Aus den Anfängen der Sozialistischen Dramatik III [Reprint 2021 ed.] 9783112545126, 9783112545119


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German Pages 296 [297] Year 1973

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Aus den Anfängen der Sozialistischen Dramatik III [Reprint 2021 ed.]
 9783112545126, 9783112545119

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AUS DEN ANFÄNGEN D E R SOZIALISTISCHEN DRAMATIK I I I

TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND Her ausgegeben

vom

Zentralinstitut f ü r Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften d e r D D R durch Dr. U R S U L A M Ü N C H O W

BAND XI

AUS DEN ANFÄNGEN DER SOZIALISTISCHEN DRAMATIK III

Herausgegeben von

URSULA MÜNCHOW

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1972

Erschienen im Akademie-Verlag Grabtt, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1972 by Akademie-Verlag 6mbH Lizenznummer: 202 • 100/15&/72 Gesamtherstellung: IV/2/14 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 3913 Bestellnummer: 2 1 1 9 / X I • E S 7 E EDV-Nr.: 751 821 o

INHALT

VII 1

Einleitung Ernst

Preczang

I m Hinterhause D r a m a in vier Akten 107

Emil

Rosenow

Kater Lampe Komödie in vier Akten 237

Anmerkungen Zur Einleitung Zu den T e x t e n

EINLEITUNG

Dieser dritte und letzte Sammelband aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik hat sein eigenes Profil neben den beiden vorangegangenen, die einen Überblick über die Entwicklung des frühen deutschen Arbeitertheaters von 1847 bis 1918 vermittelt haben. Seine besondere Bedeutung für die praktische und theoretische Erschließung der frühen sozialistischen Literatur ergibt sich aus der Tatsache, daß die hier wieder zugänglich gemachten Texte aus den Jahren 1902 und 1903 die ersten großen sozialistischen Gegenwartsdramen des 20. Jahrhunderts sind. Sie zeigen das Drängen, von den dramatischen Zirkeln der Arbeitervereine zum sozialistischen Berufstheater und damit von den kleineren, operativen Genres zur großen Form vorzustoßen. Zugleich bietet sich ein interessantes theoretisches Problem dar: das der Verarbeitung und des Umfunktionierens von Darstellungsmitteln der progressiven bürgerlichen Literatur durch den sozialistischen Schriftsteller. Aus den beiden ersten Textbänden 1 sind zwei Entwicklungsphasen der frühen sozialistischen Dramatik ablesbar. Die erste ist geprägt durch den Aufstieg der Sozialdemokratie, durch ihren siegreichen Kampf gegen das Sozialistengesetz und durch ihre Formierung zur Massenpartei. Die zweite Phase setzt ein mit dem Übergang Deutschlands zum Imperialismus und spiegelt dessen für die Arbeiterbewegung widerspruchsvolle ökonomische und ideologische Folgeerscheinungen wider. Positive und negative Momente stehen unmittelbar nebeneinander. So wirkten die zunehmenden politischen Massenbewegungen des deutschen Proletariats äußerst fruchtbar auf Gegenstand, Thematik und Ideengehalt VII

des Arbeitertheaters. 2 Schädlich war jedoch der im Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg zunehmende Opportunismus in der sozialdemokratischen Partei und in den Gewerkschaften, der die streikenden und demonstrierenden Arbeiter schon damals oft um die Früchte ihres Kampfes betrog, zum Kompromiß oder gar zur Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit führte. 3 Trotz aller Schwierigkeiten wurden während beider Phasen im Prozeß der künstlerischen Aneignung der Wirklichkeit durch das kämpferische Proletariat auch im Bühnenstück sozialistisch-realistische Positionen erobert.

Der

Weg zum großformatigen

am Beispiel

Preczangs und

proletarischen

Drama

Rosenows

Das Wirken von Prezcang und Rosenow fällt in die zweite Phase der frühen sozialistischen Dramatik. Die Entwicklung dieser Autoren repräsentiert den Weg vom schreibenden Arbeiter zum proletarischen Schriftsteller unseres Jahrhunderts, der mit der Arbeiterpartei eng verbunden ist. Sie kennzeichnen das Bestreben, über den Rahmen der Parteipresse hinaus breitere Schichten mit künstlerischen Mitteln in den Bann des proletarischen Klassenkampfes mit all seinen Konsequenzen zu ziehen. In vorrevolutionärer Zeit, unter den besonderen Bedingungen der arbeiterfeindlichen Hohenzollernmonarchie, gab es noch kein eigenständiges sozialistisches Theater, sondern bestenfalls ein mit der S P D sympathisierendes, das sich mitunter abendfüllender, bühnenwirksamer Stücke annahm, die aus dem Proletariat kamen. 4 Rosenows erstes großes Drama „Die im Schatten leben" ist erst 1912, also dreizehn Jahre nach seiner Entstehung, nach mehreren Verbotsaktionen von der Berliner Volksbühne uraufgeführt worden. Mit seiner Komödie „ K a t e r Lampe" hatte er mehr Glück, weil die bornierte preußische Zensurbehörde offenbar ähnlich wie bei der Entscheidung über die Aufführung von Gerhart Hauptmanns „Biberpelz" hinter dem Spaß nicht den Ernst zu erkennen vermochte. 5 Das damalige Theater war eine bürgerliche Institution, deren Anliegen kaum VIII

die Förderung sozialistischer Kunst sein konnte. Eine Bindung aber an das bürgerliche Theater birgt — das zeigt Preczangs späteres dramatisches Schaffen — die Gefahr der Verbürgerlichung in sich.6 Die Wendung des proletarischen Schriftstellers vom Agitationsstück des Arbeitertheaters zum die ganze Gesellschaft ansprechenden großen Drama war, bei allem Gewinn in Detail und Totalität der Gestaltung, politisch gesehen zunächst mit einem Verlust erkauft. Die aggressive Experimentierfreudigkeit des schreibenden Arbeiters hatte sich gerade in der Aufstiegsperiode der sozialdemokratischen Partei als nützlich erwiesen. Die Operativität der kleinen agitatorischen Form des frühen Arbeitertheaters unterstützte die Bewußtseinsbildung des Proletariats unmittelbar und diente als Waffe im täglichen Klassenkampf. Das alte Agitationsstück büßte auch im Jahrzehnt der großen Streikbewegungen vor dem ersten Weltkrieg nicht seine Kraft ein. 1917, im Zeichen der Antikriegsdemonstrationen der deutschen Arbeiterklasse, wurde wieder darauf zurückgegriffen. 7 Die Notwendigkeit des Neuansatzes um die Jahrhundertwende ergab sich aus der veränderten Wirklichkeit und aus einer erweiterten Funktionsbestimmung sozialistischer Kunst. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes und gerade wegen des stürmischen Anwachsens der Arbeiterbewegung wurde die gegen die werktätigen Massen gerichtete Politik der herrschenden Klassen mit raffinierten Methoden weiter betrieben. Der monopolistisch werdende Kapitalismus schuf immer kompliziertere Lebensverhältnisse und Zuspitzungen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, die mit dem Streitgespräch, dem kurzen Thesenstück des frühen Arbeitertheaters, mit allegorischen Formen, mit der volkstümlichen Posse und dem Schwank künstlerisch nicht mehr voll bewältigt und gestaltet werden konnten. Dem Weg zum großformatigen Drama versuchte schon 1892 der Altmeister des frühen Arbeitertheaters Friedrich Bosse mit seinem Streikdrama „Im Kampf" 8 zu beschreiten. Aber dieses erste mehraktige Stück sowie ähnliche, später für das Arbeitertheater geschriebene IX

Streikdramen waren strukturell — insbesondere im Figurenaufbau (der brave Vater, die feindlichen Brüder und die verführte Tochter, der grausame Tyrann als Vertreter der herrschenden Klasse und sein intriganter Sekretär) — und in der Anlage der Konflikte zu sehr an der Klassik, genauer gesagt: am jungen Schiller geschult. So wichtig und interessant die schöpferische Klassikrezeption durch das deutsche Proletariat ist, und so berechtigt es auch war, daß sozialdemokratische Ideologen wie Mehring auf die Klassik als Literatur einer aufsteigenden Klasse hinwiesen und damit den geschichtlichen Klassencharakter der Kunst herausarbeiteten, so waren die modernen ökonomischen und politischen Probleme, die soziale Wirklichkeit an der Schwelle des Imperialismus, künstlerisch auf die Dauer nicht in die dramatische Form des 18. Jahrhunderts zu zwängen. Bosses „Im Kampf" und Mehnerts „Golgatha" sind deshalb trotz vieler interessanter Merkmale in ihrer Dramaturgie unentwickelt, stecken in nicht mehr passenden Kinderschuhen. Rosenow und Preczang haben offenbar diese Diskrepanz empfunden. Sie waren die ersten deutschen proletarischen Schriftsteller, die sich auf dem Wege zum großformatigen Drama die Errungenschaften des deutschen Naturalismus, der letzten kräftigen bürgerlichen Literaturströmung des 19. Jahrhunderts, zunutze machten. Das naturalistische Drama war 1900 in der bürgerlichen Literatur längst überholt. Die Haupttendenz bürgerlicher Literaturentwicklung nach der Jahrhundertwende bestand in der Abwendung vom sozialen Gegenstand und im Rückzug auf die vereinzelte Individualität. Daß Preczang und Rosenow bei der Herausbildung des sozialistischen Dramas epischen Charakters, das geprägt ist durch größere Differenziertheit der dramatischen Gestalten, stärkere Einbettung der Handlung in ein kennzeichnendes, aussagekräftiges Milieu, durch den Ensemblecharakter des Figurenaufbaus und vor allem durch genaue Schilderung sozialer Verhältnisse, auf den Naturalismus reagierten, muß als Gewinn bezeichnet werden. Bei allen Mängeln, die solchen Pionierleistungen noch anhaften mochten: Im Vergleich mit der zeitgeX

nössischen bürgerlichen Dramenproduktion tritt die Leistung eines Rosenows, Preczangs oder auch Rosenbergs 9 unübersehbar hervor, den kapitalistischen Klassenantagonismus, den Gegensatz von K a p i t a l und Arbeit im Drama aufgedeckt und v o m sozialistischen Standpunkt aus gewertet zu haben. Mit dem „ K a t e r L a m p e " und „ I m Hinterhause" sind Stücke geschaffen, in denen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, der Umschlag vom sozialen zum sozialistischen Drama gelang, den der bürgerliche Autor der „Weber" nicht leisten konnte. Es führen Verbindungslinien vom „ K a t e r L a m p e " zu Hauptmanns „Biberpelz" und zu den „Webern" sowie von „ I m Hinterhause" zu Holz' und Schlafs „Familie Selicke" oder auch zu Sudermanns „ E h r e " . Fürsprecher der kapitalistischen Ordnung verkünden heute mit besonderer Lautstärke angesichts der auch im bürgerlichen Lager nicht mehr zu übersehenden Bedeutung der sozialistischen Literatur aus mangelndem Einblick in die Gesetzmäßigkeit literarischer Entwicklung, die sozialistische Literatur sei nur eine Imitation der bürgerlichen, sie bringe wohl thematisch, aber künstlerisch nichts Neues. Die T e x t e auch dieses Bandes liefern den Beweis, daß der Aufstieg einer Literatur, hier ist es die sozialistische, mit der Eroberung eines neuen Gegenstandes beginnt. Und welcher Gegenstand wäre in der bürgerlichen Gesellschaft so fundamental, wie Leben und Kampf der Werktätigen? Gerade diese Tatsache soll durch die Konstruktion eines Gegensatzes von Gegenstand und Methode, durch die Entstofflichung der K u n s t aus der Welt geschafft werden. Die Bestrebungen Preczangs und Rosenows wurden unterstützt durch die heftige kritische Auseinandersetzung der S P D mit dem Naturalismus, die mit Pressedebatten begann, 1896 auf Parteitagsebene weitergeführt und durch den prinzipiellen Aufsatz Mehrings „ K u n s t und Proletariat" gekrönt wurde 1 0 , der Vorzüge und Mängel des Naturalismus klar voneinander trennte. Rosenow und Preczang haben mit ihren kleinen Milieustücken, besonders aber mit ihren großen Dramen an die realistischen Elemente des naturalistischen Dramas XI

angeknüpft. Mehring legitimierte sie indirekt dazu, indem er 1902, nach der Berliner Uraufführung von Gorkis „Nachtasyl", bekannte, daß das Milieudrama ästhetisch berechtigt sei und „eine Verfeinerung und Vertiefung der dramatischen Kunst" hervorrufen könne. 11 Gorki schrieb 1902 „Die Kleinbürger", Dramatische Skizze in vier Aufzügen, und 1906, unter dem Eindruck der russischen Revolution von 1905, sein Drama „Die Feinde". Er knüpfte an die Dramatik Anton Tschechows an, der wiederum um 1900 Berührungspunkte mit dem jungen Hauptmann hatte. Der konstatierbare Prozeß der Aneignung und Weiterentwicklung progressiver bürgerlicher Literatur durch den proletarischen Dichter Gorki ist ein mit der Entwicklung früher deutscher sozialistischer Dramatik vergleichbarer Vorgang. Rosenow und Preczang haben aus objektiven und subjektiven Gründen die künstlerische Höhe Gorkis niemals erreicht. Sie liefern uns jedoch ein Beispiel dafür, was ein aus dem Proletariat stammender deutscher Schriftsteller am Anfang unseres Jahrhunderts, in noch vorrevolutionärer Zeit, durch das Reagieren auf progressive bürgerliche Literaturströmungen auf Grund seiner eigenen besseren Erkenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit an Bedeutendem zu gestalten vermochte. Die gelegentliche Unbeholfenheit, mit der als nutzbar erkannte künstlerische Methoden hier und da angewandt werden — etwa von Preczang —, ändert keinen Deut an der historischen Leistung, die zu vollbringen war und vollbracht wurde. Ernst Preczang wurde 1870, Emil Rosenow 1871 geboren, beide also unter den Zeichen des in Eroberung und Großmachtpolitik umschlagenden Deutsch-Französischen Krieges und der Gründung des deutschen Kaiserreiches. Ihre besten Dramen sind vor der russischen Revolution von 1905 entstanden und vor dem Einsetzen der großen Massenstreikbewegungen in Deutschland, also vor Crimmitschau und vor dem Ruhrbergarbeiterstreik. Beide haben sich in aufnahmefähigem Jugendalter in Berlin aufgehalten, wo sie zu Sozialdemokraten wurden und als künstlerisch begabte Menschen auch die Blütezeit des naturalistischen Dramas miterlebten. XII

Preczang wurde als Sohn eines kleinen Gendarmen in dürftigsten materiellen Verhältnissen geboren. Günstig für ihn war, daß der Vater aus dem Lüneburgischen 1880 nach Berlin versetzt wurde und ihn zu einem Buchdrucker in die Lehre geben konnte. Weiteres Lernen in Arbeiterbildungsvereinen und Volkshochschulen, die Eroberung der Landstraßen und der großen deutschen Industriestädte als wandernder Handwerksbursche, Arbeitslosenzeit, der Anschluß an die SPD im Jahre 1890 und die erste Tätigkeit für Parteipresse und Arbeitertheaterzirkel, das waren die Stationen des werdenden Schriftstellers Ernst Preczang. 12 Nach 1900 zog er sich aus Berlin zurück und lebte seitdem als Berufsschriftsteller an der Ostsee. Von 1904 bis 1919 war er Herausgeber der sozialdemokratischen Romanzeitschrift „In freien Stunden" und in der Weimarer Republik verdienstvoller Cheflektor der „Büchergilde Gutenberg". 13 Von 1933 bis zu seinem Tode im Jahre 1949 lebte Preczang als Emigrant in der Schweiz. Neigung und Talent drängten ihn ursprünglich hauptsächlich zum Schaffen für die Bühne 14 , doch die Verhältnisse trieben ihn dazu, sich als freier Schriftsteller in allen literarischen Genres zu behaupten. Er ist der T y p des vielseitigen, gebildeten, sozialdemokratischen Autors, der trotz seiner klassenkämpferischen Ausgangsbasis, die sich bis 1914 immer wieder Bahn brach 1 5 , allmählich in den Sog der revisionistischen Entwicklung der SPD geriet, die Bedeutung der Oktoberrevolution verkannte, den Charakter der Weimarer Republik mit seiner parlamentarisch-demokratischen Form der imperialistischen Machtausübung nicht durchschaute, dem Faschismus fassungslos gegenüberstand und schließlich auf abstrakter humanistischer Position hoffnungslos vereinsamte. Anders Emil Rosenow, der 1904, erst 33j ährig, an den Folgen einer rheumatischen Erkrankung gestorben ist, die er sich als leidenschaftlicher Landagitator zugezogen hatte. Der aus einer proletarisierten Handwerkerfamilie stammende, hochbegabte und belesene junge Sozialdemokrat, Parteiarbeiter, Lehrer in Arbeiterbildungsvereinen, Redakteur und Herausgeber führenXIII

der SPD-Zeitungen (Chemnitzer Beobachter, RheinischWestfälische-Arbeiterzeitung), der jüngste sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete der Jahrhundertwende war eine ausgeprägt politische, nach öffentlicher Tätigkeit strebende und für sie besonders befähigte, glänzende Persönlichkeit. Nach allem, was wir von ihm wissen, lag es ihm dementsprechend auch fern, sich wie Preczang von Berlin in die ländliche Einsamkeit zurückzuziehen. E r wurde von den Zeitgenossen als begabter Redner und Agitator gepriesen, durch und durch aktiv, weltoffen, zutiefst volksverbunden, von großer Liebe zu den arbeitenden Menschen erfüllt, die er zu begeistern vermochte wie kaum einer. Dokumente aus erzgebirgischen Heimatmuseen bezeugen noch heute, daß das Proletariat ihn schätzte und daß sein Bild in den abgelegensten Katen des Gebirges hing. Als er in Berlin starb, wurde er unter Beteiligung der gesamten Berliner Arbeiterschaft auf dem Schöneberger Gemeindefriedhof bestattet. Auf seinem Grabstein stehen in Anlehnung an ein altes Arbeiterlied die seine Persönlichkeit kennzeichnenden Worte: „Ein Sohn des Volkes wollt er sein und bleiben! "iß Obwohl seine politische Arbeit sich auf sein dramatisches Schaffen, insbesondere auf seine Menschengestaltung ausgewirkt hat, ist Rosenow im Unterschied zu Preczang nicht erst durch die Parteiarbeit zur schriftstellerischen Tätigkeit gekommen. E r hat auch nie wie Preczang Agitationsstücke für Arbeiterbildungsvereine geschrieben, sondern gleich mit dem, was er schrieb, bewußt Literatur machen wollen und schon früh die Fähigkeit dazu entwickelt. Rosenow ist der erste und einzige frühe sozialistische Dramatiker, der wegen seiner Begabung von der bürgerlichen Literaturgeschichtsschreibung nicht totgeschwiegen werden konnte. 17 Seine Stücke sind, wenn von bürgerlicher Seite auch oft umkämpft, im Kaiserreich aufgeführt worden, dann auch in proletarischen Veranstaltungen der Weimarer Republik. Sie haben nach 1945 im sozialistischen Teil Deutschlands in Theater und Fernsehen Anerkennung gefunden, weil sie volksverbunden und parteilich sind. Der Verfälschung seiner Leistung durch die bürgerliche Kritik, vor allem XIV

durch seinen Biographen und ersten Herausgeber Christian Gaehde, der den Maßstab für spätere Beurteilungen lieferte, muß deshalb mit der Neuherausgabe seines bedeutendsten Werkes und der Neuinterpretierung seines dramatischen Schaffens entgegengetreten werden. Gaehde schrieb 1912 u. a. über Rosenow: „Nicht bloße Verhetzung konnte diesen früh selbständig Gewordenen, tief Gütigen und innerlich weit über dem Herdengefühl Stehenden einem gewöhnlichen Klassenkampf zutreiben. Sein Mitleidenkönnen mit denen, die im Schatten leben, zwang ihn vielmehr zu sozialistischer Gesinnung und Tätigkeit." 18 Dies ist nur eine andere Form der Herabsetzung proletarischer Literatur. Die einen, schon oben Erwähnten, bezeichnen die Literatur der Arbeiterklasse einfach als Nachahmung der bürgerlichen. Die andern versuchen, den proletarischen Autor zum über den Massen stehenden Elitesozialisten zu stempeln, der den „gewöhnlichen Klassenkampf" verachtet. Rosenows erste dramatische Arbeit, der Einakter „Daheim", vermutlich 1894 im damaligen Chemnitz entstanden, wurde von der „Freien Volksbühne" unter Leitung des Revisionisten Conrad Schmidt zurückgewiesen und erst am 24. September 1921 auf einer Veranstaltung der K P D „Zur Hilfe der Hungernden in Sowjetrußland" in Berlin uraufgeführt. Bei dieser Inszenierung kam es vermutlich nicht in erster Linie auf die darin enthaltenen Elendsschilderungen an, sondern auf die sie überragende proletarische Hilfsbereitschaft. Der Einakter erhielt seine epischen Merkmale durch die genauen szenischen Hinweise über das, was die dramatischen Personen unternehmen, während sie sprechen, und durch die Vorschriften, in welchem Tonfall sie zu reden haben. Von der 23jährigen, in weitvorgeschrittenem Stadium lungenkranken Emilie heißt es z . B . : „Die Zunge gehorcht der Kranken nur noch mühsam, deshalb ist ihre Sprache schwach und langsam, fast beständig von einem matten Husten unterbrochen." Und immer wieder wird angemerkt, daß sie während des Sprechens nervös an der Wolldecke zupft, die ihren Unterkörper im Rollstuhl umhüllt. Solche Stilmittel unterstützen die anschauXV

liehe Menschengestaltung, die Herausarbeitung des Besonderen, das die das gleiche Klassenschicksal tragenden proletarischen Figuren voneinander unterscheidet. Gleichzeitig wird im Gegensatz zu den frühen Agitationsstücken des Arbeitertheaters, in denen es hauptsächlich auf das ankam, was die politischen Kontrahenten im Streitgespräch sagten, mehr Bewegtheit und Farbigkeit in die Dramatik getragen. Der Titel „Daheim" ist aggressiv. Es gab eine kleinbürgerliche Unterhaltungszeitschrift „Daheim". Das von Rosenow gestaltete Daheim ist alles andere als eine bürgerliche Idylle, es ist das Daheim der Armen, Kranken, Deklassierten, Lebensgierigen, und es spiegelt wider, was Hunger und Not aus Menschen zu machen vermögen. Als eine Art Experiment, als Übergang zu seinen beiden großen proletarischen Stücken, schrieb Rosenow drei Jahre später das vieraktige Schauspiel „Der balzende Auerhahn". 19 Es ist dies ein Stück in der Ibsennachfolge, die in der bürgerlichen und in der sozialdemokratischen Literatur eine Rolle gespielt hat. 20 Die Ausführung zeigt, daß Rosenows Kunst der Menschengestaltung sich bei der Darstellung einer ihm wenig bekannten Welt nicht entfalten konnte. Die Pastorentochter Helene Helldrungen, die dem goldenen Käfig der Ehe mit einem reichen Papierfabrikanten entflieht, um ein tätiges, sinnvolles Leben zu beginnen, um zu arbeiten, steht immerhin mit der Konkretheit und Festigkeit ihres Entschlusses Ibsens „Nora" näher als alle ähnlich ringenden bürgerlichen Frauen der Dramatik des deutschen Naturalismus. Die Figur des großen Fabrikanten, der, "wie später auch der Fabrikant Neubert im „Kater Lampe", stolz darauf ist, daß er die Bevölkerung eines ganzen Ortes „ernährt", ist, obwohl kritisch angelegt, noch seltsam brüchig. Wie Neubert hat er sich emporgearbeitet, aber nicht durch Spekulationen, sondern, wie er über sich aussagt, durch Fleiß. Vorher hat er gehungert und in dieser Situation sozialdemokratischen Ideen gehuldigt. Als Kapitalist ist er mehr der T y p des verletzlichen und lamentierenden dekadenten Intellektuellen, der das Wissen, als Fabrikant ein Ausbeuter XVI

und als Ehemann ein Tyrann zu sein, künstlich überspielt und so seine Frau und seinen sozialdemokratischen Jugendfreund verliert. Der Durchbruch gelang Rosenow erst 1899 mit „Die im Schatten leben". Dieses Bergarbeiterdrama bezeugt die gewachsene politische Reife seines Autors und die Erfahrungen, die er in Dortmund als Herausgeber der führenden SPD-Zeitung und als Agitator in einer abgelegenen nordrhein-westfälischen Bergarbeitergegend gemacht hat. Die Erweiterung der gesellschaftlichen Erkenntnisse hat ästhetisch zur Erweiterung des Handlungsraumes und des dazu gehörenden Kreises typischer Gestalten geführte Das sozialistische Wissen des Autors durchdringt die Darstellung der proletarischen Lebenssphäre. Es verdeutlicht, daß der Kapitalismus für das Proletariat kein unabänderliches Schicksal ist und daß im Kampf eine neue Menschlichkeit entsteht. Aus der Handlungsführung und den sie bestimmenden gesellschaftlichen Zusammenhängen werden die Ursachen des sozialen Elends aufgewiesen. Es wird der Mechanismus des kapitalistischen Systems bloßgelegt, der dazu führt, daß beispielsweise im Bergbau aus Gewinnsucht zeitraubende Sicherungsmaßnahmen vernachlässigt werden und die Schuld an einer Grubenkatastrophe untergeordneten abhängigen Personen zugeschoben wird. Oppositionelle Intellektuelle werden schikaniert und durch Versorgung mit einem einträglichen Posten unschädlich gemacht. Eine ganze Bergmannsfamilie wird im Interesse des Kapitals auseinandergerissen. Die noch in „Daheim" überwiegende Zustandsschilderung ist überwunden, indem das kapitalistische System erkennbar gemacht und in der Konsumverkäuferin Liesa eine dramatische Figur eingeführt wird, für die die herrschenden Verhältnisse nicht unabänderliche sind. „Die im Schatten leben" ist vor dem „Kater Lampe" das Drama Rosenows, das ausdrücklich für das kämpferische Proletariat des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde. Auch Ernst Preczang hat sich an das neue Publikum gewandt. Sein erster für Arbeitertheater geschriebener Einakter „Sein Jubiläum" (1897) zeigt, wie er ebenso wie Rosenow an den Naturalismus angeknüpft hat, aller-

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Münchow Dramatik I I I

XVII

dings ohne schon Rosenows Figurenreichtum aufweisen zu können. Das Stück, das damals von der Volksbühne aufgeführt wurde, ist Elendsschilderung, verbunden mit Agitation für proletarische Solidarität. Der arme, alte, arbeitslose Handwerker ist eine dem Untergang geweihte Jammergestalt, bis ihm im letzten Augenblick Hilfe durch Sozialdemokraten zuteil wird. Diese Tendenz ist das, was über den Naturalismus hinausführt und eine diesem fremde bessere Zukunftsperspektive für alle schlecht lebenden arbeitenden Menschen enthält. Das figuren- und konfliktreichere Agitationsstück „Töchter der Arbeit" (1898) zeigt schon stärker Preczangs dramatische B e g a b u n g 2 1 . Er beweist sein Geschick für die Satire, indem er wesentliche Merkmale des Übergangs vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum extrem antihumanistischen Monopolkapitalismus durch die Gestaltung einer Szene aus dem Familienleben eines modernen Fabrikbesitzers deutlich macht. Es ist ein Streikdrama in einem A k t , das historisch richtig bereits die aufkommende Unsicherheit und Furcht des Unternehmers vor der proletarischen Solidarität zeigt, insbesondere vor kämpferischen Vertretern der Arbeiterklasse, die die Arbeiterinnen und Arbeiter in seinem Betrieb aufklären und zu politischer Stellungnahme anleiten. In Figurenaufbau und Menschenbildproblematik ist nichts vom Einfluß des Naturalismus zu spüren. E s wurde versucht, in einer spannungsvolleren und figurenreichen Handlung an Elemente des alten Agitationsstücks und an klassische Traditionen anzuknüpfen. Obwohl „Kabale und Liebe" nach einer Formulierung von Friedrich Engels das erste deutsche politische Tendenzdrama war und deshalb das Proletariat immer wieder fasziniert hat, befriedigte Preczang offenbar in dem Streben nach der Entwicklung einer eigenständigen proletarischen Dramatik auch die inhaltlich und strukturell modifizierte Anlehnung an den jungen Schiller nicht. Jedenfalls knüpfte er mit seinem nächsten Agitationsstück „Der verlorene Sohn" (1900) wieder an das Milieudrama an, das sich wie viele naturalistische Werke auf den begrenzten Kreis einer Familie beschränkt. 2 2 Diese Form schien ihm geeignet, eine konzentierte, XVIII

in sich geschlossene Handlung und eine gleichmäßige Durchformung der dazugehörenden Charaktere in einer typischen Umwelt aufzubauen. In einer Reihe zeitgenössischer mit dem Heimkehrermotiv verbundener Familiendramen — von Hauptmanns „Friedensfest", Halbes „Eisgang" über Hirschfelds „Zu Hause", Sudermanns „Ehre" und „Heimat" bis zu Rosenows „Daheim" — nimmt „Der verlorene Sohn" einen bemerkenswerten Platz ein. In all diesen ausgeprägten Milieustücken geht es um die konfliktauslösende Konfrontierung eines nach längerer Abwesenheit Zurückgekehrten mit der alten häuslichen Umwelt und mit überholten und erstarrten Ansichten. Die 90er Jahre und die Jahrhundertwende waren in gewisser Hinsicht eine Zeit des ökonomischen und weltanschaulichen Umbruchs, die auch in der oppositionellen bürgerlichen Jugend zur Auflehnung gegenüber dem Althergebrachten und Konventionellen führte. 23 Die Gestaltung des Heimkehrermotivs reicht von Homer bis in unser Jahrhundert mit seinen imperialistischen Kriegen, gesellschaftlichen Umwälzungen und politischen Verfolgungen; unter den Bedingungen der wachsenden Widersprüche der modernen Klassengesellschaft ist Heimkehr oft verbunden mit einer erneuten Flucht. Der bürgerliche Autor läßt seinen Rückkehrer meist sterben, da er selbst keinen Ausweg aus dem Konflikt seines Helden mit einer unerträglich gewordenen Umwelt weiß, und die dramatische Handlung bei aller Bevorzugung des sogenannten offenen Schlusses durch die Naturalisten letztlich doch zuendegeführt werden muß. Anders handhaben dies die aus der Sozialdemokratie hervorgegangenen Schriftsteller, die bewußt für ein kämpferisches proletarisches Publikum schrieben. Hier wird der Weggang nicht als bloße Flucht, sondern als endgültiger Bruch mit den alten Verhältnissen und als Beginn eines neuen Lebens dargestellt. Interessant ist die Darstellung des biblischen Motivs vom reuevollen und bußeifrigen verlorenen Sohn durch den proletarischen Schriftsteller. Preczang zeigt in seinem Stück gerade den Kampf zwischen dem Alten und Neuen. Der Vater, ein noch in patriarchalischen Vorstellungen leben2*

XIX

der kleiner Handwerksmeister, erwartet vom Sohne, der wegen sozialdemokratischer Gesinnung im Gefängnis gesessen hat, als Sühne für die „Schande", die er dadurch angeblich der Familie angetan hat, ein bußfertiges „unpolitisches" Leben. Der Autor aber ergreift Partei für den Sohn, der politisch denken gelernt hat und das entbehrungsreiche Leben eines Klassenkämpfers der trügerischen kleinbürgerlichen Idylle vorzieht. Beim frühen sozialistischen Dramatiker der Jahrhundertwende wird das Motiv des Weggangs oft zum alleintragenden Motiv. Ein Beispiel dafür ist Rosenows „Die im Schatten leben". Ein Vergleich mit Preczangs „Verlorenem Sohn" zeigt, wie unterschiedlich die Wege proletarischer Schriftsteller dieser Zeit waren. Bei Preczang hat die Begrenzung auf das Familiendrama zur Folge, daß der Held Heinrich, der verlorene Sohn, nur die kleinbürgerliche Beschränktheit seines Vaterhauses zu enthüllen vermag. Rosenows Figur der Liesa dagegen deckt durch ihre aggressive Auseinandersetzung mit dem Unternehmer den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf. Beide Autoren knüpften an den Naturalismus an. Doch die Ergebnisse sind unterschiedlich. Wie Rosenow über den Naturalismus hinaus zum eigenständigen kämpferischen proletarischen Drama gelangte, während Preczang sich zu sehr auf die Schilderung proletarischer Lebensverhältnisse beschränkte, zeigt besonders deutlich ein Vergleich zwischen dem „Kater Lampe" und „Im Hinterhause". Preczang hat in seinem Berliner Milieudrama „Im Hinterhause" einen großen Figurenreichtum erworben, eine seine vorhergehenden Stücke überragende Fülle differenzierter, aus dem Leben gegriffener Charaktere auf die Bühne gestellt. Das im Stück angedeutete Motiv der „Erlösung vom Übel" wird jedoch in der Handlung nicht aktiv genug ausgetragen. Der junge Streikführer Petzold, der als dramatischer „Beweger" versucht, frischen Wind in die bedrückende Hinterhausatmosphäre zu bringen, erweist sich letztlich als nicht stark genug und muß ebenso einsam in die Fremde ziehen wie der „verlorene Sohn". Indem Preczang die Lösung des Falles Gensicke ins Psychologische verlegt und den beXX

trogenen alten Arbeiter am Schluß des Stückes verzweifelt in den Tod gehen läßt, führt er ein metaphysisches Moment ein, das den sozialistischen Ideengehalt des Dramas reduziert. Die proletarische Solidarität, die noch in den Notfällen seiner beiden ersten Stücke in Aktion getreten ist und die dann fünf Jahre später sogar zum Hauptgegenstand seines als gewerkschaftliches Festspiel gedachten dreiaktigen Schauspiels „Die neue Macht" 24 wird, spielt hier keine direkte Rolle. Obwohl der Autor Partei ergreift für die Sache der Arbeiterklasse und klar bezeichnet, daß die Auswirkungen des kapitalistischen Systems das Unglück der Familie Gensicke verursachen, ist der Determinismus der naturalistischen Zustandsschilderung nicht völlig aufgehoben. Er wird damit der aktiven historischen Rolle des Proletariats am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gerecht. Rosenow, der schon in „Die im Schatten leben" bei aller Beschränkung auf einen einzigen dramatischen Schauplatz — die Wohnung der Witwe Lückel — den Rahmen des Familiendramas durch Einbeziehung vielseitiger gesellschaftlicher Kräfte und Konflikte sehr erweiterte, ging mit seiner Komödie „Kater Lampe" künstlerisch und thematisch einen Weg, den bisher noch kein früher sozialistischer Dramatiker beschritten hatte. So souverän wie sich seine proletarischen Gestalten aus dem erzgebirgischen Industriedorf gegenüber dem Klassengegner behaupten, so überlegen handhabt er vom Naturalismus erarbeitete Stilmittel zur intensiven, die sozialen Zustände unterstreichenden Darstellung der Umwelt und zur differenzierten Gestaltung der Charaktere, ohne dadurch der bloßen Zustandsschilderung zu verfallen. In seiner Komödie vereinen sich Traditionen des volkstümlichen Schwanks und der Schelmendichtung mit Linien literarischer Uberlieferung, die von Kleists „Zerbrochenem Krug" zu Hauptmanns „Biberpelz" führen. Durch Gestaltung wichtiger Epochenmerkmale vom proletarischen Standpunkt, durch Weiterentwicklung demokratischen Erbes und durch Neuerertum vermochte er bedeutende Ansätze des sozialistischen Realismus zu entwickeln. XXI

Der Schwank, die Posse, das Lustspiel sind gebräuchliche Formen proletarischer Dramatik des 19. Jahrhunderts. Es fehlte die große Komödie. Es ist Rosenows Verdienst, diese Lücke ausgefüllt zu haben. Er ging mit „Kater Lampe" über die operativen komödischen Formen des frühen Arbeitertheaters und die in ihnen gehandhabte Darstellung des nur gesellschaftlich Typischen hinaus, indem er Gestalten schuf, bei denen individuelle Eigenart und gesellschaftlich Typisches eine Einheit bilden. E r verzichtete auf agitatorisch wirksame Gegenüberstellung von geschulten Arbeitern und von ihnen hereingelegten Geldprotzen, von besonnenen Funktionären und überlisteten Polizeispitzeln, wie sie in den Possen und Schwänken des didaktischen und unterhaltenden Zwecken dienenden Arbeitertheaters des 19. Jahrhunderts beliebt waren. E r hatte es in der Hauptsache darauf angelegt, Land und Leute des Erzgebirges mit ihren vielfältigen, für ihre Zeit typischen sozialen Konflikten und Problemen, mit denen er auf seinen Agitationsreisen konfrontiert worden war, in einer die Klassengegensätze enthüllenden komödischen Handlung darzustellen. Der Genauigkeit der von Rosenow schon in seinen früheren Stücken geübten Umweltschilderung entsprechend, strahlt der „Kater Lampe" die frische Atmosphäre der winterlichen Gebirgswelt aus. Während im Bergarbeiterdrama die Industrielandschaft nur als Silhouette und das Arbeiten der Maschinen als dumpfes Dröhnen durch Fenster und Türen des gleichbleibenden Schauplatzes sichtbar und hörbar gemacht wurde, werden in der Komödie in vier Akten vier verschiedene typische Schauplätze vorgeführt und auch das Draußen, der Hof, die Straße, der Acker hinterm Haus, mit einbezogen. Kühle Winterluft dingt in die Stuben. Die Wirklichkeitstreue wird unterstrichen durch die geographisch genaue Erfassung des Handlungsortes, eines erzgebirgischen Industriedorfes, das wie die im Stück benannten Gemeinden Wolkenstein, Seiffen, Neuhausen, Ehrenfriedersdorf und Grünthal um Olbernhau herum an der Nähe der Landesgrenze liegt. Den komödischen Kern: Die gefoppte Obrigkeit, ein altes Lustspielmotiv, hat der „Kater Lampe" mit HauptXXII

manns „Biberpelz" und haben beide mit Kleists „Zerbrochenem K r u g " gemeinsam. Alle drei Werke führen den umstrittenen Gegenstand bereits im Titel an, wobei in Rosenows Komödientitel schon der Witz des Objekts vorweggenommen ist. Auch die hochnotpeinliche Verhandlung vor dem Dorfrichter bzw. Gemeindevorsteher ist in allen drei Komödien enthalten. Der Unterschied besteht darin, daß bei Kleist erst das Einschreiten einer höheren staatlichen Instanz die Ordnung wiederherstellt, bei Hauptmann aber die Komik darin liegt, daß die Obrigkeit die offenkundige Wahrheit bis zum Schluß übersieht. Der sozialistische Dramatiker Rosenow dagegen konstituiert das versammelte Volk zum Gericht über die noch Herrschenden und ihren Anhang. Die Milieuschilderung ist im „ K a t e r Lampe" außerordentlich detailliert. Das gilt besonders für die szenischen Bemerkungen, die die jeweils beabsichtigte soziale Aussage unterstreichen, für die erläuternden T e x t e innerhalb der Akte, die die Ausführungen der handelnden Personen ergänzen und der Komödie ihren epischen Charakter geben. Auffällig ist die feine Zeichnung der atmosphärischen Nuancen, auf die die agitatorische Dramatik des 19. Jahrhunderts noch gar keinen Wert legte und die gerade dem Werk Rosenows soviel Farbigkeit verleiht. Diese Stimmungsbilder stehen im Gegensatz zu den oft formal impressionistischen Zügen des naturalistischen Dramas immer im Zusammenhang mit dem Menschenbild. Die realistische Sprachbehandlung geht über das hinaus, was Bosse „Im K a m p f " ansatzweise versucht und Preczang erfolgreich weitergeführt hat. Rosenow steht mit dieser Leistung gleichwertig neben Hauptmann. E r zeichnet nach sozialer Abstufung und individueller Eigenart differenzierte Sprachporträts und kommt zur Unterscheidung von fast dialektfreier Umgangssprache obersächsischer und unverfälscht erzgebirgischer Mundart, was wiederum der Formung seines Menschenbildes sehr zugute kommt. D a ß das Stück von 1902 nicht in einem der großen deutschen Industriezentren spielt, sondern in einem XXIII

abgelegenen Industriedorf, ist Absicht des sozialistischen Landagitators, der gerade in solchen Gegenden Aufklärungsarbeit geleistet h a t und, wie die Komödie beweist, dafür mit reicher künstlerischer Beute belohnt wurde. Auf der gleichen Ebene liegt die Tatsache, d a ß im Gegensatz zum frühen Arbeitertheater und auch zu Preczang in Rosenows D r a m a kein organisierter Sozialdemokrat auftritt. Seine Helden sind Werktätige, H a n d werker und Arbeiter, die zahlenmäßig einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen u n d an die sich die sozialistische Agitation richtete. Dazu k o m m t ein künstlerisches Moment. In den frühen kurzen Agitationsstücken gab es zwar wirksame komödische Konfrontationen von kapitalistischen Unternehmern und Arbeiterfunktionären. Aber Versuche in Mehraktern zeigen uns, daß sich der sozialistische Agitator unter den damaligen politischen und ökonomischen Verhältnissen wenig zum Komödienhelden eignete. August OttoWalster h a t t e das in seinem Lustspiel „Ein verunglückter Agitator oder Die Grund- u n d Bodenfrage" 2 5 versucht, ebenso Starosson u n d Nespital in ihrem in einem mecklenburgischen Industriedorf spielenden Schauspiel „Tutenhusen" 2 6 , aber sie haben dabei derb satirische u n d rein rhetorische, unkomödisch-agitatorische Stilmittel nicht zu einer Einheit verschmelzen können. Diese Stücke enthalten viel direktes sozialistisches Aufklärungsmaterial über die Unüberbrückbarkeit des Klassengegensatzes, über die Notwendigkeit der Erricht u n g einer neuen Gesellschaftsordnung. Rosenow h a t die sozialen Beziehungen und Gegensätze im „Kater L a m p e " zur Grundlage seines komödischen Konflikts gemacht und — bezogen auf eine Wahl — politisch akzentuiert. Damit hat er den großen dramatischen Aufriß gesellschaftlich bedeutsamer Bewegungen einer großen Figurengruppe verbunden mit einer operativen Wirkungsabsicht. In dieser ist ein aktueller politischer Zweck (sich in einer Wahl richtig zu verhalten) verbunden mit dem Appell f ü r einen antikapitalistischen Zusammenschluß, der auf eine zukünftige Gesellschaft ohne Ausbeuter und Unterdrücker hindeutet. So werden also die Vorstöße des vorausgegangenen dramatischen Schaffens der f r ü XXIV

hen sozialistischen Literatur weiterentwickelt. Die Dramatik der Arbeiterklasse beginnt den Anspruch zu erheben, die ganze bürgerliche Gesellschaft in ihrer Grundbewegung und in ihren Hauptkollisionen zu erfassen, parteilich zu werten und ihre Überwindbarkeit einem Publikum vorzuführen, dem die Arbeit revolutionärer Überwindung bevorsteht. Darin besteht die Bedeutung dieses proletarischen Schriftstellers um 1900 für die sozialistische Literatur, und dies ist seine Rolle bei der Neukonstituierung der großen Dramatik durch die Arbeiterklasse. Neuer

Stoff

und veränderter

Figurenaufbau

Preczang und Rosenow haben bei ihrer Hinwendung zum großformatigen Drama das Alltagsleben ihrer Zeit vom Standpunkt der Arbeiterklasse so umfangreich und intensiv, wie es ihnen möglich war, erfaßt und sind dabei im Vergleich zu den frühen sozialistischen Agitationsstücken in neue Stoffgebiete vorgedrungen. Die wichtigste Errungenschaft Preczangs ist die detaillierte Gestaltung proletarischen Familienlebens, in dem sich gesellschaftliche Konflikte der kapitalistischen Ordnung widerspiegeln. Sein Berliner Hinterhausdrama ist eine Negation des Dramas als Illusion des Festlichen und Höheren. Er hat sich damit auch von der Tendenz der alten Arbeitertheaterzirkel entfernt, Stücke auf die Bühne zu stellen, die in unterhaltender Form belehrten, aber vor allem erhoben und den Arbeiter damit in seinem täglichen Kampf stärkten. 27 Er beabsichtigte, unter Verzicht auf jegliche Heroisierung den proletarischen Durchschnittsmenschen mit seinen Schwierigkeiten und Nöten so wirklichkeitsgetreu wie möglich in seiner Umwelt zu zeichnen. Die Nähe zu dem ebenfalls in proletarischem Berliner Milieu spielenden Familiendrama von Holz und Schlaf „Die Familie Selicke" ist nicht zu übersehen. Das Neuerertum dieses naturalistischen Dramas ist anerkannt. Schon der alte Fontane hatte am 8. April 1890 seine Rezension des Stückes in der VossiXXV

sehen Zeitung anläßlich seiner U r a u f f ü h r u n g durch die „Freie B ü h n e " mit den Worten begonnen: „Hier haben wir eigentliches Neuland. Hier scheiden sich die Wege, hier t r e n n t sich alt u n d neu", 2 8 E r hob hervor: „Das Stück beobachtet das Berliner Leben und trifft den Berliner Ton in einer Weise, daß auch das Beste, was wir auf diesem Gebiete haben, daneben verschwindet." 2 9 Auch im 1. u n d 3. Akt des 1893 in der „Freien Volksbühne" aufgeführten Sudermannschen Erfolgd r a m a s „Ehre" wird Berliner Hinterhausmilieu geschildert, wenn auch mehr mit den Mitteln des alten bürgerlichen Rühr- und Intrigenstückes. Preczang h a t stofflich an beide naturalistischen Dramen angeknüpft — davon zeugt nicht n u r das Anklingen des Familiennamens Gensicke an die Selickes u n d an Sudermanns Heineckes—, aber zugleich durch die Veränderung des proletarischen Figurenaufbaus einen Neuansatz geschaffen. Schon inhaltlich geht Preczang über das naturalistische D r a m a hinaus. Obwohl Holz als oppositioneller Intellektueller in den 90er J a h r e n noch der Sozialdemokratie nahestand, ging es ihm in der „Familie Selicke" in erster Linie u m die Schilderung sozialer Zustände, aber nicht u m soziale Probleme. Die Mitglieder der Arbeiterfamilie Selicke zeigen durchweg kleinbürgerliche Eigenschaften, die beiden außenstehenden Personen gleichfalls, ohne daß ihr Autor etwa bewußt bezweckte, die Problematik der in kleinbürgerlichen Vorstellungen lebenden Mittellosen darzustellen. Holz ging von der fälschlicherweise von ihm als Realität gewerteten äußeren Erscheinung aus, entwickelte die Charaktere seines Familiendramas schonungslos u n d nüchtern aus dem von ihm so gesehenen „proletarischen" Milieu. Das trostlose Ergebnis geht auf das Konto seines eigenen begrenzten weltanschaulichen Horizontes. F o n t a n e bewunderte deshalb die Akribie der Umweltschilderung u n d Sprachbehandlung, die Einbeziehung aller akustischen und optischen Elemente in die Menschengestaltung, meldete aber in der Rezension des Stückes seine Bedenken mit der Formulierung a n : „Um Himmels willen keine ,Kontinuation'! Ein P u n k t , der nicht genug betont werden XXVI

kann! Denn allerdings scheint der moderne Realismus eine traurige Tendenz nach dem Traurigen hin zu haben, und mit dieser Tendenz muß er brechen, wenn er sich seiner Widersacher erwehren, wenn er leben will." 30 Sudermanns Hinterhausproletarier, die er effektvoll mit einer Bourgeoisfamilie des Vorderhauses konfrontiert und in einem künstlich herbeigezauberten „happy end" vereint, sind überwiegend gesinnungslose Lumpenproletarier. Demgegenüber besteht Preczangs Leistung darin, als erster ein Berliner Familiendrama vom Standpunkt der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung geschrieben zu haben. Dementsprechend unterscheidet sich von vornherein der Figurenaufbau seines Stückes von dem der naturalistischen Dramen. Die Ursachen liegen darin, daß er die Welt der Arbeit und ihren Zusammenstoß mit der kapitalistischen Ordnung einbezieht. Das Familienoberhaupt Vater Gensicke war vor Jahren ein aktiver soszialdemokratischer Funktionär und ist deshalb nach einem Unfall ungerechtfertigt von der Fabrikdirektion entlassen worden. Die Konflikte des Arbeitslosen mit seiner Familie und die Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Betriebsleiter, der ihn eines Tages unter günstigsten materiellen Bedingungen als Streikbrecher wieder einstellen will, sind eindrucksvoll und lebensnah gestaltet. Sie entsprechen der historischen Situation des Proletariats im kapitalistischen System, in dem erhöhte Ausbeutung eng gekoppelt ist mit ständigen Versuchen, den Arbeiter vom Klassenkampf abzubringen. Im 3. A k t führt die unmittelbare Gegenüberstellung von Behrens als Vertreter der Kapitalistenklasse und Gensicke, der sich seine Treue zur Arbeiterklasse nicht abkaufen läßt, zu einem dramatischen Höhepunkt. Der Sozialdemokrat Gensicke zeigt sich hier in einer Entscheidungssituation, in der die Wahrung persönlicher Würde mit dem Offenhalten des fortschreitenden Geschichtsganges zusammenfällt. Dadurch erhält das Stück einen kämpferischen Akzent. Das Beispielhafte, das Gensicke ausstrahlt, wird noch dadurch verstärkt, daß Preczang ihm negative Vertreter aus dem Lumpenproletariat und einen verbürgerlichten Renegaten an die Seite gestellt hat, die den Selickes und Heineckes XXVII

sehr ähnlich sind. Gerade dieses Ensemble differenzierter Typen, in denen sich die verschiedenartigen positiven und negativen Auswirkungen der kapitalistischen Ordnung auf die unterdrückte Schicht widerspiegeln, durchbricht die Schranken der naturalistischen Familiendramen. Ähnliches ist über den Aufbau der weiblichen Figuren von „Im Hinterhause" zu sagen. Preczang weist sich mit diesen guten Ansätzen als Pionier des großen sozialistischen Dramas aus. Seine beste Leistung ist die großartige Szene des 3. Akts, wo er mit der Charakterfestigkeit Gensickes die Standhaftigkeit des nach gesellschaftlicher Veränderung strebenden Proletariats gegenüber kapitalistischen Manipulierungsversuchen gekennzeichnet hat. Der Schluß des Stückes — Gensickes Freitod als Konsequenz individueller Lebensbilanz, ohne Arbeit zu sein und die Tochter nicht auf den rechten Weg geführt zu haben — weist auf Entwicklungsprobleme des sozialistischen Dramas, die hier nur angedeutet werden können. Zweifellos sollte hier — geschult am klassischen Drama — eine Emotion ausgelöst werden, die die Bindung des Zuschauers an die kapitalistische Gesellschaft erschüttert. Tatsächlich verschiebt sich aber die Aufmerksamkeit darauf, ob die Verhaltensweise der proletarischen Figuren angemessen ist oder nicht. Nebenkonflikte des Dramas und ihr Auslaufen provozieren Fragen, die den Hauptkonflikt und seine tragisch gemeinte Lösung überlagern. Dies zeigt sowohl die Ergiebigkeit der aufgefaßten Probleme wie die frühe Stufe ihrer dramatischen Lösung an. Es bedurfte eines langen Weges, um reife Konzeptionen des sozialistischen Dramas zu enwickeln. Preczang war auf diesem Wege immerhin ein Vorkämpfer. Rosenow knüpfte in seinem Stück „Kater Lampe" mit dem komödischen Motiv der Gerichtsverhandlung, in der der mächtige Ankläger den kürzeren zieht gegenüber denen, die noch unterdrückt werden, an literarische Traditionen an, die auch Hauptmann in seinem „Biberpelz" verwandte. Der aktuelle sozialpolitische Gegenstand, die Proletarisierung der kleinen Handwerker durch den Fabrikanten, der aus ihrer Arbeitsleistung XXVIII

Profit schlägt, ist in allen Genres der frühen sozialistischen Literatur und in den Werken des deutschen Naturalismus von Kretzers „Meister Timpe" bis zu Hauptmanns „Webern" behandelt worden. Rosenow hat mit der Wiederaufnahme dieser Thematik stofflich neues Terrain erobert, indem er die Lage der erzgebirgischen Spielzeugschnitzer bis in statistisch genaue Angaben über die Höhe ihres Lohnes historisch konkret gestaltete. Durch die Kombination der spannungsreichen komödischen Form mit sozialer Problemstellung hat er eine originelle, die unterschiedlichsten Schichten erfassende Figurenkonstellation erreicht, die aussagekräftig ist und dem politischen Ideengehalt zugute kommt. Es geht hier nicht darum, den literarischen Wert des „Biberpelz", der ein bedeutendes gesellschaftskritisches Werk ist, und des „Kater Lampe" gegeneinander abzuwägen. Es ist vor allem aufschlußreich zu bestimmen, wieweit Rosenow von seiner Position als sozialistischer Schriftsteller über H a u p t m a n n hinausgegangen ist, was er an Neuem beigebracht hat. Es wurde darauf hingewiesen, daß er die Klassenfronten klarer gezeichnet und stärker voneinander abgegrenzt hat. Dies beweist vor allem der veränderte Figurenaufbau. Man könnte das Ehepaar Seifert mit der Waschfrau Wolffen und ihrem Mann Julius vergleichen. Die Wolffen stiehlt den Biberpelz, die Seifert verwandelt den ihr anvertrauten Kater in Hasenpfeffer, aber sie ist nicht die Heldin des Stückes. Rosenow ergreift im Gegensatz zu H a u p t m a n n gegen die verschlagene und gerissene Kleinbürgerin Partei, gerade weil sie die Praktiken der herrschenden Klasse zu ihrem eigenen Vorteil nutzt. Sie wird deshalb auch nicht als plebejische Gestalt, sondern als mittellose Kleinbürgerin gewertet, deren Diebereien und Betrügereien die Proletarierfrau Schönherr mit Abscheu erfüllen. Die Hauptfigur ist der Schnitzergeselle Linus Neumerkel, der seinen Platz in der Reihe der volkstümlichen schelmenhaften Provokateure von Eulenspiegel bis Schwejk einnimmt. Auf seiner Seite stehen die proletarisierte Handwerkerfamilie Schönherr, die böhmische Magd Maari und die Masse der verelendeten HolzXXIX

Schnitzer und Waldarbeiter, die bei der Straße ndemonstration des zweiten Akts und bei der Vertreibung des Fabrikanten im vierten Akt mit in Erscheinung treten. 3 1 Im „Biberpelz" sind die Waschfrau und der Amtsvorsteher Wehrhahn die Hauptkontrahenten. Der Gegenspieler Neumerkels ist nicht der dörfliche Gemeindevorsteher, sondern der Fabrikant Neubert als Vertreter des Kapitals, von dem Gerichtsbarkeit und Polizeiapparat abhängen. Auch in dieser Hinsicht hat Rosenow die Klassenfront vom ökonomischen und politischen Standpunkt schärfer gekennzeichnet. Die Figurenkonstellation teilt die handelnden Personen des „Kater Lampe" in zwei Gruppen: in die Partei der Obrigkeit und die Partei der Unterdrückten. Der Mechanismus des Unterdrückungssystems im kapitalistischen Obrigkeitsstaat ist an einigen nur scheinbar harmlosen, untereinander uneinigen, aber voneinander abhängigen Vertretern veranschaulicht, die alle zusammen den Ansprüchen des Kapitals unterworfen sind. Der durch eine reiche Heirat zum Bauerngutsbesitzer und Gemeindevorsteher gewordene ehemalige Kegeldrechsler Ermischer hat sich in den Hochmut der Kaste eingelebt, muß sich aber zur Selbsterhaltung, ob er will oder nicht, den Wünschen des Fabrikanten fügen, selbst um den Preis der Lächerlichkeit. Der eitle Bezirksgendarm prahlt mit seinen Beziehungen zur übergeordneten Behörde, um Ermischer Respekt einzuflößen, ist aber schließlich dennoch gezwungen, gegen das Proletariat seinen Anweisungen zu folgen. Dieser wieder ist froh, eine Gelegenheit zu haben, den Gendarm, dessen Schneidigkeit er fürchtet, zu ducken. Der von Haus zu Haus gehende Briefträger scheint mitunter auf der Seite der ausgebeuteten Schnitzer zu stehen, schlägt sich aber als kleiner Beamter immer wieder zur staatserhaltenden Partei, obwohl man ihm dort seine Trinkgelder mißgönnt. All diese Figuren haben in Rosenows Komödie die Funktion, einige negative Eigenschaften des Kleinbürgertums wie Egoismus, Mißgunst und Intrigantentum herauszuarbeiten. Mit besonderer Sorgfalt ist die Gestalt des Gemeindedieners Seifert angelegt, das Pendant zum trotteligen XXX

Julius der Waschfrau Wolffen. Rosenow hat mehr aus ihm gemacht als Hauptmann aus seiner komödischen Dümmlingsfigur. An Seifert wird demonstriert, wie der Kleinste, Unbedeutendste, der am meisten schikanierte mittellose Kleinbürger, in die Enge getrieben, den verzweifelten Mut zur Wahrheit entwickelt und sich damit über seine Schicht erhebt. Das Fabrikantenehepaar Neubert hat, was das gesellschaftlich Typische anbelangt, Ähnlichkeit mit der Familie Dreißiger aus den „Webern". Beide Fabrikanten werden als herrschsüchtige Emporkömmlinge, skrupellose Spekulanten und Ausbeuter gezeichnet, während man ihren Ehefrauen die kleinbürgerliche Herkunft noch anmerkt. Hauptmann hat diese Figuren in seinem großen sozialen Drama satirisch angelegt. Bei Rosenow sind sie wirksame Komödienfiguren, ohne deshalb ihrer Gefährlichkeit entkleidet zu werden. Sie werden wegen ihrer auf die Dauer unhaltbaren Methoden der Lächerlichkeit preisgegeben. Von Wehrhahn, der Vertreter der herrschenden Klasse im „Biberpelz", verkennt bis zum Schluß die Wahrheit und hält sich für klug und unüberwindbar. So wirksam und enthüllend diese törichte Ahnungslosigkeit im Lustspiel auch ist, Rosenow mußte als sozialistischer Autor einen Schritt weitergehen. A l s Neubert am Ende des „ K a t e r Lampe" flüchtet, ist er gezwungen zu erkennen, daß er besiegbar ist. Rosenow hat damit im Gegensatz zum bürgerlichen Autor klar und unmißverständlich die durch das Voranschreiten der Arbeiterbewegung herbeigeführte neue Phase der gesellschaftlichen Erkenntnis bezeichnet.

