 88f.), die Sextus Empiricus von früheren Formen skeptischer Argumentation unterschied (vgl. Pyrrh. Hyp. I, 164–169). 240–244 Montesquieu […] gezogen worden sind.] vgl. Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu; 1689–1755): De l’esprit des loix. 2 Bde. Genf 1748, Bd. 2, Liv. XXIV, Chap. 10: De la Secte stoïque, S. 182f. (Vom Geist der Gesetze. In neuer Übertragung eingel. u. hg. von Ernst Forsthoff. 2 Bde. Tübingen 1951, Bd. 2, S. 168f.). 256 Pythagoras] der Vorsokratiker Pythagoras von Samos (um 570 v. Chr. – nach 510 v. Chr.), der um 530 v. Chr. im kalabrischen Kroton (Crotone) die religiös-philosophische Schule der Pythagoreer gründete, soll sich den fragmentarischen Überlieferungen des Herakleides Pontikos (um 390 v. Chr. – nach 322 v. Chr.) und des Sosikrates von Rhodos (um 200 v. Chr. – um 128 v. Chr.) zufolge zuerst als Philosoph bezeichnet haben; die bis in die Neuzeit akzeptierte Überlieferung ist heute umstritten, da auch Sokrates in Platons (428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.) Dialog Phaidros von einem »φιλόσοφον« spricht (vgl. Phaidros 278d). 257f. Cicero und Laerz] vgl. die Tusculanae disputationes V, 3, 8f. des Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) sowie, weitaus knapper gehalten, Diogenes Laertios’ Leben und Meinungen berühmter Philosophen VIII, 8. 266 Fürsten der Phtiesier, Leon] recte ›Phliasier‹; aus dem antiken Phleius oder Phlius, auf der nordöstlichen Peloponnes gelegen, stammen nach Diogenes Laertios zahlreiche Pythagoreer (VIII, 46), Platons Dialog Phaidon, in dem der Phliasier Echekrates Phaidon von der Unsterblichkeitslehre des Sokrates (um 470 v. Chr. – 399 v. Chr.) berichtet (57a), trägt sich, so die herrschende Forschungsmeinung, gar vor einer Versammlung von Pythagoreern in Phleius zu (vgl. Platon: Werke. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz hg. von Ernst Heitsch u. Carl Werner Müller. Bd. I 4: Phaidon. Übersetzung und Kommentar von Theodor Ebert. Göttingen 2004, S. 98). 362f. der Wolfische Begrif von der Philosophie] vgl. Christian Wolff (1679–1754): Philosophia rationalis sive Logica [1728]. Frankfurt a.M., Leipzig 1740 [ND Hildesheim 1983], § 29: »Philosophia est scientia possibilium, quatenus esse possunt«; ebenso ders.: Vernüfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (Deutsche Metaphysik). Halle 1720, 111751 [ND Hildesheim 1983]: »Weil nichts zugleich seyn kann und nicht seyn kann, so erkennet man, das etwas unmöglich sey, wenn es demjenigen widerspricht, davon wir bereits wissen, daß es ist oder seyn kann. [...] Woraus man ferner ersiehet, daß möglich sey, was nichts widersprechendes in sich enthält. [...] Daher ist das Wesen eines Dinges seine Möglichkeit und derjenige verstehet das Wesen, welcher weiß, auf was für eine Art und Weise ein Ding möglich ist« (§ 12, 35). 377 Epikur] an die Lehre des Begründers des Hedonismus, Aristippos von Kyrene (um 435 v. Chr. – um 355 v. Chr.) anknüpfend, dass die Lust das oberstes Ziel des Handelns sei, beschreibt Epikur (um 341 v. Chr. – 271/70 v. Chr.) die Lust als Prinzip gelingenden Le-
Erläuterungen
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bens, wobei er aber im Unterschied zu den älteren Hedonisten auch die Ataraxie, den Zustand völliger Schmerzfreiheit als Lust, nämlich als höchste Lust ansieht. 394f. Schon Plato […] Vernunft erkannt werden.] vgl. dazu Platons Dialog Phaidon 66b–67b. 422f. So wurde die […] möglich sind.] vgl. Erl. zu 362f. 443f. Von dieser Afterphilosophie, sagt Lavater, sie war Feindin der Natur.] vgl. Johann Caspar Lavater (1741–1801): Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe. 4 Bde. Leipzig 1775–1778, Bd. 1, V. Fragm., S. 34. 457–459 die beyden deutschen Aufsätze […] aufgenommen hat] die auf Vorschlag Johann Georg Sulzers (1720–1779) von der Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres zu Berlin gestellte Preisfrage für das Jahr 1763: »Ob die Metaphysischen Wahrheiten überhaupt, und besonders die ersten Grundsätze der Theologiae naturalis, und der Moral, eben der deutlichen Beweise fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten, und welches, wenn sie besagter Beweise nicht fähig sind, die eigentliche Natur ihrer Gewißheit ist, zu was vor einem Grade man gemeldete Gewißheit bringen kann, und ob dieser Grad zur völligen Ueberzeugung zureichend ist?« gewann Moses Mendelssohns (1729–1786) Abhandlung über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften (Druck Berlin 1764; ders.: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hg. von Alexander Altmann u.a. Bd. 1ff. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972ff., Bd. 2, S. 267–330) vor Immanuel Kants (1724–1804) Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. Zur Beantwortung der Frage welche die königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das Jahr 1763 aufgegeben hat (AA II, S. 273–301); beider Druck in: Dissertation qui a remporté le prix proposé par l’Académie Royale des sciences et belles-lettres de Prusse, sur la nature, l’espèces, et les degrés de l’évidence avec les pièces qui ont concouru. Berlin 1764, S. 67ff. 487f. Vielleicht würde Spinoza […] aufgegeben haben] nach Baruch de Spinoza (1632–1677) schließt Gott als die eine Substanz jegliche Existenz in sich, womit Geist und Materie keine getrennten Substanzen sind, sondern Eigenschaften (Attribute) einer Substanz; der Mensch und alle anderen endlichen Dinge sind hingegen lediglich Bestimmtheiten (Modi), in denen sich das Wesen Gottes äußert (vgl. v.a. Spinoza: Ethica, ordine geometrico demonstrata. Amsterdam 1677). 557f. der Verfasser der Revision der Philosophie] Christoph Meiners (1747–1810), Professor der ›Weltweisheit‹ in Göttingen; vgl. Meiners: Revision der Philosophie. Göttingen, Gotha 1772.
Psychologische Versuche 1–3 Disce, sed […] Persius.] Zitat aus den Saturae des Aules Persius Flaccus (34–62), V, 91f. (»Lern’ – doch entschlag dich des Zorns und der Faltengrimass’ um die Nase, / Während ich dir aus der Brust den Altweibersommer herausfeg!« Übertragung von Otto Seel). 4 Christian Wilhelm Dohm] Christian Konrad Wilhelm Dohm (1751–1820), Jurist, 1776 bis 1779 Professor der Kameral- und Finanzwissenschaften am Carolinum in Kassel, 1776 bis 1791 Mitherausgeber des Deutschen Museums; mit seiner Schrift Ueber die bürgerliche
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Erläuterungen
Verbesserung der Juden trat er 1781 im Sinne der Aufklärung für die jüdische Emanzipation, vgl. Dohm: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. 2 Tle. Berlin, Stettin 1781/83 [ND Hildesheim 1973]; vgl. dazu Hißmanns Rezension in den Zugaben zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1781, Bd. 1, 48. St., S. 753–763 (in diesem Band S. 285–290). 60f. Maxime des Cicero […] quae dixero] vgl. Marcus Tullius Ciceros (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) Tusculanae disputationes, I, 9, 17 (»[I]ch werde [es] darlegen, so gut ich kann, allerdings nicht wie der Phytische Apoll, daß meine Worte sicher und unverrückbar sind«; Gespräche in Tusculum. Lat.-dt. Hg. u. übers. von Ernst Alfred Kirfel. Stuttgart 2008, S. 51); Motto in Condillacs Traité de sensations (vgl. Erl. zu 72f.). 72f. Das haben nach Condillac, […] vorzüglich Lossius, eingesehen.] vgl. Étienne Bonnot de Condillac (1714–1780): Traité des sensations. London [i.e. Paris] 1754; Claude-Adrien Helvétius (1715–1771): De l’esprit. Paris 1758; Charles Bonnet (1720–1793): Essai de psychologie, ou considérations sur les opérations de l’âme. London 1755 sowie ders.: Essai analytique sur les facultés de l’âme. Kopenhagen 1759; David Hartley (1705–1757): Observations on Man, his Frame, his Duty and his Expectations. 2 Bde. London 1749; Edward Search (i.e. Abraham Tucker; 1705–1774): The Light of Nature Pursued. 7 Bde. London 1768–1778; Jean-Baptiste-René Robinet (1735–1820): De la Nature. Amsterdam 1761; Joseph Priestley (1733–1804): Hartley’s Theory of the Human Mind, on the Principle of the Association of Ideas with Essays Relating to the Subject of it. London 1775 [Reprint New York 1973]; Johann Christian Lossius (1743– 1813): Physische Ursachen des Wahren. Gotha 1775. 193 Substantia kortikalis] lat. cortex ›Rinde‹; die v.a. aus grauer Substanz (Nervenzellkörper) bestehende Hirnrinde. 194 Gehirnmark] der aus weißer Substanz (Nervenfasern) bestehende, unter der Hirnrinde liegende Teil des Gehirns. 218–224 Dieu ne nous a fourni […] Locke.] Hißmann zitiert hier wie im Folgenden, obwohl des Englischen mächtig, John Lockes (1632–1704) Essay Concerning Humane Understanding. London 1690 in der von Locke selbst betreuten frz. Übersetzung von Pierre Coste (1668– 1747), erschienen 1700 (Essai sur l’entendement humain. Amsterdam 1700, 2. Aufl. ebd. 1729, 4. Aufl. ebd. 1742, IV, xiv, § 2; vgl. John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Übers. von Carl Winckler. 2 Bde. Hamburg 2006, Bd. 2, S. 340f.; zur frz. Übersetzung vgl. u.a. Gabriel Bonno: Locke et son traducteur français Pierre Coste. Avec huit lettres inédites de Coste à Locke. In: Revue de littérature comparée 33 [1959], S. 161–179); der Grund dürfte darin liegen, dass diese Übersetzung nicht nur in den späteren Auflagen mit Ergänzungen Lockes und und Kommentaren Costes versehen wurde (»quelques Additions de l’Auteur, qui n’ont paru qu’après sa mort, & plusieurs Remarques de Traducteur«, 4. Aufl., Titelblatt), sondern v.a., dass sie die Grundlage für Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646–1716) Auseinandersetzung mit Locke in den Nouveaux essais sur l’entendement humain [1703/04]. In: ders.: Œuvres philosophiques latines et françoises. Hg. von Rudolf Erich Raspe. Amsterdam, Leipzig 1765, S. 1–496 bildete, vgl. hierzu An Essay Concerning Humane Understanding. Edi-ted with an Introduction, Critical Apparatus and Glossary by Peter H. Nidditch. Oxford 1975. 320 Fibern] auf der Grundlage der von Issac Newton (1642–1727) inaugurierten Vibrationstheorie, nach der ein vibrierender ›Äther‹ die Nervenimpulse auslöse (vgl. Opticks. Or, a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light. London 1704, 41730, 3. Buch,
Erläuterungen
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1. Tl., Query 23, S. 328), sah David Hartley (1705–1757) die Nerven als über die ganze Körperoberfläche verteilte Fäden bzw. Fibern an, die von einem elastischen ›Äther‹ umgeben seien; der Kontakt mit äußeren Gegenständen jedweder Art setze diese in eine zitternde Bewegung, ebenso den ›Äther‹, der die Bewegung bis ins Hirn fortpflanze, wo sie in der Seele Vorstellungen veranlasse (vgl. Observations on Man, his Frame, his Duty, and his Expectations. 2 Bde. London 1749 [ND New York 1976], Bd. 1, S. 1–34). 342–344 Man kann […] Beyspielen anwenden. mit Anm. 1] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 220–244. 351f. Werden die Berührungen […] Tod. mit Anm. 2] vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Übers., mit Einl. u. Anm. versehen von Ernst Cassirer. Hamburg 1996, S. 88. – Vgl. Albrecht von Haller (1708–1777): Elementa physiologiae corporis humani. 8 Bde. Lausanne 1757–1766, Bd. 4 (1761), S. 289–291. 357 Angabe von Potterfield] vgl. William Porterfield (1696–1771): A Treatise on the Eye, the Manner and Phaenomena of Vision. 2 Bde. Edinburgh 1759, Bd. 2, S. 64 369–372 Seine Bestandtheile […] hineinschauen können.] vgl. Bonnet: Essai analytique, § 29, S. 19f. 419–421 Vögel laufen […] herumgegangen sey. mit Anm. 6] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 352–354. 426 was Haller darüber gesagt hat] Haller unterscheidet zwischen der Reizbarkeit als einem rein physisch-muskulären und dem Empfinden als einem psychisch-neuronalen Reaktionsvermögen, womit er auch den Einzellern und Polypen, die, da es ihnen an Kopf und Augen mangele, über kein Gehirn verfügen (vgl. Haller: Elementa physilogiae, Bd. 4, S. 1f. [X, i, § 1]), eine Reaktion auf äußere Einflüsse zusprechen kann (vgl. Haller: Abhandlung von den empfindlichen und reizbaren Theilen im menschlichen Körper [1752]. Verdeutscht und geprüft von Carl Christian Krause. Leipzig 1756). 437–439 Im Allgemeinen […] Erfahrung leitet. mit Anm. 7] vgl. Voltaire (i.e. François-Marie Arouet; 1694–1778): Des Singularités de la nature. Basel 1768, S. 9–12, hier in der Ausgabe des L’evangile du jour. 18 Bde. London [i.e. Amsterdam] 1769–1780, Bd. 4 (1769): Contenant le Pirronisme de l’histoire par l’Abbé Big ... en XXXVIII. Chapitres. Les singularités de la nature en XXXVIII Chapitres, Eigenpag., S. 7–9. 440–442 Haller […] eine Zeitlang seyn.] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, X, ii, § 38, S. 354–357, v.a. S. 354. 463f. Man muß daher […] Sensorium kommune halten. mit Anm. 8] vgl. François Gigot de la Peyronie (1678–1747): Observations par lesquelles on tâche de découvrir la partie du Cerveau où l’Ame exerce ses fonctions. In: Histoire de l’Académie royale des sciences. Année 1741. Avec les mémoires de mathématique et de physique pour la même année tirés des registres de cette académie, S. 199– 218. – Vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 338–344. 491–519 Haller […] desselben verursacht. mit Anm. 9] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 312f. 520–525 Ferner […] ganz verschieden seyn. mit Anm. 10] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 337f. 530 Galen] nach Galenos von Pergamon (129/131 – um 200 [216?]) sah den Körper als eine Einrichtung an, welche der Seele ihre Funktionen ermöglicht, wobei er sich hierzu ihm
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innewohnender Kräfte bediene, denen ihrerseits ein ›Pneuma‹ als Medium diene; die Nerven sind nach ihm hohle Röhren, in denen das im Gehirn bereitete ›Seelenpneuma‹ in alle Körperteile geleitet wird; Galens Schriften, v.a. die 16 Bücher Methodi medendi, dienten bis ins 17. Jahrhundert und teils darüber hinaus als Grundlage der medizinischen Lehre. 532 Nervensaft, oder die Lebensgeister] nach der zeitgenössischen physiologischen Theorie im Gehirn aus dem Blut abgesonderter flüchtiger Stoff, der vom Gehirn aus in die teils als Röhren, teils als solide Strukturen gedachten Nerven gelangt und als Mittler zwischen Gehirn und den Organen dient; vgl. hierzu v.a. Johann August Unzer: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig 1771. 545–555 Haller […] mögen können ersezt werden.] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 371–374 (X, viii, § 11). 556–559 Nach einer andern Hypothese […] zu vertheidigen gesucht.] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 358 (X, viii, § 2). 563–576 Um so viel berühmter […] Nervensaftes behülflich seyn. mit Anm. 11] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 358–360. – Kein Zitat, vgl. Karl Franz von Irwing (1728–1801): Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen. 4 Bde. Berlin 1772–1785, Bd. 1, § 13, S. 36–42. 577–596 Die Gegenbemerkungen […] nicht erfolgen können.] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, X, viii, § 4–18, S. 361–383. 602f. Newtonschen oder Hartleyschen Hypothese] vgl. Erl. zu 320; vgl. auch Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 360 (X, viii, § 3). 603–606 Es ist offenbahr […] Organen wirkt. mit Anm. 12] vgl. Johann Georg Sulzer (1720– 1779): Untersuchungen über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. 2 Bde. Leipzig 1773/81 [ND Hildesheim 1974], Bd. 1, S. 1–98. 608–620 Wenn ein leuchtender Gegenstand […] Empfindung erneuert. mit Anm. 13] Joseph Priestley (1733–1804) gab Hartleys Observations on Man, da dessen Theorie der Assoziation der Ideen zu wenig beachtet worden sei, als Hartley’s Theory of the Human Mind, on the Principle of the Association of Ideas with Essays Relating to the Subject of it. London 1775 [ND New York 1973] heraus, versehen mit drei Introductory Essays (S. VII–XLVI; vgl. diesen Band, S. 263–281), wobei er aber aus Hartleys Text die Vibrationstheorie wie auch die christlichfromme Einbettung tilgte. 640 Leibniz definirt die Idee selbst durch eine Vorstellung.] vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Discours de métaphysique (1686), § 26f. (Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Übers. von Artur Buchenau. Mit Einl. u. Anm. versehen von Ernst Cassirer. 2 Bde. Hamburg 1996, Bd. 2, S. 343–388, hier S. 373–375). 684f. Alexander von Joch] unter dem Pseudonym Alexander von Joch publizierte der Leipziger Ordinarius für Jurisprudenz Karl Ferdinand Hommel (1722–1781) die Schrift Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen. Bayreuth 1770, in der er sich auf streng deterministischer Grundlage zu einem Strafrecht mit dem Ziele der Besserung, Abschreckung und Verhütung bekannte.
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686 Batteux Geschichte der Meinungen der Philosophen] vgl. Charles Batteux, gen. Abbé Charles (1713–1780): Histoire des causes premières ou exposition sommaire des pensées des philosophes sur les principes des êtres. Paris 1769. 692–726 Bonnet […] nur einen Ton.« mit Anm. 14] vgl. Bonnet: Essai analytique, S. 48–53 sowie ders.: Essai de Psychologie, S. 51–54. 744–746 Cherchons […] Essai de Psychologie.] vgl. Bonnet: Essai de Psychologie, Préface, S. XIX. 754–757 Nationen von Kultur […] Ungeheure sind. mit Anm. 16] vgl. Georges-Louis-Marie Leclerc, Comte de Buffon (1707–1788): Histoire naturelle, générale et particulière, avec la description du Cabinet du Roy. 15 Bde. Paris 1749–1767. 788f. Auf der andern Seite […] des Gefühls, seyen.] zu Hißmanns philosophiehistorischen Kenntnissen vgl. v.a. die Historia philosophica doctrinae de ideis. Augsburg 1723 des evangelischen Theologen und Pfarrers Johann Jacob Brucker (1696–1770), ebenso dessen Kurze Fragen aus der philosophischen Historie. 7 Bde. Leipzig 1731–1736; Erste Anfangsgründe der philosophischen Geschichte. Leipzig 1736, 21751; Historia critica philosophiae a mundi incunabulis ad nostram usque aetatem deduca. 5 Bde. Leipzig 1742–1744, 21766, ein Auszug erschien unter dem Titel Institutiones historiae philosophicae. Leipzig 1747; vgl. auch Erl. zu 27f. der Geschichte der Lehre von der Association der Ideen. 858f. cultro anatomico, & igne chemico] ›mit dem Seziermesser‹ und dem ›chemischen Feuer‹, hier als einem mechanisch wirkenden Zerlegungsinstrument in der Tradition der Chemie des 16. und 17. Jhds., vgl. Pierre-Joseph Macquer (1718–1784): Dictionnaire de chymie, contenant la théorie et la pratique de cette science, son application à la physique, à l’histoire naturelle, à la médecine, et à l’économie animale, avec l’Explication détaillée de la vertu & de la manière d’agir des Medicamens Chymiques. Et les principes fondamentaux des Arts, Manufactures & Métiers dépendans de la Chymie. 2 Bde. Paris 1766, Bd. 2, 135–149. 866–869 Hieraus wird es sehr […] hergeleitet werden müsse. mit Anm. 17] vgl. Buffon: Histoire naturelle, Bd. 3 (1749), S. 352f. u. S. 354f. 876–878 Ich habe in sichern Briefen […] Auge eingegraben war. mit Anm. 18] vgl. Johann Theodor Eller (1689–1760): Description d’un monstre cyclope mis au monde à Berlin le 19. de Février de l’année 1755. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin. Année 1754, S. 112–123. 900–914 Wenn man auch […] Zunge ausgenommen. mit Anm. 19] vgl. Helvétius: De l’esprit, S. 1–12. 966–978 Es ist kein der menschlichen Glückseligkeit […] oder nur selten erreichen. mit Anm. 20] vgl. wörtlich Christoph Meiners (1747–1810): Einige Betrachtungen über den guten Geschmack. In: ders.: Vermische philosophische Schriften. 3 Bde. Leipzig 1775/76, Bd. 1, S. 133–163, hier S. 146f. 983–986 Alle Jägernationen […] Lagern riechen. mit Anm. 21] der frz. Arzt Dière de Dièreville (fl. 1699–1711) unternahm in den Jahren 1699 und 1700 eine Reise nach Akadien im Nordosten des heutigen Kanadas, deren Erfahrungen er in den Relation du voyage du Port Royal de l’Acadie, ou de la Nouvelle France, dans laquelle on voit un détail des divers mouvemens de la mer dans une traversée de long cours; la description du païs, les occupations des François qui y sont établis, les manières des différentes nations sauvages, leurs superstitions, & leurs chasses; avec une dissertation exacte sur le castor. Rouen 1708 puplizierte; als Des Herrn Diereville Reise nach Portroyal in
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Erläuterungen
Acadien oder Neu-Frankreich, worin die verschiedenen Bewegungen der See in einer langen Schiffahrt beschrieben, und von dem Lande, der Beschäfftigung der dort wohnenden Franzosen, den Sitten der wilden Völker, ihrem Aberglauben und ihren Jagden hinlängliche Nachrichten, unter welchen sich auch eine richtige Abhandlung von dem Biber befindet, gegeben werden übersetzt, fand die Relation Eingang in die Reisen nach Peru, Arcadien und Egypten, worin die Merkwürdigkeiten der Natur und Kunst in diesen Ländern, nebst den Sitten und Gewohnheiten der Einwohner beschrieben werden, aus dem Französischen übersetzt. Göttingen 1751 (= Sammlung neuer und merkwürdiger Reisen zu Wasser und zu Lande, aus verschiedenen Sprachen übersetzt und mit vielen Kupfertafeln und Landkarten versehen. 3. Theil), S. 157–306, auf die der dän. Mathematiker und Philosoph Jens Kraft (1720– 1756) in Die Sitten der Wilden, zur Aufklärung des Ursprungs und Aufnahme der Menschheit. Kopenhagen 1766, 1. Abt., § 17, S. 37–40 mit Anm. r verweist. 1028f. Man hauet einen Wald nieder, sagt Search, um seine Aussichten zu erweitern.] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 23. 1073f. Wozu also ein drittes Wesen zur Empfindung und dem Bewustseyn? mit Anm. 23] vgl. Julien Offray de La Mettrie (1709–1751): L’Homme Machine [1748]. Frz.-dt. Übers. u. hg. von Claudia Becker. Hamburg 1990, S. 106. 1077–1081 Die Evidenz […] Mendelssohn] vgl. Moses Mendelssohn (1729–1786): Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele. Berlin, Stettin 1767, Anhang zur 3. Aufl. ebd. 1769 (ders. Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hg. von Alexander Altmann u.a. Bd. 1ff. StuttgartBad Cannstatt 1972ff., Bd. 3,1, S. 141–159, hier S. 150). 1092–1094 Zwar gab es schon […] hartnäckig vertheidigten. mit Anm. 24] vgl. Johann Jakob Brucker (1696–1770): Historia philosophicae doctrinae de ideis. Augsburg 1723, § 2, S. 3–19. 1123–1127 Die Zuflucht zu den angebohrnen Begriffen […] verschiedenen Wirkungen gelangt. mit Anm. 26] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 108f. 1156f. Wir weisen den Empfindungen […] ihren Sitz haben. mit Anm. 27] vgl. Henry Home, Lord Kames (1696–1782): Elements of Criticism. 3 Bde. Edinburgh 1762 [ND Hildesheim 1970], Bd. 1, S. 1–19, v.a. S. 4f. 1168–1170 Die Vergnügungen […] widerstehen läst.] vgl. Sulzer: Untersuchungen über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, S. 60. 1187f. Graunisch-Ramlerische Oratorium vom Tod Jesu] das Oratorium Der Tod Jesu, dessen Libretto Karl Wilhelm Ramler (1725–1798) 1755 verfasste, war in der Vertonung von Carl Heinrich Graun (1704–1759; ebenfalls 1755) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das meistaufgeführte Osteroratorium im deutschen Sprachraum. 1203f. Wer kan […] zu sterben?] vgl. Alexander Pope (1688–1744): An Essay on Man. London 1734, I, V. 199f. 1206–1227 Noch faßt Home […] wieder herzustellen. mit Anm. 28] vgl. Home: Elements of Criticism, Bd. 1, S. 2–4. – Vgl. Jean-Baptiste Dubos (auch Du Bos; 1670–1742): Réflexions critiques sur la poésie et la peinture. 2 Bde. Paris 1719, 21733, Bd. 1, S. 456f., hier wohl nach Home: Elements of Criticism, Bd. 1, S. 4, Anm., wo sich ohne konkrete Werk- und Seitenangabe der Hinweis auf bzw. die Paraphrase aus Dubos’ Réflexions critiques findet. 1255–1259 Ich nehme daher […] Unlust begleitet werden. mit Anm. 29] vgl. neben den Untersuchungen über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen u.a. Sulzer: Zergliederung des Begriffs der Vernunft (Vermischte philosophische Schriften, Bd. 1. S. 244–281). – Vgl.
