Latro und Eremit: Ein spiritualitätsgeschichtlicher Beitrag zur Anachorese, Transliminalität und Theologie der Freiheit bis zum Ausgang des Mittelalters 9783110348798, 9783110357547

In contemplating depictions of the crucifixion, observers have generally overlooked an important provocative element: Je

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
0. Einführung
0.1 Das latro–eremita–Motiv
0.2 Vorüberlegungen zur Methode
0.3 Vorüberlegung zu Worten und Begriffen
1. Bausteine einer latrologischen Transliminalität in der Antike
1.1. Raub und Diebstahl in Israel
1.1.1. Gerechtigkeit, Gesellschaft und Raub
1.1.2. Israel und die Fremdvölker – eine Pädagogik des Raubes
1.1.3. Hamartiologischer Bogen: Sündenfall und Brudermord
1.2. Translimitische Topographie und Prosopographie
1.2.1. Israel in der Wüste
1.2.2. Translimitische Personen mit latro–Aura: Propheten
1.2.3. Zwei Varianten: Tyrannentötung (Judit) und Fest (Esther)
1.2.4. Zwei Zuspitzungen: Ijob und Gottesknecht
1.3. Fazit: Translimitisch–mandativer Imperativ und Theodizee
1.4. Lêstês–latro – der Räuber der hellenistisch–römischen Kultur
1.5. Religiöse Valenz des latro–Titels im spätjüdischen Horizont
1.5.1. Jüdische Freiheitsbewegungen als latro–Gruppen
1.5.2. Zeloten als latrones
2. Jesus, Jünger und latrones
2.1. Jesusbewegung und latrones
2.2. Einige latrologische Episoden, Bildworte und Gleichnisse
2.3. Latrones in der Passionsgeschichte
2.3.1. Jesus ut latro
2.3.2. Barabbas erat autem latro
2.3.3. Jesus, Dismas, Gestas – drei latrones auf Golgota
2.4. Fazit: Vom translimitisch–mandativen zum kenotischen Imperativ
3. Translimitisch–latrologische Aspekte des frühen Christentums
3.1. Christen, latrones und Eremiten
3.1.1. Paulus, Stephanus, Petrus, Jakobus – tamquam latrones
3.1.2. Kriminalisierung von Christen als latrones
3.1.3. Vom blutigen zum geistlichen und anachoretischen Martyrium
3.2. Eremita et latro
3.2.1. Anfänge des anachoretischen Lebens
3.2.2. Theologische Grundstruktur des anachoretischen Lebens
3.2.3. Ort des eremitisch–monastischen Lebens: Wüste
3.2.4. Markierung des Eremiten als latro
4. Latro–eremita–Kommunikation in Ägypten, Palästina und Syrien
4.1. Ägypten: Grundmodelle der latro–Kommunikation
4.1.1. Die ägyptische Wüste ist voller latrones
4.1.2. Latrones–Attacken gegen Eremiten
4.1.3. Latro–Bekehrung
4.1.4. Eremit wird latro
4.2. Palästina: Literarische Ausgestaltung der Latro–Kommunikation
4.2.1. Hilarion, Chariton und die latrones
4.2.2. Spektakuläre latro–Geschichten aus dem 'Pratum spirituale'
4.3. Syrien: Latro und Stylit
4.4. Gender–Variante: Anachoretische Frauen und latrones
4.4.1. Weibliche Anachoretik: Reklusinnen und virgines consecratae
4.4.2. Frauen und latrones
4.4.3. Mulier luxuriosa
4.5. Rückblick: Anachoretischer Imperativ, Eremit und latro
5. Das latro–eremita–Motiv in der lateinischen Kirche
5.1. Anachoretisches Leben im Westen
5.2. Fränkische Latrologie: Martin, Genebaldus, Leonhard, Landelinus
5.3. Bayerisch–alemannische Morde: Marinus, Meinhard, Wiborada
6. Eremitische Wende des 11. Jahrhunderts
6.1. Romualdischer Eremitismus
6.1.1. Latro–Wunder des Heiligen Romuald
6.1.2. Petrus Damiani und die Geißelung als latro–Frömmigkeit
6.2. Kartäusische Latrologie
6.2.1. Bruno und Guigo
6.2.2. Sitzen in der Zelle – Gefängnis oder Ort der Freiheit?
6.3. Zisterziensische Latrologie
6.3.1. Robert, Alberich, Stephan und die Gründung von Cîteaux
6.3.2. Zisterzienser, labor und latrones
6.3.3. Räubernester – außerhalb und innerhalb des Klosters
6.3.4. Bernhard und die latro–Wirtin
6.4. Fazit: Anachoretischer Stachel des monastischen Lebens
7. Einzelanachorese seit dem 11. Jahrhundert und latro–Phänomene
7.1. Schärfung des kulturellen Gedächtnisses und Akzentverlagerung
7.1.1. Anachoretischer Frauenüberschuss und Fallbeispiele
7.1.2. Latro–Episode des 'Liber confortatorius': Der Eremit Alexander
7.1.3. Inklusions–performance im urbanen Kontext
7.2. Kriminalisierte Eremitin: Christina Carpenter
8. Mendikantische Transliminalität und Latrologie
8.1. Franziskanische Transliminalität und Latrologie
8.1.1. Franziskus – Versuch eines latro–Portraits
8.1.2. Die Drei–latrones–Legende
8.1.3. Translimitischer Spiritualismus
8.2. Dominikanische Latrologie
8.2.1. Dominikus und die häretische Transliminalität
8.2.2. Heinrich Seuse und die geistliche Latrologie
8.2.3. Inquisition – zwischen Exklusion und Exekution
9. Latrologisch–anachoretische Aspekte der mittelalterlichen Stadt
9.1. Translimitisch–latrologische Expression
9.1.1. Väter–Portraits – als Text und Bild
9.1.2. Christus–ut–latro–Expression
9.2. Latro–Performance zwischen Inklusion, Exekution und Reklusion
9.2.1. Gefängnis und Strafpraxis im Mittelalter
9.2.2. Blutiges Spektakel: Latro–bonus–performance
9.2.3. Eremitische Verbrechenssühne: latro als Rekluse
9.3. Translimitische caritas – zwischen Hospital und Robin Hood
9.3.1. Kranker als Quasi–Anachoret
9.3.2. Caritative Abfuhr überschüssiger latro–Fantasie: Robin Hood
10.Zusammenfassung: Nachtdieb und Tagräuber
11.Literaturverzeichnis
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Latro und Eremit: Ein spiritualitätsgeschichtlicher Beitrag zur Anachorese, Transliminalität und Theologie der Freiheit bis zum Ausgang des Mittelalters
 9783110348798, 9783110357547

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Karl-Heinz Steinmetz Latro und Eremit

Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät

Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie Band 58 Begründet von Michael Schmaus †, Werner Dettloff und Richard Heinzmann Fortgeführt unter Mitwirkung von Ulrich Horst Herausgegeben von Richard Heinzmann und Martin Thurner (federführender Herausgeber)

Karl-Heinz Steinmetz

Latro und Eremit Ein spiritualitätsgeschichtlicher Beitrag zur Anachorese, Transliminalität und Theologie der Freiheit bis zum Ausgang des Mittelalters

ISBN 978-3-11-034879-8 e-ISBN 978-3-11-035754-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck & Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis............................................................................................................. 5  0.  Einführung ............................................................................................................... 8   0.1   Das latro–eremita–Motiv .............................................................................. 8   0.2   Vorüberlegungen zur Methode .................................................................... 14   0.3   Vorüberlegung zu Worten und Begriffen .................................................... 17   1.  Bausteine einer latrologischen Transliminalität in der Antike ............................... 21  1.1.  Raub und Diebstahl in Israel ........................................................................ 21   1.1.1.  Gerechtigkeit, Gesellschaft und Raub ................................................... 21   1.1.2.  Israel und die Fremdvölker – eine Pädagogik des Raubes .................... 25  1.1.3.  Hamartiologischer Bogen: Sündenfall und Brudermord ....................... 27   1.2.  Translimitische Topographie und Prosopographie ...................................... 30  1.2.1.  Israel in der Wüste ................................................................................ 30   1.2.2.  Translimitische Personen mit latro–Aura: Propheten ........................... 36  1.2.3.  Zwei Varianten: Tyrannentötung (Judit) und Fest (Esther) .................. 44  1.2.4.  Zwei Zuspitzungen: Ijob und Gottesknecht .......................................... 48  1.3.  Fazit: Translimitisch–mandativer Imperativ und Theodizee ....................... 51  1.4.  Lêstês–latro – der Räuber der hellenistisch–römischen Kultur ................... 53   1.5.  Religiöse Valenz des latro–Titels im spätjüdischen Horizont ..................... 57  1.5.1.  Jüdische Freiheitsbewegungen als latro–Gruppen................................ 57  1.5.2.  Zeloten als latrones ............................................................................... 63   2.  Jesus, Jünger und latrones ..................................................................................... 67   2.1.  Jesusbewegung und latrones ....................................................................... 67   2.2.  Einige latrologische Episoden, Bildworte und Gleichnisse ......................... 75  2.3.  Latrones in der Passionsgeschichte ............................................................. 80   2.3.1.  Jesus ut latro .......................................................................................... 80   2.3.2.  Barabbas erat autem latro ...................................................................... 82   2.3.3.  Jesus, Dismas, Gestas – drei latrones auf Golgota ............................... 83  2.4.  Fazit: Vom translimitisch–mandativen zum kenotischen Imperativ ............ 88  3.  Translimitisch–latrologische Aspekte des frühen Christentums ............................ 90   3.1.  Christen, latrones und Eremiten .................................................................. 90   3.1.1.  Paulus, Stephanus, Petrus, Jakobus – tamquam latrones ...................... 90   3.1.2.  Kriminalisierung von Christen als latrones .......................................... 93  3.1.3.  Vom blutigen zum geistlichen und anachoretischen Martyrium .......... 96  3.2.  Eremita et latro........................................................................................... 100   3.2.1.  Anfänge des anachoretischen Lebens ................................................. 100  

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Inhalt

Theologische Grundstruktur des anachoretischen Lebens .................. 104  3.2.2.  3.2.3.  Ort des eremitisch–monastischen Lebens: Wüste ............................... 108   3.2.4.  Markierung des Eremiten als latro ...................................................... 111  4.  Latro–eremita–Kommunikation in Ägypten, Palästina und Syrien ..................... 116  4.1.  Ägypten: Grundmodelle der latro–Kommunikation .................................. 116  4.1.1.  Die ägyptische Wüste ist voller latrones ............................................ 118  4.1.2.  Latrones–Attacken gegen Eremiten .................................................... 119   4.1.3.  Latro–Bekehrung ................................................................................ 122   4.1.4.  Eremit wird latro ................................................................................. 127   4.2.  Palästina: Literarische Ausgestaltung der Latro–Kommunikation ............ 129  4.2.1.  Hilarion, Chariton und die latrones .................................................... 129  4.2.2.  Spektakuläre latro–Geschichten aus dem 'Pratum spirituale' ............. 132  4.3.  Syrien: Latro und Stylit ............................................................................. 134   4.4.  Gender–Variante: Anachoretische Frauen und latrones ............................ 136  4.4.1.  Weibliche Anachoretik: Reklusinnen und virgines consecratae ........ 136  4.4.2.  Frauen und latrones ............................................................................ 142   4.4.3.  Mulier luxuriosa .................................................................................. 144   4.5.  Rückblick: Anachoretischer Imperativ, Eremit und latro .......................... 154  5.  Das latro–eremita–Motiv in der lateinischen Kirche........................................... 158   5.1.  Anachoretisches Leben im Westen ............................................................ 158   5.2.  Fränkische Latrologie: Martin, Genebaldus, Leonhard, Landelinus ......... 164  5.3.  Bayerisch–alemannische Morde: Marinus, Meinhard, Wiborada.............. 170  6.  Eremitische Wende des 11. Jahrhunderts ............................................................. 173   6.1.  Romualdischer Eremitismus ...................................................................... 178   6.1.1.  Latro–Wunder des Heiligen Romuald ................................................ 179   6.1.2.  Petrus Damiani und die Geißelung als latro–Frömmigkeit................. 181  6.2.  Kartäusische Latrologie ............................................................................. 190   6.2.1.  Bruno und Guigo ................................................................................. 190  6.2.2.  Sitzen in der Zelle – Gefängnis oder Ort der Freiheit? ....................... 191   6.3.  Zisterziensische Latrologie ........................................................................ 198   6.3.1.  Robert, Alberich, Stephan und die Gründung von Cîteaux ................ 198  6.3.2.  Zisterzienser, labor und latrones ........................................................ 201  6.3.3.  Räubernester – außerhalb und innerhalb des Klosters ........................ 203  6.3.4.  Bernhard und die latro–Wirtin ............................................................ 206   6.4.  Fazit: Anachoretischer Stachel des monastischen Lebens ......................... 209   7.  Einzelanachorese seit dem 11. Jahrhundert und latro–Phänomene ..................... 210  7.1.  Schärfung des kulturellen Gedächtnisses und Akzentverlagerung ............ 210  7.1.1.  Anachoretischer Frauenüberschuss und Fallbeispiele......................... 211   7.1.2.  Latro–Episode des 'Liber confortatorius': Der Eremit Alexander ....... 215  7.1.3.  Inklusions–performance im urbanen Kontext ..................................... 218  7.2.  Kriminalisierte Eremitin: Christina Carpenter ........................................... 223   8.  Mendikantische Transliminalität und Latrologie ................................................. 225  8.1.  Franziskanische Transliminalität und Latrologie ....................................... 227  8.1.1.  Franziskus – Versuch eines latro–Portraits......................................... 227 

Inhalt

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Die Drei–latrones–Legende ................................................................ 231   8.1.2.  8.1.3.  Translimitischer Spiritualismus .......................................................... 234   8.2.  Dominikanische Latrologie........................................................................ 239   8.2.1.  Dominikus und die häretische Transliminalität .................................. 239  8.2.2.  Heinrich Seuse und die geistliche Latrologie ..................................... 242  8.2.3.  Inquisition – zwischen Exklusion und Exekution ............................... 247  9.  Latrologisch–anachoretische Aspekte der mittelalterlichen Stadt ....................... 251  9.1.  Translimitisch–latrologische Expression ................................................... 251   9.1.1.  Väter–Portraits – als Text und Bild..................................................... 251   9.1.2.  Christus–ut–latro–Expression ............................................................. 255   9.2.  Latro–Performance zwischen Inklusion, Exekution und Reklusion .......... 263  9.2.1.  Gefängnis und Strafpraxis im Mittelalter ............................................ 263   9.2.2.  Blutiges Spektakel: Latro–bonus–performance .................................. 270  9.2.3.  Eremitische Verbrechenssühne: latro als Rekluse .............................. 276  9.3.  Translimitische caritas – zwischen Hospital und Robin Hood.................. 281  9.3.1.  Kranker als Quasi–Anachoret ............................................................. 281   9.3.2.  Caritative Abfuhr überschüssiger latro–Fantasie: Robin Hood .......... 293  10.Zusammenfassung: Nachtdieb und Tagräuber ........................................................ 301   11.Literaturverzeichnis ................................................................................................ 304  

0. Einführung

0.1

Das latro–eremita–Motiv

Das Christentum spielte bei der Genese der europäischen Kultur eine wesentliche Rolle und hat die europäische Anschauung ebenso tief wie nachhaltig geprägt. Die Kreuzigung Christi ist bis heute, selbst unter den Vorzeichen einer säkularisierten Gesellschaft, ein vertrauter Anblick geblieben – so sehr, dass nur Wenigen ins Auge sticht, was einen unverbildeten Betrachter durchaus in höchstes Erstaunen versetzen kann: Zentrales Bild des Christentums ist ein Mann, der als überführter Krimineller1 – oder als latro, wenn wir den Fachbegriff der römischen Jurisprudenz bemühen2 – die Todesstrafe der Kreuzigung erleidet. Noch eindringlicher wird das Bild, wenn man die Szene vollständig entfaltet: Jesus, der gekreuzigte latro, hängt zwischen zwei weiteren gekreuzigten latrones – wofür sich unzählige ikonographische Beispiele der europäischen Kunstgeschichte beibringen lassen.3 Die tiefere und vor allem genuin christliche Interpretation dieser latro–Hinrichtung bereitet allerdings beträchtliche Schwierigkeiten und wird durch die gängige Übersetzung des lateinischen Wortes latro oder des griechischen Äquivalentes lêstês nicht gerade erleichtert, wenn nicht gar auf eine falsche Fährte gelenkt. In den einschlägigen Wörterbüchern findet sich unter latro–lêstês eine Übertragung als „Räuber“, die kaum die Bedeutungsbreite und konnotativen Obertöne des römisch–griechischen latro–lêstês einzufangen vermag.4 Diese Verengung der Wahr1 2 3

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Siehe hierzu WIND, The Criminal God, 243–248, der das Motiv ikonologisch nach der Bildtheorie Aby Warburgs entfaltet und interessante Denkanstöße gibt. Erstinformation zum juristischen latro–Begriff bietet MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 629. Zum Motiv der Kreuzigung und seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung siehe MERBACK, The thief, the Cross and the Wheel, hier besonders der Text von 11–16 und die Farbbildteile von 33– 40; 105–112; 177–184; 249–256. Zu den latrones in der äthiopischen Kunst vgl. BALICA– WITAKOWSKA, The crucified thieves, 204–256; zu Golgota als Mnemotop vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 59–66 und MENZEL, Christliche Symbolik 2, 256–257. Für lêstês siehe beispielsweise Langenscheidts Taschenwörterbuch, 275: „Räuber, Seeräuber“. Der Kleine Stowasser, 259 entfaltet das Stichwort latro hingegen mit einer verhältnismäßig fa-

Latro-eremita Motiv

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nehmung ist vor allem auf die Dominanz des heutigen Wirtschaftssystems und seine penetrative Wirkung auf fast alle Lebensbereiche zurückzuführen, wodurch am latro– lêstês fast nur noch die Dimension des Entwendens von Eigentum, Besitz und Geldmitteln wahrgenommen wird. Selbst eine nur vorläufige soziologische Bestimmung, die von den reichen Nuancen in der Begriffsgeschichte von latro–lêstês einstweilen absieht, öffnet hingegen den Horizont und weist die Spur zu einem tieferen Verständnis: Jedes soziale System hat eine Grenzlinie, eine „limitische Kontur“, durch die es sich von seiner Umwelt abgrenzt, und eine innere „limitische Struktur“, die den Binnenraum durch sensible Grenzziehungen gliedert.1 Den latro–lêstês könnte man daher als eine Person bestimmen, welche die limitische Kontur und/oder Binnenstruktur eines sozialen Systems auf eine so massive Weise überschreitet oder kreuzt, dass sie nur noch durch besondere Taktiken vom jeweiligen sozialen System integriert werden kann: Der latro wird durch Sühne, Strafe und Vergeltung zurechtgebracht, mit einem Sonderstatus oder einer Außenseiterrolle markiert, um ihn zu bewältigen, oder im schlimmsten Fall als Gemeingefährlicher durch Ausschluss, Verhaftung, Isolation, Verbannung oder gar Exekution neutralisiert.2 Zweifellos kann man auch Jesus von Nazareth aus einer soziologischen Außenperspektive als latro bezeichnen – nämlich im Sinne einer Person, welche die grundlegenden Erwartungsstrukturen und Rollenmuster des jüdischen Sozialverbandes und der römischen Politik in Palästina massiv überschritten hatte und diese Grenzverletzung mit dem Leben bezahlte.3 Wenngleich aus römischer Perspektive der juristische Titel latro eine treffliche Begründung für die Hinrichtung Jesu bereithält, so erweist sich aus einer anderen Perspektive, die über eine Strukturbeschreibung hinausgeht und ethische oder theologische Aspekte mit berücksichtigt, wie unangebracht dieses latro–Etikett ist: Liest man das Leben Jesu und die Passionserzählung mit geschärftem Auge, so ergibt sich eine ganz andere Perspektive. Der ungerechte Prozess enthüllt die Unschuld des Verfolgten und die Schuld der Verurteilenden. Unter einem heilsgeschichtlichen Blickwinkel entpuppt sich der Mensch als latro, während sich Jesus als der Christus offenbart – als die authentische Offenbarungsgestalt der Liebe Gottes, welche schließ-

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cettenreichen Bestimmung als „Söldner, Freibeuter, Räuber, Bandit, Ausplünderer, Mörder“. Den Begriff der „limitischen Struktur“ in der Ethnologie eingebürgert hat MÜHLMANN, Ethnogonie und Ethnogenese, hier besonders 19–20. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 151–160 demonstriert die Fruchtbarkeit dieses Konzeptes für die altorientalischen Hochkulturen Mesopotamien, Ägypten und Israel. Für diese Studie scheint indes die begriffliche Unterscheidung zwischen limitischer Kontur und Binnenstruktur hilfreich zu sein. Nach dem römischen Recht sind deportatio, bestiae und crux die üblichen Strafen für das latrocinium; vgl. MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 629. Die komplexen Zurechtbringungstechniken seit der frühen Neuzeit beleuchten hingegen FOUCAULT, Wahnsinn und Gesellschaft; sowie Überwachen und Strafen, hier besonders 9–43. Am konsequentesten haben KAUTSKY, EISLER, CARMICHEL und BRANDON eine revolutiäre latro– Christologie durchzuführen versucht. Eine exzellente Kritik der Ansätze bietet HENGEL, War Jesus Revolutionär?, hier besonders 23–25, mit einer fast prophetischen Warnung.

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Einführung

lich Versöhnung bewirkt. Ohne weiteren christologischen Implikationen hier nachgehen zu können und zu müssen, darf man einstweilen eine gewisse innere Problematik des latro–Konzepts festhalten: Es bezieht sich auf ganz unterschiedliche Aspekte der Außenseiterrolle, die von mannigfachen Standorten aus anvisiert werden: So reicht die Bedeutungsbreite des latro vom pejorativ konnotierten, sozialschädlichen „Räuber“, „Dieb“, „Verbrecher“ und so fort bis hin zum eher positiv konnotierten „Freiheits– und Widerstandskämpfer“, „Märtyrer“ und „Held“.1 Der latro–Bezeichnung kommt zudem eine eher performative als informative Funktion zu: Sie dient nur in den seltensten Fällen einer objektiv–sachlichen und distanzierten Personenbeschreibung, sondern hat meist appellativen und wertenden Charakter; sie versucht aus einer involvierten Haltung heraus zur Sprache zu bringen, wie man eine Person anzusehen, zu behandeln und sich ihr gegenüber zu verhalten habe. Das latro–Etikett eignet sich daher trefflich zur Marginalisierung, Abwertung, Ausgrenzung und sozialen Stigmatisierung – oder ganz im Gegenteil zur Idealisierung und Stilisierung eines Helden, Widerstandskämpfers, Retters etc.2 Was die Mehrdeutigkeit des latro–Motivs hinsichtlich des Christusereignisses weiter verkompliziert, ist der Umstand, dass das Kreuz auf Golgota auf komplexen limitativen Verwerfungen steht – auf der Grenzlinie zwischen jüdischen und römischen Interessen, zwischen innerjüdischen Gruppen wie Sadduzäern, Pharisäern und Zeloten, zwischen einer sich verschließenden Welt und der jesuanischen Reich–Gottes– Proklamation, so dass sich hier eine kaum übersehbare Gemengelage ergibt. Trotz dieser Problematik – oder vielleicht sogar wegen ihr – hatte das latro–Motiv eine literarische Zukunft: Öffnet der aufmerksame Leser patristische Texte – etwa die Schriften der paganen Kritiker des Christentums des 2. bis 4. Jahrhunderts, Reskripte zur Zeit der Christenverfolgung, frühe eremitisch–monastische Werke aus Ägypten, Palästina und Syrien, oder hagiographische Viten –, so stolpert er immer wieder zwischen den Zeilen und Kapiteln über latrones. Die einmal aufgenommene Spur lässt sich über die Patristik hinaus weiter verfolgen: Latrones begleiten den eremitisch– monastischen Frühling bei den Zisterziensern und Kamaldulensern, begegnen beim mendikantischen Aufbruch der Franziskaner und Dominikaner, finden sich in den mystischen Schriften Heinrich Seuses sowie eines Kartäusers am Ende des 14. Jahrhunderts, und so fort. Nun lässt sich fragen: Dient das Erscheinen der latrones in prominenten eremitisch– monastischen oder mystischen Texten des Christentums lediglich der Unterhaltung des 1

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Für einige Helden–Beispiele aus den verschiedensten historischen Kontexten siehe CRACCO RUGGINI, Bagaudi e santi innocenti, 121–142; FERRANTE, Good thieves and bad thieves, 83–98; HOBSBAWM, Primitive Rebels, 13–29; JOSEPH, On the trail of Latin American bandits, 7–18 und LEWIN, ‚Good’ Thief, Antonio Silvino, 116–146. Zum von Austin geprägten Begriff „performative Äußerung“ vgl. die Zusammenfassung bei HÜGLI/LÜBCKE, Philosophielexikon, 544. In Anlehnung an die Differenzierung performativer vs. konstativer Äußerung könnte man sagen, fur habe eine eher konstative, latro eine eher performative Valenz.

Latro-eremita Motiv

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Lesers, ist es also nur das Ergebnis zufälliger Konstellationen, oder lässt sich vielleicht eine darüber hinausgehende theologische Relevanz und Funktion des latro–Motivs erheben, worauf die Verankerung des latro–Motives in der Passion durchaus hinweisen könnte?1 Der Versuch einer motivgeschichtlichen Spurensuche muss das zu durchsuchende Feld zu Beginn klar abstecken, um sich nicht entweder in der Materialfülle zu verlieren oder bloß zufälliges Treibgut in Augenschein zu nehmen. Aus diesem Grund sei hier folgende Einschränkung gemacht: Die folgende Studie wird sich auf die wichtigsten eremitisch–monastischen und mendikantischen Texte der lateinischen Kirche bis zum Ausgang des Mittelalters konzentrieren, in denen eine Motivkonstellation von latro/fur und eremita/monachus – also von Räuber/Dieb und Eremit/Mönch – auf dem Hintergrund des Christusereignisses aufgespürt werden kann. Zur Rechtfertigung dieser Motivkonstellation seien hier folgende Präzisionen vorgebracht: Als vorläufige Kurzdefinition könnte man sagen, das anachoretisch–eremitische Leben realisiere auf eine institutionalisierte Weise die eschatologischen, Welt überschreitenden Aspekte der Weisung Jesu durch ein Leben außerhalb der Welt in der Welt. Oder anders gewendet: Der Eremit bezieht sich gerade dadurch auf die Welt und Gesellschaft, dass er sich explizit von ihr abgrenzt; er operiert zugleich innerhalb und außerhalb der Gesellschaft.2 Diese knappe soziologische (und theologisch keinesfalls vollständige) Formel beschreibt hinlänglich den Kern interessanter Gemeinsamkeiten zwischen Eremit/Mönch einerseits und dem latro andererseits: Beide Figuren kreuzen die limitische Kontur und/oder Struktur der Gesellschaft, die durch Stadtmauern, Grenzen eines Territoriums, Fluss– und Küstenlinien, Regeln und Gesetze in Rechtsbüchern, Kleider– und Standesordnungen und vieles mehr sichtbar–konkreten Ausdruck gewinnen.3 Durch eben dieses Kreuzen von Grenzen kommen beide Figuren in die besondere Kontrast–Position, von der aus sie auf die Gesellschaft wirken können. Will man die gesellschaftliche Stellung von latrones und Eremiten beschreiben, so scheint das Binom Exklusion–Inklusion4 zur Positionsbestimmung besonders geeignet 1

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Eine derartige Intuition hatte auch WIND, The Criminal God, 243–245 und The Crucifixion of Haman, 245–248. Wenngleich er seine religionsgeschichtlichen Assoziationen in der Art von FRAZER knüpft, die für eine theologische Studie nur begrenzt verwendbar sind, so bietet er doch wertvolle Anregungen. Für eine erste Begriffsbestimmung des anachoretisch–eremitischen Lebens vgl. LIALINE, Érémitisme, 936–953; DOYÈRE, Érémitisme 953–982 und Ermites, 412–429; BIGELMAIR, Inklusen 401–402; SPIDLIK, Reclus, 217–221 und CHARTIER, Reclus, 221–228. Zur Differenzierung des anachoretischen Lebens siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 60–62 und DÖRR, Das Institut der Inclusen, 1–4. Der Ausdruck „Abgrenzung von Welt“ benennt einstweilen nur die Außenseite der Lebensform und noch nicht ihre Innenseite, die SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 171–192 und GUILLAUMONT, Wurzeln des Christlichen Mönchtums, hier besonders 60–67, herausarbeiten. Zur Symbolisierung der limitischen Kontur im Rahmen der Ethnogenese vgl. auch ASSMAN, Das kulturelle Gedächtnis, 153–154, mit weiterführenden Hinweisen. Das Binom Exklusion–Inklusion zur Beschreibung des latro und Eremiten/Mönches wird in

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Einführung

zu sein: In die Zelle als einen typischen Wohnort gelangen sowohl der latro wie der Eremit mittels einer Verschränkung von Exklusion und Inklusion – nämlich durch einen Ausschluss aus der Gesellschaft mittels Einschluss in die Zelle. Diese Exklusions– Inklusions–Verschränkung erklärt zudem, warum latrones und Eremiten für gewöhnlich nicht durch die Exklusion im Abseits verschwinden und den sozialen Tod sterben, sondern ganz im Gegenteil durch einen massiven Wiedereintritt (re–entry) in die Gesellschaft räumlich und/oder medial zurückkehren1: Wenn im Mittelalter ein Eremit oder latro durch die Mauern eines Fried– oder Kirchhofs vom bürgerlichen Stadtverband ausgeschlossen wird – Friedhof und Kirchhof sind im Mittelalter eine Freistatt, an der das weltliche Recht nicht vollstreckt wird und die daher auf jede Art von outlaw einen magnetischen Einfluss ausübt –, so werden sie zugleich in die Gesellschaft ganz massiv eingeführt und inkludiert, in unserem Fall an einem der meist besuchten Plätze des urbanen Raumes, gleichsam dem Herzen der Stadt.2 Dieser Mechanismus funktioniert selbst dann, wenn beide Außenseiter tatsächlich räumlich aus dem Sozialverband ausgeschlossen werden: Räuber und Eremiten hinterlassen mindestens in städtischen und/oder kirchlichen Texten mediale Spuren. Dieser Exklusions–Inklusions–Mechanismus verändert die Kommunikation zwischen dem Außenseiter latro oder eremita und seiner Umwelt auf signifikante Weise: Die Quantität wird gravierend eingeschränkt, die Intensität hingegen massiv aufgewertet.3 Von daher erklärt sich, warum latrones und Eremiten ein spektakuläres Motiv abgeben, das die Aufmerksamkeit des antiken und mittelalterlichen Publikums stets auf sich zieht. Diese Studie konzentriert sich auf die latro–eremita–Begegnung, die dadurch zustande kommt, dass beide Außenseiter fast mit Notwendigkeit aufeinander treffen – sei es an Orten außerhalb der Stadt wie Wüsten, Wäldern, Inseln, Höhlen oder auf entlegenen Pilgerpfaden; sei es innerhalb der Stadt auf Fried– und Kirchhöfen – und miteinander sprechen oder interagieren. Wenn diese Gespräche und Begegnungen

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einer gewissen Anlehnung an die luhmann'sche 'Theorie sozialer Systeme', aber nicht im strikten Sinne verwendet. Zum luhmann'schen Hintergrund vgl. BARALDI/CORSI/ESPOSI–TO, GLU, 78–82 und LUHMANN, Inklusion und Exklusion, 234–267. Für den Begriff des re–entry vgl. BARALDI/CORSI/ESPOSITO, GLU, 152–154, mit weiterführendem Literaturhinweis. CLARK, Spaces of reclusion, 17 beschreibt den anachoretischen re–entry: „a certain ascetic austerity separates the hermit from society, despite the fact that the hermit might well live in a community, which may in fact now be close to civilization.“ GELTNER, Coping in medieval prison, 152 und 164–166 hat für den gleichen soziologischen Sachverhalt in einem anderen Zusammenhang die Begriffswendungen „semi–inklusiv“ bzw. „semi–exklusiv“ geprägt. Den mittelalterlichen Friedhof als asylum und „Herz der Stadt“ bespricht ARIES, Geschichte des Todes, 83–94 mit Beispielen und Belegen. Diese Beschränkung der Quantität und Steigerung der Qualität lässt sich bei den 'Apophtegmata Patrum' mustergültig studieren: Die sprachliche oder symbolische Kommunikation zwischen Abbas/Amma und Fragesteller ist kurz und selten, wird aber als pneumatologisches Ereignis ins Paradigmatisch–Normative gesteigert.

Latro-eremita Motiv

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ihrerseits Teil des Stadtgesprächs werden oder zwischen Buchdeckeln in Form von Texten erscheinen, dann ist das Geschehen zu einem zentralen Inhalt des kommunikativen Gedächtnisses der mittelalterlichen Gesellschaft geworden. Diese Begegnung ereignet sich in einer ganz besonderen diskursiven Konstellation: Zwischen dem Eremiten und latro existiert einerseits genügend Nähe, um stets ein Minimum gegenseitigen Verständnisses zu garantieren und einem eventuellen Kommunikationsabbruch zu wehren, andererseits aber zugleich eine wesentliche Differenz, die ein Maximum wechselseitiger Provokation und Irritation gewährleistet, und so einen vorschnellen Konsens unterbindet. Daher sind die Texte über Eremiten und latrones von einer spezifischen Rhetorik durchzogen, was wir im Folgenden an Texten der eremitisch–monastischen Theologie und Hagiographie im Detail vorführen möchten. Das Materialobjekt der folgenden Studie ist damit hinreichend umrissen: Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf das bipolare bis trianguläre Motiv Eremit/Mönch– latro–(Christus) in ausgewählten Texten aus der Tradition der lateinischen Kirche bis zum Ausgang des Mittelalters.1 Die Texte werden mit der Vorannahme gelesen, die vorgestellte Motivkonstellation von Grenzgängern der limitischen Kontur und Struktur – Eremit/Mönch und latro auf dem Hintergrund des Geschicks Jesu – sei ein besonders geeigneter hermeneutischer Schlüssel, um sowohl bekannte als auch weniger beachtete literarische Zeugnisse des Christentums Gewinn bringend aufzuschließen. Ziel dieser Studie ist ein Beitrag zur Geschichte und Struktur des eremitischen und monastischen Lebens, sowie ein Ausloten des christlichen Freiheitsverständnisses und Personalitätskonzeptes der mittelalterlichen Anthropologie – was angesichts der schillernden Grenzgänger Eremit und latro lohnend erscheint.

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Diese Studie ließe sich erweitern durch Miteinbeziehung von Material aus der Ostkirche, vgl. etwa WORTLEY, De latrone converse, 219–243, oder durch Nachverfolgung des Traditionsstroms in der Literatur bis zu Schillers 'Räuber'; vgl. hierzu etwa BUSSE, Im Wald, da sind die Räuber, 113–129; EDWARDS, The growth of a song, 17–33; GIARDINA, Banditi e santi, 374–389; MOUNT, The treatment of the miracle, 165–171; SCATTERGOOD, The Tale of Gamelyn, 159–194; SCHUMACHER, Gefangensein – waz wirret daz?, 238–255. Zum Eremiten im englischen Artuskreis siehe besonders WEAVER, The hermit in English Literature.

0.2

Vorüberlegungen zur Methode

Anfragen an das eben skizzierte Projekt einer motiv– und spiritualitätsgeschichtlichen Studie zu den beiden Grenzgängern eremita und latro könnten sich an dem zum Teil hagiographisch–legendarischen bzw. performativen Charakter der benutzten Texte und der für diese Texte angemessenen Deutungsmethode entzünden. Problematisch mag zudem der schillernde latro–Begriff erscheinen, der gleichsam als Ariadne–Faden dienen soll, ein Labyrinth von immerhin rund 1500 Jahren des Christentums mit einer über tausendjährigen Vorgeschichte zu durchmessen. Einige Vorüberlegung zum Formalobjekt und den regulativen Leitideen des Projektes sind daher unverzichtbar. Ausgangspunkt der latro–eremita–Untersuchung bildet ein motiv– und gedächtnisgeschichtlicher Blick: Die Analyse stützt sich auf Schlüsseltexte der Patristik und des Mittelalters, in denen die latro–eremita–Koppelung als ein semantischer Befund festzustellen ist.1 Die Reflexion setzt also nicht an einem präzise eingrenzbaren Phänomen der Vergangenheit an, sondern verfolgt die im latro–eremita–Motiv erinnerte und tradierte Vergangenheit als Gedächtnisspur nach.2 Das latro–eremita–Motiv wird daher vornehmlich unter dem Gesichtspunkt seiner Vertikalität – nämlich der Rezeption, Vermittlung und Fortschreibung über einen Zeitraum von mehr als 1500 Jahren – betrachtet; die Horizontalität der Texte bleibt im Vergleich dazu zunächst ein wenig im Hintergrund. Soll die Untersuchung der Texte aber nicht auf der Ebene einer unkritischen Nacherzählung stecken bleiben, so muss die Motivspur durchaus horizontal aufgeschlossen werden: Die in den Texten bezeugte Relevanz des latro–eremita–Motivs muss auf seine Faktizität hin abgeklopft werden; die in den Schriften aufscheinenden latro–eremita–Erinnerungen müssen mit eventuellen Gegenerinnerungen verglichen werden; das in den latro–eremita–Legenden gezeichnete Portrait heiliger oder unheiliger Männer und Frauen muss in seiner hagiographischen und/oder diskriminierenden Übermalung durchschaut werden.3 Es geht darum, die in den Legenden und in theologisch aufgeladenen Texten intendierte Aussagenmitte aufzudecken, in der sich historische, literarische, soziale und religiöse Linien treffen. Die genannten vier Aspekte seien hier zumindest kurz skizziert: (1) Die kritische Geschichtsforschung der Bollandisten – in erster Linie sei hier an DELEHAYE erinnert – hat das hagiographische Material des Christentums einer ra1 2

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Zur Recherche wurden insbesondere CLCLT–3 (CETEDOC) und die Patrologia–Latina– Database herangezogen. Zum Konzept des kollektiven kulturellen Gedächtnisses vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, hier besonders 29–48. Zum Projekt einer Gedächtnisgeschichte und der Entzifferung einer Gedächtnisspur siehe auch ASSMANN, Moses der Ägypter, 26–37. Vgl. hierzu etwa THOMPSON, Reception Theory, 248–272.

Vorüberlegungen

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dikalen Historizitätsprüfung unterzogen, um es auf Fiktion und Wirklichkeit hin zu untersuchen. Die historisch–kritische Legendenforschung versucht Erinnerungsspuren hagiographischer Motive topographisch (z.B. Ort des Todes eines Heiligen) und chronologisch (z.B. Datum der Beisetzung) zu verorten, um sie dadurch kritisierbar zu machen.1 Wenn im Folgenden Texte der ägyptischen Wüstenväter, Heiligenviten der Patristik und des Mittelalters geöffnet werden, dann müssen auch diese Texte, soweit möglich, topographisch und chronologisch verankert sowie historisch–kritisch hinterfragt werden. Nachdem die Gattung der Legende aber zwischen Geschichte und Dichtung steht, ist eine strikte Scheidung zwischen vermeintlich reinen historischen Fakten und unhistorischen literarischen Interpretamenten weder durchführbar noch wünschenswert. Zielvorgabe ist nicht die radikale Dekonstruktion der Textstücke sondern ihre kritisch–hermeneutische Lesart. 2 (2) Ein besonderes Augenmerk muss auf der form– und motivgeschichtlichen Strukturanalyse sowie Funktionsbestimmung liegen: Das latro–eremita–Motiv begegnet in Textstücken, die mit legenda, vita, acta, gesta, conversio, exemplum, miracula etc. überschrieben sind; es findet sich aber auch auf Altarbildern, in illustrierten Handschriften und Theaterstücken der spätmittelalterlichen Stadtkultur wieder. Nur durch eine Strukturanalyse, welche Stoffe und Motive, Namen und Rollen, Ideen und Konzepte, Erzähl– und Bildkomplexe sowie Funktionen so präzise als möglich entfaltet, kann das latro–eremita–Motiv kontextuell buchstabiert und gelesen werden.3 (3) Die analysierten Texte müssen diskurs– und sozialgeschichtlich eingeordnet werden: Hagiographische und theologische Texte sind Bestandteile einer Debatte, die durch Verkettung von Texten entstanden ist. Dieser intertextuelle Diskurs schwebt aber nicht im freien Raum sondern er hat einen konkreten Sitz im Leben. Einzelne Wissensgehalte müssen daher im Rahmen einer Wissensanalyse interpretiert werden, die soziologische Fragen stellt und zur Macht– und Genderanalyse fortschreitet. Unbeschadet der Wahrheitsfrage, welcher Wissensgehalte ausgesetzt werden müssen, sind Wissenskomplexe immer auch eine gesellschaftliche Konstruktion, die in hohem Maße von (zum Teil verdeckten) Interessen geleitet wird. Es gilt daher, die im Hintergrund bleibenden Intentionen und Standorte von Autoren auszuleuchten; oder aufzudecken, was in Texten verschwiegen, ausgeblendet oder her1 2

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Für eine Zusammenfassung (mit weiterführender Literatur in den Fußnoten) vgl. DORN, Der sündige Heilige, 12–14. Siehe hierzu GÜNTHER, Hagiographie und Wissenschaft, 43–88 und DORN, Der sündige Heilige, 13–14. Eine Hermeneutik der eremitischen Literatur klagt auch BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 3–23 ein. Zur Rolle der Ikonologie und –graphie in einer ganzheitlichen, nicht ausschließlich textzentrierten Theologie siehe STOCK, Bilder als Quelle der Theologie, 185–199. Zum Zusammenhang von Legende, Kult, Kunst und Spiritualität (in Bezug auf die Außenseiterfigur des Sünden–Heiligen) siehe DORN, Der sündige Heilige, hier besonders 9–10 und 15–18.

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Einführung

unter gespielt wird.1 Beim latro–eremita–Motiv ist zudem die Genderfrage unverzichtbar: Das latro–Prädikat kann in antiken und mittelalterlichen Texten ausschließlich Männern, nicht aber Frauen, zugeschrieben werden – ein Befund, der eingehend zu diskutieren ist.2 (4) Das latro–eremita–Motiv lässt sich zweifellos mit großem Gewinn rein literatur–, kultur– oder sozialgeschichtlich erforschen. Weil das Motiv in patristischen und mittelalterlichen Originaltexten aber unter einem theologischen und spirituellen Geltungsanspruch erscheint – es versucht die anthropo–theologische Dimension des Menschen als ein Wesen der Freiheit und Transzendentalität im offenen Horizont der Eschatologie anschaulich zu machen – soll in dieser Studie die theologie– und spiritualitätsgeschichtliche Perspektive im Mittelpunkt stehen – mit den Methoden, Zugängen und Begriffen einer Theologie der Spiritualität, Spiritualitäts–, Theologie– und Kirchengeschichte.3 Mit der Nennung dieser regulativen Leitideen ist zugleich eine Problematik des folgenden Projekts angedeutet: Eine erschöpfende, multiperspektivische Darstellung der Geschichte des latro–eremita–Motivs überschreitet den Rahmen einer Monographie; als Ergebnis wird man lediglich einen Überblick anhand ausgewählter Beispiele erwarten dürfen. Trotz dieser Einschränkung scheint ein motiv– und spiritualitätsgeschichtlicher Beitrag zur eremitisch–monastischen Theologie und zur Anthropologie des Mittelalters mittels der beiden Außenseiter latro und eremita ein Gewinn bringendes Unterfangen zu sein. Die folgende Reflexion sei als Erinnerungsarbeit verstanden, die ein bisher eher verdecktes Motiv der Spiritualitätsgeschichte ausdrücklich ins Blickfeld rücken möchte. Dazu sind folgende Arbeitsschritte erforderlich: In einem ersten Schritt ist der komplexe latro–Begriff in altorientalischer Zeit und während der hellenistisch– römischen Antike zu entwickeln, seine theologische Relevanz im jüdisch–christlichen Horizont aufzudecken und mit der Figur des Eremiten zu verknüpfen. Darauf muss die Motivkoppelung latro–eremita in mehreren Teilschritten bis zum Ausgang des Mittelalters exemplarisch nachverfolgt werden.

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Siehe hierzu TILLEY, Reading Material Culture, 290–304. Die Berücksichtigung der Gender–Perspektive in der Spiritualitätsgeschichte hat JANTZEN, Feminismus, Philosophie und Mystik, 72–90 angemahnt. Für die Mediävistik siehe die methodologischen Diskussionen und Demonstrationen am konkreten Material von WALKER BYNUM, Fragmentierung und Erlösung (mit reichem Literaturhinweisen); für den Anachoretismus im Speziellen vgl. MCAVOY, Wombs and Tombs. Zur Rolle der Spiritualitätsgeschichte innerhalb einer Theologie der Spiritualität siehe besonders MCGINN, The Letter and the Spirit, 1–10. Zur Methodik einer Theologie der Spiritualität vgl. auch SCHNEIDER, Spirituality as an Academic Discipline, 10–15; WEISMAYER, Leben in Fülle und WAAIJMAN, Towards a Phenomenological Definition, 5–57.

0.3

Vorüberlegung zu Worten und Begriffen

In dieser Studie wird das lateinische Wort latro – und davon abgeleitete Ausdrücke wie „latrologisch“ oder „Latrologie“ – ganz unbefangen zum Einsatz kommen. Weshalb? Latro entspricht nicht, wie oben angedeutet wurde und unten im Detail aufzuweisen ist, dem Deutschen Wort „Räuber“. Der latro gehört vielmehr zu den Personen, welche die limitischen Außenkonturen und/oder limitischen Binnenstrukturen eines sozialen Systems auf so massive Weise überschreiten, dass sie vom System eigens thematisiert werden – im Falle des latro–Ausdrucks mit pejorativen oder traumatischen Tönen. Man könnte zwar latro annäherungsweise mit outlaw1 übersetzen, hätte damit aber wenig gewonnen. Die Beibehaltung des lateinischen anstelle eines englischen Ausdrucks hat hingegen mehrere Vorteile: Latro besticht erstens durch seine Textnähe, denn der Ausdruck ist den zu untersuchenden Texten direkt entnommen und vermeidet die Gefahr, schon mit einem Vorurteil an die Erstlektüre der Texte heranzutreten. Zweitens ist der latro–Ausdruck durch eine gewisse Offenheit gekennzeichnet: Er denotiert, dass jemand von jemandem als illegitimer Überschreiter angesehen wird, wobei offen bleibt, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist und der Wirklichkeit entspricht. Eine als latro titulierte Person oder Gruppe kann den Ausdruck jederzeit zurückspiegeln und dem Sender des Ausdrucks zu verstehen geben, dass in Wirklichkeit er der eigentliche latro ist, der den vorgetragenen latro–Vorwurf nur als Ablenkungsmanöver vom eigenen latro– Status einsetzt.2 Von daher wird klar, in welchem Sinne in dieser Studie auch die Person Christi, des Elija oder Franziskus etc. als latro bezeichnet werden wird: in dem offenen Sinne, dass jemand jemanden als Transgressor inkriminiert. Damit kommt freilich schon der Nachteil und die innere Problematik des latro–Ausdrucks zum Vorschein: Wenn latro beinahe nur noch „Transgressor“ aussagt und sowohl auf Heilige wie Verbrecher anwendbar ist, dann nähert sich der Terminus in gefährlicher Weise der inflationären Verwendbarkeit und/oder Äquivokation. Der latro–Ausdruck muss als in

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Im Englischen schwankt die Nomenklatur zwischen bandit, rebel, outlaw, criminal, violent man und robber – je nach Persönlichkeitsprofil. Vgl. hierzu die Studie von HOBSBAWM, Bandits. (Zur Kritik des hobsbawm'schen Ansatzes siehe O’MALLEY, Social Bandits, 489–501). Für das lêstês–Äquivalent barjone = Zelot notiert auch HENGEL, Die Zeloten, 55: „Das englische 'outcast' oder 'outlaw' würde wohl am ehesten den Sinn dieses Begriffes wiedergeben“. Der für den deutschen Sprachraum wohl umfassendste Beitrag von GRÜNEWALD, Räuber, Rebellen, Rivalen, Rächer schlägt vor, den latro–Begriff gemäß den vier im Titel angeführten alliterativen Bestimmungen auszudifferenzieren. Von M. de UNAMUNO ist das geflügelte Wort „no es raro encontrarse con ladrones que predican contra el robo, para que los demás no les hagan la competencia“ im Umlauf, das die innere Dialektik des latro–Begriffs trefflich zur Sprache bringt.

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Einführung

hohem Maße instabil gelten – als Ausdruck, der seinen Sinngehalt in erster Linie vom Kontext her gewinnt. In dieser Studie werden des Weiteren Begriffe wie „limitische Kontur“ oder „limitische Struktur“ sowie die Ausdrücke „(trans–)limitisch“ und „(Trans–)liminalität“ oder „(Trans–)limitik“, nebst „Exklusion“ und „Inklusion“ zum Einsatz kommen. Mit diesen Ausdrücken wird die Außengrenze oder sensible Binnenstruktur eines sozialen Systems – sei es Israels, der Kirche, der mittelalterlichen christianitas, eines Landes, einer Stadt oder eines Ordens – bezeichnet, sowie die Phänomene (Krisen, Muster, Rollen, Dynamiken etc.), die am jeweiligen limes auftreten. Obige Begriffe sind durch die (religions–)soziologische Forschung hochgradig vorgeprägt: Sie verweisen auf die Systemtheorie von LUHMANN, die symbolische Soziologie des Rituals von GENNEP und TURNER, die Theorie der Ethnogenese von MÜHLMANN sowie auf die Gedächtnisgeschichte von ASSMANN.1 Eine Verbindung zu diesen Denkern und ihren Theorien ist ausdrücklich gewollt; gleichzeitig sei betont, dass die Verwendung dieser Ausdrücke in dieser Studie keine Übernahme der Gesamttheorie des jeweiligen Denkers oder tatsächlichen Anschluss impliziert. Was auf den ersten Blick als ein Nachteil erscheinen mag – eine Übernahme von Begriffen ohne deren systematischen Kontext und Präzision – könnte sich dennoch als Chance erweisen, wenn es gelänge, mit ihrer Hilfe verdrängte Aspekte der Spiritualitätsgeschichte neu ins Bewusstsein zu rücken, was das Hauptziel dieser Studie darstellt. Eine weitere Begriffs– oder Wortgruppe, die massive Probleme bereitet, ist „anachoretisch“, „eremitisch“, „monastisch“ etc.2 Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass die klare Denotation der ursprünglichen Ausdrücke in der Geschichte durch Konnotationen überlagert wurde, die im jeweiligen Ausdruck selbst schon angelegt sind und daher nicht einfach beseitigt werden können: „Eremitisch“ bezog sich ursprünglich auf die Wüsten–Existenz der Wüsten–Väter und Wüsten–Mütter Ägyptens. Allerdings war schnell klar, dass eine eremitische Existenz nicht auf die ägyptische Wüste begrenzt ist, sondern auch in der „Wüste“ des grünen Waldes oder einer Insel, ja sogar in der „Wüste“ der Stadt oder des eigenen Herzens, zumindest in einem abgeleiteten Sinn gelebt werden kann. Zudem ist die Wüste keine ausschließlich topographische sondern vor allem eine heilsgeschichtliche und spirituelle Größe. Eine Reduktion des Begriffes auf die ägyptische Wüste ist also völlig unangebracht.3 Ähnliches gilt für „anachoretisch“: 1

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Vgl. MÜHLMANN, Ethnogonie und Ethnogenese, besonders 19–20; ASSMAN, Das kulturelle Gedächtnis und Moses der Ägypter, besonders 26–37; LUHMANN, Inklusion und Exklusion, 234– 267; TURNER, Betwixt and Between und Das Ritual; GENNEP, Übergangsriten. Für die wichtigsten Hintergrundinformationen siehe KITTEL, Erêmos, 654–657; HENNE, Documents et travaux sur l’anachoresis, 59–66; LECLERQ, Eremus et Eremita, 8–30 und ADAM, Grundbegriffe des Mönchtums, 209–239. Ein eindringliches Wüstenportrait zeichnet GUILLAUMONT, La conception du désert, 3–21 und An der Wurzel, 80–89. Wertvolle Hinweise geben LECLERCQ, Eremus et Eremita, 9–13; 16; 22– 23 und MILLER, Weisung der Väter, 547–458. Zur spätjüdischen Wüstenspiritualität vgl. HENGEL, Die Zeloten, 255–261. Auch in der heutigen Spiritualitätsbewegung ist die Faszination der

Vorüberlegungen

19

Das umgangssprachliche Wort für einen Rückzug im weitesten Sinnen avancierte zum terminus technicus des solitarischen bis koinobitischen Lebens in der ägyptischen Wüste.1 Im mittelalterlichen England bezieht sich hingegen die Vokabel anchoritic beinahe ausschließlich auf die besondere Form des „eingeschlossenen Lebens“ im reclusorium (engl. anchorhold), die durch besondere Symbole und Riten getragen wird2, während im modernen Englischen wieder eine Begriffsweitung im Gange ist und der Ausdruck so beinahe auf jede Form der Transliminalität anwendbar wird. Eine Begriffsklärung steht vor der schwierigen Aufgabe, den Zusammenhang der Begriffe einerseits und ihre Differenz andererseits in ein ausgewogenes Zueinander zu bringen. Unter manchen gleichberechtigten Möglichkeiten sei für diese Studie folgende pragmatische Sprachregelung getroffen: (1) „Anachoretisch“ soll im Folgenden die religiös motivierte, translimitisch– eschatologische Existenz in ihrer Grundstellung und Gesamtheit bezeichnen, noch bevor sie in verschiedenen Unterformen spezifiziert oder ausdifferenziert ist. Dazu gehört also in unterschiedlichen Graden einer Trennung von der Welt sowohl der Eremit, Mönch/Nonne, Stylit, Rekluse und Wanderasket wie die geweihte Jungfrau, der Mendikant und sogar die Beghine. (2) „Eremitisch“ referiert auf die solitäre Form des anachoretischen Lebens, bei der das einsame Sitzen im kellion deutlich im Vordergrund steht, unabhängig davon, ob die „existentielle Wüste“ in einer topographischen Wüste vollzogen wird oder nicht. Eremitisch im strikten Sinne lebt also ein Einsiedler (in seinen verschiedenen Unterformen des kellion– oder laura–Bewohners, Wandereremiten, Reklusen oder Styliten)3, während sich bei den anderen oben erwähnten Lebensformen – vom Mönch über den Mendikanten bis hin zur Beghine – mehr oder minder deutliche „(semi–)eremitische Aspekte“ zeigen können.4 (3) Als „koinobitisch“ oder „monastisch“ bezeichnen wir die religiös–translimitische Existenz, bei der die anachoretische Kontra–Position zur Welt ausdrücklich und

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Wüste ungebrochen: vgl. etwa MESSNER, Die Wüste in mir und GRESHAKE, Spiritualität der Wüste. Eine grundlegende Reflexion und Differenzierung des Begriffs anachoresis bieten BURTON– CHRISTIE, The Word in the Desert, 40–43 und GUILLAUMONT, An der Wurzel, 60–62. BUNGE, Anachoresis, 25–38 beleuchtet Aspekte, die für die Rezeption in der lateinischen Kirche wichtig geworden sind. Während CLAY, Hermits and Anchorites die überwiegend männlichen „hermits“, die nur wenig reguliert waren und einen beträchtlichen Freiheitsradius besaßen, sowie überwiegend weibliche „anachorites/anchoresses“ untersucht, konzentriert sich DARWIN, English Medieval Recluse auf strikt reklusorisch lebende AnachoretInnen. Vgl. hierzu die Definition des Eremitentums von FRANK, Einsiedler, 557 mit den beiden wesentlichen Aspekten einer „Lösung aus den sozialen Bindungen“ und „Alleinleben abseits menschlicher Siedlungen“. Auf die Querverbindungen von urbanem Reklusentum mit Beghinentum weist besonders SENSI, Reclusione in Italia, 1235–1242 und Women's Recluse Movement, 319–345 hin.

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Einführung konsequent als Gemeinschaftsleben im koinobion oder monasterion ausgestaltet ist.1

Ein letzter Ausdruck, dessen Verwendung hier kurz problematisiert werden muss, ist „Welt“. Wenn oben das anachoretische Leben als ein „Leben außerhalb der Welt in der Welt“ bestimmt wurde, dann wird die Notwendigkeit einer Begriffsklärung unmittelbar einsichtig: „Welt“ meint im biblisch–johanneischen Sprachgebrauch nicht die Schöpfungswirklichkeit (oder das Existential des Menschen als „Geist in der Welt“) an sich, sondern nur, insofern ihr eine Gravitationskraft inne wohnt, durch die sie von Gott wegstürzt und sich in sich selbst verschließt. Der Imperativ zum „Übersteigen der Welt“ referiert also auf den Umstand, dass selbst die gute Welt in ihrer Gesamtheit qua ihrer Endlichkeit nicht mit dem identisch sein kann, wofür Gott den Menschen vorherbestimmt hat. Der Imperativ der renuntiatio saeculi ruft in Erinnerung, dass es nach dem Sündenfall kein ungebrochenes und naives Weltverhältnis mehr geben kann. Dass eine solche Abgrenzung von der Welt nur innerhalb der Welt möglich ist, zeigt, dass es gerade nicht um einen metaphysischen Dualismus geht, sondern um einen konkreten heilsgeschichtlichen Entscheidungsdualismus, der aus der auf den Horizont der Eschatologie hin ausgespannten Transzendentalität des Menschen resultiert.2 Es gehört zu den bedauerlichen Engführungen der Theologiegeschichte, dass manche Entwürfe diese geschichtstheologische Dialektik plump umgebogen haben und die gerade skizzierte Brechung des Welt–Begriffes innerhalb einer Geschichtstheologie nicht berücksichtigten. Der richtig verstandene Imperativ der renuntiatio saeculi ist gleichwohl unverzichtbar und weist übrigens auf einen ökumenischen Konsens hin: Auch nach Luther beginnt die rechte Theologie mit der Fundamentaldistinktion zwischen Welt und Gott. Diese vorläufigen Sprachregelungen mögen genügen, um an einem Ariadne–Faden das folgende windungsreiche gedächtnisgeschichtliche Labyrinth des latro–eremita– Motivs schadlos durchmessen zu können.

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Die Verwurzelung der monastischen Lebensform in der Anachorese betont SCHLOSSER, Solus cum Solo, 190: Man habe sich daran gewöhnt „'monastisches' Leben primär als kommunitäres Leben ... zu sehen. Demgegenüber schien das Bewusstsein, dass die ersten 'Mönche' Einsiedler waren, bzw. in semieremitischen Einsiedlerkolonien (Lauren) lebten, in den Hintergrund getreten – und dies, obwohl alle klassischen Orden, in denen etwa die Lektüre Johannes Cassians obligatorisch war, in ihrer Spiritualität unleugbar auch von jenen Anfängen her geprägt sind“. Die Formel von GRIBOMONT, Eremitismo, 1225, die Koinobien wären zunächst die „institutionalisierte Form des einsamen Lebens“ gewesen, scheint daher zu simpel. Siehe hierzu GNILKA, Theologie des Neuen Testaments, 239–243: kosmos kommt im johanneischen Schrifttum 100mal, in den Protopaulinen 37mal, bei Mk und Lk/Apg hingegen nur 3mal vor. Tendenziell überwiegen positive kosmos–Aussagen im ersten Teil von Joh, negative im zweiten Teil; wobei auch dann positive und negative Aussagen innerhalb eines Abschnitts meist gegeneinander gesetzt sind – etwa Joh 17,9 vs. 17,21.

1. Bausteine einer latrologischen Transliminalität in der Antike

1.1.

Raub und Diebstahl in Israel

1.1.1. Gerechtigkeit, Gesellschaft und Raub Altorientalische Kulturen kennen kein Recht im Sinne eines funktional ausdifferenzierten Teilsystems.1 Auch wenn altorientalische normative Texte von formativen Texten als eine eigenständige Größe abgehoben werden können und man ein gewisses Eigenprofil der Rechtsprechung und –pflege in diesen Kulturen zeichnen kann, so ist dennoch das Phänomen der Gerechtigkeit fest in den kulturellen Gesamtsinn eingebettet, wo sich Moral, Recht, Politik, Kultur und Religion intensiv durchdringen.2 Die Leitidee der Gerechtigkeit, die man in Mesopotamien, Ägypten oder Israel mit einer je eigenen Akzentsetzung findet, wurde von der modernen Forschung treffend „konnektive Gerechtigkeit“ (iustitia connectiva)3 genannt, und meint den umfassenden Sinnhorizont, in dem einzelne Handlungen durch Aneinanderfügung, Verkettung, Verzahnung und reziprok–kohärente Verschränkung zu einem Füreinander–Handeln verbunden sind. Iustitia connectiva impliziert sowohl eine horizontal–soziale Verbindlichkeit der Menschen untereinander (in der Moderne meist mit der Vokabel „Solidarität“ zum Ausdruck gebracht), als auch eine vertikale Verbindlichkeit im Sinne von Verantwortlichkeit, Haf1 2

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Vgl. BARALDI/CORSI/ESPOSITO, GLU, 147–150. Zu den archaischen Ursprüngen vgl. WESEL, Frühformen des Rechts. Für die altorientalische Nicht–Ausdifferenziertheit siehe die Einschätzung von ASSMANN, Ma'at, 18, in diesen Kulturen liege noch „ungeschieden beieinander, was später in Staats–, Moral–, Naturphilosophie und Theologie auseinander treten“ werde. Wichtige Hinweise zur iustitia connectiva fassen ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 229–236 und Ma'at, 58–91 zusammen. Dort weitere Hintergrund– und Literaturangaben, nebst zahlreichen Textbeispielen und Interpretationen.

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Bausteine der Antike

tung und Vergeltung. Dieses Handlungsgefüge der konnektiven Gerechtigkeit steht auch hinter dem in der alttestamentlichen Exegese so oft beschworenen Tun–Ergehens– Zusammenhang, der nicht so sehr als Kausalnexus, sondern eher als ein durch Vergeltung einzulösendes Postulat zu verstehen ist.1 Auch wenn die Ausgestaltung dieser grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellung (die hier lediglich skizziert wurde) im Detail bei den einzelnen altorientalischen Kulturen unterschiedlich ist, so stehen das sumerische Wort me, der ägyptische Term ma'at und der hebräische Ausdruck ṣedāqāh, die man annäherungsweise mit „Gerechtigkeit/Weisheit“ übersetzen kann, für eine erstaunlich ähnliche Grundauffassung.2 Die erwähnte Gerechtigkeitsidee wird in allen orientalischen Kulturen auf vier Ebenen durchkonjugiert: (1) im Bereich der Moral als immanente Providenz, nach dem Motto „Gutes lohnt sich, Schlechtes rächt sich“ oder „man erntet, was man sät“, (2) im Bereich des Rechts als ein Füreinander–Handeln und als Talionsrecht nach der Formel „Aug' um Aug' und Zahn um Zahn“, (3) in der Politik als staatlich garantiertes, verlässliches Ordnungsgefüge jenseits von Willkür und Anarchie, (4) in der Religion als Normengebilde, das im göttlichen Willen wurzelt.3 Zusammenfassend könnte man sagen, die Rechtsdimension sei gleichsam das Immunsystem des Sozialkörpers. Die normativen Strukturen bilden sozusagen die Interaktionskanäle, durch die der identitätssichernde Sinn fließt und zirkuliert. Funktioniert dieses Immunsystem, dann bilden sich stabile Formationen aus: die limitische Kontur und die limitischen Binnenstrukturen, welche die Integrations– und Distinktionskraft der Gesellschaft gewährleisten.4 Es entwickelt sich ein befriedeter Sozialraum. Oder mit alttestamentlichen Worten ganz konkret ausgedrückt: Gerechtigkeit/Weisheit (ṣedāqāh) bewirkt Frieden/Segen (šālōm). Auf diesem Hintergrund lässt sich nun ohne größere Probleme eine Definition der „Missetat“ im Allgemeinen und des „Raubes“ im Besonderen formulieren: Missetat, Raub, Diebstahl etc. sind ein Akt der Habgier, der Selbstvermehrung auf Kosten des Gemeinsinns (sensus communis), ein egoistisches Durchbrechen der iustitia connectiva oder eine massive Verletzung limitischer Konturen und Strukturen.5 Oder um nochmals auf das Bild des Immunsystems zurückzu1 2

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Vgl. etwa KOCH, Gab es ein Vergeltungsdogma?, 1–42; zum größeren Kontext siehe auch KELSEN, Vergeltung und Kausalität. Den Gesamthorizont altorientalischer Weisheit als praktisches Lebenswissen lotet ZENGER, Eigenart und Bedeutung der Weisheit Israels, 291–297 aus; dort weitere Hinweise und Literaturangaben. Siehe ASSMANN, Das kulturelles Gedächtnis, 223–224. Zum Bild des Immunsystems vgl. die Hinweise bei ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 140– 141 und BARALDI/CORSI/ESPOSITO, GLU, 150. Zur Relevanz dieser Definition im altorientalischen Bereich vgl. ASSMANN, Ma'at, 87–91 und ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 140–141 und SAN NICOLÒ, Diebstahl, 212–215. Obwohl kulturgeschichtlich in einem anderen Raum beheimatet, lässt sich auch die germanische Rechts-

Raub und Diebstahl

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kommen: Den Räuber und Täter massiven Unrechts könnte man sich als Krebszelle oder Parasiten im Sozialkörper vorstellen – eine übrigens nicht ungefährliche Metaphorik der Pathologie, die bis heute in politischen Texten Konjunktur hat. Insofern die iustitia connectiva im göttlichen Willen wurzelt, ist eine Untat nicht nur eine soziale Verfehlung, also Schuld, sondern als Angriff auf das von (einem) Gott gegebene Gesetz auch religiös bedeutsam, und daher Sünde – eine Dimension, die vor allem für das jüdische Gesetzesverständnis prägend ist. Für die weitere Reflexion, die einem jüdisch– christlichen Motiv gilt, können wir uns ganz auf das Alte Testament und die hebräische Onomastik des Raubes beschränken.1 Das biblische Hebräisch hält für den illegitimen Einbruch in die Sphäre einer anderen Person präzise Vokabeln bereit: das Verb #rp= pāraṣ im Sinne von „gewaltsam die limitische Kontur/Struktur durchbrechen“ und das Verb bhg = gānaḇ mit der Bedeutung „heimlich stehlen, entwenden, berauben, auf die Seite schaffen“.2 Die gleichsam juristische Vokabel gānaḇ begegnet in den beiden Fassungen der Zehn Gebote und auch sonst in der Tora zahlreich (vgl. Ex 20,15; Dtn 5,19). Es ist klar, dass eine derart handfeste Störung der iustitia connectiva wieder ins Lot gebracht werden muss: durch Strafe, Sühne, Wiedergutmachung, Vergeltung etc. Die einzelnen Strafbestimmungen und Kompensationsleistungen des alttestamentlichen Rechts brauchen uns nicht im Detail zu interessieren; hier nur ein paar Beispiele zur Veranschaulichung: Bei Viehdiebstahl ist neben der Rückgabe des Viehs auch Schadensersatz notwendig; sollte das Tier zu Tode gekommen sein, gibt es vierfache Kompensation (Ex 22,1); die Veruntreuung von Wertgegenständen muss doppelt restituiert werden (Ex 22,7.12). Interessant ist das gravierende Strafmaß beim Menschenraub: Nach Dtn 24,7 und Ex 21,16 ist mit dem Tode zu bestrafen, wer wagt, ein Mitglied des Bundesvolkes Israel zu rauben und in die Sklaverei zu verkaufen. Ein anderes Verb, nämlich lzg = gāzal im Sinne von „berauben, an sich reißen, wegnehmen, entziehen“3, hat deutlich sozialkritische Obertöne. Es meint insbesondere das Berauben und Ausbeuten von armen Mitbürgern und Volksgenossen, die ins Hintertreffen geraten sind und sich daher kaum wehren können. Die genannten Wortwurzeln und ihre Derivate – nebst weiterem Vokabular, das hier nicht eigens besprochen werden kann – beziehen sich vor allem auf Verletzungen limi-

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auffassung hier dastellen; zur missitat, die als vridebruch die iustitia connectiva verletzt, vgl. PLANITZ, Deutsche Rechtgeschichte, 60–65. Zum Diebstahl und Raub im AT vgl. HORST, Diebstahl, 167–175. Siehe CONRAD, paras, 763–769 für das „asoziale sich Ausbreiten jenseits der limitischen Grenze des Anderen“; 770 für die Substantivierung pārîṣ als Person des „räuberischen Verbrechers“. Weiterführende Überlegungen bei HARLAND, Robber or violent man?, 530–534. HAMP, ganab, 41–47 beleuchtet die hebräische Vokabel, die auch im Dekalog erscheint, auf dem Hintergund des altorientalischen Rechts, geht auf habituellen und aktuellen Raub ein, und diskutiert das Problem des Sach– und Personenraubs ausgiebig in 44–46; dort weitere zahlreiche Hinweise und Literaturangaben. Siehe hierzu SCHÜPPHAUS, gāzal, 999–1001. Das Wort und seine Derivate begegnen insbesondere in prophetischen und weisheitlichen Texten.

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tischer Strukturen innerhalb des gesellschaftlichen Binnenraumes, nicht so sehr auf die Beraubung von im Außenraum beheimateten Fremdvölkern oder eine Beraubung durch sie. Dieser Befund spiegelt sich auch im eigentümlichen Selbstverständnis archaischer Gesellschaften wider: Man ist sich zuerst einmal selbst der Nächste und versteht sich daher schlichtweg als der Mensch – ein Prädikat, das dem Fremden als Angehöriger einer Gruppe jenseits der limitischen Außenkontur der eigenen Sozietät nicht in jedem Falle zugesprochen werden muss.1 Archaische Gesellschaften waren nicht durchgängig fremdenfeindlich und haben Fremde auch nicht eo ipso als Untermenschen und Freiwild aufgefasst, sondern sie stets als Anwärter auf Gastfreundschaft oder als mögliche Bündnispartner wahrgenommen. Zunächst aber plädierte die Grundmaxime archaischer Außenpolitik dafür, die Fremden „draußen“ und „drunten“ zu halten – also jenseits und unterhalb der eigenen limitischen Außenkontur.2 Gelang es nicht, ein Aufeinandertreffen an der limitischen Kontur durch Bündnisse, Verträge, Heiratspolitik, Gastrecht, Vasallität etc. aufzufangen und ins Konstruktive zu wenden, so brach offene Gewalt aus, bei der es zu Raub in der Form von Plünderung kam. Hebräische Verben wie ‫= בזז‬ bāzaz, ddv = šāḏaḏ und hsv = šāsāh stehen für ein derartiges „plündern, rauben, als Beute nehmen, gewalttätig sein, auseinander nehmen“; zb = bāz meint die Beute an Mensch, Tier oder Wertsachen, die der Sieger mit sich wegführt; dv = šoḏ bezeichnet den Vorgang und das Endergebnis einer „Plünderung“ und „Zerstörung“ im Rahmen eines kriegerischen Konflikts.3 Genannte Begriffe gehören also nicht wirklich in den Raum der Binnenethik, sondern eher in das Feld der Außenpolitik. Der Diebstahl im Binnenraum der Gesellschaft ist untersagt und wird geahndet; die Plünderung von Fremdvölkern ist hingegen ein unter bestimmten Umständen völlig legitimes politisches Mittel und wird gleichsam als ein Notwehrakt zum Schutz der limitischen Kontur aufgefasst. 1 2

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Details hierzu bei ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 135–138. Aus diesem Grund differenzierte man in Israel strikt zwischen einem den Binnenraum lediglich durchquerenden Ausländer, der auf Gastrechte Anspruch hat, und einem extrem problematischen fremdländischen Neusiedler, der im Binnenraum dauerhaft verweilt und als Gefahr der Identität wahrgenommen wird; vgl. hierzu FASCHER, Fremder, 309–314. Die aggressive Version des „Draußen halten und unterwerfen“ im Rahmen der ägyptischen Königs– und Kriegstheologie demonstriert ASSMANN, Herrschaft und Heil, 93–97. RINGGREN, bazaz, 585–588 entfaltet die Etymologie dieses ersten Verbs für „erbeuten“ und veranschaulicht die Beutepraxis vor dem Hintergrund des Kriegsgesetzes: Wehrfähige Männer werden getötet; feste Behausungen zerstört; Gegenstände wie Frauen, Kinder, Vieh und Sachen mitgenommen. Das Wort kommt innerhalb von prophetischen Texten sowohl in Gerichts– wie Heilsorakeln vor und steht also für eine „dialektische“ Geschichtstheologie zu Verfügung. FREEDMAN/WELCH, šadad, 1072–1078 bespricht die alternative Beute–Vokabel und zeigt, dass die Hälfte der Stellenbelege auf Jer entfallen. MOMMER, šasah, 345–348 bespricht die dritte Beute–Vokabel und differenziert dabei zwischen einer frühen Verwendung im davidisch– salomonischen Kontext, einer späteren „dialektischen“ in prophetischen Texten, und schließlich einem dtr. Wortgebrauch.

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Die Beispiele im Alten Testament sind Legion; einige Hinweise aus der Frühgeschichte Israels genügen vollauf: Abimelech, Jephta, Eljada und David führen Plünderungstrupps gegen Fremdstämme an (Ri 9,4 und 11,3; 1Kön 11,24; 1 Sam 22,2; 27,1; 23,14 und 24,1; 2 Sam 3,22). Die Praxis des Karawanenraubs wird in Gen 16,12; 1 Sam 30,1; 2 Chr 22,1; Hi 1,15 bezeugt. Bei sozialen Notlagen in Israel greift man regelmäßig zur Selbsthilfe durch Beraubung von Fremdvölkern (Am 2,6; 4,1; 5,11 und 8,4; Jes 3,14 und 5,8; Hos 7,5 und 6,9).1 Der Erfolg solcher Plünderungszüge ist in besonderem Maße dem Willen Gottes unterstellt: Der glückliche Ausgang ist Zeichen seiner Hilfe, Unterstützung, Huld und Gnade. Von daher versteht sich auch der Versuch, sich Gottes vor dem Unternehmen rituell zu vergewissern, und in Seinem Namen sowie unter Seinem Banner einen „Heiligen Krieg“ zu führen.2

1.1.2. Israel und die Fremdvölker – eine Pädagogik des Raubes Der Gottesglaube des kleinen Israel wuchs nicht in einer Matrix der primären Religion heran, in der Kultur, Politik und Religion fast ungeschieden miteinander verschränkt blieben, wie das in Mesopotamien und Ägypten weitestgehend der Fall war.3 Das Gottesvolk Israel konnte sich in seiner Geschichte gerade nicht durch einen Rekurs auf politische Erfolge oder kulturelle Dominanz in seinem Glauben rückversichern. Diese mögliche Stütze von Religion wurde Israel besonders in vier Traumata von „Beraubungen“ aus der Hand geschlagen: (1) im assyrischen Raub, der das Nordreich auslöschte (722 v. Chr.), (2) in der traumatischen Beraubung durch die Babylonier, mit Tempelzerstörung und Deportation der jüdischen Führungsschicht (587–537 v. Chr.), (3) in einer politisch–kulturellen Beraubung Israels zur hellenistischen Zeit, insbesondere während der sogenannten Makkabäer–Periode, (4) in der Beraubung durch die Römische Okkupation, die in der Zerstörung des zweiten Tempel gipfelte (70 n. Chr.)4 . Kulturell überstehen und religiös verkraften konnten die Israeliten diese Traumata nur durch die grundlegenden Erinnerungsfiguren ihres Glaubensschatzes, die ihnen erlaubten, die ungeheuerlichen Ereignisse einzuordnen und zu verstehen – an erster Stelle die Erinnerungsfigur des Exodus, des Auszugs des erwählten Volkes aus Ägypten unter der 1 2 3

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Reiches Material hierzu bietet HENGEL, Die Zeloten, 28–31 mit Belegen in den Fußnoten. Zum „Heiligen Krieg“ vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 2, 893–895 und HENGEL, Die Zeloten, 277–279, mit weiteren reichen Literaturangaben und Hinweisen. Vgl. hierzu SUNDERMEIER, Religion, Religionen, 411–423, hier besonders 417–418; zur Differenz von primärer und sekundärer Religion siehe auch ASSMANN, Ma'at, 18–20, zur Diskussion um die Achsenzeit (JASPERS) und kosmologische Kompaktheit (VOEGELIN) 24–39. Ähnlich bei ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 200, der eine Liste mit sechs Krisen der kulturellen Entwicklung Israels aufstellt.

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Führung von Mose; oder um es gleich für unser Thema zuzuspitzen: des Auszugs der Religion aus der Kultur und die Errichtung der „mosaischen Unterscheidung“ zwischen Kultur und Religion.1 Dem Gottesvolk Israel ging also im Laufe seiner Geschichte explizit auf, was in der Sinaioffenbarung schon enthalten war: Religion als Religion, deren eigentlicher Referenzpunkt nicht in kulturellen Zeichen wie Sprache, rassischer Zugehörigkeit, Territorium, politischer Erfolg etc. liegen2, sondern nur im von Gott gestifteten Bund mit seinem von Ihm erwählten Volk begründet sein konnte – ein Bündnisvertrag, mit dem Gott sich aus seiner Souveränität heraus an sein Volk band, aber auch das Volk radikal auf sich verpflichtete.3 Von dieser Bundesverpflichtung her haben die (nach–)exilischen Propheten geradezu eine „Theologie der Beraubung“4 entwickelt, die hier zwar nicht in ihrer Breite analysiert werden kann, aber zumindest in drei Akten vorgeführt werden soll – anhand von Originalzitaten prophetischer Schriften unter Angabe der jeweiligen Wortwurzel aus dem oben vorgestellten Beraubungs– Vokabular: (1) Im ersten Akt schützt Gott sein erwähltes Volk gegen Räuber, wie etwa Ri 2,16 erhellt: „Der Herr aber setzte Richter ein, die sie aus der Gewalt der Räuber (šāsāh) befreiten.“ (2) Im zweiten Akt entfaltet sich eine eigentümliche, um nicht zu sagen unerhörte Beraubungsdialektik, durch die sich der anfängliche Beraubungsschutz in eine Beraubungspädagogik Gottes umkehrt. In der ersten Szene verdirbt Israel im Inneren durch Raub in der Form des Bundesbruches: Idolatrie, Polytheismus und soziale Ausbeutung greifen so sehr um sich, dass vermöge dieses Raubes das Gottesvolk sich auch der Zuneigung Jahwes beraubt. Das bringt etwa Jeremia in 7,9–11 beredt zum Ausdruck: „Wie? Stehlen (gānaḇ), morden, die Ehe brechen, falsch schwören, dem Baal opfern und anderen Göttern nachlaufen5, die ihr nicht kennt, und dabei kommt ihr und tretet vor mein Angesicht in diesem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, und sagt: Wir sind geborgen!, um dann weiter alle jene Gräuel zu treiben. Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Höhle von Räubern (pāraṣ) geworden? Gut, dann betrachte auch 1

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Zu den religionssoziologischen Grundlagen vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 196–212; zur Religion als Erinnerungsleistung 212–228; zum Konzept der „mosaischen Unterscheidung“ vgl. ASSMANN, Moses der Ägypter, 17–26. Zur christlichen Theologie– und Spiritualitätsgeschichte des Exodus siehe DÉAUT/LÉCUYER, Exode, 1973–1990. Zur Religion als „Opposition gegen Kultur“ siehe ASSMANN, Das kulturelles Gedächtnis, 202– 207; zur revolutionären Dimension des Exodus WALZER, Exodus und Revolution. Zum Bund und zur Dimension Bund–Bündnis–Vertrag siehe RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 143–149 und MCCARTHY, Treaty and Covenant. Sowohl RINGGREN, bazaz, 587–588 als auch MOMMER, šasah, 346–347 kommen bei der Auswertung ihrer Beute–Vokabel auf eine gewisse „Beraubungsdialektik“ zu sprechen. Durch die folgende Textkollage prophetischer Texte soll diese Dialektik eigens anschaulich gemacht werden. Zu dieser „latrologischen Summenformel“ vgl. HAMP, ganap, 46–47.

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ich es so, Spruch des Herrn!“ In der zweiten Szene setzt die göttliche Pädagogik ein. Weil angesichts des verhärteten Israels keine positive Heilszusage mehr möglich ist, erscheint die Zusage Gottes sub contrario: durch von der Gesellschaft verachtete und ausgegrenzte Propheten, die als Sprachrohr Gottes fungieren und eine harte Offenbarung verkünden; indem sich Gott sogar räuberischer Völker als pädagogisches Mittel bedient, um sein geliebtes Israel in seinem Starrsinn aufzubrechen und in den Bundesgehorsam wieder heimzuholen. Eine solche harte Offenbarung sagt etwa Jesaja in 21,2 an: „Eine schreckliche Vision wurde mir gezeigt: Der Empörer empört sich, der Vernichter vernichtet (šāḏaḏ). Zieh herauf, Elam! Medien, beginne mit der Belagerung! Ich mache allem Seufzen ein Ende!“ Der Grund der Plünderung liegt auf der Hand: „Wer lieferte Jakob den Plünderern (šāsas als Nebenform zu šāsāh) aus und Israel den Räubern (bāzaz)? Hat nicht der Herr es getan, gegen den wir gesündigt hatten? Sie wollten nicht auf seinen Wegen gehen, sie hörten nicht auf sein Gesetz.“ (Jes 42,24). Israel bleibt zwar für Jahwe weiterhin kostbar, aber es ist doch in seiner Abkehr von Jahwe seines Antlitzes beraubt: „Ich wende mein Angesicht von ihnen ab und man wird meinen kostbaren Besitz entweihen. Räuber (pāraṣ) werden kommen und ihn entweihen.“ (Ez 7,22). (3) Im dritten Akt wendet sich schließlich die Beraubungspädagogik Jahwes gegen die Räuber Israels, die nun selbst beraubt und bestraft werden: „Weh dir, der du immer zerstörst und selbst nie zerstört worden bist (šāḏaḏ). Weh dir, du Empörer, gegen den sich noch niemand empört hat. Denn wenn du alles zerstört hast, wirst du selbst zerstört. Wenn du das Ziel deiner Empörung erreicht hast, wirst du selbst zum Ziel einer Empörung. Herr, hab mit uns Erbarmen; denn wir hoffen auf dich. Sei uns ein helfender Arm an jedem Morgen, sei in der Not unsere Rettung!“. (Jes 33,1–2). Weitere translimitisch–latrologische Theologumena finden sich freilich auch außerhalb der von den Propheten gedeuteten Heils– und Unheilsgeschichte Israels – etwa in den Patriarchen–Geschichten, die wir nun kurz in Augenschein nehmen.

1.1.3. Hamartiologischer Bogen: Sündenfall und Brudermord Durchsucht man das Alte Testament auf Theologumena und Beispiele, die mit translimitischen Verletzungen zu tun haben, so wird man rasch fündig. Aus der Fülle möglicher Zeugnisse können wir hier nur die bekanntesten Geschichten besprechen, die in der Chronologie des Alten Testaments in die Patriarchenzeit verlegt sind. Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, die jeweiligen biblischen Erzählungen in ihrer Breite zu entfalten und in ihrer ganzen Tiefe zu analysieren. Es geht lediglich darum, den translimitisch–latrologischen Überschritt herauszugreifen und ins Blickfeld zu rücken. Das Buch Genesis entfaltet eine beeindruckende Schöpfungsgeschichte, die zeigt, wie Gott

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den ganzen Kosmos samt Menschen „gut“, ja sogar „sehr gut“ geschaffen hat.1 Kurz nach Aufrichtung dieser prächtigen Schöpfung ist allerdings ein ungeheuerlicher Raub in die Schöpfung eingebrochen, wie aus den hamartiologischen Dramen von Gen 3 und 4 erhellt:2 (1) In Gen 3,1–24 wird anhand der Sündenfall–Erzählung mit Adam und Eva im Detail vorgeführt, wie ein Schatten auf die Schöpfungsherrlichkeit fällt. Es liegt auf der Hand, dass die Geschichte mit den zwei Bäumen und der Schlange mit zahlreichen altorientalischen Mythologumena durchsetzt ist.3 Wichtiger für unseren Kontext ist allerdings die theologische Pointe, auf die hin die Geschichte komponiert ist, und an welcher die jüdisch–christliche Tradition stets festgehalten hat: Die Geschichte des Raubes der Frucht vom Baum der Erkenntnis steht für einen illegitimen translimitischen Akt, mit dem der Mensch – hier durch Adam und Eva versinnbildlicht – zu rauben versuchte, was er von Gott als Geschenk hätte empfangen sollen. Die Sündenfallgeschichte handelt also nicht etwa von einem notwendigen Preis für einen Sprung in der menschlichen Evolutionsgeschichte sondern zeigt die Folgen einer fatalen Freiheitsentscheidung: Der Mensch ist geschaffene Freiheit, die sich selbst geschenkt und aufgegeben ist. In diesem Sich– selbst–Geschenkt–Sein liegt die Würde und Freiheit des Menschen begründet. Die Anerkenntnis dieses Sich–selbst–Geschenkt–Seins in Gehorsam wäre die wahre Selbstverwirklichung dieser Freiheit gewesen. Im Akt der Ur–Beraubung hat der Mensch aber seine Freiheit gegen das Sich–Verdanken eben dieser Freiheit gekehrt, in einer wahnhaften Selbst–Autonomisierung einen Akt der Beraubung gesetzt und so Zerrüttung in die Welt gebracht: Von nun an ist die Beziehung des Menschen zu Gott gestört, sind Adam und Eva – sprich Mann und Frau – einander entfremdet, hat sich der Ackerboden in einen translimitischen Ort voller Dornen und Disteln verwandelt.4 Diese Erzählung hat die religiöse Phantasie sowohl von 1

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Zur Struktur und den Grundaussagen der Textpassage vgl. PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 13–14; für eine knappe Interpretation RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 153–167; zur Frage der mesopotamischen Überlieferung CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 516–518. Zur ausführlichen Exegese von Gen 1 siehe BAUKS, Welt am Anfang; RAD, Genesis, 27–45 und WESTERMANN, Genesis, 104–192. Zu diesen beiden Episoden vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 167–174 und PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 14–15. Zum Formkritik des hamartiologischen Bogens siehe WESTERMANN, Arten der Erzählungen in der Genesis, 9–91. LESKOVAC, Solitudo, 59–62 wertet diese beiden Erzählungen für eine Anthropologie der Einsamkeit aus. Zu den Mythologumena vgl. die Ausführungen von ELIADE, Die Religionen und das Heilige, 328–329 und Geschichte der Religiösen Idee, 158–159 mit weiteren Hinweisen in den Fußnoten. Zur Diskussion um die Schlange vgl. auch WESTERMANN, Genesis, 322–327. Zum biblischen Text vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 168; zur Exegese RAD, Genesis, 60–70 und WESTERMANN, Genesis, 322–380. Zur Entfremdung siehe DEISSLER, Die Grundbotschaft des Alten Testamentes, 54; zur „menschlichen Existenz unter der Herrschaft von Sünde und Tod“ vgl. MÜLLER, Katholische Dogmatik, 132–134, hier besonders 133: „Negation der natürlichen Selbsttranszendenz des geschaffenen Willens auf die Einheit mit Gott“.

Raub und Diebstahl

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Juden wie von Christen immens angeregt; sie hat dazu geführt, dass man sich der translimitischen Bedeutung von Adam und Eva immer wieder neu vergewisserte: In der jüdischen 'Sapientia Salomonis' und in christlichen Schriften zum 'Descensus ad inferos' sowie in der 'Vita Adae et Evae' wird über das jenseitige Schicksal des Menschenpaares spekuliert oder sein Harren auf Christus besprochen. Adam avancierte im Mittelalter zu einer wichtigen Gestalt der Bußtheologie in Text und Bild; die öffentliche Bußpraxis war in einer besonderen Weise mit der „Adamspforte“ von Kirchen verbunden und fand auf ihrer Schwelle statt.1 (2) In Gen 4 wird diese anspruchsvolle Theologie der Freiheit weiter ausgezogen. Im Hintergrund der Geschichte von Kain und Abel werden die Spannungen zwischen einer metallurgischen und agrarischen Kulturstufe sichtbar.2 Wichtiger als dieser kulturgeschichtliche Hintergrund ist wiederum die theologische Pointe der Passage: Kain senkt den Blick und verschließt sein Antlitz, das Kontaktorgan zum Nächsten und vor allem zu Gott.3 Mit gesenktem Blick und erloschenem Gesicht lockt er seinen Bruder Abel hinaus aufs translimitische Feld, erschlägt ihn und vergräbt ihn heimlich. Diese ungeheuerliche translimitische Tat ruft eine zweifachen Reaktion Jahwes auf den Plan: Gottes Fluch liegt über dem Ackerboden, der vollends verdorrt und keine Frucht mehr bringt. Der Fluch liegt aber in erster Linie auf Kain selbst, der als vogelfreier Wüstennomade rastlos umherwandern muss – vom Antlitz Gottes und damit vom Heil abgeschnitten. Jeder, der ihn findet, dürfte ihn erschlagen (Gen 4,14), wenn ihn nicht das Kainsmal davor schützte. Schließlich wird Kain dann doch gestattet, östlich von Eden zu siedeln: im Land nod (Gen 4,16) – ein sprechender Name, der im Hebräischen „Heimatlosigkeit“ meint, und in aller Deutlichkeit einen Charakter benennt, der bis heute manchen menschlichen Siedlungsprojekten anzumerken ist.4

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Zu den unterschiedlichen Schriften und Legenden siehe DORN, Der sündige Heilige, 21–28, mit umfangreicher Besprechung und Belegen; zur Buße am Kirchentor vgl. KÖNIGER, Adamspforte, 135. Für die Ikonologie siehe SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 2v–3r) und BAGATTI, L'iconografia della tentazione di Adamo ed Eva, 217–230. Siehe hierzu ELIADE, Geschichte der Religiösen Idee, 159–160 mit weiteren Literaturangaben in den Fußnoten; und WESTERMANN, Genesis, 385–388. Für das Antlitz (panim) und das „Erblicken“ siehe WOLFF, Anthropologie des Alten Testaments, 116–123; RAD, Genesis, 70 und WESTERMANN, Genesis, 403–406. Siehe RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 169; PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 15–16. Zur Exegese vgl. ZENGER, Das Blut deines Bruders, 9–28; WESTERMANN, Genesis, 381–435 und RAD, Genesis, 74–80. Unterschiedliche Deutungsstrategien bis zur Literatur der Neuzeit resümiert KÖHLER, Einsamkeit und gelingendes Leben, 198–217.

1.2.

Translimitische Topographie und Prosopographie

1.2.1. Israel in der Wüste Der hamartiologische Bogen von Sündenfall– und Kainsgeschichte macht deutlich, wie der Mensch seine Freiheit so aktivieren kann, dass sie ihr Ziel verfehlt, abdriftet und in die Destruktion kippt. In der Exodus–Theologie, der wir uns hier nochmals kurz zuwenden müssen, kommt diese translimitische menschliche Freiheit zur Darstellung, insofern sie in die komplexe Heils– und Unheilsgeschichte Israels eingebettet ist: Jahwe hat sich Israel als Eigentum erwählt und ausgesondert. Um Israel als sein besonderes Volk zu konstituieren, berief sich Jahwe Abraham und Mose und schloss mit ihnen in Stellvertretung des Volkes einen Bund (berit)1. Im Bund aber schuf sich der transzendente Gott ein „transzendentes Volk“2: Während die anderen altorientalischen Völker gleichsam einwertig bleiben, weil bei ihnen Religion und Kultur fast ununterscheidbar bleiben, hat Jahwe Israel zu einem zweiwertigen Volk gemacht. Der Exodus aus Ägypten ist nämlich zugleich der Exodus der Religion aus der Kultur; durch ihn wird eine „mosaischen Unterscheidung“ zwischen Religion und Kultur aufgerichtet und Religion als Religion konstituiert.3 Diese Konstituierung geschieht aber durch eine besondere translimitische Dynamik und an einem translimitischen Ort: Die Mose–Gruppe wurde aus Ägypten heraus und durch die translimitische Wüste hindurch geführt – eine Wanderung, die wir uns genauer anschauen müssen. Zuerst einmal ist interessant, dass dem eigentlichen Exodus spektakuläre Ereignisse an der limitischen Kontur vorausgehen: (1) Die translimitischen Freiheitssehnsüchte der im Nildelta hängen gebliebenen Nomaden der Mose–Gruppe, die von den Ägyptern in einen Frondienst gedrückt wurden, entlädt sich in der Episode, da Mose einen gewalttätigen ägyptischen Aufseher erschlägt (Ex 2,11–14). Die Stelle kann nicht im Sinne der Notwehr völ-

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Vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 380–383; RAD, Theologie des Alten Testaments 1, 143–149 und MCCARTHY, Treaty and Covenant. Zum „transzendenten Volk“ siehe SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 176. Eine umfassende alttestamentliche Ekklesiologie entwickelt etwa FÜGLISTER, Strukturen der alttestamentlichen Ekklesiologie, 23–100. Einen Aufriss der Exoduserzählung bietet PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 36–49; zur „ein– und zweiwertigen Religion“ siehe SUNDERMEIER, Religion, Religionen, 411–423, hier besonders 417–418 und ASSMANN, Ma'at, 18–20. Zur mosaischen Unterscheidung vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, hier vor allem 196–228; und Moses der Ägypter, 17–26.

Topologie und Prosopographie

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lig aufgelöst werden: Mose tötet nicht im Affekt, sondern mit planvoller Absicht; er schaut sich um und vergräbt den Ägypter im Sand, um die Tat zu vertuschen. (2) Die Berufungsgeschichte des Mose, die erste Theophanie Jahwes im brennenden Dornbusch (Ex 3–4), geschieht „hinter“ der limitischen Kontur des Siedlungsraumes, draußen in der Steppe gegen den Gottesberg Horeb. Der Einbruch der Transzendenz in die Immanenz krempelt das Leben des Mose gehörig um; seine göttliche Berufung qualifiziert ihn zum Befreier (go'el) und Führer durch die Transliminalität der Wüste.1 (3) Die zehn Plagen, in denen die erfolglosen Verhandlungen der Mose–Gruppe mit dem Pharao eskalieren, sind Krisen an der limitischen Kontur zwischen Israel und Ägypten: Schädliche Tiere wie Schlangen, Frösche, Stechmücken, Ungeziefer und Heuschrecken brechen in das menschliche Siedlungsgebiet ein. Die sonst friedliche Natur rebelliert: Wasser verdirbt; Hagel, Blitz und Donner fahren hernieder; schließlich kommt der Kindstod. Besonders interessant für die Wirkungsgeschichte ist die Plage des Aussatzes: Die Haut ist die limitische Kontur des menschlichen Körpers. Nach dem psychosomatischen Grundsatz der Entsprechung und gemäß dem alttestamentlichen Tun–Ergehens–Zusammenhang ist der Aussatz als Krise der limitischen Kontur des Leibes das genaue Abbild limitischer Krisen oder translimitischer Durchbrüche wie Sünde, Frevel, Übertretung und der daraus resultierenden Strafen.2 (4) Das für das Judentum zentrale Passah–Fest wird gleichsam auf der limitischen Kontur Israels gestiftet. Der translimitische Ritus des „Vorübergangs Jahwes“ wird zum Aufbruch in die Transliminalität und versetzt Israel insgesamt in eine Art liminalen Zustand.3 Nach diesen Ereignissen an, auf oder hinter der limitischen Kontur, findet die translimitische Freiheits–Sehnsucht der Mose–Gruppe im Exodus aus Ägypten und im Durchzug durch die Wüste einen adäquaten Ausdruck. Die biblische Wüste des Exodus, die Wüstenlandschaft auf der Halbinsel Sinai, hebräisch midbar, ist allerdings, wider alle Assoziationen, die der moderne Bibelleser bei der Wüstenvokabel haben mag, keine Sandwüste mit Dünen, sondern eine Steinwüste – ein Ort außerhalb der Zivilisation, welcher selbst für die bescheidenste Form der Landwirtschaft zu trocken und für eine dauerhafte Besiedelung ungeeignet ist.4 Die unterschiedlichen Texte des Alten Testaments entfal1 2

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Vgl. hierzu den Überblick von CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 2, 1001–1011. Detailierte Analysen des at. Mose–Bildes bietet AURELIUS, Fürbitter Israels. Zum Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit mit besonderer Berücksichtigung des Aussatzes vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 957–958. ASSMANN, Moses der Ägypter, 54–72 analysiert religionssoziologischen Prozesse und Strukturen, die sich hinter dem Aussatz verbergen können. Grundlegende Informationen zum Passah bietet CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 502–504. Die Wüstenvokabel midbar als topographische, mnemotopische und theologische Größe entfal-

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ten, über eine topographische Grundbestimmung hinaus, theologische Nuancen der Transliminalität und Marginalität der Wüste, die wir genauer in Augenschein nehmen müssen: (1) Die Wüste ist von einer spezifischen Fauna, Flora und Umwelt geprägt: Auf dem trockenen Steinboden wachsen keine Nutzpflanzen, sondern Unkraut wie Disteln, Dornen, Gallkraut, Ginster, Nesseln.1 Sie ist von unreinen Tieren wie Eulen, Fledermäusen, (Wüsten–)Füchsen, (Aas–)Geiern, Schakalen, giftigen Schlangen, Skorpionen und räuberischen Weihen bevölkert.2 Die Wüste ist das Gegenbild des kultivierten, urbanen Landes und ein Sinnbild des Urchaos; sie ist ein Ort der Sünde, des Fluchs und der Plünderung.3 (2) Die Wüste ist der Ort ganz besonderer Bewohner: Weil die Wüste den Menschen schonungslos mit Durst, Hunger und Hitze konfrontiert und er sich in ihr nur mit Mühe das Existenzminimum beschaffen kann, wagen sich nur Menschen in sie, die gelernt haben, mit der lebensfeindlichen Umgebung zurecht zu kommen oder die durch äußere Umstände dazu gezwungen werden. So durchqueren Karawanen rasch die Wüste, indem sie zielstrebig von Wasserplatz zur Wasserplatz ziehen. Flüchtlinge, Verfolgte und Außenseiter versuchen hingegen, an den Rändern und Wasserplätzen der Wüste auch für längere Zeit über die Runden zu kommen. Der lebensbedrohliche Charakter, welcher der Wüste anhaftet, wird allerdings durch so unerfreuliche Bewohner wie Dämonen, Geister und Gespenster noch unterstrichen.4 (3) Die Wüste ist schließlich der heilsgeschichtliche Ort, an dem sich eine vierzigjährige „transitorische Wüsteneinsamkeit“5 Israels ereignete: Israel hat Ägypten verlassen und zog auf Geheiß Jahwes unter der Führung des Mose durch die Wüste der Halbinsel Sinai. Diese Wüste war für Israel ein Raum der translimitischen Freiheit, und eine Prüfung, wohin es diese Freiheit lenken würde: zum Unheil der

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tet materialreich TALMON, midbar, 660–695. Zur Topographie der Halbinsel „Sinai“ vgl. auch NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 407–409. Zu den Unheils–Pflanzen siehe das jeweilige Stichwort im Artikel „Pflanzen“ von HENNIG, Jerusalemer Bibellexikon, 678–690, mit biblischen Belegen. Zu den unreinen und abscheulichen Tieren vgl. die jeweiligen Stichworte im Artikel „Tiere“ von HENNIG, Jerusalemer Bibellexikon, 873–886, mit biblischen Belegen. Zu den unreinen Vögeln vgl. insbesondere Lev 11,13–19. Vgl. hierzu Stellen wie Jer 2,6; 4,23–28; 22,6 und Jes 64,9 und die weiteren Belege bei TALMON, midbar, 664–669 sowie die Hinweise von GESENIUS, Handwörterbuch, 398 unter dem Stichwort horbah. Eine Auslegung von Ps 102,7–9 und Jes 34, 10–15 im Sinne einer „Wüste als Sündenlandschaft“ unternimmt LESKOVAC, Solitudo, 47–50. Für dieses Portrait der Wüste vgl. die zahlreichen Stellenbelege und ausführliche Besprechung bei TALMON, midbar, hier besonders 675–679 und 690–691; oder die Zusammenfassung von LESKOVAC, Solitudo, 50–51. Diese glückliche Begriffswendung findet LESKOVAC, Solitudo, 50–58 bei der Besprechung der Bundestheologie und des Exodus.

