Aus Traum und Wirklichkeit der Seele: Stille Gedanken aus einsamen Stunden [2. Aufl. Reprint 2019] 9783111550565, 9783111181264


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VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
INHALTS-VERZEICHNIS
Aus Traum und Wirklichkeit der Seele
Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen Selbstes
Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen
Vom Vergänglichen und Ewigen
Sehnsucht und Entsagung
Aus den Bergen
Von der Liebe
Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit
Der Einzelne und das Dasein
Von der Heimat unseres Herzens
Trostgedanken
Natur
Stille Gedanken vom Leben
Gottesliebe ist Menschenliebe
Die Nacht geht durch den Wald...
Vom Leben und Sterben der Seele
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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele: Stille Gedanken aus einsamen Stunden [2. Aufl. Reprint 2019]
 9783111550565, 9783111181264

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Aus Traum und Wirklichkeit der Seele •





Stille Gedanken aus einsamen Stunden von

Walter Kinkel

Zweite Auflage

w Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) : : Gießen 1921

Druck von C. G. Röder 0 . m. b. H., Leipzig.

884620.

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Gleich meinem a n d e r e n W e r k c h e n „ V o m Sein und von d e r S e e l e " ist auch d a s v o r l i e g e n d e Büchlein aus vereinzelten Aufsätzen e n t s t a n d e n , die teilweise schon in v e r s c h i e d e n e n Zeitschriften e r s c h i e n e n w a r e n . Inhaltlich dient es dem o b e n g e n a n n t e n Schriftchen z u r E r g ä n z u n g und E r l ä u t e r u n g . D a f ü r , daß ich mit den in beiden Büchern a u s g e s p r o c h e n e n G e d a n k e n weiten Kreisen in ihrem R i n g e n mit den P r o b l e m e n d e s L e b e n s helfen k o n n t e , zeugt d e r Umstand, daß d i e s e Schriften in diesem J a h r e beide in neuer Auflage e r s c h e i n e n dürfen. M ö g e n sie sich zu den alten recht viele n e u e F r e u n d e e r w e r b e n ! E s schien mir nicht a n g e b r a c h t , am Inhalt viele Ä n d e r u n g e n zu treffen. In d e r F o r m , w i e sie zuerst erschienen s i n d , haben sie g e w i r k t und L e s e r g e w o n n e n ; auch darf ich s a g e n , daß ich selbst an den G r u n d g e d a n k e n , die darin enthalten s i n d , mit g a n z e m Herzen festhalte. Gießen, Winter 1920

Walter Kinkel

INHALTS-VERZEICHNIS Seite

Aus Traum und Wirklichkeit der S e e l e Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen S e l b s t e s

5 13

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen

50

Vom Vergänglichen und Ewigen.

56

Sehnsucht und Entsagung

60

Aus den B e r g e n

65

Von der Liebe

70

Oedanken über Notwendigkeit und Freiheit

74

D e r Einzelne und das Dasein

83

Von der Heimat unseres Herzens

87

Trostgedanken

92

Natur

94

Stille Gedanken vom Leben

98

Oottesliebe ist Menschenliebe

103

Die Nacht geht durch den Wald

106

Vom Leben und Sterben der S e e l e

109

gm

Aus Traum und Wirklichkeit der S e e l e .

M

anchmal redet das Gefühl aus unserer Seele wie im T r a u m : verworrene, trauliche Worte, die wir nur halb zu deuten wissen und bereits vergessen haben, wenn das Licht der Erkenntnis aufgeht. In solchen Stunden scheint uns alles fremd und fern, was uns umgibt, und wir warten auf etwas, wie auf ein Schicksal. Aber es schwächt die Seele, sich diesem Traumreich hinzugeben, denn es grenzt an das Reich der Lüge. Die irre Sehnsucht der schweifenden Seele, das wunschreiche Verlangen des trunkenen Herzens führt uns schmeichelnd dem Nichtsein zu und entfremdet uns der Wirklichkeit. Wir schließen unsere Augen gegen alles, was nicht in die Welt unserer unbegriffenen Wünsche paßt; das trugvolle Gefühl des Scheines und der Unwirklichkeit wächst in demselben Maße, als sich das Gemüt dem verführerischen Spiel der dumpfen Gefühle hingibt. Endlich aber stellt uns die Notwendigkeit des Seins doch vor die Forderung, unsere Existenz zu behaupten: dann weiß die verwirrte Seele kaum noch den Weg im hellen Tageslicht zu finden. Aber auch in der Geburtsstunde einer neuen seelischen Wirklichkeit, ehe die Begriffe sich klären und den Empfindungen und Gefühlen objektive Gestalt verleihen, durchleben wir eine Zeit der Ahnungen und Unwirklichkeit, schwebend zwischen dem Versinkenden und Werdenden. Denn alles Wachsen und Auferbauen ist auch ein Sterben, Versinken und Zerstören. Und oftmals scheinen wir uns selber fremd, wenn verwehte Wünsche im Herzen wieder auftauchen, an die wir einstmals unser ganzes Dasein

6

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

g e k e t t e t g l a u b t e n , die a b e r dann durch e i n e t i e f e r e E i n s i c h t oder

stärkere

fühlen

wir

Gedanken

Leidenschaft

plötzlich haben

verdrängt

die Neugeburt

ein L e b e n

der Menschheit.

wurden.

Dann

unserer Seele.

Die

im G e m ü t , w i e w i r s e l b s t in

S i e wirken

in der J u g e n d

und

entzün-

den H o f f n u n g und S e h n s u c h t ; s i e reifen und erfüllen

den

R a u m u n s e r e r I n n e n w e l t mit W ä r m e und L i c h t ; s i e altern und

sterben.

sich, und

Mancher

er

trägt

gestorbene

b e t e t s i e an w i e

Gedanken

der Götzendiener

mit

dürres

H o l z : s i e a n t w o r t e n nicht s e i n e n F r a g e n , s i e n e h m e n nicht teil an s e i n e r S e h n s u c h t . ganze Kraft ums L e b e n

V i e l e M e n s c h e n h ä n g e n s o ihre

ans Versinkende:

es

sind

tote Seelen,

die

kämpfen.

S i n d nicht L e i d und Lust M y s t e r i e n u n s e r e s W i e k ö n n t ihr s i e zu G ö t t e r n m a c h e n ?

Daseins?

E i n e Leidenschaft,

d e r w i r s e l b s t ä n d i g e s L e b e n v e r l e i h e n , i n d e m w i r uns ihr unterordnen, geht

der

unserer

führt

Welt

uns a u s

verloren.

Gefühle,

der Wirklichkeit Wir

Wünsche

sind

und

nicht

Gedanken:

M e n s c h h e i t hat Anteil d a r a n ; s i e wird e i n s t fordern. unserer

F r e i l i c h , wenn Seele

geben

Gnadenbrot, verderben Ist

doch

nichts

nicht v e r s c h e n k t

im

wir

wie

Reiche

s i e uns noch unser

die die

dem

unter

eigen,

und

ganze

Rechenschaft

den M e n s c h e n

der

Herzen

heraus

Alleinbesitzer

Schätze

Bettler den

das

Händen.

solange

wir's

haben.

Mit dir und d e i n e r S e e l e w a n d e r t dein S c h i c k s a l : die M e n s c h h e i t ist d e i n e Heimat, und du bist nicht zu H a u s e in

deinem

Herzen,

wenn

du

nicht

in

anderen

W a s w i r nicht lieben, b l e i b t uns f r e m d ; w a s w i r wird

unser.

bleiben

Nun

sieh

zu,

ob

du

ewig

o d e r dir ein H e i m g e w i n n e n

ein

wohnst. lieben,

Fremdling

willst.

M a n c h m a l , w e n n w i r die R e i c h e n d e r W e l t v e r g e b l i c h um

ihre S c h ä t z e

bitten,

tritt

ein

arm Bettelkind

hinter

der H e c k e h e r v o r und s c h e n k t uns die K r o n e d e s L e b e n s . Als ich das v e r l o r , w a s ich für das B e s t e m e i n e s D a s e i n s

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

7

hielt, hab' ich in einem W i n k e l c h e n m e i n e s H e r z e n s m e i n e ganze Zukunft gefunden. Die Scheu, sich frei h i n z u g e b e n , e n t s p r i n g t bei vielen M e n s c h e n aus dem B e w u ß t s e i n , noch nicht innerlich reif zu sein. Wir sind freilich alle in k e i n e m M o m e n t e d e s L e b e n s am E n d e mit d e r E n t f a l t u n g u n s e r e r S e e l e , und w e r im B e s i t z e d e r absoluten göttlichen W a h r h e i t zu sein glaubt, umgibt die e w i g e J u g e n d s e i n e r S e e l e mit K e r k e r m a u e r n : a b e r es ist d a s Leiden z a r t e r G e m ü t e r , diese stetige Unfertigkeit i m m e r s c h w e r e r e m p f i n d e n zu m ü s s e n a l s die F o r t s c h r i t t e , die ihr W e s e n auf dem W e g e zum S e i n g e m a c h t hat. Auch sind sie im Recht, s o l a n g e sie ihre Z u r ü c k h a l t u n g d e r Welt nicht e n t f r e m d e t : die tiefsten G e h e i m n i s s e d e i n e r S e e l e sollst du nur den B e s t e n anv e r t r a u e n ; denn w e r sie leichtfertig anfaßt, wird ihr Gold zerbrechen. A b e r d e r d a u e r n d e Zweifel ist im G r u n d e ein Fliehen d e r S e e l e v o r sich s e l b s t ; und w e n n die E r k e n n t n i s sie nicht einholt, hört auch die Flucht nicht auf. D e r S k e p tiker läuft s e i n e r S e e l e nach, und weil e r sie nicht f a s s e n kann, leugnet er sie schließlich. D a n n will er die a n d e r e n M e n s c h e n auch um ihre S e e l e b e t r ü g e n . Überall im Leben suchen w i r uns s e l b s t ; denn alles, w a s nicht a u s d e n Tiefen u n s e r e s e i g e n e n G e m ü t e s g e b o r e n w i r d , ist feindliches Schicksal. Nicht von ä u ß e r e n D i n g e n d ü r f e n wir u n s e r Glück e r w a r t e n , w i e die S t e r n g l ä u b i g e n , die sich von d e n A s t r o l o g e n ihren Lebenslauf b e r e c h n e n lassen; s o n d e r n w i r müssen die Welt mit u n s e r e r S e h n s u c h t b e s c l i e n k e n , s o b e r e i c h e r n wir auch unser eigenes Gemüt. Birgt ein G e d a n k e o d e r ein Ereignis eine Wahrheit in sich, s o m ü s s e n w i r sie lieben und u m w e r b e n . D e r L ü g n e r verspottet s e i n e e i g e n e Seele, die in d e r W a h r h e i t und E w i g k e i t w o h n t . Vor der T ü r e d e i n e s H e r z e n s stehen die W ü n s c h e d e i n e r S e h n s u c h t : B e t t l e r und K ö n i g e , F ü r s t e n und D i e b e ; a b e r m a n c h e r

8

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

König kommt im Gewände des Bettlers, mancher Dieb ist fürstlich angetan. Die Wahrheit mag oft schmerzlich sein: sie birgt dennoch allein den Frieden unserer Seele. Man sagt: das Schicksal kümmert sich nicht um Tugend und Wahrhaftigkeit, es zermalmt den Gerechten wie den Bösen. Aber dies Schicksal ist eben die Schuld der Menschheit und zugleich auch das Problem, das mit der reineren und kräftigeren Entfaltung mehr und mehr verschwinden wird. Wo die Erkenntnis und der Wille hinreichen, da stirbt das Schicksal. J a , es wird sterben. Zeiten der geistigen Reaktion dürfen nicht irre machen. Man kann sagen: die Entwicklung der Menschheit gleicht einer Springprozession: zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. Aber freilich, das Sein ist unendlich, die Idee wohnt in der Ewigkeit. An keinem endlichen Zeitpunkt wird Wahrheit und Recht restlos verkörpert, die Entwicklung der Menschheit abgeschlossen sein. Und so gilt's auch für das Leben des Einzelnen: seine Seele ist nie fertig. Der G e s a n g des Lebens tönt aus den Werken der Suchenden, aber die. Stimme des Todes klingt durch die Taten der Selbstsicheren, Vollendeten. Nur wer recht lebhaft den Mangel seiner Seele empfindet, dem wächst auch die Kraft, welche den Reichtum gebiert. Wenn aber deine Seele gesättigt ist und will dich nimmer begleiten — so weise sie von dir und zeuge dir eine neue, schönere, welche Sehnsucht kennt und dich wandern heißt. Sogar ist jede gestillte Sehnsucht und jeder erfüllte Wunsch zugleich immer ein Verlust und ein Tod der Seele, wenn ihr nicht daraus ein neues, kräftigeres Verlangen erwächst. Der sittliche Fortschritt des Einzelnen besteht nur darin, daß er sein Begehren immer mehr dem Unendlichen, Ewigen zuwendet und vom Vergänglichen abkehrt. Das ist aber der Segen des Leides: das Glück sättigt, das Leiden erweckt die Seele. Du weißt nicht um deine Seele, solange das Leid sie

9

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele. nicht b e r ü h r t h a t ; du k e n n s t d i e H e i m a t d e i n e s nicht,

wenn

dein W u n s c h

Endlichkeit. süchtigen

Ich g i n g

Wesens

in

und

Herzens

s t i r b t im A r m e d e r Z e i t der Dumpfheit

wußte

nicht,

meines

und

selbst-

w a s in m i r ist;

da

b e u g t e sich d a s Leid ü b e r m e i n e S t i r n e u n d k ü ß t e mich, daß

ich e r w a c h t e ,

Seele. den

und

s e i n K u ß b r e n n t heiß in

K e n n t e ich d e n g ü l d e n e n

die

Sorge

nicht

eindringen

meiner

Palast

d e r T r ä u m e , in

kann,

ich

würde

ihn

m e i d e n ; w ü ß t e ich d e n W e g z u r H ü t t e d e s F r i e d e n s , in d e r e s k e i n e S c h m e r z e n gibt, ich w o l l t e ihn nicht w a n d e r n . W a s weiß der von Herzensfreude, der nie am Leben gelitten

hat!

Die

Stimme

der

Not

und

die Stimme

des

G l ü c k s lebt in d e r S e e l e d e r K ä m p f e n d e n ; u n d w e m d i e eine schweigt, der versteht die a n d e r e nimmermehr.

Ver-

achte

lasse

dich

nicht d a s L e i d , nicht,

du

s o n d e r n s p r i c h zu i h m :

segnest

mich

denn!

In

der

ich

Einsamkeit

w a r ich m i r nah, d a z o g e n d u r c h m e i n e S e e l e d i e G e i s t e r d e r ungestillten W ü n s c h e und die Gestalten d e r erduldeten S c h m e r z e n ; a b e r ich f ü r c h t e t e mich nicht m e h r , d e n n ich hatte ihren Sinn begriffen. An j e d e m des Seins

Erlebnis

kannst

nur mit

durchdringst

aber

du

Unendlichkeit ihm

erfüllst.

werden:

du d i r d e r

d a s e n d l i c h e Teil d e i n e r S e e l e d e r E w i g k e i t , d a s du Bewußtsein

bewußt

rettest

in

u n d mit d e i n e m g a n z e n

Wesen

S i e h zu, o b d i e W o r t e , d i e du s p r i c h s t , u n d d i e

H a n d l u n g e n , d i e du v o l l f ü h r s t , zu d i r z u r ü c k k e h r e n ,

oder

ob sie dir fremd w e r d e n , sobald sie d a s H a u s ihrer Geburt

verlassen

haben;

du m u ß t in d e i n e n W e r k e n

w i e d e i n e W e r k e in dir.

leben

W i e oft e r k e n n s t du die W i r k -

lichkeit d e i n e r G e d a n k e n erst, w e n n du s i e in d i e F r e m d e geschickt hast; aber dann bedenke, ob es noch deine Wirklichkeit ist u n d o b du an ihr w a c h s e n k a n n s t . wir zum Guten und Wahren gestalten, lichkeit, a b e r

wir

Das,

ist u n s e r e

umfangen das Nichtsein,

was Wirk-

als hätte

es

L e b e n , u n d o p f e r n e i n e m G o t t , d e r k e i n e S e e l e hat.

Ist

10

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

doch G o t t nicht a u ß e r uns, s o n d e r n d a s Ziel u n s e r e r S e h n sucht. W e n n w i r es n u r v e r m ö c h t e n , in all u n s e r e n W e r k e n voll und g a n z g e g e n w ä r t i g zu sein, daß sie aus u n g e t e i l t e r S e e l e g e b o r e n w ü r d e n — u n s e r W e g zu G o t t w ü r d e s c h m e r z l i c h e r , a b e r auch r e i c h e r und k ü r z e r sein. Alle Begriffe, die nicht vom Letzten d e i n e r S e e l e Besitz e r g r e i f e n , bleiben auf d e r S t u f e d e r bloßen V o r s t e l l u n g stehen. V e r t r a u e dein G e m ü t d e r W a h r h e i t an, w e n n du teilhaben willst an d e r G e b u r t d e s G ö t t l i c h e n , und bew a h r e dir die D e m u t d e r E r k e n n t n i s . D e n n im G r u n d e g e n o m m e n ist e s immer die Wahrheit, die sich selbst erkennt. W e r - d a s Göttliche in d e r Wirklichkeit s e i n e r S e e l e nicht findet, d e r soll b e d e n k e n , daß die Wirklichkeit s e i n e r S e e l e nicht s e i n e g a n z e S e e l e ist. W i r ringen mit d e r U n r a s t u n s e r e r S e e l e um G o t t e s R u h ' . D e n n als einen G a r t e n des F r i e d e n s und d e r R u h e d e n k e n w i r u n s d a s Sein der Idee, dem w i r z u s t r e b e n : er w ä r e u n s nicht zum S e g e n . D a ß die Menschen sich den T r a u m e i n e s v e r l o r e n e n P a r a d i e s e s e r s o n n e n haben, ist ein B e w e i s ihrer B e s t i m m u n g zum G u t e n : ein W i e d e r e r i n n e r n ihres w a h r h a f t e n W e s e n s . A b e r sie s p r e c h e n die S p r a c h e d e r K i n d e r und D i c h t e r : Blühet ein e w i g e r F r ü h l i n g , hinter g o l d e n e n Gittern leuchten viel r o t e und blaue B l u m e n und ein e w i g h e i t e r e r Himmel d r ü b e r hin — du schreitest w i e ü b e r die S t e r n e ; d e r O d e m G o t t e s weht dir d u r c h s H e r z und du weißt nichts vom W i r k e n der Stunde. D a klingt d e i n e S e h n s u c h t w i e G l o c k e n geläut in die e w i g e Stille a u s . . . S o m ö g e n die Dichter träumen. A b e r die E w i g k e i t ist nicht j e n s e i t s d e r Zeit als d e r e n R u h e und Stillstand, s o n d e r n in d e r Zeit und im W i r k e n , Wollen und Leiden. Weil d a s Sein unendlich ist, s o ist auch un$er W e g zu G o t t unendlich. Wir g e h e n oft mit allen Kräften u n s e r e r S e e l e und d e r s c h w e r e n S e h n s u c h t u n s e r e s H e r z e n s e i n e m endlichen Ziele nach, weil w i r g l a u b e n : in ihm sei die e w i g e Liebe

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

11

g e b o r g e n , nach d e r w i r alle d ü r s t e n . Und w e n n w i r ' s e r r e i c h e n , s o sehen w i r , wie tot d a s alles ist und verg a n g e n , und w i e w i r uns selbst nicht v e r s t a n d e n h a b e n . D i e s ist auch ein G e w i n n : denn w i r haben uns verwandelt, w o l l e n hinfort nicht m e h r besitzen und g e n i e ß e n , s o n d e r n suchen und schaffen. Und ein Stücklein Liebe lacht uns e n t g e g e n , w o wir's nicht h o f f t e n . S o schenkt u n s die E r n ü c h t e r u n g eine i n n i g e r e B e g e i s t e r u n g . Die V e r w a n d l u n g e n d e r Welt sind im G r u n d e g e n o m m e n die Selbstverwandlungen unserer Seele. D e r Versuch d e s G e i s t e s , e i n e endliche F o r m d e r V e r n u n f t an Stelle d e r Idee zu s e t z e n , w i e e r überall vom D o g m a t i s m u s u n t e r n o m m e n w i r d , führt schließlich dahin, d a ß sich die V e r n u n f t in j e n e r F o r m selbst f r e m d w i r d : denn d e r Geist g e h t den P r o b l e m e n nach und läßt d a s G e w o r d e n e hinter sich. D i e Wirklichkeit ist nicht i m m e r d a , w o w i r sie zu s e h e n und zu fühlen g l a u b e n . E s gibt kein s o g e r i n g D i n g auf E r d e n , daß s e i n e Erk e n n t n i s d e r S e e l e nicht nützlich w ä r e , und die vers u n k e n e G l o c k e der e w i g e n L i e b e klingt dem S u c h e n d e n allüberall a u s dem M e e r e d e s L e b e n s . M a n c h e E r e i g n i s s e und E r l e b n i s s e w e r d e n a b e r erst in d e r E r i n n e r u n g u n s e r e i g e n : sie b e d ü r f e n d e r seelischen Einsamkeit, und ihr T o d ist ihre w a h r h a f t i g e Geburt. S o sollten w i r ü b e r h a u p t zuzeiten einmal die S e e l e z u r ü c k r u f e n , die am T a g e d e s L e b e n s wie ein Vogel umherfliegt von Ast zu A s t , und sie b e f r a g e n : hast du S c h ä t z e g e s a m m e l t f ü r die E w i g k e i t ? A b e r s o l c h e r Eri n n e r u n g f o l g e n e u e Ausfahrt. D e n n w i e A n t ä u s durch B e r ü h r u n g mit s e i n e r Mutter E r d e i m m e r w i e d e r neue K r ä f t e g e w a n n , s o bedürfen wie d e r B e r ü h r u n g mit dem L e b e n in Lust und Leid. D a s Leid leuchtet e b e n s o wie d a s G l ü c k : a b e r nicht j e d e S e e l e reflektiert seine S t r a h l e n . W e n n du in einem D i n g o d e r E r e i g n i s nur deine Vergangenheit wiederfindest oder deine G e g e n w a r t , so

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele.

12

verweile nicht was

du

meiner

zu l a n g e bei i h m : e s m u ß d i r v e r k ü n d e n ,

w e r d e n willst. Seele,

da

Ich

umfing die G e g e n w a r t

mit

ich

mir selbst

ich

ward

entfremdet;

b r a c h t e mein H e r z d e r Z u k u n f t d a r u n d h a b e mich w i e d e r gefunden.

E s v e r s i n k t alles, w a s du hast, w i e ein S t e i n

im M e e r , Zeiten und

und

sie waren

weit und dem

du

kannst

auffliegen aus

nicht h a l t e n .

lichten

Die

Ich s a h

Garten

w i e Vögel und breiteten

beschatteten

anderen.

es

dem

der

ihre Schwingen

das Land u m h e r ; und folgte einer

Menschen

aber wandelten

Schatten und achteten nicht, w o h e r sie kamen. schritten

ihnen

nach

Dunkelheit, und waren

ins

Reich

W a s ist d i e Z e i t ?

der

in

ihrem

Nein, s i e

Dämmerung

und

nur w e n i g e , die lockte der Glanz

der Zukunft, daß sie der Schar uns nah; wir sind

entgegengingen.

Wir nehmen

zusammen

Abschied und bleiben

u n d k e n n e n u n s nicht.

es denn die Zeit und der R a u m , w e l c h e die Seelen binden und

trennen?

die

Zukunft,

Ein W o r t , d a s

die

Liebe

Ist ver-

zu

dir

s p r a c h u n d du l i e b e n d e m p f i n g s t , g e h t n i m m e r v e r l o r e n . E s m a g w o h l v e r s i n k e n in d e m S c h a c h t d e i n e r S e e l e w i e in e i n e m tiefen B r u n n e n : a b e r d i e S e h n s u c h t w i r d ' s h e b e n , wenn

seine Zeit gekommen

ist.

M a n c h m a l vollzieht sich d i e V e r e i n i g u n g z w e i e r H e r z e n in e i n e r D ä m m e r u n g d e s L e b e n s , s o daß, w e n n d i e E r k e n n t n i s und das Wissen den wechselseitigen

Besitzstand

des Seins

enthüllt,

die H ä n d e schon verschlungen

und

schaden

auch

dann

die W i d e r s p r ü c h e ; aufgelöst, ehe

die

Kontraste

sind;

mehr

und

denn sie sind j a schon g e h o b e n

und

sie nur ausgesprochen

nicht

wurden.

Aber

es

ist a u c h h i e r nicht ein a u ß e r w e l t l i c h e s S c h i c k s a l , w e l c h e s die Menschen meinsame Gute

zusammenführt, sondern

Sehnsucht

Gedanken

nach

spiegeln

dem sich

in

Guten reiner

ihre und

eigene, dem

Seele

wie

geSein. die

S t e r n e im k l a r e n W a l d s e e ; u n d d o c h auch w i e d e r nicht, d e n n kein S c h i c k s a l s s t u r m w i n d v e r m a g ihr Bild zu t r ü b e n .

Von dem Begriffe Gottes und des sittlichen Selbstes. „Wenn ich dich, meinen Oott, suche, so suche ich das selige Leben. Ich will dich suchen, damit meine Seele lebe." Augustin. I. J e d e gute Tat ist eine E i n k e h r d e s Menschen bei sich selbst, und j e d e s Gottverlangen ein Ruf nach der e i g e n e n Z u k u n f t . Denn nicht a n d e r s k ö n n e n wir uns suchen o d e r finden, denn indem wir aus uns wirken im D i e n s t e der Menschheit. Wenn wir die Hand fahren lassen, die unser B r u d e r uns e n t g e g e n s t r e c k t , statt ihn a n s H e r z zu ziehen, s o verlieren wir auch an Boden u n s e r e s ewigen Seins. W a s suchen wir in Gott anderes, und w a s verlangen wir von ihm, als daß er dem Guten in uns zu d a u e r n d e r Wirklichkeit v e r h e l f e ? Aber das wird nicht a n d e r s g e s c h e h e n , als indem wir handelnd danach greifen. Denn Gott ist nicht außer d e r Vernunft und dem Willen, s o n d e r n w e n n wir das G u t e wollen, wollen w i r zu Gott. Und dies Wollen allein ist auch d a s E w i g e im Menschen, d a s die Zeit nicht zerstören k a n n . W e r sich von der Welt abkehrt, der soll wissen, daß er sich auch von Gott abkehrt. Nicht als o b die Welt schon göttlich, d. i. gut w ä r e , a b e r sie soll's w e r d e n , o d e r : Gott will wirklich w e r d e n . Und dies ist kein G e b o t , das dem Menschen f r e m d sei; denn w e r nur sein w a h r h a f t e s Selbst sucht, der g e w i n n t Gott. von

A b e r j e mehr wir Gott finden, desto weiter flieht er uns. W e r glaubt, er dürfe nun in R u h e sein und

14

Von dem Begriffe Gottes.

habe vollendet, solange er noch atmet, der kehrt sich von Gott und scheidet sich von sich selbst. Denn Gott ist Idee, d. h. eine ewige Aufgabe, die sich stets erneut. Und wessen Seele noch so reich ist an Wissen und Fühlen, der bleibt doch im Endlichen, und das Einzige, was darüber hinausreicht, ist der Wille, der das Unendliche sucht, denn er ist selbst unendlich, und die Erkenntnis, die über das Gegenwärtige hinausstrebt. Wer sein Selbst im Endlichen erstickt, indem er sich dauernd zu besitzen glaubt, raubt auch Gott seine Ewigkeit und Unendlichkeit. Die Mystiker haben oft Gott geschildert, als wäre er jenseits der Vernunft, und haben alle Prädikate des Erkennens und Wissens von ihm fernhalten wollen; das ist zu verstehen, weil sie das Wissen und die Vernunft selbst endlich dachten. Sie sahen den Menschen, sie fühlten und dachten: ist das nicht ein endliches W e s e n ? Ist also nicht auch sein Geist endlich und begrenzt? Aber die Erscheinung des Menschen und der Vernunft ist nie der ganze Mensch und die ganze Vernunft, sondern die sucht der Wille in der Zukunft. Man spricht vom blinden Gottvertrauen; aber das taugt nichts; es muß sehend werden. Gottvertrauen ist nur ein frommer Ausdruck für den Glauben an den Sieg des Guten; wenigstens ist das das ethische Moment darin: ich weiß aber wohl, daß mancher es so versteht, als habe Gott das Amt, des Gläubigen zeitliches, vergängliches Ich wohl zu bewahren und vor Leiden zu hüten. Aber das Ich muß gestorben sein, wenn das Selbst soll zum Leben kommen. Das Ich isoliert, das Selbst verbindet. Und nur in der Menschheit lebt das Selbst. Die Idee der Menschheit ist die Idee Gottes. Wer nicht an den Menschen glaubt, der glaubt auch nicht an Gott. Und wie nun die einen Gott jenseits der Vernunft und des Seins legen, weil sie wohl sehen, daß er im Dasein nicht aufgeht, so möchten die anderen die Natur

Von dem Begriffe Gottes.

15

an s e i n e n O r t stellen und w o l l e n nichts a u ß e r dem D a sein d e r Natur a n e r k e n n e n . W e n n sie a b e r alsdann d a s B ö s e und den Irrtum und die S c h m e r z e n in d e r Natur s e h e n , s o s a g e n s i e , die Natur sei nicht m e h r natürlich g e n u g , und lassen s o G o t t von sich selbst abgefallen sein, d e n n sie meinen, im A n f a n g , als alles noch w a h r e Natur w a r , s o g a b es g a r kein L e i d , k e i n e S ü n d e und kein M i ß g e s c h i c k ; da w a r die Natur göttlich. A b e r w e r hat denn die Natur also v e r d o r b e n ? S i e v e r k e h r e n den Weltlauf: d e n n d a s ist d a s Ziel d e r Welt und d e s Menschen, d a ß er die S ü n d e und d a s alles e n t f e r n e n soll a u s dem D a s e i n und die Wirklichkeit i m m e r reicher und r e i n e r g e s t a l t e n . Und s o ist's auch nicht, d a ß die Natur sich s e l b e r hülfe, s o n d e r n d e r Geist und d e r Wille schafft die N a t u r , und der G e i s t und d e r Wille sind unendlich w i e d a s Sein. Und s o w i r d Gott vom M e n s c h e n g e s c h a f f e n , s o gewiß e s ist, als d e r Mensch die Ictee d e r Menschheit verwirklicht. Und doch k a n n m a n , recht v e r s t a n d e n , auch s a g e n , d e r Mensch w e r d e von G p t t g e s c h a f f e n ; denn d e r Wille zum G u t e n schafft und enthält d a s sittliche Sein des Menschen. A b e r d e r Wille lebt in d e r Z u k u n f t ; und die Z u k u n f t ist r e a l e r als die v e r g ä n g l i c h e Wirklichk e i t , die sie selbst g e b a r und i m m e r w i e d e r g e b ä r e n w i r d . Man kann nicht s a g e n : G o t t k o m m t zum S e i n , s o n d e r n e r k o m m t zum D a s e i n ; d e n n s e i e n d ist e r allerw e g e , weil das Sein eben die Idee ist, d. h. die Vollendung der Zukunft. E s ist auch recht zu s a g e n : du sollst dir von G o t t kein Bild machen o d e r Gleichnis; denn d i e V o l l e n d u n g k a n n man nicht schauen. Und d e n n o c h sollen w i r G o t t bilden durch u n s e r e W e r k e . Und w a s uns n i e d e r s c h l ä g t , ist, d a ß u n s e r Ich nie göttlich ist; und w a s uns w i e d e r aufrichtet, d a s ist, daß u n s e r S e l b s t in G o t t ruht.

Von dem Begriffe Qottes.

16 E s gehen

viele W a n d e r e r aus,

sind d i e R e l i g i o n e n Engherzigkeit, sei.

Denn

alle

sind

Schaden die

ein Z e u g n i s .

zu f r a g e n :

in allen

welche Gott

Religion

unwandelbare

ist

Religion

zu

die

denn

ergreifen. sie

richtige

Unendlichen,

das g e s c h r i e b e n e

Lehre;

des

ist W i d e r s i n n und

lebt die S e h n s u c h t zum

nur V e r s u c h e , aller

G o t t zu s u c h e n ; Es

Aber

der

Wort

und

verendlichen

Gott.

R e l i g i ö s e T o l e r a n z ist k e i n e T u g e n d , s o n d e r n e i n e Pflicht. Nur, w e r s e i n Ich für göttlich hält und d a s a b s o l u t G u t e zu b e s i t z e n

g l a u b t , kann i n t o l e r a n t

sein.

W e r a b e r r e c h t g e s e h e n hat, d e r s a h , daß d i e W i s s e n schaft und die G e m e i n s c h a f t d e r r e c h t e W e g zu G o t t ist. Es

ist s c h o n

Gott

in

recht, wenn

uns

selbst,

aber

der Mystiker sagt: wir tragen er

irrt,

wenn

er

dies. Selbst

u n a b h ä n g i g von d e r M e n s c h h e i t d e n k t : da hat d e r M e n s c h kaum

sein

Ich

A u f g a b e in

zu e i g e n .

Und w i r t r a g e n

W e r sich den M e n s c h e n die M e n s c h h e i t . leidet

G o t t nur als

uns.

Gott.

Nur

K r ä f t e in den

schenkt,

der g e w i n n e t

W e r für die M e n s c h h e i t wer

all

sein

sich

leidet, in

Besitztum

Dienst der Menschheit stellt,

und

dem seine

entzieht

sie

der V e r g ä n g l i c h k e i t .

W e n n G o t t das unendlich f e r n e Ziel

der Erkenntnis

des W i l l e n s

und

ist,

so

ist

Erkenntnis

und W i l l e das e i n z i g e Mittel, sich G o t t zu n ä h e r n . daher

von Gott reden

Immer, müssen

in

die

Gott

will, von

irgendeiner

griff a u f n e h m e n .

muß vom

der

Form

Denn wenn

Gegenwart das

Wer

Menschen

Böse

aus in

reden.

ansehen,

seinen

überall g e g e n w ä r t i g , s o ist s e i n e s W e s e n s

auch d a s Un-

e r k a n n t e und d e r I r r t u m ; und nicht n u r d e r Irrtum, dern

mit

ihm zugleich a l l e S ü n d e ,

S c h m e r z und die L e i d e n Aber

alles B ö s e

und a l l e W i d e r n i s s e

G o t t ist nicht im S t u r m

Be-

G o t t a l l b e r e i t s da ist und

der Zeit,

und der

sondern

v e r j a g t und v e r t r e i b t nur das V e r g ä n g l i c h e .

der Welt.

dieser

Oder,

G o t t d a s e i e n d macht und will ihm doch das B ö s e

son-

wer fern-

Von dem Begriffe Gottes.