Erläuterungen
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Meiners: Psychologisches Fragment über die Verschiedenheiten des innern Bewustseyns. In: ders.: Vermischte Philosophische Schriften, Bd. 2, S. 3–44. 1270 Leibnizens Apperzeption] Leibniz differenziert die seelischen Vorgänge in Apperzeption als dem, was durch ein sinnlich Gegebenes mittels Aufmerksamkeit und Gedächtnis aufgefasst, angeeignet, klar und mit Bewusstsein Wahrgenommenen und Perzeption als eine vage und unscharfe Vorstufe des Denkens, der dunklen Vorstellung, vgl. Leibniz: Monadologie, § 14f. (Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 2, S. 603–621, hier S. 605) sowie Nouveaux essais sur l’entendement humain, II c.1f. (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 75–88). 1324–1326 Diesem Gefühl […] und Handlungen hat. mit Anm. 30] vgl. Michael Ignaz Schmidt (1736–1794): Die Geschichte des Selbstgefühls. Frankfurt a.M., Leipzig 1772. 1333–1335 Sulzer […] Zustandes ist.] vgl. Sulzer: Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes: daß der Mensch zuweilen nicht nur ohne Antrieb und ohne sichtbare Gründe, sondern selbst gegen dringende Antriebe und überzeugende Gründe urtheilet und handelt. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften, Bd. 1, S. 99–121. 1344f. Alte Thiere […] die Meditation ist. mit Anm. 31] vgl. Meiners: Psychologisches Fragment über die Verschiedenheiten des innern Bewustseyns, S. 16. 1410–1412 Descartes […] der Begriffe.] vgl. René Descartes (1596–1650): Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur. Paris 1641, v.a. 2. Meditation (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übers. u. hg. von Artur Buchenau. Hamburg 1972, S. 17–26). 1449–1452 Tissot […] verrückt wurden. mit Anm. 32] vgl. Samuel Auguste André David Tissot (1728–1797): De la santé des gens de lettres et aux personnes sédentaires sur leur santé. Paris 1757, S. 38–40. – Vgl. Lodovico Antonio Muratori (1672–1750): Della forza della fantasia umana. Venedig 1745. 1460–1464 Der eine bildete […] zu sehen, wähnte. mit Anm. 33] vgl. wörtlich Joachim Heinrich Campe (1746–1818): Die Empfindungs- und Erkenntnißkraft der menschlichen Seele, die erstere nach ihren Gesetzen, beyde nach ihren ursprünglichen Bestimmungen, nach ihrem gegenseitigen Einflusse auf einander und nach ihren Beziehungen auf Charakter und Genie betrachtet. Leipzig 1776, S. 15f. 1511f. Die oben […] mitgetheilte Anmerkungen mit Anm. 35] vgl. diesen Band, S. 50–63. 1562–1564 Um den Aetna […] nicht abschrecken.] Gaius Plinius Caecilius Secundus (Plinius der Jüngere; 61/62 – um 113/15) schildert in zwei Briefen an Publius Cornelius Tacitus (um 58 – um 120) den Ausbruch des Vesuv im Jahre 79, bei dem sein Onkel Gaius Plinius Secundus Maior (Plinius der Ältere; um 23 – 79) ums Leben kam; die Briefe enthalten Beobachtungen des Ausbruchs, die der ältere Plinius während einer Rettungsaktion der Bewohner von Stabiae, bei der er letztendlich starb, seinem Schreiber diktierte (vgl. C. Plini Caecili Secundi epistularum libri novem. Hg. von Mauriz Schuster. Stuttgart, Leipzig 1992, VI, 16 u. 20). 1564f. Richmann […] ein Märtyrer] der deutsch-baltische Physiker Georg Wilhelm Richmann (1711–1753) entwickelte einen Elektrometer, den er zur Messung der elektrischen Aufladung der Atmosphäre bei Gewittern mit einer an seinem Haus installierten Eisenstange verband; während eines Gewitters am 26. Juli 1753 schlug der Blitz bei einer Messung in die Eisenstange ein und tötete Richmann.
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Erläuterungen
1598–1605 Ohne diesen Zweig […] unser inneres Gefühl. mit Anm. 36] vgl. diesen Band, S. 148–164. 1757 Bayle’s Scharfsinn] vgl. v.a. Pierre Bayle (1647–1706): Dictionnaire historique et critique. 2 Bde. Rotterdam 1697 (Herrn Peter Baylens Historisches und Critisches Wörterbuch. Übers. von Johann Christoph Gottsched. Leipzig 1741–1744 [ND Hildesheim 1997]). 1771–1778 Man würde ungerecht seyn […] halten wolle.] vgl. Sammlung und Auszüge der sämmtlichen Streitschrifften wegen der Wolffischen Philosophie. Hg. von Carl Günther Ludovici. 2 Bde. Leipzig 1737/38 (Christian Wolff: Gesammelte Werke, Abt. 3, Bd. 2). 1782 Gassendi] Pierre Gassendi (1592–1655) warf Descartes u.a. vor, er habe in seinem Gottesbeweis die Existenz unter die Eigenschaften (Gottes) gezählt, doch Existenz sei etwas grundsätzlich anderes als eine Eigenschaft, sei sie doch gerade das, was alle Eigenschaften überhaupt erst ins Sein bringe; aus dem ›ich denke‹ folge daher nicht zwangsläufig ›also bin ich‹, denn es gebe keine Substanz, die das Denken als ausschließliche Eigenschaft ihres Seins habe; vgl. dazu Gassendis ›Einwände‹ vom 16. Mai 1641 in Descartes’ Meditationes (Meditationen, S. 232–318), vgl. ebenso Gassendi: Disquisitio Metaphysica seu dubitationes et instantiae adversus Renati Cartesii Methaphysicum et responsa. Paris 1644. 1786–1788 da ihm Descartes […] sich erkühnte] er wolle, so Descartes zu Beginn seiner Entgegnung auf die Einwände Gassendis, diesem »nicht wie einem scharfdenkenden Philosophen [antworten], sondern wie irgendeinem aus der Zahl jener fleischlich-sinnlichen Menschen«, die für »metaphysische Erwägungen vollständig unzugänglich sind«; Meditationen, S. 320–356, hier S. 321. 1925–1927 Kein Wunder […] sich nicht waren. mit Anm. 37] vgl. Jean-Baptiste De Rocoles (1620–1696): Les imposteurs insignes, ou, Histoires de plusieurs hommes de néant, des toutes nations qui ont usurpé la qualité d’empereurs, roys & princes, des guerres qu’ils ont causé, accompagnées de plusieurs curieuses circonstances. Amsterdam 1683, 2. Aufl. ebd. 1696; dt. Übersetzung u.d.T. Johann Baptista von Rocoles Begebenheiten ausnehmender Betrüger. Mit Anm. u. einer Vorrede hg. von Carl Friedrich Pauli. 2 Tle. Halle 1760. 1933f. Bonnet […] gewinnen müssen. mit Anm. 38] vgl. Bonnet: Essai analytique, S. 462–477. 1937–1946 Es ist bekant […] aus den Blüthen. mit Anm. 39] weder in der Erstausgabe der Contemplation noch in deren Nouvelle edition ist ein 15. Kapitel der neunten Partie nachgewiesen, vgl. Charles Bonnet: Contemplation de la Nature. 2 Bde. Amsterdam 1764, Bd. 1, Neuvième Partie: Suite de l’œconomie animale consideré dans les insects, Chap. 5–14, S. 272– 298 sowie ders.: Contemplation de la Nature. Nouvelle edition. 2 Bde. Genf 1770, Bd. 1, Neuvième Partie: Suite de l’œconomie animale consideré dans les insects, Chap. 5–14, S. 407–455. 1957–1960 der Dichter […] zur Ewigkeit.] vgl. Albrecht von Haller: Antwort an Herrn Johann Jacob Bodmer, Professor und des großen Raths zu Zürich [1738]. In: ders.: Versuch Schweizerischer Gedichte. 3., vermehrte, und veränderte Aufl. Danzig 1743, S. 140–146, hier S. 144 (dass. 11., vermehrte und verbesserte Aufl. Bern 1777 [ND Zürich 2006], S. 253–264, hier S. 261). 1994–2025 »Meine Erfahrungen […] wenigstens so kühn.« mit Anm. 40] vgl. Meiners: Psychologisches Fragment über die Verschiedenheiten des innern Bewustseyns, S. 24–27. 2044–2046 Die erste Art […] Jahrhunderts gewesen.] vgl. v.a. Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762): Aesthetica. 2 Bde. Frankfurt a.d.O. 1750/58 [ND Hildesheim 1961] und
Erläuterungen
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Georg Friedrich Meier (1718–1777): Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. 3 Tle. Halle 1754–1759 [ND Hildesheim 1976]. 2073 Pouilly] vgl. Louis-Jean Lévesque de Pouilly (1691–1750): Théorie des sentimens agréables, où, après avoir indiqué les règles que la nature suit dans la distribution du plaisir, on établit les principes de la théologie naturelle et ceux de la philosophie morale. Genf 1747, Chap. 3–5, S. 16–63; die Abhandlung wurde zuerst 1736 als Brief an Henry St. John, 1. Viscount Bolingbroke (1678– 1751) unter dem Titel Réflexions sur les sentiments agréables, et sur le plaisir attaché à la vertu in dem von Thémiseul de Saint-Hyacinthe (i.e. Hyacinthe Cordonnier; 1684–1746) herausgegebenen Recueil de divers écrits sur l’amour et l’amitié, la politesse, la volupté, les sentimens agréables, l’esprit et le cœur. Paris 1736, S. 137–228 publiziert, als Separatdruck erschienen die Réflexions Montbrilland 1743, mit Erweiterungen und Ergänzungen als Théorie des sentimens agréables dann 1747. 2073 Dü Bos] vgl. Dubos: Réflexions critiques sur la poésie et la peinture, Bd. 1, v.a. S. 5–11. 2082–2084 Es komt hinzu […] Wirksamkeit geneigt sey.] vgl. Helvétius: De l’esprit, Disc. III, Chap. 5, S. 290–296. 2161–2163 Daher heißen Handlungen […] zerstöret wird. mit Anm. 41] vgl. Adam Smith (1723–1790): The Theory of Moral Sentiments. 2 Bde. London 1759, Bd. 1, Part I: Of the Propriety of Action. 2189f. Aristip […] heißen.] nach Cicero: Academica posteriora II 7, 20 spricht nicht Aristippos von Kyrene (um 435 v. Chr. – 355 v. Chr.) von einem tactus interior, sondern die »Cyrenaici«; vgl. Sextus Empiricus (fl. 2. Jhd.): Pyrrhoneiai hypotyposeis I, 19f. (Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingel. u. übers. von Malte Hossenfelder. Frankfurt a.M. 2002, S. 98); Diogenes Laertios (fl. 3. Jhd.): Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt neu hg. von Klaus Reich. 2 Bde. Hamburg 2008, VII, 111. 2193–2198 Die Epikuräer […] Behauptung angebohrner Ideen waren.] vgl. zu Hißmanns philosophiehistorischen Kenntnissen Erl. zu 788f. 2203f. Beweise […] zurükzubringen suchte.] kein Zitat, vgl. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 29–51. 2220–2223 Aristoteles […] fünf Sinne hält.] vgl. Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.): De anima III, 4, 429f. 2223–2226 In der Stoischen Philosophie […] die Seele selbst hervorbringt.] vgl. Erl. zu 788f. 2228f. Eben deswegen […] der Psychologie halten. mit Anm. 42] vgl. Anonymus: [Art.] Incompréhensible. In: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. 17 Bde. (sowie 11 Tafel-Bde. u. 7 Supplement-Bde.). Paris 1751–1780, Bd. 8 (1765), S. 653f. sowie Anonymus: [Art.] Locke, Philosophie de. In: ebd., Bd. 9 (1765), S. 625–627. 2232–2237 Avant […] Helvetius.] vgl. Helvétius: De l’esprit, Disc. II, Chap. 29, S. 229f. 2281–2283 Der zweyte Theilungsgrund […] Organen anstrengt. mit Anm. 44] vgl. Meiners: Kurzer Abriß der Psychologie, S. 45. 2324f. Keiner […] Hume. mit Anm. 45] vgl. David Hume (1711–1776): Essays and Treatises on several subjects. 4 Bde. London 1770, Bd. 3, Sect. VII: Of the Idea of Necessary Connexion, S. 89–114, sowie An Enquiry Concerning Human Understanding. London 1748, Sect. VII: Of the Idea of Necessary Connexion (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übers. von Raoul Richter. Mit einer Einl. hg. von Jens Kulenkampff. Hamburg 1993, S. 74–95).
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Erläuterungen
2332–2341 Alle Kräfte […] ungetheilte Seele. mit Anm. 46] Zitat aus Johann Gottfried Herder (1744–1803): Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der Königl. Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesetzten Preis erhalten hat. Berlin 1772; vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache. In: ders.: Werke. Hg. von Wolfgang Proß. 3 Bde. München, Wien 1984–2003, Bd. 2, S. 251–357, hier S. 272f. 2406 Helvetius […] Seele.] vgl. Helvétius: De l’esprit, Disc. I, Chap. 1, S. 1–18. 2535–2537 Schlagflüsse […] nach sich gezogen. mit Anm. 47] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 316–319. 2550–2552 Wird bey der Erneuerung […] Dichtungsvermögen.] vgl. Christian Wolff (1679– 1754): Psychologia empirica, methodo scientifica pertractata [1732]. Frankfurt a.M., Leipzig 21738 [Reprint Hildesheim 1968], Cap. IV: De Facultate fingendi, v.a. § 144f., S. 97f. 2601 Mnemosyne] in der griech. Mythologie Göttin der Erinnerung, Tochter des Uranos und der Gaia, von Zeus Mutter der neun Musen. 2603f. Vortheile […] die Quinktilian aufzählt mit Anm. 48] vgl. Marcus Fabius Quintilianus (35 – um 96): Institutio oratoria libri XII I 3, 1, XI 2 (Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Lat.-dt. Hg von Helmut Rahn. Darmstadt 52011, Bd. 1, S. 41, Bd. 2, S. 587–609). 2614–2617 Worauf beruhen […] mit einander verband? mit Anm. 49] vgl. Alexander Gerard (1728–1795; seit 1650 Professor für Naturphilosophie in Aberdeen, ebenda zwischen 1760–1771 Professor für Theologie): An Essay on Genius. London 1774; dt. Übersetzung von Christan Garve (1742–1798) unter dem Titel Versuch über das Genie. Leipzig 1776. 2618f. Richtig ist […] Gedächtniß beruhen.] vgl. Quintilian: Institutio oratoria IX 2, 1–9 (Ausbildung des Redners, Bd. 2, S. 587–589). 2647–2650 Die künstlichen Mittel […] sehr vielen andern. mit Anm. 50] vgl. Helvétius: De l’esprit, S. 262, mit Verweis auf Lockes Versuch (II, x, § 5) den er aber nicht zitiert, sondern stark paraphrasiert (vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 170), was Hißmann als Zitat wiedergibt. 2692f. Verschiedne hitzige Krankheiten […] ganz verschwinden. mit Anm. 51] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 316–319 sowie Irwing: Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen, S. 69. 2713–2715 Helvetius glaubt […] ganz machbar sey.] vgl. Helvétius: De l’esprit, Disc. III, Chap. 3, S. 264. 2724–2726 Auf diesen Grund […] gutes Gedächtniß besitzen.] vgl. Helvétius: De l’esprit, Disc. III, Chap. 3, S. 269f. 2776–2778 Keine Meditation […] Wahrheiten zu erlauben. mit Anm. 52] eine »S. 477« existiert in Searchs Light of nature, Bd. 1, 1. Tl. nicht, vgl. aber Search: Das Licht der Natur. Aus dem Englischen übersetzt von Johann Christian Erxleben. 2 Bde. Göttingen, Gotha 1771, Bd. 1, S. 477–507, Kap. 12: Einbildungskraft und Verstand (vgl. Searchs Light of nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 338–362). 2783–2791 Plato […] die ihn lesen. mit Anm. 53] vgl. Meiners: Ueber die Natur der Seele: eine platonische Allegorie. In: ders.: Vermische philosophische Schriften, Bd. 1, S. 120–132. 2841f. Linne und Büffon […] Begriffe gebildet] in seinem 1735 in Leiden erschienenen Systema naturæ, sive regna tria naturæ systematice proposita per classes, ordines, genera, & species klassifizierte Carl von Linné (1707–1778) die drei Naturreiche der Tiere, Pflanzen und Mineralien nach
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den aufeinander aufbauenden Rangstufen Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät; seit der 10. Aufl 1758 stellte Linné die ihm bekannten Organismen in der bis heute üblichen binominalen Schreibweise dar, wobei der erste Name die Gattung, der zweite zusammen mit dem ersten die Art bezeichnet. – Georges Buffon vertrat entgegen Linné die Ansicht, dass man die Natur nicht in einer strengen Taxonomie erfassen könne, da die Naturdinge zu unterschiedlich seien, als dass man sie strengen Regeln anpassen könne. 2852f. Unläugbare Erfahrungen […] Begriffe bilden. mit Anm. 54] vgl. vgl. Michel Eyquem de Montaigne (1533–1592): Essais. 3 Bde. Paris 1580–1588, hier nach den von Pierre Coste (1668–1747) herausgegebenen Essais de Michel seigneur de Montaigne. Avec des Notes; & une Table generale des Matieres plus utile que celles qui avoient paru jusqu’ici. Nouvelle edition. 5 Bde. La Haye [i.e. Genf] 1727, 2. Buch, Kap. 12 (Montaigne: Essais, nebst des Verfassers Leben. Nach der neuesten Ausgabe des Herrn Pierre Coste ins Deutsche übersetzt von Johann Daniel Tietz. 3 Bde. Leipzig 1753. ND Zürich 1996, Bd. 2, S. 49 [›Die Thiere folgen ihren Neigungen eben so frey, als die Menschen‹]). – Das Zitat aus Montaignes Essais folgt der Anmerkung Pierre Costes zu Locke: Essai sur l’entendement humain II, xi, § 5, in der Ausgabe Amsterdam 41742, S. 110f., Anm. (1). 2942–2945 Durch einen Schlagfluß […] verlohren haben.] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 317. 2945–2967 Huart […] habe reden können? mit Anm. 55f.] vgl. Juan Huarte de San Juan, auch Juan Huarte y Navarro (um 1530–1588/89): Examen de ingenious para las sciencias, donde se muestra la differencia de habilidades que ay en los hombres, y el género de letras que a cada vno responde en particular. Baeza 1575; Huarte sucht in seiner Abhandlung aufgrund der Bestimmung der Körpersäfte die Begabungen des einzelnen Menschen für je eine Wissenschaft festzustellen, um ihn so im Staat rationeller verwenden zu können; Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) übersetzte Huartes Examen und publizierte sie 1752 unter dem Titel Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften. Zerbst 1752 (Juan Huarte: Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften. Übers. von G. E. Lessing. Nachdruck der Ausgabe Zerbst 1752 mit einer kritischen Einleitung und Bibliographie von Martin Franzbach. München 1968), hieraus S. 56f. und S. 54 die Zitate; vgl. dazu Martin Franzbach: Lessings Huarte-Übersetzung (1752). Die Rezeption und Wirkungsgeschichte des »Examen de ingenios para las ciencias« (1575) in Deutschland. Tübingen 1965. 2967–2971 Le Camus […] glükliche Fortgänge that. mit Anm. 57] vgl. Antoine Le Camus (1722–1772): Médecine de l’Esprit, où l’on traite des dispositions & des Causes Physiques qui, en conséquence de l’union de l’âme avec le corps, influent sur les opérations de l’esprit et des moyens de maintenir ces opérations dans un bon état, ou de les corriger lorsqu’elles sont viciées. 2 Bde. Paris 1753, Bd. 2, Introduction, S. 55. – Vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 4, S. 294. 2977f. Haller stimt dieser Hypothese bey. mit Anm. 58] vgl. Haller: Elementa physiologiae, Bd. 5, S. 541, mit Verweisen auf Helvétius, Hartley und Bonnet (Anm. s) sowie, mit Verweis auf Helvétius, ebd., S. 551–556, v.a. S. 551f. – Vgl. Helvétius: De l’Esprit, Bd. 1, S. 11f. – Vgl. Hartley: Observations on Man, Bd. 1, S. 374. – Vgl. Bonnet: Essai analytique, S. 39. 3104–3108 Mehrere Philosophen […] begriffen werden können.] zum Willen als von der Vernunft substanziell unterschiedener Instanz und als autonomem Vermögen vgl. u.a. Descartes: Meditationes IV, 9–15 (Meditationen, S. 47–49), ebenso Christian Wolff: Vernüfftige
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Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (Deutsche Metaphysik). Halle 1720, 111751 [Reprint Hildesheim 1983], § 492–510. 3135f. Der Schmerz […] ihn hervorbringt.] vgl. Descartes: Meditationes de prima philosophia, Med. IV, 19–24 (Meditationen, S. 50–53). 3162f. Allein Search […] Thätigkeit.] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 35–37 3174 kein Malebranchisches Gesetz der Willkühr] vgl. dazu Nicolas Malebranche (1638–1715): De la recherche de la vérité, où l’on traitte de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences [1674/75]. 4 Bde. Paris 81749, Bd. 1, Buch 2, 2. Tl. Kap. 5, S. 282–289. 3178–3196 Ueberlegungen […] Befehl unterdrücken können. mit Anm. 60] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 11 (bis Z. 3718) und S. 12f. 3206f. Qui dissentientem odio habet, stultus est. Wolfius.] vgl. Christian Wolff: Philosophia moralis sive ethica. 5 Bde. Halle 1750–1753 [ND Hildesheim 1970], Bd. 5, § 111. 3256f. Descartes […] aufsuchen müsse.] vgl. René Descartes: Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences. Leiden 1637, VI, 2 (Discours de la méthode. Frz.-dt. Übers. u. hg. von Christian Wohlers. Hamburg 2011, S. 109). 3277–3282 Ich habe ihrer […] Festigkeit zunimmt. mit Anm. 61] zu den zeitgenössischen Klimatheorien vgl. Gonthier-Louis Fink: Von Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in europäischer Perspektive. In: Johann Gottfried Herder, 1744–1803. Hg. von Gerhard Sauder. Hamburg 1987, S. 156–176; Lucas Marco Gisi: Einbildungskraft und Mythologie die Verschränkung von Anthropologie und Geschichte im 18. Jahrhundert. Berlin u.a. 2007. 3301–3306 Bonnet […] verliehen habe. mit Anm. 62] vgl. Bonnet: Essai analytique, S. 466f. sowie S. XXIV. 3308 Bonnets Keime] unter ›Keim‹ versteht Bonnet jede Präordination oder Präformation der Teile, die aus sich heraus fähig ist, die Existenz eines Organismus zu bestimmen (»j’entens en général par le mot der Germe, toute Préordination, toute Préformation de Parties capable, par elle-même, de déterminer l’eistence d’une Plante ou d’un Animal«), vgl. Bonnet: Contemplation de la nature. 2 Bde. Amsterdam 1764, Préface, Bd. 1, S. XXIX; die Existenz präformierter Keime im ganzen Körper, die er aufgrund der Regenerationsfähigkeit niederer Tiere annahm, propagierte Bonnet zuerst in seinen gegen Buffon gerichteten Considerations sur les corps organisés. 2 Bde. Amsterdam 1762, wo er sie zur Rettung der Präformationstheorie und damit des Schöpfungsglaubens nutzte. 3337–3345 »Wie? […] selbst aber hasse?« mit Anm. 63] vgl. Immanuel Kant (1724–1804): Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. Königsberg 1766 (AA II, S. 315– 373, hier S. 372). 3353–3355 Nie darf man […] zu verdauen wäre. mit Anm. 64] vgl. Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding, VIII. Abschnitt, Teil 2 (Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 114). 3408 So hat Herr Kant diesen Begrif vom Geiste am deutlichsten auseinander gesezt.] vgl. Kant: Träume eines Geistersehers, AA II, S. 319–328. 3488–3491 Die denkenden Köpfe […] Werkes nachdrüklich gelehrt.] vgl. Priestley: Hartley’s Theory of the Human Mind, S. VII–XLVI.
