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German Pages 112 Year 1921
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele •
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Stille Gedanken aus einsamen Stunden von
Walter Kinkel
Zweite Auflage
w Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) : : Gießen 1921
Druck von C. G. Röder 0 . m. b. H., Leipzig.
884620.
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Gleich meinem a n d e r e n W e r k c h e n „ V o m Sein und von d e r S e e l e " ist auch d a s v o r l i e g e n d e Büchlein aus vereinzelten Aufsätzen e n t s t a n d e n , die teilweise schon in v e r s c h i e d e n e n Zeitschriften e r s c h i e n e n w a r e n . Inhaltlich dient es dem o b e n g e n a n n t e n Schriftchen z u r E r g ä n z u n g und E r l ä u t e r u n g . D a f ü r , daß ich mit den in beiden Büchern a u s g e s p r o c h e n e n G e d a n k e n weiten Kreisen in ihrem R i n g e n mit den P r o b l e m e n d e s L e b e n s helfen k o n n t e , zeugt d e r Umstand, daß d i e s e Schriften in diesem J a h r e beide in neuer Auflage e r s c h e i n e n dürfen. M ö g e n sie sich zu den alten recht viele n e u e F r e u n d e e r w e r b e n ! E s schien mir nicht a n g e b r a c h t , am Inhalt viele Ä n d e r u n g e n zu treffen. In d e r F o r m , w i e sie zuerst erschienen s i n d , haben sie g e w i r k t und L e s e r g e w o n n e n ; auch darf ich s a g e n , daß ich selbst an den G r u n d g e d a n k e n , die darin enthalten s i n d , mit g a n z e m Herzen festhalte. Gießen, Winter 1920
Walter Kinkel
INHALTS-VERZEICHNIS Seite
Aus Traum und Wirklichkeit der S e e l e Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen S e l b s t e s
5 13
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen
50
Vom Vergänglichen und Ewigen.
56
Sehnsucht und Entsagung
60
Aus den B e r g e n
65
Von der Liebe
70
Oedanken über Notwendigkeit und Freiheit
74
D e r Einzelne und das Dasein
83
Von der Heimat unseres Herzens
87
Trostgedanken
92
Natur
94
Stille Gedanken vom Leben
98
Oottesliebe ist Menschenliebe
103
Die Nacht geht durch den Wald
106
Vom Leben und Sterben der S e e l e
109
gm
Aus Traum und Wirklichkeit der S e e l e .
M
anchmal redet das Gefühl aus unserer Seele wie im T r a u m : verworrene, trauliche Worte, die wir nur halb zu deuten wissen und bereits vergessen haben, wenn das Licht der Erkenntnis aufgeht. In solchen Stunden scheint uns alles fremd und fern, was uns umgibt, und wir warten auf etwas, wie auf ein Schicksal. Aber es schwächt die Seele, sich diesem Traumreich hinzugeben, denn es grenzt an das Reich der Lüge. Die irre Sehnsucht der schweifenden Seele, das wunschreiche Verlangen des trunkenen Herzens führt uns schmeichelnd dem Nichtsein zu und entfremdet uns der Wirklichkeit. Wir schließen unsere Augen gegen alles, was nicht in die Welt unserer unbegriffenen Wünsche paßt; das trugvolle Gefühl des Scheines und der Unwirklichkeit wächst in demselben Maße, als sich das Gemüt dem verführerischen Spiel der dumpfen Gefühle hingibt. Endlich aber stellt uns die Notwendigkeit des Seins doch vor die Forderung, unsere Existenz zu behaupten: dann weiß die verwirrte Seele kaum noch den Weg im hellen Tageslicht zu finden. Aber auch in der Geburtsstunde einer neuen seelischen Wirklichkeit, ehe die Begriffe sich klären und den Empfindungen und Gefühlen objektive Gestalt verleihen, durchleben wir eine Zeit der Ahnungen und Unwirklichkeit, schwebend zwischen dem Versinkenden und Werdenden. Denn alles Wachsen und Auferbauen ist auch ein Sterben, Versinken und Zerstören. Und oftmals scheinen wir uns selber fremd, wenn verwehte Wünsche im Herzen wieder auftauchen, an die wir einstmals unser ganzes Dasein
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
g e k e t t e t g l a u b t e n , die a b e r dann durch e i n e t i e f e r e E i n s i c h t oder
stärkere
fühlen
wir
Gedanken
Leidenschaft
plötzlich haben
verdrängt
die Neugeburt
ein L e b e n
der Menschheit.
wurden.
Dann
unserer Seele.
Die
im G e m ü t , w i e w i r s e l b s t in
S i e wirken
in der J u g e n d
und
entzün-
den H o f f n u n g und S e h n s u c h t ; s i e reifen und erfüllen
den
R a u m u n s e r e r I n n e n w e l t mit W ä r m e und L i c h t ; s i e altern und
sterben.
sich, und
Mancher
er
trägt
gestorbene
b e t e t s i e an w i e
Gedanken
der Götzendiener
mit
dürres
H o l z : s i e a n t w o r t e n nicht s e i n e n F r a g e n , s i e n e h m e n nicht teil an s e i n e r S e h n s u c h t . ganze Kraft ums L e b e n
V i e l e M e n s c h e n h ä n g e n s o ihre
ans Versinkende:
es
sind
tote Seelen,
die
kämpfen.
S i n d nicht L e i d und Lust M y s t e r i e n u n s e r e s W i e k ö n n t ihr s i e zu G ö t t e r n m a c h e n ?
Daseins?
E i n e Leidenschaft,
d e r w i r s e l b s t ä n d i g e s L e b e n v e r l e i h e n , i n d e m w i r uns ihr unterordnen, geht
der
unserer
führt
Welt
uns a u s
verloren.
Gefühle,
der Wirklichkeit Wir
Wünsche
sind
und
nicht
Gedanken:
M e n s c h h e i t hat Anteil d a r a n ; s i e wird e i n s t fordern. unserer
F r e i l i c h , wenn Seele
geben
Gnadenbrot, verderben Ist
doch
nichts
nicht v e r s c h e n k t
im
wir
wie
Reiche
s i e uns noch unser
die die
dem
unter
eigen,
und
ganze
Rechenschaft
den M e n s c h e n
der
Herzen
heraus
Alleinbesitzer
Schätze
Bettler den
das
Händen.
solange
wir's
haben.
Mit dir und d e i n e r S e e l e w a n d e r t dein S c h i c k s a l : die M e n s c h h e i t ist d e i n e Heimat, und du bist nicht zu H a u s e in
deinem
Herzen,
wenn
du
nicht
in
anderen
W a s w i r nicht lieben, b l e i b t uns f r e m d ; w a s w i r wird
unser.
bleiben
Nun
sieh
zu,
ob
du
ewig
o d e r dir ein H e i m g e w i n n e n
ein
wohnst. lieben,
Fremdling
willst.
M a n c h m a l , w e n n w i r die R e i c h e n d e r W e l t v e r g e b l i c h um
ihre S c h ä t z e
bitten,
tritt
ein
arm Bettelkind
hinter
der H e c k e h e r v o r und s c h e n k t uns die K r o n e d e s L e b e n s . Als ich das v e r l o r , w a s ich für das B e s t e m e i n e s D a s e i n s
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
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hielt, hab' ich in einem W i n k e l c h e n m e i n e s H e r z e n s m e i n e ganze Zukunft gefunden. Die Scheu, sich frei h i n z u g e b e n , e n t s p r i n g t bei vielen M e n s c h e n aus dem B e w u ß t s e i n , noch nicht innerlich reif zu sein. Wir sind freilich alle in k e i n e m M o m e n t e d e s L e b e n s am E n d e mit d e r E n t f a l t u n g u n s e r e r S e e l e , und w e r im B e s i t z e d e r absoluten göttlichen W a h r h e i t zu sein glaubt, umgibt die e w i g e J u g e n d s e i n e r S e e l e mit K e r k e r m a u e r n : a b e r es ist d a s Leiden z a r t e r G e m ü t e r , diese stetige Unfertigkeit i m m e r s c h w e r e r e m p f i n d e n zu m ü s s e n a l s die F o r t s c h r i t t e , die ihr W e s e n auf dem W e g e zum S e i n g e m a c h t hat. Auch sind sie im Recht, s o l a n g e sie ihre Z u r ü c k h a l t u n g d e r Welt nicht e n t f r e m d e t : die tiefsten G e h e i m n i s s e d e i n e r S e e l e sollst du nur den B e s t e n anv e r t r a u e n ; denn w e r sie leichtfertig anfaßt, wird ihr Gold zerbrechen. A b e r d e r d a u e r n d e Zweifel ist im G r u n d e ein Fliehen d e r S e e l e v o r sich s e l b s t ; und w e n n die E r k e n n t n i s sie nicht einholt, hört auch die Flucht nicht auf. D e r S k e p tiker läuft s e i n e r S e e l e nach, und weil e r sie nicht f a s s e n kann, leugnet er sie schließlich. D a n n will er die a n d e r e n M e n s c h e n auch um ihre S e e l e b e t r ü g e n . Überall im Leben suchen w i r uns s e l b s t ; denn alles, w a s nicht a u s d e n Tiefen u n s e r e s e i g e n e n G e m ü t e s g e b o r e n w i r d , ist feindliches Schicksal. Nicht von ä u ß e r e n D i n g e n d ü r f e n wir u n s e r Glück e r w a r t e n , w i e die S t e r n g l ä u b i g e n , die sich von d e n A s t r o l o g e n ihren Lebenslauf b e r e c h n e n lassen; s o n d e r n w i r müssen die Welt mit u n s e r e r S e h n s u c h t b e s c l i e n k e n , s o b e r e i c h e r n wir auch unser eigenes Gemüt. Birgt ein G e d a n k e o d e r ein Ereignis eine Wahrheit in sich, s o m ü s s e n w i r sie lieben und u m w e r b e n . D e r L ü g n e r verspottet s e i n e e i g e n e Seele, die in d e r W a h r h e i t und E w i g k e i t w o h n t . Vor der T ü r e d e i n e s H e r z e n s stehen die W ü n s c h e d e i n e r S e h n s u c h t : B e t t l e r und K ö n i g e , F ü r s t e n und D i e b e ; a b e r m a n c h e r
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
König kommt im Gewände des Bettlers, mancher Dieb ist fürstlich angetan. Die Wahrheit mag oft schmerzlich sein: sie birgt dennoch allein den Frieden unserer Seele. Man sagt: das Schicksal kümmert sich nicht um Tugend und Wahrhaftigkeit, es zermalmt den Gerechten wie den Bösen. Aber dies Schicksal ist eben die Schuld der Menschheit und zugleich auch das Problem, das mit der reineren und kräftigeren Entfaltung mehr und mehr verschwinden wird. Wo die Erkenntnis und der Wille hinreichen, da stirbt das Schicksal. J a , es wird sterben. Zeiten der geistigen Reaktion dürfen nicht irre machen. Man kann sagen: die Entwicklung der Menschheit gleicht einer Springprozession: zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. Aber freilich, das Sein ist unendlich, die Idee wohnt in der Ewigkeit. An keinem endlichen Zeitpunkt wird Wahrheit und Recht restlos verkörpert, die Entwicklung der Menschheit abgeschlossen sein. Und so gilt's auch für das Leben des Einzelnen: seine Seele ist nie fertig. Der G e s a n g des Lebens tönt aus den Werken der Suchenden, aber die. Stimme des Todes klingt durch die Taten der Selbstsicheren, Vollendeten. Nur wer recht lebhaft den Mangel seiner Seele empfindet, dem wächst auch die Kraft, welche den Reichtum gebiert. Wenn aber deine Seele gesättigt ist und will dich nimmer begleiten — so weise sie von dir und zeuge dir eine neue, schönere, welche Sehnsucht kennt und dich wandern heißt. Sogar ist jede gestillte Sehnsucht und jeder erfüllte Wunsch zugleich immer ein Verlust und ein Tod der Seele, wenn ihr nicht daraus ein neues, kräftigeres Verlangen erwächst. Der sittliche Fortschritt des Einzelnen besteht nur darin, daß er sein Begehren immer mehr dem Unendlichen, Ewigen zuwendet und vom Vergänglichen abkehrt. Das ist aber der Segen des Leides: das Glück sättigt, das Leiden erweckt die Seele. Du weißt nicht um deine Seele, solange das Leid sie
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele. nicht b e r ü h r t h a t ; du k e n n s t d i e H e i m a t d e i n e s nicht,
wenn
dein W u n s c h
Endlichkeit. süchtigen
Ich g i n g
Wesens
in
und
Herzens
s t i r b t im A r m e d e r Z e i t der Dumpfheit
wußte
nicht,
meines
und
selbst-
w a s in m i r ist;
da
b e u g t e sich d a s Leid ü b e r m e i n e S t i r n e u n d k ü ß t e mich, daß
ich e r w a c h t e ,
Seele. den
und
s e i n K u ß b r e n n t heiß in
K e n n t e ich d e n g ü l d e n e n
die
Sorge
nicht
eindringen
meiner
Palast
d e r T r ä u m e , in
kann,
ich
würde
ihn
m e i d e n ; w ü ß t e ich d e n W e g z u r H ü t t e d e s F r i e d e n s , in d e r e s k e i n e S c h m e r z e n gibt, ich w o l l t e ihn nicht w a n d e r n . W a s weiß der von Herzensfreude, der nie am Leben gelitten
hat!
Die
Stimme
der
Not
und
die Stimme
des
G l ü c k s lebt in d e r S e e l e d e r K ä m p f e n d e n ; u n d w e m d i e eine schweigt, der versteht die a n d e r e nimmermehr.
Ver-
achte
lasse
dich
nicht d a s L e i d , nicht,
du
s o n d e r n s p r i c h zu i h m :
segnest
mich
denn!
In
der
ich
Einsamkeit
w a r ich m i r nah, d a z o g e n d u r c h m e i n e S e e l e d i e G e i s t e r d e r ungestillten W ü n s c h e und die Gestalten d e r erduldeten S c h m e r z e n ; a b e r ich f ü r c h t e t e mich nicht m e h r , d e n n ich hatte ihren Sinn begriffen. An j e d e m des Seins
Erlebnis
kannst
nur mit
durchdringst
aber
du
Unendlichkeit ihm
erfüllst.
werden:
du d i r d e r
d a s e n d l i c h e Teil d e i n e r S e e l e d e r E w i g k e i t , d a s du Bewußtsein
bewußt
rettest
in
u n d mit d e i n e m g a n z e n
Wesen
S i e h zu, o b d i e W o r t e , d i e du s p r i c h s t , u n d d i e
H a n d l u n g e n , d i e du v o l l f ü h r s t , zu d i r z u r ü c k k e h r e n ,
oder
ob sie dir fremd w e r d e n , sobald sie d a s H a u s ihrer Geburt
verlassen
haben;
du m u ß t in d e i n e n W e r k e n
w i e d e i n e W e r k e in dir.
leben
W i e oft e r k e n n s t du die W i r k -
lichkeit d e i n e r G e d a n k e n erst, w e n n du s i e in d i e F r e m d e geschickt hast; aber dann bedenke, ob es noch deine Wirklichkeit ist u n d o b du an ihr w a c h s e n k a n n s t . wir zum Guten und Wahren gestalten, lichkeit, a b e r
wir
Das,
ist u n s e r e
umfangen das Nichtsein,
was Wirk-
als hätte
es
L e b e n , u n d o p f e r n e i n e m G o t t , d e r k e i n e S e e l e hat.
Ist
10
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
doch G o t t nicht a u ß e r uns, s o n d e r n d a s Ziel u n s e r e r S e h n sucht. W e n n w i r es n u r v e r m ö c h t e n , in all u n s e r e n W e r k e n voll und g a n z g e g e n w ä r t i g zu sein, daß sie aus u n g e t e i l t e r S e e l e g e b o r e n w ü r d e n — u n s e r W e g zu G o t t w ü r d e s c h m e r z l i c h e r , a b e r auch r e i c h e r und k ü r z e r sein. Alle Begriffe, die nicht vom Letzten d e i n e r S e e l e Besitz e r g r e i f e n , bleiben auf d e r S t u f e d e r bloßen V o r s t e l l u n g stehen. V e r t r a u e dein G e m ü t d e r W a h r h e i t an, w e n n du teilhaben willst an d e r G e b u r t d e s G ö t t l i c h e n , und bew a h r e dir die D e m u t d e r E r k e n n t n i s . D e n n im G r u n d e g e n o m m e n ist e s immer die Wahrheit, die sich selbst erkennt. W e r - d a s Göttliche in d e r Wirklichkeit s e i n e r S e e l e nicht findet, d e r soll b e d e n k e n , daß die Wirklichkeit s e i n e r S e e l e nicht s e i n e g a n z e S e e l e ist. W i r ringen mit d e r U n r a s t u n s e r e r S e e l e um G o t t e s R u h ' . D e n n als einen G a r t e n des F r i e d e n s und d e r R u h e d e n k e n w i r u n s d a s Sein der Idee, dem w i r z u s t r e b e n : er w ä r e u n s nicht zum S e g e n . D a ß die Menschen sich den T r a u m e i n e s v e r l o r e n e n P a r a d i e s e s e r s o n n e n haben, ist ein B e w e i s ihrer B e s t i m m u n g zum G u t e n : ein W i e d e r e r i n n e r n ihres w a h r h a f t e n W e s e n s . A b e r sie s p r e c h e n die S p r a c h e d e r K i n d e r und D i c h t e r : Blühet ein e w i g e r F r ü h l i n g , hinter g o l d e n e n Gittern leuchten viel r o t e und blaue B l u m e n und ein e w i g h e i t e r e r Himmel d r ü b e r hin — du schreitest w i e ü b e r die S t e r n e ; d e r O d e m G o t t e s weht dir d u r c h s H e r z und du weißt nichts vom W i r k e n der Stunde. D a klingt d e i n e S e h n s u c h t w i e G l o c k e n geläut in die e w i g e Stille a u s . . . S o m ö g e n die Dichter träumen. A b e r die E w i g k e i t ist nicht j e n s e i t s d e r Zeit als d e r e n R u h e und Stillstand, s o n d e r n in d e r Zeit und im W i r k e n , Wollen und Leiden. Weil d a s Sein unendlich ist, s o ist auch un$er W e g zu G o t t unendlich. Wir g e h e n oft mit allen Kräften u n s e r e r S e e l e und d e r s c h w e r e n S e h n s u c h t u n s e r e s H e r z e n s e i n e m endlichen Ziele nach, weil w i r g l a u b e n : in ihm sei die e w i g e Liebe
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
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g e b o r g e n , nach d e r w i r alle d ü r s t e n . Und w e n n w i r ' s e r r e i c h e n , s o sehen w i r , wie tot d a s alles ist und verg a n g e n , und w i e w i r uns selbst nicht v e r s t a n d e n h a b e n . D i e s ist auch ein G e w i n n : denn w i r haben uns verwandelt, w o l l e n hinfort nicht m e h r besitzen und g e n i e ß e n , s o n d e r n suchen und schaffen. Und ein Stücklein Liebe lacht uns e n t g e g e n , w o wir's nicht h o f f t e n . S o schenkt u n s die E r n ü c h t e r u n g eine i n n i g e r e B e g e i s t e r u n g . Die V e r w a n d l u n g e n d e r Welt sind im G r u n d e g e n o m m e n die Selbstverwandlungen unserer Seele. D e r Versuch d e s G e i s t e s , e i n e endliche F o r m d e r V e r n u n f t an Stelle d e r Idee zu s e t z e n , w i e e r überall vom D o g m a t i s m u s u n t e r n o m m e n w i r d , führt schließlich dahin, d a ß sich die V e r n u n f t in j e n e r F o r m selbst f r e m d w i r d : denn d e r Geist g e h t den P r o b l e m e n nach und läßt d a s G e w o r d e n e hinter sich. D i e Wirklichkeit ist nicht i m m e r d a , w o w i r sie zu s e h e n und zu fühlen g l a u b e n . E s gibt kein s o g e r i n g D i n g auf E r d e n , daß s e i n e Erk e n n t n i s d e r S e e l e nicht nützlich w ä r e , und die vers u n k e n e G l o c k e der e w i g e n L i e b e klingt dem S u c h e n d e n allüberall a u s dem M e e r e d e s L e b e n s . M a n c h e E r e i g n i s s e und E r l e b n i s s e w e r d e n a b e r erst in d e r E r i n n e r u n g u n s e r e i g e n : sie b e d ü r f e n d e r seelischen Einsamkeit, und ihr T o d ist ihre w a h r h a f t i g e Geburt. S o sollten w i r ü b e r h a u p t zuzeiten einmal die S e e l e z u r ü c k r u f e n , die am T a g e d e s L e b e n s wie ein Vogel umherfliegt von Ast zu A s t , und sie b e f r a g e n : hast du S c h ä t z e g e s a m m e l t f ü r die E w i g k e i t ? A b e r s o l c h e r Eri n n e r u n g f o l g e n e u e Ausfahrt. D e n n w i e A n t ä u s durch B e r ü h r u n g mit s e i n e r Mutter E r d e i m m e r w i e d e r neue K r ä f t e g e w a n n , s o bedürfen wie d e r B e r ü h r u n g mit dem L e b e n in Lust und Leid. D a s Leid leuchtet e b e n s o wie d a s G l ü c k : a b e r nicht j e d e S e e l e reflektiert seine S t r a h l e n . W e n n du in einem D i n g o d e r E r e i g n i s nur deine Vergangenheit wiederfindest oder deine G e g e n w a r t , so
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.
12
verweile nicht was
du
meiner
zu l a n g e bei i h m : e s m u ß d i r v e r k ü n d e n ,
w e r d e n willst. Seele,
da
Ich
umfing die G e g e n w a r t
mit
ich
mir selbst
ich
ward
entfremdet;
b r a c h t e mein H e r z d e r Z u k u n f t d a r u n d h a b e mich w i e d e r gefunden.
E s v e r s i n k t alles, w a s du hast, w i e ein S t e i n
im M e e r , Zeiten und
und
sie waren
weit und dem
du
kannst
auffliegen aus
nicht h a l t e n .
lichten
Die
Ich s a h
Garten
w i e Vögel und breiteten
beschatteten
anderen.
es
dem
der
ihre Schwingen
das Land u m h e r ; und folgte einer
Menschen
aber wandelten
Schatten und achteten nicht, w o h e r sie kamen. schritten
ihnen
nach
Dunkelheit, und waren
ins
Reich
W a s ist d i e Z e i t ?
der
in
ihrem
Nein, s i e
Dämmerung
und
nur w e n i g e , die lockte der Glanz
der Zukunft, daß sie der Schar uns nah; wir sind
entgegengingen.
Wir nehmen
zusammen
Abschied und bleiben
u n d k e n n e n u n s nicht.
es denn die Zeit und der R a u m , w e l c h e die Seelen binden und
trennen?
die
Zukunft,
Ein W o r t , d a s
die
Liebe
Ist ver-
zu
dir
s p r a c h u n d du l i e b e n d e m p f i n g s t , g e h t n i m m e r v e r l o r e n . E s m a g w o h l v e r s i n k e n in d e m S c h a c h t d e i n e r S e e l e w i e in e i n e m tiefen B r u n n e n : a b e r d i e S e h n s u c h t w i r d ' s h e b e n , wenn
seine Zeit gekommen
ist.
M a n c h m a l vollzieht sich d i e V e r e i n i g u n g z w e i e r H e r z e n in e i n e r D ä m m e r u n g d e s L e b e n s , s o daß, w e n n d i e E r k e n n t n i s und das Wissen den wechselseitigen
Besitzstand
des Seins
enthüllt,
die H ä n d e schon verschlungen
und
schaden
auch
dann
die W i d e r s p r ü c h e ; aufgelöst, ehe
die
Kontraste
sind;
mehr
und
denn sie sind j a schon g e h o b e n
und
sie nur ausgesprochen
nicht
wurden.
Aber
es
ist a u c h h i e r nicht ein a u ß e r w e l t l i c h e s S c h i c k s a l , w e l c h e s die Menschen meinsame Gute
zusammenführt, sondern
Sehnsucht
Gedanken
nach
spiegeln
dem sich
in
Guten reiner
ihre und
eigene, dem
Seele
wie
geSein. die
S t e r n e im k l a r e n W a l d s e e ; u n d d o c h auch w i e d e r nicht, d e n n kein S c h i c k s a l s s t u r m w i n d v e r m a g ihr Bild zu t r ü b e n .
Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen Selbstes. „Wenn ich dich, meinen Oott, suche, so suche ich das selige Leben. Ich will dich suchen, damit meine Seele lebe." Augustin. I. J e d e gute Tat ist eine E i n k e h r d e s Menschen bei sich selbst, und j e d e s Gottverlangen ein Ruf nach der e i g e n e n Z u k u n f t . Denn nicht a n d e r s k ö n n e n wir uns suchen o d e r finden, denn indem wir aus uns wirken im D i e n s t e der Menschheit. Wenn wir die Hand fahren lassen, die unser B r u d e r uns e n t g e g e n s t r e c k t , statt ihn a n s H e r z zu ziehen, s o verlieren wir auch an Boden u n s e r e s ewigen Seins. W a s suchen wir in Gott anderes, und w a s verlangen wir von ihm, als daß er dem Guten in uns zu d a u e r n d e r Wirklichkeit v e r h e l f e ? Aber das wird nicht a n d e r s g e s c h e h e n , als indem wir handelnd danach greifen. Denn Gott ist nicht außer d e r Vernunft und dem Willen, s o n d e r n w e n n wir das G u t e wollen, wollen w i r zu Gott. Und dies Wollen allein ist auch d a s E w i g e im Menschen, d a s die Zeit nicht zerstören k a n n . W e r sich von der Welt abkehrt, der soll wissen, daß er sich auch von Gott abkehrt. Nicht als o b die Welt schon göttlich, d. i. gut w ä r e , a b e r sie soll's w e r d e n , o d e r : Gott will wirklich w e r d e n . Und dies ist kein G e b o t , das dem Menschen f r e m d sei; denn w e r nur sein w a h r h a f t e s Selbst sucht, der g e w i n n t Gott. von
A b e r j e mehr wir Gott finden, desto weiter flieht er uns. W e r glaubt, er dürfe nun in R u h e sein und
14
Von dem Begriffe Gottes.
habe vollendet, solange er noch atmet, der kehrt sich von Gott und scheidet sich von sich selbst. Denn Gott ist Idee, d. h. eine ewige Aufgabe, die sich stets erneut. Und wessen Seele noch so reich ist an Wissen und Fühlen, der bleibt doch im Endlichen, und das Einzige, was darüber hinausreicht, ist der Wille, der das Unendliche sucht, denn er ist selbst unendlich, und die Erkenntnis, die über das Gegenwärtige hinausstrebt. Wer sein Selbst im Endlichen erstickt, indem er sich dauernd zu besitzen glaubt, raubt auch Gott seine Ewigkeit und Unendlichkeit. Die Mystiker haben oft Gott geschildert, als wäre er jenseits der Vernunft, und haben alle Prädikate des Erkennens und Wissens von ihm fernhalten wollen; das ist zu verstehen, weil sie das Wissen und die Vernunft selbst endlich dachten. Sie sahen den Menschen, sie fühlten und dachten: ist das nicht ein endliches W e s e n ? Ist also nicht auch sein Geist endlich und begrenzt? Aber die Erscheinung des Menschen und der Vernunft ist nie der ganze Mensch und die ganze Vernunft, sondern die sucht der Wille in der Zukunft. Man spricht vom blinden Gottvertrauen; aber das taugt nichts; es muß sehend werden. Gottvertrauen ist nur ein frommer Ausdruck für den Glauben an den Sieg des Guten; wenigstens ist das das ethische Moment darin: ich weiß aber wohl, daß mancher es so versteht, als habe Gott das Amt, des Gläubigen zeitliches, vergängliches Ich wohl zu bewahren und vor Leiden zu hüten. Aber das Ich muß gestorben sein, wenn das Selbst soll zum Leben kommen. Das Ich isoliert, das Selbst verbindet. Und nur in der Menschheit lebt das Selbst. Die Idee der Menschheit ist die Idee Gottes. Wer nicht an den Menschen glaubt, der glaubt auch nicht an Gott. Und wie nun die einen Gott jenseits der Vernunft und des Seins legen, weil sie wohl sehen, daß er im Dasein nicht aufgeht, so möchten die anderen die Natur
Von dem Begriffe Gottes.
15
an s e i n e n O r t stellen und w o l l e n nichts a u ß e r dem D a sein d e r Natur a n e r k e n n e n . W e n n sie a b e r alsdann d a s B ö s e und den Irrtum und die S c h m e r z e n in d e r Natur s e h e n , s o s a g e n s i e , die Natur sei nicht m e h r natürlich g e n u g , und lassen s o G o t t von sich selbst abgefallen sein, d e n n sie meinen, im A n f a n g , als alles noch w a h r e Natur w a r , s o g a b es g a r kein L e i d , k e i n e S ü n d e und kein M i ß g e s c h i c k ; da w a r die Natur göttlich. A b e r w e r hat denn die Natur also v e r d o r b e n ? S i e v e r k e h r e n den Weltlauf: d e n n d a s ist d a s Ziel d e r Welt und d e s Menschen, d a ß er die S ü n d e und d a s alles e n t f e r n e n soll a u s dem D a s e i n und die Wirklichkeit i m m e r reicher und r e i n e r g e s t a l t e n . Und s o ist's auch nicht, d a ß die Natur sich s e l b e r hülfe, s o n d e r n d e r Geist und d e r Wille schafft die N a t u r , und der G e i s t und d e r Wille sind unendlich w i e d a s Sein. Und s o w i r d Gott vom M e n s c h e n g e s c h a f f e n , s o gewiß e s ist, als d e r Mensch die Ictee d e r Menschheit verwirklicht. Und doch k a n n m a n , recht v e r s t a n d e n , auch s a g e n , d e r Mensch w e r d e von G p t t g e s c h a f f e n ; denn d e r Wille zum G u t e n schafft und enthält d a s sittliche Sein des Menschen. A b e r d e r Wille lebt in d e r Z u k u n f t ; und die Z u k u n f t ist r e a l e r als die v e r g ä n g l i c h e Wirklichk e i t , die sie selbst g e b a r und i m m e r w i e d e r g e b ä r e n w i r d . Man kann nicht s a g e n : G o t t k o m m t zum S e i n , s o n d e r n e r k o m m t zum D a s e i n ; d e n n s e i e n d ist e r allerw e g e , weil das Sein eben die Idee ist, d. h. die Vollendung der Zukunft. E s ist auch recht zu s a g e n : du sollst dir von G o t t kein Bild machen o d e r Gleichnis; denn d i e V o l l e n d u n g k a n n man nicht schauen. Und d e n n o c h sollen w i r G o t t bilden durch u n s e r e W e r k e . Und w a s uns n i e d e r s c h l ä g t , ist, d a ß u n s e r Ich nie göttlich ist; und w a s uns w i e d e r aufrichtet, d a s ist, daß u n s e r S e l b s t in G o t t ruht.
Von dem Begriffe Qottes.
16 E s gehen
viele W a n d e r e r aus,
sind d i e R e l i g i o n e n Engherzigkeit, sei.
Denn
alle
sind
Schaden die
ein Z e u g n i s .
zu f r a g e n :
in allen
welche Gott
Religion
unwandelbare
ist
Religion
zu
die
denn
ergreifen. sie
richtige
Unendlichen,
das g e s c h r i e b e n e
Lehre;
des
ist W i d e r s i n n und
lebt die S e h n s u c h t zum
nur V e r s u c h e , aller
G o t t zu s u c h e n ; Es
Aber
der
Wort
und
verendlichen
Gott.
R e l i g i ö s e T o l e r a n z ist k e i n e T u g e n d , s o n d e r n e i n e Pflicht. Nur, w e r s e i n Ich für göttlich hält und d a s a b s o l u t G u t e zu b e s i t z e n
g l a u b t , kann i n t o l e r a n t
sein.
W e r a b e r r e c h t g e s e h e n hat, d e r s a h , daß d i e W i s s e n schaft und die G e m e i n s c h a f t d e r r e c h t e W e g zu G o t t ist. Es
ist s c h o n
Gott
in
recht, wenn
uns
selbst,
aber
der Mystiker sagt: wir tragen er
irrt,
wenn
er
dies. Selbst
u n a b h ä n g i g von d e r M e n s c h h e i t d e n k t : da hat d e r M e n s c h kaum
sein
Ich
A u f g a b e in
zu e i g e n .
Und w i r t r a g e n
W e r sich den M e n s c h e n die M e n s c h h e i t . leidet
G o t t nur als
uns.
Gott.
Nur
K r ä f t e in den
schenkt,
der g e w i n n e t
W e r für die M e n s c h h e i t wer
all
sein
sich
leidet, in
Besitztum
Dienst der Menschheit stellt,
und
dem seine
entzieht
sie
der V e r g ä n g l i c h k e i t .
W e n n G o t t das unendlich f e r n e Ziel
der Erkenntnis
des W i l l e n s
und
ist,
so
ist
Erkenntnis
und W i l l e das e i n z i g e Mittel, sich G o t t zu n ä h e r n . daher
von Gott reden
Immer, müssen
in
die
Gott
will, von
irgendeiner
griff a u f n e h m e n .
muß vom
der
Form
Denn wenn
Gegenwart das
Wer
Menschen
Böse
aus in
reden.
ansehen,
seinen
überall g e g e n w ä r t i g , s o ist s e i n e s W e s e n s
auch d a s Un-
e r k a n n t e und d e r I r r t u m ; und nicht n u r d e r Irrtum, dern
mit
ihm zugleich a l l e S ü n d e ,
S c h m e r z und die L e i d e n Aber
alles B ö s e
und a l l e W i d e r n i s s e
G o t t ist nicht im S t u r m
Be-
G o t t a l l b e r e i t s da ist und
der Zeit,
und der
sondern
v e r j a g t und v e r t r e i b t nur das V e r g ä n g l i c h e .
der Welt.
dieser
Oder,
G o t t d a s e i e n d macht und will ihm doch das B ö s e
son-
wer fern-
Von dem Begriffe Gottes.
17
halten, d e r muß ihm einen W i d e r g o t t , einen B ö s e n und Teufel e n t g e g e n s t e l l e n , d e r sein Reich b e s c h r ä n k t und s e i n e r Macht spottet. A b e r d a s B ö s e ist ein Nichtsein und nur d a s G u t e ist, nämlich in d e r Z u k u n f t und im S e i n , nicht a b e r o d e r w e n i g s t e n s nie v o l l k o m m e n im Dasein. Man s a g t : G o t t sei unbegreiflich und s e i n e W e g e dunkel. A b e r es ist nur so, d a ß vieles, unendlich vieles i m m e r d a r u n b e g r i f f e n ist, a b e r u n b e g r e i f b a r ist es nicht, s o n s t müßte es ein Sein j e n s e i t s d e r V e r n u n f t g e b e n . Und g e r a d e d a s ist der W e r t und die W ü r d e d e s Mens c h e n , daß e r in die Dunkelheit das Licht t r a g e n soll. A b e r nie w e r d e n die P r o b l e m e und also die D u n k e l h e i t völlig v e r s c h w i n d e n , weil d a s Sein unendlich ist. Es ist ein W a c h s t u m G o t t e s aus d e r E w i g k e i t in die Zeit, d. h. d e r Fortschritt d e r Sittlichkeit ist eine O f f e n b a r u n g G o t t e s . J e m e h r das G u t e wirklich w i r d , d e s t o n ä h e r rückt u n s e r e S e e l e dem Göttlichen. Man hat a b e r die O f f e n b a r u n g G o t t e s teils als E m a n a t i o n , als A u s s t r a h l u n g aller W e s e n a u s Gott g e d a c h t , teils als einen einmaligen (oder w i e d e r h o l t e n ) Akt d e r Gesetzgebung. Wie d e r G e d a n k e e i n e r E m a n a t i o n m a g e n t s t a n d e n s e i n , ist wohl zu b e g r e i f e n . Man hat die v e r g ä n g l i c h e Wirklichkeit absolut gesetzt und so dem B ö s e n und d e r S ü n d e eine e i g e n e Realität g e g e b e n . S o ist G o t t d e r Welt als das a b s o l u t G u t e ü b e r l e g e n und f r e m d ( t r a n s z e n d e n t ) ; a b e r es muß doch, w e n n d e r Mensch nicht unweigerlich dem V e r d e r b e n und d e r V e r d a m m n i s anheimfallen soll, eine Vermittlung zwischen dem P r i n z i p d e s G u t e n und d e r M e n s c h e n s e e l e g e b e n . Es gehört a b e r d e r Mensch s e i n e r zeitlichen E r s c h e i n u n g nach d e r Natur a n , und also kann er sich nicht zum Göttlichen e n t w i c k e l n , denn die Natur ist u n w a n d e l b a r gedacht. S o k a n n die Vermittlung z w i s c h e n dem M e n s c h e n in s e i n e r u n v o l l k o m m e n e n , s ü n d h a f t e n , endlichen Natur und K i nkel, Traam. 2» Aufl.