Die

Menschenbildproblematik

In Preczangs und Rosenows hier abgedruckten Dramen sowie in den vorher entstandenen sind Keime bzw. wesentliche Elemente des neuen, sozialistischen Menschenbildes vorhanden, wie es sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, befördert durch die Oktoberrevolution und den A u f b a u des Sozialismus in einem großen Teil der Welt, geformt hat. Um die Jahrhundertwende g a b XXXI

es Ansätze zum sozialistischen Menschenbild in der Literatur der deutschen Arbeiterklasse in dem Maße, wie es der Autor verstand, den Arbeiter oder die Arbeiterin, den klassenbewußten Proletarier, im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Zeit zu gestalten: in Konfrontation mit dem Bourgeois und dem Kleinbürgertum oder auch mit den Bauern, im Verein und in gleicher Front mit den Klassengenossen. Das großformatige Drama war besonders geeignet, ein detailliertes proletarisches Charakterbild zu entwerfen, weil sich dessen Spezifik gerade im Vergleich mit der Eigenart unterschiedlichster anderer Bevölkerungsschichten herausarbeiten läßt. Freilich bietet nur die Ausnutzung dieser Möglichkeit die Gewißheit für ein plastisches Menschenbild. Preczang hat sich zuerst in „Töchter der Arbeit" um ein differenziertes, den Klassenkampf veranschaulichendes Menschenbild bemüht. Die Partei des Kapitalisten — der gegen seine Konkurrenten wie gegen seine Arbeiter gleich rücksichtslose Fabrikant, der schon parasitär lebende Sohn, die Kommerzienrätin, die sich mit scheinhumanitärer Tätigkeit ein sinnvolles Dasein vorspielt, und der böse Geschäftsleiter — ist trotz der satirischen Züge im ganzen noch schablonenhaft gezeichnet. Die einzelnen Charaktere gewinnen an Lebendigkeit und Plastizität im Zusammenstoß mit proletarischen Gestalten wie dem alten Hellmuth und Helene Mischke. Diese wieder entwickeln als dramatische Figuren ihre sozialistische Persönlichkeit am besten im Widerstand gegen ihre Ausbeuter. Das Bild einer antagonistischen Gesellschaft tritt am klarsten in der Konfrontation der Klassenantagonisten, bei der aktiven, kämpfenden Wahrnehmung der Klasseninteressen, wie bei Arbeitsniederlegung oder Streik, hervor. Der Autor, der sich dieser Möglichkeit bedient, ist in der Lage nachzuweisen, daß die Bestrebungen einer reaktionär gewordenen, nur noch den eigenen Profit verfolgenden Klasse die Interessen der Menschheit verraten. Dies ist Preczang in „Töchter der Arbeit" gelungen, und in diesem Zusammenhang konnte er 1898 darauf hinweisen, daß im Proletariat Kräfte heranreifen, die die Menschheit einer besseren XXXII

Zukunft entgegenführen. Hellmuth überwindet sein privates Unglück, den Verlust seiner Tochter durch die Schuld des Fabrikantensohnes, indem er sich entschlossener denn je einreiht in die Kampf Organisation der Arbeiterklasse. Helene Mischke setzt allen Einschüchterungs- und Bestechungsversuchen durch den Unternehmer ihre ganze Menschenwürde und ihren Stolz entgegen, um bessere Arbeitsbedingungen für ihre Kolleginnen zu erreichen. Was hier bei Preczang noch verhältnismäßig global gestaltet ist, wird schon ein Jahr später von Rosenow wesentlich differenzierter in Angriff genommen. Rosenow zeigt in seinem großen Bergarbeiterdrama als erster früher sozialistischer Autor die unterschiedliche Verhaltensweise gegenüber kapitalistischer Ausbeutung und Meinungsmanipulierung sowie den schließlichen Sieg proletarischen Widerstandsgeistes als Prozeß der Bewußtseinsformung. Der Umschlag in die neue Qualität proletarischer Haltung findet erst nach der großen Auseinandersetzung im vierten Akt zwischen Liesa, der Verkäuferin eines Produktenvereins der Bergarbeiterkolonie, und dem Betriebsdirektor Klönne statt. Rosenow hat diesen umwegigen Vorgang des Erwachens und der Entwicklung des Klassenbewußtseins, der sich im zähen Ringen gegen haltbare materielle, geistige, politische Bindungen an den Kapitalismus, unter sehr verschiedenen Umständen, mit Irrwegen und Rückschlägen vollzieht, an einer Anzahl einprägsamer Personen, die „im Schatten leben", demonstriert. Vorwiegend an Frauen, die damals in der Gesellschaft doppelt benachteiligt waren und besonders viel zu gewinnen hatten, wird die Entwicklung des proletarischen Menschenbildes veranschaulicht. Die Bergarbeiterwitwe Lückel wird schuldig gesprochen, weil sie durch ihre frömmelnde Haltung und ihr stets ängstliches Ducken vor den Herrschenden — insbesondere vor der Bergwerksleitung — ihre Kinder von den wirklichen Problemen des Lebens ferngehalten hat. In dieser Gestalt, die Rosenow schon in „Daheim" vorgezeichnet hatte, kritisiert er eine proletarische Verhaltensweise, die er in erster Linie beseitigt wissen möchte. Er führt deshalb 3

Münchow, D r a m a t i k I I I

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die Figur des 16jährigen Hannchens ein, die als Zigarrenwicklerin harte und ungesunde Heimarbeit leisten muß, um zum Unterhalt der Familie Lückel beizutragen, die aber aus Opposition gegen die freudlose Atmosphäre und die Ausweglosigkeit dieses häuslichen Daseins heimlich davongeht, um in der Stadt als Putzmacherin ein leichteres Leben führen zu können. Sie hat jedoch immer nur gehorchen und nicht selbständig denken gelernt, darum scheitert ihr erster naiver Versuch, sich gegen die Verhältnisse aufzubäumen. Indem sie den leeren Versprechungen eines Verführers vertraut hat, ist sie nach der Meinung ihrer Mutter „in die Schande" geraten. Aber für den Autor ist sie keine „Verlorene", sondern eine junge Proletarierin, die die Möglichkeit hat, aus ihren Erfahrungen die Wahrheit über die Praktiken der herrschenden Klasse sowie über die Fehler ihrer eigenen Klassengefährten zu erkennen. Der älteren Schwester Liesa gelingt es unter den schwierigsten Bedingungen, sich zu emanzipieren. Für sie gibt es schließlich, vor die Alternative gestellt, mit allen Konsequenzen offen zu opponieren oder sich wie ihre Mutter und ihre andere Schwester zu ducken, nur den ersten Weg. Preczangs Heinrich aus dem „Verlorenen Sohn" verweigert seinen rückständigen Eltern den Gehorsam, trennt sich von ihnen und beharrt auf seiner neugewonnenen sozialistischen Weltanschauung. Aber den eigentlichen Bruch hat er in der Fremde, auf der Wanderschaft, also vor dem Beginn der dramatischen Handlung vollzogen, und er handelt am Schluß nur folgerichtig. Liesa hat es schwerer, und an ihr zeigt Rosenow die besonderen Nöte bei der Entwicklung einer neuen, ins Jahrhundert des Sozialismus vorausweisenden weiblichen proletarischen Persönlichkeit. 32 Der mehr emotionelle Entschluß Luise Hilses aus den „Webern", ihrem bigotten und kaisertreuen Schwiegervater nicht mehr zu gehorchen und zu den Aufständischen zu eilen, hat nur entfernte Ähnlichkeit mit der Situation Liesas, die zu einer gesellschaftlichen, nicht mehr privaten Entscheidung drängt. Liesa hat viel gelesen, sich weitergebildet, denken gelernt, sich natürlichen Stolz und Selbstbewußtsein erworben, ohne daraus persönliche Vorteile ziehen zu XXXIV

wollen. Als ihr Bruder im Bergwerk verunglückt und Hannchen geflüchtet ist, arbeitet sie für drei, weil sie sich für ihre Angehörigen, zu denen auch noch eine durch die Bergwerkkatastrophe verwitwete andere Schwester mit zwei kleinen Kindern gehört, verantwortlich fühlt. In dem Maße aber, wie sie das Unterdrückungssystem der Werkleitung durchschauen lernt und erfährt, daß selbst angesichts des größten Unrechts und Verbrechens die Meinungen der Menschen gekauft werden, nur um ihre Abhängigkeit noch zu vergrößern, gelingt es ihr, sich aus den ihr aufgezwungenen Lebensverhältnissen zu lösen. Als sie schließlich vom Werkleiter und von ihrer Familie unter Drohungen aufgefordert wird, sich ebenso zu erniedrigen, zieht sie den Trennungsstrich. In dem Augenblick, in dem sie dem Klönne und ihrer Mutter die gesellschaftliche Wahrheit vor Augen hält, emanzipiert sie sich von der Unterdrückerordnung und auch von den unbelehrbaren Unterdrückten, die noch dafür dankbar sind, nicht völlig zertreten zu werden. Auch Preczang hat in „Im Hinterhause" diese Staffelung des proletarischen Menschenbildes darzustellen versucht. Frau Gensicke befindet sich bewußtseinsmäßig etwa auf der gleichen Entwicklungsstufe wie die Witwe Lückel. Doch ist sie mit kräftigeren Strichen gezeichnet. Die Lückel ist eine bejammernswerte Person, die sich fügt und treiben läßt. Martha Gensicke nimmt ihr Geschick in die Hand und läßt sich nicht unterkriegen. Sie ist wie die Lückel für den Klassenkampf unbrauchbar, aber nicht bigott und unterwürfig, sondern von jener Rührigkeit und Tüchtigkeit, die noch die proletarischen Mütter in den Berliner Romanen Clara Viebigs auszeichnet. In ihrer gelegentlich trockenen, humorvollen Redeweise erinnert sie an die Mutter Wolffen aus dem „Biberpelz". Die an ihren Mann im dritten Akt gerichteten Worte: „Am Ende holt dir die Direktion mit de Ekwipasche?" sind jedoch nicht so hintergründig wie die der Wolffen: „. . . Wenn de erseht reich bist, Julian, und kannst in der Eklipage sitzen, da fragt dich kee Mensch nich, wo de's her hast." Die Gensicken ist keine Komödienfigur. Von der halben Nacht bis zum Abend, zwanzig Stunden 3»

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lang ist sie auf den Beinen, trägt Zeitungen aus, wäscht, plättet u n d n ä h t f ü r fremde Leute, u m das Notwendige f ü r den Familienunterhalt beitragen zu können. Unermüdlich rafft sie jeden Groschen zusammen. F ü r die Tochter Klara wünscht sie einen Mann mit festem Einkommen, ganz gleich was er sonst taugt, für ihren Mann einen Posten, sei es auf Kosten seiner Arbeiterehre („meinswejen denk doch watte willst, aber reiß mir nicht meine Proschekten um!"). Sie ist eine abgerackerte ausgemergelte Berliner Arbeiterfrau, eine redliche Proletarierin, die nie auf den Gedanken kommen würde, sich wie H a u p t m a n n s Waschfrau Wolff oder gar die Fielitz aus dem „Roten H a h n " durch Diebereien oder Betrügereien zu bereichern. Trotz ihrer miserablen ökonomischen Lage bleibt sie optimistisch und hartnäckig, sie gibt sich nicht auf, solange sie sich noch rühren kann. Sie verkörpert eine der zahlreichen älteren Arbeiterfrauen u n d Mütter vor der Jahrhundertwende, die über die Ursachen ihrer Not nicht nachdachten, den Klassenkampf nicht begriffen. Aus den zeitgenössischen Arbeiterautobiographien, die man als wichtige Quelle f ü r die Kennzeichnung des Menschenbildes nutzen kann, erfährt man, daß es damals viele solcher Proletarierinnen gegeben h a t , die schonungslos gegen sich selbst Brot f ü r die Familie zusammenrackerten. 3 3 Das Gegenbeispiel aus „Im Hinterhause" ist der untüchtige, proletarisierte, sich selbst bemitleidende Winkeladvokat Lenzke, der sich von seiner Tochter, einer zum „leichten Mädchen" gewordenen Kellnerin, aushalten läßt. Das Bild des aus dem Proletariat stammenden „gefallenen" oder „leichten Mädchens", das der Dirne, spielt in der sozial engagierten Literatur des deutschen N a t u ralismus eine gewisse Rolle. Diese Mädchen werden bemitleidet und als „Opfer der Gesellschaft" mit einem Glorienschein umgeben. Solche fragwürdige, den Klassens t a n d p u n k t verwischende Heroisierung wird vom frühen sozialistischen Schriftsteller korrigiert. Der politische Agitator Rosenow erklärt die Lebensgier junger Proletarierinnen als eine Form des Protests gegen die schlechten gesellschaftlichen Verhältnisse, aber er läßt keinen Zweifel aufkommen, daß solch ein Protest der falsche XXXVI

Weg ist, d a ß allein Klassenkampf aus dem Elend herausf ü h r t . E r h a t deshalb neben Hannchen die Schwester Liesa als positive Figur geschaffen. Preczang unterscheidet aus gleichem Grunde zwischen der zum Lumpenproletariat herabgesunkenden Lene Lenzke und der sich nach einem freudvolleren inhaltsreicheren Leben sehnenden Klara Gensicke. Dennoch ist ihm mit Klara keine so überzeugende Frauengestalt wie Helene Mischke oder Liesa Lückel gelungen, wie sie in jener Zeit der beginnenden politischen und gewerkschaftlichen Organisation junger Arbeiterinnen durchaus schon typisch war. Klara sehnt sich nach einem sinnvollen Dasein, zu dem auch durchaus eine zukunftsweisende Weltanschauung gehört. Ihre Vorbilder sind ihr sehr geliebter Vater und der junge Arbeiterfunktionär Petzold. E s wäre durchaus verständlich, daß sie angesichts des schlechten Beispiels der Lenzkes eine E h e m i t dem gesinnungstreuen u n d intelligenten Petzold anstrebt, noch dazu, da sie ihn offensichtlich liebt u n d auch weiß, d a ß sie wiedergeliebt wird. Preczang läßt erkennen, daß sie sich ein Leben mit Petzold wünscht. Aber in dem Bemühen, eine komplizierte proletarische Gestalt zu schaffen, die in den Agitationsstücken des frühen Arbeitertheaters mit ihrer einfachen H a n d l u n g keinen Platz hatte, und im Zusammenhang mit der Stücktendenz, den Einfluß eines Hinterhausmilieus herauszuarbeiten, h a t er das Bild Klaras verzerrt. Von der Last ihrer täglichen Näh- und Flickarbeit erdrückt, läßt sie sich treiben u n d verhält sich Petzold gegenüber passiv, seiner „Erklärung" harrend. Der in ihr schlummernde rebellische Sinn, eine Eigenschaft, die ihren Vater einmal zur Sozialdemokratie getrieben u n d zum Streikführer gemacht hat, bricht an verkehrter Stelle durch. Klara t o b t ihre unterdrückte K r a f t in einer lustigen Nacht aus u n d gibt sich ausgerechnet dem ungeliebten Renegaten Streling hin. Als Petzold sie trotzdem heiraten will, schlägt sie seinen Antrag aus. Sie h a t sich inzwischen mit Streling verlobt, und Martha Gensicke h a t endlich den Schwiegersohn mit festem E i n k o m m e n . Die junge Tochter ist im Grunde verzweifelt u n d liebt Petzold noch immer. Eine Flucht mit ihm, der ihr XXXVII

Schutz anbietet, ein gemeinsames Leben mit dem Geliebten, wäre die natürlichste Entscheidung. Statt dessen entdeckt sie ihre Schwäche, sie fürchtet sich vor der einem sozialdemokratischen Funktionär ständig drohenden Entlassung und Arbeitslosigkeit, traut sich nicht zu, die Folgen mit ihm gemeinsam tragen zu können. Petzold gibt sich wenig Mühe, sie vom Gegenteil zu überzeugen, und so wird für immer getrennt, was zusammengehörte. Preczang hat positive und kämpferische proletarische Gestalten geschaffen. Im Gegensatz zu anderen frühen sozialistischen Dramatikern ist es ihm aber mißlungen, die neuen zwischenmenschlichen Beziehungen richtig in den Griff zu bekommen. 34 So krankt das figurenreiche und vom Sujet her neuartige und interessante Hinterhausdrama am Widerspruch zwischen der im sozialistischen Sinne parteilichen Anlage der Charaktere und ihrer milieubedingten Determiniertheit. Die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit ist auf dieser neuen, höheren Ebene noch nicht gemeistert. Die höchste Stufe der Staffelung des proletarischen Menschenbildes im „Hinterhause" besetzen Figuren wie Gensicke und Petzold. Die Persönlichkeit Wilhelm Gensickes wird uns am besten entschlüsselt in dem empörten Streitgespräch mit Streling (1. Akt) und in der großen Auseinandersetzung mit dem Prokuristen Behrens (3. Akt). Streling gibt das Stichwort: „Vor drei oder vier Jahren, heißt's, wär hier 'n großer Ausstand gemacht. An der Spitze: Gensicke!" Er nimmt Partei für den Unternehmer gegen den entlassenen Gensicke: „Rücksichtslosigkeit gegen Rücksichtslosigkeit!" Der alte Sozialdemokrat verteidigt sich nicht, sondern greift leidenschaftlich an. Er begeistert sich so an seiner eigenen heroischen Vergangenheit, daß er den Geist der Achtundvierziger mit ihrer Losung: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will" beschwört. Sein Anrecht auf einen Arbeitsplatz in der Fabrik fordert er mit dem Hinweis auf sein Arbeitsethos („Ob ich nicht gearbeitet hab, als ob's m e i n e Fabrik war!"), und er klagt die gesellschaftlichen Verhältnisse an, die ihn zur Untätigkeit verdammen. Das Teuerste aber ist ihm seine XXXVIII

Gesinnung, die er sich u m keinen Preis abkaufen läßt. Die Auseinandersetzung mit Behrens wird deshalb zum dramatischen u n d ideologischen Höhepunkt. I n dieser Szene besteht Gensicke wie Liesa Lückel gegenüber dem Vertreter des Kapitalismus seine größte Bewährungsprobe. Behrens beschönigt heuchlerisch die frühere Verhaltensweise des Betriebes gegenüber seinem ehemaligen Arbeiter und bietet ihm eine vorteilhafte neue Stelle mit Pensionsberechtigung an. Gensicke ist zunächst gutgläubig, wird aber mißtrauisch, als Behrens ihm vorsichtig beizubringen versucht, daß er seine klassenkämpferische Haltung aufgeben müsse („Man wird älter, reifer, besonnener. Man urteilt nicht mehr so mit dem Herzen.") u n d weigert sich entschieden, als er erfährt, d a ß seine Arbeitskollegen in Ausstand getreten sind, weil die „Rädelsführer" einer neuen Protestaktion entlassen worden sind („Und wenn ich auch morsch bin jetzt — ich h a b auch meine E h r e ! U n d d a r u m sag ich nein u n d nein u n d nein!"). Preczang h a t hier im Gegensatz zu Suderm a n n s reißerischen D r a m a „Ehre", in dem es nach einer Formulierung Mehrings lediglich u m die „Bettelsackehre" der im Hinterhause lebenden, dem Lumpenproletariat angehörenden Familie Heinecke geht, die „ E h r e des arbeitenden u n d kämpfenden Proletariats, das die gemeinsamen Interessen der gesamten Menschheit über die Sonderinteressen der .gesellschaftlichen Kreise u n d Schichten' stellt" 3 3 ' in den B r e n n p u n k t seiner proletarischen Menschengestaltung gerückt. Der Mechaniker H e r m a n n Petzold ist eine neue, interessante Figur in der Reihe der jungen Streikführer, der Helden früher Arbeitertheaterstücke. E r h a t mit ihnen gemeinsam, daß er unnachgiebig k ä m p f t u n d auch als Ausgewiesener mutig in die Fremde zieht, u m dort u n d immerfort f ü r die Sache des Proletariats einzustehen. Es geht aus dem Stück hervor, daß er nicht immer so h a r t war („. . . die Not ist ein H a m m e r , . . . Den einen schlägt sie zu Brei, den a n d e r n zu Stahl"). U n d obwohl er ermutigend auf andere Klassengenossen wirkt, gesteht er im vertrauten Gespräch des zweiten Akts, d a ß er m a n c h m a l dunkle S t u n d e n h a t und sich die Sorgen oft wie Blei auf ihn legen. Man erfährt, d a ß Petzold gern XXXIX

einmal allein ist, um zu lesen und zu studieren oder auch nur in alten Büchern zu blättern, um sich dann in einem wieder von neuem festzulesen. In Zeiten der Arbeitslosigkeit zieht er Kraft aus diesem Umgang mit Büchern. Diese individuellen Züge bereichern das Bild des Arbeiterfunktionärs in der frühen sozialistischen Dramatik. Die Problematik liegt für diesen Proletarier, der über die Lebensverhältnisse seiner Klasse nachdenken gelernt hat und zu ihrer Veränderung beitragen will, darin, daß er ein ganzer Mensch sein will, sich frei entfalten und menschlich leben möchte, dies unverschuldet im imperialistischen, kaiserlichen Deutschland nicht kann und sich selbst noch zusätzlich Schranken aufrichtet. Petzold ist kein strahlender Optimist. Er wird zwar den Widerstand gegen die Ausbeutung nie aufgeben, aber es ist ihm als Mann der Jahrhundertwende noch unklar, auf welche Weise das kapitalistische System zu beseitigen ist. Er glaubt nicht daran, daß er persönlich noch in den Genuß einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung kommen wird. Daraus zieht er f ü r sich ganz privat die Konsequenz, es sei besser, als politischer Kämpfer auf Liebe und Ehe, auf die Bindung an Frau und Kinder zu verzichten. Solche Entscheidungen stimmen offenbar mit den Ansichten Preczangs überein, der ihre Berechtigung auch an Gestalten seines Prosawerks zu demonstrieren versuchte. 36 Auch Rosenow sah die proletarische Revolution nicht unmittelbar bevorstehen. Aber er hat in seinem „Kater Lampe" künstlerische Mittel und Wege gewählt, die Skepsis und Unsicherheit von vornherein nicht aufkommen ließen. Das Entscheidende ist, daß er im Unterschied zu Preczang nicht von sozialen Verhältnissen und Milieubedingtheit ausging, sondern von einem ganz klaren sozialistischen Menschenbild. Obwohl die Werktätigen seiner erzgebirgischen Komödie sehr schlecht leben, stehen sie am Schluß nicht als Unglückliche oder Verlierer, sondern als die lachenden Sieger da. Die Aussage des Rosenow-Biographen Gaehde über die Entstehung des „Kater Lampe" ist in diesem Zusammenhang von grundsätzlicher Bedeutung. Er berichtet: „Diese Komödie, die beste unserer ganzen neueren XL

Literatur, entstand gewissermaßen nebenher, als der Dichter der meistbeanspruchte Parteiredner Berlins war. Kam er abends gegen zehn oder elf Uhr aus seinen Versammlungen nach Hause, so hatte er noch K r a f t und Energie g°nug, dies lebensprühende, witzige, humorvolle Werk abzufassen. Ein Entwerfen seiner Dramen, ein Anlegen von Szenarien kannte er nicht. E r war, sobald er zur Niederschrift kam, innerlich mit dem Durchbilden seiner Gestalten völlig fertig und konnte so Akt für Akt und Szene für Szene hintereinander wegschreiben. Seine plastische Phantasie sah alles deutlich und scharf umrissen, sein intuitives Erfassen der feinsten Regungen auch einer komplizierten Natur ließ ihn auch nicht den kleinsten Zug in der Komödie verfehlen." 37 Abgesehen von einiger Idealisierung, treffen diese Angaben den Kern der dramatischen Gestaltungsmethode Rosenows. E r ist als Dichter auch nie von einer politischen Idee oder von einer These des Parteiprogramms ausgegangen, für die Fabel u n d geeignete Figuren zu schaffen waren. Ausgangspunkte bildeten für ihn in erster Linie lebendige Menschen, erlebte Vorgänge. Erst aus der Gestaltung ihrer Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte erwächst die politische Aussage. Die Einbeziehung des gesellschaftlichen Milieus gibt dem in eine bestimmte dramatische Situation gestellten Menschenbild den ihm adäquaten Rahmen, dient der Erzeugung einer möglichst großen sozialen Wirklichkeitstreue. Das stärkste Gewicht haben im „Kater Lampe" die durchweg positiven, trotz aller Armut ungebrochenen proletarischen Gestalten. Im Mittelpunkt stehen die Holzschnitzerfamilie Schönherr und ihr Geselle Neumerkel. Die böhmische Magd Maari setzt sich ebenso selbstbewußt zur Wehr wie die anderen agierenden Proletarier. Damit kommt zwanglos ein internationalistisches Element ins Spiel. Allergrößte Sorgfalt legt er auf die Darstellung des natürlichen Selbstbewußtseins, des schöpferischen und moralischen Stolzes der Spielwarenschnitzer. Der Komödiendichter hat mit der Industrialisierung der Spielwarenherstellung ein kompliziertes ökonomisches XLI

und menschliches Problem angepackt. Der Spielwarenverleger Neubert ließ die hausindustriellen Kleinmeister für sich liefern, bis er das Absatzgebiet in Händen hatte und so imstande war, eine Fabrik zu begründen, die alle selbständigen Meister der Reihe nach vernichtete, sie zwang, Fabrikarbeiter zu werden oder ihm ihre handgeschnitzte Ware für ein Spottgeld abzugeben: 60 Holzsoldaten geschnitzt, geleimt und gemalt für 1 5 Pfennige, einen Holzwagen und ein Pferd für 10 Pfennige. Schönherr mit seiner Frau, seinen vier Kindern und seinem Gesellen verdient weniger als 3 Taler in der Woche. Am Beispiel Schönherrs wird demonstriert, wie jeder Einzelmeister, auf eine zweihundertjährige Tradition als Holzschnitzer zurückblickend, es seinem Berufsstolz schuldig zu sein glaubt, auf keinen Fall zur industriellen Massenproduktion überzugehen und Fabrikarbeiter zu werden. Rosenow schildert in den Schnitzern Menschen, die aus ihrer im gewissen Sinne künstlerisch schöpferischen Tätigkeit Selbstbewußtsein gewinnen und deshalb sogar in großer Not sich selbst und ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Fabrikanten nicht aufgeben, für den Spielzeug nur eine beliebige Ware zur Erzeugung möglichst hohen Profits ist. Diese natürliche Freude an der schöpferischen Arbeit erfüllt schon den kleinen Heiner, der befriedigt ist, wenn er seine 60 Tiere am Tage ausgeschnitzt hat und dafür von der Mutter gelobt wird. Und sie gibt auch dem Ehepaar Schönherr die Kraft, dem Fabrikanten zu widerstehen, sich nicht bestechen zu lassen und sich keinesfalls zu ducken. Für Schönherr gibt es zwei Sorten von Menschen: Arbeiter und Spekulanten. Die einen sind die Achtenswerten und die anderen die Verächtlichen. Frau Schönherr teilt die Anschauungen ihres Mannes, sie gehört nicht zu den allein ums Brot besorgten älteren proletarischen Frauengestalten, sondern sie unterstützt den Kampf ums Recht und läßt sich nicht unterkriegen. Sie ist in dieser Beziehung das Gegenbild zur Witwe Lückel in Rosenows Bergarbeiterdrama. Das beweist vor allem ihre streitbare Begegnung mit Frau Neubert, auf deren bornierte Worte: „Mir sein die reichsten Leute im Ort und das gibt's nirgends wo anders, XLII

daß die, wo's Geld ham'm, sich von der ärmeren Bevölkerungsklasse auf der Nase rumtanzen lassen müssen!" sie stolz antwortet: „Wenn mir ooch arm sein, mir zahlen so gut unsere Gemeendesteuern wie Sie." Und ihren Mann bestärkt sie: „Nee, Mann, also des . . . des darfst du dir nicht gefallen lassen. Die Leute tun ja in ihrem Hochmut grade, als ob m'r nich Luft schnappen dürfte ohne sie." Rosenow hat hier — die mitarbeitenden Kinder mit einbezogen — eine Familie gestaltet, die das Elend nicht zerbricht und auseinandertreibt, sondern die der gemeinsame Entschluß, sich nicht zu ducken, zusammenhält. Dieses positive Beispiel trägt zur Bereicherung und der Realität entsprechenden Differenzierung des proletarischen Menschenbildes bei. In den Krisenjahren vor dem ersten imperialistischen Kriege, die zu verstärkten Streikbewegungen u n d politischen Demonstrationen führten, entstanden Arbeitertheaterstücke wie Lu Märiens „Bergarbeiter" 38 oder die optimistische Tragödie „Das Gesetz" von Paul Bader 3 9 , in denen Familien in zugespitzten Klassenkampfsituationen ebenso fest zusammenhalten. Die Eigenschaften der Schönherrs treten im „Kater Lampe" besonders anschaulich hervor, weil sie denen der Neuberts, der Ermischers, der Seiferts und der Ulbrichs konfrontierbar sind. Während Schönherrs Ehe durch gemeinsame Arbeit, Liebe, harmonisches Familienleben und Zusammenstehen in Not und Sorge, also durch schöpferische Beziehungen geprägt ist, verbindet die Neuberts nur das Geld und die Möglichkeit, damit zu protzen. Der gegenseitigen Achtung und Einigkeit der Holzschnitzerleute steht das wenig vorbildliche Verhältnis der Ermischers und Seiferts gegenüber. Die Bäuerin verachtet ihren feigen und untüchtigen Mann, mischt sich ständig in seine Amtsangelegenheiten ein, während Ermischer vermutlich nur durch seine Einheirat in einen Stand und in eine berufliche Position, die seinen Fähigkeiten widerspricht, so unsicher geworden ist. Groß ist der Kontrast zwischen der Schnitzerfrau und der Seifert, die als besitzlose Kleinbürgerin auf die Arbeiterfrau herabsieht und mit der eigenen Gerissenheit prahlt. Alle diese Kleinbürger, auch der Gendarm, üben XLIII

sich ständig in Tricks, mehr darzustellen als sie sind. Sie streben nach oben, ganz gleich mit welchen Mitteln, und werden doch zwangsläufig immer wieder geduckt. Am Ende der Komödie werden sie zusammen mit dem Fabrikanten, vor dem sie sich am meisten gebückt haben, lächerlich. Die Hauptkontrahenten des im „Kater Lampe" dargestellten Klassenkampfes sind Neubert und Neumerkel. Schönherr ist die stärkste Persönlichkeit auf der Seite der Ausgebeuteten, aber Neumerkel ist der Gefährdetste, er ist auf die Unterstützung seines Meisters angewiesen. Gerade weil er die scheinbar schwächste Position hat, meint Neubert, an ihm auf leichte Art ein Exempel seiner Macht statuieren zu können. Der Druck, den er auf Schönherr auszuüben versucht, gilt dessen Gesellen, den er mitsamt, seinem Kater aus dem Ort entfernt haben will. Neubert ist von einer den Emporkömmling kennzeichnenden albernen Machtsucht beherrscht, alles aus dem Wege zu räumen, was ihn irgendwie stört. Die Beispiele, die Rosenow zur Charakteristik dieser bourgeoisen Verhaltensweise anführt, sind satirisch überhöht. Da hat ihn das Quaken der Frösche in der Nacht aufgebracht, den Nachtwächter zu verpflichten, das Wasser zu peitschen. Dann wieder strengte er einen Prozeß gegen den Dorfkantor an, um ihn zu zwingen, seinen ihm zu oft krähenden Hahn zu schlachten. So wird auch sein Kampf gegen Neumerkel als dem Besitzer des Katers, der auf seinem Dachboden herumgestreunt ist, im Verlaufe der Handlung zu einem prinzipiellen Machtkampf, der sich zunächst gegen den Gemeindevorsteher als Hüter der Ordnung richtet, die er selbst in die H a n d bekommen möchte („Der ganze Ort lebt sozusagen von mir und Sie wollen sich mir gegenüber als die Behörde 'rausspielen!"). Als sich Neumerkel im Gegensatz zu den früheren Opfern seiner „Ordnungsliebe" zur Wehr setzt, richtet sich Neuberts höchste Wut gegen den aufsässigen und seiner Meinung nach rechtlosen Proleten. Der Komödienautor hat das Bild des Fabrikanten intensiv und eindeutig gezeichnet. Aus der Handlung geht hervor, wie skrupellos und zugleich primitiv Neuberts XLIV

Methoden sind. Da ist der Hinauswurf des Gesellen aus der Fabrik, wodurch Druck auf dessen Meister ausgeübt werden soll. Dazu kommt im Zusammenhang mit Neuberts Gemeinderatskandidatur die Bedrohung des noch amtierenden Ermischers, ihn für unfähig erklären zu lassen, falls es ihm nicht gelingt, den Gesellen mit seinem Kater aus dem Ort zu vertreiben. Dieses Anliegen erscheint nichtig, und das Kesseltreiben, das Neubert gegen Neumerkel veranstaltet, wirkt komisch und macht den Urheber lächerlich. Die komische dramatische Kollision wird noch verstärkt durch die schelmenhaftprovokatorische Art, mit der Neumerkel auf die Verfolgungen des Fabrikanten reagiert und diesen in immer größere Wut versetzt. Neubert spürt im Verlauf der Handlung im Gesellen Linus Neumerkel einen ernsthaften Widersacher, mit dem er nicht allein fertig werden kann. In heuchlerischer Jovialität besucht er die einzelnen Dorfbewohner und macht ihnen Versprechungen für den Fall, daß sie ihn zum Gemeindeoberhaupt wählen. Beim Stimmenfang in der Schankstube erklärt er sogar, daß er nicht mehr sein wolle als der kleinste Mann im Ort. Dieses von Rosenow in die Handlung eingeführte sehr typische und oftmals praktizierte bürgerliche Wahlmanöver wirkt hier besonders komisch, weil der „kleinste Mann im Ort" gerade der größte Widersacher Neuberts ist. Die dramaturgische Schlußfolgerung ist deshalb die einzig richtige. Daß der Fabrikant als Wahlkandidat, noch bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat, erfolglos abziehen muß und erlebt, daß seiner Machtgier Grenzen gesetzt sind, d a ß er als reichster Mann von den Ärmsten ausgelacht werden kann, verdankt er nicht zuletzt der Persönlichkeit Neumerkels. Rosenow hat die Gestalt des Schnitzergesellen, dessen einziges Eigentum der Kater ist, so angelegt, daß aus seinem Munde die häufigste und kompakteste Kritik am herrschenden System und seinen Methoden kommt. Mit seinem Buckel, seinen roten Haaren u n d seinem verschmitzten intelligenten Gesicht ist er eine echte Lustspielfigur, eine komödische Volksgestalt, wie wir sie ähnlich z. B. auch bei Johann Nepomuk Nestroy XLV

finden, der mit solchen Figuren an weltliterarische Traditionen des 16. und 17. Jahrhunderts anknüpft. Linus Neumerkel erinnert an Nestroys Titus Feuerkopf aus der vorrevolutionären Komödie „Der Talismann" (1840), dem die herrschende Schicht seine roten Haare und seine Armut erst verzeiht, als ein Erbonkel in Erscheinung tritt. Dennoch besteht ein qualitativer Unterschied zwischen beiden literarischen Gestalten, der auf der unterschiedlichen Klassenbasis ihrer Schöpfer beruht und auf den mehr als sechzig Jahren historischer Entwicklung, die die Kömodien trennt. Die Revolution von 1848 vermochte die soziale Frage nicht zu lösen. Nestroy bekannte sich deshalb zwar wie sein Titus als Bürger des Vormärz zu den einfachen Menschen aus dem Volke. Aber wie der Held des „Talismann" blieb er ein Skeptiker und Räsoneur, der an eine Veränderbarkeit der Welt nicht glaubte. Für den sozialistischen Agitator gab es in bezug auf die revolutionäre Funktion des Proletariats keine Zweifel. Sein Komödienheld Linus überragt deshalb alle seine Gegner mit seinen schlagenden Argumenten, mit seiner Unbeugsamkeit, seinem Humor und seiner Menschlichkeit. Rosenow hat in der Figur seines Linus Neumerkel die Funktion des dramatischen Bewegers angelegt. Er agiert im Spannungsfeld der bourgeoisen Unterdrükkungsmethoden, des unaufhaltsamen Widerstandes der Armen und des kleinbürgerlichen Hin und Her. Schon im ersten Akt wird Neumerkel „als frecher Patron" behandelt, den man arretieren muß. Aber auf jedes Beschuldigungsargument hat er eine scharfe Gegenmeinung. Gerade weil er arm und verkrüppelt ist, läßt er nicht auf sich ,,'rimdeppern", er wird sein Recht bis zum obersten Gericht verteidigen. Als Neubert ihn einfach durch den Gendarm zur Amtshauptmannschaft abtransportieren lassen will, verlangt er energisch ein ordentliches Verhör und eine Zeugenvernehmung. Und als Neubert ihm droht, er habe gar nichts zu verlangen, er sei in allem von ihm, seinem Brotgeber, abhängig, antwortet er unerschüttert und lustig: „I ja, d'r Brotgeber im Ort is d'r Bäckermeister Kluge", und vor dem Spritzenhaus, in das man ihn einsperren will, läuft er XLVI

einfach davon, um die Dorfbewohner lärmend darüber zu informieren, was gespielt wird. Nachdem Neubert im zweiten Akt vergeblich versucht hat, Schönherr zu bewegen, seinen Gesellen zu entlassen, schickt er Ermischer und den Gendarm, Neumerkel wenigstens mit der Verhaftung des Katers zu bestrafen. Eine satirische und komische Wendung, die die ohnmächtige W u t des Fabrikanten veranschaulicht, daß man es wagt, sich ihm zu widersetzen. Die Umstände, die dazu geführt hatten, daß sich Neumerkel des Katers annahm, waren ein Protest gegen die Gewalt. Noch tiefer in den ernsthaften Kern der Komödie zielt die Formulierung Rosenows, die er seinem Komödienhelden als Antwort auf die aufgeblähte Prahlerei Weigels in den Mund legt. Der Gendarm spielt sich auf: ,,'n Beamter muß seine Pflicht tun . . . Donnerwetter noch mal! Wenn mir mein Vorgesetzter sagt: (Forsch) Gendarm Weigel, geh'n Sie da durch die Wand! dann geh'n wir durch!" Der Schnitzergeselle erwidert ihm trocken: „Ei jo, bis Sie emal an 'ne Wand kommen, die do stärker is wie der Schandarm Weigel, un dann rennen Sie sich den Kopp ein." Indem der Komödiendichter Neumerkel das Stichwort von der Wand aufnehmen und mit einem neuen politisch-gesellschaftlichen Sinn versehen läßt, deutet er bereits auf die veränderte Kräftekonstellation am Komödienschluß und über ihn hinweg auf die „Wand", die gegen jene Gesellschaft aufwächst, der der Gendarm dient. Das „Ansteckende" der Aggressivität Neumerkels wird auch in der Komödienhandlung selbst dargestellt. Sie überträgt sich im zweiten Akt sogar auf den Kater, der sich nicht fangen lassen will, sondern den Gemeindevorsteher anspringt und ihm das Gesicht furchtbar zerkratzt. Nachdem der Gendarm Ermischer mit schußbereiter Waffe einen Weg durch die draußen versammelte pfeifende und spottende Menge gebahnt hat, gibt der Geselle ihr die Demonstrationslosung, die bald hundertstimmig erschallt: „Katzenermischer! Katzenermischer!" Und mit der gemütlich spöttischen Feststellung: „Da spricht 'r n u : 's h ä t t ' keener Reschpekt für ihn. H u r r a h ! schrein se, 'nen Orden hat 'r im Gesichte un 'nen Titel XLVII

hat 'r ooch gekriegt!" behält Neumerkel auch im zweiten A k t , in dem der Hauptangriff gegen ihn unternommen wird, ohne im geringsten sein Gleichgewicht eingebüßt zu haben, das letzte Wort. Im dritten A k t hat er nur einen kleinen Auftritt, als er beim Gemeindediener nach seinem Kater sehen will. Er kommt, als gerade der letzte Bissen des „Hasen"pfeffers verzehrt wird und die tafelnden Kleinbürger betrunken randalieren. Bei seinem Erscheinen übertönen alle ihr böses Gewissen gegenüber dem Handwerksgesellen, indem sie ihn beschimpfen („Nur den Dummen geht's schlecht. Was die Gescheiten sind, die finden imanand 'nen Ausweg, hähä!" — „Und deshalb essen wir Hasenbraten und Sie, Sie dürfen zugucken."). Aber nachdem er sich empört drohend zurückgezogen hat, ist ihnen auffällig die gute Laune verdorben, und sie gehen auseinander. Im vierten A k t hat Linus dann seinen ganz großen Tag. Es ist ein geschickter Einfall seines Autors, ihn eine kleine Erbschaft von 20 Talern machen zu lassen, um vorführen zu können, wie sich dieser bettelarme Mensch benimmt, wenn er etwas Geld in den Händen hat. Neubert hätte eine seinen Verhältnissen entsprechenden kleine Erbschaft zu neuen Spekulationen verwandt. Ein Holzschnitzermeister würde 20 Taler vermutlich für seine notleidende Familie verbrauchen. Der anhanglose Geselle handelt urwüchsig phantasievoll und hintergründig, wodurch die Wirkung dieser Volksgestalt noch vertieft wird. Erst ißt er sich im Gasthof von Olbernhau gründlich satt und trinkt einen. Dann erlaubt er sich als echter Schalk einen Spaß und kauft sich zu seinem geflickten Arbeitsanzug einen seidenen Hut, weiße Glacehandschuhe und einen Sonnenschirm. Ins Dorf zurückgekehrt, freut er sich, den Kindern auf der Straße Kupfermünzen zuwerfen und in der Schenke ein wenig prahlen zu können. Als er aber von den Bauern, von den Vertretern der Amtsgewalt und von Neubert wieder nur beschimpft wird, vergeht ihm der Spaß. Er läßt sich nicht lumpen, sondern bezahlt den Schaden, den sein Kater angeblich überall angerichtet hat, mit blanken Talern. Da schlägt die Stimmung gegen ihn bezeichnenderweise plötzlich um. Denn einer, der bezahlen kann, XLVIII

wird geachtet, auch wenn er brandrote Haare und einen Buckel hat. Von nun an löst sich alles andere fast automatisch. Wer bezahlt, hat auch Recht auf sein Eigentum. Wer sein Eigentum dann aber nicht erhält, braucht auch nicht dafür zu zahlen. Jeder der Blamierten, Neubert an der Spitze, glaubt seine Lage zu verbessern, indem er auf Schadenersatz verzichtet. So erhält Neumerkel sein Geld wieder zurück und ist Sieger auf der ganzen Linie. Der große Fabrikant dagegen ist ein schlechter Verlierer, der einfach davonläuft und vergißt, das Freibier zu bezahlen. Mit ihm wird mehr ausgetrieben, und die Leute auf der Bühne und im Parkett lachen über mehr als über den Knicker. Ausgetrieben werden ja die Mächtigen und Amtsgewaltigen, wenigstens hier, wenigstens für diesmal. Das Stück endet mit einem Zusammenschluß im kurzfristigen Triumph, der aktuell auf die politische Teilniederlage der gesamten kapitalistischen Partei und aller ihrer Fraktionen in der Wahl zielt, aber eine weitere Perspektive hat. Hier findet ein demokratischer Zusammenschluß statt — auch in den Impulsen, die das triumphierende Gelächter der Sieger auf der Szene vermittelt —, ein demokratischer Zusammenschluß, der eine sozialistische Tendenz hat. Hier wird etwas von jener „Wand" spürbar, auf die der Wortwechsel zwischen dem strammen sächsischen Ordnungshüter und dem Gesellen Neumerkel hingedeutet hatte. Uns wird die heitere Gewißheit, daß einst diese „Wand" dem Kapitalismus ein Ende setzen wird. Die Komödienhandlung erscheint nun als ein siegreiches Vorpostengeplänkel der Revolution, als eine Etappe der Klassenkämpfe, in der sich die Kräfte formieren. Das Stück wird selbst zu einem Faktor dieser Formierung; auf neue Weise verbindet es diese frühe Etappe mit dem Ziel der Bewegung.

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Münchow, Dramatik I I I

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IM HINTERHAUSE DRAMA IN V I E R

von Ernst

AKTEN

Preczang

PE R S O N E N

Wilhelm Gensicke Frau Gensicke Klara Gensicke Hermann Petzold, Mechaniker Paul Streling, Buchhalter, Zimmerherr Gensickes Jakob Lenzke, Winkeladvokat Helene Lenzke, Kellnerin v. Wantritz Behrens, Prokurist Die Handlung spielt an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Vorort von Berlin. Zeit: Gegenwart

l. AKT Einfach, nicht ärmlich ausgestattetes Wohn- und Schlafzimmer der Familie Gensicke. Dasselbe wird durch eine starke parallel der Hinterwand gezogene Schnur getrennt, die einen nach rechts zusammengeschobenen Vorhang trägt. Rechts vorn', ein Schlafsofa davor Tisch und Stühle; rechts hinten: eine Kommode, darüber ein Spiegel. Hinterwand rechts: ein großes Fenster mit Aussicht auf bewaldete Berge; am Fenster eine Nähmaschine. Links: eine mit Betten übervoll beladene Bettstelle, sowie eine hoch gestellte Matratze. Links hinten: eine zum Zimmer Strelings führende Tür, die zum Teil durch einen Schrank verstellt ist; links vorn: allgemeiner Ein- und Ausgang. Es herrscht Sauberkeit und Ordnung. Die Lage der übrigen Räume ist wie folgt gedacht: auf dem Korridor links die Stube Strelings, rechts die Küche Gensickes und weiter nach dem Treppenausgang zu die Lenzkesche Wohnung. Bühneneinrichtung unverändert in allen Akten. Es ist Winterabend. Gensicke, ein Mann in den Fünfzigern, mit einem gelähmten Bein, sitzt lesend in einer Sofaecke. Frau Gensicke, Ende der Vierziger, hager und zähe, plättet; das eine Ende des Plättbretts ruht auf dem Tisch, das andere auf der Stuhllehne. Klara Gensicke, zwanzigjährig, ist über ihrer Näharbeit (einem seegrünen Seidenstoff) eingeschlafen. FRAU GENSICKE nach einer kleinen

Pause:

De wirst et doch schaffen bis morjen Abend, was, Kläre? - Kläre! — Ick jlobe wahrhaftig, das Mächen schläft schon wieder! GENSICKE:

Sie is zu müde, Mutter.

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FRAU:

Wat hilft's! Ick bin ooch müde! - Kläre! - Mach, Kind; halte dir nicht mit Schlafen uff! KLARA :

Aach! — Ich kann bald nicht mehr. Aufspringend. Ich w i l l auch nicht mehr! Ich gehe zugrund dabei! FRAU:

Papperlapapp! Watte mußt — kannste! GENSICKE:

Das is nich richtig, Mutter. Wenn der Mensch seine Kraft verbraucht hat — FRAU:

Ach wat! Verbraucht hat I — Laß bloß deine schönen Sprüche! Du hast klug reden! Wenn de morjens uffstehst sagste: Feierabend! Denn verkrauchste dir in deine Bücher und Zeitungen und läßt 'n lieben Jott 'n juten Mann sind. GENSICKE :

Was soll ich denn machen? FRAU:

Det Kind sollste zufrieden lassen! Wat soll denn werden, wenn wir alle nischt duhn? GENSICKE erhebt

sich:

Au! Das verdammte Been! Abgehend. Jaja. Was — soll — denn — werden, — wenn —! Ich — ich sag ja gar nischt. Nischt sag' ich mehr! Ab. FRAU :

Kuck mal nach't Feuer! Setz'n Kaffee w a r m ! - N a , Kläre, soll'ck dir noch 'ne Einladungskarte mit Joldrand schicken?

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KLARA widerstrebend an ihre Arbeit gehend:

Ich bin schon fast blind wie'n Maulwurf. FRAU:

Wenn die „Nixe" morjen ihr Kostüm nich kricht, is der Deubel los. Denn jeht doch de Welt unter! Denn sollste mal sehn, wie die „zarte und freundliche Bedienung" tücksch wird! KLARA:

Mag sie tücksch werden. FRAU:

So? So'ne feine Kundschaft kannste dir erst wieder suchen! Det jeht doch jetzt immer alles bar und blank! Seit se den Herrn „von" hat! Na, 'ck sage ja! Die vers t e h t druff z u l o o f e n ! Faßt den Stoff, an dem Klara

näht.

Kellnerin! Und denn sich sowat uffzuhängen! Was det kost't! Da könnten wir vier Wochen von leben! Und unsereens rackst und rackst und kann sich keenen neuen Flicken uff'n Leib koofen! KLARA:

Wahr ist's. Aber tauschen möcht' ich mit d e r doch nicht. FRAU:

Nee. Is keen Sejen bei. Liejt aber so in de Familje. De Mutter war ja ooch man 'n Flittchen. Und wo de Mutter nich in'n Takt is, da doocht de janze Familije nischt! — — Nee! Eh sowat, denn lieber arbeten, det een' de Hände bluten. Denn lieber Boomrinde kauen und Wassersuppe essen! Aber 'n bisken Charakter muß der Mensch haben! Det hält'n, det macht'n feste und bringt'n d u r c h ! Gensicke ist eingetreten. GENSICKE:

Charakter, ja! Siehste, Martha, d a s ! — d a s freut mir, wenn de sowas sagst! Merk's dir, Kläre! — Also: 's Feuer 5

brennt, Mutter. Nu kannste mir bald ganz als Heizer anstellen. FRAU:

Als Heizer sagste. Guck, wie bescheiden de wirst! 'n ehemaliger Maschinist als Heizer! Na, 'k derf jar nich dran denken! Wie haste dir gequält! Wie haste jestrebt und jearbet't. Und denn biste so weit, und denn haste die schöne Stelle — — verrückt möcht' man wer'n! GENSICKE:

Das verfluchte Been! Aber sie brauchten mir doch nich gleich g a n z 'rausschmeißen! Denn's is doch von die Arbeit, und sie wollen's bloß nich wahrhaben! „Sie haben jedenfalls zu viel geschnapst", sagt der Direktor, „Sie — Sie - " FRAU

abwehrend:

Weeß ja. Ick weeß ja! G E N S I C K E ZU

Klara:

„Sie sind doch noch'n Mann in den besten Jahren! Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehn. Wenn's 'n Unfall wär', wollt' ich nichts sagen", sagt der Direktor. Ja! — Naja! Es hätt' mir ja lieber soll'n das große Schwungrad 'rumschleudern — naja! — oder es hätt' mir soll'n 'n Zehnzentnerblock auf'n Leib fallen —naja! naja! — da — da wär't ihr besser dran, viel besser! Da gäb's ne' or'ntliche Rente, und ich wär eingebuddelt, und Ihr braucht't nich für mich zu schuften, für mich Faulenzer! KLARA:

Vater! Red nich immer s o w a s ! GENSICKE :

„Mit rechten Dingen!" Natürlich nich mit rechten Dingen! Bald wie'n Eiszappen, bald geschmort! „Geschnapst!" Bin'ch etwa 'n Säufer gewesen?

6

FRAU:

Nee, Willem. Das kann dir keener nachsagen! GENSICKE :

Also wie kommt der Mann dazu! Wie — wie kommt —. Es läutet im

Korridor.

FRAU:

Det war doch bei uns, Willem? GENSICKE:

Wie - wie kommt der Mann dazu! Geht ab und hehrt zurück

mit

Petzold,

fünfundzwanzig)ährig,

frische,

gesunde

Erscheinung. GENSICKE

erfreut:

Na, dir woll'n wir die Leviten lesen! dir — woll'n wir! PETZOLD:

Nabend allerseits! FRAU :'

Nabend, Herr Petzold. Leben Sie ooch noch? KLARA:

Bleiben Sie doch lieber gleich ganz fort! PETZOLD:

Kann schon bald kommen. Sehr bald! KLARA :

Was Sie sich auch aus unserer Gesellschaft machen! PETZOLD:

Zuviel vielleicht! — Woll'n uns wieder vertragen! KLARA: Aber zum letzten Mal!

7

PETZOLD:

Was ist'n das für'n Prachtgewand? Das hat doch mindestens 'ne Nixe bei Ihnen bestellt? FRAU:

Hm. 'ne Konjacknixe! PETZOLD:

Ach so: Lenzke's Lene. Alle Achtung! Ich dachte schon, Sie woll'n zum Ball. KLARA:

Ich und zum Ball! PETZOLD:

Weshalb denn nicht? KLARA:

Ich muß ja nähen — immer nähen. Und ich möcht' so gern med tanzen! Aufspringend. So recht lustig sein! Wild! Unvernünftig! Übermütig! GENSICKE

beschwörend:

Kläre! — Was das Kind manchmal für Gedanken kriegt! KLARA:

Ich bin kein Kind mehr! Hab'meine eigenen Wünsche! PETZOLD:

Es ist wahr, Vater Gensicke. I m m e r so im Alltagstrab — das macht stumpfsinnig. KLARA:

Man wird mürbe wie faules Holz. GENSICKE :

Mit dir, Hermann, mit dir — immerzu könnt' sie gehen. Aber etwa allein wie die Lene? Nee! Brav soll sie bleiben und ordentlich.

8

FRAU:

Nu jibb dir man. GENSICKE :

Hab' nichts mehr zu sagen hier, Hermann. Kann mir ja nich mal allein mehr ernähren. PETZOLD:

Nanu! Das meint doch keiner, das wird doch auch wieder anders. GENSICKE :

Nee, Hermann, es wird nich wieder anders! KLARA:

Das Bein bleibt steif, sagt der Arzt. FRAU:

Schöne Bescherung, wat? PETZOLD:

Donnerwetter, das ist hart. Das ist ja ganz verflucht Was denn jetzt?

!

FRAU:

Ja! Wat nanu! GENSICKE:

Nu geht's bergab, Hermann. Siehste: es hat einer mit zwei gesunden Beinen zu tun, daß er nicht purzelt. Und ich mit mein lahmes? Nee, nee! Ich weiß — ich weiß: es g e h t bergab! Dahin, wo sie ein' so warm zudecken, daß man nich wieder rausmag. PETZOLD:

Unsinn! Mancher kommt mit einem Bein weiter als ein anderer mit zweien. FRAU:

Vermiete dir man als Leichenkutscher.