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3499f. so behauptet der Influxist hier offenbar etwas Unbegreiflicheres, als der Harmonist] der These eines Influxus physicus zufolge stehen Körper und Seele in einem Wechselverhältnis natürlich wirkender Kräfte; damit ersetzen natürliche Ursachen die konkurrierenden Erklärungen des Leib-Seele-Problems durch eine göttliche Vorbestimmung – die Annahme einer prästabilierten Harmonie (vgl. Leibnizens Monadologie) – oder durch ein gelegentliches Eingreifen Gottes – der Okkasionalismus etwa Malebranches. 3517–3520 Premontval […] den einfachen Chef.] vgl. André-Pierre Le Guay de Prémontval (1716–1764): Vues philosophiques ou Protestations et déclarations sur les principaux objets des connaissances humaines. 2 Bde. Berlin 1757. 3539 Locke sahe dies deutliche ein] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 2, S. 187–192 (IV, iii, § 6). 3541f. Der rechtgläubige Buddeus […] widersprechende Eigenschaft sey.] vgl. die Elementa philosophiae theoreticae, seu institutionum philosophiae eclecticae tomus secundus. Halle 1703, S. 328, des lutherischen Theologen Johann Franz Buddeus (auch Budde; 1667–1729). 3544–3546 Wolf hingegen […] Argument bewiesen.] vgl. Wolff: Deutsche Metaphysik, § 741. 3554–3557 Hutcheson […] Unthätigkeit und Leiden zu. mit Anm. 65] vgl. Francis Hutcheson (1694–1746): An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with Illustrations upon the Moral Sense. London 1728 (Eine Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend. Über moralisch Gutes und Schlechtes. Übers. u. mit einer Einleit. hg von Wolfgang Leidhold. Hamburg 1986). – Vgl. Sulzer: Gedanken über einige Eigenschaften der Seele, in sofern sie mit den Eigenschaften der Materie eine Aehnlichkeit haben, zur Prüfung des Systems des Materialismus. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften, Bd. 1, S. 348–376. 3568–3570 Und so auch der andre […] einfachen Subjekt vorgehen.] vgl. Bonnet: Essai de psychologie, S. 45–50. 3578f. Können viele Gehirnfibern […] Gedankens zusammenwirken? mit Anm. 66] vgl. in diesem Band S. 72–101. – Vgl. Meiners: Psychologisches Fragment über die Verschiedenheiten des innern Bewustseyns, S. 24f. 3581–3584 Herr Mendelssohn […] kraftvollsten vorgetragen.] vgl. Moses Mendelssohn: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele. Berlin, Stettin 1767. 3584–3612 Ich will ihn […] muß einfach seyn.« mit Anm. 67] vgl. August Wilhelm Hupel (1737– 1819): Anmerkungen und Zweifel über die gewöhnlichen Lehrsätze vom Wesen der menschlichen und der thierischen Seelen. Riga 1774, S. 224–227. 3628–3632 Ich wil […] hin zu weisen.] vgl. Hupel: Anmerkungen und Zweifel, S. 227–236. 3646 Und was heiß einfach? – Verneinung, Nichts. mit Anm. 68] vgl. Hupel: Anmerkungen und Zweifel, S. 265–289.
Geschichte der Lehre von der Association der Ideen 18–20 Und wahrscheinlich […] gekommen seyn. mit Anm. 1] Hißmann zitiert hier wie im Folgenden John Lockes (1632–1704) Essay Concerning Humane Understanding. London 1690 in der von Locke selbst betreuten frz. Übersetzung von Pierre Coste (1668–1747), erschie-
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nen 1700 (Essai sur l’entendement humain. Amsterdam 1700, 2. Aufl. ebd. 1729, 3. Aufl. ebd. 1735, 4. Aufl. ebd. 1742 (vgl. Hißmanns Psychologische Versuche, Erl. zu 218–224); vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Übers. von Carl Winckler. 2 Bde. Hamburg 2006, Bd. 2, S. 358. 27f. Der grosse Brucker [ … ] immer schätzt. mit Anm. 2] vgl. Johann Jakob Brucker (1696– 1770): Historia philosophicae doctrinae de ideis. Augsburg 1723; eine Ausgabe Augsburg 1730 ist nicht nachgewiesen. 45–52 Hobbes […] obgleich mangelhaft, aus.] vgl. Thomas Hobbes (1588–1679): Elementa philosophiae. 3 Tle. London 1724–1758, v.a. Tl. 2: De homine. 68 was Cowley sagt] vgl. Abraham Cowleys (1618–1667) Ode upon liberty in seinem Essay On Liberty in ders.: The works. Consisting of those which were formerly printed; and those which he design’d for the press; publish’d out of the author’s original copies. 2 Bde. London 1668, 111710, Bd. 2, S. 672–692, hier S. 678–692, v.a. S. 692. 118–128 Naturane nobis […] Cicero.] vgl. Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.): De finibus bonorum et malorum (›Über das höchste Gut und das größte Übel‹, entst. 45 v. Chr.) V, I, 2: »Ist es ein Geschenk der Natur oder eine Täuschung, dass man sich bei dem Anblick von Orten, wo merkwürdige Männer sich viel aufgehalten haben sollen, erregter fühlt, als wenn man nur von ihren Thaten hört oder ihre Schriften liest? Eben jetzt empfinde ich es; denn Plato tritt mir vor die Seele, der hier zuerst gelehrt haben soll; seine hier angrenzenden Gärten erinnern mich nicht blos an ihn, sondern stellen mir seine Gestalt selbst gleichsam vor Augen. Hier weilte Speusipp, Xenokrates und sein Schüler Polemo; wir sehen hier den Sessel, worauf er sass. Ebenso ging es mir beim Anblick unseres Versammlungssaals, des Hostilischen nämlich, nicht des neuen, der mir kleiner zu sein scheint, seitdem er vergrössert worden ist. Da gedachte ich des Scipio, Cato, Lälius und vor Allen unseres Grossvaters. Diese, die Erinnerung anregende Kraft solcher Orte ist so gross, dass man nicht ohne Grund die Gedächtnisskunst von ihr abgeleitet hat« (Übertragung von Julius Heinrich von Kirchmann, 1874); das Zitat findet sich in David Hume (1711–1776): A Treatise of Human Nature. Being an attempt to introduce the experimental method of reasoning into moral subjects. 3 Bde. London 1739/40, Bd. 3, Appendix, S. 294f. zu Bd. 1, 3. Tl., Abschn. 8, S. 179 (David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Übers., mit Anm. u. Reg. vers. von Theodor Lipps. Mit neuer Einf. hg. von Reinhard Brandt. 2 Bde. Hamburg 1989, Bd. 1, S. 137, Anm.). 137–141 Locke […] dieser Lehre her. mit Anm. 3] vgl. Erl. zu 608–620 der Psychologischen Versuche. – Vgl. Joseph Priestley (1733–1804): Hartley’s Theory of the Human Mind, on the Principle of the Association of Ideas with Essays Relating to the Subject of it. London 1775 [ND New York 1973], Essay II: A general view of the doctrine of Association of ideas, S. XXII–XXXII. 144 Gay] vgl. John Gay (1699–1745): Dissertation concerning the Fundamental Principle of Virtue or Morality. In: William King (1650–1729): An essay on the origin of Devil [De Origine Mali, 1702]. Translated from the Latin, with large Notes by Edmund Law (1703–1787). London 1731, S. XI–XXXIII; nach eigenen Worten wurde Hartley durch Gays Dissertation zur Auseinandersetzung mit der Assoziation der Ideen angeregt, vgl. Hartley: Observations on Man, 1. Tl., Preface, S. III.
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146 Reid, Beattie und Oswald] vgl. Thomas Reid (1710–1796): Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense. Edinburgh 1764; James Beattie (1735–1803): An essay on the nature and immutability of truth in opposition to sophistry and scepticism. Edinburgh 1770; James Oswald († 1793): An appeal of common sense in behalf of religion. Edinburgh 1766. 153–156 In eine ähnliche Verwunderung […] wichtige Kenntniß sey. mit Anm. 4] vgl. David Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding. London 1748, Sect. III: Of the Association of Ideas, § 19 (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übers. von Raoul Richter. Mit einer Einl. hg. von Jens Kulenkampff. Hamburg 1993, S. 25). 205 Thales und Pythagoras] Thales von Milet (um 624 v. Chr. – um 546 v. Chr.), der seit Aristoteles als Begründer der ionischen Naturphilosophie gilt (vgl. Metaphysik A 983b 20f.), soll Reisen nach Ägypten unternommen haben, um sich dort mit Grundfragen der Geometrie und der Astrologie vertraut zu machen (vgl. u.a. Die Fragmente der Vorsokratiker. Griech.-dt. Hg. u. übers. von Hermann Diels u. Walther Kranz. 3 Bde. Berlin 1912 [ND Zürich 1996], 11A11). – Verschiedenen Berichten zufolge soll sich Pythagoras von Samos (um 570 v. Chr. – nach 510 v. Chr.) in seiner Jugend in Ägypten mit den dortigen religiösen Anschauungen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen vertraut gemacht haben (vgl. u.a. Iamblichos von Chalkis [um 240/45 – um 320/25]: Über das pythagoreische Leben [Pythagoras: Legende – Lehre – Lebensgestaltung. Griech.-dt. Übers. u. hg. von Michael von Albrecht. Darmstadt 2002]). 234–261 Herr Plattner […] oder Gedanken. mit Anm. 5] vgl. Ernst Platner (1744–1818): Anthropologie für Aerzte und Weltweise. Leipzig 1772 [ND Hildesheim 2000], S. 143f., zitiert Z. 281–305. – Zur ›mechanischen Erklärung für das Gesetz der Koexistenz‹ vgl. Nicolas Malebranche (1638–1715): De la recherche de la vérité, où l’on traitte de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences [1674/75]. 4 Bde. Paris 81749, Bd. 1, Buch 2, 2. Tl., Kap. 5, S. 275–301. 265–267 Bonnet […] Ideen erforderlich sind. mit Anm. 6] vgl. Charles Bonnet (1720–1793): Essai analytique sur les facultés de l’âme. Kopenhagen 1760, S. 53f. 267–273 Ein ganz andern Grund […] erregt werden. mit Anm. 7] vgl. Platner: Anthropologie für Aerzte und Weltweise, S. 145, zitiert Z. 312–319. 275–277 den Einwürfen Hallers […] Voraussetzungen nichts wisse. mit Anm. 8] vgl. Albrecht von Haller (1708–1777): Elementa physiologiae corporis humani. 8 Bde. Lausanne 1757–1766, Bd. 5 (1763), S. 543–547, hier S. 547. 275 Hook’s] vgl. Robert Hooke (1635–1703): Micrographia: or, Some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses with observations and inquiries thereupon. London 1665. 287f. das Gesetz der Aehnlichkeit […] deutlicher auseinander setzte] gemeint ist Christian Wolff (1679–1754), vgl. Vernüfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (Deutsche Metaphysik). Halle 1720, 111751 [ND Hildesheim 1983], § 238. – Vgl. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 34. 290f. ein drittes Gesetz […] unserer innerer Organen.] vgl. Malebranche: De la recherche de la vérité, Buch 2, 2. Tl., Kap. 5, S. 279f. 296–299 Wahrscheinlich hat daher […] mit erschüttert würden. mit Anm. 9] leicht abgeändertes Zitat aus Christoph Meiners (1747–1810): Kurzer Abriß der Psychologie zum Gebrauche seiner
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Vorlesungen. Göttingen 1773. – Vgl. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 34, 63f. 310–313 eben so ist der Ausdruck […] kraftvolle Sprache. mit Anm. 10] vgl. Johann Georg Sulzer (1720–1779): [Art.] Leidenschaften. (Schöne Künste.). In: Allgemeine Theorie der schönen Künste, in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. 2 Bde. Leipzig 1771/74, Bd. 2, S. 692–703. 319–322 Die Leidenschaften […] sehr gut passen.] vgl. Adam Smith (1723–1790): The Theory of Moral Sentiments. 2 Bde. London 1759, I.ii.3 (Theorie der ethischen Gefühle. Nach der Ausg. letzter Hand übers. u. mit Einl., Anm. u. Reg. hg. von Walther Eckstein. Hamburg 1994, S. 49f.). 331–334 Man kann daher […] nicht erklären lassen. mit Anm. 11] vgl. Erl. zu 320 der Psychologischen Versuche. 347–352 In all compositions […] Hume.] vgl. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 26. 425f. Eine grössere Bemerkbarkeit […] vermischten Empfindungen bestimmen. mit Anm. 13] vgl. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Leibniz von den ewigen Strafen. In: ders.: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. 1. Beitrag. Braunschweig 1773, S. 199–240 (Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. von Winfried Barner u.a. Frankfurt a.M. 1985–2000, Bd. 7, S. 472–501). 428–438 Locke […] zusammengesetzt sind. mit Anm. 14] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 346f. 445 seine Leser in Irrthum geführt hat. mit Anm. 15] vgl. diesen Band, S. 275–281. – Vgl. Johann Heinrich Lambert (1728–1777): Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrthum und Schein. 2 Bde. Leipzig 1764, Bd. 1, Tl. 2: Alethiologie oder Lehre von der Wahrheit, S. 477 u. S. 498. 482–484 Daher muß […] Vorstellung bilden. mit Anm. 16] Johann Heinrich Campe (1746– 1818): Die Empfindungs- und Erkenntnißkraft der menschlichen Seele, die erstere nach ihren Gesetzen, beyde nach ihren ursprünglichen Bestimmungen, nach ihrem gegenseitigen Einflusse auf einander und nach ihren Beziehungen auf Charakter und Genie betrachtet. Leipzig 1776. 488–494 Man giebt also […] im Stand sind. mit Anm. 17] vgl. Michel Eyquem de Montaigne (1533–1592): Essais. 3 Bde. Paris 1580–1588, hier nach den von Pierre Coste (vgl. Erl. zu 18–20) herausgegebenen Essais de Michel seigneur de Montaigne. Avec des Notes; & une Table generale des Matieres plus utile que celles qui avoient paru jusqu’ici. Nouvelle edition. 5 Bde. La Haye [i.e. Genf] 1727 (Montaigne: Essais, nebst des Verfassers Leben. Nach der neuesten Ausgabe des Herrn Pierre Coste ins Deutsche übersetzt von Johann Daniel Tietz. 3 Bde. Leipzig 1753. ND Zürich 1996, Bd. 2, S. 352 u. S. 354f. (›Es ist ungewiß, ob der Mensch mit allen natürlichen Sinnen versehen ist‹). – Der gesamte Text in Anm. 17 ist ein Zitat der Anmerkung Pierre Costes zu Locke: Essai sur l’entendement humain II, ii, § 3, in der Ausgabe Amsterdam 41742 S. 76f., Anm. (1). 509 Newtons Prisma] zwischen 1670 und 1672 widerlegte Isaac Newton (1642–1727) die zeitgenössische Annahme von der Farblosigkeit weißen Lichts, indem er dieses mittels eines Prismas in die Spektralfarben zerlegte, vgl. A Serie’s of Quere’s Propounded by Mr. Isaac Newton, to be Determin’d by Experiments, Positively and Directly Concluding His New Theory of
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Light and Colours. New Theory about Light and Colours. In: Philosophical Transactions 7 (1672), S. 81–91; vgl. ebenso Newton: Opticks. Or, a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light. London 1704; Newtons Ergebnisse trugen maßgeblich zu John Lockes Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten bei, vgl. v.a. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 155–158 (II, viii, § 23–26). 512–514 Das Rothe […] angeben können. mit Anm. 18] vgl. Malebranche: De la recherche de la vérité, Bd. 1, 1. Buch, Kap. XIII,5, S. 179f. – Vgl. Johann Andreas Rüdiger (auch Ridiger; 1673–1731): Physica divina, recta via, eademque inter superstitionem et atheismum media, ad utramque hominis felicitatem naturalem atque moralem. Frankfurt a.M. 1716, v.a. Lib. 1, Cap. IV, Sect. IV, § 35–73, S. 160–177. 515–533 Dasjenige, wovon wir keine Definition […] siehe, höre, schmecke. mit Anm. 19] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 2, S. 26–32. 565f. Hätte man […] Belehrung sehr leicht. mit Anm. 20] recte Liv. II. Chap. III. §. 1, vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 129 sowie ebd., S. 346–348. 601–603 Eben deswegen […] zusammengesetzte Begriffe. mit Anm. 21] recte § 1; vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 468. 666–668 Vollkommenheiten […] bey bürgerlichen Menschen. mit Anm. 22] vgl. Edward Search (i.e. Abraham Tucker; 1705–1774): The Light of Nature Pursued. 7 Bde. London 1768–1778, Bd. 1, 1. Tl., S. 226f. 690–693 Unter allen Weltweisen […] richtig festgestellt hat. mit Anm. 23] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 220–244. 694–716 Scharfsinnig genug […] zu einem Ganzen.] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 223–226. 812–814 Dieser Probierstein […] Begriffe bedeuten. mit Anm. 24] vgl. Search: Light of Nature, Bd. 1, 1. Tl., S. 238–240. 845–856 hat Shakespear […] einander gleich zu machen?« mit Anm. 25] vgl. Henry Home, Lord Kames (1696–1782): Elements of Criticism. 3 Bde. Edinburgh 1762 [ND Hildesheim 1970], Bd. 1, S. 25f.
Untersuchungen, über den Stand der Natur 1–6 Motto] vgl. Titus Lucretius Carus’ (um 97 v. Chr. – um 55 v. Chr.) Lehrgedicht De rerum naturae V, 8–12 (»War er ein Gott, ja ein Gott, erlauchtester Memmius, der uns / Jene Betrachtung des Lebens erfand als erster und einz’ger, / Welche wir jetzo gewöhnlich als Weltanschauung bezeichnen, / Der aus den Stürmen des Lebens in ruhiges Wasser uns führte / Und in das strahlende Licht aus den schrecklichen Finsternissen« [Übertragung durch Hermann Diels]). 15f. Verfasser […] Stand der Natur] vgl. Heinrich Friedrich Diez (1751–1817): Der Stand der Natur. Lemgo 1775. 89f. Der Sohn der Natur […] geselliger Philantrop.] nach Thomas Hobbes (1588–1679) verbietet es dem Menschen die ihm eigene Natur seiner äußeren Freiheit, sich einem Ge-
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meinwesen unterzuordnen; im Naturzustand zeige sich daher die Geltung eines ius in omnia, das zu einem bellum omnium contra omnes führe; Samuel Freiherr von Pufendorf (1632–1694) hingegen leitet die Staatenbildung aus der natürlichen Geselligkeit und dem Bedürfnis des Menschen ab, den Unterschied zwischen Recht und Unrecht zu erkennen. 100–105 »daß der Stand der Natur […] erreichen konnte.«] kein Zitat, vgl. aber Thomas Hobbes (1588–1679): Elementorum Philosophiæ sectio tertia: De cive. Paris 1642, I, 13–15 (Vom Menschen. Vom Bürger. Eingel. u. auf der Grundlage der Übers. von Max FrischeisenKöhler hg. von Günter Gawlick. Hamburg 1994, S. 84f.). 106 Swift] Jonathan Swift (1667–1745), vgl. Travels into Several Remote Nations of the World in Four Parts By Lemuel Gulliver, first a Surgeon, and then a Captain of Several Ships. London 1726. 108 Jean Jaqueo] hier Jean-Jacques Rousseau (1712–1778). 155 hogartsche Gruppe] der engl. Maler und Graphiker William Hogarth (1697–1764) prangerte in oft mehrteiligen Bildergeschichten die Sitten und die Moral seiner Zeit schonungslos und mit beißender Ironie an. 172 Boucaniers] svw. Pirat, Freibeuter; die Bezeichnung geht auf den ›bukan‹ zurück, eine Vorrichtung, auf der die karibischen Arawak Fleisch räucherten; europäische Seeräuber v.a. in der Karibik übernahmen diese Form der Fleischkonservierung und wurden seit den 1680er Jahren als Boucaniers oder Buccaneers bezeichnet. 193–197 Der ursprüngliche Mensch […] einleuchten werden.] vgl. Immanuel Kant (1724– 1804): Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784): »Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben in der Gesellschaft, so fern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hiezu liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur« (AA VIII, S. 15–31, hier S. 20). 202 Reimarus] Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) suchte die Existenz Gottes, seine Absichten in der Welt, die Unsterblichkeit der Seele etc. mit Mitteln der Vernunft herzuleiten und zu begründen; vgl. Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion. Hamburg 1754. 202 Home mit Anm. 1] vgl. Henry Home, Lord Kames (1696–1782): Sketches of the History of Man. 4 Bde. Dublin 1774/75, Bd. 2, 2. Buch: Progress of Men in Society, Sketch I: Appetite for Society – Origin of National Societies, S. 141–178. 210–212 Der Mensch […] hält.« mit Anm. 2] vgl. Reimarus: Die vormnehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion in zehn Abhandlungen auf eine begreifliche Art erläutert und gerettet. 4., verbesserte und stark vermehrte Aufl. Hamburg 1772, VII. Abh.: Vergleichung der Menschen mit den Thieren, § 5, S. 512. 238 Eppichranke] hier der Gemeine Efeu. 265–268 da der Weltweise […] Beinkleider.] gemeint ist vmtl. Jean-Jacques Rousseau, der seit seiner Flucht in die Schweiz, um sich auch äußerlich von der Gesellschaft zu distanzieren, nur noch Kleidung und Accessoires armenischer Herkunft trug.
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281 Cicisbeo’s] vmtl. aus frz. chiche, ›niedlich‹, galante Höflinge im Italien des 18. und 19. Jhds., die adligen Damen bei Abwesenheit des Gatten als Begleiter zu gesellschaftlichen Anlässen dienten. 281f. petits Maitres] ›kleine Meister‹, Stutzer, Gecken, mit übertriebener Sorgfalt und Zierlichkeit gekleidete und herausgeputzte Männer. 287–295 Daher sind […] Thier zu fliehn.] hier nach Home: Appetite for Society, S. 143, Anm. *. 295f. Die Ankunft […] zu verscheuchen.] der frz. Naturforscher Michel Adanson (1727–1806) unternahm zwischen 1748 und 1753 eine Forschungsreise in die französischen Kolonien am Senegal, deren Ergebnisse er in der Histoire naturelle du Sénégal. Paris 1757 (dt. Übers. von Friedrich Heinrich Wilhelm Martini, Brandenburg 1773, und Johann Christian Schreber, Leipzig 1773) publizierte; vgl. Adanson: Histoire naturelle de Sénégal, S. 78. 300–302 »Weil wir […] suchen.« mit Anm. 3] Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, VII. Abh., § 5, S. 512. 329–338 Wenn die jungen Wölfe […] Umgangs ab. mit Anm. 4] vgl. Anonymus: Zweyter Brief eines nürnbergischen Naturforschers über die Thiere. In: Berlinisches Magazin, oder gesammlete Schriften und Nachrichten für die Liebhaber der Arzneywissenschaft, Naturgeschichte und der angenehmen Wissenschaften überhaupt, Bd. 1 (1765), 2. Stück, S. 170–197, hier S. 174f.; in seinen Briefen über Gegenstände der Philosophie (S. 85–95) paraphrasiert Hißmann ebenfalls eine längere Passage aus diesem Zweyten Brief, verweist aber irrtümlich auf den Ersten Brief des Anonymus aus Nürnberg über die Thiere (Berlinisches Magazin, Bd. 1 [1765], 1. Stück, S. 32–41). 338–340 Nach Adanson’s Bericht […] gemeinschaftlich.] Adanson: Histoire naturelle du Sénégal, S. 116f. 341–343 Vergeblich […] auffressen.] vgl. Home: Appetite for Society, S. 143. 343f. Das thut […] frißt ihn hernach.] die Anthropophagie der grönländischen Inuit wird u.a. 1726 von dem Grönland niemals bereist habenden Hamburger Bürgermeister Johann Anderson (1674–1743) beschrieben, vgl. Anderson: [ohne Titel]. In: Der Patriot. Nach der Originalausgabe Hamburg 1724–26 in drei Textbänden und einem Kommentarband kritisch hg. von Wolfgang Martens. Berlin 1969, Bd. 3, No. 148f., S. 349–365, hier v.a. S. 354 (vgl. auch Anderson: Nachrichten von Island, Grönland und der Straße Davis, zum wahren Nutzen der Wissenschaft und der Handlung. Hamburg 1746; vgl. hierzu u.a. Maike Schmidt: Grönland – Wo Nacht und Kälte wohnt. Eine imagologische Analyse des Grönland-Diskurses im 18. Jahrhundert. Göttingen 2011). 347–352 »Die Glückseeligkeit […] zu führen«. mit Anm. 5] vgl. Home: Appetite for Society, S. 143. 359–362 Reimarus […] Jagd an«] vgl. Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, VII. Abh., § 5, S. 513. 371–374 »Weil nicht […] zu erwarten hat.«] vgl. Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, VII. Abh., § 5, S. 512f. 387 Lehre von der Sympathie, auf die sich Reimarus beruft] vgl. dazu generell Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, VII. Abh., § 5, S. 511–516; vgl. auch ders.: Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion. 6. Aufl. Durchgesehn, und mit einigen Anmerkungen begleitet von Johann Albert Heinrich Reimarus. Hamburg 1791, S. 473, Anm. Id zu § 5 mit Verweis auf Hißmanns Untersuchungen, über den Stand der Natur.
