720 123 2MB
German Pages XXXII, 267 [293] Year 2020
Mareike Breinbauer
Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege Eine empirische Untersuchung in Rheinland-Pfalz
Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege
Mareike Breinbauer
Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege Eine empirische Untersuchung in Rheinland-Pfalz
Mareike Breinbauer Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Mainz, Deutschland Dissertation Universität Trier, Fachbereich IV, 2020
ISBN 978-3-658-32020-1 ISBN 978-3-658-32021-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
„Man kann trefflich darüber streiten, ob Investmentbanken ‚systemrelevant‘, also für das Funktionieren und Überleben einer Gesellschaft unverzichtbar sind […]. Unstrittig ist dagegen, dass es wirklich systemrelevante Berufe gibt, auf die eine Gesellschaft nicht verzichten kann, weil sie existenziell notwendige Funktionen im Bereich der Daseinsvorsorge und (Über-)Lebenssicherung erfüllen und damit eine conditio sine qua non für die Existenz und den Fortbestand jeder menschlichen Gesellschaft darstellen. Dazu zählt […] die Pflege.“ (Jacob et al. 2015, S. 14)
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier und wurde vom Fachbereich IV im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation angenommen. Ursprünglich war an dieser Stelle nur eine kurze Danksagung geplant, die aktuellen Entwicklungen rund um die COVID-19-Pandemie haben mich jedoch veranlasst, zusätzlich vorab ein paar begleitende und klärende Worte zu verfassen. Als ich vor sechs Jahren begonnen habe mich mit der Situation und den Arbeitsbedingungen in der beruflichen Pflege zu beschäftigen, war der Begriff der Systemrelevanz als Merkmal des Pflegeberufs und natürlich auch der anderen Dienstleistungsberufe, die dieses Prädikat mehr als verdient haben, zumindest im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbekannt bzw. ungenutzt. In meinem Verständnis sind Berufsgruppen und Institutionen systemrelevant, die für das Funktionieren und Überleben des Gemeinwesens einer Gesamtgesellschaft unverzichtbar sind. Im öffentlichen Diskurs wurde der Begriff jedoch bis 2020 hauptsächlich in Bezug auf das Banken- und Finanzwesen angewendet. Bedeutung erlangt die Systemrelevanz häufig erst in schwierigen Zeiten und Krisen, da sich dann herauskristallisiert, was wirklich wichtig und unverzichtbar ist – so auch während der COVID-19-Pandemie. Schlagartig drang die Wichtigkeit und Relevanz einiger Strukturen und Dienstleistungen in das allgemeine Bewusstsein und der Begriff der Systemrelevanz wurde entsprechend auf andere Berufsgruppen ausgeweitet, die in den Mittelpunkt des Krisenmanagements rückten, wie beispielsweise Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel, LKW-Fahrer*innen, Beschäftigte in den Laboren, bei der Polizei, dem Rettungsdienst und der Feuerwehr, um nur einige zu nennen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat im Rahmen der
VII
VIII
Vorwort
Corona-Pandemie eine Übersicht kritischer Dienstleistungen herausgegeben und bezieht sich darin auch auf die Systemrelevanz: „Systemrelevanz beschreibt die Bedeutung von Institutionen zur Aufrechterhaltung von Systemen. Im Kontext KRITIS [kritischer Infrastrukturen] bedeutet dies, dass systemrelevante Unternehmen oder Behörden die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems Kritische Infrastrukturen oder Teile davon aufrechterhalten und damit unmittelbar oder mittelbar zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen, teils lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen beitragen […]“ (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 2020, S. 1)
Für die Beschäftigten dieser Berufsgruppen können Sonder- und Ausnahmeregelungen in Bezug auf die Arbeitszeitregelung, Kinderbetreuung und Vergütung erlassen werden, um die Arbeitssituation in der Krise zu erleichtern. Im Zuge des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird den beruflich Pflegenden beispielsweise mehr finanzielle Anerkennung in Form einer einmaligen Sonderleistung zugesichert. Inwieweit die Arbeits- und Rahmenbedingungen der systemrelevanten Berufsgruppen allerdings nach der Krise in Zukunft gestaltet werden, bleibt abzuwarten. Die Ausführungen in dieser Arbeit entstanden vor den genannten Entwicklungen und beziehen sich auf die Zeit, in der die Systemrelevanz bestimmter Berufsgruppen wie der Pflege noch wenig im öffentlichen Verständnis zugegen war. Da die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit aber auch der Politik und der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen durch die Pandemie vermehrt auf die Situation, die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsbelastungen in der Pflege gelenkt wurde, besteht jedoch einige Hoffnung, dass in diesen Bereichen zukünftig nachhaltige Verbesserungen angestrebt und auch umgesetzt werden. Für alle Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen wünsche ich mir sehr, dass all die Dankbarkeit und Wertschätzung, die ihnen während der COVID-19-Pandemie von vielen Seiten entgegengebracht wurde, auch in Zukunft anhält und die Wichtigkeit ihrer Arbeit wahrgenommen und entsprechen honoriert wird. Um bei dem Ausdruck der Wertschätzung zu bleiben, möchte ich mich nun abschließend noch bei all denjenigen bedanken, die zum Gelingen dieser Dissertation maßgeblich beigetragen haben. Mein besonders herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Rüdiger Jacob und Prof. Dr. Johannes Kopp, die mich als Doktorväter auf dem Weg zum erfolgreichen Abschluss meiner Promotion begleitet, unterstützt und gefördert haben. Ihre Unterstützung, Betreuung, Anregungen, aber vor allem ihr Vertrauen und die Wertschätzung, die sie mir und meinem Vorhaben entgegengebracht haben, haben mich in besonderer Weise ermutigt. Prof. Dr. Ralf
Vorwort
IX
Münnich danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes bei der Disputation. Weiterhin gilt mein ganz besonderer Dank natürlich allen Pflegekräften in Rheinland-Pfalz, die sich an der quantitativen Befragung und den Experteninterviews beteiligt haben. Die Bereitschaft und Offenheit zur Teilnahme haben diese Arbeit erst möglich gemacht. Meinen Kolleginnen und Kollegen danke ich für ihren Input, ihr Feedback und ihre kritische Auseinandersetzung mit meiner Arbeit. Besonders hervorzuheben sind hier Joanna Koßmann, Mirko Rinnenburger und Sebastian Dräger. Ein besonderer Dank gilt meiner großartigen Familie, die mich im Rahmen des Studiums begleitet hat und auf deren Unterstützung ich mich jederzeit verlassen kann. Meiner Mutter und meinem Bruder danke ich zudem von ganzem Herzen für die Geduld und Akribie beim Korrekturlesen der Arbeit. Zu guter Letzt gilt mein tiefster und herzlichster Dank meinem Mann René, der mir durch seine stetige Ermutigung und Unterstützung die nötige Zuversicht und Motivation gab, dieses Promotionsprojekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Trier Juli 2020
Mareike Breinbauer
Zusammenfassung
Die vorliegende Forschungsarbeit liefert zum einen neue Erkenntnisse zur Situation der beruflich Pflegenden in Rheinland-Pfalz und stützt zum anderen bereits bestehende Befunde zu den Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege allgemein, grade im Hinblick auf das Zusammenspiel von Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Bewältigungsstrategien und Arbeitszufriedenheit. Es wurde untersucht, welche Faktoren die angesprochenen Aspekte maßgeblich beeinflussen und welche Auswirkungen diese auf die Pflegekräfte selbst sowie auf die Qualität ihrer Arbeit und die Sicherheit der Patienten und Pflegebedürftigen haben. Mögliche Unterschiede zwischen den drei Pflegebereichen Akutpflege, stationäre/teilstationäre Pflege und ambulante Pflege wurden ebenfalls analysiert. Als Datenbasis dient eine Online-Erhebung unter den Mitgliedern der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz (n = 830) aus dem Jahr 2017. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Die Pflegenden der Studie sind besonderen Risiken und Belastungen ausgesetzt, die sich aus verschiedenen Faktoren ergeben. Beispielsweise aus einer zu geringen Personalausstattung und damit einhergehender Arbeitsverdichtung, zunehmendem Arbeiten unter ständigem Zeitdruck und einer fehlenden Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit. Dazu kommen hohe emotionale und körperliche Anforderungen, die sich maßgeblich auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken. Es zeigt sich, dass das empfundene Ausmaß an Arbeitsbelastung und das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko hoch miteinander korrelieren und sich gegenseitig zu bedingen scheinen. Insgesamt ist das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko unter den befragten Pflegekräften vergleichsweise hoch. Ein Drittel der Pflegenden weist demnach ein hohes Burnout-Risiko auf. Neben der hohen Arbeitsbelastung sind weitere Risikofaktoren eine generelle Unzufriedenheit mit der Lebens- und Arbeitssituation sowie Probleme bei der Patientenversorgung und der Einhaltung von Pausenzeiten. Einen vorzeitigen
XI
XII
Zusammenfassung
Ausstieg aus dem Pflegeberuf, als letzte Konsequenz den schwierigen Arbeitsbedingungen und hohen Belastungen zu entkommen, haben rund zwei Drittel der Befragten schon einmal ernsthaft in Erwägung gezogen. Mit steigendem BurnoutRisiko und Problemen bei der Patientenversorgung steigt die Wahrscheinlichkeit signifikant, dass Pflegekräfte über einen vorzeitigen Berufsausstieg nachdenken, wie die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse zeigen. Zudem würden sich nur 28 Prozent der Befragten auf jeden Fall noch einmal für eine Tätigkeit in der Pflege entscheiden, wenn sie heute noch einmal die Wahl hätten. Die hohe Arbeitsbelastung und die Risiken, die damit einhergehen, haben nicht nur Auswirkungen auf die Beschäftigten, sondern ebenso auf die Patienten und Pflegebedürftigen. Die Ergebnisse dieser Arbeit legen nahe, dass ein hoher Zeitdruck bei der Arbeit sowie eine unzureichende Personalausstattung zu vermehrten Problemen bei der Patientenversorgung führen. Neben den Problemen und Risiken bietet die Arbeit in der Pflege auch Chancen, welche die hohen Risiken kompensieren und sich gesundheitsförderlich auswirken können. Hierzu zählen individuelle Ressourcen und ein gutes Bewältigungsmanagement. Die hohe fachliche Kompetenz, der sinnstiftende und zwischenmenschliche Aspekt der Arbeit sowie deren große Vielfalt werden von den Befragten als zentrale Ressourcen der pflegerischen Arbeit genannt. Inwieweit Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz Stress und Belastungen im Berufsalltag wahrnehmen und wie sich diese Belastungen individuell auswirken, hängt in einem hohen Maße davon ab, wie gut sie durch Bewältigungsmechanismen abgefedert werden können. Für die meisten der befragten Pflegekräfte ist Sport ein hilfreicher Ausgleich zum stressigen Arbeitsalltag, ebenso wie Gespräche mit Partnern, Familie und Freunden. Wie sich zeigt, hat neben der erfolgreichen Stressbewältigung auch die wahrgenommene Arbeitszufriedenheit einen maßgeblichen Einfluss auf das Belastungsempfinden. Eine hohe Arbeitszufriedenheit wirkt demnach reduzierend auf die Arbeitsbelastung und das Burnout-Risiko. In der vorliegenden Untersuchung geben rund 70 Prozent der Pflegekräfte an, mit ihrem aktuellen Arbeitsplatz eher zufrieden bis sehr zufrieden zu sein. Maßgeblich positiv beeinflusst wird die Arbeitszufriedenheit dabei durch ein hohes Sozialkapital, hohe Führungsqualität sowie individuellen Ressourcen. Die Frage nach Unterschieden zwischen den drei Pflegebereichen kann aufgrund geringer Fallzahlen und methodischer Einschränkungen der Untersuchung nur bedingt beantwortet werden. Signifikante Unterschiede zeigen sich hauptsächlich zwischen Beschäftigten in der Akutpflege und der ambulanten Pflege hinsichtlich der wahrgenommenen Arbeitsbelastung und Arbeitszufriedenheit. Tendenziell fallen die Antworten in der ambulanten Pflege hinsichtlich der Bewertung des Berufsalltags etwas positiver aus.
Zusammenfassung
XIII
Trotz einiger methodischer Limitationen stellt die vorliegende Untersuchung eine explorative Studie dar, die bisher in dieser Größenordnung noch nicht in Rheinland-Pfalz durchgeführt wurde und bereichert damit den Forschungsbereich um wesentliche empirische Ergebnisse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege. Die hohe Vergleichbarkeit und Übereinstimmung mit einschlägigen nationalen und internationalen Untersuchungen unterstreichen zudem die Qualität der herausgestellten Ergebnisse.
Einleitung
Der damalige Präsident des Deutschen Pflegerates und heutiger Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus postulierte bei seiner Eröffnungsrede des Kongresses der AG Junge Pflege1 in Dortmund 2015 folgendes: „Ohne die professionelle Pflege geht in dieser Gesellschaft nix“. Die professionelle berufliche Pflege ist für die meisten von uns selbstverständlich. Es wird vorausgesetzt, dass es immer Menschen gibt, die diese Aufgaben selbstredend in den Krankenhäusern und Notaufnahmen, den Alten- und Pflegeheimen, den Psychiatrien und Reha-Einrichtungen und den ambulanten Pflegediensten übernehmen. Richtig bewusst wird uns die Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit der Pflege wahrscheinlich leider erst dann, wenn es niemanden mehr gibt, der diesen Beruf ausübt bzw. ausüben will oder wenn die rund 1,3 Millionen Beschäftigten in der beruflichen Pflege in Deutschland plötzlich beschließen für einen Tag die Arbeit niederzulegen. Was passiert, wenn Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern einen Tag unversorgt bleiben, wenn Operationen und wichtige Untersuchungen nicht adäquat durchgeführt und Intensivpatienten nicht ausreichend überwacht werden können? Was passiert, wenn alte, pflegebedürftige Menschen in Pflegeheimen oder durch ambulante Dienste betreute Pflegebedürftige nicht aus ihren Betten kommen, nicht angemessen aktiviert werden können und keine Körperpflege oder notwendige pflegerische Maßnahmen erhalten? Der Verband Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Pflegepersonen hat dazu folgendes Szenario vor Augen: 1 Bundesweite
Arbeitsgruppe von Schüler*innen und Student*innen der Pflegeberufe bzw. frisch examinierte Pflegefachpersonen im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (http:// www.junge-pflege.de/).
XV
XVI
Einleitung „[…] 1,3 Millionen beruflich Pflegende haben heute ihre Arbeit niedergelegt! Zehntausende Krankenhauspatienten und Heimbewohner bangen um ihr Leben. 2,5 Millionen Berufstätige sehen sich gezwungen an diesem Tag ihrer Arbeit fern zu bleiben. Sie wurden von der Bundesregierung dringend aufgerufen, die Notversorgung ihrer Angehörigen Zuhause und in den Heimen sicherzustellen. Weitere 500.000 Angehörige versuchen in den Krankenhäusern die große Not zu lindern. Die Bundeswehr hat Sanitätstruppen geschickt, um das Schlimmste auf den Intensivstationen zu verhindern. […]“ (Verband Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Pflegepersonen e. V. (BALK) 2011, S. 12)
Es lässt sich darüber streiten, ob dieses Szenario realistisch oder übertrieben ist, nicht geleugnet werden kann jedoch die Tatsache, dass die Rahmenbedingungen der beruflichen Pflege in Deutschland für viele Beschäftigte sehr belastend sind. Es wäre also ihr gutes Recht für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen, so wie es andere Berufsgruppen ohne Zögern jedes Jahr machen. Doch das Arbeiten in der Pflege ist aus verschiedenen Gründen kein „normaler Job“ im klassischen Sinne, sondern eine systemrelevante Aufgabe, die für das Funktionieren einer Gesellschaft unverzichtbar ist, genauso wie Tätigkeiten in anderen medizinischen Berufen oder beispielsweise bei der Polizei und Feuerwehr (Jacob et al. 2015, S. 14; Jacob und Becker 2014, S. 2). Diese Berufsgruppen erfüllen existentiell notwendige Aufgaben und sind aus diesem Grund ständig verfügbar und einsatzbereit, wodurch das Risiko einer Belastung für die eigene physische und psychische Gesundheit steigt (Jacob und Becker 2014, S. 4). Durch diese Systemrelevanz ergibt sich für die Beschäftigten aber auch ein hohes Maß an ethischer und moralischer Verantwortung für die Gesellschaft, was sie daran hindert, in großem Umfang ihre Arbeit niederzulegen. Doch fühlt sich auf der anderen Seite die Gesellschaft auch für die beruflich Pflegenden verantwortlich, wenn es um die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen geht?
Ausgangslage und Problemstellung „Wenn gesellschaftliche und systembedingte Rahmenbedingungen dazu führen, dass die berufliche Pflege an die Grenzen der Aufrechterhaltung des Wesens einer guten und professionellen pflegerischen Versorgung gelangt, müssen die Folgen also von allen und jedem einzeln getragen werden.“ (Mai und Wegmann 2018, S. 1)
Über die Pflege und den Pflegeberuf wird viel diskutiert, geschrieben und geforscht. Auch politisch wird die Situation der Pflege in Deutschland zurzeit wieder heftig diskutiert. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht in den Medien über
Einleitung
XVII
den Fachkräftemangel und Pflegenotstand berichtet wird. Bei all diesen Diskussionen stehen allerdings häufig weniger die Menschen, als vielmehr die Kosten und die Finanzierung im Vordergrund, wie auch Hans-Josef Börsch von der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz kritisiert: „In der politischen Diskussion werden beruflich Pflegende derzeit häufig als Kostenfaktor diskutiert, nicht etwa als stabile Säule der Gesellschaft und des Gesundheitswesens.“ (Braun et al. 2018, S. 344). Dabei wird häufig vergessen, dass jeder Mensch in westlichen Industrieländern im Laufe seines Lebens früher oder später mit Pflege in Berührung kommt und auf diese angewiesen ist. Sei es bei der eigenen Geburt, einem Krankenhausaufenthalt im Jugendalter, einer Reha-Maßnahme im Erwachsenenalter oder der Hilfe durch einen ambulanten Pflegedienst bei eigener Pflegebedürftigkeit im Alter. Abgesehen von dem eigenen Bedarf erleben die meisten von uns auch in der Familie Pflegesituationen von Großeltern, Eltern, Partnern oder auch Kindern. Pflege geht also alle an und daher sollte jeder an der Sicherstellung einer guten pflegerischen Versorgung interessiert sein. Dies ist aber nur möglich, wenn sich die arbeitsbezogenen und systembedingten Rahmenbedingungen des Berufsfeldes in einem erheblichen Maße weiterentwickeln und maßgeblich verbessert werden. Durch den Demografischen Wandel steht die Pflege vor neuen Herausforderungen, da bereits bestehende Probleme der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung verschärft werden. Das ohnehin schon ungleiche zahlenmäßige Verhältnis von potenziellen Empfängern von Leistungen der Alterssicherungssysteme und Pflegeleistungen zu den potenziellen Erbringern dieser Leistungen wird sich in Zukunft weiter verschlechtern. Die Alterung bei gleichzeitiger Schrumpfung der Gesellschaft führt zum einen zu einer Steigerung der Zahl der Pflegebedürftigen sowie einer erhöhten Nachfrage nach gesundheitsbezogenen Dienstleistungen und Produkten und konfrontiert zum anderen den Arbeitsmarkt mit einem sich verschärfenden Fachkräftemangel (Robert Koch-Institut 2015, 444 ff.). Der Pflegearbeitsmarkt ist von diesen Entwicklungen besonders betroffen, da er sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite mit diesen Auswirkungen konfrontiert wird. Da Pflegebedürftigkeit überwiegend ältere Menschen betrifft, ist davon auszugehen, dass durch die Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Auch schwerwiegende, chronische Erkrankungen und Multimorbidität nehmen mit dem Alter zu und gehen mit einem steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen und höheren Gesundheitsausgaben einher (Bundesministerium des Inneren 2011, S. 149). Auf der anderen Seite schrumpft das potenzielle Arbeitsangebot, sodass sich die Frage stellt, inwiefern die Versorgung der Pflegebedürftigen auch in Zukunft gewährleistet werden kann (Pohl 2011, S. 37).
XVIII
Einleitung
Diese Entwicklung ist bereits jetzt in der Statistik sichtbar. Seit Einführung der Pflegestatistik 1999 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland kontinuierlich erhöht. Von 1999 bis 2017 stieg deren Zahl von rund 2,02 Millionen auf 3,4 Millionen an (+68,3 Prozent) (Statistisches Bundesamt 2018). Demgegenüber hat sich seit 2009 die Zahl der Beschäftigten in der professionellen Pflege nur leicht erhöht. Die Pflege gehört zwar zu den Wirtschaftsbereichen mit seit Jahren wachsenden Beschäftigungszahlen. Allein in den letzten 10 Jahren ist ein Anstieg der Beschäftigten in den Gesundheits- und Pflegeberufen von einem Fünftel zu beobachten (Nowossadeck 2013, S. 1044). Doch trotz dieser Entwicklung muss die Lage auf dem Pflegearbeitsmarkt bereits heute als angespannt bezeichnet werden, da die Anzahl der Pflegekräfte insgesamt nicht ausreicht, um die Folgen des demografischen Wandels zu kompensieren (Löffert und Golisch 2013, S. 10). Als Basis für die Auseinandersetzung und den Umgang mit den Konsequenzen des demografischen Wandels für den Pflegebereich in Deutschland, wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe von Prognosen erstellt (Nowossadeck 2013, S. 1043). Dabei standen sowohl die künftigen Zahlen der Pflegebedürftigen (z. B. Bundesministerium für Gesundheit 2012; Bomsdorf et al. 2010; Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2009; Schulz et al. 2001), als auch der Bedarf an Pflegepersonal im Fokus (z. B. Afentakis und Maier 2010; Enste und Pimpertz 2008; Hackmann und Moog 2008; Hackmann 2012; Pohl 2011). Die prognostizierten Zahlen der Pflegebedürftigen entwickeln sich insgesamt in eine vergleichsweise ähnliche Richtung, wie hinsichtlich des Bedarfs an entsprechendem Personal. Laut Nowossadeck lässt sich hierbei ein verallgemeinerbarer Trend ausmachen: Die Zahl der benötigten Pflegekräfte wird erheblich ansteigen und schon bald ein Vielfaches der heutigen Beschäftigungszahlen umfassen (Nowossadeck 2013, S. 1045). Die Prognosen verdeutlichen einheitlich eine Verschärfung der Situation auf dem Pflegearbeitsmarkt für die Zukunft. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Attraktivität des Pflegeberufs für junge Menschen durch belastende Arbeitsbedingungen, niedrige Entlohnung und mangelnde Wertschätzung in der Gesellschaft, verbunden mit den allgemein niedrigen Geburtenraten, wird das Angebot an Nachwuchskräften weiter sinken und der Konkurrenzkampf um Auszubildende und qualifizierte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt steigen (Jacob et al. 2016, S. 150). In der Konsequenz kommt es zur Arbeitsverdichtung und Mehrarbeit des vorhandenen Personals und damit zu wachsendem Zeitdruck und Zeitmangel. Hand in Hand mit dem Zeitmangel geht eine steigende psychische Belastung aufgrund der unzureichenden Bedürfnisbefriedigung der Patienten einher.
Einleitung
XIX
„Schwestern, Pfleger, Altenpflegerinnen, Altenpfleger und andere an professioneller Pflege beteiligte spüren die Diskrepanz zwischen den Forderungen einer optimalen Pflege und den gesundheitspolitischen Gegebenheiten, die eine solche oft als Utopie erscheinen lassen.“ (Arndt 2007, V)
Wenn eine gute pflegerische und gesundheitliche Versorgung der Patienten nicht mehr vollständig gewährleistet werden kann, kommt es bei vielen Pflegekräften zu einer zunehmenden emotionalen Erschöpfung, aufgrund der Diskrepanz zwischen Berufsideal und Arbeitsrealität, und das Burnout-Risiko steigt (Killmer 1999). Zudem führt die psychische Belastung in Kombination mit der ohnehin hohen körperlichen Arbeitsbelastung in der Pflege bei vielen Beschäftigten zu chronischem Stress, was einerseits ein Risiko für die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden darstellt, andererseits aber auch negative Auswirkungen auf die Pflegequalität und somit die Sicherheit der Patienten haben kann. Als Konsequenz dieser unbefriedigenden Situation ergeben sich hohe Krankenstände und Fehlzeiten der Beschäftigten, eine relativ hohe Fluktuationsrate innerhalb der Pflege sowie eine zu anderen Berufen vergleichsweise geringe Berufsverweildauer. Um die gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft sicherstellen zu können, muss sich, laut Jacob et al., das Berufsbild der Pflege in erheblichem Maße weiterentwickeln und sich den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen (2016, S. 150). Dies ist essenziell, damit die Beschäftigten möglichst kontinuierlich in der Pflege arbeiten können. Hierzu gehört es auch die Lücke zum Bedarf an fehlenden Pflegekräften zu schließen. Dies kann nur gelingen, wenn der Pflegeberuf hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Arbeitsbelastung und der Vergütung attraktiver gestaltet wird. Dadurch würde einerseits die Arbeitsfähigkeit des bestehenden Personals verbessert und andererseits würde die Pflege wieder für junge Menschen als Ausbildungsberuf in Frage kommen.
Fragestellung und Konzeption „If you ever wondered how people can manage to work with the sick and always stay healthy themselves, the answer is – they can’t!“ (Stellman 1976)
Die Antwort auf dieses Zitat aus dem Jahre 1976 ist auch heute noch die gleiche. Zudem haben sich die potenziellen Risiken für Beschäftigte in Medizin und Pflege deutlich ausgeweitet. Infektionskrankheiten, Rückenleiden, Stress und Burnout gehören neben einer Vielzahl von körperlichen und psychosozialen
XX
Einleitung
sowie vermehrt auch umweltbedingten Belastungsfaktoren zum Berufsalltag der Pflegekräfte. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Situation der beruflichen Pflege aus Sicht der beschäftigten Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz nachzuzeichnen. Es werden dabei die drei Pflegebereiche Akutpflege (Krankenhaus), stationäre/teilstationäre Pflege (Alten- und Pflegeheime, Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege) und ambulante Pflege berücksichtigt. Es soll die zentrale Frage beantwortet werden, wie die Pflegekräfte ihren Berufsalltag und die Arbeitsbedingungen in der Pflege wahrnehmen. Der Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der wahrgenommenen Arbeitsbelastungen, dem selbsteingeschätzten Burnout-Risiko, den eingesetzten und als hilfreich empfundenen Bewältigungsstrategien sowie der Arbeitszufriedenheit. Es soll konkret untersucht werden, welche Faktoren die angesprochenen Aspekte maßgeblich beeinflussen und welche Auswirkungen diese auf die Pflegekräfte selbst, sowie auf die Qualität ihrer Arbeit haben. Zudem wird analysiert, welche Faktoren die Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit und damit auch die Bindung an den Pflegeberuf, gemessen an der Verweildauer, positiv als auch negativ, beeinflussen. Und, wie hoch die psychische Belastung der Pflegekräfte gemessen an dem Burnout-Risiko ist und welche Faktoren sich maßgeblich auf das Burnout-Risiko auswirken. Die Analyse des Bedingungsgefüges zwischen Arbeitsbelastung, Burnout, Coping und Arbeitszufriedenheit selbst steht ebenfalls im Fokus dieser Arbeit. Daneben soll untersucht werden, ob in Bezug auf die untersuchten Variablen und Zusammenhänge signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Pflegebereichen existieren. Folgende Forschungsfragen stehen dabei im Fokus: 1. Welche Motivation hat die Befragten angetrieben, einen Pflegeberuf zu ergreifen? 2. Wie hoch ist die empfundene Arbeitsbelastung? 3. Durch welche Faktoren fühlen sie sich besonders belastet? 4. Wie hoch ist das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko? 5. Durch welche Faktoren wird das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko beeinflusst? 6. Welche Bewältigungsstrategien setzen die Pflegekräfte ein, um den Belastungen und dem Stress zu begegnen? 7. Wie hoch ist die Arbeitszufriedenheit bzw. die Motivation für den Pflegeberuf aktuell und durch welche Faktoren wird sie beeinflusst?
Einleitung
XXI
8. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den empfundenen Arbeitsbelastungen, dem selbsteingeschätzten Burnout-Risiko, den eingesetzten Bewältigungsstrategien und der Arbeitszufriedenheit? 9. Gibt es Unterschiede zwischen den einzelne Pflegebereichen, Geschlechtern oder Altersklassen? Die vorliegende Arbeit ist in fünf Hauptkapitel gegliedert: Kapitel 1 und 2 bilden den (gesellschafts-)theoretischen Rahmen dieser Arbeit und dienen einerseits als Einführung in den Untersuchungsgegenstand und die Problemstellung, andererseits aber auch als Interpretationsrahmen für die Ergebnisse. Dafür werden zunächst in Kapitel 1 die theoretischen Grundlagen aufgearbeitet, beginnend mit einer kurzen Begriffsbestimmung der „Systemrelevanz“. Daran schließt eine arbeits- und berufssoziologische Auseinandersetzung mit den Begriffen Arbeit und Beruf, sowie Dienstleistung- und Interaktionsarbeit an. Es folgt eine Einführung der für diese Untersuchung relevanten Konstrukte Stress, Arbeitsbelastung, Burnout, Coping und Arbeitszufriedenheit. Das theoretische Kapitel schließt mit einer Auseinandersetzung des Zusammenhangs zwischen diesen Konstrukten. Kapitel 2 widmet sich der Einführung in den Untersuchungsgegenstand. Es wird zunächst eine Begriffsbestimmung und Definition vorgenommen. Danach folgt eine kurze Abhandlung über die historische Entwicklung und Professionalisierung der beruflichen Pflege, sowie eine Skizze aktueller und zukünftiger Entwicklungen. Kapitel 3 setzt sich konkret mit der Arbeit in der Pflege auseinander. Zunächst werden die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen dargelegt, bevor genauer auf die Beweggründe und Motivation für eine Tätigkeit in der Pflege eingegangen wird. Es folgt eine Auseinandersetzung mit Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und Stress im Pflegeberuf, welche anhand bereits bestehender Studien sekundärempirisch aufgearbeitet werden. Dabei werden ebenfalls Studien vorgestellt, welche die Auswirkungen der Arbeitsbelastung auf die Pflegekräfte (Burnout und Berufsverweildauer) und die Patienten (Pflegequalität und Patientensicherheit) behandeln. Abschließend folgt eine sekundärempirische Auseinandersetzung mit Studien zu Bewältigungsstrategien, sowie zur Arbeitszufriedenheit und Ressourcen in der Pflege. Eine eigene empirische Untersuchung der Forschungsfragen schließt in Kapitel 4 an. Es erfolgt zunächst eine Herleitung der forschungsleitenden Fragestellungen und Hypothesen und eine Erläuterung des methodischen Forschungskonzeptes. Dabei werden das Forschungsdesign, die eingesetzten Messinstrumente, die Daten und Methode, sowie die untersuchte Stichprobe vorgestellt. Danach folgt im Hauptteil die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse und die Überprüfung der
XXII
Einleitung
Hypothesen, anhand von bi- und multivariaten Analysemethoden. Der Abschluss dieses Kapitels bildet die Auseinandersetzung mit den Grenzen und Problemen der Untersuchung. Abschließend erfolgen in Kapitel 5 ein Resümee und eine Diskussion der zentralen Untersuchungsergebnisse. Es werden zudem die Chancen und Risiken im Pflegeberuf herausgearbeitet. Das Kapitel schließt mit praxisrelevanten Schlussfolgerungen für die Pflege und Überlegungen zu weiterführenden Untersuchungen auf dem Gebiet.
Inhaltsverzeichnis
1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Begriffsbestimmung: Systemrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Arbeit und Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Von der Arbeit zum Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Dienstleistungs- und Interaktionsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Stress und Stressmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Psychologische Stressmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Soziologische Stressmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Arbeitsbezogene Stressmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Physische Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Psychische und soziale Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Entwicklung und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Ursachen und Entstehung von Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Burnout Modell von Maslach und Kolleg*innen . . . . . . . . 1.6 Bewältigungsstrategien (Coping) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Coping nach Lazarus et al. und Hobfoll et al . . . . . . . . . . . 1.6.2 Bewältigung von Arbeitsstress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Modelle der Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.2 Korrelate und Determinanten der Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Zusammenhang von Belastungen, Bewältigung und Zufriedenheit bei der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 4 4 7 10 10 12 13 18 19 20 23 23 25 28 30 31 32 35 37 38 40
XXIII
XXIV
Inhaltsverzeichnis
2 Untersuchungsgegenstand: Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Begriffsbestimmung und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Krankenpflege im 19. und frühen 20. Jahrhundert . . . . . . . 2.2.2 Entwicklungen ab 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Verberuflichung der Altenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Professionalisierung und Akademisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Pflegekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Aktuelle und zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 43 46 47 51 52 54 57 59
3 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse . . . . . . . . . . . 3.1 Rahmenbedingungen: gesetzliche Grundlagen, Ausbildung, Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Beweggründe und Motivation für Pflegearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastung und Stress in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Anforderungen, Belastungen und Stress im Berufsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Burnout in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Berufsverweildauer und vorzeitiger Berufsausstieg . . . . . . 3.3.4 Auswirkungen auf die Pflegequalität und Patientensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Arbeitszufriedenheit und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
4 Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege in Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Fragestellung und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Methodisches Forschungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Fragebogenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Forschungsdesign und Durchführung der Erhebung . . . . . 4.2.3 Messinstrumente, Variablen und Indizes . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Entscheidungen zur Berufswahl und Motivation . . . . . . . . 4.3.2 Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen . . . . . . . . . . . 4.3.2.1 Arbeitszeit, Schichtdienst und Personalstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 68 74 74 91 98 105 110 116 125 126 128 128 130 132 136 137 140 140 147 147
Inhaltsverzeichnis
XXV
4.3.2.2 Familiäre Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.3 Entlohnung und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.4 Zeitdruck und Arbeitsverdichtung . . . . . . . . . . . . 4.3.2.5 Belastungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Auswirkungen auf die Pflegekräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.1 Gesundheitszustand und Gesundheitsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.2 Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.3 Verweildauer, Berufsausstieg und Wechselbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.4 Wiederentscheidung für den Pflegeberuf . . . . . . . 4.3.4 Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung und die Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Ressourcen und Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7 Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.8 Zukünftige Entwicklungen in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.9 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren . . . . . 4.5 Multivariate Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Probleme und Limitationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152 153 155 157 162
171 178 185 188 191 193 195 203 213
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Zusammenfassung und Diskussion zentraler Ergebnisse . . . . . . . . 5.2 Chancen und Risiken in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 217 226 233
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
162 164 166 169
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.1 Abbildung 1.2 Abbildung 1.3 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 4.6 Abbildung 4.7 Abbildung 4.8 Abbildung 4.9 Abbildung 4.10 Abbildung 4.11
Modell beruflicher Gratifikationskrisen . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung, Burnout und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatzpunkte zur Stressbewältigung am Beispiel „Zeitdruck in der Pflege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenfelder und Funktionen der professionellen Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Beanspruchungs- und Bewältigungsmuster im Pflegeberuf . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Faktoren der Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigungsumfang nach Geschlecht . . . . . . . . . . . . . Gründe für eine längere Unterbrechung der Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung Arbeitszeitmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisatorische Belastungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . Zu betreuende Kinder und pflegebedürftige Angehörige nach Altersklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stressfaktoren und Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burnout Risiko nach Arbeitsbereichen . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Gründe für einen vorzeitigen Berufsausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für einen Wechsel ins Ausland . . . . . . . . . . . . . Arbeitsbelastung, Burnout und Arbeitszufriedenheit nach Pflegebereichen (Mittelwerte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 27 34 67 112 146 148 149 150 151 153 159 166 167 169
195
XXVII
XXVIII
Abbildung 4.12
Abbildung 5.1 Abbildung 5.2
Abbildungsverzeichnis
Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Arbeitszufriedenheit und Bewältigungsstrategien (Pearson’s r) . . . . . . . . . . . . . . . Erneute Entscheidung für den Pflegeberuf, Vergleich Pflegekräfte und Pflegeschüler*innen . . . . . . Wechselwirkungen und Einflussfaktoren zwischen Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Arbeitszufriedenheit und Bewältigungsstrategien (Beta-Koeffizienten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 221
225
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1.1 Tabelle 3.1 Tabelle 3.2 Tabelle 3.3 Tabelle 3.4 Tabelle 3.5
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Tabelle 4.8 Tabelle 4.9
Symptomklassifikation und Phasenverlauf von Burnout nach Burisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belastungsfaktoren im Pflegeberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht empirischer Ergebnisse über Belastungen und Stress im Pflegeberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht empirischer Ergebnisse zu Burnout in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht empirischer Ergebnisse zur Verweildauer und Berufsverbleib von Pflegekräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht empirischer Ergebnisse zu Arbeitszufriedenheit und Ressourcen in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direkte Belastungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Variablen zur Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . Burnout Selbsteinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variablen zur Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialstrukturelle Merkmale der Stichprobe . . . . . . . . . . . . Entscheidungen zur Berufswahl (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigkeit des sozialen Aspektes als Berufswahlmotiv nach Geschlecht (in Prozent) . . . . . . . . . . Wichtigkeit des Abwechslungsreichtums als Berufswahlmotiv nach Pflegebereichen (in Prozent) . . . . . .
25 76 78 93 101
118 133 133 134 135 136 137 141 142 142
XXIX
XXX
Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.10
Tabelle 4.11 Tabelle 4.12 Tabelle 4.13 Tabelle 4.14 Tabelle 4.15 Tabelle 4.16 Tabelle 4.17 Tabelle 4.18 Tabelle 4.19 Tabelle 4.20 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
4.21 4.22 4.23 4.24 4.25
Tabelle 4.26 Tabelle 4.27
Tabelle 4.28 Tabelle 4.29
Wichtigkeit der Arbeitsplatzsicherheit als Berufswahlmotiv nach Berufsjahren (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigkeit von Aspekten der Berufstätigkeit (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigkeit von Aspekten der Berufstätigkeit, Faktoren und Faktorladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigkeit des Faktors „Familienfreundlichkeit“ für die Berufstätigkeit nach Geschlecht (in Prozent) . . . . . . . . Unterbrechungszeiten nach Pflegebereichen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschätzung der Angemessenheit der Bezahlung nach Arbeitsbereichen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitplanung nach Arbeitsbereichen (in Prozent) . . . . . . . . . Potenzielle Stress- und Belastungsfaktoren (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzielle Stressfaktoren, Faktoren und Faktorladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfrontation mit Leid und Tod nach Arbeitsbereichen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfrontation mit Leid und Tod nach Altersklassen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Summenindex Belastungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesundheitsprobleme und Beschwerden (in Prozent) . . . . . Summenindex Gesundheitsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . Burnout Selbsteinschätzung (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . Möglicher vorzeitiger Berufsausstiegt nach Altersklassen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglicher vorzeitiger Berufsausstieg nach Berufsjahren (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflegerische Versorgung nach Arbeitsbereichen (Angaben „trifft eher nicht zu“ und „trifft überhaupt nicht zu“ in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung, Akutpflege (in Prozent) . . . . . . . . . . . Mögliche Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung, stationäre/teilstationäre Pflege (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 144 145 146 149 154 155 157 158 160 160 161 163 164 165 167 168
172 175
176
Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.30 Tabelle 4.31 Tabelle 4.32 Tabelle 4.33 Tabelle 4.34 Tabelle 4.35 Tabelle 4.36 Tabelle 4.37 Tabelle 4.38 Tabelle 4.39 Tabelle 4.40 Tabelle 4.41 Tabelle 4.42 Tabelle 4.43
Tabelle 4.44
Tabelle 4.45 Tabelle 4.46 Tabelle 4.47
Tabelle 4.48 Tabelle 4.49
Mögliche Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung, ambulante Pflege (in Prozent) . . . . . . Möglichkeiten und Methoden der Stressbewältigung (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten und Methoden der Stressbewältigung, Faktoren und Faktorladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten der Stressbewältigung (in Prozent) . . . . . . . Summenindex Stressbewältigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . Hilfreiche Bewältigungsstrategien – Mittelwerte nach Altersklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfreiche Bewältigungsstrategien – Mittelwerte nach Berufsjahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Ressourcen und Chancen in der Pflege (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakterisierung des Verhältnisses der Kolleg*innen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsplatzzufriedenheit nach Pflegebereichen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterempfehlungsbereitschaft nach Pflegebereichen (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederbewerbung nach Pflegebereichen (in Prozent) . . . . . Zukünftige Entwicklungen in der Pflege (in Prozent) . . . . . Determinanten der Arbeitsbelastung, des Burnout-Risikos, der Arbeitszufriedenheit und der Copingstrategien (Pearson’s r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleiche – Burnout-Risiko, Gesundheitsprobleme und Arbeitszufriedenheit nach Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedanken an einen vorzeitigen Berufsausstieg nach Arbeitsbelastung (in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Determinanten der Arbeitszufriedenheit (Gamma) . . . . . . . Mittelwertvergleiche – Burnout-Risiko, Gesundheitszustand und Probleme bei der Patientenversorgung nach Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . Determinanten eines möglichen Berufsausstiegs (Cramer’s V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Determinanten von Problemen bei der Patientenversorgung (Pearson’s r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXI
177 179 180 181 182 183 183 185 187 188 189 190 191
196
198 198 199
200 202 203
XXXII
Tabelle 4.50 Tabelle 4.51 Tabelle 4.52 Tabelle 4.53 Tabelle 4.54 Tabelle 4.55 Tabelle 4.56 Tabelle 4.57
Tabellenverzeichnis
Burnout-Risiko – Einflussfaktoren, Variablen des allgemeinen Regressionsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OLS-Regression über das empfundene Burnout Risiko . . . OLS-Regression über die empfundene Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitszufriedenheit – Einflussfaktoren, Variablen des allgemeinen Regressionsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . OLS-Regression über die empfundene Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorzeitiger Berufsausstieg – Einflussfaktoren, Variablen des logistischen Regressionsmodells . . . . . . . . . . Logistische Regression über Gedanken an einen vorzeitigen Berufsausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OLS-Regression über Probleme bei der Patientenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 205 207 208 209 210 211 212
1
Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel wird der für diese Arbeit relevante theoretische Rahmen skizziert. Zunächst wird der Begriff der „Systemrelevanz“ im systemtheoretischen Verständnis kurz erläutert. Es folgen soziologische Überlegungen zu Arbeit und Beruf sowie Auseinandersetzungen mit den Konstrukten Stress, Arbeitsbelastung, Bewältigungsstrategien und Arbeitszufriedenheit.
1.1
Begriffsbestimmung: Systemrelevanz
Grundlage der Begriffsbestimmung ist das Luhmann’sche Verständnis einer funktional-strukturellen Differenzierung der modernen Gesellschaft in verschiedene einzelne Funktionssysteme (z. B. Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Politik) (Luhmann 1994, 1997). Jedes dieser Teilsysteme erfüllt dabei eine spezifische Funktion für das Gesamtsystem der Gesellschaft und hält es dadurch aufrecht. In diesem systemtheoretischen Sinne versteht Luhmann die Gesellschaft als Sozialsystem mit einer gewissen Sonderstellung. Er beschreibt Gesellschaft als den umfassendsten Typ sozialer Systeme, als ein System höherer Ordnung, da es alle Interaktions- und Organisationssysteme beinhaltet (Luhmann 1997). Die Funktionssysteme sind folglich dem Gesellschaftssystem untergeordnet. Kommt es in einem Teilsystem zu Störungen bei der Funktionserfüllung oder zu allgemeinen Krisen, hat das in der Folge Auswirkungen auf das Gesamtsystem. In seinem Aufsatz „Der medizinische Code“ (2005) beschäftigt sich Luhmann konkret mit dem Gesundheitssystem bzw. dem System der Krankenbehandlung, wie er es nennt, und geht der Frage nach, ob es sich dabei um ein eigenständiges Funktionssystem handelt. Trotz einiger Besonderheiten des Systems (Luhmann 2005, 177 ff.)
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Breinbauer, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8_1
1
2
1 Theoretische Grundlagen
kommt Luhmann zu dem Schluss, dass es sich bei dem Gesundheitssystem tatsächlich um ein eigenständiges Teilsystem der Gesamtgesellschaft handelt und sich demnach auch auf dieses auswirken kann. Nach diesen kurzen Ausführungen zur soziologischen Systemtheorie, soll nun der Begriff der „Systemrelevanz“, im Sinne von Relevanz für das Gesamtsystem der Gesellschaft, für die Analyse dieser Arbeit genauer erörtert werden. Der Begriff stammt ursprünglich aus den USA und hat sich im Zuge der Banken- und Finanzmarktkrise etabliert. Eine staatliche Rettungsaktion von New York City im Jahr 1914 gilt als Beginn des Phänomens in der amerikanischen Finanzwelt (Silber 2008). Spätestens nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise und des New Yorker Börsencrashs Ende der 1920er Jahre ist bekannt, dass Störungen des Finanzsystems gravierende Konsequenzen für die Realwirtschaft haben können (Jäggi 2010, S. 5). Akteure gelten demnach als „‚systemrelevant‘ oder ‚too big to fail‘“, wenn sie eine derart bedeutende Rolle für das Wirtschafts- und Finanzsystem spielen, dass ihre Insolvenz nicht hingenommen werden kann. Droht diese dennoch, wird sie in der Regel mittels staatlicher Unterstützung („Bail-out“) abgewendet (van Roosebeke 2011, S. 29). Insbesondere Banken, Versicherungen und Finanzinstitute sind von der Problematik betroffen. Laut Deutscher Bundesbank (2019) gilt eine Bank als „global systemrelevant […] wenn durch bei ihr auftretende Schwierigkeiten bzw. ihren Zusammenbruch das Funktionieren des globalen Finanzsystems und der Realwirtschaft gravierend beeinträchtigt würde.“ Im Zuge der Weltfinanzkrise ab 2007 wurde die Diskussion um die Systemrelevanz von Finanzinstituten erneut laut und gipfelte in dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008, welcher einer der Auslöser für die Weltwirtschaftskrise war. Infolgedessen mussten vor allem in den USA und Europa viele Banken durch Milliarden an Staatshilfen vor der Insolvenz gerettet werden. In Deutschland beispielsweise die Immobilienbank Hypo Real Estate und die Sachsen LB. Zur Stabilisierung des Finanzsektors wurde daher im Herbst 2008 das Finanzmarktstabilisierungsgesetz als Eilgesetz verabschiedet. In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 15. Oktober 2008 in Berlin sagte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück zu dem Gesetzesentschluss: „Wenn es auf den Weltfinanzmärkten brennt, dann muss gelöscht werden. Auch wenn es sich um Brandstiftung handelt. Danach müssen die Brandstifter allerdings anschließend gehindert werden, so was wieder zu machen. Die Brandbeschleuniger müssen verboten werden, und es muss für einen besseren Brandschutz gesorgt werden.“ (Bundesregierung 2008)
1.1 Begriffsbestimmung: Systemrelevanz
3
Stabile und funktionierende Finanzmärkte seinen schließlich ein öffentliches Gut, das es zu schützen gilt, so die Essenz der Rede des Ministers. Es mag sein, dass Banken und andere Finanzakteure wichtig oder in gewisser Hinsicht sogar systemrelevant für die Marktwirtschaft, das Finanzsystem und den Kapitalismus sind. Fraglich ist jedoch, ob sie für das Funktionieren und Überleben einer Gesamtgesellschaft wirklich unverzichtbar sind und aus diesem Grund gegebenenfalls vom Staat finanziell unterstützt werden müssen. Auch vor dem Hintergrund, dass die meisten vom Staat geretteten Banken auf Grund von Spekulationen, faulen Krediten und Fehlinvestments für ihre Schieflage selbst verantwortlich waren. Betrachtet man das Gesellschaftssystem als Ganzes, lassen sich dagegen Berufe und Institutionen ausmachen, ohne die die Gesellschaft tatsächlich nicht funktioniert. Die also wirklich systemrelevant, wenn nicht sogar Systemvoraussetzung sind, um nochmal auf das Eingangszitat von Rüdiger Jacob und Kolleg*innen zurückzukommen: „Unstrittig ist dagegen, dass es wirklich systemrelevante Berufe gibt, auf die eine Gesellschaft nicht verzichten kann, weil sie existenziell notwendige Funktionen im Bereich der Daseinsvorsorge und (Über-)Lebenssicherung erfüllen und damit eine conditio sine qua non für die Existenz und den Fortbestand jeder menschlichen Gesellschaft darstellen. Dazu zählt zunächst die Landwirtschaft, dann die Polizei, die Feuerwehr und andere Kriseninterventionskräfte (etwa das THW) und natürlich die medizinischen Berufe in der Therapie und Pflege. Ärzte und Pflegekräfte erfüllen für die menschliche Existenz unverzichtbare Aufgaben. Diese Berufe sind damit echte systemrelevante Dienstleistungsberufe und einer adäquaten Nachwuchsrekrutierung kommt ganz entscheidende Bedeutung zu“ (Jacob et al. 2015, S. 14)
Doch obwohl die wichtige Stellung der Gesundheit und vor allem auch der Pflege in der Gesellschaft mittlerweile jedem bewusst sein sollte, erscheint der Kampf um bessere gesundheitspolitische Rahmenbedingungen, angemessene Bezahlung und Wertschätzung der Arbeit oftmals wie ein sinnbildlicher Kampf gegen Windmühlen. Eine staatliche Unterstützung oder Förderung dafür ist nicht vorgesehen. Der Begriff der Systemrelevanz sollte nicht allein dem Finanzsektor vorbehalten bleiben, sondern vielmehr auf alle für das Systembestehen wirklich relevanten Berufe, Tätigkeiten, Institutionen oder Organisationen ausgeweitet werden. So wird beispielsweise über die Systemrelevanz von Zeitungen oder der Toleranz für das Völkerrechts diskutiert (Prantl 2009; Kotzur 2010). Da Gesundheit ein besonders hohes und schützenswertes Gut in unserer Gesellschaft ist und seit
4
1 Theoretische Grundlagen
jeher die Spitze der gesellschaftlichen Wertehierarchie anführt, so Hafen (2007), gehört sie auch zu den zentralen Themen unsere Zeit. Die Politikwissenschaftlerin Ilona Kickbusch (2006) spricht sogar von einer „Gesundheitsgesellschaft“ und laut Richter und Hurrelmann leben wir in einer gesundheitsbesessenen Welt (2016, S. 3). Medizin und Pflege versuchen das Gut „Gesundheit“ zu bewahren und zu fördern. Aus systemtheoretischer Perspektive führt Krankheit zu Störungen des Sozialsystems, was vor allem bei vermehrtem Auftreten zur Gefährdung des Fortbestandes des gesamten Systems führen kann (Schroeter und Rosenthal 2005, S. 10). Doch nicht nur das vermehrte Auftreten von Krankheit und Multimorbidität stellt das Gesundheitssystem vor Herausforderungen, sondern vor allem systemische Probleme wie schlechte Rahmen- und Arbeitsbedingungen, die zu einem Fachkräftemangel beitragen. Gerade weil die Pflege systemrelevant ist, müssen Rahmen- und Arbeitsbedingungen genauer untersucht und Möglichkeiten zur Verbesserung gefunden werden. Im Rahmen dieser Arbeit soll ein Versuch unternommen werden am Beispiel der Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz genau dies zu tun. Bevor allerdings in Kapitel 2 das Augenmerk konkret auf den Untersuchungsgegenstand „Pflege“ gelegt wird, folgt zunächst eine kurze arbeits- und berufssoziologische Skizze der Begriffe Arbeit, Beruf und Interaktionsarbeit.
1.2
Arbeit und Beruf
Da in dieser Untersuchung sowohl die Arbeit generell in Form von Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen als auch der Pflegeberuf im Speziellen im Fokus stehen, sollen hier die Begriffe in soziologischer Perspektive kurz diskutiert werden.
1.2.1
Von der Arbeit zum Beruf
In soziologischer Perspektive wird Arbeit als besondere Form sozialen Handelns verstanden, als „zweckgerichtete bewusste Tätigkeit von Menschen […], die sie unter Einsatz von physischer Kraft und psycho-physischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausüben“ (Voß 2016a, S. 15). Die Besonderheit ergibt sich, laut Schmidt, über die Zweckbindung der Handlung an Daseinsfürsorge und die Sicherstellung materieller und ideeller Reproduktionsressourcen (2010, S. 127). Das Verständnis und die Vorstellung von Arbeit unterliegen jedoch einem ständigen gesellschaftlichen und historischen Wandel.
1.2 Arbeit und Beruf
5
Während heute anerkannt wird, dass Arbeit sehr unterschiedliche und vielfältige Erscheinungsformen annehmen kann (weiter Arbeitsbegriff), galt lange Zeit die Vorstellung von Arbeit als Erwerbsarbeit, also als rein ökonomische Tätigkeit (enger Arbeitsbegriff). Neben der Erwerbsarbeit, die wiederum in abhängige Lohnarbeit, selbständige oder freiberufliche Arbeit unterteilt werden kann, gibt es zum Beispiel ehrenamtliche Arbeit, Hausarbeit oder Familienarbeit (Voß 2016a, S. 16). Grade die letzten beiden Formen, meist weiblicher, Reproduktionstätigkeiten, zu denen auch die informelle bzw. familiale Pflege gehört, hatten es besonders schwer als Arbeit explizit gesellschaftlich anerkannt zu werden. Und ob sie es zurzeit bereits vollständig sind darf bezweifelt werden. In Bezug auf die Teilhabe an Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeit an sich gibt es auch heute noch zum Teil gravierende Geschlechterunterschiede und -ungleichheiten. Eine besondere Art von Arbeit ist der Beruf. Während Arbeit den Einsatz eines gegebenen Arbeitsvermögens beschreibt, bezieht sich Beruf auf die Struktur und Organisation von Arbeitskraft (Voges 2002, S. 17). Berufe lassen sich demnach als „soziale Organisation der Arbeit“ beschreiben (Luckmann und Sprondel 1972, S. 17). Demszky von der Hagen und Voß definieren Beruf als „eine aus gesellschaftlichen Bildungsprozessen hervorgehende soziale Form spezifisch zugeschnittener Fähigkeiten und Fertigkeiten und dazu komplementärer fachlicher Tätigkeiten und Leistungen.“ (2010, S. 751). Berufe werden von Menschen meist dauerhaft zur Erfüllung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Funktionen übernommen. Dadurch werden die Berufstätigen gesellschaftlich eingebunden, sozialen Normen unterworfen und in wichtigen persönlichen Aspekten geprägt (Demszky von der Hagen und Voß 2010, S. 751). Berufe nehmen somit eine wichtige Rolle zur sozialen Integration und Platzierung von Menschen im Gesellschaftsgefüge ein. Die Berufsstruktur ist dabei eine grundlegende Form sozialer Ordnung, trägt durch die unterschiedliche Bewertung der Berufe in der Gesellschaft aber auch zu sozialer Ungleichheit bei. Ebenso wie der Arbeitsbegriff unterliegen Berufe und die Sozialform Beruf einem historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Die stark religiöse Fundierung des Berufsbegriffes im Spätmittelalter gilt, laut Kurtz, in berufssoziologischen Analysen häufig als Ausgangsform (2002, S. 11). Der Arbeitsbegriff des Neuen Testaments wird von Martin Luther mit „Beruf“ übersetzt, wodurch das Berufsverständnis seine religiöse Prägung erhält. Der Beruf wird nun als göttliche Berufung zur Arbeit gesehen, welche völlige Hingabe verlangt und gleichzeitig Erfüllung verspricht (Kurtz 2002, 10 f). Max Weber greift diese Vorstellung in seiner berühmten Protestantismus These wieder auf. Zentraler Gedanke von Weber ist dabei, dass „der moderne kapitalistische Geist“ und seine Grundlage, „die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee […] aus dem Geist der
6
1 Theoretische Grundlagen
christlichen Askese“ entstanden seien (Weber 1986, S. 201). Eine Säkularisierung der Berufsidee findet erst im Zuge der Aufklärung statt. Beruf wird nun immer mehr als Persönlichkeitsentfaltung, als Eignung und Neigung der Menschen und weniger als göttliche Berufung gesehen (Kurtz 2002, 11 f.). Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert markiert die Geburtsstunde der Berufe und Berufsbildung im heutigen Sinne und hat dazu beigetragen, dass sich das Berufsverständnis in Richtung einer ökonomisch geprägten Funktionsorientierung entwickelt (Voß 2016b, S. 27). Die neuen Produktionsweisen der rationalisierten Arbeitswelt der industriellen Moderne erfordern neuartige, beruflich spezialisierte Fähigkeits- und Funktionsmuster, die eine anspruchsvolle Qualifikation und Ausbildung benötigen. Neben dem klassischen Berufssystem bilden sich neue Elitegruppen, Verwaltungsfunktionen und neue Technikberufe mit höherer Fachbildung heraus (Voß 2016b, S. 27). Dieser Prozess setzt sich bis ins 20. Jahrhundert fort. Starke soziale Ungleichheiten werden dabei weiter reproduziert. Andererseits ermöglichen Reformen in Bildungs- und Sozialpolitik sowie subjektive Bildungsentscheidungen für immer mehr Menschen eine berufsbedingte soziale Mobilität, was zu einer tendenziellen Demokratisierung des Berufssystems führte, so Voß (2016b, S. 29). Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre setzte ein weiterer Wandel von Arbeit und Beruf ein. Gestiegene Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinsichtlich der persönlichen Zufriedenheit und Entfaltung im Beruf, sowie steigende überfachliche Qualifikationen und Fähigkeiten, erfordern neue Strukturen der Arbeitsorganisation. Feste Strukturen und Organisationsformen von Arbeit brechen hinsichtlich zeitlicher, räumlicher, fachlicher und sozialer Dimensionen immer weiter auf (Voß 2016b, 29 f.). Individualisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung sind die zentralen Stichworte. Einige Autoren sprechen sogar von einer „Krise des Berufs“, die mit dem Ende der „Arbeitsgesellschaft“ korrespondiere (Kurtz 2002, S. 5; Beck 1999; Sennett 1998; Baethge und Baethge-Kinsky 1998). Die Debatte um die Zukunft der Arbeit und der Beruflichkeit ist auch im Jahr 2019 immer noch aktuell. Es geht jetzt um Fragen der Digitalisierung, der Robotik, der Algorithmen von Google, Amazon und Co. sowie der fortschreitenden Automatisierung (Daheim und Wintermann 2016). Durch tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse wie den demografischen Wandel, den verändernden Lebensentwürfen von Männern und Frauen, der Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Sorgearbeit, der immer stärker werdenden Digitalisierung und nicht zuletzt der Zuwanderung aus anderen Gesellschaften, um die Lücke des Demografischen Wandels zu füllen, muss sich auch die Arbeits- und Berufswelt neuen Herausforderungen und Entwicklungen stellen.
1.2 Arbeit und Beruf
7
Unter dem Stichwort Arbeit 4.0 wird beispielsweise die Flexibilität in der Arbeitszeitregulierung, die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben, der Wunsch nach autonomem und selbstbestimmtem arbeiten, sowie gesundheitsförderliche und lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung diskutiert (Maschke 2017).
1.2.2
Dienstleistungs- und Interaktionsarbeit
Neben den fortschreitenden Entwicklungen in Bezug auf Arbeit und Beruf hat sich auf der Ebene der Arbeitsmärkte ebenfalls ein Strukturwandel vollzogen. Die Rede ist von der zunehmenden Tertiarisierung in westlichen Gesellschaften, also der Verschiebung des Primates der Produktionsarbeit hin zum Primat der Dienstleistungsarbeit (Ruiner und Wilkesmann 2016, S. 63). In Deutschland waren im Jahr 2017 beispielsweise rund drei Viertel aller Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich beschäftigt, Tendenz weiter steigend (Schwahn et al. 2018, S. 26). Dienstleistungsarbeit ist dabei jedoch nicht einheitlich, sondern sehr vielfältig und ausdifferenziert. Eine besondere Form der Dienstleistungsarbeit ist die personenbezogene Dienstleistung. Gegenstand dieser Form der Arbeit ist eine ausgeprägte zwischenmenschliche Interaktion mit Kunden, Klienten und Patienten. Pflegeberufe gehören beispielsweise zu dieser Berufsgruppe. Laut ver.di arbeiten in Deutschland rund zwei Drittel der Arbeitnehmer oft und regelmäßig im direkten Kontakt mit anderen Menschen (2011, S. 4). Kernaufgabe der personenbezogenen Dienstleistung ist die sogenannte Interaktionsarbeit, das Zusammenspiel und die Wechselbeziehung zwischen Dienstleistern und Dienstleistungsempfängern (Böhle et al. 2006, S. 29). In Bezug auf die Krankenbehandlung und Pflege bedeute das konkret „Wiederherstellung, Erhalt und Förderung der Gesundheit der Patienten“ (Büssing und Glaser 2003b, S. 132). Die Interaktion verläuft dabei jedoch nicht einseitig, sondern die Patienten werden aktiv an dem Prozess beteiligt. Bei der Interaktionsarbeit wird der Dienstleistungsempfänger nicht als bloßes „Objekt“ der Arbeit betrachtet, ist also kein rein passiver Konsument, sondern wird, der sogenannten „Ko-Produktionsthese“ folgend, als Subjekt und „KoProduzent“ in das Arbeitshandeln mit einbezogen (Büssing und Glaser 2003b, S. 133). Der Austausch zwischen Dienstleistern und Empfängern ist dabei von Gefühlen und Emotionen auf beiden Seiten gekennzeichnet und muss sich stets an situative Gegebenheiten anpassen, da er, so Böhle et al., einen direkten und entscheidenden Einfluss auf die Qualität der Arbeit sowie auch auf die Qualität des Arbeitslebens der Dienstleister hat (2006, S. 29). Bei Problemen oder gar Scheitern der Interaktion kann es daher zu Risiken und Belastungen durch
8
1 Theoretische Grundlagen
Interaktionsstress kommen. Der Begriff und das Konzept der Interaktionsarbeit in Deutschland wurde maßgeblich von Büssing, Glaser und Kolleg*innen (2003b; 2006) geprägt, obwohl schon seit den 1970er Jahren, hauptsächlich in der Soziologie, zu diesem Themenbereich geforscht wird. Bei ihrem integrierten Konzept der Interaktionsarbeit orientieren sich Büssing et al. dabei vor allem an den Konzepten der Emotionsarbeit von Arlie Hochschild (1979, 2003) und der Gefühlsarbeit von Anselm Strauss (1980). Das Konzept der Interaktionsarbeit1 setzt sich nach Büssing, Glaser und Böhle aus vier Merkmalen zusammen, die in Wechselwirkung zueinander stehen: Kooperationsarbeit, Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln (Büssing und Glaser 2003b, 134 ff.; Böhle et al. 2006, 30 ff.; Böhle 2011, 457 ff.). Voraussetzung für eine gelingende Interaktionsarbeit ist die wechselseitige Abstimmung von Interessen und Vorstellungen auf Grundlage gegenseitiger Anerkennung und Unterstützung, so Böhle (2011, 457 f.). Ein weiterer Kernbestandteil der Interaktionsarbeit ist die Emotionsarbeit („emotion work“). Damit ist die situative Anpassung, Regulierung und Kontrolle der eigenen Emotionen bei der Interaktion mit den Klienten und Patienten gemeint (Büssing und Glaser 2003b, S. 135). Das Konzept geht zurück auf die Arbeiten von Arlie Hochschild (1979, 2003) in Anlehnung an Erving Goffman. Hochschild untersuchte in ihrer Studie „The Managed Heart“ die emotionale Arbeit von Flugbegleiterinnen in den USA. Noch heute stehen Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter für einen Prototyp der stets freundlichen, lächelnden und zuvorkommenden Dienstleister, um für ihre Kunden eine emotional angenehme Atmosphäre zu schaffen, unabhängig von ihrem eigenen tatsächlichen emotionalen Zustand. Hochschild untersucht eben diese Regulierung und Bewältigung der Diskrepanz zwischen tatsächlichen, authentischen Gefühlen einerseits und erwarteten Gefühlen und Gefühlsregeln der Organisation anderseits (Büssing und Glaser 2003b, S. 134). In Anlehnung an Goffman unterscheidet sie zwei verschiedene Formen von Gefühlsregeln, um die eigenen Emotionen zu managen bzw. zu manipulieren (Hochschild 1979, S. 558): Tiefenhandeln („deep acting“) und Oberflächenhandeln („surface acting“). Während das Tiefenhandeln auf die Regulierung innerer Gefühle und den Ausdruck tatsächlicher, authentischer Gefühle abzielt, verbirgt sich hinter dem Oberflächenhandeln die Regulierung eines äußeren, dargestellten Gefühlsausdrucks, obwohl die entsprechende Emotion gar nicht vorliegt (Büssing und Glaser 2003b, 135). Hierbei handelt es sich also eher um ein „so tun als ob“. 1 Im
wissenschaftlichen Diskurs wird neben dem Begriff der Interaktionsarbeit auch der Begriff der interaktiven Arbeit (Dunkel und Voß 2004; Dunkel und Weihrich 2012) oder der dialogisch-interaktiven Erwerbsarbeit (Hacker 2009, 2018) verwendet.
1.2 Arbeit und Beruf
9
Die dritte wichtige Hauptkomponente von Interaktionsarbeit ist die Gefühlsarbeit, also die Beeinflussung der Gefühle anderer, beispielsweise durch Vertrauen, Einfühlsamkeit oder psychosoziale Unterstützung (Böhle 2011, S. 458). Strauss et al. definieren Gefühlsarbeit als „Arbeit, die speziell unter Berücksichtigung der Antworten der bearbeiteten Person oder Personen geleistet wird und die im Dienst des Hauptarbeitsverlaufs erfolgt. Auch kann ein Teil dieser Arbeit vom Arbeitenden an sich selbst oder an anderen Arbeitenden geleistet werden […]“ (1980, S. 629)
Damit eine gute Interaktion zwischen Dienstleister und Empfänger gelingen kann, sollte während der Interaktionsarbeit, so Böhle, eine förderliche emotionale Verfassung und Gefühlslage der Klienten und Patienten hergestellt und aufrechterhalten werden (2011, S. 458). Um das zu erreichen, können verschiedene Typen der Gefühlsarbeit zum Einsatz kommen. Strauss et al. (1980) stellen in ihrer Feldbeobachtung sieben solcher Typen heraus, darunter zum Beispiel Vertrauensarbeit, Biographiearbeit oder Identitätsarbeit. Als letzten wichtigen Aspekt von Interaktionsarbeit beschreiben Böhle, Büssing und Glaser das subjektivierende Arbeitshandeln. Um den Besonderheiten und speziellen Anforderungen der Arbeit mit und an Menschen gerecht zu werden, ist bei diesen Tätigkeiten ein situatives Handeln notwendig, um auf Unvorhersehbarkeiten und Unabwägbarkeiten spontan reagieren zu können (Böhle 2011, 458). Das subjektivierende Arbeitshandeln ist demnach, so Böhle, durch ein „dialogisch-exploratives Vorgehen“ und eine „spürend-empfindende Wahrnehmung“ gekennzeichnet und setzt ein hohes Maß an Empathie und Nähe voraus (2011, 458 f.). Im Gegensatz zu anderen, nicht personenbezogenen Dienstleistungen ist bei der Interaktionsarbeit ein planmäßig-objektivierendes Handeln nicht zielführend. Ein großer Teil der pflegerischen Arbeit zeichnet sich durch Interaktionsarbeit aus. Neben organisatorischen und planerischen Aufgaben sowie der Dokumentation, ist die Arbeit in der direkten Pflege im Kern der Austausch mit den Patienten und Pflegebedürftigen, wie Glaser und Höge herausstellen: „Die Interaktion mit den Patienten kann auch als Kernaufgabe der pflegerischen Tätigkeit verstanden werden. Pflege ist somit als Interaktionsarbeit zu begreifen, die einen eigenständigen, therapeutisch relevanten Beitrag zur Genesung liefert.“ (Glaser und Höge 2005, S. 9)
Die Interaktionsarbeit in der Pflege, vor allem der Umgang und die Regulierung von Gefühlen und Emotionen, kann für die Pflegekräfte selber zu Belastungen
10
1 Theoretische Grundlagen
und Stress führen und sich im ungünstigsten Falle negativ auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten auswirken. Wie genau Stress und Belastungen in Bezug auf die Arbeit entstehen, welche Konsequenzen daraus resultieren können und welche Bewältigungsstrategien eingesetzt werden können, wird in den nächsten Abschnitten genauer erläutert, bevor dann in Kapitel 2 auf den Untersuchungsgegenstand Pflege eingegangen wird.
