187 104 142MB
German Pages 361 [720] Year 1864
Archiv für
wissenschaftliche Kunde von
R u s s 1 a n d. Herausgegeben von
A.
E
in
a
li.
D r e i u n d z w a n z i g s t e r E r s t e s
B a n d .
H e f t .
B e r l i n , Druck und Verlag von Georg Reimer.
1 8 64.
Reise durch den Altai nach dem Telezker See und dem Abakan. Von W i l h e l m
Radioff,
Gymnasiallehrer bei der kaiserlichen Bergschule zu Barnaul in West-Sibirien.
M eine amtliche Stellung verpflichtet mich alljährlich in der Ferienzeit (vom ersten Mai bis letzten August), zu einer wissenschaftlichen Reise, welche genauere Erforschung der Dialecte der verschiedenen talarischen Völkerstämme bezweckt, die das südliche -Sibirien und angränzende Lander bewohnen oder als Nomaden durchziehen. Die von mir gesammelten und noch zu sammelnden Sagen, Märchen und Lieder in Ursprachen sollen Materia) abgeben zum Ausbau der finnischtatarischen Linguistik. Mit den Untersuchungen sprachlicher Art verbinde ich geographische und ethnographische. Höheren Orts wurde mir der Auftrag, in diesem J a h r e das Salair-Gebirge, das Tom-, Mrass- und Lebed-Gebiet in der angegebenen Absicht zu durchreisen und wo möglich an den Telezker See und den Abakan vorzudringen. In wie weit ich diesem Auftrag habe nachkommen können, wird der geneigte Leser aus den Blättern meines Reisetagebuches ersehen. Ich habe die Reise in Briefen beschrieben, weil mir diese Art der äusseren Einkleidung für die Blätter eines Tagebuchs die geeignetste schien und gebe schliesslich noch die Versicherung, dass ich von jeder Uebertreibung mich fern g e halten habe. Ermau's Russ. Archiv. Bd. XXIII. H. 4.
1
2
Historisch-linguistische Wissenschaften.
Erster
Brief.
Jegoriewskji P r o m y s l (Goldwäsche) '), den 12.' Mai 1861. Am 10. Mai verliefs ich Barnaul. Da ich in diesem J a h r e über K u s n e z k in den A l t a i zu gehen g e d a c h t e , so schlug ich die T o m s k i s c h e Poststrasse ein. Die T o m s k i s c h e , K u s n e i k i s c h e und B i i s k i s c h e S t r a s s e führt bei G o u b a (? vielleicht G u b a ) über d e n O b . Die T o m s k i s c h e w e n d e t s i c h gleich nach dem D o r f e G o u b a (16 Werst) nordwestlich; die K u s n e z k i s c h e folgt noch weiter der B i i s k i s c h e n und trennt sich erst drei Stationen später von derselben. Bevor ich nach K u s n e z k ging, gedachte ich aber einige Wochen im B a t s c h a t mich a u f z u h a l t e n , deshalb folgte ich der T o m s k i s c h e n S t r a s s e und ging nach J e g o r i e w s k , einer im S a l a i r i s e h e n Gebirge gelegenen Goldwäsche. E t w a um 6 Uhr passirte ich den O b bei G o u b a . Die Ob-Niederung w a r wie im vorigen J a h r e wieder ü b e r s c h w e m m t und der W e g in derselben sehr beschwerlich. Abends 10 Uhr erreichte ich die nächste Station O s e r k i (29 Werst). Da heller Mondschein w a r und der W e g , wie man mir versicherte, gut sein sollte, fuhr ich weiter. In der Nacht passirte ich die Stationen T a i m e n (22 Werst) und B a r a w l a n k a (24 Werst). Bei B a r a w l a n k a verliefs ich die Poststrasse. Von hier aus begann wieder das Leiden der Seitenwege. Die P f e r d e w a r e n meist schlecht, w u r d e n nur langsam herbeigeschafft und dadurch ein fortwährender Aufenthalt veranlasst. Am 10. legte ich folgende Stationen zurück: S c h m a k o w a (15 Werst). B e r k o w a (25 Werst), M a m o n o w a (15£ Werst), S u j e n g a (22 Werst). Zwischen M a m o n o w a und S u j e n g a w u r d e der Fluss B e i ( B e i d ) auf einer sehr gebrechlichen F ä h r e passirl. ') Dass p r o m y s l jede Art von Industrie bezeichnet haben wir oft bemerkt. In Pommern und wahrscheinlich aucli in anderen ehemals von Slaven bewohnten Gegenden, findet sich derselbe Ortsname und ist bisweilen nur durch das Vorkommen yon Ziegel- oder T ö p f e r thon zu erklären. E.
3
R e i s e dnrch den Altai.
In S u j e n g a musste
waren
4 Stunden
keine P f e r d e zu bekommen und ich
warten,
weshalb
ich
erst
gegen 6 Uhr
Abends das nur 12 W e r s t entfernte J e g o r i e w s k Bis B a r k o w a stens
war das Land fast ganz
mit Fiohtenwald
liger.
besetzt;
Bei M a m o n o w a
erreichte.
flach
und mei-
von hier an wurt!e es h ü g -
nimmt schon die g a n z e Landschaft
einen Gebirgscharakter an, die B e r g e steigen höher und höher auf, aber nirgend
sind
hervorragende Bergkuppen
Der Hauptgebirgszug
dieses
tirischen
zieht
Norden.
Gebirges
zu sehen.
Ausläufers
des
Sa-
sich fast direct von Süden nach
E r ist nur dünn mit Bäumen bewachsen, meist Birke
und T a n n e , gen.
nördlichen
unter denen
nur sehr w e n i g e F i c h t e n
Von der letzten Station S u j e n g a
am Ufer
des Flusses S u j e n g a
entlang
das an demselben Flusse liegt. deutlich,
dass
man
sich
im
schlängelt sich durch B e r g dem r e c h t e n ,
hervorra-
zieht sich der
Weg
bis nach J e g o r i e w s k ,
Von S u j e n g a Gebirge
an sieht man
befindet.
und T h a l e n t l a n g ,
Der
Weg
g e h t bald auf
bald auf dem linken U f e r des F l u s s e s , und ist
häufig nur mit Hemmschuh zu passiren. E h e man nach J e g o r i e w s k
gelangt,
lich bedeutende Bergwellen zu passiren.
sind einige ziem-
S i e sind meist kahl,
nur spärlich mit gelbgrünem Grase bedeckt, und in den V e r tiefungen
lag
noch S c h n e e ;
überhaupt
mangelte
der Land-
schaft noch j e d e Anmuth und F r i s c h e , da die B l ä t t e r an den Bäumen
noch
maller S c h l e i e r
ganz klein waren dieselben
und
umzogen.
nur
wie
ein
dünner
W e n n man den letzten
Bergwall passirt hat, so sieht man plötzlich die S u j e n g a das T h a l durchströmen
und an ihren Ufern
seinen Augen sich ausbreiten.
die G o l d w ä s c h e vor
Die G o l d w ä s c h e besteht wohl
aus 1 0 0 — l ö O Holzhäuschen ohne j e g l i c h e V e r z i e r u n g , einem grofsen Magazin und der W o h n u n g des commandirenden ficiers,
die sich, mit einem kleinen Gärtchen u m g e b e n ,
freundlich
ausnimmt.
In
der
Goldwäsche
wurde
ich
Ofrecht sehr
freundlich empfangen und entschädigte mich reichlich für die schmale K o s t auf der Reise. Die J e g o r i e w s k i s c h e
Goldwäsche
ist
die älteste des l*
Historisoh- linguistische Wissenschaften.
4 ganzen A l t a i .
Im
Anfang der
dreissiger J a h r e
e r s t e n I n g e n i e u r - O f f i c i e r e a u s d e m U r a l in d a s Gebirge geschickt. S u j e n g a Gold. gewesen sein, gearbeitet;
aller E r w a r t e n
jetzt wird aber
eben
Jegoriewsk.
Wider
In d e n e r s t e n J a h r e n so w e n i g
an
fand
der K a s m a , hat
die
man an der
soll sie s e h r e r g i e b i g
an d e r S u j e n g a
In l e t z t e r Z e i l
Offerier a n d e r L i s w i n k a ,
wurden
Salairische
der
nicht mehr
40 Werst
hier
von
commandirende
15 W e r s t von J e g o r i e w s k ,
Gold
a u f g e f u n d e n , leider n i c h t s e h r reich, da auf h u n d e r t P u d E r d e h ö c h s t e n s bis 8 0 D o l i G o l d g e w a s c h e n Am
andern Morgen
gesattelt,
wurden
in
werden.
aller F r ü h e
die P f e r d e
u n d w i r ritten zur G o l d w ä s c h e an der
Liswinka.
D e r C h a r a k t e r des g a n z e n ß e r g z u g e s s c h e i n t d e r s e l b e zu sein, wie
zwischen
Sujenga
und
Jegoriewsk.
Hügelwellen,
b r e i t e T h ä l e r , bald kahle L a n d s t r e c k e n , bald d ü n n e s F i c h t e n - , Birken- und Espengehölz. Entstehen,
daher
ist
D i e G o l d w ä s c h e selbst ist e r s t im
d o r t n u r ein S c h u p p e n z u r A u f b e w a h -
rung: d e r Utensilien e r r i c h t e t . bei d e r G o l d w ä s c h e
W a s die A r b e i t e n b e t r i f f t ,
vorgenommen
werden,
die
so b e s c h r ä n k e n
sie sich noch m e i s t e n t e i l s auf A n l e g u n g eines K a n a l s d e r d a s Wasser jetzt
der
Liswinka
aus
seinem Bette
sind n u r 2 0 0 0 P u d E r d e
schnittsbetrag Arbeitern
ausgewaschen,
5 0 D o l i a u s 100 P u d E r d e
herrschte
letzte U k a s ü b e r
eine
sehr
deren
betrug.
DurchB e i ' den
fröhliche S t i m m u n g ,
da d e r unsere
Kreises durch Rekrutirung aus-
w a r e n mit ihren N a c h k o m m e n z u m
als A r b e i t e r v e r p f l i c h t e t . mielheten Arbeitern
Bis
Die B e r g a r b e i t e r , die bis j e t z t a u s d e n
B e r g b a u e r n des A l t a i s c h e n
alle K r o n a r b e i t e r
soll.
die B e f r e i u n g d e r L e i b e i g e n e n a u c h
B e r g a r b e i t e r betrifft. gehoben w u r d e n ,
leiten
Dienst
J e t z t sollen diese A r b e i t e n von g e -
verrichtet werden
frei s e i n ;
binnen 2 J a h r e n
und
bis z u m 15. Mai a l l e ,
2 0 J a h r e g e d i e n t , bis z u m J a h r e
die
1862 alle, die 1 5 J a h r e
d i e n t ; bis z u m J a h r e 1 8 6 3 alle U e b r i g e n .
über ge-
D a s s die d e m h i e -
sigen K r e i s e b e v o r s t e h e n d e n V e r ä n d e r u n g e n nicht g e r i n g sind, lässt sieht d a r a u s a b n e h m e n ,
d a s s die Z a h l d e r
bis auf e i n i g e h u n d e r t T a u s e n d sich beläuft.
Bergarbeiter
Reise durch den Altai.
5
Da sich der V e r w a l t e r aller G o l d w ä s c h e n , der O b e r s t W hier b e f a n d , so n a h m e n alle jetzt freien B e r g a r b e i t e r (die Alten) feierlichen Abschied. W i r lagen g e r a d e auf d e m Rasen zu einem frugalen Mittagsmahl a u s g e s t r e c k t , als alle Arbeiter sich bei uns v e r s a m m e l t e n und um die Erlaubniss baten, einige Lieder singen zu dürfen. S e c h s bis acht Arbeiter traten vor und s a n g e n unter Begleitung einer Balalaika einen ganzen C y c l u s von Volksliedern. D i e meisten Motive w a r e n traurig, n u r sehr w e n i g e t r u g e n einen fröhlichen C h a r a k t e r . Einige Lieder w a r e n von T ä n z e n z w e i e r Arbeiter begleitet. Der T a n z des sibirischen Russen e r m a n g e l t natürlich der Grazie der italienischen und spanischen T ä n z e , er ist p l u m per, hat aber d e n n o c h einen gewissen Reiz und e r f o r d e r t viele Geschicklichkeit. Gewöhnlich besieht er in einer p a n t o m i m i schen D a r s t e l l u n g zwischen einem L i e b e s p a a r , das bald sich entzweit, bald sich w i e d e r vereinigt. Die s p r ö d e S c h ö n e drehl sich schüchtern nach allen Seiten um, trippelt im Kreise u m h e r , und der feurige Liebhaber umkreist sie in wilden Sprüngen. Die S t i m m e n der S ä n g e r w a r e n rein und klar; sie sangen aus voller S e e l e und man k o n n t e auf ihren Gesichtern lesen, dass der G e s a n g ihnen das gröfste V e r g n ü g e n bereitete. W a s dem an russische Volksgesänge u n g e w ö h n t e n O h r e meist missfallt, sind die vielen hohen K o p f t ö n e , sie sind es a b e r , die dem G e s ä n g e seine Originalität und einen g e w i s s e n Reiz v e r leihen, und diese hohen T ö n e scharf und klar hei vorzubringen ist die höchste Kunst des S ä n g e r s . Am Abend kehrten wir nach J e g o r i e w s k zurück und morgen früh d e n k e ich die G o l d w ä s c h e zu verlassen. Zweiter
Brief. Kusnezk, den 20. Mai 1861.
Seit gestern Morgen bin ich in K u s n e z k , der l a n g w e i ligsten S t a d t die ich j e g e s e h e n habe, und ich w ä r e v o r l a n ger Weile g e s t o r b e n , w e n n ich nicht einen Theil der Zeit
6
Historisch-linguistische
zum S c h r e i b e n tungen
kam
Tage
angewendet
ich n a c h
auszuruhen
träumen Kern
zu
Und mit w e l c h e n hier
d a c h t e ich
erquicken.
Wer
Die
m a n den T o m am rechten
Lage
des
ist
passirt, so führt der W e g
Ufer hinauf.
Hat man
aber
sauern
reizend.
Wenn
die steile
Uferwand
nach einigen W e r s t e n den
so bietet
sich dem
H e i s e n d e n ein
herrliche,
grüne Ebene
dem klaren Wasserstreifen
einige
sich
einen so
Eine weite,
erreicht,
Anblick dar.
Städtchens
Erwar-
mich
hatte
lassen, dass eine so s c h ö n e S c h a a l e
habe.
Kamm
hätte.
Kusnezk,
und
Wissenschaften.
herrlicher wird
von
d e s T o m d u r c h s c h n i t t e n , an d e s s e n
U f e r s i c h die S t a d t , m a n n i g f a l t i g g r u p p i r t , e n t l a n g z i e h t . würdig
b l i c k t von
hinab.
An
der
andern
vielen W i n d u n g e n bei K u s n e z k
der H ö h e Seite
in den
Wege
hinabfuhr, dieses
Altai.
Was
Ehr-
alte C i t a d e l l e auf die
des
die K o n d o r n a
Tom
schlängelt
Stadt
sich
in
d a h i n und e r g i e f s t s i c h d i c h t
Tom.
Als ich so den B e r g schichte
die
auf einem sehr gefährlichen
versetzte
alten
ich
Bollwerkes
könnten
mich
im Geiste
der
in d i e
russischen
diese allen Mauern
steilen
Macht
alles erzählen;
Geim wie
v i e l e K ä m p f e h a b e n s i e m i t a n g e s e h e n ? O f t d r ä n g t e n die w i l den Horden und es,
des S ü d e n s
nur dem Muthe
g e g e n s i e an
und
durch hundertjährigen
Unter
solchen
Gedanken
Kronquartier wurde bärmlich, weiss,
einige
waren
durch
schwarzen Ueberzug
der Kühnheit
diese Horden
langte
ich
in
versehen;
zu
der Zeit
gelang
bändigen.
Kusnezk
Die
leere Z i m m e r ;
den Z a h n
widerstanden,
der K o s a k e n
Kampf
mir a n g e w i e s e n .
niedrige
und s i e
an.
Wohnung
früher
mit
braun-
zwei Stühle
das g a n z e M o b i l i a r a u s .
liche Frau frugalen Nach
und
erquickte
mich,
er-
die W ä n d e einem
und ein S p i e l t i s c h
m i t d r e i B e i n e n , d e r n u r an d i e W a n d g e l e h n t , s t e h e n machten
Ein
war
konnte,
Die Wirthin w a r eine freundden
Hungrigen,
mit
einem
Mahle. Tische
warf
in d e r S t a d t u m h e r .
i c h m i c h in b e s s e r e K l e i d e r
und
ging
Einige B e a m t e , mit denen ich G e s c h ä f t e
h a t t e , f a n d i c h n i c h t z u H a u s e , d a s h e i s s t , s i e w a r e n n i c h t zu sprechen,
da s i e i h r M i t t a g s s c h l ä f c h e n h i e l t e n .
Die S t a d t selbst
7
Reise durch den Altai.
ist ohne jegliches L e b e n . Auf den vielen S t r a f s e n b e g e g n e t e n mir nur selten einige B a u e r n oder B ü r g e r in ihren K a f t a n e n , oder auch wohl ein T s c h i n o w n i k ( B e a m t e r ) mit grofser K o karde, meistens a b e r alle Invaliden (die B e s a t z u n g der Citadelle ist eine Invaliden - C o m p a g n i e ) . D i e S t a d t selbst liegt theils auf der H ö h e des U f e r b e r g e s , theils in der n ä c h s t e n N i e d e r u n g des F l u s s e s ; zur u n t e r e n H ä l f t e führt ein ziemlich beschwerlicher W e g hinab. Die einzigen steinernen G e b ä u d e von K u s n e z k sind zwei Kirchen, die Citadelle, und das H a u s eines K a u f m a n n s ; alle ü b r i g e n H ä u s e r sind von Holz o h n e F u n d a m e n t e , meist durch die Zeit a u s ihrer L a g e verruckt. Ich besuchte den M a r k t , einen viereckigen grofsen Platz der von zwei Seiten von den R e i h e n der L ä d e n b e g r ä n z t ist. K u s n e z k ist die älteste S t a d t des A l t a i ; sie w a r viele J a h r e der S c h u t z der nördlicheren russischen B e v ö l k e r u n g . W o h e r sie ihren N a m e n b e k o m m e n h a t , ist nicht r e c h t klar. D a s Volk erzählt, die Riesigen E i n w o h n e r seien g u t e S c h m i e d e ( K u s n e t z i ) g e w e s e n , und d a h e r der N a m e 1 ) . D i e T a t a r e n nennen K u s n e z k A b a T u r a ( V a t e r s t a d t ) , dieser N a m e kommt aber w a h r s c h e i n l i c h vom Flüsschen A b a h e r , d a s weit von Kusnezk in den T o m fällt. J e t z t ist die S t a d t u n bedeutend und verdient wohl nur d e s w e g e n diese Bezeichn u n g , weil sie f r ü h e r eine S t a d t g e w e s e n ist. Handel treibt man w e n i g ; die T a t a r e n sind a r m und der G o l d w ä s c h e n im T o m g e b i e t sind n u r s e h r wenige. D e r fast einzige E r w e r b s z w e i g von K u s n e z k ist der T a b a k , mit dessen Anbau und Z u b e r e i t u n g sich K u s n e z k und alle umliegenden D ö r f e r beschäftigen. Reiche Quellen Kusnezkische Archiv •
—
zur Geschichte Südsibiriens aufzuweisen haben
mussle
das
u n d ich d a c h t e bei \
') Dass der Verf. nichts von den in der sibirischen Geschichte viel besprochenen Schmiede-Tataren gehört hat, ist zu verwundern. Besäfse er einige geologische Kenntnisse so würde er ausserdem g e wusst haben, dass K u s n e z k in einem höchst s e h e n s w e r t h e n S t e i n k o h l e n b e c k e n liegt, in dem man mit offenen Augen nicht über Langeweile klagen sollte! vgl. in d. Arch. Bd. V. S. 333IT. E.