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Erläuterungen
530–536 Wenn einige […] zur Pflicht machen.] vgl. William Robertson (1721–1793): The history of America. 2 Bde. Dublin 1777, Bd. 1, S. 406f. 579f. Rousseau […] der Menschen] vgl. Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes. Amsterdam 1755. 587 Helvetius aus dem Beispiel der heutigen wilden Völker] vgl. Claude Adrien Helvétius (1715–1771): De l’esprit. Paris 1758, Disc. III, Chap. 5, S. 290–296 672 Homeschen Versuchen, über die Geschichte des Menschen] Homes Sketches of the History of Man, hier getitelt nach der dt. Übersetzung von Anton Ernst Klausing, Versuche über die Geschichte des Menschen. 2 Bde. Leipzig 1774/75. 675–679 Er folgert aus der großen Beschränkung […] gestärkt werden können. mit Anm. 6] vgl. Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689–1755): De l’esprit des loix. 2 Bde. Genf 1748, Bd. 1, Liv. IX, Chap. 6: De la force défensive des États en général, S. 211–213 (Vom Geist der Gesetze. In neuer Übertragung eingel. u. hg. von Ernst Forsthoff. 2 Bde. Tübingen 1951, Bd. 1, S. 185–187). 690–699 Aristoteles […] noch immer antreffen. mit Anm. 7] zur Überlieferung der Historia Animalium des Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) vgl. Friederike Berger: Die Textgeschichte der ›Historia Animalium‹ des Aristoteles. Wiesbaden 2005. 802–835 In den nördlichen Gegenden […] menschenfeindliche Wesen.] zu den zeitgenössischen Klimatheorien vgl. Erl. zu 3277–3282 der Psychologischen Versuche. 811–813 Kein Wunder […] geglückt wären. mit Anm. 8] vgl. Aristoteles: Politik 1327b. 825f. Sie scheinen zur Sklaverei geboren zu seyn.] vgl. Aristoteles: Politik 1252b. 836–846 Aehnliche Veränderungen […] getrieben hat.] vgl. hierzu v.a. Hißmanns elften der Briefe über Gegenstände der Philosophie, in denen er rückgreifend auf Melchior Adam Weikards (1742–1803) kleine Abhandlung Von der Wirkung des Klimas. In: ders.: Der philosophische Arzt. 4 Bde. Frankfurt a.M. 1773–1775, Bd. 1, S. 85–96 und auf der Basis der Phlogistonhypothese eine Charakteristik der Nationen aufgrund ihres Ernährungsverhaltens entwirft, vgl. Briefe, S. 141–144. 848 mit Plato zu reden] vgl. Platon (428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.): Timaios 41d–42e; vgl. auch die Darstellung in Christoph Meiners (1747–1810): Versuch über die Religionsgeschichte der ältesten Völker, besonders der Egyptier. Göttinge 1775, S. 234. 861–868 Beurtheilung der Richtigkeit […] gesättigt wird. mit Anm. 9] recte Chap. 2, vgl. Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, S. 13f. – Vgl. Adam Ferguson (1723–1816): Institutes of Moral Philosophy. Edinburgh 1769, hier nach Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Übers. und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772, S. 80. 897–902 Dieses scheinen viele Schriftsteller […] Wissenschaften werden möge. mit Anm. 10] der im Auftrag der Vereenigde Oostindische Compagnie den Pazifik erkundende Willem Jansz (um 1570 – um 1630) betrat nachweislich als erster Europäer im Jahre 1606 australischen Boden und nannte den neu entdeckten Landstreifen ›Nieu Zelandt‹, doch konnte sich der Name nicht durchsetzen und Australien wurde im 17. Jhd. als ›Neuholland‹ bekannt; Johann Georg Adam Forster (1754–1794) begleitete James Cook (1728–1779) 1772 bis 1775 auf dessen zweiter Reise in den Pazifik, deren Beschreibung er als A Voyage round the World. 2 Bde. London 1777/80 publizierte, vgl. hier Bd. 1, S. 10f.
Erläuterungen
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930 Pongos] die heute für den Orang-Utan gebräuchliche wissenschaftliche Bezeichnung ›Pongo‹ wurde bis zum Ende des 18. Jhds. unterschiedslos auf alle Menschenaffen angewandt; ›Pongo‹ geht auf den englischen Forschungsreisenden Andrew Battel (um 1565 – nach 1613) zurück, der um die Wende zum 17. Jhd. die portugiesisch kolonisierten Gebiete (u.a. Angola) erkundete und eine Menschenaffenart, vmtl. Gorillas, unter dem Namen ›Pongo‹ beschrieb; der beim Publikum beliebte Reiseschriftsteller Samuel Purchas (1577– 1626) sammelte Battels Berichte und publizierte sie in Purcas, His Pilgrimage, or Relations of the Vvorld and the Religions both Heathenish and Christian Observed in all Ages and Places into Ffowre Bookes or Volumes Collected. London 1613 und Hakluytus Posthumus or Purchas, His Pilgrimes: Contayning a History of the World, in Sea Voyages and Lande Travells, by Englishmen and Others. London 1625 (die Berichte von bzw. über Battels Reisen in Afrika neu ediert in The strange adventures of Andrew Battell of leigh, in Angola and the adjoining regions. Hg., mit Anm. und einer kurzen Geschichte des Kongo und Angolas von Ernest George Ravenstein. London 1901). 930 die Ichthyophagen, die Hylophagen] als Ichthyophagen (griech. ›Fischfresser‹) wurden in der Antike einige Völker an den Küsten des Roten und Arabischen Meeres bezeichnet, die auf primitivste Weise leben und sich ausschließlich von Fischen ernähren sollten; ebenfalls auf antike Berichte gehen die Hylophagen (griech. ›Holzfresser‹) zurück, primitive, in Wäldern u.a. in Äthiopien lebende Menschen. 931 die Karaiben] die indigene Bevölkerung der karibischen Inseln waren als Menschenfresser bekannt. 931 die Vaddahs auf Ceylon] die indigenen Vaddahs oder Veddahs auf Ceylon (dem heutigen Sri Lanka), die Robert Knox (1641–1720) als ›wilde Menschen‹ beschrieb, die sich nur von Fleisch ernähren und unter Bäumen schlafen sollten (vgl. An Historical Relation of the Island Ceylon together With somewhat Concerning Severall Remarkable passages of my life that hath hapned since my Deliverance out of Captivity. London 1681, S. 61), wurden noch im 19. Jhd. als einer der niedersten Typen der menschlichen Rasse bezeichnet. 932 die unglücklichen Bewohner vom Cap Horn] hier die nichtsesshafte indigene Bevölkerung Feuerlands und Patagoniens, die als in kleinen Gruppen herumziehende nackte Wilde beschrieben werden, die sich im Küstengebiet von Muscheln, Seehunden und rohem Fisch, im Landesinnern von Guanakos und Kleintieren ernähren sollten. 933 Bewohner der Nordküste von Neuholland] vgl. Erl. zu 897–902. 940 Tyson hat es wenigstens nicht gethan.] vgl. Edward Tyson (1650–1708): Orang-outang, sive, Homo sylvestris: or, The anatomy of a pygmie compared with that of a monkey, an ape, and a man. London 1699 [ND London 1966], in dem Tyson erstmals einen Menschenaffen – einen Schimpansen – mit dem Menschen vergleicht und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede festhält. 963 Selkirks, Blanks etc.] Alexander Selkirk (eigentl. Selcraig; 1676–1721), das vmtl. Vorbild des Robinson Crusoe in The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner (London 1719) Daniel Defoes (um 1660 – 1731), lebte von 1704 bis 1709 auf der unbewohnten Isla Más a Tierra vor der chilenischen Westküste. – Vmtl. Anspielung auf Marie-Angélique Memmie LeBlanc, ein verwildertes, im September 1731 in den Wäldern von Songy (im heutigen Arrondissement Châlons-en-Champagne, Département Marne)
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Erläuterungen
aufgegriffenes, mglw. aus den frz. Kolonien in Nordamerika nach Frankreich verschlepptes Mädchen; als man Memmie fand, war sie etwa 19 Jahre alt, hatte aber vmtl. bereits zehn Jahre in der Wildnis ge- und überlebt; vgl. Charles-Marie de la Condamine (1701– 1774): Histoire d’une jeune fille sauvage trouvée dans les bois à l’âge de dix ans. Paris 1755, vgl. auch Jens Kraft (1720–1756): Die Sitten der Wilden, zur Aufklärung des Ursprungs und Aufnahme der Menschheit. Kopenhagen 1766, 1. Abt., § 18f., S. 40–45; vgl. auch Erl. zu 308–314 des Ursprungs der Sprache. 969–971 Herodot […] geschildert finden.] vgl. die Berichte des Herodot von Halikarnassos (490/480 v. Chr. – um 424 v. Chr.) in seinen Historien über die ›libysche‹ Bevölkerung der nordafrikanischen Küste und des Landesinneren (vgl. IV. 180–195) sowie die des Diodorus Siculus (fl. 1. Jhd. v. Chr.) in der Bibliotheca historica über die noch tierische Lebensweise der ersten Menschen (I. 8) und die Äthiopier (III. 11). 1117f. wie Spinoza in ähnlicher Absicht erinnert] vgl. Baruch de Spinoza (1632–1677): Tractatus theologico-politicus. Amsterdam 1670, Kap. 19 (Theologisch-politischer Traktat. Auf der Grundlage der Übers. von Carl Gebhardt neu bearb., eingel. u. hg. von Günter Gawlick. Hamburg 1984, S. 285–298). 1331f. kurz, sich durch Handeln und durch Leiden auszuzeichnen wissen. mit Anm. 11] vgl. Erl. zu 202.
Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtschreiber Titel die angebohrnen Begriffe] vgl. hierzu Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646–1716) Auseinandersetzung mit John Lockes (1632–1704) Essay Concerning Humane Understanding. London 1690, I, i (Versuch über den menschlichen Verstand. Übers. von Carl Winckler. 2 Bde. Hamburg 2006, Bd. 1, S. 29–52) in den Nouveaux essais sur l’entendement humain [1703/04]. In: ders.: Œuvres philosophiques latines et françoises. Hg. von Rudolf Erich Raspe. Amsterdam, Leipzig 1765, S. 1–496, I, i (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Übers., mit Einl. u. Anm. versehen von Ernst Cassirer. Hamburg 1996, S. 29–51). 34 Bruckers] Johann Jacob Brucker (1696–1770), evangelischer Theologe und Pfarrer in Kaufbeuren und Augsburg; Historia philosophica doctrinae de ideis. Augsburg 1723; Kurze Fragen aus der philosophischen Historie. 7 Bde. Leipzig 1731–1736; Erste Anfangsgründe der philosophischen Geschichte. Leipzig 1736, 21751; Historia critica philosophiae a mundi incunabulis ad nostram usque aetatem deduca. 5 Bde. Leipzig 1742–1744, 21766, ein Auszug erschien unter dem Titel Institutiones historiae philosophicae. Leipzig 1747; zu Brucker vgl. Wilhelm SchmidtBiggemann u. Theo Stammen (Hg.): Jacob Brucker (1696–1770). Philosoph und Historiker der europäischen Aufklärung. Berlin 1998. 35 Batteux] Charles Batteux, gen. Abbé Charles (1713–1780), nach Abschluss des Theologiestudiums Professor für Rhetorik und Humaniora am Collège Royal in Paris, Mitglied der Académie royale des Inscriptions et Belles-Lettres (1754) und der Académie française (1761); vgl. Histoire des causes premières ou, Exposition sommaire des pensées des philosophes sur les principes des êtres. Paris 1769.
Erläuterungen
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die planlose, unkritische Geschichte der Philosophie des Deslandes] vgl. André-François Boureau-Deslandes (1690–1757): Histoire critique de la philosophie où l’on traite de son origine, de ses progrès, & des diverses révolutions qui lui sont arrivées jusqu’à notre temps. 4 Bde. Amsterdam [sc. Paris] 1737; zu Deslandes vgl. Gregorio Piaia: A »Critical« History of Philosophy and the Early Enlightenment: André-François Boureau-Deslandes. In: Models of the History of Philosophy. International Journal for the History of Ideas 2011/1, S. 177–211. 49f. des platten Provinzial-Schöngeistes, wie ihn Voltaire nennt] nach Jean-Henri-Samuel Formey: Histoire abrégée de la philosophie. Amsterdamm 1760 lieh sich Voltaire (sc. FrançoisMarie Arouet; 1694–1778) Deslandes’ Histoire critique de la philosophie aus seiner Bibliothek aus und trug im ersten Band, S. 290f. zahlreiche Notizen zum Stil Deslandes’ ein, u.a. »Quel stile de plat bel-esprit Provincial« (vgl. Histoire abrégée, S. 21). 50–52 die Recherches sur l’origine […] der Leibnitzischen Werke] Louis Dutens (1730–1812): Recherches sur l’origine des découvertes attribuées aux modernes, où l’on démontre que nos plus célèbres philosophes ont puisé plupart de leurs connoissance dans les ouvrages anciens. 2 Bde. Paris 1766; Dutens, der zunächst im diplomatischen Dienst Englands in Italien, dann als Prediger in England tätig war, gab die erste beinahe vollständige Ausgabe der Schriften Gottfried Wilhelm Leibnizens heraus, vgl. Opera Omnia. 6 Bde. Genf 1769. 57–61 Um so viel gewisser […] eingeblasen hätte. mit Anm. 1] vgl. Dutens: Untersuchungen über den Ursprung der Entdeckungen, die den Neuern zugeschrieben werden. Aus dem Französischen von Johann Lorenz Benzler. Leipzig 1772. 149f. Batteux will die Behauptung der Einheit bey allen Völkern des alten Erdbodens finden.] vgl. Batteux: Histoire des causes premières, Sect. 1f., v.a. Sect. 2, Art. 4, S. 114–154. 163–238 Der Hauptgrund […] gemäßes Leben führen.«] Hißmann zitiert Platons (428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.) Dialog Menon nach der von Henri Estienne (1531–1598) herausgegebenen und von Jean de Serres (fl. 16. Jhd.) übersetzten und kommentierten griech.-lat. Ausgabe, vgl. Platonis opera quae extant omnia. 3 Bde. s.l. 1578, Bd. 2, 70a–100c; vgl. zu Sokrates’ (um 470 v. Chr. – 399 v. Chr.) Versuch mit einem Knaben (Z. 245–248) daher recte Bd. 2 (82b–84b). 200–202 Nur eine solche Lehre […] unthätig machen muß. mit Anm. 4] vgl. John Locke (1632– 1704): Essay Concerning Humane Understanding. London 1690 (Versuch über den menschlichen Verstand. Übers. von Carl Winckler. 2 Bde. Hamburg 2006, Bd. 1, S. 82f. u. S. 103f.). 220–223 Und gerade dieser Kerker […] wir uns nicht erinnern. mit Anm. 5] vgl. Platon: Phaidros 249c–249d, Theaitetos 197d–198c sowie Philebos 38e–39e. 241–245 Leibnitz mit Recht […] oder nicht?« mit Anm. 6] vgl. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 29–51). 246–279 Der Beweis, den Deskartes […] stärkste Beweis für sein Daseyn.« mit Anm. 7] vgl. René Descartes (1596–1650): Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur. Paris 1641 (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übers. u. hg. von Artur Buchenau. Hamburg 1972, S. 27– 43, 53–60), hier Med. III in Paraphrase; ders.: Principia philosophiae. Amsterdam 1644 (Die Prinzipien der Philosophie. Lat.-dt. Übers. u. hg. von Christian Wohlers. Hamburg 2005, S. 13–15, 21–23); ders. Epistolae omnes. 3 Bde. Frankfurt a.M. 21692, Bd. 2, S. 181–190; das von Hißmann abgewandelte Zitat aus Descartes’ Brief an Mersenne vom 16. Juni 1641
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Erläuterungen
lautet korrekt: »aliæ denique innatæ, ut idea Dei, mentis, corporis, trianguli, et generaliter omnes, quæ aliquas essentias veras, immutabiles et æternas repræsentant« (Epistolae omnes, Bd. 2, Epist. LIV, S. 181–184, hier S. 184 [Œuvres. Hg. von Charles Adam u. Paul Tannery. 11 Bde. Paris 1897–1910 (ND Paris 1973–1978), Bd. 3, S. 838]). 281–400 Ganz anders, und ganz eigenthümlich […] ehe sie gewahr nahm. mit Anm. 8] vgl. die hier paraphrasierten Passgen in Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 29–87, sowie Leibniz: Meditationes de Cognitione, Veritate, & Ideis. In: Acta Eruditorum 1684, S. 537–542 (Meditationes de cognitione, veritate et ideis. In: ders.: Kleinere Schriften zur Metaphysik. Hg. von Hans Heinz Holz. Frankfurt a.M. 21986, S. 32–47).
Ueber den Ursprung der Sprache 2f.
In Jahrbüchern ganzer Akademien der Wissenschaften mit Anm. 1] vgl. Pierre-Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759): Dissertation sur les différents moyens dont les hommes se sont servis pour exprimer leurs idées. In: Histoire de l’Academie Royale des Sciences & belles lettres de Berlin. Année 1754, S. 349–364; gemeint ist wohl, da der Jahrgang 1756 keinen einschlägigen Beitrag enthält, der Jahrgang 1755, in dem sich Louis de Beausobres (1730–1783) Réflexions sur les changemens des langues vivantes par rapport à l’ortographe et à la prononciation finden, vgl. Histoire de l’Academie Royale des Sciences & belles lettres de Berlin. Année 1755, S. 514–529; Johann Georg Sulzer (1720–1779): Observations sur l’influence réciproque de la raison sur le langage et du langage sur la raison. In: Histoire de l’Academie Royale des Sciences & belles lettres de Berlin. Année 1767, S. 413–438. 3 in Preisschriften mit Anm. 2] vgl. Johann David Michaelis (1717–1791): Beantwortung der Frage von dem Einfluß der Meinungen in die Sprache und der Sprache in die Meinungen; welche den, von der Königlichen Academie der Wissenschaften für das Jahr 1759, gesetzten Preis erhalten hat. Berlin 1760 (frz. Fassung De l’influence des opinions sur le langage et du langage sur les opinions. Bremen 1762). – Vgl. Johann Gottfried Herder (1744–1803): Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der Königl. Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesetzten Preis erhalten hat. Berlin 1772; Verweise im Folgenden nach Herder: Über den Ursprung der Sprache. In: ders.: Werke. Hg. von Wolfgang Proß. 3 Bde. München, Wien 1984–2003, Bd. 2, S. 251–357. 3 in einzelnen wichtigen Werken mit Anm. 3] Charles de Brosses, Comte de Tournay (1709– 1777), Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres in Paris (1746) und der Académie des Sciences, Arts et Belles-Lettres (1761) in Dijon, war seit 1741 Präsident des Parlaments von Dijon; seinen Traité de la formation mechanique des langues et des principes physiques de l’étymologie. 2 Bde. Paris 1765 übersetzte Hißmann unter dem Titel Ueber Sprache und Schrift. 2 Bde. Leipzig 1777. 76–82 Der heftigste Augenblick […] auch Tonarten.] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 254f. 93–96 »Das matte Ach! […] Bejammerns.« mit Anm. 4] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 255.