9

KLARA:

Vater hat ja auch 'ne Eingabe an die Direktion der Fabrik gemacht — GENSICKE:

I r g e n d ein kleines Pöstchen will ich j a man bloß haben! Aber was soll'n die denn mit'm Invaliden. Sind ja junge, kräftige genug da. KLARA:

Ob's was helfen wird, das — Schreiben? PETZOLD:

Hm. Wenn die Herren grade gut gefrühstückt haben. FRAU:

Siehste! Wat sag'ck denn? Jar nischt, kannste sagen! Haben Se jebrat'ne Hühners und Schlampanjer, denn is jut! Denn wirste vielleicht ooch wat beseh'n. Hat de Köchin sich verjriffen, denn adje, denn schnapste Rooch. KLARA:

Sie spaßen, Hermann. PETZOLD:

Mir ist gar nicht so spaßhaft zumute. FRAU:

Die sagen sich: Haste umsonst jearbet't? Haste nich dein schönet Lohn jekricht? KLARA:

Lenzke kriegt doch sogar Pension. FRAU:

Lenzke! Hm! Lenzke war ooch in't Büro! Aber Vater? Bloß Maschiniste! - Maschiniste - was is'n det! 10

GENSICKE :

J a . Ich war man bloß Maschinist. Ich hatt' auch bloß zwei Augen, und die sollten überall sein! 'n schönes Lohn ? Naja, zuletzt war's 'n ganz schönes Lohn. Davon hätt' ich ja sparen können! Ich hätt' ja v i e r Treppen auf'n Hoff ziehen können und trocken Brot essen und Wasser trinken. Ich hätt' ja die Kläre nich in 'ne bessere Schule schicken brauchen! Da sitzt se nu. Was hat se von die bessere Schule? Daß se sich mehr Kopfschmerzen machen kann! Daß sie's doppelt fühlt, wie arm sie is. Versteh's schon, daß es da oben rebelliert bei ihr. Hat allerlei Begriff von was Schönes und was Großes, das es in der Welt gibt. Und denn hier eingesperrt sein bei uns! Und denn keine Jugend und keine Freude! Ich kann mir nich helfen, Hermann! Wenn ich das so seh', und ich seh', wie sie schuften müssen für mich — mich Faulenzer! —, die ganze Welt könnt' ich in Klump schlagen! — Wenn's nich anders mit mir wird, nich besser — wenn'ch nich mal mein lumpig's bißchen Futter verdienen kann — ich tu' was, ich tu' was, daß ich mich über nischt mehr zu ärgern brauch'! Über nischt! KLARA hält sich die Ohren

zu:

Ach — du! Du! So entsetzlich zu reden! FRAU:

So! Also wenn dir mal wat jejen 'n Strich jeht, jleich möchste de Welt in Klump schlagen. Wenn wir alle so sagen wollten! Det wär' wat! Det wär' wat! Denn möchte bald keen Stücke mehr stehn! — Du hast ein' Ärger — jut! Ick meinen ooch. Aber dette nu immer dasitzt und simmelierst und studierst, wie de dir det Leben man bloß so schwer wie möglich machen kannst, det versteh'ck nich! Hast doch früher immer so jedahn als wie: mir kann keener! Oft jenug haste jesagt: man muß alles an sich 'rankommen lassen, und wenn't der Deubel is! Und nu? Duhn willste wat! So! Na! Nee, da muß't denn doch noch schlimmer kommen, eh'ck mir feige drücken duh von't Leben! Weg mit der Jammerei, sag' ich! Kopp hoch! Anpacken sag' ick! Wat's is! Ii

Janz ej al! Aber unterkriej en lass' ick mir nich! I c k nich! Solange die Hände hier noch'n Bolzen halten können und die Beene noch die Treppen ruff- und runterkommen, so lange red' ich noch'n Ton mit! So lange hab' ick keene Z e i t z u m W e e n e n ! Wendet sich energisch

ihrer Arbeit

zu.

PETZOLD:

Bravo, Mutter Gensicke! Das ist doch'n Wort! Anpacken aber sich nicht packen lassen! — Herrgott, wer solche Frau hat! — Na, und wenn alle Stränge reißen, bin ich doch auch noch da! GENSICKE :

Das wär's letzte. PETZOLD:

Nur soviel wär's, als wenn einer Schulden bezahlt. Sie haben damals, als mein Vater starb, manches für mich getan. GENSICKE:

Sei still, Hermann. PETZOLD:

Nee! Das ist doch'n ganz verkehrter Stolz, wenn einer nicht das wiedernehmen will, was er gegeben hat. GENSICKE:

Ich hab's mir nich angeschrieben. Geht ab. PETZOLD:

Nu ist er beleidigt - Frau Gensicke - ? FRAU:

Sagen Sie mal, Herr Petzold, for wat halten Sie uns eijentlich? Meenen Se, mir leb'n ufE Pump? Denken Se, wir sind Bettelleute! Dazu sind wir uns denn doch noch zu jut! Sie werden Ihre paar Kröten woll alleene dotschlagen können. 12

PETZOLD:

Naja. Was das anbelangt. Das krieg' ich schon noch fertig. Entschuld'gen Sie man! Ich wußte nicht, daß Sie aus Spanien stammen. FRAU:

Jott na! Sie sind doch ooch immer jleich oben raus. PETZOLD:

Ich würde Sie mit ruhigem Gewissen anpumpen. FRAU:

Wenn't jinge. - Wissen Se noch: in Ihr letztes Lehrjahr? „Nu muß ich mich allein durch's Leben brignen!" Da hat eener lieber mit leeren Magen Jutnacht jesagt, eh' er man bloß noch 'ne Schmalzstulle von Jensickes jenommen hat. Dabei Backen! Fett wie 'ne Backpflaume! Und rot? Wie Mehlsuppe! PETZOLD: O l l e K a m e l l e n ! Man

hört im Nebenzimmer

pfeifen.

Wer ist'n das? KLARA:

Mutter hat das Zimmer wieder vermietet. Den müssen Sie kennen; der ist vor kurzem aus Amerika wiedergekommen. PETZOLD:

Ach, der Streling etwa? Der wohnt hier? KLARA :

Sie sagen das ja so merkwürdig. FRAU

provozierend:

Det is'n Mensch, wie er in de Welt paßt! PETZOLD: D e r ? N a j a ! Er tritt zum

Fenster.

13

KLARA

lachend:

D e r ist lustig! Und erzählen kann er! -

Es

klopft.

FRAU:

Herein! . . . verlebt,

Streling,

einige

Jahre

tritt ein und bleibt rauchend

älter als Petzold, an der Tür

etwas

stehen.

STRELING:

Ich habe doch Familienanschluß? FRAU:

Allemal. Bitt' schön, Herr Streling. Streling: 'n Abend. Ich grüße Sie, weiße Rose. KLARA:

Fangen Sie schon wieder an? STRELING :

Indianersprache. Ich bin doch nu mal so'n poetischer Hecht. Bemerkt Petzold. Pardon! Streling. PETZOLD : Ich kenne dich, Paul. STRELING:

Ah, Petzold, du bist's! Laß dich umarmen, alte Krauthacke. PETZOLD:

Das hätt'st du neulich schon haben können, wie wir uns auf dem Fabrikhof begegneten. STRELING

verlegen:

Ach so. Naja. Gewiß. Aber sieh mal: Du hast drei Kreuze in der Personalliste. D r e i Kreuze! Begreifst doch. Kannst du's mir da verdenken, daß ich 'n bißchen zurück14

haltendbin ? Man will sich doch keine Laus in'n Pelz setzen. Bin zufrieden, daß ich da im Fabrikkontor gleich ein Unterkommen gefunden habe. Da denk' ich zu bleiben, alt zu werden, eine Glatze zu kriegen und die Tage meines Erdenwallens in Ruhe zu beschließen. FRAU:

Janz recht, Herr Streling. Wat der Mensch hat, muß er f e s t h a l t e n ! Sie räumt ihre Arbeit

beiseite.

PETZOLD:

In Ruhe zu beschließen! Atem ausgegangen? STRELING

pathetisch:

Des Lebens Blütezeit liegt hinter mir. PETZOLD:

Dann kannst du ja jetzt Früchte tragen. STRELING:

Pack' doch ein mit den Gleichnissen. Ja! Wenn die Schmetterlinge nicht wären, die schönen bunten Schmetterlinge ! PETZOLD:

Und die Raupen! Alle

lachen.

FRAU:

Wir woll'n denn erst 'n Stülleken essen, Kläre. Ab. KLARA, ihre Arbeit

verlassend:

Ist ja 'n merkwürdiges Wiedersehen. So herzlich. Zu Petzold. Aber Geschichten weiß der Herr Streling. Zu diesem. Wahr ist doch alles? STRELING:

Bis auf 'n paar Verzierungen. 5

Münchow, Dramatik III

15

KLARA:

Die sind vielleicht grade das Schönste. Ach, ich möcht' auch reisen. Etwas sehen, etwas erleben — jeden Tag was Neues! Am Fenster. Ein Abend ist das wieder! Sterne über Sterne! Wendet sich plötzlich ab. Was geht's mich an! Ich bin ja doch eingesperrt hier. Wünschen und Wünschen. Weiter nichts. PETZOLD:

Die Erfüllung ist auch nicht alles. KLARA:

Aber etwas Bestimmtes! Etwas Festes! Nicht nur Nebel, nicht nur Luft! STRELING:

Wißt Ihr, was das Gescheit'ste ist? Garnischt zu wünschen ! Wunschlosigkeit! PETZOLD:

Na also, Großvater! KLARA:

Denk' ich auch manchmal. Gar keine Gedanken haben. Einfach so hoch wachsen wie'n Baum. PETZOLD:

Herrlich! Großartig! Hintrotten wie 'n Milchtier. KLARA

heftig:

Sie reden immer, als ob Ihnen die ganze Welt gehört! PETZOLD:

Tut's auch! Soll ich Ihnen ein Stück abgeben? Woll'n Sie Afrika? Asien? Australien? Den Mond oder Mars? STRELING:

Verschwender!

16

KLARA:

Ach! Grad' so'n armer Schlucker wie wir! PETZOLD

lacht:

Neid! F R A U in der Tür:

Kläre; ick denk', de hast Hunger? Ab. K L A R A ab. Pause STRELING:

Merkwürdige Luft hier. So schwer. PETZOLD:

Wie kommst du da 'rein? STRELING:

Weißt du, was Liebe ist? PETZOLD:

. . . Du hast doch nicht etwa Absichten? STRELING:

Ja. Hier nebenan. Auf Lenzkes Lene. Hatte ich! Erfolgreich sogar. Und weil hier gerade ein Zimmer leerstand, zog mein liebendes Herz da ein. Die Sache ist übrigens erledigt. Singt: „Und als das Geld verschwunden war, war's mit der Lieb vorbei." Verstehst du? Glücklicherweise hat sich bereits Ersatz gefunden: ein Baron oder sowas. Gönnen wir es ihr. Sie hat das Leben richtig erfaßt. — Schwamm drüber! Humbug ist's! Täuschung! Blödsinn! P E T Z O L DSchwindel! : Dich haben Sie nett zugerichtet da drüben! Mensch, ich sehe dich noch vor mir — bei deiner Abreise, damals. 5*

17

Mit Pose. „Meine Ideale treiben mich über das Meer" sagtest du. „ H i e r kann ich mich nicht ausleben! Unser Vaterland ist zu klein dazu." So ähnlich war's doch? STRELING

lacht:

Ich hab' mich gründlich ausgelebt! — Ach was, das liegt alles so weit hinter mir, daß ich's kaum noch sehe. Ich weiß nur, daß ich in einen verkehrten Strom geriet. Suchte die Frau. Oder vielmehr: die Frauen. — Und es fing so gut an! Famose Stellung, reichliche Dollars. Diese Dollars! Sie drehten sich in einem fort. Und ich mit ihnen. Bis ich schwindlig wurde. Plumps. Der Herr lag im Dreck. Seitdem kann ich meinen Rock noch so oft bürsten — sauber wird er nicht. Nur immer fadenscheiniger. Alles drängte auf den e i n e n Weg. — Na, das große Feuer ist im Erlöschen. Ein Aschenhaufen mit einigen versteckten Funken — so siehst du mich. Schwamm drüber! PETZOLD:

Schöner Wahlspruch. STRELING:

Der Gipfelsatz meiner Philosophie. Das Resultat meines Daseins. PETZOLD:

Eine bequeme Philosophie. STRELING:

Das Leben lohnt die Unbequemlichkeiten nicht. PETZOLD:

Na! Pause. Willst du hierbleiben? STRELING:

Warum nicht. Der Alte ist ja 'n bißchen merkwürdig. Aber die Frau ist a u f m Posten; das Zimmer billig. 18

Und - man sieht die Straße n i c h t - ; die brennenden Laternen, die Menschen — kann ich nicht vertragen. Erschüttert meine soliden Grundsätze. — Ja! Und dann das Mädchen! Diese weiße Rose! So hab' ich sie nämlich getauft, weil sie so zart und blaß ist. Die ist q.uch nicht dumm etwa! Gehört überhaupt gar nicht hierher. Merkwürdiger Schlag! W i e — n a , wie soll ich sagen: wie so'n halbersticktes Feuer. Beim ersten Luftzug schlägt's flammenhoch. Und doch wieder so geduldig, ach, so ergeben! Kuriose Mischung. Wunderst dich über den alten Sünder, wie? Ja — es geht sowas Moralisches von ihr aus. Mo-ra-lisches! Lacht. Hast du schon mal diese brennenden Augen bemerkt? PETZOLD:

Du! Jedenfalls läßt du die Hand von dem Mädchen! STRELING:

Nanu? Wie — wie meinst du das? PETZOLD:

Ich meine, sie ist keine Lene! Deine greisenhaften Ansichten allein können schon einen Menschen ruinieren. STRELING:

Ist das nur so ein freundschaftliches Interesse? PETZOLD:

Was kümmert's dich! STRELING:

Du wirst doch m i c h nicht fürchten? Ich w a r vielleicht einmal gefährlich. Schwören möchte ich ja nicht auf mich. Aber welches Weib mit klaren fünf Sinnen verriete sich an einen Mummelgreis, wenn es weiß, daß vor der Tür ein junger Herkules wartet? PETZOLD:

. . . Wüßte sie's nur! Sie ahnt's vielleicht.

19

STRELING:

Sie ahnt's! Hahaha! So etwas will man Mensch, greif zu, wenn's dir ernst ist!

wissen!

PETZOLD:

Ich hätt's schon getan, wär's mir weniger ernst. STRELING:

Ach soo. Du gehörst zu den Leuten mit den „ehrlichen Absichten"! Wartest auf die „befreienden Umstände", wie? Auf die unerschütterliche Existenz! Laß' dir die Zeit nicht lang werden, mein Junge. — Morgen wirst du mich verstehen. PETZOLD:

Ich verstehe dich heute schon. Ich weiß, daß morgen Sonnabend ist — ein Tag des „großen Reinemachens". STRELING:

Ja, mein Lieber! Morgen wird die Fabrik von den — Rädelsführern gesäubert! Aber gründlich! PETZOLD:

Ah, diese Räubersprache! „Rädelsführer"! Lacht. Das sind die mit den drei Kreuzen, was? Gut. Das ist mir grad' soviel, als ob 'ne Fliege hustet. Ich wär' schon lange über alle Berge, wenn ich die Sache mit dem Mädchen ins reine hätte. Wie oft hab' ich hiergestanden und wollte loslegen. Glaubst du, ich bring'n Ton 'raus? Wenn ich sie schon seh': so gedrückt, so gar kein bissei Kraft und Aufrecken — ja, so'n Weib kann i c h doch nicht etwa gebrauchen! Ich ging f o r t - j e t z t war ich vier Wochen lang nicht hier —, kam wieder, ging wieder fort; kurz und gut: mir blieb immer wieder das richtige Wort im Halse stecken, sobald ich sie ansah! STRELING:

Und immer wieder ließest du dir einen Band Philosophie durch den Kopf gehen, statt das Mädel einfach in die 20

Arme zu nehmen und abzuküssen. Siehst du, so hab' ich's gemacht! Ah, wie oft! Wie oft! PETZOLD:

Und wo sind die? STRELING:

Nur von einer weiß ich ich las von ihr im Polizeibericht. - Es hat mich wahrhaftig angegriffen! Sogar 'n paar Tränen hab' ich schwimmen lassen. — Du! Das will viel heißen bei mir! Sieht vor sich hin. Gift hat sie genommen. Plötzlich. Ah was, Schwamm drüber! PETZOLD:

Schwamm drüber! Die Sache ist erledigt! Was? D i e Sache! STRELING:

Ah, Sache oder nicht! Ich weiß nur, daß wenn einer regelrecht verschossen ist, er den Teufel darnach fragt, was drum und dran hängt! Meinst du, ein Weib tut's? Wenn's nicht grade aus der Liebe ein Rechenexempel macht, ganz gewiß nicht! Und das Mädel hier rechnet nicht! Sicher nicht! — Paß auf, daß du nicht zu spät kommst! PETZOLD:

Was heißt das? STRELING :

Zufassen! - Morgen! Heute! Gleich! PETZOLD:

Ja. Eine Gewißheit muß ich mit mir nehmen! STRELING:

Nimm sie selber mit. PETZOLD:

Und hier? Was wird hier? 21

STRELING:

Kümmert das dich? PETZOLD:

Ob mich das kümmert?! Er geht zum Fenster,

Klara

tritt

ein.

KLARA:

So! Nun bin ich wieder ganz lebendig! Was sollte nur aus einer armen Näherin werden, gäb's keinen Kaffee! Das Pfund für achtzig Pfennige! — Was machen Sie denn da, Hermann? STRELING:

Er sucht ein Licht für seinen Lebensweg. PETZOLD:

Klara, wollen Sie einen Spaziergang mit mir machen? KLARA:

Huh! Was ist das für ein Gesicht? PETZOLD lacht

gezwungen:

Das Wetter ist so schön. KLARA :

Der Witz ist nicht schön. PETZOLD:

Es ist kein Witz. — Auf eine Stunde. KLARA:

Wär nicht übel. Am Fenster. Wunderschön ist's, wenn es so unter den Füßen knirscht. Sich die kalte Luft um's Gesicht streichen lassen — und über die weißen Felder seh'n — ja, schön wär's. PETZOLD:

Kommen Sie. 22

STRELING:

Gehen Sie, weiße Rose! Morgen ist vielleicht 'ne Finsternis. KLARA:

Meinen Sie's wirklich im Ernst? Ich tu's nämlich! Am Schrank. Ich ziehe mich an! — Es ist Scherz, nicht? PETZOLD:

Nein, nein, nein! KLARA:

Nein? Herrlich. Eins, zwei, drei bin ich fertig! Gensicke. Frau Gensicke mit

Strickzeug.

FRAU:

So. Nu woll'n wir uns in de Ecke setzen und n' bißken Rentjeh spielen. - Nanu? Wat soll'n det wer'n, Kläre? KLARA :

Ich geh' aus. FRAU:

Du jehst - ?! KLARA:

Ja, Ich geh' mit Hermann aus. Der Abend ist doch so schön, nicht? FRAU:

Wat jeht dir der Abend an! — Spazieren]ehn! — Biste denn mit deine Arbeet fertig? KLARA:

Mir gleich: Jetzt will ich 'raus. Ich m u ß 'raus, Mutter! FRAU:

Hier bleibste!

23

Klara : Hermann, ich komme mit. F r a u bei ihr: Det heeßt! - Ausjezogen! - Erst de Arbeet fertig] emacht! Denn meintwejen jeh du! Klara: Laß mich los! Bin ich denn nur für andere da? Frau: For andre? Nee, fordir! foruns! for de Familje! - Da! — kuck dein' Vater an! Soll'ck noch mehr sagen?! Gensicke: Laß sie, Mutter! Laß sie gehn! Geh' du— geh' du man, mein Kind - mit - mit Hermann. — Am Schrank, einen Winterpaletot nehmend. Mutter, ich wer', ich wer' ja schon wieder, ich wer' ja schon wieder was finden. Ich wer' ja schon wieder was F r a u entreißt ihm den Paletot: Nu macht mir aber nich ooch noch verrückt! Ick jlobe gar: Arbeet suchen, wenn alle Welt Feierabend hat! Gensicke : Nee, Mutter! Nich alle Welt! Nich - alle - Welt! Da - da, siehste denn nich! Sie is jung, Mutter! Wir haben kein Recht, sie zu halten! F r a u nimmt Klara das Jackett ab: Keen Recht? Det is einfach verdammte Schuldigkeit! — Wat soll'ck denn bloß zu so'ne Dummheiten sagen! Klara: Ja, Dummheiten! Frau: Na? - Marsch! Da hinjesetzt! Und nich jemuckst! 24

Lenzke, schon vor dem Eintritt hörbar, kommt. LENZKE singt:

„Grüß euch Gott alle mit'nander, alle mit'nander, alle mit'nander!" STRELING :

Wieder lebendig, Jakob? LENZKE :

Auferstanden! Es war nur ein vorübergehendes Unwohlsein, hervorgerufen durch eine akute Alkoholvergiftung. Ich muß mir den Frühschoppen abgewöhnen, denn er ist ein Laster! Ein schönes Laster, aber — ein Laster! — Wilhelm! Freund! Wie sitzest du da? Warst du es, den deine Alte auszankte? Und dort — ich täusch' mich nicht! — tropft's dem schönen Klärchen aus den Augen. Zu Frau Gensicke. 0 Weib, was hast du angerichtet! FRAU:

Putzige Kruke! LENZKE:

Reden Sie nicht von Kruken! Es erinnert mich an Kräuterlikör. — Was also ist, ich will es wissen! FRAU:

Wat wird'n sind! Spazierenjehn will se! Die jrünseidene Nixe will seliejenlassen! Was? Wenn de Lene morjen nich als Seejumpfer antanzen kann, det wär' wat! LENZKE:

Allerdings. Sie ist penibel in solchen Sachen — meine Lene. PETZOLD:

Machen Sie sich nur keine Sorge, Lenzke. Sie seh'n j a : es war nur Spaß. E s ist überhaupt alles Spaß! Die Welt ist ein Kasperletheater, und wir sind die Puppen. Immer hübsch am Faden tanzen! Nur keinen freien Schritt. 25

FRAU:

Ihn' hält ja keener, Herr Petzold! Verstehn Se det? PETZOLD:

Och ja. Versteh' ich sehr gut. Aber vielleicht kommt noch jemand mit. Greift zum Hut. Kläre! Schmeißen Sie das Zeug da für heute beiseite! K L A R A erhebt

sich:

Ja! Ich lass' mir das nicht mehr gefallen! F R A U schnell bei ihr:

Daß du dir unterstehst! Drohend auf Petzold zu. Herr Petzold!! PETZOLD:

Geh schon. Es ist so 'ne artige Tochter. Da brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben. Ab. LENZKE:

Und ich sag': die Welt ist ein Kasperletheater! Was, oller Amerikaner? Riesenulk, die ganze Muschpoke! — Hitzkopp, der junge Mann. Muß erst abklären, der Wein — wie bei dir. STRELING :

Ich — abgeklärt? Naja — 'n bißchen sehr. L E N Z K E ZU

Klara:

Kommen ja noch mehr schöne Abende, was? KLARA:

Wer kann's wissen? LENZKE:

Nanu! Wär' ja noch besser! — Seid lustig, Kinder! Hier bei euch krieg'ich Asthma. Es ist immer so angstvoll da. 26

GENSICKE :

Mir is auch angst, Jakob. Weißte, wie mir is? Als ob ich falle — tief, immer tiefer — und weiß nich wohin. FRAU

drohend:

Willem! LENZKE:

Unsinn. Vergnügt! Vergnügt! GENSICKE:

Wer nich arbeitet, darf sich nich freuen. STRELING

lacht:

Auch'n Standpunkt! LENZKE:

Pst, Paulchen! Es liegt ein Körnchen Wahrheit drin. Einen Beruf muß der Mensch haben. Dann schmeckt's noch mal so gut. Darum hab' ich auch mein Büro aufgemacht. Viel Verdienst gibt's ja nicht. Aber das Bewußtsein ! Das Bewußtsein, das ist's! STRELING:

Netter Beruf! Alle vier Wochen ein Kunde mit einer Steuerreklamation, was, Herr Rechtsanwalt? LENZKE:

Rechtsanwalt? Sage lieber: Anwalt des Rechtes! Wilhelm! Habe ich dir nicht ein glänzendes Schriftstück aufgesetzt? Ein Dokument, das mit haarscharfer Logik dein Recht auf Arbeit nachweist? FRAU:

Allet wat recht is: schön geschrieben war't. STRELING :

Aber nützen wird's nischt. 27

LENZKE :

Was? Paulchen, reiß' keine Witze! FRAU:

Wissen Se wat, Herr Streling? GENSICKE :

Sagen Sie's nur grade raus. STRELING:

Es handelt sich doch um Ihre Eingabe wegen irgend einer Beschäftigung? Naja. Die Antwort ist heute ausgefertigt und auf die Post gegeben. Die Direktion bewilligt Ihnen eine einmalige - letztmalige Unterstützung von fünfzig Mark. GENSICKE:

Und - und Arbeit? STRELING:

Leider — nein. G E N S I C K E fällt stöhnend mit dem. Kopf auf den

Tisch:

Nu is es aus! KLARA:

Vater! FRAU:

So! Hahaha! — Ja! Schufte dir de Knochen kaputt, arbete, bis de kabolzschießt; holl' dir de Jicht oder 't Podraga oder de Schwindsucht! Aber wenn de nich mehr kannst, sag' ick dir: wenn de Arme oder Beene Feierabend machen, denn: 'raus uff'n Damm! Und hier haste'n paar Fennje, dette dir'n Strick kofen kannst! STRELING:

Ist doch besser wie gar nichts. 28

LENZKE :

Ein Pappenstiel ist's! Vernagelt sind se! Geizige Hamster sind's! War's denn nicht maßvoll? Hab' ich nicht bescheiden geschrieben? FRAU:

Der Deubel hol' die Bescheidenheit! LENZKE:

Keinen Pfennig nehm' ich mehr von da! Ich pfeif auf die Pension! Wilhelm, ich arbeite mit dir! Wir beide zusammen! Fort mit der Liederlichkeit! sag' ich! STRELING:

So seh'n die Folgen der Streikerei aus. GENSICKE :

Was? STRELING:

Denken Sie mal nach! Vor drei oder vier Jahren, heißt's, war' hier 'n großer Ausstand gemacht. An der Spitze: Gensicke! FRAU:

Wat ha'ck dir damals jesagt! Seid zufrieden, det'r Arbeet habt! GENSICKE :

Und hast dir danach gefreut, daß ich mehr verdiene. FRAU :

Janz ejal! Erzähl'n Se, Herr Streling. STRELING:

Das ist sehr einfach. Die Direktion sagt sich jetzt eben: Hat der Mann damals ohne uns leben können, mag er auch heute zuseh'n, wo er bleibt. Ist doch auch ganz 29

logisch. Ich muß Ihnen offen gestehen: Ich wundere mich geradezu über die fünfzig Mark! Wär' ich Direktor, ich hätt' keinen Pfennig bewilligt! „Geh hin", würd' ich sagen, „zu den Agitatoren, die dich verhetzt haben! Die mögen jetzt für deine Dummheit aufkommen!" Rücksichtslosigkeit gegen Rücksichtslosigkeit! GENSICKE :

So! Nu — nu muß ich Ihn' aber doch mal was sagen, Herr Streling! Ich achte jede Meinung, was wirklich 'ne ehrliche Meinung is! Aber was Sie da sagen, das ist'n Gefasel! Das — das ist 'ne Frechheit, sowas zu sagen zu mir altem Mann. „Dummheit"? In meinem kleinen Finger hab' ich mehr durchgemacht als Sie in Ihrem leichtsinnigen Kopf! „Dummheit" ? Was wissen Sie denn aber vom Leben, vom wirklichen Leben, das keine Spielerei ist! Siebzehn Jahre hatt' ich schon geschuftet da! Siebzehn Jahre! Wochentag für Wochentag! Und manchen Sonntag! Und fragen Sie mal, ob Wilhelm Gensicke seine Schuldigkeit getan hat! Ob ich nich gearbeit't hab', als ob's meine Fabrik wär!' Davon ist das! Bein. J a ! Und eines Tages kommen wir dazu und sagen: So geht's nich weiter und woll'n fünf Pfennig Lohn mehr für die Stunde. Und sie tun's nicht. Darauf sagen wir: Feierabend! Und lassen die Feuer ausgeh'n und halten die Maschinen an. Begeistert. Feierabend! Und keine Hand rührte sich! Und wir versprechen uns: lieber .zu hungern als nachzugeben! Und was'n ehrlicher Mensch ist, der hält, was er verspricht, und wenn ihm's Elend wie'n Zentnerblock im Genick sitzt! Zusammengehalten haben wir wie die Kletten! Und nach vierzehn Tagen haben sie uns wiedergeholt. Warum? Weil diese Hände hier sein müssen, wenn die Räder laufen sollen! Da haben wir eingekachelt, daß die Flammen aus'm Schornstein geschlagen sind! 'ne Freude war's! — Und wissen Sie, wer mit bei den ersten war, die aufhörten? Ihr Vater! „Willem", sagte er zu mir, „freiwillig geben sie uns nichts, da werden wir's uns nehmen! Sie soll'n sehn, daß wir Menschen sind und'n Willen und 'ne Ehre im Leibe haben!" - Von „Hetzern" sagen Sie da auch was. Wissen Sie, wer die Hetzer sind? Die, welche nicht .30

mit uns reden wollen als Menschen! Die, welche mit uns umgehn möchten wie mit 'ner S a c h e ! Da liegt der Haken! Da! — Seh'n Sie mich an: ruiniert bin ich Zeit meines Lebens! Wofür hab' ich mich ruiniert? Für mich etwa? Und hab' nich so viel, daß ich leben kann! Hahaha! Bin ich nicht wert, daß ich irgendwo mit'm kleinen Posten mein Brot verdienen kann?! — Ah, Ihr Vater müßt' Sie hören! „Schäm'dich!" wür'd, er sagen „wie wenig du gelernt hast! Pfui!" würd' er sagen, „pfui! Du Küken!? Du - du - Kindskopf!" FRAU:

Mann! Mann! STRELING:

Hahaha! „Pfui!" Weil der Sohn vernünftiger ist als der Vater. Lachhaft. Na, mit Ihnen kann man nicht streiten. — Komm, Jakob, werd' mich aufregen! Ab. LENZKE :

Ja, ja, ja! Ganz unrecht haste nicht, Willem. Wenn man bloß immer wüßte, wie's ausgeht. Mein Schreiben ist jedenfalls nicht schuld. - Gutnacht, Wilhelm. Wird schon alles wieder werden. In der Tür: Nur nicht'n Mut verlieren. Nur nicht'n Mut — Ab. FRAU:

So! Also mit de Fabrik biste fertig - selber Und nu hier den jagste ooch noch 'raus! denn eijentlich, wat werden soll, wenn so'ne Jastfreundschaft bedankt und de 'n paar Monate leersteht?

haste schuld! Wat denkste der sich vor Bude wieder

GENSICKE :

Soll ich mir in meine eigene Wohnung von so'n Kiekindiewelt beleid'gen lassen? FRAU:

Ach wat! Kiekindiewelt! Der's jescheuter wie ihr Ollen! Der weeß, wodruff't ankommt! Überhaupt: det wir 6

Münchow, Dramatik III

31

uns mal klarwerden! D e i n e Wohnung, sagste. Det 's mir janz wat Neuet! Wer kommt denn hier für alles uff? Wer schuft't denn vom frühen Morjen bis späten Abend, dett'n de Puste ausjeht? Du oder wir? KLARA:

Sei still, Mutter! FRAU:

Wer näht und näht Tag for Tag? Wer scheuert, flickt und plätt't und loft sich de Beene kaputt bei't Zeitungsaustragen? ' KLARA:

Mutter! FRAU :

Von deine paar Invalidenj roschen könn'n wir doch nischt kochen! KLARA :

Pfui! Pfui! GENSICKE :

Laß, Kläre, laß! Sie hat recht. FRAU :

Ja! Ick h a b ' recht!! Und nu wer'k seh'n, ick's noch mal jutmachen kann! Ab. KLARA

ob

erschüttert:

Vater! Nimm's ihr nicht übel! Sie weiß ja nicht, was sie spricht! GENSICKE :

Ich hör's aber. Und das sticht. Das ist wie Gift — jedes Wort, jedes! - Das tut so weh, Kläre, bitter weh tut's. Ich halt's nicht mehr aus — ich kann's nicht mehr!

32

KLARA:

Vater! Um Gottes willen, Vater! — Sie darf's nicht wieder sagen! GENSICKE :

Wenn auch nicht — wenn's auch nicht so gradaus gesagt wird; ich fühl's doch. Hinter jedem Wort steht's: . . . Du — du Faullenzer! Du — Faullenzer! KLARA:

Es ist doch nicht deine S c h u l d ! - U n d i c h arbeite doch so gern für dich! GENSICKE :

Ich glaub's, mein Kind, du bist brav. Warum wohl keiner Pause. Klara, magst du den Hermann leiden? KLARA

erschrocken:

Vater! Ich weiß nicht. Er denkt wohl auch nicht daran. - Es ist bloß Mitleid, glaub' ich. GENSICKE :

Mitleid? Ist es schon so weit mit uns? Frau

Gensicke.

FRAU beruhigt:

SO! Det hätten wir noch mal wieder injerenkt. 'ck sag' j a : 't i s ' n v e r n ü n f t i g e r M a n n ! Setzt sich auf's

Sofa.

Deine

Uffrejung hält er't zujute. Aber't darf nicht noch mal vorkommen. — Meinswejen denk' doch, watte willst, aber reiß mir nich meine Proschekten um! Sie schraubt an der Lampe,

schon tung! tion" sind.

die im folgenden

tiefer brennt.

Petroljum

wieder alle! Wat det jetzt kost't mit die Beleuch— Sie erhebt sich. Denn mag meinswejen die „Direkjut oder schlecht frühstücken — mir soll't ejal Denn komm'n wir schon durch. Dafor laß m i r

s o r j e n ! Sie geht in den Hintergrund

und deckt das Bett ab.

Willem! 6*

33

GENSICKE in sich versunken, hört nicht. FRAU nicht zornig: Willem! Sei so jut. Gensicke geht zu ihr; sie legen die Matratze auf den boden. FRAU verteilt die Betten auf Bettstelle, Matratze, Dann zieht sie einen Wecker auf:

Fuß-

Schlafsofa.

Halb zwölfen. Fünf Stunden derfen sich de Ferde ruhn. — Kläre! - J o t t , is det Kind müde. Kläre! KLARA, die, den Kopf in beiden Händen dagesessen,

zornig,

schluchzend: Mutter! Mutter!

2. A K T Abenddämmerung. Gensicke liegt lang auf dem Sofa in ruhigem Schlafe. Klara sitzt, tief auf ihre Arbeit gebeugt, am Fenster. Als Gensicke aufstöhnt, geht sie auf den Zehenspitzen zu ihm. Dann tritt sie ans Fenster. Es läutet schrill im Korridor. Sie erschrickt und geht hinaus, um zu öffnen. Sobald die Zimmertür geöffnet wird, dringen aus der Lenzkeschen Wohnung die Töne einer kleinen Drehorgel, Lachen, Gläsergeklapper, Gesang usw. Petzold tritt eilig, sehr erregt ein, direkt auf das Sofa zu. KLARA:

Aber was haben Sie? PETZOLD:

E r ist ja da! KLARA:

Schläft. Zieht Petzold zum Fenster. Wie Sie zittern!

34

PETZOLD:

Sich so in Schreck zu bringen! KLARA:

Warum kommen Sie so angestürzt? PETZOLD:

Angestürzt? I wo. Ihr Vater war in der Fabrik, hörte ich eben. KLARA:

Ja. PETZOLD:

Sein Gesuch um Beschäftigung sei abgelehnt, hat er erzählt. KLARA:

Heute früh kam das Schreiben. PETZOLD:

Er soll Abschied genommen haben von seinen Bekannten. KLARA:

Abschied? Er hätte A b s c h i e d genommen? PETZOLD:

Tolles Zeug hat er gesprochen, soviel steht fest. KLARA:

Ab—schied? PETZOLD:

Sie müssen Obacht auf ihn geben; ihn aufzuheitern versuchen. KLARA:

Es hilft ja alles nichts. Und einen so großen Vorrat an Heiterkeit hab' ich auch nicht.

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P E T Z O L D heftig:

Nehmen Sie sich doch wenigstens zusammen! Milder. Keine Minute darf er ohne Aufsicht bleiben, sonst —! KLARA:

Sonst? Hermann, mir ist so angst! — Heute früh ist er fortgegangen, Arbeit zu suchen — irgendwo, irgendwas, sagte er - hat aber nichts gefunden. Und wie er wiederkommt, denk' ich, es tritt 'n Toter 'rein. So große Augen und'n Gesicht wie aus Stein. PETZOLD:

Nu bleiben Sie mal hübsch ruhig, ja? KLARA:

Ich k a n n das nicht mehr ansehen! - Er ißt sich nicht 'mal satt. PETZOLD:

Was?! KLARA:

Jeder Bissen ist ihm wie vergiftet! — Kleine

Sie geht an ihre Arbeit.

Pause.

PETZOLD:

Sie nähen immer noch an der „Nixe"? KLARA:

Die wollen doch heute abend zum Ball. Ich kann's nicht vergessen — das Gesicht!

Schüttelt

PETZOLD:

Herrgott! Jetzt seh'n Sie auch noch Gespenster! KLARA:

Es sind keine Gespenster!

36

sich.

PETZOLD:

Zum Ersticken ist das hier! Will gehen. KLARA:

Bleiben Sie doch noch. Mir ist viel freier, wenn Sie hier sind. PETZOLD:

Warum sind Sie gestern nicht mitgekommen? Es war wunderbar schön. - Ihnen fehlt etwas Wind um die Nase! Die Spinnweben 'raus aus'm Schädel! Kopf hoch, Donnerwetter! KLARA :

Ich darf nicht an mich denken! Mutter hat recht. Die Lene ist meine beste Kundin. Mit der kann ich's nicht verderben. PETZOLD:

Lieber verderben Sie! KLARA :

Reden Sie auch noch so dumm? PETZOLD:

Danke. KLARA:

Wenn Sie so ein Uhrwerk sein müßten, wie ich —! Tick — tack, so hab' ich wohl schon eine Meile genäht. PETZOLD:

Mehr - die ganzen Jahre! KLARA:

Und komme doch zu keinem Ziel. PETZOLD:

Welchem Ziel?

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KLARA:

Irgend einem. Irgend etwas müßte sein, was ich noch erwarten kann. Etwas Schönes. Eine Hoffnung müßt' ich haben. PETZOLD:

Haben Sie denn keine Hoffnung? KLARA:

Auf was sollt' ich hoffen? Mitunter fühl' ich so etwas Ähnliches. Etwas ganz Unbestimmtes. Wenn Sie hier sind, namentlich. Ich glaube, das macht die frische Luft, die Sie mit 'reinbringen. Oder Ihre Augen, die immer so hell sind. — Aber sonst ist's mir, als ob ein bleiernes Gewicht mich niederdrückt. Ich komme nicht auf dagegen. Luft! möcht' ich haben. Luft! Schreien möcht' ich oder singen, recht, recht laut. Oder lachen! Nur etwas — irgend etwas! PETZOLD:

Das kenn' ich. KLARA:

Sie? PETZOLD:

Ich und tausend andere. Es drückt uns zusammen und biegt uns den Rücken. Es ist a u c h so eine Art Gespenst; ich hab's schon oft gesehen. KLARA: D a s B l e i e r n e ? G e s e h e n ? Sie hält mit der Arbeit folgenden

wird es

inne;

im

dunkel.

PETZOLD:

Ja. Von der Werkstatt aus. Kurz bevor der Abend kommt, wie jetzt — in der letzten Dämmerung, ehe die Lichter angezündet werden. Wenn wir uns dicht auf die Arbeit beugen müssen, um zu sehen; da ist's öfter

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vor mir gestanden. Draußen drückt die schwere Luft den dicken Qualm nieder, der sich aus den Fabrikschornsteinen drängt. Wie ein schwarzgraues, zerrissenes Riesentuch legt er sich auf die Dächer und verschmilzt mit der Dämmerung. Wie trüber Nebel zieht sich's dann um Kopf und Augen. Man kann nicht klar sehen und hören, ob man auch will. Alles verschwimmt wie in einem grauen Meer. Die Eisenkolosse auf dem Hofe scheinen zu wachsen, sich zu dehnen — und über ihnen fließt langsam ein Rauchstreifen, schwarz wie ein finsterer Fluß, in die Luft. — Um uns wird es dunkel. Taktmäßig gehen die Maschinen, die Räder, knarren, schleifen, zischen — eintönig, als zermahlten sie uns. Dazwischen feilt's und hämmert's — eins, zwei, eins zwei , Dann ist's mir oft, als ob gewaltsam etwas aufsteigt aus dem Schweren und Trüben — wie die Flamme, die ab und zu glutrot in den schwarzen Qualm hinaufschlägt — als verdichte sich alles zu einem großen, einzigen Schrei: „Erlöse uns von unserm Übel!" KLARA schreit jäh

auf:

Erlöse uns — von unserm Übel! GENSICKE springt

auf:

Halt! Halt! KLARA: V a t e r ! Sie läuft zum Tisch und zündet die Lampe an,

zitternd.

Sei ruhig, Vater, ja? Sei ruhig! GENSICKE:

Wer ist da? PETZOLD:

Ich bin's, Vater Gensicke. GENSICKE :

Du bist's, Hermann! Er schaudert. Da war er wieder. 39

KLARA

angstvoll:

Wer? GENSICKE :

Der schwarze Kerl. PETZOLD:

Sie haben geträumt. GENSICKE :

. . . Schneet's draußen? PETZOLD:

Nein. Nicht mehr. Aber hinter den Bergen lauern schwere Wolken. Das Barometer steht auf Frost. - Jetzt liegt Schmutz in den Straßen. Die Luft ist naßkalt, neblig, dringt einem bis auf die Haut. GENSICKE:

. . . Da ist sie draußen! K L A R A richtet sich ihren Arbeitsplatz

am Tisch

ein.

PETZOLD:

Wer ist draußen? KLARA:

Die Mutter. GENSICKE :

Ja, ja, Hermann. So'n Hundewetter, und sie ist draußen! Läuft von Haus zu Haus, treppauf, treppab. PETZOLD:

Ach so. Die Abendzeitungen. GENSICKE:

Ja. Die Abendzeitungen. Pause. Hast schon gehört? Sie hatten schlecht gefrühstückt auf der Direktion. 40

PETZOLD:

Ich hab' noch mehr gehört! Gensicke!

Bedeutsam.

Sehr viel, Vater

G E N S I C K E stöhnt auf und, wendet das Gesicht ab. KLARA :

Vater! Ich werd' — Vater!! ich werd' dir was Warmes zum Trinken holen! Eilig ab. P E T Z O L D geht ihr kopfschüttelnd welche nung

verstärktes Lachen

Tür,

durch

usw. aus der Lenzheschen

nach bis zur

Woh-

dringt:

Lustig, lustig, Alter! besser als wir!

Er schließt die Tür.

Die verstehn's

Pause. GENSICKE :

Ich war zu feig' dazu, Hermann. PETZOLD:

Es ist wohl'n Kunststück, 'ne Schleife zuzuziehen?! GENSICKE :

Du red'st so. Bist jung und hast deine gesunden Glieder. PETZOLD:

Gesunde fünf Sinne, ja! GENSICKE :

Hab' sie auch mal gehabt. — Aber die Tage alle, Hermann ! All die Stunden, die ich gelegen hab' - krank und könnt' mich nicht rühren! Ich, der ich stark war wie 'n Pferd sonst! Siehst: da ist etwas eingeschlichen bei mir: langsam, ganz langsam: die Furcht, es wird nich wieder! Aber ich hab' noch immer gehofft zu Zeiten. Es k a n n ja nicht sein, dacht' ich. — Bis es der Doktor gradeaus sagte: Gensicke, Sie sind Invalide! - Invalide,

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Hermann! Das ist, als werfen sie einen mit gebundenen Händen ins Wasser: So, nun schwimme! — Ja! Von da fing's an zu bohren in mir! Ich hab' mich gewehrt, kannst es glauben! Manche Nacht habe ich mit offenen Augen gelegen und mir den Kopf zerquält: Wo kriegst du Brot her! Bin Tag für Tag herumgehinkt auf den Straßen: Gebt mir Arbeit! - Arbeit? Hahaha! Was sollten sie mir geben? Bin ja zu nichts zu brauchen mehr! — Und so ist's allmählich aufgestanden in mir: Überflüssig bist du! Ein Tagedieb, ein Faulenzer, der seiner Frau und Tochter das Brot wegißt! — Mach ein Ende, schrie's in mir. Mach ein Ende! Ein Ende! PETZOLD:

Sie d ü r f e n das nicht tun, Vater Gensicke! Ich geh' nicht eher von Ihnen fort, eh' Sie mir nicht versprochen haben — GENSICKE :

Das tu' ich nich', Hermann! —Gönn mir die Ruhe. Kläre soll frei werden. PETZOLD:

Dadurch wird sie nicht frei. Eine kleine Sorge nehmen Sie ihr ab, und eine viel größere Last halsen Sie ihr auf: das Bewußsein, das sie ihr Leben lang nicht verlieren würde; die Erinnerung an ihren Vater und wie — auf welche Weise er — GENSICKE :

Hermann! PETZOLD:

Merken Sie denn nicht, wie die Angst über sie kommt? Wie sie verschüchtert wird und sich kaum noch helfen kann vor allerlei Einbildungen und Furcht? GENSICKE:

Hermann! Kannst du ihr denn nicht 'n bißchen gut sein? Es wär' doch das herrlichste Glück für sie. 42

PETZOLD:

Das kann man nicht wissen, Vater Gensicke. Mit dem Glück ist das so 'ne eigene Sache. Wenn die Töpfe immer voll sind und der Schornstein raucht, mag's gehn. Aber Sie wissen ja: Ich bin'n komischer Kerl in den Sachen. Es ist mir nu' mal nicht gegeben, bloß immer auf's Futter zu achten wie so'n Wiederkäuer. Mag'n Fehler sein. Kann keinen Bückling machen für ein Gericht Erbsen — und für 'was Besseres eben auch nicht. Ich hab'n zu dicken Knochen im Rücken, das haben mir schon viele gesagt. Hab' meine eigene Meinung in vielen Dingen. Verschweig' auch nicht, was gesagt sein muß. Und tu überhaupt so, als wär' ich'n freier Mensch, 'n böse Geschichte manchmal, Vater Gensicke. Abhängig ist unsereiner ja doch zeit seines Lebens. Darum taucht mancher unter, wenn sich ein Weib an ihn hängt. Der Rücken wird geschmeidig. Weil's eben heißt: Doppelt oder dreifach Brot schaffen. Und von der Sorte bin ich nicht. GENSICKE:

Spürst also gar nichts in der Brust da? Und bloß der Kopf hat zu sagen? PETZOLD:

Spür's schon. Mehr als mir angenehm ist. Das ist ja eben das Verfluchte: Man kommt nicht weg davon! Man müßt' ja auch kein Mensch sein. Und grad' d a s möcht' ich g a n z sein! Also: es bleibt mir am Ende weiter nichts übrig: Sprechen muß ich mit der Klara. GENSICKE:

Hermann! Wenn ich die Freud' noch erleben könnt'! PETZOLD:

Dann darf aber keine Rede mehr sein von dem „schwarzen Kerl" und dem ganzen Spuk. GENSICKE :

Ich versprech' dir: Ich wart' drauf. 43

PETZOLD:

Möchts' aber allein austragen. Hab' erst noch einiges zu fragen. GENSICKE:

Kein Wort sag' ich! Brav ist sie und rein - das schwör' ich dir zu. PETZOLD:

Das meint' ich nicht. Aber eben, wie sie darüber denkt, wenn mal Ebbe im Brotkasten ist. GENSICKE :

Das Glück ist's ja doch, was uns stark macht, Hermann. PETZOLD:

Das Glück, ja. Aber auch die Not ist ein Hammer, Vater Gensicke. Den einen schlägt sie zu Brei, den andern zu Stahl. Und das kann man vorher nie wissen! GENSICKE:

Den einen schlägt sie zu — Brei — ja! Klara bringt ein warmes Getränk. KLARA:

D a ß d u w a r m wirst, V a t e r ! Lemke, animiert, tritt ein, eine kleine Drehorgel, die er an einem Riemen trägt, in Bewegung setzend. LENZKE:

Wilhelm! Treue Bruderseele! Hast du ausgeschnarcht? Man lacht draußen. Hört Ihr's? Dort hat die Sorge keine Stätte! Dort herrscht die lachende Göttin des Frohsinns. Erhebe dich, Wilhelm, und nimm teil an den Geburtstagsfreuden meiner Lene. Den Deubel auch! Sieh dir die Welt an durch's Glas, und sie erstrahlt in bengalischer Beleuchtung! GENSICKE:

Fünf minutenbrenner!

44

LENZKE:

So zünde eins am andern an! Komm!! Hoppla! GENSICKE :

Nee, Jakob, nee. Ich mag nich. LENZKE:

Dir woll'n wir deine Mucken schon austreiben! KLARA:

Geh doch, Vater. GENSICKE :

Meinst du, das hilft was? PETZOLD:

Gewiß. Steigen Sie dem „schwarzen Kerl" mal mit etwas Fidelitas zu Leibe. Das können die Biester nicht vertragen. KLARA: Du sollst gehn, Vater! GENSICKE :

Gut. Ich — ich muß ja. Au, das Been!

In der Lenzkeschen

Wohnung wird ein Lied gesungen. LENZKE:

Wird schon gehn.

Er singt mit, die Drehorgel wieder in Be-

wegung setzend. Beide im Gesangstakt ab. PETZOLD:

Na, und wir beide? KLARA:

Wir beide? — Hermann! Glauben Sie, daß Vater das wirklich tut? PETZOLD:

. . .? Schlagen Sie sich doch bloß diese Angst aus dem Kopf. Das ist ja zum Verrücktwerden! 45

KLARA:

Furchtbar ist es. Ich seh' ihn schon immer vor mir. PETZOLD:

S i e m ü s s e n das verhindern! Sie können's auch. Hier bringt ja einer den andern aus'm Gleichgewicht. KLARA:

Sie sind auch nicht so sorglos, wie Sie immer tun. Sie verstecken's bloß. Vorhin hab' ich's gemerkt, als Sie von der Dämmerung sprachen. PETZOLD:

Manchmal. Gewiß. Da kann man's nicht hindern. Aber es ist doch auch noch etwas anderes in uns. Haben Sie's noch nie gefühlt? Morgens, wenn man gut ausgeschlafen hat und am offenen Fenster steht. Man ist so frisch und leicht und stark - ich möchte dann immer Bäume ausreißen. KLARA:

Ich kenn' das Gefühl wohl. Aber es verfliegt so leicht. Mit jeder Minute nimmt's wieder ab. Und am Abend? Die alte Geschichte! PETZOLD:

Sie sind unverbesserlich. Man muß w o l l e n — verstehen Sie das? Man muß aus sich herausgehen! Die Gespenster in die Faust nehmen; ihnen ins Auge sehen. KLARA nach einer

Pause:

Weshalb geben Sie sich so viele Mühe mit mir? PETZOLD:

. . . Das möcht' ich auch gern wissen. Faßt ihre Hände. N u n h ö r e n Sie m a l , K l ä r c h e n . Er ringt nach

Worten.

Ich - und - Sie - w i r - . Nein. Zum Kuckuck! Wenn Sie mich so ungläubig anstarren, bring' ich kein Wort heraus. Erhebt sich. Die schönsten Reden hab' ich schon

46

gehalten. Aber es war das reinste Kinderspiel gegen das. Bin wie gewürgt hier. Wissen Sie was? Ich hole Sie morgen am Nachmittag ab. Dann gehen wir auf die Berge. Klara : Morgen bin ich frei. Petzold: Da machen Sie andere Augen! Dort haben die dummen Gespenster keine Macht. Klara: Dort holen Sie ihren Mut? Petzold: Ja. Mitunter auch einen Schnupfen. KLARA lacht

hell

auf:

Pfui! Petzold: Lachen können Sie noch! Also kartn es auch noch ein froher Abschied werden! Klara: Abschied? Sie wollen Abschied nehmen? Petzold: Ich habe heute mein blaues Buch gekriegt. Klara: Entlassen? Petzold: Ja, mit einigen anderen. Wir haben deshalb heute noch eine Versammlung. 7

Münchow, Dramatik I I I

47

KLARA:

Und Sie gehen fort? PETZOLD:

Vielleicht schon am Montag. KLARA :

Dann verroste ich ganz und gar hier. — Sie kommen nicht wieder, Hermann? PETZOLD:

Vielleicht doch! KLARA:

Nein, nein! Sie werden zufrieden sein, wenn Sie uns nicht mehr sehen! PETZOLD:

Wir sprechen morgen mehr davon. Geräusch auf dem Korridor. durchnäßt,

Ist das Ihre Mutter? mit einem Handkorbe,

Frau. Gensicke, tritt

erschöpft,

ein.

FRAU:

Hach! Hach! Ah, wie schön warm is't hier. — Nanu, Herr Petzold? Halten Sie't denn bei uns aus? PETZOLD:

Ich geh' schon. FRAU:

Och! Vor meinswegen! Ick duh Ihn' nischt. PETZOLD:

Nanunee. So ängsterlich sind wir nicht. Muß sowieso. Also auf morgen, Klärchen. Recht munter und frisch. Gute Nacht! — Gutnacht, Frau Gensicke! Ab. FRAU:

Nacht. Wat is denn morjen? Denn wollt'r woll den Spaziergang von jestern machen? 48

KLARA:

Ja. A b e r ganz gewiß! FRAU:

Ick wer' dir nich anbinden! — Also ihr beede! N a - bist ja alt genug. - W o is'n Vater? KLARA:

Bei Lenzkes. FRAU:

Det's vernünftig. K o s t ' t nischt. D a jeht's hoch her, wie bei'n Prinzessinjeburtstag. Mir wundert bloß, det se uff'n Rathaus keene Fahne 'rausjesteckt haben. — H a t sich w a t ! — H a c h ! Janz kaputt wird man v o n die Treppenkletterei. Sie überläßt sich ihrem Ruhebedürfnis. N a , F a u Jensicke! W a t s'n det? Jlob ick! So sitzen wie 'ne Jräfin von und zu! Nischt duhn! A ufstehend. Nee, is nich! In't Sarch nachher, da haste Zeit jenug! KLARA blickt befremdet auf. FRAU:

Wunderst dir woll, Kläre, det so'n ollet Droschkenpferd ooch mal rabiatisch wird? KLARA:

Wir werden nicht gleich verhungern, wenn du mal fünf Minuten stillsitzt. FRAU :

Janz ejal! Mit fünf Minuten fängt et an. Jewöhnste de Knochen erst dran, denn jloben se, se haben 'n R e c h t druff und wer'n immer ausverschämter. Immer feste in'n Jange jeblieben! Det kannste dir jleich for dir merken. Dir wird't ja ooch mal nich anders jehn. KLARA:

Mir? T

49

FRAU:

Denkste, ick kann nich sehn? Aber det sag'ck dir: M e i n e n Sejen krichste nich! Mit Petzold'n nich! KLARA:

Ach, davon! — Hermann reist Montag ab. FRAU :

Reist ab? Is wahr? Haben se 'n uff'n Damm jesetzt? Ha'ck mir doch jedacht, det et mit d e n noch mal so kommt! Na! Ick brauch' dir doch nischt weiter zu e r z ä h l e n ! — Streift mit einem Blick die Runde. H i e r s i e h s t e ' t

ja! Du krichst andere. Ick habe jarnischt jejen die L i e b e ! - w e n n wirklich sowat dabei war - aber 'ne Liebe ohne Auskommen, det is wie'n Topp ohne Deckel. KLARA:

Kein Mensch spricht davon! — Liebe! Die wächst doch hier bei uns nicht! Die braucht Sonne und Luft, Licht und Zeit. FRAU:

Weeßte, Kläre, wenn du mal wat sagst, denn is et aber ooch jleich so wie'n Roman! 'ck weeß jarnich — Du und dein Vater — ick bejreif' euch nich! Gensicke,

Lemke,

Streling in animierter

Stimmung.