2
18
Von dem Begriffe Gottes.
dem G u t e n an sich nur durch Z w i s c h e n - W e s e n geleistet w e r d e n , die an sich unveränderlich und allzeit g e g e n w ä r t i g , doch durch ihren v e r s c h i e d e n e n A b s t a n d vom Göttlichen und die v e r s c h i e d e n e A n t e i l n a h m e i h r e r S u b s t a n z am G u t e n eine Leiter zu G o t t hin b i l d e n ; sie reichen dem M e n s c h e n den T r u n k d e r e w i g e n G n a d e . D a s sind eben die S t u f e n d e r E m a n a t i o n . Aber dieser Ausweg ist natürlich n u r ein s c h e i n b a r e r , denn d e r Mensch hat s e i n e S t e l l u n g f ü r alle Zeit und die E n t f e r n u n g zu G o t t w i r d durch die Z w i s c h e n w e s e n z w a r a u s g e f ü l l t , a b e r nicht v e r r i n g e r t . D i e w a h r e E m a n a t i o n G o t t e s g e s c h i e h t durch den Willen und die E r k e n n t n i s d e s M e n s c h e n , d e r Stufen baut auf dem W e g zum G u t e n , d e r die schlechte, niemals a b s o l u t e Wirklichkeit durch i m m e r b e s s e r e Wirklichkeiten ersetzt. D e r e i n m a l i g e Akt d e r O f f e n b a r u n g G o t t e s durch „ d a s W o r t G o t t e s " , die eine G e s e t z g e b u n g i s t , enthält noch viel mehr W i d e r s p r ü c h e in sich. M ü ß t e sich doch d i e s e göttliche O f f e n b a r u n g m e n s c h l i c h e r , also endlicher und w a n d e l b a r e r B e g r i f f e b e d i e n e n , um uns Menschen verständlich zu sein. Kann a b e r d a s Unendliche in e i n e r Endlichkeit a u f g e h e n ? Und d a n n : w o läge d a s Kriterium, w e l c h e O f f e n b a r u n g die rechte s e i ? Darüber müßte doch w i e d e r die menschliche V e r n u n f t b e f i n d e n . Auch läßt sich j e d e angebliche O f f e n b a r u n g G o t t e s , wie sie in literarischen U r k u n d e n vorliegt, als zeitlich gew o r d e n und bedingt n a c h w e i s e n . A b e r von allen diesen B e d e n k e n a b g e s e h e n : so w ü r d e auch dem sittlichen S e l b s t mit e i n e r solchen F r e m d g e s e t z g e b u n g g a r nicht g e d i e n t s e i n , e s müßte d e n n o c h ihren Inhalt s e l b s t ä n d i g a u s sich e r z e u g e n und sie s o in S e l b s t g e s e t z g e b u n g verwandeln. W e n n w i r nun s o G o t t ein W e r d e n und W a c h s e n in die Welt hinein z u s c h r e i b e n , s o scheint dem die Ans c h a u u n g aller V ö l k e r zu w i d e r s p r e c h e n , w e l c h e G o t t
Von dem Begriffe Gottes.
19
U n w a n d e l b a r k e i t , Selbstgleichheit, B e h a r r e n in sich zuschreiben. A b e r es scheint n u r s o . Denn das erste Mal ist d a s Sein G o t t e s im Verhältnis zum D a s e i n gedacht, d a s a n d e r e Mal d a s letzte Ziel, d a s S e i n an sich, u n a b h ä n g i g von s e i n e r V e r w i r k l i c h u n g g e m e i n t . W e r noch ü b e r Gott hinaus f r a g e n wollte, w o h e r denn G o t t s e i , d e r w ü r d e sich selbst nicht v e r s t e h e n . Denn w i e sollte man a n t w o r t e n : aus d e r V e r n u n f t ? A b e r G o t t ist ja eben die vollendet g e d a c h t e V e r n u n f t . O d e r aus e t w a s A u ß e r - V e r n ü n f t i g e m ? A b e r d a n n w ä r e n wir w i e d e r beim t r a n s z e n d e n t e n S e i n , und G o t t w ä r e uns e w i g v e r l o r e n , mit ihm a b e r auch W i s s e n s c h a f t und Sittlichkeit. D e r Begriff des S e i n s k o m m t in G o t t zur R u h e : es ist n o t w e n d i g , daß er d e r p r o b l e m a t i s c h e n Lage d e s D a s e i n s mit s e i n e r Unsicherheit und Zufälligkeit entz o g e n w i r d , damit zugleich auch die Sittlichkeit den Angriffen d e r S k e p t i k e r g e g e n ü b e r befestigt w i r d . Kant unterschied den h o m o p h ä n o m e n o n , den Mensch der relativen Wirklichkeit, vom h o m o n o u m e n o n , dem Menschen d e r I d e e , d e r das E w i g e d e s M e n s c h e n in sich birgt. A b e r w e n n doch d i e s e s u n s e r e w i g e s W e s e n in der Idee w o h n t , s o ist es uns also auch e w i g u n e r r e i c h b a r ? Ja und nein. D e n n freilich wird nicht ein isoliertes Individuum j e m a l s den Begriff des sittlichen S e l b s t e s erf ü l l e n , s o n d e r n die Menschheit in d e r unendlichen F o r t e n t w i c k l u n g ihrer Geschichte. A b e r j e d e r , d e r von g a n z e r S e e l e die Idee sucht und b e g e h r t , erreicht sie a u c h : denn sein D a s e i n wächst a u s ihrem S c h ö ß e . Immer, w e n n w i r uns dem Augenblick h i n g e b e n , verlieren w i r die E w i g k e i t ; immer, w e n n w i r die E w i g k e i t suchen, g e w i n n e n w i r den Augenblick. W i e die endlichen G ö t t e r allezeit ihr Dasein dem d o g m a t i s c h e n Verlangen, d a s a b s o l u t e Sein sinnlich wahrz u n e h m e n , v e r d a n k e n , so ist auch d e r D u a l i s m u s zwischen 2*
20
Von dem Begriffe Gottes.
G o t t und Teufel, einem An-sich-Guten und An-sich-Bösen, w e l c h e r sich in den meisten R e l i g i o n e n w i e d e r f i n d e t , eine A u s g e b u r t d i e s e s T r i e b e s . S o g e g e n w ä r t i g und dinglich w i e d e r endliche Gott g e d a c h t wird, s o g e g e n w ä r t i g sind Leid und S ü n d e . Soll also d a s a b s o l u t e S e i n im D a s e i n zu finden s e i n , s o muß dem Dasein auch ein Nichtsein i n n e w o h n e n , ein w e s e n h a f t e s Widerspiel d e r Existenz und d e s G u t e n . A b e r d e r w a h r e Teufel sitzt immer in des Menschen Herz und Geist. Nicht als o b d a s B ö s e ein S e i n hätte: es ist ein Irrtum d e s W i s s e n s und W i l l e n s ; a b e r in d e r S e l b s t b e u r t e i l u n g und also auch S e l b s t g e w i n n u n g gewinnt d e r sittliche Irrtum den C h a r a k t e r d e r S ü n d e . B ö s e sind nie die M e n s c h e n , s o n d e r n nur g e w i s s e H a n d lungen. S i e z e r s t ö r e n einen Teil d e s sittlichen S e l b s t e s und e r s c h w e r e n den W e g zu G o t t ; a b e r w a s d i e H a n d lung v e r s c h u l d e t , kann auch die H a n d l u n g w i e d e r gutmachen. In allen Mythologien d e r R e l i g i o n e n w i r d die S ü n d e als ein Abfall von G o t t g e s c h i l d e r t , gleichsam als o b es einen W e g ins Nichts g ä b e und man d a s B ö s e greifen k ö n n t e ; a b e r auch in j e d e r b ö s e n , also sittlich falschen H a n d l u n g steckt ursprünglich ein B e g e h r e n G o t t e s ; a b e r es verfehlt sein Ziel, weil es d a s E n d l i c h e an Stelle des Unendlichen setzt. D e r S t r o m d e r Zeit verschlingt alles außer d e r Wahrheit und d e r V e r n u n f t ; diese z w i n g e n die Zeit. S o g e w i ß u n s e r Ich häufig d e r Leidenschaft Untertan, der Lust e r g e b e n o d e r im S c h m e r z v e r z a g t ist, s o g e w i ß w i r d es zum Teil d e r Zeit zum R a u b e w e r d e n ; s o sicher a b e r in j e d e m Ich die S e h n s u c h t zum S e i n lebt, s o g e w i ß wird d i e s e u n s e r sittliches S e l b s t d e r Zeit entreißen. Augustin m e i n t , daß nur dem W e s e n „ein w a h r e s , echtes, wirkliches S e i n " z u k ö m m t , „ d a s u n b e r ü h r t durch
Von dem Begriffe Gottes. den
21
F l u ß d e r Zeit s t e t s bleibt, w a s e s ist*)".
man
begreifen:
denn
wandelbarkeit
unseres
die endlichen
Formen,
prägt:
nicht Lust
G e f ü h l e sind Wissen
unser
Sein
Strebens
ruht nach
ja der
wer
sondern
was
sich
im G u t e n
bar
dagegen.
aus-
subjektive
von
unserem
in
der
Wahr-
Ewigkeit.
Nemo potest Deum odio habere,
m a n d k a n n G o t t hassen**). Endliche
UnNicht
der Menschheit
und
heit b e f e s t i g t , d e r b e f e s t i g t sich in d e r Spinoza sagt:
Idee.
Empfindung und
unvergänglich,
Also
kann
der
in d e n e n sich u n s e r D a s e i n
und Leid,
u n d W o l l e n im K u l t u r b e w u ß t s e i n
fortwirkt.
Das in
nie-
D i e E r f a h r u n g ist n u r s c h e i n -
Götter
kann
man
hassen,
G o t t d e s sittlichen S e l b s t e s , d e r d a s S e i n d e r
den
Wahrheit
u n d d e s G u t e n ist, nicht; d e n n , w e r d i e s e n h a s s e n wollte, der würde in
denen
sich selbst wir
hassen.
es dem Selbst entgegen und wir lieben
ist.
das Sein.
Menschen ' i m m e r gonnen,
Es
unser „Ich" h a s s e n ,
wenn
die
Wir Eben
endlichen
i h r e sittlichen
hinausgewachsen
waren,
A u s d r u c k d e s sittlichen
so
wohl eben
weil
Nichtsein,
darum
haben
Götter
zu
auch d i e
hassen
über
diese
Stunden, nur,
hassen das
Ideale daß
Seins
gibt aber
jene
nicht
be-
Götter
mehr
der
waren.
II. In d e n f a l s c h e n u n d u n s i t t l i c h e n T h e o r i e n d e s E g o i s mus,
die
die
Kultur
und
Sittlichkeit
aus
dem
Selbst-
erhaltungstrieb oder dem Prinzip der Selbstliebe erklären u n d b e g r e i f e n w o l l e n , ist n u r e b e n d a s d e r F e h l e r ,
daß
das
der
isolierte
Ich
an
Menschheit
gesetzt
selbst,
die
der
Stelle
wird.
Menschheit
des Nur
sittlichen der
liebt.
Selbstes
liebt sich Wer
mit
wahrhaft
aller
Kraft
*) R. Eucken: „Die Lebensanschauungen der groGen Denker". 3. Aufl. S. 2 1 2 - 2 1 3 . **) Spinoza: Eth. Pars V Prop. XVIII.
22
Von dem Begriffe Gottes.
der
Seele
gleichsam Sünde. der
der
Idee
der
das
Gute
in
Denn
Wille
trennen,
Menschheit sich
das Verlangen
zur
Einheit.
weil
sie
ein
und nach
Alle
dient,
saugt
Irrtum
der Idee ist
Sünde
Nichtsein
der
erstickt und
und
zugleich
aller
Irrtum
Je
stärker
enthalten.
u n s e r W u n s c h wird, u n s e r e n B r ü d e r n die H a n d zu reichen und
eine Gemeinschaft
desto mehr werden
des
sittlichen
entgegenarbeiten.
Woher
Dadurch,
u n s e r Ich
daß
Seins
zu
erbauen,
wir a l s o d e r S ü n d e und dem Irrtum
wir
entspringt dem
z.
Ich
B.
der
des
Neid?
Mitmenschen
s e l b s t ä n d i g g e g e n ü b e r s t e l l e n und ihm a b s o l u t e n W e r t verleihen.
Was w i r
nicht e r l e b e n , w a s
Welt
unseres vergänglichen
Leid
unsere Brust
zu sein
durchzieht,
und u n s e r S e l b s t
nicht in d e r e n g e n
Ichs w i d e r h a l l t , in Lust das
scheint
uns
nicht zu b e r ü h r e n .
nun b e d ä c h t e n , d a ß w i r u n s e r S e l b s t n u r am
und
verloren
Wenn
wir
Mitmenschen
g e w i n n e n k ö n n e n ! S o u n t e r g r ä b t d e r Neid u n s e r sittliches Selbst. sehen,
Wo da
w i r a b e r einen
beneiden
rechten
wir ihn
nicht,
Freund sondern
im
Glücke
"wir
freuen
uns s e i n e s G l ü c k e s und g e w i n n e n
s o s e l b s t einen Anteil
daran.
diese
Also
erhöhen
sittliches S e l b s t
wir
durch
und d i e n e n
Mitfreude
unser
Gott.
Und h i e r h e r g e h ö r t auch, w a s G o e t h e in s e i n e r S e l b s t biographie sagt: „Die reinste Freude, geliebten P e r s o n
finden
andere erfreut*)."
die man an
einer
kann, ist die, zu s e h e n , daß s i e
E s schlingt sich s o
ein B a n d der G e -
m e i n s a m k e i t um die H e r z e n , das auf d e r L i e b e zum G u t e n beruht. wir
W a s w i r an a n d e r e n M e n s c h e n l i e b e n , ist, w e n n
wahrhaft
lieben,
D i e s a b e r ist allen Begehrens,
und w i r
das
Große
Menschen freuen
und
Gute
in
ein g e m e i n s a m e s uns, w o
ihnen.
Ziel
des
e s in die
Erschei-
e s a l s o d e r Affekt ist, z. B . die L i e b e ,
welcher
nung tritt. Wenn
*) Gelegentlich der Schilderung Friederikens.
Von dem Begriffe Qottes.
23
u n s z u r Idee G o t t e s "hintreibt, s o ist es u m g e k e h r t die Idee, w e l c h e den Affekt reinigt u n d läutert. Die Liebe, o d e r b e s s e r : d a s B e g e h r e n , d a s zum vergänglichen Ich z u r ü c k k e h r t und bei ihm e n d e t , ist w i e d a s S t a m m e l n e i n e s K i n d e s , d e s s e n Sinn man noch e r r a t e n m u ß ; o d e r w i e ein v e r g ä n g l i c h e r S c h a u m k a m m auf b e w e g t e m Meer, d e r nur auftaucht, um nutzlos zu v e r s i n k e n . D i e s ungeklärte B e g e h r e n verstärkt und häuft m e h r die Not und W i r r n i s d e s D a s e i n s , als daß e s die S e e l e befreit. W e r a b e r im a n d e r e n sein S e l b s t zu lieben gelernt hat und s o s e i n e Liebe in d e r Idee b e f e s t i g t , den hebt sie ü b e r sich und läßt ihn von t a u s e n d Mängeln g e n e s e n . W e n n w i r uns feindselige G ö t t e r schaffen, dürfen w i r u n s nicht w u n d e r n , daß sie uns f e i n d s e l i g b e h a n d e l n . Nun ist uns die G e g e n w a r t und die u n g e w i s s e Wirklichkeit u n s e r e r Zeit in s o m a n c h e r Hinsicht e n t g e g e n , b e s t ü r m t u n s mit t a u s e n d S o r g e n , fängt u n s e r e n Geist in den Netzen d e s Irrtums und bindet den Willen mit B a n d e n d e r Lust! Wollen w i r ihr u n s e r e n G o t t a n v e r t r a u e n ? Wollen wir hoffen, in ihr u n s e r sittliches S e l b s t w i e d e r z u f i n d e n ? Nun ist a b e r auch u n s e r Ich ein Teil j e n e r W i r k l i c h k e i t ; w e n n w i r sie b e s s e r n w o l l e n , m ö g e n w i r bei ihm b e g i n n e n . E s ist u n s auch g a r nicht möglich, bei d e r U n m i t t e l b a r k e i t u n s e r e r p r o b l e m a t i s c h e n L a g e s t e h e n zu bleiben. W e n n w i r uns an sie h e f t e n , s o f ü h r e n w i r ein A u g e n b l i c k s d a s e i n und taumeln wie T r u n k e n e aus e i n e r Welt i n , d i e a n d e r e . Nüchtern laßt uns v o r u n s blicken und u n s e r e S e e l e an d e r Z u k u n f t entz ü n d e n ; d e n n dort ist u n s e r e w a h r e Heimat. E s sind a b e r nur z w e i Mittel, die Unsicherheit u n s e r e r L a g e zu b e e n d e n o d e r doch mehr und m e h r e i n z u s c h r ä n k e n : d e r F o r t s c h r i t t in der t h e o r e t i s c h e n E r k e n n t n i s d e r W i s s e n s c h a f t , w e l c h e r u n s e r e Welt e r w e i t e r t und u n s stets n e u e P r o v i n z e n d e s S e i n s zuführt, und d i e sittliche Handlung, w e l c h e uns den sicheren G e s e t z e n d e r G e m e i n s a m k e i t
24
Von dem Begriffe Gottes.
anvertraut. Und w e n n es scheinen wollte, daß d a s sittfiche S e i n in einen G e g e n s a t z zur natürlichen Welt geriet, daß man die Natur als e t w a s F r e m d e s , dem i n n e r s t e n W e s e n d e s M e n s c h e n Feindliches a b w e i s e n müßte, um zum sittlichen S e l b s t zu g e l a n g e n , s o zeigt sich vielmehr bei tieferem E i n d r i n g e n , daß g e r a d e d e r S t a n d p u n k t d e s Idealismus u n s die Natur w i e d e r g e w i n n t . E s soll j a n u r die jetzige, zufällige Wirklichkeit nicht als ein letztes zwing e n d e s und a b s o l u t e s Sein hingestellt w e r d e n ; sie soll sich vielmehr in ihrer problematischen Art zu e r k e n n e n g e b e n , als e t w a s , d a s dem G e i s t e n u r s o l a n g e f r e m d bleibt, als e r e s nicht aus sich selbst g e b i e r t und mit s e i n e n G e s e t z e n erfüllt und sichert. Niemals kann w a h r e und echte W i s s e n s c h a f t d e r Sittlichkeit e n t g e g e n sein, vielmehr, j e g e n a u e r die W i s s e n schaft d a s t h e o r e t i s c h e Sein zu e r z e u g e n und a u s z u s p r e c h e n vermag, d e s t o e n e r g i s c h e r wird sie d e r V e r w i r k l i c h u n g d e r Idee v o r a r b e i t e n . A b e r wie die W i s s e n s c h a f t die Unendlichkeit d e s S e i n s niemals r e s t l o s b e w ä l t i g e n wird, s o n d e r n w i e sie i m m e r n e u e P r o b l e m e a u s ihrem e i g e n e n S c h ö ß e gebiert, j e mehr P r o b l e m e sie d e r L ö s u n g zuführt, s o ist auch die Natur niemals d e r r e s t l o s e A u s d r u c k d e s S e i n s und kann d a h e r niemals als M a ß s t a b d e r Sittlichkeit g e n o m m e n w e r d e n . F ü r den einzelnen w i e f ü r die G e s a m t h e i t ist es von d e r g r ö ß t e n B e d e u t u n g , j a g e r a d e z u e i n e sittliche L e b e n s f r a g e , sich i m m e r d a r d e r P r o b l e m a t i k d e s D a s e i n s b e w u ß t zu b l e i b e n . An k e i n e r Stelle zu rasten, g ö n n e n uns die G ö t t e r ; alles, w a s w i r erschaffen, ist n u r ein A n f a n g . W e n n uns d a s D a s e i n unter den H ä n d e n e r s t a r r t , e r s t a r r t u n s e r e Seele. D a s , w a s w i r noch nicht sind, w a s a b e r im Willen lebt, ist u n s e r w a h r e s W e s e n ; w a s w i r a b e r z u r Zeit sind, ist nur sein Schatten. A b e r nicht T r ä u m e und selbstsüchtige W ü n s c h e k ö n n e n den w a h r e n Inhalt u n s e r e s Willens und W e s e n s bilden, s o n d e r n V e r n u n f t g e s e t z e , die d a s
Von dem Begriffe Gottes.
25
D e n k e n e r k a n n t und d e n e n d e r Affekt zustrebt. Die Vernunft spricht durch Begriffe, nicht durch V o r s t e l l u n g e n , E m p f i n d u n g e n und Gefühle. I m m e r sind E m p f i n d u n g e n und G e f ü h l e nur F r a g e n nach dem Sein, w e l c h e die Vernunft und d e r Wille b e a n t w o r t e n muß. A b e r durch die S e e l e d e s M e n s c h e n fluten so oft m e h r Wellen d e r Leidenschaft, als e r zu z w i n g e n v e r m a g ; nun gilt es, das S t e u e r nicht zu v e r l i e r e n , w e n n die W a s s e r j e n e s chaotischen M e e r e s den Nachen d e s G e m ü t e s schaukeln und zu verschlingen d r o h e n . Und w e n n w i r d e n n o c h Schiffbruch leiden, s o gilt's ein n e u e s B o o t zu z i m m e r n und mit neuen K r ä f t e n zu n e u e r Fahrt. A b e r ist nicht endlich und schließlich d e r Mensch zu klein und zu schwach, die R e i s e zu vollenden, die Idee d e r Menschheit, wie sie sich d e r E r k e n n t n i s i m m e r reiner, i m m e r g r ö ß e r darstellt, zu v e r w i r k l i c h e n und s o in G o t t e s Reich, als in s e i n e w a h r e Heimat, e i n z u g e h e n ? Die Relig i o n ist mit dem T r o s t bei d e r H a n d : G o t t e s L i e b e wird uns. f ü h r e n , G o t t e s G n a d e dem S t r a u c h e l n d e n hilfreich sein. D a s ist ein Verzweifeln am M e n s c h e n , ein P r e i s g e b e n d e s Ideals, das uns der T r a n s z e n d e n z r e t t u n g s l o s in die A r m e wirft. A b e r die S t i m m u n g ist wohlbegreiflich. E s ist s o bitter, dem Ich zu e n t s a g e n ; es ist s o s c h w e r , an e i n e Z u k u n f t zu glauben, an w e l c h e r d e r einzelne nicht m e h r in dem S i n n e teilhat, daß e r ihre F r e u d e n und Leiden s e i n e r kleinen Wirklichkeit einverleiben k ö n n t e . E s muß doch eine Macht g e b e n , a u ß e r h a l b d e r E n g e m e i n e s b e w u ß t e n L e b e n s , ein Sein, d a s nicht den S c h w ä chen m e i n e r Individualität unterliegt und mit s e i n e r Kraft r e t t e t , w a s ich verloren g e b e und e n t b e h r e . „Kommt uns nicht e i n e B e w e g u n g aus d e m All e n t g e g e n , w i r d u n s nicht von d a h e r ein n e u e s L e b e n mitgeteilt, das nur ergriffen und a n g e e i g n e t w e r d e n b r a u c h t , s o ist alles menschliche Mühen verloren, s o ist alles, w a s e t w a nach j e n e r R i c h t u n g hin von der weltgeschichtlichen Arbeit
26
Von dem Begriffe Gottes.
u n t e r n o m m e n ist, unfundiert und schließlich
illusorisch*)".
(Eucken.) Demgegenüber
ist
es
ein
tapferes
Wort,
welches
S p i n o z a a u s g e s p r o c h e n h a t : „ Q u i D e u m amat, c o n a r i n o n potest, ut D e u s ipsum c o n t r a a m e t " XIX.)
wieder liebt".
D e n n darin l i e g t : D i e A u f g a b e d e s E i n z e l -
l e b e n s und d e r M e n s c h h e i t ist j a
niemand
da,
auch
A r b e i t für uns täte. ein
(Eth. P a r s V. P r o p .
„ W e r G o t t liebt, kann nicht v e r l a n g e n , daß G o t t ihn
Streben
vom
löst sich nicht von s e l b s t ; e s kein
gütiger Gott,
der
D a s S t r e b e n zu G o t t muß
Subjekt
zum S e i n ,
eine
unsere
durchaus
Überwindung
der E i n z e l h e i t durch die Allheit, ein S u c h e n und E r g r e i f e n d e r E w i g k e i t und d e s Unendlichen s e i n .
D a s Sein wandert
nicht zu u n s ; e s k o m m t uns nicht e n t g e g e n , s o n d e r n der
wissenschaftlichen
Aufgabe
und
und
sittlichen
nur A u f g a b e .
Erkenntnis
Dennoch
ist auch
vor
ist
in
es
jener
M e i n u n g von d e r L i e b e G o t t e s , die sich freundlich zu uns neigt, ein r i c h t i g e r Es
ist
Kern.
d e r G l a u b e und
das Vertrauen
d e s G u t e n , w e l c h e s sich s o offenbart. und
dies
Vertrauen
sind
die
auf den
Sieg
Aber dieser Glaube
einfache
Konsequenz
des
G l a u b e n s an d i e V e r n u n f t und die V e r n ü n f t i g k e i t d e s S e i n s . Jene Bewegung,
die uns sucht, ist nicht v o r h a n d e n ;
w e r da suchet, d e r wird finden. sind
uns
wenn wie
nicht
wir auch
Sein, wenn
uns der
wesensfremd:
wir
ihnen
Man
nahen.
Standpunkt
aber
D a s S e i n und d a s G u t e
Euckens
ergreifen sieht das
uns
recht Gute
selbst, deutlich,
und
das
auch n o c h s o s e h r v e r g e i s t i g t und dem M e n -
s c h e n a n g e p a ß t , doch als ein v o r und j e n s e i t s der Kulturarbeit
der
Menschheit
existierendes
w i r nun, will's G o t t , einmal finden e r nicht w i l l ?
Bestehen werden.
läßt, Und
das wenn
D a n n ist e b e n alle A r b e i t i l l u s o r i s c h !
Ja,
*) R. Eucken: „Der Wahrheitsgehalt der Religion". Sp. 1901, S . 227.
Von dem Begriffe Gottes.
27
e s steckt noch mehr ¡n dem W o r t e S p i n o z a s , und w i r h a b e n es schon a u s g e s p r o c h e n . V e r l a n g e n und b e g e h r e n kann und soll man freilich die Liebe G o t t e s nicht; a b e r man w i r d sie doch finden, w e n n man ihn, d. h. w e n n man die Menschheit n u r recht herzlich liebt. W e r a b e r d e r Menschheit s e i n e D i e n s t e weiht, damit es ihm selbst w o h l e r g e h e — d e r w i r d G o t t e s L i e b e nicht finden, denn e r ist, im G r u n d e g e n o m m e n , nicht aus dem E g o i s m u s herausgekommen. Wie a b e r die Idee auch r ü c k w i r k e n d u n s selbst veredelt und uns s o u n s e r e L i e b e lohnt; w i e w i r u n s e r e n Halt und T r o s t in ihr finden, ist s o oft gesagt w o r d e n . W e r Liebe gibt, wird L i e b e f i n d e n . Wir suchen nach e i n e r Macht, die u n s stützen und helfen s o l l : sie ist uns in d e r Menschheit g e g e b e n . Nur s o l a n g e man immer noch den einzelnen in d e r Isolierung denkt, sol a n g e man noch nicht e i n g e s e h e n hat, d a ß w i r wirklich und w a h r h a f t i g ü b e r h a u p t zu k e i n e m sittlichen S e l b s t und S e i n g e l a n g e n k ö n n e n , als indem w i r der Menschheit leben, kann man d i e s e Macht vermissen und ins T r a n s z e n d e n t e h i n e i n z a u b e r n . E s ist die Idee, w e l c h e uns hilft; a b e r sie ist selbst u n s e r W e r k . Freilich, w e n n w i r vom L e b e n s o oft hilflos z u r ü c k g e w i e s e n w e r d e n : w e n n u n s e r e F r e u n d e selbst uns im Stich lassen und u n s e r e L i e b e s c h e i n b a r u n g e h ö r t verhallt; w e n n d a s Dasein i m m e r w i e d e r u n s e r e m besten Wollen entgegen ist und w e n n w i r d a s bitterste Leiden d e r E n t s a g u n g im H e r z e n t r a g e n — s o verzweifelt u n s e r G e m ü t an d e r Idee, an d e r Menschheit und ebendamit an Gott. O , ich w e i ß w o h l : d i e s e S t u n d e n sind auch dem S t ä r k s t e n nicht f r e m d , und d a s ist k e i n e tiefg r ü n d i g e Seele, die sie nie e r f a h r e n hat. Und d e n n o c h : es ist nur w i e d e r d a s liebe Ich, d e s s e n w i r nicht H e r r g e w o r d e n sind. D a s ist d e r Halt, zu dem w i r immer w i e d e r z u r ü c k k e h r e n m ü s s e n : nicht w a s ich j u s t fühle und s c h m e c k e , ist mein Selbst. Ich s c h e n k e mir selbst, w a s ich d e r Menschheit g e b e . Und d e r f e s t e G l a u b e : „ e s wird
28
Von dem Begriffe Gottes.
doch gut w e r d e n " darf nicht am Individuum, s o n d e r n an d e r Menschheit haften. Zu l e i d e n , v e r k a n n t zu w e r d e n , ist bitter; es ist nicht halb s o schlimm, als sein sittliches Sein zu verlieren. E s ist nicht die Schuld d e r Menschheit, m a g sie uns t a u s e n d m a l k r ä n k e n , w e n n u n s e r H e r z kalt und einsam w i r d : wir sollen und k ö n n e n den F u n k e n der Liebe i m m e r w i e d e r aufs n e u e entfachen, w i r sollen helfen und w i r k e n , leiden und t a p f e r sein. S o scheinen wir freilich d e s M e n s c h e n Sein in zwei Welten e i n z u l a s s e n : das Ich lebt in d e r u n v o l l k o m m e n e n Welt d e r L e i d e n , das S e l b s t ist in G o t t e s S c h o ß geb o r g e n . A b e r so ist's nicht gemeint. D a s Ich soll zum S e l b s t w e r d e n : ja, nur d a s im Ich hat w a h r h a f t e s Sein, w a s b e r e i t s zum Selbst g e w o r d e n o d e r auf dem W e g e zum S e l b s t ist. W i e die Religion leicht die Natur als e t w a s dem S e l b s t F e i n d l i c h e s zurückläßt, w e n n sie den W e s e n s k e i m d e s M e n s c h e n in eine t r a n s z e n d e n t e Welt zu retten untern i m m t , s o w ü r d e n wir d a s S e l b s t töten und zur Unf r u c h t b a r k e i t v e r d a m m e n , w e n n es nicht auf d a s Ich bezogen w ä r e . D a s Ich birgt d a s P r o b l e m d e s Selbst. D e r W i l l e , d e r die Idee e r g r e i f t , v e r w a n d e l t d a s Ich in d e r sittlichen H a n d l u n g zum S e l b s t . W e n n nun die Idee d a s S e l b s t in einer G e m e i n s a m keit von h ö h e r e r R e a l i t ä t , als die d e r S i n n e n w e l t ist, b e f e s t i g t , s o kann d e n n o c h g e r a d e d e r Wille z u r Idee und die E r k e n n t n i s d e r Idee den empirischen Menschen in d e r S i n n e n w e l t v e r e i n s a m e n . W e r die E r k e n n t n i s und Sittlichkeit s e i n e r Zeit ü b e r s c h a u t , S c h w ä c h e n d e r Wirklichkeit mit s e i n e m geistigen Blick d u r c h d r i n g t , die von d e r M e n g e noch für Realitäten g e h a l t e n w e r d e n , der w a n d e l t w i e ein E i n s a m e r im Reich d e r Z e i t ; die G ö t t e r d e r a n d e r e n sind f ü r ihn G ö t z e n , worauf die a n d e r e n sich stützen, zerfließt ihm wie ein T r a u m . Ihm erscheinen alle Mitmenschen wie N a c h t w a n d l e r , die nicht w i s s e n ,
29
Von dem Begriffe Gottes.
w i e gefährlich der W e g ist, den sie g e h e n : und wirklich wird ihnen j a auch, wenn das S c h i c k s a l s i e bei ruft,
der
Pfad
unter
Weiterblickende
ist
den
ihnen
Füßen gerade
versinken. in
seiner
Namen
Aber
der
Einsamkeit,
aufs innigste verbunden; wenn e r auch s c h e i n b a r keinen Anteil hat an ihren Augenblicksfreuden leiden,
s o entspringen
und Augenblicks-
doch d i e g r ö ß e r e n ,
reineren
und
tieferen B e w e g u n g e n seiner S e e l e nichtsdestoweniger aus seinem Verhältnis zu, aus s e i n e r Gemeinschaft mit ihnen. Wenn
seine
Welt
wirklich
geworden
ist,
dann
werden
s i e e s merken, daß die Wurzeln ihrer S e e l e s i e mit ihm vereinen;
dann
wenn
dann
wenn
der
wird die Einheit offenbar werden.
sein Tod
seine
sagungen
und
Wahrheit
seines
sprechen: stehen
ich
empirisches Seele
Schmerzen
Ich
vergangen
von
Enttäuschungen,
befreit
hat,
sein
wird
Und wird, Ent-
aus
der
ewigen W e s e n s s e i n e S t i m m e zu ihnen
lebte
in
euch,
und g e g e n w ä r t i g
ich
werde
durch euch be-
sein.
III. Wir
sahen
Erkenntnis
der Idee zu-
gleich die E r k e n n t n i s unseres S e l b s t e s ist.
früher,
daß die
D a r a u s folgt,
daß wir mit voller Hingabe unserer S e e l e streben müssen, uns s e l b s t zn erkennen, d. h. welche Kräfte wir besitzen und
wieviel
wahres
Sein
in uns
ist.
