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German Pages 117 [120] Year 1997
Romanistische Arbeitshefte
41
Herausgegeben von Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer
Gustav Ineichen
Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Mittelalters
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ineichen, Gustav: Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania : Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Mittelalters. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Romanistische Arbeitshefte ; 41) ISBN 3-484-54041 -9
ISSN 0344-676-X
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren
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Vorwort Gegenstand dieses Arbeitsheftes ist das gegenseitige Verhältnis von Sprachen und Kulturen rund um das Mittelmeer im Hinblick auf das Romanische. Den historischen Konstellationen entsprechend ist damit vor allem das europäische Mittelalter betroffen. Die einzelnen Regionen sind je nach der Interessenslage unterschiedlich relevant. Als Ansatzpunkt gilt jedoch stets die jeweilige Sprachsituation. Zu bedenken bleibt allerdings, daß die arabische Hochkultur um die Wende vom 12. zum 13. Jh. ihren Höhepunkt schon erreicht hatte. Darauf folgte - im Gegensatz zur Entwicklung in Europa eine lange Periode der Stagnation, eher der Lähmung als der Dekadenz. Der Umfang dieser Problematik ist sehr groß. Die Form des Arbeitshefts bietet sich deshalb an, weil in diesem Rahmen die Gesichtspunkte, soweit sie in den romanistischen Disziplinen zu berücksichtigen sind, zur Sprache gebracht werden können, ohne daß die Spezialisierung zu anspruchsvoll wäre. Die zünftige Arabistik befaßt sich mit den hier angesprochenen Problemen normalerweise nicht. Dies gilt auch für Fück (1955), der sich mit der Geschichte der arabischen Studien in Europa befaßt. Enzyklopädisch orientiert man sich deshalb vorteilhaft am Lexikon der Arabischen Welt von Barthel/ Stock (1994), und weniger an den eigentlich orientalistischen Hilfsmitteln. Auffallig ist im letzten Jahrzehnt das große Interesse, das die hier vorliegende Thematik bei internationalen Ausstellungen (z.B. UNESCO) fand. Es gibt ausgezeichnete Kataloge, die wir unter sachbezogenen Stichworten in der Bibliographie verzeichnen. Wichtige Initiativen der Forschung konzentrieren sich auf zwei nationale Institute: in Spanien auf das Instituto Hispano-Arabe de Cultura in Madrid, in Italien auf das Centro di Studi filologici e linguistici siciliani in Palermo. Die Neugier fur die Sache erwachte zunächst mit der Romantik in Deutschland. Als Autor zeichnet Adolf Friedrich von Schack (1815-1894) mit seiner Poesie und Kunst der Arabier in Spanien und Sizilien (Berlin 1865, 2 1877). Maßgeblich war dann allerdings die folgende Generation von Historikern und Philologen, deren Werke noch heute gültig sind. Es sind dies: Michele Amari (1806-1889) aus Palermo, politisch engagiert, im Exil in Paris, mit seiner Storia dei Musulmani di Sicilia in 3 Bänden (1854/72); Reniero Dozy (1820-1863), tätig in Leiden, bekannt mit seiner Histoire des musulmans d'Espagne (1855/61) und insbesondere mit dem Supplément aux dictionnaires arabes (1881); Francisco Javier Simonet (1829-1897) aus Málaga, Begründer der Studien zum Mozarabischen, hervorgetreten mit seinem Glosario de Voces ibéricas y latinas usadas entre los mozárabes (1888) und ebenso mit einer Historia de los Mozárabes de España (1897/1903). Dazu kommt Moritz Steinschneider (Prassnitz in Mähren 1816-Berlinl907), der sich mit den orientalischen Übersetzungen befaßte: Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher (Berlin 1893) und Die europäischen Übersetzungen aus dem Arabischen bis Mitte des 17 Jh. (Wien 1904/05).
VI
Beim derzeitigen Stand der Forschung kann man davon ausgehen, daß das arabische Wortmaterial in der Romania lexikologisch gut aufgearbeitet ist. In diesem Arbeitsheft besteht das Ziel deshalb darin, repräsentative Beispiele in jeweils relevanten soziokulturellen Kontexten vorzustellen. An dieser Stelle danke ich meinem mittlerweile habilitierten Assistenten Dr. Volker Noll für seine kollaborative Zusammenarbeit. Noll ist nicht nur Romanist vor allem im Bereich des Französischen und der Hispano-Lusitanistik, sondern auch Arabist und erfahrener Computerspezialist. Das druckfertige Typoskript erstellte Frau Mag. Andrea KnaufF, Fremdsprachensekretärin am Seminar für Romanische Philologie der Universität Göttingen. Göttingen, Neujahr 1997
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Inhalt Vorwort
V
1. Historische und soziokulturelle Voraussetzungen 1.1 1.2 1.3 1.4
Romanistische Grundlagen Die Romania im schematischen Vergleich Chronologie und Zivilisation Die Stellung des Französischen
2. Das Arabische und die Romania 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Wortstruktur und Grammatik Lautungen und Phonologie Das Problem der Entlehnungen Zur Klassifikation Der Anteil der Juden
3. Ergänzende Begriffe zum Islam 3.1 3.2 3.3 3.4
H istorisch-geographische Begriffe Religiös-theologische Begriffe Religiös-politische Begriffe Soziokulturelle Begriffe
4. Die Sprachsituation in Spanien und das Mozarabische 4.1 4.2 4.3 4.4
1 1 2 2 4 6 6 7 11 13 14 16 16 17 18 19 22
Die arabisch-romanische Symbiose Die Intensität der Arabisierung Nochmals zum Mozarabischen Zur Dialektalisierung im Spanischen
22 23 25 30
5. Die Verhältnisse in Süditalien und auf Sizilien
32
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Stichworte zur süditalienisch-sizilianischen Geschichte Die Sprachsituation in Süditalien Materialien aus der Orts- und Namenkunde "Mafia" und Verwandtes Zur Kulturgeschichte in Palermo
6. Der Orienthandel und die italienischen Seestädte 6.1 6.2 6.3 6.4
Zum Sprachgebrauch im Orienthandel Kulturelle Initiativen aus Kaufmannskreisen Die Seidenstraße Dante und die islamische Eschatologie
32 36 37 39 40 43 44 47 48 50
vm
7. Die Wortwanderung rund um das Mittelmeer 7.1 7.2 7.3 7.4
Orientalische Wanderwörter in Europa Die Rückwanderung antiken Wortguts nach Europa Das Problem der Sachkenntnis im Lehnwortschatz Fremde Elemente im mediterranen Lexikon
8. Die Wissenschaft in der arabischen Übersetzungstradition 8.1 8.2 8.3 8.4
Zu Übersetzung und Überlieferung Die Übersetzerschulen in Spanien Die Materia medica als Beispiel: Dioskurides Die Renaissance unter Alfons X. dem Weisen
9. Der Orient in der europäischen Sentenzenliteratur 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Die Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi Das Secretum secretorum aus dem Orient Bidpais Fabeln: Kaiila & Dimna Die Überlieferung des Sendebar Zwei späte Texte aus Spanien: die Proverbios und die Bocados de Oro
10. Die Übersetzung des Korans 10.1 Die ersten Koranübersetzungen in Spanien 10.2 Der Koran der Morisken 11. Sprache und Überlieferung der Qargas 11.1 Die Gattung und ihre Überlieferung 11.2 Philologie und die Probleme der Edition 11.3 Zur Charakterisierung des Romanischen der IJargas 12. Der Islam in der Überlieferung der Aljamía
52 52 54 55 56 58 58 59 61 64 66 66 67 67 69 70 71 71 75 80 80 81 84 85
12.1 Die Gestalt des Maurenspanischen 12.2 Ein vollständiger Aljamiado-Text als Beispiel 12.3 Die Aljamía im Portugiesischen 12.4 Überlieferung, Koran und Exegese
85 86 91 91
Verzeichnis der Grafiken, Karten und Textbeispiele
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Orientierende Bibliographie
94
1
1.
Historische und sozio kulturelle Voraussetzungen
1.1
Romanistische Grundlagen
Man geht in der Romanistik normalerweise von der Latinität Roms und dem Prozeß der Romanisierung in den Regionen des Imperiums aus. In diesem Rahmen entwickelt sich die Romania autochthon. Es gibt keine Probleme mit Wanderungen in großem Umfang wie im Germanischen und auch keine Frage nach der Urheimat wie im Falle des Slavischen. Alle romanischen Dialekte sind zunächst Varianten des regionalen Lateins in situ. Bei der Ausformung des Romanischen gibt es im frühen Mittelalter vier entscheidende Einbrüche: (1) Das Griechisch-Byzantinische: Das Griechische ist im Erbe des Altertums autochthon, wie z.B. in Süditalien und in Sizilien, unter der Politik von Byzanz bis zu seinem definitiven Rückzug ins östliche Mittelmeer teils expansiv, teils regressiv. Der Erwerb des Griechischen in Europa im Zuge des italienischen Humanismus bildet demgegenüber ein Kapitel für sich. Vgl. Kahane (1976), Dietrich (1995). (2) Das Germanische zur Zeit der Völkerwanderung: Besonders zu erwähnen sind hier im 11./12. Jh. die Normannen in Süditalien und Sizilien (§ 5). (3) Das Slavische auf dem Balkan: Es geht dabei um eine spezifische Kontaktaufnahme des Slavischen mit dem Romanischen (6. Jh.), die auch gewisse anderweitige Parallelen - sogar mit dem Westen - aufweist. Es geht aber auch um die Abgrenzung gegenüber dem Griechischen (sog. Jirecek-Linie). Die Balkanologie steht hier nicht zur Diskussion. (4) Das Arabische mit dem Islam: Im vorliegenden Zusammenhang ist auszugehen von einer massiven Konfliktsituation im 7./8. Jh. im Mittelmeerraum und von einer rasanten militärischen Ausbreitung des Islam. Vgl. Lewis (1995). Das Ende dieser Epoche, rund acht Jahrhunderte nach einer vortrefflichen und gleichzeitig belasteten gegenseitigen Einflußnahme, fixiert man in Italien mit dem Jahr 1300 (§ 5.1), in Spanien mit dem Jahr 1492 (§ 4.4). Gemeint ist in Spanien ein komplexes Geflecht von Ereignissen unterschiedlicher Art, die man mit diesem Datum mit etwas Spekulation in Zusammenhang bringen kann: Der Fall von Granada; die Entdeckung Amerikas; die Grammatik von Nebrija; ein Spanier als Papst in Rom; der Vertrag von Tordesillas.
2
1.2
Die Romania im schematischen Vergleich
Wir stellen im Folgenden ein Schema vor, das die Romania unter sprachgeographischen und typologischen Gesichtspunkten zeigt. Die Dimensionen der im Süden des Mittelmeers angrenzenden Regionen sind mit einbezogen. Zur Interpretation dieses Schemas dient die nachfolgende Legende. (Vgl. Ineichen 1995b):
zentrale Romania (Fr., Obit.) Begrenzung des neueren zentraleuropäischen Sprachbunds. Verbund der Peripherie gegenüber dem Zentrum. Bereich der Romania continua. Absetzlinie Rom-Ancona gegenüber Süditalien, χ χ χ χ χ Bewegungen arabisch-nordafrikanischer Einflüsse. Ausstrahlung griechisch-byzantinischer Provenienz. Es entfallen in diesem Schema die Germanen und die Slaven sowie die Übergriffe asiatisch-sibirischer Reitervölker. 1.3
Chronologie und Zivilisation
Nach dem Gesagten ergibt sich ein Zeitraum zwischen dem 7./8. und dem 15./16. Jh., der hier von Interesse ist. Vgl. Vernet (1984). Diese Periodisierung hat Parallelen nicht nur in der Geistesgeschichte zwischen Europa und dem Orient; sie gilt auffällig auch für die Schübe im Strukturwandel der betroffenen Sprachen. Die Zivilisation bereichert
3
sich in dieser Epoche mit neuen Techniken, die in neuerer Zeit zumindest in Europa ihrerseits wiederum erneuert werden. Wir geben dazu hier einige Beispiele. Zu Beginn dieses Zeitraums wurde in Europa - vermutlich über asiatisch-sibirische Reiternomaden- die Erfindung des Steigbügels mit festem Sattel bekannt. Daraus ergab sich die Möglichkeit, zu Pferd zu kämpfen. Mit dieser Technik kämpfte seit dem 8. Jh. das mittelalterliche Rittertum in Europa, das mit der Erfindung des Schießpulvers seine militärische Bestimmung verlor. Andererseits verschwand im Orient im Verlauf der Spätantike der römische Gebrauch des Karrens mit dem Rad. An seine Stelle traten als Transportmittel neben dem Pferd vor allem der Esel, der Maulesel und das Kamel. Geeignete Techniken im Umgang mit dem Kamel erschlossen die großen Karawanenwege durch die Steppen und Wüsten in Afrika und bis nach Asien. Vgl. Glick (1991:31). Aus China stammt der Import von Seide. Diese kam mit anderen Gütern auf dem Landweg, d.h. auf der Seidenstraße (§ 6.3). Vollkommen neu für das südliche Europa war die arabische Technik der Bewässerung mit dem Schöpfrad (Göpel). Als Beispiel aus dem Wortschatz: ar. migarr(a) "Spur, Zugseil am Geschirr", bzw. siz. minciarru "Speiche des eselgetriebenen Rades (Mühle, Brunnen)", pg. almanjarra (Pellegrini 1972:151, Kontzi 1982:440). Im Zuge des Orienthandels führte dies zu neuen Entwicklungen im Landbau. Entsprechend kamen mit neuen Produkten auch fremde Namen in Umlauf (§ 4.2). Während in der Spätantike die Umstellung der Verschriftlichung zum Mittelalter hin ein großes philologisches Problem darstellt, leitet nicht die Erfindung des Buchdrucks, den es in China schon im 9. Jh. gab, sondern die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in Deutschland eine neue Epoche ein. Dies gilt vor allem informationstheoretisch. Zu vergleichen ist im Hinblick auf den mittelalterlichen Islam die Tatsache, daß die Klöster und städtischen Zentren Westeuropas - von Ausnahmen wie z.B. Cluny abgesehen - wohl nur wenige Bücher besaßen, d.h. im besten Fall etwa 150 bis 200. In islamischen Städten wie Bagdad, Damaskus, Kairo, Cordoba, Schiras oder Buchara entstanden zwischen dem 10. und dem 12. Jh. Bibliotheken und private Sammlungen mit 10.000 und mehr Bänden. Diese waren inhaltlich weit gestreut. Ihre Archetypen gehen auf die Periode der großen omaijadischen Expansion im 7./8. Jh. zurück. Das am meisten gelesene und in verschiedenen Ausführungen am meisten kopierte Buch ist "die Mutter der Bücher", d.h. der Koran. (Vgl. Petrosjan 1995:39; hier § 10). Ein Vorbild für die christlichen Europäer war das Marktrecht und "die wohlfunktionierende arabische Verwaltung mit ihren verschiedenartigen Einrichtungen, von denen viele übernommen wurden" (Kontzi 1982:416, mit einer kleinen Liste von Beispielen). Dies gilt vor allem für al-Andalus, wo das Arabische auch Amtssprache war. Dort bestand eine gewisse Tendenz zu einem arabischen Monolinguismus. Diese wurde durch den christlichen Missionsauftrag unterbunden (vgl. § 5.4). Diese Darstellung geht von der Konzeption aus, daß das Mittelmeer in dem hier angesprochenen Zeitraum - und auch während der Kreuzzüge - eine Einheit bildete.
4
Das Meer verbindet - übrigens wie das Gebirge - , so wie man heute wieder von einer "solidarité méditerranéenne" spricht (und dabei z.B. nicht mehr an die nordafrikanische Piratenherrschaft zwischen dem 16. und dem 18. Jh. denkt). Wir widersprechen damit der seinerzeit landläufigen Position von Pirenne (1937), d.h. der Position des belgischen Historikers Henri Pirenne (1862-1935), der zwischen Karl dem Großen und Mohammed zwei Welten auftut, und verfechten demgegenüber die Version der "sensibilité commune". Hier das Zitat nach Deutschmann (1971:102): "Denn bisher war das mittelländische Meer ein Meer gewesen, das homogene Kulturen auf allen Ufern miteinander verband. Durch den Einbruch der Muslime wird das bisher vereinigende Mittelmeer zu einer Grenze, die zwei ganz verschiedene Kulturen trennt, nämlich die christliche von der islamischen". Den wirklichen Einbruch vollzogen die aus Zentralasien anrückenden islamisierten Türken. (Man lese dazu das Vorwort von Kahane/Tietze 1958). Beim Türkischen geht es typologisch um die Gruppe der Altaisprachen, d.h. um die Gruppierungen des Mongolischen, des Tungusischen und der Turksprachen. Diese bilden (zumindest lehrbuchmäßig) die große Familie des Euroasiatischen, zu der entfernt auch das Koreanische und das Japanische gehören. Im Falle der Türkei spricht man deshalb genauer von Türkeitürkisch. Diese Darstellung geht nicht konform mit der militärischen Vorstellung der "Aufmarschstraßen" von Steiger (1948/49), auf die man oft noch zurückgreift. Diese Straßen sind nach Steiger vier: (1) Spanien; (2) die Islambrücke in Sizilien; (3) die Kreuzzugsstraße, wo Steiger im Sinne von Pirenne von einer Sperrkette des Islams spricht; (4) die Karawanenstraße aus Osteuropa und Asien. Im Zuge dieser Ausführungen gilt es, abschließend auch auf Unterschiede in der Lebenspraxis hinzuweisen, die im Mittelalter noch nicht vorhanden waren. Ein wichtiger Punkt ist hier das Verhältnis zum Geld. Anders als bei den Juden durften nach christlicher Lehre im Mittelalter für die Überlassung von Geld keine Zinsen genommen werden. Dieses ethisch-religiöse Prinzip, das die Inanspruchnahme von Geld zu einem festen Preis verbietet, gilt im Islam noch heute. Man unterscheidet dort allerdings zwischen Geldkapital (Geldvermögen) und Realkapital (Sachvermögen) und entsprechend zwischen Geldzins und Mietzins.
