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German Pages 115 [120] Year 1907
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
Stille Gedanken aus einsamen Stunden
Walter Kinkel
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) :: Gießen 1907
Druck von C. 0 . Röder O. m. b. H., Leipzig.
0:
VORWORT Die günstige Aufnahme, welche das im Vorjahr erschienene Büchlein „Vom Sein und von der S e e l e " gefunden hat, ermutigt den Verfasser, die folgenden im selben Sinne gehaltenen Aufsätze der Öffentlichkeit zu übergeben. Einige davon sind bereits früher in Zeitschriften erschienen, so z . B . der Aufsatz: Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen Selbstes, in der Philosophischen Wochenschrift von Dr. Hugo R e n n e r ; andere, wie z . B . die Aufsätze: Vom Leben und Sterben der Seele, Von der Liebe, im Volkserzieher. Walter Kinkel.
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•
Das Inhaltsverzeichnis steht am Schlüsse
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
M
anchmal redet das Gefühl aus unserer Seele wie im Traum: verworrene, trauliche Worte, die wir nur halb zu deuten wissen und bereits vergessen haben, wenn das Licht der Erkenntnis aufgeht. In solchen Stunden scheint uns alles fremd und fern, was uns umgibt, und wir warten auf etwas, wie auf ein Schicksal. Aber es schwächt die Seele, sich diesem Traumreich hinzugeben, denn es grenzt an das Reich der Lüge. Die irre Sehnsucht der schweifenden S e e l e , das wunschreiche Verlangen des trunkenen Herzens führt uns schmeichelnd dem Nichtsein zu und entfremdet uns der Wirklichkeit. Wir schließen unsere Augen gegen alles, was nicht in die Welt unserer unbegriffnen Wünsche paßt; das trugvolle Gefühl des Scheines und der Unwirklichkeit wächst in demselben Maße als sich das Gemüt dem verführerischen Spiel der dumpfen Gefühle hingibt. Endlich aber stellt uns die Notwendigkeit des Seins doch vor die Forderung, unsere Existenz zu behaupten: dann weiß die verwirrte Seele kaum noch den Weg im hellen Tageslicht zu finden. Aber auch in der Geburtsstunde einer neuen seelischen Wirklichkeit, ehe die Begriffe sich klären und den Empfindungen und Gefühlen objektive Gestalt verleihen, durchleben wir eine Zeit der Ahnungen und Unwirklichkeit, schwebend zwischen dem Versinkenden und Werdenden.
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~ Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
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Denn alles Wachsen und Auferbauen ist auch ein Sterben, Versinken und Zerstören. Und oftmals scheinen wir uns selber fremd, wenn verwehte Wünsche im Herzen wieder auftauchen, an die wir einstmals unser ganzes Dasein gekettet glaubten, die aber dann durch eine tiefere Einsicht oder stärkere Leidenschaft verdrängt wurden. Dann fühlen wir plötzlich die Neugeburt unserer Seele. Die Gedanken haben ein Leben im Gemüt, wie wir selbst in der Menschheit. Sie wirken in der Jugend und entzünden Hoffnung und Sehnsucht; sie reifen und erfüllen den Raum unserer Innenwelt mit Wärme und Licht; sie altern und sterben. Mancher trägt gestorbene Gedanken mit sich, und er betet sie an wie der Götzendiener dürres Holz: sie antworten nicht seinen Fragen, sie nehmen nicht teil an seiner Sehnsucht. Viele Menschen hängen so ihre ganze Kraft ans Versinkende: es sind tote Seelen, die ums Leben kämpfen. Sind nicht Leid und Lust Mysterien unseres Daseins? Wie könnt ihr sie zu Göttern machen? Eine Leidenschaft, der wir selbständiges Leben verleihen, indem wir uns ihr unterordnen, führt uns aus der Wirklichkeit heraus und geht der Welt verloren. Wir sind nicht Alleinbesitzer unserer Gefühle, Wünsche und Gedanken: die ganze Menschheit hat Anteil daran; sie wird einst Rechenschaft fordern. Freilich, wenn wir den Menschen die Schätze unserer Seele geben wie der Reiche dem Bettler das Gnadenbrot, verderben sie uns noch unter den Händen. Ist doch nichts im Herzen unser eigen, solange wir's nicht verschenkt haben. Mit dir und deiner Seele wandert dein Schicksal: die Menschheit ist deine Heimat, und du bist nicht zu Hause in deinem Herzen, wenn du nicht in anderen wohnst. Was wir nicht lieben, bleibt uns fremd; was wir lieben,
El
—
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
~B
wird unser. Nun sieh zu, ob du ewig ein Fremdling bleiben oder dir ein Heim gewinnen willst. Manchmal, wenn wir die Reichen der Welt vergeblich um ihre Schätze bitten, tritt ein arm Bettelkind hinter der Hecke hervor und schenkt uns die Krone des Lebens. Als ich das verlor, was ich für das Beste meines Daseins hielt, hab' ich in einem Winkelchen meines Herzens meine ganze Zukunft gefunden. Die Scheu, sich frei hinzugeben, entspringt bei vielen Menschen aus dem Bewußtsein, noch nicht innerlich reif zu sein. Wir sind freilich alle in keinem Momente des Lebens am Ende mit der Entfaltung unserer Seele, und wer im Besitze der absoluten göttlichen Wahrheit zu sein glaubt, umgibt die ewige Jugend seiner Seele mit Kerkermauern: aber es ist das Leiden zarter Gemüter, diese stetige Unfertigkeit immer schwerer empfinden zu müssen als die Fortschritte, die ihr Wesen auf dem Wege zum Sein gemacht hat. Auch sind sie im Recht, solange sie ihre Zurückhaltung der Welt nicht entfremdet: die tiefsten Geheimnisse deiner Seele sollst du nur den Besten anvertrauen; denn wer sie leichtfertig anfaßt, wird ihr Gold zerbrechen. Aber der dauernde Zweifel ist im Grunde ein Fliehen der Seele vor sich selbst; und wenn die Erkenntnis sie nicht einholt, hört auch die Flucht nicht auf. Der Skeptiker läuft seiner Seele nach, und weil er sie nicht fassen kann, leugnet er sie schließlich. Dann will er die anderen Menschen auch um ihre Seele betrügen. Überall im Leben suchen wir uns selbst; denn alles, was nicht aus den Tiefen unseres eigenen Gemütes geboren wird, ist feindliches Schicksal. Nicht von äußeren Dingen dürfen wir unser Glück erwarten, wie die Sterngläubigen, die sich von den Astrologen ihren Lebenslauf
El
— Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
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berechnen lassen; sondern wir müssen die Welt mit unserer Sehnsucht beschenken, so bereichern wir auch unser eigenes Gemüt. Birgt ein Gedanke oder ein Ereignis eine Wahrheit in sich, so müssen wir sie lieben und umwerben. Der Lügner verspottet seine eigene Seele, die in der Wahrheit und Ewigkeit wohnt. Vor der Türe deines Herzens stehen die Wünsche deiner Sehnsucht: Bettler und Könige, Fürsten und Diebe; aber mancher König kommt im G e w ä n d e des Bettlers, mancher Dieb ist fürstlich angetan. Die Wahrheit mag oft schmerzlich sein: sie birgt dennoch allein den Frieden unserer Seele. Man sagt: das Schicksal kümmert sich nicht um Tugend und Wahrhaftigkeit, es zermalmt den Gerechten wie den Bösen. Aber dies Schicksal ist eben die Schuld der Menschheit und zugleich auch das Problem, das mit der reineren und kräftigeren Entfaltung mehr und mehr verschwinden wird. Wo die Erkenntnis und der Wille hinreichen, da stirbt das Schicksal. J a , es wird sterben. Zeiten der geistigen Reaktion dürfen nicht irre machen. Man kann sagen: die Entwicklung der Menschheit gleicht einer Springprozession: zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. Aber freilich, das Sein ist unendlich, die Idee wohnt in der Ewigkeit. An keinem endlichen Zeitpunkt wird Wahrheit und Recht restlos verkörpert, die Entwicklung der Menschheit abgeschlossen sein. Und s o gilt's auch für das Leben des Einzelnen: seine Seele ist nie fertig. Der Gesang des Lebens tönt aus den Werken der Suchenden, aber die Stimme des Todes klingt durch die Taten der Selbstsicheren, Vollendeten. Nur wer recht lebhaft den Mangel seiner Seele empfindet, dem wächst auch die Kraft, welche den Reichtum gebiert. Wenn a b e r deine Seele gesättigt ist und will dich nimmer begleiten
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
:B
— s o weise sie von dir und zeuge dir eine neue, schönere, welche Sehnsucht kennt und dich wandern heißt. Sogar ist jede gestillte Sehnsucht und jeder erfüllte Wunsch zugleich immer ein Verlust und ein Tod der Seele, wenn ihr nicht daraus ein neues, kräftigeres Verlangen erwächst. Der sittliche Fortschritt des Einzelnen besteht nur darin, daß er sein Begehren immer mehr dem Unendlichen, Ewigen zuwendet und vom Vergänglichen abkehrt. Das ist aber der Segen des Leides: das Glück sättigt, das Leiden erweckt die Seele. Du weißt nicht um deine Seele, solange das Leid sie nicht berührt hat; du kennst die Heimat deines Herzens nicht, wenn dein Wunsch stirbt im Arme der Zeit und Endlichkeit. Ich ging in der Dumpfheit meines selbstsüchtigen Wesens und wußte nicht, was in mir ist; da beugte sich das Leid über meine Stirne und küßte mich, daß ich erwachte, und sein Kuß brennt heiß in meiner Seele. Kennte ich den güldenen Palast der Träume, in den die S o r g e nicht eindringen kann, ich würde ihn meiden; wüßte ich den Weg zur Hütte des Friedens, in der es keine Schmerzen gibt, ich wollte ihn nicht wandern. Was weiß der von Herzensfreude, der nie am Leben gelitten hatl Die Stimme der Not und die Stimme des Glücks lebt in der Seele der Kämpfenden; und wem die eine schweigt, der versteht die andere nimmermehr. Verachte nicht das Leid, sondern sprich zu ihm: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! In der Einsamkeit war ich mir nah, da zogen durch meine Seele die Geister der ungestillten Wünsche und die Gestalten der erduldeten Schmerzen; aber ich fürchtete mich nicht mehr, denn ich hatte ihren Sinn begriffen. An jedem Erlebnis kannst du dir der Unendlichkeit des Seins bewußt werden: aber du rettest in ihm nur
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
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das endliche Teil deiner Seele der Ewigkeit, das du mit Bewußtsein durchdringst und mit deinem ganzen Wesen erfüllst. Sieh zu, ob die Worte, die du sprichst, und die Handlungen, die du vollführst, zu dir zurückkehren, oder ob sie dir fremd werden, sobald sie das Haus ihrer Geburt verlassen haben; du mußt in deinen Werken leben wie deine Werke in dir. Wie oft erkennst du die Wirklichkeit deiner Gedanken erst, wenn du sie in die Fremde geschickt hast; aber dann bedenke, ob es noch deine Wirklichkeit ist und ob du an ihr wachsen kannst. Das, was wir zum Guten und Wahren gestalten, ist unsere Wirklichkeit, aber wir umfangen das Nichtsein, als hätte es Leben, und opfern einem Gott, der keine Seele hat. Ist doch Gott nicht außer uns, sondern das Ziel unserer Sehnsucht. Wenn wir es nur vermöchten, in all unseren Werken voll und ganz gegenwärtig zu sein, daß sie aus ungeteilter Seele geboren würden — unser Weg zu Gott würde schmerzlicher, aber auch reicher und kürzer sein. Alle Begriffe, die nicht vom Letzten deiner Seele Besitz ergreifen, bleiben auf der Stufe der bloßen Vorstellung stehen. Vertraue dein Gemüt der Wahrheit an, wenn du teilhaben willst an der Geburt des Göttlichen, und bewahre dir die Demut der Erkenntnis. Denn im Grunde genommen ist es immer die Wahrheit, die sich selbst erkennt. Wer das Göttliche in der Wirklichkeit seiner Seele nicht findet, der soll bedenken, daß die Wirklichkeit seiner Seele nicht seine ganze Seele ist. Wir ringen mit der Unrast unserer Seele um Gottes Ruh'. Denn als einen Garten des Friedens und der Ruhe denken wir uns das Sein der Idee, dem wir zustreben: er wäre uns nicht zum Segen. Daß die Menschen sich den Traum eines verlorenen Paradieses ersonnen haben, ist ein Beweis ihrer Bestimmung zum Guten: ein Wieder-
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- Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
z •
erinnern ihres wahrhaften Wesens. Aber sie sprechen die Sprache der Kinder und Dichter: Blühet ein ewiger Frühling, hinter goldenen Gittern leuchten viel rote und blaue Blumen und ein ewig heiterer Himmel drüber hin — du schreitest wie über die Sterne; der Odem Gottes weht dir durchs Herz und du weißt nichts vom Wirken der Stunde. Da klingt deine Sehnsucht wie Glockengeläut in die ewige Stille aus . . . S o mögen die Dichter träumen. Aber die Ewigkeit ist nicht jenseits der Zeit als deren Ruhe und Stillstand, sondern in der Zeit und im Wirken, Wollen und Leiden. Weil das Sein unendlich ist, so ist auch unser W e g zu Gott unendlich. Wir gehen oft mit allen Kräften unserer Seele und der schweren Sehnsucht unseres Herzens'einem endlichen Ziele nach, weil wir glauben: in ihm sei die ewige Liebe geborgen, nach der wir alle dürsten. Und wenn wir's erreichen, so sehen wir, wie tot das alles ist und vergangen, und wie wir uns selbst nicht verstanden haben. Dies ist auch ein Gewinn: denn wir haben uns verwandelt', wollen hinfort nicht mehr besitzen und genießen, sondern suchen und schaffen. Und ein Stücklein Liebe lacht uns entgegen, wo wir's nicht hofften. So schenkt uns die Ernüchterung eine innigere Begeisterung. Die Verwandlungen der Welt sind im Grunde genommen die Selbstverwandlungen unserer Seele. Der Versuch des Geistes, eine endliche Form der Vernunft an Stelle der Idee zu setzen, wie er überall vom Dogmatismus unternommen wird, führt schließlich dahin, daß sich die Vernunft in j e n e r Form selbst fremd wird: denn der Geist geht den Problemen nach und läßt das Gewordene hinter sich. Die Wirklichkeit ist nicht immer da, wo wir sie zu sehen und zu fühlen glauben. Es gibt kein so gering Ding auf Erden, daß seine Er-
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~ Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
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kenntnis d e r Seele nicht nützlich w ä r e , und die vers u n k e n e G l o c k e der ewigen Liebe klingt dem S u c h e n d e n allüberall a u s dem M e e r e d e s Lebens. Manche Ereignisse und E r l e b n i s s e w e r d e n a b e r erst in der E r i n n e r u n g unser e i g e n : sie bedürfen der s e e lischen Einsamkeit, und ihr T o d ist ihre wahrhaftige G e burt. S o sollten wir überhaupt zuzeiten einmal die S e e l e zurückrufen, die am T a g e des L e b e n s w i e ein Vogel umherfliegt von Ast zu Ast, und sie b e f r a g e n : hast du Schätze gesammelt f ü r die E w i g k e i t ? A b e r solcher Eri n n e r u n g folge neue Ausfahrt. D e n n w i e Antäus durch B e r ü h r u n g mit seiner Mutter E r d e immer w i e d e r n e u e Kräfte g e w a n n , so bedürfen wir d e r B e r ü h r u n g mit dem Leben in Lust ünd Leid. D a s Leid leuchtet e b e n s o w i e das G l ü c k : a b e r nicht j e d e S e e l e reflektiert s e i n e Strahlen. Wenn du in einem D i n g o d e r Ereignis nur d e i n e Vergangenheit wiederfindest o d e r deine G e g e n w a r t , s o verweile nicht zu lange bei ihm: es muß dir verkünden, w a s du w e r d e n willst. Ich umfing die G e g e n w a r t mit meiner S e e l e , da w a r d ich mir selbst entfremdet; ich brachte mein Herz der Zukunft dar und habe mich wiederg e f u n d e n . E s versinkt alles, w a s du hast, wie ein Stein im Meer, und du kannst es nicht halten. Ich sah die Zeiten auffliegen aus dem lichten G a r t e n der Zukunft, und sie w a r e n w i e Vögel und breiteten ihre Schwingen weit und beschatteten das Land u m h e r ; und folgte einer dem a n d e r e n . Die Menschen a b e r wandelten in ihrem Schatten und achteten nicht, w o h e r sie k a m e n . Nein, sie schritten ihnen nach ins Reich der D ä m m e r u n g und Dunkelheit, und w a r e n nur w e n i g e , die lockte der Glanz der Zukunft, daß sie der Schar e n t g e g e n g i n g e n . W a s ist die Zeit? Wir nehmen Abschied und bleiben uns nah; wir sind zusammen und kennen uns nicht. Ist
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
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es denn die Zeit und der Raum, welche die Seelen verbinden und trennen? Ein Wort, das die Liebe zu dir sprach und du liebend empfingst, geht nimmer verloren. Es mag wohl versinken in dem Schacht deiner Seele wie in einem tiefen B r u n n e n : aber die Sehnsucht wird's heben, wenn seine Zeit gekommen ist. Manchmal vollzieht sich die Vereinigung zweier Herzen in einer Dämmerung des Lebens, so daß, wenn die Erkenntnis und das Wissen den wechselseitigen Besitzstand des Seins enthüllt, die Hände schon verschlungen sind; und dann schaden auch die Kontraste nicht mehr und die Widersprüche; denn sie sind ja schon gehoben und aufgelöst, ehe sie nur ausgesprochen wurden. Aber es ist auch hier nicht ein außerweltliches Schicksal, welches die Menschen zusammenführt, sondern ihre eigene, gemeinsame Sehnsucht nach dem Guten und dem Sein. Gute Gedanken spiegeln sich in reiner Seele wie die Sterne im klaren Waldsee; und doch auch wieder nicht, denn kein Schicksalssturmwind vermag ihr Bild zu trüben.
BS
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Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen Selbstes. „Wenn ich dich, meinen Gott, suche, so suche ich das selige Leben. Ich will dich suchen, damit meine Seele lebe." Augustin. Jede
gute Tat
sich s e l b s t , eigenen
ist
eine
Einkehr
des
und j e d e s Gottverlangen
Zukunft.
Denn
nicht
Menschen
ein R u f
bei
nach
der
wir
uns
anders k ö n n e n
suchen oder finden, denn indem wir aus uns wirken im Dienste
der
Menschheit.
Wenn
wir
die
Hand
l a s s e n , die unser B r u d e r uns e n t g e g e n s t r e c k t , ans
Herz zu
ziehen,
u n s e r e s ewigen S e i n s .
so
verlieren
wir auch
fahren
statt an
ihn
Boden
W a s suchen wir in G o t t anderes,
und w a s verlangen wir von ihm, als daß er dem Guten in
uns zu dauernder
wird
nicht
danach greifen.
kann.
sondern
w i r zu Gott.
das E w i g e
im
verhelfe?
als
indem
Aber
wir
das
handelnd
Denn Gott ist nicht außer der Vernunft
und dem W i l l e n , wollen
Wirklichkeit
anders g e s c h e h e n ,
wenn
wir
das
Und dies Wollen
Menschen,
das
die Zeit
Gute
wollen,
allein
ist
nicht
zerstören
W e r sich von der W e l t abkehrt, der soll
daß er sich auch von Gott
abkehrt.
Nicht
als
auch
wissen, ob
die
Welt schon göttlich, d. i. gut w ä r e , a b e r sie soll's werden, oder:
Gott
will
wirklich
werden.
Und
dies
ist
kein
G e b o t , das dem Menschen fremd s e i ; denn w e r nur sein wahrhaftes S e l b s t sucht, der g e w i n n t
Gott.
•
Von dem Begriffe Qottes Aber j e
von
uns.
habe
0
m e h r w i r G o t t finden, d e s t o w e i t e r flieht e r W e r glaubt,
vollendet,
er
solange
dürfe nun
er
in R u h e sein
noch a t m e t ,
der kehrt
von G o t t und s c h e i d e t sich von sich s e l b s t .
Denn
und sich Gott
ist Idee, d. h. e i n e e w i g e Aufgabe, die sich s t e t s erneut. Und
wessen
Seele
noch
so
reich
ist
an
Wissen
F ü h l e n , d e r bleibt doch im E n d l i c h e n , und d a s
und
Einzige,
w a s d a r ü b e r hinausreicht, ist der Wille, d e r d a s U n e n d liche
sucht,
denn
er
ist
selbst
unendlich,
und
die
k e n n t n i s , d i e ü b e r das G e g e n w ä r t i g e h i n a u s s t r e b t . sein
ErWer
S e l b s t im E n d l i c h e n e r s t i c k t , indem e r sich dauernd
zu besitzen g l a u b t , raubt auch G o t t s e i n e E w i g k e i t
und
Unendlichkeit. D i e M y s t i k e r haben oft G o t t g e s c h i l d e r t , als w ä r e e r j e n s e i t s d e r V e r n u n f t , und
h a b e n alle P r ä d i k a t e
k e n n e n s und W i s s e n s von ihm fern
halten
ist zu v e r s t e h e n , weil s i e das W i s s e n selbst
endlich
dachten.
Sie
sahen
des
wollen;
und d i e
den
Vernunft
Menschen,
fühlten und d a c h t e n : ist d a s nicht ein e n d l i c h e s Ist
also
Aber
nicht
die
auch
sein
Erscheinung
Geist
endlich
des Menschen
und
und
begrenzt?
der
Vernunft
und die g a n z e V e r n u n f t ,
dern
die
in
vom
blinden
Gottvertrauen;
muß s e h e n d w e r d e n . Ausdruck
für
den
der Zukunft. aber
das
Gottvertrauen Glauben
an
Man
taugt
sie
Wesen?
ist nie der g a n z e M e n s c h sucht der W i l l e
Erdas
son-
spricht
nichts;
es
ist nur ein f r o m m e r
den
Sieg
des
Guten;
w e n i g s t e n s ist das das e t h i s c h e M o m e n t d a r i n : ich w e i ß aber wohl, das
Amt,
daß des
mancher es so versteht, Gläubigen
w o h l zu b e w a h r e n
zeitliches,
als h a b e
vergängliches
und v o r L e i d e n zu hüten.
Gott Ich
A b e r das
Ich muß g e s t o r b e n s e i n , w e n n das S e l b s t s o l l z u m L e b e n kommen. nur
in
der
D a s Ich
isoliert,
Menschheit
lebt
das S e l b s t das
Selbst.
verbindet. Die
Idee
Und der
•
•
Von dem Begriffe Qottes
Menschheit ist die' Idee G o t t e s .
W e r nicht an den Men-
schen glaubt, der glaubt auch nicht an Und w i e nun
die einen
und des S e i n s l e g e n ,
weil
Dasein nicht aufgeht,
so
Gott.
Gott j e n s e i t s
der Vernunft
s i e wohl s e h e n ,
daß er im
möchten die andern die Natur
an seinen Ort stellen und wollen nichts außer dem Dasein der Natur a n e r k e n n e n . Böse
und den
Irrtum
Wenn s i e a b e r alsdann das
und die S c h m e r z e n in der Natur
s e h e n , s o sagen s i e , die Natur sei nicht mehr natürlich genug
und
lassen
so
Gott
von
sich
selbst
abgefallen
sein, denn sie meinen, im Anfang, als alles noch Natur war, so g a b e s g a r kein L e i d ,
kein Mißgeschick; da w a r die Natur göttlich. hat denn die Natur also v e r d o r b e n ?
wahre
k e i n e S ü n d e und Aber w e r
S i e verkehren
den
Weltlauf: denn das ist das Ziel der W e l t und des Menschen,
daß er die
Sünde
und
das alles .entfernen
soll
aus dem Dasein und die Wirklichkeit immer reicher und reiner gestalten.
Und s o ist's auch nicht, daß die Natur
sich s e l b e r hülfe, sondern der G e i s t und der Wille schafft die Natur, und der G e i s t
und der Wille
sind
unendlich
wie das S e i n . Und s o wird G o t t vom Menschen geschaffen, so gewiß es ist, als der Mensch die Idee der Menschheit verwirklicht.
Und doch kann m a n ,
recht verstanden, auch
sagen, der Mensch w e r d e von G o t t geschaffen; denn der Wille zum Guten des Menschen.
schafft Aber
und enthält
der Wille
das sittliche
lebt
in
der
Sein
Zukunft;
und die Zukunft ist realer als die vergängliche Wirklichkeit, wird.
die
sie
Man
selbst
kann
gebar
und
nicht s a g e n :
immer w i e d e r Gott
kommt
gebären
zum
Sein,
sondern er kommt zum D a s e i n ; denn seiend ist er allerwege,
wejl das S e i n eben die Idee
endung der Zukunft.
ist,
d. h. die Voll-
•
Von dem Begriffe Gottes Es
kein
ist auch
recht zu s a g e n :
du
B i l d machen o d e r G l e i c h n i s ;
k a n n man nicht s c h a u e n . bilden durch u n s e r e Und
was
=
=
=
sollst denn
=
=
=
=
=
dir von
die
gj
:
Gott
Vollendung
Und dennoch s o l l e n w i r G o t t
Werke. Ich
nie
göttlich i s t ; und w a s
uns n i e d e r s c h l ä g t , i s t ,
uns w i e d e r aufrichtet, d a s ist,
daß
u n s e r S e l b s t in G o t t
ruht.
E s gehen viele W a n d e r e r aus, s i n d die R e l i g i o n e n Engherzigkeit
zu
fragen:
sei.
D e n n in allen
alle
sind
Schaden die
ein Z e u g n i s .
unser
G o t t zu s u c h e n ;
des
E s ist W i d e r s i n n
und
Religion
die
lebt die S e h n s u c h t zum
nur
Versuche,
aller
Religion
unwandelbare
welche
daß
Gott ist
zu
das
Lehre;
denn
richtige
Unendlichen, Aber
der
geschriebene Wort
ergreifen.
und
sie
verendlichen
Gott.
R e l i g i ö s e T o l e r a n z ist k e i n e T u g e n d , s o n d e r n e i n e P f l i c h t . Nur, w e r sein Ich für göttlich hält und d a s a b s o l u t G u t e zu b e s i t z e n g l a u b t , k a n n i n t o l e r a n t
sein.
W e r a b e r recht g e s e h e n hat, der sah, d a ß die W i s s e n schaft und die G e m e i n s c h a f t E s ist schon
recht, w e n n
Gott
selbst,
in
uns
d e r rechte W e g zu G o t t ist.
der Mystiker sagt: wir
aber
er
irrt,
wenn
tragen
er dies
Selbst
u n a b h ä n g i g von der M e n s c h h e i t d e n k t : da hat d e r M e n s c h k a u m s e i n Ich zu e i g e n .
Und
wir
tragen
Gott
nur a l s
A u f g a b e in uns. W e r sich den M e n s c h e n die M e n s c h h e i t . leidet
Gott.
der g e w i n n e t
sich
W e r für die M e n s c h h e i t leidet, in
dem
Nur
wer
K r ä f t e in den D i e n s t
schenkt,
all
sein
Besitztum
der M e n s c h h e i t s t e l l t ,
und
seine
entzieht
sie
der Vergänglichkeit.