17

halten, d e r muß ihm einen W i d e r g o t t , einen B ö s e n und Teufel e n t g e g e n s t e l l e n , d e r sein Reich b e s c h r ä n k t und s e i n e r Macht spottet. A b e r d a s B ö s e ist ein Nichtsein und nur d a s G u t e ist, nämlich in d e r Z u k u n f t und im S e i n , nicht a b e r o d e r w e n i g s t e n s nie v o l l k o m m e n im Dasein. Man s a g t : G o t t sei unbegreiflich und s e i n e W e g e dunkel. A b e r es ist nur so, d a ß vieles, unendlich vieles i m m e r d a r u n b e g r i f f e n ist, a b e r u n b e g r e i f b a r ist es nicht, s o n s t müßte es ein Sein j e n s e i t s d e r V e r n u n f t g e b e n . Und g e r a d e d a s ist der W e r t und die W ü r d e d e s Mens c h e n , daß e r in die Dunkelheit das Licht t r a g e n soll. A b e r nie w e r d e n die P r o b l e m e und also die D u n k e l h e i t völlig v e r s c h w i n d e n , weil d a s Sein unendlich ist. Es ist ein W a c h s t u m G o t t e s aus d e r E w i g k e i t in die Zeit, d. h. d e r Fortschritt d e r Sittlichkeit ist eine O f f e n b a r u n g G o t t e s . J e m e h r das G u t e wirklich w i r d , d e s t o n ä h e r rückt u n s e r e S e e l e dem Göttlichen. Man hat a b e r die O f f e n b a r u n g G o t t e s teils als E m a n a t i o n , als A u s s t r a h l u n g aller W e s e n a u s Gott g e d a c h t , teils als einen einmaligen (oder w i e d e r h o l t e n ) Akt d e r Gesetzgebung. Wie d e r G e d a n k e e i n e r E m a n a t i o n m a g e n t s t a n d e n s e i n , ist wohl zu b e g r e i f e n . Man hat die v e r g ä n g l i c h e Wirklichkeit absolut gesetzt und so dem B ö s e n und d e r S ü n d e eine e i g e n e Realität g e g e b e n . S o ist G o t t d e r Welt als das a b s o l u t G u t e ü b e r l e g e n und f r e m d ( t r a n s z e n d e n t ) ; a b e r es muß doch, w e n n d e r Mensch nicht unweigerlich dem V e r d e r b e n und d e r V e r d a m m n i s anheimfallen soll, eine Vermittlung zwischen dem P r i n z i p d e s G u t e n und d e r M e n s c h e n s e e l e g e b e n . Es gehört a b e r d e r Mensch s e i n e r zeitlichen E r s c h e i n u n g nach d e r Natur a n , und also kann er sich nicht zum Göttlichen e n t w i c k e l n , denn die Natur ist u n w a n d e l b a r gedacht. S o k a n n die Vermittlung z w i s c h e n dem M e n s c h e n in s e i n e r u n v o l l k o m m e n e n , s ü n d h a f t e n , endlichen Natur und K i nkel, Traam. 2» Aufl.

2

18

Von dem Begriffe Gottes.

dem G u t e n an sich nur durch Z w i s c h e n - W e s e n geleistet w e r d e n , die an sich unveränderlich und allzeit g e g e n w ä r t i g , doch durch ihren v e r s c h i e d e n e n A b s t a n d vom Göttlichen und die v e r s c h i e d e n e A n t e i l n a h m e i h r e r S u b s t a n z am G u t e n eine Leiter zu G o t t hin b i l d e n ; sie reichen dem M e n s c h e n den T r u n k d e r e w i g e n G n a d e . D a s sind eben die S t u f e n d e r E m a n a t i o n . Aber dieser Ausweg ist natürlich n u r ein s c h e i n b a r e r , denn d e r Mensch hat s e i n e S t e l l u n g f ü r alle Zeit und die E n t f e r n u n g zu G o t t w i r d durch die Z w i s c h e n w e s e n z w a r a u s g e f ü l l t , a b e r nicht v e r r i n g e r t . D i e w a h r e E m a n a t i o n G o t t e s g e s c h i e h t durch den Willen und die E r k e n n t n i s d e s M e n s c h e n , d e r Stufen baut auf dem W e g zum G u t e n , d e r die schlechte, niemals a b s o l u t e Wirklichkeit durch i m m e r b e s s e r e Wirklichkeiten ersetzt. D e r e i n m a l i g e Akt d e r O f f e n b a r u n g G o t t e s durch „ d a s W o r t G o t t e s " , die eine G e s e t z g e b u n g i s t , enthält noch viel mehr W i d e r s p r ü c h e in sich. M ü ß t e sich doch d i e s e göttliche O f f e n b a r u n g m e n s c h l i c h e r , also endlicher und w a n d e l b a r e r B e g r i f f e b e d i e n e n , um uns Menschen verständlich zu sein. Kann a b e r d a s Unendliche in e i n e r Endlichkeit a u f g e h e n ? Und d a n n : w o läge d a s Kriterium, w e l c h e O f f e n b a r u n g die rechte s e i ? Darüber müßte doch w i e d e r die menschliche V e r n u n f t b e f i n d e n . Auch läßt sich j e d e angebliche O f f e n b a r u n g G o t t e s , wie sie in literarischen U r k u n d e n vorliegt, als zeitlich gew o r d e n und bedingt n a c h w e i s e n . A b e r von allen diesen B e d e n k e n a b g e s e h e n : so w ü r d e auch dem sittlichen S e l b s t mit e i n e r solchen F r e m d g e s e t z g e b u n g g a r nicht g e d i e n t s e i n , e s müßte d e n n o c h ihren Inhalt s e l b s t ä n d i g a u s sich e r z e u g e n und sie s o in S e l b s t g e s e t z g e b u n g verwandeln. W e n n w i r nun s o G o t t ein W e r d e n und W a c h s e n in die Welt hinein z u s c h r e i b e n , s o scheint dem die Ans c h a u u n g aller V ö l k e r zu w i d e r s p r e c h e n , w e l c h e G o t t

Von dem Begriffe Gottes.

19

U n w a n d e l b a r k e i t , Selbstgleichheit, B e h a r r e n in sich zuschreiben. A b e r es scheint n u r s o . Denn das erste Mal ist d a s Sein G o t t e s im Verhältnis zum D a s e i n gedacht, d a s a n d e r e Mal d a s letzte Ziel, d a s S e i n an sich, u n a b h ä n g i g von s e i n e r V e r w i r k l i c h u n g g e m e i n t . W e r noch ü b e r Gott hinaus f r a g e n wollte, w o h e r denn G o t t s e i , d e r w ü r d e sich selbst nicht v e r s t e h e n . Denn w i e sollte man a n t w o r t e n : aus d e r V e r n u n f t ? A b e r G o t t ist ja eben die vollendet g e d a c h t e V e r n u n f t . O d e r aus e t w a s A u ß e r - V e r n ü n f t i g e m ? A b e r d a n n w ä r e n wir w i e d e r beim t r a n s z e n d e n t e n S e i n , und G o t t w ä r e uns e w i g v e r l o r e n , mit ihm a b e r auch W i s s e n s c h a f t und Sittlichkeit. D e r Begriff des S e i n s k o m m t in G o t t zur R u h e : es ist n o t w e n d i g , daß er d e r p r o b l e m a t i s c h e n Lage d e s D a s e i n s mit s e i n e r Unsicherheit und Zufälligkeit entz o g e n w i r d , damit zugleich auch die Sittlichkeit den Angriffen d e r S k e p t i k e r g e g e n ü b e r befestigt w i r d . Kant unterschied den h o m o p h ä n o m e n o n , den Mensch der relativen Wirklichkeit, vom h o m o n o u m e n o n , dem Menschen d e r I d e e , d e r das E w i g e d e s M e n s c h e n in sich birgt. A b e r w e n n doch d i e s e s u n s e r e w i g e s W e s e n in der Idee w o h n t , s o ist es uns also auch e w i g u n e r r e i c h b a r ? Ja und nein. D e n n freilich wird nicht ein isoliertes Individuum j e m a l s den Begriff des sittlichen S e l b s t e s erf ü l l e n , s o n d e r n die Menschheit in d e r unendlichen F o r t e n t w i c k l u n g ihrer Geschichte. A b e r j e d e r , d e r von g a n z e r S e e l e die Idee sucht und b e g e h r t , erreicht sie a u c h : denn sein D a s e i n wächst a u s ihrem S c h ö ß e . Immer, w e n n w i r uns dem Augenblick h i n g e b e n , verlieren w i r die E w i g k e i t ; immer, w e n n w i r die E w i g k e i t suchen, g e w i n n e n w i r den Augenblick. W i e die endlichen G ö t t e r allezeit ihr Dasein dem d o g m a t i s c h e n Verlangen, d a s a b s o l u t e Sein sinnlich wahrz u n e h m e n , v e r d a n k e n , so ist auch d e r D u a l i s m u s zwischen 2*

20

Von dem Begriffe Gottes.

G o t t und Teufel, einem An-sich-Guten und An-sich-Bösen, w e l c h e r sich in den meisten R e l i g i o n e n w i e d e r f i n d e t , eine A u s g e b u r t d i e s e s T r i e b e s . S o g e g e n w ä r t i g und dinglich w i e d e r endliche Gott g e d a c h t wird, s o g e g e n w ä r t i g sind Leid und S ü n d e . Soll also d a s a b s o l u t e S e i n im D a s e i n zu finden s e i n , s o muß dem Dasein auch ein Nichtsein i n n e w o h n e n , ein w e s e n h a f t e s Widerspiel d e r Existenz und d e s G u t e n . A b e r d e r w a h r e Teufel sitzt immer in des Menschen Herz und Geist. Nicht als o b d a s B ö s e ein S e i n hätte: es ist ein Irrtum d e s W i s s e n s und W i l l e n s ; a b e r in d e r S e l b s t b e u r t e i l u n g und also auch S e l b s t g e w i n n u n g gewinnt d e r sittliche Irrtum den C h a r a k t e r d e r S ü n d e . B ö s e sind nie die M e n s c h e n , s o n d e r n nur g e w i s s e H a n d lungen. S i e z e r s t ö r e n einen Teil d e s sittlichen S e l b s t e s und e r s c h w e r e n den W e g zu G o t t ; a b e r w a s d i e H a n d lung v e r s c h u l d e t , kann auch die H a n d l u n g w i e d e r gutmachen. In allen Mythologien d e r R e l i g i o n e n w i r d die S ü n d e als ein Abfall von G o t t g e s c h i l d e r t , gleichsam als o b es einen W e g ins Nichts g ä b e und man d a s B ö s e greifen k ö n n t e ; a b e r auch in j e d e r b ö s e n , also sittlich falschen H a n d l u n g steckt ursprünglich ein B e g e h r e n G o t t e s ; a b e r es verfehlt sein Ziel, weil es d a s E n d l i c h e an Stelle des Unendlichen setzt. D e r S t r o m d e r Zeit verschlingt alles außer d e r Wahrheit und d e r V e r n u n f t ; diese z w i n g e n die Zeit. S o g e w i ß u n s e r Ich häufig d e r Leidenschaft Untertan, der Lust e r g e b e n o d e r im S c h m e r z v e r z a g t ist, s o g e w i ß w i r d es zum Teil d e r Zeit zum R a u b e w e r d e n ; s o sicher a b e r in j e d e m Ich die S e h n s u c h t zum S e i n lebt, s o g e w i ß wird d i e s e u n s e r sittliches S e l b s t d e r Zeit entreißen. Augustin m e i n t , daß nur dem W e s e n „ein w a h r e s , echtes, wirkliches S e i n " z u k ö m m t , „ d a s u n b e r ü h r t durch

Von dem Begriffe Gottes. den

21

F l u ß d e r Zeit s t e t s bleibt, w a s e s ist*)".

man

begreifen:

denn

wandelbarkeit

unseres

die endlichen

Formen,

prägt:

nicht Lust

G e f ü h l e sind Wissen

unser

Sein

Strebens

ruht nach

ja der

wer

sondern

was

sich

im G u t e n

bar

dagegen.

aus-

subjektive

von

unserem

in

der

Wahr-

Ewigkeit.

Nemo potest Deum odio habere,

m a n d k a n n G o t t hassen**). Endliche

UnNicht

der Menschheit

und

heit b e f e s t i g t , d e r b e f e s t i g t sich in d e r Spinoza sagt:

Idee.

Empfindung und

unvergänglich,

Also

kann

der

in d e n e n sich u n s e r D a s e i n

und Leid,

u n d W o l l e n im K u l t u r b e w u ß t s e i n

fortwirkt.

Das in

nie-

D i e E r f a h r u n g ist n u r s c h e i n -

Götter

kann

man

hassen,

G o t t d e s sittlichen S e l b s t e s , d e r d a s S e i n d e r

den

Wahrheit

u n d d e s G u t e n ist, nicht; d e n n , w e r d i e s e n h a s s e n wollte, der würde in

denen

sich selbst wir

hassen.

es dem Selbst entgegen und wir lieben

ist.

das Sein.

Menschen ' i m m e r gonnen,

Es

unser „Ich" h a s s e n ,

wenn

die

Wir Eben

endlichen

i h r e sittlichen

hinausgewachsen

waren,

A u s d r u c k d e s sittlichen

so

wohl eben

weil

Nichtsein,

darum

haben

Götter

zu

auch d i e

hassen

über

diese

Stunden, nur,

hassen das

Ideale daß

Seins

gibt aber

jene

nicht

be-

Götter

mehr

der

waren.

II. In d e n f a l s c h e n u n d u n s i t t l i c h e n T h e o r i e n d e s E g o i s mus,

die

die

Kultur

und

Sittlichkeit

aus

dem

Selbst-

erhaltungstrieb oder dem Prinzip der Selbstliebe erklären u n d b e g r e i f e n w o l l e n , ist n u r e b e n d a s d e r F e h l e r ,

daß

das

der

isolierte

Ich

an

Menschheit

gesetzt

selbst,

die

der

Stelle

wird.

Menschheit

des Nur

sittlichen der

liebt.

Selbstes

liebt sich Wer

mit

wahrhaft

aller

Kraft

*) R. Eucken: „Die Lebensanschauungen der groGen Denker". 3. Aufl. S. 2 1 2 - 2 1 3 . **) Spinoza: Eth. Pars V Prop. XVIII.

22

Von dem Begriffe Gottes.

der

Seele

gleichsam Sünde. der

der

Idee

der

das

Gute

in

Denn

Wille

trennen,

Menschheit sich

das Verlangen

zur

Einheit.

weil

sie

ein

und nach

Alle

dient,

saugt

Irrtum

der Idee ist

Sünde

Nichtsein

der

erstickt und

und

zugleich

aller

Irrtum

Je

stärker

enthalten.

u n s e r W u n s c h wird, u n s e r e n B r ü d e r n die H a n d zu reichen und

eine Gemeinschaft

desto mehr werden

des

sittlichen

entgegenarbeiten.

Woher

Dadurch,

u n s e r Ich

daß

Seins

zu

erbauen,

wir a l s o d e r S ü n d e und dem Irrtum

wir

entspringt dem

z.

Ich

B.

der

des

Neid?

Mitmenschen

s e l b s t ä n d i g g e g e n ü b e r s t e l l e n und ihm a b s o l u t e n W e r t verleihen.

Was w i r

nicht e r l e b e n , w a s

Welt

unseres vergänglichen

Leid

unsere Brust

zu sein

durchzieht,

und u n s e r S e l b s t

nicht in d e r e n g e n

Ichs w i d e r h a l l t , in Lust das

scheint

uns

nicht zu b e r ü h r e n .

nun b e d ä c h t e n , d a ß w i r u n s e r S e l b s t n u r am

und

verloren

Wenn

wir

Mitmenschen

g e w i n n e n k ö n n e n ! S o u n t e r g r ä b t d e r Neid u n s e r sittliches Selbst. sehen,

Wo da

w i r a b e r einen

beneiden

rechten

wir ihn

nicht,

Freund sondern

im

Glücke

"wir

freuen

uns s e i n e s G l ü c k e s und g e w i n n e n

s o s e l b s t einen Anteil

daran.

diese

Also

erhöhen

sittliches S e l b s t

wir

durch

und d i e n e n

Mitfreude

unser

Gott.

Und h i e r h e r g e h ö r t auch, w a s G o e t h e in s e i n e r S e l b s t biographie sagt: „Die reinste Freude, geliebten P e r s o n

finden

andere erfreut*)."

die man an

einer

kann, ist die, zu s e h e n , daß s i e

E s schlingt sich s o

ein B a n d der G e -

m e i n s a m k e i t um die H e r z e n , das auf d e r L i e b e zum G u t e n beruht. wir

W a s w i r an a n d e r e n M e n s c h e n l i e b e n , ist, w e n n

wahrhaft

lieben,

D i e s a b e r ist allen Begehrens,

und w i r

das

Große

Menschen freuen

und

Gute

in

ein g e m e i n s a m e s uns, w o

ihnen.

Ziel

des

e s in die

Erschei-

e s a l s o d e r Affekt ist, z. B . die L i e b e ,

welcher

nung tritt. Wenn

*) Gelegentlich der Schilderung Friederikens.

Von dem Begriffe Qottes.

23

u n s z u r Idee G o t t e s "hintreibt, s o ist es u m g e k e h r t die Idee, w e l c h e den Affekt reinigt u n d läutert. Die Liebe, o d e r b e s s e r : d a s B e g e h r e n , d a s zum vergänglichen Ich z u r ü c k k e h r t und bei ihm e n d e t , ist w i e d a s S t a m m e l n e i n e s K i n d e s , d e s s e n Sinn man noch e r r a t e n m u ß ; o d e r w i e ein v e r g ä n g l i c h e r S c h a u m k a m m auf b e w e g t e m Meer, d e r nur auftaucht, um nutzlos zu v e r s i n k e n . D i e s ungeklärte B e g e h r e n verstärkt und häuft m e h r die Not und W i r r n i s d e s D a s e i n s , als daß e s die S e e l e befreit. W e r a b e r im a n d e r e n sein S e l b s t zu lieben gelernt hat und s o s e i n e Liebe in d e r Idee b e f e s t i g t , den hebt sie ü b e r sich und läßt ihn von t a u s e n d Mängeln g e n e s e n . W e n n w i r uns feindselige G ö t t e r schaffen, dürfen w i r u n s nicht w u n d e r n , daß sie uns f e i n d s e l i g b e h a n d e l n . Nun ist uns die G e g e n w a r t und die u n g e w i s s e Wirklichkeit u n s e r e r Zeit in s o m a n c h e r Hinsicht e n t g e g e n , b e s t ü r m t u n s mit t a u s e n d S o r g e n , fängt u n s e r e n Geist in den Netzen d e s Irrtums und bindet den Willen mit B a n d e n d e r Lust! Wollen w i r ihr u n s e r e n G o t t a n v e r t r a u e n ? Wollen wir hoffen, in ihr u n s e r sittliches S e l b s t w i e d e r z u f i n d e n ? Nun ist a b e r auch u n s e r Ich ein Teil j e n e r W i r k l i c h k e i t ; w e n n w i r sie b e s s e r n w o l l e n , m ö g e n w i r bei ihm b e g i n n e n . E s ist u n s auch g a r nicht möglich, bei d e r U n m i t t e l b a r k e i t u n s e r e r p r o b l e m a t i s c h e n L a g e s t e h e n zu bleiben. W e n n w i r uns an sie h e f t e n , s o f ü h r e n w i r ein A u g e n b l i c k s d a s e i n und taumeln wie T r u n k e n e aus e i n e r Welt i n , d i e a n d e r e . Nüchtern laßt uns v o r u n s blicken und u n s e r e S e e l e an d e r Z u k u n f t entz ü n d e n ; d e n n dort ist u n s e r e w a h r e Heimat. E s sind a b e r nur z w e i Mittel, die Unsicherheit u n s e r e r L a g e zu b e e n d e n o d e r doch mehr und m e h r e i n z u s c h r ä n k e n : d e r F o r t s c h r i t t in der t h e o r e t i s c h e n E r k e n n t n i s d e r W i s s e n s c h a f t , w e l c h e r u n s e r e Welt e r w e i t e r t und u n s stets n e u e P r o v i n z e n d e s S e i n s zuführt, und d i e sittliche Handlung, w e l c h e uns den sicheren G e s e t z e n d e r G e m e i n s a m k e i t

24

Von dem Begriffe Gottes.

anvertraut. Und w e n n es scheinen wollte, daß d a s sittfiche S e i n in einen G e g e n s a t z zur natürlichen Welt geriet, daß man die Natur als e t w a s F r e m d e s , dem i n n e r s t e n W e s e n d e s M e n s c h e n Feindliches a b w e i s e n müßte, um zum sittlichen S e l b s t zu g e l a n g e n , s o zeigt sich vielmehr bei tieferem E i n d r i n g e n , daß g e r a d e d e r S t a n d p u n k t d e s Idealismus u n s die Natur w i e d e r g e w i n n t . E s soll j a n u r die jetzige, zufällige Wirklichkeit nicht als ein letztes zwing e n d e s und a b s o l u t e s Sein hingestellt w e r d e n ; sie soll sich vielmehr in ihrer problematischen Art zu e r k e n n e n g e b e n , als e t w a s , d a s dem G e i s t e n u r s o l a n g e f r e m d bleibt, als e r e s nicht aus sich selbst g e b i e r t und mit s e i n e n G e s e t z e n erfüllt und sichert. Niemals kann w a h r e und echte W i s s e n s c h a f t d e r Sittlichkeit e n t g e g e n sein, vielmehr, j e g e n a u e r die W i s s e n schaft d a s t h e o r e t i s c h e Sein zu e r z e u g e n und a u s z u s p r e c h e n vermag, d e s t o e n e r g i s c h e r wird sie d e r V e r w i r k l i c h u n g d e r Idee v o r a r b e i t e n . A b e r wie die W i s s e n s c h a f t die Unendlichkeit d e s S e i n s niemals r e s t l o s b e w ä l t i g e n wird, s o n d e r n w i e sie i m m e r n e u e P r o b l e m e a u s ihrem e i g e n e n S c h ö ß e gebiert, j e mehr P r o b l e m e sie d e r L ö s u n g zuführt, s o ist auch die Natur niemals d e r r e s t l o s e A u s d r u c k d e s S e i n s und kann d a h e r niemals als M a ß s t a b d e r Sittlichkeit g e n o m m e n w e r d e n . F ü r den einzelnen w i e f ü r die G e s a m t h e i t ist es von d e r g r ö ß t e n B e d e u t u n g , j a g e r a d e z u e i n e sittliche L e b e n s f r a g e , sich i m m e r d a r d e r P r o b l e m a t i k d e s D a s e i n s b e w u ß t zu b l e i b e n . An k e i n e r Stelle zu rasten, g ö n n e n uns die G ö t t e r ; alles, w a s w i r erschaffen, ist n u r ein A n f a n g . W e n n uns d a s D a s e i n unter den H ä n d e n e r s t a r r t , e r s t a r r t u n s e r e Seele. D a s , w a s w i r noch nicht sind, w a s a b e r im Willen lebt, ist u n s e r w a h r e s W e s e n ; w a s w i r a b e r z u r Zeit sind, ist nur sein Schatten. A b e r nicht T r ä u m e und selbstsüchtige W ü n s c h e k ö n n e n den w a h r e n Inhalt u n s e r e s Willens und W e s e n s bilden, s o n d e r n V e r n u n f t g e s e t z e , die d a s

Von dem Begriffe Gottes.

25

D e n k e n e r k a n n t und d e n e n d e r Affekt zustrebt. Die Vernunft spricht durch Begriffe, nicht durch V o r s t e l l u n g e n , E m p f i n d u n g e n und Gefühle. I m m e r sind E m p f i n d u n g e n und G e f ü h l e nur F r a g e n nach dem Sein, w e l c h e die Vernunft und d e r Wille b e a n t w o r t e n muß. A b e r durch die S e e l e d e s M e n s c h e n fluten so oft m e h r Wellen d e r Leidenschaft, als e r zu z w i n g e n v e r m a g ; nun gilt es, das S t e u e r nicht zu v e r l i e r e n , w e n n die W a s s e r j e n e s chaotischen M e e r e s den Nachen d e s G e m ü t e s schaukeln und zu verschlingen d r o h e n . Und w e n n w i r d e n n o c h Schiffbruch leiden, s o gilt's ein n e u e s B o o t zu z i m m e r n und mit neuen K r ä f t e n zu n e u e r Fahrt. A b e r ist nicht endlich und schließlich d e r Mensch zu klein und zu schwach, die R e i s e zu vollenden, die Idee d e r Menschheit, wie sie sich d e r E r k e n n t n i s i m m e r reiner, i m m e r g r ö ß e r darstellt, zu v e r w i r k l i c h e n und s o in G o t t e s Reich, als in s e i n e w a h r e Heimat, e i n z u g e h e n ? Die Relig i o n ist mit dem T r o s t bei d e r H a n d : G o t t e s L i e b e wird uns. f ü h r e n , G o t t e s G n a d e dem S t r a u c h e l n d e n hilfreich sein. D a s ist ein Verzweifeln am M e n s c h e n , ein P r e i s g e b e n d e s Ideals, das uns der T r a n s z e n d e n z r e t t u n g s l o s in die A r m e wirft. A b e r die S t i m m u n g ist wohlbegreiflich. E s ist s o bitter, dem Ich zu e n t s a g e n ; es ist s o s c h w e r , an e i n e Z u k u n f t zu glauben, an w e l c h e r d e r einzelne nicht m e h r in dem S i n n e teilhat, daß e r ihre F r e u d e n und Leiden s e i n e r kleinen Wirklichkeit einverleiben k ö n n t e . E s muß doch eine Macht g e b e n , a u ß e r h a l b d e r E n g e m e i n e s b e w u ß t e n L e b e n s , ein Sein, d a s nicht den S c h w ä chen m e i n e r Individualität unterliegt und mit s e i n e r Kraft r e t t e t , w a s ich verloren g e b e und e n t b e h r e . „Kommt uns nicht e i n e B e w e g u n g aus d e m All e n t g e g e n , w i r d u n s nicht von d a h e r ein n e u e s L e b e n mitgeteilt, das nur ergriffen und a n g e e i g n e t w e r d e n b r a u c h t , s o ist alles menschliche Mühen verloren, s o ist alles, w a s e t w a nach j e n e r R i c h t u n g hin von der weltgeschichtlichen Arbeit

26

Von dem Begriffe Gottes.

u n t e r n o m m e n ist, unfundiert und schließlich

illusorisch*)".

(Eucken.) Demgegenüber

ist

es

ein

tapferes

Wort,

welches

S p i n o z a a u s g e s p r o c h e n h a t : „ Q u i D e u m amat, c o n a r i n o n potest, ut D e u s ipsum c o n t r a a m e t " XIX.)

wieder liebt".

D e n n darin l i e g t : D i e A u f g a b e d e s E i n z e l -

l e b e n s und d e r M e n s c h h e i t ist j a

niemand

da,

auch

A r b e i t für uns täte. ein

(Eth. P a r s V. P r o p .

„ W e r G o t t liebt, kann nicht v e r l a n g e n , daß G o t t ihn

Streben

vom

löst sich nicht von s e l b s t ; e s kein

gütiger Gott,

der

D a s S t r e b e n zu G o t t muß

Subjekt

zum S e i n ,

eine

unsere

durchaus

Überwindung

der E i n z e l h e i t durch die Allheit, ein S u c h e n und E r g r e i f e n d e r E w i g k e i t und d e s Unendlichen s e i n .

D a s Sein wandert

nicht zu u n s ; e s k o m m t uns nicht e n t g e g e n , s o n d e r n der

wissenschaftlichen

Aufgabe

und

und

sittlichen

nur A u f g a b e .

Erkenntnis

Dennoch

ist auch

vor

ist

in

es

jener

M e i n u n g von d e r L i e b e G o t t e s , die sich freundlich zu uns neigt, ein r i c h t i g e r Es

ist

Kern.

d e r G l a u b e und

das Vertrauen

d e s G u t e n , w e l c h e s sich s o offenbart. und

dies

Vertrauen

sind

die

auf den

Sieg

Aber dieser Glaube

einfache

Konsequenz

des

G l a u b e n s an d i e V e r n u n f t und die V e r n ü n f t i g k e i t d e s S e i n s . Jene Bewegung,

die uns sucht, ist nicht v o r h a n d e n ;

w e r da suchet, d e r wird finden. sind

uns

wenn wie

nicht

wir auch

Sein, wenn

uns der

wesensfremd:

wir

ihnen

Man

nahen.

Standpunkt

aber

D a s S e i n und d a s G u t e

Euckens

ergreifen sieht das

uns

recht Gute

selbst, deutlich,

und

das

auch n o c h s o s e h r v e r g e i s t i g t und dem M e n -

s c h e n a n g e p a ß t , doch als ein v o r und j e n s e i t s der Kulturarbeit

der

Menschheit

existierendes

w i r nun, will's G o t t , einmal finden e r nicht w i l l ?

Bestehen werden.

läßt, Und

das wenn

D a n n ist e b e n alle A r b e i t i l l u s o r i s c h !

Ja,

*) R. Eucken: „Der Wahrheitsgehalt der Religion". Sp. 1901, S . 227.

Von dem Begriffe Gottes.

27

e s steckt noch mehr ¡n dem W o r t e S p i n o z a s , und w i r h a b e n es schon a u s g e s p r o c h e n . V e r l a n g e n und b e g e h r e n kann und soll man freilich die Liebe G o t t e s nicht; a b e r man w i r d sie doch finden, w e n n man ihn, d. h. w e n n man die Menschheit n u r recht herzlich liebt. W e r a b e r d e r Menschheit s e i n e D i e n s t e weiht, damit es ihm selbst w o h l e r g e h e — d e r w i r d G o t t e s L i e b e nicht finden, denn e r ist, im G r u n d e g e n o m m e n , nicht aus dem E g o i s m u s herausgekommen. Wie a b e r die Idee auch r ü c k w i r k e n d u n s selbst veredelt und uns s o u n s e r e L i e b e lohnt; w i e w i r u n s e r e n Halt und T r o s t in ihr finden, ist s o oft gesagt w o r d e n . W e r Liebe gibt, wird L i e b e f i n d e n . Wir suchen nach e i n e r Macht, die u n s stützen und helfen s o l l : sie ist uns in d e r Menschheit g e g e b e n . Nur s o l a n g e man immer noch den einzelnen in d e r Isolierung denkt, sol a n g e man noch nicht e i n g e s e h e n hat, d a ß w i r wirklich und w a h r h a f t i g ü b e r h a u p t zu k e i n e m sittlichen S e l b s t und S e i n g e l a n g e n k ö n n e n , als indem w i r der Menschheit leben, kann man d i e s e Macht vermissen und ins T r a n s z e n d e n t e h i n e i n z a u b e r n . E s ist die Idee, w e l c h e uns hilft; a b e r sie ist selbst u n s e r W e r k . Freilich, w e n n w i r vom L e b e n s o oft hilflos z u r ü c k g e w i e s e n w e r d e n : w e n n u n s e r e F r e u n d e selbst uns im Stich lassen und u n s e r e L i e b e s c h e i n b a r u n g e h ö r t verhallt; w e n n d a s Dasein i m m e r w i e d e r u n s e r e m besten Wollen entgegen ist und w e n n w i r d a s bitterste Leiden d e r E n t s a g u n g im H e r z e n t r a g e n — s o verzweifelt u n s e r G e m ü t an d e r Idee, an d e r Menschheit und ebendamit an Gott. O , ich w e i ß w o h l : d i e s e S t u n d e n sind auch dem S t ä r k s t e n nicht f r e m d , und d a s ist k e i n e tiefg r ü n d i g e Seele, die sie nie e r f a h r e n hat. Und d e n n o c h : es ist nur w i e d e r d a s liebe Ich, d e s s e n w i r nicht H e r r g e w o r d e n sind. D a s ist d e r Halt, zu dem w i r immer w i e d e r z u r ü c k k e h r e n m ü s s e n : nicht w a s ich j u s t fühle und s c h m e c k e , ist mein Selbst. Ich s c h e n k e mir selbst, w a s ich d e r Menschheit g e b e . Und d e r f e s t e G l a u b e : „ e s wird

28

Von dem Begriffe Gottes.

doch gut w e r d e n " darf nicht am Individuum, s o n d e r n an d e r Menschheit haften. Zu l e i d e n , v e r k a n n t zu w e r d e n , ist bitter; es ist nicht halb s o schlimm, als sein sittliches Sein zu verlieren. E s ist nicht die Schuld d e r Menschheit, m a g sie uns t a u s e n d m a l k r ä n k e n , w e n n u n s e r H e r z kalt und einsam w i r d : wir sollen und k ö n n e n den F u n k e n der Liebe i m m e r w i e d e r aufs n e u e entfachen, w i r sollen helfen und w i r k e n , leiden und t a p f e r sein. S o scheinen wir freilich d e s M e n s c h e n Sein in zwei Welten e i n z u l a s s e n : das Ich lebt in d e r u n v o l l k o m m e n e n Welt d e r L e i d e n , das S e l b s t ist in G o t t e s S c h o ß geb o r g e n . A b e r so ist's nicht gemeint. D a s Ich soll zum S e l b s t w e r d e n : ja, nur d a s im Ich hat w a h r h a f t e s Sein, w a s b e r e i t s zum Selbst g e w o r d e n o d e r auf dem W e g e zum S e l b s t ist. W i e die Religion leicht die Natur als e t w a s dem S e l b s t F e i n d l i c h e s zurückläßt, w e n n sie den W e s e n s k e i m d e s M e n s c h e n in eine t r a n s z e n d e n t e Welt zu retten untern i m m t , s o w ü r d e n wir d a s S e l b s t töten und zur Unf r u c h t b a r k e i t v e r d a m m e n , w e n n es nicht auf d a s Ich bezogen w ä r e . D a s Ich birgt d a s P r o b l e m d e s Selbst. D e r W i l l e , d e r die Idee e r g r e i f t , v e r w a n d e l t d a s Ich in d e r sittlichen H a n d l u n g zum S e l b s t . W e n n nun die Idee d a s S e l b s t in einer G e m e i n s a m keit von h ö h e r e r R e a l i t ä t , als die d e r S i n n e n w e l t ist, b e f e s t i g t , s o kann d e n n o c h g e r a d e d e r Wille z u r Idee und die E r k e n n t n i s d e r Idee den empirischen Menschen in d e r S i n n e n w e l t v e r e i n s a m e n . W e r die E r k e n n t n i s und Sittlichkeit s e i n e r Zeit ü b e r s c h a u t , S c h w ä c h e n d e r Wirklichkeit mit s e i n e m geistigen Blick d u r c h d r i n g t , die von d e r M e n g e noch für Realitäten g e h a l t e n w e r d e n , der w a n d e l t w i e ein E i n s a m e r im Reich d e r Z e i t ; die G ö t t e r d e r a n d e r e n sind f ü r ihn G ö t z e n , worauf die a n d e r e n sich stützen, zerfließt ihm wie ein T r a u m . Ihm erscheinen alle Mitmenschen wie N a c h t w a n d l e r , die nicht w i s s e n ,

29

Von dem Begriffe Gottes.

w i e gefährlich der W e g ist, den sie g e h e n : und wirklich wird ihnen j a auch, wenn das S c h i c k s a l s i e bei ruft,

der

Pfad

unter

Weiterblickende

ist

den

ihnen

Füßen gerade

versinken. in

seiner

Namen

Aber

der

Einsamkeit,

aufs innigste verbunden; wenn e r auch s c h e i n b a r keinen Anteil hat an ihren Augenblicksfreuden leiden,

s o entspringen

und Augenblicks-

doch d i e g r ö ß e r e n ,

reineren

und

tieferen B e w e g u n g e n seiner S e e l e nichtsdestoweniger aus seinem Verhältnis zu, aus s e i n e r Gemeinschaft mit ihnen. Wenn

seine

Welt

wirklich

geworden

ist,

dann

werden

s i e e s merken, daß die Wurzeln ihrer S e e l e s i e mit ihm vereinen;

dann

wenn

dann

wenn

der

wird die Einheit offenbar werden.

sein Tod

seine

sagungen

und

Wahrheit

seines

sprechen: stehen

ich

empirisches Seele

Schmerzen

Ich

vergangen

von

Enttäuschungen,

befreit

hat,

sein

wird

Und wird, Ent-

aus

der

ewigen W e s e n s s e i n e S t i m m e zu ihnen

lebte

in

euch,

und g e g e n w ä r t i g

ich

werde

durch euch be-

sein.

III. Wir

sahen

Erkenntnis

der Idee zu-

gleich die E r k e n n t n i s unseres S e l b s t e s ist.

früher,

daß die

D a r a u s folgt,

daß wir mit voller Hingabe unserer S e e l e streben müssen, uns s e l b s t zn erkennen, d. h. welche Kräfte wir besitzen und

wieviel

wahres

Sein

in uns

ist.