1.4
Die Stellung des Französischen
Beim Sprachkontakt mit dem Arabischen im vorgegebenen Zeitraum gibt es theoretisch drei mögliche Situationen (vgl. § 2.3). Der direkte Kontakt wie in al-Andalus oder in Sizilien findet in Frankreich nicht statt, es sei denn im Süden evtl. über Kontakte mit gebildeten Juden und in Handelsstädten wie Marseille. Man kann deshalb ein "vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen" (Kiesler 1994) verfassen, weil das Französische weitgehend entfallt. Denn es bleiben
5
allein die gelehrten Kontakte über das Buch oder die Wortwanderung in indirekten Kontakten über den Handel. Das ist die Position von FEW 19 und den dazu gehörigen instruktiven und fleißigen Exzerpten von Arveiller (1969ff.). Eine onomasiologische Auswertung des FEW 19 findet man bei Baldinger (1972). Im Zuge der Kolonialisierung gerät das Französische im 19. Jh. (mit Algier 1830) in einen intensiven Kontakt mit dem Arabischen des Maghreb. Einzelne Wörter wie z.B. le bled "kleines Dorf' finden Eingang in die Umgangssprache. Über den Jargon des Militärs bereichert sich der Argot. Eine wichtige Studie dazu bietet Christ (1991). Vgl. auch Noll (1991). In seiner Rezension zu Christ verweist Noll, den wir im folgenden wörtlich zitieren, u.a. auf den besonderen Typ der Frequenzentlehnung: "Es handelt sich dabei um Wörter und Wendungen, die im Arabischen Nordafrikas mit großer Häufigkeit gebraucht werden, so daß sie Außenstehenden zwangsläufig auffallen und somit von Frankophonen in bestimmten Kommunikationssituationen, auch auf neugierige Nachfrage hin, verstanden und übernommen wurden. Dazu gehören vom Arabischen aus gesehen Wörter quantitativer Bestimmung, die interjektiv gebraucht werden können, wie barca 'assez', bézef, 'beaucoup', class 'assez', chouïa 'un peu\ fissa 'vite', ouallou, 'rien à faire' < mghr. ar. wâlo 'rien' und zob 'rien' < mghr. ar. ζ abb 'membre viril'. Weiterhin trifft man auf Anreden wie labès alik? 'ça va bien?', cromile 'Nord-Africain' < mghr. ar. hüya 'mon frère' und Kurzantworten wie macache 'jamais' < mghr. ar. mä-kän-s 'il n'y en a pas' und mandich 'rien' < mghr. ar. mà-mdï-s 'je ne sais pas'. Im Rahmen der Frequenzentlehnungen wurden auch chbeb 'joli' und meley 'bon' übernommen, die als Träger einer positiven Bedeutung im sonst überwiegend negativ belegten Argotvokabular herausstechen." In neuester Zeit denkt man auch an den Begriff der afrikanischen Frankophonie. (Vgl. LRL V. 1,767).
Aufgaben 1. Wie definiert man den Begriff "Mittelalter", und was sagt die Islamwissenschaft dazu? 2. Wo liegen, chronologisch gesehen, die jeweiligen Schwerpunkte in den zu vergleichenden Kulturen? 3. "Argot" ist besonders aus dem Französischen bekannt. Worin besteht seine Eigenart? 4. Es gibt in der Romanistik die Unterscheidung zwischen gelehrten Wörtern - Buchwort, fr. mot savant - und volkstümlichen Wörtern. Wie kommt die Unterscheidung zustande? 5. Findet man Belege für die Existenz des Islam in Südfrankreich? Welche? Wo?
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2.
Das Arabische und die Romania
Wir geben im folgenden einige Hinweise auf die Struktur und die Typologie des Arabischen, soweit sie in der Romanistik von Bedeutung ist. Eine umfassende Strukturbeschreibung steht nicht zur Diskussion.
2.1
Wortstruktur und Grammatik
Typisch für das Arabische, das eine semitische Sprache ist, ist die Dreikonsonantenstruktur (fr. structure trilitère, sp. estructura trilítera) der lexikalischen Einheiten. Es gibt selbstverständlich auch Partikeln; das Wort als solches ist im Prinzip jedoch stets auf die Formel < x.y.z > zurückfuhrbar, die man als Wurzel bezeichnet, deren Bedeutung es jeweils zu begreifen gilt. Die arabischen Grammatiker gebrauchen für diese Formel die Wurzel < f.1.1 > "machen", d.h. zur Angabe eines lexikologischen Standards die Form fa'ala "er machte". In der spanischen Arabistik werden die Wurzelkonsonanten in ihrer Reihenfolge oft einfach gezählt < 123 >, ev. < 1234 >. Auch die arabischen Wörterbücher sind im Alphabet nach der Konsonanz der Wurzeln geordnet. Nach arabischer Vorstellung werden die Konsonanten der Wurzel "bewegt". Die Wortbildung erfolgt mit oder ohne Hilfe von kurzen oder langen Vokalen und mit oder ohne Hilfe von Präformativen, Informativen und Afformativen. Ausgehend von kataba < k.t.b > "schreiben" hat man z.B. kataba "er schrieb", aktubu "ich schreibe", maktüb (mit Präformativ) "Brief'. Mit diesem Verfahren erzeugt das Arabische ein äußerst reichhaltiges Lexikon. Die Wurzel als solche ist im Grunde verbal. Die arabische Grammatik ist in der Theorie der europäischen vollkommen entgegengesetzt. Statt nach europäischem Muster Regeln mit Ausnahmen zu statuieren, fixiert die arabische Grammatik die Formen, die zulässig sind. Man sagt dann, das Wort habe die Form so und so, z.B. fä'il für einen, der ewas tut, daher kätib "einer der schreibt"; die Form fuayla z.B. enthält immer das Merkmal (+ Diminutiv). Die Wortfolge des Arabischen ist VSO. Es besteht somit eine Analogie zu den Sprachen der peripheren Romania (§ 1.2), wo neben SVO als europäischem Muster auch VS/O geläufig ist. Bemerkenswert ist auch die Analogie zum präpositionalen Akkusativ, den man arabisch und hebräisch auch im semitischen Mittelmeerraum findet. Das klassische Arabisch verfügt über eine ausgeprägte Morphologie, die schon früh stark abgebaut wurde. Das arabische Verbalsystem ist aspektuell. Mit Hilfe einer bestimmten Verbalmorphologie - d.h. mit Hilfe der Stämme I-X - gelangen zusätzlich auch Aktionsarten zum Ausdruck. Die andersgeartete Semantik des arabischen Wortschatzes gibt oft Anlaß zu aberranten Übersetzungen. Wir geben hier einige Beispiele zur Illustration. Die Hirnhaut heißt in der arabischen Medizin umm raqiqa, d.h. "Mutter", mit vielen Nebenbedeutungen, worunter "Membran, Häutchen", und dem Adjektiv aus < r.q.q >, "dünn, fein,
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gütig, milde, sanftmütig sein". Auf dieser Basis entstand in Europa mit. pia mater, nfr. pie-mère. Mit. nucha und die entsprechenden romanischen Formen sind eine Kreuzung aus ar. nuha "Rückenmark" und ar. nuqra "Nackengrube" (foramen occipitale), wo eine Verwechslung in der Aussprache vorliegt. Deswegen schreibt wohl Dante (Inf. 32.127-29): e come Ί pan per fame si manduca,/ così 7 sovran li denti a l'altro pose/ là 've 7 cervel s'aggiugne con la nuca. Aus der Wurzel < r.k.b > "reiten" entsteht ar. markab "Reittier; Schiff'. Daraus abzuleiten ist vermutlich die moderne Gleichung "Kamel = Wüstenschiff". Aberrante Terminologie und Fehlübersetzungen entstehen durch Verwechslung auch dann, wenn die Schrift mehrdeutig ist. Z.B. bei der Schreibung ohne diakritische Punkte. Die Zitrone heißt im Griechischen Μηδικόν μήλον "medischer Apfel", daher ar. tujfäh mahl. Ar. mäh ist "Persien", ma dagegen "Wasser". Der mittelalterliche Übersetzer versteht die Nomina relationis anders und setzt pomum aque. Berühmte Beispiele stammen aus der Bibel. Die Eva aus Adams Rippe beruht auf der Verwechslung einer Keilschriftvorlage. Auch das "Nadelöhr" ist eine Fehlinterpretation.
2.2
Lautungen und Phonologie
Wir erstellen in der Folge eine Liste der arabischen Konsonanten in der in der deutschen Orientalistik üblichen Umschrift, die nach anderen Ansätzen - phonetisch und phonologisch - oft nicht übereinstimmt, in der Reihenfolge der Buchstaben im Arabischen. In der Praxis gibt es Umschriften aller Art, die gewöhnlich an bestimmte Ortographien angepaßt und in der Phonetik oft impressionistisch sind. (Man nehme als extremes Beispiel die französischen Umschriften der Ortsnamen in Nordafrika). )
' ali f , explosiver Knacklaut (fr. occlusive gioitale), im Einsatz höher als norddtsch. aneinander gegenüber süddtsch. aneinander, als Längenbezeichnung vokalisch ä. Alif wird am Wortanfang nicht transkribiert.
2.
b
wie dtsch.; es gibt im Arabischen keinp, "Paris" ist Barls.
ο
3.
t
wie dtsch., nicht behaucht.
ò
4.
t
wie engl, th in thing.
ε
5.
wie ital. giorno, [dz], in anderer Umschrift j,j, y.
c
6.
é h
c
7.
h
[x] als ac/i-Laut, wie schweizdtsch., oder sp. mujer, transkribiert auch als χ oder kh.
Ì
8.
d
wie dtsch.
i
9.
d
wie engl, [δ] in this.
j
10.
r
mit der Zungenspitze gerolltes [r].
1
1.
y
laryngales bzw. pharyngales h als Reibelaut; existiert europäisch nicht.
11.
ζ : wie fr. zéro, in allen Stellungen.
12.
s : hartes [s], in allen Stellungen.
13.
§ : wie dtsch. Schiff, palatale Spirans: Fr. heißt dieser Laut chuintante ("spirante cacuminale").
14,
s : velarisiertes, sog. emphatisches [s], gegenüber [s] (12).
15.
d : emphatisches d (8), ar. däd [do:d]. Dieser Laut gilt fur das Arabische als sehr charakteristisch. Arabisch ist deshalb auch "die Sprache des däd". Vgl. das kakuminale dim Sizilianischen (§ 5.3).
16,
t : emphatische Variante von t (3).
17.
ζ : emphatische Variante von ζ (11).
18,
'
19.
g : stimmhafter velarer Reibelaut (Spirans), europäisch nicht identisch vertreten. Die Artikulation liegt etwas hinter g und ist demzufolge auch dem r grasseyé des Französischen nicht unähnlich. Man findet dazu entsprechende Umschriften. Das Arabische kennt kein [g].
20.
f : wie dtsch.
21.
q : hinteres, d.h. velar-emphatisches bzw. postpalatales [k], in anderer Umschrift auch k, kh.
22,
k : vorderes, d.h. palato-velares k, im Gegensatz zu q (21). Die Unterscheidung zwischen velarer und palataler Konsonanz begründet eine grundlegende phonosyntaktische Opposition (s.u.), die man mit Beispielen wie qalb [qolb] "Herz" vs. kalb [kelb] "Hund" illustrieren kann.
23,
1 : wie dtsch. Sog. schweres, d.h. velarisiertes /, kann in der Umschrift punktiert werden (z.B. Alläh).
24,
m : wie dtsch.
25,
η : wie dtsch.
26,
h : wie dtsch., Hauchlaut.
27,
w : waw, als Halbvokal [u, als Längenbezeichnung vokalisch ü\.
28,
y : yod, als Halbvokal [i, als Längenbezeichnung vokalisch i].
ach Art iBi
man die obige Liste der 28 arabischen Buchstaben unter dem Gesichtspunkt lation, dann ergibt sich das folgende höchst komplexe Inventar, dem man rkungen zur Artikulationsweise beifugen kann.
: 'ain, stimmhafte laryngale Spirans, europäisch nicht vertreten. Erscheint in der praktischen Umschrift oft als a. Vgl. im Jemen die Hauptstadt San'ä ', in der Umschrift San a bzw. Sanaa. In europäischen Drucken erscheint andererseits oft einfach ein Apostroph, d.h. ', so daß 'alif( 1) und 'ain (18) nicht zu unterscheiden sind.
9
(1) Labiale: b,f, m (2, 20, 24), d.h. okklusiv, frikativ, nasal. (2) Dentale (bzw. Postdentale): t, d, s, z, n, (3, 8, 12, 11, 25), d.h. okklusiv, frikativ, spirans und nasal. (3) Interdentale: t, d, (4, 9), d.h. frikativ. (4) Emphatische: t, d, s, ζ (16, 15, 14, 17). Die "Verdumpfiing" der Dentale und Sibilanten, d.h. deren Kakuminalisierung, die sog. Emphase, ist für das Arabische typisch. Die Emphase kann dialektal auch entfallen (z.B. in Malta). Im Romanischen fallen die Emphasen mit den entsprechenden Dentalen zusammen. (5) Palatale: k, s, g (22, 13,15), d.h. okklusiv, frikativ und eine Affrikate. (6) Velare: q, h, g (21, 7, 19), d.h. okklusiv, frikativ, postpalatal. (7) Laryngale: '(alif),
h, h (1, 18, 6,26), d.h. explosiv, frikativ, glottal.
(8) Liquiden: r,l{ 10, 23). Das wissenschaftliche Interesse an der Umsetzung des Lautbestandes aus dem Arabischen ist zur Zeit nicht sehr groß. Als Klassiker nennt man Steiger (1896-1963), hier die Veröffentlichungen von (1932) und (1967), ferner die Angaben in den Wörterbüchern von Corominas (DECH, DECC), dazu lexikalisch gesamtromanisch Kiesler (1994), in Sizilien Caracausi (1987/88). Die Phonetik der Arabismen im Katalanischen behandelt Kiesler (1995). Beim Blick auf Sizilien ist zu beachten, daß zum Lateinisch-Romanischen neben dem Arabischen auch das Griechische hinzukommt. (Vgl. § 5.2). Wir fügen zur Übersicht hier (s. die folgende Seite) das Konsonanteninventar von Caracausi (1983:57) an. Die Übernahme ins Romanische ist nicht sehr regelhafi. Probleme bieten vor allem die s-Laute (Alonso 1946). Die Sibilanten s, s, und ζ { 12, 14, 11) gehen asp. nach [ts], graphisch ç, ζ. Dental okklusiv können auch interdentale (4,9) und emphatische Dentale (15, 16, 17) aufgelöst werden. Frikative wie h, h (6, 26) und die Affrikate g (15) gehen gern nach f . Die Emphasen erscheinen auch biphonematisch. Daher ar. al-qädi > sp. alcalde. Auch ar. hattä, sp. hasta "bis", asp .fasta, ist emphatisch perzipiert, im Gegensatz zu pg. até. Der mittelalterliche Lehnwortschatz macht den romanischen Lautwandel mit. Daher tagns, d.h. ar. tägu zu nsp. Tajo, im Gegensatz zu pg. Tejo. So z.B. auch griech.ar. al-qasr "Burg", d.h. asp. alcaçar, nsp. alcázar. Die obige Liste der 28 Konsonanten enthält '(alif) sowie y [i] und w [u] als Halbvokale (1, 27,28), aber explizit keine Vokale. In Wirklichkeit besitzt das Arabische die in den Sprachen der Welt belegbare linguistische Minimalausstattung des Vokalismus, d.h. a, i, u, und zwar jeweils als Kürzen und Längen. Die Kürzen werden normalerweise nicht bezeichnet, was die Lektüre des Arabischen nicht gerade einfach macht. Die Angabe der Vokalisierung bzw. der Vokallosigkeit erfolgt bei Bedarf - im Koran mit Hilfe von diakritischen Zeichen. Diese stehen in der Schrift von rechts nach links beim Konsonanten über oder unter der Zeile. Die Bezeichnung der Länge erfolgt, wie oben angegeben, im Prinzip mit Hilfe der Verbindung < Konsonant + Halbvokal >.
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>- Q. λ. c > s — "zuhören", im Stamm II "zum Gebet aufrufen") aufruft, heißt: ashädu allä iläha illä 1-läh wa ashädu anna muhammadan rasülu 1-läh. D.h. in europäischer Version: "Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet". Der arabische Name des Propheten (um 570 bis 632) ist Muhammad, in deutscher Orthographie Mohammed oder Mohamet. ISLAM: Der Islam als Religion der Muslime, ar. isiàm "Unterwerfung, Ergebung (in den Willen Gottes)", zu < s.l.m > "sicher sein", ar. eigentlich al-isläm "die Religion des Islam, die Ära des Islam; die Muslime". Fünf religiöse Pflichten bilden die Säulen des Islam: l.die rituelle Waschung, 2. die fünf täglichen Gebete, 3. das Almosengeben, 4. das Fasten im Monat Ramadan, 5. die Wallfahrt nach Mekka. Mit dem Judentum und dem Christentum ist der Islam eine der drei skripturalen Religionen, d.h. derjenigen Religionen, die eine Heilige Schrift haben. Ihre Anhänger gelten nicht als Ungläubige, im Gegensatz zu den Heiden. Die Territorien des Islam bilden nach islamischem Recht "das Haus des Friedens" (dar as-saläm), im Gegensatz zu den nicht islamischen Ländern, d.h. zum "Haus des Krieges" (dar al-harb), das es noch zu erobern gilt. Vgl. Pareja (1951), Bausani (1992), Schimmel (1995) und das Stichwort Islam in der Bibliographie.
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KORAN (ar. qur'än): Die Sammlung der Botschaften, die Mohammed über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren durch den Engel Gabriel von Gott offenbart wurden. Es ist das von Gott selbst seinem Propheten verkündete Wort, dessen Inhalt ewig und unverrückbar gültig ist. Der Koran besteht aus 114 Suren, ar.süra mit der Wurzel < s.w.r > "einschließen", oder Kapiteln, die mit Ausnahme der Eröffnungssure (fätiha) nach abnehmender Länge geordnet sind. Die Wissenschaft von der Koranexegese heißt Tafsir (ar. tafsïr "Erklärung, Kommentar"); die dazugehörige juristische Disziplin ist al-fiqh, eigentlich "Kenntnis (der Jurisprudenz im Islam). Vgl. Nagel (1993), zur Koranübersetzung hier § 10. SCHARIA: Das offenbarte Gesetz des Islam, wie es im Koran vorgegeben ist. Die Scharia durchdringt als globales Gesetz alle Lebensformen der Gesellschaft. Ar. as-sarî 'a, zu < s.r.' > "beginnen, Vorschriften machen, Waffen fuhren". Vgl. Abu-Sahlieh (1995). SCHIA: Die Glaubenslehre der Schiiten, d.h. der Anhänger von Ali (ar. 'Ali), des vierten Kalifen, der mit Mohammeds Tochter Fatima (ai.fätima) verheiratet war. Für die Schiiten ist Ali der einzige rechtmäßige Nachfolger des Propheten. Schiiten findet man vor allem im Iran und im Iraq. Sie setzten sich dort im Verlaufe des Abbasiden-Kalifats durch und haben besondere Gewohnheiten, z.B. Bartträger zu sein oder sich an bestimmten Gedenktagen durch Selbstkasteiung blutig zu verletzen. Die arabische Form des Wortes ist as-sl 'a, mit der Wurzel < s.y.c > "bekannt, verbreitet werden". SUNNA: Die traditionell sanktionierte Norm des Propheten (ar. sunna an-nably). Es sind seine im sog. Hadith (ar. hadït, zu < h.d.t > "geschehen") überlieferten Äußerungen und Taten, wie sie später (zusätzlich zum Gesetz des Korans) als verbindlich erklärt wurden. Die Sunniten sind orthodoxe Muslime. Vgl. Nagel (1983:324).