W e n n G o t t das unendlich f e r n e Z i e l
der
des
Erkenntnis
und
Willens
ist, s o
ist
Erkenntnis
und W i l l e das e i n z i g e Mittel, sich G o t t zu n ä h e r n . d a h e r von G o t t reden Immer,
die
Gott
will, muß vom M e n s c h e n von
der
Gegenwart
aus
Wer
reden. ansehen,
• z = = = r
Von dem Begriffe Gottes
0
müssen in irgend einer Form das Böse in seinen Begriff aufnehmen. Denn wenn Gott allbereits da ist und überall gegenwärtig, so ist seines Wesens auch das Unerkannte und der Irrtum; und nicht nur der Irrtum, sondern mit ihm zugleich alle Sünde, alles Böse und der Schmerz und die Leiden und alle Widernisse der Welt. Aber Gott ist nicht im Sturm der Zeit, sondern dieser verjagt und vertreibt nur das Vergängliche. Oder, wer Gott daseiend macht und will ihm doch das Böse fernhalten, der muß ihm einen . Widergott, einen Bösen und Teufel entgegenstellen, der sein Reich beschränkt und seiner Macht spottet. Aber das Böse ist ein Nichtsein und nur das Gute ist, nämlich in der Zukunft und im Sein, nicht aber oder wenigstens nie vollkommen im Dasein. Man sagt: Gott sei unbegreiflich und seine Wege dunkel. Aber es ist nur so, daß vieles, unendlich vieles immerdar unbegriffen ist, aber unbegreifbar ist es nicht, sonst müßte es ein Sein jenseits der Vernunft geben. Und gerade das ist der Wert und die Würde des Menschen, daß er in die Dunkelheit das Licht tragen soll. Aber nie werden die Probleme und also die Dunkelheit völlig verschwinden, weil das Sein unendlich ist. Es ist ein Wachstum Gottes aus der Ewigkeit in die Zeit, d. h. der Fortschritt der Sittlichkeit ist eine Offenbarung Gottes. Je mehr das Gute wirklich wird, desto näher rückt unsere Seele dem Göttlichen. Man hat aber die Offenbarung Gottes teils als Emanation , als Ausstrahlung aller Wesen aus Gott gedacht, teils als einen einmaligen (oder wiederholten) Akt der Gesetzgebung. Wie der Gedanke einer Emanation mag entstanden sein, ist wohl zu begreifen. Man hat die vergängliche Wirklichkeit absolut gesetzt und so dem
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Von dem Begriffe Gottes Bösen
und der S ü n d e e i n e e i g e n e R e a l i t ä t g e g e b e n .
ist G o t t
der Welt
als
das
absolut G u t e
So
überlegen
und
f r e m d ( t r a n s z e n d e n t ) ; a b e r es muß doch, w e n n d e r M e n s c h nicht u n w e i g e r l i c h
dem V e r d e r b e n
und d e r
Verdammnis
a n h e i m f a l l e n s o l l , e i n e V e r m i t t l u n g z w i s c h e n dem P r i n z i p des
Guten
und
der
Menschenseele
a b e r der M e n s c h s e i n e r zeitlichen Natur
an,
und
entwickeln, So
kann
also
denn
die
kann
die
er
Natur
Vermittlung
geben.
Es
sich nicht zum ist
gehört
E r s c h e i n u n g nach d e r Göttlichen
unwandelbar
zwischen
dem
gedacht.
Menschen
in
s e i n e r u n v o l l k o m m e n e n , sündhaften, endlichen Natur dem G u t e n
an sich
werden,
die
wärtig,
doch
Göttlichen
an
nur durch Z w i s c h e n - W e s e n
sich
unveränderlich
durch
ihren
und
verschiedenen
und
geleistet
allzeit
gegen-
Abstand
vom
und die v e r s c h i e d e n e A n t e i l n a h m e i h r e r
Sub-
s t a n z am G u t e n e i n e L e i t e r zu G o t t h i n b i l d e n ; s i e r e i c h e n dem M e n s c h e n eben
die
den T r u n k d e r e w i g e n G n a d e .
Stufen
der
Emanation.
ist natürlich n u r ein s c h e i n b a r e r ,
Aber
D a s sind
dieser
denn
Ausweg
der Mensch
hat
s e i n e S t e l l u n g für a l l e Z e i t und die E n t f e r n u n g zu G o t t wird
durch
die
Zwischenwesen
zwar
ausgefüllt,
aber
nicht v e r r i n g e r t .
Die wahre Emanation Gottes
durch den Willen
und die E r k e n n t n i s d e s M e n s c h e n , d e r
Stufen
baut auf dem W e g zum G u t e n , d e r die
geschieht schlechte
n i e m a l s a b s o l u t e W i r k l i c h k e i t durch i m m e r b e s s e r e W i r k lichkeiten Der
ersetzt. einmalige
„das Wort
Akt
Gottes",
die
der eine
Offenbarung
noch viel mehr W i d e r s p r ü c h e in sich. und
wandelbarer
einer
zu
Endlichkeit
Begriffe sein.
bedienen,
Kann
aufgehen?
aber Und
ist,
durch enthält
M ü ß t e sich
diese göttliche Offenbarung menschlicher, verständlich
Gottes
Gesetzgebung
um das
dann:
doch
also
endlicher
uns
Menschen
Unendliche wo
läge
in das
•
Von dem Begriffe Gottes =
=
=
(3
Kriterium, welche Offenbarung die rechte sei? Darüber müßte doch wieder die menschliche Vernunft befinden. Auch läßt sich jede angebliche Offenbarung Gottes, wie sie in literarischen Urkunden vorliegt, als zeitlich geworden und bedingt nachweisen. Aber von allen diesen Bedenken a b g e s e h e n : so w ü r d e auch dem sittlichen Selbst mit einer solchen Fremdgesetzgebung gar nicht gedient sein, es müßte dennoch ihren Inhalt selbständig aus sich erzeugen und sie so in Selbstgesetzgebung verwandeln. Wenn wir nun so Gott ein Werden und Wachsen in die Welt hinein zuschreiben, so scheint dem die Anschauung aller Völker zu widersprechen, welche Gott Unwandelbarkeit, Selbstgleichheit, Beharren in sich zuschreiben. Aber es scheint nur so. Denn das erste Mal ist das Sein Gottes im Verhältnis zum Dasein gedacht, das andere Mal das letzte Ziel, das Sein an sich, unabhängig von seiner Verwirklichung gemeint. W e r noch über Gott hinaus fragen wollte, woher denn Gott sei, der würde sich selbst nicht verstehen. Denn wie sollte man antworten: aus der Vernunft? Aber Gott ist ja eben die vollendet gedachte Vernunft. Oder aus etwas Außer-Vernünftigem? Aber dann wären wir wieder beim transzendenten Sein, und Gott wäre uns ewig verloren, mit ihm aber auch Wissenschaft und Sittlichkeit. Der Begriff des Seins kommt in Gott zur R u h e : es ist notwendig, daß er der problematischen Lage des Daseins mit seiner Unsicherheit und Zufälligkeit entzogen wird, damit zugleich auch die Sittlichkeit den Angriffen der Skeptiker gegenüber befestigt wird. Kant unterschied den homo phänomenon, den Mensch der relativen Wirklichkeit, vom homo noumenon, dem Menschen der Idee, der das Ewige des Menschen in sich birgt.
•
Von dem Begriffe Gottes
Aber wenn
doch d i e s e s u n s e r e w i g e s W e s e n in der Idee
w o h n t , s o ist e s uns a l s o auch e w i g u n e r r e i c h b a r ? und n e i n . viduum
Denn
jemals
den
füllen, sondern entwicklung ganzer
freilich wird
des
ein
isoliertes
sittlichen
Geschichte.
die
Idee
sucht
Aber und
Selbstes
jeder,
begehrt,
wenn die
w i r uns d e m A u g e n b l i c k
Ewigkeit;
gewinnen Wie
immer,
w i r den die
wenn
hingeben,
wir
die
erFort-
der
von
erreicht
a u c h : d e n n sein D a s e i n w ä c h s t a u s i h r e m S c h ö ß e .
Ja Indi-
die M e n s c h h e i t in d e r unendlichen
ihrer
Seele
Begriff
nicht
sie
Immer,
verlieren
Ewigkeit
wir
suchen,
Augenblick.
endlichen
Götter
allezeit
ihr
Dasein
dem
d o g m a t i s c h e n V e r l a n g e n , das a b s o l u t e S e i n sinnlich w a h r z u n e h m e n , v e r d a n k e n , s o ist auch d e r D u a l i s m u s z w i s c h e n G o t t und T e u f e l , e i n e m A n - s i c h - G u t e n und A n - s i c h - B ö s e n , welcher eine
sich
in
Ausgeburt
den
meisten
dieses
Religionen
Triebes.
So
wiederfindet,
gegenwärtig
dinglich w i e d e r e n d l i c h e G o t t g e d a c h t wird, s o wärtig Sein
sind im
Leid
Dasein
und zu
auch ein Nichtsein spiel d e r
Sünde.
finden
Soll
sein,
innewohnen,
E x i s t e n z und d e s
so
also muß
das
Dasein
ein w e s e n h a f t e s
Wider-
Guten.
Selbstbeurteilung der
Menschen
Nicht als o b das B ö s e ein S e i n
e s ist ein Irrtum d e s W i s s e n s winnt
absolute
dem
A b e r d e r w a h r e T e u f e l sitzt i m m e r in d e s H e r z und G e i s t .
und
sittliche
also
Irrtum
und
gegen-
hätte:
und W i l l e n s ; a b e r in d e r
auch den
Selbstgewinnung Charakter
der
ge-
Sünde.
B ö s e sind nie die M e n s c h e n , s o n d e r n nur g e w i s s e H a n d lungen.
S i e zerstören
und e r s c h w e r e n lung v e r s c h u l d e t ,
e i n e n T e i l d e s sittlichen
Selbstes
den W e g zu G o t t ; a b e r w a s d i e Handkann
auch
die
Handlung w i e d e r
gut-
machen. In allen M y t h o l o g i e n
d e r R e l i g i o n e n wird die S ü n d e
El
~ Von dem Begriffe Gottes
B
als ein Abfall von Gott geschildert, gleichsam als ob es einen Weg ins Nichts gäbe und man das Böse greifen könnte; aber auch in jeder bösen, also sittlich falschen Handlung, steckt ursprünglich ein Begehren Gottes; aber e s verfehlt sein Ziel, weil es das Endliche an Stelle des Unendlichen setzt. Der Strom der Zeit verschlingt alles außer der Wahrheit und der Vernunft; diese zwingen die Zeit. So gewiß unser Ich häufig der Leidenschaft Untertan, der Lust ergeben oder im Schmerz verzagt ist, so gewiß wird es zum Teil der Zeit zum Raube werden; so sicher aber in jedem Ich die Sehnsucht zum Sein lebt, so gewiß wird diese unser sittliches Selbst der Zeit entreißen. Augustin meint, daß nur dem Wesen „ein wahres, echtes, wirkliches Sein" zukommt, „das unberührt durch den Fluß der Zeit stets bleibt, was es ist".*) Das kann man begreifen: denn unser Sein ruht ja in der Unwandelbarkeit unseres Strebens nach der Idee. Nicht die endlichen Formen, in denen sich unser Dasein ausprägt: nicht Lust und Leid, Empfindung und subjektive Gefühle sind unvergänglich, sondern was von unserem Wissen und Wollen im Kulturbewußtsein der Menschheit fortwirkt. Also wer sich im Guten und in der Wahrheit befestigt, der befestigt sich in der Ewigkeit. Spinoza sagt: Nemo potest Deum odio habere, niemand kann Gott hassen.**) Die Erfahrung ist nur scheinbar dagegen. Endliche Götter kann man hassen, den Gott des sittlichen Selbstes, der das Sein der Wahrheit und des Guten ist, nicht; denn, wer diesen hassen wollte, *) R. Eucken: „Die Lebensanschauungen der groOen Denker". 3. Aufl. S. 212—213. **) Spinoza: Eth. Pars V Prop. XVIII.
H
- Von dem Begriffe Gottes
H
der würde sich selbst hassen. Es gibt wohl Stunden, in denen wir unser „Ich" hassen, aber eben nur, weil es dem Selbst entgegen ist. Wir hassen das Nichtsein, und wir lieben das Sein. Eben darum haben auch die Menschen immer die endlichen Götter zu hassen beg o n n e n , wenn ihre sittlichen Ideale über jene Götter hinausgewachsen w a r e n , so daß diese nicht mehr der Ausdruck des sittlichen Seins waren.
II. In den falschen und unsittlichen Theorien des Egoismus, die die Kultur und Sittlichkeit aus dem Selbsterhaltungstrieb o d e r dem Prinzip der Selbstliebe erklären und begreifen wollen, ist nur eben das der Fehler, daß das isolierte Ich an Stelle des sittlichen Selbstes der Menschheit gesetzt wird. Nur der liebt sich wahrhaft selbst, der die Menschheit liebt. Wer mit aller Kraft der Seele der Idee der Menschheit dient, der saugt gleichsam das Gute in sich und erstickt Irrtum und Sünde. Denn das Verlangen nach der Idee ist zugleich der Wille zur Einheit. Alle Sünde und aller Irrtum t r e n n e n , weil sie ein Nichtsein enthalten. Je stärker unser Wunsch wird, unseren Brüdern die Hand zu reichen und eine Gemeinschaft des sittlichen Seins zu erbauen, desto mehr werden wir also der Sünde und dem Irrtum entgegenarbeiten. Woher entspringt z. B. der Neid ? Dadurch, daß wir unser Ich dem Ich des Mitmenschen selbständig gegenüberstellen und ihm absoluten Wert verleihen. Was w i r nicht erleben, was nicht in der engen Welt unseres vergänglichen Ichs widerhallt, in Lust und Leid unsere Brust durchzieht, das scheint uns verloren zu sein und unser Selbst nicht zu berühren. Wenn wir
El
—
Von dem Begriffe Gottes
El
nun bedächten, daß wir unser Selbst nur am Mitmenschen gewinnen können! So untergräbt der Neid unser sittliches Selbst. Wo wir aber einen rechten Freund im Glücke sehen, da beneiden wir ihn nicht, sondern wir freuen uns seines Glückes und gewinnen so selbst einen Anteil daran. Also erhöhen wir durch diese Mitfreude unser sittliches Selbst und dienen Gott. Und hierher gehört auch, was Goethe in seiner Selbstbiographie sagt: „Die reinste Freude, die man an einer geliebten Person finden kann, ist die, zu sehen, daß sie andere erfreut".*) Es schlingt sich so ein Band der Gemeinsamkeit um die Herzen, das auf der Liebe zum Guten beruht. Was wir an anderen Menschen lieben, ist, wenn wir wahrhaft lieben, das Große und Gute in ihnen. Dies aber ist allen Menschen ein gemeinsames Ziel des B e g e h r e n s , und wir freuen uns, wo es in die Erscheinung tritt. Wenn es also der Affekt ist, z. B. die Liebe, welcher uns zur Idee Gottes hintreibt, so ist es umgekehrt die Idee, welche den Affekt reinigt und läutert. Die Liebe, oder besser: das Begehren, das zum vergänglichen Ich zurückkehrt und bei ihm endet, ist wie das Stammeln eines Kindes, dessen Sinn man noch erraten muß; oder wie ein vergänglicher Schaumkamm auf bewegtem Meer, der nur auftaucht, um nutzlos zu versinken. Dies ungeklärte Begehren verstärkt und häuft mehr die Not und Wirrnis des Daseins, als daß es die Seele befreit. Wer aber im anderen sein Selbst zu lieben gelernt hat und so seine Liebe in der Idee befestigt, den hebt sie über sich und läßt ihn von tausend Mängeln genesen. Wenn wir uns feindselige Götter schaffen, dürfen wir *) Gelegentlich der Schilderung Friederikens.
B
Von dem Begriffe Gottes
H
uns nicht w u n d e r n , d a ß s i e uns f e i n d s e l i g b e h a n d e l n . ist
uns
die G e g e n w a r t
u n s e r e r Zeit in s o uns
mit
Netzen der
tausend
mancher Sorgen,
d e s Irrtums
Lust.
Wollen
und
Wollen
die
ungewisse
Hinsicht e n t g e g e n , fängt
und
bindet
wir
ihr
unseren
bestürmt
Geist
den W i l l e n
unseren
Gott
in
mit
Nun
Wirklichkeit; bei
ihm
bei
der
stehen
ist
aber
auch
wenn
wir
sie
anvertrauen?
beginnen.
Es
ist
Unmittelbarkeit zu
bleiben.
u n s e r Ich
bessern
wieder-
ein Teil
wir
jener
wollen, mögen
uns auch g a r nicht
unserer
Wenn
den
Banden
w i r hoffen, in ihr u n s e r s i t t l i c h e s S e l b s t
zufinden?
Nun
Wirklichkeit
wir
möglich,
problematischen uns
an
sie
Lage
heften,
so
führen w i r ein A u g e n b l i c k s d a s e i n und taumeln w i e T r u n kene vor
aus uns
einer Welt blicken
und
Nüchtern laßt
uns
u n s e r e S e e l e an d e r Zukunft
ent-
in die a n d e r e .
z ü n d e n ; denn d o r t ist u n s e r e w a h r e
Heimat.
E s sind a b e r n u r z w e i Mittel, d i e U n s i c h e r h e i t u n s e r e r L a g e zu b e e n d e n o d e r doch m e h r und m e h r e i n z u s c h r ä n k e n : d e r F o r t s c h r i t t in d e r t h e o r e t i s c h e n E r k e n n t n i s d e r W i s s e n schaft, w e l c h e r u n s e r e W e l t e r w e i t e r t und uns s t e t s n e u e Provinzen
d e s S e i n s zuführt, und d i e sittliche H a n d l u n g ,
w e l c h e uns den s i c h e r e n G e s e t z e n d e r G e m e i n s a m k e i t vertraut. Sein
an-
Und w e n n e s s c h e i n e n w o l l t e , d a ß d a s sittliche
in einen G e g e n s a t z zur natürlichen W e l t g e r i e t ,
man die Natur a l s e t w a s F r e m d e s , dem i n n e r s t e n des Menschen
F e i n d l i c h e s a b w e i s e n müßte, um zum
lichen
zu
Selbst
gelangen,
so
zeigt
sich
daß
Wesen sitt-
vielmehr
bei
tieferem E i n d r i n g e n , d a ß g e r a d e der S t a n d p u n k t des Idealism u s uns die Natur w i e d e r g e w i n n t .
E s s o l l j a nur
jetzige,
zufällige W i r k l i c h k e i t nicht a l s ein letztes
gendes
und
sich
absolutes Sein
vielmehr
geben,
als
hingestellt
in i h r e r p r o b l e m a t i s c h e n
etwas,
das
dem G e i s t e
werden; A r t zu
die
zwin-
sie soll erkennen
nur s o l a n g e
fremd
•
Von dem Begriffe Gottes
•
bleibt, als er es nicht aus sich selbst gebiert und mit seinen Gesetzen erfüllt und sichert. Niemals kann wahre und echte Wissenschaft der Sittlichkeit entgegen sein, vielmehr, j e genauer die Wissenschaft das theoretische S e i n zu erzeugen und auszusprechen vermag, desto energischer wird sie der Verwirklichung der Idee vorarbeiten. Aber wie die Wissenschaft, die Unendlichkeit des S e i n s niemals restlos bewältigen wird, sondern wie sie immer neue P r o b l e m e aus ihrem eigenen S c h ö ß e gebiert, j e mehr P r o b l e m e sie der Lösung zuführt, s o ist auch die Natur niemals der restlose Ausdruck des S e i n s und kann daher niemals als Maßstab der Sittlichkeit genommen werden. F ü r den Einzelnen wie für die Gesamtheit ist es von der größten Bedeutung, j a geradezu eine sittliche Lebensfrage, sich immerdar der Problematik des Daseins bewußt zu bleiben. An keiner S t e l l e zu rasten, gönnen uns die Götter; alles, was wir erschaffen, ist nur ein Anfang. Wenn uns das Dasein unter den Händen erstarrt, erstarrt unsere S e e l e . Das, was wir noch nicht sind, was aber im Willen lebt, ist unser wahres W e s e n ; was wir aber zur Zeit sind, ist nur sein Schatten. Aber nicht Träume und selbstsüchtige Wünsche können den wahren Inhalt unseres Willens und W e s e n s bilden, sondern Vernunftgesetze, die das Denken erkannt und denen der Affekt zustrebt. Die Vernunft spricht durch Begriffe, nicht durch Vorstellungen, Empfindungen und Gefühle. Immer sind Empfindungen und Gefühle nur Fragen nach dem S e i n , welche die Vernunft und der Wille beantworten muß. Aber durch die S e e l e des Menschen fluten so oft mehr Wellen der Leidenschaft, als er zu zwingen vermag; nun gilt es, das S t e u e r nicht zu verlieren, wenn die W a s s e r j e n e s chaotischen Meeres den Nachen des Gemütes schaukeln und zu ver-
•
Von dem Begriffe Gottes
•
schlingen d r o h e n . Und wenn wir dennoch Schiffbruch leiden, s o gilt's ein neues Boot zu zimmern und mit neuen Kräften zu neuer Fahrt. A b e r ist nicht endlich und schließlich der Mensch zu klein und zu s c h w a c h , die Reise zu vollenden, die Idee der Menschheit, w i e sie sich der E r k e n n t n i s immer reiner, immer g r ö ß e r darstellt, zu verwirklichen und so in G o t t e s Reich, als in seine w a h r e Heimat, e i n z u g e h e n ? Die Religion ist mit dem T r o s t bei der H a n d : G o t t e s Liebe wird uns f ü h r e n , G o t t e s G n a d e dem Strauchelnden hilfreich sein. D a s ist ein Verzweifeln am Menschen, ein P r e i s g e b e n d e s Ideals, das uns der T r a n s z e n d e n z rettungslos in die A r m e wirft. Aber die Stimmung ist wohlbegreiflich. Es ist s o bitter, dem Ich zu e n t s a g e n ; es ist so schwer, an eine Zukunft zu glauben, an welcher der Einzelne nicht mehr in dem S i n n e teilhat, daß er ihre F r e u d e n und Leiden s e i n e r kleinen Wirklichkeit einverleiben könnte. Es muß doch e i n e Macht g e b e n , außerhalb der E n g e meines bewußten Lebens, ein Sein, das nicht den S c h w ä chen meiner Individualität unterliegt und mit s e i n e r Kraft rettet, w a s ich verloren g e b e und entbehre. „Kommt uns nicht eine B e w e g u n g aus dem All e n t g e g e n , wird uns nicht von d a h e r ein n e u e s Leben mitgeteilt, daß nur ergriffen und a n g e e i g n e t w e r d e n braucht, s o ist alles menschliche Mühen verloren, so ist alles, w a s etwa nach j e n e r Richtung hin von der weltgeschichtlichen Arbeit u n t e r n o m m e n ist, unfundiert und schließlich illusorisch".*) (Eucken.) D e m g e g e n ü b e r ist es ein tapferes W o r t , welches Spinoza a u s g e s p r o c h e n hat: „Qui Deum amat, conari non*) R. Eucken : „Der Wahrheitsgehalt der Religion". Sp. 1901, S. 227.
•
: Von dem Begriffe Gottes
- El
p o t e s t , ut Deus ipsum contra a m e t " (Eth. P a r s V. P r o p . X I X . ) „ W e r Gott liebt, kann nicht verlangen, daß Gott ihn w i e d e r liebt".
Denn darin l i e g t : D i e Aufgabe d e s Einzel-
lebens und der Menschheit löst sich nicht von s e l b s t ; es ist j a
niemand
da, auch kein g ü t i g e r G o t t , der unsere
Arbeit für uns täte. ein S t r e b e n
D a s S t r e b e n zu Gott muß durchaus
vom S u b j e k t
zum S e i n ,
eine
Überwindung
der Einzelheit durch die Allheit, ein Suchen und Ergreifen der E w i g k e i t und des Unendlichen sein. D a s S e i n wandert nicht zu uns; es kommt uns nicht entgegen, sondern vor der
wissenschaftlichen
Aufgabe
und
und sittlichen
nur Aufgabe.
Erkenntnis
Dennoch
ist
es
ist auch in j e n e r
Meinung von der L i e b e G o t t e s , die sich freundlich zu uns neigt, ein richtiger Es
Kern.
ist der G l a u b e und das Vertrauen auf den
des Guten, welches sich s o offenbart. und
dies Vertrauen
sind
die
Sieg
A b e r dieser G l a u b e
einfache
Konsequenz
des
G l a u b e n s an die Vernunft und die Vernünftigkeit des S e i n s . J e n e B e w e g u n g , die uns sucht, ist nicht vorhanden; w e r da suchet, der wird finden. sind
uns
wenn wie
wir auch
nicht w e s e n s f r e m d : uns ihnen
wir
nahen.
der Standpunkt
aber
D a s S e i n und das Gute ergreifen
Man
sieht
Euckens
das
uns
selbst,
recht deutlich, Gute
und
das
S e i n , wenn auch noch s o s e h r vergeistigt und dem M e n schen angepaßt, doch als ein v o r und j e n s e i t s der Kulturarbeit
der
Menschheit
existierendes
Bestehen
wir nun, will's Gott, einmal finden werden. e r nicht wiir? es
steckt
noch
läßt,
Dann ist eben alle Arbeit illusorisch! mehr in dem W o r t e S p i n o z a s ,
haben es schon ausgesprochen.
und
Ja, wir
V e r l a n g e n und begehren
kann und soll man freilich die L i e b e G o t t e s nicht; doch finden,
das
Und wenn
man
wird sie
wenn
man
die Menschheit nur recht herzlich liebt.
aber
man ihn, d. h. wenn Wer
aber
•
•
Von dem Begriffe Gottes
d e r M e n s c h h e i t s e i n e D i e n s t e weiht, damit e s ihm wohl ergehe —
selbst
d e r wird G o t t e s L i e b e nicht finden, denn
e r i s t , im G r u n d e g e n o m m e n , herausgekommen.
nicht
aus
dem
W i e a b e r die Idee auch
Egoismus
rückwirkend
uns s e l b s t v e r e d e l t und uns s o u n s e r e L i e b e l o h n t ;
wie
w i r u n s e r e n Halt und T r o s t in ihr finden, ist s o oft gesagt worden.
Wer
L i e b e gibt, wird L i e b e finden.
Wir
s u c h e n nach e i n e r M a c h t , die uns stützen und helfen s o l l : s i e ist uns in d e r M e n s c h h e i t g e g e b e n . immer lange
Nur s o l a n g e man
n o c h den E i n z e l n e n in der I s o l i e r u n g d e n k t , man
noch
nicht e i n g e s e h e n
hat, d a ß w i r
so-
wirklich
und w a h r h a f t i g überhaupt zu k e i n e m sittlichen S e l b s t und S e i n g e l a n g e n k ö n n e n , als indem w i r der M e n s c h h e i t l e b e n , kann
man
diese Macht vermissen
hineinzaubern.
und ins T r a n s z e n d e n t e
E s ist die Idee, w e l c h e uns hilft; a b e r s i e
ist s e l b s t u n s e r W e r k .
Freilich, wenn wir vom Leben
oft hilflos z u r ü c k g e w i e s e n w e r d e n : w e n n u n s e r e selbst
uns
im S t i c h
lassen
und u n s e r e L i e b e
so
Freunde scheinbar
u n g e h ö r t v e r h a l l t ; w e n n das D a s e i n i m m e r w i e d e r u n s e r e m besten Wollen
entgegen
ist und wenn w i r d a s
bitterste
L e i d e n d e r E n t s a g u n g im H e r z e n tragen — s o v e r z w e i f e l t u n s e r G e m ü t an d e r I d e e , an d e r M e n s c h h e i t damit
an G o t t .
und
eben
O , ich w e i ß w o h l : d i e s ^ S t u n d e n
sind
auch dem S t ä r k s t e n
nicht f r e m d , und das ist k e i n e tief-
g r ü n d i g e S e e l e , d i e s i e nie erfahren hat. es
ist
nur w i e d e r das l i e b e I c h , d e s s e n
geworden
sind.
Das
ist
d e r Halt,
zu
Und
dennoch:
w i r nicht dem wir
Herr immer
w i e d e r z u r ü c k k e h r e n m ü s s e n : nicht w a s ich j u s t fühle und s c h m e c k e , ist mein S e l b s t . ich der M e n s c h e i t g e b e .
Ich s c h e n k e m i r s e l b s t ,
doch gut w e r d e n " darf nicht am Individuum, s o n d e r n Menschheit bitter;
es
haften. ist
nicht
Zu l e i d e n , verkannt zu w e r d e n , halb
was
Und d e r f e s t e G l a u b e : „ e s wird
so
schlimm,
a l s sein
der ist
sittliches
•
Von dem Begriffe Qottes
S e i n zu verlieren.
: •
E s ist nicht die Schuld der Mensch-
heit, m a g sie uns tausendmal k r ä n k e n , wenn unser Herz kalt und einsam w i r d : wir sollen und können den Funken der L i e b e immer wieder aufs neue entfachen, wir sollen helfen und wirken, leiden und tapfer sein. S o scheinen wir freilich des Menschen S e i n in zwei Welten einzulassen: das Ich lebt in der unvollkommenen Welt
der
borgen.
Leiden,
das
Selbst
ist
in
Gottes
A b e r s o ist's nicht gemeint.
Schoß
S e l b s t w e r d e n ; j a , nur das im Ich hat wahrhaftes was
bereits
zum S e l b s t
zum S e l b s t Wie
geworden
ge-
D a s Ich soll zum Sein,
oder auf dem
Wege
ist.
die
Religion
leicht
die Natur
als etwas
dem
S e l b s t Feindliches zurückläßt, wenn s i e den W e s e n s k e i m des Menschen in eine transzendente Welt zu retten unternimmt,
so
würden
wir das
Selbst
töten
und zur
Un-
fruchtbarkeit verdammen, wenn e s nicht auf das Ich bezogen
wäre.
Der Wille,
Das
Ich
birgt
das
der die Idee ergreift,
der sittlichen Handlung zum
Problem
des
Selbst.
verwandelt das Ich in
Selbst.