8
Historisch - linguistische Wissenschaften.
meinem hiesigen Aufenthalt diese ein wenig zu benutzen. Leider hin ich auch dessen b e r a u b t , denn vor wenigen T a gen ist das Landgericht ( S e m s k i S u d ) und das ganze Archiv verbrannt. H e u t e MoTgen habe ich glücklich meine Geschäfte volle n d e t , und da ich nichts besseres anzufangen w u s s t e , ging ich auf den Markt und erstaunte nicht wenig über die hiesige T h e u e r u n g . Das P u d Fleisch (40 Pfd.) kostet 3 — 4 Rubel (in Barnaul 1—2 Rubel). Die B u t t e r der Besmen Pfd.) 70 Kopeken (23 Sgr.) und z w a r K o c h b u t t e r ; das Pud R o g g e n mehl 60 Kop. (20 Sgr. — in Barnaul 30 Kop.); Weizenmehl 90 Kop. (etwa 1 Thlr. — in Barnaul 50 bis 60 Kop.). Die T h e u e r u n g kommt von der Viehseuche des vorigen J a h r e s he). Als ich vom Markte nach H a u s e gekommen war, begann von neuem die lödtliche L a n g e w e i l e u n d ich will nur zufrieden sein, w e n n ich K u s n e z k den R ü c k e n g e w e n d e t habe, will Ihnen aber noch meinen Reisebericht von J e g o r i e w s k bis hierher mitlheilen. Am 13. Mai 10 Uhr Morgens reisten wir von J e g o r i e w s k ab. Unser W i r t h musste zur G o l d w ä s c h e am K a s m a fahren und ich ging deshalb mit i h m , und sendete meinen T a r a n t a s (Reisewagen) auf einem andern W e g e nach Brykan o w a . W i r halten ein herrliches Dreigespann vor unserm kleinen W ä g e l c h e n und unser liebenswürdiger Wirth, welcher ein grofser Pferdeliebhaber ist, bewies in der T h a l die V o r trefflichkeit seiner Pferde, denn schon um 11 Uhr erreichten wir das 20 W e r s t entfernte Dörfchen P o d n i w a j a , hatten nlso in einer S t u n d e 20 W e r s t (fast 3 Meilen) zurückgelegt und zwar auf durchaus nicht ebenem W e g e . Von P o d n i w a j a an w u r d e der W e g schlecht und sumpfig. Das immer noch wellige Land ist dicht mit B ä u m e n bewachsen. Die letzte Hälfte des W e g e s w a r schon flacher. Der Wald bietet hier eine reiche Abwechselung dem Auge dar, die so sehr von der Eintönigkeit sibirischer W ä l d e r abweicht. Alle hier v o r k o m m e n d e n Arten von B ä u m e n finden sich in reicher Zahl v e r t r e t e n ; d u n k e l g r ü n e T a n n e n und Fichten stehen mit den
Reise durch den Altai.
9
fast b r a u n g r ü n e n G e d e r n ( P i n u s cembra), den m a t t g r ü n e n L ä r c h e n b ä u m e n , deren feine Nadeln wie F r a n s e n an den so mächtigen Z w e i g e n h e r a b h ä n g e n , in b u n t e m G e m i s c h d u r c h einander. D a n n wieder L a u b h o l z : B i r k e , E s p e u n d W e i d e , und viele kleine G e b ü s c h e , kurz alles w a s die B a u m v e g e t a lion Sibiriens h e r v o r b r i n g t zeigte sich hier v e r t r e t e n . Man sieht schon dass man sich b e d e u t e n d niedriger als J e g o r i e w s k befindet, denn S c h n e e ist nirgends a n z u t r e f f e n , und die B ä u m e sind schon um vieles dichter belaubt. Dicht vor K a s i n a b r a n n t e der W a l d , dass wir eine g a n z e S t r e c k e im dichten R a u c h f u h r e n . Diese W a l d b r ä n d e richten u n g l a u b liche V e r h e e r u n g e n in den W ä l d e r n Sibiriens a n , oft brennt der W a l d meilenweit a b , a b e r bei der d ü n n e n B e v ö l k e r u n g kann diesem Uebel auf keine W e i s e abgeholfen w e r d e n . Um 2 Uhr erreichten wir K a s m a , eine kleine G o l d wäsche. In diesem J a h r e wird an der K a s m a nicht g e a r beitet, da der E r t r a g zu gering ist. Alle Arbeiter sind zum ü o l d s u c h e n ins S a l a i r i s c h e G e b i r g e a u s g e s c h i c k t . Wir hielten uns hier bis 4 Uhr auf. Auf der Hälfte des W e g e s änderte sich der C h a r a k t e r der L a n d s c h a f t d u r c h a u s n i c h t ; derselbe bunte dichte W a l d ; dieselben ß e r g w e l l e n . Als die Hälfte des W e g e s z u r ü c k g e legt w a r , lichtete sich der W a l d und plötzlich d e h n t e sich vor uns eine weite herrliche E b e n e aus. G r a s r e i c h e u n a b sehbare W i e s e n von vielen Flüsschen d u r c h s c h n i t t e n , und dicht mit D ö r f e r n wie besäet. N i r g e n d s h a b e ich hier so dichte B e v ö l k e r u n g g e s e h e n ; fast alle 2 — 3 W e r s t passirten wir ein D ö r f c h e n und n a c h allen Seiten sahen wir d e r e n mehrere liegen. Um 6 Uhr Abends erreichte ich endlich noch das Dorf B r y k o n o w a (20 W e r s t ) . Hier fand ich die P f e r d e schon a n g e s p a n n t und f u h r deshalb sogleich weiter u n d langte um 10 Uhr in B e d e r o w a (25 W e r s t ) an. Da hier P f e r d e sofort nicht beschafft w e r d e n konnten, m u s s t e ich mich 2 S t u n den aufhalten. Interessant w a r inir w ä h r e n d der Zeit die Unterhaltung mit d e m B a u e r n ä l l e s t e n , der mir so m a n c h e s über die hiesigen Verhältnisse mitlheilte.
10
Historisch-linguistische Wissenschaften. D i e B a u e r n die in d e r E b e n e n ö r d l i c h v o m S a l a i r i s c h e n
G e b i r g e w o h n e n , b e s c h ä f t i g e n sich w e n i g e r mit A c k e r b a u , als mit V i e h z u c h t .
Dies h a t b e s o n d e r s darin s e i n e n G r u n d , d a s s
d a s Vieh
besonders
waldes
ganz
gedeiht,
Waldes,
als
gut
an d e r G l ä n z e
da es hier s o w o h l
auch
des S c h w a r z -
das saftreiche Kraut des
das Steppensalz
in F ü l l e
vorfindet.
vielen J a h r e n t r e i b t d e r g a n z e K r e i s b e d e u t e n d e n und
versorgt
die S t ä d t e B a r n a u l ,
mit Vieh u n d F l e i s c h ,
deshalb
k e r t s t e u n d r e i c h s t e im A l t a i . ist d a s Volk
Tomsk
und
ist d e r K r e i s
Seil
Viehhandel Kusnezk
mit d e r b e v ö l -
S e i t d e m vorigen J a h r e jedoch
hier viel ä r m e r g e w o r d e n ,
da im
vergangenen
H e r b s t e i n e f u r c h t b a r e R i n d e r p e s t fast alle H e e r d e n h i n r a f f t e ; neun Zehntel
alles
Viehes
ist
umgekommen.
Milch ist in d e n hiesigen D ö r f e r n
Fleisch
u n d die B a u e r n leben jetzt m e i s t e n s v o n B r o d u n d Kohl. Stimmung
der Bevölkerung
und
beinahe nicht aufzutreiben,
ist j e t z t e i n e s e h r g ü n s t i g e ,
Die da
sie bald v o n den s c h w e r e n H ü t l e n - A r b e i t e n befreit sein w i r d , „(«ott s e g n e d e n K a i s e r u n s e r n H ü l e r u n d B e s c h ü t z e r ! " man aus
jedem Munde tönen.
Die Leute
hört
k ö n n e n ihr G l ü c k
n o c h g a r n i c h t f a s s e n , u n d f a s t in j e d e m D o r f e b e f r a g t e m a n mich über diesen
Gegenstand.
Die hier w o h n e n d e n T a t a r e n (Teleuten)
w u r d e n mir als
s e h r e h r l i c h e L e u t e g e r ü h m t , mit d e n e n die r u s s i s c h e n B a u e r n gern Geschäfte machen. ihnen,
die
meisten nicht
mit
ihren
E s g ä b e viele t ü c h t i g e A r b e i t e r u n t e r
Familien
w u n d e r t e es m i c h ,
mit V e r a c h t u n g
sprach,
B a u e r n v o n den E i n g e b o r n e n I. In
der
Nacht
im W o h l s t ä n d e
lebten.
Am
dass m a n h i e r v o n d e n T a t a r e n wie
es g e w ö h n l i c h
russische
thun.
T a t a r e n a in U r .
passirte
ich
Bederowa,
Timokowa
(4 W e r s t ) u n d e r r e i c h t e f r ü h a m M o r g e n d a s e r s t e T e l e u t e n dorf
a m Ur.
H ä u s c h e n ab,
Wir
stiegen
in
einem
ziemlich
welches einem reichen, durch seine
keit w e i t b e r ü h m t e n T a t a r e n - K a u f m a n n N i c o l a i gehörte.
Obgleich
wir
die L e u t e
fast m i t t e n in
geräumigen RechtlichSartlajew der N a e h t
Reise dorch den Altai.
11
aus dem S c h l a f e s t ö r t e n , w u r d e ich d e n n o c h mit aufrichtiger Freundlichkeit empfangen, und s u c h t e mir mein W i r t h in j e d e r Weise behülflich zu sein. Das H a u s w a r um vieles gröfser, als die g e w ö h n l i c h e n B a u e r n h ä u s e r . Im u n t e r e n S t o c k w e r k war die V o r r a t h s k a m m e r und die K ü c h e ; im o b e r e n S t o c k werk der durch einen Flur in zwei Theile getheilt w u r d e , waren r e c h t s zwei Z i m m e r , eins das W o h n - und das a n d e r e das S c h l a f z i m m e r des alten S a r t l a j e w ; links ein g e r ä u m i g e s Z i m m e r , das der S o h n des W i r t h s mit seiner Frau und seinen Kindern b e w o h n t e . Die i n n e r e E i n r i c h t u n g der Z i m m e r u n terschied sich w e n i g von denen der B a u e r n . R i n g s u m im Z i m m e r s t a n d e n B ä n k e ; in jedem Z i m m e r ein Bett mit W o i l o c k - M a t r a t z e n , auf denen m e h r e r e S c h l a f p e i z e , deren m a n sich als D e c k e n b e d i e n t e , a u f g e h ä u f t w a r e n . Ein hölzerner T i s c h , r e c h t bunt bemalt,, stand im v o r d e r e n W i n k e l des Zimmers. Bald n a c h meiner A n k u n f t v e r s a m m e l t e sich in meinem Z i m m e r eine g a n z e Gesellschaft von T e l e u t e n . Sie w a r e n alle nach russischem S c h n i t t gekleidet; h o h e S t i e f e l n , weite blau- oder weissleir.ene S c h n u r r h o s e n , ein weisses oder b u n t e s Hemd aus B a u e r l e i n e w a n d , das l ä n g e r als bei den Russen bis über die Knie r e i c h t e , u n d u n t e r den Armen w a r e n grofse rothe oder g e l b e V i e r e c k e eingenäht. S c h a f p e l z e und K a f t a n e von B a u e r n t u c h g a n z nach russischem Schnitte. Die H a a r e lassen alle 3 — 4 Zoll lang w a c h s e n u n d sie ungescheitelt h e r a b h ä n g e n , so dass dieselben die S t i r n e bis zu den Augen bedecken. Auf d e m Kopfe hatten fasl alle beuteiförmige T u c h mützen, u n t e n mit P e l z v e r b r ä m t . D i e Gesichtszüge der meisten zeigten den mongolischen T y p u s , aber nicht so rein wie bei den A l t a j e r n , d e n n einige hatten l a n g e spitzige Gesichter mit w e n i g h e r v o r s t e h e n d e n B a c k e n k n o c h e n . Die H a u t f a r b e ist gelb, bei einigen fast braun, was wohl v o m w e n i g e n Reinigen der H a u t h e r r ü h r e n m a g . Die F a r b e des H a a r e s ist d u r c h g ä n g i g s c h w a r z . Die meisten Individuen sind klein und uniersetzt. Sie b e a n t w o r t e t e n m e i n e F r a g e n mit r ü h m e n s w e r t h e r Offenheit.
Historisch-linguistische Wissenschafte n.
12
D i e F r a u e n t r a g e n l a n g e L e i n w a n d k l e i d e r mit einem G u r t , und Zöpfe
ohne Zierathen;
die v e r h e i r a t h e l e n F r a u e n
meist
D e r g r ö f s t e T h e i l d e r a m Ur w o h n e n d e n T a t a r e n
nennt
Kopftücher. sich n i c h t T e l e n g e t s o n d e r n A t s c h K ü s c h t i m , sie b e h a u p t e n a b e r zu d e r s e l b e n Z e i t mit d e n T e l e u t e n v o m Irtisch eing e w a n d e r t zu sein.
D i e S p r a c h e ist vollständig die der
l e n g e t , a u c h sind i h r e S a g e n u n d L i e d e r V o n den h i e s i g e n T a t a r e n
Te-
dieselben.
ist n i c h t ein einziger g e t a u f t ,
sie h ä n g e n alle d e m S c h a m a n i s m u s an.
Im D o r f e s e l b s t w o h n t
a u c h ein S c h a m a n . A m V o r m i t t a g e v e r v o l l s t ä n d i g t e ich d e n h i s t o r i s c h e n G e s a n g d e s P i T a s u n d d e n G e s a n g P ö s K y r g y s (fünf K i r g i sen), d i e s e r l a u t e t
wörtlich:
Pi Tas, K a r y l y k
undTäminä
w a r e n drei B r ü d e r ; sie
w o l l t e n in d e n K r i e g z i e h e n , als sie in d e n K r i e g ziehen w o l l ten s a n g zu i h n e n i h r e M u l l e r : „In der Nacht hab ich einen Traum gesehen, Lasset ab von dieser F a h r t ; Ein gieriger Rabe mit blutigem Schnabel verdeckt fliegend das Haus. Im Dunkeln hab ich *nen Traum gesehen, Lasset ab von dieser Fahrt. Kin mächtiger Wolf mit schnaubendem Maule schleicht rings um die Thür. Als die S ö h n e
der Mutter W o r t
M u t t e r w e i n e n d a u s ihrer B r u s t Milch sie als Milch (sie!). mit e i n e m S t e i n .
nicht h ö r e n ,
zieht die
und bereitet Käse für
P i T a s w i r f t n a c h d e r B r u s t der M u t t e r D i e M u t t e r singt, ihn v e r f l u c h e n d
Des P i T a s Reitpferd mit gemischtem Haare, wenn er es umwendet, stürze es nieder. Die Jünglinge dieses Volkes, gegen P i T a s mögen sie rasen. Das blutige Geschoss, das bunte Geschoss, durchbohren mög es P i T a s .
Reise durch den Altai.
13
Des K a r y l y k schwarzes Reitpferd wenn er es umwendet, möge es stürzen Die Jünglinge der T e l e n g e t gegen P i T a s mögen sie rasen, Das bunte Geschoss mit der Geierfeder Durchbohren möge es K a r y l y k . T ä l s a r n des T ä m i n ä Reitpferd wenn es ausläuft, mag es stürzen! Die Jünglinge der T e l e n g e t Gegen T ä m i n ä mögen sie rasen, Das bunte Geschoss mit der Geierfeder durchbohren möge es T ä m i n ä . S i e z o g e n in d e n K r i e g ; d a s H e e r ( d e s F e i n d e s ) sie, s i e f l o h e n zuruck.
Auf d e m W e g e s i n g t P i
vertrieb
Tas
Steinige F u h r t , steinige F u h r t , seilt zu, dass ihr das Geröll auseinander scharrt, wenn ilir's Geröll nicht auseinander scharrt, werden Geröll und Knochen zusammen sein. Sandige F u h r t , sandige F u h r t , Seht zu, dass ihr den Sand auseinander scharrt, wenn ihr den Sand nicht auseinander scharrt, wird Sand und Knochen zusammen sein. Alle
drei
starben
dort.
D i e Mutter
w a r t e t e im
als die S ö h n e n i c h t k o m m e n , s i n g t die Mutter Der was Der was
bunte Hengst befruchtet die Heerde, ist's, dass P i T a s nicht z u r ü c k k e h r t ? Adler baut sein Nest, ist's, dass K a r y l y k nicht z u r ü c k k e h r t ?
Der was Der was
schwarze Hengst befruchtet die Heerde, ist's, dass K a r y l y k nicht z u r ü c k k e h r t ? schwarze Vogel baute sein Nest, ist's, dass K a r y l y k nicht z u r ü c k k e h r t ?
T ä I s a r Ii befruchtet die H e e r d e , was ist's, dass T ä m i n ä nicht zurückkehrt?
Hause;
weinend:
14
Historisch r linguistische Wissenschaften. Der Geier baute sein Nest, was ist's, dass T ä m i n ä nicht z u r ü c k k e h r t ? D e m Menschen, der P i T a s
gesehn,
will ich des hunten H e n g s t e s H e e r d e g e b e n ; wenn er des bunten H e n g s t e s H e e r d e nicht nimmt, will ich das g e h ö r n t e Vieh ihm g e b e n ; wenn er das g e h ö r n t e Vieh nicht n i m m t , will die f e t t e n S c h a f e ihm g e b e n ; wenn er die fetten Schafe nicht nimmt, will ich mich s e l b s t ihm znr Sclayin g e b e n . D e m Menschen, der K a r y l y k
gesehn,
will ich des s c h w a r z e n H e n g s t e s H e e r d e
geben,
wenn er des s c h w a r z e n H e n g s t e s H e e r d e nicht nimmt, will ich das gehörnte Vieh ihm g e b e n etc. etc. D e m M e n s c h e n , der T ä m i n ä
gesehn,
will ich des T ä l s a r n H e e r d e g e b e n ; wenn er des T ä l s a r n H e e r d e nicht nimmt, will ich das gehörnte Vieh ihm g e b e n , wenn er das etc. etc.