1.3
Stress und Stressmodelle
In der modernen Arbeitswelt ist Stress allgegenwärtig. Kaum ein Begriff wird häufiger gebraucht, wenn es um die Beschreibung der eigenen Tätigkeit geht. Jeder fühlt sich gestresst, ist im Stress, hat keine Zeit und einen vollen Terminkalender. Es entsteht sogar häufig der Eindruck Stress zeuge von beruflichem Erfolg. Durch die Omnipräsenz erscheint Stress oft beliebig, was dazu führt, dass echter Stress und die gesundheitlichen Folgen, die damit einhergehen, häufig bagatellisiert werden, so Litzcke et al. (2013). Dabei zählt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress zu einer der großen Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts. Bezüglich seiner Ursachen und Folgen ist Stress ein gesamtgesellschaftliches Phänomen (Nitsch 1981a, S. 16). Daher ist es kaum verwunderlich, dass eine große Vielfalt an wissenschaftlichen Stresskonzepten, Theorien und Modellen existiert. Stress ist dabei Forschungsgegenstand der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen wie beispielsweise Biologie, Medizin, Psychologie oder auch Soziologie, die jeweils ihre eigene Fokussierung und Akzentuierung des Begriffes herausstellen. Es gibt aus diesem Grund nicht den einen einheitlichen und wissenschaftlich präzisen Stressbegriff, sondern es existieren je nach Disziplin verschiedene Definitionen (Nitsch 1981a, S. 17). Für diese Arbeit besonders bedeutsam sind die psychologische und die soziologische Perspektive auf Stress, sowie neuere arbeitsbezogene Stressmodelle, die im Folgenden kurz angerissen werden.
1.3.1
Psychologische Stressmodelle
Ausgangspunkt kognitionspsychologischer Stressforschung ist das Verhältnis von Person und Umwelt, welches als psychisch vermittelt und aktiv gestaltbar betrachtet wird. Grundlegend für die Stressentstehung ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der jeweiligen Person-Umwelt-Beziehung und der daraus resultierende Anpassungsdruck. Stress wird in dieser Perspektive als kognitiver
1.3 Stress und Stressmodelle
11
Bewertungsvorgang innerhalb einer Person-Umwelt-Transaktion verstanden: „The person-environment relationship that brings stress is about subjective imbalance between demands that are made on people and their resources to manage the demands“ (Lazarus und Folkman 1984, S. 211). Lazarus und Folkman (1984, 1987) unterteilen dabei die kognitiven Bewertungen in primäre Einschätzung, sekundäre Einschätzung und Neubewertung. In der ersten Einschätzung bewertet das Individuum die eingetretene Situation oder das Ereignis und wägt ab, ob es seine Ziele und/oder sein Wohlbefinden relevant beeinflusst (Lazarus und Folkman 1987). Nur wenn die Situation als relevant eingeschätzt wird und Anpassungsleistungen erfordert, wird sie als stressreich wahrgenommen. Diese erste Einschätzung markiert den Beginn einer Stressphase. Es erfolgt eine weitere Unterscheidung des stressreichen Ereignisses in Schaden/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung. Während Schaden, Verlust oder Bedrohung als negativer Stress begleitet von negativen Emotionen wie Angst oder Ärger wahrgenommen werden, zählen Herausforderungen zu positivem Stress, welcher mit positiven Emotionen wie Neugier, Zuversicht und produktiver Erregung einhergeht (Lazarus und Launier 1981, 233 ff.). Im Zuge der zweiten Einschätzung bewertet die Person dann die ihr zur Verfügung stehenden Bewältigungsfähigkeiten und -möglichkeiten, um sich den situativen Anforderungen zu stellen (Lazarus und Launier 1981, S. 238). Dies können körperliche, psychische, soziale oder materielle Ressourcen sein. Das Konzept der Bewertung wird durch ein Rückkopplungssystem erweitert. Informationen über die eigene Reaktion und die Umwelt werden reflektiert, was schließlich zu einer Neubewertung der Person-Umwelt-Beziehung führen kann. Der Bewertungsprozess wird daraufhin erneut durchlaufen. Eine wichtige Weiterentwicklung von Lazarus‘ transaktionalem Stressmodell stellt die Theorie der Ressourcenerhaltung (Conservation of Resources, kurz COR-Theorie) von Stevan E. Hobfoll und Kolleg*innen (1988, 1989; 1990; 1993; 2001, 2011; 2018) dar. Die grundlegende Annahme der COR-Theorie besteht darin, dass Individuen danach streben, vorhandene Ressourcen zu erhalten, zu bewahren, zu schützen und neue aufzubauen (Hobfoll 2001, S. 341). Stress entsteht laut Hobfoll dann, wenn der Ressourcenbestand verändert, bedroht oder verloren wird: „Psychological stress is defined as a reaction to the environment in which there is (a) the threat of a net loss of resources, (b) the net loss of resources, or (c) a lack of resource gain following the investment of resources. Both perceived and actual loss or lack of gain are envisaged as sufficient for producing stress.” (Hobfoll 1989, S. 516)
12
1 Theoretische Grundlagen
Ressourcen lassen sich dabei in verschiedener Weise klassifizieren. Hobfoll (1989, 317 f.) unterscheidet zunächst zwischen vier Typen: Objektressourcen (z. B. Auto, Haus), Bedingungsressourcen (z. B. Gesundheit, Familienstand), persönliche Ressourcen (z. B. Kompetenzen, Fähigkeiten), Energieressourcen (z. B. Wissen, Zeit, Geld). Angelehnt an Maslows (1943, 1954) Bedürfnishierarchie nimmt Hobfoll (1998, 2001) in späteren Publikationen ebenfalls eine hierarchische Unterteilung der Ressourcen vor. Abhängig von der Wichtigkeit und Notwendigkeit der Ressourcen zum Überleben unterscheidet er primäre Ressourcen, die direkt das Überleben sichern (z. B. Lebensmittel, Obdach), sekundäre Ressourcen, mit deren Hilfe die primären Ressourcen gesichert und erhalten werden können (z. B. Fähigkeiten, soziale Unterstützung), sowie tertiäre Ressourcen, die den Zugang zu sekundären Ressourcen sichern (z. B. Geld, Freundschaft). Des Weiteren ergänzt Hobfoll seine Theorie um zwei Prinzipien, welche die Stressmechanismen aus ökonomischer Sicht verdeutlichen sollen. In der COR-Theorie kann Stress auch positive Auswirkungen haben, beispielsweise, wenn neue Ressourcen gewonnen werden. Allerdings sind die Effekte von Ressourcenverlusten und Ressourcengewinnen unterschiedlich, wie Hobfoll herausstellt: 1. „The first principle of COR theory is that resource loss is disproportionately more salient than resource gain.“ (Hobfoll 2011, S. 128). Ressourcenverluste sind also für das Individuum insgesamt bedeutsamer als Ressourcengewinne, selbst wenn das Ausmaß an Verlusten und Gewinnen gleich ist. 2. “The second principle of COR theory is that people must invest resources in order to protect against resource loss, recover from resource losses, and gain resources.” (Hobfoll 2011, S. 129). Um über einen großen Ressourcenpool zu verfügen, der vor potenziellen Bedrohungen und Verlusten schützt, ist es laut Hobfoll notwendig, bestehende Ressourcen in neue Ressourcen zu investieren. Das ist auch das Kernelement von Hobfolls Coping-Strategie, auf welche in Abschnitt 1.6 genauer eingegangen wird.
1.3.2
Soziologische Stressmodelle
In soziologischen Stressmodellen wird Stress als soziales Phänomen und sozialer Prozess betrachtet, bei welchem die Stressoren im Fokus stehen (Busse et al. 2006, S. 67). Eine Vielzahl an Stressoren ergibt sich aus einer gesellschaftlich gestalteten Umwelt und spiegelt kulturelle und sozioökonomische Lebensund Arbeitsbedingungen wider (Nitsch 1981b, 121 f.). Aber nicht nur Stressoren haben einen gesellschaftlichen Hintergrund, sondern auch die subjektive
1.3 Stress und Stressmodelle
13
Wahrnehmung von Stressoren und die individuellen Reaktionen darauf werden in sozialen Lernprozessen vermittelt. Es wird gelernt, welche Situationen oder Ereignisse als Stressoren anzusehen sind und welche Bewältigungsstrategien sozial erwünscht oder eben unerwünscht sind (Hirsch 1983, S. 56). Grundsätzlich können auch hier Stressoren sowohl positive also auch negative Folgen haben und somit entweder eine Belastung oder eine Ressource darstellen (Busse et al. 2006, S. 67). Ein weiterer Aspekt soziologischer Stressmodelle ist die Erkenntnis, dass soziale Beziehungen selbst zu Stressoren werden können und zwar durch direkte Einflussnahme (z. B. Kritik, Beleidigung, Abwertung), Abhängigkeiten und Konkurrenz bis hin zur „sozialen Stressirradiation“, wenn beispielsweise die Angst einer Person „ansteckend“ wirkt (Nitsch 1981b, S. 123). Wird nicht nur die personale Identität sozial eingeschränkt, sondern die gesamte soziale Existenz und Handlungsfähigkeit in Frage gestellt, spricht man, laut Nitsch, von sozialem Stress im engeren Sinne (1981b, S. 124). Die Stresswirkung von sozialen Normen- und Meinungsabweichungen, sowie von Macht- und Rollenverlust („Rollenstress“) liegt hierin ebenfalls begründet. Das soziologische Stressmodell von Leonard I. Pearlin (1989) knüpft daran an. Eine seiner zentralen Forschungen beschäftigt sich mit den permanenten Rollenbelastungen, die dauerhaft die alltäglichen Lebensbedingungen der Menschen beeinflussen (Blättner und Waller 2018, S. 38). Durch soziale Strukturen und gesellschaftliche Schichtsysteme werden soziale Ungleichheiten hervorgebracht und gefestigt, die selbst zu stressigen Lebensbedingungen führen, so Pearlin (Pearlin 1989, S. 242). Bei seinem Stressmodell unterscheidet er zwischen eben jenen sozioökonomischen Rahmenbedingungen und den daraus resultierenden Belastungen, den sozialen und personalen Mediatoren, die dazu beitragen können Überforderungen entgegenzutreten und den Stressreaktionen, die sich aus den Belastungen und Überforderungen ergeben können. Als Hauptstressoren gelten bei Pearlin kritische Lebensereignisse, chronische Spannungen und unvorhersehbare Übergänge im Lebenslauf (Pearlin 1989, 243 ff.). Soziale und gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Interaktionen begünstigen jedoch nicht nur die Entstehung von Stress, sondern können diesen ebenfalls vermindern und als Stressmediatoren wirken (Nitsch 1981b, S. 125), wie schon in dem Modell von Pearlin angedeutet.
1.3.3
Arbeitsbezogene Stressmodelle
Einige Stressmodelle setzen sich konkret mit arbeitsbezogenem Stress auseinander. Arbeitsstress wird definiert als „emotionale, kognitive, verhaltensmäßige und
14
1 Theoretische Grundlagen
physiologische Reaktion auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung“ (Plaumann et al. 2006, S. 4). Stressoren am Arbeitsplatz sind unter anderem Schichtdienst, Zeitdruck, Umgebungsbelastungen (z. B. Lärm, Temperatur, Schadstoffe), Auseinandersetzungen mit Kolleg*innen und Vorgesetzten, monotone Arbeit, häufige Unterbrechungen und fehlende Wertschätzung. Wie bereits in den Ausführungen gezeigt, hängt es jedoch stark vom individuellen Empfinden der Person ab, ob ein Ereignis als Stressor wirkt oder nicht. Objektiv gleiche Belastungen können von Menschen subjektiv unterschiedlich empfunden werden und auch ein und derselbe Mensch kann eine Belastung in unterschiedlichen Situation unterschiedlich empfinden (Litzcke et al. 2013, S. 6). Die Stressdosis und die eigenen Ressourcen zur Stressbewältigung entscheiden darüber, ob Arbeitsstress positiv oder negativ wirkt, so wird beispielsweise ein mittlerer Stresslevel wird bei der Arbeit als ideal und produktivitätssteigend angesehen. Sowohl zu viel (Überforderung) also auch zu wenig Stress (Unterforderung) kann zu einem Leistungsabfall führen und negative Stressreaktionen hervorrufen. Negativer Arbeitsstress entsteht dann, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen beruflichen Anforderungen, persönlichen Arbeitsvoraussetzungen (Ressourcen, Kenntnisse und Fähigkeiten) und sozialer Belohnung kommt (Litzcke et al. 2013, S. 8). Das Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek und Theorell (1990) und das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996b, 1996a) beschäftigen sich genau mit diesem Problem und den damit einhergehenden arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken. Bei dem Anforderungs-Kontroll-Modell stehen Arbeitsplatzgegebenheiten und Arbeitsinhalte als Auslöser chronischer Stresserfahrungen und stressassoziierter Erkrankungen im Vordergrund. Es geht um das Verhältnis des Ausmaßes an Kontrolle zu dem Ausmaß der Anforderungen von Arbeitsaufgaben (Busse et al. 2006, S. 73). Förderlich sind Aufgaben, die Kontrolle und Einfluss zulassen sowie Lernund Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Aufgaben, die durch hohe physische und psychische Anforderungen gekennzeichnet sind und gleichzeitig wenig Entscheidungsspielraum und Kontrolle über die Ausführung der Tätigkeit zulassen, sind dagegen besonders belastend und rufen chronische Stressreaktionen hervor (Siegrist und Dragano 2008, S. 306). Industrielle Fließbandarbeit ist ein klassisches Beispiel dafür. Diese arbeitsbedingten Stressreaktionen werden durch den Wegfall von sozialem Rückhalt und Wertschätzung weiter verschärft. Sozial isolierte Beschäftigte mit hohen Anforderungen und niedriger Entscheidungsgewalt sind demnach am stärksten belastet (Busse et al. 2006, S. 74). Grundannahme des Modells beruflicher Gratifikationskrisen ist die für Berufsarbeit wesentliche Tauschbeziehung zwischen Leistung und Belohnung, wonach für erbrachte Arbeitsleistungen angemessene Gratifikationen (z. B. Bezahlung,
1.3 Stress und Stressmodelle
15
Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit, Wertschätzung) gewährt werden (Siegrist und Dragano 2008, S. 308). Wird dieser Grundsatz verletzt, wenn beispielsweise einer hohen Verausgabung keine angemessene Entlohnung gegenübersteht, stellt das für die beschäftigte Person eine Gratifikationskrise dar, die mit ausgeprägten Stressreaktionen einhergeht (Siegrist 2013a, 33 f.). Die Sicherung des sozialen Status von Beschäftigen spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die monetäre Belohnung. Moderne Entwicklungen der Arbeitswelt und belastende Aspekte der wirtschaftlichen Globalisierung (z. B. Arbeitsintensivierung, Arbeitsplatzunsicherheit, prekäre Bezahlung und mangelnde Anerkennung) wirken sich auf die Entstehung von beruflichen Gratifikationskrisen aus. Siegrist stellt in seinem Modell drei Bedingungen heraus, unter denen Gratifikationskrisen besonders wahrscheinlich sind (1996a): 1. Abhängigkeit durch fehlende Arbeitsplatzalternative (z. B. durch geringe Qualifikation): Beschäftigte ziehen ein unfaires Beschäftigungsverhältnis dem Arbeitsplatzverlust vor 2. Strategische Entscheidung: Beschäftigte akzeptieren zunächst das Ungleichgewicht, um zukünftige Karrierechancen zu verbessern 3. Riskante Form der Anforderungsbewältigung: „Vorliegen eines spezifischen psychischen Bewältigungsmusters angesichts von Leistungssituationen, das durch eine distanzlose, übersteigerte Verausgabungsneigung gekennzeichnet ist, häufig einhergehend mit einer unrealistischen Einschätzung der gestellten Anforderungen und der zu erwartenden Belohnung“ (Siegrist und Dragano 2008, S. 308). Die ersten beiden Bedingungen beziehen sich dabei auf die Arbeitssituation und die letzte auf Aspekte des Bewältigungshandelns der arbeitenden Person. Neben den Faktoren Leistung und Belohnung berücksichtigt das Modell beruflicher Gratifikationskrisen auch den Aspekt übersteigerte Verausgabungsneigung bzw. Überengagement als unabhängigen Einflussfaktor (siehe Abbildung 1.1). Siegrist betont, dass die beiden arbeitsbezogenen Stressmodelle nicht in Konkurrenz zueinander zu sehen sind, sondern sich vielmehr gegenseitig ergänzen (2008, S. 308). Die Pflege gehört beispielsweise zu den Berufen, die sowohl durch Aspekte des Anforderungs-Kontroll-Modells als auch durch jene des Gratifikationskrisenmodells geprägt ist, was zu kumulativen Stresswirkungen und hohen Belastungen im pflegerischen Bereich führt. Die Anforderungen an die Beschäftigten in der Pflege sind hoch und verdichten sich zunehmend vor dem Hintergrund der Alterung der Bevölkerung, eines damit einhergehenden Wandels des Morbiditätsspektrums und
16
1 Theoretische Grundlagen
Lohn, Gehalt Anerkennung Arbeitsplatzsicherheit Entwicklungsmöglichkeiten Anforderungen, Verpflichtungen
Belohnung Aufwand
Movaon („Überengagement“) Movaon
(„Überengagement“)
Abbildung 1.1 Modell beruflicher Gratifikationskrisen. (Quelle: Siegrist 1996a, 1996b, eigene Erstellung)
dem Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. Einerseits ist der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Pflegekräfte bei der Ausführung der Arbeit durch hierarchische Strukturen im Gesundheitsbereich zum Teil erheblich eingeschränkt, andererseits ist die Diskrepanz zwischen erbrachter Leistung und erhaltener Gratifikation in der Pflege, sowohl in Form zu geringer Bezahlung als auch fehlender Anerkennung und Wertschätzung, sehr groß. In der Pflege spielt zudem, wie bereits in dem vorangegangenen Kapital angedeutet, Interaktionsstress eine wichtige Rolle. Dieser entsteht, laut Badura, aus einer Diskrepanz zwischen tatsächlichen und sozial erwünschten Gefühlen im Rahmen einer arbeitsbezogenen Interaktion (1990, 319 f.). Im Bereich der Pflegeberufe entsteht dieser Interaktionsstress regelmäßig zwischen Pflegekräften und Patienten bzw. Pflegebedürftigen. Egal welche Gefühle eine Pflegekraft während der pflegerischen Tätigkeit selbst empfindet, bezogen auf sich selbst oder die zu pflegende Person, sie muss diese Gefühle in der Interaktion regulieren und die beruflich erwarteten Leistungen erbringen. Schwierig wird dies, wenn dabei zu den Gefühlen widersprüchliche Handlungen erwartet werden, wie beispielsweise getaktete Pflegeabläufe, die aus Zeitgründen eine zusätzliche emotionale Zuwendung nicht zulassen. Bei chronischem Interaktionsstress kann es zu negativen Folgen für die körperliche und emotionale Gesundheit der Beschäftigten kommen,
1.3 Stress und Stressmodelle
17
was in der Konsequenz zu einer Verminderung der Leistungsfähigkeit und der Arbeitszufriedenheit führen kann. Eine solche Chronifizierung von Interaktionsstress ist, so Badura, besonders in Pflegesituationen und im Krankenhausbereich ein Risiko (1990, S. 320). In dem Stressmodell von Pearlin wurde zudem eine weitere Stressquelle angesprochen, die auch für Pflegekräfte relevant ist. Die Rede ist von Rollenkonflikten und Rollenstress, die sich aus der spezifischen Berufsrolle der Pflegenden im Gesundheitssystem und den damit verbundenen unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen, Anforderungen und Erwartungen verschiedener Akteure (z. B. Patienten/Pflegebedürftige, Angehörige, Vorgesetzte, Ärzt*innen) ergeben können. Die Rolle der Pflege ist dabei nicht immer eindeutig, da sich aus der Stellung im Gesundheitswesen eine gewisse Abhängigkeit gegenüber Ärzt*innen entwickelt hat. Stressoren für die Pflegekräfte können sich daher durch Unklarheit von Befugnissen, Zielen und Verantwortungsbereichen ergeben. Diese Unklarheit prallt nicht selten mit expliziten Erwartungen an die Pflegenden durch Patienten, Pflegebedürftige und Angehörige zusammen, die nicht oder nur unzureichend erfüllt werden können. Darüber hinaus haben Pflegende auch ein eigenes berufliches Selbstverständnis und eine berufliche Identifikation (Commitment), die über die reine Erfüllung von Rollenerwartungen hinausgehen oder auch zu diesen im Widerspruch stehen können. Ein weiterer Rollenkonflikt, den viele Erwerbstätige erleben, ist der Konflikt zwischen Eltern- und Berufsrolle. Grade in systemrelevanten Berufen, in denen ein Arbeiten im Schichtdienst erforderlich ist und die überwiegend von Frauen ausgeführt werden, stellt dieser Konflikt, für Beschäftige mit Kindern bzw. einem Kinderwunsch, einen großen Stressor dar. Jacob et al. stellen in ihrem Berufsmonitoring Medizinstudierende folgendes Problem in Bezug auf diesen Rollenkonflikt bei (zukünftigen) Ärztinnen heraus, das sich auch auf die Pflege übertragen lässt: „Zugespitzt wird dieser Konflikt, wenn man zwei diffuse Rollen auszufüllen hat: als Mutter für die Kinder und als Ärztin für die Patienten da zu sein und im Notfall entscheiden zu müssen, ob man die beruflichen Erwartungen hintenanstellt, um das kranke eigenen Kind zu betreuen oder diesen Erwartungen Priorität einräumt, um such um die Patienten zu kümmern.“ (Jacob et al. 2019, S. 13)
Die in der Gesellschaft generell noch nicht optimal geregelte Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, betrifft wegen der möglichen emotionalen Bindungen zwischen Pflegenden und zu pflegenden auch viele Pflegekräfte. Wenn sie die
18
1 Theoretische Grundlagen
Berufstätigkeit nicht aufgeben wollen, müssen sie mit dieser zusätzlichen Stressbelastung umgehen. Betriebliche Betreuungsangebote und flexiblere Arbeitszeitregelungen wären in diesem Fall wünschenswert, um für die Beschäftigten hier Entlastung zu bewirken. Weitere arbeitsbedingte Stressoren als Belastungsfaktoren werden im folgenden Kapitel behandelt, dabei werden auch körperliche Belastungsaspekte thematisiert.
1.4
Arbeitsbelastung
Ähnlich wie Stress wird der Begriff der Belastung sowohl im Alltagssprachgebrauch als auch in der wissenschaftlichen Literatur meist nicht einheitlich verwendet. Zudem gibt es zum Teil Überschneidungen mit den oft ähnlich gebrauchten Begriffen Beanspruchung und Anforderung. In der arbeitswissenschaftlichen Auffassung wird zwischen Arbeitsbelastung und Arbeitsbeanspruchung unterschieden. Nach der Norm DIN ES ISO 6385:2016-12 bezeichnet Arbeitsbelastung die „Gesamtheit der äußeren Bedingungen und Anforderungen im Arbeitssystem, die auf den physiologischen und/oder psychologischen Zustand einer Person einwirken“. Arbeitsbeanspruchung ist dagegen die „innere Reaktion des Arbeitenden auf die Arbeitsbelastung, der er ausgesetzt ist und die von seinen individuellen Merkmalen (z. B. Größe, Alter, Fähigkeiten, Begabungen, Fertigkeiten usw.) abhängig ist.“ Ähnlich ist die Unterscheidung in der Arbeits- und Organisationspsychologie: Aus den Arbeitsaufgaben und den Rahmenbedingungen zur Erfüllung der Arbeit ergeben sich spezifische Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten, denen diese mit ihren vorhandenen Ressourcen begegnen (Schorn 2011, S. 79). Beanspruchungen ergeben sich, laut Rudow (1994, 1999) aus dem Abgleich der Arbeitsanforderungen mit den Handlungsvoraussetzungen der jeweiligen Person. Arbeitsbelastungen, -beanspruchungen und -anforderungen sind demnach zunächst neutral zu verstehende Arbeitsbedingungen und müssen nicht zwangsläufig negative Auswirkungen haben. Sobald diese jedoch überfordernd auf die Beschäftigten wirken, können sie Belastungs- und Stressreaktionen hervorrufen und sich negativ auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Arbeitnehmer auswirken. Zum besseren Verständnis wird in dieser Arbeit Arbeitsbelastung im Sinne von Überbeanspruchung immer mit negativer Belastung gleichgesetzt. Belastungen am Arbeitsplatz lassen sich nach verschiedenen Aspekten zusammenfassen und ordnen. Hier liegt der Fokus hauptsächlich auf physischen, psychischen und sozialen Belastungsfaktoren.
1.4 Arbeitsbelastung
1.4.1
19
Physische Belastung
Trotz technologischer und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sowie fortschreitender Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen, erfolgt immer noch ein Großteil der Arbeit unter Einsatz zum Teil schwerer körperlicher Anstrengung. Zwar ist laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in den letzten Jahren die Verbreitung körperlicher Arbeitsbelastung rückläufig, hat sich jedoch zuletzt auf einem recht hohen Niveau eingependelt (Haislah-Lohmann 2012, S. 11). Der Ausschuss Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) unterscheidet folgende Formen aktiver physischer Arbeitsbelastung (2009): Manuelle Lastenhandhabung (z. B. Heben, Halten, Tragen), Arbeit in erzwungenen Körperhaltungen (z. B. Sitzen, Stehen, Hocken, Knien), Arbeit mit erhöhter Kraftanstrengung und/oder Krafteinwirkung (z. B. Steigen, Klettern, Drehen, Drücken), repetitive Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen. Folge erhöhter körperlicher Überlastung bei der Arbeit sind häufig MuskelSkelett-Erkrankungen (MSE). In Deutschland zählen MSE nach wie vor zu den häufigsten Ursachen arbeitsbedingter Erkrankungen. Rund 22,5 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage 2017 gingen auf solche Krankheitsbilder zurück und verursachten dabei einen Produktionsausfall von 17,2 Milliarden Euro (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018, S. 68). Weitere physische Belastungen am Arbeitsplatz sind beispielsweise Lärm und Lärmschwankungen, Exposition chemischer oder physikalischer Schadstoffen, unzureichende oder zu helle Beleuchtung, klimatische Bedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftbewegung und Wärmestrahlung, sowie Einschränkungen durch Schutzkleidung (Hirsch 1983, 121 f.). Auch Pflegekräfte sind in ihrem Berufsalltag vielen körperlichen Belastungen ausgesetzt, vor allem durch schweres Heben und Tragen, sowie Umlagern von Patienten. Trotz vieler Hilfsmittel und der Bereitstellung von pflegeunterstützendem Inventar, muss ein Großteil der pflegerischen Versorgung immer noch in gebeugter, gedrehter oder kniender Haltung durchgeführt werden. Laut einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Bundesinstituts für berufliche Bildung hat dies zur Folge, dass Pflegekräfte überproportional häufig an Rückenschmerzen und Beschwerden im Schulter-NackenBereich leiden, als Arbeitnehmer in anderen Berufsgruppen (2014). Dazu kommen arbeitsplatzbezogene Belastungsfaktoren in den einzelnen Arbeitsbereichen, wie beispielsweise Lärm oder unzureichende Belüftung in Krankenzimmern. Grade die Beschäftigten in der ambulanten Pflege sind einem erhöhten Risiko körperlicher Belastung ausgesetzt, da der Arbeitsplatz an sich, anderes als bei
20
1 Theoretische Grundlagen
den Beschäftigten in den Krankenhäusern oder Pflegeheimen, oftmals keine geeigneten Rahmenbedingungen bietet. Viele Wohnungen und Häuser von pflegebedürftigen Menschen sind nicht altersgerecht eingerichtet, geschweige denn barrierefrei. Zudem fehlen in diesem häuslichen Setting meist pflegeunterstützende Hilfsmittel und es stehen nicht unmittelbar Kolleg*innen bereit, die bei körperlich anstrengenden pflegerischen Tätigkeiten helfen könnten. Ein weiteres Risiko für die körperliche Gesundheit ergibt sich für alle Pflegekräfte durch mögliche Ansteckungen und Infektionen bei der Arbeit mit kranken Menschen. Dazu kommen, je nach Einsatzbereich, Belastungsfaktoren durch den regelmäßigen Umgang mit toxischen, mutagenen und allergenen Stoffen, wie beispielsweise Zytostatika, Narkosegase, Latex, Desinfektionsmittel und Seifen, sowie im Bereich der Radiologie und Nuklearmedizin eine Exposition durch Strahlen (Glaser und Höge 2005, S. 11).
1.4.2
Psychische und soziale Belastung
Neben körperlichen Belastungen lassen sich auch psychische Belastungsfaktoren der Arbeit ausmachen. Nach der Norm DIN EN ISO 10075 versteht man unter psychischer Belastung die „Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ Psychische Belastungen können sich laut dem Arbeitsprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie beispielsweise aus den folgenden Arbeitsbedingungen ergeben: unklare Verantwortlichkeiten, eingeschränkte Handlungsspielräume, dauerhafter Schichtdienst, Nachtarbeit, hohe Arbeitsintensität bei hohem Zeitdruck, fehlende Anerkennung durch Vorgesetzte, mangelnde Kommunikation und Kooperation mit Kolleg*innen, atypische Arbeitsverhältnisse und gestörte Work-Life Balance (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017, 17 ff.). Einige Belastungsfaktoren können dabei sowohl physische also auch psychische Auswirkungen auf die Beschäftigten haben, wie zum Beispiel Arbeitsintensität. Des Weiteren ist es natürlich hoch subjektiv, welche Faktoren in welchen Situationen von arbeitenden Menschen als belastend empfunden werden und welche nicht. Die hängt von den unterschiedlichen psychischen und sozialen Vorrausetzungen des Einzelnen ab. Stärke, Ausmaß und Dauer der psychischen Belastung sind ebenfalls von Bedeutung (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2010, S. 10). Ähnlich wie bei Stress ist ein gewisses Ausmaß an Belastung förderlich und kann sich positiv auswirken (z. B. in Form von Lerneffekten oder dem Erwerb neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten). Sobald es allerdings
1.4 Arbeitsbelastung
21
zu einer Über- oder Unterbeanspruchung, also einem Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen und den Ressourcen der Beschäftigten kommt, können kurzfristige (z. B. Ermüdung, Monotonie) und langfristige (chronische Unzufriedenheit, Erkrankungen) zum Teil schwerwiegende Folgen auftreten (Udris und Kaufmann 1982). Übersteigen die Arbeitsanforderungen die psychischen Fähigkeiten oder Wünsche des Beschäftigten und werden seine Motive und Bedürfnisse nicht berücksichtigt, kommt es zu einer psychischen Überforderung. Werden auf der anderen Seite seine Fähigkeiten oder Wünsche nicht genügend beansprucht, genutzt oder berücksichtigt und seine Ansprüche nicht erfüllt, ist die Folge eine psychische Unterforderung (Udris und Kaufmann 1982, 118 f.). Über- und Unterforderungen bei der Arbeit können sowohl quantitativer (Arbeitsmenge) als auch qualitativer Art (Arbeitsschwierigkeit) sein. Schwerwiegende Folgen langfristiger psychischer Überlastung bei der Arbeit äußern sich in Form von psychosomatischen Störungen und Erkrankungen (Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen), einem Gefühl von Ausgebranntsein (Burnout) und in letzter Konsequenz einem Berufswechsel, einem Berufsausstieg oder einer Frühverrentung. Pflegekräfte sind in ihrem Berufsalltag nicht nur körperlichen, sondern vor allem auch hohen psychischen Belastungen ausgesetzt. Das Arbeiten unter ständigem Zeitdruck, die häufig ungünstigen und unregelmäßigen Arbeitszeiten, die Arbeitsverdichtung, die Konfrontation mit leidvollen Situationen und dem Tod sowie die fehlende Wertschätzung und Anerkennung für die gesellschaftlich hoch bedeutsame Arbeit führen zu hohen Krankenständen und lassen viele Pflegekräfte an der Sinnhaftigkeit der weiteren Berufsausübung zweifeln. Diese psychischen Belastungen ergeben sich im Pflegeberuf vor allem aus den schwierigen Rahmenbedingungen, strukturellen Problemen und dem anhaltenden Personalmangel. Besonders belastend wird, wie verschiedene aktuelle Studien belegen (z. B. Institut DGB-Index Gute Arbeit und ver.di 2018; Theobald 2018; Körber et al. 2018), ein hoher Zeitdruck und eine nicht leistungsrechte Entlohnung der Arbeit empfunden. Auch das Gefühl, ständig verfügbar sein zu müssen, was mit der Arbeit im Schicht-, Nacht- und Wochenenddienst einhergeht, stellt eine Belastung dar. Vor allem, wenn durch zusätzliche Sonderschichten, das Einspringen für Kolleg*innen oder kurzfristige Verschiebungen oder sogar Ausfall von Pausen, dienstfreier Zeit oder gar Urlaub, kaum Möglichkeiten bestehen, sich von dem hochbelastenden Arbeitsalltag angemessen erholen zu können. Hand in Hand mit dieser Problemantik kann in der Konsequenz ein gestörtes Verhältnis zwischen Arbeits- und Privat- bzw. Familienleben einhergehen. Berufliche und familiale Rolle stehen hinsichtlich Erwartungen, Ansprüchen und Zeitmanagement in Konflikt, wie bereits in den Ausführungen zu Stressfaktoren
22
1 Theoretische Grundlagen
in der Pflege beschrieben. Arbeit und Privatleben können sich dabei gegenseitig negativ beeinflussen und zu einer Doppelbelastung für die beschäftigten Pflegekräfte führen. Das Arbeiten mit (schwer) kranken und alten Menschen bringt es mit sich, dass Pflegekräfte in ihrem Berufsalltag vergleichsweise häufig mit Leid, Sterben und Tod konfrontiert werden, was an sich bereits emotional und psychisch belastend ist. Zu den Aufgaben aller professionell Pflegenden und im speziellen der Palliativpflegekräfte gehört es dabei, die Patienten und Pflegebedürftigen in solchen Situationen angemessen und human zu begleiten, wie es unter anderem in der Ausbildung vermittelt wird. Allerdings machen schwierige Rahmenund Arbeitsbedingungen eine angemessene und humane Sterbebegleitung im hektischen Arbeitsalltag oftmals nicht möglich (Glaser und Höge 2005, S. 14). Diese Diskrepanz zwischen beruflicher Idealvorstellung und Arbeitsrealität, wie sie auch bei Beschäftigten anderer helfenden Berufe häufig zu finden ist, ist für viele Pflegekräfte emotional und psychisch hoch belastend und erhöht das Burnout-Risiko deutlich. Daher ist es kaum verwunderlich, dass grade Pflegekräfte und Beschäftigte in helfenden Berufen in besonderem Maße häufig von Burnout betroffen sind. Neben physischen und psychischen Arbeitsbelastungen werden Pflegekräfte auch mit sozialen Belastungen am Arbeitsplatz konfrontiert. Dazu zählen beispielsweise der Umgang mit schwierigen Patienten und Angehörigen, sei es krankheits- oder persönlichkeitsbedingt, ebenso wie Konflikte in der Interaktion und Kommunikation mit Kolleg*innen, Vorgesetzten oder Beschäftigen anderen Berufsgruppen (Glaser und Höge 2005, S. 11). Grade die Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und Ärzt*innen im Krankenhausbereich läuft nicht immer reibungslos ab (Hibbeler 2011). Beklagt werden beispielsweise Unklarheiten hinsichtlich der Zuständigkeiten, mangelnder Austausch bzw. fehlende Weitergabe von Informationen sowie unklare und zum Teil widersprüchliche Anweisungen. Vor allem aber fühlen sich viele Pflegekräfte von den Ärztinnen und Ärzten nicht wertgeschätzt und als reines Assistenzpersonal degradiert (Hibbeler 2011, S. 2140). Natürlich sind diese Konflikte nicht einseitig und nur von dem ärztlichen Personal verschuldet, auch Ärzt*innen monieren häufig fehlende Unterstützung durch die Pflege, wie Hibbeler feststellt (2011, 2140 f.). Es darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass auch die Ärzt*innen, als systemrelevante Berufsgruppe, ebenfalls zu den hoch belasteten Gesundheitsberufen zählen. Nichtsdestotrotz stellen solche sozialen Belastungen am Arbeitsplatz zum Teil erhebliche zusätzliche Risiken dar. Ein besonderes Risiko für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pflegekräfte ergibt sich aus der Kumulation physischer, psychischer und sozialer Belastungsfaktoren im Berufsalltag, die sich mitunter gegenseitig verstärken
1.5 Burnout
23
(Hirsch 1983, S. 128). Bleiben solche Belastungen chronisch bestehen, kann daraus in der Folge ein Burnout-Syndrom entstehen, wie in dem nächsten Abschnitt genauer skizziert wird.
1.5
Burnout
Es wird oft von Burnout in Zusammenhang mit dem Pflegeberuf gesprochen, doch was genau verbirgt sich hinter diesem Phänomen? In diesem Kapitel soll versucht werden darauf eine Antwort zu finden, indem verschiedene, für diese Arbeit relevante, Definitionen und Ansätze skizziert werden. Eine detaillierte Übersicht findet sich beispielsweise bei Enzmann und Kleiber 1989 oder Burisch 2010.
1.5.1
Entwicklung und Definitionen
Als arbeitsbezogenes psychologisches Problem in helfenden Berufen wurde der Begriff „Burnout“ (dt. „ausbrennen“) erstmals in einem wissenschaftlichen Artikel von Bradley (1969) erwähnt. Einzug in die psychologische Forschung hielt er allerdings erst durch die Arbeiten des Psychoanalytikers Herbert J. Freudenberger (1974), der als Begründer der Burnout-Forschung gilt. Freudenberger beobachtete bei seiner eigenen Tätigkeit in der ehrenamtlichen Sozialarbeit, dass neue, besonders engagierte und aufopferungsvolle Mitarbeiter*innen auffällig häufig circa ein Jahr nach Beginn der Tätigkeit psychisch zusammenbrachen (1974, S. 160). Infolge eines Überengagements und einer totalen Verausgabung der eigenen Kräfte und Ressourcen bei gleichzeitig fehlender Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit, kommt es, laut Freudenberger, vor allem in helfenden Berufen zu körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung, die er als „staff burnout“ beschreibt (1974, S. 159). In späteren Publikationen konkretisiert er seine Definition weiter: „Ausbrennen bedeutet: sich entleeren. Die eigenen körperlichen und seelischen Reserven erschöpfen. Sich selbst bei dem Versuch zerstören, unter Aufbietung aller Kräfte unrealistische Erwartungen zu verwirklichen, die selbstgesetzt oder vom Wertesystem der Gesellschaft aufgezwungen sind.“ (Freudenberger und Richelson 1983, S. 38)
Burnout entsteht demnach hauptsächlich aus einer Diskrepanz zwischen der eigenen Zielsetzung und Idealvorstellung und der erhaltenen bzw. nicht erhaltenen
24
1 Theoretische Grundlagen
Belohnung der beruflichen Realität und tritt häufig bei besonders leistungs- und erfolgsorientierten Personen auf. Neben Freudenberger haben vor allem die Sozialpsychologin Christina Maslach und ihre Kolleg*innen die Burnout-Forschung maßgeblich geprägt (siehe Abschnitt 1.5.3). Angestoßen durch diese Pionierarbeiten entwickelte sich Burnout zu einem viel beforschten und beachteten Untersuchungsgegenstand weit über die Psychologie hinaus. Bis heue ist Burnout jedoch keine eigenständige Diagnose, da sich die Symptome stark mit denen einer Depression überschneiden. Gemäß der internationalen Klassifikation psychischer Störungen der WHO zählt Burnout zu den Z-Diagnosen, „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“, darunter unter Z73 „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ und genauer Z73.0 „Ausgebranntsein, Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung (ICD-10WHO Version 20192 ). Somit kann Burnout eher als Einflussfaktor auf den Gesundheitszustand verstanden werden. Während Burnout zu Beginn nur in Bezug auf Helferberufe und Dienstleistungsarbeit diskutiert und erforscht wurde, besteht heute Konsens darüber, dass Burnout alle Berufe betreffen kann (Litzcke et al. 2013, 148 f.). Zudem wird Burnout neben dem Fokus auf die Arbeit vermehrt auch in anderen Lebensbereichen erforscht, wie zum Beispiel in Bezug auf Schüler*innen, Student*innen oder Leistungssportler*innen. Prinzipiell kann Burnout also jeden treffen. Das subjektive Erleben spielt ähnlich wie bei Stressoren jedoch eine zentrale Rolle, da Personen unterschiedlich auf belastende Umstände reagieren (Litzcke et al. 2013, S. 150). Ebenfalls Einigkeit besteht darüber, dass Burnout als schleichender und zum Teil langwieriger Prozess verstanden wird und nicht als statischer Zustand. Als Hauptmerkmale von Burnout gelten eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung. Die einzelnen Symptome können je nach Person und Situation unterschiedlich ausfallen. Burisch hat verschieden Burnout-Symptome klassifiziert und in ein Phasenmodell integriert (siehe Tabelle 1.1). Er betont dabei jedoch, dass die beschriebenen Phasen nicht chronologisch ablaufen müssen, sondern auch variieren können. Ein weiteres Phasenmodell zum Verlauf von Burnout wurde von Maslach und Jackson (1984) entwickelt und empirisch geprüft (siehe Abschnitt 1.5.3).
2 Internationale
statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme,10. Revision, Version 2019, https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd10-who/kode-suche/htmlamtl2019/.
1.5 Burnout
25
Tabelle 1.1 Symptomklassifikation und Phasenverlauf von Burnout nach Burisch 1. Warnsymptome der Anfangsphase – Überhöhter Energieeinsatz, Hyperaktivität, Verleugnung eigener Bedürfnisse, freiwillige und unbezahlte Mehrarbeit – Erschöpfung, chronische Müdigkeit, Energiemangel 2. Reduziertes Engagement – Rückzug von Klienten, Patienten, Kunden etc. – Sozialer Rückzug, Desillusionierung, Distanz, Stereotypisierung, Dehumanisierung – Verlust von Idealsimus, Fluchtfantasien, Fehlzeiten 3. Emotionale Reaktionen – Depression – Aggression 4. Abbau – der kognitiven Leistungsfähigkeit (z. B. Konzentrationsschwäche, Gedächtnisschwäche, Entscheidungsunfähigkeit) – der Motivation – der Kreativität 5. Verflachung – des emotionalen Lebens (z. B. Gleichgültigkeit) – des sozialen Lebens – des geistigen Lebens (z. B. Desintresse, Aufgabe von Hobbies) 6. Psychosomatische Reaktionen – Schlafstörungen, Schwächung des Immunsystems 7. Verzweiflung bis hin zu Selbstmordabsichten – Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, negative Einstellung zum Leben insgesamt Quelle: Burisch 2010, 25 f.
1.5.2
Ursachen und Entstehung von Burnout
In Bezug auf die Bedingungen und Ursachen der Entstehung von Burnout lassen sich grob zwei Erklärungsstränge unterscheiden: persönlichkeitszentrierte Ansätze und situativ-arbeitszentrierte Ansätze (Demerouti 1999, S. 28; Maslach et al. 2001, 407 ff.). Heute besteht innerhalb der Forschungslandschaft jedoch Einigkeit darüber, dass sowohl persönlichkeitszentrierte Faktoren also auch situativ-arbeitsbezogene Faktoren für das Entstehen von Burnout verantwortlich sind. Grundgedanke der personenbezogenen Erklärung von Burnout ist die Tatsache, dass nicht alle Personen mit dem gleichen Arbeitsplatz und den gleichen Arbeitsbedingungen auch von Burnout betroffen sind. Folglich müssen individuelle Personenfaktoren für die Entstehung maßgeblich sein. Solche Faktoren beinhalten unter anderem demografische Variablen, Persönlichkeitsmerkmale und
26
1 Theoretische Grundlagen
Einstellungen gegenüber der Arbeit (Maslach et al. 2001, S. 409). In Bezug auf demografische Variablen stellen Maslach et al. heraus, dass hauptsächlich jüngere Mitarbeiter*innen mit weniger Berufserfahrung häufiger von Burnout betroffen sind, ebenso wie Alleinstehende und Personen mit höherem formalem Bildungsgrad. Bezüglich des Geschlechts zeigen sich inkonsistente Ergebnisse (2001, 409 f.). Obwohl teilweise auch untersucht wurde, welche Persönlichkeitsmerkmale vor Burnout schützen, wurden die Risikofaktoren insgesamt intensiver erforscht. Diese sind unter anderem: herabgesetzte Selbstachtung, mangelnde Widerstandsfähigkeit, Unfähigkeit Erwartungen und Ansprüche den tatsächlichen Möglichkeiten anzupassen, Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse und Interessen zugunsten der Arbeit, Selbstüberforderungs- und Verausgabungstendenz und mangelnde Distanzierungsfähigkeit in Bezug auf arbeitsbezogene Probleme (Demerouti 1999, S. 29; Maslach et al. 2001, 410 f.; Litzcke et al. 2013, 160 f.). Auch individuelle Bewältigungsstrategien wurden im Zusammenhang mit der Entstehung von Burnout untersucht. Es zeigt sich insgesamt, dass ausgebrannte Personen stressvolle Situationen eher mit defensiven Mechanismen bewältigen, wohingegen Personen die aktive und konfrontative Copingstrategien einsetzen eher seltener von Burnout betroffen sind (Maslach et al. 2001, S. 410). Bei den Einstellungen gegenüber der Arbeit spielen vor allem unrealistische und idealistische Erwartungen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Burnout, ebenso wie Überengagement, Überidentifikation mit den Klienten und Arbeitsunzufriedenheit (Demerouti 1999, S. 29). Bei dem zweiten Erklärungsansatz stehen situative arbeitsbezogene Faktoren und deren Auswirkungen als Ursache für die Entstehung von Burnout im Vordergrund. Auch hier lassen sich aus der Literatur verschiedene Risikofaktoren extrahieren (u. a. Cherniss 1980a, 1980b; Cherniss und Krantz 1983; Maslach 1982; Maslach und Jackson 1984; Maslach et al. 2001; Demerouti 1999; Enzmann und Kleiber 1989; Litzcke et al. 2013): – Anforderungs- und Aufgabenmerkmale: dauerhaft hohe Arbeitsbelastung und Überlastung, Zeitdruck, mangelnde Autonomie und Entscheidungsfreiheit, fehlendes Feedback, geringe Aufgabenbedeutung – Organisationsmerkmale: Rollenkonflikte und Rollenunklarheiten, mangelnde Partizipationsmöglichkeiten an Entscheidungsprozessen, hoher bürokratischer Aufwand, Arbeitsplatzunsicherheit, Schichtarbeit und unflexible Arbeitszeiten, geringe Aufstiegschancen, inkonsistente Belohnungen, fehlende Gerechtigkeit – Sozialmerkmale: mangelnde soziale Unterstützung durch Kolleg*innen und Vorgesetzte, mangelnde Führungsqualität von Vorgesetzten, Konflikte mit Klienten/Patienten/Kunden
1.5 Burnout
27
Personen bei denen ungünstige Personenfaktoren auf ungünstige Arbeitsbedingungen treffen sind in besonderem Maße gefährdet ein Burnout zu entwickeln. Auf lange Sicht erhöht Burnout das Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen und führt häufig zu krankheitsbedingten Fehlzeiten und Frühverrentung (Litzcke et al. 2013, S. 163). Berger et al. (2012) zeigen beispielsweise die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung, Burnout und Erkrankungen auf (siehe Abbildung 1.2). Sie betonen jedoch auch, dass Burnout-Symptome nicht nur als Auslöser sondern auch als Folge einer Erkrankung auftreten können (Berger et al. 2012, S. 1366). So kann beispielsweise Burnout auch dann entstehen, wenn eine Vorerkrankung die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz einschränkt (Schritt 4 der Abbildung).
Individuelle Faktoren
Arbeitsplatzfaktoren
1. Arbeitsüberforderung Psychische und somasche Stresssymptome, rückbildungsfähige Erschöpfung Andauernde Überforderung
2. Burnout als Risikozustand Anhaltende Erschöpfung, Zynismus, Depersonalisaon, Regeneraon Leistungsminderung Chronifizierter Stress
3. Folgekrankheiten z.B. Angsterkrankungen, Depression, Medikamentenabhängigkeit, Tinnitus, Hypertonie (+273)
Leistungseinschränkung
4. Somasche und psychische Erkrankungen z.B. mulple Sklerose, Tumorerkrankungen, beginnende Demenz, Psychose
Abbildung 1.2 Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung, Burnout und Krankheit. (Quelle: Berger et al. 2012, S. 1366, Abb. 1, eigene Erstellung)
28
1 Theoretische Grundlagen
1.5.3
Burnout Modell von Maslach und Kolleg*innen
Christina Maslachs Arbeiten und Überlegungen sind in der Burnout-Forschung wegweisend und erfahren internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung. Anhand von diversen Studien über Dienstleistungsberufe in den USA entwickelte Maslach zusammen mit Jackson das bis heute am weitesten verbreitete und verwendete Messinstrument zur Messung von Burnout, das „Maslach Burnout Inventory (MBI)“ (1981). Auf Basis ihrer empirischen Ergebnisse definiert Maslach Burnout als psychologisches Syndrom bestehend aus den drei Subdimensionen (1) emotionale Erschöpfung, (2) Zynismus und Depersonalisierung und (3) reduzierte Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit: „Burnout is a syndrome of emotional exhaustion, depersonalization, and reduced personal accomplishment that can occur among individuals who do ‘people work’ of some kind. It is a response to the chronic emotional strain of dealing with other human beings, particularly when they are troubled or having problems. Thus, it can be considered one type of job stress.” (Maslach 1982, S. 3)
Emotionale Überlastung und die sich daraus ergebende emotionale Erschöpfung ist für Maslach das zentralste Merkmal des Burnout-Syndroms. Die Erschöpfung entsteht in ihren Augen durch emotionale Überforderung, Frustration und einem Gefühl von ausgelaugt sein durch die Arbeit mit hilfsbedürftigen Menschen. Sobald die emotionale Erschöpfung einsetzt, fühlen sich die Helfer nicht mehr in der Lage, sich anderen aufopferungsvoll hinzugeben (Maslach 1982, S. 3). Als Reaktion auf den durch die Helferbeziehung entstandenen Stress versuchen die Betroffenen sich emotional von den Empfängern der Hilfeleistungen zu distanzieren und entwickeln zynische und gleichgültige Einstellungen und Verhaltensweisen ihnen gegenüber. Für Maslach ist das die zweite Burnout-Dimension der Depersonalisierung (1982, S. 4). Durch diese defensiven Bewältigungsmechanismen und die zunehmende Distanzierung verschlechtert sich die Helferbeziehung zunehmend und die eigentlichen beruflichen Ziele können nicht mehr umgesetzt werden. Die Betroffenen entwickeln durch das Gefühl beruflich versagt zu haben eine negative Einstellung gegenüber ihrer eigenen Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit (1982, S. 5). Damit ist die dritte und letzte Phase des Burnout-Prozesses erreicht. Maslach und Kolleg*innen verstehen Burnout also als multidimensionales Konstrukt und beschreiben die Entwicklung von Burnout in drei Phasen (2001, S. 402). Aus diesem Drei-Phasen-Modell entwickelt Maslach zusammen mit ihrer Kollegin Susan Jackson das „Maslach Burnout Inventory“ (1981). Das standardisierte
1.5 Burnout
29
Messinstrument misst das selbst wahrgenommene und erlebte Burnout von Personen anhand der drei Skalen Erschöpfung (9 Items), Depersonalisierung (5 Items) und reduzierte berufliche Leistungsfähigkeit (8 Items) (Demerouti 1999, S. 38). Die Items sind als Statements zu persönlichen Gefühlen oder Einstellungen formuliert. Die Häufigkeit, mit der die Befragten diese Gefühle erleben, wird anhand einer 7-stufigen Skala (von 0 = “ein paar Mal im Jahr“ bis 6 = “jeden Tag“) erfasst (Maslach und Jackson 1981, 100 f.). Die Auswertung des MBI erfolgt durch einfache Summenscores der drei Skalen. Für die Interpretation der Ergebnisse werden die Werte in hohes, mittleres und niedriges Burnout eingeteilt. Als Hauptursachen von Burnout sehen Maslach et al. einerseits die emotional belastende Interaktion zwischen den Beschäftigten und den Klienten/Patienten und andererseits die schwierigen Arbeitsbedingungen, unter denen die Interaktion abläuft. Sie berücksichtigen in ihrem Modell somit sowohl individuelle Persönlichkeitsfaktoren als auch situativ-arbeitsbezogene Faktoren. Später entwickelte Maslach zusammen mit Leiter und Schaufeli (2001; 2005, 2008) einen passenden theoretischen Rahmen, der individual- und situationsbedingte Faktoren und zum besseren Verständnis von Burnout integriert. Im Sinne der interaktionistischen Ansätze beschreiben sie Burnout im Hinblick auf das Verhältnis von Menschen und Umwelt bzw. Mensch und Beruf. Burnout entsteht demnach aus einer chronischen Diskrepanz zwischen Menschen und ihrem Arbeitsumfeld: „The greater the gap, or mismatch, between the person and the job, the greater the likelihood of burnout; conversely, the greater the match (or fit), the greater the likelihood of engagement with work.“ (Maslach et al. 2001, S. 413). Maslach, Schaufeli und Leiter haben aus der Vielzahl an situativen Korrelaten sechs verschiedene Bereiche des Arbeitslebens herausgestellt, in denen sich Missverhältnisse zwischen persönlichen Erwartungen und der beruflichen Realität besonders auf die Entstehung von Burnout auswirken: Arbeitsbelastung, Einfluss/Kontrolle, Belohnung und Anerkennung, Gemeinschaft, Fairness Respekt und Gerechtigkeit, Werte (Maslach et al. 2001, 414 ff.). So steigt das Burnout-Risiko beispielsweise bei chronischer Arbeitsüberlastung, geringer Kontrolle und Einfluss auf die Arbeit, sowie bei fehlender Belohnung und Anerkennung, Konflikten im Team, Ungerechtigkeiten und Wertkonflikten. Es finden sich wahrscheinlich keine oder nur sehr wenige Berufe, in denen in allen Bereichen ein optimales Verhältnis zwischen individuellen Bedürfnissen und Erwartungen und den tatsächlichen Arbeitsbedingungen besteht. Kritisch wird es laut Geyerhofer und Unterholzer allerdings dann, wenn in Bezug auf mehrere Faktoren ein Misfit besteht, da so Burnout begünstig werden kann (2008, S. 185). Im Pflegeberuf lassen sich, wie bereits in vorherigen Ausführungen gezeigt, in Bezug auf einige der genannten Bereiche zum Teil erhebliche Diskrepanzen
30
1 Theoretische Grundlagen
zwischen den Erwartungen der Beschäftigten und der Realität im Berufsalltag feststellen. Wie bereits ausgeführt, ist der Pflegeberuf durch eine hohe Arbeitsbelastung gekennzeichnet, gleichzeitig ist jedoch der Entscheidung-, Einfluss- und Kontrollspielraum der Beschäftigten auf die Arbeit, ebenso wie die monetäre und gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung, relativ gering. Vor allem aber ist es für die Pflegekräfte eine Herausforderung, ihre eigene Psyche und Gesundheit zu schützen und sich nicht durch einen aufopferungsvollen und intensiven Einsatz für das Wohl anderer emotional an den Rand der Erschöpfung zu bringen, zumal die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit nicht der erbrachten Leistung entspricht. In Anlehnung an die Theorie der Ressourcenerhaltung stellen Hobfoll und Buchwald heraus, dass bestehende Ressourcen durch eine chronische psychische und somatische Stressbelastung schneller aufgebraucht werden, als sie von den betroffenen Beschäftigten ersetzt werden können, wodurch in der Folge Burnout entstehen kann (Hobfoll und Buchwald 2004). Emotional ausgebrannte und erschöpfte Menschen befinden sich demnach in einer Ressourcenverlustspirale. Durch den Einsatz von Bewältigungsstrategien kann diesem Prozess jedoch entgegengewirkt werden
1.6
Bewältigungsstrategien (Coping)
Jeder Beschäftige ist in irgendeiner Form Stress und Belastungen am Arbeitsplatz und im Berufsalltag ausgesetzt. Ob und inwieweit der Stress und die Belastungen jedoch überhaupt als solche wahrgenommen werden, hängt zum größten Teil davon ab, wie der Einzelne gelernt hat, mit Stress- und Belastungssituationen umzugehen und welche individuellen Ressourcen zur Stressbewältigung zur Verfügung stehen. Zudem erfordern verschiedene Stresssituationen auch unterschiedliche Bewältigungsmethoden. Ebenso wie bei der Erklärung von Stress und Arbeitsbelastung existieren auch innerhalb der Copingforschung unterschiedliche Auffassungen über die konkrete Konzeptualisierung von Bewältigung, da die einzelnen Bewältigungskonzepte häufig auf den theoretischen Annahmen der ihnen zugrundeliegenden Stresskonzepte basieren. Angelehnt an die bereits vorgestellten Stressmodelle werden im Folgenden die theoretischen Bewältigungskonzepte von Lazarus und Kolleg*innen (Lazarus und Folkman 1984; Lazarus und Launier 1981; Lazarus 2000; Smith und Lazarus 1990; Lazarus 1999) und Hobfoll und Kolleg*innen (Hobfoll 1998; Dunahoo et al. 1998; Buchwald et al. 2004) skizziert. Danach wird konkret auf arbeitsbezogene Bewältigungsstrategien eingegangen.
1.6 Bewältigungsstrategien (Coping)
31
Vorab muss jedoch eine semantische Unterscheidung zwischen dem deutschen Begriff „Bewältigung“ und dem englischen „Coping“ geklärt werden. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird unter Bewältigung stets eine positive, erfolgreiche Problemlösung verstanden. In der Stressterminologie dagegen wird Bewältigung im Sinne von Coping jedoch neutral verwendet, unabhängig davon, ob die jeweiligen Bewältigungsbemühungen erfolgreich verlaufen sind oder nicht (Lazarus 1993, S. 237). In dieser Arbeit werden die Begriffe Coping und Bewältigung synonym verwendet.
1.6.1
Coping nach Lazarus et al. und Hobfoll et al
Basierend auf seinem transaktionalen Stressmodell entwickelte Lazarus zusammen mit Launier ein Konzept zur Stressbewältigung (1978, 1981), welches in den folgenden Jahren durch ihn und seine Forscherkolleg*innen erweitert und empirisch getestet wurde (u. a. Folkman und Lazarus 1980; Coyne et al. 1981; Folkman et al. 1986a; Folkman et al. 1986b; Folkman et al. 1987; Lazarus und Folkman 1987; Folkman und Lazarus 1988; Lazarus 1999, 2000). Sie gehen dabei davon aus, dass die individuelle Art der Stressbewältigung zum Teil wichtiger für die Lebensmoral, die soziale Anpassung und das subjektive Wohlbefinden und die Gesundheit ist, als das Ausmaß und Häufigkeit der Stresssituationen selbst (Lazarus und Launier 1981, S. 241). Lazarus und Kolleg*innen verstehen Coping als einen situationsspezifischen Prozess, den sie definieren als „constantly changing cognitive and behavioral efforts to manage specific external and/or internal demands that are appraised as taxing or exceeding the resources of the person.” (1984, S. 141). Mit einfachen Worten gesagt umfasst Coping also die Bemühungen und Anstrengungen des Individuums mit psychologischem Stress umzugehen. Diese Anstrengungen können laut Lazarus und Launier zwei grundlegend unterschiedliche Funktionen erfüllen: Problemorientierung oder Emotionsorientierung (1981, 248 ff.). Das instrumentelle oder problemorientierte Coping (problem-focused coping) zielt auf eine Veränderung bzw. Lösung einer stressenden Problemlage, wie beispielsweise das Kündigen einer belastenden Arbeit oder das Konsultieren eines Arztes oder einer Ärztin bei Krankheit. Das palliative oder emotionsorientiertes Coping (emotionfocused coping) dagegen richtet sich auf eine Kontrolle bzw. Verbesserung der emotionalen Befindlichkeit. Beispiele für emotionsorientiertes Coping sind unter anderem Meditation, Achtsamkeit oder auch das Vermeiden und Leugnen unangenehmer Tatsachen (Cohen und Lazarus 1979, S. 220). Solche emotionsorientierten Bewältigungsbemühungen werden von Personen oft dann eingesetzt, wenn sie
32
1 Theoretische Grundlagen
selbst durch ihr Handeln nichts mehr an der Situation verändern können. Sowohl problemorientiertes als auch emotionsorientiertes Coping kann, so Lazarus und Launier, mittels vier zentraler Bewältigungsformen erfolgen: Informationssuche, direkte Handlung (z. B. Diskutieren, Weglaufen, sich in Behandlung begeben), Unterdrückung von Handlungen und intrapsychische Formen (d. h. kognitive Prozesse, die durch Verbesserung des Wohlbefindens der Person Emotionen regulieren soll) (Lazarus und Launier 1981, 252 f.). Beispiele für intrapsychische Prozesse sind unter anderem sich Mut zusprechen, sich selbst bestärken sowie Vermeidungs- und Leugnungsprozesse. Hobfoll und Kolleg*innen verstehen unter Coping in Tradition der CORTheorie dagegen vielmehr ein Management von Bewältigungsressourcen, bei welchem die betroffenen Personen ihre individuellen Ressourcen fortwährend neu bewerten. Personen mit vielen Bewältigungsressourcen sind demnach unempfindlicher und robuster im Umgang mit Stresssituationen, wohingegen Personen mit wenigen Ressourcen eher empfindlicher und verletzlicher sind (Jerusalem 1990). Während in dem Copingmodell von Lazarus das Individuum im Vordergrund steht und der Kontext der sozialen Umgebung und Einbettung kaum eine Rolle spielt, rücken Hobfoll und Kolleg*innen die soziale Perspektive von Bewältigung in den Fokus ihres multiaxialen Copingmodells. Menschen als soziale Wesen agieren in einem sozialen und kulturellen Umfeld, das von gesellschaftlichen Normen und Strukturen bestimmt wird und bewältigen ihre Probleme ebendort (Starke 2000, S. 86).