Wenn nun die Idee das S e l b s t in einer G e m e i n s a m keit
von
befestigt,
höherer so
kann
Realität, dennoch
als
die der S i n n e n w e l t
gerade
der Wille zur
und die E r k e n n t n i s der Idee den empirischen in
der
Sinnenwelt
und Sittlichkeit
vereinsamen.
s e i n e r Zeit
Wer
überschaut,
die
ist, Idee
Menschen Erkenntnis
Schwächen
der
Wirklichkeit mit seinem geistigen B l i c k durchdringt,
die
von der M e n g e noch für Realitäten gehalten werden, der wandelt w i e ein E i n s a m e r im R e i c h der Z e i t ; die G ö t t e r der anderen
sind für ihn G ö t z e n ,
worauf
sich stützen, zerfließt ihm w i e ein T r a u m . alle Mitmenschen
wie
Nachtwandler,
die
anderen
Ihm erscheinen
die nicht
wissen,
w i e gefährlich der W e g ist, den s i e g e h e n : und wirklich
•
•
Von dem Begriffe Gottes
wird ihnen j a a u c h , w e n n
das S c h i c k s a l s i e bei
ruft,
Füßen
versinken.
gerade
in
der
Pfad
unter
Weiterblickende
ist
den
ihnen
Namen
Aber
seiner
der
Einsamkeit
aufs i n n i g s t e v e r b u n d e n ; w e n n e r auch s c h e i n b a r k e i n e n Anteil hat an ihren A u g e n b l i c k s f r e u d e n leiden,
s o entspringen
und A u g e n b l i c k s -
doch die g r ö ß e r e n ,
reineren
und
tieferen B e w e g u n g e n s e i n e r S e e l e n i c h t s d e s t o w e n i g e r aus s e i n e m V e r h ä l t n i s zu, a u s s e i n e r G e m e i n s c h a f t mit ihnen. Wenn
seine Welt
wirklich
geworden
ist,
dann
werden
s i e e s m e r k e n , d a ß die W u r z e l n i h r e r S e e l e s i e mit ihm v e r e i n e n ; dann wenn
dann
wenn
der
sagungen
wird d i e E i n h e i t o f f e n b a r w e r d e n .
sein Tod
empirisches seine
und
Seele
Schmerzen
Wahrheit seines ewigen sprechen: stehen
ich
lebte
Ich
vergangen
von
Und
sein
wird,
Enttäuschungen,
befreit
hat,
wird
W e s e n s s e i n e S t i m m e zu
in
euch,
und g e g e n w ä r t i g
Ent-
aus
der ihnen
ich w e r d e durch euch
be-
sein.
III. Wir
sahen
früher,
daß
die E r k e n n t n i s
d e r I d e e zu-
gleich die E r k e n n t n i s u n s e r e s S e l b s t e s ist.
D a r a u s folgt,
daß w i r mit v o l l e r H i n g a b e u n s e r e r S e e l e s t r e b e n
müssen,
uns s e l b s t zu e r k e n n e n , d. h. w e l c h e K r ä f t e w i r besitzen und
wieviel
wahres
Sein
in
uns
ist.
Aber
dies
kann
und s o l l nicht durch m y s t i s c h e s S i c h - v e r s e n k e n g e s c h e h e n , sondern
indem wir unseren
Leidenschaften
ins
durchdringen,
und
unseren
wurzelt,
wir
kehren,
Wenn so
Wünschen,
sehen
indem
Mitmenschen
T a t zu e r p r o b e n . andern
Auge
kann
und uns
Hoffnungen sie
zur
mit Welt
und
Vernunft und
um uns in H a n d l u n g
zu und
u n s e r S e l b s t im V e r h ä l t n i s zum man
nicht h o f f e n ,
zur
Selbst-
e r k e n n t n i s zu g e l a n g e n , i n d e m man sich g e g e n d i e W e l t
E
Von dem Begriffe Gottes
•
isoliert. So ist die Selbsterkenntnis zugleich eine Befreiung und Abkehr vom Endlichen, Begrenzten, ZeitlichVergänglichen unserer Seele; sie setzt alles in Beziehung zur Idee und damit zur Ewigkeit. Die Entwicklung des Gottesbegriffes geht fast bei allen Religionen dahin, daß das Dämonisch-Göttliche zuerst nach Art des empirisch-endlichen Menschen gedacht und wie dieser in die Endlichkeit und Begrenztheit der vergänglichen Natur eingeschlossen wird, so daß die Natur zuerst, das Göttliche aber gleichsam nur ein Produkt oder Teil derselben oder ihre Seele, ihr inneres, bewegendes Wesen ist, alsdann aber kann man die doppelte Tendenz beobachten, das Göttliche der Natur mehr und mehr zu entfremden und dem geistigen Selbst des Menschen anzunähern, so daß auch das historische Wachstum Gottes vom Ich zum Selbst führt. Das ist zugleich die Befreiung Gottes aus der Macht und den Banden des Schicksals und des Chaos. Die Menschen wagen es, den Naturgesetzen ihre eigenen Gesetze entgegenzustellen. Man stellt Gesetze des Sollens und der Sittlichkeit auf, welche die Einheit der Ideen im Bewußtsein der Menschheit aufdämmern lassen. Die Verbindung Gottes mit dem Menschen und der Natur scheint im Beginne der Entwicklung enger als im Fortschritt: denn wie am Anfang Gott gleichsam in die Natur hineingedacht wird, so scheint er sich auch des Menschen unmittelbar zu bemächtigen. Gott war im Endlichen befangen, und der endliche, empirische Mensch schien so in ihm aufzugehen. Aber gerade ihre Endlichkeit trennt sie: des Menschen Wille braucht nicht Gottes Wille zu sein; Gottes Plan und Zweck kann dem Menschen entgegen sein. Das Ich ist, wenn es die Stelle des Absoluten einnehmen will, immer selbstsüchtig, egoistisch: so
•
Von dem Begriffe Gottes =
=
=
•
a u c h G o t t auf d i e s e r S t u f e . J e m e h r a b e r G o t t sich v o m e m p i r i s c h e n Ich e n t f e r n t u n d d i e s e s s e i n e r A b s o l u t heit e n t k l e i d e t (wie auch d i e Natur), d e s t o i n n i g e r , v e r t r a u t e r w i r d s e i n e V e r b i n d u n g mit d e m u n e n d l i c h e n W e s e n d e s M e n s c h e n , mit s e i n e r sittlichen B e s t i m m u n g u n d Aufg a b e , k u r z mit s e i n e m S e l b s t . Die menschliche Seele w e i t e t u n d d e h n t sich G o t t e n t g e g e n . Er hört auf, ein S t ü c k N a t u r zu s e i n , u n d e r s t e h t mit s e i n e m W i l l e n nicht m e h r f r e m d z u r G o t t h e i t . Und selbst das Verh ä l t n i s G o t t e s z u r N a t u r w i r d , w e n n m a n s o s a g e n soll, h e r z l i c h e r als z u v o r . D e n n d i e E i n h e i t d e r N a t u r mit G o t t w a r im A n f a n g n u r d a d u r c h m ö g l i c h , d a ß G o t t sich s e i n e r G r ö ß e e n t s c h l u g u n d alle U n g e w i ß h e i t u n d U n s i c h e r h e i t d e s n a t ü r l i c h e n S e i n s in sich a u f n a h m ; d i e Natur selbst a b e r w a r unmittelbar. A b e r n u n ist e s G o t t , nämlich d e r göttliche Wille d e r Menschheit, d e r d i e Idee e r g r e i f t u n d e r z e u g t , w e l c h e r d i e N a t u r , i n d e m e r s i e i h r e r S t a r r h e i t e n t k l e i d e t , nach u n d n a c h i h r e r M ä n g e l e n t k l e i d e t u n d s i e zu sich h e r a n b i l d e t . Wir erl ö s e n j a nicht n u r u n s s e l b s t , i n d e m w i r d e r I d e e d i e n e n , s o n d e r n auch d i e N a t u r , i n d e m w i r s i e d e r a b s o l u t e n Wahrheit ihres Begriffes mehr und m e h r zuführen. Die christliche Religion weiß von einem stellvertretenden L e i d e n , durch welches J e s u s Christus die S ü n d e n s e i n e r M i t m e n s c h e n auf sich n a h m u n d in s e i n e m O p f e r t o d i h r e S t r a f e mit erlitt. In d i e s e m S i n n e darf u n d kann es keine Stellvertretung des Leidens und d e r S e e l e geben. W o h l a b e r s o l l t e n w i r alle u n s e r e L e i d e n u n d S c h m e r z e n v o n u n s e r e r v e r g ä n g l i c h e n Individualität u n d S u b j e k t i v i t ä t z u t r e n n e n w i s s e n u n d in i h n e n d i e M ä n g e l der Wirklichkeit und die Unvollkommenheit d e r Natur und Sittlichkeit g e g e n ü b e r d e r I d e e e m p f i n d e n , a l s d a n n l e i d e n w i r , leidet j e d e r f ü r d i e M e n s c h h e i t . — A b e r d i e
•
Von dem Begriffe Gottes
Menschheit
leidet
Haar
besser
breit
auch
für u n s ,
als
die
und
El wir
anderen,
sind um kein
weil
wir
leiden,
s o n d e r n w i r w e r d e n gut und sittlich, w e n n w i r im L e i d e n uns
selbst
vergessen.
w i r mit ihm spielen wir
im
Leben
zu
Wir
dulden
mehr Gelegenheit
entweihen
das
Leid,
o d e r uns mit ihm b r ü s t e n .
ist
und
uns
zu
tragen
gegeben,
wenn
J e mehr
haben,
von
der
desto
Eigenliebe
loszukommen. Die ebene
großen
Straße
gewandert;
Führer
des
sie
der M e n s c h h e i t
Glücks
haben
sind
im S o n n e n s c h e i n
die
Finsternis
der
nicht
der
die
Freude
Verlassenheit
g e s e h e n , und d i e V e r z w e i f l u n g ist durch ihr G e m ü t flogen.
G e r a d e die T a p f e r s t e n
Tiefen
m e i n e s Herzen g e s e h e n , a b e r ich fand kein Licht, da
war
selber
sprachen:
Dunkelheit
und
g e b l i c k t in die Natur,
bad
der
haben
und
ließen
Schmerzen
überwunden,
unsere Sünden
mich
Nacht;
um
die a b e r g i n g e n in
allein. —
In
ihr
Herz
wie
wir
überwinden
sie
rein
löst
und
diesem
zum V e r l a n g e n
sollen.
d e r Idee
und s o l l e n
K r ä f t e und Es treten, leid"
erlöst,
im
Selbst der
Das
w i r alle nach dem M a ß s t a b
oder des Übermenschen,
eraber
unserer
anderen
inferioren
mit dem A n s c h e i n
den w i r h i e r v e r -
d e r sich nur a u s
Geschöpfen
doch eigentlich nur s e i n e t w e g e n da s i n d . Seele.
aber
Aufgaben.
ist nicht der Kult d e s G e n i e s , zu
sie Nicht
W e r sein
s o auch an s e i n e m T e i l die M e n s c h h e i t .
können
Sturz-
geworden,
auf sich g e n o m m e n ,
L e i d h a b e n s i e sich zu uns g e f u n d e n . zur L i e b e
die
ge-
—
ich
in
habe
ist
haben
habe
ich h a b e m e i n e B r ü d e r
b e t e n , m e i n e S e e l e zu e r l e u c h t e n Finsternis
Ich
in
sie
mich
sich
ge-
gehabt,
denen sondern
zu
haben Zeiten
herabläßt,
„Mitdie
Mitleid, w e l c h e s
d e r H e r a b l a s s u n g auftritt, vergiftet die
J e d e r M e n s c h trägt die I d e e d e s Guten in s e i n e m
El
Von dem Begriffe Gottes
Gemüt als seine wahre Bestimmung und sein ewiges Wesen; wir sollen sie daher überall ehren und achten. Wenn wir einem Strauchelnden helfen, einen Irrenden zurechtweisen wollen, so dürfen wir uns nicht über ihn stellen, sondern wir müssen unseresgleichen, den Menschen, in ihm suchen. Ich kann nur dann Mitleid mit dem anderen haben, wenn ich mit ihm leide; und dies kann ich nur, wenn mir sein Selbst nicht fremd bleibt. Aber gemeinhin versteht man unter Mitleid ein gnädiges Bedauern des Unvermeidlichen, nicht zu Ändernden. S o ist es die Selbstüberhebung (Ichvergötterung), welche uns einerseits die Gemeinschaft mit der Menschheit raubt, andererseits der Verzagtheit und Verzweiflung in die Arme wirft. Denn wenn wir uns vor den Abgründen unserer Seele fürchten, vor ihren Leidenschaften, Süchten und Wirrnissen, s o ist es ja doch nur, weil wir immer meinen, als Einzelner gegen sie zu stehen. Aber wenn wir die Vernunft, das begriffliche Denken und den sittlichen Willen gegen sie aufrufen, haben wir bereits unsere Einsamkeit durchbrochen und die ganze Menschheit steht hinter uns. Sind wir denn nicht auch in der sittlichen Kultur geborgen? Wenn auch die gewonnene Gemeinschaft selbst immer wieder zum Problem wird. Aber sind es nicht die Beziehungen zur Mitwelt, welche uns zerstreuen und unsere Seele zerreißen? Ist es nicht die Gesellschaft mit ihren Ansprüchen, welche uns gerade die Einheit des Gemütes raubt?*) S o kann man nur fragen, wenn man die Gemeinschaft zum Milieu verflacht und den Menschen und sein sittliches Selbst *) Vergl. z. B. R. Eucken: Die Grundbegriffe der Gegenwart, 2. Aufl., S. 197.
•
•
Von dem Begriffe Gottes
zum P r o d u k t s e i n e r U m g e b u n g , i n s b e s o n d e r e s e i n e r Mitmenschen,
macht.
Ganz
abgesehen
davon,
daß
diese
U m g e b u n g s e l b s t nie e t w a s A b g e s c h l o s s e n e s , F e r t i g e s ist, sondern Sein
der
Idee g e g e n ü b e r
ein
relativ
und
zufälliges
hat, liegt auch d e r g a n z e n A n s c h a u u n g ein v ö l l i g e s
Verkennen grunde.
der theoretischen
und sittlichen
Vernunft
zu-
J a , s o l a n g e die V e r n u n f t sich von außen mühe-
l o s b e s c h e n k e n und b e r e i c h e r n läßt, sich den S t i m m u n g e n , Gefühlen die
und E m p f i n d u n g e n
Zerrissenheit
der
w e h r l o s h i n g i b t , nimmt
Natur
und
Mitwelt
A b e r der V e r n u n f t ist nichts g e g e b e n , berührt, wird zum P r o b l e m . mensch,
mein
sondern
sie auf.
was
sie
Auch der a n d e r e , d e r Miterzeuge,
wird j a
erst
Nichts,
was
die
ich
sich
durch die s i t t l i c h e H a n d l u n g für mich real. mir
in d e m
in
Geschichte,
das
Leben
liefert,
wird
Einheit
meines Bewußtseins
Tiefen
meiner S e e l e gestaltet
Wie erlösen, geirrt
mein
Selbst
könnte der
hat,
eigen,
oder
solange
ich
die
Natur
es
nicht
aufgenommen
die
und a u s
den
habe.
d e r das M e n s c h e n g e s c h l e c h t a u s
nie selbst gesündigt hat? versteht
Willen
der
Segen
Wesen
aber
liegt
den der
in
überin
Irrenden. Sünde.
Das
Des
d e r .Wahrheit
Schuld
Nur w e r ist
selbst
im
Menschen
guten wahres
und im G u t e n ;
und
d e s w e g e n ist auch die E r k e n n t n i s d e s W a h r e n und G u t e n von
Plato
gleichsam,
eine als
„Wiedererinnerung" ob
wir's
w a s w i r j e t z t mit A u g e n
schon
genannt
früher
worden,
geschaut
hätten,
des Geistes wahrnehmen.
So
m a g ' s auch w o h l k o m m e n , daß z w e i M e n s c h e n , d i e sich in
der L i e b e
sich nichts
zum W a h r e n
alsogleich Fremdes
nahe
zwischen
die G e m e i n s a m k e i t ihrer wahren
sind
und Guten wie sich
zwei sehen.
ihres W e s e n s
Heimat.
gefunden alte
haben,
Freunde
Denn
und
sie
sehen
und fühlen den
Odem
•
" Von dem Begriffe Gottes
~ 0
Freundschaft und Liebe sind daher wie Inseln des Seins im weiten Ozean des Werdens; wir gewinnen mehr und mehr Land, je weiter wir unsere Seele in der Gemeinschaft der Menschen, in der Wahrheit und im Guten ausdehnen. Eine summende Biene kann uns den ganzen Sommer mit all seiner Lust vorzaubern; ein guter Gedanke unser ganzes Gemüt erfreuen und erleuchten; ein Freund, den wir gewonnen haben, uns alle Leiden und Trübsal des Daseins vergessen machen. Die Wahrheit fällt uns nicht mühelos in den Schoß, und das Gute ist nicht wie eine reife Frucht, die man im Vorbeigehen pflücken kann. Die Vernunft und der Wille müssen ringen und kämpfen, um mehr und mehr des Ewigen ins Dasein einzubauen; wir müssen das Sein den Armen des Chaos entreißen. Was aber unser Mühen und Wirken so schwer macht, das ist, daß wir jede Wahrheit und jede Handlung in unser Ich aufnehmen müssen, gerade wenn wir uns vom Ich befreien und zum sittlichgöttlichen Selbst durchdringen wollen. Aber dies gelingt nicht immer: statt unser Ich zur Wahrheit des Seins zu erweitern, versuchen w i r , das Sein in den Rahmen unseres engen, geistig-sittlichen Besitztums einzusperren, und werfen es so auf die Stufe des Problematischen zurück. Aber so scheiden wir uns auch von uns selbst; denn wir geben ja das Beste verloren: unsere Freiheit, unsere Kraft zu wachsen, besser zu werden. Wenn wir ein Schein-Glück oder einen Wunsch aufgeben sollen, weil ihm eine Wahrheit entgegen ist, so fürchten wir den Schmerz der Entsagung und denken, es sei ein Teil unserer Seele, den man uns rauben will; aber es ist gerade jenes Leid, das wir scheuen, welches uns den W e g zu einer höheren Wirklichkeit unserer Seele und also zu größerer Gottesnähe führen soll. Es ist ja auch
13
Von dem Begriffe Gottes
•
nur Schein, daß wir die ganze Wirklichkeit unserer Seele aufgeben müßten, wenn wir zu einer höheren fortschreiten: obgleich wir freilich nicht ein Stück unseres Besitztums für ewig halten dürfen. Etwas von der Wahrheit eines reinen Verlangens zur Idee lebt in allen unseren Welten und verbindet sie. Denn kein Mensch ist von Grund auf böse, er hätte denn aufgehört, Mensch zu sein. S o mögen wir also getrost die Ungewißheit ertragen, die sich auf eine letzte Sicherheit und Gewißheit gründet. Dennoch mag uns wohl ein Zagen befallen, daß wir uns schier hilflos erscheinen, wenn wir den jeweiligen Besitzstand unserer Seele, ja unseres ganzen Geschlechtes in seiner jetzigen Kulturstufe, vergleichend der Unendlichkeit des problematischen Seins, das seiner Erlösung und Befreiung noch harrt, gegenüberstellen; und was wir immer als unseren sichersten Schutz anriefen, daß es die ganze Menschheit ist, welche unser Los teilt und in den Reigen der Ungewißheit verstrickt ist, könnte noch unsere Furcht steigern. Ist es nicht, als wollten wir in einem kleinen Nachen den Ozean befahren, wenn wir uns, der Vernunft und der Idee vertrauend, jener Unendlichkeit nahen? Und wenn wir hierzu durch die Not des Lebens gezwungen sind, um so schlimmer könnte man sagen. Es ist ein schlechter Trost, wenn wir darauf hingewiesen w e r d e n , daß uns gar keine andere Wahl bleibt. Aber jene Gefahr, die wir fürchten, w ä r e doch nur dann vorhanden, wenn das künftige Sein sich als widervernünftig und unserem innersten Wesen entgegengesetzt enthüllen könnte. Das ist es ja eben gerade, wovor uns die Erkenntnis der Idee bewahrt, und das ist es, warum wir die Idee als Gottesidee bezeichnen. Wenn die reine Menschheit sich entfaltet und durchgesetzt haben wird, wird ihr die Natur nicht feindlich gegenüberstehen, son-
•
Von dem Begriffe Gottes
•
d e m in der Vernunft der Menschheit selber wurzelnd deren Gesetzen Untertan sein. Theoretisches und sittliches Sein können einander nicht widersprechen; aber ihre völlige Einheit ist auf keine Stufe des Daseins und also zu keiner endlichen Zeit erreicht; sie ist Idee, unendliche Aufgabe. IV. Der jugendliche Rousseau hat, g e r a d e aus innigster Menschenliebe heraus, die Kultur und ihre Errungenschaften bekämpft, als ob insbesondere der Fortschritt der Erkenntnis kein Segen für unser Geschlecht bedeutete. Ich s a g e : aus Menschenliebe; und das beweist schon, daß seine Angriffe sich nicht gegen die Kultur an sich, sondern gegen die irregeleitete Kultur richteten. Er wollte ein neues, reineres Ideal der Kultur aufstellen, dem er den irreführenden Namen der Natur beilegte. Rousseaus Natur hat noch zu keiner Zeit existiert; sie ist eine Idee und ihre Realität ist die der Zukunft. S o hat denn auch Schiller wieder an Stelle der Natur die Idee gesetzt. Doch ist die Frage, ist denn wirklich das Heil der Menschheit in der Erkenntnis gelegen, damit noch nicht abgeschüttelt. Scheint doch wirklich, allen Siegen der Wissenschaft zum Trotz, das Leid und Elend der Menschen nicht zu entfliehen. Aber w e r näher zusieht, der wird dennoch gewahr, wie wir mit der Erkenntnis unser Selbst preisgeben würden. Das Sein ist die Wahrheit; und die Begriffe, als die Mittel der Erkenntnis, sind zugleich die Elemente des Seins. Empfindungen und Gefühle, wir haben es oft gesagt, haben an sich kein Sein, sondern sind nur d e r subjektive Ausdruck des Seins, der uns die Probleme aufstellen heißt und in denen die gesicherte Realität sich
•
Von dem Begriffe Gottes
•
dem individuellen Bewußtsein kundgibt. Insbesondere ist das Leid nur die subjektive Erscheinungsform, in der sich uns ein Nichtseinsollendes, eine Lücke im sittlichen Sein kundgibt. Wie nun der Fortschritt der Wissenschaft und also des Daseins immer eine Vertiefung der P r o b l e m e mit sich bringt, so ist es nicht erstaunlich, wenn auch das Individuum nunmehr heftiger unter dem Problematischen und Unvollkommenen des Daseins zu leiden hat. Die Spannung im Dasein ist gewachsen und wächst immer mehr; die Seele des Einzelnen ist empfindlicher geworden und begehrlicher, aber auch kraftvoller den P r o blemen gegenüber. Aber im selben Maß ist auch die objektive Wirklichkeit, die theoretische sowohl wie die sittliche Welt, gewachsen. Und wenn die Leiden und Schmerzen des Daseins intensiver empfunden, die Lücken also offenkundiger w e r d e n , so ist das nur ein Beweis, daß wir uns der Quelle alles Daseins, der Wurzel aller Realität, und also der Erlösung von Leid genähert haben. „Wo die Not am größten ist, da ist Gottes Hilfe am nächsten", sagt das Volk; nur darf man den Spruch nicht auf die Glückseligkeit des Individuums beziehen. Denn die Realität des Einzelnen liegt nicht in seinem isolierten Dasein, welches im Tode erlischt, sondern in seinem Verhältnis zur Allheit. Und j e mehr Leid der Einzelne im Dienste der Allheit dulden muß, desto mehr Ewigkeitswert erobert er seinem sittlichen Selbst. Und wie der Einzelne am Leid der Menschheit teilnimmt, so vermag er ja auch ihre Größe zu teilen, eben in der Erkenntnis und durch den Willen. Die Menschheit ringt mit der Unendlichkeit des Seins, indem sie ihre eigene Unendlichkeit entfaltet. Der Kampf ist unendlich, aber unendlich ist auch das Menschengeschlecht; und seine Unsterblichkeit teilt, wer sich ihm zu eigen gibt.
El
~ Von dem Begriffe Gottes
B
W a s der Menschheit Stab und Stütze ist auf ihrem rastlosen W e g zur Idee, die Erkenntnis, das ist auch dem Einzelnen s o oftmals Heilmittel in der Selbstentfaltung seines Wesens, indem sie sein brausendes Herz in Ruhe wiegt und die Not seiner Seele besänftigt. Wer sich nur erst zur rechten Einsicht durchgerungen hat, der mag leicht der irren Wünsche und Triebe Herr werden. Wenn wir eine Wahrheit erkennen, erweitern wir unsere Seele. Denn indem wir unserer Wirklichkeit durch den Begriff des Gegenstandes eine neue Gesetzmäßigkeit zufügen, sichern und befestigen wie die Ordnung ihres Daseins, füllen Lücken aus, führen ihr neue Möglichkeiten des Seins zu. Gleichzeitig und parallel mit diesem Größerwerden und dieser Vertiefung der objektiven Wirklichkeit, in der wir leben, geht aber auch eine Steigerung und Bereicherung der Fähigkeit unseres Gemütes, uns derselben in Empfindungen und Gefühlen bewußt zu werden, vor sich. Leid und Lust wachsen, und so sind auch dem Willen neue und tiefere Probleme gestellt. Es ist begreiflich, daß die Naturforscher so leicht zu einer pantheistischen Beseelung der Natur und einer Vergöttlichung ihrer Wirklichkeit getrieben werden. Denn sie sind durch die Lebensaufgabe, die sie sich gestellt haben, gezwungen, sich der Gesetzmäßigkeit der Vernunft, in welcher sie selbst die Sicherheit und das Dasein der Natur einschließen und durch welche sie jene Natur erst selbst erzeugen, mit ganzer Seele hinzugeben. Wie nun j e n e Notwendigkeit ihrem eigenen Wesen entsprungen ist, so teilt sie sich auch ihrem ganzen Innenleben mit. Beruhigung ihrer Leidenschaften, ein Aufkeimen stets erneuter Hoffnungen — alles scheinen sie der Natur zu verdanken. D a s Objekt, das sie sich erschaffen haben, indem sie sich der Entfaltung ihres wahren Selbstes
•
Von dem Begriffe Gottes
•
nähern, stellen sie außer sich wie eine fremde Macht, die sich nun nicht mehr um die persönlichen Erlebnisse ihrer Innenwelt zu kümmern scheint. Und sie haben ja auch zur Hälfte recht: denn der Begriff ist immer die Überwindung der Subjektivität. Aber dies bedeutet eben nur, daß die wahre Realität sich in ihm ankündigt, welche die Allgemeinheit in sich birgt und die Isolierung zerstört. Nun vergessen sie aber sich selbst in j e n e r Macht: sie sehen nicht mehr, daß sie selbst mit aller Unvollkommenheit der Wissenschaft ihrer Zeit und mit allen Schrecken ihres relativen und vergänglichen Oaseins in j e n e r Natur enthalten sind. Daß sie dies aber vergessen können, daß sie die Gleichung Spinozas Deus s i v e natura (Gott-Natur) auch nur für kurze Zeit ungestraft vollziehen können, hat seinen Grund darin, daß sie, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, immer, wo sich das Ungöttliche der Natur offenbart, diese auf die Stufe der Idee erheben, ja mit der Idee vertauschen, so daß dann das Problematische, welches die Natur unserer Zeit noch so reichlich in sich birgt, zu einem Problematischen für uns zusammenschrumpft, das der Natur „an sich" nicht eignet. Sie machen es wie Rousseau: sie sagen „Natur" und meinen „Idee". Das w ä r e nun unschädlich und ungefährlich, w e n n nicht eben in jenem „an sich" der Natur die P r o b l e m e als g e g e n w ä r t i g g e l ö s t (wenn auch nicht vom Menschen, so doch von j e n e r transzendenten Natur selbst) aufgefaßt, die uns b e k a n n t e Natur als ein T e i l zwar nur, aber doch ein i n v a r i a b l e r , e w i g s i c h g l e i c h b l e i b e n d e r Teil des übrigen unbekannten Ganzen aufgefaßt würde. Und das ist dann wieder die schlimme und kulturfeindliche Rechtfertigung des Übels und des Bösen in der Welt. „Es ist so und muß so bleiben in alle Ewigkeit." Nein, auch das, w a s wir jetzt Natur nennen und w a s die
•
•
Von dem Begriffe Gottes
Subjektivität
des
Einzelnen
überragt
und
bis
zu
einem
g e w i s s e n G r a d e z u r W a h r h e i t und O b j e k t i v i t ä t erlöst, nicht a b s o l u t und u n w a n d e l b a r . schaft
und S i t t l i c h k e i t
M a n k a n n z. B . s c h o n in
einer
ganz
wird es durch B e s s e r e s heute N e w t o n s
anderen
ist
Die fortschreitende Wissen-
Form
ersetzen.