GENSICKE :

Nanu, höre doch, Marthe, höre doch! Streling, machen Sie sich keinen Witz mit'm alten Mann. STRELING:

Fällt mir nicht ein. GENSICKE :

Na nu, höre doch, Marthe! FRAU:

Ick höre, aber ick versteh' keen Wort.

50

STRELING:

Es ist die Möglichkeit — Wahrscheinlichkeit kann man sagen - , daß es mit Ihrem Gatten doch noch was wird in der Fabrik. KLARA:

Solche Scherze sollten Sie nicht machen, Herr Streling. STRELING:

Erlauben Sie, weiße Rose — LENZKE:

Hahaha! „Erlauben Sie, weiße Rose!" STRELING:

Halt's Maul, Jakob! — Also: heute nachmittag steckte der alte Behrens, der Prokurist, die Fühlhörner aus. Diesen parodierend. „Meine Herren! Wir werden voraussichtlich in den nächsten Tagen einige Personalveränderungen vornehmen müssen. Wenn Sie, meine Herren, jemand wissen sollten, der geeignet ist zur Einstellung, dann bitte ich um Ihre Vorschläge." Na, und da habe ich denn auch meinen Vorschlag gemacht. GENSICKE:

Streling, ich war'n bißchen grob gegen Sie gestern. STRELING:

Jott, lassen Sie doch. FRAU:

Und det Schreiben von heute früh? STRELING:

Fragen Sie mal Lenzken, wie das so zugeht im Büro mit solchen Sachen. Die Antwort lag mindestens schon vierzehn Tage unten bei uns. LENZKE :

Ablagern nennt man das.

51

STRELING:

Nu heißt es eben: „besonderer Umstände wegen" et cetera pp. Geschäftsgeheimnisse, Sie versteh'n. LENZKE :

Paulchen, sie haben meine Eingabe noch einmal durchgesehen! — Sie können ja gar nicht anders, Wilhelm! STRELING:

Der Mensch soll sich nicht selbst loben, wie? Aber wissen Sie, was der olle Behrens zu mir sagte? „Herr Streling", sagte er, „dieser Vorschlag ehrt Sie. Es ist gut, daß Sie mich an unsern alten braven Gensicke erinnern. Ich werde ihn nicht vergessen!" GENSICKE :

Streling, ich getrau' mir's nicht zu glauben! STRELING:

Oller Pessimiste! FRAU:

Is et ooch j a n z sicher? STRELING:

So gut wie! Unter uns gesagt: Ich spiele 'ne kleine Rolle da. Na, und da tut man doch, was man kann. KLARA:

Herr Streling, das ist hübsch, das ist edel von Ihnen! STRELING:

Sie haben woll ooch schon jedacht: Der Streling, das ist so'n pomadiger Jeselle, was? Nee, man macht bloß nichts aus sich. KLARA:

Ich danke Ihnen — von ganzem Herzen!

52

STRELING:

Fräulein Klärchen! Weiße Rose! FRAU:

Na, wenn't Herr Streling so bestimmt sagt - ! GENSICKE:

Weg mit die Jammerei, sag' ich! Du lachst, Kläre! Jetzt schlag' ich den schwarzen Kerl mausetot! Mutter, ich spendiere was! FRAU:

Nu wart's man ab. LENZKE :

Pst! Heute hat Lenzke das Wort! Meine Tochter, nich? Fünfundzwanzig wird sie heute! So'n Kind! Und denn: Ich laß' es mir nicht ausreden: Das Schreiben, das Schreiben! Ja, was so drin steckt in einem! Wilhelm, kein Mensch auf dieser Welt freut sich so wie ich. Komm! Nu woll'n wir vernügt sein wie der Deubel bei der Cholera! Frau Nachbarin! Hier ist mein Arm. FRAU :

Immer! . . . Nedoch, mein Herr! Erst de Tolljette! Zum

Schrank.

LENZKE:

„Es geht ein Rundgesang an unserm Tisch herum!" — Los! Ab. STRELING nickt

Klara

lachend

zu;

singt:

„Dreimal drei is neune —" Ab. G E N S I C K E lacht vor sich

hin:

Ich glaube wahrhaftig, ich b i n schon 'n bißchen! Ab. F R A U mit einigen

Kleidungsstücken

ab.

53

Pause.

Helene

Lenzke

tritt

ein.

LENE :

Nanu, aber husch, husch. Kläre. KLARA:

Ach du, Lene! LENE:

Wie steht's denn mit meiner Nixe? KLARA:

Bloß noch'n paar Stiche. LENE:

Wahrer Segen. Is die höchste Eisenbahn. Schicke Sache, was? Hm, mein Baron muß mir or'ntlich ausstaffieren? 'n feiner Kerl! Pff! Lacht. So einen mußte dir auch anschaffen - was? Du! Sagst ja gar nichts mehr, Klara. Wirst immer stiller von Tag zu Tage. — Gott nee aber auch. Tust mir leid, Klara. Wirklich! KLARA:

D i r tu' ich leid? LENE:

Wahrhaftig. Immer so sitzen und prünen. Wie hälste das bloß aus! Und dann so ganz allein! Nee! Wenn ich bloß mal'n paar Stunden kein' Jast habe, möcht' ich mir vor Langeweile rein aufhängen. KLARA:

Ja, was machst du bloß so den ganzen Tag? LENE:

Na, entweder ich bediene und proste mit - oder ich mach' die Augen zu und schlummere, wenn keiner da is. - Wir haben heute schon was gefeiert, kann ich dir sagen!

54

KLARA:

Du feierst wohl jeden Tag? LENE:

Man muß ja. Denkste, mir is es manchmal nich auch über? Immer so den Suff' reinpumpen! Bloß, daß'n Geschäft gemacht wird?! Und dann—die Jäste! Na! Davon hast du keine Ahnung in dein' schönes, ruhiges Leben. „Das is ja man bloß 'ne Kellnerin!" Daß unsereins auch'n gefühlvoller Mensch ist, glaubt ja keiner. KIARA :

Das schöne ruhige Leben könntest du doch auch haben. LENE:

Was? Für'n paar Kröten sitzen Tag und Nacht und seine ganze Jugend vertrauern? Nee. Ich will was von mein'm Leben haben! Bin'ck nich fünf Jahr in de Luxuspapiefabrik jelofen? Na, und was haste? Kaum satt zu essen und alle Jahre mal'n neuen Hut für lump'ge Fenije. Da is mir mein neues Jeschäft doch lieber. Mitunter möcht' ich ja ooch davonrennen. Wahrhaftig, Kläre, vor Wut jeweint ha'ch schon — KLARA:

Geweint? LENE:

Ja. Manchmal, wenn's mir einfällt, was for'n verdorbenes Jeschöpf man jeworden is. — Es heißt doch so. Melancholische

Pause.

Dann frivol.

H a h a ! Is j a j a n z e j a l ! D e s -

wegen halt' ich doch das Banner der Wissenschaft hoch, wie der eine Studente immer sagt, wenn ihm was verquer jeht! Das ist ein zu putziger Kerl! Wenn der anfängt zu erzählen, könnt' ich mir manchmal trudeln! N e e , n e u l i c h ! — n e u l i c h ! — Sie lacht unabändig;

plötzlich

wieder melancholisch werdend. Ja, siehste, du bist doch nu'n, „anständiges Mädchen". Und was haste davon? Schinden und knuffen. Für wen? Naja. — Siehste, Vater

55

hat von mir auch sein Jutes. Aber'n bißchen hab' ich mir heimlich doch schon auf die hohe Kante gelegt. Denkste, ich will ewig in die Kneipen leben? Ha! Solange wie du jung bist — ja! Da komm'n se; Lene hier, Lene da! Rein auffressen könnten se ein' vor Liebe. Aber wenn de alt wirst, möchten se dir anspucken! Nee! Ich will noch mal'n düchtigen Mann haben! 'n kleinen Beamten oder sowas in 'ne sichere Stellung. Dazu halt' ich jeden Pfennig zusammen. Jeizig bin ich mitunter jradezu. Wer nimmt dir, wenn de nich'n bisken Pulver hast, den Männern in de Augen zu streuen? Ha! Ich sag' dir: Kein Deubel frägt nach deine Vergangenheit, wenn de Geld hast! KLARA verlegen:

Ach! — Jetzt bin ich aber auch gleich fertig! Lene:

Die Sache wird Uffseh'n machen, was? - Und denn die Rechnung. Kläre: wie't sich jehört! Verstehste? 'n paar Prozente müssen noch abfallen for mir. — Ruhig! v. Wantritz, zum Fortgehen bereit, tritt verstimmt

ein.

Lene:

Ach, Kurt! Zu Klara: Mein Bräutjam. - Nanu, Kurt? Du hast dir ja angezogen! v. Wantritz:

Ich gehe. Adieu, Lene! Lene:

Was fällt denn dir ein? v . W a n t r i t z heftig: I c h g e h e , s a g ' i c h d i r ! Stiert vor sich hin.

satt! So eine öde Sauferei! Lene:

Amüsierste dir denn nich?

56

Ich hab' das

v. WANTRITZ :

Amüsieren! LENE:

Nee, Kurt! Jehn darfste nich. Du verdirbst mir den janzen Geburtstag. Kurtchen, ja? Sie umschmeichelt ihn. Kriegst auch'n süßen. Er stößt sie fort. Jott, was haste denn bloß? Tu doch man nich so! — Zu Klara: Er hat wieder seinen miesepetrigen Tag heute. Energisch auf v. Wantritz zu. Nu zieh dir mal vor allen Dingen den Überzieher aus, horste? Sie streift ihm den Paletot gewaltsam ab. So! Und nu setz' dir mal hüsch da hin. Zieht aus

einer

Tasche

des Paletots

eine

in

Seidenpapier

ge-

Was hast'n da? — Au, der is nich billig! Noch'n Jeschenk? — Korkzieher her! - Kurt! wickelte

Flasche.

Freudenschrei.

v . W A N T R I T Z gibt widerstrebend

Messer

mit

Korkzieher:

Da, du — äh! LENE:

Du wirst wieder liebenswürdiger. Öffnet die Flasche. In'n paar Stunden frißt er mir aus der Hand, kann'ch dir sagen, Kläre. So. Nu'n Glas! Abgehend nimmt sie den Paletot sowie die Kopfbedeckung darauf

mit einem

Glase

v. Wantritz

zurück.

Trinkt

das is was Feines! Alle Achtung! Trinkt v. Wantritz an. Da, betrübter Lohjerber!

mit.

Kehrt

wiederholt.

gleich Au,

wieder und bietet

v. WANTRITZ:

Noch einen! LENE:

Siehste woll!

Schenkt

v . WANTRITZ

trinkt:

ein.

Noch einen! LENE:

Hurra! Kurtchen wird wieder mobil. Nu aber die Kläre! 57

KLARA:

Ist's auch nicht so schwer? LENE:

Nanu! So'n Damenschnaps! KLAHA:

Schmeckt wirklich gut! LENE:

.

Immer trink man! KLARA:

Macht heiß. Ordentlich lebendig. LENE

lacht:

Nu kuck bloß mal! Wie se gleich rot wird! Is ja auch kein Wunder. Denk dir, Kurt! so sitzt se nu jeden T a g und zieht immer ein' Faden nach'm andern lang. v. WANTRITZ,, der Klara lange betrachtet hat:

Ja, Sie sind nützlich. War's auch mal. Wie'n Wilder hab' ich geochst. Tag und Nacht studiert. Jetzt ist mein Leben — nichts. LENE :

Fang bloß nicht wieder d e t Lied an! Wenn die Kläre 'n Rittergut jeerbt hätte, würd' se ooch nich hier sitzen! v. W A N T R I T Z :

Was verstehst du. Hohle Nuß! LENE:

Manchmal schmeckt dir die Nuß ausjezeichnet. KLARA:

Und jetzt bin ich fertig! Hier, Lene. Übergibt das Kostüm. LENE:

Hurra! Nu aber rin in die Nixe! Ab. Pause.

58

v . WANTRITZ:

Es muß schön sein, zu wissen, daß man etwas fertiggebracht hat. K L A R A reckt

sich:

Ja. Man kann einmal aufatmen. v . WANTRITZ :

Ich meine: die F r e u d e an der Arbeit. KLARA:

Freude? Ich seh' bloß immer, daß da andere wieder ein Stückchen Leben von mir abtragen. v . WANTRITZ

verwundert:

Wie Sie das sagen! Leben. Abtragen. Wollen Sie's glauben? Früher hab' ich viel über solche Dinge nachgedacht. Viel. Jetzt —? Lacht auf. Jetzt reguliere ich meine Erbschaft. Pfui Teufel! KLARA:

Und was tun Sie mit all dem, was Sie gelernt haben? v . WANTRITZ :

Nichts. Mitunter will ich. Hab' die besten Absichten. Arbeite auch einen Tag. Höchstens zwei. Dann kommt der Durst — die Weiber! Ach, diese elenden Geschöpfe! Ich wehre mich! Verzweifelt wehre ich mich! — Aber es nützt nichts. — Mein Leben ist ? KLARA :

Meinen Sie: leer? Inhaltlos? v . WANTRITZ:

Ja! — In — halt — los! Das Wort will ich behalten! Gensicke.

Frau

Gensicke.

Lenzke.

Streling.

59

G E N S I C K E summt vor sich hin:

„So leben wir, so leben wir. —" Alle Tage? Nee! Alle Tage is nich Sonntag! — Also nu biste endlich fertig, mein Kind? KLARA:

Ja. Mit dem. Vor Montag rühre ich keine Nadel an! FRAU:

Det war'n Stück Arbeet! Sie! Herr „von"! v. WANTRITZ:

Was kostet's denn? FRAU :

Hat ja Zeit. L E N Z K E eilig:

Das besorgt die Lene schon. K L A R A singt vor sich hin. FRAU:

Ick jlobe, Kläre, de hast jepietscht! K L A R A lacht:

Bloß'n. paar ganz kleine Schnäpschen, Mutter. GENSICKE :

Laß man. Dein' Vater geht's auch so. Dafür woll'n wir aber auch schlafen, was, Kläre? Mehr für sich. Und ganz ruhig schlafen, ganz ruhig. K L A R A plötzlich wie verändert:

Ich will nicht schlafen! Lustig will ich sein! Tanzen will ich!

60

STRELING:

Wissen Sie was, weiße Rose? Sie gehen mit zum Ball! Was sagen Sie dazu, Frau Gensicke? FRAU:

Wenn Sie vor ihr uffkommen! STRELING:

Selbstmurmelnd. Muß ich doch gleich der Lene sagen! Ab. GENSICKE :

Für die Kläre ist das wohl nichts. K L A R A heftig:

Für die Kläre ist das nichts! Die Kläre darf bloß nähen! Die Finger sich blutig nähen! Aber sich freuen — das darf die Kläre nicht! GENSICKE

verschüchtert:

Ich will dir ja nich hindern, Kind. LENZKE singt:

„Das Leben blüht nur einmal, nur einmal blüht der M a i . " Streling, Helene, ein rosafarbenes Kostüm über dem A rm. LENE:

Det s'n Jedanke, Kläre! Streling is sowieso'n Waisenkind heute. Hier, mein Rosa'nes von's vor'chte Jahr wird dir gut steh'n. KLARA:

Ob ich noch tanzen kann? STRELING: I c h s c h w i n g e Sie s c h o n ' r u m ! Pfeift und tanzt einige mit

Schritte

Klara.

61

Klara : Ja. Herrlich! Musik! Musik! Schnell! Schnell! Plötzlich. Halt! Ich hab' ja dem Hermann versprochen! Gensicke : Hermann? Hat er was gesagt? Frau: Jott. 'n Spaziergang morjen nachmittag. Streling : Bis dahin kann noch die Welt Untergehn, v. Wantritz: Gehen Sie nicht mit, Fräulein! Klara: Nicht? Warum nicht? v. Wantritz: So etwas ist wie ein Strudel. Ist man erst drin, kommt man wieder heraus. L e n enicht : Was fällt'n dir ein? Klara: . Ich hab' ja keine Erbschaft zu regulieren, Herr Baron, v. Wantritz: Es gibt noch andre Güter als Rittergüter. Streling: Sie seh'n wohl auch schon Gespenster, wie? Klara: Ach was. Ich geh' und damit fertig. 62

LENE:

Selbstredend. Sie löst Klara das Haar, drängt sie vor den Spiegel und legt ihr wie zur Probe das Kostüm, an. Aber fein! LENZKE:

Und wir drei Alten? Wir trinken noch eine feine Bowle! Angetreten! Er reicht Frau Gensicke den Arm. Lene und v. Wantritz hinter ihnen. GENSICKE leise mahnend: Kläre! KLARA sieht ihn übermütig an: Vater! Vorm Spiegel. Schön will ich mich machen. Lustig will ich mal sein. Tanzen! Tanzen! Singen! Springen! — Musik! LENZKE setzt eine Drehorgel in Bewegung: Marsch. Gensicke und Streling haben sich den beiden Paaren angereiht. Alle, außer Klara, im Begriff abzugehen. KLARA jubelnd im

Takt:

Tralalala! Tralalala! Tralala —

3. A K T Am folgenden Tage morgens. Es ist noch dunkel. Auf dem Tisch eine brennende Lampe, ein brennender Spirituskocher, Kaffeegeschirr, Brötchen. — Frau Gensicke ordnet hastig die Betten im Hintergrunde und richtet mit Gensicke die Matratze auf. Das zum Schlafen hergerichtete Sofa ist unberührt. Sie läuft eiligst hinaus, kommt, sich abtrocknend, zurück und macht sich zum Ausgange bereit. GENSICKE am

Kocher:

Zu, zu! Mutter hat keine Zeit mehr! FRAU:

Hast du denn'n Wecker nich jehört? Münchow, Dramatik III

63

GENSICKE :

Ich hab' geschlafen wie'n Murmeltier, so schön. FRAU:

Die verfluchte Bowle von jestern! GENSICKE :

Jaja. — Is furchtbar kalt heute. Zieh dich warm an, Mutter. - Haha, nu bullert's Und wenn's bullert, denn k o c h t ' s — w a s . M u t t e r ? Er gießt das kochende Wasser einen bereitstehenden

in

Topf.

FRAU:

Der Jaul muß wieder rin in'n Scheerboom! Soll mir bloß wundern, wat der Olle sagt, wenn'ck zu spät komme: „Na? Sie haben et woll nich mehr nötig?" GENSICKE :

Denn sagste einfach: „Nee, Herr Spediteur! Ich hab's auch nicht mehr nötig. Mein Mann hat Arbeit! D e r sorgt!" FRAU:

Du duhst jrade, als ob du de Stellung schon in de Tasche hast! GENSICKE

erschrocken:

Nanu, Mutter! —Zuversichtlich. Wo's der Streling doch so sicher gesagt hat! Ja, weißte, was er meinte, als er fortging? „Gensicke, wenn morgen früh jemand zu Ihnen kommen sollte und bietet Ihnen einen Posten an — dann werden Sie doch nicht etwa nein sagen?" Ich kuck' ihm ganz groß an. „ Jott, ich meine man bloß", sagt er — und weg war er. FRAU:

Merkwürdig. Spaß kann doch det nich sind. 64

GENSICKE:

Spaß is es gewiß nich. FRAU:

Wenn eener zu dir kommt? Heute morjen? A m Ende holt dir die Direktion mit de Ekwipasche? Weeßte denn, wie Pasteten jej essen wer'n? GENSICKE:

Hahaha, Mutter! Nee, du bist zu spaßig — hahaha! — Na, aber das kann ich dir sagen: Verdien' ich was — und wenn's noch so wenig ist - , denn woll'n wir's uns des Abends gemütlich machen. Da gibt's hier wieder 'mal T a b a k z u riechen. Er füllt zwei Porzellanbecher

mit

Kaffee.

Nu trink aber, Mutter! FRAU

trinkt:

Hm. Heeß! — Steck doch meine Laterne an, Willem. GENSICKE zündet eine kleine Laterne

an:

Wo bloß die Kläre bleibt! FRAU:

'n Ball is keene Bierstrippe. Det dauert, wie't dauert! War bei uns nich anders. So lange noch een Musikante 'n Ton aus seine Fiedel jequetscht hat, war unsereener mittenmang. Und ick weeß doch: Ein jewisser Willem, der könnt' schon jar nich nach Hause finden. Bei den jing's doch immer hoch her. GENSICKE lacht:

Jaja. Was war ich for'n Kerl! Trialla, trialla, triallalla! Was, Mutter? — Getanzt bis mogens um sechse, und um sieben an die Arbeit. Und dann den Hammer in die Faust: bums! Hastenichgesehn! daß die Funken in die Nachbarschaft spritzten. „Du", sagte denn der eine Kollege zum andern: „Du, kuck mal! Der Willem hat wieder die Nacht nich geschlafen!"

65

FRAU:

H m . 'n forscher Kerl warste. GENSICKE

lacht:

Ja. E s war eine schöne Zeit, Mutter! - Fröstelt. Damals hatten wir noch Hitze. W o is sie geblieben, Mutter? FRAU:

W o wird se jeblieben sind? GENSICKE :

Ich hab' sie wohl mit verhämmert in der Fabrik. U n d d u hast sie auch bei der Arbeit zugegeben. FRAU:

W a t hilft's! GENSICKE :

Ja. Das Feuer is aus. Er geht auf und ab, dann vor seiner Frau stehenbleibend. Mutter, aber die Lene, das is keine Gesellschaft für unsere Kläre. FRAU:

Streling is dabei. GENSICKE :

Der gefällt mir auch nich. FRAU:

D u sollst'n j a ooch nich heiraten. W a t willste eijentlich? E w i g kann se doch for uns nich flicken. In't Haus jelofen kommen de Freier nich. Und Streling? 't is'n janz patenter Kerl. GEENSICKE :

Windhund! FRAU:

A c h w a t ! Windhund, det sind oft jrade de besten. Eens, zwee, drei is bei die de Hochzeit fertig! ,

66

GENSICKE:

Du meinst doch nich — FRAU:

Ick meene, det's'n Jlück wäre, wenn de Kläre 'n Mann krichte, der unjefähr so aussieht. Der weeß, wo wir sind und wat wir sind! Weiter nischt. GENSICKE:

Nee, Mutter. Ich denk: Hermann, das wär' der rechte. FRAU :

Petzold? Lacht höhnisch. Der?! doch beinah' jedacht.

Naja! Det ha'ck mir

GENSICKE:

Es is'n Mann. Und'n guter Kerl. FRAU :

Mann! Juter Kerl! Mag sind. A b e r : hat er'n festet Auskommen? D e r würde doch lieber seine Familie verhungern lassen, eh' er seine sojenannte Überzeujung beiseite steckt. GENSICKE:

Hermann hat Ideale! FRAU :

Ideale! Laß mir boß mit deine span'schen Wörter zufrieden! — Idejale! Kannste die kochen? Kannste die braten? Det mag sich eener leisten, der weiter nischt zu duhn hat. Für uns heeßt's: Brot uff'n Tisch! GENSICKE:

Soll sein. Aber — aber FRAU:

Was fragt der Magen nach deine Abers! „Kuck zu", sagt der, „det meine Portion nich zu kleen wird!" Det

67

is a l l e s ! Während Gensicke bedächtig den Kopf schüttelt, sieht sie nach dem Wecker. N a , i c k k a n n m i r j r a t u l i e r e n ! Sie wirft sich eilig ein Tuch um, trinkt ihren Kaffee

aus und nimmt einen Henkelkorb. Die Leute woll'n doch

lesen, wenn se uffsteh'n, ob sich jestern nich'n Hund verlofen hat oder'n Droschken-Hottehüh jefallen is! Ob unsereens sich in't Duster Arm und Beene bricht, is j a ejal. Det zählt nich! Sie nimmt die kleine Laterne. Eilig

ab.

GENSICKE steht noch ein Weilchen mit dem Kopf

N e e , n e e , n e e , M u t t e r ! Trinkt kleinen

nachdenklich,

ab und zu

schüttelnd:

Pause

seinen Kaffee.

hört man vom Hofe die Stimme

Nach

einer

der

Frau.

Willem! Willem! GENSICKE, das Fenster öffnend,

hinaussprechend:

Willste was, Mutter? Den Hausschlüssel? Hat die Kläre. W e r d ' J a k o b b e n f r a g e n . Schnell wieder zurück,

wickelt

ab; kehrt gleich

einen Schlüssel

darauf

ein und wirft ihn aus

dem Fenster hinab. Haste ihn? N a denn — Er schließt das Fenster-, wiederholt

fröstelnd.

LENZKE wüsten Aussehens, senen Schlafrock,

den Kragen

kommt in einem alten,

verschos-

hochgeschlagen:

P f f f ! Regulärer Nordpol hier! Reißt mich aus den warmen Federn. Unmensch! — Ah, wie das Schiff schaukelt! — Wilhelm, das Leben ist eine Hölle, bloß nicht so warm! Gib mir ein paar Dröpplein von diesem edlen Mocca! Meine Seele dürstet nach solcher Nahrung, wie nach Wasser ein gesalzener Harting. Prost! Trinkt. GENSICKE :

Kannste denn an nichts anderes denken? LENZKE:

Mit Prost zu Bett, mit Prost steh' auf, das ist der beste Lebenslauf! Siehste, Wilhelm, der Mensch soll sich sein bißchen Leben nicht unnütz schwermachen. Es hat keinen Zweck. - Uch, mein Schädel!

68

GENSICKE :

Der eine hat Kopfschmerzen, weil er's Leben zu leicht nimmt — so geht's dir, Jakob —, und der andere, weil er's zu schwer nimmt. LENZKE :

So geht's dir. Wir reißen die Welt nicht um! Und wenn? — Der ganze Krempel fällt dir auf'n Leib. Er lacht auf; starrt vor sich

hin.

Nach

einer Weile

wie verändert,

tief-

ernst. Es gibt Leute. Wilhelm, die das Leben bloß darum leicht nehmen, weil's ihnen sonst so schwer wird, daß sie es überhaupt nicht tragen können. GENSICKE :

J a ! In dir bohrt auch was! LENZKE lacht wild auf:

Ha! Was weißt du! Meinst du, ich mach' mir Gewissensbisse? GENSICKE :

Ja, das tust du, Jakob. LENZKE schlägt mit der Faust

auf den Tisch,

lacht

unna-

türlich:

Hahaha! Hahaha! - Wegen der Lene meinst du? GENSICKE :

Ja. Das mein' ich. LENZKE:

Willst den Moralprotzen spielen, was? GENSICKE :

Nee. Jakob. Was ich dir sagen könnte, sagst du dir selber. LENZKE schreit:

Woher weißt du das? 69

GENSICKE :

Ich seh's dir an — oft genug —. Und wenn's über dich kommt — LENZKE :

Und wenn's über mich kommt

?

GENSICKE :

Wenn's über dich kommt, schleichst du dich aus'm Haus, läufst 'rüber in die Kneipe, trinkst und singst und randalierst und schlägst mit der Faust auf'n Tisch, damit — LENZKE :

Hahaha! GENSICKE :

Damit du nicht hörst, was in dir spricht. LENZKE:

Und was — was meinst du, daß es sagt? Weißte das vielleicht auch? GENSICKE :

Ja. Das weiß ich auch. LENZKE:

Jakob, du bist ein Lump, sagt's! Deine Tochter ist eine und du lebst davon! GENSICKE :

Jakob! Kannst du das aushalten? LENZKE :

Und zwei Augen seh'n mich an — zwei Augen, Wilhelm! Ich kann sie nicht sehen! Weißt du, wessen Augen es sind? . . . Lenes, als sie noch ein Kind war. Ein unschuldiges Kind! Er läuft auf und ab; vor Gensicke stehenbleibend, drohend. Ich leb' davon, sagst du? 70

GENSICKE :

Ich hab's nicht gesagt. LENZKE :

E s h a t ' s einer gesagt! GENSICKE:

D u selber. LENZKE :

E s ist nicht wahr, Wilhelm! Wer's gesagt hat, hat gelogen! — Ich hab' meine Pension — sie ist j a klein, j a — aber ich verdien' doch auch mit meinem Büro. — U n d — und — wenn's auch noch so wenig ist. E s ist gelogen, Wilhelm! — Bloß hin und wieder bringt sie etwas zum Leben mit — bloß hin und wieder — und wenig, ganz wenig. J a ! Und es ist doch auch ehrlich Verdientes dabei - oder meinst du, es ist'ne Schande, Kellnerin zu sein? GENSICKE:

Nee. Es kann ebenso 'n ehrlicher Beruf sein wie jeder andere. LENZKE:

Nicht? Siehst du! Also brauch' ich mir doch keine V o r würfe Schaudert. Die Augen! Die A u g e n ! — Wilhelm, es muß anders werden mit mir. Es s o l l anders werden! Ich w i l l nicht mehr vor mir selber fortlaufen! — Ich fange ein anderes Leben an. Ja. Ich tu's ganz gewiß! Aber was? — Weißt du was, Wilhelm? Taubenzüchter will ich werden. Lacht. J a ! D a s ! GENSICKE:

Mit deine drei Viecherchen in der Zigarrenkiste a u f m Boden? LENZKE :

Es ist der Anfang, der Stamm. Bis jetzt war's b l o ß Spielerei. Aber wenn ich ernst mach'! — Bloß Fleiß u n d

71

Ausdauer, weiter nichts! — Ja. Gleich geh' ich auf'n Boden und füttere die kleinen Dinger. Komm mit', Wilhelm. Du sollst seh'n: J e t z t hab' ich das Richtige gefunden. G E N S I C K E löscht die

Lampe:

Ja. Ich hab' die kleinen Viecher gern. LENZKE

triumphierend:

Ich rapple mich wieder auf, sag' ich dir!

Beide ab. — Es

dämmert. Die Bühne

leer.

bleibt für ein Weilchen

S T R E L I N G steckt den Kopf

Polonaise! Klara,

zur Tür

herein, ruft

Er pfeift eine entsprechende Melodie;

v . Wantritz,

Helene;

giert und unter dem Einfluß

alle übernächtigt, der genossenen

K L A R A wirft ihren Hut lachend auf's

Sofa.

zurück: ihm

folgen:

etwas

deran-

Getränke.

Vorm

Spiegel:

Guten Morgen, Fräulein Gensicke! STRELING:

Halt! Jeder Herr küßt seine Dame! v. WANTRITZ:

Helene, Blume meines Herzens, neige deine Rosenlippe mir zu! K L A R A wehrt sich gegen

Geh weg!

Streling:

Sie reißt sich los.

Ich will das nicht mehr!

STRELING:

Die weiße Rose wird spröde! LENE :

Hahaha! 'n bisken spät - heute früh! 72

v . W A N T R I T Z steigt

auf einen

Stuhl

und

singt:

Rote Rose, rote Rose, Blütest frisch im dunklen Moose Noch beim Morgenrot. Doch dann kam ein Sturm gegangen. Ach, wie bleichten Deine Wangen, Und am Abend warst Du tot. KLARA:

Nein, nichts vom Tod! Sowas mag ich nicht hören. Wir wollen lustig sein, ja? Immer lustig! LENE:

Was machen wir nu? — Halt! Wir trinken alle mit'nander Kaffee bei mir. Kurt, was sagste dazu? v. WANTRITZ:

Akzeptiert! Stern meiner Nächte! Champagnerperle du! LENE:

Also los! Singt. „Was kommt dort von der Höh', was kommt dort von der Höh', was kommt dort von der ledernen Höh'!" Ab. v . WANTRITZ mitsingend.,

ab.

STRELING:

Komm, weiße Rose, wir wollen auch Kaffee trinken. KLARA:

Ich will keinen Kaffee. Wein, ja! Ach, wie schade, daß der Tanz schon zu Ende war. Ich hätte noch den ganzen Tag tanzen können. STRELING:

Bei mir tanzt schon jede Gehirnzelle einzeln Polka. KLARA

lachend:

Deine Gehirnzellen tanzen? 73

STRELING :

In meinem Schädel muß es aussehen wie in einem Kala Keila — warte mal! Ka—lei—do—skop! KLARA

lachend:

Ka—la—lei—do-skop! STRELING:

J a , aber jetzt komm! K L A R A geht zum

Fenster:

Wie hell es schon wird! Ach, und geschneit hat's! Ganz weiß sind die Berge. Als fiele es ihr plötzlich ein'. Ach ja, ich sollte ja mit dem Hermann heute nachmittag! Heute nachmittag? J e t z t müßte er kommen, gerade jetzt! Ich hab' ja noch so viel Kraft in mir! Ich bin ja so munter und so —! So sollte er mich sehen! Er würde sich wundern, nicht? S T R E L I N G , der sie aus

einiger

Entfernung

betrachtet:

Hahaha! KLARA:

Was lachst du? STRELING:

„Legen Sie sich schlafen, Fräulein Klärchen", würd' er sagen, „Sie sind nicht ganz nüchtern." KLARA:

Das ist nicht wahr, das würde er nicht sagen! — Wie du aussiehst! Äh! So wüst und kraftlos! STRELING:

Kraft genug, dich zu halten! KLARA :

Nur die Augen so — wie — wie Feuer!

74

STRELING:

Ja! Es brennt in mir! Komm hinaus zu den andern. Komm, sage ich dir! Ich darf nicht allein mit dir sein. KLARA:

Glaubst du, daß Hermann morgen fortgeht? STRELING:

Er sagt's. KLARA:

Und daß er wiederkommt! STRELING:

Er wird sich hüten. KLARA:

Ich glaub's auch nicht. Ich möchte mit ihm gehen, weit, weit fort von hier, wo es schön ist und warm. Und er müßte mich in die Arme nehmen ach, das ist ja Unsinn. Er geht und läßt mich allein. So ist's. Ich will nicht allein sein! Paul, ich fürchte mich, allein zu sein. STRELING:

Ich bin ja hier. Ich bleib' hier, Klärchen! Halt zu m i r ! Hörst du! KLARA:

Nicht allein sein. Küß mich, Hermann! STRELING:

Hermann und immer wieder Hermann! Halt, es kommt jemand! Türengeräusch. KLARA

verwirrt:

Nichts sagen! STRELING öffnet die Tür im

Hintergrunde:

Hier! Komm, Klärchen! 75

KLARA:

Nein. STRELING:

Schnell!

Er zieht die etwas Widerstrebende

die Tür. — Es ist heller Tag geworden. kommen im

hinein und schließt

Gensicke

und

Lenzke

Gespräch.

LENZKE :

Ja. Denn siehst du: auf dem Lande ist das Leben noch billig, weil man alles selber hat. Du brauchst nur zu nehmen. — Also vor allen Dingen halte ich mir Tauben. Hunderte. Tausende schließlich. Außerdem Hühner, Enten, Gänse. Und sonstiges Getier. Alles, was drin war in der Arche Noahs. Ich beackere mir selber mein bißchen Land und lebe ruhig und friedlich dahin; keinen Fuß setz' ich mehr in die Spelunken. Bier zieh' ich mir selber ab. — G E N S I C K E , ungläubige

Miene

und

Geste:

Hahaha! LENZKE:

Du glaubst es nicht? Wilhelm, ich schwör' es dir zu: von heute ab beginnt ein neues Leben mit Lenzke! Von heute ab gibt's keinen Früh- und keinen Abendschoppen mehr! Und die Lene muß 'raus aus ihrem Beruf! GENSICKE :

Meinst du, daß sie Kühe melken wird und Schweine füttern? LENZKE:

Muß sie. Ich bin der Vater und hab' die Autorität. GENSICKE :

Es is anders, sag' ich dir, Jakob. Autorität ist, wer's Geld verdient! — Und wovon willste es denn bezahlen: dein „kleines Gut", wie de sagst? 76

LENZKE:

Es wird sich schon machen lassen. GENSICKE:

Wie? LENZKE:

Wie? Hm. Auf irgend eine Weise, Wilhelm. Das überleg' ich mir schon noch. Aber was ich will, das will ich L GENSICKE:

Und beim Überlegen und Wollen bleibt's. LENZKE:

Du bist'n Unglücksrabe, Wilhelm. Ich muß was hoffen! GENSICKE :

Schön. Tu' ich auch. Aber sich nischt vormachen. Sieh mal, ich hoff' sogar, daß es mit der ganzen Welt besser und immer besser wird. Daß ein Tag kommt, wo kein Mensch mehr weiß, was Hunger und Elend is. Wo man sich nich bloß um den Magen zu sorgen hat. Fest hoff' ich's! Aber für mich hoff' ich bloß, daß ich wieder Arbeit krieg' und mich nich als Faulenzer von Frau und Tochter ernähren lassen brauch'. Und daß meine Kläre brav und ordentlich bleibt. Ich sag' dir: Ging's, ich hätt' schon mein Ränzel geschnallt und wär' losgezogen wie damals als junger Bursch. Ha! Kein Deubel könnt' mir was! G e l a c h t hab' ich, wenn der Meister sagte: „Feierabend! Kannst geh'n!" Das war die schönste Zeit, weil kein andrer drunter zu leiden brauchte. LENZKE :

Wilhelm: wir wollen auf die Walze gehn! GENSICKE :

Nee, Jakob. Ich komm' nich mehr mit mit mein lahmes Bein. Wenn's j e t z t schiefgeht, da hab' ich nicht weit. Am Fenster. Da, da oben, wo die große Tanne steht — siehste da, die große Tanne? — da!

77

LENZKE :

Da? Er schüttelt sich. Ich versteh' dich nicht. Da oben, wo's so kalt ist? GENSICKE:

Da muß man sich eben ein recht warmes H a l s t u c h mitnehmen. LENZKE entsetzt:

Wilhelm! Du meinst doch nicht — GENSICKE:

Ja, Jakob. Es gibt auch Halstücher aus Hanf. LENZKE :

Wilhelm! Das ist Sünde, schwere Sünde! GENSICKE :

Manchmal ist das Leben auch 'ne Sünde! LENZKE:

Unheimlich. Wilhelm, ich krieg' Angst vor dir! GENSICKE :

Ja. Du brauchst die bengalische Beleuchtung. LENZKE

stöhnend:

Die Augen! . . . Die Augen! Es läutet im Korridor. GENSICKE :

Nach dem Frühschoppen wird dir wieder besser! Er geht hinaus und kehrt zurück mit Behrens, BEHRENS:

einem ältlichen

Herrn.

Ja. Es handelt sich um eine eilige Sache, lieber Herr Gensicke.

Er

Herr Lenzke! 78

bemerkt

Lenzke,

der erschrickt.

Sieh

da,

LENZKE

verwirrt:

Herr Behrens, entschuldigen Sie — mein Aufzug — wir waren Tauben füttern. Will ab. BEHRENS:

Bleiben Sie nur ruhig hier. Ich bringe keine Geheimnisse. LENZKE :

Mit Verlaub - meine Geschäfte - ich bin mit Arbeit überhäuft - mein Büro - meine Tauben - empfehle mich, Herr Prokurist. Ab. BEHRENS:

Morgen! — Büro? Ach so — GENSICKE bietet Platz

an:

Bitte schön, Herr Behrens. B E H R E N S setzt

sich:

Ja. Lenzke ist wohl so eine Art Winkeladvokat? So flott geht das Geschäft? Sollte man kaum annehmen. .GENSICKE:

Hm. Ja. Das heißt BEHRENS

lachend:

Ach so. Es soll nach etwas aussehen. Oder befürchtet er, daß ich ihn in unser Kontor zurückholen werde? Ach nein, nein. GENSICKE:

Meine Eingabe hat er auch geschrieben. BEHRENS:

Sehr geschickt war sie nicht. Worte, ungeheuer viel Worte. Aber kein Inhalt. GENSICKE :

Also deshalb hat's nichts genützt? 9 Münchow, Dramatik III

79

BEHRENS:

N—ein. Das grade nicht. Ich konnte beim besten Willen nichts tun, lieber Gensicke. Beim besten Willen. Glauben Sie mir: ich habe mir große Mühe, s e h r große Mühe gegeben. Wir sind ja beide alt und grau geworden auf dem Werk, nicht wahr, aber es bestand da ein Beschluß der Direktion — allgemeiner Natur — na, lassen wir's ruhen! Er ist trotz meiner eindringlichsten Einwände gefaßt. — — Gestern waren Sie auf dem Werk — es wurde mir erzählt. — Sie haben sich bitter beklagt. Sie haben Abschied genommen und Sachen gesprochen, Sachen! Er

reicht

Gensicke

die

Hand.

I c h w a r sehr

erschüttert,

sehr! GENSICKE :

Herr Behrens, wenn Sie — wenn ich — BEHRENS:

Ich verstehe es, lieber Herr Gensicke. Ich verstehe es nur zu gut, denn ich habe manches erlebt in meiner langjährigen Tätigkeit als Leiter der Fabrik. Glauben Sie mir: Mein Amt ist nicht leicht. Man ist wie ein Prellbock für zwei Seiten. Vieles habe ich zu hindern gesucht. Manches habe ich gemildert. Aber schließlich: ich bin auch nur ein bezahlter Beamter, der für sein Brot arbeitet. Lassen wir das. Man tut, was man muß. Man tut oft, was man nicht will. — Genug: der erwähnte Beschluß ist gestern aus bestimmten Gründen aufgehoben worden. Und Sie sehen: heute bin ich hier — Sie sind mir wiederholt eingefallen in der letzten Nacht; ich sah Sie — aber fort mit diesem schrecklichen Bilde! — genug: ich frage Sie: halten Sie ihren Antrag aufrecht! Wollen Sie wieder bei uns eintreten? GENSICKE in überströmender

Freude:

Ob ich will! Herr Behrens, ob ich will! — Es braucht ja keine großartige Stellung zu sein. Als Wächter oder Portier oder sowas. BEHRENS:

I nein! Dafür haben wir genügend Leute, die weiter nichts verstehen. Sie sollen — das ist mein Plan — die 80

Leitung der Reparaturwerkstätte übernehmen. Wir werden voraussichtlich mit vielen neuen Kräften dort arbeiten müssen. GENSICKE:

Meister? Ich soll M e i s t e r werden? Ist das im Ernst, Herr Behrens. BEHRENS:

Ich bin nicht gekommen, um Scherze zu machen. GENSICKE :

Ich kann's nicht glauben! Ich kann's nicht! BEHRENS :

Sie werden mit einem monatlichen Anfangsgehalt von einhundert und achtzig Mark angesellt. GENSICKE :

Hundert und - ? BEHRENS:

Achtzig, Mark, ja. Morgen können Sie die Stellung antreten. GENSICKE:

Herr Behrens, ich weiß nicht, wo ich bin — ich — ich — mir geht alles rundum — Frau Gensicke, Korb und Laterne in der Hand,

tritt mit finsterer Miene ein.

Mutter!

Morgen schon! Morgen geht's wieder los! Herr Behrens, sagen Sie's ihr selber. Sie glaubt's sonst ja nicht. FRAU:

Morjen, Herr Prokuriste! Is det wahr? BEHRENS :

Ihr Mann kann morgen eine Meisterstellung bei uns antreten. 8l

FRAU:

Det is woll nich möglich. Herr Behrens. BEHRENS lächelnd:

Soll ich es Ihnen schriftlich geben? — Er erhebt sich. Dann darf ich also wohl darauf rechnen, Meister Gensicke, daß Sie morgen früh — GENSICKE :

Pünktlich Behrens.

um

sieben.

Pünktlich

wie immer.

Herr

FRAU:

Dafor sorg ick schon. BEHRENS reicht beiden die

Hand:

E s freut mich, daß Sie einverstanden sind. Nun wird auch alles wieder besser werden. . . . Ja, ja. So ändern sich die Ansichten, lieber Gensicke, was? Man wird älter, reifer, besonnener. Man urteilt nicht mehr so mit dem Herzen. F R A U schnell:

Ganz gewiß. So ist et. GENSICKE

ahnungsvoll:

Ich — ich versteh' nicht recht. Was — was meinen Sie mit den Ansichten, die sich ändern? Er sieht mit großer Angst auf

Behrens.

BEHRENS:

Ich meine, was das Aufgeben der Arbeit anbetrifft, aus — sagen wir: aus Gründen der Kollegialität. GENSICKE :

Ja, ja, gewiß. Ruhiger wird man. Aber — aber — er gibt sich einen Ruck, fest: ich denke noch ebenso wie früher. FRAU:

Mann! Was red'ste? E t is nich wahr, Herr Behrens. 82

GENSICKE:

Das weißte doch. — Also, dazu kann ich mich nich verpflichten. Lügen tu' ich nich, Herr Behrens. BEHRENS :

Sie sollen sich weder verpflichten, noch sollen Sie lügen. Es handelt sich ganz einfach darum, ob Sie nun, nachdem gestern Abend in einer Versammlung von den Arbeitern unserer Fabrik der Ausstand beschlossen ist, — ob Sie nun die Ihnen offerierte Stellung annehmen. GENSICKE :

Ausstand? BEHRENS:

Ja, wissen Sie denn das nicht? Weil wir die Rädelsführer entlassen haben. GENSICKE:

Hermann! FRAU:

Gewiß, Herr Prokuriste, er nimmt an. GENSICKE :

Nein, Marthel FRAU:

Mann! Biste denn janz und jar! — Er nimmt an. GENSICKE sich gewaltsam

zusammenraffend:

Nein, Marthe! Hier red' ich! — Herr Behrens, ich habe stets zu meine Kollegen gehalten. Und'n Verräter werd' ich nich! BEHRENS:

Ach was, „Verräter". Das sind solche Phrasen. Sie sind

83

sich doch selbst der nächste. Die Fabrik macht Ihnen da ein glänzendes Anerbieten; ich komme selber hierher und GENSICKE

einfallend:

Herr Behrens! Die Fabrik hätt' mich verhungern lassen, wenn sie mich jetzt nich brauchte. — Untergehn hätt' ich können mit meine lahmen Knochen, die ich mir da ruiniert hab'. Für die Fabrik ruiniert hab'. Kein Deubel hätt' nach mir gefragt, wenn ich mir'n Strick um'n Hals gelegt hätt'. Und warum? Weil ich vor drei Jahren als Mann meine Überzeugung vertreten hab'. Und wenn ich auch morsch bin jetzt — ich hab* auch meine Ehre! Und darum sag' ich nein und nein und nein! FRAU :

Er is von Sinnen. Herr Behrens, er is nich recht mehr. BEHRENS :

Jedenfalls überlegen Sie sich das noch mal. Man muß die Dinge doch so nehmen, wie sie sind! Ich verstehe das ja, Gensicke. Aber was nützt das alles. W i r können's nicht ändern. Ein jeder muß seh'n, wo er bleibt. — Für die Zukunft wäre solche Kalamität ausgeschlossen. Nach ihrem abermaligen Abgehen — sofern es auf friedliche Weise geschieht —: Pension. Das würden wir kontraktlich festlegen — seien Sie vernünftig, Gensicke! Mit solchen unfruchtbaren Idealen kommt man in der harten Wirklichkeit nicht weit. Bis morgen Mittag halte ich die Stellung für Sie offen. Ab. FRAU:

Er nimmt an! J « der Tür nachrufend. Sie können sich fest druff verlassen, Herr Behrens! GENSICKE ist stöhnend auf einen Stuhl

gesunken.

FRAU:

Det heeßt! Nu sage mal! Mann, Mann, Mann! Haste 84

denn jar keen Verstand mehr! Außer Fassung. Da kommt sowat wie von'n Himmel! Det is jradezu wie'n Wunder! Da — da und du, du sagst: nee?! Wat soll'ck denn — j a , w a t , w a t — bei Gensicke,

schreit.

Du, wat

denkste

dir denn bloß?! GENSICKE :

Ich bring's nicht über's Herz, Marthe. FRAU:

Und ick sage dir: Du nimmst an! Und wenn'ck dir selber hinschleppen soll! Sie rennt einige Male, wie um Luft ringend, auf und ab. Ach so. Du weeßt noch nich, wat m i r passiert is? — Rausjeschmissen hat mir der Spediteur, weil'ck 'ne Viertelstunde zu spät jekommen bin! Ick hab'n gebitt't, et noch mal jut sind zu lassen! Nee, sagt er! Een for allemal: nee! — Und du red'st hier wat von Überzeujung? Von Ehre und sowat? Nu will ick dir sagen, wat deine Ehre sind müßte: For Brot zu sorjen! For deine Familie zu arbeten! Hinzujehn und zu sagen: Hier bin ick, und nu macht mit mir, wat'r wollt! GENSICKE :

Ich kann's nicht! FRAU packt und schüttelt

ihn:

Und ick sage dir: Du jehst! Sie rennt wieder auf und ab, entdeckt plötzlich

den Hut Klaras.

N a n u ? K l ä r e ! Geht zur

Tür. K l ä r e t

4. A K T Am

Nachmittage

Fenster,

Gensicke

allgemeinen

desselben in einer

resigniert, nicht

Tages.

Schneewetter.

Sofaecke.

Beide

Klara

geben sich

am im

sentimental.

GENSICKE nach einer kleinen Pause,

leise:

Kläre.

85

KLARA:

Was, Vater? GENSICKE:

Komm' mal her, mein Kind. K L A R A bei

ihm:

Ach, Vater! GENSICKE :

Ja, Vater! Hast du kein Wort für ihn? KLARA:

Warum reden? GENSICKE :

Kind! Kind! KLARA:

Ich bin zwanzig Jahr. GENSICKE:

Aber mein K i n d ! KLARA:

Ja. Und ich war so ein artiges Kind, nicht? GENSICKE:

Bis heute. KLARA:

Es kommt wohl für jeden mal. Dann ist das Kindsein vorbei. GENSICKE :

Aber so — so! 86

KLARA:

So oder so, Vater. Jahrelang hab' ich an der Kette gelegen. Eingesperrt war ich. Jetzt hat's mich dahingerissen, wohin ich gekommen bin. GENSICKE:

Halten hätt' ich dich sollen gestern abend. KLARA:

Das hättest du nicht gekonnt. GENSICKE:

Kind! Wie hab ich gesorgt! Wie hab' ich all die Jahre dich geschützt vor dem. Und nu kommt e i n so'n Lump, und alles ist umsonst gewesen. KLARA :

Lump ist nicht das richtige Wort. GENSICKE :

Willst du das noch verteidigen? KLARA:

Nein. Es gibt nur einen, der es vielleicht verlangen kann. Und der wird's nicht, der ist zu stolz dazu. GENSICKE:

Hermann. KLARA:

Ja, Hermann! Warum ist er nicht gekommen heute morgen? G e s c h r i e n hat's in mir nach ihm! GENSICKE :

Ich warte jetzt auf ihn. 87

KLARA:

Was willst du von ihm? GENSICKE :

Ich muß ihn fragen, was ich tun soll. KLARA:

F ü h l s t du's nicht selber? Ach, Vater, wir dürfen nicht auf andere warten, die zu spät kommen. Wir müssen auf uns selber hören. Ich hab's heute auch gefühlt und hab' nicht darauf gehört. Wir dürfen nicht nachgeben, Vater! Nicht nachgeben dem, das uns schwach macht! GENSICKE :

Nicht nachgehebn! Er erhebt sich. Nicht nachgeben! Und du? KLARA:

Mir ist alles gleichgültig. GENSICKE :

Kind! KLARA:

Mein Kopf ist so leer. Mein Herz ist ausgebrannt wie von Strohfeuer. Ich m a g nichts denken, Vater! Ich will nichts mehr! Nichts! GENSICKE:

So jung, wie du bist! KLARA:

War ich mal jung? GENSICKE :

Und wie jung! Wie stark und und frisch! Ich seh' dich noch vor mir: Ach, so ein hüsches und liebes Ding!

88

KLARA:

Nicht, Vater! Ich mag nichts hören ist das Leben, Vater, wozu, wozu?!

davon!—Wozu

GENSICKE :

U m früh alt zu werden. KLARA:

Alt, ja. Das ist auch ein Gespenst. Immer näher kommt's, immer näher und saugt uns die K r a f t aus den Knochen. Wir müssen warten — warten! Vater, was soll'n uns die Sterne, wenn wir nicht mehr sehen können! Das hab' ich mir so oft gedacht. GENSICKE :

Ja. W a s soll'n uns die Sterne? E s war wohl grad' einer im Aufgehen für dich, und du sahst ihn nicht. E s hätte so schön für dich werden können. Kind, Kind, was dachtest du bloß? KLARA:

Nichts, V a t e r ! Ich hab' nur gefühlt! Mir war's, als h ä t t ' ich Flügel! Sie hat sich erhoben. Als flöge ich auf, immer höher, immer höher! Und sie sagen ja, ich b i n geflogen! Alles drehte sich mit mir. Der Saal, die Musikanten, die anderen Menschen. A n die Decke flog ich, durch die Lichter. Mir war's, als könnt' ich fort von der Erde. Gekocht hat's in mir und gebrannt. Gebrannt wie ein großes, höllisches Feuer! Sinkt aufs Sofa. GENSICKE:

Armes, krankes K i n d ! — L a ß nur. Es geht a l l e s vorüber. Kläre. KLARA:

Ja. Alles. Morgen werd' ich wieder sitzen und nähen. Ganz still will ich sitzen — immer, immer. 89

GENSICKE :

Kläre, du wirst Muttern beistehn. KLARA:

Ja. Nur noch arbeiten. Für dich und Mutter. GENSICKE:

Für mich. — Nein — nein! Er geht zum Schrank, entnimmt demselben Winterpaletot und Hut und kleidet sich an. N i c h t

nachgeben! Nicht nachgeben! Klara: Wo willst du hin? GENSICKE:

Bißchen in die — in die Luft, ja. KLARA:

Es schneit und stürmt. GENSICKE :

Ich muß. Zeigt aus dem Fenster. Dorthin, Dorthin. KLARA:

Auf die Berge? Dort wohnt der Mut, sagt Hermann. GENSICKE :

Der Mut ja. Und der Friede. Leb' wohl, mein Kind, mein Kind. K L A R liebes A: Du weinst, Vater. Vergib mir. G E N S I C K E küßt

sie:

Sei wieder brav, mein Kind. Und grüß den Hermann von mir. Sag' ihm: Wir müssen alles verstehen. 90

Vielleicht kann er's verschmerzen. liebes Kind! Langsam, ohne sich umzusehen, K L A R A sucht sich, klar zu

Vater? Sinkt

Draußen fällt

auf einen Stuhl. Pause.

Adjö, mein ab.

werden:

eine Tür ins Schloß,

angstvoll.

Vater!

O Vater! Frau Gensicke tritt ein.

FRAU:

Jing da nich eben wer raus? KLARA:

Vater . FRAU:

Wo'n hin? KLARA:

In die Luft, sagt er. Auf die Berge. FRAU:

Bei s'on Wetter! Na, vielleicht wird er draußen vernünftig.

D e t i s j a — ! Sie

geht unschlüssig

auf und ab.

Dann.

Also, Kläre — KLARA:

Was? FRAU:

Also ick hab' mit Streling 'n ernsten Ton jered't. Kurz und jut: Is allens in Ordnung. In'n paar Wochen biste Frau Streling. KLARA:

Ich soll - ? FRAU:

Wie't sich jehört. Er wollt' sich sowieso verheiraten, sagt er. Und weil't nu jrade so jekommen is -

91

KLARA:

Bin ich's! - Nein, Mutter! FRAU:

Na! - weeßte! Nu hört aber Verschiedenes uff! KLARA:

Das kann ich nicht, Mutter. FRAU:

Kann nich? Det Wort ha'ck doch heute schon 'mal jehört? Ja, wat is denn det mit dir und dein' Vater! Lebt Ihr uff'n Mond? Wollt'r denn de W e l t uff'n Kopp stellen? KLARA:

Mutter, laß mich zufrieden! FRAU:.

Na, is jut. Ick seh' schon: De bist noch'n bisken so von jestern. Wolln mal abwarten, bis de wieder zu Verstand kommst. „Kann nich!" Na, for sojescheut halt'ick dir denn doch n o c h ! Beschäftigt sich, um ihre Erregung zu bemeistern. — Helene im Straßenkostüm, Pelzboa; v. Wantritz. STIMME L E N Z K E S :

Und ich sag' dir: Es muß anders werden! LENE

zurücksprechend:

S c h o n j u t , V a t e r ! Sie knöpft ihre Handschuhe

zu.