N a c h Tische m a c h t e ich einen S p a z i e r g a n g durch das D o r f . Es zieht sich wohl drei W e r s t a m r e c h t e n Ufer des U r entlang. Am östlichen E n d e desselben w o h n e n zehn r a s sische F a m i l i e n , die amtlich den T a t a r e n zugezählt w e r d e n und dieselben Abgaben wie diese bezahlen. (Die hiesigen T a t a r e n zahlen ihre Abgaben in G e l d , nicht in Fellwerk). Die hier w o h n e n d e n R u s s e n s t a m m e n ursprünglich von T a t a r e n ab (sie!), und v e r s t e h e n dennoch m e r k w ü r d i g e r Weise, obgleich sie von J u g e n d auf mit T a t a r e n z u s a m m e n w o h n e n , nicht ein W o r t tatarisch; aus ihren Gesichtszügen ist j e d e S p u r des mongolischen Typus verschwunden. In der westlichen H ä l f t e des D o r f e s stehen e t w a 2 5 H ä u ser, w o r i n T a t a r e n w o h n e n , von diesen sind n u r 5 — 6 n a c h Art d e r russischen B a u e r n h ä u s e r a u s Holz g e b a u t , der Rest ist aus B r e t t e r n und F l e c h t w e r k und mit E r d e b e w o r f e n . D i e s e H ä u s e r sind im S o m m e r kühl und im W i n t e r leicht zu h e i z e n ; sie sind a u c h leicht zu e r b a u e n . V o n a u s s e n
15
R e i s e durci) den Altai.
sehen sie z w a r s e h r hässlicb u n d n i e d r i g aus, da sie sich halb unter der E r d e befinden, das I n n e r e m a c h t aber einen s e h r a n g e n e h m e n E i n d r u c k . Sie sind rein g e w e i s s t , u n d der F u f s boden ist von g l a t t g e s t a m p f t e m T h o n . Von der inneren E i n richtung ist wenig zu s a g e n , da sie sich v o n d e r , der russischen B a u e r n s t u b e n nicht u n t e r s c h e i d e t . D e r einzige CJebelstand dieser H ä u s e r ist, dass ein a n h a l t e n d e r R e g e n j e d e s m a l starke R e p a r a t u r e n e r f o r d e r t (nölhig m a c h t ? ) . Im D o r f e traf ich den K a m ( S c h a m a n ) . Er führte mich in sein H a u s , das a b e r so e n g u n d unheimlich a u s s a h , dass ich es hier nicht l a n g e a u s h a l t e n konnte. Ein kleines Z i m m e r war g a n z mit S a c h e n v o l l g e p f r o p f t , ein halbes D u t z e n d s c h m u t z i g e r , halbnackter Kinder wälzte sich auf der E r d e u m h e r ; auf dem B e t t e und H ä n g e b o d e n lagen einige s c h m u t z i g e W e i b e r und die A t m o s p h ä r e w a r so d i c k , dass das A l h m e n fast unmöglich w a r . D e r S c h a m a n zeigte mir seine Z a u b e r t r o m mel, die von der der Altajer b e d e u t e n d a b w e i c h t . Am N a c h m i t t a g e schrieb ich einige G e s ä n g e und Mährchen auf. E t w a um 4 Uhr kam der K a m zu mir. N a c h d e m ich ihn mit B r a n n t w e i n b e w i r t h e t , w u r d e er sehr g e s p r ä c h i g und dictirte mir einen G e s a n g beim Opfer. D i e U e b e r s e l z u n g davon l a u t e t w ö r t l i c h : D e r du dich o b e n befindest, H i m m e l A b y j a s D a s Grüne auf der E r d e hast hervorgerufen, Am B a u m e die Blätter hast hervorgerufen, Am S c h e n k e l das F l e i s c h hast wachsen lassen, Auf dem K o p f e die Haare hast h e r v o r g e r u f e n , D u Schöpfer des G e s c h a f f e n e n , Du Himmel des B e r e i t e t e n , Himmel, der du die S t e r n e h e r v o r g e b r a c h t ! Ihr s e c h s z i g Herren, die der Vater erhoben, D u Ü l g ö n P i , der du die Mutter e r h o b e n , Du S c h ö p f e r des G e s c h a f f e n e n , D u H i m m e l «¡es B e r e i t e t e n , Du H i m m e l der du die Sterne hervorgerufen. M ö g e G o t t Vieh g e b e n . M ö g e Gott B r o d g e b e n . M ö g e Gott dem Hause ein Haupt g e b e n
Kam
16
Historisch - linguistische Wissenschaften. Du Schöpfer der Geschaffenen, Du Himmel der Bereiteten! Vom weisen Vater bitte ich, Gieb deinen Segen mein V a t e r ! Helfe mein V a t e r ! Im Hause meinem Haupte! In der Heerde meinem Vieh! Vor dir verneige ich mich. Gott möge seinen Segen geben! Du Schöpfer des Geschaffenen! Du Himmel der Bereiteten!
Dieser K a m
ist
ein
ganz verständiger
Mann,
seinen Glauben von ganz anderer S e i l e zeigte.
der mir
E r sagte mir,
dass er sich nicht die geringste Macht über G e i s t e r ,
Krank-
heiten u. s. w. zutraue; sein Schamanisiren sei nur ein G e b e t , eine Fürbilte bei dein Herrn der W e l t ,
dem G o t t ,
der alles
geschaffen habe, und das Opfer sei nur ein Z e i c h e n der D e muth und der Ergebenheit die man Gott bezeuge, indem man ihm sein Eigenthum opfere.
Die Geister, die er anrufe, seien
nur Fürbilter bei dem Höchsten.
Bei dieser Gelegenheil sagte
er mir als B e w e i s seiner Worte umstehendes S c h a m a n e n g e b e l . Von den mythischen S a g e n des S c h a m a n i s m u s wollte er mir nichts m i t l h e i l e n ; Alles was ich von ihm erfahren konnte, war F o l g e n d e s :
Der höchste Gott
und pflege, sei Ü l g ö n der A r l i k die
ihnen
Ülgön
2
).
Ulgön
zur S e i t e
seien
der Alles geschaffen habe
oder Adam (!) '). und A r l i k stehen.
Die
haben
D a s böse Princip sei beide ihre Helden,
vornehmsten Helden
die erwähnten 6 0 Helden.
die Erhabensten M a n d i s c h i r e , M a i T e n e , S a l j i m a k Pajan
3
des
Unter diesen seien und
).
') Ü l g ö n heisst in tatar-türkischer Sprache s. v. a. grofs, vornehm. 5
) Dieser Name, das mongolische A r l i k , bedeutet auch bei den bud-
3
) M a n d i s c h i r e ist ohne Zweifel der verdorbene Name des Buddhas
dhagläubigen Mongolen den Fürsten der Unterwelt. M a nd s ch u s r i .
Seil.
Man sieht dass die Schamanen auch buddhistische
Genien in ihr Pantheon einlassen
Sch.
17
Reise durch den Altai.
S p ä t e r h i n ging der K a m mit mir im D o r f e u m h e r u n d zeigte mir eine Opferstelle. D a s Fell des O p f e r t h i e r e s h ä n g t nicht, wie bei den Altajern, an einer langen S t a n g e , s o n d e r n es ist zwischen zwei S t a n g e n in sitzender S t e l l u n g auf d e m Gerüste aufgestellt. Auch die T e l e u t e n w e i h e n d e m Gott n u r das Fell, das Fleisch essen sie selbst. Götzenbilder, s a g t e der K a m , hätten sie nicht, bei j e d e m Hause a b e r sei eine E h r e n s t e l l e der Gottheit g e w e i h t . Er zeigte mir hierauf, wie bei j e d e m H a u s e m e h r e r e kleine B i r kenstämine aufgestellt w a r e n , an denen H a s e n f e l l e hingen. Dieses Hasenfell darf nicht e h e r a b g e n o m m e n w e r d e n , als bis es zu faulen beginnt, dann w i r d ein n e u e s (und z w a r ein Winlerpelz) an neuen B i r k e n s t ä m m e n aufgestellt. Z w e i m a l im J a h r e , im F r ü h l i n g und im Herbst, wird hier dem V a t e r der E r d e und des H i m m e l s ( U l g ö n ) ein O p f e r gebracht, indem m a n das Fell mit Milch bespritzt. Am 14. M o r g e n s verliefs ich das T a t a r e n d o r f am O r und fuhr zum D o r f e S o l k o i (10 W e r s t ) . D e r W e g w a r g u t , n u r die Passage ü b e r den U r gefährlich, da die B r ü c k e sehr s c h a d haft, fast g a n z eingestürzt ist. S o l k o i ist ein grofses und reiches T a l a r e n d o r f ; es besteht aus m e h r als 6 0 Holzhäusern und 5 — 6 H ä u s e r n aus Flechtwerk. Da mich das U n g e z i e f e r in meinen vorigen Quartieren zu s e h r gequält, und s c h ö n e s w a r m e s W e t t e r w a r , liefs ich mein Zelt a u f s c h l a g e n , obgleich einige H ä u s e r von Aussen ziemlich reinlich schienen. In S o l k o i w o h n e n zur Hälfte A l s e h K ä s t i m zur Hälfte T e l e n g e t ; g e t a u f t e T a t a r e n sind sehr w e n i g e . S i e beschäftigen sich, wie die T a t a r e n am U r , mit A c k e r b a u u n d Viehzucht. In S o l k o i w o h n t ein Baschlyk (Saisan) u n d zwei S c h a m a n e n ; die beiden L e t z t e r e n waren aber so b e t r u n k e n , dass ich nicht das G e r i n g s t e von ihnen erfahren konnte. Ich hielt mich in S o l k o i bis zum 16. Abends auf, fand hier reiche Ausbeute und vervollständigte das Lied von K a n g r a P i , von A k K ö b ö k , u n d schrieb mehrere Märchen, G e s ä n g e und S a g e n auf. Von diesen S a Eriuac's ftuss. Archiv. Bd. XXIII. H. 4.
2
18
Historisch -linguistische Wissenschaften.
gen will ich nur eine mittheilen, die den Oirot-Fürsten S c h ü n ü betrifft, der nach Russland flüchtete. K o n g o d o i war der Oirot-Fürst. Dieser Fürst nahm zwei F r a u e n ; von der ersten Frau w u r d e ihm ein Sohn geboren; der Name dieses Sohnes w a r S c h ü n ü . Nachdem diese Frau gestorben, nahm K o n g o d o i eine andere. Von der zweiten Frau wurden ein Mädchen und drei Söhne geboren; A m y r - S a n a , T ä m i r - S a n a und K a l d a n - T s c h ä r ü waren die N a m e n der Söline. S c h ü n ü ging allein j a g e n ; er schoss einen rothen Fuchs und brachte ihn seinem Vater. Darauf ging A m y r - S a n a , T ä m i r - S a n a und K a l d a n T s c h ä r ü alle drei ebenfalls jagen; sie schössen nichts, sondern kamen leer zurück. S c h ü n ü ritt wiederum aus, um einen Tiger zu schiefsen. S c h ü n ü schoss einen Tiger, band ihn an einen Baum und kehrte zurück. Die drei Brüder gingen darauf auch aus, um einen Tiger zu schiefsen; sie sahen den an den Baum gebundenen Tiger und schössen darnach; obgleich sie schössen, fiel er nicht um. Als sie dort hin kamen, wars ein angebundener Tiger. A m y r - S a n a sagte: diesen angebundenen Tiger wollen wir nicht nehmen, S c h ü n ü wird sehr zanken. Als sie von dort nach Hause zurückgekehrt waren, sagten sie zu ihrem Vater: „Ach Vater! da sieh gut zu! du gieb nicht zu, dass dein ältester Sohn auf die Jagd geht, er ist ein schlechter Mensch, er wird dich tödten!" D e r Vater stimmte seinen drei Söhnen bei, und sie gedachten, ihn zu tödten. Sie machen S c h ü n ü betrunken, dem Betrunkenen rissen sie beide Schulterblätter aus, gruben ein Loch von 60 Faden in der Erde und stiefsen den S c h ü n ü hinein. Nach einiger Zeit kamen drei L e u t e , mit drei eisernen Bogen kamen sie. Diese drei Leute sagten zum Kongodoi: „ W e r mit diesen Bogen schiefst, dem werden wir Tribut zahlen, wenn Kongodoi nicht schiefsen kann, so zahle er uns den Tribut". Die drei Söhne konnten den eisernen Bogen nicht h e b e n , konnten nicht schiefsen, fürchteten sich und s a g t e n : „man uiuss nach S c h ü n ü sehen. Z u m S c h ü n ü
Reise durch den Altai. r i t t e n sie, n a h m e n ihn a u s d e m L o c h e ;
19 S c h i i n ü lebte noch.
J e t z t f r e u t e n sie sich, s c h l a c h t e t e n e i n e j u n g e S t u t e , Branntwein meinen
und
afsen F l e i s c h .
eigenen
Bogen
Schünü
holen".
Er
sagte:
brachte
tranken
Ich w e r d e
ihn.
Schünü
s c h o s s s e i n e n B o g e n ab, z e r s c h o s s die e i s e r n e S c h w e l l e s e i n e s Vaters. Bogen und
Jetzt
sagte er:
brachten sie;
sagte:
„Nehmt
macht euch fort".
Bringt
mir
Schünü doch
doch j e n e B o g e n !
s p a n n t e alle d r e i ,
diese
lächerlichen
die
schoss ab
Dinger
und
D i e drei M ä n n e r k e h r t e n j e t z t zinspflichtig
zurück. Amyr-Sana,
Tämir-Sana,
einten
sich u n d
ritten f o r t ,
ritten
sehr schnell.
erfrieren.
nach.
verSie
zurückgelegt,
Auf d e m W e g e traf er s i e ; j e t z t
e i n e K ä l t e h e r v o r , u n d liefs sie in d e r K ä l t e
S i e blieben auf d e m W e g e .
an und s a m m e l t e er auf
sie d e n h a l b e n W e g
Als
folgte i h n e n S c h ü n ü brachte S c h ü n ü
Kaldan-Tschärü
u m den T r i b u t e i n z u h o l e n .
d e n T r i b u t ein.
dem W e g e
Schünü
kam
vorher
Als e r z u r ü c k k e h r t e ,
drei M e n s c h e n .
Von
diesen s a g t e
traf
einer:
„ V o n d e i n e m V a t e r h a b e ich dir B r a n n t w e i n g e b r a c h t , t r i n k e ! " der
zweite Mensch
Branntwein; Schünü
giefse
sagte:
„Du
diesen
Branntwein
Schiinü
trinke den
nicht
Hunden
den hin!"
g o s s den B r a n n t w e i n d e m H u n d e hin, als d e r H u n d
ihn g e t r u n k e n , s t a r b er. Darauf kehrte S c h ü n ü
n i c h t z u r ü c k , s o n d e r n b e g a b sich
zur J u r t e seines Onkels A j a k k y ; dieser gab ihm seine T o c h ter.
Schünü
heirathete
diese
und
wohnte
daselbst.
A j a k k y alt g e w o r d e n , s a g t e er z u m S c h ü n ü :
„Du
Als
gebiete
m e i n e m V o l k e , ich s e l b s t bin alt g e w o r d e n u n d k a n n es nicht mehr regieren".
Als S c h ü n ü
ten s e i n e U n t e r t h a n e n :
so d a s Volk b e h e r r s c h t e ,
Dieser S c h ü n ü
g e r , e r soll n i c h t u n s e r H a u p t s e i n . flüchtete dessen
er,
sag-
ist ein N i c h t s w ü r d i -
Als S c h ü n ü
dies h ö r t e ,
b e g a b sich z u m R u s s e n - F ü r s t e n u n d w o h n t e in
Lande.
Eines
Tages
zerschoss
er
die
6 7 P f e r d e n d e s w e i s s e n C z a r s mit e i n e m P f e i l e .
Köpfe
von
Die R u s s e n
s a g t e n : W a s f ü r e i n e n M e n s c h e n d u l d e s t du, dieser z e r s c h o s s die H ä l s e
der P f e r d e ?
Der
Kaiser
b e z a h l t e die P f e r d e u n d 2*
20
Historisch-linguistische Wissenschaften.
s p r a c h : „ D i e s e n Menschen r ü h r t mir nicht a n ! m ö g e K r a s n o s c h o k o f f sein.
Sein N a m e
E s w u r d e n mir hier m e h r e r e G e g e n s t ä n d e g e z e i g t , die T e l e u t e n von i h r e n V o r f a h r e n e r e r b t h a t t e n .
die
1) Eine M ä n n e r m ü t z e . 2) Eine F r a u e n m ü t z e . 3) O h r ringe aus Silber. 4) B o g e n und Pfeile. 5) E i n e Zobelmiitze. Die ersten beiden Mützen w a r e n a u s s c h w a r z e m T u c h mit L a m m f e l l besetzt und g e f ü t t e r t . Die Z o b e l m ü l z e (K is p ö r i k ) , w a r a u s r o t h e m T u c h mit G o l d t r e s s e n besetzt und mit Z o b e l v e r b r ä m t , z u m G e b r a u c h der F r a u e n an F e i e r t a g e n . Diese Mützen und O h r r i n g e w e r d e n noch an F e i e r t a g e n g e t r a g e n . D e r B o g e n bestand aus vier S c h i c h t e n ; eine Schicht H o r n , d a n n eine S c h i c h t Holz, darauf eine S c h i c h t a u s S e h n e n , und zu oberst Birkenrinde. Die Pfeile w a r e n mit eisernen Spitzen. D i e O h r r i n g e sind von Silber sehr zierlich g e a r b e i t e t und fast alle W e i b e r t r a g e n n o c h dieselben. Als m a n ein w e n i g Z u t r a u e n zu mir g e f a s s l h a t t e , fing m a n a n , mir seine N o t h zu klagen. Auf die persönlichen K l a g e n k o n n t e ich, da es nicht m e i n e s A m t e s w a r , dieselben zu s c h l i c h t e n , nicht eingehen u n d v e r w i e s die betreffenden P e r s o n e n an d a s K r e i s g e r i c h t , d a g e g e n halle ich in F o l g e dieser U n t e r h a l t u n g den N u t z e n , dass ich m e h r e r e s nicht u n i n t e r e s s a n t e s ü b e r die hiesigen V e r h ä l t n i s s e e r f u h r . Die T a t a r e n blicken voll Neid auf die A n s i e d e l u n g e n der russischen B a u e r n in der E b e n e . V o r 5 0 J a h r e n , s a g t e n sie, w a r e n hier n u r sehr w e n i g e D ö r f e r , u n d das g a n z e Land g e h ö r t e uns. J e t z t sind überall D ö r f e r , der T a l a r e n w e r d e n von J a h r zu J a h r w e n i g e r , und das Land wird uns fast zug e m e s s e n . V e r g e b e n s s u c h t e ich ihnen zu verdeutlichen, dass das L a n d des hiesigen Kreises der K r o n e g e h ö r e , und dass sie d a r ü b e r zu v e r f ü g e n habe. Ich erzählte i h n e n , w i e in m e i n e r H e i m a t h es gar kein u n b e b a u t e s L a n d gäbe, und auch hier noch die d o p p e l t e Z a h l von Menschen w o h n e n k ö n n e ; indess w a r e n sie von i h r e r Meinung nicht a b z u b r i n g e n .
Reise durch den Altai. Recht
deullich zeigen
die C i v i l i s a t i o n muss.
die T e l e u l e n
sich selbst
und
Alle B e m ü h u n g e n sich
das Volk
den Einzelnen nomadisirende bau
und
Leben
leben
Ueberlieferungen
sich selbst.
weniger auf;
jetzt,
die
dass
entwickeln
Eingebornen
«Sibi-
vielen P u n k t e n gescheitert.
durch
immer
hiesiger Gegend, durch Noth
der K r o n e ,
r i e n s zu c i v i l i s i r e n , sind an bildet
zwar
21
wurde,
sie b a u t e n
obgleich
Hier
Als d e s L a n d e s hörte
bei
für
ihnen
Häuser, trieben
das
Acker-
s i e in a l l e n G e b r ä u c h e n
den
i h r e r V ä t e r h u l d i g e n , g a n z w i e die r u s s i s c h e n
Bauern. S e i t einigen J a h r e n gehört,
sie w e r d e n
hat
jetzt
die E r b l i c h k e i t d e r S a i s a n e
a u f drei J a h r e
officiell S t a r s c h i n a ( A e l t e s t e ) . g e s e t z t , dass sie die A b g a b e n zu e r l e g e n h a b e n . nenden
Teleuten
Letztere sehr
und sie die F e l l e , Trotzdem
sind
zufrieden.
—
sie
Der
sie
mit
fragten
n i c h t in F e l l e n , s o n d e r n in G e l d da
hier
abzuliefern,
erst
diesen
ob
zu i h n e n K o s a k e n
schicken
Ich versicherte ihnen waren
serst schädlich,
Baschlyk
dass
Schandy. Wasilii
es.
Die
sehr
dieser
man
A n g a b e , und
erfreut.
Die
des
äusan
Satzungen. e r r e i c h t e i c h den
fand
hier
fast v o m Dorfes
ein
waren
mir irgend
Mein W i r t h
mir
etwas
12 W e r s t
entfern-
bei d e m
früheren
mich
Morgen
fand N i e m a n d , der zeigte
sie
Verbreitung
die L e u t e im Halten
Ich quartierte
ein,
Wetter; Leute
befohlen
und sie zur T a u f e zwingen w ü r d e .
reinliches
und r i c h t e t e m i c h g a n z wohnlich ein. schlechtes
vor der T a u f e .
der Z a a r
lassen m ü s s t e n , und dass
sie befestigen
1 6 . A b e n d s spät
ten U l u s
nicht
ist d e r V e r b r e i t u n g d e s C h r i s t e n l h u m s denn
ihre ihnen überlieferten Am
ist
müssten.
durchaus
die T e l e u t e n
die U n w a h r h e i t
über diese Mittheilung
solcher Gerüchte
kaufen
Gewohnheitsthier.
es wahr sei,
h a b e , d a s s s i e sich a l l e t a u f e n
woh-
wenig Wild
Anordnungen
M e n s c h ist ein
mich,
heissen
A n o r d n u n g ist für die h i e r
G a n z besondere Angst haben Sie
und
Z u gleicher Zeit w u r d e fest-
vortheilhaft,
um
gewählt
auf-
Tages bis z u m
auf
dem
Zimmerchen
darauf war sehr Abend Felde,
hätte mittheilen
regnete und
ich
können.
die S o n n t a g s k l e i d e r seiner F r a u ;
sie
22
Historisch-Linguistische Wissenschaften.
waren
ganz
eigenthümlichen Schnitts u n d ,
w i e er m i r v e r -
sicherte, genau nach Art der Vorfahren gearbeitet. stickereien
davon
sollten
ererbt
sein.