Gravitationsgesetz
aufstellen
und
die
ganze
W i r k l i c h k e i t u m s t o ß e n , w e n n man d e r M e c h a n i k d e s W e l t systems
nicht
die G e o m e t r i e E u k l i d s ,
nichteuklidischen
Geometrien
sondern
zugrunde
legt.
eine Aber
der was
j e t z t und h e u t e noch w i e e i n e Art W i l l k ü r e r s c h e i n t , w i r d zur N o t w e n d i g k e i t d e s D a s e i n s , w e n n sich einmal z e i g e n sollte, daß es vernunftgemäße P r o b l e m e der mechanischen Wirklichkeit
gibt, d i e nur mit e i n e r d e r nichteuklidischen
G e o m e t r i e n zu b e w ä l t i g e n
sind. —
Auch
nur s o ,
wenn
w i r die Natur i h r e r A b s o l u t h e i t e n k l e i d e n und s i e in i h r e r Relativität e r k e n n e n , hört s i e auf, für uns ein blindes S c h i c k sal zu s e i n , und wird ein T e i l u n s e r e s W e s e n s . Wir Seele
sprechen
des
mäßigkeit, dem nur
durch
unsicheren
fühle, S e i n zu
oft
vom
Einzelnen.
Verhältnis Die
welche Meere
der
Erkenntnis
Regelmäßigkeit
der
Begriff
unserer
und
und
die
gegen
sie
unserer S e e l e geboren
mißtrauisch, j a
feindlich
die Finsternis sie
ist
hier,
und U n s i c h e r h e i t wenn
sie
uns
ein F r e m d k ö r p e r die K r i s t a l l b i l d u n g daß
das
neue
stimmt.
w e r d e n , neue P r o b l e m e d e r E x i -
schen Materie verhindern kann,
Ge-
und G e f ü h l e in verstricken, unseres
nicht
wird und u n s e r S e l b s t v e r s c h l i n g t , zuzeiten Wie
und
und G e w i ß h e i t verleiht, ist e s g e r a d e , w e l c h e
s t e n z uns in u n g e k a n n t e L e i d e n und F r e u d e n standes; j a ,
Vernunft
Empfindungen
In der S t u n d e , w o g r o ß e L e i d e n s c h a f t e n
lieben w i r
zur
Gesetz-
segensreich.
der
anorgani-
oder wenigstens derart
Gebilde
a l l e r A r t b e f l e c k t ist, s o k a n n
mit
Zu-
dauernd
stören
Unregelmäßigkeiten
das v o r z e i t i g e
Eingreifen
•
Von dem Begriffe Gottes
•
engherziger Begriffe eine Leidenschaft, welche die Seele, wenn man sie hätte der Vernunft entgegenreifen lassen, zu großen Gedanken und zu einer Erhöhung ihres Seins geführt hätte, verderben und verkümmern machen. Und solange das Problem nicht in seiner ganzen Tiefe erkennbar ist, sind die Begriffe der Vernunft immer zu eng. Wie oft ist nicht ein keimender Liebesbund dadurch gestört worden, daß man ihn beim Namen nannte, ehe die S e e l e n , welche sich erst gleichsam betastet hatten, einander sicher waren. — Wer aber andererseits in der Unklarheit ringender Gefühle zu beharren denkt, muß bald inne w e r d e n , wie sein Lebensschifflein scheitert und seine Seele Not leidet. Nur das ist gewiß: wir sollen großen Gefühlen, seien sie schmerzlicher oder freudiger Natur, nicht aus dem W e g gehen, denn sie rufen uns zu höheren Stufen des Seins. Die Askese, welche darauf ausgeht, uns vor Erschütterungen der Innenwelt zu bewahren, ist ein Hemmnis allen gesunden Fortschritts und die Kampfweise engherziger, im Grunde genommen feiger Gemüter; sie ist die Flucht vor dem Problem des Lebens, nicht seine Lösung. Man muß sein Herz mitnehmen in die Welt, oder man verliert mit dem Herzen auch die Wirklichkeit. In unserer Seele wechseln Ebbe und Flut, aber ein guter Schiffer weiß die Gezeiten zu nutzen. In Zeiten eines seichten, dogmatischen Rationalismus (der das Gegenteil des idealistisch-kritischen Rationalismus ist) kann man bemerken, wie auch der Mystizismus an Kraft gewinnt. Weil die dogmatische Wirklichkeit tieferen Gemütern zu eng wurde, weil ihre sehnsüchtigen Leidenschaften und werbenden Gefühle keinen Platz in ihr haben, erbauen sie sich eine Welt der Symbole und Geheimnisse, welche unter scheinbarer Bewältigung der
• =
=
Von dem Begriffe Oottes
1
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P r o b l e m e dennoch das Herz ihre ganze Schwere empfinden läßt. So war z. B. der dogmatische Rationalist des 18. Jahrhunderts mit der Welt bald fertig; aber der Pietist rief nach einer Wiedergeburt der Seele. E s ist auch töricht, zu glauben, daß man eines großen Herzens Gefühle und Leidenschaften mit der Begriffswelt einer versinkenden Wirklichkeit ersticken könnte, sie werden ausbrechen zur Rechten und zur Linken. An dem Feuerbrande der Leidenschaften soll sich die Seele entzünden, der Sturm der Gefühle ihre Kräfte wecken. Wenn der Geist nicht ringen muß mit solchen Gewalten, erlahmt er. Wie kommt es doch, daß so vielen guten Menschen die Herzen ungesucht zufliegen — anderen, nicht weniger guten aber leicht Mißtrauen begegnet und sie auch von ihresgleichen häufig verkannt werden ? Die ersteren haben zumeist ein festeres Vertrauen zu sich selbst und eine genauere Vorstellung von dem, wodurch sie in der Welt zu wirken imstande sind. Die letzteren aber, obgleich vielleicht auf derselben Höhe des sittlichen Seins angelangt wie jene, sind ungewisser über den Wert ihrer Ideale und Ziele und mißtrauisch gegen ihre eigenen Kräfte, s o daß man sie aufsuchen muß in dem Winkel ihres Herzens, damit sie uns nicht durch ihre übertriebene Selbstkritik an sich irre machen. Namentlich die Philister und philiströsen Dogmatiker, wie sie allem Skeptizismus aus dem Wege gehen, leben jenen letzteren gegenüber in der Furcht, sie möchten von diesen in ihren Zweifel mithereingerissen werden. Man kann ja überhaupt sehen, wie dem Dogmatiker, der seine eigene enge Wirklichkeit für das absolute Sein hält, nur die Sicherheit eines fremden Dogmatismus imponiert. Bei sehr vielen Menschen ist ja der Dogmatismus
•
Von dem Begriffe Gottes
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nur die Frucht ihrer Angst vor der Problematik des Lebens. Weil ihnen der Glaube an die Idee, das Vertrauen auf die Vernunft fehlt, so muß der Skeptizismus in jeder Form ja auch für sie zu einer fürchterlichen Macht werden. Denn sobald ihr bißchen geistiges Besitztum ins Schwanken gerät, sehen sie sich hilflos und wehrlos der Ungewißheit des Daseins ausgeliefert. S i e flüchten daher höchstens vor einem Dogmatismus zum andern. Dogmatiker des Lebens sind es auch zumeist, welche die Sitte gegen die Sittlichkeit verteidigen. Denn w o beide sich widersprechen, Sitte und Sittlichkeit, da ist erstere zumeist der Ausdruck der Kleinmut und Zagheit des menschlichen Herzens, das nicht an sich selber glaubt. Auch die unsittliche Sitte schlingt doch noch ein Band der Gemeinschaft um die Menschen und bewahrt sie vor dem Strudel des Nichtseins; wenigstens scheinbar. E s ist nur eine Traum- und Scheinwelt, welche sie errichtet. Denn die Sitte ist exklusiv, die Sittlichkeit niemals. Die Sittlichkeit ruht, wie schon oft gesagt, in der Allheit des Menschengeschlechtes, deren Einheit sie fordert und begründet. Es ist nicht zu befürchten, daß das Streben nach Einheit zur Einförmigkeit führe. Denn es ist das Gesetz, welches auch dem Einzelnen Charakter und Leben verleiht. Im Leben des Menschen ist j a Charakter nur die besondere Art, wie der Einzelne das Allgemeine der Idee in sich zu verwirklichen strebt, oder der ihm zugehörige Weg, den er einschlagen muß, um sich bei seinen Anlagen und Fähigkeiten und bei den besonderen Aufgaben, vor die ihn das Leben stellt, der Idee zu nähern. Der Ruf nach Charakter und Originalität ist genau genommen der Ruf nach geistiger und sittlicher G r ö ß e ; wo die Energie des sittlichen Willens fehlt, ist auch kein Charakter. Charakter und Wille sind nicht angeborene Naturkräfte; aus
•
Von dem Begriffe Gottes
•
dem reinen Ursprung des sittlichen Bewußtseins wird der Charakter im Verlauf des Lebens durch die sittliche Handlung erzeugt.*) Wer von der Hingabe an die Allgemeinheit eine Verflachung und Erstickung der Charaktere befürchtet, der denkt sich diese Allgemeinheit als eine fertige, endliche Größe, in die der Einzelne, wie in ein Prokrustesbett, hineingezwängt werden solle. Aber die Einheit der Allheit liegt in der Idee. Originalität suchen auch nur kleine Geister außerhalb alles Gesetzes; sie kann sich nur zeigen in der Vertiefung und Ausgestaltung, also doch auch gerade Anerkenntnis des Gesetzes. Wir haben es zu oft erlebt, daß ein Mensch sich befreien wollte, indem er sich von der Allheit und ihrem Gesetze abkehrte, und in die tiefste Sklaverei geriet, sei es seiner Leidenschaften oder einer engeren Gemeinschaft; da kehrte er zur Menschheit und ihrem Gesetz zurück, erfüllte es mit seiner Seele und wurde frei. Aber das ist es eben: das Gesetz selbst ist nicht ein unveränderliches Ding; wir müssten denn schon im absoluten Sein sein. Nur das zu suchende Ziel stellt die Idee auf: Erkenntnis und Wille führen uns ihm entgegen. Es ist auch gar nicht möglich^ dem Gesetz des Selbst zu dienen, ohne es in das Selbst zu wandeln; so wächst es mit dem Selbst. S o schaffen wir uns die Notwendigkeit unseres Daseins, die dennoch stets vom Selbst überragt wird. S o muß die Sicherheit des Selbst immer wieder neu errungen, neu begründet werden. Von allen Seiten greift das Nichtsein an unsere Seele; die Problematik des Daseins durchzittert in Leiden und Sorgen unser Gemüt, und die Stimme unserer heiligsten Sehnsucht selbst lockt uns zuweilen ins Ungewisse; der Innenwelt *) Vgl. H. Cohen : Ethik des reinen Willens.
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Von dem Begriffe Gottes
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heimliches Keimen und Wachsen, das nach fester Objektivität ruft, verkennen wir und stellen uns in den Dienst des Vergänglichen, um Leid gegen Leid einzutauschen. Wenn aber nur die Liebe zur Menschheit nicht in uns erlischt, so wird bald wieder die Idee in ungetrübtem Glänze unserem geistigen Auge erscheinen. Was ist es doch, das unser Herz zuweilen so gewaltsam erschüttert, wenn wir an verlorenes Glück, versunkene Freuden g e d e n k e n ? Beklagen wir den Verlust j e n e r holden Täuschung, die uns damals so entzückte und die mit reifender Einsicht immer seltener w i r d , die uns den Zustand unseres Glückes unwandelbar erscheinen ließ? Welche uns, wenn auch nur für Augenblicke, glauben ließ, wir seien am Ziel? Oder ist es nicht vielmehr das, daß wir uns Vorwürfe machen, in jenen goldenen Stunden nicht Schätze genug gesammelt zu haben, die der Zeit widerstehen und aus dem Schöße der Ewigkeit geboren sind? Denn wie die Leiden und Schmerzen uns an die Unvollkommenheit und Lücken des Daseins gemahnen sollen und also unsere Sehnsucht zur Idee steigern müssen, s o sollten auch die Freuden und seligen Empfindungen, mit denen uns so selten das Schicksal beschenkt, den tiefen und reinen Affekt der Humanität in uns steigern und uns verlangend der Zukunft zutreiben, statt uns auf das Faulbett des Genießens zu werfen. Wir verfallen dem Teufel des Nichtseins, wenn wir zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön. Nicht dem Genuß nachjagend, sondern der Idee dienend, sei unser Weg rastlos und ruhelos bis ans Ende. Große Herzen nehmen Leid und Glück nicht mit der tatlosen Ergebung der Resignation hin, sondern entzünden ihr menschliches Verlangen ewig neu zu höheren Stufen der Menschheit. Insbeson-
Von dem Begriffe Gottes
[3
dere ist ihre S t a t t h a f t i g k e i t in der E r t r a g u n g ihrer individuellen
Leiden
der
Beweis
der
Realität
des
letzten
K e r n e s alles sittlichen Glaubens an ein überindividuelles R e i c h des Guten und der Wahrheit. W e n n die B e g e i s t e r u n g unsere Hingebung an die I d e e stärkt
und
unseren
Mut
immer
wieder
wird unser W e g leichter und s e l i g e r sein.
neu
entzündet,
E s mag wohl
w a h r sein, daß der enge B l i c k des e w i g nüchternen, k e i n e s Enthusiasmus fähigen Philisters, d e r alle D i n g e durch d i e B r i l l e einer egoistischen Nützlichkeitsmoral betrachtet, den vergänglichen
Erscheinungen
des L e b e n s g e g e n ü b e r s i c h
zuverlässiger
zeigt,
erregte
sterten.
großen
An
als
das
Problemen
Gemüt
muß der
des
Begei-
Nützlichkeits-
mensch mit s e i n e r beschränkten S e e l e dennoch scheitern. Wer
immer im
Nächsten,
im
Endlichen
lebt, der
wohl auch, weil sein geistiger B l i c k s o auf die
mag
nächste
U m g e b u n g eingestellt ist, die kleinen Verschiebungen undi Umgestaltungen
des Alltagslebens b e s s e r b e m e i s t e r n ;
wo
a b e r unerwartete E r e i g n i s s e eintreten, w o es g r o ß e E n t s c h l ü s s e gilt, hilft nur das begeisterte Herz, das die S e h n sucht So
zum
Ewigen
zu
lichten
ist die B e g e i s t e r u n g
des S e e l e n l e b e n s .
Es
ein
Flammen
eminent
ist aber
angefacht
sittliches
hat.
Moment
nicht g e r a d e nötig, daß.
sich die B e g e i s t e r u n g in großen Worten kundgibt;
auch
kleine, oft unscheinbare Handlungen, welche dennoch d i e sittliche Kultur aufs innigste berühren, sind oft aus dem Schöße Anschein
der B e g e i s t e r u n g
geboren,
die sich hinter dem,
der Gleichgültigkeit und Gelassenheit
verbirgt.
Auch die B e g e i s t e r u n g , die vom rechten Z i e l e abirrt, ist tausendmal w e n i g e r schädlich und gefährlich als d e r Irrtum des kleinlichen nie Fanatismus.
Philisters.
Denn B e g e i s t e r u n g ist
W e r der B e g e i s t e r u n g fähig ist und a u s
B e g e i s t e r u n g gefehlt hat, der hat seinen G e i s t beweglich
•
Von dem Begriffe Gottes
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erhalten und ist stets zur Umkehr und zum Umlernen bereit und fähig, neue Ziele mit gleicher Inbrunst zu ergreifen; aber der Fanatiker ist in seinen Begriffen so befangen, daß er mit ihnen zugleich die Triebkraft seiner Seele verlieren würde. Auch die Irrtümer des Nützlichkeitsmenschen, wie sie im Grunde aus Egoismus entsprungen sind, beharren in der Tendenz seiner Seele, selbst wenn sie ihr Einzeldasein eingebüßt haben. Ein Begeisterter ist niemals Egoist. Hat er geirrt, so bleibt uns doch immer die Gewißheit, daß er Großes gewollt hat. Es ist eben das wunderbare und göttliche der Wahrheit, daß sie ihren Jüngern das Herz entzündet und sie über sich selbst, über ihr kleines Ich hinausweist. W e r der Wahrheit ins Auge geschaut, oder sagen wir vorsichtiger: wer ihren Glanz von ferne erblickt hat, der muß seinen Brüdern davon erzählen; es drängt ihn unwillkürlich, andere teilnehmen zu lassen an seinen Gesichten. Aber nun muß er die Sprache sprechen seiner Gefährten, damit sie ihn verstehen; d. h. er muß von ihren Irrtümern, die auch einst die seinen waren, ausgehen. Vermag er das nicht, so verhöhnen und verketzern sie ihn als einen Schwärmer. Wie gefahrvoll ist aber jener Wegl Wie oft sind nicht die schönsten Gedanken verkümmert durch j e n e erzwungene Anpassung an die bestehende Wirklichkeit! Würde er begeisterten Herzen begegnen, s o hätte das keine Not; sie würden ihm zufliegen, sie würden ihn aufsuchen. Dem egoistischen, philiströsen Nützlichkeitsapostel aber sind die höchsten Einsichten nur neue Mittel zur Ichvergötterung. S o ist der Egoist im gewissen Sinne ein Gegenstück zum Pantheisten; während nämlich der Pantheist das menschliche Ich als einen kleinen Bestandteil der Allgottheit Welt auffaßt und deren Gesetzen preisgibt, zieht
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Von dem Begriffe Gottes
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der Egoist die ganze Welt in sein vergöttlichtes und absolut gesetztes Ich, dessen Wünsche und Triebe mehr als Vernunftgesetze nun auch die Welt fesseln sollen. Aber w e d e r ist die Welt noch irgend ein empirisches, menschliches Ich göttergleich und gut. Hinausgehen in die Wirklichkeit sollen wir, um sie uns anzueignen; aber nicht die Laune unseres Subjekts ihr aufzwingen, sondern uns zur Objektivität der Vernunft läutern. Dann werden wir auch nicht in ihr, der Wirklichkeit aufgehen und unsere Freiheit bewahren. Wollen wir uns in unserer Stellung zu Welt und Menschheit prüfen, so dürfen wir nur unser Verhältnis zur Kunst betrachten. Der Egoismus ist der Tod alles künstlerischen Genießens und Schaffens. Denn die Kunst offenbart dem Gefühle die Idee. Das Schicksal pflügt unsere Seele mit scharfer Pflugschar und schreibt rauhe Worte auf die Tafeln unseres Herzens; der Alltag hält uns mit den Stricken der Sünde und des Irrtums und wir laufen dem Tode nach. Aber in der Kunst hebt sich unser Herz zum Einempfinden des Ewigen. Da ist die Zeitlichkeit selbst die Dienerin der Unendlichkeit, und was uns schwankend und ruhelos umgibt, das wird ruhsam und sicher in der Hand des Künstlers. Wir lassen uns von ihm durch alle Tiefen des Gemütes führen, und er steuert unser Schiff durch alle Klippen der Leidenschaft und des Leides; aber unser Selbst ist nicht in Gefahr, denn die Humanität verbindet uns über Zeiten und Räume dem Menschengeschlecht. Wer also den Künstler verstehen will, der löse sich von selbstischem Begehren. Der Wirklichkeit des Lebens dürfen wir uns nicht ohne weiteres vertrauend anheimgeben, sondern wir müssen sie meistern und ihr das göttliche Teil unserer Seele erst einflößen, damit sie teilnehme an unserer Gottverwandt-
•
: Von dem Begriffe Gottes
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schaff; die Wirklichkeit des Künstlers aber nimmt uns mit weichen Armen gefangen, und sie darf es, weil sie kein Ebenbild der Natur, sondern ein Produkt einer sehnenden Seele ist, die selbst zur Idee sich hinneigt. Wenn Goethe sich als ein Erdulin bezeichnete, als er sich der nächtlichen Natur des Weimarer P a r k s überliefert hatte, nun so war's eben seine, des großen Künstlers Natur,, deren Kind er g e w o r d e n , die ihn mit weichen Armen umfangen hatte. Ist denn nicht auch ein Ausruhen im Arme der Kunst uns allen zuzeiten bitter not? Es ist doch ein Hafen der Sehnsucht, der auch dem Geringsten offensteht: dennoch darf nicht die Kunst, sondern die Wissenschaft dem Willen endlich das Werkzeug reichen, das zur Gottverwirklichung, zur Selbsterlösung führt. Nur in der R u h e und Selbstsicherheit des Gesetzes, wie es dem denkenden Geist entspringt, ist endlich unser Heil und Hort. Die Wahrheit wollen, das ist aller Weisheit letzter Schluß.
•
48
G
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.
N
icht um die Toten, sondern um die Lebendigen weht der Hauch der Einsamkeit.
Denn was uns
einsam
macht, ist ichsüchtiger Wunsch und Wille, ist Verlangen nach G l ü c k und Furcht vor S c h m e r z e n ;
a b e r die Toten
leben in anderen durch ihre W e r k e , die nicht mit ihnen g e s t o r b e n sind, durch die wahren G e d a n k e n , die sie gedacht, durch die S c h ö n h e i t , die s i e haben.
Alle,
der Welt
geschenkt
die j e n e r Wahrheit inne werden und sich
dieser S c h ö n h e i t n ä h e r n ,
leben
in
ihnen
und sind ihre
G e s e l l e n ; n e i n , die T o t e n sind nicht einsam.
Auch die
T o t e n kennen eine Sehnsucht und einen Willen, a b e r frei von Ichsucht und selbstischer F r e u d e . Denn die S u b s t a n z ihres W e s e n s sind,
lebt
in
der S e e l e
derer,
und entfacht s i e zur Sehnsucht
die ihnen und zum
nahe
Willen.
S o lebt ihr Wille in fremdem Willen, ihre S e h n s u c h t in fremder S e h n s u c h t ; a b e r sie haben die Schatten des Das e i n s abgestreift. und zu g e n i e ß e n .
E s ist der L e b e n d i g e n T e i l : zu leiden W e n n man erst das lebendige Leben
gesehen hat, zweifelt man nicht mehr am T o d e , sondern fängt an, ihn zu b e g r e i f e n . Sein
und k e i n e Wahrheit
und das Leben sterben Sie
malen
S t e r b e n muß alles, w a s kein in sich
trägt; a b e r
das S e i n
nicht.
dir den T o d w i e
ein G e s p e n s t ,
das
be-
gierig deiner S e e l e harrt, wie es deinen Leib zerbrechen
•
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen
B
wird. E r begegnet dir vielleicht im Glanz der Morgenröte, in der Glut der Mittagssonne oder im Schatten der Dämmerung; oder die Nacht führt ihn im Sternenschein an dein Lager. Er wohnt dir im Herzen, und du fühlst ihn nicht; er tritt in deine S p u r e n , speist von deiner Speise und trinkt aus deinem Becher: aber du siehst ihn nicht. Er wird sich enthüllen, wenn seine Stunde gekommen ist. Fürchte dich nicht vor diesem Bildl Nur der Lieblose, welcher der Welt nichts gegeben und nichts von ihr empfangen hat, fürchte mit Recht den Tod. Wer den Abendsegen der Liebe im Herzen trägt, erwartet ruhig die Nacht. Selbstsucht ist der wahre Tod der Seele: du bist nichts, wenn du dich gegen die Welt verschließt. Streiche alle G e d a n k e n , Gefühle und Empfindungen aus deinem Herzen, die der Umgang mit den Menschen entzündet hat, und die kümmerliche Flamme deines Ichs wird bald verlöschen. Freuden und Leiden der Gemeinschaft rufen die Seele zu sich selbst. Sie ist nie fertig, immer werdend, und schafft sich ihren Charakter, indem sie auf ihre Weise der Idee der Menschheit nachgeht. J a , und wär's nur Selbst-Sucht, die uns leitet, so würden wir die Menschheit lieben, die unser Selbst birgt; aber wir sind Ich-süchtige. Und doch ist das Ich nur das Blatt, d a s sein Leben dem Stamme der Menschheit dankt. Alle die Sterne dieses nachtdunklen Lebens verblassen vor der Morgenröte der Liebe. Und wenn dann d i e Erde den Mantel der Dämmerung abwirft und der Tag heraufzieht, den die Morgenröte verkündete, kennt das Herz die Welt nicht wieder. Im Sommer liegt das Gold in der Luft; du mußt nur einmal in den Wald oder die Kirche gehen und auf die Sonnenstrahlen achten: sie verwandeln Staub in Gold. Und wenn du nur den Som-
El
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen
B
mer im Herzen trägst, wird die S o n n e deiner Liebe auch den Staub des Lebens in Gold verwandeln . . . . Die Liebe zum Guten, das ist die Liebe zur Menschheit. Sie lehrt uns das eigne Glück verachten und die Gegenwart geringschätzen. Du Götzendiener der Gegenwart und Wirklichkeit! Achte doch auf dein Herz und deine Seele: Du bist heute nicht, der du gestern warst, und wirst morgen wiederum neugeboren. Die Gegenwart ist ja nur der Schatten der Zukunft, und allein die Zukunft hat Ewigkeit. Du aber trägst die zukünftige Wirklichkeit in deinem Willen. Wenn du ewig sein willst, lerne zu sterben. Wir sind nicht reich an Liebe, wenn wir sie nicht verschenken: das ist eine dürftige Liebe, die Antwort heischt. Wenn die Seele erfüllt ist von der Liebe zum Guten und vom Lichte der Schönheit, kann ihr die Niedrigkeit des Lebens nichts anhaben. Wenn die Gemeinheit zu ihr spricht, hört sie nur die Trauer; wenn der Haß sie heimsucht, antwortet sie mit Liebe; sie sieht in den Abi gründen der Wirklichkeit süßduftende Blumen einer besseren Zukunft und fühlt in den Fesseln des Alltags den Kuß der ewigen Freiheit. Wenn sie leidet, ist ihr Gram wie ein Gärtner, der den Garten ihres Gemütes bestellt und tausend Keime der Sehnsucht in den fruchtbaren Boden ihres Willens pflanzt. Sieh einmal, wie die Wolken am Himmelszelt erwachen, wenn der Mond sie mit silbernen Fingern berührt oder die rote S o n n e sie mit glühenden Strahlen küßt: da leuchtet ihre Seele aus ihnenI In die graue Trübsal deines Herzens fällt ein Blick der Liebe, und du erwachst und erkennst dein inneres Leben. So mancher, der zum erstenmal liebt, glaubt Gott zu schauen, wie Moses ihn im feurigen Busche sah. Aber manchmal, gerade im Werden der Seele, wenn
• =
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen =
•
sich die Blätter und Blüten des Willens und der Erkenntnis erschließen und eine neue Innenwelt der Wirklichkeit sich bildet, befällt uns das Frösteln der Vergänglichkeit. Wir sehen nach dem Versinkenden, und das Kommende hat seinen Glanz verloren. Und fliegen dann die Fledermäuse der enttäuschten Hoffnung und erzwungenen Entsagung durch die Nacht unseres Kummers, leben wir in einer Welt des Traumes und der WillensMüdigkeit. Der Winterfrost des Leides läßt unsere Kräfte erfrieren und erstarren. Da wird die eigne Seele uns fremd, daß wir sie vor uns sehen wie eine Flamme, die hierhin und dorthin züngelt, um dem Winde auszuweichen, der nach ihr stößt und schlägt. Aber wenn sich das Leid deinem Herzen naht, sollst du ihm nicht die Pforte verschließen. In der Sicherheit d e i n e s Alltags wußtest du nichts von dem bitteren Weh d e r Welt da draußen: nun kommt sie zu dir und ruft nach dir, und du kannst hören. Weil wir uns vor großen 'Leiden und Freuden fürchten, machen wir aus unserer Seele eine Maschine und zwängen sie in die tote Sitte •des Alltags. Es ist so bequem, in gebahnten Wegen zu gehen. Aber die Leidenschaft wirft uns aus dem Geleise, und wir haben den Halt verloren. Es muß nur immer den einen, geraden Weg gehen, sonst könnt ihr's nicht fassen. Wenn aber das Schicksal nun nicht mit euch will? Nein, die Seele muß sich in den Kampf des Lebens wagen, damit sie auch dem Unerwarteten gegenüber sich selbst nicht verliert. Zwar, die tiefsten Gefühle bergen sich der Welt am längsten; nur die feinen, beweglichen, d i e wie Spinnweb über dem Laubwerk der Seele ruhen, funkeln sogleich im Tau der Tränen, flattern im Winde des Verlangens. Aber scheue die tiefen Gefühle nicht! Es gibt keine „ R u h e in Gott!" W e r zu Gott will, muß
• =
=
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen =
kämpfen
und leiden.