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Abkehr von Gott – etwa als Israel in der Wüste murrte, zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurück wollte, den goldenen Jungstier verehrte, sein Herz verhärtete, den Herrn auf die Probe stellte und sich so das Strafgericht zuzog; oder aber zum Heil, das Jahwe seinem Volk bereitete – als Er in der Wolkensäule voran zog, am Gottesberg den Bund stiftete, das Gesetz schenkte, Wachteln, Manna und Wasser gewährte, mittels der ehernen Schlange heilte etc.1 (4) Eine besondere Aussagekraft und Wirkungsgeschichte kommen den Episoden der „Anbetung des goldenen Jungstiers“ und der „Aufrichtung der ehernen Schlange“ zu: Wenngleich sich Israel dem translimitischen Imperativ Jahwes anfänglich stellt und auf dem Exodus wacker vorwärts schreitet, so bleibt es doch stets gefährdet, in die falsche Transliminalität abzubiegen. Als Mose das Volk kurz alleine lässt, erträgt es das radikale Ausgespannt–Sein auf die göttliche Transzendenz hin nicht und schafft sich zur Kompensation einen Götzen – eine goldene Jungstierstatue nach dem Vorbild mesopotamischer und ägyptischer Kulte der „innerweltlichen Fruchtbarkeit“.2 Nicht ganz unähnlich ist die Aussage der Episode der „Ehernen Schlange“: Das Volk ist ungeduldig und verweigert sich dem translimitischen Imperativ, gemäß dessen der Mensch seine Transzendentalität durch Glauben an und Vertrauen auf Gott zu leben hätte. Da erscheint das Symbol der innerweltlichen Fruchtbarkeit: das „lunare Tier“ der Schlange.3 Diese Hierophanie der bloß innerweltlichen Fruchtbarkeit ist aber tödlich, wie durch die todbringenden Schlangenbisse beredt zum Ausdruck kommt. Allein die Aufrichtung einer ehernen Schlange könnte eine endgültige Heilung vom Tode bewirken. Die eherne Schlange des Mose scheint eine eher vorläufige Lösung abgegeben zu haben – sie bleibt umstritten und gibt zum Aberglauben Anlass – und verweist damit, zumindest aus christlicher Perspektive, auf die Aufrichtung des Kreuzes Christi, durch das die endgültige Heilung vom Tode erwirkt wurde.4 Der Erzählbogen der translimitischen Wüstenwanderung endet schließlich mit dem Einzug des Volkes unter der Leitung Josuas ins Verheißene Land, und macht so ab1

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Zur Komposition des Buches Exodus siehe ZENGER, Die Tora, 70; in 66 eine Auflistung wichtiger exegetischer Kommentare. Zur Spiritualitätsgeschichte des Exodus vgl. DÉAUT, Exode. Das Schlüsselwerk der christlichen Allegorisierung stammt von GREGOR VON NYSSA, De vita Moyses (SCh 1/1–2). Für die christlich–anachoretische Allegorisierung des at. Wüstenvokabulars vgl. hingegen LECLERQ, Eremus et Eremita, 8–30, mit reichen Stellenbelegen. Zum religionswissenschaftlichen Hintergund vgl. ELIADE, Die Religionen und das Heilige, 123– 132 für die Rolle des Stiers im Fruchtbarkeitskult; 194 für den Zusammenhang der Stierhörner mit den Mondphasen. Zur genaueren Exegese der Stelle siehe KOENEN, Eherne Schlange und goldenes Kalb, 353–372. ELIADE, Die Religionen und das Heilige, 194–202 diskutiert eindringlich die Hierophanie der Fruchtbarkeit und die Bedeutung der Schlange. Zur Exegese der Episode der ehernen Schlangen vgl. BEYERLE, Die Eherne Schlange, 23–44 und KOENEN, Eherne Schlange und goldenes Kalb, 353–372. Zur Bedeutung des Motivs für die Kreuzestheologie bei Cyrill von Alexandrien vgl. SCHURIG, Theologie des Kreuzes, 254–261.

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schließend die heilsgeschichtliche Bedeutung der Wüste deutlich: Sie ist der von Gott gestiftete, translimitische und transitorische Freiheitsraum, an dem die menschliche Freiheit zur Entscheidung ermächtigt und auf die Probe gestellt wird; ein Raum, an dem sich der Mensch gegen Gott entscheiden, aber durch die Hilfe Gottes, der an seinem Bund festhält und stets neue Gelegenheiten der Umkehr gewährt, auch zur Erfüllung gelangen kann. Es ist entscheidend, die Ambivalenz der Transliminalität Israels und des transitorischen Wüstenaufenthalts1 nochmals ausdrücklich festzuhalten: Im Alten Testament wird die Transzendentalität und Transliminalität Israels nicht schön geredet sondern schonungslos offengelegt. Israels Zug durch die Wüste war sehr wohl eine Zeit des Heils und der Nähe Gottes, aber eben auch eine Zeit der revoltierenden und pervertierenden Freiheit, mit welcher Israel seine Würde mit Füßen trat und sich in die Gottesferne begab. Israel wurde zur freien Braut des Herrn, als Jahwe sein Volk im Exodus aus der Sklaverei befreite und in seine Brautkammer einführte. Durch den Missbrauch dieser Freiheit ist Israel freilich nicht immer Braut geblieben, sondern zur Hure geworden, als sie Jahwe abtrünnig wurde und sich anderen Göttern an den Hals warf.2 In den biblischen Texten, die das Selbstverständnis Israels zur Sprache bringen, begegnet eine erstaunliche Bereitschaft, die Gefährdetheit der translimitischen Freiheit Israels aufzudecken. Man könnte sagen, die eigentliche Stärke Israels liege gerade darin, sich die eigene latrologische Schuld immer wieder einzugestehen und die daraus resultierende Bürde der Einsamkeit anzunehmen.3 Israel ist, trotz aller mythologischer Rückfälle, die seine Geschichte begleiten, kein Land der Tröstung und Rechtfertigung durch geschichtsferne Mythen – wie zum Teil Ägypten, Mesopotamien und Griechenland –, sondern ein leid– und schuldsensibles Land der Erinnerung, Erwartung und Gottespassion.4 Diese Fähigkeit zum Schuldbekenntnis kommt übrigens auch David, dem ersten König Israels zu. Es ist hier weder möglich noch nötig, ein umfassendes Portrait von Da-

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Zu dieser alttestamentlichen Ambivalenz und ihre Bedeutung für die Wüstenväter–Theologie siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 80–82; 80–89 für den Zusammenhang einer Sünden–Wüste und Wüsten–Nostalgie in der jüdischen und frühchristlichen Spiritualität. Zum Wüstenrückzug im Spätjudentum vgl. auch HENGEL, Die Zeloten, 255–261. Zum Götzendienst vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 576–582. Zur Terminologie und Metaphorik der alttestamentlichen Einsamkeit vgl. LESKOVAC, Solitudo, 42–50; zur transitorischen Wüsteneinsamkeit Israels 50–58; zur Einsamkeit der Sünde 59–62; zur prophetischen Einsamkeit 63–70 und zur Einsamkeit des Leidens 70–73. Die neutestamentliche „Lösung“ wird im SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 58v–59r) ins Bild gesetzt: Der erste Exodus aus Ägypten mit dem Führer Mose wird durch den endgültigen Exodus aus der Unterwelt der Sünden mit dem Führer Christus (im Rahmen eines 'Descensus ad inferos“) überboten. Vgl. hierzu METZ, Memoria Passionis, 8–11 und 24–27.

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vid zu zeichnen1; es soll lediglich auf seine latrologische Aura und Schuldsensibilität hingewiesen werden: (1) Für eine gewisse latrologische Aura von David gibt es in 1 Sam zahlreiche Hinweise: Nach 1 Sam 22,2 „schlossen sich ihm viele Männer an, die unter Druck standen, sowie alle möglichen Leute, die Schulden hatten oder verbittert waren, und er wurde ihr Anführer. So waren etwa vierhundert Mann um ihn“. Als der latro–Hauptmann David später Lehensmann der Philister wurde, da blieb er laut 1 Sam 27,8 dieser Berufung treu: „David zog mit seinen Männern aus und sie unternahmen Raubzüge bei den Geschuritern, den Geresitern und den Amalekitern“.2 (2) Als König geht David mit seinen latrologischen Impulsen hingegen auf eine subtilere Weise zu Werke: Er verliebt sich in die schöne Batseba. Statt sie aber mit Gewalt ihrem Ehemann zu rauben, bedient sich David eines Tricks. Er schickt den Ehemann an die vorderste Frontlinie und beseitigt ihn dadurch auf gleichsam elegante Weise.3 Die illegitime Vereinigung von David und Batseba hat die allegorische Exegese als ein Bild der Vereinigung Christi mit der Kirche der Heidenvölker aufgefasst.4 (3) Später hatte David dann doch noch die Reue erfasst; er versuchte – zumindest nach der antiken und mittelalterlichen Auffassung – seiner Bußgesinnung in den 'Sieben Bußpsalmen' sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Von daher wird deutlich, warum man Zitate aus den Bußpsalmen in die Texte der eremitischen Spiritualität der Spätantike und des Mittelalters eingeflochten hat.5 Zur latrologischen Selbstmarkierung mittels Schuldeingeständnis gelangten David und Israel allerdings nicht immer von sich aus, sondern vor allem, weil Jahwe seinem Volk seine Heilszusage sub contrario und mit einer gewissen translimitischen Vehemenz zumutete: Die Heilszusage Jahwes ist an sich eine Botschaft der Fülle und des Segens; sie nimmt nicht weg sondern beschenkt. Verschanzt sich der Mensch aber hinter der von ihm aufgerüsteten limitischen Kontur, um sich dadurch von der Transzendenz ab1 2

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Für die Grunddaten vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 410–415. Für ein umfangreicheres David–Portrait vgl. GUNN, Story of King David und SEEBAß, David. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 410 beschreibt diese latro–Stellung so: „Es scheint, dass David eine Zeitlang das Haupt einer Bande von Ausgestoßenen war, die mit ihrer Missachtung von Autorität und sesshaftem Bürgertum sehr an die Chabiru erinnern“; zur weiteren Prosopographie Davids vgl. 414 (Abschnitt c). Einige Hinweise auch bei HENGEL, Die Zeloten, 28–29. Zur Exegese von 2 Kön 11,2–12,25 siehe HERZBERG, Die Samuelbücher, 250–260. Siehe hierzu AMBROSIUS VON MAILAND, De apologia prophetae David (CSEL 32, 297–408); zum weiteren patristischen Hintergrund vgl. auch DANIÉLOU, David, 598–600 und WYSS, David, 1103–1104. Zur Davidisierung der Psalmen insgesamt vgl. ZENGER, Buch der Psalmen, 314–318. Zur anachoretischen Rezeption der Bußpsalmen vgl. etwa das Zitat aus Ps 50 (51) in der VITA ALBANI (AB 5–8, 455), die später im Kontext der eremtischen Verbrechenssühne noch besprochen wird.

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zuschirmen, dann kann die Botschaft der Transzendenz die limitische Kontur nur noch in einer latrologischen Brechung überschreiten – als Erschütterung des Bestehenden, als Störung verfehlter Gegenwart, als Kritik der Abschirmungstaktik, als Provokation, Infragestellung, Beraubung und Gericht. Dazu aber hat sich Gott als Instrument der Heilsansage besondere translimitische Personen erwählt, deren Persönlichkeitsprofil und Botschaft unter einer gewissen latrologischen Brechung erscheint: Propheten, denen nun unsere ganze Aufmerksamkeit gelten muss.

1.2.2. Translimitische Personen mit latro–Aura: Propheten Der israelitische Prophet ist nābī’, ein berufener Rufer, oder ḥozæh, ein Seher, der die Botschaft der Transzendenz empfängt, um sie der Welt mitzuteilen.1 Gott schafft sich die Propheten als Instrument seiner Heilszusage, weil Er sich im Bund an die konkrete Menschheitsgeschichte gebunden hat und dafür Sorge trägt, dass die Heilsbotschaft auch unter erschwerten Bedingungen ankommt. Als in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts Assyrien vor der Tür stand, um das Nordreich zu annektieren, oder im 6. Jahrhundert die Babylonier dem Südreich ihre Herrschaft aufdrücken wollten, da glaubte sich Israel jedes Mal auf der sicheren Seite und hatte in seiner Selbstherrlichkeit nur taube Ohren für den Ruf Jahwes.2 Die Botschaft der Transzendenz konnte das Gottesvolk nur noch durch das Einfallstor freier oppositioneller Einzelpropheten erreichen, deren Persönlichkeitsprofil hier kurz umrissen sei:3 (1) Als Boten einer ihnen zuteil gewordenen Gottesrede setzen sich die Propheten der Öffentlichkeit von König, Staat, Priestern und Volk aus.4 (2) Zu Kritikern einer verfehlten Gegenwart werden die Propheten, weil Jahwe ihnen aufträgt, das unaufhaltsame Kommen des Gottesreiches zu proklamieren, ohne dabei auf die Beschränkungen der Adressaten Rücksicht zu nehmen. In ihrer Predigt decken sie schonungslos auf, wo und warum sich Israel von der eigenen Sendung entfernt hat.5 1

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Für die Grundlagen des Prophetentums und der prophetischen Schriften siehe ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 371–381, hier besonders 371–372 und PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 153–160. Zu den Anfängen des Prophetentums vgl. auch RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 16–24. ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 371 spricht von einer „Begrenzung der Prophetie auf das Umfeld der beiden großen Existenzkrisen“. Zu den oppositionellen Einzelpropheten im Kontrast zu anderen Typen von Propheten vgl. ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 372–374; besonders 381 mit der Wendung „unkalkulierbares Einfallstor der Transzendenz Gottes“. Zum „Wort Gottes“ und den Zeichenhandlungen eines Propheten vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 89–107. Vgl. ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 377 (2.1.3). Details zur Berufung und zum Offenbarungsempfang des Propheten bei RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 58–78. Siehe hierzu ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 377 (2.1.2) und 381; zum Auftreten der Pro-

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(3) Das Gericht verkünden die Propheten als Folge der gegenwärtigen Schuld, aber auch als Eröffnung neuen Heils.1 (4) Zur Rolle des Provokateurs passt es, dass die meisten Propheten aus eher marginalen denn aus zentralen sozialen Milieus stammen.2 (5) Dem Grundimpetus der Kritik und Infragestellung korrespondiert die Reaktion der Umwelt: Die oppositionellen Schriftpropheten werden verspottet, beschimpft, ausgegrenzt und verfolgt; das Leben der meisten Propheten lässt sich nur als Martyrium schreiben.3 Der Gestalt und Botschaft der Propheten kommt eine bemerkenswerte Doppelgesichtigkeit zu: Einerseits stehen der jeweilige Prophet und seine Botschaft in einer einmaligen Situation, von der sie nicht abgelöst werden können. Zugleich aber übersteigen der Prophet und seine Botschaft diese einmalige Situation und weisen darauf hin, dass das Handeln Jahwes auf jede Stunde übertragbar ist. Gerade die Geschichte der alttestamentlichen Verschriftlichung spiegelt diese Zweipoligkeit wider: Einerseits hat das einzelne Prophetenbuch eine Geschlossenheit und innere Stimmigkeit, die bei der Lektüre den Eindruck hervorruft, man begegne tatsächlich einer lebendigen, ganz individuellen und identifizierbaren Persönlichkeit innerhalb einer bestimmten Zeitkonstellation. Andererseits gelingt es in keinem Fall, eine ipsissima vox oder Originalgestalt des Propheten aus dem biblischen Text herauszuschälen. Die Erstverschriftlichung der prophetischen Botschaft wurde durch Aktualisierungen im Geist und in der Sprache des nämlichen Propheten fortgeschrieben und in mannigfachen Redaktionsstufen immer wieder als Ganzes neu angeeignet.4 In den folgenden knappen Portraits kann es daher nicht so sehr um die Rekonstruktion historischer Fakten gehen als vielmehr um das Herausarbeiten der Züge am jeweiligen Propheten, deren Wirkungsgeschichte über den alttestamentlichen Bereich hinausreicht, zum Teil das Neue Testament durchzieht und schließlich in die monastische und eremitische Theologie des Christentums einmündet. Eine der wichtigsten translimitischen Prophetenpersönlichkeiten des Alten Testaments ist zweifellos Elija. Die Textbasis zu seiner Biographie findet sich in 1 Kön 17 – 2 Kön 2. Der geschichtliche Kontext der Elija–Erzählung ist im Nordreich des zweiten Viertels des neunten Jahrhunderts zu suchen.5 Die einzelnen Stationen seiner Lebens-

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pheten 374 (1.2.4). Vgl. ZENGER, Die Bücher der Prophetie, besonders 381, mit der Wendung „Gericht als Folge gegenwärtiger Schuld und als Eröffnung neuen Heils“. ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 373 (1.2.4): „Als Außenseiter sind sie soziologisch meist eher peripheren als zentralen Kreisen zuzuordnen.“ Zum Prophet als „Protestanten“ siehe ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 377 (2.1.4). Fraglich bleibt, ob damit wirklich eine „Gegeninstanz zu Amt und Institution“ gegeben ist. Siehe hierzu vor allem ZENGER, Die Bücher der Prophetie, 374–375 und 379–381; zum Doppelgesicht besonders 381. Grundsätzliches zur Überlieferung, Traditionsbildung und Verschriftlichung auch bei RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 41–57. Zur Struktur des Textstückes vgl. PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 94–95; zur Prosopographie des

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geschichte müssen hier nicht umfassend besprochen werden; ein Blitzlicht auf translimitische Kerngehalte, die für unsere Überlegungen relevant sind, genügt:1 (1) Die Titulatur „aus Tischbe in Gilead“ verweist auf die translimitische Herkunft des Propheten: Elija kommt aus dem Ostjordanland. (2) Elija zieht sich östlich des Jordans in die Einöde des Wildbachtales Kerith zurück, und wird in dieser unwirtlichen Gegend von Raben ernährt. (3) Bei seiner Reise durch translimitische Gegenden trifft er in Zarephath = Sarepta auf eine verarmte Witwe. Dort kommt es zu den beiden bekannten Wundern: der Speisung sowie der Erweckung des entschlafenen Sohnes. (4) Elija stellt sich der Machtprobe mit den Baalspropheten auf dem Karmel. (5) Elija flieht vor Isebel nach Beerscheba in die Wildnis: In tiefer Depression ringt er unter dem Ginsterstrauch mit sich und mit Gott. (6) Elija wird durch Engel gestärkt, getröstet und schließlich auf dem Horeb von Jahwe mit einer Theophanie gewürdigt. (7) Elija beruft den Elischa zum Schüler und macht ihn zum Nachfolger. (8) Am Ende seines Lebens wird Elija im Feuerwagen entrückt. Die hier aufgelisteten prosopographischen Stichpunkte geben eine Struktur vor, die sich in der Wirkungsgeschichte unter einer je verschiedenen Akzentsetzung durchhält: Schon in der rabbinischen Theologie nimmt Elija eine außerordentliche Stellung ein. Die Entrückung des Elija gab zusammen mit der Verheißung eines Elia redivivus in Mal 2,23 zur intensiven eschatologischen Reflexion Anlass: Man erwartete die Rückkehr des Elija als eine Art Assistenzfigur des Messias.2 Besonders beindruckend empfand man zudem den feurigen Eifer und die rückhaltlose Einsatzbereitschaft Elijas für die Sache Jahwes gegen den Baalskult. In der spätjüdischen Frömmigkeit ist Elija vielfach präsent – bei der Feier der Beschneidung, dem Brotsegen, der „Trennung vom Sabbat“ und in der Passah–Liturgie.3 Durchaus auf der Linie des alttestamentlichen Verständnisses liegt auch das Elija–Bild des Neuen Testaments. So wird Johannes der Täufer als Elia redivivus vorgestellt. Elija gehört zu den Zeugen der Verklärung Christi (Mt 7,3) und zu den Zeugen des Endgerichts (Offb 11,3–13). Sogar der Schrei Christi am Kreuz wird laut Mt 27,47 von einigen Umstehenden als Ruf nach Elija aufgefasst.4

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Propheten Elija vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 24–34. Zum historischen Kontext siehe STECK, Überlieferung und Zeitgeschichte. Zu Recht betont RAD in 32, dass Elija noch keine „Gestalt im modernen literarischen Sinne“ sei, sondern eher ein „Glied eines umfassenden Geschehens“. Zu den einzelnen Stationen Elijas vgl. CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 445– 449 und MURPHY, Élie, 565–566. Siehe DEHANDSCHUTTER, Les apocalypses d’Élie, 59–68; WESSEL, Elias, 1145 und STRACK/ BILLERBECK 4, 764–798. Vgl. SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 24–25 mit den Belegen in Anm. 3–5. Siehe hierzu CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 449 und SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 26.

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Hier ist nicht der Ort für eine umfassende Geschichte Elijas in der christlichen Exegese, Theologie und Frömmigkeit; es seien nur die wichtigsten Aspekte der Transliminalität Elijas angedeutet, die in der Wirkungsgeschichte immer wieder hervortreten: (1) Die patristische Exegese hat die Elija–Erzählungen heilsgeschichtlich allegorisiert – etwa die Himmelfahrt Elija mit der Himmelfahrt Christi parallelisiert, Elija und die Witwe von Sarepta als Christus und Kirche ekklesiologisch ausgedeutet und die Erweckung des Sohnes mit der Erweckung des Lazarus verbunden.1 (2) Richtungweisend für die eremitisch–monastische Theologie war folgende anachoretische Allegorisierung des Elija:2 (a) Die prophetische Einsamkeit Elijas lässt sich im Sinne des eremitisch– monastischen Lebens (vita solitaria) und als christliche Theologie der Keuschheit (castitas/virginitas) aktualisieren.3 (b) Die Wüstenaufenthalte und die Ernährung durch Raben stellen Elija als bleibendes Idealbild der Armut (paupertas) vor Augen – eine Zielvorgabe, die in der Geschichte des neuen Israels, der Kirche, stets relevant bleibt.4 (c) Der Umgang mit Engeln macht Elija zum Gottesboten auf Erden (angelus terrenus) und zum Vorbild des engelsgleichen Lebens (vita angelica) – beides Schlüsselbegriffe der eremitisch–monastischen Existenz.5 (d) Elijas aufbrausender Eifer und die feurige Predigtgewalt (zelus) ist bleibende Norm für Reformen, legitimen Protest und Widerstand, denn für den Herrn und Seine Sache muss man stets mit Leidenschaft eintreten.6 (e) Durch die Namens–Allegorese „Isebel“ = saeculum und mittels einer Allegorisierung des Flusses Jordan und des Bachs Kerith als limitische Kontur versuchte man die translimitische Außenseiterposition Elijas festzuschreiben: Elija ist authentischer Bote der Transzendenz, weil er sich von der Welt abgesondert und ihre limitische Kontur überschritten hat.7 (f) Die Theophanie des Elija auf dem Horeb lässt sich als Theologie der Kontemplation weiter ausziehen: In der Nachfolge Elijas soll der Mensch das saeculum

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Eine Zusammenfassung bei SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 26–28. Reiches Material liefern POIROT, Le saint prophéte Élie; Élie. Archetype du moine und Les prophètes Élie et Élisée. Zur ikonologischen Koppelung der beiden Himmelfahrten siehe SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 62v–63r). STEIDLE, Homo Dei Antonius, 162 schreibt hierzu: „Kaum ein Ereignis aus dem Leben dieses Propheten und 'Gottesmannes' blieb ohne Echo im alten Mönchtum.“ Vgl. POIROT, Élie. Archetype du moine, 28–30 und 195; LECLERCQ, La vie parfaite, 57–81 und SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 28–29. Für Belege siehe FRANK, Frühes Mönchtum 1, 119. Siehe hierzu SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 28–29. SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 29 verweist insbesondere auf den Wappenspruch des Karmels: „Zelo zelatus sum pro Domino Deo exercitium“. Siehe hierzu SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 28–29.

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Bausteine der Antike hinter sich lassen, Herzensreinheit erlangen und auf dem translimitischen Gipfel der Kontemplation Gott schauen.1 (g) Elija ist ein Gründungsvater der geistlichen Vaterschaft, weil er den Elischa als Nachfolger und Haupt eines Schülerkreises einsetzte. Dadurch erhellt, dass das translimitische Programm Elijas damals Schule gemacht hat und auch inskünftig Schule machen soll.2

Der gerade aufgezeigte translimitische Zug im Leben des Propheten kennt indes eine latrologische Eintrübung, die dem aufmerksamen Leser der Elija–Erzählung nicht entgehen kann: Elija lässt nach seinem Sieg über die vierhundertfünfzig Baalspropheten diese sogleich „im Affekt“ töten. Elijas zelotischer Eifer konnte also durchaus in latrologische Akte ausbrechen. Erst bei seinem zweiten Wüstenaufenthalt scheint er, vom Engel gestärkt und getröstet, seinen Willen stärker am Willen Gottes ausgerichtet zu haben und etwas sanfter geworden zu sein.3 Dieser latrologische Aspekt des Elija erfuhr in der Wirkungsgeschichte eine interessante relecture: Zur Zeit der Jesus–Bewegung stand neben dem neutestamentlich „entschärften“ Elija ein zelotischer, aggressiv aufgerüsteter Elija, den wir später noch in Augenschein nehmen werden. Eine zweite wirkungsgeschichtlich bedeutsame Gestalt gibt der Prophet Jeremia (627–587 v. Chr.) ab4 – auch er mit translimitischen Hintergrund: Er ist Sohn des Priesters Hilkija, der seinerseits von dem von König David nach Anatoth verbannten Priester Ebjatar abstammt (1 Kön 2,26).5 Aus dieser familiär vorgegebenen Außenseiterposition heraus analysiert Jeremia scharfsichtig die religionspolitische Situation seiner Zeit. Der eigentliche Anlass der prophetischen Predigt Jeremias lässt sich mit einem präzisen Wort erfassen: šaeqaer = Lug, Trug, Verlogenheit. Die Gesellschaft zu Jeremias Zeit war längst nicht mehr auf das Recht Jahwes gegründet und von Solidarität geprägt, sondern vor allem durch Täuschung, Betrug, Gewinnsucht und Raub zur Regierungszeit des Königs Jojakim (609–597) zerrüttet – so zumindest die biblische Sicht der Verhältnisse.6 Die umfassende soziale und religiöse Kritik des Propheten richtete sich folgerichtig an die Inhaber von Schlüsselpositionen im Staat wie Propheten, Priester 1 2 3

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Siehe hierzu POIROT, Élie. Archetype du moine, 79–81; MURPHY, Élie, 565–567; PETERS, Élie, 569–571 und SCHLOSSER, Der Prophet Elija, 31–32. Siehe POIROT, Élie. Archetype du moine, 209. RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 27–28 betont zu Recht, dass die Tötung der Baalspriester keinen „Fanatismus“ darstellte sondern durch das atl. Recht gedeckt war. In der Wirkungsgeschichte musste aber doch die latrologische Note dieser Handlung auffallen. Für ASSMANN, Die Mosaische Unterscheidung, liegt hier ein Schlüsselsymptom für die „immanente Aggressivität“ des biblischen revolutionären Monotheismus vor; ein Vorwurf, dem hier nicht weiter nachgegangen werden kann; siehe hierzu auch die kritische Stimmen am Ende dieses Bandes, sowie ZENGER, Gewalt als Preis der Wahrheit?, 35–57. Zur Exegese des Buchs vgl. PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 179–186; BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 405–429; RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 199–228. BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 424. Siehe BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 425–426.

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und Könige. Jeremias Botschaft enthält die ganze Bandbreite prophetischer Rede: Er ermahnt zur Umkehr, bringt Götzenpolemik vor, sagt Gericht und Exil voraus, kündigt die Zerstörung des Jerusalemer Tempels an, zeigt die Möglichkeit des Heils auch im Unheil auf und unterstreicht seine prophetischen Worte durch Zeichenhandlungen.1 Das Ringen zwischen Gott und dem treulosen Volk bleibt für Jeremias freilich keine äußerliche Botschaft, die er lediglich dem Volk zu verkündigen hätte, sondern wird zur Angelegenheit, die ihm zunehmend „an die Nieren“ geht: „Hätte ich doch eine Herberge in der Wüste! Dann könnte ich mein Volk verlassen und von ihm weggehen. Denn sie sind alle Ehebrecher, eine Rotte von Treulosen.“ (Jer 9,1). Höhepunkte des inneren Ringens finden sich in den sogenannten 'Konfessionen des Jeremias'2, die in den Kapiteln 11–20 niedergelegt sind: Zuerst klagt Jeremia über das Glück der Frevler und Treulosen (12,11–7); dann thematisiert er das eigene Amt, das ihm Gott gegen seinen Willen aufgedrängt habe und das ihn in die Isolation treibe (15,10–21); schließlich bringt Jeremias die Anschläge auf seine Person und Verfolgung zur Sprache (18, 18–23). Die Konfessionen verdichten sich gegen Ende zu Rufen höchster Not: Jeremia fühlt sich von Gott vergewaltigt und möchte sich am liebsten der Sendung entziehen (20,7). Die Rede gipfelt in unerhörten Versen der Selbstverfluchung (20,14–18), die zeigen, dass das Ringen zwischen Israel und Jahwe die ganze Existenz Jeremias ergriffen hat. Obwohl die sogenannten 'Klagelieder des Jeremia' nicht dem Propheten selbst zugeschrieben werden können, hat die Tradition zwischen der eigentlichen jeremianischen Prophetie und den 'Lamentationes' eine innere Verwandtschaft gesehen und beide Texte zueinander gestellt; auch wir dürfen sie im Rahmen dieser Motiv– und Gedächtnisgeschichte in diesem Verbund belassen:3 Die Klagelieder sind ein einzigartiges Beispiel hochstehender hebräischen Dichtkunst, die sich des Versmaßes der hebräischen Totenklage (qina) bedienen, um die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 v. Chr. in Worte zu kleiden. Die ersten vier Lieder sind als alphabetisches Akrostichon gestaltet, um die Totalität des Ereignisses gleichsam von A bis Z auszuloten. Auffälligstes rhetorisches Mittel sind die zahlreichen Personifikationen Jerusalems – als klagende Mutter, vergewaltigte und entehrte Geliebte, verlassene Witwe etc. –, und häufige latrologische Selbstanklagen.4

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Vgl. BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 426–428. Zur Verkündigung der Frühzeit siehe RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 201–204; zur Unheilsbotschaft 204–208; zur Heilsweissagung 217–228. Eine knappe Übersicht über diesen Abschnitt bieten PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 182 und BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 414. Zur Interpretation der Konfessionen vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 209–214; zum Thema der „Freiheit der Propheten“ auch 79–88. Zum Zölibat Jeremias vgl. BONNARD, Jérémie, 882. Zu den Grundstruktur der 'Threni' siehe PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 186–187. Für Exegese und theologischen Gehalt siehe MEYER, Die Klagelieder, 430–434.

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Auch bei Jeremia hat die patristische Exegese die Person und Botschaft des Propheten auf Christus hin ausgelegt und für die eremitisch–monastische Theologie aktualisiert:1 (1) Jeremia schlägt, wie später Jesus, die Verstocktheit des Volkes entgegen, als er zur Buße aufruft, und er gelangt durch seine Sendung zunehmend in eine translimitische Außenseiterposition (Jer 9,2 und 15,17).2 (2) Einsames Sitzen – solus sedere; Klgl 3,26–30 – ist solidarisches Leiden, indem das heilsgeschichtliche Drama des Gottesvolkes Israels existentiell angeeignet und durchlitten wird. In diesem Sitzen vergießt Jeremia zwar Tränen und gibt damit ein Vorbild für die Tränengabe ab (vgl. das donum lacrymarum in Jer 9,1); zugleich öffnet das einsame Sitzen aber einen Freiraum der Kommunikation mit Gott, wodurch Jeremia als Prototyp des Kontemplativen erscheint.3 (3) Der Passionsgehalt der Prophetie des Jeremia und der Klagelieder lässt sich nicht nur auf das Geschick Israels sondern auch auf die Passion Christi anwenden. Jeremia avanciert dadurch zum Vorausbild der Kreuzesnachfolge, Passionsmeditation und compassio.4 Die Gestalt des Jeremia kennt ebenfalls eine latrologische Brechung oder Kriminalisierung – dieses Mal aber nicht vom Propheten gegen seine Feinde, sondern von den Feinden gegen ihn: Jeremia wird am königlichen Wachhof interniert und schließlich mit Tötungsabsicht in die Zisterne des Wachhofs geworfen. Zu dieser Kriminalisierung von Bote und Botschaft kommt es, weil Jeremia während der Belagerung Jerusalems 587/86 sein translimitisches Wissen weiter verkündet und sich dadurch den Verdacht zuzieht, er sei ein Verräter an der Sache Israels und ein Kollaborateur mit dem Feind. 5 Eine letzte Person der translimitischen Freiheit mit latrologischen Konnotationen begegnet uns im Propheten bzw. Apokalyptiker Daniel.6 Daniel und seine Gefährten befinden sich als Exilanten in Babylon7 und widerstehen dem Assimilierungsdruck durch kontrastive Abgrenzung. Sie halten sich minutiös an die jüdischen Reinheitsvorschrif1 2 3 4 5 6

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Details bei BONNARD, Jérémie, 877–889; KANNENGIESER, Jérémie, 890–901; CERTEAU, Lectures chrétiennes de Jérémie, 42–59 und HAMMAN, Jérémie, 181–192. Zur Jeremias–Jesus–Parellele siehe besonders KANNENGIESER, Jérémie, 890 und 897. Zur monastischen Außenseiterposition durch conversio vgl. auch HAMMAN, Jérémie, 190. Siehe hierzu etwa RIEDER, Deus locum dabit, 157–176; besonders die Übersicht 166–170. Siehe dazu etwa auch MATTER, Lamentations Commentaries, 138–139 und passim. Zum Konflikt siehe BACKHAUS/MEYER, Das Buch Jeremia, 415–418; zum biblischen Gefängnis NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 143–144. Für einen Aufriss des Buches vgl. PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 194–200 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 405–407. Weitere Hinweise zur Interpretation bei NIER, Das Buch Daniel, 458–466 und RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 316–338. Zur Exegese und Wirkungsgeschichte im Judentum, Christentum und Islam siehe BRACHT, Die Geschichte der Daniel–Auslegung. Zur Archäologie Babylons vgl. NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 53–54; zum babylonischen Exil siehe CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 470–475.

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ten, führen ein vegetarisches Leben (Dan 1, 8–21) und verweigern sich konsequent dem höfischen Leben der Kulturmetropole. Diese kontrastive Distanz zu Babylon qualifiziert Daniel schließlich zum Einfallstor eines von Jahwe gesendeten kontra– präsentischen Transzendenz–Wissens:1 Er empfängt von Gott die Gabe, Träume anderer zu deuten. Er schaut in apokalyptischen Visionen den eschatologischen Hintergrund der Weltgeschichte. Er sieht in der Symbolgestalt der vier Tiere die vier Weltreiche; er erblickt den Hochbetagten und den Menschensohn.2 Dieses kontra–präsentische Transzendenzwissen des Buches Daniel wurde sowohl in der zelotischen Prophetie wie im Christentum aktualisiert und als Gedächtnisspur fortgeschrieben.3 Daneben enthält das Buch Daniel weitere latrologische Topoi, die sich besonders für die eremitisch– monastische Theologie auslegen lassen: (1) Als Daniel trotz eines ausdrücklichen Verbotes wagt, zu Jahwe zu beten, wird er zur Strafe in eine Löwengrube geworfen, aber durch Gottes Heilswirken gerettet. Die christliche Exegese hat darin ein Vorausbild des österlichen Sieges über den Tod erblickt.4 (2) Als die drei jungen Freunde Daniels die Anbetung eines heidnischen Götterbildes vehement verweigern, werden sie zum Feuertod verurteilt, aber durch Gottes Eingreifen wunderbar beschützt: Im Feuerofen verbrennen die Jünglinge nicht, sondern sie singen stattdessen ein Loblied auf Jahwe. Auch dieses Ereignis der Daniellegende lässt sich für das eremitisch–monastische Leben aktualisieren – im Sinne der Macht des feurigen Gebetes, dem der Beter in einer eremitisch–monastischen Zelle obliegt, und das Schutz gewährt.5 (3) Die sekundär an das Daniel–Buch angehängte Susanna–Passage bietet schließlich eine literarisch glänzend gestaltete Erzählung mit translimitischen Anklängen: Zwei Älteste entbrennt in sexueller Begierde nach der schönen Susanna. Weil diese aber auf das eindeutig translimitische Angebot nicht eingeht, hängen sie ihr 1 2 3 4

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Zur „kontrapräsentischen Erinnerung“ vgl. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 78–86. Zu den Daniel–Legenden siehe RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 332–334; zu den Visionen 334–338. Zur zelotischen Relecture von Dan siehe HENGEL, Die Zeloten, 250–251 und passim. Zur Exegese dieser Stelle vgl. HAAG, Errettung Daniels aus der Löwengrube; LEBRAM, Das Buch Daniel, 77–83; zur allegorischen Deutung siehe etwa ORIGENES, contra Cels 7,57 (SCh 150, 146–148); zur mittelalterlichen Ikonographie vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 52v–53r). Zur Exegese vgl. HAAG, Drei Männer im Feuerofen, 21–50; KOCH, Daniel 1, 314–375 und LEBRAM, Das Buch Daniel, 58–64. Für die Gebetstheologie vgl. GREGOR VON NAZIANZ, orationes 43,74 (PG 36, 595–596) und HIPPOLYT VON ROM, commentaria in Dan 2,29 und 38 (SCh 14, 172–173 und 190–193). Zur Auslegung der Stelle für das Verweilen im kellion vgl. die Passage von JAUSEP HAZZAYA, drei Stufen 144 (Bunge, 176). Das berühmte Fresko aus den Priscilla– Katakomben bildet HENNIG, Jerusalemer Bibellexikon, 269 ab. Zur mittelalterlichen Allegorese vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 52v–53r), wo die Szene mit dem 'Descensus ad inferos“ parallelisiert wird.

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Bausteine der Antike kurzerhand einen Ehebruch an. Beinahe wäre die Verleumdung erfolgreich gewesen und Susanna hingerichtet worden, als Daniel im letzten Augenblick die latrologische Heimtücke und das Fehlurteil aufdeckt und damit Susanna rettet. Die christliche Allegorese hat diese Erzählung mit den Schlüsselbegriffen „Bad, Tod, Rettung“ auf das Taufgeheimnis hin ausgedeutet.1

1.2.3. Zwei Varianten: Tyrannentötung (Judit) und Fest (Esther) Die Botschaft der gerade vorgestellten Prophetengestalten Elija, Elischa, Jeremia bzw. des Apokalyptikers Daniel stellt in der vorliegenden biblischen Endredaktion einen Reflex auf die mehrfache traumatische Beraubung des Volkes Israels durch Fremdvölker dar. In der prophetischen Theologie kommt zur Sprache, wie Bundesgehorsam, Geschichte und Eschatologie (bzw. Apokalyptik) miteinander verknüpft sind. Zwei Bücher der Geschichte, nämlich das 'Buch Judit' und das 'Buch Esther', versuchen diese Verknüpfung von Bundesgehorsam, Geschichte und Eschatologie von einer anderen Warte aus in den Blick zu bekommen. Sie verkünden keine prophetische Rede, sondern bereiten den Stoff als romanhafte Lehrerzählung auf. Dabei drehen sie die Geschichte zu einer „in Wahrheit erfundenen Gegengeschichte“2 um: Sie schildern, wie die Feinde Israels aus ihrer vermeintlichen, bloß angemaßten Vormachtstellung kippen und das scheinbar besiegte Israel schließlich triumphieren kann – unter gewissen latrologischen Brechungen. Im Mittelpunkt der Judit–Geschichte steht eine Judit, deren Name sinniger Weise „Jüdin“ bedeutet und damit verdeutlicht, dass wir sie als Stellvertreterin ihres Volkes aufzufassen haben.3 Insofern ist es konsequent, wenn Judit im Roman die Züge anderer großer Frauengestalten Israels trägt – der Mirjam, Debora, Jael etc.4 Obwohl die Judit– Geschichte im Kern einen theologischen Inhalt transportiert, tragen die Themen Macht, Sex und Tod, die literarisch gekonnt aufbereitet sind, durchaus zum Lesegenuss bei. Die Judit–Narration kann in drei Teile untergliedert werden; hier eine kurzer Überblick: Im ersten Teil wird geschildert, wie König Nabuchodonosor mit dem Anspruch auftritt, die einzige Macht zu sein, und in diesem Sinne nun auch als „Gott“ angesehen werden will. Mit der Aufstellung seines Riesenheeres am Gebirgshang vor Juda klingt der erste Teil aus, und leitet spannungsgeladen zum zweiten über, wo die Frage verhandelt wird, ob Israel, wie alle anderen Völker, vor dem göttlichen Anspruch Nabuchodo1 2 3 4

Zur Exegese siehe NIER, Das Buch Daniel, 464–465 und KOTTSIEPER, Zusätze zu Daniel, 286– 328; zur Tauf–Allegorese vgl. HIPPOLYT VON ROM, in Dan 1, 15 (SCh 14, 98–99). Zum Problem der Wahrheit und Fiktionalität biblischer Texte vgl. KUTZER, In Wahrheit erfunden. Zum Konnex der Juditfigur mit der jüdischen Identitätsfrage siehe besonders ESLER, Ludic history, 107–143. Zu dieser „Erzähleinheit“ siehe ENGEL, Das Buch Judith, 263.

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nosors einklappen wird oder aber Jahwe die Bundestreue hält.1 Die Frage nach der Treue Israels ist im dritten Teil dramaturgisch geschickt durchgeführt: Israel stellt Jahwe ein Ultimatum von fünf Tagen, um sein Volk zu retten, sonst würde man sich dem Feind beugen. Die tapfere Judit stellt sich indes in einer Lehrrede gegen ihr Volk: Wer Gott eine Fristenlösung aufdränge, versündige sich an der Souveränität Gottes und habe damit den Bundesgehorsam schon verletzt. Stellvertretend für ihr schwankendes Volk stimmt sie ein Gebet an, in dem sie den Bundesgehorsam bezeugt. Die Rettung Israels geschieht dann auf spektakuläre Weise. Zuerst verliert Holofernes den Kopf im übertragenen Sinn, weil er sich in Judit verliebt; danach dann wortwörtlich, weil ihn die Heldin – gleichsam im latrologischen Überschwang – beim Fest enthauptet. Israel zieht dankend und preisend nach Jerusalem; der Feind zerstreut sich in die Verwirrung.2 Die Theologie des Buches Judit kreist vor allem um die Frage der Macht: Die Machtposition von Nabuchodonosor und Holofernes stammt aus Selbstüberhebung und kann daher keinen Bestand haben. Die Macht Gottes ist da anders: Gott steht auf der Seite der Schwachen. Gott kämpft nicht durch einen Krieg. Die „Hand Gottes“, die Israel im Exodus aus der Sklaverei befreit hat, bedient sich der schwachen „Hand einer Frau“, um den Feind um Kopf und Kragen zu bringen.3 Die Theologie der Macht im Rahmen der Judit–Geschichte wirft zwei komplementäre Fragen auf: Einerseits muss man fragen, ob man tatsächlich wie Judit Blut vergießen darf, um größeres Leid zu verhindern. Andererseits lässt sich auch die Frage nicht vermeiden, ob es ausreiche, die Opfer, die unter das Rad des Terrors gekommenen sind, nur zu verbinden und zu begraben, oder ob man nicht doch auch, wie Judit es getan hat, diesem Rad in die Speichen greifen müsse.4 Diese im Buch Judit narrativ entfaltete Frage wurde in der Malerei, Dichtung und Musik immer wieder neu aktualisiert – gerade wenn Städte, Provinzen und Länder vor größeren limitischen Krisen standen.5 Für unser Thema ist von besonderer Bedeutung, dass Judit seit der Patristik und während des ganzen Mittelalters als Typos und Patronin der translimitischen Witwen sowie AnachoretInnen galt.6 Die Esther–Geschichte löst solch schwierige Fragen des Theodizeeproblems und des Tyrannenmords im wahrsten Sinne des Wortes spielend auf, wenn sie im fröhlichen Purim–Fest endet. Die Theodizee–Frage wird nichtsdestotrotz auch hier angerissen. Das Buch Esther ist kein eigentlicher Bericht historischer Ereignisse sondern eine Auf1 2 3 4 5

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Siehe hierzu ENGEL, Das Buch Judith, 259. Vgl. ENGEL, Das Buch Judith, 260. Siehe ENGEL, Das Buch Judith, 264–265 (4.1); SKEHAN, Hand of Judith, 94–110 und CORN– FELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 817–818. Siehe hierzu die Überlegungen von ENGEL, Das Buch Judith, 266. Zur Ikonologie vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 56v–57r), wo das Motiv mariologisch kontextualisiert wird. Die berühmteste musikalische Umsetzung hat wohl Vivaldi mit dem Oratorium 'Judita triumphans' geschaffen, um den Sieg Venedigs zu feiern. Zur Judit als Patronin der frühchristlichen Witwen siehe STANDHARTINGER, Wie die verehrteste Judith, 103–126. Als Patronin der AnachoretInnen erscheint Judith beispielsweise in der VITA BURCHARDI (MGH SS 4, 838–840).

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arbeitung der traumatischen Beraubungen Israels, die hier wiederum unter umgedrehten Vorzeichen als Gegengeschichte erzählt wird. Die Vorgeschichte der ersten zwei Kapitel führt ein theatrum mundi vor und stellt die Hauptpersonen des Dramas ausführlich vor Augen: der Perser–König Ataxerxes, der hinterhältige antisemitische Großwesir Haman und die persischen Soldaten auf der einen Seite; die Königin Esther, ihr Onkel Mordechai und das jüdische Volk auf der anderen Seite. Im Hauptteil der Kapitel 3–9 wird der Konflikt beider Gruppen sowie dessen Ausgang geschildert: Das Scheitern des antijüdischen Haman ist gleichzeitig die Rettung Mordechais; das Scheitern der persischen Judenfeinde geht mit der Rettung der Juden einher. Auch hier geschieht die Rettung Israels, wie schon in der Judit– Geschichte, mit einer gewissen latrologischen Brechung; hier allerdings quantitativ gesteigert: Die Judenfeinde werden in großer Zahl in einem Pogrom getötet. Der Sieg der Juden endet schließlich mit der Einsetzung des Purim–Festes: Haman hatte ein Los geworfen, um den Tag für die Tötung der Juden zu bestimmen, und so den 14./15. Adar ermittelt. Von jetzt an feiern die Juden genau an diesem Tag, dass nicht die Feinde, sondern sie selbst durch Gottes Hilfe den Sieg davongetragen haben.1 Auf den ersten Blick mögen die latrologische Brechung, der erwähnte Pogrom, und das Fehlen expliziter theologischer Reflexionen im Esther–Buch irritieren.2 Gesteht man allerdings zu, dass Jahwe in seiner Transzendenz auch in Verhüllung anwesend sein kann, dann lässt sich auf einen zweiten Blick eine reiche Theologie im Hintergrund der Erzählung ausmachen: Die Esthergeschichte spielt auf die Josefsgeschichte an, indem sie zeigt, wie Juden am fremden Hof siegreich sein können; allerdings wird hier der eine Josef gleichsam in die beiden Personen Mordechai und Esther aufgespaltet. Wenn sich Mordechai vor der fremden Macht nicht beugen will, dann ist zudem eine gewisse Anlehnung an das 'Buch Daniel' offenkundig. Noch bedeutender ist die Aktualisierung der Urfeindschaft zwischen den Israeliten und Amalekitern (als Prototyp der Jahwe–Gegnerschaft); durch eine geschickte Genealogie werden folgende Entsprechung konstruiert: Haman verkörpert seinen bösen amalekitischen Vorfahren Agag, während Mordechai dem Saul ähnelt. Von daher ist verständlich, warum Esther im Buch als Königin erscheint: Sie ist Königin im Sinne Davids.3 Die davidische Königin Esther hat freilich einen ganz eigenen Stil, ihre Macht zu demonstrieren: Ihr geht es nicht um den brutalen Machtkampf sondern um Feste der Versöhnung. Die Festtheologie ist offensichtlich das Herzstück des Estherbuches, das eine Vielzahl chiastisch angeordneter Feste aufweist – wobei jeweils die persischen Königsgelage der Selbstdarstellung und arroganten Machtdemonstration dienen, während die jüdischen Feste, die von Frauen veranstaltet werden, 1 2 3

Zum Aufriss der Erzählung vgl. CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 463–464 und ZENGER, Das Buch Ester, 268–270. Siehe hierzu CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 465 und 468 sowie WAHL, Jahwe, wo bist du?, 1–22. Zu dieser „theologischen Lesart“ des Buches siehe ZENGER, Das Buch Ester, 271–275.

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auf Befreiung, Gemeinschaft und gegenseitiges Schenken zielen.1 Das wichtigste Fest bleibt das erwähnte Purim–Fest, dessen Datum von theologischer Bedeutung ist: Wenn das Purim–Fest am 14./15. Adar, also genau elf Monate nach dem Passah–Fest am 14./15. Nisan, stattfindet, dann kommt zum Ausdruck, dass das Befreiungshandeln, das Jahwe mit dem Exodus angestoßen hatte, im Purim–Fest ans Ziel kommt. Die Pointe des Purim–Festes ist die Rettung in (nicht aus) der Fremde.2 Derartige translimitische Konnotationen werden bis heute in der Liturgie und in den Bräuchen des Festes abgebildet: Das vermutlich bei den Juden von Susa als Ersatz des persischen Neujahrs aufgekommene Fest war spätestens ab dem zweiten Jahrhundert v. Chr. auch in Palästina verbreitet (vgl. 2 Makk 15,36).3 Die Rabbiner verfassten eine Liturgie im leicht sanglichen und beschwingten Ton. An Purim darf man nach Herzenslust essen und trinken, Geschenke und Almosen austeilen und vor allem sich verkleiden – als Ausdruck einer kontrafaktischen und translimitischen Perspektive, unter der die Welt auch mal auf dem Kopf steht. Die translimitische Esther ist seit der Romanik in der christlichen Ikonographie und Exegese präsent.4 Insbesondere die Hinrichtung des Haman gestaltete man in der christlichen Kunstgeschichte aus: In der Form der „schändlichen Erhängung des Hamans“ ist sie ein schockierendes Gegenbild zur lebensspendenden Kreuzigung Christi. Michelangelo hatte in der 'Sistina' sogar gewagt, die rettende Kreuzigung des Jesus von Nazareth mit einer Kreuzigung (statt Erhängung) des Haman zu kontrastieren. Der Brauch der Juden, am Purim–Fest eine Haman–Puppe zu verbrennen, konnte im Mittelalter freilich auch zu einem fatalen translimitischen Missverständnis Anlass geben: Manche Christen interpretierten den Brauch aus Unwissenheit als Verhöhnung des Christentums und ließen sich zu antisemitischen Akten hinreißen.5 Es gibt keinen Grund, an der vorgestellten Theologie des Judit–Buchs oder der Esther–Geschichte Anstoß zu nehmen. Wir sind nicht der Meinung, dass sie Christen nichts zu sagen hätten6, ganz im Gegenteil. Sie bieten einen willkommenen Anlass zur theologischen Nachfrage: In der Tat muss man um der Gerechtigkeit willen dem Rad der Geschichte in die Speichen greifen, wie es bei Judits translimitischem Einsatz geschah. Allein wo sind die Grenzen, an denen das translimitische Engagement latrologisch kippt? Das Fest ist in der Tat ein translimitischer Raum, an dem die Freiheit der 1 2 3 4

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Die Helden–Rolle Esthers beleuchtet MACGEOUGH, K., Esther the hero, 44–65. Für diese Interpretation vgl. ZENGER, Das Buch Ester, 273. Zum Hintergrund dieses besonderen Purim–Festes siehe BURNS, The Special Purim, 1–34. Zur romanischen Esther–Ikonographie im Rahmen von Bibelillustrationen vgl. REILLY, The three faces of Esther, 297–326. Zur christlichen Exegese siehe etwa DOCHHORN, Der Esther– Kommentar des Hrabanus Maurus, 159–170. Eine moderne „subversive“ Estherinterpretation für eine Theologie der Befreiung versucht hingegen COSTAS, The subversive–ness of faith, 66. Siehe hierzu WIND, The Crucifixion of Haman, 245–248. Zum Rezeptionswiderstand gegenüber dem Esther–Buch vgl. etwa BUSH, Opus non gratum, 39– 54.

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Vollendung schon jetzt in die Gegenwart einbricht, wie beim fröhlichen Purim–Fest. Allein wann muss auf Erden noch ausgestanden und eben noch nicht gefeiert werden? Diese Fragen des Theodizee–Komplexes übersteigen die beiden Geschichtsbücher und leiten zu den latrologischen Diskussionen des Buchs Ijob und der Gottesknechtslieder über, in die wir jetzt eintreten.

1.2.4. Zwei Zuspitzungen: Ijob und Gottesknecht Zur Besonderheit der jüdischen Anthropologie und Theologie gehört es, die Frage der Freiheit und illegitimen Transliminalität nicht aus einer distanzierten Warte heraus zu reflektieren, sondern das Thema innerhalb einer Hermeneutik der eigenen Heils– und Unheilsgeschichte anzugehen und bis zur Theodizeefrage vorwärts zu treiben. Die Nachdrücklichkeit, sich mit diesen schwierigen Themen zu befassen, kommt in mehreren Schriften auf besondere Weise zum Ausdruck: im Buch Ijob und in den Passagen des Buches Jesaja, die von der Exegese unter dem Verlegenheitsnamen Deutero–Jesaja zusammengefasst werden. Es kann wiederum nur um die Besprechung einiger Aspekte gehen, die sich auf die translimitische Freiheit und ihre latrologischen Brechungen beziehen, und nicht um eine ausführliche Exegese der Texte. Das Buch Ijob1 behandelt zwei zentrale Fragen, die wohl jeden Menschen umtreiben: Wie soll sich der Mensch in extremem Leid verhalten und was sind Ursache und der Zweck eines solchen Leids? Der Prolog zeichnet ein beeindruckend rundes Ijob–Bild: In vier Stufen verliert Ijob Rinder, Kamele, Kinder und Haus (Ijob 1,13–22). Schließlich wird er mit Aussatz geschlagen und von seiner Frau aufgefordert, Gott zu verfluchen (Ijob 2,1–10). Die zentrale Frage, die im Prolog verhandelt wird, ist das Motiv der Frömmigkeit von Ijob: Erweist Ijob Gott die Ehre, weil es ihm gut geht, oder kann er auch im Leid an seinem Glauben festhalten? Das Ergebnis ist eindeutig: Trotz aller Krisen vermag Ijob seinen Glauben zu bewahren. Er ist der große Dulder, und wird in dieser Rolle zum Vorbild, zur persona imitabilis, für ganz Israel.2 Im Dialogteil zwischen Ijob und seinen Freunden werden die im Hintergrund dieses Ijob–Bildes des Prologs verborgenen latrologischen Tiefenfragen ausgeleuchtet: Gemäß des Tun–Ergehens–Zusammenhangs und des Gesetzes der Entsprechung ist hinter der 1

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Zum Grobaufriss des Buches, wichtigen Strukturmerkmalen, Detailbeobachtungen und dem Profil Ijobs siehe PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 123–129; SCHWIENHORST–SCHÖNBERGER, Das Buch Hiob, 297–301; LÉVÈQUE, Job, 1201–1218 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 776–783. Siehe dazu SCHWIENHORST–SCHÖNBERGER, Das Buch Hiob, 298 und 306 (1), sowie LÉVÈQUE, Job, 1201–1202 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 777. Zur mittelalterlichen Allegorese und Ikonographie des Prosateils vgl. vor allem die Darstellung des SPECULUM HUMANAE SALAVATIONIS fol 36v–37r, wo das Hiob–Bild mit der Geißelung Christi parallel gesetzt wird.

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translimitischen Außenseiterposition und dem Aussatz Ijobs eine latrologische Untat zu vermuten: Ijob müsse wohl ein Sünder oder Frevler sein, der das Leid als Strafe verdient habe. In drei Redegängen werden alle möglichen Aspekte der Ijob–Rolle ausführlich hin– und hergewendet: Leid aufgrund kreatürlicher Schwäche; das undurchschaubares Walten Gottes und immer wieder die zu vermutenden Verbrechen Ijobs. Ijob verweigert sich indes der Identifizierung als Sünder, beteuert seine Unschuld und fordert Gott beinahe selbst heraus.1 In den sogenannten Elihu–Reden wird der Argumentation Einhalt geboten, Ijob und die Freunde werden gleichermaßen getadelt und eine Lösung anvisiert: Einerseits kann Leid sehr wohl Teil des vom Menschen uneinsehbaren göttlichen Rettungshandelns sein. Andererseits bestimmt der souveräne Gott den Zeitpunkt seines Eingreifens und bedarf dazu nicht des Rats der Menschen.2 Die folgenden „erlösenden Gottesreden“ biegen dann in die Zielgerade ein: Sowohl die Scheinlösung der Freunde wie die verbohrte Leidensfrage Ijobs führen nicht weiter. Die Theodizee–Frage kann nur ver– und bestanden werden, wenn der Leidende seine verschlossene Anthropozentrik aufbricht; wenn er einsieht, dass sein Geschick in ein kosmisches Gesamtgeschehen eingebettet ist, das er nicht mit seiner autonomen Vernunft ausloten kann; und wenn er schließlich dessen inne wird, dass auch inmitten von Leid der Glaube an Jahwe möglich ist. Durch diese translimitische Bewegung von der Anthropozentrik über die Kosmozentrik zur Theozentrik wird nun endgültig der zwingende Charakter des Tun–Ergehen–Zusammenhangs aufgelöst und die translimitische Außenseiter–Rolle rehabilitiert: Ein translimitischer Außenseiter muss kein Sünder sein; Leiden und Aussatz haben nicht eo ipso einen latrologischen Hintergrund und sind nicht immer Straffolgen von Frevel, Raub, Schuld und Sünde. Sie können auf eine verborgene, ja vom Menschen uneinsehbare Weise in den Heilsplan Gottes eingebettet sein.3 Dieser tröstlichen Botschaft des translimitischen Ijobs war eine breite Rezeptionsgeschichte beschieden, von der Patristik bis zum Mittelalter: In der Exegese verband und parallelisierte man gemäß dem allegorischen Sinn den alttestamentlichen Ijob mit Christus. Das Motiv aktualisierte man über die Zeiten in Text und Bild.4 Wie aber kann eine sinnvolle Funktion solchen Leidens oder einer translimitischen Außenseiterposition zumindest annäherungsweise dargelegt werden? Die sogenannten 1 2 3 4

Siehe SCHWIENHORST–SCHÖNBERGER, Das Buch Hiob, 299–301; 306 (2); LÉVÈQUE, Job, 1202– 1203 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 777–780. Siehe SCHWIENHORST–SCHÖNBERGER, Das Buch Hiob, 301 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 780. Siehe hierzu SCHWIENHORST–SCHÖNBERGER, Das Buch Hiob, 306 (3–4) und 308; LÉVÈQUE, Job, 1214–1216 und CORNFELD/ BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 782–783. Zur Ijob–Legende im Mittelalter vgl. BESSERMANN, The legend of Job. Für die typologische Ijob–Christus–Parallele siehe OSTEN, Job and Christ, 153–158 und SPECULUM HUMANAE SAL– VATIONIS (Handschrift 2505, f 36v–37r). Für die Ikonographie vgl. HEUSER, Hiob – eine Auseinandersetzung im Bild, 43–47. Zu Ijob als Vorbild der geduldigen anachoretischen Askese im kellion vgl. JAUSEP HAZZAYA, drei Stufen 72 (Bunge, 123).

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'Gottesknecht–Lieder'1 gehen gerade dieser im Ijob–Buch aufgeworfenen Frage, deren Lösung dort nur angedeutet wird, weiter nach: Im Mittelpunkt steht der sogenannte Knecht Jahwes (ebed Jahwe), eine Gestalt, deren Deutung mit einigen interpretatorischen Unsicherheiten behaftet ist. Der Term ebed kann grundsätzlich als Kollektivname stehen, für die Frommen des Gottesvolkes oder für ganz Israel. Daneben wird das Wort auch Einzelpersonen wie Abraham, Isaak, Mose, David etc. zugeschrieben. Die kollektive und individuelle Deutungsstrategie müssen sich nicht gegenseitig ausschließen.2 Kurz zum Inhalt der Lieder: Im ersten Text wird der Knecht mit dem Geist Gottes ausgerüstet, um den Völkern Recht zu bringen. Im zweiten Lied kommen sowohl gravierende Schwierigkeiten dieses Heilsdienstes als auch eine Zuversicht angesichts der Hilfe Gottes zur Sprache. Im dritten Text ist das redende Ich ein gelehriger Schüler, dem aufgeht, dass man dem Leiden nicht ausweichen kann, sondern anlässlich des Heilsdienstes Gottes durch es hindurchschreiten muss.3 Im vierten Lied fallen die eigentlichen Spitzenaussagen der Deutero–Jesaja–Theologie: Das unerhörte Leiden– zum–Tode des Knechtes ist kein Hinweis auf eine verdeckte Schuld im Sinne des Tun– Ergehens–Zusammenhangs. Ganz im Gegenteil: Der Knecht ist gerade in der Niedrigkeit seines Leidens erhöht und in die Gemeinschaft mit Gott versetzt. Dadurch wird sein Leiden für die Menschen fruchtbar und bewirkt Ableistung und Sühne für eine Schuld, die alle Menschen betrifft. Wie immer man den ebed deuten mag – als den Propheten Deutero–Jesaja, als eine andere Person der Vergangenheit oder Gegenwart, als Volk Israel oder als Messias –, so liegt die überragende Bedeutung dieser Knechtsgestalt für das Thema der translimitischen Außenseiterposition auf der Hand: Der scheinbare Sünder, Verbrecher und Frevler; der zerbrochene und zerschlagene Knecht, der Krankheit, Schmerzen und Wunden trägt und auf dem die Strafe liegt, ist in Wahrheit eine Person, die für die anderen Frieden und Heilung erwirkt.4 Aus diesem Grund ist die Christologie, vom Neuen Testament über die Patristik bis heute, immer auch eine Gottesknecht–Christologie.5

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Zum Aufriss der Textstücke siehe PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 170–173 und JÜNGLING, Das Buch Jesaja, 390–391; zur Interpretation vgl. RAD, Theologie des Alten Testaments 2, 260–270 und den Nachtrag in 283–288. Vgl. PREUß/BERGER, Bibelkunde 1, 174–176. Genauere Details bei BUDDE, Ebed–Jahwe–Lieder und JANOWSKI/STUHLMACHER, Der leidenden Gottesknecht. Vgl. JÜNGLING, Das Buch Jesaja, 390–391. Siehe JÜNGLING, Das Buch Jesaja, 391 und JANOWSKI, Er trug unsere Sünden, 1–24. BERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums, 24–26.

1.3.

Fazit: Translimitisch–mandativer Imperativ und Theodizee

Das Alte Testament beinhaltet eine anspruchsvolle Anthropologie und Theologie der Freiheit, die im biblischen Text in reichem narrativen Gewande präsentiert wird, für eine Zusammenfassung aber in eine eher systematische Sprache übersetzt werden muss: In den biblischen Schöpfungsberichten wird gezeigt, wie dem Menschen – trotz aller Einbindung in die Natur – eine Sonderrolle zukommt, weil er ein Wesen der Transzendenz ist. Aufgrund seiner transzendentalen Freiheitsbegabung kann der Mensch nie innerweltlich Erfüllung finden, sondern ist zum unaufhörlichen Überstieg auf die Transzendenz hin berufen, ja verpflichtet. In den Büchern der Heiligen Schrift werden die wesentlichen Handlungsoptionen der transzendentalen Freiheit des Menschen vorgeführt, insofern sie in der Heils– und Unheilsgeschichte Wirklichkeit geworden sind: Im hamartiologischen Bogen des Buches Genesis kommt zur Darstellung, wie der Mensch in seiner Freiheit verdirbt, wenn er sich im Akt einer wahnhaften Selbst–Autonomisierung vom transzendenten Letztziel abzukoppeln versucht und sich die Position Gottes rauben will (Sündenfall), oder durch rivalistisches und egoistisches Denken in räuberischen Zorn, Hass, Gewalt und Mord ausbricht (Kain). Anderen Orts kommt umfassend zur Sprache, wie leicht der Mensch seine Freiheitsbegabung an Scheinobjekte verliert, sie vergöttlicht und so zu ihrem Sklaven wird – und sich dabei der eigenen Transzendentalität und des Bundes mit Gott beraubt (Goldener Jungstier). Nur weil Gott die Initiative ergreift und stets neue Möglichkeiten der Umkehr gewährt, kann der Mensch von den latrologischen Eintrübungen seiner Transzendentalität immer wieder freigesetzt werden, um Gott auf der Spur zu bleiben – so die Botschaft des Exodus. Um beim Menschen auch unter den Bedingungen der Sünde mit der Botschaft der Transzendenz immer wieder anzukommen, hat sich Jahwe Propheten geschaffen, welche den Menschen mit feurigem Eifer zur translimitischen Gottessuche anleiten. Eine latrologische Brechung der Transzendenzsuche ist aber auch innerhalb einer prophetischen Theologie der Befreiung zu konstatieren: Einerseits kann der Prophet als Bote der Transzendenz in einer Gesellschaft, die sich hinter einer aufgerüsteten limitischen Kontur vor der Transzendenz verschanzt, nur unter einer latrologischen Brechung erscheinen – gleichsam als Sünder, Verbrecher und Frevler –, obwohl der Prophet, der sich in seiner translimitischen Freiheitsliebe kontrastiv von der ungerechten und ausbeuterischen Gesellschaft abgrenzt, ja gerade nicht auf der Seite des Frevels sondern Jahwes steht. Zudem kann die kontra–präsentische Transzendenzbotschaft des Propheten oder Apokalyptikers von einer in die Immanenz verstrickten Gesellschaft nur noch in der latrologisch gebrochenen Form der Gerichtsandrohung angeeignet werden. An-

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dererseits bleibt der Prophet, mag er noch so sehr ein berufener Zeuge der Transzendenz sein, in seiner eifrigen, um nicht zu sagen zelotischen Freiheitsdynamik nie vor latrologischen Eintrübungen oder Ausbrüchen gefeit: Nach dem Sündenfall bleibt es für jeden Menschen, auch für den Propheten, Aufgabe, seine Freiheit dem göttlichen Befreiungshandeln einzuordnen – das heißt, am Gesetzes– und Sendungsgehorsam Maß zu nehmen, auf jede Form der Selbstgerechtigkeit zu verzichten und die Vollstreckung von Gerechtigkeit an das Gericht Jahwes zurück zu delegieren. Will man diesen Anspruch des Alten Testaments an den Menschen auf einen griffigen Nenner bringen, so könnte man sagen, das Alte Testament beinhalte erstens einen translimitisch–kultischen Imperativ, der verbietet, die menschliche Transzendenzbegabung in die Immanenz zurückzubiegen und einzuschließen, die mosaische Unterscheidung aufzulösen oder die Transzendentalität innerweltlich durch Götzen zu kompensieren; und zweitens einen mandativ–ethischen Imperativ, der die translimitische Dynamik des Menschen strikt auf den im Wort hinterlegten Willen Jahwes verpflichtet. Diese beiden Imperative entsprechen den beiden Gesetzestafeln des Dekalogs: Der translimitisch–kultische Imperativ bezieht sich in besonderer Weise auf die ersten drei kultischen Gebote – auf die ausschließliche Verehrung Jahwes, das Bilderverbot und das Sabbatgebot –, die den revolutionären Monotheismus Israels tragen, und vom Menschen verlangen, Gott wirklich als Gott anzuerkennen und anzubeten, und nicht nur als ein „kulturelles Phänomen“ anzuzielen. Der mandativ–ethische Imperativ korreliert hingegen in besonderer Weise mit den sieben ethischen Geboten, welche die translimitische Entgrenzung des Menschen auf den im Gesetz hinterlegten Willen Gottes verpflichten. Man könnte zudem sagen, dass dem translimitisch–kultischen Imperativ eine besondere Affinität zur limitischen Außenkontur eigne, dem mandativ–ethischen Imperativ hingegen zur limitischen Binnenstruktur (ohne dass man diese Zuordnung pressen dürfte). Angesichts der Unheilsgeschichte, die im Alten Testament schonungslos aufgedeckt wird, erhellt freilich, dass der Mensch von sich aus zur Erfüllung des translimitisch– kultischen und mandativ–ethischen Imperativs kaum fähig ist. Immer wieder stellen sich massive latrologische Krisen an der limitischen Kontur und Struktur ein. Immer wieder scheitert der Mensch kläglich am göttlichen Anspruch, ja zerbricht beinahe an ihm, wie die Klagelieder, das Buch Ijob oder die Gottesknechtslieder bezeugen. Aus der Perspektive der Theodizee–Frage bleibt Israel eine „Landschaft aus Schreien“, weil alle Antwortversuche an der „einen Frage zuviel“ ihre Grenze finden, und darin auf eine schmerzhafte Weise offengehalten werden.

1.4.

Lêstês–latro – der Räuber der hellenistisch–

römischen Kultur

Eine vergleichbare latro–Theologie kann im hellenistisch–römischen Bereich kaum aufgespürt werden, wenngleich in der Mythologie des Hermes oder Prometheus latrologische Sachverhalte mit religiöser Relevanz zur Sprache kommen, denen wir hier nicht weiter nachgehen können.1 Der semantische Grundbefund im Griechischen und Lateinischen spiegelt in seiner Zweipoligkeit die oben skizzierte jüdische Differenz zwischen Binnenethik und Außenpolitik trefflich wider: Auch im Griechischen existieren zwei Grundworte, um das semantische Räuberfeld auszumessen: a[rpax = harpax und lh|sth,j = lêstês. Zur Begriffsklärung: Harpax ist von seiner Grundbedeutung her der illegitime Dieb/Räuber/Einbrecher des sozialen Binnenraums; lêstês steht hingegen für den tendenziell wertneutralen Beutenehmer – sprachlich verwandt mit lêis = Beute und lêizomai = erbeuten.2 Als sich die griechische Kultur freilich zum ökumenischen Hellenismus mit einer Expansions– und Integrationsideologie fortentwickelte, wurde diese Grundbedeutung beträchtlich umgeschmolzen. Harpax und lêstês bezeichnen nun nicht mehr in erster Linie die zwei gleichsam horizontal nebeneinander liegenden Formen des Räubers (als Figur des Binnen– oder Außenraums), sondern eher zwei vertikal aufeinander verweisende Momente eines Räuberseins. Für die Zeit des Hellenismus und des Römischen Reiches dürfen wir daher folgende Begriffsbestimmung vornehmen: (1) Harpax ist die Person, welche in die (in sozialen Prozessen errichteten) Areale anderer einbricht und sich daran (beziehungsweise darin) vergreift.3 Lêstês kann in vielen Fällen fast als ein Synonym zu harpax erscheinen, hat aber dennoch stets die Tendenz, weitere ideologische Obertöne zum Klingen zu bringen und so ein schillerndes, nur schwer auszumessendes Bedeutungsfeld aufzuschließen. Lêstês meint also den tendenziell sozialschädlichen Übertreter mit einem Fächer von Bedeutungsnuancen: politisch, sozial, religiös, juristisch, rhetorisch, etc.4 Der griechisch–hellenistische lêstês–Begriff war offensichtlich sprachlich attraktiv, wurde alsbald ins talmudische Hebräisch als syjsyl übernommen und drängte so die au1 2 3 4

Interessant für eine latrologische Mythologie sind die 'Taten des Hermes'; vgl. RANKE–GRAVES, Griechische Mythologie, 52–56, sowie die 'Taten des Prometheus' 127–132. Zur Diskussion der Begriffe siehe vor allem HENGEL, Die Zeloten, 25–26, mit wertvollen Details in den Anm. 1–6. Vgl. HENGEL, Die Zeloten, 25, der den harpax ganz schlicht als „Räuber von fremden Eigentum“ bestimmt. HENGEL, Die Zeloten, 25 formuliert deutsche Übertragungen wie „bewaffneter Gewaltverbrecher“, „Seeräuber“, Person eines „irregulären Soldatenverbandes“ etc.

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tochthonen hebräischen Worte, die auf den Binnen– und Außenraum spezifiziert waren und nur mehr zum Teil der politisch–sozialen Realität entsprachen, an den Rand.1 (2) Ein ganz ähnliches Verhältnis lässt sich auch für die lateinische Sprache erheben: Fur bezeichnet den Dieb/Räuber als illegitimen Entwender von Eigentum, während latro ein überaus vielschichtiges und verwickeltes ideologisches Bedeutungsfeld öffnet.2 Die kaum überschaubare Bedeutungsvielfalt von lêstês–latro erscheint besonders in den Texten des Römischen Rechtes verdichtet3; gerade sie sind geeignet, eine relativ saubere Begriffsbestimmung vorzunehmen. Der Bedeutungsumfang lässt sich gleichsam in drei Schritten ausmessen: (1) Latro ist in seiner einfachsten Grundbedeutung eine Person, die – meist unter Waffenandrohung – in den Integritätsbereich einer (natürlichen oder juristischen) Person eindringt, um sie ihres Eigentums/Besitzes bzw. bestimmter Rechte zu berauben. Mord ist kein formeller Teil des Tatbestandes des latrocinium aber in der Praxis doch eine häufige Begleiterscheinung.4 Etliche Rechtstexte bezeugen, dass der illegitime Waffenbesitz von latrones ganz erheblich ins Gewicht fallen konnte, da er das Gewaltmonopol des römischen Staates massiv in Frage stellte.5 (2) Das römische Recht thematisiert den latro nicht nur als individuelle Größe sondern, sozusagen auf einer zweiten Begriffsebene, auch als Mitglied eines Gruppenverbandes: Latrones im Sinne von grassatores sind vagabundierende Gruppen von Landstreichern, die allein aufgrund ihrer Personenstärke relativ leicht Vorteile oder Güter erpressen konnten. In den meisten Fällen beschieden sich derartige latrones nicht auf ihre zahlenmäßige Stärke, sondern agierten als bewaffnete Bande, als factio, um mit taktischem Kalkül und Waffenstärke ihre Ziele zu erreichen. (3) Auf einer dritten, eminent politischen Begriffsebene bezieht sich der latro–Titel auf Gruppen, die außerhalb der Reichweite des Staats– und Bürgerrechtes oder den konkreten Einflussmöglichkeiten der staatlichen Autorität lagen und daher die 1 2

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Hinweise zum Lehnwort siehe HENGEL, Die Zeloten, 35 Anm. 6; weitere Details über das rabbinische Schrifttum mit Belegen 35–42. GEORGES, Handwörterbuch 1, 2881–2882 bestimmt den fur als „Dieb, Spitzbube, Schurke, Schalksknecht“; den latro in Handwörterbuch 2, 581 als „gedungenen Diener, Trabanten, Söldner, Freibeuter, Buschklepper, Wegelagerer, Straßenräuber, Banditen, Strolch, Lotterbuben, Brigant, Jäger“. HENGEL, Die Zeloten, 25 hält zur Begriffsentsprechung fest: „Dem griechischen lêstês entspricht genau das lateinische latro“. Zum Folgenden vgl. HENGEL, Die Zeloten, 31–35; MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 629–630 und PFAFF, latrocinium, 978–980. Vgl. etwa die Kennzeichnung des latro von HENGEL, Die Zeloten, 32 als „bewaffnete(r) Verbrecher, der andere überfällt, um sie zu berauben, und dem es dabei auf einen Mord nicht ankommt“. Siehe hierzu MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 564, hier besonders Anm. 2.

Lêstês-latro

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Integrität des römischen Volkes in Frage stellen, gefährden oder gar beschädigen konnten.1 Verlässt man den Kreis strikt juristischer Texte und zieht weitere Textzeugnisse aus den unterschiedlichen Gattungen der lateinischen Antike zu Rate, so befindet man sich auf einem relativ unübersichtlichen Terrain. HOBSBAWM hat in seinem Grundlagenwerk zu den Banditen der römischen Antike eine Typologie von latrones versucht; GRÜNEWALD hat, auf diesen Vorarbeiten aufbauend, die Materialgrundlage erweitert, sie einer genauen Prüfung unterzogen und die Typologie weiter entwickelt.2 Weil es uns in dieser Studie nur auf die Grundaspekte der Begriffsverwendung ankommt, dürfen wir die in der Forschung formulierten kritischen Anfragen an beide Autoren vernachlässigen und uns ganz unbefangen an ihre Typologie anlehnen. Auf die Frage, wer in den Texten der lateinischen Antike mit latro bezeichnet wird, kann man mit GRÜNEWALD idealtypisch vier latro–Rollen unterscheiden: (1) Latro meint erstens den „echten Räuber“, der im juristischen Sinne einen Diebstahl oder Raub begeht. Belege für derartige Fälle lassen sich besonders aus Papyri des römischen Ägyptens beibringen.3 (2) Latro ist zweitens der Anführer einer unterdrückten Ethnie oder anderen sozialen Gruppe. Prominente Beispiele derartiger Rebellen sind Viriathus und Tacfarinas, oder die Anführer von Sklavenverbänden bei der sizilianischen Sklavenrevolte und beim Spartacus–Aufstand.4 (3) Die latro–Titulatur dient drittens dazu, politische Rivalen um die Macht und Führungsrolle im Staat negativ zu denotieren. So stigmatisieren sich die verschiedenen Bandengruppen in Judäa kurz vor dem Konflikt von 66–72 oder rivalisierende Autoritätsträger im römischen Reich gegenseitig als latrones.5 (4) Ein vierter und letzter Aspekt der latro–Bezeichnung sei mit der Vokabel „Rächer“ umschrieben – eine gleichsam messianische Figur, die für einen ausgeschalteten Vorgänger eintritt und in seinem Namen Rache nimmt oder Vergeltung exekutiert.6 Die Stärke dieser Typologie von GRÜNEWALD liegt auf der Hand: Sie besticht durch ihre Prägnanz und Anschaulichkeit, die sogar in einer alliterativen Formel Ausdruck findet: latro bezeichnet den Räuber, Rebellen, Rivalen oder Rächer.7 War aber dieser latro in seiner vierfachen Differenzierung tatsächlich eine historische Person oder lediglich eine literarische Kunstfigur? Hier bringt GRÜNEWALD eine zweite Typologie 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. HENGEL, Die Zeloten, 32, hier besonders die Anm. 6–9. Vgl. HOBESBAWN, Bandits, und GRÜNEWALD, Räuber. Siehe GRÜNEWALD, Räuber, 21–45. Vgl. GRÜNEWALD, Räuber, 50–77 und 82–103. Siehe GRÜNEWALD, Räuber, 130–56. Vgl. GRÜNEWALD, Räuber, 196–230. Siehe GRÜNEWALD, Räuber, 231–236.

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ins Spiel: Man müsse den „gewöhnlichen Räuber“, dem es um die persönliche Bereicherung geht, und der daher keine elaborierten Begründungsstrategien braucht, vom „edlen Räuber“ unterscheiden, der mit großem ideologischen Aufwand höhere Motive und gerechte Gründe ins Feld führt, um sein Handeln plausibel zu machen oder zu rechtfertigen. Man wird wohl uneingeschränkt zugeben dürfen, dass es GRÜNEWALD gelingt, einer Simplifizierung der latro–Vorstellung zu wehren: Mit seiner Unterscheidung von vier Rollen – Räuber, Rebell, Rivale, Rächer – und der zweifachen Differenzierung „gewöhnlich“ und „edel“ lässt sich eine idealtypische Struktur mit acht Elementen entfalten. Der latro–Typos referiert durchaus auf soziale Wirklichkeit, erscheint aber in den vorliegenden Texten innerhalb eines komplexen Machtdiskurses, den man nicht naiv übernehmen darf, sondern durch eine kritische Analyse sorgsam aufdecken und hinterfragen muss.1 Sensibilisiert durch eine solche Rollenanalyse des latro können wir nun einen Vorstoß wagen, um latrones in religiösen, jüdisch–christlichen Kontexten aufzuspüren.

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Siehe GRÜNEWALD, Räuber, 102–103.

1.5.

Religiöse Valenz des latro–Titels im spätjüdischen Horizont

1.5.1. Jüdische Freiheitsbewegungen als latro–Gruppen Die Pax Romana Augusta war in erster Linie eine römische Herrschaftsideologie; in ihrer programmatisch–praktischen Ausrichtung trug sie aber durchaus dazu bei, das Reich in Teilaspekten zu stabilisieren und so einen gewissen ökonomischen Aufschwung zu stützen.1 In Italien scheint die soziale Stabilisierung zum Teil erfolgreich gewesen zu sein, so dass latrones im Kernland nicht als drängendes Sicherheitsproblem aufgefasst wurden – trotz eines gewissen Restrisikos. In Texten wie Erzählungen, Romanen und im Schauspiel erscheint der latro zumindest eher als humoristische und unterhaltsame Gestalt denn als Respekt erheischender Gewaltverbrecher.2 Auch in Palästina ist für die augusteische Zeit eine gewisse wirtschaftliche Blüte zu verbuchen. Was auf den ersten Blick vorteilhaft wirkt, zeigt allerdings auf den zweiten Blick eine gravierende soziale Nebenwirkung, die einen perfekten Nährboden für ein ganz massives latro–Problem bereithält: ungebremste Besitzkonzentration bei Wenigen, bei gleichzeitiger Verschuldung Vieler – eine Dynamik, welche durch die römisch–jüdische Doppelbesteuerung massiv verstärkt wurde. Hinzu kam eine Überbevölkerung Palästinas und eine sehr unzuverlässige Landwirtschaft, wie die zahlreichen Hungersnöte seit dem Jahr 25 n. Chr. überdeutlich belegen. Die scheinbare Konsolidierung in manchen Bereichen führte aufs Ganze gesehen in eine soziale Krise.3 Besonders sensibel für soziale Spannungen und politisch reaktionsbereit war nicht so sehr die

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Zur Bedeutung der Pax Romana Augustana für die Jesusbewegung vgl. die Skizze bei GNILKA, Jesus von Nazareth, 35. Überlegungen zur dramaturgischen Funktion bieten GRÜNEWALD, Räuber, 10–11 und 26 sowie FRIEDLÄNDER, Darstellungen aus der Sittengeschichte 1, 357. HENGEL, Die Zeloten, 28 (hier besonders Anm. 3–7) weist hingegen auf Zeugnisse eines doch recht beträchtlichen Räuber– Restrisikos beim Reisen in Italien hin. Die soziale Lage in Palästina zur Zeit Jesus umreißt GNILKA, Jesus von Nazareth, 66–74 und listet in 74 die wichtigste Literatur zum Thema auf. Eine eigenständige sozioökonomische Faktorenanalyse bietet THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 34–46, mit einer genaueren Ursachenforschung und der glücklichen Unterscheidung von aggressiven, evasiven und subsiditiven Verhaltensmustern; in 46 eine Zusammenfassung der Situation. Weitere Hintergründe bietet auch LEE, Soziale Unruhe und Urchristentum, 67–87 und APPELBAUM, Economic Life in Palestine, 631–700.

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Unterschicht als vielmehr die unter Druck geratene Mittelschicht, die den Verlust ihres sozialen Status befürchtete.1 Die genannten ökonomischen Spannungen waren vor allem mit den religionspolitischen Prozessen in Palästina verschränkt: Die Bevölkerung in Israel war nicht nur ökonomisch, sondern auch hinsichtlich ihrer religiösen und ethnischen Identität massiv unter Druck geraten. Das Konzept einer hellenistisch–römischen Ökumene stützte sich auf eine pagane paideia und Religion (inklusive Herrscherkult), die für das monotheistische Judentum unannehmbar waren. Seit den Makkabäern hatten fromme Juden Angst, sich mit hellenistischem oder römischem Paganismus zu infizieren, und leisteten passiven oder aktiven Widerstand.2 Den Träumen der jüdischen Ökumene, welche die Wiederaufrichtung und eine Führungsrolle des Volkes Israel zum Inhalt hatten, widersprach der reale Geschichtsverlauf3; sie konnten zuerst nur durch eschatologische Visionen aufgefangen werden. Dass die eschatologischen Hoffnungen dennoch in naher Zukunft Wirklichkeit werden konnten, legte eine genauere Betrachtung der politischen Umstände in Palästina nahe. Die römische Besatzungspolitik gestaltete sich inkompetent und voller Widersprüche. Die kümmerliche Militärpräsenz der Römer wirkte zudem auf manche jüdischen Gruppen geradezu als Einladung zur revolutionären Aktion. Die wenigen hellenistische Stadtrepubliken, oder gar die jüdischen Institutionen (Hohepriester, Synhedrion, herodianische Monarchie), die sich in einer ständigen Legitimationskrise befanden, waren für die Gesellschaft im Umbruch alles andere als ein Stabilitätsfaktor.4 Die skizzierte Dynamik lässt sich zu einer Formel verdichten: Die ständige Infragestellung der jüdischen Theokratie führte zu einer sozialen Aktivierung und Freisetzung von Einzelpersonen und Gruppen und gab den perfekten Nährboden für jüdische Erneuerungs– und Freiheitsbewegungen ab.5 Wie die Römer, die in ihre Ökumene–Politik nur schwer integrierbare Juden einordnen mussten, liegt auf der Hand: Die latrones– Titulatur zur Kennzeichnung widerspenstiger Provinzvölker, wie etwa der Bukolen in Ägypten, Kleinasier, Pamphylier, Isaurier oder mancher Stämme in Sardinien und Spa-

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Die soziale Sensibilität und Labilität der Mittel– und Oberschicht betont zu Recht THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 40–41, während GNILKA, Jesus von Nazareth, 68 zur gegenteiligen Einschätzung kommt: „Diese soziale Mittelschicht dürfte ... ein stabilisierender Faktor gewesen sein“. Vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus, und HENGEL, Juden, Griechen und Barbaren. Zur Xenophobie der Juden vgl. THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 87–88. Zum Konflikt des hellenistischen und jüdischen Ökumene–Konzeptes vgl. THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 86–90. Vgl. die Faktorenanalyse bei THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 62–74. Schon HENGEL, Die Zeloten, 34–35 erwähnt als eine mögliche soziale Ursache des steigenden Räuberwesens die Zersetzung des Kleinbauerntums; THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, liefert weitere Details des sozialen Gesamtprozesses. Für das aufblühende Dissidententum vgl. CARROLL, Rebellion and Dissent, 176–204.

Religliöse Valenz

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nien, stand bereit1 und wurde folgerichtig auf die Juden übertragen: Juden sind – qua Judentum im Sinne einer Erneuerungs– und Freiheitsbewegung – latrones.2 Ähnlich klingt die Wendung Senecas, die Juden seien aufgrund ihres antirömischen Affektes eine „höchst verbrecherische Nation“.3 Andere Autoren haben den Vorwurf mit ethischen Argumenten weiter ausgebaut und bezichtigten die Juden der Verantwortungslosigkeit und Faulheit, welche sie geschickt mit dem Sabbatgebot kaschierten.4 Hinter solchen antisemitischen Formeln steht die römische Kritik am Versuch der Juden, ihre Identitäts– und Freiheitsproblematik durch Aufrüstung der limitischen Struktur in den Griff zu bekommen. Die massive Abgrenzung von der paganen Umwelt geschah in erster Linie durch Normenverschärfung oder „das Legen eines Zaunes um das Gesetz“ – so die zeitgenössische Wendung der Pharisäer.5 Nun könnte man sich daran stoßen, dass jüdische Erneuerungsbewegungen ihre Freiheitsliebe mit einem Programm der Normenverschärfung koppelten. Wäre nicht eine Normenentschärfung der emanzipatorischen Absicht dienlicher gewesen? Es liegt auf der Hand, dass Freiheit zuerst einmal „Freiheit von“ besagt und insofern eine zwangsfreie Wahlmöglichkeit zwischen Alternativen impliziert. Unter dem Stichwort „Freiheit zu“ kann man freilich zeigen, dass die bloße Wahlfreiheit zwischen möglichst vielen Alternativen noch nicht die höchste Form von Freiheit darstellt. Die Entscheidung für eine der Alternativen muss die Freiheit nicht einschränken, sondern kann kraft des richtigen Entschlusses höhere Formen der Freiheit erst eröffnen und neue Entscheidungsfelder aufschließen. Dieser Sachverhalt ist für das Verständnis des jüdischen Gesetzes6 zentral: Es dient nach jüdischer Auffassung gerade nicht der Fesselung des Menschen, sondern ist die von Gott geschenkte Freiheitsgabe, mittels derer sich der Mensch aus Abhängigkeiten und Versklavungen lösen kann, um so den von Gott in seinem Bund mit Israel aufgeschlossenen Raum gelingenden Lebens zu betreten. Die jüdische Erneuerungsbewe1 2

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Vgl. die von HENGEL, Die Zeloten, 26–31 gesammelten und interpretierten Beispiele. Eine explizite Verwendung der Räubertitulatur begegnet bei STRABO, geographica 16,2,37 (Meineke, 761) und 28 (759), sowie bei JUSTINUS, epitoma 40,2,4 (Seel, 166). HENGEL, Die Zeloten, 31, hier besonders Anm. 3, weist auf ein Echo solcher Verleumdungen in der rabbinischen Literatur hin. In 33 kommt HENGEL zum Schluss „dass die Römer die Glieder der jüdischen Freiheitsbewegung ... gar nicht anders nennen konnten als eben lêstai; sie waren gesetzeslose Aufrührer und darum mit gemeinen Verbrechern gleichzusetzen“. Die starke Wendung sceleratissima gens und der Antijudaismus von SENECA wird von AUGUSTINUS, De civitate Dei 6,11 (Perl, 408–410) besprochen. Zum antiken Antisemitismus bei POSEIDONIUS, CICERO, SENECA, TACITUS u.a., sowie bei der breiten römischen Öffentlichkeit vgl. THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 86–87 und BARON, Social and Religious History 1, 188–195. Weitere Informationen bei GAGER, Origens of Anti–Semitism. Vgl. etwa die „Absonderung von den Heiden“ durch die „Achtzehn Halachot“ der Schule Schammais – Details hierzu bietet HENGEL, Die Zeloten, 204–211; oder der „Eifer“ als Thoraverschärfung – Hinweise dazu bei HENGEL, Die Zeloten, 229–234. Zu den Grundlagen des „Gesetzes Israels“ siehe CORNFELD/BOTTERWECK, Die Bibel und ihre Welt 1, 549–564.

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gung plädiert also für Normenverschärfung, um sich von hellenistisch–römischer Unterdrückung frei zu machen, die Eigenidentität Israels vom Bund mit Jahwe her zu erneuern und durch die radikale Hinwendung zu Jahwe schließlich zu einer in Gott fundierten Freiheit zu gelangen. Die Taktik einer interkulturellen Abgrenzung durch distinktive Normenverschärfung mag aus theologischen Erwägungen völlig nachvollziehbar sein. In der konkreten Durchführung hielt sie allerdings eine nicht immer erkannte Sprengkraft bereit, welche die jüdische Erneuerungsbewegung schließlich aufsplitterte: Je stärker die Abgrenzungstendenz nach außen wurde, desto stärker entfaltete sich auch eine Nebenwirkung im Inneren. Die Aufrüstung der limitischen Außenkontur hatte nur anfangs eine integrative Kraft, bewirkte aber auf Dauer die Aufrüstung der limitischen Binnenstruktur. Innengruppen wurden zu Außengruppen umdefiniert. Die inter–kulturelle Abgrenzung reproduzierte sich als intra–kulturelle Ausgrenzung.1 Eben diese Dynamik lässt sich an der Kontraststellung verschiedener jüdischer Freiheitsbewegungen mustergültig studieren: anhand der Johannes–Gruppe, Essener, Pharisäer, Zeloten und Jesusbewegung. Die folgende Typologie ist aus der Perspektive einer Koppelung von translimitischer Freiheitsliebe und Normenverschärfung entworfen und erhebt keinen Anspruch, über die Motivgeschichte hinausgehende sozialgeschichtliche oder religionspolitische Hintergründe im Detail zu beleuchten. (1) Zuerst zur Johannes–Gruppe: Die Johannesgruppe ist uns vor allem im Rahmen christlicher Berichte zugänglich (etwa in Mk 1,2–8). Die authentische Kontur der Johannesgruppe kann nichtsdestotrotz unschwer nachgezeichnet werden.2 Der Täufer–Beiname ho baptizôn umreißt die spezifische Rolle, mit der Johannes innerhalb der jüdischen Erneuerungsbewegung wirksam wurde. In der Jordansenke der Araba – also in der Nähe von Jericho und Hirbet Qumran – verkündigte Johannes eine „Taufe der Umkehr zum Nachlass der Sünden“.3 Hinter dieser dichten Formel verbergen sich eine Umkehrpredigt und die Spendung eines eschatologisch–sakramentalen Taufritus, wodurch sich die Umkehrenden – nach Sündenbekenntnis und Empfang der Wassertaufe – sicher sein durften, im Gericht bestehen zu können.4 Das in den biblischen Texten enthaltene Portrait des Johannes scheint 1

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Die soziokulturellen Faktoren sowie die dialektische Normenverschärfung und –entschärfung analysiert THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 74–90; 80–88 für eine Beschreibung des Zusammenhangs der inter– und intrakulturellen Dynamik. Für exegetische Grundlinien siehe GNILKA, Jesus von Nazareth, 79–86; Auflistung wichtiger Literatur in 86. Zur Redaktionskritik siehe HÄFNER, Der verheißene Vorläufer. Knappe exegetische Portraits von Johannes entwirft MALATESTA, Jean le Baptiste, 175–177 (für Mk); 178–179 (für Lk und Apg); 179–181 (für Joh). Zu „Jericho“ und „Qumran“ vgl. NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 209–211 und 365–367; zu „Jordan“ und „Bet–Abara“ 225 und 74. Vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 79. Die Geschichte der Taufe und die Stellung der Johannestaufe darin bespricht BERGER, Theologiegeschichte, 106–128. Für die Täuferrolle vgl. auch MALATESTA, Jean le Baptiste, 181–182.

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das Selbstverständnis des Täufers durchaus zu treffen und sich nicht erst einer nachträglichen christlichen Interpretation zu verdanken: Johannes ist auf den ersten Blick als Elia redivivus erkennbar.1 Er trägt „ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften“. Er lebt „von Heuschrecken und Wildpflanzen“ (Mk 1,6). Lk dehnt den Elija–Charakter bis zu seiner Geburt aus: Vor seiner Geburt schon heißt es, er werde „mit dem Geist und mit der Kraft des Elija dem Herrn vorangehen, um das Herz der Väter wieder den Kindern zuzuwenden und die Ungehorsamen zur Gerechtigkeit zu führen“ (Lk 1,17). Anlässlich seiner Geburt stimmt Zacharias ein Lied an, das die alttestamentliche Prophetie auf Johannes hin auslegt (Lk 1,67–79).2 Mit seiner Predigt und Taufe fand Johannes in Jericho und im angrenzenden Judäa große Resonanz; sein Einfluss reichte schließlich bis nach Jerusalem. Rasch etablierte sich auch ein Schülerkreis, der durch seine Gebets– und Fastenpraxis identifizierbar war (Mt 14,12; Joh 3,23; Lk 11,1). Die provokante Bußpredigt führte den Täufer freilich in den tödlichen Konflikt mit Herodes (Mt 14,3–12; Lk 3,19f; 9,9), der durch eine gewisse Angst vor einer möglichen messianischen Revolte aus der Wüste sensibilisiert war.3 Will man die johanneische Koppelung von Normenverschärfung und Freiheitsliebe auf eine Formel bringen, so könnte man sagen, sie habe eschatologisch–renuntiativen Charakter. Eben diese eschatologisch–renuntiative Note des Vorläufers Jesu faszinierte die spätere christliche anachoretische Bewegung. In kaum einem anachoretischen Text der Patristik oder des Mittelalters fehlt Johannes der Täufer als anachoretisches Vorbild.4 (2) Eine weitere jüdische Freiheitsbewegung, die sich von der Mitte des zweiten Jahrhundert v. Chr. bis zum Jahre 68 n. Chr. nachweisen lässt, wird mit dem Namen Essener bezeichnet.5 Schon die Etymologie des Namens – hazajja bedeutet „Rei1

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Zur Exegese des lukanischen Abschnittes vgl. SCHÜRMANN, Lukasevangelium 1, 27–39; für die „prophetische Zurüstung“ 34–37. PESCH, Markusevangelium 1, 74–83 beleuchtet die prophetische Askese von Johannes und ihren geschichtlichen Kontext. GNILKA, Jesus von Nazareth, 83 hält die Elija–Interpretation (gegen Schürmann) für einen christlichen sekundären Eintrag. Den prophetisch–messianischen Horizont des 'Benedictus' analysiert SCHÜRMANN, Lukasevangelium 1, 84–96. Zum Tod des Johannes vgl. GNILKA, Matthäusevangelium 2, 1–5 (mit alttestamentlichen Vorgaben, der Parallelüberlieferung bei Josephus und weiteren Literaturangaben). SCHÜRMANN, Lukasevangelium 1, 183–187 entdeckt im Martyrium des Johannes Elija–Aspekte. Zur Furcht von Herodes im Falle von Johannes wie Jesus siehe GNILKA, Jesus von Nazareth, 272 mit weiteren Hinweisen. Zu dieser Funktion von Johannes siehe LECLERCQ, La vie parfait, 60–81; BRUNERT, Das Ideal der Wüstenaskese, 77–78 und PENCO, Giovanni Battista, 99–131. Für die volkssprachliche Breitenwirkung des Johannesbildes im späten Mittelalter vgl. aber auch die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 1 (Cod. Palat. Germ. 144, fol. 3ra–3vb) und 38 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 89va–92rb). Ein knappes Profil der „monastischen“ Gemeinschaft der Essener zeichnen BEALL, Essenes, 262–269 und GNILKA, Jesus von Nazareth, 56–60.