3.3
Religiös-politische Begriffe
Im Sinne des Korans sind im Islam Religion, Gesetz und Politik unter einem einzigen Konzept zusammengefaßt. Es gibt keine laizistischen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft. KALIF: Nachfolger, ar. hallfa. Ehrentitel der Nachfolger oder Stellvertreter Mohammads. Die Autorität der Kalifen war weltlich und geistlich zugleich. KALIFAT: Autorität, Herrschaft und Territorium eines Kalifen. Man unterscheidet im Mittleren Osten die ersten vier Kalifen (632-661) in Medina (Abu Bakr, Omar, Othman und Ali), die Omaijaden in Damaskus (661-750), die Abbasiden in Bagdad (750-1258), dazu die Fatimiden (910-1171) mit Sitz in Kairouan, später in Kairo, und das ottomanische Kalifat (1517-1924) in Istanbul. - Im einzelnen:
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OMAIJADEN: Erste Kalifendynastie mit Sitz in Damaskus ( 6 6 1 - 7 5 0 ) , ar. banü umayya. Die kriegerischen Eroberungen der Omaijaden brachten den Islam zu seiner größten territorialen Ausdehnung. Die Omaijaden hielten sich längere Zeit erfolgreich in Córdoba (756-1031), das zuerst Emirat, dann (ab 929) Kalifat war. Man erwähnt als Höhepunkt die Regierungszeit von * Abd ar-Rahmän III (912-961).
ABBASIDEN: Kalifat von Bagdad, ar. al-'abbâsïyûn, 750 bis zur Zerstörung der blühenden Stadt durch den Mongoleneinfall 1258. Dieses Datum ist im Orient so wichtig wie 1453 für den Untergang von Byzanz. Bagdad wurde vom zweiten Abbasidenkalif al-Mansür um die Mitte des 8. Jh. gegründet. Eine herausragende Gestalt ist Harun al Raschid (ar. Härün ar-Rasïd, 766-809, Kalif seit 786). FATIMIDEN: Schiitische Dynastie, ar. al-fätimiyün, die vom 10.-12. Jh (d.h. 910-1171) große Teile Nordafrikas, Ägyptens und Syriens und 909-947 auch Sizilien beherrschte. Die Fatimiden gründeten als Hauptstadt neben dem alten al-fustät, heute Alt-Kairo, das neue Kairo (ar. al-qähira, fr. le Caire, "die Siegreiche") und die dortige al-Azhar-Moschee. (sp., pl.): Zersplitterte Höfe nach dem Zusammenbruch des brillanten omaijadischen Kalifats von Córdoba (1031), sp .reinos de Taifas "Kleinkönigreiche" (sp. reyes de Taifas "Kleinkönige", engl, petty kings), ar. mulük at-tawä 'if im Sg. tä 'ifa "Teil" zu < t.w.f > "umhergehen". Zur Abwehr der Reconquista, die ideologisch mittlerweile auch vom Kreuzzugsgedanken erfaßt wurde, riefen die bedrohten, aber kulturell hochstehenden Kleinkönige fanatisch islamisierte Berberstämme aus Marokko zu Hilfe. Es waren dies zuerst die Almoraviden (1061-1147), ar. al-muräbitün, zu ar.ribät "Festung (ihrer Gründer)", wie Rabat als Ortsname. Die Almoraviden stammten aus der Westsahara, gründeten, aus der Wüste vorstoßend, 1060 Marrakesch und eroberten 1069 Fes. Darauf folgten aus dem Gebirge die Almohaden (1147-1269), ar. al-muwahhidün, zu ar. wähid "der Eine (d.h. Gott)". Die Almohaden wurden von den christlichen Heeren in der entscheidenden Schlacht von Las Navas de Tolosa bei Jaén 1212 besiegt und zurückgedrängt. Es gibt in der Tat Verbindungen zwischen Andalusien und den Städten Marokkos nördlich der Sahara, wo viele maurische Flüchtlinge aus Spanien sich ansiedeln konnten. Die Giralda in Sevilla wurde vom gleichen Baumeister entworfen wie das Minarett der Koutoubia-Moschee in Marrakesch. TAIFAS
3.4
Soziokulturelle Begriffe
Es geht hier nicht um Religionen, sondern um das gegenseitige Verhältnis von Religionsgemeinschaften. Diese organisierten sich, nicht zuletzt auch unter politischem Druck, nach eigenen Sitten und Gebräuchen.
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MAMELUKEN: AUS ar. mamlük "weißer Sklave", zu < m.l.k > "in Besitz nehmen", vgl. ar. malik "König". Seit dem 9. Jh. hielten sich die abbasidischen Kalifen zur eigenen Sicherheit türkische und tscherkessische Söldner, die sie aus Zentralasien rekrutierten, als Leibgarde. Um die Mitte des 13. Jh. ergriffen die Mameluken in Ägypten die Macht und hielten wichtige Posten auch unter der türkischen Herrschaft bis zum Sieg Napoleons 1798. (Man vergleiche als Einrichtung die Janitscharen an der Hohen Pforte in Istanbul, das Corps der Tscherkessen im heutigen Jordanien oder die französische Fremdenlegion, als historisches Überbleibsel die Schweizer Garde des Papstes in Rom). MARRANEN: Sp. marranos (pl.), d.h. unter Zwang zum Christentum übergetretene Juden (sp. conversos) in Spanien, Neuchristen; Krypto-Juden, sofern sie heimlich den jüdischen Glauben bewahrten (sp. judaizantes). Vgl. Révah (1959/60), zur Bedeutungsentwicklung Corominas, DECH (6:858), der das Wort marrano, eigentlich "Schwein", pg. marräo, auf ar. mahram "verbotene Sache (Schweinefleisch)" zurückführt. Im Spätmittelalter verbreitete sich das Wort auch im übrigen Europa. Einen entsprechenden Beleg findet man 1239 allerdings schon in Sizilien (Caracausi 1983:279). Portugiesisch-sprechende Marranen wanderten in der Folge nach Nordeuropa aus, besonders nach Amsterdam und nach Hamburg. Vgl. Herzig (1991). MAUREN (pl.): Im Singular sp. moro, aus lt. maurus "Einwohner Mauretaniens", fr. maure, more (adj. auch mauresque), pg. mouro, kat.it .moro, engl .Moor. Allgemeine Bezeichnung der Nordafrikaner als "maurisch", d.h. als Muslime. Vgl. Hottinger (1995). Die Mauren sind "Gläubige des Islam" (Deutschmann 1988). MORISKEN (pl.): In Spanien "getaufter bzw. zwangskonvertierter Maure", sp. morisco, kat. morisc. Die Morisken waren mudéjares (s.u.) und schrieben ihre religiösen Texte in Aljamía (§ 12). Trotzdem litten sie unter Verfolgung und wurden teils auch zwangsumgesiedelt. Als Flüchtlinge prägten sie die Städte Nordafrikas. Mit ihrer definitiven Ausweisung 1609 verschwand der mittelalterliche Islam in Spanien endgültig. MOZÁRABER (pl.): Allgemeine Bezeichnung der unter islamischer Herrschaft lebenden Christen isidorianisch-westgotischer Tradition, sp. mozárabe η., adj., mozarabía η., zu ar. musía 'rab, part. pass, mit der Wurzel < ' .r.b > im X. Stamm: "hacerse semejante a los árabes (arabische Sitten annehmen)" (§ 4.3). Die Mozaraber waren zweisprachig. Das Wort "mozarabisch" bezeichnet außer der Sprache auch den mozarabischen Ritus in der Liturgie und die traditionell isidorianische Aussprache des Lateins, die im Zuge der cluniazensischen Reform im Konzil von Toledo 1080 unterbunden wurde. Viele Mozaraber wanderten im Zuge der Reconquista in den kulturell weniger enwickelten Norden aus. Zur Kunst: Fontaine (1983). Zur Sprache hier § 4.3. MUDEJAR (sp., sg.): Nicht eingedeutschte Bezeichnung fur Mauren, denen man nach dem Vertreibungsedikt zugesichert hatte, in Zentren wie Toledo, Zaragoza, Tudela, Guadalajara, Lissabon, Valencia ohne religiöse Bedrängnis zurückbleiben zu können. Aus ar. mudaggan, Part. pass. II "zurückgeblieben", zu < d.g.n > "bleiben". Erstbe-
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leg 1571. Als Stilbegriff der Kunstgeschichte bezeichnet das Wort die Vermischung von romano-gotischen und arabischen Elementen. Die zurückgebliebenen Mauren unter der Krone von Aragon hießen sp. tagarinos, erstbelegt 1605, kat. tagari, mit Belegen schon aus dem Mittelalter. Es geht hier um die Obere Grenze (Frontera Superior), die ursprünglich als Mark zwischen Tarragona, Llerida, Zaragoza und weiteren Stützpunkten gegen die Franken gerichtet war (ar. tagr al-a'lá). MULADÍ (sp., sg.): Nicht eingedeutschter Terminus, bezeichnet zum Islam übergetretene einheimische Christen, Renegaten (sp. renegados), aus ar. muwalladln, Part, pass. II von < w.l.d > "zur Welt bringen". Es handelt sich um einen Fachausdruck der Historiker aus dem 18./19. Jh. SARAZENE: dtsch. "Araber, Mohammedaner, Muslim", it. saraceno η., adj., "musulmano, spec, nell'antica terminologia risalente alle crociate"; sp. sarraceno, asp. Sarrazin "arabe, moro mahometano" (nicht volkstümlich), kat. sarraí, okz.fr. sarrasin. "C'est à partir de l'époque byzantine que le mot prend sa valeur définitive, désignant tous ceux qui vivaient sous le règne du calife et avaient la foi islamique. Il se propage ensuite en Occident; il est employé pour 'Arabe' et désigne tout ci qui vient de l'Orient" (DHLF 1992). Vgl. a fr. sarrazinois, mlat. saracenus, aus gr. σαρακηνός, ar .sarqï "orientalisch".
Aufgaben 1. Rekonstruieren Sie den Verlauf der Reconquista anhand von Dietrich/Geckeier (1990:160), Lleal (1990:118), Teyssier (1980:6), Badia i Margarit (1981:30,133). 2. Erörtern Sie die Sprachsituation der Mozaraber anhand von Menéndez Pidal (1956:415). 3. Thematisieren Sie Gottesbegriff, Jenseitsvorstellung, Lebenspraxis (§ 9), Stellung der Frau (§ 11). 4. Was bedeutet "Fundamentalismus": damals, heute; im Christentum, im Islam? 5. Kommentieren Sie die Zwangsbekehrung und den Begriff der limpieza de sangre im Spätmittelalter in Spanien.
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4.
Die Sprachsituation in Spanien und das Mozarabische
Wir beziehen uns im folgenden weiterhin auf die vorausgehenden Ausführungen (§ 1.3). Es geht um das gegenseitige Verhältnis von Arabisch und Romanisch, wie es sich auf der Iberischen Halbinsel und speziell im Spanischen ausprägt.
4.1
Die arabisch-romanische Symbiose
In Spanien ist wie sonst in der Romania von einer unterschiedlichen, aber doch ursprünglichen lateinisch-romanischen Dialektalisierung auszugehen. Vgl. Dietrich/ Geckeier (1990:32). Dasselbe gilt nach Lewicki (1951/52) in vorislamischer Zeit auch für Nordafrika. In den Bereichen der Halbinsel, in denen sich eine maurisch-romanische Symbiose herausbilden konnte, etablierte sich offenbar ein umgangssprachlicher, religiös nicht diskriminierter volkssprachlicher Bilinguismus. Die Romanen behielten ihren romanisch-mozarabischen Dialekt auch dann, wenn sie konvertierten, kannten jedoch auch den Umgang mit dem Arabischen. Die maurische Bevölkerung verständigte sich nach Bedarf auch auf romanisch, so daß praktisch beide Volksgruppen zweisprachig waren. Solche Kommunikationssituationen findet man bekanntlich auch heute. Außerordentlich ist jedoch die Tatsache, daß diese Art von Bilinguismus und das damit verbundene Code-switching ihren Niederschlag auch in der Dichtung fand, und zwar insbesondere in den Strophengedichten der hargas (§ 11). Die Mündlichkeit (fr. oralite) gilt als Basis ganz allgemein auch bei Entlehnungen in situ, d.h. genau so in Sizilien (§ 5), ferner bei Kontakten, z.B. im Handel (§ 6), und im Falle der Wanderwörter (§ 7), nicht aber bei der Schriftlichkeit z.B. im Rahmen der wissenschaftlichen Übersetzung (§ 8). Nun verhält es sich aber in Spanien so, daß diese beiden umgangssprachlichen Varianten auch hochsprachlich vertreten sind. Die Hochsprachen sind religiös gebunden (und als solche für die romanistische Hispanistik kaum von Belang). Selbst die Verschriftlichung im Falle der Aljamía (§ 12) ist offenbar umgangssprachlich basiert. Die Schriftlichkeit umfaßt deshalb nach Stern (1965:643), dem wir hier folgen, im musulmanischen Spanien insgesamt fünf verschiedene "Sprachen", d.h. vulgär- bzw. volkssprachlich wie gesagt zwei - sofern man vom Gebrauch anderer romanischer Schriftdialekte unter den Christen absieht - und hochsprachlich drei. Die Schriftsprachen verteilten sich parallel zu den Religionen. Das Klassische bzw. hochsprachliche Arabisch, das von den Gebildeten auch im vornehmen Gebrauch verwendet wurde, war die einzige Literatur- und Schriftsprache der Moslems. Gelegentlich wurde dieses Arabisch auch von Christen, stets jedoch von gebildeten Juden verwendet. Diese schrieben das Arabische jedoch im hebräischen Alphabet. Bei den Christen war die Sprache der Liturgie und der Wissenschaft das Latein. Die Juden schließlich hatten als eigene Schriftsprache das Hebräische, das sie beim religiösen
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Kult, in den theologischen Schriften (neben dem Aramäischen) und in der Dichtung verwendeten. Das Problem der Mehrsprachigkeit in der Praxis bleibt offen (§ 2.4). 4.2
Die Intensität der Arabisierung
Die Arabisierung der Halbinsel unterlag nicht nur den sprachlichen Bedingungen, die wir oben (§ 2) genannt haben. Den soziokulturellen Bedingungen entsprechend war sie im Mittelalter stärker - vor allem in den Städten des Südens - und nach Norden hin abnehmend. Es gibt darüber zur Lexik noch keine umfassende Information, wie sie von einem Wörterbuch des Altspanischen - jetzt in Arbeit bei Bodo Müller in Heidelberg: Diccionario del español medieval - zu erwarten wäre. Vgl. Neuvonen (1941), zu den Arabismen im Katalanischen Kiesler (1992). Gute Auskunft geben demgegenüber die Orts- und Gewässernamen. Vgl. dazu Vernet Ginés (1960:561-78). Regional gibt es dabei Unterschiede je nach der Dauer der Besiedlung und dem Stand der Reconquista. Man findet dazu eine Statistik bei Lleal (1990:194, mit Karte). Schematisch kann man sich die Situation auch anhand der Flußnamen in den großen Tälern vergegenwärtigen. Wir gehen dabei aus von einer Karte, die man bei Tavani (1968:152) findet: Hispanien im 8. und 9. Jh.
Confine meridionale del regno asturiano di Alfonso I ' Limite meridionale della zona diripopolamentoasturiano (757-866) Limite meridionale della zona di sicurezza, quasi interamente deserta sino alla fine del LX sec. e limite settentrionale del dominio musulmano a metà dellVIII sec. Limite meridionale delle conquiste franche fino all' 815
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Die hier interessanten Flußnamen sind die folgenden: (1) Guadalquivir. Es handelt sich um eine rein arabische Bildung, ar. wädi al-kabîr "der große Fluß". Der lateinische Name war BAETIS. (2) Guadiana, pg. Odiana. Als nächste Stufe erscheint nun die Verbindung von ar. wädi mit dem römischen Namen des Flusses, lt. ANAS. (3) Tajo, pg. Tejo. Es geht um lt. TAGUS, jedoch noch mit arabisch interferierender Phonetik (G>g). (4) Duero, pg. Douro. Rein romanisch, entsprechend lt. DÜRIUS. (5) Ebro, kt. Ebre. Dies zu lt. HIBËRUS, griech. 5 ίβηρ (Achtung auf die Betonung!). Die Abfolge dieser Flußnamen ist ein Indiz für den Grad der Arabisierung. Als Besonderheit zu werten ist das Faktum, daß sich das Romanische und das Arabische gegenseitig durchdringen. Andererseits findet man arabische Namen geographisch weit gestreut. Dazu zwei Beispiele: Zu ar. gabal "Berg" gibt es gabal täriq "Berg des Tariq", d.h. Gibraltar. Auf Sizilien findet man it. monte plus ar. gabal, d.h. Mongibello als Name des Ätna, mit volkstümlicher Anpassung an bello "schön". Das it. Etna selbst ist sikulisch, gr. Άϊ,τνη). Einfach entlehnt findet man al-gazira "Insel (als fruchtbares Territorium)" z.B. in Algeciras in Südspanien, "Algerien" in Nordafrika, im Nordwesten Mesopotaniens "Al Jazira" (engl.) als Name des Fruchtbaren Halbmonds (fr. le croissant fértil), auf Sizilien entsprechend gisira "Flußinsel" bzw. toponomastisch Gisira, Gisiredda. Als weiteres Beispiel für eine interferierende Lautentwicklung sei hier der Name der Stadt "Sevilla" angeführt. Es geht um lt. HISPALIS, vit. (h)ispâlia, ar. Isbïliya. Ohne Berücksichtigung der Chronologie stehen folgende Punkte zur Diskussion: (1) rom. Lenisierung von P>v, d.h. eine Stufe weiter als ar. Ρ=b. (2) rom. Palatalisierung von -LI-, d.h. vit. l+i zu Π [λ], (3) hisp.ar. Beugung von A>i (imäla granadina), § 2.2. (4) ar. Übernahme von S als s. (5) rom. Reorganisation der Silbenstruktur mit s impurum: is+b- zu se+v-. Das offene Inventar der Arabismen läßt sich - unter den Gesichtspunkten der Onomasiologie - in Teilbereichen auch in geschlossenen Listen darstellen. Im Zusammenhang mit der agronomischen Revolution der Araber findet man bei Glick (1991:99) eine Liste von Cultivos comestibles introducidos por los árabes:
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sp. aceituna "Olive" albaricoque "Aprikose" alcachofa "Artischocke" .11 algarrobo "Johannisbrot" M arroz "Reis" azafrán "Safran"II azúcar "Zucker" azufaifa "rote Brustbeere" berenjena "Melanzane (Eierfrucht)' chirivía "Pastinak" limón "Zitrone" ,11 naranja "Orange" toronja "Art Orange"ft zanahoria "Möhre" (DCEC s.v.)
ar. az-zeituna (n.un.) al-barqüq (§ 7) al-harsüfa (n.un.) al-harrüba (n.un.) ar-ruzz (mit al-) az-za ' farän as-sukkar (zu gr. σάκχαρον) az-zufáyzafa (n.un.) bädingäna (n.un., persisch) (§ 7) giriwlya (Dozy 1, 189) laimün (koll.; n.un.) näränga (n.un., persisch) turunga (n.un.) isfannäriya / safunäriya (Dozy 1, 660)
Es mag dahingestellt bleiben, auf Grund welcher Kriterien eine solche Liste zustande kommt. (Wir haben das Arabische in die internationale Transliteration umgesetzt und die z.T. übrigens schwierigen Wörter grammatisch minimal kommentiert. Die Abkürzung n.un. heißt nomen unitatis, d.h. ein Substantiv auf -a, das einzelne Bestandteile aus einem Kollektiv bezeichnet, z.B. die Frucht einer Pflanze). Zur Lebenspraxis in Andalusien vgl. Bolens (1991).