1.6.2
Bewältigung von Arbeitsstress
Stress und Belastungen bei der Arbeit können, wie bereits gezeigt, kurzfristige und/oder langfristige Folgen haben, was in der Konsequenz dementsprechend auch sofortige und/oder längerfristige Bewältigungsstrategien verlangt. Entscheidend ist, wie akut und bedrohlich eine Stresssituation wahrgenommen wird und welche Ressourcen zur Bewältigung zu Verfügung stehen. Laut Hirsch ist es jedoch oft schwer zu unterscheiden, ob der Einzelne sich an potentiell belastende Arbeitsbedingungen anpasst oder aber ob versucht wird, diese Belastungen aktiv zu bewältigen (1983, S. 169). Die Arbeits- und Organisationspsychologin Eva Bamberg unterscheidet in ihrem arbeitsbezogenen Stressbewältigungsmodell zwischen bedingungsbezogenen und personenbezogenen Maßnahmen zur Bewältigung, die entsprechend bei den Arbeitsbedingungen und Personenmerkmalen ansetzen (2003; 2004; 2006). Wirksame Interventionen sollten, laut Bamberg, jedoch beide Maßnahmen mit
1.6 Bewältigungsstrategien (Coping)
33
einbeziehen. So kann beispielsweise Zeitdruck nur dann nachhaltig reduziert werden, wenn die Arbeitsintensität verringert und gleichzeitig ein effektives Zeitmanagement unterstützt wird (Bamberg 2004, S. 271). Bedingungsbezogene Bewältigungsmaßnahmen setzen klassischerweise bei den Arbeitsgestaltungsmaßnahmen an, wie beispielsweise der Komplexität, Variabilität und Autonomie der Arbeitsaufgabe, Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Arbeitsintensität, ergonomische Gestaltung), Rollenerwartungen und sozialen Beziehungen (Bamberg 2004, S. 272). Personenbezogene Maßnahmen beziehen sich dagegen hauptsächlich auf das Stressmanagement und Gesundheitsverhalten der Arbeitnehmer. Zu solchen Maßnahmen zählen zum Beispiel körperliche Aktivitäten (Sport), Entspannung (Atemübungen, autogenes Training, Yoga), kognitive Trainings (Einstellungsreflexion, systematisches Problemlösen) und Verhaltenstrainings (Zeitmanagement, Selbstsicherheitstraining) (Rudow 2011, 254 ff.) An dem Beispiel „Zeitdruck in der Pflege“ veranschaulichen Bamberg und Kolleg*innen (2006, S. 19) ihr Stressbewältigungskonzept und mögliche Interventionsmaßnahmen. Dabei betonen die Autoren, dass das Modell auch als Grundlage zur Stressprävention eingesetzt werden kann (Bamberg et al. 2006, S. 20). Sie unterscheiden dabei zwischen primärer Prävention, die direkt bei den Stressoren/Risikofaktoren oder Ressourcen ansetzt, sekundärer Prävention, bei Anzeichen erster kurzfristiger Stressfolgen und tertiärer Prävention, in Form von Rehabilitation bei mittel- und langfristigen Stressfolgen (Bamberg et al. 2006, S. 18) (Abbildung 1.3) . Neben diesem Beispiel gibt es in der Pflege eine Reihe von Bewältigungsstrategien, die Beschäftigte einsetzen bzw. nutzen können, um mit Stress und Belastungen umzugehen. Ein wichtiger Schritt ist dabei das Erkennen und Eingestehen einer Überlastungssituation und die Analyse der individuellen Stressbelastungslage. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit verschiedenen Stressbewältigungsmethoden und Ressourcen, die entweder bereits zur Verfügung stehen oder sich entsprechend angeeignet werden müssen. Das Sprechen über emotional und psychisch belastenden Situationen kann hier ein Anfang sein. Familie, Freunde und (Ehe)Partner können dabei auf individueller Ebene wichtige Ansprechpartner sein, aber auch Kolleg*innen und Vorgesetzte. Darüber hinaus bieten einige Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen für die Beschäftigten auch institutionelle Maßnahmen an, wie beispielsweise Seelsorge, Vertrauenspersonen oder Supervision. Supervision ist eine spezielle Beratungsform, in der das eigene berufliche Handeln und berufliche Zusammenhänge thematisiert und reflektiert werden (Schreyögg 2010, S. 13). Die Beratung kann dabei sowohl im Einzel- als auch im Gruppengespräch stattfinden. Auch bei Konflikten im Team, mit Vorgesetzten oder Beschäftigten anderer Berufsgruppen kann eine
34
1 Theoretische Grundlagen
Stressoren/ Risikofaktoren bedingungsbezogene Stressoren z.B. Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch einen neuen Dienstplan personenbezogene Risikofaktoren z.B. Neubewertung von Zeitdruck als zu bewälgender Bestandteil der Arbeit
Ressourcen
bedingungsbezogen z.B. Erweiterung des Handlungsspielraums personenbezogen z.B. Zeitmanagementseminar
Bewertung Veränderung der Bewertungsmuster in typischen Stresssituaonen, z.B. keine unnöge Hekk vor Beginn aufwendiger Aufgaben Verdeutlichung von Bewälgungsmöglichkeiten und Ressourcen
Bewälgung Auau von Problemlösefergkeiten und problembezogenen Bewälgungsstrategien, z.B. bei hohem Arbeitsauommen auch einmal „Nein“ zu neuen Aufgaben zu sagen Abbau von dysfunkonalem Bewälgungsverhalten, z.B. Vermeidung
Stressfolgen Abbau kurzfrisger Stressfolgen, z.B. durch Entspannungstraining Rehabilitaon, z.B. medizinische und/oder psychologische Behandlung
Abbildung 1.3 Ansatzpunkte zur Stressbewältigung am Beispiel „Zeitdruck in der Pflege“. (Quelle: Bamberg et al. 2006, S. 19, Abbildung 4, eigene Erstellung)
Supervision helfen, die Probleme zu bewältigen. Eine weitere Möglichkeit die Bewältigungskompetenzen der Beschäftigten in der Pflege zu verbessern sind institutionelle Angebote von Arbeitgebern in Form von Fortbildungen zur Stressbewältigung, Prävention, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie zur Förderung von Gesundheitskompetenzen. Eine entscheidende Form der Stressbewältigung für alle Beschäftigten, wie zum Beispiel für hoch belastete Pflegekräfte, ist ein Ausgleich neben der Arbeit, damit sich Körper und Psyche angemessen erholen können. Regelmäßige körperliche Bewegung in Form von Sport ist für viele Pflegekräfte dabei hilfreich (u. a. Jenull et al. 2008; Jenull und Brunner 2009; Belan und Schiller 2016), ebenso wie
1.7 Arbeitszufriedenheit
35
Entspannungs- und Atemübungen, Yoga, QiGong, Tai Chi oder ähnliches, progressive Muskelentspannung und autogenes Training. Ein weiterer maßgeblicher Faktor zum Umgang mit Stress und Belastungen bei der Arbeit ist für Pflegekräfte ein starkes soziales und familiäres Unterstützungsnetzwerk. Da schwierige Arbeitsbedingungen nicht einfach von einzelnen Beschäftigten geändert bzw. verbessert werden können, spielen in der Pflege hauptsächlich personenbezogene und emotionsorientierte Coping-Mechanismen eine Rolle und weniger problem- oder bedingungsbezogene Strategien. Dabei werden jedoch nicht nur positive, auf eine Veränderung ausgerichtete Mechanismen genutzt, sondern, wie beispielsweise Schaarschmidt und Fischer herausstellen, vermehrt auch Rückzugs- und Distanzierungsstrategien eingesetzt, um der belastenden Situation zu entfliehen (2001, S. 92). Das kann auf der einen Seite als Eigenschutz dienen, wenn sich die Distanzierung beispielsweise auf eine klare Abgrenzung zwischen Arbeit- und Privatleben bezieht und die Beschäftigten versuchen keine Probleme „mit nach Hause zu nehmen“. Auf der anderen Seite kann ein Zuviel an Rückzug, Distanzierung und Passivität, neben einer erfolglosen Bewältigung von Arbeitsbelastungen und Stress oder einer nicht möglichen Anpassung an die belastenden Arbeitsbedingungen, zu negativen Folgen für die Beschäftigten führen. Die sich beispielsweise in Form von Krankheit (z. B. Burnout) äußern oder gar zu Berufswechsel, Berufsaussteig oder auch einer dauerhaften Berufs- und Erwerbsunfähigkeit führen (Hirsch 1983, S. 172). Ob und in welchem Ausmaß, mit welcher Strategie Belastungen und Stress bei der Arbeit bewältigt werden, hängt auch damit zusammen, wie zufrieden und motiviert die Beschäftigten in ihrem Berufsalltag sind. Verschiedene Konzepte zur Arbeitszufriedenheit werden in dem nächsten Unterkapitel diskutiert, bevor dann abschließend zu dem theoretischen Grundlagenkapitel der Zusammenhang zwischen Belastungen, Bewältigung und Zufriedenheit bei der Arbeit skizziert wird.
1.7
Arbeitszufriedenheit
Ein wichtiger Protektivfaktor und eine wirksame Bewältigungsressource in Bezug auf das Stress- und Belastungsempfinden bei der Arbeit ist die subjektive Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. Obwohl der Begriff der Arbeitszufriedenheit im Alltagsverständnis recht klar erscheint, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung in Bezug auf Definitionen, Begriffsabgrenzungen und theoretische Fundierung doch sehr heterogen (Kirchler und Hölzl 2011, 243 ff.).
36
1 Theoretische Grundlagen
Hinsichtlich der Definitionen von Arbeitszufriedenheit lassen sich allgemein motivational orientierte und einstellungsorientierte Ansätze unterscheiden. Neuerberg geht beispielsweise zunächst von einem motivationalen Begriff aus und unterteilt die Definitionen von Arbeitszufriedenheit in vier verschiedene Kategorien (Neuberger 1974, 141 ff.; Hirsch 1983, S 185): 1. Bedürfnisorientierte Konzeptionen: Arbeitszufriedenheit als Zustand der Befriedigung von Bedürfnissen, um ein „inneres Gleichgewicht“ herzustellen. 2. Anreiztheoretische Konzeptionen: Arbeitszufriedenheit als positive oder negative Einstellung gegenüber der Arbeitssituation insgesamt oder Aspekten der Arbeitssituation. 3. Kognitive Konzeptionen: Arbeitszufriedenheit als ausgeglichenes System von arbeitsrelevanten Kognitionen. 4. Humanistische Konzeptionen: Arbeitszufriedenheit als Zustand der Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung. In späteren Publikationen entwickelt Neuberger seinen Ansatz weiter und definiert Arbeitszufriedenheit als „kognitiv-evaluative Einstellung zur Arbeitssituation“ (Neuberger und Allerbeck 1978, S. 15). Für Bruggemann und Kolleg*innen stellt Arbeitszufriedenheit dagegen beispielsweise eine neutrale und allgemeine Einstellung dar: „Arbeitszufriedenheit bedeutet Zufriedenheit mit einem gegebenen (betrieblichen) Arbeitsverhältnis [und] bezeichnet damit eine Attitüde, die das Arbeitsverhältnis, mit allen Aspekten, hinsichtlich der Beurteilungsdimension ‚zufrieden – unzufrieden‘ betrifft“ (Bruggemann et al. 1975, S. 19).
Auch Weinert geht von einer Einstellungsdefinition aus, die sich aus drei wesentlichen Dimensionen zusammensetzt (1998, 202 f.): Arbeitszufriedenheit als emotionale Reaktion auf die Arbeitssituation, als Übereinstimmung zwischen Arbeitsergebnis und Erwartungen und als Verdichtung mehrerer miteinander in Beziehung stehender Einstellungen. Insgesamt, so folgern Kirchler und Hölzl, bezeichnet Arbeitszufriedenheit also die generelle Einstellung zur und die allgemeine Bewertung der Arbeit (2011, S. 243).
1.7 Arbeitszufriedenheit
1.7.1
37
Modelle der Arbeitszufriedenheit
Lawler entwickelte in den 1970er Jahren ein Modell der Determinanten der Arbeitszufriedenheit, um herauszustellen, welche Faktoren die Zufriedenheit der Menschen mit allen Aspekten und Facetten der Arbeit beeinflussen (1977, S. 111). Er geht davon aus, dass sich Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit aus dem Verhältnis zwischen subjektiv empfundener angemessener Belohnung und der tatsächlich erhaltenen Belohnung für Arbeitsleistung ergibt. Werden die Erwartungen erfüllt oder bestehen nur geringe Diskrepanzen entsteht Arbeitszufriedenheit. Werden die Erwartungen umgekehrt jedoch enttäuscht, entsteht Unzufriedenheit. Fällt die tatsächliche Belohnung höher aus, als die für angemessen empfundene Belohnung, kommt es laut Lawler, zu Schuldgefühlen und Unbehagen (1977, S. 113). Nur eine Balance zwischen der als angemessen erachteten und der tatsächlich erhaltenen Belohnung führt danach zu Arbeitszufriedenheit. Verschiedene Faktoren beeinflussen in dem Modell was als subjektiv angemessene Belohnung erachtet wird. Das sind nach Lawler hauptsächlich die eigene Investition in die Arbeit beispielsweise durch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrung sowie die Schwierigkeit bzw. der Anspruch der Arbeit. Die wahrgenommene eigene Investition wird immer auch im Vergleich zu wahrgenommenen Investitionen und Ergebnissen von Vergleichspersonen wie beispielsweise Kolleg*innen bewertet (Lawler 1977, S. 113). In dem Modell von Lawler wird Arbeitszufriedenheit als globales Phänomen betrachtet. Agnes Bruggemann und Kolleg*innen (1975) entwickeln dagegen ein dynamisch, prozesshaftes Modell, das verschiedene Formen von Arbeitszufriedenheit unterscheidet. Folgende drei Prozesse stellt die Forschergruppe um Bruggemann heraus, die entscheidend sind für die Entstehung der unterschiedlichen Ausprägungen von Arbeitszufriedenheit (1975, S. 132): (1) Befriedigung bzw. Nicht-Befriedigung der Bedürfnisse und Erwartungen zu einem gegebenen Zeitpunkt. (2) Erhöhung, Aufrechterhaltung oder Senkung des Anspruchsniveaus als Folge von Befriedigung oder Nicht-Befriedigung. (3) Problemlösung, Problemfixierung, Problemverdrängung im Falle der Nicht-Befriedigung. Aus den verschiedenen Entscheidungs- und Vergleichsprozessen können sich sechs Formen von Arbeitszufriedenheit bzw. Arbeitsunzufriedenheit ergeben: Aus einem ersten Vergleich der allgemeinen und konkreten Merkmale der Arbeitssituation (Istzustand) und den allgemeinen und konkreten Bedürfnissen und Erwartungen (Sollzustand) ergibt sich bei Übereinstimmung oder geringer Abweichung eine stabilisierende Arbeitszufriedenheit, wenn das Anspruchsniveau aufrechterhalten wird. Steigen jedoch die Ansprüche, ergibt sich daraus laut Bruggemann und Kolleg*innen eine progressive Arbeitszufriedenheit (1975,
38
1 Theoretische Grundlagen
S. 132). Bei Abweichung von Ist- und Sollzustand kommt es dagegen zunächst zu einer diffusen Unzufriedenheit, die bei Senkung des Anspruchsniveaus zu einer resignativen Arbeitszufriedenheit führt. Wird das Anspruchsniveau hingegen aufrechterhalten, können Arbeitnehmer ihre Wahrnehmung „korrigieren“ und den Istzustand aufwerten. Trotz Diskrepanz wäre das Ergebnis dann Arbeitszufriedenheit, allerdings Pseudozufriedenheit, wie Bruggemann es bezeichnet (1975, S. 136). Arbeitsunzufriedenheit resultiert dann, wenn Ist- und Sollzustand voneinander abweichen, das Anspruchsniveau stabil bleibt, es keine Wahrnehmungsverzerrungen gibt und entweder keine Problemlösungsversuche unternommen werden (fixierte Arbeitsunzufriedenheit) oder nicht nach konstruktiver Problemlösung gesucht wird (konstruktive Arbeitsunzufriedenheit) (Bruggemann et al. 1975, 133 ff.). Das Modell von Bruggemann und Kolleg*innen setzt komplexe Entscheidungund Vergleichsprozesse von Seiten der Arbeitnehmer voraus und es stellt sich die Frage, ob die eigene Arbeitszufriedenheitssituation überhaupt so spezifisch wahrgenommen und artikuliert werden kann. Eine empirische Untersuchung des Modells durch Büssing und Kolleg*innen (1999) sieht es allerdings größtenteils bestätigt, dass eine spezifische Wahrnehmung vorliegt. Sie erweitern in der Folge das Zufriedenheitsmodell von Bruggemann und beziehen die subjektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer über die Kontrolle der jeweiligen Arbeitssituation mit ein.
1.7.2
Korrelate und Determinanten der Arbeitszufriedenheit
Besonders relevant ist die Auseinandersetzung mit der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen Zufriedenheit und Arbeitsverhalten oder auch der Arbeitsorganisation. Empirische Studien haben jedoch gezeigt, dass einfache Zusammenhänge nicht nachgewiesen werden können, sondern meistens durch Moderatorvariablen, wie beispielsweise demografische, biografische, Persönlichkeitsvariablen oder Arbeitsorganisation und -merkmale, beeinflusst werden (Weinert 1998, 212 f.). Unterschiedliche Berufsgruppen, Berufsebenen, Altersgruppen, Geschlechter oder Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte weisen demnach unterschiedlich hohe Arbeitszufriedenheit auf. Wie schon bei den vorgestellten Modellen gezeigt, wurden neben den Moderatorvariablen auch Determinanten der Arbeitszufriedenheit empirisch untersucht. Weinert stellt dabei auf Grundlage zahlreicher Wissenschaftlicher Erkenntnisse zusammenfassend heraus, dass für eine hohe Arbeitszufriedenheit eine Arbeitssituation vorhanden sein muss, die
1.7 Arbeitszufriedenheit
39
„(a) geistig fordernd ist, (b) den physischen und geistigen Bedürfnissen des Mitarbeiters entspricht, (c) das Gefühl des Erfolgs vermittelt, (d) Möglichkeiten zur Anwendung und Erweiterung von Interessen und Fähigkeiten bietet, (e) in der die Mitarbeiter das Gefühl der Achtung und Selbstwertschätzung durch Leistung erfahren, (f) in der ein vom Mitarbeiter als angemessen beurteiltes Entlohnungssystem vorhanden und dieses an die individuelle Leistung gekoppelt ist und (g) in der ein Führungsstil herrscht, der Selbstverantwortung und Eigeninitiative fördert und der Eigenentwicklung des Mitarbeiters dienlich ist.“ (Weinert 1998, S. 214)
Zudem ist der ideelle und gesellschaftliche Wert der eigenen Arbeit für die meisten Menschen sehr bedeutsam. Auch in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit in der Pflege lassen sich bestimmte Determinanten ausmachen, die diese maßgeblich beeinflussen (siehe hierzu genauer Abschnitt 3.5). Wie in vielen anderen sozialen Berufen auch, in denen in Teams gearbeitet wird und sich die Kolleg*innen aufeinander verlassen können müssen, spielt in der Pflege ein angenehmes Betriebsklima eine entscheidende Rolle. Eine gute Zusammenarbeit und eine hohe soziale Unterstützung im Team beeinflussen dabei die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte positiv (u. a. Wenderlein 2005; Isfort et al. 2010; Zander et al. 2013). Ebenfalls ein positiver Effekt kann in Bezug auf die Unterstützung und Wertschätzung durch Vorgesetzte festgestellt werden. Eine hohe Identifikation mit dem Pflegeberuf an sich und dem Arbeitgeber im Speziellen kann die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten, ebenso wie ein großer Handlungs- und Entscheidungsspielraum bei der Arbeit, positiv beeinflussen (u. a. Braun et al. 2008; Hasselhorn et al. 2005a; Siegling und Isfort 2014). Auf der anderen Seite wirken sich eine hohe Arbeitsbelastung, eine schlechte Arbeitszeitregelung und damit einhergehend eine schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine als unangemessen empfundenen Entlohnung sowie eine geringe Wertschätzung und Anerkennung der Arbeitsleistung negativ auf die Zufriedenheit der Beschäftigten in der Pflege aus. Für Arbeitgeber ist von größtem Interesse, welche Konsequenzen sich aus einer hohen oder niedrigen Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen ergeben. Vor allem untersucht wurde in diesem Kontext der Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Leistung sowie Fehlzeiten und Berufsverweildauer (Robbins 2001). Die oft postulierte Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung findet nur in geringem Ausmaß Bestätigung. Die Ergebnisse sind sehr heterogen und streuen breit. Glückliche Arbeitnehmer sind laut Robbins nicht notwendigerweise auch produktivere Arbeiter, auf individueller Ebene lässt sich sogar eher ein umgekehrtes Verhältnis feststellen: Produktivität erzeugt Zufriedenheit, nicht umgekehrt (2001, S. 104). Betrachtet man jedoch die Zufriedenheit in der Organisation oder dem Betrieb im Ganzen,
40
1 Theoretische Grundlagen
lassen sich laut Robbins dagegen höhere Korrelationen zwischen Zufriedenheit und Leistung ausmachen (2001, S. 104). Zwischen Arbeitszufriedenheit und Fehlzeiten kann insgesamt ein konsistent negativer Zusammenhang festgestellt werden, der allerdings nur sehr schwach ausfällt. Unzufriedene Mitarbeiter*innen bleiben demnach häufiger von der Arbeit fern als zufriedenere Mitarbeiter*innen, wenn keine Konsequenzen drohen. Ebenfalls ein negativer Zusammenhang kann zwischen Arbeitszufriedenheit und Berufsverbleib ausgemacht werden. Dieser Zusammenhang ist Robbins zu Folge zwar stärker als im Falle der Fehlzeiten, wird jedoch auch stark von anderen Faktoren wie der Lage auf dem Arbeitsmarkt, Aussicht auf andere Arbeitsplatzchancen oder dem Zugehörigkeitsgefühl zur Organisation oder dem Betrieb beeinflusst (2001, 104 f.). Für Beschäftigte in der Pflege kann ebenfalls bestätigt werden, dass eine Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation mit hohen Fehlzeiten korreliert, wie eine Studie von Wenderlein herausstellt (2005). Zudem ist die Wahrscheinlichkeit bei unzufriedenen Pflegekräften höher, noch vor dem Rentenalter aus dem Pflegeberuf auszusteigen (Stordeur et al. 2005). Auf der anderen Seite kann sich eine hohe Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte wiederum positiv auf die Patienten und Pflegebedürftigen sowie die Qualität der Pflege auswirken.
1.8
Zusammenhang von Belastungen, Bewältigung und Zufriedenheit bei der Arbeit
Schon bei der Vorstellung der einzelnen Theorien, Konzepte und Modelle von Stress, Belastung, Burnout, Coping und Zufriedenheit wurde deutlich, dass diese Aspekte im Arbeitskontext in irgendeiner Form miteinander in Zusammenhang stehen. Obwohl sich negativer Stress und hohe Arbeitsbelastung meist negativ auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Zufriedenheit auswirken, so kommt es doch häufig sehr darauf an, wie sich der Einzelne subjektiv mit Stress und Belastungen auseinandersetzt und wie mit den individuellen Einstellungen, Gefühlen und Kompetenzen umgegangen wird. So kann das Arbeiten unter Stress und hoher Belastung für den einen dennoch als befriedigend und zufriedenstellend empfunden werden, während es für den anderen Frust und Unzufriedenheit schürt. Schaarschmidt und Fischer (2001) haben diese Unterschiede systematisch untersucht und versucht, berufsbezogene Persönlichkeitsressourcen herauszustellen, die entweder schützend positiv oder aber negativ auf das wahrgenommene Stress- und Belastungserleben wirken. Dazu haben sie den Fragebogen „Arbeitsbezogenes Verhalten und Erleben (AVEM)“ (Schaarschmidt und Fischer 1997)
1.8 Zusammenhang von Belastungen …
41
entwickelt, der unter anderem auf theoretischen Überlegungen zu Lazarus‘ transaktionalem Stressmodell und der Ressourcentheorie beruht. Das Messinstrument berücksichtigt drei Seiten der Verhaltens und Erlebens im Arbeitskontext und umfasst insgesamt 11 Subskalen (Schaarschmidt und Fischer 2001, 15 ff.): – Berufliches Engagement: subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, beruflicher Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben, Distanzierungsfähigkeit – Widerstand gegenüber Belastungen: Resignationstendenz bei Misserfolg, offensive Problembewältigung, Innere Ruhe und Ausgeglichenheit – Berufsbegleitende Emotionen: Erfolgserleben im Beruf, Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstützung Mit dem Fragebogen untersuchten Schaarschmidt und Fischer verschiedene Berufsgruppen, unter anderem auch Krankenpflegekräfte, hauptsächlich jedoch Lehrer*innen und kamen anhand von Clusteranalysen zu dem Ergebnis, dass sich vier unterschiedliche und relativ stabile arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster ausmachen lassen (2001, S. 20). Bei der genaueren Analyse der Bewältigungsmuster stand für die beiden Autoren dabei vor allem die Frage nach dem Zusammenhang mit der Gesundheit der arbeitenden Personen im Vordergrund. Muster G: Dieses Muster ist gekennzeichnet durch hohes Arbeitsengagement bei gleichzeitig hoher Widerstandskraft und Bewältigungskompetenz gegenüber arbeitsbezogenen Belastungen. Zudem weisen Personen dieses Typs die höchsten Zufriedenheitswerte auf und zeichnen sich auch sonst durch positive berufsbegleitende Emotionen aus. Es handelt sich um das sogenannte Gesundheitsmuster. Muster S: Das sogenannte Schonungsmuster ist dagegen geprägt von geringem Arbeitsengagement bei gleichzeitig hoher Widerstandsfähigkeit. Personen dieses Musters zeigen die höchsten Werte bei der Distanzierungsfähigkeit und weisen eine hohe Arbeitszufriedenheit auf. Risikomuster A: Kennzeichnend für dieses Risikomuster ist eine exzessive Verausgabungsbereitschaft bei niedrigster Distanzierungsfähigkeit, verminderter Widerstandskraft und einer geringen Arbeitszufriedenheit. Risikomuster B: Dieses Risikomuster zeichnet sich durch geringes Arbeitsengagement, eingeschränkte Distanzierungsfähigkeit, eine sehr geringe Widerstandskraft und Bewältigungskompetenz sowie eine massive emotionale Beeinträchtigung aus. Dieses Muster ist besonders problematisch für die Gesundheit der arbeitenden Person und weist Burnout-Tendenzen auf.
42
1 Theoretische Grundlagen
Während die ersten beiden Bewältigungsmuster eine schützende Wirkung auf das wahrgenommene Stress- und Belastungserleben haben, zeichnen sich die Risikomuster durch eine negative Wirkung aus. Schaarschmidt und Fischer stellen jedoch auch heraus, dass eine „reine“ Musterprägung einer Person eher seltener vorkommt (2001, S. 25). Kombinationen aus mehreren Mustern (Mischmuster) sind dagegen die Regel. Die Zuordnung einer Person zu einem Muster erfolgt dann anhand des am stärksten ausgeprägten Bewältigungstyps (Schaarschmidt und Fischer 2001, S. 25). Auch können sich im Zeitverlauf Verschiebungen hin zu anderen Bewältigungsmustern ergeben. Diese können sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Die beiden Risikomuster A und B stehen, laut Schaarschmidt, eng mit der Entstehung eines Burnout-Syndroms zusammen, wobei sich dabei die Entwicklung eines Burnouts anhand der Verschiebung von Risikomuster A zu Risikomuster B beschreiben lässt (2012, S. 122). Die hohe Diskrepanz zwischen großer arbeitsbezogener Verausgabung und geringer Entlohnung des Risikomusters A, die sich in Form von Gratifikationskrisen äußert, kann, so Schaarschmidt, den Beginn eines Burnout-Prozesses markieren (1. Stufe). In Stufe zwei dominieren zwar noch die Charakteristika des Risikomusters A, es zeigen sich allerdings ebenfalls Tendenzen des Risikomusters B, vor allem in Bezug auf ein geringes emotionales Wohlbefinden und psychosomatische Probleme (Schaarschmidt 2012, S. 122). In diesem Stadium ist bei unveränderten Arbeitsbedingungen und gescheiterten Bewältigungsversuchen die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Tendenzen des Musters B verstärken und die Oberhand gewinnen. Damit ist der Übergang zu Stadium drei vollzogen, in welchem die Charakteristika des Risikomusters B überwiegen und nur noch wenige A-Tendenzen, in Form einer erhöhten Verausgabungsbereitschaft, vorhanden sind (Schaarschmidt 2012, S. 122). Am Endpunkt er Entwicklung hat sich ein „reines“ Risikomuster B herausgebildet, das von tiefgreifender emotionaler Erschöpfung und Resignation bestimmt wird. Natürlich können innerhalb der Untersuchung in dieser Arbeit nicht alle Zusammenhänge und sich beeinflussenden Faktoren berücksichtigt werden. Sondern es gilt die auszuwählen, die am wichtigsten erscheinen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der empirischen Untersuchung der momentanen Arbeitssituation (zum Zeitpunkt der Befragung) der Pflegekräfte in RheinlandPfalz anhand der Rahmenbedingungen, der Arbeitsbelastungen, der Bewältigungsstrategien und der Arbeitszufriedenheit. Neben der Darstellung des Status-Quo soll zudem untersucht werden, ob zwischen diesen Größen Zusammenhänge bestehen. Die konkreten Hypothesen werden in Kapitel 4 vorgestellt.
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis die Pflege als eigenständiges wissenschaftliches Themenfeld akzeptiert worden ist, und noch viel länger, bis sie in der Mitte des gesellschaftspolitischen Diskurses angekommen ist. (Jacobs et al. 2016, V)
In diesem Kapitel wird der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, die Pflege, genauer beleuchtet. Zunächst erfolgen eine Begriffsbestimmung und Definition. Es folgt eine kurze Abhandlung über die historische Entwicklung und Professionalisierung der beruflichen Pflege sowie über aktuelle und zukünftige Entwicklungen.
2.1
Begriffsbestimmung und Definition
Was ist (professionelle) Pflege? Eine Antwort darauf zu finden ist nicht immer einfach, da Pflege zum einen sehr vielfältig, komplex und dynamisch ist und es zum anderen viele verschiedene Bereiche gibt, in denen professionell Pflegende tätig sind (Spichiger et al. 2006, S. 46). Auch alltagssprachlich wird der Begriff sehr unterschiedlich verwendet, hier denkt man beispielsweise an die Pflege von Kontakten, Traditionen, Autos, Haustieren, aber natürlich auch Menschen. Eine erste Annäherung erfolgt über die Etymologie des Wortes. In dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm aus dem Jahr 1854 wird unter dem Substantiv „Pflege“ folgendes verstanden:
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Breinbauer, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8_2
43
44
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
„eine beaufsichtigende oder fürsorgende, (körperliches oder geistiges) gedeihen und wolbefinden bezweckende beschäftigung womit: aufsicht, obhut, fürsorge, wartung, schirm und schutz, leitung […] in bezug auf lebende wesen, besonders auf menschen: mhd.“ (Grimm und Grimm 1854–1961 “pflege”)
Das Verb „pflegen“ beschreibt die Tätigkeit wie folgt: „etwas zum gegenstand der pflege machen, sich fürsorgend womit befassen damit es wolstehe und gedeihe, etwas in aufsicht, in obhut haben oder nehmen, behüten, hegen“ (Grimm und Grimm 1854–1961 “pflegen”). Ob das Wort nun aus dem lateinischen oder germanischen abstammt ist umstritten (Waitz 1892, S. 107). Die allgemeine Bedeutung und Assoziation ist hingegen unstrittig: sich sorgen, sich kümmern, sich einsetzen, Verantwortung tragen, Aufsicht führen, Fürsorge. Diese jahrhundertealte Bedeutung ist im Kern auch heute noch zutreffend, wenn auch die Definitionen im Laufe der Zeit weiterentwickelt und ergänzt wurden. Im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege bezieht sich der Pflegebegriff auf das Verhältnis von „krank“ und „gesund“ bzw. die Praxis zwischen Pflegenden und (akut) Pflegebedürftigen (Schroeter und Rosenthal 2005, S. 20). Pflege also als Reaktion auf Pflegebedürftigkeit. Wingenfeld definiert Pflegebedürftigkeit als rein deskriptive Kategorie, die „ganz allgemein den Umstand [bezeichnet], dass ein Mensch infolge eines Krankheitsereignisses oder anderer gesundheitlicher Probleme auf pflegerische Hilfen angewiesen ist.“ (2014, S. 263). Die Definition des Sozialgesetzbuches ist dagegen enger gefasst und bezieht sich ausschließlich auf längerfristigen Bedarf an Pflege, die Akutpflege wird hier ausgeklammert. Im Sinne des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) gelten Personen demnach als pflegebedürftig, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen“ (§ 14 Abs. 1 SGB XI).
Heute existieren viele verschiedene Pflegetheorien und Modelle, die teilweise mit unterschiedlichen Pflegeverständnissen arbeiten. Eine Vielzahl der heute bekannten Theorien stammt aus den USA, dem Land mit der längsten akademischen Tradition in der Pflegewissenschaft (Neumann-Ponesch 2014, S. 52). Im Jahr 1963 beschrieb die US-amerikanische Krankenschwester und Pflegetheoretikerin Virginia Henderson die Aufgaben einer Pflegeperson wie folgt:
2.1 Begriffsbestimmung und Definition
45
„[…] den Einzelnen – ob gesund oder krank – bei der Durchführung jener Handlungen zu unterstützen, die zur Gesundheit oder zur Wiederherstellung (oder zu einem friedlichen Tod) beitragen, die er selbst ausführen würde, wenn er über die erforderliche Kraft, den Willen und das Wissen verfügte. Ebenso gehört es zu ihren Aufgaben, dem Kranken zu helfen, seine Unabhängigkeit so rasch wie möglich wieder zu erlangen“ (Henderson 1963, S. 51)
In Deutschland und dem deutschsprachigen Raum ist das Pflegemodell der Pflegewissenschaftlerin Monika Krohwinkel aus dem Jahr 1984 weit verbreitet und wird in vielen Einrichtungen eingesetzt (Neumann und Spöthe 2015, S. 5; NeumannPonesch 2014, 110 f.; Prangel 2009). Für sie gilt folgendes Verständnis von Pflege: „Erhalten, Fördern bzw. Wiedererlangen von Unabhängigkeit und Wohlbefinden der pflegebedürftigen Person in ihren Aktivitäten des Lebens und ihrem Umgang mit existentiellen Erfahrungen des Lebens“ (Neumann und Spöthe 2015, S. 5). Die aktuellste und heute gängigste Definition stammt aus dem internationalen Ethikkodex für Pflegende vom Weltverbund der Pflegenden (International Council of Nurses ICN)1 (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2010c). Der Ethikkodex gilt als die Grundlage des pflegerischen Handelns in Deutschland. Pflege wird darin wie folgt definiert: „Pflege2 umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen. Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse, Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung.“ (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2010b)3 .
Aus dem Ethikkodex gehen fünf grundlegende Aufgaben für Pflegende hervor (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2010c, S. 1): Gesundheit zu fördern, 1 Der
International Council of Nursing verbindet 122 nationale Pflegeverbände unter seinem Dach. Für Deutschland ist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) als Vertreter entsandt. Der ICN Ist die internationale Stimme der Pflege (Neumann und Spöthe 2015, 6 f.). 2 Pflege meint hier professionelle Pflege durch eine Altenpflegerin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin oder Gesundheits- und Krankenpflegerin. 3 Englischer Originaltext unter http://www.icn.ch/about-icn/icn-definition-of-nursing/.
46
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Krankheit zu verhüten, Gesundheit wiederherzustellen, Leiden zu lindern und die Achtung vor dem Leben und vor der Würde des Menschen. Seit dem Jahr 2004 gibt es in Deutschland auch eine Rahmenberufsordnung für professionelle Pflegefachpersonen (Deutscher Pflegerat 2004). Erarbeitet und erlassen wurde sie vom Deutschen Pflegerat.4 Darin werden erstmals allgemeine Grundsätze und Verhaltensregeln für professionell Pflegende in der Ausübung ihres Berufes festgeschrieben (Deutscher Pflegerat 2004, S. 2). In der Präambel der Berufsordnung findet sich ebenfalls eine Definition von Pflege: „Pflege heißt, den Menschen in seiner aktuellen Situation und Befindlichkeit wahrnehmen, vorhandene Ressourcen fördern und unterstützen, die Familie und das soziale, kulturelle und traditionelle Umfeld des Menschen berücksichtigen und in die Pflege einbeziehen sowie gegebenenfalls den Menschen auf seinem Weg zum Tod begleiten“ (Deutscher Pflegerat 2004, S. 3).
Die vorgestellten Definitionen geben bereits einen ersten Eindruck darüber, wie sich das Verständnis und die Bedeutung von professioneller Pflege im Laufe der Zeit gewandelt und weiterentwickelt haben. In dem nächsten Abschnitt soll nun genauer beleuchtet werden, welche historischen Entwicklungen dazu geführt haben, die Pflege zu einem Beruf werden zu lassen.
2.2
Historische Entwicklung
Um die Situation der heutigen Pflege in Deutschland zu verstehen, lohnt ein Blick auf die historische Entwicklung vom „Liebesdienst“ aus christlicher Nächstenliebe im 19. Jahrhundert hin zur professionellen Pflege der Gegenwart und den damit einhergehenden widersprüchlichen Anforderungen an die Pflegenden. Durch die sich stetig ändernden gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen hat sich auch das Selbstbild und berufliche Selbstverständnis der Pflege grundlegend gewandelt (Neumann und Spöthe 2015, S. 4). Die Professionalisierung des Berufs der Krankenpflege ist ein Produkt der europäischen Industriegesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts und ist eng mit dem medizinisch-technischen Fortschritt moderner Gesellschaften verbunden (Bischoff-Wanner 2014, S. 19). Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat sich die Krankenpflege zu einem Frauenberuf entwickelt, was auch heute, über 200 Jahre später, noch zutreffend ist. Laut der aktuellen Gesundheitspersonalrechnung 4 Der
Deutsche Pflegerat e. V. ist seit 1998 Dachverband der bedeutendsten Berufsverbände des deutschen Pflege- und Hebammenwesens (http://www.deutscher-pflegerat.de/).
2.2 Historische Entwicklung
47
des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015 sind unter den Gesundheits-, Kranken- und Altenpflegern auch heute noch mit rund 85 Prozent überwiegend Frauen beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2017). Im Folgenden sollen kurz die Entwicklungslinien nachgezeichnet werden, die maßgeblich zur Entstehung und Entwicklung des modernen Pflegeberufs in Deutschland geführt haben.
2.2.1
Krankenpflege im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Vor dem Hintergrund der Umschichtung von Weltbild und Gesellschaft lassen sich, laut Bischoff-Wanner, im 19. Jahrhundert vor allem drei Entwicklungsstränge herausstellen, welche die Berufskonstruktion beeinflussten: die zunehmende Industrialisierung, die Entwicklung und der Fortschritt der Medizin zur Naturwissenschaft und der Wandel des Geschlechterverhältnisses in der bürgerlich-industriellen Gesellschaft (Bischoff-Wanner 2014, 19 f.). Die industrielle Entwicklung und das rasche Bevölkerungswachstum hatten für die Gesundheitsversorgung in Deutschland zur Folge, dass die bisher hauptsächlich durch die Familie übernommene Pflege kranker Menschen zunehmend Aufgabe des Staates wurde. Gesundheit und Krankheit wurden zu ökonomischen Größen mit Auswirkung auf die Produktivität der Arbeitsleistung und volkswirtschaftlicher Relevanz (Bischoff-Wanner 2014, S. 20). Zu den wichtigsten sozialpolitischen Maßnahmen gehörte der Aufbau des öffentlichen Gesundheitswesens sowie die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung mit allgemeiner Versicherungspflicht 1983 (Simon 2013, S. 32). Die Entstehung des allgemeinen Krankenhauses als Heilanstalt gehörte ebenfalls zu diesen Neuerungen, was zur Folge hatte, dass vermehrt Pflegepersonal nachgefragt wurde. Aus dem naturwissenschaftlich-technische Fortschritt in der Medizin und den neuen Erkenntnissen beispielsweise zu Bakteriologie, Infektionskrankheiten, Antisepsis und Asepsis, ergab sich weiterer Bedarf nach qualifiziertem Krankenpflegepersonal. Die großen städtischen Krankenhäuser galten dabei als Mittelpunkt der medizinischen Forschung und Lehre (Bischoff-Wanner 2014, 22 f.). Eine weitere wichtige Entwicklung betrifft den Wandel des Geschlechterverhältnisses und die Herausbildung der bürgerlichen Frauenrolle, welche sich vor dem Hintergrund veränderter industrieller Arbeits- und Lebensbedingungen vollzogen (Bischoff 1992, 45 ff.). Das Geschlechterverhältnis im Bürgertum zeichnete sich durch eine strenge arbeitsteilige Trennung aus. Der Mann war als Alleinverdiener für die ökonomische Versorgung der Familie verantwortlich, während die Frau auf reproduktive Aufgaben im Rahmen der Familie beschränkt und dem Mann untergeordnet war (Bischoff 1992, S. 48; Bischoff-Wanner 2014,
48
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
S. 24). Als Konsequenz verlor die häusliche Arbeit der Frau ihren Arbeitscharakter und galt nunmehr als „‚Liebestätigkeit‘, als ‚Natur‘ und ‚Wesen‘ der Frau, als Frau-Sein schlechthin.“ (Bischoff 1992, S. 55). Aus diesem Konzept der „Liebestätigkeit“ und den damals den Frauen zugeschriebenen Attributen wie Selbstlosigkeit, Aufopferung und Mütterlichkeit ergab sich die Krankenpflege als „besonders geeignete“ Tätigkeit der bürgerlichen Frau (Kreutzer 2008). Die Kriege im 19. Jahrhundert und das daraus resultierende Problem der Versorgung der Verwundeten hatten ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Neuorganisation der Pflege (Steppe 1994, S. 44). Die genannten Entwicklungen führten alle zu einem Anstieg der Nachfrage nach qualifiziertem pflegerischem Personal. Bis zu dieser Zeit wurde die Krankenpflege hauptsächlich von sogenannten Lohnwärterinnen und Lohnwärtern oder von schlecht ausgebildetem Pflegepersonal geleistet, die dem qualitativ wie quantitativ gestiegenem Anspruch nicht mehr genügten (Seidler 1993). Im 19. Jahrhundert gab es jedoch noch keinen einheitlichen Berufsstand der Krankenpflege im heutigen Sinne. Die Neuorganisation des Pflegeberufes hat sich maßgeblich durch vier Organisationsformen entwickelt: die katholische Ordenspflege, die evangelische Diakonie, die weltlichen Mutterhausverbände und die freiberufliche Krankenpflege (Seidler 1993, S. 193). Die Vorstellungen von Pflege in den Orden waren geprägt von der christlichen Tradition der Nächstenliebe und der selbstlosen Hingabe an den Dienst am Kranken (Seidler 1993, S. 195). Die Arbeit in der Pflege wurde als göttliche Berufung verstanden. Eine geregelte Ausbildung gab es nicht. Angeregt von der Erstarkung der katholischen Ordenspflege und ausgehend von dem Gedanken der frühchristlichen Diakonie, kam es in den 1830er Jahren zur Gründung der ersten evangelischen Pflegegemeinschaften (Seidler 1993, 196 f.). Der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner gründete 1836 zusammen mit seiner Frau Friederike die erste Diakonissenanstalt in Kaiserswerth. Dabei übernahm er das Mutterhaussystem der katholischen Orden, das Krankenpflegelehrbuch der Berliner Charité5 und führte für seine Diakonissen eine eigene Tracht sowie die Anrede „Schwester“ ein (Bischoff-Wanner 2014, S. 27). Wirklich neu an dem Kaiserswerther Modell war die Idee, dass gute Krankenpflege durch Anlernen in der Pflegepraxis und durch ärztlichen Unterricht erlernt werden muss (Seidler 1993, S. 199). Flieders Konzept der Diakonissenkrankenpflege hat über die Grenzen Deutschlands hinaus an Berühmtheit und Verbreitung erlangt.
5 Die
Krankenpflegeschule an der Berliner Charité wurde 1832 gegründet.
2.2 Historische Entwicklung
49
Die Bedeutung der Krankenpflege vor dem Hintergrund der Kriege im 19. Jahrhundert wurde, laut Seidler (1993, S. 200), hauptsächlich durch zwei außerdeutsche Entwicklungen geprägt: Die Nightingale-Bewegung und die Entstehung des Roten Kreuzes 1864. Die britische Krankenschwester Florence Nightingale machte durch ihre Erfahrungen im Krimkrieg auf das Problem der Unterversorgung der Kriegsverletzten aufmerksam und wurde vom englischen Kriegsminister 1854 beauftragt, die Organisation der Pflege der Kriegsverletzten neu zu organisieren (Seidler 1993, S. 203). Nach ihrer Rückkehr gründete sie in London 1860 eine Krankenpflegeschule, in welcher die Pflegeausbildung unabhängig vom Krankenhaus absolviert werden konnte. Im gleichen Jahr veröffentlichte Nightingale ihre berühmten „Notes on Nursing“ (2016), die als Begründung der modernen westlichen Krankenpflege gelten und wesentlich dazu beitrugen, dass sich die Gesundheitsfürsorge und das Sanitätswesen weiterentwickelten. Durch die Bemühungen von Nightingale wurden zwei wichtige Reformen der Krankenpflege in die Wege geleitet: Zum einen wurde die Krankenpflege auf den sozialen Stand eines erlernten Berufs gehoben und bot damit zum anderen Frauen die Möglichkeit in der Gesellschaft eine öffentlich anerkannte Ausbildung zu absolvieren (Seidler 1993, S. 204). Nightingales System der Krankenpflege verbreitete sich in der Folge auch außerhalb Großbritanniens; in Deutschland jedoch zunächst ohne Erfolg (Wolff und Wolff 2011, S. 169). Hauptsächlich durch das Mutterhaussystem und das religiöse Verständnis von Pflege als Berufung zum Dienst am Kranken, zeigen sich zu dieser Zeit bereits Tendenzen der Unberuflichkeit in Bezug auf den Pflegeberuf, wie BischoffWanner herausstellt. „Mit der Organisationsform des Mutterhauses und der Identifizierung der Krankenpflege mit dem Frau-Sein schlechthin gelang es, die Krankenpflege zwar als berufliche Arbeit zu organisieren, aber sie gleichzeitig zum Nicht-Beruf zu erklären.“ (Bischoff-Wanner 2014, S. 27). Sie beschreibt sechs Merkmale die den „Nicht-Beruf“ der Pflege charakterisierten (2014, S. 29): – Dienstverhältnis, statt (Lohn-)Arbeitsverhältnis – Ausübung unter quasi-feudalen Bedingungen im Mutterhaussystem, statt freier Angestelltentätigkeit – Keine freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft durch Gestellungsvertrag, statt individuellem Arbeitsvertag – Nur Taschengeld und Unterhalt, statt Arbeitslohn – Keine Trennung von Arbeit und Freizeit – Weibliche Tugend als Berufsqualifikation
50
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Als Gegenstück zum Mutterhaussystem entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die freiberufliche Pflege, die zunächst jedoch auf die häusliche Privatkrankenpflege beschränkt war. Schlechte Arbeitsbedingungen, keine geregelte Ausbildung oder rechtlich Absicherungen, sowie die Konkurrenz auf Seiten der Ordens- und Verbandsschwestern, die die freien Schwestern als „wilde Schwestern“ bezeichneten, stellten die Etablierung der freiberuflichen Krankenpflege vor große Herausforderungen. Dennoch entstand unter dem Einfluss der Frauenbewegung das Ideal eines interkonfessionellen, in der Gesellschaft geachteten und finanziell gesicherten Frauenberufs mit staatlich anerkannter Ausbildung (Seidler 1993, S. 208). In Deutschland gründete die ehemalige Rot-Kreuz-Schwester Agnes Karll 1903 in Berlin die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“ (B.O.K.D), den Vorläufer des heutigen Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) und versuchte, die Krankenpflege als selbstständigen Beruf zu etablieren. Ein weiterer Verdienst von Agnes Karll war die Gründung des International Council of Nurses (ICN) 1904 zusammen mit Pflegerinnen aus den USA und Großbritannien. Karll setzte sich für eine qualifizierte und staatlich geregelte dreijährige Pflegeausbildung ein und trug maßgeblich dazu bei, dass in Preußen 1907 ein staatliches Krankenpflegeexamen eingeführt wurde (Seidler 1993, S. 213). Eine staatliche, allerdings damals nicht reichseinheitliche, Ausbildungsregelung kam 1921, die dreijährige Pflegeausbildung konnte erst 1965 in der BRD verwirklicht werden (Seidler 1993, S. 225). Grund für diese späte Entwicklung war vor allem der Wiederstand der Mutterhausverbände, die jede staatliche Regulierung des Pflegeberufs als „Eingriff in die freie Liebestätigkeit“ ablehnten (Bischoff-Wanner 2014, S. 30). Auch weitere arbeitsrechtliche Regelungen, wie sie in anderen Berufen bereits Gang und Gäbe waren, wurden aufgrund der Übermacht der Mutterhausverbände und der Idealisierung der Pflege als Liebesdienst blockiert und konnten sich in der Pflege nur langsam entwickeln: „In den Krankenhäusern herrschten noch Ende des 19. Jahrhunderts Arbeitsbedingungen, wie sie für die Frühzeit der Industrialisierung typisch waren.“ (Bischoff-Wanner 2014, S. 30). Eine gesetzliche Arbeitszeitregelung mit 48-Stunden Woche (1918) und Acht-Stunden-Tag (1919) lehnten die Schwestern dabei ebenso ab wie das Streikrecht (1919) und einen Tarifvertrag (1920) (Steppe 1988, 12 ff.). Erst mit der Gründung von Gewerkschaften 1928 im Zuge der Erstarkung der Bedeutung der freiberuflichen Pflege begannen sich die Arbeitsbedingungen durch staatliche Regelung zu verbessern. Das Kräfteverhältnis in der Pflege hatte sich zu Gunsten der freien Pflege verschoben: Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch rund 75 Prozent aller in der Pflege Tätigen kirchlich oder zumindest in
2.2 Historische Entwicklung
51
Mutterhäusern gebunden waren, gab es 1928 bereits 52,9 Prozent freie Schwestern und Pfleger in der Krankenpflege (Seidler 1993, S. 225).
2.2.2
Entwicklungen ab 1945
Die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Pflege vor Herausforderungen in Bezug auf ihr Selbstverständnis, vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse einerseits, und andererseits hinsichtlich der Inhalte der Pflegepraxis, vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Berufsaufgabe, wie Seidler herausstellt (1993, S. 245). Anfang der 1950er Jahre war das Berufsbild der Krankenpflege immer noch stark religiös geprägt. Im Gegensatz zu dieser idealisierten Berufsvorstellung war der Arbeitsalltag in der Pflege geprägt von hoher Arbeitsbelastung und ausbeuterischen Verhältnissen, zudem mangelte es zunehmend an qualifiziertem Pflegepersonal. Auch öffentlich wurden die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Pflege immer mehr thematisiert und es wurde sich die Frage gestellt, ob nicht die christlichen Ideale vom „Liebesdienst“ am Nächsten, wie sie vor allem in den Mutterhausverbänden propagiert wurden, vielmehr dazu dienten, die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse in der Pflege zu kaschieren (Kreutzer 2005, S. 21). Die vielen Schwesternhelferinnen, die durch den Krieg in Kurzzeit ausgebildet wurden und von denen die Mehrzahl auch nach Kriegsende weiter in der Krankenpflege arbeitete, standen dem tradierten Leitbild in der Pflege ebenfalls mit Skepsis gegenüber (Kreutzer 2005, S. 21). Gesetzlich schritt die Verberuflichung zunächst nur langsam voran. Das Pflegegesetz von 1938 wurde erst 1957 durch das Krankenpflegegesetz abgelöst. Durch das Gesetz wurde der theoretische Ausbildungsanteil erhöht und die Ausbildungszeit auf zwei Jahre Theorie und ein Jahr Berufspraktikum im Krankenhaus ausgeweitet (Seidler 1993, S. 245). Im internationalen Vergleich hinkte die Verberuflichung der Pflege in Deutschland weiter zurück und auch die Ausbildungsqualität genügte, vor dem Hintergrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der Pflege, den zeitgenössischen Anforderungen kaum. Zudem war und ist die Pflege in Deutschland sehr stark von einer Abhängigkeit der Medizin und der Ärzt*innen geprägt, was auch heute noch zu beobachten ist (Drerup 1997, S. 12). In den USA konnte dagegen eine gegenläufige Entwicklung beobachtet werden. Die Arztabhängigkeit wurde durch ein sich veränderndes Berufsverständnis in der Pflege nach und nach abgebaut. Die Ausbildung in der Pflege fand zunehmend an Hochschulen und durch Krankenpflegepersonal statt, Ärzte waren nur ergänzend tätig (Drerup 1997, S. 15). Während bereits 1916 in New York eine
52
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
fünfjährige akademische Pflegeausbildung an der Universität eingeführt wurde, gab es die ersten Pflegestudiengänge in Deutschland erst rund 75 Jahre später zu Beginn der 1990er Jahre (Krampe 2015, S. 139). Eine Gesetzesnovelle von 1965 führte schließlich zur Einführung der dreijährigen Pflegeausbildung in Deutschland, so wie wir sie heute kennen und führte, angelehnt an die Entwicklungen im Ausland, langsam zu einem Wandel des Berufsbildes. In Deutschland gab es auch arbeitsrechtlich einige Veränderungen in der Pflege. Die Arbeitszeit in der Krankenpflege wurde 1974, ebenso wie in den anderen Berufen im öffentlichen Dienst, auf 40 Stunden in der Woche festgelegt und auch das Einkommen von Krankenschwestern und Pflegern wurde angehoben (Kreutzer 2005, S. 26). Zudem öffnete sich der Beruf durch den medizinischtechnischen Fortschritt immer mehr für Männer, gefragt war nicht mehr nur „weibliche“ Zuwendung, sondern zunehmend auch „männliche“ Technikkompetenz (Kreutzer 2005, S. 29). Einen weiteren Modernisierungsschub erhielt der Pflegeberuf durch das 1985 beschlossene Gesetz über die Berufe der Krankenpflege (KrPflG), welches in seiner neuen Fassung von 2004 bis heute in Kraft ist. Damit reagierte die Politik auf veränderte und gestiegene Anforderungen an den Pflegeberuf. Zu den Kernkompetenzen, die während der Ausbildung erworben werden, zählen unter anderem Krankenhaus-, und Praxishygiene, Krankenhausinformationssysteme, Krankenpflege, Patientenbetreuung, Pharmakologie, Spritzen intramuskulär und subkutan sowie der allgemeine Stationsdienst (Wilkesmann 2009, S. 42 f.). All diese Gesetze und rechtlichen Regelungen haben allerdings nicht dazu geführt, dass sich der Berufsalltag der Pflegekräfte, die schwierigen Arbeitsbedingungen und die hohe Arbeitsbelastung maßgeblich verbessert haben. Dazu kommt ein wachsender Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. 1988 wurde der Pflegenotstand ausgerufen, der bis heute, 30 Jahre später, noch nicht überwunden ist.
2.2.3
Verberuflichung der Altenpflege
Im Vergleich zur Krankenpflege gehört die Altenpflege zu den jüngeren sozialpflegerischen Berufen. Bis 1950 wurde Altenpflege weitgehend von Ordensschwestern und Diakonissen durchgeführt (Riedel 2007, S. 49), ein eigenständiger Beruf der Altenpflege war noch nicht etabliert. Erst Ende der 1950er Jahre gab es erste Qualifizierungsmaßnahmen für die Altenpflege, die vorher überwiegend von an- und ungelernten Pflegekräften verrichtet wurde (Riedel 2007, S. 50). Es herrschte die Ansicht, dass für die Versorgung und Pflege älterer Menschen keine
2.2 Historische Entwicklung
53
besondere Qualifikation von Nöten sei, sondern es vielmehr einer „lebenserfahrenen, seelisch ausgeglichenen, tatkräftigen und gütigen Pflegerin“ bedürfe (Voges 2002, S. 106). Zielgruppe waren hauptsächlich nicht erwerbstätige Hausfrauen im mittleren Alter. Eine solche „Jederfrau-Qualifikation“ (Voges 2002, S. 106) rechtfertigte die zunächst kurzen Ausbildungszeiten in der Altenpflege. Zur Abgrenzung von der Krankenpflege, um eine Fluktuation von der Altenin die Krankenpflege zu verhindern und um die Altenpfleger nicht zum Hilfsberuf der Krankenpflege zu machen, wurde die Altenpflege in den 1960er Jahren als sozialpflegerischer Beruf in Abgrenzung zum krankenpflegerischen definiert (Joost 2007, S. 5). Das Bundessozialhilfegesetz von 1961 verfügte zum ersten Mal über einen Sonderabschnitt zu Bestimmungen in der Altenpflege (Riedel 2007, S. 57). 1968 wurde die erste Ausbildungs- und Prüfungsordnung eingeführt. Die Altenpflegepolitik wurde jedoch zunächst hauptsächlich durch die einzelnen Bundesländer geregelt und gestaltet, da die Altenpflege nicht zu den Heilberufen zählte6 , was zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Ausbildungsregelungen führte (Voges 2002, S. 108). In den 1960er Jahren orientierte sich die Altenpflegeausbildung hauptsächlich an der Institution Altenheim. Erst im Laufe der Jahre hat sich dieser Fokus zunächst zu Gunsten des Pflegeheims und später zu Gunsten der ambulanten Pflege entwickelt (Riedel 2007, 54 f.). Erst 2000 wurde von der Bundesregierung ein Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG), ähnlich des Krankenpflegegesetzes, verabschiedet, das die institutionelle Verortung der Altenpfleger als Heilberuf an Berufsfachschulen regelte. Schwerpunkte des Gesetzes waren: eine Regelausbildung von drei Jahren, die Festlegung von einheitliche Zugangsvoraussetzungen und einer staatlichen Prüfung sowie der Schutz der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ (Voges 2002, S. 116). Damit war die Altenpflege als Beruf in der deutschen Ausbildungslandschaft fest etabliert. Im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union stellt die Entwicklung der Ausbildung zur Altenpflege allerdings einen deutschen Sonderweg dar. In der EU-Richtlinie von 1977 zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen wird von einem Pflegeberuf ausgegangen mit verschiedenen altersspezifischen Spezialisierungen, wie beispielsweise Kinderkrankenpflege. Eine eigenständige Grundausbildung speziell für die Altenpflege gibt es außerhalb von Deutschland nicht, was die Anerkennung deutscher Abschlüsse im EU Ausland schwierig macht (Joost 2007, S. 109). Problematisch ist diese Situation vor allem für Pflegekräfte, die in Grenzregionen arbeiten und für die eine Tätigkeit im benachbarten Ausland attraktiver erscheint. 6 Als
Heilberuf würde sie unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen (GG Art. 74, Absatz 1, Nr. 74).
54
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Im Vergleich zur Krankenpflege wird der Altenpflege (auch heute) insgesamt ein niedrigerer Status in der Gesellschaft zugeschrieben und die pflegerischen Tätigkeiten meist schlechter vergütet. Während Krankenpflegekräfte die Möglichkeit haben in der Altenpflege tätig zu sein, ist dies umgekehrt nicht möglich (Joost 2007, 5 f.). Trotz der Unterschiede und eines Teils hierarchischen Verhältnisses, kämpfen beide Berufe heute jedoch mit ähnlichen Problemen und haben berufspolitisch die gleichen Ziele: bessere Arbeitsbedingungen, höhere Vergütung, mehr Qualifizierung und höheres gesellschaftliches Ansehen (Bundeskonferenz der Pflegeorganisationen 2005)
2.3
Professionalisierung und Akademisierung
Seit der Verberuflichung der Pflege hat sich der Wissensstand kontinuierlich erweitert und der Pflegeberuf muss sich den immer komplexer werdenden Anforderungen und Veränderungen der Gesundheitsversorgung stellen. Diese Entwicklungen verlangen von der Pflege im 21. Jahrhundert eine weitere Professionalisierung. Im Jahr 2004 wurde das Krankenpflegegesetz von 1985 novelliert und reformiert. Die Berufsbezeichnungen „Krankenschwester“ bzw. „Krankenpfleger“ wurden durch die neuen Bezeichnungen „Gesundheits- und Krankenpfleger*in“ abgelöst. Das Berufsbild wurde dadurch auf die Gesundheitspflege bzw. um präventive, rehabilitative und palliative Bereiche ausgeweitet und das vorher vorherrschende Prinzip der Funktionspflege7 wurde durch ganzheitliche Pflegekonzepte abgelöst (Wilkesmann 2009, S. 42). In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Qualifizierung in den Gesundheitsberufen immer mehr in Bewegung geraten. Dies gilt besonders für die Pflege, die seit den 1990er Jahren unter den Schlagworten der „Akademisierung“ und der „Professionalisierung“ eine Anhebung ihrer Ausbildung auf Hochschulniveau fordern (Kälble 2013, S. 1127). Hintergrund und Auslöser dieser Forderungen sind unter anderem der demografische Wandel und die damit einhergehenden epidemiologischen Veränderungen einerseits, sowie die kontinuierlich steigenden Ansprüche an die Qualität der pflegerischen Versorgung durch die Nutzer andererseits (Kälble 2013, S. 1127). Zudem bemühte sich dich Pflege in Deutschland mit Blick auf die Entwicklungen in anderen Ländern um eine Modernisierung des Berufs. 7 Das
Prinzip der Funktionspflege sieht einzelne Arbeitsaufträge vor, welche von der Schichtleitung definiert werden, um dann in Form von Runden durch die Pflegekraft ausgeführt zu werden (Wilkesmann 2009, 42).
2.3 Professionalisierung und Akademisierung
55
Eine weitere entscheidende Entwicklung war die bereits Ende der 1980er Jahre beginnende Ausrichtung des Gesundheitswesens auf Grundsätze betriebswirtschaftlichen Denkens. Merkmale dieser Ökonomisierung lassen sich mit Schlagworten wie Kostensenkung und Profitsteigerung, Wettbewerb, Standardisierung von Leistungen und Tätigkeiten, Erweiterung von Leistungen, Spezialisierung auf einzelne Angebote und totale Qualitätskontrolle zusammenfassen (Krampe 2015, S. 141). Anfang der 2000er Jahre wurde zudem in der Pflege das Qualitätsmanagement etabliert und die Standardisierung von Leistungen durch die Diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) eingeführt. Neue Anforderungen an die Pflege und die Ausweitung von Leistungen führten zu neuen Arbeitsteilungen und der Etablierung neuer Berufe im Gesundheitswesen, wie beispielsweise Case-Manager*innen, Gesundheitswissenschaftler*innen oder Praxisassistent*innen (Krampe 2015, S. 141). Die berufliche Qualifizierung musste entsprechend angepasst und ausgeweitet werden. Die ersten Pflegestudiengänge in Deutschland wurden in den 1990er Jahren eingeführt und die Pflegewissenschaften im Bereich der akademischen Forschung etabliert. Dieser Schritt erfolgte, wie bereits angesprochen, im internationalen Vergleich in Deutschland erst relativ spät. Neue wissenschaftlich fundierte und evidenzbasierte Pflegekonzepte und theoretische Pflegemodelle waren nötig, um der Verwissenschaftlichung der Pflege gerecht zu werden (Schaeffer und Wingenfeld 2014, S. 10). Angelehnt an das Konzept der „Evidence Based Medicine“ wurde in der Pflege die Evidenzbasierte Krankenpflege („Evidence Based Nursing“) als Ethos des professionellen Handelns entwickelt (Behrens 2014, S. 151). Die Umsetzung dieser Pflegepraxis setzt, laut Behrens (2014, S. 152), eine Pflegeprofession voraus, die Verantwortung für ihr Handeln übernimmt. Die Akademisierung der Pflege fand zunächst nur für Pflegelehrkräfte, sowie für Leitungs- und Managementfunktionen statt (Bollinger et al. 2006, S. 82). Es wurden Studiengänge der Pflegewissenschaft und des Pflegemanagements eingerichtet, die eine wissenschafts- und forschungsbezogene Ausbildung vermitteln sollten. Jedoch führte der Abschluss eines solchen Studiums weder zum Erwerb der Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpfleger, noch berechtigte er die Absolventen zur Berufszulassung (Kälble 2013, 1129 f.). „Die an das Phänomen der Akademisierung geknüpften hohen Erwartungen der Pflege in Richtung einer umfassenden Professionalisierung und Etablierung als Profession, berufliche Autonomie, gesellschaftliche Anerkennung (Statusverbesserung) und nicht zuletzt auch die Hoffnung, sich der Dominanz der ärztlichen Professionen zu entziehen, die als ‚Leitprofession‘ im Gesundheitssystem die Arbeit der subordinierten Pflege bis heute weitgehend kontrolliert, haben sich in den 1990er-Jahren jedoch allenfalls partiell erfüllt“ (Kälble 2013, S. 1130).
56
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Im Zuge der Bologna Reformen und der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge, ist auch die Akademisierung der Pflegeberufe weiter vorangeschritten. So wurde vor allem die Durchlässigkeit und die Integration der beiden Ausbildungsformen Studium und Berufsausbildung verbessert, um in der Kombination von beiden Formen profitieren zu können. Heute existieren vor allem zwei unterschiedliche Studiengangmodelle: erstens primärqualifizierende Studienangebote, die ohne eine vorherige Ausbildung begonnen werden können und zweitens traditionelle Primärqualifikation ergänzende Studiengänge, die einen Ausbildungsabschluss in der Pflege voraussetzen (Bollinger und Gerlach 2015, S. 94). Primärqualifizierende Studiengänge können entweder auf das reine Studium beschränkt sein oder aber als duales Studium mit gleichzeitiger Berufsausbildung absolviert werden. Weitere fach- oder funktionsbezogene Qualifikationen können auf dem akademischen Level über Masterstudiengänge (z. B. Pflegepädagogik, Public Health oder Gesundheitswissenschaften) und eine Promotion erlangt werden. In den 2012 veröffentlichen „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ empfiehlt der Wissenschaftsrat angesichts des wachsenden Versorgungsbedarfs und des Komplexitätszuwachses in Aufgabenbereichen der Pflege, etwa 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs in den Pflegeberufen auf hochschulischem Niveau auszubilden (Wissenschaftsrat 2012, S. 85). Um diese Akademisierungsquote zu erreichen, werden zwischen 2100 und 4800 neue Studienplätze im Bereich der Pflege benötigt, so der Wissenschaftsrat (2012, S. 85). Es fehlen jedoch bis heute weitgehende empirische Studien, die untersuchen, ob die erzielten Akademisierung- und Verwissenschaftlichungsfortschritte in der Pflege überhaupt zu einer realen Verbesserung der pflegerischen Qualität und der Versorgung der Patienten beitragen. Probleme lassen sich auch hinsichtlich der späteren Arbeitsplatzsuche von Pflegekräften mit Hochschulabschluss ausmachen. Die Nachfrage der Pflegeeinrichtungen nach akademischem Pflegepersonal ist allgemein eher gering, während die Zahl der Studienabsolventen in den Pflegeberufen weiter steigt. In einigen Bundesländern, wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz, entsteht dadurch auf dem Arbeitsmarkt ein rechnerischer Überhang an akademischen Pflegekräften. Daraus lässt sich schließen, dass die besonderen Qualitäten der Pflegekräfte mit Studienabschluss in der Praxis noch nicht genügend bekannt sind (Bieräugel et al. 2012, S. 99).