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ne“ oder „Abgesonderte“ – macht darauf aufmerksam, dass die Essener danach strebten, jenseits der limitischen Kontur der Gesellschaft zu leben.1 Die Kerngemeinde der Essener hatte im Wüstenort Hirbet Qumran ihr Zentrum; dennoch konnte ihre translimitische Botschaft durch Mitglieder und Sympathisanten, die über ganz Palästina verstreut in unmittelbarer Stadtnähe lebten, auch auf die Gesellschaft zurückwirken.2 Der Lebensstil der Essener lässt sich mit den Formeln „Abgrenzung durch eschatologische Normenverschärfung“ und „prämonastische vita communis“ auf einen knappen Nenner bringen. Die Essener pflegten nämlich ein Gemeinschaftsleben in strikter räumlicher und sozialer Trennung von der jüdischen Umwelt. Die Aufnahme in die Gruppe erfolgte durch radikalen Beziehungsabbruch zum restlichen Judentum, Initiation sowie Einhaltung der Arkan– und Gruppendisziplin. Die Zielvorgabe der geistlichen Trennung wurde vor allem durch minutiöse Reinheitsvorschriften umgesetzt: durch Tauchbäder, Speisebestimmungen, verschärfte Sabbatpraxis, Besitzlosigkeit und sexuelle Askese bis hin zum Zölibat. Diese Praxis war konsequente Umsetzung der Naheschatologie: Die essenischen Schriften zeichnen eine Zwei–Äonen–Lehre und formulieren konkrete messianische Verheißungen. Sie verkünden das unmittelbar bevorstehende endzeitliche Gericht, das mit einem Heiligen Krieg hereinbricht und daher die Haltung der Absonderung und kampfbereiten Wachsamkeit erfordert.3 Will man die Koppelung von Normenverschärfung und Freiheitsliebe der Essener auf eine kurze Formel bringen, so könnte man sagen, sie habe eschatologisch–evasiven Charakter.4 (3) Ein ganz anderes Erneuerungsprogramm erstellten die Pharisäer.5 Zwar ging es auch ihnen um die Sicherung der jüdischen Identität durch Aufrüstung der limitischen Struktur mittels Normenverschärfung. Die Pharisäer wollten freilich der jüdischen Mitwelt keineswegs den Rücken kehren und sich ins Abseits stellen, sondern ganz im Gegenteil ein tragfähiges Programm ausarbeiten, wie man unter den Gesetzesvorgaben den konkreten Alltag im besetzten Palästina bestreiten könne. Das pharisäische Reformprogramm verschärft einerseits Normen und entwickelt durch eine kasuistische Gesetzesauslegung und –modulierung strenge Regeln für den Alltag. Durch die dabei unvermeidliche Anpassungskasuistik kommt es aber 1 2 3

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Zu dieser Etymologie siehe auch BETZ, Essener, 387. Zur Archäologie von „Qumran“ vgl. NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 365–367. Für ein Profil der Essner vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 57–60. Die interne Organisationsstruktur beleuchtet BETZ, Essener, 387–388; die Zölibatspraxis besprechen HÜBNER, Zölibat, 153–167 und MARX, Les racines du célibat, 323–342. Zur eschatologischen Deutung von Reinheit und Sühne siehe JANOWSKI/LICHTENBERGER, Enderwartung und Reinheitsidee, 31–62; zum Kult vgl. KLINZING, Umdeutung des Kultus. Zum eschatologisch–evasiven Charakter der Essener vgl. auch THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 38–39; 36 mit instruktiver Tabelle; ähnlich auch die Gegenüberstellung von Essenern und Zeloten bei HENGEL, Die Zeloten, 148; hier besonders Anm. 3. Ein knappes Portrait der Pharisäer entwirft GNILKA, Jesus von Nazareth, 60–63.

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zu ausgesprochenen Kompromissformeln – mit dem Endergebnis einer raffinierten Verschränkung von Normenverschärfung auf der einen und Normenentschärfung auf der anderen Ebene. Bei den Kritikern der Pharisäer konnte diese Dialektik leicht zum Vorwurf führen, das pharisäische Programm kranke an Heuchelei. Die Dialektik der Normenver– und –entschärfung führte auch innerpharisäisch zu beträchtlichen Problemen, eskalierte in unüberbrückbaren Richtungskämpfen und verursachte schließlich die Spaltung in einen schammaiten Flügel, der die Radikalität der Normenverschärfung einklagte, und einen hillelitischen Flügel, der sich an der Praktikabilität im Alltag orientierte.1 Will man die pharisäische Koppelung von Normenverschärfung und Freiheitsliebe auf eine knappe Formel bringen, so könnte man sagen, sie habe direktiv–kontrastiven bzw. direktiv–pragmatischen Charakter. Die gerade besprochenen drei Gruppen, nämlich die Johannes–Gruppe, die Essener und die Pharisäer, kommen für eine vertiefte latro–Diskussion nur eingeschränkt in Betracht: Die Johannesgruppe (mit ihrer eschatologisch–renuntiativen Freiheitsbotschaft) und die Essener (mit ihrer eschatologisch–evasiven Freiheitsdynamik) haben zwar durchaus eigenständige Freiheitskonzepte formuliert, konnten sie aber in den latro– Diskurs kaum einbringen. Die Täufer–Botschaft wurde dem christlichen depositum fidei ein– und untergeordnet, während die essenische Botschaft gleichsam in die Wüste auswanderte und damit aus dem Diskurs ausschied. Zwei andere Gruppen der jüdischen Freiheitsbewegung, die Zeloten und die Jesusbewegung, übernahmen dadurch eine gewisse Führungsrolle und formulierten die zwei entscheidenden Standpunkte. Die pharisäische Theologie spielte in ihrem schammaïtischen Flügel für die latro– Diskussion vor allem dadurch eine Rolle, dass sich die zelotische Bewegung aus ihm entwickelt hat. Damit ist der weitere Weg der Analyse vorgezeichnet: Die latrones sind zuerst im Lager der Zeloten und im Umfeld der Jesusbewegung aufzuspüren. Danach gilt es nachzuverfolgen, wie sich die Wege der zelotischen und christlichen latrones in der Passionserzählung verdichten und schließlich auf Golgota kreuzen.

1.5.2. Zeloten als latrones Auf die Frage, wer oder was lêstai–latrones seien, wäre man zur Zeit Jesu zweifellos auf die Zeloten verwiesen worden. Die lêstês–latro–Bezeichnung war indes keine Eigenbenennung der Zelotengruppe, sondern verdankte sich der Kritik von außen. Zum geflügelten Wort wurde diese Titulatur, nachdem Flavius Josephus in seinen Schriften

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GNILKA, Jesus von Nazareth, 56–60 bringt das Ansehen der beiden Gruppe in der jüdischen Umwelt mit den Begriffen „Laxist“ und „Rigorist“ auf den Begriff.

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gewisse Teile der jüdischen Befreiungsbewegung mit dem griechischen Term lêstês = Räuber zu diskreditieren versuchte und seine moralische Missbilligung ausdrückte.1 Die historische Genese der Zeloten–Bewegung kann und braucht hier nicht im Detail vorgeführt zu werden2; für die latro–Thematik dieser Studie darf man die Entwicklung knapp zusammenfassen: Nach einer Vorgeschichte spontaner zelotischer Freiheitsimpulse kam es unter Judas dem Galiläer zur Formierung einer stabilen Gruppe.3 Auslöser war der Zensus des Statthalters P. Sulpicius Quirinius im Jahre 6 n. Chr. Die steuerpolitische Maßnahme wurde zum religiösen Skandal, weil sie eine Zählung des Volkes und eine Vermessung des Grund und Bodens erforderte. Nach jüdischem Verständnis kollidierte eine Volkszählung mit dem Vorbehalt Jahwes, nur Er selbst dürfe das Volk in der Endzeit zählen. Für die Übertretung dieses Vorbehalts hatte man sogar einen dramatischen Präzedenzfall zur Hand: Als David einst das Volk eigenmächtig zählen wollte, brach die Pest aus (vgl. 2 Sam 24).4 Die Landvermessung durch römische Beamte warf keine geringeren Schwierigkeiten auf: Das Land galt als das Erbe Jahwes. Eine römische Vermessung musste zwangsläufig als religiös vermessene Handlung erscheinen. 5 Vordergründig gelang zwar eine Beruhigung der aufgeheizten Stimmung; im Untergrund formierten sich aber die gärenden Kräfte: Unter Judas dem Galiläer sammelten sich Dissidenten, die dem schammaïtischen Flügel der Pharisäer entstammten oder wenigstens gute Beziehungen zu ihm unterhielten. Diese Splittergruppe sollte in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wachsen und eine immer wichtigere Rolle in der Religionspolitik Palästinas spielen.6 Zum Profil der Zeloten lässt sich festhalten: Im soziologischen Sinne ist die Bezeichnung latrones durchaus zutreffend, denn die Zeloten wollten bewusst die limitischen Konturen der römischen Politik verletzen und die Leitlinien des saduzzäischen oder hillelitischen Anpassungs– und Kompromissprogramms durchbrechen. Ideologischer Hintergrund des ersehnten Befreiungsschlages war eine Theologie der Alleinherrschaft Gottes. Die Sprengkraft dieser Theologie lag vor allem darin, dass sich der Zentralgedanke des Königtums Gottes multiperspektivisch entfalten ließ, und sich so religiös–spirituelle, machtpolitisch–soziale und revolutionär–eschatologische Konsequenzen aufdrängten.7 Eine besondere Note erlangte diese Theologie durch die Auffas1

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Zur Begriffsverwendung bei JOSEPHUS vgl. HENGEL, Die Zeloten, 42–47, mit zahlreichen Belegen und Informationen in den Fußnoten. Interessante Details bespricht auch HORSLEY, Josephus and the Bandits, 37–63. Zur Evaluation von Josephus als Hauptquelle siehe HENGEL, Die Zeloten, 7–18 mit Zusammenfassung in 16. Die unüberbietbare Gesamtdarstellung bleibt HENGEL, Die Zeloten; ein hilfreiches Portrait zur Erstinformation bietet aber auch GNILKA, Jesus von Nazareth, 63–66. Zu den Zeloten unter Judas Galiläus siehe HENGEL, Die Zeloten, 79–150. Für die Details siehe HENGEL, Die Zeloten, 132–136. Vgl. HENGEL, Die Zeloten, 136–139. Siehe die Zusammenfassung bei HENGEL, Die Zeloten, 146–150. Vgl. HENGEL, Die Zeloten, 229–234; 250–251; 271–277 und 292–293.

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sung, das Hereinbrechen der Königsherrschaft Gottes erfordere die aktive Mitarbeit der Frommen – die Alleinherrschaft Gottes und Israels müsse also mit heiligem Eifer herbeigedrängt werden, notfalls mit Einsatz des eigenen Lebens und Gewalt. Die Umsetzung eines solchen Programms erlaubte keine Kompromisse sondern nur die Stellungnahme von pro und contra.1 So erklären sich auch die weiteren Namen, mit denen die Zeloten bezeichnet wurden: Griechisch sikarioi bzw. lateinisch sicarii nannte man die Zeloten aufgrund einer neuartigen Kampftechnik, mit der eine aktive Kernzelle in Jerusalem von sich reden machte: Am hellen Tage zogen diese radikalen Zeloten mitten in der Menschenmenge in einer Art Blitzangriff einen Dolch (lat. sicca) aus dem Gewand und exekutierten Römer oder Kollaborateure, um daraufhin wieder unerkannt in der Menge unterzutauchen.2 Der hebräische Term barjona = outlaw sowie die Bezeichnung galilaios = Galiläer weisen darauf hin, dass Zeloten vor allem in der galiläischen Provinz Stützpunkte besaßen – oft in Berggegenden oder unmittelbarer Wüstennähe.3 Sie selbst benannten sich allerdings mit dem griechischen Ehrentitel zêlôtês = Eiferer, um das zentrale theologische Motiv ihres Freiheitsprogramms zur Sprache zu bringen: den Eifer für das Gesetz, das Heilige und die Alleinherrschaft Gottes.4 Aus diesem Grunde wäre es auch falsch, die Zeloten allein von der spektakulären aktivistischen Kerngruppe her zu interpretieren. Die Zelotenbewegung verlangte zwar von allen Mitgliedern und Sympathisanten strikte Loyalität zur Norm der Alleinherrschaft Gottes, erlaubte aber zumindest in ihrer Anfangszeit bei den randständigen Mitgliedern unterschiedliche Grade der Einsatzbereitschaft. Das theologische Programm der Zeloten kann hier nicht in seiner Gesamtheit aufgerissen werden; einige für das latro–Thema relevante Theologumena genügen: Die Theologie des Eifers für die Alleinherrschaft Gottes predigte man nicht als abstrakte Lehre, sondern stellte sie Anhängern durch das konkrete Vorbild des Pinchas, des Enkels Aarons, der schon für die Makkabäer ein wichtiges Vorbild war, vor Augen: Pinchas, dessen Name aus der ägyptischen Wortwurzel für „Schwarzer“ gebildet ist und schon etymologisch einen translimitischen Anspruch zum Ausdruck bringt, tat sich durch seinen glühenden Eifer für die Sache Gottes hervor. Als die Israeliten dem moabitischen Gott Baal–Peor opferten und sich der Israeliter Simri dann auch noch mit einer Moabiterin sexuell vereinigte, tötete Pinchas den Simri im Affekt. Dem biblischen Zeugnis nach belohnte Gott diesen feurigen Eifer mit einem „Friedensbund“ und „ewigen Priestertum“. Unter Mose wurden Pinchas die heiligen Geräte und Kriegstrompeten anvertraut; unter Josua übernahm er religionspolitische Aufgaben, diente vor der Bun1 2 3 4

GNILKA, Jesus von Nazareth, 64 spricht von einem „synergistischen Modell“, in dem Gott und Mensch verbunden seien. Zu einer ausführlichen Diskussion der Sikarier vgl. HENGEL, Zeloten, 47–54 und Zeloten und Sikarier, 175–196. Für Details zu den Barjonen und Galiläern siehe HENGEL, Zeloten, 55–61. Den Sprachgebrauch und die genauen Hintergründe diskutiert HENGEL, Zeloten, 61–78, mit zahlreichen Hinweisen in den Fußnoten.

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deslade und wurde schließlich oberster Torhüter des Heiligtums.1 Aus dieser Pinchas– Figur hat die zelotische Reflexion konkrete Handlungsanweisungen für ihr Aktionsprogramm abgeleitet: Der heilige Eifer zeigt sich in einem unmittelbaren Handeln, das nicht an den Instanzenweg der jüdischen religiösen Autoritäten gebunden ist. Der heilige Eifer bezieht sich auf das Gesetz und das Heiligtum; er manifestiert sich in konkreten Einzelaktionen der Thoraverschärfung – wie etwa bei der Umsetzung des Bilderverbot, dem Engagement um die Heilsgüter und den Tempel, bei der Durchsetzung kultischer Reinheitsvorschriften und der Zwangsbeschneidung von Heiden. Der heilige Eifer ist einerseits Hingabe oder Martyrium und erwirkt damit Sühne von Gott; zugleich aber vollstreckt er auch den Zorn und das Gericht Gottes, und wird damit zur Triebfeder eines Heiligen Krieges.2 Der bedingungslose Einsatz von Pinchas als Maßgabe religiösen Handelns hatte schon die Makkabäer beeindruckt; die eschatologische Aufladung und Aufwertung der Pinchas–Figur erfolgte aber erst durch die Zeloten: Zelotische Spiritualität und Prophetie verschmolz Pinchas mit einer zugespitzten Elija– Figur, deren latro–Aura man überstark akzentuierte. Es ergab sich so eine ausgesprochen aggressive eschatologische Identifikationsfigur, die in ihrem translimitischen Eifer vor Tötungen nicht zurückschreckte.3 Die Pointe der zelotischen Eschatologie besteht, wie gerade gezeigt, in der Botschaft, die Naherwartung lasse sich nicht bloß glauben sondern persönlich erfahren und leibhaftig ratifizieren. Vor diesem Hintergrund wird auch der Wüstenzug der Zeloten verständlich: Einmal dienten abgelegene Wüstengegenden als sichere Stützpunkte, in die man ausweichen konnte, wenn der politische Druck in der Hauptstadt zu groß wurde. In der Hauptsache aber verstanden die Zeloten ihr Wüstenlager heilsgeschichtlich– eschatologisch: als Ort der Askese und Reinigung, als Ort einer möglichen Gottesbegegnung; als Ort der Prüfung und Bewährung; als Ort, an dem sich schon Elija für seine Kampfeinsätze gerüstet hatte. Gemäß der Gleichung „Urzeit gleich Endzeit“ zogen sich also auch die Zeloten zeitweise in die Wüste zurück – aber nicht, um neben der jüdischen Gesellschaft eine Alternativgesellschaft aufzubauen wie die Essener, sondern um ein Alternativmodell auszuarbeiten, mit dem man Palästina umkrempeln konnte. Im Geheimen bauten die Zeloten ihr Netzwerk aus, das sich schließlich von den Stützpunkten in der Wüste über die Kleinsiedlungen Galiläas bis in die Hauptstadt erstreckte. Durch einen „Krieg im Kleinen“ bereiteten sie sich auf den großen Endkampf vor.4

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Die Pinchas–Figur gemäß den Schrifttexten zeichnet HENGEL, Die Zeloten, 152–154 nach. Siehe hierzu HENGEL, Die Zeloten, 178–181 für die Frühezeit. Zur zelotischen Eschatologie vgl. auch 234–318; zum Martyrium besonders 261–277; zum Heiligen Krieg 277–296. Zur sukzessiven Aufrüstung der Pinchas–Gestalt und der Schaffung einer Pinchas–Elija–Gestalt siehe HENGEL, Die Zeloten, 154–181. Zum Wüstenzug siehe HENGEL, Die Zeloten, 255–260, zum Endkampf 308–314. Zum größeren Kontext vgl. auch COATS, Rebellion of Israel in the Wilderness.

2. Jesus, Jünger und latrones

Die Jesusbewegung ist die von Jesus von Nazareth hervorgerufene innerjüdische Erneuerungsbewegung im syrisch–palästinensischen Raum von ca. 30 bis 70 n. Chr.1 In der seriösen Exegese war stets klar, dass die Jesusbewegung eine im Kern originäre Größe darstellt, die nicht aus der zelotischen Bewegung, der johanneischen Täuferbewegung, aus Qumran oder Ähnlichem abgeleitet werden kann. Dass die These, die Jesusbewegung sei in ihrem Kern ein nachträglich entschärftes Zelotentum, aufgestellt werden konnte, hat – so falsch die These letztlich auch sein mag – durchaus einen gewissen Haftpunkt im biblischen Substrat: Die Texte des Neuen Testaments schildern die Jesusbewegung auf eine Art und Weise, die zumindest einige latro–Fragen aufwirft. Schon die Erstadressaten der Heilsbotschaft Jesu mussten sich unter Umständen der Frage nach dem Verhältnis des jesuanischen Ethos zum zelotischen Programm stellen; auch wir können uns von einer solchen Verhältnisbestimmung nicht dispensieren.2 Die folgende Spurensuche konzentriert sich ganz auf die latro–Frage; das neutestamentliche und frühchristliche Ethos3, die Grundzüge der jesuanischen Heilsbotschaft und die Umrisse der Geschichte der Urkirche werden dabei als bekannt vorausgesetzt.

2.1.

Jesusbewegung und latrones

Für einen unbeteiligten Beobachter konnte die Jesusbewegung, von außen her betrachtet, verdächtig wirken. Für das zeitgenössische Judentum stellte es nämlich eine ungeheuerliche Provokation dar, dass Jesus von Nazareth mit verschrienen Sündern, Zöllnern und Ehebrecherinnen sowie Kranken und Besessenen intensiven Umgang, ja sogar Tischgemeinschaft pflegte.4 Zudem umfasste der mit Jesus umherziehende engere Kern 1 2 3 4

THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 9. Eine Gegenüberstellung der zelotischen und jesuanischen Botschaft bietet HENGEL, Die Zeloten, 284–286; in War Jesus Revolutionär? eine genaue Diskussion der Einzelpunkte. Zu verschiedenen Positionen vgl. KEEK, Das Ethos der frühen Christen, 13–36. Vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 109: „Es muss als ein signifikantes Kennzeichen ... gelten, dass er sich insbesondere jener Menschen annahm, die in der Gesellschaft und Nachbarschaft als Sünder verschrien waren.“

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Jesus, Jünger und latrones

der Jesusbewegung Fischer, Bauern, Winzer und Hirten aus der Provinz Galiläa. Diese Punkte reichten völlig aus, um der Jesusbewegung eine gewisse translimitische latro– Aura zu verleihen.1 Die erwähnten Personengruppen müssen kurz in Augenschein genommen werden: (1) Zöllner, die kraft ihres Amtes Kollaborateure mit den Römern waren, wurden von der jüdischen Mitwelt als Verräter an der Sache Israels und als unreine Außenseiter angesehen. Zusätzlich verdächtigte man sie, sich als habgierige latrones, als „Allesverschlucker“, an den Steuereinnahmen persönlich zu bereichern.2 Zwei biblische Episoden beschreiben die anstößige Interaktion Jesu mit Zöllnern, nämlich die Begegnung im Haus des Zachäus und die Berufung des Levi.3 Von der jüdischen Mitwelt zur Rede gestellt, wie Jesus es wagen könne, mit derartigen Außenseitern Umgang zu haben und sie sogar in seine Nachfolge zu berufen, bringt Er als Begründung vor: Die Kranken bedürften des Arztes, nicht die Gesunden. Er habe eine Berufung zu verkünden, die sich gerade auch an die Sünder richte.4 Die Tischgemeinschaft mit sozialen Außenseitern wie Zöllnern verstand Jesus nicht allein als soziale Kommunikation, sondern vielmehr im Sinne eines prophetischen Zeichens. Das Mahl mit Sündern war für Ihn Vorausbild des endzeitlichen himmlischen Mahles bei Gott.5 (2) Nicht weniger provokant war Jesu Verhalten gegenüber Ehebrecherinnen. Auch hier berichten die Evangelien zwei spektakuläre Episoden; einmal die allseits bekannte johanneische Geschichte der 'Vergebung der Ehebrecherin' (Joh 8,1–11), zum anderen die 'Sünderin, die Jesus die Füße küsst' (Lk 7,36–50)6: Im biographischen Apophtegma der 'Vergebung der Ehebrecherin' nimmt Jesus die Angeklagte vor den Anklagenden in Schutz, indem Er die Sündenproblematik wider die Anklagenden kehrt, und sie so in ihrem Gewissen trifft. Die Angeklagte wird freigesprochen, damit sie einen Neuanfang wagen kann. Gleichzeitig wird weder die Sünde verharmlost noch die Geltung der Gebote entschärft. Die historisch– kritische Exegese glaubt, noch an der Endgestalt des Textstücks zeigen zu können, dass es aufgrund der Unerhörtheit einem beträchtlichen Rezeptionswiderstand unterlag.7 Bei der lukanischen Ehebrecherin steht die Reaktion der Sünderin auf die 1 2 3 4

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Zur latrologischen Aura des Terms „Galiläer“ siehe HENGEL, Die Zeloten, 57–61. Zum Zöllner als „Allesverschlucker“ bei Aristophanes, als „Bordellhalter“ bei Dio Chrysostomos und als „Unreiner“ vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 109. Besprechung der beiden Stellen bei GNILKA, Jesus von Nazareth, 110–111. Aus der zahlreichen Literatur siehe PESCH, Zöllnergastmahl, 63–87 und JERSEL, Vocation de Lévi, 212–232. GNILKA, Jesus von Nazareth, 111 fasst die Intention so zusammen: „Dass Jesus einen verachteten Sünder in seine Jüngerschaft aufnimmt, ist Ausdruck seiner Barmherzigkeit, die sich keinem Menschen verschließt.“ Vgl. hierzu GNILKA, Jesus von Nazareth, 112. Besprechung der beiden Stellen bei GNILKA, Jesus von Nazareth, 114–118. Zur Exegese des Abschnittes vgl. SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 2, 224–236; CAM– PENHAUSEN, Perikope der Ehebrecherin, 164–175 und BECKER, Jesus und die Ehebrecherin.

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Vergebung im Vordergrund: Sie ist so überwältigt, dass sie sich weinend vor Jesu niederwirft, seine Füße küsst, mit Tränen netzt, salbt und mit ihrem Haar trocknet – wobei etliche Exegeten auf die raffinierte Komposition dieser Stelle aus diversen Bausteinen aufmerksam machen.1 (3) Auf den ersten Blick weit weniger anstößig, letztlich aber nicht minder translimitisch, ist Jesu Zuwendung zu marginalisierten Kranken: Die Theologie des Buches Ijob und der Gottesknechtslieder relativierte zwar den Tun–Ergehens– Zusammenhang, aber für die Mehrheit der Menschen blieb dieser Zusammenhang weiterhin das plausibelste Interpretament, um Behinderungen und Krankheiten zu erklären. Eine translimitische Sündentat verursache eben einen translimitischen Gesundheitszustand, und der bringe dann den Kranken in eine marginalisierte Außenseiterposition – so die gängige Auffassung dieser Zeit.2 Jesus setzt sich freilich über solch oberflächliche Plausibilitätsstrukturen hinweg und zeigt, wie der Anbruch des Reiches Gottes den Tun–Ergehens–Zusammenhang übersteigt: Krankheiten haben zwar mit Sünden und bösen Mächten zu tun. Jesu Heilungen und Exorzismen – mit Anamnese, therapeutischer oder exorzistische Manipulation, Machtwort, Heilungsdemonstration und Integration3 – machen aber deutlich, dass der Anbruch der basileia tou theou mit einer eschatologischen Wende einhergeht, der – den Glauben vorausgesetzt – das Leben des Einzelnen vom Tun–Ergehens– Zusammenhang freisetzt und umwirft.4 An den genauen Diagnosen oder Therapieverläufen sind die Evangelien nicht interessiert; sie bieten Sammelbegriffe wie „Aussatz“ für jede Art von Hautveränderung (Mk 1,40–45 parr), „Lähmung“ für diverse körperliche Behinderungen (Mk 2,1–12 parr; Mk 3,1–6 parr), „Mondsucht“ für Epilepsie und andere Anfallleiden (Mk 9,14–27 parr) sowie „Besessenheit“ für ganz unterschiedliche psychische Störungen (Mk 1,23–28 parr und 5,1– 20 parr).5 Um den Befund knapp zusammenzufassen, dürfen wir sagen: Zahlreiche neutestamentliche Erzählungen schildern das Heilshandeln Jesu an marginalisierten Außenseitern wie Zöllnern, Ehebrecherinnen, Kranken und Besessenen. Jesus überschreitet dabei die limitischen Barrieren der Gesellschaft, geht direkt an die jeweilige Person heran und spricht eine Sündenvergebung und/oder Heilung zu, die von Gott gewirkt sowie durch 1 2 3 4

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Siehe hierzu SCHÜRMANN, Lukasevangelium 1, 429–443. Vgl. etwa die Frage der Jünger in Joh 9,1–3; zur Exegese der Stelle siehe SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 2, 304–306. GNILKA, Jesus von Nazareth, 118–122. Siehe hierzu GNILKA, Jesus von Nazareth, 138–141. GUARDINI, Der Herr, 52–65 zeigt mit feinem Spürsinn, dass man die Heilungstätigkeit nicht mit der Kategorie des Charitativen restlos rekonstruieren kann. GNILKA, Jesus von Nazareth, 122–127. Zur genaueren Exegese der jeweiligen Stellen vgl. auch PESCH, Markusevangelium 1, 117–128; 151–162; 187–198; 282–295 und Markusevangelium 2, 84–98.

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Jesus, Jünger und latrones

Ihn vermittelt wird.1 Blickt man auf Jesu Umgang mit Außenseitern, so zeigt sich, dass Jesu Zuwendung stets mit einer Leid–Sensibilität beginnt und sich von daher einen Zugang zur Schuld– und Sündenproblematik verschafft. In diesem Sinne kann man von einer gewissen „Priorität der Leid–Sensibilität“ im Handeln Jesu sprechen.2 Neben solchen durchaus spektakulären Interaktionen, welche auf die Integration von translimitischen Außenseitern in die basileia tou theou zielten, war für die Außenwirkung der Jesusbewegung vor allem der translimitische Lebensstil des engeren Anhängerkreises bedeutsam, den Jesus um sich scharte und der mit Ihm umherzog.3 Jesu berief zuerst die Brüderpaare Simon und Andreas sowie Jakobus und Johannes; sie sollten sich als seine Jünger „hinter ihn“ einreihen, um von nun an Menschenfischer zu sein und an der basileia tou theou mitzuarbeiten4, statt weiterhin im See zu fischen (Mk 1,16–20).5 Das Berufungsschema haben die Evangelisten von der Elischa–Berufung übernommen. Eine derartige Berufung erforderte einen radikalen translimitischen Überschritt in die Heimatlosigkeit, Familienlosigkeit, Besitzlosigkeit und Schutzlosigkeit.6 Ein Mitstreiter der basileia musste sich aus den Verkettungen seiner bisherigen Lebenswelt lösen: Wer die Hand an den Pflug legt, darf nicht mehr zurückblicken; man soll die Toten die Toten begraben lassen (Mt 8,22). Als reicher Jüngling muss man alles verkaufen und den Ertrag den Armen geben (Mk 10,21 parr). Wer sich auf die basileia einlässt, bekommt Gott zum Vater; die Familie kann da leicht zum Hindernis werden und ist zu „hassen“.7 Oder um es mit der jesuanischen Aufforderung zur Kreuzesnachfolge prägnant zum Ausdruck zu bringen: Man solle sein (eigenes) Kreuz auf sich nehmen und Ihm nachfolgen (Mt 10,38) – ein Kreuz, das für die Bereitschaft zur Ganzhingabe an die basileia steht und im Ernstfall auch das Martyrium erfordern kann, wie im Logion vom Verlust und Gewinn des Lebens zur Sprache kommt: „Wer sein Leben

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GNILKA, Jesus von Nazareth, 116–117 betont die explizite Sündenvergebung und Reintegration: „Jesus machte das Heil erfahrbar, indem er sich den Menschen zuwandte, sie annahm, in seine Gemeinschaft aufnahm, ihnen Vergebung der Sünden zusprach.“ Siehe hierzu METZ, Memoria passionis, 163–165. THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 14–16 formuliert hierzu zwei Thesen: Jesus habe erstens eine Bewegung von Wandercharismatikern ins Leben gerufen, die zweitens keine Randerscheinung der Jesusbewegung gewesen sei. Für die jesuanische Botschaft von der „Herrschaft Gottes“ siehe die Grundlinien bei GNILKA, Jesus von Nazareth, 87–165. Zur Exegese dieser Stelle vgl. PESCH, Markusevangelium 1, 108–116. Diese vier Aspekte entwickelt THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 16–21 zur Kennzeichnung der Wandercharismatiker der Jesusbewegung. Vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 166–175. In 171 betont GNILKA die „Ungrundsätzlichkeit“ der Berufung durch Jesus: „die Stellungnahme Jesu (ist) hier wie auch in zahlreichen anderen Fällen konkret, auf die Situation und den je einzelnen Menschen bezogen. Aus solcher Weisung eine Systematik entwickeln zu wollen, wäre verkehrt.“ Ähnlich urteilt THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 38. Zur Familienfeindlichkeit vgl. auch BERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums, 28–29.

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gewinnen will, wird es verlieren, wer es aber um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen.“ Der geforderte Lebensstil der Mitstreiter für die basileia wird in vier großen Aussendungsreden – Mk 6,8–11, Mt 10,5–15, Lk 9,2–5 und 10,2–12 – ausführlich geschildert: Das Leben soll ein Kommentar der basileia–Botschaft sein. Die Jünger dürfen sich nicht um Proviant (Stab, Brot, Sack, Geld, Sandalen, Zweitkleid etc.) kümmern. Sie sind zur Heimatlosigkeit berufen, und können nicht wie Füchse mit Höhlen oder Vögel mit Nestern rechnen (Mt 8,20; Lk 9,58). Die Jünger sollen ganz der basileia leben und sich in radikaler Armut dem Willen Gottes übereignen (Mt 6,25–30; Lk 12,23–27).1 Wie die Außenwelt auf ein solches translimitisches Lebensprogramm reagieren konnte, wird in den Evangelien nicht verschwiegen: Jesus von Nazareth hielt man wegen seines Umgangs mit limitischen Grenzgängern für einen Fresser und Säufer (Mt 11,19), wegen seiner zölibatären Praxis für einen verächtlichen Eunuchen (Mt 19,12) und wegen seines eigentümlichen Ethos für einen Verrückten (Mk 3,21). Den Jüngern ist es nicht besser ergangen als ihrem Meister.2 Die gerade entfaltete Strukturbeschreibung der Jesusbewegung darf allerdings nicht zu soziologischen Kurzschlüssen verführen: (1) Das schon zu Lebzeiten Jesu existierende komplexe System von Wandercharismatikern auf der einen und den in Dörfern und Städten angesiedelten Anhängern auf der anderen Seite3; die Herkunft von Anhängern der Jesusbewegung aus den ganz unterschiedlichen sozialen Schichten; das in sich gestufte und vielfältige frühchristliche Ethos etc. verbieten es, die Jesusbewegung als eine Gruppe sozial Benachteiligter zu verstehen – eine soziologische Fehleinschätzung, die weitereichende theologische Folgen hätte.4 (2) Will man die Botschaft der Evangelien in der ganzen Breite und Tiefe erfassen, dann darf man den Wanderasketismus nicht gegen das therapeutische Handeln Jesu, seine Gleichnisse, die Bergpredigt, seine Abba–Relation und radikale Proexistenz ausspielen, und vor allem nicht vom Liebesgebot isolieren, das die Nächsten1

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Zu diesem Lebensstil der Jünger vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 175–184 und GNILKA, Matthäusevangelium 1, 358–372; in 371 kommt Gnilka auf die Probleme zu sprechen, wie man das translimtische Programm heute umsetzten könne. Weitere Hinweise auch bei PESCH, Markusevangelium 1, 325–332. Eine Reflexion zur Transliminalität der Jünger unternimmt auch RATZINGER, Jesus von Nazareth, 145–155. Zur Reaktion der Umwelt auf den „translimitischen Lebensstil“ vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 178–179. Das Zueinander (d.h. Unterschiedenheit und Relation) von Wandercharismatikern und Sympathisanten in den Ortsgemeinden zeichnet THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 14–26 nach. Die soziale Schichtung der frühchristlichen Gemeinde von Korinth beleuchtet hingegen SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?. THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 34 akzentuiert die „soziale Entwurzelung der Wandercharismatiker“. Dass man daraus aber keine „zelotischen Konsequenzen“ ziehen kann, zeigt HENGEL, War Jesus Zelot? mit aller Deutlichkeit.

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Jesus, Jünger und latrones liebe mit dem Gebot der Gottesliebe verknüpft und als Mitte des Gesetzes und der Prophetie proklamiert. Die neutestamentliche Jesusbewegung ist gerade keine latro–Gruppe nach dem Modell der Zeloten, wie unten bei der Darstellung der Passion nochmals deutlich werden wird.1

Der Blick auf die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Zelotentum und der Jesusbewegung darf nun aber die vorhandenen Berührungspunkte zwischen den beiden Gruppen und Konzepten nicht übersehen: Bei genauer Lektüre des Neuen Testaments bekommt man durchaus zelotische Topoi zu Gesicht, die es wert sind, genauer untersucht zu werden. In der bisherigen Forschung wurde etwa die Frage über einen möglichen zelotischen Hintergrund einiger Mitglieder des Zwölferkreises ausgiebig diskutiert. Vor allem die Beinamen einiger Jünger verleiteten zu intensiven etymologischen Spekulationen – etwa Simon kananaios bzw. zêlôtês und Judas iskarioth, Jakobus und Johannes boanerges sowie Simon Petrus barjona.2 Bei Simon kananaios bzw. ho zêlôtês ist der ehemalige zelotische Hintergrund des Jüngers völlig unzweifelhaft.3 Bei Judas ist der Fall verwickelt: Die Evangelien schweigen über das genaue Motiv des Judasverrats. Die Etymologie des Namens gibt wenig her. Dennoch könnte die Enttäuschung, die Judas zu seinem Verrat veranlasste, durchaus darin wurzeln, dass Jesus den zelotischen Erwartungen des Judas nicht entsprach, worauf sich dieser wider seinen Rabbi wandte.4 Wie dem auch sei: In den Evangelien existieren explizite Hinweise, die zelotische Fragen aufwerfen; weitere Spekulationen über Jüngernamen können getrost unterbleiben. Die ersten zwei Stellen, nämlich das 'Gespräch über die Kaisersteuer' und die 'Reinigung der Tempels', befinden sich noch außerhalb der Passionserzählung und müssen nun analysiert werden. Die 'Frage nach der Kaisersteuer' wird in den synoptischen Evangelien in einem komplexen Schulgespräch mit einer kunstvollen Frage–Antwort–Struktur behandelt.5 Jesus steht dabei den Fragestellern aus der Gruppe der Pharisäer und Herodianer gegenüber. Fast ironisch klingt ihre schmeichelnde captatio benevolentiae, in der sie Jesus als „geehrten Rabbi“ ansprechen, um dann sofort zu ihrer raffinierten Fangfrage überzugehen, mittels derer sie Jesus enttarnen wollen: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?“ Die Anfrage hat eine eingebaute Falle: Plädiert Jesus für eine 1

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Zu Recht betont THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 61: „Die Jesusbewegung hebt sich aus allen vergleichbaren radikaltheokratischen Bewegungen am deutlichsten durch ihr Ethos heraus“. Zur Namensdeutung der Zwölf vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 190–191 mit einer kurzen Besprechung von boanerges, barjona und iskariot. Zur unhaltbaren Eisler'schen These eines zelotischen Simon Petrus vgl. die Ausführungen von HENGEL, Zeloten, 33 und 57 mit weiteren Hinweisen in Anm. 3–5. Vgl. hierzu HENGEL, Zeloten, 72–73. Ausführlich zur Judas–Frage: GOLDSCHMITDT/LIMBECK, Judas im NT. Zur detaillierten Exegese vgl. PESCH, Markusevangelium 2, 224–229; hier besonders 229 mit weiterer wichtiger Literatur zum Thema. Hinweise zur „zelotischen Relevanz“ dieser Perikope bietet auch HENGEL, Die Zeloten, 198–200.

Jesusbewegung

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Steuerverweigerung, so predigt Er im zelotischen Geiste den politischen Aufruhr. Plädiert Er hingegen für eine Steuerzahlung, so predigt Er Götzendienst und unterminiert den Freiheitsgedanken der jüdischen Erneuerungsbewegung. Jesus tappt nicht in die Falle: Er gibt keine direkte Antwort, sondern springt auf die Ebene der nonverbalen Kommunikation. Er wendet die Frage auf die Fragesteller zurück, indem er einen Denar zur Hand nimmt und ihnen das Brustbild des Kaiser Tiberius und die Inschrift „Cäsar, des göttlichen Augustus Sohn.“ unter die Augen hält. Durch diese Handlung richtet sich die Tücke des Objekts wider die Angreifer und konfrontiert sie mit den jämmerlichen Ergebnissen ihrer eigenen Religionspolitik. Jesus begnügt sich allerdings nicht mit einer Aushebelung der Frage durch ein nonverbales Retorsionsargument, sondern steht Rede und Antwort: „Was dem Kaiser gehört, gebt dem Kaiser, was Gott gehört, gebt Gott!“ Das bedeutet: Es gibt keine Konkurrenz zwischen Kaiser und Gott auf gleicher Augenhöhe. Die basileia–tou–theou–Proklamation von Jesus zielt nicht auf die Verwirklichung einer jüdischen Theokratie gegen den Kaiser, sondern auf die eschatologische Sammlung Israels durch Umkehr. Der Mensch schuldet sich in seiner ganzen Existenz, das heißt mit „ganzem Herzen und ganzer Seele“ Gott. Von dieser existentiellen Grundhaltung einer Totalhingabe an Gott her lässt sich dann auch das richtige politische Handeln für eine konkrete Situation finden. Dieses politische Handeln lässt sich aber nicht durch plakative Regeln ein für alle Mal fixieren: Die gutbürgerliche Trennung in zwei Kompetenzbereiche ist ebenso falsch wie der theokratische Traum der Zeloten. Die Admirationsnotiz am Schluss zeigt völlig zu Recht die Verblüffung der Zuhörer angesichts dieser wahrhaft erstaunlichen Antwort Jesu. Die zweite Episode, der 'Tempelprotest', führt uns näher an die Passionsgeschichte heran.1 Die Mk–Version der Erzählung besticht durch ihre extreme Schlichtheit: Während seines Jerusalemaufenthaltes betritt Jesus den Tempel, durchschreitet den Vorhof der Heiden und passiert den Tempelmarkt. Dort befinden sich Geldwechsler und Taubenverkäufer. Jesus setzt eine prophetische Zeichenhandlung, indem Er einige Tische umstürzt und ein Logion, das sich auf Jes 56,7 und Jer 7,11 stützt, als Deutewort spricht: Der Tempel solle ein Haus des Gebetes sein, sei inzwischen aber zur Räuberhöhle – gr. spêlaion lêstôn; lat. spelunca latronum – verkommen.2 Mk rundet die Rede Jesu mit einem Tempel–Logion ab: „Ich werde den Tempel niederreißen, und in drei Tagen einen anderen erbauen.“3 Die Stelle ist mit beträchtlichen exegetischen Problemen behaftet, die hier nicht diskutiert werden müssen. Als Grundaussagen dürfen wir festhalten: Die prophetische Zeichenhandlung richtet sich eindeutig gegen die Tempel1 2

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Zum Tempelprotest siehe PESCH, Markusevangelium 2, 189–202; GNILKA, Matthäusevangelium 1, 206–211 und GNILKA, Jesus von Nazareth, 276–280. Vgl. hierzu EVANS, From ‘house of prayer’ to ‘cave of robbers’, 417–442. Interessant für eine gedächtnisgeschichtliche Perspektive scheint hier vor allem die Anknüpfung an die latrologische Summen–Formel von Jesaja 56,1ff, die in 7 im Term pāraṣ gipfelt. Siehe hierzu auch Abschnitt 1.1.1 und 1.1.2 dieser Arbeit. Zum Tempel–Logion siehe zusätzlich die Hinweise PESCH, Markusevangelium 2, 426–429.

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Jesus, Jünger und latrones

hierarchie; in dieser Stelle werden zum ersten Mal die Hohenpriester erwähnt. Die Aggression Jesu gilt aber nicht dem Tempel als solchem, sondern dem unwürdigen Zustand, in den ihn die Menschen mit ihrer Anpassungspolitik gebracht haben. Insofern dürfte das Tempel–Logion authentisch sein: Angesichts der Aporien der jüdischen Religionspolitik lag es nahe, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und seine Neuerrichtung im Sinne der jüdischen Eschatologie zu erwarten. Weil aus christlicher Perspektive aber die Eschatologie an Ostern schon vorweg erfüllt wurde, ist es folgerichtig, das Logion mit dem Christusereignis selbst zu verbinden. Eine zelotische Ausschlachtung dieser Episode ist hingegen abwegig: Jesus hat keine zelotische Tempelreinigung oder eine militante Demonstration durchgeführt. Aufgrund der starken Präsenz von Soldaten und Wachpersonal im Tempel hätte der geringste Aufruhr oder Konflikt binnen kürzester Zeit zur Verhaftung Jesu und seiner Begleiter geführt, während der Text des Evangeliums nur von einer endgültigen Ablehnung Jesu durch die Hohenpriester spricht.1 Die Abhebung der Intention Jesu vom zelotischen Radikalismus darf freilich nicht dazu führen, die jesuanische Radikalität des Wortes: „Gebt Gott was Gottes ist!“ und die prophetische Zeichenhandlung der Reinigung der spelunca latronum zu unterschlagen: Jesus plädiert für die höchstmögliche Form der Freiheitsliebe oder des Eifers, die gerade nicht im Vordergründigen einer militanten Aktion stecken bleibt und dadurch zur Gewalt pervertiert, sondern sich tatsächlich radikal auf die basileia tou theou ausrichtet und wirklich am Heilswillen Gottes Maß nimmt. Diese Botschaft des gerechten Eifers für Gott kommt freilich bei den verhärteten Zuhörern im Umfeld von Jesus nicht mehr an, ja kehrt sich wider ihren Verkünder und führt Ihn auf den Kreuzweg, wo Er abschließend drei latrones gegenüber steht. Bevor wir in die Passionsgeschichte eintreten, müssen wir allerdings einige translimitisch–latrologische Motive des Neuen Testamentes kurz zusammenstellen, die wirkungsgeschichtlich relevant geworden sind und im patristischen und mittelalterlichen latro–Diskurs regelmäßig vorkommen.

1

Vgl. hierzu GNILKA, Jesus von Nazareth, 278–280. HENGEL, Die Zeloten, zeichnet 211–229 den zelotischen Eifer für die „Reinheit des Tempels“ und bespricht 221–223 die von einer „zelotischen Tempelreinigung“ unterschiedene „jesuanische Tempelreinigung“.

2.2.

Einige latrologische Episoden, Bildworte und Gleichnisse

Eine erste translimitische Perikope – mit Respekt erheischender Auslegungs– und Rezeptionsgeschichte1 – stellt die 'Versuchungsgeschichte' Jesu dar: Jesus begibt sich am Anfang seines Wirkens in die translimitische Wüste – einen Ort, den Jesus sich und seinen Jüngern auch später noch mehrmals zumutet2 – und sieht sich gemäß der Lk– und Mt–Version nach einem vierzigtägigen Fasten mit dem Widersacher konfrontiert, der Ihn in drei Etappen in Versuchung führt. In der historisch–kritischen Exegese werden unterschiedliche Interpretationsmodelle diskutiert, die angesichts der gedächtnisgeschichtlichen Perspektive dieser Studie nicht berücksichtigt werden können; die Herausarbeitung der translimitischen Relevanz der Perikope muss im Vordergrund stehen. Die Episode ist in drei Varianten überliefert, von denen jede einen anderen theologischen Akzent setzt: (1) Die Stelle ist bei Markus kaum ausgeführt, also gleichsam ein „Drama ohne Schlussakt“: Mk stellt Christus als Sieger über die nicht weiter geschilderten Versuchungen des Widersachers dar (Christus victor). In Mk 3,27 wird dieser Sieg dann proklamiert und in den zahlreichen Dämonenaustreibungen ratifiziert.3 (2) Einen anderen Akzent setzt Lukas und portraitiert Christus als zweiten Adam: Die Versuchung in der Wüste ist auf die Passion hin aufgespannt, wo der Widersacher in der Gestalt des Judas und des johlenden Volkes, das die Kreuzigung fordert, gleichsam wiederkehrt. Der Ort der Versuchung in der Wüste liegt also sozusagen am Weg, der vom Garten Eden (erster Adam) herkommt und nach Gethsemani (zweiter Adam) führt. Gregor der Große wagt, das Geschehen der Versuchung in seiner Auslegung der Lk–Perikope zu folgender Aussage zu verdichten: Auf dieselbe Art wie der Teufel den ersten Menschen zu Fall brachte, unterlag er dem zweiten Menschen bei der Versuchung.4

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Siehe hierzu vor allem MARKSCHIES, Versuchungsgeschichte in der Auslegung der Kirchenväter, 193–206; NOLLAND, Temptation of Jesus in the Early Church, 267–273; KÖPPEN, Auslegung der Versuchungsgeschichte und STEINER, La Tentation de Jésus. Neben Mk 1,12 parr vgl. insbesondere die Wüstenstellen Mk 1,35; Mk 13,14ff parr; Lk 4,42 und 5,15 sowie Joh 11,54. Weitere Hinweise zu einer Wüstentheologie des Neuen Testaments bietet auch HENGEL, Die Zeloten, 256–257. Zu den historisch–kritischen Hintergründen vgl. PESCH, Markusevangelium 1, 94–96. Eine theologische Interpretation bietet SCHÜTZ, Die Mysterien des öffentlichen Lebens, 78–82 und RATZINGER, Jesus von Nazareth, 56–57. Siehe hierzu SCHÜTZ, Die Mysterien des öffentlichen Lebens, 87–90 und GREGOR DER GROßE, homilia in evangelia 16, 2–3 (PL 76, 1135–1136).

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Jesus, Jünger und latrones

(3) Wirkungsgeschichtlich am bedeutsamsten wurde die Version von Mt, die hier genauer ausgedeutet sei.1 Ins Auge sticht vor allem der schriftgelehrte Charakter der Erzählung, die von alttestamentlichen Schriftzitaten geradezu strotzt und auf Israel in der Wüste anspielt. Wenn Jesus vierzig Tage und Nächte fastet, dann liegt die Parallele zu den vierzig Wüstenjahren Israels sowie der vierzig Fasttage des Mose am Sinai und des Abraham am Horeb auf der Hand. Das Fasten in der Wüste hat freilich mehr als eine typologische Bedeutung. Als Nahrungsverzicht ist Fasten ein existentieller translimitischer Akt, der zu einer Sensibilität des Wahrnehmungsvermögens führt und für die Transliminalität empfänglich macht:2 (a) Die erste Versuchung setzt bei der vor Augen liegenden Welt an, denn der Satan verweist auf die in der Nähe befindlichen Steine; er fordert Jesus auf, diese in Brot zu verwandeln. Wichtig für die Interpretation ist die konditionale Einleitung: „Wenn Du der Messias bist, dann...“ Mit ihrem aufreizenden Gestus verweist diese Infragestellung sowohl zurück zur Sündenfallgeschichte, nämlich mit der Frage: „Hat Gott denn wirklich geboten, dass wir nicht essen dürfen?“ (Gen 3,1), als auch voraus zur Kreuzigungsszene, wo der höhnische Konditionalsatz „Wenn Du der Sohn Gottes bist, dann steig vom Kreuz“ (Mt 27,40) erklingt.3 Die Antwort Jesu hebelt die Logik der Versuchung aus: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Manna meint zwar auch das Brot, dessen der Mensch auf Erden bedarf, noch mehr aber das Wort Gottes, von dem her sich der Mensch empfängt und von dem er lebt.4 (b) In der Vision von der Tempelzinne lädt der Widersacher den Jesus ein, sich hinabzustürzen, denn laut Ps 91,11 würden Ihn Engel behüten und tragen. Der Teufel tritt als Exeget auf und wird von Jesus daher auch mit der Schrift besiegt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen“ (Dtn 6,16).5 Zu Deutung könnte man sagen: Der transzendente Gott kann und darf nicht zum Objekt weltlicher Strategien, Experimente und Demonstrationen gemacht werden. Jesus orientiert sich unerschütterlich am im Wort des Vaters für Ihn hinterlegten Willen. Deshalb wird der endgültige Sinn von Ps 91,11 von Ostern her lesbar: Die Hut Gottes bezog sich nicht auf den Tempelsprung, sondern auf den kenotischen Abstieg Jesu bis ins Reich des Todes, durch den die Pforten der Unterwelt gesprengt wurden.6 1

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Zum Folgenden vgl. GNILKA, Matthäusevangelium 1, 82–93; WILKENS, Versuchung Jesu, 479– 489 und SCHÜTZ, Die Mysterien des öffentlichen Lebens, 82–87. Eine Parallelität der Versuchung Jesu mit der des Wüstenvolkes hat als erster TERTULLIAN, De baptismo 20, 3–4 (PL 1, 1222–1223) herausgearbeitet. Siehe hierzu GNILKA, Matthäusevangelium 1, 86–87 und GUARDINI, Der Herr, 30. Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium 1, 92; GUARDINI, Der Herr, 30 und RATZINGER, Jesus von Nazareth, 58–59. Siehe hierzu RATZINGER, Jesus von Nazareth, 61–63. Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium 1, 89–90. Vgl. RATZINGER, Jesus von Nazareth, 63–67.

Latrologische Episoden

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(c) In einer weiteren Vision bietet Satan Jesus das Weltkönigtum an, falls Er ihn anbete. Jesus entgegnet mit Dtn 6,13: „Den Herrn, Deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ Diese letzte der drei Versuchungen bezieht sich auf eine der Wurzeln der zelotischen Versuchung: nämlich die Transzendenz Gottes durch die Idee einer „innerweltlichen Transzendentalität“ zu ersetzen, um damit eine „machbare Zukunft der Welt“ eigenmächtig durchzudrücken. Jesus war indes kein Zelot. Er hat keine Idee und kein Programm gebracht, sondern nur Gott selber.1 Die im Schlussvers anklingende „Versuchung bei der nächsten Gelegenheit“ hat die allegorische Interpretation ungemein angeregt: Die nächste Gelegenheit bot dem Satan nicht nur der weitere Lebensweg Jesu, sondern bieten die Lebenswege aller Menschen. Die Versuchungs–Trias Fleisch–Welt–Satan wurde daher seit der frühen Patristik in eremitischen und monastischen Texten breit behandelt.2 Seit dem 2. Laterankonzil gestaltete man sie auch zu einem Theologumenon der Pastoraltheologie für Laien aus und thematisierte sie in der Katechese und in Predigten.3 Zwei weitere Gleichniserzählungen des Neuen Testaments, die in der patristischen und mittelalterlichen Auslegungsgeschichte eine wichtige Rolle spielen, beinhalten ein gewisses latrologisches Kolorit und müssen daher kurz in Augenschein genommen werden: (1) Die bekannte Perikope von der 'Rückkehr des verlorenen Sohnes' in Lk 15,11–32 berichtet über zwei Söhne eines Vaters. Gemäß der jüdischen Sitte steht dem Ältesten zwei Drittel, dem Jüngeren hingegen ein Drittel des Erbes zu. Es entspricht durchaus den Gepflogenheiten, dass sich der Jüngere die Summe noch zu Lebzeiten des Vaters ausbezahlen lässt, um sich anderswo eine tragfähige Existenz aufzubauen. Der translimitische Akt des Jüngeren liegt also darin, das Geld nicht zur Existenzgründung eingesetzt, sondern sinnlos verprasst zu haben. Zudem gibt der Sohn seine jüdische Glaubens–praxis auf: Er verdingt sich bei einem Fremdländischen, hütet dessen Schweine und lebt von Futterschoten. Tiefer kann ein Jude nicht sinken! Die Pointe der Erzählung ereignet sich bei der reumütigen Rückkehr des Sohnes ins Vaterhaus: Der Vater erwartet ihn mit Kuss und Umarmung, überreicht ihm ein Obergewand, Schuhe und einen Siegelring. Er setzt ihn also in Amt und Würden eines Sohnes wieder ein.4 Die allegorische Interpretation der Erzäh1 2 3 4

Im Sinne einer zelotischen Versuchung deuten diese Stelle auch GNILKA, Matthäusevangelium 1, 90 und RATZINGER, Jesus von Nazareth, 67–74 aus. Siehe hierzu GUILLAUMONT, An der Wurzel, 39 und MIQUEL, Le diable dans les 'Vies' des saints moines, 246–259. Siehe hierzu WENZEL, Three enemies of Man, 47–66. Zur Exegese vgl. BAUCKHAM, The scrupulous priest and the Good Samaritan, 475–489. Für eine theologische Reflexion siehe auch RATZINGER, Jesus von Nazareth, 242–251. Einen interessanten Versuch zum „translimtischen Weg– und Hinschauen“ in dieser Stelle versucht ZIMMERMANN, Etho–Poietik des Samaritergleichnisses, 51–69.

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Jesus, Jünger und latrones

lung verbleibt innerhalb der Grenzen des Literalsinns, schließt aber eine geistliche Tiefendimension auf: Auch wenn man sich translimitisch verirrt hat, so wartet doch immer der göttliche Vater, um dem Umkehrenden die Insignien der Sohnschaft zu verleihen: den Mantel der Gerechtigkeit, die Schuhe der imitatio Dei, Kuss und Siegel des Heiligen Geistes.1 (2) Die Gleichniserzählung vom 'Barmherzigen Samariter' (Lk 10,29–37) erzählt ein Ereignis, das sich an der Straße von Jericho nach Jerusalem zugetragen hat: Auf halbem Wege, also mitten in der Wüste als Ort des Schreckens, ist ein Mann unter die Räuber2 gefallen und hat halbtot überlebt. Als ein Priester und ein Levit vorbeiziehen, lassen sie den Verletzten links liegen, denn sie hätten sich bei einer Berührung kultisch unrein gemacht. Der Hörer oder Leser der Geschichte erwartet nun eine dritte Person, die Hilfe gewährt. Schockierend ist freilich für den jüdischen Hörer, dass kein Volksgenosse, sondern ein translimitischer Samariter diesen Hilfsdienst erweist.3 Die allegorische Interpretation geht über den Literalsinn hinaus, um die in ihm liegende Tiefendimension aufzuschließen: Der Lebensweg des Menschen führt von Jericho, dem saeculum, zum himmlischen Jerusalem. Menschen fallen auf diesem Weg freilich immer wieder unter die latrones – soll heißen Sünden. Priester und Levit stehen für Gesetz und Propheten, welche die nötige Hilfe bezeichnen, aber nicht selbst spenden können. Der translimitische Samariter ist hingegen der wirksame Helfer; er steht für den translimitischen Jesus Christus, der den Sünder in der „Herberge der Kirche“ abgibt und dem „Wirt des kirchlichen Heiligungsdienstes“ zur Pflege auf Zeit anvertraut, bis Er selbst wiederkommen wird.4 Zwei letzte latro–Passagen des Neuen Testaments, die hier abschließend gestreift werden müssen, tragen einen christologischen bzw. eschatologischen Akzent: (1) Das Bildwort vom Guten Hirten und seinen Schafen im Stall (Joh 10,1–6) versucht christologische Aspekte durch ein Bild aus der Erfahrungswelt anschaulich zu machen: Nachts werden Schafe in eine aulê, einen sicheren Stall gebracht. Am Morgen kommt der Hirte, ruft seine Herdentiere mit Namen und lockt sie auf die Weide hinaus. Das Bildwort zeichnet Christus als „Guten Hirten“ und „Türe“, und hebt Ihn von den Dieben und Räubern (fures et latrones) ab. In Christus sind nämlich wahres Leben und Rettung zugänglich, während die Diebe und Räuber den Tod bringen. Unter fures und latrones versteht das Johannesevangelium diverse Messias–Prätendenten, die mit messianischem Anspruch auftreten, ihn aber nicht 1 2 3 4

Zum Verständnis dieser Stelle in der frühen Kirche siehe ROUKEMA, The good Samaritan, 56– 74. Gegen die Deutung von Rengstorf, es handle sich bei diesen lêstês um Zeloten spricht sich, wohl zu Recht, HENGEL, Die Zeloten, 30 aus; er hält sie lediglich für „gewöhnliche Wegelagerer“. Zur Exegese des Textstückes vgl. SCHÜRMANN, Lukasevangelium 2, 141–150. Für eine theologische Ausdeutung des Stückes vgl. auch RATZINGER, Jesus von Nazareth, 234–241. Zu dieser allegorischen Auslegung vgl. ORIGENES, in lucam homiliae frag 71 (FC 4/2, 457–459).

Latrologische Episoden

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einzulösen vermögen. Diese Gruppe ist zwar nicht exklusiv auf Zeloten eingrenzbar, aber diese gehören zweifellos mit zu den falschen Messias–Anwärtern der latro–fur–Gruppe, die der Autor des Bildwortes im Auge hat.1 (2) Das Gleichnis vom 'Dieb in der Nacht' aus 1. Thess 5,1–11 schildert den Einbruch des Eschaton anhand des latro–Motivs: In der Gemeinde von Thessalonich scheint es hitzige Kontroversen über den Einbruch der Endzeit und die Parusieverzögerung2 gegeben zu haben, worauf der Thessalonicherbrief klar Stellung bezieht. Zeiten und Fristen der Parusie zu erwägen ist dem Glaubenden untersagt. Für Menschen, die das Eschaton nun aber ganz ausblenden, es sich in der Welt behaglich einrichten und sich in einer falschen Sicherheit wähnen, wird der Tag des Herrn wie ein „Dieb in der Nacht“ hereinbrechen. Die Glaubenden sind indes Kinder des Lichts und des Tags. Weil sie nicht in der Finsternis des Unglaubens leben, sind sie auf das Kommen des Herrn mit Nüchternheit und Wachsamkeit bestens vorbereitet.3 Nach dieser Durchsicht einiger neutestamentlicher Gleichnisse und Bildworte müssen wir zum Geschick des Jesus von Nazareth zurückkehren: Jesus wurde die „latrologische Aura“ seiner Person und Botschaft zunehmend zum Verhängnis. Das jüdische und römische Establishment hielt Ihn inzwischen für einen gefährlichen latro.

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Zur genauen Exegese siehe SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 2, 351–362. Siehe hierzu BERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums, 42–43. Für die Exegese vgl. BÖTTRICH, Das Gleichnis vom Dieb in der Nacht, 31–57 und STANLEY, Who's afraid of a thief in the night?, 468–486.

2.3.

Latrones in der Passionsgeschichte

2.3.1. Jesus ut latro Als Jesus nach Jerusalem zog, konnte Er kaum davon ausgehen, bei der autochthonen Jerusalemer Stadtbevölkerung eine besonders positive Aufnahme zu finden. Sympathie erfuhr Er lediglich zu Beginn – beim Einzug in die Stadt – von Seiten ausgegrenzter Jerusalemer Neubürger, von Proselyten und vor allem von mit Ihm aus dem Umland herbeigeströmten Pilgern. Der spätere Übersprung der Jesusbewegung auf das Diaspora–Judentum ist in diesem Sachverhalt schon vorprogrammiert.1 Der Konflikt zwischen der Jesusbewegung und der Stadtbevölkerung von Jerusalem hatte nicht zuletzt mit dem Wallfahrtsbetrieb zu tun, von dem in der Stadt und im Umland jedermann lebte und der auf massive Weise vom Einvernehmen mit den römischen Besatzern abhing. Religiöse Neuerer oder Kritiker, die in der Stadt Menschen zu mobilisieren vermochten, konnten das labile Gleichgewicht der Kompromisspolitik nur allzu leicht stören und wurden argwöhnisch beobachtet.2 Der schon lange in der Luft liegende Dissens zwischen der Jesusbewegung und ihren Kritikern nahm gerade in Jerusalem konflikthafte Züge an: Jesu implizite Inanspruchnahme von messianischen Attributen in der Proklamation der basileia tou theou und von Jahwe–Privilegien in seinem Heilshandeln alarmierten von Anfang an die religiösen Führer in Jerusalem. Die prophetische Zeichenhandlung der Tempelreinigung und das Tempel–Logion brachten das Fass schließlich zum Überlaufen und veranlassten insbesondere die Hohenpriester, nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau zu halten, um Jesus auszuschalten. Wenn Jesus bei seiner Verhaftung im Garten Gethsemane spricht: „wie zu einem Räuber seid ihr ausgezogen“ (Mk 14,48, Mt 26,55; Lk 22,52: tamquam ad latronem existis), dann kommt darin eine massive Fehleinschätzung seiner Gegner zu Tage: Ihr Einsatztrupp ist bis an die Zähne bewaffnet, als ob er einen öffentlichkeitsscheuen, gewalttätigen Zeloten samt Mitstreitern verhaften soll. Jesus ist hingegen alles andere als ein Zelot: Er predigte täglich im Tempel vor aller Öffentlichkeit eine unzelotische basileia–Predigt; jetzt kann man Ihn ohne Waffengewalt abführen.3

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Zum Konflikt der letzten Tage und zum Jerusalemzug Jesu vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 268–276; für die „Öffnung zur Diaspora“ siehe THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, hier besonders die Zusammenfassung von 56. Vgl. hierzu die sozio–ökologische Faktorenanalyse von THEIßEN, Soziologie der Jesusbewegung, 51–56. Zur Verhaftung vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 292–294.

Passionsgeschichte

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Der unüberbrückbare Konflikt mit den Kritikern der Jesusbewegung kommt bei den beiden Verhandlungen Jesu, dem jüdischen und römischen Prozess, deutlich zu Tage: Die jüdischen Führer verhören Jesus zuerst im Rahmen einer Synhedrialversammlung – vermutlich im Palast des Kajafas. Aus pragmatischen Gründen werden nicht alle Synhedrion–Mitglieder sondern nur einige maßgebliche Personen einberufen. Weil die jüdischen Behörden keine potestas gladii besitzen, können sie kein Todesurteil fällen; sie sammeln nur Anklagepunkte, um sie beim förmlichen Prozess vor Pilatus ins Spiel zu bringen. Stein des Anstoßes sind die implizite Inanspruchnahme messianischer Würden und die „Anmaßung“ von Jahwe–Privilegien, die Jesus als Gotteslästerung ausgelegt werden.1 Die römische Verhandlung, die entweder auf der Tempelburg Antonias oder im Palast des Herodes stattfindet, leitet Pilatus als Träger der Reichsjustiz. Pilatus hat unbeschränkte Koerzitionsgewalt gegenüber Peregrinen und hätte Jesus auch ohne Prozess sofort hinrichten lassen können; offensichtlich will er sich aber ein eigenes Bild von der Angelegenheit machen. Die Strategie der jüdischen Gegner Jesu liegt auf der Hand: Anmaßung von Jahwe–Privilegien als Tatbestand interessieren Pilatus nur mittelbar. Die jüdischen Gegner Jesu versuchen daher zu zeigen, dass sich Jesu Botschaft gegen den Höchstwert Roms richtet: gegen das Heil und die Integrität des römischen Volkes. Der Prozess Jesu endet nach einem längeren Hin und Her mit einem förmlichen Todesurteil wegen perduellio, des schweren Landfriedensbruchs, oder dem crimen maiestatis populi Romani imminutae, der Schädigung des Ansehens des römischen Volkes.2 Als überführter latro wird Jesus durch Kreuzigung hingerichtet.3 Der ans Kreuz geheftete Kreuzestitel „Jesus von Nazareth, König der Juden“ bringt die causa mortis nochmals in ihrer ganzen Hintergründigkeit zum Ausdruck: Jesu basileia– Predigt wurde von den Führern des Jerusalemer Judentums als illegitime Anmaßung messianischer Würden aufgefasst. Zu Tode bringen konnte man Jesus nur durch eine Kooperation mit der römischen Autorität. Vor Pilatus wurden daher die religiösen Motive geschickt in Richtung Staatsräson umgebogen und Jesus als latro–Rebell präsentiert. Pilatus hat Jesus dann tatsächlich zum Tode verurteilt und auf paradoxe Weise gerade als Heide im über dem Kreuz angebrachten Titel die messianische Würde Jesu wieder lesbar gemacht. Eine unvergleichliche Christusikone: In Christus erscheint Gott als Mensch und stirbt sub contrario in der Gestalt eines latro.4

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Den jüdischen Prozess analysiert GNILKA, Jesus von Nazareth, 294–298. Für den römischen Prozess siehe GNILKA, Jesus von Nazareth, 298–304. Eine umfassende kritische Diskussion des Prozesses Jesu bietet PESCH, Markusevangelium 2, 404–422; eine reiche Literaturliste 422–424. Zur Bestrafung eines latro siehe unter anderem HENGEL, Die Zeloten, 33–34; MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 562ff und 657ff; HITZIG, crux, 1728–1731 sowie BLINZLER, Prozess Jesu, 177– 179 und 188–190. Die causa mortis beleuchtet GNILKA, Jesus von Nazareth, 304–308. Zum Erscheinen Gottes sub contrario siehe WIND, Criminal God, 243–248.

Jesus, Jünger und latrones

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2.3.2. Barabbas erat autem latro Jesus von Nazareth war freilich nicht der einzige latro, der an diesem Tag vor Pilatus stand. Die Evangelien berichten einmütig von einem zweiten latro mit Namen Bar– Abbas. Die Kernpassage, in denen die konfliktreiche Interaktion zwischen Pilatus, Jesus und Bar–Abbas sowie dem Volk und den Hohenpriestern berichtet wird, muss genauer in Augenschein genommen werden, weil sie wichtige Aufschlüsse gewährt.1 Hier der biblische Text gemäß Mk, 15,6–15 – in eigener Übersetzung: Zum Fest aber ließ er Ihnen einen Gefangenen frei, den sie erbaten. Der Nominierte war Bar–Abbas, der zusammen mit den Aufrührern gebunden wurde, die beim Aufruhr einen Mord begingen. Die hinauf gestiegene Menge begann ihn zu bitten, wie er ihnen zu tun pflegte. Pilatos aber antwortete: Wollt ihr, dass ich euch den König der Judaier freilasse? Denn er erkannte, dass die Hohenpriester ihn aufgrund von Neid ausgeliefert hatten. Die Hohenpriester aber hetzten die Menge auf, damit er ihnen vielmehr den Bar–Abbas freilasse. Pilatos hingegen antwortete wiederum: Was wollt ihr, dass ich mit dem König der Judaier tun soll? Sie aber schrieen: Kreuzige ihn! Pilatos indes sagte zu ihnen: Was tat er denn Schlechtes? Sie aber schrien übermäßig: Kreuzige ihn! Pilatos freilich wollte der Menge Recht verschaffen; er ließ ihnen den Bar–Abbas frei und übergab Jesus zur Geißelung, auf dass er dann gekreuzigt werde. Der eigentliche Anlass der Interaktion ist das sogenannte privilegium paschale – der Rechtsbrauch, zu Passah einen Gefangen durch die Nominierung des Volkes (per acclamationem) auszusuchen, um ihn freizulassen. Die Existenz dieses Rechtsbrauchs wurde in der Forschung lange kontrovers besprochen, ist aber inzwischen historisch gesichert.2 Zu Beginn des biblischen Textstückes wird berichtet, das Volk habe schon einen Kandidaten nominiert – nämlich den Bar–Abbas. Die Hinweise der Evangelien zur Person des Bar–Abbas sind zweifellos spärlich, aber dennoch aussagekräftig genug, um die Hintergründe in Grundzügen rekonstruieren zu können: Eine Zelotengruppe hatte einen Aufruhr angezettelt, bei dem es auch zu Totschlägen kam. Bar–Abbas war Mitglied eben dieser Zeloten–Gruppe, die für den Aufstand verantwortlich zeichnete; er wurde zusammen mit anderen Widerstandskämpfern verhaftet und zum Tode verurteilt.3 Die Sympathie des Volkes für Bar–Abbas ist in einem gewissen Maße nachvollziehbar: Auch wenn das Volk Aufstand und Mord grundsätzlich ablehnte, wird es im Falle des Bar–Abbas einige gegeben haben, die ihn mit Argumenten der zelotischen Befreiungskampf–Ideologie für sich persönlich „rechtfertigen“ konnten. Dass Bar– Abbas tatsächlich ein Zelot war, kann man einerseits aus der biblischen Wendung „Bar–Abbas aber war ein latro“ entnehmen, aber andererseits auch vom Namen her schlussfolgern: bar abbas bedeutet „Sohn des Vaters“ und ist in einer gewissen Struk1 2 3

Zu Barabbas gemäß dem Johannesevangelium vgl. WITETSCHEK, Barabbas, 805–815; zum Textstück bei Mk siehe die genauere Exegese PESCH, Markusevangelium 2, 460–468. Siehe hierzu die Diskussion bei BLINZLER, Jesusverkündigung, 300–305 und 317–320. Vgl. hierzu PESCH, Markusevangelium 2, 464–465.

Passionsgeschichte

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turanalogie zu typisch zelotischen Namen, wie dem des berühmten Widerstandskämpfers bar kochba, „Sohn des Sternes“, gebildet.1 Doch lassen wir die Etymologie auf sich beruhen und kehren wir zur Passionsgeschichte zurück: Pilatus hat den überhaupt nicht zelotisch wirkenden Jesus für die Passah–Amnestie dem eindeutig zelotischen Bar–Abbas vorgezogen. Pilatus war nämlich inzwischen klar geworden, dass Jesus vor allem wegen des Neids der Hohenpriester vor ihm stand und nicht wegen irgendwelcher zelotischer Verbrechen. Es war die Taktik von Pilatus, Jesus von Nazareth als Gegenkandidaten zu Bar–Abbas zu nominieren und dadurch eventuell frei zu bekommen. Die Präsentation des Gegenkandidaten unter dem Titel „König der Judaier“ erwies sich allerdings für Jesus als fatal: Das Volk wollte keinen „König der Juden“ und konnte diese Titulatur sogar im Gegenzug gegen Pilatus ausspielen. Pilatus stand überhaupt längst unter Zugzwang: Er musste dem Volk – beziehungsweise den Hohenpriestern, die im Hintergrund geschickt die Fäden zogen – ihr Nominations– Recht gewähren. So kam Bar–Abbas frei, und Jesus endete am Kreuz.2

2.3.3. Jesus, Dismas, Gestas – drei latrones auf Golgota Zwei weitere latrones tauchen an der Seite Jesu noch später auf, nämlich auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte Golgota. Auch wenn die Evangelisten über diese beiden latrones nicht allzu viel zu berichten wissen, dürfte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Zeloten gehandelt haben, die bei dem oben erwähnten Aufstand involviert waren3 – ein Frage, die freilich im Rahmen unserer Motiv– und Spiritualitätsgeschichte nicht ausführlicher diskutiert zu werden braucht. Die Szene der drei latrones auf dem Weg zur Hinrichtung und ihre Exekution auf Golgota wird von den Evangelisten in wenigen, schlichten und damit umso eindringlicheren Strichen gezeichnet: Der Exekution von Verbrechern geht eine Exklusion aus dem Sozialverbund der Stadt voraus. Die drei latrones müssen sich daher mit dem patibulum, dem Kreuzesquerholz auf den Schultern unter der Anteilnahme der ganzen Stadtbevölkerung nach Golgota hinausschleppen – der translimitischen Exekutionsstätte außerhalb der Stadt, auf einer Felskuppe über der Sohle eines Steinbruchs gelegen. 4 Die eigentliche Kreuzigung der drei latrones wird mit großer Diskretion geschildert, 1 2

3

4

Zur Namensdiskussion vgl. PESCH, Markusevangelium 2, 462 Anm. 5. Weiterführende theologische Überlegungen zur zelotischen Figur bei MESSORI, Gelitten unter Pontius Pilatus?, 64–76. Zum Gesamtverlauf und Ausgang der Barrabas–Szene: GNILKA, Jesus von Nazareth, 302–304; PESCH, Markusevangelium 2, 464–467; MERRITT, Jesus, Barabbas and the paschal pardon, 57– 68. Siehe hierzu PESCH, Markusevangelium 2, 486: „Die beiden Bandenkrieger werden mit Recht zu den Aufständischen ... um Barabbas gezählt.“ Für lêstês = Zeloten spricht sich auch HENGEL, Die Zeloten, 30 aus. Vgl. GNILKA, Jesus von Nazareth, 310–311 und das Stichwort „Golgota“ bei NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 163–164.

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kann aber von der anderweitig bezeugten üblichen Hinrichtungspraxis annäherungsweise rekonstruiert werden: Als Hinrichtungsgerüst kommt entweder die T–förmige crux commissa oder die +–förmige crux inmissa in Frage. Die Delinquenten werden entweder ans Kreuz angebunden, oder, was wir zumindest bei Jesus vermuten dürfen, mit einer Nagelung durch die Handgelenke ans patibulum fixiert. Um den Todeskampf zu beschleunigen – der Tod tritt durch eine Lähmung der Atmung ein – werden im crurifragium die Beine zerschlagen. Bei Jesus kann, im Gegensatz zu den beiden anderen latrones, das crurifragium als Sterbebeschleunigung unterbleiben, da Er durch Geißelung und Misshandlung schon geschwächt ist.1 Die beiden latrones zur Rechten und Linken werden in der markinischen Passionserzählung lediglich konstatiert. Diese Schlichtheit im Ausdruck lässt sich vom markinischen Kreuzeswort „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ (Mk 15,34) her einsichtig machen: Markus akzentuiert die Verlassenheit Jesu am Kreuz; für den Bericht eines latro–Dialogs auf Golgota gibt es angesichts dieser Ausrichtung keinen Raum.2 Anders verhält es sich mit der lukanischen Passion: Lukas macht mit dem Kreuzeswort „Vater in Deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46) die kenotisch–soteriologische Dimension der Kreuzigung explizit und öffnet somit einen Raum für einen soteriologischen latro–Diskurs: „Zusammen mit Jesus wurden auch zwei Verbrecher zur Hinrichtung geführt. Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den andern links. Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dann warfen sie das Los und verteilten seine Kleider unter sich ... Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,32–46) Die Stelle braucht hier nicht ausführlich ausgelegt werden; für unser Thema darf man folgende Punkte herausgreifen: Die von Lukas geschilderte Begegnung der drei latrones ist zweifellos keine fotografische Aufnahme einer Disputation am Kreuz. Lukas geht es darum, soteriologische Aspekte des Kreuzesgeheimnisses in typologisch verdichteter Form zur Sprache zu bringen. Das bedeutet nicht, dem latro–Diskurs die Historizität abzusprechen; ganz im Gegenteil: Eine latro–Kommunikation auf Golgota ist absolut glaubhaft. Schon auf der via dolorosa war mindestens eine nonverbale Kommunikation zwischen Jesus und den latrones durch Augenkontakt unvermeidlich. 1

2

Eine konzise Übersicht für den Kreuzweg und die Hinrichtung bietet GNILKA, Jesus von Nazareth, 308–318. Zur Hinrichtungspraxis im Falle zelotischer Aufständler siehe auch BAMMEL, Crucifixion as a Punishment in Palestine, 162–165. Zur Exegese der schlichten latro–Szene bei Markus siehe PESCH, Markusevangelium 2, 484– 486.

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Lukas nimmt die existentielle Begegnung zwischen Jesus und den latrones auf der Schädelstätte Golgota kurz vor ihrem Tod zum Anlass einer theologischen Verdichtung: Mit der Infragestellung des Messias–Titels bringt gerade der unbußfertige, verhärtete latro die in allen Evangelien enthaltene implizite Christologie auf den Punkt: Ist Jesus nicht nur ein beliebiger Mann aus Nazareth, sondern tatsächlich der Messias = Christus? Der gute Schächer stellt sich dieser Anfrage und diesem Anspruch. Er entdeckt zumindest anfanghaft die kenotische Freiheit auf dem Antlitz Christi, die ihn gleichsam gefangen nimmt, befreit und befähigt, ein Glaubensbekenntnis zu sprechen.1 Diese kenotische Freiheit Christi, die den guten Schächer überzeugt, ist geradezu das Gegenteil des zelotischen Eifers: Jesu Leben ist Pro–Existenz; Er steht ganz in der Sendung des Vaters. Angesichts der Kreuzigungsszene darf man sagen: In Jesus Christus nahm Gott sich die Freiheit, den Menschen bis zur Vollendung zu lieben, selbst als der Mensch sich nicht mehr lieben lassen wollte – wie besonders im Fürbittgebet Christi deutlich wird: Jesus ruft nicht die Rache Jahwe herab, wie das vielleicht ein Zelot getan hätte, sondern stirbt mit einem Fürbittgebet für seine Gegner. Damit ist dem christlichen Martyrium die differentia specifica eingeprägt, durch die es sich vom Pseudo– Martyrium des Selbstmordattentäters oder vom Tod eines ideologisch verblendeten Extremisten unterscheidet: die kenotische Hingabe in Form von Feindesliebe. Die zwei möglichen Reaktionen auf eine derart anspruchsvolle Freiheitsforderung illustriert Lukas durch den Typos und Antitypos der beiden latrones: Der gute Schächer durchschaut seine eigene pervertierte, zelotische Freiheitsliebe und wendet sich Christus hoffend– glaubend zu; der andere verweigert sich dieser Einsicht, kehrt sich, vom Trotz verhärtet, von Christus ab und verkrümmt sich weiter in sich selbst. Obwohl dieser Diskurs bei Lukas in nuce die ganze Lehre der christlichen Freiheit enthält, war die Biographielosigkeit der beiden latrones auf Dauer unbefriedigend. Sollte dieses Motiv als Gedächtnisspur fortgeschrieben werden, musste es zu einer latro–Geschichte ausgefaltet werden:2 (1) Den ersten Schritt einer Entfaltung macht die Schrift 'Descensus Christi ad inferos', wenn sie die Aufnahme des bekehrten Räubers ins Paradies bestätigt und dadurch aufwertet.3 Die 'Pilatusakten' des fünften Jahrhunderts enthüllen dem interessierten Leser zudem die Namen der beiden latrones: Zur Rechten Christi hängt der reumütige Dismas, zur Linken der unbußfertige Gestas.4 1

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Zur Exegese dieser Stelle vgl. GRELOT, Aujourd'hui tu seras avec moi dans le Paradis, 194–214; LELOIR, Hodie mecum eris in paradiso, 372–380; MACRAE, With me in Paradise, 235–240; TRILLING, La promesse de Jésus, 31–39; WEISENGOFF, Paradise, 163–169 und WULF, Jesus, gedenke meiner, 1–3. Die allegorische bzw. kanonische Exegese dieser Stelle wird unten besprochen. Siehe hierzu die knappe und hilfreiche Übersicht bei MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 22–27 mit weiteren Hinweisen in den Fußnoten. Zur griechischen Version siehe DESCENSUS AD INFEROS 10 (Tischendorf, 331–332). Siehe ACTA PILATI 9–10 (Tischendorf, 244–245); die Namensversion Dismas/Gestas tritt freilich unter zahlreichen Varianten auf, und setzt sich erst im Mittelalter endgültig durch.

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(2) Den eigentlichen Schritt zu einer Abrundung der Geschichte unternimmt das sogenannte 'Arabisches Kindheitsevangelium', das bis zur Kindheit Jesu ausgreift und umfassende biographische Details verrät: Dismas nimmt die Heilige Familie während ihrer Flucht nach Ägypten bei einem Überfall in Schutz. Maria verheißt ihm daraufhin die Vergebung der Sünden. Etliche Jahre später enthüllt Jesus als Kind seiner Mutter den glücklichen Ausgang des Lebenswegs von Dismas, der auf Golgota dann tatsächlich ratifiziert wird.1 Durch diese Ausgestaltungen stand bis zum Beginn des Mittelalters eine komplette, detailreiche und vor allem auch anschauliche Dismas–Gestas–Erzählung gleichsam als Anbau zur christlichen Passionsgeschichte zur Verfügung, die in Texten, Bildern, Spielen etc. eine breite Wirkungsgeschichte entfalten konnte und soziale Rollenmuster bereithielt, deren Wirkungen wir später studieren müssen.2 Neben der Legendenbildung war vor allem die Exegese der Lk–Stelle für eine Theologie und Spiritualität der Transliminalität von immenser Bedeutung. Wir können hier nur einige Grundtendenzen der kanonischen und allegorischen Auslegung andeuten:3 (1) Abgesehen vom synoptischen Problem enthielt die Lk–Passage theologische Fragen, denen man in der frühen patristischen Exegese zielstrebig nachging. Origenes stellte als einer der Ersten heraus, dass mit dem „Guten Schächer“ zwar auch eine historische Person gemeint ist, die aber zugleich den Typos aller Gläubigen bildet, welche sich inmitten von zahlreichen Sünden glaubend an Christus wenden. Besonders fasziniert hat Origenes, dass der Schächer „ohne Werke durch Glauben allein“ gerettet wurde, denn der Paradiesesspruch ergeht an den am Kreuz hängenden latro, der außer seinem Glauben buchstäblich nichts vorzuweisen hat.4 Viele Exegeten seit Cyprian von Karthago – so etwa auch Hilarius von Portier und Hieronymus – setzten sich mit der Frage der Bluttaufe des Schächers auseinander und gelangten zu einem positiven Votum: Weil der Schächer am Kreuz hängend an Christus glaubte, darf er als Märtyrer gelten, und sein Martyrium als Bluttaufe. 5 Gegen diese Argumentation protestierte freilich Augustinus scharf: Der Schächer hänge aufgrund seiner eigenen Verbrechen am Kreuz, weswegen man seine Kreuzigung nicht zum Martyrium stilisieren dürfe. Das soteriologische Moment liege allein im Glaubensakt. Schließlich hat die frühen Exegeten die Frage nach dem Paradies umgetrieben. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist vor allem die Kurzfor1 2

3 4 5

Zum arabischen Kindheitsevangelium siehe EVANGELIUM INFANTIAE SALVATORIS ARABICUM 23.1–2 (FC 18, 180–183). Zur Wirkungsgeschichte der Dismas–Erzählung vgl. ZIHLMANN, Dismas der heilige Schächer; KRETZENBACHER, St. Dismas, der rechte Schächer, 119–139; KRAUSEN, Kult des heiligen Dismas, 16–21 sowie BESSIERES, Le bon larron. Wir folgen im Weiteren der Zusammenstellung von SIEBEN, Schächer, 165–181. Zu Origenes siehe SIEBEN, Schächer, 166–168. Zu Cyprian von Karthago, Hilarius von Portier und Hieronymus vgl. die einzelnen Stellen und deren Interpretation von SIEBEN, Schächer, 168–169.

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mel des Ambrosius „wo Christus, da auch das Reich“ – eine Wendung, die von Bonaventura und Thomas von Aquin übernommen wurde und sich bis zur modernen Exegese durchhielt.1 (2) Auf einer zweiten Stufe kam es zu einer gewissen Konsolidierung in der Schächer–Exegese und zur Formulierung von Theologumena, die über Jahrhunderte hinweg immer wieder begegnen: Johannes Chrysostomus ist der Verfasser von drei umfänglichen Passagen zur Schächer–Thematik. Im 'Sermo 7,4 über die Genesis' reflektiert er über die Universalität der Paradieses–Verheißung, die man am Schächer exemplifiziert sehe.2 In zwei 'Homilien über das Kreuz und den Schächer' bemüht sich Johannes um eine genaue Auslegung der einzelnen Tugendhaltungen des Schächers, die in der demütig–liebenden Bußfertigkeit gipfeln.3 Andere griechische Exegeten und Theologen fallen hingegen durch einen lyrischen Enthusiasmus auf. Eine pseudo–ephrämische Homilie formuliert mit translimitischer Lyrik: „O Du Dieb, du Dieb des Paradieses, du Durchbrecher der vom Herrn errichteten Mauer, du Räuber des Nachlasses der Sünde ... du frühe Blüte des Kreuzes“.4 Auf dieser Linie liegt auch eine pseudo–athanasische Predigt, die in eine Schächer–Litanei einmündet. Von der griechischen Hymnologie her ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Göttlichen Liturgie, in die der Schächer Eingang gefunden hat. In der lateinischen Exegese kann man hingegen – vor allem im Gefolge von Augustinus – eine gewisse Zurückhaltung und Nüchternheit verbuchen: Der Schächer hat die Taufe, die er im Leib nicht empfangen konnte (weder durch Wasser– noch durch Bluttaufe) als Glaubenstaufe „zugeschrieben“ bekommen. Dismas ist gleichsam ein lebendiger Kommentar zu Röm 10,10: Da alle Glieder gebunden waren und ausfielen, blieben ihm nur Herz und Zunge, um seinen Glauben zu ratifizieren. Gregor der Große hat sich in den 'Moralia in Job' dieser augustinischen Exegese angeschlossen und das Bild vom „Schächer als Typos des Sündenheiligen“ sowie das Theologumenon der „Glaubensorgane Herz und Zunge als den 'einzig freien Gliedern'“ gleichsam kanonisiert und dem Mittelalter weitergereicht.5 Die Spuren der allegorischen Exegese des Dismas weisen über das Mittelalter hinaus und können auch bei Theologen des 20. Jahrhunderts aufgespürt werden.6 1 2 3 4 5

6

Siehe SIEBEN, Schächer, 170–171 und GRELOT, Aujourd'hui tu seras avec moi dans le Paradis, 213 (mit weiteren Belegen von Kirchenvätern in den Anmerkungen). Siehe JOHANNES CHRYSOSTOMUS, sermo 7,4 (PG 54, 613A). JOHANNES CHRYSOSTOMUS, homilia in crucem et in latronem 1 (PG 49, 401D–403C) und homilia in crucem et in latronem 2 (PG 49, 407–418). Siehe hierzu SIEBEN, Schächer, 76–77, der diese Stelle aus PSEUDO–EPHRÄM, in sanctam parascevem, Rom 1746, 475–476 zitiert und übersetzt. Zur augustinischen und gregorischen Exegese, aber auch zu Beda, Hrabanus Maurus, Rupert von Deutz, Petrus Lombardus und Thomas von Aquin, vgl. die Angaben bei SIEBEN, Schächer, 174–175 und 179–181. Vgl. LEDRUS, Alla scuola del ladrone penitente, der anhand der biblischen Stellen eine freie allegorische Meditation entfaltet.

2.4.

Fazit: Vom translimitisch–mandativen zum kenotischen Imperativ

Das Alte Testament promulgiert einen translimitisch–kultischen Imperativ, der den Monotheismus festschreibt und so die Transzendentalität des Menschen vor einer heillosen Verstrickung in die Immanenz und vor Idolatrie schützt, sowie einen mandativ– ethischen Imperativ, der die translimitische Dynamik des Menschen auf das Bundesgesetz verpflichtet. Die Umsetzung dieser Imperative war in der Glaubensgeschichte Israels freilich stets gefährdet und hatte sich zur Zeit der Makkabäer weiter erschwert: Die Unterdrückung des Gottesvolkes ging mit einer tiefen Identitätskrise einher, auf welche die jüdischen Erneuerungsbewegungen eine Antwort geben und einen Ausweg zeigen wollten. Die unterschiedlichen Typen jüdischer Spiritualität könnte man gleichsam als Versuche begreifen, die konkreten Handlungsspielräume der translimitischen Freiheit auszuloten und den translimitisch–mandativen Imperativ in seinen diversen Modi durch zu konjugieren: So steht die Täuferbewegung für seinen eschatologisch–renuntiativen Modus; die Essener hingegen für seine eschatologisch–evasive Spielart; die Pharisäer konzentrierten sich auf seine direktiv–kontrastive oder direktiv–pragmatische Lesart, während ihn die Zeloten als militant–revolutionäres Programm umzusetzen trachteten. Das Christusereignis hat bezüglich dieser Spielarten eine wichtige Klärung gebracht, die man als eine „Promulgation des martyrologisch–kenotischen Imperativs“ beschreiben könnte. Durch sie wurden die erwähnten Spielarten des translimitisch–mandativen Imperativs – die renuntiative, evasive, kontrastive und revolutionäre Form – aufgehoben, das heißt auf einer höheren Stufe integriert und zugleich als autonome Größe außer Kraft gesetzt. Die Strukturmomente dieses martyrologisch–kenotischen Imperativs sind am Christusereignis abzulesen: (1) Die radikale Orientierung an den in der Sendung verwahrten Willen Gottes und Gehorsam zu dem, was Gott einen zu wollen will. Dieser Aspekt wird besonders im Garten Getsemani sichtbar, wenn Jesus betet: „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“. (2) Die Pro–Existenz in radikaler Gottes– und Nächstenliebe, welche die Feindesliebe mit einschließt. Dieser Aspekt wird im Kreuzesgebet Christi – „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“ – greifbar. Wenngleich mit der Promulgation des martyrologisch–kenotischen Imperativs die latro–Frage in theologischer Hinsicht eigentlich „beantwortet“ ist, so liegt auf der Hand, dass das latro– Problem damit nicht beseitig sondern geradezu verschärft wurde: Die Promulgation geschieht durch den einsamen Christus ut latro am Kreuz. Es fällt auf, wie wenige Personen unter dem Kreuz stehen – Johannes, die Gottesmutter und einige Frauen –, und wie wenig sie die durch die latro–Signatur verhüllte Promulgation

Fazit

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zu durchschauen vermögen. Wie sollten sie auch, da die Offenbarung der kenotischen Liebe in dem Kreuzesschrei Jesu gipfelt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Des Weiteren zielt das Ergangensein dieses Imperativs auf die konkrete Erfüllung durch die imitatio Christi, die sich unter dem Vorzeichen der Sünde nur innerhalb von latrologischen Eintrübungen und Versuchungen ereignen kann. So ist zu erwarten, dass die Umsetzung des im Christusereignis aufscheinenden martyrologisch–kenotischen Imperativs in der Kirchengeschichte von zahlreichen latro–Einbrüchen begleitet wird – durch eine Frontstellung gegen die Christen (die darin Nachfolger des Christus ut latro sind), als auch durch massive Verwerfungen innerhalb der christianitas selbst. Diese latro–Aspekte der frühen Kirche dürfen nun unsere ganze Aufmerksamkeit beanspruchen.

3. Translimitisch–latrologische Aspekte des frühen Christentums

3.1.

Christen, latrones und Eremiten

3.1.1. Paulus, Stephanus, Petrus, Jakobus – tamquam latrones Die spannungsreiche Gemengelage jüdischer Reformbewegungen wurde kurz nach dem Tode Jesu um eine neue Gruppe bereichert – um die Juden „des Neuen Weges“, die Jesus von Nazareth als den Christus (=Messias) bekannten.1 Dabei kam es zu latrologischen Konflikten, die an vier Einzelpersonen gut studiert werden können: an Paulus und Stephanus sowie an Petrus und Jakobus. Es liegt auf der Hand, dass hier nur kurze latrologische Skizzen und keine vollständigen Biographien geboten werden können: (1) Šaul wurde als Sohn einer strenggläubigen jüdischen Familie in Tarsos in der damaligen römischen Provinz Kilikien geboren. Sein cognomen Paulos (=Kleiner) passte gut zu seiner Herkunft aus dem „kleinen“ Stamm Benjamin, zu seiner Körperstatur, und bot zudem einen Wortreim zu Šaul. Der junge Mann hatte gleichsam zwei Berufe, nämlich Sattler und Schüler des berühmten Rabbis Gamaliel.2 Bei der jüdischen Glaubensverkündigung legte Paulus einen gewissen translimitischen Enthusiasmus an den Tag: Dem „Eiferer für das Gesetz“ (Gal 1,14) war besonders die Diaspora–Mission der hellenistischen Judenchristen, welche die Thora in etlichen Punkten nicht einhielten, ein Dorn im Auge.3 Sein ursprünglicher Eifer wur1 2 3

Zur Lage der Juden und Christen im Römischen Reich insgesamt vgl. SEGAL, Rebecca's Children. Zur Biographie des jungen Paulus siehe GNILKA, Paulus von Tarsus, 21–27, dort weitere Hinweise in den Anmerkungen. Zu Paulus als Verfolger vgl. GNILKA, Paulus von Tarsus, 34–40. Das zelotische Eifer–Konzept bespricht HENGEL, Die Zeloten, 151–181 und hebt davon den paulinischen Eifer 181–188 ab, indem er ihn auf dem Hintergrund nicht–zelotischer jüdischer Frömmigkeit deutet.

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de durch eine Bekehrung freilich in eine völlig neue Richtung geworfen: Paulus begegnete dem auferstandenen Christus und empfing den Auftrag zur Völkermission. Während der Missionsreisen drehte sich die latrologische Perspektive um: Während Paulus früher Christen verfolgte, wurde er nun in den großen Städten (Philippi, Korinth, Ephesus) und im Hinterland selbst zum Opfer von Feindseligkeit gegen Christen. Er musste Steinigungsversuche und Strafgeißelungen erdulden und befand sich mehrmals im Gefängnis – etwa in Philippi und Ephesus.1 Paulus deutete diese Leiden als Teil seiner Christusverkündigung und Kreuzesnachfolge. Anlässlich der Übergabe einer Kollekte in Jerusalem, die den Zusammenhalt von Juden– und Heidenchristen hätte stärken sollen, wurde Paulus der Druck des palästinischen Judentums auf die Christen zum Verhängnis. Man warf ihm vor, einen Nichtjuden in den Tempel mitgenommen zu haben. Der Konflikt eskalierte und die römischen Wachen nahmen Paulus in Schutzhaft. Paulus appellierte als römischer Bürger an den Kaiser und wurde nach Rom verbracht. Gemäß zuverlässigen Überlieferungen dürfen wir davon ausgehen, dass man Paulus während der Christenverfolgung unter Nero mit dem Schwert hingerichtet hat.2 Im Laufe der Jahrhunderte wuchs Paulus, dem bekehrten Verfolger und Märtyrer, ein reicher Kult sowie eine Wirkungsgeschichte zu: Ab dem 8. Jahrhundert feierte man am 25. Januar die 'Conversio' des latrologischen zum missionarischen Eiferers; seit dem 11. Jahrhundert entstanden Legenden, Bußdichtungen und eine überreiche Ikonographie, die den Paulus als „Proto–Konvertiten zur kenotischen Freiheit“ über die Jahrhunderte immer wieder neu vermittelten.3 (2) Stephanus war der Leiter eines Siebener–Gremiums, das in der judenchristlichen Gemeinde Jerusalems dem griechisch sprechenden Gemeindeteil vorstand. Zwischen den Hellenisten und den aramäisch sprechenden Hebräern bestanden unterschiedliche theologische Auffassungen und kulturelle Spannungen. Während die Hebräer mit dem palästinischen Judentum leicht einen kulturellen und religiösen Ausgleich finden konnten, führte das öffentliche Auftreten von Stephanus zu seiner Verhaftung und Anklage.4 Vor dem Synhedrium hielt er eine (von Lukas 1 2 3

4

Zu den Missionsreisen vgl. GNILKA, Paulus von Tarsus, 48–161; zur sozialen Umwelt der Paulus–Mission vgl. auch MEEKS, The First Urban Christians. Zum Tod des Paulus siehe GNILKA, Paulus von Tarsus, 299–308. Zur Bußdichtung des 11. und 12. Jahrhunderts, dem 'Rheinauer Paulus', der 'Cantilena de Conversione Sancti Pauli' und den diversen 'Visiones Pauli' vgl. die Hinweise bei DORN, Der sündige Heilige, 29–30. Für die Breitenwirkung der Paulusgestalt im 15. Jahrundert vgl. ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 3 (Cod. Palat. Germ. 144, fol. 6vb–10vb) und Winterteil 130 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 302ra–303rb). Zur Ikonographie siehe BISCONTI, L'origine dell'iconografia di Pietro e Paolo, 393–401. Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 151–206; BARNARD, Saint Stephen and Early Alexandrian Christianity, 45–51; PENNER, In praise of christian origins und LÖNING, Der Stephanuskreis und seine Mission, 80–101. Zum Siebener–Kreis vgl. ZIMMERMANN, Die Wahl der Sieben, 364–378; DOMAGALSKI, Waren die 'Sieben' (Apg 6,1–7) Diakone?, 21–33.