Erläuterungen
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94–106 Richtig ist […] Empfindung anders seyn?] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 255f. 118–120 Aber dazu war […] werden zu können. mit Anm. 5] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 256f. – Der engl. Theologe Thomas Shaw (um 1692 – 1751) betrieb während seiner Tätigkeit als Kaplan der englischen Faktorei in Algier zwischen 1720 und 1733 ethnographische und sprachwissenschaftliche Studien über Nordafrika und den Mittleren Osten, die er in den Travels, or Observations relating to several parts of Barbary and the Levant. Oxford 1738 publizierte; die dt. Übersetzung der zweiten Aufl. London 1757 von Johann Heinrich Merck, Reisen oder Anmerkungen verschiedene Theile der Barbarey und der Levante betreffend. Leipzig 1765, rezensierte Herder in den Königsbergischen gelehrten und politischen Anzeigen auf das Jahr 1765, 80 St., 7. Okt. (vgl. Johann Gottfried Herder: Sämmtliche Werke. Hg. von Bernhard Suphan. 33 Bde. Berlin 1877–1913, Bd. 1, S. 81–84); vgl. auch Herders Zusatz zu den Beschreibungen der »Thier- und Menschengattungen der Barbarey« in Shaws Reisen in den Königsbergischen gelehrten und politischen Anzeigen auf das Jahr 1765, 88 St., 4. Nov. (Herder: Werke, Bd. 1, S. 84–87). 120–125 »Ob der Klageton […] nicht aber schildern.«] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 256. 133 die thierische Maschine] Verweis auf Julien Offray de la Mettrie (1709–1751): L’Homme machine. Leiden 1747. 133–136 Eine jede lebhafte Empfindung […] Stellungen versetzt. mit Anm. 6] in Marcus Tullius Ciceros (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) Dialog De natura deorum libri III (›Vom Wesen der Götter‹, entst. 45/44 v. Chr.) ist das Zitat nicht nachgewiesen; vgl. aber Johann Georg Sulzer: [Art.] Gebehrden. (Schöne Künste.). In: Allgemeine Theorie der schönen Künste, in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. 2 Bde. Leipzig 1771/74, Bd. 1, S. 427–430, hier S. 428, Anm. (†). 141–145 Aus diesem Grunde […] Gemüther wirken wollen mit Anm. 7] vgl. Sulzer: [Art.] Gebehrden. (Schöne Künste.), S. 428. – Vgl. Marcus Fabius Quintilianus (35 – um 96): Institutiones oratoriae libri XII VI 1, 44f. (Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Lat.-dt. Hg. von Helmut Rahn. 2 Bde. Darmstadt 52011, Bd. 1, S. 693). 249 jene älteste Urkunde des Menschengeschlechts] vgl. dazu Herders theologische Abhandlung Älteste Urkunde des Menschengeschlechts. Eine nach Jahrhunderten enthüllte heilige Schrift (2 Bde. Riga 1774/76), in der er die ersten Kapitel des alttestamentarischen Buches Mose als historischen Bericht von den Anfängen der Menschheit zu deuten sucht. 254–266 Die ganze vieltönige […] herrschenden Verstandes. mit Anm. 9] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 289. 267–271 Eine ganz andere Erklärung […] Geschöpfe zu bezeichnen. mit Anm. 10] vgl. Herder: Älteste Urkunde des Menschengeschlechts. In: ders.: Werke in zehn Bänden. Hg. von Günter Arnold u.a. Frankfurt a.M. 1985–2000, Bd. 5, S. 179–659, hier S. 276 u. S. 279. 308–314 Man könnte fragen […] ein Mensch fand. mit Anm. 11] in seinem Evangelium medici; seu Medicina mystica; de suspensis naturae legibus, sive de miraculis. London 1697 sucht der in Frankreich ausgebildete irischstämmige Mediziner, Theologe und zeitweilige Leibarzt des poln. Königs Jan III. Sobieski, Bernard Connor (1666–1698) die im Neuen Testament beschriebenen ›Wunder‹ mithilfe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu belegen; in
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Erläuterungen
Art. XV: De Statu Animæ secundùm Naturam des Evangelium medici (S. 171–194) berichtet Connor von einem »puer inter ursos altus & captus«, von einem etwa zehnjährigen Jungen, der in den Wäldern Litauens verwildert aufgefunden wurde und keinerlei Angaben über seine Herkunft machen konnte (vgl. S. 182f.); zu Connor vgl. J. Knott: Bernard Connor. A forgotten medical exile and scientific pioneer of the seventeenth century (1666–1698). In: Dublin Medical Journal CXXIII (1907), S. 57–144. – Der frz. Mathematiker und Astronom Charles-Marie de la Condamine (1701–1774), der zwischen 1735 und 1741 auf einer Forschungsreise in das span. Vizekönigreich Neugranada (heute Venezuela, Kolumbien, Panama und Ecuador), Peru und Amazonien als erster europäischer Wissenschaftler den Amazonas hinab fuhr und das Curare nach Europa brachte, beschreibt in der Histoire d’une jeune fille sauvage trouvée dans les bois à l’âge de dix ans u.a. den Spracherwerb eines im September 1731 in den Wäldern von Songy (im heutigen Arrondissement Châlons-enChampagne, Département Marne) aufgegriffenen verwilderten Mädchens – mglw. vom Stamm der Fox, aus den frz. Kolonien in Nordamerika verschleppt –, das eigenständig die frz. Sprache erlernt und sich selbst den Namen Marie-Angélique Memmie LeBlanc gegeben hatte; als man Memmie aufgriff, war sie etwa 19 Jahre alt, hatte aber vmtl. bereits zehn Jahre in der Wildnis ge- und überlebt – Condamines Titel ist also irreführend –, ein zweites Mädchen, das man zuvor in ihrer Begleitung gesehen hatte, war unauffindbar – Julien Offray de La Mettrie (vgl. Erl. zu 133) kolportierte 1747 in L’Homme machine, dass Memmie es gefressen habe: »s’il est vrai qu’elle [la Fille Sauvage de Châlons en Champagne] ait mangé sa sœur« (Julien Offray de la Mettrie: L’Home machine. Frz.-dt. Übers. u. hg. von Claudia Becker. Hamburg 1990, S. 78); Carl von Linné (1707–1778) beschrieb Memmie in der 12. Auflage seines Systema Naturae (EA Leiden 1735) als eine Abart des ›Homo ferus‹ (›Wilder Mensch‹) und bezeichnete sie als »Puella Campanica« (›Champagnisches Mädchen‹; vgl. Linné: Vollständiges Natursystem. Nach der 12. lateinischen Ausgabe [1768] ausgefertiget von Philipp Ludwig Stratius Müller. 1. Theil. Nürnberg 1773, S. 87f.). 350 Hottentotte] abwertende Bezeichnung der seit Mitte des 17. Jahrhunderts in der südafrikanischen Kapregion und dem heutigen Namibia kolonialisierenden, meist niederländischen Siedler für die dort ansässigen Nama, Korana und Griqua, die den Khoi Khoi angehören, einer Völkerfamilie, deren Sprache sich durch Klick- und Schnalzlaute auszeichnet. 353–355 Cranz […] erforderlichen Wörter fehle. mit Anm. 12] im Auftrag der Herrnhuter Brüdergemeinde reiste 1761 der dt. Theologe David Cranz (1723–1777) nach Grönland, wo er Daten und Fakten der Geschichte der seit 1733 dort missionierenden Herrnhuter sammelte, die er in der Historie von Grönland enthaltend die Beschreibung des Landes und der Einwohner etc. insbesondere die Geschichte der dortigen Mission der Evangelischen Brüder zu Neu-Herrnhut und Lichtenfels. 2 Tle. Barby 1765 veröffentlichte; vgl. Historie von Grönland, Buch III: Von der Grönländischen Nation, Abschnitt VI: Von den Wissenschaften der Grönländer, § 44–48, S. 277–304, insbes. § 44, S. 278: »Sie können also mit wenig Worten viel sagen, ohne undeutlich zu werden. Hingegen haben sie zu Sachen, die sie bisher nicht haben denken können, z. E. zu der Religion und Moral, zu Künsten und Wissenschaften und zu abstracten Begriffen gar keine Worte.«
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355 Californiers] hier die indigene Bevölkerung der Halbinsel Niederkalifornien (span. Baja California, die heutigen mexikanischen Bundesstaaten Baja California und Baja California Sur), seit dem späten 17. Jahrhundert von den Jesuiten kolonisiert, die 1697 im Zentrum Niederkaliforniens die Missionsstation Loreto gründeten; zur Sprache des ›Californiers‹ vgl. Erl. zu 359–361. 355f. Peruaners] hier die indigene Bevölkerung des 1542 als Vizekönigreich Neu-Kastilien (span. Virreinato de Nueva Castillia) gegründeten Vizekönigreichs Peru (span. Virreinato del Perú), das bis zur Gründung des Vizekönigreichs Neugranada (entspricht dem heutigen Kolumbien, Ecuador, Panama und Venezuela) 1717 und des Vizekönigreichs Río de la Plata (Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay) 1776 den Großteil des spanisch beherrschten Südamerikas darstellte; die Sprachen im südamerikanischen Andenraum variieren, Sprachgruppen bilden Quechua, Aymara und Guaraní. 356 Kamtschadalen] über die auf keine der bekannten Sprachenfamilien zurückzuführende Sprache der Kamtschadalen oder Itelmen, der paläosibirischen Bewohner des südlichen Teils der Halbinsel Kamtschatka und der Insel Schumschu, der nördlichsten der Kurilischen Inseln, war zeitgenössisch wenig bekannt; der ruß. Naturforscher Stepan Petrowitsch Krascheninnikow (1711–1755) bereiste zwischen 1737 und 1741 als Teilnehmer der auf Initiative des ruß. Zaren durchgeführten ›Großen Nordischen Expedition‹ (1733– 1743) auf Veranlassung der die historische und ethnographische Arbeitsgruppe der Expedition leitenden dt. Sibirienforscher Johann Georg Gmelin (1709–1755) und Gerhard Friedrich Müller (1705–1783) Kamtschatka und die nördlichen Kurilen, wo er neben faunistischen und botanischen Studien v.a. solche zu Sprache und Kultur der indigenen Völker der Itelmenen und Korjaken betrieb; die Beschreibungen und Studienergebnisse erschienen erst nach seinem Tode unter dem Titel Opisanie Zemli Kamcatki (›Beschreibung des Landes Kamtschatka‹). 2 Bde. St. Petersburg 1755, zeitgenössisch existierten verschiedene Übersetzungen, so The History of Kamtschatka and the Kurilski Islands, with the countries adjacent. Übers. von James Grieve. Glocester 1764, Histoire de Kamtschatka, des isles Kourilski, et des contrées voisines. Übers. von Marc-Antoine Eidous. 2 Bde. Lyon 1767, Histoire et description du Kamtschatka. Übers. von M. K. 2 Bde. Amsterdam 1770; etwa zeitgleich mit Krascheninnikow – im Winter 1740/41 und Mitte 1742 bis Mitte 1744 – bereiste auch der dt. Naturforscher Georg Wilhelm Steller (eigentl. Georg Wilhelm Stöller; 1709–1746) Kamtschatka, wo er naturwissenschaftliche und ethnologische Forschungen betrieb, deren Ergebnisse aber erst gut 30 Jahre nach seinem Tod publiziert wurden, vgl. Beschreibung von dem Lande Kamtschatka, dessen Einwohnern, deren Sitten, Nahmen, Lebensart und verschiedenen Gewohnheiten. Hg. von Johann Benedict Scherer. Frankfurt a.M. 1774. 356 Tatarn] hier die tungusischsprachige Bevölkerung im Osten Sibiriens und Nordosten der heutigen Volksrepublik China; große Verdienste um die Kenntnissen über die tatarische Sprache und Kultur kommen dem frz. Jesuiten Jean-François Gerbillon (1654–1707) zu, der als Missionar in China den chinesischen Kaiser auf mehreren Reisen in die Tatarei begleitete und dort ethnographische und sprachwissenschaftliche Forschungen betrieb, vgl. Relations du huit Voyages dans la Grande Tartarie (Description de la Chine. Hg. von Jean-Baptiste Du Halde. Bd. 4. Paris 1735, S. 88–421); die Gerbillon zugeschriebenen Elementa Linguæ Tartaricæ sind wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit dem belg. Jesuiten Ferdinand Ver-
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biest (1623–1688) entstanden, vgl. Elementa Linguæ Tartaricæ. In: Relations des divers voyages curieux. Hg. von Melchisédec Thevenot. 5 Tle. Paris 1663–1696, 5. Tl. (1696), Eigenpag. 359–361 Keine Ausdrücke […] scholastische wäre. mit Anm. 13] der dt. Jesuit Christoph Johannes Jakob Bägert (auch Begert, Bergert; 1717–1772) reiste 1751 als Missionar nach Niederkalifornien, wo er die Missionsstation San Ignacio gründete; während seiner Missionstätigkeit, die bis zur Vertreibung der Jesuiten aus Niederkalifornien 1767 währte, betrieb er landeskundliche, ethnographische und v.a. sprachwissenschaftliche Studien, – so beschrieb er in den Nachrichten von der amerikanischen Halbinsel Californien, mit einem zweyfachen Anhang falscher Nachrichten. Geschrieben von einem Priester der Gesellschaft Jesu. Mannheim 1772 als erster Europäer die Sprachen der indigenen Bevölkerung Niederkaliforniens, neben dem von ihm sich angeeigneten Waicurisch (»im höchsten Grad wild […] und barbarisch«, S. 177) Laymóna, Cotschimí, Utschiti’ und Pericúa (vgl. § X: Von der Sprache der Californier, S. 175–194), insbesondere aber verwies er in der waicurischen Sprache auf das Fehlen von Wörtern für Abstrakta wie ›Verstand‹, ›Wille‹, ›Erkenntnis‹, Leben‹, ›Tod‹ etc. (vgl. S. 178–181). 378 eine Viertelmeile] die preußische Meile entspricht ca. 7,5 km, die im Herzogtum Braunschweig gebräuchliche ca. 7,4 km. 456 Linnés Natursystem] in seinem Ende 1735 in Leiden erschienenen und bis 1768 zwölf Auflagen erfahrenden Systema naturæ, sive regna tria naturæ systematice proposita per classes, ordines, genera, & species klssifizierte Carl von Linné (vgl. Erl. zu 308–314) die drei Naturreiche der Tiere, Pflanzen und Mineralien nach den aufeinander aufbauenden Rangstufen Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät; seit der 10. Aufl 1758 stellte Linné die ihm bekannten Organismen in der bis heute üblichen binominalen Schreibweise dar, wobei der erste Name die Gattung, der zweite zusammen mit dem ersten die Art bezeichnet. 463 Ameisenlöwe] der Ameisenlöwe, die Larve der Ameisenjungfern (Myrmeleontidae) lebt ausschließlich räuberisch und entwickelt eine besondere Form des Beutefangs mittels eines in sandigen und lockeren Boden gegrabenen Trichters, in den die Beutetiere stürzen. 519 Süßmilchs Behauptungen mit Anm. 14] der dt. Theologe Johann Peter Süßmilch (1707– 1767), der in seinem von Christian Wolff (1679–1754) bevorworteten Hauptwerk Die Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen. Berlin 1741 die Existenz Gottes durch den Nachweis der Konstanz massenstatistischer Merkmale der Bevölkerung als Ausdruck des Willens Gottes zu beweisen suchte und damit zum Begründer der wissenschaftlichen Statistik und Demographie in Deutschland wurde, suchte in seinem 1756 den Mitgliedern der Berliner Akademie vorgetragenen, aber erst zehn Jahre später publizierten Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht von Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe. Berlin 1766 zu belegen, »daß der Mensch nicht der erste Erfinder und Urheber der ersten Sprache seyn könne« (Vorrede, fol. *4r); im II. Abschnitt seines Versuches widmet Süßmilch sich dem »Hauptsatz, daß die Sprache das Mittel sey, durch dessen fertigen Gebrauch der Mensch zur Vernunft gelanget« (Innhalt, unpag.), im III. Abschnitt sucht er die Meinung, »daß der Mensch aus eigener Kraft eine Sprache allmählig habe schaffen können« (Innhalt, unpag.) zu widerlegen; im IV. Abschnitt, der vier Anhänge beinhaltet, setzt sich Süßmilch
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vehement mit Maupertuis’ Refléxions philosophiques sur l’origine des langues et la signification des mots. s.l. 1748 auseinander (vgl. S. 117–124). 521f. Er will bewiesen haben […] Sprache nothwendig sey.«] kein Zitat aus Herders Ursprung, vgl. aber Süßmilchs Vorrede, fol. *5r–v: »Mein erster Satz ist: die Sprache ist das Mittel zum Gebrauch der Vernunft zu gelangen, ohne Sprache oder andre gleichgültige Zeichen ist keine Vernunft. […] Der zweite Satz ist: die Sprache, oder der Gebrauch der lautbaren Zeichen ist ein Werk des Verstandes und zwar eines sehr grossen und vollkommenen Verstandes, der alle Zwecke übersehen und der das ganze Sprachgebäude nach selbigen einrichten können, welches aus der Vollkommenheit und Ordnung der Sprache unleugbar erhellet. Folglich hat derjenige, welcher die Sprache gebildet hat, sich schon im Gebrauch der Vernunft befinden müssen.« 530f. nennt des seligen […] herumdrehen kann.] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 281. 531–540 »Ohne Sprache […] göttlichen Unterricht erfunden.« mit Anm. 15] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 281. 556f. Ungleich größere […] seiner Ideen. mit Anm. 16] Johann Georg Sulzers Observations sur l’influence réciproque de la raison sur le langage et du langage sur la raison (vgl. Erl. zu 2f.) erschien in dt. Übersetzung unter dem Titel Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. 2 Bde. Leipzig 1773/81 [ND Hildesheim 1974], Bd. 1, S. 166–198. 563–565 Die Wörter kürzen […] vertreten.] vgl. Sulzer: Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, S. 182. 611 Sessionen] lat. sessio, von lat. sedere ›sitzen‹, Sitzung. 612 Chrien] Chrie (von griech. chréos ›Schuld‹, ›Verpflichtung‹), Spruchweisheit, eine rhetorische Figur, die eine praktische Lebensregel oder eine ethische Maxime bezeichnet. 678f. Der ungenannte Verfasser des Versuchs einer Erklärung des Ursprungs der Sprache (Riga 1772)] Verweis auf den anonym publizierten Versuch einer Erklärung des Ursprungs der Sprache des späteren Professors für lateinische und griechische Sprache am Collegium Carolinum in Kassel (ab 1776) und Ordinarius für Philosophie an der Universität Marburg (ab 1786) Dietrich Tiedemann (1748–1803). 683f. Dieser Hypothese sprach schon der Präsident Maupertuis das Wort. mit Anm. 18] der frz. Mathematiker und Philosoph Pierre Louis Moreau de Maupertuis wurde am 12. Mai 1746 offiziell zum Präsidenten der Berliner Akademie ernannt, welches Amt er 1753 niederlegte; hier Verweis auf Maupertuis’ Dissertation sur les différents moyens dont les hommes se sont servis pour exprimer leurs idées (vgl. Erl. zu 2f.), die Hißmann übersetzt unter dem Titel Ueber die verschiedenen Mittel, deren sich die Menschen zur Bezeichnung ihrer Ideen bedient haben im Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte 1 (1778), S. 61–88 publizierte. 693–697 Die Geschichte […] sprechen können. mit Anm. 19] 1711 reiste der frz. Jesuit JosephFrançois Lafitau (1681–1746) als Missionar nach Kanada, wo er in Sault Saint-Louis am St. Lawrence-Strom (heute Provinz Quebec) eingehend die Kultur der Irokesen erforschte, welche Studien er 1724 unter dem Titel Mœures des Sauvages américains comparées aux mœurs des premiers temps (2 Bde. Paris 1724) publizierte; vgl. zur Sprache der »Sauvages améri-
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cains« Lafitau: Mœures des Sauvages, Bd. 2, S. 458–490, spez. zur Gederdensprache ebd., S. 481f. 736–738 und dieses […] nennen sie Miaa. mit Anm. 20] der schwed. Theologe Pehr Osbeck (1723–1805) nahm von 1750 bis 1752 an einer an einer Ostasien- und Chinareise teil, deren Eindrücke er in seinem Dagbok öfwer en ostindisk resa åren 1757 in Stockholm publizierte; in Rostock erschien 1765 unter dem Titel Reise nach Ostindien und China eine Übersetzung von Johann Gottlieb Georgi; vgl. Osbeck: Reise, S. 226: »Bisweilen kommen die Benennungen mit dem Laute der Thiere überein, denen sie beygelegt sind. Z. B. Miaa eine Katze u. s. w.« 739–743 Mit dieser Vermuthung […] Zeiten sind. mit Anm. 21] vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 270–287. 753–756 Nach einigen […] zu veranstalten wüssten? mit Anm. 22] vgl. generell Maupertuis: Dissertation sur les differents moyens; vgl. dazu auch Hißmann: Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie. Göttingen, Lemgo 1778, S. 114f. (§ 53). S. 352. 756–759 Der Abt Condillac [ … ] Wurzelwörter wären? mit Anm. 23] vgl. Étienne Bonnot de Condillac, Abbé de Muréaux (1714–1780): Essai sur l’origine des connaissances humaines. Ouvrage où l on réduit à un seul principe tout ce qui concerne l entendement humain. 2 Bde. Amsterdam (sc. Paris) 1746, Bd. 2, Chap. 1, S. 4–19; zu den ›Wurzelwörtern‹ (»racines organiques«) vgl. de Brosses: Traité de de la formation mechanique des langues, Bd. 2, Chap. XIV, § 225–255, S. 317–417. 759–761 Der verdiente Süßmilch […] Menschheit verrathen sollte. mit Anm. 24] vgl. Süßmilch: Versuch eines Beweises, S. 109f. – Vgl. Herder: Über den Ursprung der Sprache, S. 319–357. 774f. der vortreffliche Verfasser […] zu Berlin findet] Verweis auf Michaelis’ Beantwortung der Frage von dem Einfluß der Meinungen in die Sprache (vgl. Erl. zu 3). 775f. nachher Herr Sulzer] vgl. Sulzer: Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache (vgl. Erl. zu 556f.). 787–789 Z. B. der Zorn […] durch ira, irrité, οργη. mit Anm. 25] vgl. Sulzer: Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, S. 176f. 793–796 Z. B. der Lichtstrahl […] erhalten haben. mit Anm. 26] vgl. Erl. zu 3. 793 Strala im Sklavon.] zu der dritten der »nur 3 Hauptsprachen« in Europa, »der Sclavonischen Sprach« zählen »die Ungarische, Böhmische, Polnische und Moscowitische« (vgl. Odilo Schreger [i.e. Franz Jacob Schreger; 1697–1774]: Lustig- und Nutzlicher Zeit-Vertreiber, in sich begreiffend allerhand erklärte fremde, und Iuridische Wörter; schöne Sprüch-Wörter; nutzliche und lustige Fragen; Erfindungen Weltlich- und Geistlicher Sachen; einfältige Bauern-Regeln; Münz-Wesen; Artzney-Mittel; allerhand Kunst-Stücklein; lächerliche Begebenheiten etc. Zum Lust und Nutzen eines melancholischen und langweiligen Gemüths. Stadt am Hof 1754, S. 138);
Ueber den Hauptzweck der dramatischen Poesie 73
Marmontels Apologie des Theaters mit Anm. 1] vgl. Jean-François Marmontels (1723– 1799) Contes moraux, suivis D’un Apologie du théâtre ou analyse de la lettre. 2 Bde. Paris 1755/59.
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73f. Sulzers philosophische Betrachtungen über die Nüzlichkeit der dramatischen Dichtkunst mit Anm. 2] vgl. Johann Georg Sulzer (1720–1779): Réflexions philosophiques sur l’utilité de la poésie dramatique. In: Histoire de l’Academie Royale des Sciences & Belles-Lettres de Berlin. Année 1760, S. 326–340; in dt. Übersetzung unter dem Titel Philosophische Betrachtungen über die Nützlichkeit der dramatischen Dichtkunst. In: ders.: Vermischte philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. 2 Bde. Leipzig 1773/81 [ND Hildesheim 1974], Bd. 1, S. 146–165. 121f. Gebethe im Arndt] Verweis auf das Paradiesgärtlein voller christlicher Tugenden, wie solche zur Übung des wahren Christentums durch andächtige, lehrhafte und trostreiche Gebete in die Seele zu pflanzen. Magdeburg 1612 des lutherischen Theologen Johann Arndt (auch Arnd; 1555–1621), der mit seinen Vier Büchern vom wahren Christentum. Magdeburg 1610 zu den Wegbereitern des Pietismus zählt. 122 in der Zend-Avesta, die Zoroaster nicht gemacht hat] die zunächst nur mündlich tradierte Awesta, eine in Teilen auf den persischen Religionsstifter Zoroaster (Zarathustra; fl. vmtl. um 600 v. Chr.) zurückgehende Sammlung heiliger Texte des Zoroastrismus bzw. Parsismus, wurde unter den persischen Sassaniden (224–651), die den Zoroastrismus als Staatsreligion etablierten, in einer eigens hierzu geschaffenen linksläufigen, 48 Zeichen umfassenden Schrift (sogen. ›Sassanidische Archetypus‹) aufgezeichnet; nach der islamischen Eroberung des Sassanidenreiches ging die Kenntnis der Schrift verloren, den Texten wurden in mittelpersischer Sprache verfaßte Übersetzungen und Kommentierungen beigegeben, die als ›Zend-Avesta‹ gemeinsam mit den Texten tradiert wurden (älteste Bruchstücke aus dem 13. Jhd.); der frz. Orientalist Abraham Hyacinthe AnquetilDuperron (1731–1805) gelangte während einer zwischen 1755 und 1762 in Indien und den angrenzenden Regionen unternommenen Reise nicht nur in den Besitz einer Abschrift des Avesta, ein Parsenpriester diktierte ihm darüber hinaus eine vollständige persische Übersetzung, die er 1771 in frz. Übersetzung publizierte (Zend-Avesta, ouvrage de Zoroastre. Paris 1771), eine dt. Übersetzung in drei Bänden von Johann Friedrich Kleuker erschien mit einem zweibändigen wissenschaftlichen Anhang zwischen 1776 und 1783 in Riga. 133 Theologen nicht auf die Berliner] mit ›Berlinern‹ sind hier zum einen die Mitglieder der Berliner Academie Royale des Sciences et Belles-Lettres wie u.a. Sulzer, Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759) und Leonhard Euler (1707–1783), zum anderen v.a. Moses Mendelssohn (1729–1786) und Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811) gemeint; vgl. dazu u.a. Horst Möller: Aufklärung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai. Berlin 1974. 204–206 Richardson […] mit dem Lovelace.] vgl. Samuel Richardsons (1689–1761) Briefromane The History of Sir Charles Grandison, in a Series of Letters, published from the Original (7 Bde. London 1754), in dem Grandison als Idealbild eines anglikanischen Christen und Gentleman die katholische, nach der Einsicht, niemals einen ›Häretiker‹ heiraten zu können in geistige Umnachtung fallende Clementia zur Seite gestellt wird, und Clarissa, or, the History of a Young Lady (7 Bde. London 1748), in dem die tugendhafte Clarissa durch die Intrigen des und Schändung durch den skrupellosen Robert Lovelace dahinsiecht und stirbt.
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206–258 Hieraus folgt, daß die Dichtkunst […] Schwachheit Gelegenheit gegeben? mit Anm. 3] vgl. dazu Moses Mendelssohns Anmerkungen über die Idealschönheit in den schönen Wissenschaften in den Briefen, die Neueste Litteratur betreffend. Hg. von Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn u. Friedrich Nicolai. Tl. 4. Berlin, Stettin 1759, S. 285–292 (66. Brief). 269 Et prodesse volunt, et delectare Poëtae.] gängige Form des von Horaz (65 v. Chr. – 8 v. Chr.) in der Ars poetica, V. 333 geäußerten Diktums »Aut prodesse volunt aut delectare poetae«.