Nur in der S e h n s u c h t
l e n s , in d e r B e r ü h r u n g des
Lebens
gibt
eine
leuchtet Blume,
deines Wil-
mit den S c h m e r z e n
Gottes
Licht
in
deine sie
Es
D e u t e d i r ' s : D u sollst das E w i g e i n d e r Z e i t , nicht
außer
du
„Zeitlose";
Seele.
giftig.
Hast
heißt
und F r e u d e n ist
ihr, im J e n s e i t s ,
die
0
suchen.
einmal
den
Schatten
deines
Leibes
beob-
a c h t e t , den e i n e im W i n d e f l a t t e r n d e K e r z e an die W a n d wirft?
Drollige,
wegungen
sonderbare
vollführt
er,
oder
während
gespensterhafte
du
selbst
Be-
doch
ganz
ruhig s i t z e s t ; a l s o b l e i b e d e i n e S e e l e s t i l l e im T r e i b e n
des
Alltags;
der
aber
wenn
die S e h n s u c h t
auf den F i t t i g e n
L i e b e zu dir k o m m t und d a s L e i d dich küßt, s o e r w a c h e und r e g e dich.
In den s c h w a c h e n
Seelen
der
Philister
ist w o h l auch einmal ein W e t t e r l e u c h t e n d e r L e i d e n s c h a f t ; aber der
säuselnde Wind
Wetterwolken soll
den
vertreibt
die
. . . W e r a b e r d e r W e l t dienen w i l l ,
der
Blitz
auf sich
der G e w o h n h e i t
herabziehen.
Die Leiden
unge-
stillter S e h n s u c h t sind das w a h r e F e u e r d e s P r o m e t h e u s . Die
wahre
zugänglich. kein
Heimat
Denn
Schweigen
Seele
der S e e l e
ist
nur dem
da ist k e i n e S t i l l e und kein
und kein
nicht z u r Idee führt.
nimmt e r das R a u s c h e n
Klingen
im L e b e n ,
Im F l ü s t e r n
der Ewigkeit. das L e u c h t e n
das
gestaltet
massen
seiner
Seele
zu T r ä u m g e b i l d e n
Die Sternennacht
ist
durchwehen, sprechen
seine
Abendrots;
wirren und
nur d e r M a n t e l
die S c h a u e r d e r U n e n d l i c h k e i t ,
des
die
voll L e b e n
das
der W i n d e verE r e r h ö h t durch
die G l u t s e i n e r S e h n s u c h t Gesetz
Künstler Geräusch,
Wolken-
Wirklichkeit.
seiner Seele,
welche
den
und
Weltenraum
vertraulich zu s e i n e m H e r z e n .
Wo
ist die S t u n d e , die er nicht h e i l i g e n , w o d a s G e m ü t , e r nicht t r ö s t e n
kann?
E r läßt den A l l t a g d e i n e r
s t e r b e n , dem e r das E w i g e e n t r i s s e n
hat.
das
Seele
Deine Freude
•
•
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen
wird r e i n e r , deine T r a u e r r e i c h e r , w e n n fühl d e r Humanität s i e K u n s t uns
schenkt.
verstandener
durchdringt,
Niedergebeugt
Lebenspflichten,
seelenfremder
Werke
tragend,
das i n n i g e
welche j e d e durch
die
widerwillig
die
klagt
das
Herz
Ge-
wahre
Last
un-
Schwere in
den
A r m e n d e r N o t w e n d i g k e i t ; a b e r die K u n s t e r l ö s t s i e und zeigt
ihr
ein P a r a d i e s d e r
Freiheit
A b e r w i r alle h a b e n im w e i t e n Insel
der
unserer nur,
um
Ewigkeit
Sehnsucht
und
der Zeit eine
welche
die
Träume
hervorgezaubert
haben;
sie
versinkt
s c h ö n e r w i e d e r aufzutauchen.
die Illusionen d e r J u g e n d :
A l t e r und S c h i c k s a l
Menschenliebe.
Seligkeit,
g r ö ß e r und
m e i n e nicht
und Ozean
rauben.
S e e l e in der Einheit der
Ich m e i n e
die
Ich
können
uns
die H e i m a t
der
Menschheit.
Ich sah die Schönheit; eine Dornenkrone Umgab ihr süßes Haupt, und schmerzbewegt Hat sich ihr Blick mir tief ins Herz gelegt, Daß ich in ihrem Banne fürder wohne. Vergeblich hoffst du, daO die Welt dich schone, Die deinen Geist in enge Fesseln schlägt, Wenn dich der Wunsch in sel'ge Fernen trägt: Dem reinsten Mühen wird nur Leid zum Lohne. Und dennoch will ich hoffen, will ich glauben, Solang mein Blut noch frisch im Körper kreist — Der Alltag soll die Seele nicht verstauben. Ich kenn' den Quell, der mein Verlangen speist; Ein Schwacher nur läßt sich die Heimat rauben, Dahin die ungestillte Sehnsucht reist.
•
54
Q
Vom Vergänglichen und Ewigen.
I
mmer folgt die Seele willig den Träumen des goldenen
Frühlings, wenn die Kraft des Zukünftigen sich lieblich offenbart. Die Bäume erschließen ihr innerstes Leben in Blütenfülle; die rauhen Furchen der Äcker und Wiesen deckt freundliches Grün; und wie holde Wünsche aus hoffendem Herzen sprießen die Blumen allerorten. So auch, wenn du einmal ganz dein eigen bist, jauchzt den Vögeln zur Antwort dein Gemüt ein Lied des Verlangens und der Sehnsucht, das dich erhöht. Und Tod und Vergänglichkeit sehen's mit Neid: es ist noch ein ewig Leben, das wirkt und webt und heftet das Menschliche ans Göttliche. Quillt denn nicht auch der Brunnen des ewigen Lebens uns allen im Herzen? Fruchtbeladene Bäume der Güte und Weisheit recken uns ihre Äste entgegen: wir aber hungern und dürsten. Die S o n n e unserer Sehnsucht verblutet in der Finsternis der G e g e n w a r t ; und dennoch fühlen wir's wie ein Schicksal, wenn wir die Notwendigkeit des Ewigen einer zeitlichen Notwendigkeit opfern müssen. Ihr, die ihr so am Gegenwärtigen hängt, denkt einmal nach; woher kommt ihr und was ist eures Lebens Ziel? Wahrlich: ihr kommt aus dem Reich der Träume. Denn alles, was ihr liebt, versinkt wie ein T r a u m , ehe ihr's begriffen habt; und ihr liebt diesen Traum. Aber ihr wandelt zum Throne des Todes; denn eure Sehnsucht
•
Vom Vergänglichen und Ewigen
B
ist selbst im Zukünftigen aufs Sterbliche gerichtet. Aber die Zukunft ist unendlich, denn sie ist die wahre Mutter des S e i n s , wie die Vergangenheit das Reich des Todes ist. Und doch wollt ihr die Zukunft zum Kinde des Gewesenen machen: als ob das Lebendige aus dem Toten entspringen könnte! In der Idee suche der Mensch die Heimat seiner Seele; w e r sich dem Staub verschreibt, wird mit dem Staub verweht werden. W e r das Verkehrte des Gedankens durchschauen will, daß die Vergangenheit die notwendige Ursache der Gegenwart und Zukunft sei, der soll bedenken, daß die Vergangenheit unabänderlich und starr ist; in ihr regt und rührt sich nichts mehr. Wer kann das Vergangene umgestalten? Es sind auch nicht die Unvollkommenheiten der Vergangenheit, unter denen wir leiden, sondern diejenigen unserer eigenen Kultur und Seele. W e r die Natur und Wirklichkeit absolut setzt, dem bleibt freilich nichts anderes übrig, als ein schwächliches sich Anpassen an das G e w o r d e n e . Soll die Natur uns aus einer Fremden eine Freundin werden, so müssen wir sie aus eigener Kraft durch Denken und Handeln gestalten, damit sich unser sittliches Selbst mehr und mehr in ihr ausdrückt. Freilich erschöpft unsere Seele in keinem zeitlichen Augenblick das Sein: aber dies liegt nur an der Unvollkommenheit und Endlichkeit unseres Wissens und Wollens, die zu überwinden eben die Pflicht und der Sinn der Kultur ist. Aus diesem Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Idee entspringen alle Leiden und Sünden der Menschheit: denn keine endliche Zeit und kein einzelnes Individuum vermag die Idee restlos zu verwirklichen. Sie wohnt in der Ewigkeit und ist die Erfüllung der Menschheit. Darum ist sie keinem von uns fremd, aber ihre Erscheinung in der Seele ist mit Schmerzen verbunden. Nur wer die
Vom Vergänglichen und Ewigen
El Unsicherheit
d e s D a s e i n s recht a u s g e k o s t e t , die R e l a t i v i -
tät a l l e s B e s t e h e n d e n gibt
sich
der Idee
im tiefsten
völlig
zu
auf s i e ,
die ihm doch
deutlicher
du
Sein
das
empfindest
G e m ü t empfunden
eigen,
Sehnsucht inniger
EI
deiner
richtet s e i n e
e w i g f e r n e bleibt. Seele
erkennst,
in d e i n e S e e l e .
die uns q u ä l t ,
sondern
uns
den
mit
verhärmten
schatten
Hades
Je
desto
du den M a n g e l d e i n e r E x i s t e n z :
g r ö ß t e S t u n d e d e i n e s L e b e n s wirft auch den Schatten
hat,
ganze
Im G r u n d e ist's nie die wir selbst.
im H e r z e n : Wangen
Welt,
D i e Ichsucht schafft
da s c h r e i t e t
auf
di^e
dunkelsten
die
Sehnsucht
Asphodeloswiesen;
Todes-
nie erfüllter W ü n s c h e d r ä n g e n erträumten Z i e l e n
zu, und ein L i e d d e s L e i d e n s mischt sich ins S c h w e i g e n der ab
Vergänglichkeit. und
zu
taucht
Heimatlose
Gedanken
jagen
die Gestalt eines verlorenen
auf und v e r h ö h n t die G e g e n w a r t :
sich,
Glückes
das i s t der H a d e s
im
Herzen. A b e r w e c k e die S t i l l e d e i n e s G e m ü t e s , daß die L i e b e ihre S t i m m e e r h e b t und ihr R u f w i e G l o c k e n k l a n g die w e i t e n , g r ü n e n Ich
habe
oft
S i e ist w o h l
nachgedacht,
und
Stunden
kunft
unserer der
Seele
Ewige
unserem
die
sondern
voll
unge-
in
kräf-
d e r neuen W e l t und die Zu-
das
so
fühlen
Vergehen
Auge.
So
der
wir
in
den
Gegenwart
E s ist, a l s o b
den T o d e s k e i m
erblickten.
ist
die
Arbeit bezwingen
kann.
durch R u h e ,
Denn
wir Das
Melancholie
e i n e Ü b e r m ü d u n g d e r S e e l e : n u r daß man s i e nicht, die M ü d i g k e i t d e s K ö r p e r s ,
sei.
Selbstironie
W ä h r e n d wir
der Wirklichkeit.
am K o m m e n d e n entgeht
ohne Haß,
empfinden,
Melancholie
über
zieht!
w a s die M e l a n c h o l i e
Sehnsucht.
das Werden
und das V e r s i n k e n selbst
doch
bescheidener
tigen Armen
des Daseins
die S k e p s i s d e s G e m ü t e s ,
des Herzens; stillter,
Wiesen
sondern
wie
durch
d i e A r b e i t ist d e r F e i n d
Gl
Vom Vergänglichen und Ewigen
B
der Vergänglichkeit. In der produktiven Tätigkeit stellt sich allmählich ein Gefühl der Sicherheit wieder her: wir werden uns bewußt, daß wir noch einen inneren Zusammenhang mit der Welt, mit der Menschheit haben und daß unsere Seele nicht mit dem Versinkenden gestorben ist. Auch in der Seele des einzelnen hat das Vergangene ja nur so viel Macht und Wirklichkeit, als er es durch Wille und Tat zu erneuern vermag. Und nichts ist wirklich vergangen, was noch im Gefühl oder Begriff lebendig ist. Wir würden aber bald zum Schatten der Vergangenheit, wenn die Gefühle der F r e u d e und des Leides ewig wären. Die Zukunft belebt auch das Gestorbene. In einer Umgebung, die unserer Seele fremd bleibt, kehrt sich der Blick nach innen, und wir gehören uns eigener an, gleichsam als sollten die Schätze der Vergangenheit, die unser Gemüt aufbewahrt, nun die mangelnde Verbindung mit der Wirklichkeit, welche uns die Gegenwart geraubt hat, ersetzen; dies können sie aber nur, wenn wir sie zum Zukünftigen in Beziehung setzen. Und so müssen wir dann wenigstens im Traum die Einsamkeit durchbrechen, die, wenn sie dauernd w ä r e , die Seele verdorren ließe. Darum sollen wir auch dem Leben dankbar sein, wenn es uns zu sich zurückruft, sei es mit Lust oder Schmerz. Ein großes Leid weckt alle Leiden, ein großes Glück alle Freuden der Seele auf. Wie der Strom die Bächlein und Flüsse, die sich ihm anvertrauen, in den Ozean führt, so reißt ein tiefes und reines Gefühl alle die kleinen Wünsche und Empfindungen des Alltags mit sich. Und das ist auch der Gewinn einer großen Leidenschaft, daß sie die Kräfte der Seele alle zusammenrafft
• und uns nun und nur
Vom Vergänglichen und Ewigen
•
auf ein g e m e i n s a m e s Ziel hinführt. S o kann sie freilich e b e n s o w o h l vernichten wie erhöhen. E s ist einmal so, daß nur die Einheit u n s e r e r Seele Existenz C h a r a k t e r verleiht: a b e r sie ist e w i g A u f g a b e , und die Idee vollendet unser W e s e n .
[MI
•
59
•
Sehnsucht und Entsagung. Ohne Seele ist die Welt, Wenn Du ihr Dein Herz nicht gibst — Was Dich heut gefesselt hält Macht Dich frei, wenn Du e s liebst.
V
iele wissen von Wunsch und Erfüllung, wenige von Sehnsucht und Entsagung. Ach, um die Wünsche und törichten Träume! Es ist nicht das, was uns elend macht, wenn uns ein Wunsch versagt bleibt. Wünsche sprießen im Herzen wie Blätter und Knospen im Frühling; was tut's, wenn eine Knospe verdirbt — die anderen erblühen: Wunsch und Erfüllung. Aber die tiefste Sehnsucht bleibt ewig ungestillt. Wohl euch, die ihr nicht wißt, daß leben entsagen heißtl Doch nein, ihr müßt's begreifen. Es ist unser Leiden und unsere Würde.
Fragt den Dichter: der weiß von Sehnsucht und Entsagung zu künden, und stürben sie ihm, so hätte er aufgehört, ein Dichter zu sein. Hört ihr die Sehnsucht aus seinen Versen rufen, rauscht sie durch eure Seele: so werdet ihr selbst zu Dichtern. Dann faßt wohl auch der Schauer der Entsagung euer Herz: das Land der Erkenntnis schimmert nur von ferne, und das Gute wohnt im Reich der Zukunft. Die eigenen Freuden und Schmerzen schienen euch früher so wichtig; es war eine bunte Gegenwart voll Jauchzen und Tränen um euch, die die Zeit verschlang und neu gebar: das hießt ihr leben und glück-
•
Sehnsucht und Entsagung
lieh sein. Aber lauscht nur dem Dichter! Er erzählt von einer anderen Welt, die ihr nicht sehen könnt, und die doch w a h r e r und wirklicher ist als euer Glück. Die Sehnsucht und der Wille ergreifen sie. Wenn ihr euch selbst entsagt und die Schmerzen der Sehnsucht auf euch nehmt, dürft ihr sie schauen. Tötet die Sehnsucht nichtl Ach, in den schlimmen Augenblicken, da die Lüste und die Leiden unserer Seele Herr werden, und wir versinken im wirbelnden Strudel der Gefühle und Leidenschaften, da schweigt die Sehnsucht, da sind wir klein. Aber wenn an den Kümmernissen und Widerwärtigkeiten des Lebens die Seele erwacht, wenn selbst die S o r g e noch segnend die Kraft des Willens beschwört, wenn die Sehnsucht sich wieder regt nach dem Unendlichen, nie Erreichten, dennoch Erreichbaren; wenn wir am Leben leiden, weil wir die Menschheit lieben — dann taucht ein unvergänglich Sein auf in unserem Gemüt: dann fällt ein Strahl der Ewigkeit in unser Herz, und wir wissen, w a s den Menschen eigen ist. Hast du schon einmal am Ufer eines Sees oder des unendlichen Ozeans gestanden und den Wellen zugeschaut, die zum Lande d r ä n g e n ? Jede lebt ihr eigenes Leben. Die eine schleicht schüchtern und verstohlen heran, wie der Bursch in die Kammer des Mädchens, hebt sich leise empor, flüstert ein Wort der Liebe und — stirbt; die zweite kommt daher wie ein lustiger Gesell, singend und trällernd, sie springt und hüpft, nimmt zuletzt einen kräftigen Anlauf, überschlägt sich und — zerschellt; da sind andere, die gehen wie ehrsame Bürger gelassen ihres Weges, sterben seufzend, aber leicht. Wieder einige kommen mit schwerem Schritt, stürmen heftig zum Ufer und sterben in göttlichem Zorn. Und
•
Sehnsucht und Entsagung
•
so uns die die
könnt ich dir noch viele zeigen . . . Sieh, so treibt die Sehnsucht dem Tode entgegen: wir sind Wellen, brandend zerstäuben. A b e r stirbt das Meer? Und Menschheit stirbt nicht. Es ist nicht anders; das Leben verlangt von jedem Menschen, der zur inneren Ruhe kommen will, eine allgemeine, endgültige Entsagung: die Einsicht nämlich, daß sein Endzweck nicht in seinem isolierten Ich, in seiner physischen Persönlichkeit liegt, sondern im Zusammenhang mit der Menschheit. Freilich, wohl wird kein Mensch zu diesem Ziele j e völlig durchdringen: es wäre die vollendete Moralität. Mit ihr würde sich dennoch eine unendliche Sehnsucht verbinden, nicht aber eine schwachmütige Tatlosigkeit. Aber wenn uns das Schicksal kränkt, sind wir immer geneigt, zu f r a g e n : Warum gerade m i r d a s ? Warum muß i c h so viel leiden? Wir sind keine Heiligen, sondern Menschen. Ja, die gramdurchfurchten Gesichter, welche immer den Ausbruch der Schmerzen gewaltsam zu unterdrücken scheinen, mußt du fragen nach der Geschichte des Lebens. Glaube mir: auch ihnen ist .einmal das Glück begegnet, jung, schön und, ach, so verheißungsvoll! Und dann ist's ihnen vorübergegangen und hat sie allein gelassen, allein mit ihrer Sehnsucht. D a s ist die Geschichte des Lebens. Es ist so schwer, vom „Ich" loszukommen. Was mir das Schicksal bringt, muß ich's nicht selbst denn t r a g e n ? Wer duldet meine Schmerzen, wer nimmt mir meinen Kummer a b ? Und das bißchen Lust und Glück, es klebt doch auch am Ich. Und dennoch I Laß dich die Sehnsucht belehren: das ist nicht dein Selbst. Dein Leid wird verlöschen, dein Kummer sich enden. Die Lust und d a s Glück laß fahren — nein, halt nur die Sehnsucht fest. Die führt dich über dich selbst hinaus, die gibt dir die
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Sehnsucht und Entsagung =
=
=
EJ
Ewigkeit. Es ist außer dir, w a s wahrhaft in dir ist; s o r g e für die künftige Menschheit, so sorgst du für dich, denn in ihr wirst du weiterleben. Du trinkst den Glanz des Himmels und sein leuchtend Blau mit durstigen Augen: dies ist mein Glück, ich spür's im Innersten! Ach, nicht dochl Ist denn der Blinde kein Mensch? Ist er, w e i l er blind ist und das alles nicht sieht, nicht g u t ? Kannst du nicht von ihm lernen? Du siehst der Geliebten ins Auge und fühlst Feuerströme glutvoller Lust durch deine Glieder rinnen: dies ist mein: Glück. Ach, nicht dochl Ich sage dir: ein gutes Wort, das du ihr gegeben und dadurch du ihre Seele bereichert hast, eine gute Tat, die du im Angedenken an sie getan, ist mehr wert als dieses Bettlerglück, das verrauscht und zerrinnt wie die Zeit . . . Du brauchst dein A u g e nicht vom Licht zu kehren und die Lust nicht zu fliehen:, nur daß sie die Sehnsucht nicht ersticken. Endige nicht in ihnen. Es ist etwas über dem. Es sind kleine Seelen, welche mit ihrer höchsten Sehnsucht spielen: sie muß h e i l i g sein, und sie muß uns zu Taten führen. Aber nicht auf große Momente und absonderliche Zeiten mußt du warten. Wunsch und E r füllung jagen vorbei: so heilige sie durch deine Sehnsucht. Der Augenblick werde zum Kleid der Ewigkeit. Und wenn dein Herz blutet, weil du so viel dahingibst, trag's nur still: es ist doch recht getan. Ich weiß wohl, es gibt Stunden, da sind wir unserer höchsten Sehnsucht gram. Wirft sie uns doch immer wieder ins Meer der Weltl Alle die Stürme des lebendigen Daseins sollen um uns brausen! Wir sollen's all erfahren, was gleißt und lockt und glänzt, und doch fest bleiben und treu: denn wir sollen's gestalten, wie's die letzte, unendliche Sehnsucht gebeut. Ach, und das schafft
B
Sehnsucht und Entsagung
B
Leiden, so bittere Leiden; denn es heißt s e h e n , suchen und entsagen. Da hassen wir die Sehnsucht und wünschen nur Frieden, Frieden und Ruhe. Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest — Ach, ich bin des Treibens müde, Wozu all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust. Und dennoch lob' ich die Sehnsucht! Ich will nicht ruhen und beiseite s t e h e n , s o l a n g e noch das Blut des lebendigen L e b e n s in meinen Adern rollt, und s o l a n g e ich noch wirken und schaffen k a n n . Daß die Sehnsucht mir nicht vor dem T o d e entfliehen m ö g e ! W e r einmal recht im B a d e der Schmerzen getauft ist, der fürchtet sich nimmer. Auch sag' ich euch: ü b e r w u n d e n hat keiner, s o l a n g e er noch atmet. Ihr könnt euch gewaltsam g e g e n die Welt isolieren und von der Menschheit a b s p e r r e n : ihr nehmet sie doch mit euch; sie wohnt in e u r e r Eri n n e r u n g und in euren geheimen Wünschen. Ist's nicht ehrlicher und besser, ihr frei e n t g e g e n z u t r e t e n ? E s ist gleich verkehrt, sich an den T a g und die G e g e n w a r t zu hängen, wie sie zu verachten. Wir wollen sie gestalten nach dem W u n s c h e unserer ewigen S e h n sucht nach dem E w i g e n . Tötet die Sehnsucht nicht!
[ s a
B
64
B
Aus den Bergen.
D
er R e g e n
rinnt:
es ist ein e i n t ö n i g e s ,
chenes R a u s c h e n ;
so
fällt Glück
ununterbro-
und Leid
durch
des Menschen S e e l e .
D i e W o l k e n reichen sich die Hände
und wandern
und w e i n e n d über die B e r g e und
stumm
legen sich mit ihren weichen Armen um die Gipfel, und die E r d e schluchzt
Zuweilen, wenn sich eine W o l k e
von ihren S c h w e s t e r n entfernt und die innig verschlungenen Hände löst, dann kannst du einmal einen zackigen, ernsten Gipfel sehen, der sieht aus dem Nebel und Dunst hervor w i e das sich enthüllende S c h i c k s a l durch unsere Träume. Sind
nicht die W o l k e n selbst w i e Träume, schwere, be-
drückende, in denen sich all das tiefste Leid unserer S e e l e regt? und
Sie
rauben
spinnen
sie
der E r d e ein
mehr darf die E r d e
in
den Anblick
eine graue
die goldene
des
Himmels
Endlichkeit.
Sonne
sehen,
Nicht die
so
ruhig am Himmel dahinzieht; s i e muß in sich selbst einkehren und von dem bißchen W ä r m e leben, das s i e g e rettet hat. Wolken
Ach, wenn sich in unserer S e e l e die dunkeln
türmen,
die uns den B l i c k ins Land der S e h n -
sucht trüben, wenn das bißchen Lebenslust zu ersticken droht, das wir noch in uns tragen, das sind die Stunden der Kleinmut und Verzagtheit, da schluchzt das Herz w i e ein verirrtes Kind. J a , wie oft verirren wir uns in diesem Garten der Endlichkeit, und w i e oft umhüllen die Nebel der
vergänglichen
Zeit
unser
geistiges
Auge! —
Der
•
•
Aus den Bergen
Regen
rinnt,
es ist ein
besser werden.
g r a u e s Einerlei
und will nicht
Und mich verlangt nach S o n n e !
Sollt'
ich die S t i m m u n g der S t u n d e festhalten, s o müßt' ich dir sagen,
wie
die Zweifel
und K ü m m e r n i s s e
mein
Gemüt
umlagern, wie sich ein tiefes Weh losringen will aus dem Mittelpunkt meines geistigen L e b e n s : ein dürstendes V e r langen, ein Verzagen, das die Hoffnung liebt. um mich klingt nur dies e i n e w i e d e r
Und alles
. . . .
W i r schaffen und zerschlagen Welten, endliche Welten in u n s e r e r Sehnsucht nach dem Unendlichen.
Aber was
wir nicht merken oder nicht bedenken, ist, daß unser Ich sich wandelt und wächst mit seinen G e s c h ö p f e n . der
bunte
versinkt, Zukunft
Strom wenn
neue
der G e g e n w a r t
aus und
in
die
Wenn
Vergangenheit
dem tiefen, fruchtbaren S c h ö ß e neue
Gestalten
auftauchen, s o
meinen wir doch selbst wandellos, wie Zuschauer, zustehen.
Und doch
sind
wir
ewig neu,
der ver-
stille-
und doch ist
unser S e l b s t nur der Zielpunkt u n s e r e r S e h n s u c h t !
Die
Unmittelbarkeit unserer seelischen Lage, das bunte G e w e b e von Lust und Leid, Hoffnung, Zagen und B a n g i g k e i t ; die brennenden S c h m e r z e n
ungestillten V e r l a n g e n s
zitternde Jauchzen beglückten G e n i e ß e n s ,
und das
das alles
um-
spinnt unser g e i s t i g e s S e i n und verdichtet sich und stellt sich uns wie e i n e eigene W e l t mit selbständigem gegenüber;
Leben
wir scheiden uns von ihr und sind doch in
ihr befangen.
A b e r der Sturmwind des S c h i c k s a l s bläst,
und die Luftgebilde zerflattern und zerfließen.
Und w a s
von unserer S e e l e im Vergänglichen sich befestigt,
was
w i r von unserer zeitlichen Erscheinung an d i e s e s w o g e n d e Wolkenmeer
vergeudet,
das ist all v e r l o r e n , wenn
wir
nicht aus u n s e r e r Sehnsucht neue Kräfte saugen und das E w i g e ergreifen, das nicht im unmittelbaren D a s e i n aufgeht. J e d e R e g u n g unseres G e i s t e s muß sein w i e ein F l ü g e l -
E3
=
Aus den Bergen
—S
schlag der Seele auf ihrem Flug zur Unendlichkeit. Wir müssen uns dessen stets bewußt bleiben, daß uns die leisen und tiefen Empfindungen nur geliehen sind, damit sich an ihnen unser Geist emporrankt, damit wir neue und neue Stufen bauen auf dem W e g e zum Wandellosen. Keine endliche Welt ist der restlose Ausdruck des absoluten Seins, und mögen wir uns noch so wohlig und heimisch in ihr fühlen. Nicht deshalb, weil der Tod uns daraus vertreibt, ist unser Dasein so ungewiß; denn der Tod ist ja nur der gütige Bote, der der Menschheit Kunde gibt von den verborgenen Schätzen unserer Seele. Das Schwankende, Zweifelhafte unserer Existenz liegt vielmehr immer darin, daß sie auch in ihren reinsten Äußerungen nur ein Versuch ist, eine dauernde Welt zu gestalten, der nie völlig gelingt. Aber wir vergessen das und nehmen den Tag für die Ewigkeit. Unsere Sehnsucht zum Sein bleibt haften am Dasein, wie es im „Hier" und „Jetzt" unser Ich durchzittert. Nun aber sollen wir wandern und ruhlos seinl Was wir hegen und herzen, wird versinken, und was wir nicht achten, wird ewig sein. Sieh! Die Wolken sind zerrissen, und die S o n n e . l u g t hervorl Hab ich's doch kaum gemerkt, wie der Regen nachließ, daß jetzt nur noch ein feines Stäuben von blitzenden Tropfen vom Himmel sprühtI Noch ein Weilchen, dann will ich hinausgehen, den frischen Atemzug der genesenden Erde zu kosten, — selbst zu genesen an Leib und Seelei Ist es nicht wiederum eine völlig andere Welt, die ich nun erlebe? Was ist noch geblieben von der Verzagtheit, von der ängstlichen Bangigkeit, die mein Gemüt noch vor kurzem fesselte? Und was jetzt in mir vorgeht, ist es nicht im kleinen das Schicksal meines Lebens? Ich fühle wieder die Kraft, welche die Welten erbaut, sich regen; ich höre den Ruf der Zukunft.