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kunstvoll ausgestaltete) Rede, welche die Geschichtstheologie des Alten Testaments aktualisiert, Kritik vorbringt und in einer translimitischen Vision gipfelt.1 Voller Zorn wirken die Mitglieder des Synedriums auf die Steinigung des Stephanus hin – als Auftakt einer Christenverfolgung, die sich gegen die Hellenisten richtet, während die Aramäer, unter ihnen die Apostel, unbehelligt bleiben. Das Erbe des translimitischen Proto–Märtyrers Stephanus wurde in einer reichen Architektur, Liturgie, Dichtung und Ikonographie über die Jahrhunderte weitergegeben.2 (3) Petrus, ein galiläischer Fischer aus Bethsaida am See Genezareth, tat sich schon bald nach seiner Berufung zum Jünger als Sprecher der Zwölf hervor (Mk 8,27– 33; Joh 6,67–69). Die wohl berühmteste Episode seines Lebens bildet die 'Verleugnungsszene' von Mk 14,66–72. Die Leitung der nachösterlichen Gemeinde übte Petrus kollegial aus. Während der Christenverfolgung unter Herodes Agrippa (41–44) kam Petrus nicht zu Schaden, obschon er vorübergehend inhaftiert wurde – wie wir aus der Apostelgeschichte durch den Bericht seiner spektakulären Gefängnisbefreiung erfahren. Nach dem Tod des Agrippa wagte sich Petrus wieder an die Öffentlichkeit. Zu einem späteren Zeitpunkt erlitt Petrus das Martyrium; verlässliche Zeugnisse deuten auf Rom.3 Die Wirkungsgeschichte des Petrus ist beachtlich: Neben der „petrinischen Funktion“ als Kern des Papstamtes erfreute sich seine translimitische Verleugnungstat eines großen Interesses und einer intensiven Auslegung – ist sie doch der Modellfall einer gelungenen Bekehrung nach einer abnegatio. Auch seine Gefangennahme blieb in der Spiritualität präsent: Neben dem Martyrium am 29. Juni beging man am 1. August eine 'Petri Kettenfeier' liturgisch.4 (4) Eine letzte Märtyrergestalt der Urkirche erblicken wir in Jakobus, dem Herrenbruder: Sein Beiname „Kleiner“ könnte als Hinweis auf seine geringe Körpergröße gelesen werden. Obwohl er vorösterlich dem Wirken Jesu eher ratlos gegenüber 1 2

3

4

Vgl. KLIJN, Stephen's Speech, 25–31 und OWEN, Stephen's Vision, 224–226; weitere exegetische Literatur listet GOßMANN, Stephanus, 1411–1416 auf. Zu einem frühen Patrozinium siehe BAUMEISTER, Stephanuspatrozinium der Kirche von Philä, 187–194. Zur literarischen Wirkungsgeschichte siehe BEITL, Stephanus, 1051–1052; MIRACULA SANCTI STEPHANI (Meyers) sowie die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 25 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 51rb–53rb) und Winterteil 109 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 268vb–270rb). Zur Literatur vgl. GEWALT, Petrus, 305–320. Zur Exegese von Mk 14,66–72 vgl. PESCH, Das Markusevangelium 2, 446–453. Zum petrinischen Material insgesamt den Überblick bei MUßNER, Petrusgestalt und Petrusdienst, 27–45 mit weiteren Hinweisen in den Anmerkungen. Zur vorbildlichen Reue siehe etwa CYRILL VON JERUSALEM, catecheses mystagogicae 5, 17 (FC 7, 161); AMBROSIUS, explanatio evangelii secundum Lucam 1087–88 (CSEL 32, 488–489); AUGUSTINUS epistula 265, 2 (CSEL 57, 639–640). Zur Ikonographie vgl. BISCONTI, L'origine dell'iconografia di Pietro e Paolo, 393–401 und WIEDERKEHR, Petrusbilder als andere Petrustexte, 299–318. Zur Breitenwirkung des Petrusbildes im 15. Jahrundert vgl. die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 2 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 4ra–6vb); zum „Petrus in Ketten“ Sommerteil 23 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 47va–50vb).

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stand, übte er in der nachösterlichen Gemeinde von Jerusalem – als Herrenbruder und Osterzeuge – eine besondere Autorität aus. Zusammen mit Kephas und Johannes zählte er zu den „drei Säulen“, die der Gemeinde vorstanden. Er selbst lebte streng gesetzeskonform und trat für die Bewahrung der jüdischen Wurzeln des Christentums ein. Als Mann des Ausgleichs zeigte er aber auch ein gewisses Verständnis für die Belange der Heidenchristen. Das sogenannte Aposteldekret – ein Kompromiss–Papier auf dem spannungsgeladenen Apostelkonvent – dürfte maßgeblich von ihm angeregt worden sein. Gemäß glaubwürdiger Angaben bei Flavius Josephus ließ ihn der Hohepriester Ananos II. im Jahre 61/62 steinigen, indem er die kurze Sedisvakanz, die nach dem Tod des Statthalters Festus in Judäa eintrat, geschickt für seine Hinrichtung zu nutzen wusste.1

3.1.2. Kriminalisierung von Christen als latrones Nach der Kreuzigung Jesu war für die Römer die Angelegenheit der Jesusbewegung im Großen und Ganzen beendet – es gab dringendere Konflikte im Reich. Die Mehrheit der Christen blieb unbehelligt und es kam im Rahmen der Heidenmission zu der allseits bekannten Erfolgsgeschichte des Christentums im römischen Staat.2 Paulus war sich allerdings von Anfang an klar gewesen, wie untragbar die Botschaft von Jesus als dem hingerichteten latro–Gott für heidnisch–römische Ohren klingen musste, welche Torheit und welches Ärgernis diese Botschaft darstellen konnte (vgl. 1 Kor 1,18 und 1,23 etc.) und welches Konfliktpotential sie in sich trug. Paulus sollte sich nicht getäuscht haben: Da die Christen zu einer großen und einflussreichen Gruppe heranwuchsen, mussten sie die Aufmerksamkeit der römischen Intelligenz und politischen Führung auf sich ziehen. Zunächst entzündete sich die Kritik am Christentum an der eher formalen Tatsache, dass es sich beim Christentum um einen aus der Provinz eingewanderten Aberglauben handelte. Viele tonangebenden Römer hatten Angst, die aus den Provinzen eingedrungenen primitiven Religionsformen könnten als Vulgarisierungen zur schleichenden Zersetzung von Sittlichkeit und Tradition führen und so den Staat unterminieren; sie versuchten, Fremdkulte aus der öffentlichen Sphäre zurückzudrängen. Die christliche Gegentaktik bestand darin, die eigene kirchliche Gemeinschaft als römische Prophetenschule oder als Verein zu stilisieren, um sich so in einem integrationsfähigen Kleid zu präsentieren.3 Aufgrund des anstößigen Theologumenon eines als latro ge1

2 3

Vgl. hierzu RUCKSTUHL, Jakobus, 485–488 und NIEDERWIMMER, Jakobus, 411–415 sowie ALAND, Der Herrenbruder Jakobus, 97–103; HENGEL, Jakobus der Herrenbruder, 71–104 und PRATSCHER, Der Herrenbruder Jakobus. Siehe hierzu MACMULLEN, Christianizing the Roman Empire und DICKEY, Ausbreitung des Christentums in Kleinasien, 49–66. Siehe WILKEN, Kollegien, Philosophenschulen und Theologie, 165–193.

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kreuzigten Gottes und des strikten Monotheismus war diese Taktik im Falle des Christentums allerdings nicht im gleichen Maße von Erfolg gekrönt wie bei anderen Mysterienkulten. Pagane Kritiker waren längst auf den für sie lächerlichen, primitiven, ja in ihren Augen schädlichen und gemeingefährlichen Inhalt des Christentums aufmerksam geworden.1 Begnügte sich die erste Generation von Kritikern mit einer kursorischen und oberflächlichen Aburteilung christlicher Inhalte, so gelang es der zweiten Generation, diskussionswürdige Vorbehalte gegen das Christentum zu formulieren.2 Die Christen begannen, den Glaubensinhalt in apologetischer Perspektive rational zu durchdringen und argumentativ zu verteidigen. Besonders das anstößige Christusereignis musste theologisch eingeordnet und geklärt werden – übrigens nicht ausschließlich wegen der Anfragen von außen, sondern auch zur inneren Selbstvergewisserung. Während die häretische Gnosis die problematische latro–Kreuzigung als Scheinkreuzigung weg zu erklären suchte, mühte sich die orthodoxe Theologie, das Christusereignis soteriologisch, kosmologisch, theophanisch und sakramententheologisch konsistent zu explizieren und plausibel zu machen.3 Die beachtlichen Leistungen der frühchristlichen Apologetik und frühen Patristik konnten freilich auf der politischen Ebene den wachsenden Konflikt zwischen Christentum und römischem Staat nicht entschärfen. Diverse römische Kaiser versuchten mit unterschiedlichem Eifer, die Christen im Staat auszumerzen. Und an dieser Stelle kommt die latro–Titulatur wieder ins Spiel: (1) Seit Mark Aurels Vorgehen gegen die Christen und während allen nachfolgenden Verfolgungswellen begegnet man der rechtlichen Auffassung, Religionsfrevler wie die Christen seien mit latrones und fures gleichzusetzen, wie aus Dig. 1,18,13 (Ulpianus) erhellt: „Denn auch nach den Religionsfrevlern (sacrilegos), Räubern (latrones), Menschenräubern (plagiarios) und Dieben (fures) muss man fahnden und jeden entsprechend seinem Vergehen bestrafen, und auch ihre Hehler, ohne die ein Räuber sich nicht länger verbergen kann, muss man zur Ordnung weisen.“ Die sacrilegus–latro–Titulatur erscheint auch in Dig. 48,13,4,2 (Marcianius).4 (2) Der latro–Vorwurf hatte für die Christen massive strafrechtliche Konsequenzen. Nach Dig. 48,19,30 (Modestinus) gilt: „Wer Menschen mit einem Aberglauben (superstitione numinis) verwirrt, der ist auf eine Insel zu verbannen (in insulam relegari).“ Sent. 5,21,2 (Iulius Paulus) formuliert noch konkreter: „Wer mit neuen und unbekannten Religionen das Volk in Aufruhr versetzt, der wird als Angehöri1 2 3

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Siehe hierzu BAUS, Von der Urgemeinde zur Großkirche, 193–200. Vgl. BAUS, Von der Urgemeinde zur Großkirche, 433–441. Zur frühchristlichen Apologetik siehe BAUS, Von der Urgemeinde zur Großkirche, 200–211; zur Entstehung einer eigentlichen christlichen Theologie im strikten Sinne vgl. 261–290. Zur Apologetik Tertullians vgl. ECKERT, Orator Christianus. Zur gnostischen und orthodoxen Passionstheologie und ihren Zusammenhang mit der Theologie des Martyriums vgl. auch die Überlegungen von PAGEL, Gnostic and Orthodox Views of Christ's Passion, 262–288. Zum lateinischen Text und zur deutschen Übertragung siehe die Quellensammlung GUYOT/ KLEIN, Das frühe Christentum, 46–49.

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ger des höheren Standes verbannt (honestiores deportantur), als Angehöriger des niedrigen Standes zum Tode verurteilt (humiliores capite puniuntur).1 Neben derartigen Rechtsbestimmungen sind nur wenige Zeugnisse von heidnischen Römern auf uns gekommen, in denen die Christenproblematik und –verfolgung zum Thema gemacht wird; eine echte Schilderung der Vorgänge aus heidnischer Sicht fehlt. Die christliche Kirchengeschichtsschreibung geht weniger juristisch oder historiographisch als vielmehr hagiographisch vor; sie verkündet das Blutzeugnis der Märtyrer im Sinne der imitatio Christi. Bei der Bewertung der einzelnen römischen Autoritäten hat sich hingegen eine gewisse Vorsicht gegenüber den christlichen Quellen als nützlich erwiesen: Die Kaiser oder Statthalter, unter deren Regierung Verfolgungen bezeugt sind, waren nicht immer persönlich so involviert, wie das manche Legenden glauben machen wollen.2 Die Initiative der Verfolgung geht zunächst insgesamt kaum von der staatlichen Autorität aus, sondern eher vom näheren sozialen Umfeld. Zwischen 60 und 200 erfolgen Inkriminierungen von Einzelpersonen im Rahmen von Privatklagen; das Motiv scheint in erster Linie religiöses und soziales Konkurrenzdenken gewesen zu sein.3 Zwischen 200 und 249 werden die Übergriffe des Staates dann allerdings zielgerichtet und planmäßig; sie versuchen die Organisation der Kirche an ihren empfindlichen Stellen zu treffen. In den Jahren 249–305 verschiebt sich der Konflikt zwischen dem römischen Staat und dem Christentum auf die grundsätzliche Ebene und entlädt sich in systematischen Verfolgungswellen.4 Christen leben in diesen Zeiten unbehelligt, solange sie mit der öffentlichen Verwaltung und Politik möglichst wenig in Berührung kommen. Wenn sich der Lichtkegel der gesellschaftlichen oder staatlichen Aufmerksamkeit einmal auf sie gerichtet hat, werden Repressalien unausweichlich. Viele Christen machen nämlich keinerlei Zugeständnisse bezüglich ihres monotheistischen Bekenntnisses und legen eine Martyriumsbereitschaft an den Tag, deren Prinzipien von griechischen und lateinischen Apologeten genau reflektiert werden:5 1 2

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Siehe hierzu GUYOT/KLEIN, Das frühe Christentum, 46–49. Zum Überblick vgl. BAUS, Von der Urgemeinde zur Großkirche, 148–162; 187–192; 249–260 und 441–449; DE SAINTE CROIX/WHITBY, Christian persecution, martyrdom, and orthodoxy sowie STÖVER, Christenverfolgung im römischen Reich. Vgl. RAMELLI, Il fondamento giuridico delle persecuzioni anticristiane, 47–62; JOHNSON, De conspiratione delatorum, 417–422; FREUDENBERGER, Das Verhalten der römischen Behörden; GUTERMAN, Religious toleration and persecution. Siehe DE PALMA DIGESER, Religion, Law and the Roman polity, 68–84; ALFÖLDI, Zu den Christenverfolgungen in der Mitte des dritten Jahrhunderts, 323–348; SELINGER, The mid–third century persecutions; BLECKMANN, Zu den Motiven der Christenverfolgung des Decius, 57–71; MOTSCHMANN, Die Religionspolitik Marc Aurels. Für die ältere Forschung siehe das Literaturverzeichnis von MALONE, The monk and the martyr, XV–XXI. Zur neueren Forschung vgl. vor allem BROX, Zeuge und Märtyrer; BAUMEISTER, Anfänge der Theologie des Martyriums und Genese und Entfaltung des Martyriums; MERTENS, Les premiers martyrs, 5–46.

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(1) Für Tertullian ergibt sich aus dem alttestamentlichen Idolatrieverbot, aus der Verantwortung für das durch die Taufe grundgelegte geistliche Leben und aufgrund des Gebots der Christusnachfolge eine unbedingte Verpflichtung zur Standhaftigkeit im Glauben – und sei es um den Preis des eigenen Lebens.1 (2) Klemens von Alexandrien schärft ein, dass ein Martyrium kein eigenmächtiges Anzielen von Schmerz, Leid und Tod besagt oder gar mit Selbstmord verwechselt werden dürfe; lobenswert sei es nur als Ausdruck der Gottesliebe. Das Martyrium ist eine seltene Berufung, die nicht zum Ruhme des Einzelnen, sondern zur Auferbauung der Kirche dient. Bringt Gott einen Menschen aber tatsächlich in eine unausweichliche Situation des Glaubenszeugnisses, dann verleiht er auch die Gnade der Standhaftigkeit.2 (3) Obwohl also nicht jeder Christ mit dem Blutzeugnis tatsächlich zu tun bekommt, ist für Ignatius von Antiochien doch klar, dass man ohne eine zumindest implizite Grundbereitschaft zum Martyrium nicht Christ sein kann.3

3.1.3. Vom blutigen zum geistlichen und anachoretischen Martyrium In der frühchristlichen Zeit setzten die Märtyrer die Standards der christlichen Vollkommenheit, die in einem gewissen Sinne für jeden Christen eine normative Kraft besitzen.4 Damit diese Ideale aber wirklich breitenwirksam werden konnten, mussten sie zu einer Theologie des geistlich–anachoretischen Martyriums weiter entwickelt werden: (1) Klemens von Alexandrien spricht in diesem Zusammenhang von einem „gnostischen Martyrium“: Der eigentliche Kern des blutigen Martyriums ist, wie oben erwähnt, niemals das Anstreben des Todes an sich, sondern die Konformität mit dem göttlichen Willen und den göttlichen Geboten. Martyrium bedeutet daher zunächst ein „Leben der Hingabe für Christus“, das nur im Sonderfall zur „Hingabe des Lebens für Christus“ wird. Insofern erstreckt sich die Verpflichtung zum Martyrium auf jeden Christen, mindestens als gnostisches Martyrium – wobei die geistliche Form nicht weniger anspruchsvoll ist: Die Trennung (separatio) der Seele von der Welt fällt kaum leichter als die Trennung der Seele vom Leib.5

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Vgl. MALONE, The monk and the martyr, 27–30. Im Hintergrund der tertullianischen Martyriumstheologie stehen also der Imperativ der Kreuzesnachfolge Mk 8, 34–38 und Stellen wie Mk 13,11; Mt 5,11–12; Joh 12,24–25; Joh 15,13; Phil 3,10–11 oder 2 Tim 4,16–17. Zur johanneischen Martyriumstheologie siehe hingegen BAUMEISTER, Der Tod Jesu und die Leidensnachfolge des Jüngers, 81–99. Siehe hierzu MALONE, The monk and the martyr, 4–8. Vgl. MALONE, The monk and the martyr, 3–4. Siehe hierzu BAUMEISTER, Anfänge der Theologie des Martyriums. Vgl. MALONE, The monk and the martyr, 8–14.

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(2) Eine umfassende Theologie des Martyriums und der Berufung hat Origenes erstellt.1 Seine Definition der evangelischen Vollkommenheit, die das tragende Fundament des Glaubenszeugnisses und der Berufung bildet, lautet: Gott, soweit möglich, ähnlich zu werden (prout possibile est similem fieri Dei).2 Dieser Angleichungsprozess wird vom Willen getragen, zu wollen, was Gott einen zu wollen will, wozu die Willensbereitschaft zum Martyrium lediglich eine Spezifikation darstellt. Der Wille zum Zeugnis kann eine Vielzahlt von Ausdrucksformen finden – neben dem Blutzeugnis etwa auch Fremdheit gegenüber der Welt, Askese, Anachorese und virginitas.3 Origenes hat in diesem Zusammenhang eine Lehre der gestuften Berufungen ausgearbeitet: Eine Einladung zum christlichen Martyrium ergeht an die gesamte Menschheit und muss von allen Menschen durch die notwendigen Werke der Gottes– und Nächstenliebe sowie Trennung von der Welt ratifiziert werden. Eine Einladung zum asketischen Martyrium ergeht an einige Menschen, die ihr durch ein Leben der radikalisierten Anachorese zu entsprechen versuchen. Die spezifische Einladung zum blutigen Martyrium ergeht hingegen nur an sehr wenige Menschen und stellt damit einen Sonderfall dar.4 (3) Die lateinischen Väter formulieren ähnliche theologische Erwägungen zum geistlich–asketischen Martyrium. So ist etwa für Cyprian von Karthago die causa finalis des Martyriums – die Gotteshingabe – immer größer und umfassender als die causa efficiens – die genaueren Umstände, sei das nun das Blutzeugnis, die Askese oder Anachorese – und hat daher die Priorität.5 (4) Theologische Spitzenaussagen zum blutigen und geistlichen Martyrium trägt Tertullian vor, denen wir hier nicht weiter nachgehen können.6 Aufgrund unserer latrologischen Perspektive interessieren uns besonders Theologumena, in denen von einem carcer die Rede ist:  Hoc praestat carcer Christiano quod eremus prophetis.7 So erwirkt das Gefängnis dem Christen, was dem Propheten die Wüste.  Christianus etiam extra carcerem saeculo renuntiavit, in carcere autem etiam carceri.8

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Zur Martyriums–Theologie bei Origenes vgl. MALONE, The monk and the martyr, 14–26. Vgl. hierzu MALONE, The monk and the martyr, 18–19; die berühmte Definition stammt aus ORIGENES, De principiis, 3,6,1. Zum größeren Kontext vgl. auch VÖLKER, Vollkommenheitsideal des Origenes. Zur Armut und renuntiatio vgl. MALONE, The monk and the martyr, 21–23; zur virginitas 23–24; zur oboedientia 24–26. Siehe hierzu MALONE, The monk and the martyr, 19–20. Siehe MALONE, The monk and the martyr, 35–40, hier besonders 37. Vgl. MALONE, The monk and the martyr, 30–34; BAUMEISTER, Montanistische Martyriumssprüche bei Tertullian, 157–172 und Martyrium – Mönchtum – Reform, 23–34. TERTULLIAN, Ad martyras 2,1 (CCSL 1, 3/36). TERTULLIAN, Ad martyras 2 (CCSL 1, 3/30).

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Frühes Christentum Der Christ hat auch außerhalb des Gefängnisses der Welt abgesagt, im Gefängnis aber auch dem Gefängnis.

Zur Deutung: Der erste Satz beginnt mit einer heilsgeschichtlichen Verknüpfung des christlichen Blutzeugnisses mit dem prae–eremitischen Wüstenzeugnis der Propheten. Wer nun aber glaubt, sich um diesen Satz nicht kümmern zu müssen, weil er nicht im Gefängnis sitze, der wird im zweiten Satz eines Besseren belehrt. Die Aussage bedient sich des Wortes Gefängnis, um es sogleich dialektisch zu hinterfassen. Das Gefängnis ist nämlich nur die Außenseite des Martyriums – gleichsam eine Metapher der limitischen Kontur. Der geistliche Tiefensinn des Martyriums liegt tiefer als jedes äußere Gefängnis. Der Christ muss daher auch außerhalb des Gefängnisses der Welt gegenüber ein Fremder sein und innerhalb des Gefängnisses durch seine Gotteshingabe das äußere Gefängnis übersteigen. Dass dem durchschnittlichen Christen das Blutzeugnis freilich erspart bleibt, und er daher ein asketisch–anachoretischer Märtyrer zu sein hat, ist nach Tertullian schon im Alten Testament vorgebildet. Die drei Jünglinge im Feuerofen singen, weil sich an ihnen ganz ohne Leiden ein vollendetes anachoretisches Martyrium vollzieht – martyrium sine passione perfectum.1 Zu Beginn des 4. Jahrhunderts war eine Theologie des Martyriums fest etabliert. Sie lässt sich nicht nur in den Schriften der frühen Kirchenväter aufspüren; auch die anachoretische Literatur Ägyptens und Palästinas enthält zahlreiche, oft sehr schlichte, dabei aber nicht minder bedeutsame Martyrologumena: (1) In der 'Vitas Antonii' berichtet Athanasius, Antonius der Große habe in Alexandrien eine große Sehnsucht nach dem Martyrium an den Tag gelegt sowie inhaftierte Christen aufopferungsvoll gepflegt und getröstet. Dabei wusste Antonius, dass es nicht statthaft sei, sich selbst eine Berufung zum roten Martyrium anzumaßen. Kurz darauf zeigte ihm Gott, welche Berufung Er ihm zugedacht hatte: nicht das Blutzeugnis sondern das „tägliche anachoretische Martyrium in monasterio“.2 (2) Eine interessante eschatologische Lektion lernt Pachomius, zumindest gemäß einer ihm zugeschriebenen Legende: In einer Vision wird Pachomius zu einer Himmelsreise entrückt, und erfährt, was zum Eintritt ins Paradies erforderlich ist: lediglich das „kleine Martyrium“ des Erdenlebens. Zwei dem Pachomius untergeschobene Apophtegmata veranschaulichen dieses kleine Martyrium: Wer den Kampf des Mönchslebens kämpft, der wird nach seinem Ableben zu den Märtyrern gezählt werden. Ja selbst furchtbare Migräneanfälle, wie sie der Mönch Theodorus ertragen muss, bringen einem die Märtyrerkrone ein, so man sie mit Geduld als kleines Martyrium trägt.3 Mönche gelten qua Mönchsein hinsichtlich ihrer Verdienste als 1 2 3

TERTULLIAN, Scorpiace 8 (CSEL 20, 161/26–28). Zur Auslegung der 'Drei Jünglinge im Feuerofen' vgl. JAUSEP HAZZAYA, drei Stufen 144 (Bunge, 176). Zur geistlichen Martyriologie der 'Vita Antonii' siehe die Hinweise bei MALONE, The monk and the martyr, 44–46 und den Text von ATHANASIUS, Vita Antonii (PG 26, 46–47). Das relevante Material aus der arabischen Vita übersetzt und bespricht MALONE, The monk and the martyr, 46–51.

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den Blutzeugen ebenbürtig (aequiparantes), wie die 'Vita Pachomii' einschärft.1 Der anonyme Autor der 'Doctrina ad monachos' glaubt, eine solche Ebenbürtigkeit beider Martyrien sogar über eine Reflexion auf die Zeit anschaulich machen zu können: Das Blutmartyrium erfordert einen sehr großen Einsatz, dafür aber nur für eine kleine befristete Zeit; das anachoretische Martyrium erfordert im Vergleich dazu nur einen minimalen Einsatz, der sich aber als ebenbürtig erweist, wenn man in Betracht zieht, dass er ein Leben lang – und das kann sehr lang sein – durchgehalten werden muss.2 (3) Auch für die lateinische Kirche lassen sich zahlreiche Zeugnisse einer anachoretischen Martyrologie zusammenstellen: Neben Hieronymus weist insbesondere Ambrosius darauf hin, die virginitas müsse als ein vollgültiges martyrium gelten. Wer täglich den Kampf gegen die fornicatio wage, der sei ein täglicher Zeuge und Märtyrer des Herrn – quotidie testis et martyr Christi.3 Für die Wirkungsgeschichte im Westen waren zudem zwei Motti bedeutsam: Zum einen die Auffassung von Johannes Cassian in seinen 'Conlationes', das anachoretische Leben sei tägliche Kreuzesnachfolge und tägliches Martyrium4; zum anderen die Formeln des Sulpicius Severus, der Heilige Martin wäre ein martyr voto atque virtute gewesen, weil er seine Bereitschaft auf unblutige Weise – martyrium sine cruore – umgesetzt habe.5

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Vgl. VITA PACHOMII (PL 73, 230), hier besonders die Wendung: „aequiparantes etiam illorum merita qui pro nomine Christi Jesu Domini nostri certaverunt usque ad sanguinem“. Siehe hierzu den Abschnitt in der DOCTRINA AD MONACHOS (PG 31, 1388A). AMBROSIUS, commentarium in Ps 118, 47 (PL 15, 1234). Zur virginitas als Martyrium siehe MALONE, The monk and the martyr, 59–60 sowie SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 18, hier besonders Anm. 29, und 52–53. Siehe den Abschnitt bei JOHANNES CASSIAN, Conlationes 18,7 (CSEL 13, 513–516), mit dem Schlüsselsatz „illos crucifixos huic mundo cotidie vivosque martyras facit“. SULPICIUS SEVERUS, Epistola II ad Aurelium (CSEL 1,143/9) mit den Wendungen: „voto atque virtute et potuit esse martyr et voluit“ und (CSEL 1,144/12): „sine cruore martyrium“.

3.2.

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3.2.1. Anfänge des anachoretischen Lebens Zu den Anfängen des Eremiten– und Mönchtums zurück zu stoßen, bereitet beträchtliche Schwierigkeiten. Aussagekräftige Zeugnisse des eremitischen Lebens zeichnen sich erst ab der Mitte des 3. Jahrhunderts ab und sind auch dann nur in rudimentärer Form auf uns gekommen:1 Seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sind Personen überliefert, die in Ägypten menschliche Großsiedlungen verlassen, um sich in einer christlich motivierten anachoresis in die Wüste zurückziehen.2 Wenn der berühmte Antonius der Große, der um 273 sein Heimatdorf verließ, als der „erste Eremit“ bezeichnet wird, dann ist das im Sinne einer „charismatischen Führergestalt“ zu verstehen, denn Antonius ist weder der erste noch der einzige Anachoret seiner Zeit gewesen. Neben Antonius kann man weitere Personen ausmachen, die einen Überschritt vom asketischen zum anachoretischen Leben wagten – wie etwa der berühmte Paulus von Theben.3 Die Quellen aus der Frühzeit des eremitisch–monastischen Lebens fließen spärlich; die in dieser Studie postulierte Traditionslinie von der apostolischen Zeit zum Eremitentum lässt sich nicht breit ausziehen.4 Die religionshistorische Forschung der Vergangenheit konnte daher leicht Hypothesen einer externen Genealogie aufstellen, um darzutun, das christliche Eremiten– und Mönchtum habe sich durch eine Stimulierung oder Induktion von außen her entwickelt – es verdankte sich etwa der Anregung wandernder buddhistischer Mönche; speiste sich aus spätantiken Mysterienkulten, entspränge der Gruppe der katachoi des ägyptischen Serapis–Kultes, stellte eine Parallelerscheinung zur stoischen, pythagoreisch, neuplatonischen und kynischen philosophischen Lebensform dar oder wäre durch manichäische und gnostische Initial1

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Für die Entwicklung des frühen Mönch– und Eremitentums vgl. GUILLAUMONT, An der Wurzel, 11–14; FESTUGIÈRE, Ursprünge christlicher Frömmigkeit und BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 349–388. Zum Begriff anachoresis siehe BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 40–43 und GUIL– LAUMONT, An der Wurzel, 60–62. Zur Situierung der anachoretischen Bewegung im ägyptischen Christentum vgl. BAUMEISTER, Mentalität des frühen ägyptischen Mönchtums, 145–160; BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 348; 355–358 und BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 34–36. Zu Antonius und Paulus siehe: BARDY, Antoine, 702–708; BOURGUET, Saint Antoine et Saint Paul–du–Désert, 37–44; MILLER, Weisung der Väter, 455–457. BUNGE, Vorwort, 7: „Die Wurzeln des Mönchtums reichen bis in die apostolische Zeit zurück; dies war bereits im 4. Jahrhundert allgemeine Überzeugung. Für uns verlieren sich freilich diese Anfänge weitgehend im Halbdunkel der nachapostolischen Zeit“.

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zündungen entstanden.1 Dass es derartige kulturelle Kontakte, Überlagerungen und Einflüsse gegeben hat, liegt auf der Hand. Bei einer Prüfung des Materials zeigt sich freilich, dass man über den Nachweis einiger Einflüsse nicht hinaus kommt und das Versprechen einer genealogischen Herleitung keineswegs einlösen kann. Die Indizien (die hier zwar nicht ausführlich diskutiert, aber zusammengestellt werden sollen) sprechen ganz im Gegenteil für eine interne Herleitung des eremitisch–monastischen Lebens aus den biblischen, jüdisch–christlichen Fundamenten: (1) Innerhalb der jüdischen Freiheitsbewegung sind gewisse präkoinobitische oder präeremitische Lebensformen zu konstatieren – wie die oben besprochenen Essener oder die bei Philo von Alexandrien bezeugten Therapeuten. Diese Lebensformen stellen zwar nur eine entfernte Strukturanalogie zum christlichen Eremiten– und Mönchtum dar, belegen aber immerhin, dass selbst das Überlieferungsgut des Alten Testaments schon „energiereiche“ Impulse in diese Richtung bereithält.2 (2) Der eigentliche eremitisch–monastische Aufbruch im Christentum ereignete sich beinahe gleichzeitig oder in rascher Folge in vier Kulturzentren: in Ägypten mit der Hauptstadt Alexandria, in Palästina mit dem Mittelpunkt Jerusalem, in Syrien mit der Metropole Antiochia und in Kleinasien mit der Zentrale Konstantinopel.3 Diese Regionen bildeten binnen kurzer Zeit ein komplexes Netzwerk aus, und darüber hinaus auch Flügel nach Mesopotamien, Rom, Südfrankreich etc. Diese gleichzeitige Heraufkunft einer eremitisch–monastischen Lebensform und Vernetzung lässt sich am sparsamsten durch interne Impulse aus der christlichen communio erklären.4 (3) Einen wichtigen Fingerzeig erhält man, wenn man die etymologische Herkunft des Mönch–Begriffes nachverfolgt: Den griechischen Term monachos kann man etymologisch zweifach interpretieren – nämlich als Menschen, der alleine lebt (homo solitarius), oder als Menschen, der einzigartig ist (homo singularis).5 ADAM hat auf den syrischen Wurzelgrund der Begriffsgeschichte aufmerksam gemacht und die ursprüngliche Bedeutung offen gelegt: Die syrische Christologie kennt den etymologisch mit dem hebräischen jahid verwandten Begriff ihidaja (= mono-

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Vgl. hierzu BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 349; BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 36–39; GUILLAUMONT, An der Wurzel, 62–63. Für die Wüstenspiritualität seit den Makkabäern siehe HENGEL, Die Zeloten, 255–261; zur altjüdischen Askese insgesamt FRAADE, Ascetical Aspects of Ancient Judaism, 253–288. Zu den prae–eremitischen Therapeuten vgl. BERGMEIER, Stand der Gottesfreunde, 46–70. Eine anschauliche Gesamtübersicht über die Entwicklung in den genannten vier Regionen gelingt BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 355–388. Zu den Städten Alexandria und Antiochia vgl. NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 23 und 28–30. Zur Anachorese in Kappadozien siehe KOSTOF, Caves of God. Vgl. hierzu BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 39–41. Zum Mönchsbegriff und der Onomastik vgl. LECLERCQ, Études sur le vocabulaire, 7–38; ADAM, Grundbegriffe, 209–210; JUDGE, The earliest use of the word 'monachos', 72–89.

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genês) mit der Bedeutung „Erwählter, Einzigartiger, Einziggeborener“.1 Weil sich das Prädikat ihidaja nicht nur von Christus aussagen lässt, sondern sich unter Vorbehalt auch auf die Kinder Gottes übertragen lässt2, konnte es zum Fachbegriff des altsyrischen Asketen werden.3 Die Dogmatisierung der frühen Konzilien hat zwar diese gewagte (weil zum Adoptianismus schillernde) syrische Namenstheologie ausgeschaltet4, aber der Begriff ihidaja gnostika blieb für die syrische Mystik erhalten. Das griechische Pendant monachos muss also in erster Linie von der syrischen Christologie her verstanden werden.5 Der griechische Begriff avancierte alsbald zum terminus technicus und wurde schließlich in den lateinischen Westen transferiert: Athanasius baute den Term monachos an Schlüsselstellen seiner 'Vita Antonii' ein. In der lateinischen Version dieser Vita erscheint das Äquivalent monachus und tritt von hier aus seinen Siegeszug im lateinischen Mittelalter an. Der eremitisch–monastische homo solitarius ruht jedenfalls auf einem christologisch fundierten homo singularis auf und lässt sich aus paganen Wurzeln nicht ableiten. (4) Ein letzter Hinweis zur Genese des Eremiten– und Mönchtums ergibt sich, wenn man der Auskunft der eremitisch–monastischen Schriften über das Motiv des anachoretischen Rückzugs Glauben schenkt. Einhelliger Tenor ist: Den eigentlichen Auslöser des eremitischen Rückzugs bilden stets die jesuanische Forderungen der renuntiatio: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“ (Mt 19,21); „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24) oder vergleichbare Stellen, wie 1 Kor 7.6 Es liegt auf der Hand, dass sich der eremitisch–monastische Aufbruch nicht allein spirituellen Impulsen verdankt. Selbst in hagiographischen Schriften wie der 'Vita Antonii' und 'Vita Pachomii' spürt man den gewaltigen kulturellen und sozialen Umbruch der Mitte des 3. Jahrhunderts als motivationsverstärkenden Kontext. Auch aus dem Term anachoresis selbst lassen sich derartige Motivationsverstärker herauslesen: Er bezeichnet neben dem religiös motivierten Rückzug von der Welt auch soziologische Aspekte wie Migration aufgrund sozialer Entwurzelung, ökonomisch motivierte Fluchtbewe1 2 3 4

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Vgl. ADAM, Grundbegriffe, 217–222. Vgl. APHRAAT, Demonstrationes 6 (FC 5/1, 194): „Alle Einzelnen (ihidaje) wird erfreuen der Eingeborene (ihidaja) aus dem Schoß des Vaters“. Zum ihidaja als Einsiedler vgl. BUNGE, Briefe über das geistliche Leben, 389: „Ihidaja ist der Einsiedler, gegenüber dem dairaya als Zönobit“. Vgl. ADAM, Grundbegriffe, 221: „Die Dogmatisierung der Theologie hatte den Begriff monogenês ausschließlich der zweiten Person der Trinität zugeeignet, so dass der Mensch ihn nicht mehr tragen durfte. Da musste ... die Lebendigkeit des Begriffes ... absterben“. Vgl. dazu ADAM, Grundbegriffe, 209–214. Siehe BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 350–353 und BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 36–39. Dass die renuntiatio saeculi mit der Taufspiritualität zusammenhängt zeigt MURRAY, The Exhortation to Candidates, 59–80 für die frühe syrische Kirche.

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gung oder das Ausweichen vor politischer Verfolgung. Man tut daher gut daran, die pluralen Faktoren und Aspekte des eremitisch–monastischen Frühlings nicht über einen Kamm zu scheren.1 So kann insbesondere von einer ausschließlichen oder überwiegenden Rekrutierung des Eremitenstandes aus einer Unterschicht sozial und ökonomisch Entwurzelter keine Rede sein. Wie schon bei der palästinensischen Jesus–Bewegung und im frühen Christentum ganz allgemein trafen auch in der anachoretischen Bewegung Ägyptens unterschiedliche soziale Schichten aufeinander, was durchaus zu Konflikten führen konnte.2 Wie stark aber der Schritt der christlichen anachoresis den sozialen Status der Person in den Augen der Umwelt beeinträchtigte, erhellt, wenn man die christliche Suche nach Heiligkeit mit der antiken Suche nach Weisheit vergleicht:3 Auch die heidnische Askese der Pythagoräer, Neuplatoniker, Kyniker, Stoiker und Epikuräer kennt eine beeindruckende anachoresis, einen Rückzug von der Masse und vom gemeinen Volk; auch die antike philosophische Lebensform steht in einer beträchtlichen Spannung zur antiken Gesellschaft und bringt aus dieser Kontrastposition heraus kritisches Potential in Anschlag. Die nicht–christliche anachoresis verbleibt dabei aber tendenziell innerhalb der antiken polis. Die antike Bildung, die paideia, bleibt der fraglose, gemeinsame Kommunikationshintergrund. Die limitische Kontur wird nicht durchbrochen. Die heidnische anachoresis ist eher eine kommunikative Kontrast–Position als eine Contra– Position.4 Anders die christliche anachoresis: Wenn sich der Ägypter Antonius in die Wüste zurückzieht, um Eremit zu werden, dann überschreitet er auf eine unerhört radikale und vor allem irreversible Weise die limitische Kontur der Gesellschaft: Er verkauft Hab und Gut, verschenkt das Geld an die Armen und zerstört seinen sozialen Status.5 Eremiten wie Antonius wenden sich zudem von der antiken paideia ab, um eine neue christliche paideia aufzurichten: Sie lesen keine Philosophen, sondern lernen die Heilige Schrift auswendig. Sie führen nicht erdachte philosophische Maximen im Munde, sondern tragen durch den Heiligen Geist hervorgebrachte Worte (rhemata) auf den Lippen. Sie nehmen Maß am beispielhaften Handeln limitischer Grenzgänger wie Abraham, Mose, David, Elija, Jesaja, Jeremia, Daniel, Ijob, Johannes dem Täufer, Maria Magdalena und dem gerechten Schächer.6 Und schließlich: Sie siedeln in einer „Landschaft 1 2 3 4 5

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Vgl. hierzu BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 40–43. Vgl. hierzu APOPHTEGMATA PATRUM 74 (Miller, 35–36), wo Abbas Arsenios einen Unterschicht–Anachoreten, der sich über einen Oberschicht–Anachoreten erregte, unterweist. Zum ganzen Abschnitt siehe BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 54–62. Vgl. BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 49–54 und LESKOVAC, Solitudo, 36–39. Siehe hierzu ATHANASIUS, Vita Antonii 2–3 (PG 26, 841–844) und das Portrait, das BROWN, Die Keuschheit der Engel, 227–228 zeichnet, insbesondere die Einschätzung einer „selbstauferlegten Vernichtung von Antonius' sozialem Status schlechthin“. Vgl. APOPHTAGMATA PATRUM 418 (Miller, 144): „gastfreundlich ... wie Abraham, sanftmütig wie Moses, heilig wie Aaron, geduldig wie Job, demütig wie David, ein Einsiedler wie Johannes, trauernd wie Jeremias, ein Lehrer wie Paulus, treu wie Petrus, weise wie Salomon, ... Ver-

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des Schreckens“ – nämlich in der Wüste. Damit sind die nächsten Schritte einer geforderten Strukturanalyse des eremitischen Lebens vorgezeichnet: eine genauere Erhellung des Kreuzens der limitischen Kontur, der Existenz in der Wüste und die latro– Markierung des Eremiten/Mönches.

3.2.2. Theologische Grundstruktur des anachoretischen Lebens Die vita anachoretica wird dadurch begründet, dass man die abstrakte limitische Kontur der Welt als konkrete Trennungslinie auf institutionalisierte Weise markiert, überschreitet, und so in einen Bereich der Einsamkeit und Ruhe (lateinisch solitudo/pax/quies, griechisch hêsychia1) gelangt, um diesen Raum zu bewohnen.2 Der Akt der limitischen Grenzziehung und Überschreitung ist bei der Errichtung des vita anachoretica in zwei sukzessiven Stufen zu vollziehen: Durch den räumlich–leiblichen Ausschluss der Welt gelangt der Anachoret lediglich in die „solitudo/hêsychia des Körpers“. Dieser leibliche Rückzug an einen Ort der Einsamkeit – in das kellion, den eremos oder das monasterion – reicht für eine wirkliche Freiheit von der Welt aber nicht hin. Die Welt bewohnt den Anachoreten in seinem Herzen als existentielle, intellektive oder affektive Formung. Er trägt die „Welt im Herzen“ beim Einzug in das kellion in seine leibliche Einsamkeit hinein und dort weiter mit sich herum. Erst vermöge einer zweiten Markierung, inneren Überschreitung und geistlichen Trennung von der „Welt im Herzen“ kann der Eremit die für das eremitische Leben konstitutive „solitudo/hêsychia des Herzens“ aufrichten – den geistlichen Raum der Freiheit für Gott.3 Die Errichtung einer äußeren und inneren solitudo wirft zahlreiche Fragen auf, die in anachoretischen Texten regelmäßig zur Sprache kommen:

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trauen wie der Schächer.“ Zum Problem der Literalität und/oder Illiteralität ägyptischer Anachoreten siehe BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 43–48. Zur hêsychia vgl. ADNÈS, Hésychasme, 381–399, mit Stellenbelegen und Besprechung. Für eine ähnliche Definition des anachoretischen Lebens vgl. auch LESKOVAC, Solitudo, 121– 124. Zur äußeren und inneren hêsychia siehe ADNÈS, Hésychasme, 384–397; mit zahlreichen Stellenbelegen; zur Theologie der inneren und äußeren hêsychia siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 37–59; 60–79 und 95–98. Ein gutes frühes Beispiel einer Systematik des zweifachen Überschritts bietet der syrische Eremit JAUSEP HAZZAYA, Drei Stufen (Bunge) mit zwei Überschritten, die gemäß des Exodus gegliedert sind: Für die „Leibhaftigkeit des koinobion“ siehe 20–60 (Bunge, 89–114); für die „Seelenhaftigkeit des koinobion“ 61–161 (114–187); in 149 (179–180) fällt die aufschlussreiche Wendung „zweite Beschneidung“. BROWN, Die Keuschheit der Engel, 227–253 beschreibt den Vorgang der äußeren und inneren hêsychia hingegen ganz aus der Perspektive der sexuellen Enthaltsamkeit. Die Theologie der hêsychia erfährt in der zisterziensischen Theologie eine interessante Relecture; siehe hierzu AUST, In allem suchte ich Ruhe, 145– 152.

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(1) Durch das Kreuzen der limitischen Kontur lässt der Anachoret eine gewisse soziale Kontrolle hinter sich, die nun von der geistlichen Führung durch einen geistlichen Vater oder Mutter, den abbas oder die amma, abgelöst wird.1 (2) Der anachoretische Rückzug beschränkt zwar die sozialen Außenkontakte in ihrer Quantität, wertet sie aber in der Qualität auf; viele anachoretische Schriften und Regeln thematisieren daher eindringlich die Kommunikation an Fenstern und Türen, die Liebestätigkeit (caritas) und Gastfreundschaft (hospitalitas).2 (3) Details der Liturgie, des Sakramentenempfangs und der Handarbeit sind keine Selbstverständlichkeit und werden deshalb in etlichen anachoretischen Texten intensiv reflektiert.3 (4) Als radikalisierte Existenzform bedarf das anachoretische Leben der Berufung und einer besonderen Vorbereitung. Die Regeln und Überlieferungen der Wüstenväter kennen daher eine Prüfung der Motive eines Kandidaten und die ausführliche Einführung ins kellion. Die Vorbereitungszeit wird entweder bei einem erfahrenen Altvater oder aber in einer koinobitischen Einführungsphase absolviert.4 (5) Anachoretische Texte kreisen um die zentralen geistlichen Aspekte, die das Leben im kellion begleiten: Kampf mit Versuchungen und Dämonen, Reinigung des Herzens sowie Vertiefung des Gebetslebens zur Kontemplation.5 Diese Grundfigur der Anachorese kann in verschiedenen Formen vollzogen werden, die hier lediglich angedeutet seien:6 (1) Der Eremit trennt sich von der Welt, indem er die menschlichen Großsiedlungen verlässt und in ein kellion zieht. Das Kernmotiv seiner Lebensform ist das „Abgelegen–Sein“ des kellion.7

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Vgl. APOPHTEGAMATA PATRUM 37 (Miller, 24); 1160 (404–405) und JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 12–14. Stellen der APOPHTEGAMATA PATRUM sind Legion, hier nur die einige Belege: 18 (Miller, 19); 27 (22); 97 (44); 165 (67); 201 (83); 207 (84) etc. Für die eucharistische und liturgische Praxis siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 18–22 und 99–109. Zur Handarbeit siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 17–18 und 142–153; MILLER, Weisung der Väter, 458; JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 18–19 und DÖRRIES, Mönchtum und Arbeit, 17–39. Siehe etwa LIALINE, Érémitisme, 940. Zur modernen Diskussion um die adäquate Vorbereitung und Einführung siehe SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 181–183. Zum Problem der geistlichen Begleitung und der Selbststeuerung gemäß anachoretischer Normen vgl. JAUSEP HAZZAYA, Drei Stufen 41 (Bunge, 102), 73 (124), 108 (150), 131–135 (166– 170). Zu Tugenden, Grundhaltungen und Früchten der Anachorese siehe 94 (140–141), 98 (143), 109 (150–151), 136–138 (170–172), 147 (178). Diese Differenzierung der Anachorese entwirft GUILLAUMONT, An der Wurzel, 60–62. Vgl. hierzu FRANK, Einsiedler, 557: „Lösung aus sozialen Bindungen“ und „Alleinleben abseits menschlicher Siedlungen“; weitere Hinweise auch bei LIALINE, Érémitisme, 936–953.

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(2) Der Rekluse verlässt die Welt, indem er sich in ein kellion zurückzieht, dessen Schutzmauern limitisch aufgerüstet sind. Das Kernmotiv seiner Lebensform ist das „Ausgesondert–Sein“ des kellion.1 (3) Der Stylit entsagt der Welt, indem er ein als Pfahlbau gestaltetes Höhen–kellion aufsucht, das oberhalb der Perspektive der Welt liegt. Das Kernmotiv seiner Berufung ist die „Erhabenheit“ des kellion.2 (4) Der Wandereremit trennt sich von der Welt vermöge eines Wanderns durch translimitische Zonen jenseits menschlicher Großsiedlungen. Das Kernmotiv seiner Lebensform ist „Fremdheit“ und „Heimatlosigkeit“.3 (5) Der Narr für Christus trennt sich von der Welt, indem er in einer Art von „simulierter Verrücktheit“ jenseits der gewöhnlichen Verhaltensweisen eines Sozialverbandes lebt; er wird daher, obwohl räumlich im Sozialverband verbleibend, als irrelevant wahrgenommen und gleichsam „links liegen gelassen“. Das Kernmotiv seiner Berufung ist das „Nicht–Integriert–Sein“.4 Wenngleich das anachoretisch–eremitische Leben mit der Figur des inneren und äußeren Überschritts der limitischen Kontur der Welt sowie der Aufzählung von Formen in struktureller Hinsicht hinlänglich beschrieben ist, so muss man doch nach den tragenden theologischen Prinzipien dieser Lebensform weiterfragen. SCHLOSSER hat aufgezeigt, wie man eine Trias von Bestimmungen (die im geltenden Kirchenrecht Anwendung finden) so entfalten kann, dass sie sowohl systematischen, historischen und kirchenrechtlichen als auch spirituellen Ansprüchen genügt: (1) Das anachoretische Leben ist erstens durch eine „radikalere Trennung von der Welt“ (arctior a mundo secessus) gekennzeichnet: Die existentielle Haltung einer „Fremdheit von der Welt“ ist zunächst schlicht die Konsequenz aus der Transzendenzbegabung des Menschen, nämlich des Umstandes, dass selbst die gute Welt nicht mit dem identisch ist, was Gott für den Menschen vorgesehen hat. „Fremdheit von der Welt“ heißt deshalb, die Grundwahrheit zu leben, dass der Mensch nicht von dieser und für diese Welt ist – eine Haltung, die unter den Vorzeichen des Christusereignisses als ein Kennzeichen des christlichen Lebens überhaupt gelten muss und beim Eremiten zur „Trennung“ radikalisiert wird.5 1

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Siehe hierzu die treffende Abgrenzung des Reklusen von anderen anachoretischen Lebensformen bei DÖRR, Das Institut der Inclusen, 1–4 und die Ausführungen von SPIDLIK, Reclus, 217– 221; CHARTIER, Reclus, 221–228. Vgl. SPIDLIK, Stylite, 1267–1275. Siehe das knappe Portrait von GUILLAUMONT, An der Wurzel, 154–168 und die umfangreichen Erwägungen von CAMPENHAUSEN, Asketische Heimatlosigkeit. Zum salos als „verrückten Einsiedler“ vgl. GUILLAUMONT, An der Wurzel, 199–204. Vgl. SCHLOSSER, Solus cum Solo, 203–204 und Einsam bist du nicht allein: 174–176 zur Exegese der lateinischen Formel; 184–186 für die prophetische Dimension dieses Aspekts. Zur Parallele von secessus/renuntiatio im Taufritus und in der Mönchsprofess siehe HANTSCH, Abrenuntiatio, 161–189. Zur Verankerung asketischer Gelübde im Taufritus vgl. MURRAY, The Exhortation to Candidates, 59–80 und WARE, The Sacrament of Baptism and the Ascetic Life,

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(2) Anachoretisches Leben besagt zweitens „Schweigen der Einsamkeit“ (silentio solitudinis): Schweigen ist zunächst einmal eine Konsequenz daraus, dass nicht schon der Umstand, dass man spricht, sondern erst das, was und wie man spricht, Gemeinschaft stiften kann. Echtes Reden wird immer aus dem Schweigen geboren, denn nur wer im Schweigen auf die ständige Selbstpräsentation verzichtet, der kann sich der Wahrheit stellen und so auch zur Gotteserkenntnis gelangen. Ähnliches gilt für die Einsamkeit: Sie ist so innig mit dem Person–Sein verknüpft, dass man sagen könnte, Einsamkeitsfähigkeit sei zugleich Person–Fähigkeit. In der Einsamkeit entbirgt sich nämlich die Unverwechselbarkeit und Unvertretbarkeit der Person, und damit ein Raum für die persönliche Vertrautheit mit Christus. Zeitweises Schweigen und Einsamkeit sind für jeden Christen normativ, werden aber in der anachoretischen Lebensform zu radikalisierten Momenten der Lebensgestaltung.1 (3) Anachoretisches Leben ist drittens „Beharrlichkeit und Treue im Gebet und in der Umkehr“ (assidua prex et paenitentia): Die Notwendigkeit des Gebets erhellt aus dem Umstand, dass es den ersten Akt des Glaubens bildet; die Umkehrgesinnung (metanoia) ist hingegen mit der Taufbekehrung verknüpft. Beides, Gebet und Bußgesinnung, gehören zum christlichen Leben, sind aber im eremitischen Leben radikalisiert: Der Eremit wirkt nicht durch Predigt und Aktion an der Bekehrung der Welt mit, sondern durch seine Stellvertretung in Gebet und Buße. Er ist damit ein lebendiges Zeugnis für den Primat der Gnade und das Wirken Gottes vor jeder menschlichen Aktivität.2 Wozu dient nun diese Radikalisierung von Elementen, die in einem gewissen Maße jedes christliche Leben prägen? Als prophetisches Zeichen? Gewiss, denn das Leben nach den evangelischen Räten gilt im Christentum seit jeher als vita prophetica. Dabei ist allerdings zu beachten: Zunächst dient das eremitische Leben überhaupt nichts und niemanden. Es erwächst der Berufung und dem persönlichen Gottesverhältnis. Ein Eremit ist Eremit, weil Gott Gott ist; er kennt keine Absicht, nach außen für die Welt ein Zeichen zu setzen.3 Das schließt freilich nicht aus, dass sein eremitisches Leben 1

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441–451. Siehe SCHLOSSER, Solus cum Solo, 204 und Einsam bist du nicht allein: 176–178 zur Exegese; 186–190 zur prophetischen Dimension dieser Formel. Weitere Hinweise auch bei JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 17–18. Zur Theologiegeschichte des Schweigens vgl. MIQUEL, Silence, 829–842. Vgl. SCHLOSSER, Solus cum Solo, 204–205 und Einsam bist du nicht allein: 178–180 zur Exegese der Formel; 191–192 zur prophetischen Dimension dieses Aspektes. Siehe SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 183–184, sowie 185: „Das eremitische Leben beruht nicht auf der Absicht, Zeichen setzen zu wollen ... Die 'Einsamkeit des Herzens' wird in dem Augenblick aufgegeben, wo jemand sich vor einem anderen präsentiert, sie wird bereits verlassen bei der überheblichen Beobachtung seiner selbst“; ähnlich auch FRANK, Einsiedler, 557: „Die Einsamkeit wird aus religiösen Gründen aufgesucht, mit denen sich kirchliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Anlässe verbinden“.

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eine stille Predigt Christi ist – eine Predigt, die sich radikal gegen den Transzendenzverlust als Realitätsverlust wendet.1 Und just an diesem funktionalisierungsresistenten Punkt der eremitischen Existenz geschieht der Re–entry des Anachoreten, durch den er in die Welt zurückkehrt: Gerade weil der Eremit nicht predigen will, wird seine stille Predigt auf paradoxe Weise zu einer lauten Predigt, die von vielen gehört wird. Kommt der Eremit auch nicht in die Welt zurück, um in ihr zu leben oder zu wirken, so kommen doch zahlreiche Kinder der Welt zu ihm in die Wüste, um ihm zu begegnen.2 Gerade in den Umbruchszeiten der Weltgeschichte – in der Spätantike, während des eremitisch–monastischen Frühlings des 12. Jahrhunderts, im Spätmittelalter, beim Übergang zur Barockzeit, und erneut in der Postmoderne – war und ist das Interesse am verborgenen Anachoreten so groß, dass er nicht verborgen bleiben kann. Auch wir müssen zusammen mit den diversen Wanderern in die Wüste hinaus, um der Predigt der Eremiten zu lauschen.

3.2.3. Ort des eremitisch–monastischen Lebens: Wüste Auf die Frage nach dem Ort des eremitischen Lebens scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: die Wüste. Wer die drei christlichen Kulturlandschaften Ägypten, Syrien und Palästina aus eigener Anschauung kennt, weiß allerdings, welch unterschiedliche Lebensräume sich hinter dieser schlichten Vokabel verbergen: Die ägyptischen eremtischen Wüsten – die Thebais, die Sketis und die Kellia – sind eine Landschaft im absoluten Kontrast zur kultivierbaren Nilzone, eine lebensfeindliche Umgebung, in der das eremitisch–monastische Leben nur durch unmittelbare Anbindung an Oasen möglich ist. Das Ausharren in einer Landschaft mit extrem seltenem Niederschlag hat das eremitische Leben tief geformt: Das entbehrungsreiche Wüstenleben selbst stellt schon die höchstmögliche Form der Askese dar; zusätzliche Askeseübungen sind in der eremitischen Bewegung Ägyptens undenkbar – was den Zug zu einer gewissen Milde erklärt, der in Texten des ägyptischen Eremitentums aufscheint. Aufgrund der Anbindung der Eremiten an Oasen kommt der Handarbeit und dem Verkauf der gefertigten Produkte ein relativ hoher Stellenwert zu.3 Die Wüste Syriens weist 1 2

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Vgl. SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 190–192 und SCHNEIDER, Aus den Quellen der Wüste. Zur Geschichte der „stillen Predigt“ siehe GOUGAUD, Muta praedicatio, 168–171. Siehe hierzu GUILLAUMONT, An der Wurzel, 63–65, hier besonders 64: „Die historischen Quellen zeigen, dass der Anachoret, ohne und auch gegen seinen Willen, Einfluss auf die Welt ausübt. Die Menschen, die er flieht, kommen zu ihm; deswegen erneuert er seine Anachorese. Das Verlangen, ihn nachzuahmen, führt ihm Jünger zu; und so wird er zu einem Gründer und Vater“. Eine instruktive Karte über die Lage der Nitria, Kellia, Pherma, Petra und Sketis bietet DESCOEUDRES, Die Mönchsiedlung Kellia, Abbildungsteil zwischen 32–33; hier Abb. 1. Ein einfühlsames Portrait zur ägyptischen Wüste gelingt BROWN, Keuschheit der Engel, 227–237. Zur genauen Lokalisierung und einem knappen geschichtlichen Überblick siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 11–30 und BINN, Ascetics and Ambassadors, 99.

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ein völlig anderes Profil auf: Das grundsätzlich fruchtbare Land Syriens ist mit Streifen von Stein– und Bergwüsten durchsetzt oder von ihnen großflächig eingerahmt und bildet daher eine abwechslungsreiche Patchwork–Landschaft. Die regenreiche Wüstenstriche geben dem syrischen Eremitentum sein typisches Gepräge: Anders als in Ägypten kann das eremitische Leben in Syrien nicht nur durch Sitzen im kellion in Oasennähe sondern auch durch Wandern geführt werden. Der „grasende“ Eremit (boskos) wandert umher, um sich Wildfrüchte und Pflanzen für seine Ernährung zu beschaffen. Wegen des Wasserreichtums entsteht unter syrischen Eremiten ein gesteigertes Interesse, die klimatische Erleichterung durch erhöhte Askeseleistungen zu kompensieren.1 Wieder anders zeigt sich die Wüste Palästinas2: Palästina ist ein Grenzland, wo die Kontinente Afrika, Europa und Asien aufeinander stoßen und umfasst dabei alle möglichen Wüstentypen auf kleinstem Territorium – was eine reiche Typologie eremitisch– monastischer Lebensformen erheblich förderte. Das besondere Gepräge des palästinensischen Eremiten– und Mönchtums resultiert aus dem Charakter der Gegend als kleinräumiges Durchmarschgebiet mit unmittelbarer Jerusalem–Anbindung: In der eremitisch–monastischen Theologie Palästinas lässt sich ein gewisser internationaler Charakter, eine erstaunliche Jerusalem–Verbundenheit und eine gesamt– ekklesiologische Einbindung konstatieren, die andernorts nicht immer im Vordergrund stand. Der reiche Winterregen von November bis März hat gerade im palästinensischen Bereich den Brauch hervorgebracht, wenigstens die Exerzitien der Fastenzeit durch einen Rückzug in eine unwirtliche Wüstenei radikaler zu gestalten.3 Trotz der beträchtlichen Eigenprofile der Wüsten Ägyptens, Syriens und Palästinas gibt es ein grundlegendes Profil eremitischen Lebens, das vor jeglicher regionalen Besonderheit liegt und kurz umrissen werden muss. Eremitisches und koinobitisches Leben in der Wüste ist von Wasserquellen und Zisternen abhängig. Die Archäologie der letzten Jahre konnte interessante Details einer ausgeklügelten Wasserversorgung und Zisternenarchitektur in diversen eremitischen Siedlungen ans Tageslicht bringen.4 Vorrangig aus Texten sind wir über die Ernährungsgrundlage der Eremiten informiert: Der eigenen Landwirtschaft entstammten Gemüse (besonders Hülsenfrüchte) und Früchte wie Feigen, Datteln und Johannisbrot. Selbst angebautes Getreide wurde zu haltbarem Knäckebrot verarbeitet und in größeren 1

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Hinweise zur syrischen Wüste und Anachorese bei BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 376–380 und BINN, Ascetics and Ambassadors, 100. Einen guten Überblick zur syrischen Anachoretik bieten auch VÖÖBUS, History of Asceticism 2, 292–315 und BROCK, Early Syrian Asceticism, 1–19. Zur Topographie der judäischen Wüste vgl. NEGEV, Archäologisches Bibellexikon, 226–228 und die Kartenteile von BINN, Ascetics and Ambassadors, 101; 104; 116–117. Siehe hierzu BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 370–373 und BINN, Ascetics and Ambassadors, 99–120; hier besonders 100; 110 und 115–118; in 111–115 eine kurze Übersicht über den sozialen Frieden und Konflikte in der palästinensischen Wüste. Vgl. BINN, Ascetics and Ambassadors, 102–105; GUILLAUMONT, An der Wurzel, 27–30 und DESCOEUDRES, Die Mönchsiedlung Kellia, 24–41.

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Mengen bevorratet. Neben Kulturpflanzen kannte die eremitische Tafel auch leicht zu beschaffende Wildpflanzen: Die Distel mannouthia (Gundelia tournefolia) bietet essbare Blütenböden, Stängel und Wurzeln; die trockenen Pflanzenreste dienen zudem als Brennstoff. Von der Pflanze melagria (Asphodelus microcarpus) ist hingegen nur die Wurzel genießbar – eine Speise, die sich laut Mt 3,4 schon Johannes der Täufer schmecken ließ. Besonders in Syrien stehen weitere Wildpflanzen regelmäßig auf dem Speisezettel, die anderswo nicht verfügbar sind. Zu den ausgesprochenen Luxusgütern für Festtage und etwaige Besucher gehören Öl, Wein, Honig und Käse, die eigens herangeschafft werden mussten und daher immer Geschenke von Wohltätern aus den Städten waren.1 Die typische Behausung des Eremiten ist das kellion. Das deutsche Lehnwort „Zelle“ gibt – trotz der für unser Thema interessanten sprachlichen Brücke zur Behausung des Räubers – einen eher unscharfen Eindruck dieser multifunktionalen Wohnstätte: Das kellion bezeichnet zwar durchaus den eher bescheidenen und ärmlichen Wohnraum der unteren Schichten des Vorderen Orients, aber umfasst in der Regel mindestens zwei, wenn nicht gar zahlreiche Räume mit umfriedetem Garten, und bietet daher die Möglichkeit, alle lebenswichtigen Funktionen wie Schlafen, Essen und Arbeiten an einem Ort auszuführen.2 Darüber hinaus existieren auch zahlreiche Sonderformen eremitischen Wohnens: Syrische Styliten und Dendriten hausen auf Pfahlanlagen und in Baumhäusern; Wandereremiten (boskoi) nächtigen in einem Kobel aus Laub und Gras. Einige Viten berichten von Eremitenbehausungen wie Grabkammern, Höhlen, verfallenen Kastellen, die sich als quasi–kellion nutzen ließen. In vielen Gegenden, besonders aber in Palästina, kam es zu einer mehr oder minder ausgeprägten Ansammlung von kellia in unmittelbarer Sichtweite. Der graduelle Übergang zur halb–eremitischen Lebensweise vollzog sich, sobald Einzeleremiten begannen, Pfade zwischen den kellia anzulegen. In Palästina hatte sich der Brauch eingebürgert, diese kellion–Netzwerke mit dem griechischen Wort für „Gasse“, nämlich laura (arab. suq, syr. shouga) zu bezeichnen; und in der Tat besteht eine gewisse Analogie zwischen der laura im Sinne einer kellion–reichen Gasse eines Armenviertels der Stadt und der laura als Verbindung einzelner eremitischer kellia. Viele Lauren haben später die halb–eremitische Lebensweise noch weiter intensiviert und die kellion–Siedlung mittels gemeinsamer Zisternen und einem kleinen Gemeinschaftsgebäude (koinobion) ausgestaltet, um dort Anfänger auszubilden und Kranke oder Gäste unterzubringen.3 1

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Zur Speise der Eremiten siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 17; BINN, Ascetics and Ambassadors, 106–109 und HIRSCHFELD, Edible Wild Plants, 25–28. Zur Ernährung in den frühen Klöstern vgl. DEMBINSKA, Diet, 431–462. Siehe GUILLAUMONT, An der Wurzel, 14–16; DESCOEUDRES, Die Mönchsiedlung Kellia, 24–41; hier besonders auch der Abbildungsteil (zwischen 32–33) mit Abb. 4, 5 und 16; BINN, Ascetics and Ambassadors, 109–111; MILLER, Weisung der Väter, 460. Siehe BINN, Ascetics and Ambassadors, 102–105; 118–120 bietet eine Liste aller palästinenischen Lauren gemäß der archäologischen Forschungen von HIRSCHFELD. Zur Lauren im Mittelalter siehe BIEDERMANN, Laura, 1775.

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Bei der koinobitischen Lebensform setzt sich der Gemeinschaftscharakter gegenüber der eremitischen Grundform durch und führt schließlich zu einer quasi–polis in der Wüste – mit Kirche, umfangreichen Gemeinschaftsgebäuden, Werkstätten und kommunalem Grundbesitz. Auch hier existieren beträchtliche graduelle Unterschiede: Das Antonianische Koinobion hat zwar eine gewisse koinobitische Außenstruktur, bleibt aber trotzdem vom geistlichen Ideal her eher eremitisch ausgerichtet. Im Pachomischen Koinobion besteht ein deutlicher Überschuss an koinobitischen Elementen, die in einer einheitlichen strikten Regelobservanz, in der Übung sozialer Tugenden und einer verschärften Armutspraxis Ausdruck finden. Das Basilianische Koinobion macht schließlich den Schritt zum durchgängigen Gemeinschaftsideal und errichtet die vita communis (bios koinos) auf dem Fundament eines strengen Regelgehorsams, einer reichen Liturgie, elaborierter Bildung und karitativer Projekte.1

3.2.4. Markierung des Eremiten als latro Die obige Darstellung eines relativ ansprechenden eremitischen Lebens darf nicht darüber hinweg täuschen, wie sehr dem antiken Menschen die vita solitaria verhasst war; für wie verrückt, unmenschlich, verächtlich, schändlich, ja pervers er das Einsiedlerleben hielt.2 Das Leben außerhalb der polis–Dimension galt als menschenunmöglich. Diesbezügliche Aussagen begegnen in der griechischen Philosophie allenthalben: Aristoteles bestimmte das translimitische Außenseiterleben als Unter– oder Überbietung der menschlichen Existenz: „Wer ... nicht in Gemeinschaft leben kann, oder in seiner Autarkie ihrer nicht bedarf, der ist kein Teil des Staates, sondern ein wildes Tier, oder ein Gott.“3 Platon sah in seiner ‚Politeia’ zudem das Problem, dass der Mensch außerhalb der polis aus der iustitia connectiva herausfällt, ohne Rechtsstatus lebt und daher in seiner Überlebensfähigkeit massiv benachteiligt ist.4 Auch außerhalb der Philosophie, in der antiken griechischen und römischen Literatur, existieren zahlreiche Zeugnisse einer ausgeprägten Verachtung der vita solitaria, von denen wir hier nur einige Beispiele streifen können: Homer zeigt im neunten Buch seiner Odyssee anhand der Zyklopen, wie pervers die vita solitaria ist. Weil Zyklopen 1

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Für diese Dreiteilung koinobitischer Stile siehe DOYÈR, Érémitisme, 955–956. Zum pachomischen Koinobion vgl. BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 358–366 und RUPPERT, Das pachomianische Mönchtum. Zum basilianischen Gemeinschaftsideal siehe BASILIUS, regula 3 (CSEL 86, 25–32) und AMAND, L’Ascèse monastique de Saint Basile. Zur Abgrenzung siehe auch MENDIETA, Le système comparé, 31–80. Einen kurzen Überblick über die schärfsten Kritiker der eremitischen Bewegung gibt BURTON– CHRISTIE, The Word in the Desert, 11–14. Die folgende Darstellung verdankt sich aber in erster Linie den Anregungen von LESKOVAC, Solitudo, 25–41. ARISTOTELES, Politica 1,2,1253a 29 (Gigon, 50). Siehe PLATON, Politeia 578e (Kurz, 746–747).

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einsam leben, gehen sie aller sozialen Bezüge (philia), der menschlichen Praxis und schließlich sogar der Ehrfurcht gegenüber den Göttern (aidos) verlustig. Innerhalb ihrer Kümmerform der Existenz bleibt es ihnen verwehrt, Bildung (paideia) oder Tugend (arete) auszubilden.1 Auch die griechische Dramatik strotzt von Spott über Einsiedler. In der Komödie 'Menschenfeind' von Menander aus dem Jahre 314 v. Chr. wird der translimitische Bauer Kmenon vorgeführt, um zu zeigen, wie lächerlich und grotesk einsames Leben ist.2 In seinem 'Philoktet' aus dem Jahre 409 zeigt Sophokles die Degeneration des einsamen Lebens in Einzelschritten, bis hin zur völligen geistigen Umnachtung: Während einer zehnjährigen unfreiwilligen Einsamkeit auf der Insel Lemnos schwinden dem Philoktet zunehmend Sinne und logos. Jenseits der limitischen Kontur der Gesellschaft kippt er aus dem menschlichen Wesen heraus und fällt immer mehr in den Tierzustand zurück. Zu guter Letzt kann er nur noch gellende Tierlaute hervorbringen.3 Ein weiteres Beispiel einer tragischen Außenseiterfigur gibt Bellerophon ab, der in der antiken Literatur mehrfach portraitiert wurde.4 Ein beklagenswerter outlaw sei zum Abschluss erwähnt: Sostratus – wie er etwa in Schriften Lukians und Philostratus' dargestellt wird. Der Mann mit unglaublicher Leibesgröße lebte völlig allein, nächtigte unter freiem Himmel auf Grassoden und ernährte sich von Wildpflanzen. Das eigenartige Wesen zwischen Tier und Halbgott – sozusagen ein Hercules redivivus – stand außerhalb der menschlichen Gesellschaft und hatte nur eine positive Eigenschaft zu bieten: In seiner Schrecklichkeit schlug er Räuber in die Flucht – zur Freude der Bewohner des Landstrichs.5 Angesichts einer solch grundlegenden Ablehnung translimitischen Lebens kann es wohl kaum Erstaunen hervorrufen, wenn einem aus den Texten der römischen Antike, die von christlichen Eremiten Notiz nehmen, deftige pejorative Markierungen der christlichen vita solitaria entgegen schlagen.6 Hier besonders aussagekräftige und oft zitierte Beispiele: (1) Als sich der christlich gewordene Paulus von Nola in Spanien in eine unwirtliche Gegend zum eremitischen Leben zurückzieht, übersät ihn sein ehemaliger Freund Ausonius mit Vorwürfen: Wie könne ein Mensch nur so verblendet sein und sich verführen lassen, wie Bellerophon zu leben und geistig verwirrt fern ab von allen Menschen in den wilden Bergen umher zu streunen.7 1

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Dieses Portrait aus Texten der Odysee entwickelt LESKOVAC, Solitudo, 25–26, und kommt dabei besonders auf HOMER, Odyssee 9, 108–139 (Dindorf/Hentze, 153–154) und 175–176 (Dindorf/Hentze, 137) zu sprechen. Siehe MENANDER, Dyskolos 713–715 (Heimeran 181–182) und LESKOVAC, Solitudo, 32. Siehe hierzu SOPHOKLES, Philoktet (Turkheim) und LESKOVAC, Solitudo, 35–36. Vgl. GEISAU, Bellerophon, 856–858. Siehe LESKOVAC, Solitudo, 39–40. Vgl. die „antimonastischen Strömungen“, die BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 406–409 mit zahlreichen Belegen skizziert. Details und Belege bei JENAL, Italia ascetica, 421–429. Dieses Beispiel zitieren auch BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 407; SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 175 (Anm. 19)

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(2) Der heidnische Dichter Rutilius Claudius Namantius lässt sich in seinem Hass auf Eremiten zu noch stärkeren Ausbrüchen hinreißen1. In seiner um 417 entstandenen Schrift ‚De reditu suo’ markiert er die Anachoreten als lichtscheues Gesindel, das sich zur Tarnung und Vertuschung den griechischen Decknamen monachoi zugelegt habe. Für Rutilius sind Mönche und Eremiten, die auf den Inseln Gorgo und Capraria leben, geistig umnachtet und lebendig begraben. Er könne nicht verstehen, wie Edelleute freiwillig als Verbannte leben wollten – was ja letztlich die Strafe von latrones sei. Am schlimmsten dünken Rutilius die Inseleremiten: Während Kirke nur den Körper verhexen könne, vergifteten diese abscheulichen Eremiten den menschlichen Geist.2 (3) Sprachlich weniger elaboriert und dafür umso unverblümter sind die Markierungen der Eremiten/Mönche mit Tiernamen: Der gebildete Heide Eunapius von Sardis hält Eremiten und Mönche für Wesen, die nur auf den ersten Blick menschlich scheinen, sich bei genauerem Hinsehen aber als Schweine entpuppten. Synesius von Kyrene, ein Christ aus kultiviertem Hause, hält Eremiten und Mönche schlicht für „unkultivierte Wildsäue“.3 Einen anderen Akzent setzt der Arzt Galen, als er auf christliche Asketen zu sprechen kommt: Männer und Frauen des eremitisch– monastischen Lebens enthielten sich vom Geschlechtsverkehr und lebten damit auf eine das normale Sozialverhalten überschreitende Weise und in einer erstaunlichen Todesverachtung.4 Die skizzierte Phobie vor einer vita solitaria hat sich allerdings im Verlauf von Jahrhunderten beträchtlich umgestaltet: In der im römischen Reich aufblühenden christianitas klangen Generalverdächtigungen und –vorurteile gegen das anachoretische Leben rasch aus und machten einer allgemeinen Akzeptanz und Wertschätzung Platz.5 Die pejorative Rhetorik, die das Anachoretentum seit seiner Entstehung begleitete, wurde dabei nicht zur Gänze ausgeschaltet sondern eher auf bestimmte Teilbereiche verschoben. Im gleichen Maße wie es gelang, Teilaspekte der anachoretischen Translimitik in der Form einer anachoretischen bzw. monastischen Kultur in die Gesellschaft zu integrieren, traten transformationsresistente Aspekte des anachoretischen Lebens zu Tage. Oder anders gewendet: Wenn die christliche Gesellschaft akzeptable Transliminalitätsweisen definierte, dann fixierte sie zugleich unakzeptable Transliminalitätsweisen sozusagen als Nebenwirkung. Hierzu zwei Beispiele:

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und LESCOVAC, Solitudo, 40. Siehe JENAL, Italia ascetica, 429–431. Siehe JENAL, Italia ascetica, 430. Vgl. hierzu BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 11–12, weitere Angaben in Anm. 24 und 25. Vgl. WALZER, Galen on Jews and Christians, 15. Vgl. hierzu BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 7–11 mit dem Kapitel „The Desert Legacy Embraced“, wo positive Voten von Athanasius, Augustinus etc. bis hin zu moderen Autoren beigebracht werden.

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Frühes Christentum

(1) Gregor von Tours übermittelt eine aufschlussreiche Episode, die belegt, dass nur gewisse Formen und Stile des anachoretischen Lebens in Europa tragbar waren: In der 'Historia Francorum' wird der Asket Wulflaicus erwähnt, der im Jahre 585 in einer kleinen Stadt in den Ardennen auftauchte, um sich dort einen stylus, ein kellion als eine Art Pfahlanlage, zu erbauen. Er wollte, wie vor ihm Simon Stylites, seine vita angelica außerhalb – oder genauer gesagt oberhalb – der limitischen Kontur der Gesellschaft leben. Diese Weise des translimitischen Überschritts war in Syrien oder in anderen Gegenden der Ostkirche eine gültige Interpretation und Spielart anachoretischer Existenz; in der Westkirche überstrapazierte sie hingegen die gesellschaftliche Toleranz. Binnen kürzester Zeit schritt der Episkopat von Trier ein, um den provokanten Styliten los zu werden: Man zerstörte listig und trickreich seinen stylos.1 (2) Ein noch heißeres Eisen, das für Jahrhunderte Anlass zu heftigsten Kontroversen gab, war die Frage nach der Legitimität des so genannten Wander–Eremitismus: Wander–Anachoreten konnten sich auf Abraham und den Exodus berufen2, um ihren Wanderasketismus theologisch zu legitimieren, oder aber auf Jesus und seine Jünger verweisen, an deren Lebensstil man den Wanderasketismus unmittelbar ablesen konnte.3 So wirkte etwa der berühmte palästinensische Abbas Sabas (439– 532) zugleich als eremitischer Asket und Botschafter: Durch seinen transliminalen Status war er quasi überparteilich und konnte in einer besonderen Weise Missionen für den Glauben, die Kirche, das Reich, die Städte Jerusalem und Konstantinopel erfüllen.4 Das Ideal der asketischen Heimatlosigkeit (expatriatio) in Verbindung mit einem Wandern für Christus (peregrinatio pro Christo) wirkte nicht nur in Palästina oder Syrien faszinierend, sondern sprang auch nach Irland über.5 Die 'Vita' von Kolumba dem Älteren ist, um nur ein Beispiel zu nennen, ein beeindruckendes Zeugnis, wie sehr asketisches Wandern Ausdruck einer anachoretischen Gesinnung sein konnte: Das Wandern Kolumbas nimmt stets von einem kellion seinen Ausgang und gelangt wieder zu einem neuen kellion.6 Führt die eremitische 1

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Zu dieser Episode siehe GREGOR VON TOURS, Historia francorum 8.15–16 (MGH SS rer Merov 1, 335). Auch DÖRR, Das Institut der Inclusen, 1–4 zitiert diese Stelle, um auf die selektive Rezeption der östlichen Anachorese in der Westkirche hinzuweisen. DELARUELLE, Eremites, 232–233 weist darauf hin, dass gerade das Exodus–Theologumenon für die Wandereremiten des 11. und 12. Jahrhunderts eine entscheidende Inspirationsquelle darstellte. Für den Zusammenhang des Wanderns und der xeniteia vgl. GUILLAUMONT, An der Wurzel, 154–186; hier besonders 158–159; 168–176. Für den Unterschied zwischen dem syrischen und ägyptischen Wandern auf dem Hintergrund der jeweiligen Theologie des eremitischen Lebens vgl. 176–186. Ein Portrait von Sabas als Asket und Botschafter zeichnet BINN, Ascetics and Ambassadors, 154–182. Für die xenteia in der lateinischen Kirche und den Übersprung nach Irland siehe CAMPEN– HAUSEN, Asketische Heimatlosigkeit. Vgl. hierzu ADAMNANUS, Vita Columbae (Fowler).

Eremita et latro

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Wanderschaft durch dünn besiedeltes Land, dann bleibt diese Interpretation des anachoretischen Lebens, bei welcher der Anachoret gleichsam ein mobiles kellion mit sich herumträgt, unproblematisch. Die eindringliche Warnung vor wandernden Anachoreten aus dem Munde so prominenter Autoren wie Johannes Cassian, dem Verfasser der 'Regula Magistri', und Benedikt von Nursia belegt indes, dass Wanderasketen für eine Gesellschaft schnell inakzeptabel werden konnten: Als translimitische Nomaden zogen sie über die limitischen Konturen und Strukturen der Gesellschaft und ihr Territorium hinweg, ohne dass man sie – wie einen Eremiten, Reklusen, Styliten oder die geweihte Jungfrau – „verorten“ konnte. Sie wurden als unberechenbar, ja zum Teil bedrohlich wahrgenommen, was den scharfen Tadel und die Schimpfnamen (wie sarabites oder gyrovages) seit Johannes Cassian und Benedikt erklärt.1 Das eigentliche Problem hatte Augustinus auf prägnante Weise zur Sprache gebracht: nusquam missi, nusquam fixi, nusquam stantes, nusquam sedentes – nicht gesandt, nirgends hin ausgerichtet, nicht anhaltend, sich nicht niederlassend.2 Oder anders gewendet: Aufgrund der Transkategorialität ihres translimitischen Lebensstils konnten sie nicht innerhalb der sozialen Plausibilitätsstrukturen der spätantiken und mittelalterlichen Gesellschaft untergebracht werden. Man versuchte sie (mit mehr oder weniger Erfolg) durch gezielte Maßnahmen zwangsweise zu kategorialisieren – beispielsweise durch Konzilsbeschlüsse.3 Sozialer Druck drohte Eremiten allerdings nicht in erster Linie von einer verständnislosen Gesellschaft sondern vor allem von Mitaußenseitern: Schneller als ihnen lieb war, stand ein handfester latro vor seinem kellion – eine Begegnung, der wir uns nun ausführlich zuwenden müssen.

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Siehe JOHANNES CASSIAN, Conlatio 18,7 (SC 54, 18–21) und BENEDIKT VON NURSIA, Regula Benedicti 1,6–13 (Holzherr 55), mit Kommentierung 61–62; die „Sarabiten“ sind wohl vom koptischen sa(r) = „vom“; abet = „Einsiedelei, Kloster“ abgeleitet. Zum Hintergrund vgl. auch CONSTABLE, Opposition to Pilgrimage, 125–146. AUGUSTINUS, De opere monachorum 28 (BAC 121, 676). Siehe etwa die Konzile von Vannes (465), can 7 (Mansi 7, 954); Agde (506) can 38 (Mansi 8, 331); Orlean (511) can 22 (Mansi 8, 355); Toledo (646) can 5 (Mansi 10, 769–780) und Frankfurt (794) can 12 (Mansi 13, 908).

4. Latro–eremita–Kommunikation in Ägypten, Palästina und Syrien

4.1.

Ägypten: Grundmodelle der latro–Kommunikation

Eine erste Auskunft über Begegnungen von Eremiten mit latrones können wir aus den Texten der eremitischen Bewegung Ägyptens gewinnen. Diese Schriften, die uns im Folgenden als Textgrundlage dienen, haben eine spezifische Gestalt, die hier zum besseren Verständnis kurz analysiert werden soll: Die Vermittlung eremitischen Wissens durch einen Vater (abbas) oder eine Mutter (amma) geschah ursprünglich dadurch, dass ein Besucher den abbas oder die amma um ein Wort – logion oder rhêma – bat. Die Antwort des Vaters bzw. der Mutter war keine sprachliche Belehrung; sondern – ganz im Sinne des alttestamentlichen dabar – eine geistgewirkte Sprachhandlung oder ein pneumatisches ganzheitliches Heilsereignis, bei welcher der Vater/die Mutter vermöge des Heiligen Geistes sein/ihr Wissen situationsbezogen aktualisierte, um die fragende Person im Herzen zu treffen.1 Trotz der Situationsbezogenheit kamen immer wieder paradigmatische Konstellationen zur Sprache, weswegen seit dem Ende des 4. Jahrhunderts auch geschriebene Spruchsammlungen entstanden – literarisch noch wenig elaboriert, ganz im Sinne einer geschriebenen Mündlichkeit und als Merkhilfe der ursprünglichen Kommunikation auf Koptisch.2 Als sich die eremitische Lebensform zunehmend ausbreitete und der Bedarf an Wissenstransfer wuchs, wurden die Sprüche sukzessive als apophtegmata verschriftlicht – als pneumatische Kraftworte samt narrativem Kontext, das heißt, mit Angaben zum Vater/zur Mutter, Fragesteller und Anlass der Unterredung. Apophtegmata können sehr kurz sein und sich auf eine knappe Frage–Antwort– 1 2

Siehe hierzu BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 77–79 und GUILLAUMONT, An derWurzel, 69–70. Vgl. BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 79–81 und das Votum von GUILLAUMONT, An der Wurzel, 75: „Eine Sache ist zumindest sicher, dass nämlich die Apophtegemen in dem Maß, wie sie authentisch sind, koptisch gesprochen wurden“.

Ägypten

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Konstellation konzentrieren, eine komplexe Kommunikationssituation referieren oder gar eine ganze Ereigniskette als Erzählbogen aufspannen. Die in der älteren Forschung postulierte zeitliche Evolution der drei Formen – vom schlichten Spruch über die Unterredung bis hin zur breiten Narration – lässt sich heute nicht mehr aufrecht erhalten. Alle drei Formen scheinen gleich ursprünglich zu sein und begegnen selbst in den frühesten Sammlungen neben einander.1 Die klassischen Sammlungen von Apophtegmata, die auch heute bei einem größeren Publikum bekannt sind, entstanden in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts, als die Blüte des Eremitentums in Ägypten schon vorbei war. Besonders in Palästina wurden die Apophtegmata systematisch geordnet und unter Titeln wie 'Adhortationes Patrum' oder 'Verba Seniorum' in Umlauf gebracht, oder aber in alphabetischer Folge nach dem Namen des Vaters als 'Apophtegmata Patrum', 'Paterikon' oder 'Gerontikon“ gereiht. Beide Sammlungen liegen in unzähligen Handschriften auf Griechisch vor, aber auch in Versionen auf Sahidisch, Boharisch, Syrisch, Aramäisch, Armenisch, Georgisch und Äthiopisch.2 Sprüche von Wüstenmüttern wurden zum 'Meterikon' zusammengestellt – eine Sammlung, die im Laufe der Geschichte bedeutend seltener als die Weisung der Väter gelesen wurde.3 Andere Autoren haben das eremitische Wissen und die Episoden aus der ägyptischen Wüste, aber auch Syriens und Palästinas, in Anlehnung an klassische Reiseberichte, Geschichtsschreibung und frühe Hagiographie aufbereitet. Zu den klassischen Texten dieser Sparte zählen die von einem anonymen Jerusalemer Mönch um 400 konzipierte 'Historia monachorum in Aegypto', die von Rufinus auf Lateinisch bearbeitet wurde; die um 420 entstandene 'Historia Lausiaca' aus der Feder von Palladius; die dem syrischen Anachoretismus gewidmete 'Historia religiosa' von Theodoret von Cyr, die 'Vita Antonii' des Athanasius sowie die Eremiten–Viten des Hieronymus (Vita Pauli, Malchi, Hilarionis)4 – nebst weiteren Schriften, die hier nicht einzeln berücksichtigt werden können. Die verwickelte Handschriftenlage, die genaue Rezeptionsgeschichte, Authentizitätsfragen und so fort brauchen uns nicht im Detail zu interessieren. Die tradierten Kernsprüche und Episoden sind durch die Verknüpfung mit einem Namen zu relativ stabilen und leicht identifizierbaren Einheiten geworden, die sich über die Jahrhunderte hinweg mit erstaunlich geringem Informationsverlust weiterreichen ließen.5 1 2

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Vgl. BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 81–82; FRANK, Asketinnen in den Apophtegmata Patrum, 76–77 und GUILLAUMONT, An der Wurzel, 75. Vgl. CAVALLERA, Apophthegemes, 765–770; BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 85–92, FRANK, Asketinnen in den Apophtegmata Patrum, 77–78 und GUILLAUMONT, An der Wurzel, 68 und 72–75. Siehe hierzu METERIKON (Bagin/Thiermeyer). Vgl. die jeweilige Schrift im Quellenverzeichnis dieser Studie. Zu einigen Hintergründen der Schriften und Autoren siehe aber auch BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 367; BOUSSET, Historia Lausiaca, 173–217; COLEIRO, Jerome's Life of the Hermits, 161–178; HAMMOND, The last ten years of Rufinus' life, 327–429. Zur Integrität der frühen anachoretischen Texte als „einheitlicher lebendiger Text“ vgl. BUR-

Ägypten, Palästina und Syrien

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4.1.1. Die ägyptische Wüste ist voller latrones Um das Jahr 400 gab es in den strukturschwachen Gebieten Ägyptens, in denen es zu einem Ausfall an staatlicher Autorität kam, eine beträchtliche Anzahl latrones – von sozial Entwurzelten, die am Rande der Gesellschaft zu überleben versuchten.1 So bezeugt auch der Epilog der 'Historia monachorum' Rückzugsgebiete marginalisierter Außenseiter abseits urbaner Zentren. Oberhalb der Stadt Lykos siedelten zusätzlich nicht integrierbare Fremdstämme, die einem Ägypter, Griechen und Römer ziemlich bedrohlich vorkommen mussten. Eine Reise in die obere Thebais, etwa in den Umkreis der Stadt Syene (des heutigen Assuan), galt am Beginn des 5. Jahrhunderts als nicht ratsam – was der anonyme Autor der 'Historia monachorum' besonders bedauert, weil dort die interessantesten Eremiten lebten, die er nur allzu gerne besucht hätte.2 Wenn wir zudem Palladius in seiner 'Historia lausiaca' Glauben schenken, dann waren latrones auch in der nitrischen Wüste mehr als ein Randphänomen: Der Südteil der nitrischen Berge bot mit der anschließenden Wüstenlandschaft einen idealen Raum für die unterschiedlichsten Typen eremitischen, halb–eremitischen und monastischen Lebens. Inmitten der nitrischen Berge lag eine Laura, die als Organisationszentrum fungierte – mit Kirchengebäude und Gästehaus, wo Durchreisende kurzfristig unterkommen oder aber ein „Kloster auf Zeit“ absolvieren konnten. Als Verwaltungszentrum der Gegend übte die Laura gegenüber straffälligen Mönchen, Eremiten und Gästen die Gerichtsbarkeit aus, die sie aber offensichtlich auch gegen die Räuber der Umgebung einsetzen musste. Palladius schreibt zumindest, man habe ihm in der Laura einen Pranger für die Züchtigung von Räubern gezeigt.3 Genauere Details der sozialen Topographie Ägyptens lassen sich nur mit einigen Mühen rekonstruieren; dass Eremiten und latrones, die das gleiche Territorium außerhalb der urbanen Zentren besiedelten, recht häufig aufeinander stießen, darf freilich als gesichert gelten. Diese Begegnungen zwischen latrones und Eremiten sind nicht immer friedlich verlaufen, sondern nahmen oft einen relativ

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The Word in the Desert, 92–95. Zu den fremdländischen Wüstenbewohnern rechnet GUILLAUMONT, An der Wurzel, 89 „Nomadenbanden ... Libyer, Maziken, Blemyer und anderen, die ihm fremd, meistens feind waren“. Für weitere Hintergründe der Sozialgeschichte Ägyptens und seiner Spannungen in römischer Zeit vgl. ALSTON, Soldier and Society; BALDWIN, Crime and Criminals, 256–263; DREXHAGE, Einbruch, Diebstahl und Straßenraub, 313–323 und LEWIS, Life in Egypt, hier besonders 196– 207. HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO, epilog 1–3 (Festugière, 135–136) mit lêstês. PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 7 (Wellhausen, 507–510); zur latro–Züchtigung 7,5 (508). Aufgrund der Episode von 25 (Wellhausen, 578–581), die berichtet, dass die Väter der Kellia eine verhaltensgestört–aggressive Person in Ketten legen, hält es GUILLAUMONT, An der Wurzel, 22 für glaubhaft, dass in der Nitria und Kellia Judikative und Exekutive ausgeübt wurden. Zur sich langsam entfaltenden Strafrechtspraxis in den pachomischen Klöstern siehe LEHMANN, Freiheitsstrafe, 1–94. TON–CHRISTIE,

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dramatischen bis traumatischen Charakter an, wie den 'Apophtegmata Patrum' und anderen Schriften unschwer zu entnehmen ist.

4.1.2. Latrones–Attacken gegen Eremiten Eremiten waren offenkundig ein beliebtes Objekt räuberischer Überfälle. Eine anschauliche Geschichte über die Räuberbegegnung des Inklusen Theo liefert die 'Historia monachorum'; sie sei hier kurz referiert: Theo beobachtete über dreißig Jahre strenges Stillschweigen, empfing die Gabe der Prophetie und wurde therapeutisch tätig – wodurch der Eremit beim umliegenden Volk als irdischer Himmelsbote, als angelus terrenus, galt. Diese Wertschätzung hatte allerdings nicht nur positive Seiten. Die Räuber der Gegend kamen zu dem Schluss, ein so berühmter Eremit müsse viele Geschenke und Gold in seiner Zelle lagern, und planten einen nächtlichen Überfall. Der Raubzug misslang: Der Eremit war zur Zeit des Überfalls in tiefem Gebet versunken, seine geistliche Kraft strahlte aus und bannte die Einbrecher an die Zellentüre. Die latrones konnten sich nicht bewegen und mussten bis zum nächsten Morgen in absoluter Regungslosigkeit ausharren. Frühmorgendliche Besucher fanden die Räuber und ergriffen sie. Theo aber legte Fürbitte für sie ein: „Lasst die Bösewichte gehen, sonst versiegt meine Gabe des Heilens.“1 Was an der Geschichte auffällt, ist zum Ersten ihre Gestaltung als Wunderbericht: In Anlehnung an die Evangelien, die zeigen, dass das Gottesreich nicht nur durch die Predigt Jesu proklamiert wird, sondern in Jesu Heilshandeln in der Welt wirksam ankommt2, schreiben auch anachoretische Viten und Legenden dem Altvater, der sich im Gebet Gott übereignet, eine durch den Heiligen Geist eingegossene wirkmächtige Kraft (virtus) zu, mittels derer er Schwierigkeiten überwindet. Zweitens ist die Wende in der Freiheitsthematik bemerkenswert: Die auf den ersten Blick so freizügige Räuberei entpuppt sich unter eschatologischem Blickwinkel besehen als Sklaverei, symbolisiert durch das Haften an der Zellentüre. Drittens sticht die eigentümliche Schlussfürbitte des Theo ins Auge, durch die der Altvater seine Heilungsgabe mit der Freilassung der latrones verknüpft. Der Hintergrund dieser Verknüpfung wird an dieser Textstelle zwar nicht weiter ausgeleuchtet, aber einen nonverbalen Freiheitsdialog zwischen den beiden Außenseitergestalten Eremit und latro wird man konstatieren dürfen: Obwohl es den Räubern möglich gewesen wäre, den Tatort in Freiheit zu verlassen und zu ihrem alten translimitischen Lebensstil zurückzukehren, verstanden sie offensichtlich auch ohne wortreiche Erklärungen die latrologische Pervertierung ihrer Freiheit und die eschatologische Freiheitsperspektive des eremitischen Lebens. Dieser Freiheitsperspektive des eremitischen Lebens wurden sie ansichtig, als sich der Inkluse Theo die Freiheit nahm, 1 2

HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO 6,2 (Festugière, 44). Zur theologischen Bedeutung von Wunder und Heilung im Rahmen der jesuanischen Reich– Gottes–Proklamation vgl. das Resümee von GNILKA, Jesus von Nazareth, 138–141.

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sie nicht einer Strafe wegen versuchtem Diebstahl zuzuführen, sondern sie aus Barmherzigkeit, einer konstitutiven Haltung des eremitischen Lebens, wieder in die Freiheit zu entlassen. Die Räuber nutzten die Freiheit in der Tat: sie bekehrten sich und wurden Mönche eines in der Nähe befindlichen Klosters. Das Modell, nach dem die Geschichte des Altvaters Theo komponiert ist, kann in unzähligen weiteren Textstücken aufgespürt werden; hier lediglich ein Beispiel aus den 'Apophtagmata Patrum': Abbas Spyridon1 war Schafhirte und lebte mit seiner Herde gleichsam als Wandereremit in Einsamkeit. Dabei machte auch er eine Räubererfahrung: Er hütete in der Einsamkeit Schafe, als des Nachts Diebe in die Hürde kamen und Schafe stehlen wollten. Die Diebe wurden durch eine unsichtbare Macht in Fesseln geschlagen. Als der Hirte am nächsten Morgen die Räuber entdeckte, löste er sie aus ihren Banden. Er gab ihnen Winke und Mahnungen mit – nicht ohne ihnen einen Bock zu schenken, mit den Worten: „Damit ihr nicht wie solche erscheint, die die ganze Nacht umsonst durchwacht haben.“2 Diese Schlusswendung ist mehr als eine lustige Unterhaltung des Lesers; sie ist Ausdruck der souveränen Freiheit, aus der heraus der Eremit den Dieben leichten Herzens sowie mit „Witz“ vergeben kann und sie sogar beschenkt. Man könnte sagen, die in der Reich–Gottes–Proklamation Jesu verwurzelte Priorität der Leid– Sensibilität als Zugang zur Schuldproblematik (an Stelle eines fruchtlosen Moralisierens) findet in der eremitischen Theologie eine gewisse pastoraltheologische Fortsetzung. Weit weniger hagiographisch orchestriert sind Erzählungen, in welchen den Räubern der Raub gelingt und der Eremit das Nachsehen hat: Apophtegma 219 berichtet, wie Altvater Euprepios nach einer Reise zu seinem kellion zurückkehrt und die Räuber nur noch flüchtend von hinten zu sehen bekommt. Die Pointe der Erzählung: Euprepios schickt den Räubern seinen Stab nach, weil der mit zur Beute gehöre und sie ihn wohl nur aus Versehen zurückgelassen hätten. Den Dieben ist die Großherzigkeit des Bestohlenen allerdings nicht ganz geheuer; sie wähnen, der Stab müsse irgendwie verzaubert sein.3Ein ähnliches Apophtegma ist über Vater Makarios (ca. 300–390)4 überliefert, das 1

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Spyridon lebte in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts und wurde vom Schafhirten zum Bischof von Trimithus auf Zypern erwählt. Sein liturgischer Gedenktag ist der 12. Dezember (griechische Kirche) bzw. der 14. Dezember (lateinische Kirche). Details zur Hagiographie und zum Kult bei JOHANN GEORG HERZOG ZU SACHSEN, Der heilige Spyridon. APOPHTEGMATA PATRUM 881 (Miller, 288). APOPHTEGMATA PATRUM 219 (Miller, 89). Dem Hinweis von MILLER, Weisung der Väter, 472 (Anm. zu 218), die Lehre von Euprepios sei zum Teil stoisch–kynisch zu interpretieren, muss man widersprechen; sie ist christlich zu rekonstruieren. Zu den biographischen Details siehe MILLER, Weisung der Väter, 478 (Anm. zu 454): Markarios war verheiratet und von Beruf Kameltreiber. Als Dreißigjähriger, nach dem Tod von Frau und Eltern, wurde er Eremit, empfing die Diakonen– und Priesterweihe, und lebte bis 390. Weitere Hinweise bei ANWANDER, Makarius der Ägypter, 811. Zu den Relationen der Väter untereinander siehe JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 13.