Viele
Die G o l d -
der
reicheren
F r a u e n sollen d i e s e l b e K l e i d u n g noch j e t z t a n F e i e r t a g e n gleich mit den Z o b e l m ü t z e n t r a g e n . einem seidenen
f a s t bis zu d e n K n ö c h e l n r e i c h e n d e n
kleide mit k u r z e n A e r m e l n u n d mit Gold g e s t i c k t e m und Kragen. denen
ich
D e r Brustlatz
sechs
sehr
alte
ist
Unter-
Brustlatz
besetzt,
mit K n ö p f e n
fand.
Ueber diesem
unter
Unterkleide
t r ä g t m a n eine bis a n die K n i e r e i c h e n d e J a c k e von ben Z e u g e , wie das Unterkleid.
zu-
Das Costüm besteht aus
demsel-
D i e A e r m e l des O b e r k l e i d e s
r e i c h e n bis zur H a n d w u r z e l , sind e n g u n d a n s c h l i e f s e n d , u n d überhaupt näht.
findet
m a n an den K l e i d e r n n i r g e n d s F a l t e n
ange-
D e r K r a g e n d i e s e r O b e r j a c k e ist e t w a drei Z o l l breit
u n d r e i c h t bis ü b e r die B r u s t ;
er ist a u s s c h w a r z e m
mit S e i d e u n d G o l d b o r t e n b e s e t z t , gen
zwei
seidene
Quasten
mit
und
Plüsch,
an j e d e m E n d e h ä n -
Goldschnüren.
Die
Gold-
s c h n i i r e w a r e n s e h r alt. An W a f f e n f a n d ich hier 1) e i n e n K ö c h e r a u s L e d e r , d a s Gestelle w a r cherte,
v o n Holz.
auf d e r B r u s t ,
Man t r ä g t i h n , den Riemen
2) E i n e n g u t e r h a l t e n e n P f e i l ;
w i e m a n mir v e r s i -
ü b e r d e n Hals g e h ä n g t .
das Eisen und der Pfeilstock
w a r e n in e i n e r g e l b e n E l f e n b e i n k u g e l b e f e s t i g t ; die E l f e n b e i n kugel w a r
durchlöchert.
Der Götterstätte
bei d e n H ä u s e r n
als in den f r ü h e r b e s u c h t e n D ö r f e r n .
ist hier
eine a n d e r e ,
E s ist eine R e i h e von
e t w a 1 0 — 1 5 B i r k e n s t ä m m e n , die mit vielen w e i s s e n B ä n d e r n b e h ä n g t sind. Am 17. n a c h T i s c h e
verliefs
ich
den U l u s
u n d w a n d t e m i c h d e m U l u A i l ( g r o f s e s D o r f ) zu. Ail
ist
dörfer, zählt.
jedenfalls
das
g r ö f s t e Dorf
da es ü b e r 100 H o l z h ä u s e r I c h s t i e g im H a u s e des
aller hiesigen und etwa
nen gelernt hatte, ab. sehr freundlich.
Der U l u Teleuten-
20 Erdjurten
Baschtyk N i k o l a i ,
v o r drei J a h r e n bei m e i n e r D u r c h r e i s e
Schandy
d e n ich
d u r c h dies D o r f k e n -
E r e m p f i n g m i c h als a l t e n
S p ä t e r h i n e r s u c h t e ich i h n ,
Bekannten
mir die S ä n g e r
Reise durch den Altai.
23
des Dorfes kommen zu lassen, worauf er bereitwillig einging und etwa 20 derselben rufen liefs. Diese Leute waren willfähriger, als ich es irgendwo gefunden h a b e ; dies benutzend arbeitete ich mit ihrer Hülfe bis spät in die Nacht und am andern T a g e bis nach Tische. Hier vervollständigte ich besonders die historischen Lieder Ak K ö b ö k , S a k t y B a i , die fünf Kirgisen, und zeichnete ein Mährchen auf. Die Sprache dieser T e l e u t e n ist vollständig dieselbe, wie die der T e l e u t e n des A l t a i ( M u i t u , U l a t u etc.), es sind hier nur mehrere russische Wörter eingedrungen. Ausser den hier schon genannten Teleutendörfern befinden sich in der Umgegend noch eine ganze Anzahl kleinerer Dörfchen ( S c h a r l u O c h s o l ) die sich fast bis zum T o m s k i s c h e n S a w o d (Kusnezk) hinziehen. Nach Aussage der Eingebornen ist die ganze Steppe dicht mit Teleutenstämmen wie besäet g e w e s e n , die unter Anführung des M a m y l und B a l y k aus den I r t i s c h - E b e n e n hier einwanderten. Ein Theil derselben ist verrusst und lebt jetzt noch als J a s s a k - B a u e r n , ein anderer Theil dagegen ist in den A l t a i ( M u i t u , U l a l u , S c h a m a l ) ausgewandert, und der Rest nach T o m s k und M i n u s i n s k gezogen. Jetzt sind wohl nur höchstens ein paar Tausend Teleuten hier ansässig. Früher waren die hier wohnenden T e l e u t e n in vier Saisanschaften getheilt, die jelzt in Woloste verwandelt sind. Die hier vorkommenden Geschlechtsnamen sind: a) T e l e u t e n : 1) T o r o , 2) O t s c h u , 3) M ä r k i t (alt M y r k y t ) , 4) Ak T u m a t , 5) K a n a T u m a t , 6) T s c h o r o s , 7) S a r t , 8) K y p t s c h a k , 9) N a i m a n , 10) T ö l ö s , 11) T o r g u l , 12) M u n d u s , 13) K o t s c h k o r - M u n d u s , 14) T o t o s c h , 15) P u r u t , 16) T s c h a l m a n . b) A t s c h - K ä s c h t i m 1) J u l y , 2) T ö r t Ai (vier Hermeline), 3) T s c h ü n g ü s Ang. Die Saisanwürde war früher erblich. Die Geschlechter derselben w a r e n :
24
Historisch -linguistische Wissenschaften.
1. S a i s a n s c h a f l (Atsch-Käschtim) J u t y 2. (Telengel) Tschoros 3. Totosch 4. Tschalman. E i g e n t h u m s z e i c h e n haben die T e l e u t e n g e s c h l e c h l e r nicht aufzuweisen. Es fiel mir a u f , d a s s , obgleich die T e l e u t e n sich m e r k w ü r d i g w e n i g d e m russischen Einflüsse e r g e b e n h a b e n , doch die meisten Individuen dieses Völkchens russische N a m e n tragen. D a r a n ist a b e r , w i e ich erfahren h a b e , die s o n d e r b a r e N a m e n g e b u n g der Kinder S c h u l d . W e n n ein Kind g e boren i s t , so erhält es nämlich den N a m e n desjenigen Mens c h e n , w e l c h e r zuerst das Z i m m e r der W ö c h n e r i n betritt '). Ist das n e u g e b o r e n e Kind ein Knabe, so giebt der zuerst eint r e t e n d e Mann d e m K i n d e seinen N a m e n , ist es ein Mädchen, so die zuerst in das W o c h e n z i m m e r e i n t r e t e n d e F r a u . Eine a n d e r e sehr m e r k w ü r d i g e Sitte ist das f r ü h e V e r heirathen der K n a b e n . G e w ö h n l i c h n i m m t der V a t e r f ü r seinen oft n u r 8 J a h r alten S o h n eine F r a u ins Haus, dies ist nicht ein kleines K i n d , s o n d e r n ein e r w a c h s e n e s Mädchen. Diese S c h w i e g e r t o c h t e r arbeitet im H a u s e u n d besorgt alles für i h r e n Mann. Gefällt d e m S o h n e , w e n n er e r w a c h s e n ist, seine F r a u nicht, so kann er sie zurückschicken, der g e z a h l t e Kalym g e h t a b e r v e r l o r e n . D i e T e l e u t e n versichern indess, dass sie sich eines solchen Falles nicht entsinnen könnten. Die Hochzeitsfeierlichkeiten selbst b e s t e h e n wohl meist im Essen und T r i n k e n ; die einzige C e r e m o n i e ist das S e g n e n der S c h w i e g e r t o c h t e r bei der G ö t t e r s t ä t t e u n d das H e r u m f ü h r e n d e s B r a u t p a a r e s im Dorfe, w o sie b e s c h e n k t w e r d e n . W i e bei den A l t a j e r n , k ö n n e n sich P e r s o n e n , G e s c h l e c h t s n a m e n f ü h r e n , nicht h e i r a t h e n .
die einen
D a s s die T e l e u t e n ihre Leichen auf B ä u m e n bestatten sollen, wie Pallas s a g t , h a b e ich n i r g e n d s bestätigt g e f u n d e n . ') Sind denn die Besucher Teleutischer Wöchnerinnen Russen?
grölstentheils
25
R e i s e durch den Altai.
Alle T e l e u t e n b e h a u p t e n , dass sie die Leichen in d e r E r d e bestallen und leugnen auf das Bestimmteste, dass der e r w ä h n t e G e b r a u c h bei ihren V ä t e r n j e m a l s s t a t t g e f u n d e n hat. Als von den V ä t e r n e r e r b t e S a c h e n w u r d e n mir g e z e i g t : 1) eine a n d e r e Art O h r r i n g e , 2) eine M a l a k a i g e n a n n t e P e l z m ü t z e , 3) ein Oberkleid der M ä n n e r aus gelbrothem W o l l e n zeug mit s c h w a r z e n S c h n ü r e n u n d silbernen Knöpfen besetzt. Dasselbe wird ü b e r dem H e m d e g e t r a g e n , ist ohne A e r m e l und K r a g e n und der R ü c k e n glatt u n d o h n e Besatz. An den Vorderschöfsen sind zwei T a s c h e n . Die T e l e u t e n n a n n t e n dies Kleidungsstück K a m s a l (Kamisol) oder K ü s m ö . D a s g e w ö h n l i c h e musikalische I n s t r u m e n t , T s c h ö r t m ä g e n a n n t , ist dasselbe w i e bei den A l t a j e r n , es ist roh a u s Holz gearbeitet und der R e s o n a n z b o d e n aus Füllenfell; die Saiten a u s nicht g e d r e h t e m P f e r d e h a a r . Z u m S c h l u s s will ich n o c h d a s j e n i g e , w a s ich von dem gröfsten aller historischen G e s ä n g e — die S a g e des Ak Köbök — erfahren habe, wörtlich miltheilen.
Ak 1.
Des Ak K ö b ö k
Köbök.
gesprochenes
Wort,
ein Wort das man in die T a s c h e steckt, für den H ö r e n d e n ein w i c h t i g W o r t für B ö s e N i c h t h ö r e n d e ein u n t a u g l i c h e s Wort. 2.
D e s K ö b ö k Herren g e s p r o c h e n e s Wort, ein W o r t das man ansieht und e i n s t e c k t , für die Wissenden ein bekanntes Wort, für die B ö s e n U n w i s s e n d e n ein untauglich
3.
Köbök Kobök
Wort.
durchschreitet den S e e
macht den Weg über den kahlen Berg. Wenn ein vortrefflicherer Mann als K ö b ö k geboren würde er eine Brücke über das Meer machen.
A k K ö b ö k singt im Leibe seiner M u l l e r : 4.
Unter dem Ufer hast du den W e g gemacht, verbergend hast du den K ö b ö k
vollendet,
würde,
26
Historisch - linguistische Wissenschaften. u n t e r dem Wasser hast du den Weg gemacht unehelich hast da den K ö b ö k vollendet. 5.
Die breite Seide dreimal a b r e i s s e n d , bereite mir die Windeln, das Rindenholz d r e i m a l biegend bereite mir die Wiege.
6.
Die dicke Seide dreimal abreissend bereite mir die Windeln, das Birkenholz dreimal liiegend bereite mir die W i e g e . D i e Mutter
singt:
7.
Die b r e i t e Seide dreimal abreissend, bereite ich die Windeln und w a r t e , das Rindenholz dreimal biegend bereite ich die Wiege und warte.
8.
Die dicke Seide dreimal abreissend, bereite ich die Windeln und warte, das Birkenholz dreimal biegend b e r e i t e ich die Wiege und warte. Ak
9.
Köbök
singl:
Von H a a r s e i d e reisse die Windeln; vierzig Ammen versammle, von f e s t e r Seide reisse Windeln neun Ammen versammle. D i e Mutter v e r s a m m e l t e
Windeln. Ak
Einen Sohn
Köbök.
gebar
die A m m e n ; sie,
seinen
riss a u s S e i d e Namen
nannte
E i n e n T a g b l i e b d e r K n a b e in d e r W i e g e ,
z w e i t e n T a g e zerbrach er seine W i e g e u n d stand a u f ' ) . w i l l F i s c h e f a n g e n , s a g t e er. dem W e g e
die sie am Ich
E r g i n g a u f d e n F i s c h f a n g , auf
traf e r d e n K ö d ö n
Pi.
Ködön
Pi sagte:
Wo-
') D e r finnische Sagenheld K u l l e r w o z e r s p r e n g t am dritten T a g e nach seiner G e b u r t die Windeln in die man ihn gewickelt h a t : Kaiewala, R u n o 31, V. 55—60. Sch.
Reise durch den Altai.
27
hin gehst du mein K i n d ? D e r K n a b e a n t w o r t e t e : W o h i n soll ich g e h e n , ich will F i s c h e fangen g e h e n . K o d o n P i s a g t e : W i e heisst du d e n n ? W i e soll ich h e i s s e n , ich heisse A k K ö b ö k . K o d o n P i s a g t e : Ich dachte dich, w i e die S a h n e der Milch ( K ö b ü k , S a h n e ) einzugiefsen und zu trinken. Ak K ö b ö k s a g t e : W i e heisst d u ? K ö d ö n P i s a g t e : Ich heisse K ö d ö n P i . A k K ö b ö k s a g t e : „ D e s Viehes Hintertheil (Ködön der H re) m ö c h t e ich e s s e n , dich des Menschen Hintertheil esse ich nicht". Von d o r t ging A k K ö b ö k und fing F i s c h e ; er n a h m sie und k e h r t e zurück. K ö d ö n P i k e h r t e a u c h z u r ü c k . In seinem H a u s e lag ein f r ü h e r g e b o r n e r S o h n M a n g y t noch in der W i e g e . Als K ö d ö n P i z u r ü c k g e k e h r t w a r , zankte er seinen S o h n a u s : „ H a s t du keine S c h a m , du liegst noch, A k K ö b ö k hat seine W i e g e z e r b r o c h e n u n d geht schon. A k K ö b ö k s a n g in seinem H a u s e : 10.
Fünf und zwanzig Künstler versammelt, verfertigt die Spitze meiner Lanze! fället fünf und zwanzig Bäume, verfertigt den Schaft meiner Lanze.
11.
Fünf und verfertigt schneidet verfertigt
vierzig Künstler versammelt, die Scheide meines Schwertes, ab fünf und vierzig Hörner den Griff meines Schwertes!
Als man die L a n z e und das S c h w e r t verfertigt h a l t e , hatte Ak K ö b ö k noch kein P f e r d . A k K ö b ö k ging deshalb zu seinem Onkel u n d bat von ihm ein P f e r d . Sein Onkel gab ihm ein P f e r d . A k K ö b ö k s e g n e t e seinen Onkel. 12.
Im Frühling und Herbst das Vieh scheerend, mögest du viele Füllen haben, im Frühling und Herbst das Vieh scheerend, mögest du viele Füllen haben.
A k K ö b ö k bestieg das g e g e b e n e P f e r d und ritt fort. Auf der E b e n e stieg er v o m P f e r d e und zog mit dem S c h w ä n z e
28
Historisch - linguistische Wissenschafton.
ihm die Haut ab, selbst
lief
Fleisch
zog,
ohne
Haut
die V ö g e l
seinem Onkel,
z o g und behielt die H a u t , davon.
gefressen.
bat
wieder
Auf Ak
um
der
Köbök
ein
ging
Pferd.
i h m kein P f e r d , d a h e r f l u c h l e i h m A k 13.
Ebene
das Pferd haben
sein
wieder
Sein Onkel
zu gab
Köbök:
Die Pferdeschlinge fassend, möge der Dieb in dein Vieh einfallen! den Schweif der P f e r d e packend möge der Wolf in dein Vieh einfallen.
D e r W o l f und der D i e b ergriffen g e m ä f s d e m F l u c h e des Ak K ö b ö k Köbök
das Vieh
zum
ein P f e r d .
lödteten es.
Als
und g i n g n i c h t w e i t e r :
daher
preist A k
Von den wogenden Häuptern des Grases ernährt, bist da geboren K y z y l U r auf fünf und dreissig Weideplätzen dich erquickend bist du geboren K y z y l Ü r .
15.
Von bist auf bist
16.
Der K y z y l U r ist muthig, wie geschnittenes Schilf ist sein Ohr, auf dem Grase ist sein Huf, wie geschnittenes Schilf ist sein Ohr.
17.
In seinem Ohr ist eine Quelle, Sclaven leeren sie nicht trinkend, an seinem Schweife ist Perlmutterschnur für alle Mädchen ist es zu viel.
Das
Ak legte Kö-
Pferd.
14.
umher. Jahren
und
Als dieses aus dem Hofe heraus g e g a n g e n ,
es sich nieder b ö k sein
des Onkels
dritten M a l e k a m , g a b i h m der O n k e l w i e d e r u m
den wogenden Häuptern des Grases ernährt, du geboren K y z y l U r fünf und fünfzig Weideplätzen dich erquickend du geboren K y z y l Ür.
Pferd In
lief
jetzt
allen Ländern
kehrte
weiter. hielt
Darauf er
sich
er n a c h H a u s e zurück.
ritt auf.
A l s er
Köbök Nach
viel vielen
zurückgekehrt
R e i s e durch den Alta
29
war, pries er seinen Vogel (Jagdfalken) und seine Waffen und sang: 18.
Des hast das hast
Elennthier-Kopfes hartes Eisen du z e r s c h m e t t e r t , o F a l k e ! z u s a m m e n g e s c h m i e d e t e feste Eisen du z e r t r e t e n o F a l k e !
19.
Im Schoofse der weissen E b e n e hast du dich g e n ä h r t , o F a l k e ! unter den weissen Wolken hast du genistet, o F a l k e !
20.
Im Schoofse der blauen E b e n e hast du dich g e n ä h r t , o F a l k e ! über den blauen Wolken hast du genistet, o F a l k e !
21.
Aus bist Von bist
22.
Aus fünt und vierzig Baumstämmen bist du verfertigt, o mein S c h w e r t g r i l f !
fünf und dreissig Baumstämmen du v e r f e r t i g t , o mein S p e e r s c h a f t ! fünf und dreissig versammelten K ü n s t l e r n du geschmiedet, o meine S p e e r s p i t z e !
von fünf und vierzig versammelten Künstlern bist du geschmiedet, du S c h w e r t k l i n g e ! 23.
Im dunkeln Schwarzwalde der die Sonne nicht sieht bist du geschnitten, mein P e i t s c h e n s t i e l ! von versammelten S i l b e r a r b e i t e r n a u s g e l e g t bist du, mein P e i t s c h e n s t i e l !
24.
Im dunkeln S c h w a r z w a l d e der den Mond nicht sieht bist du geschnitten, mein P e i t s c h e n s t i e l ! von versammelten G o l d a r b e i t e r n bist du ausgelegt, mein Peitschenstiel!
25.
Aus dem L e d e r des beschnittenen Ochsen bist du sechsfach geflochten, o P e i t s c h e n r i e m e n ! aus dem sap j a p a ^ vierjährigen Ochsen bist du vierfach geflochten, o P e i t s c h e n r i e m e n !
30
Historisch - linguistische Wissenschaften. A k K ö b ö k hatte einen Bruder.
Z u s e i n e m Bruder s a g t e
Ak K ö b ö k :
„Lass uns in den Krieg ziehen"; beide ritten in
den
Auf
Krieg.
dem
Wege
fürchtete
sich
der
Bruder
und sang: 26.
Wenn es grofse Flocken schneiet wird yiel schneien, mein K ö b ö k ? der jüngst gekommene Gesandte wird er sterben, mein K ö b ö k ?
27.
Wenn der Schnee herabwirbelt wird yiel schneien, mein K ö b ö k ? der heute gekommene Gesandte wird er sterben, mein K ö b ö k ?