4.3
Nochmals zum Mozarabischen
Eigentlich ist Mozarabisch, das wir oben (§ 3.4) begrifflich bereits festgelegt haben, eine Variante von Spanisch, die man genauer gar nicht kennt, d.h. ein Bündel von Dialekten im mittleren Teil und im Süden der Halbinsel, das sich mit dem Ende des Islams nach und nach auflöst. Die Zentren sind Toledo und die Städte Andalusiens. Dazu Steiger (1943), Menéndez Pidal (1956:415), Zamora Vicente (1960:15), Sánchez-Albornoz (1965:173); zur Bibliographie Amieva (1984). Mit dem Blickpunkt aus Norden ergibt sich das umgekehrte Bild. Im 8. Jh. bildete das schwach bevölkerte Tal des Duero eine Art Niemandsland zwischen Asturien und al-Andalus. Man kann den Duero (mit Glick 1991:58, 76) bis zum Aufbruch der Reconquista im 11. Jh. als ursprüngliche Grenze ansehen. Besonders einflußreich waren schon damals, wie Alvar (1968) gezeigt hat, die obere Rioja und in der Folge Kastilien. Die ältesten Texte des Spanischen stammen deshalb aus dem Norden.
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Wir reproduzieren in diesem Sinn die Karte von Tavani (1968:188): L'Hispania linguistica a metà dell'XIsecolo.
Die Dialekte sind von West nach Ost galizisch-portugiesisch, astur-leonesisch, kastilisch, baskisch, aragonesisch und katalanisch. Man findet dort christliche, d.h. seinerzeit monastische Zentren ( • ) , im Gegensatz zur den arabisch-mozarabischen Städten (o).
Man spricht von Mozarabisch erstmals in den Stadtrechten von Toledo zu Beginn des 12. Jh. Mozarabisch abgefaßte Texte gibt es keine. Das spärliche Material besteht aus da und dort auftretenden Wortbelegen im Arabischen und aus alten Wortlisten. Als erster befaßte sich damit Simonet (1888) in einem grundlegenden Glossar. Heute bezieht man sich auf Galmés de Fuentes (1983), der mit Daten aus Toledo arbeitet. Das romanistisch Wesentliche findet man bei Dietrich/Geckeier (1990:42). Wir geben hier zur Illustration und zum Vergleich mit der neueren Forschung ein Lemma aus Simonet (1888:8):
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AL-CARCÓVA, Port. Balsa. - Probi, del verbo A.Cast. y Port, corcovar, cavar, ahondar, socavar, Lat. concavare, A. Gall, concavar·, cf. el voc. Cast. cárcavo (el cóncavo del vientre de los animales), el Val. carcáu (concavidad, hueco), el Port, carcóva (camino cubierto), y el A. Cast, y Port. cárcava (zanja, foso, hoya), del adj. cóncavas, a, m. V. M. y M. 206, y Diez, 11, 113. Die überlieferten Vokabulare sind die folgenden: - Das Glossarium latino-arabicum aus dem 10. Jh. (Seybold 1900). - Zitate von Namen aus der Pflanzenmedizin, Ende 11. Jh. (Asín Palacios 1943). - Der Vocabulista in arabico, 13. Jh., eine Wortliste, die vermutlich in Katalonien entstanden ist (Schiaparelli 1871). Vgl. Corriente (1989). Wir kopieren dazu zur Illustration die ersten 5 Zeilen aus dem "Buchstaben mim".
0
Le Aqua, non. έ^ Reditus. Jlo Reditus.
ÖL» Materia.
^ ü » Mecum. "· ÍJjle Lacrimale. 'JSL» Comestibile. 3 Lo Divicie, posesio.
Die Umschrift ist ar. mä "water; not (negation)". Ar. ma ab, mal "place to which one returns", zu < '.w.l > "to return". Ar. mäddah "stuff, matter". Ar. märid "refractary; evil spirit, devil". Ar. mä'i, zur Partikel ma a "mit". Ar. ma'q "inner corner of the eye", zu do t e t t o 3 toul.Tt allfenla filiaba poltrirne lra t ton (ere Doblada la letra que efla an te od oí icfro a l f i d tal wbocomenjara oe ncccflidadé TVÍi.fcrcplo.lfllmdlí^i acepillar. Tfllalll^enrdtar tii«rrtq poi arrlmar.CCloo verbofl ¿j etiri aranla eo mlençnu en efla filaba.nl,pued¿ comépren.nu.Cí pa t1emofloejir.Tlll(Wdfqonu{äddlq.in({mcnoiii]miii í i t e a o q u a n d o l o o wboacomcnçnninen.iia.onuie. tonocerfe a mirando la letra l\ fefigueaddante o d allf, ca fi fuere Ierra qntoefu naturaja tienta λ fil como fon tltaoonjíconulen« faberi
fa.butjitla.Stnalado.iTßiÄrrati.rcnaladito.niBrär/
rain.piicrtn.oilfc.poitcjlta.oiifijfe ι?.}£>σο fi loo ta Ics iionbTO tonferai cnla p¡(maa filaba .D.efla niefton quedara cu ti olmlmifluo. *t b i l f < . b u f í t f f . C í f t « o ft clnonbicnuiíacmlafiniaafillaba.l.füimara ti olmi* mirino como fufooltyoco.rtuidandola.i.en.iwponfai do ala pilntera coronante ^ fe figue tma.irç.lucrtcfila eonfoname cfhtnlere (unta có alguna vocal. Creniplo. îlmiira.arbol.îainiîpira .arbolito .ílqual.pe fado. f u q u i j a l pefadito. yoódenoertalaconfonSte futiMc5 Tvcal.foimuailnáicdo alamlconronanftTiia.an.íirf plo,bilca.nldaba.l?ul(ícca.aldablm 1 CBalrba.tilablo purSr.ba.clhiblIfO'îc.
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Cacar losMoubico oeloo verboo araufgoo, Ubcfabcrqueloowrboaaraufgoo queaca.» 'Jií ¿l.fomtS ili nôbîctila ¿mera piona 61 pfltc ."cllndlcatiiio^iiírandotl.ne.yponimtxjtiia. n.n¡poüO'.l.ipj(mtracoronantc^r "mit den Augen wahrnehmen", in der Übersetzung mit. perspectiva. Das Wort hat ursprünglich deshalb nichts mit der Zentralperspektive der Maler (perspectiva pingendi), die in der Frührenaissance in Italien erfunden wurde, zu tun. In Toledo gab es als Entsprechung auch lt. aspectus. In Palermo antwortete der Emir Eugenius, der noch arabisch und griechisch konnte, mit der Gleichsetzung von optica sive perspectiva, perspectiva sive optica, de opticis sive aspectibus; damit gelang die Restitution zu gr. όπτική. In den Bereich von Palermo gehören auch zwei Universitäten, die eine ist die Medizinschule von Salerno, über deren Ursprung man nicht genau Bescheid weiß. Der erste dort bekannte Lehrer und Übersetzer ist Constantinus Africanus, der 1015 in
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Carthago geboren wurde und 1087 als Benediktinermönch in Montecassino starb. Die klassischen Texte sind das Regimen sanitatis salernitanum und das Circa instans. Die andere ist die Universität Neapel. Sie wurde 1224 von Friedrich II. gegründet mit dem Auftrag, das Studium der Rechte zu betreiben. Zur Zeit der Anjou entstand in Neapel ein Zirkel gelehrter Juden. Von da ergab sich eine Brücke nach Rom. Vgl. Sabatini (1975:29). Darin verwurzelt ist vielleicht die Bedeutung Roms fur den Orientalismus seit dem 16. Jh. und im Gegensatz dazu nicht mehr Venedig.
Aufgaben 1. Besprechen Sie die sprachliche Gliederung Süditaliens anhand von Rohlfs (1975). 2. Erörtern Sie die Unterschiede im religiösen Ritus. Zur Verschriftlichung des Sizilianischen s. Melazzo (1984). 3. Rekonstruieren Sie die Wortgeschichte von it. ragazzo und dessen Vertreter längs der Romania continua bis Katalonien, nordafr.ar. raqqäs, nach Pellegrini (1972:489-509). 4. Überprüfen Sie mit Hilfe von Ineichen (1975) und Paravicini (1975) die Geschichte von "Optik" und "Perspektive". 5. Erörtern Sie das Phänomen der demographischen Krise, in Sizilien, in Spanien und allgemein. 6. Rekapitulieren Sie die Diskussion um mafia anhand von Pellegrini (1972:223) und DELI (3:698). 7. Rekonstruieren Sie die Überlieferung der "Falkenjagd" in den verschiedenen Übersetzungen. Vgl. Tjerneld (1945), Gleßgen (1996). 8. Verifizieren Sie die Etymologie von "mafia" anhand von Lurati (1997).
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6.
Der Orienthandel und die italienischen Seestädte
Der mittelalterliche Welthandel in Europa konzentrierte sich, wie oben (§ 1.3) schon erwähnt, vorwiegend auf den Mittelmeerraum. Dies gilt auch dann, wenn man die Hanse in der Ostsee nicht vergißt. Dominierend waren die drei großen Seestädte Italiens, die "Serenissima", d.h. Venedig, mit Pisa und Genua. Der Einzugsbereich lag vor allem im östlichen Mittelmeer, wo man über die Seidenstraße auch den Anschluß an Asien fand. Im Schwarzen Meer denke man an Trapezunt, it. Trebizonda, fr. Trébizonde en Colchide (Janssens 1969). Mit der Entdeckung der Karibik in Amerika durch den Genuesen Kolumbus und mit der Öffnung des Seewegs nach Ostasien durch die Portugiesen veränderte sich diese mittelalterliche Situation für alle Zeiten fundamental. Doch geht es dabei nicht allein um die Geschichte des Handels - mit Autoren wie Heyd (1979), López (1965) oder Lewicki (1965) - , sondern ebenso um den kulturellen Hintergrund, der sich in diesen Städten und vor allem in Venedig in diesem Rahmen entfaltete. Die Besiedlung des Estuario der Region Venetia mit Flüchtlingen aus dem Festland fand ihr Zentrum schließlich in Rialto, in der Folge Venedig (zu gr. Βενετική), das seine staatliche Existenz dem Griechentum des Exarchats Ravenna verdankt. Daher die Verbindung zu Byzanz. Die beiden Hafenstädte Pisa, das im Mittelalter noch am Meer lag, und Genua waren bereits vorrömische Gründungen. Ihr Bezug auf Nordafrika liegt auch an Neapel, Amalfi und Gaeta. Im westlichen Mittelmeer tätig war vor allem Barcelona. Zur Bibliographie: Pellegrini (1972) widmet allen drei Städten ein eigenes Kapitel, d.h. je für Ligurien mit Genua (pp. 333-400), Pisa (pp. 407-52) und für Venedig (pp. 575-99); dazu kommt u.a. eine Untersuchung des Arabischen in der Zingano, einer Dialektkomödie des Gigio Artemia Giancarli (16. Jh.) aus Rovigo (pp. 601-34). Man weiß, daß die Sprach- und Kulturgeschichte Vendigs einen eigenen Forschungsbereich bildet. Für die Zeit zwischen dem 4. Kreuzzug 1204 und der Eroberung Konstantinopels 1453 verweisen wir hier auf die drei Bände der Civiltà veneziana (1955, 1956, 1957). Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang, daß Belege für irgenwie geartete Exotismen wie oben im Falle der Mafia (§ 5.4) oder unten beim Spanischen der Mauren (§ 12.1) oft schon frühzeitig in der Belletristik auftreten. Minervini (1996:250) spricht von einer besonderen Art von Charakterisierung: "caratterizzazione (spesso ipercaratterizzazione) a scopi parodistici tipica della rappresentazione letteraria del plurilinguismo". Man muß im Orienthandel auch mit denen rechnen, die die Wege kannten, pers.ar. al-rähdän, bzw. al-rähdäniya "die Kenntnis der Wege", was das Geschäft der Juden war, die nicht nur Waren, sondern offenbar auch Handschriften transportierten. Man zitiert in diesem Zusammenhang einen berühmten arabischen Geographen, der 943 von Bagdad auf Reisen nach der muslimischen Welt, nach Spanien und Sizilien aufbrach: Ibn Hawqal Abu 1-Qäsim Muhammad. Sein Buch ist das Buch der Wege und
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der Reiche (kitâb al-masälih wa l-mamälik). Wer die Wege in der Sahara kannte, sind (oder waren) die Tuàreg (§ 2.4). Aber das ist intern nordafrikanisch.