2.4 Pflegekammern
2.4
57
Pflegekammern
Abgesehen von den Gesetzen und Reformen in der Pflege gab es in den letzten Jahren noch eine weitere Entwicklung, welche die Professionalisierung des Pflegeberufes sozusagen von innen heraus vorangetrieben hat. Die Rede ist von der beruflichen Selbstverwaltung in Form von Berufskammern. Wie schon bei der Entwicklung der Professionalisierung der Pflege, hinkt Deutschland auch hinsichtlich der Verkammerung der Pflegeberufe weit hinterher und nimmt im internationalen Vergleich nur eine Schlussposition ein. In Großbritannien und den USA sind Pflegekammern schon seit über 100 Jahren fester Bestandteil der Pflegelandschaft und auch in anderen europäischen Ländern ist die berufliche Selbstverwaltung der Pflege weit verbreitet (Kellnhauser 2015; Kuhn 2016, S. 49). Während andere Heilberufe im Gesundheitswesen in Deutschland bereits seit Jahrzehnten über Berufskammern verfügen (Ärzte- und Zahnärztekammern, Psychotherapeutenkammern, Apothekerkammern), blieb diese Möglichkeit der Pflege lange verwehrt, obwohl sie mit Abstand die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen darstellt (Jendrszcok und Raiß 2017, S. 17). Obwohl die Errichtung von Pflegekammern bereits seit den 1990er Jahren von den Pflegeverbänden gefordert wird und seit 1997 eine Nationalkonferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland existiert, wurde erst 17 Jahre später vom rheinland-pfälzischen Landtag die Einführung der bundesweit ersten Landespflegekammer beschlossen (Klenk 2018, S. 38). Ein Grund für die zähe Entwicklung in der Pflege liegt in der jahrzehntelangen Fremdbestimmung des Berufes, wie bereits die historische Verberuflichung und Professionalisierung gezeigt hat. Das Gesundheitswesen in Deutschland ist in verschiedene Bereiche gegliedert und unterschiedlich organisiert. In beinahe jedem Bereich gibt es starke Lobbygruppen (Arbeitgeber, Wohlfahrtsverbände und Private) oder andere Interessenverbände, wie beispielsweise der Ärzte, die an einer Selbstverwaltung oder gar Besserstellung der Pflege jedoch nur bedingt interessiert sind (Zergiebel 2018, S. 162). Die Pflege selbst ist dagegen eher schlecht organisiert, es existieren zwar auch hier Berufsverbände und gewerkschaftliche Vertretungen, diese werden jedoch von den Pflegenden selbst nur wenig in Anspruch genommen. Laut Zergiebel sollen weniger als 10 bis 20 Prozent aller Pflegenden in Deutschland in Berufsverbänden organisiert oder gewerkschaftlich gebunden sein (2018, S. 162). Dabei können Berufskammern einflussreiche Institutionen sein, die Rahmenvorgaben der Gesundheitsgesetzgebung durch ihrer Expertise mit Inhalt füllen und damit auch die Gesundheitspolitik beeinflussen und mitbestimmen (Kuhn 2016, 50 f.). Die Bundesärztekammer, als
58
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung und Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern, ist ein gutes Beispiel für solch eine einflussreiche berufliche Selbstverwaltung. Die Ärztekammern dienen bei der Diskussion um die Vor- und Nachteile der Errichtung von Pflegekammern in Deutschland oftmals als Vorbild. Viele sehen Pflegekammern aber auch als Chance der Emanzipation von der fortwährenden Fremdbestimmung vor allem durch Medizin und Ärzte: „Die Pflege in Deutschland ist dabei die jahrzehntelange Fremdbestimmung abzustreifen und die Selbstbestimmung des Berufsstandes in Gestalt von Pflegekammern zu erreichen.“ (Hanika 2015). Zudem wird die Etablierung einer beruflichen Selbstverwaltung in der Pflege als wichtiger und zukunftsweisender Schritt im Hinblick auf die weitere Professionalisierung des Berufes gesehen. Andreas Westerfellhaus, damals Präsident des Deutschen Pflegerates, heute Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, machte sich schon früh für die Errichtung von Pflegekammern in Deutschland stark: „Wir wollen uns selbst verwalten. Wir wissen am besten, was diese Berufsgruppe braucht, wie man sie entwickeln muss, welche Berufsordnungen sie braucht, welche Qualifikation und welche Konsequenzen daraus entstehen. Die Einrichtung der Selbstverwaltung ist der Schlüssel zum Haus, zur Ausgestaltung des eigenen Berufsfeldes!“ (Zergiebel 2018, S. 162)
Kammergegner dagegen sehen in der Errichtung von Pflegekammern keinen Vorteil für die Pflege. Es sei weder eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erwarten noch eine höhere Entlohnung oder eine verbesserte Qualität in der Pflege. Zudem seien Pflegekammern wirkungslos und zugleich „undemokratische Bürokratiemonster“, die von vielen der Pflegenden selbst angelehnt würden, so fasst der Pflegewissenschaftler Frank Weidner die Hauptargumente der Kammerkritiker zusammen (2015, 71 f.). Unter den Kammergegnern sind sowohl Berufsverbände und Gewerkschaften, die Konkurrenz fürchten, als auch Arbeitgeberverbände. Die Pflegenden selbst kommen in der ganzen Diskussion eher selten zu Wort, wie Andrea Kuhn treffend resümiert: „Viele fühlen sich berufen, über die Berufsgruppe und für die Berufsgruppe der Pflege zu sprechen. Die Pflege für sich selbst sprechen und entscheiden zu lassen, ist nach wie vor unüblich und wird auch von den Pflegenden noch kaum eingefordert. Pflege erscheint unpolitisch und unkritisch. Die historische Entwicklung wirkt immer noch nach.“ (Kuhn 2016, S. 54)
2.5 Aktuelle und zukünftige Entwicklungen
59
Die letztliche Entscheidung über die Errichtung einer Pflegekammer und die Ausgestaltung der Selbstverwaltungsstrukturen obliegt in Deutschland den einzelnen Bundesländern und dem jeweiligen Landesrecht. Pflegekammern sind landesweit organisierte Körperschaften des öffentlichen Rechts und bekommen vom Staat hoheitliche Aufgaben übertragen (Jendrszcok und Raiß 2017, S. 59). Im Rheinland-Pfalz stimmten sowohl alle Berufsverbände der professionell Pflegenden, als auch eine Mehrheit der Berufsangehörigen, für die Errichtung der Pflegekammer nach einer landesweiten Befragung (Börsch 2018, S. 164). Kritisch zu hinterfragen ist allerdings, wie repräsentativ das Ergebnis der Befragung tatsächlich ist, da sich von den rund 40.000 Beschäftigen in Rheinland-Pfalz lediglich rund 7.000 an der Befragung beteiligten. Von den Befragten stimmten dann drei Viertel für die Verkammerung. Als gesetzliche Grundlage zur Gründung der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz wurde Ende 2014 das Heilberufsgesetz durch den Landtag entsprechend novelliert und trat zum 01.01.2015 in Kraft (Jendrszcok und Raiß 2017, 72 f.). Als erste Pflegekammer in Deutschland nahm die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz am 1. Januar 2016 ihre Arbeit auf. Weitere Landespflegekammern folgten in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Alle professionell Pflegenden in den Bereichen Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheitsund Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege in Rheinland-Pfalz sind gesetzlich verpflichtete Mitglieder der Landespflegekammer. Insgesamt umfasst die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz eigenen Angaben zu Folge rund 40.000 Mitglieder und finanziert sich aus verpflichtenden Mitgliedsbeiträgen, die nach dem Einkommen gestaffelt sind. Mit der Errichtung der ersten Pflegekammer ist ein wichtiges politisches Instrument zur Selbst- und Mitbestimmung der Pflegenden etabliert worden, so Börsch (2018, S. 172). Nichtsdestotrotz verbleiben noch viele Probleme und Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Das ganze Pflegesystem bedarf einer umfassenden Reformation, um eine gute pflegerische Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft sicherstellen zu können.
2.5
Aktuelle und zukünftige Entwicklungen8
Im Bundestagswahlkampf 2017 wurde die Pflege zu einem entscheidenden Wahlkampfthema, mit dem sich alle Parteien auseinandersetzen mussten. Die Politik 8 Es
wurden Entwicklungen, Reformen, Gesetzte und Gesetzesentwürfe bis Ende 2018/Anfang 2019 berücksichtigt.
60
2
Untersuchungsgegenstand: Pflege
hat sich zwar schon zuvor mit den Problemen in der Pflege beschäftigt, das Thema gewann jedoch durch die Wahl erneut an Bedeutung und wurde auch der breiten Öffentlichkeit dadurch bewusstgemacht. Das hat unter anderem dazu geführt, dass in den letzten Jahren verschiedene Gesetzesentwürfe für eine Reformation der Pflegeberufe auf den Weg gebracht wurden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Beruf wieder für junge Menschen attraktiv zu machen. Entscheidende Änderungen wurden zunächst durch die Pflegestärkungsgesetze (PSG) I, II und III in den Jahren 2015 bis 2017 umgesetzt, durch welche auch die Situation der pflegebedürftigen Menschen selbst und deren Angehöriger verbessert wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2017). Die bedeutendste Reform der Pflegeversicherung wurde mit dem Pflegestärkungsgesetz II realisiert. Ab 2017 wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff definiert, in welchem nun auch geistige und seelische Beeinträchtigungen berücksichtig werden. Zudem wurde ein neues Begutachtungssystem zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit eingeführt. Aus den drei Pflegestufen wurden fünf Pflegegrade, die sich an der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person orientieren. Da in Pflegegrad I bereits geringfügige Beeinträchtigungen berücksichtig werden, ist die Zahl der Menschen, die Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben seit 2017 deutlich angestiegen (Bundesministerium für Gesundheit 2017, S. 16). Für die Pflegekräfte wurde die Pflegedokumentation vereinfacht, sowie zusätzliche Betreuungskräfte für die Betreuung älterer und kranker Menschen in stationären Einrichtungen finanziert. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken und eine qualitativ hochwertige Behandlung und Pflege von Patienten im Krankenhaus auch in Zukunft gewährleisten zu können, wurde 2017 begonnen über eine Regelung zu Personaluntergrenzen für pflegeintensive Krankenhausbereiche zu diskutieren. Dazu hat das Bundesgesundheitsministerium im Juli 2017 den Interessenvertretern von Krankenhäusern und Krankenhassen den Auftrag erteilt, Personaluntergrenzen selber festzulegen (Deutsches Ärzteblatt 2018). Da die Verhandlungen allerdings scheiterten, hat das Ministerium selbst Initiative ergriffen und 2018 die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) auf den Weg gebracht (Bundesministerium für Gesundheit 05.10.2018). Ab dem 1. Januar 2019 wurden Personaluntergrenzen für zunächst vier pflegeintensive Krankenhausbereiche (Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie) eingeführt. Ab 2020 sollen die Vorgaben für die gesamte Pflege im Krankenhaus gelten. Ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung des Berufsalltags der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege soll durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) erreicht werden (Bundesministerium für Gesundheit 2018b). Das Gesetz
2.5 Aktuelle und zukünftige Entwicklungen
61
wurde im November 2018 durch den Bundestag beschlossen und trat am 01.01.2019 in Kraft. Wichtige Neuerungen für das Pflegepersonal ergeben sich aus der Schaffung und Finanzierung neuer Pflegestellen, der Umstellung der Personalkostenvergütung und der Schaffung neuer Ausbildungsplätze. In der vollstationären Altenpflege sollen beispielsweise 13.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden. In der Krankenhauspflege soll ab 2019 jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle am Krankenhausbett vollständig refinanziert werden. Zudem sollen die Pflegepersonalkosten zukünftig unabhängig von den Fallpauschalen geregelt werden und durch eine Refinanzierung der Ausbildungsvergütungen sollen die Ausbildungskapazitäten in der Pflege erhöht werden (Bundesministerium für Gesundheit 2018b). Die grundlegendste Veränderung ergibt sich aus dem Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz (PflBG)), durch welches die bisher getrennte Ausbildung von Kranken- und Altenpflege zu einer gemeinsamen generalistischen Pflegeausbildung zusammengeführt wird. Das Pflegeberufegesetz, das bereits 2017 beschlossen wurde, löst ab 2020 das bisher geltende Krankenpflegegesetz und das Altenpflegegesetz ab (Bundesministerium für Gesundheit 2018a). Ab 2020 erhalten alle Auszubildenden zunächst zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, in der sie einen Vertiefungsbereich im praktischen Teil wählen können. Wird die generalistische Ausbildung auch im dritten Ausbildungsjahr fortgesetzt, so erwerben die Auszubildenden den Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“ (Bundesministerium für Gesundheit 2018a). Auszubildende, die den Schwerpunkt Altenpflege bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege wählen, erwerben die jeweils bestehende Berufsbezeichnung. Das Gesetz tritt stufenweise in Kraft, damit bis 2020 genügend Zeit ist die Pflegeausbildung entsprechend neu zu regeln. Dazu hat der Bundestag beispielsweise im Juni 2018 die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (PflAPrV) verabschiedet. Auch die Finanzierung der beruflichen Ausbildung in der Pflege wird reformiert. Eine entsprechende Verordnung (Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungsverordnung (PflAFinV)) wurde ebenfalls im Juni 2018 beschlossen und trat zum 01.01.2019 in Kraft.
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Perhaps no other occupation suffers so great a conflict between the practical requirements of the job and the explicitly moral goals of the profession. (Chambliss 1996, S. 62)
Das folgende Kapitel liefert einen Überblick über die Rahmenbedingungen und den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf das Arbeiten in der Pflege und den damit verbundenen Chancen und Risiken. Mit Blick auf bereits bestehende Forschung und durchgeführte Studien soll beantwortet werden, durch welche Rahmenbedingungen der Pflegeberuf in der Bundesrepublik abgesteckt wird, wie sich die Ausbildung und die Beschäftigungsstruktur darstellen, aus welchen Gründen oder welcher Motivation heraus sich überhaupt junge Menschen dazu entscheiden einen Pflegeberuf zu ergreifen, welchen Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und Stresssituationen professionell Pflegende in ihrem Berufsalltag ausgesetzt sind und wie sie diese Belastungen bewältigen. Abschließend werden Ansätze zur Arbeitszufriedenheit in der Pflege skizziert, bevor dann in Kapitel 4 die eigene empirische Untersuchung vorgestellt wird.
3.1
Rahmenbedingungen: gesetzliche Grundlagen, Ausbildung, Personal
Berufliche Pflege in Deutschland ist in hohem Maße von gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen und ökonomischen Einflüssen abhängig. Durch das © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Breinbauer, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8_3
63
64
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsgebot ist der Staat für die Daseinsvorsorge der Bevölkerung und damit auch für die Vorsorge im Fall von Krankheit und Pflegebedürftige verantwortlich (Simon 2013, 2014). Dabei wird das System der sozialen Sicherung zwar durch Gesetzte und Verordnungen reguliert, die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitswesens obliegt jedoch der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, in Deutschland also Bundestag und Bundesrat (Simon 2014, S. 229). Der aktuelle Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Thema Pflege und vor allem die Verbesserung der pflegerischen Versorgung und der Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende zu einem seiner Hauptanliegen in der 19. Legislaturperiode gemacht. Gesundheits-, Kranken-, und Altenpflege sind Gesundheitsberufe die besonderen rechtlichen und gesetzlichen Regelungen unterliegen. Verfassungsrechtlich zählen sie zu den Heilberufen, die in Deutschland nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 des Grundgesetzes geregelt sind. Während die noch bis 2020 geltenden Kranken- und Altenpflegegesetze und das neue Pflegeberufegesetz zur Regelung der Berufsausübung vom Bund erlassen werden, unterliegt die Ausbildungsregelung gleichzeitig auch der Landesgesetzgebung und wird durch die Heilberufsgesetze der Länder reguliert. Die Pflegeausbildung in Deutschland findet momentan noch in drei verschiedenen grundständigen Ausbildungsgängen bezogen auf die Altersgruppe der zu Pflegenden statt. Unterschieden wird zwischen Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege. Alle drei Ausbildungen sind bundesweit einheitlich geregelt und finden an Berufsfachschulen statt. Die Ausbildungsdauer beträgt in Vollzeit drei, in Teilzeit fünf Jahre und schließt mit einer staatlichen Prüfung ab. Ab 2020 werden die drei Ausbildungen dann zu einer gemeinsamen generalistischen Pflegeausbildung zusammengefasst, die allerdings weiterhin die Möglichkeit einer Spezialisierung im dritten Ausbildungsjahr bietet. Anders als in vielen anderen Ländern weltweit führt die Pflegeausbildung in Deutschland meist nur zu einem Abschluss im sekundären Bildungssektor (Berufsausbildung), während die Ausbildung international überwiegend in Form eines Hochschulstudiums im tertiären Bildungssektor angesiedelt ist (Albrecht et al. 2017, S. 18). Die Verlagerung der Pflege in den Hochschulbereich hat in Deutschland zwar begonnen, läuft aber insgesamt noch eher langsam ab, wie bereits in dem Kapitel über Professionalisierung und Akademisierung ausgeführt. Erst seit 2017 ist eine primärqualifizierende Pflegeausbildung auf Hochschulniveau auch in der Bundesrepublik gesetzlich geregelt (Büker et al. 2018, S. 9). Der Übergang in den tertiären Bildungssektor mit dem Abschluss der Berufsausbildung ist allerdings weiterhin nur schwer möglich. Es kann hier von einem „Sackgassencharakter“ der traditionellen Pflegeausbildung gesprochen werden, da nach Erreichung eines gewissen
3.1 Rahmenbedingungen …
65
Ausbildungsstandard eine höhere Qualifizierung nur über Umwege möglich ist (Behr et al. 2015, S. 135). Auch die formale Zugangsvoraussetzung zu einer Pflegeausbildung ist in Deutschland im internationalen Vergleich niedriger. In Deutschland ist hierfür weiterhin ein mittlerer Bildungsabschluss oder ein Hauptschulabschluss in Verbindung mit einer abgeschlossenen Ausbildung in der Kranken- oder Altenpflegehilfe ausreichend. International wird meist eine Hochschulzugangsberechtigung mit zwölf Jahren allgemeiner Schulbildung vorausgesetzt (Albrecht et al. 2017, S. 18). Die Zahl der Auszubildenden in den Pflegeberufen ist in den vergangenen zehn Jahren wieder deutlich gestiegen, trotz zwischenzeitlich erneut rückläufiger Zahlen (Statistisches Bundesamt 05.06.2018). Im Schuljahrgang 2016 haben rund 63.200 Jugendliche eine Pflegeausbildung begonnen, was einem Plus von 43 Prozent im Vergleich zu 2006 entspricht. Leider bleiben trotz des stetigen Anstiegs an Auszubildenden noch immer viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Laut einer von ver.di durchgeführten Befragung von Pflegeschüler*innen im Jahr 2015 (n = 3410) sind 58,5 Prozent der Befragten mit ihrer Ausbildung zufrieden oder sehr zufrieden (Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2016, S. 10). Im Vergleich zum Durchschnitt anderer Ausbildungsberufe (71,5 Prozent) fällt die Zufriedenheit in der Pflege deutlich geringer aus. Unzufriedenheit zeigt sich vor allem hinsichtlich der schwierigen Arbeitsbedingung in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, verbunden mit Zeitdruck und Personalmangel, welche sich negativ auf die Praxisanleitung der Pflegeschüler*innen auswirken. Rund 43 Prozent der befragten Pflegeschüler*innen fühlen sich überwiegend nicht oder nicht gut angeleitet und 82,4 Prozent sind der Meinung, dass insgesamt mehr Praxisanleiter erforderlich sind (Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2016, S. 11). Knapp 31 Prozent der Auszubildenden fühlen sich durch die Ausbildungsbedingungen immer oder häufig belastet. Das Arbeiten unter Zeitdruck (63,7 Prozent) ist dabei der häufigste Belastungsgrund (Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2016, S. 12). Auch Überstunden sind für die Pflegeschüler*innen keine Seltenheit, obwohl diese während der Ausbildung eigentlich nur in Ausnahmefällen zulässig sind. Der Studie zur Folge leistet fast jeder Dritte Pflegeschüler*innen regelmäßig Überstunden, in der Altenpflege sind es sogar 41,2 Prozent (Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2016, S. 11). Diese Antworten der Auszubildenden deuten bereits auf die angespannte Arbeitssituation in der Pflege hin. Neben der dreijährigen Pflegeausbildung gibt es in Deutschland zudem die landesrechtlich geregelte ein- bis zweijährige Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpflegehelfer, Altenpflegehelfer oder zur Pflegeassistenz. Als Zugangsvoraussetzung reicht hier meist ein Hauptschulabschluss. Wer bereits in der
66
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Pflege tätig ist und sich spezialisieren, neue Aufgaben oder mehr Verantwortung übernehmen möchte, kann zudem eine Weiterbildung absolvieren. In der Krankenpflege sind das beispielsweise Weiterbildungen zur Fachkrankenpflege wie Intensivpflege und Anästhesie, Operations-/Endoskopiedienst, Palliativ- und Hospizpflege, psychiatrische Pflege, die Leitung einer Funktionseinheit (z. B. Stationsleitung) oder eine Weiterbildung zur Praxisanleitung. In der Altenpflege gibt es die Möglichkeit der Weiterbildung zur Wohnbereichsleitung, Pflegeteamleitung, Pflegedienstleitung oder Einrichtungs-/Heimleitung und ebenfalls Fachpflegeweiterbildungen beispielsweise zur palliativen Pflege, gerontopsychiatrischen Pflege oder Praxisanleitung. Das Einsatzfeld von professionellen Pflegekräften ist sehr vielfältig. In nahezu allen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung sind pflegerische Tätigkeiten gefordert, sei es in Form von Gesundheitsförderung und Prävention, in der Kuration und Rehabilitation oder in der Langzeit- und Palliativversorgung (Büker et al. 2018, S. 17). Allgemein lassen sich die Bereiche Akutpflege, ambulante Pflege und stationäre/teilstationäre Pflege unterscheiden. Typische Beschäftigungsfelder sind unter anderem Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Facharztpraxen, Gesundheitszentren, palliativmedizinische Stationen, Hospize, ambulante Pflegedienste sowie stationäre und teilstationäre Pflegeeinrichtungen. Ebenso vielfältig wie die Einsatzbereiche sind auch die Aufgabenfelder und Funktionen in der Pflege. Sie reichen von den Kernbereichen professionellen pflegerischen Handelns wie allgemeine und spezielle Pflege sowie Steuerung von Pflegeprozessen, über speziellere Aufgabenfelder wie Case Management, Versorgungssteuerung oder Qualitätsmanagement, bis zur Lehr- und Leitungsfunktion oder der Mitwirkung an der Pflegeforschung (Büker et al. 2018, 18 f.). Büker und Kolleg*innen fassen die Aufgabenbereiche übersichtsartig zusammen, wie in Abbildung 3.1 dargestellt.
3.1 Rahmenbedingungen …
67
Steureung von Pflegeprozessen
Primary Nursing
Allgemeine und spezielle Pflege
Technikintensive Versorgung
Edukave Akvitäten
Tägkeiten im Funkonsdienstbereich
Versorgungssteureung/ Prozessmanagement
Case Management
Pflegeexperten
Qualitätsmanagement
Projektmanagement
Lehr- und Leitungsfunkonen
Gesundheitsförderung und Prävenon
Unterstützung von Familien
Beteiligung von Pflegeforschung
Interprofessionelle Zusammenarbeit
Abbildung 3.1 Aufgabenfelder und Funktionen der professionellen Pflege. (Quelle: Büker et al. 2018, S. 19, Abb. 1.1, eigene Erstellung)
Im Jahr 2017 gab es in Deutschland 1.942 Krankenhäuser, 14.050 ambulante Pflegedienste und 14.480 Pflegeheime mit insgesamt 1.054.659 Beschäftigten im Bereich der professionellen Pflege1 . Das entspricht bei einer Gewichtung nach der jeweiligen Arbeitszeit 798.402 Vollzeitäquivalenten2 . Davon entfallen rund 41 Prozent auf die Krankenhäuser, 37 Prozent auf die Pflegeheime und 22 Prozent auf ambulante Pflegedienste. In allen Versorgungsbereichen ist die Mehrheit der Beschäftigten weiblich (Akutpflege: 85 Prozent, Pflegeheime: 84 Prozent und ambulante Pflege: 86 Prozent) und arbeitet in Teilzeit (51 Prozent, 63 Prozent; 69 Prozent) (Statistisches Bundesamt 2018). Gegenüber 2015 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der professionellen Pflege leicht erhöht, was dem Trend der letzten Jahre entspricht. Die Pflegebranche gehört damit zu den Wirtschaftsbereichen mit seit Jahren wachsenden
1 Nur
Gesundheits- und Krankenpflegekräfte, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräfte, Altenpflegekräfte, Kranken- und Altenpflegehilfskräfte sowie sonstige Pflegekräfte. 2 Die Maßeinheit für die fiktive Anzahl von Vollzeitbeschäftigten einer Organisationseinheit bei Umrechnung aller Teilzeitarbeitsverhältnisse in Vollzeitarbeitsverhältnisse.
68
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Beschäftigungszahlen. Allein in den letzten 10 Jahren ist ein Anstieg der Beschäftigten in den Gesundheits- und Pflegeberufen von einem Fünftel zu beobachten (Nowossadeck 2013, S. 1044). Doch trotz dieser Entwicklung muss die Lage auf dem Pflegearbeitsmarkt bereits heute als angespannt betrachtet werden, da die Anzahl der Pflegekräfte insgesamt nicht ausreicht, um die Folgen des demografischen Wandels zu kompensieren (Löffert und Golisch 2013, S. 10). Zum einen beenden immer weniger junge Menschen eine Ausbildung in einem Pflegeberuf, zum anderen ist in den letzten 10 Jahren zusätzlich ein rückläufiger Trend bei den Ausbildungskapazitäten zu verzeichnen. Das führt dazu, dass offene Stellen in den Pflegeberufen oftmals nicht besetzt werden können oder es Probleme gibt, Bewerber mit geeigneter fachlicher Qualifikation zu finden (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2010d, S. 8). Ebenfalls problematisch ist die Altersstruktur der Beschäftigten in Zukunft anzusehen. Ist zurzeit noch die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im mittleren Alter zwischen 35 und 50 Jahren ist der Anteil der Beschäftigten über 50 Jahren in den letzten Jahren rapide angestiegen und lag 2010 bei rund 27 Prozent (Nowossadeck 2013, S. 1044). In den kommenden Jahren wird deshalb eine große Anzahl an Pflegekräften nach und nach aus dem Beruf ausscheiden. Dies wird, kombiniert mit dem Mangel an Nachwuchskräften, verstärkt zu Mitarbeiterengpässen im Pflegebereich führen.
3.2
Beweggründe und Motivation für Pflegearbeit
Mit dem Wissen um die schwierigen Rahmen- und Arbeitsbedingungen in der Pflege, der hohen Arbeitsbelastung, der im Verhältnis zur Wichtigkeit der Tätigkeit geringen gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung und dem vermeintlichen Sackgassencharakter in Bezug auf Aufstiegsmöglichkeiten, stellt sich die Frage, aus welchen Beweggründen und welcher Motivation heraus sich Personen für den Pflegeberuf entscheiden. Ist die Pflege in unserer Gesellschaft überhaupt noch ein lohnenswerter Beruf? Aus der historischen Entwicklung des Pflegeberufs ist bereits deutlich geworden, dass bis etwa in die 1960er Jahre hauptsächlich humanitäre und religiöse Beweggründe eine Rolle bei der Entscheidung für eine Tätigkeit in der Pflege gespielt haben (Voges 2002, S. 150). Die aktive Umsetzung der christlichen Nächstenliebe hat vor allem Frauen für den Beruf motiviert. Ökonomische Gründe und Sozialprestige haben dagegen eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Pflege war zu dieser Zeit mehr Berufung als Beruf. Durch den gesellschaftlichen
3.2 Beweggründe und Motivation für Pflegearbeit
69
Wertewandel und dem damit einhergehenden Rückgang der christlich aufopferungsvollen Motivation für den Pflegeberuf, wurden andere Beweggründe zur Berufswahl immer bedeutender (Killmer 1999, S. 62). Heute ist die Berufswahl junger Menschen eine subjektiv-individuelle Entscheidung, die sich aus einer Vielzahl an Motiven zusammensetzt. Grob unterscheiden lassen sich dabei intrinsische und extrinsische Motive oder auch immaterielle und materielle Motivationen, wobei sich Berufsmotivationen letztendlich meist aus Mischformen ergeben (Killmer 1999, S. 62; Voges 2002, S. 150). Extrinsische oder materielle Motive, die sich aus äußeren Anreizen ergeben, beziehen sich auf Lohnarbeit und Erwerbseinkommen. Intrinsische oder immaterielle Motive dagegen ergeben sich aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und angestrebtem Ziel (Killmer 1999, S. 62). In Bezug auf die Pflege ist das beispielsweise das Bedürfnis helfen zu wollen. Weitere immaterielle Beweggründe können soziale und gesellschaftliche Anerkennung, Pflichtbewusstsein oder auch Nächstenliebe sein (Voges 2002, S. 150). Aufgrund der eher geringen Entlohnung in der Pflege und dem damit ebenfalls geringen finanziellen Anreiz stellt sich jedoch die Frage, welche Rolle ökonomische Gründe überhaupt bei der Berufswahl spielen. Es ist davon auszugehen, so Voges, dass eine Entscheidung für den Pflegeberuf eher nicht ausschließlich auf Basis ökonomischer Gesichtspunkte getroffen wird (2002, S. 154). Er vermutet daher, dass das Helfermotiv bei Pflegekräften als Berufswahlmotiv stärker im Vordergrund steht. Grade bei vielen Frauen gilt der Wunsch einen sozialen und helfenden Beruf im Umgang mit Menschen zu ergreifen als häufigstes Motiv einen Pflegeberuf zu ergreifen. Auch in vielen älteren empirischen Untersuchungen zeigt sich eine hohe intrinsische Hilfsmotivation bei den befragten Pflegekräften, während extrinsische Motive eher eine untergeordnete Rolle spielen, wie beispielsweise in den Studien von Pinding et al. (1972), Weinert (1984), Veit (1996) oder Recken (1999). Es muss aber in diesem Zusammenhang auch beachtet werden, dass Helfermotive als Berufswahlentscheidung einer hohen sozialen Erwünschtheit unterliegen, was bei der Frage danach zu Verzerrungen führen kann. Soziale Motive können dabei als Vorwand vor anderen, vielleicht weniger lobenswerten Motiven, vermehrt genannt werden (Voges 2002, S. 154). Voges kommt daher zu dem Schluss, dass sich die Übernahme von pflegerischen Tätigkeiten weniger durch intrinsische und extrinsische Motive erklären lässt, als vielmehr auf bestimmte Bedingungen, die als Push- und Pull-Faktoren wirken, zurückzuführen ist (Voges 2002, S. 155). Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Friedrich Voss in seiner Analyse zur pflegerisch-medizinischen Arbeit im Krankenhaus (1993). Er stellt heraus, dass sich klassische Berufswahlmotive
70
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
hauptsächlich aus zwei Faktoren zusammensetzen: den äußeren Rahmenbedingungen und dem sozialen Tätigkeitsspielraum in der Pflege, wobei in seiner Untersuchung von 278 Pflegekräften die sozialen Motive ebenfalls deutlich überwiegen (Voss 1993, 320 ff.). Push- oder Schub-Faktoren ergeben sich beispielsweise aus der sozialen Lage und des damit verbundenen sozialen Drucks (z. B. fehlende Erwerbsalternativen, kein Berufsabschluss). Es entsteht eine unangenehme und unbefriedigende Situation, die es zu Verändern gilt. Fehlen Erwerbsalternativen aufgrund eines zu niedrigen oder fehlenden Bildungsabschlusses, können die eher niedrigen Zugangsvoraussetzungen und das große Arbeitsplatzangebot des Pflegeberufs jedoch auch als Sog-Faktoren erscheinen lassen (Voges 2002, S. 155). Als Pulloder Sog-Faktoren wirken beispielsweise die Attraktivität eines Berufsfeldes, das Arbeitsplatzangebot und die Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsinhalte, Gestaltungsund Identifikationsmöglichkeiten, sowie Karrierechancen. Soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht und Schulbildung haben ebenfalls einen Einfluss auf die Berufswahl. Voges kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung für die Krankenpflege mit dem Alter abnimmt, während die Altenpflege vor allem für die jungen (16–24 Jahre) und älteren Altersgruppen (35–60 Jahre) interessant ist (2002, 156 f.). Ein Realschulabschluss hat indes eine Sog-Wirkung in Richtung Krankenpflege, während eine Schulbildung auf Hauptschulniveau eine Schub-Wirkung in Richtung Altenpflege aufweist. Für Männer ist die Übernahme einer beruflichen pflegerischen Tätigkeit hingegen aus materiellen Gründen deutlich unattraktiver als für Frauen (Voges 2002, S. 156). Es stellt sich zudem die Frage, ob die Entscheidung für einen Pflegeberuf bewusst aus eigenen Präferenzen heraus getroffen wurde oder ob eine Tätigkeit in der Pflege mehr aus Mangel oder Abwägung von Alternativen im Hinblick auf Zugangsvoraussetzungen und Bildung ergriffen wurde, im Sinne eines Berufes zweiter Wahl. Berufsmotive unterliegen meist in Verbindung mit der Verweildauer im Beruf diversen Wandlungen und bleiben selten unverändert. Grade eine vorwiegend intrinsisch motivierte Berufswahl geht oft mit idealistischen und idealisierten Vorstellungen von einer Tätigkeit in der Pflege einher (Killmer 1999, S. 63). Pinding und Kolleg*innen schreiben in Bezug auf das Ergebnis ihrer Untersuchung zur Berufswahlmotivation in der Pflege folgendes: „Die Mehrzahl der Schülerinnen begründete ihre Wahl, den Pflegeberuf zu ergreifen, mit der Neigung, die in dem spontan akzentuierten Terminus ‚Menschen helfen
3.2 Beweggründe und Motivation für Pflegearbeit
71
wollen‘ zum Ausdruck kommt. Eine solch gefühlsbetonte, idealistische Einstellung in einer professionalisierten, rationalen Arbeitswelt ist zumindest auffällig.“ (Pinding et al. 1972, S. 43)
Diese idealistische Vorstellung von Berufsanfängern beruht oftmals auf einem Informationsdefizit zu dem gewählten Berufsfeld, sowie auf diffusen, unkonkreten Vorstellungen der Arbeitsaufgaben und -inhalte. Kommt es dann während der Ausbildung aufgrund der tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu Desillusionierung im Berufsalltag, wirkt dies für die Betroffenen besonders belastend und stressvoll (Killmer 1999, S. 64). Kramer spricht in diesem Zusammenhang von einem Praxisschock aufgrund unrealistischer Berufsmotivationen (1974). Ein sogenannter Praxisschock führt in helfenden Berufen nicht selten zu Burnout (Enzmann und Kleiber 1989). Eine aktuellere Studie zur Berufsmotivation in der Pflege liefert eine Forschergruppe um Bomball, vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen (2010b; 2010a). Sie untersuchten im Jahr 2009 anhand einer Befragung von Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern und Auszubildenden (n = 848) die Einstellungen von Schüler*innen zur potenziellen Ausbildung in einem Pflegeberuf. Insgesamt betrachtet scheint die Motivation eine pflegerische Tätigkeit zu beginnen bei Schüler*innen der 8. bis 10. Klasse sehr gering zu sein. Pflegeberufe haben sowohl bei den Schüler*innen selbst als auch bei deren Eltern ein eher negatives Image (Bomball et al. 2010b, S. 4). Für die Eltern spielen hauptsächlich die restriktiven Arbeitsbedingungen und die niedrigen Einkommenschancen eine Rolle den Pflegeberuf abzulehnen. Wohingegen für die befragten Schüler*innen eher tätigkeitsbezogene Inhalte, die hohe Belastung sowie mangelndes Interesse an dem Beruf im Vordergrund stehen (Bomball et al. 2010b, S. 58). Anhand dieser Studie ergib sich auch, dass Mädchen und Schüler von Hauptschulen eher an einer Pflegeausbildung interessiert sind als ihre Mitschüler (Bomball et al. 2010b, S. 51). Mädchen scheinen zudem ein deutlich positiveres und humaneres Bild von der Pflege zu haben als Jungen (Bomball et al. 2010b, S. 54). Insgesamt bewerten die Schüler*innen jedoch auch die Informationen, die sie über den Pflegeberuf (bekommen) haben als zu gering. Es fehlen, laut Bomball et al., realitäts- und praxisnahe Informationen (2010b, S. 59). Im Hinblick auf die Befragten, die sich bereits in einer Pflegeausbildung befinden, sieht die Motivationslage dagegen deutlich anders aus. Die überwiegende Mehrheit (88 Prozent) der Auszubildenden hat sich bewusst für die Pflegeausbildung entschieden. Bei den übrigen war die Entscheidung ungeplant oder durch strukturelle Gründe, wie beispielsweise fehlende Alternativen, bedingt
72
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
(Bomball et al. 2010b, S. 60). Als häufigsten Grund einen Pflegeberuf zu ergreifen, nennen die Auszubildenden berufliche oder familiäre Vorerfahrungen in der Pflege. Die Berufsvererbungsquote scheint in den Pflegeberufen, ebenso wie in der Medizin (Jacob et al. 2015), damit vergleichsweise hoch zu sein. Berufsvererbung bedeutet dabei, dass Kinder den gleichen oder einen ähnlichen Beruf ergreifen wie ihre Eltern oder andere nahe Verwandte. Weitere wichtige Gründe für die Berufswahl waren der Kontakt mit Menschen, Spaß und Freude am Beruf sowie „Anderen helfen“ (Bomball et al. 2010b, S. 61). Speziell für die Krankenpflegeschüler*innen spielte auch der medizinische Aspekt der Tätigkeit eine gewichtige Rolle, ebenso wie die Arbeit in einem herausfordernden und abwechslungsreichen Beruf. Erfreulich ist zudem die Tatsache, dass sich fast alle (94,4 Prozent) der befragten Auszubildenden noch einmal für einen Pflegeausbildung entscheiden würden (Bomball et al. 2010b, S. 64). Diejenigen, die sich im Nachhinein gegen eine Ausbildung in der Pflege entscheiden würden, sehen vor allem die restriktiven und belastenden Arbeitsbedingungen, die geringe Entlohnung und die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf als besonders problematisch an (Bomball et al. 2010b, S. 64). Die überwiegende Mehrheit würde den Pflegeberuf auch Freunden weiterempfehlen. Gründe hierfür sind die gute Zukunftsperspektive und Arbeitsplatzsicherheit, sowie die Tatsache, dass es sich bei dem Pflegeberuf um eine interessante, herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit handelt (Bomball et al. 2010b, S. 69). Eine Befragung von Gesundheits- und Krankenpflegeschüler*innen im zweiten und dritten Ausbildungsjahr (n = 670) in Berlin und Brandenburg von Golombek und Fleßa aus dem Jahr 2010 hat ähnliche Ergebnisse zur Berufsmotivation geliefert (2011). Für 79 Prozent der Befragten waren demnach prosoziale Motive ausschlaggebend für die Entscheidung eine pflegerische Tätigkeit zu beginnen. Daneben spielte auch die vorherige praktische Erfahrung durch ein Freiwilliges Soziales Jahr, den Zivildienst oder ein Praktikum in der Pflege eine Rolle bei der Berufswahl, ebenso wie das Wissen um die Arbeitsplatzsicherheit (Golombek und Fleßa 2011, S. 5). Auch eine eigene unveröffentlichte Studie „Berufsmonitoring Pflege“ im Rahmen eines praxisbezogenen Studienprojektes für Bachelorstudierende an der Universität Trier im Jahr 2015 kann die bisherigen Ergebnisse zur Berufswahl von Pflegeschüler*innen stützen (Kaucher et al. 2015). Befragt wurden 223 Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege in ausgewählten Pflegefachschulen in RheinlandPfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Es hat sich gezeigt, dass auch in dieser Stichprobe vor allem Helfermotive, praktische Vorerfahrungen, sowie die Berufsvererbung ausschlaggebend waren sich für einen Pflegeberuf zu entscheiden. Demnach haben 70% neben dem Pflichtpraktikum vor Beginn der Ausbildung bereits
3.2 Beweggründe und Motivation für Pflegearbeit
73
Praktika oder ein Freiwilliges soziales Jahr im Bereich der Pflege absolviert (Kaucher et al. 2015, S. 10). Drei Viertel derjenigen, die vor der Ausbildung bereits ein Praktikum im Bereich der Pflege absolviert haben, gaben an, dass sie das Praktikum in ihrer Ausbildungswahl bestärkt hat. Für den Rest war schon vorher klar, dass sie eine Pflegeausbildung machen wollen. Familienangehörige, die im Gesundheitswesen arbeiten haben rund 65% der Pflegeschüler*innen. Die meisten davon arbeiten ebenfalls als Pflegefachkraft (Kaucher et al. 2015, S. 11). In Bezug auf die Wichtigkeit bestimmter Aspekte für die Ausbildungswahl, war für die meisten einerseits der Aspekt der Hilfe für kranke und pflegebedürftige Menschen (62,6 Prozent), andererseits aber auch der Abwechslungsreichtum des Pflegeberufes (61,4 Prozent) sehr wichtig (Kaucher et al. 2015, 11 f.). Das gesellschaftliche Prestige des Pflegeberufes hat dagegen für viele bei der Ausbildungswahl kaum eine Rolle gespielt. Rund 35 % der Auszubildenden geben an, dass ihnen dieser Aspekt weniger wichtig bis unwichtig war. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf den Aspekt der Selbstständigkeit im Beruf (Kaucher et al. 2015, S. 12). Eine positive Erkenntnis der Studie ist, dass die überwiegende Mehrheit (90 Prozent) der befragten Gesundheits- und Krankenpflegeschüler*innen die Ausbildung noch einmal absolvieren würde und der Großteil mit der Ausbildung grundlegend zufrieden ist. Die intrinsische Motivation zum Pflegeberuf scheint hoch zu sein. Besonders die menschennahe und an der Hilfe für andere orientierte Arbeit ist den Auszubildenden dabei sehr wichtig und zeigt ihnen die Sinnhaftigkeit der pflegerischen Tätigkeit auf (Kaucher et al. 2015, S. 36). Obwohl natürlich durch die Auswahl der vorgestellten sekundärempirischen Ergebnisse keine generelle Aussage zu den aktuellen Berufsmotivationen getätigt werden kann, lassen sich dennoch klare Tendenzen erkennen. Die Hauptbeweggründe einen Pflegeberuf zu ergreifen beinhalten vor allem prosoziale Motive, wie den Wunsch anderen zu helfen. Daneben spielen praktische Vorerfahrungen beispielsweise in Form von Praktika oder Freiwilligen Sozialen Jahren vor Beginn der Ausbildung, sowie die Berufsvererbung eine besonders große Rolle. Auch die Arbeitsplatzsicherheit und die Tatsache, dass die Pflege eine abwechslungsreiche und herausfordernde Tätigkeit ist, werden von vielen Auszubildenden als Berufswahlmotive genannt. Es muss aber insgesamt bedacht werden, dass Berufswahlmotivation ein schwer zu operationalisierender Untersuchungsgegenstand ist, der schwer in seiner Gänze durch Befragungen abgedeckt werden kann, da komplexe Entscheidungsprozesse ablaufen, die oftmals unter- oder unbewusst sind (Killmer 1999, S. 66). Zudem gelten prosoziale und Helfermotive zu hoch sozial erwünschtem Verhalten, was ebenfalls zu Verzerrungen und Überschätzungen führen kann. Ebenfalls müssen die Unterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege bedacht werden.
74
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass insgesamt die intrinsischen Motive einen Pflegeberuf zu ergreifen die extrinsischen überlagern. Die Vorstellung einen sozialen, helfenden und menschennahen Beruf auszuüben scheint für die meisten bei der Berufswahl für die Pflege entscheidend zu sein, was dann allerding, bei Enttäuschung der Erwartungen im Berufsalltag, zu starken psychischen Belastungen führen kann, bis hin zum Burnout und/oder Berufsausstieg.
3.3
Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastung und Stress in der Pflege
In diesem Abschnitt werden zunächst allgemeine Anforderungen, Belastungen und Stressoren im Berufsalltag der Pflegekräfte anhand aktueller empirischer Befunde in Deutschland aufgearbeitet, bevor dann genauer auf das Phänomen des Burnouts in der Pflege, sowie auf die Verweildauer und den Berufsausstieg als mögliche Folge starker Belastungen eingegangen wird. Ein weiter Fokus wird auf die Auswirkungen für die Qualität der Pflege und die Patientensicherheut gelegt. Es wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass es zum Teil spezifische Anforderungen und Belastungen in den einzelnen Pflegebereichen Akutpflege, ambulante Pflege und stationäre/teilstationäre Pflege gibt. Die Literaturrecherche wurde im Frühjahr 2019 durchgeführt und enthält bis dahin veröffentlichte und der Autorin bekannten nationalen Studien der letzten 15 Jahre zu den Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen sowie der Berufsverweildauer von Alten- und Krankenpflegekräften. Ergänzt werden die Befunde durch internationale Studien zu den Auswirkungen der Belastungen auf die Pflegequalität und Patientensicherheit. Die Literaturrecherche erfolgte mit Hilfe der Datenbanken, Repositorien und Suchmaschinen SSOAR, GESIS Bibliothek, SocioHub, WZB Katalog, Google Scholar, PsycINFO, PSYNDEXplus, PubMed, LIVIVO, GeroLit und WISE.
3.3.1
Anforderungen, Belastungen und Stress im Berufsalltag
Durch die vielfältigen Einsatzbereiche und Aufgabenfelder in der Pflege und die Rahmenbedingungen der Arbeit, ergeben sich eine Reihe von Anforderungen an die Berufsangehörigen in der professionellen Pflege. Insgesamt jedoch zeichnet sich die professionelle pflegerische Tätigkeit durch hohe geistige und körperliche Anforderungen aus (Glaser und Höge 2005, S. 7). Zum einen ist in der modernen pflegerischen Versorgung und Pflegeprozesssteuerung gesundheits-
3.3 Arbeitsbedingungen …
75
und pflegewissenschaftliches Fachwissen gefordert, sowie Fachwissen aus anderen Disziplinen wie Medizin, Psychologie oder auch Sozialarbeit. Zum anderen verlangt der Berufsalltag den Pflegekräften aber auch körperliche Fähigkeiten wie Geschick, Ausdauer und Kraft ab und setzt ein hohes Maß an Kommunikation und Sozialkompetenz im Umgang mit den Patienten voraus (Glaser und Höge 2005, S. 7). Je nach Arbeitsorganisation und Einsatzbereich in der Akutpflege, der ambulante Pflege oder der stationäre/teilstationäre Pflege ergeben sich unterschiedlich komplexe und anforderungsreiche Aufgaben. Entgegen der heute zum Teil noch immer verbreiteten tradierten Vorstellung, Pflege sei eine Aneinanderreihung einfacher Arbeitsabläufe, die von der Medizin gesteuert werde, beschreiben Büssing und Glaser die pflegerische Tätigkeit als komplexe Interaktionsarbeit: „Vielmehr muss Pflege als Interaktionsarbeit begriffen werden, die einen eigenständigen, therapeutisch relevanten Beitrag zur Heilung liefert, und über die die Pflegenden und Therapeuten zu sozialen Modellen für die Patienten werden.“ (2003a, S. 124). Die Pflege nimmt zudem inzwischen innerhalb des Gesundheitssystems eine enorm bedeutende Rolle ein. Ärzt*innen und medizinische Fachkräfte sind in ihrem Berufsalltag auf die Unterstützung der Pflege angewiesen. Zum anderen ergibt sich trotz Professionalisierung und Emanzipation der Pflege bis heute ein gewisses hierarchisches Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medizin und Pflege. Hieraus ergeben sich für den Pflegeberuf weitere Belastungen in Bezug auf eigenverantwortliches, selbstgestaltetes Arbeiten und zum Teil unklare Anweisungen und Zuständigkeiten (Fischer 2006, S. 10). Weitere Belastungen gehen mit dem Auseinanderklaffen von Fachkräfteangebot und -bedarf in der Pflege in Folge des Demografischen Wandels einher. Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patienten und Pflegebedürftige in immer kürzerer Zeit versorgen. Das führt nicht nur zu steigenden Belastung der Pflegenden durch Mehrarbeit, Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und Rollenkonflikten, sondern hat ebenfalls Auswirkungen auf die Qualität der Pflege und die Sicherheit der Patienten (Aiken et al. 2012; Aiken et al. 2014). Die gefühlte und wahrgenommene Diskrepanz zwischen Berufsideal einer optimalen pflegerischen Versorgung und ernüchterndem Berufsalltag führt bei vielen Pflegekräften zu starken emotionalen und psychischen Belastungen, welche im schlimmsten Fall in Burnout gipfeln können. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sind in allen drei Pflegebereichen sowohl die objektive Arbeitsbelastung als auch das subjektive Belastungsempfinden überdurchschnittlich hoch (Höhmann et al. 2016, 75 f.; Bräutigam et al. 2014). Die sich aus der Literatur ergebenden vielfältigen Belastungsfaktoren im Pflegeberuf sind in Tabelle 3.1 zusammengefasst:
76
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Tabelle 3.1 Belastungsfaktoren im Pflegeberuf Makroebene Sozio-kulturelle, politische und gesellschaftliche Belastungsfaktoren Mangelnde gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit Ökonomisierung und Bürokratisierung der Arbeit durch Rationalisierung- und Umstrukturierungsprozesse sowie steigende Verwaltungs- und Dokumentationsanforderungen Unzufriedenheit mit der finanziellen Entlohnung für die geleistete Arbeit Mesoebene Organisationsbezogene Belastungsfaktoren Mangelnde Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf Geringer Handlungs- und Gestaltungsspielraum im Berufsalltag Arbeitszeitorganisation: Wechselschichtdienst, Nachtarbeit, Überstunden, Wochenend- und Feiertagsarbeit Zeitdruck Häufige Arbeitsunterbrechungen (z. B. durch Patientenklingel oder Telefon) Quantitative Arbeitsanforderungen und Arbeitsverdichtung durch Personalmangel Materiell-technisch bedingte Belastungsfaktoren Arbeitsumgebung: ständiger Lärm und Unruhe Schlechte Ausstattung des Krankenhauses oder der Pflegeeinrichtung Körperliche Belastungen: Heben, Tragen, Halten, Umlagern oder Transport von Patienten Ergonomische Belastungen: ungünstige Körperhaltung, Zwangshaltung Infektionsgefährdung Mikroebene Interpersonale Belastungsfaktoren Konflikte mit Kolleg*innen, Vorgesetzten, Patienten oder Angehörigen Interprofessionelle Spannungen Unklare Zuständigkeiten und widersprüchliche Anweisungen Fehlende oder mangelnde Informationen oder Informationsweitergabe Psychosoziale Belastungsfaktoren Konfrontation mit Leid, Sterben und Tod Mitverantwortung für das Leben anderer (Fortsetzung)
3.3 Arbeitsbedingungen …
77
Tabelle 3.1 (Fortsetzung) Schwierigkeiten im Umgang und der Abstimmung mit geistig verwirrten, dementen oder nicht ansprechbaren Patienten Psychische und emotionale Belastungen und Stress Psychosomatische Beschwerden Burnout Schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf Rollenkonflikte und moralischer Stress (Berufsideal vs. Arbeitsrealität) Quelle: eigene Darstellung angelehnt an Höhmann et al. 2016, 74 f., Abbildung 5-1
Überblicksartig werden im Folgenden relevante empirische Ergebnisse zu Belastungsfaktoren und Stressoren skizziert, die sich aus nationalen Studien der letzten 15 Jahre ergeben haben. Es wurden hauptsächlich repräsentative quantitative Studien aus allen Pflegebereichen ausgewählt, bei denen Pflegekräfte zu ihren Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen befragt wurden. Aufgrund der großen Vielfalt an veröffentlichten Studien in den letzten Jahren und der hohen Aktualität der Thematik, kann kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden (Tabelle 3.2).
Thematik
Stichprobe
Belastung, Arbeitszufriedenheit und Fehlzeiten bei Pflegekräften in der Krankenhauspflege
GesundheitliN = 1885 che Belastungen und Arbeitsbedingungen von Pflegekräften im Krankenhaus vor dem Hintergrund der DRGEinführung
Wenderlein und Schochat 2003; Wenderlein 2005
Braun et al. 2004; Braun und Müller 2005
N = 1020
Schröder et al. ArbeitsbedinN = 820 2004 gungen und Gesundheit von stationären Palliativpflegekräften
Autor*innen
Ergebnisse
Arbeitsbelastungen („immer“ und „häufig“) 65% Zeitdruck 63% schwere Lasten heben 59% viele Arbeiten gleichzeitig 50% ständig wiederholende Tätigkeit 43% Unterbrechungen Sonstige Belastungsfaktoren: 70% monatliche Überstunden (MW: 16,15 Stunden) 62% Wechselschichtdienst mit Nachtdienst 50% zu viele administrative Tätigkeiten
Hohe Belastung („fast immer“ und „häufig“) 92% starke Konzentration 89% Arbeitsunterbrechungen 82% zu wenig Zeit für Patienten 75% Mehrarbeit durch Fehlzeiten von Kolleg*innen 74% Zeit-/Leistungsdruck 67% körperliche Anstrengungen Unzufriedenheit mit 70% Einkommen 57% Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten 33% Informationspolitik 33% Anerkennung und Unterstützung durch Vorgesetzte 22% Arbeitszeitregelung
Psychische und physische Gesundheit 70% tägliche Müdigkeit, Mattigkeit, Nervosität 60% ständige Rücken- und Nackenschmerzen 59% ständiges Gefühl von „nicht abschalten können“
(Fortsetzung)
3
Postalische Befragung, 2003
Standardisierte schriftliche Befragung, 2001
Postalische Befragung mit telefonischer Ankündigung, 2001
Methodik
Tabelle 3.2 Übersicht empirischer Ergebnisse über Belastungen und Stress im Pflegeberuf
78 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Standardisierte schriftliche Befragung, 2005
N = 168 95 Pflegekräfte 73 Ärzte
Braun et al. 2008; Braun et al. 2010
Arbeitsbedingungen im Krankenhaus
Wiederholungsbefragung von Braun et al. 2004, postalisch, 2006
Pflegearbeit im N = 1283 Krankenhaus
Simon et al. 2005; Hasselhorn et al. 2005a
Bartholomeyczik et al. 2008
Methodik Basiserhebung der NEXT-Studie in Deutschland 2002/2003 mittels standardisierter Fragebögen
Stichprobe N = 3565, 2672 KH, 531 Stat, 354 Amb 8 ohne Angabe
Thematik
Arbeitssituation von Pflegepersonal und Ursachen für den vorzeitigen Berufsausstieg
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
Psychosoziale Belastungen („0 keine Belastung“ – „100 extreme Belastung“, MW) Quantitative Anforderungen (67), Einfluss der Arbeit auf das Privatleben (55) Änderungs-/Verbesserungsbedarf Top 5 Leistungsgerechte Bezahlung Verringerung des Dokumentationsaufwands Wertschätzung Kooperation der Berufsgruppen Klare Aufgabendefinition
Arbeitsbelastung („überwiegend“ und „immer“) 67% hoher Zeitdruck 54% zu viele administrative Tätigkeiten 42% Unterbrechungen 64% Wechselschichtdienst mit Nachtdienst 26% tägliche Arbeitspensum ist häufig nicht zu schaffen
Arbeitsbelastung (0 „keine Belastung“ – 100 „extreme Belastung“, MW, KH/Stat/Amb) Quantitative Arbeitsanforderung (61/65,4/55,2) Körperliche Belastung (32/49,7/23,4) Konfrontation mit Tod, Krankheit und Leiden (73,3/79,1/74,2) Konfrontation mit aggressiven und unfreundlichen Patienten (56,4/69,1/52,8) Burnout-Risiko (36,4/44,2/40,2) Unvereinbarkeit von Familie und Beruf (43,6/44,1/46,4)
3.3 Arbeitsbedingungen … 79
Schriftliche und OnlineErhebung, 2009, Sonderauswertung des Pflegethermometers 2009
N = 1927
Isfort et al. 2010; Isfort et al. 2011
Intensivpflege unter Druck
Schriftliche Befragung und OnlineErhebung, 2009
PflegeN = 9719 Thermometer 2009, Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 2009
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Schwierige Arbeitsbedingungen: Anzahl der Überstunden in den letzten 6 Monaten (MW: 44) 79% mehr Patienten betreut als im Vorjahr 71% offene Stellen über längere Zeit nicht besetzt 49% Personalstellen im Pflegebereich abgebaut 50% kein Verbleib in der Pflege bis zum Rentenalter (50%) 40% Schichtbesetzung nicht ausreichend, um Patientenversorgung abzusichern
Beanspruchungen Durchschnittliche tägliche Patientenbelegung (MW: 25) Betreute Patienten pro Schicht (MW: 12) Zusätzlich zum regulären Wochenenddient geleistete Feiertagsarbeit (MW: 1,33) Anzahl der Überstunden in den letzten 6 Monaten (MW: 42,11) Belastungen 87% Keine angemessene Bezahlung 72% Mehr Patienten betreut als im Vorjahr 68% Offene Stellen über längere Zeit nicht besetzt 59% Überstunden können nicht zeitnah ausgeglichen werden 53% Personalstellen im Pflegebereich abgebaut → 21,5% können als hoch belastet eingestuft werden
Schwierige Arbeitsbedingungen: 81% keine angemessene Personalausstattung 71% unzureichender Informationsfluss 71% schlechtes Image der Pflegeberufe in Deutschland 69% keine Veränderung der Attraktivität des Pflegeberufs für junge Generation erwartet 63% Abnahme der Pflegequalität 63% widersprüchliche, unvollständige oder unvereinbare Arbeitsanweisungen 48% selten vollständige und ungestörte Pause
3
Isfort und Weidner 2010
Methodik OnlineErhebung 2008/2009, Fragebogen angelehnt an das Erhebungsinstrumentarium der NEXT-Studie
Stichprobe N = 3048 Pflegekräfte aller Qualifikationslevel aus allen Pflegebereichen
Thematik
Personalausstattung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastung und Zukunft der Pflegeberufe
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung)
80 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Jobwahlverhal- N = 3763 ten, Motivation 3145 KP und 618 AP Arbeitsplatzzufriedenheit von Pflegepersonal
Buxel 2011a, 2011b
Mischung aus schriftlicher und OnlineBefragung, 2010
Methodik DGB-Index Gute Arbeit, 2007–2009
Stichprobe
Arbeits- und Einkommensbedingungen in der Kranken- und Altenpflege
Fuchs 2011
N = 960 672 KP 288 AP
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen („eher unzufrieden“, „sehr unzufrieden“, KP/AP): 63%/61% Anzahl der Kolleg*innen bei der Schichtbesetzung 62%/40% Stellenwert und Wertschätzung des Pflegepersonals 56%/53% Stress 56%/55% Zeit für Patienten 53%/45% Verdienstmöglichkeiten/Einkommenshöhe 44%/50% Work-Life-Balance Belastungen („stimme eher zu“, „stimme voll und ganz zu“, KP/AP): 71%/74% zu wenig Zeit für Patienten 70%/60% Sorge, dass der Beruf mit 55+ nicht mehr ausgeübt werden kann 66%/73% Zeitdruck 65%/68% körperliche Erschöpfung 64%/78% Zunahme an dementen Patienten 55%/60% Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht 52%/51% psychische und emotionale Belastung
Belastungen (nur AP): 83% keine leistungsgerechte Entlohnung 67% Sorgen um berufliche Zukunft 72% hohe Arbeitsintensität 55% körperliche Belastung 44% Arbeitszeitgestaltung 35% emotionale Belastung Gesundheitliche Beschwerden an Arbeitstagen mind. 2x pro Monat (KP/AP): 81%/90% Schmerzen im unteren Rücken, Nacken, Schultern 71%/79% vorzeitige Müdigkeit, Mattigkeit, Erschöpfung 59%/64% Kopfschmerzen 50%/60% Schlafstörungen 52%/59% Nervosität, Reizbarkeit
3.3 Arbeitsbedingungen … 81
Quantitative Querschnittserhebung mittels standardisierter Fragebögen, 2011
WSILohnSpiegel Datenbank, OnlineErhebung 2006–2013
Einkommens- N = 3965 und Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen
Bispinck et al. 2013
Methodik
Kleina et al. 2012; Brause et al. 2013; Brause et al. 2015
Stichprobe
Thematik
Ressourcen, N = 297 Belastungen und Burnout-Risiko in der stationären Langzeitversorgung
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
3
Arbeitsbelastung (1 „niemals“ bis 5 „täglich“, MW) Körperliche Erschöpfung (3,79), Stressbelastung (3,70), Psychische Erschöpfung (3,69) Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen (1 „überhaupt nicht zufrieden“ bis 5 „in jeder Hinsicht zufrieden“. MW) Bezahlung (2,37), Menge an Freizeit (2,83), Vereinbarkeit von Familie und Beruf (3,0)
Belastende Arbeitsbedingungen 48% Zeitdruck, der sich negativ auf die Arbeit auswirkt 39% Unvereinbarkeit von Familie und Beruf/Privatleben 36% zu wenig Zeit für Pflegebedürftige 34% Pausen können sehr oft nicht eingehalten werden Körperliche Belastung („mehr als 10-mal täglich“) 26% Umsetzen, Umlagern oder Tragen von Bewohnern 22% Betten und Lagern 22% Bewohner mobilisieren Gesundheitliche Beschwerden („wöchentlich“, „täglich“, „fast immer“) 47% Muskelschmerzen im Schulter- und Nackenbereich 46% Müdigkeit/Mattigkeit 43% Rückenschmerzen 33% Schlafstörungen
82 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Standardisierte bundesweite OnlineErhebung, 2012
Standardisierte bundesweite OnlineErhebung, 2012
Hielscher et al. ArbeitsbedinN = 529 2013 gungen in der 368 Stat stationären und 161 Amb ambulanten Altenpflege
Methodik
Nock et al. 2013
Stichprobe
Thematik
DienstleisN = 617 tungsarbeit unter Druck: Der Fall Krankenhauspflege
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
Anforderungen und Belastungen („trifft eher zu“, „trifft völlig zu“, Stat/Amb): 94%/75% ständiger Zeitdruck 94%/80% Arbeitsverdichtung 90%/ – Grenzen der Belastbarkeit erreicht 90%/88% fachliche Anforderungen werden immer schwieriger 83%/50% Personalmangel 83%/88% immer höhere Ansprüche der Pflegebedürftigen und Angehörigen 80%/50% Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen 75%/62% Pflegequalität leidet unter Arbeitsbedingungen 75%/ – unzufrieden mit der Entlohnung 87%/ – Gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit 64%/ – schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatleben
Anforderungen und Belastungen („trifft eher zu“, „trifft völlig zu“): 95% Arbeitsverdichtung 92% ständiger Zeitdruck 89% fachliche Anforderungen werden immer schwieriger 88% Grenzen der Belastbarkeit erreicht 88% Personalmangel 87% Gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit 82% Zunahme an demenzkranken Patienten 81% auf Bedürfnisse der Patienten kann nicht angemessen eingegangen werden 81% Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen 78% Unzufriedenheit mit der Entlohnung 71% Pflegequalität leidet unter Arbeitsbedingungen 69% keine ausreichende Qualifikation im Umgang mit Demenzkranen 67% schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatlebe
3.3 Arbeitsbedingungen … 83
Thematik
Belastungen in N = 259 der stationären Pflege durch das Miterleben von Sterben, Tod und Trauer Querschnittstudie, schriftliche Mitarbeiterbefragung in der stationären Pflege, 2012
Methodik Schriftliche Befragung, 2010
Stichprobe N = 637 369 Stat 268 Amb
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Belastung durch Sterben, Tod und Trauer (0 „gar nicht“ – 10 „sehr stark, MW) Insgesamt (4,4), Altenpflege (4,9), Krankenpflege (3,7), Direkte Pflege (4,8), Hospiz (3,4) Frauen (4,6), Männer (3,2)
Belastungen und Beanspruchungen: Anzahl Pflegebedürftiger pro Pflegekraft zu hoch (tagsüber 42%, abends 45%, nachts 58%, am Wochenende 47%) 67% zu hohes Arbeitspensum („Ja, meistens“) 61% körperliche Erschöpfung („fast immer, oft“) 53% Verkürzung oder Ausfall der Pause („mind. 1x pro Woche“) 46% Arbeitskräfteknappheit durch Krankheit und Urlaub („mind. 1x pro Woche“) 55% Fortbewegung schwerer Dinge oder Personen („mehr oder weniger jeden Tag“) 50% Arbeit in gebeugter oder gekrümmter Position („mehr oder weniger jeden Tag“) 45% Rückenschmerzen („fast immer, oft“) 43% Verschlechterung der Arbeitsbedingungen insgesamt 36% psychische Erschöpfung („fast immer, oft“) 35% Einschlafschwierigkeiten („fast immer, oft“)
3
Vogt 2014
Theobald et al. Arbeitsbedin2013 gungen in der Altenpflege
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung)
84 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Thematik
Arbeitsreport Krankenhaus
Personalbindung der Pflege in Krankenhäusern
Die aktuelle Situation der stationären Krankenpflege in Deutschland – Ergebnisse der internationalen Pflegestudie RN4Cast und der deutschen Follow-up Studie G-NWI
Autor*innen
Bräutigam et al. 2014
Goldschmidt und Huggenberger 2014
Zander et al. 2014; Zander und Busse 2017
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Methodik Bundesweite OnlineErhebung, 2012–2013
Standardisierte schriftliche Befragung, 2012
Standardisierte Befragung in 49 Krankenhäusern (> 100 Betten), Rn4Cast 2009–2011, G-NWI 2015
Stichprobe N = 1900
N = 855
N = 1511 (Rn4Cast) N = 4317 (G-NWI)
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Schwierige und belastende Arbeitsbedingungen (RN4Cast/G-NWI) 82%/80% Unzureichende psychosoziale Versorgung der Patienten 80%/87% Personalbesetzung für gute Patientenversorgung unzureichend 82%/80% keine Zeit für Patientengespräche und Zuwendung —-/69% Gehalt nicht zufriedenstellend 52%/57% mangelhafte Arbeitsumgebung 37%/46% Unzufriedenheit mit dem Job 36%/40% Absicht den Arbeitsplatz aufgrund von Unzufriedenheit zu verlassen 47%/53% davon würden den Pflegeberuf aufgeben 44%/37% keine Zeit für adäquate Patientenüberwachung 35%/42% schlechte Pflegequalität 30%/36% hohe emotionale Erschöpfung und Burnout
Arbeitsbelastung („trifft eher zu“, „trifft voll und ganz zu“) 84% zu hoher Dokumentationsaufwand 71% keine ausreichende Zeit, um qualitativ gute Arbeit zu leisten 71% Personalmangel/Stellen unbesetzt 69% körperliche Belastung 46% Gefühl von Überlastung durch die tägliche Arbeit
Arbeitsbedingungen und -belastungen: 85% gestiegene Verantwortung 79% Übernahme ärztlicher Tätigkeiten 78% Arbeitsbedingungen in den letzten 5 Jahren verschlechtert 71% Stellen in der Pflege abgebaut 68% keine leistungsgerechte Entlohnung 62% keine Zeit für Gespräche mit Patienten 60% weniger Zeit für eigentliche Tätigkeit durch neue Aufgabenverteilung 52% Pause kann nicht genommen werden („mehrmals die Woche“ und „täglich“) 49% keine Rentensicherung durch die Arbeit
3.3 Arbeitsbedingungen … 85
Psychosoziale N = 366 Belastung und 274 Stat Beanspruchung 92 Amb in der Altenpflege
Wirth et al. 2017; Ulusoy et al. 2018
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Psychosoziale Belastung (0 „nie/fast nie“ – 100 „immer“, MW, Stat/Amb) Quantitative Anforderungen (64/57) Emotionale Anforderungen (65/57) Arbeit-Freizeit-Konflikte (60/54) Einfluss bei der Arbeit (43/41) Entwicklungsmöglichkeiten (65/68) Rollenkonflikte (55/48) Burnout (55/46) Weitere psychosoziale Belastungen: 76%/65% berufliche Gratifikationskrise, ERI > 1 69%/21% Erfahrung körperlicher Gewalt 81%/70% Erfahrung verbaler Aggressionen
Arbeitsbelastung und Stressempfingen (1 „niemals“ bis 5 „täglich“, MW) Allgemeines Stressempfinden bei der Arbeit (MW: 3,9), Physische Belastung (MW: 3,6), Psychische Belastung (MW: 3,6)
Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen: 87% Zeitdruck 82% Personalausstattung 72% Dokumentationsaufwand 67% psychische Arbeitsbelastung 66% körperliche Arbeitsbelastung 63% Anerkennung durch Vorgesetzte 57% Aufwand für pflegefremde Tätigkeiten Sonstige Belastungsfaktoren: 93% Arbeitsbelastung in den letzten Jahren gestiegen 45% keine Empfehlung des Pflegeberufs für jungen Menschen 49% keine Wiederentscheidung für den Pflegeberuf Gründe gegen die Ergreifung eines Pflegeberufes im Nachhinein: 82% Lohn nicht leistungsgerecht 79% Personalmangel 73% zu wenig Zeit für Patienten
3
Querschnittstudie, schriftliche Mitarbeiterbefragung in der stationären und ambulanten Altenpflege, 2015
LohnSpiegel OnlineErhebung, 2011–2015
N = 2305
Teilzeitarbeit in Gesundheit und Pflege
Standardisierter OnlineFragebogen, 2016
Becka et al. 2016
Methodik
Stichprobe
Scharfenberg 2016
N = 4439
Thematik
Arbeitssituation und Arbeitsbelastung in der Pflege
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung)
86 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege
Isfort et al. 2017
Institut DGB-Index Gute Arbeit und ver.di 2018
OnlineErhebung, 2017
DGB-Index Gute Arbeit, CATI, 2012–2017
N = 1858 1260 KP 598 AP
Schriftliche Befragung, 2010
Methodik
Stichprobe N = 2056
Theobald 2018 Pflegearbeit im N = 625 ambulanten und stationären Sektor
Thematik
Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit auf Intensivstationen
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
Belastungen (stat/amb) 73%/54% hoher Zeitdruck („Ja, meistens“) 57%/61% Überstunden („mindestens einmal wöchentlich“) 70%/50% körperliche Schwerarbeit („mehr oder weniger täglich“) 70%/46% körperliche Erschöpfung („fast immer“ oder „oft“) 40%/23% psychische Erschöpfung („fast immer“ oder „oft“)
Hohe Belastung („oft“, „sehr häufig“) 82% körperliche Schwerarbeit 76% Zeitdruck und Hetze 73% keine leistungsgerechte Entlohnung 64% Schichtdienst 55% widersprüchliche Anforderungen 54% Arbeitsverdichtung 46% Qualitätseinbußen durch zu hohes Arbeitspensum 41% ständige Erreichbarkeit 39% schlechter Informationsfluss
Schwierige Arbeitsbedingungen: Überstunden innerhalb von 4 Wochen (MW: 12) 23% ungeplantes Einspringen an freien Tagen/Wochenenden innerhalb von 4 Wochen 30% ungeplante Übernahme von Nachtdiensten Wochenenden innerhalb von 4 Wochen 69% Pausen können meistens nicht störungsfrei eingehalten werden Immer ausreichend Personal vorhanden um Patientensicherheit zu gewährleisen: Frühdienst (9,2%), Spätdienst (4,8%), Nachtdienst (4,1%)
3.3 Arbeitsbedingungen … 87
Schriftliche Befragung, 2015
Belastungen N = 167 im Berufsalltag von stationären und ambulanten Palliativpflegekräften
Gencer et al. 2019
Schriftliche Befragung, 2016
N = 191
Subjektive Arbeitsbelastung, Arbeitszufriedenheit und Work-LifeBalance von Pflegekräften im Krankenhaus
Schriftliche Querschnittsstudie, 2012
Körber et al. 2018
Methodik
Stichprobe
Frey et al. 2018
N = 155
Thematik
Belastungsund Gesundheitssituation von Altenpflegekräften in RheinlandPfalz
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
3
Psychische Belastung (0 „keine Belastung“ – 5 „hohe Belastung“, MW, stat/amb) Gesamt (2,2/1,8) Aggressive Patienten (2,6/1,9) Ständige Arbeitsunterbrechung (3,1/2,0) Körperlich anstrengende Arbeit (3,3/1,1) Zeitdruck (3,3/1,9) Work-Life-Balance (3,0/1,9) Gesamtbelastung (2,2/1,8) Psychisches Befinden 28% auffällig hoch belastet 28% gravierend hoch belastet
Arbeitsbelastung („täglich“, „mehrmals pro Woche“) 53% unter Zeitdruck 27% nervlich angespannt 25% erschöpft/müde Weitere Belastungsfaktoren: 61% unzufrieden mit der Bezahlung 57% unzufrieden mit Entwicklungsmöglichkeiten 31% Freizeit kommt durch Arbeit zu kurz 30% schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf 28% Überstunden werden als belastend empfunden
Belastungs- und Gesundheitssituation: 38% Gesundheitszustand („mittelmäßig“ bis „schlecht“) 38% schwache Rückenmuskulatur 50% täglich schwer heben/tragen 46% Lebenszeitprävalenz chronischer Rückenschmerzen (dt. Allgemeinbevölkerung 27,3%) → psychische Gesamtbelastung (1–20, Median: 12)
88 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Schriftliche Befragung, 2017
Methodik
Ergebnisse Arbeitsbelastungen: Betreuung von drei oder mehr Patienten pro Sichtb (Frühdienst 55%, Spätdienst 68%, Nachtdienst 78%) 79% hohe Arbeitsbelastung 48% oft Überstunden 71% keine klaren Absprachen über Arbeitsabläufe bei Personalmangel 62% Patientengefährdung durch unzureichende Personalausstattung Moralischer Stress und ethische Konflikte 41% Belastung durch intrapersonelle Konfliktec („stark“, „sehr stark“) 31% Belastung durch interpersonelled Konflikte („stark“, „sehr stark“) 63% Belastung durch moralischen Stress („mittlere“, „starke Belastung“) Ursachen für moralischen Stress („eher häufig“, „sehr häufig“) 67% unklare Verfahren der Entscheidungsfindung 61% Zeit- und Personalmangel 53% Kommunikationsprobleme mit Ärzten
Erklärung: Amb = ambulant, AP = Altenpflege, KH = Krankenhaus, KP = Krankenpflege, MW = Mittelwert, N = Fallzahl, Stat = stationär Quelle: Eigene Erstellung a ERI = Effort-Reward-Imbalance, ERI > 1 hohe Verausgabung bei vergleichsweise geringer Belohnung b Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste: 2 Patienten pro Schicht (Graeb 2019, S. 60) c Unvereinbarkeit von eigenen Werten mit der täglichen Arbeitspraxis (Graeb 2019, S. 67) d Unvereinbarkeit der eigenen Werte mit den Werten anderer (Graeb 2019, S. 67)
Ethische N = 262 Konflikte und Moral Distress auf Intensivstationen
Graeb 2019
Stichprobe
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.2 (Fortsetzung)
3.3 Arbeitsbedingungen … 89
90
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Insgesamt zeigt sich über alle Studien ein konsistentes Bild der Belastungsfaktoren. Pflegekräfte sind in ihrem Berufsalltag einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt und leiden hauptsächlich unter dem ständigen Zeitdruck und der Arbeitsverdichtung aufgrund von Personalknappheit. Auch die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund der Arbeitszeitgestaltung sowie die als nicht leistungsgerecht empfundene Entlohnung wirken als Belastungsfaktoren. Dazu kommen Stressfaktoren durch Rollenkonflikte, moralisch-ethische Konflikte, soziale Belastungen, widersprüchliche Anforderungen und geringe Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten. Die Studien haben auch gezeigt, dass sich eine chronisch hohe Arbeitsbelastung auf die Gesundheit der Beschäftigten sowie auf die Qualität der Pflege negativ auswirkt (z. B. Isfort et al. 2010; Aiken et al. 2002). Zudem zeigen sich Zusammenhänge zwischen einer hohen Belastung und Fehlzeiten bei der Arbeit sowie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, den Pflegeberuf noch vor dem Rentenalter zu verlassen (z. B. Wenderlein und Schochat 2003; Hasselhorn et al. 2005a). Auch ältere Studien zur Arbeitssituation und Arbeitsbelastung in der Pflege stützen insgesamt diese Ergebnisse (u. a. Ostner und Krutwa-Schott 1981; Hirsch 1983; Schlüter 1992; Glaser und Büssing 1997; Büssing et al. 1997; Büssing und Glaser 1999; Becker und Meifort 1997; Zimber und Weyerer 1999). Ähnliches gilt für Studien auf dem Gebiet, die mit einem qualitativen Forschungsdesign vorgehen (u. a. Rieder 1999; Simsa et al. 2004; Arnold 2008; Becke et al. 2013; Meier und Kreimer 2013; Sardadvar 2013; Schwaller 2013; Benedix und Medjedovic 2014; Belan und Schiller 2016; Terrier und Zink 2016; Seemann und Fischer 2017). Obwohl fast alle Pflegekräfte starken Belastungen ausgesetzt sind, scheint die wahrgenommene subjektive Belastung von Pflegenden in der ambulanten Pflege im Vergleich zu den Kolleg*innen in der stationären Pflege und der Akutpflege etwas geringer zu sein (z. B. Hasselhorn et al. 2005a; Hielscher et al. 2013; Wirth et al. 2017). Nach dieser Übersicht deskriptiver Befunde zu belastenden Arbeitsbedingungen in der Pflege in Deutschland, erfolgt in den folgenden Kapiteln eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der empfundenen Belastungen. Es werden sekundärempirische Ergebnisse zum Burnout, der Berufsverweildauer und dem Berufsausstieg, sowie den Auswirkungen auf die Pflegequalität und Patientensicherheit skizziert.