Aber
dies
kann
und soll nicht durch mystisches S i c h - v e r s e n k e n geschehen, sondern
indem wir unseren W ü n s c h e n ,
Leidenschaften
ins
durchdringen,
und
unseren Mitmenschen T a t zu e r p r o b e n . andern
wurzelt,
Auge indem
So
ist
wir
kehren,
und uns
um
Hoffnungen sie
zur
mit Welt
kann
man
und
Vernunft und
zu
uns in Handlung und
Wenn unser S e l b s t im Verhältnis so
erkenntnis zu g e l a n g e n , isoliert.
sehen
nicht
zum
hoffen, zur S e l b s t -
indem man sich gegen die Welt
die S e l b s t e r k e n n t n i s
zugleich eine
Be-
30
Von dem Begriffe Gottes.
freiung und A b k e h r vom Endlichen, B e g r e n z t e n , ZeitlichVergänglichen
unserer S e e l e ; s i e setzt alles in Beziehung
zur Idee und damit zur Die allen
Religionen
zuerst
und
wie
der
des
in
vergänglichen
Produkt
Gottesbegriffes daß
das
geht
bei
Menschen
die Endlichkeit und
Natur
fast
Dämonisch-Göttliche
empirisch-endlichen
dieser
daß die Natur zuerst, ein
Ewigkeit.
des
dahin,
nach Art
dacht heit
Entwicklung
eingeschlossen
ge-
Begrenztwird,
das Göttliche a b e r gleichsam
oder Teil
derselben
oder
so nur
ihre S e e l e ,
ihr
i n n e r e s , b e w e g e n d e s W e s e n ist, alsdann a b e r kann
man
die doppelte T e n d e n z beobachten, das Göttliche der Natur mehr und mehr zu entfremden
und dem geistigen S e l b s t
des Menschen
daß
Wachstum zugleich wagen
Gottes die
Banden
anzunähern, s o vom
Befreiung
des S c h i c k s a l s es,
Ich zum Gottes und
aus
der
das
historische
führt.
Das
Macht
des C h a o s .
den Naturgesetzen
gegenzustellen.
auch
Selbst
Die
und
ist den
Menschen
ihre eigenen G e s e t z e
ent-
Man stellt G e s e t z e des S o l l e n s und der
Sittlichkeit auf, welche die Einheit der Ideen im Bewußtsein der Menschheit aufdämmern lassen. Gottes
mit
dem
Menschen
und
der
D i e Verbindung Natur
scheint
B e g i n n e der Entwicklung enger als im F o r t s c h r i t t : wie
am
Anfang
Gott
gleichsam
in
die
Natur
im denn
hinein-
gedacht wird, s o scheint e r sich auch des Menschen unmittelbar fangen,
zu
bemächtigen.
und der
endliche,
in ihm aufzugehen. sie: sein;
des
gegen sein.
war
im Endlichen
beso
A b e r g e r a d e ihre Endlichkeit trennt
Menschen Wille
G o t t e s Plan
Gott
empirische Mensch schien braucht
nicht G o t t e s Wille
und Z w e c k kann dem Menschen
zu ent-
D a s Ich ist, wenn es die S t e l l e des Abso-
luten einnehmen will, immer selbstsüchtig, e g o i s t i s c h : so auch
Gott
auf
dieser
Stufe.
Je
mehr
aber
Gott
sich
vom empirischen Ich entfernt uncf dieses s e i n e r Absolutheit entkleidet (wie
auch die Natur),
desto inniger, ver-
Von dem Begriffe Gottes.
31
t r a u t e r wird s e i n e V e r b i n d u n g mit den unendlichen W e s e n d e s M e n s c h e n , mit s e i n e r sittlichen B e s t i m m u n g und Aufg a b e , kurz mit seinem Selbst. Die menschliche S e e l e w e i t e t und dehnt sich Gott e n t g e g e n . E r hört auf, ein S t ü c k Natur zu sein, und er steht mit s e i n e m Willen nicht m e h r f r e m d zur Gottheit. Und selbst d a s Verhältnis G o t t e s z u r Natur wird, w e n n man s o s a g e n soll, herzlicher als zuvor. D e n n die Einheit d e r Natur mit G o t t w a r im A n f a n g n u r d a d u r c h möglich, daß G o t t sich s e i n e r G r ö ß e entschlug und alle U n g e w i ß h e i t und Unsicherheit d e s natürlichen S e i n s in sich a u f n a h m ; die Natur selbst a b e r w a r unmittelbar. A b e r nun ist es G o t t , nämlich d e r göttliche Wille d e r M e n s c h h e i t , d e r d i e Idee e r g r e i f t und e r z e u g t , w e l c h e r die Natur, indem e r sie i h r e r Starrheit b e r a u b t , nach und nach ihrer M ä n g e l entkleidet und sie zu sich heranbildet. Wir erlösen j a nicht n u r uns selbst, indem wir d e r Idee dienen, s o n d e r n auch die Natur, indem w i r sie d e r a b s o l u t e n W a h r h e i t ihres B e g r i f f e s mehr und m e h r z u f ü h r e n . Die christliche Religion weiß von einem stellvertretenden Leiden, durch w e l c h e s J e s u s C h r i s t u s d i e S ü n d e n s e i n e r Mitmenschen auf sich nahm und in s e i n e m O p f e r tod ihre S t r a f e mit erlitt. In d i e s e m S i n n e darf und kann es k e i n e S t e l l v e r t r e t u n g d e s L e i d e n s und d e r S e e l e g e b e n . W o h l a b e r sollten w i r alle u n s e r e Leiden und S c h m e r z e n von u n s e r e r v e r g ä n g l i c h e n Individualität und Subjektivität zu t r e n n e n w i s s e n und in ihnen die Mängel d e r Wirklichkeit und die U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Natur und Sittlichkeit g e g e n ü b e r der Idee e m p f i n d e n , alsdann leiden wir, leidet j e d e r f ü r die M e n s c h h e i t . — A b e r die Menschheit leidet auch f ü r uns, und w i r sind um kein H a a r breit b e s s e r als die a n d e r e n , w e i l w i r leiden, s o n d e r n wir w e r d e n gut und sittlich, w e n n w i r im Leiden u n s selbst v e r g e s s e n . Wir e n t w e i h e n d a s Leid, w e n n w i r mit ihm spielen o d e r uns mit ihm b r ü s t e n . J e mehr
Von dem Begriffe Gottes.
32 wir
im Leben
zu
dulden
mehr G e l e g e n h e i t
ist
und
zu tragen
uns g e g e b e n , von
haben, der
desto
Eigenliebe
loszukommen. Die
großen
Führer
e b e n e S t r a ß e des gewandert;
sie
der Menschheit
Glücks im
haben
die
Finsternis
g e s e h e n , und die Verzweiflung flogen.
sind
Sonnenschein der
nicht
der
die
Freude
Verlassenheit
ist durch ihr Gemüt ge-
G e r a d e die Tapfersten haben Zeiten g e h a b t , in
denen
sie
Tiefen
meines Herzen gesehen, aber ich fand kein Licht,
sondern
zu
sich
da w a r
selber
sprachen:
Dunkelheit
und
mich geblickt in die Natur,
ich
bad
der
haben
und
ließen
Schmerzen
überwunden,
unsere Sünden
mich
Nacht;
Herz
rein
wie
wir
überwinden
und zum Verlangen
sollen.
alle
um
a b e r im
der Idee e r l ö s t ,
nach dem
sie Nicht
W e r sein
löst s o auch an seinem Teil die Menschheit. können und sollen wir
die
Sturz-
geworden,
auf sich g e n o m m e n ,
Leid haben s i e sich zu uns gefunden. zur L i e b e
habe
In diesem
ihr
sie
ich
in
die a b e r gingen in
allein. —
ist
haben
habe
habe meine B r ü d e r ge-
beten, meine S e e l e zu erleuchten — Finsternis
Ich
Selbst der er-
Das
Maßstab
aber
unserer
Kräfte und Aufgaben. E s ist nicht der Kult des G e n i e s , den wir hier vert r e t e n , oder des Ü b e r m e n s c h e n , leid"
zu
anderen
inferioren
der sich nur aus „Mit-
Geschöpfen
doch eigentlich nur seinetwegen da sind. mit dem Anschein Seele. Gemüt
als
reine
wir wir
einem
stellen,
Menschen, mit
der Herablassung auftritt, vergiftet die
dem
wahre
sollen
zurechtweisen ihn
die
J e d e r Mensch trägt die Idee des Guten in seinem
Wesen; Wenn
herabläßt,
Mitleid, welches
sie
Strauchelnden
wollen, sondern
in
Bestimmung
so wir
ihm suchen.
anderen
und
sein
ewiges
daher überall ehren und achten.
haben,
helfen,
dürfen müssen Ich
wir
einen uns
Irrenden
nicht
unseresgleichen,
kann
nur dann
über den
Mitleid
wenn ich mit ihm l e i d e ;
und
Von dem Begriffe Gottes. dies
kann
bleibt.
ich
nur,
Aber
gnädiges
wenn
gemeinhin
Bedauern
mir
sein
versteht
des
33
Selbst
nicht
fremd
m a n u n t e r Mitleid
Unvermeidlichen,
nicht zu
ein Än-
dernden. So
ist
es
die
Selbstüberhebung
(Ichvergötterung),
w e l c h e u n s e i n e r s e i t s d i e G e m e i n s c h a f t mit d e r M e n s c h heit r a u b t , a n d e r e r s e i t s d e r V e r z a g t h e i t u n d V e r z w e i f l u n g in
die A r m e
wirft.
Denn
wenn
wir
uns
v o r den
Ab-
g r ü n d e n u n s e r e r S e e l e fürchten, vor ihren Leidenschaften, Süchten
u n d W i r r n i s s e n , s o ist e s j a d o c h n u r , weil w i r
i m m e r m e i n e n , als e i n z e l n e r g e g e n s i e zu s t e h e n . wenn
sittlichen W i l l e n
gegen
sie aufrufen, haben
•unsere E i n s a m k e i t d u r c h b r o c h e n heit s t e h t h i n t e r uns. Gemeinschaft
selbst
Aber
es
sind
Wenn
immer nicht
welche uns zerstreuen nicht
wir
und die ganze auch d i e
wieder
die
zum
Problem
Beziehungen
der
gewonnene der
wird.
Mitwelt,
und u n s e r e S e e l e z e r r e i ß e n ?
d i e G e s e l l s c h a f t mit i h r e n A n s p r ü c h e n ,
uns g e r a d e die Einheit des G e m ü t e s raubt*)? man
bereits Mensch-
S i n d w i r d e n n nicht auch in
sittlichen K u l t u r g e b o r g e n ?
es
Aber
wir die Vernunft, das begriffliche D e n k e n und den
Ist
welche
So
kann
n u r f r a g e n , w e n n m a n d i e G e m e i n s c h a f t z u m Milieu
verflacht
und
den
Menschen
und
sein
sittliches
Selbst
z u m P r o d u k t s e i n e r U m g e b u n g , i n s b e s o n d e r e s e i n e r Mitmenschen,
macht.
Ganz
abgesehen
davon,
daß
diese
U m g e b u n g s e l b s t n i e e t w a s A b g e s c h l o s s e n e s , F e r t i g e s ist, sondern
der
Idee g e g e n ü b e r
ein
relativ
und
zufälliges
S e i n hat, liegt auch d e r g a n z e n A n s c h a u u n g ein völliges Verkennen grunde.
der theoretischen
u n d sittlichen V e r n u n f t zu-
J a , s o l a n g e d i e V e r n u n f t sich v o n a u ß e n
mühe-
l o s b e s c h e n k e n u n d b e r e i c h e r n läßt, sich d e n S t i m m u n g e n , Gefühlen und Empfindungen wehrlos hingibt,
nimmt
*) Vergl. z . B . R. Eucken: wart, 2. Aufl., S. 197. Kinkel, Traum. 2. Aufl.
3
sie
Die Grundbegriffe der Gegen-
34
Von dem Begriffe Gottes.
die Z e r r i s s e n h e i t d e r Natur und Mitwelt in sich auf. A b e r d e r V e r n u n f t ist nichts g e g e b e n , s o n d e r n w a s sie berührt, w i r d zum P r o b l e m . Auch d e r a n d e r e , d e r Mitm e n s c h , in dem ich mein S e l b s t e r z e u g e , wird j a erst durch die sittliche H a n d l u n g f ü r mich real. Nichts, w a s mir die G e s c h i c h t e , das L e b e n o d e r die Natur überliefert, wird mein e i g e n , s o l a n g e ich e s nicht in die Einheit m e i n e s B e w u ß t s e i n s a u f g e n o m m e n und a u s den Tiefen m e i n e r S e e l e gestaltet habe. W i e k ö n n t e d e r das M e n s c h e n g e s c h l e c h t a u s Schuld e r l ö s e n , d e r nie selbst g e s ü n d i g t h a t ? Nur w e r selbst geirrt h a t , versteht den Irrenden. D a s ist im guten Willen d e r S e g e n d e r S ü n d e . Des Menschen wahres W e s e n a b e r liegt in d e r Wahrheit und im G u t e n ; und d e s w e g e n ist auch die E r k e n n t n i s des W a h r e n und G u t e n von P l a t o eine „ W i e d e r e r i n n e r u n g " g e n a n n t w o r d e n , g l e i c h s a m , als o b w i r ' s schon f r ü h e r g e s c h a u t hätten, w a s w i r jetzt mit Augen d e s G e i s t e s w a h r n e h m e n . So mag's auch wohl k o m m e n , daß zwei M e n s c h e n , die sich in d e r Liebe zum W a h r e n und G u t e n g e f u n d e n haben, sich alsogleich nahe sind w i e zwei alte F r e u n d e und nichts F r e m d e s zwischen sich s e h e n . D e n n sie s e h e n die G e m e i n s a m k e i t ihres W e s e n s und fühlen den O d e m ihrer w a h r e n Heimat. F r e u n d s c h a f t und Liebe sind d a h e r w i e Inseln d e s S e i n s im weiten O z e a n d e s W e r d e n s ; w i r g e w i n n e n mehr und m e h r Land, j e weiter w i r u n s e r e S e e l e in d e r Gemeinschaft d e r Menschen, in d e r Wahrheit und im Guten a u s d e h n e n . E i n e s u m m e n d e B i e n e kann u n s den g a n z e n S o m m e r mit all s e i n e r Lust v o r z a u b e r n ; ein g u t e r G e d a n k e u n s e r g a n z e s G e m ü t e r f r e u e n und e r l e u c h t e n ; ein F r e u n d , den wir g e w o n n e n h a b e n , uns alle Leiden und T r ü b s a l des D a s e i n s v e r g e s s e n m a c h e n . und
Die W a h r h e i t fällt uns nicht m ü h e l o s in den Schoß, d a s G u t e ist nicht w i e eine reife F r u c h t , die man
35
Von dem Begriffe Oottes. im V o r b e i g e h e n Wille
müssen
pflücken
ringen
kann.
und
Die
kämpfen,
Vernunft
und
um m e h r und
der mehr
d e s E w i g e n i n s D a s e i n e i n z u b a u e n ; w i r m ü s s e n das S e i n den A r m e n d e s C h a o s e n t r e i ß e n .
W a s a b e r unser Mühen
und W i r k e n s o s c h w e r macht, das ist, daß w i r j e d e W a h r heit und j e d e H a n d l u n g in u n s e r Ich aufnehmen gerade wenn göttlichen
müssen,
w i r uns vom Ich b e f r e i e n und zum sittlich-
Selbst
durchdringen
wollen.
Aber
dies
ge-
lingt nicht i m m e r : statt u n s e r Ich zur W a h r h e i t d e s S e i n s zu
erweitern,
versuchen
wir,
das
u n s e r e s e n g e n , geistig-sittlichen und w e r f e n rück.
scheiden
w i r uns
den
Rahmen
einzusperren,
auch von
w i r g e b e n j a das B e s t e v e r l o r e n :
u n s e r e K r a f t zu w a c h s e n , b e s s e r ein
in
e s s o auf die S t u f e d e s P r o b l e m a t i s c h e n
Aber so
denn
Sein
Besitztums
Schein-Glück
oder
einen
uns
unsere
zu w e r d e n .
Wunsch
zu-
selbst; Freiheit,
Wenn
aufgeben
wir
sollen,
weil ihm e i n e W a h r h e i t e n t g e g e n ist, s o fürchten w i r den Schmerz
der
unserer
Seele,
gerade Weg
Entsagung
jenes
zu
den Leid,
einer
und
man das
höheren
denken,
es
rauben
will;
uns wir
scheuen,
Wirklichkeit
a l s o zu g r ö ß e r e r G o t t e s n ä h e führen
sei
ein
aber
welches unserer
soll.
Teil
es
ist
uns
den
Seele
und
E s ist j a auch
nur S c h e i n , daß w i r die g a n z e W i r k l i c h k e i t u n s e r e r S e e l e a u f g e b e n müßten, w e n n w i r zu e i n e r h ö h e r e n f o r t s c h r e i t e n : obgleich wir
freilich
nicht ein S t ü c k
f ü r e w i g halten dürfen.
E t w a s von
unseres
Besitztums
der Wahrheit
r e i n e n V e r l a n g e n s zur Idee lebt in allen
unseren
und
ist
verbindet
sie.
Denn
kein
Mensch
auf b ö s e , e r hätte denn aufgehört, M e n s c h So
von zu
eines Welten Grund
sein.
mögen wir also getrost die Ungewißheit
ertragen,
die sich auf e i n e letzte S i c h e r h e i t und G e w i ß h e i t g r ü n d e t . Dennoch schier
sitzstand in
m a g uns w o h l
hilflos
erscheinen,
ein Z a g e n b e f a l l e n , daß wir uns wenn
w i r den j e w e i l i g e n
unserer S e e l e , j a unseres ganzen
seiner jetzigen
Kulturstufe,
vergleichend
Be-
Geschlechtes der 3*
Unend-
Von dem Begriffe Gottes.
36
lichkeit d e s p r o b l e m a t i s c h e n
Seins,
das s e i n e r
und B e f r e i u n g noch harrt, g e g e n ü b e r s t e l l e n ;
Erlösung
und w a s w i r
i m m e r a l s u n s e r e n s i c h e r s t e n S c h u t z a n r i e f e n , d a ß e s die ganze Menschheit
ist, w e l c h e u n s e r L o s teilt und in den
R e i g e n der U n g e w i ß h e i t v e r s t r i c k t ist, k ö n n t e noch u n s e r e Furcht steigern. kleinen
Ist e s n i c h t ,
Nachen
Vernunft nahen?
den O z e a n
und
der
Idee
als w o l l t e n
w i r in
befahren, wenn
vertrauend,
jener
Unendlichkeit
Und w e n n w i r hierzu durch die Not d e s L e b e n s
gezwungen
sind,
um
so
schlimmer
könnte
man
E s ist ein s c h l e c h t e r T r o s t , wenn- wir darauf werden,
daß
uns
gar keine
andere Wahl
handen, wenn und u n s e r e m
das künftige S e i n innersten
Wesen
sich als
widervernünftig
entgegengesetzt
D a s ist e s j a e b e n g e r a d e , w o v o r
kenntnis
d e r Idee
Idee
als
Menschheit
Gottesidee
sich
und
und
enthüllen
uns die
Er-
das ist e s , w a r u m
wir
bezeichnen.
entfaltet
Aber
nur dann v o r -
könnte.
bewahrt,
sagen.
hingewiesen bleibt.
j e n e G e f a h r , die w i r fürchten, w ä r e doch
die
einem
w i r uns, der
Wenn
durchgesetzt
die
reine
haben
wird,
wird ihr die Natur nicht feindlich g e g e n ü b e r s t e h e n , dern deren
in
der
Vernunft
Gesetzen
liches S e i n
der
Untertan
können
Menschheit
sein.
einander
selber
Theoretisches
und
nicht w i d e r s p r e c h e n ;
endliche
k e i n e r endlichen
Zeit
erreicht;
sittaber
ihre v ö l l i g e E i n h e i t ist auf k e i n e S t u f e d e s D a s e i n s a l s o zu
son-
wurzelnd
und
s i e ist Idee, un-
Aufgabe. IV.
Der jugendliche Rousseau Menschenliebe schaften
heraus,
bekämpft,
als
die ob
hat,
g e r a d e aus
Kultur
innigster
und
ihre
Errungen-
insbesondere
der
Fortschritt
der E r k e n n t n i s kein S e g e n für u n s e r G e s c h l e c h t b e d e u t e t e . Ich s a g e :
aus
Menschenliebe;
d a ß s e i n e A n g r i f f e sich sondern
gegen
die
nicht
und gegen
irregeleitete
das
beweist
schon,
die K u l t u r an
Kultur
richteten.
sich, Er
Von dem Begriffe Gottes.
37
w o l l t e ein n e u e s , r e i n e r e s Ideal d e r Kultur aufstellen, d e m er den i r r e f ü h r e n d e n N a m e n d e r Natur beilegte. R o u s s e a u s N a t u r hat noch zu k e i n e r Zeit existiert; sie ist eine Idee und ihre Realität ist die d e r Z u k u n f t . So hat d e n n auch Schiller w i e d e r an Stelle d e r Natur die Idee g e s e t z t . Doch ist die F r a g e , ist d e n n wirklich d a s Heil d e r Menschheit in d e r E r k e n n t n i s g e l e g e n , damit noch nicht abgeschüttelt. S c h e i n t doch w i r k l i c h , allen S i e g e n d e r W i s s e n s c h a f t zum Trotz, d a s Leid und E l e n d d e r M e n s c h e n nicht zu entfliehen. A b e r w e r näher zusieht, d e r w i r d d e n n o c h g e w a h r , w i e w i r mit d e r E r k e n n t n i s u n s e r S e l b s t p r e i s g e b e n würden. D a s Sein ist die W a h r h e i t ; und die Begriffe, als die Mittel d e r E r k e n n t n i s , sind zugleich die E l e m e n t e des Seins. E m p f i n d u n g e n u n d G e f ü h l e , w i r haben e s oft g e s a g t , h a b e n an sich kein S e i n , s o n d e r n sind nur d e r s u b j e k t i v e A u s d r u c k d e s Seins, d e r uns die P r o b l e m e aufstellen heißt und in d e n e n die g e s i c h e r t e Realität sich dem individuellen B e w u ß t s e i n k u n d g i b t . I n s b e s o n d e r e ist d a s Leid n u r die subjektive E r s c h e i n u n g s f o r m , in d e r sich u n s ein Nichtseinsollendes, eine L ü c k e im sittlichen Sein k u n d g i b t . W i e nun d e r Fortschritt d e r W i s s e n s c h a f t und a l s o d e s D a s e i n s immer eine V e r t i e f u n g d e r P r o b l e m e mit sich bringt, s o ist es nicht erstaunlich, w e n n auch d a s Individuum n u n m e h r heftiger unter d e m P r o b l e m a tischen und U n v o l l k o m m e n e n d e s D a s e i n s zu leiden hat. D i e S p a n n u n g im Dasein ist g e w a c h s e n und wächst immer m e h r ; die S e e l e des einzelnen ist empfindlicher g e w o r den und b e g e h r l i c h e r , a b e r auch k r a f t v o l l e r den P r o blemen g e g e n ü b e r . A b e r im selben Maß ist auch die o b j e k t i v e Wirklichkeit, die t h e o r e t i s c h e s o w o h l wie die sittliche W e l t , g e w a c h s e n . Und w e n n die Leiden und S c h m e r z e n d e s D a s e i n s intensiver e m p f u n d e n , die Lücken also o f f e n k u n d i g e r w e r d e n , so ist d a s nur ein Beweis, d a ß w i r uns d e r Quelle alles D a s e i n s , d e r Wurzel aller
38
Von dem Begriffe Gottes.
Realität, und also d e r E r l ö s u n g von Leid g e n ä h e r t h a b e n . „ W o die Not am g r ö ß t e n ist, da ist G o t t e s Hilfe am nächsten", s a g t d a s V o l k ; n u r darf man den S p r u c h nicht auf die G l ü c k s e l i g k e i t d e s Individuums b e z i c h e n . Denn die Realität d e s einzelnen liegt nicht in s e i n e m isolierten D a s e i n , w e l c h e s im T o d e erlischt, s o n d e r n in seinem Verhältnis z u r Allheit. Und j e mehr Leid d e r einzelne im D i e n s t e d e r Allheit dulden m u ß , d e s t o m e h r Ewigk e i t s w e r t e r o b e r t er s e i n e m sittlichen S e l b s t . Und wie d e r e i n z e l n e am Leid d e r Menschheit teilnimmt, s o verm a g e r j a auch ihre G r ö ß e zu teilen, e b e n in d e r Erk e n n t n i s und durch den Willen. Die Menschheit ringt mit d e r Unendlichkeit d e s S e i n s , indem sie ihre e i g e n e Unendlichkeit entfaltet. D e r Kampf ist unendlich, a b e r unendlich ist auch d a s M e n s c h e n g e s c h l e c h t ; und s e i n e Unsterblichkeit teilt, w e r sich ihm zu eigen gibt. W a s d e r Menschheit S t a b und S t ü t z e ist auf ihrem r a s t l o s e n W e g z u r Idee, die E r k e n n t n i s , d a s ist auch dem einzelnen s o oftmals Heilmittel in d e r S e l b s t e n t f a l t u n g s e i n e s W e s e n s , indem sie sein b r a u s e n d e s H e r z in R u h e w i e g t und die Not s e i n e r S e e l e besänftigt. W e r sich nur erst zur rechten Einsicht d u r c h g e r u n g e n hat, d e r m a g leicht d e r irren W ü n s c h e und T r i e b e H e r r w e r d e n . W e n n w i r eine Wahrheit e r k e n n e n , e r w e i t e r n w i r u n s e r e Seele. D e n n indem wir u n s e r e r Wirklichkeit durch den Begriff d e s G e g e n s t a n d e s eine n e u e G e s e t z m ä ß i g k e i t zufügen, sichern und befestigen w i r die O r d n u n g ihres Daseins, füllen Lücken a u s , f ü h r e n ihr n e u e Möglichkeiten des S e i n s zu. Gleichzeitig und parallel mit diesem G r ö ß e r w e r d e n und dieser V e r t i e f u n g d e r o b j e k t i v e n Wirklichk e i t , in d e r w i r l e b e n , geht a b e r auch eine S t e i g e r u n g und B e r e i c h e r u n g d e r Fähigkeit u n s e r e s G e m ü t e s , uns d e r s e l b e n in E m p f i n d u n g e n und G e f ü h l e n b e w u ß t zu werden, vor sich. Leid und Lust w a c h s e n , und s o sind auch dem Willen n e u e und tiefere P r o b l e m e gestellt.
Von dem Begriffe Gottes.
39
E s ist begreiflich, daß die N a t u r f o r s c h e r s o leicht zu e i n e r pantheistischen B e s e e l u n g d e r Natur und e i n e r Vergöttlichung i h r e r Wirklichkeit g e t r i e b e n w e r d e n . Denn sie sind durch die L e b e n s a u f g a b e , die sie sich gestellt haben, g e z w u n g e n , sich d e r G e s e t z m ä ß i g k e i t d e r Vernunft, in w e l c h e r sie selbst die Sicherheit .und d a s D a s e i n d e r Natur einschließen und durch w e l c h e sie j e n e Natur erst selbst e r z e u g e n , mit g a n z e r S e e l e h i n z u g e b e n . W i e nun j e n e N o t w e n d i g k e i t ihrem eigenen W e s e n e n t s p r u n g e n ist, s o teilt sie sich auch ihrem g a n z e n I n n e n l e b e n mit. Ber u h i g u n g i h r e r L e i d e n s c h a f t e n , ein A u f k e i m e n s t e t s ern e u t e r H o f f n u n g e n — alles scheinen sie d e r Natur zu verdanken. D a s Objekt, das sie sich erschaffen haben, indem sie sich d e r Entfaltung ihres w a h r e n S e l b s t e s n ä h e r n , stellen sie außer sich w i e eine f r e m d e Macht, die sich nun nicht mehr um die p e r s ö n l i c h e n E r l e b n i s s e i h r e r I n n e n w e l t zu k ü m m m e r n scheint. Und sie haben j a auch z u r Hälfte recht: denn d e r Begriff ist immer die Ü b e r w i n d u n g d e r Subjektivität. A b e r dies b e d e u t e t eben nur, d a ß die w a h r e Realität sich in ihm a n k ü n d i g t , welche die Allgemeinheit in sich birgt und die Isolierung zerstört. Nun v e r g e s s e n sie a b e r sich selbst in j e n e r Macht: sie s e h e n nicht m e h r , daß sie selbst mit aller Unvollk o m m e n h e i t d e r W i s s e n s c h a f t i h r e r Zeit und mit allen S c h r e c k e n ihres relativen und v e r g ä n g l i c h e n D a s e i n s in j e n e r Natur enthalten sind. D a ß sie dies a b e r v e r g e s s e n k ö n n e n , d a ß sie die G l e i c h u n g S p i n o z a s D e u s s i v e n a t u r a (Gott-Natur) auch nur f ü r k u r z e Zeit ungestraft vollziehen k ö n n e n , hat seinen G r u n d darin, daß sie, o h n e sich d a r ü b e r R e c h e n s c h a f t zu g e b e n , immer, w o sich d a s Ungöttliche d e r Natur offenbart, d i e s e auf die Stufe d e r Idee e r h e b e n , j a mit d e r Idee vertauschen, s o daß dann d a s P r o b l e m a t i s c h e , w e l c h e s die Natur u n s e r e r Zeit noch so reichlich in sich birgt, zu einem P r o b l e m a t i s c h e n f ü r uns z u s a m m e n s c h r u m p f t , d a s d e r Natur „an sich" nicht eignet.
Von dem Begriffe Goltes.
40
S i e m a c h e n e s w i e R o u s s e a u : . s i e s a g e n „ N a t u r " und meinen „Idee".
D a s w ä r e nun unschädlich und ungefährlich, w e n n
nicht e b e n in j e n e m „an s i c h " der Natur die P r o b l e m e als gegenwärtig
gelöst
(wenn auch nicht vom
Menschen,
s o doch von j e n e r t r a n s z e n d e n t e n Natur s e l b s t ) aufgefaßt, die
uns
doch
bekannte
ein
Natur
invariabler,
als
ein T e i l
ewig
sich
Teil
des
übrigen
Und
das
ist dann w i e d e r die s c h l i m m e und
liche
Rechtfertigung
Welt.
„Es
unbekannten
zwar nur,
des
Ganzen
Übels
aber
gleichbleibender
und
aufgefaßt
des
würde.
kulturfeind-
Bösen
in
der
ist s o und muß s o b l e i b e n in alle E w i g k e i t . "
Nein, auch das, w a s wir j e t z t Natur n e n n e n und w a s die Subjektivität
des
einzelnen
überragt
und
bis
zu
einem
g e w i s s e n G r a d e zur W a h r h e i t
und O b j e k t i v i t ä t
nicht a b s o l u t und u n w a n d e l b a r .
Die fortschreitende Wissen-
schaft und S i t t l i c h k e i t wird Man k a n n z. B . s c h o n in
einer
ganz
e s durch B e s s e r e s
heute N e w t o n s
anderen
erlöst,
Form
ist
ersetzen.
Gravitationsgesetz
aufstellen
und
die
ganze
W i r k l i c h k e i t u m s t o ß e n , w e n n man d e r M e c h a n i k d e s W e l t s y s t e m s nicht
die G e o m e t r i e
nichteuklidischen
Geometrien
Euklids,
sondern
zugrunde
legt.
eine
der
Aber
was
j e t z t und heute noch w i e e i n e Art W i l l k ü r e r s c h e i n t , wird zur N o t w e n d i g k e i t d e s D a s e i n s , w e n n sich einmal z e i g e n s o l l t e , daß e s v e r n u n f t g e m ä ß e P r o b l e m e d e r m e c h a n i s c h e n W i r k l i c h k e i t gibt, die nur mit e i n e r d e r Geometrien
zu b e w ä l t i g e n
sind*). —
nichteuklidischen
Auch nur s o , wenn
w i r die Natur i h r e r A b s o l u t h e i t e n t k l e i d e n und s i e in i h r e r R e l a t i v i t ä t e r k e n n e n , hört s i e auf, für uns ein b l i n d e s S c h i c k sal zu s e i n , und wird ein T e i l u n s e r e s Wir Seele
sprechen
des
mäßigkeit, dem
vom
einzelnen. durch
unsicheren
Verhältnis
der
Erkenntnis
Die Regelmäßigkeit
welche Meere
Wesens.
der
Begriff
unserer
und
und die
Empfindungen
zur
GesetzVernunft und
Ge-
*) Inzwischen ist dieser Fall eingetreten: Vgl. Einsteins Relativitätstheorie.
Von dem Begriffe Gottes.
41
fühle, Sein und Gewißheit verleiht, ist es g e r a d e , w e l c h e nur zu oft g e g e n sie mißtrauisch, j a feindlich stimmt. In d e r S t u n d e , w o g r o ß e L e i d e n s c h a f t e n und G e f ü h l e in u n s e r e r S e e l e g e b o r e n w e r d e n , n e u e P r o b l e m e d e r Exis t e n z uns in u n g e k a n n t e Leiden und F r e u d e n verstricken, lieben w i r die F i n s t e r n i s und Unsicherheit unseres Z u s t a n d e s ; j a , sie ist hier, w e n n sie nicht d a u e r n d w i r d und u n s e r S e l b s t verschlingt, zuzeiten s e g e n s r e i c h . W i e ein F r e m d k ö r p e r die K r i s t a l l b i l d u n g d e r a n o r g a n i schen M a t e r i e verhindern o d e r w e n i g s t e n s d e r a r t s t ö r e n kann, daß d a s n e u e G e b i l d e mit U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n aller Art befleckt ist, s o kann d a s vorzeitige Eingreifen e n g h e r z i g e r B e g r i f f e eine Leidenschaft, w e l c h e die S e e l e , w e n n man s i e hätte d e r V e r n u n f t e n t g e g e n r e i f e n lassen, zu g r o ß e n G e d a n k e n und zu e i n e r E r h ö h u n g ihres S e i n s g e f ü h r t hätte, v e r d e r b e n und v e r k ü m m e r n machen. Und s o l a n g e d a s P r o b l e m nicht in s e i n e r g a n z e n Tiefe erk e n n b a r ist, sind die Begriffe d e r V e r n u n f t immer zu eng. W i e o f t ist nicht ein k e i m e n d e r L i e b e s b u n d d a durch g e s t ö r t w o r d e n , daß man ihn beim Namen nannte, e h e die S e e l e n , w e l c h e sich e r s t gleichsam betastet hatten, e i n a n d e r sicher w a r e n . — W e r a b e r a n d e r e r s e i t s in d e r Unklarheit r i n g e n d e r G e f ü h l e zu b e h a r r e n d e n k t , muß bald i n n e w e r d e n , w i e sein Lebensschifflein scheitert und s e i n e S e e l e Not leidet. Nur d a s ist g e w i ß : w i r sollen g r o ß e n G e f ü h l e n , seien sie schmerzlicher o d e r f r e u d i g e r Natur, nicht a u s dem W e g g e h e n , denn sie rufen uns zu h ö h e r e n Stufen d e s S e i n s . Die A s k e s e , w e l c h e darauf a u s g e h t , uns vor E r s c h ü t t e r u n g e n d e r I n n e n w e l t zu b e w a h r e n , ist ein H e m m n i s allen g e s u n d e n F o r t s c h r i t t s und die K a m p f w e i s e e n g h e r z i g e r , im G r u n d e g e n o m m e n f e i g e r G e m ü t e r ; sie ist die Flucht vor dem P r o b l e m d e s L e b e n s , nicht s e i n e L ö s u n g . Man muß sein H e r z mitnehmen in die Welt, o d e r man verliert mit dem H e r z e n auch die Wirklichkeit. In u n s e r e r S e e l e
42
Von dem Begriffe Gottes.
w e c h s e l n E b b e und Flut, a b e r ein g u t e r Schiffer w e i ß die Gezeiten zu nutzen. In Zeiten eines seichten, d o g m a t i s c h e n R a t i o n a l i s m u s (der d a s G e g e n t e i l d e s idealistisch-kritischen Rationalismus ist) k a n n man b e m e r k e n , w i e auch d e r Mystizismus an Kraft g e w i n n t . Weil die d o g m a t i s c h e Wirklichkeit tieferen G e m ü t e r n zu e n g w u r d e , weil ihre s e h n s ü c h t i g e n L e i d e n s c h a f t e n und w e r b e n d e n G e f ü h l e k e i n e n P l a t z in ihr haben, e r b a u e n sie sich eine Welt d e r S y m b o l e und G e h e i m n i s s e , w e l c h e unter s c h e i n b a r e r B e w ä l t i g u n g d e r P r o b l e m e d e n n o c h das H e r z ihre g a n z e S c h w e r e empfinden läßt. S o w a r z. B. d e r d o g m a t i s c h e Rationalist d e s 18. J a h r h u n d e r t s mit d e r Welt bald f e r t i g ; a b e r d e r Pietist rief nach e i n e r W i e d e r g e b u r t d e r S e e l e . E s ist auch töricht, zu g l a u b e n , daß man e i n e s g r o ß e n H e r z e n s G e f ü h l e und L e i d e n s c h a f t e n mit d e r B e g r i f f s w e l t e i n e r v e r s i n k e n d e n Wirklichkeit ersticken k ö n n t e , sie w e r d e n a u s b r e c h e n zur R e c h t e n und zur L i n k e n . An d e m F e u e r b r a n d e d e r L e i d e n s c h a f t e n soll sich die S e e l e e n t z ü n d e n , d e r S t u r m d e r G e f ü h l e ihre K r ä f t e w e c k e n . W e n n d e r Geist nicht ringen muß mit solchen G e w a l t e n , erlahmt er. W i e k o m m t es doch, daß s o vielen g u t e n M e n s c h e n die H e r z e n u n g e s u c h t zufliegen — a n d e r e n , nicht w e n i g e r guten a b e r leicht Mißtrauen b e g e g n e t und sie auch von ihresgleichen häufig v e r k a n n t w e r d e n ? Die ersteren haben zumeist ein f e s t e r e s V e r t r a u e n zu sich selbst und eine g e n a u e r e V o r s t e l l u n g von dem, w o d u r c h sie in d e r Welt zu w i r k e n imstande sind. Die letzteren a b e r , obgleich vielleicht auf d e r s e l b e n H ö h e d e s sittlichen S e i n s a n g e l a n g t wie j e n e , sind u n g e w i s s e r ü b e r den W e r t ihrer Ideale und Ziele und mißtrauisch g e g e n ihre eigenen Kräfte, s o d a ß man sie aufsuchen muß in dem W i n k e l ihres H e r z e n s , damit sie uns nicht durch ihre ü b e r t r i e b e n e S e l b s t k r i t i k an sich irre machen. Namentlich d i e Philister und philiströsen D o g m a t i k e r , wie sie allem S k e p t i z i s m u s
43
Von dem Begriffe Gottes.
a u s d e m W e g e g e h e n , l e b e n j e n e n l e t z t e r e n g e g e n ü b e r in der
Furcht,
sie
möchten
mit h e r e i n g e r i s s e n
von
diesen
in
ihren
Zweifel
werden.