6.1
Zum Sprachgebrauch im Orienthandel
Es geht im folgenden darum, die Eigenart der Organisation aus sprachlicher Sicht zu zeigen. Wir befassen uns also nicht mit den Namen der Waren, die verschoben wurden, obwohl es schon früh auch Listen gab. Als Beispiel zu nennen wäre das arabisch-altfranzösische Glossar um 1300 aus Syrien (Ineichen 1972), das sich mit Pflanzenheilkunde befaßt und als Beleg für den Sprachgebrauch de là da mar "jenseits des Meeres" gelten darf. Eine charakteristische Einrichtung in Hafenstädten ist die Werft, ar. dar as-sinäca, eigentlich "Haus des Handwerks, Zeughaus", mit. dàrsana, dàrsena, darsena (schon 12. Jh). Vgl. FEW (19:39), Caracausi (1983:375). Entsprechende romanische Formen gehen besonders von Genua aus; im westlichen Mittelmeer erscheint dazu ein Typ tarsenal, der sich auch im türk. tersäne (¿L·.y.), Zenker 1994:278) und als ngr. ταρσανάς wiederfindet. In Venedig lautet das Wort arsenà, das dem mgr. άρσηναλής entspricht, d.h. Arsenal, wie es sich im internationalen Wortschatz wiederfindet, mit -ale als obit. Ortssuffix (Rohlfs 1949:54). Das venezianische Arsenal war ein Großunternehmen modernsten Stils. Darüber spricht sogar Dante (Inf. XXI, 1-21). Man liest bei Baldelli (1996:1): "L'Arsenale di Venezia, quando lo vide Dante fra il 1304 e il 1306, aveva le strutture generali e le dimensioni di una grande industria moderna ed era alla sua massima espansione una grande industria posseduta e gestita dal Comune, o meglio dal patriziato del Maggior Consiglio. La classe dirigente di Venezia, le sue principali organizzazioni di lavoro, il suo gigantesco commercio, le sue guerre, le sue conquiste, la stragrande maggioranza dei suoi cittadini operanti, sono l'Arsenale." Die vornehmen Venezianer verdienten sich ihr Geld als barattieri, d.h. mit Einnahmen aus Schmiergeld, mod. it. als tangentieri. Eine wichtige Einrichtung des mediterranen Seewesens war das Gasthaus als Unterkunft und Warenlager für Händler, ar.fiinduq, ursprünglich als Gräzismus der Levante zu gr. πανδοχείον. Vgl. Kiesler (1994:181). So noch heute in Venedig Fondaco dei tedeschi, Fondaco dei turchi, aven.fòntego. Dialektale Formen vom Typ mit.fondacum, fondicum sind überall nachweisbar, auch aprov.fondech, afr. mfr. fondique oder türk.funduk (Zenker 1994:671). Dazu wie zu erwarten kt.alfondic, sp. alfòndega (11. Jh.), pg. alfândega. Man findet bei Pegolotti (Evans 1936:17), auf den wir im Zusammenhang mit der Seidenstraße gleich zurückkommen, das folgende Verzeichnis, das allerdings auch auf die Märkte abzielt:
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Mercato in Toscana Piazza in più lingue Bazarra e raba in genovesco : pers. bazàr-, ar. rahba Fondaco in più lingue Fonda in Cipri Alla in fiammingo : vgl. FEW 26:129 Sugo in saracinesco : ar. süq, nfr. souk Fiera in Toscana e più lingue Panichiero in grechesco : gr. πανηγΰριον Auch das ar. mahäzin (Pl. zu máhzan, hisp. ar. mahzéri) bezeichnete ursprünglich ein Warenlager, wie heute noch dt. Magazin (aus it. magazzino). Vgl. FEW (19:114). Die Bedeutungserweiterung zu "Geschäft, Warenhaus" scheint vom Französischen ausgegangen zu sein; vgl. sp. almacén. Dazu Kiesler (1994:228). Das Gegenstück zu dieser Einrichtung bildeten auf den Karawanenwegen die Karawansereien. Das Wort ist allgemein verbreitet, z.B. it. caravanserraglio, fr. caravansérail. Es handelt sich um eine Zusammensetzung mit "Karawane", und zwar nicht mit ar. qàfìla "caravan; column; convoy", sondern mit pers. kärawän (FEW 9, 87), das nach den hier entwickelten Vorstellungen über den Levantehandel, nach Corominas und dem FEW über die Kreuzzüge in Europa bekannt wurde. Dort wurde pers. saräj "Palast" (FEW 19:87) volkstümlich mit den romanischen Vertretern von SERRACULUM (FEW 11:528) gekreuzt. Man liest bei Gottfried Keller die folgenden Verse: "Die Zeit geht nicht, sie stehet still,/ Wir ziehen durch sie hin;/ Sie ist ein Karawanserei,/ Wir sind die Pilger drin." In den italienischen Seestädten bedeutete die Karawane auch "Konvoi" (z.B. 1217 in Genua: die martis die XX iunii feliciter caravana nostra de ultra mare venit in portum Ianue\ Venedig id. 1278). Aufgrund dieser Daten zitieren wir aus methodologischen Gründen nochmals Corominas (DECH s.v. caravana): "El vocablo entró en las lenguas occidentales, por conducto del francés, quizá también por Génova, donde caravana se registra ya en 1217. El testimonio más antiguo corresponde a la ac. secundaria 'conboy de navios que navegan de conserva', ac. que parece haber trasmetida por el catalán, donde ya aparece en el S. ΧΙΠ". Auf die Bedeutung der arabisch-islamischen Verwaltung haben wir schon oben (§ 1.3) hingewiesen. Wir bringen als Beispiele hier die Formen von "Zoll", "Tarif 1 , "Aufgeld" (bei Versteigerungen im Mittelalter) und schließlich "Dolmetsch". Das Bezugswort für "Zoll" ist ar. diwän, ursprünglich persisch, und bedeutet "Verzeichnis, Büro, Zollamt, Zoll" (Kiesler 1994:172). Gemeint sind in der älteren islamischen Verwaltung die Rechnungsbücher des Staatshaushalts; daher auch "Amtsstelle, Amt". Daraus ergibt sich, semantisch variiert, die Palette des Romanischen: it. dogana bzw. in den Seestädten im 12./13. Jh. doana in Pisa (im 13. Jh. auch dovana mit hiatustilgendem Konsonant) und Venedig, in Genua mit -g-, dugana (mit.), aprov. doana, kt. duana, dazu asp. aduana (in den Partidas) und fr. douane (FEW 19:40). In
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der Hohen Pforte des Osmanischen Reiches übernahm das Wort im Türkischen des 16. Jh. eine neue Bedeutung, nämlich "Empfangsraum" bzw. "langer Polstersitz", womit der Empfangsraum ausgestattet war. Daher die europäischen Vertreter von "Diwan". Zu notieren eventuell fr. estrade à coussins (a. 1665), dt. Polsterbank (a. 1806). Das gleiche Wort bezeichnete auch den Raum des türkischen Staatsrats. Mit dem westöstlichen Diwan führte Goethe das Wort wieder in seine persische Tradition zurück. Das arabische Wort für "Tarif' ist tarif "Bekanntmachung", mit der Wurzel < '.r.f> "wissen", bzw. im Femininum tarrifa "Inkenntnissetzung, Preisliste" (Kiesler 1994:316). Die romanischen Formen des Typs it. tariffa, fr. tarif sind jedoch nach FEW (19:184) erst im 16./17Jh. belegt, das Deutsche über das Französische ebenfalls erst im 17. Jh. Für die italienischen Seestädte gibt es für Genua keine früheren Belege, tariffa erscheint in Venedig (a. 1415) als Nebenform von tariba (?) und in Pisa (a. 1422). Mittelalterliche Belege aus Spanien stehen ebenfalls aus. Man fragt sich deshalb, ob das Wort wirklich ein direkter Arabismus ist bzw. ob man die Handelsbeziehungen mit der Levante wortgeschichtlich hier noch in Anspruch nehmen kann. Es gibt aber andererseits auch Wörter, die sich allein auf das mittelalterliche Marktrecht beziehen und die heute nicht mehr oder nur noch dialektal nachweisbar sind. So z.B. it. macaluffo (nach DEI "ant.", ohne Etymologie), "mancia all'incantatore pagata dal compratore". In Frage kommt dabei die arabische Wurzel < h . l . f > "schwören", mit den Partizipien im Passiv mahlüf (I) und mustahlaf (X). Der macaluffo ist wie in Sizilien - gr. μαχλούφ - auch in Spanien ein jurado, el que juró (Pedro de Alcalá), ein almotalefe, d.h. in Spanien ein Aufsichtsbeamter. Es gibt dazu offenbar auch Personennamen. Zufallig notierte ich im Archiv von Chironico (oberes Tessin): Johannes dictus Machalluffus de Faydo (a. 1339). In Wirklichkeit bezeichnete das Wort ursprünglich "eine Person, die einen bestimmten Auftrag bei der Versteigerung, d.h. bei der gálica, zu erfüllen hatte". Die gálica (mit.), ar. halqa, eigentlich "Ring, Kreis, Zirkel" bzw. "vendita all'asta, vente aux enchères", gab es in Italien und in Nordafrika. Da es den Christen im Mittelalter verboten war, Zinsen zu nehmen (§ 1.3), war auch die Versteigerung nicht statthaft. Diese Art von Verkauf wurde deshalb zumeist von orientalischen Händlern getätigt. Die Wortgeschichte bleibt im einzelnen zu klären. Beim Geschäft braucht es Leute, die übersetzen. Für "Dolmetsch" gibt es ar. das Wort targamän (targumön, turgumän) mit der vierradikaligen Wurzel < t.r.g.m > "übersetzen". Es handelt sich um ein typisch mittelalterliches Wort, das in Europa seit den Kreuzzügen belegbar ist und in zwei Varianten auftritt. Die erste, die sich mit mit. turcimannus typisieren läßt, erscheint seit Anfang des 13. Jh. als it. turcimanno in allen drei Hafenstädten; fr. trucheman (14. Jh., FEW 9:182), sp. trujamán (bis 16. Jh.). Die zweite Variante ist das gr.-byz. δραγούμανος, d.h. it. dragomanno, okz. dragoman mit Fortsetzungen ins Iberoromanische. Diese Form geht als Terminus technicus in die provenzalische Minnelyrik ein. Die Form dragoman findet sich auch im
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Russischen, also russ. dragomán neben slav. perevodcik. Versuche, das Wort einzudeutschen, z.B. frühd. Drutzelmann, basieren auf der ersten Variante. Das deutsche Wort Dolmetsch(er) (Kluge 1989:150, aber unklar) wird über magyarische Vermittlung auf türk. tilmac zurückgeführt. (Das Wort wird angeführt bei Edler 1934:54; bei Zenker 1994:305 finde ich nur osttk. til "Zunge, Sprache"). Die neueren romanischen Formen gehören demgegenüber zu It. interpres (FEW 4:760, DELI s.v. interprete) und sind seit dem 14. Jh. belegt. Bemerkenswert ist dabei, daß ursprünglich noch eine Bedeutung "Vermittler, Makler" mitschwang. (Ein dolnätsch war bei den Bauern im schweizerischen Mittelland nach meiner Erfahrung ein Händler, der beim Verkauf von Kühen vermittelte). Gemeint ist damit it. sensale, eine Entlehnung aus dem Osten, pers. ar. simsär (Kiesler 1994:293), bzw. afr. courretier, zuerst vor allem flandrisch-pikardisch (FEW 2, 2:1568), was ein anderes Einzugsgebiet voraussetzt, wie dt. Makler aus dem Bereich der Hanse. Eigenständige Bildungen gibt es auch in der Iberoromania, mit einem Reliktposten im Portugiesischen, pg. adelo "Trödler", aus ar. dalläl "Makler" (Kiesler 1994:168).
6.2
Kulturelle Initiativen aus Kaufmannskreisen
Mittelalterlichen Verhältnissen entsprechend ordnet man Kunst und Kultur jeweils bestimmten Traditionen zu. Dasselbe gilt auch gattungsgemäß für die funktionale Verteilung der Sprachen. Bekanntlich wurde auch das Decameron Boccaccios unter Kaufleuten gelesen und daselbst sogar überliefert. In den italienischen Seestädten erwartet man mehr Resultate aus geschäftlichen Kontakten, die sich dann, wie im Falle des Handels z.B. mit orientalischen Pharmaka, in weiteren Aktivitäten niederschlagen. Eine Sonderstellung, auf die wir gleich zurückkommen, hat Venedig. Aus Kaufmannskreisen stammt die Übernahme des arabischen Zahlensystems, das bekanntlich durch persische Vermittlung aus Indien eingeführt wurde und bereits die Erfindung der Null beinhaltet. Als Autor gilt Leonardo Pisano (ca. 1180-1250), genannt Fibonacci, der die arabische Rechenweise im östlichen Mittelmeer und im Orient kennenlernte. Nach seiner Rückkehr nach Pisa verfaßte er 1202 einen Liber abbaci, den er 1228 mit einer Widmung an Michael Scotus überarbeitete. Die Null als Leerstelle heißt ar. sifr; dazu gehört mit. zephirum, das in den einzelnen europäischen Sprachen unterschiedlich vertreten ist. Das Wort algebra, das italienisch bei Galileo Galilei erstmals auftritt, enspricht ar. Hirn al-gabr, d.h. "die Wissenschaft der Reduktionen" (bzw. ursprünglich medizinisch "die Reduktion verrenkter Knochen an den richtigen Platz"). Vgl. Pellegrini (1972:79). In den medizinischen Nomenklaturen findet man in Italien außerdem einen Stefano aus Pisa, der während eines Aufenthaltes in Antiochia um 1127 den Liber regalis des Ali ben Abbas (10. Jh.) übersetzte. Der Name lautet deshalb auch Stephanus Antiochenus (Steinschneider 1956:77). Vgl. Ineichen (1991b). Auf einen Simon aus Genua geht die neben Avicenna wichtigste Medizinkompilation des Mittelalters zurück. Wir meinen den Liber Serapionis aggregatus in medi-
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cinis simplicibus secundum translationem Symonis Januensis interprete Abraham Judeo tortuosiensi (Ineichen 1966:3). Obwohl in Frühdrucken nachgewiesen, sind die näheren Umstände der Übersetzung und die handschriftliche Überlieferung bislang nicht bekannt. Vgl. § 8. Zu Venedig, einer Art Hongkong des Mittelmeers, gehörte mit aller Vielfalt auch Padua und dessen Universität. Die Eigenart besteht darin, daß Venedig, das landläufig und konservativ war - Petrarca hat es dort, wie man weiß, nicht ausgehalten - die Wissenschaft nach Padua sozusagen ausgelagert hat. In diesem Rahmen entstanden (Ineichen 1966) einige wichtige Übersetzungen, übrigens ausschließlich durch jüdische Vermittlung, die im Vergleich zu Toledo allerdings nicht zu Buche schlagen. Aber Padua behielt die Tradition der arabischen Wissenschaft, die mittlerweile unter dem Begriff des Averroismus läuft, bis ins 16. Jh. Gleichzeitig war Padua ein wichtiges Zentrum des Humanismus, und zwar schon in einer frühen Phase um 1300, und selbstverständlich später, in der Auseinandersetzung mit Florenz, d.h. im Zusammenhang mit der Questione della lingua. Die Europäer, die überwiegend romanischsprachig waren, nannte man im Orient "Franken", weil sie aus dem Land der Franken, ar. al-ifrang (oder Firangä), kamen. So wurden noch im 16. Jh. auch die Portugiesen im Indischen Ozean genannt. (Vgl. z.B. die Reisebeschreibimg von Fernäo Mendes Pinto). Das Wort gehört zu gr. φράνκος "westlich". Es handelt sich um einen Gräzismus der Levante. Dasselbe gilt auch für den Begriff der "lingua franca", die im Mittelalter im Osten als überregionale Verkehrssprache diente. Vgl. Ineichen (1981) und Minervini (1996).
6.3
Die Seidenstraße
Das Interesse an der alten Seidenstraße, das in den letzten Jahren - wie das Stichwort in der Bibliographie zeigt - beinahe zur Mode geworden ist, verbindet sich in Europa vor allem mit Venedig und den Reisen des Marco Polo. Vgl. Olschki (1957) oder Drège (1992). In Wirklichkeit handelt es sich um ein zweitausend Jahre altes Netz von Handelswegen, das die fruchtbaren Ländereien Chinas über die endlosen Wüsten jenseits der Großen Mauer mit Tibet, Persien, Indien und der mittelmeerischen Levante verbindet. Der Name der Seidenstraße stammt von dem deutschen Geographen Ferdinand von Richthofen (1833-1905). Die chinesische Seide war in Rom bereits um die Zeitenwende bekannt, das Porzellan im mittelalterlichen Europa seit dem 8. Jh. Zur Geographie der Seidenstraße, die wir hier anhand einer Karte aus Hopkirk (1986) darstellen, gibt es verschiedene Versionen. Als Fixpunkte nennt man im Mittleren Osten oft Aleppo (ar. halab), in China die Stadt Sian (xian) am unteren Knie des Gelben Flusses, dazwischen Taschkent in Zentralasien. Von dort gibt es eine südliche Route über die bis zu 5000 m hohen Gebirge nach Kaschgar und eine nördliche Route durch die dzungarische Pforte (Turfan, Dunhuang), die unter lOOOm.ü.M. liegt, d.h. dort, wo heute die Eisenbahn fährt. - Zur nebenstehenden Karte sei bemerkt, daß es zu
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diesem Thema zahlreiche Karten mit unterschiedlichen Gewichtungen gibt, die hier nicht zur Diskussion stehen. Die Hauptrouten der Seidenstraße.
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Kulturhistorisch ist festzuhalten, daß Zentralasien vor allem mit Buchara und Samarkand ursprünglich - u n d vielleicht auch noch heute gegenüber Rußland- zu den östlichsten Ausläufern des Islam gehörte. Der östliche Islam war äußerst wirksam, z.B. mit Avicenna, bis nach Cordoba und al-Andalus, d.h. in Spanien und bis hin zu den Universitäten in Europa, zuletzt, wie gesagt, Padua. Vgl. Yule (1913/16), Schafer (1963), Kalter/Pavaloi (1995). Dazu eine asienkundliche Anmerkung: Eine wichtige Station auf der Seidenstraße war die Stadt Khara Khoro zwischen Tibet und China. Sie gehörte zum Reich der Tangut (982-1227) und wurde 1227 von Tschingis Khan vernichtet. Die erhaltenen buddhistischen Kunstwerke stammen aus einer unter den Ruinen der Stadt 1909 wieder entdeckten Grabstätte. Am Welthandel betätigte sich seinerzeit auch Florenz. Dies geschah im Rahmen des damals erfundenen Merkantilismus über das Finanzwesen, d.h. über die Banken. Es gibt dazu ein Merkbuch für reisende Kaufleute des Florentiners Francesco Balducci Pegolotti. Das Buch behandelt Maße, Gewichte, Warenkunde und die allgemeinen Bedingungen auf den verschiedenen Plätzen in Europa und im Orient. Man findet darin auch ein "Avisamento del viaggio del Gattaio per lo cammino della Tana ad andare e tornare con mercatantia". (Tana ist heute Azov. Gattaio ist China, vgl. russ. Kitaj). Das Buch stammt aus der Zeit zwischen 1310-1340, als Pegolotti im Auftrag der berühmten Bankgesellschaft der Bardi die Welt bereiste. (Vgl. Evans 1936). Ein Wort, das den Land- und die Seewege illustriert, ist "Tee", chin. chá. Vgl. Lokotsch (1927:33). Die Formen des Landwegs sind slavisch bis in den Balkan, russ. caj. Der alte Seeweg der Araber zeitigte ar. say, mit Ausläufern bis in die Levante. Der Seeweg der Portugiesen brachte pg. chá (a. 1565), das im 16. Jh. auch in Europa bekannt wurde. Holländische Handelsleute lernten im Ausfuhrhafen Amoy das chinesische Wort im Dialekt des Fukien, d.h. tè. Von dort gelangte es im 17. Jh. in die Hauptstädte Europas.
6.4
Dante und die islamische Eschatologie
Im Anschluß an dieses Kapitel möchten wir - mehr anekdotisch- eine berühmte Kontroverse in Erinnerung rufen, die Arabisten und Romanisten während einiger Zeit polemisch beschäftigte. Im Jahre 1919 veröffentlichte der berühmte spanische Arabist Miguel Asín Palacios (1871-1944) in Madrid ein Buch mit dem Titel La escatologia musulmana en la Divina Comedia. Asín wollte zeigen, daß die Jenseitskonzeption Dantes im Islam begründet sei. Diese Vorstellung bereitete Schwierigkeiten nicht nur ideologischer Art, sondern auch de facto. Wie sollte Dante zu all diesen Kenntnissen gekommen sein? Was konnte jemand z.B. in Florenz, auch wenn er aufmerksam und nicht unbelesen war, vom Islam effektiv gewußt haben? Die Debatte betraf nicht eigentlich das Problem der dichterischen Intuition. Es ging vielmehr eher buchhalterisch um die Quellenlage der Komödie.
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Die Querele scheint unterdessen einigermaßen ergebnislos beendet zu sein. Intensiv befaßte sich damit Wunderli (1964). Eine gewisse Rolle spielt dabei die aus der alfonsinischen Schule (§ 8.4) stammende Escala de Mahoma (ar. Mi'rag), die von einem Bonaventura von Siena 1264 auf französisch übertragen wurde. Beschrieben ist darin eine Jenseitsreise Mohammeds, wie sie offenbar auch Dante vorgeschwebt haben mochte. Der Bezug ist die Sure 17, Vers 1: "Preis sei dem, der des Nachts seinen Knecht von der heiligen Kultstätte zur entferntesten Kultstätte reisen ließ...", d.h. nach orthodoxer Auffassung von Medina nach dem Tempel von Jerusalem, bzw. zum Ort der Gebete der Engel im Himmel. Nagel (1991:118) gibt dazu keinen Kommentar, offenbar deshalb, weil die Escala nicht koranisch ist.
Aufgaben 1. Vergleichen Sie die dialektale Gliederung Italiens, d.h. die Linien La Spezia-Rimini, Rom-Ancona und Eboli-Lucera mit der sprachgeschichtlichen Funktion der Städte Florenz, Rom, Mailand im Verhältnis zur Situation der großen Seestädte Pisa, Genua, Venedig. 2. Spezifizieren Sie die ar. Vertreter von sifr anhand des FEW (19:156) und der einschlägigen Wörterbücher. 3. Registrieren Sie alle Vertreter von ar. dar as-sinä'a und erstellen Sie eine geographische Karte. 4. Verifizieren Sie anhand der einzelsprachlichen Wörterbücher Lautung und Chronologie der Namen für "Tee". 5. Diskutieren Sie die Argumentation in den "Aufmarschstraßen" von Steiger (1948/49). 6. Warum und wie schrieb Marco Polo französisch? (Vgl. Ineichen 1989). 7. Diskutieren Sie die Wortgeschichte von "Alkohol" anhand des FEW (19:98).
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7.