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aufgrund der in ihm enthaltenen Schriftzitate besonders geeignet ist, die theologische Tiefendimension solcher latro–Eremiten–Episoden aufzudecken, und deshalb hier im Wortlaut angeführt werden muss1: „Derselbe Altvater Makarios in Ägypten traf einen Mann mit einem Lasttier, der ihm seine Habe raubte. Er trat wie ein Fremder neben den Räuber und half ihm das Tier beladen. In aller Ruhe entließ er ihn, indem er sagte: Wir haben nichts in diese Welt hineingebracht, und es ist offenbar, dass wir auch nichts mit hinausnehmen können (1 Tim 6,7). Der Herr hat es gegeben, so wie er wollte, so ist es auch geschehen. Gepriesen sei der Herr in allem (Ijob 1,21)!“2 Für die theologische Interpretation ist es wichtig, die geistliche Ebene der Apophtegmata anzuzielen. Die Pointe ist nicht im Sinne eines Schwanks zu verstehen, sondern als Mystagogie zu lesen. Euprepios und Makarios lassen sich nicht etwa gerne ausrauben, wie man bei einer oberflächlichen Lesart vermeinen könnte. Ganz im Gegenteil: Der Diebstahl ihrer Habe ist eine ernste Sache und entzieht den Eremiten die Lebensgrundlage. Allerdings vermag ein einzelner Altvater gegen eine Räuberbande oder einen kräftigen Dieb sowieso nichts auszurichten, da er in körperlicher Hinsicht der Unterlegene ist. Die Pointe bezieht sich also auf die innere, geistliche Haltung, mit welcher sich der Eremit dem unabwendbaren Raub stellt: In den Erzählungen wird vorgeführt, dass selbst ein Raub nicht mit Zorn, Hader und Hass beantwortet werden soll, weil man als Christ unter dem Anspruch des kenotischen Imperativs steht. Die Beraubung stellt den Ernstfall der von Christus geforderten Feindesliebe dar und bietet Gelegenheit, das eremitische Ziel der Freiheit von der Welt persönlich zu beglaubigen. Oder anders gewendet: Wer sich dem Willen Gottes in grenzenlosem Vertrauen übereignet, der gewinnt dadurch einen Standpunkt der Freiheit, der von der Welt her zwar massiv in Frage gestellt und erschüttert, aber nicht mehr ausgehebelt werden kann. Aus dieser Freiheit heraus vermag man wie Ijob zu sprechen: „der Herr hat genommen“ und „gepriesen sei der Herr in allem“.3 Das Apophtegma 131 aus dem Meterikon unter dem Namen der Theodora zeigt freilich, dass diese Tugend der Gelassenheit nur innerhalb gewisser menschlicher Grenzen verwirklicht werden kann: Abba Jesaja ist sehr wohl bereit, den Räubern sein ganzes Hab und Gut zu überlassen – mit der Ausnahme seiner Bücher. Als die latrones seiner eindringlichen Bitte, sich wenigstens nicht an seinen Büchern zu vergreifen, nicht nachkommen wollen, muss Jesaja seine virtus als heiliger Mann aktivieren: Er hebt die

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Zum Problem der biblischen Verankerung und meist nur indirekten Zitation der Heiligen Schrift vgl. BURTON–CHRISTIE, The Word in the Desert, 95–98; und das Resumee von WARD, Spiritual Direction, 64–65: „the language of the writings of the desert was so formed by the meditation of the scripture that it is almost impossible to say where quotation ends and comments beginn“. APOPHTEGMATA PATRUM 471 (Miller, 168). Ijob als Vorbild des demütigen und geduldigen Anachoreten begegnet auch in anderen eremitischen Texten, so etwa beim syrischen JAUSEP HAZZAYA, drei Stufen 72 (Bunge, 123).

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Hand; die Räuber prallen durch eine geheimnisvolle Macht von den Büchern zurück und fliehen ohne Beute.1

4.1.3. Latro–Bekehrung In den bisherigen Geschichten wurde der Räuber von der Reaktion der Eremiten entwaffnet und eine mögliche Konversion des Räubers entweder ausgesprochen oder immerhin angedeutet. In den Mönchsviten und den 'Apophtegmata Patrum' finden sich auch Bekehrungsgeschichten, die den eigentlichen Bekehrungsprozess vom latro zum Eremiten genau unter die Lupe nehmen und einzelne Aspekte auffalten.2 Von den zahllosen Geschichten können hier wiederum nur die Wichtigsten knapp besprochen werden. In einer Episode aus der 'Historia monachorum' vermag Abbas Ammon (* ca. 295; † vor 356)3 die latrones durch seine vorbildliche Gastfreundschaft und Barmherzigkeit zu bekehren: Räuber stahlen des Öfteren Brot und Ammon war lange geduldig geblieben, bis er sich dann eines Tages doch zwei Ungeheuer aus der Wüste als „Wachhunde“ anschaffte. Als die Räuber wieder einen Raubzug unternahmen, erschraken sie sich vor den Tieren so sehr, dass sie ohnmächtig wurden. Der Abbas las sie auf und schalt sie, sie wären schlimmer als die beiden Ungeheuer, die nie gegen den Willen Gottes handelten. Als er sie darauf in seiner Zelle speiste, wurden sie tief in ihrem Gewissen getroffen, bekehrten sich und lebten in kürzester Zeit tugendhafter als manch anderer Mönch. Ihr Leben der Buße versetzte die Ex–Räuber schließlich sogar in Stand, ähnliche Wunder wie Ammon zu vollbringen.4 Eine besondere Rolle für die Bekehrung von latrones scheint auch Abbas Paphnutius (Akmé um 370; † um 400) gespielt zu haben.5 Relevant für unser Thema sind zwei 1 2

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METERIKON 131 (Bagin/Thiermeyer, 81). Das übliche Bekehrungsschema mit den Schritten Sünde–Buße–Begnadung, das von den frühen bis zu den hochmittelalterlichen Legenden (und darüber hinaus) normativ bleibt, bespricht DORN, Der sündige Heilige, 121–130. Ammon entstammte einer reichen alexandrinischen Familie und heiratete im Alter von 22 Jahren aufgrund äußeren Drucks. Nach 18jährigem Zusammenleben trennten die Eheleute die nicht vollzogene Ehe einvernehmlich. Ammon zog in die Nitria und gründete eine Mönchskolonie. Der Zeitgenosse und Freund des hl. Antonius starb im Alter von 62 Jahren, noch vor 356; vgl. hierzu KIRSCH, Ammon, 367. Zur Stellung des Ammon innerhalb der Wüstenväter siehe JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 13. HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO 9,6 (Festugière, 73). Aufgrund der Namensgleichheit wird der Wüstenvater Paphnutius mit dem Beinamen „der Büffel“ oft mit dem älteren Paphnutius „dem Bischof“ verwechselt. Abbas Paphnutius ließ sich vom Vorbild des Antonius inspirieren, verließ sein Kloster, wurde Eremit und avancierte 373 zum Nachfolger des Abbas Isodorus, des Vaters der Sketis. Im Jahre 399 scheint er, mittlerweile in den Neunzigern, noch gelebt zu haben. Zur Biographie und Stellung innerhalb der Väter vgl. MILLER, Weisung der Väter, 480 (Anm. zu 786), ENGBERDING, Paphnutius, Anachoret, 925–926

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Apophthegmata und eine längere Erzählung aus der 'Historia monachorum': Voraussetzung für eine fruchtbare Kommunikation zwischen dem Altvater und den latrones scheint zuerst einmal seine Fähigkeit gewesen zu sein, nicht vorschnell zu urteilen und selbst bei offenkundigen Sündern nicht in Anschuldigungen zu verfallen, sondern in großer Barmherzigkeit die jeweilige Schuld mit seinem Fürbittgebet mitzutragen.1 Noch tiefer in die Bekehrungsproblematik führt ein zweites Apophtegma: Eine alkoholisierte Räuberbande hält Paphnutius fest, und der Räuberhauptmann nötigt ihn mit Waffengewalt dazu, Wein zu trinken, weil er weiß, dass der Abbas niemals Wein trinkt, und er mit ihm ein perverses Spiel treiben möchte. Die Bekehrung wird nur lapidar geschildert: Der Abbas trinkt den Wein, der Räuberhauptmann fällt auf die Knie, die ganze Bande ist erschüttert und bekehrt sich.2 Auf den ersten Blick wird nicht verständlich, wie hier eine Bekehrung zustande kommen konnte, denn es ist nicht einzusehen, wie das bloße Weintrinken eines Altvaters unter Waffenandrohung zum Umdenken bei Räubern führen soll. Der Schlüssel zum Verständnis verbirgt sich allerdings im letzten Satz des Apophtegma: Der Altvater bekehrt die Bande, weil er „um des Herren willen auf seinen Willen verzichtete“. Das kann wohl nur heißen: Paphnutius hat den Wein gerade nicht gezwungener Maßen sondern aus einer völlig souveräner Freiheit heraus getrunken – so dass allein schon die Geste des freiheitlichen, weil mit Gottes Willen geeinten Weintrinkens genügte, das perverse Spiel der Räuber auf geheimnisvolle Weise außer Kraft zu setzen. Paphnutius' Souveränität konnte die pseudo–freiheitliche Transliminalität, welche sich die latrones durch den Wein anzutrinken hofften, spielend umwerfen. In einer anderen Geschichte aus der 'Historia monachorum' sind es Demut und Einfühlungsvermögen, die Paphnutius qualifizieren, wirksamer Bekehrungspate zu sein: Ein Engel unterrichtet Paphnutius, der vor seinem eremitischen Leben Musiker war, ein Berufskollege, ein Straßenmusiker, sei vollkommener als er. Neugierig macht sich Paphnutius auf den Weg, gelangt zu besagtem Mann und befragt ihn nach seiner Biographie. Die Lebensbeichte des Straßenmusikers ist beindruckend: Er sei noch vor kurzem latro gewesen, aber verdiene sich nun seinen Lebensunterhalt durch Flötenmusik. Paphnutius befragt ihn nach guten Taten seines Lebens. Die Antwort ist ernüchternd: Er sei sich nicht bewusst, auch nur eine einzige gute Tat in seinem Leben zuwege gebracht zu haben. Im Verlauf der Unterredung kommt dann doch Erstaunliches zu Tage. Er habe die Räuberkumpane seiner Bande abgehalten, eine Frau zu vergewaltigen. Er habe einer völlig verzweifelten Frau, deren Mann in Schuldhaft saß, mit einer größeren Summe Geldes ausgeholfen und so die ganze Familie gerettet. Paphnutius demütigt sich vor dem latro und sichert ihm zu, er habe in den Augen Gottes höchstes Wohlgefallen gefunden. Aus seiner Herzenserkenntnis heraus schärft Paphnutius dem latro ein, von nun an seiner Berufung getreu zu leben. Der Ex–latro versteht die Aufforderung, legt 1 2

und JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 13. APOPHTEGMATA PATRUM 786 (Miller, 256–257). APOPHTEGMATA PATRUM 787 (Miller, 257).

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die Flöte aus der Hand, folgt dem Abbas in die Wüste und gibt sich ganz der geistlichen Musik anheim: Sein Leben im kellion verwandelt ihn und er erlangt den geistlichen Wohlklang von Herz und Geist. Bei seinem Tod wird er sogleich in die Chöre der Engel aufgenommen.1 Ein wenig anders akzentuiert ist die Bekehrungsgeschichte unter dem Namen Apollonius (Beginn der Anachorese gegen 322; † am Ende des 4. Jh.)2, wiederum aus der 'Historia monachorum', bei welcher der Umschwung durch ein Lernen am lebenden Modell gestützt wird: Ein notorischer latro hat zwei Dörfer in Aufruhr gestürzt. Die Einwohner sind mehr als froh, dass Abbas Apollonius den hoffnungslosen Fall zu sich nimmt und mit ihm aus der Gegend wegzieht. Als Apollonius und der Räuber auf ihrer Wanderschaft ein Kloster besuchen und dort nächtigen, haben sie den gleichen Traum: Sie sehen, wie Gott dem sündigen latro aufgrund der Verdienste des Altvaters Apollonius vergibt. Durch dieses Gesicht erschüttert bekehrt sich der Räuber und wird Mönch des Klosters, in dem sie zu Gast sind. Der Text kommentiert die spektakuläre und vor allem völlig unerwartete Umkehr biblisch: Der Räuber habe sich vom Wolf zum Lamm gewandelt und damit die Prophetie des Jesaja erfüllt, wonach Wolf und Lamm beieinander liegen sowie Ochs und Löwe aus derselben Futterkrippe fressen (Jes 11,6). Apollonius fungiert hier als Konversionspate. Die Kraft, durch die der Räuber sich von der problematischen zur konstruktiven Transliminalität bekehren konnte, scheint nach der Bekehrung allerdings am Ort zu haften. Das Kloster zog in den folgenden Jahren viele Äthiopier an und entfaltete eine beträchtliche Kraft der Inklusion und Aussöhnung: Äthiopier, die jenseits der limitischen Kontur der römisch–ägyptischen Gesellschaft lebten, waren nicht gerade geschätzt und anerkannt. In diesem Kloster aber gelang es ihnen, Akzeptanz zu finden und sogar im Vergleich mit den Ägyptern zu den „besseren Mönchen“ zu werden – was der Text mit feinem Witz kommentiert: „Äthiopien wird die Hände zu Gott erheben (Ps 68,31).“3 Bei zwei weiteren Altvätern wird die Freiheitsanalyse noch weiter vorwärts getrieben. Abbas Patermutius und Abbas Moses sind selbst latrones gewesen und können von daher ihre eigene Bekehrungserfahrung in besonderer Weise pastoraltheologisch fruchtbar machen: Die 'Historia monachorum' beschreibt, wie Patermutius († vermutlich 363)4 schon seit seiner Jugend durch limitische Grenzüberschreitungen beeindruckt: Als fremdländischer Heide ist er von Kind an Außenseiter, aber baut in der Pubertät seine soziale Kontrastposition noch weiter aus: Er wird Berufsdieb. Schließlich vergreift er sich sogar an Gräbern. Trauriger Höhepunkt seiner Räuberkarriere könnte der Einbruch in das 1 2 3 4

HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO c 14,1–10 (Festugière, 90–93). Die knappen biographischen Daten listet KIRSCH, Apollonius, 549 auf. HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO 8,30–35 (Festugière, 55–56). Das 'Martyrologium Romanum' weiß von einem Martyrium des Patermutius im Jahre 363 unter Julian dem Apostaten zu berichten; Gedenktag ist der 9. Juli; siehe hierzu auch ENGBERDING, Patermuthius, 1028.

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Haus einer geweihten Jungfrau sein, im Verlauf dessen es dann aber zum völligen Umschwung seines Lebens kommt. Als er des Nachts über das Dach in das Wohngeschoss der virgo einsteigen will, lässt sich das Dach trotz größter Mühen nicht aufdecken. Von einer seltsamen Müdigkeit übermannt, schläft er auf dem Dach ein und hat einen Traum, in dem ihm befohlen wird, den Stand der latrones zu verlassen und sich in die Schar der Engel einzureihen. Patermutius sieht sogar seine Zukunft voraus: als Vorsteher einer Mönchskolonie. Am Morgen wird der im Traum bekehrte Räuber von der Hausbesitzerin schlaftrunken aufgefunden. Er geht mit ihr zur Kirche, lässt sich taufen und ergreift schließlich tatsächlich den mönchisch–eremitischen Beruf.1 Abbas Copres, der dem Patermutius freundschaftlich nahe stand, wirkt als wirksamer Pate bei der Bekehrung eines Räubers: Eines Tages bricht ein heidnischer Räuber in den Eremitengarten ein und stiehlt Gemüse. Der Dieb hat freilich wenig Freude an seiner Beute. Das unrechtmäßig angeeignete Gemüse lässt sich nicht kochen; trotz Feuers bleibt das Wasser im Kessel kalt. Der verwirrte Dieb kehrt zum Abbas zurück, eröffnet ihm sein Herz und bekehrt sich schließlich mit seiner Hilfe zum Christentum.2 Am Schluss dieses prosopographischen Bogens muss der bekannteste und wirkungsgeschichtlich wichtigste latro–Eremit stehen: Abbas Moses Aethiops (320–395). Mit der Historizität dieser Figur scheint es relativ gut bestellt zu sein. Auf seine Lebensgeschichte referieren Palladius in der 'Historia Lausiaca', Sozomenus in seiner Kirchengeschichte und die 'Apophtegmata Patrum'.3 Selbst wenn sich das Material durch kritische Analyse dekonstruieren lassen sollte, darf es im Rahmen einer Motivgeschichte als gerundeter Motivkomplex stehen bleiben. Wie schon bei Patermutius wird auch bei Moses die problematische, weil translimitische Herkunft betont: Er ist ein Äthiopier.4 Vom Migrationshintergrund her wird verständlich, dass Moses in Ägypten nur als Hausdiener Arbeit finden kann. Seine rebelli1

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HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO 10,3–8 (Festugière, 76–79). Die Geschichte gehört auch zu den im Mittelalter gerne gelesenen Stücken; für eine mittelhochdeutsche Fassung der Passage vgl. etwa VITAS PATRUM (Cod. Pal. Germ. 90, ff 108r–v). HISTORIA MONACHORUM IN AEGYPTO c 10,34–35 (Festugière, 89). Zur Biographie des Moyses Aethiops vgl. DORN, Der Sündenheilige, 107–108; DEVOS, Saint Jean Cassien et saint Moise, 61–74 und ENGBERDING, Moses der Äthiopier, 345. Zur Stellung innerhalb der Filiationen der Wüstenväter siehe JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 13. Relevante Quellentexte bieten PALLADIUS, historia lausiaca 19 (Wellhausen, 551–557); VITA MOYSIS AETHIOPIS (PL 73, 1119–1122); eine andere Version haben hingegen die Bollandisten in AASS Aug. 6, 209–211; APOPHTEGMATA PATRUM 496–512 (Miller, 178–184); knappe Erwähnung findet Moses auch bei HERMIAS SOZOMENOS, historia ecclesiastica 6,29 (GCS 50, 280–282). Die „schwarze Hautfarbe“ wird zwar auch in dem Text APOPHTEGMATA PATRUM 498 (Miller, 179) eigens thematisiert. Wenn man dieses Apophtegma allerdings mit 497 (Miller, 179) zusammenliest, so relativiert sich rasch der Eindruck eines „Rassismus der Hautfarbe“, wie auch NOELL, Race in Late–Antique Egypt, in seinem Artikel zeigt: der Text ist nach politisch– sozialen und theologisch–symbolischen Gesichtspunkten konstruiert; ein Rückschluss auf einen römischen „Rassismus der Hautfarbe“ ist vom Text her nicht gedeckt.

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sche Natur und Aufmüpfigkeit führt freilich alsbald zum unlösbaren Konflikt mit dem Dienstherrn, der ihn daraufhin unehrenhaft entlässt, wodurch das weitere Schicksal gleichsam vorprogrammiert ist: Moses wird Anführer einer berüchtigten Räuberbande. Von den einzelnen Räubertaten muss hier nicht ausführlich berichtet werden, aber zumindest eine Episode, die durch ihre translimitische Symbolik besticht, sei kurz angeführt: Voller Mordgelüste auf einen Hirten, der ihm einst einen Raub vereitelte, macht sich latro Moses auf den Weg, um ihn zu töten. Den auf der anderen Seite des Nils befindlichen Hirten kann Moses nur durch eine Flussüberquerung erreichen. Während Moses hinüber schwimmt, verbirgt sich der Hirte durch Eingraben in den Wüstensand. Moses findet ihn nicht und muss sich statt des Totschlags mit dem Raub von vier Schafböcken zufrieden geben. Er kehrt zu seinen Kumpanen zurück und veranstaltet ein großes Gelage. Trefflicher hätte man den unersättlichen Freiheitsappetit von Mose, der an der Grenze von Flüssen und des Lebens anderer nicht halt macht und sich auch durch Fressen, Saufen und ungezügelte sexuelle Gier zeigt, kaum zur Sprache bringen können.1 Ein Bekehrungserlebnis macht dann aus dem Räuber Mose einen Eremiten, der in einer Laura seine Sünden abbüßt. Von einer hesychia des Herzens ist Moses zu Beginn indes weit entfernt: Ihn treiben die unterschiedlichsten Versuchungen und Emotionen hin und her. Dass Moses nach seiner Bekehrung dazu tendierte, Menschen bisweilen wie Schafe zu behandeln, legt eine Räuberepisode nahe, in der Diebe das kellion von Moses, ohne Wissen um dessen prominenten Insassen, attackieren. Der ehemalige Räuberhauptmann ergreift die Eindringlinge, schnürt sie zu einem Bündel zusammen und präsentiert sie den Eremitenbrüdern seiner Umgebung als Beute. Die gebunden Räuber bekehren sich rasch: Wenn sogar ein Kaliber wie Moses zum Eremiten tauge, dann sei wohl auch ihr Fall nicht ganz hoffnungslos.2 Die Hauptschwierigkeit in Moses' eremitischen Leben sind dämonische Versuchungen zur sexuellen Ausschweifung, derer er nicht Herr werden kann. Er konsultiert die berühmtesten Altväter und bittet sie um ein Wort. Isidorus tröstet ihn mit einem Hundegleichnis: Wie ein Hund, der in einer Metzgerei aufwuchs, nach Fleisch giert, und erst längere Zeit nach der Schließung der Metzgerei verinnerlicht, dass es wirklich kein Fleisch mehr geben wird, so müsse sich auch Moses durch Gebet und Askese reinigen, um allmählich seine Gier zu überwinden. Moses freilich scheint diese Anweisung im Sinne einer aktivistischen Askese misszuverstehen und wirft sich voller Überschwang in Bußübungen. Ständig von Dämonen umlagert sucht er einen anderen Vater auf, der ihn darauf hinweist, dass es nicht um äußere Askese gehe, sondern um eine innere Reinigung: Sein Geist hafte noch an inneren Bildern und müsse von ihnen abgezogen werden. Die Anweisung zum Beten und Wachen missinterpretiert Moses wiederum als 1 2

PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 19,2–3 (Wellhausen, 551–553) und VITA MOYSIS AETHIOPIS (PL 73, 1119B–1120D). PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 19,5–6 (Wellhausen, 552–553) und VITA MOYSIS AETHIOPIS (PL 73, 1120B–1120C).

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Ermahnung zu rigoroser Askeseleistung. Völlig aufgerieben von Nachtwachen versucht er sich schließlich trotzig zum „Herkules der Askese“ aufzuschwingen. Während die anderen Brüder in ihren kellia schlafen, füllt er die Zisternen der laura mit in Bottichen herbei geschafftem Wasser. Die Dämonen nutzen den prometheischen Überschwang und werfen Moses mit einem Knüppelschlag auf die Lenden nieder. Isidorus kann den nunmehr völlig entwaffneten Moses durch Fürbitte und das Sakrament der Eucharistie zur hesychia des Herzens geleiten. Moses hatte bisher nur aus eigener Kraft, ja sogar mit Hochmut und Stolz auf die eigenen Leistungen gegen die Dämonen gekämpft und sie dadurch zu umso stärkeren Angriffen provoziert.1 Erst als Moses lernte, dass Gott und die heiligen Engel für den Menschen streiten und man sich lediglich demütig ins Heer Gottes einzureihen habe, verschwanden die Versuchungen. Moses gewann Macht über die Dämonen und sammelte bis zu seinem Tod als fünfundsiebzigjähriger Greis über siebzig Schüler. Von seiner Fähigkeit als geistlicher Begleiter künden achtzehn Apophtegmata, die unter seinem Namen überliefert sind und selbst in Details zum Persönlichkeitsprofil des Moses in der 'Historia Lausiaca' passen: Sie kreisen um den Dämonenkampf in Demut. Sie schärfen das geistliche Absterben ein – das heißt die Nichtung (annihilatio/mors mystica) des egoistischen Eigenwillens, der ja letztlich der Grund dafür ist, dass ein Mensch ein latro wird, sich in Askeseleistungen stolz überhebt oder andere be– und verurteilt und dabei seine eigenen Fehler übersieht. Auf eine knappe Formel gebracht könnte man sagen: Das 'Corpus Mosiacum' aus achtzehn Apophtegmata2 enthält eine Theologie der Befreiung, in der das zentrale Motto „Wenn ... der Mensch seinen Willen aufgibt, dann versöhnt sich Gott mit ihm“ in konkreten Episoden exemplifiziert wird. Zur Wirkungsgeschichte der 'Vita Moysis Aetiopis' sei hier nur kurz angemerkt: Für den Todestag des Heiligen am 28. August hatte sich schon früh ein umfangreicher Kult herausgebildet. Das Leben des Moses konnte im Mittelalter nicht zuletzt durch volkssprachliche Bearbeitungen der 'Vita', etwa durch ein altfranzösisches 'Poème moral', eine beträchtliche Breitenwirkung entfalten.3

4.1.4. Eremit wird latro Zwei abschließende Apophtegmata belegen, dass die bloße Zugehörigkeit zum Eremitenstand nicht vor dem Abgleiten in die destruktive Freiheitsliebe, die den latro zum latro macht, wappnet; ganz im Gegenteil: Die Perversion der menschlichen Freiheitsbegabung zur egoistischen Pseudo–Freiheit und Willkür muss als eine der größten Versuchungen und Gefährdungen des eremitisch–monastischen Lebens angesehen wer-

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PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 19,7–18 (Wellhausen, 553–557) und VITA MOYSIS AETHIOPIS (PL 73, 1120C–1122B). APOPHTEGMATA PATRUM 496–512 (Miller, 178–184). Zum altfranzösischen Text siehe POÈME MORAL (Bayot).

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den.1 Vom Fall eines Mönches in den latro–Zustand und dessen erfolgreiche Überwindung berichtet das Apophtegma 961: „Ein Bruder, der in der Nähe eines großen Altvaters wohnte, schlich sich heimlich in dessen kellion und stahl ihm alles, was er besaß. Der Altvater, obwohl er sah, wies ihn nicht zurecht, sondern arbeitete noch fleißiger, indem er sich sagte: Ich glaube, jener Bruder braucht es nötig. So litt der Altvater auch großen Mangel an Brot. Als er nun auf dem Sterbebett lag und die Brüder ihn umstanden, da erblickte er unter ihnen auch jenen, der ihn gewöhnlich bestohlen hatte, und sprach zu ihm: Komm näher zu mir, Bruder! Dann nahm er ihn bei den Händen, küsste diese und sagte: Ich danke den Händen dieses Bruders, denn um seinetwillen hoffe ich in das Himmelreich einzugehen. Jener aber tat zerknirscht Buße und wurde ein so strenger Mönch, wie er es an jenem Vorbild gehabt hatte.“2 Freilich konnten nicht jeder Fall einem so glücklichen Ausgang zugeführt werden. Ein Apophtegma des Altvaters Daniel berichtet, wie Abbas Arsenios (ca. 354–445)3 alles Menschenmögliche unternimmt, um einen latro–Eremiten, der seine Mitbrüder bestiehlt, zu Recht zu bringen. Er zahlt ihm Taschengeld und übernimmt seine Lebenshaltungskosten. Umsonst! Der Eremit stiehlt weiterhin. Schließlich bleibt den Eremitenbrüdern nichts anderes übrig, als ihn aus der Gemeinschaft auszuschließen, gemäß der Altväterregel: „Wenn sich zeigt, dass der Bruder Schwachheitsfehler hat, dann muss man ihn ertragen. Wenn er aber stiehlt, und auch getadelt davon nicht lässt, dann jagt ihn davon. Denn er schadet seiner eigenen Seele und bringt alle am Orte in Unruhe!“4

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SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 179 weist darauf hin, dass nach der Lehre der Väter der Eigenwille (=Aversion gegen den Gehorsam) und das Ablassen vom Gebet den „Sturz des Koinobiten“ bzw. den „Sturz des Eremiten“ bewirken, weil sie das wesentliche Moment der Lebensform außer Kraft setzen. APOPHTEGMATA PATRUM 961 (Miller, 315–316). Zu den biographischen Anhaltspunkten vgl. SEIDER, Arsenius der Große, 704. Zur Stellung innerhalb der Väter siehe JOEST, Das frühe ägyptische Wüstenmönchtum, 13. APOPHTEGMATA PATRUM 786 (Miller, 256–257).

4.2.

Palästina: Literarische Ausgestaltung der Latro– Kommunikation

Palästina hatte als terra sancta eine große Anziehungskraft auf das frühe Anachoretentum ausgeübt. Eine zentrale Rolle spielte es insbesondere für die Entstehung der großen Apophtegmata–Patrum–Sammlungen und bei der Verbreitung von Legenden, in denen das eremitische Wissen Ägyptens literarisch aufbereitet, für die Nachwelt konserviert und für andere Sprach– und Kulturräume aufgeschlossen wurde. Daneben existiert eine reiche Vitenliteratur, die uns wertvolle Einblicke in das Leben der eremitischen und monastischen Väter Palästinas sowie in die Gründungsphase der wichtigsten Lauren und Klöster dieses Landstrichs gewährt.1 Für einen der frühesten Väter des palästinensischen Eremitentums, nämlich für Chariton, der ab ca. 330 greifbar wird, bildet die 'Vita Charitonis' die Hautquelle. Hieronymus' 'Vita Hilarionis' informiert uns, wenngleich mit üppigem legendarischen Ornament, über das Leben des Hilarion. Die 'Euthymius–Vita' und 'Sabas–Vita' aus der Feder des Kyrill von Skythopolis (525–559), sowie die 'Viten' von Theognius, Theodosius und Gerasimus geben wichtige Hinweise für die Geschichte des eremitischen und monastischen Lebens im Heiligen Land – Quellen, die wir im Rahmen dieser Studie nur kurz streifen können. Das 'Pratum spirituale' des Johannes Moschus bezeugt die instabile Soziallage des 7. Jahrhunderts und damit die Spätphase, als sich die Verbindung der Lauren und Klöster zum Zentrum Jerusalem lockerte und diese einen gewissen anti–urbanen Reflex ausbildeten.2 Der Schwerpunkt der folgenden Durchsicht von Texten liegt auf Episoden, in denen Aspekte der latro–eremita–Begegnung zur Sprache kommen, die über die oben skizzierte Typologie des ägyptischen Kulturraums hinausgehen und weitere Aspekte beibringen.

4.2.1. Hilarion, Chariton und die latrones Einer der frühesten Väter des palästinensischen Eremiten– und Mönchtums ist Hilarion (291–371)3; hier die wichtigsten Stationen aus seinem Leben: Hilarion aus Gaza zieht schon als junger Mann nach Alexandria und trifft dort auf Antonius. Von Antonius' 1

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Ein hilfreiches kurzes Portrait entwirft BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 369–373; die Details der palästinensischen Anachoretik präsentiert BINN, Ascetics and Ambassadors, 102–105 und passim, mit Karten und umfassenden Literaturangaben. Zur Biographie des Kyrill von Skythopolis siehe BINN, Ascetics and Ambassadors, 23–40; Hinweise für die Viten des Theognius, Theodosius, Chariton und Gerasimus 41–49; für Johannes Moschus 49–53. Die wichtigsten biographischen Details und Hinweise zu Quellen und Literatur bietet GRAF, Hilarion von Gaza, 23.

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eremitischer Lebensform tief beeindruckt kehrt er um das Jahr 308 nach Gaza zurück und wählt sich eine Eremitenzelle, in der er für zweiundzwanzig Jahre lebt. Ab dem Jahr 330 beginnt Hilarion umher zu ziehen, um zahlreiche Klöster zu gründen.1 In der palästinensischen Wüste lebten indes nicht nur Eremiten und Mönche, sondern auch marginalisierte latro–Außenseiter.2 Die spektakuläre Räuberbegegnung aus der Jugendzeit des Eremiten berichtet uns Hieronymus in seiner 'Vita Hilarionis'; sie sei hier im Wortlaut zitiert: „Und als er (Hilarion) in seiner kleinen Hütte lebte – er war achtzehnjährig – da kamen des Nachts Räuber zu ihm, entweder weil sie glaubten, er habe etwas, das sie ihm wegnehmen könnten, oder aber weil sie glaubten, es gereichte ihnen zum schlechten Ruf, wenn der auf sich allein gestellte Knabe angesichts ihrer Heimsuchung nicht in Furcht gerate. Als sie nun zwischen Meer und Sumpf vom Abend bis zum Sonnenaufgang umherirrten, da konnten sie seinen Aufenthaltsort nicht ausfindig machen. Als sie ihn freilich bei vollem Tageslicht endlich antrafen, da fragten sie ihn gleichsam im Scherz: 'Was würdest du denn tun, wenn dir Räuber begegneten?' Er antwortete ihnen: 'Ein Nackter fürchtet sich nicht vor den Räubern!' Darauf sie: 'Aber sie könnten dich doch gewiss umbringen!' Er antwortete wiederum: 'Ja, das könnten sie in der Tat! Und dennoch fürchte ich die Räuber nicht, bin ich doch auf das Sterben vorbereitet.' Daraufhin waren sie über seinen Gleichmut und sein Vertrauen reichlich verwundert; bekannten ihren nächtlichen Fehler sowie die Blindheit ihrer Augen und versprachen, dass sie sich inskünftig eines besseren Lebens befleißigen würden.“3 Diese Passage aus der 'Vita Hilarionis' bedarf keiner ausführlichen Kommentierung; allerdings seien hier Aspekte, die für unser Thema besonders ins Gewicht fallen, hervorgehoben: Die Episode lebt einmal von einer Lichtmetaphorik. Die latrones bewegen sich in ihrer destruktiven Pseudo–Freiheit im Raum der Finsternis und haben blinde Augen. Erst durch die Begegnung mit dem Eremiten und seiner eschatologisch– eremitischen Freiheit werden ihnen die Augen geöffnet und geht ihnen ein Licht auf. Bemerkenswert sind zudem die schlichten aber tiefgründigen Antworten von Hilarion, welche die translimitische Position der eremitischen Lebensform auf den Punkt bringen: Ein Eremit lebt völlig nackt und der Welt gestorben. Wie sollte ein Eremit, der sich rückhaltlos entäußert hat und der Welt abgestorben ist, vor der Androhung, weltlicher Güter beraubt zu werden, in Furcht geraten? Von dieser translimitischen Wurzel der eremitischen Freiheit her ergibt sich für einen Eremiten eine von anderen Personen nicht so leicht erreichbare Kommunikationsbasis mit den ebenfalls translimitischen 1 2

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Zu Hilarions Klostergründungen vgl. HIRSCHFELD, The monastery of Chariton. Die palästinensische Wüste ist sowohl ein Ort der friedlichen Kommunikation und Interaktion als auch eine Gegend sozialer Konflikte; vgl. hierzu das knappe Portrait von BINN, Ascetics and Ambassadors, 111–115. HIERONYMUS, Vita Hilarionis 12 (Bastiaensen, 86/1–13) mit dem Schlüsseldialog: „'Quid ... faceres, si latrones ad te venirent?' ... 'Nudus latrones non timet' ... 'Certe ... occidi potes' ... 'Possum ... et ideo latrones non timeo, quia mori paratus sum'„.

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latrones – eine Kommunikationsbasis, welche auch hinter dem Erfolg der mendikantischen Bewegung im Mittelalter steht, aber im Eremitentum bereits vorgebildet ist: Mit dem translimitischen Räuber kann sich am unbefangensten und wirkungsvollsten der ebenfalls translimitische Eremit unterhalten. Der zweite Vater des palästinensischen Mönchtums, Chariton, vermag mit einer Räubergeschichte aufzuwarten, die literarisch gekonnt aufbereitet ist und dem Leser daher einen beträchtlichen Unterhaltungswert bietet.1 Die Erzählung aus der 'Vita Charitonis' kann hier nur in Grundzügen referiert werden: Chariton wurde zur Regierungszeit des Aurelian (270–275) in Ikonium in Kleinasien geboren. Unter Diokletian wird er als bekennender Christ gefangen gesetzt und im Gefängnis gefoltert. Beim Tod des Diokletian kommt Chariton frei und setzt sich nach Ägypten ab. Nach 313 bricht er zu einer Pilgerreise nach Jerusalem auf, wo er ein zweites Mal in Gefangenschaft gerät. Unterwegs von Räubern überfallen, wird der junge Mann in ihr Höhlenversteck nahe der Oase von Kalamon südlich von Jericho verbracht und als Gefangener gehalten. In der Räuberhöhle geschieht eine komplexe Umwertung: Chariton besteht zuerst eine bedrängende Dämonenversuchung. Danach spritzt eine Viper ihr Gift in die Trinkbecher, aus denen die Räuber kurz darauf ihren Durst stillen und sich dabei den Tod trinken. Endlich ist Chariton frei. Die Räuberhöhle wird liturgisch in ein kellion umgewidmet, und bildet damit den Mittelpunkt der späteren Pharan–Laura2. Den Räuberschatz nutzt Chariton zum Teil für den Kirchenbau der Laura, zum Teil zu karitativen Zwecken. Nach dieser dramatischen Wüsteninitiation beginnt eine zweite Phase in Charitons Leben, in der er auf einer langen Pastoralreise unter anderem das Kloster Jericho und die Alte Laura (Souka) gründet. Chariton stirbt um 350 in der ehemaligen Räuberhöhle der Pharan–Laura, wo er auch beigesetzt wird.3 Selbst eine legendarisch so kunstvoll aufbereitete Geschichte wie die 'Vita Charitonis' hält wichtige Fingerzeige für die Geschichte und Theologie des Eremitentums bereit: Der Hinweis auf die diokletianische Christenverfolgung4 belegt, wie sehr auch den späteren Generationen des palästinensischen Mönchtums noch die Verwurzelung der anachoretischen Spiritualität in der Theologie des Martyriums bewusst war. Die Räuberepisode von Kalamon weist sowohl auf den translimitischen Charakter der eremitischen Lebensform als auch auf die translimitische Lage vieler kellia, Lauren und Koinobien hin: Die ehemalige Räuberhöhle als Keimzelle der Pharan–Laura wird nicht 1 2 3

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Zur Biographie des Abbas Chariton und zu Hintergründen seiner Vita vgl. die Hinweise bei BINN, Ascetics and Ambassadors, 45–47. Zur Pharan–Laura siehe KEEL/KÜCHLER, Orte und Landschaften der Bibel, 479–480. Zur Textbasis siehe VITA CHARITONIS (Garitte, 16–46). Zu den einzelnen Klostergründungen Charitons vgl. HIRSCHFELD, The monastery of Chariton, 315–362. Diese Erzählung ist dem christlichen Gedächtnis stets erhalten geblieben; MENZEL, Christliche Symbolik 2, 258 referiert diese Geschichte in seiner für das breitere Publikum des 19. Jahrhunderts verfassten Schrift. Für die diokletianische Christenverfolgung siehe CASTILLO DE HIRIART, Diocleciano y la Persecución, 161–171 und STADE, Der Politiker Diokletian und SCHWARTE, Diokletians Christengesetz, 203–240 (zur Diskussion vgl. LÖHR, Some observations, 75–95).

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der einzige Ort in der Kirchengeschichte bleiben, bei dem sich hinter einem respektablen Kloster oder einer berühmten Einsiedelei ein ehemaliges Räubernest verbirgt. Die Dämonenversuchung von Chariton bezeugt schließlich, dass es bei latro–Geschichten in eremitischen Texten nicht nur um äußerliche Widersacher geht, deren Macht auf physische Gewalt begrenzt bleibt, sondern auch um translimitische Angriffe, welche die menschliche Freiheit auf eine unsichtbare und sublime Weise gefährden.

4.2.2. Spektakuläre latro–Geschichten aus dem 'Pratum spirituale' Das 'Leimonarion' oder 'Pratum spirituale' von Johannes Moschus gehört in die Spätphase der eremitischen Literatur Palästinas.1 Die überreiche Sammlung von Episoden, Legenden und Ereignissen kann hier nicht im Gesamt gesichtet werden. Es mag genügen, zwei spektakuläre latro–Geschichten herauszugreifen, aus denen sich Aspekte zur Abrundung einer Typologie der latro–eremita–Kommunikation gewinnen lassen. Eine Erzählung aus dem 77. Kapitel des 'Pratum spirituale' verdeutlicht vor allem die destruktive psychische Dynamik, die einen latro umtreibt, und deren gravierende Folgen für die menschliche Personalität: Während einer Rast erzählt ein blinder Wanderer seinen Mitreisenden den Grund für seine Sehbehinderung. Er sei in der Jugend zuerst vergnügungssüchtig (luxuriosus) gewesen, habe dann zu stehlen begonnen und schließlich nicht einmal mehr vor Grabräuberei zurückgeschreckt. Als er einst ein Grab ausplündern wollte, es dort aber keine Reichtümer als Beute gab, sei er auf die wahnwitzige Idee verfallen, wenigstens das Leichentuch, das aus bestem Leinen gefertigt war, mitzunehmen. Bei der Manipulation der Leiche habe sich diese dann aber aufgerichtet und ihm die Augen ausgekratzt.2 Diese erbauliche (aedificans) Geschichte mag für moderne Ohren eher problematisch als erbaulich klingen3, hatte aber für die Erstadressaten des 'Pratum spirituale' durchaus eine geistliche Botschaft parat: Die destruktive Dynamik, die hinter der schrankenlosen luxuria und dem rücksichtslosen latrocinium steht, hat in ihrer Extremform eine massive Schädigung der menschlichen Personalität zur Folge. Dem Grabräuber der Beispielsgeschichte geht es längst nicht mehr um den Erwerb von Gütern und persönliche Bereicherung, denn im Grab ist nichts zu holen. Seine translimitischen latro–Impulse veranlassen den Täter inzwischen alle Grenzen, sogar die Grenze des Todes, aus bloßer Lust an einer translimitischen Grenzverletzung zu überschreiten. Die psychisch–geistlichen Folgen eines solchen Unternehmens werden drastisch geschildert: Sie führen in eine Art von „geistlicher Nekrophilie“, die das geistliche Leben der Person lähmt, und zu einer Blindheit, bei der die menschliche Erkenntnisfähigkeit außer Kraft gesetzt wird. 1 2 3

Zum Autor Johannes Moschus und seinem 'Leimonarion' siehe BINN, Ascetics and Ambassadors, 49–53. JOHANNES MOSCHUS, pratum spirituale 15 (PG 87/3, 2930D–2932C). Zur „Sperrigkeit“ dieser Geschichte vgl. auch BINN, Ascetics and Ambassadors, 218–221.

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Wie sehr derart massive Beschädigungen der Personalität bei einer Bekehrung zum Problem werden können, belegt das Kapitel 166 des 'Pratum spirituale', in dem Abbas Sabbatius eine Geschichte vorträgt, die er im Firminkloster zu hören bekam: Zu Abbas Zosimus kam einst ein reuiger latro, um ihn um die Aufnahme ins Kloster zu bitten, da er im monastischen Stand seine Sünden büßen wollte. Nach einiger Zeit des Klosterlebens schlug ihm Abbas Zosimus vor, ins Koinobion des Abbas Dorotheus in der Nähe von Gaza zu übersiedeln. In der Umgebung des Firminklosters lebten nämlich immer noch Opfer des latro, und so stand zu befürchten, dass sich die Opfer am Täter, und womöglich auch am Kloster, rächen würden. Der latro gewöhnte sich scheinbar gut ins Koinobion des Dorotheus ein, kannte bald den Psalter auswendig und beobachtete alle Punkte des mönchischen Lebens auf vorbildliche Weise. Nach neun Jahren klopfte er freilich wieder an die Türe des Abbas Zosimus, mit der Bitte, ihn von den Gelübden zu entbinden, den Habit zurückzunehmen und ihm seine weltlichen Kleider wieder auszuhändigen. Obwohl der latro–Mönch über neun Jahre Fasten, Enthaltsamkeit, Buße und Gottesfurcht beobachtet hatte – im Wissen, Gott habe ihm in seiner unendlichen Barmherzigkeit verziehen –, erschien ihm im Schlaf, während der Eucharistiefeier, im Refektorium, ja überall und zu allen Zeiten, ein Knabe, den er einst ohne Grund getötet hatte, mit der Frage: „Warum hast Du mich umgebracht?“ Der latro–Mönch war von seinen Plan nicht abzubringen, verließ den Konvent, begab sich in die nahegelegene Stadt Diospolis, wurde dort von den Einwohnern ergriffen und tags darauf enthauptet.1 Die Episode ist aus zwei Gründen interessant: Sie zeigt einerseits, dass die latro– Konversion für die Gesellschaft eine gewisse Provokation darstellte. Falls sich ein latro tastsächlich bekehrte, so stand nicht zu erwarten, er könne in die Mitte der Gesellschaft reintegriert werden. Die aussichtsreichste und akzeptabelste Integrationsmaßnahme bestand offensichtlich darin, dass der latro von seiner problematischen translimitischen Kontra–Position zur geschätzten translimitischen Kontra–Position eines Eremiten/Mönches überwechselte. Doch auch ein solcher Wechsel war nicht billig zu haben: Ehemalige Opfer des latro in unmittelbarer Reichweite konnten ein massives Hindernis für die Reintegration darstellen. Andererseits zeigt die Episode sehr plastisch die psychologischen Schwierigkeiten, die sich für die Person des latro selbst ergaben. Auch bei genauester Erfüllung der eremitischen oder monastischen Lebensform und selbst bei klarem Bewusstsein, Gott habe einem in unendlicher Barmherzigkeit die Räubertaten vergeben, war der Seelenfrieden nicht einfach zu erlangen. Der latro des 'Pratum spirituale' konnte zumindest seinen Schuldkomplexen Zeit seines Lebens nicht Herr werden.2

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JOHANNES MOSCHUS, pratum spirituale 166. (PG 87/3, 3031–3034). Diese Episode bringt eine religionspsychologische Dynamik zur Sprache, die auch für die heutige Spiritualität beachtenswert bleibt; zum Zusammenhang von Schuldbewusstsein, Selbstwertgefühl und Suizidgedanken vgl. etwa GROM, Religionspsychologie, 117–133 und 279–284.

4.3.

Syrien: Latro und Stylit

Aus der eremitischen Region Syrien1 soll lediglich eine Geschichte untersucht werden: die Erzählung der Begegnung zwischen dem Styliten Simeon dem Älteren (ca. 390– 459) und dem Räuber Jonathas.2 Das Phänomen des Stylitismus bedarf einführender Worte, um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen. Die angeführte Formel, das eremitisch–monastische Leben sei eine institutionalisierte Weise, die limitische Kontur der Welt als konkrete Trennungslinie zu markieren und zu überschreiten, um dadurch in den Raum einer hesychia des Herzens zu gelangen, bewährt sich auch beim Stylitismus: Der Stylitismus ist eine Sonderform des eremitischen Lebens, bei dem der translimitische Überschritt nicht horizontal vollzogen wird, um „außerhalb“ der Welt zu leben, sondern vertikal erfolgt, um sich „oberhalb“ der Welt aufzuhalten. Von daher wird klar, dass wir uns unter dem griechischen Term stylos (wörtlich „Säule“) im Kontext des Stylitismus keine Säule vorstellen dürfen – auf einer Säule könnte kein Mensch für längere Zeit leben –, sondern einen Pfahl, der eine Plattform trägt, auf der sich wiederum ein kellion befindet. Als Annäherung an eine stylos–Anlage könnte man sich eine Art Baumhaus vorstellen. Die Heimat des Stylitismus ist Syrien und lässt sich, von Vorformen abgesehen, seit dem späten 4. Jahrhundert nachweisen. Den Anfang des Reigens berühmter Styliten bildet Simeon der Ältere, 389 in Sisa geboren. Simeon hatte sich in der Nähe von Antiochia ein Säulen–kellion errichtet und es bis zu seinem Tod im Jahre 459 bewohnt. Die Lebensweise Simeons hatte Nachahmer gefunden – etwa Daniel, der in der Großstadt Konstantinopel eine imposante Doppelsäulenanlage bewohnte oder Simeon der Jüngere, 521 in Edessa geboren, der bis 592 als Diakon auf einem stylos lebte, Wunder wirkte und Gründungsvater einer Klostergemeinschaft wurde. Zum Stylitenstand gehörten auch zahlreiche Frauen.3 Dem stylos, dem translimitischen Ort oberhalb der Köpfe der Gesellschaft, kommt eine theologische Funktionalität zu, die hier knapp aufgerissen sei: (1) Der stylos ist erstens ein Ort der vergeistlichten Leiblichkeit, an dem der Eremit als „irdischer Engel“ (angelus terrenus) gleichsam zwischen Himmel und Erde

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Grundlagen der syrischen Asketik entfalten VÖÖBUS, History of Asceticism 2, 292–315 und BROCK, Early Syrian Asceticism, 1–19 und BROWN, Die Keuschheit der Engel, 332–346. Für die Biographie Simeons vgl. TRUNTE, Symeon Stylites, 71–82. Einen Zugang zur Person bahnt auch HARVEY, The sense of a stylite, 376–394. Zur Biographie der diversen Styliten siehe SPIDLIK, Stylite, 1267–1275 und PENA/CASTELLA– NA/FERNANDEZ, Le stylite syrien. Zu den weiblichen Styliten siehe hingegen DELEHAYE, Les femmes stylites, 391–392.

Syrien

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schwebt und als Bote Gottes wirkt, indem er Dämonen austreibt, Kranke heilt und Ungläubige bekehrt.1 (2) Der stylos ist zweitens ein Ort der Kontemplation, der die Erhabenheit der Kontemplation (theoria) versinnbildlicht, sowie die biblischen Theologumena der Jakobsleiter, der Feuersäule des Exodus, des Berges Sinai oder des Bundeszelts und der Bundeslade gleichsam abbildet.2 (3) Der stylos ist drittens ein Ort des Apostolats, von dem herab der Stylit predigt, Ratschläge erteilt oder die heilige Messe feiert.3 Dass der stylos auch der Ort einer latro–Begegnung werden konnte, belegt eine Episode aus dem 15. Kapitel der 'Vita Simeonis' des Älteren: Der Räuber Jonathas ist auf der Flucht und sucht Schutz vor einer ihn jagenden Meute antiochenischer Bürger. Er dringt in den umfriedeten Klosterbezirk (monasterium) ein, auf dessen Grund die Pfahlanlage des Simeon steht, umschlingt die Säule und beginnt lautstark zu schluchzen. Simeon wird auf den Störenfried aufmerksam und befragt ihn nach Namen und Absicht. Als Antwort auf seine kurze Beichte spricht ihm Simeon zu: „Für solche ist das Himmelreich.“ (Mt 19,14). Inzwischen sind freilich auch die Autoritäten der Stadt Antiochia eingetroffen und bitten Simeon, ihnen den latro zur Hinrichtung auszuliefern. Simeon weist sie allerdings ab: Derjenige, der den latro zu ihm geführt habe, sei größer als er; aus Ehrfurcht vor Ihm könne er den Räuber keinesfalls ausliefern. Eingeschüchtert kehrt die Gruppe nach Antiochia zurück. Sieben Tag lang umschlingt Jonathas die Säule und kann sich nicht bewegen. Er bittet Simeon, ihn zu lösen, wird von ihm befreit und verstirbt auf der Stelle. Als die Schüler von Simeon den latro neben dem Kloster bestatten wollen, nähern sich wiederum antiochenische Bürger und möchten wenigstens den Leichnam ausgeliefert bekommen. Simeon entgegnet ihnen schlagfertig: Er wage es nicht, denn Gott mit seinen himmlischen Heerscharen, der mächtig genug sei, die gesamte civitas von Antiochia, inklusive aller Bewohner, in die Unterwelt zu versenken, habe den latro längst mit sich versöhnt. Die endgültig verschreckte und der Selbstgerechtigkeit überführte Gruppe macht sich von dannen und berichtet im ganzen Land von der unerhörten Begebenheit.4 Doch nicht allein in Syrien verbreitete sich diese latro–Kunde: Die Episode wurde zum Bestandteil wichtiger Legendensammlungen, etwa der 'Legenda Aurea', und konnte so spielend über die Jahrhunderte hinweg im lateinischen Mittelalter weitertradiert werden.

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Siehe etwa THEODORET VON CYR, historia religiosa 26 (SCh 257, 158–215). Siehe hierzu SPIDLIK, Stylite, 1273–1274. Zum Ratgeber–Amt der Stylten bei der Bilderfrage vgl. etwa HOLL, Anteil der Styliten, 388–389. SPIDLIK, Stylite, 1274 erwähnt die Messfeiern der Viten von Daniel, Lukas und Simeon dem Jüngeren. Zur Eucharistie bei den Styliten siehe GUILLAUMONT, An den Wurzeln, 106–107; bei den Anachoreten ganz allgemein vgl. GUILLAUMONT, Anachorèse et vie eucharistique, 83–93. VITA SIMEONIS 15 (PL 73, 331B–332A).

4.4.

Gender–Variante: Anachoretische Frauen und latrones

Schaut man auf die bisherigen eremitischen Texte und die darin verhandelten Fälle der latro–Kommunikation zurück, so bemerkt der gender–sensible Blick, dass sowohl die Eremitengestalten wie latrones beinahe ausschließlich männlich waren. Wo aber sind die Frauen? Im folgenden Abschnitt kann es nicht nur um das Aufspüren von Frauen im Umfeld männlicher Eremiten und latrones gehen, um so ein komplettes Bild zu gewinnen. Der gesamte latro–eremita–Komplex muss unter einer gender–Perspektive in Augenschein genommen werden, um gender–spezifische Strategien in den Texten von/ über EremitInnen zu bestimmen, und von dort aus zurück zu fragen.

4.4.1. Weibliche Anachoretik: Reklusinnen und virgines consecratae Die uns überlieferten Texte, aus denen man Rückschlüsse über die Anfänge des Anachoretentums gewinnen kann, vermitteln bei oberflächlicher Lektüre das Bild, die ägyptische Wüste sei in erster Linie eine Männerwelt gewesen. Wenngleich am grundsätzlichen Befund einer zahlenmäßigen Dominanz der Männer in der ägyptischen Wüste sicher nicht zu rütteln ist, so erschließt sich bei einer sorgfältigen Analyse eine sehr viel komplexere soziale Wirklichkeit.1 Der Umstand, dass im Vordergrund der anachoretischen Bewegung beinahe überdeutlich Wüstenväter, also Männer, aufscheinen, lässt sich vom antiken, griechisch–römischen Familienkonzept her einsichtig machen: Die spezifische Rolle, die eine Frau innerhalb des oikos/domus unter der potestas eines pater familias einzunehmen hatte, machte eine Frau in der Öffentlichkeit weit weniger sichtbar als einen Mann, und es war für sie ungleich schwieriger, obschon nicht unmöglich, sich aus der Familie auszugliedern, um in die Wüste zu gehen.2 Berücksichtigt 1

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FRANK, Asketinnen in den Apophtegmata Patrum, 78 bemerkt: „Die asketisch–monastische Welt der Apophtegmata Patrum ist eine männliche Welt.“ Spruchgruppen von Frauen begegen in den 'Apophtegmata Patrum' selten. In der alphabetischen Version wurden nur Amma Theodora, Sarrha und Synkletika aufgenommen; siehe hierzu FRANK, Asketinnen in den Apophtegmata Patrum, 79–94. SWAN, The Forgotten Desert Mothers, bietet eine reiche Liste von vernachlässigten anachoretischen Frauen außerhalb der Apophtegmata, mit wichtigen bibliographischen Angaben. Weitere normative Gestalten der Frauen–Hagiographie besprechen FRANK, Das Leben der Heiligen Synkletike – Einleitung, 9–10 und HARVEY, Women in Early Syrian Christianity, 288–298. BROWN, Die Keuschheit der Engel, 19–46 zeichnet ein Portrait über die soziale Rolle bezüglich Ehe, Sexualität und Fortpflanzung, die Frauen und Männer in der Antike innerhalb der polis zu erfüllen hatten, sowie ein gewisses Kontrastprogramm des Christentums in 47–79. Zum Hand-

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man hingegen, dass Wüstenväter nur einen Teil einer sehr viel größeren anachoretischen Bewegung bildeten, dann ergibt sich ein anderes Bild, in dem Frauen eine überaus wichtige Rolle spielen: (1) Eine erste Gruppe von anachoretisch lebenden Frauen wird in den Texten als Reklusinnen portraitiert, das heißt als Anachoretinnen, bei denen die Ausgesondertheit des kellion und Integrität der limitischen Schutzmauer im Vordergrund steht. Die Frauenquote anachoretisch lebender Personen ist in einer Schrift wie der 'Historia Lausiaca' von Palladius beachtlich.1 (2) Obwohl man obige Anachoretinnen mit der Gruppe von Frauen, die in Texten als „Jungfrauen“ = virgines (consecratae) bezeichnet werden, nicht identisch setzen sollte, so muss man doch des anachoretischen Zugs des Lebens dieser Jungfrauen eingedenk sein: Auch virgines realisieren die eschatologischen, weltüberschreitenden Aspekte der Weisung Jesu auf eine institutionalisierte Weise; auch sie beziehen sich gerade dadurch auf Welt und Gesellschaft, indem sie sich explizit von ihnen abgrenzen.2 (3) Der entscheidende Unterschied zwischen einer Reklusin, Anachoretin oder virgo und dem klassischen männlichen Eremiten liegt im spezifischen translimitischen Ort des kellion: Ihre Zelle liegt nicht in der Wüste, sondern in der Stadt, im oikos bzw. domus eines Bischofs, der eigenen Eltern oder eines sie beschützenden Patrons (philoparthenos); oder aber in einem lokalen Märtyrerschrein. Auch die Anachoretinnen, Reklusinnen und virgines leben ihre Transliminalität in einer beträchtlichen kontrastiven Distanz zur Gesellschaft, bleiben dabei aber in die jeweilige Ortskirche räumlich eingegliedert.3 Oder anders formuliert: Sowohl weibliche als auch männliche AnachoretInnen leben translimitisch. Während der Eremit das Außerhalb–der–Welt–Sein am Rande der Welt in Wüstengegenden vollzieht, lebt die Anachoretin, Reklusin oder virgo ihr Außerhalb–der–Welt–Sein in einer kontrastiven Distanz zur Welt inmitten der (oder zumindest in unmittelbarer Nähe zur) Welt.4

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lungsspielraum einer Frau in der Öffentlichkeit vgl. auch MACMULLEN, Woman in Public, 208– 218. Siehe hierzu FISCHER, Women and Gender in Palladius, 23–50. Das Standardwerk zur virgo consecrata ist SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet; zum anachoretisch–solitären Zug der Lebensform vgl. besonders 55–56. Für historische Hintergründe siehe auch BROWN, The Notion of Virginity, 427–443 und MCNAMARA, A New Song. Siehe SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 20 und BROWN, Die Keuschheit der Engel, 273–274: „Der christliche Haushalt und die Ortskirche blieben für die Frau die loci der Suche nach Heiligkeit“; für weitere Hinweise 274–276; zum philoparthenos vgl. 278. Siehe hierzu FRANK, Das Leben der Heiligen Synkletike – Einleitung, 22: „Die Mehrzahl der Asketinnen, die nicht in Klöstern lebten, ist innerhalb von Dörfern und Städten zu suchen ... Sie mögen auch die Siedlungsgrenzen überschritten haben und sich dort angesiedelt haben; Einsamkeit/Wüste hat man hier nach Palladius schon in der Entfernung von knapp einem halben Kilometer.“ BROWN, Die Keuschheit der Engel, 273 bemerkt zum Ansehen und zur Wertschätzung der virigines: „Das Leben der Bräute Christi lag ein wenig abseits vom großen Mythos der Wüs-

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Man darf sich die Institutionalisierung des Jungfrauenstandes allerdings nicht zu restriktiv vorstellen. Im Laufe der Kirchengeschichte kam es immer wieder zu interessanten Interferenzen mit den anderen anachoretischen Lebensformen – also zwischen dem Jungfrauenstand und dem Koinobitentum, Eremitentum oder Reklusentum –, die hier zumindest kurz angedeutet seien: Der Lebensform als virgo kommt zweifellos, wie oben angedeutet, der Charakter einer vita solitaria zu. Das verhinderte freilich nicht, dass viele virgines lieber in Verbänden lebten, die sich aus Freundinnenkreisen entwickelt hatten, oder eine Gruppe bildeten, in der sich ärmere Frauen um eine charismatische und wohlhabende Gönnerin scharten.1 Dadurch wurde die Grenze zwischen virgo und Nonne bisweilen so fließend, dass sich bei manchen Frauenorden die Jungfrauenweihe sogar als ein Zusatz zur Profess einbürgerte, also gleichsam von den Händen des Bischofs in die Hände des Ordensoberen rutschte und ab dem 8. Jahrhundert schließlich sogar die solitarische Form des Jungfrauenstandes an den Rand drängte. 2 Weil die Einbindung von virgines in Autoritätsstrukturen nicht allzu restriktiv war, konnten Frauen mit Wüstenvätern in einen intensiven Austausch treten, für sich die Spiritualität der Wüste entdecken und schließlich als Wüstenmütter leben. Die Grenze zum Reklusentum war, wie oben angedeutet, fließend: Man konnte sich ja nicht nur, wie Antonius der Große, mitten in der Wüste in ein kellion einschließen, sondern gerade auch innerhalb des domus oder des koinobion. Das Netzwerk von virgines in den größeren Städten und Kultorten machte es für Frauen sogar möglich, von entfernten Gegenden aus eine Pilgerreise nach Jerusalem in Angriff zu nehmen und für gewisse Zeit eine Art Wander– Eremitentum zu übernehmen – was natürlich nicht immer auf Sympathien stieß.3 Eine abschließende Bemerkung zur sozialen Herkunft von virgines: Im Stand der Jungfrauen waren grundsätzlich alle sozialen Schichten vertreten, gleichwohl sich bei den berühmten Vertreterinnen des Standes oft eine Herkunft aus einflussreichen religiösen Familien aufzeigen lässt, aus denen auch Bischöfe hervorgingen, was in der Natur der Sache lag: Weil virgines ihr Gelübde in die Hände eines Bischofs ablegten, bot sich dieser Stand für weibliche Verwandte eines Bischofs geradezu an. Nachdem sich der Stand der Jungfrauen einmal fest etabliert hatte, kam sogar die Oblation von noch min-

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te.“ Zu virgines–Klöstern oder –Kreisen siehe SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 22–23 (Anm. 49–50) und BROWN, Die Keuschheit der Engel, 276–277. Den größeren Hintergrund beleuchtet ELM, The Organisation and Institutions of Female Asceticism. Siehe hierzu SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 24–25: Mit dem II. Laterankonzil 1139 (can. 26) wurde die Spendung der Weihe an freilebende Sanctimonialen, die schon seit dem 7./8. Jahrundert nicht gern gesehen war, verboten. Später haben die Beghinen die virgo–Lebensweise ohne eine formelle consecratio für sich adaptiert. Zur klausurierten Nonne als virgo siehe SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 27–29 und HART, Consecratio virginum, 258–274. Zur wandernden virgo siehe BROWN, Die Keuschheit der Engel, 283; in 277 spricht BROWN von „informellen Strukturen“, die den Frauen einen gewissen Handlungsspielraum in ihrer Lebensgestaltung ermöglicht hätten.

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derjährigen Mädchen an virgines–Koinobien vor; die eigentliche Weihe erhielten die Frauen, so sie sich dafür entschieden, freilich nicht vor dem 25. Lebensjahr.1 Weil die eremitische Bewegung oben schon ausführlich entwickelt wurde und die Bewegung des weiblichen Reklusentums im Mittelalter noch genauer unter die Lupe genommen wird, sei hier die anachoretische Lebensform der virgo hinsichtlich ihrer Spiritualität genauer vorgestellt. Bemerkenswert ist vor allem die reiche virginitas– Theologie: (1) Das Leben einer virgo ist keine persönliche Frömmigkeitsform sondern eine ekklesiologisch relevante vita consecrata: Seit Papst Damasus (384) ist belegt, dass eine virgo ihr Gelübde der Jungfräulichkeit und ihr Weihegebet (professio religiosa) unter Anteilnahme des ganzen Kirchenvolkes (actio liturgica) vor dem Bischof ablegt (sanctio) und einen Schleier empfängt. Die Jungfrauenweihe begründet daher eine ekklesiale Zeichenexistenz in der und für die Kirche. Die virgo ist in einer geistlichen Hochzeit (matrimonium spirituale) Christus anvertraut; sie fungiert zugleich als Jungfrau und Braut.2 (2) Dieser jungfräuliche und bräutliche Charakter der virgo muss in seiner gesamt– ekklesiologischen Dimension wahrgenommen werden: Zunächst ist nicht die einzelne Frau. sondern die gesamte Kirche Jungfrau und Braut, virgo et sponsa, wie aus Mt 9,15; Joh 3,29; 2 Kor 11,2; Eph 5,25 hervorgeht. Die einzelne geweihte Jungfrau ist daher ein Bild der vermählten Kirche (imago ecclesiae desponsatae) und eine Stellvertreterin der jungfräulichen Kirche. Aufgrund der zeichenhaften Vergegenwärtigung und Stellvertretung ist es auch angemessen, dass dieser Stand allein von Frauen und nicht von Männern ergriffen wird.3 (3) Ein weiteres wichtiges ekklesiologisches Faktum kommt durch die immixtio manuum, das Legen der Hände der virgo in die Hände des Bischofs während des Gelübdes zum Ausdruck. Die virgo gelobt auf wortlose Weise Gehorsam: erstens Gott gegenüber, indem die virgo sich bereit erklärt, Gottes Willen zum ihrigen zu machen; zweitens dem Bischof gegenüber, indem sie sich zu einer entschiedenen (allerdings nicht weiter konkretisierten) Solidarität mit der Ortskirche verpflichtet.4 (4) Die sponsale Dimension des Jungfrauenstandes spiegelt sich in der Bedeutung des Hohen Liedes für eine virgo wider: Zweifellos ist das Hohelied eine biblische Schrift für die ganze Kirche. Anders als ein männlicher Beter – etwa Bischof oder Mönch – kann gerade eine virgo die Aussagen des Hohen Liedes wortwörtlich und ohne Gender–Brechung auf ihre eigene Existenz applizieren und sich unmittelbar 1

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Zur „Oblation“ siehe BROWN, Die Keuschheit der Engel, 272–273 und MACCOULL, Child Donation, 409–415. Zur Altersfrage der Gelübde–Ablegung vgl. SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 21–22. Siehe hierzu SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 18–21. Vgl. SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 40–41. Siehe hierzu SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 63–66.

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mit der sponsa identifizieren: als schon angetraute aber noch nicht heimgeführte Braut, die in der Nacht wartet, bis das schon angebrochene, im Kommen begriffene Gottesreich sich ereignet und der Bräutigam hervortritt.1 Hier ergibt sich eine interessante differentia specifica zwischen dem Jungfrauenstand und der Spiritualität der Wüste: In der Wüste spielt das Hohe Lied keine zentrale Rolle; die Braut wird, wie wir gleich sehen werden, gleichsam von der Büßerin Maria Magdalena vertreten. (5) Das Leben der Jungfrau hat eine zentrale christologische Dimension: Im Mittelpunkt der Lebensform steht nicht so sehr das Moment des zölibatären Verzichtes, das in der Vokabel „Ehelosigkeit“ anklingt, als vielmehr die personale Hingabe in Liebe an Christus. Aufgrund dieser Liebeshingabe ist die Lebensform der virgo auch nicht funktionalisier– und instrumentalisierbar: Der Stand ist nicht „notwendig“ sondern bloß „möglich“ (weil Gott in der alt– und neutestamentlichen Heilsgeschichte dem Menschen immer näher gekommen ist: im Bundesschluss, in der Inkarnation des Sohnes aus der Mutter, im letzten Abendmahl, in Kreuz und Auferstehung). Oder noch schlichter formuliert: Eine virgo ist virgo, weil Christus eben Christus ist.2 (6) Das Leben einer virgo hat einen unübersehbaren mariologischen Aspekt. Die Strukturmerkmale der Lebensform der virgo können am biblisch bezeugten Leben der jungfräulichen Gottesmutter gleichsam abgelesen werden: das rückhaltlose Ja, das im „Mir geschehe, wie Du gesagt hast (Lk 1,38)“ anklingt; die Meditation der Heilsgeschichte, die sich im „Meine Seele preist die Größe des Herren“ (Lk 1,54) verdichtet; die Kontemplation, in welcher der Kontemplierende „alles im Herzen bewahrt“ (Lk 2,51); die Kompassion, wenn einem „ein Schwert durch die Seele dringt“ (Lk 2,35)3 und die Einordnung in die Kirche, die an Maria unter dem Kreuz (Joh 19,25–26) und an Pfingsten (Apg 1,14) geschah. Neben dem kanonischen Marienbild hatte auch das apokryphe Marienbild des Jakobus–Evangelium einen großen Einfluss: Dieser Text bietet Details über das Leben der jungen Maria, die von ihren Eltern als Jungfrau dem Tempel übergeben wurde, und damit auch Fingerzeige, die eine virgo für ihr Leben an einer Märtyrer– und/oder Bischofskirche adaptieren kann.4 (7) Die Lebensform der virgo hat – wie beim männlichen Eremitentum – eine martyrologische Wurzel: Die virgines leben ein unblutiges Martyrium, wenn sie inmit1

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Vgl. SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 21 (Anm. 41); 25–26; 43–46; 48–53 und BROWN, Die Keuschheit der Engel, 285. So interpretiert etwa Ambrosius von Mailand die sponsa konsequent als virgo–Modell; vgl. hierzu CONSOLINO, Veni huc a Libano, 399–415. Siehe hierzu SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 50–51. Das Bildwort vom Schwert referiert nach SCHÜRMANN, Lukasevangelium 1, 129–130 auf das Mutterleid Marias als compassio mit dem messianischen Schicksal ihres Sohnes. Siehe hierzu BROWN, Die Keuschheit der Engel, 284. Für die Breitenwirkung der Kindheit Mariens im 15. Jahrundert vgl. etwa die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 44 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 100va–105vb).

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ten der Ortskirche, in die sie integriert sind, eine radikale, rückhaltlose, ungebrochene translimitische Hingabe an Gott bezeugen. Manche virgines leben sogar als Wächterinnen und Dienerinnen eines Märtyrerschreines und sind dadurch in einem rechtlichen Sinne Mitglieder der familia eines Märtyrers/einer Märtyrerin.1 Auf diesem Hintergrund kann man auch archäologische Zeugnisse von speziellen Reklusorien für virgines gut nachvollziehen, die belegen, dass ihr Wohnraum architektonisch als „Grab“ ausgestaltet wurde.2 (8) Die Lebensform der virgo ist, wie das eremitische Leben insgesamt, eine vita solitaria et ascetica: Virgo und Eremit bezeugen, dass weder die Welt insgesamt noch irgendetwas aus der Welt den Hunger der menschlichen Transzendentalität erfüllen kann – sondern nur die Transzendenz, die Gott selber ist. Jungfrauen bewahren sich daher der Welt gegenüber stets eine gewisse Fremdheit (xeniteia). Weil virgines aber nicht, wie Eremiten, als Fremdlinge in der Wüste sitzen, sondern geschützt inmitten der Ortskirche leben, ist es ihnen ein Anliegen, die mangelnde Strenge des Ortes durch eine Intensivierung der Askese zu kompensieren. Die Texte der Mütter belegen zumindest eine Fastenpraxis, die als Proprium der weiblichen Askese gelten darf und bei Wüstenvätern so nicht vorkommt. (9) Virgines veranschaulichen durch ihre Lebensform der stabilitas schließlich die Treue Gottes: Sie sind bleibendes Vorbild der Verbundenheit mit Gott, und zudem ein unerschöpfliches „Depot“ von Segen, Schutz und Gnade, das auf die örtliche Gemeinschaft überfließt.3 Wenn man die Spiritualität von Asketinnen, Reklusinnen und virgines herausstellt, so darf man sie freilich von der Kommunikation mit Männern nicht abtrennen und zu einem exklusiven Frauenphänomen stilisieren: Die auf uns gekommenen Schriften belegen eine intensive Interaktion zwischen virgines/Reklusinnen und Männern der Kirche bzw. zwischen geistlichen Müttern und Vätern. Im 'Paterikon' kommen Mütter vor, im 'Meterikon' Väter, die jeweils auf gleicher Augenhöhe miteinander Umgang pflegen. Eine asketische Frau war amma, geistliche Mutter, nicht nur für ihre geistlichen Töchter, sondern konnte das Charisma der geistlichen Mutterschaft auch gegenüber Männern ausüben – der berühmteste Fall dürfte die geistliche Beratung sein, in der Melania dem Evagrios Pontikos den entscheidenden Impuls in seiner Berufungskrise gibt.4

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Vgl. SCHLOSSER, Alt – aber nicht veraltet, 18 und 52–53. Siehe hierzu die Beschreibung des Wohnortes einer Asketin bei PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 5,2 (Wellhausen, 501). Zur Funktion des Gnadendepots und Gemeinschaftsschutzes vgl. BROWN, Die Keuschheit der Engel, 274–275. Zur Interaktion und Kommunikation vgl. BROWN, Die Keuschheit der Engel, 277–280. Zur geistlichen Beratung des Evagrius durch Melania siehe PALLADIUS, historia lausiaca versio latina 38,10–12 (Wellhausen, 624–625). Zum weiteren Horizont männlich–weiblicher Freundschaften im frühen Christentum siehe aber auch RADER, Breaking Boundaries.

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Des Weiteren lässt sich die Entstehung der eremitisch–monastischen Texte nur innerhalb eines Geschlechter übergreifenden Kommunikationsprozesses deuten: Texte über Anachoretinnen stammen für gewöhnlich von männlichen Autoren oder zumindest Endredaktoren. Explizite oder exklusive weibliche Autorenschaft ist selten1, obwohl natürlich Frauen stets als Co–Autoren an den Texten mitgeschrieben haben. Ähnliches gilt für die Adressaten eremitisch–monastischer Texte: Einerseits werden eremitische Geschichten über Männer intensiv von Frauen gelesen; andererseits haben Texte, die über Frauen berichten, eine besondere Relevanz für Männer. Insofern zöge man am Sitz im Leben der Texte vorbei, wollte man vermeintliche „Frauentexte“ von „Männertexten“ isolieren und sie gegeneinander in Anschlag bringen. Gefordert ist vielmehr die Aufdeckung von gender–Strategien im Gesamtcorpus der Texte von/über AnachoretInnen.

4.4.2. Frauen und latrones Zunächst ist festzuhalten, dass latrones in Texten von/über AnachoretInnen – in erster Linie sei hier auf das 'Meterikon' verwiesen – zahlreich vorkommen. Als eine erste gender–spezifische Textstrategie muss der Umstand gewertet werden, dass die latro– Titulatur nie auf Frauen angewandt wird. Lediglich über den Kerker, dem Gehäuse des latro, kann sich eine Frau auf die Funktionsstelle eines latro begeben, wie aus dem Apophtegma 46 des 'Meterikon' unter dem Namen der Amma Matrona erhellt: „Wenn in der Welt jemand einen Fehltritt begeht, wird er gegen seinen Willen in den Kerker geworfen und in Fesseln geschlagen werden. Sperren wir uns also auch in den Kerker und schlagen wir uns in Fesseln, damit wir die zukünftigen Qualen durch diese freiwillige Strafe vermeiden. Ein Kerker für den Mönch ist seine Zelle, in der er um des Herrn willen in der Stille lebt.“2 Die latro–Titulatur ist eindeutig auf die maskuline Seite spezifiziert, so dass sie in der Antike und im Mittelalter auf Frauen nicht appliziert werden kann. Das Theologumenon „Eremitenzelle = Kerker/Gefängnis“3 ist hingegen sowohl auf Männer wie Frauen anwendbar. Weil der Innenraum des Kerkers zum Innenraum des oikos und koinobion gleichsam in Parallele steht, ermöglicht gerade dieser Topos einer Frau, gleichsam die Funktionsstelle des latro im Rahmen einer martyrologische Bußtheologie einzunehmen. Diese martyriologische Bußtheologie von Frauen konnte übrigens durch 1

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Zu den wenigen altkirchlichen Autorinnen in Bereich Hagiographie gehören Perpetua von Karthago, Sergia von Konstantinopel und Baudonivia von Poitiers; weitere Hinweise und Literaturhinweise bei FRANK, Das Leben der Heiligen Synkletike – Einleitung, 10 (Anm. 9). METERIKON 46 (Bagin/Thiermeyer, 54). Das gender–symmetrische Gegenstück zu obiger Meterikon–Stelle findet sich in APOPH– TEGMATA PATRUM 342 (Miller, 123): „Ein Gefängnis ist es, im kellion zu sitzen und immer an Gott zu denken. Und so ist auch das Schriftwort zu verstehen: Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen“.

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weitere dramaturgische Elemente auf spektakuläre Weise ausgestaltet werden: Amma Marana und Cyra lebten beispielsweise vierundzwanzig Jahre lang in ihren Einsiedeleien, wobei sie sich wie Gefangene anketteten.1 Welche Strategie wird nun aber mit dem latro–Begriff verfolgt, wenn das Meterikon und andere Texte von/über Anachoretinnen von zahlreichen latrones bevölkert sind? Hierzu zwei typische Textbeispiele: (1) Im Apophtegma 22 des Meterikon (unter dem Namen der Amma Synkletika) wird vor subtilen Dieben gewarnt: „Wenn wir aus dem Haus gehen, sollen wir vorsichtig auf unserem Weg sein; denn die Diebe könnten gegen unseren Willen in unsere Sinne eindringen.“2 (2) Auch im Apophtegma 53 der Synkletika haben es geistliche latrones auf den verborgenen Schatz der Zelle – nämlich auf die rückhaltlose Liebes–Hingabe an Christus – abgesehen: „Wie die Diebe einen Schatz stehlen, der nicht verborgen wurde, so lachen auch die Dämonen die Nonne aus, wenn sie aus ihrer Zelle geht. Dann ziehen die bösen Geister sie so lange hin und her, bis sie einen Fehltritt begeht und in die Begierde versinkt.“3 Zur Interpretation ist festzuhalten: Nicht nur den Frauen im Eremitenstand, sondern auch ihren männlichen Mitbrüdern können Dämonen als geistliche latrones in die Sinne oder ins Herz einsteigen, und sie des geistlichen Schatzes der Gotteshingabe oder der stabilitas loci berauben. Auch Männer lesen Texte über einbrechende latrones und beziehen sie auf ihr geistliches Leben. Für Frauen aber hat der Topos des einbrechenden Diebes eine ganz besondere Konnotation und Relevanz: Die Antike konstruiert ein System der Entsprechung, in dem das genetische Binom weiblich–männlich mit dem genitalen Phänotyp der penetrierbaren Frau versus penetrationsfähigem Mann und mit dem gender–Profil einer femininen Passivität/Rezeptivität versus maskulinen Aktivität/Aggressivität fest verknüpft ist. Daher sind Texte über geweihte Jungfrauen und Witwen, heilige Eremitinnen, Reklusinnen und Nonnen sowie Schriften, in denen das Problem der weiblichen Klausur besprochen werden, regelmäßig von aggressiven latrones in der Funktion eines penetrativen Täters, Vergewaltigers oder Versuchers bevölkert – sei das in der Form eines leibhaftigen latro, der die Frauen von der eremitischen Lebensform mit körperlicher Gewalt oder durch schmeichelnde Worte abzubringen versucht; sei das in der Form eines Dämons, der als geistlicher Dieb in das Wahrnehmungsbewusstsein eindringt, um die Eremitin aus der Zelle zu locken und sie zu verführen.4 Wir könnten die gender–spezifische Verwendung des latro–Begriffs also fol1 2 3 4

Siehe hierzu SWAN, The Forgotten Desert Mothers, 88. METERIKON 22 (Bagin/Thiermeyer, 49). METERIKON 53 (Bagin/Thiermeyer, 58). Wenn eine virgo unter dem Patronat eines schlechten philoparthenos lebte, waren solche Gefahren wohl kaum aus der Luft gegriffen; siehe hierzu auch ACHELIS, Virgines subintroductae. Zur „passiven Versuchbarkeit“ der Frau (in Abhebung von der aktiv–männlichen Form) im Rahmen

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gender Maßen formalisieren: Frauen brechen weniger als latro aus und ein, als dass bei ihnen von latrones eingebrochen wird. Männer brechen indes sowohl als latro aus und ein, als bei ihnen auch von latrones eingebrochen wird. Wird nun bei den Frauengestalten der einschlägigen eremitischen Texte tatsächlich die aktive Komponente der translimitischen Freiheit restlos in eine passive Versuchbarkeit oder Überwältigbarkeit übersetzt? Die im Apophtegma 53 angeklungenen Begriffe „Fehltritt“ und „Begierde“ weisen eine andere Spur, die wir weiter nachverfolgen müssen.

4.4.3. Mulier luxuriosa In eremitisch–monastischen oder hagiographischen Texten der Antike und des Mittelalters wird die aggressive Transliminalität von Frauen durch gender–Konstruktionen stark abgeschattet und ihre passive Versuchbarkeit bzw. Überwältigbarkeit überdeutlich in den Vordergrund gerückt. Die weibliche Aggressivität wird aber nicht vollends getilgt: Auch in der Antike gab es dissidente Frauen, die aus Rollenerwartungen ausbrachen und limitische Konturen oder Strukturen massiv überschritten. Allerdings lautet die antike semantische Markierung für derartige Frauen nicht latro sondern mulier luxuriosa: „übermäßig schwelgerische Frau“, die ihr Begehren nicht kontrollieren kann, und daher, statt unter der potestas ihres Vaters oder Ehemanns zu verbleiben, translimitisch ausbricht.1 Von einer solchen Frau, die sich seit früher Jugend auf Abwegen befand, um sich erst spät in ihrem Leben in die potestas Jesu zu begeben, berichtet beispielsweise das Apophtegma 126 aus dem Meterikon, unter dem Namen der Amma Theodora: Eine im Text namenlose Dirne fragt Amma Theodora nach einer Bekehrungsmöglichkeit und einem alternativen Lebensstil. Die Amma verweist sie auf die johanneische Perikope der Ehebrecherin. Mit dieser neuen Hoffnung vor Augen spendet die Frau ihr gesamtes, durch die Prostitution erwirtschaftete Vermögen den Armen und lässt sich von Theodora eine Zelle zuweisen. Vor den Augen der Menschen verborgen, beobachtet sie von nun an ein Leben, das ganz von Fasten, Buße, Handarbeit, Gebet und dem donum lacrimarum geprägt ist. Nach fünfzehn Jahren stirbt sie als heiligmäßige Wundertäterin.2

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des mittelalterlichen Anachoretentums vgl. MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, hier besonders 117–120. Zur Vokabel luxuria vgl. GEORGES, Handwörterbuch 2, 736: „übermäßiges Wachsen von Pflanzen, zu heftiges Agieren von Tieren, zügelloses sich Hingeben beim Menschen“. Im Lateinischen existieren zahlreiche Sprichworte der Missbilligung translimitischer Frauen, die sich von der Antike bis zum späten Mittelalter durchhalten; vgl. etwa das ALPHABET OF TALES 456 (Banks, 311), in dem das Motto „luxuriosam mulierem diabolus ad infernum portavit“ durch eine Exempel–Geschichte illustriert wird. METERIKON 126 (Bagin/Thiermeyer, 78–79).

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Dass diese mulier–luxuriosa–Episode des 'Meterikon' mehr als eine historische Reminiszenz ist, die belegen soll, dass es in den Hauptstädten (Alexandrien, Jerusalem, Antiochia) von eremitischen Landschaften (Ägypten, Palästina, Syrien) besonders im Umfeld römischer Soldaten Prostitution gegeben hat, belegt schon allein der obige biblische Verweis auf die Ehebrecherin. Der Konversionstopos, weitere Parallelen im Alten und Neuen Testament sowie ein breiter und ununterbrochener Überlieferungsstrom von Buhlerinnen–Legenden machen klar, dass wir es mit einem prominenten Theologumenon zu tun haben, das wir von den biblischen Fundamenten her sorgsam aufbauen müssen. Zuerst zum alttestamentlichen Hintergrund: (1) Bei der Reflexion auf die israelitische Heilsgeschichte kam ausführlich die Fähigkeit Israels zu einer erstaunlichen Selbstkritik zur Sprache: Im Rückblick auf die eigene Geschichte wurde Israel gewahr, dass es seine translimitische Freiheit immer wieder von Jahwe abgezogen und auf Fremdgötter gelenkt hat. Israel hatte immer wieder den Platz der „Braut“ verlassen, um „Hure“ zu werden. Diese latrologische Selbstmarkierung als „Hure“ gehört freilich nicht nur zur prophetischen Paränese des Volkes Israel, sondern ist ein ekklesiologisches und geistliches Stichwort mit bleibender Relevanz, unter dem sich auch das Neue Israel und seine Glieder, das heißt die Kirche und die einzelnen Gläubigen, immer wieder fragen müssen, wo und inwiefern sie Jahwe untreu geworden sind. (2) Eine weitere Facette kommt in der Geschichte der alttestamentlichen Hure Rahab zum Klingen: Rahab wird gemäß Jos 2,1–24 und 6,17–25 aus ihren Sünden gerettet und vom barmherzigen Jahwe angenommen. Jahwes Barmherzigkeit macht also nicht an der limitischen Kontur des Gottesvolkes Halt, sondern Er ergreift mit Seinem Heilshandeln auch translimitische Personen und holt sie heim. Von daher erhellt die christliche relecture dieser Geschichte: Rahab gab nicht nur nicht– israelitischen Völkern Hoffnung, sondern machte im Neuen Bund auch translimitischen Völkern und einzelnen Außenseiterpersonen deutlich, dass sie durch und in Christus in die Kirche integriert werden können.1 Wir dürfen zusammenfassen: Die mulier luxuriosa ist eine Figur, die sowohl für kollektive Größen (die Menschheit, Israel, die Kirche etc.) als auch für Einzelpersonen (den Sünder, den outlaw etc.) Relevanz besitzt. Sie macht deutlich, wie die fehlgeleitete oder steckengebliebene Transliminalität durch Umkehr (metanoia) so umgeworfen, ausgerichtet und geöffnet werden kann, dass sie die Transzendenz zu erreichen vermag. Das Neue Testament hat ebenfalls Gewichtiges zum Thema der „schwelgerischen Sehnsucht“ zu sagen: Das Verhalten Jesus gegenüber Ehebrecherinnen wurde schon ausführlich besprochen. Auf einem jesuanischen Fundament der Zuwendung zu trans1

Zu den ekklesiologischen Implikationen der Rahab siehe vor allem DANIÉLOU, Rahab, Figure de l'Église, 26–45 und Sacramentum futuri, 217–232; zur casta meretrix vgl. BALTHASAR, Sponsa verbi, 203–205; weitere Hinweise bei DORN, Der sündige Heilige, 52.

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limitischen Außenseitern fühlte sich die patristische Exegese ermächtigt, durch eine allegorische Verkettung von Schriftstellen eine komplexe „Maria–Magdalena–Figur“1 zu komponieren und den entscheidenden Schritt zur mulier–luxuriosa–Legende zu tun. Die heute immer wieder vorgetragene Kritik an der von der Patristik geschaffenen und im Mittelalter weiter ausgestalteten Kollektiv–Person Maria Magdalena, bei der zahlreiche neutestamentliche Marien– und Frauengestalten (exklusive der Gottesmutter) synthetisiert wurden, geht oft von falschen Voraussetzungen aus. Wer verstanden hat, dass man damals nicht so sehr das Profil einer historischen Person zeichnen als vielmehr einen Prototyp der Erkrankung und Gesundung der translimitischen Freiheit entwerfen wollte2, der wird kaum Anlass finden, die Texte der Spiritualitätsgeschichte spöttisch zu belächeln – so fremd uns heute die üppige Legendarisierung bleiben mag. Unter dem Namen Maria Magdalena kommt nämlich etwas durchaus Ernstes zur Sprache, das – ganz analog zur Braut im Hohen Lied – die Menschheit, die Kirche und die Einzelseele angeht.3 Die wesentlichen Züge dieser biblisch fundierten Maria– Magdalena–Gestalt und ihrer Botschaft sind nun in der gebotenen Kürze nachzuzeichnen:4 (1) Der Name Maria Magdalena ist unmittelbar aus Lk 8,2 und Mk 16,9 entnommen. (2) Um eine runde Person samt Kindheitsgeschichte zu schaffen hat man die Informationen über Maria von Bethanien aus Lk 10,39 und Joh 11,1–5 der Person Maria Magdalena zugeschlagen und mit Hilfe einer legendarischen Auffüllung von Lücken eine farbige Familiengeschichte konstruiert: Die Eltern Cyrus und Euchoria hatten drei Kinder, nämlich Lazarus, Martha und Maria. Die letztgeborene Maria wurde Johannes dem Evangelisten zur Ehe versprochen, rutschte dann aber, nachdem dieser sich der Jesus–Bewegung anschloss, in die Prostitution ab.5 (3) Die Kennzeichnung Marias als „Prostituierte“ wird selten in ihrer exegetischen Absicht und theologischen Tiefe durchschaut: Sie ist mehr als ein misogynes Attribut des Tadels über eine sexuelle Entgleisung. Sie dient vielmehr der allegori1

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Grundlegend sind WARD, Harlots of the desert; HANSEL, Maria–Magdalena–Legende; SA–XER, Cult de Marie Madeleine; HASKINS, Mary Magdalens und JANSEN, The Making of the Magdalen. Vgl. das treffende Urteil von WARD, Harlots of the desert, 16: „The fathers applied the spiritual sense of the scriptures to the composite figure of Mary Magdalene for ends which were not in any way historical.“ Zur Maria Magdalena und der sponsa am Beispiel Hippolyt vgl. SAXER, Marie Madeleine dans le commentaire d' Hippolyte, 219–239. Für den biblischen Hintergrund vgl. WARD, Harlots of the desert, 22–25 mit einer übersichtlichen Aufstellung; LAMIRANDE, Marie–Madeleine 1, 153–170; zu den unterschiedlichen Exegesemöglichkeiten siehe EBNER, Bilder von Maria Magdalena, 170–177. Zur patristischen Exegese vgl. LAMIRANDE, Marie–Madeleine 2, 265–283. Die wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Homilien sind GREGOR DER GROßE, homilia 25 in Joh (PL 76,1188–1196) und homilia 33 in Luc (PL 76, 1238–1246). Siehe hierzu etwa HONORIUS VON AUTUN, speculum ecclesiae (PL 172, 979). Zur Interpretation vgl. WARD, Harlots of the desert, 16.

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schen Explikation der Wendung von Lk 7,37, es handle sich bei Maria um eine „Frau aus der Stadt“. Die patristische und mittelalterliche Exegese wollte mittels des sensus allegoricus die neutestamentliche „Frau aus der Stadt“ in den größeren alttestamentlichen Horizont stellen und mit der „Sündenstadt Babylon“ verknüpfen, sowie die biblischen Gehalte insgesamt gemäß des sensus moralis für die Gegenwart aktualisieren: Wo von Maria Magdalena, der Prostituierten, die Rede ist, geht es um den Menschen, insofern er die translimitische Freiheit, die sich auf die Transzendenz hin öffnen sollte, auf Ersatzobjekte im Bannkreis der Sündenstadt Babylon heftet, und sich gegenüber Jahwe und Christus nicht als Braut, sondern als Dirne erweist.1 (4) Vom sensus allegoricus und moralis aus sind auch die weiteren Stationen der geistlichen Biographie Maria Magdalenas zu entziffern: Wie die sündige Maria Magdalena von Lk 7,37–38 soll jeder Mensch mit Tränen und in Bußgesinnung vor Jesu hintreten.2 Wenn Christus in Lk 8,2 aus Maria Magdalena sieben Dämonen austrieb, dann darf jeder Gläubige hoffen, dass auch er mit der Hilfe Christi die sieben Kapitallaster zu überwinden vermag. Danach darf der Bibelleser anhand der Maria–Martha–Perikope innewerden, dass auch er zur Kontemplation berufen ist – zum Exodus aus der Immanenz, zum Überstieg auf die Transzendenz und zur Flucht aus dem Sündenbabel.3 (5) Wenn Maria Magdalena schließlich auf Golgota den Kreuzesstamm umfängt, dann weist sie unmissverständlich darauf hin, dass der Gipfel des christlichen Glaubens die compassio mit dem Gekreuzigten ist. Diese compassio ist aber nur möglich, weil wir von der sündigen Maria Magdalena als Zeugin der Auferstehung (vgl. Joh 20,1ff) wissen, dass das Kreuz mehr als die Hinrichtung eines beliebigen latro war: der vermeintliche latro am Kreuz ist die Türe des ewigen Lebens.4 (6) Die letzte Etappe der nachpfingstlichen Biographie der Maria Magdalena ist wieder in hohen Maße legendarisch aufbereitet: Gemäß der ostkirchlichen Version zieht Maria Magdalena mit Johannes nach Ephesus, wo sie nach einem eremitischen Büßerleben stirbt und in der Siebenschläferhöhle beigesetzt wird. Ihre Reliquien transferiert man später in die Lazaruskirche von Konstantinopel. Gemäß der westlichen Legende reist Maria mit ihren Geschwistern Lazarus und Martha nach Marseille. In die Stadt Aix–en–Provence und in die Einsiedelei von Baume zieht Maria Magdalena dann alleine weiter. Maria Magdalenas translimitische Sehn1 2 3 4

WARD, Harlots of the desert, 14. Vgl. die Exegese bei ORIGENES, homilia in Luc fragm 60 (FC 4/2, 442–443) und AMBROSIUS, in Luc 6,14–16 (CSEL 32/4, 237–238). WARD, Harlots of the desert, 22–25. Zur Maria Magdalena als Osterzeugin vgl. die Exegese von REEMTS, Die Osterbotin, 181–183; zur Genderfrage dieser Stelle TASCHL–ERBER, Ich habe den Herrn gesehen, 103–131. Zur patristischen Exegese dieser Stelle insgesamt siehe DUPONT/DEPRIL, Marie–Madeleine et Jean 20,17, 159–182; zur augustinischen Exegese im Besonderen siehe LAWLESS, Infirmior sexus ... fortior affectus, 107–118.

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Ägypten, Palästina und Syrien sucht ist damit an ihr Ziel gekommen: Vorübergehend führte sie ihre Sehnsucht in die Prostitution, dann aber darüber hinaus vor das Antlitz Christi, und schließlich nach Frankreich in die translimitische Einsiedelei von Baume.1

Die geistliche Botschaft der skizzierten Maria–Magdalena–Figur erlangte in Kult, Dichtung und Ikonographie im Mittelalter eine unvergleichliche Breitenwirkung: Sie ist Patronin verschiedenster Orden, sie widmet sich den Laien. Ihr obliegt das Sonderpatronat für marginalisierte Frauen und Prostituierte, die Reuerin werden wollen, um dadurch von einer problematischen zu einer gesellschaftlich akzeptierten Transliminalität überzuwechseln.2 Die geistliche Bedeutung lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Die translimitische Freiheit des Menschen kann nicht nur latrologisch, sondern auch „buhlerisch“ entgleisen, das heißt, sich in Ersatzbefriedigungen verlieren (Maria Magdalena als Buhlerin). Gott in Jesus Christus hat den Menschen aber selbst dann geliebt, als der Mensch Gott nicht mehr lieben wollte, und so die Freiheit des Menschen aus ihrer buhlerischen Verdrehung befreit und im Heiligen Geist wieder auf das Letztziel hin dynamisiert (Maria Magdalena als Büßerin, Kontemplative, Osterzeugin und Eremitin). Diese Botschaft wurde nicht allein durch Maria–Magdalena–Homilien vermittelt, sondern von unzähligen mulier–luxuriosa–Erzählungen durch die Jahrhunderte weiter getragen – durch die Geschichten der Prostituierten Eudokia, Pansemma, Salome, Maria Aegyptiaca, Pelagia, Thais und Maria neptis Abrahae. Das narrative Grundgerüst derartiger mulier–luxuriosa–Erzählungen ist simpel: Im ersten Akt sündigt eine Frau (die in manchen Geschichten schon im Christentum, im monastischen oder eremitischen Leben ausgebildet ist) und rutscht in die Prostitution ab. Im zweiten Akt wird die Frau, nach einer gewissen Zeit der glänzenden Karriere als Prostituierte, von außen her mit ihrem sündigen Lebensstil konfrontiert und zur Umkehr aufgefordert – beispielsweise durch die Ermahnung eines Eremiten, nahen Verwandten, Bischofs, durch eine besondere Begebenheit oder ein inneres Erlebnis. Die Dirne bekehrt sich, tritt in den Eremitenstand ein und beobachtet ein strenges sowie vor den Augen der Welt verborgenes Büßerleben. Nach der endgültigen Versöhnung mit Gott stirbt die Eremitin oder erleidet das Martyrium.3 Die zahlreichen Beispiele solcher mulier–luxuriosa–Legenden können hier nicht in ihrer Gesamtheit untersucht werden. Insbesondere die Dirne Eudokia (die vom Mönch Germanus bekehrt wird), die Sünderin Pansemma (die der Einsiedler Theophanes 1 2

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Siehe hierzu DORN, Der sündige Heilige, 56 und WARD, Harlots of the desert, 17–21 mit weiteren Details. Für die Zisterzienser vgl. KÜSTERS, Affectus und Memoria, 127–140; für die Dominikaner siehe MONTAGNES, Marie–Madeleine et l'Ordre des Prêcheurs, 87–100. Für die volkssprachliche Breitenwirkung der Magdalenenfigur im 15. Jahrundert vgl. ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 11 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 23rb– 27rb). Zu den Reuerinnen siehe das Fazit am Ende dieses Abschnittes. Zu diesem narrativen Grundgerüst in den frühen Legenden bis hin zur 'Legenda Aurea' vgl. PINTO–MATHIEU, Trois vies de pécheresses, 89–109.

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umstimmt und ins eremitische Leben einführt) sowie Salome (die ihre Konversion dem Simeon verdankt) sollen hier – in erster Linie aus Zeit– und Platzgründen – ausgeklammert bleiben. Vier Buhlerinnen, die aufgrund ihrer breiten Rezeptionsgeschichte im Mittelalter prägend geworden sind1, müssen hingegen genauer untersucht werden. Bei genauerem Zusehen bringen nämlich die einzelnen Legenden innerhalb des gleichbleibenden Grundschemas unterschiedliche theologische Motive zum Klingen: (1) Als vermutlich prominenteste Buhlerin neben Maria Magdalena sei zuerst Maria Aegyptiaca vorgestellt; hier knapp ihre Lebensgeschichte:2 Maria nimmt im Alter von zwölf Jahren aus dem Elternhaus Reißaus und wird in der Kulturmetropole Alexandria Dirne. Der Legende ist es wichtig zu betonen, dass Maria nicht wegen einer finanziellen Notlage Hure wird, sondern „der Lust wegen“ diesen Weg einschlägt: Es handelt sich also um eine frei vollzogene Kehre der translimitischen Freiheit, die Maria zur mulier luxuriosa werden lässt.3 Durch Reisetruppen, die nach Jerusalem ziehen, ist Maria allerdings auf das Christentum aufmerksam geworden und will selbst eine Wallfahrt unternehmen. Jerusalem – genauer: der translimitische Ort der Grabeskirche mit der ausgestellten Kreuzesreliquie – wird für Maria dann der Ort geistlicher Erfahrungen und ihrer Bekehrung.4 Ihrer Berufung als Eremitin kommt sie in der Wüste östlich des Jordans nach – in auffälliger Parallele zum Wüstenaufenthalt des Elija. Die theologische Pointe der Maria– Aegyptiaca–Erzählung verbirgt sich hinter der Tatsache, dass Paulus Diaconus den eigentlichen Legenden–Kern in eine Rahmenhandlung eingebettet hat: Die Geschichte der Maria Aegyptiaca wird vom Eremiten Zosimas erzählt, der 47 Jahre in selbstgefälliger Askese zugebracht hatte. Erst im Spiegel der von ihm referierten Lebensgeschichte der Maria wird Zosimas seines eigenen falschen Stolzes gewahr: Alle Menschen stehen in der Versuchung, Jahwe gegenüber zur Buhlerin zu werden – gerade die, welche sich, wie er selbst, in Selbstgefälligkeit überheben.5 An 1

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Die Legenden von Maria Aegyptiaca, Thais und Maria neptis Abrahae sind nicht nur in der griechischen und lateinischen Kirche, sondern nach 1300 auch im slavischen Raum weit verbreitet; siehe hierzu PETROVA, Holy Harlots, 271–282. Wie SINCLAIR, The translation of the Vitas Patrum, Thais, 741–762 zeigt, stand für nicht lateinkundige Leser aus Templerkreisen eine anglo–normannische Version der mulier–luxuriosa–Episoden bereit. Siehe hierzu WARD, Harlots of the desert, 26–35; für den Text der Paulus–Diaconus–Fassung der Sopronius–Version 35–56. Den Kontext der Maria–Aegyptica–Erzählung, die Schwerpunkte der Versionen des Sophronius, der Paulus–Diaconus–Übersetzung sowie der späteren Versionen von Flodoard von Reims, Hilderbert von Lavardin und eines spanischen Anonymus untersucht PEPIN/FEISS, Saint Mary of Egypt, 1–52. Wir halten uns im Folgenden an den Text von PAULUS DIACONUS, vita Mariae aegyptiacae (PL 73, 671–690). Siehe PAULUS DIACONUS, vita Mariae aegyptiacae 13 (PL 73, 680) bzw. (Ward, 44–45). Vgl. PAULUS DIACONUS, vita Mariae aegyptiacae 14–17 (PL 173, 680–684) bzw. (Ward, 44– 48). Siehe vor allem den Zosimas–Rahmen in PAULUS DIACONUS, vita Mariae aegyptiacae, 1–6 und 27 (PL 173, 673–676 und 689–690) bzw. (Ward, 36–40 und 55–56).