Aber

dies

kann

und soll nicht durch mystisches S i c h - v e r s e n k e n geschehen, sondern

indem wir unseren W ü n s c h e n ,

Leidenschaften

ins

durchdringen,

und

unseren Mitmenschen T a t zu e r p r o b e n . andern

wurzelt,

Auge indem

So

ist

wir

kehren,

und uns

um

Hoffnungen sie

zur

mit Welt

kann

man

und

Vernunft und

zu

uns in Handlung und

Wenn unser S e l b s t im Verhältnis so

erkenntnis zu g e l a n g e n , isoliert.

sehen

nicht

zum

hoffen, zur S e l b s t -

indem man sich gegen die Welt

die S e l b s t e r k e n n t n i s

zugleich eine

Be-

30

Von dem Begriffe Gottes.

freiung und A b k e h r vom Endlichen, B e g r e n z t e n , ZeitlichVergänglichen

unserer S e e l e ; s i e setzt alles in Beziehung

zur Idee und damit zur Die allen

Religionen

zuerst

und

wie

der

des

in

vergänglichen

Produkt

Gottesbegriffes daß

das

geht

bei

Menschen

die Endlichkeit und

Natur

fast

Dämonisch-Göttliche

empirisch-endlichen

dieser

daß die Natur zuerst, ein

Ewigkeit.

des

dahin,

nach Art

dacht heit

Entwicklung

eingeschlossen

ge-

Begrenztwird,

das Göttliche a b e r gleichsam

oder Teil

derselben

oder

so nur

ihre S e e l e ,

ihr

i n n e r e s , b e w e g e n d e s W e s e n ist, alsdann a b e r kann

man

die doppelte T e n d e n z beobachten, das Göttliche der Natur mehr und mehr zu entfremden

und dem geistigen S e l b s t

des Menschen

daß

Wachstum zugleich wagen

Gottes die

Banden

anzunähern, s o vom

Befreiung

des S c h i c k s a l s es,

Ich zum Gottes und

aus

der

das

historische

führt.

Das

Macht

des C h a o s .

den Naturgesetzen

gegenzustellen.

auch

Selbst

Die

und

ist den

Menschen

ihre eigenen G e s e t z e

ent-

Man stellt G e s e t z e des S o l l e n s und der

Sittlichkeit auf, welche die Einheit der Ideen im Bewußtsein der Menschheit aufdämmern lassen. Gottes

mit

dem

Menschen

und

der

D i e Verbindung Natur

scheint

B e g i n n e der Entwicklung enger als im F o r t s c h r i t t : wie

am

Anfang

Gott

gleichsam

in

die

Natur

im denn

hinein-

gedacht wird, s o scheint e r sich auch des Menschen unmittelbar fangen,

zu

bemächtigen.

und der

endliche,

in ihm aufzugehen. sie: sein;

des

gegen sein.

war

im Endlichen

beso

A b e r g e r a d e ihre Endlichkeit trennt

Menschen Wille

G o t t e s Plan

Gott

empirische Mensch schien braucht

nicht G o t t e s Wille

und Z w e c k kann dem Menschen

zu ent-

D a s Ich ist, wenn es die S t e l l e des Abso-

luten einnehmen will, immer selbstsüchtig, e g o i s t i s c h : so auch

Gott

auf

dieser

Stufe.

Je

mehr

aber

Gott

sich

vom empirischen Ich entfernt uncf dieses s e i n e r Absolutheit entkleidet (wie

auch die Natur),

desto inniger, ver-

Von dem Begriffe Gottes.

31

t r a u t e r wird s e i n e V e r b i n d u n g mit den unendlichen W e s e n d e s M e n s c h e n , mit s e i n e r sittlichen B e s t i m m u n g und Aufg a b e , kurz mit seinem Selbst. Die menschliche S e e l e w e i t e t und dehnt sich Gott e n t g e g e n . E r hört auf, ein S t ü c k Natur zu sein, und er steht mit s e i n e m Willen nicht m e h r f r e m d zur Gottheit. Und selbst d a s Verhältnis G o t t e s z u r Natur wird, w e n n man s o s a g e n soll, herzlicher als zuvor. D e n n die Einheit d e r Natur mit G o t t w a r im A n f a n g n u r d a d u r c h möglich, daß G o t t sich s e i n e r G r ö ß e entschlug und alle U n g e w i ß h e i t und Unsicherheit d e s natürlichen S e i n s in sich a u f n a h m ; die Natur selbst a b e r w a r unmittelbar. A b e r nun ist es G o t t , nämlich d e r göttliche Wille d e r M e n s c h h e i t , d e r d i e Idee e r g r e i f t und e r z e u g t , w e l c h e r die Natur, indem e r sie i h r e r Starrheit b e r a u b t , nach und nach ihrer M ä n g e l entkleidet und sie zu sich heranbildet. Wir erlösen j a nicht n u r uns selbst, indem wir d e r Idee dienen, s o n d e r n auch die Natur, indem w i r sie d e r a b s o l u t e n W a h r h e i t ihres B e g r i f f e s mehr und m e h r z u f ü h r e n . Die christliche Religion weiß von einem stellvertretenden Leiden, durch w e l c h e s J e s u s C h r i s t u s d i e S ü n d e n s e i n e r Mitmenschen auf sich nahm und in s e i n e m O p f e r tod ihre S t r a f e mit erlitt. In d i e s e m S i n n e darf und kann es k e i n e S t e l l v e r t r e t u n g d e s L e i d e n s und d e r S e e l e g e b e n . W o h l a b e r sollten w i r alle u n s e r e Leiden und S c h m e r z e n von u n s e r e r v e r g ä n g l i c h e n Individualität und Subjektivität zu t r e n n e n w i s s e n und in ihnen die Mängel d e r Wirklichkeit und die U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Natur und Sittlichkeit g e g e n ü b e r der Idee e m p f i n d e n , alsdann leiden wir, leidet j e d e r f ü r die M e n s c h h e i t . — A b e r die Menschheit leidet auch f ü r uns, und w i r sind um kein H a a r breit b e s s e r als die a n d e r e n , w e i l w i r leiden, s o n d e r n wir w e r d e n gut und sittlich, w e n n w i r im Leiden u n s selbst v e r g e s s e n . Wir e n t w e i h e n d a s Leid, w e n n w i r mit ihm spielen o d e r uns mit ihm b r ü s t e n . J e mehr

Von dem Begriffe Gottes.

32 wir

im Leben

zu

dulden

mehr G e l e g e n h e i t

ist

und

zu tragen

uns g e g e b e n , von

haben, der

desto

Eigenliebe

loszukommen. Die

großen

Führer

e b e n e S t r a ß e des gewandert;

sie

der Menschheit

Glücks im

haben

die

Finsternis

g e s e h e n , und die Verzweiflung flogen.

sind

Sonnenschein der

nicht

der

die

Freude

Verlassenheit

ist durch ihr Gemüt ge-

G e r a d e die Tapfersten haben Zeiten g e h a b t , in

denen

sie

Tiefen

meines Herzen gesehen, aber ich fand kein Licht,

sondern

zu

sich

da w a r

selber

sprachen:

Dunkelheit

und

mich geblickt in die Natur,

ich

bad

der

haben

und

ließen

Schmerzen

überwunden,

unsere Sünden

mich

Nacht;

Herz

rein

wie

wir

überwinden

und zum Verlangen

sollen.

alle

um

a b e r im

der Idee e r l ö s t ,

nach dem

sie Nicht

W e r sein

löst s o auch an seinem Teil die Menschheit. können und sollen wir

die

Sturz-

geworden,

auf sich g e n o m m e n ,

Leid haben s i e sich zu uns gefunden. zur L i e b e

habe

In diesem

ihr

sie

ich

in

die a b e r gingen in

allein. —

ist

haben

habe

habe meine B r ü d e r ge-

beten, meine S e e l e zu erleuchten — Finsternis

Ich

Selbst der er-

Das

Maßstab

aber

unserer

Kräfte und Aufgaben. E s ist nicht der Kult des G e n i e s , den wir hier vert r e t e n , oder des Ü b e r m e n s c h e n , leid"

zu

anderen

inferioren

der sich nur aus „Mit-

Geschöpfen

doch eigentlich nur seinetwegen da sind. mit dem Anschein Seele. Gemüt

als

reine

wir wir

einem

stellen,

Menschen, mit

der Herablassung auftritt, vergiftet die

dem

wahre

sollen

zurechtweisen ihn

die

J e d e r Mensch trägt die Idee des Guten in seinem

Wesen; Wenn

herabläßt,

Mitleid, welches

sie

Strauchelnden

wollen, sondern

in

Bestimmung

so wir

ihm suchen.

anderen

und

sein

ewiges

daher überall ehren und achten.

haben,

helfen,

dürfen müssen Ich

wir

einen uns

Irrenden

nicht

unseresgleichen,

kann

nur dann

über den

Mitleid

wenn ich mit ihm l e i d e ;

und

Von dem Begriffe Gottes. dies

kann

bleibt.

ich

nur,

Aber

gnädiges

wenn

gemeinhin

Bedauern

mir

sein

versteht

des

33

Selbst

nicht

fremd

m a n u n t e r Mitleid

Unvermeidlichen,

nicht zu

ein Än-

dernden. So

ist

es

die

Selbstüberhebung

(Ichvergötterung),

w e l c h e u n s e i n e r s e i t s d i e G e m e i n s c h a f t mit d e r M e n s c h heit r a u b t , a n d e r e r s e i t s d e r V e r z a g t h e i t u n d V e r z w e i f l u n g in

die A r m e

wirft.

Denn

wenn

wir

uns

v o r den

Ab-

g r ü n d e n u n s e r e r S e e l e fürchten, vor ihren Leidenschaften, Süchten

u n d W i r r n i s s e n , s o ist e s j a d o c h n u r , weil w i r

i m m e r m e i n e n , als e i n z e l n e r g e g e n s i e zu s t e h e n . wenn

sittlichen W i l l e n

gegen

sie aufrufen, haben

•unsere E i n s a m k e i t d u r c h b r o c h e n heit s t e h t h i n t e r uns. Gemeinschaft

selbst

Aber

es

sind

Wenn

immer nicht

welche uns zerstreuen nicht

wir

und die ganze auch d i e

wieder

die

zum

Problem

Beziehungen

der

gewonnene der

wird.

Mitwelt,

und u n s e r e S e e l e z e r r e i ß e n ?

d i e G e s e l l s c h a f t mit i h r e n A n s p r ü c h e n ,

uns g e r a d e die Einheit des G e m ü t e s raubt*)? man

bereits Mensch-

S i n d w i r d e n n nicht auch in

sittlichen K u l t u r g e b o r g e n ?

es

Aber

wir die Vernunft, das begriffliche D e n k e n und den

Ist

welche

So

kann

n u r f r a g e n , w e n n m a n d i e G e m e i n s c h a f t z u m Milieu

verflacht

und

den

Menschen

und

sein

sittliches

Selbst

z u m P r o d u k t s e i n e r U m g e b u n g , i n s b e s o n d e r e s e i n e r Mitmenschen,

macht.

Ganz

abgesehen

davon,

daß

diese

U m g e b u n g s e l b s t n i e e t w a s A b g e s c h l o s s e n e s , F e r t i g e s ist, sondern

der

Idee g e g e n ü b e r

ein

relativ

und

zufälliges

S e i n hat, liegt auch d e r g a n z e n A n s c h a u u n g ein völliges Verkennen grunde.

der theoretischen

u n d sittlichen V e r n u n f t zu-

J a , s o l a n g e d i e V e r n u n f t sich v o n a u ß e n

mühe-

l o s b e s c h e n k e n u n d b e r e i c h e r n läßt, sich d e n S t i m m u n g e n , Gefühlen und Empfindungen wehrlos hingibt,

nimmt

*) Vergl. z . B . R. Eucken: wart, 2. Aufl., S. 197. Kinkel, Traum. 2. Aufl.

3

sie

Die Grundbegriffe der Gegen-

34

Von dem Begriffe Gottes.

die Z e r r i s s e n h e i t d e r Natur und Mitwelt in sich auf. A b e r d e r V e r n u n f t ist nichts g e g e b e n , s o n d e r n w a s sie berührt, w i r d zum P r o b l e m . Auch d e r a n d e r e , d e r Mitm e n s c h , in dem ich mein S e l b s t e r z e u g e , wird j a erst durch die sittliche H a n d l u n g f ü r mich real. Nichts, w a s mir die G e s c h i c h t e , das L e b e n o d e r die Natur überliefert, wird mein e i g e n , s o l a n g e ich e s nicht in die Einheit m e i n e s B e w u ß t s e i n s a u f g e n o m m e n und a u s den Tiefen m e i n e r S e e l e gestaltet habe. W i e k ö n n t e d e r das M e n s c h e n g e s c h l e c h t a u s Schuld e r l ö s e n , d e r nie selbst g e s ü n d i g t h a t ? Nur w e r selbst geirrt h a t , versteht den Irrenden. D a s ist im guten Willen d e r S e g e n d e r S ü n d e . Des Menschen wahres W e s e n a b e r liegt in d e r Wahrheit und im G u t e n ; und d e s w e g e n ist auch die E r k e n n t n i s des W a h r e n und G u t e n von P l a t o eine „ W i e d e r e r i n n e r u n g " g e n a n n t w o r d e n , g l e i c h s a m , als o b w i r ' s schon f r ü h e r g e s c h a u t hätten, w a s w i r jetzt mit Augen d e s G e i s t e s w a h r n e h m e n . So mag's auch wohl k o m m e n , daß zwei M e n s c h e n , die sich in d e r Liebe zum W a h r e n und G u t e n g e f u n d e n haben, sich alsogleich nahe sind w i e zwei alte F r e u n d e und nichts F r e m d e s zwischen sich s e h e n . D e n n sie s e h e n die G e m e i n s a m k e i t ihres W e s e n s und fühlen den O d e m ihrer w a h r e n Heimat. F r e u n d s c h a f t und Liebe sind d a h e r w i e Inseln d e s S e i n s im weiten O z e a n d e s W e r d e n s ; w i r g e w i n n e n mehr und m e h r Land, j e weiter w i r u n s e r e S e e l e in d e r Gemeinschaft d e r Menschen, in d e r Wahrheit und im Guten a u s d e h n e n . E i n e s u m m e n d e B i e n e kann u n s den g a n z e n S o m m e r mit all s e i n e r Lust v o r z a u b e r n ; ein g u t e r G e d a n k e u n s e r g a n z e s G e m ü t e r f r e u e n und e r l e u c h t e n ; ein F r e u n d , den wir g e w o n n e n h a b e n , uns alle Leiden und T r ü b s a l des D a s e i n s v e r g e s s e n m a c h e n . und

Die W a h r h e i t fällt uns nicht m ü h e l o s in den Schoß, d a s G u t e ist nicht w i e eine reife F r u c h t , die man

35

Von dem Begriffe Oottes. im V o r b e i g e h e n Wille

müssen

pflücken

ringen

kann.

und

Die

kämpfen,

Vernunft

und

um m e h r und

der mehr

d e s E w i g e n i n s D a s e i n e i n z u b a u e n ; w i r m ü s s e n das S e i n den A r m e n d e s C h a o s e n t r e i ß e n .

W a s a b e r unser Mühen

und W i r k e n s o s c h w e r macht, das ist, daß w i r j e d e W a h r heit und j e d e H a n d l u n g in u n s e r Ich aufnehmen gerade wenn göttlichen

müssen,

w i r uns vom Ich b e f r e i e n und zum sittlich-

Selbst

durchdringen

wollen.

Aber

dies

ge-

lingt nicht i m m e r : statt u n s e r Ich zur W a h r h e i t d e s S e i n s zu

erweitern,

versuchen

wir,

das

u n s e r e s e n g e n , geistig-sittlichen und w e r f e n rück.

scheiden

w i r uns

den

Rahmen

einzusperren,

auch von

w i r g e b e n j a das B e s t e v e r l o r e n :

u n s e r e K r a f t zu w a c h s e n , b e s s e r ein

in

e s s o auf die S t u f e d e s P r o b l e m a t i s c h e n

Aber so

denn

Sein

Besitztums

Schein-Glück

oder

einen

uns

unsere

zu w e r d e n .

Wunsch

zu-

selbst; Freiheit,

Wenn

aufgeben

wir

sollen,

weil ihm e i n e W a h r h e i t e n t g e g e n ist, s o fürchten w i r den Schmerz

der

unserer

Seele,

gerade Weg

Entsagung

jenes

zu

den Leid,

einer

und

man das

höheren

denken,

es

rauben

will;

uns wir

scheuen,

Wirklichkeit

a l s o zu g r ö ß e r e r G o t t e s n ä h e führen

sei

ein

aber

welches unserer

soll.

Teil

es

ist

uns

den

Seele

und

E s ist j a auch

nur S c h e i n , daß w i r die g a n z e W i r k l i c h k e i t u n s e r e r S e e l e a u f g e b e n müßten, w e n n w i r zu e i n e r h ö h e r e n f o r t s c h r e i t e n : obgleich wir

freilich

nicht ein S t ü c k

f ü r e w i g halten dürfen.

E t w a s von

unseres

Besitztums

der Wahrheit

r e i n e n V e r l a n g e n s zur Idee lebt in allen

unseren

und

ist

verbindet

sie.

Denn

kein

Mensch

auf b ö s e , e r hätte denn aufgehört, M e n s c h So

von zu

eines Welten Grund

sein.

mögen wir also getrost die Ungewißheit

ertragen,

die sich auf e i n e letzte S i c h e r h e i t und G e w i ß h e i t g r ü n d e t . Dennoch schier

sitzstand in

m a g uns w o h l

hilflos

erscheinen,

ein Z a g e n b e f a l l e n , daß wir uns wenn

w i r den j e w e i l i g e n

unserer S e e l e , j a unseres ganzen

seiner jetzigen

Kulturstufe,

vergleichend

Be-

Geschlechtes der 3*

Unend-

Von dem Begriffe Gottes.

36

lichkeit d e s p r o b l e m a t i s c h e n

Seins,

das s e i n e r

und B e f r e i u n g noch harrt, g e g e n ü b e r s t e l l e n ;

Erlösung

und w a s w i r

i m m e r a l s u n s e r e n s i c h e r s t e n S c h u t z a n r i e f e n , d a ß e s die ganze Menschheit

ist, w e l c h e u n s e r L o s teilt und in den

R e i g e n der U n g e w i ß h e i t v e r s t r i c k t ist, k ö n n t e noch u n s e r e Furcht steigern. kleinen

Ist e s n i c h t ,

Nachen

Vernunft nahen?

den O z e a n

und

der

Idee

als w o l l t e n

w i r in

befahren, wenn

vertrauend,

jener

Unendlichkeit

Und w e n n w i r hierzu durch die Not d e s L e b e n s

gezwungen

sind,

um

so

schlimmer

könnte

man

E s ist ein s c h l e c h t e r T r o s t , wenn- wir darauf werden,

daß

uns

gar keine

andere Wahl

handen, wenn und u n s e r e m

das künftige S e i n innersten

Wesen

sich als

widervernünftig

entgegengesetzt

D a s ist e s j a e b e n g e r a d e , w o v o r

kenntnis

d e r Idee

Idee

als

Menschheit

Gottesidee

sich

und

und

enthüllen

uns die

Er-

das ist e s , w a r u m

wir

bezeichnen.

entfaltet

Aber

nur dann v o r -

könnte.

bewahrt,

sagen.

hingewiesen bleibt.

j e n e G e f a h r , die w i r fürchten, w ä r e doch

die

einem

w i r uns, der

Wenn

durchgesetzt

die

reine

haben

wird,

wird ihr die Natur nicht feindlich g e g e n ü b e r s t e h e n , dern deren

in

der

Vernunft

Gesetzen

liches S e i n

der

Untertan

können

Menschheit

sein.

einander

selber

Theoretisches

und

nicht w i d e r s p r e c h e n ;

endliche

k e i n e r endlichen

Zeit

erreicht;

sittaber

ihre v ö l l i g e E i n h e i t ist auf k e i n e S t u f e d e s D a s e i n s a l s o zu

son-

wurzelnd

und

s i e ist Idee, un-

Aufgabe. IV.

Der jugendliche Rousseau Menschenliebe schaften

heraus,

bekämpft,

als

die ob

hat,

g e r a d e aus

Kultur

innigster

und

ihre

Errungen-

insbesondere

der

Fortschritt

der E r k e n n t n i s kein S e g e n für u n s e r G e s c h l e c h t b e d e u t e t e . Ich s a g e :

aus

Menschenliebe;

d a ß s e i n e A n g r i f f e sich sondern

gegen

die

nicht

und gegen

irregeleitete

das

beweist

schon,

die K u l t u r an

Kultur

richteten.

sich, Er

Von dem Begriffe Gottes.

37

w o l l t e ein n e u e s , r e i n e r e s Ideal d e r Kultur aufstellen, d e m er den i r r e f ü h r e n d e n N a m e n d e r Natur beilegte. R o u s s e a u s N a t u r hat noch zu k e i n e r Zeit existiert; sie ist eine Idee und ihre Realität ist die d e r Z u k u n f t . So hat d e n n auch Schiller w i e d e r an Stelle d e r Natur die Idee g e s e t z t . Doch ist die F r a g e , ist d e n n wirklich d a s Heil d e r Menschheit in d e r E r k e n n t n i s g e l e g e n , damit noch nicht abgeschüttelt. S c h e i n t doch w i r k l i c h , allen S i e g e n d e r W i s s e n s c h a f t zum Trotz, d a s Leid und E l e n d d e r M e n s c h e n nicht zu entfliehen. A b e r w e r näher zusieht, d e r w i r d d e n n o c h g e w a h r , w i e w i r mit d e r E r k e n n t n i s u n s e r S e l b s t p r e i s g e b e n würden. D a s Sein ist die W a h r h e i t ; und die Begriffe, als die Mittel d e r E r k e n n t n i s , sind zugleich die E l e m e n t e des Seins. E m p f i n d u n g e n u n d G e f ü h l e , w i r haben e s oft g e s a g t , h a b e n an sich kein S e i n , s o n d e r n sind nur d e r s u b j e k t i v e A u s d r u c k d e s Seins, d e r uns die P r o b l e m e aufstellen heißt und in d e n e n die g e s i c h e r t e Realität sich dem individuellen B e w u ß t s e i n k u n d g i b t . I n s b e s o n d e r e ist d a s Leid n u r die subjektive E r s c h e i n u n g s f o r m , in d e r sich u n s ein Nichtseinsollendes, eine L ü c k e im sittlichen Sein k u n d g i b t . W i e nun d e r Fortschritt d e r W i s s e n s c h a f t und a l s o d e s D a s e i n s immer eine V e r t i e f u n g d e r P r o b l e m e mit sich bringt, s o ist es nicht erstaunlich, w e n n auch d a s Individuum n u n m e h r heftiger unter d e m P r o b l e m a tischen und U n v o l l k o m m e n e n d e s D a s e i n s zu leiden hat. D i e S p a n n u n g im Dasein ist g e w a c h s e n und wächst immer m e h r ; die S e e l e des einzelnen ist empfindlicher g e w o r den und b e g e h r l i c h e r , a b e r auch k r a f t v o l l e r den P r o blemen g e g e n ü b e r . A b e r im selben Maß ist auch die o b j e k t i v e Wirklichkeit, die t h e o r e t i s c h e s o w o h l wie die sittliche W e l t , g e w a c h s e n . Und w e n n die Leiden und S c h m e r z e n d e s D a s e i n s intensiver e m p f u n d e n , die Lücken also o f f e n k u n d i g e r w e r d e n , so ist d a s nur ein Beweis, d a ß w i r uns d e r Quelle alles D a s e i n s , d e r Wurzel aller

38

Von dem Begriffe Gottes.

Realität, und also d e r E r l ö s u n g von Leid g e n ä h e r t h a b e n . „ W o die Not am g r ö ß t e n ist, da ist G o t t e s Hilfe am nächsten", s a g t d a s V o l k ; n u r darf man den S p r u c h nicht auf die G l ü c k s e l i g k e i t d e s Individuums b e z i c h e n . Denn die Realität d e s einzelnen liegt nicht in s e i n e m isolierten D a s e i n , w e l c h e s im T o d e erlischt, s o n d e r n in seinem Verhältnis z u r Allheit. Und j e mehr Leid d e r einzelne im D i e n s t e d e r Allheit dulden m u ß , d e s t o m e h r Ewigk e i t s w e r t e r o b e r t er s e i n e m sittlichen S e l b s t . Und wie d e r e i n z e l n e am Leid d e r Menschheit teilnimmt, s o verm a g e r j a auch ihre G r ö ß e zu teilen, e b e n in d e r Erk e n n t n i s und durch den Willen. Die Menschheit ringt mit d e r Unendlichkeit d e s S e i n s , indem sie ihre e i g e n e Unendlichkeit entfaltet. D e r Kampf ist unendlich, a b e r unendlich ist auch d a s M e n s c h e n g e s c h l e c h t ; und s e i n e Unsterblichkeit teilt, w e r sich ihm zu eigen gibt. W a s d e r Menschheit S t a b und S t ü t z e ist auf ihrem r a s t l o s e n W e g z u r Idee, die E r k e n n t n i s , d a s ist auch dem einzelnen s o oftmals Heilmittel in d e r S e l b s t e n t f a l t u n g s e i n e s W e s e n s , indem sie sein b r a u s e n d e s H e r z in R u h e w i e g t und die Not s e i n e r S e e l e besänftigt. W e r sich nur erst zur rechten Einsicht d u r c h g e r u n g e n hat, d e r m a g leicht d e r irren W ü n s c h e und T r i e b e H e r r w e r d e n . W e n n w i r eine Wahrheit e r k e n n e n , e r w e i t e r n w i r u n s e r e Seele. D e n n indem wir u n s e r e r Wirklichkeit durch den Begriff d e s G e g e n s t a n d e s eine n e u e G e s e t z m ä ß i g k e i t zufügen, sichern und befestigen w i r die O r d n u n g ihres Daseins, füllen Lücken a u s , f ü h r e n ihr n e u e Möglichkeiten des S e i n s zu. Gleichzeitig und parallel mit diesem G r ö ß e r w e r d e n und dieser V e r t i e f u n g d e r o b j e k t i v e n Wirklichk e i t , in d e r w i r l e b e n , geht a b e r auch eine S t e i g e r u n g und B e r e i c h e r u n g d e r Fähigkeit u n s e r e s G e m ü t e s , uns d e r s e l b e n in E m p f i n d u n g e n und G e f ü h l e n b e w u ß t zu werden, vor sich. Leid und Lust w a c h s e n , und s o sind auch dem Willen n e u e und tiefere P r o b l e m e gestellt.

Von dem Begriffe Gottes.

39

E s ist begreiflich, daß die N a t u r f o r s c h e r s o leicht zu e i n e r pantheistischen B e s e e l u n g d e r Natur und e i n e r Vergöttlichung i h r e r Wirklichkeit g e t r i e b e n w e r d e n . Denn sie sind durch die L e b e n s a u f g a b e , die sie sich gestellt haben, g e z w u n g e n , sich d e r G e s e t z m ä ß i g k e i t d e r Vernunft, in w e l c h e r sie selbst die Sicherheit .und d a s D a s e i n d e r Natur einschließen und durch w e l c h e sie j e n e Natur erst selbst e r z e u g e n , mit g a n z e r S e e l e h i n z u g e b e n . W i e nun j e n e N o t w e n d i g k e i t ihrem eigenen W e s e n e n t s p r u n g e n ist, s o teilt sie sich auch ihrem g a n z e n I n n e n l e b e n mit. Ber u h i g u n g i h r e r L e i d e n s c h a f t e n , ein A u f k e i m e n s t e t s ern e u t e r H o f f n u n g e n — alles scheinen sie d e r Natur zu verdanken. D a s Objekt, das sie sich erschaffen haben, indem sie sich d e r Entfaltung ihres w a h r e n S e l b s t e s n ä h e r n , stellen sie außer sich w i e eine f r e m d e Macht, die sich nun nicht mehr um die p e r s ö n l i c h e n E r l e b n i s s e i h r e r I n n e n w e l t zu k ü m m m e r n scheint. Und sie haben j a auch z u r Hälfte recht: denn d e r Begriff ist immer die Ü b e r w i n d u n g d e r Subjektivität. A b e r dies b e d e u t e t eben nur, d a ß die w a h r e Realität sich in ihm a n k ü n d i g t , welche die Allgemeinheit in sich birgt und die Isolierung zerstört. Nun v e r g e s s e n sie a b e r sich selbst in j e n e r Macht: sie s e h e n nicht m e h r , daß sie selbst mit aller Unvollk o m m e n h e i t d e r W i s s e n s c h a f t i h r e r Zeit und mit allen S c h r e c k e n ihres relativen und v e r g ä n g l i c h e n D a s e i n s in j e n e r Natur enthalten sind. D a ß sie dies a b e r v e r g e s s e n k ö n n e n , d a ß sie die G l e i c h u n g S p i n o z a s D e u s s i v e n a t u r a (Gott-Natur) auch nur f ü r k u r z e Zeit ungestraft vollziehen k ö n n e n , hat seinen G r u n d darin, daß sie, o h n e sich d a r ü b e r R e c h e n s c h a f t zu g e b e n , immer, w o sich d a s Ungöttliche d e r Natur offenbart, d i e s e auf die Stufe d e r Idee e r h e b e n , j a mit d e r Idee vertauschen, s o daß dann d a s P r o b l e m a t i s c h e , w e l c h e s die Natur u n s e r e r Zeit noch so reichlich in sich birgt, zu einem P r o b l e m a t i s c h e n f ü r uns z u s a m m e n s c h r u m p f t , d a s d e r Natur „an sich" nicht eignet.

Von dem Begriffe Goltes.

40

S i e m a c h e n e s w i e R o u s s e a u : . s i e s a g e n „ N a t u r " und meinen „Idee".

D a s w ä r e nun unschädlich und ungefährlich, w e n n

nicht e b e n in j e n e m „an s i c h " der Natur die P r o b l e m e als gegenwärtig

gelöst

(wenn auch nicht vom

Menschen,

s o doch von j e n e r t r a n s z e n d e n t e n Natur s e l b s t ) aufgefaßt, die

uns

doch

bekannte

ein

Natur

invariabler,

als

ein T e i l

ewig

sich

Teil

des

übrigen

Und

das

ist dann w i e d e r die s c h l i m m e und

liche

Rechtfertigung

Welt.

„Es

unbekannten

zwar nur,

des

Ganzen

Übels

aber

gleichbleibender

und

aufgefaßt

des

würde.

kulturfeind-

Bösen

in

der

ist s o und muß s o b l e i b e n in alle E w i g k e i t . "

Nein, auch das, w a s wir j e t z t Natur n e n n e n und w a s die Subjektivität

des

einzelnen

überragt

und

bis

zu

einem

g e w i s s e n G r a d e zur W a h r h e i t

und O b j e k t i v i t ä t

nicht a b s o l u t und u n w a n d e l b a r .

Die fortschreitende Wissen-

schaft und S i t t l i c h k e i t wird Man k a n n z. B . s c h o n in

einer

ganz

e s durch B e s s e r e s

heute N e w t o n s

anderen

erlöst,

Form

ist

ersetzen.

Gravitationsgesetz

aufstellen

und

die

ganze

W i r k l i c h k e i t u m s t o ß e n , w e n n man d e r M e c h a n i k d e s W e l t s y s t e m s nicht

die G e o m e t r i e

nichteuklidischen

Geometrien

Euklids,

sondern

zugrunde

legt.

eine

der

Aber

was

j e t z t und heute noch w i e e i n e Art W i l l k ü r e r s c h e i n t , wird zur N o t w e n d i g k e i t d e s D a s e i n s , w e n n sich einmal z e i g e n s o l l t e , daß e s v e r n u n f t g e m ä ß e P r o b l e m e d e r m e c h a n i s c h e n W i r k l i c h k e i t gibt, die nur mit e i n e r d e r Geometrien

zu b e w ä l t i g e n

sind*). —

nichteuklidischen

Auch nur s o , wenn

w i r die Natur i h r e r A b s o l u t h e i t e n t k l e i d e n und s i e in i h r e r R e l a t i v i t ä t e r k e n n e n , hört s i e auf, für uns ein b l i n d e s S c h i c k sal zu s e i n , und wird ein T e i l u n s e r e s Wir Seele

sprechen

des

mäßigkeit, dem

vom

einzelnen. durch

unsicheren

Verhältnis

der

Erkenntnis

Die Regelmäßigkeit

welche Meere

Wesens.

der

Begriff

unserer

und

und die

Empfindungen

zur

GesetzVernunft und

Ge-

*) Inzwischen ist dieser Fall eingetreten: Vgl. Einsteins Relativitätstheorie.

Von dem Begriffe Gottes.