Die Wortwanderung rund um das Mittelmeer
Die Wortwanderung um und über das Mittelmeer sowie aus dem asiatischen Osten ist ein berühmtes Thema der europäischen Lexikographie. Ein Klassiker war in Deutschland lange Zeit das Wörterbuch von Lokotsch (1927), das in seiner Konzeption dem Romanischen Etymologischen Wörterbuch von Meyer-Lübke (1935) entspricht. Man hat den ganzen Komplex wie Mancini (1992) in Italien auch unter dem Begriff des esotismo zusammengefaßt. Unter arabistischen Gesichtspunkten haben wir oben (§ 2.3) ein Dreierschema vorgelegt, das wir hier um ein Kapitel über die Rückwanderung ergänzen. Zu diesem Schema gehören im folgenden die Kapitel über die wissenschaftliche Übersetzung (§ 8), über die europäische Sentenzenliteratur (§ 9), über die Übersetzung des Korans (§ 10), über die Hargas (§11) und über die Aljamía (§ 12). Was hiermit nochmals angekündigt ist, ist das Inhaltsverzeichnis einer arabistischen Romanistik, soweit sie nicht nur lexikalisch problematisiert werden soll. Im Hinblick auf das Lexikon sei (wie oben § 2.1) auf die außerordentliche Variationsbreite des Arabischen nochmals hingewiesen. Als Beispiel ar. qubba "Kuppel, Gewölbe (im Islam auch Kuppelgrab, besonders im Maghreb); Quelle; Art Wasserleitung". Man findet auf Sizilien entsprechend siz. cubba "Gewölbe" (Caracausi 1983:195), das mit mehreren Ortsnamen auch in Kalabrien vertreten ist. Inhaltlich und formal verschieden sind demgegenüber die Entlehnungen im Iberoromanischen, d.h. sp. alcoba, pg. alcova, kt. alcoba, alcuba (vgl. Corominas). Aus dem Spanischen kommen sodann it. alcova, in Sizilien arcova, arcòvia, bzw. fr. alcôve·, als unabhängige Entlehnungen afr. alcube, aprov. aucuba (FEW 19:96). Daraufhin ist ferner zu bemerken, daß der arabische Lehnwortschatz sprachgeographisch, chronologisch und soziokulturell nicht leicht zu beurteilen ist. Dies versuchte seinerzeit in verschiedenen Arbeiten Arnald Steiger. Wir zitieren dazu als Beispiel Steiger/v. Wartburg (1961) im Zusammenhang mit dem Namen der Schnellwaage, "balance romaine". Bekanntlich besitzt dieses Gerät, das aus den mediterranen Märkten mittlerweile praktisch verschwunden ist, ein Laufgewicht, das ar. rummän "Granatapfel" heißt, normalerweise metaphorisch aber auch die weibliche Brust bezeichnet. Daraus erklärt sich der Name im Romanischen.
7.1
Orientalische Wanderwörter in Europa
Die Vorstellung der zirkummediterranen Wanderschaft von Wörtern entstand im Rahmen der europäischen Sprachgeographie. Diese Vorstellung liegt auch der vorliegenden Darstellung zugrunde, weil sie erfahrungsgemäß von der Existenz einer seßhaften Bevölkerung ausgeht (fr. la population sédentaire). Die orientalisch-arabische Gesellschaft teilt sich jedoch auf in die nicht Seßhaften und in die Seßhaften, darunter vor allem die Bewohner der Städte an den Karawanenwegen (fr. les grandes villes caravanières). Aber das sprachliche Prestige liegt traditionell bei den nicht Seßhaften,
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den Beduinen, und nicht bei den Seßhaften. Deswegen kann es in der Arabistik eine Sprachgeographie im europäischen Sinn solang nicht geben. Wichtige Arbeiten dieser Art stammen von César E. Dubler (1915-1966), einem spanisch-schweizerischen Orientalisten, dem das sprachgeographische Verfahren - auch in der Ethnologie - näher lag als das mehr lexikalistische der europäischen Romanistik. Wir beziehen uns hier exemplarisch auf die Bezeichnungen der Eierfrucht, sp. berenjena, fr. aubergine (Dubler 1942). Die Eierpflanze, Solanum melongena L., und deren Frucht sind in Europa ursprünglich arabisch. Ausgehend von Indien wurde sie in Persien bekannt und erreichte über die nordafrikanische Küste Ende 12. Jh. Spanien, d.h. al-Andalus. Dies gilt sachlich (§ 4.2) und auch sprachlich (§ 1.2). Die Namen sind pers. ar. bädingän, bädangän, in der spanischen Levante bädangän (im Vocabulista, § 4.3) oder bärangän. Aufgrund dieser Ausgangslage entwickelt sich in Europa eine Vielfalt der Rezeption, wie wir sie ideell schon kennen und die wir in den einschlägigen Initiativen auf unser typologisches Schema (§ 1.2) zurückfuhren. Das Schaubild bei Dubler (1942:380) ist schlecht gedruckt und deshalb nicht reproduzierbar. Die nachstehende Darstellung ist rein schematisch.
Die romanische Nomenklatur zu diesem Schema, das die dialektale Variation und auch die relative Chronologie nicht berücksichtigt, ist folgende:
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- Ausstrahlung aus der iberischen Levante, wo die Pflanze angebaut werden konnte (nicht aber in Kastilien): arag. albergena, okz. aubergino, fr. aubergine. - sp. berenjena, späte Entlehnung. Beim Fortschreiten der Reconquista wurde die Pflanze auch im Gebiet von Toledo angebaut. Man findet dort außerdem die übertragene Bedeutung huevo, "Ei", wie fr. herbe aux oeufs, dt. Eierpflanze, engl, eggplant. - pg. beringela,
bringela.
- siidit.petonciano. - allgemein it. melanzana (vgl. DELI s.v.), dazu dt. Melanze, afr. aus dem Orient melanjan (Moamin, Gloss. Guillaume), südfr. melangeno. Zu mit. melongena paraphrasieren die Botaniker der Renaissance, z.B. Mattioli (1544), mele insane, weil zu intensiver Gebrauch der Frucht den Menschen wahnsinnig mache. Vgl. dt. Tollapfel. - In Betracht zu ziehen wären auch volkstümlich-polygenetische Bildungen wie it. okz. merpenciano in der Provence. Bei Mistral findet man viedase "verge d'âne; aubergine; terme injurieux et juron familier fort usité dans le Midi". Im Dictionnaire Français-Provençal (1995) von Jules Coupier notiert man merinjano (f.); (pop.) viedase (m.), offenbar zu lt. vectis (FEW 14:211).
7.2
Die Rückwanderung antiken Wortguts nach Europa
Es gab seit ältesten Zeiten einen Austausch unter den Anrainersprachen des Mittelmeers. In der römischen Antike gab es im Lateinischen Lehnwörter aus dem Orient, im Orient aber auch solche aus dem Imperium Roms. Diese liefen normalerweise über das Griechische, wurden im Orient dann aramäisch und syrisch vermittelt. Vom Romanischen her gesehen ist ein ausgezeichnetes Beispiel der Name der Aprikose, lt. praecoguum, gr. πραικόκιον, ar. al-barqüq, mit weiten Verzweigungen über Europa. Vgl. Hasselroth ( 1940/41 ). Das Ineinandergreifen der Entlehnungen und die Variation, die im Romanischen stark dialektal ist, lassen sich gut aufzeigen auch anhand von lt. mantëlum (Steiger/ Keller 1956). Dessen Bedeutungen sind zusammengefaßt "eigentlich Handtuch, vor allem zum Händewaschen nach Tisch, oder bei Tisch als Serviette (vom Gastgeber gereicht, nicht mitgebracht); später: Tischtuch". Formal interessieren im Romanischen drei Varianten: (1) lt. montile, (2) lt. mantële, (3) ar. mandil. (1) Die Vertreter von lt. montile sind dialektal, obit, mit der Bedeutung "Tischtuch, Serviette, Tuch", und reichen über das Toskanische bis nach Umbrien. Ausläufer vom Typ mantil findet man wie zu erwarten mit gewissen Begrenzungen auch in Frankreich (FEW 6.1, 267). Für die Sprachgeschichte des Italienischen ist bemerkenswert, daß Manzoni in der korrigierten Fassung der "Promessi Sposi" mantile durch tovagliolo ersetzte. (2) Konservativere Formen vom Typ lt. mantële "Tischtuch" erscheinen sehr früh in Spanien, das dort wie im kt. mit ar. mandil zusammentraf. Vgl. Corominas s.v. mantel.
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(3) Die ar. Adaptation mandil mit der Lautung NT > nd verweist auf frühchristliche Vermittlung über das Griechische und das Aramäische, und zwar volkstümlich; gelehrt ergäbe sich ar. mantïl, das belegbar ist. Im Romanischen ergeben sich daraus drei unterschiedliche Kontaktzonen, verkürzt gesagt: (1) spanisch mit Ausstrahlungen nach Frankreich (aprov., mfr.; fr. noch bei Littré, mandille "sorte de casque que les laquais portaient autrefois", 17. Jh.); (2) die Hafenstädte Genua (vgl. AIS 1553) und Pisa mit maridillo "Taschentuch"; (3) in Süditalien, gr. oder ar., kalabr. mandile "Kopftuch". Vgl. Rohlfs (1964) s.v. μαντήλιον, wo auch auf die romanischen Dialekte verwiesen wird. Im Anschluß an das Gesagte fugen wir zur Diskussion noch einige Wortgleichungen an, die soweit bekannt sind: - Lt. Castrum, castra entwickelt sich über griech./aram. zu ar. al-qasr. Vgl. sp. alcázar. - Gr. κεράτον "die Frucht bzw. das Hörnchen des Johannisbrotbaums" wird ar. qïrât, mit. caratus als Goldmaß - Silber ist dirham - in Venedig, Genua und in der Levante. Vgl. europ. Karat etc. - Vgl. gr. λίτρα, d.h. lt. libra "Pfund" mit aram. syr. ar. rati, bzw. mit. rotolus, ait. rotolo (im ganzen Mittelmeer), sp. arrelde.
7.3
Das Problem der Sachkeuntnis im Lehnwortschatz
Im Verlaufe der Jahrhunderte eroberte sich der europäische Kulturkreis zunehmende Kenntnisse über die Gegenstände der fremden Welt, soweit sie entdeckt wurde. Darüber berichten die Geschichte der Wissenschaften - vgl. hier in der Bibliographie das Stichwort "Humanismus" - , gleichzeitig aber auch die Geschichte der Nomenklatur. In diesen Zusammenhang gehört linguistisch die Untersuchung des Lehn- und Fremdwortschatzes in einem umfassend wort- und kulturgeschichtlichen Sinn. Berühmt sind im Islam hier die Geographen, z.B. Ibn Fadlän (10. Jh.) und Abü Hamid el Granadino (1080-1169) im Bereich von Zentralasien, oder Idrïsï in Sizilien (§ 5.5), sowie aus dem Maghreb der große Reisende Ibn Battuta (1304-1377). Auf europäischer Seite notiert man außer Marco Polo (§ 6.3) auch Oderico da Pordenone (gegen 1265-1331) und den Venezianer Nicolò de' Conti (1419-1444). Vgl. u.a. Einleitung und Glossar bei Luzzana Caraci/Pozzi (1991). Wir erörtern nun im folgenden die Namen der Giraffe, die in Europa alle irgendwie auf ar. zuräfa, zaräfa zurückgehen. Es gibt in Afrika drei Arten von Giraffen. Die Araber lernten das Tier offenbar verhältnismäßig spät in Äthiopien kennen. Vgl. Laufer (1928). Aristoteles kennt die Giraffe noch nicht. Die Giraffe war zur Zeit C äs ars in Rom bekannt geworden und wurde im Zirkus vorgeführt. Horaz amüsiert sich über den Spaß der Römer und schreibt (Ep. II.l):
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Si foret in terris, riderei Democritus, seu Diversum confusa genus panthera camelo, Sive elephas albus vulgi converteret ora. Laufer 1928 übersetzt: "Democritus, if he were still on earth, would deride a throng grazing with open mouth at a besta half camel, half panther, or at a white elephant". Denn der lateinische Name der Giraffe verzeichnet eine Mischung von Panther und Kamel: lt. camelopàrdalis bei Plinius und Solin (3. Jh. n. Chr.), als Lehnwort gr. καμελοπάρδαλις, später camelopàrdalus, bei Isidor in Sevilla camelopardus. In seinem Speculum (Mitte 13. Jh.) gibt der französische Enzyklopädist Vinzenz von Beauvais drei Namen: (1) mit. anabula, begründet auf Plinius, der eine äthiopische Form nabum zitiert. (2) mit. camelopardus nach Isidor. (3) mit. orasius, mit der Bemerkung, daß dieses Tier dem Kaiser Friedrich vom Sultan von Babylon geschenkt worden sei. Vinzenz von Beauvais glaubte - wohl im Sinne des mittelalterlichen Nominalismus - an drei verschiedene Tiere, mit Namen ohne Sachkenntnis, d.h. ohne Denotat. Im Bereich der französischen Levante erscheinen andere Namen, gestützt vermutlich auch auf entsprechende Sachkenntnis: afr. orafle in der "Histoire de Saint-Louis" des Jean, Sire de Joinville (zwischen 1304-1309), mit. orasius. Der Alte Mann vom Berg soll dem französischen König eine Giraffe aus Kristall geschenkt haben. (Vgl. Filippani-Ronconi 1973:201). Dazu gehören afr. gerofle bei Marco Polo, afr. giras (mit Ausfall von / vor s ?, FEW 19, 207) und mfr. girafle. Maßgeblich ist in Europa die it. Form giraffa (seit 13. Jh., DELI s.v.). Auch Lorenzo de' Medici besaß einen Tierpark. Der Mameluk von Ägypten soll ihm 1486 eine Giraffe geschenkt haben. Zum Italienischen gehört sp.jirafa (belegt seit 1570). Altspanisch gibt es eigenständige Formen: azoraba, azorafa und zarafa (1283 im Schachbuch Alfons' des Weisen und bei Juan Manuel). Vgl. Coraminas s.v., über Sachkenntnis und Chronologie ist dort bislang weiter nichts bekannt.
7.4
Fremde Elemente im mediterranen Lexikon
Fraglich ist die Sachkenntnis stets auch im Falle der Etymologie. Ein Beispiel dafür ist der Name der Feluke, eines leichten Küstenschiffs im östlichen Mittelmeer. Lexikologisch ist dieses Wort, soweit wir sehen, im Deutschen nicht verzeichnet; es fehlt auch it.faluca in den Wörterbüchern DEI und DELI. Man liest jedoch bei Steiger (1959:142): "Et comment expliquer V'xïài. feluca 'bastimento di piccolo cabottaggio', sp., portane, faluca, falúa, falucho, etc., à rapprocher du mar. flûka 'barque indigène, canot' ? Est-ce le grec εφόλκιον > ar. fulk - frçs. polague, polacre ou un mot d'origine nordique ?" Auf ar. fulk bezieht sich das FEW (3, 843), allerdings ohne jegliche weiterführende Dokumentation.
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Es gibt sodann nñ. felouque. Wir zitierten punktuell aus DHLF (s.v.): "altération (1608), à côté de falouque (1680), de flouque (1544). Le mot est emprunté à l'espagnol faluca, lui-même du catalan faluca ou faluga (XVIe s.)· Faluca est une variante de falua (1371) - d'où aussi l'espagnol falúa - qui est un emprunt à l'arabe falwa "poliche" et par analogie 'petit navire de charge'. Felouque désigne un petit navire de la Méditerranée orientale, notamment en Egypte." Für Kahane/Tietze (1958) ist der Ausgangspunkt demgegenüber vollkommen anders. Auszugehen wäre von einem mengl. (urniederdt.) hulk, hoik, holok "Art Schiff', das sich im Spätmittelalter längs der Nordküste Frankreichs über Spanien in das Mittelländische Meer fortgesetzt hätte. Belege dafür wären z.B. asp. haloque (13. Jh.), gask. holque (1406), fr. houlque (14. Jh.). Die Gründe für diese Argumentation sind offenbar chronologischer Natur. Der gegenteilige Pol ist die innere Einheit des Mittelmeers, - m o d e r n gesagt: die mediterrane Solidarität-, die auch fremde Elemente verkraftet.
Aufgaben 1. Verfolgen Sie die Ausbreitung von "Aprikose" anhand von Hasselroth (1940/41), in Sizilien von Caracausi (1983:125). 2. Erörtern Sie die Ableitung und die Verbreitung von "Risiko", ar. rizq "livelihood, means of living, subsistence; blessing (of God)", anhand von FEW 10, 293, s.v. resecare, den Wörterbüchern von Corominas, sp. riesgo, und Kluge (1989). 3. Etablieren Sie die Reflexe von lt. maritile kartographisch, z.B. anhand der Karte bei Steiger/Keller (1956) und anhand des FEW. 4. Wie kommt es, daß Früchte - lt. nux, grartum u.a. - als Maßeinheiten verwendet wurden? 5. Unterscheiden Sie sprachlich und technisch die venezianische "Galeere" von der "Karavelle". 6. Wie verhält sich die traditionelle Sprachgeographie zu den Problemen des Mittelmeers? Gemeint ist der ALM (=Atlante linguistico mediterraneo).
58
8.
Die Wissenschaft in der arabischen Übersetzungstradition
Die Wissenschaft, für die der arabische Kulturkreis im Mittelalter mit zuständig war, besteht wie in Europa, d.h. griechisch-römisch, aus einer Tradition von Autoritäten. Dasselbe gilt auch für die jeweilige Terminologie. Man könnte umgekehrt sagen, daß die Geschichte der Wissenschaft in dieser Phase mit der Geschichte der Terminologie identisch ist. Die gegenseitige Durchdringung dieser Traditionen geschieht über die Übersetzung. Die Wissenschaft ist stark "philologisch". Zur historischen Information bezieht man sich u.a. auf Sarton (1927/48). Die Gegenstände der Wissenschaft als solcher gehören in die Disziplin der Geschichte der Wissenschaften, die in Deutschland in den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg sehr aktiv war. Heute findet man die arabischen Autoren ausführlich verzeichnet bei Sezgin (1995). Für Sachfragen gibt es die Enzyklopädie von Rashed (1996). Als Schulbeispiel gilt die Pflanzenmedizin, lt. materia medica, in der Tradition von Dioskurides, Galen, im Arabischen Avicenna, Serapion u.a.