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der demütigen Buhlerin Maria kann man indes lernen, dass die Gnade Gottes nur dem Demütigen die Möglichkeit zur Bekehrung und Versöhnung zuspielt.1 (2) Bei der Buhlerin Pelagia kommt zum ausschweifenden Lebensstil ein weiteres translimitisches Element hinzu, das in der christlichen Antike problematisch war – Pelagia arbeitet in ihrer Heimatstadt Antiochia als Schauspielerin.2 Hier wieder einige Details aus der Lebensgeschichte:3 Als die translimitische Pelagia, die sich nebenher als Dirne ein Zubrot verdient, eines Tages dem Bischof Nonnus begegnet, wird ihr Leben durch eine ganz besondere, wechselseitige „geistliche Liebe auf den ersten Blick“ umgeworfen: Der Bischof ist von Pelagias Schönheit so berührt, dass er sich sofort um sie und ihr Seelenheil bemüht. Pelagia wird ihrerseits von der Schönheit der Predigten des Nonnus so berührt, dass sie sich sogleich zum Katechumenen–Unterricht anmeldet und schon bald darauf das Sakrament der Taufe empfängt. Danach entscheidet sie sich für ein eremitisches Leben auf dem Ölberg in einem eigentümlichen transgender–Status: Sie kleidet sich als männlicher Eremit und wird von der Umwelt folglich als Pelagius wahrgenommen. Erst bei ihrem Tod tritt zu Tage, dass sich hinter dem vermeintlichen Abbas eine Amma verbirgt. Pelagia von Jerusalem wird begraben, vom Volk verehrt und ihre Lebensgeschichte durch legendarische Texte weitervermittelt. Zwei Aspekte der Narration sind besonders erwähnenswert: Der Text betont eigens die Schönheit der Pelagia, die den Bischof Nonnus so beeindruckte. Auf theologischer Ebene darf man daraus schlussfolgern: Selbst die schlimmste Sünde kann das Seelen–Inbild des Menschen nie völlig verunstalten; trotz Sünde bleiben wir in den Augen Gottes schön und liebenswert. Der eigentümliche transgender– Status der Pelagia lässt sich auf zwei Ebenen interpretieren: Einmal übersteigt das eremitisch–monastische Leben mit seinem translimitischen Zug tatsächlich kulturell generierte gender–Konstruktionen der Gesellschaft. Eremitisches Leben ereignet sich jenseits gender–typischer Kleiderordnungen, Körperpflege–Rituale (wie Schminke), Kommunikationsformen etc. Das anachoretische Transvestitentum, das seit der Patristik in Viten von Anachoretinnen wie Anachoreten bezeugt ist, dürfen wir daher im Sinne einer translimitischen gender–Entgrenzung entziffern. Andererseits weist der transgender–Status von Frauen wie Pelagia wohl doch auch darauf hin, wie schnell eine Wüstenmutter in eine assymetrische Genderdynamik geriet und sich kurzerhand in einen Wüstenvater verwandelte.4 Die Wirkungsge1 2 3

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Zur volkssprachlichen Breitenwirkung der Geschichte im 15. Jahrundert vgl. ELSÄSSISCHE LEWinterteil 156 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 354va–356ra). Siehe hierzu BAUMEISTER, Das Theater in der Sicht der Alten Kirche, 109–125. Für das Leben der Pelagia siehe EUSTOCHIUS, vita Pelagiae (PL 663–672); für eine Zusammenfassung vgl. auch DORN, Der sündige Heilige, 62–63. Der narrative Kern der Legende ist wohl aus JOHANNES CHRYSOSTOMUS, homilia 67 in Mt 21,12–32 (PG 58, 636–637) entnommen. Zum anachoretischen Transvestitentum vgl. ANSON, Female Transvestite, 1–32 und DELCOURT, Female Saints in Masculine Clothing, 84–102. Zum asymmetrischen Gender–Druck und zur „Vermännlichung“ von Anachoretinnen vgl. ASPEGREN, The Male Woman; FRANK, Asketinnen

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schichte der Pelagia–Gestalt im Mittelalter ist beeindruckend; sie ist in der Frömmigkeitstheologie diverser Frauen– wie Männerorden und auch in der laikalen Frömmigkeitstheologie präsent.1 (3) Die Konversionsgeschichte der Buhlerin Thais ist nach dem bewährten Muster komponiert, das uns schon bei Maria und Pelagia begegnete, aber wiederum mit einer eigenen Akzentsetzung: Thais ist eine der berühmtesten Dirnen der Gegend, und Gerüchte über sie verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Nach der Version der 'Vitas Patrum'2 verkleidet sich Abbas Paphnutius, den wir schon aus den latro– Geschichten kennen, mit weltlichen Kleidern, um sich der Dirne anzunähern und sie zur Umkehr zu ermahnen. Interessant ist die Schilderung, wie die Begegnung der beiden im Detail abläuft: Im Unterschied zu den anderen Legenden wird hier von Seiten des Abbas nicht geworben, diskutiert, analysiert und entschuldigt, sondern schlichtweg konfrontiert. Abbas Paphnutius hält der Thais in einer Art Schocktherapie ihre Sünde und die Konsequenzen ihres Handelns vor Augen. Dann schließt der Abbas die inzwischen reuige Sünderin in eine Zelle ein, rät ihr zu strengem Fasten und unterrichtet sie im Herzensgebet, damit sie in der Gegenwart Gottes verweilen kann. Die Verzeihung der Schuld durch Gott tritt nach drei Jahren eremitischen Lebens urplötzlich ein: Gnade und Vergebung kommen unerwartet und unverdient; sie lassen sich nicht durch ein eremitisch–asketisches Lehrprogramm herbei trainieren. Bei Thais sind die wirkungsgeschichtlichen Spuren beeindruckend: Die Legendenliteratur ist reich und umfasst griechische, syrische und lateinische Versionen – in denen allerdings eine deutliche Konfusion beim Bekehrer–Namen zu verbuchen ist: Er schwankt von Abbas Paphnutius über Sarapion Sidonius bis hin zu Abbas Bessarion. Die Beliebtheit der Legende erreichte im Mittelalter einen gewissen Höhepunkt; die Episode ist Bestandteil aller wichtigen Legendensammlungen.3 Inwieweit die archäologischen Reste einer Thais–Kultstätte der niederägyptischen Stadt Antinoe mit unserer Thais zu tun haben, wird in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert. (4) Auch die letzte Buhlerinnen–Legende einer weiteren Maria, nämlich der neptis Abrahae eremitae, weist vor dem Hintergrund der bewährten Erzählstruktur wie-

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in den Apophtegmata Patrum, 78 und Das Leben der Heiligen Synkletike – Einleitung, 11–12. Über eine dezente Fortsetzung dieses cross–dressing im Mittelalter informiert DÖRR, Das Institut der Inclusen, 61–62: Reklusinnen mit monastischer Einbindung tragen den Männer– und nicht den Frauen–Habit des Ordens, unter dessen Schutz sie stehen. Siehe hierzu KUNZE, Fahrt durchs Meer der Sünde, 228–232; zur volkssprachlichen Breitenwirkung vgl. aber auch einen Text wie die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 66 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 153va–154rb). Vgl. VITA THAIS (PL 73, 661–662) bzw. (Ward, 83–84); für eine Zusammenfassung der Geschichte vgl. auch DORN, Der sündige Heilige, 60–62. Siehe hierzu DORN, Der sündige Heilige, 61–62 Anm. 9–23. Für die volkssprachliche Breitenwirkung des Thaisbildes im 15. Jahrundert vgl. ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 68 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 155vb–157rb).

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Ägypten, Palästina und Syrien der etliche Besonderheiten auf. Hier ihre Geschichte1: Das schon in der Kindheit verwaiste Mädchen wächst bei ihrem Onkel Abbas Abraham auf und erfährt daher eine sorgfältige Schulung im eremitischen Leben. Dennoch verabsäumt die junge Frau, sich die einzig wichtige Lektion des eremitischen Lebens anzueignen – demütig–glaubende Hingabe an Gott und rückhaltloses Vertrauen in Seine Gnade.2 So strauchelt sie, als ein schlechter Mönch sie zu verführen sucht und ihre Selbstkontrolle zusammenbricht: Sie gibt sich ihm hin. Weil sie nicht an eine Vergebungsmöglichkeit ihrer Tat glauben kann, und sich zudem lieber in das rauschende Leben der nahegelegenen Stadt flüchtet als ihrem Onkel den Fehler einzugestehen, rutscht sie weiter ab und wird schließlich Dirne. Abbas Abraham spürt seine Nichte alsbald auf, verkleidet sich als Kunde, indem er die Kleidung eines römischen Soldaten anlegt, und überredet seine Nichte, wieder ins kellion zurückzukehren. Nach fünfzehnjähriger Bußzeit verstirbt Maria heiligmäßig. Auch hier verbirgt sich hinter der mit narrativem Geschick erzählten Geschichte, die im Mittelalter breit rezipiert und in alle Volkssprachen übersetzt wurde, eine geistliche Tiefendimension: Die Kennzeichnung Marias als Nichte – lateinisch neptis – ermöglicht eine interpretatorische Brücke zur alttestamentlichen Abrahams–Geschichte, in der Abraham seinen Neffen Lot aus der Sünde rettet. Dass sich Abbas Abraham „verkleidete“, als er seiner Nichte nachlief, lässt sich durch eine allegorische Interpretation mit dem Christusereignis verknüpfen: Auch Christus hat ja in der Inkarnation seine göttliche Natur mit der menschlichen Natur „verkleidet“, um dem Menschen nachzulaufen und ihn heimzuholen. Christen dürfen daher bisweilen nicht davor zurückschrecken, eine „Verkleidung“ anzulegen, um ihren Mitmenschen zu erreichen und für Christus zu gewinnen.3

Nachdem wir die Lebensgeschichte einiger Reuerinnen – der Maria Magdalena, Maria Aegyptiaca, Pelagia, Thais und Maria neptis Abrahae – kurz analysiert haben, müssen wir ein knappes Fazit ziehen: (1) Die translimitische Dynamik des Menschen kann sich nicht nur in aggressiven zelotischen Akten äußern, sondern auch einen subtilen, passiven, „buhlerischen“ Ausdruck finden. Spätantike und frühmittelalterliche Texte bringen diese passive Transliminalität innerhalb einer ganz spezifischen gender–Konstruktion zur Sprache: durch die Symbolfigur der mulier luxuriosa. (2) Zahlreiche Legenden berichten, wie mulieres luxuriosae in Sünde und Schuld fallen, dann aber durch einen Akt der Bekehrung von der problematischen Trans1 2

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Vgl. VITA MARIAE MERETRICIS (PL 73, 651–660) bzw. (Ward, 92–101). An diesem Punkt scheitert auch der namenlose Mönch, dessen Geschichte Johannes von Lykopolis überliefert. Sein Fall ereignet sich gender–symmetrisch: Eine Frau tritt in die Zelle, seine Selbstkontrolle bricht zusammen und er kehrt in die Welt zurück – vgl. hierzu WARD, Harlots of the desert, 6–7. Vgl. besonders die Exegese von BEDA VENERABILIS, commentarium in lib Gen 14; Hinweise dazu bei WARD, Harlots of the desert, 90–91.

Gender-Variante

153

liminalität einer Prostituierten zur sozial wertgeschätzten Transliminalität einer Reklusin überwechseln. (3) Diese Legenden weisen eine gewisse Multi–Funktionaliät auf: Einserseits ist die Erzählung einer anachoretischen Bekehrung der mulier luxuriosa ein geeignetes Modell, marginalisierten Frauen (zum Beispiel Prostituierten) innerhalb der christianitas eine neue Funktionsstelle zuzuweisen. Die Reuerinnen–Klöster der mittelalterlichen Städte unter dem Patronat der Heiligen Maria Magdalena – heute selbst bei Nicht–Medievisten bekannt – sind ein beredtes Beispiel dafür.1 Darüber hinaus eignet dem Modell der mulier–luxuriosa–Bekehrung eine gesamt– ekklesiologische Bedeutung – und richtet sich an Frauen und Männer, Kleriker und Laien.2 (4) Aufgrund der Inklusivität und Multifunktionaliät war dem Modell der mulier– luxuriosa–Bekehrung eine große Wirkungsgeschichte beschieden: Es ist Teil aller großen Legendensammlungen, es begegnet in der Bildenden Kunst und im Gesundheitswesen des mittelalterlichen Urbanismus, wie wir später genauer sehen werden.

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Siehe etwa AMMERICH, Die Reuerinnen in der Pfalz, 119–124. Zu den Reuerinnen und der dominikanischen cura monialium vgl. TUGWELL, Magdalen nuns, 39–77 und ARMGART, St. Maria Magdalena überm Hasenpfuhl, 21–53. Zur Rolle Maria Magdalenas in der häuslichen Frömmigkeit vgl. BERTRAND, Objets du culte domestique, 113–126. Zur ostkirchlichen Maria–Magdalena–Spiritualität siehe SYNEK, Die andere Maria, 181–196 und JENSEN, Maria von Magdala, 192–194. Zum Magdalenen–Bild von Augustinus vgl. REISEN, Resucitada como verdadera discípula de Señor, 295–299. Für Mirakelerzählungen vgl. SCLAFER, Le livre des miracles, 101–112.

4.5.

Rückblick: Anachoretischer Imperativ, Eremit und latro

Bei der Durchsicht des Alten und Neuen Testaments unter der Perspektive der Transliminalität konnte eine latrologische Ader im jüdisch–christlichen depositum fidei aufgespürt werden, die hier knapp nachgezeichnet sei: (1) Wichtige translimitisch–latrologische Theologumena und Figuren zeigten sich vor allem in der Exodus–Erzählung: in der Person des Mose, bei der sogenannten mosaischen Unterscheidung und im Rahmen einer reichen Wüstentheologie; sodann in der Gestalt der Propheten als translimitische Zeugen, bei Ijob, Judit und Esther, sowie in der latrologisierten Person des Gottesknechtes. Die translimitisch– latrologische Frage erfuhr im Neuen Testament nicht nur eine Fortsetzung, sondern im Christusereignis ihre endgültige Aufgipfelung. (2) Die christliche Theologie der Transliminalität kann man wie folgt zusammenfassen: Der Mensch ist als Wesen der Transzendenz zum Überstieg der Welt aufgerufen; nur wenn er von der Welt frei sein kann, vermag er auch für Gott, für sich und die Welt frei zu bleiben (translimitischer Imperativ). Die Freiheit des Menschen ist freilich keine absolute, sondern eine geschaffene, sich Gott verdankende Freiheit. Insofern ist der freie Wille des Menschen stets auf den im Gotteswort hinterlegten Willen Gottes verpflichtet. Diese Rückbindung ist aber keine Fessel der menschlichen Freiheit, sondern bildet die Bedingung ihrer Möglichkeit (mandativer Imperativ). Beide Imperative scheinen angesichts der Theodizeefrage in eine Sackgasse zu geraten. Allein durch das Christusereignis kann diese Frage offen gehalten und einer Antwort angenähert werden: Auch als der Mensch sich nicht mehr lieben lassen wollte, hat Gott nicht aufgehört, den Menschen zu lieben und ihm Seine endgültige Treue zu erwiesen. Am rettenden Christusereignis ist zugleich der kenotische Imperativ ablesbar, auf den die Jünger Christi qua Nachfolge verpflichtet sind: zu wollen, was Gott einen zu wollen will; radikale Nächstenliebe inklusive Feindesliebe; engagiertes Zeugnis für die Wahrheit und Gerechtigkeit, bei gleichzeitigem Verzicht auf deren eigenmächtige Exekution, durch Rückdelegation an das Gericht Gottes. (3) Schaut man im Lichte des translimitischen, mandativen und kenotischen Imperativs auf die Offenbarungstexte, so entdeckt man zahlreiche Gestalten, welche die latrologische Versuchbarkeit des Menschen vor Augen stellen: Adam und Eva rauben sich gierig, was sie als Gabe empfangen sollten; Kain frönt dem Neid und der Eifersucht und „beseitigt“ seinen Bruder; das Volk Israel und die Hure Rahab lassen sich vom nächst besten Gut gefangen nehmen statt sich auf Gott hin auszustrecken; die Zeloten glauben, das Endgericht Gottes exekutieren zu dürfen und

Rückblick

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dabei selbst zum Mord ermächtigt zu sein. Zu dieser latrologischen Versuchbarkeit des Menschen gehört nun auch der Zug, gerade die Zeugen des translimitischen, mandativen und kenotischen Imperativs als latro zu denunzieren und auszuschalten. Nur auf dem Hintergrund einer solchen Verhärtung des Menschen erhellt, wie es dazu kommen konnte, dass Jesus Christus, der das Volk zur Umkehr führen wollte, als latro hingerichtet wurde. Gott in Jesus Christus erscheint dadurch in einer unerhörten Ikone: sub contrario – ut latro. Das latrologische Erbe Christi aber ist auf die Christen übergegangen, wie sich zur Zeit der Christenverfolgung überdeutlich zeigte. (4) Im Horizont der Kontrasterfahrung zur römischen Kultur während der Christenverfolgung und des nachfolgenden Attraktivitätssogs, als das Christentum Staatsreligion wurde, kam es zu einer entscheidenden historischen Weichenstellung: Das im christlichen depositum fidei verankerte anachoretische Moment hat sich in eine explizit anachoretische Lebensform institutionalisiert und in eine eremitische und koinobitische Spielart ausdifferenziert. Diese Lebensform ist, wenngleich nicht unmittelbar göttlichen Rechts, vermöge einer unumkehrbaren heilsgeschichtlichen Entfaltung dem Christentum eingestiftet. Die theologische Funktion dieses Anachoretentums kann man wie folgt auf den Nenner bringen: (1) Zunächst muss auf die theonome Fundierung dieser Lebensform aufmerksam gemacht werden: Sie ist der unfunktionalisierbare Ausdruck dessen, dass Gott Gott und Christus Christus ist; sie wird in der persönlichen Berufung grundgelegt und angeeignet. (2) Der anachoretischen Lebensform eignet sodann eine anthropo–theologische Dimension: Durch ihre drei Grundprinzipien 'Trennung von der Welt', 'Schweigen und Einsamkeit' sowie 'Buße und Gebet' ist sie ein dreifaches Votum – für die Freiheit, die menschliche Personalität und den Primat der Gnade. (3) Der translimitischen Person des Anachoreten kommt darüber hinaus eine ekklesiologisch–soziale Funktion zu: Mit seiner stillen Predigt gegen Transzendenz– und Eschatologievergessenheit, der vita propephetica1 gemäß der drei evangelischen Räte und einer gewissen „latro–Aura“ überschreitet er die Welt und fordert die Gesellschaft heraus. Gerade weil er sein kontra–präsentisches Wissen auf eine für die Gesellschaft verständliche Weise kommuniziert – und sie nicht, wie der latro, ins Destruktiv–Traumatische wendet – weist er die Gesellschaft und Kirche auf translimitische Handlungsspielräume hin, welche die Gesellschaft noch nicht verwirklichen kann.2 Dadurch avanciert der Anachoret zur Vermittlungs– und Kom1

2

Eine Spitzenaussage zur vita prophetica findet sich etwa bei HIERONYMUS, epistula 125,7 (CSEL 56, 125): „Filii prophetarum – quos monachos in veteri legimus testamenti – aedificant sibi casulas“. In diesem Sinne bestimmt auch METZ, Zeit der Orden? die Funktion des monastischen und

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Ägypten, Palästina und Syrien

munkationsfigur: Er kann bei der Konversion und Resozialisierung von latrones und marginalisierten Außenseitern mitwirken. Er wird besonders zu Krisenzeiten aufgesucht und um Rat gefragt. Das Anachoretentum erweist sich zudem als ein besonderer Ort der gender–Kommunikation. (4) Abschließend kann man aus der anachoretischen Kontra–Position des Anachoreten eine gewisse kulturell–zivilisatorische Funktion ableiten. (a) Die Geschichte des Eremiten– und Mönchtums lässt sich als eine Geschichte der Besiedelung der terra incognita der Wüste beschreiben: Wenn Wüstenväter und –mütter sowie Mönche ihre kellia und koinobia gründen, so urbanisieren sie die Wüste. Anachoreten wagen sich in das feindliche Territorium der Dämonen, sie zähmen wilde Tiere und überwinden latrones sowie Fremdvölker. Sie besiedeln translimitische Territorien, fungieren als Bauleute, errichten kellia, koinobia, Türme, Mauern, Kirchen, Bäckereien und Hospitäler. Das anachoretische Leben beinhaltet also einen wichtigen missionstheologisch– zivilisatorischen Aspekt. b) Das Anachoretentum kann auch als Besiedelung der psychologisch–geistlichen terra incognita gefasst werden: Bis zum Jahre 1200 sind Eremiten und Mönche Hauptträger der christlichen Spiritualität und Mystik. In ihren Schriften besiedeln sie gleichsam die Wüste des Unbewussten und entwickeln eine Psychologie ante litteram, in der sie offen legen, welche Fehlhaltung die Entfaltung menschlicher Freiheit blockiert und wie diese aufgelöst wird. Untersucht man die Inkulturation des anachoretischen Lebens im frühen Mittelalter mit geschärftem Auge, so kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, beim Anachorten– Bild rücke immer mehr die Kompatibilität zu Ungunsten der Kontra–Position, Translimitik oder latro–Aura in den Vordergrund. Eine solche Neutralisierungstendenz lässt sich schon in der Struktur der klassischen Viten aufspüren: Im ersten Teil der Viten finden sich meistens zahlreiche Natur– und Rettungswunder. Der Anachoret wird vor dem Verdursten gerettet, er schlägt Dämonen in die Flucht, zähmt Tiere und bekehrt latrones. Nach Abschluss seiner wundersamen Wüsteninitiation ist der Eremit mit geistlichen Waffen ausgestattet; er kann durch Exorzismus, Gebet, Sakramentalien und vermöge seiner puritas cordis das Böse bannen. Im zweiten Teil der Vita kommt es zu einer gewissen Aneignung des Eremiten. In Visionen erwirkt er Weisheit für die christianitas; mittels Heilungswundern unterstützt er ihren Heilsdienst. Zu guter Letzt wird der Anachoret zum Allgemeinbesitz – als Gründungsvater von Bischofssitzen, Klöstern und Kirchen.1 Mit diesem Blitzlicht ist nun schon die nächste Etappe dieser Studie

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mendikantischen Lebens. Einen nicht unähnlichen Akzent arbeitet DORN, Der sündige Heilige, 149–151 für die Sündenheiligen–Legenden (unter ihnen die Dismas–Geschichte und die diversen mulier–luxuriosa–Legenden) heraus: Sie hätten die Funktion einer kollektiven Erbauung im Sinne einer „Weiteroffenbarung der Gnade Gottes in der ecclesia“; es gehe um den „rechten usus der Zeit“ und eine „Anleitung zur imitatio“. Vgl. BINN, Ascetics and Ambassadors, 218–244.

Rückblick

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angedeutet: von der Integration bis Inbesitznahme des Anachoreten in der monastischen Kultur der Lateinischen Kirche, bis hin zur kontra–präsentischen Wiedererinnerung latrologischer Theologumena und Räubergeschichten im eremitischen Frühling des 11. und 12. Jahrhunderts.

5. Das latro–eremita–Motiv in der lateinischen Kirche

5.1.

Anachoretisches Leben im Westen

Die erste Blüte des anachoretischen Lebens entfaltete sich in Ägypten und Palästina. Erstaunlich früh hat sich aber auch in der lateinischen Kirche eine anachoretische Lebensform herausgebildet, die weit mehr als eine Kopie des Ostens darstellt. Zur spezifischen vita anachoretica des Westens kam es, als ab der Mitte des 4. Jahrhunderts Personen, Konzepte, Ideale, Erzählungen und Schriften des östlichen Anachoretentums auf vielfältigen Kommunikationskanälen in den Westen gelangten und auf einheimische Strukturen trafen. Wenngleich hier nicht die Entwicklung in ihrer ganzen Breite referiert werden kann und muss, so sei hier der Versuch unternommen, die wesentlichen Aspekte durch eine topographische Skizze einzufangen: (1) In Nordafrika gibt es Spuren des anachoretischen Lebens, gleichwohl hier das Koinobitentum an erster Stelle steht.1 So ist etwa Augustinus von Hippo durchaus von der Notwendigkeit eines Rückzugs (anachoresis) und Lebens in Einsamkeit überzeugt, aber die eigentliche vita eremitica seu solitaria bleibt dem antiken Kirchenvater fremd. In Hippo richtet Augustinus ein Kloster ein, wo er mit Klerikern unter einer klaren Regel (Armut, Keuschheit und maßvolle Askese) unter der Norm der vita apostolica zusammen lebt.2 (2) Für Gallien ist indes eine überreiche Vielfalt sowohl an koinobitischen wie eremitischen Formen und Impulsen zu verbuchen:3 1

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Zu Nordafrika insgesamt siehe BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 402–403; BESSE, Les moines de l'Afrique romaine; DESTAL, Cenobitismo (168) 357–405 und (171) 161–195; FOLLIET, Origines de l'ascétisme, 25–44 und GAVIGAN, De vita monastica. Vgl. hierzu knapp BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 403–406 (389 für weitere Literatur). Den größeren Kontext besprechen VERHEIJEN, La règle de s. Augustin und ZUMKELLER, Das Mönchtum des heiligen Augustinus. Siehe dazu PRINZ, Frühes Mönchtum; COURTOIS, L'évolution, 47–72 und GRIFFE, Moines et

Anachoretisches Leben (a)

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Ein von Martin von Tours um 360 angestoßenes martinisches Mönchtum, bei dem semi–eremitische Mönche in Lauren zusammenleben, hat sich in Westgallien im Umkreis von Portier und Tours an den Orten Ligugé und Marmoutier entfaltet – dazu später mehr.1 Ein anderer berühmter Ort des anachoretischen Lebens in Südgallien ist der in der ersten Dekade des 5. Jahrhunderts von Honoratus gegründete eremus von Lérins.2 Dabei hatte die Insel vor Cannes durchaus einen „räuberischen Charakter“ aufzuweisen. Die frühen Texte betonen, wie unwirtlich und translimitisch die Insel ist: felsiges Terrain, von undurchdringlicher Makia überzogen und von unzähligen Giftschlangen bevölkert.3 Durch die Arbeit der monachi verwandelt sich Lérins freilich bald zu einem ganz anderen translimitischen Ort: zu einem Paradies, das der Lériner Eucherius von Lyon in seinem Werk 'De laude eremi' überschwänglich besingt.4 Der anachoretische Lebensstil von Lérins hat sich im Laufe der Geschichte beträchtlich verändert: In den Anfängen bewohnten die Mönche einfache Einzelhäuschen und bildeten einen Laurenverband; später nahmen koinobitische Tendenzen überhand und schalteten die eremitischen Akzente der Frühzeit zunehmend aus. Die geistliche Ausstrahlung von Lérins war enorm: Es beeinflusste das Rhônemönchtum und die Jura–Klöster.5 Darüber hinaus belieferte Lérins die Diözesen Südgalliens bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts mit so fähigen Bischöfen wie Hilarius und Caesarius von Arles, oder Eucherius von Lyon. Eine weitere Pflanzstätte eremitischen Lebens im Westen erblicken wir im koinobion von St. Viktor in Marseille. Nach einer zwanzigjährigen Orientreise, bei welcher Johannes Cassian das Eremiten– und Mönchtum Ägyptens, Palästinas und Kleinasiens aus eigener Anschauung kennenlernte, ließ sich der berühmte Autor grundlegender Werke zum eremitisch–monastischen Leben im Jahre 415 in Marseille nieder. Cassian pflegte zwar selbst einen eher koinobitischen Lebensstil, aber in den Werken 'Conlationes' und 'Institutiones' hatte er die Grundlagen der anachoretischen Theologie gleichsam sicher abgespeichert. Auch wenn bis zum Ende des Jahrtausends die Zahl der Eremiten in Gallien eher rückläufig war und vom koinobitischen Trend auf Dau-

monastères, 299–352. Knapper Überblick bei BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 396–397. Zum Lériner Eremiten– und Mönchtum vgl. BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 398–399; BRUNERT, Ideal der Wüstenaskese, 176–217; LECLERCQ, Lérins, 2596–2527; CRISTIANI, Lérins et ses fondateurs. Für die Schlangen von Lérins siehe BRUNERT, Ideal der Wüstenaskese, 200–203. Siehe EUCHERIUS VON LÉRINS‚ De laude eremi (CSEL 31, 179–194). Für die Tochtergründungen und den Einfluss auf das Rhônemönchtum und das Jura–Mönchtum siehe PRINZ, Frühes Mönchtum, 47–112 und BRUNERT, Ideal der Wüstenaskese, 217–220.

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Lateinische Kirche

er überflügelt wurde, so lag hier doch eine Inspirationsquelle bereit, aus der man über Jahrhunderte hinweg immer wieder neu schöpfen konnte.1 (3) In Zusammenhang mit dem Anachoretentum Galliens steht auch die Entwicklung in Irland: Patrick lebte fünfzehn Jahre bei Bischof Germanus von Auxerre und war selbst im Geiste von Lérins geschult. Immer deutlicher erschloss sich ihm seine eigene Berufung, nach dem Zusammenbruch der römischen Kultur und der Invasion von Sachsen, Angeln und Jüten in Irland mitzuhelfen, eine christliche Kultur aufzurichten.2 Das monastische Leben, das in Clan–Klöstern stattfand, hatte eine starke Affinität zur eremitischen Lebensform: Immer wieder zogen sich einzelne Mönche auf den zahlreichen unbewohnten Inseln des Westens und Nordens zurück, oder sie nahmen anlässlich einer translimitischen peregrinatio pro Christo die Heimatlosigkeit auf sich, zogen in ferne Gegenden und missionierten dort.3 (4) Einen Brückenbauer zwischen dem Osten, Trier und Rom erblicken wir in der Person des Athanasius von Alexandrien, der viele Jahre seines Lebens im westlichen Exil zubringen musste. Die unterschiedlichsten Interessenten am eremitischen Leben – etwa die virgines et viduae von Rom – nutzten die Gelegenheit, von Athanasius Informationen aus erster Hand über das Anachoretentum des Ostens zu bekommen. Darüber hinaus stellte seine 'Vita Antonii' ein bleibendes Vermächtnis dar, aus dem die Autoren der Monastik, Eremitik und Hagiographie der kommenden Jahrhunderte schöpfen konnten.4 (5) Eine überaus bedeutende eremitisch–monastische Landschaft bildet Italien, wie JENAL unter dem Stichwort 'Italia ascetica' ins Bewusstsein gerufen hat. Neben einigen Einzelpersonen sind die Hauptträger der anachoretischen Bewegung Klerikergemeinschaften, die sich ab dem letzten Drittel des 4. Jahrhunderts um Kathedral–, Basilikal– und Coemeterial–Kirchen scharen; hier nur zwei Beispiele: (a) In Vercelli sammelt sich ab 365 ein Kreis asketisch–eremitisch interessierter Kleriker um den Bischof Eusebius, der in den Jahren 355–365 in Kappadokien und Ägypten Eremiten besucht hatte und mit Evagrius von Antiochien, dem Übersetzer der 'Vita Antonii' ins Lateinische, befreundet war.5 1

2 3

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Vgl. die beiden Grundwerke JOHANNES CASSIAN, conlationes (SCh 42; 54; 64) und institutiones (SCh 109). Zu deren „ägyptischen Lokalkolorit“ vgl. BAUMEISTER, Schrifttum des Johannes Cassianus, 433–446; zum kassianischen Anachoretentum insgesamt vgl. das Portrait von BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 399–401 (Literatur 389); für den größeren Hintergrund auch CRISTIANI, Jean Cassien; WEBER, Die Stellung des Johannes Cassianus und CHADWICK, John Cassian. Zum hl. Patrick vgl. BURY, The Life of St. Patrick. Siehe hierzu EWIG, Die Missionsarbeit der lateinischen Kirche, 95–101, und zum größeren Horizont CAMPENHAUSEN, Asketische Heimatlosigkeit. Zur peregrinatio des Kolumban vgl. die VITA COLUMBANI ABBATIS (MGH SS rer Germ 37, 114–224). Siehe BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 390; STEIDLE, Homo Dei Antonius, 148–200 und ATHANASIUS, Vita Antonii (PG 26, 835–976). Siehe BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 393–394; JENAL, Italia ascetica 1, 12–15.

Anachoretisches Leben (b)

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Kurzlebig aber wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist Aquileia1: Im Jahre 370 bildete sich um Chromantius von Aquileia ein Kreis, zu dem so illustre Namen wie Hieronymus und Rufinus (sowie Bonosus und Heliodorus, zwei Landsmänner von Hieronymus) gehörten. Auch wenn sich die Gemeinschaft schon ab 374 zerstreute, so liegt die Bedeutsamkeit der beiden Köpfe Hieronymus und Rufinus auf der Hand. Dem „Kirchenvater des lateinischen Mönch– und Eremitentums“ verdanken wir wichtige Briefe sowie die 'Paulus–, Hilarion– und Malchus–Vita'.2 Rufinus hat die 'Historia monachorum in Aegypto' übersetzt und damit einen immensen Einfluss auf die Entwicklung der anachoretischen Theologie im lateinischen Westen genommen. Der anachoretische Aufschwung im lateinischen Westen war indes kein Männerphänomen, wie ein Blick auf die Verhältnisse in Rom zeigt:3 Die Gruppe der virgines et viduae sacrae existierte bereits seit der Mitte des 2. Jahrhunderts und darf daher als eine der frühesten anachoretischen Lebensformen des Westens gelten. Prominente Jungfrauen aus der römischen Aristokratie sind uns aus dem 4. Jahrhundert bezeugt: Marcella fungiert als amma eines Kreises, zu dem Paula mit den beiden Töchtern Eustochium und Bläsilla, die Jungfrauen Asella und Principia sowie die Witwen Furia und Fabiola gehören. Die virgines beschränken sich nicht auf Rom, sondern operieren global. Paula gründet in Bethlehem ein Kloster und ein Hospiz, die nach ihrem Tod von ihrer Tochter Eustochium übernommen werden. Alle Frauen sind mit Hieronymus befreundet.4 Die wichtigste virgo–Gestalt bleibt indes Melania die Ältere. Die römische Witwe edler Abstammung reist 372 in den Orient – in die Nitria, und dann in die Städte Alexandria, Caesarea und Jerusalem, wo sie sich 375 niederlässt. Mit Rufinus gründet sie das berühmte Doppelkloster am Ölberg und kehrt im Jahre 399 nach Italien zurück.5 Ähnlich wie in Gallien und Irland gibt es auch im italienischen Bereich ein insulares Einsiedlertum: Von 358–360 lebte der Hl. Martin auf der Insel Gallinaria im Golf von Genua eremitisch.6 Seit dem Ende des 4. und im Laufe

Für die Gemeinschaft von Aquileia vgl. JENAL, Italia ascetica 1, 25–28. Zum anachoretischen Ideal Hieronymus' siehe ANTIN, Le monachisme selon St. Jerôme, hier vor allem 71–105. Zu den Eremiten–Viten vgl. die Übersicht von COLEIRO, Jerome's Lives, 161–178 und WEINGARTEN, The Saint's Saints. Für ein Portrait dieser weiblichen Askese siehe JENAL, Italia ascetica 1, 28–64 und BROWN, Die Keuschheit der Engel, 287–295. Vgl. BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 391–393; zur Palästina–Verbindung 373–375. Einen Lebensabriss bietet MURPHY, Melania the Elder, 59–77; die hagiographische Quelle ist VITA MELANIAE (SCh 90, 7–62). Siehe hierzu SULPICIUS SEVERUS, vita Martini 6,5 (SCh 133, 266): „Cedendum itaque tempori ratus ad insulam, cui Gallinara nomen est, secessit comite quodam presbytero, magnarum virtutum viro“; vgl. dazu FONTAINE, Commentaire, 600–601 und BRUNERT, Ideal der Wüstenaskese, 145–151.

Lateinische Kirche

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des 5. Jahrhunderts bildeten sich auf weiteren Inseln im Ligurischen, Tyrrenischen und Adriatischen Meer Eremitenkolonien aus – etwa Capraria und Gorgona, wie wir aus der Kritik des heidnischen Autors Rutilius Claudius Namantius schließen dürfen.1 Auch auf dem Festland bestanden zahlreiche anachoretische Gründungen: In Kalabrien startete Cassiodor auf seinem Landgut in der Nähe von Squillace ein Klosterprojekt, das sowohl eine koinobitische wie eremitische Gemeinschaft umfasste, allerdings nach dem Tod Cassiodors im Jahre 580 rasch erlosch.2 Des Weiteren sind die 'Dialogi' von Gregor dem Großen eine Fundgrube anachoretischer und eremitischer Aufbrüche: Laut seinem Zeugnis zog etwa der syrische Mönch Isaak nach Italien, um in der Nähe von Spoleto am 'Monte Luco' einen eremus zu gründen, um den herum es dann zu einer regelrechten eremitischen Blüte kam – was der Gegend den Namen „Thebais Italiens“ einbrachte.3 Der Heilige Benedikt, einer der wichtigsten Gründungsväter des westlichen Koinobitentums, beginnt sein anachoretisches Leben eremitisch: Er lebt für drei Jahre als Einsiedler in einer Grotte in Subiaco; in der Nähe existierten zwölf laurenartige monasteria.4

Mit dem Namen Benedikt von Nursia ist eine wichtige Weichenstellung des westlichen Eremitismus bis zum 11. Jahrhundert angesprochen: Die 'Regula Benedicti' war so erfolgreich, dass sie in kürzester Zeit eine Vielzahl von älteren koinobitischen Regeln verdrängte und schließlich auch das Eremitentum in ihren Sog geriet. Das eremitische Leben wurde seit dem 9. Jahrhundert sukzessive in die benediktinische Lebensform eingeordnet, woraus sich die Praxis ergab, dass ein Anwärter der Anachorese zunächst eine koinobitische Grundausbildung erhielt, um dann erst in einen eremus, der zum koinobion gehörte, einzuziehen. Der Anachoret blieb dabei Mitglied des Konvents und wurde lediglich von den Pflichten des Gemeinschaftslebens dispensiert. Durch die Integration des anachoretischen Lebens in den monastischen Kontext ergab sich eine wichtige Akzentverlagerung: Der Anachoret lebte nicht in einer „Wüste“ sondern in einem zum koinobion gehörenden kellion. Das Motiv des Eingeschlossen–Seins in der Zelle rückte in einer solchen Lebensform deutlich in den Vordergrund, das Motiv der Einsamkeit in der Wüste dagegen in den Hintergrund. Das Institut des Inklusentums begann seinen Siegeszug in der lateinischen Kirche, freilich ohne das Einsiedlertum jenseits von Monasterien und Städten gänzlich zu verdrängen oder zu ersetzen.5 1 2 3

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Siehe BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 393. Vgl. JENAL, Italia ascetica 1, 162–178. Siehe GREGOR DER GROßE, dialogi 3,14,1 (SCh 260, 302). Für Details zum Monte Luco vgl. LOBRICHON, Érémitisme et solitude und PANI–ERMINI, All’origine degli insediamenti eremitici e monastici, 149–169. Siehe GREGOR DER GROßE, dialogi 2,1,4 (SC 260, 132). Siehe ROUILLARD, Reclusione, 1233; LECLERCQ, Statut, 386 und 394; L’éremitisme en occident,

Anachoretisches Leben

163

Der Aufschwung der Benediktsregel verdankte sich mehrerer Impulse: der Missionspolitik Gregors des Großen; der Synode von Frankfurt im Jahre 794, welche die Benediktsregel zur einzig gültigen monastischen Regel des Reiches erklärte1; und schließlich den Anstrengungen Ludwigs des Frommen und Benedikts von Aniane. Dass die benediktinische Einbettung des Eremitismus keine Schmälerung eremitischer Ideale bedeuten musste, zeigt die am Ende des 9. Jahrhunderts vom Metzer Kleriker Grimlaicus verfasste erste Reklusen–Regel, die sich an Reklusen mit Klosteranbindung wandte.2 Wie beliebt diese Klosteranbindung war – sie bot Schutz vor Übergriffen und gewährleistete einen gesicherten Lebensunterhalt – lässt sich in den Heiligenviten des 9. und 10. Jahrhunderts nachlesen, etwa bei den im Klosterschutz lebenden EremitInnen Findan, Dunstan, Wiborada, Liutbirga, Herluka, Dietmut, Hiltrud, Jutta und Wilbirgis.3 Ein Klosteranschluss konnte andererseits auch einen gravierenden Nachteil mit sich bringen: In der Krisenzeit der Völkerwanderungen, bei Wikingerzügen und Ungarneinfällen kam es zu latrologischen Übergriffen, denen Klöster hilflos ausgeliefert waren, während freie Eremiten oft ungeschoren davon kamen: In strikter Armut und in abgelegenen Gegenden lebend waren sie für latrones weit weniger eine lohnende Beute als die reichen Koinobien. Im Gegensatz zu Klösterverbänden mit umfangreichen Bauwerken und Grundbesitz konnten Eremiten leicht ausweichen und sich anderen Orts wieder einwurzeln. Das erklärt, warum in zahlreichen Viten ein Grundmuster wiederkehrt: der Eremit, der als Gründungsgestalt eines Bischofssitzes in Erscheinung tritt4, oder die Einsiedelei, welche die Kernzelle eines später berühmten Klosters bildet.5 Die wichtigsten latro–Zusammenstöße von Eremiten des fränkischen Raumes müssen wir nun genauer in Augenschein nehmen.

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31–33; für cluniazensische Inklusenzellen Pierre le Vénérable et l'érémitisme clunisien, 100– 112. Zellen innerhalb des Benediktinertums erwähnen DOYÈRE, L'érémitisme, 964 und HOFMEISTER, Eremiten in Deutschland, 1192–1193. Eine umfassende Bestandsaufnahme für Süddeutschland bietet DÖRR, Das Institut der Inclusen, 1–4 für die Grundlegung der Lebensform, 25–29 für die Geschichte der monastischen Integration; 29–30 für die Unterscheidung von Inklusen mit strikt monastischem Hintergrund und Inklusen mit laikalen Aspekten. Auch die Kleidung spiegelt die „monastische Integration“ wider: Männliche und weibliche Reklusen tragen den Männer–Habit des Ordens, unter dessen Schutz sie leben; siehe hierzu 61–62. Vgl. FRANK, Geschichte des christlichen Mönchtums, 52–54. Zum Text: GRIMLAICUS, regula solitariorum (PL 103, 575–664). Weitere Hinweise zu Autor und Werk bieten CHARTIER, Regula Solitariorum, 1598–1600; DOYÈRE, Érémitisme, 959–960 und GRÉGOIRE, Grimlaic, 1042–1043. Zum Klosterschutz vgl. ROUILLARD, Reclusione, 1233. Zu Details jeweiliger Lebensverläufe vgl. beispielsweise die in Wendhausen bei Thale beheimatete Liutbirga gemäß der VITA LIUTBIRGAE (MGH SS 4, 158–164), oder den ans Kloster Rheinau angeschlossenen Einsiedler Findan gemäß der VITA FINDANI (AS OSB 4/1). Vgl. DOYÈRE, Érémitisme, 954 und SAINSAULIEU, Ermites, 773; COATES, Bishop as Pastor and Solitary, 601–619. Siehe dazu LOBRICHON, Érémitisme, 954.

5.2.

Fränkische Latrologie: Martin, Genebaldus, Leonhard, Landelinus

Den Ausgangspunkt einer fränkischen Latrologie muss zweifellos Martin von Tours bilden, eine hagiographische Gestalt, die man gleichsam als den „Heiligen Nikolaus der lateinischen Kirche“1 bezeichnen könnte. Der 316/17 in Sabaria (dem heutigen Szombathely) geborene Knabe wird in Pavia erzogen und tritt, auf massiven Druck des Vaters, schon als 15jähriger ins römische Reiterheer in Gallien ein. Wie die Namenswahl Martinus, vom Kriegsgott Mars abgeleitet, erhellt, schwebt dem Vater für seinen Sohn eine Karriere im Militär vor. Dass sich Martinus allerdings für eine ganz andere Art von Transliminalität interessiert, wird spätestens klar, als der Jugendliche im Alter von 18 Jahren von Hilarius von Portier die Taufe empfängt. Den eigentlichen Umschwung vom militärisch–translimitischen Dienst zur christlich–translimitischen Sendung vollzieht Martin 356 mit einer Kriegsdienstverweigerung, die er im Satz „Ich bin Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen“ zum Ausdruck bringt.2 Die für diese Studie relevanten Aspekte seines Lebens lassen sich in drei translimitischen Szenen einfangen: (1) Die wohl berühmteste Szene der Martinsvita ist die sogenannte Mantel–spende von Amiens: Martin durchquert als Ritter zu Pferde das Stadttor von Amiens und sieht einen nackten Bettler. Spontan teilt er seinen stoffreichen Umhang in zwei Hälften und bekleidet mit der einen den Mann. Kurz darauf enthüllt sich in einer Christusvision die tiefere Bedeutung des Geschehens: Martinus hat die neutestamentlich bezeugte Zuwendung Jesu zu Außenseitern der Gesellschaft nachgeahmt und dadurch – indem er ein Werk an einem armen Bruder tat – zugleich ein Werk am armen Christus vollzogen.3 (2) Die zweite translimitische Szene, die ganz nach dem klassischen Schema einer latro–Konversion gestaltet ist, spielt sich auf einer Missionsreise ab: Martin, der inzwischen zu Hilarius von Portier gezogen war und zum Exorzisten geweiht wurde, entschließt sich zur Rückkehr nach Pannonien, um Mutter, Verwandte und Landsleute zu bekehren. Auf dem Weg dorthin durchquert er die Alpen, kommt 1

2

3

Zur Parallele Martin–Nikolaus vgl. BREUER, St. Martin und St. Nikolaus, 187–212. Zu den grundlegenden Daten der Biographie Martins siehe FONTAINE, Saint Martin de Tours, 687–694 und GOOSEN, Martin von Tours, 87–99. Zu den Viten aus der Feder von Paulinus, Fortunatus sowie Sulpicius Severus vgl. CHASE, The metrical lives and the prose life, 51–76. Zur Kriegsdienstverweigerung vgl. SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini 4,3 (SCh 133, 260); zu seiner Soldatenrolle vgl. KUHN, Beurteilung als Soldat, 185–190 und BARNES, The military career, 25–32. Siehe SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini 3 (SCh 133, 256–258). Zur Wirkungsgeschichte der Kleiderspende innerhalb der Hagiographie vgl. auch HELAS, Clothing of poverty and sanctity, 245–287.

Fränkische Latrologie

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vom Weg ab und fällt in die Hände von Räubern. Martin wird entblößt, gebunden und ausgeliefert – eine unmissverständliche imitatio passionis, wie das passiologische Vokabular zeigt. Einer der Räuber nimmt ihn allerdings dezent zur Seite und befragt ihn zu seinem Leben. Martin bekennt seinen christlichen Glauben. Auf Nachfrage bezüglich seiner Gemütsverfassung versichert Martin, er habe wegen seiner Person keine Angst, denn er sei sich der Barmherzigkeit Gottes in derartigen Versuchungen gewiss, wohingegen er sich durchaus Sorgen mache, inwiefern ein latro der Barmherzigkeit Gottes würdig sein könne. Im Folgenden entspinnt sich eine katechetische Unterredung über die Frohbotschaft (disputatio evangelica), bei der Martin dem latro das Wort Gottes mit Erfolg verkündet (verbum Dei praedicare): Der Räuber bekehrt sich zum Christentum, bringt Martinus auf seinen Reiseweg zurück und führt anschließend ein Leben des Glaubens und der Gotteshingabe (vita religiosa).1 (3) In der dritten Szene erreicht Martin seinen translimitischen Bestimmungsort in mehreren Anläufen: Von Pannonien aus gelangt Martin zuerst nach Mailand und zieht sich dort im Jahre 358 in eine eremitische Zelle zurück. Schon bald darauf wird er freilich vom arianischem Bischof Auxentius vertrieben und muss ausweichen – auf die im Golf von Genua vor der Stadt Albenga gelegenen Insel Gallinaria. Nach zweijähriger eremitischer Einkehr auf Gallinaria reist er im Jahre 360 zu Hilarius nach Portier weiter und gründet 361 unweit von Portier eine Einsiedelei in Ligugé, um die herum sich schon bald eine Laura mit zahlreichen Schülern formiert.2 Als Martin 371/72 zum Bischof von Tours geweiht wird, ändert sich an seiner eremitischen Orientierung nur wenig, denn auch als Bischof lebt er in einer an die Kirche angebauten Zelle.3 Als ihm der Zulauf zu seiner Zelle allmählich zu viel wird, flieht er nach Marmoutier, einer direkt an der Loire gelegenen Einöde unweit von Tours. In diesem eremus von Marmoutier entwickelt sich unter der Leitung von Martin eine achtzigköpfige Eremitenkolonie – mehr laura als koinobion.4 Verstorben ist Martin im Jahre 397 auf einer Missionsreise.5 Das gerade skizzierte Leben des Martin von Tours lässt sich wie folgt zusammenfassen: Mit Martin ist im Westen ein Asket aufgetreten, der den Wüstenvätern Ägyptens nicht nachsteht. Martin, der vir Dei, welcher seine heilige virtus in zahlreichen Wundern aktuiert 1 2 3 4

5

Siehe SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini 5,4–6 (SCh 133, 262–265). Siehe Siehe SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini 6–7 (SCh 133, 264–269) und vgl. hierzu MON– SABERT, Le monastère de Ligugé und CHAMARD, Saint Martin et son monastère de Ligugé. Zur Bischofs–Kreierung siehe SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini 9 (SCh 133, 270–272); zum Amtsverständnis Martins vgl. MÜLLER, Der untypische Bischof, 141–165. Der Name Marmoutier ist von „maius monasterium“ abgeleitet. Zur mittelalterlichen Geschichte des Klosters vgl. MARTÈNE, Histoire de l abbaye de Marmoutier 1. Zu den frühen gallischen Klostergründungen insgesamt vgl. PERCIVAL, Villas and monasteries, 1–21. Zum eremitischen Aspekt Marmoutiers vgl. OURY, Les Sept Dormants de Marmoutier, 315–327. Siehe SULPICIUS SEVERUS, Vita Martini ep 3 (SCh 133, 334–344) und ANTIN, La mort de Saint Martin, 108–120.

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Lateinische Kirche und für sein Umfeld fruchtbar werden lässt, ist einer der ersten Heiligen, der kein blutiger Martyrer, sondern ein eremitischer Zeuge der Transzendenz gewesen war.1 Unter seinen Nachfolgern wird das Erbe des Heiligen gesichert: An seinem Grab errichtet man ein fränkisches Pilgerzentrum. Ab dem 6. Jahrhundert strahlen Person und Lebensgeschichte nach Rom, Montecassino (Benedikt) und Ravenna, ja sogar nach Spanien und Portugal aus. Chlodwig I. erklärt ihn zum Schutzherrn des fränkischen Königshauses und Volkes. Seit 679 ist die cappa, der Mantel, fränkische Reichsreliquie, die unter Pippin dem Mittleren in die Obhut der Karolinger gelangt. Unter den Karolingern wird Martin zum „europäischen Heiligen“, der im translimitischen Brauchtum unterschiedlicher Regionen bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben ist.2

Martin fungierte im Mittelalter freilich nicht nur als Idealbild der Heiligkeit: Humor könnte man definieren als ein rhetorisches Spiel von minimalen virtuellen Grenzverletzungen, bei denen die geistige limitische Struktur einer Gesellschaft rhetorisch überschritten, aber nicht brachial durchbrochen wird – was offensichtlich Lachen und Belustigung auslöst. Die 'Vita Martini' enthielt genügend translimitisch–humoristisches Material – etwa die berühmte Gänseszene anläßlich seiner Bischofskreierung – das man in Schwankerzählungen und auf der mittelalterlichen Bühne in Szene setzte.3 Eine weitere latro–Figur des fränkischen Raumes, Genebaldus, findet sich innerhalb der 'Vita Remigii', des Heiligen Bischofs von Reims, der in den Jahren 436–525 gelebt hat. Aufgrund der motiv– und gedächtnisgeschichtlichen Perspektive dieser Studie soll bei der folgenden Analyse nicht so sehr der historische Kern der Legende als vielmehr die narrative Struktur im Mittelpunkt stehen: (1) Der Geburt und dem Leben des Heiligen Remigius ist eine eremitische Szene vorgeschaltet: Dem blinden Einsiedler Montanus wird in einer Traumvision von Christus die Geburt und das Leben des Remigius eröffnet. Und in der Tat scheint Remigius von der Vorsehung zu einem besonderen Leben ausersehen worden zu sein; er beginnt seine geistliche Karriere als Eremit.4 1 2

3 4

Siehe hierzu ANGENENDT, Martin als Gottesmann und Bischof, 33–47 und BAUS, Kirche von Nikaia bis Chalkedon, 396–397. Zur Martinsverehrung siehe SCHREINER, Schutzherr, Schlachtenhelfer, Friedensstifter, 89–110; RENNER, Der heilige Martin, 178–183; EWIG, Der Martinskult im Frühmittelalter, 11–30 und VAN DEN BOSCH, Capa, basilica, monasterium et le culte. Zur (proto–)europäischen Dimension vgl. LINAGE CONDE, En el presentimiento de Europa, 19–51. HAMMERICH, Das Licht der Legende, 179–181; MCKINLEY, The first two centuries, 173–200; HOCH, Transformation, 471–482 und REAMES, Martin of Tours in Legenda aurea, 131–164 setzen sich kritisch mit der Differenz zwischen Geschichte und hagiographischer Konstruktion in Text und Bild auseinander. Für die volkssprachliche Breitenwirkung des Martinusbildes im 15. Jahrhundert vgl. die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 82 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 191ra–194vb). Belege und ausführliche Besprechung bei WALSH, Patron Saint of Medieval Comedy, 283–315. Zu diesem ersten Abschnitt der Biographie des Hl. Remigius siehe VITA REMIGII 1–2 (MGH SS rer Merov 3, 259–363).

Fränkische Latrologie

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(2) Die nächste Szene erinnert stark an die Bischofskür des Martin von Tours: Im Alter von 22 Jahren wird Remigius durch die Bewohner von Reims in seiner Eremitenzelle aufgespürt, ergriffen und zum Bischofsamt gedrängt.1 Die Taufe Chlodwigs im Jahre 498/99 sei hier nur im Vorübergehen gestreift: Als Bischof Remigius Chlodwig taufen will, ist kein Chrisam zur Hand. Er betet und empfängt die 'Heilige Ampulle', die von nun an bei der französischen Königssalbung im Mittelpunkt steht, und bezeugt, dass ein Königtum nicht aus der Immanenz aufgebaut werden kann, sondern von der Transzendenz her begründet werden muss.2 (3) Vor dem Hintergrund dieser geistlichen Biographie des Genebaldus hebt sich eine dezidiert latrologische Szene ab, welche in die Remigius–Geschichte hineinkomponiert wurde – die Genebaldus–Episode: Der geistlich begabte Genebaldus erwählt sich die Nichte des Remigius als Gefährtin, entscheidet sich dann aber doch für das Bischofsamt, das ein zölibatäres Leben erforderlich macht. Nach einer gewissen Zeit als Bischof von Laon fällt Genebaldus wieder hinter die limitische Kontur zurück, die er anlässlich seiner Weihe überschritten hatte, und frönt dem fleischlichen Leben. Statt sich um die geistige Fruchtbarkeit seiner Diözese zu kümmern, „verliegt“ er sich mit seiner Frau und verkehrt mit ihr regelmäßig. Sie wird zweimal hintereinander schwanger und gebiert zuerst einen Sohn, dann eine Tochter. Die Namen der Kinder bezeichnen den translimitischen Rückfall des bischöflichen Vaters in aller Deutlichkeit: Der Sohn heißt latro, die Tochter vulpecula, Füchslein. Genebaldus ist verzweifelt und spielt sich mit dem Gedanken, sein Amt niederzulegen. Remigius weiß indes eine Abhilfe, die an die Konversion einer mulier–luxuriosa–Erzählung gemahnt: Genebaldus übernimmt auf Anraten des Remigius ein siebenjähriges Reklusenleben. Als nach der siebenjährigen Frist ein Engel in der Zelle von Genebaldus erscheint, um die erfolgreiche Buße zu bestätigen, ist Genebaldus nicht bereit, die Klause zu verlassen. Erst auf das persönliche Geheiß von Remigius kehrt Genebaldus ins bischöfliche Amt zurück. Sowohl der Vater Genebaldus wie der Sohn Latro, der inzwischen Priester geworden war, sind von nun an vorbildliche Seelsorger, die ihren Dienst ganz als Zeugnis für die Transzendenz begreifen.3 Eine weitere Person der fränkischen Latrologie erblicken wir im von Bischof Remigius getauften Einsiedler Leonhard, über dessen Lebensdaten wir nur in wenigen Grundzügen informiert sind; er dürfte etwa um 500–550 gelebt haben. Der Wald von Limoges, in den sich Leonhard zurückzieht, entwickelt sich rasch zum Ort einer intensiven latro– eremita–Kommunikation: Unterschiedliche marginalisierte Personen wie Kranke, 1 2 3

Zur Bischofs–Kreierung siehe VITA REMIGII 3–4 (MGH SS rer Merov 3, 263–366). Für die berühmte Episode der Heiligen Ampulle vgl. VITA REMIGII 10 (MGH SS rer Merov 3, 290–291). Zur Remigius–Episode siehe VITA REMIGII 16 (MGH SS rer Merov 3, 300–306); die Narration ist im Mittelalter ungemein beliebt; sie erscheint etwa auch im Remigiusteil der ELSÄSSISCHEN LEGENDA AUREA, Winterteil 118 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 285ra–vb).

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Lateinische Kirche

Krüppel oder latrones finden sich an der Zelle des Leonhard ein und werden vom Eremiten mit Rat und Tat unterstützt. Er predigt zu ihnen und unterweist sie; er besucht latrones in den umliegenden Gefängnissen, tritt als Fürbitter für sie ein – auch vor Chlodwig oder Chlotar I. – und erwirkt ihre Freilassung. Die Legende erzählt von einer interessanten Freisetzung mancher latrones durch eine Art Namensanrufung mit wundersamer Wirkung: Gefängnisinsassen nehmen zu Leonhards Namen Zuflucht, worauf hin ihnen die Ketten abfallen. Viele der Freigesetzten pilgern nach Limoges und lassen sich in der Nähe der Einsiedlerzelle nieder. Angesichts eines derartigen Zustroms von Menschen ist Leonhards Versuch, sich einen geschützten eremus zu erwerben, mehr als verständlich. Als eines Tages der königliche Zug durch den Wald von Limoges kommt und bei der schwangeren Königin die Wehen einsetzen, leistet Leonhard professionelle Geburtshilfe. Als Belohnung schlägt er Geld aus und erbittet sich einen sicheren translimitischen Ort – so viel Land ein Esel in einer Nacht umreiten kann. Leonhard gründet dort den eremus von Noblat, eine Einsiedelei, die sich später zu einem Kloster fortentwickelt hat und bis heute eine Station des Jakobsweges bildet.1 Nach seinem Tod avanciert Leonhard rasch zum Patron inhaftierter latrones, Geisteskranker, und der in Ketten liegenden Tiere des Stalls.2 Eine letzte latrologisch–eremitische Gestalt aus dem fränkischen Raum, die wir hier besprechen müssen, ist Landelinus, Gründer des Kloster Lobbes im Hennegau. Die Datierung der Lebenszeit von Landelinus ist schwierig: Einerseits sind wichtige biographische Ansatzpunkte durch die ‚Gesta Abbatum Lobiensium’ des Abtes Folcuin von Lobbes (965–990) gesichert; andererseits ist die in den Legenden vorgenommene Datierung des Landelinus in die Zeit Dagoberts I., also in die Zeit um 632–639, problematisch.3 Zur Biographie des latro–Eremiten: Landelinus stammt aus gutem Hause, eventuell sogar aus dem merowingischen Adel. Die edlen Eltern haben allerdings an ihrem Sohn wenig Freude. Schon als Jugendlicher entwickelt er sich zum schrecklichen Räuber, der unter dem Namen Morosus traurige Berühmtheit erlangt. Doch es kommt zum Umschwung. Seine durch eine Gotteserfahrung ausgelöste Bekehrung schildern die Viten in Parallelität zur Bekehrung des Paulus: de Moroso in Landelinum conversus secundus de Saulo factus est Paulus.4 Landelinus errichtet nach seiner Bekehrung eine Kirche mit angebauter Zelle, in der er sein Leben der Buße verbringt. Später entwickelt sich dieser eremus zum Kloster Lobbes fort. Nach dieser ersten Gründung zieht Landelinus allerdings weiter, um ein zweites Kloster zu errichten: Crespin.5 Das Leben des Ex– 1

2 3 4 5

Vgl. VITA LEONHARDI (MGH SS rer Merov 3, 394–399). Für die volkssprachliche Breitenwirkung der Leonhardslegende im 15. Jahrundert vgl. ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 71 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 160vb–162vb). Siehe hierzu AICH, Leonhard, der große Patron. Zur Figur des Landelinus und der Biographie vgl. DORN, Der sündige Heilige, 108–110. Siehe FOLCUIN VON LOBBES, Gesta Abbatum Lobiensium (MGH SS 4, 55–56). Vgl. VITA LANDELINI (MGH SS rer Merov 4, 438–444).

Fränkische Latrologie

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latro Landelinus wird in einer reichen Legendenliteratur weitervermittelt: Noch vor der Zeit Folcuins scheint die metrische Vita entstanden zu sein, eventuell im Umfeld des Heriger von Lobbes. Die darauf folgende anonyme Prosavita ist in ihrer Datierung umstritten. Eine spätere, überaus berühmte Landelin–Vita stammt aus der Feder des 1183 gestorbenen Philipp von Harvengt.1 Eremitische Räubergeschichten sind freilich nicht nur aus dem fränkischen Kernland überliefert. Zur Abrundung müssen wir unseren Blick nun auf den alemannischen und bayerischen Raum richten – zum Irschenberg, an den Züricher See und in Richtung Bodensee –, auf latro–eremita–Begegnungen, die im Gegensatz zu den eher harmlosen Episoden des fränkischen Kerngebietes tödlich ausgehen.

1

Zur Diskussion um die Datierung und weitere Details der beiden metrischen Viten siehe DORN, Der sündige Heilige, 109 mit Anm. 3–10. Zur Vita des Philipp siehe PHILIPP VON HARVENGT, Vita Landelini (PL 203, 1349–1358).

5.3.

Bayerisch–alemannische Morde: Marinus, Meinhard, Wiborada

Zwei bayerische Eremiten, die schlechte Erfahrungen mit latrones machten, waren Marinus und Anianus. Die genauen Lebensdaten der iroschottischen oder westfränkischen Missionare sind nicht greifbar; wir wissen lediglich, dass sie von der Mitte des 7. Jahrhunderts bis zur Wende zum 8. gewirkt haben. Marinus wurde vermutlich von Papst Eugen I. im Jahre 655 zum Wanderbischof eingesetzt und Anianus zum Diakon geweiht. Zur Mission ausgesandt gelangten beide Freunde ins bayerische Voralpenland und errichteten sich in Wilparting auf dem Irschenberg Einsiedlerhütten, in denen sie etwa vierzig Jahre als Eremiten lebten. Ihr Zusammentreffen mit latrones um das Jahr 800 verlief tödlich: Eine Bande von latrones vagantes erschlug sie mit Knüppeln und verbrannte ihre Leichen.1 Bei Arbeo von Freising werden die Grunddaten der Geschichte bezeugt2; ihren Kult belegt der Eintrag im Sakramentar von Heinrich II. Das Leben der beiden Patrone (von Rott am Inn und Wilparting) wird in einer Vita, die uns in Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts überliefert ist, ausgeschmückt. Bis heute existiert bei Wilparting eine Wallfahrtskirche.3 Besser informiert sind wir über den Eremiten Meinrad (Meginrad), der von 797–861 lebte:4 Der bei Rottenburg geborene Knabe wird dem Kloster auf der Reichenau zur Erziehung übergeben, tritt danach in den Konvent ein und empfängt 822 die Priesterweihe. Seine eremitische Neigung führt ihn allerdings bald aus der Reichenau fort – in eine Zelle in der Nähe des Züricher Sees, in der Nähe des heutigen Ortes Benken. 5 Ab 828 bewohnt er eine Klause am Etzelpass und zieht sich schließlich 835 in eine besonders abgelegene Einsiedelei in Finsterwald zurück. Der Anachoret Meinrad lebt seine Anchorese ganz nach dem Vorbild der Heiligen Väter der Wüste und steht schon bald selbst im Rufe der Heiligkeit.6 Doch nicht nur Pilger machen sich auf den Weg nach Finsterwald, um den heiligen Mann zu sehen: Am 21. Januar des Jahres 861 nähern sich die latrones Richard und Peter mit der Absicht, den Eremiten auszurauben – was Meinrad mit seiner Fähigkeit der Herzenserkenntnis sofort erkennt. Nichtsdestotrotz 1 2 3 4

5 6

Für Details des Lebenslaufes vgl. VITA MARINI ET ANIANI (Sepp). Zur Rolle Arbeos von Freising vgl. BAUERREIß, Die 'Vita sancti Marini et Aniani' und Arbeo von Freising, 37–49. Zu den Einzelheiten vgl. die Informationen bei HAUSBERGER, Die Heiligen Marinus und Anianus, 21–32. Zur Prosopographie Meinrads vgl. die Darstellungen, die GÜNTHART, Die vielen Leben des heiligen Meginrad, 105–118 analysiert; zur 'Älteren Vita' aus dem 10. Jahrhundert siehe hingegen JÄGGI, Zur ersten Lebensbeschreibung des hl. Meinrad, 39–63. SCHNYDER, Benken, 239–247. Zu Anachorese Meinrads nach dem Wüstenväter–Modell vgl. BUNGE, Anachoresis, 25–38.

Bayerisch-alemannische Morde

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bewirtet er die gefährlichen Gäste in seiner Klause mit Brot und Wein, in der Hoffnung, sie vielleicht doch noch von ihrem Plan abhalten zu können. Umsonst: Die beiden Besucher greifen zu Knüppeln und prügeln ihren Gastgeber zu Tode; danach machen sie sich mit der mehr als bescheidenen Beute aus dem Staub. Nur kurz bleiben die beiden unbehelligt: Zwei Raben, die Meinrad ernährte und großzog, rächen ihren Herrn. Sie verfolgen die beiden Mörder, die sich inzwischen nach Zürich abgesetzt haben, und machen Passanten durch laute Schreie auf sie aufmerksam. Sie werden entdeckt, verhaftet und mit dem Tode bestraft.1 Auf dem eremus des Meinrad entwickelt sich später das Kloster Einsiedeln; die heutige Gnadenkapelle soll sich unmittelbar über der Zelle des heiligen Anachoreten befinden.2 Nicht nur männliche Eremiten waren der latro–Gefahr ausgesetzt, wie der spektakuläre und prominente Fall der Reklusin Wiborada zeigt. Die ältere Vita von 960/70 bietet einen exzellenten Text als Basis einer latrologischen Analyse.3 Die für uns wesentlichen Punkte dürfen wir wiederum in translimitischen Bildern einfangen: (1) Das junge Mädchen Wiborada stammt aus der Nähe von Konstanz und ist adeliger Herkunft.4 An einem Feiertag statten die stolzen Eltern ihre Tochter anlässlich des Kirchgangs mit Kleidung und Schmuck aus, um sie als „gute Partie“ gebührend in Szene zu setzen. Mit einem ersten translimitischen Akt verweigert sich Wiborada den Verheiratungsplänen ihrer Eltern: Der Geist Gottes kommt auf sie herab, sie reißt sich den Schmuck von der Kleidung und gibt einem Heiratsbewerber einen Korb.5 (2) Daraufhin baut Wiborada konsequent ihr geistliches Leben aus, das ganz translimitisch konzipiert ist: Sie bildet sich im Selbststudium – ein Novum für eine alemannische Frau dieser Zeit – und unternimmt im Jahre 906 mit ihrem Bruder Hitto, der Mönch in St. Gallen ist, eine Romreise. Die Freundschaft, die sie mit Salomon III., dem Abt von St. Gallen, pflegt, hat Einfluss auf die konkrete Form ihrer Berufung: Sie entscheidet sich für ein eremitisches Leben mit monastischer Verankerung in St. Gallen. Im Jahre 912 wird sie auf Probe in der Georgen–Kirche oberhalb von St. Gallen eingeschlossen; 916 bezieht sie ihr neues reclusorium in 1 2

3

4 5

Siehe VITA MEGINRATI (Helbing, 25–41) bzw. GEORG VON GENGENBACH, Vita Meinradi (Helbing, 42–52). Zur Kapelle vgl. ÖCHSLIN, Die Einsiedler Gnadenkapelle, 333–340. Zum meinradschen Fundament des Klosters siehe RINGHOLZ, Einsiedeln, 25–58 und 220 sowie KELLER, Kloster Einsiedeln, 13–37. Eine anachoretische Tradition ist in Einsiedeln auch für die spätere Zeit erweisbar: DÖRR, Das Institut der Inclusen, 89 belegt für das 9. und 10. Jahrhundert immerhin vier Reklusen. Zur Liturgie des Heiligen vgl. LANG, Die Meinradsliturgie, 65–96. EKKEHART I., Vita Wiboradae (Berschin, 32–107) von 960/70 bietet den literarisch höher stehenden und historisch verlässlicheren Text. HERIMANN, Vita Wiboradae (Berschin, 110–233) von 1075 trägt hingegen zahlreiche hagiographische Züge. Siehe BERSCHIN, Verena und Wiborada, 5–6. Vgl. EKKEHART I., Vita Wiboradae 5 (Berschin, 36–38); siehe herzu auch BERSCHIN, Verena und Wiborada, 6.

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Lateinische Kirche

St. Mangen bei St. Gallen, das ihr Salomon hat bauen lassen. Wiborada avanciert zur amma einer Reklusinnen–Gruppe, die in einem Lauren–Verband zusammenlebt.1 (3) Im Jahre 926 kommt es zur fatalen latrologischen Überschattung des Lebens der Reklusin Wiborada: Die Ungarn stehen vor St. Gallen. Als alle Mönche und Reklusinnen fliehen, will allein Wiborada ihrem Gelübde der stabilitas loci treu bleiben und ausharren. Die Ungarn stehen vor ihrem eremus und legen Feuer, doch der Brand erlischt. Danach steigen sie der Eremitin durch das Dach ein und erschlagen sie mit einer Axt.2 Die Mönche kehren nach dem Überfall zurück und erheben das Grab Wiboradas zum Heiligtum: Um 930 steht der Festtag des Martyriums im Professbuch; gegen 960/70 entsteht die ältere Vita. 1047 spricht sie Papst Clemens II. heilig – als erste formell kanonisierte Frau der Kirche.3 (4) Doch auch im Tod war Wiborada vor latrones nicht gefeit: Das Reichskloster der Reichenau hatte im kleinen Örtchen Zurzach eine Heilige Verena, über die es nur wenig Interessantes zu berichten gab. Um sich eine ähnlich prominente Heilige wie Wiborada zu beschaffen, haben die Mönche der Reichenau kurzerhand die 'Vita Wiboradae' als Inspirationsquelle genutzt und Verena eine spannende Biographie angedichtet. Der literarische Raub der Mönche der Reichenau zahlte sich aus: Auf Dauer machte die Heilige Verena das Rennen und avancierte zur Patronin eines bedeutsamen Wallfahrtsortes, während Wiborada beinahe zur vergessenen Heiligen absank.4

1

2 3 4

Vgl. EKKEHART I., Vita Wiboradae 9 (Berschin, 44–46) und 16–17 (Berschin, 82–84) sowie BERSCHIN, Verena und Wiborada, 7–8. Zur späteren anachoretischen Tradition St. Gallens vgl. die Reklusenliste bei DÖRR, Das Institut der Inclusen, 90–93. Siehe EKKEHART I., Vita Wiboradae 32–33 (Berschin, 32–107) und BERSCHIN, Verena und Wiborada, 8. Siehe BERSCHIN, Verena und Wiborada, 9–11. Vgl. BERSCHIN, Verena und Wiborada, 11–15, hier besonders 14: „Die Wallfahrt zur hl. Verena führte also letztlich zu einem Heiligtum der Reichenau, und es wäre eine Reichenauer mythische Heilige, die der historischen sanktgallischen im Wege gestanden wäre“.

6. Eremitische Wende des 11. Jahrhunderts

Das 11. Jahrhundert darf gemäß einem einhelligen Votum der Forschung als ein Wendepunkt in der Geschichte des Eremitentums und monastischen Lebens gelten.1 Um diese Wende zu Gesicht zu bekommen, müssen wir noch einmal knapp die Genese des eremitischen und monastischen Lebens rekapitulieren und dabei die Relation zwischen dem koinobitischen und eremitischen Pol berücksichtigen: Sowohl das eremitische wie das koinobitische Leben entwickelten sich aus einer gemeinsamen anachoretischen Wurzel. Als Antonius der Große und Paulus Eremita, die ersten historisch greifbaren Wüstenväter, die anachoretische Lebensform institutionell begründeten, war diese Anachorese eremitisch ausgerichtet.2 Die frühen Väter Ägyptens beobachteten ein Leben abseits der Welt in Wüstengegenden, oblagen dem einsamen Sitzen im kellion und sammelten einen Schülerkreis. Weil die Altväter eine zwar quantitativ stark eingeschränkte aber qualitativ umso intensivere Kommunikation miteinander pflegten, konnte sich im Laufe der Zeit dieses kommunikative Element des anachoretischen Lebens aber über verschiedene Zwischenstufen (von der laura bis zum koinobion) zu einer eigenen koinobitischen Lebensform ausdifferenzieren und zur solitarisch–eremitischen Lebensform in ein kontrastives Gegenüber treten. Johannes Cassian hatte das anachoretische Leben dem lateinischen Westen vermittelt, dabei aber eine Genese vorgelegt, welche die historische Entwicklung gleichsam auf den Kopf stellt: Das koinobitische Leben sei die ursprünglichere Lebensform gewesen, aus der sich dann das eremitische Leben als dessen Vollkommenheitsform herausgeschält habe – ein Modell, das dann nicht falsch ist, wenn man die vita apostolica der Urkirche gleichsam als (prä–) koinobitische Lebensform akzeptiert.3 Diese Auffassung hat die 'Regula Benedicti' normativ festgeschrieben.4 Daraus hatte sich im lateinischen Westen seit der Karolin1 2

3 4

Siehe hierzu DOYÈRE, Érémitisme, 960; LEYSER, Hermits, 69–72; LOHMER, Heremi conversatio, 5–6 und RIEDER, Deus locum dabit, 11–22. Zu den beiden Gründungsvätern des Eremitentums aus der mittelalterlichen Perspektive siehe JOHANNES CASSIAN, conlationes 18,5–6 (SCh 64, 14–17); HIERONYMUS, epistula 22,36, 1 (CSEL 54, 200). Zur Nachwirkung vgl. auch BRUNERT, Das Ideal der Wüstenaskese, 94; 129 und 133–134. Vgl. JOHANNES CASSIAN, conlationes 18, 4–8 (SCh 64, 14–21). Siehe BENEDIKT VON NURSIA, regula 1,1–13 (Holzherr, 55–57) mit Kommentar 57–62. Zur Wirkungsgeschichte dieses Abschnitts vgl. PENCO, Il Capitolo, 493–513.

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Eremitische Wende

gerzeit folgende Praxis etabliert: Der monastische Kontext ist nicht nur Ort des koinobitischen, sondern auch des eremitischen Lebens. Für Menschen mit eremitischer Berufung dient eine mehrjährige monastische Phase der Vorbereitung und Ausbildung im eremitischen Leben, das sie innerhalb des Klosterverbands in einem reclusorium ausüben.1 Eben dieses Modell wird im 11. Jahrhundert neu verhandelt. Die eremitische Wende des 11. Jahrhunderts findet vor allem in zwei Momenten Ausdruck, die miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig verstärken: einmal in einem zahlenmäßigen Aufschwung freier EinzeleremitInnen, die in Viten, Regeln und anderen Texten greifbar werden; zum Anderen in anachoretisch akzentuierten Projekten, in denen der koinobitische Aspekt mit dem eremitischen gleichsam synthetisiert wird.2 Weil die Entwicklungen im mittelalterlichen (Einzel–)Eremiten– und Reklusentum noch ausführlich zu besprechen ist, werden wir zunächst Reformprojekte in Augenschein nehmen, die mit einer gewissen Verbandsbildung einher gingen. Die diversen Neuaufbrüche können zwar nicht umfassend dargestellt werden, aber auch ein chronologisches Blitzlicht vermag die beeindruckende zeitliche Dichte und geographische Streuung derartiger Impulse deutlich zu machen: (1) Die eremitische Suche des Romuald von Ravenna führte 1015 zur Gründung von Camaldoli in der Toskana. In der gleichen Gegend liegt Vallombrosa, dessen Gründung im Jahre 1039 auf Johannes Gualbertus zurück geht. Petrus Damiani darf als Gründungsvater des umbrischen Fonte Avellana (1043) angesehen werden.3 (2) Auch in Frankreich sind zahlreiche Impulse des Neuen Eremitismus zu verzeichen: Robert von Turlande mit La Chaise Dieu (1044) in der Auvergne; Stephan von Muret mit Grandmont (1080) im Limousin; Robert von Molesme (1075) in der Bourgogne; Bruno von Hartefaust mit der Großen Kartause (1084), und schließlich Robert von Abrissel mit Fontevrault (1101) in Anjou.4 Es liegt auf der Hand, dass die Heraufkunft des Neuen Eremitismus und der von ihr inspirierten monastischen Reformen als ein Reflex auf die Umbrüche des 11. Jahrhunderts gelesen werden muss: (1) Ein wichtiger äußerer Faktor stellt der immense Bevölkerungsaufschwung samt Wirtschaftswachstum in Mitteleuropa ab dem elften Jahrhundert dar, durch den Menschen freigesetzt wurden, die sich für das monastische oder eremitische Leben interessieren konnten.5 Es fällt auf, dass unter den Trägern der eremitisch– 1 2 3

4 5

Vgl. LECLERCQ, Statut, 386 und 394 sowie L‘érémitisme en occident, 31–33. Siehe hierzu CONSTABLE, Eremitical forms of monastic life, 239–264. Eine knappe Übersicht der Entwicklung in Italien bietet MERTENS, In eremi vastitate resedit, 299–317; RIEDER, Deus locum dabit, 22–32 und ELM, Italienische Eremitengemeinschaften, 3– 53. Für die Entwicklung in Frankreich siehe die Hinweise von RIEDER, Deus locum dabit, 11–22; BECQUET, L'érémitisme, 182–202; RAISON/NIDERST, Le mouvement érémitique, 1–45. Zum Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Eremitischer Wende vgl. GENICOT,

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monastischen Bewegung viele einflussreiche und wohlhabende Weltkleriker bezeugt sind, denen die massive Verquickung ihres geistlichen Amtes mit weltlichen Herrschafts– und Wirtschaftsstrukturen zum Problem wurde, das sie durch eine fuga mundi zu lösen trachteten.1 Obwohl die auf uns gekommenen Urkunden überproportional häufig Anwärter des eremitischen Lebens aus den höheren gesellschaftlichen Rängen bezeugen, darf indes nicht übersehen werden, dass Interessenten am Neuen Eremitismus grundsätzlich aus allen Bevölkerungsschichten stammten.2 (2) Um die wachsende Attraktivität eremitischer Ideale zu Ungunsten des traditionellen monastischen Lebens zu erklären, hat man in der Forschung von einer „Krise des Koinobitentums“3 gesprochen. Das Konzept einer Krise des koinobitischen Lebens im elften Jahrhundert sieht ganz richtig, dass das monastische Leben des zehnten und elften Jahrhunderts, beispielsweise des cluniazensischen Verbandes, intensiv in säkulare Herrschafts– und Wirtschaftsstrukturen eingebunden war, und so der translimitische Charakter des monastischen Lebens immer mehr in den Hintergrund trat. Die Krise ist also nicht darin zu erblicken, dass Klosterdisziplin und Spiritualität insgesamt verfallen wären – eine Auswertung der erhaltenen Quellen zeigt eher das Gegenteil4 –, sondern dass das koinobitische Leben des 11. Jahrhunderts zunehmend ihres translimitischen Profils verlustig ging. Die Apologeten des Neuen Eremitismus und der monastischen Reform haben daher mit polemischer Zuspitzung ein Vokabular und eine Rhetorik hervorgebracht, durch die sie die Einbindung des monastischen Lebens in säkulare Herrschafts– und Wirtschaftsstrukturen sowie den damit einhergehenden materiellen Wohlstand als Zeichen der Dekadenz und des religiösen Verfalls deklarieren konnten. Oder anders formuliert: Autoren des Neuen Eremitismus und der Klosterreform inkriminieren in ihren Schriften die mangelnde Sichtbarkeit translimitischer Strukturen und mahnen ihre Wiederaufrichtung an. Sie propagieren ein neues Armutsideal, fordern die Rückkehr zu Wildnis und Wüste, klagen die Klausur ein, rufen zum persönlichen Streben nach Heiligkeit durch Askese auf, schärfen eine Rückkehr ad fontes ein und plädieren insbesondere für die relecture anachoretischer Texte, etwa von Hieronymus, Johannes Cassian und der 'Vitas Patrum'.5 Durch dieses Pro1 2

3 4 5

Érémitisme, 53–54; 63–65–59 und TELLENBACH, Die westliche Kirche, 116–117. Siehe hierzu GENICOT, L'érémitisme, 47; 58–59 und BECQUET, Érémitisme, 188. Zur Soziologie der eremitischen Bewegung siehe HEUCLIN, Aux origines, 93–96; 255; TELLENBACH, Die westliche Kirche, 91 und Das Reformmönchtum und die Laien, 1067–1096; GENICOT, L'érémitisme, 56–58; TABACCO, Romualdo di Ravenna, 106–107; WOLLASCH, Parenté noble, 3– 24. Vgl. BLIGNY, L'Église, 246–250; LOHMER, Heremi Conversatio, 6; MORIN, Rainaud l'Ermite, 246–250. Siehe VAN ENGEN, The Crisis of Cenobitism, 275–285; BLIGNY, L'Église, 245; TELLENBACH, Die westliche Kirche, 95–96. Siehe hierzu DONNAT, La spiritualité du désert, 146–156 und RIEDER, Deus locum dabit, 17–19.

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Eremitische Wende gramm ergaben sich interessante Überschneidungen mit der Gregorianischen Reform: Bei der Forderung nach einer libertas ecclesiae, bei der Einführung einer neuen Askese und bei der Leitidee der fuga mundi konnten beide Bewegungen am gleichen Strang ziehen, Hand in Hand arbeiten und sich gegenseitig unterstützen.1 Das skizzierte eremitische Reformprojekt war so erfolgreich, dass Petrus Damiani der Einschätzung, seine Zeit sei ein saeculum obscurum, nicht zustimmen konnte; er erklärte sie zum saeculum aureum: „Golden, sage ich, ist das Jahrhundert, das inmitten der Wildtiere von Bergen und Wäldern so viele Bürger des himmlischen Jerusalem ernährte.“2

Die Wiederanknüpfung an die anachoretische Transliminalität war auf vielfältige Weise möglich. Hier sei der Versuch unternommen, die Bandbreite an Entwürfen und Unterformen des Neuen Eremitismus in drei Punkten verdichtet darzustellen: (1) Mit der Vokabel „irregulärer Eremitismus“3 könnte man diverse eremitische Aufbrüche in Italien und Frankreich bezeichnen, die vorwiegend Charisma geleitet waren, sich nicht auf eine feste Regel stützten und folglich nur einen geringen Grad an Institutionalisierung ausbildeten. Im Mittelpunkt derartiger Bewegungen stand der Aufruf zur Buße sowie eine Wander– und Umkehrpredigt, die sich etwa am Vorbild von Johannes dem Täufer orientierte. Irreguläre eremitische Aufbrüche waren aus naheliegenden Gründen instabil: Weil ihre Bußpredigt eine hohe pastorale Relevanz hatte, wurden irreguläre eremitische Gruppen rasch in Seelsorgsprojekte und die Kirchenpolitik eingebunden und verloren oft ihren eremitischen Akzent. Wegen ihrer charismatischen Regellosigkeit verwandelten sie sich zudem – schon während der zweiten Generation ihrer Mitglieder – in Benediktiner– und Zisterzienser–klöster oder in Regularkanoniker–Verbände.4 (2) Der eremitische Reformgeist erfasste auch bestehende Klöster oder koinobitische Gemeinschaften. Der Musterfall für einen solchen Impuls und seine Wirkungen ist die Errichtung des Zisterzienserordens als Reformzweig des Benediktinerordens, bei dem die translimitischen Aspekte anachoretischer Ideale, die ja auch in der benediktischen Tradition reichlich vorhanden waren, reaktiviert, angereichert, in den Vordergrund gerückt und neu ausgelegt wurden.5 Eine derartige Sensibilisierung 1

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Zu Parallelen und möglichen Berührungspunkten siehe CONSTABLE, Liberty and free Choice, 99–118; FRANK, Eremitentum, 2129; LEYSER, Hermits, 69–72; LECLERCQ, Statut, 387 und Études sur le vocabulaire 101–102; 122–128 sowie TELLENBACH, Libertas, 54–55. Zitiert nach FICHTENAU, Lebensordnungen, 328. Zu diesem Ausdruck siehe PENCO, L'eremitismo irregolare, 201–222. Zum Wandern irregulärer Eremiten vgl. MEERSEMANN, Eremitismo e predicazione, 164–179; DELARUELLE, Les ermites, 215–219 und 224–225; VIOLANTE, L'eremitismo, 138; HEUCLIN, Aux origines, 217. Zur Spiritualität siehe BECQUET, Érémitisme, 196–198 und DELARUELLE, Les ermites, 221–225. Umwandlung in koinobitischen Strukturen siehe DOYÈRE, Érémitisme, 963; LEYSER, Hermits, 3 und MILIS, Ermites, 39–80. Zum eremitischen Geist bei den Zisterziensern siehe LECLERCQ, Érémitisme et les cisterciens, 573–575 und CASEY, In communi vita fratrum, 243–261.

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für die anachoretische Lebensform blieb freilich nicht auf den Zisterzienserorden beschränkt, sondern sprang rasch auf weitere Kreise, Gruppen und Schichten über: Der Zisterzienser Wilhelm von St. Thierry schrieb seinen 'Golden Brief' nicht nur für Kartäuser und Zisterzienser, sondern für jeden, der an der eremitischen Bewegung und Spiritualität partizipieren wollte, und wurde folgerichtig in benediktinischen Konventen und von Regularkanonikern, die sich auf die Augustinusregel beriefen, später sogar von der laikalen Frömmigkeitsbewegung, breit rezipiert.1 Einen ähnlichen Fall bildete die 'Reklusenregel' des Zisterziensers Aelred von Rievaulx: Auch sie hatte eine erstaunlich breite Wirkungsgeschichte über alle Orden hinweg, bis hin zu einer Laienleserschaft.2 (3) Von besonderem Interesse für eine Wirkungsgeschichte des latro–eremita–Motivs scheinen, neben der Entstehung des Zisterzienserordens, insbesondere zwei Neugründungen zu sein, bei denen es gelang, die dezidiert eremitische Lebensform mit monastischen Errungenschaften zu synthetisieren und in neue stabile Formen zu gießen: der romualdische Eremitismus in der Tradition von Camaldoli und Fonte Avellana sowie der Kartäuserorden.3 Damit ist die weitere Wegstrecke für die Analyse des latro–eremita–Motivs abgesteckt: Wir dürfen uns im Folgenden auf Stationen, zuerst auf die romualdische, dann auf die kartäusische und zisterziensische Latrologie4 konzentrieren. Die nötigen Details der jeweiligen Gründungsgeschichte werden in den einzelnen Abschnitten kurz angeführt.

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Vgl. WILHELM VON ST. THIERRY, Epistula Aurea (SCh 223) und PFEIFFER, Goldener Brief (50) 3–109 und (51) 3–250. Zur laikalen Rezeption insgesamt siehe auch CONSTABLE, The popularity of twelfth–century spiritual writers, 3–28. Siehe hierzu AELRED VON RIEVAULX, De Institutione Inclusarum (CCCM 1, 635–682) und De Institutione Inclusarum, versiones anglicae (EETS 287). Zur Synthese gemeinschaftlicher und solitärer Elemente im romualdisch–damianischen A– nachoretismus vgl. SARACENO, Solitudine e comunione, 260–279. Für einen ersten Überblick über die kartäusische Lebensform siehe RIEDER, Lebensform und Geschichte des Kar– täuserordens, 112–125. Die zisterziensische und kartäusische Spiritulität beleuchtet knapp KÖPF, Spiritualität der frühen Kartäuser und Zisterzienser, 215–231.

6.1.

Romualdischer Eremitismus

Ein wichtiger Vater des italienischen Eremitismus ist Romuald – um 950 als Herzogssohn in Ravenna geboren. Über sein Leben sind wir vor allem aus der 'Vita Romualdi' des Petrus Damiani und der 'Vita quinque fratrum eremitarum' des Brun von Querfurt informiert.1 Die wichtigsten Strukturmerkmale seiner eremitischen Initialzündung können aus den erwähnten biographisch–hagiographischen Schriften unschwer herausgelesen werden: Nach einem dramatischen Bekehrungserlebnis tritt er als Zwanzigjähriger in Ravenna in das cluniazensische Kloster S. Apollinare in Classe ein. Als er, vom dortigen laxen Lebensstil enttäuscht, das Kloster verlässt, um sich als Eremit zuerst in den venezianischen Sümpfen und später in die Nähe des Klosters Cuxa in den Pyrenäen zurückzuziehen, da kommt es bei Romuald zu keinem inneren Bruch mit der Benediktsregel. Ganz im Gegenteil: Romuald versucht gleichsam auf benediktinischen Fundamenten die eremitischen Ideale, die ihm bei der Lektüre der Texte von Johannes Cassian aufleuchten, zu realisieren. Im Jahre 988 kehrt er nach Italien zurück und wirkt dort als Reformator zahlreicher Klöster und Gründer von Eremitenkolonien – so etwa des am Monte di Camaldoli errichteten eremus, woraus später der Kamaldulenser Orden hervorgeht. 1027 verstirbt Romuald in seiner Gründung Val di Castro.2 Zwei Aspekte des romualdischen Eremitismus sind in unserem Zusammenhang besonders hervorzuheben: Romuald propagiert erstens eine eremitische Lebensform, die nicht mehr nur über den Umweg einer monastischen Vorschule, wie er sie selbst erfahren hatte, zugänglich ist, sondern direkt, also ohne benediktinischen Vorlauf, übernommen werden kann. Zweitens ist Romualds Neuinterpretation der stabilitas bemerkenswert: Er selbst unternimmt in einer Art Wandereremitismus ausgedehnte Reisen und versteht die benediktinische stabilitas eher im Sinne einer stabilitas propositi et cordis denn als stabilitas loci.3

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Siehe PETRUS DAMIANI, Vita Romualdi (Tabacco) und BRUN VON QUERFURT, Vita quinque fratrum (MGH SS 15, 716–738). Zu Bruns Vita vgl. FORNACIARI, I Cinque Fratelli martiri, 58–91. Für das Verhältnis zwischen Petrus Damiani und Romuald siehe LOHMER, Heremi conversatio, 20. Zur Biographie Romualds siehe TABACCO, Romuald von Camaldoli, 1019–1020 und Romualdo di Ravenna, 73–119. Den benediktinischen Geist des romualdischen Eremitismus bespricht TABBACO, Romualdo di Ravenna, 104–105. LOHMER, Heremi Conversatio, 31 und 33–34 sowie VEDOVATO, Camaldoli, 6 verweisen auf die anachoretische relecture des benediktinischen Programms durch Romuald. Zum eremitischen Zugang „ohne Umweg“ vgl. TABBACO, Romuald von Camaldoli, 1020. Zur Priorität der stabilitas propositi vor der stabilitas loci siehe VEDOVATO, Camaldoli, 8 und D'ACUNTO, Un eremita in movimento, 97–129.

Romualdischer Eremitismus

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Der eremitische Impuls und das Vermächtnis des Heiligen Romuald1 wurden besonders an zwei Orten, nämlich in Fonte Avellana und in Camaldoli weitergeführt und ausgebaut. Die Anfänge des eremus von Fonte Avellana um das Jahr 1000 liegen ziemlich im Dunkeln, aber er darf als eine Gründung Romualds gelten.2 Der 1035 dort eingetretene Petrus Damiani, der 1047 Prior der Gemeinschaft wurde, hat in der aus seiner Feder stammenden 'Vita Romualdi' den eremitischen Heiligen als Gründer von Fonte Avellana portraitiert und zudem in seinen Briefen eine Theologie des Neuen Eremitismus ausformuliert.3 In der romualdischen Gründung Camaldoli entstanden hingegen die beiden wichtigen Schriften 'Rudolphi Constitutiones' und der 'Liber heremitice regule'.4 In diesen Schriften wurde der charismatisch–eremitische Aufbruch des Heiligen Romuald in feste Formen gegossen, die sich für Jahrhunderte bewähren sollten. Einige Strukturelemente dieses kamaldulensischen, monastisch abgefederten Eremitismus finden sich übrigens auch bei den Kartäusern wieder: die Institutionalisierung des eremitischen Lebens durch eine Regel bzw. Consuetudines, das Leitungsamt des Priors, die Betonung der stabilitas loci, eine gewisse Selbstständigkeit der einzelnen Eremitenzelle, eine Zweipoligkeit des anachoretischen Verbandes mit einem strikt eremitischen Oberen Haus und einem teilweise koinobitischen Unteren Haus etc.5 Nach dieser (zugegebener Maßen recht knappen) Skizze des romualdischen Eremitismus müssen wir uns der latrologischen Komponente zuwenden.

6.1.1. Latro–Wunder des Heiligen Romuald In der 'Vita beati Romualdi' aus der Feder von Petrus Damiani findet sich im 43. Kapitel und unter dem Titel 'Räuberwunder am Monta Petrano' ein Textstück, das wir hier in seiner Gänze anführen: Zu dieser Zeit hielt er sich in den Schluchten des Callensischen Gebirges eine gewisse Zeit auf; danach zog er zum Monte Petrano weiter, unweit des Klosters des Hl. Vin1 2 3

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Vgl. BELISLE, Primitive Romualdian/Camaldolese spirituality, 413–429; FORNASARI, Pater Rationabilium Eremitarum, 25–103 und SCHMIDTMANN, Romuald von Camoldi, 329–338. Siehe hierzu FORNASARI, Fonte Avellana, 622–623. Zur Biographie von Petrus siehe LUCCHESI, Per una vita, 33–36. Ausgabe der Briefe: PETRUS DAMIANI, litterae (MGH Briefe dt. K. 4,1–4). Zu den beiden Programmschriften Brief 18 und 50 siehe die knappen Hinweise bei RIEDER, Deus locum dabit, 26–27 sowie die Angaben im Kommentar zu Epistula 18 (MGH Briefe dt. K. 4,1, 168 Anm.1); Epistula 50 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 77–78 Anm. 1) und die Inhaltsangabe von LOHMER, Heremi conversatio, 90–91. Zu Camaldoli vgl. KURZE, Camaldoli und Campus Malduli; VEDOVATO, Camaldoli, hier besonders 15–38 und TABACCO, Romualdo di Ravenna, 113–119. Zu den beiden legislatorischen Texten Camaldolis: RUDOLF VON CAMALDOLI, Rodulphi Constitutiones (Vedovato) und LIBER HEREMITICE REGULE (Vedovato). Hinweise zum Inhalt und Kontext der beiden Schriften vgl. CROSARA, Le Constitutiones e le Regulae und eine knappe Zusammenfassung bei RIEDER, Deus locum dabit, 27–30, mit zahlreichen Hinweisen in den Anmerkungen. Siehe hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 30–32.