STIMME L E N Z K E S :

Ich leid's nicht mehr! Anständig bin ich geboren, anständig will ich sterben! LENE:

Jadoch! Leg' dir man schlummern! Scheint ja wieder'n saftiger Frühschoppen jewesen zu sind. 92

STIMME LENZKES :

Ich befehle dir als dein Vater! LENE:

Befehle du man! — Wenn er voll is, kriegt er allemal 'n m o r a l i s c h e n . Man hört Lenzhe

schelten dann kracht

eine

Tür. Na, Kläre, wie is't denn mit 'n kleenen Bummel? Klara: Ich mag nicht. LENE:

Nu kuck bloß mal, was das Kind für'n Jammer hat! Zu Frau Gensicke. Mein blaues Wunder ha'ch gehabt gestern. Alle b o n h e u r ! Da konnten wir ja kaum mit. Wäre doch ganz schön, wenn wir jetzt noch 'ne kleine Nachfeier machten. Der Streling schnarcht zwar noch wie 'ne Sägemülle. KLARA:

Ich w i l l nicht. FRAU:

Nu laßt mal das Kind zufrieden! Is genug, jestern anjericht' habt.

wat'r

LENE:

W a t haben w i r denn? Nu ist jut. Deswejen! FRAU :

Kläre bleibt hier. Fertig! LENE:

Na, dann komm man, Kurt. Hier is heute so'ne moralische Luft. In der Tür. Also um sieben rum sind wir in Café Bauer. Ab. v . WANTRITZ hat Klara

die Hand gereicht,

herzlich:

Leben Sie wohl, Fräulein. Schade um Sie! Ab.

93

FRAU:

Liederliches Mensch! Mir jucken die Finger, wenn'ck se seh'. KLARA:

Warum andere verantwortlich machen? FRAU:

Andere? Na, du kannst woll nich dafor! Fahrig auf und ab. Bin ick denn? Oder wer is denn eijentlich verdreht hier! Ab. Pause. Petzold tritt ein. PETZOLD sich den Schnee

abschüttelnd:

Heissa! Das ist'n Wetterchen! Der Wind pfeift, und die Flocken tanzen. Da woll'n wir auch dabei sein, was, Klärchen? KLARA erschrocken:

Hermann! PETZOLD

Sie dachten wohl schon, ich käme nicht mehr? Hab' zu lange gepackt. Zwei Kisten voll gedruckter Weisheit. Da sah ich bald in dies, bald in das Buch, schlug ein paar Blätter um und ärgerte mich schauderhaft darüber, daß ich das meiste vergessen hatte. — Warum machen Sie denn so'n erschrecktes Gescicht? KLARA abwehrend:

Nicht, nicht. PETZOLD:

Sei'n Sie doch nicht gleich so bös. Ich will's nicht wieder tun. KLARA : voll Schmerz und Neid:

Wie froh Sie sind! 94

Petzold: Ja, ich bin froh! Weil ich frei bin. Auf einige Tage wenigstens, auf Wochen vielleicht. Wo werde ich morgen sein? Wo übermorgen? Wo in einem Monat? Es ist schön, das nicht zu wissen. Zu denken: Es könnte etwas auftauchen aus dem Dunkel — plötzlich, ganz plötzlich. Etwas Neues. Klara: Das sind auch Illusionen. Petzold: Illusionen? — Möglich. Schadet ja auch nichts. Wenn's mich nur freut! Eine Blume ist auch eine Illusion. Sie freut uns, solange sie blüht. Dann trocknet sie, fällt auseinander — zu Ende ist's. Und im nächsten Jahre gibt's neue. Aber nun kommen Sie. Schwatzen können wir draußen auch. Ich weiß einen famosen Weg, der führt hinauf zum höchsten Berg. Die Bäume bilden ein Dach über uns, ein weißes Dach jetzt. Beinahe wie in einem Märchen ist's da. — Klara: Ich kann nicht mitkommen. Petzold: Sie k ö n n e n nicht? Betrachtet sie forschend. Haben Sie sich so verändert seit gestern? Oder ist es die Beleuchtung? Vielleicht auch, weil Ihr Haar so glatt gekämmt ist und gescheitelt? Sie sehen älter aus als gestern. Klara: Ich bin's auch. Petzold: Natürlich. Vierundzwanzig Stunden beinah'. Klara: Gehen Sie, Hermann. Sagen Sie Adieu und kommen Sie niemals wieder! 10

Münchow, D r a m a t i k I I I

95

PETZOLD:

Kommen Sie niemals

?

KLARA:

Niemals wieder. PETZOLD:

. . . ? Ahnen Sie nicht, was ich Ihnen heute sagen wollte? KLARA:

Nicht — nicht! Sagen Sie's ja nicht. PETZOLD:

Doch. Ich m u ß es Ihnen sagen. Es ist der letzte Tag heut'. Da hilft kein Aufschieben mehr. Bloß hier wollt' ich's nicht. Hier hört sich alles so dumpf an und stumpf. Es liegt keine Hoffnung drin. Hatte mir's so schön vorgestellt: Wenn wir 'raufklettern auf den Berg, unterwegs, da wollt' ich all' Ihre Angst verjagen. All das Traurige und Bange, was Sie niederdrückt. Und dann, wenn wir oben sind, wenn der Wind um uns saust und Ihnen die kleinen Locken da um's Ohr fliegen würden, dann sollten Sie lachen — so wie gestern I KLARA:

Gestern! PETZOLD:

Sie sagen das grad', als ob's kein Heute gäb', kein Morgen, kein Übermorgen! — Klärchen, wir sind ja noch so jung! Und wenn's drauf ankommt — Herrgott, man ist ja nicht aus Schokolade gemacht. Bin selber zu ängstlich gewesen. Hab' zu viel überlegt dabei. Und's läßt sich doch einmal nicht unterdrücken. Darum soll's jetzt 'raus, was ich Ihnen schon lange sagen wollte! Er faßt ihre Hände. K l ä r c h e n ! I c h —

96

Klara: Nicht! - Sprechen Sie nicht! Umarmt ihn plötzlich. Sag's nicht, Hermann! P e t z o l d küßt sie. Kleine

Pause.

Klara: Warum bist du nicht heute morgen gekommen? Petzold: Heute morgen? Klara: Jetzt ist's ja zu spät. Petzold: Zu spät? Sagte das nicht der . . . ? - Von gestern bis heute? Klara: Von gestern bis heute. Petzold: . . . Das — das ist nicht wahr. Das darf nicht wahr sein! Klara: Armer Hermann. Es ist. P e t z o l d steht wie betäubt:

D e r da? Auf die Tür links hinten zu. Schreit. O , d u

Hallunke! Kleine S t r e l i n g wüst, wie plötzlich durch die Tür links hinten.

Pause. aus dem Schlafe

gerissen,,

Klara: Weg, weg! 10«

97

PETZOLD:

Hund, du! KLARA:

Hermann! Um Gotteswillen! PETZOLD:

Ach, Ihr Jammermenschen! Zu Klara. Laß uns allein. K L A R A zögert:

Aber nicht PETZOLD

Hermann

nicht —

schroff:

Geh! Hab' nur keine Angst um deinen lieblichen Jungen da. K L A R A langsam

ab.

STRELING:

Ach sooo. PETZOLD:

Dämmert's in deinem Grützkasten? Wacht ein armseliger Funke auf? STRELING:

Ich war besinnungslos. PETZOLD:

Wußtest du's, oder nicht, daß mir das Mädel lieb war? STRELING:

Ich wußt's — ich wußt's auch nicht. Jetzt weiß ich bloß, daß so ein Mensch ein trauriges Geschöpf ist, eine Lumperei, auf die Erde geworfen, um den Schmutz zu vermehren. PETZOLD:

Erwürgen könnt' ich sie und dich! Ja, dich vor allem! 98

STRELING:

Glaub's dir, Hermann. Ich denke ähnlich über mich wie du. Ein paar Glas Wein und das letzte Restchen von Besinnung ist zum Teufel. Schreit. Was? Ist das etwa keine Entschuldigung? — Ha! — Was weißt du, Proletarier! — Säufst Bier und Wasser! — Hast noch keinen Wein getrunken. Keinen, der die paar „armseligen Funken" lichterloh anbläst! Pause. Mensch, so rede bloß 'n Wort! Tritt mich unter die Füße, spuck mich an, aber steh nicht da in deiner verdammten Erhabenheit, als wärst du für alle Zeiten sicher vor solchen Entgleisungen ! Schlägt ihm auf die Schulter. Du! Hörst du! Du bist kein Gott! PETZOLD schleudert

ihn

beiseite:

W a s c h l a p p e n ! Er wendet sich ab. STRELING:

Hab' ich dich nicht gewarnt? Hahaha! Vor mir selber gewarnt! Das ist köstlich. Was? Tränen? PETZOLD:

Was kümmert's dich! — Ach, du Schuft, du! STRELING:

Was soll ich tun? Soll ich mir eine Kugel in den Schädel jagen? Genügt dir das? PETZOLD:

Tropf! In deinem ganzen Wanst ist nicht so viel Kraft, um die Pistole halten zu können. In allen deinen Fasern nicht so viel Mut. STRELING: S o ? ! Schnell

ab in sein Zimmer;

kehrt mit einem

Revolver

Siehst du den da? Ein liebliches Instrument! Ein Universalheilmittel! Ein kleiner Gott! — Deine Stunde ist gekommen, Paul. Adjös, Hermann. Grüß die Klara von mir. Er hebt den Revolver an die Schläfe.

zurück.

99

P E T Z O L D schlägt ihm denselben aus der

Hand:

Komödie! S T R E L I N G erst verblüfft, lächter

bricht dann in ein schallendes

Ge-

aus:

Hahaha! Du willst den Ehemann retten, was? Schade, schade! Der Moment kommt sobald nicht wieder! — Stößt den Revolver mit dem Fuß beiseite. Meinetwegen. Tot oder verheiratet — das bleibt sich gleich. Ist keine Kugel für mich übrig, dann doch ein Standesamt, das die ramponierte Ehre flickt. Hahaha! Juchhe! Eine Hochzeit werd' ich ausrichten, daß den Leuten die Mäuler offenstehn. Paß auf: ich werde Ehrenbürger hier, indes sie dich mitsamt deiner Moral und deinen Weltverbesserungsplänen hinter die Gitterfenster bringen werden. PETZOLD:

Möglich. Aber was du getan hast, das bleibt. Das löschst du nicht aus, und wenn ihr die goldene Hochzeit mitsammen feiert. STRELING:

Seht den Vorurteilslosen! PETZOLD:

Ja! So möchtet ihr die Vorurteilslosigkeit aufgefaßt wissen: ein Spielzeug erst, gut für ein paar vergnügte Nächte — und dann einige Tränen weinen, wenn man durch den Polizeibericht unangenehm daran erinnert wird. Pfui Teufel! STRELING:

Es lebe die Freiheit! PETZOLD:

Mensch, tu doch nicht so, als ob du nicht wüßtest, was ich meine. Hätt' euch die Liebe zueinander getrieben ich stünde nicht mehr hier. Beneidet hätt' ich sie und 100

dich — beneidet, j a ! — A b e r das Menschenkind sehnt sich nach Glück, nach Glück! Und du! Du gibst ihm einen Rausch und lebenslänglichen Katzenjammer! — Aber g a n z in deine Hände fallen soll sie nicht. Wenn noch eine Spur von Kraft in dem Mädchen ist, folgt es mir, nicht dir! Frau Gensicke ist während der letzten Sätze

eingetreten.

FRAU:

Nu ist't aber jenug, Herr Petzold. Darüber jibbt et keenen Streit mehr. Die Sache is abjemacht und damit basta! Weeß Gott, mir is't nich ejal, det't so jekommen is, so! Aber wat is, det is! — Und darum sag'ck noch mal zu Ihn', Herr Streling: Wenn Sie'n Ehrenmann sind, denn wissen Se, wat Se zu duhn haben. PETZOLD Klara

in der

Tür:

Klärchen, du kommst mit mir. FRAU:

Jut! Wenn se noch nich jescheut is, mag se! — Zu Klara. Jeh doch! Aber wund're dich nich, wenn't Leben euch nich mit Jlasees anfaßt! Zu Petzold. Wat S i e verlangen, det kann se nich. S i e nich! Kommen Se, Herr Streling. Wir werden ja sehn. Mit Streling ab. PETZOLD:

Du darfst hier nicht bleiben. KLARA:

Wo soll ich hin? PETZOLD:

Du kommst mit mir! K L A R A zweifelnd,

in aufsteigender

Hoffnung:

Mit dir? 101

PETZOLD:

Hast du mich nicht lieb? KLARA :

Mein ganzes Denken war bei dir. Immer! PETZOLD:

Leider nicht immer. KLARA:

Ja. Auch da. Du weißt nicht, wie es in mir herging. — Hermann, du warst es, den ich festhalten wollte in meiner Angst. Du! PETZOLD:

Jetzt m u ß t du mit mir gehen. KLARA überlegt, dann:

Nein. Es ist ja Unsinn, daran zu glauben. Unmöglich ist's. PETZOLD:

Wir vergessen, was war. KLARA:

Vielleicht du - ich könnt's nicht. Mir ist, als hätt' ich dich bestohlen. Und das würde mich scheu machen dir gegenüber. Gestern wär' ich vielleicht mit dir gegangen. Vielleicht! Jetzt ist mir, als müßtest du mich hassen und schließlich von dir stoßen. PETZOLD:

Des Irrtums einer Stunde wegen? Nein! KLARA:

Nicht nur darum. Aber sieh, Hermann. Du bist anders als ich. Hast so viel Trotz in dir und bist unbeugsam, was auch kommt. Wenn ich schwach würde? Kleinmü102

tig? Wenn uns ein Kind käme; ich sollt' ihm Nahrung geben und meine Brüste wären leer — und ich hielt's dir auf dem Arm entgegen: Füge dich um deines Kindes willen! Laß ab von deinem Starrsinn, der immer wieder die Existenz aufs Spiel setzt — Hermann, was dann? PETZOLD:

Das nicht. KLARA:

Siehst du. Es schreckt auch dich, so ein Leben. Furchtbar würdest du leiden. Wie ich. PETZOLD:

Du fürchtest dich also! Hast Angst um den Kochtopf? Kannst nicht einfach sagen: Ich halt' zu dir, was auch wird? KLARA:

Ich seh's hier, was daraus wird. PETZOLD:

Aber wenn du w i l l s t , wirklich willst! KLARA:

Ich hab' kein Vertrauen zu mir, Hermann. PETZOLD:

Wie?! KLARA:

Geh, ich bitt' dich! Geh allein. P E T Z O L D kämpft

mit

sich:

Du hast kein Vertrauen zu dir.

Ja. Dann! Macht sich

langsam zum Fortgang bereit. Ohne Klara anzusehen.

Leb

wohl. KLARA

leise:

Hermann! 103

PETZOLD kehrt zurück und küßt

sie:

Warum? KLARA:

So wie du bist, will ich an dich denken. Oft. Leb wohl, mein Hermann. Beide gehen, sich umarmt haltend, zur Petzold

Tür.

ab.

KLARA schreit

auf:

Hermann! Wird ohnmächtig. Frau Gensicke.

Streling.

Dann

Lenzke. FRAU:

W a t schrie denn hier? Mein Je! Die Kläre! Kind! Wat is dir? STRELING :

Ist was passiert? LENZKE :

Nanu! Die Klara! STRELING:

Wasser! Während Frau Gensicke darauf

schnell

mit dem Wasser zurückkehrt,

und

Lenzke

Stirn

usw.

um die Ohnmächtige.

abgeht und

bemühen sich — Man

gleich Streling

befeuchtet

ihre

KLARA:

Ist er fort? FRAU :

Wer? Petzold? Jott sei Dank. Hoffentlich for immer. KLARA:

Für immer, immer! STRELING:

Lass'n laufen! In sechs Wochen feiern wir eine kreuzfidele Hochzeit.

104

KLARA:

Fidele Hochzeit. Reicht ihm die Hand. Wir beide, Paul. FRAU erleichtert:

Wüßt' ick ja. Bist doch meine jute, vernünftige Dochter. Laß man. Alles kommt wieder in't Lot. Vater wird Meister. KLARA:

Vater kommt nicht wieder. FRAU:

Wat — wat — Lenzke — wat sagt se? LENZKE:

Sie träumt. KLARA:

Vater kommt nicht wieder! FRAU:

Lenzke! Streling! Bin ick denn — bin ick denn — aber so red't doch! Sieht in steigender Angst von einem

andern. Willem! Willem! Wat haste jedahn. Ab. LENZKE abgehend:

Wo die große Tanne steht.

zum

KATER LAMPE KOMÖDIE IN V I E R A K T E N

von Emil

Rosenow

PERSONEN

Ermischer, Bauerngutsbesitzer und Gemeindevorstand Frau Ermischer Maari, die Magd Neubert, ein großer Spielwarenverleger Frau Neubert Hartmann Schönherr, Holzdrehermeister Frau Schönherr Gertrud Heinerle

Holzdie Kinder

Fränzel

spielwarenSchnitzer

Liesel Neumerkel, der Gesell Weigel, Bezirksgendarm Seifert, Gemeindediener Frau Seifert Ulbrich, Landbriefträger Frau Ulbrich Eine Anzahl Schnitzerleute, Waldarbeiter und Bauern Der Schauplatz der Komödie ist ein Spielwarenindustrieort im oberen sächsischen Erzgebirge. Der erste Akt spielt auf dem Gemeindeamte, der zweite in der Wohn- und Arbeitsstube der Schnitzerfamilie Schönherr, der dritte in der H ü t t e des Gemeindedieners und der vierte auf dem „Reihenschank" in Ulbrichs Hause.

ERSTER AKT Geräumige Stube im Hause

Ermischers

Weißblau getünchte Stubenwände, an der Decke vertünchte Querbalken. An der Seitenwand links zwei niedrige Fenster mit kleinen Glasscheiben, nach außen Fensterladen, nach innen kurze Kattunvorhänge. Zwischen den Fenstern an der Wand hängend alte Buntdrucke König Albert und Königin Carola von Sachsen. An der Wand stehend eine altertümliche Holzbank mit Lehne, davor ein Tisch mit blitzsauber gescheuerter Fläche. Daneben Holzstühle. An der Seitenwand rechts eine große plump gestrichene Kommode, darauf Gipsfiguren und allerlei Gegenstände. An der Wand über der Kommode ein Spiegel und eine Menge Photographien. An der Wand, weiter hinten, eine große altmodische Standuhr. Zwischen ihr und der Kommode eine Anzahl Kleidungsstücke an die Wand gehängt; davor zwei Stühle. Hinten in dieser Seitenwand die Tür zur Schlafstube, neben ihr, in der Ecke der Hinterwand ein großer Kachelofen, in dessen „Röhre" gekocht wird. Im Winkel hinterm Ofen allerlei Gerümpel, Schaufel, Hacke, Besen. Vor dem Ofen eine Holzbank, oben um den Ofen Wäsche zum Trocknen aufgehängt, auf dem Ofen bis zur Decke aufgeschichtet, zerkleinertes Holz. Neben dem Ofen das Küchengestell mit Geschirr und Gerät. Daneben der Küchenschrank. In der Mitte der Hinterwand die Türe zum Hausflur, auf der Türfläche aufgeklebt: Schriftstücke — gemeindliche und amtshauptmannschäftliche Bekanntmachungen. Links von der Türe ein Regal, gefüllt mit Akten und allerlei Papieren; eine alte Schreibkommode und auf deren niedergeklappter Schreibfläche Papiere und Schreibwerk. — Es ist Wintertag, frühmorgens. Die Fensterläden sind geschlossen, auf dem Tisch steht eine brennende Lampe. Aus dem Ofen der Widerschein eines hellen Feuers.

109

FRAU ERMISCHER ältere Bauernfrau, noch in Nachtjacke, Unterrock und strähnigem Haar, hantiert am Ofen. MAARI grobes Bauernmädchen,

schlüpft vorsichtig herein:

Pst. Se steht oben an der Treppe. F R A U ERMISCHER:

Une . . . alsu is se noch im Hause? D a soll se doch g l e i ' . . . Sie greifen eilfertig in den Ofenwinkel nach Knüppel und Besen und schauen durch die Türspalte in den Flur. MAARI :

Da oben steht se. BEIDE FRAUEN

lockend:

Hieze — Hieze — Hieze! F R A U ERMISCHER:

Still, itze kommt se. Sie fahren plötzlich, übereinanderpurzelnd, auf den Flur, schlagen mit Besen und Knüppel. Man hört einen dumpfen Fall, das Geklirre vieler zerbrechender Töpfe, Gekreische. ERMISCHER dicker, ruppiger Bauer, glattrasiertes Gesicht, struppiges Haar, kommt, wie er aus dem Bette gesprungen, nur in Barchenthemde, Hose, Schlappen, aus der Schlafstube gestürzt: Himmelkreizdunnerwedder! DIE FRAUEN kommen jammernd in die Stube zurück. ERMISCHER:

Wer hot die Scherben ang'richt?! F R A U ERMISCHER:

Die Maari hot . . . ERMISCHER haut mit seinem Pantoffel auf das Mädchen ein: I, du böhm'scher Brettlochse . . .! 110

MAARI wütende

Abwehr:

Ich ha' nischt zerschmissen, ich schrei um Hilfe! F R A U E R M I S C H E R sie

trennend:

Mon, Mon! Se kann nicht dafür! ERMISCHER:

Des kost' dich deinen ganzen Dienstlohn, des wärscht du bezahlen! FRAU ERMISCHER:

Meine schönen Deppe. Zwee Daler ho'n se mich uff'n Olbernhauer Jahrmarkte gekost'! . . . Verfluchtig nei', die verdammte Katz! ERMISCHER:

Schonn widder die Katz'! FRAU ERMISCHER:

Nu soll m'rsch uns gefallen lassen, daß dem NeimerkelSchnitzler sei' hergelof'ne Katz' in unsern Hause rimmsteigt, hä? Hurjess's, wenn 'ch se erwischen möcht! ERMISCHER :

Ihr hat se nich? Zwee Fraa'nsmenscher, fer zwee Daler Deppe zerschmissen un hat se noch ni' emol erwischt?! FRAU ERMISCHER:

Noch ni' emol erwischt . . . du mit deinen Brotbauche wärscht wohl fixer gewesen! E R M I S C H E R Hand

zum

Schlag:

Itze hat's geschellt! FRAU ERMISCHER:

A was hie! Maari, gieh emol un schaff die Scherben weg. 11

Münchow, Dramatik I I I

111

MAARI Schürze

vorm Gesicht, geht

hinaus.

FRAU ERMISCHER:

Wann du e richt'ger Gemeeendefierstand wärscht, so gingest du zu dem Scheenherr-Drechslermeester seinen G'sellen un tatst sprechen: Dein Katzenvieh hat mir für zwee Daler Deppe zerschmissen, und des wärscht du bezahlen. Was braucht der hung'riche Christian ieberhaupt eene Katze? Hä? Der Hungerleider! ERMISCHER:

Ich wer'sch ihm emol stecken. FRAU ERMISCHER:

Du wärscht's ihm stecken. Des möcht' ich emol sehn. Wann du eenen Sechspfinder Brot uff'm Tische hast, dann hast du Kurasche mit'm Maule, ober was die Gemeende is, die tanzt dir uff der Nase 'rum. ERMISCHER :

Ei Gottverdimian! Su 'nen Schkandal am frühen Morgen! FRAU ERMISCHER:

'n friehen Morgen? Um achte! ERMISCHER :

Um achte, un da brennt noch deine Lampe? FRAU ERMISCHER macht Seife,

Handtuch

auf

einem

Stuhl

Waschschüssel,

zurecht:

I nu, wenn's fei' noch nich' lichte is. Een Schnie liegt im Erzgebirg' eso hoch wie die Häuser. Ihr Leute, ihr Leute, is des een gestrenger Winter! Schaufeln un hakken wern wir müssen, deß mir bloß bis uff die Dorfstraße kommen. Zur Tür hinaus. Maari, schmeiß die Scherben uff'n Hof! ERMISCHER öffnet die Fenster sieht draußen wieder 112

die

und stößt die Laden

den Schnee fallen. Fenster:

Ermischer

schließt

auf.

Man

fröstelnd

Dunnerschlag, esu 'n Schniesteebern!.. . Der Botenfuhrmon von Wolkensteen is gestern abend mit 'n Pferden bei Seiffen im Schnie stecken blie'm. Bai' erfror'n ho'n se 'n ins, „Erbgericht" nei' geschafft. Die Stube steht nun in

Tagesbeleuchtung.

FRAU ERMISCHER:

Hie is Wasser. ERMISCHER:

Hä? FRAU ERMISCHER:

Wosch wasser. ERMISCHER schüttelt sich:

'ch wasch mich nach'r. FRAU ERMISCHER lacht in sich und, räumt das Geschirr wieder weg. Während des Folgenden deckt die Frau den Tisch, indem sie eine Schüssel Suppe auf den Tisch stellt, Löffel und Messer dazu legt. Der Mann sitzt auf der Ofenbank, zieht Strümpfe und dicke Filzschuhe an. Weste und Rock, wickelt sich ein dickes Schaltuch um den Hals und setzt eine Mütze auf. ERMISCHE«:

Is schonn ewas passiert? FRAU ERMISCHER:

Der Scheenherr wor da mit eener Geburtsanmeldung. ERMISCHER:

Nu do, wieviel Kinder hot'n die Packasch itze rumloofen? Die Leute schaffen sich doch selber 's merschte Unglicke. FRAU ERMISCHER:

Des sprech' ich ooch. Von was will er se ernähren? ii*

113

ERMISCHER:

Was de Spielwarenverlag'r in Olbernhau sein, die ho'n schon wieder am Koofgelde reduziert. Fier'sch ganze Schock Holzsoldaten zahlen se itze noch fufzehn Pfeng'. Fier sechzig Stück Holzsoldaten geschnitzelt, geleimt, bemolt: fufzehn Pfeng'. Fier 'nen geschnitzelten Holzwagen mit eenen Pferd gab'n se noch zehn Pfeng'. Keene drei Daler hot der Scheenherr itze de Woche.'s is een Elend. F R A U ERMISCHER:

Un wegen der Packasche sein bei uns fer zwee Daler Deppe zerschmissen! Sie geht in den Hausflur. M A A R I ist wieder

eingetreten.

ERMISCHER knufft sie in die

Seite:

Herrschte, fer zwee Daler Deppe zerschmissen . . .! M A A R I hinterm

Tisch,

wütend:

Gungksen Se mich nich eegal! ERMISCHER :

Die wer'ch dir von deinem Lohn abhalten. MAARI :

Un' des brauch' 'ch mir nich gefallen ze lassen! ERMISCHER :

A was hie! Denkste, du wärscht hie in deinen böhm'schen Musigkandenstaate? In unsern Gesetzbuche heeßt's: „Is eine fremde bewegliche Sache zerbrochen un is der Täter nich ze entdecken, so hat derjenige, der de dabei g'wesen is, den ganzen Schaden zu ersetzen!" MAARI :

Was, des soll Gesetz sinn? Da wer 'ch mich erkundigen. ERMISCHER:

Die Gusche hältste, bezahl'n wärschte! 114

FRAU ERMISCHER kommt mit einem Brotlaib herein:

O jess's, o jess's, imanandder Schkandal! Setzt euch her un eßt. Sie setzen sich an den Tisch und beginnen die Suppe zu löffeln. — Man hört, wie im Hausflur jemand den Schnee von den Füßen trampelt. MAARI :

's is eener haußen. ERMISCHER:

„'s is eener haußen . . . " Er ward schon rei'komm'n! F R A U ERMISCHER:

's ward d'r Brieftrag'r sinn. ULBRICH, der Landbriefträger, steht in der geöffneten Türe Trinkernase, und klopft sich den Schnee ab. Älterer Mann, buschige Brauen, ruppiger Schnurrbart, wenig Backenbart. Hose in den Stiefelschäften, derber Knotenstock. Ruft mit überlauter Stimme:

Tag ooch! D I E ERMISCHERS:

Tag, Ulbrich. ULBRICH

eintretend:

Ei Gottverdimian, is des e Wetter! Eenen Schnie schmeißt's rieber aus'n Behmischen! Des werd uffs Friehjahr een Hochwasser geben. ERMISCHER:

Des wärd wieder e Jahr fier uns Bauern. Des bißl Kartoffeln un Hafer, was mir dahie ziehn kon, wärd uns ooch noch verkümmert, wann's Wasser den Boden wegreißt. ULBRICH kramt in seiner Tasche, gibt Ermischer eine Anzahl Briefe:

lachend

Hie wärd rächt sein; alles von der Amtshauptmannschaft. 115

F R A U ERMISCHER:

W ä r m dich e bill aus, Ulbrich. ULBRICH :

Jo, ich dank schie. ERMISCHER :

Des is wieder e bill Arbeit. ULBRICH :

N u , des ward keen T o d sinn, Ermischer. W a n n de nu haußen rimloofen müßt's im Unwetter? L a ß gut sinn, d u sitzt in d'r warmen Stube un lachst uns aus. ERMISCHER:

Des is Gemaare. W a s de e Bauer is, der hot in den itzigen Zeitleeften nischt ze feixen. Un nu ooch noch Fierstand von der großen Gemeende . . .! ULBRICH :

Ich gloobe gar . . . Schallende Lache. Ihr Leute, der Ermischer stellt sich hin un barmt! D u sollst doch fei' die Gusche halt'n, d u hast doch dei' Glicke gemacht. ERMISCHER :

Su spricht eener, der's nich besser weeß. ULBRICH :

E i gor! Wenn's eener weeß, wie du v o m armen Kegeldrechslerjung' zum Bauerngutsbesitzer ruffkommen un Gemeendefierstand worden bist, so weeß ich's. H ä h ä ! F R A U ERMISCHER:

Nu, was soll denn des nu eegentlich? ERMISCHER:

L a ß 'n doch. A u s den Kerl guckt ja d'r pure Neid.

116

ULBRICH :

Nu heer emol, nu weßte . . . m'r mocht emol seinen Spaß . . . ERMISCHER :

Ich kenn die Späße schonn. Deß ich nich mehr g'wesen bin wie ihr, un deß 'ch nu doch der reiche Bauer un d'r Öberschte in d'r Gemeende bin, des is eure Rache. ULBRICH:

Heer uff, Ermischer, heer uff! Derweg'n sollt 'ch neidisch sinn? Pö! Öberschter in d'r Gemeende! Was heeßt' n des. Heute biste's, un morgen biste's nimmer. B E I D E ERMISCHERS

triumphierend:

D'r Ermischer is uff Lebenszeet gewählt. ULBRICH:

Des weeß 'ch schonn. Was heeßt 'n des: uff Lebenszeet. Wenn dir d'r Harr Amtshauptmann nich' grien is . . . B E I D E ERMISCHERS

unruhig.

ERMISCHER:

Sett 'n wann weeß'n su 'n stoob'ger Landbrieftrag'r, wos der Herr Amtshauptmann von mir spricht? ULBRICH

aufgebracht:

Nu do . . . nu Gott verdimmich. Wann 'ch ooch bloß 'n Postbote bin . . . Un ich sag d'rsch, Ermischer: e Postbote erfährt manches, was dir ze wissen not täte. F R A U ERMISCHER:

Denn rickt doch 'raus mit d'r Sprache. ULBRICH :

Jja, ich weeß, was ich weeß . . . Des is ieberhaupt eene Gemeenheet von dir: stoob'ger Landbrieftrag'r! Höhnisch. Verstehste, bei dem vor'gen Amtshauptmann warschte

117

Hahn im Korbe, aber wos d'r itzige is, mit dem ward mei guter Ermischer nich lange Seide spinnen. Tag ooch. FRAU

ERMISCHER:

Nu, du wärscht doch nich in d'r Wut fortgehn, Ulbrich? ULBRICH :

Ich hab' keene Zeit. ERMISCHER :

Ich sprach bluß: Wann eener wirklich e Finkl weeß, denn rickt 'r damitte raus, verstanden? ULBRICH :

Gut denn, wenn du denkst, daß ich dir was vorlüge . . . D I E E R M I S C H E R S gemachte

Nichtachtung.

ULBRICH :

Also . . . vorige Woche bring 'ch den Herrn Amtshauptmann deine Wahl uff Lebenszeet nach Neihausen, wo er uff I n s p e k t i o n war. Zieht

seine

Tabakspfeife

hervor.

Des große gelbe Kuvert; ich wüßt' doch, was drinne war, hähä. DIE

ERMISCHERS:

Schonn rächt, schonn rächt. ULBRICH :

Da sitzt 'r in der Gaststub vom „Deutschen Haus" mit 'n Assessor bei 'n Friehsticke. Un' ich Sprech: „Schie guten Morgen, Herr Amtshauptmann", Sprech ich. He, habt 'r nich een Schwäfelholz fier mich? FRAU ERMISCHER:

Maari, rasch, 'n Schwäfelholz. Siehste nich, daß unser guter Ulbrich sei' Pfeife roochen will? M A A R I hat das Zündholz

118

schon

gebracht.

ULBRICH entzündet gemächtlich die

Pfeife:

Jo, un do geb' ich 'n den Brief un derweilen er ihn uffmacht, mach' 'ch mir noch e bill' in maner Tasche zu schaffen. Da liest 'r: „Beschluß des Gemeinderats . . . Gemeindevorstand Ermischer . . . Wahl auf Lebenszeit . . .", un kaum liest er des, da schlägt 'r su eene höhnische Lache an un spricht zu dem Assessor: „Ich hab's ja gewußt, in dem Nest, da wird immer der Dümmste Bürgermeister." ERMISCHER schießt hinter dem Tische vor, packt Ulbrich

beim

Kragen:

Itze machste, daß de 'nauskommst! FRAU ERMISCHER:

Mon! Mon! ULBRICH:

I du Heiligkreizdunnerwedder, du host's doch wissen woll'n! ERMISCHER:

'naus! 'naus! ULBRICH:

Ich ko' schonn alleene gieh'n, aber des wärd dir noch leid tun, Ermischer. In der Türe. Des wärd 'n Postdirekter in Olbernhau gemeldt! Plötzlich schreiend. Un des will nu e Gemeendefierstand sinn! Schlägt hinter sich die Tür zu. ERMISCHER :

Su een Kerl! FRAU ERMISCHER :

Des g'schieht dir ganz recht. Ze was läßt du dich mit dem Kerl ein. Unter der Türe müßtest du den am Morgen abfertigen. Aber du bist ja keen Mon! 119

ERMISCHER:

Ruhig biste . . . ! F R A U ERMISCHER:

I ja, bei mir kannste's a'bring'n, aber von so eenen Dingerich läßte dich verjaxen. Lache. Der Dimmste is Bürger meester! ERMISCHER:

Gleich kannste eene erwischen! F R A U ERMISCHER:

Nu, ich sag nischt, Mon. Oder deß du dir gar keenen Reschpekt verschaffst . . . Sie räumt den Tisch ab und redet dabei vor sich

hin.

ERMISCHER Brille Briefschaften,

auf

der Nase,

liest

die

eingelaufenen

wirft dabei der Frau wütende Blicke

zu.

FRAU ERMISCHER:

Was de mei' Vater war, bei dem standen de Ortsleute hie an der Türe un trauten sich nich rein, esu 'nen Reschpekt hatten se! . . . Ich sag nischt. . . sag ich was? Lache. D'r Dimmste! Un des muß sich mei' Mon sog'n loss'n! Ich sag' nischt, nee . . . aber . . . ! MAARI hat auf dem Stuhl Waschgeschirr

zurecht

gemacht:

Hie wärd rächt sein. ERMISCHER :

Hä? MAARI :

Woschwasser. ERMISCHER:

'ch wasch mich nach'r. FRAU ERMISCHER

ängstlich:

Un wenn nu d'r Amtshauptmann dir wirklich nich grien is un er läßt dich absetzen, hä? Dann sein mir um unsern schienen Posten un ha'm die Blamage obenein. 120

ERMISCHEK steht ratlos. FRAU ERMISCHER:

Des macht, du mußt d'r emal eenen Reschpekt verschaffen ! MAARI räumt das Waschgeschirr

weg.

SEIFERT kommt herein. Vierziger; schmächtiger, Mann,

schmale Backen,

ängstigt. Schirm,

Abgeschabte Hirschfänger

bißchen Schnurrbart. Uniform,

an der

Hose,

Jacke,

verhungerter Demütig,

ver-

Mütze

ohne

Seite:

Tag, Herr Gepieendefierstand, Tag, Frau Ermischer, Tag ooch, Maari. ERMISCHER:

Halber neine! Des nennst du eenen zuverläss'gen Gemeendediener? Wann du deine Dienstzeit nich einhalten kannst, so muß e anderer Poll'zeier har, verstehste! SEIFERT:

Ich ho' mir den Hirschfänger schleefen lass'n müssen, Herr Fierstand, un was der Schmied is, der hot gar eso lange geteepst. FRAU ERMISCHER:

Den Hirschfänger? SEIFERT zieht ihn behutsam aus der

Scheide:

Jawoll, Frau Ermischer. Itze is 'r ober wieder fein im Geschicke, 's ging nich länger meh'. ERMISCHER:

Wie ofte läßt du denn deinen Hirschfänger schleefen, hä? SEIFERT:

Nu, Herr Fierstand, die Maari hot doch imanand Holz d'rmitte gespalten, un bei'n Holzspalten nutzt 'r sich 121

ä'm ob. Im „Erbgericht" taten se am Sonntag wetten; mit aller Gewalt wollten se ha'm, ich sollt eenen durch un durch stechen. Wenn de mei' Hirschfänger ooch bloß durch den Rock ging, wollten se fier 'nen Daler Schnaps ga'm. ERMISCHER :

Un des Schleefen kost'? SEIFERT:

Drei Neigroschen, Herr Fierstand. ERMISCHER:

Wird nich bezahlt. SEIFERT:

Nu do, Herr Fierstand . . . ERMISCHER:

Wird nich bezahlt. Dir wer'sch 's emal beweisen! Eene Ausgabe machen uff Gemeendekosten, ohne deß de mich fragst! SEIFERT:

Nu do, nu do . . . ERMISCHER:

Wenn du deinen Hirschfänger schleefen lassen willst, so hast du erseht eene „gehorsamste Eingabe" an deinen Fierstand zu machen. Dann setz' ich's uff die Tagesordnung vom Gemeenderat. Betreffs: „Gemeendedienerhirschfängerschleefenlassens". Dann hat der Gemeenderat deinen Hirschfänger zu besichtigen. Ob's ooch not is, un denn beschließt er über die Ausgabe, un denn kannste schleefen lassen, un eher nich! FRAU

ERMISCHER

hat

die

Säbelspitze

mit

dem

Finger

berührt:

O jess's, o jess's, sonne scharfe Waffe. Seifert, ich sag' d'rsch: deß de nich etwa'n, wenn de uff'n Sonntag im 122

„Erbgericht" Tanzuffsicht hast, deß de nich etwa'n bei'n Streite blank ziehst. Du haust ja denn Leuten gleich e Loch in'n Kopp! SEIFERT steckt vorsichtig den Hirschfänger

in die

Scheide:

Nee, ich wer' mich fierseh'n. Ober wenn se gar eso frech wer'n . . . Der Herr Fierstand macht die Anordnungen, un ich muß 'n Reschpekt verschaffen! ERMISCHER :

Wie sagste, Reschpekt? Hast fei rächt. Hie sein die drei Neigroschen fier'sch Schleefenlass'n. SEIFERT nimmt überrascht das Geld:

Ich dank' schie, Herr Fierstand, ich dank' ooch schie. Ermischer

liest Briefe,

Frau Ermischer

Maari schält

hantiert in der Stube,

Kartoffeln.

SEIFERT:

Is schonn ewas ze tun, Herr Fierstand? FRAU ERMISCHESR:

Ze tun, freilich, ze tun is immer fier eenen fleiß'gen Menschen. Geh emal un scheef'l den Schnie weg. SEIFERT :

Jawoll, Frau Ermischer, jawoll. Holt hinter dem Ofen Hacke

und Schaufel

Blicke

zu.

ERMISCHER hat lange

hervor, wirft dabei Ermischer

fragende

gedruckst:

Also . . . des macht der Seifert ä'm nich! FRAU ERMISCHER:

Hä? ERMISCHER :

Des gieht nich meh mit denn Geemendediener. Bai' muß 'r Hiehner fittern, bal' muß 'r Wäsche uffhängen, 123

bal' muß 'r Kartuffeln ausmach'n. Itze soll 'r Schnie schaufeln. Des gieht nich meh'. Im Gemeenderot tat eener sprach'n: „Wäscheuffhängen, so eene weibsleutische Beschäftigung verträgt sich nich mit der Würde eener Polizeiperson." Un se ho' 'nen alle rächt ga'm. FRAU ERMISCHER:

Is gutt, is gutt. Da bleibt 'r da, d'r Gemeendediener. Maari, gieh' du eemal Schnieschaufeln. Maari nimmt Hacke und Schaufel und geht hinaus. FRAU ERMISCHER macht Seifert

Zeichen:

Da mög' meintswegen der Gemeendediener uff der Ofenbank verfaulen . . . Ich halt' 'n zu keener Arbeit an . . . ich nich. SEIFERT hat sich währenddem auf die Ofenbank gesetzt, den Kartoffelkorb zwischen die Knie genommen und schält nun Kartoffeln. ERMISCHER:

Was sagen denn die Leute . . * ei nu, nu schält 'r doch Kartuffeln! FRAU ERMISCHER:

Wann 'r doch nich müßig sein will! SEIFERT:

's sieht 's doch keener, Herr Fierstand. ERMISCHER brummt in sich

hinein:

Alsu, was sagen se im Ort? SEIFERT:

Nu, was soll'n se sagen. Imanand sprechen se von dem Neimerkel-Drechsler seiner Katze. FRAU ERMISCHER:

Ho' ich's nich g'saht, Mon? Du mußt emal dazwischenfahren.

124

ERMISCHER :

Was is 'n des mit der Katze? SEIFERT:

Nu, des is eene komische Geschichte, Herr Fierstand. Was der Scheenherr-Drechslermeest'r is, der hat eenen neuen Gesell'n ang'nommen, un wie 'r ankommt, bringt 'r eene Katze mitte, hähä! Die hat 'r uffgezog'n, spricht 'r, un an dem Tier hängt 'r dran. ERMISCHER:

Hähä! Wos gieht's uns an. FRAU ERMISCHER :

Des gieht uns schon ewas an. Wann se in allen Häusern rimsteigt, un nischt als Schaden un Ärger macht. Da muß emal ewas gescheh'n. ERMISCHER:

Nu, m'r könnt' ja mal hingieh'n zu 'n Scheenherr. Ich wer' mich emal drum bekümmern. WEIGEL, schneidiger

der

Bezirksgendarm,

Kerl,

sischer Gendarmerie: Rock Kurzen

ist eingetreten.

eitel. Affektiert

mit grünen

nachlässig.

graue Hose mit grünen Aufschlägen,

Käppi

die Schulter

Streifen, mit

Säbel an der Seite, Patronentasche,

Hübscher,

Uniform

sächdunkler

Silberstreifen.

Doppelflinte

über

hastig unter die

Bank

gehängt.

SEIFERT aufgesprungen, gestoßen, Positur,

Kartoffelkorb

mit lauter

Stimme:

Tag, Herr Schandarme! ERMISCHER

erschreckt:

Tag, Herr Schandarme! FRAU ERMISCHER

überfreundlich:

Ei gor, der Herr Schandarme! Tag ooch, Tag ooch. 125

WEIGEL:

'n Morgen. Ein Wetter is das heute! Seitenblick auf Seifert und den Kartoffelkorb. Ein Wetter . . . ja. Na, Sie ha'm wenigstens 'nen warmen Ofen. F R A U ERMISCHER sieht nach dem

Feuer:

Ei jo. Wenn Se sich vielleichte e bill' auswärmen wollen. . .? WEIGEL : J a , w e r ' n w ' r m a c h e n . Wärmt sich behaglich am Ofen aus.

Ha, so 'n Ofen an so 'nem Wintertag . . . die reinste Medizin. Bedeutsam. Ich hab' 'nen Brief für Sie, Herr Vorstand, direkt von der Amtshauptmannschaft. D I E ERMISCHERS erschreckt. ERMISCHER in gemachtem

Gleichmut:

So, so . . . Mecht'n Sie 'n mir nich' ga'm, Herr Schandarme? WEIGEL mustert Seiferts

Uniform:

Mann Gottes, was is denn das? Da baumelt ja 'n Knopp! Wahrhaftig! SEIFERT

hilflos.

ERMISCHER:

Des is een liederlicher Dingerich, der Kerl! WEIGEL :

Aber . . . dafür tragen Sie doch die Verantwortung, Herr Vorstand. Nu freilich, Sie sind doch sein Vorgesetzter. Mich geht's ja nichts an, aber . . . wenn das der neue Herr Amtshauptmann sähe . . . F R A U ERMISCHER kramt nach

Nähzeug:

Su eene Liederlichkeet, es is' ne Schande. Glei' gehste her un nähest dir den Knopp an. 126

SEIFERT kommt verschüchtert

herbei.

WEIGEL :

Ja aber . . . wer hat denn nu dem Gemeindediener zu befehlen? ERMISCHER:

Denn Poli'zeier ho'n ich zu befehl'n! Den Knopp näheste d'rheeme an. W E I G E L lacht vor sich hin; legt beim Ofen seine Sachen

ab:

Ja, ja. Wissen Sie, wenn zu meiner Militärzeit in der Kompagnie mal 'nem Manne 'n Knopp fehlte, den Skandal vom Hauptmann sollte einer hören! Haha! Aber 's geht nichts über militärische Akkuratesse. ERMISCHER:

Nu, des will ich meenen. Was e gedienter Mon is, der weeß des zu schätzen. WEIGEL:

Ha'm Sie denn gedient? ERMISCHER:

Nu do, Herr Weigel, no aber . . . Mir sein Gefreiter bei den Dresdner Grenadieren gewesen! WEIGEL :

Ach nee . . . so, so. Wichtig. Daß ich in meinem Militärverhältnis Sergeant bin, wissen Sie doch? ERMISCHER :

Ei freilich . . . ha'm Se den Brief nich da? WEIGEL :

Ach, der Brief. Hör'n Sie, das scheint was sehr Unangenehmes zu sein; is mir vom Herrn Amtshauptmann selbst übergeben worden. 12

Münchow, Dramatik I I I

127

B E I D E ERMISCHERS sehr

unruhig.

WEIGEL :

Überhaupt, der neue Herr Amtshauptmann! Wenn man ihn so reden hört über die verschiedenen Gemeindevorstände . . . ja, j a , der wird mal Ordnung schaffen. ERMISCHER:

Ich möcht' wissen . . . bei mir is nischt in Unordnung. F R A U ERMISCHER:

Bei uns is fei' all's im Geschicke. WEIGEL :

H a b ich denn was gesagt? Man hört bloß so allerlei. Man unterhält sich doch oft miteinander, der Herr Amtshauptmann und ich . . . Steht vor dem Spiegel und bürstet sein Haar. F R A U ERMISCHER

schmeichlerisch:

Fei een hibscher Kerl sein Se ä ' m doch, Harr Schandarme ! WEIGEL :

N u guckt bloß mal die gute Frau Ermischer an! Wie finden sie denn das, Herr Vorstand? Übrigens . . . das hat mir schon manche gesagt, hähä! FRAU

ERMISCHER:

Des gloob' ich; da hört m'r ooch allerhand. Übermütig. Dessentwegen ha'm Sie doch ooch aus der Dresdner Pfläge fortgemußt! WEIGEL:

Was, ich . . . ich hätte . . .? F R A U ERMISCHER:

N u freilich: des wor doch eene Geschichte mit 'ner Kellnerin. Derwegen sein Sie doch stroofversetzt wor'n ins Gebirge.

128

WEIGEL :

Aber das is doch stark! Wer untersteht sich, über mich dergleichen zu erzählen? FRAU ERMISCHER:

Aber, Herr Weigel, ich ho's nich böse gemeent . . . WEIGEL :

Also so was wird im Ort rumerzählt? Wissen Sie, Herr Vorstand, ich muß dringend ersuchen, daß Sie den Leuten sagen: Es setzt 'n paar Monate Zwickau, wenn ich das anzeige. Nimmt seine Sachen. ERMISCHER :

Sie wer'n doch nich fortgehn, Herr Frau, gib emal eenen Eibenstöcker. FRAU ERMISCHER holt Gläschen und

Schandarme?

Schnapsflasche.

WEIGEL :

I wo . . . ich wer' hier. Nachher heißt's bloß: Man schnäpsert draußen rum. ERMISCHER:

Nu nee, bloß emal, deß Se sich erwärmen. WEIGEL :

Nee, danke. Wissen Sie, ich nehm's peinlich genau mit dem Dienst. Wo ich was sehe, da wird's gemeldet. Da kenn' ich keine Rücksichten. ERMISCHER:

Des weeß ich schon, Herr Weigel, und dessentweg'n mecht' ich nich ooch stell'n mit Sie. WEIGEL

geschmeichelt:

So, so . . . na ja. Man hat schon seinen Einfluß, wenn man auch bloß Gendarm ist. 12'

129

ERMISCHER:

Also, tun Se emol Bescheid, Herr Weigel. WEIGEL :

Na, wenn Sie's so auffassen, als ob ich Streit suchte, das is nich meine Art. Trinkt Großartig, so'n Eibenstökker. Der is nich umsonst berühmt . . . Aber mit Ihnen bin ich ernstlich böse, Frau Ermischer. F R A U ERMISCHER:

I ja, ich ho des bloß eso in manen dummen Gedanken gesagt. Des dürfen Se nich schiefnehmen. WEIGEL :

Was ich da vorhin sagte, von Einfluß . . . ja, hören Sie, lieber . . . lieber Ermischer, was haben Sie sich denn eigentlich zuschulden kommen lassen, hä? ERMISCHER, der zusammenzuckt, mischer"

als Weigel ihn „lieber

Er-

anredet:

Ich? Aber nischt, Herr Schandarme. WEIGEL :

Na, wissen Sie, der Brief . . . Zieht ihn hervor, der Herr Amtshauptmann hat mir anvertraut. . . F R A U ERMISCHER:

Hie is noch 'n kleener, Herr Schandarme. WEIGEL :

Nee, nee, jetzt is 's wirklich zu viel. ERMISCHER :

Ober so trink'n Se doch. Herr Schandarme. spricht er denn, der Amtshauptmon?

Was

WEIGEL :

Na, wenn Sie mich so nötigen und weil's kalt ist! Großartig! Nee, wissen Sie, ich erzähl's Ihnen 'n ander130

mal. Sie werden ja auch alles aus dem Briefe sehen. Legt ihn auf den

Tisch.

D I E ERMISCHERS in großer

Angst.

WEIGEL:

Was, halber zehne? Nu heißt's aber losgeh'n! Meinen ganzen Bezirk muß ich noch abkloppen. Hinausgehend. Gemeindediener, nähen Sie sich Ihren Knopp beizeiten an, verstanden? SEIFERT

Positur:

Jawoll, Herr Schandarme. Gu'n Morgen, Herr Schandarme. WEIGEL: ' n M o r g e n . Geht nachlässig

hinaus.

D I E ERMISCHERS:

'n Morgen, Herr Schandarme. Bai wieder, bal wieder! F R A U ERMISCHER :

Ach Gott, ach Gottchen. Mon, was kann des sein mit dem Brief? ERMISCHER:

Ich trau mich gar nich, 'n uffzemach'n. SEIFERT:

Wann's bluß nich . . . die Ortsleute sprechen gor eso dumm, wenn's bloß nich dem Herrn Fierstand seine Absetzung is. Angstvolles

Schweigen.

F R A U ERMISCHER:

Was nietzt des. Nimm d'r e' Herze, Mon, un mach 'n uff.

131

ERMISCHER nimmt den

Brief:

„Durch den Bezirksgendarmen zu bestellen, weil mit gestriger Post versäumt." Reißt ihn auf. „Der dortige Gemeindevorstand Ermischer wird hiermit beauftragt, dem Spielwarenverleger Neubert, daselbst, zu eröffnen, daß der bei diesseitiger Verwaltungsbehörde eingereichte Umbauplan für sein Fabrikgrundstück genehmigt ist." . . . Ei Gottverdimian, un dessentweg'n die Angst! Wütendes

Fäusteballen.

FRAU ERMISCHER:

Jo, is 'n des . . .? Un des läßt du dir gefallen. Su eene Frechheet läßt du dir von dem Schandarm'n bieten? SEIFERT lacht in sich

hinein.

ERMISCHER:

Ich kann mich gar nimmer halten! FRAU ERMISCHER höhnische

Lache,

Händeklatschen:

Ihr Leute, ihr Leute! Da mecht m'r doch . . . Erneutes Gelächter. Eso geht nu der Schandarme mit dir um! 'n Woche ner dreie is der Dingerich nu hie im Gebirg, stroofversetzt ho'n se ihn von Dresden, du biste sei' Fiergesetzter un läßt dir so eene Schande bieten! ERMISCHER :

Stille biste! F R A U ERMISCHER :

Ei gor, itze mecht's an mir auslassen. Nu, des wär' erseht . . . Du bist je gor kee Mon! Wie 'r do 'nausging! Geste. „Blast m'r 'n Stoob weg". Un wie 'r dir die zwee Schnäpse rausgeluxt hat, un wie 'r da stund: „Mei lieber Ermischer." Höhnische Lache. Der Schandarm spricht zu dem Gemeendefierstand: „Mei lieber Ermischer." ERMISCHER:

Uff der Stelle beschwer' 'ch mich bei der Amtshauptmannschaft. 132

FRAU ERMISCHER:

Mach 's nich, se lachen dich bloß aus, se ha'm so jo keenen Respekt. Un se ha'm ooch recht. Nu sag m'r bloß, Seifert, is 'n des e Gemeendefierstand! Sitt'r drei Tagen hat'r sich ni' mehr gewaschen! ERMISCHER :

'ch wasch mich nach'r! FRAU ERMISCHER:

I ja, des kenn'n mir, des sprichste den ganzen Tag: ,,'ch wasch mich nach'r." Un wenn's Abend wärd, so heeßt's: „Itze is 's nimmer der Mühe wert, 'ch wasch mich morgen." Un wenn 'r sich ja eemol wäscht, so fährt 'r mit 'n zwee Zeigefingern ins Wass'r un reibt se sich e bill' durch's Gesichte, un denn is 'r fart'g. Un fier den sollen se 'nen Respekt ha'm! ERMISCHER wütender Faustschlag

auf den

Tisch:

Itze is Schluß! Nu hab ich's satt mit der Stichelei! Su een stichelndes Weib is grad wie i'n Nag'l im Schuh; des sticht un sticht, ob m'r geht oder steht, bis m'r ganz wilde wird! FRAU ERMISCHER

eingeschüchtert:

Nu ober . . . rächt ho' ich doch? ERMISCHER:

Rächt haste, un von itze un von heute ab wärd's ä'm anders dehie. Ich muß mir emol 'nen Respekt verschaffen un des an dem erschien, ewas mir itze in die Quere kommt! SEIFERT langer Hals am

Fenster:

Ich gloobe . . . weeß Gottchen, Herr Fierstand, da kommt d'r Neibert-Verlag'r mit seiner Fra rieber. FRAU ERMISCHER:

I was . . . un wie's dehie aussieht! Mon fix, fix, bind' dir eenen neuwasch'nen Kragen um. 133

ERMISCHER :

Nu, des fehlte . . . Is des deine Kurasche? Ich bin hie der Fierstand, eso dreckig wie ich bin! Klopfen F R A U ERMISCHER:

Herein. Öffnet die Türe, zu den Eintretenden kriechend freund-

lich. Ei gor, der Herr Neibert un Fra Neibert'n. Des is aber emal eene Ehre fier uns. Mechten Se nich e bill' reinträten? Seifert, 'n paar Stühle fier die Herrschaften. SEIFERT, der sich unaufhörlich verbeugt hat, schleppt zwei Stühle herbei. Die Neuberts sind eingetreten. Neubert: ein großer, hagerer Mann, harte Züge, dünnen Schnurrbart, goldene Brille, die er beim Sprechen oft auf die Stirne emporschiebt, um den Sprechenden scharf zu fixieren, dann wieder herabrückt; kostbarer Pelzmantel, Pelzmütze, Stock. In seinen Bewegungen und Reden beständig etwas nervös Überstürztes, hastige Sprechweise. — Frau Neubert: gleichalterig, dick, behäbig, hochnäsig. Ebenfalls in Pelz, M u f f , modischem Hut. Bäurisch aufdringliche Eleganz. Ausgeprägter Leipziger Dialekt. NEUBERT:

Danke, danke sehr. Gu'n Morgen, Herr Gemeindevorstand. Nimm d'r nen' Stuhl, Auguste. ERMISCHER:

Tag ooch, Herr Neibert. FRAU NEUBERT:

Dank scheene. Is 'r ooch reene, der Stuhl? Nee, wissen Se, meine gute Frau Ermischer, ich hab Se nämlich e neies Kleed an, un das mecht 'ch noch e bill' schonen. F R A U ERMISCHER:

I, wos Sie denken, Fra Neibert'n, bei uns gieht's eso sauber her. Unsere Stühle, die können Se ablecken, sprach ich immer. 134

FRAU NEUBERT ärgerliche

Lache.