8.1
Zu Übersetzung und Überlieferung
Als Folge der besonderen Sprachsituation, auf die wir oben bereits hingewiesen haben (§ 4.1 ), bildete sich eine besondere Übersetzungstechnik heraus, die offenbar weite Verbreitung fand. Es handelt sich um eine Zweifachübersetzung, d.h. um eine Übersetzung mit zwei Übersetzern (fr. la traduction à deux interprètes, engl, the two-stage translation technique). Das Prinzip ist folgendes: Jemand, gewöhnlich ein Jude oder ein Mozaraber, der arabisch verstand und auch lesen konnte, las den Text auf spanisch übersetzt vor. Auf dieser Basis redigierten Christen mit entsprechender Sprachkenntnis den Text auf Latein. Es konnte auch geschehen, daß ohne Zwischenstufe direkt ins Latein bzw. ebenso in eine spanische Fassung übersetzt wurde. Jedenfalls scheint festzustehen, daß mehr nach dem beim Vorlesen gehörten Text als nach der Schrift übersetzt wurde. Aus diesem Verfahren resultierte eine Wörtlichkeit, die man spanisch als literalismo bezeichnet. Vgl. für die alfonsinische Schule Millás (1933), Tallgren (1934). Man spricht auf englisch von word-for-word technique, mit. verbum de verbo. Dieses Verfahren hat den mittelalterlichen Leser vermutlich nicht gestört, wenn er es nicht sogar attraktiv fand. Zur Angabe des ersten Übersetzers findet man die Formel interprete Y. Daß sich die Juden mit dem ganzen Prestige ihres Wissens dem Spanischen zuwandten, ist dem Druck der berberischen Almohaden zuzuschreiben. Über die Lebensumstände, den Bildungsweg und den Kenntnisstand der Übersetzer, d.h. über deren Soziologie, weiß man verhältnismäßig wenig. Vgl. Burnett (1977). Philologisch gesehen werden die Übersetzungen normalerweise als Unica behandelt. Die handschriftliche Überlieferung, sofern sie überhaupt dokumentierbar ist, eignet sich kaum für eine Rekonstitution der Texte im Sinne der mittelalterlichen
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Textkritik. Ein schwieriges Beispiel fur die Etablierung von gegenseitigen Abhängigkeiten findet man bei Burnett (1977), wo es um die Sammlung von astrologischen Urteilen (iudicia) geht. Die Vorlagen der frühen Drucke sind zumeist verloren. Im Falle des aristotelischen De caelo et mundo, das in der lateinischen Übersetzung des Gerhard von Cremona vorliegt, gibt es zwei arabische Handschriften, deren Überlieferung weiter nicht bekannt ist. Ein Übersetzungsvergleich ist daher möglich, zumindest im Hinblick auf die Terminologie und die Eigenheiten des Ausdrucks im Latein, gleichzeitig aber auch im Hinblick auf Fehler und Mängel bis hin zu redaktionellen Änderungen im Text. Vgl. Opelt (1960). Dabei bleibt allerdings zu bedenken, daß diese Übersetzung von einer über das Syrische vermittelten arabischen Vorlage abhängt und daß Gerhard von der Gestalt des Urtextes keine Ahnung haben konnte. Terminologisch z.B. gr. αστρολογία, ar. 'Um an-nugüm, lt. ars scientiae astrorum. Die ältesten Drucke der Übersetzungen aus Spanien stammen zumeist aus Venedig, wo das Druckgeschäft - 1469 von Johannes von Speyer eingeführt - in den Anfangen eine großartige Blüte erlebte. Soweit wir sehen, sind nähere Umstände dazu nicht bekannt, selbst wenn man intellektuell die averroistische Tradition der Universität Padua, dem Schulort der Handelsstadt Venedig, mit berücksichtigt. Das Faktum ist auch bemerkenswert, weil gegen Ende des 15. Jh. im konservativen Venedig das Griechische mit aller Vehemenz einbrach. Dafür steht z.B. der berühmte Drucker Aldo Manuzio (14527-1515), der sich im Verlaufe seines Lebens ansatzweise auch für das Hebräische stark machte. Vgl. Marcon/Zorzi (1994). Der humanistische Umbruch läßt sich mit dem Canon des Avicenna belegen, der noch bis ins 17. Jh. als medizinischer Standard galt. Das florentinische Haus der Giunti veröffentlichte 1523 einen Druck der Übersetzung des Gerhard von Cremona. Vier Jahre später, 1527, erschien eine Neuauflage mit einem Text, der vom venezianischen Abt Andrea Alpago in Damaskus überarbeitet worden war. (Vgl. Vercellin 1991). Die Umstände, unter denen Übersetzungen zustande kamen, sind unterschiedlich. Da ist zunächst die besondere Situation von Sizilien (§ 5). Auf Salerno und den päpstlichen Hof in Volterra (13. Jh.) haben wir hier nur indirekt hingewiesen. Über Montpellier, das über Jahrhunderte des Mittelalters ein wichtiges Zentrum war, weiß man wenig Bescheid. Als wichtig erachteten wir die Vermittlungsfunktion der italienischen Seestädte (§ 6). Bleibt somit Spanien, dem wir uns nun zuwenden, bibliographisch u.a. Vernet (1984) und Hottinger (1995:390).
8.2
Die Übersetzerschulen in Spanien
Mit dem Begriff der Übersetzerschulen, so wie er geläufig ist, verbindet sich zunächst der Name der Stadt Toledo. Damit sind zwei Namen und zwei Generationen verbunden. Da ist zunächst der Erzbischof Raimund (1125-1152) in der Epoca Raimundiana, wo in den Eckdaten zwischen 1116 und 1187 weit über hundert arabische Werke ins Lateinische übersetzt wurden. Da ist in der Folge Alfons der Weise (geb. 1221, König von 1252-1284) in der Epoca Alfonsina, mit itinerierender Hofhaltung auch in Sevilla
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und mit Beziehungen bis nach Burgos und Murcia, in seiner Mentalität schon europäisch, d.h. dem Spanischen zugewandt. Mit anderen Worten: Die erste Generation war noch lateinisch orientiert, die zweite nun spanisch. Vgl. Gil (1985), der die verfügbaren Angaben zu den Übersetzern im einzelnen und die Verzeichnisse der übersetzten Werke angibt. Wir gehen auf diese Punkte hier nicht weiter ein. Zwischen diesen beiden Generationen gab es nochmals einen berühmten Erzbischof von Toledo, nämlich Rodrigo Jiménez de Rada (ca. 1175-1247), dem wir das erste Spracheninventar Europas verdanken - Text bei Niederehe (1975:72)- und aus dessen Werk Alfons der Weise häufig exzerpierte. Unter Jiménez arbeitete der Kanoniker und Koranübersetzer Markus von Toledo (§ 10.1). Im Gesamten war die Zeit zwischen den beiden Generationen jedoch eher ein Zerfall. In Toledo tätig war bis gegen 1220 der Angelsachse Michael Scotus; in seinem Bildungsgang wenig bekannt, findet man ihn später in Italien und zuletzt am Hof Friedrich II. in Palermo (gest. gegen 1236). Zwischen 1240 und 1256 arbeitete in Toledo auch ein Deutscher, Hermannus Teutonicus. Man findet ihn einige Zeit bei König Manfred in Neapel, als naturalisierten Spanier dann als Bischof von Astorga (1266 bis 1272) in Nordspanien. Frühzeitig traf im 12. Jh. in Spanien und vermutlich auch in Toledo, das offenbar attraktiver war als Nordfrankreich, ein weitgereister Engländer ein: Adelard von Bath (Adelardus Bathonensis u.ä.), der auch mit Petrus Alfonsi (§ 9.1) bekannt war. Der erste Übersetzer in Toledo war Juan von Sevilla, der sich mit Astronomie und Astrologie befaßte. Ein zentraler Text in diesem Wissensbereich war der Almagest des Ptolemaeus (2. Jh. v. Chr.). Im Bereich der Philosophie findet man zwischen 1130 und 1180 den Erzdiakon von Toledo, Dominicus Gundisalinus (Domingo Gundisalvo). Für die mittelalterliche Wissenschaft wichtig war seine Übersetzung des Liber de Scientiis des al-Färäbl (§ 5.5), das auch in einer Übersetzung des Gerhard von Cremona vorliegt. Zu dieser Gruppe gehören auch Avendauth, ein aus Cordoba geflüchteter Jude (mit anderem Namen Iohannes Avendehut Hispanus, Abraham ibn Da ud), und ein konvertierter Jude namens Juan. Der Italiener Gerhardus (1114-1187) ist der bekannteste Übersetzer und hat einen festen Platz in der Geschichte der Philosophie und der Naturwissenschaften. Er arbeitete zusammen mit einem Mozaraber namens Ghäleb (Galippus). Toledo ist jedoch nicht das einzige Zentrum. In Barcelona arbeitete zwischen 1134 und 1145 der Italiener Plato von Tivoli (Plato Tiburtinus). Er übersetzte Astronomie aus dem Arabischen und dem Hebräischen mit Hilfe eines Juden namens Abraham bar Hiyya. Vgl. Bossong (1978). Man spricht auch von einer "nördlichen Gruppe" von Übersetzern (Burnett 1977:70) um die Mitte des 12. Jh. im oberen Ebrotal, die sich, wie oben angedeutet, mit Problemen der Astrologie befaßten. Dazu gehörten Robert von Ketton (de Ketene), Erzdiakon in Pamplona und Kanonikus in Tudela, Übersetzer des Korans (§ 10.1), den man auch in Segovia und in London erwähnt findet; Hermann von Kärnten (Carinthia) und dessen Schüler Rudolf von Brügge sowie der Magister Hugo von Santalla, der
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beim Bischof Michael von Tarazona (im Amt 1119 bis 1151) akkreditiert war. Man sagt von Hugo, daß er Arabisch lesen konnte. Abschließend sei auf zwei Katalanen hingewiesen, die im vorliegenden Zusammenhang bedeutende Gelehrte waren. Als Philosoph und Mystiker befaßte sich Ramon Llull (Raimundus Lullius, ca. 1235-1315, aus Mallorca) mit der Missionierung der Muslime (Vgl. Vernet 1984:194). Im Rahmen der dominikanischen studia wurde in Katalonien arabisch gelehrt. Arnau de Vilanova (Arnaldus de Villanova), geboren bei Barcelona (1238-1312), war Lehrer der Medizin und der Philosophie in Montpellier. An Übersetzungen nennt man Avicenna, De viribus cordis. In Montpellier lehrte auch Armengaut Blasi (Blaise, 1265-1312), jüdischer Abkunft aus Marseille. Sein Arbeitsgebiet war Medizin, Philosophie und Hebräisch; zugeschrieben werden ihm Übersetzungen des Maimonides. Vgl. Kerner (1980:366).
8.3
Die Materia medica als Beispiel: Dioskurides
Die arabische Medizin, die für Europa im Mittelalter maßgeblich wurde, beruht auf zwei klassischen Autoren. Der eine ist der Grieche Dioskurides, der Begründer der Pflanzenheilkunde (Pharmakognosie), von dem Dante (Inf. 4, 139-40) sagt: e vidi il buono accoglitar del quale,/ Dïascoride dico. Dante sah aber auch (ν. 143-44), wie man weiß, Ipocràte, Avicenna e Galïeno,/ Averoìs che Ί gran comento feo. Der andere ist Galenus aus Pergamon (129-199 n.Chr.), der mit der Erfindung der Humoralmedizin den effektiv medizinischen Teil der Lehre einbrachte. Die mittelalterliche Form Diascorides schreibt man gewöhnlich syrischen Lautgewohnheiten zu. Was man über Dioskurides wissen muß, sagt Dietrich (1988:38) in seinem Kommentar in zwei Sätzen: "Pedanios Dioskurides aus Anazarbos in Kilikien, der berühmteste Pharmakognost des Altertums, war ein Zeitgenosse des älteren Plinius und wahrscheinlich Militärarzt unter Claudius und Nero. In seinem Hauptwerk περί. ύλης ιατρικής (De materia medica) faßt er den Wissensstand seiner Zeit, vermehrt durch seine auf den Feldzügen in viele Länder gewonnenen Kenntnisse, zusammen und versucht, den Stoff, den seine Vorgänger entweder alphabetisch (Kratenas) oder nach rein äußeren Merkmalen (Sextius Niger) angeordnet hatten, in ein übersichtliches System zu bringen." So entstand in Europa, wie aus der nachstehenden Skizze hervorgeht, eine ganze Anzahl von eigenständigen Übersetzungen. Als Standard galt im Arabischen die Übersetzung des Hunayn ibn Ishäq. aus Bagdad (9. Jh.). Diese entstand im Rahmen eines intensiven Rezeptionsprozesses von griechischer Wissenschaft im Orient. Mit dem griechischen Dioskurides befaßte sich Wellmann (1907/14). In die Überlieferung flöß sodann ein byzantinischer Dioskurides ein. Um 945 begab sich eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers Konstantin Porphyrogeneta VII. (905-959) zum Kalifen von
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Córdoba, cAbd ar-Rahmän III., und brachte als Gastgeschenk eine Handschrift des Dioskurides mit. Für Europa liegt die Entscheidung nun in Spanien. Dort findet man, kaum erwähnt, zwischen dem 11./12. Jh. einen weiter nicht dokumentierbaren Ibn Saräbl, lt. Serapion, der die verfügbaren Quellen zusammenfaßt und miteinander verbindet. Daraus ergibt sich der Terminus Aggreator, hier der Liber Serapionis aggregatus in medicinis simplicibus, wie er von Simon von Genua im 13. Jh. ins Lateinische übersetzt wurde. Ein venezianischer Druck stammt von 1497. Von diesem Serapion gibt es zwei Übersetzungen, eine paduanische um 1400 (Ineichen 1962/66) und eine noch uneditierte toskanische. Schematisch kann man sich die Überlieferung wie folgt vorstellen:
Simon v. Genua (13. Jh.)
Ibn Saräbl (11./12. Jh.)
• S.ven. (Frühdruck)
D.lt. (6. Jh.) ,
D.sal. (um 1000)
D.hisp.ar. 945 O d . gr. (1. Jh.)
D.ar. (9. Jh.)
Der langobardische Dioskurides steht vermutlich mit Ravenna in Verbindung. Die in München aufbewahrte Handschrift aus dem 9. Jh. stammt aus Montecassino (vgl. Rom. Forsch. 1, 1882; 10, 1899 und 11, 1901). Eine dazu bestehende süditalienische Paralleltradition war wohl der sog. Dioscurides vulgaris, den Kassiodor seinen Mönchen zur Lektüre empfahl. Der mit. Diascorides von Salerno wird Constantinus Africanus zugeschrieben. Die Terminologie der Materia medica, auf die wir nun zu sprechen kommen, ist vielsprachig, durch die Tradition oft korrumpiert und von der Sache her äußerst komplex. Pharmakologische Namen, die in unterschiedlichen Regionen auftreten, sind von einem Ort zum anderen oft nicht identifizierbar. Gegen Ende des Mittelalters löste sich diese Terminologie in der Wissenschaft in einen überbordenden Verbalismus auf. Das moniert auch Molière mit der Figur des Arztes im Malade imaginaire. Andererseits erkannte man die Notwendigkeit, geeignete terminologische Hilfsmittel zu beschaffen. Es gibt so etwas wie eine "Literatur der Synonima". Verfügbar sind zur Zeit die folgenden:
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- Das arabische Glossar des Maimonides. Es besteht aus 405 Kapiteln und enthält ca. 1800 Drogennamen. Die hervorragende Ausgabe von Meyerhof (1940) ist gleichzeitig eine Einfuhrung in die orientalische Terminologie. - Das arabisch-französische Glossar aus dem Orient. Das Glossar besteht aus 565 Eintragungen, wurde Ende 14. Jh. vermutlich in Venedig oder Padua kopiert, dürfte jedoch - Französisch im Orient, dialektal, anglofranzösisch - noch um 1300 entstanden sein. Aufschlußreich ist das Incipit: Ces sunt cynonimes de Messire Willame Ii Pulains chevalier, et Mestre Jaques Sarasin le ypoticaires, noveau crestien, translatés de langue d'arabike en lange & en lectre de fraunceis. Vgl. Ineichen (1972). - Das kastilische Glossar von Sevilla. Es handelt sich um eine in Spanien offenbar einzig dastehende Sammlung von Synonyma (Hs. der Biblioteca Colombina, Ende 14. Jh.). Vgl. Mensching (1994). Das Incipit lautet: Aqui comiença la sinónima de los nombres de las medeçinas griegas e abraycos, los quales nombres pertenesçen a los libros de la fisica e de la çilurgia, los quales se siguen por las letras del abe. Im Fall der Aprikose, deren Terminologie wir in der Nachfolge von Hasselroth (1940/41) gern als Beispiel benutzen, liest man (p. 94): Cocherina, i. antepersica, i. crisomilla, i. marrayz, i. prouençual. Es gibt nach Mensching auch eine vergleichbare, nicht veröffentlichte Handschrift der Nationalbibliothek Madrid (15. Jh.). Das Incipit lautet: Sinónima per alphabetum [...], et erunt talia nomina de herbarum et medicinarum et infirmitatum, de ceteris Unguis in vulgare spanicum. - Das venezianische Glossar von Roccabonella, Mitte 15. Jh. Es handelt sich um eine unveröffentlichte, ausgezeichnet kompilierte Handschrift der Marciana in Venedig. Vgl. Ineichen (1991b), dort als Beispiel ebenfalls "Aprikose". Die humanistische Wende, auf die wir in Venedig (1527) vorhin schon mit dem Glossar von Avicenna hingewiesen haben, vollbrachte in Spanien der Humanist Andrés de Laguna (1499-1560) mit einer Neuübersetzung des griechischen Dioskurides, die 1570 in Salamanca erschien: Pedacio Dioscorides Anazarbeo, acerca de la materia medicinal, y de los venenos mortíferos, Traduzido de lengua Griega, en la vulgar Castellana, & illustrado con claras y substantiales Annotationes, y con las figuras de innúmeras plantas exquisitas y raras, por el Doctor Andres de Laguna Medico de Iulio. III. Pont. Maxi. Vgl. Dubler (1955). Laguna führt unter den Annotationen auch ein Kapitel Nombres, das nicht mehr traditionell, sondern synchron orientiert ist. Die Liste der Sprachen, die auftreten, sind [Griego. Lat. Cast. Cat. Port. Bar. It. Fran. Tud.]. (Bar. ist barbaro). Unter dem Eindruck der neu entstehenden Botanik gab es im 16. Jh. zahlreiche lateinische Drucke und Übersetzungen in die europäischen Sprachen. Außerhalb der Medizingeschichte spricht man deshalb von der Geschichte der Herbarien. Vgl. Singer (1927).