Ueber die Shanscrita 7f.
in einer alten, ausgestorbenen Sprache, Shanscrit, Shanscrita, Samscret, Samscrut, Samscrit genannt, verfaßt worden sind. mit Anm. 1] in seinen China monumentis, qua sacris qua profanis, necnon variis naturae et artis spectaculis aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata. Amsterdam 1667 publizierte Athanasius Kircher (1602–1680) unter dem Titel Elementa Lingua Hanscret [De Literis Brachmanum] in Teilen eine von dem dt. Jesuiten Heinrich Roth (1620–1668; vgl. Erl. zu 284f.) verfasste Sanskritgrammatik (S. 162f. mit Tafeln); der dt. Orientalist Andreas Müller (1630–1694) war nach dem Studium der Theologie und der orientalischen Sprachen als kirchlicher Amtsträger in Treptow, Bernau und Berlin tätig, widmete sich aber gleichzeitig – u.a. im Auftrag Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg (1620–1688) – Studien vor allem der chinesischen Sprache und Kultur, aber auch anderer nah- und fernöstlicher Kulturkreise; vgl. Müllers Syllabarium Brachmanicum seu Hanscriticum in den posthum erschienenen Alphabeta ac Notæ Diversarum Linguarum pene septuaginta tum & Versiones Orationis Dominicæ prope centum collecta olim & illustrata […]. Cum præfatione De vita ejus & præsentium de Opusculorum historia [von Sebastian Gottfried Starck]. Berlin 1703. – Der frz. Jesuit Jean-François Pons (1688–1752), einer der Pioniere der europäischen Sanskritforschung, wirkte seit 1726 als Missionar in Indien, wo er von Pundits (Gelehrten) das Sanskrit lernte; 1732 sandte Pons ein Konvolut von Manuskripten und Abschriften repräsentativer indischer Texte an die Bibliothèque Royale in Paris, darunter auch eine von ihm verfasste und Rudiments de la langue samskretane en latin getitelte Sanskritgrammatik; während diese ungedruckt blieb, veröffentlichte Pons 1743 in den Lettres edifiantes et curieux, écrits des missions étragéres par quelques missionnaires de la Compagnie de Jésus. 34 Bde. Paris 1703–1776, Bd. 26, S. 218–256 eine detaillierte Beschreibung der Religionen, Sprachen, der Literatur und Philosophie der Inder (Lettre du Pere Pons, missionnaire de la Compagnie de Jesus, au P. Du Halde de la même Compagnie). – Der frz. Jesuit Jean-Baptiste Du Halde (1674–1743) kompilierte aus 17 Berichten von Jesuitenmissionen in China eine Art Enzyklopädie der Geschichte, Kultur und Gesellschaft Chinas, die unter dem Titel Description géographique, historique, chronologique, politique, et physique de l’empire de la Chine et de la Tartarie chinoise, enrichie des cartes générales et particulieres de ces pays, de la carte générale et des cartes particulieres du Thibet, & de la Corée; & ornée d’un grand nombre de figures & de vignettes gravées en tailledouce. La Haye 1736 erschien; Du Halde gab seit 1708 die Lettres edifiantes et curieux her-
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aus, die der frz. Jesuit Charles Le Gobien (1653–1708) als Sammlung von Lettres de quelques missionnaires de la Compagnie de Jésus, écrits de la Chine et de l’Indes Orientales 1702 ins Leben gerufen hatte und diesen aufgrund der große Resonanz bewogen, in den folgenden Jahren Briefe der Jesuitenmissionen in allen Teilen der Welt zu sammeln und zu publizieren. – Der ital. Karmeliter und Missionar Clemente Peani (Clemens Peanius, Clemens di Gesù; 1731–1782) lebte in den 1760er Jahren in Kerala im Südwesten Indiens, wo er das Malayalam, eine in Südindien verbreitete dravidische Sprache, erlernte; nach Rom zurückgekehrt, fertigte er im Auftrag der vatikanischen Congregatio de Propaganda Fide malayalamische Drucktypen für das Alphabetum grandonico-malabaricum sive samscrudonicum, einer der Missionierung in Indien dienenden lautschriftlichen Darstellung und Grammatik der malayalamischen Sprache (Alphabetum grandonico-malabaricum sive samscrudonicum. Rom 1772), hieraus das Zitat. 14f. Shanscritsprache, die damals die allgemeine Landessprache in Indien war. mit Anm. 2] als Mitglied der East India Company reiste der engl. Arzt John Zephaniah Holwell (1711– 1798) 1732 nach Indien, wo er sich als einer der ersten Europäer mit der indischen Mythologie und Geschichte auseinandersetze; die Ergebnisse seiner Studien erschienen als Interesting Historical Events, Relative to the Provinces of Bengal, and the Empire of Indostan With a seasonable hint and perswasive to the honourable the court of directors of the East India Company. As also the mythology and cosmogony, fasts and festivals of the Gentoo’s, followers of the Shastah. And a dissertation on the metempsychosis, commonly, though erroneously, called the Pythagorean doctrine. 3 Bde. London 1765–1771. 19–22 Nach einigen […] Einkünfte zu erfreuen haben. mit Anm. 3] der engl. Philologe und Orientalist Nathaniel Brassey Halhed (1751–1830) reiste 1772 als Mitglied der East India Company nach Britisch-Ostindien, wo er von Generalgouverneur Warren Hastings (vgl. Erl. zu 35–37) beauftragt wurde, Gesetzestexte der Hindu aus einer persischen, auf dem originalen Sanskrittext basierenden Version ins Englische zu übertragen; die Übersetzung erschien unter dem Titel A Code of Gentoo Laws, Or, Ordinations of the Pundits. London 1776 (Gentoo, auch Gentue oder Jentue [aus dem Portugiesischen Genito oder Gentio ›Heide‹] war die geläufige europäische Bezeichnung für die eingeborene Bevölkerung Indiens vor der Einführung der religiös konnotierten Bezeichnung Hindu in Abgrenzung zu den Muslimen). 26–29 Ziegenbalg […] schreiben zu lernen. mit Anm. 4] der in Halle bei August Hermann Francke (1663–1727) ausgebildete Theologe Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) wurde 1705 als erster deutscher protestantischer Missionar vom dänischen König Frederik IV. (1671–1730) in die dänische Kolonie Tranquebar (heute Tarangambadi) an der Südostküste Indiens entsandt, wo er das Tamilische erlernte und das Neue und Teile des Alten Testamentes sowie den lutherischen Katechismus in die tamilische Sprache übersetzte; der Bericht seiner Missionstätigkeit erschien als Herrn Bartholomaeus Ziegenbalgs, Koenigl. Daenischen Missionarii in Trangebar/ auf der Kueste Coromandel, Ausfuehrlicher Bericht wie er nebst seinem Collegen Herrn Heinrich Pluetscho/ Das Amt des Evangelii daselbst unter den Heyden und Christen fuehre. Halle 1710, erneut publiziert als Continuation III in den Der Königl. Dänischen Missionarien aus Ost-Indien eingesandter Ausführlichen Berichten, Von dem Werck ihres Amts unter den Heyden, angerichteten Schulen und Gemeinen, ereigneten Hindernissen und schweren Umstän-
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den; Beschaffenheit des Malabarischen Heydenthums, gepflogenen brieflichen Correspondentz und mündlichen Unterredungen mit selbigen Heyden. Tle. 1–9 (Continuation 1–108). Halle 1710–1772, Tl. 3 (1713), S. 111–148. 35–37 Der Generalgouverneur [...] der Gentus veranstaltete] Warren Hastings (1732–1818) wurde 1772 zum Gouverneur von Bengalen, 1773 zum ersten Generalgouverneur in Britisch-Ostindien ernannt, wo er die Vormachtstellung der East Indian Company ausbaute, die bald ganz Indien unter ihre Kontrolle bringen konnte. 42 Grosmogol Muhamed Akbar] der seit 1556 als Großmogul von Indien regierende Jalaluddin Muhammad Akbar (1542–1605) reformierte durch eine Politik der religiösen Toleranz (u.a. heiratete er als erster Mogulherrscher eine Hindu) das indische Mogulreich. 50–67 Die Geschichtschreiber […] auf irgend eine Art bekannt zu machen mit Anm. 5] Alexander Dow (1735/6–1779) diente seit 1760 als Soldat in Indien, wo er Studien zur Geschichte des Landes betrieb; neben einem Drama über Dschingis Khan (Zingis, 1769) publizierte er u.a. 1768 die History of Hindostan, eine dreibändige Übersetzung des Tarikh-i Firishta (um 1600) des persischen Geschichtsschreibers Muhammad Qasim Hindu Shah (Firishta; 1560–1620), der er eine Dissertation concerning the Customs, Manners, Language, Religion and Philosophy of the Hindoos voranstellte, vgl. The History of Hindostan, from the earliest account of time, to the death of Akbar. Translated from the Persian of Mahummud Casim Ferishta of Delhi, together with a Dissertation concerning the Religion and Philosophy of the Brahmins. 2 Bde. London 1768, Bd. 1, S. XXI–LXIX. 52 des damaligen Staatssekretairs am Mogolischen Hof] Abu ’l-Fazl ibn Mubarak (1551– 1602), der seit den 1670er Jahren als Historiograph am Hofe Jalaluddin Muhammad Akbars tätig war, wo er 1674 eine Schreibstube einrichtete, die religiöse Texte aus dem Sanskrit ins Persische übersetzte. 56 Bedas] hier die Veden, die um 1000 v. Chr entstandenen, zunächst mündlich, vmtl. seit dem 5. Jhd. auch schriftlich tradierten religiösen Texte des Hinduismus, die in vier Sammlungen (Samhitas) unterteilt sind, Rigveda (Hymnen), Samaveda (Lieder), Yajurveda (Zeremonie- und Opferformeln) sowie die Atharvaveda (magische Formeln). 70–73 Dieser Erzehlung widerspricht Anquetil […] des Samscretanischen beschäftigt habe. mit Anm. 6] nach dem Studium der orientalischen Sprachen in Paris diente Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron (1731–1805) zwischen 1754 und 1761 zunächst als Soldat in Indien, wo er sich, von der französische Regierung finanziell unterstützt, umfangreiche Kenntnisse über die Religion und die Sitten der Parsen, einer aus Persien stammenden, dem Zoroastrismus anhängenden Glaubensgemeinschaft, aneignete; nach Europa zurückgekehrt, wurde er als Übersetzer für orientalische Sprachen an die Königliche Bibliothek in Paris berufen; in Indien erwarb Anquetil Handschriften der Zend-Avesta, der zwischen dem 18. und dem 8. Jhd. v. Chr. entstandenen Sammlung heiliger Schriften des Zoroastrismus, und anderer religiöser parsischer Texte sowie eine neupersische Übersetzung der Zend-Avesta, die ihm ein Parsenpriester diktierte und die Anquetil 1771 in französischer Übersetzung publizierte (Zend-Avesta, ouvrage de Zoroastre contenant les idées théologiques, physiques et morales de ce législateur. Paris 1771). 86f. Der Titel dieses Werks ist sehr physiognomisch: Oupnekat d. h. Parole qu’il ne faut pas dire. mit Anm. 7] vgl. Anquetil: Législation orientale, ouvrage […] montreant quels sont en Turquie,
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en Perse et dans l’Indostan les principes fontamentaux du gouvernement. Amsterdam 1778; neben parsischen Schriften erwarb Anquetil auch zwei persische Manuskripte mit 50 der den Veden zugehörigen Upanischaden, zwischen dem 2. und dem 7. Jhd. entstandene philosophische Texte des Hinduismus, die er 1801/02 in einer lateinischen Übersetzung vorlegte, vgl. Oupnek’hat, id est, Secretum tegentum [...] continiens doctrinam e quatuor sacris Indorum libris [...] exerptam. 2 Bde. Straßburg 1801/02. 89 Calmet […] auf die Königl. Bibliothek zu Paris schenkte? mit Anm. 8] der frz. Jesuit Jean Calmette (1692–1740) erlernte während seiner Missionstätigkeit in Südindien das Sanskrit so gut, dass er von den Brahmanen in die Veden (vgl. Erl. zu 56) eingeführt wurde; Calmette verfasste ein christliches Glaubensbekenntnis in Sanskrit (Satyaveda sara sangraham) und übersetzte den Katechismus seines Ordensbruders Roberto de Nobile (1577–1656), zahlreiche Sanskritmanuskripte schickte er der Königlichen Bibliothek in Paris; eine umfangreiche Sammlung weiterer Manuskripte, die Calmette und u.a. Pons (vgl. Erl. zu 7f.) im südwestindischen Pondichery angelegt hatten, ging bei der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 verloren. 135–140 Der Samscrut […] Fraktur vom Kurrent. mit Anm. 10] Mathurin Veyssière de Lacroze (auch La Croze; 1661–1739) trat 1677 in den Benediktinerorden ein, studierte Theologie, floh 1696 aus dem Orden nach Deutschland, wo er zum Protestantismus übertrat; als königlich-preußischer Bibliothekar betrieb er intensive orientalistische Studien (Histoire du christianisme des Indes. La Haye 1724; Histoire du christianisme d’Éthiopie et d’Arménie. La Haye 1739), verferigte aber auch ein 1721 abgeschlossenes, erst posthum erschienenes Lexicon Ægyptiaco-Latinum, ex veteris illius linguæ monumentis summa studio collecum et elaboratum. Hg. von Christian Scholz. Oxford 1775; eine Sammlung an ihn adressierter Briefe erschien in den 1740er Jahren unter dem Titel Thesaurus Epistolicus Lacrozianus. Ex Bibliotheca Iordaniana. Hg. von Johann Ludwig Uhl. 4 Bde. Leipzig 1742–1746. – Theophil Siegfried Bayer (1694–1738) wurde nach dem Studium der orientalischen Sprachen 1726 an die neugegründete St. Petersburger Akademie berufen, wo er intensiv zur chinesischen Sprache und Literatur forschte, aber auch Studien zu anderen asiatischen Sprachen betrieb; hier Verweis auf die die Elementa Litteraturae Brahmanicae, Tangutanae, Mungalicae. In: Commentariis Academiae Scientiarum Imperialis Petropolitanae, Bd. 3 (1732), S. 389–424, u. Bd. 4 (1734), S. 289–314. 143 Büttner] Christian Wilhelm Büttner (1716–1801), 1758 bis 1783 Professor für Philosophie in Göttingen; Büttner glaubte aufgrund von Vergleichen der Sprachen und Schriften verschiedener Völker die Entwicklung der verschiedenen Rassen aus einer Grundform ableiten zu können, vgl. v.a. Vergleichungs-Tafeln der Schriftarten verschiedener Völker, in denen vergangenen und gegenwärtigen Zeiten. 2 Bde. Göttingen, Gotha 1771/81. 170–172 Denn […] Muhamedaner nennen müssen. mit Anm. 13] vgl. Carsten Niebuhr (1733– 1815): Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. 2 Bde. Kopenhagen 1774/78, Bd. 2, S. 21f.; der dt. Mathematiker und Kartograph Niebuhr nahm 1761 an einer vom dänischen König Frederik V. (1723–1766) finanzierten Expedition nach Arabien, Persien und Indien teil, von der er 1767 als einziges Expeditionsmitglied nach Kopenhagen zurückkehrte.
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172–177 Bernier […] Zeit zu Zeit vortrug. mit Anm. 14] über Palästina, Ägypten, Arabien und Äthiopien reiste der frz. Arzt und Philosoph François Bernier (1625–1688) 1656 nach Surat in Indien, wo er zwischen 1658 und 1668 lebte und u.a. als Arzt des indischen Großmoguls Muhammad Aurangzeb Alamgir (1618–1707) wirkte; den Bericht dieser Reise publizierte Bernier unter dem Titel Mémoires du sieur Bernier sur l’empire du grand Mogol. 4 Bde. Paris 1670/71. 175 Daneschmend-Kan] Mohammad Shafi’a’i oder Mulla Shafi’a’I († 1670), gen. Daneshmand-Khan, nach Bernier ein hoher Beamter am Hofe Muhammad Aurangzeb Alamgirs und später Gouverneur von Dehli. 177–187 Dow sowol als Halhed […] beyzubringen bereit war.] vgl. Dow: Dissertation, S. XXIIf. – Vgl. Halhed: Code of Gentoo Laws, S. XXXVIf. 214 Rajeputres der Casten] vgl. Pons: Lettre, S. 221: »Ceux qui sont de la véritable Caste des Rajas ou Rage poutres, peuvent être instruits dans les sciences par des Brahmanes, mais ces sciences sont inaccessibles à toutes les autres castes, ausquelles on peut seulement communiquer certains poëmes, la grammaire, la poëtique, & des sentences morales.« – Ursprünglich eine, in ihrer Herkunft umstrittene, Adels- und Kriegerkaste im Nordwesten Indiens (v.a. dem heutigen Bundesstaat Rajasthan, früher Rajputana), wurden die Rajputen, auch Raspoutes, nach dem Sieg Jalaluddin Muhammad Akbars (vgl. Erl. zu 42) über das letzte rajputische Fürstentum Mewar 1568 insbesondere als Soldaten in die Heere der Großmogule eingegliedert. 215 die Bücher Natak] vgl. Pons: Lettre, S. 229: »Il y a même dans le Nord plusieurs Livres qu’on appelle Nâtak qui, à ce que des Brahmanes m’ont assuré, contiennent beaucoup d’Histoire anciennes sans aucun mélange de Fables.« 223 Derivativen] lat. derivare ›ableiten‹, Wortformbildung aus einem Grundwort mit lexikalischer Bedeutung (Substantiv oder Adjektiv) und einem Anhängsel (Affix) ohne konkrete, doch mit abstrakter lexikalischer Bedeutung, z.B. ›Freiheit‹. 238–251 Der erste […] harmonischen Sprache.] vgl. Pons: Lettre, S. 223–226. 254–265 Dow […] Himmel erhielt.] vgl. Dow: Dissertation, S. XXIXf. 266f. Bramenpolitik […] gezeigt hat.] vgl. die Divine Legation of Moses demonstrated on the Principles of a Religious Deist, from the Omission of the Doctrine of a Future State of Rewards and Punishments in the Jewish Dispensation (2 Tle., unvollendet; London 1737/41) des engl. Theologen und späteren Bischofs von Gloucester William Warburton (1698–1779), v.a. IV. Buch, Sekt. 4 (Warburton: The Divine Legation of Moses demonstrated in nine books. 5 Bde. London 41765, spez. S. 160–185). 281–283 daß endlich die verschiedenen Dialekte […] zum Italiänischen verhalten mag. mit Anm. 18] 1778 publizierte Halhed (vgl. Erl. zu 19–22) in Indiens erster Druckerei in Hugli (heute Hugli-Chunchura in Westbengalen) A grammar of the Bengal Language, in der er als erster Philologe auf die Gemeinsamkeiten des Sanskrit mit dem Arabischen, Persischen, Griechischen und Lateinischen aufmerksam machte; der Theologe Johann Friedrich Kleuker (1749–1827), der u.a. Anquetil-Duperrons Zend-Avesta (vgl. Erl. zu 70–73) ins Deutsche übersetzte (vgl. Das Zend-Avesta. 3 Bde. Riga 1776–1778), rezensierte Halheds Grammar in den Zugaben zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1780, Bd. 2, S. 689–699.
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284f. vom P. Roth mitgetheilte samscretanische Syllabarium] der dt. Jesuit Heinrich Roth (1620–1668) wirkte seit 1653 als Missionar in Indien, wo er sich umfassende Kenntnisse des Sanskrit aneignete; Roth verfasste eine Manuskript gebliebene, lange Zeit verschollene und erst 1967 in Rom wiederentdeckte Sanskritgrammatik (von späterer Hand Grammatica lingua Samscretanae Brachmanum Indiae Orientalis getitelt), doch wurden neben Hinweisen zu Religion und Sprache seine mit zahlreichen Schrift- und Texttafeln ergänzten Elementa Lingua Hanscret [De Literis Brachmanum] 1667 in Athanasius Kirchers China monumentis, qua sacris qua profanis, necnon variis naturae et artis spectaculis aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata. Amsterdam 1667, S. 162f. gedruckt (vgl. dazu Kircher: De alia fabulosa doctrina Brachmanum, & est, de decem Incarnationibus Dei, quas Gentiles Indiani extra & intra Gangem credunt. In: ebd., S. 156–162). 286f. gab Chardin das erste Alphabet dieser Sprache in seiner richtigen Ordnung] zwischen 1664 und 1670 sowie zwischen 1673 und 1677 hielt sich der frz. Forschungsreisende Jean-Baptiste Chardin (1643–1713) längere Zeit in Indien auf, wo er Studien zum Sanskrit betrieb; vgl. Voyages en Perse et aux Indes orientales. London 1686, ebenso Voyages de Monsieur de Chevalier Chardin en Perse et autre lieux de l’Orient. 10 Bde. Amsterdam 1711. 288–290 zuletzt lieferte Th. S. Bayer […] zum Grund legte.] vgl. Erl. zu 135–140.
Ueber die Eleusinischen Geheimnisse Titel die Eleusinischen Geheimnisse] die unter dem Namen der ›Eleusinischen Mysterien‹ geläufigen, vmtl. seit 1500 v. Chr. gefeierten, seit etwa 300 v. Chr. der Kontrolle Athens unterliegenden Initiations- und Weiheriten zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter; man unterschied zwischen den Kleinen Mysterien, den ›Myesis‹, die im Monat Anthesterion (Februar/März) abgehalten wurden, und den Großen Mysterien, den ›Teletai‹ im Monat Boedromion (August/September), die neun Tage dauerten; in der großen Halle von Eleusis, dem Telesterion, fand die Initiation statt, deren Ablauf zu den größten Geheimnissen der Mysterien gehörte, der Verrat der Geschehnisse wurde mit dem Tode bestraft; der (ost-)römische Kaiser Theodosius I. (347–395) verbot 392 die Mysterien, nach der Zerstörung des Telesterions durch die Goten 395 gerieten die Mysterien in Vergessenheit. 20 Hippolitus a Lapide] unter dem Pseudonym Hippolitus a Lapide veröffentlichte der Rechtsgelehrte und Historiker Bogislav Philipp Chemnitz (1605–1678) 1640 eine Agitationsschrift gegen Ferdinand III. (1608–1657) und das Haus Habsburg, in der er dem deutschen Kaiser die Souveränität absprach und diese einzig den Reichsständen zuerkannte (vgl. Hippolitus a Lapide: Dissertatio de ratione status in imperio nostro Romano-Germanico. s.l. 1640, Amsterdam 1647). 90 Plutarch] vgl. Plutarch (um 45– um 125): Alkibiades 19–22 (Große Griechen und Römer. Eingel. u. übers. von Konrat Ziegler. 6 Bde. Zürich, Stuttgart 1954–1965, Bd. 2, S. 365–370). 103 Cicero mit Anm. 1] vgl. Marcus Tullius Ciceros (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) zwischen 53 v. Chr. und 51 v. Chr. entstandenen fragmentarischen Dialog De legibus II, 14, 36 (Über die
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Gesetze / Stoische Paradoxien. Lat.-dt. Hg., übers. u. erl. von Rainer Nickel. München, Zürich 1994, S. 111). 108–110 Ganz widersprechend […] anzeigt. mit Anm. 2] vgl. Ciceros 45 v. Chr. entstandene Tusculanae disputationes I, 13, 29f. (Gespräche in Tusculum. Lat.-dt. Hg. u. übers. von Ernst Alfred Kirfel. Stuttgart 2008, S. 61–65). 125f. Arundelianischen Marmor] vmtl. auf Paros entdeckte Bruchstücke einer wohl 263 v. Chr. entstandenen tabellarischen Chronik auf Marmorplatten, die die wichtigsten politischen und kulturellen Ereignisse der griechischen Geschichte zwischen 1582 v. Chr. und 264 v. Chr. enthält; Thomas Howard, der 21. Earl von Arundel (1585–1646) erwarb die Bruchstücke 1627, sein Enkel Thomas Howard, 23. Earl von Arundel (1627–1677) schenkte sie 1667 der Universität Oxford; der Hallenser Theologe Siegmund Jakob Baumgarten (1706–1757) gab die Chronik 1747 mit deutscher Übersetzung heraus (Chronik von Paros, oder, Erster arundelianischer Marmor. In: Siegmund Jakob Baumgarten: Samlung von Erleuterungsschriften und Zusätzen zur algemeinen Welthistorie. Halle 1747, Eigenpag.). 128 Erechtheus] ursprünglich wohl identisch mit Erichthonios, Sohn des Hephaistos und der Gaia, sagenhafter König von Athen. 130 Musäus] in der griech. Mythologie ein Lyriker und Seher, Sohn oder Schüler des Orpheus. 131 Eumolpus] Sohn Neptuns und der Chione, einer Enkelin des Erechtheus, Priester der Demeter in Eleusis, später König von Thrakien. 132f. Durchgang der Israeliten durch den arabischen Meerbusen, (folglich vor 2453)] die hier wie im Folgenden von Hißmann verwendeten Jahresangaben beziehen sich auf die ›protestantische‹ Zeitrechnung im Anschluss an Joseph Justus Scaligers (1540–1609) Opus novum de emendatione temporum in octo libros tributum. Paris 1583, in dem das Schöpfungsdatum auf das Jahr 3950 v. Chr. festgelegt wird; Christoph Helwig (1581–1617), der als Schöpfungsdatum das Jahr 3947 v. Chr. errechnete, legt in seinem Theatrum historicum Sive chronologiae systema novum. Gießen 1609 den Auszug der Israeliten aus Ägypten ins Jahr der Welt 2453 (1495 v. Chr.), setzt Homers Tod um 2995 (1945 v. Chr.) an (vgl. Z. 139) und lässt die Argonautenfahrt 2720 (1228 v. Chr.) beginnen (vgl. Z. 152f.). 146f. Aber die Eleusinischen Geheimnisse berührt Homer nicht in einziges mal. mit Anm. 3] die Teletai, die großen Eleusinischen Mysterien, vgl. Erl. zum Titel. 174 Aeschylus] nach der fragmentarischen Überlieferung (Frg. 170) des Herakleides Pontikos (um 390 v. Chr. – nach 322 v. Chr.) soll der Dichter Aischylos (525 v. Chr. – 456 v. Chr.) angeklagt worden sein, in seinen Tragödien Geheimnisse aus den Initiationsriten von Eleusis preisgegeben zu haben. 176 Diagoras] der Lyriker Diagoras von Melos (um 475 v. Chr. – nach 410 v. Chr.) polemisierte im Jahre 415 v. Chr. in Athen öffentlich heftig gegen die Mysterien von Eleusis, woraufhin er wegen Gottlosigkeit zum Tode verurteilt wurde, mit Hilfe von Freunden aber nach Korinth und später nach Pellene fliehen konnte, wo sich seine Spur verliert. 207f. Und auf solche Weise […] Erdbodens. mit Anm. 5] leicht abgewandeltes Zitat aus Ciceros De natura deorum I, 119: »Von dem heiligen und ehrwürdigen Eleusis, wo die entferntesten Völker der Erde in die Mysterien eingeweiht werden« (Vom Wesen der Götter. Lat.-dt. Hg., übers. u. erl. von Wolfgang Gerlach u. Karl Bayer. München 1978, S. 135f.).