Man kann ja überhaupt sehen, w i e dem
Dogmatiker,
der seine eigene e n g e Wirklichkeit für das absolute Sein hält, n u r d i e S i c h e r h e i t e i n e s f r e m d e n D o g m a t i s m u s poniert.
im-
B e i s e h r vielen M e n s c h e n ist j a d e r D o g m a t i s m u s
nur die Frucht ihrer Angst vor der P r o b l e m a t i k des Lebens. Weil
ihnen
d e r G l a u b e an d i e I d e e ,
das Vertrauen
auf
d i e V e r n u n f t fehlt, s o m u ß d e r S k e p t i z i s m u s in j e d e r F o r m ja
auch
für sie
zu
einer
fürchterlichen
Macht
werden.
D e n n s o b a l d ihr b i ß c h e n g e i s t i g e s B e s i t z t u m i n s S c h w a n k e n g e r ä t , s e h e n s i e sich hilflos u n d w e h r l o s d e r U n g e w i ß h e i t des Daseins vor
ausgeliefert.
einem Dogmatismus
S i e flüchten zum
andern.
daher
höchstens
Dogmatiker
des
L e b e n s s i n d e s auch z u m e i s t , w e l c h e d i e S i t t e g e g e n d i e Sittlichkeit verteidigen
D e n n w o b e i d e sich w i d e r s p r e c h e n ,
S i t t e u n d Sittlichkeit, d a ist e r s t e r e z u m e i s t d e r A u s d r u c k der Kleinmut und Zagheit des menschlichen Herzens, das nicht
an
schlingt
sich doch
Menschen
selber glaubt.
Auch die
noch
d e r G e m e i n s c h a f t um
und
ein B a n d
bewahrt
unsittliche
sie vor dem Strudel des
seins; wenigstens scheinbar.
Sitte die
Nicht-
E s ist n u r e i n e T r a u m - u n d
Scheinwelt, welche sie errichtet. klusiv, d i e Sittlichkeit n i e m a l s .
Denn
d i e S i t t e ist ex-
D i e Sittlichkeit ruht, w i e
s c h o n oft g e s a g t , in d e r Allheit d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t e s , deren
Einheit sie fordert und
begründet.
E s ist nicht zu b e f ü r c h t e n , d a ß d a s S t r e b e n nach E i n heit
zur Einförmigkeit
welches leiht.
führe.
Denn
e s ist d a s
auch dem einzelnen C h a r a k t e r
Im L e b e n
des Menschen
Gesetz,
und Leben
ver-
ist j a C h a r a k t e r n u r d i e
b e s o n d e r e Art, w i e d e r e i n z e l n e d a s A l l g e m e i n e d e r I d e e in sich zu v e r w i r k l i c h e n s t r e b t , o d e r d e r ihm z u g e h ö r i g e Weg,
den er einschlagen
muß,
um sich bei s e i n e n
An-
l a g e n u n d F ä h i g k e i t e n u n d bei d e n b e s o n d e r e n A u f g a b e n ,
44
Von dem Begriffe Gottes.
vor die ihn das L e b e n stellt, der Idee zu n ä h e r n .
D e r Ruf
nach C h a r a k t e r und O r i g i n a l i t ä t ist g e n a u g e n o m m e n R u f nach g e i s t i g e r und sittlicher G r ö ß e ;
d e s sittlichen W i l l e n s fehlt, ist auch kein C h a r a k t e r . r a k t e r und W i l l e sind
der
w o die E n e r g i e Cha-
nicht a n g e b o r e n e N a t u r k r ä f t e ;
aus
dem r e i n e n U r s p r u n g des sittlichen B e w u ß t s e i n s wird der C h a r a k t e r im V e r l a u f d e s L e b e n s durch die sittliche Handlung erzeugt*). W e r von der H i n g a b e an die A l l g e m e i n h e i t e i n e V e r f l a c h u n g und E r s t i c k u n g der C h a r a k t e r e befürchtet, d e r d e n k t sich liche G r ö ß e ,
diese Allgemeinheit
bett, h i n e i n g e z w ä n g t w e r d e n Allheit
liegt
als eine fertige,
in die der e i n z e l n e , w i e in in
d e r Idee.
solle.
ein
end-
Prokrustes-
A b e r die E i n h e i t der
Originalität
suchen
auch
nur
k l e i n e G e i s t e r a u ß e r h a l b a l l e s G e s e t z e s ; s i e k a n n sich nur z e i g e n in d e r V e r t i e f u n g und A u s g e s t a l t u n g , a l s o doch auch gerade Anerkenntnis
des Gesetzes.
W i r h a b e n e s zu oft
erlebt, d a ß ein M e n s c h sich b e f r e i e n w o l l t e , indem e r sich von d e r Allheit und ihrem G e s e t z e a b k e h r t e , und in tiefste S k l a v e r e i g e r i e t , sei e s s e i n e r L e i d e n s c h a f t e n
die oder
e i n e r e n g e r e n G e m e i n s c h a f t ; da k e h r t e e r z u r M e n s c h h e i t und ihrem G e s e t z zurück, erfüllte e s mit s e i n e r S e e l e und w u r d e frei. nicht ein
A b e r "das ist e s e b e n : d a s G e s e t z s e l b s t ist
u n v e r ä n d e r l i c h e s D i n g ; w i r müßten denn s c h o n
im a b s o l u t e i l S e i n s e i n . Nur das zu s u c h e n d e Ziel stellt die Idee a u f : E r k e n n t n i s und W i l l e führen uns ihm e n t g e g e n . E s ist auch g a r nicht möglich, dem G e s e t z d e s S e l b s t zu dienen, o h n e e s in das S e l b s t zu w a n d e l n ; s o w ä c h s t es mit dem S e l b s t .
So
schaffen w i r uns die N o t w e n d i g -
keit u n s e r e s D a s e i n s , die d e n n o c h s t e t s vom S e l b s t überragt wird. der
neu
S o muß die S i c h e r h e i t d e s S e l b s t i m m e r w i e errungen,
neu
begründet
S e i t e n greift das Nichtsein
werden.
an u n s e r e S e e l e ;
Von
allen
die P r o b l e -
matik d e s D a s e i n s durchzittert in L e i d e n und S o r g e n unser *) Vgl. H. Cohen: Ethik des reinen Willens.
45
Von dem Begriffe Gottes. Gemüt,
und
die
Stimme
unserer
heiligsten
Sehnsucht
s e l b s t lockt uns zuweilen ins U n g e w i s s e ; d e r
Innenwelt
heimliches Keimen und W a c h s e n , das nach f e s t e r O b j e k tivität ruft, verkennen wir und stellen des Vergänglichen, Wenn
aber
erlischt,
um Leid
gegen
einzutauschen.
nur die L i e b e zur Menschheit
s o wird
bald wieder
die
G l ä n z e unserem geistigen Auge Was
uns in den Dienst Leid
ist
es
doch,
das
Idee
nicht in uns
in
ungetrübtem
erscheinen.
unser Herz zuweilen
s o ge-
waltsam erschüttert, wenn wir an v e r l o r e n e s Glück, vers u n k e n e Freuden g e d e n k e n ?
Beklagen
wir den Verlust
j e n e r holden Täuschung, die uns damals s o entzückte und die mit reifender Einsicht immer seltener wird, die uns den
Zustand
ließ?
unseres
Welche
glauben mehr
uns,
Glückes wenn
unwandelbar
auch
nur
ließ, wir seien am Z i e l ?
das,
goldenen
daß
wir
Stunden
uns
nicht
h a b e n , die der Zeit Denn
wie
die
Unvollkommenheit
erscheinen Augenblicke,
O d e r ist es nicht viel-
Vorwürfe Schätze
widerstehen
der E w i g k e i t g e b o r e n
für
machen,
genug und
in
jenen
gesammelt
aus
dem
Schmerzen
uns
zu
Schöße
sind?
Leiden und
und
Lücken
des
Daseins
an
die
gemahnen
sollen und also unsere Sehnsucht zur Idee steigern müssen, so mit
sollten auch die Freuden und seligen Empfindungen, denen
tiefen
und
uns s o selten das S c h i c k s a l b e s c h e n k t , reinen Affekt
den
der Humanität in uns steigern
und uns verlangend der Zukunft zutreiben, statt uns auf das Faulbett des G e n i e ß e n s zu werfen.
W i r verfallen dem
Teufel des Nichtseins, wenn wir zum Augenblicke verweile doch, du bist s o schön.
sagen,
Nicht dem G e n u ß nach-
j a g e n d , sondern der Idee dienend, sei unser W e g rastlos und ruhelos bis ans Ende. und G l ü c k
nicht
mit
G r o ß e Herzen
der tatlosen
nehmen Leid
E r g e b u n g der
Resig-
nation hin, sondern entzünden ihr menschliches Verlangen e w i g neu zu höheren Stufen der Menschheit.
Insbeson-
Von dem Begriffe Gottes.
46
d e r e ist i h r e S t a n d h a f t i g k e i t viduellen Kernes Reich
Leiden
der
irf d e r E r t r a g u n g i h r e r
Beweis
der
Realität
a l l e s sittlichen G l a u b e n s an ein des Guten
und d e r
des
indi-
letzten
überindividuelles
Wahrheit.
W e n n die B e g e i s t e r u n g u n s e r e H i n g e b u n g an die Idee stärkt
und
unseren
wird u n s e r W e g
Mut
immer
wieder
neu
l e i c h t e r und s e l i g e r s e i n .
entzündet,
E s mag wohl
wahr sein, daß der e n g e Blick des ewig nüchternen,
keines
E n t h u s i a s m u s f ä h i g e n P h i l i s t e r s , d e r a l l e D i n g e durch die B r i l l e e i n e r e g o i s t i s c h e n Nützlichkeitsmoral betrachtet, den vergänglichen
Erscheinungen
zuverlässiger
zeigt,
sterten.
großen
An
mensch
als
des L e b e n s g e g e n ü b e r
das
erregte
Problemen
Gemüt
muß
der
des
sich
Begei-
Nützlichkeits-
mit s e i n e r b e s c h r ä n k t e n S e e l e d e n n o c h s c h e i t e r n .
Wer
immer
wohl
auch,
im
Nächsten,
im
Endlichen
weil sein g e i s t i g e r
lebt,
der
B l i c k s o auf die
mag
nächste
U m g e b u n g e i n g e s t e l l t ist, die kleinen V e r s c h i e b u n g e n Umgestaltungen
und
des Alltagslebens besser bemeistern;
wo
a b e r unerwartete E r e i g n i s s e eintreten, w o es g r o ß e Ents c h l ü s s e gilt, hilft nur das b e g e i s t e r t e Herz, das die S e h n sucht So
zum E w i g e n
ist
die
zu
des Seelenlebens. sich
lichten
Begeisterung Es
ein
ist
Flammen eminent
angefacht
sittliches
a b e r nicht g e r a d e
die B e g e i s t e r u n g in g r o ß e n
Worten
hat.
Moment
nötig,
kundgibt;
daß auch
k l e i n e , oft u n s c h e i n b a r e Handlungen^ w e l c h e d e n n o c h die s i t t l i c h e K u l t u r aufs innigste b e r ü h r e n , sind oft a u s
dem
Schöße
dem
der B e g e i s t e r u n g
Anschein
geboren,
der Gleichgültigkeit
Auch die B e g e i s t e r u m g , ist
tausendmal
Irrtum
des
nie Fanatismus.
bereit
und und
ist
fähig,
verbirgt.
und g e f ä h r l i c h Denn
abirrt, als
der
Begeisterung
ist
der B e g e i s t e r u n g f ä h i g ist und a u s
B e g e i s t e r u n g gefehlt hat, d e r hat s e i n e n erhalten
hinter
die vom r e c h t e n Z i e l e
Philisters.
Wer
sich
und G e l a s s e n h e i t
w e n i g e r schädlich
kleinen
die
stets neue
zur U m k e h r Ziele
mit
und
Geist
beweglich
zum
Umlernen
gleicher
Inbrunst
zu
Von dem Begriffe Gottes.
47
e r g r e i f e n ; a b e r d e r F a n a t i k e r ist in s e i n e n Begriffen s o b e f a n g e n , d a ß e r mit ihnen zugleich die T r i e b k r a f t s e i n e r S e e l e verlieren w ü r d e . Auch die Irrtümer d e s Nützlichk e i t s m e n s c h e n , w i e sie im G r u n d e aus E g o i s m u s ents p r u n g e n s i n d , b e h a r r e n in d e r T e n d e n z s e i n e r Seele, s e l b s t w e n n sie ihr E i n z e l d a s e i n e i n g e b ü ß t h a b e n . Ein B e g e i s t e r t e r ist niemals Egoist. Hat e r geirrt, s o bleibt u n s doch i m m e r die Gewißheit, daß e r G r o ß e s g e w o l l t hat. E s ist e b e n d a s W u n d e r b a r e und Göttliche d e r W a h r heit, daß sie ihren J ü n g e r n das H e r z e n t z ü n d e t und sie ü b e r sich selbst, ü b e r ihr kleines Ich h i n a u s w e i s t . Wer d e r Wahrheit ins A u g e g e s c h a u t , o d e r s a g e n w i r vors i c h t i g e r : w e r ihren G l a n z von f e r n e erblickt h a t , d e r muß seinen B r ü d e r n davon e r z ä h l e n ; e s d r ä n g t ihn unwillkürlich, a n d e r e teilnehmen zu lassen an seinen G e sichten. A b e r nun muß e r die S p r a c h e s p r e c h e n s e i n e r G e f ä h r t e n , damit sie ihn v e r s t e h e n ; d. h. e r muß von ihren I r r t ü m e r n , die auch einst die seinen w a r e n , ausgehen. V e r m a g e r d a s nicht, s o v e r h ö h n e n und verketzern sie ihn als einen S c h w ä r m e r . W i e gefahrvoll ist a b e r j e n e r W e g ! Wie oft sind nicht die s c h ö n s t e n G e d a n k e n v e r k ü m m e r t durch j e n e e r z w u n g e n e A n p a s s u n g an die b e s t e h e n d e WirklichkeitI W ü r d e e r b e g e i s t e r t e n Herzen b e g e g n e n , s o hätte das k e i n e N o t ; sie w ü r d e n ihm z u f l i e g e n , sie w ü r d e n ihn aufsuchen. D e m egoi s t i s c h e n , philiströsen Nützlichkeitsapostel a b e r sind die höchsten Einsichten nur n e u e Mittel z u r I c h v e r g ö t t e r u n g . S o ist d e r Egoist im g e w i s s e n S i n n e ein G e g e n s t ü c k zum P a n t h e i s t e n ; w ä h r e n d nämlich d e r P a n t h e i s t d a s menschliche Ich als einen kleinen B e s t a n d t e i l d e r Allgottheit Welt auffaßt und d e r e n G e s e t z e n preisgibt, zieht d e r E g o i s t die g a n z e Welt in sein vergöttlichtes und absolut g e s e t z t e s Ich, d e s s e n W ü n s c h e und T r i e b e mehr als V e r n u n f t g e s e t z e nun auch die Welt fesseln sollen. A b e r w e d e r ist die Welt noch irgendein empirisches, menschr-
48
Von dem Begriffe Gottes.
liches Ich göttergleich und gut. H i n a u s g e h e n in die Wirklichkeit sollen w i r , um sie u n s a n z u e i g n e n ; a b e r nicht die L a u n e u n s e r e s S u b j e k t s ihr a u f z w i n g e n , s o n d e r n uns z u r Objektivität d e r V e r n u n f t läutern. D a n n w e r d e n w i r auch nicht in ihr, d e r Wirklichkeit a u f g e h e n und u n s e r e Freiheit b e w a h r e n . Wollen w i r u n s in u n s e r e r S t e l l u n g zu Welt und Menschheit p r ü f e n , s o d ü r f e n w i r n u r u n s e r Verhältnis z u r Kunst b e t r a c h t e n . D e r E g o i s m u s ist d e r T o d alles künstlerischen G e n i e ß e n s und S c h a f f e n s . D e n n d i e Kunst o f f e n b a r t dem G e f ü h l e die Idee. D a s Schicksal pflügt u n s e r e S e e l e mit s c h a r f e r P f l u g s c h a r und schreibt r a u h e W o r t e auf die Tafeln u n s e r e s H e r z e n s ; d e r Alltag hält uns mit den S t r i c k e n d e r S ü n d e und d e s Irrtums und w i r laufen dem T o d e nach. A b e r in d e r Kunst hebt sich u n s e r H e r z zum E i n e m p f i n d e n d e s E w i g e n . D a ist die Zeitlichkeit selbst die D i e n e r i n d e r Unendlichkeit, und w a s u n s s c h w a n k e n d und r u h e l o s umgibt, d a s wird r u h s a m und sicher in d e r H a n d d e s K ü n s t l e r s . Wir lassen u n s von ihm durch alle Tiefen d e s G e m ü t e s f ü h r e n , und e r s t e u e r t u n s e r Schiff durch alle Klippen d e r Leidenschaft und d e s L e i d e s ; a b e r u n s e r S e l b s t ist nicht in G e fahr, denn die Humanität v e r b i n d e t u n s ü b e r Zeiten und R ä u m e d e m Menschengeschlecht. W e r also den K ü n s t l e r v e r s t e h e n will, d e r löse sich von s e l b s t i s c h e m B e g e h r e n . D e r Wirklichkeit des L e b e n s dürfen w i r uns nicht o h n e w e i t e r e s v e r t r a u e n d a n h e i m g e b e n , s o n d e r n w i r müssen sie meistern und ihr d a s göttliche Teil u n s e r e r S e e l e erst e i n f l ö ß e n , damit sie t e i l n e h m e an u n s e r e r G o t t v e r w a n d t s c h a f t ; die Wirklichkeit d e s K ü n s t l e r s a b e r nimmt uns mit weichen A r m e n g e f a n g e n , und sie darf e s , weil sie kein E b e n b i l d d e r N a t u r , s o n d e r n ein P r o d u k t einer s e h n e n d e n S e e l e ist, die selbst zur Idee sich hinneigt. W e n n G o e t h e sich als ein Erdulin bezeichnete, als e r sich d e r nächtlichen Natur d e s W e i m a r e r P a r k s überliefert hatte,
49
Von dem Begriffe Gottes
nun s o w a r ' s eben s e i n e , d e s g r o ß e n K ü n s t l e r s Natur, d e r e n Kind e r g e w o r d e n , die ihn mit weichen A r m e n u m f a n g e n hatte. Ist denn nicht auch ein A u s r u h e n im A r m e d e r K u n s t uns allen zuzeiten bitter n o t ? E s ist doch ein Hafen d e r S e h n s u c h t , d e r auch dem G e r i n g s t e n o f f e n s t e h t : dennoch darf nicht die Kunst, s o n d e r n die W i s s e n s c h a f t dem Willen endlich d a s W e r k z e u g r e i c h e n , d a s z u r Gottverwirklichung, z u r S e l b s t e r i ö s u n g führt. Nur in d e r R u h e und Selbstsicherheit d e s G e s e t z e s , w i e es dem d e n k e n den Geist e n t s p r i n g t , ist endlich u n s e r Heil und H o r t . D i e Wahrheit wollen, d a s ist aller Weisheit letzter Schluß.
Kinkel, Traum. 2. Aull
4
Vom Tod, von der L i e b e und von anderen Dingen.
N
icht um die Toten, sondern um die Lebendigen weht der Hauch der Einsamkeit.
Denn w a s uns einsam
macht, ist ichsüchtiger Wunsch und Wille, ist nach G l ü c k und Furcht vor S c h m e r z e n ; leben in anderen
Verlangen
a b e r die Toten
durch ihre W e r k e , die nicht mit ihnen
g e s t o r b e n sind, durch die wahren G e d a n k e n , die s i e g e dacht,
durch die S c h ö n h e i t ,
haben.
die sie der Welt
geschenkt
A l l e , die j e n e r Wahrheit inne werden und sich
dieser S c h ö n h e i t
nähern,
leben
in
ihnen
und sind ihre
G e s e l l e n ; n e i n , die T o t e n sind nicht einsam.
Auch die
Toten kennen eine Sehnsucht und einen Willen, a b e r frei von Ichsucht und selbstischer Freude. ihres W e s e n s s i n d , und So
lebt
entfacht
in sie
der S e e l e
Denn die S u b s t a n z
derer,
zur Sehnsucht
die
ihnen
und zum
nahe
Willen.
lebt ihr Wille in fremdem Willen, ihre Sehnsucht in
fremder S e h n s u c h t ; a b e r sie haben die Schatten des Das e i n s abgestreift. und zu g e n i e ß e n . gesehen
E s ist der Lebendigen T e i l : zu leiden Wenn man erst das lebendige
hat, zweifelt man nicht mehr am T o d e ,
fängt an, ihn zu begreifen. Sein
und
keine Wahrheit
und das Leben sterben Sie
malen
Leben
sondern
S t e r b e n muß alles, w a s kein in sich
trägt;
aber
das Sein
nicht.
dir den T o d
wie ein G e s p e n s t ,
das be-
gierig deiner S e e l e harrt, wie es deinen Leib zerbrechen wird.
E r b e g e g n e t dir vielleicht im Glanz der
Morgen-
röte, in der Glut der Mittagssonne oder im Schatten der
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen. Dämmerung;
o d e r die Nacht führt ihn im
an dein L a g e r . ihn
nicht;
51
Sternenschein
E r w o h n t dir im H e r z e n , und du fühlst
er
tritt
in
deine
Spuren,
speist
von
deiner
Speise
und trinkt aus deinem B e c h e r : a b e r du s i e h s t ihn
nicht.
E r wird
k o m m e n , ist.
sich
enthüllen,
wenn
seine Stunde
F ü r c h t e dich nicht v o r d i e s e m
Bild!
geNur
d e r L i e b l o s e , w e l c h e r d e r W e l t nichts g e g e b e n und nichts von ihr e m p f a n g e n hat, fürchte mit R e c h t den T o d . den
Abendsegen
ruhig die
der
Liebe
im
Herzen
trägt,
Nacht.
Selbstsucht
ist
der
wahre
Tod
der
Seele:
du
nichts, w e n n du dich g e g e n die W e l t v e r s c h l i e ß t . alle O e d a n k e n , Herzen,
Wer
erwartet
Gefühle
d i e der
und E m p f i n d u n g e n
Umgang
mit
den
aus
Menschen
deinem
entzündet
hat, und die k ü m m e r l i c h e F l a m m e d e i n e s Ichs wird verlöschen.
Freuden
und L e i d e n
die S e e l e zu sich s e l b s t . dend,
und
ihre W e i s e
schafft
sich
Menschheit Leben
Und
indem
nachgeht.
sie Ja,
werauf und
die uns leitet, s o w ü r d e n w i r die
l i e b e n , die u n s e r S e l b s t
Ich-süchtige. sein
Charakter,
d e r Idee der M e n s c h h e i t
w ä r ' s nur S e l b s t - S u c h t ,
bald
d e r G e m e i n s c h a f t rufen
S i e ist n i e f e r t i g , i m m e r ihren
bist
Streiche
doch
ist
b i r g t ; a b e r w i r sind
das Ich nur das B l a t t ,
dem S t a m m e der M e n s c h h e i t
das
dankt.
A l l e die S t e r n e d i e s e s nachtdunklen L e b e n s v e r b l a s s e n vor
der
Erde
Morgenröte
den M a n t e l
heraufzieht,
den
der
Liebe.
Und
wenn
der D ä m m e r u n g a b w i r f t die M o r g e n r ö t e
H e r z die W e l t nicht w i e d e r .
dann
die
und d e r
Tag
verkündete,
kennt
das
Im S o m m e r . l i e g t das G o l d
in d e r L u f t ; du mußt nur e i n m a l in den W a l d o d e r
die
Kirche
sie
gehen
und
auf
die
v e r w a n d e l n S t a u b in G o l d .
Sonnenstrahlen Und w e n n
achten:
du nur den S o m -
m e r im H e r z e n trägst, wird die S o n n e d e i n e r L i e b e auch den
Staub
des
Lebens
in G o l d
verwandeln . . . .
L i e b e zum G u t e n , das ist die L i e b e zur M e n s c h h e i t .
Die Sie
lehrt uns d a s e i g e n e G l ü c k v e r a c h t e n und die G e g e n w a r t 4*
52
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.
geringschätzen. Wirklichkeit! Seele:
Du
Götzendiener
Achte
doch
D u bist h e u t e n i c h t ,
wirst morgen wiederum j a nur der Schatten hat E w i g k e i t . keit j n zu
Du
nicht
Wir
und
d e r du g e s t e r n
und deine
warst,
und
D i e G e g e n w a r t ist
trägst Wenn
sind
nicht das
die zukünftige Wirklichdu e w i g sein willst,
reich an L i e b e ,
lerne
wenn
wir
ist e i n e d ü r f t i g e L i e b e ,
die
heischt.
Wenn
d i e S e e l e e r f ü l l t ist v o n d e r L i e b e z u m G u t e n
und vom Lichte der Schönheit, kann des
Gegenwart Herz
d e r Z u k u n f t , u n d allein d i e Z u k u n f t aber
verschenken:
Antwort
der
dein
neugeboren.
deinem Willen.
sterben.
sie
auf
Lebens
nichts
anhaben.
ihr d i e N i e d r i g k e i t
Wenn
die
ihr s p r i c h t , h ö r t s i e n u r d i e T r a u e r ;
Gemeinheit
wenn
zu
der Haß sie
h e i m s u c h t , a n t w o r t e t s i e mit L i e b e ; s i e s i e h t in d e n Abgründen
der Wirklichkeit süßduftende Blumen
s e r e n Z u k u n f t u n d fühlt in d e n F e s s e l n Kuß der ewigen Freiheit. tausend
Keime
den
W e n n s i e leidet, ist ihr G r a m
w i e ein G ä r t n e r , d e r d e n G a r t e n und
einer bes-
des Alltags
der
ihres Gemütes
Sehnsucht
in
den
bestellt
fruchtbaren
B o d e n ihres Willens pflanzt. Sieh einmal, w i e die W o l k e n am Himmelszelt e r w a c h e n , bernen
Fingern
berührt
wenn
oder
d e r M o n d s i e mit sil-
die
rote
Sonne
sie
mit
g l ü h e n d e n S t r a h l e n k ü ß t : d a leuchtet i h r e S e e l e a u s i h n e n ! In d i e g r a u e T r ü b s a l d e i n e s H e r z e n s fällt ein B l i c k
der
L i e b e , u n d d u e r w a c h s t u n d e r k e n n s t dein i n n e r e s L e b e n . So
mancher,
der
zum
erstenmal
liebt,
glaubt
s c h a u e n , w i e M o s e s ihn im f e u r i g e n B u s c h e A b e r m a n c h m a l , g e r a d e im W e r d e n sich
die
Blätter
und
kenntnis erschließen
Blüten
des
Gott
der Seele,
Willens
zu
sah.
und
der
wenn Er-
und eine neue Innenwelt d e r Wirk-
lichkeit sich bildet, befällt u n s d a s F r ö s t e l n d e r V e r g ä n g lichkeit.
Wir
sehen
nach
dem V e r s i n k e n d e n ,
K o m m e n d e hat s e i n e n G l a n z v e r l o r e n .
und
das
Und fliegen dann
die F l e d e r m ä u s e d e r enttäuschten H o f f n u n g und
erzwun-
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.
53
g e n e n E n t s a g u n g durch die Nacht u n s e r e s K u m m e r s , leben w i r in einer Welt d e s T r a u m e s und d e r WillensMüdigkeit. D e r W i n t e r f r o s t d e s L e i d e s läßt u n s e r e K r ä f t e e r f r i e r e n und e r s t a r r e n . D a w i r d die e i g n e S e e l e u n s f r e m d , d a ß wir sie v o r u n s s e h e n w i e e i n e F l a m m e , die hierhin und dorthin z ü n g e l t , um d e m W i n d e ausz u w e i c h e n , d e r nach ihr stößt und schlägt. A b e r w e n n sich das Leid deinem H e r z e n naht, sollst du ihm nicht die P f o r t e verschließen. In d e r Sicherheit d e i n e s Alltags wußtest du nichts von dem bitteren W e h d e r Welt da d r a u ß e n : nun k o m m t sie zu dir und ruft nach dir, und du k a n n s t hören. Weil w i r u n s vor g r o ß e n Leiden und F r e u d e n f ü r c h t e n , m a c h e n w i r a u s u n s e r e r S e e l e eine Maschine und z w ä n g e n sie in die tote Sitte des Alltags. E s ist s o b e q u e m , in g e b a h n t e n W e g e n zu g e h e n . A b e r die Leidenschaft wirft u n s a u s dem Geleise, und w i r h a b e n den Halt v e r l o r e n . E s muß nur immer den e i n e n , g e r a d e n W e g g e h e n , s o n s t k ö n n t ihr's nicht f a s s e n . W e n n a b e r d a s Schicksal nun nicht mit euch will? Nein, die S e e l e muß sich in den Kampf des L e b e n s w a g e n , damit sie auch dem U n e r w a r t e t e n g e g e n ü b e r sich selbst nicht verliert. Z w a r , die tiefsten G e f ü h l e b e r g e n sich d e r Welt am l ä n g s t e n ; n u r die f e i n e n , b e w e g l i c h e n , die w i e S p i n n w e b ü b e r dem L a u b w e r k d e r S e e l e .ruhen, f u n k e l n sogleich im T a u d e r T r ä n e n , flattern im W i n d e des Verlangens. A b e r s c h e u e die tiefen G e f ü h l e nicht! E s gibt k e i n e „ R u h e in G o t t l " W e r zu G o t t will, muß k ä m p f e n und leiden. Nur in d e r S e h n s u c h t d e i n e s Willens, in d e r B e r ü h r u n g mit den S c h m e r z e n und F r e u d e n d e s L e b e n s leuchtet G o t t e s Licht in d e i n e S e e l e . Es gibt eine B l u m e , die heißt „ Z e i t l o s e " ; sie ist giftig. D e u t e d i r ' s : Du sollst d a s E w i g e in d e r Zeit, nicht a u ß e r ihr, im J e n s e i t s , suchen. Hast du einmal den Schatten d e i n e s Leibes b e o b achtet, den eine im W i n d e f l a t t e r n d e K e r z e an die W a n d
54
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.
wirft? Drollige, sonderbare oder gespensterhafte Bewegungen vollführt er, während du selbst doch ganz ruhig sitzest; also bleibe deine Seele stille im Treiben des Alltags; aber wenn die Sehnsucht auf den Fittichen der Liebe zu dir kommt und das Leid dich küßt, so erwache und rege dich. In den schwachen Seelen der Philister ist wohl auch einmal ein Wetterleuchten der Leidenschaft; aber der säuselnde Wind der Gewohnheit vertreibt die Wetterwolken . . . Wer aber der Welt dienen will, der soll den Blitz auf sich herabziehen. Die Leiden ungestillter Sehnsucht sind das wahre Feuer des Prometheus. Die wahre Heimat der Seele ist nur dem Künstler zugänglich. Denn da ist keine Stille und kein Geräusch, kein Schweigen und kein Klingen im Leben, das seine Seele nicht zur Idee führt. Im Flüstern der Winde vernimmt er das Rauschen der Ewigkeit. Er erhöht durch die Glut seiner Sehnsucht das Leuchten des Abendrots; das Gesetz seiner Seele gestaltet die wirren Wolkenmassen zu Traumgebilden voll Leben und Wirklichkeit. Die Sternennacht ist nur der Mantel seiner Seele, und die Schauer der Unendlichkeit, welche den Weltenraum durchwehen, sprechen vertraulich zu seinem Herzen. Wo ist die Stunde, die er nicht heiligen, wo das Gemüt, das er nicht trösten kann? Er läßt den Alltag deiner Seele sterben, dem er das Ewige entrissen hat. Deine Freude wird reiner, deine Trauer reicher, wenn das innige Gefühl der Humanität sie durchdringt, welche jede wahre Kunst uns schenkt. Niedergebeugt durch die Last unverstandener Lebenspflichten, widerwillig die Schwere seelenfremder Werke tragend, klagt das Herz in den Armen der Notwendigkeit; aber die Kunst erlöst sie und zeigt ihr ein Paradies der Freiheit und Menschenliebe. Aber wir alle haben im weiten Ozean der Zeit eine Insel der Ewigkeit und Seligkeit, welche die Träume unserer Sehnsucht hervorgezaubert haben; sie versinkt
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen. nur,
um
meine
größer
und
schöner wieder
nicht die Illusionen
A l t e r und S c h i c k s a l S e e l e in d e r Einheit
rauben. der
aufzutauchen.
der J u g e n d : Ich m e i n e
55 Ich
die k ö n n e n
uns
die H e i m a t
der
Menschheit.