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8.4
Die Renaissance unter Alfons X. dem Weisen
Innerhalb der Sprachgeschichte Spaniens verzeichnet man mit Alfons dem Weisen die Entstehung einer spanischen Prosa. Das ist ein Novum und zeugt von einem gewissen Nationalstolz, wie noch später im politischen Verständnis Nebrijas. Über die Sprachkonzeption in dieser Phase der Entwicklung ist oft nachgedacht worden. Vgl. Niederehe (1975) und Bossong (1979). Man denkt zumeist an eine Akkulturation im Verhältnis zur hochentwickelten Gestalt des Arabischen. Besonders ausgewiesene Kenntnisse des Islam hatten die alfonsinischen Gelehrten allerdings nicht. Mit der Hispanisierung der Übersetzungen bahnte sich außerdem eine gewisse Isolierung der Länder jenseits der Pyrenäen an. Die Schulen des Alfons waren geordnete Betriebe. Vgl. Menéndez Pidal (1951). Nach der Liste von Gil (1985:58) zählt man 11 Christen und 5 sephardische Juden. Die Identität dieser Juden ist nicht gesichert (Roth 1990). Im Bereich der Übersetzungen aus der arabischen Wissenschaft ist das Interesse begrenzt. Es betrifft die Himmelskunde im weitesten Sinn: Astronomie, Astrologie und Astromagie; letztere nach dem Titel von D'Agostino (1992). Man findet in diesem Zusammenhang die in der spanischen Fassung verlorene Escala de Mahoma (§ 6.4), aber keine Übersetzung des Korans. Vielleicht ist dieser Umstand ein Hinweis auf das gegenseitige Verhältnis der drei Religionsgemeinschaften. Von der Eigenständigkeit der Escala abgesehen, gab es in der Schule Alfons' des Weisen auch anonyme Übersetzungen. Zwei davon sind berühmt. Die eine ist Kaiila und Dimna (§ 9.3), die andere das Schachzabelbuch, d.h. die Bücher vom Schach-, Würfel- und Brettspiel {Libros de acedrex, dados e tablas). Vgl. die Ausgabe von Steiger (1941). Das Buch wurde 1283 in Sevilla vollendet und ist vermutlich das letzte aus der alfonsinischen Produktion. Die einzige Handschrift, Esc.j-T-6 (Faksimile Leipzig 1913), stammt aus derselben Malerschule von Sevilla wie der Codex der Cantigas de Santa Maria. Wir führen hier einige das Schach betreffende Namen an, ohne das europäische Vokabular im einzelnen auszubreiten. Erinnert sei, daß dtsch. Zabel, veraltet für "Spielbrett", die ahd. belegte Form für lt. tabula ist. - Das Schach als Spiel ist ar. al-satrang, asp. acedrex, sp. ajedrez, pg. xadrez. Für die übrigen europäischen Sprachen war Schach das Königsspiel, pers.ar. sah, mit. scaccum, fr. échec etc. - "Schach matt" ist sah mät, zu ar. mata "er ist tot". - Der Läufer ist ar .fil, eigentlich pers. "Elephant", sp. alfil. Zu fr .fou vgl. FEW (3.514). Formen wie it. alfiere, sp. alférez verraten den Einfluß von ar. al-färis "Reiter". - Der Turm des Schachspiels ist ar. ruhh, eigentlich "Kampfwagen (des indischen Heeres)", sp. roque etc., dazu "Rochade" und "rochieren".
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- Für "Bauer" tritt im Romanischen lt. pedo auf, für Springer allgemein lt. caballns. - Die Dame des Schachs, sp. dama, heißt asp. alferza und beruht auf ar. al-farza, eigentlich "Wesir", im Arabischen Kurzform für farzana "Königin" (Dozy 1927:2, 252). Zur Entstehung dieser Bücher über das Brettspiel liest man bei Harvey (1977:113): "They were undoubtedly composed with Arabic models in view, but whether they can be described as "translations" is not altogether clear". Der alfonsinische Traktat ist das wichtigste Buch über Spiele, das uns aus dem Mittelalter in Europa überliefert ist.
Aufgaben 1. Diskutieren Sie die Erkenntnisinteressen der großen amerikanischen Handbücher zur Geschichte der Wissenschaften: Thorndike (1921), Haskins (1927), Sarton (1927/48). Wie werden die Übersetzungen behandelt? 2. Erläutern Sie den Begriff "Averroismus". 3. Überprüfen Sie den Begriff der Akkulturation bei Bossong (1979). 4. Was heißt Humoralmedizin? 5. Vergleichen Sie die Information in den Incipits der oben genannten Glossare. 6. Was waren die religiösen und theologischen Probleme des Ramon Llull? Vgl. die Aufsatzsammlungen von Salleras (1989) und Domínguez/de Salas (1996). 7. Die Vorlage des "Serapion" ist unterdessen bekannt geworden. Kontrollieren Sie die Angaben in: Aljamía 9 (1997), 111-18.
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9.
Der Orient in der europäischen Sentenzenliteratur
Das über das Arabische vermittelte orientalische Erzählgut ist in Europa weit verzweigt, vielsprachig und gattungsmäßig nicht spezifisch. Die Ursprünge fuhren gewöhnlich zurück bis nach Indien. Vgl. Vernet (1984:191, 332). Der strenge Islam kennt kein Theater und auch keine bildhafte Kunst, dafür aber eine ornamentalistische Kalligraphie. Von Bedeutung ist außerdem eine lehrhaft-moralisierende Prosadichtung, die wir hier als Sentenzenliteratur bezeichnen. Dies ist jedoch etwas irreführend, weil diese Texte, oft als Fürstenspiegel konzipiert, nicht nur Sprichwörter und Sentenzen, sondern auch Exempla in Form von Fabeln, Legenden und sinnreich erfundenen Geschichten enthalten, die in der europäischen Literatur, wie gesagt, da und dort auftauchen. Diese moralisierende Gattung setzt sich vom Kanon der vornehmen literarischen Bildung (sog. Adab) deutlich ab. Sie gehört aber auch nicht in den Rahmen der "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht". Wir geben im folgenden einen kurzen Überblick über die wichtigsten traditionsbildenden Texte, verweisen den Leser allerdings stillschweigend auf die gängigen Nachschlagewerke der mittelalterlichen Philologie, für das Afr. besonders auf Bossuat (1951 ff.). Bei der Überlieferung ist dabei zu beachten, daß hier die südliche Romania mit Sizilien und der Iberoromania funktional nicht allein hervortritt. Eine wichtige Rolle spielt über zwei Jahrhunderte (1099-1291) der Kulturaustausch in den Kreuzzugsstaaten. (Vgl. Minervini 1995). Im östlichen Mittelmeer fungierte danach als Verkehrssprache auch das Französische, wie es z.B. noch Marco Polo gekannt hat.
9.1
Die Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi
Die Disciplina clericalis ist das älteste Novellenbuch des europäischen Mittelalters. In verschiedenen Formen adaptiert, beeinflußte es die Herausbildung der europäischen Novellistik, nach orientalischem Muster damals eingebettet in eine Umgebung von Sentenzen und Sprichwörtern, europäisch jedoch freier verfügbar. Die Sammlung des Petrus umfaßt (wie ein Fürstenspiegel) 39 Gespräche zwischen Vater und Sohn. Daraus ergibt sich in der afr. Übersetzung Le chastoiment d'un père à son fils. Vgl. Hilka (1922). Petrus war ein konvertierter Jude, schrieb als Marrane gegen die Juden (einen Dialogus zwischen sich selbst und einem ehemaligen Mitgläubigen), wurde 1106 am Tage des Heiligen Petrus in Huesca getauft und hatte als Paten den Aragonesischen König Alfons. Daraus erklärt sich der Name Petrus Alfonsi, statt hebr. Mose mit dem Herkunftsnamen Sefardí, d.h. Moses der Spanier.
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9.2
Das Secretum secretorum aus dem Orient
Das Secretum secretorum ist die lateinische Adaptation des kitäb sirr al asrär - ar. s irr "Geheimnis", pl. asrär - eines Yahyä ibn al Bitrïq (9. Jh.). Es handelt sich um einen pseudo-aristotelischen Traktat in Form eines Fürstenspiegels, der gegen 1230 von einem vermutlich aus Umbrien stammenden Kanoniker namens Filippo dem Bischof von Tripolis gewidmet wurde. Wir befinden uns im lateinischen Orient, wo die Kenntnissse des Arabischen wohl nicht überwältigend, die des Griechischen in christlichen Religionsgemeinschaften jedoch noch vorhanden waren. Die weite Verbreitung der offenbar sehr lesbaren Fassung des Philippus, die in 350 Handschriften erhalten sein soll, war auch der Kirche von Rom nicht unangenehm. Vgl. Minervini (1995:166). Andererseits gab es in Spanien um die Mitte des 12. Jh. bereits eine Fassung des Juan de Sevilla (§ 8.2), die lateinisch und volkssprachlich überliefert ist. Der spanische Titel heißt auch Poridat de poridades. Kontzi (1976) hat gezeigt, daß das lt.puritas "Reinheit" in der spanischen Bedeutung von "Geheimnis" eine Lehnübersetzung aus dem Arabischen ist. Es gibt eine eigenständige Überlieferung der secret des secrets in Frankreich und in England.
9.3
Bidpais Fabeln: Kaiila & Dimna
Diese ursprünglich indische Fabelsammlung, eigentlich als Fürstenspiegel gedacht, gehört zu den berühmtesten Stücken der Gattung und ist weltweit bekannt. Bidpai ist die persisch-arabische Form des Sanskritwortes für "Erster Philosoph, Gelehrter". Kaiila und Dimna (d.h. Kaiila wa Dimna) sind die Namen zweier verschwisterter Schakale, von denen der eine gut, der andere böse ist. Es geht um die Freundschaft zwischen dem Löwen und dem Stier. Die einzelnen Lehrsätze sind in Tiergeschichten gekleidet. Im Orient maßgeblich wurde die Übersetzung aus dem Mittelpersischen (Pehlewi) des 'Abdallah ibn al-Muqaffa', eines persischen Konvertiten (geb. 725, ermordet 757), die auch im europäischen Westen auftauchte. Wie wir gleich zeigen werden, entstand die erste Übersetzung auf Veranlassung Alfons' des Weisen, der damals noch Thronfolger war, in Toledo. Man kennt davon weder das Original noch die Vorlage. Die erste deutsche Version stammt von Philipp Wolff und erschien 1837. Vgl. Abdallah (1995). Die Aufgabe, die sich Irving (1980) gestellt hat, aus den Daten der Überlieferung einen lesbaren Text zu rekonstruieren, ist sehr gut gelöst. Eine Anmerkung verdient außerdem die Illustration in den Handschriften. Man findet eine kleine Sammlung von Abbildungen bei Bothmer (1981).
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Den Versuch eines Schemas der Filiation findet man bei Vernet (1984:334):
Spanisch —• Lateinisch (mod. Fassung; 1313) (alte F.; 1251) Lateinisch (alte F.; 13. Jh.) Arabische F. Hebräisch (Jacob (Ibn al-Mub. Eliezer, gest. quaffa'; um 750) um 1233)
Lateinisch (mittlere F., 1270) Italienisch —• Englisch (1570) (1552)
Hebräisch (Jo'el?; 1270) anonyme F.?
I Joh. von Capua Mum 1262) aireetorium vitae humanae
\Exemplario contra Jlos enganosype\ligros VW del mundo Ι σ 548) *
Spanisch (moderne mode F.; • 14493) "
Italienisch (1548)
JT Holländisch (1623) Deutsch (1480) "gut erzogen, kultiviert sein" (s.o. Adab). Außer einer hebräischen ist nur die spanische Übersetzung bekannt, die in zwei Handschriften (13./14. Jh.) überliefert ist. Die Bocados de Oro, mit dem asp. Incipit Estos son los dichos del propheta Sed e sus castigos, e él fue el primero por quien fue rescebida la ley e la sabiencia, sind lateinisch auch als Liber de dictis philosophorum antiguorum bekannt. Der arabische Titel der Sammlung heißt Muhtär al-hikam "Auswahl an Maximen", zu hisp.ar. < h.t.r > "auswählen" (Dozy 1927:1, 350) und < h.k.m > "ein Urteil abgeben". Die Übersetzung ist als solche nicht direkt verständlich. Als Autor der Sammlung zeichnet Abü l-WafaJ al Mubaäsir ibn Fätik, ein Gelehrter und Arzt - in europäischer Terminologie: philosophus ac medicus - aus Damaskus (11. Jh.). Die Übersetzung der Bocados ins Spanische erfolgte unter Alfons dem Weisen. Der Terminus ante quem ist das Jahr 1280. Erhalten sind neun Handschriften in zwei Redaktionen. Das Spanische bildet auch die Grundlage für eine lateinische Fassung. Darauf beruhen eine französische Übersetzung, d.h. die Ditz moraulx des Guillaume de Tignonville aus dem Ende des 14. Jh., eine in Bruchstücken erhaltene okzitanische Übersetzung und nach 1450 drei Übersetzungen aus dem Französischen ins Englische. Es gibt schließlich auch drei frühe Drucke: Sevilla 1495, Toledo 1510, Valladolid 1527. Damit erlischt das Interesse der neueren Welt an der mittelalterlichen Sentenzenliteratur.
Aufgaben 1. Was sagt die mittelalterliche Geistesgeschichte zum Problem der Misogynie? 2. Wie erklären sich und was bedeuten asp. castigo bzw. afr. chastoiemenf! 3. Vertiefen Sie Ihre Kenntnis des einen oder anderen der obigen Texte philologisch und im Hinblick auf die Textualität. 4. Glauben Sie, daß es eine Theorie der Übersetzung gibt? Wie begründen Sie Ihre Stellungnahme?
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10. Die Übersetzung des Korans Der Koran, die Heilige Schrift des Islam, "die Mutter der Bücher", auf die wir oben (§ 3.2) schon hingewiesen haben, wird innerhalb des Islam nicht übersetzt. Dies gilt auch dann, wenn die umgangssprachliche Umgebung nicht arabisch ist. Es gibt dort, soweit wir gesehen haben, Ausgaben mit fremdsprachlichen Übersetzungshilfen in einer Art Interlinearversion. Es gibt aber auch die Initiative, wie im Falle der Bibel in Amerika, Translations of the Holy Quran in Every Language zu erstellen. Die Bibliographie der Koranübersetzungen steht hier nicht zur Diskussion. Für den Fall des Sprachvergleichs zitieren wir jedoch einschlägige moderne Übersetzungen ins Romanische. Pg.: Machado (1979). Sp.: Cortés (1987). Fr.: Blachère (1959). It.: Bonelli (21972). Viele Muslime können den Koran oder Teile davon auswendig. Es gehört im Arabischen außerdem dazu, daß man den besonderen Rhythmus der koranischen Prosa beim Zitieren erkennt, so wie dem Muezzin in seinem Vortrag ein besonderer Duktus der Stimme zugrunde liegt. Eine gereimte Übersetzung versuchte der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert (1788-1866). Vgl. Nagel (1983:16). Wichtig für die Geschichte des Korans sind in Deutschland die Studien von Theodor Nöldeke (1981, Lebensdaten 1836-1930) sowie heute Paret(1980). Mit der Kenntnis des Islam im Mittelalter und mit den ältesten Übersetzungen befaßt sich d'Alverny (1994). Vgl. auch Monneret de Villard ( 1944). 10.1 Die ersten Koraniibersetzungen in Spanien Die ersten zwei Übersetzungen des Korans entstanden im 12./13 Jh. in Spanien. Vor allem die erste ist für die Überlieferung und die Kenntnis des Textes in Europa sehr wichtig. Im Jahre 1142 ergriff Pierre le Vénérable, Petrus Venerabiiis (1094-1156), Abt von Cluny und einflußreicher Zeitgenosse des Bernhard von Clairvaux, die Initiative, eine Inspektionsreise in die ihm unterstellten Benediktinerklöster in Spanien zu unternehmen. Abt Petrus war der Auffassung, daß man den Irrglauben nicht nur im Kreuzzug, wie ihn sein Papst Urban II. 1095 auf dem Konzil von Clermond-Ferrand gepredigt hatte - "Deus lo volt" - , sondern auch mit der Apologie in der Lehre bekämpfen müsse. Dazu gehörte auch die Übersetzung des Korans. (Vgl. Hagemann 1985). In Spanien traf Peter zunächst auf den Engländer Robert von Ketton (de Ketene), der mit einer Gruppe von Übersetzern im oberen Ebrotal arbeitete und sich mit astrologischen Problemen befaßte. (Vgl. d'Alverny 1994:1, 73, hier § 8.2). Dieser ließ sich auf das Unternehmen ein, den Koran zu übersetzen, vermutlich, wie üblich, nicht allein. Zufolge guter Dokumentation kennt man das Datum, an dem das Werk abgeschlossen wurde, d.h. am 15. Juli 1143. Die erste Drucklegung erfolgte 1543 in Basel. (Es gibt ein Empfehlungsschreiben Martin Luthers an den Rat zu Basel. Es soll den
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Christen gezeigt werden, "wie gar ein verflucht, schendlich, verzweivelt buch es sey, voller lugen, fabeln und aller grewel"). Die zweite Übersetzung stammt von Markus von Toledo, d.h. von einem "Marchus diaconus", von dem man biographisch wenig weiß, außer daß er medizinische Schriften (Galenus) übersetzte und in Toledo Ende 11. und Anfang 12. Jh. notariell nachweisbar ist. Markus arbeitete im Auftrag des Erzdiakons Mauritius und insbesondere auf Geheiß des Rodrigo Jiménez de Rada (1170/80-1247), der seit Ende 1208 Erzbischof von Toledo war. Die Übersetzung des Markus war weniger bekannt als diejenige des Robert von Ketton; sie ist, soweit wir sehen, noch unveröffentlicht. Zur Darstellung der Übersetzungstechnik reproduzieren wir hier - nächste Seite kommentarlos die Eingangssure nach d'Alverny (1994:1,116). Dabei bleibt zu bedenken, daß sich die kulturellen Bedingungen und auch die Sprachauffassung in der Renaissance radikal veränderten. Mit Leonardo Valla etablierte sich - bis heute gültig - das ciceronianische Modell der Latinität. Für das Griechische steht Erasmus von Rotterdam in Basel. Für das Hebräische, das sich neuentdeckt besonders im Protestantismus in Norddeutschland auf Pico della Mirandola und in Süddeutschland auf Johann Reuchlin, dem man die sephardische Version der Aussprache des Hebräischen verdankt, gibt es in Deutschland keine Bezüge auf die bekannten Zentren im Mittelmeerraum. Das askenasische Judentum in Osteuropa war demgegenüber isoliert und kulturell eher unterentwickelt. Im Gegensatz zu Venedig (§ 8.1), wo 1537 unverhofft der erste arabische Koran gedruckt wurde, gewann für das Arabische später Rom (§ 5.5) an Bedeutung, als Druckerstadt im 16. Jh. einige Zeit auch Basel. Die Initiative für den Islamismus und die Beschäftigung mit dem Koran lag im 15. Jh. zunächst wieder im spanischen Bereich, und zwar bei Juan de Segovia (vgl. Cabanelas 1952). Der Humanist Nebrija, der sich sprachlich (nach Ineichen 1991a:232) vermutlich im Arabischen und im Hebräischen noch auskannte, leistete dazu keinen Beitrag mehr. Der gelehrte Herausgeber von Ketene 1543 (21550) in Basel war Theodor Buchmann alias Bibliander. Auf dieser Ausgabe - und nicht auf dem arabischen T e x t beruht die italienische Version des Andrea Arrivabene, Venedig 1547, und auch diejenige des Franzosen André de Ryer 1647. Ein Meisterstück an Gelehrsamkeit ist die oft ungenannt benutzte Refiitatio Alcorani des Ludovico Marracci, Padua 1698. In Frankreich übersetzte in der Renaissance Guillaume Postel (1510-1581). Vgl. Secret (1962). In Deutschland gilt als editio princeps diejenige von Hinckelmann, Hamburg 1694. Zur Dokumentation beziehen wir uns hier nochmals -übernächste Seite- auf d'Alverny (1994:1, 117).
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