•
—
Aus den Bergen
~B
Nun will ich den Stab ergreifen und hinauf auf einen der Gipfel, die so fröhlich locken und winken. Sie schütteln schon an den Wolkenfetzen; sie lösen die umschlingenden Arme und gönnen auch der Niederung wieder den Anblick des klaren Blaus. Nun bin ich im Walde; es ist still und ernst um mich, und nur von Zeit zu Zeit klingt das Fallen der Tropfen, die sich von den Zweigen lösen, in die Einsamkeit. Das Sonnenlicht mischt sich dem Dunkel, huscht von Baum zu Baum, verschwindet und leuchtet wieder auf, wie die törichten Wünsche und Hoffnungen des menschlichen Herzens. Ab und zu tut der Wald seine Arme auf und zeigt mir eine grünende Matte. Schmetterlinge im sonnigen Raum fliegen und wiegen sich wie im Traum. Sie kommen wohl aus dem Seelenland und sind als Propheten ausgesandt, daß sie den toten Büschen und Steinen lehren das Leben, lehren das Weinen, Hoffen und Fürchten, Sehnen und Lachen, daß sie sie selbst zu Seelen machen. Im grünen Moose leuchtet hier und da fröhlich ein rotgelber Pilz auf; die führen ein behagliches Leben in sich. Und die Bienen summen, und die Winde flüstern . . . Wie ist doch alles verändert in so kurzer Zeitl Bald nun werde ich den Gipfel erklommen haben; schon gönnt mir der Wald dann und wann einen Blick in die Alpenwelt. Nun spanne dich a n , mein Geist, daß du nicht erliegst im Schauen der heiligen Schönheit! Hier gilt kein stilles Empfangen: du mußt ringen mit der herben Pracht dieser Natur und alles Weiche und Ungelöste in dir unterdrücken. Du kannst auch hier Frieden finden, indem du dies köstliche Bild in dir gestaltest. Ja, ich fühl's, auch mich hat eine Seele angesprochen, und nun geb' ich's zurück, alles,, was sie Klingendes, Rauschendes, Raunendes in mir geweckt hat. Ich darf mich nicht mehr fürchten vor dem,
•
Aus den Bergen
•
w a s in mir ist. Alles Hoffen, alles Verlangen gewinnt Halt und Bedeutung; ich bin nicht mehr einsam in meiner Einsamkeit, und, was ich mein eigen nenne, klingt zusammen in dem einen Akkord der Sehnsucht nach dem Unendlichen. Ich bin nun weit über dem Tale; viele schneebedeckte Berge grüßen ernst und still zu mir herüber. Hier will ich rasten. Wohl mir, ich lernte den Odem des Lebens zu trinken: ich l i e b e die Welt, die mich so oft enttäuscht und betrogen hat. Und verläßt auch mich das bange Heimweh nicht, an dem wir alle leiden, die wir das Leben erkannt haben, so weiß ich doch, daß unsere Heimat auf Erden ist, und daß wir nur tapfer die Hände zu regen brauchen, um sie zu erobern. Ich grüße Abend und Morgen, Mittag und Mitternacht, was sie auch bringen m ö g e n : ich habe mich wiedergefunden, ich will leben! Nun greif' ich wieder mutig in den Wirbeltanz der Gefühle: nun will ich's gewinnen, was mir bestimmt ist.
( 3 3
Q:
69
Von der Liebe.
W
ahre Liebe findet immer Erwiderung. Die Erfahrung ist nur scheinbar dawider. Zuerst muß man alle die Fälle ausschalten, w o es sich nur um den sinnlichen Trieb und das sinnliche Begehren handelt. Denn reine Liebe ist Liebe nicht des Triebes, sondern des Willens und der Vernunft. Der Affekt, der die sinnliche Vereinigung sucht, ist hier nicht das Einzige und nicht das Letzte, sondern die Gemeinsamkeit der Lebenszentren, das wechselseitige Beschenken und Bereichern der S e e l e n , das gemeinsame Suchen nach dem Ewigen und der vereinte Dienst der Idee. Aber nun finden wir häufig, daß ein Mensch den andern geradezu sklavisch und unterwürfig liebt, ihm seine Zuneigung unablässig anträgt und doch verschmäht wird. Wenn man dieser einseitigen Liebe und Freundschaft auf den Grund geht, so wird man immer finden, daß jener verschmähte Liebende ein Irreales, Nichtseiendes im Geliebten sucht, sich an etwas heftet, das dem andern nur scheinbar eignet, und was er daher mit seinem Wesen nicht ins eins setzen kann. Wie wir selbst, wo wir aufrichtig und innig lieben, in anderen ihr Wesen lieben, das, w a s ihr dauerndes Sein und ihren Charakter ausmacht (d. h. die besondere Art, wie sich in ihnen die Idee darstellt, wie sie sie zu verwirklichen suchen), so wollen wir auch, daß diejenigen, welche unsere Liebe suchen, unser
höchstes Streben billigen, sich an das Positive in uns wenden. Aber da, wo wir die Liebe nicht erwidern können, ist dies nicht der Fall. Entweder sucht man etwas in uns, dessen wir uns in stillen Stunden schämen, oder etwas, das wir nicht besitzen, höchstens einmal besessen haben, nunmehr aber hinter uns und überwunden haben. Manche lieben uns deswegen, weil sie sehen, daß wir weiter sind als sie; und wir unsererseits lieben am reinsten und innigsten, wo wir den Geliebten in irgend einer Art über uns stellen können. Wir sehen, er hat Probleme gelöst, die uns noch d r ü c k e n , Irrtümer abgelegt, die uns noch fesseln, Sünden besiegt, die noch in unserem Herzen wohnen. So entspringt diese Liebe aus der tiefsten und reinsten Sehnsucht des menschlichen Herzens: dem Verlangen nach der Idee, nach dem Guten und Ewigen. Solche Liebe wird immer erwidert. Sie verpflichtet. Es ist auch gewiß, daß die rechte Liebe erhöht und bessert. Wenn ich sagte, daß sie im andern das Positive sucht, das Sein des Willens und der Erkenntnis, so bleibt sie doch nicht am Dasein kleben, sondern sucht das, was größere Realität hat und in der Zukunft wohnt: wir lieben im andern die Bestimmung zum Guten. Auch eine Liebe, die nimmer zum Ziele gelangt, die, zwar erwidert, dennoch entsagen und leiden muß, vertieft und verschönert die Herzen. Denn das Gemüt des Menschen wird nicht reicher, indem es die vergänglichen Schätze der Erfüllung sammelt, sondern durch Selbstentäußerung. Und wer tapfer zu verzichten gelernt hat, der weiß auch am besten zu helfen. Wir wandeln alle in Finsternis, und es ist keine Seele so stille, daß nicht zuzeiten die Sehnsucht sie
suchte. Und einmal kommt auch dem stolzesten Herzen die Stunde, wo es seine Einsamkeit empfindet und nach Liebe dürstet. Und dann fühlen wir's, daß das Licht nur dem Selbstlosen wird. Wenn das Mondlicht durch die kalten, stillen Winternächte wandelt und die kahlen Bäume küßt, dann ist's, als ob ein geheimes, traumseliges Leben in ihnen erwachte: sie gedenken vergangenen Sommerglücks. So umspinnt die einsame Seele des Verlassenen die Erinnerung der Liebe; ein Stückchen Sommer trägt der allezeit in sich, der einmal wahrhaft geliebt. Scheue und tiefe Naturen wehren sich lange gegen die Liebe: wie auch manche Bäume des Waldes erst spät Blätter treiben, wenn der Sommer schon unterwegs ist. Das macht, tiefe Herzen mißtrauen sich selbst immerdar, und die Liebe ist ihnen etwas Heiliges. Sie spüren wohl, daß das sittliche Selbst in Frage steht, und da mögen sie nicht spielen. Aber wer solche Liebe findet, der darf sich selig preisen. Da ist kein Winkelchen der Seele, das nicht von ihr erwärmt wird, wenn die Liebe einmal gesiegt hat. Die Liebe demütigt das Herz, und sie verwirrt und betäubt bei ihrem ersten Nahen den Sinn. Ich kann's wohl verstehen, daß so viele Künstler haben die Liebe zum Grundaffekt der Kunst machen wollen. Denn dem Liebenden ist, als ob die Idee von ihrem Throne gestiegen w ä r e und leibhaftig sich den staunenden Blicken enthüllte. Im Gefühle ergreift aber auch der Künstler die Idee: er stellt sie außer sich im Kunstwerk. Und weil der Liebende im Geliebten so durchaus nur das Positive, das, was zur Idee hinstrebt, sieht und ergreift, s o erwacht auch ihm die Idee im Gefühl, Doch
darf
dem
Liebenden
der Geliebte
nicht
ein
K u n s t w e r k sein, an dem sein ästhetisches Gefühl sich G e n ü g e tut. Sondern sein Leben muß sich um ihn ranken, sein Wille ihn suchen, seine Seele muß mit ihm wandern. Eine Heimat muß ihm das Herz des geliebten Menschen sein, aber auch ein Acker, den er bepflanzt und bebaut. Es ist so schön, in der Ungewißheit des Lebens ein Sicheres zu haben; umgeben vom Problematischen, Une r k a n n t e n , immer aufs neue in Kämpfe verwickelt, mit S o r g e n geplagt und von Leiden bedrückt, bedarf das Herz einer Stätte des Friedens, einer Quelle, aus der es neue Kraft trinken kann. In der Morgenfrühe, zwischen Tag und Nacht, ist es lieblich zu sehen, wie aus der Dämmerung gemach die Dinge der Erde auftauchen; nun siehst du deutlicher einen Baum, der seine Äste schlaftrunken gen Himmel reckt; nun Sträucher und Zaun und Gitter, das Kirchlein fern im Dorf, und alles wird greifbar und leuchtet im zagen Morgenschein. S o , wenn wir an der Hand der Liebe dem Schicksal entgegengehen, hebt sich nach und nach unser eigenes Dasein zu sicheren F o r m e n ; es verrauscht Traum und Wirrsal, und das reine Selbst tritt aus der Dämmerung. Aber wer abseits steht, wer die Einsamkeit im Herzen trägt, oder wer seiner Liebe nicht folgen darf, obgleich sie Antwort gefunden, auch der kann nicht lassen von seiner Sehnsucht, ohne in der Finsternis zu versinken. Und der Tod liebt uns alle, weil er uns zum Ewigen führt. Vor seinem Hauch zerschmelzen alle Götzen unserer Seele; aber das Wahre beschirmt er. Seine Liebe gilt den Verkannten, Ausgestoßenen. Den Neid und Haß macht er verstummen, so daß die Stimmen hörbar werden, die die Mißgunst übertönte, und die Welt dankbar das nimmt, was sie vom Lebenden verschmähte.
Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit.
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ie einzelne Beobachtung o d e r , wie man mit einem Wort von zweifelhaftem philosophischen Werte sagt die einzelne Tatsache ist in ihrer Isoliertheit dem Sein der Wirklichkeit, d. h. dem Dasein, noch nicht gewonnen. Das Einzelne, Vereinzelte, trägt immer den Charakter der Zufälligkeit und also Irrationalität; erst wenn wir seinen Begriff, in dem ja seine wissenschaftliche Existenz besteht, aus höheren Begriffen deduktiv ableiten können und wenn es selbst durch diesen Begriff zur Prämisse für fruchtbare Erkenntnisse werden kann; d. h. erst wenn wir es in den allgemeinen Zusammenhang der Vernunft eingereiht haben, gewinnt es die Notwendigkeit seiner Natur, erscheint es der Wirklichkeit gesichert. S o bleibt auch das sittliche Individuum im Problematischen stecken, solange es sein Dasein nicht in allgemeinen Zusammenhängen der sittlichen Vernunft befestigt hat, im Staate, in der Gemeinde, der Familie usw. Seine Handlungen sind ohne Realität, wenn sie nicht dem allgemeinen Gesetz entspringen. In der Isolierung verliert der Mensch seine Menschheit. D a s Recht, welches immer die kristallisierte sittliche Vernunft eines bestimmten Zeitalters ist, hat diese Einsicht frühzeitig im Strafrecht zum Ausdruck gebracht. Die alten Germanen machten den Mörder, welcher nicht durch vorgeschriebene Buße sein Verbrechen zu sühnen vermochte, vogelfrei und schickten
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ihn in die Verbannung. Er w u r d e der Gemeinschaft seines Volkes und Vaterlandes entzogen und dadurch des Wurzelbodens seiner moralischen Existenz beraubt. Und noch heute werden politische Verbrecher durch das Exil bestraft. Die katholische Kirche bestraft so den Sünder durch Exkommunikation. Diese Kirche gibt bekanntlich vor, ihren Mitgliedern selbst die moralische Persönlichkeit zu garantieren. Der Kirchenbann entzieht also, nach den Vorstellungen des Katholizismus, den Einzelnen recht eigentlich der sittlichen Welt. Freilich kann die Heteronomie (Fremd-Gesetzgebung) niemals eine wahrhaft menschliche Moral begründen. Sondern wie der Einzelne Mitglied der sittlichen Gemeinschaft ist, so muß er auch an seinem Teil ihr Urheber sein. Daher denn auch nicht eine konfessionelle Kirche, sondern allein der Staat das Mittel zur Verwirklichung der Sittlichkeit, der sittlichen Idee, sein kann; aber freilich der Staat nicht in seiner zufälligen Gegebenheit, sondern der Rechtsstaat, der selbst Aufgabe und Idee bleibt. Die Mitarbeit am Staate und seiner Vervollkommnung ist also eine Arbeit an der Ausgestaltung und Verwirklichung des eigenen sittlichen Selbstes. Der Gedanke, daß die obersten Gesetze des Seins, also der Vernunft, dem Geiste durch eine fremde Macht gegeben seien, führt die Menschheit überall zur Selbstvernichtung. Die Wissenschaft baut die Wirklichkeit auf durch ein System von Begriffen, welche untereinander mit den eisernen Banden der Vernunftnotwendigkeit verknüpft sind. Aber dies ganze System ist nur ein Versuch, die unendliche Fülle des Seins zu ergreifen und muß, bei vertiefter Einsicht, neuen Versuchen weichen. Wären nun aber die obersten Axiome, welche diesem ganzen deduktiven Zusammenhang zugrunde liegen, uns
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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
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von außen aufgezwungen, so wären wir rettungslos in ein Netz der Notwendigkeit eingesponnen, aus dem kein Entrinnen möglich wäre. Auch könnte man das nicht einmal beklagen, wenn nur die so erbaute Wirklichkeit bereits vollkommen wäre und durchaus vernünftig. Aber die Fehler und Gebrechen des Daseins liegen nur allzu deutlich zutage, und wir spüren sie an Leib und Seele. Nun sind aber gottlob die obersten Begriffe keine so starren Gebilde, sondern dem Geiste der Menschen selbst entsprungene Hypothesen; Hilfsmittel, durch welche wir die Welt vernünftig zu machen versuchen. Wenn wir also im Übel und Irrtum, in der Sünde und der Schuld auf das Problematische stoßen, so ist das nur ein Beweis, daß wir nicht tief genug gegraben haben. Wir müssen neue, bessere Begriffe schaffen, weiche den neuen Problemen gerecht w e r d e n ; und darin besteht unsere Freiheit. Wir müssen die neue, bessere Wirklichkeit wollen, mit dem Willen ergreifen — das ist unsere sittliche Aufgabe und Würde. Denn auch das sittliche Dasein ist weder absolut, noch auch vollkommen. Die Einheit der Menschheit ist das Ziel, das wir zu erreichen trachten durch die stets vertiefte und stets neu erbaute sittliche Wirklichkeit. Und wie in der theoretischen und sittlichen Welt, so auch in der Kunst. Die Kunst bestrebt sich, dem Gefühl die Idee der Einheit der Menschheit zu offenbaren. Daher darf der Künstler weder in endlichen, isolierten Gefühlen aufgehen, noch auch die Gesetze seiner Kunst von außen empfangen. Er bedient sich der Natur und Sittlichkeit, um mit ihrer Hilfe das Gefühl der Idee zu erzeugen; aber Natur und Sittlichkeit müssen eben bloße Mittel bleiben, sonst wird er entweder lehrhaft oder Sittenprediger. Es ist schon Heteronomie, wenn er sich
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bemüht, die wissenschaftliche Natur möglichst getreu „nachzuahmen", statt sie in seinem künstlerischen Interesse neu zu erzeugen. Und es ist gleichfalls Heteronomie, wenn er sich zum Diener der Sittlichkeit seiner Zeit macht. Den ersten Fehler begehen die Naturalisten, den zweiten die Tendenzdichter. Und immer sind diese Mängel auch mit den anderen verbunden: die Kunst geht alsdann in endlichen Gefühlen auf, statt das unendliche Gefühl der Idee zu erwecken. Die Verherrlichung irgend einer isolierten Empfindung, eines vereinzelten, vergänglichen Gefühles, das zum Selbstzweck gemacht wird, führt auch in der Kunst auf Abwege. Denn auch die Kunst sucht das Allgemeine, nämlich das Allgemeine des Gefühls. Jeder Affekt: Liebe, Haß, Sehnsucht usw. ist der Kunst zugänglich; aber immer nur, sofern sich in ihm das allgemein Menschliche, der Abglanz der Idee offenbart. Das Vergängliche muß durch die Kunst zum Ewigen geadelt werden. Dadurch erhält es auch hier erst seinen Platz in der Wirklichkeit, seine Notwendigkeit der Existenz. Man unterscheidet drei Hauptarten des ästhetischen Zustandes: das Schöne, das Erhabene und das Humoristische oder Komische. Man kann sagen: das Schöne gibt uns das Gefühl der Freiheit bei höchster Notwendigkeit; das Erhabene gibt uns das Gefühl d e r Notwendigkeit bei höchster Freiheit; das Humoristische (Komische) gibt uns das Gefühl der Notwendigkeit als Freiheit. Wie ist das zu verstehen? Die Schönheit zeigt Natur und Sittlichkeit in inniger Harmonie: die Natur scheint sich der Idee entgegenzusehnen und die Idee sich freundlich zur Natur herabzuneigen. Beim Anblick des Schönen empfinden wir nicht die Mängel und Unvollkommenheiten der Natur. „Schönheit ist Erschei-
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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
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nung der Freiheit in der Sinnlichkeit" sagte Schiller. Beide, Natur und Sittlichkeit, werden zwar nicht gleichgesetzt (dies ist nur bei einer besonderen Dichtungsart, dem Märchen, der Fall, das daher auch zum Wunder greifen muß); aber die Natur erscheint doch wie eine willige Schülerin, die dem Gebote des Lehrers folgt. E s gibt keine seelischen Konflikte beim Genuß des Schönen; deswegen hatte schon Kant das Schöne subjektiv charakterisiert als ein harmonisches Spiel zwischen Einbildungskraft und Verstand; er hätte besser gesagt: zwischen praktischer und theoretischer Vernunft. Nun charakterisiert sich die Natur, wie wir ausgeführt haben, gerade durch den Begriff der Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit bemächtigt sich beim Anblick des Schönen unserer Seele; aber nicht ihr Gegensatz gegen die Freiheit wird empfunden, sondern, weil sie mit der Idee zu harmonieren scheint, erzeugt sie das Gefühl höchster Freiheit. Nehmt eine Raffaelsche Madonna, etwa die Madonna aus dem Hause Orleans. Die sanfte, bezwingende Menschengüte, die aus dem Antlitz der Mutter spricht, die Reinheit der Unschuld, die von der Stirne -des Kindes leuchtet: hier spricht das Gefühl der Idee tröstlich zu uns durch die Formen scheinbar vollkommener Menschennatur. Hier mögen alle egoistischen Leidenschaften schweigen; hier beugt sich Herz und Sinn vor der Offenbarung des reinen Gefühles, das die Menschen verbindet. Und alles steht mit höchster Notwendigkeit da, und doch ist alles Ausdruck der Freiheit und erzeugt das Gefühl der Freiheit; diese Menschen können nicht anders, als rein und gut, als menschlich handeln. Beim Erhabenen überwiegt das Sittliche die Natur; der Abstand und die Unvollkommenheit der Natur gegenüber der Idee wird dem Gefühle offenbar, und die höhere
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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
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Realität der Idee gegenüber der vergänglichen Wirklichkeit scheint in Erscheinung zu treten. Der Zug und die Sehnsucht des Gemütes zur Idee wird so mächtig, daß es sich wie mit Fesseln der Notwendigkeit dem flüchtigen Reich der Erscheinungen entzogen fühlt. Der Auftrieb zur Idee gewinnt den Charakter des Gebotes, der Notwendigkeit in der Seele: es spricht zu uns die Stimme der Zukunft. Wer die Herrlichkeit der Welt erschauernd in der Einsamkeit des Hochgebirges empfunden hat: wer einmal allein den uralten Riesen der Alpenwelt gegenübergestanden hat, deren schweigende Stimme ihm das Schicksal von Jahrtausenden erzählt; oder wer die Klagelieder und die drohende Stimme des Sturmes über den bewegten Wellenzügen des Ozeans vernommen hat: der hat wohl gefühlt, wie seine Seele, von einer süßen, schmerzlichen Sehnsucht ergriffen, die Kleinheit seines Sinnen-Ichs durchbrach und aufwärts strebte der Idee entgegen. Und eben darin besteht ja unsere Freiheit, daß wir unser Leben und Schaffen in den Dienst der Idee stellen können. Aber wir werden hier so mächtig der Idee entgegengerissen, daß wir diese unsere höchste Freiheit als Notwendigkeit empfinden. Beim Humoristischen setzen wir spöttisch die Natur einmal an Stelle der Idee; hier wird also die Natur scheinbar als das bereits Sittliche ausgegeben. Aber natürlich nur, um in seiner Kläglichkeit hernach um so gründlicher enthüllt zu werden. Und zwar ist es gerade das noch Problematische, Mangelhafte und Unvollkommene der Natur, welches als wahre Realität auftritt, um dann an seinem eigenen Nichtsein zu zerschellen. Die schlechte Notwendigkeit, die Notwendigkeit, welche uns zwingt, weil wir sie noch nicht beherrschen, gibt sich hier als Freiheit: freilich erwacht hernach das Gefühl der wahren
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Freiheit um so kräftiger. Man darf nur an Sir John Falstaff denken, um sich von der Richtigkeit dieser Charakteristik zu überzeugen. Die rechte und echte Notwendigkeit ist überall unser Werk, also eine Tat der Freiheit — denn sie entspringt den Begriffen der Vernunft. Daß die Vernunft Begriffe erzeugen kann, in denen sie das Sein einfängt und ihrer eigenen Notwendigkeit unterwirft, das ist ihre Freiheit. Wenden wir noch einmal den Blick zurück auf die Seele des Einzelnen, des Individuums. Je mehr wir versuchen, die Seele zu begrenzen und zu bestimmen, desto deutlicher wird ihre Unendlichkeit. Und dennoch ist es unsere Pflicht, unsere Eigenwelt mit dem Netze der Notwendigkeit mehr und mehr zu umspannen, um unsere Gefühle und Empfindungen so der Wirklichkeit zu gewinnen. Aber Leidenschaften und Wünsche zerreissen oft dies Gespinnst der Vernunft; und Menschen, welche in dieser Hinsicht allzusicher sind, erwecken den Verdacht, nicht sehr weit in das Sein ihrer Seele eingedrungen zu sein. Aber die sittliche Handlung erfordert Klarheit der Erkenntnis, und so müssen wir unsere Seele stets aufs neue zum Problem machen. Nun geht freilich schon in den ersten Entwurf um die konkrete Gestalt, welche das Sittengesetz im Bewußtsein des Einzelnen annimmt, immer schon soviel Problematisches der unvollkommenen Wirklichkeit, das sich der Notwendigkeit des Begriffes entzieht, ein, daß schon der erste Anfang der Handlung hinter dem Vorbilde zurückbleiben muß. S o entsteht ein Konflikt der Seele mit sich selbst, der um so schmerzlicher empfunden wird, j e tiefer und reiner der Quell des sittlichen Bewußtseins ist, dem die moralische Bemühung entsprang. Und doch liegt auch in diesem ungewollten Übersehen der Unvollkommenheit der Wirklichkeit ein
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Keim tiefster Zukunftsrealität; denn das so entstehende Problem ruft Wille und Denken zu neuer Arbeit auf. Immer ist es also das vernünftige Gesetz, welches die Isoliertheit des Einzelnen aufhebt und ihm Notwendigkeit des Daseins verleiht. Nun wird sich aber das Individuum niemals restlos in den sittlichen Gesetzen seiner Zeit wiederfinden. Denn einerseits decken sich Individuum und Allheit, auf welche doch die Gesetze immer bezogen sind, nur in der Idee, nicht aber in der relativen Wirklichkeit seiner Zeit; andererseits drückt sich selbst die Tendenz zur relativen Allheit der Zeit in den Gesetzen der Wirklichkeit zumeist nicht einmal rein aus, weil sie aus Sonderinteressen entsprungen sind. Wenn uns daher das sittliche Gesetz (das einzelne, vergängliche, nicht die Idee) zuweilen brutal erscheint und wie mit fremder Notwendigkeit bedroht, so kommt dies entweder daher, daß wir sein sittliches Sein und seine Vernunft noch nicht zu begreifen vermögen (es ist dann wirklich für uns noch eine äußere Macht) oder daß wir bereits in eine höhere sittliche Wirklichkeit eingetreten sind. Wünsche und Begehrungen, welche sich in unserer Brust drängen und gleichsam nach der Wirklichkeit rufen, kehren sich oft, wenn sie nun erfüllt werden und ins Dasein eingehen, gegen uns selbst. Denn sie können nicht anders Sein gewinnen als in der allgemeinen Form des Seins überhaupt, als Begriff und Gesetz. Der Begriff aber und das Gesetz sind unpersönlich und kümmern sich nicht mehr um die engherzigen Motive des Individuums. Man sollte meinen, falsche und hohle Begriffe, welche kein Sein in sich bergen, müßten bald an der Wirklichkeit zugrunde gehen. Allein wenn sich's so fügt, daß das Nichtsein dem Nichtsein begegnet, können sie ihre B •
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Scheinexistenz lange fristen. Wenn wir z. B. sehen, wie ein Streber durch Kriecherei und Heuchelei zu hohen Ehrenstellen gelangt, so müssen wir uns doch sagen, daß er zu dieser Art der Existenz nicht gelangt wäre, wenn er nicht mit seinen unwahren Bemühungen an Lücken und Fehler seiner Vorgesetzten gestoßen w ä r e : die Eitelkeit dieser, also ein Nichtsein, verschaffte seiner Methode Eingang in die Welt. Aber es entsteht so freilich immer eine Welt des Trugs, die an ernsten Problemen scheitern muß. Eine Wirklichkeit kann die Notwendigkeit ihrer Existenz auch einbüßen, indem sie versteinert. Dogmatiker, die ihre Begriffe absolut setzen, versündigen sich so am Sein, Demgegenüber beruht das Befreiende des Skeptizismus darin, daß er alle Gebilde des Geistes ihrer Starrheit beraubt, sie einschmilzt und beweglich und flüssig macht. Wer aber im Skeptizismus stecken bleibt, geht seiner wohltätigen Wirkung verloren, indem er sich ja an das Problematische hingibt und auf j e d e Notwendigkeit, oder auch auf das höchste Vorrecht der Freiheit (Notwendigkeit zu erzeugen) verzichtet; er kommt nicht zum Bewußtsein seiner Bestimmung. Die Gefühle und Leidenschaften müssen sein Ich endlich verschlingen; sie sollten ihn aber zum Aufbau seiner Wirklichkeit aufrufen. Denn freilich ist dieser immer mit Liebe, Haß und Reue verbunden, und wenn wir uns von ihnen befreien könnten, kämen wir keinen Schritt mehr über die bestehende Wirklichkeit hinaus. Es gibt aber Leute, die sind stolz darauf, keine Gefühle zu haben und ersticken j e d e , auch die geringste Leidenschaft im Keim; und dann glauben sie, sie seien tugendhaft. Aber es ist viel größer und sittlicher, seine Leidenschaften zu lenken, als sie zu töten. Nur w a s aus Mühsal geboren ist, kann den Mühseligen helfen. Die mit den tiefsten Gefühlen zu kämpfen haben, fördern die Welt am meisten;
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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
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ihr eigenes Sein ist auch am sichersten befestigt. Die leichten Charaktere vergleiche ich im Lebenskampf mit Leuten, die in voller Kleidung ins W a s s e r gefallen sind. Zuerst werden sie eine Weile von den Kleidern getragen, bis diese sich voll Wasser gesogen haben; dann versinken sie. Mancher freilich scheint der Welt gleichgültig prüfend gegenüber zu stehen und leidet doch mehr als die anderen, die wirken. Die Gefühle und Leidenschaften nehmen sofort den Charakter fremder Notwendigkeiten an, wenn wir sie nicht durch Vernunft beherrschen. Eine Leidenschaft, der wir selbständiges Leben verleihen, führt uns bald aus der Wirklichkeit hinaus. Der Begriff aber und die Vernunft befestigen uns in der Allgemeinheit und verleihen unserem Dasein Notwendigkeit. Wer einen Gegensatz zwischen Freiheit und Notwendigkeit konstruiert, der hat das Problem noch nicht in seiner Tiefe erfaßt. Die Notwendigkeit ist immer die Notwendigkeit der Vernunft, welche dieselbe kraft ihrer Freiheit erschafft und immer mehr vertieft.