3.3 Arbeitsbedingungen …
3.3.2
91
Burnout in der Pflege
Wie bereits die Ergebnisse zu den Belastungen in der Pflege zeigen, scheinen vor allem psychische Belastungen und emotionale Erschöpfung unter den Beschäftigten ein weit verbreitetes Problem zu sein. Bleiben diese Belastungen langanhaltend bestehen, ohne dass sich die Beschäftigten ausreichend erholen können, kann daraus ein Burnout entstehen. Beschäftigte in den Sozial- und Gesundheitsberufen sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen verhältnismäßig häufig von Burnout betroffen, da die Tätigkeit in den helfenden Berufen von einem meist intensiven und aufopferungsvollen Einsatz für andere Menschen geprägt ist (Zander et al. 2011, S. 98). Eine große Herausforderung im Berufsalltag von Pflegekräften ist es, ein Gleichgewicht zwischen mitfühlendem Verstehen der Situation der Patienten und Pflegebedürftigen einerseits und dem Bedürfnis die eigene Psyche und Gesundheit zu schützen andererseits herzustellen. Gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen, kann sich, laut Schmidt, ein Burnout Syndrom entwickelt (2015, S. 11). Verschiedenen Studien zufolge stellt Burnout ein Risikofaktor für physische und psychische Erkrankungen sowie für erhöhte Mortalität dar (Ahola et al. 2010; Hakanen und Schaufeli 2012; Renzi, Cristina, Di Pietro et al. 2012). Burnout hat aber nicht nur schwerwiegende Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, sondern wirkt sich auch negativ auf das ganze Wirtschafts- und Gesundheitssystem aus, da Burnout meist mit hohen Fehlzeiten einhergeht. Insgesamt haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burnout in Deutschland zwischen 2008 und 2017 beinahe verdreifacht (Meyer et al. 2018, S. 377). Laut dem wissenschaftlichen Institut der AOK waren 2017 von den gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten schätzungsweise 166.000 Menschen mit rund 3,7 Millionen Fehltagen wegen eines Burnouts krankgeschrieben (Meyer et al. 2018, S. 377). Auch in den Pflegeberufen ist die Anzahl an psychischen Erkrankungen und Burnout stark angestiegen und führte 2017 zu vergleichsweise hohen Fehlzeiten von rund 25 Tagen. In den helfenden Berufen und vor allem in der Pflege dürfen auch die negativen Auswirkungen von Burnout auf die Versorgungsqualität und die Sicherheit der Patientenversorgung nicht außer Acht gelassen werden (siehe Abschnitt 3.3.4).
92
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Das Ausmaß und die Verbreitung von Burnout unter Pflegekräften werden in verschiedenen nationalen und internationalen empirischen Studien untersucht. Eine Übersicht ausgewählter nationaler Ergebnisse ist in Tabelle 3.3 dargestellt. Eine Übersicht der verschiedenen internationalen Studien zu Burnout-Prävalenz bei Beschäftigten in der Altenpflege und Geriatrie findet sich bei Nienhaus und KollegInnen (2012). Das Burnout-Risiko liegt in den betrachteten Studien zwischen 11 und 45 Prozent und weißt damit eine recht breite Streuung auf (Nienhaus et al. 2012, 214 f.). In der internationalen Literatur wird zur Messung von Burnout meist das MBI oder Subskalen davon in verschiedenen Ausführungen verwendet. Daneben findet in neueren europäischen Studien auch das „Copenhagen Burnout Inventory“ (CBI) immer größeren Anklang (Kristensen et al. 2005).
MBI
Belastungserleben und N = 389 Burnout bei Pflegenden im Krankenhaus mit somatischen und psychiatrischen Abteilungen N = 959
Schulz und Wingenfeld 2009
Kowalski et al. 2010
MBI–GS, Subskala Emotionale Erschöpfung
CBI
Burnout bei Pflegekräften
Instrument
N = 3520
Burnout im Pflegeberuf in Europa
van der Schoot et al. 2005
Stichprobe
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.3 Übersicht empirischer Ergebnisse zu Burnout in der Pflege
35% niedriges Burnout-Risiko 50% mittleres Burnout-Risiko 15% hohes Burnout-Risiko Mittelwert Emotionale Erschöpfung (Skalenbereich 0–6): 2,13 (Fortsetzung)
Burnout Risiko (Somatik/Psychiatrie) 36%/20% emotionale Erschöpfung 16%/8% Depersonalisierung 24%/16% verminderte Leistungsfähigkeit
Mittelwerte Burnout-Ausmaß (Skalenbereich –5) 2,5 insgesamt 2,5 Akutpflege 2,5 stationäre Pflege 2,1 ambulante Pflege
Ergebnisse
3.3 Arbeitsbedingungen … 93
Burnout bei Pflegekräften in der medizinischen Rehabilitation
Burnout-Risiko in der stationären Langzeitversorgung
Burnout in zwei Pflegebereichen
Kleina et al. 2012; Brause et al. 2015
Weigl et al. 2016
CBI in der deutschen Fassung (Nübling et al. 2005)
CBI
MBI, Subskala Emotionale Erschöpfung
N = 387
N = 297
N =115 Akutpflege N = 202 Tagespflege
MBI
Instrument
Mittelwert emotionale Erschöpfung (Skalenbereich 1–5) 2,87 Krankenhauspflege 2,44 Tagespflege (Fortsetzung)
Burnout Risiko („oft“, „immer“) 41% körperliche Erschöpfung 27% Grenzen der Belastbarkeit erreicht 22% emotionale Erschöpfung → 37% weisen hohes Burnout-Risiko auf (Cut-Off-Wert ≥ 50 Punkte)
11% besonders hohes Burnout-Ausmaß (Cut-Off-Wert ≥ 75 Punkte 41% hohes Burnout-Ausmaß (Cut-Off-Wert ≥ 50 Punkte) Mittelwert Burnout-Ausmaß (Skalenbereich 0–100): 44,04
Niedriges Burnout-Risiko 37% emotionale Erschöpfung 70% Depersonalisierung 40% reduzierte Leistungsfähigkeit Mittleres Burnout-Risiko 33% emotionale Erschöpfung 22% Depersonalisierung 31% reduzierte Leistungsfähigkeit Hohes Burnout-Risiko 29% emotionale Erschöpfung 8% Depersonalisierung 29% reduzierte Leistungsfähigkeit
Ergebnisse
3
Ehresmann et al. 2015; Ehresmann 2017
Ergebnisse der N = 1511 internationalen Pflegestudie Akutpflege RN4Cast zu Burnout
Zander et al. 2014; Busse 2015; Zander und Busse 2017
Stichprobe
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.3 (Fortsetzung)
94 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Burnout am Arbeitsplatz von Krankenschwestern und Krankenpflegern in Bayern
Schramm 2016
Quelle: Eigene Erstellung
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.3 (Fortsetzung) Instrument MBI-D
Stichprobe N = 561 Akutpflege Hohes Burnout-Risiko 14% emotionale Erschöpfung 4% Depersonalisierung 22% reduzierte Leistungsfähigkeit → 15% Burnout-Prävalenz
Ergebnisse
3.3 Arbeitsbedingungen … 95
96
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Neben diesen rein deskriptiven Befunden zur Burnout Prävalenz existieren auch zahlreiche wissenschaftliche Studien, die Zusammenhänge, Ursachen und Folgen von Burnout unter Beschäftigten in den Pflegeberufen analysieren. Im Folgenden werden exemplarisch einige solcher nationalen Studienergebnisse vorgestellt. Der Zusammenhang zwischen Burnout und verschiedenen demografischen Variablen (Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität, Bildungsstand) konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden, da sehr heterogene und widersprüchliche Studienergebnisse existieren (Nienhaus et al. 2012, S. 214; Kowalski et al. 2010, S. 1655). Gut belegt ist dagegen der Zusammenhang zwischen hohen Arbeitsanforderungen, wie Zeitdruck und Arbeitsbelastung, und höheren Burnout Werten (Nienhaus et al. 2012, S. 215; Brause et al. 2015; Weigl et al. 2016; Aiken et al. 2002; Kowalski et al. 2010). Ebenfalls belegt werden konnte das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (EffortReward-Imbalance Model, ERI) von Siegrist zur Entstehung von Burnout durch ein Ungleichgewicht zwischen hohen externen Arbeitsanforderungen und erhaltenen Entlohnungen (Killmer 1999; Bakker et al. 2000; Schulz und Wingenfeld 2009; Siegrist und Dragano 2008; Siegrist 2013a, 2013b). Kowalski und Kolleg*innen untersuchen in einer Querschnittsstudie aus dem Jahr 2002 den Zusammenhang zwischen dem Sozialkapital eines Krankenhauses, dem individuellen Entscheidungsspielraum, der Arbeitsbelastung und der emotionalen Erschöpfung bei 959 Akutpflegekräften in Deutschland (2010). Bivariate Analysen zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen selbstberichteter Arbeitsbelastung der Beschäftigten und emotionaler Erschöpfung. Das Sozialkapital der Organisation steht dagegen in einem umgekehrten Zusammenhang zu emotionaler Erschöpfung: je niedriger das Sozialkapital, desto höher die wahrgenommene Erschöpfung (Kowalski et al. 2010, S. 1659). Das Sozialkapital steht wiederum in einem positiven Zusammenhang mit dem wahrgenommenen Entscheidungsspielraum der Beschäftigten. Arbeitsintensive Arbeitsplätze zeigen dagegen tendenziell ein geringeres Sozialkapital (Kowalski et al. 2010, S. 1659). Eine logistische Regression bestätigt die Ergebnisse. In dem Modell konnten drei signifikante Prädikatoren für emotionale Erschöpfung identifiziert werden: Arbeitsbelastung (OR: 4.523) steht in einem positiven, Sozialkapital (OR: 0.549) und Entscheidungsspielraum (OR: 0.376) in einem negativen Zusammenhang mit emotionaler Erschöpfung (Kowalski et al. 2010, S. 1659). Ehresmann, Kockert und Schott untersuchen den Zusammenhang von organisations- und arbeitsbezogenen Rahmenbedingungen und dem BurnoutAusmaß bei Pflegekräften in der medizinischen Rehabilitation (N = 387) (2015). In einem multivariaten Pfadmodell von Einflussfaktoren auf Burnout zeigt die zeitliche Überforderung den größten Effekt (Beta = 0.290). Im Einklang mit den Ergebnissen von Kowalski et al. hat das Sozialkapital auch in diesem Modell einen negativen Einfluss (−0.216): je niedriger das Sozialkapital, desto höher Burnout
3.3 Arbeitsbedingungen …
97
Ausmaß. Ebenfalls signifikante Einflüsse zeigen sich in Bezug auf die Autonomie (−0.143) und Sinnhaftigkeit der Arbeit (−0.106) (Ehresmann et al. 2015, 78 ff.). In einer Studie von Brause et al. aus dem Jahr 2015 wird das Burnout-Risiko in der stationären Langzeitversorgung untersucht (N = 297). Im Fokus standen dabei Ressourcen (Netzwerkkapital und Führungskapital) und Belastungsfaktoren (Arbeitsbelastung und Arbeit-Familie-Konflikt) von Pflegekräften und deren Einfluss auf das Burnout-Risiko. Nach dem CBI weisen rund 37 Prozent der Befragten in der Stichprobe ein erhöhtes Burnout-Risiko auf. Die Arbeitsbelastung, sowie der Arbeit-Familie-Konflikt werden moderat bis hoch eingeschätzt. Das Netzwerkund das Führungskapital werden ebenfalls von den Beschäftigten relativ hoch eingeschätzt (Brause et al. 2015, S. 45). Mit Hilfe eines Strukturgleichungsmodells wurden die direkten und indirekten Einflüsse auf das Burnout-Risiko ermittelt. Insgesamt zeigt sich, dass mit einer höheren Arbeitsbelastung und einem höheren Arbeit-Familie-Konflikt auch das Burnout-Risiko steigt. Auf der anderen Seite gehen ein höheres Führungs- und Netzwerkkapital mit einem niedrigeren Burnout-Risiko einher (Brause et al. 2015, S. 46). In Bezug auf die Ressourcen fallen die Zusammenhänge jedoch nur schwach aus, was darauf hindeutet, dass diese bei hohen Belastungen nur einen vergleichsweise geringen Schutz bieten. Weigl und Kolleg*innen beschäftigen sich in einer Studie aus dem Jahr 2016 mit den moderierenden Auswirkungen von Arbeitsüberlastung und Unterstützung durch Vorgesetzte auf den Zusammenhang zwischen Burnout und Depression in zwei Pflegebereichen (Krankenhaus- und Tagespflege) in Deutschland. Unter Kontrolle des allgemeinen Wohlbefindens und der soziodemografischen Merkmale hat sich gezeigt, dass die emotionale Erschöpfung von Pflegekräften mit einem erhöhten depressiven Zustand einhergeht (Weigl et al. 2016, S. 1780). Dabei war der Zusammenhang am größten bei Pflegekräften mit hoher Arbeitsbelastung und geringer Unterstützung durch Vorgesetzte. Eine stärkere Beziehung zwischen emotionaler Erschöpfung und Depression konnte auch bei Beschäftigten mit niedriger Arbeitsbelastung und geringer Unterstützung durch Vorgesetzte beobachtet werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass soziale Ressourcen, wie die wahrgenommene Unterstützung durch Vorgesetzte, einen schützenden Effekt für Beschäftigte haben, die unter hohem Arbeitsstress leiden (Weigl et al. 2016, S. 1785). Aus den Ergebnissen lässt sich zusammenfassend ableiten, dass das Risiko von Beschäftigen in der Pflege von Burnout betroffen zu werden von verschiedenen Faktoren abhängt. Das Burnout-Risiko wird erhöht durch hohen Zeitdruck und Arbeitsüberlastung, berufliche Gratifikationskrisen, Work-Life-Imbalance und geringen Entscheidungsspielraum bei der Arbeit. Ein hohes Sozialkapital, angemessene Unterstützung durch Vorgesetzte, Autonomie bei der Arbeitsgestaltung, sowie eine wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Arbeit können dagegen als protektive Faktoren wirken.
98
3.3.3
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Berufsverweildauer und vorzeitiger Berufsausstieg
Eine schwerwiegende Konsequenz aus der hohen physischen und psychischen Arbeitsbelastung und der vergleichsweise hohen Burnout-Erkrankungsquote von beruflich Pflegenden ist der vorzeitige Berufsausstieg aus dem Pflegeberuf. Die Verweildauer in solch hoch belastenden Berufen ist im Vergleich zu anderen Berufsgruppen häufig deutlich kürzer. Der Austritt aus dem Erwerbsleben muss oft vorgezogen werden, da die Arbeitsnehmer ihre Arbeitsfähigkeit nicht bis zum regulären Renteneintrittsalter aufrechterhalten können (Stadtler 2009, S. 16). Grade vor dem Hintergrund der ohnehin schon angespannten Personalsituation in vielen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten und der demografischen Entwicklung fallen Pflegekräfte, die vor dem Rentenalter den Pflegeberuf verlassen, besonders ins Gewicht. Zudem ist der Pflegeberuf im Vergleich zu anderen Berufsgruppen in Deutschland von besonders hohen Fehlzeiten und Krankenständen betroffen (Badura et al. 2005). Im Gegensatz zu Pflegekräften in anderen europäischen Ländern denken viele beruflich Pflegende in Deutschland vergleichsweise häufig daran, den Beruf entweder komplett aufzugeben oder in eine andere Berufssparte zu wechseln (INQA 2010, S. 5). Verschiedene empirische Studien bestätigen ebenfalls, dass der Pflegeberuf von einer vergleichsweise geringen Verweildauer und einer hohen Anzahl vorzeitiger Berufsaussteiger geprägt ist. Als Gründe für den vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf werden vor allem die schlechten Rahmen- und Arbeitsbedingungen genannt, sowie die hohe Belastung, fehlende Anerkennung und die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Arbeitszeitgestaltung (siehe Tabelle 3.4). Natürlich muss dabei bedacht werden, dass der vorzeitige Berufsausstieg nicht nur aus arbeitsbezogenen Gründe in Erwägung gezogen wird, sondern oftmals auch persönliche Gründe ausschlaggebend sind, die nicht oder nur indirekt mit den Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in Verbindung stehen (Blum et al. 2004, S. 16). Da Pflege überwiegend weiblich ist, spielen Schwangerschaft, Elternzeit und Kindererziehung eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung, den Beruf aufzugeben. Auch die Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen kann zur (vorläufigen) Berufsaufgabe führen, wie Blum et al. in ihrer Studie zum Wiedereinstieg ehemals berufstätiger Pflegekräfte in den Pflegeberuf herausstellen (2004, S. 16). Die Forschergruppe kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass diese familiären Phasen für einige Pflegekräfte zwar nur Berufsunterbrechungen darstellen, die Hälfte der Befragten jedoch einem Wiedereinstieg in den Pflegeberuf insgesamt kritisch gegenübersteht. Neben familiären Gründen können auch der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung oder Neuorientierung, ein Wohnortwechsel oder eine schwerwiegende Erkrankung zur Berufsaufgabe führen.
3.3 Arbeitsbedingungen …
99
Eine ältere, aber sehr umfangreiche Längsschnittuntersuchung zum Berufsverbleib von Pflegekräften liefern Wolfgang Becker und Barbara Meifort (1997, 1998). Im Zeitraum von 1993 bis 1997 untersuchten sie Berufsverläufe von examinierten Altenpflegekräften, die 1992 ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Trotz der über die Jahre kontinuierlich schrumpfenden Stichprobe (1993 N = 3737, 1994 N = 1404, 1996 N = 349, 1997 N = 344) sprechen die Ergebnisse für sich: nach fünf Jahren sind nur noch rund 20 Prozent der Befragten im Altenpflegeberuf tätig, rund die Hälfte hat den Beruf aufgegeben und gut 30 Prozent sind in einen anderen Beruf gewechselt oder haben ein Studium begonnen (Becker und Meifort 1998, 245 ff.). Positive Ergebnisse liefern dagegen beispielsweise die Studien zur Verweildauer und zu den Berufsverläufen von Pflegekräften von Behrens et al. (2009), Joost et al. (2009) und Hackmann (2012). Es zeigt sich, dass die durchschnittliche Verweildauer sowohl in der Krankenpflege als auch in der Altenpflege inzwischen höher ist als bisher angenommen. Examinierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte verbleiben demnach im Durchschnitt rund 14 Jahre im Beruf, examinierte Altenpflegekräfte rund 11 Jahre. Neben den Unterschieden zwischen den Pflegebereichen zeigen sich auch deutliche Unterschiede zwischen examinierten Pflegekräften und Pflegehilfskräften. Kranken- und Altenpflegehilfskräfte haben eine durchschnittliche Berufsverweildauer von 7 bis 8 Jahren. In der Studie von Behrens und Kolleg*innen aus Rheinland-Pfalz zeigt sich zudem, dass Berufseinsteiger im mittleren Alter zwischen 35–44 Jahren durchschnittlich länger im Pflegeberuf verbleiben, als jüngere Berufseinsteiger (2009, 31 f.). Auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen (z. B. Sprechstundenhilfen, Verkäufer, Bürofachkräfte, Elektroinstallateure) stehen Krankenpflegekräfte in Rheinland-Pfalz in Bezug auf die Berufsverweildauer vergleichsweise gut dar (Behrens et al. 2009, 33 ff.). Die Forschergruppe um Joost stellt in ihrer Untersuchung heraus, dass sich neben den Berufsaussteigern ebenfalls ein relevanter Anteil an Unterbrechungszeiten ausmachen lässt, die in einem Wiedereinstieg münden, vor allem bedingt durch die Geburt und Versorgung von Kindern (2009, 7 f.). Flexible Arbeitszeiten sowie eine verlässliche, zeitlich flexible und räumlich gut erreichbare Betreuungsinfrastruktur könnten dabei, so die Autoren, zur Verkürzung der Unterbrechungszeiten beitragen. Des Weiteren hat die Auswertung der Daten gezeigt, dass die Berufsbindung der meisten Altenpfleger hoch ist. Dieser Befund konnte auch in zusätzlich geführten Interviews mit den Altenpflegern bestätigt werden: so gab es bei den Befragten durchweg eine hohe berufliche Identifikation, die sich in einem hohen Anspruch an die pflegerische Arbeit ausdrückte.
100
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Die Ergebnisse weiterer quantitativer nationaler Studien zur Verweildauer im Pflegeberuf und dem vorzeitigen Berufsausstieg sind in Tabelle 3.4 dargestellt. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studien, dass vor allem die Faktoren Arbeitsbedingungen und – Belastungen, Qualifikation, Alter und Geschlecht einen Einfluss auf die Verweildauer, Fluktuation und den vorzeitigen Berufsausstieg aus dem Pflegeberuf haben. Während schlechte Rahmenbedingungen, hohe Arbeitsbelastung, ein schlechtes Betriebsklima und hierarchische Führungsstrukturen eher dazu führen, den Pflegeberuf zu verlassen oder einen Berufsausstieg ernsthaft in Erwägung zu ziehen, kann eine positive Berufsbindung und Identifikation mit dem Pflegeberuf die Verweildauer verlängern oder einen Wiedereinstieg begünstigen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Verschiebung der Altersstruktur und dem Fachkräfteengpass in der Pflege sollte ein möglichst langer Verbleib examinierter Pflegekräfte angestrebt werden. Das kann nur geschehen, wenn die Rahmen- und Arbeitsbedingungen entsprechend verbessert und die Belastungen reduziert werden. Denn neben allen negativen Aspekten des Berufsalltags, scheint die Identifikation mit und die Bindung an den Pflegeberuf sowohl in der Gesundheits- und Krankenpflege als auch in der Altenpflege noch relativ hoch zu sein.
Methodik Postalische Befragung, 2003
Postalische Befragung, 2003
Stichprobe N = 164 Ehemalige Pflegekräfte
Thematik
Wiedereinstieg ehemals berufstätiger Pflegekräfte in den Pflegeberuf
Gesundheitli- N = 1885 che Belastungen und Arbeitsbedingungen von Pflegekräften im Krankenhaus vor dem Hintergrund der DRGEinführung
Autor*innen
Blum et al. 2004
Braun et al. 2004; Braun und Müller 2005
47% denken über Berufswechsel nach Gründe 71% Bedingungen gestatten keine gute Pflege 49% Gefühl von Überlastung/Burnout 29% Weiterentwicklung innerhalb der Pflege 22% Weiterentwicklung außerhalb der Pflege 15% gesundheitliche Gründe
(Fortsetzung)
Gründe für das Ausscheiden aus dem Pflegeberuf („ziemlich“ und „sehr beigetragen“) 70% Schwangerschaft und Kindererziehung 54% Wochenendarbeit 52% Schichtarbeit 48% Nachtarbeit 49% zu wenig Zeit für Patienten 47% Zeitdruck 41% Work-Life-Balance 35% Überstunden 32% fehlende berufliche Anerkennung 27% körperliche Belastung 25% psychische Erschöpfung 25% unzureichende Bezahlung → 29% können sich einen Wiedereinstieg in die Pflege nicht vorstellen
Ergebnisse
Tabelle 3.4 Übersicht empirischer Ergebnisse zur Verweildauer und Berufsverbleib von Pflegekräften
3.3 Arbeitsbedingungen … 101
Wiederholungsbefragung von Braun et al. 2004, postalisch, 2006 Strukturanalyse auf Basis der repräsentativen Beschäftigungsstichprobe des IAB (1975-2004)
Pflegearbeit im N = 1283 Krankenhaus
Berufsverläufe N = 879 von Altenpflegekräften
Braun et al. 2008
Joost et al. 2009; Joost 2013
Methodik Basiserhebung der NEXT-Studie in Deutschland 2002/2003 mittels standardisierter Fragebögen
Stichprobe
Hasselhorn et al. 2005a, Simon et al. 2005; Hasselhorn et al. 2005b
N = 3565, 2672 KH, 531 Stat, 354 Amb 8 ohne Angabe
Thematik
NEXT-Studie (Nurses‘ Early Exit Study), Ursachen, Umstände und Folgen des vorzeitigen Berufsausstiegs aus dem Pflegeberuf
Autor*innen
Tabelle 3.4 (Fortsetzung) Ergebnisse
(Fortsetzung)
durchschnittliche Verweildauer in der Altenpflege 11,7 Jahre Anstieg der durchschnittlichen Beschäftigungszeiten und Unterbrechungszeiten mit zunehmender Beobachtungsdauer Verkürzung der Unterbrechungszeiten könnte durch flexible Arbeitszeiten und verlässliche, zeitlich flexible und räumlich gut erreichbare Betreuungsinfrastruktur erreicht werden Berufsbindung der meisten Altenpflegekräfte sehr hoch hohe berufliche Identifikation, die sich in einem hohen Anspruch an die pflegerische Arbeit ausdrückte
3
61% denken über Berufswechsel nach Gründe 76% Bedingungen gestatten keine gute Pflege 54% Gefühl von Überlastung/Burnout 29% Weiterentwicklung innerhalb der Pflege 30% Weiterentwicklung außerhalb der Pflege 18% gesundheitliche Gründe
53% haben im Vorjahr daran gedacht, den Pflegeberuf zu verlassen, davon 9% mehrmals wöchentlich oder häufiger 10% mehrmals monatlich → Männer und jüngere Pflegepersonal (25–29 Jahre) denken häufiger an einen Berufs- ausstieg als Frauen und älteres Pflegepersonal → hohe Belastung, schlechte subjektive Gesundheit und Burnout hängen deutlich mit einem Wunsch nach Berufsaufgabe zusammen
102 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Thematik
Verweildauer im Pflegeberuf in RheinlandPfalz
Autor*innen
Behrens et al. 2009
Tabelle 3.4 (Fortsetzung) Stichprobe Befragung N = 1616 Sekundärdaten N = 42599
Methodik Erwerbsverlaufsanalyse auf Basis der Meldungen zur Sozialversicherung der Krankenkasse GEK (1990–2005) und Befragung von Absolventen der Pflegeausbildung, 2005
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Absolventenbefragung 97% verbleiben nach Ausbildungsende im Pflegeberuf Verweildauer 10 Jahre nach Beginn der erstmaligen pflegerischen Tätigkeit 70% Gesundheits- und Krankenpflegekräfte 52% Altenpflegekräfte 30% Krankenpflegehelfer Verweildauer von Berufseinsteigern im mittleren Alter (Umschüler) 10 Jahre nach Beginn der erstmaligen pflegerischen Tätigkeit 80% Gesundheits- und Krankenpflegekräfte 70% Altenpflegekräfte 70% Krankenpflegehelfer Berufsrückkehrer nach Familienphase 91% Gesundheits- und Krankenpflegekräfte 67% Altenpflegekräfte 61% Krankenpflegehelfer → Rückkehr erfolgt meist in den vorher ausgeübten Pflegeberuf, aber auch große Mobilität zwischen den Pflegeberufen → Krankenpflegekräfte kehren insgesamt schneller in den Pflegeberuf zurück Durchschnittliche Verweildauer insgesamt Gesundheits- und Krankenpflegekräfte: 13,7 Jahre Altenpflegekräfte: 8,4 Jahre Krankenpflegehelfer: 7,5 Jahre
3.3 Arbeitsbedingungen … 103
Thematik
Arbeitssituation und Arbeitsbelastung in der Pflege
N = 4439 Standardisierter OnlineFragebogen, 2016
Berufsverlaufsanalyse auf Basis der repräsentativen Beschäftigungsstichprobe des IAB (1975–2004)
Ergebnisse
78% können sich nicht vorstellen bis zur Rente in der Pflege zu arbeiten Gründe für Berufsausstieg: 77% zu hohe körperliche Belastung 64% Personalmangel 53% zu wenig Zeit für Pflegebedürftige 53% Lohn nicht leistungsgerecht 41% zu hohe psychische Belastung
Durchschnittliche Verweildauer in der Altenpflege: 8,4 Jahren Examinierte Altenpflegekräfte: 12,7 Jahre Altenpflegehelfer: 7,9 Jahre → Berufsausstieg bei jüngeren Berufseinsteigern deutlich höher als bei älteren Berufseinsteigern
5% beabsichtigen gar nicht in der Pflege zu Arbeiten 20% können sich eine Verweildauer bis maximal 5 Jahre vorstellen 39% können sich einen Verbleib im Pflegeberuf bis zum Rentenalter vorstellen → Auszubildende mit Haupt- oder Realschulabschluss können sich einen Verbleib bis ins Rentenalter eher vorstellen als Schüler*innen mit Hoch- oder Fachhochschulreife Vermutete Gründe für einen vorzeitigen Berufsausstieg 44% Unvereinbarkeit von Familie und Beruf 44% Betriebsklima/Unternehmensstruktur 40% psychische Belastung 39% physische Belastung 34% zu wenig Gehalt 28% Zeitdruck
Erklärung: Amb = ambulant, AP = Altenpflege, KH = Krankenhaus, KP = Krankenpflege, MW =Mittelwert, N = Fallzahl, Stat = stationär Quelle: Eigene Erstellung
Scharfenberg 2016
Arbeitsmarkt N= Pflege: 344000 Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer
Methodik Schriftliche Befragung während des theoretischen Unterrichts, Ende 2009 – Anfang 2010
Stichprobe N = 670 Pflegeschüler*innen
3
Hackmann 2012
Golombek und EinflussfaktoFleßa 2011 ren auf die Verweildauer bei Gesundheitsund Krankenpflegekräften
Autor*innen
Tabelle 3.4 (Fortsetzung)
104 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
3.3 Arbeitsbedingungen …
3.3.4
105
Auswirkungen auf die Pflegequalität und Patientensicherheit
Bisher wurden Folgen und Konsequenzen chronischer Arbeitsbelastungen auf die Beschäftigten in der Pflege diskutiert, die zu Burnout und einem vorzeitigem Berufsausstieg führen können. Eng damit verzahnt sind auf der anderen Seite jedoch auch zum Teil massive Auswirkungen auf die Versorgungs- und Pflegequalität sowie auf die Sicherheit von Patienten und Pflegebedürftigen. Durch die Zunahme an zu versorgenden Patienten und Pflegebedürftigen und eine erhebliche Arbeitsverdichtung im Pflegebereich ist die pflegerische Versorgung heute mit einem deutlich höheren Fehlerrisiko verbunden, als noch vor einigen Jahren (Kocks et al. 2014, S. 19). Der ohnehin schon bestehende Mangel an Pflegekräften in allen Pflegebereichen wird durch hohe Fehlzeiten und Berufsaussteiger noch weiter verschärft. Um auch weiterhin eine qualitativ hochwertige Pflege gewährleisten zu können, muss das „übriggebliebene“ Personal unter noch höherem Druck mehr Arbeit verrichten, was zu weiteren psychischen Belastungen führt. In der Konsequenz können wichtige pflegerische Aufgaben nicht erfüllt werden. In dem Wissen, dass eine optimale pflegerische und gesundheitliche Versorgung der Patienten nicht mehr hundertprozentig gewährleistet werden kann, kommt es bei vielen Pflegekräften zu einer zunehmenden psychischen Überforderung und das Burnout Risiko steigt. Zudem können psychisch und emotional hoch belastete Pflegekräfte ebenfalls ein gewisses Risiko für eine angemessene pflegerische Versorgung darstellen. So wurde beispielsweise aufgezeigt, dass sich von Burnout betroffene Pflegekräfte häufig zunehmend von den zu Pflegenden und deren Bedürfnissen distanzieren und ihre Arbeit nicht mehr mit voller Leistungsfähigkeit durchführen können. In der Konsequenz steigt das Risiko für pflegerelevante Fehler. Auf internationaler Ebene existiert eine Vielzahl an Studien, die sich mit den Auswirkungen auf die Pflegequalität und pflegesensible Ergebniskriterien (nursing-sensitive patient outcomes) bei Patienten beschäftigen. Für Deutschland fehlen, bis auf wenige Ausnahmen, bis heute solche wissenschaftlichen Untersuchungen (Meyer 2016). Zudem werden in Deutschland in der Regel auch keine routinemäßigen Daten zur Qualität der pflegerischen Versorgung von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen erhoben oder andere Risikoindikatoren, wie beispielsweise Erfassung von Medikationsfehlern oder inadäquaten Mobilisationsmaßnahmen, systematisch erfasst (Isfort 2013, 72 f.). Die Ergebnisse, die auf nationaler Ebene existieren, beruhen meist auf Selbsteinschätzungen und Bewertungen von Pflegekräften. Da es sich hier um ein hoch sensibles Thema handelt, müssen bei diesen Ergebnissen Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit berücksichtig werden. Der Forschungsstand in diesem Bereich wird daher im Folgenden hauptsächlich anhand ausgewählter internationaler Studien vorgestellt.
106
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Aiken et al. (2011) untersuchen die Auswirkungen der Personalausstattung und des Qualifikationsniveaus von Pflegekräften auf die Mortalität von Patienten in Allgemeinkrankenhäusern mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den USA. Die Forschergruppe konnte aufzeigen, dass ein besserer Pflegepersonalschlüssel, ein besseres Arbeitsumfeld und ein höheres Qualifikationsniveau der Pflegekräfte mit einer geringen Patientenmortalität sowie mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, nach einer Komplikation zu versterben (failure-to-rescue) korreliert (Aiken et al. 2011, S. 1052). Die Personalausstattung war dabei in der Studie weniger entscheidend für die Auswirkungen auf die Patienten als die Arbeitsbedingungen. Fehlt ein gutes Arbeitsumfeld, so die Autor*innen, hat die Entlastung der Pflegekräfte durch Erhöhung des Personalschlüssels wahrscheinlich eher wenig Auswirkungen (Aiken et al. 2011, S. 1052). Bereits in einer älteren Studie aus dem Jahr 2002 kamen Aiken und Kolleg*innen zu ähnlichen Ergebnissen in den USA: Jeder zusätzliche Patient pro Pflegekraft war mit einer sieben Prozent erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb von 30 Tagen nach der Aufnahme und einer um sieben Prozent erhöhten Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern der Rettung nach Komplikationen verbunden (Aiken et al. 2002, S. 1991). Für die Pflegekräfte bedeutete gleichzeitig jeder weitere Patient pro Schicht eine Erhöhung der Burnout-Quoten um 23 Prozent und eine Steigerung der Arbeitsunzufriedenheit von 15 Prozent, so die Autor*innen (2002, S. 1990). Die internationale Pflegestudie RN4Cast (Registered Nurse Forecasting) setzt sich ebenfalls mit den Auswirkungen der Personalausstattung, der Arbeitsbelastung und der Qualifikation der Pflegekräfte auf die Qualität der Pflege, die Patientensicherheit und die Mortalität in Krankenhäusern auseinander (Aiken et al. 2012; Aiken et al. 2014; Aiken et al. 2017). Mit Daten aus 1105 Allgemeinkrankenhäusern aus 12 europäischen Ländern (488) und den USA (617) ist die Studie aktuell eine der größten zu dem Thema. Deutschland ist zwar in die Studie eingeschlossen, Daten zur Patientenentlassung und Mortalität in deutschen Krankenhäusern standen jedoch nicht zur Verfügung und wurden somit auch nicht in die Analysen mit einbezogen (Aiken et al. 2014, S. 1825). In allen Ländern berichtete ein erheblicher Teil der Pflegekräfte von Mängeln bei der Pflegequalität, hoher Arbeitsbelastung und Burnout, Arbeitsunzufriedenheit und der Absicht, ihren derzeitigen Job zu verlassen. Das durchschnittliche Verhältnis von Patienten zu Pflegekräften in den untersuchten Krankenhäusern reichte von 5,4:1 in Norwegen, bis 13:1 in Deutschland (Aiken et al. 2012, S. 3). Der Pflegepersonalschlüssel in den USA war insgesamt höher als in Europa, abgesehen von Norwegen. In allen Ländern konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Personalausstattung und der Qualität der Arbeitsumgebung einerseits und der Patientenzufriedenheit, der Sicherheit und Qualität in der Pflege, sowie der Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte anderseits, festgestellt werden.
3.3 Arbeitsbedingungen …
107
Krankenhäuser mit guter Personalausstattung pro Patient und guten Arbeitsbedingungen hatten demnach positive Effekte auf die Zufriedenheit von Patienten und Pflegekräften (Aiken et al. 2012, S. 4). Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Mortalität der Patienten kam die Studie zu ähnlichen Ergebnissen wie in den USA: Eine Zunahme der Arbeitsbelastung der Pflegekräfte durch die Versorgung eines zusätzlichen Patienten erhöht die Wahrscheinlichkeit der Patientensterblichkeit innerhalb von 30 Tagen nach der Aufnahme um sieben Prozent. Auf der anderen Seite geht eine Steigerung des Anteils hoch qualifizierter Pflegekräfte (Bachelorabschluss) um 10 Prozent mit einer Abnahme der Patientensterblichkeit von rund sieben Prozent einher (Aiken et al. 2014, S. 1827). Zudem führt ein guter Qualifikationsmix mit einem höheren Verhältnis an professionellen und hoch qualifizierten Pflegekräften ebenfalls zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit der Patientenmortalität, einer höherer Zufriedenheit der Patienten mit der Pflege und allgemein geringeren negativen Patientenoutcomes (Aiken et al. 2017, S. 565). Verschiedene weitere internationale Studien, Reviews und Metaanalysen bestätigen einen Zusammenhang zwischen der Personalausstattung in der Pflege und der Pflege- und Versorgungsqualität (Kane et al. 2007; Spetz et al. 2008; Duffield et al. 2011; Shekelle 2013; Ball et al. 2013; Kvist et al. 2014; Griffiths et al. 2014; Stalpers et al. 2015). So bestätigen die Reviews von Kane et al., Schekelle et al. und Griffith et al., dass mit steigender Patientenzahl pro Pflegekraft wie Wahrscheinlichkeit der Krankenhaussterblichkeit steigt. Kane et al. berichten in ihrer Metaanalyse zudem von einem statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen einer besseren Pflegepersonalausstattung und geringerer im Krankenhaus erworbener Lungenentzündungen, ungeplanter Extubation, Atemwegsversagen, Rettungsversagen und Krankenhausverweildauer (2007, 1196 ff.). Eine Übersichtsarbeit von Stalpers et al. bestätigt ferner einen Zusammenhang von Personalkapazität und Stürzen von Patienten (2015, 830 f.). Duffield et al. berichten in ihrer Längsschnittuntersuchung ebenfalls davon, dass eine schlechte Personalausstattung, eine hohe Arbeitsbelastung und schwierige Arbeitsbedingungen in der Pflege mit negativen Folgen für Patienten, wie Stürze oder Medikationsfehler, verbunden sind (Duffield et al. 2011, 250 ff.). Eine bessere Personalqualifikation geht dagegen meist mit positiven Effekten auf die Pflegeund Versorgungsqualität und die Patientenoutcomes einher (Kane et al. 2007). Die meisten der erwähnten Studien beziehen sich auf die USA. Für den deutschen Versorgungskontext liegen nur sehr wenige Studien vor, die sich mit den Auswirkungen der Arbeitsbedingungen und der Personalsituation auf die Pflegequalität und Patientensicherheit beschäftigen (Klein und Schwinger 2014). Zu nennen sind hier beispielsweise die Pflege-Thermometer Befragungen des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (Isfort et al. 2010; Isfort et al. 2012; Isfort 2013; Isfort et al. 2014; Isfort et al. 2016; Isfort et al. 2018), der
108
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
deutsche Arm der RN4Cast-Studie (Zander et al. 2014; Busse 2015), die deutsche Vorgängerstudie “Hospital-Reform-Outcomes“ (Körner und Busse 2002) und die deutsche Nachfolgerstudie G-NWI (Zander und Busse 2017), sowie ein Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Zukunft der Pflege im Krankenhaus (Augurzky et al. 2016). Sowohl die PflegeThermometer Befragung als auch die RN4Cast Studie aus Deutschland beziehen sich dabei allerdings nur auf selbstberichtete Erfahrungen von Pflegekräften. Objektive Daten zu Patientenoutcomes wurden nicht miteinbezogen. Mit insgesamt 9719 auswertbaren Datensätzen ist das Pflege-Thermometer 2009 die bis dahin größte zusammenhängende Befragung von Pflegekräften in Deutschland (Isfort et al. 2010). Die Ergebnisse spiegeln die allgemein eher schlechten Arbeitsbedingungen und den wachsenden Mangel an Pflegefachkräften Studien wider. Rund 21 Prozent der Befragten können hinsichtlich Überstunden und zunehmender Patientenzahlen als „hoch belastet“ eingestuft werden (Isfort et al. 2010, S. 60). Diese hohe Arbeitsbelastung wirkt sich in der Folge negativ auf die Patientenversorgung aus: Nur jede dritte Pflegekraft geht noch uneingeschränkt davon aus, dass pflegerische Maßnahmen, die als notwendig erachtet werden in der Regel auch durchgeführt werden können. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass die Schichtbesetzung mit qualifiziertem Personal ausreicht, um die pflegerische Absicherung der Patientenversorgung zu gewährleisten (Isfort et al. 2010, S. 62). Auch die Überwachung und Kontrolle der Patienten pro Schicht wird von 35 Prozent der Pflegekräfte als unzureichend für die Gewährleistung der Patientensicherheit eingeschätzt. Obwohl es sich bei den Daten nur um selbsteingeschätzte Wahrnehmungen und deskriptive Befunde handelt, sehen die Autor*innen darin Tendenzen, dass sich auch in Deutschland eine niedrige Pflegepersonalausstattung und eine hohe Arbeitsbelastung negativ auf die Patientensicherheit und die Qualität der Pflege auswirken (Isfort et al. 2010, S. 76). Der deutsche Teil der RN4Cast Studie sowie die deutsche Vorgänger- und Nachfolgerstudie kommen zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf die Patientensicherheit und Versorgungsqualität. Sowohl die Sicherheit als auch die Qualität der Pflege hat in den Augen der Befragten zwischen 1999 und 2015 abgenommen: Während 1990 noch 37 Prozent der Pflegekräfte angaben, die Personalausstattung sei ausreichend, um eine gute Patientenversorgung zu gewährleisten, sind es 2010 noch 18 Prozent und 2015 nur noch 13 Prozent (Busse 2015). Rund je 40 Prozent der Befragten sind 2010 und 2015 zudem der Ansicht, im Berufsalltag sei zu wenig Zeit, um eine adäquate Patientenüberwachung sicherstellen zu können. Die Zahl der Pflegekräfte, welche die Pflegequalität in ihrem eigenen Arbeitsbereich als schlecht bewerten hat ebenfalls über die Jahre zugenommen: Während 1999 lediglich 20 Prozent von einer schlechten Qualität der Pflege berichteten, waren es 2010 schon 35 Prozent und 2015 bereits 42 Prozent der Befragten (Zander und
3.3 Arbeitsbedingungen …
109
Busse 2017). Im Zuge der RN4Cast-Studie wurde in Deutschland ferner untersucht, ob und in welchem Ausmaß im Krankenhausalltag Pflegeleistungen implizit rationiert wurden. Das bedeute, dass aufgrund von Zeitdruck und Zeitmangel eigentlich notwendige pflegerische Maßnahmen und Tätigkeiten nicht oder nicht in erforderlichem Maße erbracht werden können (Zander et al. 2014, S. 728). Insgesamt berichten die Befragten, dass von 13 Tätigkeiten im Durchschnitt 4,7 in der letzten Schicht vor der Befragung vernachlässigt wurden. Zeit und Zuwendung für Patientengespräche bleibt dabei im Stationsalltag am häufigsten auf der Strecke (82 Prozent), wohingegen für die körperliche Gesundheit der Patienten wichtige Tätigkeiten wie Schmerzmanagement (19 Prozent) oder eine zeitgerechte Medikation (21 Prozent) wesentlich seltener rationiert werden (Zander et al. 2014, S. 730). Pflegerische Tätigkeiten mit Blick auf die Patientensicherheit haben bei der Wahl der zu vernachlässigenden Tätigkeiten durch den Zeitmangel für die befragten Pflegekräfte trotz allem Priorität, so die Autor*innen, was als positives Zeichen hinsichtlich der Sicherstellung der bestmöglichen Patientenversorgung zu werten ist (Zander et al. 2014, S. 733). Ein Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, welches die Techniker Krankenkasse (TK) in Auftrag gegeben hat, untersucht den Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Versorgungsqualität in deutschen Krankenhäusern anhand von Makro- und Mikrodaten des Statistischen Bundesamtes (Augurzky et al. 2016). Die Autor*innen finden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Pflegepersonalausstattung und der Rationierungsintensität, der Patientenzufriedenheit sowie der Mortalitätsrate im Krankenhaus. Zudem sehen sie keine Verschlechterung bei der Versorgungsqualität insgesamt in den vergangenen Jahren (Augurzky et al. 2016, 10 f.). Ein Fazit des Gutachtens lautet daher: „Derzeit kann kein akuter Handlungsbedarf in Bezug auf die Menge an Pflegedienst im Krankenhaus abgeleitet werden“ (Augurzky et al. 2016, S. 11). In Zukunft sei jedoch mit einem verschärften Pflegemangel zu rechnen, so die Autor*innen. Das Gutachten wurde in der Folge stark kritisiert. Scharfe Kritik kommt von Seiten der Pflege selbst. So äußern unter anderem der Pflegewissenschaftler Frank Weidner, der Präsident des Deutschen Pflegerates Franz Wagner und die Fachgesellschaft Profession Pflege erhebliche Schwächen und methodische Mängel an dem Gutachten (Fachgesellschaft Profession Pflege 2016; Weidner et al. 2016). Weidner fasst abschließend zusammen: „Bezüglich der Zusammenhänge zur Versorgungsqualität leidet das Gutachten, wie alle diesbezüglichen Studien in Deutschland, unter der fehlenden Datenbasis. Es gibt hierzulande kaum vergleichbare, transparente und belastungsfähige Daten insbesondere mit Blick auf die pflegerische Versorgung im Krankenhaus. Von daher
110
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
sind Aussagen zur Versorgungsqualität im Krankenhaus stets nur mit äußerster Vorsicht zu genießen.“ (Weidner et al. 2016, S. 77)
Obwohl für Deutschland keine verlässlichen Studien und Daten zur Verfügung stehen wird seit 2017 in der Politik über die Einführung von Personaluntergrenzen in der Pflege im Krankenhaus diskutiert. Seit 01.01.2019 gelten in Deutschland Pflegepersonaluntergrenzen in den vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie (Bundesministerium für Gesundheit 05.10.2018). 1. Intensivmedizin täglich in der Tagschicht 2,5 zu 1 und in der Nachtschicht 3,5 zu 1; ab dem 1. Januar 2021 täglich in der Tagschicht 2 zu 1 und in der Nachtschicht 3 zu 1,2. 2. Geriatrie täglich in der Tagschicht 10 zu 1 und in der Nachtschicht 20 zu 1,3. 3. Unfallchirurgie täglich in der Tagschicht 10 zu 1 und in der Nachtschicht 20 zu 1,4. 4. Kardiologie täglich in der Tagschicht 12 zu 1 und in der Nachtschicht 24 zu 1 Auch der Anteil an Pflegehilfskräften wird durch die Verordnung festgelegt, damit in jeder Schicht ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal zur Verfügung steht. Ab 2020 sollen solche gesetzlichen Vorgaben auch auf den gesamten Pflegebereich im Krankenhaus ausgeweitet werden. Kritische Stimmen geben jedoch zu bedenken, dass eine ausreichende Personalausstattung in der Pflege nicht automatisch auch eine bessere Pflegequalität bedinge, solange die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht insgesamt verbessert würden. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die gesetzlich geregelten Personalvorgaben in der Pflege tatsächlich auf die Qualität der Versorgung haben werden.
3.4
Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastung
Es existieren nicht viele nationale Studien, in denen die Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastungen in der Pflege systematisch untersucht wurde. In diesem Bereich besteht auf nationaler Ebene noch weiterer Forschungsbedarf. Aus diesem Grund wurden für die Aufarbeitung des Forschungsstandes auch ältere Studien und Studien mit qualitativem Design miteinbezogen. Zudem wird auf internationale Befunde eingegangen. Einige der identifizierten Studien beziehen sich dabei vorrangig auf spezielle Pflegebereiche wie Intensiv- oder Palliativpflege. Inwieweit sich Stress und hohe Arbeitsbelastung auf Beschäftigte in der Pflege auswirken, hängt in einem großen Maße damit zusammen, wie sich jeder Einzelne
3.4 Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastung
111
subjektiv damit auseinandersetzt und wie mit den individuellen arbeitsbezogenen Einstellungen, Gefühlen und Ressourcen umgegangen wird. Wie bereits in Abbildung 1.9 ausgeführt, haben Schaarschmidt und Fischer diese unterschiedlichen persönlichen, arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster mit Hilfe des eigens entwickelten Messinstruments AVEM systematisch für verschiedene Berufsgruppen untersucht (2001). Unter anderem haben sie dabei auch die Beanspruchungs- und Bewältigungsmuster im Pflegeberuf anhand einer Stichprobe aus Wien, Berlin und Brandenburg (n = 2019) in den Jahren 1996/97 analysiert (Schaarschmidt und Fischer 2001; Fischer und Schaarschmidt 2003; Fischer 2006) und kommen zu folgendem Ergebnis: „Zusammenfassend können wir festhalten, dass in der Musteridentifizierung klare interindividuelle Unterschiede in der psychischen Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Pflegeberufs zum Ausdruck kommen.“ (Fischer und Schaarschmidt 2003, S. 190) Muster G: Beschäftigte, die dem Muster G zuzuordnen sind, geben im Vergleich zu allen anderen Mustervertreter*innen die geringste wahrgenommene Arbeitsbelastung an, beschreiben ein souveränes Verhältnis gegenüber der Patienten, schätzen ihre fachlichen Kompetenzen am höchsten ein und erleben ihre Tätigkeit in der Pflege als herausfordernd, gut zu bewältigen und persönlich befriedigend (Fischer und Schaarschmidt 2003, S. 177). Muster S: Beschäftigte des Musters S schätzen sich selbst auch als belastbar ein, diese Belastbarkeit geht allerdings mit einem verminderten Engagement und einer größeren Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Patienten einher. Die eigenen fachlichen Kompetenzen werden geringer eingestuft, als bei Beschäftigten des Musters G und die Tätigkeit in der Pflege wird nur eingeschränkt als motivierende Herausforderung erlebt (Fischer und Schaarschmidt 2003, S. 177). Risikomuster A: Die dem Risikomuster A zuzuordnenden Beschäftigten berichten von einem deutlich höheren Belastungserleben, welches mit den eigenen hohen Leistungs- und Perfektionsansprüchen in Verbindung steht. Aufgrund dieser strengen Selbsteischätzung werden auch die eigenen fachlichen Kompetenzen geringer bewertet. Die Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Patienten ist ebenfalls gering (Fischer und Schaarschmidt 2003, 177 f.). Risikomuster B: Beschäftigte, die sich durch dieses Muster auszeichnen, beschreiben das höchste Belastungserleben im Berufsalltag. Ihr Verhältnis zur Arbeit ist gekennzeichnet durch hohe emotionale Beeinträchtigung, Labilität und Unsicherheit, welche mit der Einschätzung einer geringen fachlichen Kompetenz und einer geringen Distanzierungsfähigkeit einhergeht. Risikomuster B ist besonders problematisch für die Gesundheit der arbeitenden Person (Fischer und Schaarschmidt 2003, S. 178).
112
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Die Verteilung der Bewältigungsmuster im Pflegeberuf nach Schaarschmidt und Fischer ist in Abbildung 3.2 dargestellt, differenziert nach Gesamtstichprobe und den befragten Pflegekräften aus Deutschland.
37
40%
31 30%
23
25
24 19
20%
21
20
10% 0% Muster G
Muster S gesamt
Risikomuster A
Risikomuster B
nur DE
Abbildung 3.2 Verteilung der Beanspruchungs- und Bewältigungsmuster im Pflegeberuf. (Quelle: Fischer und Schaarschmidt 2003, S. 179, Abbildung 6, eigene Erstellung)
Das Schonungsmuster S, so zeigt sich, kommt insgesamt in der Stichprobe der Pflegekräfte am häufigsten vor, gefolgt von dem Gesundheitsmuster G. Unter den deutschen Pflegekräften ist das Muster S etwas weniger ausgeprägt, während das Risikomuster A vergleichsweise häufiger vorkommt. Bei rund einem Fünftel der Befragten Pflegekräfte in Deutschland findet sich das problematische Risikomuster B. Diese Beschäftigten verfügen demnach über die geringsten Ressourcen zur Bewältigung der Arbeitsbelastung und des Stresserlebens (Fischer 2006, S. 99). Das wünschenswerte Muster G kommt ebenfalls nur bei rund 24 Prozent der Befragten vor. Im Vergleich zu anderen untersuchten Berufsgruppen scheint das Muster S, das sich durch geringes Arbeitsengagement auszeichnet, in der Pflege besonders verbreitet zu sein (Schaarschmidt und Fischer 2001). Es scheint, so folgern Schaarschmidt und Fischer, als würden viele Pflegekräfte die Stärke der wahrgenommenen Arbeitsbelastung weniger durch aktives Coping, als vielmehr durch Rückzugs- und Distanzierungstendenzen regulieren (Schaarschmidt und Fischer 2001, S. 92). In gewissem Maße ist ein solch passives Bewältigungsverhalten ein Eigenschutz vor emotional hohen Belastungen und eine Reaktion auf schwierige Arbeitsbedingung. Auf der anderen Seite kann sich ein Zuviel an Passivität, Demotivation und geringem Arbeitsengagement allerdings auch negativ auf die Qualität der Pflege auswirken. Bezüglich der Musterverteilung ergeben sich in der Untersuchung von Schaarschmidt und Fischer keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder unterschiedlichen Arbeitsbereichen in der Pflege (2001, 92 ff.). Auffallende Unterschiede finden sich jedoch bezüglich der beruflichen Hierarchie:
3.4 Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastung
113
Mit zunehmender Führungsverantwortung geht eine günstigere Musterkonstellation einher. Führungskräften in der Pflege scheint es demnach besser zu gelingen, den empfundenen Arbeitsbelastungen in einer gesundheitsförderlichen Weise gegenüberzutreten (Schaarschmidt und Fischer 2001, S. 96). Belan und Schiller haben in einer qualitativen Studie Bewältigungsstrategien von 16 Palliativpflegekräften anhand von leitfadengestützten problemzentrierten Interviews untersucht (2016). Sie haben dabei sowohl kollektive als auch individuelle Bewältigungsstrategien identifiziert. Das spezifische Setting der Palliativpflege konfrontiert die Pflegekräfte zusätzlich mit hohen emotionalen Belastungen in Bezug auf den Umgang mit Leid, Sterben und Tod. Kollektive CopingMechanismen, welche die Palliativpflegekräfte dabei nutzen, sind beispielsweise Rituale für den Ablauf der Versorgung nach dem Tod von Patienten, wöchentliche Teambesprechungen zum Austausch der erlebten Sterbesituationen oder Beratungsangebote, wie Einzel- oder Gruppensitzungen mit Therapeuten oder Supervisor (Belan und Schiller 2016, 116 ff.). Ein wichtiger Faktor zum erfolgreichen Umgang mit Belastungen ist für viele der Interviewten Pflegekräfte auch das Stationsteam. Balan und Schiller sprechen in diesem Zusammenhang von „Teamkollegen als Rettungsanker“ (2016, S. 122). Die Möglichkeit sich gegenseitig auszutauschen, beizustehen und bei der Versorgung besonders belastender Fälle auszuhelfen, wirkt dabei für viele entlastend. Zu den von Belan und Schiller identifizierten individuellen Bewältigungsstrategien zählen unter anderem Sport, Gartenarbeit, künstlerische oder musische Hobbies und ausreichend Schlaf (2016, S. 124). Zudem sind ein starkes soziales und familiäres Netzwerk sowie eine gute Work-Life-Balance unabdingbar, um berufliche Belastungen ausreichend bewältigen zu können. Schutzmechanismen, welche die befragten Palliativpflegekräfte während der Arbeit einsetzen, sind beispielsweise eine stets sachliche Kommunikation mit Patienten und Angehörigen, die Wahrung professioneller Distanz und selektives Zuhören (Belan und Schiller 2016, S. 124). Um das eigene berufliche Handeln zu reflektieren und zu entwickeln eignen sich zudem Präventions- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der Palliativpflege. Jenull und Kolleginnen untersuchten in einer quantitativen Befragung von 137 Pflegekräften in der stationären Altenpflege in Österreich unter anderem Arbeitsbelastungen und Copingstrategien (2008). In einer offenen Frage wurden die Befragten darum gebeten, aufzulisten, was ihnen hilft Stress abzubauen. Insgesamt wurden 31 unterschiedliche Strategien genannt (296 Nennungen). Am häufigsten genannt wurde Sport (44), familiäre Kontakte (40), Lesen (27) und Meditation (26) (Jenull et al. 2008, S. 21). In einer anschließenden qualitativen Studie von Jenull und Brunner (2009) wurden ebenfalls verschiedene individuelle Bewältigungsstrategien identifiziert. Dafür wurden 25 leitfadengestützte Interviews mit Pflegekräften in der stationären Altenpflege in Kärnten geführt
114
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Autorinnen unterscheiden zwischen den beiden Kategorien „individuelle Bewältigungsstrategien außerberuflich“ und „individuelle Bewältigungsstrategien im Pflegealltag“ (Jenull und Brunner 2009, S. 7). Zu den am häufigsten genannten außerberuflichen Coping-Mechanismen gehören körperliche Aktivitäten (36 Prozent), soziale Unterstützung durch Familie und Freunde (32 Prozent) sowie Entspannung und Ruhephasen (28 Prozent) (Jenull und Brunner 2009, S. 8). Für die Bewältigung von Stress und Belastungen um Pflegealltag spielt der Austausch im Team oder mit Kolleg*innen (44 Prozent) eine entscheidende Rolle. Demgegenüber berichten allerdings auch 36 Prozent der Interviewten, dass sie Stress und Belastungen oft durch Abgrenzung und persönliches Distanzieren von den Pflegeheimbewohnern begegnen. Auch das regelmäßige Einlegen und Einhalten von Arbeitspausen (28 Prozent) ist für viele der Interviewten für die Stressbewältigung essenziell (Jenull und Brunner 2009, S. 8). Neben den aktiven und passiven Bewältigungsmechanismen haben die Autorinnen zudem riskante und gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen identifiziert. So gibt beispielsweise die Mehrheit (80 Prozent) der Befragten Pflegekräfte an, als Reaktion auf Stress, Belastung und Frustration zu rauchen oder Medikamente zu konsumieren (60 Prozent), um den Berufsalltag zu überstehen. Auch zu ihrem eigenen Essverhalten während der Schicht äußert sich die überwiegende Mehrheit (91 Prozent) kritisch, so Jenull und Brunner (2009, S. 8). Sowohl Healy und McKay (2000) als auch Chang und Kolleg*innen (2006) untersuchten Bewältigungsmechanismen von Akutpflegekräften in Australien anhand des “Ways of Coping Questionnaire (WAYS)” nach Lazarus und Folkman. In beiden Studien war die systematische Problemlösung (problemorientierte Bewältigung) die am häufigsten verwendete Bewältigungsstrategie, gefolgt von der Suche nach sozialer Unterstützung und Selbstkontrolle (emotionsfokussiert). Fluchtvermeidung war die am wenigsten verwendete Strategie in beiden Stichproben. In der Studie von Healy und McKay wurde zudem der Zusammenhang zwischen problemorientieren Coping-Mechanismen und Arbeitszufriedenheit untersucht. Es konnte jedoch mit den Daten kein signifikanter Zusammenhang gefunden werden (Healy und McKay 2000, S. 686). In der Studie von Chang et al. wurden die Auswirkungen der Bewältigungsstrategien auf die psychische Gesundheit der Pflegekräfte untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich bereits Distanzierungsmechanismen allein positiv auf die psychische Gesundheit auswirken (Chang et al. 2006, S. 36). In einer qualitativen Studie untersuchte Mackintosh (2007) Copingstrategien von Pflegekräften in Akutkrankenhäusern in Großbritannien anhand von 16 semistrukturierten Interviews. Die am häufigsten beschriebene Bewältigungsstrategie der Pflegekräfte war dabei eine strikte Trennung und Abgrenzung von Privat- und Arbeitsleben, durch die Entwicklung einer sogenannten „work persona“, die sich
3.4 Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastung
115
durch Distanzierung, Depersonalisierung und “Hardiness” (Widerstandsfähigkeit), auszeichnet (Mackintosh 2007, S. 988). Obwohl diese Merkmale eines passiven und defensiven Copings auch allgemein anerkannte Symptome eines Burnouts sein können, deuten die Ergebnisse dieser Studie jedoch darauf hin, so Mackintosh, dass viele Teilnehmer diese Aspekte als sehr wichtig, wenn nicht sogar als positive Eigenschaften betrachteten, die es ihnen ermöglichten, sich selbst zu schützen und ihre Fähigkeit zur weiteren Arbeit in der Pflege zu verbessern (2007, S. 988). James M. Badger (2005) untersuchte den Umgang von 24 Intensivpflegekräften mit der Pflege am Lebensende (End-of-Life-Care) in den USA anhand von Beobachtungen und Fokusgruppeninterviews. Die Pflegekräfte berichteten von einer Vielzahl an verschiedenen Bewältigungsstrategien, die sie einsetzen, um mit den komplexen Situationen der Patientenversorgung auf der Intensivstation umzugehen. Badger identifizierte drei Hauptkategorien, darunter kognitive, affektive und verhaltensorientierte Coping-Techniken (2005, S. 66). Zu den kognitiven Strategien gehörten „sich damit abfinden”, aus Erfahrungen lernen, sich an „positive“ Situationen mit den Patienten erinnern und Situationen relativieren. Affektive Strategien beinhalteten Lachen, Externalisieren von Gefühlen und emotionales Abschotten. Verhaltensstrategien umfassten Rückzugs-, Vermeidungs- und Distanzierungstendenzen. Neben formaleren Bewältigungsstrategien berichteten die Pflegekräfte auch, dass der Einsatz von Glauben, existentiellen Überzeugungen und gegenseitiger Unterstützung von Vorteil sei (Badger 2005, 66 f.) Insgesamt zeigt sich in den betrachteten Studien, dass hauptsächlich eine soziale Unterstützung durch Familie, Freunde und Arbeitskolleg*innen und ein Ausgleich durch sportliche Aktivitäten für die Pflegekräfte unterstützend auf die Bewältigung von Stress und Arbeitsbelastungen wirken. Zudem scheinen viele Pflegekräfte ebenfalls Distanzierungsmechanismen zu nutzen, um sich selbst und die eigene psychische und emotionale Gesundheit zu schützen. Je nachdem, in welchem Ausmaß solche Rückzugs- und Distanzierungstendenzen eingesetzt werden, können diese jedoch auch negative Folgen für die eigene pflegerische Arbeit haben. Kritisch zu sehen ist außerdem, dass neben den positiven Bewältigungsstrategien ferner riskante und gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen, wie Rauchen oder Substanzmittelmissbrauch, identifiziert wurden, um mit Stress und Arbeitsbelastungen umzugehen.