41

fühle, Sein und Gewißheit verleiht, ist es g e r a d e , w e l c h e nur zu oft g e g e n sie mißtrauisch, j a feindlich stimmt. In d e r S t u n d e , w o g r o ß e L e i d e n s c h a f t e n und G e f ü h l e in u n s e r e r S e e l e g e b o r e n w e r d e n , n e u e P r o b l e m e d e r Exis t e n z uns in u n g e k a n n t e Leiden und F r e u d e n verstricken, lieben w i r die F i n s t e r n i s und Unsicherheit unseres Z u s t a n d e s ; j a , sie ist hier, w e n n sie nicht d a u e r n d w i r d und u n s e r S e l b s t verschlingt, zuzeiten s e g e n s r e i c h . W i e ein F r e m d k ö r p e r die K r i s t a l l b i l d u n g d e r a n o r g a n i schen M a t e r i e verhindern o d e r w e n i g s t e n s d e r a r t s t ö r e n kann, daß d a s n e u e G e b i l d e mit U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n aller Art befleckt ist, s o kann d a s vorzeitige Eingreifen e n g h e r z i g e r B e g r i f f e eine Leidenschaft, w e l c h e die S e e l e , w e n n man s i e hätte d e r V e r n u n f t e n t g e g e n r e i f e n lassen, zu g r o ß e n G e d a n k e n und zu e i n e r E r h ö h u n g ihres S e i n s g e f ü h r t hätte, v e r d e r b e n und v e r k ü m m e r n machen. Und s o l a n g e d a s P r o b l e m nicht in s e i n e r g a n z e n Tiefe erk e n n b a r ist, sind die Begriffe d e r V e r n u n f t immer zu eng. W i e o f t ist nicht ein k e i m e n d e r L i e b e s b u n d d a durch g e s t ö r t w o r d e n , daß man ihn beim Namen nannte, e h e die S e e l e n , w e l c h e sich e r s t gleichsam betastet hatten, e i n a n d e r sicher w a r e n . — W e r a b e r a n d e r e r s e i t s in d e r Unklarheit r i n g e n d e r G e f ü h l e zu b e h a r r e n d e n k t , muß bald i n n e w e r d e n , w i e sein Lebensschifflein scheitert und s e i n e S e e l e Not leidet. Nur d a s ist g e w i ß : w i r sollen g r o ß e n G e f ü h l e n , seien sie schmerzlicher o d e r f r e u d i g e r Natur, nicht a u s dem W e g g e h e n , denn sie rufen uns zu h ö h e r e n Stufen d e s S e i n s . Die A s k e s e , w e l c h e darauf a u s g e h t , uns vor E r s c h ü t t e r u n g e n d e r I n n e n w e l t zu b e w a h r e n , ist ein H e m m n i s allen g e s u n d e n F o r t s c h r i t t s und die K a m p f w e i s e e n g h e r z i g e r , im G r u n d e g e n o m m e n f e i g e r G e m ü t e r ; sie ist die Flucht vor dem P r o b l e m d e s L e b e n s , nicht s e i n e L ö s u n g . Man muß sein H e r z mitnehmen in die Welt, o d e r man verliert mit dem H e r z e n auch die Wirklichkeit. In u n s e r e r S e e l e

42

Von dem Begriffe Gottes.

w e c h s e l n E b b e und Flut, a b e r ein g u t e r Schiffer w e i ß die Gezeiten zu nutzen. In Zeiten eines seichten, d o g m a t i s c h e n R a t i o n a l i s m u s (der d a s G e g e n t e i l d e s idealistisch-kritischen Rationalismus ist) k a n n man b e m e r k e n , w i e auch d e r Mystizismus an Kraft g e w i n n t . Weil die d o g m a t i s c h e Wirklichkeit tieferen G e m ü t e r n zu e n g w u r d e , weil ihre s e h n s ü c h t i g e n L e i d e n s c h a f t e n und w e r b e n d e n G e f ü h l e k e i n e n P l a t z in ihr haben, e r b a u e n sie sich eine Welt d e r S y m b o l e und G e h e i m n i s s e , w e l c h e unter s c h e i n b a r e r B e w ä l t i g u n g d e r P r o b l e m e d e n n o c h das H e r z ihre g a n z e S c h w e r e empfinden läßt. S o w a r z. B. d e r d o g m a t i s c h e Rationalist d e s 18. J a h r h u n d e r t s mit d e r Welt bald f e r t i g ; a b e r d e r Pietist rief nach e i n e r W i e d e r g e b u r t d e r S e e l e . E s ist auch töricht, zu g l a u b e n , daß man e i n e s g r o ß e n H e r z e n s G e f ü h l e und L e i d e n s c h a f t e n mit d e r B e g r i f f s w e l t e i n e r v e r s i n k e n d e n Wirklichkeit ersticken k ö n n t e , sie w e r d e n a u s b r e c h e n zur R e c h t e n und zur L i n k e n . An d e m F e u e r b r a n d e d e r L e i d e n s c h a f t e n soll sich die S e e l e e n t z ü n d e n , d e r S t u r m d e r G e f ü h l e ihre K r ä f t e w e c k e n . W e n n d e r Geist nicht ringen muß mit solchen G e w a l t e n , erlahmt er. W i e k o m m t es doch, daß s o vielen g u t e n M e n s c h e n die H e r z e n u n g e s u c h t zufliegen — a n d e r e n , nicht w e n i g e r guten a b e r leicht Mißtrauen b e g e g n e t und sie auch von ihresgleichen häufig v e r k a n n t w e r d e n ? Die ersteren haben zumeist ein f e s t e r e s V e r t r a u e n zu sich selbst und eine g e n a u e r e V o r s t e l l u n g von dem, w o d u r c h sie in d e r Welt zu w i r k e n imstande sind. Die letzteren a b e r , obgleich vielleicht auf d e r s e l b e n H ö h e d e s sittlichen S e i n s a n g e l a n g t wie j e n e , sind u n g e w i s s e r ü b e r den W e r t ihrer Ideale und Ziele und mißtrauisch g e g e n ihre eigenen Kräfte, s o d a ß man sie aufsuchen muß in dem W i n k e l ihres H e r z e n s , damit sie uns nicht durch ihre ü b e r t r i e b e n e S e l b s t k r i t i k an sich irre machen. Namentlich d i e Philister und philiströsen D o g m a t i k e r , wie sie allem S k e p t i z i s m u s

43

Von dem Begriffe Gottes.

a u s d e m W e g e g e h e n , l e b e n j e n e n l e t z t e r e n g e g e n ü b e r in der

Furcht,

sie

möchten

mit h e r e i n g e r i s s e n

von

diesen

in

ihren

Zweifel

werden.

Man kann ja überhaupt sehen, w i e dem

Dogmatiker,

der seine eigene e n g e Wirklichkeit für das absolute Sein hält, n u r d i e S i c h e r h e i t e i n e s f r e m d e n D o g m a t i s m u s poniert.

im-

B e i s e h r vielen M e n s c h e n ist j a d e r D o g m a t i s m u s

nur die Frucht ihrer Angst vor der P r o b l e m a t i k des Lebens. Weil

ihnen

d e r G l a u b e an d i e I d e e ,

das Vertrauen

auf

d i e V e r n u n f t fehlt, s o m u ß d e r S k e p t i z i s m u s in j e d e r F o r m ja

auch

für sie

zu

einer

fürchterlichen

Macht

werden.

D e n n s o b a l d ihr b i ß c h e n g e i s t i g e s B e s i t z t u m i n s S c h w a n k e n g e r ä t , s e h e n s i e sich hilflos u n d w e h r l o s d e r U n g e w i ß h e i t des Daseins vor

ausgeliefert.

einem Dogmatismus

S i e flüchten zum

andern.

daher

höchstens

Dogmatiker

des

L e b e n s s i n d e s auch z u m e i s t , w e l c h e d i e S i t t e g e g e n d i e Sittlichkeit verteidigen

D e n n w o b e i d e sich w i d e r s p r e c h e n ,

S i t t e u n d Sittlichkeit, d a ist e r s t e r e z u m e i s t d e r A u s d r u c k der Kleinmut und Zagheit des menschlichen Herzens, das nicht

an

schlingt

sich doch

Menschen

selber glaubt.

Auch die

noch

d e r G e m e i n s c h a f t um

und

ein B a n d

bewahrt

unsittliche

sie vor dem Strudel des

seins; wenigstens scheinbar.

Sitte die

Nicht-

E s ist n u r e i n e T r a u m - u n d

Scheinwelt, welche sie errichtet. klusiv, d i e Sittlichkeit n i e m a l s .

Denn

d i e S i t t e ist ex-

D i e Sittlichkeit ruht, w i e

s c h o n oft g e s a g t , in d e r Allheit d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t e s , deren

Einheit sie fordert und

begründet.

E s ist nicht zu b e f ü r c h t e n , d a ß d a s S t r e b e n nach E i n heit

zur Einförmigkeit

welches leiht.

führe.

Denn

e s ist d a s

auch dem einzelnen C h a r a k t e r

Im L e b e n

des Menschen

Gesetz,

und Leben

ver-

ist j a C h a r a k t e r n u r d i e

b e s o n d e r e Art, w i e d e r e i n z e l n e d a s A l l g e m e i n e d e r I d e e in sich zu v e r w i r k l i c h e n s t r e b t , o d e r d e r ihm z u g e h ö r i g e Weg,

den er einschlagen

muß,

um sich bei s e i n e n

An-

l a g e n u n d F ä h i g k e i t e n u n d bei d e n b e s o n d e r e n A u f g a b e n ,

44

Von dem Begriffe Gottes.

vor die ihn das L e b e n stellt, der Idee zu n ä h e r n .

D e r Ruf

nach C h a r a k t e r und O r i g i n a l i t ä t ist g e n a u g e n o m m e n R u f nach g e i s t i g e r und sittlicher G r ö ß e ;

d e s sittlichen W i l l e n s fehlt, ist auch kein C h a r a k t e r . r a k t e r und W i l l e sind

der

w o die E n e r g i e Cha-

nicht a n g e b o r e n e N a t u r k r ä f t e ;

aus

dem r e i n e n U r s p r u n g des sittlichen B e w u ß t s e i n s wird der C h a r a k t e r im V e r l a u f d e s L e b e n s durch die sittliche Handlung erzeugt*). W e r von der H i n g a b e an die A l l g e m e i n h e i t e i n e V e r f l a c h u n g und E r s t i c k u n g der C h a r a k t e r e befürchtet, d e r d e n k t sich liche G r ö ß e ,

diese Allgemeinheit

bett, h i n e i n g e z w ä n g t w e r d e n Allheit

liegt

als eine fertige,

in die der e i n z e l n e , w i e in in

d e r Idee.

solle.

ein

end-

Prokrustes-

A b e r die E i n h e i t der

Originalität

suchen

auch

nur

k l e i n e G e i s t e r a u ß e r h a l b a l l e s G e s e t z e s ; s i e k a n n sich nur z e i g e n in d e r V e r t i e f u n g und A u s g e s t a l t u n g , a l s o doch auch gerade Anerkenntnis

des Gesetzes.

W i r h a b e n e s zu oft

erlebt, d a ß ein M e n s c h sich b e f r e i e n w o l l t e , indem e r sich von d e r Allheit und ihrem G e s e t z e a b k e h r t e , und in tiefste S k l a v e r e i g e r i e t , sei e s s e i n e r L e i d e n s c h a f t e n

die oder

e i n e r e n g e r e n G e m e i n s c h a f t ; da k e h r t e e r z u r M e n s c h h e i t und ihrem G e s e t z zurück, erfüllte e s mit s e i n e r S e e l e und w u r d e frei. nicht ein

A b e r "das ist e s e b e n : d a s G e s e t z s e l b s t ist

u n v e r ä n d e r l i c h e s D i n g ; w i r müßten denn s c h o n

im a b s o l u t e i l S e i n s e i n . Nur das zu s u c h e n d e Ziel stellt die Idee a u f : E r k e n n t n i s und W i l l e führen uns ihm e n t g e g e n . E s ist auch g a r nicht möglich, dem G e s e t z d e s S e l b s t zu dienen, o h n e e s in das S e l b s t zu w a n d e l n ; s o w ä c h s t es mit dem S e l b s t .

So

schaffen w i r uns die N o t w e n d i g -

keit u n s e r e s D a s e i n s , die d e n n o c h s t e t s vom S e l b s t überragt wird. der

neu

S o muß die S i c h e r h e i t d e s S e l b s t i m m e r w i e errungen,

neu

begründet

S e i t e n greift das Nichtsein

werden.

an u n s e r e S e e l e ;

Von

allen

die P r o b l e -

matik d e s D a s e i n s durchzittert in L e i d e n und S o r g e n unser *) Vgl. H. Cohen: Ethik des reinen Willens.

45

Von dem Begriffe Gottes. Gemüt,

und

die

Stimme

unserer

heiligsten

Sehnsucht

s e l b s t lockt uns zuweilen ins U n g e w i s s e ; d e r

Innenwelt

heimliches Keimen und W a c h s e n , das nach f e s t e r O b j e k tivität ruft, verkennen wir und stellen des Vergänglichen, Wenn

aber

erlischt,

um Leid

gegen

einzutauschen.

nur die L i e b e zur Menschheit

s o wird

bald wieder

die

G l ä n z e unserem geistigen Auge Was

uns in den Dienst Leid

ist

es

doch,

das

Idee

nicht in uns

in

ungetrübtem

erscheinen.

unser Herz zuweilen

s o ge-

waltsam erschüttert, wenn wir an v e r l o r e n e s Glück, vers u n k e n e Freuden g e d e n k e n ?

Beklagen

wir den Verlust

j e n e r holden Täuschung, die uns damals s o entzückte und die mit reifender Einsicht immer seltener wird, die uns den

Zustand

ließ?

unseres

Welche

glauben mehr

uns,

Glückes wenn

unwandelbar

auch

nur

ließ, wir seien am Z i e l ?

das,

goldenen

daß

wir

Stunden

uns

nicht

h a b e n , die der Zeit Denn

wie

die

Unvollkommenheit

erscheinen Augenblicke,

O d e r ist es nicht viel-

Vorwürfe Schätze

widerstehen

der E w i g k e i t g e b o r e n

für

machen,

genug und

in

jenen

gesammelt

aus

dem

Schmerzen

uns

zu

Schöße

sind?

Leiden und

und

Lücken

des

Daseins

an

die

gemahnen

sollen und also unsere Sehnsucht zur Idee steigern müssen, so mit

sollten auch die Freuden und seligen Empfindungen, denen

tiefen

und

uns s o selten das S c h i c k s a l b e s c h e n k t , reinen Affekt

den

der Humanität in uns steigern

und uns verlangend der Zukunft zutreiben, statt uns auf das Faulbett des G e n i e ß e n s zu werfen.

W i r verfallen dem

Teufel des Nichtseins, wenn wir zum Augenblicke verweile doch, du bist s o schön.

sagen,

Nicht dem G e n u ß nach-

j a g e n d , sondern der Idee dienend, sei unser W e g rastlos und ruhelos bis ans Ende. und G l ü c k

nicht

mit

G r o ß e Herzen

der tatlosen

nehmen Leid

E r g e b u n g der

Resig-

nation hin, sondern entzünden ihr menschliches Verlangen e w i g neu zu höheren Stufen der Menschheit.

Insbeson-

Von dem Begriffe Gottes.

46

d e r e ist i h r e S t a n d h a f t i g k e i t viduellen Kernes Reich

Leiden

der

irf d e r E r t r a g u n g i h r e r

Beweis

der

Realität

a l l e s sittlichen G l a u b e n s an ein des Guten

und d e r

des

indi-

letzten

überindividuelles

Wahrheit.

W e n n die B e g e i s t e r u n g u n s e r e H i n g e b u n g an die Idee stärkt

und

unseren

wird u n s e r W e g

Mut

immer

wieder

neu

l e i c h t e r und s e l i g e r s e i n .

entzündet,

E s mag wohl

wahr sein, daß der e n g e Blick des ewig nüchternen,

keines

E n t h u s i a s m u s f ä h i g e n P h i l i s t e r s , d e r a l l e D i n g e durch die B r i l l e e i n e r e g o i s t i s c h e n Nützlichkeitsmoral betrachtet, den vergänglichen

Erscheinungen

zuverlässiger

zeigt,

sterten.

großen

An

mensch

als

des L e b e n s g e g e n ü b e r

das

erregte

Problemen

Gemüt

muß

der

des

sich

Begei-

Nützlichkeits-

mit s e i n e r b e s c h r ä n k t e n S e e l e d e n n o c h s c h e i t e r n .

Wer

immer

wohl

auch,

im

Nächsten,

im

Endlichen

weil sein g e i s t i g e r

lebt,

der

B l i c k s o auf die

mag

nächste

U m g e b u n g e i n g e s t e l l t ist, die kleinen V e r s c h i e b u n g e n Umgestaltungen

und

des Alltagslebens besser bemeistern;

wo

a b e r unerwartete E r e i g n i s s e eintreten, w o es g r o ß e Ents c h l ü s s e gilt, hilft nur das b e g e i s t e r t e Herz, das die S e h n sucht So

zum E w i g e n

ist

die

zu

des Seelenlebens. sich

lichten

Begeisterung Es

ein

ist

Flammen eminent

angefacht

sittliches

a b e r nicht g e r a d e

die B e g e i s t e r u n g in g r o ß e n

Worten

hat.

Moment

nötig,

kundgibt;

daß auch

k l e i n e , oft u n s c h e i n b a r e Handlungen^ w e l c h e d e n n o c h die s i t t l i c h e K u l t u r aufs innigste b e r ü h r e n , sind oft a u s

dem

Schöße

dem

der B e g e i s t e r u n g

Anschein

geboren,

der Gleichgültigkeit

Auch die B e g e i s t e r u m g , ist

tausendmal

Irrtum

des

nie Fanatismus.

bereit

und und

ist

fähig,

verbirgt.

und g e f ä h r l i c h Denn

abirrt, als

der

Begeisterung

ist

der B e g e i s t e r u n g f ä h i g ist und a u s

B e g e i s t e r u n g gefehlt hat, d e r hat s e i n e n erhalten

hinter

die vom r e c h t e n Z i e l e

Philisters.

Wer

sich

und G e l a s s e n h e i t

w e n i g e r schädlich

kleinen

die

stets neue

zur U m k e h r Ziele

mit

und

Geist

beweglich

zum

Umlernen

gleicher

Inbrunst

zu

Von dem Begriffe Gottes.

47

e r g r e i f e n ; a b e r d e r F a n a t i k e r ist in s e i n e n Begriffen s o b e f a n g e n , d a ß e r mit ihnen zugleich die T r i e b k r a f t s e i n e r S e e l e verlieren w ü r d e . Auch die Irrtümer d e s Nützlichk e i t s m e n s c h e n , w i e sie im G r u n d e aus E g o i s m u s ents p r u n g e n s i n d , b e h a r r e n in d e r T e n d e n z s e i n e r Seele, s e l b s t w e n n sie ihr E i n z e l d a s e i n e i n g e b ü ß t h a b e n . Ein B e g e i s t e r t e r ist niemals Egoist. Hat e r geirrt, s o bleibt u n s doch i m m e r die Gewißheit, daß e r G r o ß e s g e w o l l t hat. E s ist e b e n d a s W u n d e r b a r e und Göttliche d e r W a h r heit, daß sie ihren J ü n g e r n das H e r z e n t z ü n d e t und sie ü b e r sich selbst, ü b e r ihr kleines Ich h i n a u s w e i s t . Wer d e r Wahrheit ins A u g e g e s c h a u t , o d e r s a g e n w i r vors i c h t i g e r : w e r ihren G l a n z von f e r n e erblickt h a t , d e r muß seinen B r ü d e r n davon e r z ä h l e n ; e s d r ä n g t ihn unwillkürlich, a n d e r e teilnehmen zu lassen an seinen G e sichten. A b e r nun muß e r die S p r a c h e s p r e c h e n s e i n e r G e f ä h r t e n , damit sie ihn v e r s t e h e n ; d. h. e r muß von ihren I r r t ü m e r n , die auch einst die seinen w a r e n , ausgehen. V e r m a g e r d a s nicht, s o v e r h ö h n e n und verketzern sie ihn als einen S c h w ä r m e r . W i e gefahrvoll ist a b e r j e n e r W e g ! Wie oft sind nicht die s c h ö n s t e n G e d a n k e n v e r k ü m m e r t durch j e n e e r z w u n g e n e A n p a s s u n g an die b e s t e h e n d e WirklichkeitI W ü r d e e r b e g e i s t e r t e n Herzen b e g e g n e n , s o hätte das k e i n e N o t ; sie w ü r d e n ihm z u f l i e g e n , sie w ü r d e n ihn aufsuchen. D e m egoi s t i s c h e n , philiströsen Nützlichkeitsapostel a b e r sind die höchsten Einsichten nur n e u e Mittel z u r I c h v e r g ö t t e r u n g . S o ist d e r Egoist im g e w i s s e n S i n n e ein G e g e n s t ü c k zum P a n t h e i s t e n ; w ä h r e n d nämlich d e r P a n t h e i s t d a s menschliche Ich als einen kleinen B e s t a n d t e i l d e r Allgottheit Welt auffaßt und d e r e n G e s e t z e n preisgibt, zieht d e r E g o i s t die g a n z e Welt in sein vergöttlichtes und absolut g e s e t z t e s Ich, d e s s e n W ü n s c h e und T r i e b e mehr als V e r n u n f t g e s e t z e nun auch die Welt fesseln sollen. A b e r w e d e r ist die Welt noch irgendein empirisches, menschr-

48

Von dem Begriffe Gottes.

liches Ich göttergleich und gut. H i n a u s g e h e n in die Wirklichkeit sollen w i r , um sie u n s a n z u e i g n e n ; a b e r nicht die L a u n e u n s e r e s S u b j e k t s ihr a u f z w i n g e n , s o n d e r n uns z u r Objektivität d e r V e r n u n f t läutern. D a n n w e r d e n w i r auch nicht in ihr, d e r Wirklichkeit a u f g e h e n und u n s e r e Freiheit b e w a h r e n . Wollen w i r u n s in u n s e r e r S t e l l u n g zu Welt und Menschheit p r ü f e n , s o d ü r f e n w i r n u r u n s e r Verhältnis z u r Kunst b e t r a c h t e n . D e r E g o i s m u s ist d e r T o d alles künstlerischen G e n i e ß e n s und S c h a f f e n s . D e n n d i e Kunst o f f e n b a r t dem G e f ü h l e die Idee. D a s Schicksal pflügt u n s e r e S e e l e mit s c h a r f e r P f l u g s c h a r und schreibt r a u h e W o r t e auf die Tafeln u n s e r e s H e r z e n s ; d e r Alltag hält uns mit den S t r i c k e n d e r S ü n d e und d e s Irrtums und w i r laufen dem T o d e nach. A b e r in d e r Kunst hebt sich u n s e r H e r z zum E i n e m p f i n d e n d e s E w i g e n . D a ist die Zeitlichkeit selbst die D i e n e r i n d e r Unendlichkeit, und w a s u n s s c h w a n k e n d und r u h e l o s umgibt, d a s wird r u h s a m und sicher in d e r H a n d d e s K ü n s t l e r s . Wir lassen u n s von ihm durch alle Tiefen d e s G e m ü t e s f ü h r e n , und e r s t e u e r t u n s e r Schiff durch alle Klippen d e r Leidenschaft und d e s L e i d e s ; a b e r u n s e r S e l b s t ist nicht in G e fahr, denn die Humanität v e r b i n d e t u n s ü b e r Zeiten und R ä u m e d e m Menschengeschlecht. W e r also den K ü n s t l e r v e r s t e h e n will, d e r löse sich von s e l b s t i s c h e m B e g e h r e n . D e r Wirklichkeit des L e b e n s dürfen w i r uns nicht o h n e w e i t e r e s v e r t r a u e n d a n h e i m g e b e n , s o n d e r n w i r müssen sie meistern und ihr d a s göttliche Teil u n s e r e r S e e l e erst e i n f l ö ß e n , damit sie t e i l n e h m e an u n s e r e r G o t t v e r w a n d t s c h a f t ; die Wirklichkeit d e s K ü n s t l e r s a b e r nimmt uns mit weichen A r m e n g e f a n g e n , und sie darf e s , weil sie kein E b e n b i l d d e r N a t u r , s o n d e r n ein P r o d u k t einer s e h n e n d e n S e e l e ist, die selbst zur Idee sich hinneigt. W e n n G o e t h e sich als ein Erdulin bezeichnete, als e r sich d e r nächtlichen Natur d e s W e i m a r e r P a r k s überliefert hatte,

49

Von dem Begriffe Gottes

nun s o w a r ' s eben s e i n e , d e s g r o ß e n K ü n s t l e r s Natur, d e r e n Kind e r g e w o r d e n , die ihn mit weichen A r m e n u m f a n g e n hatte. Ist denn nicht auch ein A u s r u h e n im A r m e d e r K u n s t uns allen zuzeiten bitter n o t ? E s ist doch ein Hafen d e r S e h n s u c h t , d e r auch dem G e r i n g s t e n o f f e n s t e h t : dennoch darf nicht die Kunst, s o n d e r n die W i s s e n s c h a f t dem Willen endlich d a s W e r k z e u g r e i c h e n , d a s z u r Gottverwirklichung, z u r S e l b s t e r i ö s u n g führt. Nur in d e r R u h e und Selbstsicherheit d e s G e s e t z e s , w i e es dem d e n k e n den Geist e n t s p r i n g t , ist endlich u n s e r Heil und H o r t . D i e Wahrheit wollen, d a s ist aller Weisheit letzter Schluß.

Kinkel, Traum. 2. Aull

4

Vom Tod, von der L i e b e und von anderen Dingen.

N

icht um die Toten, sondern um die Lebendigen weht der Hauch der Einsamkeit.

Denn w a s uns einsam

macht, ist ichsüchtiger Wunsch und Wille, ist nach G l ü c k und Furcht vor S c h m e r z e n ; leben in anderen

Verlangen

a b e r die Toten

durch ihre W e r k e , die nicht mit ihnen

g e s t o r b e n sind, durch die wahren G e d a n k e n , die s i e g e dacht,

durch die S c h ö n h e i t ,

haben.

die sie der Welt

geschenkt

A l l e , die j e n e r Wahrheit inne werden und sich

dieser S c h ö n h e i t

nähern,

leben

in

ihnen

und sind ihre

G e s e l l e n ; n e i n , die T o t e n sind nicht einsam.

Auch die

Toten kennen eine Sehnsucht und einen Willen, a b e r frei von Ichsucht und selbstischer Freude. ihres W e s e n s s i n d , und So

lebt

entfacht

in sie

der S e e l e

Denn die S u b s t a n z

derer,

zur Sehnsucht

die

ihnen

und zum

nahe

Willen.

lebt ihr Wille in fremdem Willen, ihre Sehnsucht in

fremder S e h n s u c h t ; a b e r sie haben die Schatten des Das e i n s abgestreift. und zu g e n i e ß e n . gesehen

E s ist der Lebendigen T e i l : zu leiden Wenn man erst das lebendige

hat, zweifelt man nicht mehr am T o d e ,

fängt an, ihn zu begreifen. Sein

und

keine Wahrheit

und das Leben sterben Sie

malen

Leben

sondern

S t e r b e n muß alles, w a s kein in sich

trägt;

aber

das Sein

nicht.

dir den T o d

wie ein G e s p e n s t ,

das be-

gierig deiner S e e l e harrt, wie es deinen Leib zerbrechen wird.

E r b e g e g n e t dir vielleicht im Glanz der

Morgen-

röte, in der Glut der Mittagssonne oder im Schatten der

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen. Dämmerung;

o d e r die Nacht führt ihn im

an dein L a g e r . ihn

nicht;

51

Sternenschein

E r w o h n t dir im H e r z e n , und du fühlst

er

tritt

in

deine

Spuren,

speist

von

deiner

Speise

und trinkt aus deinem B e c h e r : a b e r du s i e h s t ihn

nicht.

E r wird

k o m m e n , ist.

sich

enthüllen,

wenn

seine Stunde

F ü r c h t e dich nicht v o r d i e s e m

Bild!

geNur

d e r L i e b l o s e , w e l c h e r d e r W e l t nichts g e g e b e n und nichts von ihr e m p f a n g e n hat, fürchte mit R e c h t den T o d . den

Abendsegen

ruhig die

der

Liebe

im

Herzen

trägt,

Nacht.

Selbstsucht

ist

der

wahre

Tod

der

Seele:

du

nichts, w e n n du dich g e g e n die W e l t v e r s c h l i e ß t . alle O e d a n k e n , Herzen,

Wer

erwartet

Gefühle

d i e der

und E m p f i n d u n g e n

Umgang

mit

den

aus

Menschen

deinem

entzündet

hat, und die k ü m m e r l i c h e F l a m m e d e i n e s Ichs wird verlöschen.

Freuden

und L e i d e n

die S e e l e zu sich s e l b s t . dend,

und

ihre W e i s e

schafft

sich

Menschheit Leben

Und

indem

nachgeht.

sie Ja,

werauf und

die uns leitet, s o w ü r d e n w i r die

l i e b e n , die u n s e r S e l b s t

Ich-süchtige. sein

Charakter,

d e r Idee der M e n s c h h e i t

w ä r ' s nur S e l b s t - S u c h t ,

bald

d e r G e m e i n s c h a f t rufen

S i e ist n i e f e r t i g , i m m e r ihren

bist

Streiche

doch

ist

b i r g t ; a b e r w i r sind

das Ich nur das B l a t t ,

dem S t a m m e der M e n s c h h e i t

das

dankt.

A l l e die S t e r n e d i e s e s nachtdunklen L e b e n s v e r b l a s s e n vor

der

Erde

Morgenröte

den M a n t e l

heraufzieht,

den

der

Liebe.

Und

wenn

der D ä m m e r u n g a b w i r f t die M o r g e n r ö t e

H e r z die W e l t nicht w i e d e r .

dann

die

und d e r

Tag

verkündete,

kennt

das

Im S o m m e r . l i e g t das G o l d

in d e r L u f t ; du mußt nur e i n m a l in den W a l d o d e r

die

Kirche

sie

gehen

und

auf

die

v e r w a n d e l n S t a u b in G o l d .

Sonnenstrahlen Und w e n n

achten:

du nur den S o m -

m e r im H e r z e n trägst, wird die S o n n e d e i n e r L i e b e auch den

Staub

des

Lebens

in G o l d

verwandeln . . . .

L i e b e zum G u t e n , das ist die L i e b e zur M e n s c h h e i t .

Die Sie

lehrt uns d a s e i g e n e G l ü c k v e r a c h t e n und die G e g e n w a r t 4*

52

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.

geringschätzen. Wirklichkeit! Seele:

Du

Götzendiener

Achte

doch

D u bist h e u t e n i c h t ,

wirst morgen wiederum j a nur der Schatten hat E w i g k e i t . keit j n zu

Du

nicht

Wir

und

d e r du g e s t e r n

und deine

warst,

und

D i e G e g e n w a r t ist

trägst Wenn

sind

nicht das

die zukünftige Wirklichdu e w i g sein willst,

reich an L i e b e ,

lerne

wenn

wir

ist e i n e d ü r f t i g e L i e b e ,

die

heischt.

Wenn

d i e S e e l e e r f ü l l t ist v o n d e r L i e b e z u m G u t e n

und vom Lichte der Schönheit, kann des

Gegenwart Herz

d e r Z u k u n f t , u n d allein d i e Z u k u n f t aber

verschenken:

Antwort

der

dein

neugeboren.

deinem Willen.

sterben.

sie

auf

Lebens

nichts

anhaben.

ihr d i e N i e d r i g k e i t

Wenn

die

ihr s p r i c h t , h ö r t s i e n u r d i e T r a u e r ;

Gemeinheit

wenn

zu

der Haß sie

h e i m s u c h t , a n t w o r t e t s i e mit L i e b e ; s i e s i e h t in d e n Abgründen

der Wirklichkeit süßduftende Blumen

s e r e n Z u k u n f t u n d fühlt in d e n F e s s e l n Kuß der ewigen Freiheit. tausend

Keime

den

W e n n s i e leidet, ist ihr G r a m

w i e ein G ä r t n e r , d e r d e n G a r t e n und

einer bes-

des Alltags

der

ihres Gemütes

Sehnsucht

in

den

bestellt

fruchtbaren

B o d e n ihres Willens pflanzt. Sieh einmal, w i e die W o l k e n am Himmelszelt e r w a c h e n , bernen

Fingern

berührt

wenn

oder

d e r M o n d s i e mit sil-

die

rote

Sonne

sie

mit

g l ü h e n d e n S t r a h l e n k ü ß t : d a leuchtet i h r e S e e l e a u s i h n e n ! In d i e g r a u e T r ü b s a l d e i n e s H e r z e n s fällt ein B l i c k

der

L i e b e , u n d d u e r w a c h s t u n d e r k e n n s t dein i n n e r e s L e b e n . So

mancher,

der

zum

erstenmal

liebt,

glaubt

s c h a u e n , w i e M o s e s ihn im f e u r i g e n B u s c h e A b e r m a n c h m a l , g e r a d e im W e r d e n sich

die

Blätter

und

kenntnis erschließen

Blüten

des

Gott

der Seele,

Willens

zu

sah.

und

der

wenn Er-

und eine neue Innenwelt d e r Wirk-

lichkeit sich bildet, befällt u n s d a s F r ö s t e l n d e r V e r g ä n g lichkeit.

Wir

sehen

nach

dem V e r s i n k e n d e n ,

K o m m e n d e hat s e i n e n G l a n z v e r l o r e n .

und

das

Und fliegen dann

die F l e d e r m ä u s e d e r enttäuschten H o f f n u n g und

erzwun-

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.

53

g e n e n E n t s a g u n g durch die Nacht u n s e r e s K u m m e r s , leben w i r in einer Welt d e s T r a u m e s und d e r WillensMüdigkeit. D e r W i n t e r f r o s t d e s L e i d e s läßt u n s e r e K r ä f t e e r f r i e r e n und e r s t a r r e n . D a w i r d die e i g n e S e e l e u n s f r e m d , d a ß wir sie v o r u n s s e h e n w i e e i n e F l a m m e , die hierhin und dorthin z ü n g e l t , um d e m W i n d e ausz u w e i c h e n , d e r nach ihr stößt und schlägt. A b e r w e n n sich das Leid deinem H e r z e n naht, sollst du ihm nicht die P f o r t e verschließen. In d e r Sicherheit d e i n e s Alltags wußtest du nichts von dem bitteren W e h d e r Welt da d r a u ß e n : nun k o m m t sie zu dir und ruft nach dir, und du k a n n s t hören. Weil w i r u n s vor g r o ß e n Leiden und F r e u d e n f ü r c h t e n , m a c h e n w i r a u s u n s e r e r S e e l e eine Maschine und z w ä n g e n sie in die tote Sitte des Alltags. E s ist s o b e q u e m , in g e b a h n t e n W e g e n zu g e h e n . A b e r die Leidenschaft wirft u n s a u s dem Geleise, und w i r h a b e n den Halt v e r l o r e n . E s muß nur immer den e i n e n , g e r a d e n W e g g e h e n , s o n s t k ö n n t ihr's nicht f a s s e n . W e n n a b e r d a s Schicksal nun nicht mit euch will? Nein, die S e e l e muß sich in den Kampf des L e b e n s w a g e n , damit sie auch dem U n e r w a r t e t e n g e g e n ü b e r sich selbst nicht verliert. Z w a r , die tiefsten G e f ü h l e b e r g e n sich d e r Welt am l ä n g s t e n ; n u r die f e i n e n , b e w e g l i c h e n , die w i e S p i n n w e b ü b e r dem L a u b w e r k d e r S e e l e .ruhen, f u n k e l n sogleich im T a u d e r T r ä n e n , flattern im W i n d e des Verlangens. A b e r s c h e u e die tiefen G e f ü h l e nicht! E s gibt k e i n e „ R u h e in G o t t l " W e r zu G o t t will, muß k ä m p f e n und leiden. Nur in d e r S e h n s u c h t d e i n e s Willens, in d e r B e r ü h r u n g mit den S c h m e r z e n und F r e u d e n d e s L e b e n s leuchtet G o t t e s Licht in d e i n e S e e l e . Es gibt eine B l u m e , die heißt „ Z e i t l o s e " ; sie ist giftig. D e u t e d i r ' s : Du sollst d a s E w i g e in d e r Zeit, nicht a u ß e r ihr, im J e n s e i t s , suchen. Hast du einmal den Schatten d e i n e s Leibes b e o b achtet, den eine im W i n d e f l a t t e r n d e K e r z e an die W a n d

54

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen.

wirft? Drollige, sonderbare oder gespensterhafte Bewegungen vollführt er, während du selbst doch ganz ruhig sitzest; also bleibe deine Seele stille im Treiben des Alltags; aber wenn die Sehnsucht auf den Fittichen der Liebe zu dir kommt und das Leid dich küßt, so erwache und rege dich. In den schwachen Seelen der Philister ist wohl auch einmal ein Wetterleuchten der Leidenschaft; aber der säuselnde Wind der Gewohnheit vertreibt die Wetterwolken . . . Wer aber der Welt dienen will, der soll den Blitz auf sich herabziehen. Die Leiden ungestillter Sehnsucht sind das wahre Feuer des Prometheus. Die wahre Heimat der Seele ist nur dem Künstler zugänglich. Denn da ist keine Stille und kein Geräusch, kein Schweigen und kein Klingen im Leben, das seine Seele nicht zur Idee führt. Im Flüstern der Winde vernimmt er das Rauschen der Ewigkeit. Er erhöht durch die Glut seiner Sehnsucht das Leuchten des Abendrots; das Gesetz seiner Seele gestaltet die wirren Wolkenmassen zu Traumgebilden voll Leben und Wirklichkeit. Die Sternennacht ist nur der Mantel seiner Seele, und die Schauer der Unendlichkeit, welche den Weltenraum durchwehen, sprechen vertraulich zu seinem Herzen. Wo ist die Stunde, die er nicht heiligen, wo das Gemüt, das er nicht trösten kann? Er läßt den Alltag deiner Seele sterben, dem er das Ewige entrissen hat. Deine Freude wird reiner, deine Trauer reicher, wenn das innige Gefühl der Humanität sie durchdringt, welche jede wahre Kunst uns schenkt. Niedergebeugt durch die Last unverstandener Lebenspflichten, widerwillig die Schwere seelenfremder Werke tragend, klagt das Herz in den Armen der Notwendigkeit; aber die Kunst erlöst sie und zeigt ihr ein Paradies der Freiheit und Menschenliebe. Aber wir alle haben im weiten Ozean der Zeit eine Insel der Ewigkeit und Seligkeit, welche die Träume unserer Sehnsucht hervorgezaubert haben; sie versinkt

Vom Tod, von der Liebe und von anderen Dingen. nur,

um

meine

größer

und

schöner wieder

nicht die Illusionen

A l t e r und S c h i c k s a l S e e l e in d e r Einheit

rauben. der

aufzutauchen.

der J u g e n d : Ich m e i n e

55 Ich

die k ö n n e n

uns

die H e i m a t

der

Menschheit.