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El:
s
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D e r Einzelne und das Dasein.
N
icht
immer k ö n n e n
beantworten:
unsere
wir die F r a g e n
des
Schicksals
dann machen wir A u s r e d e n ; und um
gebrechliche Wirklichkeit zu retten,
leugnen
wir
das P r o b l e m und verbergen uns unsere e i g e n e S c h w ä c h e . A b e r dann geht uns der e w i g e G e w i n n des L e b e n s verloren.
Wir
müssen
den
Mut
haben,
auch
eine
Lücke
u n s e r e r Innenwelt frei einzugestehen und dem G e i s t e die P r o b l e m a t i k des L e b e n s stets g e g e n w ä r t i g halten.
Denn
wir verlieren uns selbst, wenn wir nicht stündlich unsere S e e l e vom V e r g ä n g l i c h e n scheiden.
W o die B e g r i f f e und
G e s e t z e der S e e l e mit uns schalten und walten, o h n e daß wir s i e uns innerlichst angeeignet haben, sind wir unfrei s e l b s t in den Armen der Wahrheit und Sittlichkeit. bloße Sie
Sitte
z. B .
behält
immer e t w a s
spielt günstigsten F a l l e s
seelisch
Alle
fremdes.
auf ethischem G e b i e t e
die
R o l l e einer mathematischen F o r m e l , deren Ableitung wir vergessen zeugt
haben,
sind.
von
deren Richtigkeit wir a b e r über-
D i e S i t t e hat hier nichts voraus vor j e n e n
S i t t e n g e b o t e n , die sich auf göttliche Offenbarung berufen. Beide man
gehen
häufig
die W e g e
nicht bei Namen
Sitte
nennen
des Nachtwandlers, darf.
auf dem G e b i e t e der Moral,
den
Und w a s hier die das ist die „ S c h u l e "
auf dem G e b i e t e der Kunst. D a s Selbstbewußtsein mangelt beiden.
Überkommenen
ist
die Voraussetzung e i n e r fruchtbaren Selbstentfaltung
Die
ständige
Prüfung des
der
Seele. H
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~Fl
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Der Einzelne und d a s Dasein
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Überhaupt ist ja, was wir von unseren Vorfahren und unserer Umgebung an Begriffen als Geschenk überliefert bekommen, zu jeder Zeit unseres Lebens nur ein Fragment unserer seelischen Wirklichkeit. Nicht nur stellen Gefühle und Empfindungen uns immer wieder neue P r o bleme, die nach neuen Begriffen verlangen, sondern in der Anwendung verwandeln und verändern sich auch die überkommenen Begriffe. Aber dies bleibt uns häufig selbst verborgen, und noch viel leichter unserer Umgebung. Erst der Konflikt unserer Eigenwelt mit der allgemeingültigen Wirklichkeit bringt uns den Gegensatz schmerzlich zum Bewußtsein. Und doch ist es notwendig, daß unsere Begriffe mit uns wachsen und leben, sonst werden wir bald zu Schatten, denn mit der Erkenntnis und dem Willen weitet sich unsere Seele. Manche Menschen beurteilen die Welt gleichsam aus einer versunkenen F e r n e : der Fortschritt der Kultur hat die Wirklichkeit in der sie leben, längst in Traum verwandelt. Und dann wird ihnen das Leben zum Schicksal. Die Wirklichkeit ist immer zugleich Produkt und Problem der Erkenntnis und des Begriffes. Es ist gleich verfehlt, wenn man sich die Natur und die Wirklichkeit als eine von der Erkenntnis unabhängig gegebene, fertige G r ö ß e vorstellt, oder sie, nach Art des subjektiven Idealismus und psychologischen Apriorismus in das Individuum des Einzelnen zurücknimmt. Denn man muß doch immer in irgend einer Weise dem G e d a n k e n einer überindividuellen, allgemeinen Gesetzlichkeit Raum geben, ohne welchen der Begriff der Wahrheit überhaupt nicht möglich ist. Hierdurch wird a b e r , wenn man die Natur unabhängig vom Geiste setzt oder sie mit dem Bewußtsein des Einzelnen in Eins denkt, immer der Mensch der Wahrheit und dem Sein entfremdet und der Freiheit beraubt.
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Der Einzelne und das Dasein
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Wenn nämlich die Natur vor der Erkenntnis existiert, so wird der Mensch in dieser Natur zur bloßen Sache, der fremdem Willen, selbst willenlos, gehorchen muß. Dem sucht nun eben der subjektive, psychologische Idealismus dadurch zu entgehen, daß er die Natur da draüßen zum P r o d u k t und zur Erscheinung der Natur im Innern des Individuums macht, indem er die allgemeine Naturgesetzmäßigkeit aus der ewigen, unveränderlichen Organisation des Einzelnen zu begreifen sucht. Dann aber ist der Mensch gewissermaßen dem Schicksal und der Gewalt seiner eigenen, ihm aber fremdgewordenen Seele ausgeliefert. G e r a d e weil sich der Mensch hier alles aneignen will, verliert er alles. Denn der durch seine Organisation bedingte Mechanismus des Geschehens läuft fremd und kalt in ihm ab, unerbittlich gegen seine Sehnsucht und seinen Willen. Er wird zum Zuschauer seines Schicksals. Man muß eben begreifen, daß die Natur in der Erkenntnis und das Selbst des Menschen in seinen sittlichen Begriffen und Handlungen ruht. Aus dem Versuche des Individuums, das Sein erkennend zu ergreifen, entspringen die Vorstellungen seiner Seele; aber diese sind nicht unmittelbar mit dem Begriffe identisch, sondern nur die Wahrheit erreicht das Sein; soviel Wahrheit in seinen Vorstellungen ist, soviel Begriffe nennt er sein eigen. Nun ist aber dem Einzelnen zunächst die ganze Vorstellung, nicht nur das, was die Zukunft als Wahrheit und also als Begriff bestehen läßt, Ausdruck des Seins. Daher verschleudern die Individuen in ihrem Vorstellen immer einen Teil ihrer Seele: es ist der sterbliche Teil unseres Wesens. Aber in ihm liegt auch nicht unser Selbst. Daher ist das Subjekt an sich nie und nirgends geeignet, zur Grundlage des Gesetzes zu dienen. Wo das
Der Einzelne und das Dasein
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Subjektive Gesetzescharakter annimmt, da hört es auf, bloß subjektiv zu sein. Das ist der Fehler und die Wahrheit alles Individualismus. Wenn man verlangt, das Eigene, Individuelle der Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, so verlangt man in Wahrheit, daß man es zum Allgemeingültigen läutern solle. Die Wahrheit und der Begriff sind grausam und doch gerecht gegen die Einzelseele; sie geben ihr den Tod und die Vollendung. Wenn wir auf Grund vertiefter Einsicht die Wirklichkeit einer früheren Kulturperiode oder auch der Gegenwart anders konstruieren, als sie ein Einzelner fühlt, denkt und empfindet, so müssen wir doch gewissermaßen seine Seele vernichten. E r lebt ja unter Schatten, und das, was er für das Ewige hält, hat sich uns bereits als vergänglich erwiesen. Aber wir töten eben doch nur das sterbliche Teil seiner Seele: denn es gibt keinen, der nicht die Sehnsucht zur Idee in sich trägt und also sein Selbst irgendwie in der Zukunft befestigt hätte. Und so vollendet denn die Wahrheit und der Begriff auch seine Seele.
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Von der Heimat unseres Herzens.
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st's nicht, wenn das Abendrot am Himmel einherschreitet, als ob ein Wölkchen das andere entzündete, bis die weite Fläche des Leuchtens wächst und in dem himmlichen Feuer die Seele des sterbenden Tages verglüht? So auch entzündet im menschlichen Herzen ein Wunsch den anderen, eine Hoffnung die andere; aber so weckt auch ein neuer Gram alle gestorbenen Leiden. Wie oft ist nicht eine Welt in meiner Seele auf- und untergegangen, der S o n n e gleich, eine Weile Licht entzündend, damit ich die Finsternis doppelt empfinden sollte, wenn sie im Ozean des Lebens versunken w a r . Aber allmählich gewöhnt' ich mich, auch im Sternenschein die Dinge, die mich umgaben, zu erkennen; und wenn am Tage alles leuchtend war und bunt, so trank ich nun Frieden aus seliger Stille. Zwar mancher steht abseits und sieht nur die Schatten des Werdenden. Schleicht nicht der Tod hinter dem Leben einher, erntet die Früchte, die es gesäet, verdirbt seine Freuden und wandelt sein warmes Genießen in frierend Entsagen? Er erstickt die bunten Sommergaben der Lust in der kühlen Nacht des Vergehens. Und doch: nur aus dem Werdenden kannst du das Dauernde schöpfen; wer das G e w o r d e n e herzt, liebt die Vergänglichkeit. Einmal erblicken wir alle das Ewige im Gewände der Liebe; es befruchtet das Erdreich un-
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Von der Heimat unseres Herzens
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seres Herzens mit Keimen zukünftiger Wahrheit. Siehe, da werden die Schatten des Todes zunichte, und das Antlitz unserer Seele spiegelt den Frieden des Zukünftigen. Strömt nicht die sterbende S o n n e glühende Freude über die Erde aus? S o liebt sie die Erde; so liebe du die Welt, daß auch die sterbende F r e u d e dein Herz noch erglühen mache! Der Wunsch eines großen Herzens ist Weltsehnsucht, denn er hat das Ich verloren. Täuschen wir uns doch, wenn wir glauben, den Menschen entfliehen zu können: selbst unsere Liebe zur Natur ist Menschenliebe. Darum verleiht uns auch die Dankbarkeit die reinsten und seligsten Stunden. Die Dankbarkeit und die Schönheit! Zwar die Philister nennen die lieblichsten Blumen der Seele Unkraut; und dulden sie nur in ihrem Garten. W e r aber die Schönheit liebt, den segnet sie, und er verstummt bei ihrem Anblick. Das innige Gefühl unendlicher Freiheit löst sich in seligen Träumen auf, die in ihrer unbestimmten und dennoch sicheren Existenz gleich lichterfüllten Wolken durch den Himmel der Seele ziehen. Dem sich Gestaltenden wird noch kein Begriff gerecht, und ein unbedachtes Wort stört das heilige Schweigen des trunkenen Gemütes. Die Schatten werden greifbar im Reiche der Schönheit und teilen das Leben ihrer Wirklichkeit; sie dienen dem Licht. Und s o wandelt die Schönheit auch die Schatten unserer Seele in strahlende Sterne. Im Rauschen ihrer Melodien tönt selbst vergangenes Leid ein Lied voll Frieden und Seligkeit; nur wer seinen Kummer liebt, fliehet die Schönheit. Ich kenne die stillen Haine, in denen die Schönheit wandelt: dort bin ich zu Hause, wenn mir die Welt fremd geworden. Und tret' ich ein, so weht mich der Hauch
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Von der Heimat unseres Herzens
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der Sehnsucht an, und die Flamme der Begeisterung lodert im Herzen. Ist mir doch immer, als erneure sich meine Seele, wenn mir die Schönheit begegnet. Dann bin ich sicher, wo ich zweifelte, und vertrauend, w o ich mich scheu versteckt hielt. Ich kenne keine Rätsel mehr, die das Herz nicht gelöst, keine Wünsche, die ihr Blick nicht befriedigt. Denn die reine Schönheit duldet kein gebrechlich Verlangen, das am Endlichen klebt, und gießt das Unendliche in feurigen Strömen in unsere Seele. Mißtönend bewegt mit S o r g e und Leidenschaft der Alltag den Geist: aber die Schönheit stimmt ihn zum Wohlklang. Und dennoch verlangt sie alle Kräfte des Daseins und verweichlicht nur die trägen Herzen, die sie entheiligen. Aber aus hartem Gestein rinnt die lauterste Quelle. Aber das laute Leben ruft mit rauher Stimme nach deiner Seele und zerstört mit ungeschickten Händen den Tempel deiner Stille. Und das Herz ist wie ein verlassen' Kind, das sich im Walde verirrte und kann nicht heim finden. Aber das Ewige im Busen glüht fort und die Sehnsucht adelt das Leben. Wie ein schüchterner Geist der Nacht, der sich ins helle Tageslicht verirrte, erschrickt unsere Seele zuweilen vor der Erkenntnis einer Wahrheit. Denn was nun hinter ihr in Finsternis versinkt, war einst ihre Heimat. Aber das ist ihr nun fremd, und ein Verlangen wird g r o ß , weiter und weiter zu wachsen in die Fülle des ungewohnten Lichtes. Wie Blütenregen des Frühlings ergießen sich heimliche Wünsche ins sehnende Herz, und das reine Leuchten des neuen Himmels webt süße Gedanken in Feiertagsstille. Aber nimmer sättigt das Herz sich am Irdischen! Selber die Klarheit golddurchwirkter Räume, von S o n n e n -
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Von der Heimat unseres Herzens
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•sehnsucht erfüllt, können den Reichtum des Wunsches nicht fassen, wenn sich die liebende Seele entzündet am Traume des Göttlichen. Tausendmal stürzt sie, gleich Ikarus, tausendmal hebt sie sich zu wagendem Flug und erneut ihr Leben an der Gewißheit des endlichen Sieges. — Das Wiedererwachen der abgestorbenen Seele unter der zarten Berührung der Liebe ist wahrlich wunderbarer als das Erblühen des Frühlings. Die Sicherheit, welche die neu angeknüpfte Verbindung mit der Welt gewährt; die frohe Erkenntnis der wiedergewonnenen Heimat: alles strahlt Wärme ins Gemüt; und die Innigkeit des eigenen Herzens verleiht der Natur Seele und Odem. Ruhiger und sanfter rauschen die Wellen der Zeit durch das Gemüt, und der Widerspruch des Alltags löst sich in sanften Harmonien. Aber auch dann, wenn dich der liebliche Hauch des Frühlings berührt und die selige Gemeinschaft der Liebe dein Herz mit Freuden stärkt: täusche dich nichtI Du bist nicht im Frieden. Denn nicht zu genießen, sondern zu wirken ist unser Los; und Freud und Leid wechseln im Herzen. Nicht gleich den ewigen Sternen, die in ihres seligen Lichtes Fülle auf selbstgewählter Bahn einherziehen, ist uns zu wandeln bestimmt. Des Menschen Weg steigt langsam zu seinen Gipfeln empor, und die Stürme des Schicksals umbrausen den Wandrer. Und pflückt er sich Blüten am R a n d , sie welken in seinen Händen. Zuweilen, wenn die Erde nächtliche Nebel gebiert, sieht er das Nächste nicht, und immer bleibt das .Ziel im Weiten. Aber mag auch der Fuß müde werden von der langen W a n d e r u n g , mag endlich unser Auge erlöschen in der letzten Nacht: das Ewige ist doch mit uns und birgt uns in seinen Armen. Was wir mit unserer Seele
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Von der Heimat unseres Herzens
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geschmückt, das überdauert uns und rettet unser Wesen. Es ist doch ein Wachstum zum Göttlichen in der Welt: es zieht das Sterbliche und Vergängliche zu sich heran in wechselnden Geburten; und das Verrauschende befestigt sich mehr und mehr im Dauernden. Mögen die Blätter verwelken, mit denen die Sehnsucht den Hain deines Herzens geschmückt! Die Erde nimmt sie auf in ihren Schoß und bildet sie um zu neuen Keimen. Es ist kein Wunsch durch deine Seele geflogen, den nicht, wenn er nur rein und gut war, die Menschheit wünschen wird! Die Zukunft wird deine Gedanken erlösen, die nach Wahrheit dürsteten; die Schönheit, die du geliebt, wird niedersteigen und wandeln unter deinen Brüdern. Entfalte die Seele vor dem Morgenrot des kommenden Tages, an seinem Kusse zu gesunden! Dort ist deines Herzens Heimat.
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Trostgedanken.
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iegen im Herzen sich stille Gedanken sehnsüchtiger Liebe: das sind Seelen zukünftiger Taten, die nach dem Leben verlangen. Erlöse sie, und du schenkst dir die Ewigkeit. Läßt du sie sterben, so stirbt ein Teil deines Ichs. Aber da ist der Tag nun voll Widersinn und Betrübnis, und deine Seele fliegt mit den Wolken dahin, die den Sonnenquell verdunkeln. Dir selber fern, vermagst du dennoch das Eine nicht zu erreichen, für das du gelitten hast. Könntest du nur die geheime Sprache deines Herzens verstehen, du würdest nicht mehr dem T o d e nachlaufen, da du das Leben erkennen gelernt. Ach, nicht einmal dir selbst vermagst du zu lauschen, wieviel weniger dem werdenden Leben der Zukunft! Wer weiß denn, wieviel erstorbene Wünsche und unerfüllte Hoffnungen das Herz eines jeden Menschen birgt? Und wenn die Wünsche und Hoffnungen der Welt und Wirklichkeit gestorben sind: in seinem Herzen leben sie und machen ihn einsam. Und wenn die Menschen dem Herzen Frieden geben, so kehren sich die Gedanken gegen ihn. Wer den Wunsch nicht kennt, von seinen Wünschen allen zu genesen, weiß nicht, was leiden heißt. Und wer d i e s Leid kennt, das nie endet, der weiß um die Liebe, die die Ewigkeit sucht. Der Tod spiegelt sich in den Augen des Lebens, und ihr Odem mischt sich zu jeder Stunde. Oft spricht der Tod Worte der Liebe; die kann nur das Leid verstehen
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Trostgedanken
und die Sehnsucht. Ja, die Sehnsucht wird auch dir auf dem Pfade des Lebens begegnen: sie redet dich an, aber wenn du nicht Antwort gibst, verläßt sie dich und du wirst ewig einsam sein. Die Liebe — verfolgt von allen Mächten der Vergänglichkeit, die dem Hasse dienen — tritt vertraulich und schutzflehend in das Haus des menschlichen Herzens. Da aber sind bereits viele Gäste, die dem Fremdling Gram sind: Selbstsucht, Eitelkeit, Spottsucht, niedrig' Begehren und alle die Schwarmgeister der Finsternis. Die würden ihr wohl das Bleiben verwehren, käme ihr nicht aus dem tiefsten Grunde der Seele ein gütig Wesen entgegen, das ihr die Hand reicht und sie zu verweilen bittet: des Menschen ewige Sehnsucht zum Göttlichen. Sie erkennt ihre Schwester und hält sie umfangen. Unter den Menschen mit suchender Seele stehen die Gesättigten wie verdorrte Bäume, sie grünen und blühen nicht mehr. Sie verachten die Ideale und schelten sie Götzen; sie erwehren sich ihrer reinsten Hoffnung, bespötteln die Irrenden, Wirksamen, denen die Zukunft gehört. Zur Ironie ist der noch nicht berechtigt, der die Schwächen und Fehler des anderen sieht, sondern nur d e r , welcher auch helfen will und kann; dies vermag nur, wer auch die Wahrheit der fremden Seele erkannt hat. Wenn die Gefüge deiner Seele sich lockern, weil der Schmerz zu heftig an dem Gebäude deiner Innenwelt gerüttelt hat, sind nur zwei Baumeister, welche dein Haus retten können: Arbeit und Liebe. Dies gilt für dich wie für andere. Weise die Menschen nicht an Gott, wenn sie dich um Hilfe bitten in ihrer Not: sondern, wenn du helfen kannst, nimm Gottes Stelle ein — wenn aber nicht, so vermiß dich nicht, ihre Leiden im Namen Gottes zu rechtfertigen.
Natur.
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ie groß bist du, o Natur, in der stillen Einfalt deines Wesens. Du empfängst die Gaben der Zeit mit Gleichmut, und die Stürme des Schicksals können die ewige Kraft deines Wachstums nicht töten. An dir erkannte sich der Geist, an dir muß er wachsen. J e größer die Seele ist, die sich dir naht, desto reicher wirst du sie machen; j e reiner das Herz ist, zu dem du sprichst, deso gewaltiger wird deine Stimme in ihm widerhallen. Der Künstler vermählt dich seinem Geiste und kleidet die ewige Sehnsucht seines Herzens in deine Formen. Wo anders fänd' er den Mund, die Fülle seiner Liebe zu offenbaren? Wenn des Lebens wankelmütiger Sinn sein Gemüt wechselnd mit Freuden und Leiden überschüttet; wenn tausend Wünsche durch seiner Seele Gründe hasten, und die Leidenschaft ihn mit starken Armen umschlingt; wenn die Fülle der Gesichte seinen Geist zu verwirren droht: reichst du ihm selige Gestalten, in die er seines erregten Gefühles strömende Fluten gießt, und läßt ihn, dir dienend, genesen. Einig mit dir, schafft er dein und sein Wesen zu göttlichem Leben um, und wie er aus dir, so wirst du aus ihm geboren. Wenn der Mensch dem Menschen verleidet ist, w o soll er Heilung suchen, wenn nicht bei dir, allgütige Natur? Du baust ihm die Hütte des Friedens, dahin der
Natur
•
mißtönende Lärm des Tages nicht dringen mag; klagst mit ihm, wenn sein Herz erschüttert ist, freust dich mit seinen Freuden. Du richtest den Geist auf aus seiner Niedrigkeit. Ewig neu, bist du stets dieselbe und leitest den Menschen zum Mittelpunkt seines Wesens. Der Hauch des W e r d e n s , der von deinen Lippen kommt, versöhnt Leben und Tod. Wie ein lernbegierig Kind, das den Worten seiner Mutter lauscht, nahe sich der Mensch der Natur; zürne ihr nicht, wenn sie nicht j e d e r Laune seines Herzens folgt, sondern nur die tieferen, reineren Klänge widerhallt. Sie ist zu groß, als daß ein kleines Gefühl sie erreichte, zu fest verankert im ewigen Sein, als daß jedes Lüftchen sie schaukelnd bewegte. Wenn wir das Wort von der „Mutter E r d e " mit dem Herzen verstehen wollen, müssen wir uns beschränken im Wirken und Wünschen: das, was von der Natur in unserer Seele lebendig geworden ist, zu vertiefen und durch Wahrheit und Schönheit zu reinigen. Denn auch die Natur täuscht uns, wenn wir uns selber täuschen. Wenn die schwindende S o n n e goldene Kränze um die Gipfel der Berge flocht, lockte mich's oft, hinaufzueilen, daß ich die funkelnde Pracht g e w ö n n e und meine Seele daran entzündete. Aber die Nacht war schneller als ich: eh' ich hinaufgekommen, war alles Leuchten erloschen. Ist's doch nicht anders im Leben: wir dürsten nach Licht und greifen die Finsternis. — Aber gütig bist du Natur dem Gütigen I Wer wahr ist gegen sich selbst, den beirügst du nicht. Wär ich nur göttlich, so wärst du es auch! Ich trage dich mit deinen Fehlern, wie du mich freundlich umgibst in meiner Schwäche. Kennst du mich nicht, wie fremd bin ich an allen Orten; bin ich dir fern, wo ist dein Reichtum? Tausendmal übertriffst du mich, o Natur, in B
%
— a
deinen Werken; und tausendmal eil' ich dir zuvor, wenn mein Geist deine Sehnsucht vollendete. Sag' ich: Lieb und Haß ruhten in dir, die ich nun erweckte? Oder bist du's, die Lust und Leiden in mir gestaltet? Ja, wahrlich, ich trage dich im Herzen I Ich saß am Waldquell; schlanke Bäume wölbten über mir ihr grün' Gezweig. Neugierig blickte die S o n n e durch spärliche Lücken im Blätterdach, und Vogelsang lebte in den Lüften. Da nahte mir ein Traum des Glücks und meine Seele ward stille. So möcht' ich sein im Getümmel des Lebens, heilig, ernst und heiter wie in jener Stunde! Es geht eine trübe Sage, daß die Natur dem Menschen feind sei und die Elemente ihn hassen: hier aber war Friede und Einklang! Kosend drängten sich die Elemente an mich: des Wassers Silberstaub, die sanfte Berührung der Luft und der würzige Wohlgeruch der moosbewachsenen E r d e ; aber das reine Feuer brannte mir in der S e e l e ! Wie lieblich schlang' sich der Reigen der Gedanken, wie herzlich suchten die Wünsche das Ewige! Ich fühlte ihn vor, den Werdegang des unendlichen Geistes! Er ist es, der die Natur erhält, der auch in mir in Furcht und Hoffnung lebendig ist. Wohl! du hast mich verstanden, Natur, da ich mir selber fremd war. Habe dich auch gesucht mit ganzer Seele, wenn dich der Tag liebend umfing; wenn du ausruhtest von seinen Umarmungen im Schöße der Dunkelheit. Auf deinen Spuren wandelte ich jüngst, als die Nacht die Erde in das ungewisse Chaos der Finsternis zurückgenommen hatte und die glänzenden Kerzen des Tages erloschen waren. Die geheimnisvollen Mächte der Vergänglichkeit waren geschäftig in der Stille; die Melancholie breitete ihre Flügel aus, und die Liebe schien ihr
Reich verloren zu haben. Der Wind schlief lange und rief nur im Traume manchmal den Wolken zu: eilt, eilt! denn die Zeit ist flüchtig! Dann regte sich's am Himmel d r o b e n ; auf Erden klagten die Bäume und schlugen die Äste zusammen. Da wurden die alten, bösen Gedanken wach und höhnten meine Seele und riefen die Schmerzen. — Aber nun kam der Mond und hob den Schleier, der das Antlitz der Erde verborgen hielt. Das Klagen ward zum Flüstern; die Wolken hatten ihr dunkles Gewand abgelegt und schritten in silberdurchwebten Kleidern königlich am Himmel dahin. Sie warfen wunderliche Schatten auf die Wiesen, die sich wie ungewisse Hoffnungen und Wünsche hierhin und dorthin bewegten. Alles schien den Mond willkommen zu heißen; das Geheimnis des Lebens erfüllte die Lüfte und rief nach Erlösung. Da öffnete die Einsamkeit ihr trostreiches Herz und hieß die Liebe wiederkehren. Ich sah goldene Gestalten des Glückes, die längst im Meere des Werdens versunken sind; hörte liebe, vertraute Stimmen wieder, die mir im Alltag verstummten. Gestorbene Sehnsucht wollte auferstehen. Und um mich wob die gütige Natur aus Licht und Finsternis ein liebliches Spiel verträumten Lebens. — Und wisse auchl ihr tiefst' Geheimnis kannst du nur ahnend durchdringen, wenn dein Herz im Frühling steht. E s ist das Mysterium deiner Seele. Aus klaren Quellen schöpfen selige Geister Kräfte der Liebe; sie tränken aus goldenen Eimern die Wurzeln des Lebens I Nimm's auf in dein Herz, das stille Wirken umher, daß auch deine Liebe wachse und dein sehnend Verlangen sich läuterei Es lockt und leuchtet aus glühenden Fernen! Es weht und winkt aus kommenden Tagen! Und wer's nicht begriffen, und wer's nicht gefühlt, wird einsam sein. —
Stille Gedanken vom Leben.
A
m Kleinsten kann die Seele wachsen, wenn sie es zum Ewigen in Beziehung setzt. Antworte auf alle Fragen des Schicksals mit der ganzen Kraft deines Wesens; denn nur so kannst du deine Bestimmung erfüllen. Wenn dir die Welt tot und fremd bleibt, so ist's deine Schuld: es sind die Schatten unserer eigenen Seele, welche uns das Dasein verdunkeln. Im selben Maße, wie du die Welt zu begreifen beginnst, erkennt sie auch dich; denn das Sein begreifen, heißt: mit ihm einig werden. Aber freilich: die Endlichkeit unserer Wirklichkeit hält uns in ewiger Brautschaft; denn das absolute Sein wohnt in der Idee, und wer seine Seele restlos der Wirklichkeit des Augenblicks vermählt, der wird heimatlos sein in der Zukunft. Je mehr wir aber vom unendlichen Sein erkennend gestalten, desto reicher, desto sicherer wird auch die Wirklichkeit unserer Seele. Ja, es ist j a nur ein Entfalten der eigenen Seele, w a s wir erkennen und handeln nennen. Du kannst das Unendlich außer dir nicht begreifen, wenn du es im eigenen Herzen nicht gefunden hast; denn das Unendliche draußen und drinnen ist nur der Reflex deiner Seele. Laß dein Herz dem Ewigen dienen, und du verkörperst die Seele j e d e r Lebensstunde und entreißt sie der Vergänglichkeit; aber die Stunden kommen und gehen, und du läßt ihre Seelen sterben.