Ich sah die Schönheit; eine Dornenkrone Umgab ihr süOes Haupt, und schmerzbewegt Hat sich ihr Blick mir tief ins Herz gelegt, Daß ich in ihrem Banne fürder wohne. Vergeblich hoffst du, daß die Welt dich schone, Die deinen Geist in enge Fesseln schlägt, Wenn dich der Wunsch in s e l ' g e Fernen trägt: Dem reinsten Mühen wird nur Leid zum Lohne. Und dennoch will ich hoffen, will ich glauben, Solang mein Blut noch frisch im K ö r p e r kreist — Der Alltag soll die S e e l e nicht verstauben. Ich kenn' den Quell, der mein Verlangen speist; Ein Schwacher nur läßt sich die Heimat rauben, Dahin die ungestillte Sehnsucht reist.
Vom Vergänglichen und Ewigen.
I
m m e r folgt die S e e l e willig den T r ä u m e n d e s g o l d e n e n
F r ü h l i n g s , w e n n die Kraft des Z u k ü n f t i g e n sich lieblich o f f e n b a r t . Die B ä u m e erschließen ihr i n n e r s t e s L e b e n in B l ü t e n f ü l l e ; die r a u h e n F u r c h e n d e r Ä c k e r und Wiesen deckt f r e u n d l i c h e s G r ü n ; und wie h o l d e W ü n s c h e a u s h o f f e n d e m H e r z e n s p r i e ß e n die B l u m e n a l l e r o r t e n . So auch, w e n n du einmal g a n z dein eigen bist, j a u c h z t den Vögeln z u r A n t w o r t dein G e m ü t ein Lied d e s V e r l a n g e n s und d e r S e h n s u c h t , d a s sich e r h ö h t . Und T o d und Vergänglichkeit s e h e n ' s mit Neid: es ist noch ein e w i g Leben, d a s w i r k t und w e b t und heftet d a s Menschliche a n s Göttliche. Quillt denn nicht auch d e r B r u n n e n d e s e w i g e n L e b e n s u n s allen im H e r z e n ? F r u c h t b e l a d e n e B ä u m e d e r G ü t e und Weisheit r e c k e n u n s ihre A s t e e n t g e g e n : w i r a b e r h u n g e r n und d ü r s t e n . Die S o n n e u n s e r e r S e h n sucht verblutet in d e r F i n s t e r n i s d e r G e g e n w a r t ; und d e n n o c h f ü h l e n w i r ' s w i e ein Schicksal, w e n n w i r die N o t w e n d i g k e i t d e s E w i g e n e i n e r zeitlichen N o t w e n d i g k e i t opfern müssen. Ihr, die ihr s o am G e g e n w ä r t i g e n hängt, d e n k t einmal n a c h ; w o h e r k o m m t ihr und w a s ist e u r e s L e b e n s Z i e l ? W a h r l i c h : ihr k o m m t a u s dem Reich d e r T r ä u m e . D e n n alles, w a s ihr liebt, versinkt w i e ein T r a u m , ehe Aber ihr's begriffen h a b t ; und ihr liebt diesen T r a u m . ihr w a n d e l t zum T h r o n e des T o d e s ; denn e u r e S e h n s u c h t ist selbst im Z u k ü n f t i g e n aufs S t e r b l i c h e gerichtet. A b e r die Z u k u n f t ist unendlich, denn sie ist die w a h r e Mutter
Vom Vergänglichen und Ewigen.
57
d e s S e i n s , w i e die V e r g a n g e n h e i t d a s Reich d e s T o d e s ist. Und doch wollt ihr die Z u k u n f t zum K i n d e d e s G e w e s e n e n m a c h e n : als o b d a s L e b e n d i g e a u s dem T o t e n e n t s p r i n g e n k ö n n t e ! In d e r Idee s u c h e d e r Mensch die H e i m a t s e i n e r S e e l e ; w e r sich dem S t a u b verschreibt, w i r d mit dem S t a u b v e r w e h t w e r d e n . W e r d a s V e r k e h r t e des G e d a n k e n s d u r c h s c h a u e n will, d a ß die V e r g a n g e n h e i t die n o t w e n d i g e U r s a c h e d e r G e g e n w a r t und Z u k u n f t sei, d e r soll b e d e n k e n , daß die Verg a n g e n h e i t unabänderlich und s t a r r ist; in ihr regt und rührt sich nichts mehr. W e r k a n n d a s V e r g a n g e n e umgestalten? E s sind auch nicht d i e U n v o l l k o m m e n h e i t e n d e r V e r g a n g e n h e i t , unter denen w i r leiden, s o n d e r n diej e n i g e n u n s e r e r eigenen Kultur und S e e l e . W e r die Natur und Wirklichkeit absolut setzt, dem bleibt freilich nichts a n d e r e s übrig, als ein s c h w ä c h l i c h e s Sich-Anpassen an d a s G e w o r d e n e . Soll die Natur uns a u s e i n e r F r e m den eine F r e u n d i n w e r d e n , s o m ü s s e n w i r sie a u s e i g e n e r K r a f t durch D e n k e n und H a n d e l n gestalten, damit sich u n s e r sittliches S e l b s t m e h r und m e h r in ihr a u s d r ü c k t . Freilich e r s c h ö p f t u n s e r e S e e l e in k e i n e m zeitlichen A u g e n blick d a s S e i n : a b e r dies liegt n u r an d e r U n v o l l k o m m e n heit und Endlichkeit u n s e r e s W i s s e n s und Wollens, die zu ü b e r w i n d e n eben die Pflicht und d e r Sinn d e r Kultur ist. A u s d i e s e m W i d e r s p r u c h z w i s c h e n Wirklichkeit und Idee e n t s p r i n g e n alle Leiden und S ü n d e n d e r M e n s c h h e i t : d e n n k e i n e endliche Zeit und kein e i n z e l n e s Individuum v e r m a g die Idee restlos zu v e r w i r k l i c h e n . S i e w o h n t in d e r E w i g k e i t und ist die E r f ü l l u n g d e r M e n s c h h e i t . D a r u m ist sie k e i n e m von uns f r e m d , a b e r ihre E r s c h e i n u n g in d e r S e e l e ist mit S c h m e r z e n v e r b u n d e n . Nur w e r d i e Unsicherheit d e s D a s e i n s recht a u s g e k o s t e t , die Relativität alles B e s t e h e n d e n im tiefsten G e m ü t e m p f u n d e n hat, gibt sich d e r Idee völlig zu eigen, richtet s e i n e g a n z e S e h n s u c h t auf sie, die ihm doch e w i g f e r n e bleibt. Je
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Vom Vergänglichen und Ewigen.
deutlicher du das Sein deiner Seele erkennst, desto inniger empfindest du den Mangel deiner Existent: die größte Stunde deines Lebens wirft auch den dunkelsten Schatten in deine Seele. Im Grunde ist's nie die Welt, die uns quält, sondern wir selbst. Die Ichsucht schafft uns den Hades im Herzen: da schreitet die Sehnsucht mit verhärmten Wangen auf Asphodeloswiesen; Todesschatten nie erfüllter Wünsche drängen erträumten Zielen zu, und ein Lied des Leidens mischt sich ins Schweigen der Vergänglichkeit. Heimatlose Gedanken jagen sich, ab und zu taucht die Gestalt eines verlorenen Glückes auf und verhöhnt die Gegenwart: das i s t der Hades im Herzen. Aber wecke die Stille deines Gemütes, daß die Liebe ihre Stimme erhebt und ihr Ruf wie Glockenklang über die weiten, grünen Wiesen des Daseins zieht! Ich habe oft nachgedacht, was die Melancholie sei. Sie ist wohl die Skepsis des Gemütes, die Selbstironie des Herzens; und doch ohne Haß, sondern voll ungestillter, bescheidener Sehnsucht. Während wir in kräftigen Stunden das Werden der neuen Welt und die Zukunft unserer Seele empfinden, so fühlen wir in den Armen der Melancholie das Vergehen der Gegenwart und das Versinken d e r Wirklichkeit. Cs ist, als ob wir selbst am Kommenden den Todeskeim erblickten. Das Ewige entgeht unserem Auge. S o ist die Melancholie eine Übermüdung der Seele: nur daß man sie nicht, wie die Müdigkeit des Körpers, durch Ruhe, sondern durch Arbeit bezwingen kann. Denn die Arbeit ist der Feind der Vergänglichkeit. In der produktiven Tätigkeit stellt sich allmählich ein Gefühl der Sicherheit wieder her: wir werden uns bewußt, daß wir noch einen inneren Zusammenhang mit der Welt, mit der Menschheit haben und daß unsere Seele nicht mit dem Versinkenden gestorben ist.
Vom Vergänglichen und Ewigen.
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Auch in der S e e l e des einzelnen hat das V e r g a n g e n e ja
nur soviel Macht und Wirklichkeit,
Wille und Tat zu erneuern vermag.
als
er
es
durch
Und nichts ist wirk-
lich vergangen, was noch im Gefühl o d e r Begriff lebendig ist.
W i r würden aber bald zum Schatten d e r V e r g a n g e n -
heit,
wenn
ewig
wären.
Die
die
Gefühle
Zukunft
Umgebung,
die
belebt
Freude
auch
unserer
der B l i c k nach innen,
der
und
des
das G e s t o r b e n e .
Seele
fremd
bleibt,
und wir g e h ö r e n
Leides In einer
kehrt
sich
uns eigener aa,
gleichsam als sollten die S c h ä t z e der Vergangenheit,
die
u n s e r G e m ü t aufbewahrt, nun die mangelnde Verbindung mit der Wirklichkeit, welche uns die G e g e n w a r t hat,
ersetzen;
dies
zum Zukünftigen wir
dann
die,
es
Schmerz. Glück
sie
sollen
wir
uns zu sich
die
dauernd
Und s o
müssen
Einsamkeit
wäre,
die
durch-
Seele
ver-
auch
dem
zurückruft,
Leben sei
dankbar
sein,
es mit Lust
oder
Ein g r o ß e s Leid w e kt alle Leiden, ein g r o ß e s
alle F r e u d e n
Bächlein Ozean
wenn
setzen.
im Traum
geraubt
wenn wir sie
ließe.
Darum wenn
in B e z i e h u n g
wenigstens
brechen, dorren
können sie a b e r nur,
der S e e l e auf.
und F l ü s s e ,
führt, s o
reißt
W i e der S t r o m
die
die sich ihm anvertrauen, in den ein tiefes und r e i n e s Gefühl
alle
die kleinen W ü n s c h e und Empfindungen des Alltags mit sich.
Und das ist auch der G e w i n n e i n e r großen Leiden-
schaft, und
daß s i e
auf
ein
die Kräfte der S e e l e alle
gemeinsames
Ziel
hinführt.
zusammenrafft So
kann
uns freilich e b e n s o w o h l vernichten w i e erhöhen.
sie
E s ist
nun einmal so, daß nur die Einheit u n s e r e r S e e l e E x i s t e n z und C h a r a k t e r verleiht:
a b e r s i e ist ewig Aufgabe,
nur die Idee vollendet unser
Wesen.
(25)
und
Sehnsucht und Entsagung. Ohne Seele ist die Welt, Wenn Du ihr Dein Herz nicht gibst — Was Dich heut gefesselt hält, Macht Dich frei, wenn D u es liebst.
V
iele w i s s e n von Wunsch und Erfüllung, w e n i g e von S e h n s u c h t und E n t s a g u n g . A c h , um die W ü n s c h e und törichten T r ä u m e ! E s ist nicht das, w a s uns elend m a c h t , w e n n u n s ein Wunsch v e r s a g t bleibt. Wünsche s p r i e ß e n im H e r z e n w i e Blätter und K n o s p e n im Frühling; w a s tut's, w e n n eine K n o s p e v e r d i r b t — die and e r e n e r b l ü h e n : W u n s c h und Erfüllung. A b e r die tiefste S e h n s u c h t bleibt e w i g ungestillt. Wohl euch, die ihr nicht w i ß t , daß leben e n t s a g e n heißt! Doch n e i n , ihr m ü ß t ' s b e g r e i f e n . E s ist u n s e r Leiden und u n s e r e W ü r d e . F r a g t den D i c h t e r : dei; w e i ß von S e h n s u c h t und Ents a g u n g zu k ü n d e n , und s t ü r b e n sie ihm, s o hätte er aufg e h ö r t , ein Dichter zu sein. H ö r t ihr die S e h n s u c h t aus s e i n e n V e r s e n r u f e n , rauscht sie durch e u r e S e e l e : so w e r d e t ihr selbst zu Dichtern. D a n n faßt wohl auch d e r S c h a u e r d e r E n t s a g u n g e u e r H e r z : d a s Land d e r Erk e n n t n i s schimmert nur von ferne, und d a s G u t e w o h n t im Reich d e r Z u k u n f t . Die e i g e n e n F r e u d e n und S c h m e r z e n schienen euch f r ü h e r s o wichtig; es w a r eine b u n t e G e g e n w a r t voll Jauchzen und T r ä n e n um euch, die die Zeit v e r s c h l a n g und neu g e b a r : d a s hießt ihr leben und glücklich sein. A b e r lauscht nur dem D i c h t e r ! E r erzählt von e i n e r a n d e r e n Welt, die ihr nicht s e h e n könnt, und die doch w a h r e r und wirklicher ist als e u e r Glück. Die S e h n s u c h t und d e r Wille e r g r e i f e n sie. W e n n ihr
Sehnsucht und Entsagung.
61
euch selbst entsagt und die S c h m e r z e n d e r S e h n s u c h t auf euch nehmt, dürft ihr sie s c h a u e n . T ö t e t die S e h n sucht nicht! A c h , in den schlimmen A u g e n b l i c k e n , da die Lüste und die Leiden u n s e r e r S e e l e H e r r w e r d e n , und wir v e r s i n k e n im w i r b e l n d e n Strudel d e r G e f ü h l e und Leidens c h a f t e n , da s c h w e i g t die S e h n s u c h t , da sind w i r klein. A b e r w e n n an den K ü m m e r n i s s e n und W i d e r w ä r t i g k e i t e n d e s L e b e n s die S e e l e e r w a c h t , w e n n selbst die S o r g e noch s e g n e n d die Kraft d e s W i l l e n s b e s c h w ö r t , w e n n die S e h n s u c h t sich w i e d e r regt nach dem U n e n d l i c h e n , nie E r r e i c h t e n , d e n n o c h E r r e i c h b a r e n ; w e n n w i r am Leben l e i d e n , weil w i r die Menschheit lieben — dann taucht ein unvergänglich S e i n auf in u n s e r e m G e m ü t : dann fällt ein Strahl d e r Ewigkeit in u n s e r Herz, und w i r w i s s e n , w a s den M e n s c h e n eigen ist. Hast du schon einmal am Ufer e i n e s S e e s o d e r d e s u n e n d l i c h e n O z e a n s g e s t a n d e n und den Wellen zuges c h a u t , die zum L a n d e d r ä n g e n ? J e d e lebt ihr e i g e n e s Leben. D i e eine schleicht s c h ü c h t e r n und verstohlen h e r a n , w i e d e r Bursch in die K a m m e r d e s M ä d c h e n s , h e b t sich leise e m p o r , flüstert ein W o r t d e r L i e b e und — s t i r b t ; die z w e i t e k o m m t d a h e r wie ein lustiger Gesell, s i n g e n d und t r ä l l e r n d , s i e s p r i n g t und hüpft, nimmt zuletzt einen kräftigen Anlauf, ü b e r s c h l ä g t sich und — zerschellt; da s i n d a n d e r e , die g e h e n w i e e h r s a m e B ü r g e r g e l a s s e n i h r e s W e g e s , s t e r b e n s e u f z e n d , a b e r leicht. W i e d e r einige k o m m e n mit s c h w e r e m S c h r i t t , s t ü r m e n heftig zum Ufer und s t e r b e n in göttlichem Z o r n . Und s o k ö n n t ' ich dir noch viele zeigen . . . S i e h , s o treibt u n s die S e h n s u c h t dem T o d e e n t g e g e n : w i r sind Wellen, die brandend zerstäuben. A b e r stirbt d a s M e e r ? Und die Menschheit stirbt nicht. E s ist nicht a n d e r s ; d a s L e b e n verlangt von j e d e m M e n s c h e n , d e r z u r inneren R u h e k o m m e n will, eine all-
62
Sehnsucht und Entsagung.
g e m e i n e , e n d g ü l t i g e E n t s a g u n g : die Einsicht nämlich, d a ß sein E n d z w e c k nicht in s e i n e m isolierten Ich, in s e i n e r physischen P e r s ö n l i c h k e i t liegt, s o n d e r n im Z u s a m m e n h a n g mit d e r Menschheit. Freilich, w o h l w i r d kein Mensch zu d i e s e m Ziele j e völlig d u r c h d r i n g e n : es w ä r e die v o l l e n d e t e Moralität. Mit ihr w ü r d e sich d e n n o c h eine u n e n d l i c h e S e h n s u c h t verbinden, nicht a b e r eine schwachm ü t i g e Tatlosigkeit. A b e r w e n n u n s d a s Schicksal kränkt, sind w i r i m m e r g e n e i g t , zu f r a g e n : W a r u m g e r a d e m i r das? W a r u m muß i c h soviel l e i d e n ? Wir sind keine Heiligen, s o n d e r n M e n s c h e n . J a , die g r a m d u r c h f u r c h t e n G e s i c h t e r , w e l c h e i m m e r den A u s b r u c h d e r S c h m e r z e n g e w a l t s a m zu u n t e r d r ü c k e n scheinen, mußt du f r a g e n nach d e r G e s c h i c h t e d e s L e b e n s . G l a u b e m i r : auch ihnen ist einmal d a s Glück b e g e g n e t , j u n g , s c h ö n und, ach, s o verh e i ß u n g s v o l l ! Und dann ist's ihnen v o r ü b e r g e g a n g e n und hat sie allein g e l a s s e n , allein mit ihrer S e h n s u c h t . Das ist die G e s c h i c h t e d e s L e b e n s . E s ist s o s c h w e r , vom „Ich" l o s z u k o m m e n . W a s mir d a s Schicksal bringt, muß ich's nicht selbst denn t r a g e n ? W e r duldet m e i n e S c h m e r z e n , w e r nimmt mir meinen K u m m e r a b ? Und d a s bißchen Lust und Glück, es klebt doch auch am Ich. Und d e n n o c h ! Laß dich die S e h n sucht b e l e h r e n : d a s ist nicht dein Selbst. Dein Leid wird verlöschen, dein K u m m e r sich e n d e n . D i e Lust und das G l ü c k laß f a h r e n — n e i n , halt n u r die S e h n s u c h t fest. Die f ü h r t dich ü b e r dich selbst hinaus, die gibt dir die Ewigkeit. E s ist a u ß e r dir, w a s w a h r h a f t in dir ist; s o r g e f ü r die k ü n f t i g e Menschheit, s o s o r g s t du f ü r dich, denn in ihr w i r s t du w e i t e r l e b e n . Du t r i n k s t den G l a n z d e s H i m m e l s und sein leuchtend Blau mit d u r s t i g e n A u g e n : dies ist mein Glück, ich s p ü r ' s im I n n e r s t e n ! Ach, nicht d o c h ! Ist denn d e r Blinde kein Mensch? Ist er, w e i l er blind ist und d a s alles nicht sieht, nicht g u t ? K a n n s t du nicht von ihm l e r n e n ? Du
Sehnsucht und Entsagung.
63
siehst d e r Geliebten ins A u g e und fühlst F e u e r s t r ö m e glutvoller Lust durch d e i n e G l i e d e r r i n n e n : dies ist mein G l ü c k . Ach, nicht d o c h ! Ich s a g e d i r : ein g u t e s W o r t , d a s du ihr g e g e b e n und dadurch du ihre S e e l e bereichert h a s t , eine g u t e T a t , die du im A n g e d e n k e n an sie getan, ist m e h r w e r t als d i e s e s B e t t l e r g l ü c k , d a s verrauscht und z e r r i n n t wie die Zeit . . . D u b r a u c h s t dein A u g e nicht vom Licht zu k e h r e n und die Lust nicht zu fliehen: n u r daß sie die S e h n s u c h t nicht ersticken. E n d i g e nicht in ihnen. E s ist e t w a s ü b e r dem. E s sind k l e i n e S e e l e n , w e l c h e mit ihrer höchsten S e h n sucht s p i e l e n : sie muß h e i l i g sein, und sie muß uns zu T a t e n f ü h r e n . A b e r nicht auf g r o ß e M o m e n t e und abs o n d e r l i c h e Zeiten mußt du w a r t e n . W u n s c h und Erf ü l l u n g j a g e n v o r b e i : so heilige sie durch d e i n e S e h n sucht. D e r Augenblick w e r d e zum Kleid d e r Ewigkeit. Und w e n n dein Herz blutet, weil du soviel dahingibst, t r a g ' s n u r still: e s ist doch recht g e t a n . Ich w e i ß wohl, es gibt S t u n d e n , da sind w i r u n s e r e r höchsten S e h n s u c h t g r a m . Wirft sie uns doch immer w i e d e r ins M e e r der Weltl Alle die S t ü r m e d e s lebendigen D a s e i n s sollen um uns b r a u s e n I Wir s o l l e n ' s all e r f a h r e n , w a s gleißt und lockt und g l ä n z t , und doch fest bleiben und t r e u : denn w i r s o l l e n ' s g e s t a l t e n , w i e ' s die letzte, u n e n d l i c h e S e h n s u c h t g e b e u t . Ach, und d a s schafft L e i d e n , so b i t t e r e L e i d e n ; denn e s heißt s e h e n , suchen und e n t s a g e n . D a h a s s e n w i r die S e h n s u c h t und w ü n s c h e n n u r F r i e d e n , F r i e d e n und R u h e . Der du von d e m Himmel bist, Alles Leid und S c h m e r z e n stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest — Ach, ich bin d e s Treibens müde, Wozu all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, K o m m , ach komm in meine Brust.
64
Sehnsucht und Entsagung.
Und dennoch lob' ich die Sehnsucht! Ich will nicht ruhen und beiseite stehen, solange noch das Blut des lebendigen Lebens in meinen Adern rollt, und s o l a n g e ich noch wirken und schaffen kann. D a ß die Sehnsucht mir nicht vor dem T o d e entfliehen m ö g e l Wer einmal recht im Bade der Schmerzen getauft ist, der fürchtet sich nimmer. Auch sag' ich euch: überwunden hat keiner, solange er noch atmet. Ihr könnt euch gewaltsam g e g e n die Welt isolieren und von der Menschheit absperren: ihr nehmet sie doch mit euch; sie wohnt in eurer Erinnerung und in euren geheimen Wünschen. Ist's nicht ehrlicher und besser, ihr frei entgegenzutreten? Es ist gleich verkehrt, sich an den Tag und die Gegenwart zu hängen, w i e sie zu verachten. Wir wollen sie gestalten nach dem Wunsche unserer e w i g e n Sehnsucht nach dem Ewigen. Tötet die Sehnsucht nichtI
E5J
Aus den Bergen.
D
er R e g e n
rinnt: es
chenes Rauschen;
ist ein s o fällt
eintöniges, Glück
ununterbro-
und Leid
durch
des Menschen
Seele.
D i e W o l k e n reichen sich die Hände
und wandern
stumm
und weinend
legen sich mit ihren weichen Armen
über
die B e r g e und
um die Gipfel, und
die E r d e schluchzt . . . Zuweilen, wenn sich eine W o l k e von ihren S c h w e s t e r n entfernt und die innig verschlungenen Hände löst, dann kannst du einmal einen zackigen, ernsten Gipfel sehen, der sieht aus dem Nebel und Dunst hervor wie das sich enthüllende S c h i c k s a l durch unsere Träume. S i n d nicht die Wolken selbst w i e Träume, schwere,
be-
drückende, in denen sich all das tiefste Leid unserer S e e l e regt? und
Sie
rauben
spinnen
sie
mehr
darf
der E r d e ein
die E r d e
den Anblick des
in eine graue
Himmels
Endlichkeit.
die g o l d e n e S o n n e
sehen,
Nicht die
so
ruhig am Himmel dahinzieht; sie muß in sich s e l b s t einkehren
und von dem bißchen W ä r m e leben, das sie g e -
rettet hat.
Ach, wenn sich in u n s e r e r S e e l e die dunkeln
W o l k e n türmen,
die uns
den B l i c k ins Land der S e h n -
sucht trüben, wenn das bißchen Lebenslust
zu ersticken
droht, das wir noch in uns tragen, das' sind die Stunden der Kleinmut und Verzagtheit, da schluchzt das Herz wie ein verirrtes Kind.
Ja, wie oft verirren wir uns in diesem
Garten der Endlichkeit, und wie oft umhüllen der
vergänglichen
Regen
rinnt,
es
b e s s e r werden. K i n k e l , Traum.
Zeit ist ein
unser
geistiges
g r a u e s Einerlei
die Nebel
Auge! — und will
Und mich verlangt nach S o n n e ! 2 . Aufl.
5
Der nicht Sollt'
Aus den Bergen.
66
ich die Stimmung der Stunde festhalten, s o müßt' ich dir sagen, w i e
die Zweifel
und K ü m m e r n i s s e
mein
Gemüt
umlagern, w i e sich ein tiefes Weh losringen will aus dem Mittelpunkt meines geistigen L e b e n s : ein dürstendes Verlangen, ein Verzagen, das die Hoffnung liebt. um mich klingt nur dies eine wieder
Und alles
. . . .
Wir schaffen und zerschlagen Welten, endliche Welten in unserer Sehnsucht nach dem Unendlichen.
Aber
was
wir nicht merken o d e r nicht bedenken, ist, daß unser Ich sich wandelt und wächst mit seinen der
bunte
Strom
versinkt,
wenn
Zukunft
neue
der
aus
Gegenwart
in
Geschöpfen. die
dem tiefen, fruchtbaren
und
neue
Gestalten
Wenn
Vergangenheit Schöße
auftauchen,
der
s o ver-
meinen wir doch selbst wandellos, wie Zuschauer, stillezustehen.
Und doch
sind wir ewig neu,
und
doch
unser S e l b s t nur der Zielpunkt unserer S e h n s u c h t !
ist Die
Unmittelbarkeit unserer seelischen Lage, das bunte G e w e b e von Lust und Leid, Hoffnung, Zagen und B a n g i g k e i t ; brennenden
Schmerzen
zitternde Jauchzen
ungestillten V e r l a n g e n s
beglückten
Genießens,
die
und das
das alles um-
spinnt unser g e i s t i g e s S e i n und verdichtet sich und stellt sich uns w i e eine e i g e n e Welt mit selbständigem g e g e n ü b e r ; wir scheiden uns von ihr befangen.
ihr und sind
Leben doch in
A b e r der Sturmwind des S c h i c k s a l s
und die Luftgebilde zerflattern
und zerfließen.
von unserer S e e l e im Vergänglichen
bläst,
Und was
sich befestigt,
was
wir von unserer zeitlichen Erscheinung an dieses w o g e n d e Wolkenmeer
vergeudet,
das
ist
all v e r l o r e n ,
wenn
wir
nicht aus unserer Sehnsucht neue Kräfte saugen und das E w i g e ergreifen, das nicht im unmittelbaren Dasein aufgeht. J e d e R e g u n g unseres G e i s t e s muß sein wie ein Flügelschlag der S e e l e auf ihrem F l u g zur Unendlichkeit. müssen
uns
dessen
stets
bewußt
leisen und tiefen Empfindungen sich
an ihnen
unser G e i s t
bleiben,
daß
uns
Wir die
nur geliehen sind, damit
emporrankt,
damit wir neue
Aus den Bergen.
67
und n e u e S t u f e n bauen auf dem W e g e zum W a n d e l l o s e n . K e i n e endliche Welt ist d e r r e s t l o s e A u s d r u c k d e s a b s o luten S e i n s , und m ö g e n wir u n s noch so w o h l i g und heimisch in ihr fühlen. ' Nicht deshalb, weil d e r T o d u n s d a r a u s vertreibt, ist unser D a s e i n s o u n g e w i ß ; denn d e r T o d ist j a nur d e r g ü t i g e Bote, d e r d e r Menschheit K u n d e gibt von den v e r b o r g e n e n S c h ä t z e n u n s e r e r S e e l e . D a s S c h w a n k e n d e , Z w e i f e l h a f t e u n s e r e r Existenz liegt vielm e h r immer darin, daß sie auch in ihren reinsten Äußer u n g e n n u r ein Versuch ist, eine d a u e r n d e Welt zu gestalten, d e r nie völlig gelingt. A b e r w i r v e r g e s s e n d a s und n e h m e n den T a g f ü r die E w i g k e i t . Unsere Sehnsucht zum Sein bleibt haften am D a s e i n , wie es im „ H i e r " und „ J e t z t " u n s e r Ich durchzittert. Nun a b e r sollen w i r w a n d e r n und r u h l o s s e i n ! W a s wir hegen und h e r z e n , wird vers i n k e n , und w a s wir nicht achten, wird e w i g sein. S i e h ! D i e W o l k e n sind z e r r i s s e n , und die S o n n e lugt h e r v o r ! H a b ' ich's doch kaum g e m e r k t , w i e d e r R e g e n nachließ, d a ß j e t z t nur noch ein f e i n e s S t ä u b e n von blitzenden T r o p f e n vom Himmel s p r ü h t ! Noch ein Weilchen, dann will ich h i n a u s g e h e n , den f r i s c h e n A t e m z u g d e r g e n e s e n d e n E r d e zu k o s t e n , — selbst zu g e n e s e n an Leib und S e e l e ! Ist es nicht w i e d e r u m eine völlig a n d e r e Welt, die ich nun e r l e b e ? W a s ist noch g e b l i e b e n von d e r Verzagtheit, von d e r ängstlichen Bangigkeit, die mein G e m ü t noch v o r kurzem f e s s e l t e ? Und w a s jetzt in mir vorgeht, ist es nicht im kleinen d a s Schicksal meines Lebens? Ich fühle w i e d e r die Kraft, w e l c h e die Welten e r b a u t , sich r e g e n ; ich h ö r e den Ruf d e r Z u k u n f t . Nun will ich den S t a b ergreifen und hinauf auf einen d e r Gipfel, die so fröhlich locken und w i n k e n . Sie schütteln schon an den W o l k e n f e t z e n ; sie lösen die ums c h l i n g e n d e n A r m e und g ö n n e n auch d e r N i e d e r u n g w i e d e r den Anblick d e s klaren Blaus. Nun bin ich im W a l d e ; es ist still und ernst um mich, und nur von Zeit zu Zeit 5*
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Aus den Bergen.
k l i n g t d a s F a l l e n d e r T r o p f e n , d i e sich v o n d e n Z w e i g e n lösen,
in
die Einsamkeit.
dem D u n k e l ,
Das Sonnenlicht
huscht v o n B a u m
zu B a u m ,
mischt
sich
verschwindet
u n d l e u c h t e t w i e d e r auf, w i e d i e t ö r i c h t e n W ü n s c h e Hoffnungen des menschlichen d e r W a l d s e i n e A r m e auf Matte.
Schmetterlinge
im
und
sind
zeigt
fliegen
und
Sie kommen wohl aus
dem
als P r o p h e t e n
Raum
Hoffen und Fürchten,
d a ß s i e s i e s e l b s t zu S e e l e n Im g r ü n e n rotgelber sich.
tut
grünende
ausgesandt,
daß
den toten Büschen und Steinen lehren das L e b e n , das Weinen,
und
A b u n d zu
mir eine
sonnigen
w i e g e n sich w i e im T r a u m . S e e l e n l a n d und
Herzens.
Sehnen
und
sie
lehren Lachen,
machen.
M o o s e leuchtet
hier
und
da
f r ö h l i c h ein
P i l z a u f ; d i e f ü h r e n ein b e h a g l i c h e s L e b e n
in
U n d d i e B i e n e n s u m m e n , und d i e W i n d e f l ü s t e r n . . .
W i e ist d o c h a l l e s v e r ä n d e r t in s o k u r z e r Z e i t !
Bald nun
w e r d e ich d e n G i p f e l e r k l o m m e n h a b e n ; s c h o n g ö n n t mir der Wald dann und wann Nun s p a n n e im S c h a u e n
dich
an,
e i n e n Blick in d i e A l p e n w e l t .
mein Geist, d a ß du
der heiligen Schönheit!
nicht
erliegst
H i e r gilt kein stilles
E m p f a n g e n : du m u ß t r i n g e n mit d e r h e r b e n P r a c h t d i e s e r N a t u r u n d a l l e s W e i c h e u n d U n g e l ö s t e in d i r u n t e r d r ü c k e n . D u k a n n s t auch h i e r F r i e d e n f i n d e n , i n d e m du d i e s liche Bild in d i r g e s t a l t e s t .
köst-
J a , ich f ü h l ' s , auch mich hat
e i n e S e e l e a n g e s p r o c h e n , und nun g e b ' i c h ' s z u r ü c k , alles, w a s s i e K l i n g e n d e s , R a u s c h e n d e s , R a u n e n d e s in m i r g e w e c k t hat. was
in
Ich darf mich nicht m e h r f ü r c h t e n v o r
m i r ist.
Alles Hoffen, alles Verlangen
dem,
gewinnt
Halt und B e d e u t u n g ; ich bin nicht m e h r e i n s a m in m e i n e r Einsamkeit, sammen
und,
w a s ich m e i n e i g e n n e n n e ,
in d e m e i n e n A k k o r d d e r S e h n s u c h t
klingt zunach
dem
Unendlichen. Ich bin n u n w e i t ü b e r d e m T a l e ; viele s c h n e e b e d e c k t e B e r g e g r ü ß e n e r n s t u n d still zu m i r h i n ü b e r . ich r a s t e n .
Hier
will
W o h l m i r , ich l e r n t e d e n O d e m d e s L e b e n s
Aus den Bergen.
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zu t r i n k e n : ich l i e b e die Welt, die mich s o oft enttäuscht und b e t r o g e n hat. Und verläßt auch mich d a s b a n g e H e i m w e h nicht, an dem w i r alle l e i d e n , d i e w i r d a s L e b e n e r k a n n t haben, s o w e i ß ich doch, daß u n s e r e Heimat auf E r d e n ist, und d a ß w i r n u r t a p f e r die H ä n d e zu r e g e n b r a u c h e n , um sie zu e r o b e r n . Ich g r ü ß e . A b e n d und M o r g e n , Mittag und Mitternacht, w a s sie auch bringen m ö g e n : ich h a b e mich w i e d e r g e f u n d e n , ich will leben! Nun greif' ich w i e d e r mutig in den W i r b e l t a n z d e r G e f ü h l e : nun will ich's g e w i n n e n , w a s mir bestimmt ist.
Von der Liebe.
W
a h r e Liebe findet immer E r w i d e r u n g . D i e Erf a h r u n g ist n u r s c h e i n b a r d a w i d e r . Z u e r s t muß man alle die Fälle a u s s c h a l t e n , w o es sich nur um den sinnlichen T r i e b und das sinnliche B e g e h r e n handelt. D e n n r e i n e L i e b e ist Liebe nicht d e s T r i e b e s , s o n d e r n d e s Willens und d e r V e r n u n f t . D e r A f f e k t , d e r die sinnliche V e r e i n i g u n g sucht, ist hier nicht d a s einzige und nicht d a s letzte, s o n d e r n die G e m e i n s a m k e i t d e r L e b e n s z e n t r e n , d a s w e c h s e l s e i t i g e B e s c h e n k e n und Bereichern d e r S e e l e n , d a s g e m e i n s a m e S u c h e n nach dem E w i g e n und d e r vereinte Dienst d e r Idee. A b e r nun finden w i r häufig, d a ß ein Mensch den a n d e r e n g e r a d e z u sklavisch und u n t e r w ü r f i g liebt, ihm s e i n e Z u n e i g u n g u n a b l ä s s i g a n t r ä g t und doch verschmäht w i r d . Wenn man d i e s e r einseitigen L i e b e und F r e u n d s c h a f t auf den G r u n d g e h t , s o w i r d man immer f i n d e n , daß j e n e r vers c h m ä h t e L i e b e n d e ein Irreales, N i c h t s e i e n d e s im Geliebten sucht, sich an e t w a s heftet, d a s dem a n d e r e n n u r scheinb a r e i g n e t , und w a s er d a h e r mit seinem W e s e n nicht in eins setzen k a n n . W i e w i r selbst, w o w i r aufrichtig und innig lieben, in a n d e r e n ihr W e s e n lieben, das, w a s ihr d a u e r n d e s Sein und ihren C h a r a k t e r a u s m a c h t (d. h. die b e s o n d e r e A r t , w i e sich ihnen die Idee darstellt, w i e sie sie zu verwirklichen suchen), s o wollen w i r auch, d a ß d i e j e n i g e n , w e l c h e u n s e r e Liebe suchen, u n s e r h ö c h s t e s S t r e b e n billigen, sich an d a s P o s i t i v e in uns wenden. A b e r da, w o w i r die Liebe nicht e r w i d e r n
Von der Liebe.