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218f. Hierophanten] als Hierophant (griech. ›Enthüller der heiligen Geheimnisse‹) wurde der oberste Priester im Tempel der Demeter in Eleusis bezeichnet; der mythologischen Überlieferung zufolge erhielt Eumolpos (vgl. Erl. zu 131) von Demeter selbst die Geheimnisse der rituellen Handlungen, daher musste der Hierophant immer aus dem Geschlecht der Eumolpidae stammen. 229 Herolde (κηρυκες)] Keryx war der griech. Mythologie zufolge ein Sohn des Eumolpos (vgl. Erl. zu 131) und der erste Priester der Demeter in Eleusis; er begründete das eleusische Priestergeschlecht der Keryken, aus dessen Reihen die ›Hierokeryx‹, die heilige Boten gewählt wurden. 232–239 »Diesen Oertern […] siehet ihn«. mit Anm. 6] vgl. Clemens’ von Alexandria († vor 215/16) Protrepticus (›Mahnrede an die Heiden‹) VII, 47,3–5; das Zitat folgt Charles Batteux, gen. Abbé Charles (1713–1780): Histoire des causes première, ou Exposition sommaire des pensées des philosophes sur les principes des êtres. Paris 1769, hier in der Übersetzung von Johann Jakob Engel, Geschichte der Meynungen der Philosophen von den ersten Grundursachen der Dinge. Leipzig 1773, S. 85f. – Vgl. Horaz (i.e. Quintus Horatius Flaccus; 65 v. Chr. – 8 v. Chr): Carmina III,1 (Sämtliche Werke. Lat.-dt. Hg. von Hans Färber. München 111993, S. 105– 108). 250–252 Hier lernte man […] sterben. mit Anm. 7] vgl. Cicero: De legibus II, 14, 36: »Ich werde hier tatsächlich eine Ausnahme machen. Denn dein Athen scheint mir viel Hervorragendes und Göttliches erzeugt und in das Leben der Menschen hineingebracht zu haben, vor allem aber jene unübertrefflichen Mysterien, durch die wir uns einem primitiven und ungesitteten Leben zur Menschlichkeit fortentwickelt und verfeinert, die Anfänge, wie es heißt, in Wirklichkeit aber die Grundlagen des Lebens kennengelernt und die Möglichkeit nicht nur eines Lebens in Freude, sondern auch eines Sterbens in der Hoffnung auf ein besseres Leben bekommen haben« (Über die Gesetze / Stoische Paradoxien, S. 111). 264–275 Themistius […] versenkt werden. mit Anm. 8] in der von Johannes Stobaios (fl. frühes 5. Jhd.) zusammengestellten und unter dem Titel Anthologion geläufigen Kompilation antiker Philosophen (Ioannis Stobaei Eclogarum libri duo: quorum prior physicas, posterior ethicas complectitur; nunc primum editi. [1. u. 2. Buch]. Lat. Übers. von Willem Canter. Antwerpen 1575; Scharpffsinnige Sprüche auß den Schrifften der […] Griechen. Dt. Übersetzung von Georg Fröhlich. Basel 1551; die Bücher 3 und 4 [Florilegium] erschienen Venedig 1535) werden unter dem Namen des in Konstantinopel wirkenden Rhetors und Philosophen Themistios (um 317 – nach 388) Fragmente einer verschollenen Schrift Über die Seele zitiert; die Textpassage wird jedoch seit den umfangreichen Arbeiten Daniel Wyttenbachs (1746–1830) zu Plutarch (vgl. Plutarchi Chaeronensis Moralia. Graeca emendavit, notationem emendationum et Latinam Xylandri interpretationem castigatam subiunxit, animadversiones explicandis rebus ac verbis, item indices copiosas adiecit. 15 Bde. Leipzig 1796–1835) als Frg. 178 Sandbach (nach Francis Henry Sandbach [1903–1991]) allgemein diesem zugeschrieben. – Vgl. Batteux: Histoire des causes première, S. 109f. mit Anm. (1). 296–298 Keiner […] Licht verbreitet. mit Anm. 9] leicht abgewandeltes Zitat aus Ciceros Tusculanae disputationes I, 12, 28–13, 29: »Wie? Ist nicht beinahe der ganze Himmel, um nicht noch mehr Beispiele anzuführen, mit Vertretern des Menschengeschlechts angefüllt? Wenn ich aber versuchen wollte, das Alte zu erforschen und aus ihm das, was die griechischen
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Schriftsteller überliefert haben, zu entnehmen, so könnte ich finden, dass selbst jene Götter, die als Stammväter alter Geschlechter gelten, von hier aus ihren Weg in den Himmel genommen haben. Frage nach denen, deren Gräber man in Griechenland zeigt; erinnere dich, da du ja eingeweiht bist, was in den Mysterien überliefert wird; dann wirst du schließlich erkennen, wie weit diese Vorstellung verbreitet ist« (Gespräche in Tusculum, S. 61–63).
Priestley-Übersetzung Titel mit Anm. 1] vgl. David Hartley (1705–1757): Observations on Man, his Frame, his Duty, and his Expectations. 2 Bde. London 1749 [ND New York 1976]; Joseph Priestley (1733–1804) gab Hartleys Observations on Man, da dessen Theorie der Assoziation der Ideen zu wenig beachtet worden sei, als Hartley’s Theory of the Human Mind, on the Principle of the Association of Ideas with Essays Relating to the Subject of it. London 1775 [ND New York 1973] heraus, versehen mit drei Introductory Essays (S. VII–XLVI), tilgte aber hierbei die Vibrationstheorie wie auch die christlich-fromme Einbettung aus Hartleys Text. – Die erste dt. Übersetzung stammt von dem lutherischen Theologen Hermann Andreas Pistorius (1730–1798), der nur die moralphilosophischen Erörterungen Hartleys übersetzte und die den ersten Band der Observations einnehmenden Lehre von der Assoziation stark verkürzt und in Paraphrase präsentierte, vgl. David Hartleys Betrachtungen über den Menschen, seine Natur, seine Pflicht und Erwartungen. Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen begleitet. 2 Bde. Rostock, Leipzig 1772/73, hier Bd. 1, S. 1–44 die »Theorie oder Geschichte der Association«; Pistorius’ Übersetzung diente als Grundlage der zweiten englischen Ausgabe der Observations, vgl. Observations on Man, his Frame, his Duty, and his Expectations. Reprinted from the author’s edition in 1749. To which are now added, notes and additions to the Second part. Translated from the German of the Rev. Herman Andrew Pistorius, with A Sketch of the Life and Character of David Hartley by his son David Hartley. 3 Bde. London 1791. 23 dieses Nervensafts] vgl. Erl. zu 532 der Psychologischen Versuche. 29–33 daß Begriffe den Charaktern […] in dem Gehirn zu finden.] vgl. neben u.a. Platon (428/427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.): Theaitet 191c und Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.): De anima III, 4, 429b–430a v.a. John Locke: (1632–1704): Essay Concerning Humane Understanding. London 1690, II, i, § 2 (Versuch über den menschlichen Verstand. Übers. von Carl Winckler. 2 Bde. Hamburg 2006, Bd. 1, S. 107). 42–44 von den Schwingungen […] vorgetragen hat.] vgl. Isaac Newton (1643–1727): Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. London 1687, 31726, 3. Buch, S. 530 (Mathematische Prinzipien der Physik. Mit Anm. u. Erl. hg. von Jakob Philipp Wolfers. Darmstadt 1963, S. 511f.) sowie Opticks. Or, a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light. London 1704, 41730, 3. Buch, 1. Tl., Query 12f., S. 345f. 44 Die erstere Stelle hat Hartley selbst angeführt] vgl. Hartley: Observations on Man, Bd. 1, S. 111.
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66 Hartley bekennt] vgl. Hartley: Observations on Man, Bd. 1, S. 5f. 203 Assoziation der Ideen] vgl. diesen Band, S. 139–164. 250–252 Mehrere Philosophen […] zugetheilt werden können.] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 2, S. 188 (IV, iii, § 6). 293–307 Der mechanischen Assoziation der Ideen […] dieses Prinzipiums waren.] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 500 (II, xxxiii, § 6). 308–323 Nachher hat Herr Gay […] unmittelbar verschwinden.«] vgl. John Gay (1699–1745): Dissertation concerning the Fundamental Principle of Virtue or Morality. In: William King (1650– 1729): An essay on the origin of Devil [De Origine Mali, 1702]. Translated from the Latin, with large Notes by Edmund Law (1703–1787). London 1731, S. XI–XXXIII. 327f. Nachdem Dr. Hartley […] über diesen Gegenstand an.] nach eigenen Worten wurde Hartley durch Gays Dissertation zur Auseinandersetzung mit der Assoziation der Ideen angeregt, vgl. Hartley: Observations on Man, Bd. 1, Preface, S. III. 341–345 In human works […] Essay on Man. mit Anm. 2] vgl. Alexander Pope (1688–1744): An Essay on Man. London 1734, I, V. 53–56; die Übersetzung stammt von Hißmann selbst, vgl. die freiere Übersetzung in Essay on man. Der Mensch ein philosophisches Gedichte von Alexander Pope. Deutsche Uebersetzung [von Heinrich Christian Kretsch]. Mit der engländischen Urschrift nach der lezten vermehrten Ausgabe. Altenburg 1759, S. 11. 501–505 einfachen Sensationsideen […] Raum u. s. w. bezeichnen.] vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 138–158 (II, vi–viii). 507–510 Auf der andern Seite […] schwer auszuspühren ist.] vgl. Hartley: Observations on Man, Bd. 1, S. 360f. – Vgl. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 138 (II, vi). 524f. ohne die Versuche […] Entdeckung geleitet haben?] zwischen 1670 und 1672 widerlegte Isaac Newton (1642–1727) die zeitgenössische Annahme von der Farblosigkeit weißen Lichts, indem er dieses mittels eines Prismas in die Spektralfarben zerlegte, vgl. A Serie’s of Quere’s Propounded by Mr. Isaac Newton, to be Determin’d by Experiments, Positively and Directly Concluding His New Theory of Light and Colours New Theory about Light and Colours. In: Philosophical Transactions 7 (1672), S. 81–91; vgl. ebenso Newton: Opticks. Or, a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light. London 1704. 593–597 weil »wir keine wirkliche Erfahrung […] Moral.] vgl. Richard Price (1723–1791): A review of the principal questions and difficulties in morals. London 1758, hier nach der 2. Aufl. London 1769, S. 23. 600f. Impenetrabilität] die Undurchdringlichkeit, die in der Widerstandskraft eines Körpers besteht, welche es verhindert, dass ein anderer Körper zu gleicher Zeit dessen Raum einzunehmen vermag. 606 Geschichte des Pater Boskowich und des Herrn Michell] der kroatische Physiker und Jesuit Roger Joseph Boscovich (Ruđer Josip Bošković; 1711–1787) fasste Atome als ausdehnungslose, mathematische Punkte auf, die von einer Kraftatmosphäre umgeben seien, was ihm ermöglichte, mechanische und optische Eigenschaften der Materie verständlich zu machen, vgl. u.a. Theoria philosophiae naturalis redacta ad unicam legem virium in natura existentium. Wien 1758. – John Michell (1724–1793) führte intensive Studien zur Gravitation durch und vermutet 1784 einen Einfluss der Gravitation auf das Licht, womit er erstmals ›Schwarze Löcher‹ in die Diskussion brachte (vgl. On the means of discovering the distance, mag-
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nitude etc. of the fixed stars, in Consequence of the Diminution of the Velocity of their Lights. In: Philosophical Transactions of the Royal Society 74 [1784], S. 35–57). 609f. Denn, »wenn wir […] gesehen haben,«] vgl. Price: A review of the principal questions and difficulties in morals, S. 26. 648–657 In der That […] zu überdenken sei?«] vgl. Price: A review of the principal questions and difficulties in morals, S. 37.
Rezension von Dohm 55f. Pen sezt fest [...] Anspruch machen.] am 28. Oktober 1701 trat die von William Penn (1644–1718), Gründer und Gouverneur der von religiöser Toleranz und politischem Liberalismus geprägten britischen Kolonie Pennsylvania, verfasste Pennsylvania Charter of Privileges, Vorbild der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776, in Kraft, in der Penn erklärte, dass »no Person or Persons, inhabiting in this Province or Territories, who shall confess and acknowledge One almighty God, the Creator, Upholder and Ruler of the World; and profess him or themselves obliged to live quietly under the Civil Government, shall be in any Case molested or prejudiced, in his or their Person or Estate, because of his or their conscientious Persuasion or Practice, nor be compelled to frequent or maintain any religious Worship, Place or Ministry, contrary to his or their Mind, or to do or suffer any other Act or Thing, contrary to their religious Persuasion. And that all Persons who also profess to believe in Jesus Christ, the Savior of the World, shall be capable (notwithstanding their other Persuasions and Practices in Point of Conscience and Religion) to serve this Government in any Capacity, both legislatively and executively, he or they solemnly promising, when lawfully required, Allegiance to the King as Sovereign« (Art. 1). 92f. Schon unter Tiberius [...] Fulvia spielte.] nach Flavius Josephus (37/38 – nach 100) soll ein jüdischer Betrüger eine vornehme Dame namens Fulvia überredet haben, Purpur und Gold für den Tempel in Jerusalem zu spenden, doch unterschlug er die Spende; Fulvias Mann Saturninus brachte den Betrug bei Kaiser Tiberius (Tiberius Iulius Caesar Augustus; 42 v. Chr. – 37 n. Chr.) zur Anzeige, der daraufhin alle Juden aus Rom vertreiben ließ (vgl. Flavius Josephus: Antiquitates Judaicae XVIII, 3,5). 111f. Caligula […] anbeten sollten] nach den Kaiserbiographien (De vita Caesarum) des Gaius Suetonius Tranquillus (um 70 – nach 122) soll Caligula (Gaius Caesar Augustus Germanicus; 12–41), seit 37 röm. Kaiser, einen Tempel für sein ›göttliches Wesen‹ eingerichtet und dort einem goldenen ›Abbild‹ seiner selbst haben opfern lassen (vgl. Caligula 22.3). 112f. die Spöttereyen der Dichter, z. B. Juvenals, und der Geschichtschreiber] Juvenal (Decimus Iunius Iuvenalis; fl. 1./2. Jhd.) kolportiert in seinen Saturae u.a., dass bei den Juden Schweinefleich so kostbar wie Menschenfleisch sei (Sat. 6.160) und erklärt die Sabbatruhe als Faulheit (vgl. Sat. 14.96–106), Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) sieht das Judentum in seiner Rede Pro L. Valerio Flacco (59. v. Chr.) als auf der Barbarei gegrün-
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det (28, 67), Publius Cornelius Tacitus (um 58 – um 120) bezeichnet in den Historiae die Juden gar als verächtliches Gesindel und das abscheulichste Volk auf Erden (V 8). 122f. Geschichte des Wirtenbergischen Ministers Süß] um das beinahe bankrotte Württemberg finanziell zu sanieren, riet der Geheimen Finanzrat und politische Ratgeber Herzog Karl Alexanders von Württemberg (1684–1737), Joseph ben Issachar Süßkind Oppenheimer (auch Joseph Süß Oppenheimer; 1698–1738) nach seinem Amtsantritt 1736 dem Herzog zu einer rigiden Steuerpolitik und wirtschaftlichen Reformen nach merkantilistischen Prinzipien, welche Karl Alexander ohne die Zustimmung der protestantischen Landstände, denen laut der württembergischen Verfassung das Recht der Steuerbewilligung zustand, durchsetzte; der ›Hofjude‹ Oppenheimer zog sich daraufhin aufgrund seiner Unterstützung des Herzogs im Kampf um die absolutistische Herrschaft, vor allem aber aufgrund seines privat erwirtschafteten Vermögens den Hass vieler Landesbeamter und Bürger zu; noch am Tage von Karl Alexanders Tod, am 12. März 1737, wurde Oppenheimer verhaftet, wegen Hochverrats, Majestätsbeleidigung, Beraubung der staatlichen Kassen, Amtshandels, Bestechlichkeit, Schändung der protestantischen Religion und sexuellen Umgangs mit Christinnen angeklagt, am 9. Januar 1738 zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 gehenkt. 130 Mosche Ben Maimon] der als Leibarzt Sultan Saladins (1137/38–1193) und Arzt in Kairo tätige Moses ben Maimon (Maimonides; 1135–1204) verfasste u.a. die Mischneh Tora, eine systematisierte Überarbeitung der rabbinischen Rechtsauslegung von Mischna und Tora (1180) sowie den religionsphilosophischen More Nevuchim (Lehrer der Unschlüssigen; Ende 12. Jhd.) 183–185 Der Anhang [...] Juifs en Alsace.] seit 1778 hetzte der Landvogt im elsässischen Blotzenheim, Jean-François Hell, offen gegen die jüdische Bevölkerung im Elsaß, 1779 trat er mit dem antisemitischen Pamphlet Observations d’un Alsacien sur l’affaire presente des Juifs d’Alsace an die Öffentlichkeit; der jüdische Finanzier Naphtali ben Dov Berr (Herz Cerf Beer von Mendelsheim; 1726–1793) verfasste daraufhin 1780 das Mémoire sur l’Etat des Juifs en Alsace, das er mit der Bitte um Redigierung an Moses Mendelssohn (1729–1786) sandte, doch Mendelssohn lehnte ein jüdisches Plädoyer in eigener Sache für die Rechte und Interessen der Juden ab und übergab es Dohm, der das Mémoire als Anhang seiner Schrift publizierte (vgl. S. 155–200; vgl. auch Dohms Anmerkung hierzu S. 78–82); vgl. dazu Klaus L. Berghahn: Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung. Köln, Weimar, Wien 22001, S. 127–149. 224 K. K. Toleranzedict] Kaiser Joseph II. (1741–1790) ermöglichte mit Patent vom 13. Oktober 1781 im Erzherzogtum Österreich den zuvor diskriminierten protestantischen und orthodoxen Minderheiten eine freiere, wenn auch mit Auflagen verbundene Religionsausübung, ein Jahr später gestand er auch Juden die freiere Ausübung ihrer Religion zu. 241 Manasseh Ben Israel] Menasseh ben Israel (Manoel Dias Soeiro; 1604–1657), dessen Familie 1613/14 vor der Inquisition aus Portugal in die Niederlande fliehen musste, gründete in Amsterdam die erste hebräische Druckerei der Stadt und trug maßgeblich zur Entwicklung Amsterdams zum bedeutendsten hebräischen Druckzentrum Europas bei; neben eigenen und fremden, für die jüdische Bevölkerung publizierten Titeln veröffent-
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lichte Menasseh zahlreiche auch für ein nichtjüdisches Publikum interessante philosophische Werke, die ihn in den europäischen Humanistenkreisen bekannt machten, u.a. De Termino Vitae (Amsterdam 1634), De Creatione Problemata (Amsterdam 1635), De Resurrectione Mortuorum (Amsterdam 1636), De Fragilitate Humana (Amsterdam 1642). Chacam der portugiesischen Judenschaft zu Amsterdam] ursprünglich Bezeichnung für einen, auch nichtjüdischen, Weisen, v.a. aber Titel eines rabbinischen Gelehrten; bei den sephardischen Juden, denen auch Manasseh Ben Israel angehörte, der örtliche Rabbiner. Schrift erschien zuerst 1656] vgl. Menasseh: Vindiciæ Judæorum, or a letter in answer to certain questions propounded by a noble and learned gentleman, touching the reproaches cast on the nation of the Jevves wherein all objections are candidly, and yet fully cleared. s.l. [London] 1656. The Phenix] vgl. Menasseh: Vindicæ Judæorum: Or, a Letter in Answer to certain Questions propounded by a Noble and Learned Gentleman, touching the Reproaches cast on the Nation of the Jews; wherein all Objections are candidly, and yet fully clear’d. In: The Phenix: or, a Revival of scarce an valuable Pieces from the remotest Antiquity down to the Present Times. 2 Bde. London 1707/08, Bd. 2, Nr. XXIV, S. 391–426. Bibliothèque raisonée] die Bibliothèque raisonnée des ouvrages des savans de l’Europe, zwischen 1728 und 1753 in Amsterdam erschienenes, europaweit beachtetes und einflussreiches Journal, hier Bd. 12 (Jan.–März 1734); vgl. u.a. Bruno Lagarrigue: Un temple de la culture européenne 1728–1753: l’histoire externe de la Bibliothèque raisonnée des ouvrages des savants de l’Europe. Nimwegen 1993. in Hoornbeek’s und des spätern Eisenmenger’s und Consorten Schriften] der niederl. reformierte Theologe Johannes Hoornbeek (1617–1666) propagierte das Studium der hebräischen Sprache und rabbinischen Literatur, um sich gegen die jüdische Dogmatik, die er v.a. bei den ›neuen‹ Juden zu finden glaubte, verteidigen zu können und hoffte auf eine allgemeine Bekehrung der Juden, zu der er mit seinen Schriften beitragen zu können glaubte, vgl. u.a. Hoornbeek: Disputationes antijudaicæ. Utrecht 1644; Pro convincendis et convertendis Iudæis libri 8. Leiden 1655. – Vgl. Johann Andreas Eisenmenger (1654–1704), Professors für hebräische Sprache in Heidelberg: Entdecktes Judenthum oder Gründlicher und wahrhaffter Bericht, welchergestalt die verstockten Juden die hochheilige Drey-Einigkeit, Gott Vater, Sohn und Heil. Geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren, die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue Testament, die Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch durchziehen, und die gantze Christenheit auff das äusserste verachten und verfluchen: dabei noch viel andere, bißhero unter den Christen entweder gar nicht oder nur zum Theil bekannt gewesene Dinge; alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in zweyen Theilen verfasset, deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen Nachricht verfertiget und mit vollkommenen Registern versehen. Frankfurt a.M. 1700 u.ö. im Jüdischen Baldober] vgl. Paul Nicolaus Einert (fl. 1707–1737): Entdeckter jüdischer Baldober oder Sachsen-Coburgische Acta Criminalia wider eine Jüdische Diebs- und Räuber-Bande, worinnen zu jedermanniglichen Wahrnehmung, vor die Jüdische Nachstellungen sich hüten zu lernen, besonders aber zum nützlichen Gebrauch derer Kriminal-Gerichte viele bisher noch nicht bekannt gewesene Boshei-
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ten und Diebs-Streiche des jüdischen Volcks, deutlich geoffenbaret und, zum Behuff künfftiger Inquisitions-Processe, mit practischen Anmerckungen erläutert werden. Coburg 1737. 295f. Geschichte der lüneburgischen Tafeldiebe] im März 1698 zerstörte eine Räuberbande um Nikel List (16566–1699) den als ›Goldene Tafel‹ bekannten, über Jahrhunderte zusammengetragenen Hauptaltar der Michaeliskirche in Lüneburg und erbeutete so fast drei Kilogramm Gold, Silber, Perlen und Edelsteine; die Räuber wurden Ende des Jahres gefasst, nach unter der Folter erzwungenen Geständnissen wurden am 21. März 1699 sechs Bandenmitglieder hingerichtet, List selbst wurde am 23. Mai 1699 ›von unten herauf‹ durch das Rad gerichtet, sein Kopf auf einer Stangen ausgestellt, sein Leib verbrannt; vgl. Sigismund Hosemann (1660–1701): Fürtreffliches Denk-Mahl der Göttlichen Regierung, Bewiesen an der uhralten höchst berühmten Antiquität des Klosters St. Michaelis in Lüneburg, der in dem hohen Alter daselbst gestandenen Güldenen Tafel und anderer Kostbarkeiten, wie der gerechte Gott Dero Räuber ganz wunderbarlich entdecket, zugleich viele begangene zuvor ganz unerforschliche Kirchen-Räubereien und Diebstähle ans Licht gebracht und eine fast durch ganz Teutschland zertrennte höchst schädliche und gefährliche Diebesbande zum Theil der Hochfürstl. Cellischen Regierung zur gerechten Straffe in die Hände geliefert. Celle, Leipzig 1700, vgl. ebenso ders.: Das schwer zu bekehrende Juden-Hertz, nebst einigen Vorbereitungs-Mitteln zu der Juden Bekehrung, auf Veranlassung der erschröcklichen Gottes-Lästerung, welche der Jude Jonas Meyer von Wunstorff, als er vor der Fürstl. Residentz-Stadt Zelle, nebst andern hochberüchtigten Dieben den 21. Martii Anno 1699. abgethan, und nach dem Querbalcken des Gerichts, behueff einer Winde, hinauf gezogen ward. Celle 1699 (vgl. dazu Hans-Dieter Schmid: »Das schwer zu bekehrende Juden-Hertz.« Jüdische Unterschicht und christlicher Antisemitismus am Beispiel des Celler Stadtpredigers Sigismund Hosemann. In: Peter Antes u. Dietmar Storch (Hg.): Christen und Juden. Ein notwendiger Dialog. Hannover 1988, S. 39–60). 306–312 seinen Vorbericht und die Einleitung […] Fleiß studirt habe, u. s. w.] Hirschel Levin (auch Hirsch Loebel, Zebi Hirsch ben Arje Löb Berlin, Hart Lyon; 1721–1800), seit 1772 Oberrabbiner von Berlin, erhielt vom Berliner Hof- und Kammergericht den Auftrag, die familiären schuldrechtlichen ›Ritualgesetze der Juden‹ in deutscher Sprache darzulegen, um den Gerichten eine Grundlage in Verfahrensangelegenheiten zu schaffen; der mit Levin befreundete Moses Mendelssohn formulierte unter der Aufsicht Levins den deutschen Text, der 1778 als Ritualgesetze der Juden betreffend Erbschaften, Vormundschaftssachen, Testamente und Ehesachen, in so weit sie das Mein und Dein angehen. Entworfen von dem Verfasser der Philosophischen Schriften, auf Veranlassung und unter Aufsicht R. Hirschel Lewin, Oberrabiners zu Berlin bei Voß in Berlin erschien (vgl. Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hg. von Alexander Altmann u.a. Bd. 1ff. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972ff., Bd. 7, S. 109–251). 333f. Mißhandlungen des Acosta] Gabriel da Costa (1585–1640), Nachfahre zwangskonvertierter portugiesischer Juden, floh 1614 nach Amsterdam, wo er sich zum jüdischen Glauben bekannte und den Namen Uriel da Costa (auch Uriel Acosta) annahm; aufgrund seiner Kritik an der Unvereinbarkeit der talmudischen Lehren mit der biblischen Überlieferung und dem jüdischen Glauben schlechthin, v.a. hinsichtlich der Unsterblickeit der Seele (vgl. Semuel da Silva: Tratado da inmortalidade da alma. Amsterdam 1623, worauf da Costa mit dem Exame das tradições phariseas conferidas com a lei escrita por Uriel, Jurista Hebreo, com reposta a Samuel de Silva seu falso calumniador [›Prüfung der pharisäischen Traditionen durch Vergleich mit dem Schriftgesetz, von Uriel, jüdischem Rechtsgelehrten, nebst einer Erwiderung an
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einen gewissen Samuel da Silva, seinen falschen Verleumder‹]. Amsterdam 1624 reagierte, in dem er die Sterblichkeit der Seele beweist) wurde da Costa als ›Ketzer‹ nach Utrecht verbannt; nach seiner Rückkehr fünf Jahre später wegen erneuter Kritik am jüdischen Glauben exkommuniziert und in Armut und Ausgrenzung lebend, suchte er 1639 in die jüdische Gemeinde zurückzukehren – das ihm auferlegte Bußritual, 39 Geißelhiebe auf den entblößten Oberkörper in der Synagoge sowie das anschließende Niederlegen auf deren Schwelle, damit alle Gläubigen über ihn hinwegschreiten konnten, ertrug da Costa, doch erschoss er sich ob der Demütigung im April 1740.