116
3.5
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Arbeitszufriedenheit und Ressourcen
Obwohl der Pflegeberuf durch schwierige Arbeitsbedingungen und hohe Arbeitsbelastung geprägt ist, sind erstaunlich viele Pflegekräfte dennoch mit ihrer pflegerischen Tätigkeit und der Entscheidung einen Pflegeberuf ergriffen zu haben insgesamt zufrieden. Auf nationaler und internationaler Ebene existiert eine Vielzahl an Studien, die sich damit auseinandergesetzt haben. In Tabelle 3.5 sind die Ergebnisse ausgewählter nationaler Studien zu Arbeitszufriedenheit und individuellen Ressourcen in der Pflege dargestellt. In den meisten Studien ist die Mehrheit der Befragten durchaus mit der Arbeit in der Pflege zufrieden. In den betrachteten Studien variieren die Werte allerdings teilweise stark und liegen zwischen 55 und 85 Prozent. Werden mehrere Messzeitpunkte eingeschlossen, so zeigt sich, dass die Arbeitszufriedenheit im Pflegeberuf allerdings im Zeitverlauf abgenommen hat. Alameddine et al. (2016) untersuchen beispielsweise Trends in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit von deutschen Pflegekräften zwischen 1990 und 2013 anhand von Daten des Sozioökonomischen Panels. Zum Vergleich betrachteten sie ebenfalls die Trends von Ärzten und sonstigem Gesundheitspersonal. Die Daten zeigen, dass die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte ähnlich ist, wie die der Arbeitnehmer in allen Wirtschaftszweigen (MW: 7,0, Skala 0– 10), aber deutlich unter der von Ärzten (7,2) und sonstigen Beschäftigten des Gesundheitswesens (7,3) liegt (Alameddine et al. 2016, S. 102). In den 23 Jahren zwischen 1990 und 2013 ging die Arbeitszufriedenheit der deutschen Pflegekräfte stetig und allmählich zurück und sank um durchschnittlich 7,5 Prozent, während die der Ärzte und des sonstigen Gesundheitspersonal um 14,4 Prozent bzw. 1 Prozent zunahm. Der Rückgang war bei den Teilzeitbeschäftigten noch stärker ausgeprägt (13 Prozent) als bei den vollzeitbeschäftigten Pflegekräften (3 Prozent) (Alameddine et al. 2016, S. 103). Als Gründe für diesen Rückgang werden von den Autoren unteranderem eine gestiegene Arbeits- und Stressbelastung ausgemacht, sowie die im Vergleich relativ niedrigen Gehälter in der Pflege. Während das Gehalt der Pflegekräfte in Deutschland in den 23 betrachteten Jahren nur um rund 4 Prozent angestiegen ist, verzeichneten die Ärzte ein Plus von immerhin 24 Prozent (Alameddine et al. 2016, S. 107). Die meisten der identifizierten Studien beschäftigen sich mit eben dieser Frage der Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit in der Pflege. Persönliche Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen sind beispielsweise solche Faktoren, die die Zufriedenheit der Pflegekräfte am Arbeitsplatz beeinflussen, ebenso wie das Arbeitsumfeld und die Rahmenbedingungen der Arbeit. Auch die Lebenszufriedenheit insgesamt steht positiv mit der Arbeitszufriedenheit in Zusammenhang, wie Hayes et al. herausstellen (2010, S. 806). Aus den
3.5 Arbeitszufriedenheit und Ressourcen
117
Ergebnissen der nationalen Studien können als positive Faktoren auf die Arbeitszufriedenheit hauptsächlich ein großer Handlungs- und Entscheidungsspielraum bei der pflegerischen Arbeit, gute Zusammenarbeit und Zusammenhalt im Team und zwischen den Berufsgruppen, eine hohe Führungsqualität durch Vorgesetzte sowie eine hohe Sinnhaftigkeit und Bedeutung der Arbeit ausgemacht werden. Dagegen wirken sich eine hohe Arbeitsbelastung, geringe Verdienstmöglichkeiten, eine schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine geringe Wertschätzung und Anerkennung der Leistung negativ auf die Zufriedenheit der Beschäftigten im Hinblick auf die Arbeit in der Pflege aus. Die Zufriedenheit von Beschäftigten in der Pflege ist dabei sowohl für die Pflegekräfte selbst, die Gesundheitseinrichtungen und Arbeitgeber als auch für die Patienten wichtig: Je höher die Arbeitszufriedenheit und die Identifikation mit dem Pflegeberuf, desto geringer ist die Burnout Wahrscheinlichkeit und desto seltener beabsichtigen Pflegekräfte aus dem Beruf auszusteigen. Auf Patientenseite wirkt sich eine hohe Zufriedenheit der Pflegekräfte ebenfalls positiv auf die Qualität der Pflege und die Zufriedenheit der Patienten aus (Tabelle 3.5).
Thematik
Belastung, Arbeitszufriedenheit und Fehlzeiten bei Pflegekräften in der Krankenhauspflege
Gesundheitliche Belastungen und Arbeitsbedingungen von Pflegekräften im Krankenhaus vor dem Hintergrund der DRGEinführung
Autor*innen
Wenderlein und Schochat 2003; Wenderlein 2005
Braun et al. 2004; Braun und Müller 2005; Braun et al. 2008
Postalische Befragung, 2003 Wiederholungsbefragung, 2006
(Fortsetzung)
Positive Arbeitsbedingungen und individuelle Ressourcen (2003/2006) 89%/86% interessante und abwechslungsreiche Arbeit 71%/68% hoher Handlungsspielraum 67%/68% positive Kraft aus sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz 66%/63% starke persönliche Bestätigung durch die Arbeit 65%/64% Chance, etwas dazuzulernen Zusammenhang zwischen selbst empfundener Belastung und individuellen Ressourcen: Starke berufliche Orientierung, hohe soziale Unterstützung und großer Handlungsspielraum verringern die Wahrscheinlichkeit, eine hohe Arbeitsbelastung zu empfinden
3
2003 N = 1885 2006 N = 1283
Ergebnisse Arbeitszufriedenheit insgesamt 15% sehr zufrieden 68% zufrieden 15% unzufrieden 1% sehr unzufrieden Zusammenhänge – je älter, desto zufriedener – Teilzeitkräfte zufriedener als Vollzeitkräfte – je mehr Berufserfahrung, desto zufriedener – Pflegekräfte mit Kindern zufriedener als Kolleg*innen ohne Kinder – Arbeitsorganisation trägt entscheidend zur Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bei Positive Faktoren auf die Arbeitszufriedenheit Sinnhaftigkeit der Arbeit, gute Zusammenarbeit zwischen Berufsgruppen, Einflussmöglichkeiten und aktives Einbeziehen der Mitarbeiter*innen, Gefühl gebraucht zu werden, gutes Vorgesetztenverhalten, gutes Stationsklima Negative Faktoren auf die Arbeitszufriedenheit Zeit- und Leistungsdruck, schlechter Informationsfluss und schlechte Bezahlung
Standardisierte schriftliche Befragung, 2001
Stichprobe Instrument N = 861 Examinierte Pflegekräfte
Tabelle 3.5 Übersicht empirischer Ergebnisse zu Arbeitszufriedenheit und Ressourcen in der Pflege
118 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Thematik
Arbeitssituation von Pflegepersonal und Ursachen für den vorzeitigen Berufsausstieg NEXT Studie
PflegeThermometer 2009, Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus
Autor*innen
Simon et al. 2005; Hasselhorn et al. 2005a; Stordeur et al. 2005
Isfort et al. 2010
Tabelle 3.5 (Fortsetzung)
Schriftliche und OnlineErhebung, 2009
N = 9719
(Fortsetzung)
Basiserhebung der NEXT-Studie in Deutschland 2002/2003 mittels standardisierter Fragebögen Erfassung der Arbeitszufriedenheit: COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) Positive Arbeitsbedingungen und individuelle Ressourcen 70% Fachwissen und Kompetenzen können vollumfänglich eingesetzt werden 58% gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften 54% gute berufliche Entwicklungschancen 53% Möglichkeiten, im Beruf neue Handlungsfelder kennenzulernen 50% berufliche Unterstützung und Förderung durch Arbeitgeber
Ergebnisse Arbeitszufriedenheit (Skala: 1 gering – 4 hoch) Mittelwert 2,5 Zusammenhänge: Arbeitszufriedenheit von Frauen höher als von Männern U-förmiger Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Alter und Berufserfahrung in der ambulanten Pflege war die Arbeitszufriedenheit höher als in den Pflegeheimen und Krankenhäusern je geringer die Arbeitszufriedenheit, desto höher die Absicht den Beruf zu verlassen Positive Faktoren auf die Arbeitszufriedenheit: Hohe Bedeutung der Arbeit, hohe Bindung an die Einrichtung und den Beruf, gute Entwicklungsmöglichkeiten, hohe Führungsqualität
Stichprobe Instrument N = 3565, 2672 KH, 531 Stat, 354 Amb, 8 ohne Angabe
3.5 Arbeitszufriedenheit und Ressourcen 119
Längsschnittstudie 2007–2009, Mitarbeiterbefragungen Erfassung der Arbeitszufriedenheit: COPSOQ WSILohnSpiegel Datenbank, OnlineErhebung 2006–2013
N = 305
N = 3965
Bispinck et al. Einkommens2013 und Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen
Mischung aus schriftlicher und OnlineBefragung, 2010
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Arbeitszufriedenheit (Skala 1 überhaupt nicht zufrieden – 5 in jeder Hinsicht zufrieden, Mittelwerte) 3,3 Arbeit insgesamt 3,0 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 2,8 Menge an Freizeit 2,4 Bezahlung
Arbeitszufriedenheit (Skala 1–100, Mittelwerte) 63 (2007 und 2008), 64 (2009) Zufriedenheit mit der Qualität der Pflege (Skala 1–100, Mittelwerte) 68 (2007), 69 (2008), 70 (2009) Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit: Angemessene Entlohnung, hohe Bindung an die Einrichtung, geringe Arbeitsbelastung, hohe Qualität der Pflege
Arbeitsplatzzufriedenheit (Krankenpflege/Altenpflege) 85%/85% machen ihre Arbeit gerne 80%/83% Identifikation mit dem Pflegeberuf 70%/65% Zufriedenheit mit Entscheidung für den Pflegeberuf 55%/64% Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz insgesamt 50%/54% sehr attraktiver Arbeitsplatz Positive Faktoren auf die Arbeitsplatzzufriedenheit Unbefristeter Arbeitsvertrag, sicherer Arbeitsplatz, guter persönlicher Kontakt zu den Patienten, gute Personalausstattung Negative Faktoren auf die Arbeitsplatzzufriedenheit Geringe Verdienstmöglichkeiten, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geringe Wertschätzung und Anerkennung der Leistungen durch Vorgesetzte
3
Schmidt et al. 3Q Studie 2011; Schmidt – Qualität der et al. 2014 Arbeit, Qualität der Pflege, Qualität der Organisation in der stationären Altenpflege
JobwahlverN = 3763 halten, 3145 KP Motivation 618 AP und Arbeitsplatzzufriedenheit von Pflegepersonal
Buxel 2011a, 2011b
Stichprobe Instrument
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.5 (Fortsetzung)
120 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Thematik
Die aktuelle Situation der stationären Krankenpflege in Deutschland. Ergebnisse der IHOS, RN4Cast und G-NWI Studien
Berufs- und Arbeitszufriedenheit in der lntensivpflege
Arbeitssituation und Arbeitsbelastung in der Pflege
Autor*innen
Zander et al. 2013; Zander et al. 2014; Zander und Busse 2017
Siegling und Isfort 2014
Scharfenberg 2016
Tabelle 3.5 (Fortsetzung) Standardisierte Befragung in 49 Krankenhäusern (>100 Betten), Rn4Cast 2009–2011, G-NWI 2015
OnlineErhebung, 2013
Standardisierter OnlineFragebogen, 2016
N = 1824
N = 4439
Stichprobe Instrument 1998/99 N = 2681 2009/10 N = 1511
Ergebnisse
(Fortsetzung)
Positive Arbeitsbedingungen und individuelle Ressourcen 80% Stolz auf die Arbeit in der Pflege 68% Wissen um Sinnhaftigkeit der Tätigkeit als tägliche Motivation 61% gute Zusammenarbeit mit Kolleg*innen 60% Eigenverantwortliches Arbeiten 57% Pflege als abwechslungsreiche Tätigkeit 57% Fachwissen und Erfahrung können im Berufsalltag vollumfänglich eingebracht werden 41% sehr zufrieden oder zufrieden mit der Arbeitssituation
Berufs- und Arbeitszufriedenheit („zufrieden“ und „sehr zufrieden“) 65% Zufriedenheit mit der Möglichkeit Fachwissen in die tägliche pflegerische Praxis mit einzubeziehen 64% Zufriedenheit mit den Arbeitsinhalten 62% Zufriedenheit mit der Berufswahl 46% Zufriedenheit mit der Arbeit insgesamt Positive Faktoren auf die Berufs- und Arbeitszufriedenheit 85% Einbezug und Mitsprache bei Therapieentscheidungen 82% positive Rückmeldung von Patienten oder deren Angehörigen 79% hoher Handlungsspielraum innerhalb der Tätigkeit
Arbeitszufriedenheit (1999/2010) 83%/63% Arbeitszufriedenheit 85%/79% Zufriedenheit mit dem Pflegeberuf Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit Angemessene Personalausstattung, gute Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen, gutes Arbeitsklima, gute Qualität in der Pflege, hohe Patientensicherheit, Anerkennung und Wertschätzung
3.5 Arbeitszufriedenheit und Ressourcen 121
OnlineErhebung, 2017
Schriftliche Befragung, 2016
N = 1780
N = 191
Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit auf Intensivstationen
Subjektive Arbeitsbelastung, Arbeitszufriedenheit und Work-LifeBalance von Pflegekräften im Krankenhaus
Isfort et al. 2017
Körber et al. 2018
Sekundärdatenanalyse auf Basis des Sozioökonomischen Panels
Trends in N = 4879 Bezug auf die Arbeitszufriedenheit von deutschen Pflegekräften zwischen 1990 und 2013
Alameddine et al. 2016, 2017
Stichprobe Instrument
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.5 (Fortsetzung) Ergebnisse
Berufs- und Arbeitszufriedenheit 71% Arbeitszufriedenheit insgesamt 42% Zufriedenheit mit den Entwicklungsmöglichkeiten 98% Freude an der Tätigkeit 99% Empfindung der Arbeit als sinnvoll 73% Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance
(Fortsetzung)
3
Berufs-, Arbeits- und Versorgungszufriedenheit 80% Zufriedenheit mit der Berufswahl 82% Zufriedenheit mit den Arbeitsinhalten Aber nur: 30% Zufriedenheit mit der Patientenversorgung 24% Zufrieden mit der Betreuungsrelation und Personalausstattung → hoher Berufs- und Arbeitszufriedenheit, aber geringe Versorgungszufriedenheit
Arbeitszufriedenheit (Skala 0–10, Mittelwerte) 7,0 Gesamtsample (1990–2012), 7,3 (1990), 6,8 (2012) Abnahme der Arbeitszufriedenheit um durchschnittlich 7,5% Abnahme bei den Teilzeitbeschäftigten noch stärker (13%)
122 Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Die Arbeitszufriedenheit von Berufseinsteigern in den Gesundheitsberufen
Ulrich et al. 2019
Ergebnisse Arbeitszufriedenheit (Skala 1 sehr unzufrieden – 7 sehr zufrieden, Mittelwerte) 4,7 Gesamtzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz 5,2 Zufriedenheit mit den Kolleg*innen/dem Team 5,0 Grad der Abwechslung der Arbeitsaufgaben 4,8 Möglichkeit, eigene Fähigkeiten nutzen zu können → gutes Arbeitsklima und Zusammenhalt im Team haben größten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit mit der Arbeit
Querschnittserhebung mittels OnlineSurvey, 2011, 2013 und 2014 Messung der Arbeitszufriedenheit: deutsche Version des Warr-CookWall (WCW) Fragebogens
Stichprobe Instrument N = 368
Erklärung: Amb = ambulant, AP = Altenpflege, KH = Krankenhaus, KP = Krankenpflege, MW = Mittelwert, N = Fallzahl, Stat = stationär; Quelle: Eigene Erstellung
Thematik
Autor*innen
Tabelle 3.5 (Fortsetzung)
3.5 Arbeitszufriedenheit und Ressourcen 123
124
3
Arbeiten in der Pflege: sekundärempirische Ergebnisse
Die Ergebnisse aus Deutschland decken sich größtenteils mit internationalen Befunden. In einer systematischen Literaturübersicht identifizieren Hayes et al. (2010) beispielsweise 44 Faktoren, die zur Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften im Akutkrankenhausumfeld beitragen, anhand von 17 internationalen Studien. Die meisten Studien haben dabei, ähnlich wie in Deutschland, ein quantitatives Forschungsdesign und verwenden den “Index of Work Satisfaction (IWS)” als Messinstrument (Hayes et al. 2010, S. 807). Die in der Literatur gefundenen Faktoren, welche die Arbeitszufriedenheit beeinflussen, wurden von den Autoren in drei Hauptkategorien eingeteilt: intra-personale, inter-personale und extra-personale Faktoren. Intra-personale Faktoren beschreiben dabei die Merkmale der Pflegekräfte, die sie als Person in den Beruf bringen. Das sind zum Beispiel Alter, Bildung- und Qualifikation sowie individuelle Copingstrategien. Ältere Pflegekräfte mit einer höheren Berufserfahrung sind dabei häufig zufriedener, ebenso wie Pflegekräfte, die positives Reframing und verhaltensbezogene Distanzierungstendenzen als Bewältigungsstrategien verwenden (Hayes et al. 2010, S. 808). Zwischenmenschliche Faktoren sind Faktoren, die sich auf die Interaktion zwischen der Pflegekraft und anderen (Kolleg*innen, Patienten, Vorgesetzten) beziehen. Darunter finden sich, laut Hayes et al, beispielsweise Autonomie, soziale Unterstützung, Qualität der Führung, Verantwortung und berufliche Anerkennung und Wertschätzung (2010, S. 809). Je höher bzw. besser also die genannten Aspekte eingeschätzt werden, desto höher die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte. Außerpersönliche Faktoren gehen schließlich über die direkte Interaktion einer Pflegekraft mit anderen hinaus und werden von institutionellen oder staatlichen Richtlinien beeinflusst. Gehalt, Organisationspolitik und Ressourcenausstattung, die für die Erledigung der Arbeit erforderlich ist, wurden dabei als signifikant für die Arbeitszufriedenheit identifiziert (Hayes et al. 2010, S. 811). Insgesamt kommen Hayes et al. zu dem Schluss, dass in den betrachteten Studien vor allem zwischenmenschliche Faktoren in der Zusammenarbeit mit anderen die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte entscheidend beeinflussen und das auch die Qualität der Führung durch die Stations- oder Pflegedienstleitung eine bedeutende Rolle in Bezug auf die wahrgenommene Zufriedenheit spielt (2010, S. 812). Aktuelle nationale sowie internationale Forschungsergebnisse zeigen also, dass die Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften ein sehr komplexes, vielschichtiges und hoch subjektives Phänomen ist, welches von einer Kombination aus verschiedenen Faktoren beeinflusst wird.
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege in Rheinland-Pfalz
Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit den Aspekten Arbeit, Stress, Belastungen, Burnout, Coping und Arbeitszufriedenheit und der Diskussion der aktuellen Forschungslage zu den Themenbereichen Arbeitsbelastung, Arbeitszufriedenheit und Bewältigungsstrategien in der Pflege und deren Einfluss auf die Pflegekräfte einerseits und die Qualität der Pflege andererseits, soll in diesem Kapitel nun die eigene empirische Untersuchung am Beispiel der Pflege in Rheinland-Pfalz vorgestellt werden. Es erfolgt zunächst eine Herleitung der forschungsleitenden Fragestellungen und Hypothesen und eine Erläuterung des methodischen Forschungskonzeptes. Dabei werden das Forschungsdesign, die eingesetzten Messinstrumente, die Daten und Methode, sowie die untersuchte Stichprobe vorgestellt. Danach folgen im Hauptteil die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse und die Überprüfung der Hypothesen. Abschließend wird auf die Probleme und Limitationen der Untersuchung eingegangen.
Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8_4. Eine frühere, vorläufige Version der Ergebnisse wurde veröffentlicht in BREINBAUER, MAREIKE; JACOB, RÜDIGER; RICHTER, NICO und KOPP, JOHANNES (2018): DIE SITUATION DER PFLEGE IN RHEINLAND-PFALZ: ERGEBNISSE EINER ONLINE-BEFRAHGUNG VON MITGLIEDERN DER LANDESPFLEGEKAMMER RHEINLAND-PFALZ. In: Ralf Münnich und Johannes Kopp (Hrsg.): Pflege an der Grenze. Entwicklungen – Fragestellungen – Herangehensweisen. SPRINGER VS, Wiesbaden.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Breinbauer, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen in der Pflege, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32021-8_4
125
126
4.1
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Fragestellung und Hypothesen
Die übergeordnete Zielsetzung dieser Arbeit lautet: Wie nehmen Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz ihren Berufsalltag und die Arbeitsbedingungen in der Pflege wahr? In Fokus steht dabei hauptsächlich die Auseinandersetzung mit der empfundenen Arbeitsbelastung, dem Burnout-Risiko, den eingesetzten und als hilfreich empfundenen Bewältigungsstrategien sowie der Arbeitszufriedenheit. Es werden sowohl Einflussfaktoren auf diese Aspekte untersucht sowie deren Auswirkungen auf Patienten- und Personal-Outcomes analysiert. Von besonderer Bedeutung sind dabei einerseits der Einfluss von individuellen Ressourcen und Motivation und andererseits Auswirkungen auf die Pflegequalität, die Verweildauer und den Gesundheitszustand der Pflegekräfte. Zudem soll das Bedingungsgefüge zwischen Arbeitsbelastung, Burnout, Coping und Arbeitszufriedenheit selbst aufgearbeitet werden. Die dazu aus der Theorie und der bisherigen Forschung abgeleiteten und zu testenden Hypothesen werden im Folgenden dargestellt. Die unterschiedliche Organisation und Struktur der Einrichtungen, die Arbeitsweise der pflegerischen Tätigkeit sowie die Unterschiede der Ausbildungs- und Arbeitsinhalte zwischen Gesundheits- und Krankenpflege und Altenpflege sowie zwischen den damit verbundenen Arbeitsbereichen, lassen ebenfalls Unterschiede in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die empfundene Arbeitsbelastung im Berufsalltag, das Burnout-Risiko und die Arbeitszufriedenheit erwarten. Die Befunde aus nationalen Studien bestätigen diese Annahme, wie in Kapitel 3 aufgezeigt. Daraus ergibt sich die erste zu testende Hypothese: H1:
Das Ausmaß an Arbeitsbelastung, Burnout und Arbeitszufriedenheit unterscheidet sich zwischen den drei Pflegebereichen
In der nationalen und internationalen Literatur zu den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsbelastung in der Pflege hat sich zudem gezeigt, dass die Höhe der subjektiv empfundenen Arbeitsbelastung der Pflegekräfte sowohl Auswirkungen auf deren eigene Gesundheit hat und damit einhergehend die Wahrscheinlichkeit erhöht, den Pflegeberuf vorzeitig zu verlassen, als auch auf die Qualität der Pflege selbst und damit zusammenhängend auf die Patienten-Outcomes. Daraus ergeben sich für die vorliegende Arbeit zwei weitere Hypothesen: H2:
Je höher die empfundene Arbeitsbelastung, desto höher das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko und das Ausmaß an Gesundheitsbeschwerden und desto eher der Wunsch, den Pflegeberuf zu verlassen.
4.1 Fragestellung und Hypothesen
H3:
127
Je höher die Arbeitsbelastung und je höher das Burnout-Risiko desto größer und häufiger sind Probleme bei der Pflege und Versorgung von Patienten und Pflegebedürftigen
Ob und wie sehr ein Ereignis oder eine Arbeitssituation als Belastung empfunden werden, hängt in großem Maße davon ab, wie sich jeder Einzelne subjektiv damit auseinandersetzt und welche Ressourcen und Möglichkeiten der Bewältigung zur Verfügung stehen. Wie gut Stress und Belastungen bei der Arbeit bewältigt werden, hat zudem Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten und womöglich auch auf die Entscheidung, den Beruf vorzeitig aufzugeben oder wechseln zu wollen. Hypothesen vier und fünf lauten demnach: H4: H5:
Zwischen dem Ausmaß an Belastungen und den eingesetzten Bewältigungsstrategien bestehen Zusammenhänge. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den eingesetzten und als hilfreich empfundenen Bewältigungsstrategien dem Burnout-Risiko, dem Gesundheitszustand und dem Wunsch, den Pflegeberuf zu verlassen
In Bezug auf die Arbeitszufriedenheit im Pflegeberuf herrscht innerhalb der Forschungsgemeinschaft weitgehender Konsens darüber, dass hauptsächlich zwischenmenschliche Faktoren in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen, individuelle Ressourcen, die Qualität der Führung sowie schwierige Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen die Arbeitszufriedenheit beeinflussen (u. a. Hayes et al. 2010; Wenderlein 2005; Schmidt et al. 2011; Schmidt et al. 2014; Buxel 2011a; Ulrich et al. 2019). Die Arbeitszufriedenheit hat zudem ebenfalls Auswirkungen auf die Personal- und Patienten-Outcomes. Daraus abgeleitet ergeben sich vier Hypothesen bezüglich der Arbeitszufriedenheit: H6: H7: H8:
H9:
Je höher die Arbeitsbelastung, desto geringer die Arbeitszufriedenheit. Individuelle Ressourcen, Führungskapital und Sozialkapital haben einen positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit. Je höher die Arbeitszufriedenheit, desto geringer das Burnout-Risiko und der Wunsch der Pflegekräfte, den Pflegeberuf zu verlassen und umso besser der subjektive Gesundheitszustand. Je höher die Arbeitszufriedenheit, desto weniger Probleme treten bei der Pflege und Versorgung von Patienten und Pflegebedürftigen auf
Abschließend soll überprüft werden, ob, wie vermutet und in anderen Studien belegt, Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung, Burnout, Coping und
128
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Arbeitszufriedenheit in der Stichprobe bestehen. Die letzte zu testende Hypothese lautet demnach: H10:
Es lassen sich Zusammenhänge zwischen der Höhe der Arbeitszufriedenheit, der empfundenen Arbeitsbelastung, des Burnout-Risikos und der als hilfreich empfundenen Coping-Strategien ausmachen
4.2
Methodisches Forschungskonzept
4.2.1
Fragebogenkonstruktion
Der Fragebogen wurde von der Autorin in Anlehnung an bereits bestehende und bewährte Erhebungsinstrumente konzipiert. Zurückgegriffen wurde dabei hauptsächlich auf Befragungen zum Arbeiten bei der Polizei an der Professur für Empirische Sozialforschung und Methodenlehre der Universität Trier in Bezug auf allgemeine Fragen zur Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und Arbeitszufriedenheit, sowie auf die Pflege-Thermometer Befragungen des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung in Bezug auf die Arbeitssituation im Pflegeberuf. Zum Teil wurden bestehende Items übernommen (u. a. aus Isfort et al. 2010; Buxel 2011a; Jacob und Becker 2014) und lediglich Formulierungen entsprechend angepasst und zum Teil eigene Fragen formuliert. Um das Erhebungsinstrument zu testen und zu validieren wurde im Juni und August 2016 eine Pretest-Studie in einem Krankenhaus der Maximalversorgung durchgeführt (N = 156)1 . Getestet wurde hauptsächlich auf Verständlichkeit und Logik der Fragen, Konsistenz und Kohärenz des Fragebogenaufbaus und der Befragungsdauer. Zusätzlich dazu fanden so genannte Expertenpretests mit Sozialforschern, einer Pflegewissenschaftlerin und Pflegefachkraft sowie einer Vertreterin der Landespflegekammer statt, aus denen einige Modifikationen und Ergänzungen des ursprünglichen Erhebungsinstruments resultierten. Der finale Fragebogen2 umfasste insgesamt 76 Fragen zu verschiedenen Themenfeldern. Die Themenbereiche sind dabei nur grob abgesteckt. Aufgrund der Sensitivität einiger Fragen und um Reihenfolgeeffekte zu vermeiden wurden thematisch passende Fragen zum Teil in anderen Bereichen abgefragt. Einleitend wurden Fragen zum Arbeitsbereich (Akutpflege, stationäre/teilstationäre Pflege, ambulante Pflege) und der Einrichtung gestellt, in 1 Der 2 Der
Fragebogen mit Randauszählungen findet sich im Anhang. Fragebogen und das Anschreiben sind im Anhang dokumentiert.
4.2 Methodisches Forschungskonzept
129
denen die Pflegekräfte tätig sind. Danach folgten Fragen zur pflegerischen Qualifikation, Aus- und Weiterbildung, sowie zur Position und zu den Aufgaben der Befragten in der Pflege. Das erste inhaltliche Themengebiet beinhaltet Fragen zum Arbeitsumfang, dem Arbeitszeitmodell, der Personalausstattung, der Dauer der pflegerischen Tätigkeit und zu Unterbrechungszeiten. Es folgen Fragen zum Zusammenhalt im Team und unter den Kolleg*innen, sowie zum Betriebsklima. Der nächste Themenbereich setzt sich mit den Entscheidungen zur Berufswahl auseinander. Es wurde zunächst gefragt, welche Aspekte den Pflegekräften bei der Entscheidung für den Pflegeberuf wichtig waren. Anschließend sollten die Befragten angeben, ob sie sich noch einmal für eine Tätigkeit in der Pflege entscheiden würden, wenn sie heute die Wahlmöglichkeit hätten. In den zwei folgenden offenen Filterfragen wurde dann nach den Umständen gefragt, unter denen sich die Befragten noch einmal für den Pflegeberuf entscheiden würden oder nach den Gründen, warum sie sich gegen den Pflegeberuf entschieden hätten. Der daran anschließende große Fragenkomplex beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen, dem Zeitdruck und den Problemen bei der Versorgung und Pflege. Die einleitende Frage aus diesem Komplex stammt aus der Pflege-Thermometer Befragung und fragt nach Einschätzungen von Aspekten der pflegerischen Tätigkeit. Die Befragten sollten danach angeben, wie viele Patienten, Klienten und Pflegebedürftige sie im Durchschnitt während einer Schicht betreuen und versorgen. Pflegekräfte aus der ambulanten Pflege sollten zudem angeben, wie viele Kilometer mit dem PKW sie an einem typischen Arbeitstag durchschnittlich während einer Schicht zurücklegen. Die folgenden Fragen zu Sonderschichten, Überstunden und Pausen-Einhaltung wurden wieder an alle Pflegekräfte gestellt. Wiederum differenziert nach Pflegebereichen erfolgt die Abfrage der zur Verfügung stehenden Zeit für verschiedene pflegerische Tätigkeiten, die Einschätzungen bezüglich der pflegerischen Patientenversorgung, sowie die Bewertung möglicher Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung. In einer offenen Frage wurden anschließen alle Befragten gebeten anzugeben, was ihrer Meinung nach ein angemessenes Monatsnettoeinkommen für eine examinierte Pflegekraft mit fünf Jahren Berufserfahrung sei. Danach sollten sie die Wichtigkeit von verschiedenen Aspekten ihrer derzeitigen Berufstätigkeit in der Pflege bewerten. Die Abschließende Frage zu diesem Themenblock ist eine Selbsteinschätzung zum eigenen Burnout-Risiko der Befragten, in Anlehnung an das MBI. Der nächste Themenbereich setzt sich mit Fragen zur Arbeitszufriedenheit und der Wechselbereitschaft auseinander. Neben einer direkten Frage zur Arbeitsplatzzufriedenheit sollten die Befragten ebenfalls angeben, ob sie ihre Pflegeeinrichtung als Arbeitgeber weiterempfehlen würden und ob sie sich wieder bei diesem Arbeitgeber bewerben würden. Es wurde zudem, differenziert nach
130
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Pflegebereichen, gefragt, ob die Befragten sich vorstellen können ihren Job zu wechseln und zukünftig in einem anderen Pflegebereich, in der berufsbezogenen Schule/Lehre/Ausbildung, einem anderen gesundheitsbezogenen Bereich, einem pflegefremden Bereich oder gar nicht mehr zu arbeiten. Der darauffolgende Themenbereich beinhaltet Fragen zu Belastungs- und Stressfaktoren bei der Arbeit, Bewältigungsstrategien, dem Gesundheitszustand der Pflegekräfte sowie zur Berufsverweildauer und dem möglichen Berufsausstieg aus der Pflege. Abschließend wird nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit gefragt. Es folgen Fragen zu Entwicklungen und Zukunft der Pflege. Dabei wurden auch die Aspekte der Akademisierung und der Generalisierung aufgegriffen und nach deren Stellenwert innerhalb der Pflege gefragt. Als letzter Themenblock wurden schließlich Fragen zur Arbeit der Landespflegekammer gestellt. Ausgewählte Fragen zur Demografie schließen den Fragebogen letztlich ab. Die überwiegende Mehrheit der Fragen wurde als standardisierte, geschlossene Fragen operationalisiert. Darüber hinaus gab es aber auch einige offene Fragen, bei denen die Teilnehmer frei Kommentare abgeben konnten. Die Beantwortung der Fragen war in jedem Fall freiwillig, die Befragten konnten jederzeit Fragen überspringen, unbeantwortet lassen oder den Fragebogen verlassen. Es wurde keine Forced-Choice Fragen eingesetzt.
4.2.2
Forschungsdesign und Durchführung der Erhebung
Um das Ziel zu erreichen, die aktuelle Situation der Pflegekräfte in RheinlandPfalz abzubilden, wurde für die Untersuchung ein vorwiegend quantitatives Querschnittdesign gewählt, welches in Form einer onlinegestützten Fragebogenerhebung realisiert wurde. Es handelt sich zudem um die erste größere Befragung dieser Art unter den Mitgliedern der zu Beginn 2016 neu gegründeten Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Es würde sich allerdings anbieten, die Befragung in regelmäßigen Abständen zu wiederholen, um auch Trendaussagen zu der Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der Belastungen in der Pflege treffen zu können. Ein solches Vorgehen würde den Rahmen dieser Qualifikationsarbeit überschreiten, wäre jedoch für zukünftige Forschungsvorhaben durchaus interessant. Zusätzlich zu den quantitativ generierten Daten wurden zudem kurze Experteninterviews3 mit drei qualifizierten Pflegekräften aus dem Akutpflegebereich 3 Die
Kurzinterviews wurden im Anschluss an eigentliche Interviews im Rahmen des Interreg Projektes APPS zu dem Thema Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen geführt,
4.2 Methodisches Forschungskonzept
131
geführt sowie die Antworten aus den offenen Fragen des Fragebogens aufbereitet. Diese qualitativen Daten werden in der vorliegenden Arbeit aufgrund der geringen Fallzahlen und der Fokussierung auf den Akutpflegebereich allerdings lediglich in Form von Zitaten als Unterstützung der quantitativen Ergebnisse angeführt. Es erfolgt keine detaillierte Analyse oder Interpretation der qualitativen Daten. Um möglichst viele Pflegekräfte schnell und kostengünstig zu erreichen, wurde die quantitative Befragung als Online-Erhebung konzipiert. Zielgruppe der Befragung waren alle Mitglieder der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, nach eigenen Angaben rund 40.000 Pflegekräfte. Grundsätzlich geplant war damit eine Vollerhebung. Der Link zur Befragung wurde über die Landespflegekammer per E-Mail an die Teilnehmer*innen gesendet. Dazu wurde zum einen mehrmals das Mitgliedermailing4 genutzt, welches die Mitglieder zweimal pro Monat über berufsrelevante Entwicklungen informiert, und zum anderen Multiplikatorenverteiler, die nach dem Schneeballprinzip funktionieren. Da nicht alle Mitglieder der Landespflegekammer automatisch am Mitgliedermailing teilnehmen, sondern sich erst vorher mit ihrer E-Mail-Adresse dazu anmelden müssen, ist nicht bekannt, wie viele Personen die Umfrage insgesamt erreicht hat. Zudem wurden die Pflegekräfte nicht direkt angeschrieben, sondern der Hinweis und Link zur Befragung war lediglich in das als Newsletter angelegte Mitgliedermailing neben anderen Informationen eingebettet. Hier muss kritisch angemerkt werden, dass aufgrund dieser Problematik bei der Rekrutierung nur eine sehr geringe Teilnahmequote erreicht werden konnte (siehe ausführlicher dazu Abschnitt 4.6). Darüber hinaus muss bei der Interpretation der Ergebnisse bedacht werden, dass diese, aufgrund der methodischen Vorgehensweise, keiner Zufallsauswahl entstammen. Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse sind rein deskriptiv zu verstehen und Generalisierungen bleiben theoretischer Natur. Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und es wurden keine Incentives eingesetzt. Der Datenschutz und die Anonymität der Befragten waren jederzeit sichergestellt. Es wurden keine Daten erhoben, die Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich machen würden. Der Fragebogen war vom 04.11.2016 bis zum 28.02.2017 im Feld. Insgesamt haben sich 788 Personen an der Befragung beteiligt. Davon haben 547 Teilnehmer den Fragebogen komplett beendet und 241 an irgendeiner Stelle unterbrochen. Die mittlere Bearbeitungszeit lag bei rund 30 Minuten. daher wurden nur Akutpflegekräfte befragt. Die Teilnahmebereitschaft war zudem sehr gering. 4 Erstes Mitgliedermailing am 04.11.2016, zweites Mitgliedermailing am 09.12.2016 und drittes Mitgliedermailing am 22.12.2016.
132
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Für die Datenanalyse wurden die Personen ausgescreent, die bereits zu Beginn des Fragebogens die Umfrage verlassen haben und weniger als 50 Prozent der Fragen beantwortet haben. Insgesamt bleiben 674 auswertbare Datensätze aus der Haupterhebung und 156 Datensätze aus der Vorabstudie, die in die Analyse einfließen. Das Gesamtsample umfasst 830 Personen. Die Fragen wurden jedoch teilweise sehr selektiv beantwortet, sodass die Prozentuierungsbasis deutlichen Schwankungen unterliegt. Für die Datenerfassung wurde die Online-Befragungssoftware „EFS-Survey“ der Firma QuestBack verwendet.
4.2.3
Messinstrumente, Variablen und Indizes
Arbeitsbelastung Aspekte und Faktoren der Arbeitsbelastung wurden auf verschiedene Weise in der Erhebung gemessen. Es wurde zum einen direkt nach Belastungsfaktoren gefragt, die auf einer Skala von 1 (keine Belastung) bis 5 (große Belastung) eingeschätzt werden sollten, und zum anderen wurde die Belastung indirekt über verschiedene Indikatoren erhoben. Zur weiteren Datenanalyse wurde aus den 12 direkten Belastungsfaktoren, die in Tabelle 4.1 dokumentiert sind, ein Summenindex gebildet, der Auskunft über das Ausmaß der Gesamtbelastung der Befragten geben soll. Der Index reicht theoretisch von 1 bis 605 . Zur besseren Darstellung und Vergleichbarkeit wurde der Index auf Werte zwischen 0 (keine Belastung) und 100 (sehr große Belastung) standardisiert.
5 Es
wurden die Werte aller Items aufsummiert, auch wenn bei einigen Items fehlende Werte enthalten waren. So ergibt sich der Minimalwert des Indizes von 1.
4.2 Methodisches Forschungskonzept
133
Tabelle 4.1 Direkte Belastungsfaktoren Belastungsfaktoren (Skala: 1–5, keine Belastung – große Belastung) Schwere körperliche Arbeit (z. B. Heben, Tragen, Umlagern von Patienten) Konfrontation mit leidvollen Situationen Konfrontation mit Sterben und Tod Umgang mit Angehörigen Fehlende Wertschätzung und Anerkennung der Tätigkeit meiner Arbeit Zeitdruck und Arbeitsverdichtung Karriereperspektiven Schichtdienst Überstunden Konflikte zwischen Kolleg*innen Konflikte mit Vorgesetzten Konflikte mit Angehörigen anderer Berufsgruppen (z. B. Ärzte)
Weitere Variablen, die Auskunft über die Höhe und das Ausmaß an Arbeitsbelastung der Pflegekräfte geben und die in die Datenanalyse einfließen sind in Tabelle 4.2 dokumentiert. Tabelle 4.2 Weitere Variablen zur Arbeitsbelastung Variable
Skala
Bewertung Arbeitszeitmodell
1–6
Ausreichende Personalausstattung
1–2
ja, nein
Häufigkeit von Sonderschichten und Einspringen für Kolleg*innen
1–5
immer – nie
Schulnoten
Möglichkeit der Einhaltung von Pausen
1–4
ja, voll und ganz – nein ganz und gar nicht
Angemessene Bezahlung
1–4
trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu
Möglichkeit des zeitnahem Abbaus von Überstunden
1–4
trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu
Zur Verfügung stehende Zeit für verschiedene pflegerische Tätigkeiten
1–3
dafür steht genügend Zeit zur Verfügung, dafür steht zu wenig Zeit zur Verfügung, kostet im Vergleich zu anderen Tätigkeiten zu viel Zeit
Durchschnittliche Anzahl an Patienten/Klienten/Pflegebedürftigen pro Schicht
offene Frage
134
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Burnout Um zu messen, wie hoch das Burnout-Risiko unter den befragten Pflegekräften ist, wurde ein Messinstrument in Anlehnung an das Maslach-Burnout-Inventar eingesetzt. Die entsprechenden Items sind in Tabelle 4.3 aufgeführt. Insgesamt wurden acht Aussagen vorgegeben, die auf einer Skala von 1 (trifft fast nie zu) bis 5 (trifft fast immer zu) eingeschätzt werden sollten. Jede Aussage kann somit zwischen 1 und 5 Punkten erhalten. Tabelle 4.3 Burnout Selbsteinschätzung Durch meine Arbeit muss ich auf private Kontakte und Freizeitaktivitäten verzichten Ich fühle mich machtlos, meine Arbeitssituation zu verändern Ich bekomme zu wenig Anerkennung, für das, was ich leiste Ich bin oft krank Ich schlafe schlecht Ich handle manchmal so, als wäre ich eine Maschine. Ich bin mir selbst fremd Ich bin unruhig, reizbar und unausgeglichen Ich kann schlecht abschalten und mich nur ungenügend entspannen
Um das selbst eingeschätzte Burnout Risiko zu bestimmen, werden die Punkte aller Aussagen summiert. Das Ergebnis ist ein Summenscore mit den theoretischen Ausprägungen 1 bis 40. Auch hier wurden zwecks Vergleichbarkeit die Werte auf einen Bereich von 0–100 standardisiert. Angelehnt an das MBI zählen weniger als 30 Prozent der Punkte als geringes Burnout Risiko, zwischen 30 und 60 Prozent als mittleres Risiko und über 60 Prozent als hohes Burnout Risiko. Arbeitszufriedenheit Die Arbeitszufriedenheit wurde in der Untersuchung sowohl direkt als auch indirekt abgefragt. Es wurde zum einen direkt nach der Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz gefragt und zum anderen danach, ob die Befragten Pflegekräfte ihre Pflegeeinrichtung bzw. ihr Krankenhaus als Arbeitgeber weiterempfehlen würden und ob sie sich noch einmal bei dem Arbeitgeber bewerben würden. Ein weiterer Aspekt der Arbeitszufriedenheit wurde über das Betriebsklima gemessen, welches auf einer Schulnotenskala bewertet werden sollte. Die in Tabelle 4.4 noch einmal zusammengefassten Variablen zur Arbeitszufriedenheit wurden für die Datenanalyse zu einem Gesamtindex aufsummiert.
4.2 Methodisches Forschungskonzept
135
Tabelle 4.4 Variablen zur Arbeitszufriedenheit Variable
Skala
Arbeitsplatzzufriedenheit insgesamt
1–4
sehr zufrieden – sehr unzufrieden
Weiterempfehlung der Pflegeeinrichtung oder des Krankenhauses als Arbeitgeber
1–4
ja, auf jeden Fall – nein, auf keinen Fall
Wiederbewerbung bei der Pflegeeinrichtung oder dem Krankenhaus
1–4
ja, auf jeden Fall – nein, auf keinen Fall
Bewertung Betriebsklima
1–4
Sehr gut – schlecht
Um statistisch zu überprüfen, ob die zusammengefassten Items überhaupt dasselbe Konstrukt, in diesem Fall die Arbeitszufriedenheit, messen, wurde zunächst die interne Reliabilität mit Hilfe von Cronbachs Alpha getestet. Wie sich zeigt, ist die interne Konsistenz hoch, mit Cronbachs Alpha = .84. Der nun gebildete Summenscore, der theoretisch Werte zwischen 1 (hohe Zufriedenheit) und 16 (niedrige Zufriedenheit) aufweist, wurde entsprechend umcodiert, sodass hohe Werte einer hohen Zufriedenheit entsprechen, und ebenfalls auf Werte zwischen 0 (überhaupt nicht zufrieden) und 100 (sehr zufrieden) standardisiert. Bewältigungsstrategien Es wurden insgesamt 11 Möglichkeiten der Stress- und Belastungsbewältigung vorgegeben, bei denen die Befragten angeben sollten, ob sie diese schon einmal genutzt haben und wie hilfreich die jeweiligen Maßnahmen empfunden wurden. Zudem konnten die Pflegekräfte auch angeben, wenn Maßnahmen nicht angeboten werden bzw. nicht zur Verfügung stehen (Tabelle 4.5).
136
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.5 Bewältigungsstrategien Bewältigungsmaßnahmen (Skala: 1–4, sehr hilfreich – nicht hilfreich, 5 nutze ich nicht, 6 wird nicht angeboten) Gespräche mit Kolleg*innen Gespräche mit Vorgesetzten Gespräche mit (Ehe-)Partner Gespräche mit Freunden Gespräche mit Familie Sport Sozialer Ansprechpartner/Sozialberater Seelsorge Autogenes Training Seminare zur Stressbewältigung Supervision
Auch hier wurden Summenindizes gebildet, einmal um die Anzahl an genutzten Maßnahmen zu messen und einmal, um darzustellen, wie hilfreich die insgesamt genutzten Maßnahmen sind. Der erste Index reicht theoretisch von 0 bis 11, der zweite von 1 bis 44. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde der zweite Index, wie die anderen Indizes, auf Werte zwischen 0 (Maßnahmen sind nicht hilfreich) und 100 (Maßnahmen sind sehr hilfreich) standardisiert.
4.2.4
Datenanalyse
Bei der quantitativen Datenauswertung wurden zur Untersuchung von linearen Zusammenhängen Chi-Quadrat-Tests nach Pearson durchgeführt, sowie chiquadratbasierte Kontingenzkoeffizienten (Phi, Cramer’s V) und Koeffizienten auf der Basis des Paarvergleichs (Gamma) verwendet, um Effektstärken zu messen. Zudem kamen Mittelwertvergleiche und einfaktorielle Varianzanalysen zum Einsatz (T- und F-Tests). Um zu untersuchen, zwischen welchen Gruppen signifikante Mittelwertunterschiede bestehen, wurden ferner Post-Hoc-Tests (Scheffé) verwendet. Zur Dimensionsreduktion und Verdichtung der Daten wurden explorative Faktorenanalysen, genauer Hauptkomponentenanalysen mit Varimax-Rotation, durchgeführt. Um schließlich den Einfluss von verschiedenen Prädikatoren auf
4.2 Methodisches Forschungskonzept
137
das Ausmaß der Arbeitsbelastung, das Burnout-Risiko, die höher der Arbeitszufriedenheit, den Einsatz an Bewältigungsstrategien, die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Berufsausstiegs und Probleme bei der Patientenversorgung zu testen, kamen ferner multiple lineare Regressionsanalysen sowie binäre logistische Regressionsanalysen zum Einsatz. Die Datenanalyse erfolgte mit der Statistik- und Analysesoftware IBM SPSS Statistics, Version 26. Die Prozentangaben in den Tabellen beziehen sich auf die Spaltenprozente. In den Abbildungen wurden die Prozentangaben zwecks Übersicht und besserer Lesbarkeit gerundet.
4.2.5
Stichprobe
Die Stichprobe setzt sich insgesamt aus N = 830 Pflegekräften zusammen, 674 Pflegekräfte aus der Hauptbefragung und 156 aus der Vorstudie. In Tabelle 4.6 sind die Daten zur sozialstrukturellen Zusammensetzung der Stichproben ausgewiesen. Bezogen auf die Geschlechterverteilung zeigt sich ein konsistentes Bild. Berufe im Gesundheitswesen sind allgemein überwiegend weiblich geprägt, was sich auch in der Stichprobe bewahrheitet. Rund 75 Prozent der befragten Pflegekräfte sind weiblich. Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet ist der Frauenanteil in der Pflege laut Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes sogar noch höher. Ende 2015 lag er bei rund 82 Prozent (Statistisches Bundesamt 2017). Tabelle 4.6 Sozialstrukturelle Merkmale der Stichprobe n
Prozent
Weiblich
467
74,8
Männlich
157
25,2
Feste Partnerschaft
454
80,9
Single
107
19,1
95
15,2
Geschlecht
Partnerschaft
Alter 20 bis 29 Jahre
(Fortsetzung)
138
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.6 (Fortsetzung) n
Prozent
30 bis 39 Jahre
126
20,2
40 bis 49 Jahre
141
22,6
50 bis 59 Jahre
213
34,2
48
7,7
60 Jahre und älter Ø
44,3 Jahre
Schulbildung Hauptschulabschluss
21
3,4
Mittlere Reife
298
48,7
(Fach-)Hochschulreife
293
47,9
583
71,0
Berufliche Qualifikation Gesundheits- und Krankenpflege Gesundheits- und Kinderkrankenpflege
69
8,4
Altenpflege
91
11,1
Pflegestudium
75
9,0
552
71,4
Arbeitsbereich Akutpflege Ambulante Pflege Stationäre/ teilstationäre Pflege
70
9,1
151
19,5
Funktion Direkte Pflege
448
58,6
Leitungsfunktion
182
23,8
Sonstige Funktion in der Pflege
134
17,5
Vollzeit
460
60,3
Teilzeit
303
39,7
Pflege insgesamt
751
Ø 23,8 Jahre
Aktueller Arbeitgeber
757
Ø 15,3 Jahre
Beschäftigungsumfang
Beschäftigungsdauer
Was die Verteilung nach den drei Pflegebereichen betrifft, so ist die Akutpflege in der Stichprobe deutlich überrepräsentiert. Rund 71 Prozent der Befragten arbeiten in diesem Pflegebereich. In der ambulanten Pflege sind es dagegen nur rund
4.2 Methodisches Forschungskonzept
139
9 Prozent. Das liegt zum einen daran, dass die Ergebnisse der Pretest-Erhebung aus einem Krankenhaus in die Analyse mit einbezogen wurden und zum anderen wahrscheinlich daran, dass die Organisation der Verteilung der Befragungslinks in Krankenhäusern mitunter einfacher zu handhaben ist als beispielsweise in ambulanten Pflegediensten. Zudem ist, wie bereits erläutert, nicht bekannt, wie viele Pflegekräfte aus welchen Pflegebereichen und Pflegeeinrichtungen die Befragung überhaupt erreicht hat. Differenziert nach Geschlecht zeigt sich, dass Männer hauptsächlich in der Akutpflege (82 Prozent) tätig sind und in der ambulanten Pflege (1,3 Prozent) kaum vertreten sind (Sig.: ,000, Cramer’s V: ,173). Das Alter der Befragten schwankt zwischen 20 und 69 Jahren, das Durchschnittsalter beträgt 44 Jahre, der Median 47 und der Modus 52 Jahre. Die Pflegekräfte in der ambulanten Pflege (Ø 49 Jahre) sind im Durchschnitt rund 5 Jahre älter als ihrer Kolleginnen in der Akutpflege (Ø 43 Jahre). Die Mittelwertdifferenz ist hochsignifikant (Scheffé: ,004). Das Durchschnittsalter in der stationären und teilstationären Pflege beträgt 45 Jahre. Fast alle Befragten (98 Prozent) haben die deutsche Staatsbürgerschaft und wohnen überwiegend in Rheinland-Pfalz (91 Prozent). Die überwiegende Mehrheit der Befragten Pflegekräfte (80,9 Prozent) befindet sich zudem in einer festen Partnerschaft. In Bezug auf die Schulbildung sind keine großen Auffälligkeiten zu beobachten. Knapp 49 Prozent der Befragten haben die Schule mit der Mittleren Reife oder einem vergleichbaren Abschluss beendet, rund 27 Prozent mit Fachhochschulreife und knapp 21 Prozent sogar mit Abitur. Aussagekräftige signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern, den Altersgruppen oder den Pflegebereichen sind bezüglich des Bildungsniveaus nicht auszumachen. Was die Ausbildung und Qualifikation betrifft, so haben 71 Prozent der Befragten eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege absolviert. Eine Ausbildung in der Altenpflege haben nur rund 11 Prozent der Befragten Pflegefachpersonen und 10 Prozent haben ein Studium mit Pflegeschwerpunkt absolviert. Rund 8 Prozent sind ausgebildete Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen. Knapp 77 Prozent haben bereits eine Weiterbildung in der Pflege absolviert oder möchten gerne eine Weiterbildung absolvieren. Die mit Abstand beliebtesten Weiterbildungen sind Praxisanleitung, Wohnbereichs- oder Stationsleitung sowie die Anästhesie- und Intensivpflege. Was die Funktion in der Pflege angeht, so sind die meisten der befragten Pflegekräfte in der direkten Pflege tätig. Knapp 24 Prozent haben eine Leitungsfunktion.
140
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Im Durchschnitt sind die Befragten seit rund 24 Jahren in der Pflege tätig und seit 15 Jahren bei ihrem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt. Beschäftigte in der Akutpflege (Ø 17 Jahre) sind im Vergleich zu den anderen Pflegebereichen (Ø 12 Jahre) etwas länger bei ihrem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt. Die Mittelwertdifferenzen sind hochsignifikant (Scheffé: ,003/.000). Fast alle Befragten (95 Prozent) haben eine unbefristete Beschäftigung und die Mehrheit ist Vollzeit beschäftigt. Wie zu erwarten sind Frauen (47,6 Prozent) jedoch deutlich häufiger nur in Teilzeit beschäftigt als ihre männlichen Kollegen (10,9 Prozent). Zwischen den einzelnen Arbeitsbereichen zeigen sich dagegen keine signifikanten Unterschiede.
4.3
Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
Im Folgenden werden die deskriptiven Ergebnisse der Untersuchung dargestellt und aufgezeigt, ob signifikante Unterschiede in Abhängigkeit von Personenmerkmalen (Geschlecht, Alter, Pflegebereich, Berufserfahrung) bestehen. Es werden dabei nur hochsignifikante Unterschiede auf dem Alphaniveau von 1 Prozent ausgewiesen.
4.3.1
Entscheidungen zur Berufswahl und Motivation
Bevor konkret auf die Arbeitsbedingungen und Belastungen im Berufsalltag der Pflegekräfte eingegangen wird, geht es zunächst um die Fragen, warum sich die Befragten überhaupt für einen Pflegeberuf entschieden haben und welche Aspekte ihnen in ihrer derzeitigen Berufstätigkeit in der Pflege besonders wichtig sind. Dafür sollten die Pflegekräfte anfangs auf einer Skala von „sehr wichtig“ bis „überhaupt nicht wichtig“ angeben, wie wichtig ihnen bestimmte Aspekte konkret bei der Ausbildungswahl waren. Es wurde eine Liste mit neun Items vorgegeben. Aufgrund geringer Fallzahlen in den letzten beiden Ausprägungen wurden die Antworten „weniger wichtig“ und „überhaupt nicht wichtig“ zusammengefasst. In Tabelle 4.7 sind die Ergebnisse absteigend nach Wichtigkeit der Berufswahlaspekte dargestellt.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
141
Tabelle 4.7 Entscheidungen zur Berufswahl (in Prozent) N Die Arbeit in einem sozialen Beruf in Kontakt mit Menschen
Sehr wichtig Wichtig Weniger wichtig/überhaupt nicht wichtig
745 60,4
35,3
4,3
In einem 741 52,8 abwechslungsreichen Beruf arbeiten
41,0
6,2
Einen verantwortungsvollen 739 50,5 Beruf ausüben
41,1
8,4
Für kranke/alte und pflegebedürftige Menschen eine Hilfe sein
734 44,1
45,0
10,9
Aussicht auf einen sicheren 737 44,0 Arbeitsplatz
38,0
18,0
Einen Beruf ausüben, der 738 41,2 eine hohe Selbstständigkeit erfordert
43,4
15,4
Der medizinische Aspekt dieser Arbeit
738 41,1
48,8
10,2
Die Arbeit in einem Team
739 33,2
49,0
17,9
Einen für die Gesellschaft wichtigen Beruf ausüben
734 19,3
35,7
45,0
Am wichtigsten war für die meisten Befragten der soziale Aspekt der pflegerischen Tätigkeit mit direktem Kontakt zu anderen Menschen. Ebenfalls sehr wichtig waren der Mehrheit der Abwechslungsreichtum des Berufsfeldes sowie die Tatsache, dass es sich bei der Pflege um einen sehr verantwortungsvollen Beruf handelt. Eine weniger wichtige Rolle scheint dagegen die gesellschaftliche Bedeutung des Pflegeberufs bei der Ausbildungswahl gespielt zu haben. Für 45 Prozent war dieser Aspekt unwichtig. Die Ergebnisse decken sich weitestgehend mit Ergebnissen anderer nationaler Studien, grade im Hinblick auf die besondere Bedeutung prosozialer Motive bei der Entscheidung für den Pflegeberuf (u. a. Bomball et al. 2010b; Golombek und Fleßa 2011). Der Helferaspekt war auch bei den drei interviewten Akutpflegekräften das leitende Motiv bei der Berufswahl. Zudem spielten ferner christliche Werte sowie der medizinische Aspekt der pflegerischen Tätigkeit eine entscheidende Rolle. Exemplarisch dazu ein Interviewauszug:
142
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
„Ich habe das damals aus, sage ich mal, ganz frommen Wünschen getan. Also christlicher Glaube war mir immer total wichtig und ich wollte etwas Gutes machen. Als ich so ungefähr 13–14 war habe ich immer gesagt ‚Ich geh nach Afrika in die Mission!‘. Das hat jetzt nicht ganz geklappt, aber ich sag mal dieses helfen, das fand ich immer eigentlich total wichtig und Medizin hat mich auch interessiert, mein Vater war Zahnarzt. Vielleicht war das einfach so die Verbindung dazu.“ Akutpflegekraft, 25 Jahre Berufserfahrung
In Abhängigkeit von Personenmerkmalen zeigen sich nur hinsichtlich einiger Berufswahlmotive signifikante Unterschiede (Tabelle 4.8). Tabelle 4.8 Wichtigkeit des sozialen Aspektes als Berufswahlmotiv nach Geschlecht (in Prozent) Frauen
Männer
Gesamt
Sehr wichtig
67,0
42,9
60,9
Wichtig
34,7
28,6
52,6
Weniger wichtig/überhaupt nicht wichtig
4,3
4,5
4,4
Gesamt
461
156
617
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,222
So war beispielsweise die Arbeit in einem sozialen Beruf bei der Berufswahl für Frauen noch wichtiger als für Männer, auf einem insgesamt sehr hohen Niveau. Hochsignifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen finden sich nur in Bezug auf den Abwechslungsreichtum der pflegerischen Tätigkeit. Dieser wird von den Akutpflegekräften, ebenfalls auf sehr hohem Niveau, als noch wichtigeres Berufswahlmotiv empfunden, im Vergleich zu den Beschäftigten in den anderen beiden Pflegebereichen (Tabelle 4.9). Tabelle 4.9 Wichtigkeit des Abwechslungsreichtums als Berufswahlmotiv nach Pflegebereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Sehr wichtig
56,3
46,6
41,8
53,0
Wichtig
39,3
44,5
43,3
40,7
Weniger wichtig/überhaupt nicht wichtig
4,4
8,9
14,9
6,3
Gesamt
517
146
67
730
Sig.: ,002, Cramer’s V: ,108
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
143
Einen Wandel der Berufswahlmotive über die Zeit, gemessen an der Berufserfahrung der befragten Pflegekräfte, zeigt sich lediglich hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit (Tabelle 4.10).
Tabelle 4.10 Wichtigkeit der Arbeitsplatzsicherheit als Berufswahlmotiv nach Berufsjahren (in Prozent) 1–5
6–10 11–15 16–25 26–35 35+
Gesamt
Sehr wichtig
63,9 54,2
56,8
41,4
38,1
35,0 44,1
Wichtig
33,3 34,6
26,1
36,2
41,0
45,3 37,7
Weniger wichtig/überhaupt nicht wichtig
2,9 11,2
17,0
22,4
21,0
19,7 18,2
Gesamt
36
88
152
210
137
107
730
Sig.: ,001, Gamma: ,192
Die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz als Entscheidung für den Pflegeberuf war für die Pflegekräfte mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung am wichtigsten. Mit zunehmenden Berufsjahren nimmt die Wichtigkeit der Arbeitsplatzsicherheit ab. Bei den Pflegekräften, die länger als 35 Jahre im Beruf sind, war die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz zur Zeit der Berufswahl weniger wichtig. Nach Abfrage der Motivation vor Beginn der Pflegeausbildung wurde ferner nach der Situation der (zur Zeit der Befragung) aktuellen Berufstätigkeit in der Pflege gefragt. Es wurde dabei eine Liste von 11 Aspekten der Berufstätigkeit vorgegeben, welche die Pflegekräfte auf einer Skala von „sehr wichtig“ bis „überhaupt nicht wichtig“ bewerten sollten (Tabelle 4.11).
144
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.11 Wichtigkeit von Aspekten der Berufstätigkeit (in Prozent) N
Sehr wichtig
Wichtig
649
83,5
16,3
0,2
/
Vereinbarkeit von Familie und 655 Beruf
73,9
22,7
2,7
0,6
Umfangreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
651
58,2
37,9
3,7
0,2
Größere Entscheidungsspielräume der Pflegekräfte
648
55,7
39,0
4,9
0,3
Flexible Schichtmodelle
Angenehmes Betriebsklima
Weniger wichtig
Überhaupt nicht wichtig
642
53,7
35,8
7,9
2,5
Mehr Kompetenzen der Pflege 646 in der Diagnostik
42,0
37,0
19,7
1,4
Aufstiegsmöglichkeiten
646
40,9
40,6
17,0
1,5
Teilzeitarbeit
646
39,2
35,9
17,2
7,7
Kinderbetreuungsangebote
642
37,5
25,4
17,1
19,9
Flache Hierarchien
622
36,2
41,5
19,1
3,2
Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements
650
32,6
37,4
24,6
5,4
Zur besseren Darstellung und weiteren Analyse wurden die 11 Items mit Hilfe einer exploratorischen Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse) analysiert und verdichtet. Mit dieser Analyse können die den Fragen zugrunde liegenden latenten Variablen, die sogenannten Faktoren, identifiziert werden. Wenn Items zu einem Faktor gehören und eine bestimmte Einstellung repräsentieren, dann sollten sie auf den jeweiligen Faktor laden, also hoch mit ihm korrelieren und Werte nahe bei 1 oder −1 erreichen. Durch die Analyse wurden insgesamt vier Faktoren extrahiert: „Familienfreundlichkeit“, „Kompetenzerweiterung“, „Karriereperspektiven“ und „Betriebsklima“. Die Faktoren und dazugehörigen Faktorladungen der Items sind in Tabelle 4.12 dokumentiert.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
145
Tabelle 4.12 Wichtigkeit von Aspekten der Berufstätigkeit, Faktoren und Faktorladungen Faktor 1 Familienfreundlichkeit Teilzeitarbeit
Faktor 2 Kompetenzerweiterung
Faktor 3 Karriereperspektiven
Faktor 4 Betriebsklima
,741
Kinderbetreuungsangebote
,724
Flexible Schichtmodelle
,704
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
,650
Größere Entscheidungsspielräume der Pflegekräfte
,821
Mehr Kompetenzen der Pflege in der Diagnostik
,727
Aufstiegsmöglichkeiten
,771
Umfangreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
,763
Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements
,520
Angenehmes Betriebsklima
,805
Flache Hierarchien
,552
Hauptkomponentenanalyse, Varimax Rotation, KMO: ,736, Sig. Bartlett: ,000 (Der Bartlett-Test auf Sphärizität prüft die Nullhypothese, dass die Werte der Korrelationskoeffizienten in der Grundgesamtheit gleich 0 sind und kein Zusammenhang zwischen den Items besteht. Das KaiserMeyer-Olkin-Kriterium (KMO) gibt an, wie gut die Korrelationsmatrix für eine Faktorenanalyse geeignet ist. Es kann Werte von 0 bis 1 annehmen, wobei 0 eine Nichteignung anzeigt und Werte ab 0,5 als brauchbar für eine Faktorenanalyse gelten Backhaus et al. 2008, S. 323–387.)