71
k ö n n e n , ist dies nicht d e r Fall. E n t w e d e r sucht man e t w a s in uns, d e s s e n wir uns in stillen S t u n d e n schämen, o d e r e t w a s , w a s w i r nicht b e s i t z e n , h ö c h s t e n s einmal b e s e s s e n h a b e n , n u n m e h r a b e r hinter u n s und überwunden haben. M a n c h e lieben uns d e s w e g e n , weil sie s e h e n , daß w i r w e i t e r sind als s i e ; und wir u n s e r e r s e i t s lieben am reinsten und innigsten, w o w i r den G e l i e b t e n in irgende i n e r Art ü b e r uns stellen k ö n n e n . Wir s e h e n , er hat P r o b l e m e g e l ö s t , die uns noch d r ü c k e n , Irrtümer abg e l e g t , die uns noch f e s s e l n , S ü n d e n b e s i e g t , die noch in u n s e r e m H e r z e n w o h n e n . S o e n t s p r i n g t d i e s e Liebe aus d e r tiefsten und reinsten S e h n s u c h t d e s menschlichen H e r z e n s : dem Verlangen nach d e r Idee, nach dem Guten und E w i g e n . S o l c h e Liebe wird i m m e r e r w i d e r t . Sie verpflichtet. E s ist auch g e w i ß , daß die r e c h t e Liebe erhöht und b e s s e r t . W e n n ich sagte, daß sie im a n d e r e n d a s P o s i sive sucht, d a s Sein d e s Willens und d e r E r k e n n t n i s , s o bleibt sie doch nicht am Dasein k l e b e n , s o n d e r n sucht das, w a s g r ö ß e r e Realität hat und in d e r Z u k u n f t w o h n t : wir lieben im a n d e r e n die B e s t i m m u n g zum G u t e n . Auch eine Liebe, die n i m m e r zum Ziele gelangt, die, z w a r e r w i d e r t , d e n n o c h e n t s a g e n und leiden m u ß , vertieft und v e r s c h ö n e r t die H e r z e n . D e n n d a s G e m ü t d e s M e n s c h e n w i r d nicht reicher, i n d e m e s die vergänglichen S c h ä t z e d e r E r f ü l l u n g s a m m e l t , s o n d e r n durch Selbstentäußerung. Und w e r t a p f e r zu verzichten g e l e r n t hat, d e r w e i ß auch am besten zu helfen. Wir w a n d e l n alle in F i n s t e r n i s , und es ist keine S e e l e s o stille, daß nicht zuzeiten die S e h n s u c h t sie suchte. Und einmal k o m m t auch dem s t o l z e s t e n Herzen die S t u n d e , w o es seine E i n s a m k e i t empfindet und nach L i e b e dürstet. Und d a n n fühlen w i r ' s , d a ß d a s Licht nur dem S e l b s t l o s e n wird.
72
Von der Liebe. Wenn
nächte als
d a s M o n d l i c h t d u r c h d i e k a l t e n , stillen W i n t e r -
wandelt
ob
ein
und die kahlen B ä u m e küßt,
geheimes,
traumseliges Leben
wachte: sie g e d e n k e n
vergangenen
dann
in
Sommerglücks.
umspinnt die e i n s a m e S e e l e des Verlassenen rung
der Liebe;
ein S t ü c k c h e n
ist's,
ihnen
Sommer
die
erSo
Erinne-
trägt der
alle-
zeit in sich, d e r e i n m a l w a h r h a f t g e l i e b t . Scheue
und
tiefe Naturen
wehren
sich l a n g e
Liebe:
wie
auch
Bäume
des
die
manche
gegen
Waldes
spät Blätter treiben, w e n n der S o m m e r schon
erst
unterwegs
ist. D a s m a c h t , tiefe H e r z e n m i ß t r a u e n sich s e l b s t i m m e r dar, u n d d i e L i e b e ist ihnen e t w a s H e i l i g e s . wohl,
daß
das
sittliche
Selbst
m ö g e n s i e nicht s p i e l e n . der
darf
sich
der Seele,
selig
das
Liebe einmal gesiegt
von
wohl
bei
ihrem
verstehen,
Sie spüren
steht,
Da
ihr
ist kein
das Herz,
ersten
daß
ist,
als
Nahen
und sie verwirrt den Sinn.
Ich
s o viele K ü n s t l e r h a b e n
Im
ob
die
Idee von
ihrem
Gefühle ergreift aber
die Idee:
er
stellt
sie
weil
Liebende
im
der
die
außer
auch
und
kann's
die
Liebe
Denn Throne
s t i e g e n w ä r e u n d l e i b h a f t i g sich d e n s t a u n e n d e n enthüllte.
da
Winkelchen
erwärmt wird, wenn
zum Grundeffekt der Kunst machen wollen. Liebenden
und
hat.
Die Liebe demütigt betäubt
Frage
Aber w e r solche Liebe findet,
preisen.
nicht
in
der
so
durchaus
ge-
Blicken Künstler
sich im K u n s t w e r k .
Geliebten
dem
nur
Und das
P o s i t i v e , d a s , w a s z u r Idee h i n s t r e b t , s i e h t und e r g r e i f t , s o e r w a c h t auch ihm d i e I d e e im G e f ü h l . Doch
darf
Kunstwerk Genüge
dem
sein,
tut.
an
Liebenden
der
dem
ästhetisches
Sondern
sein
sein
Geliebte
Leben
muß
nicht
ein
Gefühl
sich
sich
um
ihn
r a n k e n , s e i n W i l l e ihn s u c h e n , s e i n e S e e l e m u ß mit ihm wandern.
E i n e H e i m a t m u ß ihm d a s H e r z d e s g e l i e b t e n
Menschen
sein,
und
bebaut.
a b e r auch ein A c k e r ,
den
er
bepflanzt
Von der Liebe.
73
Es ist so schön, in der Ungewißheit des Lebens ein Sicheres zu haben; umgeben vom Problematischen, Unerkannten, immer aufs neue in Kämpfe verwickelt, mit Sorgen geplagt und von Leiden bedruckt, bedarf das Herz einer Stätte des Friedens, einer Quelle, aus der es neue Kraft trinken kann. In der Morgenfrühe, zwischen Tag und Nacht, ist es lieblich zu sehen, wie aus der Dämmerung gemach die Dinge der Erde auftauchen; nun siehst du deutlicher einen Baum, der seine Äste schlaftrunken gen Himmel reckt; nun Sträucher und Zaun und Gitter, das Kirchlein fern im Dorf, und alles wird greifbar und leuchtet im zagen Morgenschein. S o , wenn wir an der Hand der Liebe dem Schicksal entgegengehen, hebt sich nach und nach unser eigenes Dasein zu sicheren F o r m e n ; es verrauscht Traum -und Wirrsal, und das reine Selbst tritt aus der Dämmerung. Aber wer abseits steht, wer die Einsamkeit im Herzen trägt, oder wer seiner Liebe nicht folgen darf, obgleich sie Antwort gefunden, auch der kann nicht lassen von seiner Sehnsucht, ohne in der Finsternis zu versinken. Und der Tod liebt uns alle, weil er uns zum Ewigen führt. Vor seinem Hauch zerschmelzen alle Götzen unserer Seele; aber das Wahre beschirmt er. Seine Liebe gilt den Verkannten, Ausgestoßenen. Den Neid und Haß macht er verstummen, so daß die Stimmen hörbar werden, die die Mißgunst übertönte, und die Welt dankbar das nimmt, was sie vom Lebenden verschmähte.
Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit.
D
ie einzelne B e o b a c h t u n g o d e r , w i e man mit einem W o r t von zweifelhaftem philosophischen W e r t e sagt, die einzelne T a t s a c h e ist in ihrer Isoliertheit dem Sein d e r Wirklichkeit, d. h. dem Dasein, noch nicht g e w o n n e n . D a s einzelne, vereinzelte, trägt immer den C h a r a k t e r d e r Zufälligkeit und also Irrationalität; erst w e n n w i r s e i n e n B e g r i f f , in dem j a s e i n e w i s s e n s c h a f t l i c h e Existenz bes t e h t , aus h ö h e r e n Begriffen deduktiv ableiten k ö n n e n , und w e n n es selbst durch diesen Begriff zur P r ä m i s s e f ü r f r u c h t b a r e E r k e n n t n i s s e w e r d e n k a n n ; d. h. erst w e n n wir es in den allgemeinen Z u s a m m e n h a n g d e r V e r n u n f t eingereiht h a b e n , g e w i n n t es die N o t w e n d i g k e i t s e i n e r Natur, e r s c h e i n t es d e r Wirklichkeit g e s i c h e r t . S o bleibt auch d a s sittliche Individuum im P r o b l e m a t i s c h e n stecken, s o l a n g e es sein D a s e i n nicht in allgemeinen Z u s a m m e n h ä n g e n d e r sittlichen V e r n u n f t befestigt h a t , im Staate, in d e r G e m e i n d e , d e r Familie u s w . S e i n e H a n d l u n g e n sind o h n e Realität, w e n n sie nicht dem a l l g e m e i n e n G e setz e n t s p r i n g e n . In d e r Isolierung verliert d e r Mensch s e i n e Menschheit. D a s R e c h t , w e l c h e s immer die kristallisierte sittliche V e r n u n f t eines b e s t i m m t e n Z e i t a l t e r s ist, hat d i e s e Einsicht frühzeitig im S t r a f r e c h t zum Ausd r u c k gebracht. D i e alten G e r m a n e n machten den Mörder, w e l c h e r nicht durch v o r g e s c h r i e b e n e B u ß e sein Verbrechen zu s ü h n e n v e r m o c h t e , v o g e l f r e i und schickten ihn in die V e r b a n n u n g . Er w u r d e d e r G e m e i n s c h a f t s e i n e s V o l k e s und V a t e r l a n d e s entzogen und d a d u r c h d e s W u r z e l b o d e n s s e i n e r moralischen Existenz b e r a u b t .
Oedanken über Notwendigkeit und Freiheit.
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Und noch heute w e r d e n politische V e r b r e c h e r durch das Exil bestraft. Die katholische Kirche b e s t r a f t s o den S ü n d e r durch E x k o m m u n i k a t i o n . D i e s e K i r c h e gibt bekanntlich v o r , ihren Mitgliedern s e l b s t die m o r a l i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t zu g a r a n t i e r e n . D e r K i r c h e n b a n n entzieht also, nach den Vorstellungen des Katholizismus, den einzelnen recht eigentlich d e r sittlichen Welt. Freilich k a n n die H e t e r o n o m i e ( F r e m d - G e s e t z g e b u n g ) niemals eine w a h r h a f t menschliche Moral b e g r ü n d e n . S o n d e r n w i e d e r einzelne Mitglied d e r sittlichen G e m e i n schaft ist, s o muß e r auch an s e i n e m Teil ihr U r h e b e r sein. D a h e r denn auch nicht eine k o n f e s s i o n e l l e Kirche, s o n d e r n allein d e r Staat d a s Mittel z u r V e r w i r k l i c h u n g d e r Sittlichkeit, der sittlichen Idee, sein k a n n ; a b e r freilich d e r S t a a t nicht in s e i n e r zufälligen G e g e b e n h e i t , s o n d e r n d e r R e c h t s s t a a t , d e r selbst A u f g a b e und Idee bleibt. D i e Mitarbeit am S t a a t e und s e i n e r Vervollk o m m n u n g ist also eine Arbeit an d e r A u s g e s t a l t u n g und V e r w i r k l i c h u n g des e i g e n e n sittlichen S e l b s t e s . D e r G e d a n k e , daß die o b e r s t e n G e s e t z e d e s S e i n s , also d e r V e r n u n f t , dem G e i s t e durch eine f r e m d e Macht g e g e b e n s e i e n , führt die Menschheit überall zur Selbstv e r n i c h t u n g . D i e W i s s e n s c h a f t baut die Wirklichkeit auf durch ein S y s t e m von B e g r i f f e n , w e l c h e u n t e r e i n a n d e r mit den e i s e r n e n B a n d e n d e r V e r n u n f t n o t w e n d i g k e i t verknüpft sind. A b e r dies g a n z e S y s t e m ist n u r ein Vers u c h , die unendliche Fülle d e s S e i n s zu e r g r e i f e n , und m u ß , bei vertiefter Einsicht, neuen V e r s u c h e n weichen. W ä r e n nun a b e r die o b e r s t e n A x i o m e , w e l c h e diesem g a n z e n deduktiven Z u s a m m e n h a n g z u g r u n d e l i e g e n , uns von außen a u f g e z w u n g e n , s o w ä r e n w i r r e t t u n g s l o s in ein Netz d e r N o t w e n d i g k e i t e i n g e s p o n n e n , a u s dem kein E n t r i n n e n möglich w ä r e . Auch k ö n n t e man d a s nicht einmal b e k l a g e n , w e n n n u r die s o e r b a u t e Wirklichkeit b e r e i t s v o l l k o m m e n w ä r e und d u r c h a u s v e r n ü n f t i g . A b e r
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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit.
die F e h l e r und G e b r e c h e n d e s D a s e i n s liegen nur allzu deutlich zutage, und w i r s p ü r e n sie an Leib und S e e l e . Nun sind a b e r g o t t l o b die o b e r s t e n B e g r i f f e k e i n e s o s t a r r e n G e b i l d e , s o n d e r n dem G e i s t e d e r M e n s c h e n selbst e n t s p r u n g e n e H y p o t h e s e n ; Hilfsmittel, durch w e l c h e w i r die Welt v e r n ü n f t i g zu machen v e r s u c h e n . W e n n .wir also im Übel und Irrtum, in d e r S ü n d e und d e r Schuld auf d a s P r o b l e m a t i s c h e s t o ß e n , s o ist d a s n u r ein Bew e i s , d a ß w i r nicht tief g e n u g g e g r a b e n haben. Wir müssen n e u e , b e s s e r e Begriffe s c h a f f e n , w e l c h e den neuen P r o b l e m e n g e r e c h t w e r d e n ; und darin besteht u n s e r e Freiheit. Wir müssen die n e u e , b e s s e r e W i r k lichkeit w o l l e n , mit dem Willen e r g r e i f e n — d a s ist u n s e r e sittliche A u f g a b e und W ü r d e . D e n n auch das sittliche D a s e i n ist w e d e r absolut, noch auch v o l l k o m m e n . Die Einheit d e r Menschheit ist d a s Ziel, d a s w i r zu erreichen trachten durch die stets vertiefte und stets neu e r b a u t e sittliche Wirklichkeit. Und w i e in d e r theoretischen und sittlichen Welt, s o auch in d e r Kunst. Die K u n s t b e s t r e b t s i c h , dem G e fühl die Idee d e r Einheit d e r Menschheit zu o f f e n b a r e n . D a h e r darf d e r K ü n s t l e r w e d e r in e n d l i c h e n , isolierten G e f ü h l e n a u f g e h e n , noch auch die G e s e t z e s e i n e r K u n s t von außen e m p f a n g e n . E r bedient sich d e r Natur und' Sittlichkeit, um mit ihrer Hilfe d a s G e f ü h l d e r Idee zu e r z e u g e n ; a b e r Natur und Sittlichkeit m ü s s e n eben b l o ß e Mittel b l e i b e n , s o n s t wird e r e n t w e d e r lehrhaft o d e r S i t t e n p r e d i g e r . E s ist schon H e t e r o n o m i e , w e n n e r sich bemüht, die w i s s e n s c h a f t l i c h e Natur möglichst g e t r e u „ n a c h z u a h m e n " , statt sie in seinem k ü n s t l e r i s c h e n I n t e r e s s e neu zu e r z e u g e n . Und es ist gleichfalls H e t e r o n o m i e , w e n n er sich zum D i e n e r d e r Sittlichkeit s e i n e r Zeit macht. D e n e r s t e n F e h l e r b e g e h e n die Naturalisten, den zweiten die T e n d e n z d i c h t e r . Und immer sind diese Mängel auch mit den a n d e r e n v e r b u n d e n : die Kunst
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geht alsdann in endlichen G e f ü h l e n auf, statt d a s unendliche G e f ü h l d e r Idee zu e r w e c k e n . Die V e r h e r r l i c h u n g i r g e n d e i n e r isolierten E m p f i n d u n g , e i n e s vereinzelten, Vergänglichen G e f ü h l e s , d a s zum S e l b s t z w e c k gemacht wird, f ü h r t auch in d e r Kunst auf A b w e g e . D e n n auch die K u n s t sucht d a s Allgemeine, nämlich d a s Allgemeine d e s G e f ü h l s . J e d e r A f f e k t : Liebe, Haß, S e h n s u c h t usw. ist d e r K u n s t z u g ä n g l i c h ; a b e r i m m e r n u r , s o f e r n sich in ihm das allgemein Menschliche, d e r A b g l a n z d e r Idee offenbart. D a s Vergängliche muß durch die K u n s t zum Ewigen geadelt werden. Dadurch erhält es auch hier erst seinen P l a t z in d e r Wirklichkeit, s e i n e N o t w e n d i g k e i t d e r Existenz. Man unterscheidet drei H a u p t a r t e n d e s ästhetischen Z u s t a n d e s : d a s S c h ö n e , d a s E r h a b e n e und d a s Humoristische o d e r Komische. Man k a n n s a g e n : d a s S c h ö n e gibt uns d a s Gefühl d e r Freiheit bei h ö c h s t e r Notw e n d i g k e i t ; d a s E r h a b e n e gibt uns das G e f ü h l d e r N o t w e n d i g k e i t bei höchster F r e i h e i t ; d a s H u m o r i s t i s c h e (Komische) gibt uns das G e f ü h l d e r N o t w e n d i g k e i t als Freiheit. W i e ist das zu v e r s t e h e n ? Die S c h ö n h e i t zeigt Natur und Sittlichkeit in inniger H a r m o n i e : die Natur scheint sich d e r Idee e n t g e g e n z u s e h n e n und die Idee sich freundlich zur Natur h e r a b z u n e i g e n . Beim Anblick d e s S c h ö n e n e m p f i n d e n wir nicht die Mängel und U n v o l l k o m m e n h e i t e n der Natur. „ S c h ö n h e i t ist Erschein u n g d e r F r e i h e i t in d e r Sinnlichkeit", s a g t e Schiller. Beide, Natur und Sittlichkeit, w e r d e n z w a r nicht gleichg e s e t z t (dies ist n u r bei e i n e r b e s o n d e r e n Dichtungsart, dem Märchen, d e r Fall, das d a h e r auch zum W u n d e r g r e i f e n muß); a b e r die Natur erscheint doch w i e eine willige Schülerin, die dem G e b o t e d e s L e h r e r s folgt. E s gibt k e i n e seelischen K o n f l i k t e beim G e n u ß des S c h ö n e n ; d e s w e g e n hatte schon K a n t d a s S c h ö n e subjektiv c h a r a k t e r i s i e r t als ein h a r m o n i s c h e s Spiel zwischen
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E i n b i l d u n g s k r a f t und V e r s t a n d ; er hätte b e s s e r g e s a g t : z w i s c h e n p r a k t i s c h e r und t h e o r e t i s c h e r V e r n u n f t . Nun c h a r a k t e r i s i e r t sich die Natur, wie w i r a u s g e f ü h r t h a b e n , g e r a d e durch den Begriff d e r N o t w e n d i g k e i t . Diese N o t w e n d i g k e i t bemächtigt sich beim Anblick d e s S c h ö n e n u n s e r e r S e e l e ; a b e r nicht ihr G e g e n s a t z g e g e n die Freiheit wird e m p f u n d e n , s o n d e r n , weil sie mit d e r Idee zu h a r m o n i e r e n scheint, erzeugt sie d a s Gefühl h ö c h s t e r Freiheit. Nehmt eine R a f f a e l s c h e M a d o n n a , e t w a die M a d o n n a a u s dem H a u s e O r l e a n s . D i e s a n f t e , bez w i n g e n d e M e n s c h e n g ü t e , die a u s dem Antlitz d e r Mutter spricht, die R e i n h e i t d e r Unschuld, die von d e r S t i r n e d e s K i n d e s leuchtet: hier spricht d a s G e f ü h l d e r Idee tröstlich zu uns durch die F o r m e n s c h e i n b a r vollk o m m e n e r M e n s c h e n n a t u r . Hier m ö g e n alle egoistischen Leidenschaften s c h w e i g e n ; hier beugt sich H e r z und S i n n vor d e r O f f e n b a r u n g d e s reinen G e f ü h l e s , d a s die Menschen v e r b i n d e t . Und alles steht mit h ö c h s t e r N o t w e n digkeit da, und doch ist alles Ausdruck, d e r F r e i h e i t und erzeugt das Gefühl der Freiheit; diese Menschen können nicht a n d e r s , als rein und gut, als menschlich handeln. Beim E r h a b e n e n ü b e r w i e g t d a s Sittliche die N a t u r ; d e r A b s t a n d und die U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Natur g e g e n ü b e r d e r Idee w i r d dem G e f ü h l e o f f e n b a r , und die h ö h e r e Realität d e r Idee g e g e n ü b e r d e r vergänglichen Wirklichkeit scheint in E r s c h e i n u n g zu t r e t e n . D e r Z u g und die S e h n s u c h t d e s G e m ü t e s zur Idee wird s o mächtig, daß es sich w i e mit F e s s e l n d e r N o t w e n d i g k e i t dem flüchtigen Reich d e r E r s c h e i n u n g e n e n t z o g e n fühlt. D e r Auftrieb z u r Idee g e w i n n t den C h a r a k t e r d e s G e b o t e s , d e r Notw e n d i g k e i t in d e r S e e l e : es spricht zu u n s die S t i m m e d e r Z u k u n f t . W e r die Herrlichkeit d e r Welt e r s c h a u e r n d in d e r E i n s a m k e i t d e s H o c h g e b i r g e s e m p f u n d e n h a t : w e r einmal allein den uralten R i e s e n d e r A l p e n w e l t g e g e n ü b e r g e s t a n d e n hat, d e r e n s c h w e i g e n d e S t i m m e ihm das
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Schicksal von J a h r t a u s e n d e n erzählt; o d e r w e r die Klagelieder und die d r o h e n d e S t i m m e d e s S t u r m e s ü b e r den bewegten Wellenzügen des Ozeans vernommen hat: der hat wohl gefühlt, wie s e i n e Seele, von e i n e r süßen, schmerzlichen S e h n s u c h t ergriffen, die Kleinheit s e i n e s Sinnen-Ichs durchbrach und a u f w ä r t s s t r e b t e d e r Idee entgegen. Und e b e n d a n n besteht j a u n s e r e Freiheit, daß w i r u n s e r Leben und Schaffen in den D i e n s t der Idee stellen k ö n n e n . A b e r w i r w e r d e n hier s o mächtig d e r Idee e n t g e g e n g e r i s s e n , daß wir d i e s e u n s e r e höchste F r e i h e i t als N o t w e n d i g k e i t e m p f i n d e n . Beim Humoristischen setzen w i r spöttisch die Natur einmal an Stelle der Idee; hier wird also die Natur s c h e i n b a r als das b e r e i t s Sittliche a u s g e g e b e n . A b e r natürlich nur, um in s e i n e r Kläglichkeit hernach um s o g r ü n d l i c h e r enthüllt zu w e r d e n . Und z w a r ist es g e r a d e d a s noch P r o b l e matische, M a n g e l h a f t e und U n v o l l k o m m e n e d e r Natur, w e l c h e s als w a h r e Realität auftritt, um d a n n an s e i n e m e i g e n e n Nichtsein zu zerschellen. Die schlechte Notw e n d i g k e i t , die N o t w e n d i g k e i t , w e l c h e u n s zwingt, weil wir sie noch nicht b e h e r r s c h e n , gibt sich hier als F r e i heit: freilich e r w a c h t h e r n a c h d a s G e f ü h l d e r w a h r e n F r e i h e i t um s o kräftiger. Man darf nur an S i r John Falstaff d e n k e n , um sich von d e r Richtigkeit dieser C h a r a k t e r i s t i k zu ü b e r z e u g e n . Die r e c h t e und echte N o t w e n d i g k e i t ist überall u n s e r W e r k , also eine Tat d e r Freiheit — denn sie e n t s p r i n g t den Begriffen d e r V e r n u n f t . D a ß die V e r n u n f t B e g r i f f e e r z e u g e n k a n n , in denen sie d a s Sein einfängt und ihrer e i g e n e n N o t w e n d i g k e i t unterwirft, d a s ist ihre Freiheil. W e n d e n w i r noch einmal den Blick z u r ü c k auf die S e e l e d e s einzelnen, d e s Individuums. J e m e h r wir v e r s u c h e n , die S e e l e zu b e g r e n z e n und zu b e s t i m m e n , d e s t o deutlicher wird ihre Unendlichkeit. Und d e n n o c h ist es u n s e r e Pflicht, u n s e r e E i g e n w e l t mit dem Nelze d e r N o t w e n d i g -
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keit mehr und m e h r zu u m s p a n n e n , um u n s e r e G e f ü h l e und E m p f i n d u n g e n s o d e r Wirklichkeit zu g e w i n n e n . A b e r L e i d e n s c h a f t e n und W ü n s c h e zerreißen oft dies G e spinst d e r V e r n u n f t ; und M e n s c h e n , w e l c h e in d i e s e r Hinsicht allzusicher sind, e r w e c k e n den Verdacht, nicht s e h r weit in d a s Sein ihrer S e e l e e i n g e d r u n g e n zu sein. A b e r die sittliche H a n d l u n g e r f o r d e r t Klarheit d e r Erk e n n t n i s , und s o m ü s s e n wir u n s e r e S e e l e s t e t s aufs n e u e zum P r o b l e m machen. Nun g e h t freilich schon in den ersten Entwurf um die k o n k r e t e Gestalt, w e l c h e das S i t t e n g e s e t z im B e w u ß t s e i n d e s einzelnen annimmt, i m m e r schon soviel P r o b l e m a t i s c h e s d e r u n v o l l k o m m e n e n Wirklichkeit, d a s sich d e r N o t w e n d i g k e i t d e s B e g r i f f e s entzieht, ein, d a ß s c h o n d e r e r s t e A n f a n g d e r H a n d l u n g hinter dem V o r b i l d e z u r ü c k b l e i b e n muß. S o entsteht ein Konflikt d e r S e e l e mit sich selbst, d e r um s o s c h m e r z licher e m p f u n d e n wird, j e tiefer und r e i n e r d e r Quell d e s sittlichen B e w u ß t s e i n s ist, dem die m o r a l i s c h e B e m ü h u n g entsprang. Und doch liegt auch in diesem u n g e w o l l t e n Ü b e r s e h e n d e r U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Wirklichkeit ein Keim tiefster Z u k u n f t s r e a l i t ä t ; denn d a s s o e n t s t e h e n d e P r o b l e m ruft Wille und D e n k e n zu n e u e r Arbeit auf. Immer ist es also d a s v e r n ü n f t i g e G e s e t z , w e l c h e s die Isoliertheit d e s einzelnen aufhebt und ihm N o t w e n d i g keit des D a s e i n s verleiht. Nun wird sich a b e r das Individuum niemals r e s t l o s in den sittlichen G e s e t z e n s e i n e r Zeit w i e d e r f i n d e n . D e n n einerseits decken sich Individuum und Allheit, auf welche doch die G e s e t z e i m m e r b e z o g e n sind, n u r in d e r Idee, nicht a b e r in d e r relativen Wirklichkeit s e i n e r Z e i t ; a n d e r e r s e i t s drückt sich selbst die T e n d e n z z u r relativen Allheit d e r Zeit in den G e setzen d e r Wirklichkeit zumeist nicht einmal rein aus, weil sie aus S o n d e r i n t e r e s s e n e n t s p r u n g e n sind. Wenn uns d a h e r d a s sittliche G e s e t z (das einzelne, vergängliche, nicht die Idee) zuweilen brutal erscheint und w i e mit
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f r e m d e r N o t w e n d i g k e i t b e d r o h t , s o k o m m t dies e n t w e d e r daher, daß w i r sein sittliches Sein und s e i n e V e r n u n f t noch nicht zu b e g r e i f e n v e r m ö g e n (es ist d a n n wirklich f ü r u n s noch eine ä u ß e r e Macht) o d e r daß w i r bereits in eine h ö h e r e sittliche Wirklichkeit e i n g e t r e t e n sind. W ü n s c h e und B e g e h r u n g e n , w e l c h e sich in u n s e r e r B r u s t d r ä n g e n und gleichsam nach d e r Wirklichkeit rufen, k e h r e n sich o f t , w e n n sie nun erfüllt w e r d e n und ins D a s e i n e i n g e h e n , g e g e n u n s selbst. D e n n sie k ö n n e n nicht a n d e r s S e i n g e w i n n e n als in d e r allgemeinen F o r m des S e i n s ü b e r h a u p t , als Begriff und G e s e t z . D e r Begriff a b e r und d a s G e s e t z sind unpersönlich und k ü m m e r n sich nicht m e h r um die e n g h e r z i g e n Motive d e s Individuums. Man sollte meinen, falsche und hohle Begriffe, welche kein S e i n in sich b e r g e n , müßten bald an d e r Wirklichkeit z u g r u n d e g e h e n . Allein w e n n sich's s o f ü g t , daß d a s Nichtsein dem Nichtsein b e g e g n e t , k ö n n e n sie ihre S c h e i n e x i s t e n z l a n g e fristen. W e n n w i r z. B. s e h e n , w i e ein S t r e b e r durch Kriecherei und Heuchelei zu hohen E h r e n s t e l l e n gelangt, s o müssen w i r u n s doch s a g e n , daß er zu d i e s e r Art d e r E x i s t e n z nicht g e l a n g t w ä r e , w e n n er nicht mit seinen u n w a h r e n B e m ü h u n g e n an Lücken und F e h l e r s e i n e r V o r g e s e t z t e n g e s t o ß e n w ä r e : die Eitelkeit dieser, also ein Nichtsein, verschaffte s e i n e r M e t h o d e Eing a n g in die Welt. A b e r es entsteht s o freilich i m m e r eine Welt des T r u g s , die an e r n s t e n P r o b l e m e n scheitern muß. E i n e Wirklichkeit kann die N o t w e n d i g k e i t ihrer Existenz auch e i n b ü ß e n , indem sie versteinert. D o g m a t i k e r , die ihre B e g r i f f e a b s o l u t setzen, v e r s ü n d i g e n sich s o am Sein. Demgegenüber beruht das Befreiende des Skeptizismus d a r i n , d a ß e r alle G e b i l d e d e s G e i s t e s ihrer Starrheit b e r a u b t , sie einschmilzt und beweglich und flüssig macht. W e r a b e r im S k e p t i z i s m u s steckenbleibt, geht s e i n e r wohltätigen W i r k u n g v e r l o r e n , indem e r sich j a an d a s P r o b l e matische hingibt und auf j e d e N o t w e n d i g k e i t , o d e r auch auf K i n k e l , Traum.
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d a s h ö c h s t e V o r r e c h t d e r Freiheit ( N o t w e n d i g k e i t zu erzeugen) verzichtet; e r k o m m t nicht zum B e w u ß t s e i n s e i n e r B e s t i m m u n g . Die G e f ü h l e und L e i d e n s c h a f t e n müssen sein Ich endlich v e r s c h l i n g e n ; sie sollten ihn a b e r zum A u f b a u s e i n e r Wirklichkeit a u f r u f e n . D e n n freilich ist d i e s e r i m m e r mit Liebe, H a ß und R e u e v e r b u n d e n , und w e n n w i r uns von ihnen b e f r e i e n k ö n n t e n , k ä m e n w i r k e i n e n Schritt m e h r ü b e r die b e s t e h e n d e Wirklichkeit hinaus. E s gibt a b e r Leute, die sind stolz darauf, k e i n e G e f ü h l e zu haben und ersticken j e d e , auch die g e r i n g s t e L e i d e n s c h a f t im K e i m ; und dann g l a u b e n sie, sie seien t u g e n d h a f t . A b e r e s ist viel g r ö ß e r und sittlicher, s e i n e L e i d e n s c h a f t e n zu lenken, als sie zu t ö t e n . Nur w a s aus Mühsal g e b o r e n ist, k a n n den Mühseligen helfen. Die mit den tiefsten Gefühlen zu k ä m p f e n haben, f ö r d e r n die Welt am m e i s t e n ; ihr e i g e n e s S e i n ist auch am sichersten befestigt. Die leichten C h a r a k t e r e vergleichfe ich im L e b e n s k a m p f mit Leuten, die in voller K l e i d u n g ins W a s s e r gefallen sind. Z u e r s t w e r d e n sie eine Weile von den Kleidern get r a g e n , bis d i e s e sich voll W a s s e r g e s o g e n h a b e n ; dann versinken sie. M a n c h e r freilich scheint d e r Welt gleichgültig prüfend g e g e n ü b e r z u s t e h e n und leidet doch mehr als die a n d e r e n , die w i r k e n . Die G e f ü h l e und Leidenschaften nehmen s o f o r t den C h a r a k t e r f r e m d e r N o t w e n d i g k e i t e n a n , w e n n w i r sie nicht durch V e r n u n f t b e h e r r s c h e n . E i n e Leidenschaft, d e r w i r s e l b s t ä n d i g e s Leben v e r l e i h e n , führt uns bald aus d e r Wirklichkeit hinaus. D e r Begriff a b e r und die V e r n u n f t befestigen uns in d e r Allgemeinheit und verleihen u n s e r e m Dasein N o t w e n d i g k e i t . W e r einen G e g e n satz zwischen Freiheit und N o t w e n d i g k e i t konstruiert, d e r hat d a s P r o b l e m noch nicht in s e i n e r Tiefe erfaßt. D i e N o t w e n d i g k e i t ist immer die N o t w e n d i g k e i t d e r Vern u n f t , w e l c h e d i e s e l b e k r a f t ihrer Freiheit erschafft und immer mehr vertieft.
Der Einzelne und das Dasein.