VI. ANHANG
Zeittafel 25. 09. 1752
Michael Hißmann wird in Hermannstadt (Siebenbürgen) als Sohn einer wohlhabenden Bäckersfamilie geboren; Besuch des evangelischen Gymnasiums Hermannstadt. Nach Abschluß der Schule Ablegung des Konsistorialexamens
19. 03. 1773
Abreise aus Hermannstadt; Aufnahme des Studiums der Theologie in Erlangen, Hißmann besucht Vorlesungen in Philosophie, Mathematik und Physik
19. 04. 1774
Immatrikulation in Göttingen; Hißmann studiert anfangs weiter Theologie, wendet sich dann aber der Philosophie zu; seine wichtigsten Lehrer hier sind Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800), Johann Georg Heinrich Feders (1740–1821) und Christoph Meiners (1747–1810); Freundschaft mit Feder und Meiners, sowie mit seinen Kommilitonen Ernst Adolf Weber (1751– 1781), Christian Friedrich Helwing (1725–1781), Johann August von Einsiedel (1754–1837), Justus Christian Loder (1753–1832), Georg Hermann Richerz (1756–1791) und Christian Konrad Wilhelm von Dohm (1751–1820)
ab 1775
Publikationen in Zeitschriften (Der Hauslehrer, Deutsches Museum, Hannoverisches Magazin, Teutscher Merkur, Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur)
24. 02. 1776
Aufnahme in die Königliche deutsche Gesellschaft auf Betreiben Kästners; Antrittsrede Rede vom Flor Siebenbürgens unter Theresien und Joseph
24. 05. 1776
Disputation zur Doktorwürde mit De infinito. Dissertatio metaphysica prima, pro gradu Doctoris Philosophiae; Beginn der Lehrtätigkeit in Göttingen
Sept.–Okt. 1776 erste gesundheitliche Probleme, Kuraufenthalt in Hofgeismar 1776/1777
Geschichte der Lehre von der Association der Ideen erscheint in Göttingen
1777
Psychologische Versuche, ein Beytrag zur esoterischen Logik erscheint in Frankfurt a. M. und Leipzig; Über Sprache und Schrift. Aus dem Französischen des Präsidenten von Brosses übersezt, und mit Anmerkungen begleitet erscheint in Leipzig
1778
Briefe über Gegenstände der Philosophie erscheinen in Gotha; dieses Werk wird in Siebenbürgen von Superintendent Andreas Funk verboten; Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur erscheint in Göttingen und Lemgo; Hißmann verwendet dieses Buch als Grundlage für Vorlesungen
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Frühsommer 1778
1778–1783
Zeittafel
Reise nach Leipzig und Berlin mit Freiherr Joseph von Podmanitzky; Treffen u.a. mit Minister Karl von Zedlitz (1731–1793), Johann Bernhard Merian (1723–1807), Wilhelm Abraham Teller (1734–1804); Beginn der Freundschaft mit Karl Franz von Irwing (1728–1801); Hißmann wird von Zedlitz über Teller die Nachfolge Georg Friedrich Meiers (1718–1777) in Halle angeboten Herausgabe des Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte (1789 fortgesetzt von Johann Hermann Pfingsten) Kürzere Reisen nach Hannover, Rinteln, Pyrmont und Lemgo sowie nach Münster in Begleitung von Dohm; in Münster Treffen mit Minister Franz Friedrich Wilhelm Freiherr von Fürstenberg (1729–1810) und Fürstin Amalie von Gallitzin (1748–1806)
1780
Untersuchungen über den Stand der Natur erscheint in Berlin; Versuch über den Ursprung der menschlichen Erkenntniß. Aus dem Französischen des Abbé Condillac erscheint in Leipzig; Hißmann ist im Gespräch für einen Lehrstuhl in Kiel
ab 1780
umfangreiche Rezensionstätigkeit, v.a. in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen
1781
Christian Garve (1742–1798) hält sich für zwei Monate in Göttingen auf und wohnt während dieser Zeit bei Hißmann; beide freunden sich an
Mai 1782
Ernennung zum außerordentlichen Professor in Göttingen durch König Georg III. von England
Sommer 1782
Anfrage an Hißmann wegen einer Professur des Naturrechts und der politischen Wissenschaften in Helmstedt; es kommt zu keiner Berufung
1783
Versuch über das Leben des Freyherrn von Leibniz erscheint in Münster
März 1784
Erkrankung an einem Bluthusten, der sich im Laufe des Jahres zur Tuberkulose entwickelt
03. 05. 1784
Angebot einer ordentlichen Professur in Göttingen mit jährlicher Zulage von 200 Gulden
01./14. 07. 1784 Angebot eines Lehrstuhls der Philosophie in Pest für jährlich 1200 Gulden durch Kaiser Joseph II. 01. 08. 1784
Hißmann nimmt den Ruf nach Pest an
14. 08. 1784
Hißmann stirbt in Göttingen an der Tuberkulose
Bibliographie GAS = Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften. Göttingen. ZGAS = Zugaben zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen. Göttingen. HAR = Histoire (Mémoires) de l’Academie Royale des Sciences et Belles-Lettres [de Berlin] pour l’année […]. Berlin. NMA = Noveaux Mémoires de l’Academie Royale des Sciences et Belles-Lettres [de Berlin] pour l’année […]. Berlin. HARIB = Histoire de l’Académie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres, avec les Mémoires de Littérature tirés des Registres de cette Académie. Paris. MARIB = Mémoires de Littérature, tirez des Registres de l’Académie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres. Paris. MPG = Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte. Göttingen u. Lemgo.
Monographien Rede vom Flor Siebenbürgens unter Theresien und Joseph. In der königlichen deutschen Gesellschaft zu Göttingen bei der Aufnahme in dieselbe abgelesen von Michael Hißmann aus Göttingen. Göttingen 1776. De infinito. Dissertatio metaphysica prima. Göttingen 1776. Geschichte der Lehre von der Association der Ideen, nebst einem Anhang vom Unterschied unter associirten und zusammengesezten Begriffen, und den Ideenreyhen. Göttingen 1776. Psychologische Versuche, ein Beytrag zur esoterischen Logik. Frankfurt a.M., Leipzig 1777; Hannover, Göttingen 21788. Briefe über Gegenstände der Philosophie, an Leserinnen und Leser. Gotha 1778. Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Litteratur in allen Theilen der Philosophie. Göttingen, Lemgo 1778; 21790. Untersuchungen über den Stand der Natur. Berlin 1780. Versuch über das Leben des Freyherrn von Leibniz. Münster 1783.
Herausgeberschaften Magazin für die Philosophie und ihre Geschichte. Aus den Jahrbüchern der Akademien angelegt von Michael Hißmann. Bd. 1 (1778) bis Bd. 6 (1783). Göttingen, Lemgo 1778–1783. Fortgesetzt von Johann Hermann Pfingsten. Bd. 7 (1789). Göttingen, Lemgo 1789. Schubart, Christian Friedrich Daniel: Kurzgefaßtes Lehrbuch der schönen Wissenschaften. 2., ganz umgearbeitete Aufl. Münster 1781.
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Bibliographie
Beiträge in Zeitschriften Ueber das Gewigte des rechtmäßigen Eides. In: Der Hauslehrer, oder Beiträge zur häuslichen Beförderung der Wahrheit, der Religion und des Geschmackes dem ungelehrten Theile des Publikums gewidmet 1 (1775), S. 313–316. Einige vorzügliche Beispiele von der Geschiklichkeit der Thiere. In: Der Hauslehrer, oder Beiträge zur häuslichen Beförderung der Wahrheit, der Religion und des Geschmackes dem ungelehrten Theile des Publikums gewidmet 1 (1775), S. 341–344. Erläuterung der Stelle Matth. V, 33–37. In: Der Hauslehrer, oder Beiträge zur häuslichen Beförderung der Wahrheit, der Religion und des Geschmackes dem ungelehrten Theile des Publikums gewidmet 1 (1775), S. 345–351. Ausführung einiger Regeln, die bei den Strafen in der Erziehung der Kinder beobachtet werden müssen. In: Der Hauslehrer, oder Beiträge zur häuslichen Beförderung der Wahrheit, der Religion und des Geschmackes dem ungelehrten Theile des Publikums gewidmet 1 (1775), S. 401–407. Ueber die Eleusinischen Geheimnisse. In: Hannoverisches Magazin. 14. Jg. (1776), Sp. 865–890. Ueber den Ursprung der Sprache. In: Hannoverisches Magazin. 14. Jg. (1776), Sp. 1145–1200. Supplement zu Seite 666. des Hannoverischen Magazins, von diesem Jahr, die Anekdoten von Sir Isaac Newton betreffend. In: Hannoverisches Magazin. 14. Jg. (1776), Sp. 889–896. Bemerkungen über die alte Geschichte von Indien. In: Hannoverisches Magazin. 15. Jg. (1777), Sp. 1169– 1216. Fortsetzung der Bemerkungen über die alte Geschichte von Indien. In: Hannoverisches Magazin. 15. Jg. (1777), Sp. 1249–1272. Bemerkungen über einige Regeln für den Geschichtsschreiber philosophischer Systeme; über Dutens Untersuchungen – und über die angebohrnen Begriffe des Plato, Deskartes und Leibnitz. In: Der Teutsche Merkur 1777, 4. Vierteljahr, S. 22–52. Ueber den Hauptzweck der dramatischen Poesie. In: Deutsches Museum 1777, 2. Bd., S. 553–564. Vorbericht. In: MPG 1 (1778), S. 3–8. Betrachtungen über die Naturgeseze. In: Deutsches Museum 1778, 2. Bd., S. 529–543. Vorbericht. In: MPG 2 (1779), S. 3–6. Ueber die Shanscrita. In: Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur. 1. Jg. (1780), 5. St., S. 269–293. Vorbericht. In: MPG 3 (1780), S. 3–6. Vorbericht. In: MPG 4 (1781), S. 3–6. Versuch über das Fundament der Kräfte. Bey Gelegenheit der von der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin für das Jahr 1779 aufgegebenen Preisfrage. In: MPG 6 (1783), S. 3–111.*
*
Vgl. dazu Cornelia Buschmann: Die philosophischen Preisfragen und Preisschriften der Berliner Akademie die Wissenschaften im 18. Jahrhundert. In: Wolfgang Förster (Hg.): Aufklärung in Berlin. Berlin (Ost) 1989, S. 165–228, hier S. 217f.
Bibliographie
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Personenregister
Abu ’l-Fazl ibn Mubarak 332 Adanson, Michel 172f., 337 Agrikola → Agrippa Agrippa 29, 298 Ainesidemos 297f. Aischylos 255, 336 Alexander von Joch → Hommel, Karl Ferdinand Anaxagoras 203 Anderson, Johann 317 Anquetil-Duperron, Abraham Hyacinthe 245, 329, 332f. Arndt, Johann 238, 329 Arouet, François-Marie (pseud. Voltaire) 56, 109, 202, 301, 321 Aristippos von Kyrene 100, 298, 307 Aristoteles 35, 101, 182, 185, 201, 204, 307, 313, 318, 338 Aules Persius Flaccus 45, 299 Bägert, Christoph Johannes Jakob 222, 326 Battel, Andrew 319 Basedow, Johann Bernhard 27, 297 Batteux, Charles 18, 62, 202, 204, 303, 320f., 337, Baumgarten, Siegmund Jakob 306, 336 Bayer, Theophil Siegfried 247, 250, 333, 335 Bayle, Pierre 89, 112, 306 Beausobre, Louis de 322 Berr, Naphtali ben Dov 341
Bernier, François 247f., 334 Blumenbach, Johann Friedrich 15 Bonnet, Charles 47, 54, 62f., 66, 94, 127– 129, 135, 145f., 300, 306, 309f., 313 Boscovich, Roger Joseph 278, 340 Boureau-Deslandes, André-Fran-çois 202, 321 Brosses, Charles de, Comte de Tournay 233, 322, 328 Brucker, Johann Jakob 73, 139f., 201, 206, 303f., 312, 320 Budde, Johann Franz 134, 311 Büttner, Christian Wilhelm 203, 247, 334 Buffon, Georges-Louis-Marie Leclerc, Comte de 67, 116, 128, 172, 203, 303, 309f. Caesar, Gaius Julius 287, 289 Caligula → Gaius Caesar Augustus Germanicus Calmette, Jean 245, 333 Campe, Joachim Heinrich 83, 152, 306, 314 Camus, Antoine le 119f., 309 Cato (Marcus Porcius Cato Censoris) 241 Chardin, Jean-Baptiste 250, 335 Chemnitz, Bogislav Philipp (pseudo. Hippolitus a Lapide) 251, 336 Cicero → Marcus Tullius Cicero Clemens von Alexandria 257 Condamine, Charles-Marie de la 320, 324
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Condillac, Étienne Bonnot de 17, 47, 127, 232, 300, 328 Connor, Bernard 221, 323f. Cook, James 318 Costa, Gabriel da 292, 343f. Coste, Pierre 300, 309, 311, 314 Cowley, Abraham 140, 312 Cranz, David 222, 324 Crusius, Christian August 17 Decimus Iunius Iuvenalis 287, 340 Decimus Suetonius Tranquillus 340 Defoe, Daniel 319 Deslandes → Boureau-Deslandes, AndréFrançois Descartes, René 15, 81, 90, 108, 123f., 127, 201, 203f., 207f., 211, 305f., 309, 321 Diagoras von Melos 255, 336 Diderot, Denis 12 Dièreville, Dière de 303f. Diodorus Siculus 189, 320 Diogenes Laertios 32, 298, Dohm, Christian Konrad Wilhelm von 15, 18, 21, 45f., 299, 341 Dow, Alexander 244, 247–250, 332 Dubos, Jean-Baptiste 77, 97, 304 Dutens, Louis 202–204, 321 Eberstein, Wilhelm Ludwig Gottlob Freiherr von 16 Eichhorn, Johann Gottfried 15, 18, 21 Eisenmenger, Johann Andreas 291, 342 Empedokles 203 Epikur 35, 201, 204, 298 Euler, Leonhard 329 Erxleben, Johann Christian Polycarp 15 Feder, Johann Georg Heinrich 15 Ferdinand III., dt. Kaiser 335 Filtsch, Johann 14 Flavius Josephus 340 Formey, Jean-Henri-Samuel 322 Forster, Johann Georg Adam 188, 318
Personenregister
Francke, August Hermann 331 Franziskus (Hl.) 39 Frederik III., dän. König 293 Frederik IV., dän. König 331 Frederik V., dän. König 333 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 330 Gaius Caesar Augustus Germanicus 287, 340 Gaius Plinius Caecilius Secundus 305 Gaius Plinius Secundus Maior 85, 305 Gaius Suetonius Tranquillus 341 Galenos von Pergamon 58, 302 Garve, Christian 15 Gassendi, Pierre 90, 201, 306 Gatterer, Johann Christoph 15 Gay, John 142, 270, 312, 339 Gerard, Alexander 308 Gerbillon, Jean-François 326 Gmelin, Johann Georg 325 Gobien, Charles le 331 Goethe, Johann Wolfgang von 238 Gottsched, Johann Christoph 21 Graun, Heinrich 304 Hadrian → Publius Aelius Hadrianus Halde, Jean-Baptiste du 330, 343 Halhed, Nathaniel Brassey 247f., 331, 334 Haller, Albrecht von 55–59, 109, 119f., 146, 301 Hartley, David 15, 47, 133, 142, 146, 262– 269, 271f., 274f., 301, 312, 338f. Hastings, Warren 244, 331 Hell, Jean-François 341 Helvétius, Claude Adrien 12, 47, 97, 101, 106, 113, 120, 127, 179, 308, 318 Helwig, Christoph 384 Herakleides Pontikos 298, 336 Herder, Johann Gottfried 20, 104, 214f., 219, 233, 322f. Herodot von Halikarnassos 189, 320 Heyne, Christian Gottlob 15
373
Personenregister
Hippolitus a Lapide → Chemnitz, Bogislav Philipp Hobbes, Thomas 17, 140, 143, 167, 169, 180, 194, 312, 315f. Hogarth, William 316 Holbach, Paul Henri Thiry de 12f. Holwell, Zephaniah 331 Home, Henry → Kames, Henry Lord Homer 197, 254 Hommel, Karl Ferdinand (pseud. Alexander von Joch) 62, 302 Hook → Hooke, Robert Hooke, Robert 146, 313 Hoornbeek, Johannes 291, 342 Horaz → Quintus Horatius Flaccus Howard, Thomas, 21. Earl von Arundel 336 Howard, Thomas, 23. Earl von Arundel 336 Huarte de San Juan, Juan 119, 309 Hume, David 104, 130, 143, 146, 148 Hupel, August Wilhelm 16, 136, 311 Hutcheson, Francis 135, 311 Irwing, Karl Franz von 15, 17, 59, 302 Jalaluddin Muhammad Akbar 332 Jan III. Sobieski, poln. König 323 Jansz, Willem 318 Johannes Duns Scotus 28, 297 Johannes Stobaios 337 Joseph II., dt. Kaiser 341 Juvenal → Decimus Iunius Iuvenalis Kästner, Abraham Gotthelf 14f. Kames, Henry Home, Lord 76, 145, 162f., 170, 197, 304 Kant, Immanuel 20, 131, 129, 299 Karl Alexander, Herzog von Württemberg 341 King, William 312, 339 Kircher, Athanasius 243, 250, 330, 335 Kleuker, Johann Friedrich 329, 334
Knoblauch, Karl von 13 Knox, Robert 319 Knutzen, Martin 17 Krauss, Werner 11 Lacroze, Mathurin Veyssière de 333 Lafitau, Joseph-François 328 Lambert, Johann Heinrich 151, 314 Lange, Friedrich Albert 11 Lavater, Johann Kaspar 36, 299 Law, Edmund 312, 339 LeBlanc, Marie-Angélique Memmie 189, 319, 324 Leibniz, Gottfried Wilhelm 12, 17f., 19, 53, 61, 73, 78, 89, 100, 102, 104, 108, 112, 201, 203–205, 207f., 211, 297, 305, 311, 321 Leo X. → Medici, Giovanni de’ Lessing, Gotthold Ephraim 21, 309 Levin, Hirschel 343 Lichtenberg, Georg Christoph 13 Linné, Carl von 116, 224, 227, 324, 326, 308f. List, Nikel 343 Locke, John 15, 20, 50, 73–75, 93, 100, 112, 134, 139, 142f., 145, 150f., 155– 157, 201, 205f., 208, 210f., 269, 275, 300, 309, 311, 313, 315, 320, 339 Lossius, Johann Christian 12, 47 Lukrez → Titus Lucretius Carus Luther, Martin 29 Maimonides → Moses ben Maimon Malebranche, Nicolas 145f., 201, 208, 311 Manasseh Ben Israel 290, 341f. Marcus Fabius Quintilianus 110f. Marcus Tullius Cicero 32, 46, 100, 119, 134, 142, 253, 258, 341 Marcus Ulpius Traianus 287 Marmontel, Jean-François 237 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 230, 327, 329 Medici, Giovanni de’ 29, 297
Personenregister
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Meier, Georg Friedrich 12 Meiners, Christoph 13, 15f., 21f., 69, 77, 115, 299 Mendelssohn, Moses 12, 292, 299, 329f., 341, 343 Merian, Johann Bernhard 15, 18 Mettrie, Julien Offray de la 12f., 324 Michaelis, Johann David 21 Michell, John 278, 339 Montaigne, Michel Eyquem de 117, 153, 309, 314 Montesquieu, Charles-Louis de Se-condat, Baron de La Brède et de 31, 186, 318 Müller, Andreas 244, 330 Müller, Gerhard Friedrich 325 Mohammad Shafi’a’i, gen. Danesh-mandKhan 247, 334 Moses ben Maimon 287f., 341 Muhammad Aurangzeb Alamgir 334 Muratori, Lodovico Antonio 82
Plinius der Jüngere → Gaius Plinius Caecilius Secundus Plutarch 203, 253, 337 Pons, Jean-François 243, 245, 248f., 330, 333 Pope, Alexander 76, 271 Porterfield, William 53f., 301 Potterfield → Porterfield, William Pouilly, Louis-Jean Lévesque de 97, 307 Prémontval, André-Pierre Le Guay de 134 Price, Richard 277–279 Priestley, Joseph 12, 21, 47, 133, 142, 151, 264, 303, 338 Pütter, Johann Stephan 15 Pufendorf, Samuel Freiherr von 17, 169, 180, 316 Publius Cornelius Tacitus 305, 341 Publius Aelius Hadrianus 287 Purchas, Samuel 319 Pythagoras von Samos 31f., 144, 298
Newton, Isaac 59, 89, 108, 143, 153, 203, 263f., 266, 276, 301, 314f. Nicolai, Christoph Friedrich 329 Niebuhr, Carsten 333 Nobile, Roberto de 333
Quintilian → Marcus Fabius Quintilianus Quintus Horatius Flaccus 142, 257, 330
Oppenheimer, Joseph Süßkind 287, 341 Osbeck, Pehr 328
Ben
Issachar
Pascal, Blaise 112 Peani, Clemente 244, 331 Penn, William 286, 340 Persius → Aules Persius Flaccus Peyronie, François Gigot de la 56, 301 Pyrrhon von Elis 30, 297 Pistorius, Hermann Andreas 338 Platner, Ernst 12, 17, 145 Platon 35, 102, 115, 134, 186, 203–207, 211, 321 Plinius der Ältere → Gaius Plinius Secundus Maior
Ramler, Karl Wilhelm 304 Reid, Thomas 142, 313 Reimarus, Hermann Samuel 170, 174, 316 Richardson, Samuel 240, 329 Richmann, Georg Wilhelm 85, 305 Ridiger → Rüdiger, Andreas Robertson, William 178 Robinet, Jean-Baptiste-René 47 Rocoles, Jean-Baptiste de 93 Roth, Heinrich 250, 330, 335 Rousseau, Jean-Jacques 17, 167, 174, 179, 316 Rüdiger, Andreas 154 Saladin 341 Sandbach, Francis Henry 337 Scaliger, Joseph Justus 336 Search, Edward → Tucker, Abraham Selkirk, Alexander 189, 319 Selle, Christian Gottlieb 13, 16
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Personenregister
Sextus Empiricus 29f., 100, 297f. Shah, Muhammad Qasim Hindu 332 Shakespeare, William 104, 108, 162f. Shaw, Thomas 216, 323 Smith, Adam 147 Sokrates 100, 205f., 209, 241, 298, 321 Sosikrates von Rhodos 298 Spinoza, Baruch de 15, 37, 192, 201, 299 Steller, Georg Wilhelm 325 Suárez, Francisco 29, 297 Süßmilch, Johann Peter 226, 232, 326f. Sueton → Gaius Suetonius Tranquillus Sulzer, Johann Georg 12, 18, 62, 75, 77, 79, 227, 232, 236, 299, 329 Swift, Jonathan 167, 316 Tetens, Johann Nicolaus 12 Thales von Milet 144, 313 Themistios 258f., 337 Thomas von Aquin 29, 297 Tiberius Iulius Caesar Augustus 287, 340 Tiedemann, Dietrich 13, 337 Tissot, Samuel Auguste André David 82
Titus Lucretius Carus 166, 203, 315 Trajan → Marcus Ulpius Traianus Tucker, Abraham (pseud. Edward Search) 47, 71, 125, 127, 135, 159 Tyson, Edward 188, 319 Unzer, Johann August 292, 302 Verbiest, Ferdinand 325f. Voltaire → Arouet, François-Marie Warburton, William 250, 334 Weikard, Melchior Adam 318 Wezel, Johann Karl 13 Wieland, Christoph Martin 12, 238, 297 Wolff, Christian 15, 17–19, 34, 90, 102, 109, 126, 134, 298, 309f., 326 Wyttenbach, Daniel 337
Zarathustra 238, 245, 330 Zeno 204 Ziegenbalg, Bartholomäus 243, 331f.