Ich sah die Schönheit; eine Dornenkrone Umgab ihr süOes Haupt, und schmerzbewegt Hat sich ihr Blick mir tief ins Herz gelegt, Daß ich in ihrem Banne fürder wohne. Vergeblich hoffst du, daß die Welt dich schone, Die deinen Geist in enge Fesseln schlägt, Wenn dich der Wunsch in s e l ' g e Fernen trägt: Dem reinsten Mühen wird nur Leid zum Lohne. Und dennoch will ich hoffen, will ich glauben, Solang mein Blut noch frisch im K ö r p e r kreist — Der Alltag soll die S e e l e nicht verstauben. Ich kenn' den Quell, der mein Verlangen speist; Ein Schwacher nur läßt sich die Heimat rauben, Dahin die ungestillte Sehnsucht reist.

Vom Vergänglichen und Ewigen.

I

m m e r folgt die S e e l e willig den T r ä u m e n d e s g o l d e n e n

F r ü h l i n g s , w e n n die Kraft des Z u k ü n f t i g e n sich lieblich o f f e n b a r t . Die B ä u m e erschließen ihr i n n e r s t e s L e b e n in B l ü t e n f ü l l e ; die r a u h e n F u r c h e n d e r Ä c k e r und Wiesen deckt f r e u n d l i c h e s G r ü n ; und wie h o l d e W ü n s c h e a u s h o f f e n d e m H e r z e n s p r i e ß e n die B l u m e n a l l e r o r t e n . So auch, w e n n du einmal g a n z dein eigen bist, j a u c h z t den Vögeln z u r A n t w o r t dein G e m ü t ein Lied d e s V e r l a n g e n s und d e r S e h n s u c h t , d a s sich e r h ö h t . Und T o d und Vergänglichkeit s e h e n ' s mit Neid: es ist noch ein e w i g Leben, d a s w i r k t und w e b t und heftet d a s Menschliche a n s Göttliche. Quillt denn nicht auch d e r B r u n n e n d e s e w i g e n L e b e n s u n s allen im H e r z e n ? F r u c h t b e l a d e n e B ä u m e d e r G ü t e und Weisheit r e c k e n u n s ihre A s t e e n t g e g e n : w i r a b e r h u n g e r n und d ü r s t e n . Die S o n n e u n s e r e r S e h n sucht verblutet in d e r F i n s t e r n i s d e r G e g e n w a r t ; und d e n n o c h f ü h l e n w i r ' s w i e ein Schicksal, w e n n w i r die N o t w e n d i g k e i t d e s E w i g e n e i n e r zeitlichen N o t w e n d i g k e i t opfern müssen. Ihr, die ihr s o am G e g e n w ä r t i g e n hängt, d e n k t einmal n a c h ; w o h e r k o m m t ihr und w a s ist e u r e s L e b e n s Z i e l ? W a h r l i c h : ihr k o m m t a u s dem Reich d e r T r ä u m e . D e n n alles, w a s ihr liebt, versinkt w i e ein T r a u m , ehe Aber ihr's begriffen h a b t ; und ihr liebt diesen T r a u m . ihr w a n d e l t zum T h r o n e des T o d e s ; denn e u r e S e h n s u c h t ist selbst im Z u k ü n f t i g e n aufs S t e r b l i c h e gerichtet. A b e r die Z u k u n f t ist unendlich, denn sie ist die w a h r e Mutter

Vom Vergänglichen und Ewigen.

57

d e s S e i n s , w i e die V e r g a n g e n h e i t d a s Reich d e s T o d e s ist. Und doch wollt ihr die Z u k u n f t zum K i n d e d e s G e w e s e n e n m a c h e n : als o b d a s L e b e n d i g e a u s dem T o t e n e n t s p r i n g e n k ö n n t e ! In d e r Idee s u c h e d e r Mensch die H e i m a t s e i n e r S e e l e ; w e r sich dem S t a u b verschreibt, w i r d mit dem S t a u b v e r w e h t w e r d e n . W e r d a s V e r k e h r t e des G e d a n k e n s d u r c h s c h a u e n will, d a ß die V e r g a n g e n h e i t die n o t w e n d i g e U r s a c h e d e r G e g e n w a r t und Z u k u n f t sei, d e r soll b e d e n k e n , daß die Verg a n g e n h e i t unabänderlich und s t a r r ist; in ihr regt und rührt sich nichts mehr. W e r k a n n d a s V e r g a n g e n e umgestalten? E s sind auch nicht d i e U n v o l l k o m m e n h e i t e n d e r V e r g a n g e n h e i t , unter denen w i r leiden, s o n d e r n diej e n i g e n u n s e r e r eigenen Kultur und S e e l e . W e r die Natur und Wirklichkeit absolut setzt, dem bleibt freilich nichts a n d e r e s übrig, als ein s c h w ä c h l i c h e s Sich-Anpassen an d a s G e w o r d e n e . Soll die Natur uns a u s e i n e r F r e m den eine F r e u n d i n w e r d e n , s o m ü s s e n w i r sie a u s e i g e n e r K r a f t durch D e n k e n und H a n d e l n gestalten, damit sich u n s e r sittliches S e l b s t m e h r und m e h r in ihr a u s d r ü c k t . Freilich e r s c h ö p f t u n s e r e S e e l e in k e i n e m zeitlichen A u g e n blick d a s S e i n : a b e r dies liegt n u r an d e r U n v o l l k o m m e n heit und Endlichkeit u n s e r e s W i s s e n s und Wollens, die zu ü b e r w i n d e n eben die Pflicht und d e r Sinn d e r Kultur ist. A u s d i e s e m W i d e r s p r u c h z w i s c h e n Wirklichkeit und Idee e n t s p r i n g e n alle Leiden und S ü n d e n d e r M e n s c h h e i t : d e n n k e i n e endliche Zeit und kein e i n z e l n e s Individuum v e r m a g die Idee restlos zu v e r w i r k l i c h e n . S i e w o h n t in d e r E w i g k e i t und ist die E r f ü l l u n g d e r M e n s c h h e i t . D a r u m ist sie k e i n e m von uns f r e m d , a b e r ihre E r s c h e i n u n g in d e r S e e l e ist mit S c h m e r z e n v e r b u n d e n . Nur w e r d i e Unsicherheit d e s D a s e i n s recht a u s g e k o s t e t , die Relativität alles B e s t e h e n d e n im tiefsten G e m ü t e m p f u n d e n hat, gibt sich d e r Idee völlig zu eigen, richtet s e i n e g a n z e S e h n s u c h t auf sie, die ihm doch e w i g f e r n e bleibt. Je

58

Vom Vergänglichen und Ewigen.

deutlicher du das Sein deiner Seele erkennst, desto inniger empfindest du den Mangel deiner Existent: die größte Stunde deines Lebens wirft auch den dunkelsten Schatten in deine Seele. Im Grunde ist's nie die Welt, die uns quält, sondern wir selbst. Die Ichsucht schafft uns den Hades im Herzen: da schreitet die Sehnsucht mit verhärmten Wangen auf Asphodeloswiesen; Todesschatten nie erfüllter Wünsche drängen erträumten Zielen zu, und ein Lied des Leidens mischt sich ins Schweigen der Vergänglichkeit. Heimatlose Gedanken jagen sich, ab und zu taucht die Gestalt eines verlorenen Glückes auf und verhöhnt die Gegenwart: das i s t der Hades im Herzen. Aber wecke die Stille deines Gemütes, daß die Liebe ihre Stimme erhebt und ihr Ruf wie Glockenklang über die weiten, grünen Wiesen des Daseins zieht! Ich habe oft nachgedacht, was die Melancholie sei. Sie ist wohl die Skepsis des Gemütes, die Selbstironie des Herzens; und doch ohne Haß, sondern voll ungestillter, bescheidener Sehnsucht. Während wir in kräftigen Stunden das Werden der neuen Welt und die Zukunft unserer Seele empfinden, so fühlen wir in den Armen der Melancholie das Vergehen der Gegenwart und das Versinken d e r Wirklichkeit. Cs ist, als ob wir selbst am Kommenden den Todeskeim erblickten. Das Ewige entgeht unserem Auge. S o ist die Melancholie eine Übermüdung der Seele: nur daß man sie nicht, wie die Müdigkeit des Körpers, durch Ruhe, sondern durch Arbeit bezwingen kann. Denn die Arbeit ist der Feind der Vergänglichkeit. In der produktiven Tätigkeit stellt sich allmählich ein Gefühl der Sicherheit wieder her: wir werden uns bewußt, daß wir noch einen inneren Zusammenhang mit der Welt, mit der Menschheit haben und daß unsere Seele nicht mit dem Versinkenden gestorben ist.

Vom Vergänglichen und Ewigen.

59

Auch in der S e e l e des einzelnen hat das V e r g a n g e n e ja

nur soviel Macht und Wirklichkeit,

Wille und Tat zu erneuern vermag.

als

er

es

durch

Und nichts ist wirk-

lich vergangen, was noch im Gefühl o d e r Begriff lebendig ist.

W i r würden aber bald zum Schatten d e r V e r g a n g e n -

heit,

wenn

ewig

wären.

Die

die

Gefühle

Zukunft

Umgebung,

die

belebt

Freude

auch

unserer

der B l i c k nach innen,

der

und

des

das G e s t o r b e n e .

Seele

fremd

bleibt,

und wir g e h ö r e n

Leides In einer

kehrt

sich

uns eigener aa,

gleichsam als sollten die S c h ä t z e der Vergangenheit,

die

u n s e r G e m ü t aufbewahrt, nun die mangelnde Verbindung mit der Wirklichkeit, welche uns die G e g e n w a r t hat,

ersetzen;

dies

zum Zukünftigen wir

dann

die,

es

Schmerz. Glück

sie

sollen

wir

uns zu sich

die

dauernd

Und s o

müssen

Einsamkeit

wäre,

die

durch-

Seele

ver-

auch

dem

zurückruft,

Leben sei

dankbar

sein,

es mit Lust

oder

Ein g r o ß e s Leid w e kt alle Leiden, ein g r o ß e s

alle F r e u d e n

Bächlein Ozean

wenn

setzen.

im Traum

geraubt

wenn wir sie

ließe.

Darum wenn

in B e z i e h u n g

wenigstens

brechen, dorren

können sie a b e r nur,

der S e e l e auf.

und F l ü s s e ,

führt, s o

reißt

W i e der S t r o m

die

die sich ihm anvertrauen, in den ein tiefes und r e i n e s Gefühl

alle

die kleinen W ü n s c h e und Empfindungen des Alltags mit sich.

Und das ist auch der G e w i n n e i n e r großen Leiden-

schaft, und

daß s i e

auf

ein

die Kräfte der S e e l e alle

gemeinsames

Ziel

hinführt.

zusammenrafft So

kann

uns freilich e b e n s o w o h l vernichten w i e erhöhen.

sie

E s ist

nun einmal so, daß nur die Einheit u n s e r e r S e e l e E x i s t e n z und C h a r a k t e r verleiht:

a b e r s i e ist ewig Aufgabe,

nur die Idee vollendet unser

Wesen.

(25)

und

Sehnsucht und Entsagung. Ohne Seele ist die Welt, Wenn Du ihr Dein Herz nicht gibst — Was Dich heut gefesselt hält, Macht Dich frei, wenn D u es liebst.

V

iele w i s s e n von Wunsch und Erfüllung, w e n i g e von S e h n s u c h t und E n t s a g u n g . A c h , um die W ü n s c h e und törichten T r ä u m e ! E s ist nicht das, w a s uns elend m a c h t , w e n n u n s ein Wunsch v e r s a g t bleibt. Wünsche s p r i e ß e n im H e r z e n w i e Blätter und K n o s p e n im Frühling; w a s tut's, w e n n eine K n o s p e v e r d i r b t — die and e r e n e r b l ü h e n : W u n s c h und Erfüllung. A b e r die tiefste S e h n s u c h t bleibt e w i g ungestillt. Wohl euch, die ihr nicht w i ß t , daß leben e n t s a g e n heißt! Doch n e i n , ihr m ü ß t ' s b e g r e i f e n . E s ist u n s e r Leiden und u n s e r e W ü r d e . F r a g t den D i c h t e r : dei; w e i ß von S e h n s u c h t und Ents a g u n g zu k ü n d e n , und s t ü r b e n sie ihm, s o hätte er aufg e h ö r t , ein Dichter zu sein. H ö r t ihr die S e h n s u c h t aus s e i n e n V e r s e n r u f e n , rauscht sie durch e u r e S e e l e : so w e r d e t ihr selbst zu Dichtern. D a n n faßt wohl auch d e r S c h a u e r d e r E n t s a g u n g e u e r H e r z : d a s Land d e r Erk e n n t n i s schimmert nur von ferne, und d a s G u t e w o h n t im Reich d e r Z u k u n f t . Die e i g e n e n F r e u d e n und S c h m e r z e n schienen euch f r ü h e r s o wichtig; es w a r eine b u n t e G e g e n w a r t voll Jauchzen und T r ä n e n um euch, die die Zeit v e r s c h l a n g und neu g e b a r : d a s hießt ihr leben und glücklich sein. A b e r lauscht nur dem D i c h t e r ! E r erzählt von e i n e r a n d e r e n Welt, die ihr nicht s e h e n könnt, und die doch w a h r e r und wirklicher ist als e u e r Glück. Die S e h n s u c h t und d e r Wille e r g r e i f e n sie. W e n n ihr

Sehnsucht und Entsagung.

61

euch selbst entsagt und die S c h m e r z e n d e r S e h n s u c h t auf euch nehmt, dürft ihr sie s c h a u e n . T ö t e t die S e h n sucht nicht! A c h , in den schlimmen A u g e n b l i c k e n , da die Lüste und die Leiden u n s e r e r S e e l e H e r r w e r d e n , und wir v e r s i n k e n im w i r b e l n d e n Strudel d e r G e f ü h l e und Leidens c h a f t e n , da s c h w e i g t die S e h n s u c h t , da sind w i r klein. A b e r w e n n an den K ü m m e r n i s s e n und W i d e r w ä r t i g k e i t e n d e s L e b e n s die S e e l e e r w a c h t , w e n n selbst die S o r g e noch s e g n e n d die Kraft d e s W i l l e n s b e s c h w ö r t , w e n n die S e h n s u c h t sich w i e d e r regt nach dem U n e n d l i c h e n , nie E r r e i c h t e n , d e n n o c h E r r e i c h b a r e n ; w e n n w i r am Leben l e i d e n , weil w i r die Menschheit lieben — dann taucht ein unvergänglich S e i n auf in u n s e r e m G e m ü t : dann fällt ein Strahl d e r Ewigkeit in u n s e r Herz, und w i r w i s s e n , w a s den M e n s c h e n eigen ist. Hast du schon einmal am Ufer e i n e s S e e s o d e r d e s u n e n d l i c h e n O z e a n s g e s t a n d e n und den Wellen zuges c h a u t , die zum L a n d e d r ä n g e n ? J e d e lebt ihr e i g e n e s Leben. D i e eine schleicht s c h ü c h t e r n und verstohlen h e r a n , w i e d e r Bursch in die K a m m e r d e s M ä d c h e n s , h e b t sich leise e m p o r , flüstert ein W o r t d e r L i e b e und — s t i r b t ; die z w e i t e k o m m t d a h e r wie ein lustiger Gesell, s i n g e n d und t r ä l l e r n d , s i e s p r i n g t und hüpft, nimmt zuletzt einen kräftigen Anlauf, ü b e r s c h l ä g t sich und — zerschellt; da s i n d a n d e r e , die g e h e n w i e e h r s a m e B ü r g e r g e l a s s e n i h r e s W e g e s , s t e r b e n s e u f z e n d , a b e r leicht. W i e d e r einige k o m m e n mit s c h w e r e m S c h r i t t , s t ü r m e n heftig zum Ufer und s t e r b e n in göttlichem Z o r n . Und s o k ö n n t ' ich dir noch viele zeigen . . . S i e h , s o treibt u n s die S e h n s u c h t dem T o d e e n t g e g e n : w i r sind Wellen, die brandend zerstäuben. A b e r stirbt d a s M e e r ? Und die Menschheit stirbt nicht. E s ist nicht a n d e r s ; d a s L e b e n verlangt von j e d e m M e n s c h e n , d e r z u r inneren R u h e k o m m e n will, eine all-

62

Sehnsucht und Entsagung.

g e m e i n e , e n d g ü l t i g e E n t s a g u n g : die Einsicht nämlich, d a ß sein E n d z w e c k nicht in s e i n e m isolierten Ich, in s e i n e r physischen P e r s ö n l i c h k e i t liegt, s o n d e r n im Z u s a m m e n h a n g mit d e r Menschheit. Freilich, w o h l w i r d kein Mensch zu d i e s e m Ziele j e völlig d u r c h d r i n g e n : es w ä r e die v o l l e n d e t e Moralität. Mit ihr w ü r d e sich d e n n o c h eine u n e n d l i c h e S e h n s u c h t verbinden, nicht a b e r eine schwachm ü t i g e Tatlosigkeit. A b e r w e n n u n s d a s Schicksal kränkt, sind w i r i m m e r g e n e i g t , zu f r a g e n : W a r u m g e r a d e m i r das? W a r u m muß i c h soviel l e i d e n ? Wir sind keine Heiligen, s o n d e r n M e n s c h e n . J a , die g r a m d u r c h f u r c h t e n G e s i c h t e r , w e l c h e i m m e r den A u s b r u c h d e r S c h m e r z e n g e w a l t s a m zu u n t e r d r ü c k e n scheinen, mußt du f r a g e n nach d e r G e s c h i c h t e d e s L e b e n s . G l a u b e m i r : auch ihnen ist einmal d a s Glück b e g e g n e t , j u n g , s c h ö n und, ach, s o verh e i ß u n g s v o l l ! Und dann ist's ihnen v o r ü b e r g e g a n g e n und hat sie allein g e l a s s e n , allein mit ihrer S e h n s u c h t . Das ist die G e s c h i c h t e d e s L e b e n s . E s ist s o s c h w e r , vom „Ich" l o s z u k o m m e n . W a s mir d a s Schicksal bringt, muß ich's nicht selbst denn t r a g e n ? W e r duldet m e i n e S c h m e r z e n , w e r nimmt mir meinen K u m m e r a b ? Und d a s bißchen Lust und Glück, es klebt doch auch am Ich. Und d e n n o c h ! Laß dich die S e h n sucht b e l e h r e n : d a s ist nicht dein Selbst. Dein Leid wird verlöschen, dein K u m m e r sich e n d e n . D i e Lust und das G l ü c k laß f a h r e n — n e i n , halt n u r die S e h n s u c h t fest. Die f ü h r t dich ü b e r dich selbst hinaus, die gibt dir die Ewigkeit. E s ist a u ß e r dir, w a s w a h r h a f t in dir ist; s o r g e f ü r die k ü n f t i g e Menschheit, s o s o r g s t du f ü r dich, denn in ihr w i r s t du w e i t e r l e b e n . Du t r i n k s t den G l a n z d e s H i m m e l s und sein leuchtend Blau mit d u r s t i g e n A u g e n : dies ist mein Glück, ich s p ü r ' s im I n n e r s t e n ! Ach, nicht d o c h ! Ist denn d e r Blinde kein Mensch? Ist er, w e i l er blind ist und d a s alles nicht sieht, nicht g u t ? K a n n s t du nicht von ihm l e r n e n ? Du

Sehnsucht und Entsagung.

63

siehst d e r Geliebten ins A u g e und fühlst F e u e r s t r ö m e glutvoller Lust durch d e i n e G l i e d e r r i n n e n : dies ist mein G l ü c k . Ach, nicht d o c h ! Ich s a g e d i r : ein g u t e s W o r t , d a s du ihr g e g e b e n und dadurch du ihre S e e l e bereichert h a s t , eine g u t e T a t , die du im A n g e d e n k e n an sie getan, ist m e h r w e r t als d i e s e s B e t t l e r g l ü c k , d a s verrauscht und z e r r i n n t wie die Zeit . . . D u b r a u c h s t dein A u g e nicht vom Licht zu k e h r e n und die Lust nicht zu fliehen: n u r daß sie die S e h n s u c h t nicht ersticken. E n d i g e nicht in ihnen. E s ist e t w a s ü b e r dem. E s sind k l e i n e S e e l e n , w e l c h e mit ihrer höchsten S e h n sucht s p i e l e n : sie muß h e i l i g sein, und sie muß uns zu T a t e n f ü h r e n . A b e r nicht auf g r o ß e M o m e n t e und abs o n d e r l i c h e Zeiten mußt du w a r t e n . W u n s c h und Erf ü l l u n g j a g e n v o r b e i : so heilige sie durch d e i n e S e h n sucht. D e r Augenblick w e r d e zum Kleid d e r Ewigkeit. Und w e n n dein Herz blutet, weil du soviel dahingibst, t r a g ' s n u r still: e s ist doch recht g e t a n . Ich w e i ß wohl, es gibt S t u n d e n , da sind w i r u n s e r e r höchsten S e h n s u c h t g r a m . Wirft sie uns doch immer w i e d e r ins M e e r der Weltl Alle die S t ü r m e d e s lebendigen D a s e i n s sollen um uns b r a u s e n I Wir s o l l e n ' s all e r f a h r e n , w a s gleißt und lockt und g l ä n z t , und doch fest bleiben und t r e u : denn w i r s o l l e n ' s g e s t a l t e n , w i e ' s die letzte, u n e n d l i c h e S e h n s u c h t g e b e u t . Ach, und d a s schafft L e i d e n , so b i t t e r e L e i d e n ; denn e s heißt s e h e n , suchen und e n t s a g e n . D a h a s s e n w i r die S e h n s u c h t und w ü n s c h e n n u r F r i e d e n , F r i e d e n und R u h e . Der du von d e m Himmel bist, Alles Leid und S c h m e r z e n stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest — Ach, ich bin d e s Treibens müde, Wozu all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, K o m m , ach komm in meine Brust.

64

Sehnsucht und Entsagung.

Und dennoch lob' ich die Sehnsucht! Ich will nicht ruhen und beiseite stehen, solange noch das Blut des lebendigen Lebens in meinen Adern rollt, und s o l a n g e ich noch wirken und schaffen kann. D a ß die Sehnsucht mir nicht vor dem T o d e entfliehen m ö g e l Wer einmal recht im Bade der Schmerzen getauft ist, der fürchtet sich nimmer. Auch sag' ich euch: überwunden hat keiner, solange er noch atmet. Ihr könnt euch gewaltsam g e g e n die Welt isolieren und von der Menschheit absperren: ihr nehmet sie doch mit euch; sie wohnt in eurer Erinnerung und in euren geheimen Wünschen. Ist's nicht ehrlicher und besser, ihr frei entgegenzutreten? Es ist gleich verkehrt, sich an den Tag und die Gegenwart zu hängen, w i e sie zu verachten. Wir wollen sie gestalten nach dem Wunsche unserer e w i g e n Sehnsucht nach dem Ewigen. Tötet die Sehnsucht nichtI

E5J

Aus den Bergen.

D

er R e g e n

rinnt: es

chenes Rauschen;

ist ein s o fällt

eintöniges, Glück

ununterbro-

und Leid

durch

des Menschen

Seele.

D i e W o l k e n reichen sich die Hände

und wandern

stumm

und weinend

legen sich mit ihren weichen Armen

über

die B e r g e und

um die Gipfel, und

die E r d e schluchzt . . . Zuweilen, wenn sich eine W o l k e von ihren S c h w e s t e r n entfernt und die innig verschlungenen Hände löst, dann kannst du einmal einen zackigen, ernsten Gipfel sehen, der sieht aus dem Nebel und Dunst hervor wie das sich enthüllende S c h i c k s a l durch unsere Träume. S i n d nicht die Wolken selbst w i e Träume, schwere,

be-

drückende, in denen sich all das tiefste Leid unserer S e e l e regt? und

Sie

rauben

spinnen

sie

mehr

darf

der E r d e ein

die E r d e

den Anblick des

in eine graue

Himmels

Endlichkeit.

die g o l d e n e S o n n e

sehen,

Nicht die

so

ruhig am Himmel dahinzieht; sie muß in sich s e l b s t einkehren

und von dem bißchen W ä r m e leben, das sie g e -

rettet hat.

Ach, wenn sich in u n s e r e r S e e l e die dunkeln

W o l k e n türmen,

die uns

den B l i c k ins Land der S e h n -

sucht trüben, wenn das bißchen Lebenslust

zu ersticken

droht, das wir noch in uns tragen, das' sind die Stunden der Kleinmut und Verzagtheit, da schluchzt das Herz wie ein verirrtes Kind.

Ja, wie oft verirren wir uns in diesem

Garten der Endlichkeit, und wie oft umhüllen der

vergänglichen

Regen

rinnt,

es

b e s s e r werden. K i n k e l , Traum.

Zeit ist ein

unser

geistiges

g r a u e s Einerlei

die Nebel

Auge! — und will

Und mich verlangt nach S o n n e ! 2 . Aufl.

5

Der nicht Sollt'

Aus den Bergen.

66

ich die Stimmung der Stunde festhalten, s o müßt' ich dir sagen, w i e

die Zweifel

und K ü m m e r n i s s e

mein

Gemüt

umlagern, w i e sich ein tiefes Weh losringen will aus dem Mittelpunkt meines geistigen L e b e n s : ein dürstendes Verlangen, ein Verzagen, das die Hoffnung liebt. um mich klingt nur dies eine wieder

Und alles

. . . .

Wir schaffen und zerschlagen Welten, endliche Welten in unserer Sehnsucht nach dem Unendlichen.

Aber

was

wir nicht merken o d e r nicht bedenken, ist, daß unser Ich sich wandelt und wächst mit seinen der

bunte

Strom

versinkt,

wenn

Zukunft

neue

der

aus

Gegenwart

in

Geschöpfen. die

dem tiefen, fruchtbaren

und

neue

Gestalten

Wenn

Vergangenheit Schöße

auftauchen,

der

s o ver-

meinen wir doch selbst wandellos, wie Zuschauer, stillezustehen.

Und doch

sind wir ewig neu,

und

doch

unser S e l b s t nur der Zielpunkt unserer S e h n s u c h t !

ist Die

Unmittelbarkeit unserer seelischen Lage, das bunte G e w e b e von Lust und Leid, Hoffnung, Zagen und B a n g i g k e i t ; brennenden

Schmerzen

zitternde Jauchzen

ungestillten V e r l a n g e n s

beglückten

Genießens,

die

und das

das alles um-

spinnt unser g e i s t i g e s S e i n und verdichtet sich und stellt sich uns w i e eine e i g e n e Welt mit selbständigem g e g e n ü b e r ; wir scheiden uns von ihr befangen.

ihr und sind

Leben doch in

A b e r der Sturmwind des S c h i c k s a l s

und die Luftgebilde zerflattern

und zerfließen.

von unserer S e e l e im Vergänglichen

bläst,

Und was

sich befestigt,

was

wir von unserer zeitlichen Erscheinung an dieses w o g e n d e Wolkenmeer

vergeudet,

das

ist

all v e r l o r e n ,

wenn

wir

nicht aus unserer Sehnsucht neue Kräfte saugen und das E w i g e ergreifen, das nicht im unmittelbaren Dasein aufgeht. J e d e R e g u n g unseres G e i s t e s muß sein wie ein Flügelschlag der S e e l e auf ihrem F l u g zur Unendlichkeit. müssen

uns

dessen

stets

bewußt

leisen und tiefen Empfindungen sich

an ihnen

unser G e i s t

bleiben,

daß

uns

Wir die

nur geliehen sind, damit

emporrankt,

damit wir neue

Aus den Bergen.

67

und n e u e S t u f e n bauen auf dem W e g e zum W a n d e l l o s e n . K e i n e endliche Welt ist d e r r e s t l o s e A u s d r u c k d e s a b s o luten S e i n s , und m ö g e n wir u n s noch so w o h l i g und heimisch in ihr fühlen. ' Nicht deshalb, weil d e r T o d u n s d a r a u s vertreibt, ist unser D a s e i n s o u n g e w i ß ; denn d e r T o d ist j a nur d e r g ü t i g e Bote, d e r d e r Menschheit K u n d e gibt von den v e r b o r g e n e n S c h ä t z e n u n s e r e r S e e l e . D a s S c h w a n k e n d e , Z w e i f e l h a f t e u n s e r e r Existenz liegt vielm e h r immer darin, daß sie auch in ihren reinsten Äußer u n g e n n u r ein Versuch ist, eine d a u e r n d e Welt zu gestalten, d e r nie völlig gelingt. A b e r w i r v e r g e s s e n d a s und n e h m e n den T a g f ü r die E w i g k e i t . Unsere Sehnsucht zum Sein bleibt haften am D a s e i n , wie es im „ H i e r " und „ J e t z t " u n s e r Ich durchzittert. Nun a b e r sollen w i r w a n d e r n und r u h l o s s e i n ! W a s wir hegen und h e r z e n , wird vers i n k e n , und w a s wir nicht achten, wird e w i g sein. S i e h ! D i e W o l k e n sind z e r r i s s e n , und die S o n n e lugt h e r v o r ! H a b ' ich's doch kaum g e m e r k t , w i e d e r R e g e n nachließ, d a ß j e t z t nur noch ein f e i n e s S t ä u b e n von blitzenden T r o p f e n vom Himmel s p r ü h t ! Noch ein Weilchen, dann will ich h i n a u s g e h e n , den f r i s c h e n A t e m z u g d e r g e n e s e n d e n E r d e zu k o s t e n , — selbst zu g e n e s e n an Leib und S e e l e ! Ist es nicht w i e d e r u m eine völlig a n d e r e Welt, die ich nun e r l e b e ? W a s ist noch g e b l i e b e n von d e r Verzagtheit, von d e r ängstlichen Bangigkeit, die mein G e m ü t noch v o r kurzem f e s s e l t e ? Und w a s jetzt in mir vorgeht, ist es nicht im kleinen d a s Schicksal meines Lebens? Ich fühle w i e d e r die Kraft, w e l c h e die Welten e r b a u t , sich r e g e n ; ich h ö r e den Ruf d e r Z u k u n f t . Nun will ich den S t a b ergreifen und hinauf auf einen d e r Gipfel, die so fröhlich locken und w i n k e n . Sie schütteln schon an den W o l k e n f e t z e n ; sie lösen die ums c h l i n g e n d e n A r m e und g ö n n e n auch d e r N i e d e r u n g w i e d e r den Anblick d e s klaren Blaus. Nun bin ich im W a l d e ; es ist still und ernst um mich, und nur von Zeit zu Zeit 5*

68

Aus den Bergen.

k l i n g t d a s F a l l e n d e r T r o p f e n , d i e sich v o n d e n Z w e i g e n lösen,

in

die Einsamkeit.

dem D u n k e l ,

Das Sonnenlicht

huscht v o n B a u m

zu B a u m ,

mischt

sich

verschwindet

u n d l e u c h t e t w i e d e r auf, w i e d i e t ö r i c h t e n W ü n s c h e Hoffnungen des menschlichen d e r W a l d s e i n e A r m e auf Matte.

Schmetterlinge

im

und

sind

zeigt

fliegen

und

Sie kommen wohl aus

dem

als P r o p h e t e n

Raum

Hoffen und Fürchten,

d a ß s i e s i e s e l b s t zu S e e l e n Im g r ü n e n rotgelber sich.

tut

grünende

ausgesandt,

daß

den toten Büschen und Steinen lehren das L e b e n , das Weinen,

und

A b u n d zu

mir eine

sonnigen

w i e g e n sich w i e im T r a u m . S e e l e n l a n d und

Herzens.

Sehnen

und

sie

lehren Lachen,

machen.

M o o s e leuchtet

hier

und

da

f r ö h l i c h ein

P i l z a u f ; d i e f ü h r e n ein b e h a g l i c h e s L e b e n

in

U n d d i e B i e n e n s u m m e n , und d i e W i n d e f l ü s t e r n . . .

W i e ist d o c h a l l e s v e r ä n d e r t in s o k u r z e r Z e i t !

Bald nun

w e r d e ich d e n G i p f e l e r k l o m m e n h a b e n ; s c h o n g ö n n t mir der Wald dann und wann Nun s p a n n e im S c h a u e n

dich

an,

e i n e n Blick in d i e A l p e n w e l t .

mein Geist, d a ß du

der heiligen Schönheit!

nicht

erliegst

H i e r gilt kein stilles

E m p f a n g e n : du m u ß t r i n g e n mit d e r h e r b e n P r a c h t d i e s e r N a t u r u n d a l l e s W e i c h e u n d U n g e l ö s t e in d i r u n t e r d r ü c k e n . D u k a n n s t auch h i e r F r i e d e n f i n d e n , i n d e m du d i e s liche Bild in d i r g e s t a l t e s t .

köst-

J a , ich f ü h l ' s , auch mich hat

e i n e S e e l e a n g e s p r o c h e n , und nun g e b ' i c h ' s z u r ü c k , alles, w a s s i e K l i n g e n d e s , R a u s c h e n d e s , R a u n e n d e s in m i r g e w e c k t hat. was

in

Ich darf mich nicht m e h r f ü r c h t e n v o r

m i r ist.

Alles Hoffen, alles Verlangen

dem,

gewinnt

Halt und B e d e u t u n g ; ich bin nicht m e h r e i n s a m in m e i n e r Einsamkeit, sammen

und,

w a s ich m e i n e i g e n n e n n e ,

in d e m e i n e n A k k o r d d e r S e h n s u c h t

klingt zunach

dem

Unendlichen. Ich bin n u n w e i t ü b e r d e m T a l e ; viele s c h n e e b e d e c k t e B e r g e g r ü ß e n e r n s t u n d still zu m i r h i n ü b e r . ich r a s t e n .

Hier

will

W o h l m i r , ich l e r n t e d e n O d e m d e s L e b e n s

Aus den Bergen.

69

zu t r i n k e n : ich l i e b e die Welt, die mich s o oft enttäuscht und b e t r o g e n hat. Und verläßt auch mich d a s b a n g e H e i m w e h nicht, an dem w i r alle l e i d e n , d i e w i r d a s L e b e n e r k a n n t haben, s o w e i ß ich doch, daß u n s e r e Heimat auf E r d e n ist, und d a ß w i r n u r t a p f e r die H ä n d e zu r e g e n b r a u c h e n , um sie zu e r o b e r n . Ich g r ü ß e . A b e n d und M o r g e n , Mittag und Mitternacht, w a s sie auch bringen m ö g e n : ich h a b e mich w i e d e r g e f u n d e n , ich will leben! Nun greif' ich w i e d e r mutig in den W i r b e l t a n z d e r G e f ü h l e : nun will ich's g e w i n n e n , w a s mir bestimmt ist.

Von der Liebe.

W

a h r e Liebe findet immer E r w i d e r u n g . D i e Erf a h r u n g ist n u r s c h e i n b a r d a w i d e r . Z u e r s t muß man alle die Fälle a u s s c h a l t e n , w o es sich nur um den sinnlichen T r i e b und das sinnliche B e g e h r e n handelt. D e n n r e i n e L i e b e ist Liebe nicht d e s T r i e b e s , s o n d e r n d e s Willens und d e r V e r n u n f t . D e r A f f e k t , d e r die sinnliche V e r e i n i g u n g sucht, ist hier nicht d a s einzige und nicht d a s letzte, s o n d e r n die G e m e i n s a m k e i t d e r L e b e n s z e n t r e n , d a s w e c h s e l s e i t i g e B e s c h e n k e n und Bereichern d e r S e e l e n , d a s g e m e i n s a m e S u c h e n nach dem E w i g e n und d e r vereinte Dienst d e r Idee. A b e r nun finden w i r häufig, d a ß ein Mensch den a n d e r e n g e r a d e z u sklavisch und u n t e r w ü r f i g liebt, ihm s e i n e Z u n e i g u n g u n a b l ä s s i g a n t r ä g t und doch verschmäht w i r d . Wenn man d i e s e r einseitigen L i e b e und F r e u n d s c h a f t auf den G r u n d g e h t , s o w i r d man immer f i n d e n , daß j e n e r vers c h m ä h t e L i e b e n d e ein Irreales, N i c h t s e i e n d e s im Geliebten sucht, sich an e t w a s heftet, d a s dem a n d e r e n n u r scheinb a r e i g n e t , und w a s er d a h e r mit seinem W e s e n nicht in eins setzen k a n n . W i e w i r selbst, w o w i r aufrichtig und innig lieben, in a n d e r e n ihr W e s e n lieben, das, w a s ihr d a u e r n d e s Sein und ihren C h a r a k t e r a u s m a c h t (d. h. die b e s o n d e r e A r t , w i e sich ihnen die Idee darstellt, w i e sie sie zu verwirklichen suchen), s o wollen w i r auch, d a ß d i e j e n i g e n , w e l c h e u n s e r e Liebe suchen, u n s e r h ö c h s t e s S t r e b e n billigen, sich an d a s P o s i t i v e in uns wenden. A b e r da, w o w i r die Liebe nicht e r w i d e r n

Von der Liebe.