28.
Wie was Wie was
Geklirr tönt es mir, bedeutet das, mein K ö b ö k ? Schneeflocken flimmert es mir, bedeutet das, mein K ö b ö k ?
29.
Wie was Wie was
Gerassel tönt bedeutet das, Schneewirbel bedeutet das,
Köbök
es mir, mein K ö b ö k ? flimmert es mir, mein K ö b ö k ?
antwortet s e i n e m
Bruder:
30.
Was wie ein Geklirr dir tönt, ist es nicht ein blitzendes Schwert? Was wie Schneeflocken flimmert ist es nicht eines Pferdes Mähne?
31.
Was dir wie Gerassel tönt ist es nicht ein Brustbarnisch? Was dir wie Schneeflocken schimmert, ist es nicht ein Pferdeschweif?
W i e d e r u m ritten sie ; w i e d e r u m fürchtete sich der Bruder und s a n g : 32.
In der grofsen Steppe ist schwer zu reiten, wer wird uns anführen, mein K ö b ö k ?
31
Reise durch den Altai. Wenn der Schalen immer mehr werden, wer wird sie austrinken, mein K ö b ö k ? 33.
Die grofse F u h r t ist schwer zu durchreiten, wer wird uns anführen, mein K ö b ö k ? Wenn der Schalen immer mehr werden, wer wird sie leeren, mein K ö b ö k ?
Ak K ö b ö k
singt:
34.
Was ist das Schnellste unter den Läufern, ist etwas schneller als die Antilope? Wenn die Antilope ermattend still hält, wird ihn überflügeln der K y z y l Ü r !
35.
Was ist das flüchtigste unter den Vögeln, ist ein flüchtigerer Vogel als der Rabe ? Wenn der Rabe ermattet und still hält, wird ihn überflügeln der K y z y l Ü r !
J e t z t bittet d e r B r u d e r d e n A k 36.
An den F u f s der Doppel-Birke binde dein Packpferd, mein K ö b ö k . Wenn du dein Packpferd angebunden, entlasse mich, A k K ö b ö k .
37.
An den F u f s der gespaltenen Birke binde dein Pferd, mein K ö b ö k . Wenn du dein Pferd angebunden, entlasse mich, Ak K ö b ö k .
Köbök
entlässt
entfliehen will, s i n g t zutn 38.
nicht
seinen Bruder.
packt K ö b ö k
den Zügel
Als
sein
Bruder
seines Pferdes und
Pferde: Auf deinem Wege dorthin mögen sechszig Menschen stürzen! Auf deinem Wege hierher mögen fünfzig Menschen stürzen!
D a s Pferd sich
Köbök:
in d e n
hört d i e S t i m m e
Krieg.
Der Bruder
des A k K ö b ö k wollte
und
sich z w i s c h e n
stürzt zwei
32
Historisch -linguistische Wissenschaften.
grofsen Bäumen aufhalten und packt die beiden Bäume mit beiden Händen, reisst aber beide Bäume mit der Wurzel heraus und das Pferd dringt in den Krieg. 39.
Auf seinem W e g e dorthin stürzen sechszig Menschen. Auf seinem W e g e hierher s t ü r z e n fünfzig Menschen.
J e U t ging K ö b ö k selbst in den Krieg, tödtele das zurückgebliebene Heer, und kehrte zurück auf seinem Schimmel. Sein Pferd halle vierzig Wunden, K ö b ö k selbst hatte dreissig W u n d e n . Auf dem W e g e tra^ er auf ein Dorf, >die Töchter des Dorfes singen und preisen den Ak K ö b ö k : 40.
Des weissen Schimmels Schritte seine Schritte kommen zu uns. Des A k K ö b ö k F r ö h l i c h k e i t seine F r ö h l i c h k e i t kommt zu uns.
41.
Des blauen Schimmels Schritte seine Schritte kommen zu uns. Des K ö k K ö b ö k F r ö h l i c h k e i t seine F r ö h l i c h k e i t k o m m t z u u n s !
42.
Ak K ö b ö k deinen Schimmel binde an den goldnen P f a h l ! Komme, o A k K ö b ö k ! U e b e r n a c h t e bei uns, A k K ö b ö k !
43.
K ö k K ö b ö k deinen blauen Schimmel binde an den silbernen P f a h l ! K ö k K ö b ö k o komme, U e b e r n a c h t e bei uns K ö k K ö b ö k .
Ak K ö b ö k übernachtete daselbst; nachdem er übernachtet stand er am Morgen auf stieg zu Pferde und sang zurückkehrend: 44.
Wo des P f e r d e s Pflock eingeschlagen, dort ist die Stelle des Pflockes. Wo des Mannes Zügel g e h a l t e n d o r t ist die Stelle des Zügels.
33
Reise durch den Altai.
E r ritt, und r i t t , k a m n a c h H a u s e zurück. In seinem D o r f e w a r seine einzige j ü n g e r e S c h w e s t e r n i c h t , mit d e m S o h n e des K ö d ö n P i , mit M a n g y t h a t t e sie sich v e r m ä h l t . K ö b ö k P i w u r d e zornig. N a c h dem D o r f e des M a n g y t ging e r , u m seine j ü n g e r e S c h w e s t e r zu holen g i n g er. S e i n e S c h w e s t e r erblickte den K ö b ö k und s a n g : •45.
Des weissen Schimmels Lauf sein Lauf kommt zu uns. Des fröhlichen K ö b ö k s Fröhlichkeit seine Fröhlichkeit kommt nicht.
ifi.
Des blauen Schimmels Lauf sein Lauf kommt zu uns. Des schönen K ö b ö k s Fröhlichkeit, seine Fröhlichkeit kommt nicht.
47.
Den goldnen Teller mit Speisen bereite, erwarte den K ö b ö k ! Den silbernen Teller mit Speisen bereite, erwarte den K ö b ö k !
Mangyt kam jetzt dem K ö b ö k e n t g e g e n und erstach das P f e r d d e s Ak K ö b ö k . Köbök s a g t e : „ D u v e r s i e h s t g u t zu s t e c h e n " und s c h l u g dem Mangyt den Kopf ab. D a r a u f n a h m K ö b ö k seine S c h w e s t e r u n d k e h r t e nach H a u s e zurück. Als er n a c h H a u s e z u r ü c k g e k e h r t w a r , v e r w a n d e l t e er sich in einen Koch und ging w i e d e r fort. K ö d ö n P i (des M a n g y t s V a t e r ) s u c h t e den A k K ö b ö k u n d b e g e g n e t e ihm auf d e m W e g e ; da f r a g t e er i h n : „ H a s t du den K ö b ö k g e s e h e n ? " K ö b ö k s a g t e : „ j a , ich h a b e ihn g e s e h e n , w i e a b e r w i r s t du ihn t ö d l e n ? K ö b ö k s List ist grofs". W i e ist d e n n seine L i s t ? f r a g t e K ö d ö n P i . K ö b ö k s a g t e : Ich will dir des K ö b ö k s List lehren. Da s a g t e A k K ö b ö k : „steige auf die Spitze des B e r g e s , ich will schiefsen, du f a n g e mit den Z ä h n e n m e i nen Pfeil auf!" K ö b ö k schoss, des K ö d ö n Z ä h n e z e r s c h m e t terte er. K ö b ö k f r a g t e : „ H a s t du's g e l e r n t ? " K o d o n s a g t e : J a ! ich hab's g e l e r n t . Brman's Russ. Archiv. Bd. XXIll. H. ].
3
Historisch-linguistische Wissenschaften.
34
Wiederum
suchte
Kodon
Pi
den
P i fragte:
Köbök,
wiederum
trafen sich beide.
Kodon
„ H a s t du den
gesehen?" K ö b ö k
s a g t e : „ J a ich h a b e ihn g e s e h e n , e r ist in
den S e e g e g a n g e n , da g e h auch h i n e i n ! " K ö d ö n Als er hinein g e g a n g e n , liefs
den K ö d ö n
Ködön Hast
Pi
du
einfrieren,
liegt im S e e .
nun
meine List
brachte
des
Köbök List
liels
und
e r ihn frieren,
sagte: Jetzt komm heraus! gelernt?
so s a g e n d
ging hinein.
Kälte hervor,
drei T a g e
Köböks
ist g r o f s ! "
Köbök
Köbök
schnitt
Ich bin
Köbök,
e r des K ö d ö n
Pi
K o p f ab.
Dritter
Brief.
Ulus T o s a m Mras den 2 8 . M a i . / 9 . Kusnezk hatte,
wie S i e
aus
meinem
letzten B r i e f e e r -
s e h e n haben w e i d e n ,
s e h r w e n i g Anziehendes
ich w a r froh
es im K ü c k e n hatte.
als ich
Juni.
für mich und
Meinen
Tarantas
inusste ich in der S t a d t z u r ü c k l a s s e n , da d e r W e g n u r n o c h eine
sehr
kurze S t r e c k e
zu W a g e n
s t e l l t e m i r d a h e r auf d e r P o s t
passirbar war.
zwei möglichst
kleine
Ich b e Bauer-
T e l e g e n und in diesen verliefs ich a m '21. M a i / 2 . J u n i M o r g e n s die S t a d t . II.
Tataren
im
Tom-Gebiet.
D e r W e g führte zuerst in die T o m - N i e d e r u n g hinab und schlängelte
sich
vom Flusse
wohl
fernt, in dieser N i e d e r u n g entlang. dichtem
Gestrüpp
durchschnitten.
bedeckt
und
ein
bis z w e i W e r s t
ent-
D i e g a n z e E b e n e ist mit
von
vielen
kleinen
Bächen
D e r W e g w a r s c h l e c h t und k o n n t e nur l a n g -
s a m passirt w e r d e n , denn bald w a r d e r B o d e n mit s t e i n i g e m Gerölle bedeckt,
bald so s u m p f i g ,
d a s s die R ä d e r im
Sumpf
s t e c k e n b l i e b e n ; a m u n b e q u e m s t e n sind die vielen B ä c h e und W a s s e r r i n n e n zu d u r c h f a h r e n , da an den Ufern d e r W e g wöhnlich
sehr
steil abfällt.
Nachdem
wir 12 W e r s t
g e l e g t , e r r e i c h t e n wir w i e d e r u m den T o m ,
ge-
zurück-
der hier a u f e i n e r
Reise durch den Altai. F ä h r e passirt w e r d e n rnusste. halbe W e r s t
von d e m s e l b e n
35
Am j e n s e i t i g e n U f e r e t w a e i n e entfernt,
liegt
das D o r f
AHa-
ina n o w a . D e r W a s s e r s t a n d des T o m Aussage
der B a u e r n
war
es
w a r s e h r h o c h , und nach der unmöglich,
zu W a g e n
weiter
v o r z u d r i n g e n , es m u s s t e d e s h a l b mein G e p ä c k a u f z w e i B o o t e geladen werden Tom
und
Die Boote bis
w i r setzten den W e g zu W a s s e r ,
den
s t r o m a u f w ä r t s , fort.
12 Fufs
der russischen B a u e r n
lang
und
B a u m s t a m m (Pappel)
gearbeitet
in l a n g e S p i t z e n aus.
sind h i e r u n g e f ä h r
IJ! Fufs breit.
einem
und laufen an beiden
Enden
wird
von
sind
10
aus
Jedes Boot
Sie
zwei
Menschen
f o r t b e w e g t , die es mit l a n g e n S t a n g e n am seichten Ufer e n t lang stofsen.
D e r K u d e r bedient
eine Untiefe k o m m t , ren
oder
wenn
man man
sich nur d a n n , den
Fluss
wenn
durchfah-
muss. Der T o m
ist a u f d e m g a n z e n W e g e ziemlich breit und
liegen in ihm viele mit W e i d e n g e s t r ü p p b e d e c k t e Inseln.
Am
linken Ufer
Ge-
ist
durchgängig Niederung
büsch b e w a c h s e n ;
und mit dickem
am r e c h t e n U f e r zieht sich eine
ununter-
b r o c h e n e H ü g e l k e t t e e n t l a n g , die dicht mit T a n n e n und B i r k e n b e w a c h s e n i s t , und nur s e h r selten bricht das G e s t e i n stein) durch und wird Das
Fahren
(Sand-
sichtbar.
zu W a s s e r
ist
durchaus
nicht
angenehm,
man k o m m t nur s e h r l a n g s a m fort und die Hitze ist auf d e m W a s s e r unerträglich.
D i e Ausdauer der F ä h r l e u t e ist zu b e -
w u n d e r n , die diese u n u n t e r b r o c h e n e A n s t r e n g u n g s t u n d e n l a n g aushalten
können.
reichten w i r das
Abends
wird g e w ö h n l i c h P r o t o k a an e i n e m
kurz
vor
Dorf B e s r u k o w a
Sonnenuntergang
Dieses Dorf
(Flussarm) genannt,
weil es sich
bedeutenden Arme
des T o i n
befindet.
in eine r u s s i s c h e und in eine t a t a r i s c h e H ä l f t e ; u n g e f ä h r eine h a l b e W e r s t w e i t e r Da
es
ziemlich
spät
er-
(25 Werst).
Es
zerfällt
l e t z t e r e liegt
stromaufwärts.
geworden,
so b e s c h l o s s ich
hier
zu ü b e r n a c h t e n , natürlich in dem t a t a r i s c h e n T h e i l e des D o r fes.
Die t a t a r i s c h e Hälfte desselben m a c h t einen j ä m m e r l i c h e n 3*
Historisch-linguistische
36 Eindruck;
sie
bestellt
Wissenschaften.
aus 2 0 — 2 5
kleinen
halb zerfallenen
Holzhiillen von halb zerstörten Zäunen u m g e b e n .
Die Häuser
stehen unregelmäfsig durcheinander und der freie R a u m zwischen ihnen ist fufshoch
mit Kolh bedeckt.
Fast vor j e d e m
Hause brannte ein F e u e r , an w e l c h e m ein Kessel mit S p e i s e n kochte.
Kund um das F e u e r safsen zerlumpte Männer, W e i b e r
und Kinder Aeltesten
bunt durcheinander.
(Starschina
und
Ich ging
in das Haus
tatar. Paschlyk)
nächsten T a g die P f e r d e zu bestellen. w a r fast das schlechteste im Dorfe.
um
mir
D a s Haus des Paschlyk S e i n e Kleidung war zer-
rissen und hing nur in Fetzen um seinen Körper. Kopf hatte er anstatt Taschentuch treter
Um seinen
der Mütze ein zerrissenes
gewunden.
Dieser P a s c h l y k ,
des ganzen D o r f e s ,
des
für den
ein
schmutziges wahrer
Ver-
berief die Gemeinde zu s i c h ,
über die Gestellung der Pferde zu berathen.
um
Es dauerte nicht
eine Viertelstunde,
so waren alle männlichen Einwohner des
Dorfes versammelt.
In der Milte der Versammlung auf einem
Pfahle halte der P a s c h l y k Platz g e n o m m e n dieser Höhe
auf seine
Unterthanen
stolz
und schaute von herab.
Die
Ver-
sammlung selbst umsste auf den Z u s c h a u e r einen ganz eigent ü m l i c h e n Eindruck machen.
S i e bestand
wohl aus 6 0 — 8 0
Menschen in den verschiedenartigsten Kostümen (Lumpen) der Welt-
Männer in W e i b e r r ö c k e n ; hall) nackte Weiber in Män-
nerröcken ; mützen,
Männer
mit
Kopftüchern;
Weiber
kurz alle möglichen Variationen,
fünf G e g e n s t ä n d e n : berkleidern
mit
Männer-
die zwischen den
H o c k , H o s e , Mütze, Kopftuch und W e i -
stattfinden
konnten.
Die
Versammlung
gerieth
bei der R e d e des Paschlyk in Aufruhr; heftiges Geschrei von allen S e i t e n .
Jemehr
mehr brüllte
das Volk.
der P a s c h l y k Ruhe g e b o t , E s entstand
um
eine stundenlange
batte, keiner will einen Zoll breit weichen.
desto De-
Jeder Zuschauer
hätte denken m ü s s e n , dass es sich um das W o h l des ganzen D o r f e s h a n d l e , wenn er die Heftigkeit des Streites mit angesehen hätte, und alles geschah nur um drei Pferde und zwei B ö t e , die sie für g e w ö h n l i c h e Fuhrgelder mir für einige S t u n den
stellen
mussten.
D e r Streit
wurde
in
einem
Gemisch
Heise durch den Altai.
37
a u s T a t a r i s c h u n d Russisch g e f ü h r t , wie ü b e r h a u p t die hiesigen T a t a r e n ein Gemisch von Russisch und T a t a r i s c h reden. N a c h s t u n d e n l a n g e m G e z a n k e w a r m a n endlich so w e i t g e k o m m e n , dass sich die friedliche V e r s a m m l u n g in ein S c h l a c h t feld v e r w a n d e l n wollte. Da riss mir endlich die G e d u l d ; mit S t e n t o r s t i m m e stellte ich die R u h e w i e d e r her, befahl, sich zu vereinigen und mir für die N a c h t ein Q u a r t i e r a n z u w e i s e n . D a s letztere w a r nicht so leicht, und w i e d e r u m drohten h e f tige D e b a t t e n l o s z u b r e c h e n , w e n n mir nicht ein T a t a r (der reichste d e s Dorfes) sein H a u s für die N a c h t e i n g e r ä u m t hätte. J e t z t w u r d e n meine S a c h e n in das H a u s g e b r a c h t , und ich selbst b e g a b mich dorthin, uin mein A b e n d e s s e n e i n z u n e h m e n . D a s H a u s , das beste des D o r f e s , bestand a u s zwei g a n z kleinen Ziimmerchen. D a s eine w u r d e von d e m S o h n e des Hausbesitzers, und seiner F a m i l i e , das a n d e r e vom H a u s b e sitzer selbst b e w o h n t . D e r E i g e n t h ü i n e r r ä u m t e mir sein eigenes Z i m m e r ein. Ein grol'ser russischer O f e n , einige B r e t t e r , auf denen die K ü c h e n g e r ä t h e a u f g e s t a p e l t w a r e n , eine B a n k , ein Tisch und das B e l l m a c h t e n das g a n z e A m e u b l e m e n t des Z i m m e r s a u s , diese w e n i g e n S a c h e n füllten a b e r das kleine Z i m m e r so a n , dass kaum R a u m z u m Aufstellen m e i n e s B e t t e s v o r h a n d e n w a r . Im Z i m m e r h e r r s c h t e eine u n e r t r ä g l i c h e H i t z e , denn der Ofen w a r stark geheizt. Das g a n z e H a u s stank nach dem, f ü r europäische N a s e n u n e r t r ä g lichen B ä r e n k n o b l a u c h (Albuin u r s i n u m ) , der Lieblingsspeise der hiesigen T a t a r e n . D e r G e s t a n k im Z i m m e r w a r so stark dass ich g e z w u n g e n war die F e n s t e r , die nicht geöffnet w e r den k o n n t e n , ausheben zu lassen. K a u m h a l t e ich mich ein w e n i g häuslich eingerichtet, so kamen auch schon die a n g e s e h e n s t e n T a t a r e n des Dorfes mit dem P a s e h l y k in mein Z i m m e r , um mich n ä h e r in A u g e n schein zu n e h m e n und in w e n i g e n Augenblicken w a r das Z i m m e r g e d r ä n g t voller Menschen. Von der A t m o s p h ä r e die sich nun hier e n t w i c k e l t e , k a n n man sich keinen Begriff m a c h e n , denn zu dem a n g e n e h m e n G e r ü c h e der Kalba (Albuin ursinuin) gesellten sich n o c h viele a n d e r e W o h l g e r ü c h e , als
Historisch - linguistische Wissenschaften.
38
d e r b e t ä u b e n d e G e r u c h d e s u n g e r e i n i g t e n B r a n n t w e i n s u. s. w . , da die H ä l f t e m e i n e r G ä s t e b e t r u n k e n w a r .
Unter den
ange-
g e b e n e n U m s t ä n d e n w a r ich g e z w u n g e n d e n B e s u c h d a d u r c h a b z u k ü r z e n d a s s ich einen g r o f s e n T h e i l d e r m i c h den
aus
dem
Zimmer
jagte.
Mit
einigen
Besuchen-
älteren
Tataren
p l a u d e r t e ich n o c h ein W e i l c h e n u n d e r f u h r m a n c h e s I n t e r e s s a n t e ü b e r die h i e s i g e n
Verhältnisse.