NEUBERT:

Also, Herr Vorstand, ich bin hergekommen . . ich muß jetzt mal nachdrücklich Ihre Hilfe verlangen. FRAU NEUBERT:

Ja, heer'n Se, Herr Ermischer, das geht eefach nich länger. Wenn Sie das dulden, da kann 'n anständiger Mensch hier im Ort nich mehr länger blei'm . . . NEUBERT:

Aber Gustel, so laß mich doch selbst reden. FRAU NEUBERT, sich

setzend:

Nee, also, da zieh 'ch wieder nach Leipz'ch, das laß 'ch m'r von der Bevölkerungsklasse nich bieten. NEUBERT:

Die Sache is die, Herr Vorstand: Heute morgen geht meine Frau in die Bodenkammer, wo wir die Wäsche und die Kleidungsstücke aufbewahren . . . FRAU NEUBERT aufgesprungen, fast

weinend:

Nee, Frau Ermischer, da kann 'ch Sie kee Bild von machen, das kann 'ch keen lebendigen Menschen beschreim' ! Nich e Stück Wäsche kann 'ch mehr benutzen, unser Pelzwerk . . .! NEUBERT:

Ja, wirst du mich denn nu reden lassen! FRAU ERMISCHER:

Mon, ho 'ch's mir nich gedacht, 's is die verfluchte Katze! NEUBERT:

Ich hab's zuverlässig festgestellt, das Tier gehört 'nem Hausschnitzer, der beim Meister Schönherr wohnt. Aufgeregt. Ich verlang meinen ganzen Schaden ersetzt, jawohl, 135

das verlang ich! Die Gemeindebehörde is mir verantwortlich, wenn sie solche Zustände duldet! ERMISCHER :

Also . . . ich wer' mich emal um die Sache bekümmern. NEUBERT:

Bekümmern. Wann denn, hä? Heute, morgen, nächstes Jahr? Ich muß mit aller Entschiedenheit verlangen, daß die Behörde . . . ERMISCHER:

Nur ruhig, Herr Neibert. Mit der Hitzigkeet is da nischt gescheh'n. Ich wer' gleich heute 'nen Schaden feststell'n, 'ne Anzeige mach'n, 'nen Bescheid nachsuchen, un denn wer' m'r jo sehen. N E U B E R T Brille

auf die Stirn geschoben,

rennt dann nervös lachend

fixiert

Ermischer,

umher.

FRAU NEUBERT :

Nee aber, Herr Ermischer, so eene Umständlichkeit. Überhaupt mir sein jetzt die greßten Steierzahler in d'r Gemeende. Immer heftiger. Wenn mir nich wär'n mit unserer Fabrike, so müßte der Ort Hunger leiden. Und deshalb will 'ch ästimiert sein . . .! N E U B E R T dicht vor

Ermischer:

Das geht überhaupt nich länger mehr mit Ihnen! Hier muß 'n anderer Gemeindevorstand her. ERMISCHER:

NU, da muß 'ch bitten, Herr Neibert, un wenn Sie ooch d'r Höchstbesteuerte sein, hier steh'n Sie vor Ihrer Beheerde . . . NEUBERT:

Ach, kommen Sie mir doch nich mit solchen Geschichten! Der ganze Ort lebt sozusagen von mir, und Sie wollen sich mir gegenüber auf die Behörde rausspielen!

136

ERMISCHER:

unbeholfen:

Also, nu muß 'ch Ihnen ernstlich ersuchen . . . NEUBERT:

Nu, das fehlte noch! Das wäre . . . ! FRAU NEUBERT:

Mann, Mann, nu biste wieder gleich so heftig. F R A U ERMISCHER:

Nee, Herr Neibert, wenn Sie uns glei' eso patzig kommen, des könn'n mir uns ooch nich bieten lassen. N E U B E R T ZU

Ermischer:

Sie haben keine Autorität. Hier gehört als Gemeindevorstand 'n Jurist hin, der sein Assessorexamen gemacht hat. Da ha'm die Leute auch Respekt. ERMISCHER:

I ja, aber was des kosten soll. NEUBERT :

Das is egal, dafür sind sie aber auch schneidig! ERMISCHER:

Ach so, jo freilich . . . Was des a'langt, Herr Neibert, schneidig sein, des kenn'n mir ooch; des kenn'n mir Bauern eso gutt wie 'n Assess'r. Gemeendediener! SEIFERT kommt vor;

Positur:

Herr Fierstand? ERMISCHER :

Gemeendediener, wiss'n Sie, wo dehieim Ort der Schnitzlersg'sell wohnt, der sich eene Katze hält? SEIFERT:

Jawoll, Herr Fierstand, glei' hie ieber die Straße 'nieber, bei'n Meest'r Scheenherr. D'r G'sell heeßt Neimerkel un hat als äußeres Kennzeechen eenen Buckel.

137

ERMISCHER:

Is rächt. Itze geh'n Sie nieber, verhaften den Neimerkel wegen Erregung öffentlicher Ärgerlichkeeten un fihr'n 'nen direktemang uffs Gemeendeamt vor. SEIFERT:

Jawoll, Herr Fierstand. ERMISCHER:

Allongsch marschee! S E I F E R T geht stramm

hinaus.

NEUBERT:

Na also . . . da bin ich wirklich neugierig. ERMISCHER:

Da brauch'n Sie gar nich neigierig ze sein. Itze wärd emal druffgedrickt. Reißt das Fenster auf. Seifert! Deß du ihn herbringst! Bind 'n mit Stricken, nimm dir 'nen freiwill'gen Feierwehrmon ze Hilfe, wann 'r dir ze stark is! N E U B E R T hat sich steif

hingesetzt.

ERMISCHER:

So, dem hergelof'nen Dingerich wer' ich's emal beweisen. FRAU NEUBERT:

's wär' recht scheene von Sie, Herr Ermischer, wenn Sie uns beiständen. Mein guter Mann meent's, weeß Gottchen, gar nich so beese, wie's klingt. Er is bloß wieder so uffgeregt in der letzten Zeit . . . tja . . . er hat wieder mit seine Gallensteene zu tun. Dessentwegen wer'n mir im Sommer ooch wieder nach Karlsbad müssen . . . t j a . . . 'ne Villa ha'm m'r schon gemiet'. Was des 'n Geld kost', meine gute Frau Ermischer! Na, mir kenn'n 's ja Gottseidank bezahl'n . . . 138

NEUBERT:

Wirst du nu so gut sein und den Mund halten? FRAU NEUBERT:

Ach Gott nee, m'r wird doch noch 'n Wörtchen sagen dürfen! Geschrei im Hausflur.

Maari

kommt jammernd

fen. Ihr bloßer Arm

hereingelau-

blutet.

MAARI :

Ach Gott, ach Gott, mei' Arm, mei' A r m ! F R A U ERMISCHER:

Mädel, Mädel, was haste? 's wärd doch nich d'r Arm gebrochen sinn? MAARI :

Ausg'rutscht bin ich bei'm Schnieschaufeln un ho' m'on ganzen Ellbogen uffgeschmissen! D I E BEIDEN FRAUEN betrachten chens

und

verbinden

des

Mäd-

Arm.

NEUBERT läuft mißvergnügt

in der Stube

umher.

ERMISCHER:

Des is eene Pucht! Erseht zerschmeißt se fier zwee Daler Deppe, itze zerschmeißt se sich 'nen A r m ! MAARI blitzwütend

herausschreiend:

Hör'n Se doch emol uff mit Ihre Deppe! Ich ho' se nich zerschmissen. Des is ja bloß, deß 'r mir von den lump'gen fufzehn Daler Dienstlohn uffs Jahr ooch noch zwee abzieh'n könnt. Wenn Sie etwa'n denken . . da pack' 'ch meine Siebensachen un fahr' heem zu meiner Mutter! — Rennt wütend

hinaus.

D I E NEUBERTS

sprachlos.

139

Draußen großer Lärm von einer aufgeregten

Männerstimme.

SEIFERT unter der Türe:

Aber so komm'n Se doch zewenigstens rein, Herr Neimerkel. Ich kon doch nich d'rfier, ich tu doch bloß meine Pflicht. NEUMERKEL kommt herein. Kleiner verwachsener Mensch mit großem Höcker. Glattes, schmales, pfiffiges Gesicht, unter der Mütze feuerrote Haare. Hände in den Hosentaschen, viel zu kurze, vielfach geflickte Arbeitshosen, Schlappantoffel, aufgewickelte blaue Schürze, hemdärmelig, Kattunhemd:

Des soll sich eener gefall'n lassen; von d'r Straße weg festnehm'n, als ob m'r e Dieb oder e Verbrecher wär! ERMISCHER:

Ruhig biste! NEUMERKEL :

Nu des fehlte . . . Sie meenen wohl, weil ich e armer, verkrippelter Mensch bin, muß ich uff mir rimmdeppern lass'n? ERMISCHER:

's deppert keener uff dir rimm. NEUMERKEL :

Ich laß mir kee' Unracht tun, ich geh mit meiner Sach' durch die ganze Beamtenschaft bis ans öberschte Gericht! ERMISCHER:

Des hat hiemit nischt ze tun. NEUMERKEL :

Mei' Vater tat m'rsch sagen: Linus, tat 'r sagen, du hast eenen Buckel, du kannst dir nich alleene helfen. Wann se dir ewas tun wollen, da machste Schkandal. Mach e' Geschrei, deß die Leute zesamm'nloofen, nach'r kriegste geholfen! 140

NEUBERT:

Das wird Ihnen hier nichts nützen. Ich hab Anzeige gegen Sie erstattet. ERMISCHER:

Deine Katze leeft in allen Häusern rum. NEUMERKEL :

Da müßt 'r de Türen zumachen, da kann se nich 'nein. FRAU ERMISCHER:

Zu was brauchst denn du ieberhaupt eene Katze, hä? NEUMERKEL:

Dadrieber bin ich keenen lebend'gen Menschen Rechenschaft schuldig. FRAU NEUBERT:

Nee, so'ne Frechheet! Sie . . . Sie . . . ! Eenen Pelz für achtzig Mark . . . ! Sie sollten bloß emal den Pelz sehen, Herr Ermischer, uff dem hat se die Nacht zugebracht . . . NEUMERKEL :

I ja, des wird so schlimm nich sinn. Da geh'n Sie uff'n Sommer ooch keene Motten 'nein. NEUBERT:

Sie sind ein ganz frecher Patron! Herr Ermischer, den lassen Sie kurzer Hand durch den Gendarmen auf die Amtshauptmannschaft bringen. NEUMERKEL :

Da muß ich protestieren! Ich verlang 'n Verheer un eene Zeugenvernehmung. NEUBERT:

Ihnen wird man's schon beweisen, was Sie zu verlangen ha'm! 141

NEUMERKEL:

Nu, wegen Ihre Fra' loof 'ch mit'n Schandarm'n nich bis uff die Amtshauptmannschaft 'nein. FRAU NEUBERT:

Nu heer' bloß, Mann, der Mensch! Jetzt beleidigt 'r mich obenein. NEUBERT:

Also . . . wenn Sie frech werden, sag ich Ihnen . . .! NEUMERKEL:

Ei jo, packen Se mich nur an, ich schrei um Hilfe. ERMISCHER :

Aber itze . . . Faustschlag auf den Tisch. Ruhig seid 'r! NEUBERT: J a a b e r . . . Fixiert

Ermischer,

rennt nervös lachend

umher.

„Ihr! Ihr!" . . . Hör'n Sie mal, das verbitt' ich mir von Ihnen, versteh'n Sie mich? Für Sie bin ich „Herr Neubert" und nich „ihr"! ERMISCHER :

Wann m'r doch sein eegen Wort nich versteht in dem Schkandal. NEUBERT:

Is denn das ieberhaupt 'ne Vernehmung? Sie führen ja noch nich 'mal 'n Protokoll. ERMISCHER:

Was gibt's denn da ze protokollieren, die Sache is doch klar. NEUBERT:

Die is . . . die is klar? D I E N E U B E R T S brechen in ein höhnisches

142

Gelächter

aus.

NEUMERKEL:

Nu, wird denn des Verheer noch lange dauern? Ich ho' zweelf Schock Holzsoldaten ze schnitzen. Denkt ihr, deß die von alleene werden? ERMISCHER:

Du wärscht hie so lange warten, wie's mir paßt, verstanden? NEUBERT:

Sie und Ihr sauberer Meister werden vom nächsten Liefertag an überhaupt freie Zeit kriegen. Ich bin Ihr Brotgeber . . .! NEUMERKEL:

I ja, d'r „Brotgeber" im Ort is d'r Bäckermeester Kluge, un wegen Ihre Fra' lass' 'ch mich von dem Gemeendefierstand nich schikanieren. FRAU

NEUBERT:

Nu heer' bloß, Mann, jetzt schimpft 'r mich wieder. E r hat gesägt: schikanieren. N E U B E R T zu

Ermischer:

E r hat gesagt: schikanieren, das heißt, er wirft Ihnen vor, daß Sie mit rechtsverdreherischen Mitteln . . . Sie versteh'n doch: Schikanieren das is Beamtenbeleidigung. ERMISCHER:

Was, des hat 'r sich unterstanden? Seifert, itze schmeißte den unverschämten Menschen vierun'zwanzig Stunden ins Spritzenhaus. NEUMERKEL:

Un des is eene Vergewaltigung, da ruf' ich den ganzen O r t ze H i l f e ! Er läuft lärmend hinaus. Seifert geht unschlüssig hinter ihm her. Man hört draußen bis zum Schluß Neumerkels lärmende Stimme. 13

Münchow, Dramatik I I I

143

ERMISCHER :

Mit dem Burschen wer'n mir nich fertig. Ich wer' zu seinem Meest'r gehen un verlangen, deß 'rn entläßt. Dann sein m'rn los aus 'n Ort. NEUBERT, der umhergelaufen

ist:

Sie können sich ja überhaupt nich helfen, Sie stehen ja den Geschädigten noch nich mal bei. ERMISCHER:

Nu aber . . . des is duch . . . F R A U ERMISCHER:

Mei Mon hat sich wegen Sie rimgestritten . . . NEUBERT :

Sie lassen sich beschimpfen, vor Ihnen hat ja kein Mensch Respekt! ERMISCHER ebenso

heftig:

Un — mit Ihre Hitzigkeit kommt m'r ieberhaupt nich zu 'nem geordneten Verhandeln. NEUBERT:

Weil Sie kein Protokoll führen. ERMISCHER:

Nee, weil Sie schrei'n wie e' Besessener! NEUBERT:

Wa—was, was ha'm Sie . . .! FRAU NEUBERT:

Aber Mann, Mann, reg dich nich auf! NEUBERT:

Wie'n Besessener! Das is . . . das lass ich mir nich bieten von Ihnen! 144

FRAU NEUBERT:

Du kriegst wieder deinen Anfall, dir tritt die Galle ins B l u t ! Sie drängt ihren Mann zur

Türe.

ERMISCHER:

Un ich laß mich nimmer anschrei'n von Sie! F R A U ERMISCHER:

Sie denken, weil Sie der Reichste im Ort sein, sein mir Ihre Schuhputzer. NEUBERT:

Ich will bloß mein Recht von Ihnen. FRAU NEUBERT:

Wir wollen bloß ästimiert sein. ERMISCHER:

Un ich ho's satt. Itze mach ich keenen Schlag mehr in der Sache! FRAU NEUBERT:

Mir wer'n schon unser Recht kriegen. NEUBERT :

Ich wer' mich über diese Wirtschaft beschweren. Sie rennen aufgeregt F R A U ERMISCHER an der

hinaus.

Türe:

Un wenn Sie noch eso viel Geld ho'n, mir Bauern lassen uns nich kommandieren! ERMISCHER fällt erschöpft auf einen Stuhl:

Un hie soll sich nu eener Respekt verschaffen!

13'

145

ZWEITER AKT Wohn- und Arbeitsstube des Schnitzlermeisters

Schönherr.

Niedriger schmuckloser, einfach getünchter Raum. In der Hinterwand rechts die Tür zum Hausflur, sie ist geöffnet und man erblickt im Flur aufgeschichtetes Rundholz, ein paar große Tragkörbe und, auf einem Brett längs der Wand, allerlei Gerumpel. An der Hinterwand neben der Tür steht eine große altertümliche Drechslerdrehbank, auf welcher aus Holz gedrehte Schnitzreifen und Handwerkszeug umherliegen. Darüber, an der Wand, ein Zeugbrett mit Dreherwerkzeug. Um die Bank am Boden Späne, Holz etc. in der wirren Unordnung eben unterbrochener Arbeit. In der Ecke des Hintergrundes, links, steht der große Kachelofen, davor die Ofenbank und unter und auf ihr Holzeimer und irdene Töpfe. Neben dem Ofen, an der linken Seitenwand, ein alter Schrank. Vor dem Ofen eine plumpe Wiege, ein Säugling darin. In der Mitte der linken Seitenwand die Tür zur Schlafstube. Weiter vorn an der Wand mehrere grobe Kalenderbilder: Stülpner, der erzgebirgische Räuberhauptmann; Barbara Uttmann, die Erfinderin der erzgebirgischen Spitzenklöppelei, und eine allegorische Darstellung vom Segen des erzgebirgischen Bergbaues. Vor der Wand eine alte Kommode und zwei Holzstühle. In der Seitenwand rechts zwei niedrige, durch Kattungardinen verhangene Fenster, die zur Straße führen. Zwischen den Fenstern im Rahmen ein buntes verräuchertes Meisterdiplom. Ein großer und breiter Arbeitstisch steht, fast diese ganze Seitenwand füllend, da. Davor ein paar Stühle, darüber, am Draht von der Decke herabhängend, eine unansehnliche Arbeitslampe. An der Wand, hart an der Tür, an einem Rechen aufgehängt, Kleidungsstücke aller Art. Das ganze Zimmer macht einen armseligen Eindruck. Es ist Tag. Im Ofen brennt Feuer. Am Tische arbeiten die Kinder. Gertrud, eine Sechzehnjährige, blaß, mager, ärmliches Röckchen, sitzt am Tische und schlägt „Tiere" aus. Vor sich hat sie den halben Schnitzreifen liegen, von welchem sie mit Schnitzmesser und Hammer zollbreite Stücke abspaltet,. die zu einem Haufen vor ihr liegen. Heinerle, kleines schmächtiges Jungelchen in Arbeitsschürze, sitzt neben ihr und schnitzelt „Tiere", indem er mit dem Schnitzmesser soviel Holz von den Stücken abschneidet, daß die Beine, Hals und

146

Kopf der Tiere heraustreten. Fränzel und Liesel, zwei kleine Mädchen, sitzen auf dem Tische. Fränzel leimt an den Kopf der Tiere winzige Hörnchen und öhrchen. Liesel tupft mit einem Farbpinsel schon, weiß gefärbten Tieren „scheckige Flecken". Den Kindern geht ihre Arbeit mit außerordentlicher Schnelligkeit von der Hand. Sie singen dazu. Frau Schönherr, verhärmte, krank aussehende Frau, Hals und Schultern in dickes Umschlagtuch verpackt, farbbekleckste Schürze umgebunden, hockt vor dem Ofen am Boden und rührt Wasserfarbe. Sie hat einen großen Holzbottich vor sich stehen und rührt mit einem Holzstiel in dem gefärbten Wasser, schöpft prüfend eine Handvoll und läßt dann aus einer Düte Farbe zu. DIE KINDER singen unbeholfen:

*)

Der Schäfer trieb die Herde aus — ein Kindlein hört er schrei'n. Ich hör' dich wohl, ich seh' dich nicht. Im hohlen Baum da stecke ich. Im hohlen Baum, im hohlen Baum. Wer hat dich denn hineingesteckt? Die Braut, die da zur Kirche geht. Die junge Braut, wie kann das sein? Sie trägt ein grünes Kränzelein. Ein schön Grünkränzelein. Herr Schäfer, ach erbarmet Euch und setzt mich an den Kirchensteig. Da ruf ich laut: Du Bräutchen fein, nimm ab dein schön Grünkränzelein. Mußt wieder mein lieb' Mutter sein. FRÄNZEL :

Mutter, muß ich noch lang leimen? F R A U SCHÖNHERR:

Frag nich egal, Fränzel. Mach deine vier Schock, un denn biste fertig. *)Erzgebirgische Volksweise, von mir in Ehrenfriedersdorf gehört.

147

HEINERLE :

Een faules Stick is des. Wann die emal was mach'n muß, nach'r barmt se den ganzen Tag. GERTRUD:

Liesl, wärscht du gleich uffhör'n! FRAU SCHÖNHERR:

Was is aber ooch? GERTRUD:

Se tuppt mir immanand mit'n Farbpinsel uff die Hand. Mach deine „Scheckigen" fertig. FRAU SCHÖNHERR:

Nich zanken, Gertrud, se is ä'm noch een Kind . . . Liesl, wärscht du glei' . . .! Paß uff, wenn der Vater kommt. HEINERLE zählt seine geschnitzelten

Tiere:

Fünfun'fufz'g - sechsun'fufz'g — sechzig. Wieder S c h o c k . Steigt gemächlich vom Stuhl und bindet seine

e'

Schürze

ab. Itze is Feierabend. F R A U SCHÖNHERR:

Der Jung, nee der Jung. Keene drei Käse hoch, un arbeit' fier zwee Gesellen. Komm her, Heinerle, ich geb' dir e' Kußl. Sie küßt ihn zärtlich ab. Un nu wärsch d'r w a s s a ' n . Sie die Hüften.

will aufstehen,

hält sich plötzlich

jammernd

U je, u je, u j e . . .!

GERTRUD springt

herbei:

Mutter . . . was is 'n? Nu sieh dich doch noch fier. F R A U SCHÖNHERR:

's is nischt. Ich bin ä'm ze früh uffgestanden, ich hätt' noch 'ne Woche liegen blei'm soll'n. Aber m'r hat ja zu viel am Halse. GERTRUD

ängstlich:

M u t t e r l e , M u t t e r l e ! Setzt sich wieder zu ihrer

148

Arbeit.

FRAU SCHÖNHERR ist schlürfend hat den Säugling

zur Wiege gegangen und

herausgenommen:

N u wärsch d'r ewas sagen, Heinerle. Itze geheste uff die Gasse un da nimmste dei Schwesterle uff den Arm. HEINERLE nimmt

behutsam

das dich in Tücher

verpackte

Kind: Is rächt. FRAU

SCHÖNHERR:

Aber deß de fei' uffpaßt! Halt ooch's Tuch gut zu, deß keen kalter Wind an's Kleene kommt. HEINERLE :

'ch wär* schon uffpassen. Tänzelt hinaus und singt: „Wann de Kirmes is, wann de Kirmes is — do schlacht' mei Vater 'nen Bock. — D a tanzt mei' Mutter, da tanzt mei' Mutter — da wackelt ihr der Rock!" Gelächter der FRAU

Kinder.

SCHÖNHERR:

Des is fei' een Schlingel! Zu den Kindern.

Halt uff mit

der Arbeit, 's is Essenszeit, un der Vater muß uff den Augenblick kommen. Sie hantiert am Ofen. Gertrud ist aufgestanden, gesprungen. Armvoll

die Kinder

sind vom Tische

Gertrud bindet die Farbschürze

geschnitzter

„Tiere",

wirft sie in den

und rührt mit einem Holzstiel

herab-

um, nimmt

darin herum.

einen

Farbbottich

Dann

legt sie

ein Brett über die Lehnen zweier Stühle und breitet die farbennassen „ Tiere"

zum Trocknen

darauf. Währenddessen

die beiden kleinen Mädchen

den Tisch

NEUMERKEL dickes Tuch um den Hals gewickelt, dünne durchfroren

von der Winterkälte,

schlitten mit zwei mächtigen in den Hausflur;

haben

abgeräumt.

zieht einen plumpen

Tragkörben Schnitzware

Jacke, Holzbepackt

blickt behutsam in die Stube.

GERTRUD:

E i gor, der Neimerkel. Was haste gelöst?

149

NEUMERKEL:

Pscht. Pscht. Is der Meester da? F R A U SCHÖNHERR:

Nee, mir warten ooch schonn. Die Körbe bemerkend. Ja, is 'n des . . . Ach du lieber Gott, du bringst ja die Ware wieder mitte? NEUMERKEL : P s c h t . P s c h t . Kommt

in die Stube,

leise, seinen

zerrissenen

Rockärmel zeigend: Da schaut mal mei Klüftchen. Hä? F R A U SCHÖNHERR:

Nu sag mir bluß, was des zu bedeuten hat? NEUMERKEL schreit

heraus:

'nausg'schmissen hat mich den Neibert sein Kommis! DIE FRAUEN:

Un die Ware? NEUMERKEL:

D'r Neibert-Verlag'r nimmt nischt mehr! F R A U SCHÖNHERR lautes

Wehklagen:

Ihr Leute, ihr Leute, was fangen mir an! Er hat se doch bestellt die Holzsoldaten, die Häuseln, die Beemeln . . . ! NEUMERKEL:

Aber wenn er se nu nich nimmt, hä? F R A U SCHÖNHERR:

's kost uns unser Holz, unser Färb', unser Material, 's is 'ne Woche Arbeit. Ich ho' 's nötig zu Brote . . .! GERTRUD:

Warum nimmt 'r se denn nich? 150

FRAU SCHÖNHERR:

Ja, warum nimmt'r se nich, hä? NEUMERKEL:

Warum? Weil ich uffgemuckt hab' uii'm Gemeendeamt wegen den Neibert seiner Katzeng'schicht', der verfluchten! FRAU SCHÖNHERR:

Hab' ich's nich gedacht: 's is wegen der verdammten Katze! Aufgebracht. Is des een Gesell? Müssen mir uns wegen deiner Katzeng'schicht' mit unsern Verlag'r ieberwerfen?! NEUMERKEL

ebenso:

Muß ich mich wegen meinen Meester 'nausschmeißen lassen?! FRAU SCHÖNHERR:

Un dein Katzenvieh kommt' naus. NEUMERKEL:

's gutt. Denn geh ich ooch. U L B R I C H kommt

herein:

Is des een Schkandal dahie . . . Tag ooch. FRAU SCHÖNHERR:

Tag ooch, Ulbrich. Mir ha'm ooch unsre Not. Auf die Körbe weisend. Da, schau'n Se nur, des is liegengebliebene Schnitzware. ULBRICH :

Ei, der Tausend . . .! Des is doch 'n Schlag fier euch Leute, 's is leicht fier drei Daler Holz un Farbe. Warum nimmt 'r denn nischt, d'r Neibert? F R A U SCHÖNHERR zeigt achselzuckend

auf

Neumerkel. 151

ULBRICH : A h a , a s o . Pfeift NEUMERKEL

durch die

Zähne.

wütend:

Ich weeß schon, deß ich im Wege bin. Ich wer' euch nich lästig fallen. Ich pack' mei' Sach' und tipple nuff ins Vogtland, nach Klingenthal, wo die Musikinstrumente gemacht wer'n. ULBRICH :

Und dein Katz', die schenkst' d'r Frau Neibert'n, hä? NEUMERKEL:

Nee, die macht mit nuff. ALLE

Gelächter.

NEUMERKEL

eifrig:

Des is bloß, weil ihr's nich versteht. Warum soll 'n armer Mensch nich ooch was ha'm, wo er dran hängt? ULBRICH gutmütig

lachend:

Jo, jo. Setzt sich auf die Tischkante. Wie bist'n du ieberhaupt an die Katze kommen, hä? NEUMERKEL:

Das war halt so: Sie hatten mich in Marienberg aus der Arbeit g'schickt, und ich wüßt nimmer, was ich fier Hunger und Kummer machen sollte. E' Stickl trocken Brot in der Tasche, bin ich von Marienberg weggetippelt. Und wie ich vor die Stadt komme, springt eene Herde Kinder da 'rimm, die wollen eene Katze — een kleenes, zitt'riges, verhungertes Tierl — mit Steenen totschmeißen. Da hat sich mir's Herze z'sammengekrampft, als wär' des Tierl' 'n armer Mensch. Müssen se denn an allem, was hilflos is, ihre rohe Gewalt üben! Mit eenem Prügel hab' ich die Kinder davongejagt, des Katzl uff den Arm genommen und denn sein mir zwee losg'gangen. Wie een paar Kameraden! Beim eenen Bauer hab ich 'n 152

paar Pfeng erbettelt, beim andern hab ich ihr Milch d'rfier gekooft. So hab ich se groß 'bracht und nu hang' ich an dem Tierl. ULBRICH:

Aber eene komische Geschichte is 's ä'm doch. Haha! . . . Nu, Gertrudi, du schuft'st doch fier zehne. Wirscht du denn deine Ausschteier z'sammengeschnitzelt ha'm, wenn der Schatz kommt? GERTRUD lacht:

Mei Schatz? Er muß fei noch warten. ULBRICH :

I ja, ichweeß Bescheid. Trällert. „Eisenbah', Eisenbah', Lokemativ, wenn de mei Schatzl siehst, gibste 'nen Brief." HEINERLE läuft mit dem Kinde

herein:

Der Vater kommt! ULBRICH :

Ei nu, ei nu, wird er dir ooch was mittebracht ha'm, Heinerle, hä? FRAU SCHÖNHERR:

Gib emal 's Kleene her, deß mir's legen. Bettet den Säugling in die

Wiege.

MEISTER SCHÖNHERR tritt in den Hausflur. Mann,

ärmliche Kleidung,

derber Knotenstock,

zwei ineinander gesetzte Tragkörbe auf dem

Großer

älterer

kurze

Pfeife,

Rücken.

ULBRICH :

Tag, Hartmann. SCHÖNHERR:

Tag ooch, Ulbrich. Wo treibt dich denn der Wind her? 153

U L B R I C H gibt

ihm:

E Briefl, Hartmann. SCHÖNHERR:

J a , ich d a n k ' scheene. Er setzt die Körbe hin und zieht sich

aus. Warum hat denn der Gesell die Schnitzware noch nich zu'n Neibert geschafft, hä? Stille. SCHÖNHERR:

Hä? NEUMERKEL :

Der Neibert-Verlag'r nimmt keene Ware mehr vom Meester. Sei Kommis hat mich 'nausg'schmissen. Zeigt seinen zerrissenen

Rock.

SCHÖNHERR:

Was is des? Der Neibert bestellt bei mir Ware, un sei Kommis schmeißt meinen Gesell'n naus? FRAU

SCHÖNHERR:

Des macht, weil Fra' Neibert'n sich ieber den Gesell'n seine Katze krank geärgert hat. SCHÖNHERR:

Ü b e r den . . . Krault sich lachend den Kopf. N u d e n k ' dir

mal, Ulbrich . . . hähä. . . also, der Neimerkel hat eene Katze. ULBRICH:

Ich weeß, ich weeß . . . B E I D E ausgelassenes

Gelächter.

NEUMERKEL:

Des is ja bloß den Neibert seine Wut. E r hat sich's emal in den Kopp gesetzt: die Katze muß raus. E r denkt, wir müssen alle nach seiner Pfeife tanzen. 154

FRAU SCHÖNHERR:

Hast fei' recht, Neimerkel. „Mir sein die Großen", spricht Fra' Neibert'n, „mir befehlen. Die andern sein die Lumpenpackasch." ULBRICH :

Ja, ja. Se tun sich fei' dicke, die Neiberts, seit sie die größte Spielwar'nfabrik ha'm. Un wie sie herkamen, waren se doch ooch weiter nischt. SCHÖNHERR:

Een Spekulante war er, nischt weiter! . . . Er hat die hausindustriellen Meester für sich liefern lassen, un wie er's ganze Absatzgebiet in Händen hatte, da baute er seine Fabrike und machte die selbständigen Meester der Reihe nach kaputt. Aber des kann ich dir sagen: Mich bringt er nich kleene. Mir Schönherrsch sitzen hie oben im Erzgebirg sitt'r zweehundert Jahren. Mir ha'm des Spielwarenschnitzeln uffgebracht hie in den Gebirbsdörfern und eh ich in Neiberts Fabrike geh', eher fließt's Wasser den Berg nuff. ULBRICH im

Gehen:

Viel Glick. Denn sorg nur, deß die Ware fortkommt, 's Holz könnt 'r nich essen . . . Na, Heinerle, was wirschte sagen, wenn der Ulbrich itze zum Kramer 'neingeht und kooft dem Heinerle fier'n Fimfer Zuckersteng'ln? Heinerle, ULBRICH

Fränzel,

Liesel umspringen

ihn

jubelnd.

lachend:

Da sein se dabei . . . Tag ooch. Er geht mit den Kindern hinaus. GERTRUD geht

hinterdrein.

D I E SCHÖNHERRS:

Tag ooch, Ulbrich. SCHÖNHERR hat den Brief ihn wütend in die Ecke:

aufgerissen

und gelesen;

wirft

Des is ooch so e Blutsauger!

155

F R A U SCHÖNHERR:

Was is denn, Mann? SCHÖNHERR:

Der Arnold-Koofmann in Grünthal schreibt: Wenn mir liegengeblieb'ne Schnitzware hätten, so nimmt er sie fier Kaffee und Mehl und Brot in Zahlung. F R A U SCHÖNHERR:

Ei gor, und hernach'r verkooft er sie fier scheenes Geld uff'm Jahrmarkt. Uns gibt'r nich emol den Holzwert. SCHÖNHERR sitzt niedergedrückt

am

Tische:

Die ha'm eene Witterung wie die Schießhunde . . . Aber was will 'ch machen. Eh mir hungern, müssen wir ihm die Sach hinbringen. F R A U SCHÖNHERR

seufzt.

NEUMERKEL:

I ja, Meester, ich weeß schon. Ich bin dahie im Wege. Schicken Se mich fort, denn hat der große Neibert seinen Willen und nimmt Ware, soviel ihr schnitzelt. SCHÖNHERR:

Und rennt im Ort 'rumm und spricht: „Ich hab den Meister Schönherr gezwungen, seinen Gesellen fortzuschicken. Er muß springen, wie ich pfeif'." Nee, du bleibst! Unter

der Türe tauchen

die beiden Neuberts

auf.

NEUBERT:

Guten Tag, Meister . . . Komm nur rein, Gustel, komm nur rein. SCHÖNHERR

aufgesprungen:

Ach nee . . . nu, der kommt mir grade recht!

156

FRAU NEUBERT:

Guten Tag. Hüstelt. Aber eene Luft is das hier drinne . . . So eene stickige, ärmliche Luft. Es schlägt eenen richtig uff die Lunge. Möchten Se nich een Fenster öffnen, Frau Scheenherr'n? F R A U SCHÖNHERR öffnet ein

Fenster:

Wenn 's Brandholz gar so teuer is, da muß m'r am Wintertag schon die Löcher zumachen, deß die Wärme bleibt. Schiebt zwei Stühle hin. N E U B E R T bemerkt

Neumerkel:

Da is er ja . . . he? NEUMERKEL:

Nu, hie hat Ihr Kommis nischt 'nauszuschmeißen! NEUBERT:

Wenn Sie frech und unverschämt werden, so bleibt eben nichts übrig, als Sie 'nauszupf eifern. NEUMERKEL:

Und meinen zerriss'nen Kittel, den wärd Ihr Kommis mir ersetzen, sonsten ward druff geklagt. FRAU NEUBERT:

Ach Gott, was des is, Meester Scheenherr . . . solches Gelumpsch, wie Ihr Geselle am Leibe hat . . . da können Se 'n mal schicken nach die abgelegten Sachen von meinem Mann. FRAU SCHÖNHERR:

Da wär'n mir uns bedanken! SCHÖNHERR:

Dadrum handelt sich's ieberhaupt nich. Die Sach' is, deß Sie bei mir Ware bestell'n un nach'r nehm' Sie se nich ab. Da steht nu die Ware . . . 157

NEUBERT:

Ich will sie ja nehmen, Meester. SCHÖNHERR:

Die können Sie gar nich mehr kriegen, die is schon verkooft. NEUBERT verdutzt:

Schon verkauft? Wer hat sie denn gekauft? SCHÖNHERR:

Der Arnold-Verlag'r in Grünthal hat se gekooft. NEUBERT, Brille auf der Nase, fixiert Schönherr, rennt dann lachend in der Stube umher: Na, wissen Sie, den Verleger, den kenn ich. Der wohnt neben dem Galgen und heißt: Gebärde des Gurgelabschneidens, kxs! SCHÖNHERR wütend:

Und wenn's der Halsabschneider is, 's is immer noch besser wie gor niemand. NEUBERT, Hände auf Schönherrs Schultern: Meister Schönherr, zum Dunnerwedder . . . woll'n wir uns doch vertragen! Ihre Ware is ja tadellos. Das is bestes astfreies Fichtenholz, da is Leim und Farbe gut getrocknet, das is akkurat gedreht und geschnitzelt, da fehlt nich ein Stück am Schock. Ich will j a auch wieder Ware nehmen; aber . . . seh'n Sie, Meister . . . Sie müssen mir auch entgegenkommen. SCHÖNHERR

lauernd:

Nu, wie soll ich kleener Meester dem großen Fabrikanten Neibert entgegenkomm'n? NEUBERT blickt auf Neumerkel: J a . . . also . . . das möcht' ich Ihnen unter vier Augen sagen.

158

SCHÖNHERR:

Du lieber Gott . . . was Sie mit mir zu reden ha'm, des wird die Fra und der Gesell' schon heeren können. N E U B E R T guckt in der Stube

seine Frau

an; ärgerliche

Bewegung;

rennt

umher.

F R A U N E U B E R T plötzlich

wütend

herausschreiend:

Und kurz und gut, die Frechheit mit Ihren Gesell'n seiner Katze, das lassen mir uns nich länger gefallen! D I E SCHÖNHERRS u n d N E U M E R K E L höhnische

Mienen.

NEUBERT:

Gustel, so schweig doch . . . FRAU NEUBERT :

Ach was hie! Mir sein die reichsten Leute im Ort, und das gibt's nirgends woanders, daß die, wo's Geld ha'm, sich von der ärmeren Bevölkerungsklasse auf der Nase rumtanzen lassen müssen! F R A U SCHÖNHERR

ebenso:

Wenn mir ooch arm sein, mir zahlen so gut unsere Gemeendesteuern wie Sie! SCHÖNHERR:

Mir sein so gut Menschen wie Sie, Fra Neibert'n! NEUMERKEL:

Ihr Kommis hat mich nausg'schmissen, da wärd noch eene Gerichtsverhandlung draus, mir sprechen uns noch vor'm Landgericht! NEUBERT:

Ich werd' Ihnen noch zeigen, wegen was es 'ne Gerichtsverhandlung gibt! Sie werd' ich schon noch aus dem Orte rausbringen! 14

Münchow, Dramatik I I I

159

SCHÖNHERR:

Nu, des möcht ich seh'n, wer 'nen Gesell'n, der bei mir in Arbeit is, aus dem Ort rausbringt! NEUBERT:

Ich bring' den nichtsnutzigen Patron verstehn Sie?

'raus, ich .. .

NEUMERKEL:

Wer is een „Patron"? Sie denken wohl, weil ich een hilfloser Mensch bin, muß ich mich beschimpfen lassen! FRAU NEUBERT:

Mann, reg' dich nich uff. Bleib bei Verstände, tu 's mir zu Liebe. NEUBERT rennt in der Stube FRAU NEUBERT nach einer

umher. Pause:

Nee, also das . . . das kann uns doch kee Mensch verdenken, daß mir hier emal die Geduld verlieren. Was mir schon ausgestanden ha'm, seit mir die Fabrike hie h a ' m ! In erregter, sich überstürzender

Sprechweise.

Erseht,

wie mir das Haus am Mühlteich hatten, konnten mir den ganzen Sommer ieber keen Ooge zutun, weil jede Nacht und jede Nacht 'n hundert Frösche uff'n Wasser lagen und quakten. Da mußten mir extra den Nachtwächter bezahlen, daß 'r nachts mit 'ner langen Fuhrmannspeitsche 's Wasser klitschte, damit sie sich nich naufgetrauten. Denn schaffte sich der Kanter italienische Hiehner an, da fing der Hahn nachts um halber zwee schon an, nachäffend, „Kä—ke—rä—kä!" Da hat mein Mann eigens 'nen Prozeß anstrengen müssen, daß 'r gezwungen wurde, den Hahn zu schlachten. Und kaum is das überstanden, da kriegt dem Schmied sein Hund die dolle Wut, da wird euch e halbes Jahr lang die Hundesperre über 'n Ort verhängt . . . daß m'r egal Angst hatte, m'r wird von 'nem dollen Hunde gebissen. Und kaum is das . . . da kommt der hergeloof'ne Mensch mit seiner Katze, die eenem die ganze Wäsche ruiniert . . . ! 160

F R A U SCHÖNHERR:

Nu, 's wird sich doch noch eener 'ne Katze halten dürfen! NEUBERT:

Eine Katze, ja . . . vorläufig. Aber wenn sie Junge kriegt, so sind's sechse, sieben. NEUMERKEL:

's is ja een Kater. NEUBERT:

Ach, das is ja ganz egal. NEUMERKEL:

Nee, das is nich egal. N E U B E R T , Brille

auf der Nase, glotzt ihn an;

dann:

Ach, Sie dummer Mensch, machen Sie doch Ihre faulen Witze

anderswo!

Rennt

umher,

bleibt

plötzlich

vor

Schönherr stehen. Also, Meister, nu hab' ich's satt! Ich lass' Ihnen die Wahl. Entweder Sie schaffen den Menschen fort, oder Sie kriegen nich für einen Neugroschen Arbeit mehr zu besehen. SCHÖNHERR:

Und jetzt schick' ich ihn gerade nich fort! NEUBERT:

Dann werd ich Ihnen anders kommen. FRAU NEUBERT:

Mir ha'm uns an andere Stellen gewend't, mir werden schon unser Recht kriegen. SCHÖNHERR:

Wenden Sie sich an wen Sie Lust ha'm, itze setz' ich meinen Kopp uff. 14 .

161

FRAU SCHÖNHERR:

Keen Mensch kann uns zwingen, wenn wir nich wollen. NEUBERT in höchster Wut

hinausstürzend:

Das wird sich finden. F R A U NEUBERT

hinterher:

Euch wer'n mir's eemal beweisen. F R A U SCHÖNHERR:

Nee, Mann, also des . . . des darfst du dir nich gefallen lassen. Die Leute tun ja in ihrem Hochmut grade, als ob m'r nich Luft schnappen dürfte ohne sie. NEUMERKEL:

Die treten eenen vollends unter die Füße! SCHÖNHERR :

Nur ruhig, ruhig . . . Wegen so eener . . . Lache, so eener Sache hätt' ich mich nie mit'n Neibert überworfen, aber wenn er denkt, er kann mir eso ufftrumpfen, da werd' ich's ihm zeigen. An die Drehbank tretend. Und nu genug. Astel her, daß Reefen fertig werden. Er beginnt zu drehen. NEUMERKEL schafft aus dem Hausflur Holzklötzer herein, als Frau atemlos

Ulbrich,

kleine,

dicke, geschwätzige

Frau,

Kopftuch,

hereinstürzt.

F R A U ULBRICH :

Tag ooch, Neimerkel. Sein die Scheenherrsch da? Freilich, da sein se . . . Nee, Meester, also nu schlägt's ein bei euch! D I E SCHÖNHERRS:

Tag, Fra Ulbrich'n. — Was wird denn sein? — Nu sagt bloß, was is denn? F R A U ULBRICH:

Mei Mon schickt mich, ich bin ganz außer Atem . . . es is ewas im Gange, spricht 'r. 162

SCHÖNHERR:

Was wird ooch im Gange sinn? FRAU ULBRICH :

Der Ermischer schickt den Seifert durch den ganzen Ort nach dem Gendarmen. Suchen kommen se bei euch. SCHÖNHERR:

Suchen? Nach was suchen? FRAU ULBRICH:

Nach was suchen se bei den Schnitzersleuten? Nach gestohl'nen Holze! Alle zucken FRAU SCHÖNHERR wilde

zusammen.

Wut:

Was, Holzdiebe soll'n mir sein? Mir ehrlichen Leute, die mir jedes Finkl Holz uff der Auktion koofen? FRAU ULBRICH am

Fenster:

Sie kommen die Gasse nuff, sie sein da. NEUMERKEL setzt sich vergnügt auf den

Tisch:

Nu, do mögen se kommen. Hie sein keene Holzdiebe. Man hört Stimmen

im

Hausflur.

FRAU ULBRICH laut:

I wer Se emal e bill' Farbe reiben, meine gute Fra S c h e e n h e r r ' n . Läuft zu dem Farbbottich und rührt Farbe, dabei die Vorgänge mit langem Halse

verfolgend.

GERTRUD kommt verstört mit den Kindern

herein:

Mutter, Mutter! Da kommt der Ermischer mit Poll'zei! Schönherr

steht hoch aufgerichtet

in der Stube.

Die

Ermischer

erscheinen

in wichtiger Miene

Joppe,

unter der Türe. Ermischer

Jägerhütchen,

langen

Stiefeln;

Seifert

und

Kinder

drücken sich scheu in den Ofenwinkel.

hinter

Seifert in ihm,

163

ängstlich, einen großen, mit Deckel verschlossenen am Arm, den er neben die Tür stellt. SCHÖNHERR, verhaltene

Henkelkorb

Wut:

Sollt des rächt sein, Sie suchten bei mir nach gestohl'nem Holze? FRAU SCHÖNHERR:

Da muß der Ermischer zu den Schnitzerschleiten gehn, die die Ware halb verschenken. Hie wärd jed's Feckel Holz gekooft. SCHÖNHERR reißt aus seiner ternd Scheine

abgegriffenen

Brieftasche

zit-

hervor:

Hie sein die Auktionszettel un da im Hausflur liegt mein Holz. Den will 'ch kennen, der mich zu 'n Holzdiebe macht! ERMISCHER :

Mir kommen nich' wegen Holzdiebstahl, wegen ewas w e i t S c h l i m m e r ' n . Zieht ein großes Schriftstück

hervor. S i e

sein der Meister Scheenherr? F R A U SCHÖNHERR, höhnische

Lache:

Er kennt seine Nachbarsleute inmmer! SCHÖNHERR:

Un dobei war ich schon lange selbständiger Meest'r, wie er noch als verhungerter Kegeldrechslerjung rumlief. ERMISCHER heftig:

Des hat hiemit nischt zu tun. Itze bin ich d'r Fierstand, un ich verlang' 'nen Reschpekt! A lle sehen sich verdutzt an, dann plötzlich höhnisches ter, in

welches Frau

Ulbrich

und die Kinder

Geläch-

einstimmen.

ERMISCHER :

Ei gor . . . den Briefträger seine. Dacht' icL's mir doch, deß Euch die Neubegierde nich schlafen ließ.

164

FRAU ULBRICH:

Nu, ich möcht's ooch gern wissen. ERMISCHER:

Des könnt'r ooch wissen. Entfaltet das Schriftsück. Hie wohnt een Schnitzlergesell Neimerkel . . . NEUMERKEL auf dem Tische,

strampelt

mit den

Füßen:

Hie hängt'r. ERMISCHER:

Der mit eener zugeloof'nen Katze allen Ortsbewohnern Schaden und Ärgernis bereitet. So bin ich denn beauftragt, halb lesend, „die dem pp. Neimerkel gehörige Katze in Gewahrsam ze nehmen und eso lang behördlich uffzuheben, bis der pp. Neimerkel den den klagbaren Ortseinwohnern verursachten Sachschaden ersetzt hat oder eine anderweitige Hebung der Schwierigkeiten gefunden ist" . . . eso steht's und dessentwegen verlang ich das Objekt raus. SCHÖNHERR steht vorne, höhnisch vor sich

greift sich an den Kopf

und

lacht

hin.

NEUMERKEL:

Da lass' ich mich nich druff ein. Ich verlang een instanzenmäß'ges Prozeßverfahren. FRAU SCHÖNHERR:

Laß dir's nich gefallen, Neimerkel. Denkt'r etwa'n, mit armen Leuten könnt'r Hohn un Spott treiben? ERMISCHER:

Wenn Sie's nich im guten rausgeben, so wärd danach gesucht. FRAU SCHÖNHERR, Faustschlag

auf den

Tisch:

Un mir geben's ä'm nich! 165

ERMISCHER:

So . . . na, denn wer'n mir ja seh'n. Geht zur Tür. Herr Schandarme, möchten Se nich emal reinkommen? Stille. SCHÖNHERR hat grimmig die Fäuste

geballt.

GENDARM WEIGEL kommt langsam

herein, stellt sich breit-

beinig inmitten

der Stube

hin:

Was gibt's denn? ERMISCHER:

Der Hausbesitzer Schönherr widersetzt sich der behördlichen Verfügung. WEIGEL :

Da gibt's nischt zu widersetzen. Verstanden? FRAU ULBRICH

hinausrennend:

Nee, nu laßt mich, nu muß ich aber loofen . . . ! SCHÖNHERR nimmt einen Schlüssel ihn

vom Wandnagel und gibt

Ermischer:

Eh ich mich mit Sie rumstreite, wegen so eener Sache . . . so eener . . . Greift

sich lachend an den Kopf.

Hie is

der Bodenkammerschlüssel. Oben is se eingesperrt. NEUMERKEL:

Aber Meest'r, da bin ich nich einverstanden . . . SCHÖNHERR:

Hie hab ich ze sagen, un du wirst dich fügen. ERMISCHER :

's rächt. Herr Schandarme, der Gemeendediener hot 'nen Korb mittebracht, wo er se 'neintun kann. Sie möchten emal mit 'nuffsteigen . . . WEIGEL :

Ich . . .? Aber die ganze Sache is doch der Gemeinde-

166

behörde zur Durchführung übergeben. Hier steht's ja. Ich kann da wirklich nich . . . ERMISCHER:

Sie sein aber doch abgeschickt, uns beizesteh'n . . . WEIGEL :

Gewiß. Das tu' ich ja auch. Ich halte derweilen hier unten die Ordnung aufrecht. ERMISCHER:

So . . . h m . . . Betrachtet den Schlüssel, dann Seifert den Gendarm.

und

SCHÖNHERR:

Und nu verlang ich, daß Sie Ihres Amtes walten und uff dem schnellsten Wege mein Haus verlassen. WEIGEL :

Ja, da hat der Meister ganz recht. ERMISCHER:

Nu ja . . . des heeßt . . . hm. FRAU

SCHÖNHERR:

Ich gloobe gar . . . der Ermischer färcht sich! D I E SCHÖNHERRS, N E U M E R K E L u n d

DIE K I N D E R ,

höhni-

sches Gelächter. ERMISCHER:

Ich färchten . . .? Nu, des wäre . . . Seifert, allongscn marschee! SEIFERT nimmt den Korb und geht hinter Ermischer

hinaus.

Während des Folgenden hört man von draußen das dumpfe Lärmen einer sich ansammelnden und immer stärker werdenden Menschenmenge.

167

WEIGEL :

Ja, Meister, da sehn Sie's nu. Unsereiner muß seine Pflicht tun, ganz egal, was es is. Guckt in die Wiege. Na, Kleine, ks—ks—ks . . . Ich bin gar nich so, aber wenn's nu mal von einem verlangt wird . . . nich wahr? F R A U SCHÖNHERR:

Seit der Neimerkel im Ort is, verfolgt 'n der Ermischer mit seinem Hasse. Rausschikanieren möcht'r ihn. SCHÖNHERR:

Des wird ihm aber nich gelingen, un wenn 'r sich noch eso viele Schandarmen mittebringt. WEIGEL :

Lassen Sie mich doch zufrieden, Meister. Denken Sie, ich wär' gerne zu Ihnen gekommen? Aber 'n Beamter muß seine Pflicht tun ohne Ansehen der Person und der Sache. Donnerwedder noch mal! Wenn mir mein Vorgesetztersagt: Forsch. „Gendarm Weigel, gehn Sie da . . . durch die Wand!" dann gehn wir durch! Einfach. F R A U SCHÖNHERR lacht hinter seinem

Rücken.

NEUMERKEL:

Ei jo, bis Sie emal an 'ne Wand kommen, die do stärker is wie der Schandarm Weigel, un dann rennen Sie sich den Kopp ein. W E I G E L dicht vor Neumerkel,

ihn

musternd:

Sie sind der Dingsda, der Neumerkel? NEUMERKEL:

Der sein m'r. WEIGEL :

So na, wenn Sie denken, daß Gendarm Weigel mit sich spaßen läßt . . . Nehmen Sie sich 'mal in acht, Ihnen kann's mal bewiesen werden.

168

SCHÖNHERR:

Wenn sich mein Gesell' nischt zeschulden kommen läßt, kann ihm nischt „bewiesen" werden. WEIGEL :

Das wird man ja sehen. Entsetzliches rennen zur

Geschrei,

Gepolter

Türe. Ermischer

blutunterlaufenem

die

Treppe

stürzt herein, Gesicht.

herunter. mit

Alle

zerkratztem,

Hohngelächter.

ERMISCHER:

Zu Hilfe! Wasser! Wasser! WEIGEL :

Aber, Herr Vorstand, was is denn los . . . wie sehn Sie aus? ERMISCHER :

Angesprungen hat mich des Luder! Gebbt m'r Wasser! SCHÖNHERR:

Hie gibt's keen Wasser. Holen Sie Ihre Sache un verlassen Sie mein Haus. WEIGEL beguckt

ihn:

Donnerweder . . . das hätte ja 'n Auge kosten können. ERMISCHER sein zu

Taschentuch

vor dem Gesicht, fast

heulend

Neumerkel:

Des is Körperverletzung. Des wärscht du büßen! NEUMERKEL:

Hä, itze soll ich schuld sin, un ich bin noch nich emal dabei gewes'n! FRAU SCHÖNHERR:

Nu, das fählte . . . ! Iberhaupt, wann Sie dahie fertig sein, so machen Se, daß Se weiterkommen! 169

SCHÖNHERR:

Is rächt, 'naus! 'naus! WEIGEL :

Ruhe, zum Donnerwetter! Haltung, Herr Vorstand. Sehn Sie bloß die Menschen da draußen, 'n ganzer Auflauf! Tun Sie doch bloß das Tuch weg. Seifert kommt, den Korb vorsichtig tragend, beide Hände auf dem Deckel, triumphierend herein. SEIFERT:

Ich hab' se! Ich hab' se! WEIGEL :

Dann is 's ja gut. Dann können wir abrücken. SCHÖNHERR:

Un das gleich. WEIGEL :

Kommen Sie, Herr Vorstand. ERMISCHER :

Ich kann eso nich. Soll ich denn zum Gespötte im Orte werden! WEIGEL :

Dann gehn Sie schon immer vor, Gemeindediener, wir kommen nach. Seifert geht mit dem Korbe

hinaus.

NEÜMERKEL:

Des is eene Vergewaltigung! WEIGEL:

Sie haben den Mund zu halten. SCHÖNHERR:

Wärd ihr nu man Haus verlassen?! 170

Gelächter und Hailoh auf der

Straße.

FRAU SCHÖNHERR:

Se schmeißen den Seifert mit Schnieballen, hahaha! Seifert

stürzt in den Hausflur,

ballenhagel.

Anzug

und Korb

hinter ihm her ein voll Abdrücken

Schnee-

von

Schnee-

ballen. SEIFERT:

Himmelsackerment, werd' ihr mich zefriedenlass'n! Hereinflüchtend. Se lassen eenen nich raus, Herr Schandarme, 's steh'n an die zweehundert Menschen uff der Straße un schmeißen mit Schnie. ERMISCHER :

Des war ja Rebellion! WEIGEL :

Das wollen wir doch mal sehn. Er rückt schneidig das Käppi zurecht,

lädt die Doppelflinte,

den Arm

und geht forsch

nimmt sie schußbereit

in den Hausßflur.

Mit

unter

barscher

Stimme. Im Namen des Gesetzes! Ich fordere auf, die

Straße freizugeben. Zum ersten zum zweiten, zum dritten Mal. Vorwärts, rechts und links auseinandertreten! Gemurre

einer großen Menge.

Dann

Ruhe.

Weigel tritt ge-

lassen wieder in die Mitte der Stube, stößt die Tür auf.

Die

Straße ist frei! SCHÖNHERR:

Nu habe ich's satt, 'naus aus meinem Hause! WEIGEL :

Ich nehm' den Vortritt. Vorwärts, wer mitwill! Er geht hinaus,

Seifert ihm

nach.

ERMISCHER, den Hut

tief in die Stirne gerückt.

Wütendes

Fäusteballen:

Des sollt 'r mir büßen, Lumpenpackasch!

171

SCHÖNHERR:

'naus mit dem Bettelbürgermeest'r! NEUMERKEL springt zur Türe, Hände vor dem Munde: Katzen-Ermischer! Frau Schönherr und die Kinder ausgelassenes Gelächter. Die Kinder hinter Ermischer her, immerfort rufend: „KatzenErmischer! Katzen-Ermischer!" — Von draußen plötzlich hundertstimmiges Gelächter, Gepfeife, Gejohle, welches in „Hurrarufe" übergeht. Frau Schönherr und Gertrud stehen am Fenster und beobachten lachend die Vorgänge auf der Straße. Schönherr steht fäusteballend inmitten der Stube. NEUMERKEL:

Da spricht 'r nu: „'s hätt' keener Reschpekt für ihn. „Hurra!" schrei'n se, 'nen Orden hat 'r im Gesichte un 'nen Titel hat 'r ooch gekriegt!

DRITTER AKT Die Erdgeschoßstube in der Hütte des Gemeindedieners. Kleiner ärmlicher Raum mit getünchten Wänden. In der Mitte der rechten Seitenwand befindet sich die Tür, durch welche man beim Öffnen einen schützenden Holzvorbau erblickt. Zu Seitender Tür je ein niedriges Fenster ohne Vorhänge. In der Mitte des Hintergrundes (kahle Giebelwand) erhebt sich ein rissiger baufälliger Lehmofen. Vorn an der linken Seitenwand führt eine Leiter zu einer Luke oben in der Wand, aus welcher Stroh herausliegt und durch die man auf den Boden des Anbaues gelangt. Hinter der Leiter, in der linken Seitenwand, ebenfalls ein schmuckloses Fenster; längs der Hinterwand, neben dem Ofen, das zweischläfrige Bett mit zwei Kopfkissen und bunten Kattunüberzügen. An der Hinterwand, neben dem Ofen, ferner noch ein altertümlicher Schrank, darauf allerlei Gerümpel, ein großes Topfgestell mit Gerät. Vor dem Ofen eine Bank; direkt neben der Tür stehend, einige Feldgerätschaften. An die Wand gehängt eine Anzahl Klei172

dungsstücke, darunter Seitengewehr, Dienstjoppe und Mütze des Gemeindedieners. Vor dem ersten Fenster rechts eine braungestrichene, mächtige Lade. An der Wand, rings um das Fenster gehängt, eine Anzahl Vogelbauer. Ein paar bunte Bilder hängen noch an den Wänden. In der Mitte der Stube stehen der plumpe viereckige Tisch, darauf eine Stehlampe und in der Stube, unordentlich umher, ein paar grobe Holzstühle. Spätnachmittag. Sonntag. Im Ofen brennt Feuer. Auf dem Tische liegt Ermischers Hut. Frau Seifert, ärmliche Kleidung, schwarzes Haar, pfiffige, verschlagene Züge, geht mit verdrießlichen Blicken in der Stube umher, schaut ungeduldig die Bodenleiter hinauf. Ermischer kommt rückwärts die Leiter herabgeklettert, nach ihm Seifert, dicke Filzschuhe an den Füßen, Diensthose, baumwollene gestrickte Unterjacke, darunter man ein Barchenthemd sieht. Wie Ermischer sich unten umwendet, sieht man sein mit Pflastern streifenweise verklebtes Gesicht.

FRAU SEIFERT:

I s fei' alles r ä c h t , H e r r F i e r s t a n d ? ERMISCHER :

's is r ä c h t , is r ä c h t . FRAU SEIFERT:

D i e w i r d in u n s r e r P f l e g e d i c k u n f e t t . . . U n w a s i c h n o c h s p r e c h e n w o l l t e . . . sein d e n n n u d i e K r a t z e b a l d heile, H e r r F i e r s t a n d ? ERMISCHER patzig: Se w e r d e n s c h o n heile w e r d e n . FRAU SEIFERT:

Nu,

nehmen

Se's

bloß

nich ungüttig, ich f r a g

bloß

eso . . . U n w a s ' c h n o c h s p r e c h e n w o l l t e . . . u f f d e n T a g setzt's doch eenen Neigroschen Verpflegegeld

un

e e n e n F ü m f e r f ü r die A r b e i t ? ERMISCHER steht am Fenster

rechts:

J o , jo, j o .

173

FRAU SEIFERT:

Denn is's itze schon 'n Daler un fufzeh' Neigroschen, was mir zu kriegen ha'm. ERMISCII^R, Faust

geballt zum Fenster

hinaus:

Die Packasch, die verfluchte! SEIFERT, der bescheiden

beiseite getreten,

kommt

herbei:

Was wärd denn sein, Herr Fierstand? ERMISCHER:

Da ha'm se mich nu hie 'neingehn sehn, un nu steht 'ne ganze Herde Kinder an der Straße. Komm' ich 'naus, da geht's los: „Katzen-Ermischer! Katzen-Ermischer!" Bande! ! SEIFERT:

Des hat der Neimerkel rumgebracht. ERMISCHER

blitzwütend:

Den buckligen Dingerich bring ich noch an den Galgen! F R A U SEIFERT

bittend:

Un . . . was ich noch sagen wollte . . . mir Seiferts sein doch ganz arme Leute . . . Herr Fierstand, möchten Sie nich eso gut sin un geben uns schon den Daler fufzehn Neigroschen . . . ERMISCHER :

Ich? Sie ha'm wohl 'nen Affen?! FRAU SEIFERT:

Nu aber . . . SEIFERT:

Mußt nich eso habgierig sein, Lenl. Die Gemeende zahlt ja alles.

174

ERMISCHER:

Die Gemeende? Pfeifen wird sie euch was. D I E SEIFERTS:

Nu aber, Herr Fierstand, nu da . . . ERMISCHER:

Des is ieberhaupt noch nich raus, wer die Kosten zahlt. Uff der Amtshauptsmannschaft sagen se: „'s is 'ne Poll'zeiangelegenheet der Gemeende, also muß die Gemeende bezahlen." Und d'r Gemeenderat spricht: „'s geht uns nischt an, 's is 'ne amtshauptmannschaftliche Anordnung, also bezahlen mir keenen Pfeng' für die Kosten." Geh' ich wieder uff die Amtshauptmannschaft, da lachen die Referendare schon, wenn ich zur Türe 'neinkomm'. FRAU SEIFERT fast

weinend:

Ihr Leute, ihr Leute, da kriegen mir in unserer Armut am Ende noch nich emal die paar Pfeng' vergüt! SEIFERT :

Nu, wann mir nu . . . un mir brächten den Herrn Fierstand die Katze. ERMISCHER :

Untersteh dich bloß . . .! Nach einer Weile. Aber wann ihr sie behalten möchtet, so hättet 'r uff eene bill'ge Weise een nützliches Haustier erworben. FRAU S E I F E R T :

Ei jo, ei jo, da können mir unsere Pfennige besser brauchen. ERMISCHER setzt seinen Rockkragen

Hut

tief in die Stirn,

schlägt

hoch, daß man nur noch seine Nasenspitze

den sieht:

's is egal, ihr müßt se ä'm im Ufftrag der Gemeende verpflegen, bis eene Entscheidung getroffen is. 15

Münchow, Dramatik I I I

175

FRAU SEIFERT:

Un nach'r gucken mir in den Mond. ERMISCHER:

M'r wird schon sehn. Guckt durchs Fenster, 's scheint, se sein fort. T a g ooch. Läuft rasch hinaus. D I E SEIFERTS:

T a g ooch, 'Herr Fierstand. Sie laufen zum Fenster und sehen ihm

nach.

FRAU SEIFERT:

Pst. Se ha'm sich hinter den Bäumen versteckt. SEIFERT:

Da kommen se schon 'raus. Man

hört entfernt

geschrei: ferts

vielstimmiges,

„Katzen-Ermischer!

halten

sich

lachend

sich verlierendes

Katzen-Ermischer!" die

Bäuche.

Dann

KinderDie

kommen

Seisie

wieder vor. FRAU SEIFERT:

Was 'r für Kratzen im Gesichte hat. Hihihi! SEIFERT:

Nu, 's war ooch zu dumm. Er wollte se eso fuchtig packen, die aber nich faul, springt uff . . . hupp, hupp! Zeigt, wie die Katze Ermischer FRAU SEIFERT sitzt ausgelassen

zerkratzte. lachend auf der

Ofenbank.

SEIFERT:

Un am Ende ha'm mir se nu uff'm Halse. FRAU SEIFERT:

Nu sag nur, kann des bloß möglich sein, deß se uns unsre Kosten und Arbeit nich vergüten? Faustschlag auf den Tisch. Verfluchtig nei', wann des der Ermischer macht, verklag' ich 'n beim Gerichte! 176

SEIFERT:

Pscht, pscht. Wärscht du gleich . . . Wenn 'r des heert, schickt'r mich fort, und denn liegen mir uff der Straße. FRAU S E I F E R T :

A was hie. Du sollst ihm emal deine Meinung sagen. SEIFERT:

Nu sei bloß still, Lenl. Mir werden schon unser Geld kriegen. FRAU S E I F E R T :

Un wenn mir's nu nich kriegen? SEIFERT:

Da . . . da möcht m'r sich das Vieh beizeiten vom Halse schaffen. FRAU S E I F E R T :

Nich wahr? Wann des gewiß is, da nehmen mir' nen Prügel un jagen se uff un davon! SEIFERT :

Pscht. Nee, über so was . . .! 's kann mich meinen Dienst kosten. FRAU S E I F E R T :

Des is schon e' Dienst. Zwölf Neigroschen uff den Tag an Lohn, 'n Häusel, wo eenen der Wind danächst 's Dach in die Stube schmeißt, un e' elendes bill' Kartuffelacker, des is schon e' Dienst. SEIFERT zündet eine lange Pfeife

an:

Eso is 's: da hat m'r emal 'nen tanzfreien Sonntag, wo m'r daheeme bleiben kann, un gleich is der Krach fertig. FRAU SEIFERT hat eine Weile, einem Einfall

nachgrübelnd,

inmitten

der Stube gestanden

mit

Blicken

verfolgt:

15*

und ihren Mann

listigen

177

Denk emal, Mon, 's is schon een Daler un fufzehn Neigroschen Unkosten, 's können leicht zwee Daler werden. Wann se's nich bezahl'n, kannst du dich eene ganze lange Woche für nischt schinden. SEIFERT:

's wär doch . . .! 's is ja gar nich denkbar, deß der Gemeenderat sich eso verhielte. FRAU SEIFERT:

I ja, i ja. Lehr du mich den Gemeenderat kennen. Wer sein denn die meisten drinne, hä? Die Bauern. Un eener is immer filz'ger wie der andere, 's darf bluß nischt kosten. Wenn die dich sitzenlassen . . .! SEIFERT legt die Pfeife

hin, geht unruhig

in der Stube

umher:

Hast recht, hast fei' recht! FRAU SEIFERT:

Also . . . ? Sitzt

lauernd

auf der

SEIFERT bleibt umhergehend

Lade.

an der Leiter

stehen:

Ich möcht' se in den Gutsteich schmeißen un sagen: se wäre uff un davon. FRAU SEIFERT:

Hm, reibt sich die Hände, da wüßt ich ewas Rätlicheres, hähähä . . . Da wüßt' ich fei' ewas Rätlicheres. Da könnten mir ooch emal 'nen fetten Sonntag machen wie die reichen Bauern, die imanand Fleesch uff'm Tische ha'm. SEIFERT guckt

sie sprachlos

an,

schlägt

entrüstet

auf

den

Tisch:

Ei, du gottverfluchtes Ding, du! Also da willste 'naus! Nee die Fraa'nsmenscher! Die größte Schlechtigkeet, uff die unsereins in seiner Dunimheet gar nich kommt, die ha'm se gleich ausgetiftelt! FRAU SEIFERT:

Was hie. Is des Schlechtigkeet, wenn m'r sorgt, deß man wieder zu dem Seinigen kommt? 178

SEIFERT:

Nu ja . . . FRAU SEIFERT :

Un machen's dahie im Erzgebirg' die Leute nich alle so, hä? Wenn die Strumpfwirker, die Schnitzlersleute ja emal 'n Stück'l Fleesch uff'm Tische ha'm, so is's Pferdewurscht oder e Hund'l oder 'ne Katze. Wo ha'm die's denn her, hä? SEIFERT geht unschlüssig und brummig umher, greift nach einer Weile hinter dem Ofen ein Küchenbeil heraus und prüft seine Schneide; wirft es wütend wieder hin:

Un ich mach's ä'm nich! FRAU SEIFERT:

1

I, dann laß es gut sinn un verbrenn dir deine Finger nich. Sie macht sich am Ofen zu schaffen. Während des Folgenden beginnt es langsam zu dunkeln. Abend bricht herein.

Der

SEIFERT hat seine Pfeife wieder angezündet:

's scheint, 's wärd Abendessenzeit, 'nen rechten Hunger hätt' ich. FRAU

SEIFERT:

Ich ooch. SEIFERT:

Was wärd's denn geben? FRAU SEIFERT, die mit einer Kaffeemühle ihm ins

hantiert,

lacht

Gesicht.

SEIFERT:

Nu, du wirst doch noch een Stückl Ziegenkäs' im Hause ha'm? 'nen rechten Appetit hätt' ich druff. 179

FRAU SEIFERT:

Nich eso viel wie mei' Fingernagel is da. Mir könnten ja unser Fleeschernes ha'm . . . Ich sag' nischt mehr. SEIFERT steht überlegend

an der Leiter.

Nach

einer

Pause

ab und

mahlt

freundlich:

Soll ich dir e bill* zur Hand gehen, Lenl? F R A U SEIFERT:

I ja, des bring' ich alleene. SEIFERT: Gib

nur

her.

Nimmt

ihr

die Handmühle

Kaffee. Lenl. F R A U SEIFERT:

Hä? SEIFERT:

Horch emal druff, 's wär' schon recht, wenn mir in unsrer Armut ooch emal e Stückl Fleesch essen könnten . . . Aber . . . wenn's uffkommt . . . FRAU SEIFERT:

Un wenn's uffkommt. Nach'r helf ich dir 'raus. SEIFERT:

Nu denn . . . du bist fei' pfiff'ger wie ich . . . Bai' mecht' i c h ' s r i s k i e r e n Holt seinen

blanken

Hirschfänger.

FRAU SEIFERT:

Was stehste un besinnst dich? SEIFERT:

Nu also . . . wenn du denkst, 's käm' nich u f f . . . F R A U SEIFERT:

Geh nur endlich! 180

SEIFERT klettert die Leiter hinauf;

plötzlich

stehenbleibend:

Das heeßt, Lenl . . . ich weeß noch nich, ob ich's mache . . . ich geh' nur emal n u f f . . . FRAU SEIFERT:

Nu mach nur un geh! Herrjess's, is des e Mon! SEIFERT:

Ich geh ja schon, ich geh ja schon. Er verschwindet in der

Wandluke.

FRAU SEIFERT unruhig

horchend

und nach dem

Fenster

spähend:

's is mir doch gerade, als knirscht's im Schnie . . . Ei, des fehlte noch! Sie eilt auf die Tür Schönherr

zu, im gleichen Augenblick

tritt

Frau

ein. Frau Seifert macht sich nun in der Stube zu

schaffen, behält dabei die Bodenleiter

unruhig im A uge.

F R A U SCHÖNHERR durchfroren von der

Kälte:

' n A b e n d , F r a ' SEIFERT'N. F R A U SEIFERT:

'n Abend, Schönherr'n. FRAU SCHÖNHERR:

Ober 'n Schnie liegt auf eurem Steig. Bis an die Knöchel bin ich durchgewatet. F R A U SEIFERT:

Des macht, wann m'r in der Wirtschaft mehr zu tun hat als Schniewegschaufeln. FRAU SCHÖNHERR:

Nu, wie soll ich da erseht tun, ich mit meinen Mon, 'nen Gesellen, vier großen Kindern. Un nu noch des Kleene. 181

F R A U SEIFERT

höhnisch:

Dann sag mir bloß, wenn de gar eso viel Arbeit hast, wie de da am Sonntag abend 'ne halbe Stunde vor'n Ort loofen kannst, zu Seiferts 'naus. FRAU

SCHÖNHERR:

Nu sieh ooch, ich komm emal wegen der Katze. Ihr hat se nu schon ieber de dritte Woche, un m'r heert nischt un heert nischt . . , Was wird denn nu eegentlich? FRAU

SEIFERT:

Da mußte den Fierstand fragen. F R A U SCHÖNHERR

suchend:

Wo habt 'r se denn? F R A U SEIFERT :

Oben uff'm Dachboden. F R A U SCHÖN H E R R :

Emal sehn möcht ich se. F R A U S E I F E R T springt

vor die

Bodenleiter:

Des gibt's nich. Die is bei uns in Gewahrsam, un da mußt du eenen Erlaubnisschein vom Fierstand beibringen,wann du se sehn willst. F R A U SCHÖNHERR:

Enee, des is doch . . . wo is denn dein Mon? FRAU SEIFERT:

Der is ooch oben . . . der . . . hält Wache bei'r. F R A U SCHÖNHERR verdutztes

Gesicht,

dann schallende

Lache:

Ihr Leute, ihr Leute! Ich kann mich nimmer halten! Uff'm Dachboden habt 'r se eingesperrt, un dein Mon hält Wache bei'r. Erneutes Gelächter. Des is ja, als wär' se een gefährlicher Verbrecher! Habt 'r se ooch an der Kette? Hahaha! 182

FRAU

SEIFERT:

Sichel du nur imanand mit deiner gift'gen Zunge. Mir müss'n fei' tun, was uns geheeßen wird. FRAU

SCHÖNHERR:

Hä? Is des denn nich 'ne Schande! Wenn's ooch bloß 'ne Katze is, 's is doch unserm Gesell'n sei Eegentum, un er will's zurückha'm. Wo bleibt denn hie Recht un Gerechtigkeet? F R A U SEIFERT

heftig:

Also Schönherr'n, mein Mon is der Poll'zeier, un des kann ich nich dulden, deß du eso verächtlich von Recht und Gerechtigkeet sprichst. FRAU

SCHÖNHERR:

A was hie. Ich sag nischt gegen deinen Mon. Deß dein Mon e' dummes Luder is, des is bekannt, aber du bist eene durchtriebene Christine . . . FRAU

SEIFERT:

Un des sprichst du zu mir? F R A U S C H Ö N H E R R mit

hervorbrechender

Wut

herausschrei-

end:

Du stellst den Vögeln Fallen, du nimmst Vogelnester aus, du legst dem Wild Schlingen, du maust dem Rittergut die Forellen dutzendweise aus dem Bache, du schaffst 's Holz zur Nachtzeit meterweise aus dem Walde, du paschst 's Mehl zentnerweise ieber die Grenze . ..!! F R A U SEIFERT :

Un wenn du nich machst, deß de nauskommst, so wärscht du seh'n . . .! Reißt die Türe auf. FRAU

SCHÖNHERR:

Mir werden uns schon sprechen! 183

F R A U SEIFERT:

Naus packst du dich! F R A U SCHÖNHERR:

D u wärscht von mir hören. Läuft hinaus. F R A U SEIFERT: U n d u v o n m i r ! Wirft die Türe ins SEIFERT ist

zitternd

Schloß.

die Bodenleiter

wirft den Hirschfänger

herabgekommen

und

hin:

Was is denn, was is denn bloß? F R A U SEIFERT:

Die Schönherr'n war da. SEIFERT sinkt auf einen

Stuhl:

Ei nu da, nu ha'm m'r verspielt, nu kommt's raus. FRAU SEIFERT:

Wenn du dich nich egal für dumm verschleißen läßt, kommt nischt raus. Betrachtet seinen Hirschfänger. Wisch's

emal ab, rasch. SEIFERT reinigt den

Hirschfänger.

F R A U SEIFERT holt einen eisernen

Tiegel und ein

Messer:

Un nu werd' ich dir was sagen, nu schließt du die Laden, sorgst, deß Licht wärd un verhältst dich fei stille. Springt behend die Bodenleiter SEIFERT schließt,

empor.

noch immer

zitternd,

dabei

abgebrochene

Sätze hervorstoßend, an den beiden Fenstern rechts die

Laden:

Nee, laß du mich zefrieden. Mach du die Sache alleene. Hätt' ich mich bloß nich neingemengt. Des kost' mich meinen scheenen Posten. Un 's is fei een scheener Posten! Zweelf Neigroschen den Tag un ooch noch freie Wohnung. E bill' feuchte is s' ja un ooch e bill' baufällig. 184

Aber ich brauch doch keenen Pfeng Miete bezahlen . . . Zum

offenen Fenster

hinaus.

W e r is d a !

Hä?

Antwort!

Schließt den Laden, s'scheint, 's war der Wind . . . eenen neuen Anzug krieg ich ooch alle Jahre uff Gemeendekosten . . . Gottverdammich, wenn's rauskommt, wenn ich meinen scheenen Posten verlier' . . . ! FRAU SEIFERT kommt, gend, die Leiter

die gefüllte Pfanne

vorsichtig

tra-

herab:

Ei nu, du hast doch noch kee Licht? . . . Wärscht du denn so gut sinn, hä? SEIFERT zündet die Lampe

an:

Nu wart nur e bill', 's wärd schon lichte werden. FRAU SEIFERT hat die Pfanne schürt das

in die Röhre gestellt

und

Feuer:

Des is e Mon. Da läuft 'r rumm und teepst, deß ich's uff'm Dachboden hören kann. Überlaut. Wann's rauskommt, so is 's deine Dummheet! SEIFERT:

Pscht. Horch emal . . . kommt nich eener . . .? Sie horchen

gespannt.

FRAU SEIFERT:

's kann sein . . . 's is e' Männerschritt. Im

Vorbau

hört man jemanden

den Schnee

abstampfen.

Neubert tritt ein. NEUBERT:

Guten Abend. D I E SEIFERTS übertrieben

freundlich:

Guten Abend, Herr Neibert, guten Abend, des is eene Ehre.

185

FRAU

SEIFERT:

Hie is 'n Stuhl für'n Herrn Neibert. NEUBERT:

Danke, ihr Leute, danke schön . . . Ich such' Sie schon überall, Gemeindediener. FRAU

SEIFERT:

Des macht: er hat seinen freien Sonntag. NEUBERT:

Ach so, da kann man freilich suchen . . . Ich wollte Ihnen nämlich sagen . . . ja . . . Da is mir hinterbracht worden, daß der Dingsda, der Geselle vom Meister Schönherr, an allen Wirtshaustischen unverschämte Reden wider mich führen soll. Haben Sie schon mal was gehört? SEIFERT

abwehrend:

Nee, Herr Neibert, also ich hab' da ieberhaupt nischt gehört. NEUBERT:

Das heißt, Sie wollen nichts gehört haben. Zu was haben wir denn da eine Polizeiperson im Ort. Rennt ärgerlich hin und her, bleibt dann vor den Seiferts

stehen.

Sehen Sie, ich will mich jetzt bei der Gemeinderats wähl als Vertreter der Ansässigen aufstellen lassen. Aber ich habe zwei Feinde: der Ermischer, der die Bauern, der Schönherr, der die Schnitzlermeister gegen mich aufhetzt. Wenn nun noch so'n nichtsnutziger Bursche herumläuft und bei den Leuten freche Reden wider mich führt . . . sehen Sie, das kann ich mir nich gefallen lassen. FRAU

SEIFERT:

Also geht's wider die Schönherrsch? Nu, der Schönherrn möcht ich's schon wünschen, deß se emal kernig neinfiele.

186

NEUBERT:

Das will ich ja gerade, Frau Seifert. FRAU SEIFERT:

Da mußt du emal Obacht ha'm, Mon. NEUBERT:

's soll ja Ihr Schade nich sein. Sehen Sie, wenn ich in den Gemeinderat gewählt werde . . . Was ha'm Sie denn jetzt, Seifert? SEIFERT:

Zweelf Neigroschen den Tag, Herr Neibert. NEUBERT:

Schön, wenn ich gewählt werde, sorg ich, daß Sie achtzehn . . . nein, fünfzehn Groschen den Tag kriegen, Seifert. D I E SEIFERTS:

Nu, wenn des wäre . . .! Des wär doch . . .! NEUBERT:

Sie können sich darauf verlassen. Bringen Sie mir so 'ne Äußerung und Sie sollen sehn . . . SEIFERT:

Nu, wos der Neimerkel is, der hat schon emal 'ne schwere Beleidigung ieber Sie gesagt, möcht' ich sprechen. NEUBERT

Notizbuch:

So, was hat er denn gesagt? Raus damit. SEIFERT:

Des war im „Deutschen Haus". Da barmten die Schnitzlerleute, deß sie durch Ihre Fabrik bankerott würden. Un eener spricht: Des is, weil die Kleenmeester nich zusammenhalten, sonsten könnt' leichte der große Nei187

bert bankerott werden. Un da schreit der Neimerkel: „I ja, wenn der Neibert ooch dreiste bankerott wird, der weeß schon, wo Barthel den Most holt!" NEUBERT:

So . . . das hat 'r gesagt . . . das is ja . . . „Wo Barthel den Most holt." lich in Lachen

. . . Glotzt ihn

dumm

aus und rennt umher.

an, bricht

plötz-

D a h a t 'r e i g e n t l i c h

ganz recht. Ich denke, ich hab's bewiesen, daß ich weiß, „wo Barthel den Most holt". Nun also, das is nichts, lieber Seifert. SEIFERT:

Ich werd emal druff spannen. FRAU SEIFERT:

Sie ha'm ganz rächt, Herr Neibert, was mir von den Schönherrsch auszusteh'n ha'm sitt'r der Katzengeschicht' . . . ! NEUBERT lacht:

Ja, sagen Sie . . . die Katzengeschichte. Was wird denn nu eigentlich, hä? SEIFERT geht unruhig FRAU SEIFERT

umher.

jammernd:

Mir wissen's nich, Herr Neibert. Oben uff'm Dachboden sitzt se sitt'r drei Wochen. Mir müssen se füttern un pflegen un keener gibt uns 'nen Pfeng' zurücke . . . NEUBERT an der Leiter:

So, so, da oben sitzt se. Ich glaub' schon, daß Ihnen die Geschichte viel Ärger und Verdruß macht. Schnuppert. Übrigens, das riecht ja hier wie in 'ner Hotelküche. FRAU SEIFERT:

E' bill' Braten ha'm mir. 188

NEUBERT:

Hä . . . Braten? Da heißt's nu immer: im Erzgebirge hätten die Leute Sonntags 'nen Hering an der Decke . . . da huppten se nach . . . hähä. Dabei hat der Gemeindediener 'nen leckeren Braten. FRAU SEIFERT:

Nu, e bill' Fleesch tut uns ooch emal gut. N E U B E R T im

Gehen:

Das will ich meinen. Ich freu' mich ja auch darüber, denn da sieht man doch wieder mal, wie durch die Ausbreitung der Industrie der Volkswohlstand von Tag zu Tag gehoben wird . . . Also denken Sie mal an die Sache, Gemeindediener. Adieu. Geht hinaus. D I E SEIFERTS:

Jawohl, Herr Neibert, jawohl . . . Tag ooch, Tag ooch. SEIFERT:

Gott sei Dank, deß 'r naus is! Esu eene Angst! FRAU SEIFERT:

I ja. Der hat nischt gemerkt. Hähä! SEIFERT:

Fufzehn Neigroschen soll ich kriegen! Da möcht'n mir wünschen, er käm' 'nein in den Gemeenderat. FRAU SEIFERT:

Nu freilich. Un die Scheenherrsch ha'm m'r nu ooch in der Tasche. SEIFERT:

Host rächt. Host fei' rächt. F R A U SEIFERT hantiert am SEIFERT steht in der

Ofen.

Stube.

189

FRAU

SEIFERT:

Nu brauchste ooch keene Angst mehr ze ha'm. Recht mit Behagen kannst dei Bratl essen, als ob de der Ermischer selber wärscht. SEIFERT steht in der

Türe.

M'r schnuppert's bis hieher. F R A U S E I F E R T läuft

zu

ihm:

E' Gerüchl, als ob m'r bei den reichen Bauern wär'. SEIFERT:

Un wem dank' ich's? Der Fra! Geh emal her, Aale. . .! Er faßt sie übermütig um die FRAU

Hüften.

SEIFERT:

Nu aber, Seifert, wärscht du gescheit bleiben . . . ! Seifert schwenkt sein Weib trällernd durch die Stube. Sie kreischt und will sich los machen. Da erscheint Weigel auf der Schwelle. Sie fahren erschreckt auseinander. WEIGEL:

Nanu . . .? DIE

SEIFERTS:

D'r Herr Schandarme . . . ach Gott, d'r Herr Schandarme ! WEIGEL :

Freilich bin ich's. Das geht ja hier zu . . . Was is denn los? FRAU

SEIFERT:

Ach Gott, Herr Schandarme, mir ha'm uns bloß emal 'nen Spaß gemacht . . . Möchten Se sich nich setzen. WEIGEL :

Danke. Sagen Sie, Gemeindediener, ich bin beauftragt, im Bezirk auf Pascher zu vigilieren. Der Unfug geht 190

jetzt ins Große. Hier im Ort sollen auch welche sitzen. Wissen Sie vielleicht was. SEIFERT:

Nee, also ich weeß da nischt, Herr Schandarme. WEIGEL :

Nu aber, Sie sind doch lange genug hier. Ha'm Sie nich wenigstens 'nen Verdacht? FRAU

SEIFERT:

Nu sehn Se, Herr Schandarme, des is ä'm eso. Die armen Leute un weil dehie alles teuer is, die gehen uff'11 Abend ins Böhmische 'nein, holen sich Mehl un Ware un handeln vielleichte ooch damitte . . . WEIGEL :

Da holen sie sich, da handeln sie damit. . . zum Donnerwedder, das is doch Schmuggel! Gemeindediener, da werden Sie mal aufpassen. Die Kerle müssen wir 'rauskriegen. SEIFERT:

Ja, freilich . . . des heeßt . . . die Pascher sein böse Kunden. Die lauern eenen in d'r Dunkelheet uff un hau'n eenen die Hucke voll. WEIGEL :

Nu, das wäre ja noch schöner. Da können sie mit meiner Waffe Bekanntschaft machen! SEIFERT :

Ich wer' emal uffpassen, Herr Schandarme. WEIGEL

schnuppert:

Übrigens . . . hie is ja 'n ganz delikater Bratengeruch. SEIFERT 16

fassungslos.

Münchow, Dramatik I I I

191

FRAU SEIFERT:

E' bill' Braten ha'm m'r im Toppe. WEIGEL :

Was gibt's denn Gutes? SEIFERT:

Nischt, Herr Schandarme . . . ich gloob' . . . e bill' Wild. WEIGEL plötzlich

aufmerksam

und beide scharf

fixierend:

Wild? . . . Wie kommen Sie denn zu Wild? FRAU SEIFERT sehr verlegen:

e bill' Hase, Herr Schandarme, m'r ha'm 'nen uff 'm Felde gefunden . . . ja. WEIGEL :

Gefunden wollen Sie 'n haben . . . und ha'm ihn nich abgeliefert? SEIFERT:

Ich wer' dir emal Holz holen. Klettert eilig die Leiter empor auf den Boden.

Während des Folgenden

hantiert er auf

dem Boden mit Holz und steckt mehrmals ängstlich den

Kopf

aus der Luke. WEIGEL :

Das is doch mindestens seltsam. Also nu sein Sie mal offen und ehrlich, Frau Seifert. FRAU SEIFERT:

Was is da ehrlich ze sinn. Nee, Herr Schandarme, wenn Sie eso s c h l e c h t v o n u n s d e n k e n . . . Schürze vorm Gesicht. WEIGFL :

Die Tränen können Sie unterwegs lassen. Geben Sie mir lieber Bescheid. 192

FRAU S E I F E R T :

Mir ha'm 'nen gewiß un wahrhaftig uff unsern Kartuffelacker gefunden, Herr Schandarme, 's war doch bis itze eso eene strenge Kälte un meterhoch Schnie, da is er äm umgekommen, 's hätt' 'n doch keener beansprucht, und da dacht' 'ch, machst e bill' Hasenpfeffer. WEIGEL :

So, na . . . ich wer'ds Ihnen mal glauben. Gott verzeih mir die Sünde. Ich bin ja kein Unmensch . . . Aber alles was recht is . . . fein zugerichtet ha'm Sie 'n. 'n Gerüchel . . .! FRAU S E I F E R T :

M'r tut, was m'r kann. W E I G E L Blick auf seine Uhr;

Pfiff:

's is bald nachtschlaf'ne Zeit. Ich bin bloß wegen den Paschern hier 'rausgelaufen und muß nu den ganzen verfluchten Tanz wieder zurück. Stellt sein Gewehr bei der Lade hin: Ich wer' mich 'nen Augenblick verpusten. FRAU S E I F E R T :

Des tun Sie nur, Herr Schandarme. WEIGEL :

Wo bleibt denn der Seifert. FRAU S E I F E R T :

Er sucht im Holze. Ruft an der Leiter. Mon, fix, fix! W E I G E L Seitengewehr

abgeschnallt,

nebst Käppi

auf die Lade

gelegt; setzt sich:

Das muß Ihnen der Neid lassen: das Kochen ha'm Sie 'raus. So'n Düftchen! Überhaupt der Hase . . . 's geht nu mal nischt drüber. Hase und Gans . . . ja. Wenn ich 'ne Erstgeburt zu vergeben hätte . . . 16»

193

F R A U SEIFERT betrachtet den Gendarmen

mit listigen

Blik-

ken, kommt langsam vor:

Herr Schandarme, wenn ich wüßte, deß Sie's nich ungütig nehmen . . . WEIGEL, ihr wohlwollend auf die Schulter

klopfend:

Bei Ihnen nehm ich überhaupt nichts „ungütig", liebe Frau Seifert'n . . . also 'raus damit. F R A U SEIFERT:

So mecht' ich Sie recht bitten, hie ze warten, bis d'r Hasenpfeffer fertig is, ich geb' Sie e' ganzes kleen's Finkel ze kosten. WEIGEL :

Nee, das is nu . . . also das kann ich wirklich nich annehmen, liebe Frau Seifert'n. Beim Gemeindediener essen . . . nee. FRAU SEIFERT:

Nu, wenn Sie ä'm denken, 's geht nich . . . WEIGEL :

Aber damit Sie nich am Ende denken, ich veracht' Sie . . . Nee, das is nich meine Art, gewiß nich, liebe Frau Seifert'n. Also da wer' ich Ihr Gast sein. FRAU SEIFERT versteckter

Hohn:

Des is scheen von Sie; nee, also des is wirklich e scheener Zug von Sie, Herr Schandarme. SEIFERT kommt mit einem Arm voll langen Scheitholzes Leiter

die

herab.

WEIGEL :

Na, Seifert, heut' abend wer' ich Ihnen Gesellschaft leisten. Ihre liebe Frau hat mich zum Essen eingeladen. 194

SEIFERT läßt erschreckt das Holz zur Erde fallen; und bammelt an der Leiter; darin wütend:

rutscht

aus

Nee, des is doch . . . eso eene Frechheet is mir noch nich vorkommen! WEIGEL:

Aber ich fass' 's doch gar nich als Frechheit auf. Mensch, jetzt woll'n m'r mal außerdienstlich gemütlich sein. FRAU SEIFERT:

Nu ä'm. Komm, Mon, mach dir deine Pfeffe an un red e' bill' mit'n Herrn Schandarme. WEIGEL:

'ne Sorte Stühle ha'm Sie . . . man sitzt sich ja 'ne Hornhaut. Beguckt den Stuhl. Den hat wohl der Noah vergesen mitzunehmen, wie er in die Arche ging? FRAU SEIFERT:

Nu, wenn Sie gerne weech sitzen, da ricken m'r den Tisch' rieber un der Herr Schandarme setzt sich uff's Bette. Greif emal zu, Mon. Sie nimmt die Lampe, während Seifert

den Tisch vor das Bette

schleppt.

WEIGEL :

J a aber . . . darf man denn das? so auf den Altar der ehelichen Liebe und Treue . . .? FRAU SEIFERT

quiekt:

I, machen Se nur keene Geschichten. Wenn Sie nur weech sitzen. WEIGEL :

Na, dann wer'n wir so frech sein. Fläzt sich auf das Bette. A . . . hier sitz' ich wie Gott in Frankreich. Wär' nu noch einer da, so könnten wir 'nen Skat kloppen. SEIFERT mit der

Pfeife:

Des Luder is wieder emal verstuppt. 195

WEIGEL :

Kommen Sie her, Seifert. Hier ha'm Sie 'ne Zigarre. Paffen Sie das mal. SEIFERT:

Ei, ich dank' schie. Hie is ooch Feier, Herr Schandarme. Sie zünden

sich Zigarren

an.

WEIGEL :

A . . .! 'ne Zigarre is halbe Fütterung . . . Übrigens ha'm Sie hier 'ne ganz gemütliche Bude. F R A U SEIFERT bringt Brot,

Teller,

Messer,

Gabel auf

den

Tisch:

Ija, Herr Schandarme, des is schlimmer wie eene Hundehütte, wo eenen hie die Gemeende 'neingesetzt hat. SEIFERT :

Lenl, wärscht du nich . . .! FRAU SEIFERT:

Nu, des wärd m'r doch sagen dürfen, des sieht doch e' jedes. Imanand ho'n ich Angst, der Wintersturm schmeißt uns emal nächstens 's Dach in die Stube. Sehn Se bloß emal, wie's vor Feuchtigkeet 's Wasser die Giebelwand 'nuntertreibt. WEIGEL :

So baufällig is also die Bude. FRAU SEIFERT:

Sie sehn's doch. Un was des bill' Kartuffelacker is, was eenen die Gemeende gibt, da langen die Kartuffeln noch ni' emal für'n halb Jahr, da müssen wir uns schinden un krummlegen . . . SEIFERT :

Meine Fra' macht's gar eso schlimm. E bill' besser 196

könnt's ja sinn, aber ich Sprech: Wenn eener, un 'r hat gar nischt . . . des is noch schlechter. WEIGEL

Gelächter.

F R A U SEIFERT:

Eso e Mensch is des nu. WEIGEL :

Nee, Seifert, Ihre Frau hat ganz recht. Was kriegen Sie denn an Lohn? SEIFERT:

Zwölf Neigroschen den Tag. WEIGEL :

Verdammt dürftig. Da sollten Sie sich doch mal nach 'nem andern Posten umtun. In Zschopau ha'm se jetzt 'nen Schutzmann angestellt mit fünfzundsiebzig Mark Monatsgehalt und dreißig Mark jährlich Wohnungsgeld. Das haut anders! SEIFERT:

Was Sie sagen! Hast's gehört, Lenl? Fünfundzwanzig Daler uff'n Monat un zehn Daler uff's Jahr Wohnungsgeld ooch noch. Soll m'rsch für möglich halten, deß eene Polizeiperson eso viel Geld verdient! WEIGEL :

Ich wer 'mal das Gemeindeblatt durchsehen, und wenn ich was finde, mach ich Ihnen mal s'on „Gehorsamstes Gesuch". Dadrinn hab ich was los. D I E SEIFERTS:

Des wär zu scheene von Sie, Herr Schandarme . . . da wär'n mir Sie ja eso dankbar. WEIGEL :

Schon gut, schon gut.

197

FRAU SEIFERT:

Un nu is 's ooch gleich mit'n Hasenpfeffer eso weit. Da soll'n Sie emal schmunzeln. SEIFERT:

Hasenpfeffer? F R A U S E I F E R T schreit

ihn wütend

an:

Nu freilich, Hasenpfeffer! Haste etwas dawider? S E I F E R T in höchster

Angst:

Aber, Lenl, nu bedenk dir doch . . . WEIGEL:

Ich versteh' nich . . . FRAU SEIFERT:

Nu guckt bloß . . . nu denkt 'r schon, 's dät Sie bei mir nich schmecken. WEIGEL :

Aber freilich . . . SEIFERT:

Lenl...! F R A U S E I F E R T Rippenstoß

wütend:

Gehste denn nu Holz spalten! SEIFERT:

Ich geh' schon, ich geh' schon. WEIGEL

Gelächter:

Das is 's ja gerade, als ob er mir's nich gönnte! FRAU SEIFERT:

Eso is 's ooch balde . . . Un wenn ich ooch, bedeutsam, ich gönn' Sie's von ganzen Herzen. 198

WEIGEL:

Ihnen glaub' ichs', liebe Frau Seifert. Sie sind eben eine harmlose, gastfreundliche Frau. Man hört in der Ferne den langgedehnten Ruf einer stimme: „Seifert! Hailoh! Sei—fert!"

Männer-

SEIFERT:

Horch emal, Lenl. WEIGEL :

Da hat wahrhaftig jemand gerufen. FRAU

SEIFERT:

Was könnt des sinn? Wiederholte Rufe. Frau Seifert hat das Fenster geöffnet und den Laden aufgestoßen. FRAU

SEIFERT:

Wer is da! Was kann sinn? Es wird ihr aus der Ferne unvernehmlich FRAU

geantwortet.

SEIFERT:

Wer? der Ulbrich? is recht, gleich itze kommt'r. Schließt das Fenster. Fix, Mon, mach emal Licht. Der Ulbrich steht an d'r Straße un kann in d'r Dunkelheit den Steig nich finden. WEIGEL verdrießlich

aufgestanden:

Der Ulbrich . . . der Briefträger? FRAU

SEIFERT:

I ja, blei'm Se nur sitzen, Herr Schandarme. SEIFERT:

Was d'r Ulbrich is, des is e gemietlicher Kunde, der verdirbt nischt. 199

WEIGEL :

Wenn Sie denken, daß er mich nich „rummklatscht bei den Leuten . . . SEIFERT:

I ja, eso eener is d'r Ulbrich nich. WEIGEL:

Dann wer' ich mal sitzen bleiben. Erneutes

Rufen.

F R A U SEIFERT:

Mach fix, Mon, mach fix. Am Fenster. Er kommt itze, er kommt! WEIGEL :

Zum Donnerwedder, da wird doch nich etwa 'n Unglück passiert sein. Das wär' mir 'ne nette Geschichte. SEIFERT:

Was soll denn ooch passieren? Der nimmt's mit 'n Stücker Zehne uff. Wo der hinhaut, da wächst kee Grashalm wieder . . . Ich muß gleich emal gucken. Er hat währenddem eine Laterne angezündet, setzt seine Dienstmütze und geht

auf

hinaus.

WEIGEL :

Der Ulbrich hat wohl hier im Gebirge 'nen ganz schlauen Posten, hä? F R A U SEIFERT:

Des lassen Se gut sinn, Herr Schandarme. Den drückt keene Not. Die Ulbrichs ha'm ihr schönes Häusel un Acker, 'r hat seinen schönen Lohn un uff's Neijahr Trinkgelder, deß 'n die Tasche platzt. Un wenn 'r emal eso weit is, da kriegt 'r seine schöne Pension . . . WEIGEL:

Und braucht sich nicht zu schinden und zu ärgern wie unsereins. 200

FRAU SEIFERT:

Der hält sich mit allen Leuten gut. Un habgierig is 'r! Da mecht m'r 's Gebratene wegstecken, sonsten langt er's aus d'r Pfanne 'raus. SEIFERT kommt herein, setzt sich auf die Lade und hält sich lachend den

Bauch:

Nee, m'r läßt sich ewas gefallen, aber eso 'was von Besoffenheet . . .! WEIGEL :

Was, besoffen is er. SEIFERT:

Wie eene Tümpelkreete. F R A U SEIFERT:

Des is ja noch schöner, da können mir uns nu mit eenen Besoffnen 'rumstreiten. WEIGEL :

Wir wer'n ihn gar nich beachten; einfach schneiden wer'n wir den lästigen Kerl! Die

Ulbrichs

Zivilkleidung,

erscheinen dicker

in den Stiefelschäften,

unter der Türe; er voran in

verschossener

nur die Dienstmütze

auf,

Pelzmuff,

Kopf im Wolltuch verpackt. Sei sind beide betrunken. . . . Frau

Ulbrich

lacht fortwährend

Ulbrich

vor sich

ULBRICH bleibt unter der Türe stehen, erblickt den schallende

Hose

Knotenstock,

Seiferts Laterne in der Hand. Frau Ulbrich: Mantel, torkelt.

seiner

Winterüberzieher,

hin.

Gendarmen,

Lache:

Ja, is 'n des . . ., erneute Lache, d'r Herr Schandarme! Der

weeß also ooch schon, wo de stillen Ecken sein, wo m'r schweppern kann, ohne deß 's eener sitt! WEIGEL :

Also, Ulbrich, das will ich mir von Ihnen ausgebeten haben . . . 201

ULBRICH:

I ja, da gibt's nischt auszubitten. Mir sein ooch bei de Militärsoldaten gewesen . . . FRAU

Ulbrich immerfort lachend:

Nee, Herr Schandarme, was mein Mon is, der hat eenen sitzen . . .! Quiekt. ULBRICH:

Nu, un du etwa'n nich? Mäne Fra' schweppert den Nordhäuser, als wär'sch Zichorienkoffee. Die Ulbrichs: Gelächter. ULBRICH:

Nu sag mir bloß, Seifert, was is 'n des für een Gerücht dehie? FRAU SEIFERT

triumphierend:

Hasenpfeffer ha'm m'r! ULBRICH :

Hasenpfeffer? Ei nu da. Du bist wohl Jagdpächter worden, hä? WEIGEL:

Das is doch wohl lediglich Seiferts Sache, Ulbrich. SEIFERT:

Meine Fra' hat'n doch uff 'm Acker tot gefunden. ULBRICH :

Ah so . . . aha . . . Was deine Fra' is, des is e' braver Christenmensch. Wenn die emal Hase essen möcht, da liegt ooch schon eener tot uff 'm Felde. Oder se spricht: „Ich möcht e' Ei ha'm, un denn kommen ooch schon den Paster seine Hennen un leg'n ihr 'ne Mandel uff'n Tisch. 202

FRAU SEIFERT:

Möcht's du etwa sprechen: 's wär nich redlich erworben? D I E ULBRICHS :

I, wie wär' mir das sagen. Ich mach bloß meinen Spaß. FRAU SEIFERT:

Ihr ärgert euch doch bloß, deß d'r Hase nich in euren Toppe schmort. ULBRICH :

Nu, ich ess' ihn ooch aus deinen Toppe. F R A U SEIFERT höhnische

Lache:

Aha, des wollt ich bloß hören. Aber da gibts' nischt. Auf Weigel zeigend. Hier sitzt unser Gast. ULBRICH:

Nu . . . nu, da wart nur emal uff e Wort. Schau emal her. Setzt eine Schnapsflasche

auf den Tisch.

H i e is d ' r w a h r e

Jakob!... F R A U SEIFERT:

Ei, des wär' schon recht, des könnten wir schon gebrauchen. WEIGEL Flasche

betrachtend:

Donnerwedder, das is ja „Eibenstöcker". Das hab' ich mal beim Ermischer getrunken, das is nich zu verachten. ULBRICH:

-Un nu gebt emal Glasl'n her. Seifert bringt bereits ein paar Gläschen.

Während des

den wird ununterbrochen getrunken, namentlich dem Schnaps

begierig zu. Frau hinlachend,

Weigel

Folgenspricht

Ulbrich sitzt, immer vor sich

auf der

Ofenbank.

WEIGEL :

Wissen Sie, Ulbrich, Sie sind doch ein kreuzbraver Kerl. 203

ULBRICH :

Des will ich meinen. WEIGEL:

So der richtige biedere Beamtenschlag. Wenn Sie mal in die Grube fahren, wird der Paster 'ne Rede halten müssen, die sich gewaschen hat . . . Prost! FRAU

SEIFERT:

Nu ans Sterben denken die Ulbrichs noch nich. Die wollen erseht noch'n paar Groschl'n uff die Seite schaff en; was, Liesl? WEIGEL:

Is ja richtig, die gute Frau Ulbrich'n ha'm mir ganz vergessen. Einschenkend. Aber nu mal 'ran, Frau Ulbrich'n, hier gibt's Zuckerwasser. FRAU ULBRICH auf der Ofenbank, lachend:

immer vor sich

hin-

Nee, nee, mich laßt zefrieden. Hihihi! WEIGEL:

Na denn . . . weg muß 'r. Prost! 'ne verdammt gemütliche Kiste is das hier. FRAU

SEIFERT:

Nu, des wird schon sinn. Un nu schau'n Se emal her, H e r r S c h a n d a r m e . Setzt eine Schüssel

dampfenden

Bra-

tens vor ihn hin. Eso wird's recht sinn. WEIGEL:

Ah! Ah! Aber nu . . . präsentiert das Gewehr! Greift nach Messer und Gabel und macht sich heißhungrig über das Essen her. ULBRICH hat seine Mütze zu den Sachen des Gendarmen auf die Truhe geworfen, Rock aufgeknöpft, sich an den Tisch gesetzt:

Un wo bleibt mei Deel? 204

FRAU SEIFERT:

Dein Deel? Mon, gib emal e Stückl Kreide, er mag's sich uff'n Disch malen. ULBRICH :

Bis du fei stille. In 'ner Wochener dreie fängt d'r Reih'schank an un der erschte in der Reih' der Ansäss'gen is der Ulbrich. Der macht e „Schankfest". FRAU SEIFERT:

Ei gar. Da gibts' also Wellfleesch un hausschlacht'ne Wurscht? WEIGEL:

Also bloß damit die Pulle leer wird . . . Prost! ULBRICH :

Leer is se? Denn ha'm mir noch eene. Setzt die zweite Flasche

auf den

Tisch.

WEIGEL :

Nu, das läßt sich einer gefallen. Wissen Sie noch, wie's beim Kommiß war, Ulbrich? Schenkt ein. Faßt das Gewehr an! Fertig! Feuer! ULBRICH u n d WEIGEL : H u r r a h ! Sie trinken.

Gelächter.

FRAU SEIFERT bringt Ulbrich einen Teller

Speise:

Also, wenn's fei' 'ne Schüssel Wellfieesch un' frische Wurscht setzt . . .? ULBRICH macht sich über das Essen

her:

Eß soviel, wie de willst, Lenl. SEIFERT ist währenddessen Stube umhergegangen, sich zu

nimmt

mit Gebärden der Angst in der sich jetzt ein Herz

und

setzt

Weigel:

Sie wer'n entschuldigen, Herr Schandarme . . . mir liegt 'n Steen uff den Gewissen . . . 205

WEIGEL

essend:

Spülen Se'n runter Seifertleben: hier is Befeuchtigung. FRAU SEIFERT:

Was hat bloß der Mon? SEIFERT

wütend:

Ich halt emal nich länger die Gusche! FRAU SEIFERT:

Des is doch . . . wann der ja emal e' Gläsl kriegt, so is 'r gleich wie nich gescheit. WEIGEL:

Ja, wenn Sie's wirklich nich vertragen können, Seifert, da is 's ja freilich besser, wenn Sie aufhören. Prost! Trinkt

Seiferts

Glas

leer.

SEIFERT:

Herr Schandarme, schmeckt Sie denn des wirklich? F R A U SEIFERT

wütend:

Nu guckt bloß . . . su e Mensch, nu vertreibt er meine Gäste mit seiner Besoffenheet! WEIGEL:

Lassen Sie's gut sein, Frau Seifert. Un 's schmeckt viel zu delikat . . . Gerade wenn's Wild is . . . Hier oben im Gebirge, wo's Fleisch teuer und schlecht is, da sollten die armen Leute doch mehr Wild essen. Was, Ulbrich? Da weiß man doch wenigstens, was man ißt! SEIFERT faßt

Ulbrich

bei den

Schultern:

Ulbrich, du bist mei Freund . . . ULBRICH

aufgebracht:

Gehste weg, oder ich hau dir eene in die Lafette! 206

SEIFERT seinerseits

aufgebracht:

Nu, des is doch . . . Wenn du eso bist un kommst mir gleich mit Gewalttätigkeiten, da sag' ich nischt mehr, da is 's m i r s c h n u p p e ! Es setzt sich wütend zu Frau auf die Ofenbank. FRAU SEIFERT drohende

Ulbrich

Handbewegungen.

ULBRICH:

Da hat 'r sich nu an meine Fra' gemacht. Faßt Frau Seifert um die Hüften. Wie stehen denn mir Zwee, Lenl, hä? FRAU SEIFERT macht sich kreischend los. ULBRICH singt

unbeholfen:

„Wenn wir Soldaten durch die Stadt marschieren, — öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen . . . " ULBRICH u n d WEIGEL gröhlend einfallend mit der Faust schlagend:

und den

Takt

„Warum? - Darum! - Warum? - Darum! — We'n dem Tschingderassa - tschingderassa - tschingderassassa! — We'n dem Tschingderassa - tschingderassa - tschingd e r a s s a s s a ! —" Gelächter der beiden. NEUMERKEL tritt ein, die Mütze auf dem Kopfe, gewöhnlichen, dürftigen Werkeltagsanzug.

in

seinem

DIE ANWESENDEN stutzen. FRAU

SEIFERT:

Ei verflucht, der Buckel! ULBRICH :

Der muß ooch gerade itze kommen. WEIGEL:

Is das nich dem Schönherr sein Gesell . . . der aufdringliche Mensch? 17

Münchow, Dramatik III

20 7

NEUMERKEL :

Sie möchten entschuld'gen, ich mußt' emal herkomm'n. F R A U SEIFERT :

Un grad' uff'n Sonntagabend. NEUMERKEL:

Des is bei uns armen Leuten egal, ob's Sonntag oder Werkeltag is, mir müssen imanand schuften. Euch merkt m'r freilich keene Not an. F R A U SEIFERT ZU

Weigel:

Nee, neidisch is nur des hungrige Volk! WEIGEL :

Was ha'm Sie uns denn zu beneiden? Wenn man uns keine Not anmerkt, so is das auch ganz in der Ordnung. FRAU SEIFERT:

Nu ä'm. Nur den Dummen geht's schlecht. Was die Gescheiten sein, die finden imanand 'nen Ausweg, hähä! W E I G E L den Teller hochhaltend, und recht mit Hohn

essend:

Freilich, und deshalb essen wir Hasenbraten und Sie, Sie dürfen zugucken. Gelächter NEUMERKEL

aufgebracht:

Ich hab's ieberhaupt bloß mit'n Gemeendepoll'zeier ze tun. Zu Seifert. Die Fra' Schönherr'n schickt mich her, itze will ich mein Eegentum rausha'm! F R A U SEIFERT:

De Scheenherrn schickt dich? Ei, guckt emal an. SEIFERT in großer

Angst:

Mei guter Neimerkel, das geht nich eso leichte . . . 208

NEUMERKEL :

Was hie. Mir sein bei eenen rechtsverständ'gen Mon gewesen, un der spricht: Ich soll beantragen, deß die Sach' wieder in den vorigen Stand zurückversetzt wärd, un denn richterliche Entscheidung verlangen. S E I F E R T Blick

auf

den

Tisch:

Mei guter Neimerkel, ich gloob, die Sach' läßt sich ieberhaupt nich mehr in den „vorigen Stand" zurückversetzen. ULBRICH:

Was meent 'r mit seinem „Eegentum"? FRAU SEIFERT:

Er meent seine Katze. Schreiend. Mir müssen se verpflegen, mir müssen se füttern uff uns're Kosten, un der Dingerich wird noch frech! WEIGEL:

Da

muß ich mich wohl mal 'reinmengen. Kommt Schrittes vor. Was wollen Sie . . . Ihr Eigentum? Hier is Gendarm Weigel, hier is Gemeindediener Seifert. Wir stehen hier und wachen über Ihr Eigentum. Und hier, Herr Ulbrich, is Zeuge, daß wir wachen. schwankenden

U L B R I C H Faustschlag

auf den

Tisch:

Jawoll, des bin ich. FRAU SEIFERT:

Un wenn deine saub're Meestern etwa'n meent, deß wir uns vor deiner frechen Gusche färchten, denn kannst du ooch 'nausgepfeffert wer'n! WEIGEL :

Wir können auch andre Saiten aufziehn! FRAU SEIFERT:

Un itze machste, deß de 'nauskommst! 17

209

N e u m e r k e l ängstlich

auf die Türe retirierend;

schreit:

Un ich wer 's melden, wie 's zugeht beim Gemeendediener uff 'n Sonntag abend! ALLE:

'naus! 'naus! NEUMERKEL ist

hinausgerannt.

ULBRICH :

So een Dingerich! Een dehie ze stören. FRAU SEIFERT:

Des is de Scheenherr'n, die hat 'n hergeschickt. WEIGEL :

Und ich mach Schicht. Ich hab' genug. Gehn Sie mit, Ulbrich? ULBRICH :

Zeit wär'sch, 's is bal' imm elfe. Komm, Aale. Weigel versucht vergebens seinen Rock zuzuknöpfen, dann das Koppel Rücken,

nimmt

setzt Ulbrichs

schnallt

über den offenen Rock, den Säbel auf den das Gewehr, vergreift sich schließlich

Postbotenmütze darmen Käppi

SEIFERT gibt Frau

und

auf, wogegen Ulbrich des Genaufs Ohr setzt.

Ulbrich die brennende

Laterne:

Ich wer' dir emal die Laterne leihen, Christin', deß euch kee Unglücke passiert in d'r Dunkelheet. FRAU ULBRICH nimmt kichernd die

Laterne:

Hihihi! Nee, mich laßt zefrieden . . . hihi . . . mich laßt zefrieden. WEIGEL :

Dem Kerl ha'm wir's mal bewiesen. Der war bald draußen. 210

ULBRICH :

I m m e r f o r s c h , des is die H a u p t s a c h e . S c h l a f w o h l , Seif e r t . S c h l a f w o h l , L e n l . B i s t e m i r n o c h g u t ? Er sie um die Hüften

zu

versucht

fassen.

FRAU SEIFERT macht sich kreischend, los. ULBRICH singt: „ W o h l gerne K u c h e n u n d B r a t e n — G e b e n die M ä d c h e n d e n S o l d a t e n . . ." Schwankt WEIGEL gröhlend

mit seiner Frau

hinaus.

hinterher:

„Warum? — Darum! — Warum? — Darum! — We'n dem Tschingderassa, tschingderassa, tschingderassassa!" — D I E SEIFERTS stehen lachend inmitten der Stube.

VIERTER

AKT

Erdgeschoßstube Eine

im Hause

Wohnstube,

die

in

Ulbrich. ein

provisorisches

umgewandelt wurde. Beschränkter Wände.

Linker

Fenster,

durch die man ein paar kahle Bäume

Hinterwand

Hand,

links

wände sind rundum

mit Tannengewinde

„Willkommen!"

Porzellangeschirr kleiner

Bank

Tisch

und

Prunkstücken

mit Biergläsern,

sowie eine

hergestellt. „Heute

An

geschmückt.

Tellersäule.

der Hinterwand

Schlachtfest"!

(Ein

Über plumper

der

Hinterwand

altertümlichem

voll Wurst und

So ist primitiv

ein

noch ein paar der

ein

Glasschrank,

der sich in der Ecke

Fleischer,

Davor

neben der Tür

rechts von dem

der

Zimmer-

vollgepfropft.

Dicht

eben solcher Tisch mit Schüsseln

fleisch,

Die

mit allerlei

neben dem mächtigen Kachelofen, ein

in der Mitte

In der Mitte

zwei Bierfässer.

niedrige

sieht. In der

hängt ein tannenumwundener

steht ein ärmlicher Glasschrank auf einer

getünchte

zu, zwei

die Tür zur Nebenstube.

der Tür zum Flur Farbendruck:

nach der Straße

die Tür zum Hausflur,

rechten Seitenwand

Schanklohal

niedriger Raum,

erhebt, WellBüfett

Buntdrucke: ein

Schwein

211

schlachtet.) „Hier ist Reihenschank)" (Ein Bock mit schäumendem Bierglas.) Vor dem Ofen eine Bank. An der rechten Seitenwand altertümliche Uhr, nach, vorne eine Kommode, an der Wand Bilder und Spiegel. Links zwischen den Fenstern ein plumpes Ledersofa, an der Wand ein paar Photographien. Von der Mitte der niedrigen Decke eine Lampe herabhängend. Inmitten der Stube ein runder Tisch, um ihn ein paar Holzstühle. Längs der rechten Wand zwei Tische mit Bänken. Links vor dem Sofa sowie vor dem Fenster Tische mit Stühlen und Bänken. Durch die Tür im Hintergrunde blickt man, auf der andern Seite des Hausflurs, in eine Stube, in der ein Bett steht. Schöner Tag im Beginne des Frühjahrs. Frau Ulbrich, sauber gekleidet, hantiert in blauer Schürze am Ofen und an ihren Fleischsch üsseln. SCHÖNHERR Arbeitsanzug, tritt hastig ein: Tag ooch, Fra Ulbrich'n. Is der Mon noch nich da? F R A U ULBRICH:

Tag, Meester. Nee, er is nich da. Ich lauere ooch schon. Die Reih'schankzeit is da, 's können Leute kommen, und er läßt mich hie alleene. SCHÖNHERR:

Ich möcht' doch gar zu gerne was Bestimmtes wissen . . . Gebt mir een Glas Eefach, Frau Ulbrich'n. FRAU ULBRICH bringt es schon:

Hie is Wohlsein, Meester. Sie sein der erschte Gast. M'r hofft, Sie bringen uns Glücke zum Reih'schank. SCHÖNHERR:

M'r hofft . . . Wohlsein. Trinkt, 's is nischt mehr los mit dem Reih'schank. Ich mach' längst keenen mehr. FRAU ULBRICH:

Ja, des is 's eben: die Leute hangen nich mehr an den alten Sachen. 212

SCHÖNHERR:

Ja, ja . . . wo bleibt 'r nur, der Ulbrich? FRAU ULBRICH:

Is 's so dringlich, Meester? SCHÖNHERR:

Ja, ich wollt' mit ihm reden wegen dem Gesellen, dem Neimerkel. Man spricht: er hat eene Erbschaft gemacht. FRAU ULBRICH :

Ei der Tausend, wie sollt' das möglich sinn! SCHÖNHERR:

Er hat doch eene Schwester, drüben in Marienberg, een ganz armes Bettelmensch. Die is gestorben, und wie se sie aus der Holzkiste, da drinne sie schlief, rausnehmen, finden se im fauligen Stroh eenen Strümp mit 'n zwanzig Daler an Erspartem . . . Der Neimerkel is der eenz'ge Erbberechtigte, und vor'n Stunden 'ner zwei hat ihm der Ulbrich die Geldanweisung gebracht. Itze is 'r nach Olbernhau uff die Post, 's Geld holen. Währenddem sind ein paar Waldarbeiter eingetreten; abgerackerte Leute, gebräunte Gesichter. Sie rauchen Pfeifen, tragen Seile, Beile, Stammsäge. Sie sind zuhorchend stehengeblieben. F R A U U L B R I C H , d i e W A L D A R B E I T E R Ausrufe

des

Erstau-

nens:

Ei nu, was wird er nu machen . . . eso viel Geld . . . eso een Glück . . . SCHÖNHERR:

Und nu möcht' man doch Obacht geben, daß er nich etwa 'n Dummheeten macht mit all dem Gelde. Die Waldarbeiter setzen sich an einen Tisch. Frau Ulbrich bringt ihnen Bier. Währenddem kommt Ulbrich angehetzt.

213

ULBRICH:

Tag ooch. D I E MÄNNER:

Ah, da kommt er, der Wirt . . . Tag ooch. FRAU ULBRICH:

Nu sag bloß Mann, wo bleibst du nur. ULBRICH steht im Hausflur,

Dienstsachen

in

die hintere Stube aufs Bett, zieht einen blauen Hauskittel

wirft seine

an.

SCHÖNHERR:

Hat's denn seine Richtigkeit mit Neimerkels Erbschaft, hä? ULBRICH:

Nu laßt mich bloß, ich hab' mich abgehetzt . . . also, 's hat alles seine Richtigkeet. Ich bin dabei gewesen, wie 'n der Sekretär 's Geld ausgezahlt hat. Zwanzig Daler. Ausrufe

des

Erstaunens.

SCHÖNHERR:

Was macht er nu? ULBRICH:

Er sitzt im „Erbgericht" „Fettlebe".

in Olbernhau und macht

Gelächter. SCHÖNHERR:

Wenn er nur keen dummes Zeug angibt. ULBRICH :

I ja, se werden ihm sein bill' Geld schon bei Zeeten allemachen.

214

Ermischer ist leidlich

und

Seifert

kommen

wiederhergestellt.

unterdrücktes

Kichern.

Tische

Seifert

Platz,

herein.

Ermischers

Die Leute stoßen sich an; Ermischer

nimmt

setzt sich auf die

Gesicht Zeichen,

an einem

leeren

Ofenbank.

ERMISCHER:

Ta-a-g. DIE LEUTE:

Tag ooch. ULBRICH hereinkommend,

höhnisch

die Mütze

ziehend:

Ah, der Ermischer. Nu, wie is denn das? Stehn mir itze wieder eso mitanander, daß du mich besuchst? ERMISCHER :

's is doch Reih'schank. Meine Pflicht is es, nach dem Rechten zu sehn . . . een Zuckerbier trink' ich. ULBRICH :

's recht, un der Seifert? SEIFERT:

Ich dank' scheen, ich bin im Dienst. ULBRICH :

Nu . . . een Glas Eefaches bist du mir schonn wert . . . Herrjess's, wie siehste denn aus, hä?! SEIFERT:

Laß du mich zefrieden. Een jeder tragt sein Päckel, un ich hab' meinen Steen uff dem Gewissen. Gelächter. ULBRICH :

Uff seine alten Tage kriegt's nu der Dingerich noch in den Kopp. 215

Unterdessen

treten Bauern

ein, ärmliche,

von der

gebräunte Leute. Sie setzen sich an Ermischers

Feldarbeit Tisch.

SCHÖNHERR:

Nu, Herr Fierstand, Sie sein ja wieder uff dem Posten. Vor'n Wochen 'ner dreie sah ich Sie, da sahn Sie aus, als kämen Sie aus dem Türkenkrieg. Unterdrücktes ERMISCHER wütender

Blick

Gelächter. auf Schönherr,

dann

zu

den

Bauern:

Der Reih'schank geht recht laut dahie, hä? EIN BAUER:

Des wird noch besser. Haußen leeft der NeibertVerlag'r rum un holt 'nen ganzen Zopp Schnitzlersleute zusammen. SCHÖNHERR höhnisch zu den

Arbeitern:

Des macht, der große Neibert möchte doch gerne in den Gemeenderat, da gibt 'r nu 'ne Lage Freibier, und eso wird denn die Sache gemacht, hähä. Der Verleger Neubert erscheint unter der Türe mit. einer Anzahl Schnitzlermeistern, dürftigen, schüchternen Leuten. NEUBERT:

Kommen Sie nur herein, meine Herren, Sie brauchen sich nicht zu genieren. Ich sehe eine Ehre drinn . . . heut sind Sie meine Gäste. D I E SCHNITZER:

Nee, Herr Neibert, eso geht des nich. — Des woll'n wir nich ha'm. — Mir sein Meester. NEUBERT:

Machen Sie doch nich soviel Umstände wegen 'nem Glas Bier. Herrgott nochmal! Ich bin ja schließlich auch bloß Meister . . . Tag, ihr Leute. 216

Allgemeines

Grüßen.

Schönherr und Neubert messen sich mit grimmigen

Blicken.

NEUBERT:

Na, Ulbrich, ich bin auch mal zu Ihnen gekommen . . . will mal sehen, wie's auf so 'nem Reih'schank im Gebirge zugeht. ULBRICH :

's recht, Herr Neibert. Womit kann ich dienen? NEUBERT:

Geben Sie mal Bier her. Den Meistern hier und . . . na, da sitzen ja auch die Waldarbeiter. Habt ihr auch die Gläser schon leer? Geben Sie auch da 'ne Runde hin. Die

Waldarbeiter:

vergnügtes

Schönherr: höhnische

Gemurmel.

Blicke,

Die

gegenseitiges

Bauern

und

Anstoßen.

NEUBERT:

Da sagen nun die Leute, ich wäre stolz. Ulbrich Sie bringen mir doch alle Tage 'n paarmal Geschäftsbriefe. Ha'm Sie schon mal was von Stolz an mir bemerkt? ULBRICH :

I ja, Herr Neibert, i ja . . . NEUBERT:

Na, da hört ihr's ja. Alles leeres Gerede. Ich will nich mehr sein wie die andern. Prost, ihr Leute. Zurufe:

„Prost,

Herr Neibert!"

Trinken.

NEUBERT:

Ja . . . deshalb bin ich auch als Vertreter der allgemeinen Interessen für die Gemeinderatswahl aufgestellt worden. Ich werde schon meine Pflicht tun. Die, die mich wählen, sollen den richtigen Mann auf den richtigen Platz gestellt haben. Was, ihr Leute? Teilweise Zustimmung. Gemurmel. Ich werde versuchen, Verbesserungen im

217

Orte zu schaffen, denn es gibt ja genug zu bessern, ja . . . so vieles . . . also . . . Die Bauern tuscheln mißvergnügt mit

Ermischer.

ERMISCHER:

Nu . . . Sie wer'n entschuldigen, . . . ich möcht' bloß wissen, was da zu bessern ist? NEUBERT vor ihm, Brille auf der Stirn, rennt dann nervös lachend umher:

Na, wissen Sie, wenn man da anfangen wollte . . . also, wenn man da anfangen wollte . . .! Aber ich zanke mich nich. Ich will frei gewählt werden, ohne gehässige Agitation . . . Geben Sie doch noch 'ne Runde Bier, Ulbrich. ULBRICH :

Jawohl, Herr Neibert, des wird besorgt. Die Bauern, Schönherr: höhnisches

Lächeln.

WEIGEL kommt herein:

Tag, lieber Ulbrich, ich will auch mal 'n Glas Bier auf dem Reih'schank trinken. ULBRICH:

's recht. Tag ooch, Herr Schandarme. NEUBERT:

Tag Herr Gendarm, auch hier? WEIGEL:

T—a—g. Neubert bemerkend, stramm stehend. A h P a r d o n g ,

Herr Neubert. Habe Herrn Neubert gar nicht gesehen. NEUBERT:

Wollen Sie sich nich 'n bißchen hersetzen? WEIGEL:

Wenn Herr Neubert gestatten, bin ich so frei. Setzt sich zu Neubert

an den Tisch.

Ah, Servus! 218

Ermischer

bemerkend,

nachlässig:

NEUBERT:

'n Glas Bier für den Herrn Gendarm . . . ! Haben Sie tüchtig auf den Dienst spannen müssen? WEIGEL :

Ja, allerdings . . . zu tun gibt's immer. Grade jetzt hab' ich unten im Ort einen Auflauf zerstreut. NEUBERT :

Einen Auflauf? Was Sie sagen. WEIGEL :

Ja, mitten drinn war der bucklige Spielwarenmacher, der Neumerkel. Der Kerl kommt in einem Aufzuge von Olbernhau 'rüber . . . na. ULBRICH :

Er hat eene Erbschaft gemacht. NEUBERT:

Eine Erbschaft? Na, das muß 'was rechtes sein. — WEIGEL :

Ja, und die legt er nun, wie's scheint, in Schnaps an. Lärm draußen. Da hören Sie's ja schon, da is 'r ja angelangt. NEUBERT:

Da sieht man's nun wieder. Für solche Leute is plötzlicher Geldbesitz geradezu 'n Unglück. Solche Leute m u ß man knapp halten. Zu den Anwesenden: Das heißt: ich meine das natürlich nur in bezug auf diesen speziellen Fall. Verallgemeinern will ich das nicht. Prost, ihr Leute. Viele

Stimmen:

„Prost,

Herr Neibert.

Prost!"

kommt herein, angetrunken,

in seinem gewöhnlichen

anzuge,

grauseidenen

Kopfe,

einen

nagelneuen,

weiße Glaces an den Händen

Filzhut

Neumerkel Arbeitsauf

und mit einem

dem neuen

Sonnenschirm.

219

NEUMERKEL im Hausflur, auf die Straße

rufend:

Da denkt ihr, ihr könnt mich verachten? Ich wer's euch emal weise machen, wo's Kapital sitzt. Schaut emal her! Wirft eine Handvoll Kupfermünzen

auf die Gasse.

Kinderjubel draußen. — Die Waldarbeiter und Bauern erheben sich neugierig: „Nee, des is doch —" „Er schmeißt's mit vollen Händen auf die Gasse." „Er hat's Gald zum Wagschmeißen!" N E U M E R K E L in der

Stube:

Hä? Schaut euch emal den Neimerkel an! Was sagt 'r nu? Bisher war ich een armer Schnitzlersjung', jetzt gehör'n mir zu'n Mittelstand. Auf die Tasche schlagend. Mir ha'm Geld wie Heu! WEIGEL :

Ihre paar Taler wird bald der Teufel geholt haben. NEUMERKEL:

NU, für mich langt's zu. Eenen neuen Hut ho'n ich, een paar Klasiker un eenen Schirm, un nu geh' ich meine Erbschwester begraben. Gelächter. WEIGEL:

Es wird auch not tun, daß Sie hier fort kommen. Bei 'nem andern Gemeindevorstand säßen Sie schon längst in Nummero Sicher. NEUBERT:

Sehr richtig, Herr Gendarm, sehr wahr gesprochen. NEUMERKEL:

Nu, m'r wird doch noch een Wort sagen dürfen. ERMISCHER

vorkommend:

Des is ooch dehie nich anders, und wenn du dich dehie noch lange so ufführst, so kommst du sicher ins Spritzenhaus. 220

SCHÖNHERR tritt ebenfalls

vor:

Des war' nu allerdings' s erschte Mal, deß een Gesell' vom Meester Scheenherr ins Spritzenhaus käme. NEUBERT :

Wenn er sich danach beträgt . . . SCHÖNHERR:

Es is gewiß nich recht, deß 'r sein Geld uff die Gasse schmeißt und sich betrinkt, aber was 'r mit seinem Gelde macht, des geht den Fierstand nischt an. Zustimmende ERMISCHER

Gebärden

der

Waldarbeiter.

wütend:

Er macht der Gemeende bloß Schaden! NEUMERKEL:

Wer macht Schaden? Itze bin ich een vermögender Mensch, und wenn ich eenen Schaden mach', da werd's bezahlt. ERMISCHER:

Du wärst der rechte. Eh du dich dehie dicke tust mit deinem Gelde, bezahl du erseht der Gemeende, was du ihr gekost' hast. Die

Bauern:

„So is 's recht." — „Er vertrinkt

„Er mag bezahl'n, NEUMERKEL stutzt,

was V uns Unkosten tritt an ihren

Tisch

sein Geld." —

gemacht

hat."

heran:

Was wär ich euch Kartuffelbauern ooch schuldig! Gelächter. ERMISCHER :

Werd du emal nich frech, verstehste! Du bist uns schuldig, was deine Katze verdorben hat, die Verfahrenskosten, die Verpflägungskosten . . . 221

NEUBERT:

Ganz richtig, ich hab' auch noch 'ne Schadenersatzforderung für Reinigung von Wäsche und Kleidungsstücken. ERMISCHER:

Und du willst dich dehie mausig machen? WEIGEL :

Dem Burschen muß mal die Autorität gezeigt werden. Die Bauern: „Schmeißt'n

'naus!"

„'naus!

— „'naus mit dem Kerl!"



'naus!"

SCHÖNHERR:

Ruhe dehie, zum Donnerwedder! . . . Wenn mein Gesell' hie nich gelitten is, so geht er alleene, aber von 'nausschmeißen gibt's nischt . . . Neimerkel, sieh, deß du weiter kommst. NEUMERKEL: 's r e c h t , 's g u t . . . Geht zur Tür, kehrt plötzlich hastig um.

Von euch lass' 'ch mich noch lang nich lumpen. Was 's kost', des bezahl' ich! ERMISCHER guckt ihn über die Achseln und setzt sich an seinen

an, lacht

verächtlich

Tisch.

NEUMERKEL haut wütend Taler über Taler auf den

Tisch:

Dehie un hie un hie . . .! Hie sein die Unkosten, gebt mir mein Eegentum raus, un mir sein fert'g miteinander. Gemurmel, ERMISCHER guckt rasch

Erstaunen,

allgemeine

ungläubig

Spannung.

das Geld an, streicht es dann

ein:

Des wär' ich mir nich zweemal sagen lassen. Die paar Neigroschen, die übrigsein, kannste morgen uff 'm Gemeendeamt holen. Da kannste ooch deine Katze kriegen. Gelächter der

222

Bauern.

NEUMERKEL:

Nu, des gibt's nich! Hie is mein Geld, wo is mein Eegentum? SCHÖNHERR:

Des wär' j a noch schöner. Wenn der Mann den Schaden bezahlt, muß er seine Sach' ha'm. D I E W A L D A R B E I T E R u n d SCHNITZLERSLEUTE :

Da hat 'r recht. — Des is keen Verhalten.— Der Mann hat bezahlt, wo is sein Sach? ULBRICH :

Weeßte, Ermischer, mich geht's nischt an, aber des scheint mir ooch nich recht. Der arme Mensch gibt sein Letztes her, da kann er verlangen, daß 'r seine Sach' kriegt. ERMISCHER :

E r kann se j a morgen holen. SCHÖNHERR:

Itze hat er se zu verlangen! Neubert

läuft lachend

in der Stube

umher.

WEIGEL:

Ulbrich hat ganz recht, 'n korrektes amtliches Verfahren is jedenfalls, daß 'ne beschlagnahmte Sache herausgegeben wird, sobald der Schaden ersetzt ist. ERMISCHER:

Was sollen wir uns streiten . . . Gemeendediener! . . . Seifert . . .! Seifert!! Seifert kommt in schlotternder

Angst vom Ofen her nach

vorn.

ERMISCHER:

Geh emal un hol den Neimerkel seine Katze. S E I F E R T unartikulierte 18

Münchow, Dramatik I I I

Laute.

223

ERMISCHER:

Hä? SEIFERT:

's is bloß . . . meine Fra wird nich d'r heeme sinn. Gelächter. ERMISCHER:

Nu, des wär noch schöner. Seit wann gehts' in Gemeendeangelegenheiten nach deiner Fra! Allonsch marschee! Seifert entfernt

sich in großer

Angst.

ULBRICH :

Was hat bloß der Kerl! NEUBERT

lacht:

Mir kommt die Sache bald verdächtig vor. Jedenfalls is es merkwürdig . . . Wenn ich im Gemeinderat wäre . . . Prost, Herr Gendarm . . . Sie ha'm ja nichts zu trinken, 'n Bier, Ulbrich. WEIGEL :

Danke sehr . . . Prosit, Herr Neubert . . . Ich höre, Herr Neubert wollen sich für den Gemeinderat aufstellen lassen? NEUBERT:

Nu . . . es is der Wunsch an mich herangetreten, und . . . ich bin nicht abgeneigt . . ., ich meine, sofern man mich wählt . . . WEIGEL :

Na, da wird wohl niemand hier unter Ulbrichs Gästen sein, der Herrn Neubert nich mit Freuden seine Stimme gäbe. Schweigen.

224

SCHÖHHERR höhnische

Lache.

WEIGEL:

Na, erlauben Sie. . . warum nich? Herr Verleger Neubert is ein bereister Mann, der die Welt gesehen hat. Er war in Dresden und Leipzig, er war auch schon mal im Auslande . . . jawohl; in Sachsen-Altenburg hat er 'ne Knopffabrik gehabt. So 'nen Mann kann der hiesige Gemeinderat gebrauchen. Der wird mal Ordnung schaffen. Was, Herr Neubert? NEUBERT:

0 gewiß. Ordnung . . . Wo ich Schlumperei sehe, fahr' ich dazwischen. WEIGEL :

Na also, da hört ihr's ja. Und Schlumperei gibt's doch in der Gemeinde genug. Unwilliges Gemurmel

der

Bauern.

ERMISCHER:

NU, wenn sowas der Schandarm spricht, möcht' ich bloß wissen, wo die Schlumperei sinn soll? Neubert

und Weigel sehen sich an, lachen

mitleidig.

WEIGEL :

Hab ich was gesagt? NEUBERT :

1 bewahre, Sie haben ganz im allgemeinen gesprochen, Herr Schandarm. WEIGEL :

Also . . . was wollen Sie denn eigentlich, lieber . . . lieber Ermischer? 18«

225

ERMISCHER blitzig:

Also . . . „lieber Ermischer", das gibt's ieberhaupt nich. Ich Sprech ooch nich: „lieber Weigel". WEIGEL :

Das würde ich mir auch schön verbitten. ERMISCHER

Faustschlag:

Und ich verbitt' mir des !!! WEIGEL :

So . . . Verlegenheitspause. Ich mache manches gerne freundschaftlich, gemütlich ab; ich kann aber auch stramm dienstlich sein . . . ja. Plötzlich aufspringend, blitzig herausfahrend. Wenn ich von „Schlumperei" rede, werd' ich schon wissen, was ich meine, verstehn Sie mich! ERMISCHER geduckt:

Nu aber, Herr Schandarme . . . dann sagen Sie's doch. WEIGEL immer

heftiger:

Ich kenne überhaupt eine gewisse Gemeinde, wo's nächstens 'nen großen Wechsel geben wird, in den oberen Regionen nämlich . . . da wird sich einer umgucken! ERMISCHER ganz

verängstigt:

Ich mecht' bloß wissen . . . Gebb' mir noch een Zuckerbier, Ulbrich. NEUBERT:

Sie haben da gewiß sehr zutreffende Andeutungen gemacht, Herr Gendarm. WEIGEL sitzt triumphierend

da:

Wenn ich von „Schlumperei" spreche, weiß ich schon wo ich hinaus will! 226

NEUBERT:

Nu freilich, man braucht sich doch bloß umzusehen . . . Der Zustand der Gemeindewege . . . WEIGEL:

Also, da ha'm wir ja gleich 'was. Nu kommt 's ja raus. ERMISCHER:

Eso eene arme Gemeende kann nich mehr fier Wegebau uffbringen. Die

Bauern

gut genung!"

schreien

wütend: „Uns

sein die

— „Mir wer'n dahie erdrückt — „Mir

ha'm grade satt

Gemeendewege

vonWegebaukosten!" Steiern!"

NEUBERT:

Und die Gemeinde-Feuerwehr sollten Sie mal sehen. Wenn's mal in meiner Fabrik brennt, ha'm sie noch nich mal 'ne brauchbare Spritze. ERMISCHER:

Mir ha'm kee' Geld. Die Bauern, spritze!"

wie vorher: „Zu

— „Mir

was brauchen

löschen mit Wassereimern!" doch keene

wir 'ne — „Mir

Feuerha'm

Fabrik!"

ULBRICH:

's mag sinn, wie's will, ich sprech': een bill' mehr Schneid könnt' den Gemeendevorstand nischt schaden. SCHÖNHERR:

Jawohl. Wenn m'r bedenkt, deß der Neimerkel sein Eegentum bloß itze kriegt, weil mir druff drücken . . . WEIGEL :

Freilich, daß der Mann sein Eigentum nicht sofort zurückerhalten sollte . . . Um die Sache werde ich mich jetzt mal bekümmern. 227

Die beiden Seiferts kommen herein, er zitternd hinter Frau — Stimmen: Fra

„Da kommt der SeifertV

mittebracht" — „Er

hat ja

die Katz

— „Er nich!"

seiner

hat seine — „Was

is

los?" F R A U SEIFERT frech:

T—a—g. Was soll denn wieder mal los sinn mit meinen Mann, hä? ERMISCHER:

Warum habt'r die Katz' nich mittebracht? NEUMERKEL

schreiend:

Ich verlang' mein Eegentum raus, mein Eegentum! SCHÖNHERR:

Sei du ruhig. Neimerkel, des wird sich schon finden. FRAU SEIFERT:

Ich weeß nischt davon. Die Katz' is uff un davon. Alle springen erregt von den

Plätzen.

WEIGEL :

Hab' ich's nich gesagt? Da sieht man's ja wieder'mal! ULBRICH:

Des is doch een Skandal. Dem armen Menschen geschieht's größte Unrecht! NEUMERKEL :

Ich verlang' mein Eegentum raus! Ich hab bezahlt, ich verlang' mein Eegentum! SCHÖNHERR:

Ruhig, Neimerkel, du wirst schonn seh'n . . . Uff der Stelle verlang' ich Nachforschung! ERMISCHER :

Des war eene beschlagnahmte Sache, der Seifert hat se 228

in Verwahrung gekriegt, und nu is se weg. Was is des fier een Gemeendediener! FRAU SEIFERT:

Nu, mir ha'm ooch nich eso uff se gespannt, mir mußten se doch eemal behalten für die Kosten . . . SCHÖNHERR:

Mei' Gesell' hat alles bezahlt! F R A U SEIFERT

fassungslos:

O Gott, o Gott, o Gott! Se is weg. Ich weeß ooch nich . . . weeßt du nich, Mann? NEUMERKEL:

Mein Eegentum oder 's Geld! N E U B E R T rennt lachend in der Stube ULBRICH ZU Frau

umher.

Seifert:

Also, wenn du denkst, du kannst uns dehie mit deiner Schlechtigkeet für dumm verschleißen, denn werden wir's dir emal beweisen! ERMISCHER:

Werd't ihr nu endlich sagen . . .! WEIGEL :

Also Ruhe. Die Sache übernehme ich hiermit. Das is 'n Kriminalfall, ich wer' schon Licht hineinbringen. ULBRICH :

Drücken Se nur druff, Herr Schandarme, drücken Se druff! W E I G E L Bleistift,

Protokollbuch:

Also, wann is die Katze angeblich weggelaufen? FRAU SEIFERT:

Ich weeß ooch nich . . . s' kam emal abends en unbekann229

ter Mann . . . mit 'n schwarzen Mantel un eenen großen schwarzen Bart . . . WEIGEL :

Den Mann kenn' ich. Der kommt immer zu den Dummen, wenn sie sich nich mehr zu helfen wissen. Also, Gemeindediener Seifert, wollen Sie nun sagen, wie die Sache steht, oder soll ich Anzeige bei der Oberbehörde erstatten? F R A U S E I F E R T halblaut

ängstlich:

Herr Schandarme, Herr Ulbrich . . . ich möcht bitten . . . mir sein Freundschaft. SCHÖNHERR höhnische

Lache:

Ach nee, se sein Freundschaft. ULBRICH :

Uff die Freundschaft pfeif ich! WEIGEL :

Wenn ich im Dienst bin, kenn' ich keine Freundschaften und keine Rücksichten . . . also, Seifert, wollen Sie Ihre Lage durch ein offenes Geständnis erleichtern, oder wollen Sie mit Schimpf und Schande aus dem Dienst fliegen? SEIFERT plötzlich alle Schüchternheit herausschreiend:

überwindend,

wütend

Nu, wenn ich . . . un ich soll aus dem Dienst, so is mir alles egal! WEIGEL :

Jetzt kommt's raus. FRAU

SEIFERT:

Mon, Mon, wirst du nich . . .! 230

ULBRICH:

Wirst du deinen Mann woll reden lassen. Immer raus damit! SEIFERT:

Se is nich uff un davon, mir ha'm se alle gemacht! ALLE in höchster

Spannung:

Ah!!! SEIFERT:

Ich hab' ihr den Kopp abgehackt, meine Fra hat se g e k o c h t , u n I h r z w e e (auf Weigel und

Ulbrich

zeigend)

Ihr habt se gefressen!! Weigel und Ulbrich stehen wie versteinert. Die Leute, die einen Augenblick starr waren, brechen in ein endloses Hohngelächter aus. ULBRICH :

Ihr spracht doch: Ihr hättet 'nen Hasen tot uff dem Felde gefunden . . . ? F R A U S E I F E R T in die Schürze

heulend:

Mir ha'm nich gewußt, was mir sagen sollten, un da . . . un da . . . Plötzlich wütend. Nich emal e' Finkl' ieberlei-

gelassen habt 'r, un nu wollt 'r meinen Mon um seinen Posten bringen? Kommt mir nur! Gelächter. ULBRICH kratzt sich hinter den Ohren, geht geduckt hinter den Schanktisch zu seiner Frau, von wo er nicht mehr hervorkommt. NEUMERKEL:

Mei' Eegentum raus! Mei Geld 'raus! ERMISCHER:

Nu werd 'ch mich der Sache emal annehmen. Seifert, 231

geh' emal uffs Gemeendeamt, deß mir dadrieber een Protokoll anfert'gen. SEIFERT:

's recht. Mein Posten is emal futsch; ich werd' schon 'ne Gemeende finden, die eenen tücht'gen Poll'zeier braucht. Er geht unter dem Gelächter der Leute, gefolgt von seiner

Frau,

hinaus.

Unter der Tür wendet sich diese und stürzt auf die

Bauern

zu.

F R A U SEIFERT:

Des könnt ihr Kartuffelbauern euch ieberhaupt emal merken: Wenn ihr euren Poll'zeier bloß zweelf Neigroschen den Dag gebt, so dürft ihr ihm nischt Eßbares i n V e r w a h r u n g g e b e n ! Rennt ihrem Manne

nach.

Gelächter der Leute. WEIGEL, der fassungslos,

völlig geduckt beiseite gestanden hat,

nimmt

mit unterdrückter

sich

zusammen;

Stimme

zu

Er-

mischer:

Herr Gemeindevorstand, kann ich vielleicht in der Sache . . . ich meine, ob Ihre gütige Nachsicht. . . meine Personalakten sind ohnehin so umfänglich . . . ERMISCHER :

Ich weeß schon. Bedeutsam. Das wird sich alles nach Ihrem zukünftigen dienstlichen Verhalten richten. WEIGEL Hände an der Hosennaht,

militärisch stramm,

über-

laut:

Zu Befehl, Herr Gemeindevorstand. ERMISCHER :

Ich wer' die Sach' prüfen und Sie dadrieber vernehmen. Sie sein doch bereit? WEIGEL :

Zu Befehl, Herr Gemeindevorstand. 232

ERMISCHER :

Find't sich irgend een Entschuldigungsgrund, so wer' ich mich Ihrer wohlwollend annehmen, lieber . . ..lieber Weigel. W E I G E L zuckt zusammen,

dann

schneidig:

Fühle mich sehr geehrt, Herr Gemeindevorstand. ERMISCHER:

Na, denn hätt' ich Ihnen vorläufig nischt mehr zu sagen. WEIGEL :

So habe ich die Ehre, mich dem Herrn Gemeindevorstand ganz gehorsamst zu empfehlen. Macht kehrt, geht stramm

hinaus.

Hinter

ihm her

Gelächter.

ERMISCHER :

Den hab' ich aber geduckt. NEUMERKEL:

Und was wird denn nu mit meinem Gelde? ERMISCHER:

Wart's ooch fei' ab. Der Gemeenderat wird beschließen, un denn wirste seh'n. SCHÖNHERR:

Da kann er ja warten. Ich meene, wenn er sein Eegentum nich kriegt, hat er sein Gald zu verlangen. ERMISCHER:

Der Schaden is da, so oder so. Hie is Herr Neibert. Uff seine Beschwerde is die ganze Sache gemacht. Er verlangt vier Daler Schadensersatz. N E U B E R T der umhergerannt

ist, schießt

vor:

Was, erlauben Sie mal! Nun, da die Gemeinde blamiert, ist, wollen Sie mir wohl die Geschichte in die Schuhe 233

schieben. Aber da verzichte ich lieber auf allen Schadensersatz ! SCHÖNHERR laut zu den

Leuten:

Habt ihr's gehört? Herr Neibert verzichtet uff Schadensersatz. So muß Neimerkel die vier Daler rauskriegen! Die Leute: „'s recht! s' recht!" ERMISCHER sieht Neubert, unschlüssig an:

der ihm den Rücken gekehrt

hat,

Ja, wenn des Herrn Neiberts Ernst is, so muß ich freilich . . . (Legt zögernd vier Taler auf den Tisch.) Hier is der Schadenersatz. Neumerkel

streicht das Geld eilends

ein.

NEUBERT:

Das heißt . . . das is ja . . . Gut, aber wenn ich keinen Schadenersatz bekomme, inwiefern haben diese Seiferts Verpflegungskosten zu beanspruchen, hä? ERMISCGHER :

Da ha'm Sie recht, nach Lage der Sach' kriegt der Seifert keen Verpflegungsgeld. NEUBERT:

Gut, dann müssen Sie aber auch das auszahlen. ERMISCHER legt Geld auf den

Tisch:

Scheen. Hie sein zwee Daler Verpflegungsgeld. Neumerkel

streicht es ein.

SCHÖNHERR:

Wie aber steht's mit'n Verfahrungskosten? Wie kommt der Neimerkel dazu, der Gemeende Verfahrungskosten zu bezahlen, wenn das Objekt verschwunden is? NEUBERT:

Das is ganz richtig: wenn ich nichts kriege, kriegt die Gemeinde auch nichts. 234

ERMISCHER:

Aber die Auslagen sein doch gemacht? SCHÖNHERR:

Aber der Neimerkel hat se nich zu bezahlen. ERMISCHER

kleinlaut:

Des heeßt . . . hie sein . . . die Daler . . . Legt Geldes

den Rest

des

hin.

NEUMERKEL streicht

es ein:

Stimmt uff Heller un Pfeng'. Die Erbschaft wär' wieder zusammen! Gelächter ERMISCHER:

Ja, aber . . . was wird denn nu'? 's ausgegebene Geld steht bei der Gemeende zu Buche, wer bezahlt denn die Sach'? SCHÖNHERR nimmt

höhnisch

den Hut

ab:

Ja, Herr Gemeendefierstand, die wer'n Sie wohl selber bezahlen müssen. ERMISCHER starrt seinem

ihn verblüfft

Hut und stürzt

an, greift

dann wütend

nach

hinaus:

I, da mag der Deifel dehie Gemeendefierstand sinn! Gelächter

hinter ihm

her.

NEUBERT:

Wie liegt denn nun die Sache? Der Neumerkel hat sein Geld wieder, ich hab' den Schaden und obendrein noch den Spott?!. . . Außer sich. Ich muß mich dafür bedanken in so 'ner Gemeinde 'nen Gemeinderatsposten anzunehmen! Rennt hinaus. Gelächter. D I E BEIDEN ULBRICHS hinter ihm

her:

Herr Neibert! Herr Neibert! Sie ha'm ja 's Freibier zu bezahlen vergessen! Herr Neibert . . .! Gelächter.

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N E U M E R K E L klappert

mit dem

Gelde:

Wie wär's, Meester, wenn ich die Zeche glattmachte? SCHÖNHERR:

Sei nich dumm. Neimerkel. Des is doch immer verdeelt. Der eene sorgt für den Spaß, un die andern bezahlen die Kosten!

ANMERKUNGEN

Zur Einleitung 1 Aus den Anfängen der sozialistischen D r a m a t i k I und II. Herausgegeben von Ursula Münchow, T e x t a u s gaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, B d . I I I und B d . V , Bin 1964 und 1965. 2 Vgl. dazu Paul Mehnert, Golgatha, Soziales D r a m a aus dem Bergarbeiterleben in drei A u f z ü g e n und einem Vorspiel. Bin 1908, 1912 2 und 1920 3 . Franz Starosson und Robert Nespital, Tutenhusen, Schauspiel in drei A k t e n . H a m b u r g 1912. Beide Streikdramen sind neu herausgegeben in: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik II, a. a. O. 3 Ausführliches über den negativen Einfluß auf das frühe Arbeitertheater ist nachzulesen in der Einleitung z u : A u s den Anfängen der sozialistischen Dramatik II. a.a. O. 4 Mit Vorliebe wurden aus dem Proletariat stammende Dramen aufgeführt, die die soziale Frage v o m opportunistischen, versöhnlerischen Standpunkt behandelten und so angesichts der parlamentarischen Mehrheit der S P D ein Bild v o m Klassenfrieden verbreiteten. D a s geschah bezeichnenderweise vor allem in Industriezentren wie Elberfeld oder Hamburg, wo die Arbeiter den überwiegenden Teil der Bevölkerung ausmachten. So hatte z. B . im Hamburger Volksschauspielhaus das Schauspiel des Hamburger Maschinisten P a u Zoder, Der Lumpenpastor, großen Erfolg (vgl. Literarisches Echo, Mai 1909, Spalte 1182) und im Elberfelder Stadttheater das Schauspiel von Paul Bliß, Stille Sieger (vgl. ebd. N o v . 1908, Sp. 449), u m nur zwei Beispiele v o n vielen zu nennen. 5 Die preußische Zensur bezeichnete den „Biberpelz" als „ödes Machwerk ohne alle Handlung von B e l a n g " . Angaben dazu bei Eberhard Hilscher, Gerhart H a u p t mann, Bln. 1969, S. 169. 6 Preczang schrieb vor dem ersten Weltkrieg beispielsweise noch sozialdemokratische W a h l k a m p f s t ü c k e ,

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gleichzeitig aber auch für die bürgerliche Bühne abendfüllende Stücke mit sehr abstrakter sozialer Problematik wie die Burleske „Gabrielo der Fischer", 1910, oder das Drama „Bankrott", 1914. Ernst Reichle, Die Fabrikarbeiterin, Soziales Bild in einem Aufzug, Leipzig 1 9 1 7 und 1 9 1 8 2 . Neu herausgegeben in: Frühes Deutsches Arbeitertheater 1847— 1918, Eine Dokumentation von Friedrich Kniiii und Ursula Münchow, Mchn und Bin 1970, S. 456—473. Friedrich Bosse, Im Kampf, Drama in vier Akten, Lpz. 1892. Neu herausgegeben in: Frühes Leipziger Arbeitertheater. Herausgegeben von Gustav Schröder, Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, B d . X I , Bin 1972. Wilhelm Ludwig Rosenberg (1850 geb.) gehört zu den profiliertesten aus der deutschen Sozialdemokratie hervorgegangenen Schriftstellern. Unter dem Druck des Sozialistengesetzes emigrierte er 1880 nach den U S A und wirkte unter den Deutschen in Amerika als einflußreicher sozialdemokratischer Agitator und Publizist. E r schrieb u. a. das vieraktige Drama „Crumbleton" (1898). Vgl. dazu Ursula Münchow, Naturalismus und Proletariat, Weimarer Beiträge, 1964, H. 4, S. 599—617. Franz Mehring, Maxim Gorki: Nachtasyl, Die Neue Zeit, Revue des geistigen und öffentlichen Lebens, Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, 21. Jahrgang, 1. Band, Nr. 18, 1902/03. Ausführliches in: Ernst Preczang, Auswahl aus seinem Werk. Herausgegeben von Helga Herting, Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Bd. I X , Bin 1969. Die sozialdemokratische Büchergilde Gutenberg hat in den 20er Jahren Arbeitern zu erschwinglichen Preisen Werke sozialistischer und sozialkritischer Autoren zugänglich gemacht. Die unter gleichem Namen heute noch in der B R D existierende sozialdemokratische Buchgemeinschaft hat einen ausgesprochen antikommunistischen Standpunkt bezogen. Vgl. dazu seine autobiographischen Notizen „ R ü c k blick", Bin 1920, Ausschnitt abgedruckt in: Kniiii/ Münchow a. a. O., S. 3 8 8 ! Die Erzählungen „Der Lachs", „Pöke" und „Der Ausweg" gehören zu den Höhepunkten der sozialistischen Literatur vor 1914. Das Drama „ I m Hinterhause"

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gehört ebenfalls dazu und wurde auch vom Klassengegner dazu gerechnet. „ E i n Sohn des Volkes" ist der Titel eines vom Volkskomponisten Heinrich Pfeil (1835—1899) verfaßten und komponierten dreistrophigen Liedes, das, weil es den Lebenslauf eines Arbeiters von der Wiege bis zum Grabe beschrieb, viel auf Arbeiterbegräbnissen von Arbeitergesangvereinen gesungen wurde und bis in die 20er Jahre hinein sehr beliebt war. Albert Soergel stempelt Rosenow zum Mitleidsnaturalisten, gibt aber gleichzeitig zu, daß er im Unterschiede zum Naturalismus den Ausweg aus dem Elend zu zeigen vermöge. E r betont, daß die dramatischen Gestalten Rosenows „nur in der Kunst Gerhart Hauptmanns ihresgleichen" finden. E r nennt ihn einen Sozialisten, fügt aber hinzu, das sei „ein Mensch, aus dem nicht Klassenhaß sprach, sondern ein mitfühlendes, gütiges Herz für jede Not und jeden Druck". E r betont von dieser Auffassung her, daß Rosenow im Gegensatz zu Hauptmann, der im „Biberpelz" den Amtsvorsteher Wehrhahn kritisch darstelle, nicht parteilich sei: „ I n seiner Lustspielwelt sind alle, Hohe wie Niedere, gleich lächerliche, aber von einer verstehenden Künstlerliebe doch wieder fast verhätschelte Gestalten". (Dichtung und Dichter der Zeit, Bd. I, Lpz. 1928, S. 1001 — 1004). Christian Gaehde, Biographische Einleitung zu Gesammelte Dramen von Emil Rosenow, Bin 1 9 1 2 , S. IV. Das Entstehungsjahr 1897 ist nicht sicher. „Der balzende Auerhahn" ist nie gespielt und erst 1 9 1 2 postum von Gaehde in der Ausgabe der Gesammelten Dramen Rosenows gedruckt worden. An Ibsens „Nora" haben vor allem Otto Erich Hartleben, Max Halbe und Sudermann angeknüpft, an „Die Stützen der Gesellschaft" die sozialdemokratischen Autoren Wilhelm Ludwig Rosenberg mit „Crumbleton" und Gustav Bernhard Schiffner mit „Die B u r g " . Abgedruckt in: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I I , a. a. O. Genau wie Holz' und Schlafs „Familie Selicke" oder Schlafs „Meister Oelze" sind auch die frühen Dramen Gerhart Hauptmanns: „Vor Sonnenaufgang", „Das Friedensfest" und „Einsame Menschen" Familiendramen. Im fremden Nebeneinander oder bösen Gegeneinander Blutsverwandter wird der unaufhaltsame Zerfall menschlicher Beziehungen gestaltet, an dem kein Münchow, Dramatik I I I

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Außenstehender und auch nicht der Tod etwas ändern kann. Die Befreiungsversuche des Einzelnen sind umsonst, am Schluß ist alles wie vorher. An diesem Stoff ließ sich die Zustandsschilderung des konsequenten Naturalismus am besten realisieren. Interessant ist, daß Sudermanns „ E h r e " auf den in äußerster Opposition zu seinem Vaterhause stehenden jungen J . R . Becher großen Eindruck gemacht hat. Der genaue Text von „Die neue Macht" lag zur Zeit der Herausgabe dieses Bandes noch nicht vor, wohl aber Pressevorankündigungen und Rezensionen der Aufführung des Stücks mit ausführlichen Inhaltsangaben und ein Artikel aus dem „Vorwärts", Nr. 308, 23. 1 1 . 1 9 1 3 , über das Verbot seiner Aufführung durch den Amtsvorsteher von Friedrichshagen „im Interesse der öffentlichen Ordnung". Abgedruckt in: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I. a. a. O. Vgl. Anmerkung 2. Vgl. dazu Friedrich Bosse, Die Arbeiter und die Kunst, Schwank in einem Akt, Lpz. 1897. Neu herausgegeben in: Aus den Anfängen der Sozialistischen Dramatik I. a. a. O. Vgl. dazu Theodor Fontane, Schriften zur Literatur, Bin i960, Seite 2 1 3 . ebd. Seite 214. ebd. Seite 215. Dabei bereichert die das Gesicht einer holzreichen Gegend mitbestimmende Schicht der Waldarbeiter ästhetisch gesehen nur die soziale Kulisse des erzgebirgischen Handlungsortes. Ihre ganz besondere Notlage, die später zum Gegenstand eines frühen proletarischen Entwicklungsromans geworden ist (vgl. A. Ger, Der Gotteslästerer, Roman aus dem Leben der erzgebirgischen Waldarbeiter, Bln. 1917), in die Komödie einzubeziehen, hätte den Rahmen der Handlung zu sehr erweitert oder sogar gesprengt. Wie schwer es gerade ein Mädchen in dieser Zeit hatte, beweisen u. a. die Lebenserinnerungen der Adelheid Popp (A. Popp, Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, Mnch 1909). Vgl. ebd. und Franz Rehbein. Das Leben eines Landarbeiters, J e n a 1 9 1 1 . In den Streikdramen „Golgatha" und „Tutenhusen" (vgl. Anm. 2) wird z. B . gestaltet, wie sich aus der

proletarischen Solidarität auch neue Beziehungen zwischen Mann und Frau und zwischen Eltern und Kindern entwickeln. 35 Franz Mehring, Sudermanns „Ehre", Die Volksbühne, 1. J g . 1892/93, Heft 7, S. 8, abgedruckt in: Franz Mehring: Gesammelten Schriften, B d . 1 1 , Bln. 1961, S. 247. 36 Auch in seinem Prosawerk vertritt Preczang die Ansicht, daß ein politisch aktiver Arbeiter unverheiratet bleiben müsse. In der Novelle „Der Ausweg" (1912) wird diese Forderung in der künstlerischen Gestalt des fünfzigjährigen Arbeiters Griegul zum Leitbild erhoben. Griegul spielt eine wichtige politisch aktivierende Rolle unter ,den Arbeitern einer Chemiefabrik und drückt es selbst aus, daß er dazu nicht in der Lage wäre, wenn er Rücksicht auf eine Familie nehmen müsse. E r wirkt bis in kleine Eigenheiten hinein wie ein älter gewordener Petzold, der froh ist, sich für Ehelosigkeit entschieden zu haben. Ähnlich wie Petzold seine erzwungene Arbeitslosigkeit dazu nutzt, seine Belesenheit zu vergrößern, freut sich Griegul, die Zeit nach einem erlittenen Betriebsunfall dazu verwerten zu können, das „ K a p i t a l " von Marx gründlich zu studieren, da er ohne Familie für einige Zeit von dem Krankenversicherungsgcld zu leben imstande ist. Das einzige Lebewesen, für das er zu sorgen hat, ist ein Kanarienvogel. War bei Petzold im „Hinterhause" wenigstens ansatzweise noch der Wunsch vorhanden, ganz wie ein Mensch leben zu wollen, also auch zu lieben und eine Familie zu gründen, so ging Preczang ein Jahrzehnt später schon das Gefühl für das widersinnige Bild vom proletarischen Bücherwurm, der im Dachstubenidyll bei Kanarienvogelgezwitscher Karl Marx studiert, ab. 37 Christian Gaehde a. a. O., S. X I I . 38 Lu Märten, Bergarbeiter, Schauspiel in einem Akt, Stuttg. 1909, neu herausgegeben in: Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Herausgegeben von C. Friedrich, „Textausgaben" Bd. V I I I , Bln. 1966. 39 Paul Bader, Das Gesetz, Tragödie in drei Akten, Magdeburg 1 9 1 3 , uraufgeführt Magdeburg 1 9 2 1 . Neu herausgegeben bei Knilli/Münchow, a. a. O., S. 232—285.

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Zu den Texten

Ernst Preczang, Im Hinterhause, Drama in vier Akten Das Stück wurde im Frühjahr 1903 von der Freien Volksbühne im Metropoltheater in Berlin uraufgeführt. E s wurde bis 1914 dreimal aufgelegt. 1. Aufl. München 1903. 2. Aufl. Leipzig 1908. 3. Aufl. Leipzig (1914). Unserem T e x t liegt ein E x e m p l a r der 1. unveränderten Auflage zugrunde, die als Nummer 3 der Reihe „Mehrakter" im Arbeitertheaterverlag, den Richard Lipinski in Leipzig begründet hatte, erschien. Richard Lipinski (1867—1933) war von 1907—1933 Parteivorsitzender der S P D Leipzigs und von 1903—1906 sowie von 1919—1933 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. 1917 trat er auf die Seite der U S P D und während der Revolutionsmonate bekleidete er das A m t des sächsischen Innen- und Außenministers. Die Tatsache, daß Lipinski, der sich viel mit Fragen der Kulturpolitik beschäftigte und selbst einige Stücke für das Arbeitertheater schrieb, Preczangs „ I m Hinterhause" zweimal auflegte, läßt darauf schließen, daß das Drama, dem in der Öffentlichkeit des Kaiserreiches seine „Parteitendenz" heftig angekreidet worden war (vgl. dazu E . Preczang, Rückblick, Bin 1920), von Arbeitertheatervereinen gespielt wurde.

Emil Rosenow, Kater Lampe, Komödie in vier Akten Die Komödie wurde im August 1902 durch die Vermittlung eines Vorstandsmitglieds der „Freien Volksbühne" im Breslauer Sommertheater uraufgeführt. I m Herbst 1903 fanden 27 Aufführungen des „ K a t e r L a m p e " im Berliner Theater statt, danach übernahm das Berliner Lessingtheater das erfolgreiche Stück. Rezensionen über diese ersten Inszenierungen finden sich u. a. in der „Vossischen Zeitung", Nr. 361, Bln. 5. 8. 1902 und im „Vorwärts", Bln., 27. 9. 1903. In unseren Tagen hat die Inszenierung des Deutschen Fernsehfunks, die während der 60er Jahre mehrmals ins Programm aufgenommen wurde, dem „ K a t e r L a m p e " viele Freunde erworben. Von der Popularität der Komödie zeugt eine Übertragung ins mecklenburgische Platt, die

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unter dem Titel „De Dachhas" in mecklenburgischen Theatern gespielt wurde. Unser Text folgt der authentischen Fassung aus: Gesammelte Dramen von Emil Rosenow. Mit einer biographischen Einleitung von Dr. Christian Gaehde. Verlegt bei Hermann Essig, Berlin 1 9 1 2 . S. 237—316. Das Stück ist seitdem nicht wieder gedruckt worden. Die Schreibweise beider in diesen Band aufgenommenen Dramen ist behutsam modernisiert worden. Am Lautstand des Berliner Jargons bzw. des erzgebirgischen Dialekts ist nichts verändert worden. Der Dramensatz wurde rao dernen Gepflogenheiten angepaßt.

In der Reihe ,,Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland" ist bisher erschienen und noch lieferbar:

MANFRED HÄCKEL Gcdichte über Marx und Engels 1963. 82 Seiten — 3 Tafeln — Engl. Broschur 6 — M Bestell-Nr. 751 2636 (2iig/I) CACILIA F R I E D R I C H Minna K a u t s k y . A u s w a h l aus ihrem W e r k 1965. 168 Seiten — Engl. Broschur 19,50 M Bestell-Nr. 751 2804 (2119/IV) HANS UHLIG Rudolf Lavant. Gedichte 1965. 137 Seiten — Engl. Broschur 17,50 M Bestell-Nr. 751 284 7 (2119/VI) WOLFGANG FRIEDRICH August Otto-Walster. Leben und Werk Eine Auswahl mit unveröffentlichten Briefen an Karl Marx 1966. 257 Seiten — Engl. Broschur 19,50 M Bestell-Nr. 751 290 o (2119/VII) CACILIA FRIEDRICH A u s dem Schaffen f r ü h e r sozialistischer S c h r i f t s t e l l e r i n n e n 1966. 188 Seiten —Engl. Broschur 12,50 M Bestell-Nr. 751 189 5 (2119IVIII) HELGA HERTING E r n s t P r e c z a n g . A u s w a h l a u s seinem W e r k 1969. 216 Seiten — 1 Titelbild — Engl. Broschur 19,— M Bestell-Nr. 751 529 8 (2119IIX)

MANFRED HÄCKEL

Leopold Jakoby. Auswahl aus seinem Werk ìgyi. igo Seiten — 1 Titelbild — Engl. Broschur ig, — M Bestell-Nr. 751 797 1 (2119/X) GUSTAV SCHRÖDER

Frühes Leipziger Arbeitertheater, Friedrich Bosse 1972. 261 Seiten —1 Titelbild — Engl. Broschur 22,— M Bestell-Nr. 751 820 2 (2iigjXII)

J-973

erscheinen:

U R S U L A MÜNCHOW

Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I (1. Nachdruck der 1. Auflage) Etwa 248 Seiten —Engl. Broschur etwa 18,—M Bestell-Nr. 732077 5

(2iig/III)

U R S U L A MÜNCHOW

Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik II (1. Nachdruck der 1. Auflage) Etwa 232 Seiten — Engl. Broschur etwa 17,— M Bestell-Nr. 751 2839 (2iig/V) KLAUS VÖLKERLING

Max Kegel. Auswahl aus seinem Werk

Bestellungen durch eine Buchhandlung

AKADEMIE-VERLAG .

erbeten

BERLIN