71

k ö n n e n , ist dies nicht d e r Fall. E n t w e d e r sucht man e t w a s in uns, d e s s e n wir uns in stillen S t u n d e n schämen, o d e r e t w a s , w a s w i r nicht b e s i t z e n , h ö c h s t e n s einmal b e s e s s e n h a b e n , n u n m e h r a b e r hinter u n s und überwunden haben. M a n c h e lieben uns d e s w e g e n , weil sie s e h e n , daß w i r w e i t e r sind als s i e ; und wir u n s e r e r s e i t s lieben am reinsten und innigsten, w o w i r den G e l i e b t e n in irgende i n e r Art ü b e r uns stellen k ö n n e n . Wir s e h e n , er hat P r o b l e m e g e l ö s t , die uns noch d r ü c k e n , Irrtümer abg e l e g t , die uns noch f e s s e l n , S ü n d e n b e s i e g t , die noch in u n s e r e m H e r z e n w o h n e n . S o e n t s p r i n g t d i e s e Liebe aus d e r tiefsten und reinsten S e h n s u c h t d e s menschlichen H e r z e n s : dem Verlangen nach d e r Idee, nach dem Guten und E w i g e n . S o l c h e Liebe wird i m m e r e r w i d e r t . Sie verpflichtet. E s ist auch g e w i ß , daß die r e c h t e Liebe erhöht und b e s s e r t . W e n n ich sagte, daß sie im a n d e r e n d a s P o s i sive sucht, d a s Sein d e s Willens und d e r E r k e n n t n i s , s o bleibt sie doch nicht am Dasein k l e b e n , s o n d e r n sucht das, w a s g r ö ß e r e Realität hat und in d e r Z u k u n f t w o h n t : wir lieben im a n d e r e n die B e s t i m m u n g zum G u t e n . Auch eine Liebe, die n i m m e r zum Ziele gelangt, die, z w a r e r w i d e r t , d e n n o c h e n t s a g e n und leiden m u ß , vertieft und v e r s c h ö n e r t die H e r z e n . D e n n d a s G e m ü t d e s M e n s c h e n w i r d nicht reicher, i n d e m e s die vergänglichen S c h ä t z e d e r E r f ü l l u n g s a m m e l t , s o n d e r n durch Selbstentäußerung. Und w e r t a p f e r zu verzichten g e l e r n t hat, d e r w e i ß auch am besten zu helfen. Wir w a n d e l n alle in F i n s t e r n i s , und es ist keine S e e l e s o stille, daß nicht zuzeiten die S e h n s u c h t sie suchte. Und einmal k o m m t auch dem s t o l z e s t e n Herzen die S t u n d e , w o es seine E i n s a m k e i t empfindet und nach L i e b e dürstet. Und d a n n fühlen w i r ' s , d a ß d a s Licht nur dem S e l b s t l o s e n wird.

72

Von der Liebe. Wenn

nächte als

d a s M o n d l i c h t d u r c h d i e k a l t e n , stillen W i n t e r -

wandelt

ob

ein

und die kahlen B ä u m e küßt,

geheimes,

traumseliges Leben

wachte: sie g e d e n k e n

vergangenen

dann

in

Sommerglücks.

umspinnt die e i n s a m e S e e l e des Verlassenen rung

der Liebe;

ein S t ü c k c h e n

ist's,

ihnen

Sommer

die

erSo

Erinne-

trägt der

alle-

zeit in sich, d e r e i n m a l w a h r h a f t g e l i e b t . Scheue

und

tiefe Naturen

wehren

sich l a n g e

Liebe:

wie

auch

Bäume

des

die

manche

gegen

Waldes

spät Blätter treiben, w e n n der S o m m e r schon

erst

unterwegs

ist. D a s m a c h t , tiefe H e r z e n m i ß t r a u e n sich s e l b s t i m m e r dar, u n d d i e L i e b e ist ihnen e t w a s H e i l i g e s . wohl,

daß

das

sittliche

Selbst

m ö g e n s i e nicht s p i e l e n . der

darf

sich

der Seele,

selig

das

Liebe einmal gesiegt

von

wohl

bei

ihrem

verstehen,

Sie spüren

steht,

Da

ihr

ist kein

das Herz,

ersten

daß

ist,

als

Nahen

und sie verwirrt den Sinn.

Ich

s o viele K ü n s t l e r h a b e n

Im

ob

die

Idee von

ihrem

Gefühle ergreift aber

die Idee:

er

stellt

sie

weil

Liebende

im

der

die

außer

auch

und

kann's

die

Liebe

Denn Throne

s t i e g e n w ä r e u n d l e i b h a f t i g sich d e n s t a u n e n d e n enthüllte.

da

Winkelchen

erwärmt wird, wenn

zum Grundeffekt der Kunst machen wollen. Liebenden

und

hat.

Die Liebe demütigt betäubt

Frage

Aber w e r solche Liebe findet,

preisen.

nicht

in

der

so

durchaus

ge-

Blicken Künstler

sich im K u n s t w e r k .

Geliebten

dem

nur

Und das

P o s i t i v e , d a s , w a s z u r Idee h i n s t r e b t , s i e h t und e r g r e i f t , s o e r w a c h t auch ihm d i e I d e e im G e f ü h l . Doch

darf

Kunstwerk Genüge

dem

sein,

tut.

an

Liebenden

der

dem

ästhetisches

Sondern

sein

sein

Geliebte

Leben

muß

nicht

ein

Gefühl

sich

sich

um

ihn

r a n k e n , s e i n W i l l e ihn s u c h e n , s e i n e S e e l e m u ß mit ihm wandern.

E i n e H e i m a t m u ß ihm d a s H e r z d e s g e l i e b t e n

Menschen

sein,

und

bebaut.

a b e r auch ein A c k e r ,

den

er

bepflanzt

Von der Liebe.

73

Es ist so schön, in der Ungewißheit des Lebens ein Sicheres zu haben; umgeben vom Problematischen, Unerkannten, immer aufs neue in Kämpfe verwickelt, mit Sorgen geplagt und von Leiden bedruckt, bedarf das Herz einer Stätte des Friedens, einer Quelle, aus der es neue Kraft trinken kann. In der Morgenfrühe, zwischen Tag und Nacht, ist es lieblich zu sehen, wie aus der Dämmerung gemach die Dinge der Erde auftauchen; nun siehst du deutlicher einen Baum, der seine Äste schlaftrunken gen Himmel reckt; nun Sträucher und Zaun und Gitter, das Kirchlein fern im Dorf, und alles wird greifbar und leuchtet im zagen Morgenschein. S o , wenn wir an der Hand der Liebe dem Schicksal entgegengehen, hebt sich nach und nach unser eigenes Dasein zu sicheren F o r m e n ; es verrauscht Traum -und Wirrsal, und das reine Selbst tritt aus der Dämmerung. Aber wer abseits steht, wer die Einsamkeit im Herzen trägt, oder wer seiner Liebe nicht folgen darf, obgleich sie Antwort gefunden, auch der kann nicht lassen von seiner Sehnsucht, ohne in der Finsternis zu versinken. Und der Tod liebt uns alle, weil er uns zum Ewigen führt. Vor seinem Hauch zerschmelzen alle Götzen unserer Seele; aber das Wahre beschirmt er. Seine Liebe gilt den Verkannten, Ausgestoßenen. Den Neid und Haß macht er verstummen, so daß die Stimmen hörbar werden, die die Mißgunst übertönte, und die Welt dankbar das nimmt, was sie vom Lebenden verschmähte.

Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit.

D

ie einzelne B e o b a c h t u n g o d e r , w i e man mit einem W o r t von zweifelhaftem philosophischen W e r t e sagt, die einzelne T a t s a c h e ist in ihrer Isoliertheit dem Sein d e r Wirklichkeit, d. h. dem Dasein, noch nicht g e w o n n e n . D a s einzelne, vereinzelte, trägt immer den C h a r a k t e r d e r Zufälligkeit und also Irrationalität; erst w e n n w i r s e i n e n B e g r i f f , in dem j a s e i n e w i s s e n s c h a f t l i c h e Existenz bes t e h t , aus h ö h e r e n Begriffen deduktiv ableiten k ö n n e n , und w e n n es selbst durch diesen Begriff zur P r ä m i s s e f ü r f r u c h t b a r e E r k e n n t n i s s e w e r d e n k a n n ; d. h. erst w e n n wir es in den allgemeinen Z u s a m m e n h a n g d e r V e r n u n f t eingereiht h a b e n , g e w i n n t es die N o t w e n d i g k e i t s e i n e r Natur, e r s c h e i n t es d e r Wirklichkeit g e s i c h e r t . S o bleibt auch d a s sittliche Individuum im P r o b l e m a t i s c h e n stecken, s o l a n g e es sein D a s e i n nicht in allgemeinen Z u s a m m e n h ä n g e n d e r sittlichen V e r n u n f t befestigt h a t , im Staate, in d e r G e m e i n d e , d e r Familie u s w . S e i n e H a n d l u n g e n sind o h n e Realität, w e n n sie nicht dem a l l g e m e i n e n G e setz e n t s p r i n g e n . In d e r Isolierung verliert d e r Mensch s e i n e Menschheit. D a s R e c h t , w e l c h e s immer die kristallisierte sittliche V e r n u n f t eines b e s t i m m t e n Z e i t a l t e r s ist, hat d i e s e Einsicht frühzeitig im S t r a f r e c h t zum Ausd r u c k gebracht. D i e alten G e r m a n e n machten den Mörder, w e l c h e r nicht durch v o r g e s c h r i e b e n e B u ß e sein Verbrechen zu s ü h n e n v e r m o c h t e , v o g e l f r e i und schickten ihn in die V e r b a n n u n g . Er w u r d e d e r G e m e i n s c h a f t s e i n e s V o l k e s und V a t e r l a n d e s entzogen und d a d u r c h d e s W u r z e l b o d e n s s e i n e r moralischen Existenz b e r a u b t .

Oedanken über Notwendigkeit und Freiheit.

75

Und noch heute w e r d e n politische V e r b r e c h e r durch das Exil bestraft. Die katholische Kirche b e s t r a f t s o den S ü n d e r durch E x k o m m u n i k a t i o n . D i e s e K i r c h e gibt bekanntlich v o r , ihren Mitgliedern s e l b s t die m o r a l i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t zu g a r a n t i e r e n . D e r K i r c h e n b a n n entzieht also, nach den Vorstellungen des Katholizismus, den einzelnen recht eigentlich d e r sittlichen Welt. Freilich k a n n die H e t e r o n o m i e ( F r e m d - G e s e t z g e b u n g ) niemals eine w a h r h a f t menschliche Moral b e g r ü n d e n . S o n d e r n w i e d e r einzelne Mitglied d e r sittlichen G e m e i n schaft ist, s o muß e r auch an s e i n e m Teil ihr U r h e b e r sein. D a h e r denn auch nicht eine k o n f e s s i o n e l l e Kirche, s o n d e r n allein d e r Staat d a s Mittel z u r V e r w i r k l i c h u n g d e r Sittlichkeit, der sittlichen Idee, sein k a n n ; a b e r freilich d e r S t a a t nicht in s e i n e r zufälligen G e g e b e n h e i t , s o n d e r n d e r R e c h t s s t a a t , d e r selbst A u f g a b e und Idee bleibt. D i e Mitarbeit am S t a a t e und s e i n e r Vervollk o m m n u n g ist also eine Arbeit an d e r A u s g e s t a l t u n g und V e r w i r k l i c h u n g des e i g e n e n sittlichen S e l b s t e s . D e r G e d a n k e , daß die o b e r s t e n G e s e t z e d e s S e i n s , also d e r V e r n u n f t , dem G e i s t e durch eine f r e m d e Macht g e g e b e n s e i e n , führt die Menschheit überall zur Selbstv e r n i c h t u n g . D i e W i s s e n s c h a f t baut die Wirklichkeit auf durch ein S y s t e m von B e g r i f f e n , w e l c h e u n t e r e i n a n d e r mit den e i s e r n e n B a n d e n d e r V e r n u n f t n o t w e n d i g k e i t verknüpft sind. A b e r dies g a n z e S y s t e m ist n u r ein Vers u c h , die unendliche Fülle d e s S e i n s zu e r g r e i f e n , und m u ß , bei vertiefter Einsicht, neuen V e r s u c h e n weichen. W ä r e n nun a b e r die o b e r s t e n A x i o m e , w e l c h e diesem g a n z e n deduktiven Z u s a m m e n h a n g z u g r u n d e l i e g e n , uns von außen a u f g e z w u n g e n , s o w ä r e n w i r r e t t u n g s l o s in ein Netz d e r N o t w e n d i g k e i t e i n g e s p o n n e n , a u s dem kein E n t r i n n e n möglich w ä r e . Auch k ö n n t e man d a s nicht einmal b e k l a g e n , w e n n n u r die s o e r b a u t e Wirklichkeit b e r e i t s v o l l k o m m e n w ä r e und d u r c h a u s v e r n ü n f t i g . A b e r

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Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit.

die F e h l e r und G e b r e c h e n d e s D a s e i n s liegen nur allzu deutlich zutage, und w i r s p ü r e n sie an Leib und S e e l e . Nun sind a b e r g o t t l o b die o b e r s t e n B e g r i f f e k e i n e s o s t a r r e n G e b i l d e , s o n d e r n dem G e i s t e d e r M e n s c h e n selbst e n t s p r u n g e n e H y p o t h e s e n ; Hilfsmittel, durch w e l c h e w i r die Welt v e r n ü n f t i g zu machen v e r s u c h e n . W e n n .wir also im Übel und Irrtum, in d e r S ü n d e und d e r Schuld auf d a s P r o b l e m a t i s c h e s t o ß e n , s o ist d a s n u r ein Bew e i s , d a ß w i r nicht tief g e n u g g e g r a b e n haben. Wir müssen n e u e , b e s s e r e Begriffe s c h a f f e n , w e l c h e den neuen P r o b l e m e n g e r e c h t w e r d e n ; und darin besteht u n s e r e Freiheit. Wir müssen die n e u e , b e s s e r e W i r k lichkeit w o l l e n , mit dem Willen e r g r e i f e n — d a s ist u n s e r e sittliche A u f g a b e und W ü r d e . D e n n auch das sittliche D a s e i n ist w e d e r absolut, noch auch v o l l k o m m e n . Die Einheit d e r Menschheit ist d a s Ziel, d a s w i r zu erreichen trachten durch die stets vertiefte und stets neu e r b a u t e sittliche Wirklichkeit. Und w i e in d e r theoretischen und sittlichen Welt, s o auch in d e r Kunst. Die K u n s t b e s t r e b t s i c h , dem G e fühl die Idee d e r Einheit d e r Menschheit zu o f f e n b a r e n . D a h e r darf d e r K ü n s t l e r w e d e r in e n d l i c h e n , isolierten G e f ü h l e n a u f g e h e n , noch auch die G e s e t z e s e i n e r K u n s t von außen e m p f a n g e n . E r bedient sich d e r Natur und' Sittlichkeit, um mit ihrer Hilfe d a s G e f ü h l d e r Idee zu e r z e u g e n ; a b e r Natur und Sittlichkeit m ü s s e n eben b l o ß e Mittel b l e i b e n , s o n s t wird e r e n t w e d e r lehrhaft o d e r S i t t e n p r e d i g e r . E s ist schon H e t e r o n o m i e , w e n n e r sich bemüht, die w i s s e n s c h a f t l i c h e Natur möglichst g e t r e u „ n a c h z u a h m e n " , statt sie in seinem k ü n s t l e r i s c h e n I n t e r e s s e neu zu e r z e u g e n . Und es ist gleichfalls H e t e r o n o m i e , w e n n er sich zum D i e n e r d e r Sittlichkeit s e i n e r Zeit macht. D e n e r s t e n F e h l e r b e g e h e n die Naturalisten, den zweiten die T e n d e n z d i c h t e r . Und immer sind diese Mängel auch mit den a n d e r e n v e r b u n d e n : die Kunst

Oedanken über Notwendigkeil und Freiheit.

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geht alsdann in endlichen G e f ü h l e n auf, statt d a s unendliche G e f ü h l d e r Idee zu e r w e c k e n . Die V e r h e r r l i c h u n g i r g e n d e i n e r isolierten E m p f i n d u n g , e i n e s vereinzelten, Vergänglichen G e f ü h l e s , d a s zum S e l b s t z w e c k gemacht wird, f ü h r t auch in d e r Kunst auf A b w e g e . D e n n auch die K u n s t sucht d a s Allgemeine, nämlich d a s Allgemeine d e s G e f ü h l s . J e d e r A f f e k t : Liebe, Haß, S e h n s u c h t usw. ist d e r K u n s t z u g ä n g l i c h ; a b e r i m m e r n u r , s o f e r n sich in ihm das allgemein Menschliche, d e r A b g l a n z d e r Idee offenbart. D a s Vergängliche muß durch die K u n s t zum Ewigen geadelt werden. Dadurch erhält es auch hier erst seinen P l a t z in d e r Wirklichkeit, s e i n e N o t w e n d i g k e i t d e r Existenz. Man unterscheidet drei H a u p t a r t e n d e s ästhetischen Z u s t a n d e s : d a s S c h ö n e , d a s E r h a b e n e und d a s Humoristische o d e r Komische. Man k a n n s a g e n : d a s S c h ö n e gibt uns d a s Gefühl d e r Freiheit bei h ö c h s t e r Notw e n d i g k e i t ; d a s E r h a b e n e gibt uns das G e f ü h l d e r N o t w e n d i g k e i t bei höchster F r e i h e i t ; d a s H u m o r i s t i s c h e (Komische) gibt uns das G e f ü h l d e r N o t w e n d i g k e i t als Freiheit. W i e ist das zu v e r s t e h e n ? Die S c h ö n h e i t zeigt Natur und Sittlichkeit in inniger H a r m o n i e : die Natur scheint sich d e r Idee e n t g e g e n z u s e h n e n und die Idee sich freundlich zur Natur h e r a b z u n e i g e n . Beim Anblick d e s S c h ö n e n e m p f i n d e n wir nicht die Mängel und U n v o l l k o m m e n h e i t e n der Natur. „ S c h ö n h e i t ist Erschein u n g d e r F r e i h e i t in d e r Sinnlichkeit", s a g t e Schiller. Beide, Natur und Sittlichkeit, w e r d e n z w a r nicht gleichg e s e t z t (dies ist n u r bei e i n e r b e s o n d e r e n Dichtungsart, dem Märchen, d e r Fall, das d a h e r auch zum W u n d e r g r e i f e n muß); a b e r die Natur erscheint doch w i e eine willige Schülerin, die dem G e b o t e d e s L e h r e r s folgt. E s gibt k e i n e seelischen K o n f l i k t e beim G e n u ß des S c h ö n e n ; d e s w e g e n hatte schon K a n t d a s S c h ö n e subjektiv c h a r a k t e r i s i e r t als ein h a r m o n i s c h e s Spiel zwischen

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E i n b i l d u n g s k r a f t und V e r s t a n d ; er hätte b e s s e r g e s a g t : z w i s c h e n p r a k t i s c h e r und t h e o r e t i s c h e r V e r n u n f t . Nun c h a r a k t e r i s i e r t sich die Natur, wie w i r a u s g e f ü h r t h a b e n , g e r a d e durch den Begriff d e r N o t w e n d i g k e i t . Diese N o t w e n d i g k e i t bemächtigt sich beim Anblick d e s S c h ö n e n u n s e r e r S e e l e ; a b e r nicht ihr G e g e n s a t z g e g e n die Freiheit wird e m p f u n d e n , s o n d e r n , weil sie mit d e r Idee zu h a r m o n i e r e n scheint, erzeugt sie d a s Gefühl h ö c h s t e r Freiheit. Nehmt eine R a f f a e l s c h e M a d o n n a , e t w a die M a d o n n a a u s dem H a u s e O r l e a n s . D i e s a n f t e , bez w i n g e n d e M e n s c h e n g ü t e , die a u s dem Antlitz d e r Mutter spricht, die R e i n h e i t d e r Unschuld, die von d e r S t i r n e d e s K i n d e s leuchtet: hier spricht d a s G e f ü h l d e r Idee tröstlich zu uns durch die F o r m e n s c h e i n b a r vollk o m m e n e r M e n s c h e n n a t u r . Hier m ö g e n alle egoistischen Leidenschaften s c h w e i g e n ; hier beugt sich H e r z und S i n n vor d e r O f f e n b a r u n g d e s reinen G e f ü h l e s , d a s die Menschen v e r b i n d e t . Und alles steht mit h ö c h s t e r N o t w e n digkeit da, und doch ist alles Ausdruck, d e r F r e i h e i t und erzeugt das Gefühl der Freiheit; diese Menschen können nicht a n d e r s , als rein und gut, als menschlich handeln. Beim E r h a b e n e n ü b e r w i e g t d a s Sittliche die N a t u r ; d e r A b s t a n d und die U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Natur g e g e n ü b e r d e r Idee w i r d dem G e f ü h l e o f f e n b a r , und die h ö h e r e Realität d e r Idee g e g e n ü b e r d e r vergänglichen Wirklichkeit scheint in E r s c h e i n u n g zu t r e t e n . D e r Z u g und die S e h n s u c h t d e s G e m ü t e s zur Idee wird s o mächtig, daß es sich w i e mit F e s s e l n d e r N o t w e n d i g k e i t dem flüchtigen Reich d e r E r s c h e i n u n g e n e n t z o g e n fühlt. D e r Auftrieb z u r Idee g e w i n n t den C h a r a k t e r d e s G e b o t e s , d e r Notw e n d i g k e i t in d e r S e e l e : es spricht zu u n s die S t i m m e d e r Z u k u n f t . W e r die Herrlichkeit d e r Welt e r s c h a u e r n d in d e r E i n s a m k e i t d e s H o c h g e b i r g e s e m p f u n d e n h a t : w e r einmal allein den uralten R i e s e n d e r A l p e n w e l t g e g e n ü b e r g e s t a n d e n hat, d e r e n s c h w e i g e n d e S t i m m e ihm das

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Schicksal von J a h r t a u s e n d e n erzählt; o d e r w e r die Klagelieder und die d r o h e n d e S t i m m e d e s S t u r m e s ü b e r den bewegten Wellenzügen des Ozeans vernommen hat: der hat wohl gefühlt, wie s e i n e Seele, von e i n e r süßen, schmerzlichen S e h n s u c h t ergriffen, die Kleinheit s e i n e s Sinnen-Ichs durchbrach und a u f w ä r t s s t r e b t e d e r Idee entgegen. Und e b e n d a n n besteht j a u n s e r e Freiheit, daß w i r u n s e r Leben und Schaffen in den D i e n s t der Idee stellen k ö n n e n . A b e r w i r w e r d e n hier s o mächtig d e r Idee e n t g e g e n g e r i s s e n , daß wir d i e s e u n s e r e höchste F r e i h e i t als N o t w e n d i g k e i t e m p f i n d e n . Beim Humoristischen setzen w i r spöttisch die Natur einmal an Stelle der Idee; hier wird also die Natur s c h e i n b a r als das b e r e i t s Sittliche a u s g e g e b e n . A b e r natürlich nur, um in s e i n e r Kläglichkeit hernach um s o g r ü n d l i c h e r enthüllt zu w e r d e n . Und z w a r ist es g e r a d e d a s noch P r o b l e matische, M a n g e l h a f t e und U n v o l l k o m m e n e d e r Natur, w e l c h e s als w a h r e Realität auftritt, um d a n n an s e i n e m e i g e n e n Nichtsein zu zerschellen. Die schlechte Notw e n d i g k e i t , die N o t w e n d i g k e i t , w e l c h e u n s zwingt, weil wir sie noch nicht b e h e r r s c h e n , gibt sich hier als F r e i heit: freilich e r w a c h t h e r n a c h d a s G e f ü h l d e r w a h r e n F r e i h e i t um s o kräftiger. Man darf nur an S i r John Falstaff d e n k e n , um sich von d e r Richtigkeit dieser C h a r a k t e r i s t i k zu ü b e r z e u g e n . Die r e c h t e und echte N o t w e n d i g k e i t ist überall u n s e r W e r k , also eine Tat d e r Freiheit — denn sie e n t s p r i n g t den Begriffen d e r V e r n u n f t . D a ß die V e r n u n f t B e g r i f f e e r z e u g e n k a n n , in denen sie d a s Sein einfängt und ihrer e i g e n e n N o t w e n d i g k e i t unterwirft, d a s ist ihre Freiheil. W e n d e n w i r noch einmal den Blick z u r ü c k auf die S e e l e d e s einzelnen, d e s Individuums. J e m e h r wir v e r s u c h e n , die S e e l e zu b e g r e n z e n und zu b e s t i m m e n , d e s t o deutlicher wird ihre Unendlichkeit. Und d e n n o c h ist es u n s e r e Pflicht, u n s e r e E i g e n w e l t mit dem Nelze d e r N o t w e n d i g -

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keit mehr und m e h r zu u m s p a n n e n , um u n s e r e G e f ü h l e und E m p f i n d u n g e n s o d e r Wirklichkeit zu g e w i n n e n . A b e r L e i d e n s c h a f t e n und W ü n s c h e zerreißen oft dies G e spinst d e r V e r n u n f t ; und M e n s c h e n , w e l c h e in d i e s e r Hinsicht allzusicher sind, e r w e c k e n den Verdacht, nicht s e h r weit in d a s Sein ihrer S e e l e e i n g e d r u n g e n zu sein. A b e r die sittliche H a n d l u n g e r f o r d e r t Klarheit d e r Erk e n n t n i s , und s o m ü s s e n wir u n s e r e S e e l e s t e t s aufs n e u e zum P r o b l e m machen. Nun g e h t freilich schon in den ersten Entwurf um die k o n k r e t e Gestalt, w e l c h e das S i t t e n g e s e t z im B e w u ß t s e i n d e s einzelnen annimmt, i m m e r schon soviel P r o b l e m a t i s c h e s d e r u n v o l l k o m m e n e n Wirklichkeit, d a s sich d e r N o t w e n d i g k e i t d e s B e g r i f f e s entzieht, ein, d a ß s c h o n d e r e r s t e A n f a n g d e r H a n d l u n g hinter dem V o r b i l d e z u r ü c k b l e i b e n muß. S o entsteht ein Konflikt d e r S e e l e mit sich selbst, d e r um s o s c h m e r z licher e m p f u n d e n wird, j e tiefer und r e i n e r d e r Quell d e s sittlichen B e w u ß t s e i n s ist, dem die m o r a l i s c h e B e m ü h u n g entsprang. Und doch liegt auch in diesem u n g e w o l l t e n Ü b e r s e h e n d e r U n v o l l k o m m e n h e i t d e r Wirklichkeit ein Keim tiefster Z u k u n f t s r e a l i t ä t ; denn d a s s o e n t s t e h e n d e P r o b l e m ruft Wille und D e n k e n zu n e u e r Arbeit auf. Immer ist es also d a s v e r n ü n f t i g e G e s e t z , w e l c h e s die Isoliertheit d e s einzelnen aufhebt und ihm N o t w e n d i g keit des D a s e i n s verleiht. Nun wird sich a b e r das Individuum niemals r e s t l o s in den sittlichen G e s e t z e n s e i n e r Zeit w i e d e r f i n d e n . D e n n einerseits decken sich Individuum und Allheit, auf welche doch die G e s e t z e i m m e r b e z o g e n sind, n u r in d e r Idee, nicht a b e r in d e r relativen Wirklichkeit s e i n e r Z e i t ; a n d e r e r s e i t s drückt sich selbst die T e n d e n z z u r relativen Allheit d e r Zeit in den G e setzen d e r Wirklichkeit zumeist nicht einmal rein aus, weil sie aus S o n d e r i n t e r e s s e n e n t s p r u n g e n sind. Wenn uns d a h e r d a s sittliche G e s e t z (das einzelne, vergängliche, nicht die Idee) zuweilen brutal erscheint und w i e mit

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f r e m d e r N o t w e n d i g k e i t b e d r o h t , s o k o m m t dies e n t w e d e r daher, daß w i r sein sittliches Sein und s e i n e V e r n u n f t noch nicht zu b e g r e i f e n v e r m ö g e n (es ist d a n n wirklich f ü r u n s noch eine ä u ß e r e Macht) o d e r daß w i r bereits in eine h ö h e r e sittliche Wirklichkeit e i n g e t r e t e n sind. W ü n s c h e und B e g e h r u n g e n , w e l c h e sich in u n s e r e r B r u s t d r ä n g e n und gleichsam nach d e r Wirklichkeit rufen, k e h r e n sich o f t , w e n n sie nun erfüllt w e r d e n und ins D a s e i n e i n g e h e n , g e g e n u n s selbst. D e n n sie k ö n n e n nicht a n d e r s S e i n g e w i n n e n als in d e r allgemeinen F o r m des S e i n s ü b e r h a u p t , als Begriff und G e s e t z . D e r Begriff a b e r und d a s G e s e t z sind unpersönlich und k ü m m e r n sich nicht m e h r um die e n g h e r z i g e n Motive d e s Individuums. Man sollte meinen, falsche und hohle Begriffe, welche kein S e i n in sich b e r g e n , müßten bald an d e r Wirklichkeit z u g r u n d e g e h e n . Allein w e n n sich's s o f ü g t , daß d a s Nichtsein dem Nichtsein b e g e g n e t , k ö n n e n sie ihre S c h e i n e x i s t e n z l a n g e fristen. W e n n w i r z. B. s e h e n , w i e ein S t r e b e r durch Kriecherei und Heuchelei zu hohen E h r e n s t e l l e n gelangt, s o müssen w i r u n s doch s a g e n , daß er zu d i e s e r Art d e r E x i s t e n z nicht g e l a n g t w ä r e , w e n n er nicht mit seinen u n w a h r e n B e m ü h u n g e n an Lücken und F e h l e r s e i n e r V o r g e s e t z t e n g e s t o ß e n w ä r e : die Eitelkeit dieser, also ein Nichtsein, verschaffte s e i n e r M e t h o d e Eing a n g in die Welt. A b e r es entsteht s o freilich i m m e r eine Welt des T r u g s , die an e r n s t e n P r o b l e m e n scheitern muß. E i n e Wirklichkeit kann die N o t w e n d i g k e i t ihrer Existenz auch e i n b ü ß e n , indem sie versteinert. D o g m a t i k e r , die ihre B e g r i f f e a b s o l u t setzen, v e r s ü n d i g e n sich s o am Sein. Demgegenüber beruht das Befreiende des Skeptizismus d a r i n , d a ß e r alle G e b i l d e d e s G e i s t e s ihrer Starrheit b e r a u b t , sie einschmilzt und beweglich und flüssig macht. W e r a b e r im S k e p t i z i s m u s steckenbleibt, geht s e i n e r wohltätigen W i r k u n g v e r l o r e n , indem e r sich j a an d a s P r o b l e matische hingibt und auf j e d e N o t w e n d i g k e i t , o d e r auch auf K i n k e l , Traum.

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d a s h ö c h s t e V o r r e c h t d e r Freiheit ( N o t w e n d i g k e i t zu erzeugen) verzichtet; e r k o m m t nicht zum B e w u ß t s e i n s e i n e r B e s t i m m u n g . Die G e f ü h l e und L e i d e n s c h a f t e n müssen sein Ich endlich v e r s c h l i n g e n ; sie sollten ihn a b e r zum A u f b a u s e i n e r Wirklichkeit a u f r u f e n . D e n n freilich ist d i e s e r i m m e r mit Liebe, H a ß und R e u e v e r b u n d e n , und w e n n w i r uns von ihnen b e f r e i e n k ö n n t e n , k ä m e n w i r k e i n e n Schritt m e h r ü b e r die b e s t e h e n d e Wirklichkeit hinaus. E s gibt a b e r Leute, die sind stolz darauf, k e i n e G e f ü h l e zu haben und ersticken j e d e , auch die g e r i n g s t e L e i d e n s c h a f t im K e i m ; und dann g l a u b e n sie, sie seien t u g e n d h a f t . A b e r e s ist viel g r ö ß e r und sittlicher, s e i n e L e i d e n s c h a f t e n zu lenken, als sie zu t ö t e n . Nur w a s aus Mühsal g e b o r e n ist, k a n n den Mühseligen helfen. Die mit den tiefsten Gefühlen zu k ä m p f e n haben, f ö r d e r n die Welt am m e i s t e n ; ihr e i g e n e s S e i n ist auch am sichersten befestigt. Die leichten C h a r a k t e r e vergleichfe ich im L e b e n s k a m p f mit Leuten, die in voller K l e i d u n g ins W a s s e r gefallen sind. Z u e r s t w e r d e n sie eine Weile von den Kleidern get r a g e n , bis d i e s e sich voll W a s s e r g e s o g e n h a b e n ; dann versinken sie. M a n c h e r freilich scheint d e r Welt gleichgültig prüfend g e g e n ü b e r z u s t e h e n und leidet doch mehr als die a n d e r e n , die w i r k e n . Die G e f ü h l e und Leidenschaften nehmen s o f o r t den C h a r a k t e r f r e m d e r N o t w e n d i g k e i t e n a n , w e n n w i r sie nicht durch V e r n u n f t b e h e r r s c h e n . E i n e Leidenschaft, d e r w i r s e l b s t ä n d i g e s Leben v e r l e i h e n , führt uns bald aus d e r Wirklichkeit hinaus. D e r Begriff a b e r und die V e r n u n f t befestigen uns in d e r Allgemeinheit und verleihen u n s e r e m Dasein N o t w e n d i g k e i t . W e r einen G e g e n satz zwischen Freiheit und N o t w e n d i g k e i t konstruiert, d e r hat d a s P r o b l e m noch nicht in s e i n e r Tiefe erfaßt. D i e N o t w e n d i g k e i t ist immer die N o t w e n d i g k e i t d e r Vern u n f t , w e l c h e d i e s e l b e k r a f t ihrer Freiheit erschafft und immer mehr vertieft.

Der Einzelne und das Dasein.