Für die weitere Auswertung wurden jeweils die Ausprägungen (1 „sehr wichtig“ bis 4 „überhaupt nicht wichtig“) der zu einem Faktor gehörenden Items aufsummiert, durch die Zahl der Items geteilt und gerundet. Die so konstruierten Faktoren haben die gleichen Ausprägungen wie die einzelnen Items, geben allerdings im Vergleich zu den Einzelmessungen verdichtete Informationen wieder, die sich besser zur weiteren Analyse eignen. Auch hier wurden aufgrund geringer Fallzahlen in den letzten beiden Ausprägungen die Antworten „weniger wichtig“ und „überhaupt nicht wichtig“ zusammengefasst.
146
4
Karriereperspekven
37
Kompetenzerweiterung
37
Betriebsklima
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
54
45
34
Familienfreundlichkeit 10%
sehr wichg
18
57
31 0%
9
9
52 20%
30%
wichg
40%
50%
60%
17 70%
80%
90%
100%
weniger wichg/überhaupt nicht wichg
Abbildung 4.1 Wichtige Faktoren der Berufstätigkeit
Eine wichtige Rolle für gute Arbeitsbedingungen spielen für die meisten der befragten Pflegekräfte gute Karriereperspektiven und ein angenehmes Betriebslima mit flachen Hierarchien in der Einrichtung, wie Abbildung 4.1 zeigt. Ein höherer Entscheidungsspielraum und mehr Kompetenzen der Pflege in der Diagnostik sieht dagegen knapp ein Fünftel der Befragten als weniger wichtig bis überhaupt nicht wichtig an. Es zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Pflegbereichen, den Altersgruppen oder bezüglich der Berufserfahrung. Lediglich in Bezug auf die Familienfreundlichkeit lassen sich Geschlechterunterschiede ausmachen (Tabelle 4.13). Tabelle 4.13 Wichtigkeit des Faktors „Familienfreundlichkeit“ für die Berufstätigkeit nach Geschlecht (in Prozent)
Sehr wichtig
Frauen
Männer
Gesamt
35,5
16,1
30,4
Wichtig
50,5
60,0
52,9
Weniger wichtig/überhaupt nicht wichtig
14,1
23,9
16,6
Gesamt
440
155
595
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,195
Frauen ist dieser Aspekt erwartungsgemäß wichtiger für ihre Berufstätigkeit als Männern.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
4.3.2
147
Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen
Der Arbeitsalltag von vielen Pflegekräften ist immer noch durch schwierige Arbeitsbedingungen und eine hohe Arbeitsbelastung gekennzeichnet, wie zahlreiche nationale und internationale Studien belegen (siehe Abschnitt 3.3.1). Vor allem die hohen körperlichen und psychischen Belastungen, das Arbeiten unter ständigem Zeitdruck und die häufig ungünstigen Arbeitszeiten führen zu hohen Krankenständen, vielen Burnout-Erkrankungen und einer geringen Verweildauer in den Pflegeberufen. Nirgendwo in Europa denken so viele Pflegekräfte oft daran, den Beruf entweder komplett aufzugeben oder in eine andere Berufssparte zu wechseln wie in Deutschland, so die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA 2010, S. 5). Die hohe Belastung der Beschäftigten wirkt sich zudem direkt auf die Pflegequalität und indirekt auch auf die Patientensicherheit aus. Zudem ist die Entlohnung des Pflegepersonals im Verhältnis dessen, was sie für die Gesellschaft leisten viel zu gering. Auch die adäquate Anerkennung ihres Berufes in der Öffentlichkeit fehlt häufig, was wiederum für viele Beschäftigte eine zusätzliche Belastung darstellt und sie an der weiteren Berufsausübung zweifeln lässt. Vor dem Hintergrund des heute schon knappen Pflegepersonals ist dies im Hinblick auf die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung der Zukunft besonders problematisch. Im Folgenden werden die deskriptiven Ergebnisse und soziodemografischen Unterschiede im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen im Berufsalltag der Pflegekräfte dargestellt.
4.3.2.1 Arbeitszeit, Schichtdienst und Personalstärke Ein erfreuliches Ergebnis ist, dass fast alle Befragten (95 Prozent) eine unbefristete Beschäftigung haben und die Mehrheit (60 Prozent) Vollzeit beschäftigt ist. Wie auch in anderen Berufsgruppen sind Frauen deutlich häufiger nur in Teilzeit beschäftigt als ihre männlichen Kollegen, was hauptsächlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschuldet ist (Abbildung 4.2).
148
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Männer
89
Frauen
11
52
0%
10%
20%
48
30%
40% vollzeit
50%
60%
70%
80%
90%
100%
teilzeit
Abbildung 4.2 Beschäftigungsumfang nach Geschlecht
Der Anteil an Teilzeitbeschäftigen in der Pflege steigt zudem linear mit dem Alter (Sig.: ,000, Cramer’s V: ,236) der Befragten und der Beschäftigungsdauer (Sig.: ,000, Cramer’s V: ,231). Je älter die Pflegekräfte sind und je länger sie im Beruf verweilen, desto eher arbeiten sie nur in Teilzeit. Das mag ein Indiz dafür sein, dass der hohen Arbeitsbelastung zum Schutz des eigenen Wohlbefindens durch Reduktion der Arbeitszeit entgegengewirkt wird. Zum anderen steigt das potenzielle familiale Engagement durch Kindererziehung und Pflege von Angehörigen mit der Zeit, was ebenfalls zu einer Reduktion der Arbeitszeit führen kann. Zwischen den einzelnen Arbeitsbereichen zeigen sich dagegen keine signifikanten Unterschiede. Obwohl die Verweildauer im Pflegeberuf insgesamt eher niedriger ist als in anderen Berufen – im Durchschnitt rund 11 Jahre – verfügen die meisten Befragten in der Stichprobe über eine lange Berufserfahrung. Im Durchschnitt sind die Pflegenden seit rund 24 Jahren (SD 11,8) in der Pflege tätig, inklusive Ausbildungszeit. Dabei sind Beschäftige in den ambulanten Diensten mit rund 27 Jahren (SD 11,0) am längsten in der Pflege. In den anderen beiden Pflegebereichen liegt der Durchschnitt bei rund 23 Jahren. Die Unterschiede sind allerdings statistisch nicht signifikant. Neben der allgemeinen Berufserfahrung wurde ebenfalls danach gefragt, wie lange die Pflegenden bereits bei ihrem jetzigen Arbeitgeber (zum Zeitpunkt der Befragung) beschäftigt sind. Im Durchschnitt sind es rund 15 Jahre (SD 11,1). Mit knapp 17 Jahren (SD 11,4) sind die Beschäftigten in der Akutpflege im Vergleich zu den anderen Pflegebereichen (je 12 Jahre) signifikant länger bei ihrem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt (Scheffé: ,003/.000). Insgesamt geben 23 Prozent der Befragten an, dass es bei ihnen längere Unterbrechungen während der Beschäftigungszeit gab, in denen sie nicht berufstätig waren. Es zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den drei Pflegebereichen (Tabelle 4.14).
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
149
Tabelle 4.14 Unterbrechungszeiten nach Pflegebereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Ja
19,3
22,1
50,0
22,8
Nein
80,7
77,9
50,0
77,2
Gesamt
522
149
70
741
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,211
Beschäftigte in der ambulanten Pflege geben dabei signifikant häufiger an längere Zeit nicht berufstätig gewesen zu sein als die Kolleg*innen in den anderen Pflegebereichen. Gründe für die Unterbrechungszeiten sind hauptsächlich Schwangerschaft und die anschließende Elternzeit, aber auch Krankheit und psychische Belastung (Abbildung 4.3).
Schwangerscha und Elternzeit
80
Krankheit
12
Psychische Überlastung
11
Körperliche Überlastung
6
Sonsge private Gründe
5
Pflege eines Familienmitglieds
5 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 4.3 Gründe für eine längere Unterbrechung der Berufstätigkeit
Auch bei der Frage nach dem Arbeitszeitmodell zeigen sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen, was allerdings der unterschiedlichen Arbeitsorganisation geschuldet sein dürfte. Die überwiegende Dienstform ist der Schichtdienst. Beschäftigte in der Akutpflege arbeiten überwiegend in einem 3-Schicht-Modell (Früh-, Spät- und Nachtdienst), während in der ambulanten Pflege das 2-Schicht-Modell (Tag- und Nachtdienst) oder der reine Tagdienst am gängigsten sind. Die Befragten in der stationären und teilstationären Pflege arbeiten sowohl im 3- als auch im 2-Schicht-Modell oder im Tagdienst. Die Bewertung des Arbeitszeitmodells fällt eher mittelmäßig aus. Auf einer Schulnotenskala vergeben die Befragten im Durchschnitt eine 2,7 (befriedigend). Rund 10 Prozent vergeben sogar die schlechtesten Noten „mangelhaft“ und „ungenügend“. Signifikante Unterschiede zwischen den Arbeitsbereichen gibt es hierbei nicht (Abbildung 4.4).
150
4
Sehr gut
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
12
Gut
38
Befriedigend
27
Ausreichend
13
Mangelha
10
Ungenügend
1 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Abbildung 4.4 Bewertung Arbeitszeitmodell
Das Thema Personalmangel als möglicher Grund für eine erhöhte Arbeitsbelastung spielt bei den Befragten ebenfalls eine große Rolle und wird auch in der Literatur als bedeutsamer Grund herausgestellt. Fast drei Viertel der Pflegenden geben an, dass in ihrem Arbeitsbereich nicht genügend Personal vorhanden sei, um die anfallende Arbeit adäquat zu erledigen. Im Durchschnitt sollte die Anzahl der Vollzeitäquivalente auf 3,7 (SD 3,2) erhöht werden, so die Meinung der Befragten. Dabei zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Pflegebereichen. Besonderer Bedarf scheint in der Akutpflege zu bestehen. In diesem Bereich sollte in den Augen der Beschäftigten die Anzahl der Vollzeitäquivalente auf 4,1 (SD 3,4) erhöht werden. In der stationären/teilstationären Pflege sind es 3,0 (SD 2,7) und in der ambulanten Pflege 2,6 Vollzeitäquivalente (SD 1,6). Die Mittelwertunterschiede zwischen der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege (Scheffé: ,012) sowie der Akutpflege und der ambulanten Pflege (Scheffé: ,030) sind dabei signifikant. Ein ebenfalls wichtiger Indikator für das Ausmaß an Arbeitsbelastung stellt das Betreuungsverhältnis zwischen Pflegekräften und Patienten respektive Pflegebedürftigen dar. In der vorliegenden Untersuchung wurde daher gefragt, wie viele Patienten, Klienten und Pflegebedürftige die Pflegekräfte im Durchschnitt während einer regulären Schicht betreuen und versorgen. Da sich die Versorgung aufgrund der unterschiedlichen Organisations- und Arbeitsstruktur zwischen den Pflegebereichen grundlegend unterscheidet, wurde diese Frage nach Arbeitsbereichen gefiltert, sodass die Beschäftigten jeweils die ihrem Bereich entsprechende Frage beantworten mussten. Was den Workload betrifft, so betreuen die Pflegende in der Akutpflege rund 14 Patienten (SD 15,3) während einer Schicht. In der stationären Pflege sind die Beschäftigten im Schnitt für rund 28 Pflegebedürftige (SD 26,8) pro Schicht verantwortlich. In der ambulanten Pflege werden im Durchschnitt 29 Klienten (SD 28,7) auf einer Morgentour bereut und 20 Patienten (SD
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
151
21,5) auf einer Nachmittags-/Abendtour. Sie legen dazu durchschnittlich rund 51 Kilometer (SD 29,6) an einem typischen Arbeitstag während einer Schicht mit dem PKW zurück. Da es im Pflegeberuf häufig zu Krankenständen und unvorhersehbaren Ereignissen kommt, werden die Pflegekräfte oftmals zusätzlich zu dem regulären Dienst zu Sonderschichten eingeteilt oder müssen für Kolleg*innen einspringen. Diese zusätzliche Arbeit und die damit verbundene Anhäufung von Überstunden tragen natürlich ebenfalls zu einer erhöhten Arbeitsbelastung bei. In der Stichprobe geben rund 43 Prozent der Befragten an, häufig Sonderschichten oder Dienste von Kolleg*innen übernehmen zu müssen. Nur vier Prozent sagen, dies sei nie der Fall. Dabei gibt es zwischen den Arbeitsbereichen keine nennenswerten Unterschiede. Was die Anhäufung von Überstunden betrifft, so haben die Befragten im Durchschnitt in den letzten sechs Monaten vor der Befragung rund 61 Überstunden (SD 52,8) geleistet. Zwischen den Pflegebereichen zeigen sich signifikante, aber keine hochsignifikanten Unterschiede. Tendenziell scheinen Beschäftigte in der ambulanten (70 Überstunden) und stationären/teilstationären Pflege (69 Überstunden) häufiger von Mehrarbeit betroffen zu sein als Pflegekräfte in der Akutpflege (58 Überstunden)6 . Es wurde ebenfalls danach gefragt, ob die angehäuften Überstunden zeitnah wieder abgebaut werden können. Bei rund 80 Prozent der Befragten scheint dies nicht der Fall zu sein. Dabei zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen (siehe Abbildung 4.5).
52 Pausen können nicht regelmäßig eingehalten werden
47 59 83
Kein zeitnaher Abbau von Überstunden möglich*
74 69 42
Häufige(s) Sonderschichten/Einspringen für Kolleg*innen
49 41 0%
Akutpflege
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
staonäre/teilstaonäre Pflege
Abbildung 4.5 Organisatorische Belastungsfaktoren
6 Mittelwertvergleich,
Sig.: ,037.
ambulante Pflege
152
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Für die Gesundheit der Angestellten und die Qualität der Arbeit ist die regelmäßige Einhaltung der Pausenzeiten im Arbeitsalltag besonders wichtig. Doch aufgrund des Mangels an Zeit und der Arbeitsverdichtung in der Pflege können oft selbst die gesetzlich geregelten Pausenzeiten nicht mehr eingehalten werden, was zu zusätzlichem Stress und psychischer Belastung führt. Aus diesem Grund wurden die Befragungsteilnehmer explizit danach gefragt, ob es ihnen möglich sei, ihre Pausen regelmäßig einzuhalten. Über die Hälfte der Pflegekräfte (52,2 Prozent) berichten, die Pausen ganz und gar nicht oder eher nicht einhalten zu können.
4.3.2.2 Familiäre Situation Die familiäre Situation ist ebenfalls relevant für die subjektive Empfindung der Arbeitssituation und der Arbeitsbelastung und kann diese sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Aspekte wie Partnerschaft, Kinder und pflegebedürftige Angehörige, spielen dabei eine wichtige Rolle. Die überwiegende Mehrheit der Befragten Pflegefachpersonen (81 Prozent) hat einen festen Partner. Rund 19 Prozent haben Kinder unter 12 Jahren und 24 Prozent haben pflegebedürftige Angehörige, um die sie sich kümmern müssen. Nur knapp 3 Prozent der Pflegekräfte haben sowohl pflegebedürftige Angehörige als auch Kinder unter 12 Jahren, die sie versorgen müssen. In Bezug auf die Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen wurde ebenfalls danach gefragt, ob deren Betreuung während der Arbeitszeit ein Problem darstellt. Die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird im Pflegeberuf, aufgrund des Schichtdienstes und der oftmals wechselnden Arbeitszeiten, häufig auch als ein entscheidender Belastungsfaktor angesehen. Für fast alle Teilnehmer der Befragung (96 Prozent) ist eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig bis sehr wichtig. In der Stichprobe geben rund 57 Prozent der Befragten mit Kindern an, dass deren Betreuung während der Arbeitszeit durchaus ein Problem darstellt. Das zwar generell immer, aber besonders bei Spät- und Nachtdiensten, sowie am Wochenende besteht. Von den Befragten mit pflegebedürftigen Angehörigen sagen rund 35 Prozent, dass sich die Betreuung mit der Arbeitszeit schlecht vereinbaren lässt. Wie zu erwarten, zeigen sich altersbedingte Unterschiede hinsichtlich zu betreuender Kinder und pflegebedürftiger Angehöriger (Abbildung 4.6).
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
153
50% 40% 30% 20% 10% 0% 20 bis 29
30 bis 39 Kinder unter 12 Jahren
40 bis 49
50 bis 59
60 und älter
pflegebedürige Angehörige
Abbildung 4.6 Zu betreuende Kinder und pflegebedürftige Angehörige nach Altersklassen
Kinder unter 12 Jahren haben fast ausschließlich Beschäftige in den Altersgruppen zwischen 30 und 49 Jahren. Der Anteil derjenigen mit pflegebedürftigen Angehörigen steigt dagegen beinahe linear mit dem Alter der Beschäftigten. Abgesehen davon lassen sich jedoch keine signifikanten Unterschiede nach Personenmerkmalen festmachen.
4.3.2.3 Entlohnung und Gehalt Wenn es um die Attraktivität und Rahmenbedingungen der Arbeit geht und darum, Anreize für junge Menschen zu schaffen, sich für den Pflegeberuf zu begeistern, so spielt unter anderem auch das Einkommen und die Entlohnung eine wichtige Rolle. In einer Studie aus dem Jahr 2013 analysieren Reinhard Bispinck und Kolleg*innen (Bispinck et al. 2013) auf Basis der Lohnspiegel-Datenbank des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler Stiftung (WSI) Einkommens- und Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen. In die Auswertung wurden 3.965 Datensätze einbezogen, die zwischen 2006 und 2013 im Rahmen des Projekts LohnSpiegel durch eine Online-Befragung erhoben wurden. Das Bruttomonatseinkommen in Pflegeberufen beträgt demnach durchschnittlich 2.412e (38-Stunden Woche), variiert jedoch stark zwischen den einzelnen Berufsgruppen und Qualifikationsniveaus (Bispinck et al. 2013, S. 3). Allgemein verdienen Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege (2.450e) und der Kinderkrankenpflege (2.479e) etwas mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Altenpflege (2.188e). Unterschiede in Bezug auf die Bezahlung lassen sich ebenfalls hinsichtlich des Geschlechts, der Betriebsgröße, der Tarifbindung und der Berufserfahrung ausmachen sowie danach, ob Personen in West- oder in Ostdeutschland beschäftigt sind (Bispinck et al. 2013, S. 3). Ergebnisse bezüglich der Arbeitsbelastung des Pflegepersonals zeigen, dass rund 53 Prozent der Beschäftigten mehr arbeiten als vertraglich festgelegt und ca. 14 Prozent davon keine
154
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Überstundenvergütung erhalten (Bispinck et al. 2013, S. 22). Die Zufriedenheit mit der Bezahlung allgemein fällt mit einem Wert von 2,4 auf einer Skala von 1 bis 5 sehr gering aus. Insgesamt wird die Zufriedenheit mit der Arbeit mit einem Wert von 3,3 angegeben, was leicht unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten (3,5) aus dem LohnSpiegel liegt (Bispinck et al. 2013, S. 24). Um herauszufinden wie die Pflegenden in Rheinland-Pfalz ihre Bezahlung einschätzen, wurden die Teilnehmer zunächst danach gefragt, ob sie die Bezahlung für ihre berufliche Tätigkeit angemessen finden. Rund 80 Prozent der Befragten stimmen dem überhaupt nicht zu. Es zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den drei Pflegebereichen. Beschäftige in der Akutpflege sind demnach noch unzufriedener mit der Entlohnung als ihrer Kolleg*innen in der stationären und ambulanten Pflege (Tabelle 4.15). Tabelle 4.15 Einschätzung der Angemessenheit der Bezahlung nach Arbeitsbereichen (in Prozent) Angemessene Bezahlung
Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Trifft zu
16,7
25,9
30,9
19,9
Trifft nicht zu
83,3
74,1
69,1
80,1
Gesamt
514
143
68
725
Sig.: ,003, Cramer’s V: ,126
Etwas später im Fragebogen wurden die Pflegekräfte dann in einer offenen Frage danach gefragt, was ihrer Meinung nach ein angemessenes Monatsnettoeinkommen für eine examinierte Pflegekraft mit fünf Jahren Berufserfahrung sei. Die Angaben schwanken zwischen 1.400 und 7.000 Euro, die Streuung der Werte ist also relativ groß. Insgesamt liegen die meisten Gehaltsvorstellungen allerdings in einem moderaten Bereich und sind nicht übertrieben oder unrealistisch. Der Mittelwert liegt bei 2.645,21 Euro (SD 620,89 Euro), Median und Modus bei 2.500 Euro. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede bei den Gehaltsvorstellungen zwischen den Arbeitsbereichen. Während Beschäftigte in der Akutpflege eine Bezahlung von durchschnittlich 2.696,66 Euro (SD 621,29 Euro) pro Monat für angemessen halten, sind es in der ambulanten Pflege 2.565,79 Euro (SD 681,92 Euro) und in der stationären und teilstationären Pflege nur 2.478,13 Euro (SD 581,64 Euro). Hochsignifikante Unterschiede bestehen dabei zwischen der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege (Scheffé: ,009). Es zeigen sich bezüglich der Einschätzung der Bezahlung und der Gehaltsvorstellungen keine auffälligen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Auch bezüglich Alter und Berufserfahrung gibt es keine signifikanten Differenzen.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
155
4.3.2.4 Zeitdruck und Arbeitsverdichtung Neben dem hohen Workload, dem ungünstigen Betreuungsverhältnis und der geringen Entlohnung stellen Zeitmangel und Zeitdruck einen entscheidenden organisatorischen Belastungsfaktor für Pflegende dar. Dieser entsteht häufig als Konsequenz aus einem anhaltenden Personalmangel, unvorhersehbaren Ereignissen und zeitlich zu eng bemessenen Taktzeiten der pflegerischen Tätigkeiten. Der Aspekt des Zeitdrucks bzw. der Zeitplanung im Arbeitsalltag wurde in der Befragung konkret aufgegriffen. Die Pflegekräfte sollten dabei die zur Verfügung stehende Zeit für verschiedene pflegerische Tätigkeiten bewerten. Dafür standen die Kategorien „dafür steht genügend Zeit zur Verfügung“, „dafür steht zu wenig Zeit zur Verfügung“, „kostet im Vergleich zu anderen Tätigkeiten zu viel Zeit“ und „kann ich nicht beurteilen“ zur Verfügung. Es zeigen sich dabei zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den drei Pflegebereichen, wie in Tabelle 4.16 visualisiert. Tabelle 4.16 Zeitplanung nach Arbeitsbereichen (in Prozent) Dafür steht zu wenig Zeit zur Verfügung
Akutpflege
Stationäre/ teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Sig./Cramer’s V
Gespräche mit Patienten/ Pflegebedürftigen
75,9
70,1
59,0
,002/,114
Patientenversorgung/ Pflege
74,9
69,2
50,0
,000/,150
Gespräche mit Angehörigen
73,4
56,7
50,0
,000/,147
Praxisanleitung
71,0
69,9
55,6
nicht sig.
Neuaufnahme/ Erstbesuch
64,3
54,8
37,0
,000/,152
Pausen
62,2
65,1
46,3
nicht sig.
Teambesprechungen
53,7
39,1
39,3
,003/,111
Pflegeplanung
51,0
51,2
38,6
,003/,125
Transport der Patienten/ Fahrt zu den Klienten
45,5
44,6
33,9
,000/,228
Dokumentation
37,4
43,6
38,3
,018/,095
156
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Vor allem in der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege scheint Zeitmangel im Arbeitsalltag der Pflegenden ein besonderes Problem zu sein. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass 75 Prozent der Pflegenden in der Akutversorgung und knapp 70 Prozent der Beschäftigten in der stationären/teilstationären Pflege angeben, für die Patientenversorgung bzw. -betreuung, also die Hauptaufgabe der Pflegekräfte, würde nicht genügend Zeit zur Verfügung stehen. Es stellt sich dabei die Frage, wie die Arbeitsverdichtung und der Zeitdruck der Pflegekräfte zu Kosten der gesundheitlichen- und pflegerischen Versorgung der Patienten zu sehen ist und inwieweit dadurch eine mögliche Gefährdung der Patienten nicht mehr auszuschließen ist. Auch für den persönlichen Umgang mit Patienten und deren Angehörigen, sowie für die Praxisanleitung der Auszubildenden steht nach Meinung der Befragten im Arbeitsalltag viel zu wenig Zeit zur Verfügung. Problematisch zu sehen ist ebenfalls, dass die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege angibt, für Pausen zu wenig Zeit zur Verfügung zu haben. Dies wiederum führt in der Konsequenz zu einer erhöhten körperlichen und psychischen Stressbelastung des Personals, was wiederum zu einer möglichen Abnahme der Arbeitsqualität führen kann. Aus Sicht der befragten Pflegekräfte wird demgegenüber administrativen Tätigkeiten wie Dokumentation und Pflegeplanung im Vergleich zu den Kerntätigkeiten zu viel Zeit beigemessen. Dieses Ungleichgewicht des Zeitmanagements könnte beispielsweise durch Übernahme dieser Nebenaufgaben zugunsten der Kerntätigkeit „Pflege“ an Supportpersonen übertragen werden. Um das Gesamtausmaß an Zeitdruck zu bestimmen wurde aus den Angaben „dafür steht zu wenig Zeit zur Verfügung“ ein Summenindex berechnet. Dieser reicht sowohl theoretisch als auch empirisch von 0 bis 10. Der Mittelwert liegt bei 5,2. Im Durchschnitt besteht damit ein Zeitmangel im Berufsalltag bei mindestens fünf der genannten pflegerischen Tätigkeiten. Wie schon hinsichtlich der Einzelaspekte angedeutet, besteht auch in Bezug auf das Gesamtausmaß an Zeitdruck ein signifikanter Unterschied zwischen den Pflegebereichen, hauptsächlich zwischen der Akutpflege und der ambulanten Pflege (Scheffé: ,002). Unter den Beschäftigten der ambulanten Pflege liegt der Mittelwert des Summenindex‘ bei 4,0, in der stationären/teilstationären bei 5,0 und in der Akutpflege bei 5,4. Hinsichtlich des Demografischen Wandels ist zu erwarten, dass sich der Zeitdruck in Zukunft eher weiter verschärfen als verbessern wird. Die Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme an multimorbiden und pflegebedürftigen Personen führen dazu, dass der Bedarf an professioneller Pflege steigt. Gleichzeitig schrumpft durch den Geburtenrückgang das Arbeitskräftepotential und der heute schon zu erkennende Fachkräftemangel in der Pflege wird
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
157
weiter zunehmen. In der Konsequenz kommt es zur Arbeitsverdichtung und Mehrarbeit des bestehenden Personals und damit zu weiter wachsendem Zeitdruck und Zeitmangel.
4.3.2.5 Belastungsfaktoren Neben den bisher beschriebenen eher indirekten Indikatoren der Arbeitsbelastung, wurde ebenfalls konkret nach belastenden Aspekten und potenziellen Stressfaktoren der pflegerischen Tätigkeit gefragt. Die in der Aufarbeitung des Forschungsstandes herausgestellten belastenden Faktoren wie Zeitdruck, körperliche und psychische Belastung, fehlende Wertschätzung und Anerkennung, Arbeitsklima sowie der Umgang im Team standen dabei im Vordergrund. Insgesamt wurden 12 Aspekte vorgegeben, die auf einer Skala von 0 (keine Belastung) bis 4 (große Belastung) eingeschätzt werden sollten (Tabelle 4.17).
Tabelle 4.17 Potenzielle Stress- und Belastungsfaktoren (in Prozent) 2
3
4
Zeitdruck und Arbeitsverdichtung
637
N
0 2,0
1 6,9
13,0
26,2
51,8
Konflikte mit Vorgesetzten
617
8,8
15,7
21,9
23,7
30,0
Schwere körperliche Arbeit (z. B. Heben, Tragen, Umlagern von Patienten)
574
8,0
13,1
23,2
29,3
26,5
Fehlende Wertschätzung und Anerkennung 625 der Tätigkeit meiner Arbeit
8,5
14,7
20,5
30,2
26,1
Konflikte zwischen Kolleg*innen
615
8,3
18,5
23,6
23,7
25,9
Schichtdienst
545
10,5
16,0
24,0
24,2
25,3
Überstunden
614
6,8
18,1
25,6
27,7
21,8
Konflikte mit Angehörigen anderer Berufsgruppen (z. B. Ärzte)
514
10,5
21,8
26,5
24,3
16,9
Konfrontation mit Sterben und Tod
614
15,6
30,1
26,2
17,4
10,6
Umgang mit Angehörigen
608
16,0
30,3
28,3
15,6
9,9
Konfrontation mit leidvollen Situationen
630
11,0
25,6
32,2
21,4
9,8
Karriereperspektiven
545
25,9
27,0
25,9
14,5
6,8
Auch diese Items wurden mit Hilfe einer Hauptkomponentenanalyse analysiert und verdichtet. Die Analyse hat vier zentrale Faktoren identifiziert: „Konflikte und fehlende Wertschätzung“, „Schichtdienst und Zeitdruck“, „Konfrontation mit Leid und Tod“ und „Karriereperspektiven“ (Tabelle 4.18).
158
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.18 Potenzielle Stressfaktoren, Faktoren und Faktorladungen Faktor 1 Konflikte und fehlende Wertschätzung Konflikte mit Vorgesetzten
,855
Konflikte zwischen Kolleg*innen
,839
Konflikte mit Angehörigen anderer Berufsgruppen
,739
Fehlende Wertschätzung und Anerkennung
,466
Überstunden
Faktor 2 Schichtdienst und Zeitdruck
Faktor 3 Faktor 4 Konfrontation Karriereperspektiven mit Leid und Tod
,785
Schichtdienst
,699
Zeitdruck und Arbeitsverdichtung
,623
Schwere körperliche Arbeit
,621
Konfrontation mit Sterben und Tod
,905
Konfrontation mit leidvollen Situationen
,892
Umgang mit Angehörigen
,490
Karriereperspektiven
,941
Hauptkomponentenanalyse, Varimax Rotation, KMO: ,766, Sig. Bartlett: ,000
Für die weitere Analyse wurden aus den gewichteten Mittelwerten der Einzelitems vier Faktoren konstruiert, welche die gleichen Ausprägungen haben, wie die einzelnen Items. Die fünfstufige Skala wurde zur vereinfachten Darstellung in eine dreistufige Skala umgewandelt, mit den Ausprägungen „keine Belastung“ (0), „mittlere Belastung“ (1 und 2) und „hohe Belastung“ (3 und 4). In Abbildung 4.7 sind die Ergebnisse grafisch dargestellt.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
23
159
21
56
65
53 68 41
34
26
1 Schichtdienst und Zeitdruck
3 Konflikte und fehlende Wertschätzung
keine Belastung
9 Konfrontaon mit Leid und Tod
milere Belastung
Karriereperspekven
hohe Belastung
Abbildung 4.7 Stressfaktoren und Belastung
Es zeigt sich, dass vor allem der wachsende Zeitdruck und die Arbeitsverdichtung, sowie Konflikte und eine fehlende Wertschätzung der Arbeit von den Befragten als besonders belastend empfunden werden. Die Konfrontation bzw. der Umgang mit leidvollen Situationen und Tod stellt dagegen für die meisten nur eine mittlere Belastung dar, ebenso wie Karriereperspektiven. Signifikante Unterschiede nach Pflegebereichen zeigen sich nur hinsichtlich der subjektiven Belastungsempfindung in Bezug auf die Konfrontation mit Leid und Tod. Pflegende in der stationären und teilstationären Pflege fühlen sich deutlich weniger durch Konfrontationen mit Leid und Tod belastet – nur rund 12 Prozent fühlen sich stark belastet – als ihre Kolleg*innen in der Akutpflege und der ambulanten Pflege. Ein Grund dafür könnte sein, dass Pflegekräfte in den Pflegeheimen vergleichsweise häufig solche Situationen miterleben, da sie die Pflegebedürftigen meist in den letzten Lebensjahren begleiten und dadurch effektiver gelernt haben, damit umzugehen (Tabelle 4.19).
160
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.19 Konfrontation mit Leid und Tod nach Arbeitsbereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Keine Belastung
6,8
15,7
9,1
9,8
Mittlere Belastung
66,3
71,9
69,1
66,3
Hohe Belastung
27,0
12,4
21,8
24,0
Gesamt
400
121
55
576
Sig.: ,002, Cramer’s V: ,123
Hinsichtlich der Altersklassen ist das Bild noch etwas differenzierter. Jüngere Befragte geben noch überwiegend (77 Prozent) eine mittlere Belastung bezüglich der Konfrontationen mit Leid und Tod an. Mit steigendem Alter steigt sowohl die Anzahl derjenigen, die keine Belastung empfinden, als auch derjenigen, die sich dadurch stark belastet fühlen (siehe Tabelle 4.20). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass mit dem Alter und der Berufserfahrung eine gewisse Routine in Bezug auf Leid und Tod entsteht und die Pflegenden lernen, damit entsprechend umzugehen. Auf der anderen Seite steigt mit dem Alter auch das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, was in Verbindung mit der Konfrontation mit Leid und Tod anderer womöglich zu einer stärker empfundenen Belastung führt. Tabelle 4.20 Konfrontation mit Leid und Tod nach Altersklassen (in Prozent) 20–29
30–39
40–49
50–59
60+
4,6
7,8
4,0
12,5
20,5
9,0
Mittlere Belastung
77,0
69,8
70,4
63,5
52,3
67,6
Hohe Belastung
18,4
22,4
25,6
24,0
27,3
23,4
87
116
125
192
44
564
Keine Belastung
Gesamt
Gesamt
Sig.: ,003, Gamma: −.036
Bezüglich der anderen untersuchten Personenmerkmale ergeben sich keine signifikanten Unterschiede mit Blick auf die Stress- und Belastungsfaktoren. Neben der Analyse der vier Belastungsfaktoren wurde, wie bereits beschrieben, ebenfalls ein Gesamtindex zur Arbeitsbelastung durch Aufsummierung aller Werte gebildet. Dieser Summenindex weist vor Standardisierung empirische Werte zwischen 5 und 60 auf. Im Nachhinein wurden die Werte auf den Bereich zwischen 0 und 100 standardisiert, wobei 0 für keine Belastung und 100 für
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
161
sehr hohe Belastung steht. Der Durchschnittswert der Arbeitsbelastung in der Stichprobe liegt bei 56,9. Differenziert nach Pflegebereichen zeigen dich dabei signifikante Unterschiede auf dem Alpha-Niveau von 0,05. Beschäftigte in der Akutpflege (58,2) scheinen sich etwas stärker belastet zu fühlen, als Beschäftige in der stationären/teilstationären Pflege (54,6) und der ambulanten Pflege (53,8)7 . In Bezug auf die Altersgruppen, das Geschlecht und die Berufserfahrung zeigen sich jedoch keine signifikanten Unterschiede der Gesamtbelastung. Ein zweiter Summenindex ermittelt die Anzahl an Faktoren, die im Berufsalltag als Belastung empfunden werden (Tabelle 4.21). Theoretisch reicht dieser Index von 0 bis 12, empirisch von 1 bis 12 und hat einen Mittelwert von 9,9. Tabelle 4.21 Summenindex Belastungsfaktoren Anzahl an Belastungsfaktoren
%
0
/
1
0,5
2
0,5
3
0,3
4
1,7
5
1,4
6
3,4
7
5,3
8
8,0
9
11,7
10
15,9
11
25,0
12
26,4
Ø
9,9
N
641
Alle Befragten geben somit mindestens einen Belastungsfaktor an und rund 26 Prozent fühlen sich durch alle genannten Aspekte in gewissem Maße belastet. Signifikante Unterschiede zeigen sich nur in Bezug auf die drei Pflegebereiche. Pflegekräfte in der Akutpflege geben im Durchschnitt 10,1 Belastungsfaktoren an, während es in der stationären/teilstationären Pflege 9,6 sind und in der ambulanten 7 Mittelwertvergleich:
Sig.: ,023.
162
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Pflege 9,2. Die Unterschiede zwischen der Akutpflege und der ambulanten Pflege (Scheffé: ,016) sowie zwischen der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege (Scheffé: ,042) sind dabei signifikant. Geschlecht, Alter und Berufserfahrung haben hingegen keine statistisch nachweisbaren Effekte.
4.3.3
Auswirkungen auf die Pflegekräfte
Neben den als belastend empfundenen Arbeitsbedingungen in der Pflege lag ein weiter Schwerpunkt der Untersuchung auf den Auswirkungen dieser Belastungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pflegekräfte und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeit den Arbeitsplatz oder den Beruf zu wechseln oder sogar ganz aufzugeben.
4.3.3.1 Gesundheitszustand und Gesundheitsbeschwerden Der subjektive Gesundheitszustand der Befragten wurde direkt gemessen. Die Pflegekräfte sollten diesen dabei auf einer Schulnotenskala von 1 „sehr gut“ bis 6 „ungenügend“ einschätzen. Insgesamt bewerten die Befragten ihren Gesundheitszustand mit 2,7, also eher befriedigend als gut. Nur 7 Prozent der Pflegenden bezeichnen ihre Gesundheit als „sehr gut“, rund 18 Prozent vergeben dagegen die Note „ausreichend“ oder schlechter. Dabei gibt es zwischen den Arbeitsbereichen, Geschlechtern und der Berufserfahrung keine signifikanten Unterschiede. Wie zu erwarten ist jedoch ein Alterseffekt zu erkennen. Während jüngere Befragte ihren Gesundheitszustand im Durchschnitt mit einer 2,5 bewerten, wird der Wert mit steigendem Alter immer schlechter und liegt bei den 60-Jährigen und Älteren bei 2,78 . Es wurde im Anschluss ebenfalls danach gefragt, wie häufig die Pflegenden in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung konkrete Gesundheitsprobleme oder Beschwerden hatten. Dabei standen die Kategorien „täglich“, „mehrmals pro Woche“, „etwa alle zwei Wochen“, „etwa alle sechs Wochen“ oder „nie“ zur Auswahl und es wurde eine Liste von sieben Beschwerden vorgegeben. Fakt ist, dass Pflegekräfte im Stationsalltag vielen körperlichen Belastungen ausgesetzt sind, vor allem durch schweres Heben und Tragen, sowie Umlagern von Patienten. Trotz vieler Hilfsmittel und der Bereitstellung von pflegeunterstützendem Inventar, muss ein Großteil der pflegerischen Versorgung immer noch in gebeugter, gedrehter oder kniender Haltung durchgeführt werden. Laut einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Bundesinstituts für berufliche Bildung hat dies zur Folge, dass 8 Mittelwertvergleich:
Sig.: ,001.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
163
Pflegekräfte überproportional häufig an Rückenschmerzen und Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich leiden, als Arbeitnehmer in anderen Berufsgruppen (AOK-Berufsverband 2015). Dieser Trend spiegelt sich auch in den Antworten der Befragten Pflegekräfte wider (Tabelle 4.22). Tabelle 4.22 Gesundheitsprobleme und Beschwerden (in Prozent) N
Anteil Täglich Häufig Manchmal „täglich“ (mehrmals (etwa alle und pro zwei „häufig“ Woche) Wochen)
Selten Nie (etwa alle sechs Wochen)
Rücken-, Nacken- oder Gelenkschmerzen
634 57,9
24,3
33,6
19,9
17,4
4,9
Schlafprobleme
633 35,5
7,4
28,1
24,0
28,6
11,8
Innere Anspannung und 633 34,9 Unruhe
9,8
25,1
27,6
26,1
11,4
Reizbarkeit
632 26,6
3,3
23,3
32,3
29,9
11,2
Konzentrationsprobleme 629 25,1
4,3
20,8
30,0
29,9
14,9
Magenschmerzen oder Verdauungsprobleme
632 20,9
4,4
16,5
20,6
27,4
31,2
Kopfschmerzen
632 20,9
2,5
18,4
28,6
30,5
19,9
Rund jede vierte Pflegende klagt über tägliche Rücken-, Nacken- oder Gelenkschmerzen, jede dritte Pflegekraft hat diese Beschwerden mehrmals pro Woche. Aber nicht nur die schwere körperliche Belastung ist für die Entstehung von Rückenbeschwerden ausschlaggebend. Auch Stress kann zu einer Verstärkung des Schmerzempfindens führen. Weitere Indikatoren für eine erhebliche Auswirkung der erhöhten Arbeitsbelastung im Pflegebereich auf den Gesundheitszustand des Personals zeigen sich in dem Umfang an verspürter innerer Anspannung und Unruhe, sowie Schlaf- und Konzentrationsproblemen und Reizbarkeit. 35 Prozent der Befragten erleben täglich oder mehrmals pro Woche innere Anspannung und Unruhe und haben häufig mit Schlafproblemen zu kämpfen. 26 Prozent sind oft gereizt und 25 Prozent klagen über häufige Konzentrationsprobleme. Alles bereits erste Anzeichen einer arbeitsbedingten emotionalen Erschöpfung, dem Burnout Syndrom. Signifikante Unterschiede hinsichtlich Personenmerkmalen (Alter, Geschlecht, Pflegebereich, Berufsjahre) zeigen sich in Bezug auf die einzelnen Beschwerden nicht. Pflegekräfte, die häufig oder sogar täglich von Gesundheitsproblemen berichten, können als besonders belastet angesehen werden. Dafür wurde ein Index
164
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
erstellt, der die Anzahl an täglichen und häufigen Beschwerden angibt. Der Index reicht sowohl theoretisch als auch empirische von 0 bis 7 und hat einen Mittelwert von 2,2 (Tabelle 4.23). Tabelle 4.23 Summenindex Gesundheitsbeschwerden Anzahl an Gesundheitsproblemen (täglich/häufig)
%
0
24,8
1
20,1
2
15,8
3
13,5
4
11,6
5
6,4
6
5,6
7
2,2
Ø
2,2
N
638
Drei Viertel der befragten Pflegekräfte leiden also mehrmals pro Woche bzw. täglich an mindestens einem der genannten Gesundheitsprobleme, rund 30 Prozent sogar an drei oder mehr. Hochsignifikante Unterschiede zeigen sich dabei zwischen den Geschlechtern sowie zwischen der Anzahl an Berufsjahren. Berufsanfänger mit 1 bis 5 Berufsjahren (MW: 2,7) scheinen beispielsweise häufiger unter mehr Gesundheitsbeschwerden zu leiden als Beschäftige, die länger als 35 Jahre im Beruf sind (1,7)9 . Auch Frauen (2,3) sind in der Stichprobe signifikant häufiger von gesundheitlichen Beschwerden betroffen als Männer (1,7)10 . Zwischen den Pflegebereichen und Altersklassen zeigen sich dagegen keine auffälligen Unterschiede.
4.3.3.2 Burnout Pflegekräfte und Beschäftigte in anderen helfenden Berufen sind in besonderem Maße häufig von Burnout betroffen. Das zentrale Problem besteht darin, eine Balance zwischen mitfühlendem Verstehen und dem Bedürfnis sich selbst zu schützen herzustellen. Wird diese Balance gestört, kann daraus Burnout entstehen, wie in Abschnitt 1.6 erläutert. 9 Mittelwertvergleich:
Sig.: ,007. Sig.: ,003.
10 Mittelwertvergleich:
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
165
Um zu messen, ob die befragten Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz ebenfalls ein erhöhtes Burnout Risiko aufweisen, wurde ein Messinstrument in Anlehnung an das MBI genutzt. Es wurden dabei insgesamt acht Aussagen vorgegeben, die auf einer Skala von 1 „trifft fast nie zu“ bis 5 „trifft fast immer zu“ bewertet werden sollten (Tabelle 4.24). Tabelle 4.24 Burnout Selbsteinschätzung (in Prozent) n
Durch meine Arbeit muss ich auf private Kontakte und Freizeitaktivitäten verzichten
Trifft fast nie zu
Trifft selten zu
Trifft manchmal zu
Trifft häufig zu
Trifft fast immer zu
655
6,3
11,8
30,8
42,7
8,4
Ich fühle mich 651 machtlos, meine Arbeitssituation zu verändern
10,9
16,1
31,6
30,4
10,9
Ich bekomme zu 651 wenig Anerkennung, für das, was ich leiste
8,0
14,9
32,6
31,8
12,7
Ich bin oft krank
652
50,2
30,7
14,6
4,0
0,6
Ich schlafe schlecht
650
17,4
24,3
22,9
24,9
10,5
Ich handle manchmal so, als wäre ich eine Maschine. Ich bin mir selbst fremd
652
23,9
26,5
28,7
18,1
2,8
Ich bin unruhig, reizbar und unausgeglichen
653
16,4
27,7
34,9
17,6
3,4
Ich kann schlecht abschalten und mich nur ungenügend entspannen
651
14,6
25,5
31,0
20,9
8,0
166
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Wie in Abschnitt 4.2.3 skizziert wurde aus den zusammengezählten Angaben ein Summenindex berechnet, dessen empirische Werte vor Standardisierung von 7 bis 40 reichen. Angelehnt an das MBI zählen weniger als 30 Prozent der Punkte als geringes Burnout Risiko, zwischen 30 und 60 Prozent als mittleres Risiko und über 60 Prozent als hohes Burnout Risiko. Daraus ergibt sich für die Stichprobe die in Abbildung 4.8 dargestellte Verteilung differenziert nach Pflegebereichen. Zwischen den drei Pflegebereichen zeigen sich dabei nur sehr geringfügige und nicht signifikante Unterschiede. Dies verdeutlicht, dass insgesamt rund ein Drittel der Befragten ein hohes Burnout Risiko aufweist. Tendenziell scheinen Pflegekräfte in der Akutpflege und der stationären/teilstationären Pflege eher von Burnout betroffen zu sein, als ihre Kolleg*innen in der ambulanten Pflege. Ein geringes Burnout Risiko nach dem MBI weisen insgesamt nur rund 16 Prozent der Befragten auf. Zwischen den anderen Personenmerkmalen (Geschlecht, Alter, Berufsjahre) lassen sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede ausmachen.
100% 80%
34
30
52
55
14
15
Akutpflege
Staonäre/teilstaonäre Pflege
32
33
60% 40%
41
20% 0%
geringes Risko
27 Ambulante Pflege
mileres Risiko
51
16 Gesamt
hohes Risiko
Abbildung 4.8 Burnout Risiko nach Arbeitsbereichen
4.3.3.3 Verweildauer, Berufsausstieg und Wechselbereitschaft Eine weitere, für die zukünftige Entwicklung der pflegerischen Versorgung ebenfalls problematische Konsequenz hoher Arbeitsbelastungen in der Pflege ist der vorzeitige Berufsausstieg. Vergleichsweise viele Pflegekräfte entscheiden sich in Deutschland dazu, noch vor dem Rentenalter aus dem Pflegeberuf auszusteigen, wie verschiedene Studien belegen (siehe Abschnitt 3.3.3). In der vorliegenden Untersuchung wurden die Pflegekräfte ebenfalls danach gefragt, ob sie schon einmal daran gedacht haben, den Pflegeberuf vorzeitig aufzugeben und wenn ja, welche Gründe für sie ausschlaggebend wären. Rund zwei Drittel der Befragten hat einen vorzeitigen Berufsausstieg demnach schon einmal
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
167
in Erwägung gezogen. Hauptsächlich der Personalmangel, die hohe psychische und körperliche Belastung sowie die fehlende Aussicht auf eine Verbesserung der finanziellen Situation wären für die Befragten dabei ausschlaggebende Gründe, wie in Abbildung 4.9 verdeutlicht.
Zu wenig Personal Zu große psychische Belastung Zu große körperliche Belastung Keine Verbesserung der finanziellen Situaon Zu viele Dienste am Wochenende oder Feiertagen Zu wenig Zeit für Paenten Schlechtes Betriebsklima Ständiges Einspringen für Kollegen Schlechte Planung der Schichten und Arbeitszeiten Schlechte Ausstaung des Krankenhauses/ der… Anstrengender Umgang mit Angehörigen
75 69 68 60 55 54 52 48 45 25 14
0%
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Abbildung 4.9 Mögliche Gründe für einen vorzeitigen Berufsausstieg
Ein anstrengender Umgang mit Angehörigen, sowie eine schlechte Ausstattung des Krankenhauses bzw. der Pflegeeinrichtung wären dagegen für die wenigsten Pflegekräfte triftige Gründe für einen Berufsausstieg. Zwischen den Arbeitsbereichen zeigen sich keine hochsignifikanten Unterschiede. Besonders besorgniserregend ist jedoch, dass vor allem die jüngeren Befragten zwischen 30 und 39 Jahren, die dem Arbeitsmarkt voraussichtlich noch lange zur Verfügung stehen könnten, bereits über einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf nachdenken (Tabelle 4.25). Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund des Demografischen Wandels und der ohnehin abnehmenden Zahl an jungen qualifizierten Pflegefachpersonen in Rheinland-Pfalz besonders problematisch.
Tabelle 4.25 Möglicher vorzeitiger Berufsausstiegt nach Altersklassen (in Prozent) 20–29
30–39
40–49
50–59
60+
Gesamt
Ja
62,1
74,6
65,0
36,8
45,8
64,6
Nein
37,9
25,4
35,0
36,2
54,2
35,4
95
126
140
213
48
622
Gesamt
Sig.: ,010 Cramers V:,146
168
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Ebenfalls signifikante Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der Berufserfahrung der Pflegekräfte, wenn auch mit einer etwas anderen Verteilung (Tabelle 4.26). Hier sind es hauptsächlich die Pflegenden mit über 10 bis 25 Berufsjahren, die über einen vorzeitigen Berufsausstieg nachdenken. Tabelle 4.26 Möglicher vorzeitiger Berufsausstieg nach Berufsjahren (in Prozent) 1 bis 5
6 bis 10
11 bis 15
16 bis 25
26 bis 35
35+
Gesamt
Ja
57,1
59,8
73,0
79,0
64,2
53,9
65,1
Nein
42,9
40,2
27,0
21,0
35,8
46,1
34,9
28
87
74
124
193
128
634
Gesamt
Sig.: ,001 Cramers V:,185
Nicht nur der komplette Berufsausstieg ist in der Pflege ein Thema, sondern auch der Wechsel in einen möglicherweise weniger belastenden Arbeitsbereich. Es wurde daher danach gefragt, welche alternativen Bereiche für die befragten Pflegenden in Rheinland-Pfalz in Frage kommen, da der Ausstieg aus dem Pflegeberuf auch hier leider in allen Pflegebereichen an vorderster Stelle steht. Attraktiv erscheint für viele Befragte der Wechsel in einen berufsbezogenen Lehrberuf, in die Pflegeverwaltung oder auch in die freie, berufsbezogene Wirtschaft. Rund 24 Prozent der Pflegekräfte können sich zudem vorstellen gar nicht mehr zu arbeiten. Der Wechsel in einen anderen Pflegebereich ist dagegen eher weniger attraktiv, wobei der Wechsel in die Akutpflege dabei noch am attraktivsten bewertet wird. Immerhin 40 Prozent der Beschäftigten in der stationären und teilstationären Pflege können sich einen Wechsel in die Akutpflege vorstellen, in der ambulanten Pflege ist es ein gutes Drittel. Die stationäre oder teilstationäre Pflege ist dagegen für Pflegende aus der Akutpflege und der ambulanten Pflege eine wenig attraktive Option. Lediglich 5 Prozent der Akutpflegekräfte und 9 Prozent der ambulanten Pflegekräfte können sich einen Wechsel in den stationären Pflegebereich vorstellen. Neben dem Berufsausstieg oder dem Wechsel in einen anderen Bereich, besteht eine weitere Möglichkeit den als negativ empfundenen Arbeitsbedingungen im Heimatland zu entfliehen darin, Arbeitsmigration in ein benachbartes Land mit besseren Rahmenbedingungen in der Pflege zu wählen. Rund 40 Prozent haben schon einmal ernsthaft darüber nachgedacht, ins Ausland zu gehen, um dort in der Pflege zu arbeiten. Für Pflegende in der Akutpflege (45 Prozent) kommt ein Wechsel ins Ausland dabei eher in Frage, als für Pflegende aus der stationären Versorgung (30 Prozent) und der ambulanten Pflege (22
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
169
Prozent)11 . Ebenso können sich Männer (56 Prozent) und jüngere Pflegekräfte (54 Prozent) eine Tätigkeit im Ausland eher vorstellen als Frauen (35 Prozent)12 und ältere Kolleg*innen (36 Prozent)13 . Beliebt sind vor allem Länder, in denen eine deutlich bessere Bezahlung zu erwarten ist, wie beispielsweise in Luxemburg, der Schweiz oder auch in den Skandinavischen Ländern. Wie zu erwarten, spielt die Bezahlung eine besonders große Rolle für die Überlegungen ins Ausland zu gehen, um dort in der Pflege zu arbeiten. Für 87 Prozent der Befragten wäre dies, neben der Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen und größerer Anerkennung und Wertschätzung in der Gesellschaft, ein ausschlaggebender Grund (Abbildung 4.10).
Bessere Bezahlung
87
Bessere Arbeitsbedingungen
56
Größere Anerkennung und Wertschätzung
53
Bessere Aufsegsmöglichkeiten
23
Bessere Weiterbildungsmöglichkeiten
17 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 4.10 Gründe für einen Wechsel ins Ausland
4.3.3.4 Wiederentscheidung für den Pflegeberuf Die großen Arbeitsbelastungen und schwierigen Arbeitsbedingungen spiegeln sich ferner in den Antworten auf die Frage wider, ob sich die Befragten noch einmal für eine Tätigkeit in der Pflege entscheiden würden, wenn sie heute noch einmal die Wahl hätten. Zur Auswahl standen die Kategorien „Ja, auf jeden Fall“, „Ja, unter Umständen“, „Nein, eher nicht“ und „Nein, auf gar keinen Fall“. Nur 28 Prozent würde sich auf jeden Fall noch einmal für den Pflegeberuf entscheiden und für knapp 29 Prozent würden verbesserte Umstände zu einer Wiederentscheidung für die Pflege führen. Für rund ein Drittel der Befragten käme eine pflegerische Tätigkeit dagegen eher nicht mehr in Frage. Und 11 Prozent geben sogar an, dass sie sich auf keinen Fall mehr für eine Tätigkeit in der 11 Sig.:
,000, Cramer’s V: ,172. ,000, Phi: −,192. 13 Sig.: ,006, Cramer’s V: ,152 12 Sig.:
170
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Pflege entscheiden würden. Zwischen den einzelnen Pflegebereichen gibt es keine bedeutsamen Unterschiede. Den Befragten wurde zudem in Form von Freitextfelder ermöglicht ihre Entscheidung zu begründen, unter welchen Umständen sie sich noch einmal für den Pflegeberuf entscheiden würden. 156 Pflegekräfte haben dazu zum Teil sehr detaillierte Angaben gemacht. Zusammengefasst wurden am häufigsten eine bessere Personalausstattung (53 Nennungen), eine bessere Bezahlung (47 Nennungen), mehr Zeit für die Patienten/Pflegebedürftigen (44 Nennungen), insgesamt bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen in der Pflege (37 Nennungen), sowie der Wunsch nach mehr Anerkennung der Pflege in der Gesellschaft (28 Nennungen) genannt. Hier einige exemplarische Begründungen im Wortlaut14 : „Wenn genügend Zeit zur Verfügung stehen würde, die Bedürfnisse der Patienten zu beachten und es auch meinen Vorstellungen von Pflege entsprechen würde; die Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich besser wären.“ „Wenn ich einen Arbeitsplatz finde in dem Personal fair behandelt und sich an rechtliche Richtlinien gehalten wird […]. Überstunden und Urlaubstage verschwinden. An jedem freien Tag wird mehrfach telefonisch vom Arbeitgeber erfragt doch einzuspringen. Patienten und Bewohner sollen medizinisch und pflegerisch gut versorgt sein, was nicht mehr der Fall ist.“ „Verbesserte Personalsituation, damit tatsächlich Raum und Zeit gegeben sind, um Patienten pflegefachlich therapeutisch-aktivierend zu versorgen, incl. Hygienemaßnahmen und Dokumentation, verbesserte Infrastruktur, Arbeitsmaterialien, Arbeitsplatzgestaltung“ „Wenn die Arbeitsdichte, der damit verbundene Stress abnehmen würde. Dann wäre auch ein besseres Zusammenarbeiten mit den Ärzten möglich und somit ein strukturierendes Arbeiten. Die Fehlerquote würde merklich gesenkt. Des Weiteren wäre ein besserer Dialog zwischen Patient und Angehörigen möglich. Dies führt letztendlich zu einer optimalen stationären Behandlung und mit Sicherheit auch zu Kostenersparnissen im Gesamten. Nicht nach dem Motto: Wir sparen! -Koste es was es wolle.“
Die Befragten, die sich nicht noch einmal für den Pflegeberuf entscheiden würden, wurden ebenfalls gebeten, ihre Entscheidung in einem Freitextfeld zu begründen. 78 Pflegekräfte haben sich dazu geäußert. Die genannten Mängel sind alle ähnlich und bekannt: hohe Arbeitsbelastung, körperliche, psychische und seelische Erschöpfung, schlechte Rahmenbedingungen, Personalmangel, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, schlechte interdisziplinäre Zusammenarbeit, Zeitdruck und Zeitmangel, fehlende Wertschätzung und Anerkennung, krankendes System. Hier einige exemplarische Begründungen im Wortlaut: 14 Die
gesamten Antworten sind im Anhang dokumentiert.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
171
„Die Arbeitsbedingungen sind unmenschlich. Zeit für die Patienten ist kaum vorhanden. Wenn man mehrere Pflegefälle hat ist man kaum in der Lage diese zu versorgen, da die Zeit dafür fehlt. Dokumentation ist wichtiger als die Pflege der Patienten. Außerdem wird jeder Ärger ob von Patienten, Ärzten oder anderen Berufsgruppen immer auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen.“ „Arbeitszeiten nicht alltagstauglich, Gehalt nicht den Anforderungen und Verantwortung entsprechend, keine Anerkennung in der Gesellschaft, Arbeitsbedingungen nicht Zeitgemäß, Stress und Burnout nehmen immer zu, Fachkräftemangel wird immer stärker im Berufsalltag“ „Pflegekräfte werden meist als Neutrum ohne eigene Bedürfnisse angesehen. Sozialkontakte gehen verloren, wenig Wertschätzung, Bezahlung könnte besser sein, da eine große Verantwortung, Prophylaxen für Pflegekräfte zur Gesundheitserhaltung fehlen“ „Schlechte Aufstiegsmöglichkeiten; hoher physischer und psychischer Druck; das Wissen, das wichtige Pflegetätigkeiten bewusst liegen bleiben muss; geringer Verdienst; schlechte Arzt-Pflege-Patienten Kommunikation, unattraktive Zeitarbeitsmodelle für die Basis; Arbeit wird nicht in der Gesellschaft anerkannt; Pflege ist der Packesel eines KH –> muss jegliche neue Arbeit übernehmen; Pflegetätigkeiten < Dokumentationsaufwand; originären Aufgaben der Pflege verblassen zunehmend; Skill-Mix wird nicht richtig umgesetzt –> Umwandlung von Pflegestellen und Service- und Hilfspersonalstellen 1:1“ „Die Rahmenbedingungen haben sich sehr verschlechtert. Es zählen nur noch der Case Mix Index, Verweildauern, Fallzahlen und Pflegeminuten. Alles wird standardisiert und genormt, für Kreativität ist kein Platz mehr. Ebenso nicht mehr für Fürsorge, Nähe und Zuwendung für die Patienten. Die Arbeitsbelastung ist unzumutbar, das Gehalt schlecht und das Ansehen in der Gesellschaft sinkt. Pflege wird zu einem Job, den sonst keiner mehr machen will.“
4.3.4
Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung und die Patienten
Besonders bedeutend bei der Analyse der Arbeitssituation in der Pflege ist die Frage, wie sich Arbeitsverdichtung und Arbeitsbelastung auf die Versorgung und die Sicherheit der Patienten und Pflegebedürftigen auswirken. Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen pflegerischen Versorgung sowie die Gewährleistung einer umfassenden Überwachung und Betreuung sind zentrale Faktoren bei der Bewertung der Angemessenheit der Personalausstattung in der Pflege (Isfort et al. 2010, S. 62). Aus diesem Grund wurden zusätzlich Fragen zur Einschätzung der pflegerischen Versorgung und möglichen Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung gestellt. Es wurden dabei, in leicht abgewandelter und angepasster Form,
172
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
bewährte Fragen aus der Pflege-Thermometer Befragung 2009 des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung übernommen. Die Befragten sollten zunächst sechs Aussagen bezüglich der pflegerischen Versorgung in ihrem Arbeitsbereich einschätzen. Die Aussagen sollten auf einer vierstufigen Likert-Skala von „trifft voll und ganz zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“ eingeschätzt werden. Für die Überprüfung auf soziodemografische Unterschiede wurden die Items aufgrund geringer Fallzahlen in den einzelnen Zellen dichotomisiert. Dazu wurden die Kategorien „trifft voll und ganz zu“ und „trifft eher zu“ zusammengefasst, sowie die Ausprägungen „trifft eher nicht zu“ und „trifft überhaupt nicht zu“ (Tabelle 4.27).
Tabelle 4.27 Pflegerische Versorgung nach Arbeitsbereichen (Angaben „trifft eher nicht zu“ und „trifft überhaupt nicht zu“ in Prozent) Akutpflege Stationäre/ Ambulante Sig./Cramer’s teilstationäre Pflege V Pflege Es ist in jeder Schicht eine ausreichende Anzahl qualifizierter Pflegefachpersonen anwesend, um pflegerische Versorgung abzusichern
51,1
40,8
7,1
,000/,251
Die Kontakthäufigkeit zwischen qualifizierten Pflegefachpersonen und Patienten/Pflegebedürftigen ermöglicht eine bedarfsgerechte Kommunikation
42,8
35,2
8,9
,000/,198
Expertenstandards werden bei der 31,1 Patientenversorgung/pflegerischen Versorgung berücksichtigt
19,2
8,6
,000/,167
Die Patienten/Pflegebedürftigen 29,3 werden häufig genug pro Schicht von einer qualifizierten Pflegefachperson besucht, um ihre Sicherheit gewährleisten zu können
29,2
12,3
,024/,108
Die notwendige medizinische 28,2 Versorgung ist jederzeit gesichert
15,4
10,5
,001/,166
3,9
/
,018/,112
Notwendige pflegerischen Maßnahmen werden auch durchgeführt
8,6
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
173
Rund jede zweite Pflegekraft in der Akutpflege gibt an, dass die Schichtbesetzungen mit qualifiziertem Personal nicht ausreichen, um pflegerische Absicherung der Patientenversorgung zu gewährleisten. In der stationären und teilstationären Pflege sind es 41 Prozent. Auch die Kontakthäufigkeit zwischen Pflegenden und Patienten für eine bedarfsgerechte Kommunikation wird von 43 Prozent der Beschäftigten in der Akutpflege und 35 Prozent in der stationären/teilstationären Pflege als nicht ausreichend empfunden. Bereits diese beiden Indikatoren deuten, zumindest für den Bereich der Akutpflege und der stationären Pflege, auf zum Teil gravierende Probleme in der pflegerischen Versorgung hin, die sich negativ auf die Patienten und Pflegebedürftigen auswirken. Obwohl Expertenstandards bei der Versorgung und Pflege größtenteils angewendet werden, gibt immerhin rund ein Drittel der Befragten in der Akutpflege an, dass dies in ihrem Bereich nicht der Fall sei, was ebenfalls zu Einbußen in der Qualität der Pflege führen kann. Auch in Bezug auf die Überwachung von Patienten und Pflegebedürftigen, ein bedeutender Aufgabenbereich in der Pflege, lassen sich bereits Probleme ausmachen. Eine angemessene Überwachung und Beobachtung kann nur durch regelmäßigen Kontakt zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen erreicht werden. Denn nur so ist es möglich, Risiken und Gesundheitsprobleme, aber auch Pflegeprobleme und Ressourcen richtig einzuschätzen und den Pflegeprozess entsprechend zu planen. Die Überwachung der Patienten im Sinne einer empathischen Beobachtung und Einschätzung der Bedürftigkeit, erfordert grade im Krankenhausbereich zudem eine regelmäßige Kontrolle von Vitalwerten, wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Atmung, Puls und Temperatur (Isfort et al. 2010, S. 63). Darüber hinaus muss beispielsweise sichergestellt werden, dass sturzgefährdete Patienten nicht versuchen, allein aufzustehen. Durch die stetige Zunahme an dementen und multimorbiden Patienten gewinnt die Überwachung zunehmend an Bedeutung für die pflegerische Arbeit, so Isfort (2010, S. 63). Rund 30 Prozent der befragten Pflegenden in der Akutpflege und im stationären/teilstationären Bereich geben an, dass die Patienten und Pflegebedürftigen nicht häufig genug in einer Arbeitsschicht besucht werden, um ihrer Sicherheit gewährleisten zu können. Auch die medizinische Versorgung ist, zumindest in der Akutpflege, keineswegs jederzeit gesichert. 28 Prozent der Beschäftigten in den Krankenhäusern geben dies an. Die Ergebnisse aus Rheinland-Pfalz decken sich hinsichtlich der Akutpflege größtenteils mit den Ergebnissen der Pflege-Thermometer-Befragung aus dem Jahr 2009 und müssen als Alarmsignal angesehen werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die steigende Belastung der Pflegenden in einem erheblichen Umfang auch auf die Pflegequalität und die Sicherheit der Patienten und Pflegebedürftigen auswirkt.
174
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Neben der Einschätzung der allgemeinen pflegerischen Versorgung wurde in der Befragung, wie auch in der Pflege-Thermometer-Befragung 2009, nach konkreten Schwierigkeiten und Problemen in den letzten sieben Arbeitstagen der Pflegekräfte gefragt. Als Einschätzungsabstufung wurden hier die Kategorien „mehrmals täglich“, „täglich“, „alle zwei Tage“, „seltener“ und „nie“ gewählt. Aufgrund der strukturellen und organisatorischen Unterschiede bezüglich der Arbeitsabläufe, wurden die Items für jeden Pflegebereich gesondert ausgewertet. Fast alle befragten Pflegenden in der Akutpflege (88 Prozent) geben an, mehrmals täglich bei einem begonnenen Arbeitsprozess unterbrochen worden zu sein. Die häufigen Unterbrechungen, meist eine Konsequenz aus einer unzureichenden Personaldecke, sind hauptsächlich für die Patienten problematisch, da pflegerische Maßnahmen nicht (mehr) oder nicht (mehr) vollständig durchgeführt werden können. Ein weiterer Indikator für die Auswirkungen des Personalmangels im Bereich der Akutpflege zeigt sich daran, dass knapp zwei Drittel der Befragten mehrmals täglich oder täglich erlebten, dass auf eine Patientenklingel nicht entsprechend schnell reagiert werden konnte. Ebenfalls gravierend für die Patientensicherheit erscheint die Tatsache, dass rund 59 Prozent der Pflegenden angeben, dass verwirrte Patienten (z. B. aufgrund einer Demenz) mehrmals täglich oder täglich nicht ausreichend beobachtet werden konnten. Fehler bei der Medikation oder der Medikamentenverabreichung treten dagegen vergleichsweise selten auf. Nur acht Prozent der Pflegenden in der Akutpflege haben dies innerhalb der letzten sieben Tage vor der Befragung mehrmals täglich oder täglich erlebt, zwei Drittel nur seltener. Explizit ausgeschlossen wird ein Medikationsfehler aber nur von 21 Prozent der Befragten (Tabelle 4.28).