•
•
Stille Oedanken vom Leben
Nicht die Zeit gibt uns unser S c h i c k s a l , sondern wir sind es, die w i r doch die Zeit mit unserem Hoffen und Fürchten, Lieben und Hassen erfüllen. du deine S e e l e und
zu wahren,
der Menschheit
verborgenen
indem
ferne
Kammern
hältst;
tausend
Vergeblich denkst
du dich vom
Leben
dein Gemüt trägt
Geheimnisse;
S c h l ü s s e l dazu hat das L e b e n in Händen.
in
aber
den
Den Spruch:
„ E r k e n n e dich s e l b s t , " kannst du nicht erfüllen, wenn du dich von der Welt abkehrst.
In allen E r e i g n i s s e n
du deiner S e e l e b e g e g n e n : s i e reden antwortest durch
nicht immer.
den A c k e r
ihren S a m e n aus. ist
nur schlimm,
lierst
dich
aber,
aber du
Wenn das Leid s e i n e
Furchen
des L e b e n s
zieht, streut die Weisheit
E s ist nicht sich
schlimm, zu leiden;
im Leide zu verlieren.
wenn
kannst
dich a n ;
das Leid
trauen und Menschenhaß erfüllt.
deine
Seele
es
Du vermit
Miß-
Nur das Leid, w e l c h e s
deine H e r z e n s k a m m e r verdunkelt, ist deiner S e e l e schädlich.
Z w a r für Zeiten mag wohl die Kraft deines W i l l e n s
an der F ü l l e deiner S c h m e r z e n scheitern. dem
Herzen
sagen: „Sei
ersticken will. nicht, w e n n warten.
stilleI"
wenn
Man hat gut, es vor J a m m e r
Ein erfahrener Schiffer verläßt den Hafen
der Sturm
am
heftigsten
ist,
Den ewigen Gewinn einer heißen
e r weiß
zu
Leidenschaft,
eines tiefen K u m m e r s findet die S e e l e häufig erst, wenn die Wellen schon ausgetobt haben. notwendig
die paradoxen
Einfälle
Auch sind es nicht des Lebens,
welche
das Gemüt aus dem Gleichgewicht b r i n g e n : tiefer fundene
Alltäglichkeiten
werden
zu
emp-
außergewöhnlichen
Schicksalen. Es
ist s o
wunderbar,
noch weit w u n d e r b a r e r , ist.
daß e s die L i e b e
daß s i e
gibt,
und
nicht selbstverständlich
Denn s i e fördert das Wachstum der S e e l e und die
Wahrheit in ihr.
Z o r n , S o r g e n und K u m m e r ,
und w a s
•
Stille Gedanken vom Leben
dir sonst das Leben gibt, schließ' nicht allein in deine Seele: geselle ihnen die Liebe bei; denn sie ist reiner und mächtiger und wird sie bekehren. Ist nur ein Mensch auf Erden, der dich im Herzen trägt, s o hast du eine Heimat und bist wohl geborgen. E s ist auch viel leichter, seinen Haß, als seine Liebe zu verstecken; denn der Haß flieht, die Liebe sucht das Leben. Auf steinigen Wegen muß wandern, wer die Wahrheit sucht; seine Füße werden bluten, und das Gewand seines Gemütes wird von Dornen zerrissen w e r d e n ; aber auf sanften Fittigen trägt ihn die Menschenliebe durch alle Sorgen und Kümmernisse. Das ist eine nüchterne und ungewisse Liebe, die im anderen nur soviel liebt, als sie klar und deutlich erkennt; das Größte und Tiefste, was dahinter steht, muß das Gefühl ergreifen, wie der Künstler die Idee. Vor der S o n n e der Liebe vertrocknen die bösen Gedanken, daß sie abfallen wie die dürren Blätter im Herbst. Die bösen Gedanken! W e r hat nicht wider böse Gedanken und Wünsche zu kämpfen? Aber solange der Mensch im Menschen nicht gestorben ist, lebt auch die ewige Gottsehnsucht in seinem Herzen. Wer mißt die Seele des Geringsten a u s ? Sie ist tiefer als das Meer, und ihres Landes Grenzen erreicht kein Wanderer. Und doch sind wir so schnell zur Hand mit dem Urteil über unsere Brüderl Und doch sprechen wir von guten und bösen Menschen, als wären's Steine und Pflanzen, die wir in unsere Kästen und Herbarien legenI S ü n d e n , die außer uns liegen, sollten wir schon deswegen milder beurteilen, weil ja die Existenz unserer Seele durch sie niemals bedroht werden kann; aber unsere eigene Sünden entfremden uns dem Sein. Warum scheuen wir uns, manchen Menschen unsere tiefsten und heiligsten Gedanken zu offenbaren, in denen
•
Stille Gedanken vom Leben
H
wir das wahrste Wesen unserer Seele enthalten wissen? Das scheint doch sonderbar: denn wenn nur Wahrheit and Liebe in unseren Gedanken und Wünschen enthalten ist, so wird die Seele des anderen antworten, sie sei nun, wie sie wolle. Ist es doch unmöglich, eine Wahrheit zu erkennen, ohne sie zu lieben; wenn uns die Erkenntnis noch wehe tut, haben wir sie noch nicht vollendet. Aber das ist's gerade: Wünsche, die sich selbst noch nicht verstehen, Gedanken, die noch nicht ans Ziel gelangt sind, bleiben denen fremd, die nicht ganz in unserer Seele leben. Die tiefste Sehnsucht unseres Herzens birgt noch soviel Problematisches, Ungeklärtes; und dies kehrt sich wider uns, wenn's von fremden Seelen verhöhnt wird. Es soll niemand damit spielen. So gilt's aber auch für unser Verhalten zu anderen: man muß die Geheimnisse fremder Herzen achten und soll die Geburtsstunde der Gedanken und Wünsche nicht stören. Um so beglückender ist es aber, einen Menschen zu finden, der die geheimsten Regungen unserer Seele erlauscht und uns das Heilige, Ewige vom Zeitlich-Vergänglichen sondern hilft. Die Innigkeit zweier Herzen beruht gerade darauf, daß man in der Sehnsucht des anderen lebt und sie erlöst. Das im Stillen Geborene, in der Einsamkeit der Seele Gewachsene wird von der Welt selten freudig empfangen; denn Tag und Wirklichkeit sind laut und lärmend. Sie verlangen, daß man sich dem Nächstliegenden opfert; und so sind wir oft genug gezwungen, die Energie des Geistes und des Herzens an eine Sache zu verschwenden, die unserer Seele fremd ist. Dann bleibt etwas in ihr zurück, unbeteiligt, gleichsam für den Augenblick tot, das nicht in die Arbeit eingehen will — ich fürchte, es ist das beste Teil unserer Seele. Wieviel
B
Stille Gedanken vom Leben
•
Werke tun wir ohne die Liebe! Und dann erkennen wir uns in ihnen nicht mehr und fürchten uns vor ihnen. Darum ist es Not, sich zuzeiten auf den W e g zu besinnen, den wir wandern wollen: damit in allem, was wir denken, fühlen und tun, unsere Zukunft lebt. Und auch hier kommt uns das Leben entgegen, welches größer ist als der Augenblick, in dem es nie aufgeht. Gerade, wo es sich unseren Wünschen entgegenstellt, w o es uns schmerzlich ans Herz greift, fordert es uns auf, einmal die Summe unseres Daseins zu ziehen und die Fläche unserer Wirklichkeit zu überblicken. Reinen Seelen ist der Schmerz wie ein Kristall, der das Licht ihres Geistes in tausend Farben leuchten läßt. E r ist auch wie ein Spiegel, in dem alle Besitztümer der Seele sich spiegeln, um sich selbst zu erkennen. Ich habe die stillen Herzen lieb, die sich in Glück und Leiden der Liebe vertrauen und nicht irre werden an den Menschen.
ES
•
103
•
Gottesliebe ist Menschenliebe.
E
in
Herz,
das
sich
in
der E i n s a m k e i t
entfaltet,
dennoch oft den Menschen innigst verbunden.
weilt
nicht
überall:
auf rauhen,
steilen
tritt s i e dir unvermutet entgegen. alles Handeln i m m e r ein B e k e n n e n
ist
Echo
Gebirgspfaden
Und w i s s e doch, daß und Offenbaren
der
S e e l e ist; wenn auch die Menschen blind sind, die W a h r heit
hat
es g e s e h e n .
A b e r die letzte Wahrheit ruht in
Gott, und Gott ist Idee.
J e mehr g r o ß e , gute und s c h ö n e
G e d a n k e n deine S e e l e birgt, desto mehr hast du von ihm begriffen.
So
offenbart
ist
Gott
und nie
das G e h e i m n i s ,
endet;
das
sich
ewig
und Natur und M e n s c h e n w e l t
sind der suchenden S e e l e nur W e g w e i s e r zum Göttlichen. Im Vertrautesten
kann
dein Herz
das ewige
Geheimnis
wiederfinden; w e r a b e r das E n d l i c h e liebt, kann das Unendliche nicht erblicken, und w e r das Unendliche zu b e sitzen
glaubt,
muß e s verlieren.
Auch
die endlich
ge-
dachten G ö t t e r sind sterblich: e w i g ist nur die Sehnsucht, die s i e erschuf.
E s ist schlimm, wenn man G o t t in die
Unvernunft setzt, statt in die Vernunft; das tut man a b e r , wenn Gott
man
kennbar. mehr
ihn
ist freilich
geheimnisvoll
genug;
aber
Vielmehr ist eben das s e i n e A r t ,
und
kenntnis
für das Zufällige verantwortlich
mehr in
uner-
sich
immer
der theoretischen und sittlichen
zu offenbaren
enthalten zu sein.
macht.
nicht
und doch
Er-
niemals restlos darin
Also nur, indem der Mensch e r k e n n t
•
Gottesliebe ist Menschenliebe
•
und handelt, wird Gott sichtbar in der Wirklichkeit. Die vielen Götter aber, die sich in der Geschichte der Menschheit folgten, suchten und befeindeten, sind nur die verendlichten sittlichen Ideale ihrer Zeit g e w e s e n ; sie waren, obgleich sie heute gestorben sind, dennoch ewig, wenn sie d a s Göttliche dem menschlichen Herzen näher brachten. D a s Werden deiner Seele ist wie das Werden der Menschheit. Du nennst deine Irrtümer Erfahrungen und glaubst dich am Ziel, wenn du am Anfang stehst. Aber immer aufs neue wirst du heimatlos, weil du die ewige Heimat nicht gefunden hast. Vergeblich ersinnst du dir einen Gott, der für dich handelt und denkt unter dem vieldeutigen Namen der Vorsehung. Der Glaube, daß alles, w a s uns im Leben begegnet, vorher bestimmt sei, ist deswegen zugleich so tröstlich und s o schädlich, weil er das Verantwortungsgefühl lindert. Der rechte Vorsehungsglaube ist aber allein der Glaube an den endlichen Sieg des Guten, der aus der F r e i h e i t der Vernunft geboren werden soll. Um diesen Glauben in dir zu stärken, suche nur immer den ewigen Charakter der Ereignisse zu erkennen. Auch das, w a s klein erscheint in den Gedanken und Handlungen deiner Mitmenschen, kannst du dir groß deuten, wenn du es als notwendige Stufe in dem Läuterungsprozeß ihrer Seele ansiehst. Eher kannst du j a die Schönheit einer Landschaft in finsterer Nacht erkennen, als den wahren Charakter eines Menschen, wenn du nur auf seine Schwächen siehst. Wer immer nur das Große und Gute in seinen Mitmenschen sucht und anerkennt, mag wohl oft enttäuscht w e r d e n ; er sieht dennoch mehr und richtiger als der skeptische Pessimist, welcher seinen Blick an das Versinkende haftet. Menschenliebe kann die Seele wohl friedlos, nie aber klein machen. Man kann s o g a r sagen, daß die Fülle o d e r der Mangel
E
Oottesliebe ist Menschenliebe
H
unserer Liebe zu den Menschen ein Maßstab ist für den Reichtum oder die Armut unseres Herzens. Ist doch die Liebe eine Rede Gottes zum menschlichen Herzen, daß es blühen und wachsen soll. Ist denn nicht die Einkehr im Menschen die einzige Quelle all unserer Freuden und Leiden? Auch in der Natur ist alles sich fremd und feind, bis sich das menschliche Herz sein erbarmt und es verbindet: denn nun nimmt es teil an der reinen Sehnsucht zum Ewigen. Freilich: das unnennbare Herz der Natur fühlt und ergründet nur der Künstler. Wir anderen Verstandesmenschen haben ja immer nur ein Bruchstück der wahrhaftigen Natur, und unsere Einheit bleibt immer problematisch und vergänglich. W ä r e unsere Seele nur stark und unser Verlangen rein, so müßte die Unvollkommenheit der Wirklichkeit unsere Gottsehnsucht nur heftiger entzünden. Statt, wie's alleine der Künstler vermag, die Natur mit dem Gefühle des Ewigen zu beschenken, wollen wir's von ihr empfangen. Wir sollen aber nicht wie neugierige Reisende durchs Leben ziehn, die von einem Ort zum andern g e h n , ohne Natur und Kunst um ihre Seele zu befragen. Wie können wir die Welt lieb gewinnen, wenn wir uns um ihr Herz nicht kümmern! Weil unsere Begriffe und Handlungen die Idee nie restlos verwirklichen, die sich doch dem Gefühle so deutlich offenbart, glauben viele, es sei die Idee selbst, es sei Gott schon identisch mit der Unbestimmtheit des Gefühls und suchen daher ein mystisches Einswerden mit Gott. Aber beim bloßen Gefühle stehen zu bleiben, ist Feigheit. Das objektive Sein der Idee liegt dennoch im Begriff und der Handlung; daher kann uns auch nur Erkenntnis und Wille ihr wahrhaft näher bringen.
B
Qottesliebe ist Menschenliebe
= B
Alles menschliche Glück wird krank geboren, ausgenommen das eine, welches aus selbstloser Menschenliebe entspringt. Und wahre Liebe ist immer gestaltsam und wirksam. Das ist ein schlimmer Trug, der uns das letzte Ziel wie ein formloses, ruhiges, tatloses Verharren schildert. Größe will sich offenbaren, Schönheit gesehen und gefühlt, Wahrheit erkannt und Güte empfunden werden.
El
107
•
Die Nacht geht durch den Wald
D
ie Dunkelheit füllte den Wald mit ihren Rätseln, und meine Schritte klangen seltsam in das ängstliche Schweigen. Glühwürmchen führten ein sonderbar Spiel auf: es war, als ob aus der Seele der Nacht geheime Wünsche und Gedanken aufleuchteten, sich suchend und fliehend, rastlos, hoffnungslos . . . Aber dann kam der Wind und schalt sie aus und jagte sie durcheinander; und in den Gipfeln der Bäume sprach eine vertraute Stimme trostvoll vom Ungewordenen, das wir alle suchen und lieben, und das größer ist als Freud' und Leid, von denen es uns erlösen wird. „Wenn nur der Mond käme", sagten die Bäume, „dann würdest du es auch sehen, wie wir es gesehen haben: denn es ist ganz nahe, aber die Finsternis hält es verborgen." Da hat's wohl der Mond gehört und hat das Wolkentor geöffnet und in die Nacht geleuchtet. Ja, da sah ich, daß das Wirkliche Traum ist und der Traum Wirklichkeit. Oder war's nur in meinem Herzen, daß eine Welt geboren ward, in die alles Erlebte, Begriffene nicht passen wollte und die von ganz fremden Gestalten erfüllt war? Denn das kann doch kein Traum sein, sprach ich zu mir, was mit so reicher, reiner Liebe durch die Seele flutet. Nun ahnt' ich die tieferen Gedanken der Nacht, die in der Dämmerung schliefen; denn des Mondes silberne Himmelsboten drangen kühn in das verborgene Geheimnis. Sucht
B
Die Nacht geht durch den Wald
denn nicht alles sich hier? Atmet nicht Ein Geist des Wachsens und Werdens in allen Bäumen und Sträuchern? Und w a s ich so fern, so fern geglaubt, daß ich mich darin nicht wiederfand, umgibt mich vertraulich. Ich bin nicht mehr einsam. Wenn nur der Tag nicht wieder alles verschwinden macht 1 Es ist ein nachtgeborenes Glück, und das Licht der S o n n e ist grausam. Bei ihren heißen Küssen sterben die seligsten Wünsche. Fortschreitend den Pfad des Zeitlichen, wie wandeln sich doch die Gestalten des Lebens I Wie Königskinder, in golddurchwirkten Kleidern, zogen die Wünsche des Herzens aus; aber sie kehren zurück, gehüllt in die grauen G e w ä n d e r der Enttäuschung, bettlergleich, dem eigenen Hoffen unkenntlich. Da sie von uns gingen, zitterte die Lust des Lebens in ihrer Stimme; nun haben sie die Sprache des Todes gelernt. Mögen sie dahinfahrenl Das Ewige hat sich das Herz gerettet. Die Gottesliebe verwelkt und stirbt nicht mit ihnen. Sie ¡st ein Wunsch zum Guten, der rein und vertrauend wie ein liebes Kind durch die Seele hingeht. Wer pflückt denn Erfüllung, wie bunte Blumen, auf den fruchtbaren Auen des Lebens? Wem nicht die Wiedergeburt der ringenden Kraft Erfüllung gibt, der muß ewig entbehren. Glaube den Stimmen nicht, die dich verwirren und mutlos machen, indem sie dir sagen: es ist zu spät, du hast dich vergeudet! Es ist nie zu spät, nichts ist verloren: denn du atmest noch, deine Seele fühlt noch die Freuden und Leiden dieser Welt, und du trägst die Sehnsucht zum Ewigen in dir . . . Nun war ich an eine Lichtung g e k o m m e n , die das Herz der Nacht barg: denn hier flutete das Mondlicht so hell, wie der starke Glaube der Sehnsucht in den Herzen der Menschen. Und wie die Nähe eines lieben Freundes
Q] =
=
=
Die Nacht geht durch den Wald
0
die Hoffnung stark und sicher macht, so geschähe mir: ich erkannte die Schwäche der Verzweiflung, die nach Ruhe verlangt, und gab selbst meinen Leiden freundliche Namen. Und die Liebe rief nach dem Leben . . . Wenn aber die Wolken am Antlitz des Mondes vorüberzogen, warfen sie Schatten auf die Wiese: dunkle Abbilder ihrer hohen Herrlichkeit, die sich gebärdeten, als hätten sie die S e e l e des Himmels in sich aufgenommen: sie reckten sich und streckten sich, zogen sich zusammen und dehnten sich aufs neue. S i e wußten nicht, daß sie sterben müssen, wenn der Morgenwind bläst und sich die Wolken da droben auflösen in das selige Licht des erwachenden Tages. Wahre dich, Seele, daß du nicht eingehst in Schattenträume des Lebens I
G3S)
Q:
110
- B
Vom Leben und Sterben der Seele.
W
ir bestaunen und beklagen die Vergänglichkeit, die uns umgibt, und tragen sie doch in eigener Seele. Wie oft müssen wir nicht unsere Wirklichkeit neu erbauen, wenn die vertiefte Sehnsucht in neuen Leiden und Freuden unserer Begriffe spottet. Dem Ich entfremden wir uns, wie wir uns dem Selbst nähern: Wir hatten unser Gemüt an ein Glück, an eine Hoffnung gehängt; unser Herz in eine Wirklichkeit gebettet, die der Sturm der Zeit verweht. Aber die Seele lebt und sehnt sich, muß sorgen und ringen; und in der ewigen Selbstverwandlung wird der Sommer unseres Daseins zum Herbst. Wir beleben diesen grauen Schatten unserer Seele, die Vergangenheit, und fürchten uns vor ihm wie vor einem Gespenst. Aber je höher die Sonne unseres Willens und unserer Sehnsucht steht, desto geringer wird jener Schatten. Und das tiefste Wesen unserer Seele ist doch der Frühling. Die Hüllen des Irrtums lösen sich nur mählich vom Edelstein der Wahrheit, und wir müssen noch durch viele Pforten des Übels schreiten, ehe wir am Throne des absolut Guten stehen; aber die Sünde selbst leitet uns zu seinen Stufen. Die stillen Leiden, von denen wir nicht sprechen dürfen; die Sorgen, der Gram, die wir in die heimlichsten Winkel des Herzens verbergen, daß sie das Tageslicht nicht sehen, gerade sie sind es, welche unsere Seele reif machen. Goldene Schatten
E
—
Vom Leben und Sterben der Seele
~B
kenn' ich, die das Ewige in die Zeit wirft: wenn ein hoffend Herz entsagen muß und doch fröhlich bleibt. Es ist ein heimlich Lobsingen in der Luft, als wären's die kleinen Englein Gottes; und doch auch ein Klagen und Jammern wie aus der Unterwelt. Tapfer, mein Herzt Acht' es nicht, es sind nur die Schwingungen deiner Seele, die die Freuden und Leiden ihres Daseins tönt und genesen will. Du weißt nicht, daß in all dem Lärmen und Rauschen des Lebens eine Stille ist, die nur das Herz vernehmen kann. Die Liebe zum Schönen umklammert das Bild des Unvergänglichen und begreift die leisen Stimmen der Zukunft. Die Zukunft ist gerechter als die G e g e n w a r t : sie tötet den Irrtum und die S ü n d e und läßt nur die Wahrheit und das Gute bestehen; und das ist die Gerechtigkeit Gottes. Selbstsehnsucht ist das Leben: ein Hinstreben zur Gestaltung der eigenen Seele und ein Innewerden unseres Wesens. Und wenn dich die Menschen fragen: w e r bist du? So antworte ihnen: der ich sein werdel Denn die Ewigkeit deines Wesens liegt in der Zukunft. Aber die Sehnsucht nach der Idee ist nicht frei von Schmerzen: denn wir müssen uns aufgeben, um uns zu gewinnen, und wir streuen den S a m e n , dessen Blüte wir nicht sehen, dessen Frucht wir nicht pflücken sollen. Aber man kann auch Heimweh haben nach dem Nie-Geschauten, Werdenden, Wahrhafteren: das ist die Liebe zur Idee. Ist all eine Heimkehr, das Leben und das Sterben. Denn was wir an Wahrheit erkennen und w a s wir Gutes schaffen, das ist unser Selbst. So bauen wir unser Heim in der Zeitlichkeit, darinnen wir wohnen sollen in der Ewigkeit. Wohin du deinen Willen und deine Gedanken richtest, da wirst du endigen: denn in ihnen ist deine Seele. Ersticke deine Seele nicht; wer immer
B
—
Vom Leben und Sterben der Seele
:E
am Vergänglichen, am Zeitlich-Endlichen haftet, kann sich nicht aus dem Strom des Werdens retten. Wer aber sein Herz mit dem Unendlichen erfüllt, fährt in der Barke der Wahrheit sicher ins Reich der Ewigkeit. Einsamen Herzens antwortet zuweilen die Stimme der Zukunft: ich w e r d e sein, was du jetzt bist. Du mußt wissen, daß du das Leben und seine Ereignisse nicht bezwingen und zum Segen gestalten kannst, wenn du dem Schmerz aus dem Wege gehst und die Tiefen deiner Seele vor der Berührung mit der Gegenwart verschließen willst. Ein rechter Gottesstreiter hat die Menschen lieb; denn die Idee Gottes ist die Idee der Menschheit. Es ist ebenso falsch, das Leben zu hassen, als sich ihm blindlings zu ergeben: man muß es leiten. Die Empfindungen, Gefühle, Begehrungen, die durch unsere Seele rauschen, muß der Gedanke befestigen zum Sein. Wer seine Gefühle wie Sturmvögel im Wind davonfliegen läßt, wird bald in einer toten Welt leben. Wenn du dich fremd fühlst in der Welt, so bedenke, daß du es bist, der sich ihr entfremdet hat. Soviel Blumen harren dein am Weg, aber du siehst sie nicht; so viele Herzen suchen dich, aber du verschließt dich ihrer Liebe. Du fühlst dich verstoßen? Aber so sieh dich doch um: Du bist ja nicht alleinI Oder bist du nicht reif für die Liebe? Wenn du ein schweres Herz im Busen trägst und leidest am Leben, kehre dich nicht von deinen Brüdern; denn verlassene Einsamkeit verdoppelt den Gram. Der Stern des Vertrauens scheine in die Kammer der Trübsal, und die Zuversicht des Zukünftigen lasse unser Herz genesen. Was ist's denn anderes, was uns die Menschen gewinnt, als daß wir ihnen Zutrauen und Liebe zeigen? Ein wenig Innigkeit öffnet alle Herzen.
E
~
Vom Leben und Sterben der Seele
~B
D a s Köstlichste ist, w e n n die S e e l e sich auf sich selbst besinnt und sich ihrer Kraft bewußt wird in der Bewältigung von Lust und Leid. Du k a n n s t tausendfach diese G e b u r t der S e e l e e r l e b e n , wenn du in anderen lebst, w e n n du ihr Gemüt in deines verpflanzst, ihre Hoffnungen zu deinen Hoffnungen, ihre Leiden zu eigenen Leiden machst. S i e h e , deine S e e l e ist w i e eine W o l k e im Wind, w e n n du nicht an die Menschen g l a u b s t ; dein Herz w i e ein ausgetrockneter B r u n n e n , wenn du dich von der Liebe kehrst. Aber es gibt S e e l e n , die sind w i e v e r g e s s e n e und verlassene Gärten. Sie b e r g e n tausend Geheimnisse; Schönheiten, die niemand sieht, L a u b g ä n g e der F r e u n d schaft, S p r i n g b r u n n e n der Begeisterung, und weite g r ü n e Rasen der Hoffnung. R o s e n blühen da, r o t e Rosen der Liebe und w e i ß e d e s Kummers. A b e r niemand kommt, der die Herrlichkeiten schauen mag. D i e Welt sieht nur das e i s e r n e T o r und die hohe M a u e r von Stein, die sie umgibt. Bis ein junges, frisches Menschenkind ihnen mit heißer, v e r t r a u e n d e r Liebe e n t g e g e n k o m m t ; da öffnet sich das T o r . Und zwischen ihren Herzen ist eine Zwiesprache Gottes. Als die Seele sich von d e r Liebe scheiden mußte, da schenkte ihr Zeus die ersten T r ä n e n ; und P s y c h e weinte, und aus dem Tau ihres Auges w a r d Lethe, die Quelle d e r Vergessenheit. Und a b e r m a l s w e i n t e Psyche, als sie sich w i e d e r d e r Liebe vereinte: da w a r d aus ihren T r ä n e n der Quell der B e g e i s t e r u n g , aus dem die Dichter trinken. Die Menschen wissen nicht mehr, w a s Tränen sind. Sie vergeuden ihre T r ä n e n w i e ihre Freuden. Nur selten leitet die F r e u n d s c h a f t und die Sehnsucht noch ein dürstend H e r z zum Quell der Begeisterung.
B
— Weißt
ihre
Hütte
Vom Leben und Sterben der Seele du, im
wo
die
Sehnsucht
wohnt?
D o r f e der Verlassenen
Straße der Einsamen; sie
entzündet
und
~B Sie
erbaut
wandelt
ihr F e u e r auf
H e r d e der H o f f e n d e n und meidet die Verstoßenen Und wenn sie eine Heimat hat, s o ist's k e i n e ;
die dem
nicht.
sie muß
wandern und wandern, bis die S o n n e des L e b e n s sinkt.
(30
E
115
•
E = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = =
0
INHALTS-VERZEICHNIS Seite
Aus Traum und Wirklichkeit der S e e l e
1
Von dem B e g r i f f e Gottes und des sittlichen Selbstes
10
V o m Tod, von der L i e b e und von anderen Dingen
49
Vom Vergänglichen und Ewigen
55
Sehnsucht und Entsagung
60
Aus den Bergen
65
Von der Liebe
70
Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
74
D e r Einzelne und das Dasein
84
Von der Heimat unseres Herzens
88
Trostgedanken
93
Natur
95
Stille Gedanken vom Leben
99
Gottesliebe ist Menschenliebe
104
Die Nacht geht durch den Wald
108
Vom Leben und Sterben der Seele
III
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B
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