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icht immer k ö n n e n wir die F r a g e n d e s Schicksals b e a n t w o r t e n : dann machen wir A u s r e d e n ; und um u n s e r e g e b r e c h l i c h e Wirklichkeit zu r e t t e n , l e u g n e n w i r d a s P r o b l e m und v e r b e r g e n uns u n s e r e e i g e n e S c h w ä c h e . A b e r dann geht u n s d e r e w i g e G e w i n n d e s L e b e n s verloren. W i r m ü s s e n den Mut h a b e n , auch eine Lücke u n s e r e r I n n e n w e l t frei e i n z u g e s t e h e n und dem G e i s t e die P r o b l e m a t i k d e s L e b e n s s t e t s g e g e n w ä r t i g halten. D e n n w i r verlieren u n s selbst, w e n n wir nicht stündlich u n s e r e S e e l e vom Vergänglichen scheiden. W o die B e g r i f f e und G e s e t z e d e r S e e l e mit uns schalten und walten, o h n e daß w i r sie uns innerlichst a n g e e i g n e t h a b e n , sind w i r unfrei selbst in den A r m e n d e r Wahrheit und Sittlichkeit. Alle b l o ß e Sitte z. B. behält i m m e r e t w a s seelisch F r e m d e s . S i e spielt g ü n s t i g s t e n Falles auf ethischem G e b i e t e die R o l l e e i n e r mathematischen F o r m e l , d e r e n A b l e i t u n g wir v e r g e s s e n h a b e n , von d e r e n Richtigkeit w i r a b e r überzeugt s i n d . D i e Sitte hat hier nichts v o r a u s v o r j e n e n S i t t e n g e b o t e n , die sich auf göttliche O f f e n b a r u n g b e r u f e n . B e i d e g e h e n häufig die W e g e d e s N a c h t w a n d l e r s , den man nicht bei N a m e n n e n n e n darf. Und w a s hier die Sitte auf dem G e b i e t e d e r M o r a l , d a s ist die „ S c h u l e " auf dem G e b i e t e d e r Kunst. D a s S e l b s t b e w u ß t s e i n mangelt beiden. D i e s t ä n d i g e P r ü f u n g d e s Ü b e r k o m m e n e n ist die V o r a u s s e t z u n g e i n e r f r u c h t b a r e n S e l b s t e n t f a l t u n g d e r Seele. U b e r h a u p t ist j a , w a s w i r von u n s e r e n V o r f a h r e n und u n s e r e r U m g e b u n g an Begriffen als G e s c h e n k überliefert 6*

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Der Einzelne und das Dasein.

b e k o m m e n , zu j e d e r Zeit u n s e r e s L e b e n s n u r ein F r a g ment u n s e r e r seelischen Wirklichkeit. Nicht n u r stellen G e f ü h l e und E m p f i n d u n g e n uns i m m e r w i e d e r n e u e P r o bleme, die nach n e u e n Begriffen v e r l a n g e n , s o n d e r n in d e r A n w e n d u n g v e r w a n d e l n und v e r ä n d e r n sich auch die überkommenen Begriffe. A b e r dies bleibt u n s häufig selbst v e r b o r g e n , und noch viel leichter u n s e r e r U m g e b u n g . E r s t d e r Konflikt u n s e r e r E i g e n w e l t mit d e r allgemeingültigen Wirklichkeit b r i n g t uns den G e g e n s a t z schmerzr lieh zum B e w u ß t s e i n . Und doch ist es n o t w e n d i g , daß u n s e r e B e g r i f f e mit u n s w a c h s e n und leben, s o n s t w e r d e n w i r bald zu S c h a t t e n , denn mit d e r E r k e n n t n i s und dem Willen weitet sich u n s e r e Seele. M a n c h e M e n s c h e n beurteilen die Welt gleichsam aus e i n e r v e r s u n k e n e n F e r n e : d e r Fortschritt d e r Kultur hat die Wirklichkeit, in d e r sie leben, längst in T r a u m v e r w a n d e l t . Und dann wird ihnen d a s Leben zum Schicksal. Die Wirklichkeit ist i m m e r zugleich P r o d u k t und P r o b l e m d e r E r k e n n t n i s und d e s Begriffes. E s ist gleich verfehlt, w e n n man sich die Natur und die Wirklichkeit als eine von d e r E r k e n n t n i s u n a b h ä n g i g g e g e b e n e , f e r t i g e G r ö ß e vorstellt, o d e r sie, nach Art d e s subjektiven Idealism u s und p s y c h o l o g i s c h e n A p r i o r i s m u s in d a s Individuum d e s einzelnen z u r ü c k n i m m t . D e n n man muß doch immer in i r g e n d e i n e r W e i s e dem G e d a n k e n e i n e r überindivid u e l l e n , a l l g e m e i n e n Gesetzlichkeit R a u m g e b e n , o h n e welchen d e r Begriff d e r W a h r h e i t ü b e r h a u p t nicht möglich ist. Hierdurch w i r d a b e r , w e n n man die Natur unabh ä n g i g vom G e i s t e setzt o d e r sie mit dem B e w u ß t s e i n d e s einzelnen in eins denkt, immer der Mensch der W a h r heit und dem Sein e n t f r e m d e t und der Freiheit b e r a u b t . W e n n nämlich die Natur vor d e r E r k e n n t n i s existiert, s o wird d e r M e n s c h in d i e s e r Natur zur bloßen Sache, d e r f r e m d e m Willen, selbst willenlos, g e h o r c h e n muß. Dem sucht nun e b e n d e r subjektive, p s y c h o l o g i s c h e Idealismus

85

D e r Einzelne und das D a s e i n . dadurch

zu

Produkt

und

entgehen, zur

Individuums mäßigkeit des

macht,

aus

zu

eigenen,

geliefert. eignen

Sehnsucht

in

kalt und

der

seinen

dem

sucht.

dem

aber

weil

draußen

im

alles.

aber

und

Mensch Denn

des

Naturgesetzist

der

fremdgewordenen der

zum

Innern

Organisation

Dann

Schicksal

sich

er

in

ihm

seinen

Schicksals. in

da

Natur

der

Gewalt

Seele

hier

der

aus-

alles

durch

an-

seine

bedingte Mechanismus des Geschehens

und

seines

ihm

verliert

Organisation

Natur

begreifen

Gerade will,

fremd

Natur

der

indem er die allgemeine

gewissermaßen

seiner

die

der ewigen, unveränderlichen

einzelnen

Mensch

daß er

Erscheinung

ab,

Willen.

Man

sittlichen des

Er

muß

Erkenntnis

Versuche

unerbittlich

und

das

Begriffen

wird

eben

zum

Selbst

das

des

Sein

seine

Zuschauer

begreifen,

und H a n d l u n g e n

Individuums,

läuft

gegen daß

die

Menschen ruht.

Aus

erkennend

zu

ergreifen, entspringen die V o r s t e l l u n g e n s e i n e r S e e l e ; aber diese

sind

sondern heit

in

sein

nicht

mit

seinen Vorstellungen

eigen.

ganze

unmittelbar

dem

Begriffe

identisch,

nur die Wahrheit erreicht das S e i n ; soviel WahrNun

ist

Vorstellung,

Wahrheit

und

des Seins.

also

ist, s o v i e l B e g r i f f e n e n n t dem

nicht

nur

als

Begriff

einzelnen

das,

was

verschleudern

die

Zukunft

als

die

bestehen

er

zunächst

läßt,

Ausdruck in

ihrem

Vorstellen

i m m e r e i n e n T e i l i h r e r S e e l e : e s ist d e r

sterb-

liche Teil

unseres Wesens.

unser

Daher

aber

Aber

die Individuen in i h m

liegt auch

nicht

Selbst.

Daher eignet,

ist d a s S u b j e k t

zur Grundlage

Subjektive

Gesetzescharakter

b l o ß s u b j e k t i v zu s e i n . der

sich

nie zu

annimmt,

und

nirgends

dienen. da

hört

läutern

solle.

das

es

auf,

W e n n man v e r l a n g t , d a s E i g e n e ,

Persönlichkeit

zur

Geltung

s o v e r l a n g t m a n in W a h r h e i t , d a ß m a n e s z u m gültigen

ge-

Wo

D a s ist d e r F e h l e r u n d d i e W a h r -

heit a l l e s Individualismus. Individuelle

an

des Gesetzes

zu

bringen,

Allgemein-

86

Der Einzelne und das Dasein.

Die Wahrheit und der Begriff sind grausam und doch gerecht gegen die Einzelseele; sie geben ihr den Tod und die Vollendung. Wenn wir auf Grund vertiefter Einsicht die Wirklichkeit einer früheren Kulturperiode oder auch der Gegenwart anders konstruieren, als sie ein einzelner fühlt, denkt und empfindet, so müssen wir doch gewissermaßen seine Seele vernichten. Er lebt ja unter Schatten, und das, w a s er für das Ewige hält, hat sich uns bereits als vergänglich erwiesen. Aber wir töten eben doch nur das sterbliche Teil seiner Seele: denn es gibt keinen, der nicht die Sehnsucht zur Idee in sich trägt und also sein Selbst irgendwie in der Zukunft befestigt hätte. Und so vollendet denn die Wahrheit und der Begriff auch seine Seele.

( 3 0

Von der Heimat unseres Herzens.

I

st's nicht, w e n n d a s A b e n d r o t am Himmel einherschreitet, als o b ein W ö l k c h e n d a s a n d e r e entzündete, bis die weite F l ä c h e d e s Leuchtens wächst und in dem himmlischen F e u e r die S e e l e des s t e r b e n d e n T a g e s v e r g l ü h t ? S o auch e n t z ü n d e t im menschlichen H e r z e n ein Wunsch den a n d e r e n , eine H o f f n u n g die a n d e r e ; a b e r so w e c k t auch ein n e u e r G r a m alle g e s t o r b e n e n Leiden. W i e oft ist nicht eine Welt in m e i n e r S e e l e auf- und untergeg a n g e n , d e r S o n n e gleich, eine Weile Licht e n t z ü n d e n d , damit ich die F i n s t e r n i s doppelt e m p f i n d e n sollte, w e n n sie im O z e a n d e s L e b e n s v e r s u n k e n w a r . A b e r allmählich g e w ö h n t ' ich mich, auch im S t e r n e n s c h e i n die Dinge, die mich u m g a b e n , zu e r k e n n e n ; und w e n n am T a g e alles leuchtend w a r und b u n t , s o t r a n k ich nun F r i e d e n a u s s e l i g e r Stille. Z w a r m a n c h e r steht a b s e i t s und sieht n u r die Schatten des Werdenden. Schleicht nicht d e r T o d hinter dem Leben einher, erntet die Früchte, die es g e s ä e t , verdirbt s e i n e F r e u d e n und w a n d e l t sein w a r m e s G e n i e ß e n in frierend Entsagen? Er erstickt die bunten S o m m e r g a b e n d e r Lust in der kühlen Nacht d e s V e r g e h e n s . Und d o c h : n u r a u s dem W e r d e n d e n k a n n s t du d a s Daue r n d e s c h ö p f e n ; w e r das G e w o r d e n e h e r z t , liebt die Vergänglichkeit. Einmal erblicken w i r alle d a s E w i g e im G e w ä n d e d e r Liebe; es b e f r u c h t e t d a s Erdreich uns e r e s H e r z e n s mit Keimen z u k ü n f t i g e r Wahrheit. Siehe, da w e r d e n die Schatten d e s T o d e s z u n i c h t e , und das

88

Von der Heimat unseres Herzens.

Antlitz

unserer Seele

spiegelt den Frieden

des Zukünf-

tigen. Strömt

nicht

die s t e r b e n d e S o n n e

ü b e r die E r d e a u s ?

glühende

Freude

S o liebt s i e d i e E r d e ; s o l i e b e du

d i e Welt, d a ß auch d i e s t e r b e n d e F r e u d e dein H e r z n o c h erglühen

mache!

Der

ist W e l t s e h n s u c h t ,

Wunsch

denn

schen wir uns doch,

er

eines

hat

großen

Herzens

d a s Ich v e r l o r e n .

wenn wir glauben,

den

Täu-

Menschen

e n t f l i e h e n zu k ö n n e n : s e l b s t u n s e r e L i e b e z u r N a t u r ist Menschenliebe.

Darum

keit d i e r e i n s t e n

Die Dankbarkeit lister n e n n e n und

löst

sich

sie

nur

in

den

segnet

Das

innige Gefühl

in

seligen

und

und des im

durch

trunkenen

auf,

seinen

Kummer

bei

die

in

der

ihrer

und

teilen

Seele

das

bin

worden. der

ich zu H a u s e ,

gerecht,

Schweigen

tret'

ich

ein,

Sehnsucht

an,

und

die

greifbar

Leben

ihrer

Und s o w a n d e l t

Melodien fliehet

wenn

Und

lichtziehen.

tönt

selbst

mir so

ver-

und Seligkeit; die

d i e Welt

weht

nur

Schönheit.

mich

Flamme der

Ich

wandelt:

fremd der

ge-

Hauch

Begeisterung

l o d e r t im H e r z e n . Ist mir doch i m m e r , als e r n e u e r e meine Seele,

wenn

mir

die

u n s e r e r S e e l e in s t r a h l e n d e

ihrer liebt,

unbe-

gleich

k e n n e d i e s t i l l e n H a i n e , in d e n e n d i e S c h ö n h e i t dort

Freiheit

n o c h kein Begriff

g a n g e n e s Leid ein Lied voll F r i e d e n wer

die

Die Schatten werden

Schönheit

Rauschen

aber

stört das heilige

Schönheit auch die Schatten Im

Wer

Existenz

W i r k l i c h k e i t ; s i e d i e n e n d e m Licht. Sterne.

Phi-

er verstummt

unendlicher

Himmel

wird

Gemütes.

der

und

sicheren

unbedachtes Wort

Reiche

Dankbar-

Z w a r die

Garten.

sie,

den

sich G e s t a l t e n d e n ein

ihrem

Träumen

dennoch

erfüllten Wolken Dem

und die Schönheit!

liebt,

ihrem Anblick. stimmten

u n s auch d i e Stunden.

die lieblichsten Blumen der S e e l e U n k r a u t ;

dulden

Schönheit

verleiht

und seligsten

die S c h ö n h e i t b e g e g n e t .

sich Dann

bin ich s i c h e r , w o ich z w e i f e l t e , u n d v e r t r a u e n d , w o

ich

Von der Heimat unseres Herzens.

89

mich scheu versteckt hielt. Ich k e n n e k e i n e R ä t s e l mehr, die d a s H e r z nicht gelöst, k e i n e W ü n s c h e , die ihr Blick nicht befriedigt. D e n n die r e i n e S c h ö n h e i t duldet kein gebrechlich V e r l a n g e n , d a s am Endlichen klebt, und gießt d a s U n e n d l i c h e in feurigen S t r ö m e n in u n s e r e Seele. Mißtönend b e w e g t mit S o r g e und L e i d e n s c h a f t d e r Allt a g den G e i s t : a b e r die S c h ö n h e i t stimmt ihn zum Wohlklang. Und d e n n o c h verlangt sie alle K r ä f t e d e s D a s e i n s und verweichlicht nur die t r ä g e n H e r z e n , die sie entheiligen. A b e r a u s hartem Gestein rinnt die lauterste Quelle. A b e r d a s laute Leben ruft mit r a u h e r S t i m m e nach d e i n e r S e e l e und z e r s t ö r t mit ungeschickten H ä n d e n den Tempel d e i n e r Stille. Und d a s H e r z ist w i e ein verlassen' Kind, das sich im W a l d e v e r i r r t e und kann nicht heim f i n d e n . A b e r d a s E w i g e im B u s e n glüht f o r t und die S e h n s u c h t adelt das Leben. W i e ein s c h ü c h t e r n e r Geist d e r Nacht, d e r sich ins helle Tageslicht v e r i r r t e , erschrickt u n s e r e S e e l e zuweilen v o r d e r E r k e n n t n i s einer W a h r h e i t . Denn was nun hinter ihr in F i n s t e r n i s v e r s i n k t , w a r einst ihre Heimat. A b e r d a s ist ihr nun f r e m d , und ein V e r l a n g e n wird g r o ß , w e i t e r und w e i t e r zu w a c h s e n in die Fülle d e s u n g e w o h n t e n Lichtes. W i e B l ü t e n r e g e n d e s F r ü h lings ergießen sich heimliche W ü n s c h e ins s e h n e n d e Herz, und d a s r e i n e Leuchten d e s n e u e n H i m m e l s w e b t s ü ß e G e d a n k e n in Feiertagsstille. A b e r n i m m e r sättigt d a s H e r z sich am Irdischen! S e l b e r die Klarheit g o l d d u r c h w i r k t e r R ä u m e , von S o n n e n s e h n s u c h t erfüllt, k ö n n e n den Reichtum d e s W u n s c h e s nicht f a s s e n , w e n n sich die l i e b e n d e S e e l e e n t z ü n d e t am T r a u m e d e s Göttlichen. T a u s e n d m a l stürzt s i e , gleich Ikarus, t a u s e n d m a l hebt sie sich zu w a g e n d e m F l u g und e r n e u t ihr Leben an der G e w i ß h e i t d e s endlichen S i e g e s . -— D a s W i e d e r e r w a c h e n d e r a b g e s t o r b e n e n S e e l e unter d e r

90

Von der Heimat unseres Herzens.

zarten

Berührung

a l s das E r b l ü h e n

der

Liebe

ist

wahrlich

des Frühlings.

die neu a n g e k n ü p f t e V e r b i n d u n g die

frohe

alles

Erkenntnis

strahlt

eigenen

Wärme

Herzens

der ins

in sanften

und

gewährt;

wiedergewonnenen

Heimat:

der

und

Natur

die

Innigkeit

Seele

und

die W e l l e n

der W i d e r s p r u c h

A b e r auch

d e r Z e i t durch

des Alltags

löst

sich

dann, w e n n

dich d e r l i e b l i c h e Hauch

des

b e r ü h r t und die s e l i g e G e m e i n s c h a f t der L i e b e

dein H e r z

mit F r e u d e n

bist nicht im F r i e d e n . zu w i r k e n

stärkt: Denn

ist u n s e r L o s ;

Herzen.

Nicht

t ä u s c h e dich

und F r e u d

gleich

nicht!

nicht zu g e n i e ß e n ,

den

h e r z i e h e n , ist uns zu w a n d e l n steigt

langsam

Sternen, Des

Gipfeln

empor,

Stürme

des Schicksals

umbrausen

pflückt

er

am

Händen.

sich

Blüten

Rand,

Zuweilen, wenn

Z i e l im Aber

mag

auch

Wanderung,

in

letzten

der

der mag

sie welken

Nacht:

Fuß

und

die Und

in

seinen

nächtliche Nebel

ge-

und i m m e r b l e i b t

das

müde

endlich

geschmückt, das überdauert Es

ist doch ein W a c h s t u m

es

zieht

in

wechselnden

werden

unser Auge

das E w i g e

b i r g t uns in s e i n e n A r m e n .

ist

doch

Mögen den sie

Geburten;

und

das

in der

Welt:

zu sich

heran

Verrauschende

ihren

Schoß

be-

Dauernden. mit

denen

deines Herzens geschmückt! in

und Seele

uns und rettet u n s e r W e s e n .

die B l ä t t e r v e r w e l k e n , auf

der

mit uns

zum G ö t t l i c h e n

m e h r und m e h r im Hain

von

erlöschen

W a s w i r mit u n s e r e r

das S t e r b l i c h e und V e r g ä n g l i c h e

festigt sich

nimmt

Menschen

Weiten.

langen

sucht

in ein-

den W a n d e r e r .

die E r d e

b i e r t , sieht e r d a s N ä c h s t e nicht,

die

Bahn

bestimmt.

zu s e i n e n

Du

sondern

und L e i d w e c h s e l n

ewigen

i h r e s s e l i g e n L i c h t e s F ü l l e auf s e l b s t g e w ä h l t e r Weg

des

Odem.

Harmonien.

Frühlings

im

welche

der W e l t

R u h i g e r und s a n f t e r rauschen das G e m ü t ,

mit

Gemüt;

verleiht

wunderbarer

Die Sicherheit,

und

bildet

die

Sehn-

Die sie

Erde

um

zu

Von der Heimat unseres Herzens.

91

neuen Keimen. E s ist kein Wunsch durch deine Seele geflogen, den nicht, wenn er nur rein und gut war, die Menschheit wünschen wird! Die Zukunft wird deine G e d a n k e n e r l ö s e n , die nach Wahrheit dürsteten; die S c h ö n h e i t , die du geliebt, wird niedersteigen und wandeln unter deinen Brüdern. Entfalte die S e e l e vor dem M o r g e n r o t des k o m m e n d e n T a g e s , an seinem K u s s e zu g e s u n d e n ! Dort ist deines H e r z e n s Heimat.

Trostgedanken.

W

iegen im H e r z e n sich stille G e d a n k e n s e h n s ü c h t i g e r L i e b e : d a s sind S e e l e n z u k ü n f t i g e r Taten, die nach dem Leben v e r l a n g e n . E r l ö s e sie, und du s c h e n k s t dir die Ewigkeit. Läßt du sie s t e r b e n , s o stirbt ein Teil d e i n e s Ichs. A b e r da ist d e r T a g nun voll W i d e r s i n n und B e t r ü b n i s , und deine S e e l e fliegt mit den W o l k e n dahin, die den S o n n e n q u e l l v e r d u n k e l n . Dir' s e l b e r fern, v e r m a g s t du d e n n o c h d a s E i n e nicht zu erreichen, f ü r d a s du gelitten hast. K ö n n t e s t du n u r die g e h e i m e S p r a c h e d e i n e s H e r z e n s v e r s t e h e n , du w ü r d e s t nicht mehr dem T o d e n a c h l a u f e n , da du das Leben e r k e n n e n gelernt. A c h , nicht einmal dir selbst v e r m a g s t du zu lauschen, wieviel w e n i g e r dem w e r d e n d e n Leben d e r Z u k u n f t ! W e r weiß d e n n , wieviel e r s t o r b e n e W ü n s c h e und unerfüllte H o f f n u n g e n d a s H e r z eines j e d e n M e n s c h e n b i r g t ? Und w e n n die W ü n s c h e und H o f f n u n g e n d e r Welt und Wirklichkeit g e s t o r b e n s i n d : in seinem H e r z e n leben sie und machen ihn einsam. Und w e n n die M e n s c h e n dem Herzen F r i e d e n g e b e n , s o k e h r e n sich die G e d a n k e n g e g e n ihn. W e r den W u n s c h nicht k e n n t , von seinen W ü n s c h e n allen zu g e n e s e n , weiß nicht, w a s leiden heißt. Und w e r d i e s L e i d k e n n t , d a s nie endet, d e r w e i ß um die Liebe, die die E w i g k e i t sucht. D e r Tod spiegelt sich in den A u g e n des L e b e n s , und ihr O d e m mischt sich zu j e d e r S t u n d e . Oft spricht d e r T o d W o r t e d e r L i e b e ; die kann nur d a s Leid v e r s t e h e n und die S e h n s u c h t . Ja, die S e h n s u c h t wird auch dir auf dem P f a d e des L e b e n s b e g e g n e n : sie redet dich an, a b e r

Trostgedanken.

w e n n du nicht A n t w o r t g i b s t , w i r s t e w i g einsam sein.

verläßt sie dich

93 und du

D i e Liebe — verfolgt von allen Mächten d e r Verg ä n g l i c h k e i t , die dem H a s s e d i e n e n — tritt vertraulich und schutzflehend in das H a u s des m e n s c h l i c h e n H e r z e n s . D a a b e r sind b e r e i t s viele G ä s t e , die dem F r e m d l i n g g r a m s i n d : Selbstsucht, Eitelkeit, S p o t t s u c h t , niedrig' Beg e h r e n und alle die S c h w a r m g e i s t e r d e r F i n s t e r n i s . Die w ü r d e n ihr wohl d a s Bleiben v e r w e h r e n , k ä m e ihr nicht a u s dem tiefsten G r u n d e d e r S e e l e ein gütig W e s e n entg e g e n , d a s ihr die Hand reicht und sie zu verweilen bittet: d e s M e n s c h e n e w i g e S e h n s u c h t zum Göttlichen. S i e e r k e n n t ihre S c h w e s t e r und hält sie u m f a n g e n . U n t e r den Menschen mit s u c h e n d e r S e e l e s t e h e n die G e s ä t t i g t e n w i e v e r d o r r t e B ä u m e , sie g r ü n e n und blühen nicht mehr. S i e verachten die Ideale und schelten sie G ö t z e n ; sie e r w e h r e n sich ihrer reinsten H o f f n u n g , bespötteln die I r r e n d e n , W i r k s a m e n , d e n e n die Z u k u n f t gehört. Z u r Ironie ist d e r noch nicht b e r e c h t i g t , d e r die S c h w ä c h e n und F e h l e r d e s a n d e r e n s i e h t , s o n d e r n nur d e r , w e l c h e r auch helfen will und k a n n ; dies v e r m a g nur, w e r auch die Wahrheit d e r f r e m d e n S e e l e e r k a n n t hat. W e n n die G e f ü g e d e i n e r S e e l e sich Iockern, weil d e r S c h m e r z zu heftig an dem G e b ä u d e d e i n e r I n n e n w e l t gerüttelt h a t , sind nur zwei B a u m e i s t e r , w e l c h e dein H a u s retten k ö n n e n : Arbeit und Liebe. D i e s gilt f ü r dich wie für andere. W e i s e die Menschen nicht an Gott, w e n n sie dich um Hilfe bitten in ihrer N o t : s o n d e r n , w e n n du helfen kannst, nimm G o t t e s S t e l l e ein — w e n n a b e r nicht, s o vermiß dich nicht, ihre Leiden im Namen G o t t e s zu rechtfertigen.

Natur.

W

ie g r o ß bist d u , o N a t u r , in d e r stillen Einfalt deines Wesens. Du e m p f ä n g s t die G a b e n d e r Zeit mit G l e i c h m u t , und die S t ü r m e d e s S c h i c k s a l s k ö n n e n die e w i g e K r a f t d e i n e s W a c h s t u m s nicht t ö t e n . An dir e r k a n n t e sich d e r Geist, an dir m u ß er w a c h s e n . J e g r ö ß e r die S e e l e ist, die sich dir naht, d e s t o reicher w i r s t du sie m a c h e n ; j e r e i n e r d a s H e r z ist, zu dem du sprichst, d e s t o g e w a l t i g e r wird d e i n e S t i m m e in ihm widerhallen. D e r K ü n s t l e r vermählt dich s e i n e m G e i s t e und kleidet die e w i g e S e h n s u c h t s e i n e s H e r z e n s in d e i n e F o r m e n . W o a n d e r s f a n d ' e r den Mund, die Fülle s e i n e r Liebe zu o f f e n b a r e n ? W e n n d e s L e b e n s w a n k e l m ü t i g e r S i n n sein G e m ü t w e c h s e l n d mit F r e u d e n und Leiden ü b e r s c h ü t t e t ; w e n n t a u s e n d W ü n s c h e durch s e i n e r S e e l e G r ü n d e hasten, und die Leidenschaft ihn mit s t a r k e n A r m e n u m s c h l i n g t ; w e n n die F ü l l e d e r G e s i c h t e seinen Geist zu v e r w i r r e n d r o h t : reichst du ihm selige Gestalten, in die e r s e i n e s e r r e g t e n G e f ü h l e s s t r ö m e n d e Fluten g i e ß t , und läßt ihn, dir d i e n e n d , g e n e s e n . E i n i g mit dir, schafft e r dein und sein W e s e n zu göttlichem Leben u m , und wie er a u s dir, s o wirst du a u s ihm g e b o r e n . W e n n d e r Mensch dem M e n s c h e n verleidet ist, w o soll er H e i l u n g s u c h e n , w e n n nicht bei dir, allgütige N a t u r ? Du baust ihm die Hütte d e s F r i e d e n s , dahin d e r m i ß t ö n e n d e Lärm d e s T a g e s nicht dringen m a g ; klagst mit ihm, w e n n sein H e r z erschüttert ist, f r e u s t dich mit seinen F r e u d e n . Du richtest den Geist auf a u s s e i n e r

95

Natur.

Niedrigkeit.

E w i g neu, bist du stets d i e s e l b e und leitest

den M e n s c h e n zum Mittelpunkt s e i n e s W e s e n s . des W e r d e n s , Leben

und

der

von

Tod.

deinen Lippen

Wie

ein

D e r Hauch

kommt,

lernbegierig

versöhnt

Kind,

das

den

Worten s e i n e r Mutter lauscht, nahe sich d e r Mensch d e r Natur; zürne ihr nicht, w e n n s i e nicht j e d e r L a u n e s e i n e s H e r z e n s folgt, s o n d e r n widerhallt.

nur die tieferen, reineren K l ä n g e

S i e ist zu groß, als daß ein k l e i n e s

Gefühl

s i e erreichte, zu fest v e r a n k e r t im e w i g e n S e i n , als daß j e d e s Lüftchen s i e schaukelnd

bewegte.

W e n n w i r das Wort von der „ M u t t e r E r d e " mit dem Herzen verstehen im W i r k e n

wollen,

müssen

und W ü n s c h e n :

unserer S e e l e

w i r uns

das, w a s von

lebendig geworden

beschränken der Natur

i s t , zu vertiefen

durch Wahrheit und Schönheit zu reinigen. die

Natur täuscht

Wenn

die

uns,

wenn wir

schwindende Sonne

Denn

uns s e l b e r

in und

auch

täuschen.

goldene Kränze

um

die

G i p f e l der B e r g e flocht, lockte mich's oft, hinaufzueilen, daß ich die f u n k e l n d e Pracht g e w ö n n e und meine S e e l e daran entzündete. eh'

A b e r die Nacht w a r s c h n e l l e r als ich:

ich h i n a u f g e k o m m e n , w a r

alles Leuchten

erloschen.

Ist's doch nicht a n d e r s im L e b e n : w i r dürsten nach Licht und g r e i f e n die F i n s t e r n i s . — dem G ü t i g e n !

A b e r gütig bist du, Natur,

W e r w a h r ist g e g e n sich selbst, den

be-

trügst du nicht. W a r ich nur göttlich, s o w ä r s t du es auch!

Ich t r a g e

dich mit deinen F e h l e r n , w i e du mich freundlichst umgibst in meiner S c h w ä c h e . bin ich

Reichtum? deinen

K e n n s t du mich nicht, w i e f r e m d

an allen O r t e n ;

bin

Tausendmal

Werken;

und

ich

dir f e r n ,

wo

übertriffst du mich, tausendmal

eil'

ich

w e n n mein G e i s t deine Sehnsucht vollendete.

ist

dein

o Natur, in dir

zuvor,

Sag'

L i e b und Haß ruhten in dir, die ich nun e r w e c k t e ? bist

du's,

die

Lust

und

Leiden

wahrlich, ich t r a g e dich im

in

Herzen!

mir g e s t a l t e t ?

ich: Oder Ja,

Natur.

96

Ich s a ß a m W a l d q u e l l ; s c h l a n k e B ä u m e w ö l b t e n mir

ihr

grün'

Gezweig.

Neugierig

durch

spärliche Lücken

im

lebte

in

Da

Glücks sein

den und

Lüften. meine

im G e t ü m m e l

blickte

Blätterdach, nahte

Seele

ward

mir

die

und

Vogelsang

ein

stille.

über Sonne

Traum

So

des

möcht'

d e s L e b e n s , heilig, ernst

und

ich

heiter

w i e in j e n e r S t u n d e !

E s geht eine trübe Sage, daß

die

Natur

feind

ihn

dem

hassen:

Menschen

hier

aber

war

sei

Friede

und und

die E l e m e n t e Einklang!

Kosend

d r ä n g t e n sich d i e E l e m e n t e an m i c h : d e s W a s s e r s S i l b e r staub,

die

sanfte Berührung

d e r Luft u n d

der

würzige

Wohlgeruch der moosbewachsenen Erde; aber das Feuer

brannte

m i r in d e r S e e l e !

sich d e r R e i g e n Wünsche

Wie

lieblich

rekie

schlang

d e r G e d a n k e n , w i e herzlich s u c h t e n

das Ewige!

Ich

f ü h l t e ihn v o r ,

den

die

Werde-

g a n g d e s u n e n d l i c h e n G e i s t e s ! E r ist es, d e r d i e N a t u r e r hält, d e r a u c h in m i r in F u r c h t u n d H o f f n u n g l e b e n d i g ist. Wohl!

du

hast

mich

verstanden,

selber

fremd

war.

Habe

Seele,

wenn

dich

der Tag

ausruhtest

von

seinen

Natur,

d a ich

dich auch g e s u c h t mit liebend

Umarmungen

umfing; im

mir

ganzer

wenn

Schöße

du der

Dunkelheit. Auf d e i n e n S p u r e n w a n d e l t e ich j ü n g s t , a l s d i e N a c h t d i e E r d e in d a s u n g e w i s s e C h a o s d e r F i n s t e r n i s z u r ü c k genommen erloschen

hatte

und

waren.

gänglichkeit

waren

die glänzenden

Die geheimnisvollen g e s c h ä f t i g in

der

Kerzen

des

Tages

Mächte der Stille;

c h o l i e b r e i t e t e i h r e F l ü g e l aus, u n d d i e L i e b e s c h i e n Reich

verloren

zu

haben.

Ver-

die Melan-

D e r W i n d schlief l a n g e

ihr und

rief n u r im T r a u m e m a n c h m a l d e n W o l k e n z u : eilt, eilt! d e n n d i e Zeit ist f l ü c h t i g ! droben;

auf E r d e n

Aste zusammen.

Dann regte sich's am Himmel

klagten die Bäume und schlugen D a w u r d e n d i e alten, b ö s e n

die

Gedanken

wach und höhnten meine S e e l e und riefen die S c h m e r z e n . — A b e r nun k a m d e r M o n d u n d h o b d e n S c h l e i e r ,

der

97

Natur.

d a s Antlitz d e r E r d e v e r b o r g e n hielt. D a s K l a g e n w a r d zum F l ü s t e r n ; die W o l k e n hatten ihr d u n k l e s G e w a n d a b g e l e g t und schritten in s i l b e r d u r c h w e b t e n Kleidern königlich am Himmel dahin. Sie warfen wunderliche Schatten auf die W i e s e n , die sich w i e u n g e w i s s e Hoffnungen und W ü n s c h e hierhin und dorthin b e w e g t e n . Alles schien den M o n d willkommen zu h e i ß e n ; d a s Geheimnis d e s L e b e n s erfüllte die Lüfte und rief nach Erlösung. D a ö f f n e t e die E i n s a m k e i t ihr t r o s t r e i c h e s H e r z und hieß die L i e b e w i e d e r k e h r e n . Ich sah g o l d e n e G e stalten d e s G l ü c k e s , die längst im M e e r e d e s W e r d e n s v e r s u n k e n s i n d ; h ö r t e liebe, v e r t r a u t e S t i m m e n wieder, die mir im Alltag v e r s t u m m t e n . Gestorbene Sehnsucht wollte auferstehen. Und um mich w o b d i e gütige Natur a u s Licht und F i n s t e r n i s ein liebliches Spiel v e r t r ä u m t e n Lebens. — Und w i s s e auchl ihr tiefst' G e h e i m n i s k a n n s t du nur a h n e n d d u r c h d r i n g e n , w e n n dein H e r z im F r ü h l i n g steht. E s ist d a s Mysterium d e i n e r S e e l e . A u s klaren Quellen s c h ö p f e n s e l i g e G e i s t e r K r ä f t e d e r L i e b e ; sie t r ä n k e n aus g o l d e n e n E i m e r n die Wurzeln d e s L e b e n s I Nimm's auf in dein H e r z , d a s stille W i r k e n u m h e r , daß auch d e i n e Liebe w a c h s e und dein s e h n e n d V e r l a n g e n sich läutere! E s lockt und leuchtet a u s g l ü h e n d e n F e r n e n 1 E s weht und w i n k t a u s k o m m e n d e n T a g e n ! Und w e r ' s nicht begriffen, und w e r ' s nicht gefühlt, wird einsam sein. —

K i n k e l , Traum- 2. Aufl.

7

Stille Gedanken vom Leben.