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icht immer k ö n n e n wir die F r a g e n d e s Schicksals b e a n t w o r t e n : dann machen wir A u s r e d e n ; und um u n s e r e g e b r e c h l i c h e Wirklichkeit zu r e t t e n , l e u g n e n w i r d a s P r o b l e m und v e r b e r g e n uns u n s e r e e i g e n e S c h w ä c h e . A b e r dann geht u n s d e r e w i g e G e w i n n d e s L e b e n s verloren. W i r m ü s s e n den Mut h a b e n , auch eine Lücke u n s e r e r I n n e n w e l t frei e i n z u g e s t e h e n und dem G e i s t e die P r o b l e m a t i k d e s L e b e n s s t e t s g e g e n w ä r t i g halten. D e n n w i r verlieren u n s selbst, w e n n wir nicht stündlich u n s e r e S e e l e vom Vergänglichen scheiden. W o die B e g r i f f e und G e s e t z e d e r S e e l e mit uns schalten und walten, o h n e daß w i r sie uns innerlichst a n g e e i g n e t h a b e n , sind w i r unfrei selbst in den A r m e n d e r Wahrheit und Sittlichkeit. Alle b l o ß e Sitte z. B. behält i m m e r e t w a s seelisch F r e m d e s . S i e spielt g ü n s t i g s t e n Falles auf ethischem G e b i e t e die R o l l e e i n e r mathematischen F o r m e l , d e r e n A b l e i t u n g wir v e r g e s s e n h a b e n , von d e r e n Richtigkeit w i r a b e r überzeugt s i n d . D i e Sitte hat hier nichts v o r a u s v o r j e n e n S i t t e n g e b o t e n , die sich auf göttliche O f f e n b a r u n g b e r u f e n . B e i d e g e h e n häufig die W e g e d e s N a c h t w a n d l e r s , den man nicht bei N a m e n n e n n e n darf. Und w a s hier die Sitte auf dem G e b i e t e d e r M o r a l , d a s ist die „ S c h u l e " auf dem G e b i e t e d e r Kunst. D a s S e l b s t b e w u ß t s e i n mangelt beiden. D i e s t ä n d i g e P r ü f u n g d e s Ü b e r k o m m e n e n ist die V o r a u s s e t z u n g e i n e r f r u c h t b a r e n S e l b s t e n t f a l t u n g d e r Seele. U b e r h a u p t ist j a , w a s w i r von u n s e r e n V o r f a h r e n und u n s e r e r U m g e b u n g an Begriffen als G e s c h e n k überliefert 6*
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Der Einzelne und das Dasein.
b e k o m m e n , zu j e d e r Zeit u n s e r e s L e b e n s n u r ein F r a g ment u n s e r e r seelischen Wirklichkeit. Nicht n u r stellen G e f ü h l e und E m p f i n d u n g e n uns i m m e r w i e d e r n e u e P r o bleme, die nach n e u e n Begriffen v e r l a n g e n , s o n d e r n in d e r A n w e n d u n g v e r w a n d e l n und v e r ä n d e r n sich auch die überkommenen Begriffe. A b e r dies bleibt u n s häufig selbst v e r b o r g e n , und noch viel leichter u n s e r e r U m g e b u n g . E r s t d e r Konflikt u n s e r e r E i g e n w e l t mit d e r allgemeingültigen Wirklichkeit b r i n g t uns den G e g e n s a t z schmerzr lieh zum B e w u ß t s e i n . Und doch ist es n o t w e n d i g , daß u n s e r e B e g r i f f e mit u n s w a c h s e n und leben, s o n s t w e r d e n w i r bald zu S c h a t t e n , denn mit d e r E r k e n n t n i s und dem Willen weitet sich u n s e r e Seele. M a n c h e M e n s c h e n beurteilen die Welt gleichsam aus e i n e r v e r s u n k e n e n F e r n e : d e r Fortschritt d e r Kultur hat die Wirklichkeit, in d e r sie leben, längst in T r a u m v e r w a n d e l t . Und dann wird ihnen d a s Leben zum Schicksal. Die Wirklichkeit ist i m m e r zugleich P r o d u k t und P r o b l e m d e r E r k e n n t n i s und d e s Begriffes. E s ist gleich verfehlt, w e n n man sich die Natur und die Wirklichkeit als eine von d e r E r k e n n t n i s u n a b h ä n g i g g e g e b e n e , f e r t i g e G r ö ß e vorstellt, o d e r sie, nach Art d e s subjektiven Idealism u s und p s y c h o l o g i s c h e n A p r i o r i s m u s in d a s Individuum d e s einzelnen z u r ü c k n i m m t . D e n n man muß doch immer in i r g e n d e i n e r W e i s e dem G e d a n k e n e i n e r überindivid u e l l e n , a l l g e m e i n e n Gesetzlichkeit R a u m g e b e n , o h n e welchen d e r Begriff d e r W a h r h e i t ü b e r h a u p t nicht möglich ist. Hierdurch w i r d a b e r , w e n n man die Natur unabh ä n g i g vom G e i s t e setzt o d e r sie mit dem B e w u ß t s e i n d e s einzelnen in eins denkt, immer der Mensch der W a h r heit und dem Sein e n t f r e m d e t und der Freiheit b e r a u b t . W e n n nämlich die Natur vor d e r E r k e n n t n i s existiert, s o wird d e r M e n s c h in d i e s e r Natur zur bloßen Sache, d e r f r e m d e m Willen, selbst willenlos, g e h o r c h e n muß. Dem sucht nun e b e n d e r subjektive, p s y c h o l o g i s c h e Idealismus
85
D e r Einzelne und das D a s e i n . dadurch
zu
Produkt
und
entgehen, zur
Individuums mäßigkeit des
macht,
aus
zu
eigenen,
geliefert. eignen
Sehnsucht
in
kalt und
der
seinen
dem
sucht.
dem
aber
weil
draußen
im
alles.
aber
und
Mensch Denn
des
Naturgesetzist
der
fremdgewordenen der
zum
Innern
Organisation
Dann
Schicksal
sich
er
in
ihm
seinen
Schicksals. in
da
Natur
der
Gewalt
Seele
hier
der
aus-
alles
durch
an-
seine
bedingte Mechanismus des Geschehens
und
seines
ihm
verliert
Organisation
Natur
begreifen
Gerade will,
fremd
Natur
der
indem er die allgemeine
gewissermaßen
seiner
die
der ewigen, unveränderlichen
einzelnen
Mensch
daß er
Erscheinung
ab,
Willen.
Man
sittlichen des
Er
muß
Erkenntnis
Versuche
unerbittlich
und
das
Begriffen
wird
eben
zum
Selbst
das
des
Sein
seine
Zuschauer
begreifen,
und H a n d l u n g e n
Individuums,
läuft
gegen daß
die
Menschen ruht.
Aus
erkennend
zu
ergreifen, entspringen die V o r s t e l l u n g e n s e i n e r S e e l e ; aber diese
sind
sondern heit
in
sein
nicht
mit
seinen Vorstellungen
eigen.
ganze
unmittelbar
dem
Begriffe
identisch,
nur die Wahrheit erreicht das S e i n ; soviel WahrNun
ist
Vorstellung,
Wahrheit
und
des Seins.
also
ist, s o v i e l B e g r i f f e n e n n t dem
nicht
nur
als
Begriff
einzelnen
das,
was
verschleudern
die
Zukunft
als
die
bestehen
er
zunächst
läßt,
Ausdruck in
ihrem
Vorstellen
i m m e r e i n e n T e i l i h r e r S e e l e : e s ist d e r
sterb-
liche Teil
unseres Wesens.
unser
Daher
aber
Aber
die Individuen in i h m
liegt auch
nicht
Selbst.
Daher eignet,
ist d a s S u b j e k t
zur Grundlage
Subjektive
Gesetzescharakter
b l o ß s u b j e k t i v zu s e i n . der
sich
nie zu
annimmt,
und
nirgends
dienen. da
hört
läutern
solle.
das
es
auf,
W e n n man v e r l a n g t , d a s E i g e n e ,
Persönlichkeit
zur
Geltung
s o v e r l a n g t m a n in W a h r h e i t , d a ß m a n e s z u m gültigen
ge-
Wo
D a s ist d e r F e h l e r u n d d i e W a h r -
heit a l l e s Individualismus. Individuelle
an
des Gesetzes
zu
bringen,
Allgemein-
86
Der Einzelne und das Dasein.
Die Wahrheit und der Begriff sind grausam und doch gerecht gegen die Einzelseele; sie geben ihr den Tod und die Vollendung. Wenn wir auf Grund vertiefter Einsicht die Wirklichkeit einer früheren Kulturperiode oder auch der Gegenwart anders konstruieren, als sie ein einzelner fühlt, denkt und empfindet, so müssen wir doch gewissermaßen seine Seele vernichten. Er lebt ja unter Schatten, und das, w a s er für das Ewige hält, hat sich uns bereits als vergänglich erwiesen. Aber wir töten eben doch nur das sterbliche Teil seiner Seele: denn es gibt keinen, der nicht die Sehnsucht zur Idee in sich trägt und also sein Selbst irgendwie in der Zukunft befestigt hätte. Und so vollendet denn die Wahrheit und der Begriff auch seine Seele.
( 3 0
Von der Heimat unseres Herzens.
I
st's nicht, w e n n d a s A b e n d r o t am Himmel einherschreitet, als o b ein W ö l k c h e n d a s a n d e r e entzündete, bis die weite F l ä c h e d e s Leuchtens wächst und in dem himmlischen F e u e r die S e e l e des s t e r b e n d e n T a g e s v e r g l ü h t ? S o auch e n t z ü n d e t im menschlichen H e r z e n ein Wunsch den a n d e r e n , eine H o f f n u n g die a n d e r e ; a b e r so w e c k t auch ein n e u e r G r a m alle g e s t o r b e n e n Leiden. W i e oft ist nicht eine Welt in m e i n e r S e e l e auf- und untergeg a n g e n , d e r S o n n e gleich, eine Weile Licht e n t z ü n d e n d , damit ich die F i n s t e r n i s doppelt e m p f i n d e n sollte, w e n n sie im O z e a n d e s L e b e n s v e r s u n k e n w a r . A b e r allmählich g e w ö h n t ' ich mich, auch im S t e r n e n s c h e i n die Dinge, die mich u m g a b e n , zu e r k e n n e n ; und w e n n am T a g e alles leuchtend w a r und b u n t , s o t r a n k ich nun F r i e d e n a u s s e l i g e r Stille. Z w a r m a n c h e r steht a b s e i t s und sieht n u r die Schatten des Werdenden. Schleicht nicht d e r T o d hinter dem Leben einher, erntet die Früchte, die es g e s ä e t , verdirbt s e i n e F r e u d e n und w a n d e l t sein w a r m e s G e n i e ß e n in frierend Entsagen? Er erstickt die bunten S o m m e r g a b e n d e r Lust in der kühlen Nacht d e s V e r g e h e n s . Und d o c h : n u r a u s dem W e r d e n d e n k a n n s t du d a s Daue r n d e s c h ö p f e n ; w e r das G e w o r d e n e h e r z t , liebt die Vergänglichkeit. Einmal erblicken w i r alle d a s E w i g e im G e w ä n d e d e r Liebe; es b e f r u c h t e t d a s Erdreich uns e r e s H e r z e n s mit Keimen z u k ü n f t i g e r Wahrheit. Siehe, da w e r d e n die Schatten d e s T o d e s z u n i c h t e , und das
88
Von der Heimat unseres Herzens.
Antlitz
unserer Seele
spiegelt den Frieden
des Zukünf-
tigen. Strömt
nicht
die s t e r b e n d e S o n n e
ü b e r die E r d e a u s ?
glühende
Freude
S o liebt s i e d i e E r d e ; s o l i e b e du
d i e Welt, d a ß auch d i e s t e r b e n d e F r e u d e dein H e r z n o c h erglühen
mache!
Der
ist W e l t s e h n s u c h t ,
Wunsch
denn
schen wir uns doch,
er
eines
hat
großen
Herzens
d a s Ich v e r l o r e n .
wenn wir glauben,
den
Täu-
Menschen
e n t f l i e h e n zu k ö n n e n : s e l b s t u n s e r e L i e b e z u r N a t u r ist Menschenliebe.
Darum
keit d i e r e i n s t e n
Die Dankbarkeit lister n e n n e n und
löst
sich
sie
nur
in
den
segnet
Das
innige Gefühl
in
seligen
und
und des im
durch
trunkenen
auf,
seinen
Kummer
bei
die
in
der
ihrer
und
teilen
Seele
das
bin
worden. der
ich zu H a u s e ,
gerecht,
Schweigen
tret'
ich
ein,
Sehnsucht
an,
und
die
greifbar
Leben
ihrer
Und s o w a n d e l t
Melodien fliehet
wenn
Und
lichtziehen.
tönt
selbst
mir so
ver-
und Seligkeit; die
d i e Welt
weht
nur
Schönheit.
mich
Flamme der
Ich
wandelt:
fremd der
ge-
Hauch
Begeisterung
l o d e r t im H e r z e n . Ist mir doch i m m e r , als e r n e u e r e meine Seele,
wenn
mir
die
u n s e r e r S e e l e in s t r a h l e n d e
ihrer liebt,
unbe-
gleich
k e n n e d i e s t i l l e n H a i n e , in d e n e n d i e S c h ö n h e i t dort
Freiheit
n o c h kein Begriff
g a n g e n e s Leid ein Lied voll F r i e d e n wer
die
Die Schatten werden
Schönheit
Rauschen
aber
stört das heilige
Schönheit auch die Schatten Im
Wer
Existenz
W i r k l i c h k e i t ; s i e d i e n e n d e m Licht. Sterne.
Phi-
er verstummt
unendlicher
Himmel
wird
Gemütes.
der
und
sicheren
unbedachtes Wort
Reiche
Dankbar-
Z w a r die
Garten.
sie,
den
sich G e s t a l t e n d e n ein
ihrem
Träumen
dennoch
erfüllten Wolken Dem
und die Schönheit!
liebt,
ihrem Anblick. stimmten
u n s auch d i e Stunden.
die lieblichsten Blumen der S e e l e U n k r a u t ;
dulden
Schönheit
verleiht
und seligsten
die S c h ö n h e i t b e g e g n e t .
sich Dann
bin ich s i c h e r , w o ich z w e i f e l t e , u n d v e r t r a u e n d , w o
ich
Von der Heimat unseres Herzens.
89
mich scheu versteckt hielt. Ich k e n n e k e i n e R ä t s e l mehr, die d a s H e r z nicht gelöst, k e i n e W ü n s c h e , die ihr Blick nicht befriedigt. D e n n die r e i n e S c h ö n h e i t duldet kein gebrechlich V e r l a n g e n , d a s am Endlichen klebt, und gießt d a s U n e n d l i c h e in feurigen S t r ö m e n in u n s e r e Seele. Mißtönend b e w e g t mit S o r g e und L e i d e n s c h a f t d e r Allt a g den G e i s t : a b e r die S c h ö n h e i t stimmt ihn zum Wohlklang. Und d e n n o c h verlangt sie alle K r ä f t e d e s D a s e i n s und verweichlicht nur die t r ä g e n H e r z e n , die sie entheiligen. A b e r a u s hartem Gestein rinnt die lauterste Quelle. A b e r d a s laute Leben ruft mit r a u h e r S t i m m e nach d e i n e r S e e l e und z e r s t ö r t mit ungeschickten H ä n d e n den Tempel d e i n e r Stille. Und d a s H e r z ist w i e ein verlassen' Kind, das sich im W a l d e v e r i r r t e und kann nicht heim f i n d e n . A b e r d a s E w i g e im B u s e n glüht f o r t und die S e h n s u c h t adelt das Leben. W i e ein s c h ü c h t e r n e r Geist d e r Nacht, d e r sich ins helle Tageslicht v e r i r r t e , erschrickt u n s e r e S e e l e zuweilen v o r d e r E r k e n n t n i s einer W a h r h e i t . Denn was nun hinter ihr in F i n s t e r n i s v e r s i n k t , w a r einst ihre Heimat. A b e r d a s ist ihr nun f r e m d , und ein V e r l a n g e n wird g r o ß , w e i t e r und w e i t e r zu w a c h s e n in die Fülle d e s u n g e w o h n t e n Lichtes. W i e B l ü t e n r e g e n d e s F r ü h lings ergießen sich heimliche W ü n s c h e ins s e h n e n d e Herz, und d a s r e i n e Leuchten d e s n e u e n H i m m e l s w e b t s ü ß e G e d a n k e n in Feiertagsstille. A b e r n i m m e r sättigt d a s H e r z sich am Irdischen! S e l b e r die Klarheit g o l d d u r c h w i r k t e r R ä u m e , von S o n n e n s e h n s u c h t erfüllt, k ö n n e n den Reichtum d e s W u n s c h e s nicht f a s s e n , w e n n sich die l i e b e n d e S e e l e e n t z ü n d e t am T r a u m e d e s Göttlichen. T a u s e n d m a l stürzt s i e , gleich Ikarus, t a u s e n d m a l hebt sie sich zu w a g e n d e m F l u g und e r n e u t ihr Leben an der G e w i ß h e i t d e s endlichen S i e g e s . -— D a s W i e d e r e r w a c h e n d e r a b g e s t o r b e n e n S e e l e unter d e r
90
Von der Heimat unseres Herzens.
zarten
Berührung
a l s das E r b l ü h e n
der
Liebe
ist
wahrlich
des Frühlings.
die neu a n g e k n ü p f t e V e r b i n d u n g die
frohe
alles
Erkenntnis
strahlt
eigenen
Wärme
Herzens
der ins
in sanften
und
gewährt;
wiedergewonnenen
Heimat:
der
und
Natur
die
Innigkeit
Seele
und
die W e l l e n
der W i d e r s p r u c h
A b e r auch
d e r Z e i t durch
des Alltags
löst
sich
dann, w e n n
dich d e r l i e b l i c h e Hauch
des
b e r ü h r t und die s e l i g e G e m e i n s c h a f t der L i e b e
dein H e r z
mit F r e u d e n
bist nicht im F r i e d e n . zu w i r k e n
stärkt: Denn
ist u n s e r L o s ;
Herzen.
Nicht
t ä u s c h e dich
und F r e u d
gleich
nicht!
nicht zu g e n i e ß e n ,
den
h e r z i e h e n , ist uns zu w a n d e l n steigt
langsam
Sternen, Des
Gipfeln
empor,
Stürme
des Schicksals
umbrausen
pflückt
er
am
Händen.
sich
Blüten
Rand,
Zuweilen, wenn
Z i e l im Aber
mag
auch
Wanderung,
in
letzten
der
der mag
sie welken
Nacht:
Fuß
und
die Und
in
seinen
nächtliche Nebel
ge-
und i m m e r b l e i b t
das
müde
endlich
geschmückt, das überdauert Es
ist doch ein W a c h s t u m
es
zieht
in
wechselnden
werden
unser Auge
das E w i g e
b i r g t uns in s e i n e n A r m e n .
ist
doch
Mögen den sie
Geburten;
und
das
in der
Welt:
zu sich
heran
Verrauschende
ihren
Schoß
be-
Dauernden. mit
denen
deines Herzens geschmückt! in
und Seele
uns und rettet u n s e r W e s e n .
die B l ä t t e r v e r w e l k e n , auf
der
mit uns
zum G ö t t l i c h e n
m e h r und m e h r im Hain
von
erlöschen
W a s w i r mit u n s e r e r
das S t e r b l i c h e und V e r g ä n g l i c h e
festigt sich
nimmt
Menschen
Weiten.
langen
sucht
in ein-
den W a n d e r e r .
die E r d e
b i e r t , sieht e r d a s N ä c h s t e nicht,
die
Bahn
bestimmt.
zu s e i n e n
Du
sondern
und L e i d w e c h s e l n
ewigen
i h r e s s e l i g e n L i c h t e s F ü l l e auf s e l b s t g e w ä h l t e r Weg
des
Odem.
Harmonien.
Frühlings
im
welche
der W e l t
R u h i g e r und s a n f t e r rauschen das G e m ü t ,
mit
Gemüt;
verleiht
wunderbarer
Die Sicherheit,
und
bildet
die
Sehn-
Die sie
Erde
um
zu
Von der Heimat unseres Herzens.
91
neuen Keimen. E s ist kein Wunsch durch deine Seele geflogen, den nicht, wenn er nur rein und gut war, die Menschheit wünschen wird! Die Zukunft wird deine G e d a n k e n e r l ö s e n , die nach Wahrheit dürsteten; die S c h ö n h e i t , die du geliebt, wird niedersteigen und wandeln unter deinen Brüdern. Entfalte die S e e l e vor dem M o r g e n r o t des k o m m e n d e n T a g e s , an seinem K u s s e zu g e s u n d e n ! Dort ist deines H e r z e n s Heimat.
Trostgedanken.
W
iegen im H e r z e n sich stille G e d a n k e n s e h n s ü c h t i g e r L i e b e : d a s sind S e e l e n z u k ü n f t i g e r Taten, die nach dem Leben v e r l a n g e n . E r l ö s e sie, und du s c h e n k s t dir die Ewigkeit. Läßt du sie s t e r b e n , s o stirbt ein Teil d e i n e s Ichs. A b e r da ist d e r T a g nun voll W i d e r s i n n und B e t r ü b n i s , und deine S e e l e fliegt mit den W o l k e n dahin, die den S o n n e n q u e l l v e r d u n k e l n . Dir' s e l b e r fern, v e r m a g s t du d e n n o c h d a s E i n e nicht zu erreichen, f ü r d a s du gelitten hast. K ö n n t e s t du n u r die g e h e i m e S p r a c h e d e i n e s H e r z e n s v e r s t e h e n , du w ü r d e s t nicht mehr dem T o d e n a c h l a u f e n , da du das Leben e r k e n n e n gelernt. A c h , nicht einmal dir selbst v e r m a g s t du zu lauschen, wieviel w e n i g e r dem w e r d e n d e n Leben d e r Z u k u n f t ! W e r weiß d e n n , wieviel e r s t o r b e n e W ü n s c h e und unerfüllte H o f f n u n g e n d a s H e r z eines j e d e n M e n s c h e n b i r g t ? Und w e n n die W ü n s c h e und H o f f n u n g e n d e r Welt und Wirklichkeit g e s t o r b e n s i n d : in seinem H e r z e n leben sie und machen ihn einsam. Und w e n n die M e n s c h e n dem Herzen F r i e d e n g e b e n , s o k e h r e n sich die G e d a n k e n g e g e n ihn. W e r den W u n s c h nicht k e n n t , von seinen W ü n s c h e n allen zu g e n e s e n , weiß nicht, w a s leiden heißt. Und w e r d i e s L e i d k e n n t , d a s nie endet, d e r w e i ß um die Liebe, die die E w i g k e i t sucht. D e r Tod spiegelt sich in den A u g e n des L e b e n s , und ihr O d e m mischt sich zu j e d e r S t u n d e . Oft spricht d e r T o d W o r t e d e r L i e b e ; die kann nur d a s Leid v e r s t e h e n und die S e h n s u c h t . Ja, die S e h n s u c h t wird auch dir auf dem P f a d e des L e b e n s b e g e g n e n : sie redet dich an, a b e r
Trostgedanken.
w e n n du nicht A n t w o r t g i b s t , w i r s t e w i g einsam sein.
verläßt sie dich
93 und du
D i e Liebe — verfolgt von allen Mächten d e r Verg ä n g l i c h k e i t , die dem H a s s e d i e n e n — tritt vertraulich und schutzflehend in das H a u s des m e n s c h l i c h e n H e r z e n s . D a a b e r sind b e r e i t s viele G ä s t e , die dem F r e m d l i n g g r a m s i n d : Selbstsucht, Eitelkeit, S p o t t s u c h t , niedrig' Beg e h r e n und alle die S c h w a r m g e i s t e r d e r F i n s t e r n i s . Die w ü r d e n ihr wohl d a s Bleiben v e r w e h r e n , k ä m e ihr nicht a u s dem tiefsten G r u n d e d e r S e e l e ein gütig W e s e n entg e g e n , d a s ihr die Hand reicht und sie zu verweilen bittet: d e s M e n s c h e n e w i g e S e h n s u c h t zum Göttlichen. S i e e r k e n n t ihre S c h w e s t e r und hält sie u m f a n g e n . U n t e r den Menschen mit s u c h e n d e r S e e l e s t e h e n die G e s ä t t i g t e n w i e v e r d o r r t e B ä u m e , sie g r ü n e n und blühen nicht mehr. S i e verachten die Ideale und schelten sie G ö t z e n ; sie e r w e h r e n sich ihrer reinsten H o f f n u n g , bespötteln die I r r e n d e n , W i r k s a m e n , d e n e n die Z u k u n f t gehört. Z u r Ironie ist d e r noch nicht b e r e c h t i g t , d e r die S c h w ä c h e n und F e h l e r d e s a n d e r e n s i e h t , s o n d e r n nur d e r , w e l c h e r auch helfen will und k a n n ; dies v e r m a g nur, w e r auch die Wahrheit d e r f r e m d e n S e e l e e r k a n n t hat. W e n n die G e f ü g e d e i n e r S e e l e sich Iockern, weil d e r S c h m e r z zu heftig an dem G e b ä u d e d e i n e r I n n e n w e l t gerüttelt h a t , sind nur zwei B a u m e i s t e r , w e l c h e dein H a u s retten k ö n n e n : Arbeit und Liebe. D i e s gilt f ü r dich wie für andere. W e i s e die Menschen nicht an Gott, w e n n sie dich um Hilfe bitten in ihrer N o t : s o n d e r n , w e n n du helfen kannst, nimm G o t t e s S t e l l e ein — w e n n a b e r nicht, s o vermiß dich nicht, ihre Leiden im Namen G o t t e s zu rechtfertigen.
Natur.
W
ie g r o ß bist d u , o N a t u r , in d e r stillen Einfalt deines Wesens. Du e m p f ä n g s t die G a b e n d e r Zeit mit G l e i c h m u t , und die S t ü r m e d e s S c h i c k s a l s k ö n n e n die e w i g e K r a f t d e i n e s W a c h s t u m s nicht t ö t e n . An dir e r k a n n t e sich d e r Geist, an dir m u ß er w a c h s e n . J e g r ö ß e r die S e e l e ist, die sich dir naht, d e s t o reicher w i r s t du sie m a c h e n ; j e r e i n e r d a s H e r z ist, zu dem du sprichst, d e s t o g e w a l t i g e r wird d e i n e S t i m m e in ihm widerhallen. D e r K ü n s t l e r vermählt dich s e i n e m G e i s t e und kleidet die e w i g e S e h n s u c h t s e i n e s H e r z e n s in d e i n e F o r m e n . W o a n d e r s f a n d ' e r den Mund, die Fülle s e i n e r Liebe zu o f f e n b a r e n ? W e n n d e s L e b e n s w a n k e l m ü t i g e r S i n n sein G e m ü t w e c h s e l n d mit F r e u d e n und Leiden ü b e r s c h ü t t e t ; w e n n t a u s e n d W ü n s c h e durch s e i n e r S e e l e G r ü n d e hasten, und die Leidenschaft ihn mit s t a r k e n A r m e n u m s c h l i n g t ; w e n n die F ü l l e d e r G e s i c h t e seinen Geist zu v e r w i r r e n d r o h t : reichst du ihm selige Gestalten, in die e r s e i n e s e r r e g t e n G e f ü h l e s s t r ö m e n d e Fluten g i e ß t , und läßt ihn, dir d i e n e n d , g e n e s e n . E i n i g mit dir, schafft e r dein und sein W e s e n zu göttlichem Leben u m , und wie er a u s dir, s o wirst du a u s ihm g e b o r e n . W e n n d e r Mensch dem M e n s c h e n verleidet ist, w o soll er H e i l u n g s u c h e n , w e n n nicht bei dir, allgütige N a t u r ? Du baust ihm die Hütte d e s F r i e d e n s , dahin d e r m i ß t ö n e n d e Lärm d e s T a g e s nicht dringen m a g ; klagst mit ihm, w e n n sein H e r z erschüttert ist, f r e u s t dich mit seinen F r e u d e n . Du richtest den Geist auf a u s s e i n e r
95
Natur.
Niedrigkeit.
E w i g neu, bist du stets d i e s e l b e und leitest
den M e n s c h e n zum Mittelpunkt s e i n e s W e s e n s . des W e r d e n s , Leben
und
der
von
Tod.
deinen Lippen
Wie
ein
D e r Hauch
kommt,
lernbegierig
versöhnt
Kind,
das
den
Worten s e i n e r Mutter lauscht, nahe sich d e r Mensch d e r Natur; zürne ihr nicht, w e n n s i e nicht j e d e r L a u n e s e i n e s H e r z e n s folgt, s o n d e r n widerhallt.
nur die tieferen, reineren K l ä n g e
S i e ist zu groß, als daß ein k l e i n e s
Gefühl
s i e erreichte, zu fest v e r a n k e r t im e w i g e n S e i n , als daß j e d e s Lüftchen s i e schaukelnd
bewegte.
W e n n w i r das Wort von der „ M u t t e r E r d e " mit dem Herzen verstehen im W i r k e n
wollen,
müssen
und W ü n s c h e n :
unserer S e e l e
w i r uns
das, w a s von
lebendig geworden
beschränken der Natur
i s t , zu vertiefen
durch Wahrheit und Schönheit zu reinigen. die
Natur täuscht
Wenn
die
uns,
wenn wir
schwindende Sonne
Denn
uns s e l b e r
in und
auch
täuschen.
goldene Kränze
um
die
G i p f e l der B e r g e flocht, lockte mich's oft, hinaufzueilen, daß ich die f u n k e l n d e Pracht g e w ö n n e und meine S e e l e daran entzündete. eh'
A b e r die Nacht w a r s c h n e l l e r als ich:
ich h i n a u f g e k o m m e n , w a r
alles Leuchten
erloschen.
Ist's doch nicht a n d e r s im L e b e n : w i r dürsten nach Licht und g r e i f e n die F i n s t e r n i s . — dem G ü t i g e n !
A b e r gütig bist du, Natur,
W e r w a h r ist g e g e n sich selbst, den
be-
trügst du nicht. W a r ich nur göttlich, s o w ä r s t du es auch!
Ich t r a g e
dich mit deinen F e h l e r n , w i e du mich freundlichst umgibst in meiner S c h w ä c h e . bin ich
Reichtum? deinen
K e n n s t du mich nicht, w i e f r e m d
an allen O r t e n ;
bin
Tausendmal
Werken;
und
ich
dir f e r n ,
wo
übertriffst du mich, tausendmal
eil'
ich
w e n n mein G e i s t deine Sehnsucht vollendete.
ist
dein
o Natur, in dir
zuvor,
Sag'
L i e b und Haß ruhten in dir, die ich nun e r w e c k t e ? bist
du's,
die
Lust
und
Leiden
wahrlich, ich t r a g e dich im
in
Herzen!
mir g e s t a l t e t ?
ich: Oder Ja,
Natur.
96
Ich s a ß a m W a l d q u e l l ; s c h l a n k e B ä u m e w ö l b t e n mir
ihr
grün'
Gezweig.
Neugierig
durch
spärliche Lücken
im
lebte
in
Da
Glücks sein
den und
Lüften. meine
im G e t ü m m e l
blickte
Blätterdach, nahte
Seele
ward
mir
die
und
Vogelsang
ein
stille.
über Sonne
Traum
So
des
möcht'
d e s L e b e n s , heilig, ernst
und
ich
heiter
w i e in j e n e r S t u n d e !
E s geht eine trübe Sage, daß
die
Natur
feind
ihn
dem
hassen:
Menschen
hier
aber
war
sei
Friede
und und
die E l e m e n t e Einklang!
Kosend
d r ä n g t e n sich d i e E l e m e n t e an m i c h : d e s W a s s e r s S i l b e r staub,
die
sanfte Berührung
d e r Luft u n d
der
würzige
Wohlgeruch der moosbewachsenen Erde; aber das Feuer
brannte
m i r in d e r S e e l e !
sich d e r R e i g e n Wünsche
Wie
lieblich
rekie
schlang
d e r G e d a n k e n , w i e herzlich s u c h t e n
das Ewige!
Ich
f ü h l t e ihn v o r ,
den
die
Werde-
g a n g d e s u n e n d l i c h e n G e i s t e s ! E r ist es, d e r d i e N a t u r e r hält, d e r a u c h in m i r in F u r c h t u n d H o f f n u n g l e b e n d i g ist. Wohl!
du
hast
mich
verstanden,
selber
fremd
war.
Habe
Seele,
wenn
dich
der Tag
ausruhtest
von
seinen
Natur,
d a ich
dich auch g e s u c h t mit liebend
Umarmungen
umfing; im
mir
ganzer
wenn
Schöße
du der
Dunkelheit. Auf d e i n e n S p u r e n w a n d e l t e ich j ü n g s t , a l s d i e N a c h t d i e E r d e in d a s u n g e w i s s e C h a o s d e r F i n s t e r n i s z u r ü c k genommen erloschen
hatte
und
waren.
gänglichkeit
waren
die glänzenden
Die geheimnisvollen g e s c h ä f t i g in
der
Kerzen
des
Tages
Mächte der Stille;
c h o l i e b r e i t e t e i h r e F l ü g e l aus, u n d d i e L i e b e s c h i e n Reich
verloren
zu
haben.
Ver-
die Melan-
D e r W i n d schlief l a n g e
ihr und
rief n u r im T r a u m e m a n c h m a l d e n W o l k e n z u : eilt, eilt! d e n n d i e Zeit ist f l ü c h t i g ! droben;
auf E r d e n
Aste zusammen.
Dann regte sich's am Himmel
klagten die Bäume und schlugen D a w u r d e n d i e alten, b ö s e n
die
Gedanken
wach und höhnten meine S e e l e und riefen die S c h m e r z e n . — A b e r nun k a m d e r M o n d u n d h o b d e n S c h l e i e r ,
der
97
Natur.
d a s Antlitz d e r E r d e v e r b o r g e n hielt. D a s K l a g e n w a r d zum F l ü s t e r n ; die W o l k e n hatten ihr d u n k l e s G e w a n d a b g e l e g t und schritten in s i l b e r d u r c h w e b t e n Kleidern königlich am Himmel dahin. Sie warfen wunderliche Schatten auf die W i e s e n , die sich w i e u n g e w i s s e Hoffnungen und W ü n s c h e hierhin und dorthin b e w e g t e n . Alles schien den M o n d willkommen zu h e i ß e n ; d a s Geheimnis d e s L e b e n s erfüllte die Lüfte und rief nach Erlösung. D a ö f f n e t e die E i n s a m k e i t ihr t r o s t r e i c h e s H e r z und hieß die L i e b e w i e d e r k e h r e n . Ich sah g o l d e n e G e stalten d e s G l ü c k e s , die längst im M e e r e d e s W e r d e n s v e r s u n k e n s i n d ; h ö r t e liebe, v e r t r a u t e S t i m m e n wieder, die mir im Alltag v e r s t u m m t e n . Gestorbene Sehnsucht wollte auferstehen. Und um mich w o b d i e gütige Natur a u s Licht und F i n s t e r n i s ein liebliches Spiel v e r t r ä u m t e n Lebens. — Und w i s s e auchl ihr tiefst' G e h e i m n i s k a n n s t du nur a h n e n d d u r c h d r i n g e n , w e n n dein H e r z im F r ü h l i n g steht. E s ist d a s Mysterium d e i n e r S e e l e . A u s klaren Quellen s c h ö p f e n s e l i g e G e i s t e r K r ä f t e d e r L i e b e ; sie t r ä n k e n aus g o l d e n e n E i m e r n die Wurzeln d e s L e b e n s I Nimm's auf in dein H e r z , d a s stille W i r k e n u m h e r , daß auch d e i n e Liebe w a c h s e und dein s e h n e n d V e r l a n g e n sich läutere! E s lockt und leuchtet a u s g l ü h e n d e n F e r n e n 1 E s weht und w i n k t a u s k o m m e n d e n T a g e n ! Und w e r ' s nicht begriffen, und w e r ' s nicht gefühlt, wird einsam sein. —
K i n k e l , Traum- 2. Aufl.
7
Stille Gedanken vom Leben.