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centius, das neben dem Fluss Candiliano liegt. Und wohin der heilige Mann auch ging, da brachte er Frucht, fuhr eine wachsende Ernte an Seelen ein, und löste die Menschen aus ihrer Weltverhaftung (de seculo abstrahens), indem er – gleichsam selbst ganz in Feuer verwandelt – in den Seelen der Menschen ein Verlangen nach dem Himmlischen (desiderium celeste) entfachte. Als er einmal auf der Suche nach einem geeigneten Ort für eine Einsiedelei (heremus) war, da wies er einen gewissen Priester an, zu seinem Haus zurückzukehren, und für ihn und sich Lebensmittel herbeizubringen. Als Romuald den Berg in konzentrischen Kreisen durchstreifte, da fand er schließlich einen Mönch neben einer kleinen Kirche hausend, den er sogleich bedrängte, er möge doch mit ihm kommen, um ihm zu zeigen, wo man hier in der Gegend Wasser finden könne. Der Mönch freilich entgegnete ihm, er könne sein Haus nicht ohne Bewachung zurücklassen, weil er einen Übergriff durch in der Nähe lauernde Räuber (impetus latronum insidiantium) befürchte. Romuald versprach, er würde im Falle eines derartigen Übergriffes den Schaden vollständig ersetzen. Und weil Romuald bereit war, die Haftung für einen solchen Schaden durch Fremde zu übernehmen, vermochter er den Mönch schließlich auf dem Weg mit sich zu führen. Während die beiden nun die Wasserstelle suchten, da kam der Priester nach, der, wie ihm befohlen ward, das Essen holte, und fand einen Dieb (fur) just als er im Begriff war, in das Haus des Mönches einzubrechen. Er ergriff den Dieb auf frischer Tat und hielt ihn bis zur Rückkehr Romualds fest. Romuald versuchte zuerst, den Aufgegriffenen durch Worte eindringlichen Ernstes (austeritate verborum) zu Recht zu bringen; danach ermahnte er ihn auf sanfte Weise (dulciter ammonens) und gestattete schließlich dem ansonsten Unbehelligten, zu den Seinen zurückzukehren. So wurde durch die göttliche Vorsehung (divina providentia) das unverletzt bewahrt, was während der Abwesenheit Romualds der Bewachung entbehrte.1 Aus diesem Textstück seien die für unsere Arbeit relevanten Aspekte des latro– eremita–Motivs herausgegriffen: (1) Schon in den Eingangszeilen des Kapitels klingen die Leitthemen des Neuen Eremitismus an, für den Romuald Stellung bezieht: Man solle sich von der Weltverfallenheit abkehren (abstrahere de seculo), mit translimitischem Verlangen (desiderium celeste) die limitische Kontur der Welt überschreiten und einen translimitischen Ort (heremus) aufsuchen.2 (2) Offensichtlich waren die abgelegenen Gegenden fern ab der Städte nicht nur zur Zeit der Wüstenväter in Ägypten, sondern auch zur Zeit Romualds in Umbrien von translimitischen latrones besiedelt, auf die ein Mönch oder Eremit fast zwangsläufig stoßen musste.3 Die Begegnung der drei Männer – Romuald, der priesterliche Weggefährte sowie der Mönch des Monte Petrano – mit dem latro konnte Petrus 1 2 3

PETRUS DAMIANI, Vita Romualdi (Tabacco, 84–85); hier in eigener Übertragung. Zu den Idealen des „Neuen Eremitismus“ vgl. DONNAT, La spiritualité du désert, 146–156. Zur latro–Gefahr zitiert MCCALL, The medieval underworld, 88 die 'Chronica' des William von Malmesbury: sie sei in strukturschwachen Gebieten Italiens beträchtlich gewesen.

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ganz nach dem klassischen Schema einer Räuberschutz– und Konversionsgeschichte erzählen, das uns von den 'Apophtegmata Patrum' her bekannt ist.1 (3) Der vir sanctus wirkt in der romualdischen Geschichte allerdings nicht unmittelbar, indem er direkt seine virtus aktiviert und gegen den latro einsetzt, sondern nur vermittelt durch die divina providentia, die glückliche Zufälle so aneinander fügt, dass die Geschichte gut ausgeht – also auf einem relativ anspruchsvollen Niveau der Geschichtstheologie. Im Rückblick auf diese Geschichte lässt sich zusammenfassend sagen: Petrus Damiani stellt in seiner 'Vita Romualdi' – gerade auch durch die latro–Geschichte – eindringlich heraus, dass mit Romuald ein eremitischer Geist in Italien Einzug gehalten hat, der sich auf Augenhöhe mit dem ägyptischen Wüsten–Eremitentum befindet.2 Während latrologische Theologumena, die Petrus im obigen Abschnitt zur Ausgestaltung der Gründungsphase des romualdischen Eremitismus nutzt, in starker Anlehnung an die Tradition komponiert sind3, beinhalten seine Briefe auch Neuschöpfungen – etwa die latrologische Frömmigkeitspraxis der Geißelung, der wir uns nun zuwenden müssen.

6.1.2. Petrus Damiani und die Geißelung als latro–Frömmigkeit Unter Geißelung versteht man das Schlagen des menschlichen Körpers mit biegsamen Instrumenten wie Peitschen oder Ruten. Die in der Kulturgeschichte bezeugten Grundfunktionen der Geißelung sind hauptsächlich pädagogisch motivierte Züchtigung sowie private oder öffentliche Bestrafung.4 Von daher drängt sich ein latrologisch– translimitischer Kontext geradezu auf, wenn man die Geißelung interpretieren will: Geißelungen werden vollzogen, wenn ein Mensch ein translimitisches Gebahren an den Tag legt – das heißt, wenn er limitische Konturen und Strukturen zu durchbrechen versucht und zum latro wird, oder zumindest werden könnte. Die beiden Momente – das eher pädagogische oder eher strafende – hängen meist vom Schweregrad der translimitischen Übertretung ab: (1) Die lateinische Vokabel disciplina bringt besonders die Konnotation der Züchtigungsgeißelung zum Klingen. Darunter versteht man das erzieherische Einwirken auf Kinder, Jugendliche, Uneinsichtige und latrones, die eher harmlose Delikte 1 2

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Vgl. hierzu etwa die Episoden aus APOPHTEGMATA PATRUM 881 (Miller, 288). Siehe PHIPPS, Romuald – model hermit, 65–77 und LOHMER, Heremi conversatio, 33–34. Laut VEDEVATO, Camaldoli, 12–13 Anm. 29, muss man der Frage der Quellen des romualdisch– damianische Reformprogramms mit Vitas–Patrum–Einflüssen rechnen – eine Auffassung, der wir angesichts der obigen latro–Episode nur zustimmen können. Zur patristischen Verwurzelung von Petrus Damiani auf dem Gebiet der Ekklesiologie siehe LOHMER, Quod ex dictis patrum indagare potuerim, 583–601. Grundlegende Hinweise zur Geißelung in der der Antike bieten WALDSTEIN, Geißelung und BERTAUD, Discipline.

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begangen haben – in der Hoffnung, sie vermöge der Peitsche wieder in den Bereich innerhalb der limitischen Kontur zurückzutreiben sowie gravierendere translimitische Durchbrüche für die Zukunft zu verhindern, ganz nach dem Motto: „Wehre den Anfängen!“. Die disciplina–Geißelung stützt sich dabei auf die Schmerzempfindung als Movens zur Umkehr; eine massive Verletzung der Körpermembran ist nicht intendiert.1 (2) Die lateinischen Ausdrücke flagellatio und verberatio referieren hingegen vor allem auf den strafenden Aspekt des Geißelns: Wenn ein latro die limitische Kontur/Struktur eines Sozialverbandes auf eine massive Weise durchbrochen hat, dann zeichnet die Gesellschaft dem latro gemäß dem Prinzip der Entsprechung und Vergeltung mit Peitschenhieben sichtbare Wundmarkierungen auf seine limitische Körpermembran. Die Schläge dienen einerseits dem Vollzug einer Strafe, andererseits bewirken sie eine Abfuhr von aufgestauter Wut oder Rachegelüsten – wobei, je nach der Schwere des Deliktes und der Reaktion der Strafinstanz darauf eine eventuelle Tötung des Delinquenten mittels einer vorherbestimmten Zahl von Schlägen eher ausgeschlossen oder als Nebenwirkung billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar angezielt wird.2 Es liegt auf der Hand, dass eine solche Markierung im hohen Maße entehrend wirkt, weswegen in den meisten Kulturen – etwa bei den Römern – die Tendenz zu verzeichnen ist, Strafgeißelungen vor allem bei niederen Schichten einzusetzen und den erwachsenen Vollbürger oder Aristokraten von ihr, soweit irgend möglich, auszunehmen. Die disciplina–Geißelung diente hingegen auch in der römischen Oberschicht als selbstverständliches Erziehungsmittel bei Kindern. Diese römisch–antike Geißelungspraxis war christlicherseits rezipierbar, nicht nur im Rahmen des nachkonstantinischen Staates, sondern auch im binnenkirchlichen und spirituellen Raum: (1) Alle einschlägigen Mönchsregeln – insbesondere die 'Regula Benedicti', welche die kulturellen Errungenschaften der antiken polis in den Horizont des koinobitischen Lebens zu übersetzen trachtete – enthalten Ausführungen über die Anwendung der disciplina–Geißelung. Diese sind von der Hoffnung beseelt, man könne deviante Ordensmitglieder, vor allem minderjährige Kandidaten und Novizen, durch mehr oder weniger sanfte Züchtigungsschläge auf den rechten Weg zurückbringen.3 1

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Als Fach–Begriff für die „disziplinäre Geißelung“ hat sich disciplina erst im Christentum durchgesetzt. In der römischen Antike werden flagellatio, verberatio und disciplina als Synonyme behandelt. Der Terminus disciplina begegnet schon früh als Term bei Konzilien; siehe hierzu BERTAUD, Discipline, 1302–1304 und CAMPOS, Disciplina 126 und 128–129. An der Unterscheidung zwischen einer eher disziplinären und einer eher punitiven Geißelung soll hier auch dann festgehalten werden, wenn sie im konkreten Einzelfall nicht immer einfach durchführbar ist. Der Sitz im Leben der punitiven Geißelung ist besonders das Militär und die öffentliche Judikative. Vgl. hierzu PALLADIUS, Historia Lausiaca versio latina 7,5 (Wellhausen, 508) und PACHOMIUS,

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(2) Geißelungen im Sinne einer Bußübung lassen sich erst für eine spätere Zeit belegen: Frühe Zeugnisse für Bußgeißelungen begegnen uns im iro–schottischen Bereich – so bei Pardulf (†734). Ab dem 10. Jahrhundert existieren weitere Belege für eine Bußgeißelung als Äquivalent für die in Bußbüchern verzeichneten Bußtarife. Anstelle von Gebeten, Almosen, Fasten, Pilgerreisen oder anderen asketischen Bußwerken können also auch Geißelhiebe zur Sühne angerechnet werden. Auf einer solchen Bußtheologie aufbauend breitete sich die Bußgeißelung im monastischen Kontext aus, um schließlich als integraler Teil in die monastische Bußpraxis assimiliert zu werden.1 (3) Die Geißelung als eine eigenständige Frömmigkeitsübung geht hingegen auf die Zeit von Petrus Damiani und den Neuen Eremitismus des 11. Jahrhunderts zurück. Das Neuartige der Andachtsgeißelung lässt sich mit einem äußeren und innerem Kriterium benennen: Beim äußeren Vollzug liegt der Unterschied vor allem darin, dass die disciplina–Geißelung des Alten Mönchtums von einer Autoritätsperson an einer büßenden Person vollzogen wurde; dem Petrus Damiani schwebte hingegen eine Selbstgeißelung propriis manibus vor, bei der sich eine bis dahin unbekannte und als ungehörig empfundene Personalunion von Geißelndem und Gegeißeltem ergab. Bei der Andachtsgeißelung stieg zudem der theologische Argumentsbedarf beträchtlich: Die Bußgeißelung der Iroschotten resultierte unmittelbar aus der juridischen Dimension der Beichte, denn der in den Bußbüchern benannte Tarif ließ sich spielend in Geißelungsäquivalente umrechnen; eine tiefere theologische Herleitung war entbehrlich. Petrus Damiani optierte hingegen für eine elaborierte Andachtsgeißelung, die sich nicht nur auf Bußbücher stützen konnte, sondern eine passiologische und soteriologische Begründung erforderlich machte.2 Bevor wir den genauen Vollzug, die passio–soteriologische Begründung und Wirkungsgeschichte der neuen Andachtsgeißelung in Augenschein nehmen können, müssen wir freilich zuerst Stolpersteine, welche die theologische und kulturgeschichtliche Interpretation behindern könnten, aus dem Weg räumen. Keine andere asketische Übung des Christentums bereitet dem modernen Empfinden mehr Schwierigkeiten, ruft größere Ratlosigkeit hervor oder löst eine so massive Abwehrhaltung aus, wie die eben genannte Selbstgeißelung. Schon seit Längerem werden

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Regula praecept 4 (Boon, 64). Zahlreiche Stellen begegnen in der Benediktsregel; siehe BENEDIKT VON NURSIA, regula 2,28–29 (Holzherr, 64) für die Kompetenz des Abtes; 23,5 (172) bezüglich Ordensausschluss; 28,1 (182) bei Verhärtung; 30,3 (187) bei Minderjährigen; 45,3 (231) für Fehler im oratorium und schließlich 71,9 (320) im Kontext des gegenseiten Gehorsams der Brüder. Vgl. die Übersicht bei RIEDER, Deus locum dabit, 252–254. Zu den vereinzelten Zeugenissen der Bußgeisselung vor Petrus Damiani vgl. VITA PARDULFI (MGH SS rer Merov 7, 28) und REGINO VON PRÜM, de ecclesiasticis disciplinis 2 (PL 132, 369–370). Siehe hierzu die eindringliche Darstellung von RIEDER, Deus locum dabit, 254–266.

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vor allem zwei Theorien vorgetragen, um das anstößige spiritualitätsgeschichtliche Phänomen der Geißelung einzuordnen: (1) Eine Strategie versucht zu zeigen, dass es in der Geschichte des Christentums zu einer bedauerlichen Verschiebung gekommen sei, als ein bedenklicher platonischer Dualismus ins Christentum eindrang und in der Form der augustinischen Anthropologie dem Mittelalter weitergereicht wurde. Eben dadurch seien dualistisch–leibfeindliche Tendenzen propagiert worden, die sich unter anderem in Askese und Unterdrückung der Sexualität Ausdruck verschafft hätten. Erst durch den Aristotelismus des 13. Jahrhunderts, die Renaissance, Aufklärung und Moderne seien derartige Engführungen schrittweise überwunden worden. (2) Eine zweite Auffassung versucht die Selbstgeißelung von der Psychologie und/oder Soziologie her anzugehen und aufzuweisen, hinter der mittelalterlichen Selbstgeißelung stecke der inadäquate Versuch, innerpsychische und/oder soziale Konflikte auf eine autoagressiv–regressive Weise zu bearbeiten.1 Beide Hypothesen können hier nicht im Detail besprochen werden; für unseren Zweck mag es genügen, einige Leitideen zu formulieren, die für eine sachgemäße Interpretation des Phänomens der Geißelung wichtig sind: (1) Der Weg, Leibfeindlichkeit und Leibfreundlichkeit auf die Zeitachse zu projizieren, um sie dann unterschiedlichen Epochen zuzuschreiben – nach dem Schema „leibfeindliches Mittelalter“ versus „leibfreundlich–aufgeklärte Moderne“ – scheint nicht gangbar.2 Die Dialektik der beiden anthropologischen Pole Leib– Sein und Leib–Haben muss als anthropologische Grundbestimmung gelten, die dem Menschen zu allen Zeiten als Bewährung aufgegeben ist.3 Immer und überall haben Menschen mit ihrer Leiblichkeit gerungen und dabei vielfältige Antworten und Strategien hervorgebracht; neuere Beiträge der Kulturanthropologie weisen 1

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LITTLE, Personal Development, 317–341 und 523–528 diagnostiziert bei Petrus Damiani psycho–pathologische Züge und leitet sie von seinen Kindheitserfahrungen her; siehe hier besonders das Urteil von 340: „He sought self–control partly through flagellation, which, while it served him as he wished, at the same time gave him erotic pleasure and relieved him from some of the pressures of guilt“ – ein Urteil, dem hier nicht weiter nachgegangen werden soll. Zur Unangemessenheit einer Interpretation der Geißelungszüge von 1349 als soziomotorische Übersprungshandlungen (so etwa ERBSTÖßER) vgl. GRAUS, Pest – Geißler – Judenmorde, 49–59. Das Zeugnis der Askese in den Weltreligionen macht eher die askeselose Version des modernen Christentums erklärungsbedürftig als die global ungebrochene Ausübung religiöser Askese – zumal sogar in den Jugendszenen des Westens eine Wiederkehr säkularer Ersatzformen einer Bearbeitung der limitischen Körpermembran (Piercing, Branding) zu verzeichnen ist. Auch zeitgenössische schi'itische Geißelungszüge oder die Passionsfrömmigkeit der Philippinen weist darauf hin, dass es sich bei der Geißelung nicht um ein Phänomen aus vergangenen Zeiten handelt. Zur Soziomotorik der heutigen philippinischen Flagellationen und Selbstkreuzigungen vgl. MOSER, Representations of suffering, 153–168. Für eine Erstauskunft zur Phänomenologie der Leiblichkeit siehe HAEFFNER, Philosophische Anthropologie, 88–105.

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etwa auf verdeckte Leibfeindlichkeiten der Moderne hin, die der mittelalterlichen Problematik in nichts nachstehen – etwa Leistungssport oder fragwürdige Angebote der Spaßgesellschaft, die zwar unter dem Etikett der Lebenssteigerung erscheinen, aber dieses Versprechen keinesfalls einlösen können. (2) Die sozio–psychologische Rekonstruktion der Hintergründe von Geißelungspraktiken ist zweifellos ein wertvolles Hilfsmittel. Allerdings kann aus dem Umstand, dass sich in Einzelfällen (sozio–)pathologische Hintergründe aufdecken lassen, nicht gefolgert werden, die Selbstgeißelung sei eo ipso ein pathologisches Phänomen. (3) Die Versuche, bei einem bestimmten Autor eine Verengung des Gottesbildes zu diagnostizieren – etwa im Sinne eines „rächenden Gottes“ –, ist ein mögliches aber durchaus aufwändiges Unterfangen: Man müsste dazu das Gesamtwerk des Autors komplett sichten, den biographischen Horizont rekonstruieren und den Befund strikt hermeneutisch interpretieren. Eine Generalisierung einzelner Theologumena reicht für ein derartiges Urteil nicht hin. Dieses Plädoyer für einen vorübergehenden Verzicht auf eine moralische Wertung der Geißelung zugunsten einer vorgängigen sachlich–objektiven Strukturanalyse darf indes nicht darüber hinweg täuschen, dass die Frage der Andachtsgeißelung zur Zeit von Petrus Damiani nicht sachlich–objektiv, sondern kontrovers–polemisch besprochen wurde. Der Stein des Anstoßes war damals allerdings nicht das Thema der Leibfeindlichkeit, sondern die unerhörte Neuheit und Modernität (novitas) der Andachtsgeißelung, die weder durch die Bibel noch durch die Theologie der Kirchenväter gedeckt zu sein schien.1 Der Umfang der Textpassagen, in denen Petrus Damiani eine Apologie der Andachtsgeißelung unternimmt, verrät die Schärfe des Diskurses, über den wir uns einen knappen und dennoch umfassenden Überblick verschaffen müssen. Zugang zum Thema erlangen wir insbesondere durch drei Briefe aus der Feder des Petrus Damiani sowie durch einige Passagen des 'Liber heremitice regule' aus Camaldoli. Für die rechte Interpretation der drei Briefe gilt es, den polemischen Charakter der drei opuscula zu berücksichtigen: Im Brief 45 wendet sich Petrus Damiani gegen florentinische Stadteremiten, welche die Geißelung vollends ablehnen; im Brief 56 polemisiert er gegen den Mönch Petrus Cerebrosus, um den geistlichen Wert der Geißelung apologetisch heraus zu arbeiten; im Brief 161 thematisiert er die Bedeutung der Geißelung für eine monastische Gemeinschaft – just zu dem Zeitpunkt, als der Konvent von Monte Cassino, der nach der Vorstellung von Petrus als Multiplikator dieser Frömmigkeitsübung hätte dienen sollen, diese Übung wieder eingestellt hatte.2 Wir dürfen uns also von Petrus Damiani keine sachliche Beschreibung erwarten, sondern werden in 1

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Zum Vorwurf der „unerhörten Neuerung“ siehe etwa PETRUS DAMIANI, epistula 45 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 36/9–13) und epistula 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 155). Zur genaueren Diskussion dieser novitas vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 255–256. Vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 25–255 und GOUGAUD, Dévotions, 182.

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den Schriften einer rhetorisch ausgebauten, bisweilen provozierenden Apologie begegnen: (1) Kritiker der Andachtsgeißelung führen ins Feld, bei der Frömmigkeitsübung der Geißelung handle es sich um eine neue, unbekannte und zudem ziemliche unerfreuliche Bußübung. Petrus Damiani versucht angesichts dieser massiven Anfrage die theologische Legitimität der Geißelung aufzuweisen: durch Zeugnisse aus dem Alten Bund, durch Verweise auf die Passion Christi, auf Paulus, auf Stellen aus dem Hebräerbrief, bei Hieronymus und den Vätern.1 Lässt sich durch dieses Traditionsargument nun zweifellos aufzeigen, dass es sich bei der Geißelung um einen „alten Brauch“ handle, so ist der unerhörte, neuartige und unpassende Charakter der Andachtsgeißelung keineswegs widerlegt: Die „alte Geißelung“ war in die Pädagogik des monastischen Lebens und in das Sakrament der Buße eingeordnet und niemals Selbstgeißelung. (2) Petrus Damiani argumentiert daraufhin passiologisch, martyrologisch und pönitential, um die von ihm propagierte Geißelung propriis manibus theologisch herzuleiten: Jesus habe mit dem Gebot der Kreuzesnachfolge eine martyriologische Verpflichtung aufgestellt. Zur Zeit der Christenverfolgung bzw. als das Christentum noch keine Staatsreligion war, da habe das bloße Christusbekenntnis schon so viele Unannehmlichkeiten gebracht, dass man damit das martyriologische Gebot zur Gänze erfüllen konnte. Unter den Bedingungen der Jetzt–Zeit seien allerdings keine Schläge oder Nachteile von außen zu erwarten – ganz im Gegenteil: Religion und Religiosität zahlten sich aus. Daher solle wenigstens der Mönch/Eremit seine innere martyriologische Bereitschaft durch einen leibhaftigen und handgreiflichen Akt der Selbstgeißelung glaubhaft machen, bei welchem er in Personalunion die Rolle des Geißelnden und Gegeißelten spielen müsse.2 Der Ausdruck „Rolle spielen“ scheint für die Andachtsgeißelung nach dem Verständnis von Petrus Damiani eine besondere Bedeutung zu haben. Sichtet man die Theologumena der Geißelung, die Petrus Damiani in seinen Briefen anführt, so drängt sich unwillkürlich der Eindruck auf, einem passiologischen Spiel beizuwohnen: (1) Wenn sich der Mönch/Eremit der Andachtsgeißelung unterzieht, dann blickt „die göttliche Güte ... auf jenen herunter, der sich nackt dem göttlichen Blick darbietet wie einer, der eines überaus grauenhaften Verbrechens überführt ist. Er spielt zu-

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Siehe Mk 15,15 (Geißelung Christi vor der Kreuzigung); 2 Kor 11,25 (Geißelschläge von Paulus); Apg 5,40 (Geißelung von Aposteln); Hebr 11,36 (Geißelung von heiligen Märtyrern). Diese biblische Verankerung bringt PETRUS DAMIANI, epistula 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 156) ins Spiel. Zur passiologisch–martyriologischen und pönitentialen Legitimationsstrategie insgesamt vgl. PETRUS DAMIANI, epistula 45 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 36–37) und 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 156–159), sowie die Auswertung der Argumentation bei RIEDER, Deus locum dabit, 254–260.

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gleich den Ankläger und den Folterer, den Angeklagten und den Zeugen, den Richter und den Henker.“1 (2) Dieses Passionsspiel der Geißelung aktualisiert die dreifache Auslieferung Jesu während der Passion – nämlich dem Volk in die Hände gegeben, dem Vater übereignet und sich selbst kenotisch enteignet.2 Diese Auslieferung müsse der sich Geißelnde performativ–existentiell nachvollziehen. (3) Geißelung ist eine Form der handgreiflichen Kreuzesnachfolge, die Nacktheit erfordert: Nicht nur Christus wurde während der Passion entblößt; auch der Mönch/Eremit muss anlässlich der Geißelung zu einer Entblößung (nuditas) bereit sein, um so auf nackte Weise dem nackten Christus nachzufolgen, und dadurch das berühmte nudum–Christum–nudus–sequi–Motto von Hieronymus zu erfüllen.3 (4) Christus ist der König der Märtyrer, die ihm zu Zeiten der Christenverfolgungen durch ihr Blutzeugnis nachgefolgt sind. Wenn heute kein Ernstfall des Glaubens mehr vorliege, dann solle man wenigstens durch den performativ–rituellen Akt eines Geißelhiebs das „Wollen des glühenden Herzens“ bezeugen, um so seine martyriologische Gesinnung zu ratifizieren.4 Oder anders auf den Punkt gebracht: Petrus Damiani mutet dem Mönch/Eremiten zu, die latrologische Rolle, die Jesus bei der Passion übernommen hatte, vermöge einer Andachtsgeißelung im Hier und Jetzt performativ zu vergegenwärtigen und zu begehen. Von daher bekommt auch der Widerstand der Gegner des Petrus Damiani, welche die Andachtsgeißelung ablehnen, ein klares Profil: Das monastische Leben zurzeit von Petrus Damiani ist beinahe restlos in säkulare Herrschafts–, Wirtschafts– und Kulturstrukturen integriert. Einem in diesem Horizont verankerten klassischen „Mönch von Welt“ mag in der Tat nichts fremder anmuten, als einen latro zu spielen, sich zu entkleiden, eine disciplina zu geben oder eine schändlich–unehrenhafte flagellatio zuzufügen. Auch in der Christus–Ikonographie der Zeit schreckte man vor einem Passions– Naturalismus noch zurück. Die Bearbeitung der limitischen Kontur des Leibes durch Askese scheint in der christlichen Antike und im Mittelalter nicht dieselben Probleme aufgeworfen zu haben wie in der Moderne. Dass Petrus Damiani mit seiner Andachtsgeißelung allerdings dem 1 2 3

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Siehe PETRUS DAMIANI, epistula 45 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 37); hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von RIEDER, Deus locum dabit, 257. Siehe PETRUS DAMIANI, epistula 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 157): „non solum a Iuda, sed eciam a Patre et a semetipso quoque traditus invenitur.“ Siehe hierzu PETRUS DAMIANI, epistula 161 (MGH Briefe dt. K. 4,4, 137); in diesem Fall handelt es sich allerdings nicht um die Privatgeißelung auf der Zelle, sondern um eine Geißelung im kommunitären Rahmen des Schuldkapitels. Zum nudus–nudum–sequi–Motto vgl. HIERONYMUS, homiliae in Luc 16,31 (CChr 78, 514); zu den theologischen Hintergründen vgl. BERNARDS, Nudus nudum Christum sequi, 148–151, hier besonders 149, und CHÂTILLON, Nudum Christum nudus sequere, 719–772, hier besonders 726–728. Siehe PETRUS DAMIANI, epistula 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 157) und 161 (MGH Briefe dt. K. 4,4, 141/4–6).

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Mönch/Eremiten zumutete, die latrologisch–passiologische Rolle Christi während der Passion und die martyrologisch–latrologische Rolle der frühen Christen am eigenen Leib handgreiflich zu vollziehen – gleichsam als justus et peccator – das erregte Widerwillen oder Bewunderung. Wie darf man sich die konkrete Durchführung der von Petrus empfohlenen Geißelübungen vorstellen? Die auf uns gekommenen Texte lassen uns im Unklaren und enthalten kaum technisch–praktische Beschreibungen. So können hier nur einige Beobachtungen zusammenstellt werden, die sich bei der Textlektüre aufdrängen. Klar ersichtlich ist die Ausdifferenzierung in zwei Formen, unter denen die Andachtsgeißelung auftritt: als gemeinsamer Vollzug im anachoretischen Personenverband und als private Handlung in der eigenen Zelle.1 Diese beiden Formen unterscheiden sich durch Details: (1) Die gemeinsame Form der Geißelung wurde für gewöhnlich einmal pro Woche innerhalb des Schuldkapitels vollzogen. Der rituell–symbolische und unblutige Charakter solcher Gemeinschaftsgeißelungen erhellt unmittelbar aus dem 'Liber heremitice regule', wenn es dort heißt, das Sündenbekenntnis der Teilnehmer beim Schuldkapitel ende mit „Geißelschläge(n) auf die nackten Glieder, jedoch nicht um den Körper zu martern, da sie sich in den Zellen härtere Strafen zufügen, sondern aus Eifer, dem Beispiel göttlicher Passion und Erniedrigung zu folgen, zur Beschämung des Königs des Stolzes.“2 Wir können daraus schließen, dass der Pönitent nach seinem Bekenntnis seinen Habit öffnete, seinen Rücken entblößte und sich mit der Geißel nur mäßig schlug, so dass die Haut nicht sichtbar affiziert wurde – also ohne Striemen und Wunden. Im Zentrum der Handlung standen die performative imitatio und symbolisch–rituelle proclamatio. (2) Die Andachtsgeißelungen als private Übungen in der Zelle konnte laut obiger Passage intensiver und schlagkräftiger durchgeführt werden, als es die symbolische Geißelung vor den Augen der Gemeinschaft erlaubte. Dass es dabei zu einer sichtbaren Zeichnung der Haut mit Striemen kommen konnte, ist gesichert. Indizien sprechen allerdings dafür, dass auch bei der privaten Geißelung nur in Ausnahmefällen Blut vergossen wurde: Andachtsgeißelungen wurden im eremitischen Kontext – zumindest gemäß dem von Petrus Damiani geschilderten Idealfall – täglich vollzogen.3 Die in Urkunden bezeugte Lebenserwartung von Mönchen/Eremiten spricht gegen eine regelmäßige blutige flagellatio, durch welche die Haut als Immunbarriere ständig verletzt worden wäre – was schon nach einer kurzen Zeit letale Folgen gezeitigt hätte. Ganz im Sinne einer nicht–invasiven Geißelung, bei der die Haut weitestgehend unversehrt blieb, klingen auch die mäßigenden Formeln, die sich in den einschlägigen Texten allenthalben finden: Die 1 2 3

Vgl. zum Folgenden auch die Ausführungen bei RIEDER, Deus locum dabit, 263–266. Siehe LIBER HEREMITICE REGULE 19 (Vedovato, 293). Vgl. PETRUS DAMIANI, epistula 45 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 36): „cotidiani usus assiduitate frequetant“.

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Bemerkung, eine Geißelung werde vom Hörensagen für härter gehalten als sie sich dann bei der Ausführung tatsächlich anfühle (disciplina durior creditur quam sentitur), legt nahe, dass es bei der Geißelung – trotz der deftigen Rhetorik mancher Texte – nicht in erster Linie um leibliche Schmerzen und Martern ging. Die Geste diente vielmehr dazu, den Geist anzutreiben (spiritus potius scopite).1 Schließlich fällt auf, dass die disciplina regelmäßig als Teil einer Trias, nämlich disciplina – metanea – palmata, das heißt Geißelung – Knien – Niederwerfen, erscheint. Für das Verständnis der Geißelung folgt daraus: Als Pendant zu Knien und Niederwerfen, zwei körperlichen Ausdrucksformen des geistigen Gebetsvollzugs, darf man unter der „Geißelung“ als dritte Ausdrucksform der Gebetsgesinnung wohl ein eher gemäßigtes Schlagen des Rückens annehmen2 – vielleicht in einer gewissen Strukturanalogie zu den Schlägen mit dem Schlagstock, durch die im Zen– Buddhismus ein Zazen–Übender zwar überaus schlagkräftig aber dennoch ohne größere Blessuren angetrieben wird. Oder um es nochmals auf eine andere Weise heraus zu stellen: Das eigentliche Moment der mittelalterlichen Andachtsgeißelung war die rituell–symbolische, liturgisch– dramatische und performative Vergegenwärtigung des latrologischen Aspektes der Passion. Geistliches Ziel der Geißelung war die leibhaftige Einübung in die Passions– Kenose Christi. Im Mittelalter erachtete man die Geißelung als sinnvoll, weil man auch in Zeiten martyrologischer Lauheit zumindest eine innere martyriologische Bereitschaft konkret ratifizieren wollte. Dass es bei Bußgeißelungen zu psychopathologischen Phänomenen kommen konnte, belegen Zeugnisse.3 Dass die flagellatio schon im Mittelalter umstritten war und es auch damals Alternativen gab, wird sich nun bei der Analyse der kartäusischen Latrologie erweisen.4

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Siehe PETRUS DAMIANI, epistula 133 (MGH Briefe dt. K. 4,3, 454) und epistula 56 (MGH Briefe dt. K. 4,2, 159). Eine Mäßigkeit in der damianischen Flagellationspraxis bescheinigen BLUM, Peter Damian, 116 und LECLERCQ, Flagellazione voluntaria, 81, während RIEDER, Deus locum dabit, 261–263 die Mäßigungs–Wendungen für wenig überzeugend hält. Vgl. LIBER HEREMITICE REGULE 38 (Vedovato, 298–299): „in metaneis vero, et palmatis, vel scoparum ictibus“. Am bekanntesten sind die Askese–Exzesse von Heinrich Seuse, die später noch eingehender besprochen werden. Vgl. hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 266–279.

6.2.

Kartäusische Latrologie

6.2.1. Bruno und Guigo Auch bei der Entstehung des Kartäuserordens begegnet eine gewisse Zweipoligkeit einer Gründerfigur und einem späteren Ausgestalter, die wir von der Konstellation Romuald und Petrus Damiani kennen. Im Fall der Kartäuser kam der eigentliche Grundimpuls einer Revitalisierung anachoretischer Spiritualität von Bruno, der zwischen 1027/30 in Köln geboren wurde; die eigentliche Institutionalisierung und Konsolidierung der Bewegung wurde hingegen vom Kartäuserprior Guigo I. voran getrieben. Der Entschluss zur fuga mundi und rückhaltlosen eremitischen Gottessuche reifte in Hugo in seiner Zeit als Kathedralkanoniker in Reims heran. Sein Interesse an eremitischer Einsamkeit als Alternative zur kirchlichen Karriere brachte ihn in Kontakt mit anderen eremitischen Bewegungen und deren Konzepte – etwa mit Ideen von Robert von Molesme, einem der Gründungsväter der Zisterzienser, und mit dem italienischen Eremitismus. Im Jahre 1084 beginnt eine kleine aber hochmotivierte Gründungsgemeinschaft aus fünf Klerikern und zwei Konversen ihr anachoretisches Projekt in der Nähe von Grenoble mit Unterstützung von Bischof Hugo.1 Die beiden Terme Kleriker und Konverse (laicus, conversus) stehen für eine klare Differenzierung von zwei Lebensweisen im kartäusischen eremus: Den strikt eremitischen Priestermönchen des „Oberen Hauses“ stehen Konversenmönche zur Seite, die sich im „Unteren Haus“ Versorgungstätigkeiten widmen, den Pfortendienst versehen und Gäste betreuen, dabei aber als echte Eremiten und nicht nur als Diener (famuli) fungieren.2 Im Jahre 1090 hatte Bruno auf päpstlichen Ruf hin seine Gemeinschaft verlassen. Zuerst zerstreute sich die Gruppe durch den Weggang Brunos beinahe, bis den Mitgliedern dann doch noch aufging, dass ihr eremitisches Projekt nicht mit dem Ausscheiden Brunos ein Ende finden musste, und sie den Mut fanden, es fortzuführen. Bruno hielt es indes nicht lange am päpstlichen Hof. Schon 1091 kehrte er zum eremitischen Leben zurück,– allerdings nicht mehr in die Chartreuse, sondern ins kalabrische La Torre. Nach seinem Tod 1101 im eremus von La Torre setzten dort starke Koinobitisierungs1

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Siehe hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 33–39. Zur genaueren Biographie Brunos siehe auch den knappen Überblick von HOGG, Bruno und die Kartäuser, 87–107 sowie BLIGNY, Saint Bruno et la naissance des chartreuses, 7–14 und Saint Bruno oder POSADA, Der Heilige Bruno. Siehe RIEDER, Deus locum dabit, 35–36. Zu den Hintergründen des Konversen–Instituts vgl. auch HALLINGER, Woher kommen die Laienbrüder?, 1–104; LAPORTE, ASVC 3, 1–51; DUBOIS, Institution des convers, hier besonders 199–203, und Converso, 110–114 sowie MURSELL, Theology, 203–207.

Kartäusische Latrologie

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tendenzen ein, die schließlich dazu führten, dass La Torre im Jahre 1193 zisterziensisch wurde.1 Anders verlief die Geschichte der Chartreuse: Die 'Consuetudines' des Priors Guigo verhinderten erfolgreich eine Koinobitisierung und stellten die Weichen für eine beispiellose eremitische Blüte, die bis heute fortdauert. Der im Jahre 1083 auf dem Schloss von Saint–Romain–du–Val–Mordane in der Diözese Valence geborene Guigo hatte sich 1106 der Gemeinschaft der Chartreuse angeschlossen. Schon im Jahre 1109 wurde er ihr Prior.2 In den Jahren 1121–1127 verfasste Guigo die 'Consuetudines', die zusammen mit seinen 'Meditationes' als Schlüsseldokumente Kartäuser–Spiritualität gelten dürfen. Äußerer Anlass der Abfassung von 'Consuetudines' war die Anfrage anderer Eremitengemeinschaften (Portes, Saint–Sulpice und Meyrat), die von Guigo gerne erfahren wollten, wie man in der Chartreuse das anachoretische Leben konkret eingerichtet hatte. Wie sind diese 'Consuetudines' des Guigo zu kennzeichnen? Von der äußeren Form her als Brief abgefasst, ähneln sie durchaus den „eremitischen Briefen“ des Petrus Damiani. Vom Inhalt her muss man sie als ein Kommentar zum anachoretischen Erbe lesen, das Guigo in den Werken von Hieronymus und vor allem in der 'Regula Benedicti' grundgelegt sah. Wenngleich Guigo keinesfalls als Stifter oder Gründer in Erscheinung treten wollte, sondern lediglich als Ermunterer und Förderer, so darf man die normative Kraft der 'Consuetudines' nicht zu gering veranschlagen.3 Was Guigo in den 'Consuetudines' unter normativ–praktischen Gesichtspunkten entwirft, entfaltet er in seinen 'Meditationes' unter einer spirituellen Perspektive: Er beleuchtet die menschliche Existenz vor dem Angesicht Gottes, und zieht daraus Schlüsse im Sinne einer translimitisch–anachoretischen Theologie.4 Hier ist nicht der Ort für eine Durchsicht der Theologie Guigos; die folgende Skizze soll nur wichtige latrologische Theologumena herausgreifen, die belegen, dass der kartäusische eremus nicht so sehr einen Raum der Askese als vielmehr einen Raum der stabilitas bildet.5

6.2.2. Sitzen in der Zelle – Gefängnis oder Ort der Freiheit? Die eremitische Theologie – von der Alten Kirche bis zum Mittelalter – kennt eine überreiche Phänomenologie der anachoretisch–limitischen Kontur: die Mauer des monasterium/eremus; die Mauer, welche einen Kernbereich innerhalb des eremus aussondert; die Mauer der einzelnen kellia; der eremitische Habit, welcher die limitische Kör-

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Vgl. hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 38. Zu den spärlichen biographischen Daten Guigos vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 46–50 und LAPORTE, Guigues I, 1169–1175. Siehe hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 50–55. Vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 55–60. Zu dieser Kurzformel siehe die Ausführungen von RIEDER, Deus locum dabit, 219–231.

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permembran des Eremiten umhüllt; das Herz, welches den Innenbereich der Person birgt, und so fort.1 Diese anachoretisch–limitische Kontur ist ursprünglich topographisch beziehungsweise handgreiflich–real gemeint: Ein Eremit wohnt durch eine Mauer von der Welt abgesondert in seinem kellion; er pflegt ein immerwährendes Gebet, indem er sich von der Welt ab– und in sein Herz einkehrt. Als die anachoretische Lebensform in ihren diversen monastischen und eremitischen Spielarten im frühen Mittelalter in säkulare Herrschafts–, Wirtschafts– und Sozialstrukturen eingebunden wurde, verlor allerdings die anachoretisch–limitische Kontur und der eremus bisweilen den handgreiflich– konkreten Charakter und wurde spiritualisiert, symbolisiert und chiffriert: Der eremus steht im Extremfall nur noch für die Gebetszeit oder Askese–Übung, mit welcher der Mönch oder Kleriker, ansonsten fest in die soziale Mitwelt eingebunden, den Alltag liturgisch–aszetisch kurz unterbricht. So ethisch hochstehend und kulturschöpferisch das monastische Leben im 10. und 11. Jahrhundert gewesen sein mag, so sehr musste einem kritischen Beobachter ins Auge stechen, wie weit sich dieses geistliche Leben von der translimitischen Radikalität eines Benedikt oder der Wüstenväter entfernt hatte, zumal man Schlüsseltexte wie die 'Regula Benedicti', die 'Conlationes' Johannes Cassians, 'Vitas Patrum' und die Briefe von Hieronymus ständig las und sich so immer wieder den Spiegel vorhielt. Die Vertreter des Neuen Eremitismus inkriminieren gerade diese mangelnde handgreifliche Umsetzung translimitischer Strukturen: Sie mahnen die tatsächliche Beobachtung von Armut an, fordern eine konsequente Befreiung vom Lehens– und Eigenkirchenwesen, propagieren eine Rückkehr zu Wildnis und Wald, klagen die Beobachtung der Klausur ein und rufen zum Streben nach Heiligkeit durch Askese auf.2 Während Petrus Damiani den Akzent auf Askese setzt – etwa durch die Übung der Bußgeißelung –, ist bei den frühen Kartäusern ein Bestreben zu verzeichnen, den eremus samt limitischer Kontur im topographischen Sinne wieder zu errichten: (1) Die Aufrichtung der limitischen Kontur ist bei der Grand Chartreuse besonders augenfällig: Der gesamte Bezirk, auf dem sich der eremus befindet, ist von einer hohen Mauer umfriedet und nur durch das eindrucksvolle Torhaus zugänglich. Anders als der benediktinische Pförtner, der eine geregelte Kommunikation zwischen dem monasterium und der Außenwelt herstellen soll, ist es die Aufgabe des im Torhaus sitzenden kartäusischen Brückenwächters (custos pontis), die Eremiten von unnötiger Kommunikation abzuschirmen. Hinzu kommt, dass in der Grand Chartreuse die Brücke rund 4,5 km vom Oberen Haus mit den Zellen der eremiti1

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Zum mehrfachen limes vgl. LAPORTE, ASVC 2, 535: Zelle, Kloster, eremus; BAUER, Grenzen der Kartause, 43–47: Klostermauer, Zelle, Lettner, Klosterkerker; RIEDER, Deus locum dabit, 192: eremus, Zelle, Herz. Zum Mönchshabit der Alten Kirche vgl. OPPENHEIM, Symbolik des Mönchskleides. RIEDER, Deus locum dabit, 43 bescheinigt den Kartäusern: „Die Kartäuser selber praktizieren die Loslösung aus dem Lehens– und Eigenkirchenwesen von Anfang an sehr konsequent.“ Zum Idealbild einer désert chartreux vgl. DUBOIS, Le désert, 15–35, hier besonders 24–25.

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schen monachi entfernt liegt.1 Ein Kontakt der Kartäuser mit Besuchern, seien sie von edler oder bürgerlicher Herkunft, Personen aus ärmlichen Verhältnissen oder mit translimitischem Hintergrund – Guigo spricht beispielsweise von umherziehenden Fischern, Jägern, Soldaten, Hirten und Frauen – ist weitgehend ausgeschaltet.2 (2) Die strenge Verpflichtung auf eine Trennung von der Welt bindet alle Mitglieder einer Kartause, also auch den Prior, der, wenngleich er aufgrund seiner Leitungsaufgabe bisweilen zwischen Oberem und Unterem Haus pendeln muss, die Grenzen der Kartause (heremi terminos) doch keinesfalls verlassen darf, und allen stets ein leuchtendes Beispiel eremitischen Schweigens und der Beständigkeit (exemplum quietis et stabilitatis) zu geben hat.3 Für die Konversen des Unteren Hauses gelten wegen der Versorgungstätigkeiten, die sie leisten, gewisse Sonderregelungen in Bezug auf die Kommunikation, welche freilich ihre grundsätzlich eremitische Lebensweise, der auch sie in ihrem kellion im Unteren Haus obliegen, in keinster Weise außer Kraft setzen sondern nur umso deutlicher hervortreten lässt.4 (3) Will man präzise benennen, was den Kartäuser zum Kartäuser macht, so darf man sich auf die Bestimmung „Kellion–Bewohner“, habitator cellae5, stützen. Guigo zitiert an einer zentralen Stelle der 'Consuetudines' das berühmte Gleichnis vom 'Fisch im Wasser', das in den 'Apophtegmata Patrum' entweder dem Abbas Antonius oder Moses zugeschrieben wird: Die Zelle sei für ihren eremitischen Bewohner so notwendig wie das Wasser für den Fisch.6 Die kartäusische Zelle ist mehr als ein Schutzraum vor Störungen: Er bildet den essentiellen Lebensraum; er gehört zu den necessaria kartäusischer Existenz. Von daher wird auch klar, warum alle wichtigen monastischen Institutionen wie Garten, Werkstatt, Schlafstelle und Oratorium in das kartäusische kellion hinein verlegt sind: Weil die eremitische Zelle ein necessarium ist, muss es auch alles Notwendige in sich enthalten. Nur so 1

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Zum Brückenwächter vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 194; LAPORTE, ASVC 7, 879 und BLIGNY, Recueil, 19. Zum limitischen Schutz der Kartausen siehe aber auch DUBOIS, Les Limites des Chartreuses, 1–63 und BAUER, Die Grenzen der Kartause, 43–56. Schon die frühen koptischen Lauren und Koinobien wurden durch eine limitische Umfriedungsmauer abgegrenzt; siehe hierzu TORP, Les murs d'enceinte, 173–200. Zu dieser Wendung siehe die Anordung des Bischofs Hugo, die BLIGNY, Recueil, 19 zitiert: „ut feminae per terram eorum nullatenus transeunt, neque viri arma portantes ... piscationem et venationem, et avium captationem, ovium vel caprarum atque omnium domesticorum anmalium pascua et transitum prohibemus“. Vgl. hierzu GUIGO, consuetudines 15,4 (SCh 13, 198) und 15,2 (SCh 13, 198) mit der Wendung „quietis et stabilitatis exemplum“. Siehe hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 196. Vgl. GUIGO, consuetudines 17,2 (SCh 13, 202) und 31,1 (SCh 13, 230–232). Vgl. GUIGO, consuetudines 13,1 (SCh 13, 232): „sicut aquas piscibus et caulas ovibus, ita suae saluti et vitae cellam deputet necessarium“. Im Hintergrund stehen APOPHTEMATA PATRUM 10 (Miller, 16) bzw. VITAS PATRUM 3, 109 (PL 73, 781).

Eremitische Wende

194

kann verhindert werden, dass der Zellen–Bewohner zur Sicherung seiner vitalen Grundbedürfnisse nach draußen gehen muss und dadurch sein eremitisches Leben unterbricht.1 (4) Die Bestimmung habitator cellae spiegelt sich auch beim Noviziat wider: Ein Novize gelangt nicht durch den Eintritt in den kartäusischen eremus in den sicheren Hafen seiner Gottessuche, sondern erst vermöge seines Einzugs in die Zelle. Darum muss das Noviziat insgesamt als Einführung in die Zelle (introductio in cellam) verstanden werden. Erst wenn sich der Novize in die Zelle eingewohnt und eingewöhnt hat, ist er wirklich zum Kartäuser geworden.2 (5) Die Strenge des Verweilens in der Zelle wird bei Guigo selten direkt angesprochen aber per negativam deutlich. Auch bei Guigo gibt es ein „Lob der Zelle“, aber in seinen Texten fehlt, was sich andere eremitische Autoren nie oder doch nur selten entgehen lassen: die Beschreibung der Zelle als locus amoenus. Unter Rezeption vorchristlicher griechischer und lateinischer Topoi hatte schon die frühe eremitische Literatur – etwa die 'Vita Pauli' von Hieronymus – die eremitische Grotte als wunderbare Oase besungen: mit erfrischender Wasserquelle, gesunder Luft, süßen Früchten, duftenden Blumen und zahmen Tieren.3 Auch Guigo weiß um die Schönheit der Zelle: sie ist der Ort einer möglichen Ankunft Gottes. Im Pilgerstand bleibt die Zelle aber stets ein translimitischer Ort des Harrens und Wartens, und ist gerade noch keine Antizipation des Paradieses.4 Der genuin kartäusische Akzent auf der stabilitas lässt sich insbesondere an der Professformel ablesen: Der Priester–Mönch verpflichtet sich unmittelbar auf das Leben in der Zelle, wenn er spricht: promitto stabilitatem et oboedientiam – also stabilitas, die Gehorsam impliziert. Bei den Konversen, die sich zum Teil Versorgungsarbeiten widmen, ist die Formel gleichsam umgedreht: promitto oboedientiam ... et perseverantiam ... in hac heremo – also Gehorsam, der Beharrlichkeit im eremus miteinschließt.5 Die kartäusische Betonung des treuen Verweilens im translimitischen Raum findet in einer zusätzlichen Bestimmung einen beredten Ausdruck: Kartäusische Pragmatik rechnet damit, ein Professe könne, trotzt bester Absichten, im Laufe der Zeit am kartäusischen Lebensstil scheitern. Für diesen Fall inkludiert die Profess das Versprechen, nicht wieder in die Welt zurückzukehren, sondern nach dem Verlassen der Kartause wenigstens 1

Siehe hierzu HOCQUARD, La solitude cartusienne, 227–240 und Solitudo Cellae, 323–331; RIEDeus locum dabit, 198–203, hier besonders 201–202. Zur architektonischen Funktionalität der kartäusischen Zelle vgl. auch ANIEL, Les Maisons, 34. Siehe hierzu GUIGO, consuetudines 22 (SCh 13, 212–214) und die Kommentierung bei RIEDER, Deus losum dabit, 200. Siehe hierzu HASS, Der locus amoenus. Vgl. hierzu RIEDER, Deus locum dabit, 197–198. Siehe GUIGO, consuetudines 23,1 (SCh 13, 214) und 74,1 (SCh 13, 280). Weitere Aspekte der beiden Professformeln beleuchten RIEDER, Deus locum dabit, 221–223 und LAPORTE, ASVC 6, 404–415.

DER, 2 3 4 5

Kartäusische Latrologie

195

im translimitischen Raum einer anderen, weniger strengen monastischen Form weiter zu leben. Aus der kartäusischen Perspektive gesehen ist das Verlassen des translimitischen Ortes, das exire, eben nicht nur ein harmloser Ortswechsel, sondern das Abbrechen des geistlichen Lebens und die Aufgabe eines Raumes der Freiheit.1 Aus der Warte der (Post–)Moderne ist der kartäusische habitator cellae weit weniger problematisch als der damianische Selbstgeißler. Vordergründig scheint nur die Bußgeißelung ein unverständlicher Askese–Vollzug, während einer gehetzten und beschleunigten postmodernen Gesellschaft die kartäusische Zelle zunächst sogar als wünschenswerte Oase der Ruhe, Stille und Entspannung vorkommen mag. Auf den zweiten Blick wird die stabilitas dann aber doch zum gravierenden Problem: Der kartäusische habitator cellae bewohnt die Zelle nicht zur vorübergehenden Entspannung sondern dauerhaft und treu.2 Seit der Antike und dem Mittelalter war die Frage unausweichlich, was ein derart aktionsarmes Dauer–Leben im abgeriegelten kellion für einen Sinn haben soll: Führt die eremitisch–kartäusische inclusio cellae letztlich nicht doch in eine Gefängniszelle, die schrecklich, grausam und sinnlos ist? Was soll ein Leben im Gefängnis schon bringen?3 Es ist bezeichnend, dass die wohl schönste Apologie der kartäusischen Zelle nicht aus der Feder eines Kartäusers, sondern von dem Zisterzienser Wilhelm von St. Thierry stammt. Für einen Kartäuser mochte sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Zelle auf einer theoretischen Ebene gar nicht stellen: Sie war Bestandteil seines täglichen Lebens; Anfragen von außen stellten sich in einer Kartause eher selten. Wilhelm war hingegen mit der altmonastisch–eremitischen Spiritualität genügend vertraut, um das einsame Verweilen in der Zelle aus der Anschauung heraus zu verstehen, es aber gleichzeitig, als Angehöriger eines eher koinobitischen Lebensstils, von außen her in den Blick zu nehmen und kritisch zu hinterfragen. So formuliert er in seinem 'Goldenen Brief': „Wer immer von euch diese Frömmigkeit nicht in seinem Herzen besitzt, nicht in seinem Leben kundtut, nicht in seiner Zelle übt, sollte nicht Einsiedler genannt werden, sondern Einsamer (solus). Die Zelle ist für ihn nicht Zelle, sondern Gefängnis (reclusio) und Kerker (carcer). Wirklich einsam ist der, mit dem Gott nicht ist. In Wahrheit ist jener ein Gefangener (reclusus), der nicht in Gott frei ist. Denn Einsamkeit und Ge1

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Siehe hierzu GUIGO, consuetudines 22,2 (SCh 13, 212) und LAPORTE, ASVC 6, 388–389. Zum Problem des exire vgl. auch GUIGO, consuetudines 31,1 (SCh 13, 230–232) und RIEDER, Deus locum dabit, 226–227. BÖCKMANN, Perspektiven, 179–182 versucht zu zeigen, dass zu einer recht verstandenen anachoretischen stabilitas folgende fünf Elemente gehören: stabilitas cordis, loci, oboedientiae, propositi und in congregatione. Für die Kartäuser müsste man dann sagen: die stabilitas cordis wird vor allem als stabilitas propositi gelebt, die mit der stabilitas loci verknüpft ist. Bei den Benediktinern steht hingegen die stabilitas in congregatione und stabilitas oboedientiae deutlicher im Vordergrund. In neuester Zeit ließe sich die Faszination und Abwehr wohl am Besten durch eine Analyse der öffentlichen Reaktion auf den Film 'Die große Stille' studieren. Siehe hierzu WOLF, Kontemplation im Kino, 205–207 und FANTUZZI, Il grande silenzio, 366–374.

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Eremitische Wende

fängnis sind Namen des Elends. Die Zelle aber darf in keiner Weise ein erzwungenes Gefängnis sein, sondern sie muss eine Wohnung des Friedens sein. Das verschlossene Tor soll nicht ein Versteck sein, sondern Abgeschiedenheit (secretum).“1 Wilhelm möchte damit sagen, dass es in der Tat ein falsches Verweilen in der Zelle gibt, durch das sie sich als ein Gefängnis entpuppen könnte: Wer sich in der Zelle verstecken oder verschanzen möchte, oder sich aus anderen falschen Motiven in die Zelle begibt, dem wird sie zuerst zum Gefängnis, um ihn dann nach einer gewissen Zeit „auszuspeien“. An sich ist die Zelle aber kein Gefängnis, ganz im Gegenteil: Der Satz „Wirklich einsam ist der, mit dem Gott nicht ist. In Wahrheit ist jener ein Gefangener (reclusus), der nicht in Gott frei ist“ weist darauf hin, dass die Welt, die Gott nicht kennt oder Ihn gar bewusst ausschließt, und sich nicht darum bemüht, in Gott frei zu sein, das eigentliche Gefängnis und der eigentliche Ort des Einsamkeit sein könnte. Wie kann man aber die Zelle aus richtigen Motiven aufsuchen, so dass sie einem nicht zum Gefängnis wird? Die Zelle ist dann kein Gefängnis und tatsächlich ein Ort höchstmöglicher Freiheit, wenn sie sich „öffnet“: nicht nach außen und unten zur Welt, daher die kartäusische Sorgfalt, diese Kommunikationskanäle zu schließen, sondern nach innen und oben zu Gott. Diese Öffnung nach innen und oben kann sich der Mensch freilich nicht selbst verschaffen oder bewerkstelligen: Die Türe wird von Innen und Oben, also von Gott, geöffnet.2 Damit kommen wir zu einem Schlüsselsatz der guigonischen Theologie, von dem RIEDER gezeigt hat, dass er in nuce beinahe die ganze geistliche Theologie der Kartäuser enthält: „Non locus Deum sed Deus locum dabit“ Nicht der Ort wird Gott, sondern Gott wird den Ort geben.3

Das soll heißen: Gott ist nicht das Produkt menschlicher Standpunkte, sondern der Mensch verdankt sich in seinem (Be–)Stand Gott. Das Bleiben in der Zelle befreit den Menschen von der Illusion, das Glück läge an einem noch zu findenden Ort, der ihm das Glück gewähren könnte, oder an seiner eigenen Aktivität. Die kartäusische stabilitas ist daher das Ja des Menschen zur Gnadenstruktur der Existenz: Gott handelt, der Menschen empfängt und antwortet.4 Für die Zelle bedeutet das: Wem Gott die Zelle bereitet hat, dem ist sie kein Gefängnis, sondern der translimitische Raum der Freiheit, der ihm durch seine Berufung (auf–) gegeben ist. Das besagt nicht, das Verweilen am Ort der Freiheit wäre für den Eremiten immer einfach – eher im Gegenteil: Das Bleiben in der Zelle bildet die spezifisch kar1 2

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WILHELM VON SAINT–THIERRY, epistula aurea 29 (SCh 223, 168); hier in der Übersetzung von Goldener Brief 29 (Kohout–Berghammer, 28–29). Diesem Sachverhalt spürt auch SCHLOSSER, Einsam bist Du nicht allein, 171–192 intensiv nach, wie der Titel zur Sprache bringt: Die anachoretische Einsamkeit dient der communicatio mit Gott; der Anachoret sitzt gerade nicht in einem „solipsistischen Gefängnis“. Siehe GUIGO, meditationes 426 (SCh 308, 272). Zu dieser Interpretation des Abschnitts siehe RIEDER, Deus locum dabit, 227–231.

Kartäusische Latrologie

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täusische Askese, im Vergleich zu der alle anderen Übungen, wie Fasten oder Geißelungen, in den Hintergrund treten.1 Als Baustein für eine Latrologie ergibt sich aus unserer knappen Durchsicht der kartäusischen Theologie also folgendes Fazit: Aus der Perspektive der Welt mag das Leben des Kartäusers so aussehen, als ob ein Mensch in einer Gefängniszelle säße. Aus der eschatologischen Perspektive eines Kartäusers hingegen entbirgt sich die Zelle als das Gegenteil des Gefängnisses: als der translimitische Ort der Freiheit, den Gott gewährt. Von diesem Standpunkt aus relativiert sich die sogenannte „Freiheit der Welt“: je länger man sie aus der kartäusischen Perspektive betrachtet, desto mehr Züge eines „Gefängnisses“ könnten sich abzeichnen.

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Zur kartusianischen Zurückhaltung in Sachen Askese vgl. RIEDER, Deus locum dabit, 227–291.

6.3.

Zisterziensische Latrologie

6.3.1. Robert, Alberich, Stephan und die Gründung von Cîteaux Der Gründungsimpuls zur Formierung des Zisterziensersordens1 verdankt sich dem um 1028 in der Nähe von Troyes geborenen Robert von Molesme: Seinen monastischen Werdegang begann Robert im Kloster Moutier–la–Celle. Im Jahre 1069 wurde Robert zum Abt von Saint–Michel–de–Tonnerre gewählt. In diesem Kloster boten sich für Robert allerdings kaum Möglichkeiten, seine Idee einer konsequenten und radikalen Umsetzung der Benediktsregel zu verwirklichen. Schon im Jahre 1071 sah Robert seinen Handlungsspielraum so eingeschränkt, dass er sein Amt aufgab und sich einer Eremitengruppe im Wald von Colan anschloss. 1075 gründete er das Kloster Molesme im Bistum Langres, um seine Reformideen Wirklichkeit werden zu lassen, doch Roberts Hoffnungen sollten enttäuscht werden. Innerhalb der monastischen Gemeinschaft bildete sich ein Lager, welches das Reformprojekt zunehmend ausbremste. 1098 zog Robert von Molesme weg, um mit einundzwanzig Gefährten, darunter Alberich und Stephan Harding, im Wald von Cistels einen Neuanfang zu wagen und ein „Neukloster“ zu gründen. Schon ein Jahr später musste Robert auf päpstliches Geheiß „um des Friedens willen“ die Leitungsaufgabe von Molesme wieder aufnehmen und das Neukloster verlassen.2 Unter Alberich, der ab 1100 dem Neukloster als Abt Vorstand, ging es darum, klare Zielvorgaben zu verwirklichen: Regeltreue und Distanz zur Welt. Allerdings stagnierte die Konsolidierung der jungen Gemeinschaft, weil sowohl Novizen wie Schenkungen ausblieben. 1109 folgte Stephan Harding im Amt des Abtes. Unter seiner Leitung ging es ab 1111 mit dem Neukloster spürbar voran: Ab 1112 setzte die finanzielle Konsolidierung von Cîteaux ein.3 Im gleichen Jahr stieß Bernhard von Fontaine mit dreißig Gefährten zum Konvent. Kurz darauf kam es zur Filiation, durch welche die vier Hauptabteien entstanden: 1112 La Ferté, 1114 Pontigny, 1115 Clairvaux und Morimond. Richtungsweisend war auch die Aufnahme von conversi, von Laienbrüdern, die zwar in die Klostergemeinschaft voll integriert waren, aber gemäß dem 'Usus conversorum' doch einen ganz spezifischen Dienst versahen, der sich von dem

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Zum folgenden Aufriss der Frühgeschichte des Ordens vgl. die Kurzübersicht bei DINZEL– Zisterzienser, 349–350; zu den genaueren Hintergründen die grundlegende und umfangreiche Darstellung bei LEKAI, The Cistercians. Zu Robert als Gründungsvater des zisterziensischen Charismas siehe MERTON, Saint Robert. Founder of Cîteaux, 5–12 und MIKKERS, Robert de Molesmes, 738–814. Siehe hierzu COWDREY, Stephen Harding and Cistercian monasticism, 209–220. BACHER/ROTH,

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Zisterziensische Latrologie

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der monachi unterschied: Die Arbeit mit den Händen – im Kloster, in Werkstätten und externen Grangien – stand dabei im Zentrum.1 Die Grundprinzipien der zisterziensischen Lebensform brachte man endlich in trockene Tücher, indem man sie in den drei Grunddokumenten – der 'Charta Charitatis', dem 'Exordium Cistercii' und 'Exordium parvum' – festschrieb.2 Im Folgenden wollen wir aus diesen Dokumenten, der 'Regula Benedicti' und der frühen zisterziensichen Geschichte einige Punkte herausgreifen, die für eine zisterziensische Latrologie ausschlaggebend sind: (1) Die einschlägigen Texte belegen, dass es der zisterziensischen Reform um einen anachoretischen Exodus ging: Die Gründungsväter zogen ad heremum, der den Namen „Cistercium“ trug – eine öde Gegend, in der es nebst Dornen und Gestrüpp nur noch wilde Tiere gab.3 Der Auszug aus Molesme und Einzug in diesen eremus zielte auf ein radikaleres (artior) und abgeschiedeneres (secretior) Leben gemäß der Benediktsregel. Der heilige Vater Benedikt hatte nämlich gelehrt, Mönche müssten sich gegenüber dem weltlichen Treiben fremd machen – a saecularibus actibus se alienum facere –, was man in Cîteaux in die Wirklichkeit umzusetzen trachtete.4 (2) Der anachoretische Auszug und die Besiedlung eines translimitischen Ortes musste durch eine „Umzäunung“ vollendet werden, damit die zisterziensische Transliminalität aufrecht erhalten und gepflegt werden konnte. Für diese Umzäunung des claustrum enthielt die 'Regula Benedicti' wichtige Bestimmungen: Alles Notwendige ist innerhalb des Klosters zu errichten (omnia necessaria intra monasterium), um ein Vagieren der Mönche auszuschalten.5 Aus dieser Bestimmung entwickelte sich das Monastische Viereck: ein festes Schema, wie man um Kirche und Kreuzgang weitere Gebäude wie Kapitelsaal, Refektorium, Dormitorium, Bibliothek etc. nach funktionalen, sozialen und liturgischen Gesichtspunkten gruppierte. Bernhard hatte das benediktinische Schema neu interpretiert und in Clairvaux mustergültig umgesetzt. Dabei ging es um mehr als um Architektur und Funktionalität. Das

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Vgl. TÖPFER, Die Konversen der Zisterzienser. Die Texte finden sich mit Einleitungen, Anmerkungen, Bibliographie und französischer Übersetzung in GHISLAIN/CHRISTOPHE/PLACE, Documents primtifs. Einen ersten Überblick über die Verfassung der Zisterzienser bietet DINZELBACHER/ROTH, Zisterzienser, 356–358. Siehe EXORDIUM PARVUM 3,2–3 (Ghislaine/Christophe/Place, 28): „ad heremum, quae Cistercium dicebatur, alacriter tetenderunt. Qui locus ... accessui hominum insolitus, a solis feris inhabitatur.“ Zum zisterziensischen Wüstenideal vgl. auch LECLERCQ, Eremus et Eremita, 23 und 28– 29 sowie WARD, Desert Myth, 183–199. Vgl. hierzu BENEDIKT VON NURSIA, regula 4,20 (Holzherr, 77), die im EXORDIUM PARVUM 15,7 rezipiert wird. Die zisterziensische relecture der Benediktsregel insgesamt beleuchten PFEIFER, Die Benediktusregel und die Zisterzienser, 3–21 und VIELLEUX, The interpretation of a monastic rule, 105–106. Siehe hierzu BENEDIKT VON NURSIA, regula 66,6–7 (Holzherr, 310).

200

Eremitische Wende Verweilen im claustrum hatte letztlich ein spirituelles Ziel: Das Kloster ist Werkstätte (officina) der Tugenden und Gottesschule (schola Dei).1

Will man also zusammenfassen, worum es bei der Reform von Cîteaux geht, so könnte man sagen: um koinobitische anachoresis; um einen monastischen Auszug aus den Herrschafts–, Wirtschafts– und Sozialstrukturen des späten 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts. Die fuga mundi – das Überschreiten limitischer Konturen und das Aufsuchen versteckter, abgelegener translimitischer Orte – hat bei den Zisterziensern eine dezidiert koinobitische Zielrichtung, ganz im Gegensatz zu Camaldoli und den Kartäusern, wo der Auszug der Begründung einer überwiegend solitarischen Lebensform dient.2 Ähnlich wie die cella bei den Kartäusern war auch das claustrum bei den Zisterziensern kein Gefängnis oder eine Sackgasse. Nach unten und rückwärts zur Welt war das claustrum in der Tat fest verschlossen, denn es sollte sich nach vorne und oben öffnen3: (1) Das claustrum von Cîteaux erwies sich als eine fruchtbare Mutter, die vier Töchter aus sich entließ: La Ferté, Pontigny, Clairvaux und Morimond. Dieser Geburtsprozess wurde durch das System weiterer Filiationen fortgeführt, bis schließlich fast ganz Europa mit einem zisterziensischen Rhizom durchwirkt war.4 (2) Das zisterziensische claustrum öffnete sich aber nicht nur ins offene Territorium, sondern auch im spirituellen Sinne nach oben: Es brachte eine erstaunliche Baukunst und Liturgie hervor, in welcher der Raum der Immanenz zugunsten der Transzendenz verklärt wird, um gleichsam ein translimitisches Zeugnis abzulegen.5 Für die monastisch–spirituelle Theologie der Zisterzienser stehen Autoren wie Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von St. Thierry, Aelred von Rievaulx, Gilbert von Hoyland und andere. Im Gegensatz zur Kathedralschule, wo die Theologie mit Hilfe der modernen Logik aufbereitet wird, geht es im zisterziensischen claustrum um eine Schule der translimitischen Gottes–Erfahrung.6 1

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Zum Kloster als officina vgl. BENEDIKT VON NURSIA, regula 4,78 (Holzherr, 78). Für das Monastische Viereck siehe den architekturgeschichtlichen Überblick von LEROUX–DHUYS, Die Zisterzienser, 51–78. Zum anachoretischen Ideal der zisterziensischen Frühzeit siehe die Hinweise von LECLERCQ, Bernhard von Clairvaux, 35; zur strikt koinobitischen Variante dieser Anachorese siehe CASEY, In communi vita fratrum, 243–261. Zur zisterziensischen Verbindung von authentischer simplicitas, rational–pragmatischer Systematisierung und Expansion, sowie zur Dynamik dieser Verbindung, vgl. SOUTHERN, Western Society and the Church, 250–272. Zum zisterziensischen Netzwerk siehe KINDER, L'Europe cistercienne; zur Durchdringung des Baltikums vgl. ELM, Beteiligung der Zisterzienser an der Christianisierung, 81–96. Siehe LEROUX–DHUYS, Die Zisterzienser, hier vor allem 37–91; DESMONS, Mystéres et beauté; BUCHMÜLLER, „Rusticitas“ und „Simplicitas“, 111–123; DINZELBACHER/ROTH, Zisterzienser, 365–369. Siehe hierzu PFEIFER, Typologie der frühen Zisterziensermystik, 155–167 und FITZPATRICK, Enclosure and solitude of heart, 99–104.

Zisterziensische Latrologie

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Wie aber kann ein derart anspruchsvolles zisterziensisches Netzwerk erhalten werden, ohne dass sich dieselben Ermüdungserscheinungen wie im cluniazensischen Mönchtum einstellen? Die 'Charta charitatis' hält einen Plan mit vier zentralen Punkten parat, der einer Deformation des zisterziensischen Lebens wehren soll: eine klare Konstitution, nämlich die strikt interpretierte Benediktsregel; das System der Filiation, bei dem ein Mutterkloster Tochterklöster in die Selbstständigkeit entlässt; die Visitation, welche eine Mutter bei den Töchtern regelmäßig durchführt; und schließlich Kommunikation in der Form des Generalkapitels, bei dem sich die Teilnehmer austauschen. 1

6.3.2. Zisterzienser, labor und latrones Dem zisterziensischen claustrum eignet eine latrologische Komponente, die wir hier knapp nachzeichnen müssen. Obschon auch die Bußgeißelung und die stabilitas in Einsamkeit im Leben der Zisterzienser eine Rolle spielen, die man nicht unterschlagen darf, und es durchaus Querverbindungen zur Spiritualität der Kartäuser gibt 2, lässt sich in der zisterziensischen Lebensform ein eigenständiger latrologischer Aspekt ausmachen, den Benedikt von Nursia in seiner 'Regula' festgeschrieben hatte: Müßiggang ist ein Feind der Seele. Deshalb sollen sich die Brüder beschäftigen: zu bestimmten Zeiten mit Handarbeit ... Von Ostern bis zum Ersten Oktober ziehen sie früh morgens aus und besorgen von der ersten bis fast zur vierten Stunde die notwendigen Arbeiten ... Sie sind nämlich dann wahre Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände leben wie unsere Väter und die Apostel.“3 Heute, da Arbeit Teil der Selbstverwirklichung ist, mag die Stelle beinahe langweilig klingen – ganz im Sinne von „Ohne Fleiß keinen Preis“. In der Antike hingegen galt schon die von außen her auferlegte Aufgabe, das negotium, als eine unerfreuliche Unterbrechung von otium, von Ruhe und Muße, aus der heraus der freie Mensch selbstbestimmte Tätigkeiten setzte, die gerade nicht als Arbeit gesehen wurden. Labor stand nochmals eine Kategorie tiefer und besagte körperlich schwere, auszehrende Arbeit in der Landwirtschaft, im Berg– und Straßenbau, in der Metallverhüttung und so fort – ein Frondienst, für den man in der Antike ausschließlich Sklaven heranzog.4 Schon die ägyptischen Wüstenväter erweckten Erstaunen, als sie Hand– und Feldarbeit als integrativen Teil ihres eremitischen Lebens proklamierten.5 Nachdem das Mönch– und Eremitentum in den lateinischen Westen transferiert wurde, dauerte es nicht lange, bis sich 1 2 3 4 5

Siehe hierzu die einzelnen Bestimmungen der CHARTA CHARITATIS; zu Hintergründen vgl. aber auch MAHN, L'Ordre cistercien et son gouverment. Eine der Querverbindungen, in der Form des persönlichen Kontaktes zwischen Bernhard und Guigo beleuchtet BEUTLER, Bernhard besucht Guigo I., 9–12. BENEDIKT VON NURSIA, regula 48,1.3.8. (Holzherr, 235–236). Vgl. LAU, Der lateinische Begriff labor, hier 189–245 zum christlichen labor. Zur Frage der Arbeit bei den Wüstenvätern und Messalianern und zur Theologie des anachoretischen kopos vgl. GUILLAUMONT, An der Wurzel, 142–153.

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Eremitische Wende

die Tendenz durchsetzte, auch im monastischen Bereich den labor zu vermeiden und an translimitische Außenseiter, die als Diener oder Arbeiter fungierten, zu delegieren. Insofern war die Einführung der Handarbeit bei gleichzeitiger Kürzung des clunianzensischen Gebets–Pensums durch die Zisterzienser ein unerhörter und folgenschwerer Schritt.1 Die Hochschätzung des labor lässt sich sogar in der zisterziensischen Buchmalerei nachweisen: Das Titelblatt des 22. Buches der 'Moralia in Iob' von Gergor dem Großen aus einer zisterziensischen Handschrift des frühen 12. Jahrhunderts – Dijon Bibliothèque Municipale Cîteaux Ms 173 f 41 – zeigt eine großes I–Initiale des Wortes intellectus, die der Buchmaler zu einem mächtigen Baum ausgestaltet hat, der von zwei Mönchen mit Äxten in mühsamer Arbeit gefällt wird.2 Freilich wurde diese theoretische und künstlerische Hochschätzung der Arbeit selbst bei den Zisterziensern nicht immer radikal umgesetzt: Eine zisterziensische Abtei enthielt genau besehen zwei unterschiedliche Konvente. Gebildete monachi oblagen vor allem dem Gebet, der Kontemplation, dem Studium und der Verwaltung, während die in einem eigenen Trakt wohnenden conversi für den eigentlichen harten labor zuständig waren. Conversi waren mehr als herangezogene Diener: Sie legten Ordensgelübde ab; ihr Wohn– und Arbeitstrakt war baulich ebenso sorgfältig ausgestattet wie der Bereich der Mönche; sie erhielten zumindest in der Theorie die gleichen Speisen. Sie waren auf der einen Seite also wirklich als echte Mönche ins Kloster integriert; auf der andern Seite mussten aber doch allein sie die Hauptlast des labor tragen. Als Angehörige marginalisierter Gesellschaftsschichten waren sie illiterat, ungebildet und auch im Kloster von höherer Bildung ausgeschlossen. Statt des Studiums rodeten und kultivierten sie das Land, ackerten auf den Feldern, arbeiteten in den Schmieden, errichteten Wasserkanäle und erbauten Gebäude. Nur bei Engpässen in der Ernte halfen die monachi auf den Feldern mit.3 Von diesem Befund her fällt nochmals ein Licht auf den großen Erfolg der Zisterzienser: Weil die Zisterzienser den labor als translimitische Askese wiederentdeckt hatten, vertraute man ihnen gerne unbesiedeltes oder strukturschwaches Land an. Mit dem System der Filiation im Rücken konnten die Zisterzienser erfolgreich in translimitische Territorien vorstoßen, mitten in der grünen Wüste von Urwäldern ihre durch limitische Konturen abgesicherten claustra errichten, um sich dann immer weiter in die terra incognita vorzuwagen und ihre Netzwerke auszubauen. Für derartige Besiedelungsprojekte war die zisterziensische Sensibilität für den labor entscheidend: Zisterzienser galten als die führenden Fachleute für Metallverarbeitung, Wasserregulierungen und 1

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Zum labor im monastischen Leben vgl. DÖRRIES, Mönchtum und Arbeit, 17–39 und BONNEURE, Opus et labor, 265–291. Zum labor der Zisterzienser im Speziellen siehe FELTEN, Arbeit, Armut und Askese, 59–87; PFEIFER, Gleichgewicht von Gebet und Arbeit, 153–163 und WALLNER, Die spirituelle Dimension der Arbeit, 303–316. Dass der labor idealerweise nicht auf Kosten der hêsychia ging, zeigt etwa AUST, In allem suchte ich Ruhe, 145–152. Abbildung und knappe Besprechung bei BRINKER – VON DER HEYDE, Literarische Welt, 105. Siehe hierzu DUBOIS, Converso, 110–120 und L'institution des convers, 183–261.

Zisterziensische Latrologie

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Landwirtschaft.1 Auch für ein eventuelles latro–Problem hatten die Zisterzienser Maßnahmen anzubieten: Wenn sie sich in ein Territorium vorarbeiteten, in dem translimitische Grenzgänger herum streunten, so konnten sie derartige Menschen oft als conversi innerhalb ihrer Klostermauer (re–)sozialisieren. Implizite Spuren derartiger latro– Begegnungen finden sich etwa in Gründungsurkunden zisterziensischer Klöster. Als prominentes Beispiel sei hier Clairvaux angeführt: „Clairvaux aber war ein Ort im Gebiete von Langres, unweit des Aube–Flusses, ein alter Schlupfwinkel für Räuber. Von alters her hieß der Ort 'Wermuttal', sei es wegen des dort üppig wuchernden Absinths, sei es wegen der bitteren Leiden derer, die dort in Räuberhände fielen. An diesem 'Ort des Grauens und der weiten Öde' (Dtn 32,10) also setzten sich jene Kraftmenschen fest, um aus einer Räuberhöhle einen Tempel Gottes und ein Haus des Gebetes zu machen (vgl. Mt 21,13). Hier dienten sie Gott einige Zeit hindurch in Armut im Geiste, in Hunger und Durst, in Kälte und Blöße und in vielen Nachtwachen. Ihre Gerichte bereiteten sie oft aus Buchenblättern. Ihr Brot bestand gleich dem des Propheten aus Gerste, Hirse und Spelt (Ez 4,9); einmal nahm ein Mönch, dem man es als Gast vorgesetzt hatte, es heimlich unter hellen Tränen mit sich, um es als Wunder allen zu zeigen: 'Von solchem Brote leben diese Menschen ...'„2 Wenn die latro–monachus–Kommunikation ohne traumatische Ereignisse verlief, sind nur dezente latro–Spuren in den Texten verblieben. Wo sich traumatische latro– monachus–Erinnerungen an topographische Gedächtnisorte (Mnemotope) heften konnten, da überlebten sie in Namen oder latro–Geschichten.

6.3.3. Räubernester – außerhalb und innerhalb des Klosters Am Monte Fengo im Appennin, dort wo sich das Chienti–Tal verengt, befinden sich die Ruinen eines Klosters mit dem sprechenden Namen Abbatia Sancti Benedicti de crypta saxi latronis – „Abtei Sankt Benedikt bei der Höhle am Räuberfelsen“.3 Die erste Erwähnung der ursprünglich benediktinischen Abtei, die sich aber schon bald der zisterziensischen Reform anschloss, geht auf das Jahr 1153 zurück. Der Standort der Abtei ist beeindruckend und erlaubt Rückschlüsse auf den eigentümlichen Namen des Klosters: Von dort oben ließ sich das ganze Tal überblicken und die durch das Chienti–Tal verlaufende Straße kontrollieren. Der Name „Höhle am Räuberfels“ weist darauf hin, dass sich an diesem Ort vor der Gründung des Klosters ein Räubernest befunden haben muss. Seit dem achten Jahrhundert zogen sich Menschen, die im Feudalsystem unter 1

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Vgl. SIEVERS, Wasserforschungen, 79–86; MUSSBACHER, Förderer gewerblicher Berufe, 186– 193. Zur Zivilisierungstätigkeit vgl. ELM, Die Beteiligung der Zisterzienser an der Christianisierung, 81–96. VITA PRIMA BERNARDI 1,5,25 (PL 185, 241) hier in der Übersetzung von (Sinz, 58–59). Vom Kloster 'S. Benedictus de crypta saxi latronis' in Valcimarra (Comune di Caldarola in der Provincia di Macerata) steht heute nur noch ein kleiner Fassadenteil. Zur Topographie und für Bilder der Abtei siehe http://www.turismo.caldarola.sinp.net/bistocco.htm.

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Eremitische Wende

die Räder kamen, in strukturschwache Gebiete, etwa in den Appennin, zurück, um in der Nähe wichtiger Transitstraßen in kleinen Banden durch Raub über die Runden zu kommen.1 Dass der Name „Räuberfels“ nicht durch eine damnatio memoriae ausgelöscht wurde, als sich die Mönche dort ansiedelten, sondern auf die Abtei übertragen wurde, verweist auf eine latro–monachus–Interaktion. Aufgrund der dürftigen Quellenlage können wir darüber nichts Genaues aussagen: Die latrones könnten nach der Ankunft der Mönche entweder aus der Gegend abgezogen sein, oder aber vielleicht sogar die Chance ergriffen haben, sich als bekehrte conversi in den Konvent einzureihen. Ein besser bezeugter, ziemlich spektakulärer Fall einer zisterziensischen latro– monachus–Interaktion endet hingegen tödlich und ist mit dem Namen der Abtei 'Santa Maria a Mare' auf der Tremiti–Insel 'San Nicola' verbunden: Nachdem das um das Jahr 1000 entstandene Benediktinerkloster S. Maria Probleme bereitete, versuchten die Zisterzienser des Klosters Casanova (in der Nähe von Parma) zusammen mit dem Kardinal Raniero da Viterbo und dem Bischof von Termoli im Jahre 1237 den Ort wieder in Schwung zu bringen. Aufgrund der häufigen Angriffe von slawischen Seeräubern2 musste das Kloster allerdings schon von Anfang an als Festung ausgebaut werden. Die Konflikte mit den latrones spitzten sich immer mehr zu, bis der Überfall des Jahres 1334 das Kloster gänzlich ausradierte.3 Anlässlich dieses brutalen Überfalls ist die Legende von der 'List der Seeräuber von Almissa' entstanden, die hier kurz erzählt sei: Dalmatinischen Seeräubern ist die Abtei 'Santa Maria' schon seit langem ein Dorn im Auge gewesen und sie wollen sich am Besitz des Klosters bereichern. Dazu bedienen sie sich einer raffinierten, um nicht zu sagen teuflischen List nach dem Modell des trojanischen Pferdes. Um ins Festungs–Kloster einzudringen, täuscht die Räubertruppe den Tod ihres Anführers vor und gibt sich voller Reue. Die Räuber erbeten für ihren Anführer ein Begräbnis auf der Klosterinsel bei den Mönchen. Die waffenlosen Räuber dürfen mit einem Boot und dem Sarg des vermeintlich toten Anführers auf die Insel übersetzen und werden von den Mönchen in die Kirche S. Nicola eingelassen. Das Requiem beginnt. Während des Gottesdienstes öffnet sich jedoch der Sarg, in dem sich Waffen befinden und aus dem zudem der noch lebende Führer springt. In einem Massaker metzeln die Räuber die Mönche nieder und schleifen das Kloster. Nach dem Mord getrauen sich die Zisterzienser nicht mehr, die Gegend erneut zu besiedeln. Erst im Jahr 1412 kommen Lateranmönche auf die Insel, aber sie werden weiterhin von latrones geplagt. Allerdings scheinen sie in der Verteidigung eine glücklichere Hand

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Zur latro–Gefahr in Italien zitiert MCCALL, The medieval underworld, 88 die 'Chronica' des William von Malmesbury: Die Gefahren seien besonders in strukturschwachen Gebieten ernorm gewesen. Hier sei auch nochmals an die latro–Begegnung des Hl. Romuald gemäß PETRUS DAMIANI, Vita Romualdi (Tabacco, 84–85) erinnert. Zu den dalmatinischen Seeräubern vgl. etwa MAJNARIĆ, Some cases of robbing the papal representatives, 493–506. Zur Geschichte des Konventes vgl. DI CHIARA, La Montecassino in mezzo al mare.

Zisterziensische Latrologie

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als ihre Vorgänger zu haben. Im Jahre 1557 können sie sogar einen türkischen Seeangriff erfolgreich abwehren.1 Nicht nur Männerklöster wurden heimgesucht; auch zisterziensische Frauenkonvente in Deutschland litten unter latrones: Das 1240 als Hauskloster und Begräbnisstätte des Herren von Lobdeburg gegründete Zisterzienserinnenkloster Roda wurde regelmäßig von latrones und Raubrittern angegriffen. Am 12. Januar 1358 erhielt der Konvent von Kaiser Karl IV. einen Schutzbrief gegen Räuber, der allerdings nicht viel ausrichtete – durch ein bloßes Papier mit einer kaiserlichen Unterschrift ließ sich eine Räuberplage nicht wirksam eindämmen. Allerdings brachte das Schreiben dem Kloster nach einem Brand große Vorteile: Es förderte das Fund–Raising und den Wiederaufbau.2 Bei den zwei abschließenden Beispielen handelt es sich nicht um reine Zisterzienserklöster, sondern um Häuser mit wechselnder Ordenszugehörigkeit; sie seien hier dennoch zur Abrundung angeführt: In der slowakischen Zamagurie befindet sich in der Mäanderschlucht des Flusses Dunajec auf der rechten Flussseite das im 11. Jahrhundert benediktinische, später hingegen kartäusische „Rote Kloster“, Červený kláštor. Die Mäanderschlucht hat zwei translimitische Sehenswürdigkeiten aufzuweisen, welche die Fantasie des Volkes beschäftigte: Der Flußdurchbruch unweit des Klosters nennt sich Jánošíkov skok, weil hier der Sage nach ein Räuber Jánošík mit seiner Bande sein Unwesen trieb. Beim dritten Mäander steht hingegen die Felsformation „Sieben Mönche“, sedem mnichov, weil hier, einer anderen Sage nach, sieben Mönche gleichsam in translimitischem Wahn einer Nonne nachstellten und auf ihr Gebet hin mit Versteinerung bestraft wurden. 3 Auf Mallorca findet sich hingegen ein Kartäuserkloster mit latro–Vergangenheit: In Valdemossa wurde direkt über einem Räubernest 1245 die Kirche San Bartolomé samt Burg gebaut und im Jahre 1399 das ganze Areal von König Martí dem Kartäuserorden überschrieben, der dort, gleichsam auf latro–Fundamenten, das Kloster 'Jesús de Nazaret' gründete.4 Die latro–Dynamik hat Klöstern im Mittelalter allerdings nicht nur von außen her zugesetzt. Im Institut der conversi, die ja als Vollmitglieder in ein Kloster integriert waren, konnten einem Konvent, der soziale Prozesse nicht geschickt zu steuern vermochte, innere latro–Gefahren erwachsen, die ein Kloster zu spalten oder umzukrempeln vermochten. Conversi waren Laienmönche, die ein vereinfachtes Gebetsleben pflegten und vor allem durch die Arbeit ihrer Hände und Füße einen Gottesdienst leiste1 2

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Zu dieser Legende vgl. DI CHIARA, La Montecassino in mezzo al mare, 19–24. Das Zisterzienserkloster Roda und seine Geschichte bespricht LINDENAU, Zisterzienser– Nonnenklöster im Bistum Naumburg, 70–77, mit den entsprechenden Belegen aus dem Urkundenbuch des Amtes Roda; hier besonders 74 für den Schutzbrief und seine Bedeutung für den Konvent. Einen knappen Überblick zur Geschichte und Legende des Červený kláštor bietet LINDNER, The red monastery Červený kláštor. Zur Geschichte dieser Kartause siehe HOGG, La real cartuja de Jesus Nazareno.

Eremitische Wende

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ten. Die conversi rekrutierten sich vornehmlich aus den unteren Schichten: einmal aus der großen Zahl von Bauern, die im 12. Jahrhundert zum Teil in großer Armut lebten; zum anderen Teil aus der diffusen Masse von marginalisierten Menschen am Rande der Gesellschaft, denen ein Leben als Konverse eine Alternative zum Außenseiterdasein bieten konnte.1 Hatte sich ein Bauer oder latro bekehrt, um als conversus in eine Abtei einzutreten, so war freilich keinesfalls der soziale Friede im Kloster schon gewährleistet. Idealerweise verhielten sich monachi und conversi wie Brüder, aber in manchen Konventen entsprach diese Zielvorgabe nicht der Realität: Monachi hatten sich nicht immer zu der humilitas bekehrt, die Bernhard in seiner Schrift 'Zwölf Stufen der Demut' vorschwebte. Sie überzogen conversi mit Demütigungen und brachten gerade den Konversen, die mit wichtigen Missionen betraut waren und für ihren Konvent sehr erfolgreich wirtschafteten, nur wenig Wertschätzung und Bestätigung entgegen, was zu tiefen Frustrationen führte. In manchen Klöstern litten conversi unter übermäßiger Arbeitslast oder schlechtem Essen. Bisweilen waren unter den conversi auch zweifelhafte Gestalten und schwarze Schafe, besonders als das Interesse am Konverseninstitut nach 1200 so rapide sank, dass man nahezu jeden Interessenten, der irgendwie tragbar schien, aufnahm. In vielen Zisterzen standen 30% monachi rund 70% conversi gegenüber, und so erhellt, warum soziale Spannungen und Irritationen leicht kippen und sich auch in gewalttätigen Konflikten Luft machen konnten. In anderen Konventen kam es zu Massenaustritten von conversi.2 Ganz ähnlich gelagerte interne latro–Probleme machten übrigens auch dem Kartäuserorden schwer zu schaffen.3

6.3.4. Bernhard und die latro–Wirtin Wenn Zisterzienser ein neues Kloster gründeten, dann stießen sie fast zwangsläufig auf latrones in den Wäldern, bei denen sie, wie schon die Wüstenväter in Ägypten und Palästina, auf eine Bekehrung hofften. Wenn wir allerdings die Schriften zisterziensi1

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Siehe hierzu DUBOIS, Converso, 110–120 und L'institution des convers, 183–261. HALLIN–GER, Woher kommen die Laienbrüder?, 1–104 diskutiert eingehend die Frage nach den Anfängen dieser Institution. Bei den Zisterziensern findet sich der Begriff conversus zum ersten Mal im EXORDIUM PARVUM (Ghislain/Christophe/Place, 48). Zur Rekrutierung und Marginalisierung der Konversen siehe CASSIDY–WELCH, Non conversi sed perversi, 34–55. Zum Konversenproblem vgl. die knappe Besprechung bei LEROUX–DHUYS, Die Zisterzienser, 103, der Daten aus dem leider unveröffentlicht gebliebenen Buch MIGUET, Les convers cisterciens zitiert. NOELL, Expectation and unrest among Cistercian lay brothers, 253–274 bietet eine wichtige Korrektur der in der älteren Forschung bisweilen vertretenen These einer „systematischen Unterdrückung“ der Konversen, die so nicht aufrecht erhalten werden kann: Konflikte brachen insbesondere dann aus, wenn erfolgreiche conversi um ihre soziale Wertschätzung und Anerkennung gebracht wurden und sich derartige Frustrationen über einen längeren Zeitraum hinweg verfestigen konnten. Zu den kartäusischen Konversen insgesamt siehe LAPORTE, ASVC 3, 1–51; DUBOIS, L'institution des convers, 199–203; MURSELL, Theology, 203–207.

Zisterziensische Latrologie

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scher Autoren öffnen, werden wir gewahr, dass latrones im wörtlichen Sinn nicht die einzige und vielleicht nicht einmal die größte Gefahr darstellten, denen ein monachus ausgesetzt war. In der 'Vita des Hl. Bernhard' erfahren wir zumindest von einer ganz anders gelagerten Räubergefahr: Sie „ereignete sich, als Bernhard mit einigen Gefährten bei einer Edelfrau zu Gast war. Den bildschönen jungen Mann betrachtend wurden der Frau seine Augen zur Schlinge, und sie entbrannte in leidenschaftlicher Begierde nach ihm. Sie ließ ihm als dem ehrenwertesten unter den Gästen sein Bett in einem getrennten Raume rüsten. Des Nachts stand sie auf und trat ohne Schamgefühl zu ihm ein. Wie Bernhard ihrer gewahr wurde, fing er an, um keinen Rat verlegen, laut zu schreien: ‚Räuber, Räuber!‘ Auf diesen Ruf floh das Weib, das ganze Hauswesen erhob sich, Licht wurde gemacht, der Räuber gesucht doch nicht gefunden. Jeder ging wieder zu Bett, Schweigen herrschte, es war wieder dunkel wie zuvor, und alles ruhte, nur das unglückliche Weib hatte keine Ruhe. Abermals stand es auf und begab sich zu Bernhards Bett. Dieser aber stieß aufs Neue den Ruf ‚Räuber, Räuber!‘ aus. Und wieder ging es an die Suche nach dem Räuber; dieser blieb natürlich wieder verborgen, und der, der allein ihn kannte, deckte ihn nicht auf. Ein drittes Mal noch wurde das freche Weib auf die gleiche Weise abgewiesen; dann erst gab es, sei es aus Furcht oder Verzweiflung, endlich seine Versuche auf. Als sie anderen Tages wieder auf der Reise waren, machten die Gefährten Bernhard Vorwürfe und wollten wissen, mit was für Räubern er es denn in der vergangenen Nacht zu tun gehabt hätte. Er darauf: ‚Wahrhaftig, es war ein Räuber da. Was ich als Kostbarstes in diesem Leben habe, die Keuschheit, diesen unvergleichlichen Schatz mir zu rauben, darauf hatte es die Wirtin abgesehen‘.“1 Hier ist nicht der Ort, um eine umfassende Theologie des zölibatären Lebens zu entfalten; unter der Perspektive der Transliminalität seien nur einige Überlegungen zur obigen Episode angeführt: (1) Schon im Alten Testament sind Propheten bezeugt, welche von Gott translimitisch in Anspruch genommen werden und daher nicht heiraten. Sie leben die ihnen mögliche und aufgegebene Liebeshingabe nicht in einer Ehe sondern innerhalb der translimitischen Beziehung zu Gott. In diesem Sinne führt eine alttestamentliche Linie über die frühjüdische Spiritualität zur Zölibatspraxis Jesu.2 (2) Im Christentum ist die Liebe zwischen Mann und Frau von sakramentaler Dignität, weil sie in der Form der Ehe ein Ausdrucksmedium darstellen kann, in welchem beide Ehepartner die Liebeshingabe Christi, soweit für Menschen möglich, nachahmen.3 Unbeschadet einer solchen Dignität stellt die Ehe dennoch nur eine 1 2

3

VITA PRIMA BERNARDI 3 (PL 185, 230B–230C). Vgl. den Zölibatsruf Gottes an Jeremia in Jer 16,2. „Du sollst dir keine Frau nehmen und weder Söhne noch Töchter haben an diesem Ort.“ Zum Zölibat im Frühjudentum siehe HORST, Der Zölibat im Frühjudentum, 3–14; bei den Essenern HÜBNER, Zölibat, 153–167 und MARX, Les racines du célibat, 323–342. Vgl. hierzu BALTENSWEILER, Die Ehe im Neuen Testament und RORDORF, Marriage in the New

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Eremitische Wende

der Möglichkeiten dar, ein Leben der Liebe zu leben: Seit neutestamentlicher Zeit gab es Menschen, die „um des Himmelsreiches willen“ (Mt 19,12) ehelos blieben – Apostel, Wandercharismatiker, Witwen und Jungfrauen; später Mönche, Eremiten und Kleriker.1 (3) Angesichts der Funktionsbestimmung des Mönches und/oder Eremiten als Zeugen der Transzendenz durch translimitischen Lebensstil, liegt der Zölibat auf der Hand: Dem Anachoreten ist aufgegeben, die „Priorität der Gottesliebe“ zu bezeugen. Der Zölibat wurzelt in der Erfahrung und Überzeugung, dass Gott zuerst und über alles liebenswert ist.2 Auf diesem Hintergrund erhellt, warum Bernhard von Clairvaux die Wirtin, die ihn von seiner translimitischen Berufung abziehen will, als latro bezeichnet. Man darf aus der legendarischen Episode durchaus eine Prise misogyner Ironie herauslesen, solange man die zentrale Botschaft nicht aus den Augen verliert: Die Erzählung ist gleichsam ein gender–symmetrisches Gegenstück zur mulier–luxuriosa–Erzählung. Sie soll verdeutlichen, dass die geschlechtliche Beziehung zu einer Frau, obwohl an sich wertvoll, im Falle Bernhards oder einer anderen Person mit einer translimitischen Berufung, das Falsche wäre, weil sich der Eremit oder Mönch, angeregt durch einen externen latro, von der zugedachten Sendung gleichsam „davonstehlen“ würde.

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Testament and in the Early Church, 193–210. Vgl. QUINN, Continence and celibacy in the early Christian community, 42–50 und CROU–ZEL, Une nouvelle étude sur les origines du célibat ecclésiastique, 293–297. Für die Grunddaten einer Theologie des Zölibats siehe KATHOLISCHER ERWACHSENENKATECHIS– MUS 2, 365.

6.4.

Fazit: Anachoretischer Stachel des monastischen Lebens

Blickt man auf die Anachorese der lateinischen Kirche, so muss man konstatieren, dass die benediktinische Lebensform bis zur Eremitischen Wende des 11. Jahrhunderts im Mittelpunkt stand: Sie prägte das Koinobitentum, die Lebensweise der Mönche, die in einer monastischen Quasi–Polis auf Bergen das himmlische Jerusalem antizipierten. Darüber hinaus bot sie auch dem Eremitentum einen sicheren Schutzraum, in dem es über Jahrhunderte blühen konnte. Trotz dieser Blüte darf die Versuchung und mögliche Deformation des Benediktinischen nicht unerwähnt bleiben: das selbstgenügsame Sich– Bescheiden mit sich selbst – wodurch sich eine elitäre Mini–Polis ergäbe, welche die Gesellschaft lediglich widerspiegelt und verdoppelt; oder aber die beinahe restlose Einbindung des monastischen Lebens in säkulare Herrschafts– und Wirtschaftsstrukturen –, wodurch der anachoretische Impuls außer Kraft gesetzt würde. Angesichts einer solchen Gefährdung darf es als providentiell gelten, dass der 'Regula Bendedicti' selbst schon ein anachoretischer Stachel eingestiftet ist: Der Anachoretenpassus und zahlreiche translimitische Topoi haben, im Zusammenklang mit weiteren anachoretischen Vätertexten, in der Kirchengeschichte immer wieder ein Reform der benediktinischen Lebensform ermöglicht und Neuaufbrüche hervorgebracht – so etwa das Kartäuser– und Zisterziensertum. Ein wirkliches Novum war hingegen der Aufschwung einer Einzelanachorese, die in den Bannkreis der mittelalterlichen Stadtkultur geriet – ein Thema, dem wir uns nun zuwenden.

7. Einzelanachorese seit dem 11. Jahrhundert und latro–Phänomene

7.1.