A

m kleinsten k a n n die S e e l e w a c h s e n , w e n n sie es zum E w i g e n in B e z i e h u n g setzt. A n t w o r t e auf alle F r a g e n d e s Schicksals mit d e r g a n z e n Kraft d e i n e s Wes e n s ; denn n u r s o k a n n s t du deine B e s t i m m u n g erfüllen. W e n n dir die Welt tot und f r e m d bleibt, s o ist's d e i n e S c h u l d : es sind die Schatten u n s e r e r e i g e n e n Seele, w e l c h e uns d a s D a s e i n v e r d u n k e l n . Im s e l b e n Maße, wie du die Welt zu begreifen beginnst, e r k e n n t sie auch dich; denn d a s Sein b e g r e i f e n , heißt: mit ihm einig werden. A b e r freilich: die Endlichkeit u n s e r e r Wirklichkeit hält uns in e w i g e r B r a u t s c h a f t ; denn d a s a b s o l u t e Sein w o h n t in d e r I d e e , und w e r s e i n e S e e l e restlos d e r Wirklichkeit d e s A u g e n b l i c k s v e r m ä h l t , d e r wird heimatlos sein in d e r Zukunft. J e m e h r w i r a b e r vom unendlichen S e i n e r k e n n e n d gestalten, d e s t o reicher, d e s t o s i c h e r e r wird auch die Wirklichkeit u n s e r e r S e e l e . Ja, es ist j a n u r ein Entfalten d e r e i g e n e n S e e l e , w a s w i r e r k e n n e n und handeln n e n n e n . Du k a n n s t d a s U n e n d liche außer dir nicht b e g r e i f e n , w e n n du es im eigenen H e r z e n nicht g e f u n d e n h a s t ; denn d a s Unendliche d r a u ß e n und d r i n n e n ist n u r d e r Reflex d e i n e r Seele. Laß dein H e r z dem E w i g e n dienen, und du v e r k ö r p e r s t die S e e l e j e d e r L e b e n s s t u n d e und entreißt sie d e r V e r g ä n g l i c h k e i t ; a b e r die S t u n d e n k o m m e n und g e h e n , und du läßt ihre Seelen sterben. Nicht die Zeit gibt uns u n s e r Schicksal, s o n d e r n w i r sind es, die wir doch die Zeit mit u n s e r e m Hoffen und

Stille G e d a n k e n v o m

Leben.

Fürchten, Lieben und Hassen erfüllen. du deine S e e l e zu w a h r e n , und

der

Menschheit

verborgenen

indem

ferne

Kammern

hältst;

tausend

99

V e r g e b l i c h denkst du dich vom

dein Gemüt

Geheimnisse;

S c h l ü s s e l dazu hat das Leben in Händen. „Erkenne

dich

nicht

ist

immer.

den A c k e r

ihren S a m e n dich

trauen

des

aus.

nur schlimm,

lierst

Den

in den

Spruch:

In allen E r e i g n i s s e n

du deiner S e e l e b e g e g n e n : durch

aber

s e l b s t " kannst du nicht erfüllen, wenn du

dich von der Welt abkehrst. antwortest

Leben

trägt

aber,

sie

a b e r du

W e n n das Leid s e i n e

Furchen

L e b e n s zieht,

Es

ist

sich

streut die Weisheit

nicht schlimm, zu leiden; es

im Leide zu verlieren.

wenn

kannst

reden dich a n ;

das

Leid

deine

Du

Seele

Nur das L e i d ,

und Menschenhaß erfüllt.

ver-

mit Mißwelches

deine Herzen^kammer verdunkelt, ist deiner S e e l e schädlich.

Z w a r für Zeiten mag wohl die Kraft deines Willens

an der F ü l l e deiner Schmerzen scheitern. dem Herzen ersticken nicht,

sagen:

will.

wenn

warten.

„Sei

stille!"

wenn

Man

hat gut

es vor J a m m e r

Ein erfahrener Schiffer verläßt den Hafen der Sturm

D e n ewigen

am

heftigsten

ist,

Gewinn einer heißen

er

weiß zu

Leidenschaft,

eines tiefen K u m m e r s findet die S e e l e häufig erst, wenn die Wellen schon ausgetobt haben.

Auch sind es nicht

notwendig

die

paradoxen

das Gemüt

aus

dem Gleichgewicht b r i n g e n : tiefer emp-

fundene

Alltäglichkeiten

Einfälle werden

des L e b e n s , zu

welche

außergewöhnlichen

Schicksalen. Es

ist s o

noch weit ist.

wunderbar,

wunderbarer,

daß

es

die L i e b e

daß sie nicht

gibt,

und

selbstverständlich

Denn s i e fördert das Wachstum der S e e l e und die

Wahrheit in ihr. dir s o n s t Seete:

Zorn,

das L e b e n

geselle

ihnen

Sorgen

gibt,

und K u m m e r ,

schließ

nicht

die L i e b e b e i ;

denn sie ist

und mächtiger und wird sie bekehren. auf E r d e n ,

der

dich im Herzen

und was

allein in deine

trägt,

reiner

Ist nur ein Mensch s o hast du eine 7*

Stille Gedanken vom Leben.

100

H e i m a t und bist w o h l g e b o r g e n .

E s ist auch viel leichter,

s e i n e n H a ß , a l s s e i n e L i e b e zu v e r s t e c k e n ; d e n n d e r H a ß flieht, d i e L i e b e s u c h t d a s L e b e n .

Auf s t e i n i g e n

Wegen

muß wandern, w e r die Wahrheit sucht; seine F ü ß e werden bluten, und das G e w a n d s e i n e s G e m ü t e s wird von D o r n e n z e r r i s s e n w e r d e n ; a b e r auf s a n f t e n F i t t i g e n t r ä g t ihn M e n s c h e n l i e b e d u r c h alle S o r g e n u n d K ü m m e r n i s s e .

die Das

ist e i n e n ü c h t e r n e u n d u n g e w i s s e L i e b e , d i e im a n d e r e n nur

soviel

liebt,

als s i e k l a r u n d deutlich e r k e n n t ;

das

G r ö ß t e und Tiefste, w a s dahinter steht, m u ß das

Gefühl

ergreifen,

Sonne

wie

der

Künstler

die

Idee.

Vor

der

der Liebe vertrocknen die bösen Gedanken, daß sie fallen w i e d i e d ü r r e n B l ä t t e r im H e r b s t .

Die bösen

abGe-

d a n k e n ! W e r hat nicht w i d e r b ö s e G e d a n k e n u n d W ü n s c h e zu

kämpfen?

Aber

nicht g e s t o r b e n

in s e i n e m H e r z e n . . aus?

Sie

Grenzen

ist

solange

ist,

lebt

Mensch

die

ewige

im

Menschen

Gottsehnsucht

W e r mißt d i e S e p i e d e s

tiefer

erreicht

der

auch

als

kein

so schnell zur Hand

das

Meer,

Wanderer.

und Und

Geringsten

ihres doch

Landes sind

mit d e m Urteil ü b e r u n s e r e

U n d doch s p r e c h e n w i r v o n g u t e n u n d b ö s e n

wir

Brüder!

Menschen,

a l s w ä r e n ' s S t e i n e u n d P f l a n z e n , d i e w i r in u n s e r e K ä s t e n und

Herbarien

sollten die

wir

Existenz

werden uns dem

legen!

schon

Sünden,

deswegen

die

milder

unserer

Seele

durch

aber

unsere

eigene

kann;

außer

uns

liegen,

beurteilen,

weil

sie niemals Sünden

ja

bedroht

entfremden

Sein.

Warum scheuen

wir uns,

manchen Menschen

unsere

t i e f s t e n u n d h e i l i g s t e n G e d a n k e n zu o f f e n b a r e n , in d e n e n wir das wahrste Wesen Das

scheint

doch

unserer Seele enthalten

sonderbar:

denn

wissen?

nur

Wahrheit

u n d L i e b e in u n s e r e n G e d a n k e n u n d W ü n s c h e n

enthalten

sind, so wird die Seele des anderen nun, wie sie wolle.

wenn

antworten,

Ist e s doch u n m ö g l i c h , e i n e

s i e sei Wahr-

heit zu e r k e n n e n , o h n e s i e zu l i e b e n ; w e n n u n s d i e E r -

Stille Oedanken vom Leben.

101

k e n n t n i s noch w e h e tut, haben wir sie noch nicht vollendet. A b e r d a s ist's g e r a d e : W ü n s c h e , die sich selbst noch nicht v e r s t e h e n , G e d a n k e n , die noch nicht a n s Ziel g e l a n g t s i n d , bleiben denen f r e m d , die nicht g a n z in u n s e r e r S e e l e leben. Die tiefste S e h n s u c h t u n s e r e s Herz e n s birgt noch soviel P r o b l e m a t i s c h e s , U n g e k l ä r t e s ; und dies k e h r t sich w i d e r u n s , w e n n ' s von f r e m d e n S e e l e n v e r h ö h n t w i r d . E s soll niemand damit spielen. S o gilt's a b e r auch f ü r u n s e r Verhalten zu a n d e r e n : man muß die G e h e i m n i s s e f r e m d e r Herzen achten und soll die Geb u r t s s t u n d e d e r G e d a n k e n und W ü n s c h e nicht s t ö r e n . Um s o b e g l ü c k e n d e r ist es a b e r , einen M e n s c h e n zu f i n d e n , d e r die g e h e i m s t e n R e g u n g e n u n s e r e r S e e l e erlauscht und u n s d a s Heilige, E w i g e vom Zeitlich-Verg ä n g l i c h e n s o n d e r n hilft. D i e Innigkeit z w e i e r H e r z e n b e r u h t g e r a d e d a r a u f , daß man in d e r S e h n s u c h t d e s a n d e r e n lebt und sie erlöst. D a s im Stillen G e b o r e n e , in d e r E i n s a m k e i t d e r S e e l e G e w a c h s e n e wird von d e r Welt selten f r e u d i g e m p f a n g e n ; denn T a g und Wirklichkeit sind laut und lärmend. S i e v e r l a n g e n , daß man sich dem Nächstliegenden o p f e r t ; und s o sind w i r oft g e n u g g e z w u n g e n , die E n e r g i e d e s G e i s t e s und d e s H e r z e n s an eine S a c h e zu v e r s c h w e n d e n , die u n s e r e r S e e l e f r e m d ist. D a n n bleibt e t w a s in ihr z u r ü c k , unbeteiligt, gleichsam f ü r den A u g e n blick t o t , d a s nicht in die Arbeit e i n g e h e n will — ich f ü r c h t e , es ist d a s b e s t e Teil u n s e r e r S e e l e . Wieviel W e r k e tun w i r o h n e die Liebe! Und dann e r k e n n e n w i r uns in ihnen nicht m e h r und f ü r c h t e n uns v o r ihnen. D a r u m ist es n o t , sich zuzeiten auf den W e g zu bes i n n e n , den w i r w a n d e r n w o l l e n : damit in a l l e m , w a s w i r d e n k e n , fühlen und tun, u n s e r e Z u k u n f t lebt. Und auch hier k o m m t uns d a s L e b e n e n t g e g e n , welches g r ö ß e r ist als d e r A u g e n b l i c k , i n d e m e s nie aufgeht. G e r a d e , w o es sich u n s e r e n W ü n s c h e n e n t g e g e n -

102

Stille Oedanken vom Leben.

stellt, w o es u n s schmerzlich a n s Herz greift, f o r d e r t es u n s auf, einmal die S u m m e u n s e r e s D a s e i n s zu ziehen und die F l ä c h e u n s e r e r Wirklichkeit zu ü b e r b l i c k e n . R e i n e n S e e l e n ist d e r S c h m e r z w i e ein Kristall, d e r d a s Licht ihres G e i s t e s in t a u s e n d F a r b e n leuchten läßt. E r ist auch w i e ein S p i e g e l , in dem alle B e s i t z t ü m e r d e r S e e l e sich s p i e g e l n , um sich selbst zu e r k e n n e n . Ich h a b e die stillen Herzen lieb, die sich in Glück und Leiden d e r Liebe vertrauen und nicht irre w e r d e n an den M e n s c h e n .

( S S

Gottesliebe ist Menschenliebe.

E

in

weilt tritt

Herz,

das

sich

in

der

Einsamkeit

entfaltet,

d e n n o c h oft den M e n s c h e n i n n i g s t v e r b u n d e n . nicht es

alles

überall:

auf

rauhen,

steilen

dir u n v e r m u t e t e n t g e g e n .

Handeln

i m m e r ein

Gebirgspfaden

Und w i s s e

Bekennen

ist

Echo

doch,

daß

und O f f e n b a r e n

der

S e e l e i s t ; w e n n auch die M e n s c h e n b l i n d s i n d , die W a h r heit

hat

es

gesehen.

Aber

G o t t , und G o t t ist Idee.

die letzte Wahrheit

ruht

J e m e h r g r o ß e , g u t e und

in

schöne

G e d a n k e n d e i n e S e e l e b i r g t , d e s t o m e h r h a s t du v o n ihm begriffen.

So

offenbart

ist

und

Gott

nie

das

endet;

Geheimnis,

und

Natur

das

und

sich

ewig

Menschenwelt

s i n d d e r s u c h e n d e n S e e l e nur W e g w e i s e r zum G ö t t l i c h e n . Im V e r t r a u t e s t e n wiederfinden; endliche sitzen

kann

dein

Herz

das ewige

Geheimnis

w e r a b e r d a s E n d l i c h e liebt, k a n n d a s U n -

nicht e r b l i c k e n ,

glaubt,

muß

es

und w e r d a s U n e n d l i c h e zu b e verlieren.

Auch

die

endlich

ge-

d a c h t e n G ö t t e r s i n d s t e r b l i c h : e w i g ist n u r d i e S e h n s u c h t , die sie erschuf.

Es

ist s c h l i m m ,

wenn

U n v e r n u n f t s e t z t , statt in die V e r n u n f t ; wenn Gott

man ist

kennbar. mehr

und

ihn

für

freilich

das

Zufällige

geheimnisvoll

Vielmehr

ist e b e n

mehr

der

kenntnis

zu

enthalten

zu s e i n .

und h a n d e l t ,

in

offenbaren Also

das seine doch

nur, i n d e m

wird Gott sichtbar

in

verantwortlich

genug;

theoretischen und

man G o t t d a s tut man

die

aber, macht.

aber

nicht

uner-

Art,

sich

immer

und s i t t l i c h e n

niemals

restlos

der Mensch

Er-

darin

erkennt

in d e r W i r k l i c h k e i t .

Die

v i e l e n G ö t t e r a b e r , die sich in d e r G e s c h i c h t e d e r M e n s c h heit f o l g t e n ,

suchten

und b e f e i n d e t e n ,

sind

nur

endlichten sittlichen Ideale ihrer Zeit g e w e s e n ; s i e

die

ver-

waren,

104

Gottesliebe ist Menschenliebe.

obgleich sie heute g e s t o r b e n sind, d e n n o c h ewig, w e n n sie d a s Göttliche dem menschlichen H e r z e n n ä h e r brachten. D a s W e r d e n d e i n e r S e e l e ist w i e d a s W e r d e n d e r Menschheit. Du n e n n s t d e i n e Irrtümer E r f a h r u n g e n und g l a u b s t dich am Ziel, w e n n du am A n f a n g stehst. Aber i m m e r aufs n e u e w i r s t du heimatlos, weil du die e w i g e Heimat nicht g e f u n d e n hast. Vergeblich e r s i n n s t du dir einen Gott, d e r f ü r dich handelt und d e n k t u n t e r dem vieldeutigen N a m e n d e r V o r s e h u n g . D e r G l a u b e , daß alles, w a s uns im L e b e n b e g e g n e t , v o r h e r bestimmt sei, ist d e s w e g e n zugleich s o tröstlich und s o schädlich, weil er d a s V e r a n t w o r t u n g s g e f ü h l lindert. D e r rechte Vors e h u n g s g l a u b e ist a b e r allein d e r G l a u b e an den endlichen S i e g d e s G u t e n , d e r a u s d e r F r e i h e i t d e r Vernunft g e b o r e n w e r d e n soll. Um diesen G l a u b e n in dir zu s t ä r k e n , s u c h e nur i m m e r den e w i g e n C h a r a k t e r d e r E r e i g n i s s e zu e r k e n n e n . Auch das, w a s klein e r s c h e i n t in den G e d a n k e n und H a n d l u n g e n d e i n e r Mitmenschen, k a n n s t du d i r g r o ß d e u t e n , w e n n du es als n o t w e n d i g e S t u f e in dem L ä u t e r u n g s p r o z e ß ihrer S e e l e a n s i e h s t . E h e r k a n n s t du j a die S c h ö n h e i t einer Landschaft in f i n s t e r e r Nacht e r k e n n e n , als den w a h r e n C h a r a k t e r e i n e s M e n s c h e n , w e n n du n u r auf s e i n e S c h w ä c h e n siehst. W e r i m m e r nur d a s G r o ß e und G u t e in seinen Mitmenschen sucht und a n e r k e n n t , m a g wohl oft enttäuscht w e r d e n ; er sieht d e n n o c h m e h r und richtiger als d e r s k e p t i s c h e P e s s i m i s t , w e l c h e r s e i n e n Blick an das V e r s i n k e n d e haftet. M e n s c h e n liebe kann die S e e l e w o h l friedlos, nie a b e r klein m a c h e n . Man kann s o g a r s a g e n , daß die Fülle o d e r d e r Mangel u n s e r e r Liebe zu den M e n s c h e n ein M a ß s t a b ist f ü r den Reichtum o d e r die Armut u n s e r e s H e r z e n s . Ist doch die Liebe eine R e d e G o t t e s zum menschlichen H e r z e n , daß es blühen und w a c h s e n soll. Ist denn nicht die E i n k e h r im M e n s c h e n die einzige Quelle all u n s e r e r F r e u d e n und L e i d e n ?

Oottesliebe ist Menschenliebe. Auch

in

bis sich

der

Natur

ist

alles

sich

105

fremd

das m e n s c h l i c h e H e r z sein e r b a r m t

b i n d e t : denn

nun

zum E w i g e n .

und

nimmt e s teil an d e r reinen

Freilich:

das u n n e n n b a r e

fühlt und e r g r ü n d e t nur der K ü n s t l e r .

feind,

und e s

H e r z d e r Natur

Wir anderen Ver-

standesmenschen haben j a

i m m e r nur ein B r u c h s t ü c k

wahrhaftigen

Natur,

unsere

problematisch

und v e r g ä n g l i c h .

stark

und

unser

kommenheit

und

Verlangen

der

Wirklichkeit

heftiger entzünden. mag,

die

Natur

Wäre

bleibt

unsere Seele

so

müßte

unsere

die

Kunst Welt

einem

dem

Gefühle

des

Ewigen

w i r ' s von ihr e m p f a n g e n .

nur

zu

Wir

be-

sollen ziehen,

O r t zum a n d e r e n g e h e n , o h n e Natur

um i h r e S e e l e zu b e f r a g e n . lieb

nur

Unvoll-

Gottsehnsucht

a b e r nicht w i e n e u g i e r i g e R e i s e n d e d u r c h s L e b e n die von

der

immer

Statt, w i e ' s a l l e i n e d e r K ü n s t l e r ver-

mit

schenken, wollen

Einheit

rein,

ver-

Sehnsucht

gewinnen,

wenn

wir

Wie können uns

um

und

wir

ihr H e r z

die nicht

kümmern! Weil restlos

unsere Begriffe verwirklichen,

deutlich

offenbart,

und

die

glauben

e s sei G o t t s c h o n

Handlungen

sich

doch

viele,

nie

Gefühle

so

e s sei die Idee

selbst,

mit d e r U n b e s t i m m t h e i t

des

G e f ü h l s und suchen d a h e r ein m y s t i s c h e s E i n s w e r d e n

mit

Gott.

Aber

Feigheit.

identisch

die I d e e

dem

beim

Das

bloßen

Gefühle

stehenzubleiben,

ist

o b j e k t i v e S e i n der Idee liegt d e n n o c h

im

B e g r i f f und d e r H a n d l u n g ; d a h e r kann

uns auch nur E r -

k e n n t n i s und W i l l e ihr wahrhaft n ä h e r

bringen.

Alles genommen

menschliche das

liebe entspringt. und w i r k s a m .

wird

krank

geboren,

aus-

e i n e , welches aus selbstloser

Menschen-

Und w a h r e L i e b e ist i m m e r

gestaltsam

D a s ist ein s c h l i m m e r T r u g , d e r uns

letzte Ziel w i e ein schildert.

Glück

das

formloses, ruhiges, tatloses Verharren

G r ö ß e will sich o f f e n b a r e n , S c h ö n h e i t

gesehen

und gefühlt, W a h r h e i t e r k a n n t und G ü t e empfunden w e r d e n .

Die Nacht geht durch den Wald

D

ie Dunkelheit füllte den Wald mit ihren Rätseln, und meine Schritte klangen seltsam in das ängstliche Schweigen. Glühwürmchen führten ein sonderbar Spiel auf: es war, als ob aus der Seele der Nacht geheime Wünsche und Gedanken aufleuchteten, sich suchend und fliehend, rastlos, hoffnungslos . . . Aber dann kam der Wind und schalt sie aus und jagte sie durcheinander; und in den Gipfeln der Bäume sprach eine vertraute Stimme trostvoll vom Ungewordenen, das wir alle suchen und lieben, und das größer ist als Freud' und Leid, von denen es uns erlösen wird. „Wenn nur der Mond käme", sagten die Bäume, „dann würdest du es auch sehen, wie wir es gesehen haben: denn es ist ganz nahe, aber die Finsternis hält es verborgen."

Da hat's wohl der Mond gehört und hat das Wolkentor geöffnet und in die Nacht geleuchtet. Ja, da sah ich, daß das Wirkliche Traum ist und der Traum Wirklichkeit. Oder war's nur in meinem Herzen, daß eine Welt geboren ward, in die alles Erlebte, Begriffene nicht passen wollte und die von ganz fremden Gestalten erfüllt war? Denn das kann doch kein Traum sein, sprach ich zu mir, was mit so reicher, reiner Liebe durch die Seele flutet. Nun ahnt' ich die tieferen Gedanken der Nacht, die in der Dämmerung schliefen; denn des Mondes silberne Himmelsboten drangen kühn in das verborgene Geheimnis. Sucht denn nicht alles sich hier? Atmet nicht ein Geist des Wachsens und Werdens in allen Bäumen und Sträuchern?

Die Nacht geht durch den Wald.

107

Und w a s ich s o fern, so fern geglaubt, daß ich mich darin nicht w i e d e r f a n d , umgibt mich vertraulich. Ich bin nicht mehr einsam. W e n n n u r d e r T a g nicht w i e d e r alles v e r s c h w i n d e n macht! E s ist ein n a c h t g e b o r e n e s Glück, und d a s Licht d e r S o n n e ist g r a u s a m . Bei ihren heißen K ü s s e n s t e r b e n die seligsten W ü n s c h e . F o r t s c h r e i t e n d den P f a d d e s Zeitlichen, w i e w a n d e l n sich doch die G e s t a l t e n d e s L e b e n s ! W i e K ö n i g s k i n d e r , in g o l d d u r c h w i r k t e n K l e i d e r n , zogen die W ü n s c h e d e s H e r z e n s a u s ; a b e r sie k e h r e n zurück, gehüllt in die g r a u e n G e w ä n d e r d e r E n t t ä u s c h u n g , bettlergleich, dem e i g e n e n Hoffen unkenntlich. Da sie von uns g i n g e n , zitterte die Lust d e s L e b e n s in ihrer S t i m m e ; nun haben sie die S p r a c h e d e s T o d e s gelernt. M ö g e n sie d a h i n f a h r e n ! D a s E w i g e hat sich d a s H e r z gerettet. Die G o t t e s l i e b e v e r welkt und stirbt nicht mit ihnen. S i e ist ein W u n s c h zum G u t e n , d e r rein und v e r t r a u e n d wie ein liebes Kind durch die S e e l e hingeht. W e r pflückt denn E r f ü l l u n g , w i e b u n t e B l u m e n , auf den f r u c h t b a r e n Auen d e s L e b e n s ? Wem nicht die W i e d e r g e b u r t d e r r i n g e n d e n Kraft E r f ü l l u n g gibt, d e r muß e w i g e n t b e h r e n . G l a u b e den S t i m m e n nicht, die dich v e r w i r r e n und mutlos machen, indem sie dir s a g e n : es ist zu s p ä t , du hast dich v e r g e u d e t ! E s ist nie zu spät, nichts ist v e r l o r e n : denn du atmest noch, d e i n e S e e l e fühlt noch die F r e u d e n und Leiden d i e s e r Welt, und du t r ä g s t die S e h n s u c h t zum E w i g e n in dir . . . Nun w a r ich an eine Lichtung g e k o m m e n , die das H e r z d e r Nacht b a r g : denn hier flutete d a s Mondlicht so hell, wie d e r s t a r k e G l a u b e d e r S e h n s u c h t in den Herzen d e r M e n s c h e n . Und wie die Nähe eines lieben F r e u n d e s die H o f f n u n g s t a r k und sicher macht, s o g e s c h a h mir: ich e r k a n n t e die S c h w ä c h e der V e r z w e i f l u n g , die nach R u h e verlangt, und g a b selbst meinen Leiden f r e u n d l i c h e Namen. Und die Liebe rief nach dem L e b e n . . .

108

Die Nacht geht durch den Wald.

W e n n a b e r die W o l k e n am Antlitz des M o n d e s vorü b e r z o g e n , w a r f e n sie Schatten auf die W i e s e : d u n k l e A b b i l d e r i h r e r hohen H e r r l i c h k e i t , die sich g e b ä r d e t e n , als hätten sie die S e e l e des Himmels in sich aufgen o m m e n : sie reckten sich und s t r e c k t e n sich, z o g e n sich z u s a m m e n und d e h n t e n sich aufs neue. S i e w u ß t e n nicht, daß sie s t e r b e n m ü s s e n , w e n n der M o r g e n w i n d bläst und sich die W o l k e n da d r o b e n auflösen in d a s s e l i g e Licht d e s e r w a c h e n d e n T a g e s . W a h r e dich, Seele, d a ß du nicht eingehst in S c h a t t e n t r ä u m e d e s L e b e n s !

(25)

Vom Leben und Sterben der Seele.

W

ir b e s t a u n e n und beklagen die Vergänglichkeit, die u n s umgibt, und t r a g e n sie doch in e i g e n e r S e e l e . W i e oft m ü s s e n wir nicht u n s e r e Wirklichkeit neu erb a u e n , w e n n die vertiefte S e h n s u c h t in neuen Leiden und F r e u d e n u n s e r e r B e g r i f f e spottet. D e m Ich entf r e m d e n w i r uns, w i e wir uns dem S e l b s t n ä h e r n : wir hatten u n s e r G e m ü t an ein Glück, an eine H o f f n u n g geh ä n g t ; u n s e r H e r z in eine Wirklichkeit g e b e t t e t , die d e r S t u r m der Zeit v e r w e h t . A b e r die S e e l e lebt und sehnt sich, muß s o r g e n und r i n g e n ; und in d e r e w i g e n Selbstv e r w a n d l u n g wird d e r S o m m e r u n s e r e s D a s e i n s zum Herbst. Wir b e l e b e n diesen g r a u e n S c h a t t e n u n s e r e r Seele, d i e V e r g a n g e n h e i t , und f ü r c h t e n u n s vor ihm wie vor einem G e p e n s t . A b e r j e h ö h e r die S o n n e u n s e r e s Willens und u n s e r e r S e h n s u c h t s t e h t , d e s t o g e r i n g e r wird j e n e r Schatten. Und d a s tiefste W e s e n u n s e r e r S e e l e ist doch d e r F r ü h l i n g . Die Hüllen d e s Irrtums lösen sich nur mählich vom Edelstein d e r W a h r h e i t , und w i r m ü s s e n noch durch viele P f o r t e n d e s Übels schreiten, e h e w i r am T h r o n e des a b s o l u t Guten s t e h e n ; a b e r die S ü n d e selbst leitet uns zu s e i n e n S t u f e n . D i e stillen L e i d e n , von denen w i r nicht s p r e c h e n d ü r f e n ; die S o r g e n , d e r G r a m , die w i r in die heimlichsten Winkel d e s H e r z e n s v e r b e r g e n , daß sie d a s Tageslicht nicht s e h e n , g e r a d e sie sind es, w e l c h e u n s e r e S e e l e reif m a c h e n . G o l d e n e Schatten k e n n ' ich, die d a s E w i g e in die Zeit w i r f t : w e n n ein hoffend H e r z e n t s a g e n muß und doch fröhlich bleibt.

1 10

Vom Leben und Sterben der Seele.

Es

ist

die

kleinen

und

ein

heimlich

Jammern

Herz!

Lobsingen

Englein

Gottes;

wie

Acht

es

aus

der

nicht,

es

in

und

Lärmen

und

will.

Rauschen

umklammert leisen

sind

des

das B i l d Stimmen

Klagen

nur

Tapfer,

die

mein

Schwingungen

und L e i d e n

ihres D a s e i n s

D u weißt nicht, daß in all

nur das H e r z v e r n e h m e n die

wären's

Unterwelt.

d e i n e r S e e l e , die die F r e u d e n tönt und g e n e s e n

der Luft, a l s doch auch ein

Lebens

kann.

eine

Stille

die

D i e L i e b e zum S c h ö n e n

des U n v e r g ä n g l i c h e n der

dem

ist,

Zukunft.

Die

und

begreift

Zukunft

ist

ge-

r e c h t e r als die G e g e n w a r t : s i e tötet den Irrtum und

die

S ü n d e und läßt nur die W a h r h e i t und das G u t e und das ist die G e r e c h t i g k e i t Selbstsehnsucht

ist

das

bestehen;

Gottes. Leben:

ein

Hinstreben

zur

G e s t a l t u n g der e i g e n e n S e e l e und ein I n n e w e r d e n u n s e r e s Wesens.

Und

bist d u ?

wenn

dich

die

Menschen

fragen:

wer

S o a n t w o r t e i h n e n : der ich sein w e r d e !

die E w i g k e i t

deines W e s e n s

Denn

liegt in d e r Zukunft.

Aber

die S e h n s u c h t nach der I d e e ist nicht frei von S c h m e r z e n : denn und

wir wir

sehen,

müssen streuen

dessen

uns

aufgeben,

den

Samen,

Frucht

man

kann

ten,

Werdenden,

auch

wir

um

nicht

Heimweh

uns zu

dessen

haben

Wahrhafteren:

Blüte

pflücken ist

nicht

sollen.

nach dem das

gewinnen, wir

Aber

Nie-Geschau-

die

Liebe

zur

Idee.

Ist all e i n e H e i m k e h r , das L e b e n und das S t e r b e n .

Denn

w a s w i r an W a h r h e i t e r k e n n e n und w a s w i r G u t e s

schaffen,

das

ist

unser

Selbst.

Heim in der Z e i t l i c h k e i t , der E w i g k e i t . danken deine

Wohin

du

richtest, da wirst Seele.

darinnen

Ersticke

deinen

So

bauen

Willen

unser

und d e i n e

du e n d i g e n : denn deine

wir

w i r w o h n e n s o l l e n in

Seele

Ge-

in ihnen ist

nicht;

wer

immer

am V e r g ä n g l i c h e n , am Z e i t l i c h - E n d l i c h e n haftet, kann sich nicht

aus

sein

Herz

Barke

dem mit

Strom dem

des

Werdens

Unendlichen

retten.

erfüllt,

Wer

fährt

in

der W a h r h e i t s i c h e r ins R e i c h der E w i g k e i t .

aber der Ein-

Vom Leben und Sterben der Seele. samen

Herzens

antwortet

zuweilen

die S t i m m e der

k u n f t : ich w e r d e s e i n , w a s du j e t z t Du

mußt

wissen,

daß

du

1 11 Zu-

bist.

das Leben und seine

Er-

e i g n i s s e nicht b e z w i n g e n u n d z u m S e g e n g e s t a l t e n k a n n s t , wenn

du

Tiefen

d e i n e r S e e l e v o r d e r B e r ü h r u n g mit d e r

wart

dem

Schmerz

verschließen

die

Menschen

der

Menschheit.

aus

willst.

lieb;

ist

gehst

und

rechter Qottesstreiter

die

Idee G o t t e s

ebenso

falsch,

ist

Die

Empfindungen,

hat

die

das

Idee

Leben

l a s s e n , als sich ihm b l i n d l i n g s zu e r g e b e n : m a n leiten.

die

Gegen-

Ein

denn

Es

dem W e g e

zu

muß es

Gefühle, Begehrungen,

die

durch u n s e r e S e e l e rauschen, muß der G e d a n k e befestigen zum Sein.

Wer seine Gefühle wie Sturmvögel

davonfliegen Wenn daß

du

du

dich

es

Blumen so

bist,

dich

doch

sich

suchen

Du

um:

dich,

f ü h l s t dich

du

bist

ja

nicht reif f ü r d i e L i e b e ?

der Welt,

ihrer

dein am W e g ,

Herzen

Liebe.

fühlst in

der

im W i n d

bald in e i n e r t o t e n W e l t

fremd

harren

viele

ihrer

läßt, wird

so

leben.

bedenke,

e n t f r e m d e t hat.

Soviel

a b e r du s i e h s t s i e

nicht;

aber

du v e r s c h l i e ß t

verstoßen? nicht

Wenn

allein! du

dich

Aber so Oder

ein

sieh

bist

schweres

du

Herz

im B u s e n t r ä g s t u n d leidest a m L e b e n , k e h r e dich nicht von

deinen

doppelt

Brüdern;

den

Gram.

denn

verlassene

Der Stern

Einsamkeit

des Vertrauens

ver-

scheine

in d i e K a m m e r d e r T r ü b s a l , u n d d i e Z u v e r s i c h t d e s Z u künftigen

lasse

anderes,

was

ihnen Zutrauen ö f f n e t alle Das

unser

uns

Herz

die

genesen.

Menschen

Was

gewinnt,

und Liebe z e i g e n ?

ist's als

denn

daß

wir

Ein w e n i g I n n i g k e i t

Herzen.

Köstlichste

ist, w e n n

die

Seele

sich

s e l b s t b e s i n n t u n d sich i h r e r K r a f t b e w u ß t w i r d B e w ä l t i g u n g v o n Lust und Leid. diese

Geburt

lebst,

wenn

der du

Seele ihr

erleben,

Gemüt

in

auf in

sich der

Du kannst tausendfach wenn deines

du

in

anderen

verpflanzt,

ihre

H o f f n u n g e n zu d e i n e n H o f f n u n g e n , i h r e L e i d e n zu e i g e n e n

112

Vom Leben und Sterben der Seele.

Leiden machst. Siehe, deine Seele ist wie eine Wolke im Wind, wenn du nicht an die Menschen glaubst; dein Herz wie ein ausgetrockneter Brunnen, wenn du dich von der Liebe kehrst. Aber es gibt Seelen, die sind wie vergessene und verlassene Gärten. Sie bergen tausend Geheimnisse; Schönheiten, die niemand sieht, Laubgänge der Freundschaft, Springbrunnen der Begeisterung, und weite grüne Rasen der Hoffnung. Rosen blühen da, rote Rosen der Liebe und weiße des Kummers. Aber niemand kommt, der die Herrlichkeiten schauen mag. Die Welt sieht nur das eiserne Tor und die hohe Mauer von Stein, die sie umgibt. Bis ein junges, frisches Menschenkind ihnen mit heißer, v e r t r a u e n d e c L i e b e entgegenkommt; da öffnet sich das Tor. Und zwischen ihren Herzen ist eine Zwiesprache Gottes. Als die Seele sich von der Liebe scheiden mußte, da schenkte ihr Zeus die ersten Tränen; und Psyche weinte, und aus dem Tau ihres Auges ward Lethe, die Quelle der Vergessenheit. Und abermals weinte Psyche, als sie sich wieder der Liebe vereinte: da ward aus ihren Tränen der Quell der Begeisterung, aus dem die Dichter trinken. Die Menschen wissen nicht mehr, was Tränen sind. Sie vergeuden ihre Tränen wie ihre Freuden. Nur selten leitet die Freundschaft und die Sehnsucht noch ein dürstend Herz zum Quell der Begeisterung. Weißt du, w o die Sehnsucht wohnt? Sie erbaut ihre Hütte im Dorfe der Verlassenen und wandelt die Straße der Einsamen; sie entzündet ihr Feuer auf dem Herde der Hoffenden und meidet die Verstoßenen nicht. Und wenn sie eine Heimat hat, so ist's keine; sie muß wandern und wandern, bis die S o n n e des Lebens sinkt. E

S