A
m kleinsten k a n n die S e e l e w a c h s e n , w e n n sie es zum E w i g e n in B e z i e h u n g setzt. A n t w o r t e auf alle F r a g e n d e s Schicksals mit d e r g a n z e n Kraft d e i n e s Wes e n s ; denn n u r s o k a n n s t du deine B e s t i m m u n g erfüllen. W e n n dir die Welt tot und f r e m d bleibt, s o ist's d e i n e S c h u l d : es sind die Schatten u n s e r e r e i g e n e n Seele, w e l c h e uns d a s D a s e i n v e r d u n k e l n . Im s e l b e n Maße, wie du die Welt zu begreifen beginnst, e r k e n n t sie auch dich; denn d a s Sein b e g r e i f e n , heißt: mit ihm einig werden. A b e r freilich: die Endlichkeit u n s e r e r Wirklichkeit hält uns in e w i g e r B r a u t s c h a f t ; denn d a s a b s o l u t e Sein w o h n t in d e r I d e e , und w e r s e i n e S e e l e restlos d e r Wirklichkeit d e s A u g e n b l i c k s v e r m ä h l t , d e r wird heimatlos sein in d e r Zukunft. J e m e h r w i r a b e r vom unendlichen S e i n e r k e n n e n d gestalten, d e s t o reicher, d e s t o s i c h e r e r wird auch die Wirklichkeit u n s e r e r S e e l e . Ja, es ist j a n u r ein Entfalten d e r e i g e n e n S e e l e , w a s w i r e r k e n n e n und handeln n e n n e n . Du k a n n s t d a s U n e n d liche außer dir nicht b e g r e i f e n , w e n n du es im eigenen H e r z e n nicht g e f u n d e n h a s t ; denn d a s Unendliche d r a u ß e n und d r i n n e n ist n u r d e r Reflex d e i n e r Seele. Laß dein H e r z dem E w i g e n dienen, und du v e r k ö r p e r s t die S e e l e j e d e r L e b e n s s t u n d e und entreißt sie d e r V e r g ä n g l i c h k e i t ; a b e r die S t u n d e n k o m m e n und g e h e n , und du läßt ihre Seelen sterben. Nicht die Zeit gibt uns u n s e r Schicksal, s o n d e r n w i r sind es, die wir doch die Zeit mit u n s e r e m Hoffen und
Stille G e d a n k e n v o m
Leben.
Fürchten, Lieben und Hassen erfüllen. du deine S e e l e zu w a h r e n , und
der
Menschheit
verborgenen
indem
ferne
Kammern
hältst;
tausend
99
V e r g e b l i c h denkst du dich vom
dein Gemüt
Geheimnisse;
S c h l ü s s e l dazu hat das Leben in Händen. „Erkenne
dich
nicht
ist
immer.
den A c k e r
ihren S a m e n dich
trauen
des
aus.
nur schlimm,
lierst
Den
in den
Spruch:
In allen E r e i g n i s s e n
du deiner S e e l e b e g e g n e n : durch
aber
s e l b s t " kannst du nicht erfüllen, wenn du
dich von der Welt abkehrst. antwortest
Leben
trägt
aber,
sie
a b e r du
W e n n das Leid s e i n e
Furchen
L e b e n s zieht,
Es
ist
sich
streut die Weisheit
nicht schlimm, zu leiden; es
im Leide zu verlieren.
wenn
kannst
reden dich a n ;
das
Leid
deine
Du
Seele
Nur das L e i d ,
und Menschenhaß erfüllt.
ver-
mit Mißwelches
deine Herzen^kammer verdunkelt, ist deiner S e e l e schädlich.
Z w a r für Zeiten mag wohl die Kraft deines Willens
an der F ü l l e deiner Schmerzen scheitern. dem Herzen ersticken nicht,
sagen:
will.
wenn
warten.
„Sei
stille!"
wenn
Man
hat gut
es vor J a m m e r
Ein erfahrener Schiffer verläßt den Hafen der Sturm
D e n ewigen
am
heftigsten
ist,
Gewinn einer heißen
er
weiß zu
Leidenschaft,
eines tiefen K u m m e r s findet die S e e l e häufig erst, wenn die Wellen schon ausgetobt haben.
Auch sind es nicht
notwendig
die
paradoxen
das Gemüt
aus
dem Gleichgewicht b r i n g e n : tiefer emp-
fundene
Alltäglichkeiten
Einfälle werden
des L e b e n s , zu
welche
außergewöhnlichen
Schicksalen. Es
ist s o
noch weit ist.
wunderbar,
wunderbarer,
daß
es
die L i e b e
daß sie nicht
gibt,
und
selbstverständlich
Denn s i e fördert das Wachstum der S e e l e und die
Wahrheit in ihr. dir s o n s t Seete:
Zorn,
das L e b e n
geselle
ihnen
Sorgen
gibt,
und K u m m e r ,
schließ
nicht
die L i e b e b e i ;
denn sie ist
und mächtiger und wird sie bekehren. auf E r d e n ,
der
dich im Herzen
und was
allein in deine
trägt,
reiner
Ist nur ein Mensch s o hast du eine 7*
Stille Gedanken vom Leben.
100
H e i m a t und bist w o h l g e b o r g e n .
E s ist auch viel leichter,
s e i n e n H a ß , a l s s e i n e L i e b e zu v e r s t e c k e n ; d e n n d e r H a ß flieht, d i e L i e b e s u c h t d a s L e b e n .
Auf s t e i n i g e n
Wegen
muß wandern, w e r die Wahrheit sucht; seine F ü ß e werden bluten, und das G e w a n d s e i n e s G e m ü t e s wird von D o r n e n z e r r i s s e n w e r d e n ; a b e r auf s a n f t e n F i t t i g e n t r ä g t ihn M e n s c h e n l i e b e d u r c h alle S o r g e n u n d K ü m m e r n i s s e .
die Das
ist e i n e n ü c h t e r n e u n d u n g e w i s s e L i e b e , d i e im a n d e r e n nur
soviel
liebt,
als s i e k l a r u n d deutlich e r k e n n t ;
das
G r ö ß t e und Tiefste, w a s dahinter steht, m u ß das
Gefühl
ergreifen,
Sonne
wie
der
Künstler
die
Idee.
Vor
der
der Liebe vertrocknen die bösen Gedanken, daß sie fallen w i e d i e d ü r r e n B l ä t t e r im H e r b s t .
Die bösen
abGe-
d a n k e n ! W e r hat nicht w i d e r b ö s e G e d a n k e n u n d W ü n s c h e zu
kämpfen?
Aber
nicht g e s t o r b e n
in s e i n e m H e r z e n . . aus?
Sie
Grenzen
ist
solange
ist,
lebt
Mensch
die
ewige
im
Menschen
Gottsehnsucht
W e r mißt d i e S e p i e d e s
tiefer
erreicht
der
auch
als
kein
so schnell zur Hand
das
Meer,
Wanderer.
und Und
Geringsten
ihres doch
Landes sind
mit d e m Urteil ü b e r u n s e r e
U n d doch s p r e c h e n w i r v o n g u t e n u n d b ö s e n
wir
Brüder!
Menschen,
a l s w ä r e n ' s S t e i n e u n d P f l a n z e n , d i e w i r in u n s e r e K ä s t e n und
Herbarien
sollten die
wir
Existenz
werden uns dem
legen!
schon
Sünden,
deswegen
die
milder
unserer
Seele
durch
aber
unsere
eigene
kann;
außer
uns
liegen,
beurteilen,
weil
sie niemals Sünden
ja
bedroht
entfremden
Sein.
Warum scheuen
wir uns,
manchen Menschen
unsere
t i e f s t e n u n d h e i l i g s t e n G e d a n k e n zu o f f e n b a r e n , in d e n e n wir das wahrste Wesen Das
scheint
doch
unserer Seele enthalten
sonderbar:
denn
wissen?
nur
Wahrheit
u n d L i e b e in u n s e r e n G e d a n k e n u n d W ü n s c h e n
enthalten
sind, so wird die Seele des anderen nun, wie sie wolle.
wenn
antworten,
Ist e s doch u n m ö g l i c h , e i n e
s i e sei Wahr-
heit zu e r k e n n e n , o h n e s i e zu l i e b e n ; w e n n u n s d i e E r -
Stille Oedanken vom Leben.
101
k e n n t n i s noch w e h e tut, haben wir sie noch nicht vollendet. A b e r d a s ist's g e r a d e : W ü n s c h e , die sich selbst noch nicht v e r s t e h e n , G e d a n k e n , die noch nicht a n s Ziel g e l a n g t s i n d , bleiben denen f r e m d , die nicht g a n z in u n s e r e r S e e l e leben. Die tiefste S e h n s u c h t u n s e r e s Herz e n s birgt noch soviel P r o b l e m a t i s c h e s , U n g e k l ä r t e s ; und dies k e h r t sich w i d e r u n s , w e n n ' s von f r e m d e n S e e l e n v e r h ö h n t w i r d . E s soll niemand damit spielen. S o gilt's a b e r auch f ü r u n s e r Verhalten zu a n d e r e n : man muß die G e h e i m n i s s e f r e m d e r Herzen achten und soll die Geb u r t s s t u n d e d e r G e d a n k e n und W ü n s c h e nicht s t ö r e n . Um s o b e g l ü c k e n d e r ist es a b e r , einen M e n s c h e n zu f i n d e n , d e r die g e h e i m s t e n R e g u n g e n u n s e r e r S e e l e erlauscht und u n s d a s Heilige, E w i g e vom Zeitlich-Verg ä n g l i c h e n s o n d e r n hilft. D i e Innigkeit z w e i e r H e r z e n b e r u h t g e r a d e d a r a u f , daß man in d e r S e h n s u c h t d e s a n d e r e n lebt und sie erlöst. D a s im Stillen G e b o r e n e , in d e r E i n s a m k e i t d e r S e e l e G e w a c h s e n e wird von d e r Welt selten f r e u d i g e m p f a n g e n ; denn T a g und Wirklichkeit sind laut und lärmend. S i e v e r l a n g e n , daß man sich dem Nächstliegenden o p f e r t ; und s o sind w i r oft g e n u g g e z w u n g e n , die E n e r g i e d e s G e i s t e s und d e s H e r z e n s an eine S a c h e zu v e r s c h w e n d e n , die u n s e r e r S e e l e f r e m d ist. D a n n bleibt e t w a s in ihr z u r ü c k , unbeteiligt, gleichsam f ü r den A u g e n blick t o t , d a s nicht in die Arbeit e i n g e h e n will — ich f ü r c h t e , es ist d a s b e s t e Teil u n s e r e r S e e l e . Wieviel W e r k e tun w i r o h n e die Liebe! Und dann e r k e n n e n w i r uns in ihnen nicht m e h r und f ü r c h t e n uns v o r ihnen. D a r u m ist es n o t , sich zuzeiten auf den W e g zu bes i n n e n , den w i r w a n d e r n w o l l e n : damit in a l l e m , w a s w i r d e n k e n , fühlen und tun, u n s e r e Z u k u n f t lebt. Und auch hier k o m m t uns d a s L e b e n e n t g e g e n , welches g r ö ß e r ist als d e r A u g e n b l i c k , i n d e m e s nie aufgeht. G e r a d e , w o es sich u n s e r e n W ü n s c h e n e n t g e g e n -
102
Stille Oedanken vom Leben.
stellt, w o es u n s schmerzlich a n s Herz greift, f o r d e r t es u n s auf, einmal die S u m m e u n s e r e s D a s e i n s zu ziehen und die F l ä c h e u n s e r e r Wirklichkeit zu ü b e r b l i c k e n . R e i n e n S e e l e n ist d e r S c h m e r z w i e ein Kristall, d e r d a s Licht ihres G e i s t e s in t a u s e n d F a r b e n leuchten läßt. E r ist auch w i e ein S p i e g e l , in dem alle B e s i t z t ü m e r d e r S e e l e sich s p i e g e l n , um sich selbst zu e r k e n n e n . Ich h a b e die stillen Herzen lieb, die sich in Glück und Leiden d e r Liebe vertrauen und nicht irre w e r d e n an den M e n s c h e n .
( S S
Gottesliebe ist Menschenliebe.
E
in
weilt tritt
Herz,
das
sich
in
der
Einsamkeit
entfaltet,
d e n n o c h oft den M e n s c h e n i n n i g s t v e r b u n d e n . nicht es
alles
überall:
auf
rauhen,
steilen
dir u n v e r m u t e t e n t g e g e n .
Handeln
i m m e r ein
Gebirgspfaden
Und w i s s e
Bekennen
ist
Echo
doch,
daß
und O f f e n b a r e n
der
S e e l e i s t ; w e n n auch die M e n s c h e n b l i n d s i n d , die W a h r heit
hat
es
gesehen.
Aber
G o t t , und G o t t ist Idee.
die letzte Wahrheit
ruht
J e m e h r g r o ß e , g u t e und
in
schöne
G e d a n k e n d e i n e S e e l e b i r g t , d e s t o m e h r h a s t du v o n ihm begriffen.
So
offenbart
ist
und
Gott
nie
das
endet;
Geheimnis,
und
Natur
das
und
sich
ewig
Menschenwelt
s i n d d e r s u c h e n d e n S e e l e nur W e g w e i s e r zum G ö t t l i c h e n . Im V e r t r a u t e s t e n wiederfinden; endliche sitzen
kann
dein
Herz
das ewige
Geheimnis
w e r a b e r d a s E n d l i c h e liebt, k a n n d a s U n -
nicht e r b l i c k e n ,
glaubt,
muß
es
und w e r d a s U n e n d l i c h e zu b e verlieren.
Auch
die
endlich
ge-
d a c h t e n G ö t t e r s i n d s t e r b l i c h : e w i g ist n u r d i e S e h n s u c h t , die sie erschuf.
Es
ist s c h l i m m ,
wenn
U n v e r n u n f t s e t z t , statt in die V e r n u n f t ; wenn Gott
man ist
kennbar. mehr
und
ihn
für
freilich
das
Zufällige
geheimnisvoll
Vielmehr
ist e b e n
mehr
der
kenntnis
zu
enthalten
zu s e i n .
und h a n d e l t ,
in
offenbaren Also
das seine doch
nur, i n d e m
wird Gott sichtbar
in
verantwortlich
genug;
theoretischen und
man G o t t d a s tut man
die
aber, macht.
aber
nicht
uner-
Art,
sich
immer
und s i t t l i c h e n
niemals
restlos
der Mensch
Er-
darin
erkennt
in d e r W i r k l i c h k e i t .
Die
v i e l e n G ö t t e r a b e r , die sich in d e r G e s c h i c h t e d e r M e n s c h heit f o l g t e n ,
suchten
und b e f e i n d e t e n ,
sind
nur
endlichten sittlichen Ideale ihrer Zeit g e w e s e n ; s i e
die
ver-
waren,
104
Gottesliebe ist Menschenliebe.
obgleich sie heute g e s t o r b e n sind, d e n n o c h ewig, w e n n sie d a s Göttliche dem menschlichen H e r z e n n ä h e r brachten. D a s W e r d e n d e i n e r S e e l e ist w i e d a s W e r d e n d e r Menschheit. Du n e n n s t d e i n e Irrtümer E r f a h r u n g e n und g l a u b s t dich am Ziel, w e n n du am A n f a n g stehst. Aber i m m e r aufs n e u e w i r s t du heimatlos, weil du die e w i g e Heimat nicht g e f u n d e n hast. Vergeblich e r s i n n s t du dir einen Gott, d e r f ü r dich handelt und d e n k t u n t e r dem vieldeutigen N a m e n d e r V o r s e h u n g . D e r G l a u b e , daß alles, w a s uns im L e b e n b e g e g n e t , v o r h e r bestimmt sei, ist d e s w e g e n zugleich s o tröstlich und s o schädlich, weil er d a s V e r a n t w o r t u n g s g e f ü h l lindert. D e r rechte Vors e h u n g s g l a u b e ist a b e r allein d e r G l a u b e an den endlichen S i e g d e s G u t e n , d e r a u s d e r F r e i h e i t d e r Vernunft g e b o r e n w e r d e n soll. Um diesen G l a u b e n in dir zu s t ä r k e n , s u c h e nur i m m e r den e w i g e n C h a r a k t e r d e r E r e i g n i s s e zu e r k e n n e n . Auch das, w a s klein e r s c h e i n t in den G e d a n k e n und H a n d l u n g e n d e i n e r Mitmenschen, k a n n s t du d i r g r o ß d e u t e n , w e n n du es als n o t w e n d i g e S t u f e in dem L ä u t e r u n g s p r o z e ß ihrer S e e l e a n s i e h s t . E h e r k a n n s t du j a die S c h ö n h e i t einer Landschaft in f i n s t e r e r Nacht e r k e n n e n , als den w a h r e n C h a r a k t e r e i n e s M e n s c h e n , w e n n du n u r auf s e i n e S c h w ä c h e n siehst. W e r i m m e r nur d a s G r o ß e und G u t e in seinen Mitmenschen sucht und a n e r k e n n t , m a g wohl oft enttäuscht w e r d e n ; er sieht d e n n o c h m e h r und richtiger als d e r s k e p t i s c h e P e s s i m i s t , w e l c h e r s e i n e n Blick an das V e r s i n k e n d e haftet. M e n s c h e n liebe kann die S e e l e w o h l friedlos, nie a b e r klein m a c h e n . Man kann s o g a r s a g e n , daß die Fülle o d e r d e r Mangel u n s e r e r Liebe zu den M e n s c h e n ein M a ß s t a b ist f ü r den Reichtum o d e r die Armut u n s e r e s H e r z e n s . Ist doch die Liebe eine R e d e G o t t e s zum menschlichen H e r z e n , daß es blühen und w a c h s e n soll. Ist denn nicht die E i n k e h r im M e n s c h e n die einzige Quelle all u n s e r e r F r e u d e n und L e i d e n ?
Oottesliebe ist Menschenliebe. Auch
in
bis sich
der
Natur
ist
alles
sich
105
fremd
das m e n s c h l i c h e H e r z sein e r b a r m t
b i n d e t : denn
nun
zum E w i g e n .
und
nimmt e s teil an d e r reinen
Freilich:
das u n n e n n b a r e
fühlt und e r g r ü n d e t nur der K ü n s t l e r .
feind,
und e s
H e r z d e r Natur
Wir anderen Ver-
standesmenschen haben j a
i m m e r nur ein B r u c h s t ü c k
wahrhaftigen
Natur,
unsere
problematisch
und v e r g ä n g l i c h .
stark
und
unser
kommenheit
und
Verlangen
der
Wirklichkeit
heftiger entzünden. mag,
die
Natur
Wäre
bleibt
unsere Seele
so
müßte
unsere
die
Kunst Welt
einem
dem
Gefühle
des
Ewigen
w i r ' s von ihr e m p f a n g e n .
nur
zu
Wir
be-
sollen ziehen,
O r t zum a n d e r e n g e h e n , o h n e Natur
um i h r e S e e l e zu b e f r a g e n . lieb
nur
Unvoll-
Gottsehnsucht
a b e r nicht w i e n e u g i e r i g e R e i s e n d e d u r c h s L e b e n die von
der
immer
Statt, w i e ' s a l l e i n e d e r K ü n s t l e r ver-
mit
schenken, wollen
Einheit
rein,
ver-
Sehnsucht
gewinnen,
wenn
wir
Wie können uns
um
und
wir
ihr H e r z
die nicht
kümmern! Weil restlos
unsere Begriffe verwirklichen,
deutlich
offenbart,
und
die
glauben
e s sei G o t t s c h o n
Handlungen
sich
doch
viele,
nie
Gefühle
so
e s sei die Idee
selbst,
mit d e r U n b e s t i m m t h e i t
des
G e f ü h l s und suchen d a h e r ein m y s t i s c h e s E i n s w e r d e n
mit
Gott.
Aber
Feigheit.
identisch
die I d e e
dem
beim
Das
bloßen
Gefühle
stehenzubleiben,
ist
o b j e k t i v e S e i n der Idee liegt d e n n o c h
im
B e g r i f f und d e r H a n d l u n g ; d a h e r kann
uns auch nur E r -
k e n n t n i s und W i l l e ihr wahrhaft n ä h e r
bringen.
Alles genommen
menschliche das
liebe entspringt. und w i r k s a m .
wird
krank
geboren,
aus-
e i n e , welches aus selbstloser
Menschen-
Und w a h r e L i e b e ist i m m e r
gestaltsam
D a s ist ein s c h l i m m e r T r u g , d e r uns
letzte Ziel w i e ein schildert.
Glück
das
formloses, ruhiges, tatloses Verharren
G r ö ß e will sich o f f e n b a r e n , S c h ö n h e i t
gesehen
und gefühlt, W a h r h e i t e r k a n n t und G ü t e empfunden w e r d e n .
Die Nacht geht durch den Wald
D
ie Dunkelheit füllte den Wald mit ihren Rätseln, und meine Schritte klangen seltsam in das ängstliche Schweigen. Glühwürmchen führten ein sonderbar Spiel auf: es war, als ob aus der Seele der Nacht geheime Wünsche und Gedanken aufleuchteten, sich suchend und fliehend, rastlos, hoffnungslos . . . Aber dann kam der Wind und schalt sie aus und jagte sie durcheinander; und in den Gipfeln der Bäume sprach eine vertraute Stimme trostvoll vom Ungewordenen, das wir alle suchen und lieben, und das größer ist als Freud' und Leid, von denen es uns erlösen wird. „Wenn nur der Mond käme", sagten die Bäume, „dann würdest du es auch sehen, wie wir es gesehen haben: denn es ist ganz nahe, aber die Finsternis hält es verborgen."
Da hat's wohl der Mond gehört und hat das Wolkentor geöffnet und in die Nacht geleuchtet. Ja, da sah ich, daß das Wirkliche Traum ist und der Traum Wirklichkeit. Oder war's nur in meinem Herzen, daß eine Welt geboren ward, in die alles Erlebte, Begriffene nicht passen wollte und die von ganz fremden Gestalten erfüllt war? Denn das kann doch kein Traum sein, sprach ich zu mir, was mit so reicher, reiner Liebe durch die Seele flutet. Nun ahnt' ich die tieferen Gedanken der Nacht, die in der Dämmerung schliefen; denn des Mondes silberne Himmelsboten drangen kühn in das verborgene Geheimnis. Sucht denn nicht alles sich hier? Atmet nicht ein Geist des Wachsens und Werdens in allen Bäumen und Sträuchern?
Die Nacht geht durch den Wald.
107
Und w a s ich s o fern, so fern geglaubt, daß ich mich darin nicht w i e d e r f a n d , umgibt mich vertraulich. Ich bin nicht mehr einsam. W e n n n u r d e r T a g nicht w i e d e r alles v e r s c h w i n d e n macht! E s ist ein n a c h t g e b o r e n e s Glück, und d a s Licht d e r S o n n e ist g r a u s a m . Bei ihren heißen K ü s s e n s t e r b e n die seligsten W ü n s c h e . F o r t s c h r e i t e n d den P f a d d e s Zeitlichen, w i e w a n d e l n sich doch die G e s t a l t e n d e s L e b e n s ! W i e K ö n i g s k i n d e r , in g o l d d u r c h w i r k t e n K l e i d e r n , zogen die W ü n s c h e d e s H e r z e n s a u s ; a b e r sie k e h r e n zurück, gehüllt in die g r a u e n G e w ä n d e r d e r E n t t ä u s c h u n g , bettlergleich, dem e i g e n e n Hoffen unkenntlich. Da sie von uns g i n g e n , zitterte die Lust d e s L e b e n s in ihrer S t i m m e ; nun haben sie die S p r a c h e d e s T o d e s gelernt. M ö g e n sie d a h i n f a h r e n ! D a s E w i g e hat sich d a s H e r z gerettet. Die G o t t e s l i e b e v e r welkt und stirbt nicht mit ihnen. S i e ist ein W u n s c h zum G u t e n , d e r rein und v e r t r a u e n d wie ein liebes Kind durch die S e e l e hingeht. W e r pflückt denn E r f ü l l u n g , w i e b u n t e B l u m e n , auf den f r u c h t b a r e n Auen d e s L e b e n s ? Wem nicht die W i e d e r g e b u r t d e r r i n g e n d e n Kraft E r f ü l l u n g gibt, d e r muß e w i g e n t b e h r e n . G l a u b e den S t i m m e n nicht, die dich v e r w i r r e n und mutlos machen, indem sie dir s a g e n : es ist zu s p ä t , du hast dich v e r g e u d e t ! E s ist nie zu spät, nichts ist v e r l o r e n : denn du atmest noch, d e i n e S e e l e fühlt noch die F r e u d e n und Leiden d i e s e r Welt, und du t r ä g s t die S e h n s u c h t zum E w i g e n in dir . . . Nun w a r ich an eine Lichtung g e k o m m e n , die das H e r z d e r Nacht b a r g : denn hier flutete d a s Mondlicht so hell, wie d e r s t a r k e G l a u b e d e r S e h n s u c h t in den Herzen d e r M e n s c h e n . Und wie die Nähe eines lieben F r e u n d e s die H o f f n u n g s t a r k und sicher macht, s o g e s c h a h mir: ich e r k a n n t e die S c h w ä c h e der V e r z w e i f l u n g , die nach R u h e verlangt, und g a b selbst meinen Leiden f r e u n d l i c h e Namen. Und die Liebe rief nach dem L e b e n . . .
108
Die Nacht geht durch den Wald.
W e n n a b e r die W o l k e n am Antlitz des M o n d e s vorü b e r z o g e n , w a r f e n sie Schatten auf die W i e s e : d u n k l e A b b i l d e r i h r e r hohen H e r r l i c h k e i t , die sich g e b ä r d e t e n , als hätten sie die S e e l e des Himmels in sich aufgen o m m e n : sie reckten sich und s t r e c k t e n sich, z o g e n sich z u s a m m e n und d e h n t e n sich aufs neue. S i e w u ß t e n nicht, daß sie s t e r b e n m ü s s e n , w e n n der M o r g e n w i n d bläst und sich die W o l k e n da d r o b e n auflösen in d a s s e l i g e Licht d e s e r w a c h e n d e n T a g e s . W a h r e dich, Seele, d a ß du nicht eingehst in S c h a t t e n t r ä u m e d e s L e b e n s !
(25)
Vom Leben und Sterben der Seele.
W
ir b e s t a u n e n und beklagen die Vergänglichkeit, die u n s umgibt, und t r a g e n sie doch in e i g e n e r S e e l e . W i e oft m ü s s e n wir nicht u n s e r e Wirklichkeit neu erb a u e n , w e n n die vertiefte S e h n s u c h t in neuen Leiden und F r e u d e n u n s e r e r B e g r i f f e spottet. D e m Ich entf r e m d e n w i r uns, w i e wir uns dem S e l b s t n ä h e r n : wir hatten u n s e r G e m ü t an ein Glück, an eine H o f f n u n g geh ä n g t ; u n s e r H e r z in eine Wirklichkeit g e b e t t e t , die d e r S t u r m der Zeit v e r w e h t . A b e r die S e e l e lebt und sehnt sich, muß s o r g e n und r i n g e n ; und in d e r e w i g e n Selbstv e r w a n d l u n g wird d e r S o m m e r u n s e r e s D a s e i n s zum Herbst. Wir b e l e b e n diesen g r a u e n S c h a t t e n u n s e r e r Seele, d i e V e r g a n g e n h e i t , und f ü r c h t e n u n s vor ihm wie vor einem G e p e n s t . A b e r j e h ö h e r die S o n n e u n s e r e s Willens und u n s e r e r S e h n s u c h t s t e h t , d e s t o g e r i n g e r wird j e n e r Schatten. Und d a s tiefste W e s e n u n s e r e r S e e l e ist doch d e r F r ü h l i n g . Die Hüllen d e s Irrtums lösen sich nur mählich vom Edelstein d e r W a h r h e i t , und w i r m ü s s e n noch durch viele P f o r t e n d e s Übels schreiten, e h e w i r am T h r o n e des a b s o l u t Guten s t e h e n ; a b e r die S ü n d e selbst leitet uns zu s e i n e n S t u f e n . D i e stillen L e i d e n , von denen w i r nicht s p r e c h e n d ü r f e n ; die S o r g e n , d e r G r a m , die w i r in die heimlichsten Winkel d e s H e r z e n s v e r b e r g e n , daß sie d a s Tageslicht nicht s e h e n , g e r a d e sie sind es, w e l c h e u n s e r e S e e l e reif m a c h e n . G o l d e n e Schatten k e n n ' ich, die d a s E w i g e in die Zeit w i r f t : w e n n ein hoffend H e r z e n t s a g e n muß und doch fröhlich bleibt.
1 10
Vom Leben und Sterben der Seele.
Es
ist
die
kleinen
und
ein
heimlich
Jammern
Herz!
Lobsingen
Englein
Gottes;
wie
Acht
es
aus
der
nicht,
es
in
und
Lärmen
und
will.
Rauschen
umklammert leisen
sind
des
das B i l d Stimmen
Klagen
nur
Tapfer,
die
mein
Schwingungen
und L e i d e n
ihres D a s e i n s
D u weißt nicht, daß in all
nur das H e r z v e r n e h m e n die
wären's
Unterwelt.
d e i n e r S e e l e , die die F r e u d e n tönt und g e n e s e n
der Luft, a l s doch auch ein
Lebens
kann.
eine
Stille
die
D i e L i e b e zum S c h ö n e n
des U n v e r g ä n g l i c h e n der
dem
ist,
Zukunft.
Die
und
begreift
Zukunft
ist
ge-
r e c h t e r als die G e g e n w a r t : s i e tötet den Irrtum und
die
S ü n d e und läßt nur die W a h r h e i t und das G u t e und das ist die G e r e c h t i g k e i t Selbstsehnsucht
ist
das
bestehen;
Gottes. Leben:
ein
Hinstreben
zur
G e s t a l t u n g der e i g e n e n S e e l e und ein I n n e w e r d e n u n s e r e s Wesens.
Und
bist d u ?
wenn
dich
die
Menschen
fragen:
wer
S o a n t w o r t e i h n e n : der ich sein w e r d e !
die E w i g k e i t
deines W e s e n s
Denn
liegt in d e r Zukunft.
Aber
die S e h n s u c h t nach der I d e e ist nicht frei von S c h m e r z e n : denn und
wir wir
sehen,
müssen streuen
dessen
uns
aufgeben,
den
Samen,
Frucht
man
kann
ten,
Werdenden,
auch
wir
um
nicht
Heimweh
uns zu
dessen
haben
Wahrhafteren:
Blüte
pflücken ist
nicht
sollen.
nach dem das
gewinnen, wir
Aber
Nie-Geschau-
die
Liebe
zur
Idee.
Ist all e i n e H e i m k e h r , das L e b e n und das S t e r b e n .
Denn
w a s w i r an W a h r h e i t e r k e n n e n und w a s w i r G u t e s
schaffen,
das
ist
unser
Selbst.
Heim in der Z e i t l i c h k e i t , der E w i g k e i t . danken deine
Wohin
du
richtest, da wirst Seele.
darinnen
Ersticke
deinen
So
bauen
Willen
unser
und d e i n e
du e n d i g e n : denn deine
wir
w i r w o h n e n s o l l e n in
Seele
Ge-
in ihnen ist
nicht;
wer
immer
am V e r g ä n g l i c h e n , am Z e i t l i c h - E n d l i c h e n haftet, kann sich nicht
aus
sein
Herz
Barke
dem mit
Strom dem
des
Werdens
Unendlichen
retten.
erfüllt,
Wer
fährt
in
der W a h r h e i t s i c h e r ins R e i c h der E w i g k e i t .
aber der Ein-
Vom Leben und Sterben der Seele. samen
Herzens
antwortet
zuweilen
die S t i m m e der
k u n f t : ich w e r d e s e i n , w a s du j e t z t Du
mußt
wissen,
daß
du
1 11 Zu-
bist.
das Leben und seine
Er-
e i g n i s s e nicht b e z w i n g e n u n d z u m S e g e n g e s t a l t e n k a n n s t , wenn
du
Tiefen
d e i n e r S e e l e v o r d e r B e r ü h r u n g mit d e r
wart
dem
Schmerz
verschließen
die
Menschen
der
Menschheit.
aus
willst.
lieb;
ist
gehst
und
rechter Qottesstreiter
die
Idee G o t t e s
ebenso
falsch,
ist
Die
Empfindungen,
hat
die
das
Idee
Leben
l a s s e n , als sich ihm b l i n d l i n g s zu e r g e b e n : m a n leiten.
die
Gegen-
Ein
denn
Es
dem W e g e
zu
muß es
Gefühle, Begehrungen,
die
durch u n s e r e S e e l e rauschen, muß der G e d a n k e befestigen zum Sein.
Wer seine Gefühle wie Sturmvögel
davonfliegen Wenn daß
du
du
dich
es
Blumen so
bist,
dich
doch
sich
suchen
Du
um:
dich,
f ü h l s t dich
du
bist
ja
nicht reif f ü r d i e L i e b e ?
der Welt,
ihrer
dein am W e g ,
Herzen
Liebe.
fühlst in
der
im W i n d
bald in e i n e r t o t e n W e l t
fremd
harren
viele
ihrer
läßt, wird
so
leben.
bedenke,
e n t f r e m d e t hat.
Soviel
a b e r du s i e h s t s i e
nicht;
aber
du v e r s c h l i e ß t
verstoßen? nicht
Wenn
allein! du
dich
Aber so Oder
ein
sieh
bist
schweres
du
Herz
im B u s e n t r ä g s t u n d leidest a m L e b e n , k e h r e dich nicht von
deinen
doppelt
Brüdern;
den
Gram.
denn
verlassene
Der Stern
Einsamkeit
des Vertrauens
ver-
scheine
in d i e K a m m e r d e r T r ü b s a l , u n d d i e Z u v e r s i c h t d e s Z u künftigen
lasse
anderes,
was
ihnen Zutrauen ö f f n e t alle Das
unser
uns
Herz
die
genesen.
Menschen
Was
gewinnt,
und Liebe z e i g e n ?
ist's als
denn
daß
wir
Ein w e n i g I n n i g k e i t
Herzen.
Köstlichste
ist, w e n n
die
Seele
sich
s e l b s t b e s i n n t u n d sich i h r e r K r a f t b e w u ß t w i r d B e w ä l t i g u n g v o n Lust und Leid. diese
Geburt
lebst,
wenn
der du
Seele ihr
erleben,
Gemüt
in
auf in
sich der
Du kannst tausendfach wenn deines
du
in
anderen
verpflanzt,
ihre
H o f f n u n g e n zu d e i n e n H o f f n u n g e n , i h r e L e i d e n zu e i g e n e n
112
Vom Leben und Sterben der Seele.
Leiden machst. Siehe, deine Seele ist wie eine Wolke im Wind, wenn du nicht an die Menschen glaubst; dein Herz wie ein ausgetrockneter Brunnen, wenn du dich von der Liebe kehrst. Aber es gibt Seelen, die sind wie vergessene und verlassene Gärten. Sie bergen tausend Geheimnisse; Schönheiten, die niemand sieht, Laubgänge der Freundschaft, Springbrunnen der Begeisterung, und weite grüne Rasen der Hoffnung. Rosen blühen da, rote Rosen der Liebe und weiße des Kummers. Aber niemand kommt, der die Herrlichkeiten schauen mag. Die Welt sieht nur das eiserne Tor und die hohe Mauer von Stein, die sie umgibt. Bis ein junges, frisches Menschenkind ihnen mit heißer, v e r t r a u e n d e c L i e b e entgegenkommt; da öffnet sich das Tor. Und zwischen ihren Herzen ist eine Zwiesprache Gottes. Als die Seele sich von der Liebe scheiden mußte, da schenkte ihr Zeus die ersten Tränen; und Psyche weinte, und aus dem Tau ihres Auges ward Lethe, die Quelle der Vergessenheit. Und abermals weinte Psyche, als sie sich wieder der Liebe vereinte: da ward aus ihren Tränen der Quell der Begeisterung, aus dem die Dichter trinken. Die Menschen wissen nicht mehr, was Tränen sind. Sie vergeuden ihre Tränen wie ihre Freuden. Nur selten leitet die Freundschaft und die Sehnsucht noch ein dürstend Herz zum Quell der Begeisterung. Weißt du, w o die Sehnsucht wohnt? Sie erbaut ihre Hütte im Dorfe der Verlassenen und wandelt die Straße der Einsamen; sie entzündet ihr Feuer auf dem Herde der Hoffenden und meidet die Verstoßenen nicht. Und wenn sie eine Heimat hat, so ist's keine; sie muß wandern und wandern, bis die S o n n e des Lebens sinkt. E
S