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
175
Tabelle 4.28 Mögliche Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung, Akutpflege (in Prozent) Wie häufig ist es in Ihren letzten 7 Arbeitstagen vorgekommen, dass…
N
Mehrmals täglich
Täglich
…im Arbeitsstress ein Fehler beim Medikamentenstellen bzw. bei der Medikationsverabreichung gemacht wurde?
427
2,1
5,4
…Sie bei wichtigen Entscheidungen keinen zuständigen Arzt erreichen konnten?
432
9,5
…ein Patient länger als 15 Minuten auf die als notwendig erachtete Verabreichung von Medikamenten warten musste?
426
Etwa alle zwei Tage
Seltener
Nie
9,1
62,1
21,3
23,8
10,9
41,7
14,1
12,7
20,9
14,6
36,2
15,7
…eine ärztliche Anordnung 429 von einem anderen Arzt in derselben Schicht abgeändert wurde?
15,4
28,4
18,9
28,7
8,6
…verwirrte Patienten (z. B. 416 Demenz) nicht ausreichend beobachtet werden konnten?
22,8
31,3
12,3
24,5
9,1
…auf eine „Patientenklingel“ nicht entsprechend schnell reagiert werden konnte?
418
29,7
33,7
8,1
20,1
8,4
…Sie bei einem begonnenen Arbeitsprozess durch Telefon oder Klingel unterbrochen wurden
443
88,3
9,0
0,7
1,1
0,9
176
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Probleme bei der pflegerischen Patientenversorgung können jedoch auch durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Pflegenden bedingt sein. In der Befragung zeigt sich, dass innerhalb der letzten sieben Tage rund zwei von fünf Befragten in der Akutpflege mehrmals täglich oder täglich erlebten, dass eine ärztliche Anordnung von einem anderen Arzt oder einer anderen Ärztin in derselben Schicht abgeändert wurde oder bei wichtigen Entscheidungen überhaupt kein zuständiger Arzt oder eine zuständige Ärztin erreicht werden konnte. Ein Drittel gibt zudem an, dass mehrmals täglich oder täglich Patienten länger als 15 Minuten auf eine notwendige Verabreichung von Medikamenten warten mussten. Nur 16 Prozent schließen das kategorisch aus. Hier kann jedoch nicht ermittelt werden, ob die verspätete Medikamentengabe aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Pflegenden, aufgrund der mangelnden Erreichbarkeit des ärztlichen Personals erfolgte oder möglicherweise in der Kombination beider Problembereiche zu suchen ist (Isfort et al. 2010, S. 68). Die Schwierigkeiten bei der pflegerischen Versorgung sind in der stationären und teilstationären Pflege ähnlich wie in der Akutpflege, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt (siehe Tabelle 4.29). In der ambulanten Pflege scheinen dagegen, vergleichbar zu den Antworten bezüglich der allgemeinem pflegerischen Versorgung, keine großen Probleme innerhalb der letzten sieben Arbeitstage vor der Befragung bestanden zu haben, wie Tabelle 4.29 verdeutlicht (Tabelle 4.30). Tabelle 4.29 Mögliche Schwierigkeiten näre/teilstationäre Pflege (in Prozent) Wie häufig ist es in Ihren letzten 7 Arbeitstagen vorgekommen, dass…
N
bei
Mehrmals täglich
der Täglich
Patientenversorgung, Etwa alle zwei Tage
statio-
Seltener
Nie
…im Arbeitsstress ein Fehler 125 beim Medikamentenstellen bzw. bei der Medikationsverabreichung gemacht wurde?
1,6
4,8
4,0
67,2
22,4
…ein Bewohner/Pflegebedürftiger länger als 15 Minuten auf die als notwendig erachtete Verabreichung von Medikamenten warten musste?
6,4
14,4
11,2
41,6
26,4
125
(Fortsetzung)
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
177
Tabelle 4.29 (Fortsetzung) Wie häufig ist es in Ihren letzten 7 Arbeitstagen vorgekommen, dass…
N
Mehrmals täglich
Täglich
Etwa alle zwei Tage
Seltener
Nie
…auf eine „Patientenklingel“ 122 nicht entsprechend schnell reagiert werden konnte?
20,5
30,3
9,0
31,1
9,1
…verwirrte Bewohner/Pflegebedürftige (z. B. Demenz) nicht ausreichend beobachtet werden konnten?
121
28,9
24,0
10,7
29,8
6,6
…Sie bei einem begonnenen 128 Arbeitsprozess durch Telefon oder Klingel unterbrochen wurden
80,5
14,8
1,6
3,1
/
Tabelle 4.30 Mögliche Schwierigkeiten bei der Patientenversorgung, ambulante Pflege (in Prozent) Wie häufig ist es in Ihren letzten 7 Arbeitstagen vorgekommen, dass…
N
Mehrmals täglich
Täglich
…im Arbeitsstress ein Fehler beim bei der Medikationsverabreichung gemacht wurde?
55
/
/
…Sie aufgrund von Zeitdruck nicht alle pflegerisch notwendigen Maßnahmen bei einem Klienten durchführen konnten?
56
/
5,7
Etwa alle zwei Tage
Seltener
Nie
/
49,1
50,9
7,5
52,8
34,0
(Fortsetzung)
178
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.30 (Fortsetzung) Wie häufig ist es in Ihren letzten 7 Arbeitstagen vorgekommen, dass…
N
…Sie wichtige pflegerelevante Informationen über einen Klienten nicht (rechtzeitig) an Kolleg*innen weitergeben konnten?
55
1,8
3,6
…Sie aufgrund von Verkehrsproblemen mit Verzögerung zu einem Klienten kamen?
56
10,7
…Sie bei einem begonnenen Arbeitsprozess unterbrochen wurden?
55
20,0
4.3.5
Mehrmals täglich
Täglich
Etwa alle zwei Tage
Seltener
Nie
1,8
60,0
32,7
19,6
12,5
42,9
14,3
14,5
10,9
43,6
10,9
Bewältigungsstrategien
Neben den Belastungen und potenziellen Auswirkungen der Belastungen auf Personal und Patienten wurde in einem nächsten Schritt untersucht, welche Möglichkeiten und Methoden die Befragten zur Stressbewältigung nutzen und wie hilfreich diese eingeschätzt werden. Dazu wurde eine Liste mit 10 Items vorgegeben, welche die Befragten auf eine Skala von 1 (sehr hilfreich) bis 4 (nicht hilfreich) bewerten sollten. Daneben gab es auch die Möglichkeit „nutze ich nicht“ oder „wird nicht angeboten“ anzugeben. Die Bewältigungsmöglichkeiten reichen dabei von persönlichen Ressourcen bis hin zu professionellen und institutionalisierten Angeboten, wie sie von Arbeitgebern angeboten werden (Tabelle 4.31).
518 622 616 617
Seelsorge
Sozialer Ansprechpartner/Sozialberater
Autogenes Training
Seminare zur Stressbewältigung
624
Gespräche mit Vorgesetzten
Supervision
526 631
Gespräche mit Familie
633 633
Gespräche mit Freunden
Gespräche mit Kolleg*innen
Sport
629 636
Gespräche mit Partner
n
1,0
1,5
5,0
5,8
6,1
10,5
19,8
25,6
26,2
29,4
34,7
Sehr hilfreich
5,7
7,5
13,0
14,9
14,4
36,0
40,1
43,9
43,9
50,0
39,0
Hilfreich
10,4
9,3
11,1
9,1
9,3
33,1
23,8
20,2
11,2
15,1
13,5
Weiniger hilfreich
Tabelle 4.31 Möglichkeiten und Methoden der Stressbewältigung (in Prozent)
3,6
4,4
5,0
6,2
2,7
13,0
5,7
4,9
1,4
3,0
4,1
Nicht hilfreich
52,2
60,6
42,6
34,3
41,0
4,6
10,1
5,2
13,9
1,6
6,5
Nutze ich nicht
27,2
16,9
23,3
39,8
20,5
2,9
0,6
0,2
3,3
0,9
2,2
Wird nicht angeboten
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede 179
180
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Zur besseren Darstellung wurden die Items wieder mit Hilfe einer Hauptkomponentenanalyse analysiert und verdichtet. Es wurden insgesamt vier Faktoren extrahiert: „Seminare und externe Hilfe“, „Gespräche mit Familie und Freunden“, „Gespräche mit Kolleg*innen und Vorgesetzten“ und „Sport“. Bei den extrahierten Faktoren wurden zur weiteren Analyse die letzten beiden Kategorien („nutze ich nicht“ und „wird nicht angeboten) ausgeschlossen, sowie die Ausprägungen „sehr hilfreich“ und „hilfreich“ zusammengefasst (Tabelle 4.32).
Tabelle 4.32 Möglichkeiten und Methoden der Stressbewältigung, Faktoren und Faktorladungen Faktor 1 Seminare und externe Hilfe Seminare zur Stressbewältigung
,772
Sozialer Ansprechpartner/Sozialberater
,767
Supervision
,734
Seelsorge
,733
Autogenes Training
,722
Gespräche mit Familie
Faktor 2 Gespräche mit Familie und Freunden
Faktor 3 Gespräche mit Kolleg*innen und Vorgesetzten
Faktor 4 Sport
,806
Gespräche mit Freunden
,795
Gespräche mit (Ehe-)Partner
,650
Gespräche mit Kolleg*innen
,852
Gespräche mit Vorgesetzten
,841
Sport
,937
Hauptkomponentenanalyse, Varimax Rotation, KMO: ,721 Sig.: ,000
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten mit Stress und Belastungssituationen umzugehen, die sich individuell unterscheiden. Für die meisten der befragten Pflegekräfte ist Sport ein hilfreicher Ausgleich zum stressigen Arbeitsalltag. Aber auch Gespräche mit dem Partner, der Familie oder Freunden helfen vielen bei der Stressbewältigung. Seminare zur Stressbewältigung, autogenes Training oder externe Hilfsangebote werden dagegen eher weniger genutzt – teilweise auch weil diese Maßnahmen gar nicht angeboten werden – und werden von den Befragten
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
181
als weniger hilfreich eingeschätzt. Differenziert nach den drei Pflegebereichen, nach Altersklassen, Geschlecht und Berufsjahren zeigen sich keine signifikanten Unterschiede (Tabelle 4.33). Tabelle 4.33 Möglichkeiten der Stressbewältigung (in Prozent) n
Sehr hilfreich
Hilfreich
Weiniger hilfreich
633
26,2
43,9
11,2
1,4
13,9
3,3
Gespräche 519 mit Familie und Freunden
19,3
42,8
28,7
7,3
1,9
/
630
8,7
42,1
35,7
9,8
3,0
0,6
Seminare und 499 externe Hilfen
0,6
4,0
13,4
19,0
44,9
18,0
Sport
Gespräche mit Kolleg*innen und Vorgesetzten
Nicht hilfreich
Nutze ich nicht
Wird nicht angeboten
Zusätzlich zu den Faktoren wurde mit Hilfe eines Summenindizes ermittelt, wie viele der vorgegebenen Bewältigungsmöglichkeiten die befragten Pflegekräfte überhaupt nutzen (Tabelle 4.34). Im Durchschnitt sind es knapp 7. Alle Befragten nutzen mindestens eine Strategie, um mit Belastungen und Stress umzugehen. Dabei bestehen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wohl aber zwischen den Pflegebereichen, den Altersklassen und den Berufsjahren.
182
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.34 Summenindex Stressbewältigungsmöglichkeiten Anzahl an genutzten Bewältigungsstrategien
%
1
0,3
2
0,6
3
3,0
4
8,4
5
20,3
6
25,0
7
12,2
8
10,8
9
8,0
10
2,3
11
9,1
Ø
6,6
N
640
Pflegekräfte in der stationären/teilstationären Pflege (7,3) nutzen im Durchschnitt mehr Bewältigungsstrategien zum Umgang mit Arbeitsbelastung als ihre Kolleg*innen in der ambulanten Pflege (Scheffé: ,025) und dem Krankenhausbereich (Scheffé: ,000) (je 6,4). Ein Alterseffekt ist ebenfalls zu beobachten: Die Anzahl der genutzten Coping-Mechanismen steigt linear mit dem Alter und den Berufsjahren in der Pflege. Während von den 20 bis 29-Jährigen im Durchschnitt 5,7 Strategien angegeben werden, sind es bei den 40 bis 46-Jährigen schon 6,9 und bei den über 60-Jährigen 7,415 . Es wurde zusätzlich ein zweiter Summenindex gebildet, welcher angibt, als wie hilfreich die genutzten Bewältigungsstrategien bewertet werden. Dieser Index reicht vor Standardisierung empirisch von 3 bis 40 und nimmt nach Standardisierung Werte von 0 (nicht hilfreich) bis 100 (sehr hilfreich) an. Der Mittelwert in der Gesamtstichprobe liegt bei 40,6. Im Einklang mit den Ergebnissen hinsichtlich der Anzahl an genutzten Bewältigungsstrategien, zeigen sich auch hier signifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen, den Altersklassen und den Jahren im Beruf. Unter den Beschäftigten in der stationären/teilstationären Pflege (45,0) werden die genutzten Maßnahmen als hilfreicher eingeschätzt, als in den anderen beiden Pflegebereichen (Akutpflege: 39,5, ambulante Pflege: 38,9). 15 Mittelwertvergleich:
Sig.: ,000.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
183
Die Mittelwertdifferenz zwischen der stationären/teilstationären Pflege und der Akutpflege ist dabei hochsignifikant (Scheffé: ,004). Ebenso steigt das Ausmaß der als hilfreich bewerteter Coping-Strategien beinahe linear mit dem Alter und den Berufsjahren (Tabelle 4.35 und 4.36). Tabelle 4.35 Hilfreiche Bewältigungsstrategien – Mittelwerte nach Altersklassen Alter
Mittelwert
Standardabweichung
20 bis 29 Jahre
34,8
12,1
30 bis 39 Jahre
37,9
14,6
40 bis 49 Jahre
43,1
17,7
50 bis 59 Jahre
42,5
17,0
60 und älter
45,9
20,2
N
622
16,6
Sig.: ,000 Tabelle 4.36 Hilfreiche Bewältigungsstrategien – Mittelwerte nach Berufsjahren Berufsjahre
Ø
Standardabweichung
1 bis 5 Jahre
39,2
15,8
6 bis 10 Jahre
34,7
13,5
11 bis 15 Jahre
39,0
13,6
16 bis 25 Jahre
38,8
16,1
26 bis 35 Jahre
42,4
17,9
länger als 35 Jahre
45,3
16,9
N
635
16,5
Sig.: ,000
Ältere Pflegekräfte und solche mit mehr Berufsjahren scheinen also eher Bewältigungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen und bewerten diese als hilfreich. Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich nicht ausmachen. In den Experteninterviews konnten die Pflegekräfte detaillierter von den individuell eingesetzten Bewältigungsstrategien berichten. Die Wichtigkeit der Selbstfürsorge und -pflege der Psychohygiene wurde von allen drei Probandinnen herausgestellt, um mit den hohen Belastungen im Pflegeberuf entsprechend umgehen zu können. Sport und leichte körperliche Betätigungen wie Yoga oder
184
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
spazieren gehen zählen auch hier zu den wichtigsten Bewältigungsmechanismen, ebenso wie der soziale Austausch im Team. Daneben scheint aber jede Pflegekraft ihre individuelle Strategie im Umgang mit der Bewältigung von Arbeitsstress und Arbeitsbelastungen entwickelt zu haben, wie die folgenden Interviewausschnitte verdeutlichen: „Also psychisch ist es so, ich komme nach Hause und dusche lange. Dusche zum einen, weil es körperlich anstrengend ist, aber auf der anderen Seite dusche ich auch aus Psychohygiene Gründen […] um halt das auch irgendwie ein Stück weit von sich abzuwaschen. Ich sage immer, ich wasche das von mir ab was ich erlebt habe. Ja, körperlich muss man einfach was machen für den Rücken, sonst hältst du es nicht lange aus, wenn du eine schlechte Muskulatur im Rücken hast.“ Akutpflegekraft, 6 Jahre Berufserfahrung „Also ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man ein gutes Team hat, also wenn das Team gut ist, dann kann man auch da viel abfangen. Weil dann ist man humorvoll miteinander, auch wenn man Stress hat oder nach dem Dienst unterhält man sich nochmal kurz, und dann kann man viel darüber abbauen. Also das ist das A und O, dass das Team einfach stabil ist und gut funktioniert, dann kann man auch anders nach Hause gehen. Aber wenn das jetzt nicht der Fall ist oder wenn es im Team irgendwie Schwierigkeiten gab, dann geht man natürlich schon anders nach Hause und dann ist es wirklich schwierig. Dann ist man da schon je nachdem tagelang mit beschäftigt und kommt schwer runter, je nachdem was man erlebt hat. Und dann, klar wenn dann irgendwie ein bisschen Sport macht oder mit den ätherischen Ölen, also Thema Aromapflege, sich da irgendwie ein bisschen was Gutes tut. Aber ansonsten ist es wirklich das Team auf der Arbeit, wenn das einfach stimmt und die Arbeitsbedingungen. Weil das andere ist ja eben unsere Arbeit. Der Stress ist ja unsere Arbeit. Es hat einfach viel mit dem Team zu tun, mit den Kollegen, mit dem System im Krankenhaus an sich.“ Akutpflegekraft, 14 Jahre Berufserfahrung „Also wenn es in der Situation selbst ist, dass es mal sehr stressig ist, dann habe ich für mich so eine Atemübung. Das bekommt kein Mensch mit, hilft aber total gut. Ansonsten mache ich Yoga, gehe Laufen, versuche auch, wenn möglich, täglich vor die Tür zu kommen. Da habe ich für mich einfach so eine Liste mit ca. 10 Punkten, die ich so unter der Rubrik ‚Selbstfürsorge‘ verwalte. Und wo ich dann auch immer wieder schaue, was mache ich wirklich davon und merke dann auch, wenn ich nicht gut mit mir umgehe, kann ich auch mit anderen nicht gut umgehen. Das pendelt sich halt so ein, das ist eine Wechselwirkung“ Akutpflegekraft (Palliativstation), 25 Jahre Berufserfahrung
Interessant an den Aussagen der drei Pflegekräfte ist vor allem die als Selbstverständlichkeit empfundene Alltäglichkeit des Stresses und dessen Bewältigung
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
185
im Berufsalltag. Einhergehend mit der Selbstreflexion, dass eine unzureichende Selbstfürsorge nicht nur negative Auswirkungen auf einen selbst, sondern auch auf andere hat.
4.3.6
Ressourcen und Chancen
Natürlich gibt es neben den vielen Belastungen im Berufsalltag durchaus positive Aspekte des Pflegeberufs. Daher wurde in der Befragung ebenfalls nach positiven Einschätzungen zum Beruf und zur beruflichen Perspektive der Pflegekräfte gefragt. Die Befragten sollten dabei vier Aussagen zum Pflegeberuf auf einer Skala von 1 (trifft voll zu) bis 4 (trifft gar nicht zu) bewerten. Die entsprechenden Items wurden wieder aus der Pflege-Thermometer Befragung von 2009 übernommen (Tabelle 4.37). Tabelle 4.37 Individuelle Ressourcen und Chancen in der Pflege (in Prozent) N
Trifft voll zu
Trifft eher zu
Trifft eher nicht zu
Trifft gar nicht zu
726
13,5
42,8
31,7
12,0
In der Pflege gibt es für 728 mich gute berufliche Entwicklungschancen
18,3
44,5
32,1
5,1
Die Ausübung meines 725 Pflegeberufs ermöglicht mir, immer neue Arbeitsfelder kennenzulernen
16,0
49,8
28,8
5,4
Ich werde im Rahmen meiner derzeitigen Tätigkeit nach meinen Kompetenzen eingesetzt
28,8
46,3
20,1
4,8
Ich fühle mich durch meinen Arbeitgeber beruflich unterstützt und gefördert
728
Die eigene berufliche Situation in der Pflege wird von der Mehrheit der Befragten Pflegekräfte als positiv eingeschätzt. Einen besonders hohen Positivwert erreicht die Frage, inwieweit der Einsatzbereich nach den persönlichen
186
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Kompetenzen erfolgt. Drei Viertel aller Befragten waren dieser Meinung. Auch die Möglichkeit im Pflegeberuf neue Arbeits- und Handlungsfelder kennenzulernen wird von 66 Prozent als zutreffend empfunden. Insgesamt wird die Pflege von 63 Prozent der Befragten als Beruf mit guten Entwicklungschancen betrachtet. In Bezug auf dieses Merkmal zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen. Am stärksten ausgeprägt ist die positive Bewertung bei Pflegekräften aus der stationären und teilstationären Pflege (74 Prozent), in der Akutpflege sind es nur 59 Prozent (Sig.: ,006, Cramer’s V: ,120). Die Unterstützung durch Arbeitgeber und Vorgesetzte wird für die eigene berufliche Entwicklung ebenfalls als wichtig angesehen. Etwas mehr als jede zweite befragte Pflegekraft fühlt sich durch den Arbeitgeber beruflich unterstützt und gefördert. Neben der Unterstützung durch Vorgesetzte, spielen auch die Unterstützung und der Zusammenhalt unter Kolleg*innen eine entscheidende Rolle. Wie in jedem anderen Beruf auch, ist ein gutes Betriebsklima wichtig und entscheidend für die Zufriedenheit der Beschäftigten. Ein gutes, durch gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit geprägtes Verhältnis unter den Kolleg*innen ist in Berufen mit hoher Arbeitsbelastung jedoch besonders wichtig, da es dazu beitragen kann, empfundene Belastungen und Stress abzufangen. In der Befragung sollten die Pflegekräfte neben der allgemeinen Bewertung des Betriebsklimas daher auch das Verhältnis der Kolleg*innen untereinander charakterisieren. Das allgemeine Betriebsklima wird von den Befragten auf einer Schulnotenskala mit einer 2,5, also eher befriedigend als gut, bewertet. Zwischen den Pflegebereichen gibt es dabei keine signifikanten Unterschiede. Auch hinsichtlich der detaillierten Charakterisierung der Verhältnisse innerhalb des Teams fallen die Ergebnisse eher mittelmäßig aus (siehe Tabelle 4.38). Die angegebenen Prozentwerte beziehen sich auf den Anteil der jeweiligen Nennungen (Mehrfachnennungen waren möglich).
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
187
Tabelle 4.38 Charakterisierung des Verhältnisses der Kolleg*innen (in Prozent) Wie charakterisieren Sie das Verhältnis der Kolleg*innen in Ihrem Arbeitsbereich?
%
Im Team der Kolleg*innen herrscht ein freundschaftlicher Umgang
65,7
Die Kolleg*innen respektieren sich gegenseitig
60,4
Im Team kennt man auch die Familienverhältnisse der Kolleg*innen
58,7
Neue Kolleg*innen werden schnell in das Team integriert
52,0
Die Kolleg*innen halten zusammen
41,8
Die Kolleg*innen treffen sich auch in der Freizeit
40,8
Die Kolleg*innen unterstützen sich im Bedarfsfall auch bei privaten Problemen
35,2
Die Kolleg*innen sprechen Probleme untereinander offen an
33,5
Die Kolleg*innen können sich hundertprozentig aufeinander verlassen
18,8
N
730
Die Mehrheit der Pflegekräfte bewertet den Umgang untereinander als freundschaftlich und respektvoll. Wenn es aber um engere Kontakte und gegenseitige Hilfestellung geht, sieht die Einschätzung ganz anders aus. Hier sticht besonders heraus, dass nur 18,8 Prozent der befragten Pflegekräfte angeben, sich hundertprozentig aufeinander verlassen zu können. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass es keine verlässliche Schichtplanung gibt, da aufgrund von Fehlzeiten anderer, Schichten von Kolleg*innen übernommen werden müssen und das häufig als Doppelschicht im direkten Anschluss an den eigenen Dienst. Tendenziell scheint das Verhältnis unter den Akutpflegekräften etwas enger zu sein als in den Teams der anderen Pflegebereiche, hauptsächlich im Vergleich zur ambulanten Pflege. Signifikante Unterschiede zeigen sich beispielsweise hinsichtlich der Kenntnisse über die Familienverhältnisse der Kolleg*innen und hinsichtlich eines privaten Kontaktes außerhalb der Arbeitszeit. Dieser Befund ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsorganisation und Arbeitsstruktur in der ambulanten Pflege nicht verwunderlich. Dort wird die pflegerische Arbeit meist von den Pflegekräften allein durchgeführt, eine direkte Interaktion und ein Austausch mit Kolleg*innen, wie beispielsweise in den meist festen Pflegeteams im Krankenhausbereich oder den Pflegeheimen, ist bei der aktuellen Pflegesituation im ambulanten Bereich oft nicht möglich. Zwischen den anderen Personenmerkmalen (Alter, Geschlecht, Berufsjahre) zeigen sich dagegen keine signifikanten Unterschiede.
188
4.3.7
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Arbeitszufriedenheit
Neben den Einstellungen und Einschätzungen zum Pflegeberuf allgemein, wurde auch genauer nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz der Pflegenden gefragt. Die Arbeitszufriedenheit gilt als zentrale Ressource für eine gute und langfristige Berufsausübung. Zudem haben die Ergebnisse nationaler und internationaler Ergebnisse in Bezug auf die Pflege gezeigt, dass eine hohe Zufriedenheit bei und mit der Arbeit bei dem Umgang und der Verarbeitung von Stress und Arbeitsbelastungen helfen kann. In der Stichprobe überwiegt die Zufriedenheit. Knapp 70 Prozent der Pflegekräfte sind mit ihrem (zum Zeitpunkt der Befragung) aktuellen Arbeitsplatz eher zufrieden bis sehr zufrieden. Nur vier Prozent äußern eine hohe Unzufriedenheit. Die Zufriedenheit überwiegt in allen Pflegebereichen, wobei die Beschäftigten in der ambulanten Pflege tendenziell zufriedener scheinen als ihre Kolleg*innen in den anderen Pflegebereichen. 37 Prozent äußern hier eine sehr hohe Zufriedenheit. In den anderen beiden Bereichen sind es nur 17 bzw. 13 Prozent (Tabelle 4.39). Tabelle 4.39 Arbeitsplatzzufriedenheit nach Pflegebereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Sehr zufrieden 13,5
17,4
36,7
17,1
Eher zufrieden 53,8
56,1
33,3
52,1
Eher unzufrieden
29,1
22,7
25,0
27,1
Sehr unzufrieden
3,5
3,8
5,0
3,8
Gesamt
340
132
60
532
Sig.: ,001, Cramer’s V: ,145
Weitere Indikatoren, um die Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber und Arbeitsplatz zu messen, sind die Weiterempfehlungsbereitschaft und die Frage danach, ob man sich noch einmal in der Pflegeeinrichtung oder dem Krankenhaus bewerben würde. Auch hier fallen die Ergebnisse überwiegend positiv aus. Jeweils rund 80 Prozent der Befragten würden ihren Arbeitgeber weiterempfehlen und sich noch einmal in der Einrichtung bzw. dem Krankenhaus bewerben. Zwischen den Pflegebereichen zeigen sich jedoch ebenfalls signifikante Unterschiede (Tabelle 4.40).
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
189
Tabelle 4.40 Weiterempfehlungsbereitschaft nach Pflegebereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Ja, auf jeden Fall
26,1
42,7
55,9
33,5
Ja, unter Umständen
52,2
39,7
28,8
46,5
Nein eher nicht
18,2
14,5
15,3
16,9
Nein, auf keinen Fall
3,5
3,1
/
3,0
Gesamt
341
131
59
531
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,163
Über die Hälfte der Beschäftigten in der ambulanten Pflege würden ihren Pflegedienst auf jeden Fall als Arbeitgeber weiterempfehlen, in der Akutpflege sind es dagegen nur 26 Prozent. Das könnte daran liegen, dass ambulante Dienste meist kleinere Unternehmen sind, in denen die Pflegekräfte relativ autonom und selbstbestimmt arbeiten können. Die Teams sind ebenfalls verhältnismäßig klein und die Kolleg*innen und Vorgesetzten kennen sich untereinander. In Krankenhäusern dagegen, vor allem in den größeren Häusern, gibt es klare Hierarchien, die Aufgaben der Pflegekräfte sind stark durch die Ärzt*innen und die Organisationsstruktur beeinflusst und die einzelnen Beschäftigten scheinen sich eher als Teil einer recht anonymen Masse zu sehen. Hinzu kommt der ökonomische Aspekt im Krankenhausbetrieb, der oftmals in einem klaren Gegensatz zu dem Berufsideal der Pflegekräfte steht. All diese Umstände können dazu führen, dass die Identifikation mit dem Arbeitgeber im Akutpflegebereich daher weniger hoch ist, als im Bereich der ambulanten Pflege. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch hinsichtlich der Frage, ob sich die Pflegenden noch einmal bei ihrem Arbeitgeber bewerben würden (Tabelle 4.41). Rund jede zweite Pflegekraft in der ambulanten Pflege und der stationären/teilstationären Pflege würde dies auf jeden Fall wieder machen, in der Akutpflege sind es nur 30 Prozent.
190
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.41 Wiederbewerbung nach Pflegebereichen (in Prozent) Akutpflege
Stationäre/teilstationäre Pflege
Ambulante Pflege
Gesamt
Ja, auf jeden Fall
29,8
48,5
53,4
37,1
Ja, unter Umständen
48,1
34,8
32,8
43,1
Nein eher nicht
18,3
11,4
8,6
15,5
Nein, auf keinen Fall
3,8
5,3
5,2
4,3
Gesamt
339
132
58
529
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,153
Um die Gesamtarbeitszufriedenheit zu messen wurde aus den drei Fragen zur Arbeitsplatzzufriedenheit und dem Betriebsklima ein Summenindex erstellt, wie in Abschnitt 4.3.4 genauer beschrieben. Der Index weist vor Standardisierung empirische Werte zwischen 1 und 16 auf und nach Standarisierung Werte zwischen 0 (sehr unzufrieden) bis 100 (sehr zufrieden). Der Mittelwert liegt bei 54,8. Wie zu erwarten zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Pflegebereichen. Während in der ambulanten und stationären/teilstationären Pflege Zufriedenheitswerte von rund 65 erreicht werden, so liegt der Wert in der Akutpflege lediglich bei 5016 . Zwischen den Geschlechtern können ebenfalls statistisch relevante Unterschiede bezüglich der Arbeitszufriedenheit ausgemacht werden. Weibliche Befragte (62,7) sind im Durchschnitt etwas zufriedener mit der Arbeit als ihre männlichen Kollegen (52,9)17 . Insgesamt scheinen die befragten Pflegekräfte mit ihrem jetzigen Arbeitsplatz durchaus zufrieden zu sein, auch wenn die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen im Pflegeberuf allgemein als sehr belastend empfunden werden. Als Kontrollfrage wurden die Pflegenden zusätzlich nach der Zufriedenheit mit ihrer derzeitigen Lebenssituation gefragt. Hier gibt es keine auffälligen Unterschiede zwischen den Arbeitsbereichen. Rund drei Viertel der Befragten sind mit ihrer Lebenssituation zufrieden bis sehr zufrieden. Explizite Unzufriedenheit äußern nur drei Prozent der Pflegekräfte.
16 Mittelwertvergleich: 17 Mittelwertvergleich:
Sig.: ,000, Scheffé: ,000. Sig.: ,000.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
4.3.8
191
Zukünftige Entwicklungen in der Pflege
Der vorletzte thematische Fragebogenabschnitt befasst sich mit Fragen der zukünftigen Entwicklung einzelner Aspekte in der Pflege. Es geht dabei vor allem um die Einschätzung von Zukunftsaussichten, Entwicklungen wie Akademisierung und Generalistik, sowie die Arbeit der Landespflegekammer RheinlandPfalz. Zunächst wurden 10 Aussagen zur Zukunft in der Pflege vorgegeben, bei denen jeweils angegeben werden sollte, ob diese in den nächsten 10 Jahren eher zunehmen, gleichbleiben oder abnehmen werden (Tabelle 4.42). Tabelle 4.42 Zukünftige Entwicklungen in der Pflege (in Prozent) Wenn Sie an die Zukunft des Pflegeberufs N in den nächsten 10 Jahren denken, wie sehen Sie die Entwicklung der folgenden Aspekte?
zunehmen gleich-bleiben abnehmen
Der Anteil an Arbeitskräften aus dem Ausland wird…
615 91,5
8,1
0,3
Die Belastung durch multimorbide Patienten wird…
623 90,5
5,5
4,0
Stress/psychische Belastung wird…
629 89,5
10,2
0,3
Der Anteil an Verwaltungsarbeit/pflegefremder Arbeit wird…
614 88,9
9,4
1,6
Körperliche Belastung wird…
624 74,0
24,8
1,1
Die Arbeitsplatzsicherheit wird…
616 45,4
37,3
17,3
Die Verdienstmöglichkeiten werden…
595 13,8
64,0
22,2
Die Jobattraktivität insgesamt wird…
609
3,6
14,9
81,4
Die bestmögliche Versorgung der Patienten wird…
616
2,4
18,7
78,9
Der gute persönliche Kontakt zu den Patienten wird…
617
1,9
18,3
79,7
Bis auf die Arbeitsplatzsicherheit sehen die Befragten die Zukunft ihres Pflegeberufes eher pessimistisch und unattraktiv. Insbesondere wird eine negative Entwicklung der psychischen und körperlichen Berufsbelastung erwartet, sowie eine steigende Belastung durch die Zunahme pflegefremder Arbeit und multimorbider Patienten. Knapp 80 Prozent sind außerdem der Meinung, dass der gute persönliche Kontakt zu den Patienten und die bestmögliche pflegerische Versorgung in Zukunft noch weiter abnehmen werden, was im Hinblick auf die Patientensicherheit besonders problematisch zu sehen ist. Auch die Attraktivität
192
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
des Pflegeberufs insgesamt sehen die befragten Pflegekräfte in Zukunft kritisch. Rund 81 Prozent sagen eine weitere Abnahme der Jobattraktivität in den nächsten 10 Jahren voraus. Lediglich hinsichtlich der Verdienstmöglichkeiten wird für die Zukunft eine relative Stabilität erwartet. Dieser Aspekt ist jedoch ebenfalls eher negativ einzuschätzen, da die momentane Vergütung der meisten der Befragten als nicht angemessen für die geleistete Arbeit angesehen wird. Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen in der Pflege lassen sich zwischen den Pflegebereichen, den Geschlechtern, den Altersklassen und den Berufsjahren lediglich in Bezug auf einige Aspekte geringfügige, nicht hoch signifikante statistische Effekte ausmachen. Neben der allgemeinen Entwicklung in der Pflege wurde ebenfalls danach gefragt, wie die Pflegekräfte die Entwicklung beurteilen, dass es neben der klassischen Ausbildung als Lehrberuf immer mehr Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich der Pflege gibt, wie in anderen europäischen Ländern. Das Stimmungsbild in der Stichprobe ist deutlich zweigeteilt, mit einer leicht positiven Tendenz. 54 Prozent sehen die Akademisierung eher positiv bis positiv, 46 Prozent eher negativ bis negativ. Es zeigen sich keine auffälligen Unterschiede nach Personenmerkmalen. Die Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung, wie sie in zwischen zumindest teilweise von der Regierung beschlossen wurde, sehen die befragten Pflegekräfte deutlich kritischer. Es wurde hier gefragt, wie sinnvoll die Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung eingeschätzt wird. Zwei Drittel der Befragten hält die Generalistik für nicht sinnvoll, 44 Prozent sehen diese sogar als gar nicht sinnvoll an. Darüber hinaus wurde gefragt, ob sich die Pflegekräfte noch einmal für eine Pflegeausbildung entscheiden würden, wenn diese von Anfang an generalistisch gewesen wäre. Hier zeigt sich wieder eine deutliche Zweiteilung im Stimmungsbild. 56 Prozent geben an, dass sie sich trotz Generalistik noch einmal für die Pflegeausbildung entscheiden würden, für ein Viertel käme dies eher nicht in Frage und rund 19 Prozent hätten sich gegen eine generalistische Pflegeausbildung entschieden. Es lassen sich keine statistisch nachweisbaren Effekte nach Personenmerkmalen feststellen. Abschließend sollte im Anschluss die bisherige Arbeit, der zum Zeitpunkt der Befragung neu gegründeten Landespflegekammer Rheinland-Pfalz beurteilt werden18 . Rund 41 Prozent der Befragten sind mit der bisherigen Arbeit der Pflegekammer im Großen und Ganzen zufrieden, 59 Prozent dagegen sind eher nicht oder auch ganz und gar nicht zufrieden. Insgesamt hat sich allerdings rund ein 18 Die Fragen zur Pflegekammer wurden erst nach der Pretest-Erhebung zu dem Fragebogen hinzugefügt, daher beziehen sich die Angaben nur auf die Hauptbefragung mit N = 674.
4.3 Deskriptive Ergebnisse und soziodemografische Unterschiede
193
Drittel der Befragten enthalten bzw. angegeben, dass sie die Arbeit der Pflegekammer nicht beurteilen können. Bei Angabe von „Nein, eher nicht“ oder „Nein, auf gar keinen Fall“ hatten die Befragten zudem die Möglichkeit, im Anschluss in einem Freitextfeld zu erläutern, was ihrer Meinung nach in Bezug auf die Landespflegekammer verbessert werden müsste. 152 Pflegekräfte haben dazu zum Teil sehr ausführliche Angaben gemacht. Zusammengefasst lässt sich die Kritik auf vier zentrale Bereiche eingrenzen, die von den meisten der Befragten genannt wurden: 1. Pflichtmitgliedschaft („Kammerzwang“) 2. Zu hohe Mitgliederbeiträge 3. Fehlende Informationen und Transparenz Unklarheit über genaue Aufgabenbereiche 4. Keine Verbesserung der Rahmenbedingungen (Bezahlung, Arbeitszeiten, Personalbemessung) Es muss hierbei jedoch bedacht werden, dass die Landespflegekammer RheinlandPfalz erst zu Beginn 2016 ihre Arbeit aufgenommen hat und somit zum Zeitpunkt der Befragung eine noch relativ junge Organisation war. Noch nicht in allen geplanten Aufgabenbereichen konnte daher die Arbeit vollständig aufgenommen werden. So wird die Weiterbildung der Pflegeberufe in Rheinland-Pfalz beispielsweise erst seit Beginn 2018 von der Pflegekammer geregelt. Andere angesprochene Aspekte wurden in der Zwischenzeit (Stand: September 2019) ebenfalls verbessert bzw. überarbeitet, wie zum Beispiel die Öffentlichkeitsarbeit, die Transparenz und das Beitragsverfahren.
4.3.9
Zwischenfazit
Bereits nach dieser ersten Beschreibung der Ergebnisse lassen sich Tendenzen in Bezug auf die Arbeitsbelastung, das Burnout-Risiko, die Coping-Strategien und die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz ausmachen. Insgesamt zeigt sich, dass die Pflegenden der Studie hohen Belastungen ausgesetzt sind. Vor allem die unzureichende Personalausstattung, eine unstetige Arbeitszeitregelung, Mehrarbeit durch Überstunden und Einspringen für Kolleg*innen, schwere körperliche Arbeit, sowie der permanente Zeitdruck bei der täglichen Arbeit sowie mangelnde Anerkennung der Leistung in der Gesellschaft, werden als besonders belastend empfunden. Diese Befunde decken sich weitestgehend
194
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
mit anderen Untersuchungen zu den Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen im Pflegeberuf, wie in Kapitel 3 beschrieben. Das Burnout-Risiko unter den Befragten Pflegekräften ist ebenfalls vergleichsweise hoch. Rund ein Drittel der Befragten weist demnach ein hohes Burnout Risiko auf. Gründe hierfür sind die subjektiv empfundene geringe Anerkennung und Wertschätzung der eigenen Arbeit, ein Ohnmachtsgefühl die offenbar belastende Arbeitssituation aus eigener Kraft nicht ändern zu können, verbunden mit schlechtem Schlaf sowie fehlenden Sozialkontakten und nicht genügender Freizeit. Um mit dem psychischen Stress und der Arbeitsbelastung umzugehen, setzen alle befragten Pflegekräfte mindestens eine Bewältigungsstrategie ein. Eine sportliche Betätigung neben der Arbeit ist dabei für die meisten Pflegekräfte ein hilfreicher Ausgleich. Ein regelmäßiger Austausch mit dem (Ehe-)Partner sowie Gespräche innerhalb der Familie und mit Freunden werden als wichtige Stütze für die eigene Psychohygiene empfunden, und um mit den vielfältigen Belastungen umzugehen. Ein erfreuliches Ergebnis ist zudem, dass die meisten der befragten Pflegekräfte trotz der empfundenen Arbeitsbelastungen und zum Teil schwierigen Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf mit ihrer Arbeit in der Pflege durchaus zufrieden sind. Die Untersuchung in Abhängigkeit der drei Pflegebereiche hat ferner gezeigt, dass sich das Ausmaß an Arbeitsbelastung und Arbeitszufriedenheit zwischen den Bereichen signifikant unterscheidet. Unterschiede lassen sich dabei vor allem zwischen Beschäftigen in der Akutpflege und Beschäftigen in der ambulanten Pflege ausmachen. Insgesamt äußern Pflegekräfte im Krankenhausbereich größere Probleme bei der Personalausstattung und dem Zeitmanagement für pflegerische Tätigkeiten und sind tendenziell unzufriedener mit der Entlohnung für die geleistete Arbeit. Im stationären und ambulanten Bereich scheinen dagegen die geleisteten Überstunden höher zu sein. Bezüglich der Gesamtbelastung fühlen sich die Befragten in der Akutpflege im Vergleich zu ihren Kolleg*innen etwas stärker belastet und geben im Durchschnitt auch mehr Belastungsfaktoren an. Damit einhergehend äußern die Beschäftigten in der ambulanten Pflege im Durchschnitt eine höhere Arbeitszufriedenheit als die Beschäftigten in der Akutpflege und der stationären Pflege. Hinsichtlich des Burnout-Risikos zeigen sich indes keine statistisch nachweisbaren Unterschiede zwischen den drei Pflegebereichen. In Abbildung 4.11 sind zusammenfassend die Mittelwerte der jeweiligen Indizes (Skalen 0–100) nach Pflegebereichen abgebildet.
4.4 Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren
195
58 Akutpflege
47 50 Arbeitsbelastung
55 Staonäre/teilstaonäre Pflege
46
Burnout
65
Arbeitszufriedenheit 54 Ambulante Pflege
43 65 0
10
20
30
40
50
60
70
80
Abbildung 4.11 Arbeitsbelastung, Burnout und Arbeitszufriedenheit nach Pflegebereichen (Mittelwerte)
Die Hypothese H1 kann somit zu mindestens teilweise bestätigt werden. In den nachfolgenden bivariaten und multivariaten Analysen soll nun genauer untersucht werden, durch welche Faktoren die Arbeitsbelastung, das BurnoutRisiko, die eingesetzten Bewältigungsstrategien und die Arbeitszufriedenheit beeinflusst werden und welche Auswirkungen die vier untersuchten Variablen auf und für die Pflegekräfte selbst und für die Versorgung und Pflege der Patienten und Pflegebedürftigen hat. Zudem werden die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung, Burnout, Coping und Arbeitszufriedenheit analysiert.
4.4
Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren
Neben den Pflegebereichen und den personenbezogenen Merkmalen hängen das Ausmaß an empfundener Arbeitsbelastung, das Burnout-Risiko, die Arbeitszufriedenheit sowie die eingesetzten und als hilfreich empfundenen Coping-Strategien auch von anderen, arbeitsbezogenen Faktoren ab und werden von diesen beeinflusst. Zudem scheinen sich die vier interessierenden Aspekte gegenseitig zu beeinflussen. Mit Hilfe von Korrelationsanalysen wurden die vermuteten Zusammenhänge analysiert. Die untersuchten Variablen wurden dabei aus der Theorie und den sekundärempirischen Ergebnissen abgeleitet. Die Korrelationskoeffizienten nach Pearson in Tabelle 4.43 geben die jeweilige Stärke des Zusammengangs zwischen den untersuchten Merkmalen an. Freie Felder bedeuten, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen beiden Merkmalen in der Stichprobe festgestellt werden kann.
196
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.43 Determinanten der Arbeitsbelastung, des Burnout-Risikos, der Arbeitszufriedenheit und der Copingstrategien (Pearson’s r) Variablen
Skala
Arbeitsbelastung (keine – hohe Belastung)
0–100
AB
BO-Risiko 1
,516
AZ
CO
−,130
Burnout-Risiko (kein – hohes Risiko)
0–100
,516
1
−,213
−,155
Gesundheitsbeschwerden (keine – große Beschwerden)
0–100
,455
,748
−,168
−,148
Bewertung Arbeitszeitmodell (sehr gut – ungenügend)
1–6
,352
,480
−,268
−,135
Zeitdruck (kein – großer Zeitdruck)
0–10
,336
,353
Gesundheitszustand (sehr gut – ungenügend)
1–6
,331
,563
−,136
−,141
Sonderschichten/Einspringen für Kolleg*innen (nie – immer)
1–5
,325
,332
Einhaltung von Pausen (ja, voll und ganz – nein, ganz und gar nicht)
1–4
,294
,394
Wiederentscheidung für den Pflegeberuf (ja, auf jeden Fall – nein, auf keinen Fall)
1–4
,289
,355
Probleme bei der Patientenversorgung (keine Probleme – große Probleme)
0–100
,285
,390
Angemessene Bezahlung (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
,240
,300
Ausreichende Personalausstattung (nein/ja)
0–1
−,238
−,286
Zeitnaher Abbau von Überstunden (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
,196
,235
Anzahl Copingstrategien
1–11
,112
Anzahl Überstunden
0–400
−,186
−,190
,202 ,108
Arbeitszufriedenheit (keine – hohe Zufriedenheit) 0–100
−,130
−,213
1
,240
Unterstützung im Team (keine – hohe Unterstützung)
0–9
−,160
−,164
,259
,105
Möglicher Berufsausstieg (nein/ja)
0–1
,202
,337
−,133
−,112
Ressourcen (keine – hohe Ressourcen)
0–100
−,316
−,387
,204
,160
Hilfreiche Copingstrategien (hilfreich – nicht hilfreich)
0–100
−,155
,240
1
Alle ausgewiesenen Zusammenhänge sind zweiseitig hochsignifikant. Die Stärke der Effekte variiert jedoch stark. Insgesamt sind die meisten Effekte eher gering ausgeprägt. Der Einfluss des Workloads, gemessen an der Anzahl der zu betreuenden Patienten, Klienten und Pflegebedürftigen, wurde ebenfalls untersucht, ergab aber keine statistisch nachweisbaren Effekte. Dasselbe gilt für einen
4.4 Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren
197
möglichen Wechsel ins Ausland. Auch hier konnten keine signifikanten Effekte beobachtet werden. Insgesamt lassen sich sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren ausmachen. Bezüglich der Risikofaktoren zeigen sich die stärksten positiven Effekte zwischen Burnout-Risiko, Gesundheitsbeschwerden, Gesundheitszustand, Arbeitsbelastung und der Bewertung des Arbeitszeitmodells. Schützende Effekte auf die Arbeitsbelastung und das Burnout-Risiko haben dagegen individuelle Ressourcen, Sozialkapital, Bewältigungsstrategien und Arbeitszufriedenheit. Negativ mit der Arbeitszufriedenheit korrelieren hingegen unter anderem das Burnout-Risiko, Arbeitsbelastung, Gesundheitszustand und Gesundheitsbeschwerden, sowie die Bewertung des Arbeitszeitmodells. Positive Effekte auf die Arbeitszufriedenheit lassen sich hinsichtlich der Bewältigungsstrategien, der Ressourcen und des Sozialkapitals ausmachen. In Bezug auf Coping bestehen ähnliche Effekte. Die Ergebnisse dieser bivariaten Untersuchung stimmen in der Tendenz mit den in Kapitel 3 betrachteten sekundärempirischen Ergebnissen überein. Die meisten getroffenen Annahmen in Bezug auf die Aspekte Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Arbeitszufriedenheit und Bewältigungsstrategien lassen sich ebenfalls anhand einer bivariaten Untersuchung testen. Es besteht sowohl ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Belastungen und den eingesetzten Bewältigungsstrategien (r = ,112), als auch zwischen den eingesetzten und als hilfreich empfundenen Bewältigungsstrategien, dem Burnout-Risiko (r = −,155), dem Gesundheitszustand (r = −,141) sowie dem Wunsch, den Pflegeberuf vorzeitig zu verlassen (r = −,112). Hypothesen H4 und H5 können damit bestätigt werden. Mit Hilfe von Mittelwertvergleichen und Varianzanalysen lassen sich die Hypothesen H2, H3, H6, H8 und H9 überprüfen. Mit dem Anstieg der Arbeitsbelastung steigt die Höhe des Burnout-Risikos von einem Mittelwert von 29,6 bei geringster Arbeitsbelastung auf 54,3 bei höchster Arbeitsbelastung. Ebenso steigen mit wachsender Arbeitsbelastung die berichteten Gesundheitsprobleme der Pflegekräfte von einem Mittelwert von 27,5 bei geringster Belastung auf 52,5 bei höchster Belastung. Beide Mittelwertvergleiche sind hochsignifikant (siehe Tabelle 4.44). Auch die Gruppenvergleiche anhand von Post-Hoc Tests (Scheffé) sind alle hochsignifikant.
198
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.44 Mittelwertvergleiche – Burnout-Risiko, Gesundheitsprobleme und Arbeitszufriedenheit nach Arbeitsbelastung Burnout-Risiko (SD)
Gesundheits-probleme (SD)
Arbeits-zufriedenheit (SD)
Geringe Arbeitsbelastung (≤ 30 %)
29,6 (14,8)
27,5 (17,6)
72,7 (28,7)
Mittlere Arbeitsbelastung (> 30 % ≤ 60 %)
40,9 (16,8)
39,8 (18,8)
61,2 (30,3)
Hohe Arbeitsbelastung (> 60 %)
54,3 (16,5)
52,5 (18,8)
57,5 (24,6)
Gesamt
46,6 (18,4)
45,1 (20,2)
60,2 (27,8)
,000
,000
,002
Signifikanz
Auch die Wahrscheinlichkeit vorzeitig aus dem Pflegeberuf auszusteigen steigt signifikant mit der Höhe der Arbeitsbelastung (siehe Tabelle 4.45). Während von den Pflegekräften mit geringer Arbeitsbelastung rund 50 Prozent schon einmal über einen vorzeitigen Berufsausstieg nachgedacht haben, sind es bei den Befragten mit mittlerer Arbeitsbelastung schon 59 Prozent und bei den Beschäftigten, die von hoher Arbeitsbelastung berichten, bereits 74 Prozent. Die Hypothese H2 kann damit als bestätigt angesehen werden. Tabelle 4.45 Gedanken an einen vorzeitigen Berufsausstieg nach Arbeitsbelastung (in Prozent) Gedanken an einen vorzeitigen Berufsausstieg
Geringe Arbeitsbelastung
Mittlere Arbeitsbelastung
Hohe Arbeitsbelastung
Gesamt
Ja
50,0
58,5
73,8
65,2
Nein
50,0
41,5
26,2
34,8
44
284
305
633
Gesamt
Sig.: ,000, Cramer’s V: ,178
Hypothese H3, dass mit der Höhe der Arbeitsbelastung und der Höhe des Burnout-Risikos die Probleme bei der Pflege und Versorgung von Patienten und Pflegebedürftigen häufiger sind, kann in der Stichprobe nicht bestätigt werden. Eine univariate Varianzanalyse mit der abhängigen Variable „Probleme
4.4 Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren
199
bei der Patientenversorgung“ und den festen Faktoren Arbeitsbelastung und Burnout-Risiko hat keine signifikanten Wechselwirkungen ergeben. Die Annahme H6, dass mit steigender Arbeitsbelastung die Arbeitszufriedenheit sinkt, kann mit den vorliegenden Daten hingegen bestätigt werden (siehe Tabelle 4.44). Mit steigender Arbeitsbelastung sinkt der Wert der Arbeitszufriedenheit von einem Mittelwert von 72,7 bei geringster Arbeitsbelastung auf 57,5 bei höchster Arbeitsbelastung. Der Mittelwertvergleich ist global hochsignifikant. Die Gruppenvergleiche anhand von Post-Hoc Tests zeigen jedoch, dass zwischen den Gruppen der mittleren und der hohen Arbeitsbelastung keine signifikanten Unterschiede bestehen. Es zeigt sich darüber hinaus anhand von Korrelationsanalysen, dass die Arbeitszufriedenheit durch die Faktoren „individuelle Ressourcen“, „Führungskapital“ und „Sozialkapital“ positiv beeinflusst wird. Für die Analyse wurde das direkte Item „Wie zufrieden sind Sie alles in allem mit Ihrem jetzigen Arbeitsplatz?“ verwendet. Die Ausprägungen reichen von 1 (sehr zufrieden) bis 4 (sehr unzufrieden). Alle Effekte sind hochsignifikant und positiv (siehe Tabelle 4.46). Hypothese H7 kann damit bestätigt werden.
Tabelle 4.46 Determinanten der Arbeitszufriedenheit (Gamma) Variablen
Skala
Unterstützung durch Vorgesetzte (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht 1–4 zu)
AZ ,628
Betriebsklima (sehr gut – schlecht)
1–4
,608
Einsatz nach Kompetenzen (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
,597
Gute berufliche Entwicklungschancen (trifft voll und ganz zu – trifft gar 1–4 nicht zu)
,451
Kennenlernen immer neuer Arbeitsfelder (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
,404
1–4
Mit steigender Arbeitszufriedenheit fällt das Burnout-Risiko in der Tendenz von einem Mittelwert von 59,2 bei mittlerer Zufriedenheit auf 43,2 bei höchster Zufriedenheit. Signifikante Unterschiede zeigen sich nur zwischen den Gruppen geringe Zufriedenheit und mittlere Zufriedenheit, sowie zwischen mittlerer und hoher Zufriedenheit (Scheffé: ,000). Die Annahme, dass mit steigender Arbeitszufriedenheit ferner der subjektive Gesundheitszustand besser bewertet wird und die Wahrscheinlichkeit sinkt, den Pflegeberuf vorzeitig zu verlassen, kann in
200
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
der Stichprobe tendenziell auch bestätigt werden (siehe Tabelle 4.47). Jedoch bestehen signifikante Unterschiede auch hier nur zwischen geringer und mittlerer sowie zwischen mittlerer und hoher Arbeitszufriedenheit (Scheffé: ,000). Zwischen Beschäftigten mit geringer und hoher Arbeitszufriedenheit gibt es hingegen keine statistisch signifikanten Differenzen. Die Hypothese H8 kann somit nur teilweise bestätigt werden.
Tabelle 4.47 Mittelwertvergleiche – Burnout-Risiko, Gesundheitszustand und Probleme bei der Patientenversorgung nach Arbeitszufriedenheit Burnout-Risiko (SD) Gesundheitszustand (Notenskala, SD)
Probleme Patientenversorgung (SD)
Geringe Arbeitszufriedenheit (≤ 30 %)
44,8
2,6
38,3
Mittlere Arbeitszufriedenheit (> 30 % ≤ 60 %)
59,2
3,3
54,3
Hohe Arbeitszufriedenheit (> 60 %)
43,2
2,5
43,5
Gesamt
46,2
2,6
44,0
Signifikanz
,000
,000
,000
Mit den vorliegenden Daten nicht bestätigt werden kann hingegen Hypothese H9, die besagt, dass mit der Höhe der Arbeitszufriedenheit die Probleme bei der Pflege und Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen abnehmen. Zwischen der Arbeitszufriedenheit und möglichen Problemen bei der Patientenversorgung besteht insgesamt kein signifikanter Zusammenhang. Mit Hilfe von Mittelwertvergleichen lassen sich die Gruppen der Pflegekräfte mit geringer, mittlerer und hoher Arbeitszufriedenheit in Bezug auf die Probleme bei der Patientenversorgung unterscheiden. Es stellt sich heraus, dass vielmehr in der Gruppe der am wenigsten zufriedenen Pflegekräfte die wenigsten Probleme berichtet werden (siehe Tabelle 4.47). Am höchsten ist das selbstberichtete Ausmaß an Problemen bei der Pflege in der Gruppe der Beschäftigten mit mittlerer Zufriedenheit. Die Gruppenunterschiede sind in allen drei Gruppen hochsignifikant. Die letzte zu testende Hypothese H10 eines vermuteten Zusammenhangs zwischen den vier Aspekten Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Arbeitszufriedenheit
4.4 Bivariate Analysen: Zusammenhänge und Einflussfaktoren
201
und Bewältigungsstrategien kann ebenfalls nur teilweise bestätigt werden (siehe Abbildung 4.12). Es findet sich demnach in den Daten kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitsbelastung und den eingesetzten und als hilfreich eingeschätzten Bewältigungsstrategien. Zwischen den anderen drei Aspekten lassen sich dagegen jeweils hochsignifikante Effekte feststellen.
Arbeitszufriedenheit
-,130
-,213 ,240
Bewälgungsstrategien
Arbeitsbelastung
,516
Burnout-Risiko -,155
Abbildung 4.12 Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung, Burnout-Risiko, Arbeitszufriedenheit und Bewältigungsstrategien (Pearson’s r)
Folgende Aussagen können hinsichtlich der Zusammenhänge getroffen werden: • Je höher die Arbeitsbelastung, desto höher das Burnout-Risiko. • Je höher die Arbeitszufriedenheit, desto geringer die empfundene Arbeitsbelastung und das selbsteingeschätzte Burnout-Risiko und desto hilfreicher werden die eingesetzten Bewältigungsstrategien eingeschätzt. • Je hilfreicher die eingesetzten Bewältigungsstrategien eingeschätzt werden, desto geringer ist das Burnout-Risiko. Über die Zusammenhänge in Bezug auf Arbeitsbelastung, Burnout, Arbeitszufriedenheit und Coping hinaus wurden ferner die Effekte auf zwei weitere interessierende Aspekte untersucht: der vorzeitige Berufsausstieg aus der Pflege und Probleme bei der Patientenversorgung. Diese beiden Aspekte werden in der Literatur ebenfalls als Auswirkungen der hohen Arbeitsbelastung und der schwierigen Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf diskutiert (Tabelle 4.48).
202
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
Tabelle 4.48 Determinanten eines möglichen Berufsausstiegs (Cramer’s V) Variablen
Skala Möglicher Berufsausstieg
Gesundheitszustand (sehr gut – ungenügend)
1–6
,235
Unterstützung durch Vorgesetzte (trifft voll zu – trifft 1–4 gar nicht zu)
,227
Angemessene Bezahlung (trifft voll zu – trifft gar nicht zu)
1–4
,223
Bewertung Arbeitszeitmodell (sehr gut – ungenügend)
1–6
,193
Probleme bei der Patientenversorgung (geringe-große 1–3 Probleme)
,174
Betriebsklima (sehr gut – sehr schlecht)
1–4
,188
Ausreichende Personalausstattung (nein/ja)
0–1
,111
Arbeitszufriedenheit (sehr zufrieden – sehr unzufrieden)
1–4
,245
Eine hohe Arbeitszufriedenheit scheint demnach am stärksten vor einem möglichen Berufsausstieg zu schützen. Alle weiteren betrachteten Variablen wirken dagegen eher als Risiko-Faktoren. Besonders ein schlechter subjektiver Gesundheitszustand, geringe Unterstützung durch Vorgesetzte und eine als nicht angemessen empfundene Bezahlung wirken sich auf die Entscheidung eines möglichen Berufsausstiegs aus. Hinsichtlich der Probleme bei der Patientenversorgung ergeben sich als RisikoFaktoren ein hoher Zeitdruck bei der Ausführung pflegerischer Tätigkeiten, eine unzureichende Personalausstattung, die fehlende Möglichkeit von ausreichenden Pausenzeiten sowie die wahrscheinlich damit einhergehenden Gesundheitsbeschwerden der Pflegekräfte. Schützend wirken dagegen eine hohe Arbeitszufriedenheit, hohe individuelle Ressourcen in der Pflege sowie eine gute Unterstützung im Team. Die Stärke der Effekte sind in Tabelle 4.49 zusammengefasst. Nachdem die bivariate Analyse bereits die Zusammenhänge und Einflüsse auf die interessierenden Konstrukte Arbeitsbelastung, Burnout, Arbeitszufriedenheit und Coping und zwischen den Konstrukten selbst aufgezeigt hat, werden in einem nächsten Schritt mit Hilfe von multivariaten Analysen mögliche Einflussfaktoren genauer analysiert.
4.5 Multivariate Ergebnisse
203
Tabelle 4.49 Determinanten von Problemen bei der Patientenversorgung (Pearson’s r) Variablen
Skala
Zeitdruck (kein – großer Zeitdruck)
0–10
,492
Ausreichende Personalausstattung (nein/ja)
0–1
,383
Einhaltung von Pausen (ja, voll und ganz – nein, ganz und gar nicht)
1–4
,373
Gesundheitsbeschwerden (keine – große Beschwerden)
0–100
,322
Gesundheitszustand (sehr gut – ungenügend)
1–6
,236
Bewertung Arbeitszeitmodell (sehr gut – ungenügend)
1–6
,222
Sonderschichten/Einspringen für Kolleg*innen (nie-immer)
1–5
,195
Angemessene Bezahlung (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
,135
Anzahl Überstunden
0–400
Unterstützung im Team (keine – hohe Unterstützung)
0–9
−,127
Ressourcen (keine – hohe Ressourcen)
0–100
−,343
Arbeitszufriedenheit (keine – hohe Zufriedenheit)
0–100
−,436
4.5
Probleme bei der Patientenversorgung
,105
Multivariate Ergebnisse
Abschließend wurden die in der bivariaten Untersuchung herausgestellten Einflussfaktoren auf die vier Aspekte Arbeitsbelastung, Burnout, Arbeitszufriedenheit und Coping jeweils in multiplen linearen Regressionsmodellen (OLSRegression19 ) zusammengefasst und genauer analysiert. Die Regressionsanalyse ermittelt dabei, inwieweit der Wert der abgängigen Variablen aus den Werten mehrerer unabhängiger Variablen vorhergesagt werden kann. Der korrigierte Determinationskoeffizient R2 gibt die Güte des Gesamtmodells anhand der durch die unabhängigen Variablen ermittelten Gesamtvarianz der abhängigen Variable 19 OLS (ordinary least squares) oder auch KQ-Regression ist eine Regressionsanalyse mit der Schätzmethode der kleinsten Quadrate.
204
4
Empirische Untersuchung: Arbeitsbedingungen …
an. Das korrigierte R2 kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei 1 bedeutet, dass eine optimale Modellschätzung (100 Prozent erklärte Varianz) vorliegt. Ist die Regressionsschätzung eher schlecht, nimmt R2 Werte nahe 0 an (Urban und Mayerl 2011, S. 57). Die Teststärke für R2 im multivariaten Modell wird anhand eines F-Tests ermittelt. Die Irrtumswahrscheinlichkeit sollte dabei kleiner oder gleich 0,05 sein, um von einer signifikanten Varianzausschöpfung des Gesamtmodells sprechen zu können (Urban und Mayerl 2011, S. 173). Abgeleitet von den Effekten der Korrelationsanalysen wurden die folgenden Variablen in das lineare Regressionsmodell zur Erklärung des Burnout-Risikos aufgenommen (Tabelle 4.50):
Tabelle 4.50 Burnout-Risiko – Einflussfaktoren, Variablen des allgemeinen Regressionsmodells Unabhängige Variablen
Skala
Arbeitsbelastung (niedrig – hoch)
0–100
Zeitdruck (niedrig – hoch)
0–10
Bewertung Arbeitszeitmodell (sehr gut – ungenügend)
1–6
Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz (sehr zufrieden – sehr unzufrieden)
1–4
Lebenszufriedenheit (sehr zufrieden – unzufrieden)
1–4
Betriebsklima (sehr gut – ungenügend)
1–6
Unterstützung durch Vorgesetzte (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
Bewältigungsstrategien (wenig – sehr hilfreich)
0–100
Unterstützung im Team (niedrig – hoch)
0–9
Probleme bei der Patientenversorgung (gering – hoch)
0–100
Ausreichende Personalausstattung (nein/ja)
0–1
Angemessene Bezahlung (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
1–4
Einhaltung von Pausenzeiten (ja, voll und ganz – nein, ganz und gar nicht)
1–4
Sonderschichten/ Einspringen für Kolleg*innen (nie – immer)
1–5
Anzahl Überstunden in den letzten 6 Monaten
0–400
Berufsjahre in der Pflege
1–49
Alter
20–69
Abhängige Variable
Skala
Burnout-Risiko (niedrig – hoch)
0–100
4.5 Multivariate Ergebnisse
205
Als Methode wurde die schrittweise Aufnahme der relevanten Variablen angewendet. Als Aufnahmekriterium wurde ein Signifikanzniveau von 0,05 zugrunde gelegt. In Tabelle 4.51 finden sich die standardisierten Regressionskoeffizienten (BetaKoeffizienten) der unabhängigen Merkmale, die einen signifikanten Einfluss auf das Burnout-Risiko haben. Die Koeffizienten haben einen umso stärkeren Einfluss, je größer sie sind. Bei der Interpretation der Regressionskoeffizienten ist es wichtig, immer die zugrundeliegenden Skalen der Merkmale zu beachten. Ein hoher Wert auf der Burnout Skala spiegelt ein hohes Risiko wider. Der hohe positive Koeffizient des Merkmals „Lebenszufriedenheit“ bedeutet beispielsweise, dass diejenigen, die unzufrieden mit ihrer Lebenssituation sind (hoher Wert auf der Skala), tendenziell ein höheres Burnout Risiko aufweisen (hoher Wert auf der Skala). Der negative Koeffizient des Merkmals „Alter“ bedeutet dagegen, dass ältere Pflegekräfte (hoher Wert auf der Skala) ein eher geringeres Burnout-Risiko aufweisen (niedrige Werte auf der Skala). In dem vorliegenden Modell beträgt das korrigierte R2 = ,538 und erklärt damit rund 54 Prozent der Gesamtvarianz. 421 Fälle wurden in die Analyse eingeschlossen.
Tabelle 4.51 OLS-Regression über das empfundene Burnout Risiko Unabhängige Variablen
Beta Koeffizienten
Arbeitsbelastung (niedrig – hoch)
,257***
Lebenszufriedenheit (sehr zufrieden – unzufrieden)
,231***
Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz (sehr zufrieden – sehr unzufrieden) Betriebsklima (sehr gut – ungenügend)
,110* ,107**
Probleme bei der Patientenversorgung (gering – hoch)
,098*
Einhaltung von Pausenzeiten (ja, voll und ganz – nein, ganz und gar nicht)
,094*
Bewertung Arbeitszeitmodell (sehr gut – ungenügend)
,080*
Angemessene Bezahlung (trifft voll und ganz zu – trifft gar nicht zu)
,075*
Bewältigungsstrategien (wenig – sehr hilfreich)
−,078*
Alter
−,077*
N Korrigiertes R2 Legende: Sig: *