Schärfung des kulturellen Gedächtnisses und Akzentverlagerung

Anachoreten sind über die Jahrhunderte gut bezeugt: Aus Ägypten, Palästina, Syrien und Kleinasien ist für die Zeit der anachoretischen Blüte vom 3. bis zum 7. Jahrhundert eine reiche Literatur auf uns gekommen. Wir besitzen wertvolle Quellen auch aus der Zeit, in der die anachoretische Bewegung auf die lateinische Kirche – also nach Rom, ins Frankenreich und nach Irland – übersprang und sich zunehmend in einen monastischen Kontext einwurzelte. Dennoch liegt ein gewisser fragmentarischer Charakter der anachoretischen Überlieferung auf der Hand: Wir kennen vor allem AnachoretInnen, die an Klöster oder an größere Bischofssitze angebunden waren; über Einzel– Anachoreten in Gegenden abseits der Kulturzentren sind wir hingegen eher lückenhaft informiert. Auch besteht über die Eremiten zur Zeit der Völkerwanderung und während des saeculum obscurum ein gewisses Informationsdefizit. Die Informationslage ändert sich mit der anchoretischen Wende des 11. Jahrhunderts, der urbanen Revolution des 12. und 13. Jahrhunderts und dem Aufschwung des Buchs als Medium vom 12. bis zum 15. Jahrhundert zum Besseren: AnachoretInnen werden nun zur integralen Person des mittelalterlichen Stadtverbandes und zum unverzichtbaren Inhalt des kulturellen Gedächtnisses.1 So kann SAINSAULIEU in Frankreich für das 11.–15. Jahrhundert die stolze Zahl von ca. 3000 Namen von AnachoretInnen aus Quellen erheben; DÖRR ermittelt 433 Inklusen allein für Süddeutschland; CLAY listet die zahlreichen englischen Pendants auf – wobei sich in den letzten Jahren immer klarer abzeichnet, dass die Zahlen 1

Einen knappen Überblick über die Quellen des Inklusentums gibt DÖRR, Das Institut der Inclusen, 4–18: Konzilsakten, Regeln, Briefe, Urkunden, Nekrologe und Anniversarien, Chroniken und Annalen, Viten und Legenden, Memoiren, Erzählungen und Berichte – Gattungen, die auch bei anderen Formen anachoretischen Lebens zu berücksichtigen sind.

Schärfung und Akzentverlagerung

211

nach oben korrigiert werden müssen.1 Der erfreuliche Informationszuwachs verdankt sich in erster Linie der Entwicklung eines erhöhten Verwaltungsstandards in den Klöstern und Städten: AnachoretInnen – auch die, welche außerhalb von Städten leben – werden durch eine aufblühende monastische, diözesane oder städtische Bürokratie erfasst und für uns greifbar. Insgesamt gesehen wächst vor allem die Zahl der AnachoretInnen, die nicht mehr in großer Distanz zur Stadt leben, sondern an oder innerhalb ihrer limitischen Kontur mit ihrem eremitagium Stellung beziehen – also an der Stadtmauer, auf Brücken, in oder an Türmen und Toren, inmitten der Stadt auf Friedhöfen und Kirchplätzen. Wir können von einer Herausbildung des Typus eines „urbanen Anachoreten“ sprechen, der sich eine Zelle in der Nähe der Hauptkirche einer Stadt oder einer anderen strategisch günstig gelegenen Kirche oder Kapelle wählt.2 Die Anachoreten vor der urbanen Blüte des 12. Jahrhunderts hatten ihre Zellen auf dem Grund und Boden berühmter Klöster; sie waren Reklusen vorwiegend im monastischen Kontext. Die Anachoreten seit der urbanen Blüte haben ihre Zellen vor allem auf dem Territorium der Stadt; sie sind Reklusen im urbanen Kontext. Beide Formen müssen sich freilich nicht ausschließen: Etliche Klöster liegen inmitten von Städten, und so konnte man zugleich urbaner und monastischer Anachoret sein.3

7.1.1. Anachoretischer Frauenüberschuss und Fallbeispiele Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat den deutlichen Frauenüberschuss im Stadtanachorententum des 12.–16. Jahrhunderts auf beeindruckende Weise dargelegt.4 Für das gut bezeugte und relativ übersichtliche Anachoretentum in England lässt sich fol1

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3 4

Die Inklusen der Diözesen Augsburg, Chur, Freising, Konstanz, Linz, Passau, St. Pölten, Regensburg, Salzburg, Wien, Bamberg, Eichstätt und Würzburg listet DÖRR, Das Institut der Inclusen, 71–119 auf. Die Anachoreten Englands besprechen CLAY, The Hermits and Anchorites und DARWIN, English Medieval Recluse. Siehe hierzu L'HERMITE–LECLERCQ, Aspects topographiques et archéologiques 92–100; Les reclus parisiens, 223–232; Le reclus dans la ville, 219–262; CLARK, Spaces of reclusion, 17–18; MULDER–BAKKER, Inklusen, 424–425; PAVY, Les recluseries; FALK, Die Inclusen; SENSI, Anchoresses 57–83 sowie Incarcerate, 296–297; SIGNORI, Eingemauertes Frauenleben, 173–184 und Ohnmacht des Körpers – Macht der Sprache, 25–42; PFLEGER, Inclusen am Oberrhein, 501–513; ROUILLARD, Reclusione, 1234 und VAUCHEZ, Ermites de France et d'Italie. Ein knappes Portrait der Entwicklung vom monastischen zum urbanen Reklusen bietet DÖRR, Das Institut der Inclusen, 29–36. Schon im Anachoretentum bis zum 6. Jahrhundert gibt es eine respektable Frauenquote. SWAN, The Forgotten Desert Mothers bietet eine überreiche Liste von anachoretischen Frauen. Zum Übergang von der Antike zum Mittelalter siehe KING, The Desert Mothers, 5–16. Zur hohen Frauenquote im Anachoretentum zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert siehe hingegen WARREN, Anchorites, 20 und MULDER–BAKKER, Lives of the Anchoresses, hier besonders 6–8 und SAINSAULIEU, Ermites, 773.

212

Einzelanachorese

gende diachrone Frauenquote erheben: im 12. Jahrhundert stehen sich Frauen und Männer im Verhältnis 5:3 gegenüber; im 13. Jahrhundert sogar 4:1, im 14. Jahrhundert dann 5:2 und im 15. Jahrhundert 5:3. In synchroner Perspektive eruiert ROUILLARD für die Stadt Rom des Jahres 1320 sage und schreibe 260 Reklusinnen.1 Diese Frauenquote lässt sich leicht erklären: Die anachoretische Wende des 11. Jahrhunderts ging mit der Gründung zahlreicher eremitischer bzw. semi–eremitischer Gemeinschaften wie Camaldoli, Vallombrosa, Grandmont, den Kartäusern etc. einher, in denen Männer ein anachoretisch radikalisiertes Leben führen konnten; Frauen stand hingegen dieser Weg nicht in gleichem Maße offen. Der wachsende Druck von Frauen, die in einen monastischen Konvent nicht eintreten konnten oder wollten, aber dennoch den Weg der radikalen Christusnachfolge zu gehen wünschten, führte daher zur Ausdifferenzierung neuer Lebensformen: Ein Teil der Frauen versuchte, im Rahmen der neuen cura monialium der Mendikanten unterzukommen oder als Beghine zu leben. Zahlreiche Frauen interessierten sich aber gerade für die spektakuläre anachoretische Lebensform und wurden Stadt–Reklusin. Gewiss gab es auch eine beträchtliche Zahl von Männern, die ein abgeschiedenes Leben anstrebten. Bei den männlichen Anachoreten lässt sich allerdings eine zum Teil von den Frauen unterschiedene Motivation erheben: Während viele Frauen aus laikalen Milieus kamen und sich schon in ihrer Jugend für das Anachoretentum entschieden, überwog bei den Männern die Gruppe derer, die nach einem anstrengenden Leben als Kleriker, Akademiker und Politiker sich der vita activa in einer Art Frühpensionierung entzogen, um die zweite Lebenshälfte in der Eremitage kontemplativ zu verbringen.2 MULDER–BAKKER hat vor kurzem den Aufstieg des weiblichen Stadt–Reklusentums in der Kulturregion zwischen Frankreich und Deutschland anhand von fünf Reklusinnen–Biographien nachgezeichnet. Für unseren latrologischen Rundgang genügt es, auf drei Viten dieser Stadt–Reklusinnen kurz einzugehen: (1) Die Mutter des Benediktiners Guibert von Nogent, die von 1055–1125 lebte, brachte drei Kinder zur Welt und wurde früh Witwe. Mit Vierzig fasste sie den Entschluss, sich in der Klosterkirche von Nogent, wo ihr jüngster Sohn Guibert Abt war, als Reklusin einzuschließen. Als Reklusin empfing sie Visionen und die Gabe der Unterscheidung der Geister; rasch avancierte sie zur geistlichen Autorität des Klosters.3

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Zu diesen Zahlen vgl. die Berechnungen von SCHLOSSER, Einsam bist du nicht allein, 173 (Anm. 12), die aus der Tabelle von WARREN, Anchorites, entwickelt sind; für die Quote in Rom siehe ROUILLARD, Reclusione, 1234. Siehe hierzu MULDER–BAKKER, Lives of the Anchoresses, 14, mit der mit Sprachwitz formulierten Wendung, die Männer hätten das reclusorium als eine „honours class of male medieval religiosity“ aufgefasst. Siehe MULDER–BAKKER, The prime of their lives, 215–236, wo das Leben der Mutter des Guiberts mit dem der Christina Mirabilis verglichen wird.

Schärfung und Akzentverlagerung

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(2) Yvette von Huy (1158–1228) wurde früh zwangsverheiratet und schenkte drei Kindern das Leben. Mit achtzehn zur Witwe geworden hielt sie nach einer Vertiefung ihres Glaubenslebens Ausschau. Sie begann in ihrer Heimatstadt Meuse ein vorbildliches leprosorium zu organisieren, was die Einwohner der Stadt schon bald honorierten: Durch ihre reichen Schenkungen konnte das leprosorium ausgebaut werden, unter anderem mit einer Kapelle und einem Beghinenhaus. Im Alter von 33 Jahren zog sich Yvette dann innerhalb des Schwesternkonvents des leprosorium in einer Reklusenzelle im obersten Stock des Hauses zurück, – ein Schritt, den ihr später zwei weitere Frauen nachmachten.1 (3) Margarete die Lahme von Magdeburg (1210–1250) wurde als behinderte Tochter in einer reichen Magdeburger Familie geboren. Schon mit zwölf versuchte sie den translimitischen Status, den ihr ihre Behinderung auferlegte, geistlich aufzugreifen und fortzuführen, indem sie Anachoretin wurde. Mit Dreißig wies man ihr eine neue Zelle in der Dominikanerkirche von Magdeburg zu.2 Selbst in diesen drei knappen Portraits zeichnet sich das Profil des Stadtreklusentums von Frauen seit dem 12. Jahrhundert deutlich ab: Urbane Anachoretinnen übernehmen ihre translimitische Existenz (ein Leben außerhalb der Welt innerhalb der Welt) in enger Anbindung an die urbane Architektur wie Kirchen, Kapellen, Leprosorien etc.3 Die klaren Verhaltensnormen dieser anachoretischen Lebensform werden, vor allem in der Anfangszeit, nur selten durch schriftlich fixierte Regeln, sondern vielmehr durch rituelle Kommunikationsprozesse, spirituelle Leitideen und heiligmäßige Vorbilder vermittelt. Das urbane Anachoretinnentum ist seit dem 12. Jahrhundert in ganz Europa im Wachsen begriffen; im 13. Jahrhundert tritt es als eine Alternative zum Beghinentum und mendikantischen Leben auf.4 Die Attraktivität des anachoretischen Standes ergibt sich vor allem aus dessen geistlicher Funktionalität: Die Stadt–Anachoretin ist vermöge ihrer distinktiven Abgrenzung von der Stadt auf eine besondere Weise mit der Stadtgemeinschaft verbunden. Sie ist Vorbild und unparteiische Beraterin. Sie hört den Besuchern ihres reclusorium am Sprech–Fenster zu und spendet ihnen Trost. Sie betet für die Stadt und legt mit ihrem Leben ein Zeugnis der radikalen Transzendenzbezogenheit 1

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Siehe etwa COCHELIN, Sainteté laïque, 339–417 und MCGINN, The Flowering of Mysticism, 190–192. CARPENTER, Juette of Huy, 57–93 bespricht besonders den „Mutteraspekt“ der Reklusin. Die hagiographische Quelle stammt von HUGO VON FLOREFFE, Vita Ivettae (AASS Jan. 13., 863–867). Vgl. MULDER–BAKKER, De stichtigte punten, 131–142; Lame Margaret of Magdeburg, 155– 169; Monddood maken liet zij zich niet, 45–66 und MCGINN, The Flowering of Mysticsm, 194– 198. Zu den Details des Lebens siehe JOHANNES VON MAGDEBURG, Vita Margaretae contractae (Schmidt). Zur Platzierung des inclusorium siehe etwa DÖRR, Das Institut der Inclusen, 37–42. Siehe DÖRR, Das Institut der Inclusen, 31–34. CLARK, Spaces of reclusion, 17–18 findet die treffenden Wendungen, das Stadt–Anachoretentum sei eine „adaption of the male eremitic ideal ... to the new mendicant penitential forms of piety“, mit dem Resultat eines „hybrid well suited for women“.

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Einzelanachorese

ab. Ihren Beitrag zum geistlichen Leben einer Stadt erachten die Bürger der akademischen Theologie und pfarrlichen Seelsorge als ebenbürtig. Die eigentliche Funktionsstelle der urbanen Anachoretin liegt dabei weniger innerhalb des kirchenrechtlichen Ämtergefüges als vielmehr in der konkreten Glaubensgemeinschaft der städtischen christianitas.1 Wertvolle Daten über das Stadtanachorententum sind uns beispielsweise für die toskanische civitas Siena überliefert: Das städtische Rechnungsbuch (biccerna) dokumentiert notariell die finanzielle Unterstützung von Anachoreten für den Zeitraum der Jahre 1275–1375. Es liegt auf der Hand, dass man die Einträge nicht unkritisch als eine Abbildung der Wirklichkeit lesen darf, sondern als eine bürokratische Konstruktion hinterfragen muss. CLARK hat das Rechnungsbuch im kritischen Sinne ausgewertet und dabei folgende Beobachtungen gemacht: Zuerst einmal springt der Anstieg der Zahlen an Reklusen ins Auge. Sind zu Beginn der Aufzeichnungen 16 Anachoreten bezeugt, die finanziell unterstützt werden, so steigt die Zahl bis zum Pestjahr 1348 auf 230. Vor 1340 erscheinen in den Aufzeichnungen nur anonyme Eremiten, die vage lokalisiert werden; die meisten leben an der Peripherie der Stadt. Seit den 1340er Jahren werden die topographischen und prosopographischen Angaben immer genauer. Die Anachoreten haben nun Namen und werden mittels Stadttoren, Kirchen und in der Nähe befindlicher Klöster genauestens lokalisiert. Die zahlreichen Zellen befinden sich meistens inmitten der Stadt, was vor allem auf das Stadtwachstum Sienas und die Erweiterung der Stadtmauern zurückzuführen ist. Über den ganzen Aufzeichnungszeitraum hinweg sind dreimal so viele Frauen wie Männer verzeichnet.2 Auch für das mittelalterliche Regensburg, der zeitweise bevölkerungsreichsten Stadt Deutschlands, liegen uns aufschlussreiche Quellen vor, die DÖRR ausgewertet hat. In Regensburg können wir besonders gut die Typologie der Klausen studieren – von der Zelle mit Klosteranschluss bis hin zur Pfarreiklause: Vier Klausen verdanken sich dem iro–schottischen Kultureinfluss, der in der Stadt vom 9. bis zum 11. Jahrhundert wirksam war. Zwei Klausen stehen unter dem Schutz des Benediktinerstifts St. Emmeran, drei unter dem Schutz des Deutschordenstifts St. Gilgen. Vier Klausen gehören zu Pfarr– und Filialkirchen und stehen unter der Leitung von Weltgeistlichen.3 Mit der Ausbildung einer derartigen Stadt–Anachorese geht, wie oben angedeutet, ein Aufschwung anachoretischer Literatur einher: Neben notariellen Schriften, kanonischen Bestimmungen und Regeln sind Legenden, Erzählungen und liturgische Formu1

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Zum Außenwelt–Bezug des Anachoreten vgl. DÖRR, Das Institut der Inclusen, 65–70 und GOUGAUD, Ermites, 87–88; zur verbalen Autorität von Anachoretinnen siehe SIGNORI, Ohnmacht des Körpers – Macht der Sprache, 25–42. Zum inoffiziellen Beichthören von Anchachoretinnen ohne Absolution siehe LEA, Auricular Confession, 218–220. Zu ihrer „stillen Predigt“ vgl. GOUGAUD, Muta praedicatio, 168–171. Siehe CLARK, Spaces of reclusion, 17–33; besonders die statistischen Auswertungen und Tabellen 23; 25 und 28–29. Siehe hierzu DÖRR, Das Institut der Inclusen, 123–161.

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lare überliefert.1 Wir können diese reiche und vielfältige anachoretische Literatur im Rahmen dieser Studie nicht weiter in Augenschein nehmen, sondern müssen das latro– eremita–Motiv nachverfolgen – zuerst im 'Liber confortatorius' des Goscelin von St. Bertin.

7.1.2. Latro–Episode des 'Liber confortatorius': Der Eremit Alexander Mit dem 'Liber confortatorius' ist ein literarisch anspruchsvolles Werk aus der Frühzeit der urbanen eremitischen Bewegung auf uns gekommen. Sein Autor Goscelin (1035– 1107) war Mönch der flämischen Abtei St. Bertin und verließ sein Kloster, um den designierten Bischof Herman im Jahre 1058 zu seiner neuen englischen Diözese Ramsey zu begleiten und ihm dort als Mitarbeiter zur Seite zu stehen. Als Seelsorger der königlichen Benediktinerinnenabtei von Wilton lernte Goscelin noch im gleichen Jahr die Novizin Eva kennen, die schon als Siebenjährige als Oblatin ins Kloster aufgenommen wurde und kurz vor der Profess stand. Er stand ihr zur Seite, als sie im Jahre 1060 ihr Gelübde ablegte, und ging mit ihr eine geistliche Freundschaft ein. Das Jahr 1079 markiert einen Wendepunkt der Freundschaft zwischen Goscelin und Eva: Es hieß Abschied nehmen. Bischof Herman starb und Goscelin war gezwungen, Visitationsreisen durch Südengland zu unternehmen und nach Canterbury überzusiedeln. Auch Eva verließ Wilton und begab sich nach Anger, um dort Reklusin zu werden. 1090 zog sie nach Vendôme in ein abgeschiedeneres Reklusorium und avancierte im Laufe der Zeit zu einer überaus berühmten und hochgeschätzten Anachoretin. Als Goscelin aus der Ferne von Evas Abreise aus England und Umsiedelung auf den Kontinent erfuhr, war er zutiefst erschüttert.2 Im Jahre 1082 beendete er seinen 'Liber Confortatorius'3 als literarisches Echo seiner Erschütterung – ein Buch, das in der Literaturwissenschaft ob seines Inhalts Befremden hervorgerufen hat: Obwohl das Buch Züge eines geistlichen Trostbuches hat, orientiert es sich doch ziemlich an Ovid und erinnert bisweilen an die Abaelard–Helois– Liebeslyrik. Des Weiteren fällt ein gewisser monologischer Charakter auf. Goscelin spricht zwar des Öfteren Eva an, gleitet dann aber rasch in seine eigene Emotionalität hinüber. Es gibt übrigens kein Zeugnis, dass Eva jemals den 'Liber' zu Gesicht bekommen hat; er scheint in erster Linie ein Bekenntnisbuch des Autors selbst gewesen zu sein. Größtes Unbehagen hat indes die Alexander–eremita–Geschichte aus dem vierten Buch hervorgerufen – eine seltsame translimitische Episode, die von einer sexuellen Beziehung zwischen dem Eremiten Alexander und einem Mädchen berichtet; eine Erzählung, die auf den ersten Blick zur psychoanalytischen Analyse der Person Goscelins 1 2 3

Vgl. die Gattungsübersicht bei DÖRR, Das Institut der Inclusen, 4–18. Zur Biographie von Goscelin und Eva siehe OTTER, The Book of Encouragement and Consolation, 5–6. Zum lateinischen Text siehe GOSCELIN VON ST. BERTIN, Liber confortatorius (Talbot, 1–117).

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Einzelanachorese

und seines Verhältnisses zu Eva tauglich zu sein scheint.1 Wir schlagen hingegen eine spiritualitätsgeschichtliche Hermeneutik vor, die den 'Liber confortatorius' als einen Versuch in Augenschein nimmt, Heilsgeschichte und Biographie ineinander zu spiegeln. Unter dieser Perspektive seien hier ein knapper Abriss des 'Liber' und eine Interpretation der Alexander–eremita–Episode versucht: Im 1. Buch beklagt Goscelin in Klageliedern den Verlust seiner Eva. Dieses Liebes– Lamento ist freilich mehr als die psychologische Aufarbeitung einer menschlichen Liebesbeziehung. Der Liebesbund zwischen Goscelin und Eva dient als Spiegel, in dem die alt– und neutestamentliche Bundestheologie mitthematisiert wird. Das 2. Buch widmet sich der translimitischen Paränese: Goscelin ruft den eschatologischen Horizont der Geschichte in Erinnerung; er portraitiert Eva als maskulinen Kämpfer und als martyriologische starke Frau – als mulier fortis – gemäß der Märtyrerinnen–Vorbilder Agnes, Perpetua, Blandina etc. Das 3. Buch handelt über das für die anachoretische Theologie zentrale Thema der Schwermut, acedia, und deren Überwindung. Im 4. Buch geht es um die Themen Stolz und Demut, sowie um das Theologumenon der keuschen Liebes–Einung.2 In diesen Abschnitt ist auch die besagte Alexander–eremita–Geschichte hineinkomponiert. Hier eine kurze Inhaltsangabe dieser wahrhaft bemerkenswerten Geschichte: Der Teufel raubt königlichen Eltern ihren Säugling, nimmt die Gestalt eines Mönches an und begibt sich samt Prinzessin zum Eremiten Alexander. Der Teufel überredet ihn, das Mädchen zu sich zu nehmen, weil er die letzte Hoffnung des Findelkindes sei, das sonst sterben müsse. Alexander hat Mitleid, willigt ein und zieht das Mädchen in seiner Eremitage auf. Als das Mädchen allerdings in die Pubertät kommt, verführt Alexander die Minderjährige und schwängert sie. Dem verzweifelten Alexander spendet der Teufel, wiederum in Mönchsgestalt, einen „geistlichen Rat“. Er solle die schwangere Frau samt Fötus töten, begraben, und dann den Rest seines Lebens in Buße verbringen. Alexander setzt diesen Rat des Teufels um, der sich unmittelbar nach dem Mord in seiner wahren Gestalt zeigt. Alexander fällt es wie Schuppen von den Augen, er wird vom Übermaß seiner Schuld beinahe verrückt, irrt wie von Sinnen durch den Wald und trifft schließlich auf eine gespaltene Eiche. Aus Neugierde (curiositas) legt er seine Hand in den klaffenden Spalt, worauf hin sich der Baum sofort um seine Hand herum schließt und mit Holz umwuchert. Als Gefangener des Baumes muss Alexander 15 Jahre an dieser Stelle ausharren. Er ernährt sich von Regen, Tau und Baumblättern; er wird immer mehr von Flechten überwachsen. Eines Tages kommt ein König – der Vater der ermordeten Prinzessin – während einer Jagd in den Wald und entdeckt den seltsa1

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Die Problematik einer Psychoanalyse durch Texte stellt SEELBACH, Psychoanalytische Deutungsversuche, 240–259 am Fall Augustinus dar; der Befund wäre auch bei einer Psychopathologisierung Goscelins zu bedenken. Zur Problematik der Alexander–eremita–Geschichte vgl. OTTER, The Book of Encouragement and Consolation, 166–167. Vgl. die Anmerkungen bei OTTER, The Book of Encouragement and Consolation, 21–49 (Buch 1); 50–79 (Buch 2); 80–111 (Buch 3); 112–150 (Buch 4); Interpretation 151–167.

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men Baum–Einsiedler. Der von Flechten überwachsene Alexander kann nur noch mit einer kleinen Geste auf eine bestimmte Stelle am Boden deuten. Als der König dort die Erde aufgräbt, findet er den unverwesten Leichnam seiner Tochter. Der König berührt daraufhin den Einsiedler mit einer vergebungsvollen Geste, worauf er vom Baum frei gelassen wird. Der König verzichtet auf seinen Thron, wird Mönch und gründet an der Stelle des Baumes ein Kloster.1 Wie schon erwähnt, waren manche Interpreten versucht, von der Alexander– eremita–Episode auf pädophile Fantasien des Autors Goscelin zu schließen. Wir halten indes eine gedächtnisgeschichtlich–allegorische Interpretation nicht nur für eine erfreulichere, sondern auch für eine textnähere und realistischere Alternative: Zunächst fällt auf, dass die Episode in enger Anlehnung an das auf den Kopf gestellte mulier– luxuriosa–Motiv komponiert ist und Elemente aus der Maria–nephtis–Abrahae– Geschichte enthält.2 Des Weiteren sticht ins Auge, dass der teuflische Diebstahl, der Ehebruch und Mord in einer gewissen Strukturanalogie zur Sündenfalls– und Kainsmordgeschichte geschildert werden und daher im Sinne der in den anachoretischen Horizont gespiegelten Heilsgeschichte gedeutet werden müssen.3 Angesichts des Gesamtkontextes des 4. Buches mit den Themen Hochmut–Demut und Liebeseinung bietet sich also folgende Interpretation an: Folgt der Mensch, wie der Eremit Alexander, blindlings seinen translimitischen Impulsen und diabolischen Einflüsterungen, dann ermordet er die humilitas, verfällt der superbia, gerät in die translimitische Sackgasse und verliert durch curiositas seine menschlichen Eigenschaften. Durch den König, der im dunklen Wald jagen geht, Vergebung gewährt und eine renuntiatio saeculi propagiert, kommt dann doch noch ein Happy–End zustande. Auch wenn man den 'Liber confortatorius' zu Recht für einen ziemlich manieristischen Text halten kann, dem aus verständlichen Gründen eine größere Wirkungsgeschichte versagt blieb, so wird man die literarischen Qualitäten des Textes als ein „Produkt der anachoretischen Phantasie“ nicht unterschlagen dürfen.4 Für die reale anachoretische Praxis scheinen hingegen liturgische Texte eine umso wichtigere Rolle zu spielten, die es im Folgenden herauszuarbeiten gilt.

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Zur Alexander–eremita–Episode vgl. GOSCELIN VON ST. BERTIN, Liber confortatorius (Talbot, 110–114) und OTTER, The Book of Encouragement and Consolation, 130–133. Die Alexander–eremita–Erzählung ist also zunächst im Gefolge klassischer eremitischer Texte zu lesen – wie etwa der Erzählung des scheiternden Mönchs von Johannes von Lykopolis, die WARD, Harlots of the desert, 6–7 referiert, und der Maria–nephtis–Abrahae–Geschichte; siehe VITA MARIAE MERETRICIS (PL 73, 651–660) bzw. (Ward, 92–101). Siehe hierzu den „hamartiologischen Bogen“, der in 1.1.3 dieser Studie geschlagen wurde. Die Lektüre von anachoretischen Schriften wie dem 'Liber confortorius' (nebst 'De institutione' und 'Ancrene Wisse'), die aus der Feder männlicher Autoren stammen, durch weibliche Reklusinnen analysiert eigens ROY, Sharpen your mind, 113–122.

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7.1.3. Inklusions–performance im urbanen Kontext Die anachoretischen Zellen des frühen Eremitentums des Ostens lagen meist außerhalb von Städten, oft in abgelegenen Gegenden wie Wüsten. Der limitischen Umfriedung der kellia oder einer ganzen laura kam dennoch die wichtige Funktion zu, Störungen von Besuchern zu unterbinden und die leibliche hesychia des Anachoreten zu schützen. Texte wie 'Vitas Patrum' bezeugen nämlich, wie zahlreich Besucher in der Wüste waren und wie gerne sie mit einem Vater oder einer Mutter ins Gespräch kamen.1 Aufgrund des anachoretischen limes konnte ein Gast allerdings nicht eigenmächtig in den eremus eindringen, sondern musste klopfen und darauf warten, ob ihm Zugang gewährt wurde. Dieser anachoretische limes wurde nicht nur durch architektonische Mittel wie Mauern, Umfriedungen und verschließbare Türen markiert, sondern vor allem durch liturgische Handlung verstärkt und religiös sanktioniert.2 Bei den Anachoreten der mittelalterlichen Stadt seit dem 12. Jahrhundert musste sich das Problem der Integrität der Umfriedung und die Bewahrung der Klausur um ein Vielfaches verschärfen: Stadteremiten lebten ihre translimitische renuntiatio saeculi mitten in der Welt – oft in unmittelbarer Nähe zu belebten Marktplätzen, lauten Durchfahrtstraßen und überfüllten Handwerkerquartieren. Selbst Friedhöfe waren weniger ein Ort der Stille als ein Ort der sozialen Kommunikation, denn auf ihm kam man zusammen, schloss Geschäfte ab, ging spazieren, errichtete Ladenbuden etc. Um in solchen Störfeldern ein anachoretisches Leben führen zu können und Grenzverletzungen zu minimieren, galt es, den anachoretischen limes durch eine wirksame rituelle Performation liturgisch so zu verstärken und symbolisch aufzurüsten, dass er dem urbanen Druck von außen standhalten konnte.3 Zur Ausgestaltung des Inklusionsritus standen zahlreiche Vorbilder zur Verfügung: Die Grundsakramente Taufe, Buße, Krankensalbung und Begräbnis enthielten Texte und Handlungen im Sinne eines Übergangsritus und ließen sich vorzüglich auch im Inklusionsritus einsetzen. Des Weiteren boten die Jungfrauenweihe, Ordensprofess und Pries-

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So verweigerte sich etwa der solitäre Abbas Arsenios besonders geschickt den Neugierde– Besuchern; siehe hierzu APOPHTEGMATA PATRUM 39–82 (Miller, 25–40). Zur Archäologie der Umfriedungsmauer bei frühen koptischen Lauren und Koinobien siehe TORP, Les murs d'enceinte, 173–200. Zum limitischen Schutz der Kartausen vgl. BAUER, Die Grenzen der Kartause, 43–56 und DUBOIS, Les Limites des Chartreuses, 1–63. MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, 117 bemerkt hierzu: „The urban – and by implication, female – anchorite thus occupies an agitated space which is always discursively open, permeable and penetrable by a noisy and seductive crowd which can easily draw an ontological weak recluse from her calling.“ Zum Problem der limes–Verletzung vgl. auch DÖRR, Das Institut der Inclusen, 65–66; PFLEGER, Inklusen am Oberrhein, 509–511 mit einer feurigen Mahn–Predigt des Augustiners Heinrich von Offenburg. Zur Warnung vor der Aufweichung des limes durch eine übermäßige „Geschwätzigkeit am Fenster“ siehe etwa auch PETRUS VENERABILIS, epistula 20 (Constable, 32–33).

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terweihe Anknüpfungspunkt und Strukturanalogien in Bezug auf die Eremiten– und Reklusenweihe.1 Für eine Analyse des Inklusionsritus stehen etliche auf uns gekommene Zeugnisse aus Deutschland oder England zur Verfügung.2 Wenn wir im Folgenden die Handschrift British Library Ms Cotton Vespasian D XV genauer in Augenschein nehmen, dann aus zwei Gründen: Erstens hat JONES eine vorbildliche Analyse des Inklusionsritus vorgelegt – eine Arbeit, an die wir uns gerne anlehnen. Zweitens bietet die genannte Handschrift eine reich ausgestaltete und hochgradig aufgerüstete Liturgie, an deren Überfülle mit freiem Auge studiert werden kann, was an liturgisch schlichteren Inklusionsriten nur mit der Lupe sichtbar würde. Wir zeichnen daher den Inklusionsritus der Ms Cotton Vespasian D XV in fünf Teilschritten nach: (1) Der Inklusionsritus beginnt mit dem Kandidaten als prostratus, je nach der verfassungsrechtlichen oder sozialen Stellung an einem unterschiedlichen Ort des Kirchenraumes: Der Kleriker liegt in der Mitte des Chores vor dem Altar; der männlicher Laie vor dem Lettner–Durchgang als limitischer Barriere zum Chorraum; eine Frau hingegen in einer angemessenen Entfernung von der Vierung in der Mitte des westlichen Kirchenschiffs – eine Positionierung des Kandidaten, die als Rhetorik des Raumes zu entziffern ist. Über den Kandidaten wird dann die Allerheiligen– Litanei gesungen, wobei die Analogie zur Priesterweihe und Letzten Ölung auf der Hand liegt. Danach folgt die Weihwasser–Besprengung und der Inzens des Kandidaten – in einer gewissen Parallele zur Begräbniszeremonie und/oder Priesterweihe.3 (2) Fortsetzung findet die Inklusionsliturgie mit Lesungen, wobei aussagekräftige Textstellen zum Einsatz kommen: Als alttestamentliche Lesung dient Jesaja 26,20–27,3 'Vade populus meus'; als neutestamentliche Lesung die Maria– Martha–Perikope aus Lk 10,38–42. Darauf erfolgt eine Prozession zum Altar, der Hymnus 'Veni creator spiritus' und die Darbringung von zwei Kerzen, welche die Hingabe der Gottes– und Nächstenliebe versinnbildlichen. Das 'Suscipe me Domine' (Ps 118 und 116) verdankt sich einer gewissen Strukturanalogie der Reklusenweihe mit der Ordensprofess und erklärt, warum sich hier in manchen späteren Li1

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Siehe DÖRR, Das Institut der Inclusen, 47: „Anklänge an das Totenoffizium können wir fast in sämtlichen Ordines feststellen.“ JONES, Ceremonies of Enclosure, 39–41; 42–43 und 46 analysiert die „Rhetorik des Todes“ sorgfältig, mahnt dabei eine besonnene Interpretation an, die er in der älteren Literatur bisweilen vermisst (vgl. die Literaturangaben in 48 Anm. 43). Zur Parallele mit der Mönchsweihe siehe CASEL, Die Mönchsweihe, 1–47. Eine gute Übersicht bieten DÖRR, Das Institut der Inclusen, 42–52; CLAY, Hermits and Anchorites, 94–96; DARWIN, English Medieval Recluse, 7–18 und ROUILLARD, Reclusione, 1242. JONES, Ceremonies of Enclosure, 35 konnte allein für England vierzehn Inklusions–Riten ausfindig machen – drei mit kontinentaler und elf mit insularer Provenienz; in Anm. 8 kündigt JONES eine vergleichende Studie dieser Liturgien an. Siehe hierzu JONES, Ceremonies of Enclosure, 36–38. Zur Position der Allerheiligen–Litanei in anderen Riten vgl. das Schema von DÖRR, Das Institut der Inclusen, 47.

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turgien das Unterschreiben einer Professurkunde oder eine Gewandsegnung verankern konnte, die in früheren Liturgien bisweilen fehlen. Nach der Predigt wird die Liturgie gemäß den Messformularen de Sancto Spirito oder pro mortuis, zum 'Heiligen Kreuz' oder zur 'Jungfrau Maria' fortgeführt.1 (3) Nach der Messfeier erfolgt die Prozession zum reclusorium, die zur Gänze aus Elementen des Begräbnisritus gestaltet ist: Die Antiphon 'In paradisum deducant te angeli', die beim Zug von der Kirche zum reclusorium angestimmt wird, hat vor allem deshalb naturalistische Züge, weil sich vielerorts das reclusorium auf dem Kirchhof befindet, der als Friedhof dient, und man daher bei der Prozession an Gräbern vorbei zieht, um das „Grab der Reklusenzelle“ zu erreichen. Der Graböffnungspsalm 117 'Confitemini Domini' (Ps 117) entspricht der Zellenöffung; der Grablegepsalm 41 mit den Abschnitten 'Ingrediatur in locum tabernaculi' und 'Quemadmodum' dem Hinzutreten zur Zelle. Eine dramatische Zuspitzung der Liturgie erfolgt durch ein retardierendes Moment– nämlich wenn der Zelebrant unmittelbar auf der Schwelle der Zelle anhält und spricht: „Wer einzutreten wünscht, trete ein! – Si vult intrare, intret“.2 (4) Beim eigentlichen Einzug ins eremitagium, also beim Überschreiten der Schwelle, wird die Antiphon 'Ingressus Raphael' mit einem Text aus dem Buch Tobit gesungen, die thematisch sowohl das Dunkel des Todes wie das Licht der Auferstehung anklingen lässt. Eine Besonderheit der späten Inklusionsriten, wie sie etwa im Ms Cotton Vespasian bezeugt sind, stellt die an dieser Stelle vorgesehene liturgische Errichtung eines „Grabes im Grab“ dar: Gemäß der liturgischen Raum–Symbolik ist schon das reclusorium eine Art Grab, in das der Rekluse eingeführt wird. Nun aber errichtet man im „Grab des reclusorium“ nochmals ein Grab und rezitiert die 'Commendatio animae'; der Rekluse legt sich dann in das am Boden ausgehobene Grab, während die theatralischen Gesänge 'Hec requies mea' sowie 'Memento Domine David' (Ps 131) erklingen. Darauf wird der liegende Rekluse sogar mit Staub bestreut und man stimmt die Begräbnisgesänge 'Domine probasti me' (Ps 138) und 'De terra plasmasti me' an. Den Abschluss dieses liturgischen Teils bildet eine Ermahnungsrede (exhortatio), die der Zelebrant an den Reklusen richtet, um ihm nochmals seine Lebensform und Standespflichten in Erinnerung zu rufen.3 (5) Nach dem Abschluss der Reklusionsliturgie verschließt der Zelebrant sorgsam die Türe der Einsiedelei mit einem Siegel und/oder speziellen Schloss. 4 1

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Zu diesem Abschnitt vgl. JONES, Ceremonies of Enclosure, 38–39. Zur Stellung des Hymnus 'Veni creator' in anderen Liturgien vgl. das Schema bei DÖRR, Das Institut der Inclusen, 47. Kerzen im Rahmen einer inclusio–Feier sind schon für die Hl. Radegund (†587) bezeugt; siehe hierzu GREGOR VON TOURS, hist Franc 6, 29 (MGH SS rer Merov 1, 268). Für Inklusions–Predigten vgl. auch die Hinweise von DÖRR, Das Institut der Inclusen, 48–49 (Anm. 26–28). Siehe JONES, Ceremonies of Enclosure, 39–40. Siehe JONES, Ceremonies of Enclosure, 40–41. Zur obstructio vgl. JONES, Ceremonies of Enclosure, 41 und DÖRR, Das Institut der Inclusen, 51–52.

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Die oben knapp aufgerissene Liturgie ist an Theatralik, Dramatik und Symbolik kaum zu überbieten; eine Analyse einzelner performativer Elemente – etwa der „Grablege des Reklusen“ und der „Internierung des Reklusen“1 – drängt sich geradezu auf. Freilich ist hier eine kritische Vorüberlegung unverzichtbar. Dass man den liturgischen Text nicht als simple Deskription auffassen darf, wird durch mannigfache Hinweise angedeutet: Die Rubriken des liturgischen Textes weisen darauf hin, dass die Liturgie oft in einer gekürzten Version durchgeführt wird, bei der gerade die spektakuläre Grablege innerhalb des Reklusoriumsgrabes entfällt.2 Hinsichtlich der Einschließung in die Zelle sind zudem Hinweise auf uns gekommen, die belegen, dass die anachoretische Klausur keinesfalls immer strikt gehandhabt wurde: Reklusen können ihre Zelle zu bestimmten Anlässen und in einem gewissen Umfang verlassen, ohne bei der Stadtbevölkerung Anstoß zu erregen.3 Wie soll man also die Reklusionsliturgie verstehen – als symbolisch–allegorischen oder als objektiv–deskriptiven Text? Wir sind der Auffassung, dass sich durch eine performativ–rhetorische Lesart die beiden Interpretations–Alternativen Fiktion oder Wirklichkeit der Klausur versöhnen lassen: (1) Ein Rekluse lebt inmitten der Welt jenseits der Welt. Vermöge seiner distinktiven Abgrenzung von der Welt kann gerade er das translimitische und eschatologisches Potential aufzeigen, das die Gesellschaft (noch) nicht zu leben vermag. Wegen seiner radikalen Transzendenzbezogenheit und Überweltlichkeit ist der Rekluse für die Gesellschaft so wichtig, wird von ihr finanziell unterstützt und sozial wertgeschätzt. (2) Der Reklusionsliturgie kommt in erster Linie die Funktion zu, die anachoretische Institution konkret zu vergegenwärtigen, den Reklusen in seine translimitische Rolle einzuweisen und den anachoretischen limes performativ–symbolisch zu errichten und zu markieren.4 (3) Die mittelalterliche Gesellschaft macht ihre Kooperation mit dem Reklusen sowie die soziale Wertschätzung ihm gegenüber von der Integrität des symbolischen limes abhängig: Sie erwartet vom Reklusen ein gewisses Mindestmaß an sichtbarer 1

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Anklänge an die Begräbnisliturgie sind keine Erfindung des Mittelalters; sie finden sich schon im Alten Eremitentum. DÖRR, Das Institut der Inclusen, 48 (Anm. 23) bietet als Beispiele eine koptischen Einschließungsliturgie und die Simeonsvita. Detaillierte Reflexionen über den „Realitätsgehalt“ bietet JONES, Ceremonies of Enclosure, 42–43. Diese Rubrik zitiert JONES, Ceremonies of Enclosure, 43 (Anm. 42): „Viele Zelebranten lassen die Letzte Ölung und die 'Commendatio' aus und gehen vom 'Exaudi' sofort zur Verschließung der Klause über“. Zum Problem der strikten oder flexiblen Interpretation der Klausur vgl. vor allem MULDER– BAKKER, De utopie van de kluis, 56–62 (Votum für eine eher flexible Praxis) und JONES, Ceremonies of Enclosure, 44–45 (Votum für eine eher strikte Praxis). Schon DÖRR, Das Institut der Inclusen, 69–70 hatte den Verdacht, normative Klausur–Vorgaben könnten nicht immer strikt ausgelegt worden sein, und formuliert vorsichtig: „Ob aber und inwieweit die Klausur immer streng gehalten wurde, lässt sich nach dem Stand der Quellen nicht beantworten“. Auch JONES, Ceremonies of Enclosure, 45 bestimmt den Ritus als „a rhetorical powerful and dramatically impressive piece of liturgical performance“.

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Einzelanachorese translimitischer Distanz vom gewöhnlichen Stadtleben.1 Wenn der Rekluse diese symbolischen Erwartungen grundsätzlich erfüllt, zeigt man sich bezüglich mancher Details – etwa der Nahrungsaskese oder Klausur – ziemlich kulant.2

Dass die Toleranz der christianitas aber ganz klare Grenzen kannte3, erweist sich am Fall der Christine Carpenter, einer Reklusin, die den symbolischen limes nach ihrer Reklusion im latrologischen Überschwang so massiv verletzte, dass sie sich gravierende Sanktionen einhandelte.

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Über die Disziplin der Reklusen informiert DÖRR, Das Institut der Inclusen, 52–58; über Nahrung, Kleidung und Ausstattung 58–65. Mäßigen Weingenuss nach der Maßgabe der Benediktsregel erachtete man beispielsweise als ziemlich unproblematisch; vgl. DÖRR, Das Institut der Inclusen, 59. Einige Überschreitungen referiert DÖRR, Das Institut der Inclusen, 70 (Anm. 83): Hatto von Ottobeuren missachtete die anachoretische Mindestaskese und hortete zudem größere Geldsummen; er wurde schließlich aus dem Reklusenstand in den Mönchsstand zurück versetzt. Aufgrund des gleichen Deliktes wurde auch Cilia von Konstanz ihrer Zelle entsetzt. Ähnliche Probleme werden im SPECULUM INCLUSORUM (Oliger, 70) angesprochen.

7.2.

Kriminalisierte Eremitin: Christina Carpenter

Ein Zufallsfund von drei Dokumenten aus dem bischöflichen Register des Bischofs John de Startford gewährt uns einen wertvollen Einblick in das Verhältnis zwischen einer dissidenten Reklusin und ihrem sozialen Umfeld. Diese Briefe beziehen sich auf eine junge Frau, Christina Carpenter, die in dem Städtchen Sheere in der Diözese Winchester als Reklusin lebte.1 Die spektakulären Umstände ihrer Reklusion lassen sich anhand der drei Dokumente gut nachzeichnen: Der erste Brief von 1329 ist eine Notifikation des Antrags auf Reklusion nach traditionellem Muster: Christina tritt darin als Bittstellerin auf und möchte in einer kleinen Zelle – in arto loco – eingeschlossen werden, die direkt an die Kirche von Sheere angebaut ist. Die Ortskirche ist in die Reklusionsfrage involviert. Der leibliche Vater wird befragt, der Kirchenrektor und die Pfarrgemeinde sind einverstanden.2 Das zweite Dokument belegt, dass Christina nur einen Monat später tatsächlich als Reklusin installiert wurde. Die Leitideen ihrer anachoretischen Funktion werden in der Urkunde präzise benannt: Vor dem Blick der Öffentlichkeit und der Welt verborgen (a publicis et mundanis conspectibus separata) will sie Gott freier dienen (servire deum liberius); sie will ihr Herz von dieser Welt unbefleckt erhalten (cor suum immaculatum ab hoc seculo custodire). Christina verfolgt mit ihrer Anachorese freilich kein privates Ziel, sondern ist geistlich in die gesamte christianitas vor Ort eingebunden: In ihrer unsichtbaren Anachorese ist sie ein horizontales Band der Pfarrgemeinde, der Laien und Kleriker, und eine vertikale Brücke zwischen Menschen und Gott.3 Von daher erhellt, warum Christinas Schritt, schon nach wenigen Jahren den Reklusinnen–Stand aufzugeben und wieder in die Welt zurück zu kehren, eine kollektive Krise auslöst, wie das dritte Dokument von 1332 belegt: Christina hatte ihre Zelle verlassen und sich damit beinahe die Kirchenstrafe der Exkommunikation zugezogen. Nach kurzer Zeit schwenkte Christina allerdings wieder um und bemühte sich um eine erneute Reklusion. Sie wird mit einem Schutzbrief von Johannes XXII. bei Johannes de Startford vorstellig. Der päpstliche 1

Die drei Briefe gehören zum Register des Bischofs John de Stratford; siehe JOHN DE STRAT– Briefe (Hampshire Record Office MS 21M65/a1/5, f 46v und 76r). Für eine englische Übersetzung der unveröffentlichten Briefe siehe: JOHN DE STRATFORD, Briefe (McAvoy, 225– 229). Grundlegende Hinweise zur Person und Geschichte Christinas bietet auch RUBIN, Making, unmaking and remaking of Christine Carpenter, 204–221. Siehe JOHN DE STRATFORD, Briefe (Hampshire Record Office MS 21M65/a1/5, f 46v) und JOHN DE STRATFORD, Briefe (McAvoy, 225–226). Zur Deutung vgl. MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, 120–121. Siehe JOHN DE STRATFORD, Briefe (Hampshire Record Office MS 21M65/a1/5, f 46v) und JOHN DE STRATFORD, Briefe (McAvoy, 226). Zur Deutung vgl. MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, 121–122. FORD,

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Mendikantische Transliminalität

Erlass befreit sie von der Exkommunikation, falls sie binnen 4 Monaten wieder ihr reclusorium bezieht. Interessant ist die Wendung, sie solle, wenn ihr reclusorium nicht sicher sei, anderen Orts eingeschlossen werden (si ibi secura esse non potuit recludi in alio). Die Sicherheitsfrage des reclusorium weist wohl in zwei Richtungen: Einerseits hatte man seitens der Diözesanverwaltung ein besonders Interesse, Christina so einzuschließen, dass sie nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder entflieht. Gleichzeitig stand vermutlich auch ein Sicherheitsrisiko seitens der Pfarrgemeinde zu befürchten: Christina hatte nicht nur ihr Gelübde gebrochen, sondern vor allem auch die Erwartungen, das Vertrauen und die soziale Wertschätzung ihrer Ortskirche enttäuscht, die sie finanziell unterstützte und eine geistliche Gegenleistung erwartete.1 Inwiefern Christina sich in den artus locus eingewöhnte oder ob sie ihn Zeit ihres Lebens als eine Art Gefängnis empfand, teilt der Text nicht mit. Allerdings enthält er unerfreuliche Spuren koerzitiver Gewalt: Wenn Christina bei ihrer Wiedereinschließung Wunden oder stigmata aufwies, wie der Text ausdrücklich festhält, dann muss man wohl an Schläge denken – oder verbirgt sich dahinter gar ein Brandzeichen, wie MCAVOY vermutet?2 Wie dem auch sei: Es steht fest, dass Christina in ihrer Transliminalität die limitische Kontur ihrer Reklusinnen–Zelle und die Erwartungen ihrer Ortskirche massiv überschritten hatte – und folglich so zurecht gebracht wurde, wie man einen latro zurecht bringt.

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Siehe JOHN DE STRATFORD, Briefe (Hampshire Record Office MS 21M65/a1/5, f 76r) und JOHN DE STRATFORD, Briefe (McAvoy, 226–229). Zur Deutung vgl. MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, 122–124. Siehe hierzu MCAVOY, Gender, Rhetoric and Space, 123–124.

8. Mendikantische Transliminalität und Latrologie

Das neue Stadt–Anachoretentum entsteht am Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts vor dem Hintergrund wichtiger politischer, ökonomischer und sozialer Transformationsprozesse. In diesem Horizont sind zahlreiche weitere Neuerungen in der Spiritualität auszumachen. Es ist hier weder möglich noch nötig, die frömmigkeits– und spiritualitätsgeschichtlichen Entwicklungen dieser Zeit ausführlich zu referieren; es genügt, einige Leitideen in Erinnerung zu rufen: (1) Am Ende des 12. und Beginn des 13. Jahrhunderts erwacht in Europa eine neue Sensibilität für das biblisch bezeugte Leben Jesu mit seinen Jüngern, die vita apostolica. Man interessiert sich für das konkrete Lebensprofil der Jesusbewegung und versucht es zu imitieren. Anhand der Aussendungsreden und weiterer biblischer Perikopen wird man besonders auf die Transliminalität der vita apostolica aufmerksam. Das arme Leben in der Nachfolge Christi bildet einen Gegenentwurf zur Habens–Struktur der Existenz, die im Frühkapitalismus des 13. Jahrhunderts propagiert wird.1 (2) Zur armen vita apostolica gehört konstitutiv die Seelsorge (cura animarum), wie man am biblischen Beispiel ablesen kann: Jesus ist mit seinen Jüngern zu den Menschen gegangen und hat ihnen die frohe Botschaft gebracht. Dieser Akzent eines pastoralen Engagements lässt sich gerade auch in offiziellen Dokumenten der Kirche erheben: Das 4. Laterankonzil verpflichtet die Gläubigen beiderlei Geschlechts zum mindestens einmaligen Empfang der Beichte und Eucharistie pro Jahr, ruft die Predigtpflicht des Klerus in Erinnerung und schärft die christliche Verpflichtung einer Sorge um die Kranken ein.2 Zusammenfassend könnte man also sagen, dass im 13. Jahrhundert eine besondere Sensibilität für den kenotischen Imperativ entsteht, der den Menschen durch die Liebeshingabe Christi in Krippe, Kreuz und Altar aufscheint. Diese Zielvorgabe der kenotischen imitatio Christi ist alles andere als neu, sondern universal christlich; das Novum liegt 1 2

Vgl. MCGINN, The Flowering of Mysticism, 5–8, mit Literatur und weiteren Hinweisen in den Fußnoten; LANGER, Christliche Mystik im Mittelalter, 211–218. Vgl. MCGINN, The Flowering of Mysticism, 8–12; für eine knappe Besprechung des Konzilsprogramms 8.

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Mendikantische Transliminalität

also im Wie – das heißt im konkreten Profil neuer Lebensformen –, mit denen Laien dieses Ziel in den urbanen Zentren umzusetzen trachten. Derartige neue Lebensweisen entstehen verschiedenen Orts, um rasch auszustrahlen; hier sei nur an drei wichtige Initialzündungen erinnert: In Lothringen wagen Maria von Oignie und Jakobus von Vitry einen mendikantischen Aufbruch, der bald bis ins Rheinland wirkt. In Umbrien begründen Franziskus und Klara eine neue Interpretation der vita apostolica, die sich zuerst in Norditalien und dann europaweit ausbreitet. Dominikus bricht zu seinem translimitischen Projekt aus Südfrankreich auf; der Impuls erfasst zunächst Italien und pflanzt sich schließlich in ganz Europa fort.1 Wenn man diese mendikantischen Aufbrüche mit dem Anachoretentum zusammenschaut, dann kann man sagen: Im 13. Jahrhundert differenzieren sich im gleichen Kontext verschiedene Lebensformen aus. Das neue Stadt–Anachoretentum, das Beghinentum und die mendikantische Lebensform sind unterschiedliche Lebensstile mit einem je eigenen Profil und einer je eigenen Akzentsetzung. Unbeschadet solcher Unterschiede kommen sie dennoch darin überein, dass sie neue, auf die Bedürfnisse der Zeit und den urbanen Kontext zugeschnittene Formen der anachoresis darstellen. Von daher erklären sich auch die Interferenzen, Wechselwirkungen und Nachbarschaftsverhältnisse zwischen dem eremitischen und mendikantischen Leben: Franziskus hat nicht nur Regeln für das mendikantische Leben der Brüder, sondern auch eine Regel für Einsiedeleien verfasst.2 Dominikus hatte eine ganz besondere Zuneigung zum eremus von Vallomobrosa und trug stets eine Vitas–Patrum–Ausgabe als Taschenbuch mit sich herum.3 Der Dominikaner Gerhard von Frachet porträtiert das Leben der frühen Brüder in seinem Werk 'Vitas Fratrum' in Strukturanalogie zu den 'Vitas Patrum'.4 Über die Jahrhunderte sind Mendikanten als Beichtväter und geistliche Begleiter von AnachoretInnen bezeugt: Franziskaner in den oberitalienischen Städten; Dominikaner in Magdeburg; Karmeliten in England.5 Aufgrund dieses Nahverhältnisses zwischen mendikantischer und eremitischer Lebensform müssen auch mendikantische Zeugnisse im Rahmen einer latro–eremita–Motivgeschichte berücksichtigt werden.

1 2 3 4 5

Siehe LANGER, Christliche Mystik im Mittelalter, 219–225; 253–271; 288–289. Zum anachoretischen Aspekt der franziskanischen Bewegung siehe vor allem MERTENS, In eremi vastitate resedit, 285–374 und MANSELLI, Franziskus, 282–286. Vgl. JORDAN VON SACHSEN, libellus 13 (Hoyer, 36). Auf die Anlehnung an die bonshommes von Grandmont weist VICAIRE, Dominikus (Greschat), 272 hin. Vgl. GERHARD VON FRACHET, Vitae Fratrum (MOPH 1). Zur franziskanischen EremitInnenseelsorge in Italien siehe CLARK, Spaces of reclusion, 17–19. Für eine dominikanische Reklusinnen–Seelsorge steht etwa JOHANNES VON MAGDEBURG, Vita Margaretae contractae (Schmidt). Zu den Querverbindungen englische Karmeliten und anachoretische Bewegung siehe vor allem BERGSTRÖM–ALLEN, Heremitam et ordinis carmelitarum, der im zweiten Kapitel seiner Dissertation wichtige anachoretische Werke streift.

8.1.

Franziskanische Transliminalität und Latrologie

8.1.1. Franziskus – Versuch eines latro–Portraits Ein die Person des Franziskus in allen Facetten treffendes Portrait auf knappem Raum zeichnen zu wollen, wäre Vermessenheit. Dennoch ist es für diese Studie unverzichtbar, die Person des poverello auf translimitisch–latrologische Aspekte hin zu untersuchen, diese zusammen zu stellen und ihre Wirkungsgeschichte in Grundzügen nachzuzeichnen. Ein grundlegender translimitischer Aspekt der Persönlichkeit des Franziskus lässt sich in seiner Biographie allenthalben erheben: Schon als junger Mann ist Francesco in Assisi in den Streit der maiores gegen die minores (auf Seiten der minores) involviert und gerät in Folge der Schlacht von Collestrada 1203 in Kerkerhaft, wodurch zum ersten Mal sein Lebensweg wirklich in Frage steht. In der Traumvision von Spoleto, in welcher er Christus schaut, geht ihm auf, dass ihn seine bisherige militärische und weltliche Transliminalität nur an „abhängige Knechte“ kettete, und er sich noch nie für einen „echten und wahren Herrn“ eingesetzt hatte, der eines solchen Dienstes tatsächlich würdig gewesen wäre.1 In drei translimitischen Schritten, die jeweils am Christusgeheimnis abgelesen werden, löst sich Franziskus aus der Weltverstrickung und übereignet sich immer mehr Gott in Jesus Christus: (1) Franziskus betrachtet im Jahre 1206 das Kreuzbild von San Damiano, das zu ihm spricht und ihn zu einem ersten translimitischen Schritt herausfordert: Er solle sein bisheriges Leben hinter sich lassen, um die Kirche zu erneuern. Franziskus bricht nun in der Tat mit den beruflichen Zukunftsplänen seines Vaters, der ihn gerne als sein Nachfolger im Tuchhandel gesehen hätte. Er macht einen ihm zugänglichen Teil des väterlichen Besitzes zu Geld, um damit die Kirche von San Damiano renovieren zu können, und wird dadurch – zumindest aus der Perspektive seiner Eltern – zum latro am familiären Erbe. Der erzürnte Vater verhängt über seinen Sohn Hausarrest und sperrt ihn sogar in den Keller des Hauses, wohingegen seine Mutter während der Abwesenheit des Vaters den Sohn voller Mitleid wieder freisetzt.2 Schließlich kommt es zum endgültigen translimitischen Überschritt, durch den Franziskus den Bannkreis seiner irdischen Familie hinter sich lässt. Um nackt dem nackten Christus nachzufolgen, dem göttlichen Vater ganz anzugehören und 1 2

Siehe hierzu LEGENDA TRIUM SOCIORUM 2 (Fontes Franciscani, 1376–1379); MANSELLI, Franziskus, 54–75 und ZAHNER, Franz von Assisi, 17. Siehe ZAHNER, Franz von Assisi, 20–21.

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Mendikantische Transliminalität

dem leiblichen Vater seinen legitimen Besitz zurückzugeben entkleidet er sich seines Gewandes vor aller Augen auf dem Marktplatz von Assisi: „Hört alle und versteht! Bis jetzt habe ich Petrus Bernardone meinen Vater genannt; aber weil ich mir vorgenommen habe, Gott zu dienen, gebe ich jenem das Geld zurück, um dessentwillen er in Unruhe war, und dazu noch sämtliche Kleider, die ich von seiner Habe besaß. In Zukunft will ich sagen: Unser Vater, der du bist im Himmel (Mt 6,9), nicht: Vater Petrus Bernardone.“1 (2) Am 24. Februar 1209 klärt sich in Portiuncula endgültig, wohin Franziskus seine translimitische Dynamik kehren wird. Im Gottesdienst hört er als Evangelium eine zentrale Stelle der matthäischen Aussendungsrede: Die Jünger sollen „weder Gold noch Silber, weder eine Tasche noch Brot oder einen Stab auf dem Weg tragen, weder Schuhe noch zwei Röcke haben“ (Mt 10,7–19). Der translimitische Imperativ aus dem Munde Jesu, den wir oben bei der Darstellung der Jesusbewegung schon genauer in Augenschein genommen hatten, trifft den Franziskus mitten ins Herz und wirft sein Leben um, wie vor ihm schon Antonius den Großen und ganze Generationen von Anachoreten.2 (3) Eine dritte translimitische Gottesbegegnung bezeugt Franziskus eindringlich in seinem Testament: „Als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt.“ 3 Diese drei schlichten Sätze enthalten eine komplexe translimitische „Umwertung aller Werte“: Franziskus ist als junger Mensch ästhetisch sensibel, wertfühlig und leidenschaftlich. Von daher ist ihm der Aussatz auf verständliche Weise bitter, ekelhaft und unerträglich. Aussatz richtet sich gegen die Schönheit der Schöpfung, den Wert der Gesundheit und gelingendes Leben; er steht für Tod und Verwesung, Sinnlosigkeit und Bedrohung. Gott jedoch führt den Franziskus über die limitische Kontur dieser Welt hinaus – zuerst innerlich, dann äußerlich –, wie es im Testament unmittelbar im Anschluss an die Leprosen–Stelle heißt: „Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt.“ Von jenseits der limitischen Kontur – also von der Transzendenz, dem Christusereignis und der Eschatologie her – wird ein neuer Blick auf Aussatz und Tod möglich: War nicht Christus selbst auf dem Kreuzweg mit Wunden versehrt und daher quasi leprosus? Zeigt sich daher nicht im leprosus Christus an? Ist nicht sogar der Aussatz noch von einer „Süße“ durchzogen, weil Christus am Kreuz den Sieg des Lebens über den Tod erwirkt hat, und 1

2 3

Vgl. zum ganzen Geschehen THOMAS VON CELANO, vita prima 4–6 (Fontes Franciscani, 284– 290) und die Besprechungen bei MANSELLI, Franziskus, 61–70 sowie ZAHNER, Franz von Assisi, 23–24. Siehe MANSELLI, Franziskus, 80–81 und ZAHNER, Franz von Assisi, 24–25. FRANZISKUS, testamentum 1–3 (Fontes Franciscani, 227); zur Auslegung dieser Sätze vgl. auch MANSELLI, Franziskus, 42–70.

Dominikanische Latrologie

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von daher nicht die Bitterkeit des Todes und Verwesung, sondern Auferstehung und ewiges Leben das letzte Wort haben?1 Es ist von entscheidender Bedeutung zu sehen, dass Franziskus’ translimitische Vorstöße und Entdeckungen mehr als Früchte einer sozialethisch motivierten Solidarität mit den Armen oder einer Option gegen die Habensstruktur der Existenz darstellen – obwohl sie diese Aspekte natürlich mit abdecken.2 Sie speisen sich aus einer existentiellen Christusbegegnung und wurzeln in einer Theologie der condescensio, der Kenosis Christi. Franziskus geht auf, dass der liebende und sich entäußernde Gott nicht allein „in den Himmeln“ wohnt, sondern sich dem Menschen in Krippe, Kreuz, Altar und in der Heiligen Schrift schenkt, und in jedem armen Bruder oder jeder armen Schwester dem Menschen nahe kommt.3 Es ist nicht möglich, hier alle translimitischen Aspekte des Franziskuslebens eingehend zu besprechen; es seien lediglich einige Punkte angedeutet: (1) Franziskus war mit der Schöpfung so vertraut und gegenüber der vom Menschen errichteten Kultur so entgrenzt und freigesetzt, dass er die limitische Kontur, die den Menschen als Kulturwesen von der Tierwelt und Natur unterscheidet, und seit dem Sündenfall oft auch schmerzlich trennt, spielend übersteigen konnte: Bei der Vogelpredigt oder der Ermahnung des Wolfes von Gubbio hatte Franziskus unmittelbaren, gleichsam translimitisch–paradiesischen Zugang zum Tierreich.4 (2) Seine Fähigkeit, limitische Konturen zwischen Religionen zu überschreiten, ohne das Zeugnis für Christus aus den Augen zu verlieren, zeigte sich 1219 in Damiette (Ägypten) beim Treffen mit dem Sultan Al–Malik–al–Kamel. Franziskus geht es bei diesem interreligiösen Dialog in der Tat um Frieden, Toleranz und dialogisches Lernen – die Praxis des Angelusläuten kam Franziskus etwa beim Ruf der Muezzine in den Sinn –, aber zugleich auch um die Verkündigung Gottes in Jesus Christus und um die Bekehrung zu Ihm.5 (3) Das deviante Verhalten des Franziskus gegenüber einer frühkapitalistischen Gesellschaft wurde oben schon angesprochen: Wenn Franziskus Geld als „Mist“ erachtet und sich mit „Habenichtsen“ solidarisiert, dann überschreitet er die limiti1

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Siehe hierzu FRANZISKUS, testamentum 3 (Fontes Franciscani, 227): „et postea parum steti et exivi de saeculo“ und die Erläuterungen von MANSELLI, Franziskus, 42–48 sowie ZAHNER, Franz von Assisi, 57–60. Siehe LEHMANN, Bettelarm und doch reich, 376–383. Zur Inkarnationtheologie siehe DETTLOFF, Franziskus und die Weihnachtskrippe, 225–234; SCHNEIDER, Ex quo natus fuit nobis, 84–102; ZAHNER, Franz von Assisi, 44–46 und 63–73. Zur Christologie insgesamt auch FREYER, Das wahre Licht 9–40. Siehe THOMAS VON CELANO, vita prima 21, 58–61 (Fontes Franciscani, 332–336) und vita secunda 35–36 (Fontes Franciscani, 474–476). Zum Sonnengesang und „Naturgefühl“ von Franziskus vgl. auch MANSELLI, Franziskus, 322–335 und ZAHNER, Franz von Assisi, 76–79; 102–103. Zu Franziskus und dem Islam vgl. HOEBERICHTS, Francis and Islam; BEER, Der heilige Franziskus und der Islam, 696–705 und ZAHNER, Franz von Assisi, 37–40.

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schen Konturen einer Gesellschaft, die sich am Ende des 12. und Beginn des 13. Jahrhunderts immer mehr an der Habensstruktur der Existenz orientiert, auf provokante Weise. Hinter einer solchen Devianz stand freilich nicht so sehr der negative Aspekt einer Abkehr von der Welt als vielmehr der positive Aspekt einer Hinkehr zum sich entäußernden Christus und zur Gnadenstruktur christlicher Existenz.1 (4) Die eigentliche Mitte der Transliminalität des Franziskus ist der Gehorsam gegenüber dem, was Gott ihn zu wollen will. In einer solchen Willenseinung mit Gott wird eine vollkommene Freude begründet, die von der Welt her zwar noch geprüft und angefochten, aber nicht mehr ausgelöscht werden kann.2 Wie ernst es dem Franziskus mit der Nachfolge des kenotischen Christus war, zeigt sein eigener Transitus am Ende seines Lebens: Im Jahre 1224 empfängt er die Stigmata, die Wundmale Christi, als sichtbare Zeichen seiner Kreuzesnachfolge und vita angelica. Kurz darauf stirbt er, ganz nackt und bloß.3 Die kenotische Translimitik des Franziskus und der frühen Franziskaner ließe sich durch zahlreiche Beispiele aus den franziskanischen Quellen veranschaulichen. Hier nur zwei Kostproben, in denen die Vokabel latro explizit fällt: (1) In der 'Vita' des Julian von Speyer wird eine Episode referiert, in welcher Franziskus durch eine latro–performance die Einwohner von Assisi in Erstaunen versetzt und schließlich zum Nachdenken über ihre eigene Weltverfallenheit veranlasst: Nachdem Franziskus, durch eine Krankheit geschwächt, Hühnerfleisch gegessen hatte und so wieder zu Kräften gekommen war, lässt er sich von seinen Brüdern wie einen Räuber (tamquam latronem) mit aufgelegtem Schandholz sowie mit gebundenen Händen durch die Stadt treiben, und bezichtigt sich lautstark seiner Übertretung, nämlich des Bruchs seiner Fastenpraxis. Diese Selbststigmatisierung als latro ist für die Zuschauer alles andere als ein lustiges Spektakel: Franziskus’ performance ist offensichtlich so authentisch, dass zumindest einige Zuschauer erschüttert sind.4 (2) Doch nicht nur dem Franziskus, sondern auch seinen Brüdern haftete eine gewisse latro–Aura an. Die einzelnen Etappen, wie sich Bischof Guido von Assisi sowie die Päpste Innozenz III. und Honorius III. um die ekklesiologische Integration der 1 2 3 4

Siehe BOSL, Armut Christi und Das Armutsideal des heiligen Franziskus, 1–12 und LEHMANN, Bettelarm und doch reich, 376–383. Siehe hierzu ZAHNER, Franz von Assisi, 84–87, der das 8. Kapitel der Fioretti auslegt. Vgl. BONAVENTURA, legenda maior 13–14 (Fontes Franciscani, 889–898). JULIAN VON SPEYER, Vita Francisci 6,32,7–9 (Fontes Franciscani, 1054). Diese Episode ist eine gute Veranschaulichung eines Charakterzugs, den FRANK, Franz von Assisi, 39 umschreibt als: „Schauspieler Franziskus, der es verstand, durch Gebärden und Beispielhandlungen Gedanken und Anliegen in plastischer Anschaulichkeit auszudrücken.“ Einige Hinweise zur Komposition der 'Vita' des Julian von Speyer bieten PRINZIVALLI/FIORELLI, Alcune riflessioni sulla 'Vita s. Francisci', 137–161.

Dominikanische Latrologie

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translimitischen Brüdergruppe mühten, dürfen hier als bekannt vorausgesetzt werden. Interessant ist, dass die 'Regula non bullata' der translimitischen Rolle von Franziskus und seiner Brüder eingedenk ist und die latro–Integration als ein Teil des franziskanischen Programms festschreibt: „Und mag ... kommen, wer da will, Freund oder Feind, Dieb (fur) oder Räuber (latro), so soll er gütig aufgenommen werden.“1 Für Franziskus und seine Brüder stand zu erwarten, gerade translimitisch begabte Personen – uns seien sie Räuber – könnten am translimitischen Imperativ Jesu, den die Franziskaner in radikaler Weise zu leben trachteten, Gefallen finden und sich daher von ihrer destruktiven zu einer mendikantischen Transliminalität bekehren. Wie man sich einen solchen fröhlichen Wechsel und die Integration konkret vorstellen darf, veranschaulicht die Drei–latrones–Legende, die nun genauer analysiert werden muss.

8.1.2. Die Drei–latrones–Legende Das Textstück der Drei–latrones–Legende ist im Kapitel 29 des 'Actus beati Francisci et sociorum eius' (und ähnlicher Form im 26. Kapitel der 'Fioretti') überliefert.2 Für die folgende Durchsicht dürfen wir uns der kunstvoll komponierten und mit narrativem Geschick ausgestalteten Version des 'Actus' anvertrauen, die aus drei Abschnitten besteht: einer Vorgeschichte, der eigentlichen latrones–Bekehrung und einer abschließenden eschatologischen Traumvision. (1) Die Vorgeschichte spielt in der Gegend von Sansepolcro, nahe dem Schloss Casale, wo Franziskus auf einen edlen Jüngling stößt. Dieser will sich trotz seiner adeligen Herkunft der translimitischen Gruppe anschließen und hat ein schlagendes Argument parat, um sein Interesse und seine Berufung plausibel zu machen: „Seid ihr nicht Mensch wie ich; wenn ihr es ertragen könnt, kann auch ich es!“ Franziskus ist von der kraftvollen Überzeugung des Jungen angetan, nimmt ihn in die Gemeinschaft der Brüder auf. Er wird schließlich unter dem Namen Bruder Agnolo zum Guardian des Klosters von Monte Casale eingesetzt.3 (2) Bruder Agnolo scheint freilich die franziskanische Berufung zur Transliminalität noch nicht in ihrer ganzen Tiefe ausgelotet zu haben: Als drei latrones, die in der Gegend schon seit Längerem ihr Unwesen treiben, Hunger haben, klopfen sie am Franziskanerkonvent und betteln. Bruder Agnolo reagiert durchaus verständlich. Er schickt sie weg und ruft ihnen hinterher: „Ihr seid nicht wert, dass die Erde 1 2

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REGULA NON BULLATA 7,14 (Fontes Franciscani, 192): „Et quicumque ... venerit amicus vel adversarius, fur vel latro benigne recipiatur“. Vgl. ACTUS B. FRANCISCI ET SOCIORUM EIUS 29 (Fontes Franciscani, 2148–2154). Für die Breitenwirkung derartiger Legenden wären auch die entsprechenden bildlichen Umsetzungen zu berücksichtigen; die Ikonographie der 'Fioretti' beleuchtet beispielsweise GIEBEN, Zur ikonographischen Tradition der Fioretti, 5–36. Siehe ACTUS B. FRANCISCI ET SOCIORUM EIUS 29,3–6 (Fontes Franciscani, 2148).

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Euch trägt!“ Franziskus deckt dem Guardian nach dieser allzu menschlichen Reaktion allerdings sofort auf, wie sehr er mit seinem Verhalten den translimitischen Imperativ Jesu verfehlt hat: Er hätte den Räubern gegenüber Barmherzigkeit statt abweisende Härte zeigen müssen; gerade die latrones als Kranke hätten gemäß dem Evangelium des Arztes bedurft; gerade sie als Sünder wären berufen gewesen. Es ist indes noch nicht zu spät, den translimitischen Imperativ doch noch zu beherzigen. Franziskus schickt Agnolo aus, damit er die latrones suche, sich vor ihnen niederkniee, seine Sünden gestehe, sie speise und zur Bekehrung einlade. Als der Guardian diesen Bußdienst in Angriff nimmt, trägt Franziskus das Unternehmen durch sein Fürbittgebet mit. Die Mission ist erfolgreich: Den latrones gehen anlässlich des Bekenntnisses der kleinen Sünde des Agnolo ihre eigenen großen Sünden auf. Sie folgen Agnolo und ersuchen Franziskus um Belehrung. Ermuntert durch die Zusicherung, Gottes Barmherzigkeit sei stets größer als die vom Menschen begangene Sünde, bekehren sich die drei latrones endgültig, lassen ihr destruktives Geschäft und bitten um die Aufnahme in die Gemeinschaft der Brüder.1 Das Ende dieses Abschnitts leitet geschickt zur folgenden Traumvision über: Zwei der Ex–latrones sterben alsbald, der Dritte wird ein vorbildlicher Bruder und zeichnet sich durch seine radikale Buße aus. Er fastet, läuft barfuß und wacht des Nachts. Nach der Matutin geht er nie schlafen wie die anderen Brüder, sondern harrt im Gebet aus – bis ihn dann doch eines Morgens der Schlaf übermannt und ihm ein Traumgesicht beschert.2 (3) Die Traumvision des dritten Ex–latro besticht durch ihren Motivreichtum: Zuerst sieht sich der Träumende auf einen sehr hohen Berg versetzt (in monte excelsum valde) – eine sprachliche Wendung, die auf den hohen Berg der Versuchungsgeschichte Jesu verweist (Mt 4,8). Dann aber rutscht er auf dem Berg ab und stürzt in den Abgrund. Er schlägt unten auf, ist zerschmettert und beinahe tot. Erst nachdem ihn ein Engel wiederhergestellt und gekräftigt hat, kann er die Traumreise fortsetzen. Die Vision führt zu diversen Jenseitsorten: Der Träumer muss zuerst über ein Dornenfeld wandern, dann in einem Feuerofen ausharren. Nach einem Gespräch im Fegefeuer muss er weiter ziehen und schließlich eine extrem schmale Brücke, die einen Fluss mit Schlangen, Drachen und Skorpionen überspannt, überqueren. In der Mitte wird die Brücke so schmal, dass er nicht mehr weiter kann, beinahe abstürzt und sich nur mit äußerster Mühe gerade noch halten kann. Zur Rettung wachsen ihm durch Gottes Gnade Engelsflügel. Weil er allerdings zu ungeduldig ist, um zu warten, bis die Flügel groß genug sind, ihn zu tragen, stürzt er zweimal ab. Erst beim dritten Mal gelingt die Rettung: Der Träumer fliegt zum 1

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Vgl. ACTUS B. FRANCISCI ET SOCIORUM EIUS 29,7–27 (Fontes Franciscani, 2148–2150). Interessant ist die Wendung in 29, 15 (2150): „quos s. Franciscus benigne et caritative recipiens“, die genau der Formulierung der REGULA NON BULLATA 7,14 (Fontes Franciscani, 192): „benigne recipiatur“ entspricht. Siehe ACTUS B. FRANCISCI ET SOCIORUM EIUS 29,27–31 (Fontes Franciscani, 2150).

Dominikanische Latrologie

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Paradies und klopft an die Paradiesestür. Man gewährt ihm Einlass, weil er sich als Franziskaner ausweisen kann. Nachdem ihm Franziskus, Bernardo und Egidio zu ein wenig Vorgeschmack des Himmels verholfen haben, wird er zur Erde zurückgeschickt. Der Träumer erwacht und erzählt dem Guardian seine Traumvision. Kurz darauf fällt er in ein siebentägiges Fieber, verstirbt am achten Tage und gelangt sofort zu Franziskus und den heiligen Brüdern ins Paradies.1 Die komplexe Geschichte muss hier nicht im Detail analysiert werden – etwa hinsichtlich ihrer tiefenpsychologischen Bedeutung oder der Quellengeschichte der Motive. Hier nur einige Bemerkungen zur translimitischen Bedeutung der Episode: (1) Die in der Vorgeschichte gegenüber gestellten Personen, Franziskus auf der einen und Bruder Agnolo auf der anderen Seite, zeigen die beiden möglichen Reaktionen des Menschen auf den translimitischen Imperativ Jesu: Während Franziskus verinnerlicht hat, dass die Zuwendung Gottes in Jesus Christus gerade auch den Sündern und Außenseitern gilt, und er daher latrones Barmherzigkeit erweisen muss, ohne deshalb ihre Sünden zu verharmlosen, reagiert Agnolo unbarmherzig und bleibt der Logik der Welt verhaftet, weil er vermeint, Gut und Böse am äußeren Rollenverhalten ablesen zu können. Ermuntert durch Franziskus lernt er die Lektion des translimitischen Imperativs dann doch, und avanciert so zum Konversionspaten der drei latrones. Er läuft den latrones hinterher und gibt ihnen durch seine eigene Bekehrung ein Vorbild für ihre Bekehrung.2 (2) Die latro–Bekehrung ist nach dem klassischen Muster der Vitas–Patrum–Texte gestaltet, und zeigt gleichsam pars pro toto wie stark der mendikantische Impuls des Franziskus, unbeschadet seiner Neuartigkeit und Kreativität, anachoretischen Idealen verpflichtet bleibt. (3) Die Traumvision entfaltet in einem Bilderreigen die geistliche Tiefendimension und spirituelle Innenseite eines translimitischen Wechsels, der nicht schon allein darin besteht, äußerlich eine latro–Gruppe zu verlassen, um der Franziskus– Gruppe beizutreten. Ein translimitischer Wechsel ist von bedeutenden inneren Prozessen getragen. In der vorliegenden Schilderung einer Traumvision werden diese Prozesse durch die Einblendung einer geistlichen Topographie veranschaulicht: Der Berg ist aus der Versuchungsgeschichte Jesu übernommen; der Feuerofen ist aus dem Buch Daniel bekannt; das Fegefeuer ist auf der Höhe der theologischen Reflexion des 13. Jahrhunderts, die dämonischen Tiere wie Schlangen, Drachen und Skorpione gehören zum Grundbestand der eremitischen Theologie seit der Patristik. Besonders wichtig ist die Darstellung des translimitischen Überstiegs über die Brücke und des Aufstiegs zum Paradies.3 Er gelingt nicht aus eige1 2 3

Siehe ACTUS B. FRANCISCI ET SOCIORUM EIUS 29,30–63 (Fontes Franciscani, 2150–2154). In dieser Hinsicht aktualisiert Franziskus gleichsam die Rolle, die in der HISTORIA MONACHO– RUM IN AEGYPTO 8,30–35 (Festugière, 55–56) Abbas Apollonius wahrgenommen hatte. Für den „Berg der Versuchung“ vgl. 2.2 dieser Studie. Die Jenseits–Topographie dieser latro–

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ner Kraft, sondern nur aus Gnade. Die Flügel zum Höhenflug muss man sich schenken lassen; der Eintritt ins Paradies ist kein persönliches Recht sondern Gnade. Oder nochmal anders: Der latro, der glaubte, sich alles rauben zu müssen, um glücklich zu sein, lernt nun, alles hinzugeben, um zur Vollendung zu gelangen. Diesen translimitischen Imperativ kann man am Heiligen Franziskus, dem alter Christus, ablesen, und auf seine Fürbitte hin im eigenen Leben realisieren.

8.1.3. Translimitischer Spiritualismus Die Forderung nach einer (trans–)limitischen Kommunikation blieb bei den Franziskanern allerdings nicht nur ein pastoraltheologisches Postulat für das Wirken nach außen, sondern entwickelte sich zunehmend zum ordensinternen „heißen Eisen“: Ein Flügel der Franziskaner, gleichsam die translimitischen Hardliner des Ordens plädierte für die Aufrüstung der limitischen Kontur gegenüber der Gesellschaft durch strikte Einhaltung der Armut und für eine kontrastive Abgrenzung vom Lebensstil der hochmittelalterlichen Stadt; der andere Flügel optierte hingegen, unbeschadet eines grundlegenden asketisch–mendikantischen Lebensstils, doch für eine gewisse Abrüstung der limitischen Differenz und bemühte sich um einen zumindest partiellen Ausgleich durch Kompromissformeln. Der franziskanische Streit um die limitische Abgrenzung oder Anpassung kreiste um die Armutsfrage, reichte dabei aber bis in die Wurzel der franziskanischen Lebensform, deren dialektische Momente nicht eben leicht auszubalancieren waren: Ein Leben in strikter Armut, Demut und Gotteshingabe stand durch den Imperativ der Seelsorge mit einer Involviertheit in die Welt in einer beträchtlichen Spannung. Schon in den normativen Quellentexten des Ordens ist diese Spannung abgebildet. Die Regel versucht die charismatische Initialzündung des Franziskus an die Erfordernisse einer dauerhaft institutionalisierten Brüdergemeinschaft behutsam anzupassen, während das Testament eher ihre Radikalität festschreibt.1 Der Flügel der limitischen Aufrüster, der sich auf das Testament des Franziskus berief und von dorther die Regel interpretierte, hatte besonders bei Brüdern aus den Gegenden Rückhalt, wo die eremitische Tradition der franziskanischen Frühzeit lebendig geblieben war – also etwa in Umbrien, der Toskana und Ancona.2 Diese sogenannten

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Legende darf man durchaus mit einem Seitenblick auf das Bild aus dem SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 52v–53r) lesen, wo 'Daniel in der Löwengrube', 'Jünglinge im Feurofen' und 'Descensus ad inferos“ allegorisch zusammen gestellt sind. Zur Herausbildung der beiden Flügel des Franziskanerordens siehe NIMMO, Reform and Division in the Franciscan Order; BURR, Olivi and Franciscan Poverty sowie LAMBERT, Franciscan Poverty. LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 197–198 betont zu Recht, dass formaljuristisch das Testament keine Rechtsbindung hatte, sondern aufgrund einer moralisch–hagiographischen auctoritas seine Wirkungen entfaltete. Vgl. LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 198: „Den Kern für diese gärende Unruhe verkörperte eine Gruppe von schlichten Weggefährten aus den ersten Tagen des Ordens, die allgemein einen

Dominikanische Latrologie

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Spiritualen1 hatten aber auch in Südfrankreich einen starken Rückhalt und gewannen zunehmend an Einfluss. In einem solchen Kontext operierten charismatische Figuren wie Petrus Johannes Olivi und Ubertino de Casale.2 Weil der Streit zwischen den beiden Flügeln über Jahrzehnte unter den Tisch gekehrt wurde und ungelöst blieb, konnte er durch die Seelsorgstätigkeit und mittels der Tertiaren–Bewegung ins breitere Volk und in engagierte Laiengruppen einsickern, um nach einer gewissen Zeit eruptiv an die Oberfläche zu treten.3 Zum latro–Problem wurde der Konflikt, als sich ein Teil des Armutsflügels intensiv mit joachimitischer Geschichtstheologie beschäftigte und so zu einer eigentlichen Spiritualenbewegung wurde, die mit den Grenzen der Orthodoxie, der päpstlichen Kirchenpolitik und dem Kirchenrecht zunehmend in Konflikt kam: (1) Der Zisterzienser Joachim von Fiore hatte rund ein Jahrhundert vor der franziskanischen Bewegung versucht, aus der Schriftoffenbarung Geschichtsstrukturen heraus zu präparieren, diese mittels Vernunftschlüssen zu generalisieren und schließlich auf Zukunftsfragen und auf die konkrete Eschatologie anzuwenden. Weil die Franziskaner von jeher die symbolisch–allegorische Exegese bevorzugten, die sich für die Predigt und spirituelle Unterweisung besonders eignete, bestand zwischen der franziskanischen Denkart und der joachimitischen Auslegungskunst eine gewisse innere Nähe.4 (2) Der eigentliche Konfliktpunkt erwuchs indes nicht aus der allegorischen Methode als solcher, sondern aus dem konkreten Verständnis des tertius status, des „Reichs des Geistes“, das laut Joachim nach dem „Reich des Vaters“ und „Reich des Sohnes“ zur Zeit des Franziskus und Dominikus anbrechen sollte. Man konnte den Anbruch des Geistreiches durchaus kirchenkonform verstehen. Die Auffassung, das Geistreich würde mit neuen Personen und Schriften kommen und das Neue Testament, die Sakramente und kirchliche Hierarchie auf die gleiche Weise aufheben, wie das Neue Testament einst das Alte Testament mit seinem „Kult“ und „Priestertum“ aufgehoben habe, war mit dem kirchlichen Glauben indes nicht vereinbar. Wenn manche Spiritualen zu zeigen versuchten, Franziskus sei der Engel des Sechsten apokalyptischen Siegels gewesen; seinen Schriften eignete ein Offenbarungscharakter vom Rang eines kanonischen Evangeliums; Kritik und Verfolgung der Spiritualenbewegung seien als die in der Apokalypse geschilderten apokalyptischen Wehen zu verstehen; Kaiser sowie Teile der kirchlichen Hierar1 2

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Hang zum Einsiedlerdasein hatten.“ Grundlegende Infomationen zu den Spiritualen bieten OLIGER, Spirituels, 2522–2549 und BENZ, Ecclesia spiritualis. Zur Lage in der Provence vgl. MANSELLI, Spirituali e Beghini in Provenza; zu Olivi vgl. BURR, Olivi and Franciscan poverty, hier besonders 67–68 und 135–158; zu Ubertino vgl. GODEFROY, Ubertin de Casale, 2020–2034. Vgl. das Urteil von LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 214: „Das Tragische an der Bewegung der Spiritualen war, dass die Beilegung der Kontroverse so lange hinausgezögert wurde“. Zu Joachim siehe REEVES, The Influence of Prophecy und MCGINN, The Calabrian Abbot.

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Mendikantische Transliminalität chie bildeten den Antichristen1; dann strapazierten sie die limitischen Konturen des Lehramtes und wurden, zumindest in den Augen der kirchlichen Autorität, zu Ketzern, um nicht zu sagen zu latrones.

Die einzelnen Krisen der Spiritualenbewegung können hier nicht ausführlich dargestellt werden; für unsere Gedächtnisgeschichte reicht ein historisches Blitzlicht: (1) Der Skandal, der den ganzen Franziskanerorden und im Gefolge alle Mendikanten einem rufschädigenden latro–Vorwurf aussetzte, ereignete sich 1254. Gerhard von Borgo San Donnino veröffentlichte in diesem Jahr seinen 'Liber introductorius in evangelium aeternum' als Einleitung zu den drei Hauptschriften des Joachim von Fiore und verband darin die joachimitische Theologie in anstößiger Weise mit der Spiritualenbewegung. Für besonderen Aufruhr sorgte seine These, der von Joachim angekündigte neue Geistorden sei die franziskanische Spiritualen– Bewegung; die neuen Texte und Personen dieser Geistzeit hätten das Neue Testament gleichsam „aufgehoben“.2 (2) Nach dem Konzil von Lyon des Jahres 1274 verschärfte sich der Konflikt, denn spiritualistisches Geistesgut war inzwischen auch in volkstümliche Bewegungen eingedrungen: Ein Konfliktfall ereignete sich etwa in Mailand, nachdem im Jahre 1281 eine gewisse Guglielma starb, die von Anhängern als Inkarnation des Hl. Geistes verehrt wurde. Die Situation eskalierte, als sich Manfreda de Pirovano zur Nachfolgerin der Guglielma aufschwang und als weiblicher Engelpapst mit weiblichen Kardinälen eine Gegenhierarchie aufzurichten versuchte und für eine Neuschreibung des Evangeliums warb.3 (3) Ein anderer Vorfall ereignete sich in Parma mit den sogenannten 'Apostolischen Brüdern': Im Jahre 1260 gründete Gerardo Segarelli eine Gemeinschaft von Brüdern, die sich nicht wie die gewöhnlichen Franziskaner als minores, sondern wegen ihrer translimitischen Radikalität als minimi bezeichneten. Nachdem Segarelli 1300 als Ketzer verbrannt wurde, schwang sich Dolcino, der uneheliche Sohn eines Priesters aus der Diözese Novara, zum Nachfolger auf. Auch diese Gruppe bediente sich eines „Manifests der unmittelbaren Geistinspiration“, das den Anbruch des Geistreiches für 1304 ankündigte. Als dieser Anbruch dann aber ausblieb, latrologisierte ein Teil der Gruppe und zog schließlich als wilder Plünderungstrupp durch die Lande. 1307 wurde Dolcino, der Kopf der Gruppe, hingerichtet, wodurch diese Bewegung, merklich geschwächt, ausklang.4 1

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Zu dieser problematischen Joachim–von–Fiore–Interpretation siehe REEVES, The Influence of Prophecy, 176; 296–392; BIHEL, Fuitne angelus sexti sigilli, 59–90; SCHALLER, Endzeiterwartungen, 924–947 und LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 206–208. Siehe LAMBERT, Franciscan Poverty, 113–115; REEVES, The Influence of Prophecy, 59–70 und TÖPFER, Evangelium aeternum, 156–163. Siehe WESSLEY, The thirteen–century Gulielmites, 289–303 und BENEDETTI, Il culto di Santa Guglielma, 221–241; BÄTHGEN, Der Engelpapst; LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 208. Zu Gerardo Segarelli und Dolcino vgl. REEVES, The Influence of Prophecy, 242–248; LEFF,

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(4) In der italienischen Mark Ancona machte sich im Gefolge des Konzils von Lyon bei eremitisch gesinnten Brüdern, die unter der Leitung von Petrus von Macerata eine Gruppe gebildet hatten, eine kraftvolle translimitische Dynamik breit: Bei einer lokalen Armutskontroverse beriefen sich die eremitischen Brüder auf die Regel und das Evangelium von Franziskus und verweigerten den in ihren Augen ungerechtfertigten Anordnungen der Ordensoberen den Gehorsam. Zur Strafe für ihren translimitischen Protest fanden sich die eremitischen Brüder alsbald in einer ganz besonderen Eremitenzelle wieder: Sie wurden in ein ordenseigenes Bußgefängnis eingekerkert. Im Jahre 1289 erfuhr der Ordensgeneral Raimund Gaufredi während einer Visitation von den Vorfällen und entließ die inhaftierten Eremiten wieder in die Freiheit. 1294 konnten die Brüder eine eigene eremitische Gemeinschaft errichten, was die Konflikte allerdings nicht entschärfte: Vor den Streitereien wichen sie auf eine einsame Insel vor der griechischen Stadt Achaia aus, aber 1299 kam es zum Konflikt mit dem Patriarchen von Konstantinopel. Nach dem Tod des Petrus von Macerata übernahm Angelus Clarenus die Leitung des Ordens, der sich wegen seiner spiritualistischen Gesinnung weiterhin massivem Druck ausgesetzt sah.1 (5) In Südfrankreich entwickelte sich nach dem Tod des umstrittenen Petrus Olivi im Jahre 1298 eine volkstümliche Spiritualenbewegung: An seinem Grab in Béziers entstand ein unerlaubter, dafür aber umso inbrünstigerer Heiligenkult von Anhängern, die in Olivi den Engel des Siebten Siegels erblickten. Kopf dieser Bewegung, die sich im ganzen Languedoc mit Perpignan, Nizza, Toulouse, ja sogar bis nach Avignon ausbreitete, war Pierre Trencavel von Béziers. Erst als man ihn 1326/27 ausschaltete, verlor die Bewegung an Einfluss.2 Die Spiritualenfrage inner– und außerhalb des Ordens spitzte sich besonders unter Johannes XXII. zu. Die Bulle 'Quorundam exigit' von 1317 stellte spiritualistisch Gesinnte vor einen Gewissenskonflikt und führte zu einer Verhärtung der Fronten: Der geforderte Eid, dem Ordensoberen und Papst Gehorsam zu sein, mutete einem Spiritualen, zumindest gemäß seiner eigenen Perspektive, zu, sich für die Einheit des Franziskanerordens zu Ungunsten der Armutspraxis und für die Infallibilität des Papstes zu Ungunsten einer Inspiriertheit des Franziskus zu entscheiden. Als Johannes XXII. im Jahre 1322/23 eine dogmatische Entscheidung in der Armutsfrage fällte, rief er zusätzlich eine breite Widerstandsgesinnung auf den Plan. Radikale fraticelli de paupere waren

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Heresy in the Later Middle Ages 1, 191–195; ANAGNINE, Dolcino e il movimento ereticale und TÖPFER, Das kommende Reich, 280–324. Vgl. TOCCO, I fraticelli o poveri eremiti di Celestini, 117–159; OLIGER, Geschichte der Spiritualen, Fratizellen und Clarener, 215–242; POTESTÀ, Angelo Clareno dai poveri eremiti; zum weiteren Kontext auch die Einzelbeiträge von ANGELO CLARENO FRANCESCANO. Zu Trencavel von Béziers und den Hintergründen vgl. MANSELLI, Spirituali e Beghini in Provenza, 164–237; für eine knappe Zusammenfassung der Krise vgl. auch LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 215–218.

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schon seit Längerem der Überzeugung, dieser Papst sei in Wirklichkeit der Antichrist; gemäßigtere Franziskaner und Laiengruppierungen gelangten nun immerhin zu der Auffassung, Johannes sei, wenn schon nicht der Antichrist, so doch zumindest ein Feind der wahren Kirche.1 Diese Stimmung hat die Infiltration von Beghinen, Tertiaren, Reklusinnen und den sogenannten „Brüdern und Schwestern vom freien Geist“ mit spiritualistischen Anschauungen gefördert.2

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Einen guten Überblick über die Rolle Johannes XXII. für die Entwicklung der heterodoxen franziskanischen Bewegung bei LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 216–220; MIETHKE, Papst Johannes XXII. und der Armutstreit, 263–313 sowie LEFF, Heresy in the Later Middle Ages 1, 157–166; 206–211; 230–233 und 238–255. Zur Breitenwirkung des Spiritualismus siehe BURR, Did the Beguins understand Olivi?, 309– 318 und Na Prous Boneta and Olivi, 477–500 sowie RÍOS RODRÍGUEZ, Franciscanismo y movimientos heréticos, 71–102.

8.2.

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8.2.1. Dominikus und die häretische Transliminalität Hier ist nicht der Ort, ein umfassendes Portrait des Dominikus zu zeichnen1; im Folgenden sollen lediglich translimitische Aspekte seiner Biographie herausgegriffen werden: Der kurz nach 1170 im kastilischen Caleruega geborene Dominikus studierte in Palencia und trat 1196 ins Domkapitel seiner Heimatdiözese Osma ein. Den ersten Impuls seiner späteren translimitischen Sendung bekam Dominikus in den Jahren 1203 und 1205, als er zusammen mit seinem Bischof Diego im Auftrag von Alfons III. anlässlich einer Heiratsanbahnung nach Norddeutschland reiste. Wegweisend war die Begegnung mit Gruppen, die sich jenseits der limitischen Kontur der Kirche befanden – in Südfrankreich mit den Katharern, in Norddeutschland mit den heidnischen Kumanen.2 Ein weiterer wichtiger Impuls erfolgte im Jahre 1206, als Dominikus beobachtete, wie hilflos sich die Zisterzienser bei ihrem Versuch gebärdeten, in Montpellier Katharer für die Kirche zurückzugewinnen. Mit dem monastischen Integrationsprogramm der Zisterzienser ließ sich bei einer ausgewachsenen translimitischen Bewegung zu Beginn des 13. Jahrhunderts nichts mehr ausrichten, während die neue Missionsmethode des Dominikus, die durch das translimitische Wort und Beispiel dem translimitischen Katharertum auf gleicher Augenhöhe begegnete, sofort Früchte brachte.3 Im Jahre 1207 starb Diego, und auch die Zisterzienser zogen sich zurück. Von nun an lag die Verantwortung auf den Schultern von Dominikus. Im selben Jahr gründete Dominikus in Prouille einen Frauenkonvent.4 Sein Predigerorden nahm ab 1215 Gestalt an – zuerst auf diözesaner Ebene durch die Bestätigung des Bischofs Fulko von Toulouse; im Herbst gleichen Jahres dann auf dem 4. Laterankonzil unter Innozenz III. Um 1218 war der Konstitutionsprozess mehr oder weniger ans Ziel gelangt und gipfelte in einem Predigerorden, der mit dem bisher den Bischöfen und ihrem Diözesanklerus vorbehal-

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Für ein knappes Portrait siehe LOHRUM, Dominikaner, 117–119 und Dominikus sowie VICAIRE, Dominikus, 1221–1223. Siehe hierzu JORDAN VON SACHSEN, libellus 5–17 (Hoyer, 30–40). Zur Reise in den Norden siehe auch HALVORSEN, Les voyages de Saint Dominique, 194–220. Zur „neuen Missionsmethode“ des Dominikus vgl. JORDAN VON SACHSEN, libellus 18–22 (Hoyer, 30–40). Zum Konvent von Prouille vgl. JORDAN VON SACHSEN, libellus 23 (Hoyer, 43–44) sowie TUGWELL, For whom was Prouille founded?, 5–125.

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tenen Predigtamt dauerhaft beauftragt wurde.1 Am 6. August 1221 starb Dominikus in Bologna.2 Für die folgenden biographisch–legendarischen Episoden mit translimitisch– latrologischem Gehalt stützen wir uns auf zwei Quellenschriften: Sein Nachfolger Jordan von Sachsen, der von 1221 bis 1237 die Geschicke des Ordens lenkte, hatte vermutlich schon im Jahre 1221 die Grundzüge seiner Dominikus–Biographie fertig, obwohl er seinen 'Libellus' erst im Jahre 1233 endgültig redigierte und publizierte. Daneben bietet uns Gerhard Frachet mit 'Vitas Fratrum' wertvolles biographisches und legendarisches Material.3 Hier einige wichtige translimitische Begebenheiten aus dem Leben des Dominikus: (1) Eine Episode aus dem 'Libellus' gemahnt an die oben besprochene Episode aus der 'Vita Hilarionis': Als katharische Gegner den Dominikus beleidigen, ihm nachstellen, auflauern und ihn schließlich mit dem Tod bedrohen, antwortet er ihnen: „Ich bin der Ehre des Martyriums nicht würdig, noch habe ich einen solchen Tod verdient!“ Als die verdutzten Katharer ihm später ein zweites Mal auflauern, zieht Dominikus fröhlich singend vorüber. Ihn bekümmert die Lebensgefahr, in der er ganz offensichtlich schwebt, nicht weiter. Auf die Nachfrage „Warum fürchtest Du den Tod nicht? Was hättest Du getan, wenn wir dich gefangen genommen hätten?“ antwortet Dominikus schlagfertig, er hätte ihnen dann eine Gebrauchsanweisung für ein besonders langwieriges und grausames Martyrium gegeben, denn dadurch wäre seine Predigttätigkeit endgültig verifiziert und die Sache der Katharer endgültig der Häresie überführt und falsifiziert worden.4 (2) Eine ähnlich schlagfertige Antwort findet Dominikus in einer Episode aus den 'Vitas fratrum': Als er einst mit seinen Begleitern zu einer Disputation mit den Katharern unterwegs ist, verirrt sich die Gruppe in einer ihnen unbekannten Gegend. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich einem Fremden anzuvertrauen, der ihnen zunächst als ein braver Christ erscheint, sich dann aber als ein hinterlistiger Ketzer entpuppt. