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German Pages 234 [237] Year 1966
AUS DEN ANFÄNGEN DER SOZIALISTISCHEN DRAMATIK II
TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND Herausgegeben
von
P R O F E S S O R DR. BRUNO K A I S E R D R . M A N F R E D H Ä C K E L • D R . U R S U L A MÜNCHOW
Herwegh-Ausgabe der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
BAND V
AUS DEN ANFÄNGEN DER SOZIALISTISCHEN DRAMATIK II
Herausgegeben von
URSULA MÜNCHOW
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1965
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3 - 4 Copyright 1965 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/61/65 Gesamtherstellung: IV/2,/14 • V E B Werkdruck Gräfenbainichen «2372 Bestellnummer: 2119/V • E S 7 E • Preis: MDN 1 7 , -
INHALT
VII 1
Einleitung Ernst
Preczang
Töchter der Arbeit 55
Paul
Mehnert
Golgatha Soziales Drama aus dem Bergarbeiterleben in drei A u f z ü g e n und einem Vorspiel 137
Franz Starosson und Robert Tutenhusen Schauspiel in drei A k t e n
199
Biographien
203
Anmerkungen
Nespital
EINLEITUNG
Die Stücke dieses Bandes repräsentieren die Entwicklung des deutschen Arbeitertheaters zwischen 1898 und 1914. Sie entstanden in einer Zeit, in der sich im Zusammenhang mit der Herausbildung und Entfaltung des besonders aggressiven deutschen Imperialismus der Klassenkampf außerordentlich verschärfte. Auf der einen Seite wuchsen unter dem ökonomischen Druck der Unternehmer und den Schikanen der Staatsgewalt die revolutionären Bestrebungen des Proletariats nach sozialer Befreiung. Es ist kein Zufall, daß ein sehr großer Teil der aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Dramatik dieser Jahre, wie die in unserem Band getroffene Auswahl bestätigt, Streikdramen waren, Stücke, in denen das zentrale Lebensproblem der Arbeiterklasse agitatorisch demonstriert oder künstlerisch gestaltet wurde: die unerträgliche Verschlechterung der Lebensverhältnisse, die sich sowohl auf Einzelschicksale wie auch auf das Verhältnis der Menschen untereinander auswirkte, andererseits aber zum Anwachsen und Festigen der proletarischen Solidarität und zur Geburt neuer, sozialistischer zwischen menschlicher Beziehungen und Verhaltensweisen führte. Statistische Erhebungen weisen nach, daß in den acht Jahren bis zur Jahrhundertwende die Anzahl der Streiks auf das dreizehnfache stieg und die der sich daran beteiligenden Arbeiter auf das mehr als dreihundertdreißigfache (vgl. dazu F. Klein, Deutschland 1897/98 bis 1917, Berlin 1961, S. 72). Wegen der drückenden Ausbeutung der in der Montanindustrie Beschäftigten waren Bergarbeiterstreiks besonders häufig. Diesem Tatbestand entsprechend, bildet ein Ruhrbergarbeiterstreikdrama den Schwerpunkt unseres Bandes. VII
Die wirtschaftliche Konjunktur und die im Zusammenhang damit gesteigerte Nachfrage nach Arbeitskräften zwangen die Unternehmer, wie der unsern Band einleitende Einakter „Töchter der Arbeit" zeigt, ob sie wollten oder nicht, Forderungen der Arbeiter zu erfüllen. Zugleich aber verstärkten sie den Druck und taten alles, um die politische Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen. Ausweisungen von Arbeit er funktionären, Aussperrungen, Verrufserklärungen, Führen von „schwarzen Listen" u. a. waren alltägliche Zwangsmaßnahmen. Eins der wirksamsten Mittel zur Spaltung und Schwächung des Proletariats war der Revisionismus, der immer mehr Einfluß gewann und schließlich aus einer ehemals revolutionären Arbeiterpartei eine reformistische machte. Von Bedeutung sind in unserm Zusammenhang vor allem die verhängnisvollen Auswirkungen des Reformismus auf die Kulturpolitik der SPD, die in vielen Fällen ein schweres Hemmnis für die kontinuierliche Weiterentwicklung der positiven Ansätze der sozialistischen Literatur bildeten, ja, zum Teil sogar zu einer Rückentwicklung führten. Von den hunderten heute noch greifbaren Stücken dieser Zeit trägt der größte Teil den Stempel des Reformismus. Aber viele dieser Stücke enthalten noch Spuren sozialistischen Denkens, und daß die Arbeitertheaterbewegung vor dem ersten Weltkrieg nicht nur eine Rückentwicklung gegenüber der ersten Periode war, daß in einigen Fällen sogar eine deutliche Weiterentwicklung zu verzeichnen ist, beweisen die hier zusammengestellten Texte. Wir gehen in unserer Untersuchung bewußt von diesen weiterführenden Elementen aus und zwar in der Hauptsache auf Grund der Texte dieses Bandes. Doch da wir diese drei Stücke nicht von der Gesamtproduktion des frühen Arbeitertheaters dieser Zeit isolieren können, werden zum Vergleich und zur Vertiefung sowie zur stärkeren Verdeutlichung bestimmter Merkmale auch eine Reihe anderer Stücke herangezogen. Wie das Drama als Gattung des künstlerisch gestalteten gesellschaftlichen Konflikts sich oft besonders günstig im Dienste einer revolutionären Klasse entwickelt, das beweisen auch die ersten Anfänge einer sozialistischen VIII
Dramatik in Deutschland. Der Emanzipationskampf des Proletariats war ein fruchtbarer Boden für das Wachsen echter dramatischer Kunstformen. Werfen wir einen kurzen Blick zurück auf das Arbeitertheater der Jahre von 1869 bis 1897, dem der diesem Bande vorausgehende erste Auswahlband der frühen sozialistischen Dramatik gewidmet war! Ohne den Ausganspunkt läßt sich die Weiterentwicklung nicht fixieren. Im Gegensatz zur pseudoheroischen Dramatik der Gründerjahre entstand in der Arbeiterbewegung eine aus dem Leben des Volkes gegriffene, vom sozialistischen Standpunkt geschriebene und von Arbeitern gespielte Dramatik. Während die offizielle deutsche Dramatik der 70er und 80er Jahre die herkömmliche Form der klassischen Tragödie bevorzugte und aus Gründen der Selbstbestätigung überwiegend Stoffe aus der siegreichen altgermanischen und preußischen Geschichte brauchte, griff das Arbeitertheater zu aktuellen Stoffen aus dem modernen Klassenkampf. Entsprechend der optimistischen Haltung des aufstrebenden Proletariats bevorzugte es im Volkstümlichen wurzelnde komödienhafte Formen und die polemischen Möglichkeiten des Schwanks und der Posse. Während die Dramatik der Gründerzeit mit falschem Pathos dem klassischen Schiller nacheiferte, knüpfte das Arbeitertheater schöpferisch an den rebellierenden jungen Schiller an. Aus der Agitation der Arbeiterbildungs- und Parteivereine der SPD entwickelte sich eine operative dramatische Form, das kurze Lehrstück. A m Ende dieser ersten Periode der frühen sozialistischen Dramatik schuf der Leipziger Arbeiter Friedrich Bosse das mehraktige Streikdrama ,,Im Kampf", das in Inhalt und Form bereits ein Ubergang zur nächsten Periode ist. In welcher Beziehung bedeuten die seit der Jahrhundertwende geschriebenen Stücke eine Weiterentwicklung der frühen sozialistischen Dramatik? Das zahlenmäßige Anwachsen der SPD verbreiterte die Arbeitertheaterbewegung, rief eine Fülle von Autoren auf den Plan und führte zur Gründung mehrerer Arbeitertheaterverlage, die systematisch für ihre Stücke warben und sie zu billigen Preisen vertrieben. Diese quantitative Entwicklung des Stückeschreibens war nicht unbedingt IX
von Vorteil, wuchs sich sogar teilweise, wild betrieben und ohne planmäßige kulturpolitische Anleitung, qualitativ zum Nachteil aus. Wichtig war jedoch, daß unter den Verfassern im Gegensatz zur vorhergehenden Periode immer öfter Arbeiter waren, die eine neue Note in diese Dramatik brachten. In ihrer zum Teil noch unbeholfenen Schreibweise zeigte sich nicht selten eine ursprüngliche Kraft, Menschen von Fleisch und Blut, wie sie neben ihnen lebten und arbeiteten, auf die Bühne zu stellen. Die Farbskala der Stücke wurde bereichert. Wie Fritz Bürgers „Die Maibraut" entstanden Stücke, die direkt am Arbeitsplatz spielen. Die Lust am Theaterspielen wuchs, immer öfter trat an die Stelle des früher vorherrschenden kurzen Agitationsstückes ein abendfüllender Mehrakter. Damit wurden Möglichkeiten geschaffen, Charaktere sich entwickeln und bewähren zu lassen, die Handlung auszudehnen, ihren Ort zu wechseln und das Bühnenbild variabel zu gestalten. Schon in dieser Hinsicht kann man mit Recht von einer Weiterentwicklung des Arbeitertheaters sprechen. Die wichtigste Errungenschaft ist zweifellos die Gestaltung der neuen Beziehungen der Menschen untereinander, die für den Sieg des Sozialismus und eine bessere Zukunft der Menschheit kämpfen. Die künstlerische Bewältigung so zentraler Erlebnissphären wie das Anwachsen der politischen Massenstreiks und die Befreiung der Frau bereichert das Menschenbild im Arbeitertheater dieser 2. Periode. August Bebels epochemachendes Werk „Die Frau und der Sozialismus" mit seinem letzten Satz: „Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau" (50. Auflage, Berlin 1909) ist in gewissem Sinne programmatisch für die sozialistische Dramatik dieser Zeit. Neben den Arbeiter tritt die Arbeiterin, ja, sie wird in vielen Stücken zur Hauptfigur. Die einzelnen Werktätigen sind differenzierter gestaltet als in den frühen Agitationsstücken. Neben klassenbewußten, organisierten Arbeitern stehen unaufgeklärte, religiös gebundene oder kleinbürgerlich egoistische. Neben der aufrechten Arbeiterfrau und der kämpferischen Arbeiterin steht die kleinbürgerlich ängstliche oder die X
deklassierte. Auch die Gruppen der Organisierten, gemeinsam Handelnden setzen sich aus den verschiedensten Individualitäten zusammen. So stehen in Paul Baders Drama „Das Gesetz" innerhalb einer Parteigruppe neben dem reifen älteren Genossen und Mitglied des Zentralkomitees der junge, leidenschaftliche, draufgängerische und neben diesem andere von unverwechselbarer Eigenart. Die Gestaltung der Solidarität führt in den Stücken nach 1898 weder zu Gleichmacherei noch zu Heldenlosigkeit. Im Gegenteil, der proletarische Held gewinnt immer deutlichere Konturen in Gestalt des Arbeiters, der durch selbstlosen Einsatz und das Studium des wissenschaftlichen Sozialismus fähig wird, seine Genossen im Kampf zu führen, der im Bemühen, seine Aufgaben zu erfüllen, Konflikte in seinem persönlichen Leben bewältigen lernt und sich auch durch Fehlschläge, durch Gefängnishaft und Entlassung nicht im Glauben an den Sieg seiner Klasse beirren läßt. Diese Helden sind, wie u. a. die in diesem Bande zusammengefaßten Stücke zeigen, Glied eines Kollektivs und ohne dieses nicht zu denken. Sie sind nicht fehlerlos, dennoch prägen diese Gestalten, wenn auch noch unklar, das ästhetische Ideal der Arbeiterklasse auf dem damaligen Stand ihrer Entwicklung. Franz Baumann aus Baders „Gesetz" verkörpert den Kämpfer, der furchtlos sein Leben einsetzt. Karl Schlosser aus Mehnerts „Golgatha" den seelischen Reichtum des arbeitenden Menschen, der, aus tiefster sozialer Not emportauchend, von den „Frühlingsstürmen" des sich seiner Kraft bewußt werdenden Proletariats erfaßt, zum Klassenkämpfer wurde, ein moderner Prometheus, der eines Tages erkannte: „Nicht der Glaube an den alten Christengott konnte das arme zerknechtete Volk aus seinem Elend befreien, sondern nur die Macht und der Glaube an den völkerbefreienden Sozialismus." Solchen Helden ist ein gewisses Pathos eigen. Ihr leidenschaftlicher Wille zur Tat ist geboren aus dem neuen Wissen des Sozialisten von der Veränderbarkeit der Welt. Besonders eindrucksvoll ist auch die Gestaltung der neuen Beziehungen zwischen Mann und Frau im Kampf XI
um den Sozialismus. Im Gegensatz zu den frühen Agitationsstücken, in denen die Liebe eines Mädchens zu einem Sozialdemokraten mehr oder weniger programmatisch zur Erläuterung der These diente: „Sozialdemokraten sind bessere Menschen", wird das Liebesverhältnis zwischen dem Arbeiter und der Arbeiterin in den besten späteren Stücken konfliktreich gestaltet und sehr oft pathetisch überhöht. Die Konflikte ergeben sich meistens daraus, daß den Liebenden Trennung droht, weil der Geliebte politisch verfolgt, bespitzelt, eingesperrt oder ausgewiesen wird wie in Ewald Nebes „Gesicherte Existenz", Fritz Bürgers „Maibraut" oder Preczangs „Im Hinterhaus" oder dadurch, daß die Geliebte wie in „Golgatha" das Opfer einer Verführung wird. Das Pathos der proletarischen Liebe entwickelt sich aus ihrem Sieg über diese Lebensverhältnisse. In „Tutenhusen" entfaltet sich dieser Sieg zu einem wahren Triumph über die Widersacher. Stolz und glücklich über die eigene Kraft und Zuversicht, verläßt das Arbeiterpaar die Heimat, um woanders seinen Kampf für eine bessere Zukunft der Menschheit fortzusetzen. In einigen Fällen, so in Preczangs ,,Im Hinterhaus", vermag das Mädchen dem ausgewiesenen Geliebten nicht in die Fremde zu folgen, es sieht auch im Kampf um eine bessere Zukunft nur die Not und die Entbehrungen und Anstrengungen, die dieser mit sich bringen wird. Doch das ist selten, der Optimismus der Agitationsstücke der ersten Periode setzt sich auch in den konfliktreicheren Dramen nach der Jahrhundertwende durch. Die Gestaltung der neuen Beziehungen der Menschen, insbesondere des neuen Verhältnisses zwischen Mann und Frau, unterscheidet die Stücke des Arbeitertheaters von den bürgerlichen Dramen der Zeit, in denen ein Hauptgegenstand der Zerfall der bürgerlichen Familienund Liebesbeziehungen ist. Ringt dort eine Frau um ihre Freiheit, so erstrebt sie in erster Linie die Befreiung ihrer Persönlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper. Im sozialistischen Drama leiden Mann und Frau die gleiche materielle Not und sie finden und vereinen sich im gemeinsamen Kampf um eine bessere XII
Gesellschaftsordnung. Dadurch wird die Liebe der Geschlechter gleichsam auf eine höhere Ebene gehoben, und daraus erklärt sich auch in der Hauptsache die pathetisch überhöhte Ausdrucksweise im Liebesgespräch, die sich auffällig von der sonstigen Diktion abhebt. Der Leser von heute neigt vielleicht fürs erste dazu, die Sprache der Liebenden in „Golgatha" und „Tutenhusen" als unreal zu bezeichnen. Doch geht es hier nicht darum, ob sich ein Gespräch in dieser Form hätte abspielen können, sondern was damit zum Ausdruck gebracht werden sollte. Die echten, tiefen, in gemeinsamen Kämpfen geläuterten Liebesbeziehungen konnten unmöglich „naturgetreu" wiedergegeben werden, weil nichts Alltägliches künstlerisch umzuformen war, sondern et\Vas Neues, sich Entwickelndes, dessen sich die Beteiligten vielleicht noch gar nicht einmal in jedem Fall bewußt waren: die Herausbildung einer höheren, sozialistischen Ethik und Moral. Das Thema des verführten Mädchens, das im bürgerlichen Drama viel verwandt wurde, spielt auch in den Mehraktern der zweiten Entwicklungsperiode des frühen Arbeitertheaters eine wichtige Rolle. In einigen Stücken löst das Elend eines solchen Mädchens im Zuge einer Streikaktion eine Solidaritätserklärung der Arbeitskollegen aus. Selbst wenn die Ereignisse tragisch ausgehen wie in Preczangs „Töchter der Arbeit", so steht am Ende doch die Zuversicht, daß die vereinte Kraft der Arbeiterklasse siegen und die Verhältnisse verändern wird, die solche Schicksale hervorbringen. Im bürgerlichen Drama konnte die verlorene Ehre in der Regel nur durch den Tod wiederhergestellt werden. Im frühen sozialistischen Drama wird das Einzelschicksal kollektiv betrachtet und der Konflikt gelöst im Rahmen des Kampfes um die Aufrichtung einer neuen Gesellschaftsordnung. In Mehnerts „Golgatha" wird die unglückliche Martha vor dem Selbstmord bewahrt, Karl verzeiht ihr und eröffnet ihr einen neuen Lebensinhalt in den Reihen des kämpferischen Proletariats. Auch in „Im Hinterhaus" nimmt der politisch geschulte Arbeiter dem geliebten Mädchen gegenüber diese positive Haltung ein. Solche Entscheidung wird niemals mechanisch XIII
getroffen, die Helden ringen sich nach inneren Kämpfen zu dieser wahrhaft menschlichen Betrachtungsweise durch. Das berühmte „Darüber kommt kein Mann hinweg" aus Hebbels „Maria Magdalena" gibt es im sozialistischen Drama nicht. Der proletarische Ehrbegriff ist abhängig vom Klassenstandpunkt und von der Zielsetzung des Klassenkampfes. In einer spannungsgeladenen Liebesszene zwischen Martha und Karl in „Golgatha", kurz bevor Karl erfährt, daß Martha ein Kind vom Sohne des Kommerzienrates erwartet, ist von Sudermanns Schauspiel „Die Ehre" die Rede. Franz Mehring schrieb in seiner Rezension über Sudermanns Stück, daß die in diesem Drama behandelten verschiedenen Arten von Ehre längst überholt und überlebt seien durch die Ehre 'des kämpfenden Proletariats, das die Interessen der Menschheit über die Sonderinteressen gesellschaftlicher Kreise und Schichten stellt. Er urteilt über die verkrampfte Scheinlösung in diesem Drama: „Es liegt in der Natur der Dinge, daß bürgerliche Dichter sich in das Wolkenland der Romantik flüchten müssen, um soziale Konflikte dramatisch zu lösen, die sich auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft in Wirklichkeit nicht lösen lassen." Daß solche Probleme wie das des „gefallenen Mädchens" auf dem Boden der spätbürgerlichen Gesellschaft nicht wirklich gelöst werden können, zeigen selbst die künstlerisch hochstehenden, von Mitleid und tiefer Menschenliebe diktierten Dramen Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd" und „Dorothea Angermann". In „Rose Bernd" sind die ersehnten neuen menschlichen Beziehungen noch dunkel angedeutet in den Worten Keils: „Rosla, steh uff, ich verluß' dich ni!" und „Das Mädel . . . was muß die gelitten han!" Im späteren Stück ist die Anklage gegen die Menschenfeindlichkeit der bürgerlichen Welt jedoch ohne Hoffnung auf Veränderung. In „Golgatha" wird ganz klar unterschieden zwischen der Geldsackehre des Bourgeois, dem engstirnigen und überholten Ehrbegriff des Kleinbürgers, dem es nur um die Aufrechterhaltung seiner individuellen Reputation geht, und dem sozialistischen Ehrgefühl, das identisch XIV
ist mit dem Bestreben, über jedes selbstische Interesse hinauszugelangen, sich für die Menschen an seiner Seite verantwortlich zu fühlen und darüber hinaus für die ganze Menschheit. Karl Schlosser spricht zu Martha: „Nicht du trägst die Schuld an deinem Unglück, — du armes Herz wirst nicht anders gekonnt haben. Nein, ich und wir alle haben es zu verantworten, daß es mit dir so gekommen ist. Wir hätten diesen Wüstlingen schon früher das Handwerk legen sollen. — Du sollst wieder glücklich werden. — Dein Kind ist mein Kind." Und:, ,Die ganze Welt und mit ihr das ganze Volk kann nur durch die Werbekraft des Sozialismus erlöst werden." Diesem festen Glauben an eine bessere Zukunft steht in „Golgatha" und in „Tutenhusen" die bürgerliche Perspektivelosigkeit gegenüber. Nachdem am Ende des 2. Aktes als Antwort auf die Entlassung von Schlosser und Maier der Bergarbeiterstreik ausbricht, bleibt Kommerzienrat Reichelt bedrückt zurück. Hinter der Szene hört man das Lied: Wer schafft das Gold zutage? Wer hämmert Erz und Stein? Reichelt geht ans Fenster, sieht dem Demonstrationszug der Streikenden zu und stammelt: „Sie gehen alle. — Woher aber dieses plötzliche Aufbäumen? Und dieses Lied — dieser Ton . . . oh, könnte ich doch diesen Ton . . . Was ist es nur, was die Menschen so packt? — Die Entlassung der beiden ist es nicht. Nein, nein, das ist — Das ist ein fester Glaube an ihre Weltanschauung." Die bäuerlichen Aktionäre in „Tutenhusen", die keine anderen Ideale haben als die Vermehrung ihres Aktienkapitals, ziehen hilflos gegenüber der enthusiastischen Entschlossenheit der Arbeiter ab. Die lyrisch-pathetischen Worte Franks und Margrets am Schlüsse des mecklenburgischen Stückes: „Nun gehen wir selbander hinaus. Dem Morgenrot entgegen . . . Zur Höhe zum Licht — bis einst wird kommen der Tag — das große, reine Glück für alle Menschen", entsprechen in ihrem Ideengehalt den thesenhaften Schlußworten Karl Schlossers im Bergarbeiterdrama: „So sei es denn; ziehen wir vereint in den Kampf gegen die Unterdrückung unsrer ArbeitsXV
brüder und Arbeitsschwestern, bis das große Werk der Befreiung unsrer Schwestern und Brüder aus den schmachvollen Fesseln des Kapitalismus vollendet ist." Noch auf ein anderes wichtiges Merkmal der frühen sozialistischen Mehrakter, die sie von den Agitationsstücken der ersten Periode des Arbeitertheaters unterscheiden, möchten wir hinweisen. Karl Schlosser ist der dramatische Held in einer Situation, in der das höchst Erreichbare im Klassenkampf ein noch kompromißbeladenes Teilergebnis ist, während der endgültige Sieg des Proletariats erst am Horizont winkt. Es geht in allen bisher genannten Stücken nicht einzig und allein um das große strahlende Ziel, das in „Golgatha" ganz allgemein als Vollendung der Befreiung von den Fesseln des Kapitalismus und als der Tag des Glücks für alle Menschen bezeichnet wird. Es geht auch um den im Golgathamotiv versinnbildlichten, immer wieder leidgekrönten Kampf, der einmal die Erlösung von Ausbeutung und sozialer Not bringen wird. Deshalb hat das Charakterbild der von uns für die Periode von 1898—1914 herausgestellten Stücke tragische Züge. Das Wissen, daß noch viele Opfer gebracht werden müssen, ja, daß man bereit sein muß, unter Umständen sein Leben für die gute Sache einzusetzen, das Bewußtsein des Leidenmüssens ist jedoch nicht permanent, es wird überstrahlt von dem unerschütterlichen Glauben an die gewisse Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Der Golgathagedanke spielt auch in Leopold Kampfs Dreiakter „Am Vorabend", der die russische Revolution von 1905 behandelt, eine wichtige Rolle. Das Stück erregte wegen seines Gegenstandes großes Aufsehen und wurde bereits 1906 neu aufgelegt. In Mehnerts Drama wird auf die erste rassische Revolution nicht direkt Bezug genommen. Da wir bisher zu wenig über den Autor und die Entstehung des Ruhrbergarbeiterstreikdramas wissen, kann auch nicht gesagt werden, ob ihm Kampfs „den russischen Revolutionären, den stillen Helden" gewidmetes Drama bekannt war. Wir wollen dieses Stück auch nicht unbedingt preisen, obwohl es nach polizeilichen Verboten in Volksbühnenvereinen ganz Deutschlands aufgeführt und von der XVI
Arbeiterpresse stark beachtet wurde. Es legt jedoch Zeugnis davon ab, wie naheliegend die Verwendung des Golgathamotivs damals war. Zwei russische Revolutionäre, Anton und Wasyl, sprechen im 1. A k t über die Schwere des illegalen Kampfes. A : Unser Streben, unser Ideal geht doch nicht zugrunde mit dem letzten Atemzuge, den die Henkershand aus unsrer Brust herauspreßt — geht nicht zu Grunde, wenn das Kerkertor hinter uns zufällt. Unsere Fahne erhält im Kampfe immer neue Nachfolger. W. (wehmütig): Immer neue Brüder besteigen auch das Golgatha vergebens — A : Aber der Gedanke an diese Märtyrer, Waska, erweckt neue Kampfeskraft — bis ihre Träume zur Wirklichkeit werden — W. (bitter): Ja, Träume, bloß Träume, wir werden vergehen, ohne den Anbruch des ersehnten Tages zu schauen. — A : Aber über unsere Leichen hinweg schreiten die sieghaften Nachfolger. Und unsere Leiden sind die Brücke zu einer besseren Zukunft. Der alte Helmuth in „Töchter der Arbeit" verliert sein Liebstes, darum ist seine Entschlossenheit, den Klassenkampf bis zum äußersten weiterzuführen, von Trauer begleitet. Die Schwermut Karl Schlossers resultiert aus den Leiden seiner Kindheit und aus der ihm täglich gegenwärtigen großen sozialen Not der Bergarbeiter. Die Befürchtung, Martha verloren zu haben, belastet ihn schwer, ohne daß er deshalb in seiner politischen Arbeit erlahmt. Von dem Wissen um das soziale Elend in der Welt ist der junge Brokmann in „Tutenhusen" ganz niedergedrückt, er findet erst Lebens- und Kampfesmut durch das Erlebnis der proletarischen Solidarität. Die Tränen des alten Brokmann, als seine Kinder und sein Schwiegersohn hinausziehen, um ihr Leben dem Kampf um eine bessere Gesellschaftsordnung zu weihen, sind nicht nur Freudentränen, sie sind vermischt mit der Trauer, allein zurückbleiben zu müssen. Ähnliches läßt sich über die Hauptgestalten von Bürgers „Mai2
Münchow, Dramatik II
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braut", Preczangs „Im Hinterhaus" oder Baders „Gesetz" aussagen. Auch das sieghafte Pathos der proletarischen Liebespaare ist ein Ergebnis der Überwindung des Leidens durch die Kraft der proletarischen Weltanschauung und den damit verbundenen Einblick in die historische Gesetzmäßigkeit. Das Schicksal des Arbeiterehepaares in „Tutenhusen" wird aufgehellt durch die Nähe des Stückes zur Komödie, die dadurch entsteht, daß die Arbeiter über die mit Witz und Satire gezeichnete Dummheit der Großbauern triumphieren. Auch Preczang hat Milieu und Geisteshaltung im Hause des Fabrikanten Harland mit satirischen Mitteln gestaltet. Die protzige Selbstzufriedenheit dieser Typen zu Beginn des Stückes bildet den Kontrast zum Heranreifen des Streiks sowie zu ihrer eignen Hilflosigkeit und Wut beim Ausbruch des Streiks. Diese satirischen und komödischen Züge der Streikdramen erhalten die Verbindung zu den Schwänken, Possen und einaktigen Lustspielen der ersten Periode der frühen sozialistischen Dramatik aufrecht. Darüber hinaus ist nach der Jahrhundertwende mit Emil Rosenows „Kater Lampe" (1906) die erste große deutsche Komödie auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung entstanden. Auf das bedeutende Schaffen Rosenows wird in einem anderen Bande unserer Schriftenreihe eingegangen werden. Es ist kein Zufall, daß nach dem großen Ruhrbergarbeiterstreik von 1905, der ein Echo in ganz Deutschland und Europa fand, und unter dem Eindruck der russischen Revolution auf bürgerlichen Bühnen Streikdramen aufgeführt wurden, die den Interessen der Arbeiterklasse scheinbar entgegenkamen, deren wahrer Zweck es aber war, den Klassenkampf zu unterdrücken und Verwirrung unter den Werktätigen zu stiften. Ein Exkurs zu einigen dieser Stücke wird die Vorzüge von „Golgatha" noch unterstreichen. Schon 1906 erschien in der Theaterbuchhandlung von Kühling und Güttner, Berlin, ein soziales Drama in vier Akten von Maximilian Böttcher, „Schlagende Wetter". Es behandelt einen Bergarbeiterstreik, an dem sich 300000 Mann beteiligten, das sogenannte Wagennullen XVIII
und andere aktuelle Probleme des Ruhrbergarbeiterstreiks. Die Hauptgestalt dieses „Streikdramas" steht Charakteren wie Fred Maier und Karl Schlosser diametral entgegen. Es ist ein junger Pfarrer, Sohn eines Bergmanns, der auf Kosten des Zechenherrn studiert hat. Als Studierter, der ein Herz für das soziale Elend hegt, aber ostentativ gegen die SPD eingestellt ist, sieht er es als seine Pflicht an, zwischen den Streikenden und dem Zechenherrn zu vermitteln, „Denn Gott und kein anderer bestimmt den Tag, an dem Gericht gehalten wird über Himmel und Erde." Der Erfolg seiner Vermittlung ist, daß einige Forderungen der Bergleute erfüllt werden, bevor der Generalstreik ausgerufen wird. Als er daraufhin von der Kirchenbehörde entlassen wird, verläßt er trotz der Bitten der Arbeiter die Heimat und geht hinaus in die Welt, um „fern vom Kleinkram alltäglichen Parteihaders" die größte Gemeinde zu suchen, die Menschheit, bis die Nächstenliebe „wie ein Meer von Licht und Glanz allen dunklen Haß überflutet!" Es gab damals eine große Anzahl von Stücken, die im Zusammenhang mit einem Streik das Thema des „roten Pfarrers" behandelten. Sie kamen den Zeittendenzen entgegen, ohne an den Fesseln der kapitalistischen Ordnung zu rütteln. Ein Beispiel dieser Art ist „Der rote Pfarrer" (1907) von Kurt Berns. Dieses Drama spielt in den amerikanischen Kohlenfeldern und propagiert einen regelrechten Frieden zwischen Kapital und Arbeit. Der „Arbeiterführer", ein Pfarrerssohn, vermittelt zwischen Zechenherrn und Streikenden mit dem Ergebnis: der Bergwerksbesitzer soll hinfort die Arbeiter achten und würdigen, die Arbeiter ihrerseits müssen dafür Macht und Wichtigkeit des Kapitals anerkennen und ihre ganze Kraft auf den parlamentarischen Kampf lenken. Dieses Stück könnte von einem rechten Sozialdemokraten verfaßt sein, es entspricht jedenfalls ganz der Politik, die 1914 zur Bewilligung der Kriegskredite geführt hat und zum Frieden zwischen Kapital und Arbeit in der Weimarer Republik. Daß solche ähnlichen Stücke unter dem Einfluß des Revisionismus auch für das Arbeitertheater geschrieben wurden, beweist „ K a pital und Arbeit" von Heinrich Werner, ein unsagbar 2»
XIX
triviales „Streikdrama", in dem Streikleiter und Grubenbesitzer ums Leben kommen und deren Kinder dann über Kreuz heiraten unter der Devise: „Wir wollen gemeinsam das große Unternehmen leiten und stets dessen eingedenk bleiben, daß nur Arbeit das Kapital schafft. Kapital und Arbeit sei verschmolzen!" Eine andere versöhnlerische Version dieser Art von Streikdramen vertreten Hugo Bails fünf aktige Tragödie „Der Streik" (1908) und das 1912 in Elberfeld aufgeführte vieraktige Bergarbeiterstreikdrama „Tiefen" von Benjamin Corda, die zu dem Ergebnis kommen, daß es zwar hartherzige Unternehmer gibt, die an der sozialen Not Schuld sind, daß es aber zum Vergleich unter den Arbeitern auch Lumpen gibt. Zwischen diesen opportunistischen Machwerken und den Streikdramen unseres Bandes stehen Stücke wie das 1908 im Schillertheater, Berlin uraufgeführte Schauspiel „Der rote Leutnant". Sein Autor ist ein nach der Aussage noch heute lebender Zeugen als aufrechter Sozialist bekannter Gymnasialdirektor Eduard Goldbeck. Hier wird in einer psychologisch spannungsgeladenen Handlung gestaltet, wie sich ein junger Offizier, um nicht zum Verbrecher zu werden, auf die Seite der streikenden Arbeiter stellt, die er eigentlich mit seinen Soldaten umzingeln sollte, und wie er deshalb dem militärischen Strafgericht verfällt. In Goldbecks Schauspiel wird zumindestens der Klassenkampf nicht verkleistert, der Vater verstößt den Sohn, die Kaste urteilt ihn ab, die herrschende Klasse scheidet ihre mit dem Proletariat sympathisierenden Söhne aus ihren Reihen aus. Das war zweifellos nicht der Grund, warum das Stück vom bürgerlichen Publikum akzeptiert wurde. Dazu mag vielmehr eine gewisse Sympathie für die Gestalt des revoltierenden Leutnants beigetragen haben. Wenn man jedoch den Zusammenstoß des Sergeanten und seiner Soldaten mit den Bergarbeitern in „Golgatha" mit dem Parteiergreifen des roten Leutnants vergleicht, wird klar, daß die Gestaltung Goldbecks dem bürgerlichen Publikum mehr psychologisch interessant als umstürzlerisch erscheinen mußte. Die Szene in „Golgatha", wo sich Arbeiter und Soldaten XX
unmittelbar gegenüberstehen, ist trotz aller Naivität voll echter Dynamik. Beide Parteien erkennen in einer Art Vorausahnung des künftigen Volksheeres und seiner Funktion in der sozialistischen Gesellschaft, daß sie nicht auf entgegengesetzten Fronten stehen dürfen. Beim roten Leutnant handelt es sich dagegen nur um eine rein individuelle Entscheidung, die befördert wird durch die Liebe des Leutnants zu einer verarmten Jugendfreundin, die aus Opposition gegen ihr Schicksal Sozialdemokratin geworden ist. Die Summierung intellektueller Entscheidungen im „Roten Leutnant" bleibt blaß neben den Entscheidungen der klassenbewußten Arbeiter und Arbeiterinnen in „Töchter der Arbeit", „Golgatha" und „Tutenhusen" und wurde deshalb nicht als Kampfansage gegen die bürgerliche Klasse aufgefaßt. Das Milieu der Stücke unseres Bandes entspricht der Umwelt seines Publikums, der werktätigen Menschen in Stadt und Land, die an der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung interessiert sind. Die handelnden Personen werden in Beziehung zu ihrer Arbeit und den Arbeitsbedingungen, in ihrem Verhältnis zum Arbeitsgeber, zu Arbeitskollegen und Angehörigen gezeigt. Im Hintergrund steht die Kraft der organisierten Arbeiterpartei, deren Vertreter die Hauptgestalten dieser Stücke sind. Um auf das Publikum zu wirken, es zu interessieren und zu aktivieren, werden die verschiedensten Mittel verwandt. Die Nähe zum Volksstück ist deutlich, ebenso aber auch, wo es den Klassengegner lächerlich zu machen gilt, die zur klassischen Komödie. Die dem Alltagsleben abgelauschte Ausdrucksweise der dramatischen Personen verweist auf den Naturalismus. Die nicht vom Revisionismus beeinflußten Arbeiter beanstandeten zwar mit Recht, wie z. B. aus der Naturalismusdebatte der SPD im Jahre 1896 oder auch aus Friedrich Bosses Agitationsstück „Die Arbeiter und die Kunst" (1897) hervorging, die bloße Elendsmalerei und die einseitige Vorliebe für die Gestaltung pathologischer Bereiche des menschlichen Wesens. Sie erkannten den Naturalismus nicht als die neue Kunst an, weil er zwar das soziale Elend einbezog, aber den EmanzipationsXXI
kämpf des Proletariats ignorierte. Die klassenbewußten Arbeiter forderten schon damals auch für das Theater Werke, die ethische und gesellschaftliche Ideale verfochten. Darüberhinaus übten aber zweifellos die positiven Errungenschaften des Naturalismus wie die detaillierte Erfassung des Alltagslebens und die feine psychologische Nuancierung in der Menschengestaltung ihren Einfluß auf die schreibenden Arbeiter aus. Auch der starke Eindruck, den Hauptmanns „Weber" und sein „Biberpelz" hinterlassen haben, ist nicht zu übersehen. Der Veteran Kienapp und die Witwe Nevermann aus „Tutenhusen", der alte Markert und die Nachbarin mit dem kranken Kind in „Golgatha" sind naturalistische, der Handlung aufgesetzte Alltagsimpressionen, deren Bedeutung in der Hauptsache darin beruht, bestimmte soziale Zustände zu veranschaulichen. Der junge, übersensible Hans Brokmann aus „Tutenhusen" ist vor seiner Wandlung in all seiner Melancholie und Kraftlosigkeit ein Bruder dramatischer Gestalten von Ibsen oder Hauptmann. Die langen Berichte und Bekenntnisreden Fred und Martha Maiers, Karl und Klara Schlossers in „Golgatha" verleihen dem Stück epische Züge, die aus dem didaktischen und agitatorischen Anliegen des Stückes erwachsen sind, die es in ihrer Funktion aber mit aller Dramatik gemeinsam hat. Kurze, fragmentarische Redewendungen, nicht beendete Sätze innerhalb eines Dialogs oder die gestammelte Rede, Stilmittel wie sie besonders in „Golgatha" und „Tutenhusen" verwandt werden, haben diese Stücke mit naturalistischen gemeinsam. Aber diese eruptive, abgerissene, gelegentlich nur Gedankenfetzen wiedergebende Sprechweise findet sich schon im Zeitstück des Sturm und Drangs und beim jungen Schiller. Eine Verwandtschaft mit Schillers „Kabale und Liebe" ist in „Töchter der Arbeit" und „Golgatha" evident. Die Auseinandersetzungen des Proletariats mit der Bourgeoisie entspricht dem Zusammenstoß des jungen Bürgertums mit dem verrotteten Adel des 18. Jahrhunderts. Der Bürger setzte sich im höfischen Bereich XXII
zur Wehr, der Arbeiter im Produktionsbereich. An die Stelle des Fürstenhofes ist die Fabrik bzw. das Fabrikkontor getreten. Die Rolle des tyrannischen Fürsten hat der Fabrikant oder der Zechenherr übernommen, die des Wüstlings und Verführers dessen Sohn. Der höfische Intrigant und liebedienerische Berater des Fürsten begegnet uns wieder in der Gestalt des Renegaten, der als Geschäftsführer und Spitzel neben dem Fabrikanten wirkt. Der die fortschrittliche Klasse repräsentierende Gegenspieler ist in den proletarischen Stücken der selbstbewußte, erfahrene ältere Arbeiter, der junge geschulte Arbeiterfunktionär oder gar die weibliche Vertrauensperson einer Fabrik. Gemeinsam ist die unmittelbare Ausrichtung der Stücke auf das Publikum, das Theater beider Zeiten wollte Tribüne und „Erziehungsanstalt" sein. Im bürgerlichen Drama ging es um die Freiheit des Individuums vor Fürstenwillkür, im sozialistischen wird das Einzelschicksal kollektiv betrachtet, geht es um die Freiheit der Klasse. Die konfliktreichen Situationen in „Golgatha" sind nicht immer künstlerisch gemeistert und zeigen an einigen Stellen zu vordergründige Effekte. Andere wiederum erinnern ein wenig an die Moritatengeschichten wandernder Schausteller und Bänkelsänger, so die Szene mit der Ermordung des Kommerzienrats durch den alten Markert oder die andere, in der der Sohn das Gewehr auf den Vater anlegen läßt, dann aber vom Gefühl überwältigt vor ihm auf die Knie stürzt, und schließlich die Darstellung des Selbstmordversuches von Martha, die, als sie schon den Strick in der Hand hat, mit dem sie sich an der Brücke aufhängen wollte, im letzten Augenblick von Karl Schlosser gerettet wird. Diese Stellen sollten wohl mit ihrer primitiv balladesken Form besonders publikumswirksam sein. Doch geht aus dem Stück hervor, daß es dem Autor nicht nur um die schokierende Sensation ging. Die Mordtat des alten Markert wird noch innerhalb des Stückes als der Arbeiterbewegung schädlicher Terrorismus bezeichnet und verurteilt, und in den beiden anderen Fällen liegt der sittliche Kern gerade darin, daß die Mordtat verhindert wird. XXIII
Klassenbewußte Arbeiter sind ein strenges Theaterpublikum, sie lassen sich nichts vorspielen, was im historischen Sinne unwahr ist. Indem ihr Autor Paul Mehnert den Ruhrbergarbeiterstreik von 1905 parteilich gestaltet, erfüllt er Forderungen der klassischen Dramaturgie. Marx und Engels forderten in der Auseinandersetzung mit Lassalles Sickingendrama die Notwendigkeit der Übereinstimmung des zentralen dramatischen Konflikts mit den Widersprüchen der konkreten historischen Situation und davon ausgehend die Einheit von zentralem Konflikt und dramatischen Charakteren. Der stücktragende zentrale Konflikt zwischen Kapital und Arbeit wird in „Golgatha" historisch richtig vom Zechenherrn als Vertreter der Bourgeoisie und von den im Streik organisierten Bergarbeitern ausgetragen. Kommerzienrat Reichelt und sein Sohn stehen den politisch geschulten Bergleuten Schlosser und Maier gegenüber. Ihr persönlicher Konflikt entspricht dem historischen. Das Drama fände nicht statt oder würde seinen Sinn verkehren, wenn Fred Maier und Karl Schlosser sich vom Zechenherm kaufen ließen oder wenn aus Karl und Martha ein Paar würde, nachdem das Mädchen von ihrem Verführer eine hohe Abfindungssumme angenommen hat. Engels berührte in der Sickingendebatte die Forderung der typischen Repräsentation der dramatischen Personen und die nicht minder wichtige der Verschmelzung des historischen Inhalts mit Shakespearescher Lebendigkeit der Handlung, was Hegel die „Totalität der Bewegung" nannte. Ist der Arbeiter Karl Schlosser wirklich der repräsentative Charakter, der der revolutionären Situation des Ruhrbergarbeiterstreiks des Jahres 1905 entspricht? Er ist keine zentrale Führergestalt wie Sickingen oder Florian Geyer, solche Persönlichkeiten gab es im Ruhrbergarbeiterstreik auch nicht, er wurde entfacht von der Masse der klassenbewußten Arbeiter und ihrer Organisatoren. Schlosser steht für einen dieser namenlos in die Geschichte eingegangenen Parteiführer. Er vertritt den geschulten revolutionären Arbeiter, der dem Kapitalismus gegenüber unbestechlich und unversöhnlich ist, das sind seine im dramaturgischen XXIV
Sinne repräsentativen Eigenschaften, seine individuellen sind Gefühlsstärke, Selbstlosigkeit und Willenskraft. Der Autor von „Golgatha" hat kein historisches Drama schreiben wollen, sonst hätte er den Streik, der durch den Verrat der Gewerkschaftsführer in Wirklichkeit negativ ausging, anders schildern müssen. An dieser historischen Treue lag ihm offenbar nichts, nur die Namen der opportunistischen Gewerkschaftsführer haben Eingang in das Drama gefunden. „Golgatha" endet mit einem Sieg der Arbeiter, ähnlich wie in Hauptmanns „Webern" wird hier ein Teilsieg zum Endsieg erhoben und damit der historischen Perspektive entsprochen. Es kam Mehnert darauf an, die Kräfte zu zeigen, die den Streik entfacht hatten, der kein rein ökonomischer Streik war, sondern dadurch, daß sich die Ausgebeuteten gegen das System der Ausbeutung auflehnten, politischen Charakter erhalten hatte. Karl Liebknecht konnte im Februar 1905 den gewaltigen moralischen Erfolg dieses Streikes für die gesamte Arbeiterklasse rühmen. Diesen moralischen Sieg hat Mehnert in „Golgatha" historisch echt gestaltet. Wenn wir unsere Stücke daraufhin untersuchen, wieweit sie der von Engels gewünschten Lebendigkeit und Fülle der Handlung entsprechen, so kommt wiederum „Golgatha" diesem Bilde am nächsten. Die gesellschaftlichgeschichtliche Totalität zeigt sich im Ruhrbergarbeiterdrama einmal darin, daß der zentrale Konflikt durch wesentliche Nebenkonflikte ergänzt wird. So z. B. durch den persönlichen Konflikt zwischen Karl und den Reic h e l s wegen Martha, durch den Konflikt zwischen Martha und ihrem Verführer, durch den Zusammenstoß Fred Maiers mit den Reichelts wegen seiner sozialistischen Gesinnung, durch die Auseinandersetzung Freds mit seinem Vater, der sich als Parteigänger des Zechenherrn entpuppt, durch den Zusammenstoß des alten Markert mit Reichelt und schließlich den des alten Bergarbeiters Kunert mit seinem Sohn, der als Sergeant auf Veranlassung des Zechenherrn gegen die Bergleute anrückt. Alle diese Zusammenstöße veranschaulichen die verschiedenen Formen der kapitalistischen Ausbeutung und machen den zentralen Konflikt erst überzeugend. XXV
Ferner werden durch eine Fülle von Gestalten und Ereignissen die verschiedensten brennenden sozialen Probleme beleuchtet: das gleißende Elend der Verkäuferinnen, die Frauenfrage, das Entstehen einer Arbeiteraristokratie, das Vorhandensein einer ständigen industriellen Reservearmee, das Spitzelunwesen zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, die unzureichende Kranken- und Altersversicherung der Arbeiter, die unzureichenden Lohnverhältnisse und die zeitliche Überbeanspruchung der Kumpel. Auf der anderen Seite zeigt der Autor das berechtigte Bildungsstreben der Arbeiter, die Rolle der sozialdemokratischen Partei im Kampf gegen die Unternehmer, die proletarische Solidarität über die Ländergrenzen hinweg, die Rolle des Heeres in einer revolutionären Situation. Die Fülle der Gestalten und Konflikte, das sozialistische Bekenntnis sowie die Gestaltung der neuen Beziehungen zwischen den Menschen machen das Stück interessant. Daß diese Fülle im einzelnen vom Autor nicht immer künstlerisch bewältigt oder daß manchmal eine reißerische Wirkung erzeugt wurde, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. Es kam uns vor allem darauf an nachzuweisen, daß dieses Stück, dessen Verfasser sicherlich Arbeiter gewesen ist, sowohl im Ideengehalt als auch in der Komposition wesentliche Merkmale einer auf den fortschrittlichen Traditionen aufbauenden neuen sozialistischen Dramatik enthält. In diesem Sinne können die Stücke unseres Bandes neben einigen anderen, die unter schweren ökonomischen Verhältnissen und unter den ungünstigsten Bedingungen entstanden, als Vorfahren unserer sozialistischen Gegenwartsstücke bezeichnet werden.
XXVI
TÖCHTER DER ARBEIT DRAMA IN E I N E M
von Ernst
AUFZUGE
Preczang
PERSONEN
Felix Harland, Fabrikbesitzer Eugenie, seine Frau Erich, beider Sohn Kardollehn, Geschäftsführer bei Harland Helene Mischke
.
Marie Hellmuth I Arbeiterinnen in der Anna | Harlandschen Fabrik Klara ) Hellmuth, Arbeiter bei Harland
Szenenbild Einfach, aber elegant ausgestattetes Arbeitszimmer des Fabrikbesitzers Harland. Vorn rechts ein Schreibtisch mit dazugehörigen Utensilien, Briefschaften, links ein runder Tisch mit einigen Büpbern, Nippsachen, an der Wand dahinter ein Sofa. Teppiche, einige Sessel. — Drei Türen: links zur Privatwohnung, rechts zum Kontor des Geschäftsführers, in der hinteren Wand Ausgang zum tiefer liegenden Fabrikhof. — Ein Fenster hinten links mit Aussicht auf die Fabrik.
Erster A u f t r i t t Harland.
Eugenie.
HARLAND sitzt vor dem Schreibtisch geöffneten Briefen:
und blättert in eben
Aufträge — Aufträge — Aufträge! Lacht auf, darauf.
legt die Briefe
zusammen
und schlägt heftig
EUGENIE auf dem Sofa sitzend und lesend, fährt erschrocken empor: A b e r F e l i x ! Bedenke — meine Nerven. HARLAND belustigt, steht auf: Nerven hin, Nerven her! D o r t auf den Tisch zeigend liegt eine Million. H ä ? EUGENIE:
W a s ? Eine — 3
HARLAND:
Million — ja! Das wirkt beruhigend, nicht? EUGENIE :
Was du aber auch für Glück hast. HARLAND
geärgert:
Glück! Glück! — Na j a ! — Aber was ist denn Glück? Ich s e l b s t bin mein Glück oder meinst du — ? EUGENIE :
Natürlich, natürlich! dein Geschick, dein Fleiß, deine Umsicht; deine Energie nicht zu vergessen. Wunderbar, daß dein Vorgänger zu nichts kommen konnte. H A R L A N D lacht
verächtlich:
Der? Dummkopf gewesen, der ganze Kerl! Konkurrenz, Konkurrenz — da könnt' er nicht mit. — Außerdem: „humane" Anwandlungen und dergleichen Verrücktheiten. EUGENIE :
Aber Felix! Etwas human finde ich doch ganz nett. HARLAND:
Unsinn! Etwas — etwas! Was ist „etwas"? Es wird da eben bald zuviel und das Z u v i e l ist allemal und überall schädlich! EUGENIE
neckend:
Auch auf den Reichtum angewandt? HARLAND
lacht:
Nee — das ist was anderes. EUGENIE
zögernd:
Höre mal, Felix: ich möchte dir aber doch lieber etwas abzwacken; namentlich mit Rücksicht auf die dort ruhende Million. 4
HARLAND :
Ah — sieh' mal an! Also du reist schon wieder auf das, was ich erst noch verdienen muß. Hm; was soll es denn wieder sein? Etwa ein seltener Schmuck oder gar eine Villa? Oder was — hm? EUGENIE :
Viel — viel billiger.
Reicht ihm eine Liste.
Hier sieh.
HARLAND:
Eine Subskriptionsliste? Wohl wieder für euer altes Jungfernstift oder so was? Ihr seid ja auch schon ganz und gar verdreht — EUGENIE :
Felix! HARLAND:
Es ist doch so. Heute dies und morgen das. Bald für eine Suppenküche, dann Weihnachtsbescherung, Spital, Asyl, christliche Herbergen, innere und äußere Mission und was weiß ich. Was habt ihr denn da in euerm Kaffeeklatschverein wieder ausgeheckt? Hä? — Wollt ihr etwa eine Kommission nach Afrika schicken, um die Negermädchen zu züchtigen Hausfrauen zu erziehen? Euch ist alles zuzutrauen. EUGENIE
beleidigt:
D u spottest. Und doch hat unser Verein schon eine recht segensreiche Tätigkeit hinter sich. — Der „Kaffeeklatschverein", wie du ihn nennst, führt als Grundsatz die Parole der modernen Zeit: F ö r d e r u n g d e r H u manität! HARLAND :
Humanität — Humanität! Bleibt mir bloß mit eurer Humanität vom Halse! EUGENIE :
Aber das gehört doch zum guten Ton. — Oder willst du, daß ich, die Gemahlin des Kommerzienrats Harland — 5
des r e i c h e n Harland, wie dich alle Welt nennt — zurückbleiben soll hinter der Frau Gymnasialdirektor oder der Frau Oberlehrer oder — HARLAND
abwehrend:
Nun, nun! Die alte Litanei; die Leute sollten ihr Geld auch nützlicher verwenden. Stiften die Sache an und wer muß die Suppe dann ausessen? W i r ! Lumpen kann man sich nicht lassen, da hast du recht. — J a , so; was ist denn das nur wieder? Liest von der Liste: „Zur Hebung der Sittlichkeit in den unteren Volksschichten." — Hm, hm, na — das ist ja eigentlich ein ganz vernünftiger Gedanke. EUGENIE :
Nicht wahr? Sie ist auf gestanden und zeigtauf die Liste, liest:
„Frau Gymnasialdirektor Knorr — fünfundsiebzig Mark; Frau Professor Holder — hundert Mark; Frau Kommerzienrat Frohberg — zweihundert Mark." Nun? HARLAND:
Hm, hm. Da müssen wir freilich etwas tiefer 'reingreifen. Er ist zu seinem Schreibtisch gegangen
und blättert flüchtig
in den Auftragbriefen: Sichere Geschäfte sind's. Hm, na, sagen wir — sagen wir . . . Wer fehlt denn noch? EUGENIE :
Frau Rittergutsbesitzer von Randow — HARLAND:
Zweihundertfünfzig Mark. EUGENIE :
Frau Kaufmann Wendelheim — HARLAND:
Hundertfünfzig Mark. EUGENIE :
Frau Fabrikbesitzer Below (dein Konkurrent!) — 6
HARLAND :
Was? Die auch noch? Die ist nicht billig! EUGENIE :
Und einige kleinere — HARLAND :
Ach so: die Zehn- und Zwanzig-Mark-Wohltäter. Hm — aber die Below'n, die Below'n! Na, sagen wir, sagen wir. Zeig' m a l h e r !
Er nimmt die Liste und schreibt; gibt sie zu-
rück: Hier, das wird reichen. EUGENIE :
Was? Ein — eintausend Mark?! — Ach, du bist doch ein lieber, guter Mann! Küßt ihn. Werden die Augen machen! Links ab.
Zweiter Auftritt Harland.
Dann
Kardollehn.
HARLAND :
Tausend Mark? Etwas viel Humanität auf einmal. Fünfhundert hätten's auch gemacht. Na, sie werden spucken — das ist die H a u p t s a c h e . Er blättert wieder in den überlegt,
und geht
dann schnellen
Schrittes zur
Tür
Briefen, rechts:
Kardollehn! KARDOLLEHN halb gigerlhaft kommt eiligst
gekleidet,
stets
unterwürfig;
hereingestürzt:
Herr Harland? HARLAND übergibt ihm einige
Aufträge:
Hier — Arbeit, massenhaft Arbeit. Auch ein neuer Kunde dabei, und kein schlechter! Will umgehend Telegrammantwort, ob Auftrag bestimmt innerhalb acht Wochen auszuführen. Kostenanschlag beizufügen. Erledigen Sie doch die Sachen sofort. 3 Münchow, Dramatik II
7
KARDOLLEHN:
Sehr wohl. Verlegenheitspause. HARLAND :
Na? KARDOLLEHN :
Ja, ja, — aber — HARLAND:
Na — aber? Was haben Sie denn noch auf dem Herzen? — Ach so, ich verstehe. Sie meinen, so eine kleine Gehaltserhöhung könnte Ihnen nichts schaden? KARDOLLEHN :
Oh, oh, nein, nein. Ich bin zufrieden, vollkommen zufrieden. HARLAND :
Machen Sie keine Witze, Kardollehn; der Mensch ist nie zufrieden — nie! Und Sie erst recht nicht. Namentlich, wenn man so allerhand kleine Extraausgaben hat, von denen die Frau nichts weiß—Kardollehn macht eine abwehrende Bewegung. HARLAND:
Na, na; schon gut. Ihr Gehalt ist um fünfhundert Mark erhöht. unter wiederholter Verbeugung: Dank! Meinen verbindlichsten Dank. Ich werde stets Ihr ergebener Diener sein. KARDOLLEHN
HARLAND:
Das erwarte ich. — Und nun? KARDOLLEHN :
Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte — HARLAND:
Aber, Mensch, was haben Sie eigentlich? Sie machen ja ein Gesicht, wie ein sterbender Frosch. 8
KARDOLLEHN
erregt:
Es gährt, Herr Harland, es gährt! Dort, dort drüben! Nach dem Fenster zeigend. HARLAND
erstaunt:
Es gährt — es gährt? Was gährt? Wo gährt's? KARDOLLEHN :
Da drüben in der Fabrik — unter Ihren Arbeiterinnen — HARLAND:
Unter meinen — KARDOLLEHN :
Unter Ihren — HARLAND :
Arbeiterinnen? KARDOLLEHN:
Arbeiterinnen! HARLAND:
Sind Sie krank? Oder was soll das heißen? Sind wohl einige neidisch, daß sie die Gunst des Herrn Geschäftsführers noch immer nicht erworben haben — hä? Lacht und klopft Kardollehn vertraulich auf die Schulter. Kunststück, was Kardollehn? Bei zweihundert Arbeiterinnen! Da sucht man sich natürlich die besten heraus. Lassen Sie sie reden. Und wenn's zu toll wird — Sie wissen ja, i c h halte keine. — Du lieber Gott, man kriegt ja selber noch ab und zu übermütige Anfälle, — ä propos, was macht denn die kleine Rotwangige, die — na, wie heißt sie doch gleich — hm, na, Sie wissen doch — KARDOLLEHN :
Marie Hellmuth! HARLAND:
Richtig; possierlicher Balg. 3*
9
KARDOLLEHN
verlegen:
Ja, ja freilich, aber, — HARLAND :
Aber? — Ich will doch nicht hoffen, daß S i e mir in's Gehege kommen? KARDOLLEHN :
Oh — oh! Nein — nein! Nicht ich, nicht ich! HARLAND:
Nicht Sie? Aber doch einer! Kann man nicht erfahren wer der Glückliche ist? KARDOLLEHN verlegen,
zögernd:
Es kommt mir nicht zu, über Familienmitglieder meines Chefs zu sprechen. HARLAND:
Über Familienmitglieder Ihres —. Donnerwetter! Doch nicht etwa der Erich, dieser — ! Kardollehn nickt. HARLAND lacht halb
ärgerlich:
So ein verfluchter Bengel! Pause KARDOLLEHN :
Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte: Es gährt ernsthaft, sehr ernsthaft da drüben — die Weiber werden aufsässig, widerspenstig — die reine Revolution! HARLAND
lacht:
Weiber und Revolution! Sie sind heute spaßig, K a r dollehn ! KARDOLLEHN:
Es ist leider bitterer Ernst. Mehr Lohn, kürzere Arbeitszeit, bessere Behandlung fordern sie. 10
HARLAND :
Hahaha. F o r d e r n Sie. Sie sagten: „Fordern" — was? Das ist köstlich. Gehen Sie schlafen, Kardollehn, damit sich Ihre aufgeregte Phantasie beruhigt, oder legen Sie Ihren Posten beim Kommerzienrat Felix Harland nieder, wenn Sie nicht mit ein paar verhetzten Weibern fertig werden können. Muß ich Sie immer wieder daran erinnern, daß Sie unbeschränkte Vollmacht in j e d e r Hinsicht haben? — Also lassen Sie mich doch mit solchen Bagatellen in Ruhe. KARDOLLEHN :
Dann mache ich also den Kostenanschlag unter Zugrundelegung der a l t e n Bedingungen? HARLAND
grob:
Wollen Sie auf Ihre Gehaltserhöhung verzichten? KARDOLLEHN :
Wa-a-s? HARLAND :
Na also; dann reden Sie keinen Unsinn! KARDOLLEHN zieht ein Blatt aus der Tasche und überreicht es ihm:
Hier, dieses Blatt zirkulierte heute in der Fabrik und wurde mir soeben überbracht. Lesen Sie selbst. I c h habe meine Schuldigkeit getan. Rechts ab.
Dritter Auftritt Harland. Dann
Eugenie.
HARLAND ihm nachsehend,
verächtlich:
Wenn ich dich nicht sonst so gut gebrauchen könnte —. Läßt sich von ein paar Weibern ins Bockshorn jagen. Sie f o r d e r n — h a h a h a ! Besieht sich die Zeitung:
W a s ist
denn das für ein Wisch. Liest: „Arbeiterzeitung" — 11
Arbeiterzeitung! Wirft das Blatt verächtlich auf seinen —Also der Erich, der Erich! Kommt dieser Kiekindiewelt — bums, weg hat er sie, und ich habe doch die größte Kasse!
Schreibtisch:
E U G E N I E kommt von links:
Deswegen komme ich auch noch mal — HARLAND
erschrocken:
Du? EUGENIE :
Was ist dir; du bist erregt. HARLAND :
Ich? I — nein. I — wo. Hast du etwas gehört? EUGENIE :
Du sprachst von deiner großen Kasse — weiter nichts. H A R L A N D für sich:
Gott sei Dank. Laut: Ja, denke dir nur, meine Arbeiterinnen wollen an meine Kasse — Kardollehn sagt's wenigstens. Die leibhaftige Revolution ist in mein Personal gefahren. Er ahmt Kardollehn nach: Es gährt, Herr Harland, es gährt! Hahaha! EUGENIE :
Wirst du nun bald das Segensreiche unseres „Kaffeeklatschvereins" einsehen. Ist es nicht unsere erste und heiligste Aufgabe, die Unzufriedenheit zu bekämpfen und in die verirrten Herzen wieder das kostbarste Gut der Menschen zu pflanzen: die Zufriedenheit? HARLAND :
Ach so. Du willst die tausend Mark haben.
Nimmt
aus
Hier. Im übrigen denke ich mit den paar Weibern schon allein fertig zu werden. Ich glaube, daß gerade ihr mit eurem dummen Emanzipations- und Wohltätigkeitshumbug die Quelle allen Übels seid. Ist ja gar kein Wunder,
seiner
12
Brieftasche
einen Schein
und
übergibt
ihn:
wenn sich auch die ungebildetsten Fräuleins und Frauen Späne in den Kopf setzen. Habt i h r euer Vergnügen bei der Geschichte, dann kümmert euch wenigstens nicht um Sachen, die ihr nicht nur nicht versteht, sondern die ihr bloß verschlimmert. Reicht dem Teufel einen Finger und er nimmt gleich die ganze Hand. EUGENIE :
Du hast nun einmal eine Abneigung gegen alles, was nach Humanität aussieht — HARLAND :
Wenn ich schon dies vertrackte Wort höre! — Das Dümmste, was ein Dummkopf je erfunden hat! Selbst ist der Mann! sage ich. Und die Frauen gehören in die Küche oder an die Wiege. Fertig!
Vierter Auftritt Die Vorigen. Erich. ERICH im Sportanzug, ist während der letzten Worte eingetreten: B r a v e ! Bravissimo! Er klopft die Fingernägel beider Daumen
aufeinander. Ganz meine Ansicht. — Morjen! — Denkt euch nur, denkt euch nur: Favory hat gesiegt! HARLAND, E U G E N I E :
Was? Wer hat gesiegt? ERICH
lachend:
Favory! Favory ist die Stute des Tages, der Löwe des Rennplatzes — Hahaha: Favory — Favory! Er läßt sich in einen Sessel fallen. HARLAND:
Was — dem Below seine alte lahme Stute? 13
ERICH :
Um zwei Pferdelängen. Lachhaft, wirklich lachhaft! Die reinen Schindermähren liefen. Frohberg und von Randow natürlich auch glänzend reingefallen. Hat sich der Randow da einen wirklich waschechten Jockey direkt aus OldEngland importiert und der Kerl kann nicht reiten — wenigstens auf diesen Droschkengäulen zweiter Jute nicht. — Papa, du mußt mir ein neues Reitpferd kaufen; werde diesen Sattelfexen zeigen, was Reiten ist. EUGENIE :
Du? Nimm dich bloß in acht, daß dir nichts passiert. ERICH :
Aber Mamachen — mir?! Bin doch nicht umsonst Dragonerleutnant gewesen? Und außerdem: Old-England hat noch mehr Jockeys. Ich denke, Papa, was dein Konkurrent Below kann und womit dieser eingebildete von Randow renommiert, das kannst du schon lange was? HARLAND:
K a n n — ja. Es fragt sich bloß, ob ich will. ERICH :
Aber, Papa, du wirst mich doch vor deinen Konkurrenten nicht bloßstellen wollen? HARLAND:
Was soll denn der Spaß wieder kosten ? ERICH :
Na —, so an die zehn- bis fünfzehntausend Mark — h ö c h s t e n s fünfzehntausend — mehr nicht. Bagatelle, was, Papa? HARLAND:
Bagatelle? Wie man's nimmt. — Bist du sicher, die ganze Gesellschaft zu schlagen? 14
ERICH :
Aber selbstredend! Natürlich! HARLAND:
Dann — meinetwegen. ERICH :
Dank, tausend Dank, Papa. Du bist ein Goldpapa. Er ist aufgestanden
und klopft Harland
auf den Rücken;
er bemerkt
die ,,Arbeiterzeitung": Nanu — „Arbeiterzeitung"? Ich glaube gar, Papa, du bist unter die Sozialisten gegangen. Oder du, Mama? EUGENIE beleidigt:
Aber, Erich, ich bitte dich! ERICH :
Laß nur, laß nur, Mamachen. Meine man, weil du immer so von Hu — Hu — na! — Humanität schwärmst. EUGENIE :
Aber das ist doch ganz was anderes. ERICH :
So? Kenne den Sport nicht. Aber was wollt ihr denn mit dem Ding da? Gibt's denn nichts Besseres mehr zu lesen? Ist doch keine Lektüre für Kommerzienrats! HARLAND ergreift die
Zeitung:
Wollen uns doch mal das Vergnügen machen und sehen, was die Herren von der Feder — ERICH :
Schmierfinken! HARLAND:
Diese superklugen Weltverbesserer, die ihre Nase in alles stecken, schreiben. Er entdeckt die Notiz. Was, meinen Namen — meinen Namen voll ausgeschrieben an dieser 15
Stelle?! So eine Unverschämtheit! Mischen sich wildfremde Leute in meine ureigensten Angelegenheiten! Liest erregt: „Das Personal der Harlandschen Fabrik, zum allergrößten Teil aus weiblichen Personen bestehend, hatte sich gestern fast vollzählig versammelt" — EUGENIE :
Fast vollzählig? HARLAND:
„Fast vollzählig versammelt, um über die Mißstände in genanntem Institut —" ERICH :
Mißstände? Was? Mißstände steht da? Das ist ja —! HARLAND:
„Mißstände in genanntem Institut und deren Abhilfe zu beraten. Zunächst wurden die Lohn Verhältnisse einer eingehenden Kritik unterzogen. Wir sind ja an allerlei gewöhnt, aber das Bild, das uns hier geboten wurde, übertrifft denn doch das bisher dagewesene. Der Herr Kommerzienrat Harland, der bekanntlich den Beinamen „der reiche" führt, kann mit Fug und Recht für sich das „Verdienst" in Anspruch nehmen, die miserabelsten Löhne in der ganzen Stadt zu zahlen —" ERICH der mit steigender Erregung
zuhört:
Aber das ist ja eine bodenlose Unverschämtheit! EUGENIE :
Unglaublich! HARLAND verlegen:
Nicht wahr? Die Leute wissen eben nichts von Konkurrenz und dergleichen. Liest weiter: „Auch eine Verkürzung der Arbeitszeit wäre sehr am Platze. Die alte Wahrheit: niedrige Löhne, lange Arbeitszeit, wird durch die in der Versammlung vorgeführten Tatsachen treffend illustriert; denn Herr Harland" (schon wieder mein 16
Name!) „denn Herr Harland ist bis an die äußerste Grenze des gesetzlich Erlaubten gegangen was ihn aber nicht hindert, so oft wie nur irgend möglich von dem Ausnahmerecht, über Zeit arbeiten zu lassen, Gebrauch zu machen. Was kümmert ihn auch die Gesundheit „seiner" Arbeiterinnen, was kümmert ihn auch der Jammer von Hunderten von Menschenkindern, wenn nur die Firma Felix Harland floriert und als Weltfirma in den Handelskreisen ganz Europas genannt wird." ERICH :
Als ob das nichts wäre! H A R L A N D liest:
„Doch nicht genug mit dem allen; haarsträubende Dinge kamen erst zum Vorschein, als man auf das traurigste Kapitel, auf die Behandlung, zu sprechen kam. Die leitenden Personen befleißigen sich einer auserlesenen Grobheit und Geringschätzigkeit den Arbeiterinnen gegenüber. Der Geschäftsführer Kardollehn, auf den auch das Wort zutrifft: katzenbuckelnd nach oben, brutal nach unten, tut sich ganz besonders darin hervor, was freilich nicht ausschließt, daß er sich des öfteren auch der dem weiblichen Geschlecht schuldigen „Galanterie" erinnert. Ja, er kann auch sehr bedenklich liebenswürdig sein, der Herr Geschäftsführer." ERICH :
Hahaha, famoser Witz, ausgezeichneter Hieb! EUGENIE :
Aber Erich, die gute Sitte, bedenke! HARLAND :
„Und da sind wir auf ein Thema gekommen, welches in der gestrigen Versammlung durch Vorführung von Einzelheiten aufs Krasseste beleuchtet wurde. Es ist das schmachvollste, traurigste Lied, welches die Arbeiterinnen singen können — das heißt jene, die den Herren gefallen." ERICH :
T r a u r i g e s Lied? Fabelhaft lächerlicher Satz.
17
HARLAND :
>,Auch der sonst so hochmütige Sohn des Chefs vergißt des öfteren seine „Kavaliersehre" und ist durchaus nicht stolz, wenn es sich um ein Rendezvous mit einer hübschen Arbeiterin handelt." EUGENIE :
Erich! E R I C H verlegen:
Bodenlose Frechheit, Mama. Zu den Unsinn.
Harland:
Aber so laß doch
HARLAND:
„Hübschen Arbeiterin handelt. Auch der Vater dieses netten Sohnes —" verwirrt „der Vater — der Vater—der, der — dieses netten —'' Er springt wütend auf und knittert das Blatt zusammen: Oh—oh! Oh! Das ist ja, das ist ja! Oh-oh-oh! EUGENIE :
Aber das ist ja unerhört! So lies doch zu Ende, Felix, lies doch zu Ende. Ich bin wirklich begierig! Was steht dort noch? ERICH :
Dummes Zeug, Mama, dummes Zeug! Sollten sich diese — diese Damen zur Ehre schätzen, wenn unsereiner sich einen kleinen Scherz erlaubt. Aber das hat man von seiner Huma — Humanität. HARLAND:
Lügen sind's, nichts als Lügen, sage ich dir! ERICH :
Jawohl, Lügen, Lügen, Lügen sind's. Einsperren sollte man diese ganze Journalistenbande! Grandiose Unverschämtheit. Werde diese Federhelden züchtigen — 18
EUGENIE :
Um Gotteswillen — keinen Eklat. HARLAND schnell zu Erich: Nein, Erich, keinen Eklat. ERICH:
Ja, aber sollen wir uns denn das von diesen Schmierfinken bieten lassen? Werde sie fordern! EUGENIE :
Erich, Erich! Denke an mich, an deine Mama. Willst dein Leben aufs Spiel setzen? ERICH :
Laß nur, Mama. Erinnere mich eben: Leute sind nicht satisfaktionsfähig; müßte sonst auch mit Blut abgewaschen werden. HARLAND :
Aber wir müssen doch etwas tun. Aber was? ERICH :
Aber was? EUGENIE :
Halt, ich hab's! HARLAND;
ERICH:
Du? EUGENIE :
Ihr müßt klagen! HARLAND; ERICH:
Klagen? Sehen sich fragend an. Verlegenheitspause
19
HARLAND zögernd:
Das geht nicht. ERICH ebenso:
Nein, das geht nicht. HARLAND:
Fatal! ERICH :
Fatal! EÜGENIE
betroffen:
Das geht nicht? Warum nicht? ERICH :
Nein, Mama, das geht nicht. Wäre zu viel Ehre für diese Leute. HARLAND :
Jawohl, viel zu viel Ehre! EUGENIE :
Aber ihr könnt doch diesen Schimpf nicht auf euch sitzen lassen. HARLAND :
Hm, das können wir eigentlich nicht. ERICH :
Eigentlich nicht. EUGENIE :
Ja, aber was wollt ihr denn machen? Erich und Harland zucken verlegen mit den HARLAND
Achseln.
plötzlich:
Halt! Die Urheber dieser bodenlosen Unverschämtheit müssen bestraft werden. Geht zur Tür rechts. Kardollehn! 20
Fünfter Auftritt Die Vorigen.
Kardollehn.
K A R D O L L E H N kommt eiligst von rechts:
Sie befehlen? HARLAND :
Aber das sind ja geradezu ungeheure Frechheiten hier in diesem — diesem Dingsda. KARDOLLEHN :
In der Zeitung. Nicht wahr? Ich sagte Ihnen ja vorhin schon: Es gährt! Und was da von meiner Person gesagt ist, glauben Sie mir, Herr Harland, ist ebenso erlogen wie die Angriffe auf Sie und Ihren Herrn Sohn. Ich bin streng, aber gerecht. ERICH :
Sehr gut gesagt, Kardollehn. Streng, aber gerecht. HARLAND:
Glaub's schon, glaub's schon. Und ich werde jetzt Gericht halten. Sie schicken mir sofort die Rädelsführerin her, aber sofort. — Sie kennen sie doch? K A R D O L L E H N zieht eine Liste aus der Tasche:
Hier; die erste mit vier Kreuzen — HARLAND:
Helene Mischke also. Was ist denn das für'n Weib? KARDOLLEHN:
Ist erst seit einigen Monaten hier; wird aber von ihren Kolleginnen mit einem seltenen Respekt betrachtet. Was der alte Hellmuth bei den Arbeitern, ist diese Mischke bei den Arbeiterinnen. Dem Weibe scheint der Teufel im Leibe zu sitzen. Neulich sollte an einem Sonnabend in ihrer Abteilung länger gearbeitet werden — es war ein wichtiger Auftrag zu erledigen — da belehrte sie kalt21
blütig den Werkführer, daß dies gesetzlich nicht gestattet sei. Ich habe sie seitdem nicht aus den Augen gelassen und bin überzeugt, daß sie auch jetzt wieder die ganze Geschichte angerichtet hat. HARLAND:
Das ist recht feierlich. Na, wir werden ja sehen — Sind da etwa noch mehr von der Sorte? KARDOLLEHN :
Ja, hier — das sind die anderen. Die mit drei Kreuzen sind die Gefährlichsten; dann kommen die mit zwei Kreuzen, und so fort. HARLAND:
Ziemlich viel Kreuze, das muß ich sagen. Aber warum kommen Sie denn erst jetzt damit? KARDOLLEHN:
Wenn Sie sich gütigst erinnern wollen — ich sprach öfter davon und warnte Sie. Aber Sie lachten mich aus. HARLAND:
Nun ja, nun ja. Aber wer konnte denn auch d a s ahnen; so viele — so viele schon. Es ist unglaublich . . . Also vor allen Dingen einmal die Allergefährlichste! KARDOLLEHN:
Sehr wohl. Durch
die Mitte
ab
Sechster Auftritt Harland.
Eugenie.
Erich.
HARLAND:
Bin doch wirklich neugierig, was diese Gesetzeswächterin mir erzählen wird. 22
ERICH :
Willst dir also wirklich einen Vortrag von deiner Arbeiterin halten lassen über die „Mißstände in der Harlandschen Fabrik". Hahaha! EUGENIE :
Aber, Erich, das ist doch ganz interessant. E R I C H lacht:
Na ja, Mama; da magst du recht haben. E t w a s A b wechslung in diesem erbärmlich langweiligen Dasein. Er wirft sich in einen Sessel. — Aber Papa, das Reitpferd bitte nicht zu vergessen. In vierzehn Tagen spätestens. HARLAND:
L a ß ' mich jetzt mit deinem Reitpferd zufrieden. ERICH :
Bist erregt, Papa. Bloß um lächerlicher Weiberschimären willen. Begreif' ich nicht. HARLAND :
D u hättest die Kreuze sehen sollen. Aber du kümmerst dich auch um nichts. Vergnügen, Vergnügen und immer Vergnügen; und hier in der Fabrik geht alles drunter und drüber. ERICH :
Aber Papa! D u wirst doch nicht verlangen, daß ich mich ins Kontor setze und Zahlen büffle. D a z u haben wir doch unsere Leute. Oder soll ich etwa gar den Aufseher spielen da drüben in dem Staub und der Hitze? Scheußliche Atmosphäre! EUGENIE :
Das kannst du wirklich nicht verlangen, Felix. Es ist doch unser einzigstes Kind, unser Stolz. Wie leicht könnten die Anstrengungen seiner Gesundheit schaden. Und er ist doch noch so jung. Sie tritt zum Fenster. 4
Münchow, Dramatik II
23
ERICH :
Sehr richtig, liebe Mama, und da will man sein Leben genießen. Übrigens habe ich die Arbeitsräume oft genug inspiziert, wenn ich mal gerade Zeit hatte. HARLAND:
Hinter den Schürzen bist du hergelaufen. Leise: Hast wohl die hübsche Marie gesucht? ERICH
perplex:
Was? Die — die — ach so, die kleine Hellmuth.Gleichgültig: Kleiner Scherz, weiter nichts. — Ich begreife dich nicht Papa; das hört sich beinahe so an, als ob du — eifersüchtig wärst! HARLAND:
Erich! EUGENIE am
Fenster:
Da kommen sie ja.
Siebenter Auftritt Die Vorigen. Kardollehn. Helene. KARDOLLEHN :
So. Da bringe ich Ihnen die Rädelsführerin. HELENE mit einem verächtlichen Blick auf Kardollehn, zu Harland: Mein Name ist Helene Mischke. Sie wünschen mich zu sprechen. ERICH ZU
Kardollehn:
Donnerwetter, netter Käfer! Eugenie im folgenden sehr interessiert. 24
HARLAND
energisch:
Jawohl, ich wünsche Sie zu sprechen. Sie sind Arbeiterin in meiner Fabrik? HELENE:
Ja. HARLAND :
Und nebenbei Agitatorin für allerlei verrückte Ideen ? HELENE:
Ich bin die Beauftragte Ihrer Arbeiterinnen. HARLAND:
Beauftragte meiner Arbeiterinnen? ERICH :
Famos! HARLAND:
Das ist ja ganz was Neues. Sie wollen also so allerhand Reformen in meiner Fabrik einführen — hä? Haben Sie sich noch nicht überlegt, daß ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe? HELENE:
Ich wäre sowieso zu Ihnen gekommen, um Ihnen unsere Forderungen zu unterbreiten. ERICH :
Forderungen — famos. Zu Kardollehn. Die hat Courage. HARLAND :
Forderungen? Und wenn ich Ihnen sage, daß in meiner Fabrik niemend zu fordern hat als wie ich? HELENE :
Wir verkaufen Ihnen unsere Arbeitskraft und jeder kann für seine Ware fordern, was er will. 4«
25
HARLAND:
Papperlapapp! Das ist auch so eine Phrase, die Sie mal irgendwo gehört haben. — Und wenn man das nicht kriegt, was man fordert — hä? Dann verkauft man billiger — wie? H E L E N E fest:
Oder man stellt den Verkauf ein! E R I C H ZU Kardollehn:
Die Kleine hat Haare auf den Zähnen. HARLAND:
Ich glaube gar, Sie wollen mir drohen! HELENE:
Dazu habe ich so lange keine Veranlassung, als Sie nicht unsere Forderungen abgelehnt haben. HARLAND:
Aber bilden Sie sich denn im Ernst ein, ich würde rundweg ,,ja" sagen, wenn man mir hier plötzlich mit wer weiß was für „Forderungen" kommt? ERICH :
Na, das wäre noch schöner! HELENE:
Nein, den Glauben habe ich nicht; aber ich hoffe, daß Sie wenigstens mit uns verhandeln werden. HARLAND :
Na — vielleicht irren Sie sich auch. HELENE :
Aber Sie müssen doch selbst einsehen, daß es unmöglich ist, mit den wenigen Groschen auszukommen, die wir bei Ihnen verdienen. HARLAND:
Man ist doch bis jetzt damit ausgekommen. Bis dato verlautet noch nichts von einem Hungertode in meiner Fabrik. 26
HELENE :
Wer nicht versteht zu darben, geht — einen andern Weg. HARLAND :
Unsinn! HELENE:
Gewiß, die meisten von uns verstehen es; sind's ja gewöhnt von klein auf. Sagen Sie selbst, Herr Harland: elf Stunden Arbeit, elf Stunden angestrengter Arbeit in Staub und Dunst und Hitze an jedem Tag — und kaum zu trockenem Brot reicht der Lohn. HARLAND:
Übertreibung! KARDOLLEHN :
Na, mit dem Staub und der Hitze ist's nicht so schlimm — die Ventilation bei uns ist sehr gut. ERICH :
Daran gewöhnt man sich. HARLAND:
Die Arbeitszeit ist also auch zu lang? Natürlich! Sie haben sich wohl auch schon den sogenannten Achtstundentag in den Kopf gesetzt? HELENE :
Auch wir sind Menschen, die Erholung, Licht, Luft und Sonne bedürfen. Oder sind Ihnen die blassen Gesichter Ihrer Arbeiterinnen noch nicht aufgefallen? ERICH :
Na, S i e sehen noch recht gut aus. HARLAND :
Erholung? Licht, Luft und Sonne? Das kennen wir! Und die blassen Gesichter? Von der Herumtreiberei abends und nachts auf den Tanzböden! Die Vergnügungssucht ist es! 27
ERICH :
Sogar in den Cafés trifft man manchmal welche! HELENE:
Freilich, e i n i g e sind so — ich weiß es. Aber das sind gerade die Zufriedenen, und Sie wollen doch die Zufriedenheit. Gewiß müßte vieles auch unter uns anders sein. EUGENIE, HARLAND, ERICH, KARDOLLEHN:
Sie sagen es selbst! Da haben wir's! Na also! Vieles — vieles! HELENE:
Ja, vieles. Aber das mögen d i e verantworten, die es verschuldet haben! HARLAND :
Und das sind nach Ihrer Ansicht? HELENE ZU allen:
Das sind Sie! EUGENIE, HARLAND, ERICH, KARDOLLEHN:
Wir?! HELENE :
Ja Sie — Sie alle sind Mitschuldige! Entrüstung HARLAND :
Mäßigen Sie sich gefälligst etwas in ihren Redensarten oder wir sind g l e i c h fertig! Sie scheinen ja ganz ausnehmend mutig zu sein. Dann werden Sie wohl auch die Courage haben und mir sagen, wer diesen ganzen Skandal mit der Versammlung angezettelt hat . . .?! HELENE:
Dazu habe ich keine Ursache. 28
ERICH :
Feigheit! HARLAND :
So, dann scheint Ihnen doch daran gelegen zu sein, die Stellung mit den „wenigen Groschen" zu behalten? HELENE :
Niemand von uns arbeitet zum Vergnügen. Aber trotzdem würde ich — HARLAND
abwehrend:
Ja, ja. T r o t z d e m scheut man sich nicht, uns in der gemeinsten Weise zu verunglimpfen, wie? Freilich, die Dankbarkeit ist Ihnen eine unbekannte Eigenschaft. H E L E N E erregt:
Dankbarkeit? Dankbarkeit verlangen Sie von uns, denen Sie danken müßten! Nein, Herr Harland, um danken zu können, muß man sich doch etwas wohler fühlen — und vor allen Dingen, dazu muß man Zeit haben — HARLAND perplex;
vorwurfsvoll
zu
Kardollehn:
Aber das ist ja ein ganz niederträchtiges Weib! ERICH
ungeduldig:
Herrgott! I c h sollte hier zu sagen haben! KARDOLLEHN:
Ich sagte ja! HARLAND ZU
Eugenie:
Das kommt bloß von eurer verdammten Humanität. EUGENIE :
Aber sie werden doch nicht alle so sein? So fanatisch! HARLAND :
Mehr Zeit, mehr Lohn, mehr Vergnügen — bloß weniger Arbeit; recht wenig Arbeit — was?! Na, das wäre noch 29
schöner! Nein, meine verehrte „Beauftragte", ich will der Liederlichkeit meiner Arbeiterinnen und den Ausschweifungen nicht noch Vorschub leisten. EUGENIE :
Ja, Sie sollten doch erst einmal dafür sorgen, daß es in sittlicher Beziehung unter Ihren Kameradinnen besser wird. Wie können wir etwas tun, von dem wir uns sagen müssen: es dient nur dazu, die Leichtlebigkeit zu fördern. Diese Verantwortung kann niemand auf sich nehmen, der es gut mit seinen Leuten meint. ERICH:
Sehr richtig, Mama. HELENE:
Ich verstehe Sie nicht ganz. Daß die Sittlichkeit dadurch gefördert wird, indem man Hunderte von Mädchen immer tiefer in Entbehrungen stößt, sie verkommen läßt in den elendsten Verhältnissen, das glauben Sie doch selbst nicht. Sehen Sie sich doch einmal die Schlafstellen an! Man läßt uns in der Hölle aufwachsen und nachher sollen wir Engel sein. KARDOLLEHN :
So schlimm ist das gar nicht; ich war schon — EUGENIE
erstaunt:
Sie? KARDOLLEHN
verlegen:
Ja, das heißt, ich hatte geschäftlich dort zu tun — ich kann nur sagen: So schlimm ist es nicht. HELENE:
Dann haben Sie dafüi gesorgt, daß es anders ist. Ihr Gehalt gestattet Ihnen das! HARLAND:
Donnerwetter! Das ist aber stark! 30
KARDOLLEHN:
Nicht wahr? E U G E N I E ZU
Kardollehn:
Aber so verteidigen Sie sich doch. ERICH :
Aber, Mama, einer A r b e i t e r i n gegenüber! K A R D O L L E H N ZU
Helene:
Hier finden Sie keinen Glauben mit Ihren Verdächtigungen. HARLAND :
Wie in Ihrer Versammlung. Hier können Sie sich Ihre Mühe sparen. HELENE :
Sie reizen mich dazu. Glauben Sie mir, mich widern Ihre Geschichten an. ERICH:
Ach, Sie Tugendbold. HELENE ZU Erich:
Soll ich deutlicher sprechen, Herr Harland? HARLAND
wütend:
Soll ich Sie hinauswerfen lassen? ERICH :
Bravo! HELENE :
Tun Sie es! Und morgen wird die ganze Stadt lesen, wie man sich „Liebe" erkauft. EUGENIE :
Was soll denn das heißen? 31
HELENE:
Das soll heißen, daß alle diese Herren hier nicht das Recht haben, sich als Hüter der Sittlichkeit aufzuspielen. Zieht eine ,,Arbeiterzeüung"
aus der Tasche und gibt sie Eugenie: Hier,
lesen Sie; es ist nur etwas von dem, was ich beweisen kann. Und wenn Sie es gelesen haben, dann, Frau Harland, reden Sie weiter über die Verkommenheit in unseren Kreisen. HARLAND reißt seiner Frau das Blatt aus der Hand und zerreißt es:
Ihre Verleumdungen kennen wir schon. Lüge, — sage ich — Lüge! ERICH :
Lüge! KARDOLLEHN:
Alles gelogen. Von A bis Z erlogen! HARLAND zu
Helene:
Und Sie gehen sofort an Ihre Arbeit. HELENE:
Sie haben mich rufen lassen. Hier sie überreicht ihm ein Papier sind unsere Forderungen. Wir erwarten bis morgen Bescheid. Durch die Mitte ab. HARLAND:
Sie werden meinen Bescheid noch heute erhalten.
Achter Auftritt Die Vorigen ohne Helene. EUGENIE :
Ich begreife euch nicht. ERICH :
Ja, Papa, ich begreife dich auch nicht. Läßt dir und uns von deiner Arbeiterin eine Moralpauke halten! Mir total unbegreiflich! Du bist wohl auch schon von der Humanität angesteckt? 32
HARLAND:
Kardollehn! Das Weib wird noch heute entlassen. Ist Kündigung nötig? KARDOLLEHN :
Ihr Personal hat keine Kündigung! HARLAND:
Das g a n z e Personal nicht? KARDOLLEHN :
Sie haben es selbst angeordnet. ERICH :
Aber dann schmeiß' doch gleich die ganze Gesellschaft 'raus! HARLAND :
Willst d u die Arbeit machen? — Kardollehn! Sie lassen sofort in sämtlichen Räumen der Fabrik anschlagen, daß unweigerlich entlassen wird, wer sich ferner an Versammlungen beteiligt, wer den Anordnungen der Geschäftsleitung nicht prompt und ohne Verzug Folge leistet, wer sich irgendwie aufsässig benimmt, wer — wer —. Arbeiten Sie es noch gründlicher aus. KARDOLLEHN:
Auch wer über — über Geschäftsangelegenheiten außerhalb der Fabrik spricht? HARLAND:
Sie haben unbeschränkte Vollmacht! KARDOLLEHN:
Sehr wohl. Geht ab. HARLAND:
Aber streng und ohne Gnade bitte ich mir aus! K A R D O L L E H N in der
Tür:
Also zuerst die mit zwei und mehr Kreuzen! Rechts ab. 33
Neunter Auftritt Die Vorigen ohne Kardollehn. HARLAND:
Ist denn der Teufel in diese Weiber gefahren?! EUGENIE :
Du bist außer dir, Felix. HARLAND:
Dabei soll einer ruhig bleiben. Jetzt fehlt nur noch, daß gestreikt wird! ERICH :
Wenn d i e redet, ist alles möglich. Weib hat ja einen Zungenschlag — phänomenal! HARLAND :
Die Weiber, die Weiber, das sind geborene Redner. E U G E N I E entschlossen:
Und ich werde es heute abend noch beweisen. und Erich
sehen Eugenie
erstaunt an:
Ja
—
Harland, hört!
Ich
habe einen glücklichen Gedanken, um wieder Ordnung in die Aufregung zu bringen. Was ihr mit all eurer Energie und Grobheit nicht fertig bringt, das werde ich auf gütlichem Wege erreichen. HARLAND, ERICH :
Du? EUGENIE :
Ich! — Ich werde jetzt gehen, sofort gehe ich und arrangiere einen Teeabend für deine Arbeiterinnen. Ich werde zu ihnen sprechen und — Ihr sollt sehen! — bei dem zweiten Täßchen sind wir ein Herz und eine Seele! Schnell links ab
34
Zehnter Auftritt Harland.
Erich.
Harland und Erich sehen sich fragend Achseln.
an und zucken die
Pause HARLAND:
Was sagst du? ERICH:
Begreife deine Langmut nicht. HARLAND :
Und die Blamage? ERICH :
Viel größer kann sie nicht werden. HARLAND :
Ob die Beweise haben? ERICH zuckt mit den
Achseln:
Renommieren noch, wenn unser einer sich mal mit ihnen einläßt. HARLAND vorwurfsvoll zu Erich: Habe ich es nicht stets gesagt: das H a u s wenigstens sollte man rein halten! ERICH :
Aber Papa, wir haben uns doch nichts vorzuwerfen! HARLAND :
Erich! Er setzt sich an seinen Schreibtisch und blättert nervös in den Briefschaften. Dann nimmt er einige und geht eilig rechts ab. 35
Elfter Auftritt Erich. Dann Hellmuth und Marie. ERICH geht unruhig auf und ab, hin und wieder gezwungen pfeifend. Dann setzt er sich und trommelt nervös auf den Tisch: Verdammt! Verdammt! Er steht auf und recht sich: Ah — was! Steckt sich eine Zigarette an und will zur Mitte hinaus: stößt in der Tür auf Hellmuth: Nanu? . . . Sie — Hellmuth? HELLMUTH
Ja - ich. Wollte ERICH eilig:
Sie wollen meinen Vater sprechen, was? Warten Sie, ich rufe ihn will zur Tür rechts. HELLMUTH hält ihn zurück: Nein, nicht Ihren Vater — S i e will ich sprechen. Hier! Er sieht sich um und geht schnell zur Mitteltür, ruft hinaus: Marie! Hier komm 'rein! Na? Er hat die Zögernde erfaßt und zieht sie ins Zimmer. So. Er geht fest auf Erich zu. Ist das wahr, Herr Harland, was man sich in der Fabrik erzählt — was im Blatt steht? ERICH :
Verstehe Sie nicht! HELLMUTH :
Daß meine Tochter mit Ihnen, mit Ihnen . . . MARIE
schluchzt:
Aber Vater! HELLMUTH :
Schweig! ERICH :
Wollen Sie sich gefälligst erinnern, daß ich der Sohn Ihres Chefs bin! 36
HELLMUTH :
Das oder was anders! Mir gleich. Aber das hier ist meine Tochter — verstehen Sie, meine Tochter! — Und das ist mein Recht, daß ich Ihnen das sage. ERICH :
Aber was wollen Sie denn eigentlich. Ich weiß nicht, worüber Sie sich aufregen. Daß ich gelegentlich Ihrer Tochter ein freundliches Wort gesagt habe? Du lieber Gott! HELLMUTH:
Marie! Jetzt sage dem — dem Herrn mal ins Gesicht, was — was zwischen euch gewesen ist. MARIE :
Ich kann nicht, Vater. ERICH :
Na also. Da sehen Sie's doch. Schwätzerei, weiter nichts. HELLMUTH:
Marie! Ist das wahr, was in der Fabrik gesprochen wird? Hier, sieh' deinen Vater an und sage: ist das wahr? MARIE
leise:
. . . Ja. H E L L M U T H ZU
Erich:
Nun? ERICH :
Und wenn's wahr ist, haben wir beide mit Beziehung auf Marie es miteinander auszumachen. HELLMUTH :
Nee! Da red' ich auch noch'n Ton mit. Und ich rat Ihnen: Rühren Sie das Mädchen nicht mehr an, sonst. . .! ERICH :
Und ich verbiete Ihnen, in solchem Tone zu mir zu sprechen. Meine Geduld ist zu Ende!
37
Zwölfter Auftritt Die Vorigen. Harland. HARLAND von rechts:
Was ist denn hier los? Was wollen Sie, Hellmuth? HELLMUTH:
Dem da sagen, daß er sich in acht nehmen soll! ERICH :
Ach, der dumme Klatsch, Papa. HARLAND:
Ach so. Was Ihr Parteiorgan da wieder zusammengedruckt hat. Das ist doch sicher wieder furchtbar übertrieben, wie alles, was in diesen Hetzblättern steht. HELLMUTH:
Fragen Sie Ihren Sohn. HARLAND :
Und im übrigen: Zunächst hat doch wohl der Vater die Pflicht HELLMUTH:
Deshalb bin ich hier. HARLAND:
Die Pflicht, seine Kinder so zu erziehen, daß — na, daß sie eben zurückhaltend sind. HELLMUTH:
Erziehen? Wann soll'n wir das machen. Und ich habe das Kesselhaus zu besorgen — in I h r e r Fabrik, Herr Harland. Ich hab's zu verantworten; zwei Mann sind wir — das Feuer geht nicht aus. HARLAND :
Dafür werden Sie bezahlt. 38
HELLMUTH :
Bezahlt? Er verschluckt die Antwort: Na, 's ist ja egal. . . Aber das Mädel drängt sich nicht auf. ERICH :
Glauben Sie etwa, daß der Sohn eines Kommerzienrats einer Arbeiterin nachläuft? MARIE
erschrocken:
Erich! HARLAND :
E-rich?! HELLMUTH
schroff:
Komm, du dummes Kind! Was soll'n wir den Fuchs beim Wolf verklagen. Zu Erich: Lump! Hellmuth und Marie ab.
Dreizehnter Auftritt Harland.
Erich.
HARLAND :
Was war das? ERICH :
Frechheit! Pause HARLAND :
Hast dir eine schöne Suppe eingebrockt. ERICH :
Pah! Werden sich schon wieder beruhigen. HARLAND :
Sieht nicht danach aus. Übrigens er tritt nahe zu Erich hast du ihr was gegeben? 5
Münchow, Dramatik II
39
ERICH :
Angeboten—ja. Da hätt'st du sie hören sollen. Eingebildet wie eine Prinzeß. HARLAND:
Junge, Junge! D a s Weib wird dir mehr Kopfschmerzen machen wie zehn andere. ERICH :
Ich verstehe dich nicht. HARLAND :
D i e redet nicht, die erzählt nicht lange, die s c h r e i t , daß man es meilenweit hört. ERICH :
D i e Kleine? Nee. Und wenn auch: etwas mehr oder weniger Skandal. Mögen die Philister und Waschweiber schwätzen, was sie wollen. HARLAND:
Es gibt auch in unseren Kreisen Humanitätsdusler und Moralfatzkes. Mein Konkurrent zum Beispiel, der Below, der so schon in allerhand Reformen macht, wird sich die Geschichte nicht entgehen lassen. ERICH :
Mag er. Beim nächsten Rennen schlage ich ihn doch. Und seine Moral wird ebenso lahm sein wie sein Gaul. HARLAND :
Bis jetzt sagt ihm leider niemand etwas nach. — Jedenfalls ist es eine äußerst häßliche Geschichte. ERICH :
Na, die Beleidigung da von deinem Heizer kannst du doch nicht auf mir sitzen lassen. 40
HARLAND
höhnisch:
Fordere ihn doch! — Oder was meinst du, daß geschehen soll? ERICH :
Entlassen. Einfach entlassen. HARLAND :
Das möchte erst schön werden . . . Zur Tür rechts: Kardollehn!
Vierzehnter Auftritt Die Vorigen. Kardollehn, Kardollehn mit einem Blatt Papier in der Hand. HARLAND :
Sagen Sie mal: wie lange ist der alte Hellmuth eigentlich hier in der Fabrik? KARDOLLEHN:
So an die zwanzig Jahr. HARLAND:
Hm. Bestellen Sie ihn doch gelegentlich hier her zu mir. Lassen Sie zugleich durchblicken, daß es sich darum handelt, gewisse Ausdrücke zurückzunehmen. KARDOLLEHN:
D e r nimmt nichts zurück. HARLAND :
Abwarten. Im Falle der Weigerung würde ich mich leider — sagen Sie: l e i d e r gezwungen sehen . . . na, Sie wissen ja schon. Meine Autorität und die meiner Familie gebiete es. Deuten Sie ferner an, daß ich bei v e r s t ä n d i g e m V e r h a l t e n seinerseits einer Lohnerhöhung nicht abgeneigt bin. Dem Mädchen erhöhen Sie ohne weiteres den Lohn. — Sie hat wohl keine Kreuze? 5*
41
KARDOLLEHN:
Nein; die kümmert sich um nichts, bloß um — HARLAND:
Schon gut. — Aber der Alte hat Kreuze? KARDOLLEHN:
Bei den Arbeitern mache ich keine Kreuze mehr. Da ist einer wie der andere fast. Und der ist einer von den Gefährlichsten. Fest wie Eisen! HARLAND:
Wollen sehen. — Haben Sie die Plakate anschlagen lassen? KARDOLLEHN:
Ist besorgt. HARLAND:
Gut. Wie steht's mit dem Kostenanschlag? KARDOLLEHN :
Bitte — hier. HARLAND:
Gut, sehr gut. Da kommt keiner mit. Werden wir's in acht Wochen schaffen? KARDOLLEHN
zögernd:
Die Zeit ist knapp. HARLAND :
Es muß geschafft werden. KARDOLLEHN :
Acht Wochen ist eine kurze Zeit. HARLAND
ungeduldig:
Acht Wochen ist eine lange Zeit. 42
KARDOLLEHN :
Dann müssen neue Kräfte eingestellt und es muß Tag und Nacht gearbeitet werden. HARLAND:
Ganz gleich. Verfügen Sie, wie Sie wollen. Nun — geht's? KARDOLLEHN :
Mir fällt ein: der Nachtarbeit steht das Gesetz entgegen. HARLAND :
Verdammt! Wer bloß diese dummen Gesetze macht! Dann muß es so gehen. Es muß, Kardollehn, es m u ß — oder aus Ihrer Gehaltserhöhung kann nichts werden. KARDOLLEHN :
. . . Noch einige Aufseher und — es wird gehen! Rechts ab.
Fünfzehnter Auftritt Harland.
Erich.
HARLAND :
Ich weiß ja, du —! Es geht alles, alles! Wenn w i r nur w o l l e n ! Er setzt sich an den
Schreibtisch.
ERICH:
Gewiß, Papa. Nur energisch — energisch! Harland
schreibt.
ERICH :
Also, Papa. Denke eben dran: Lord Henningsdorf — der spleenige Engländer — will seinen Araberhengst verkaufen. Wiederholter Sieger. Wäre was für uns. Der Kerl braucht Geld. Singt: „Denn teuer ist das Leben in der Residenz . . . " — „Es hat der Graf von Luxemburg sein ganzes Geld verjuxt-juxt-juxt." 43
Sechzehnter Auftritt Die Vorigen.
Eugenie.
EUGENIE tritt im Straßenkostüm
durch die Mitte
ein:
So, das wäre gemacht! Sie legt den Hut ab. Paßt auf, ich bringe die Sache in Ordnung. Und die Frau Professor, die FrauGräfin sogar—die Belownauch natürlich! —Allewaren sie sofort dabei. Das haben sie nämlich noch nicht erlebt. Sie setzt sich aufs Sofa.. Also laßt euch erzählen, wie wir das arrangieren werden. Zuerst wird ein feierlicher Choral gesungen, dann folgt eine kleine Ansprache von mir natürlich, denn den Vorsitz habe ich mir ausbedungen! und dann kommt die erste Tasse Tee mit feinem Gebäck; ja denkt euch: mit feinem Gebäck! Das will die Frau Hofkonditor spenden. Inzwischen beginnt die Frau Professor ihren Vortrag über das Thema: „ D i e U n s i t t l i c h k e i t — e i n e F o l g e der U n z u f r i e d e n h e i t " . Sie sieht stolz um sich. Imponierender Titel, nicht wahr. Den haben wir erfunden; den Text dazu wird der Herr Professor nachher schnell fertigstellen. Dann folgt eine gegenseitige Aussprache unter den anwesenden Damen der Gesellschaft natürlich! und Belehrungen sowie liebevolle Ermahnungen der Mädchen. Dann folgt die zweite Tasse Tee ohne Gebäck!, wieder ein feierlicher Choral, Gebet und dann ist Schluß! Haben wir das nicht wunderbar ausgedacht? Es muß ein äußerst interessanter Abend werden. ERICH :
Das reine Theater. HARLAND:
Wenn ihr doch bloß die Hände davon lassen wolltet! EUGENIE :
Das versteht ihr Männer nicht. An u n s ist es, die soziale Kluft zu überbrücken.
44
Siebzehnter Auftritt Die Vorigen. Dann Kardollehn, Helene, Klara, KARDOLLEHN von
Anna.
rechts:
Verzeihung, Herr Harland, es meldet sich soeben eine sogenannte Kommission der Arbeiterinnen bei mir. Man fordert die Zurücknahme der Plakate. HARLAND :
Man fordert, man fordert schon wieder? — Lassen Sie eintreten. Helene, Klara und Anna treten von rechts ein. HELENE :
Wir kommen im Auftrage Ihrer Arbeiterinnen mit der Anfrage, ob die Plakate auf Ihr Geheiß angeschlagen sind? HARLAND :
Sie sind immer noch hier? Kardollehn, ich sagte Ihnen doch! KARDOLLEHN:
Heute abend! HARLAND :
So? — Also „meine Damen", was wünschen Sie? HELENE :
Ich sagte Ihnen schon — HARLAND grob:
Das sagten Sie! Zu Anna und Klara: Also Sie leisten jener dort Gefolgschaft? Haben sich auch dazu verführen lassen, gegen Ihren Brotgeber zu revoltieren? KARDOLLEHN ZU
Harland:
Die haben ja auch drei Kreuze! 45
HARLAND:
Was! Die auch! Dann woll'n wir's kurz machen. Also Sie fordern, nicht wahr, Sie f o r d e r n die Zurücknahme der Plakate. Weiter nichts? HELENE:
Wollen Sie mit uns unterhandeln oder nicht? HARLAND:
Sie sehen, es macht mir großes Vergnügen. HELENE :
Ihr Spott gilt zweihundert Arbeiterinnen. Zu Anna und Klara:
K o m m t ! Wenden sich zum Gehen. Also Sie lehnen
jede friedliche Unterhandlung ab? HARLAND ZU Anna und
Klara:
Sagen Sie Ihren Kolleginnen: I c h sei Herr im Hause! ERICH :
Bravo, Papa! D a s ist der richtige Ton! EUGENIE :
Aber, Felix, du verdirbst mir den ganzen Teeabend. H A R L A N D ZU
Helene:
S i e b l e i b e n ! Anna und Klara
ab.
Achtzehnter Auftritt Die Vorigen ohne Anna, Klara und dann
Kardollehn.
HARLAND:
Kardollehn! Besorgen Sie sofort die Papiere für diese — diese Person! Zu Helene: Ihnen werde ich so viel freie Zeit geben, daß Sie Licht und Luft und Sonne im Übermaß schnappen können. Kardollehn rechts ab.
46
HELENE:
Das wird mir sehr gut tun. Übrigens werde ich wohl dabei Gesellschaft haben. HARLAND :
Allerdings; Sie werden nicht die einzige bleiben. E U G E N I E ZU Helene:
Aber Sie werden es doch nicht zum Äußersten treiben? HELENE :
Sie irren sich, das tun nicht w i r ! EUGENIE :
Sie sind erbittert; da verzeiht man manches. HELENE:
Sie haben mir nichts zu verzeihen.
E R I C H sucht Eugenie
fortzuziehen:
So laß doch bloß deine Bekehrungsversuche, Mama. HARLAND:
Spare dir das doch zu heute abend auf. Da seid ihr ungestört. E U G E N I E hartnäckig:
Aber bedenken Sie doch, was für ein Elend Sie heraufbeschwören ! HELENE :
Ich? HARLAND, EUGENIE, ERICH:
Ja - Sie! HELENE :
Sie werden wohl barmherzig — jetzt, wo es Ernst wird! 47
HARLAND:
Noch sind wir nicht so weit, wie Sie glauben. Es gibt noch Vernünftige, welche wissen, daß ein Sperling in der Hand besser ist wie eine Taube auf dem Dache: Besser, sein Brot in Ruhe und Frieden essen, als den Hetzaposteln folgen und zu verhungern oder als Straßendirne zu verkommen ! HELENE:
Ich weiß, wie unsere Moral Ihnen am Herzen liegt.
Neunzehnter Auftritt Die Vorigen.
Kardollehn.
KARDOLLEHN kommt atemlos hereingestürzt, Luft und fuchtelt mit den Händen umher:
schnappt nach
Herr — Herr Harland! HARLAND :
Nanu, Mensch, sind Sie aus dem Häuschen? KARDOLLEHN verzweifelt:
Die — die — die Fabrik — die HARLAND
ungeduldig:
Zum Teufel! Reden Sie! KARDOLLEHN :
Die Fabrik — steht! ERICH, EUGENIE, HARLAND:
Was?! KARDOLLEHN:
Die Fabrik steht, die ganze, ganze Fabrik! HARLAND:
Die ganze? Sind Sie verrückt? 48
ERICH der zum Fenster getreten ist: Wahrhaftig — da! — da! — Aus allen Türen strömen sie hinaus. Lauter Weiber, lauter Weiber! Harland und Eugenie stürzen zum
Fenster.
HARLAND :
Aber da kommen ja die Männer auch — wahrhaftig! EUGENIE :
Schicke doch zur Polizei — Felix! HARLAND :
Holt Polizei, holt Polizei. Erich, Eugenie, Kardollehn holt Polizei. Ich lasse sie verhaften, alle lasse ich verhaften! Kardollehn
in der Mitte eiligst ab
Zwanzigster Auftritt Die Vorigen ohne
Kardollehn.
HELENE :
Das ist u n s e r e Antwort! HARLAND stürzt mit geballten Fäusten auf sie zu: Ihnen werde ich das anstreichen! HELENE :
So wollten Sie es haben! Wendet sich zum Gehen. Wir sind fertig miteinander! HARLAND stellt sich vor die
Mitteltür:
Sie bleiben hier! HELENE bemüht sich,
hinauszukommen:
Und ich gehe! Sie geraten
aneinander.
49
EUGENIE/A'W Harland
in den
Arm:
Felix! So laß doch! ERICH am
Fenster:
Heiliger Himmel! Da ist ja auch der Alte dabei. Zu Harland: Fort da, der alte Hellmuth kommt! Harland, Eugenie und Helene bleiben wie erstarrt stehen.
Einundzwanzigster Auftritt Die Vorigen.
Hellmuth.
HELLMUTH stürzt herein, schleudert Harland beiseite, sieht sich wild um und geht drohend auf Erich zu:
Abbitte soll ich tun bei dir, du Lump! Abbitte?! ERICH
ängstlich:
Was erlauben Sie sich. Was wollen Sie? HELLMUTH:
Meine Tochter will ich! Hörst du, meine Tochter. Meine Marie, meine arme Marie! HELENE :
Was haben Sie, Hellmuth? HELLMUTH läßt ab von Erich, zwingt alle zum Fenster, weich:
Dort, dort bringt man sie.
Zweiundzwanzigster Auftritt Die Vorigen.
Kardollehn.
KARDOLLEHN eiligst durch die Mitte:
Ein Unglück, Herr Harland, ein entsetzliches Unglück! HARLAND, EUGENIE, ERICH, H E L E N E :
Aber was ist denn?! 50
KARDOLLEHN :
Die kleine Marie — HELLMUTH :
Ja, die kleine Marie. Mein Kind — ist tot! HELENE :
W a s sagen Sie? HELLMUTH :
Tot — gemordet. ERICH
entsetzt:
Was sagt er? HELLMUTH:
Der da hat's getan. Der . . . EUGENIE :
Kardollehn, sprechen Sie. KARDOLLEHN:
Verunglückt. Der Maschine zu nahe gekommen. HELLMUTH:
L ü g e ! . . . Lüge! H E L E N E ZU
Hellmuth:
Doch nicht etwa — s e l b s t ? Hellmuth
nickt
und schluchzt
heftig.
EUGENIE :
Aber Erich, Erich! Mein Gott! Hinter
der Szene:
K A R D O L L E H N am
Gesang
der
Arbeitermarseillaise.
Fenster:
Sie kommen, sie kommen. Retten Sie sich! . . . Hellmuth, ist jemand im Kesselhaus? 5i
HARLAND
erschrocken:
Hellmuth, ist jemand . . .? Alle sehen erwartungsvoll auf
Hellmuth.
HELLMUTH :
Nein! Wir sind hier fertig . . . Aber — Kardollehn schnell zur Mitteltür; er stößt diese auf, bleibt aber auf Hellmuth blickend, im Zimmer stehen. HELLMUTH :
. . . laßt nur, laßt nur. Das Feuer brennt noch nicht ordentlich.
Er starrt alle wie geistesabwesend an.
Der
Manometer steigt nur langsam, sehr langsam; viel zu l a n g s a m ! Horcht! Durch die offene Mitteltür wird eine von vier Männern getragene Bahre sichtbar. Zug von vorbeimarschierenden Männern und namentlich Frauen, Gesang wie vorher. Derselbe wird im folgenden schwächer und verklingt bis zum Schluß allmählich. KARDOLLEHN schließt die
Tür:
Gott sei Dank; sie ziehen vorbei! EUGENIE :
Gott sei Dank! ERICH:
Sie — ziehen — vorbei? HELENE:
Ja, sie ziehen vorbei. Wie mutig Sie doch alle sind! — Hören Sie das Lied? Unser Lied . . . HARLAND:
Kardollehn, die Aufträge! KARDOLLEHN :
Es geht auch nicht ein Rad! HARLAND:
Sie müssen gehen, m ü s s e n ! Er richtet sich stolz auf.
Ich will es! 52
KARDOLLEHN :
Unmöglich! HARLAND:
Un-möglich?! . . . Zu Helene: Das haben S i e getan! Er stürzt auf sie zu. Hellmuth richtet sich auf, als wollte er Helene schützen. HARLAND weicht betroffen
zurück:
Was — ist — das? HELENE ZU Hellmuth:
Komm, Alter, wir haben hier nichts mehr zu suchen. Wir müssen vorwärts! HELLMUTH
dumpf:
Vorwärts! Beide ab.
53
GOLGATHA S O Z I A L E S DRAMA A U S D E M
BERGARBEITERLEBEN
IN D R E I AUFZÜGEN UND E I N E M V O R S P I E L
von Paul
6
Münchow, Dramatik I I
Mehnert
PERSONEN
Vorspiel: V e r k a u f t Christoph Maier, Schuhmachermeister Ernestine Maier, dessen Frau Alfred | Martha } d e r e n K i n d e r K l a r a Schlosser 1. A u f z u g : Ein K a m p f um die Liebe Martha Maier Alfred Maier, Obersteiger auf den Reicheltschen Gruben K a r l Schlosser, Bergarbeiter K l a r a seine Schwester Richter | Hammer > Bergarbeiter bei Reichelt Müller ) 2. A u f z u g : Die Rache des Bergherrn Reichelt, Kommerzienrat und Bergwerksbesitzer Gustav, Grubendirektor, dessen Sohn Alfred Maier, Obersteiger Martha, dessen Schwester Markert, Grubenbeamter Schlosser Hammer Müller
f Bergarbeiter
Günnel 3. A u f z u g : Der Knappen Schwur Alfred Maier K a r l Schlosser Richter Streikende Bergarbeiter Kuhnert Hammer Müller Christoph Maier Martha Maier K l a r a Schlosser Kuhnert, ein Sergeant Wenzel, ein Böhme Bergarbeiter, Soldaten Zeit: Frühjahr 1905 Ort der Handlung: Bergarbeiterdorf in der Nähe einer Povinzstadt
VORSPIEL Verkauft
Wohnstube bei Schuhmachermeister Maier. Kleinbürgerliche Einrichtung. Schuhmachermeister Maier, in halbliegender Stellung auf dem Sofa, raucht Pfeife. Vor dem Sofa ein Tisch mit Kaffeegeschirr. Frau Maier und Martha Maier sitzen an dem Tisch, mit einer Handarbeit beschäftigt. Es ist Anfang Mai, an einem Sonntagnachmittag. Heller Sonnenschein.
i . Szene Maier, Frau Maier, Martha. MAIER :
He Alte! Noch eine Tasse Kaffee. FRAU MAIER:
Du solltest eigentlich gar keinen trinken wegen deines Schlaganfalls, und noch dazu mußt du immer paffen. Das sollte bloß der Doktor wissen, er hat dir's j a ausdrücklich verboten. Da kannst du natürlich deinen Kopfschmerz nicht verlieren. MAIER :
Ach was, gib nur her, deine Sorte wirft niemand um, und ohne Rauchen kann ich nicht leben. FRAU
MAIER:
Ihr Männer müßt immer etwas besonderes für euch haben. 6*
57
MAIER :
Wenn nur so'ne alte Scharteke egal was zu brummein hat, nachher ist ihr auch wohl. MARTHA :
Zankt euch doch nicht, was muß denn Fred denken, wenn er kommt. Daß er aber auch nicht geschrieben hat, mit welchem Zug er ankommt. M A I E R springt vom Sofa auf:
Hast recht Mädel! He Alte, hast alles hergerichtet? Er muß mit dem Dreiuhrzug kommen, denn später hat er keinen Anschluß. Ist ein Krug frisches Bier da? Sapperlot noch mal, auf den Jung' freu ich mich. Hab' ihn doch einige Jahre nicht gesehn. Es klopft. MARTHA :
Horch, es hat geklopft. Sollte er es schon sein?
2. Szene Vorige, Alfred, Maier im Reiseanzug, Handkoffer, durch die Mitte. MARTHA:
Fred! Bist du es wirklich? Mein guter Bruder.
Fällt
ihm
um den Hals. MAIER :
Nimm ihn nur nicht ganz in Beschlag, tust ja, als ob er dir allein gehörte. FRED:
Guten Tag, Schwesterchen! Guten Tag, liebe Eltern! F R A U MAIER küßt ihn:
Oh, mein guter Fred!
58
MAIER :
Sakrament noch einmal, laßt doch den Jungen endlich mal los. Komm her Junge. Du darfst mir's halt nicht übelnehmen, wenn du auch größer bist als ich, und wenn du auch schon einen Schnurrbart hast, derentwegen bin ich aber immer noch dein Vater. Sakra, ich freu mich, weil du wieder da bist. Komm, setz dich, mache dir's kommod. — Du, Alte, lauf zum Fleischer, er soll von der besten Wurst schicken, die er hat, und du zu Martha tust die geschliffenen Gläser und den Pfefferminz her. Frau Maier durch die Mitte ab. MARTHA:
Ach lieber Fred! Wie sieht es denn in Berlin aus? Warst du recht viel im Theater? Was tragen denn dort die Damen? Ist der Onkel noch gesund? Hat es dir in Berlin gefallen; auch auf der Bergschule in Dortmund? MAIER :
Die geschliffenen Gläser sollst du her tun. Um das andere werde ich mich schon selber kümmern. Martha Gläser.
nimmt
aus einem Schrank eine Flasche und zwei
M A I E R schenkt
ein:
So, nun prost mein Junge. Trinkt. Nun erzähle mir einmal, wie es dir ergangen ist? Hast denn was Ordentliches gelernt? Hast in Ehren gelebt in dem Sündenbabel an der Spree? FRED:
In Ehren, Vater? J a glaubst du vielleicht . . . MAIER
verlegen:
Nu ja, ich — ich meine nur. Nimm es mir nicht übel, Junge. Die jetzigen Zeiten sind zu bewegt, und es wäre mir nicht gleichgültig, wenn dich das Gift, das gewisse Parteien auszuspritzen pflegen, angesteckt hätte. Solche verkehrten Anschauungen und solche gotteslästerlichen Lehren sind früher nicht bekannt gewesen. Da sieh 59
dir nur unsere Bergarbeiter jetzt einmal an, acht Stunden wollen sie bloß noch arbeiten, fünf Mark pro Schicht verdienen und auch noch wie ein neugeborenes Kind gewaschen von der Arbeit nach Hause gehen. Früher waren sie froh, wenn sie nur Arbeit hatten, mit Gebet und heiligen Gesängen begannen und beendeten sie die Schicht. Und jetzt? . . . Kaum sehen sie nur das Zechengebäude, so schimpfen sie schon. Aber daran ist nur die Organisation schuld, die dient nur dazu, die Arbeiter aufzuhetzen und unzufrieden zu machen. Und sogar eine eigene Zeitung haben sie, in der die Grubenbesitzer an den Pranger gestellt werden. Die Redakteare dieser Zeitung sind die ruppigsten Kerle, die es auf der Gotteswelt gibt. — Solche Zustände. — Wohin soll das führen? Die konservativen Anschauungen, die Säulen unseres Staatswesens, verlieren immer mehr Halt im Volke. Ich bin ein konservativer Mann, der all diesen „sozialen Wahrheiten" feindlich gegenübersteht. Um so mehr aber werde ich von Sorge ergriffen, wenn ich daran denke, daß du vier Jahre in Dortmund warst, wo doch gewissermaßen die Zentrale des Bergarbeiterverbandes ist. Du warst zwei Jahre in Berlin, wo die Hefe aller Nationen zusammenströmt und . . . MARTHA hat den Reisekoffer Bücher zum Vorschein:
Freds ausgepackt
und bringt
Ei, seht doch — seht doch, was Fred für schöne Bücher mitbringt. Stellt die Bücher auf den MAIER sieht die Bücher
Tisch.
an:
„Die Entwicklung der Geschichtsauffassung bis auf Karl Marx". „Die Gewerkschaften, ihr Nutzen und Bedeutung!" „Marx ökonomische Lehren!" „Der Bürgerkrieg in Frankreich!" „Das Kapital." „Das moderne Elend!" „Neutrale und christliche Gewerkschaften" von Otto Hue! „Warum fordern wir eine Reichs-Berggesetzgebung?" von Hermann Sachse! Hm — Ja was ist denn das? — Ich hoffe doch nichts? — FRED:
Was hoffst du nicht, mein Vater? 60
MAIER:
Sachse? Hm! Sachse? Das ist doch der Führer der sozialdemokratischen Bergarbeiter ? FRED:
Ganz recht! Ich bin stolz darauf, ihn als meinen Freund zu nennen. MAIER
erschreckt:
Du wärest Sozialdemokrat? FRED:
Wenigstens beschäftige ich mich mit den Theorien des Sozialismus. MAIER :
Du ein Sozialdemokrat? Und dein Vater ein konservativer Mann. Du, der du im christlichen Glauben erzogen worden bist, bekennst dich zu einer Partei, die den auf christlichen und konservativen Grundsätzen beruhenden Staat umstürzen will? FRED:
Wie man das macht, einen Staat umstürzen? — weiß ich leider nicht. Soviel ich aber aus den Schriften gelesen, und ich habe sie mit Eifer studiert, will die Sozialdemokratie das kapitalistische Gesellschaftssystem, welches eine Quelle des Elends und der Knechtschaft für die Besitzlosen ist, abschaffen und dafür ein sozialistisches System errichten, in welchem die heiligen Güter der Kultur Gemeineigentum sind. MAIER
erregt:
Possen! Phrasen! Davon verstehst du nichts. FRED:
Ich glaube die Bücher sehr wohl verstanden zu haben. MAIER :
Du nennst den gewissen Sachse deinen Freund? Dann bist du am Ende wohl gar Mitglied des Verbandes . . . 61
FRED:
Deutscher Bergarbeiter? Allerdings! MAIER :
Und wohl eines politischen Vereins? FRED :
Des sozialdemokratischen Vereins, in dessen Bezirk ich wohnte. MAIER
verzweifelt:
Mein Sohn! O mein Sohn! Und ich Verblendeter hab' mein Kind so jung in die Welt hinaus geschickt. Ich hab' es mir gedacht, daß es solche Früchte bringen würde. Das sind die verderblichen Einflüsse der Großstadt. — Dieses Sündenbabel an der Spree. — Anhänger einer Partei, die sich gegen Thron und Altar wendet? Und nun willst du wohl am Ende in deiner Heimat, unter meinen Augen diese Ideen weiter verfolgen? Das dulde ich nicht! Du mußt umkehren. Hörst du! Noch ist es Zeit, noch hat dich niemand wieder kennengelernt. — Schnell, Martha, fache das Feuer an im Ofen. Wir wollen die Schriften verbrennen. FRED:
Erlaube mal, Vater. Du wirst nämlich jetzt höchst ungemütlich. Das werde ich um keinen Preis dulden. Diese Bücher haben mich m e i n Geld gekostet. MAIER:
Ich werde es dir dreifach wiedergeben. FRED:
Ich dulde es aber nicht, daß du mein Glaubensbekenntnis verbrennst wie ein Ketzerrichter. Diese Schriften enthalten meine tiefinnerste Überzeugung. MAIER:
Deine tiefinnerste Überzeu . . . Hinaus, Martha! Das ist nichts für Weiber. Ich will allein mit ihm reden. Martha,
die während der Szene in einem der Bücher
hat, schmollend
62
ab.
gelesen
MAIER:
Heiliger Gott! E s darf nicht sein stützt sich auf einen Stuhl. Nach einer Pause. Bewegt: Alfred! FRED :
Vater? MAIER stellt sich hochaufgerichtet vor seinen Sohn: Alfred! Wir wollen die Sache in Ruhe überlegen. Was du mir eben gesagt hast, ist mir nicht gleichgültig. Bist du wirklich ein Sozialdemokrat? FRED:
Das zu beurteilen, muß ich andern überlassen, Vater, ich gebe mir Mühe, es nicht nur allein dem Worte nach, sondern auch der Tat nach zu sein. MAIER :
Das geht nicht. Hörst du? D u mußt umkehren und wenn es dich Opfer kostet. FRED bestimmt: Das Opfer bringen.
meiner
Überzeugung
werde
ich
niemals
MAIER :
Komm, setze dich. L a ß mich ruhig ausreden. D u warst immer mein Stolz, und mein einziges Streben ging dahin, aus dir etwas Rechtes zu machen. Die Leute sollen sagen: „ A u s Maiers Fred ist doch w a s Großes geworden." — A l s du sechzehn Jahre alt warst, fuhrest du ein Jahr zur Grube, dann schickte ich dich auf die Bergschule nach Dortmund, als du mit der Bergschule fertig warst, kamst du nach Berlin, um deine Studien zu vervollständigen. Es war ein Fehler, wie ich sehe. Doch lassen wir das — deine Leistungen haben mich befriedigt. Nun habe ich dich zurückkommen lassen, damit du in den nächsten Tagen als Beamter in den Bergwerken des Herrn Kommerzienrat Reichelt eintreten kannst.
63
FRED :
Ich weiß das, Vater. MAIER :
Glaube nicht mein Junge, daß ich untätig war, während du dich draußen befandest. Ich habe dir den Posten verschafft, der Herr Kommerzienrat ist dir sehr gewogen, er wird dich an einen hervorragenden Posten stellen. Du hast dann Stellung für's ganze Leben. FRED:
Ich bin dir sehr zum Dank verpflichtet, mein Vater. MAIER :
Aber meinst du, der hochkonservative Herr Kommerzienrat, der Mann, der mit den Ministern Fühlung hat, werde einem Sozialdemokraten seine Gunst schenken? FRED:
Du bist sehr gütig, mein Vater, aber du kalkulierst falsch. Ich bin bereit, Herrn Reichelt meine Arbeitskraft zu verkaufen. Er mag mich an einen hohen, oder an einen niederen Posten stellen, er mag den Grad der Ausbeutung steigern oder verringern, ich werde mich zufriedengeben, denn ich habe mich ihm ja verkauft. Aber ich habe meine Überzeugung, mein politisches Denken ihm nicht verkauft. Über das habe nur ich allein zu verfügen. Ist er damit nicht einverstanden, so suche ich mein Brot anderwärts. MAIER:
Du weißt noch nicht alles. FRED:
Noch nicht alles? MAIER:
Du erinnerst dich wohl noch des Unfalls, wo beinahe der Sohn des Herrn Kommerzienrats um sein Leben gekommen wäre, wenn wir beide, du und ich, nicht gewesen wären. Er hat mir's gedankt. Er half mir und dir. Er hat die Mittel zu deiner Ausbildung bezahlt. 64
FRED:
J a , davon weiß ich aber noch kein Wort. MAIER:
Du bist dem Herrn Kommerzienrat zu ewigem Dank verpflichtet, denn wäre er nicht gewesen, so hättest du die Schule zu Dortmund nicht gesehen. FRED:
Oh, hätte ich sie nicht gesehen, es wäre besser gewesen, als daß ich mit dem Brandmal der Wohltat des Reichtums einherlaufe. — Ich soll nun immer daran denken, täglich soll ich das vor Augen haben, um jeden Schritt danach zu richten — nie und nimmer! Ich werde zu Herrn Reichelt gehen und ihm sagen, daß ich umsonst bei ihm arbeiten will, bis der letzte Pfennig des Almosens zurückgezahlt ist. MAIER :
Das wirst du nicht tun. E r wird es auch nicht annehmen. Solche Leute wollen die Dankbarkeit in anderer Form sehen. Hingebende Dienste. Unterwürfigkeit gilt bei ihnen mehr als Geld. FRED :
Das Schmeicheln verstehe ich nicht. War es denn wirklich eine so unbezahlbare Wohltat, die er mir erwies? Stand das Leben seines Sohnes so niedrig im Preis, daß es ihm die lumpige Summe nicht wert war, die er zu meiner Ausbildung gegeben? Nun soll wohl die Dankbarkeit verewigt werden? — Kriechen soll ich täglich wie ein Hund, um vor dem Wohltäter, der dir das Leben seines Sohnes dankt, würdig zu erscheinen? MAIER :
Ich verstehe dich nicht. Es handelt sich doch um dein Lebensglück, um eine gesicherte Existenz, nach der Tausende von Menschen vergeblich die Arme ausstrecken. Der Herr Kommerzienrat hat Großes mit dir vor, darum sollst du dich von deinen Irrlehren bekehren. Hier im
65
Ort brodelt es unter den Arbeitern wie in einem Hexenkessel. Namentlich unter den Bergarbeitern gährt es wieder, denn diese sind alle von den Irrlehren der Sozialdemokratie erfaßt. Darum wollen die Industriellen Leute an der Spitze der Arbeiter sehen, die königstreu sind. Diesen Leuten nun, und vor allen dir, hat man eine große Rolle zugedacht, sie sollen die Arbeiter umschmeicheln und dann zur gegebenen Zeit den gewissenlosen Agitatoren, den Führern der Arbeiter, den Laufpaß geben. Diese Schufte, wenn nur irgend möglich verdächtigen, damit . . . Frau
Maier
tritt ein, sie ist bereits von Martha
und sieht bekümmert
auf
unterrichtet
beide.
FRED:
Ha! Ha! Ha! Also das habt Ihr mit mir vor? Horchen soll ich, wo jemand ein freies Wort spricht, und auf die Straße denjenigen werfen, der für die Verbesserung seiner Lage eintritt. — Einen Agenten des Reichslügenverbandes? Einen Lump, einen freiwillig Deklassierten? — Einen Judas, der für guten Lohn seine Brüder verrät, wollt ihr aus mir machen? Ah, nun verstehe ich ja auch — darum ja auch der Ausbildungskursus in Berlin. Na, ich kann es ja offen sagen, ich habe es ja gründlich besorgt. — Aber habt ihr das wirklich mit mir vor? Sagt's frei heraus, noch sind meine sieben Sachen nicht g a n z a u s g e p a c k t . Geht an seinen Koffer und will wieder packen.
ein-
MAIER :
Halt! Bist du verrückt! Nimm doch Vernunft an, Fred. Wenn dich schon kein vernünftiges Wort von der abschüssigen Bahn abbringen kann, so nimm doch wenigstens Rücksicht auf mich. Sieh, ich bin Vorstandsmitglied vom konservativen Verein, vom evangelischen Arbeiterverein und auch vom reichstreuen Knappenverein, welche alle vom Herrn Kommerzienrat geleitet werden. Ich müßte all diese Ehrenämter niederlegen, wenn sie erfahren, daß du ein Sozialdemokrat bist.
66
FRED :
Ich soll also wegen deiner Vereinsmeierei zum Gesinnungslumpen werden? Überlege es dir, und du wirst einsehen, daß es das Opfer nicht wert ist. Du bist affen.stolz auf dein Spießbürgertum, aber im Grunde genommen bist du nichts mehr und nichts weniger als ein Proletarier, noch dazu ärmer als jeder andere, du hast •dich als willenloser Sklave verkauft. Als Parademensch, als williges Werkzeug taugst du jener Gesellschaftsklasse, die da glaubt, Bildung und Besitz in Erbpacht genommen zu haben. In keiner Weise werde aber ich mich zu solch einem Werkzeug hergeben. Verlange von mir, was du willst, nur das nicht. MAIER :
Fred, ist das dein letztes Wort? FRED:
Mein letztes! MAIER :
Dann gehen wir zwei Wege. Die Freude, mit der ich deiner Ankunft entgegensah, ist erloschen. Tu, was dir beliebt. Wenn du aber mich schädigst und deine Familie ins Verderben stürzt, dann wisse, daß ich mich wehren werde. Wir sind vorläufig fertig miteinander. Leb wohl! Ab.
3. Szene Vorige, ohne Maier. FRAU MAIER:
Oh, mein Gott! Fred, was hast du getan? Oh, mein Jung, mein Jung! Ich hab mich so gefreut, daß du gekommen bist, nun hat die Freude ein Ende. Aber sag mir, was soll nun werden? Der Vater verbietet dir das Haus, wenn du nicht auf ihn hörst. Was soll aus uns werden? Und aus dir, mein Jung? Du bist ein — ein — Sozialdemokrat. Kennst keine Kirche, hast keinen Glauben — 67
FRED:
Was soll das alles, Mutter? Ihr seid beide alt, gut, der Vater mag seine Schuhmacherei an den Nagel hängen, ich bin groß und stark genug, euch beide zu ernähren, verlange aber auch du nicht, daß es auf diese Weise geschehen soll, wie es der Vater will. Was den Glauben betrifft, liebe Mutter, laß das, bitte, meine Sorge sein. Gewiß, es ist wahr, ihr habt mich in eurem Glauben erzogen, es kommen aber einem jeden in seinem Leben gewisse Momente, wo man zu einer anderen Überzeugung kommt und kommen muß. Vor sechs Jahren ging ich von hier in die Welt hinaus. So unerfahren wie ich noch war, lernte ich jedoch in dem großen Getriebe der Menschheit, die Klassenunterschiede, die die Menschen voneinander trennen, sehr bald kennen. Ein unüberbrückbarer Abgrund trennt die besitzende von der enterbten Klasse. Ein großes Massenelend auf der einen, üppiger Reichtum auf der anderen Seite. Geh' einmal nach den großen Industriezentren, Essen, Berlin, besuche dort die Arbeiterfamilien, man müßte ein Herz von Stein haben, wollte man dem krassen Elend teilnahmslos zusehen. Hier in unserm Bergwerksrevier ist es nicht viel besser. Betteln müssen die armen Eltern ihre Kinder schicken, nur damit es zum nackten Leben reicht. Und dabei predigen die Pfaffen am Sonntag von der Kanzel: Liebe deinen Nächsten als dich selbst. Kommt aber nun einmal ein armes Proletarierweib vor die Tür dieser Geistlichen, um etwas für den Hunger ihrer Kinder zu erbitten, so wird sie meist mit leeren Bibelsprüchen abgespeist, und statt helfend einzugreifen, denunziert man sie eventuell noch bei der Polizei. Das arme Weib aber kommt wegen Bettelei ins Gefängnis. FRAU MAIER:
Solche Zustände sind aber doch nicht überall. FRED:
Mutter, dort, wo das Kapital sich konzentriert hat, wo es eine von den Pfaffen verdummte Arbeitermasse vor68
findet, findest du diese Zustände überall. Glaube mir, Mutter, nur ein Glaube und nur eine Macht kann all den Zuständen ein Ende bereiten. Und das ist die Macht der gewerkschaftlichen Organisation und ein fester Glaube an den Sozialismus. Martha herein.
und
Klara
Schlosser
stürzen
lachend
zur
Tür
4. Szene Vorige, Martha und Klara
Schlosser.
FRAU MAIER:
Ihr seid aber unartige Menschen. MARTHA:
Aber Mama! Laß uns doch unsern Spaß. Nun, Bruder, ist die Beichte zu Ende? Sieh, wen ich mitgebracht habe! Kennst du sie noch? FRED:
Guten Tag, mein Fräulein! Sind Sie nicht — wahrhaftig, es ist die lustige Kläre Schlosser, und so frisch und munter. Nun, wie geht's immer? Ist Karl gesund? Ich freue mich aufrichtig, ihn wiederzusehen. K L A R A SCHLOSSER:
Mir geht es ganz gut, das heißt, was die Gesundheit anbelangt. Ich bin im selben Geschäft, wo Martha ist, arbeiten müssen wir tüchtig, geschenkt wird uns nichts, und dabei ein Lohn, kaum zum leben. Ja, wer seine Eltern noch hat, da geht es immer noch, aber ich steh' allein. Mein Bruder hat außer seiner Arbeit noch soviel zu tun, von seinem Verdienst gibt er noch seinen notleidenden Kameraden ab. Er ist auch selten zu Hause, fast jeden Abend in Versammlungen. Seitdem er nicht mehr mit dir verkehren darf, Martha, ist er wie umgewandelt. Er arbeitet wie ein Stück Vieh, ich habe ihn oft genug gewarnt, er ruiniert sich seine ganze Gesundheit. Es ist gerade, ob er Vergessenheit suchen wollte. 69
FRED ZU Martha, welche ihn scheu ansieht:
Er verkehrte mit dir, Martha? FRAU MAIER:
Ja, der Vater litt es nicht länger, er will Martha keinem Sozialdemokraten anvertrauen. Ich habe nichts dagegen, mir wäre es lieber, Karl käme wieder ins Haus. FRED:
Aber ich verstehe dich nicht, liebe Schwester. Gewiß ist es eine gute Tugend, dem Vater zu gehorchen, aber in diesem Falle, wenn man einen Menschen lieb hat und man wieder geliebt wird, wenn ein Weib überzeugt ist, daß es mit dem Manne ihrer Wahl glücklich wird, so soll, so steht es doch auch in der Bibel, nicht wahr, liebe Mutter, ein Weib die Eltern verlassen und dem Manne ihrer Wahl folgen. MARTHA
verlegen:
Ich bitte dich, reden wir nicht mehr davon. Maier tritt von links ein zum Ausgehen Fred zu.
fertig. Geht mit Hut und Stock auf
5. Szene Vorige,
Maier.
MAIER :
Mache dich fertig, Fred! Du gehst jetzt mit mir. FRAU MAIER :
Aber Mann, Alfred hat ja noch gar nichts gegessen. FRED:
Wohin soll ich mit dir? MAIER :
Zu Reichelt!
70
FRED:
Also doch. Aber eins bitte ich dich, Vater. Versuchst du bei Reichelt ein politisches Thema zu berühren, so wisse, daß ich meine Überzeugung nicht verleugnen werde. MAIER :
Sei unbesorgt, ich werde tun, wie es dein und mein Interesse erfordert. Also mache dich fertig. FRED:
Gut, Vater, ich werde den Kampf aufnehmen. Eins lasse dir gesagt sein, meine Arbeitskraft will ich deinem Kapitalsgötzen, dir zur Liebe, verkaufen, niemals aber meine Gesinnung. Ende des Vorspiels
i.
AUFZUG
Ein Kampf um die Liebe Schlossers
Wohnstube
Ärmliches aber sauberes Zimmer, ein Schrank, ein Tisch, mehrere Stühle. Zeitungen liegen ungeordnet auf dem Tisch. An der Wand sieht man die Bergarbeiterzeitung und beliebige Parteizeitungen hängen. Gleichfalls hängen an den Wänden einige Bilder von Parteiführern. Es ist Abend. Diese Handlung spielt vierzehn Tage nach dem Vorspiel.
1. Szene Schlosser, Richter, Hammer und Müller sitzen am K A R L SCHLOSSER
Tisch.
aufspringend:
Sagt was ihr wollt, es gibt keinen andern Ausweg. Sollen wir all das krasse Elend noch länger mit ansehn? 7
Münchovv, Dramatik II
7i
Tag für Tag nur immer schuften wie die Hunde. Jeden Tag zwölf bis vierzehn Stunden, und dabei nur das verdienen, daß es für's nackte Leben langt? Unser Brotgeber weiß nicht, wie er all sein Geld durchbringen soll, vor allem das verzogene Muttersöhnchen, der junge Reichelt, der hat schon Tausende für Sekt und Liebesgelage hinausgeworfen. Je mehr wir schuften, je mehr wir hungern, um so toller treibt er es. Und das wollt ihr länger mit ansehen? Habt ihr denn kein Erbarmen mit euren Frauen und Kindern? Ich sage euch, es wird, es muß etwas geschehen. ALLE:
Ja, es muß etwas geschehen. RICHTER:
Ich möchte euch aber doch raten, daß ihr euch die Sache genau überlegt. Es ist leicht gesagt, morgen streiken wir. Ihr habt die Verantwortung. Seid ihr sicher, daß ihr die ganze große Masse hinter euch habt, gut, ich wäre der letzte, der euch davon abraten würde. Ich selbst habe es am eigenen Leibe oft genug erfahren müssen, wie weh' es tut, wenn einem der Hungerriemen immer enger geschnallt wird. Aber gegen eins habe ich Bedenken. Du Karl, sollst dich nicht an die Spitze der Bewegung stellen. Überlaßt die Führung älteren besonneneren Kameraden, du bist zu leidenschaftlich. Und dann bedenke deine Jugend, die Verantwortung, die auf dir lastet. Dein ganzes Leben hindurch mußt du dir Vorwürfe machen, wenn der Streik verlorengeht. K A R L SCHLOSSER:
Ich weiß, du meinst es ehrlich, und weiß auch deine väterlichen Ratschläge zu schätzen, in dieser Frage jedoch kann ich dir nimmer recht geben. Die Kameraden haben mir ihr Vertrauen voll und ganz geschenkt, und ich werde es zu würdigen wissen, und ist es nicht mehr recht wie billig, wenn sie einen, der keine Familie zu ernähren hat, beauftragen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ohne Maßregelung geht es nicht ab. Willst du, daß ein Familienvater auf das Straßenpflaster 72
geworfen wird? Gewiß nicht! W a s die andere Befürchtung betrifft, da bin ich mir vollkommen klar. Es ist nicht mehr wie früher. Hinter uns steht eine gewaltige Organisation. Im übrigen wollen wir den Kampf noch gar nicht. Von unserer Seite ist alles geschehen, um in Frieden eine Verständigung zu erzielen. Haben wir uns nicht bittend an das Bergamt, an das Ministerium, ja sogar an die Landesstände gewandt? Leider ohne Erfolg. Jene Leute haben ein Herz von Stein, sie kennen kein Erbarmen. Man drängt uns ja in den K a m p f . Geht man einmal am Abend die Straße hinunter, so kann man schon all das krasse Elend sehen, zu fünf und zu sechs sitzen die Kinder mit ihrer Mutter um den Tisch, hohlwangig, bleich, und sie hasten, schneiden und nähen um den Hundelohn, den sie für diese Arbeit erhalten. Die ganze Woche verdient so eine Mutter mit ihren Kindern eine Mark bis eine Mark fünfzig Pfennige, und dafür müssen sie täglich 12—15 Stunden arbeiten. So manches arme Weib möchte sich mit ihren Kindern zur Ruhe legen, aber sie kann ja nicht, der Vater verdient ja zu wenig. Sagt, was ihr wollt! Heimzahlen werden wir es der Gesellschaft, aber so, daß sie für immer daran denken soll. Kleine Pause. Zu Fritz Müller. Du, Fritz, die Flugblätter habt ihr doch in letzter Nachtschicht verteilt? Wie ist denn die Stimmung bei euch? FRITZ MÜLLER :
Ist alles besorgt. Unsere Leute warten nur auf ein Zeichen. Lieber heute wie morgen wollen sie die Brocken hinwerfen. Ich bin in der Pause vor einigen Örtern gewesen, die wollten lieber gleich Schicht machen. Ich mußte meinen ganzen Einfluß aufbieten, daß sie es nicht sofort getan haben. — Du, was ich sagen wollte — der GünnelFranz gefällt mir nämlich ganz und gar nicht. E r ist zwar einer der eifrigsten, aber mir scheint, er ist hinterlistig und falsch. E r hat so etwas Lauerndes — wenn er nur nicht bloß spioniert. K A R L SCHLOSSER:
Günnel? Günnel? Warte mal, ist das nicht der Semmelblonde? 7»
73
FRITZ MÜLLER :
J a . E r scheint auch mit dem neuen Obersteiger auf sehr gutem Fuße zu stehen, denn ich sah beide öfters miteinander sehr vertraulich sprechen. K A R L SCHLOSSER:
Hm! s'ist doch sonderbar. Er hat sich doch vorgestern bei mir als Mitglied zum sozialdemokratischen Verein angemeldet. FRITZ MÜLLER :
Vielleicht täusche ich mich, aber . . . K A R L SCHLOSSER:
Nun, wir werden gut tun, etwas schärfer auf ihn zu achten. M A X HAMMER :
Aber, sagt mal, habt ihr schon den Feldzugplan entworfen? Wie wollt ihr denn die Geschichte einfädeln? K A R L SCHLOSSER:
Nur Ruhe. Vor allen Dingen müssen wir einige Versammlungen abhalten und für die nötige Aufklärung sorgen, vor allem den Frauen unseren Standpunkt gehörig klarmachen. M A X HAMMER :
Versammlungen abhalten? Du hast leicht reden. Aber wo? K A R L SCHLOSSER:
Wo? Nun, wo wir sie immer abgehalten haben, im „Gasthof zur Krone". M A X HAMMER :
Den hat unser liebenswürdiger Brotgeber heute durch seinen Rechtsanwalt von seinem früheren Besitzer gekauft. Wirst wohl bei dem lange warten müssen. 74
K A R L SCHLOSSER:
Verdammt! Aber sag' mir, wie ist denn das zugegangen? Der Wirt hat ja durch uns keine schlechten Geschäfte gemacht. Seine Bude war ja ständig voll. M A X HAMMER :
Hundertachtzigtausend Mark ist ein hübscher Batzen. K A R L SCHLOSSER:
Teufel noch einmal! Daß dem Reichelt unser Lokal ein Dorn im Auge war, wissen wir ja schon längst. Aber hundertachtzigtausend Mark . . . HAMMER :
Wir bezahlen es ihm ja. F R I T Z MÜLLER :
Hier hilft kein Kopfhängen, Karl. Schaffe Rat. Ich weiß, du bist nicht verlegen darum. K A R L SCHLOSSER:
Nein, dieser Schuft! Sinnt. Die Versammlungen im Freien verbietet uns die Polizei. Wenn wir wenigstens einen Platz hätten, wo wir die Vertrauensmännersitzungen abhalten könnten. Hm! — das könnte gehen. Im Zeisigwald, neben dem Luftschacht, da befindet sich doch ein freier Platz, dort, wo die kleine Brücke über den Bach geht — M A X HAMMER :
Dort, wo die Leute sagen, es wäre nicht richtig, es gehe d e r B e r g g e i s t u m . Alle
lachen.
RICHTER:
Nun, da spielen wir einmal Berggeist. M A X HAMMER :
Den Schrecken bekommen aber nicht abergläubische Frauen und Kinder, sondern ganz andere Leute. Alle lachen.
75
K A R L SCHLOSSER :
Machen wir. Vor allem sind für morgen abend neun Uhr sämtliche Vertrauensleute dorthin zu laden. Ihr besorgt das bitte einmal. ALLE:
Selbstverständlich. KARL
SCHLOSSER:
Das übrige können wir ja dann dort beraten, wenn wir alle beisammen sind. Es ist besser so, es kommt dann nicht allein unsere, sondern auch die Meinung der anderen Kameraden zum Ausdruck. Vor allem aber schweigen gegen die übrigen, damit wir nicht erst noch die Polizei auf den Hals bekommen. FRITZ MÜLLER :
Am besten wird sein, Max, wir gehen heute noch und laden die Kameraden. MAX
HAMMER:
Wird gemacht. K A R L SCHLOSSER:
Aber Vorsicht. Hammer mit Richter. Kleine
und Müller gehen ab. Schlosser
bleibt
Pause.
2. Szene Vorige, ohne Hammer
und
Müller.
RICHTER:
Wie sie dir folgen. Aufs Wort. Verzeih mir, Karl, wenn ich dir vorhin eine kleine Ermahnung zuteil werden ließ. KARL:
Ich habe dir nichts zu verzeihen, Vater Richter. Ich weiß deine Ratschläge zu schätzen, wir werden auch immer den Rat unserer Alten zu schätzen wissen. Karl brütet vor sich hin, als ob ihm etwas Schweres
76
auf der Brust
läge.
RICHTER:
Sag, Karl, drückt dich etwas? Hast du Geldsorgen? Du weißt, wenn ich auch nichts besitze, was ich aber für eure gerechte Sache tun kann, tue ich herzlich gerne. Karl: Nein, nein, Vater Richter. Geldsorgen drücken mich nicht; das, was ich brauche, habe ich. Es ist etwas anderes . . . RICHTER:
Willst du dich nicht mir anvertrauen, Karl? Ich habe dich schon länger beobachtet. Im Kreise deiner Kameraden bist du voll von Siegesgewißheit, von Lust und Humor, und bist du allein, dann bist du niedergeschlagen. Auf der Straße läufst du herum wie ein Träumer. Geh in dich, Karl, laß das Kopfhängen sein. KARL:
Du hast recht. Es geht nicht länger so fort. Es muß einmal heraus. Dir kann ich es ja sagen, du bist immer gut zu mir gewesen, es wäre eine Schlechtigkeit von mir, wollt ich dir nicht ganz vertrauen. Du weißt, ich verlor sehr früh meine Eltern. Sie lebten beide in Liebe und Eintracht zusammen, es gab wohl kein glücklicheres Ehepaar als meine Eltern. Meine Schwester und ich, wir waren ja die einzigen Kinder, wurden von ihnen in den Himmel gehoben, sie lehrten uns recht und schlicht in ihrer Weise, mehr als einmal sprach unser Lehrer bei meinen Eltern vor, um ihnen zu danken für die Vorbildung, die wir genossen — er hatte es mit uns leicht, — nun ist er auch hinüber, der alte Graukopf . . . Du wirst wissen, meine Mutter starb nicht eines natürlichen Todes. — Meine arme Mutter . . . Ich weiß es noch wie heute, — es war an meinem Namenstage, ich war gerade 10 Jahre alt, da hörte ich plötzlich am Abend aus dem Schlafzimmer meiner Eltern einen fürchterlichen Streit. Da auf einmal hörte ich meinen Vater meiner Mutter zurufen: „Das also hast du fertig gebracht? Elf Jahre lang hast du mich betrogen, und du konntest mir immer, 77
ohne erröten zu müssen, unter die Augen treten. Hinaus! sag ich dir, oder es geschieht ein Unglück!" — Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten hatte, aber schon am anderen Morgen wurde mir die furchtbare Bedeutung dieser Worte klar. Man hatte meine Mutter tot aus dem Schloßteich, der zum Besitztum des Reichelt gehört, gezogen. Sie hatte ihrem Leben freiwillig ein Ende gemacht. — Arme Mutter! — Erlaß mir, den Schmerz dir zu schildern, den ich damals empfunden habe. Es mag dir genügen, wenn ich dir sage, daß mein Vater nicht mein richtiger Vater war, sondern daß der, der da unten in der Villa haust, mein Erzeuger ist. RICHTER :
Kommerzienrat Reichelt? KARL:
Derselbe. Nach einem inneren Kampf . Er hat meine Mutter verführt. Diese hat ihren Zustand vor ihren Eltern zu verbergen gewußt und schließlich noch in der Zeit meinen Pflegevater geheiratet. Kein Mensch wußte davon, nur Reichelt, und er hatte meiner Mutter an jenem Unglückstage eine Summe Geldes geschickt. Sie sollte es zu meiner Ausbildung benutzen. Der Brief fiel meinem Pflegevater in die Hände. Er warf dem Reichelt das Sündengeld vor die Füße. — Trotzdem mein Pflegevater wußte, daß ich Zeuge jener Szene gewesen war, ließ er sich nichts merken, er versuchte an mir gut zu machen, worin er gefehlt. — Meine Mutter hat es ja auch schon lange gebüßt — immer — immer — wer weiß, wie viele qualvolle Stunden das arme Herz durchlebt hat. — Doch nun ist es vorbei. — Mein Pflegevater arbeitete nach wie vor auf den Reicheltschen Gruben, bis plötzlich nach einem Jahre die große Schlagwetterexplosion stattfand und er ein Opfer derselben wurde. Uns zwei arme Hascherl hatte er zurückgelassen. Not und Elend brach über uns herein. Wie wollten wir uns ernähren? Wir konnten doch nicht den Bewohnern des Ortes zur Last fallen, die hatten doch selbst nichts zu beißen. Wir wurden aber trotzdem auf Kosten der Gemeinde von dem einen zum andern gesteckt. Herumgestoßen wie die 78
Hunde waren wir jedem zur Last. Doch dies alles blieb nicht ohne Eindruck auf mein kindliches Gemüt. Ich wußte noch nichts vom Leben, doch Tag für Tag lernte ich die Not und das krasse Elend, das die Hütten unserer Bergarbeiter barg, kennen. Ich kannte nur noch einen Wunsch: helfen wollte ich. Aber wie? Ich, ein Kind, ein Ausgestoßener! — Und mehr als einmal lag ich in meiner kindlichen Einfalt dort unten in unserer alten Kirche auf meinen Knieen und betete inbrünstig zu Gott, er sollte helfend eingreifen. Und ich glaube hahahaha, der alte Herr dort oben wird oftmals über den kindlichen Narren gelacht haben, hab' ja nicht gewußt, daß der gute Gott der Christenheit nur ein Gott der Reichen sein soll. — Doch je älter ich wurde, um so mehr lernte ich begreifen. Ich erkannte die Unterschiede zwischen der besitzenden und der enterbten Klasse. Die Frühlingsstürme, die damals über unser ganzes Vaterland hinwegstürmten, ergriffen auch mich. Ich fühlte, nicht der Glaube an den alten Christengott konnte das arme zerknechtete Volk aus seinem Elend befreien, sondern nur die Macht und der Glaube an den völkerbefreienden Sozialismus. Immer mehr wuchs in mir der Haß gegen die besitzende Klasse. Ich weiß es, ich bin ein Bastard, bin ein Stück von ihnen, aber um so mehr werde ich nicht eher ruhen und rasten, bis diese Gesellschaft, vor allen aber unsere Grubenprotzen, zerschmettert am Boden liegen. RICHTER:
Du bist ein braver Mensch, Karl. Dein Schmerz und dein Vorsatz ehrt dich, wären alle so wie du, es wäre um die Menschheit besser bestellt. K A R L SCHLOSSER:
Doch werde ich meines Lebens nie froh. Die größte Sorge trag' ich um der beiden Mädchen, um meine Schwester Klara und Martha Maier, du weißt doch daß — RICHTER:
Bleibt denn der Bullbeißer, der alte Maier, noch immer auf dem Standpunkt stehen, daß er dir jeglichen Verkehr mit Martha untersagt? 79
K A R L SCHLOSSER:
Leider ja. Du weißt, ich habe das Mädchen herzlich lieb. Doch sie meidet mich. Auch meine Schwester hat sich in letzter Zeit mir ganz entfremdet. RICHTER
teilnehmend:
Aber Karl, trägst du nicht selbst einen guten Teil Schuld daran. — Der Alte allein ist es nicht. — Pfeifen es ja schon alle Spatzen von den Dächern, daß ein gewisser Thalheim sich für deine Schwester und der junge Reichelt für Martha sehr engagieren. Sie besuchen doch zusammen in der Stadt Bälle, Theater und was weiß ich sonst noch mehr. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Du hast es ja in der Hand, fahre einmal dazwischen, aber tue es in der Zeit, noch ehe das Renommee der beiden Mädchen vollends zum Teufel geht. KARL SCHLOSSER springt erschreckt auf: Oh, nun versteh' ich auch, das Köpfezusammenstecken und die höhnischen Blicke der Leute, als wollten sie sagen, — willst anderen Moral predigen und läßt das eigene Nest beschmutzen. RICHTER:
Aber Karl — urteile doch nicht falsch, von uns denkt das keiner. Nur gewundert hat es uns, daß du noch keine Maßregel dagegen ergriffen hast. Aber das ist immer so, wer andere Leute glücklich sehen will, vergißt sein eigenes Selbst. D u sollst aber auch einmal an dich und deine Zukunft denken. K A R L SCHLOSSER:
Ich gebe dir die Versicherung, Vater Richter, lange sollen sich diese beiden Lumpen ihres Raubes nicht mehr erfreuen. Vielleicht findet sich heute noch Gelegenheit. Doch horch, man hört Schritte kommt nicht jemand? K L A R A SCHLOSSER hinter der
Szene:
Aber so sei doch vernünftig und gehe mit. 80
3. Szene Klara Schlosser und Martha K L A R A S C H L O S S E R sehr
Maier. aufgeräumt:
Ei, sieh da! Hier sitzen zwei Philosophen und drehen und drechseln an der Geschichte der Menschheit herum. Sie scheinen aber beide auf eine unlösbare Frage gestoßen zu sein, denn sie machen ein Gesicht, wie der selige Mephisto bei der Entführung der unsterblichen Hülle des Faust durch den Chor der Engel. Sieh, nur sieh! Hahaha! Mephisto kopierend: „Unmündig Volk, du hast mich überrascht!" — Ist es nicht so, Vater Richter? RICHTER:
Sakrament noch einmal! Bist ein Blitzmädel, kommst da herein geschneit und begrüßt uns nicht einmal. K L A R A SCHLOSSER:
Ah, Pardon! Guten Abend, Vater Richter! Servus! hochweiser Bruder! Hier, meine Freundin Martha Maier— hier, Herr Richter, Vater nenne ich ihn immer, Bergarbeiter außer Dienst, gegenwärtig scheint er das Faktotum meines weisen Bruders zu sein. RICHTER
lacht:
Scheinst Entenbraten gespeist zu haben. Dein Mundwerk geht ja wie ein . . . K L A R A S C H L O S S E R hält
ihm
den
Mund
zu:
Papperlappappappapp! RICHTER
lachend:
N e i n , ahmt einer Ente nach: G a k , g a k , g a k ! H a h a h a , blickt in das finstere Gesicht Karls. U, j e ! K a r l , du m a c h s t
ja ein Gesicht, wie vierzehn Tage Regenwetter. KARL:
Ich fühle mich wirklich in der Rolle des „Mephisto", ich möchte die Stelle, die meine Schwester aus Goethes 81
Faust zitiert hat, weiter sagen: „Mir ist ein einzig großer Schatz entwendet; die hohe Seele, die sich mir verpfändet, die haben sie mir pfiffig weggepascht, bei wem soll ich mich nun beklagen? —" KLARA SCHLOSSER:
Ich sage dir doch, Vater Richter, mein Bruder ist ein schlechter Gesellschafter, immer so ernst, als ob er der ganzen Welt den Krieg erklärt hätte. Zu Martha: Nun so sag' du doch auch etwas — Martha schweigt. Na, dann nicht. Summt K A R L ZU
eine lustige Melodie
vor sich
hin.
Klara:
Sag mal, hast du mir die Bücher mitgebracht? KLARA SCHLOSSER:
Oh, jeh! Die hab' ich bei Frau Müller liegen gelassen, es war noch Licht in der Stube, wir gingen hinein, das Kleine ist ernstlich erkrankt, 's wird wohl Typhus sein, denn der fordert alle Jahre seine Opfer. — Ach was doch so ein armes Würmchen leiden muß und so eine Mutter mit ansehn — doch, da fällt mir ein, ich wollte ja der Frau Müller den Tee für das Kleine hinunter bringen. Ich werde es gleich noch besorgen und dir dann die B ü c h e r mitbringen. Sucht
in
dem Schrank,
nimmt
Tüte mit Tee heraus. So, da habe ich ihn schon.
eine
KARL sucht in seinem Portemonnaie. Gibt Klara ein Goldstück:
Klara! Hier nimm. Gib es der Frau Müller. Richter unterhält sich mit Martha. KLARA:
Das ist aber doch Gold. KARL:
Ich habe nichts weiter. Es ist mein Letztes, werde wohl nicht verhungern. Sag' aber nicht, daß es von mir ist. Frau Müller soll gleich zum Arzt schicken. RICHTER:
Warte, Klärchen! Nimm mich mit.
82
MARTHA MAIER
ängstlich:
Ach bitte, ich gehe auch mit. Laß mich nicht allein. K L A R A SCHLOSSER
naiv:
Nu, Karl wird dich nicht gleich beißen. Besorgt. Ich bin nicht lange, Kind. Null Komma fünf und ich bin wieder da. Hier gibt ihr ein Postkartenalbum, sieh dir einstweilen meine neuen Raritäten in Ansichtskarten an. Sieh, diese hier zeigt ihr eine Karte, das ist eine äußerst gelungene Kopie von Böcklins „Heimkehr" — dieses Laubwerk — und dann zum Gegensatz — der Abendhimmel! . . . Nun, Vater Richter, können wir losschieben? RICHTER:
Selbstverständlich! Gibt Karl und Martha Maier die
Gute Nacht, Fräulein!
Karl! Auf
Wiedersehen!
Gute
Hand.
Nacht,
K L A R A SCHLOSSER:
Paß auf, Vater Richter. Unterwegs mache ich dir eine Liebeserklärung. RICHTER
lacht:
Wäre nicht übel. He, he, he! Beide ab.
4. Szene Karl und
Martha.
KARL der eine kurze Zeit in sich versunken, plötzlich liebevoll zu Martha:
sehr
Martha! Ich habe dich recht lang' nicht gesehen. Hast du mir nichts zu sagen? Ergreift ihre Hände. Oder hast du deinen Karl vergessen? MARTHA
abwehrend:
Laß mich. 83
KARL:
Wo kommt ihr beide noch so spät her? MARTHA
ängstlich:
Wir — ich — Klara? — Klara wollte, ich sollte diese Nacht bei ihr bleiben, weil — weil — doch wenn es dir nicht recht ist, so will ich wieder . . . KARL:
Nein, nein, bleibe. Doch sag mir, wo ihr gewesen seid? MARTHA:
Ich und Klara? Im — im Theater. KARL:
Was wurde denn im Theater gegeben? MARTHA :
Sudermanns „Ehre".
KARL:
Die Ehre? MARTHA :
Oh, Karl, ich fühle es längst, du denkst schlecht von mir. . . KARL:
Martha! Martha! — Gib mir Gewißheit. Ist es wahr, was die Leute sagen? MARTHA
ausfpringend:
Was sagen die Leute? KARL:
Nicht wahr — es ist nicht — es kann nicht sein, daß du deinen Karl nicht mehr liebst? — Daß du den Reichelt... nein, nein — du hast mich immer noch gern. Pause. Keine Antwort? — Also doch Wahrheit — bittere Wahr84
heit? — Vorbei. — Mit einem Male der schöne Traum zu Ende. — Und ich war so glücklich, so überglücklich . . . Ein Narr, der auf Weiberschwüren baut. — Freilich, ich bin ja nur ein armer Schlucker, verstehe nicht mit erpreßten Arbeitergroschen Sekt- und Liebesgelage zu feiern. Hab immer geglaubt, man meint es ehrlich mit mir, und nicht gewußt, daß Liebe auch käuflich ist. MARTHA:
Karl! Du mir das? Oh, mein Gott! Das hab' ich nicht verdient. Oh, wenn du wüßtest, wie ich Tag für Tag die Stunde herbeigesehnt habe, um mich dir gegenüber auszusprechen. Du kamst nicht. Mehr als einmal war ich hier, doch du warst nicht da, immer hieß es, du wärest fort, jedenfalls in Versammlungen oder wo du sonst gewesen bist, — jetzt ist es zu spät, Karl. — Hättest du deine Martha nicht allein gelassen, hättest du den Mut gefunden, meinem Vater zu trotzen, es wäre besser für uns beide. Doch du kamst nicht, wie sehr ich mich auch danach sehnte. KARL
gefaßt:
Martha! Dein alles, was du besitzt, ist deine Ehre. Halte sie hoch; denn wenn du sie verlierst, ist es um dich geschehen. — Glaubst du wirklich, Reichelt liebt dich? — Törin, laß ab von dem Wahn, wenn er eine Schönere findet, als du bist, dann wird er dir den Rücken kehren. Was dann? Dann sitzt du da voll Scham und Schande und hast niemand, der dich vor weiterem Verderben bewahrt. Das schöne Gaukelbild ist zerstoben in alle Winde, es ist nichts geblieben als der Schandfleck der Sünde. Dann erkennst du erst, wie schön es war, als du mit deiner Hände Arbeit dein Brot verdientest in Ehren. MARTHA für
sich:
Nein, nein er wird mich nicht verlassen. KARL:
Nimmermehr kehrt dann die schöne Zeit zurück. Du kannst nie wieder das reine Mädchen werden. Du bist verloren. — Nach diesem, der dich verläßt, findet sich 85
vielleicht ein anderer, der für dich aussorgt, dann wieder einer, und wieder einer. Du kommst dabei vielleicht deinem Ziele näher, aber eines erreichst du nicht wieder, deine Ehre. Und wenn du dann alles besitzt, Glück, Gold und Liebe, dann blickst du vielleicht zurück und siehst deine Laufbahn, bedeckt mit Schmutz und Schande Nie kannst du wieder zurückrufen, was du selbst geopfert hast. Es ist dahin, du hast es verkauft. MARTHA:
Oh, mein Gott! Peinige mich nicht so, Karl. Was soll ich denn tun? Da stehen wir armen Mädchen den ganzen Tag, von früh bis spät in die Nacht hinein, im Magazin. Immer dasselbe, tagein, tagaus, ob Sommer oder Winter. Kein Sonnenstrahl dringt zu uns, wir sehen keine Blumen, wenn wir sie uns nicht beim Gärtner kaufen. \yir werden völlig zur Arbeitsmaschine. — Wenn die Arbeit einmal zu Ende ist, dann ist auch das Leben zu Ende. — Und dann die andern Damen, — die bei uns kaufen. Ich sehe sie täglich im Wagen vorfahren, war auch schon in ihren Häusern und staunte über ihren Luxus. Die verachten mich, ich bin nichts gegen sie, aber nur, weil mir der Fluch der Armut auf die Stirne gedrückt ist. Täglich hab' ich all dies vor Augen, kein Wunder, daß auch in mir einmal der Wunsch aufstieg, — all dies elende Leben einmal von mir zu werfen. Nur einmal leben, nur einmal glücklich sein. — Ich hatte niemand, dem ich mich vertrauen konnte — du kamst nicht — und dann kam er . . . Auf einmal habe ich eine Zukunft vor mir, eine Zukunft voller Licht und Sonnenschein. KARL:
Aber das Ende — das Ende. Jetzt hast du noch Sonnenschein vor dir. Jetzt schmeicheln sie dir alle, aber glaube mir, sie belügen dich. Das wird auch dir eines Tages zur Gewißheit werden. Und wenn du im Unglück allein, wenn du verlassen — wenn du niemand mehr hast, der dich liebt — Martha. Kehre um, ehe es zu spät ist. Sei wieder mein. Ich habe starke Arme, ich will für dich arbeiten, wir gehen fort von hier, dahin, wo dich niemand kennt, in ein anderes Land. Du wirst freilich arm, aber glücklich sein. 86
M A R T H A tief
erschüttert:
Karl, ich danke dir. Ich weiß, du meinst es aufrichtig und ehrlich mit mir. Doch es ist zu spät. — Höre — und du wirst fühlen wie ich leide — dir kann ich es ja sagen — du verurteilst mich nicht. — Ich selbst trage Schuld, wenn es so werden wird, wie du sagst, ich muß aber den Weg so weiter wandeln — ich bin es meinem Kinde schuldig. K A R L derselbe hat während der letzten Worte vor ihr gekniet. Springt
plötzlich
auf. Stummes
Spiel:
Deinem Kinde? — Deinem Kinde? . . . zu spät . . . zu spät! Fällt gebrochen auf einen Stuhl. MARTHA :
Ja, Karl, zu spät. — Lebe wohl — für immer wohl — Geht langsam
ab und an der Tür dreht sie sich noch
um und blickt Karl teilnahmsvoll
einmal
an.
KARL:
Nein — nein — Martha, noch nicht zu spät. Wo ist sie? — Fort? Aufschrei. Marthel Marthel . . . Verloren — Alle Hoffnung begraben . . . Vorbei die schöne glückliche Zeit — für immer vorbei . . . Kein Licht, keine Sonne mehr . . . War es mir doch immer, wenn sie bei mir war, als ob Sonne, Mond und Sterne uns zugleich bestrahlten, und als ob die Blumen der ganzen Erde uns umblühten. Und wenn die Vögel sangen und jubilierten, da war es immer, als wenn sich ein neuer Frühling mit all seinen Blüten und Liedern über mich herabsenkte.
5. Szene Vorige, Obersteiger Maier,
im
Bergmannsanzug.
OBERSTEIGER M A I E R :
Glück auf! Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Ich komme in einer sehr dringenden Angelegenheit zu Ihnen. — Doch was ist Ihnen. Sind Sie krank? 8
Münchow, Dramatik II
KARL:
Ich danke! Mir fehlt nichts, es ist nur ein . . . Doch was wünschen Sie von mir. OBERSTEIGER MAIER:
Ich kam, um Ihnen zu sagen, daß Sie, wenn Sie morgen früh vor Ort fahren, etwas vorsichtig sein sollen, es stehen Schlagwetter oben. Warnen Sie Ihre Kameraden, daß keiner von Ihnen das Ort eher befährt, als bis nicht die nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen worden sind. Sollte ich morgen früh nicht gleich mit hineinfahren können, so tragen Sie bitte erst Sorge, daß wir mehr Luft hinter bekommen. Die Rohre können Sie gleich von Querschlag 47 nehmen. Auch ist es notwendig, daß die ganze Abteilung erst mit Wasser gesprengt wird. — Aber wie meinen Sie, wie wir die Wetter herausbekommen? KARL:
Es bleibt unter diesen Umständen nichts weiter übrig, als daß wir auf der oberen Sohle das zweite Schichtenflötz einstellen. Wir müssen darauf Obacht geben, daß wir die Wetter zu dem alten Bremsschacht ins zweite Schichtenflötz und von da in die Abzugsstrecken nach dem Luftschacht geleiten. Aber wie gesagt, die Förderung muß, wenn wir nicht das Leben von hundert braven Bergarbeitern gefährden wollen, eingestellt werden. OBERSTEIGER MAIER :
Dann würde es ja am besten sein, wenn Sie mit der Luftzuführung fertig sind, daß Sie dann gleich eine Strecke zu Ihrem Ort durchschlägig in Angriff nehmen, damit haben wir gleich eine Verbindung zum alten Bremsschacht. Wollten wir die Wetter erst durch die Fahrstrecke leiten, würden wir immer wieder Gefahr laufen. KARL:
Sie meinen gleich von der Kopfplatte unseres Fallortes aus. 88
OBERSTEIGER MAIER :
Gewiß! Wenn Sie Material und noch mehr Leute bedürfen, so wenden Sie sich bitte an Ihren Reviersteiger. Ich werde das Nötige anordnen, daß Ihnen unbedingte Folge geleistet wird. — Ich kann mich also darauf verlassen. KARL:
Selbstverständlich. Ich danke Ihnen auch für Ihre Warnung. OBERSTEIGER MAIER :
Nichts zu danken, Schlosser. Es ist meine Pflicht, und glauben Sie mir, auch wir beide werden uns später noch besser verstehen lernen. Doch ich will Sie nicht abhalten. Glück auf! Will ab. KARL hält ihn
zurück:
Herr Obersteiger! Würden Sie mir noch auf einige Minuten Gehör schenken? OBERSTEIGER MAIER :
Gewiß! Wenn Sie irgendeinen Wunsch haben und ich kann ihn erfüllen, so soll es gern geschehen. KARL:
Sie sagten vorhin, wir werden uns später noch besser verstehen lernen. Nun, gut, ich hege keinen anderen Wunsch als den: Ich möchte einmal mit Ihnen nicht wie zu einem Vorgesetzten sondern wie zu meinem ehemaligen Schulkameraden sprechen. OBERSTEIGER MAIER :
Es liegt doch nicht an mir, wenn Sie das nicht schon längst getan haben. KARL:
In der Grabe ist ja nicht der Ort dazu, und wo anders, da hatte ich noch keine Gelegenheit. — Sie sind ja ein großes Tier geworden — Obersteiger. Können ja auch bei 8»
89
Reichelts immer höher klimmen, vielleicht gar Direktor, wenn mal der Alte nicht mehr ist, und ich längst hinausgeworfen worden bin, vielleicht durch deine gütige Mitwirkung. E s liegt mir nichts mehr daran, kannst mir's glauben. Aber eins muß ich dir sagen, daß es erbärmlich ist, als Spion meine Kameraden auszuhorchen. OBERSTEIGER MAIER :
Du duzt mich wenigstens wieder, das ist ein erfreuliches Zeichen. Daß du und ihr alle über mich falsch urteilt, weiß ich schon lange, merke es ja jeden Tag. Ich habe meinerseits alles versucht, das Mißtrauen, das ihr mir entgegenbringt, zu beseitigen. Aber ihr seid es selbst, die ihr jeder meiner Anordnungen nur unwillig Folge leistet. Darum bin ich ja auch heute zu dir gekommen. Denkst, ich weiß nicht, daß meine Anordnungen, die ich dir heute gegeben, morgen gegebenenfalls ganz anders aufgefaßt würden? Also, wir haben uns gegenseitig nichts vorzuwerfen. Du hast kein Recht, mir zu mißtrauen. Ich meine es ehrlich mit euch. Kannst mir doch auch noch keine Lüge oder sonst irgendeine Verdächtigung nachweisen. U n d wenn du glaubst, ich spioniere, dann urteilst du eben wieder falsch. Nicht ich dränge mich in das Vertrauen deiner Kameraden, sondern dieselben in das meinige. E s ist wirklich traurig um euch bestellt, weil ihr gewissen Lumpen nicht schon lange das Handwerk gelegt habt. Erst heute erhielt ich diese Liste gibt ihm eine Liste. Ich brauchte sie dir ja nicht zu geben, erbärmlich ist es aber, daß solchen Schuften Glauben geschenkt wird. KARL
erbleichend:
Das ist ja eine Mitgliederliste unseres Verbandes . . . es ist die, die ich selbst angelegt habe; die habe ich aber doch geht nach dem. Schrank, öffnet ihn hier im Schrank sucht und findet keine Liste. Sie ist nicht mehr hier. Um des Himmels Willen, sie kann doch nicht — doch da fällt mir ein — Günnel war vorgestern bei mir — sollte er — ich hatte den Schrank offen gelassen . . . OBERSTEIGER MAIER :
Von diesem habe ich sie erhalten. Sei unbesorgt, sie ist unversehrt in deine Hände gelangt. 90
KARL:
Dieser elende Schuft! OBERSTEIGER MAIER :
Hoffentlich ist bald alles Mißtrauen zwischen uns beiden beseitigt. Ist doch deine Überzeugung längst die meine und — KARL:
Fred! Du wärst . . . O B E R S T E I G E R MAIER :
Ich weiß, was du sagen willst, und du kannst es schlechtweg glauben. Daß Reichelt die Kosten für mein Studium bezahlt hat, weißt du; du dürftest gleichfalls wissen, daß ich die Agitatorenschule des Reichslügenverbandes besuchen sollte. Ich habe den beiden Alten ein Schnippchen geschlagen und habe die Parteischule in Berlin besucht. — Hier ist mein Zeugnis — hier meine Mitgliedsbücher für Partei und Verband. Trage bitte die Anmeldung ein.
Gibt Karl zwei Bücher. KARL:
Wie ist mir denn? — Es ist kein Traum? Fred, mein treuer Schulkamerad. Fällt ihm, um den Hals. Die Schwester verloren, — den Bruder gefunden — OBERSTEIGER MAIER:
Die Schwester? Meinst du deine Schwester? KARL:
Nein, Fred. Solltest du noch nicht wissen, daß ich deine Schwester liebe, und daß ich schon bei deinem Vater um ihre Hand angehalten, die er mir schon zugesagt, mir aber plötzlich das Haus verbot — und — O B E R S T E I G E R MAIER :
Richtig! Ich hörte davon bei meiner Ankunft. Deine Schwester sagte es mir wohl. Doch was lag denn dazwischen, daß dir mein Vater den Verkehr mit Martha untersagte? 91
KARL:
Du weißt, unsere Schwestern sind in der Stadt in dem Warenhaus von Rust u. Co. als Verkäuferinnen tätig. Die Firma hat ja wohl gegen fünfzig Verkäuferinnen angestellt. In diesem Geschäft nun deckt die ganze feine Welt ihren Bedarf. Rust macht sich ja berühmt; die schönen Augen seiner Verkäuferinnen sind ihm genau ein solch wertvolles Ausbeutungsobjekt, wie die Muskelkraft unserer Bergarbeiter dem Reichelt. Er weiß sich angenehm zu machen. Verteilt stets Karten zu den Bällen bestimmter Gesellschaften. In diesem Hause nun verkehrte auch der junge Reichelt und er lernte Martha dort kennen. Man munkelte im Dorfe allerlei, doch erst heute drang das Gerücht, daß sich zwischen beiden ein regelrechtes Verhältnis entsponnen habe, zu mir. Nun wurde mir auch klar, warum mir dein Vater sein Haus verbot. Der junge Reichelt hat sicher dem alten politischen Bedienten seines Vaters einige Ratschläge gegeben, um so seiner Beute sicher zu sein und — O B E R S T E I G E R M A I E R fällt schnell
ein:
Mein Vater hat bei ihm ein williges Ohr gefunden. Ist es nicht so? KARL:
Leider. Doch wie er sich in Zukunft als Schwiegervater eines künftigen Bergwerksbesitzers gebärden wird. — OBERSTEIGER
MAIER:
Aber Karl. Daran denkt er wohl selbst nicht und der junge Reichelt — KARL
einfallend:
. . . wird, wenn er nicht ein ganz erbärmlicher Schuft sein will, wohl müssen. OBERSTEIGER MAIER :
Müssen? Müssen? Ja, sag mir, was hat das alles zu bedeuten? Martha kann sich doch unmöglich so weit vergessen haben. . . Nun, so rede doch! 92
K A R L gedrückt:
Leider ist es so . . . OBERSTEIGER MAIER :
Wahrlich, das hat mein Vater gut gemacht, daß er mich, um seinen ehrgeizigen Plänen zu dienen, als einen Lump verschacherte, will ich ihm nicht so hoch anrechnen. Daß er aber meine Schwester als Dirne verkauft — daß kann ich ihm nicht vergessen. — Karl, wenn du meine Schwester unter diesen Umständen nicht mehr lieben kannst, aber komm hilf mir, um sie aus den Klauen dieses Wüstlings zu befreien. Tu' es mir und meiner alten Mutter zu Liebe, wir sind ja beide an allem unschuldig. KARL:
Fred! Bruder! Wenn es in meiner Macht liegt, Martha und ihren ehrlichen Namen zu retten, ich werd' es tun — ich hab' sie doch so lieb — so lieb . . . Ende des ersten
Aufzuges
2. A U F Z U G Die Rache des Bergherrn Spielt acht Tage nach dem 1.
Aufzug
Reichelt. Privatkontor des Bergwerkbesitzers Kommerzienrat Luxuriöse Einrichtung. Auf dem Schreibtisch steht eine Vase mit Marschall-Niel-Rosen. Kommerzienrat Reichelt, noch im Reiseanzug, sitzt vor seinem Schreibtisch und ist vertieft in Bücher.
i . Szene REICHELT SEN. :
Donnerwetter, das erste Flötz hat ja sehr viel geliefert, im Durchschnitt pro Schicht dreihundertfünfzig Karren
93
Kohlen, das dritte Flötz fast dasselbe. — Nu ja, neue Besen kehren gut, ich habe, wie mir scheint, mit dem neuen Obersteigereinen sehr guten Griff gemacht. — Die jungen Leute sind anfangs etwas ängstlich, man muß ihnen nur Bewegungsfreiheitlassen. Bin deswegen auch einige Wochen fort gewesen, ich denke, er wird sich schon eingelebt haben. Wenn er mir so ergeben ist, wie der Alte, dann kann es mir nicht fehlen. Es wird aber auch die höchste Zeit, daß ich die zweifelhaften Elemente zur Raison bringe. Der Bergarbeiterverband macht auch hier in unserem Revier immer mehr Fortschritte, ich werde gut tun, den wüsten Agitatoren etwas schärfer auf die Finger zu sehen. Na, ich glaube, mein neuer Obersteiger ist der geeignetste Mann dazu, Repressalien dagegen zu ergreifen. Er scheint schon bemerkt zu haben, wo mich der Schuh drückt, denn meine Bergarbeiter ducken sich doch unter der neuen Rute, man sieht gar nicht mehr bei ihnen die frechen, herausfordernden Blicke. Sieht in einem Buch nach. J a , was
ist denn das? Hier fehlen ja die Angaben über die Produktion des zweiten Flötzes. Hatte man das eingestellt? Aber warum bin ich da nicht unterrichtet? Natürlich wieder eine Nachlässigkeit von meinem Sohne. Ich würde auch besser getan haben, wenn ich die Betriebsleitung nicht in seine Hände gelegt hätte. Geht ans Telefon und klingelt. Ist mein Sohn in seinem Kontor? — Nicht? Dann bitte, Maier, bemühen Sie sich einmal zu mir. — Vom Telefon. Kann mich ja auch gleich mal nach dem Schlosser erkundigen, der Kerl scheint mir gefährlicher zu werden, als ich dachte. Unsereins hat immer noch zu viel Rücksicht mit dieser Bande. Das Beste wird sein, ich säubere meine Grube von diesem Aufwiegler. Bleibt mir wenigstens fernerhin der Vorwurf erspart, daß ich die Verbrecher züchte. Aber wenn ich nur wüßte, ob er um das Geheimnis seiner Geburt weiß? Wenn er es weiß und dann als Waffe gegen mich benutzen würde . . .
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2. Szene Reichelt
sen., Obersteiger
Maier
OBERSTEIGER MAIER :
Glück auf! Der Herr Kommerzienrat haben mich gerufen. R E I C H E L T SEN. :
Sagen Sie mal, Maier, warum bin ich nicht unterrichtet worden, daß im zweiten Flötz acht Tage lang nicht gefördert worden ist? Was lag da zugrunde? OBERSTEIGER MAIER :
Ich habe bis jetzt geglaubt, Herr Kommerzienrat, daß mir lediglich nur die technische Leitung der Grube übertragen worden ist. Die Korrespondenz gehört meines Wissens zu dem Ressort des Herrn Direktors. — Das Einstellen der Förderung im zweiten Flötz geschah lediglich auf meine Veranlassung. Auf der dritten Sohle tauchten Schlagwetter auf, es blieb nichts anderes übrig, als diese nach dem Schichtenflötz zu leiten und von da aus nach dem Luftschacht. R E I C H E L T SEN. :
Aber Herr Obersteiger! Wie können Sie derartige Anordnungen treffen ohne meine Genehmigung? Was glauben Sie denn, wieviel Schaden mir dadurch zugefügt wurde? OBERSTEIGER MAIER :
Herr Kommerzienrat! Es gebot mir die Pflicht der Menschlichkeit, das zu tun. Hätte ich es unterlassen, es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, daß wir bei der Beschaffenheit der dritten Sohle eine Grubenkatastrophe herbeigeführt hätten. — Und dann bedenken Sie die unglücklichen Familien. REICHELT SEN.:
Sie dürfen sich nicht immer von solchen Menschlichkeitsgefühlen leiten lassen, Herr Obersteiger. Was kümmern Sie die Arbeiter, die sind doch versichert gegen Unfall. Die Rente für die Hinterbliebenen ist groß genug, damit
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diese leben können. Nein, mein Lieber, Sie werden von mir bezahlt, und dann verlange ich aber auch von Ihnen, daß Sie meine Interessen vertreten. Über das Wohl und Wehe meiner Arbeiter habe nur ich zu entscheiden. Merken Sie sich das! O B E R S T E I G E R M A I E R mit verhaltenem
Grimm:
Es war lediglich meine Pflicht. Was den Schaden anbetrifft, der Ihnen verursacht sein soll, da meine ich, daß es so schlimm nicht ist. Wenn Sie die Förderungsziffern genau kontrollieren, so werden Sie finden, daß sogar pro Schicht fünfzig Karren Kohlen mehr geliefert worden sind als früher. Ich hatte die Leute in die anderen Abteilungen versetzt. Von Schaden kann also keine Rede sein. R E I C H E L T SEN. :
Herr Obersteiger! Ich bin nicht gewöhnt, daß meine Beamten in solchem Tone zu mir sprechen. Sie scheinen nicht zu wissen, wen Sie vor sich haben und . . . OBERSTEIGER MAIER
erregt:
Doch! Herrn Kommerzienrat Reichelt. Sie dürfen aber auch nicht glauben, daß ich mich schulmeistern lasse. Ich bin gesetzlich dazu verpflichtet, Unfälle, wenn solche vorauszusehen sind, zu verhindern. Im übrigen, Sie können mich ja entlassen, daß ich mich aber dazu zwingen lasse, mit dem Leben der mir unterstellten Arbeiter zu spielen, um mich dann ins Zuchthaus bringen zu lassen — nie und nimmermehr! R E I C H E L T für
sich:
Verdammt, ich muß gute Miene zum bösen Spiel machen. Laut. Na, regen Sie sich doch nicht so auf, Maier. Ich weiß, ich habe an Ihnen einen tüchtigen Beamten, es ist nur die Schule, die Ihnen noch zu sehr im Leibe steckt; denn was Sie da von „gesetzlich verpflichtet" sagten, das steht ja nur auf dem Papier. Was verstehen denn die Kerle am grünen Tisch, die das ausgetüftelt haben, von der praktischen Bergarbeit. — Hoffentlich werden wir uns noch besser verstehen! Brennt sich eine Zigarre an. E s ist
gut, Maier; ich werde Sie, wenn ich Ihrer bedarf, rufen lassen. Maier ab. 96
3. Szene Reichelt sen. R E I C H E L T SEN. :
Ist mir doch sonderbar. Ich glaubte an ihm ein gefügiges Werkzeug zu haben, er ist aber doch ganz anders als damals, wie ich ihn zum ersten Male gesehen. Damals freilich hatte nur immer der Alte das Wort geführt und der Junge zu allem ja gesagt; ich glaubte, es wäre Schüchternheit von ihm . . . Pflichteifrig scheint er mir ja zu sein. — Aber das kann mir nichts nützen. Ich habe ja die Kosten zu seiner Ausbildung nicht bezahlt, um an ihm einen gewissenhaften Beamten zu haben, nein, nein, er muß mir zu meinen politischen Plänen dienen. Es gilt, der Sozialdemokratie unseren Wahlkreis zu entreißen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht gelänge. Die vereinigten Ordnungsparteien haben mich für die nächste Reichstagswahl zu ihrem Kandidaten ausersehen. — Der jetzige sozialdemokratische Abgeordnete hatte bei der letzten Wahl zweitausend Stimmen Majorität . Ich beschäftige auf meinen drei Gruben 1800 Bergarbeiter, in den Brikettfabriken ebenfalls 500 Arbeiter, das wäre dann, wenn die Agitation gut einschlägt, ein Mehr von dreihundert Stimmen. Na, ich werde gut tun, einmal mit dem alten Maier über diesen Punkt zu sprechen. Es klopft. Herein!
4. Szene Reichelt sen.,
Markert.
Markert, ein alter Beamter, gebückt und bleich. R E I C H E L T SEN. :
Ah, der alte Markert! Nun, was wünschen Sie denn von mir, Markert? MARKERT
unterwürfig:
Geehrter Herr Kommerzienrat! Sie werden wissen, daß ich seit fünfunddreißig Jahren auf Ihren Werken beschäftigt
97
bin. Ich bin immer mit Pflichteifer meiner Arbeit nachgekommen, und es war nicht nur einmal der Fall, daß Sie mich als ein Muster von einem Beamten hinstellten. Dies ist nun in letzter Zeit nicht mehr der Fall gewesen, meine Kräfte haben nachgelassen und ich — ich bin ja so abgearbeitet, doch einige Zeit wird es schon noch gehen . . . Ich habe nachgesucht um einige Wochen Urlaub, um mich etwas zu erholen — und da hat mir nun Ihr gnädiger Herr Sohn, der Herr Direktor, gestern mitgeteilt, daß ich — daß ich entlassen sei. REICHELT SEN. ärgerlich:
Fassen Sie sich kurz, Markert, meine Zeit ist sehr gemessen. Ich habe noch sehr viel Arbeit vor mir, die ihrer Erledigung harrt. MARKERT:
Ich bitte, Herr Kommerzienrat, ich wollte nur von Ihnen persönlich hören, ob es wirklich Ihr Ernst sein könne, einen 60jährigen Mann, der sein Wissen und Können gewiß nicht zu Ihrem Nachteil verwendet hat, zu entlassen. Sie gelten in der ganzen Umgegend als ein humaner Mann, als ein Mann von Ehre . . . ich bitte mir zu sagen, ob Sie vielleicht den Auftrag zu meiner Entlassung in einer momentanen Gereiztheit gaben. REICHELT SEN. :
Mein lieber Markert. Jeder Mensch, und sei er noch so edelmütig veranlagt, ist doch im gewissen Sinne ein Egoist. Ich hätte nicht nötig, mich Ihnen gegenüber auszusprechen, doch um Sie zu beruhigen, will ich es tun. — Ich habe Ihre Entlassung wohl überlegt angeordnet, weil Ihre Leistungen nicht mehr im Verhältnis zum Lohne stehen. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, denn Ihr Wille ist ja gut, aber leider macht mich der Wille nicht bezahlt, wenn die physische Kraft verloren gegangen ist, ihn auszuführen. Ein Mann wie Sie gehört auch nicht mehr auf ein Bergwerk. Sie gehören in eine Versorgungsanstalt, wo Sie dann Ihre alten Tage in Ruhe beschließen können. 98
MARKERT :
Sie wünschen mir Ruhe in einer Versorgungsanstalt ? — Wie Sie wissen, haben Sie mich vor fünfunddreißig Jahren aus meiner Heimat — aus dem Ausland holen lassen — In meiner Heimat ist meine Zuständigkeit verjährt, — hier konnte ich sie als Ausländer nicht erwerben . . . keine Stütze in meinen alten Tagen . . . keine Heimat . . . Herr Kommerzienrat! Wenn Sie ihren Jagdhund nicht mehr zur Jagd gebrauchen können, dann geben Sie ihm das Gnadenbrot, — aber Ihren Arbeiter, den Sie ausgeschunden haben, werfen Sie beiseite wie eine ausgepreßte Zitrone. REICHELT SEN.
zornig:
Markert! Mäßigen Sie sich. An Ihnen lag es ja selbst, daß ich nicht anders kann. Sie haben ja ein derartiges Verhältnis geschaffen, Sie hätten eben auch handeln müssen. — Gewiß, ich bedaure es, Sie verdienen es nicht, daß ich so zu tun gezwungen bin. Sie hätten sich eben schon längst mit dem Gedanken vertraut machen sollen . . . Doch gehen Sie jetzt, mein lieber Markert. — Hier gibt ihm eine Banknote nehmen Sie eine Kleinigkeit und meine besten Wünsche für die Zukunft mit auf den Weg. — Glück auf! MARKERT:
Für Ihre Wünsche danke ich Ihnen, doch Ihr Geld wollen Sie behalten, es könnte mich vielleicht gereuen. — Sie haben mir folgende Worte gesagt: „Keine Kraft — Versorgungsanstalt!" Vergessen Sie auch diese Worte nicht! Markert
gebrochen
ab.
REICHELT SEN. lacht:
Ein sonderbarer Kauz, der Alte. Habe seinetwegen mein ganzes Frühstück versäumt. Werde es aber gleich nachh o l e n . Reichelt •daß er hier war,
nach rechts ab. Es dürfen
aber keine
Spuren,
zurückbleiben.
99
5. Szene Direktor Reichelt und Martha Maier von links. DIREKTOR R E I C H E L T JUN. :
Bitte Martha, tritt nur ungeniert herein. Mein Papa ist nicht zu Hause. Komm lege das Paket hierher. Nimmt ihr ein Paket aus der Hand, legt es auf einen Stuhl. Donnerwetter, das ist aber schwer. Obersteiger Maier tritt plötzlich ein. Martha ruft erschrocken. MARTHA MAIER:
Mein Bruder? D I R E K T O R R E I C H E L T JUN. :
Herr Maier! D I R E K T O R REICHELT JUN. :
Wie kommen Sie hierher, in daß Privatkontor meines Vaters. Sie gehören, meine ich, in Ihr Büro. OBERSTEIGER MAIER :
Ich habe dem Herrn Kommerzienrat eine Mitteilung zu machen und . . . DIREKTOR REICHELT JUN.:
Mein Papa ist schon hier? Ich erwarte ihn doch erst am Abend. OBERSTEIGER MAIER :
Doch da der Herr Kommerzienrat nicht mehr hier ist, da . . . Sie gestatten doch, daß ich mich mit meiner Schwester zurückziehe? D I R E K T O R R E I C H E L T JUN. :
Natürlich, dem steht nichts im Wege. Zu Martha. Wie gerne hätte ich mich Ihnen gegenüber für das Tragen des Pakets erkenntlich gezeigt, mein Fräulein. OBERSTEIGER MAIER:
Meine Schwester wird für einen Dienst, der ihre Pflicht war, keinen Dank beanspruchen. 100
DIREKTOR REICHELT JUN. ergreift das Rosenbukett, dem Schreibtisch
in der Vase steht und gibt es
das auf
Martha:
Gestatten Sie? Marschall-Niel — mein gnädigstes Fräulein. Ein kleiner Beweis meiner Dankbarkeit. OBERSTEIGER MAIER entreißt Martha, die bisher bleich und wortlos dagestanden, die Rosen und wirft sie dem Direktor vor die
Füße:
Herr Direktor! Ich warne Sie, meiner Schwester nur in irgendeiner Weise mehr nahe zu treten, und lassen Sie sich das gesagt sein, ich werde meine Schwester gegen Ihre unlauteren Absichten zu schützen wissen. Er führt Martha
langsam ab. Dieselbe
schluchzt
heftig auf.
Vor der
Tür dreht er sich zu dem wortlos dastehenden Reichelt und mißt ihn mit scharfen Blicken,
dann ab.
6. Szene Reichelt jun.,
Reichelt sen., später Bergarbeiter
Günnel.
REICHELT SEN. von rechts:
Mir war es doch, als hörte ich . . . REICHELT JUN. gefaßt:
Guten Tag, Papa! REICHELT SEN.:
'n Tag, mein Junge! Doch sag' mir, war nicht eben der Obersteiger Maier hier? REICHELT JUN. verlegen:
Daß ich nicht wüßte. Ich traf ihn auf dem Werk. Es klopft. H e r e i n ! Bergarbeiter Günnel. N u n , w a s w ü n s c h e n Sie,
Günnel? GÜNNEL :
Ich möchte mit Herrn Kommerzienrat sprechen. 101
REICHELT SEN. :
Nun sprechen Sie. GÜNNEL :
Herr Kommerzienrat, ich komme, um Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. REICHELT SEN. :
Richtig! Ich gab Ihnen doch den Auftrag, einmal etwas herumzuhorchen, und da kommen Sie, um mir Bericht zu erstatten. Es freut mich, Günnel, daß Sie in so selbstloser Weise zu Ihrem Arbeitgeber halten. Ich werde mich Ihnen gegenüber erkenntlich zeigen. Wie hoch stehen Sie jetzt im Schichtlohn, Günnel? GÜNNEL :
Drei Mark fünfzig, Herr Kommerzienrat. REICHELT SEN. :
Gut, sagen wir fünf Mark ab ersten dieses Monats. Zu seinem Sohne. Der überschießende Betrag über seinen jetzigen Schichtlohn wird aber von meinem Kontor aus verrechnet, zu Günnel damit Sie keine Unannehmlichkeiten von seiten der andern Arbeiter erhalten. Na, schießen Sie einmal mit Ihrem Bericht los. GÜNNEL :
Herr Kommerzienrat! Ich kann mich kurz fassen; es wird Sie nicht das Vergangene, sondern das, was gegenwärtig vorgeht, interessieren. Ich habe Ihnen nun zunächst mitzuteilen, daß Ihre Arbeiter unmittelbar vor einem Streik stehen. REICHELT SEN. :
Streik! Das wäre ja unerhöhrt. GÜNNEL:
Heute noch wird die Kommission bei Ihnen vorsprechen. Sie wissen, ich hatte micht auf Ihren Wunsch als Mitglied des Verbandes Deutscher Bergarbeiter und gleichfalls 102
auch als Mitglied zum sozialdemokratischen Verein angemeldet. Die Mitgliederliste des Bergarbeiterverbandes fiel in meine Hände, auf welche Weise, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Ich habe dieselbe, um mir keine Hindernisse in den Weg zu legen, dem Obersteiger Maier überreicht. Derselbe hat sie nun dem Vertrauensmann der Bergarbeiter, dem noch bei Ihnen beschäftigten Häuer Schlosser zurückgegeben. Sie sehen, ich habe mich in eine für mich sehr peinliche Situation begeben. R E I C H E L T JUN. :
Der Obersteiger ist reif für den Galgen. R E I C H E L T SEN. :
Schweig! Aber sagen Sie mir, wie der Obersteiger dazu kommt . . . GÜNNEL:
Das ist leicht erklärlich. Entschuldigen Sie, ich vergaß, Ihnen zu sagen, — der Obersteiger wurde mit in die Lohnkommission gewählt. R E I C H E L T SEN. :
Aha! Dahinaus geht der Wind. Zu seinem, Sohne. Gehe, laß mir sofort den alten Maier holen. Zu Günnel: E s ist also bestimmt, daß, wenn ich die Forderungen nicht bewillige, die Bergarbeiter dann in den Streik eintreten. Reichelt jun. ab. GÜNNEL :
Gewiß, Herr Kommerzienrat! R E I C H E L T SEN. :
Aber sagen Sie mir einmal Günnel, wo halten denn die Bergarbeiter jetzt ihre Versammlungen ab, nachdem ich den einzigen Saal, der ihnen dazu zur Verfügung stand, vor der Nase weggekauft habe? GÜNNEL :
Sie kommen im Zeisigwald zusammen, aber jedesmal an einer anderen Stelle. Knapp vor einer Stunde der Zusammenkunft, erhalten erst die Bergarbeiter durch ihre Leitung mittels eines Geheimzirkulars, Kenntnis. 9
Münchow, Dramatik I I
103
R E I C H E L T SEN. :
Das wäre ja auf meinem eigenen Grund und Boden. Na wartet nur ihr Gesellschaft, ich werde euch lehren, wo Barthel den Most holt. GÜNNEL:
Herr Kommerzienrat! Es ist möglich, daß sämtliche Ihrer Bergarbeiter die Arbeit niederlegen, denn dieselben sind zu neunzig Prozent organisiert. REICHELT SEN.:
Hölle und Teufel! Ich glaubte, es wären nur einige Schreier, aber wenn es so steht . . . nachgeben werde ich auf keinen Fall. Verdammt! Die Konjunktur ist günstig, die Nachfrage außerordentlich stark. — Doch, da fällt mir eben ein, Günnel; in den böhmischen Braunkohlenrevieren streiken schon seit acht Wochen die dortigen Bergarbeiter, der Hunger wird diese schon mürbe gemacht haben. Sie fahren unverzüglich dorthin. Versprechen Sie den Leuten fünf bis sechs Mark pro Schicht. Bringen Sie soviel, wie Sie irgend auftreiben können. Reisegeld wird selbstverständlich vergütet. Hier haben SiegiW ihm fünf Scheine Papier es sind vorläufig fünftausend Mark, schreiben Sie unverzüglich wenn Sie mehr g e b r a u c h e n . Blättert
in einem Kursbuch.
I h r Zug g e h t in
i y 2 Stunden. Sie fahren über Plauen im Vogtland, Eger usw. Hier nehmen Sie sich das Kursbuch gleich mit. Es wird Ihr Schaden nicht sein, verlassen Sie sich darauf. Und nun reicht ihm die Hand leben Sie wohl. Glückliche Reise und guten Erfolg. GÜNNEL:
Ich danke Ihnen, Herr Kommerzienrat. Sie werden mit mir zufrieden sein. Ab.
104
7- Szene Reichelt sen., später Reichelt
jun.
R E I C H E L T SEN. :
Es kann mir wirklich nichts Schlimmeres passieren, als daß auf meinen Werken ein Streik ausbricht. Etwa des Geldes wegen — nein, ich und mein Sohn, wir haben beide genug, wir können getrost die Buden zumachen. Aber mein ganzes Renommee geht zum Teufel, die Sympathie der übrigen Bevölkerung. Ja, wenn die bevorstehende Reichstagswahl nicht wäre — was wird mein Freund, der Herr Minister sagen? Er hat so große Hoffnung auf mich gesetzt. Der gnädige Landesherr, so sagte er neulich zu mir, wünscht, daß der Wahlkreis von einem echten deutschen Mann vertreten wird und er hatte dabei auch deiner Erwähnung getan. R E I C H E L T J U N . tritt anf:
Papa! Soeben betritt die Kommission das Haus, soll ich sie fort weisen. R E I C H E L T SEN. :
Nein! Laß sie nur kommen, ich werde schon mit ihnen fertig werden. Es klopft.
8. Szene Die
Vorigen.
Müller
und
Obersteiger Maier,
die Bergarbeiter
Schlosser,
Hammer.
R E I C H E L T J U N . ZU den Eintretenden
schroff:
Wie können Sie sich's unterstehen, unangemeldet hereinzutreten. Sie sollen warten bis . . . SCHLOSSER:
Wir haben nicht viel Zeit zum Warten, Herr Direktor, denn die, die uns gesandt, harren des Resultats. 9*
105
R E I C H E L T JUN. :
Das kann ich Ihnen gleich sagen. Überhaupt mit Ihnen — R E I C H E L T SEN. :
Ruhig. Wir wollen mit den Leuten friedlich verhandeln. — Doch zunächst eine Frage an Sie, Herr Maier. Was haben Sie eigentlich für eine Weltanschauung? OBERSTEIGER MAIER :
Ich bin mit Leib und Seele S o z i a l i s t . R E I C H E L T JUN. :
Hahaha! Hab' mir's gedacht. R E I C H E L T SEN. :
Und wie kommen Sie dann auf mein Werk. Ich habe geglaubt, ich habe einen streng konservativen Mann vor mir, der der Begehrlichkeit meiner Arbeiter einen Damm entgegensetzen sollte. Ich glaubte Ihrem Vater — nun habe ich mich getäuscht. OBERSTEIGER MAIER:
Dafür kann ich nicht, wenn mein Vater Sie über mich in eine andere Meinung brachte. Ich habe aus meiner Überzeugung noch nie ein Hehl gemacht. Sie haben mich nicht darüber gefragt und ich fühlte mich nicht verpflichtet, es Ihnen zu sagen. REICHELT SEN.:
Aber ist das der Dank, daß ich für die Mittel ihrer Ausbildung sorgte, und daß ich meine Hand über Sie hielt? OBERSTEIGER MAIER :
Sie verlangen Dankbarkeit? Soll ich mich mein ganzes Leben lang eines Almosens wegen meiner Selbständigkeit, meines Klassenstolzes entäußern? Nimmermehr! Haben wir, mein Vater und ich, von Ihnen Dankbarkeit verlangt, als wir Ihrem Sohne das Leben retteten? R E I C H E L T JUN.
verächtlich:
Dafür sind Sie ja bezahlt worden. 106
OBERSTEIGER MAIER voll anderen
halten
Wut,
will
auf
ihn
stürzen,
die
ihn:
Unverschämter Bursche! Elender Verführer. Dauerte mich nicht meine arme Schwester, ich wäre imstande . . . REICHELT SEN. :
Was ist mit Ihrer Schwester? SCHLOSSER fällt schnell
ein:
Herr Kommerzienrat, ich möchte mir erlauben, Ihnen unsere Wünsche vorzutragen. REICHELT SEN.
brüsk:
Mit Ihnen unterhandle ich überhaupt nicht. Wenden Sie sich an den Arbeiterausschuß. SCHLOSSER
zynisch:
Ja, der liebe Arbeit erausschuß. Sie wissen ganz genau, daß derselbe wie ein bescheidenes Veilchen im Verborgenen blüht. Die übergroße Mehrzahl Ihrer Arbeiter haben uns gewählt und Sie werden sich wohl oder übel mit uns ablinden müssen. Wir sind nun nicht gekommen, um Unfrieden zu säen, sondern Ihnen nur die Wünsche unserer Kameraden zu übermitteln. Sie müssen doch selbst einsehen, daß bei den jetzigen Lebensmittelpreisen es unmöglich ist, daß ein Arbeiter mit seiner Familie bei seinem jetzigen Lohn auskommen kann. REICHELT SEN. :
Sparen Sie sich die Worte. Ich unterhandle mit Ihnen grundsätzlich nicht, weil ich Sie als Vertreter meiner gesamten Arbeiter nicht anerkenne. Ich werde meine Meinung meinen Arbeitern durch den Herrn Direktor kundtun; wem es nicht paßt, der kann gehen. Was übrigens Sie und Maier anbelangt, so sind sie schon heute entlassen. SCHLOSSER:
Ist das Ihr letztes Wort? REICHELT SEN. :
Mein letztes. 107
SCHLOSSER ZU den
anderen:
Geht, Kameraden, ich habe noch allein mit ihm zu reden. Die
Bergarbeiter
mit Maier ab. Nach einer kleinen
Pause.
Herr Kommerzienrat! Gestatten Sie mir noch einige Minuten Gehör. Es ist eine private Angelegenheit. REICHELT SEN. ZU seinem
Sohne:
G e h , l a ß u n s allein. Reichelt jun.
ab links.
SCHLOSSER:
Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß ich um die für Sie sehr peinliche Angelegenheit meiner Geburt weiß. Reichelt erschrickt. Beruhigen Sie sich. Nicht darüber will ich mit Ihnen sprechen, ich bin mir voll bewußt, trotzdem Sie mein Erzeuger sind, haben wir zwei sehr verschiedene Charaktere. Sie haben damals durch ihren guten Willen, den Sie vielleicht gehabt haben, schwer an mir gefehlt. Das einzige, was ich auf dieser Welt besessen — die Vater- und Mutterhebe — die haben Sie mir durch ein paar Federstriche für immer genommen. Doch ich hab es überwunden. Ob ich aber das zweite Unglück, das mir gleichfalls wieder von Ihrem Hause kommt, überwinden werde — ich weiß es nicht. . . . Doch ich will zur Sache kommen. Ich habe wegen Ihres Sohnes mit Ihnen zu sprechen. REICHELT SEN. :
Wegen meines Sohnes? SCHLOSSER :
Herr Kommerzienrat! Ihr Sohn ist ein ganz erbärmlicher Schuft. REICHELT zornig:
Herr . . . SCHLOSSER:
Herr Kommerzienrat! Dort unten im Dorfe neben der Kirche steht ein Haus, das ist auch Ihnen sehr wohl bekannt, in diesem Hause hegt in dieser Stunde ein Mädchen, das mit dem Tode ringt. Ihr Sohn hat es tief unglücklich 108
gemacht. Noch wissen die Eltern des Mädchens nichts von ihrem Zustand, länger jedoch kann es nicht verschwiegen bleiben. Das Mädchen stand mir sehr nahe, doch ehe ich es hindern konnte, hat es Ihr Sohn ins Elend gestürzt. Ich will Ihnen nun sagen, daß Sie meinem Halbbruder ohne weiteres erklären müssen, das Mädchen, sollte es wieder genesen, sofort zu heiraten. REICHELT SEN. braust auf:
Was fällt Ihnen denn ein? Was kümmern Sie die Verhältnisse meines Sohnes? — Übrigens ist mein Sohn mündig, er kann tun und lassen, was er will, und die kleinen Allüren interessieren mich keinesfalls. SCHLOSSER
höhnisch:
Das hätte sich wohl der alte Maier nicht träumen lassen, daß er neben seiner Gesinnung auch noch seine Tochter verkaufen mußte. REICHELT SEN. bestürzt:
Das Mädchen ist die Tochter von — von — Maier — dem Schuhmachermeister Maier? SCHLOSSER
höhnisch:
Die Tochter von Ihrem Parteifreund Maier, Herr Kommerzienrat! Verstehen Sie nun, warum ich so besorgt um die Ehre Ihres Hauses bin? REICHELT SEN. für
sich:
Verdammt, daß er mir diesen Streich spielen mußte. Was soll der Herr Minister denken, wenn er es erfährt. Die sozialdemokratische Presse wird sich dieses Falles bemächtigen, und die Heirat zwischen seiner Tochter und meinem Sohne ist doch schon so wie beschlossene Sache. Laut. Heiraten kann mein Sohn das Mädchen auf keinen Fall — Schlosser! . . . Sie sagten vorhin, daß Sie früher dem Mädchen sehr nahe standen, . . . hier, ich gebe Ihnen, um diese heikle Angelegenheit aus der Welt zu schaffen, einen Scheck von fünfzigtausend Mark. Sie können es zur Aussteuer benutzen. Sie bleiben selbstverständlich auf meinem Werk. Ich brauche einen Sekre109
t ä r . Schlosser
ist
einen Schritt zurückgetreten.
Sie
wollen
nicht? Aha, ich verstehe. Gut! Es wird und kann der Welt auch das Verhältnis zwischen mir und Ihnen nicht länger verborgen bleiben. Sie treten von heute an in alle Rechte eines Sohnes bei mir ein. Wegen der Adoption werde ich heute noch mit meinem Rechtsanwalt sprechen. SCHLOSSER:
Hahaha! Nicht übel ausgedacht. Sie schlagen damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Wahrlich, Herr Kommerzienrat, unsere Komödiendichter könnten Sie um Ihre Einfälle beneiden. — Nein, Ihre Kalkulation ist falsch. Den Hetzer werden Sie nicht los. Warum denn auf einmal die Sorge um mich? Haben sich doch Zeit meines Lebens nicht um mich gekümmert. Es war Ihnen ja ganz gleichgültig, ob ich im Straßengraben verreckte oder sonstwo. Nein, ich bin nicht käuflich. Ich habe Ihnen nur im Interesse des Mädchens Mitteilung gemacht. Auf diese Weise führen unsere Wege nicht zusammen. — Gut, lassen wir dem Schicksal seinen Lauf. REICHELT SEN. :
Lassen Sie doch mit sich reden. Bedenken Sie meine Stellung, die ich im Lande einnehme, die hohen Protektionen, die ich genieße. Sie machen mich durch Ihren Schritt unmöglich. SCHLOSSER :
Herr Kommerzienrat! Meine Überzeugung gebietet, daß Sie den von mir vorgeschlagenen Weg beschreiten. Tun Sie es nicht, so muß ich zu dem Resultat kommen, daß es nur Ihr persönliches Interesse nicht zuläßt und . . . REICHELT JUN. sehr eilig von
links:
Aber Papa, hörst du denn nichts? Drüben auf dem Werk ist ja alles still. Die Heizer haben sogar das Feuer aus den Kesseln herausgerissen. Horch! Man hört das Zischen
von Dampf
hinter der Bühne.
Dampf ab. REICHELT SEN. bestürzt:
Was hat das alles zu bedeuten? 110
J e t z t lassen sie den
SCHLOSSER
ironisch:
Sie haben zwei Kommissionsmitglieder entlassen. Es sind die ersten Zeichen des Kampfes. Sie wünschen ja den Kampf. Aug' um Auge, Zahn um Zahn, Herr Kommerzienrat. Ach wenn Sie es wüßten, was für Gefühle einem Arbeiter durch die Brust ziehen, wenn die ersten Flammenzeichen rauchen, und wie erbärmlich er es findet, wenn sein Gegner ein feiger Mensch ist. Leben Sie wohl. Mich ruft die Pflicht. Schlosser ab. Pause. REICHELT SEN. ZU seinem Sohne voll Wut:
Geh, so geh doch! Treibe diese Bande vom Werkplatz. Hole Polizei. Laß Militär allarmieren. Geh doch! Was stehst du noch da? Reichelt jun. ab. REICHELT SEN.
allein:
Streik! Streik! In meinen Betrieben? Oh, Schande! Nun wird mein Name durch alle Zeitungen gehen. Meine politischen Gegner werden über mich triumphieren. Man hört jetzt hinter der Szene das Lied: „Wer schafft das Gold zu Tage, wer hämmert. . ." singen. Reichelt
geht ans Fenster. Sie gehen alle. — Woher aber dieses plötzliche Aufbäumen? Und dieses Lied . . . dieser Ton . . . oh, könnte ich doch diesen Ton . . . Was ist es nur, was die Massen so packt? — Die Entlassung der beiden ist es nicht. Nein, nein, daß ist — Marhert ist während der letzten Worte eingetreten. Reichelt sieht immer noch durch das Fenster und bemerkt ihn nicht. Marhert schleicht auf ihn zu. R E I C H E L T SEN. :
Daß ist ein fester Glaube an ihre Weltanschauung. Wie sie den beiden folgen . . . Er dreht sich um, erblickt Markert, der verstört aussieht. Erschrocken: W a s fällt Ihnen
denn ein, mich so zu erschrecken? Um Gotteswillen wie sehen Sie denn aus? Was wollen Sie noch von mir? MARKERT mit heiserer Stimme:
Ich komme, um Ihnen für den guten Rat, den Sie mir heute gegeben haben, zu danken. Die drei Worte haben mich zum Nachdenken angeregt. Ich bin mir gewiß, daß ich über wenig Kraft noch, aber über noch so viel verfüge, um mir eine Versorgung zu verschaffen. 111
REICHELT SEN.:
Nichts zu danken, Markert. I c h freue mich, daß Sie das eingesehen haben. MARKERT. :
I c h werde heute noch versorgt. Sehen Sie diese z w e i H ä n d e geht auf Reichelt zu, derselbe will an die elektrische Klingel werden imstande sein, einen Elenden z u erwürgen. Durch diese Bewegungen, weil sie sich gegenseitig gefaßt, kommen sie in die Nähe des Schreibtisches. R E I C H E L T SEN. :
Sind Sie v e r r ü c k t ? Z u H i l f e ! Z u Hilfe! Markert ein auf dem Schreibtisch liegendes Papiermesser.
ergreift
MARKERT:
Lassen Sie die Klingel. Die n ü t z t Ihnen nichts mehr. I c h m u ß versorgt werden. — F a h r e zur Hölle du . . . Markert stößt das Messer dem Reichelt in die Brust. Derselbe fällt mit einem Aufschrei zu Boden. Markert schleudert das Messer weit von sich. Nach schwerem inneren Kampf stößt er folgende Worte aus. W a s h a b i c h g e t a n ? . . . tonlos. N o c h soviel K r a f t . . . N o c h soviel K r a f t . . . und bricht neben der Leiche des Reichelt erschöpft zusammen. Ende des zweiten
3.
Aufzuges
AUFZUG
Der Knappen
Schwur!
Spielt vierzehn Tage nach dem 2. Aufzug Dekoration: Im Zeisigwald. Freie Waldgegend. Im Hintergrund eine kleine Brücke, dieselbe muß höher liegen als der Boden der Bühne. Rechts ein altes Haus (Zechengebäude), links vorn eine Bank aus rohem Baumholz gezimmert. Alfred Maier, Richter, Hammer, Müller, Kuhnert und mehrere andere Bergarbeiter stehen gruppiert auf der Bühne. Auf allen Gesichtern ist ein heiliger Ernst ausgeprägt. Dämmerstunde am Abend. 112
l . Szene Fred Maier. Die Bergarbeiter, später Schlosser und Wenzel, ein Böhme.
Karl,
dann
Klara
FRED MAIER:
Wie gesagt, Freunde, nehmt all euren Mannesmut zusammen, es steht uns noch Schweres bevor. Seit vierzehn Tagen sitzt, eines elenden Mordes verdächtigt, unser braver Genosse Karl Schlosser, im Gefängnis. Ich weiß, er ist unschuldig, hoffe auch nicht, daß einer der unsrigen von seiner Schuld überzeugt wäre. MEHRERE BERGARBEITER :
Nein, nein, er ist unschuldig. F R E D MAIER :
Ich wußte es Genossen. Wieso sollte er, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, ein solches Verbrechen auf sich laden. Nein, seiner Verhaftung liegt ein ganz raffiniert ausgeheckter Plan zugrunde. Der ganzen Bewegung wollen sie die Spitze abbrechen. Ihr sollt kirre gemacht werden, Freunde. Ihr seid die Erwählten, die Vertrauensleute der Bergarbeiter; zeigt euch des Vertrauens, das eure Kameraden in euch gesetzt haben, würdig; was auch kommen mag, zeigt, daß Ihr Männer seid. Ist unter euren Kameraden ein Wankelmütiger, ermuntert ihn in freundlicher Weise zu weiterem Ausharren, denn lange kann es nicht mehr dauern, und der Sieg muß unser werden. Schlosser, bleich, ist während der letzten Worte auf die Gruppe
zugetreten.
SCHLOSSER:
Glück auf! Kameraden. MEHRERE BERGARBEITER
durcheinander:
Der Schlosser Karl. Der Schlosser. Welch ein Glück. Haben sie dich freigelassen? FRED MAIER:
Meinen Glückwunsch, Karl. Hat dich stark mitgenommen, die paar Tage. Wir waren um dich besorgt. 113
SCHLOSSER lächelt gezwungen:
Um mich? Ich glaubte, der Streik wäre verloren; doch nach den siegesfrohen Gesichtern zu schließen, glaube ich, ist es das Gegenteil. — Eine niederträchtige Gemeinheit, das Verbrechen eines Wahnsinnigen unserer Bewegung an die Rockschöße zu hängen. Macht euch aber auf das Schlimmste gefaßt, Freunde, die Henker sinnen auf einen neuen Gewaltstreich. Unterwegs, wie ich aus der Stadt kam, begegnete mir Reichelts Geschirr, der Reichelt saß mit zwei Offizieren darin. Ich befürchte alles. FRED MAIER:
Sag mir, Karl, wie ist es gekommen, daß sie dich freigelassen haben? SCHLOSSER:
Durch das Geständnis des alten Markert. Ihr wißt, man fand neben der Leiche des alten Reichelt den Markert ohne Besinnung liegen. Er wurde ins Krankenhaus geschafft und erst gestern erlangte er sein volles Bewußtsein. Was er schon in seinen wilden Fieberphantasien geäußert, wiederholte er bei klaren Gedanken. Er bezichtete sich als Mörder. Aus Furcht, eines Hungertodes sterben zu müssen, habe er den Mord begangen. Er wolle versorgt sein, hat er noch gesagt. F R E D MAIER :
Armer Freund! Was mußt du gelitten haben? Doch w a s ist denn das? Erblickt gelenken Schlossers. SCHLOSSER
blaue Striemen an den Hand-
zerknirscht:
Das ist das Zeichen, daß sie mich gefesselt hatten. Leidenschaftlich. Oh, wenn ich sie, die wilden Henkersknechte, hätte zerfleischen können, ich hätte es getan. Wenn man seine Unschuld beteuert, durch Zeugen nachgewiesen hat, daß ich, als der Mord geschehen war, schon längst den Werkplatz verlassen hatte, wenn man sich 114
eine solche Schmach antun lassen soll, und wenn man zuletzt noch den Mord als eine Folge des Streiks hinzustellen sucht, Freunde, ihr könnt es mir glauben, ich bin kein Freund vom Terror, aber wenn einem so etwas unterkommt, so kann ich es jenen, die ich immer Schwachköpfe genannt habe, nachfühlen, wenn sie einmal ihre Hand erheben und sich mit einer Bombe oder einem Revolver Luft zu machen versuchen. — Doch es ist vorbei. — Wie steht's bei euch? HAMMER :
Die Stimmung ist gut. Wir sind aber verloren. Es wäre Torheit, noch länger Widerstand zu leisten. Erst heute brachte man wieder einen Trupp Arbeitswilliger. Das ist die industrielle Reservearmee der Landstraße, die das Kapital immer in Bereitschaft hält, wenn es mit uns nicht fertig werden kann. FRED MAIER :
Aber ich verstehe dich nicht. Warum sollen wir denn verloren sein? Diese Landstraßenproletarier können doch den Betrieb nicht aufrecht erhalten. Es fehlt ihnen ja auch die nötige Anleitung. HAMMER :
Aber die fünfhundert böhmischen Bergarbeiter, die heute ebenfalls eingetroffen sind? — Wenzel, ein böhmischer Bergarbeiter tritt von links auf die Bergarbeiter
zu.
FRED MAIER :
Soeben sehe ich den Führer der böhmischen Kolonne a u f uns z u k o m m e n .
Wenzel
geht
auf
Maier
zu.
Nun,
mein lieber Wenzel, wie steht es mit euch? WENZEL :
Hab ich sämtliche Leut meinige befördert in Heimat meine. Brauchen nicht mehr Angst zu haben, der Schuft bekommen aus Böhmen keinen Landsmann mehr hierher. 115
FRED MAIER drückt Wenzel die
Hand:
Ich danke dir, werter Genosse, und zugleich im Namen meiner Kameraden. Zu den Bergarbeitern gewendet. Kameraden! Soeben geht mir die Nachricht zu, daß die fünfhundert böhmischen Bergarbeiter heute wieder abgereist sind. Das danken wir aber vor allen Dingen unserm braven Freund Wenzel. Die Bergarbeiter geben dem Wenzel ihre Dankbarkeit dadurch zu erkennen, indem sie denselben unter lauten Hochrufen in die Höhe heben. FRED MAIER:
Kameraden! Ich habe euch zunächst eine Frage vorzulegen. Seid ihr gewillt, unter diesen Umständen noch länger im Streik zu verharren? Ihr kennt die Situation, in der wir uns befinden. Streikbrecher sind wohl vorläufig keine mehr zu erwarten. Der kleine Teil, der noch arbeitet, hat vorläufig mit Reparaturen zu tun; an eine Förderung von Kohlen ist gar nicht zu denken. Nun liegt die Sache aber so: Ihr wißt, daß in allen Revieren Deutschlands unsere Kameraden unserm Beispiele gefolgt sind. Die Verbandskasse ist dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Mittel von den übrigen Organisationen fließen nicht mehr so reichlich, weil ein großer Teil Arbeiter, namentlich der von der gesamten Montanindustrie, ausgesperrt worden ist. Bedenkt ferner, die gesamte Reichslügenverbandspresse hat der Öffentlichkeit ein ganz falsches Bild gegeben, dadurch haben wir beim Bürgertum unsere ganze Sympathie verloren, so daß auch von dieser,Seite uns keine Mittel mehr zufließen. Der Verbandsvorstand kann sich nun nach Lage der Sache nicht mehr an den Satz der Unterstützungen halten, der bis dato gezahlt worden ist. Überlegt es euch reiflich, fragt die übrigen Kameraden, ob sie auch mit wenigerem zufrieden sind oder ob sie in das alte Arbeitsjoch zurückkehren wollen. Morgen haben wir hier Versammlung und da muß die Entscheidung fallen. MEHRERE BERGARBEITER
bestimmt:
Wir fahren nicht ein. Nicht bremsen, Maier! 116
KUHNERT ein alter Dialekt:
Bergarbeiter,
spricht
erzgebirgischen
Kameraden, härt auf mich! Über zwanzig Gahr fahr ich nu schu bein Reichelt a! Früher gings eher noch, aber etze, do is doch alles sündenteier. Tog unn Nocht do müssen unnere Weiber unn Kinner mit arbeeten, nur des zum Läbn langt, unn es will doch epper a wos zum Azezieh sei, unn die viel'n Steiem noch derzu, wu soll mersch denn här nähme. Mer känn's doch net mausen. Inn grüßen Gung hob ich bein Soldaten, dar is derbei geblieb'n, er wollt net uffn Kuhlbärg verhungern, hat'r gesät. Dar hat wenigsten sei Ässen. Aber woß hamm denn mir? Nenn Dreck. Arbeet nur wie a Hund und dann mit ä paar Lauspfenng ham schicken. Nä, sogt wos er wollt, eh ich unner denn alten Lüh wieder eifahr, lieber häng ich mich mit den Strick do (zieht einen Strick aus der Tasche, den er später auf der Bühne fallen und liegen läßt) dort on dos Brückel. Ich schick mei Fraa unn Kinner net wieder in dos Elend nei . . . A End muß unner Leid und Elend hamm und soll's ä End nämme mit
Schrecken.
Wilde
Rufe
der
Bergarbeiter..
Gib's
net, wir fahren net wieder a. Nein niemals. Kuhnert läßt den Strick
fallen.
KUHNERT:
A Lump unn a Hundsfott is där, där wieder hie gieht. M'r hamm früher gehungert wie m'r hamm arbeeten müssen, känn ä etze hungern. Leidenschaftlich nnd wild. Schwärt mit Kameraden, dos ihr kanner wieder a'fahrt. Schwärts mir! Net eher bis m'r bewilligt kriegt ham! Die Bergarbeiter strecken die Hände in die Höhe und leisten unter folgenden Worten den Schwur. W i r s c h w ö r e n ! Hinter der Szene hört man plötzlich Klara Schlosser rufen.
ängstlich
KLARA:
Bruder! Karl! Fred! Um Gotteswillen flieht! Man ist euch auf der Spur, 's kommt Militär! Bruder Karl! Klara erscheint auf der Brücke, erblickt die Bergarbeiter.
untenstehenden
117
KLARA
herabrufend:
Flieht, man verfolgt euch! Geht hinab. Die Bergarbeiter rufen
wild durcheinander:
W a s ist geschehen?
W a s ist
los? M A I E R ZU
Karl:
Deine Schwester! KARL:
K l a r a ! Klara stürzt atemlos auf die Bühne und fällt erschöpft in die Arme. K L A R A SCHLOSSER
Maier
atemlos:
Flieht, ehe es zu spät. Militär! — Man hetzt Militär auf euch. — Sie sollen keinen schonen, hat der Reichelt den Offizieren gesagt. — Oh, dieser Mordbube — dieser Bluthund . . . Geht, es ist mein voller Ernst. Denkt an eure Familien. K A R L SCHLOSSER:
Beruhige dich Schwester, es wird nicht so schlimm werden. Wir haben ja nichts verbrochen. KLARA SCHLOSSER blickt angstvoll auf die
Brücke:
Zu spät! Dort sind sie schon. Auf der Brücke erscheinen Soldaten, beliebige Anzahl,
die Führung
hat ein Sergeant.
2. Szene Vorige, Sergeant,
Soldaten.
SERGEANT ZU den untenstehenden
Bergarbeitern:
Halt! Kein Mensch verläßt den Platz. Drohende Rufe der Bergarbeiter. SCHLOSSER ruft dazwischen:
Ruhe, Kameraden! Die Sache wird sich schon klären. 118
SERGEANT im befehlenden
Ton zu den
Soldaten:
Die Gewehre in Feuerbereitschaft. Legt an. Die Soldaten liegen in Feuerstellung geht hinab zu den
mit angelegtem Gewehr. Der
Sergeant
Bergarbeitern.
SCHLOSSER UND MAIER
rufen:
Das geht entschieden doch zu weit! SERGEANT der währenddessen
herabgekommen
ist:
Wer ist der Leiter dieser Versammlung? SCHLOSSER :
Wir haben keine Versammlung. SERGEANT:
Ich habe Befehl, sämtliche Leute, die hier sind, zu verhaften. Leisten Sie keinen Widerstand. Sie sehen die Gewehrläufe meiner Soldaten dort. Ein einzig Wort genügt. Es wäre auch nutzlos, nur wenn schon ein einziger Schuß fällt, hätten wir schon binnen fünf Minuten genügend Deckung. Der ganze Wald ist umstellt. Der alte Kuhnert dert zugesehn.
hat bis jetzt dem Treiben
Er sieht aber den Sergeanten
kennt in ihm seinen
verwun-
näher und er-
Sohn.
KUHNERT:
Ist es möglich? Mein Sohn? — Du bist es, Fritz? Du wagst es. — Nein, nein, das kann nicht sein. Deinen Vater—kannst du — oh, daß ich das an dir erleben muß. Der Sergeant sieht auf seinen SERGEANT
Vater mit angstvollen
Blicken.
aufschreiend:
Vater! Mit weinender Stimme. O Gott welch' harte Prüfung hast du mir auferlegt! Nach schwerem inneren Kampf.Nein, nein, ich muß. Ich darf nicht! — es ist Befehl. KUHNERT mißt seinen Sohn
verächtlich:
Hier! Wenn du mußt — Hier ist die Brust deines Vater'sch. Durchbohr sie, wenn du kannst — aber noch im Tode verfluche . . . 10
Münchow, Dramatik II
119
SERGEANT :
Halt ein! Vater, halt ein! Sprich das Wort nicht aus . . . Mag geschehen was will, ich kann nicht mehr. Zu den Soldaten. K o m m t herunter.
Wirft sein Gewehr von
sich.
Vater verzeih mir! Ich durfte nicht anders handeln — ergreift die
Hände
seines
Vaters, zu den Soldaten:
dort
liegt mein Gewehr. Nehmt es an euch, ich bin euer Gefangener. Ich kann den Befehlen, die mir gegeben wurden, nicht Folge leisten. Hier mein alter Vater — und ich sollte sein Mörder werden? Nein! Tut eure Pflicht. — Ich kann nicht. Die Soldaten blicken verwundert auf ihren Vorgesetzten und auf die Bergarbeiter und folgen den Worten Maiers. F R E D M A I E R ZU den
Soldaten:
Landsleute! Ihr seid gegenwärtig Soldaten. Man sieht es euch an, daß ihr in eurem Zivilberuf dem Arbeiterstand angehört. Seid vielleicht vor eurem Eintritt zum Militär organisiert gewesen. Tut eure Pflicht. Wir sind arme Bergarbeiter, die um höheren Lohn, um das Leben ihrer Familien kämpfen. Wir haben noch nie einem Menschen etwas zuleide getan und wundern uns, daß man euch gegen uns zu Hilfe holt. — Ich will euch nur noch sagen; in ganz Deutschland sind fast sämtliche Bergarbeiter in den Streik eingetreten. Hunderttausende von anderen Arbeitern sind . . . ausgesperrt worden. Nochmals tut eure Pflicht, wir können euch nicht hindern. EIN SOLDAT:
Es sei ferne von uns, euch irgendein Leid zu tun. Der Herr Sergeant hat auch den erhaltenen Befehl falsch aufgefaßt, wenn er sagt: „Wir sollten euch verhaften." Nein! Uns wurde nur Befehl, den Wald zu rekognoszieren, die eventuelle Versammlung zu sprengen und nach Möglichkeit die Personalien der Teilnehmer festzustellen. Doch wenn ich dem Herrn Sergeanten sagen darf, so meine ich, hier war keine Versammlung, wenigstens nicht mehr, als wir kamen. Nach den jetzigen Vorkommnissen bleibt für uns nichts weiter übrig, als zu 120
gehen. Der Sergeant war immer gut zu uns, und ich glaube, recht zu handeln, wenn ich ihn im Namen meiner Kameraden bitte, mit uns zu gehen. Hebt das Gewehr des Sergeanten auf und gibt es demselben.
Hier ist I h r Gewehr.
Wir haben keine Ursache, den Fall zur Meldung zu bringen. Zu den Soldaten. Hab'ch recht, Kameraden? DIE
SOLDATEN:
Selbstverständlich! SERGEANT:
Ich werde euch das nie vergessen, Kameraden. — Mein Vater, vergib mir, ich konnte nicht anders. Es ist alles so plötzlich auf mich eingestürmt, und dann die Aussicht auf Beförderung — Ihr habt mich eines besseren belehrt. Dieser Vorgang soll für mich eine Lehre sein. — Leb wohl, Vater, vergiß nicht ganz deinen Sohn — lebt wohl — alle wohl. Kommt, Kameraden. Der Sergeant geht mit den Soldaten ab, nachdem er von seinem Vater schluchzend A bschied genommen hat. Die Bergarbeiter stehen wortlos da und schauen ihnen nach. K A R L SCHLOSSER
teilnehmend:
Armer Freund! Daß du das erleben mußtest. All mein Leiden ist nichts gegen das deinige. Doch auch ich bitte dich, trage deinem Sohne nichts nach. Diese Lehre war sehr heilsam für ihn. D E R ALTE K U H N E R T
weinend:
Daß ich dieses noch erdulden muß, oh . . . K A R L SCHLOSSER:
Beruhige dich, mein Freund. Kommt, Kameraden, verlassen wir den Platz. FRED MAIER:
Geht vorläufig, Kameraden. Ich habe mit Karl noch einiges z u besprechen. Die Bergarbeiter gehen langsam ab.
10*
121
3- Szene Vorige ohne die
Bergarbeiter.
FRED MAIER ZU
Karl:
Komm, laß dir noch einiges sagen, Freund. — Sei mir nicht böse, wenn ich ein Thema berühre, das dir vielleicht nicht mehr angenehm ist. SCHLOSSER:
Ich bin gefaßt, Freund. Schlimmer als mich das Schicksal schon getroffen hat, kann es mich nicht mehr treffen. FRED MAIER:
Es betrifft meine Schwester. SCHLOSSER
teilnehmend:
Martha? Wie geht es ihr? FRED MAIER:
Ich befürchte das Schlimmste. Ich habe meine Mutter von ihrem Zustand unterrichtet. Die gute Alte . . . ich konnte es ihr nicht ersparen. Nur meinen Vater muß ich noch in Kenntnis setzen. Aber wie es ihm beibringen? Ich weiß mir keinen Rat. KLARA SCHLOSSER
leidenschaftlich:
Verzeiht mir, ich muß es euch sagen: Ich trage Schuld an Marthas Unglück; ich hätte sie warnen sollen. Leider war auch ich wie von einem Traum befangen, suchte doch auch ich meine wilde Leidenschaft im Arm eines anderen zu zügeln, trotzdem eine Stimme in meinem Innern mich davor warnte. — Aber auch ihr tragt einen guten Teil Schuld. Immer und immer hört man euch von der Befreiung der Arbeiter reden, aber an uns unglückliche Mädchen, die frechen Wüstlingen erbarmungslos preisgegeben sind, denkt keiner. Martha ist nur das Opfer, viele derer gibt es noch. — Morgen trifft das Schicksal vielleicht mich und Hunderte, ja Tausende werden mir nachfolgen. Mit weinender Stimme. Helft 122
uns, Bruder! Bei dem Andenken an unsere selige Mutter, schütze mich und die anderen. Ich weiß es — du — deine Freunde — deine Partei — ihr könnt uns helfen. — Laßt uns nicht verderben . . . Wir Mädchen sind meist zu schwach, um Widerstand zu leisten. Und heute. — Ich will euch nichts verschweigen, ich will euch alles sagen. Heute erwarteten uns vor dem Geschäft wieder einige Herren, Reichelt war dabei, er gab mir einen Brief an Martha, sie wollen sich heute hier treffen. Die Herren führten uns in ein Restaurant. Aber heute sollte ich die ganze Erbärmlichkeit dieser Lumpen kennenlernen. Wir trafen dort zwei Offiziere; ich hörte aus ihren Gesprächen, daß sie auf Wunsch des Reichelt mit einer Kompagnie Soldaten hierher befohlen seien. In hundsgemeiner Weise zeterten die Herren über die Arbeiter und ihre Frauen. Die Schamröte stieg mir ins Gesicht. Ich sollte anhören, wie man einen Stand beschimpft, dem ich angehöre, für den mein Bruder sein ganzes Leben einsetzt. Nimmermehr! Als nun noch gar ein Offizier es wagte, mich zu berühren, da konnte ich mich nicht mehr länger halten, ich verabreichte dem Elenden eine Ohrfeige und entfloh . . . Aber um eins bitte ich euch, ich bitte nicht für mich, ich bitte für Martha. K A R L S C H L O S S E R mit fremder
Stimme:
Sprichst du die Wahrheit? Sie wollen sich beide hier treffen? K L A R A SCHLOSSER
ängstlich:
Ach, Karl! Du siehst auf einmal so schrecklich aus. Ich fürcht' mich so . . . KARL
SCHLOSSER:
Gewißheit. — Gib mir die Gewißheit. KLARA
SCHLOSSER:
Ja, Bruder. böse. KARL
Erfaßt
seine
Hände.
Aber sei mir nicht
SCHLOSSER:
Gut, ich werde sie erwarten. Bitte verlaßt mich. 123
FRED MAIER:
Damit du Brausekopf irgendeine Dummheit machen kannst. Nein, wir bleiben auch. K A R L SCHLOSSER:
Sei ohne Sorge, mein Freund. Ich weiß, wer ich bin weiß auch, was ich euch schuldig bin. Aber geht. Du kannst deinen Vater davon unterrichten. K L A R A SCHLOSSER:
Ich habe es ihm schon mitgeteilt. Verzeih mir Fred, wenn ich es getan habe. Ich konnte es nicht länger mehr mit ansehen. FRED MAIER:
Im Gegenteil. Ich bin Ihnen dankbar dafür, trifft es ihn doch nicht unverhofft. Wer weiß, ob er nicht, wenn ich es ihm mitgeteilt, meinen Worten andere Bedeutung beigelegt hätte. Doch gehen wir. Beide dürfen uns jetzt nicht sehen. Es ist auch für Sie besser, Klara, wenn Sie auch ferner im Hintergrund bleiben; ich fürchte, zwischen meinem Vater und meiner Schwester wird es eine sehr ernste Szene geben, und das ist doch nichts für Ihr Ohr. K o m m t , g e h e n w i r . Alle
drei ab nach rechts.
4. Szene Der junge bleich und
Reichelt
und
Martha
Schlosser von links.
Martha
gebrochen.
REICHELT führt sie nach der Bank
links:
Komm Martha, komm, wir setzen uns dort auf die Bank. Wir wollen einmal alles in Ruhe besprechen. Martha weint heftig. Aber sei doch nur kein Kind. Höre doch nur, es geht ja nicht anders. Nun, so weine doch nicht gleich. MARTHA:
Oh, Gott! Du hast mich so unglücklich gemacht und jetzt willst du mich verlassen. — 124
REICHELT :
Es muß sein. Ich kann nicht anders. MARTHA:
Und hast du denn gar kein Gefühl für mein Elend? Und dann meine Eltern — sie sterben vor Gram — hörst du — sie sterben — REICHELT:
Das ist ja alles sehr traurig, es tut mir leid, aber du quälst dich umsonst. Wir müssen einen Ausweg finden. Du mußt von zu Hause fort. MARTHA :
Es gibt nur einen Ausweg, du mußt mich heiraten. REICHELT :
Aber Martha, nimm mir's nicht übel, das ist doch ein bischen zu absurd. Hast du denn immer gedacht, daß ich dich heiraten werde. MARTHA:
O du mein Gott. — Ja. — Du mußt mich heiraten. Du mußt, — es gibt keinen anderen Weg. REICHELT :
Und den kann ich nicht einschlagen. Du nimmst aber auch alles viel zu tragisch. Wir können alles in Ordnung bringen, noch ehe jemand etwas merkt. Du mußt nur vernünftig sein. MARTHA:
Gustav! Fühlst du denn nicht, wie tief unglücklich du mich machst? Was du für Jammer über mich und meine Eltern bringst? O Gott! Meine Gedanken sind schon auseinander. Ich glaub, ich verliere den Verstand. REICHELT :
Sag mal, hab ich dir denn die Ehe versprochen? 125
Schuhmachermeister Maier, Fred, sein Sohn und Karl Schlosser kommen von rechts. Sie beobachten, von den beiden unbemerkt, den Vorgang auf der Bühne. MARTHA:
Nein, das hast du nicht. REICHELT:
Nun, was willst du also? MARTHA:
Nein, das hast du nicht. — Aber du hast mir nachgestellt, wo du nur konntest. Hätte ich dich nicht kennengelernt, ich hätte meine Unschuld noch. Ich hab dich nicht aufgesucht. Du hast mir aufgelauert stundenlang, mir Brief auf Brief geschrieben. Wozu dies alles, wenn du nur darauf ausgingst, mir meine Ehre zu nehmen und mich elend zu machen? REICHELT :
Hab ich dich vielleicht gezwungen? Du brauchtest mir doch nur nicht zu willfahren. MARTHA:
Nein, gezwungen hast du mich nicht. Aber langsam, durch falsche Lockungen und Schmeichelnamen, hast du mein Gewissen eingeschläfert und meine Angst durch trügerische Hoffnungen verdrängt. Mit leidenschaftlichen Küssen hast du meine Vernunft betört, bis auch bei mir die Leidenschaft die Oberhand behielt. Karl Schlosser stöhnt ein paarmal während der Szene schwer aber ohne daß es von beiden bemerkt wird.
auf,
REICHELT:
Weißt du, ich habe weder Zeit noch Lust, deine erregten Deklamationen länger anzuhören. Ich werde dir eine A b f i n d u n g s s u m m e geben. Der alte Maier will auf ihn zustürzen. Fred und Karl halten ihn zurück. Stummes Spiel. MARTHA:
Abfindungssumme . . . Ich verachte dein Geld. 126
REICHELT:
Nun, auch gut. Dann habe ich dir weiter nichts zu sagen. Wir sind fertig miteinander. MARTHA in höchster
Verzweiflung:
Gustav, treibe mich nicht zum äußersten. REICHELT :
Ich habe keine Zeit mehr. Ich bin mit dir fertig. MARTHA:
So jagst räudigen bist. Ein du. Mich
du mich fort. Jagst mich fort, wie man einen Hund von sich stößt. — Oh, wie erbärmlich du elender Feigling, ein ganz gemeiner Wicht bist stößt du ins Elend und —
REICHELT :
Gemeine Hure. K A R L SCHLOSSER, DER ALTE MAIER :
Ha . . . du elender Schuft! Maier
und Karl
Maier
packt denselben
Schlosser stürzen auf Reichelt zu. Der alte
Schrei
aus.
am Hals.
Martha
stößt einen
jähen
DER ALTE MAIER :
Du niederträchtige Kanaille, ich bin imstande . . . Fred springt dazwischen und trennt beide. FRED MAIER:
Nicht so, Vater. REICHELT :
Die Situation, Herr Maier, ist eine solche, die jedes Wort überflüssig macht. Eine augenblickliche Auseinandersetzung ist unmöglich. Ich überlasse die Dame Ihrem Schutz. Im übrigen — parole d'honneure. Ich stehe jederzeit zur Verfügung. 12 7
D E R ALTE M A I E R :
Was, Sie haben auch noch die Gemeinheit und — REICHELT :
Erlauben Sie mal. Sie scheinen vergessen zu haben, wen Sie vor.sich haben. D E R ALTE M A I E R in höchster
Wut:
Schuft elender! Ich soll mich wohl noch bei dir bedanken, daß du meine Tochter verführt hast. Ich habe die Interessen des Vaters vertreten. Mein Sohn hat in euren Diensten gefrondet und meine Tochter, mein allerhöchstes Gut, ziehen Sie in den Schmutz, besudeln meinen ehrlichen Namen. — Auf die Knie mit dir, elender Wicht! Packt ihn und versucht ihn auf die Knie zu zwingen. reißt sich von ihm los und entflieht.
Reichelt
REICHELT:
Der alte Spitzbube ist gefährlich. Eilig ab nach links. Der alte Maier und Fred wollen ihm nach. Schlosser hält sie zurück. Martha kniet zusammengebrochen vor dem Haus. SCHLOSSER :
Laßt ihn laufen, hier sind wir notwendiger. D E R A L T E M A I E R ZU
Martha:
Und du Dirne. Sinkst du nicht in den Boden vor Scham und Schande? Wenn du dich schon nicht selbst achtest, so hättest du wenigstens Scham vor den grauen Haaren deines alten Vaters haben müssen. Warum anwortest du nicht? — Hattest doch bei ihm Worte genug. — Sag, hat er dich bezahlt? MARTHA schreit grell
auf:
Vater! D E R ALTE M A I E R will auf
sie
zustürzen:
Oh, du Ehrlose. KARL SCHLOSSER hält Maier
zurück:
Halt! Sie rühren das Mädchen nicht an. 128
D E R ALTE MAIER:
Das hat die Dirne nicht verdient, daß du sie beschützt. Ständest du nicht dort, der Himmel gnade ihr. Aber damit du's weißt, von mir erhällst du keine Hilfe. Sieh zu, ob dir der Schuft, der dich hinabgestoßen hat, weiterhilft. Meinetwegen kannst du in der Gosse verkommen, wohin du gehörst, elende Dirne. Ein greller Aufschrei von Martha
und
dieselbe stürzt nach links
davon.
SCHLOSSER:
Alle Teufel! Haltet sie auf, sie tut sich ein Leid an . . . verfolgt
sie. Pause
Der
alte Maier
sucht
vergebens
einen
merkt das, geht zu ihm hin und faßt F R E D MAIER
Stützpunkt;
ihn unterm
Fred
be-
Arm.
warm:
Vater! D E R ALTE M A I E R laut
aufschluchzend:
Mein Sohn — o mein Sohn.
In
sich ein schwerer, innerer Kampf.
dem alten Maier Nach
einer Pause
vollzieht zu
Fred:
Fred — verlaß deinen alten Vater nicht. Nimm mich mit dir, wohin du auch gehst. — Ihr seid doch alle besser als wir. FRED
MAIER:
Siehst du das jetzt ein, Vater? Komm mit mir, ich verlaß dich nicht. Beide ab nach links.
5. Szene Karl
Schlosser,
später Martha
Maier
KARL:
Ich finde sie nicht. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden. — Hier ist sie auch nicht. Fred ist mit seinem 129
Vater fort. Wenn sie sich schon ein Leid angetan hätte — nein, nein, nur das nicht, — ich muß sie finden. Abnach links.
Martha
kommt
von
MARTHA in höchster
rechts.
Verzweiflung:
Sie sind fort. — Er folgte mir nach. — Jetzt sind sie alle fort. Ich bin allein — am Ende meines Lebens. 0 Gott, was hab ich getan, daß ich so leiden muß. Man hört von ferne Läuten. Es läuten die Glocken — mein Todesgeläute. — Niemand trauert um mich. — 0 doch, Karl. Vergib mir, du Armer, wenn ich dir den Schmerz antun mußte. O könntest du mir vergeben. Nein, er kann es nicht — das Opfer ist zu groß. — Das Ende — das Ende.. Jetzt hast du noch Glück und Sonnenschein vor dir —. Oh, wie die Töne des jüngsten Gerichts tönen mir seine Worte noch jetzt in den Ohren. — Aber wenn du im Unglück allein, niemand mehr hast, was dann? — Oh, e r h a t t e r e c h t ! Die Glocken haben aufgehört
zu läuten.
Die
Glocken haben aufgehört zu läuten.—Noch immer quäle ich mich mit meinem elenden Leben herum. Nimmt den Strick,
der auf dem Boden
liegt.
KARL SCHLOSSER plötzlich Händen. Bestimmt:
Will
vortretend,
an die erfaßt
Brücke. sie
bei
den
Du wirst es nicht tun. MARTHA
erschrocken:
Karl, du? Laß mich los. Ich bitte dich, laß mich. Will sich von ihm
losreißen.
KARL:
Nein. Weich: Martha! MARTHA :
Geh, laß mich fort. — Verachte mich, wie mich die anderen verachten. Ich habe gefehlt und hab es nicht anders verdient. Ich habe keine Ehre mehr . . . aber ich hab mich nicht verkauft . . . Glaub' es nicht Karl. — Ich bin v e r l o r e n — Beide gehen nach der Bank. auf dieselbe.
130
Martha fällt
erschöpft
KARL :
Nein, so lange ich lebe, bist du nicht verloren. Martha, daß du mir solches antun mußtest — kniet vor ihr nieder und verbirgt sein Antlitz in ihrem Schoß und weint. MARTHA:
Du weinst? Weinst um mich? — Karl, ich bin deiner Tränen nicht wert. KARL:
Martha! Warum hast du mir das angetan? MARTHA:
Verdamme mich, ich habe es nicht anders verdient. KARL:
Nein. Und wenn sie dich alle verdammen, ich lasse dich in deinem Unglück nicht allein. Ich werde dich schützen. Niemand soll dich mir wieder entreißen, Martha. Ich hab dich immer geliebt und heute hebe ich dich mehr denn je, weil du hilflos und verlassen bist und niemand weiter hast als mich. Nimmt ihren Kopf zwischen seineHände.
Bleibe bei mir. Sieh, ich habe zwei starke Arme, die können schaffen für uns beide. Komm, sei mein Weib. Wir wollen beide glücklich sein. MARTHA :
Nein, das bin ich nicht wert. Ich bin gefallen und du erniedrigst dich, wenn du dich an mich wegwirfst. — Ehemals hätte ich die deine werden können, aber ich habe mein Glück verscherzt. KARL
leidenschaftlich:
Sie lügen alle, die dir das sagen. Nicht du trägst Schuld an deinem Unglück, — du armes Herz wirst nicht anders gekonnt haben. Nein, ich und wir alle haben es zu verantworten, daß es mit dir so gekommen ist. Wir hätten diesen Wüstlingen schon früher das Handwerk legen sollen. Sanft. Martha, willst du denn ewig leiden? Du sollst wieder glücklich werden. Ich vergebe dir, mache 131
dir auch keine Vorwürfe, und dein Kind ist mein Kind. — Was kümmert uns die Welt — umarmt sie stürmisch. Du bist mein Weib, mein gutes Weib. Martha gibt sich ihm widerstandslos hin und bricht in heftiges Schluchzen aus. MARTHA:
Du kannst mir vergeben — oh, du guter, selbstloser Mann. KARL:
Wir beide werden glücklich sein, — so glücklich — wie damals. — Weißt du noch? — Hier habe ich dich nun zum zweiten Male gefunden. — Horch — hörst du es — das schmelzende Lied, von Glück und Freude, von Lust und Liebe. Und so, wie einst, so halten wir uns auch heute umschlungen, und träumen von Glück und Sonnenschein. MARTHA :
Aber damals Karl. — Und heute — KARL:
Vergiß, mein Lieb. Ein jeder Mensch muß seine Bürde tragen, findet auch sein Golgatha. Ein jeder feiert aber auch einmal seine Auferstehung — einmal seine Auferstehung. Auch wir beide haben unser Kreuz, wie einstmals der große Nazarener gen Golgatha getragen, aber auch wir feiern wie jener unsere Auferstehung. Sieh' Martha! Ich bin ein armer Bergmann — ich besitze keinen schnöden Mammon, den ich mein eigen nennen kann, aber jetzt bin ich reich, reich an Geist und Wissen. Einstmals arm wie ein Bettler in meinem Geist und Herzen — ich bin aufgewachsen ohne alle Bildungsmittel, welche den Menschen das Verständnis öffnen für die Welt um ihn her; ich bin aufgewachsen zwischen Feld, Wald und dem Himmel, zwischen Not und Sorge — der Wald und das Feld, die haben mit mir gesprochen durch ihre Blätter und Blumen, — der Himmel durch seine Sonne und Sterne — ich habe sie verstanden, tief in meinem Herzen habe ich verstanden, was sie mir 132
sagten und sangen — aber ich habe ihnen nicht antworten können, gewogt und gewallt hat es in mir, als wollt' es mir die Brust zersprengen, — aber die Worte hab' ich nicht gefunden, um das alles zu sagen, was da in mir gärte und kochte, — ich habe ja nichts gelernt, — nichts, nicht einmal mich selbst zu verstehen. Aber eins brach sich durch mein Innerstes, eins lernte ich verstehen, die Not meiner Mitmenschen, — mit ihnen lernte ich fühlen und denken. Und wenn wir armen Bergarbeiter viele hundert Meter tief unter der Erde ohne Licht und Sonnenschein schuften müssen, nur um einer kleinen Zahl von Menschen ein freudenvolles Dasein zu verschaffen, dann ist es kein Wunder zu nennen, wenn auch wir Bergarbeiter danach trachten, uns nur etwas zu erringen, was unser Dasein einigermaßen erträglicher macht. Und in diesem Kampfe lernte ich denken und mich selbst schätzen. Meine Kameraden, Tausende an der Zahl, vertrauen mir in diesem Kampfe, und das macht mich reich. Aber noch immer fühle ich mich wie ein schlummernder Keim in der Erde, auf den ein großer Stein gewälzt ist — kann ich es doch nicht so aussprechen, was in mir lebt brennt und arbeitet . . . Marthe! Nimm du diesen Stein, hebe ihn weg von mir. MARTHA:
Ich — ich — wie kann ich . . . ich ein verlorenes Mädchen. KARL sie fest
umschlingend:
Und doch du, Marthe. Oh, ich sehe es in deinen Augen, ich fühle es in meiner Brust, deine Liebe kehrt zu mir zurück — du bist mein — mein für ewig. Fred kommt unbemerkt von
links.
6. Szene Die
Vorigen.
Fred
Maier,
dann
der alte Maier
und
Klara
Schlosser. KARL, MARTHA:
Was willst du? Oh, mein Bruder! 133
KARL:
Willst du mir sie wieder holen? Ich lasse sie nicht los. Ihr habt sie von euch gestoßen. Sie ist mein. Nur ich hab noch ein Recht an sie. FRED MAIER :
Nein, nicht wegholen, sondern nur suchen wollt' ich sie und dem Vater zurückführen, der ihr verziehen hat. KARL:
Ich will sie ihm zuführen und ihm sagen, daß sie mein ist. Klara
Schlosser
und der alte Maier
MARTHA erblickt ihren Aufschrei
zu
kommen von
links.
Vater und wirft sich ihm mit
einem
Füßen:
Vater! Oh, mein guter Vater! D e r alte MAIER ganz
gebrochen:
Ich habe dir vergeben mein Kind. Fred und Klara haben recht. Nicht du, sondern jene Gesellschaftsklasse trägt —, ja ich selbst trage die Schuld. Oh, ich verblendeter Tor. Ich habe jenen gedient, mein Blut hätte ich ihnen geopfert. Aber ich fühle es, ihr seid alle besser als ich und sie. Dir vor allen muß ich danken, mein lieber Karl, denn du bist es, der mir mein Kind und mein Leben wiedergibt. Daß du mein Kind zu dir emporhebst, das zeigt so recht deinen edlen Charakter und deine edlen Grundsätze. KARL:
Nichts freut mich so sehr, als daß du es einsiehst, Vater Maier. Die ganze Welt und mit ihr das ganze Volk kann nur aus all dem Elend durch die Werbekraft des Sozialismus erlöst werden. Und wenn einst das goldne Morgenrot heller und goldener aus dem Firmament heraufsteigt, dann werden auch wir, wir alle glücklich sein. Die Bergarbeiter
134
Müller und Hammer
kommen eilig von links.
MÜLLER :
Karl und Fred, wir suchen euch überall. Wir erhielten soeben von d e r n e u e n W e r k d i r e k t i o n dieses Schreiben. Doch Karl, lies selbst. Nach und nach füllt sich die Bühne mit Bergarbeitern und Frauen. KARL entfaltet das Schreiben und liest es laut: „ A n die Streikkommission der Bergarbeiter zu Händen des Bergarbeiters M ü l l e r . Wir geben unter heutigem Datum unseren Bergarbeitern, welche ausständig sind folgendes bekannt: Die Anfahrt zu unseren Gruben kann morgen früh beginnen. Jeder Bergarbeiter in der Grube erhält auf seinen bisherigen Schichtlohn 20% Zuschlag. Gedingelöhne werden zwischen Direktion und einer zu wählenden Arbeiterkommission geregelt. Jedoch stellen wir folgende Bedingung: Der ehemalige Obersteiger Maier und der Häuer Schlosser werden nicht wieder eingestellt. Weitere Maßregelungen finden nicht statt." . . . Zu den übrigen gewendet. Daß wir beide die Opfer sind, das wußten wir im voraus, und ich bitte euch, Kameraden, nehmt ,den Vorschlag an. Wir haben einen Sieg errungen, der nicht zu unterschätzen ist. Die Macht des Kapitals ist zerschellt an dem festen Felsen der Organisation. ALLE:
Nein, niemals! Das Opfer von euch dürfen wir nicht annehmen. F R E D MAIER mit fester
Betonung:
Das werdet, das müßt ihr annehmen; es wäre töricht von euch, überheblich von uns, wolltet ihr einen solchen Sieg auf das Spiel setzen, und wir es dulden, unsertwegen, zweier Personen wegen, einen solchen Erfolg in Frage zu 11
Münchow, Dramatik II
135
stellen und Tausenden die schwer erkämpfte Existenz zu rauben; Freunde, wir arbeiten anderwärts und ihr hier weiter für das große und erhabene Ziel der aufwärts strebenden Menschen. VIELE
durcheinander:
Ja, er hat recht! Wir fügen uns, das ist das Beste. EINIGE :
Das dürfen wir nicht tun. FRED MAIER:
Freunde! Erst die Sache, dann die Person. Die Sache hat gesiegt! Opfer kostet jeder Kampf und nicht immer so wenige. Allseitige Zustimmung. K A R L ZU
Martha:
Und nun, mein Lieb, du. bekommst, noch ehe wir uns recht wiedergefunden, schon die Feuertaufe. Ich muß diesen Ort verlassen — MARTHA:
Ich folge dir, wohin es auch sei; lehre mich, den Kampf zu führen, damit dir in mir eine neue Mitstreiterin entsteht zur Sühnung meiner Schuld, zum Schutz meiner Mitschwestern vor gleichen Anfechtungen. KARL:
So sei es denn; ziehen wir vereint in den Kampf gegen die Unterdrückung unserer Arbeitsbrüder und Arbeitsschwestern, bis das große Werk der Befreiung unserer Schwestern und Brüder aus den schmachvollen Fesseln des Kapitalismus vollendet ist! Karl bilden
und Martha
halten sich eng umschlungen,
um beide eine Gruppe,
Kameraden
eventuell Gesang:
durch Nacht zum Licht 1" Vorhang
136
fällt
die
übrigen
„Glück
auf
TUTENHUSEN S C H A U S P I E L IN D R E I AKTEN
Franz Starosson und Robert Nespital
PERSONEN
Martin Schomaker, Dorfschulze Doris, seine Frau Heine Prützmann Jochen Upplegger Bauern Krischan Schlorff Niklas Clasen Sötmelk, Büdner Brokmann, Büdner Hans, sein Sohn Kienapp, Veteran Jürgen Frank Margret, seine Frau Sanders, gewerkschaftlicher Organisator Fritz Stahl Arbeiter Magnus Erdmann Christen, kaufmännischer Direktor Buller, technischer Direktor Vorsitzender des Aufsichtsrats Witwe Nevermann 3 Aufsichtsratsmitglieder, 3 Knechte, 2 Mägde
I.
AKT
Stube des Dorfschulzen Martin Schomaker. Schomaker. Doris, seine Frau, drei Knechte, zwei Mägde. Ziemlich gegen Schluß des Mittagessens. Ländlich breites Benehmen bei Tisch. SCHOMAKER sitzt auf einem altmodischen, patriarchalischem Ton:
langen Sofa; mit
Gott sei Dank, daß der große Braune die verdammte Kolik los is! Ich hatt all Himmelangst um ihn! Zum ersten Knecht: Oder — hat er noch wieder Mucken gehabt? ERSTER KNECHT:
Nee, nee! Heut morgen ging er wie der Deubel. SCHOMAKER lacht:
Denn hat er also gehumpelt? Lachen. DORIS mit leisem
Vorwurf:
Gott unn Himmel unn Deubel — das fliegt man all' wieder so! Unn denn beim gesegneten Mittagessen! Knechte und Mädchen
still.
SCHOMAKER:
Na, na Mudding! Laß doch man gut sein! Uns' Herrgott in'n hohen Himmel, der weiß, daß Martin Schomaker unn sein Haus wollen dem Herrn dienen deutet auf die bezügliche Inschrift über dem Türrahmen.
D e r is g a r nich
so übelnehmsch, Mudding! Aber etwas eindringlich zum zweiten Knecht: Musche Flix, daß er mir die Pferde nich wieder so naß futtert — he?! Sonst futtern wir ihn auch eins so lange mit Wasser zwischen's Essen, bis er auch die Kolik in'n Magen kriegt. Verstanden? ! Zweiter Knecht nickt bejahend. N a ! — Pause. 139
DORIS
Gebet:
O Herre Gott, wir danken Dir, Daß Du uns gabst das täglich Brot. Bewahre uns auch für und für Vor Elend, Jammer, Angst und Not. Amen. Alle
außer Schomaker
Pfeife
auf.
und Tabaksbeutel.
S C H O M A K E R ZU den
Ein
Mädchen
bringt ihm
lange
Mägde räumen ab. Knechten:
Kommt das Holz heut noch rein von'n Forst? ERSTER KNECHT:
Kann sein, daß wir's schaffen. Kann aber auch sein, daß wir's nich schaffen. SCHOMAKER:
Na, wenn's gar nich will, is's am Ende ja auch grad kein Beinbruch! Daß man auf die Pferde gepaßt wird, unn daß vor allen Dingen der Braune sich nichts wegholt! ERSTER
KNECHT:
Nee, ich paß auf. Da können Sie ganz ruhig bei sein. den beiden andern Knechten: So — unn nu man dalli!
Zu
Ab.
Schomaker
SCHOMAKER
und Doris
allein.
behaglich:
Na, Mudding? Wa —? Is's nich schön unter unsen Dach? Unn een Piep Toback dazu — ei wei mir, meine Backe! Unn denn wie mein alter Vater immer zu sagen pflegte: Ne halbe Stunde Schlaf is besser als 'ne schlechte Mahlzeit! Unn wie Martin Schomaker immer sagt: Wenn der Mensch gegessen unn getrunken hat, muß er seine Ruhe haben! Hm? Leben wir nich wie Gott in Frankreich? Wie der Pürrick in'n Speck? D O R I S setzt sich an seine
Seite:
Ja, Martin, hier is Glück unn Zufriedenheit; bloß daß wir keine Kinder . . . 140
SCHOMAKER hält ihr den Mund
zu:
Pst! Dafür hast du dich ja umsomehr an deinen Herrgott festgehalten. Unn — unse drei Jungs unn unse zwei Dierns: sind sie nich wie unse Kinner? Kuck, bei uns sitzen sie noch all' mit an'n Tisch unn gehören zu uns, unn ich bin sozusagen ihr Vatter, unn du bist sozusagen ihre Mudder. Hehehe! Wa — ? Hier is noch allens nach der alten Mode. Darum is hier auch kein Taubenschlag. Bei uns halten sie aus. Unn wenn sie denn wirklich mal wegheiraten, kuck, denn vergessen sie keinen Geburtstag von uns. Wa—? Mudding, gib mir'n Kuß! Geschieht. Plötzlich lacht er laut DORIS lacht
auf.
mit:
Was is dir? Was lachst du? SCHOMAKER:
Ach, ich mußt grad an unsen Nachbar, Jochen „Beziehungsweise" denken, daß der sich an jetzt stramm Joachim nennt, weil sein neuer Knecht auch Jochen heißt. Malligkeit! — So, unn nu Mudding, weißt was? nu lang mir man noch'n bißchen das Blatt her, unn denn fall ich bums um . . . so . . . soo rauchend; der Pfeifenkopf ist
neben dem
Sofa
an
der
Erde.
Was
schreiben
sie
denn heut allens . . . Pause. Da steht all wieder was vom Kaliwerk ein, was das für einen hohen Aufschwung nimmt — ich glaub, das Ding hat noch eins 'ne große Zukunft. Mir is jedenfalls nich leid, daß ich'n paar Aktien davon hab. Verzinsen tun sie sich großartig! Doris, was meinst du, ob man da noch mehr Geld in anlegen kann? DORIS
interessiert:
Wenn's all' auf rechtlichen Wegen is — denn steht in der Bibel, daß wir mit unsem Pfunde wuchern sollen . . . SCHOMAKER:
Na natürlich is's auf rechtlichen Wegen. Darum hab ich für meine Person auch gar nichts dagegen, daß wir das Land abtreten. Na gähnt — werden ja sehn, was die 141
S i t z u n g s a g t . . . Pause; ein mit der Pfeife
läßt die Zeitung fallen und
im Munde;
Doris
nimmt
schläft
die
sachte auf und stellt hier und da leise zurecht. Ein
Zeitung Mädchen
kommt laut herein, Doris wehrt zur Ruhe und geht mit
hin-
aus. DIREKTOR CHRISTEN tritt nach wiederholtem hustet an der Tür; kommt näher;
Klopfen
ein;
flüstert:
— schläft! Hab' ich den nur erst für mich gewonnen! Er muß ganz apart genommen werden! Hm! Geht zurück zur
Tür
und schlägt sie heftig zu.
Schomaker
fährt
hoch.
O pardon, das ist mir sehr fatal! Bitte um Entschuldigung, Herr Schomaker, hätte ich geahnt, daß Sie gerade Ihr verdientes Mittagsschläfchen halten, wäre ich noch nicht g e k o m m e n . Geht freundlich
auf ihn zu, gibt ihm die
Hand.
Nochmals vielmals Entschuldigung! Schomaker wehrt ab. Ich wollte nämlich gerade mit Ihnen, Heber Herr Schomaker, gern nochmal vorher über die Affaire reden. Sehen Sie, Sie sind orientiert, haben selbst ein paar Aktien, da ist mit Ihnen ein ganz anderes Unterhandeln. Die anderen Herren sind vorläufig absolute Laien und wissen nichts von der Sache — SCHOMAKER:
Herr Direktor, entschuldigen Sie, ich sitz hier in einer wollenen Unterjacke; aber so beim Liegen — CHRISTEN gemütlich
lachend:
Nanu — aber ich bitte Sie, Herr Schomaker. Das wär' ja noch schöner! Daß Sie sich bei mir, der ich Sie quasi überfalle, entschuldigen! Im übrigen verkennen Sie mich noch ganz und gar, wenn Sie glauben, daß ich nicht weiß, daß unter Wolljacken oftmals treuere Herzen schlagen, als unter weißen Westen . . . nein, bitte also, durchaus keine Umstände! Meinetwegen wenigstens gewiß nicht! SCHOMAKER steht auf:
Zur Gemeinderatssitzung muß ich mir ja doch einen Rock anziehen. Diesen hier, Herr Direktor! Der hat immer einen graden Puckel gehabt, so alt er geworden is. Der is immer grade durchgegangen. 142
CHRISTEN :
Recht so, recht so. Und so wollen wir halten! Und wenn ich Ihnen demnach doch bei weitem das meiste Urteil in haben, so ist das ebenfalls grade durch blanke Wahrheit!
es auch ferner sage, daß Sie unserer Frage und nichts als
SCHOMAKER:
Na, na, Sie wollen woll schmeicheln? CHRISTEN :
Herr des Himmels — nein, mein lieber Herr Schomaker, so was dürfen Sie nicht denken! Ich und schmeicheln! Aber so viel Menschenkenntnis werde ich doch wohl haben, daß ich weiß: Sie sind noch einer von denen, die um nichts in der Welt von dem, was recht ist, abweichen und die sich den Teufel darum kümmern, was die Leute dazu sagen. Bei Menschen von Ihrem Schlage ist doch mit S c h m e i c h e l e i e n gar nichts zu machen! SCHOMAKER nickt
geschmeichelt:
Das is gewiß, wie's Amen in der Kirche. CHRISTEN :
Na also! Und darum nehme ich kein Wort von dem zurück, was ich gesagt habe. Außer Ihrem Urteil haben Sie auch noch Einfluß als Gemeindevorsteher. Wenn Sie unserm Projekt zustimmen und so mit einfließen lassen, daß Sie rund und nett sieben Prozent Dividende ausbezahlt erhalten haben, daß in der demnächstigen Generalversammlung neun Prozent festgesetzt werden, und daß die Prozente von Jahr zu Jahr steigen . . . SCHOMAKER horcht
auf:
Is . . . das sicher? CHRISTEN :
Wenn dem Projekt zugestimmt wird — bombensicher. Oder — um ein Wort von Ihnen zu gebrauchen — wie das Amen in der Kirche. Die Herren können sich ja alle an
143
dem Riesengewinn mitbeteiligen und Aktien kaufen. Jetzt vor der Generalversammlung, wo die neunprozentige Dividende noch nicht bekannt ist, ist's grade noch Zeit. Später werden die Kurse ja kolossal ansteigen! Also kaufen Sie, kaufen Sie! Sie werden es mir ewig danken! Pause. Bloß die Büdner fürchte ich; sie werden gegen das Projekt sein, da sie kein Geld für Aktien übrig haben. SCHOMAKER
geldlüstern:
Ach — d i e ! Wir haben die Majorität! Wenn wir wollen, können sie gar nichs machen, unn wenn sie sich auf'n Kopf stellen! CHRISTEN :
Besonders ist mir da der Büdner Brokmann im Wege. Sein Schwiegersohn, der Jürgen Frank, ist ein ganz gefährlicher Mensch, wissen Sie, so ein Sozialdemokrat! Der hat den ganzen Streik jetzt auf dem Gewissen; der hat die Leute hineingehetzt. SCHOMAKER:
Warum schmeißen Sie so'n Subjekt denn nich raus? CHRISTEN
verlegen:
Ja . . . ja . . . das wäre kurz und amerikanisch. Aber wissen Sie, lieber Herr Schomaker, wir wollen hier doch — verstehen Sie — in Frieden und möchten nicht die Gemeinde gegen uns — und unser Projekt . . . schnell, lauter Herr Schomaker, wenn uns der Brokmann nur nicht das Konzept verdirbt! SCHOMAKER:
Herr Direktor, wenn Sie die Bauern man rumkriegen — wie gesagt, denn haben die Büdner gar keine Nummer mehr. CHRISTEN :
Wenn Sie uns Ihren Beistand leihen, dann kann es nicht fehlen! I h n e n wollen wir das Verdienst zuschreiben, wenn es gelingt! Heine Prützmann,
144
Jochen
Upplegger.
PRÜTZMANN:
Mahlzeit! UPPLEGGER:
'n Tag! SCHOMAKER:
'n Tag auch Heine, Tag Jochen! Na, seid ihr all hier? UPPLEGGER richtet sich auf: Beziehungsweise Joachim! Jochen heißt mein Knecht auch! CHRISTEN :
Schönen guten Tag, Herr Upplegger, schönen guten Tag, Herr Prützmann! Gibt jedem die Hand. Freut mich sehr, meine Herren, freut mich sehr. Sieht's gut aus in der Landwirtschaft? Versteht sich am Rande — was? UPPLEGGER
strahlend:
Ah — meine gute schwarzohrige Sau hat heut morgen g e f e r k e l t . Hören Sie . . . schnalzt mit der Zunge gef e r k e l t . . . Jungejungedi! Beziehungsweise elf Stück. Unn was für Bengels! Richtige bannige Bostbengels! CHRISTEN :
Das hört man gern. Da gratuliere ich! PRÜTZMANN
verdrießlich:
Tsche — m e i n e w o l l e n nich. Is rein behext. Hab ich mir da im vorigten Jahr 'n acht Wochen altes Eberferkel gekauft für praeter propter hunderteinundtünfzig Mark, unn nu is das Biest nich . . . nich . . . kumpabel! Tsch! Schweinerei! CHRISTEN :
O weh! Das ist ja toll! Aber — was tun? UPPLEGGER:
Ich würde den Verkäufer wegen Ersatz, beziehungsweise wegen — wegen — wie gesagt, b e l a n g e n würd ich ihn. 145
PRÜTZMANN:
Hab ich auch schon gedacht, aber da laß sich man einer mit Richter und Avkaten ein! ScHOMAKER:
Nee, kannst auch gar nichs machen! Nach sechs Wochen is der Verkauf nich mehr rückgängig zu machen! So is das Gesetz darüber! PRÜTZMANN:
Tsche, is das nich mein Sagen? Is son'n Gesetz nich mall? Nach sechs Wochen war das Viehzeug vierzehn Wochen alt gewesen — wie kannst du da schon feststellen, ob er . . . kumpabel is?! Lachen. KRISCHAN SCHLORFF, CLAS CLASEN, BROKMANN, SÖTMELK durcheinander:
„Gu'n Tag!" Christen
begrüßt jeden
Brokmann
einzelnen
sehr
entgegenkommend,
kühler.
CHRISTEN :
Au, hören Sie mal Herr Schlorff, Sie haben ja eine Hand mit einem eisernen Griff! SCHLORFF geschmeichelt,
prahlerisch:
Herr Direktor, wie ich noch beim Kommiß war, da hab ich eins in'n Zirkus den Ringkämpfer vorher gefragt, wo er liegen wollt. Unn genau auf das Flach hab ich ihn geschmissen. SCHOMAKER:
Is da wen mit beigewesen, Krischan? SCHLORFF etwas
pikiert:
Na, du hättst da noch mit bei sein können. Du hättst auch noch Platz gehabt. Lachen. CHRISTEN :
Die Sitzung steht gleich im Zeichen des Humors. Meine Herren, der Humor ist eine Sonne, in der alles gedeiht. 146
Da wird die Angelegenheit des Landkaufs, die ich hier vorzutragen habe . . . UPPLEGGER der anscheinend nur an seine Ferkel gedacht hat:
Clasen, wie lang' läßt du deine Ferkel bei der Mutter? Alle
interessiert.
CLASEN
altgroßväterlich:
Zwei Mond, ja, zwei Mond, unn mit sechs Wochen werden die Eber geschnitten, ja. Unn wenn die junge Welt vom alten Niklas Clasen noch was annehmen will . . . ja: der Schweinestall darf nich im Kuhstall sein . . . nee, nich, nee, . . . nich im Kuhstall. Das is 'ne Bequemlichkeit, die sich männigmal rächen tut . . . ja. Wie es mir eins passiert is, daß die Küh all die Stallseuche kriegten, weil der Schweinedunst die Luft verpesten tut . . . ja. Das heißt: wenn die junge Welt vom alten Niklas Clasen noch was annehmen will . . . ja . . . CHRISTEN :
Na, ich meine, Herr Clasen, das sehe ich ja als Laie ein! CLASEN:
Ja, ja . . . ja . . . aber die junge Welt, Herr Direktor, die junge Welt! PRÜTZMANN:
Ach, Vadder Clasen, das sind olle Kamellen, die wir uns schon an den Schuhsohlen abgelaufen haben. Es is manchmal mit den Räumlichkeiten nich so bestellt, wie wir es selbst gern möchten. Wenn du uns mit Gewalt was lernen willst, denn lern uns, wie man sich davor schützt, was mir passiert is. Praeter propter hunderteinundfünfzig Mark blankgezogen unn gefüttert, unn gefüttert, unn nachher is so'n Biest gar kein K e r l ! Nu sitz ich da! auf'n Frost! Verfluchte Zucht! CLASEN wiegt den
Kopf:
Ja, ja . . . ja . . .
Pause.
147
SCHOMAKER:
Ja . . . denn wären wir ja woll all' vollzählig da. Denn können wir ja nu woll anfangen. Alle setzen sich an den Tisch. Da is also erst wegen das Land mit Herrn Direktor . . . UPPLEGGER fährt
auf:
Na, wollen wir denn nich erst den Gemeindebull erledigen? Die Bauern außer Schlorjf stimmen lebhaft zu.
Chri-
sten macht gute Miene. N a j a , z u m D o n n e r w e t t e r , d a s 's d o c h kein P a p p e n s t i e l ! Haut mit der Faust auf den Tisch. J a . . .
ob dir das nu paßt oder nich, Rrischan Schlorff, da gibts gar nichts für! I c h will dir wenigstens man sagen, daß wir den Bull, den du dir da aufgezogen hast, nich annehmen! Auf keinen Fall! Das 's doch kein Zuchtbull? So'n Krüppel?! SCHLORFF:
Du wollst woll lieber einen mit fünf Beinen greifen! Wenn dir mein nich paßt, ich hab keinen annern! Basta! UPPLEGGER:
Basta? Basta? Woso Basta?! SCHLORFF :
Jawoll: Basta Punktum! Das 's woll deutlich genug! UPPLEGGER:
Oho, — alter Freund — auf d a s Flach?! Nee, da kennst du Buchholtzen, beziehungsweise Joachim U p p l e g g e r aber schlecht! Aber'n bischen s e h r schlecht! Denn wollen wir dir doch erst mal eins zeigen, was die Hark' für Zinken hat. A l s o du m u ß t e i n f a c h e i n e n B u l l k a u f e n — so is's unn nich anners, alter Kronensohn! Unn nu sag ich basta! SCHLORFF
wütend:
Ob du basta sagst oder Kanaillenvogel, das 's mir ganz pottegal! Du bist in meinen Augen . . . 148
UPPLEGGER
schreit:
Krischan Schlorff, seh' gefälligst bißchen nach deinen Worten! Was bin ich in deinen Augen? Was bin ich in deinen Augen — ?! Schlorff ist plötzlich ganz ruhig, sieht geradeaus. Ich will wissen, was ich in deinen Augen b i n ! SCHLORFF ganz ruhig: Du bist in meinen Augen Jochen Upplegger, beziehungsweise Joachim Upplegger — weiter bist du in meinen Augen gar nichs. Upplegger denkt darüber nach. SCHOMAKER
ruhig:
Nee, Krischan, all' was recht is: auf'e Art is dein Bull nich. SCHLORFF wieder ärgerlich: Quatsch. Wollt ihr 'nen alten Affen noch Faxen machen lernen? Quatsch. Wenn die Gemein' man noch immer so'n Bull hat! SCHOMAKER:
Nee, nee, Krischan; er is vorn „ ü b e r b a u t " ; is vorn zu hoch unn hinten zu niedrig. UPPLEGGER
schreit:
Krumm wie'n Fiedelbogen is er. Ich wenigstens laß meine schönen K ü h ' an so'ne Mißgeburt nich ran. Ich will mich nich vor meinen Kühen blamieren! W e n n sie nicht schon von s e l b s t aushaken, wenn sie das Gewächs sehn! PRÜTZMANN
verdrießlich:
Womöglich is's am E n d ' grad so'n Schlappstiefel wie mein Eber. SCHOMAKER:
Je, was machen wir dabei. Kennt jeder von uns den Bull? Bauern bejahen. BROKMANN,SÖTMELK:
Nee.
149
SCHOMAKER:
Je, dann können wir ja überhaupt vorläufig nichs machen. Denn schlag' ich vor, daß wir uns morgen bei Tageslicht um eins mittags all' bei Krischan Schlorff zusammenfinden unn ihn besichtigen. UPPLEGGER:
Das is nich mehr als recht unn billig. Unn wir haben ja all' was von starke Natur, daß uns in'n Stall nachher nich schlecht wird. SCHLORFF :
Nu halt aber's Maul, du Ekel! Ich bring' dir das woll eins wieder zu Haus, mein Jünging! Wir treffen uns woll eins wieder! UPPLEGGER:
Du? Du kannst mir'n Puckel runter rutschen! Unn wenn du runter bist, wieder rauf! SCHOMAKER:
Je, denn kämen wir nu auf den Punkt wegen das Land. CHRISTEN merkt unwilliges
Gebahren, lenkt schlau
ein:
Pardon, meine Herren, aber quasi als Nachbar interessiert mich die Sache mit dem Gemeindebullen doch auch. W a s ist d a s e i g e n t l i c h ? Bauern
wieder
interessiert.
SCHOMAKER:
Das geht die Reih' um. Jedes Jahr muß ein Bauer einen stellen. Unn wer an der Tour is, der zieht sich Jahrs vorher einen mit auf. Unn da is Krischan Schlorff nu bei. UPPLEGGER:
Ja, unn er is da so bei, daß einen die H u n d e weglaufen k ö n n e n ! Schlorff setzt vor Wut seinen Stuhl weg und holt sich einen
andern.
SCHOMAKER:
Also der zweite Punkt unser Tagesordnung is mit dem Kali-Werk. Bauern unwillig. Herr Direktor Christen is 150
selbst hier, unn kann uns den Plan plesibel machen. Ich für meine Person, ich muß wirklich sagen, wenn ich mir das richtig überlege, daß ich denn immer wieder zu dem Schluß komm', daß wir ja eigentlich gar keinen Grund haben, uns dagegen anzustemmen. SCHLORFF:
Wir verkaufen kein Land! PRÜTZMANN, UPPLEGGER, CLASEN
durcheinander:
Nie unn nimmer! I bewahre! SCHOMAKER:
Je, Herr Direktor, wollen Sie denn mal eins reden . . .! BAUERN durcheinander:
Hat gar keinen Zweck. BROKMANN :
Ich mein', wir können den Herrn Direktor doch erst mal a n h ö r e n ! Das m ü s s e n wir sogar! SÖTMELK:
Das's auch meine Meinung. SCHLORFF
giftig:
Sie haben ja 'ne ganz famose Meinung! CHRISTEN
freundlich:
Gewiß eine gute Meinung, meine Herren, hören Sie mich doch nur an! Ich glaube, der Name Direktor Christen bürgt Ihnen dafür, daß hier keine schlechte Sache vertreten werden soll. Sie können versichert sein, daß ich nicht hier stände, wenn ich irgendwie unreine Finger hätte. Ich bitte Sie, meine Herren, lassen Sie jegliches Mißtrauen fallen. Sehn Sie, der Zug der Zeit geht nun einmal dahin, daß die Industrie sich ausdehnt. Bewegung, und ich bin der Ansicht, wenn das flache Land durch diese Ausdehnung gewinnt.. . ich wiederhole ausdrücklich g e w i n n t . . . ja, meine Herren, lächeln Sie nur und spielen den ungläubigen Thomas . . . 12 Münchow, Dramatik II
151
UPPLEGGER:
Ungläubigen Thomas is beziehungsweise sehr gut. CHRISTEN
jovial:
Nun, hoffentlich habe ich mit dieser, meiner kleinen, wenn ich mich so ausdrücken darf, dichterischen Freiheit nicht etwa irgendein religiöses Empfinden verletzt durcheinander: „Nee, nee!", nun, das ist gut, denn nichts läge mir ferner als das. Ich bin selbst gut christlich gesinnt. Also meine Herren, wenn das flache Land dabei gewinnt, warum sollen sich denn die beiden Wirtschaftszweige nicht entgegenkommen? Denn recht betrachtet, gehören doch beide zusammen zum echten und rechten Staat. SCHLORFF:
Falsch! Der Landmann is Baaß! Der stellt die besten Soldaten. Ohne Landwirtschaft muß der Staat verhungern ! Unn Sie mitsamt Ihrer Aktiengesellschaft auch! CHRISTEN :
Aber die Landwirtschaft ist ein Hauptabnehmer für unser Kali; sie braucht es notwendig. Sehen Sie, so wäscht im Grunde eine H a n d die andere. Kali m u ß also sein — das geben Sie zu! Dann aber dürfen Sie nicht mehr sagen: H i e r soll kein Kali gewonnen werden. Kali ist eben an den Ort gebunden und muß da gewonnen werden, wo es im Boden ruht. Künstlich schaffen läßt es sich nicht. Und wenn wir hier einen Ausbau vornehmen, denken Sie doch an den Aufschwung der Entwicklung — SCHLORFF :
Wir wollen keine Entwicklung! Wir wollen unse Ruhe behalten! Wir wollen in Tutenhusen nich so'n Radau unn Görenspektakel, wie sich in Ihrer Kultur da entwickelt hat. Da bei Ihren Werkwohnungen is ja ein Skandal auf den Straßen, daß einem die Pferde durchgehen ! Danke schön! Wir wollen Ruhe! Die Bauern außer Schomaker stimmen zu, die Büdner lachen halblaut. 152
CHRISTEN:
Meine Herren, Sie verkennen ja offenbar die großen, segensreichen Folgen einer Werkvergrößerung. Erstmal haben soundsoviel Menschen dadurch Unterkunft und Verdienst. — UPPLEGGER:
Jawoll! Unn keiner will mehr auf'n Land arbeiten! Unse ganzen Häusler haben Sie uns schon weggelotst, und wir müssen für die Löhne immer tiefer in den Beutel greifen. Am End' können wir noch gar unse Arbeit selbst tun! SCHLORFF :
Wir wollen das Dorf, das Dorf wollen wir erhalten! Seßhaftes Volk, seßhafte Leute wollen wir! Die Leute a u f m Land sollen bleiben wie sie sind! Das soll allens beim alten bleiben. So wie's bis jetzt gewesen is! Zum Deubel mit den neuen Moden! BROKMANN:
Wenn hier allens so geblieben wär, wie es früher w a r , dann sah es hier woll schnurrig aus. Wenn wir nich weiter fortgeschritten wären, als unse Vorfahren, denn fräßen wir uns vielleicht noch gegenseitig auf. Glauben Sie, Sie können die Uhr der Zeit zurückstellen? Sehen Sie doch ins Land hinein — überall neue Bahnen! Die Entwicklung schreitet vorwärts unn läßt sich nich dauernd aufhalten. SCHLORFF :
Nee, von Ihnen nich! Aber wir sind auch noch da! BROKMANN:
Auch von Ihnen nich! Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen — Herr Schlorff. SCHLORFF :
Ei di Donnerhagel noch mal! prusten 12»
sich
an und
brechen
Upplegger
in schallendes
und Gelächter
Pfützmann aus.
153
PRÜTZMANN sammelt
sich:
Das is woll die Weisheit von Ihren Schwiegersohn — he? BROKMANN:
Das is die Weisheit eines jeden, der Augen und Ohren und ein bißchen Verstand hat. Und darum natürlich auch die Ansicht von Jürgen Frank. Von dem hab ich's gelernt. Der lebt eben mit der Zeit unn stellt sich ihr nich entgegen. Warum sind Sie gegen das Projekt? Weil Sie glauben, daß die Welt sich bloß um Ihre Misthaufen dreht; weil Sie glauben, daß da, wo Sie nichs mehr sehn, überhaupt nichs mehr zu sehn is, unn weil Sie vor allen Dingen glauben, daß kein Profit Sie mit dem Projekt verbindet. SCHLORFF :
Nu schlägt's aber doch fünf Minuten nach zwölf. Schomaker soll er . . . BROKMANN mit erhobener
Stimme:
Ich will es Ihnen rund heraussagen: Hätten Sie Ihre Profitinteressen bei solchem Werk, so würden Sie ganz anders reden. Sie würden dann die Interessen vertreten, und zwar viel happiger, als Sie jetzt Ihr Acker- und Viehinteresse vertreten. CHRISTEN
leise:
Verflixter Kerl! BROKMANN
ruhig:
Im übrigen sind Sie ja total vernagelt, daß Sie nich einsehen, daß, wenn das Werk sich hier in Tutenhusen anbaut, Platz für Wohnhäuser gebraucht wird unn dadurch Ihr Ackerland als Bauland einen ganz klotzigen Wert kriegt. Aus solchen Geschäften stammt mancher Millionenbauer. Verdutzte Bewegung
bei den Bauern,
aus-
schließlich Clasen — doch das nur nebenbei. Ich spreche hier lediglich für das Allgemeinwohl; ich denke an die Arbeitsexistenzen für so viele . . . Bewegung bei den Bauern dauert fort. 154
CHRISTEN :
Ferner, meine Herren, ist dabei nicht zu vergessen, daß auch noch ein anderer Lohn winkt, und zwar sehr nahe winkt. Herr Schomaker ist Inhaber einiger Aktien, und das ist ihm gut bekommen, wenigstens die sieben Prozent Dividende bisher und die neun Prozent, die in der demnächstigen Generalversammlung festgesetzt werden. Jetzt während desStreiks und solange der Plan von neun Prozent noch ein Geheimnis ist, sind die Aktien verhältnismäßig billig, und ich wäre Ihnen — wenn Sie Lust zu kaufen haben — sehr gern behilflich . . . Bauern
außer Clasen werden immer
faszinierter.
UPPLEGGER:
Unn — sind die Aktien sicher? CHRISTEN :
Jetzt muß ich aber doch lachen. Genügt es Ihnen, wenn ich Ihnen sage, daß die Dividende von Jahr zu Jahr sprunghaft in die Höhe schnellte von fünf auf sechs, dann sieben und jetzt neun Prozent? U P P L E G G E R dumpf,
schwer:
Neun Prozent sagen Sie?
Christen
nickt.
S C H L O R F F stiert vor sich hin:
Neun Prozent! PRÜTZMANN
tonlos:
Neun Prozent! CHRISTEN:
Und der Kurs wird n o c h immer höher steigen. Ist doch eine glänzende Kapitalanlage! Welchen Zinsfuß haben Sie auf der Bank?! Wie gesagt, meine Herren, ich stehe zu Ihren Diensten. Wenn Sie dem Projekt heute zustimmen — von der Regierung ist nichts zu fürchten; die wird Ihren Beschluß ohne weiteres sanktionieren . . . Bauern
kämpfen
mit ihrem letzten Widerstand;
schüttelt verneinend
den
nur
Clasen
Kopf.
155
CHRISTEN
sieghaft:
Noch eins, was Sie sicherlich restlos beruhigen wird. Wenn Sie Aktionäre sind, so sind Sie in den Generalversammlungen dabei. Außerhalb der Generalversammlung darf nichts beschlossen werden. Bei allem, was beschlossen wird, sind Sie dabei und können somit stets über Ihre Interessen und die Interessen der Gemeinde wachen . . . Pause. UPPLEGGER springt auf und platzt
heraus:
Na, denn man zu! SCHLORFF, PRÜTZMANN stehn auf:
Nu is's egal! Jawoll! SCHOMAKER
aufstehend:
Also wer dafür is, steh auf. Alle, außer Clasen. BAUERN
durcheinander:
Nanu! Du nich? Nu man los, hopp hoch! Wollen doch a l l e zustimmen! Na, laß ihn, wer nich will, der hat schon! CLASEN :
Nee, nich nee. Ich mach so'n Trödel nich mehr mit. Niklas Clasen is zu alt zu leichtsinnigen Spekulatschonen . . . ja! Nee, ihr habt's zu verantworten . . . keinen guten Gang geht's nich. BAUERN
durcheinander:
Also erledigt: Die Sache is erledigt! Herr Direktor — ein Mann, ein Wort! Wir setzen eine Liste auf, wieviel Aktien ein jeder haben will. CHRISTEN :
Ich bitte Sie darum, meine Herren. Und nun ist meine Mission zu Ende, also bin ich wohl überflüssig. Adieu, meine Herren. Liebenswürdig ab. UPPLEGGER:
Feiner Mann! Unn ein vernünftigen Menschen, kann man gleich sehn. 156
das
PRÜTZMANN :
Ja, der weiß, wo Bartels den Most holt. Unn wie er einen das allens so verdeutschen kann — richtig so . . . m i t Musik . . . schnippst
mit der Hand und pfeift
dazu.
CLASEN:
Ja, wenn euch man nich noch eins die Fiedel dabei kaputt geht! SCHLORFF :
Ja, Olling, nu laß man! Du drönst! CLASEN :
Ich sag euch . . . das is'n Nagel für euren Sarg. PRÜTZMANN :
Oder'n Sarg für deinen Nagel, Olling. Lachen. UPPLEGGER:
Also morgen mittag bei Krischan Schlorff. Unn nu a d s c h ü s ! Sucht seinen Hut; alle machen sich bereit. greift Schomaher in seine Tasche.
Plötzlich
SCHOMAKER:
Herrkinner — nee, das hätt' ich bald vergessen! UPPLEGGER:
Was's denn nu noch los? SCHOMAKER:
Ach, wegen die Witwe Nevermann. SCHLORFF unwirsch:
Was will die? SCHOMAKER :
Sie hat hier, sogar 'n ärztliches Attest eingereicht. Setzt Brille auf, liest: Ärztliches Attest. Hierdurch bescheinige ich, daß die Witwe Sophie Nevermann geb. Sommer 157
infolge körperlicher Schwäche und dauernder Nervenleiden nicht mehr imstande ist, jährlich hundert Mark zu verdienen. Dr. Sengebusch. PRÜTZMANN:
Hm, das is nich schön — aber was sollen wir — ? SCHOMAKER:
Nee, geben müssen wir ihr was; da kommen wir nich von ab. BROKMANN :
Na, ich denke, dieser Fall is doch zu ernst, als daß wir ihn hier im Stehen, mit der Türklinke in der Hand abmachen. Setzt sich. Schomaker und Sötmelk desgleichen; auch Clasen. Die andern folgen unwillig. UPPLEGGER:
Ich bin im Stehen ebenso klug wie im Sitzen. Das hat da gar nichs mit zu tun. SCHOMAKER:
Also Attest is da. Unn denn hat die Frau drei Kinner. SCHLORFF:
Sie kann arbeiten. Verhungern tut so leicht keiner. Das Attest is mir noch lange nich maßgebend. Nächstens kriegt jeder Faulpelz ein Attest. Dazu sind die Ärzte doch wahrhaftig nich da! Drei Kinner! Sollen wir anner Leute Kinner ernähren? Was schaffen Sie sich soviel Görenvolk an! BROKMANN fest:
Wenn ich nich irre, Bauer Schlorff, hat Nevermann grade bei Ihnen all die Jahre gearbeitet. SCHLORFF:
Dafür hat er seinen Lohn gekriegt. PRÜTZMANN:
Brokmann, wo Sie hinaus wollen, das hört sich woll hübsch an, stimmt aber nich. Jeder is sich selbst der
158
nächste. Wer gibt uns was, wenn wir nichs haben? Wer gibt mir was für meinen Eber? Unn was glauben Sie, was das für'n Schaden für mich . . . BROKMANN :
Lassen Sie doch son'n dummen Schnack unterwegs! PRÜTZMANN:
Dummen Schnack? Wer sagt, daß ich dummen Schnack sag?! SCHOMAKER:
St! Nu man kein Radau mehr! Arbeiten kann sie nich — denn wo soll sie die Kinder lassen? SCHLORFF :
Hätt' sie vorher bedenken sollen! SCHOMAKER:
Nu man vernünftig! So kommen wir nich zum Schluß. Wir müssen ihr von Gemeindewegen erst mal Acker unn Buschholz unn etwas Geld bewilligen. UPPLEGGER:
Denn bewilligen wir dreißig Quadratruten Kartoffelland unn zwei Raummeter Buschholz unn für jedes Kind fünfzig Pfennig die Woche. BROKMANN:
Wie denken Sie sich eigentlich, daß die Frau davon sich unn drei Kinner ernähren soll? Ich möcht Ihnen woll wünschen, daß Sie mal — ein Jahr lang bloß — damit auskommen müßten. SCHLORFF wütend:
Nu hören Sie doch bloß auf mit Ihrem verdammten Gequatsch! Sie können ja'n Ochsen blödsinnig reden! Wenn wir so wollen, wie Sie, denn würden Sie hier bald 'ne schöne Gallerie von Faulpelzen erleben. Aber so flott fiedelt Lux nich, das merken Sie sich ein für alle m a l ! Während
der letzten Worte ist die Tür
Witwe Nevermann
steht im
aufgegangen;
Türrahmen.
159
SCHOMAKER:
Na — Sie sind woll all gespannt, nich wahr? Also die Gemeinde wird Sie unterstützen Frau Nevermann atmet zitternd, doch etwas erleichtert auf, u n n z w a r kriegen Sie v o r -
läufig dreißig Quadratruten Kartoffelland unn zwei Raummeter Buschholz unn für jedes Kind fünfzig Pfennig die Woche zu den andern nich? so war's ja woll? WITWE NEVERMANN starr,
verständnislos:
W i e ? ! Tritt weiter vor: W i e ? ! Bricht in
markdurchdringendes
Lachen aus. Für mich unn meine drei Kinner? Unn bei Ihnen zu Schlorff hat mein-Mann seine Gesundheit aufgeopfert? ! Haben Sie den Beschluß gebilligt? H e r r , wollen Sie uns ins Wasser jagen?!! SCHOMAKER:
Liebe Nevermann, vorläufig is das Gemeinderatsbeschluß. Später läßt sich ja weiter darüber reden. Unn Ihr Leiden wird ja auch wieder besser werden . . . unn denn . . . WITWE NEVERMANN : U n n denn? U n n d e n n ? ! Wächst riesenhaft über alle mit furchtbarer
entsetzlicher
Stimme.
Wißt
hinaus;
ihr, w a s
ihr
seid?! Mörder!! Hundsgemeine Mörder! ! ! Schnell ab. Alle sind betroffen.
Pause.
SCHLORFF lacht hart auf:
Freches Weibsbild! . . . Vorhang
2.
AKT
Stube
beim Büdner
Brokmann.
Margret,
Jahre alt. Hans, neunzehn Jahre alt. KIENAPP sieht sein wollte;
öfters
zu Hans
sechsundzwanzig
Kienapp.
hinüber,
als ob er ihn los
endlich:
Stiernkieker — dau! Sollst du deinem Väter nich nachkommen unn helfen beim Pflügen? Magst woll wieder 160
nich! Dau! Hast du Dreck in den Ohren? Lacht ordinär. Hahahaha! Du bist's H e l d in der Buttermilch! Männeken — dich hätt ich mal sehn mögen in Frankreich, wenn dich der Franzos' mit'n Bajonett son'n bischen achter die Englischledernen gepiekt hätt. Was du woll für Anstalten gemacht hättst! Hahaha! MARGRET bei
Handarbeit:
Großvater! KIENAPP näher zu
ihr:
Hahaha . . . ich laß ihn ja all, den —! Aber in Frankreich, weißt du, wenn der Kolben so gnurschte . . . MARGRET:
Laß mich bloß mit deinen Räuberpistolen in Ruh. Ist ja doch meist Aufschnitt. Du bist'n Prahlhans! KIENAPP:
Stopp, stopp, Du! Kiek mal hier — von wegen! Zeigt auf das Eiserne Kreuz auf der Brust; nimmt plötzlich einen blick militärisch
stramme Haltung
Augen-
an. J a , d u , d a s k ö n n e n
wir noch! Immer noch Soldat! Na — zu Hans komm du man erst beim Kommiß, dir werden sie die Hammelbeine auch noch lang ziehen. Du lernst noch eins laufen, als wenn du den nächsten Zug nicht verpassen willst! Hans sieht ihn an, wie einer,
der in Gedanken weitab weilt. D u —
Nachtwächter! MARGRET:
Großvater, du sollst ihn zufrieden lassen! KIENAPP :
Mein Snuteken, mein Puteken . . . hahaha . . . ich tu ja gar nix. Ich bin ja mausing still und sag keinen Ton. Flüsternd. Gib mir'n Groschen. Odern'n Schilling. Hab dich doch nicht! Einen — MARGRET sieht ihn vorwurfsvoll
an:
Großvater. . . 161
KIENAPP :
Ach, du bist 'ne dumme Diern. Nich mal das bißchen gönnt ihr einem. Na, denn nich. Pause. Ich geh' eins an die Luft —. MARGRET:
Kannst du's gar nicht aushalten? Klänhammer borgt dir ja doch nichts mehr. K I E N A P P lacht
ordinär:
Bloß bißchen an die Luft . . . hahaha! Ab. M A R G R E T seufzt; geht dann zu
Hans:
Hans! H A N S sitzt auf seiner Bank neben dem Kleiderschrank: sie schwermütig
sieht
an:
Ich finde nicht dazwischen durch . . . MARGRET:
Du mußt doch nicht immer so trostlos traurig sein. Hab doch ein wenig, ein ganz klein wenig Mut. HANS:
Warum ist es in der Welt so traurig, so unendlich traurig, Margret? Warum muß das sein? MARGRET :
Hans — ! HANS:
Ja, Gretellieb, du bist gut. Mit dir allein kann ich reden. Mit weiter keinem. MARGRET:
Du sollst dich Jürgen anvertrau'n, Hans. Sieh, er ist herzensgut und versteht alles, und mir hat er doch auch Mut gemacht. Er hat mir ganz andere Augen gegeben, daß ich nun klar sehe und gesund. Ich war doch auch wie du! 162
HANS lächelt schmerzlich: Ach, Margret, du warst d o c h nicht wie ich. Sonst hättest du nicht anders werden können. D u hörst den Schrei, den roten, blutenden Schrei des Elends der Millionen Menschen nicht mehr, sonst könntest du nicht ruhig, nicht glücklich sein. Ich höre ihn im Wachen und im Träumen, jetzt, in diesem Augenblick, immer, immer höre ich den lauten Schrei des Jammers. Eine Menschheit sehe ich vor meinen Augen auf den Knien hegen — und . . . nur wenn ich auf die Sterbeglocken in meiner Brust horche, dann habe ich Frieden . . . MARGRET:
D u darfst so nicht sprechen. HANS:
Wenn ich aber doch so d e n k e ? ! Was ich leide, hat noch nie ein Mensch gelitten. Das k a n n noch nie ein Mensch gelitten haben. Wenn mir dabei nur nicht einmal das Gehirn entzweireißt und ich den Verstand verliere bricht in Tränen aus. Ich glaube, ich habe ihn schon verloren . . . MARGRET umschlingt
ihn:
Mein armer Jung', so darfst du nicht denken! Glaube nur, das wird alles noch mal anders. D u wirst dich aus diesem Trübsinn herausringen, wirst auch, wie ich, das Morgenrot einer besseren Zeit sehen und an eine bessere Zukunft glauben lernen. Siehst du, ich kann schon ganz wie Jürgen trösten. Weißt du, wenn Jürgen und ich so abends im Dämmer saßen, dann hat er mir erzählt von neuen Heilslehren und neuen frohen Botschaften, daß mir das Herz in der Brust tanzte und frohlockte. Von Quellen hat er mir erzählt, deren Rauschen noch nicht alle hören, nur wenige hören es erst; die aber größer und rauschender anschwellen werden, daß alle Menschen es hören müssen. Und dann kommt die Erlösung über die Welt, Hans . . . HANS:
Wenn einer käme mit der K r a f t und der Macht und der Herrlichkeit, die Welt zu erlösen, wie gern wollte ich 163
alles verlassen und ihm folgen. Wie oft, wenn ich so auf freiem Felde einsam stand, wie oft hab ich gedacht: Wenn jetzt jemand zu mir träte und forderte, daß ich sterben sollte, augenblicks, tot hinfallen, ohne Abschied, und . . . dafür wäre dann die Welt befreit — sofort und ohne Besinnen wäre ich bereit. Aber das sind Gaukelbilder, Hirngespinste . . . so einer kommt nicht . . . und man muß verbluten, ohne helfen zu können . . . MARGRET:
Weißt du, was Jürgen dir darauf antworten würde? Er würde sagen: Die Befreiung kann nicht einer vollbringen, nicht hundert können es, nicht tausend! Wir alle müssen sie vollbringen! Wir a l l e müssen ans Werk! Wir alle müssen w o l l e n , und zur Quelle kommen und ihr Rauschen hören und Mut und Sicherheit daraus trinken. Dann ist u n s e r die Kraft und die Macht und die Herrlichkeit, die Welt zu erlösen . . . HANS:
Aber sie w e r d e n nicht alle w o l l e n , w e r d e n nicht kommen . . . MARGRET:
Aber die Quellen werden rauschen und rauschen, und wir alle werden hinausgehen und die Säumigen und Zagen heranholen, und in den Lüften wird es klingen wie Siegesgesänge . . . durch alle Lande und über das Meer . . . und wiederklingen wirds in unserm Herzen und frohlocken mit der Menschheit Jubellied . . . HANS:
Alle werden d o c h nicht kommen. MARGRET:
Hans, was würdest du von einem Arzt sagen, der hundert Kranke im Zimmer hat und auf der Schwelle stehen bleibt und zaudert und klagt, er könne doch nicht a l l e vom Tode erretten und der deshalb ü b e r h a u p t nicht anfängt zu arbeiten? Wäre das nicht ein gewissenloser 164
Arzt? Ist nicht gerade der herzlos, der nichts tut und in seinem Kummer schwelgt? Und sind wir nicht alle Arzt? Jeder soll Arzt sein, Soldat im Kampfe um die Befreiung. Selbst wenn von den hundert nur neunzig gewonnen würden!!! HANS:
Schließlich müssen aber doch auch die neunzig sterben, der Tod ist doch allen gewiß. Was hat das Leben also für einen Zweck? — MARGRET:
Hans! Das Leben hat also deshalb keinen Wert, weil es nicht ewig ist? Wenn es ewig währte, wäre es gut? Dann würdest du es nicht verachten? Du trauerst, weil dem einzelnen der Tod gewiß ist? J a — dann l i e b s t du ja aber gerade das Leben! Sonst müßtest du dich doch darüber freuen, daß es ein Ende hat! HANS tief
ergriffen:
Schwester, Schwester! MARGRET :
Die Millionen, die auf den Knien Hegen, sollen sich aufrichten! M i t t u n , M i t s t r e i t e n um dieses Ziel: — das ist der Wert und der Zweck des Lebens! Damit einst glücklichere Menschen auf der Erde wohnen! Weh dem, der da zurücksteht und wehklagt und seine Schuldigkeit nicht tut! E i n s ist n o t : l a ß t uns a r b e i t e n ! Draußen kommt jemand. HANS:
Schwester — ich kann jetzt niemand sehen, muß mit mir allein sein! Deine Worte brennen mir wie glühendes Eisen j m Herzen — stürmt durch eine zweite Tür S A N D E R S tritt
ab.
ein:
Guten Tag, Frau Frank: Mich trieb es wohl noch zu früh hierher — ? Nun, so verträumt?! 165
MARGRET:
O bitte, nehmen Sie nur Platz. Jürgen muß ja bald kommen mit den andern. Und Vater auch; der hat heut schon mit dem Pflügen angefangen. Inzwischen können wir ja plaudern miteinander — wissen Sie, ich bin richtig h u n g r i g —! S A N D E R S erfreut,
leicht:
Das ist gut. Das Interesse der neuen Frau muß über den Suppenquirl hinausgehen. Die Frau soll nicht nur alttestamentarische Hausmagd sein, sondern ebenso wie der Mann die W e l t überschauen und Schulter an Schulter mit ihm der neuen Welt entgegenstreben. MARGRET :
Welch ein herrlicher Sinn kommt mit solchem Ausblick in das Leben! Wenn doch nur erst alle Frauen diesen Sinn der Erde erkannt hätten! SANDERS :
Nur nicht ungeduldig sein! Alles wird werden! Erst März und April, dann Mai! Mit Betonung. Am besten freilich spräche . . . zur F r a u . . . die F r a u . . . ! MARGRET
erschrocken:
Wie?! S A N D E R S akzentuiert,
lächelnd:
Zur Frau . . . die Frau. Ganz einfach, daß also . . . M A R G R E T legt die flachen Hände an die
Schläfen:
Mir stockt das Blut. M a n n — was wecken Sie in mir . . . ! SANDERS
ruhig:
Haben Sie . . . Mut? MARGRET
sinnend:
Wenn ich so für mich allein bin, habe ich oft einen ganzen Vortrag im Kopfe. Klar und in richtiger Ordnung marschieren dann die Gedanken. Aber vor Leuten . . . 166
SANDERS :
Nicht wahr, Frau Frank? Wir überlegen es uns noch, ob Sie nicht mal herüberkommen nach Kronstadt, um vor Frauen zu reden, dessen Ihnen das Herz voll ist. MARGRET
versonnen:
Wir — überlegen — es — noch . . . BROKMANN
eintretend:
'n T a g ! T a g S a n d e r s ! Geben
sich
die
Hand.
W o is d e n n
Hans wieder? Er is ja nich rausgekommen aufs Feld? Is das ein Leiden mit dem Menschen, Sanders! Aber er kann nich dafür. Er hat's von seiner Mutter. Die hat sich auch rein in den S a r g gegrübelt. War Jürgen damals schon bei uns gewesen, dann wäre es vielleicht anders gekommen; aber ich könnt ihr nich so antworten, wie ich woll gemocht hätt unn war auch noch nicht so weit w i e h e u t . Atmet MARGRET
tief.
zärtlich:
Vater - ! BROKMANN :
Ja, Margret — du! Du mein Sonnenschein! Du unn Jürgen! Trüb. Wie es mit Hans noch mal werden soll — MARGRET:
Gut, Vater — gut! Ich bring' ihn soweit. Halb hab ich ihn schon. Deshalb kam er nicht aufs Feld. Ich hab mit all meiner Kraft mit seiner Seele gerungen. Noch paar Mal so und die Schatten sind verscheucht. Große Not war's und höchste, höchste Zeit. Jürgen muß ihn jetzt fassen. BROKMANN :
Er steht ja niemand Rede als dir. Das is es ja! MARGRET:
Jetzt wird er Rede stehen. Ganz gewiß. 13 Münchoiv, Dramatik II
167
SANDERS :
Er kommt ja nun mit jedem Tag mehr aus dem Jünglingsalter und dem unklaren, theoretischen Weltschmerz heraus. BROKMANN:
Kinner, wenn ich den Jungen nochmal a n d e r s seh — das wär ja woll zu viel Glück! MARGRET:
D a s Glück ist unterwegs, Vater. BROKMANN :
— Du . . . Sonnenschein. Pause. Wo is Großvater? Is — Sie sehen sich an. Ja, 's is auch traurig; aber da muß man sich in fügen. Den krempelt keiner mehr um. Sanders, er kriegt ja monatlich fünfzehn Mark Invalidengeld, unn das kann man ihm doch schließlich nich ganz abnehmen; nu behält er tomer zwei Mark davon, unn dafür besäuft er sich regelmäßig, die ersten beiden Tage im Monat in Schnaps. Drüben bei Stoffers Klänhammer. Der hat so'ne Achterstube, wo er heimlich schenkt. SANDERS :
Weiß denn der Gendarm das nicht? BROKMANN :
Ach der sitzt ja selbst immer da unn säuft, wenn die Luft man irgend rein is. Aber zum Denunzieren mag man sich doch nich hergeben! MARGRET
nachdenklich:
Ich weiß nur nicht . . . er hatte doch kein Geld mehr? Er wollte mich doch noch anbetteln. Und wir haben Klänhammer doch gesagt, daß er nicht borgen solle . . . Jürgen Frank, Fritz Stahl, Magnus Erdmann.
Begrüßung.
FRANK:
Die ganze Deputation ist natürlich umsonst gewesen. Direktoren erklären kurz, daß sie sich vor der Generalversammlung auf nichts einlassen. 168
ERDMANN :
Gravitätisch und brutal. Wenigstens der Buller. Christen ist freundlicher. STAHL:
Dem Christen trau ich erst recht nicht. Mir ist Bullers Grobheit lieber als dem andern sein zynisches Grinsen. FRANK:
Schließlich ist einer wie der andere. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! STAHL:
Dann sind's Hallunken alle beide. SANDERS :
Sie vertreten beide ihr Klasseninteresse so wie wir. MARGRET:
Entschuldigen Sie diese rücksichtslosen Menschen noch? SANDERS :
Entschuldigen — nein; aber ich finde ihre Handlungsweise erklärbar. B e k ä m p f e n tue ich sie deswegen natürlich trotzdem. STAHL:
Meinetwegen! Aber ich ließ sie am liebsten die Wand hochlaufen! Gerade diese beiden Exemplare! SANDERS :
Du darfst nie vergessen: wie die h e i ß e n , die da gerade zufällig Direktor sind, das ist doch ganz gleichgültig. Unsere Taktik muß vom Verstand diktiert werden, nicht vom Gefühl. Besonders beim Streik. Ein Streik soll lediglich ein Abwägen der Kräfte sein. Und wenn man erkannt hat, daß die Kräfte noch nicht ausreichen, den Gegner niederzuzwingen, wenn man einsieht, daß nichts mehr zu gewinnen ist, so soll man auch den Mut haben, 13*
169
das einzugestehen. Da ich nun aus ganz bestimmten Gründen zu wissen glaube, daß dieser Streik den Direktoren gar nicht unlieb war Bewegung, sondern ihnen vielleicht wunderschön in den K r a m paßte — FRANK leise:
Wenn mir dieser verwünschte Gedanke nicht auch schon aufgestiegen wäre — ! SANDERS
fortfahrend:
So solltet ihr vorläufig die Arbeit zu den alten Bedingungen ruhig wieder aufnehmen. STAHL:
Die Blamage! SANDERS :
Ein A k t der Klugheit ist keine Blamage! Ihr verkennt den Zweck des Streiks, wenn ihr das nicht begreift. E s heißt kühl erwägen, wie es um die Dinge steht. Euch sollten die Akkordlöhne gedrückt werden. Da werft ihr hin und fordert sogar eine Erhöhung des Akkordsatzes. Wenn ihr nun vorschlagt, zu den früheren Bedingungen wieder zu arbeiten, so, kalkuliere ich, werden die Direktoren beidrehen. Eure Mehrforderung aber erfüllen sie nicht. Daran ist jetzt nicht zu denken. Dazu müßt ihr eine bessere Gelegenheit abwarten. Oder — wollt ihr den Streik jetzt bis zum Weißbluten fortführen, rein nach dem Gefühl, ohne faktische Wertschätzung des Gegners? Wollt ihr einen „wilden Streik" um jeden Preis? darüber sind wir doch hinaus! Bewegung. FRANK:
Daß der Streik den Direktoren vielleicht gelegen kam — der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt. SANDERS :
Ja, meine Erfahrung unterstützt da einen unheimlichen Argwohn. Ich lese nämlich aus dem Geschäftsbericht heraus, daß die Direktion mehr Aufträge abgeschlossen 170
hat, als bis zur Frist im Werk geschafft werden konnten. Wie das kam, weiß ich selbstverständlich nicht. Vielleicht durch Versehen im Disponieren. Nun werden die Akkordlöhne gedrückt. Finanzielle Gründe lagen dazu nicht vor, denn das Geschäft ist glänzender, rentabler als jemals. Also geschah es, um hohen Konventionalstrafen zu entgehen . . . und Streiks entbinden laut Kontrakt stets von K o n v e n t i o n a l s t r a f e n . Alle
erregt.
STAHL:
Die Hundsfötter! SANDERS :
Kapitalismus — weiter nichts! Mittlerweile aber wird die Direktion ihren Zweck erreicht haben und gern weiter arbeiten lassen wollen — vielleicht lassen m ü s s e n , damit die Kundschaft nicht abspringt und sich an andere Werke wendet. STAHL:
Unser Streik hätte dann also nur die alten Verhältnisse wieder erreicht! SANDERS :
Wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind, auch wenn sie nicht so sind, wie wir sie haben möchten. Gewiß tritt immer Verbitterung ein, wenn man einen Kampf aufgeben muß. Aber es ist klüger, einen aussichtslosen Kampf aufzugeben, als ihn fortzusetzen, bis ein schwerer Zusammenbruch folgt. Außerdem haben diese nutzlosen Streiks immer den Nutzen, daß die Leute geschult werden, um die größte Stärke des Verbandes zu erreichen, nämlich je nach der Marktlage heute geschlossen die Arbeit niederzulegen und sie morgen geschlossen wieder aufzunehmen und so fort. Mit solcher wachsamen Taktik ist die Konjunktur am besten auszunützen. Das Unternehmertum wird dadurch zu Zugeständnissen gezwungen, weil es sich nicht fortwährend beunruhigen lassen kann im Disponieren. 171
ERDMANN :
Aber wenn es zuträfe, daß wir direkt in den Streik getrieben worden sind — Himmel und Hölle ! SANDERS :
Ich werde natürlich versuchen, das Thema in der Generalversammlung zu servieren. Sie werden ja kneifen und möglichst um den heißen Brei herumschleichen. Sicher. Aber wir werden ja sehen! Und dann wird das Urteil über meinen Vorschlag in der Hand der beschließenden Versammlung liegen. Bis dahin . . . Man hört Kienapp draußen
lärmen.
KIENAPP stark angetrunken,
schwankt, laut gröhlend herein:
„Und Napoleum, du Schustergeselle, Warum standest du nich fest auf deinem Thron". MARGRET
beschämt:
Großvater ! FRANK:
Wo hat er denn das Geld her? KIENAPP sieht ihn verfuselt an, versucht, sich stramm zu stellen:
militärisch
Zu Befehl, monsieur! Feine Leute haben immer Geld. P a r l e z v o u s f r a n ç a i s ? Fällt in schlaffe Haltung zurück. W i r
verkehren nur noch mit feine Leute . . . nur noch mit feine Leute. Sage mir, mit wem du umgehst und ich will dir . . . allemal feine Leute . . . BROKMANN:
Mensch, bist du verrückt geworden? ! KIENAPP :
Also ihr seid alle hier! Seid ihr alle hier? Was habt ihr b e r a t e n ? Sieht die andern eine Weile starr an. Plötzlich
Um-
schlag zu vertraulichem Lachen. Dieser dumme Kerl mit seinen weißen Handmanschetten wollte partout wissen, was hier beraten wird! hahaha! Stahl schnell ab. 172
SANDERS ruft warnend
hinterdrein:
Stahl! KIENAPP hat nichts davon gemerkt: Unn ich wüßt gar nichs fällt mit blödsinnigem, krampfhaftem Lachen in einen Stuhl u n n er h a t bezahlt . . . immer
feste . . . so ein Landroß . . .! Lacht andauernd. FRANK zu Sanders gewandt:
Da ist nichts mehr zu kurieren; muß so verbraucht werden. Fühlt sich bloß noch in dem Moment als Mensch, wo ihm der Schnaps durch die Gurgel brennt. STAHL außer Atem:
Der Lump von Spion hat sich dünn gemacht. Bloß der Gendarm sitzt da noch. KIENAPP :
Der Gendarm ist mein Freund. Der beste Freund, den ich auf Erden hab. BROKMANN :
So nu halt man den Mund unn mach, daß du still zu Bett kommst. Faßt ihn im Rücken. So . . . marsch! KIENAPP :
Reiß mir man nich mein Ehrenkreuz ab — du. SANDERS :
Sein eigenes Kreuz haben sie ihm lahmgeschossen und ein eisernes dafür gegeben! Brokmann mit Kienapp ab; der gröhlt. KIENAPP :
„Und Napoleum, du Schustergeselle, Warum standest du nich fest . . Vorhang.
Verwandlung
m
Konferenz-Zimmer rektor Buller.
des Kali-Werkes.
Direktor Christen,
Di-
BULLER durchsieht lose Blätter:
Weiter hat sich also niemand angemeldet? CHRISTEN :
Nein. Sind auch allermeist genug! BULLER :
Da wäre also wieder der Rechtsanwalt Fuchs aus Berlin mit zwanzig Stimmen; der tut uns nichts. Dann die Pfahlbürger, die Herren Bauern — ihre Schützlinge . . . CHRISTEN :
Schachern Sie nicht mit Ironie, Verehrtester. Damit machen Sie doch Bankrott! ! BULLER :
Dann die eine Verbandsaktie. Die wird versuchen, Feuer anzublasen. CHRISTEN :
Man immer tau! Wir sind ja auch nicht erst heute morgen auf die Welt gekommen! BULLER:
Dieser Streik — ein bißchen liegt er mir doch auf der Seele. CHRISTEN :
Wo liegt er? Fangen Sie an, an Gemütsüberschuß zu leiden? Der Streik, Herr Kollege, liegt — wie heißt es doch so schön— mit pathetischer Mache „auf dem Schlachtfeld der Arbeit und des Kapitals!" Aber auf Schlachtfeldern gibts keine Sentiments und kein Gefitze. Es heißt einfach, den Gegner niederzuschießen, bevor er zum Schuß kommt. BULLER :
Machen wir uns doch kein Theater vor! Diesmal hätte der Streik doch vermieden werden können. 174
CHRISTEN :
Ich konstatiere, daß sich ihr Herzmuskel vermasselt hat. Hoffentlich wird die Geschichte nicht chronisch. BULLER:
Im Ernst: ich bin dafür, daß wir mit offenen Karten spielen und solche halsbrecherischen Operationen doch möglichst vermeiden. Haben wir beide es nötig, einander dem Aufsichtsrat gegenüber den Rang ablaufen zu wollen? Treffen wir doch unsere Dispositionen zus a m m e n , dann kann, was jetzt passierte, nie wieder geschehen. Gleich in dieser kurzen Zeit, wo wir aus dem Syndikat heraus sind, das Malheur, daß jeder von uns heimlich einen Lieferungsabschluß per Frühling macht und der Liefervertrag nicht innegehalten werden kann! Wenn das so weiter geht, kann es ja nett werden! CHRISTEN :
Mann des Himmels — Ihre Nervensubstanz kocht ja wie beim Hauptmann, der eine rote Hosenbise sieht. Ob uns der Aufsichtsrat diesmal im Vertrauen mal ungnädig angeblickt hat — das ist doch kein Hals ab! Wenn nur die Dividende steigt, ist er ein anderes Mal wieder desto gnädiger. Und wenn im nächsten Jahre das Kaligesetz durchgeht, ist sowieso alle Sorge unnütz. Dann wird die Lieferungsquote reichsgesetzlich festgelegt. BULLER :
Das sind Wechsel auf die Zukunft. Vorläufig — CHRISTEN :
— heißt es, die Feste feiern, wie sie fallen. Wer A sagt, muß auch weiter buchstabieren. Und da wir auf jeden Fall wieder in Betrieb müssen — kurzum: Das Streikbrecherbüro avisiert die erste Kolonne Arbeitswilliger! BULLER :
So eilig?! Eine Einigung mit unseren Arbeitern wäre mir lieber gewesen. 175
CHRISTEN :
Ach was, Hände sind Hände! Auf diese Art können wir erst mal Musterung halten. Ich habe da schon lange einige Rädelsführer auf dem Visier. Vor allem den Jürgen Frank. Der wird jetzt auf keinen Fall wieder eingestellt. Wir wollen der Schlange mal den Kopf zertreten. BULLER:
Sie sitzen im Kontor am grünen Tisch. Ich aber stehe draußen. Da urteilt es sich oft ganz anders. Mit unseren Leuten ist ein viel vorteilhafteres Arbeiten. Das ist ein Stamm der Bescheid weiß. Mit solcher Rotte Korah von Streikbrechern zu arbeiten — glauben Sie, daß das ein Vergnügen ist? Glauben Sie, daß die Abteilungs-Inspektoren davon entzückt sind? Übrigens wissen Sie das alles recht gut! CHRISTEN :
Und wenn ich's wüßte?! Sollen wir etwa vor den Herren Arbeitern zu Kreuz kriechen und die Mehrforderung bewilligen? Lieber will ich meinen Pferden goldene Hufeisen unternageln lassen! BULLER :
Wir sollten den Leuten vorschlagen, die Arbeit unter den alten Bedingungen wieder aufzunehmen. Wir lassen die Reduzierung fallen und sie die Mehrforderung. Das wäre eine gute Mittelstraße. CHRISTEN
sinnend:
Recht . . . haben . . . Sie. Und Jürgen Frank bleibt auf der Strecke! Dann haben wir uns immerhin nichts vergeben! Ob aber die aufgewiegelten Leute die Mehrforderung fallen lassen werden . . .? Ich hatte ja den Lewerenz zum Hinhorchen ausgeschickt, aber das Dussel h a t a u c h n i c h t s — Vorsitzender Aufsichtsratsmitglieder. Schomaker,
des Aufsichtsrats.
Rechtsanwalt
Fuchs.
Upplegger, Schlorff, Prützmann;
ihnen und weist ihnen Platz an. Inzwischen stellt
sich
dem Aufsichtsrat
Platz gewiesen. Aufsichtsrat
176
Begrüßung.
Drei —
Christen geht zu tritt Sanders
ein;
vor; wird höflich aber kühl zu setzt sich.
VORSITZENDER DES AUFSICHTSRATES :
Meine Herren, die Generalversammlung ist also hiermit eröffnet. Die Tagesordnung ist Ihnen durch den Geschäftsbericht bekannt. Als erster Punkt steht zur Erledigung die Gewinn- und Verlustrechnung. Bezüglich der Zahlen, die ja im Rechnungsabschluß gedruckt vorliegen, kann ich wohl auf ein mündliches Detail verzichten. Das Endresultat ist erfreulicherweise ein recht günstiges; noch viel erfreulicher aber ist die Aussicht auf die Zukunft. Wie Sie wissen, sind wir, nach Ablauf unseres Vertrages mit dem Kali-Syndikat, für 1909 dem Syndikat nicht wieder beigetreten, um das freie Spiel der Kräfte walten zu lassen, von dem wir überzeugt sind, daß es uns weit mehr Vorteile bringen wird. Die Bilanz für 1909 wird eine noch günstigere werden! Große Erwartungen, die sicher voll und ganz erfüllt werden, ruhen ferner auf Tutenhusen, dessen Schätze zu heben eine neue Aufgabe ist zu den alten, schon bestehenden Aufgaben. Das Werk sieht also einer Zukunft voller Arbeit entgegen, es verspricht aber auch eine Zukunft voll klingenden Lohnes. SANDERS :
Ich bitte ums Wort. VORSITZENDER:
Herr Sanders! SANDERS :
Nach meiner Überzeugung würde ein noch günstigerer Geschäftsbericht vorhegen können, wenn die Arbeitsfreudigkeit der Leute gehoben würde durch bessere Umgangsmanieren der Inspektoren. Harte Klage wird z. B. über den Inspektor Brettschneider . . . VORSITZENDER :
Herr Sanders, das gehört nicht zur Sache. Solche Interna sind Angelegenheit des Verwaltungsressorts, und diesbezügliche Beschwerden sind bei der Direktion anzubringen. Im übrigen, meine Herren, hat ja jeder Inspektor seine Neider, und schließlich, mein Gott — na, Sie kennen 177
wohl alle das Sprichwort von der einen Schwalbe, die den Sommer nicht macht. SANDERS :
Ich bitte ums Wort. VORSITZENDER:
Herr Sanders. Ich bitte Sie indessen, sich streng sachlich zu verhalten. SANDERS :
Wenn die Lust und Liebe der Arbeiter nicht gedrückt wird, Vorsitzender steht auf — so kann der Geschäftsbericht Vorsitzender setzt sich
im Interesse des Werks
lukrativer aussehen. Liebhabern von Sprichwörtern gebe ich das von den strengen Herren, die nicht lange regieren, an die Hand. Vorsitzender erhebt sich. Ferner möchte ich um Spezifikation des so hohen Betrages, der auf Provisionskonto verbucht steht, bitten. VORSITZENDER :
In dieser Summe steckt die Quote, die pro 1908 auf unser Werk als Anteil der Syndikatsgelder für den Bund der Landwirte entfiel. Wie Sie wissen, meine Herren, macht der Bund der Landwirte als G e g e n l e i s t u n g Propaganda für das Geschäft des Kalisyndikats. Die Organe des Bundes der Landwirte, Presse und Redner, klären das landwirtschaftliche Publikum über die Verwendung des Kalis auf. Der anscheinend hohe Betrag ist also mit Zins und Zinseszins wieder eingeholt worden. SANDERS :
Ich bitte ums Wort. VORSITZENDER :
Herr Sanders! SANDERS :
Der Herr Vorsitzende hat platterdings nichts von der knifflichen Tatsache verlauten lassen, daß der Bund der Landwirte diese Schmiergelder . . . 178
VORSITZENDER :
Vertragsmäßig festgesetzte Schmiergelder . . . SANDERS
Provisionen
sind
keine
fortfahrend:
— daß der Bund der Landwirte einen großen Teil dieser sogenannten „vertragsmäßig festgesetzten Provisionen" für sich und seine agrarische Schutzzollpolitik ausnutzt, also zu politischen Zwecken gegen die kleinen Bauern, Häusler und Tagelöhner verwendet, lediglich zum Nutzen der Großgrundbesitzer. Ich lege Wert darauf, das festzustellen. VORSITZENDER :
Wie sich von selbst versteht, hegt es nicht in unserer Macht, auch nicht in unserem Willen, dem Bund der Landwirte über seine Einnahmen und Ausgaben irgendwie Rechenschaft abzuverlangen. Ironisch-heiter. Wir würden uns damit höchstwahrscheinlich über alle Maßen lächerlich machen! Und das gehört sicherlich nicht zu unseren Bedürfnissen! — Da nunmehr also zum Geschäftsbericht niemand mehr das Wort wünscht. . . SANDERS :
Ich bitte ums Wort. VORSITZENDER :
Herr Sanders! SANDERS :
In meinen Sätzen lag nichts weiter als die Absicht, festzustellen — lediglich f e s t z u s t e l l e n ! — daß das Kaliwerk Gelder hergibt, die gegen die k l e i n e n Landwirtschaftler, Büdner, Häusler etc. verwandt werden. Daß also Großindustrie und Großagrariertum sich gegenseitig verbünden, wenn es gegen die Kleinen geht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich nun noch meinem ernsten Bedenken Ausdruck geben, daß der Geschäftsbericht zur nächsten Generalversammlung doch wohl nicht ganz so rosige Aussichten hat, als die optimistischen Schilderungen des 179
Herrn Vorsitzenden hervorzurufen geeignet sind. Das Werk wird durch den Schaden, den es durch den Streik erleidet, nicht so viel Gewinn abwerfen. Zumal heute noch kein Ende dieses Streiks zu sehen ist! Denn gerade von jetzt an wird dieser Schade empfindlich werden, bis dahin . . . langsam ich argwöhne: b i s d a h i n war er wohl nicht zu Nutz des Werkes, kam aber dennoch vielleicht nicht ungelegen. Bewegung. Eine vergleichende Betrachtung der Geschäftsberichte zeigt mir nämlich, daß es mit den tatsächlichen Einrichtungen des Werkes durchaus unmöglich war, den Lieferverträgen entsprechend zu produzieren. Es standen zur Frühjahrslieferung mehr Aufträge in Nota, als effektuiert werden konnten — dann kam der Streik darüber her — ich argwöhne also . . . VORSITZENDER
aufgeregt:
Ich muß annehmen, daß der Redner sich der Tragweite dieser Verdächtigung nicht bewußt ist. SANDERS ruft:
Sehr bewußt! Überhaupt ist die Erörterung solcher Fragen nicht Sache der Generalversammlung und somit aus prinzipiellen Gründen nicht statthaft! Draußen Gesang der vorbeimarschierenden Arbeiter. Nach der Melodie: Zu Mantua in Banden.
Wer schafft das Gold zu Tage, Wer hämmert Erz und Stein? Wer webet Tuch und Seide, Wer bauet Korn und Weide? Wer schafft den Reichen all ihr Brot Und lebt dabei in bittrer Not? Das sind die Arbeitsmänner, das Proletariat. Aufhorchen Nach etwa der dritten Gesangszeile eilt Christen ans Fenster. CHRISTEN :
Unsere Arbeiter in Richtung zur Bahnstation. Leise. Wo zum Teufel haben sie die Lunte her —? 180
SANDERS :
Verlassen Sie sich nicht auf die Streikbrecher. Unsere Organisation ist gut; die bringt sie zur Umkehr! Die Bauern
haben unterdessen
leise miteinander
verhandelt.
UPPLEGGER:
Sehr geehrte Anwesende! Son'n Streik — daß is 'ne aufregende Zeit! Da schläft einer ja keine Nacht mehr ruhig. Das kömmt einem ja im Traum vor. Unn ich hab sonst immer son'n guten Schlaf gehabt. Wenn man son'ne Angst um das Geld ausstehn muß — das is nich auszuhalten ! VORSITZENDER
wohlwollend:
Sie brauchen, meine Herren, sich durchaus keinen Befürchtungen hinzugeben. Wirklich nicht! Ein Streik ist doch keine Revolution und hat für uns abgebrühte Industriehasen — sozusagen — herzlich wenig Bedeutung. Und scherzhaft auf die bewegten Wellen Ihres Dividendengemütes gießen Sie nur ruhig einige Tropfen Oel des großen Vertrauens, welches wir alle zu unserer Direktion haben. Die Herren Direktoren werden schon im Interesse der Aktionäre auf dem Posten sein, darauf können Sie Häuser bauen. Also, nur keine Teufelchen an die Wand malen, meine Herren! Bauern gestikulieren, als ob ihnen die Ausführungen
doch nicht recht genügen.
Upplegger erhebt
sich. UPPLEGGER: I c h m e i n m a n b l o ß — stockt, sieht zu den anderen die ihm mit Gesten reich unterstützen; zu den Bauern, er sich Mut hole — j a — n i c h ?
wieder zum
Bauern, als ob
Vorsitzenden
ich mein' — wir meinen — beziehungsweise — gestikuliert heftig und setzt sich. Unterdrücktes VORSITZENDER äußerst
Lachen beim
Aufsichtsrat.
freundlich:
Herr Auflegger — ich verstehe Sie gänzlich. Ich kann mich ganz in Ihre Verfassung hineinversetzen. Sie haben quasi Fenster in der Brust, und ich lese da alle Ihre Schmerzen ab. Sie sind in Finanzgeschäften noch Rekrut, aber, wie 181
ich schon erwähnte: Ihre Sorge ist wahrhaftig völlig grundlos! Glauben Sie das nur! Auch in diesem Falle macht der Glaube selig! — Meine Herren, wir hätten alsdann über die Verteilung des Gewinnes zu beschließen. Der Vorstand schlägt Ihnen vor, neun Prozent Dividende zu verteilen. Dagegen ist wohl kein Widerspruch. SANDERS :
Ich bitte. VORSITZENDER :
Herr Sanders! SANDERS :
Ich stelle den Antrag nur sechs Prozent an die Aktionäre zu verteilen und drei Prozent zur Erhöhung der Arbeitslöhne zu benutzen. SCHLORFF fährt
auf:
Sie sind woll des Deubels, Mensch! Bauern alle hoch. PRÜTZMANN:
Nanu! UPPLEGGER:
Wir haben das Risiko, wir haben die Angst — unn andere Leute sollen dafür 'n guten Tag leben? Sie haben ja gar keine A h n u n g , M a n n ! Außer
den Bauern lacht alles.
VORSITZENDER:
Aber, meine Herren, beruhigen Sie sich doch! Erstens fände der Antrag ja nirgends Gegenliebe, würde also nur eine tote Geburt vorstellen, zweitens aber steht er nicht auf der Tagesordnung und ist damit eo ipso hinfällig. Bauern
setzen sich,
indem
sie giftige
Blicke
auf
Sanders
schleudern. VORSITZENDER
fortfahrend:
Es wird der Vorschlag von neun Prozent somit zum Beschluß erhoben. Demnach beantrage ich nunmehr, daß die 182
Versammlung dem Vorstand der Gesellschaft für seine Geschäftsführung Entlastung erteilt. Widerspruch gibt sich nicht kund, und ich spreche somit Herrn Direktor Christen und Herrn Direktor Buller verbeugen sich im Namen der Versammlung unsern Dank aus für ihre Mühewaltung und Umsicht bei der Geschäftsleitung. Wir kämen dann zum nächsten Punkt der Tagesordnung Draußen anschwellender Tumult und Lärm. Alle eilen an die Fenster. Ein Buchhalter stürzt herein und ruft: Unsere
Leute geraten mit den Streikbrechern in Schlägerei! Christen stürmt ans Telephon und fordert von Kronstadt schleunigst Schutzmannschaft. Kopflose Aufregung unter den Bauern. Alles wild durcheinander. Rufe: W o ist denn der O r t s g e n d a r m ? ! Plötzlich hinter der Szene laute Stimme des
Gendarmen: Ich fordere Sie unter Hinweis auf den § 116 des Strafgesetzbuches auf, den Platz zu räumen! Der Tumult steigt an. Ich fordere Sie zum zweiten Male auf! Ich fordere Sie zum dritten Mal auf! Wer jetzt nicht sofort verschwindet, macht sich des Aufruhrs schuldig! Bei den letzten Worten wird der Lärm schwächer. Vorhang fällt schnell.
3. A K T Stube bei Brokmann. Brokmann, Jürgen Frank,
Margret.
BROKMANN in sich gekehrt:
Was eure Versammlung nachher auch beschließen mag — so oder so — ich seh' es kommen: ich werde ganz einsam werden. Älter, immer älter . . . ein alter einsamer Baum auf weitem Feld . . . MARGRET :
Vater, wir wollen einander das Herz nicht schwer machen. BROKMANN rafft sich auf:
Du hast recht; das wollen wir nich! Unn ich bin im Grunde ja auch glücklich und bin stolz auf euch — aber es liegt auf diesem Glück doch so ein heimlich schmerzendes Weh legt beide Hände auf sein Herz tief drinnen da . . .
14 Müiichow, Dramatik
183
FRANK sanft:
Vater, wir haben noch nicht Z e i t , glücklich zu sein. E s gibt noch viel zu t u n ! D a r i n allein liegt vorläufig alles Glück. Darin allein d a r f es nur liegen! Zu Margret. Was meint die Frau von Jürgen dazu? Sollen wir hier bleiben und ausruhen? MARGRET :
Ich geh mit dir als treuer Kamerad in gleichem Schritt und Tritt. Ich will redlich mit dir teilen, was draußen auf uns wartet! BROKMANN:
Du braves Mädel, du. MARGRET :
Vater — ich höre die Welt mit neuem Ton erklingen . . . Kräfte, die in ungeborenen Tiefen schlummern, sind wach geworden, und so vieles will noch geweckt werden, und anschmiegsam, zu Jürgen du hast das alles an mir getan! FRANK reißt sie stürmisch
an
sich:
Margret! O du . . . mein guter Kamerad. Laut aufjubelnd Vater — wir beide sollten hier bleiben? Hier in Tutenhusen? BROKMANN
hingerissen:
Nee! Nee! Ihr m ü ß t . . . f o r t . . . hinaus — ich seh' es klar! Hier ist kein Raum für euch! Fritz Stahl, Magnus Erdmann. FRANK:
Soweit ist's schon? Ich komme. STAHL:
Ist das Ansinnen der Direktion nicht ein Skandal? ERDMANN :
Zwei Hunde kann's jammern, wie die Herrschaften unsere Ehre taxieren! Wir sollten dich im Stich lassen! Entweder du trittst wieder mit an, oder wir streiken weiter. 184
STAHL:
Ich werde in der Versammlung offen dafür eintreten! ERDMANN:
Ach, die Kollegen denken gerade so wie wir! Da ist nichts einzutreten! Sie werden den Schimpf begehen und Jürgen Frank opfern? Unsinn! F R A N K mit
gewissem
Humor:
Ihr Männer, lieben Brüder, wer spricht den von „opfern"? Habt ihr eine falsche Brille aufgesetzt? Ernst. Ich gehe. Ich gehe gern. Ich werde selbst der Versammlung vorschlagen, daß die Arbeit ohne mich aufgenommen werden muß. STAHL:
Was?! Du willst fort . . . ERDMANN:
So ins Ungewisse . . . FRANK:
Ins größere Terrain, um dort meine Pflicht weiter zu tun. Mir ist doch um meine Zukunft nicht bange. Und dann — da schaut euch mal meinen Bundesgenossen an, meine Treugefährtin! Seht ihr, wie sie strahlt? Mit solchem Weib, mit solcher Lieb und Lust — Kinder, wir jagen ja trotzmutig den Deubel aus der Hölle heraus mitsamt seiner Großmutter. STAHL:
Jürgen, du bist ein ganzer Kerl. MARGRET tritt schalkhaft einen Schritt vor:
Bin ich nicht auch ein ganzer Kerl? ERDMANN :
Sie sind 14*
185
FRANK
schnell:
Meine Kampfgenossin, mein guter Kamerad. Aber nun wird es hier mit einem Mal so nach Weihrauch und Myrrhen riechen — auf! Laßt uns eilends entfleuchen. Alle drei ab. BROKMANN :
Daß sich über meine Tage noch einmal ein solcher Glanz ausbreiten würde — wer hätte das geahnt! Wenn ich hier nich auf Leben unn Sterben von meinem bischen Ackerland abhängig war — hol mich der Kuckuck! . . . ich ginge noch mit euch! gedämpft Aber was sollte denn aus dem Alten werden unn aus — Hans. Unn — es kämpft sich für zwei auch besser ohne Bagage . . . MARGRET mild:
Vater . . . nicht wieder mutlos werden! BROKMANN :
Daß deine Mutter doch dies all' noch erlebt hätt'! Schmerzlich lächelnd. Wenn ich da andenke, wie wir drei, der Alte, ich, unn Hans hier nachher hausen werden . . .! Der ganze Katen wird bald wie 'ne Räuberhöhle aussehen. Großvater wird immer baufälliger, bis er sich so sacht zu Tod stümpert — Essen werden wir woll meist allens so, wie es die Natur hat aus'm Boden wachsen lassen. Hans, der lebt ja schon immer von der Luft, der braucht ja nicht essen unn trinken, den kriegen wir denn am Ende überhaupt nich mehr zu sehn. MARGRET:
Ich glaube, er wird von Grund aus aufgerüttelt, wenn die Verhältnisse so ganz anders werden. Er ist jetzt schon anders als sonst — ist dir das noch nicht aufgefallen? BROKMANN :
Hm . . . 'n b i s c h e n w e l t l i c h e r scheint er ja allerdings in letzter Zeit geworden zu sein. Aber ich glaub nich an ihn. Er is ein z u großer Träumerhans. Der is auf diese Welt bloß so raufverbiestert unn find't sich hier all sein 186
Lebtag nich zurecht. Weißt ja, was Lehrer Röhrdanz immer sagte: er hätt Sternkuckerei studieren müssen. Das wär so richtig sein Fach gewesen, wo er zu Hause is. MARGRET:
Ich glaube bestimmt, daß er noch anfängt, d i e s e n Stern, wo er mit seinen beiden Beinen draufsteht, recht genau zu studieren, Vater. Sollst mal sehn, er zieht seinen Kopf noch heraus aus den Nebelwolken der Schwärmerei und wird ganz vernünftig. Sinnend, leise. Etwas freilich wird er behalten . . . für stille Stunden . . . dieses Wunderbare . . . dies Gefühl des Einssein mit der Mutter Natur . . dies wundersame Allgefühl. . . BROKMANN flüstert:
Margret . . . Pause. MARGRET sieht ihn verträumt an;plötzlich
ermuntert:
Was hast du? BROKMANN:
Mir war es eben, als ob deine Mutter dastand. Das Gesicht unn die Stimme . . . MARGRET unter
Lächeln:
Nun war wohl i c h verbiestert? Na, laß man, ich bin schon wieder da. Ganz da. Siehst du? Küßt ihn schnell. BROKMANN:
Mein Sonnenschein! Aus diesem Hause geht . . . HANS außer Atem, mit leuchtenden
Augen:
Vater! Margret! Das war groß! Das war groß! MARGRET erfreut, mit
Beziehung:
Vater - ?! HANS:
Ich hatte mich in die Versammlung eingeschlichen. Begeistert. Wie Jürgen dastand und sagte, daß er gehe und 187
seine Kollegen bitte, die Arbeit wieder aufzunehmen, und wie sie sich da alle wie ein Mann erhoben, und wie es durch den Saal brauste: Wir lassen dich nicht im Stich! Wir wollen lieber trocken Brot essen! — Margret, da hörte ich das Rauschen der Quellen, da schlugen die Wellen über mir zusammen, und ich ertrank in einem Meer von Seligkeit. Aber Jürgen Heß nicht nach. Mit lauter Stimme sprach er nochmals, und er sprach mit feurigen Zungen! Vater, Margret — da wüßt ich: das Leben ist d o c h etwas! Und dann war alles still, als ginge der Tod durch die Reihen. Und plötzlich brach es los wie Sturmgewitter, und sie riefen: Jürgen solle sich nicht umsonst geopfert haben, der Streik sei aufgeschoben, aber nicht aufgehoben — es war eine Weihe der Begeisterung, daß mir die Tränen heiß aus den Augen stürzten. So rannte ich her und wüßt mich nicht zu fassen . . . eine neue Welt habe ich erlebt, ich bin zum zweiten Mal geboren . . . ich bin ja j e t z t erst geboren! M ARGRET sieht Brokmann an, Freudentränen
in den A ugen:
Vater . . .! BROKMANN
überwältigt:
Hans! Hans! Jung! Bist du denn wirklich mein Jung Hans!? HANS fällt ihm schluchzend
in die
Arme:
Vater, — nun werde ich gesund! Mir ist, als ob ich lange, lange krank gewesen bin und komme heute zum ersten Male wieder hinaus an die Sonne, ans warme Leben . . . Vater, nun ist das Dunkle, Schwere von mir gewichen — nun werde ich gesund! BROKMANN wie verklärt:
O Schicksal! Du hast mir tiefe Wunden geschlagen und ich hab oft mit dir gehadert — mit diesem Tag ist alles w e t t gemacht! Jetzt sind wir q u i t t . Nu laß uns Frieden schließen! MARGRET
prophetisch:
U n d immer mehr werden kommen und die neue Welt erleben . . . und brechen mit der alten Welt . . . und sich 188
hinausreißen aus dem winzigen, eigenen Jammer und eintreten für die frohe Botschaft der Zukunft . . . bis einst aus diesem Jammertal der echte Volksstaat aufblüht, wo die Menschen frei ragen mit freier B r u s t . . . wo man nicht Herren und Knechte k e n n t . . .! Es klopft. Hans tritt zurück und setzt sich auf seinen gewohnten Platz. Schlorff, Upplegger, Prützmann. SCHLORFF:
Verdammt, der Alte is auch da. Laut freundlich: Schön' gu'n Tag Brokmann! Schön gu'n Tag allerseits! UPPLEGGER:
Gu'n Taching! Taching! PRÜTZMANN:
Gott help! UPPLEGGER mit schlecht verdeckter Hast: Wir kommen als Aktionäre des Werks Prützmann gibt ihm einen Puff — wie? . . . ja . . . hm . . . beziehungsweise als Gemeindevertreter von unsem lieben Tutenhusen . . . jawoll! Ja! Unn . . . hmja . . . dä . . . da . . . Das Wohl beziehungsweise Wehe von Tutenhusen is doch 'ne Sache . . . ddd . . . 'ne Sache . . . bll . . . bll . . . die erörtert werden muß PRÜTZMANN zu
Margret:
Lachen Sie nich, junge Frau. Das is gar nich zum Lachen. Das is eher zum Weinen. SCHLORFF :
Zum Blutweinen is's! UPPLEGGER:
Wen lacht? Da lacht ja kein Mensch! Wen wollt bei son'ne traurigen Verhältnissen woll lachen? I bewahre! BROKMANN sehr ruhig, fast nüchtern: Wollen die Herren mir denn nich wenigstens erst eins sagen, um was für eine schreckliche Sache es sich eigent189
lieh handelt? Das muß ja eine greuliche Mordgeschichte sein, wenn solche Herren sich in meinen Katen bemühen. PRÜTZMANN:
Ach — nu gehn Sie uns aber, Brokmann! „Herren!" Sie wissen recht gut, daß wir immer freundschaftlich gegen Sie gedacht haben, unn uns nie was Höheres eingebildet haben! Sie können das wahr und wahrhaftig nich behaupten. Ganz im Gegenteil BROKMANN :
Hm. Wollen die Herren denn nich erst mal Platz nehmen? Zu Upplegger. Manche Leute sind zwar im Stehen ebenso klug wie im Sitzen UPPLEGGER lacht gezwungen:
Dunnerdihageldiknütt, Brokmann — der s a ß ! Hätt' aber nich gedacht, daß Sie so nachtragen können! BROKMANN :
Na, denn tragen Sie mal endlich Ihre Sache vor. Sie machen Umstände, wie ein Maikäfer, wenn er auffliegen will, aber Sie kommen nich zum Schuß. Man ran an den Baß! Meine Wenigkeit muß doch woll ein bannig wichtiges Stück Ding dabei sein SCHLORFF :
Eigentlich nich! Die Hauptperson is eigentlich die junge Frau hier! UPPLEGGER:
Beziehungsweise der junge Mann der jungen Frau, Ihr Schwiegersohn. BROKMANN mit Margret einen Blick
wechselnd:
Pst — Kaker! D a springt der Has'! Mit gemütlichem Spott. Unn wie käme Jürgen Frank zu der kapitalen Ehre bei den Großbauern von Tutenhusen eine Rolle zu spielen. 190
SCHLORFF:
Mensch, Brokmann, lieber Freund, spielen Sie doch nich Versteck mit uns. Sie wissen doch ebenso gut wie wir, daß der Streik aufhören muß. Pathetisch. Fragen Sie mal die Frauen der Arbeiter, wie ihnen zu Mut is bei so wenig Streikunterstützung unn den vielen Mäulern, die Brot haben wollen. Gehen Sie mal hin unn fragen Sie mal! Denn wird Ihnen anners zu Sinn! M A R G R E T lacht schrill
auf:
Hab ich denn meinen Kopf noch? SCHLORFF:
Ja, Sie! Sie können lachen! Sie haben keine Kinder, haben keine Not! Sie sitzen hier bei Ihrem Vater im warmen Nest! Gerät in Eifer. Annerswo — da können sie aber nich alle ihre Beine unter'n gedeckten Tisch stecken! Annerswo — da sieht es männigmal man sehr traurig aus! MARGRET :
Sagen Sie mal: Sind Sie so dumm oder stellen Sie sich bloß so?! Man könnte ja aufweinen, mitten ins Lachen hineinweinen, wenn man Sie, ausgerechnet Sie, den barmherzigen Samariter markieren hört. Verächtlich. Halten Sie Ihren Maskenball ab, wo Sie wollen, nur nicht hier! B R O K M A N N ruhig
überlegen:
Seh'n Sie, meine Herr'n, so schlecht wird tiefes, aufrichtiges Mitgefühl, Ihr Mitleid mit den Armen belohnt. Unn nichts als pures Mitlied trieb Sie her, nich etwa Angst um Ihren dicken Geldbeutel. UPPLEGGER:
Brokmann, sein S i e doch vernünftig! Sie sind doch auch in'n Gemeinderat, so gut wir wir. Nu kann doch 'ne alte Frau mit'n Stock fühlen, daß, wenn das Werk geschädigt wird, auch die Gemeinde mitgeschädigt wird, unn wenn das Werk sich heraufentwickelt, sich auch die Gemeinde heraufentwickelt. Das wollen Sie doch woll nich bestreiten ? 191
PRÜTZMANN:
Ach, wo wird Brokmann das bestreiten wollen. Er is noch immer treu unn brav für das Allgemeinwohl eingetreten. SCHLORFF :
Denn muß er aber auch begreifen, daß das Allgemeinwohl in der Entwicklung liegt. Überall im Land geht die Entwicklung vorwärts . . . BROKMANN:
„Wir wollen das D o r f , das D o r f wollen wir erhalten! Die Leute auf dem Land sollen so bleiben, wie sie sind! Das soll alles beim alten bleiben! Zum Deubel mit den neuen Moden!" Bauer Schlorff, ich weiß einen, der das mal in einer Gemeinderatssitzung gebrüllt hat. Kennen Sie den vielleicht auch zufällig? SCHLORFF:
I c h soll das woll nich gewesen sein? Nanu! Is mir nich im Traum eingefallen! Denn müßt ich ja'n Raps gehabt haben! Nee, ich laß mir woll viel erzählen, aber so was denn doch nich! B R O K M A N N lacht
herzlich:
Es is wirklich spaßig. PRÜTZMANN :
Nee, nee, Brokmann, uns is gar nich spaßig. Uns is verflucht ernst . . . Brokmann
lacht noch lauter.
Margret lacht mit. Hans
beob-
achtet nur. P R Ü T Z M A N N fortfahrend,
ruhig:
Je — na, denn is mit Ihnen gar nich zu reden heut — UPPLEGGER:
Nu man nich gereizte Töne anschlagen. Wir sind all' Freunde. Frau Frank — was mir schon 'ne ganze Zeit auf'e Zunge liegen tut: ich mein', so'n Mann wie Jürgen is. 192
mit son'ne Geistesgaben, der muß doch überhaupt 'n ganz annem Kreis haben. Der kann sich hier in Tutenhusen doch gar nich glücklich fühlen, das's doch gar nich möglich. MARGRET
lustig:
D a haben Sie allerdings nicht Unrecht. UPPLEGGER:
Na, sehn Sie! A l s o ! Unn denn denken Sie mal an, wenn hier noch mal so'n Krawall passiert! Diesmal ging's noch eins so ab, aber männigmal kann's auch döller kommen. Denn kriegen wir womöglich noch militärische Einquartierung, unn das macht wieder neue Kosten unn dadurch werden die Steuern wieder höher aufgetrieben unn so weiter unn so weiter. Wird aber die Arbeit wieder aufgenommen, denn will die Direktion die Streikbrecher abschieben; wenn n i c h — na, denn hakt von dieser Blase hier auch noch was fest. Ich mein', Jürgen Frank is doch einen so klugen Kopf, daß er das sicher allens auch von allein bedenken tut. Jürgen Frank, Fritz Stahl, Magnus Erdmann. FRANK:
E i der Daus! Wie kommt solcher Glanz in diese Hütte? MARGRET:
Die Herren wollen dich von hier fortloben, Jürgen.
FRANK:
Ach nee! STAHL:
Nun ist das Aktienkapital erhöht, die Herrschaften sind möglicherweise tief ins Kontor gestiegen und haben Angst, daß sie nicht genug Dividende übergeschluckt kriegen! UPPLEGGER
gravitätisch:
Verehrter Herr, wir sind hier ledigüch in unser Eigenschaft als Aktionäre des Werks. Prützmann pufft ihn derb: au! wie? d ä . . . dä. . . j a , natürlich! lediglich als Gemeinde-
193
Vertreter von Tutenhusen. Sie sind woll noch'n bischen zu jung zu son'n Amt und können sich in solche Sorgen für das Allgemeinwohl noch nich reindenken. FRANK mit verständnisinnigem, Lächeln,
spöttisch:
Bauer Upplegger, die Sorgen lernt er fix! Sie brauchen ihm bloß Ihre Aktien zu geben. Das andere kommt dann ganz von selbst . . . UPPLEGGER denkt einen Augenblick nach, lacht dann behäbig auf:
Ich hab den Witz zwarst nich verstanden, aber gut war er. Ernst. Sie werden doch gewiß einsehen können, daß man aus Sorge für das Allgemeinwohl — Stahl und Erdmann brechen in andauerndes unbändiges Gelächter aus. Brokmann, Jürgen, Margret fallen mit ein. Hans sitzt still da mit großen Augen. Die Bauern zeigen tierischen Ernst. Nach einiger Zeit. UPPLEGGER:
Ja, ich weiß wirklich nich, was dabei zu lachen is. Gelächter bricht von neuem aus; noch stärker. STAHL zu Upplegger, anfangs mit Lachen
kämpfend:
Ob Jürgen Frank sich hineindenken kann, daß man aus Sorge für andere . . .fest b e d a n k e n Sie sich bei ihm, daß der Streik vorüber ist! Er opfert sich freiwillig und geht. Er selbst hat den Kollegen den Vorschlag gemacht, die Arbeit aufzunehmen ohne ihn. I h r e t w i l l e n , freilich, meine Herren — I h r e t w i l l e n hat er's n i c h t getan! Bauern sehen sich verdutzt und blöde an. UPPLEGGER nach Fassung
ringend:
W a s sagten Sie eben? Der Streik is aus? Wirklich ganz aus unn zu Ende? ERDMANN:
Sollen wir es Ihnen noch schriftlich auf'n Puckel kleben? UPPLEGGER fällt erschöpft in einen
Stuhl:
Warum sagen Sie das denn nich g l e i c h ? 194
SCHLORFFplatzt heraus: So lange lassen Sie einen da zappeln? Prützmann pustet. UPPLEGGER:
Mir is mit'n Mal so leicht, daß mir ganz schwarz vor Augen wird . . . wischt sich den Schweiß. STAHL:
Ja, wenn Ihnen man nicht noch eins grün und gelb vor Augen wird! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! E s ist nur Waffenstillstand, kein Friede. Wir zahlen es euch noch heim! UPPLEGGER DE»1 gar nichts davon gehört hat, freudig zu Schlorff und Prützmann: Je — denn is ja allens in schönster B u t t e r ! Denn können wir ja abschwimmen! STAHL:
J a , wir werden euch schon noch mal in die B u t t e r hau'n. UPPLEGGER immer noch wie vorhin: W a s will er? STAHL:
Sie haben uns lehrreichen Unterricht gegeben, wie man seine Profitinteressen vertritt! Zwischen uns gibt es keine Versöhnung. K a m p f bis auf's Messer, das ist die Parole. SCHLORFF völlig gesammelt, scharf: Sehn Sie sich man vor, daß Sie nich auch noch rausgeschmissen werden. ERDMANN:
Jetzt zeigen Sie wieder Ihr ehrliches Gesicht. Zwischen uns gibt's keine Harmonie! Unser Leid auf gewerkschaftlichem Gebiete ist gute Saat für die nächste Schlacht auf politischem Feld! Schweiß und B l u t trägt doppelt! Bei den Reichstagswahlen werden wir Ernte halten! K a m p f bis aufs Messer!
195
SCHLORFF
kalt:
Na, denn werden wir ja sehen, wer das längste Messer hat. STAHL:
Auf die D a u e r — w i r ! Da können Sie's Abendmahl drauf nehmen. S C H L O R F F lacht
hart
auf:
Sie — Spaßvogel! Pause. Auf Wiedersehn! ERDMANN:
Auf Wiedersehn bei den Reichstagswahlen! Bauern ab. S T A H L ruft
hinterdrein:
Lassen Sie die Tür auf, daß andere Luft hereinkommt! ERDMANN :
Geldsäcke auf zwei Beinen. BROKMANN:
Unn wenn man daran denkt, daß sie früher glaubten, die Welt drehe sich einzig um ihre Misthaufen . . . FRANK:
Sie sind eben verkapitalisiert. Ihre Interessen sind durch die sozialen Verhältnisse andere geworden, und damit hat sich auch ihr S i n n verändert. Das materielle Leben weist dem geistigen Leben die Bahn. STAHL:
Gewiß ist das richtig. Aber das G e f ü h l bäumt sich d o c h auf gegen solche Schmarotzer. ERDMANN:
Laß nur! Unter unserer Abrechnung fehlt noch der Schlußstrich. Den werden wir zur gegebenen Zeit schon ziehen. Auf der einen Seite das tote gefühllose Kapital, auf der andern Seite Leben und Arbeitskraft — da ist mir nicht bange, wohin die Machtverhältnisse sich verschieben werden! 196
FRANK:
Bereit sein ist alles! STAHL:
Und nun laß uns heimgehen. So ganz schnell seid ihr ja noch nicht fort — wir kommen morgen noch auf einen Sprung herein. FRANK:
Lebt bis dahin wohl!
Händedruck.
Stahl und Erdmann
ab.
FRANK :
Margret — nun ist der Würfel gefallen. Nun gehn wir selbander hinaus . . . MARGRET :
Dem Morgen entgegen . . . zur Höhe . . . zum Licht . . . FRANK:
. . . mit unserer starken Zuversicht, an die wir unser ganzes Leben setzen . . . MARGRET:
— bis einst wird kommen der Tag . . . FRANK:
— bis einst wird kommen der Tag, da ein neues heiliges „Werde!" ertönt und über alle Hügel und durch alle Täler das große Glück schreitet . . . MARGRET:
— das große, reine Glück . . . für a l l e Menschen — FRANK :
. . . dessen Vorgewißheit uns Seligkeit gibt und neue Kraft verleiht zum Siege . . . trotz aller Niederlage; das uns das Herz so schwer macht vor Glück . . . MARGRET :
Das . . . uns . . . das Herz so schwer macht vor . . . Glück! 197
Hans
kommt langsam
Margret und
von hinten
und stellt sich
zwischen
Jürgen.
HANS mit übervollem
Herzen:
W o l l t ihr m i c h m i t n e h m e n ? Margret zuckt selig erschreckt zusammen;
Jürgen wendet sich,
ohne seine Stellung zu verändern, beglückt nach ihm um. FRANK:
H a n s — d u ? I s t es n u n d o c h ü b e r d i c h g e k o m m e n ? HANS:
A u f T o d u n d L e b e n : n e h m t m i c h m i t ! I c h h a b e einsehen g e l e r n t : A r b e i t e n f ü r die M e n s c h h e i t ist w i c h t i g e r als u m sie t r a u e r n ! Margret und Jürgen fassen seine Hände. Brokmann alles wie verklärt an; plötzlich
Vorhang
198
sieht das
aber wendet er sich und weint.
BIOGRAPHIEN
Preczang, Ernst wurde am 16. Januar 1870 in Winsen an der Luhe (Lüneburger Heide) als Sohn eines Gendarmeriewachtmeisters geboren. Nach Abschluß seiner Lehrzeit arbeitete er als Buchdruckergehilfe in Berlin. Zwischen 1889 und 1895 war er oft arbeitslos und lebte mit Unterbrechungen als wandernder Handwerksgeselle. Die Landstraße und die großen Städte waren seine Universitäten. Er faßte bald Kontakt zur Sozialdemokratischen Partei und las und lernte, soviel es ihm in seiner Lage möglich war. Schon 1890 begann er kleine Arbeiten, Gedichte, Skizzen, Erzählungen und Artikel für die Parteipresse zu schreiben. Als wandernder Geselle und Gelegenheitsarbeiter lernte er das Milieu der kleinen Handwerker und die Probleme des kämpferischen Proletariats kennen. Diese frühen Erfahrungen gestaltete er in den für Arbeitertheater verfaßten Einaktern „Sein Jubiläum" (1897), „Töchter der Arbeit" (1898) und „ D e r verlorene Sohn" (1900). In das letzte Stück sind offenbar autobiographische Elemente eingeflossen. Es schildert, wie ein wandernder Handwerksgeselle durch die Berührung mit den brennenden sozialen Problemen seiner Zeit zum politisch denkenden Menschen wird und sich schließlich aus der Enge seines kleinbürgerlichen Elternhauses löst. Der jünge Preczang lebte seit 1900 als freier Schriftsteller. 1909 ließ er sich in Zingst an der Ostsee nieder. Seine frühen Gedichte erschienen 1902 gesammelt unter dem Titel „Lieder eines Arbeitslosen". Von 1904 bis 1919 war er Herausgeber der sozialdemokratischen Romanzeitschrift „ I n Freien Stunden". Anfangs schrieb er noch mehrere einaktige Lustspiele und Schwanke sowie das große vieraktige Drama „ I m Hinterhaus" (1903). Seine 15
Münchow, Dramatik II
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Stücke wurden von Volksbühnenvereinen und Arbeitertheatern aufgeführt und im Laufe der Zeit von verschiedenen Verlagen mehrmals aufgelegt. Mit dem Lyrikband „Im Strom der Zeit" (1908) eroberte er die Herzen des Proletariats. In seiner Novellensammlung „Die Glücksbude" (1909) gestaltete er mit warmer Parteinahme und poetischem Geschick das Leben der kleinen Leute und das Aufbegehren der klassenbewußten Proletarier. Neben stimmungshaften und romantischen Zügen ist in seinem frühen Prosaschaffen allerdings auch schon die Neigung zu kleinbürgerlicher Überschwänglichkeit und Sentimentalität zu spüren, die seinen späteren Erzählungen und Romanen bei aller sozial-kritischen Haltung eine immer unklarere Note gab. In der Weimarer Zeit machte sich Ernst Preczang einen Namen als Chefredakteur der „Büchergilde Gutenberg", eines Verlagsunternehmens, dessen Aufgabe es war, dem lesenden Arbeiter die gesellschaftskritischen Werke der Weltliteratur zugänglich zu machen. Aus Preczangs eigenem literarischen Schaffen dieser Jahre sind die Erzählungen „Der leuchtende Baum" (1925) und das Drama „Wachtmeister Piper" (1927) am bekanntesten. 1933 emigrierte er in die Schweiz, die er nicht mehr verließ. Er lebte in Flüeli-Ranft, Alpach und Samen und starb am 22. Juli 1949. Mehnert, Paul war trotz aller Bemühungen bisher nicht näher zu identifizieren. Aus den Ankündigungen seines Dramas „Golgatha" durch den A. Hofmann-Verlag, Berlin, ist anzunehmen, daß er Bergarbeiter war, wofür auch die Diktion des Dramas spricht. In der Verlagsankündigung heißt es wörtlich: „Von Akt zu Akt spannender und packender führt uns der Verfasser, dem man vom ersten bis zum letzten Worte anhört, daß es S e l b s t e r l e b t e s ist, in das Leben und die Kämpfe der Bergarbeiter und ihre Organisation ein." (Hervorhebung durch den A. Hofmann-Verlag) Starosson, Franz und Nespital, Robert, Franz Starosson, den sein Genosse Nespital den schneidigsten Kämpfer gegen das Junkertum nannte, wurde am 3. Mai 1874 in 200
Berlin geboren. Er war von Beruf Friseur, betätigte sich aber schon früh journalistisch. Als Mitglied der Pressekommission des sozialdemokratischen „Vorwärts" mußte er schon in den neunziger Jahren mehrere Gefängnisstrafen wegen Vergehens gegen das preußische Pressegesetz absitzen. Am l. April 1898 wurde er als zweiter Redakteur an die „Mecklenburgische Volkszeitung" nach Rostock berufen. 1902 wurde er Chefredakteur dieser Zeitung und stand als solcher bis 1918 im Kampf gegen die reaktionäre Regierung und für eine mecklenburgische Verfassung. 1910 wurde er zum Parteitag der SPD nach Magdeburg delegiert und sprach dort für die Wahlrechtsreform. Im November 1918 wurde er Staatsminister von Mecklenburg—Schwerin und 1919 Mitglied der deutschen Nationalversammlung. Im Juni 1919 starb er an einem Krebsleiden. Robert Nespital wurde am 13. Januar 1881 in Alt-Strelitz in Mecklenburg geboren. Nach Beendigung seines Studiums an der Universität Rostock entschied er sich für die Laufbahn des Journalisten. 1903 gründete er in Rostock eine Zeitung „Die Morgenröte", nahm bald Fühlung zur SPD und schrieb für die „Mecklenburgische Volkszeitung", deren fester Mitarbeiter er im Oktober 1905 wurde, zunächst als Theaterkritiker und seit dem 1. Juli 1 9 1 1 als Landes- und Feuilletonredakteur. Im November 1918 wurde er Nachfolger von Starosson und leitete die Herausgabe der Zeitung bis 1933. Nach 1945 nahm Nespital als Arbeiterveteran am demokratischen Aufbau eines friedlichen sozialistischen Deutschland teil. 1954 hat er im Auftrage der Sozialistischen Einheitspartei „Beiträge zur Geschichte der mecklenburgischen Arbeiterbewegung" verfaßt und veröffentlicht, denen wir einen Teil dieser biographischen Angaben entnehmen konnten. Nespital starb am 21. November 1961 in Rostock. Franz Starosson und Robert Nespital haben fast 15 Jahre zusammen die führende sozialdemokratische „Mecklenburgische Volkszeitung" in Rostock herausgegeben und während dieser Zeit gemeinsam vier mehraktige Dramen verfaßt, die den Klassenkampf auf dem Lande be15*
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handeln. Das mecklenburgische Landproletariat lebte unter besonders rückständigen und ungünstigen Verhältnissen. Nach einer Statistik des Jahres 1908 waren von sechs Millionen Organisationsfähigen nur 2500 Landarbeiter organisiert. Das lag u. a. an einer geradezu mittelalterlichen Gesindeordnung, welche den Gutsbesitzer ermächtigte, jeden Arbeiter zu entlassen, der einem sozialdemokratischen Verein oder auch nur einem Konsumverein angehörte, und ihn erst wieder einzustellen, wenn er den Nachweis erbrachte, diese Verbindung gelöst zu haben. Nur wo die Industrie in die Landwirtschaft eindrang, was in dem ersten Drama Starossons und Nespitals „Tutenhusen" (1912) geschildert wird, war eine politische und gewerkschaftliche Arbeit überhaupt möglich. Ihr zweites Stück „Verflucht sei der Acker" (1913), das von der Freien Volksbühne, Berlin zur Aufführung angenommen wurde, behandelt das schwere Schicksal eines unter den oben geschilderten Verhältnissen kämpfenden Gutstagelöhners. Die Volksstücke „Häusler Grothmann" (1914) und „Wilhelm Marten" (1918) schildern das Bemühen von Häuslern, auf der sozialen Stufenleiter „höher zu steigen", selbständig zu werden und nicht mehr auf Tagelöhnerarbeit gehen zu müssen. Diese Stücke fallen ideologisch gegenüber „Tutenhusen" ab, wo noch mit aller Klarheit gesagt wird, daß die soziale Befreiung nur mit Hilfe der proletarischen Solidarität möglich ist. Von Robert Nespital allein erschienen zwei Dramen, das Wiedertäuferspiel „Das tausendjährige Reich" (1915) und „Der ewige Wanderer" (1917), die die Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter der Menschheit verkünden. Diese in humanistischem Geist geschriebenen, aber mit Wissensstoff überladenen Dramen haben in ihrer mystischen Verschwommenheit nur wenig Ähnlichkeit mit den aus den sozialen Kämpfen der Gegenwart gegriffenen, gemeinsam mit Starosson verfaßten Stücken.
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Anmerkungen
Ernst Preczang, Töchter der Arbeit Das Stück wurde 1898 in der Reihe „Sozialistische Theaters t ü c k e " des Verlages der Buchhandlung Vorwärts (Theodor Glocke in Berlin) veröffentlicht. 1904, nachdem Paul Singer den Verlag Vorwärts übernommen hatte, wurde es nochmals aufgelegt und mit der Bemerkung vorangekündigt: „ B e h a n d e l t eine Szene aus dem Fabrikleben, bei Arbeiterfestspielen zur Unterstützung der Frauenagitation geeignet." Nach 1918 wurde es letztmalig als Nr. 65 der Reihe „ A r b e i t e r - B ü h n e " im Verlag von Richard Lipinski, Leipzig, herausgegeben. Unser T e x t folgt der Erstausgabe. . . . Das Personal der Harland'sehen Fabrik Ein Bericht über eine Betriebsversammlung war in der damaligen Arbeiterpresse keine Seltenheit. Arbeiterinnen sprachen in Betriebsversammlungen und schrieben Berichte für die Tagespresse der S P D oder für „ D i e Gleichheit", die Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. Ähnliche Berichte wie der hier von Preczang formulierte finden sich seit 1897 in der „ G l e i c h h e i t " immer häufiger. E s gibt sogar Arbeitertheaterstücke (vgl. I. Strauß, Mißbrauchte Frauenkraft), die auf Grund solcher Zeitungsberichte verfaßt wurden. . . . Ich bin die Beauftragte der Arbeiterinnen Die Arbeiterinnen waren wie die Arbeiter gewerkschaftlich organisiert. Besonders in der Textilindustrie und Schuhindustrie, wo vorwiegend weibliche Arbeitskräfte beschäftigt waren, wurden Beauftragte gewählt, die die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertraten. . . . Und morgen wird die ganze Stadt lesen Berichte aus dem Leben der Arbeiterinnen, die die inoffizielle Prostitution in der bürgerlichen Gesellschaft anprangerten, sind in der „ G l e i c h h e i t " häufig zu finden. Vgl. etwa „ W a r u m stellen Kellnerinnen ein so großes Kontingent zur Prostitution", „ D i e Gleichheit" 1893, Nr. 2; „Gleißendes Elend. Ein Beitrag zur Lage der Handlungsgehilfinnen" ebd. Nr. 3; „Fabriksklavin, Lustsklavin", ebd. Nr. 20. 203
. . . Gesang der Arbeitermarseillaise Gemeint ist das damals sehr verbreitete Kampflied der Arbeiterklasse: „Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, / Zu uns'rer Fahne steht zu Häuf", das Jakob Audorf 1864 verfaßt hat und das nach der Melodie der Marseillaise gesungen wurde. Paul Mehnert, Golgatha Das Stück ist dreimal im A. Hofmann-Verlag, Berlin aufgelegt worden. Das genaue Datum der Erstveröffentlichung war nicht zu ermitteln. Vermutlich ist es 1908 herausgekommen, denn die „Deutsche Volksbühne", die Zeitschrift des Arbeitertheaterbundes Deutschlands (ATBD), berichtet Ende 1908 und Anfang 1909 von mehreren sehr erfolgreichen Aufführungen durch Volksbühnenvereine im Berliner und norddeutschen Raum. Im ersten Bericht wird darauf hingewiesen, daß das Drama den Bergarbeiterstreik behandelt, der am 7. Januar 1905 in der 1300 Mann beschäftigenden Zeche Bruchstraße in Langendreer ausbrach und sich von da über das ganze Ruhrgebiet ausdehnte. Die 2. Auflage von „Golgatha" erschien nach dem großen Ruhrbergarbeiterstreik des Jahres 1912 und die 3. Auflage im Jahr der Ruhrkämpfe von 1920. Unser Text folgt dieser 3. Auflage, da Exemplare der ersten beiden Auflagen nicht auffindbar waren. Der Autor hat innerhalb des Textes, offenbar um die Spielbarkeit des Stückes zu erleichtern, immer wieder mehrere Sätze aus den Wechselreden seiner dramatischen Personen eingeklammert mit dem Hinweis, daß diese Stellen ohne Schaden für den Zusammenhang fortgelassen werden können. Wir sind bei unnötigen Längen und Wiederholungen in einigen Fällen seinem Vorschlag gefolgt. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, den historischen Verlauf des Ruhrbergarbeiterstreiks in allen Details aufzuführen. Wir beschränken uns auf Anmerkungen zur Erläuterung bestimmter Textstellen und verweisen darüber hinaus auf: Dieter Fricke, Der Ruhrbergarbeiterstreik von 1905, Bln. 1955. Die Entwicklung der Geschichtsauffassung bis auf Karl Marx Gerhard Krause, Die Entwicklung der Geschichtsauffassung bis auf Karl Marx, Berliner Arbeiterbibliothek, 1895. Die Gewerkschaften, ihr Nutzen und ihre Bedeutung Max Schippel, Die Gewerkschaften, ihr Nutzen und ihre Bedeutung für die Arbeiterbewegung, Berliner Arbeiterbibliothek, 1890. Marx ökonomische Lehren Karl Marx' ökonomische Lehren, gemeinverständlich dargestellt und erläutert von Karl Kautsky, Internationale Bibliothek, Berlin 1886. 204
Das moderne Elend Max Schippel, Das moderne Elend, Internationale Bibliothek, Berlin 1888. .. . Otto Hue Er lebte von 1868 bis 1922, war Chefredakteur der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung", von 1903 bis 1911 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Hue war einer der hauptverantwortlichen Gewerkschaftsführer, die den Ruhrbergarbeiterstreik gegen den Willen der Streikenden in einem Augenblick abwürgte, als noch alle Möglichkeiten für einen Sieg gegeben waren. . . . Hermann Sachse Er wurde 1862 geboren, war 1902 bis 1919 1. Vorsitzender des Verbandes deutscher Bergarbeiter und von 1898 bis 1918 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Sachse war Mitglied der Siebenerkommission der Gewerkschaft, die am 9. Februar 1905 den Abbruch des Streiks verkündete. . . . Der hochkonservative Herr Kommerzienrat Besitzer der Zeche Bruchstraße war der Millionär Hugo Stinnes. . . . Einen Agenten des Reichslügenverbandes. Gemeint ist der „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie", der im Mai 1904 unter dem Eindruck des sozialdemokratischen Wahlsieges und der starken Streikbewegung von Crimmitschau von Vertretern der Schwerindustrie und der Großbanken in Fühlungnahme mit dem Reichskanzler Bülow gegründet wurde. Einer der Geldgeber war Hugo Stinnes. Der Verband agitierte skrupellos und wurde deshalb von den deutschen Arbeitern allgemein als „Reichslügenverband" bezeichnet. . . . nicht immer von Menschlichkeitsgefühlen leiten lassen Die Worte Reichelts sind nicht überspitzt. Es kam damals im Ruhrgebiet durch die Profitsucht der Zechenherren oftmals zu Grubenkatastrophen. Diese Tatsache wurde in mehreren Agitationsstücken des Arbeitertheaters behandelt. . . . bei der letzten Wahl Gemeint ist der Sieg der SPD bei den Reichstagswahlen von 1903. . . . fünf Mark ab Ersten Bergarbeiter Günnel erhält 3,50 Mark Schichtlohn, für seine Spitzeltätigkeit werden ihm zusätzlich aus einer anderen Kasse 1 Mark 50 versprochen Daraus geht hervor, wie niedrig die Löhne der Bergarbeiter waren. Die Siebenerkommission forderte nach Ausbruch des Ruhrbergarbeiterstreiks auf Antrag der Essener Delegierten am 13. Januar 1905 bei achtstündiger Schichtzeit einen Minimallohn von 5 Mark. . . . Der liebe Arbeiterausschuß Eine gewerkschaftliche Kommission zur Vermittlung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber. 205
.. . Wer schafft das Gold zu Tage Es handelt sich um das Lied „Die Arbeitsmänner" von Johann Most, das nach der Melodie „Zu Mantua in Banden" gesungen wurde. . . . Ich kann den Befehlen, die mir gegeben wurden, nicht Folge leisten So naiv die Szene geschildert ist, so kommt sie doch im Endergebnis der Situation vom Januar 1905 nahe. Das preußische Kriegsministerium, das den Einfluß der SPD auf das Heer kannte, verbot nicht ohne Grund während des Ruhrbergarbeiterstreiks die Beurlaubung von Soldaten und Offizieren in das Streikgebiet. Hinzu kam, daß die preußische Regierung während des Streiks aus Furcht vor den Auswirkungen der russischen Revolution von 1905 militärische Gewaltanwendung möglichst vermied. Die Empörung über den Petersburger Blutsonntag war im Volke noch zu frisch, als daß man es wagen konnte, mit ähnlichen Methoden gegen die Streikenden vorzugehen. Franz Starosson und Robert Nespital, Tutenhusen Das Schauspiel erschien Anfang 1912 im Verlag von Paul Bendschneider, Hamburg. Noch bevor das Stück aufgeführt wurde, erhielt es in der sozialdemokratischen Presse ganz Deutschlands ein positives Echo, u. a. in „Die Neue Zeit", „Die Neue Welt", „Münchener Post", „Volkswille" Hannover, „Lübecker Volksbote", „Dortmunder Arbeiterzeitung" und „Metallarbeiter-Zeitung". Franz Mehring schrieb in „Die Neue Zeit", 30. Jg. 1911/12, II, S. 503 u. a. „ I m einzelnen enthält das Schauspiel viele Züge, die von feiner Beobachtung zeugen; namentlich die bäuerlichen Charakterköpfe kommen gut heraus, und am wenigsten möchte zu tadeln sein, daß es den Kampf der Arbeiterklasse von seiner hofinungsfreudigen Seite darstellt." . . . der Pürrick in'n Speck Soviel wie „die Made im Speck". Pürrick oder Püddick wahrscheinlich abgeleitet von mittelniederdeutsch Puden = kleiner Fremdkörper in einer Masse, kleine Unreinheit auf der Haut. . . . Malligkeit Verrücktheit, mittelniederdeutsch mall = verrückt . . .Besonders ist mir da der Büdner Brokmann im Wege Büdner waren Dorfbewohner mit sehr geringem Grundbesitz, die wegen ihrer sozialen Benachteiligung auf der Seite der kleinen Handwerker und Tagelöhner zur SPD neigten. . . . Der Landmann is Baas Niederdeutsch Baas soviel wie Meister, Herr.
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