D i e hier w o h n e n d e n T a t a r e n
leben
N a c h b a r e n in u n u n t e r b r o c h e n e r F e h d e ,
mit i h r e n r u s s i s c h e n weil diese sie,
Aussage der Tataren, fortwährend beeinträchtigen.
nach
Ackerbau
u n d V i e h z u c h t t r e i b e n sie w e n i g u n d b e s c h ä f t i g e n sich h a u p t s ä c h l i c h mit d e m F i s c h f a n g .
S i e sind f a s t g a n z v e r r u s s t , h a -
b e n K l e i d u n g , Religion, L e b e n s w e i s e u n d z u m T h e i l a u c h die S p r a c h e der Russen a n g e n o m m e n
und
m a c h e n auf d e n
Rei-
s e n d e n z u e r s t einen fast w i d e r l i c h e n E i n d r u c k , da sie von d e r Civilisation a n s c h e i n e n d n u r d a s L a s t e r h a f t e a n g e n o m m e n h a b e n , w e n n m a n sie a b e r n ä h e r k e n n e n l e r n t , s i e h t m a n
bald,
d a s s sie die k i n d l i c h e E i n f a l t d e r N a t u r k i n d e r n o c h n i c h t v e r loren haben
und
dass
die Civilisation
ihr I n n e r e s
noch nicht ganz zerstört hat.
Alle sind
nur
von
sehr
geringe Kenntnisse
durchaus
getauft, haben
den L e h r e n des
aber
Christen-
thums. Am 22.
verliefs
ich
Protoka.
Meine S a c h e n
wurden
zu B o o t f o r t g e s c h a f f t , ich s e l b s t
a b e r s e t z t e m e i n e R e i s e zu
P f e r d e auf d e m L a n d w e g e
Bis z u m F l ü s s c h e n
bas
an
dem
ein
(6 W e r s t v o n P r o t o k a eben
und
fort.
g r o l s e s r u s s i s c h e s Dorf
das Land
gleichen
PodoNamens
e n t f e r n t ) liegt, w a r d e r W e g g u t u n d
mit
herrlichen Wiesengründen
d a g e g e n f ü h r t e von P o d o b a s
bedeckt,
aus, der W e g durch sumpfiges
G e s t r ü p p , w o die P f e r d e oft bis z u m B a u c h e e i n s a n k e n , w a r m i t h i n d e r W e g so s c h l e c h t , d a s s w i r d a s D o r f obgleich Stunden
die E n t f e r n u n g erreichen
nur 2 Werst
betrug,
erst
und
Balby, nach
konnten.
D a s T a t a r e n d o r f B a l b y ist viel r e i n l i c h e r u n d n e t t e r g e b a u t als P r o t o k a .
D i e H ä u s e r sind g r ö f s e r u n d in
bessenn
Z u s t a n d e ; die Z ä u n e s t e h e n g r a d e u n d schlielsen bei einigen
Reise durci) den Altai. Häusern Gemüsegärten
ein.
D a s Dorf
ist
t o k a d e n n ich z ä h l t e n u r 15 G e h ö f t e . Dorfes Da
sind
ebenfalls
die S p r a c h e
fast
der
W ö r t e r n v e r s e t z t ist
ganz
für
kleiner
verrusst
mich
als
Pro-
D i e B e w o h n e r dieses
hiesigen T a t a r e n und
39
und
alle
stark, mit
von
getauft.
russischen
keinem
besonderen
I n t e r e s s e w a r , so hielt ich mich hier w e i t e r n i c h t a u f , s o n d e r n selzte nach
einer halben S t u n d e
zu W a s s e r fort. bequem,
Das Boot das
es ist kleiner
schen Boote
und
meinen W e g
von hier aus
wir bestiegen
w a r sehr un-
u n d l e i c h t e r g e a r b e i t e t als die r u s s i -
die n u r s e h r d ü n n e n W ä n d e w e r d e n
Querslöcke zusammengehalten. ist s e h r u n b e q u e m ,
durch
D a s S i l z e n in d i e s e n B o o t e n
m a n m u s s sich z w i s c h e n die S t ö c k e e i n -
klemmen und kann den Unterkörper dann durchaus nicht bewegen. Das T o m - U f e r
an
dem wir
entlang fuhren
hat seinen
C h a r a k t e r im G a n z e n n i c h t v e r ä n d e r t , n u r die H ü g e l a m r e c h t e n U f e r sind h ö h e r u n d h ä u f i g S a n d s t e i n - F e l s e n . von der M r a s s - M ü n d u n g reichten
ungefähr
Nicht weil
d u r c h f u h r e n w i r den T o m
um 2 Uhr
das am
und er-
rechten Ufer liegende
T a t a r e n d o r f P r a s P ü l t ä r i n d ö an d e r M r a s s - M ü n d u n g 7 W e r s t von
Palby. III.
Tataren
Dies Tatarendorf früheren;
ist
am
Mrass.
bedeutend
grölser
als
die
beiden
es b e s t e h t a u s e t w a vierzig kleinen G e h ö f t e n ,
die
sich auf d e m h o h e n Ufer, eine v i e r t e l W e r s t v o m F l u s s e e n t fernt, entlang ziehen.
Die E b e n e
a m F l u s s - U f e r (das F l u s s -
thal) ist h i e r ziemlich breit und mit h e r r l i c h e m R a s e n b e d e c k t . I c h liefs
inein Z e l t
dicht
am Flusse
aufschlagen,
denn der
A u f e n t h a l t in T a t a r e n h ä u s e r n w a r m i r a m P r o t o k a worden. mein Zelt
versammelt.
Im A e u s s e r n u n t e r s c h e i d e n den T a t a r e n getauft
verleidet
Bald nach meiner Ankunft w a r das halbe Dorf um
nicht
und haben
aber etwas
von
den
russische
entfernter
von
sich die d a s Dorf
bewohnen-
früher beschriebenen;
alle sind
Kleidung a n g e n o m m e n , den
russischen Dörfern
da sie wohnen,
Historisch-linguistische Wissenschaften.
40 so h a t
sich
ihre S p r a c h e
reiner
von V e r m i s c h u n g
d i e g r ö f s e r e H ä l f t e , b e s o n d e r s die F r a u e n ,
erhalten;
sprechen nur
Ta-
tarisch. Der Haupterwerbzvveig der Fischfang,
d e r B e w o h n e r dieser G e g e n d ist
der hier sehr
l o h n e n d sein soll.
und Kinder stricken N e t z e und Dieser Handelsartikel Bedeutung,
da
wird
tausende
Die
Frauen
v e r k a u f e n sie n a c h K u s n e z k .
sehr
von
gesucht
und
Faden (Sajen)
angefertigt und verkauft werden.
ist a u c h
von
Nelzzeug
hier
D i e s N e l z z e u g ist u n g l a u b -
lich billig, d e r F a d e n (7 Fufs) 5 F u f s b r e i t e s N e l z z e u g
koslet
n u r 12 K o p e k e n . Im H e r b s t e , w e n n die M ä n n e r
auf
Wild
geben,
helle
Gattung),
der
die J a g d . besonders
erste S c h n e e gefallen ist, E s soll
Eichhörnchen,
Feuennarder;
gehen
hier in d e r G e g e n d
seltener
Zobel sind
viel
(schlechtere
Hermelin
und
Fuchs. V i e h z u c h t w i r d hier w e n i g g e t r i e b e n (ich k o n n t e n u r mit M ü h e ein w e n i g Milch e r h a l t e n , bis 3 0 K ü h e v o r h a n d e n sind). zucht
hier sehr g e r i n g ,
VViesenland
da im g a n z e n D o r f e n u r 2 0 Der
Grund,
dass
die
m a g wohl darin liegen,
in d e r N ä h e
des Dorfes m a n g e l t ,
Vieh-
d a s s es a n die
Wiesen-
l ä n d e r zu w e i t a b g e l e g e n sind u n d im W i n t e r so h o h e r S c h n e e fällt, d a s s d a s Vieh bei so u n g ü n s t i g e r W i t t e r u n g keine N a h r u n g finden k a n n . Der
Getreidebau
beschränkt
sich
auf
den
Anbau
der
G e r s l e , i n d e s s ist a u c h d i e s e r so g e r i n g , d a s s sie nicht e i n m a l genug
für
Fehlende
ihren von
eigenen
Lebensbedarf
russischen B a u e r n
gewinnen
gegen
Fische
und
das
eintauschen
müssen. Im S o m m e r
sind
ihre Lieblingsspeise.
Kandyk-Wurzeln Da
alle T a t a r e n
und
Bärenknoblauch
nach
Bärenknoblauch
r o c h e n u n d ich d i e s e n w i d e r l i c h e n G e r u c h f a s t n i c h t konnte,
rielh man
mir
selbst
d a v o n zu e s s e n
ertragen
u n d inan b e -
h a u p t e t e , d a s s ich ihn d a n n n i c h t m e h r w i d e r l i c h finden w ü r d e ; dies Mittel e r w i e s sich a u c h als g a n z Meine H a u p t b e s c h ä f t i g u n g
hier
praktisch. im D o r f e
bestand
darin,
Reise durch den Altai.
41
den hiesigen Dialect lexicalisch zu u n t e r s u c h e n , w a s mir mit Hülfe meines vollständigen T e l e u l i s c h e n L e x i c o n s sehr g u t gelang. Die D i a l e c t v e r s c h i e d e n h e i t e n sind s e h r bedeutend und bestehen zum T h e i l im G e b r a u c h a n d e r e r W ö r t e r , z u m T h e i l in einem b e s t i m m t e n L a u t w e c h s e l . Im Ganzen k a n n m a n s a g e n , dass der hier von mir u n t e r s u c h t e Dialect in der Mitte z w i s c h e n d e m Altaischen und d e m Koibalischen steht, vielleicht L e t z t e r e m n o c h e t w a s näher. Am Abend des folgenden T a g e s verliefs ich das Dorf P r a s P ü l t ä r i n d ö , f u h r den T o m noch eine S t r e c k e aufw ä r t s und d u r c h f u h r ihn g r a d e der M r a s s - M ü n d u n g g e g e n über. Die Ufer des M r a s s sind a n f a n g s niedrig und mit dichtein G e b ü s c h b e w a c h s e n , n a c h einigen W e r s t a b e r beginnt das r e c h t e Ufer sich in kleinen H ü g e l w e l l e n zu e r h e b e n und steigt i m m e r h ö h e r u n d h ö h e r auf. N a c h einer F a h r t von 6 W e r s t e r r e i c h t e n wir bei v o l l k o m m e n e r Dunkelheit das Dorf K r a s k j a k ( K y s y l j a r , r o t h e s Ufer). Am Ufer h a l t e n sich fast alle E i n w o h n e r v e r s a m m e l t . Ein riesiges F e u e r w a r hier a n g e z ü n d e t , so dass das g a n z e Dorf und das g e g e n ü b e r l i e g e n d e Ufer mit grell r o t h e m S c h e i n e e r l e u c h t e t w a r , und sich derselbe in l a n g e n rollten Streifen im Flusse brach. Man sah dass das Holz hier billig sein m u s s t e , denn das F e u e r glich einem w o h l 5 Fufs hoch a u f g e t h ü r m t e n S c h e i t e r h a u f e n . Als wir am Ufer a n g e k o m m e n , w a r alle W e l t uns behülflich u n sere S a c h e n aus d e m Boote in unser Q u a r t i e r zu bringen. J e d e r n a h m ein P ä c k c h e n und zu seiner S e i l e schritt ein a n d e r e r mit einem b r e n n e n d e n Holzslück, so dass wir gleichsam in einem F a c k e l z u g e ins Dorf einzogen. Mir leuchtete mein W i r t h , ein j u n g e r , in einen T u c h r o c k gekleideter Mann, vor, der in einem sehr g u t e n Russisch mir v e r s i c h e r t e , dass es ihm unendliche F r e u d e m a c h e , mich bei sich a u f n e h m e n zu können. D a s H a u s , in d e m m a n mich e i n q u a r t i e r t e w a r grofs und ganz nach Art russischer B a u e r n h ä u s e r eingerichtet. Aus d e r ganzen E i n r i c h t u n g suh man auf den ersten Blick, dass hier W o h l s t a n d h e r r s c h t e . D a s Z i m m e r w a r mit O e l f a r b e a n g e -
Historisch - linguistische Wissenschaften.
42 strichen
und
meubiirt.
reichlich
Zwischen
mehrere
mit
Fufsboden
Blech
war
mit
Stühlen
und
der Hinterwand beschlagene
einigen
und
Kasten
dem
Schränken
Ofen
aufgestellt
mit T j ü m e n s c h e n T e p p i c h e n
waren
und
bedeckt.
der Mein
W i r t h b r a c h t e Alles w a s er im H a u s e h a t t e , u m mich zu bew i r t h e n , T h e e , f r i s c h e n H o n i g , B r o d , B u t t e r , E i e r , Milch, C e dernüsse und Fische,
s o d a s s ich h i e r
in e i n e m
s c h w e l g t e , d e n ich mir n i c h t h a t t e t r ä u m e n Am anderen Morgen selbe besteht
Ueberflusse
lassen.
s a h ich m i c h i m D o r f e u m .
aus zwei Theilen,
der eine
der andere ungefähr 2 Werst weiter kleinen Flüsschen belegen.
am M r a s s
nach Norden
Dasselbst,
an e i n e m
D i e H ä u s e r sind meist s e h r grofs
u n d mit a l l e m n ö t h i g e n A n b a u , a l s : S t ä l l e n , S p e i c h e r e t c . v e r sehen.
Der giöfsere Theil
der A n w o h n e r
s c h ä f t i g e n sich mit d e m H a n d e l ;
sie
dieses D o r f e s be-
fahren sowohl
Waaren
als a u c h Vieh u n d P f e r d e zu d e n T a t a r e n a m o b e r e n M r a s s und
der Keichthum
Vorlheil
den
sie
der ganzen Ansiedelung
aus
dem Handel
w o h n e r s o l l e n sich s c h o n
ziehen.
zeugt
für den
Einige der
ein n i c h t u n b e d e u t e n d e s
Ein-
Vermögen
g e s a m m e l t h a b e n u n d alle W a a r e n , mit d e n e n sie hier H a n d e l treiben, direkt vom Irbitschen J a h r m a r k t herholen.
Die nicht
H a n d e l treibenden B e w o h n e r treiben Ackerbau und Fischfang. D i e V i e h z u c h t ist hier n i c h t u n b e d e u t e n d , da die E b e n e s e h r h e u r e i c h ist u n d a u c h w e g e n d e s A c k e r b a u e s m e h r Vieh g e halten w e r d e n
muss.
L e i d e r ist mit d e m g e r i n g e n F o r t s c h r i t t a u c h d a s
Laster
d e s T r u n k e s hier s e h r e i n g e d r u n g e n , u n d ich h a t t e h e u t e G e legenheit,
dies selbst
bemerken,
bei den a n g e s e h e n s t e n E i n w o h n e r n
die a u s V e r a n l a s s u n g
vom Morgen
bis z u m A b e n d
n i c h t auf d e n B e i n e n s t e h e n Auch
zur
so b e t r u n k e n w a r e n ,
dass sie
konnten.
hier s e t z t e ich mit E r f o l g m e i n e l e x i c a l i s c h e n
grammatischen
Untersuchungen
Sprachproben konnte
zu
Feier meiner Ankunft,
fort.
Aufzeichnungen
ich n i c h t m a c h e n , da die h i e r
und von
wohnen-
den T a t a r e n ihre Mährchen und Sagen schon längst vergessen haben.
Ich verliels
deshalb
schon
a m 26. M a i / 7 . J u n i d a s
Reise durch den Altai.
43
Dorf und fuhr auf dem Mrass weiter a u f w ä r t s , so dass ich im Laufe des Nachmittags das Dorf S y b y r g y erreichte. Im Vergleich zu dem Dorle K r a s k j a k ist hier schon ein mächtiger Unterschied zu erkennen. S y b y r g y ist zwar kein kleines D o r f , denn es hat etwa 40 Häuser die aus Balken gezimmert sind, diese beünden sich aber in einem so jämmerlichen Zustande, dass sie fast das Ansehen von Ruinen eines zerstörten Dorfes haben. Die Dächer der Häuser sind alle aus Birkenrinde und ihre innere Einrichtung ist noch schlechter und schmutziger als am P r o t o k a . Die Kleidung dieser Tataren besteht in Hemden und Hosen aus sehr grobem selbst gefertigten Hanfgespinnste und in Filzröcken statt der Pelze. Die Frauen tragen meist nur lange bis zu den Knöcheln reichende Hemden. In den Physiognomien dieser Leute herrscht kein durchgehender Typus wie bei den Altajern und Teleuten, es herrscht hier ein buntes Durcheinander. D e r eine hat ein rein mongolisches Gesicht, ein anderer blondes Haar und rein europäische (russische) Gesichtszüge, meistens sieht man aber, besonders bei den Frauen, breite runde Gesichter mit hervortretendem Unterkiefer, aufgeworfenen Lippen, eine schmale Stirn und lange schmale nur sehr wenig schiefliegende Augen. Die Hauptbeschäftigung dieser Leute ist der Fischfang; Ackerbau und Viehzucht wird nur sehr wenig betrieben, da das Land hier schon sehr bergig und der Schnee im Winter sehr hoch liegt. Sehr richtig sagt ein Allajisches Sprichwort: Palyk angdagan paibas Tiibtinilögii kurgabas. Wer Fische fängt wird nicht reich Was auf dem Boden liegt wird nicht trocken ').
Das Sprichwort bewahrheitet sich recht, da die Leute hier bei ihrem Fischfang fast v e r h u n g e r n , und nicht so viel erwerben um ihre Blölse bedecken zu können. Im Sommer
') Diese Verse würden in osmanisch - türkischer Sprache so lauten: B a l y k a w l a j a n b a i o l m a s , D i b d e k i s c h e j k o r u o l m a s . Seh.
Historisch-linguistische
44
Wissenschaften.
g e h l es noch, aber wenn
der lange
ginnt
dann
das
Leiden;
nicht genug
wer
Mehl e i n g e t a u s c h t h a t ,
hungrig schlafen legen
sein,
gedörrtes
denn
die
werden
dann
be-
seine
Fische
d e r m u s s s i c h oft
genug
verhungern,
hier
ge-
m u s s die e i n f a c h e
und F i s c h e , sehr alt;
w o h n t h i e r i m O r t e ein G r e i s d e r 1 0 2 J a h r rüstig
für
Trotzdem
Gerstenmehl
Leute
kömmt,
und Fälle, dass L e u t e
h ö r e n n i c h t zu d e n S e l t e n h e i t e n . Nahrung,
Winler
im S o m m e r
ganz
gesund
unter
anderen
und n o c h s e h r
alt
ist.
I c h liefs grünen
am
Uler
des
Mrass,
auf
einem sehr
Hasenplatz mein Zelt aufschlagen
versammeile
sich auch hier die g a n z e m ä n n l i c h e B e v ö l k e r u n g ,
w a s ich gern
sah,
terstützte.
Nach
vergebens,
selbst
anderes
schönen
und wie g e w ö h n l i c h
da e s m i c h bei m e i n e n historischen der
mittheilen
Niehls habe sich
als
vorerwähnte dass
bei i h n e n
er
Greis
immer
verändert
und
unich
mir
nichts
gewohnt
hätte.
als d e r G l a u b e
aus Birkenrinde, aus Holz erbaut habe. mit dem Fischfang beschädigt
sehr
forschte
konnte
hier
H ä u s e r die m a n s e i t e i n i g e n J a h r z e l u i d e n
alles unverändert geblieben.
Arbeilen
Ueberlieferungen
und
die
an S t e l l e d e r H ü l l e n Immer hätte man sich
w ä r e in d i e s e r
Beziehung
Ihre S p r a c h e w ä r e ebenfalls noch
dieselbe. Was
den G l a u b e n
dem Namen christlichen zen
muss
ihnen Sehr
Religion
zu singen
kam
man
und
heiss,
betriff!, so sind sie n u r nichts anderes von der
gelauft w i r d , sich
jedesmal araka,
mir entgegen
das
nur sehr wenige,
darauf, und
sals ich
geringste Ruhe
am 2 7 . ,
schrieb
die S o n n e den ganzen
zu g ö n n e n ,
gebe.
und z e i g t e s i c h verstand
Kusnezk
berühmter
gereist.
Der T a g
gerade
sehr
Mährchen
i c h den g a n z e n
Mährchen. brannte
bekreuAnkunft
Wein)
ein a n d e r e r
W e i s e nach
mir diclirlen
bei s e i n e r rolher
N u r ein e i n z i g e r u n l e r i h n e n
dem Sänger
trotzdem
(Kysyl
war unglücklicher
Tages hend
als dass man
Abendmahl
freundlich
mittheiiend.
von
und w i s s e n
und dass der Priester
das
Sänger
dieser T a t a r e n
nach Christen
Tag
die
war
auf mein
glüZelt;
T a g und s c h r i e b , o h n e mir denn
i c h d u r f t e die
die
Gelegenheit
Reise «lurcli den Altai.
45
nicht vorbeigehen lassen. Der S c h w e i s s rann uns (mir sowohl als dem Sänger) in dicken Tropfen von der Stirne und nur gutes Zusprechen und von Zeit zu Zeit ein Gläschen Branntwein (der hier alle Herzen gewinnt) vermochte den Sänger bei guter Laune zu erhalten. Zuerst sang er mit Begleitung einer Balalaika recitirend und die Töne scharf durch die Kehle gurgelnd, da aber dies das Aufschreiben sehr erschwerte, so legte er sein Instrument bei S e i l e w e n n er eine Abtheilung gesungen hatte und wiederholte die Worte langsam und deutlich. Ich schrie!) hier zwei ziemlich bedeutende Mährchen auf von denen ich Ihnen eins in der Liebersetzung mittheilen will. Der'Jüngling.
'
1.
Kiiist war ein Jüngling, einen Vater h a t t e er n i c h t ; eine M u t t e r h a t t e er nicht; er war eine Waise.
5.
Ohne Kleidung war er, nackt, zum Essen hatte er keine Speise. J e n e r Jüngling hatte eine Schwägerin, sie war ohne Mann, eine Wittwe. Seine S c h w ä g e r i n n ä h r t e den Jüngling.
10.
Der Jüngling ging N a c h t s umher, die S c h w ä g e r i n sagte zu i h m : „ W i e w e r d e n wir l e b e n ? sagte s i e . " „ „ I c h werde auf die J a g d g e h n ! sagte e r . " " Der Jüngling ging auf die Jagd.
15.
N e u n Hirschen b e g e g n e t e er, er schoss, t ö d t e t e a l l e ; d e r Jüngling nahm diese, legte sie auf seine S c h u l t e r : ihr F e l l zogen sie a b .
20.
Aus i h r e n F e l l e n machten sie Pelze. Ihr Fleisch afsen sie, und w u r d e n satt. Der Jüngling s p r i c h t : Zum Besteigen brauch* ich ein Pferd.
46
Historisch -linguistische Wissenschaften. 25.
„Ich habe kein P f e r d ! " Der Jüngling schläft; als er aufgestanden, geht er zur Thür hinaus. An der Thür steht ein Pferd.
30.
Ohne Sattel, ohne Zaum. Das Pferd spricht: „Bist dn gesund, Jüngling?" „Wirst du mich besteigen?"
35.
Der Jüngling spricht: „Wie soll ich dich nicht besteigen? dich muss man besteigen." Das Pferd kommt zum Jüngling. Der Jüngling besteigt es.
40.
Ohne Sattel, ohne Zaum, bestieg er es. Die F r a u weint, jammert und spricht:
45.
llesteig's nicht, das Pferd wird dich tödten. „ D u hast keinen Sattel! du hast keinen Zaum. Wie wirst du es h a l t e n ? " Der Jüngling bestieg es, nahm Abschied.
50.
Ritt f o r t ; er ritt, er ritt, war er viel geritten, war er wenig geritten? Zu des Meeres Ufer kam er, an dem Ufer steht eine schöne Birke.
55.
Der Jüngling sieht sie. Sein Pferd spricht: Hier ist ein schöner Baum, hier lass uns übernachten. Das Pferd blieb dort stehen.
Reise dorch den Altai. 60.
Der und Als die das
Jüngling stieg vom Pferde, schlief dort, er aufwachte war der Morgen angebrochen; Sonne kam hervor, Pferd stand auch da,
65.
mit Sattel und Zaum steht es da. Der Jüngling stand auf, begrüsste es, freute sich. Der Jüngling spricht: Uns hat wohl Gott geholfen.
70.
„Als keine Speise da war, „wurde uns gute Speise; „als keine Kleidung da war, „wurde uns gute Kleidung; „als kein Pferd da war,
75.
„wurde uns ein P f e r d ; „als kein Sattel und Zaum da war, „wurde uns ein guter Sattel und Zaum." Der Jüngling weint: „Einen Vater habe ich nicht;
80.
„eine Mutter habe ich nicht, „mich zu benennen ist kein Mensch: „wer soll mir den Namen g e b e n ? " Das Pferd spricht: „ G o t t wird dir den Namen geben."
85.
Der Jüngling fragte: „Wo ist der G o t t ? „Wenn er hier wäre würde er mir einen Namen geben." Das Pferd spricht:
90.
„Besteige mich schnell! „lass uns reiten!" E r stieg auf's Pferd, fünf Faden ritt er, da rief ihm zur Liebe ein Mensch:
47
48
Historisch-linguistische Wissenschaften. 95.
„Halt Jüngling! reite nicht Jüngling!" Der Jüngling hielt still, als er zum Baume schaut, safs dort auf der Birkenspitze,
100.
ein weissköpfiger Alter. „Halt Jüngling, spricht er, „ich will (leinen Namen nennen. „Sei A i m a n g y s . " A i r a a n g y s fragt:
105.
Was für ein Mensch bist du? der mir den Namen gab. Der Alte spricht: „Was soll ich für ein Mensch s e i n ? " Der Gott Schöpfer bin ich.
110.
„Kinem Menschen ohne Vater, „habe ich jetzt einen Namen gegeben. „Deinen Vater hat ein Held getödtet. „Alles Vieh hat er fortgetrieben, „alles Volk hat er fortgetrieben.
115.
„Deine Kraft mag zu gering sein, „wenn du hingehst möchtest du sterben." A i m a n g y s sagte: Meinem Vieh und meinem Volke will ich folgen, mag ich auch sterben.
120.
Ich stehe allein da; wenn ich auch sterbe weint Niemand. Das Pferd bestieg er, ritt fort, ritt er viel, ritt er wenig?
125.
Sah er, sah e r ; ein hoher Berg zeigte sich. Zu diesem Berge kam er, sein Pferd weinte. „ O mein Pferd! sagte er,
Reise durch den Altai. 130.
was weinest d u ? sagte er." Das Pferd spricht: „Ich weine. „Deines Vaters Todtengebeine „sind zum Berge geworden,
135.
„deshalb weine ich." A i m a n g y s begriisste den Berg, ritt weiter; ob viel geritten, ob wenig geritten, zeigte sich ein Volk.
140.
Viel Vieh, viel Volk. A i m a n g y s sieht zu. Des A i m a n g y s Vaters Volk und Vieh war dort.
145.
Eines Hauses Thür erreichte er, viele Helden waren da, bezahlten jenem Tribut, jener nimmt ihn. A i m a n g y s spricht:
150.
„Das ist ein starker Mann, „seinen Namen will icli fragen; „wie hat er seinen Vater g e t ö d t e t ? " Vom Pferde stieg er, ins Haus trat er,
155.
dort lag der Held. „Wie gehts F r e u n d ? sagte er, „wessen Kind bist du d e n n ? " A i m a n g y s spricht: „Du hast meinen Vater getödtet.
160.
„Wie ist dein N a m e ? " „„Mein N a m e , " " sagt er, „„ist der T s c h ä k P ö r g ä n mit rothem Pferde."" Aimangys f r a g t : „meinen Vater
Erinan's R u s s . Archiv. Bd.XXIII. U. 1.
4
Historisch - linguistische Wissenschaften. 165.
„weshalb hast du ihn g e t ö d t e t ? " T s c h ä k P ö r g ä n sagt: „Als dein Vater mir nicht Tribut gezahlt, tödtete ich ihn. „Dein Volk ist hier, „dein Volk ist hier.
170.
„Wenn du willst nimm es zurück, „damit wir Freunde sind, ,,damit wir uns nicht tödten." Aimangys spricht: „ D u hast meinen Vater getödtet,
175.
„ j e t z t werde ich dich tödten, „dein Vieh fortrühren, „dein Volk will ich fortführen." T s c h ä k P ö r g ä n sagt: „Ich habe eine jüngere Schwester,
180.
„diese heirathe, „lass uns nur nicht tödten." A i m a n g y s sagt: „nein! „wir wollen uns tödten." A i m a n g y s schlug nach ihm
185.
sie rangen sie kämpften mit Pfeilen schössen sie sich, tödten konnten sie sich nicht, lange hielten sie sicli fest.
190.
Des T s c h ä k P ö r g ä n Schwester: „haltet ein! „ich werde Aimangys zum Gatten nehmen! sagte sie." Aimangys sah das Mädchen, begehrte sie für sich.
195.
Der Kampf hielt inne, ins Haus traten sie, Speise aisen sie, satt wurden sie; auch das Volk wurde satt.
Reise durch den Altai. 200.
Branntwein tranken sie, Vieli tödteten sie, Fleisch afsen sie. Jetzt sprach T s c h ä k P ö r g ä n : „Iii A i m a n g y s ,
205.
„du „ich „ich „Ks „du
210.
A i m a n g y s und T s c h ä k P ö r g ä n stiegen zu Pferde, ritten, ob wenig geritten, ob viel geritten, gelangten sie zu jenem Weibe. Das Weib kam ihnen entgegen.
215.
Des Weibes Name war K a a K a r unendlich ri«l Vieli hatte sie, unendlich viel Volk hatte sie. Das Weib sprach:
nahmst «in Weib habe keines muss doch eins nehmen. giebt wohl ein Mädchen, geh freien!"
„ T s c h ä k P ü r g ä n , dich nehm* ich nicht, 220.
„lass uns im Kampf erproben, „wenn du mich bezwingst, „so nehme ich dich, „wenn ich dich bezwinge „$o tödte ich dich."
225.
Beide traten hervor, kämpften, schlugen sich, schössen sich, weinten mit einander, konnten sich aber nicht tödten. Nach vielen Jahren
230.
unterlag T s c h ä k P ö r g ä n . A i m a n g y s trat hervor, fasste siel) mit dem Mädchen, sie kämpften, hielten sich, schlugen und schössen sich,
51
52
Historisch -linguistische Wissenschaften. 235.
weinten mit einander, konnten sich aber nicht tödten. Nach sieben Jahren unterlag A i m a n g y s dem Mädchen. Da kam T s c l i ä k P ö r g ä n ,
240.
Lass uns im Kampf erproben, sagt er, A i m a n g y s ging bei Seite, T s c h ä k P ö r g ä n fasste sich mit dem Mädchen sie rangen, hielten sich, schlugen und schössen sich.
245.
Wieder hielten sie sich drei Jahre. Nach drei Jahren sagte T s c h ä k P ö r g ä n : „IVIeine Kraft ist grofs gewesen, , j e t z t kann ich ein Weib nicht tödten."
250.
Wieder fassten sie sich. Das Weib wurde besiegt und sagte: „Meine Kraft ist zu gering, „ich will dich heirathen!" Jetzt war die Hochzeit
255.
Ihre Häupter werden vereinigt, Vieh schlachteten sie, Branntwein tranken sie, viel tranken sie, wohl sieben Tage tranken sie.
260.
Die Hochzeit ging zu Ende, hörte auf. T s c h ä k P ö r g ä n sagt: „Wir müssen zurückkehren." Ihr Vieh und Volk trieben sie fort.
265.
Alle drei kehrten zurück. Ob viel geritten, ob wenig geritten, ihre Jurte erreichten sie. A i m a n g y s sah des T s c h ä k P ö r g ä n Jurte, vor der T h ü r stand ein schwarzes Pferd.
Reise durch den Altai. 270.
„Haltet liier an! „ich will nachsehen, sagte er, „wer gekommen, will ich nachsehen." T s c h ä k P ö r g ä n blieb mit seinem Weibe zurück. A i m a n g y s kam zur Thür.
275.
Vom Pferde stieg er, sein Pferd band er an, ins Haus trat er. Ein Held sitzt da, wie gehts mein Freund A i m a n g y s , sagt er,
280.
„die mir bestimmte Frau „hast du genommen!" A i m a n g y s fragte: „Wie lieisst du ? „Wer ist dein Vater?"
285.
Der Held sprach: „Kinen Vater habe ich nicht, „eine Mutter habe ich nicht „ A l t y n Ä r g ä k mit mond-schwarzem Pferde „ist mein Name."
290.
A i m a n g y s sagt: „Mein Weib gebe ich nicht, „lass uns kämpfend sehen „wessen Kraft stärker „der möge das Weib nehmen."
300.
Sie fassten siel), rangen, schlugen und schössen, obs wenig war, obs viel war, des A i m a n g y s Kraft reichte nicht hin. A i m a n g y s weint.
305.
A l t y n Ä r g ä k kann ihn nicht tödten. A i m a n g y s sagt: Tödte mich schnell! du nimm mein Weib! wenn du mich nicht tödtest,
53
54
Historisch -linguistische Wissenschaften. 310.
so kannst du mein Weib nicht nehmen. Wie viel er auch schlägt, A i m a n g y s stirbt nicht. T s c h ä k P ö r g ä n kam und sprach: „tödte ihn nicht!"
315.
Mich tödten? Sie kämpften, packten sich, drei Jahre vergingen, T s c h ä k P ö r g ä n starb. Wieder kam A i m a n g y s ,
320.
wieder kämpften sie, mit Pfeilen schössen sie, die Schwerter schwangen sie. Wieder reichte des A i m a n g y s Kraft nicht aus, den A i m a n g y s konnte er nicht tödten.
325.
A i m a n g y s sagte: „ T ö d t e mich! „nimm mein Weib." Wieder kann er ihn nicht tödten. In dieser Zeit
330.
kamen zwei Sänger, sie sangen: „ T ö d t e t nicht A i m a n g y s , „an seiner Stelle tödtet uns, „sangen und sangen.''
335.
A l t y n Ä r g ä k wurde zum Felsen. Auch sein Pferd wurde zum Felsen. Zu diesem Menschen ging A i m a n g y s , grüsste und fragte: „Woher seid ihr gekommen?" „Wir sind deines Vaters Unterthanen, sagte er."
340.
Was seid ihr für L e u t e ? fragte er." „Ohne Vater, ohne Mutter „Menschen ohne Bedeutung, wir sind deine Gefährten." Den T s c h ä k P ö r g ä n machten sie lebendig.
Heise durch den Allai. 345.
Ins Haus traten sie, Speise assen sie, Vieh tödteten sie, das Fleisch assen sie, Branntwein tranken sie, weinten zusammen,
350.
sangen zusammen, drei Tage feierten sie. Das Mahl endete. A i m a n g y s sagte: „Ich raass zurückkehren."
355.
Sein Vieh nahm e r ; sein Volk nahm er, ob es wenig war, ob lange. A i m a n g y s erreichte sein Haus. In seiner Jurte sass seine Schwägerin.
360.
Sie begriissten sich, Speise assen sie, ein Mahl hielten sie, Fleisch kochten und assen sie. Das Volk wurde satt.
365.
Des A i m a n g y s Weib gab den Armen Kleidung. Jetzt lebten sie in Ruhe; reisten nicht mehr umher, ritten nicht mehr aus.
55
(Fortsetzung folgt.) nm. Dem Herrn Verfasser würden wir zu noch gröfserem Danke verpflichtet sein, wenn er von diesem überaus langstieligen Mährchen nur eine Inhaltsanzeige in gedrängter Kürze und allenfalls einige Strophen als Probe, d e n t ü r k i s c h e n T e x t h i n z u f ü g e n d , mitgetheilt hätte.
Die epische Voikspoesie der Russen1).
S e l b s t ä n d i g e T h i e r f a b e l n aus nlter Z e i t besitzt die r u s s i s c h e N a t i o n nicht. W a s die Altvordern d e r Russen in e p i s c h e r Hinsicht h e r v o r g e b r a c h t h a b e n , zerfällt in die drei G a t t u n g e n S k a s k a , B y l i n a und L e g e n d e . D i e » S k a s k a o d e r das Mährchen enthüllt u n s eine g e r ä u m i g e W e l t b ü h n e . Meinungen und U e b e r l i e f e r u n g e n w e l c h e m a n in den S k a s k a ' s findet, s p r e c h e n f ü r ein vorhistorisches D a s e i n der S l a w i s c h e n S t ä m m e ; personificirte E l e m e n t e , w a h r s a g e n d e Vögel und T h i e r e , Z a u b e r und C e r e i n o n i e , m y s t i s c h e R ä t h s e l , T r ä u m e und Vorzeichen — Alles w a r Motiv zur H e r a u s b i l d u n g eines M a h r c h e n - E p o s , w e l c h e s so fesselnd ist ob s e i n e r j u g e n d l i c h e n N a i v e t ä t , ob der w a r m e n L i e b e zur N a t u r u n d ü b e r w ä l t i g e n d e n Macht des W u n d e r b a r e n . D i e v o l k s t ü m l i c h e n Skaska's der R u s s e n vereinigen alles E i g e n t ü m l i c h e der epischen P o e s i e : sie v e r k ü n d e n die gleiche u n n a c h a h m l i c h e Kunst j e d e n G e g e n s t a n d und j e d e E r s c h e i n u n g n a c h d e m E i n d r u c k e zu malen den sie auf die S e e l e d e s Menschen h e r v o r g e b r a c h t ; sie haben d e n s e l b e n klaren und r u h i g e n T o n , dieselbe U m s t ä n d l i c h k e i t in der W i e d e r h o l u n g g e w ö h n l i c h e r E p i t h e t e u n d ' A u s d r ü c k e , ja g a n z e r B e s c h r e i b u n g e n und S c h i l d e r u n g e n . ') Nacli einem Artikel der neuen R u s s k u j a C h r i s t o i n a t i j a
1863.
Die epische Volkspoesie der
Wie
alle
volksthiiinlichen
Schöpfungen,
•Skaska's R e i n h e i t und A u f r i c h t i g k e i t ;
57
Küssen.
so
athiuen
mit k i n d l i c h e r
und e i n e r S c h l i c h t h e i t die z u w e i l e n ans R o h e s t r e i f t , g e n s i e e h r l i c h e Offenheit, und e r z ä h l e n g a n z o h n e Ironie
oder
falsche
Ernpiindelei.
Wir
S k a s k a ' s der ä l t e s t e n G e s t a l t u n g .
die
Naivetüt vereini-
versteckte
sprechen
von
In i h r e r s p a t e r e n
den
Entwick-
l u n g fügt s i c h a u c h d i e s e Art V o l k s p o e s i e n e u e n , d u r c h
wei-
tere sociale Entwicklung
erzeugten
wird
ein
gefügiges
des
und
verliert
Schöpfung kleinste
Werkzeug ihr
eines
Volkshuinors
uranfüngliches ganzen
vorsatzliche
Anforderungen; und
treuherziges
Volkes
duldet
Abweichung
sie
sie
der
Satyre,
Wesen. jedoch
vom Guten
Als
nie
und
die
Wahren;
sie v e r l a n g t Z ü c h t i g u n g a l l e r U n w a h r h e i t und l ä s s t das über
die B o s h e i t
triumphiren.
Unglück,
Arinuth,
Gute
Verwaist-
h e i t e r w e c k e n i m m e r die T h e i l n a h i n e des V o l k e s ; d a h e r g a n z e Reihen
von
Skaska's
Stiefmüttern gegen liche
Vorliebe
die
Lieblosigkeit
ihre Stiefkinder,
derselben
zu i h r e n
D i e s e r C h a r a c t e r der S t i e f m u t t e r Hinweisungen
und
den
und die h ö c h s t eigenen
ist
auf das p a t r i a r c h a l i s c h e L e b e n
volle B e w a h r h e i t u n g
in
der
jungen weiblichen
Wesens
in
strafen.
bedeutsamsten
und e r h a l t s e i n e
alten B e d e u t u n g
s e i n s und in den H o c h z e i t s l i e d e r n
verderb-
Kindern
eine der
von
Hass
des
Verwaist-
w e l c h e das S c h i c k s a l e i n e s
einer
für
sie
fremden
Familie
beklagen. Das Gefühl
die s i t t l i c h e S e i t e der Liebe
und
auf die e n g e n G r ä n z e n beim A n b l i c k
eines
der Menschheit,
sondern
E s spricht
verwundeten Baumes.
sich
Vogels,
eines von d e r M e e r e s w e l l e
s c h e s , eines k r a n k e n
so s e h r
beschränkt
ganze vielgestaltige Natur. Thiers,
des M e n s c h e n
des Mitleidens
dagegen
unterliegt
nicht
u m f a s s t die
gleichmäfsig eines
In d i e s e m
aus
hungernden
ans Ufer g e w o r f e n e n
Fi-
Allem ist viel R ü h -
r e n d e s . . . . S i t t l i c h e S t ä r k e r e t t e t die W a i s e stellung;
erhebende sich
vor j e d e r Nach-
die S t i e f m u t t e r ob i h r e s
Hasses
u n d i h r e r B o s h e i t e i n e r S t r a f e die d u r c h i h r e e i g e n e n K i n d e r über sie k o m m t ,
denn d i e s e
hat die blinde L i e b e d e r
v e r d o r b e n , stolz, h a r t h e r z i g und r a c h s ü c h t i g
gemacht.
Mutter
58
Historisch-linguistische Wissenschaften. V o n s o l c h e m S t a n d p u n k t e b e t r a c h t e t , w i r d u n s die R o l l e
des
jüngsten
von
drei in e i n e r S k a s k a
handelnden
besonders interessant.
Die i n e i s t e n V o l k s m ä h r c h e n
damit
drei S ö h n e h a t ,
dass
ein V a t e r
von
Brüdern beginnen
d e n e n die z w e i
ä l t e r e n k l u g g e n a n n t w e r d e n in d e r j e n i g e n B e d e u t u n g w e l c h e dieses W o r t auf dein B a s a r i r d i s c h e r E i t e l k e i t e r h ä l t , w o j e d e r n u r an s e i n e für d u m m ,
persönlichen Interessen weil h e r z l o s e
denkt;
d e r j ü n g s t e gilt
praktische Klugheit ihm
gebricht:
er ist t r e u h e r z i g , s a n f t m ü t h i g , t h c i l n e h i n e n d an f r e m d e m Leiden
bis z u r V e r a c h t u n g
eigener Gefahr
u n d aller
Vorlheile.
D i e S k a s k a ist j e d o c h i m m e r auf S e i t e n d e r sittlichen
Wahr-
h e i t , u n d i h r e r f e s t e n U e b e r z e u g u n g g e i n ä f s m ü s s e n die T r e u herzigkeit, immer
Sanlliuuth,
den Sieg
u n d d a s Mitleid d e s j ü n g s t e n
davontragen.
Augenscheinlich
Bruders
erkennt
die
e p i s c h e P o e s i e als w a h r h a f t v e r n ü n f t i g n u r d a s G u t e , u n d als wahrhaft unvernünftig das Schlechte.
In d e m M ä h r c h e n „ d a s
T h i e r N o r k a " m a c h e n sich drei B r ü d e r auf den W e g , d i e s e s wunderbare Thier bevor.
zu s u c h e n ;
Die älteren B r ü d e r
Schwäche
und machen
men los;
viele Gefahren
stehen
ihnen
offenbaren ihre ganze
moralische
sich v o n d e m m ü h s e l i g e n
Unterneh-
als a b e r d e r j ü n g s t e
mit s e i n e r K ü h n h e i t
alle G e -
f a h r e n b e s i e g t , da w o l l e n sie d a s v o n i h m E r r u n g e n e a n sich reissen
und
trachten
sogar
nach
seinem Leben.
Auf
dem
R ü c k w e g e a u s d e r u n t e r i r d i s c h e n W e l t ist er e b e n im Begriff, a n d e m n i e d e r g e l a s s e n e n S e i l e w i e d e r in die H e i m a l h hinauf z u k l i m m e n ; a b e r die B r ü d e r s c h n e i d e n d a s S e i l a b u n d r a u b e n i h m so die l e t z t e H o f f n u n g d e r R ü c k k e h r .
In d i e s e r N o t h
r e t t e t ihn j e n e g r o f s a r t i g e L i e b e die s e l b s t n a c h e i n e r so bittern Täuschung
im H e r z e n
r i n g s t e V e r h ä r t u n g zulässt. geblieben, wandert
beweint
weiter.
und Regen
strömt
Unwetter Schulz
der
Da
des Unglücklichen
jüngste Bruder
erhebt
sich
hernieder. unter
nicht
die
ge-
Im unterirdischen Reiche z u r ü c k -
einem
sein S c h i c k s a l
ein S t u r m ,
Der Jüngling Baume;
Blitze
und
zucken
sucht vor dem
da s i e h t
er
w i e in
e i n e m N e s t auf d e m B a u m e kleine V ö g e l sitzen die v o m H e g e n g a n z d u r c h n ä s s t sind.
V o n Mitleid e r g r i f f e n zieht er sein
D i e epische Volkspoesie der R u s s e n .
59
Kleid aus und bedeckt die Vöglein. Bald koininl ein Vogel von solcher Gröfse, dass er den T a g verdunkelt, herbei geflogen. Er sieht seine Kleinen zugedeckt, bedankt sich dafür bei dein Jüngling und sagt: „Verlange von mir was du willst!" D a n n trägt er ihn auf seinen mächtigen Flügeln ins Russische Land. Ein in vielen Skaska's figurirendes Wesen ist die J a g a B a b a oder B a b a - J a g a . Man schildert sie als eine ntissgestaltete Greisin; auch werden solche Greisinnen im geineinen Leben öfter J a g a gescholten. Sie hat Knochenfüfse, einen Kopf wie eine Mörserkeule, und liegt diagonal in ihrem S t ü b c h e n , mit der Nase an der Stubendecke. Wenn eine Bäuerin während der „zwölf Nächte" 1 ) als Baba-Jaga auftritt, muss ihr Gesicht möglichst runziich und ihre Z ä h n e müssen schwarz sein. Oft ist von drei Schwestern des Namens die R e d e , und sie werden zwar als streitsüchtig, aber zugleich als dienstwillig dargestellt, gern klugen Rath ertheilend und mit ihren übernatürlichen Kräften Hülfe leistend. Sie weissagen dem Helden der Skaska was ihm bevorsteht; sie geben ihm ein Knäuelchen das, sich fortwälzend, den W e g in geheimnissvolle Regionen zeigt, oder ein wunderbares Pferd, Stiefel die von selber gehen und andere Wunderdinge. Aus den Spielen zur Zeit der „zwölf Nächte" darf man schliessen dass die Baba-Jaga im Räthselrathen Meisterin ist. Die Jaga wohnt im W a l d e , in einem auf Hühnerbeinen stehenden Häuslein, das auf Verlangen sein Hintertheil dem W a l d e und sein Vordertheil dem Ankömmling zukehrt. Sie fährt oder fliegt zu den Orgien der Hexen und Zauberer in eisernem Mörser, den sie mit einer Stampfe antreibt, mit einem Ofenwisch die Spuren verwehend, wie die Hexen thun wenn sie auf Ofengabeln fliegen. D e m Glauben der Weissrussen zufolge treibt die J a g a mit feurigem Besen die Luftgeisler an welche ihren Mörser in B e w e g u n g setzen. Wenn
') D. Ii. und (6) dcp = cos ip = J. Vermöge der Gleichungen (5) und (6) kann man sowohl wenn X und Y gegeben sind, die Zuwächse dcp und dX berechnen, welche die astronomische Breite und Länge durch jene Kräfte erhalten — als auch aus beobachteten dcp und dX, auf J und und von diesen auf die Kräfte .AT und T schliefsen. — Es mögen nun dcp und dX respektive die Ablenkung des Bleilothes in Breite und in Länge genannt werden-
U n t e r s u c h u n g e n d e r n a c h g e w i e s e n e n L o k a l e i n f l ü s s e etc. Die und
Beobachtungen
Längen
bestimmt Linien
und
Winkeln,
Höhen
und
Azimuten.
Lokalanziehung aber
auf
auszuscliliefsen
die
muss
sämmllich
Wirkung
auf
der
lässt die die
Um
dieses
zu
eben
gebrauchten
dem
wirklichen
') D i e i n
Um unter
diejenigen
tliun Zenit
der Geodäsie
b
und
haben
dem
dem
Einfluss Beobach-
beziehen,
welche
und
den
Ho-
würden.
der Verfasser
zwischen
(£'),
ungeändert'), letzteren
genannten
dargestellt
Breiten
von:
den Meridian
bezeichnet
Dreiecke
den
Ebenen
Lokalattraction
rizont des B e o b a c h t u n g s o r t e s
Messungen
ersteren
zweiten.
man
die g e o d ä t i s c h e n
sind
b) sie wirkt tungen
denen
a)
Eine
ohne
aus
werden,
425
in
dem
so
n o r m a l e n Z e n i t (£),
Pole
(P)
noch
gebräuchlichen Winkelinstrumente
den
sind j e t z t
bekanntlich ohne A u s n a h m e so e i n g e r i c h t e t dass sie zwischen zweien Punkten,
s u n d s' an d e r H i m m e l s k u g e l ,
den Winkel a n g e b e n d en
die sie enthaltenden Vertikalkreise am Z e n i t einschliefsen u n d welcher auch d e r j e n i g e ist den Länge einer Seite
aus
der
die trigonometrische Berechnung schon
der
bekannten Länge einer anderen
Seite, für welche die analoge Winkelgröfse ebenfalls gemessen voraussetzt.
In sofern
nun der Verfasser
unter
d i e s e r A r t sowie von a u f d e m T e r r a i n o d e r ge od ä t i s c h e n L i n i e n
a, von
ist,
Winkeln
gemessenen
Basen
s p r i c h t , i s t es n i c h t s t r e n g r i c h t i g
s i e fiir u n a b h ä n g i g von L o k a l a n z i e h u n g e n
zu e r k l ä r e n ,
denn beim
Stattfinden einer solchen, messen die geodätischen Instrumente den Winkel heit
a n s t a t t des Winkels sfs' d e r
der Schwere
eingetreten
sein
bei n o r m a l e r Beschaffen-
würde. — Auch
ist
zwischen
z w e i e n E n d p u n k t e n e i n e r Basis d i e z u allen S c h w e r r i c h t u n g e n s e n k rechte Linie nicht von
streng gleicher Länge
gen das eine Mal Normalen
wenn diese Richtun-
eines Kllipsoides
und d a s a n d e r e M a l
Normalen einer wellenartig von demselben abweichenden Oberfläche sind.
Verschwindend
k ö n n e n d a h e r d i e E i n f l ü s s e von
Lokalattrac-
t i o n e n auf d i e , u n t e r a g e n a n n t e n , M e s s u n g s r e s u l t a t e n u r in s o f e r n g e n a n n t w e r d e n , als k l e i n v o r a u s g e s e t z t e A b w e i c h u n g e n d e r w i r k lichen S c h w e r r i c h t u n g e n von den n o r m a l e n , zweiter Ordnung n u n g „auf
die
auf sie e i n e n
Einfluss
a u s ü b e n lind d a g e g e n e i n e n v o n e r s t e r
Polhöhen,
Längen
und
absoluten
mute. E r m a n ' s l i u s s . A r c h i v . B d . XXIII. II. 3 .
OrdAziK.
28
Physikalisch-mathematische
426
Wissenschaften.
Winkel mit 180°—•»/>'. — W e r d e n d a n n ferner für irgend einen mit s an der Himmelskugel bezeichneten P u n k t : = 90° — /»', P%s == A', = 90° — h, PCs = A g e setzt, d. Ii. seine H ö h e und sein A z i m u t so wie man sie beobachtet unter h' und A' und so wie sie ohne Lokalatlraction sein w ü r d e n unter h und A v e r s t a n d e n , so erhält man streng:
(7)
/cos(gp-|-r>
'—2Ö—
A
_
~
n
.
/# ( • •
gesetzt, so kann man für die Gleichungen (20) und (21) auch schreiben:
B e a c h t e t man dann dass
+ Oow)>
D(i}1) —
respektive und der Reihe nach nur von
von F ( I ) ; ) , von
und von H ( i j ) a b h ä n g e n , so lassen Coefficienlen bestimmen. Durch eine der ähnliche Ableitung erhält man namentlich:
sich diese vier vorhergehenden
Untersuchungen der nachgewiesenen Lokaleinüüsse etc.
i'+l).E0,n=
C(iJ) +
+
447
.c o ^ m f f l
y+i
3 '
0 j'+i 0"'+ 1 ) . G ( W =
Dm
.
2\u0J)
+
+
•
?
(27)
%-7))cos
( / + l ) . / / f , y ) = ^ ( D ^ - D ^ ) sin
(
Ä
und sodann mit Hülfe
der Gleichungen (26) die Constanten:
AiAj,
A,Bj,
Ii; üj,
des
Potenziales
A0 Bj
Bi Aj,
eingehende
die in der Reihe
rechnen,
kann
man
die
zweite
parallelen Schnittes
worden sind.
Ausnahme
für JC0 ausfallen.
W e r t h e von r „ anwenden, y-Axe
d. h. alle in die E n t w i c k l u n g mit
der
von A0 Aj
und
Um diese zu be-
Gleichungen (18)
auf
die an Punkten irgend eines der des ßeobachtungsfeldes gemessen
Dabei erleichtert
es die Rechnung',
wenn die
Bezeichnungen: (2j+l)7T
— A Aj. —^—
— A(/)
+ A
= LU)
•
•
eingeführt werden. E s bleibt noch zu zeigen, auf w e l c h e W e i s e die Gröfsen X
und Y
auf die Horizontalebene durch die Mitte des B e o b -
achtungsfeldes reduzirt werden können. Nach dem Maclaurinschen S a t z e werden, unter Vernachlässigung des Quadrates von
-i? ,
r r
z:
sdXs dz •
= +
29*
Physikalisch-mathematische
448 n
Da
,
/
aber
-p
dV
dX _ dz
dZ djc
(wegen
A =
T
Wissenschaften.
dVs
dV
w
dT dz
dZ dy
r = ^ u n d Z = - ^ )
die G l e i c h u n g e n :
slalt
finden,.
so kann
man
ansiall
der vorhergehenden
auch
schreiben:
Vernachlässigt man die e r s t e P o t e n z
von z in Z,
so kann
diese letztere Funktion einer eben solchen Reihe von Gliedern wie wir für Ä 0 können
die
bestimmt nach x
angenommen
haben,
numerischen
werden.
Difierenzirt
und nach y,
gleich
Werthe
so erhält
gesetzt und es
ihrer
man
Constauten
darauf diese R e i h e
man die (nach der Gleichung
( 2 8 ) zur Reduction erforderten) W e r t h e der Function
(S>und O Nachdem
bis hierher Herrn S l u d s k j i s
Entwickelungen
möglichst wortgetreu wiedergegeben worden sind, haben wir über den letzten T h e i l derselben F o l g e n d e s zu bemerken. Als der Verfasser weiter von X
und Y
bereits
sie
gewesen
der
Horizontalebene
erschien
sein
uns diese
oben
die beobachteten
auf dasjenige
würden durch
reduzirt
wenn
alle
einen
derselben
Annahme in sofern
Werthe
annahm,
ßeobachtungsorte
was in
gelegen hätten,
ungerechtfertigt,
als
sie erforderte dass man die eigentliche Endabsicht der ganzen Arbeit ( d i e K e n n l n i s s
des P o t e n t i a l e s )
erlangt oder sich ihr doch Untersuchung
bedurfte,
in einem Grade
genähert
über die fragliche Reduction
mit
hätte.
e n t w e d e r schon der der näheren
Die
Erörterungen
denen Herr < $ l u d « k j i den
zweiten Abschnitt seiner weiihvollen Abhandlung
abschliefst
Untersuchungen der nachgewiesenen Lokaleinflüsse etc.
449
haben diese Bedenken nicht vollständig beseitigt. Es zeigt sich vielmehr auch jetzt dass die nur als V o r b e r e i t u n g der beobachteten W e r t h e von X und Y genannte Operation nicht nur eine ganz ebenso mühsame Rechnung verlangt wie die nachherige Anwendung dieser Werthe, sondern auch als ganz unerlässlich die Anstellung e i n e r g r o f s e n Z a h l v o n P e n d e 1 b eo b a c h t u n g e n , welche aber, soweit wir aus dem Vorschlage des Verfassers ersehen, zur Vervollständigung der beabsichtigten Kenntniss des Potenziales nur in dieser secundaren Weise benutzt werden sollen. Die Beobachtungsreihen die, nach der bisher gebrauchten Bezeichnung, für ein System von Punkten in dem Wirkungskreise der s t ö r e n d e n M a s s e die üröfsen d(p — J , dl. coscp = d, und
ergeben
ha-
ben, enthalten aber f o r m e l l g e n o m m e n alles Nölhige um V als Function von dreien zu einander rechtwinkligen Coordinalen darzustellen und um dann die W i r k u n g d e r s t ö r e n d e n M a s s e auf j e d e n a u s s e r h a l b d e r s e l b e n g e l e g e n e n P u n k t d e s K a u n i e s berechnen zu können. In der Mehrheil der Fälle, obgleich nicht in allen, dürften nun freilich die Werthe der Verlikalcoordinate (z) an den der Beobachtung zugänglichen Punkten, der Gleichheit zu nahe bleiben um dass man der Lösung des Problemes die eben genannte höchste Allgemeinheit lassen könnte ohne befürchten zu müssen dass die Zuverlässigkeit dieser Lösung leide. Die von dem Verfasser vorgeschlagene Beschränkung des gesuchten Ausdruckes für V auf alle Punkte einer Horizontalebene für die man zum Beispiel 2 = 0 setzen kann, beseitigt die genannte Gefahr. Sie scheint aber nicht das einzige Mittel zu diesem Zwecke da man auch, etwas allgemeiner, einen Ausdruck für V suchen könnte, der noch die e r s t e oder die z w e i e r s t e n Potenzen von z enthielte und der demnach nicht blofs bei völligem Verschwinden dieser Coordínate sondern auch bei denjenigen k l e i n e n Werthen derselben welche die an den Beobnchlungsorlen vorgekommenen z nicht übertreffen, den Anziehungs-Erscheinungen genügen würde. Wel
450
Physikalisch-mathematische Wissenschaften.
chen von diesen beiden Wegen man aber auch einschlagen möge, so darf doch nie übersehen werden dass das gesuchte Potenzial eine j e d e d e r d r e i C o m p o n e n t e n der von der störenden Masse ausgeübten Attraction gleich gut darzustellen habe. Man darf daher auch bei der Bestimmung der in V eingehenden Constanten weder die aus den P o l h ö h e n v e r g l e i c h u n g e n hervorgehenden Werthe von J oder X ausschliefslich oder vorzugsweise benutzen, noch auch dieselben in Verbindung mit den aus den L ä n g e n b e s t i m m u n g e n folgenden oder Y. — Es müssen vielmehr endlich auch die Resultate der P e n d e l b e o b a c h t u n g e n vermöge ihrer
dV aus Z = — hervorgehenden Bedeutung ein eben so vollständiges Stimmrecht bei der Ermittelung von V erhallen wie die beiden anderen Klassen von Beobachtungen. Hr. Ä l u d s k j i hat diese eben so klare als praktisch wichtige Sachlage nicht deutlich genug hervorgehoben, indem er vielmehr zu rathen scheint, dass man von den Resultaten der Längenbestimmungen (den Y) nur eine kleine Aliquote der vorhandenen in die Rechnung aufnehme, die R e s u l t a t e d e r P e n d e l b e o b a c h t u n g e n (die Z) aber wie schon gesagt nur in soweit benutze als es eine nöthige Reduction der Horizontalcomponenten (X und Y) erfordert. Es ist nicht zu bezweifeln dass der Verfasser bei einer praktischen Anwendung des von ihm vorgeschlagenen Verfahrens die eben genannte Erweiterung desselben nicht unterlassen haben würde. Für jetzt mag es aber wohl die Unvollständigkeit der über die M o s k a u e r Lokalaltraction vorliegenden Daten, d. h. die Beschränkung derselben auf Werthe von d(p und auf die daraus folgenden X (vergl. in d. Archiv Bd. XXII. S.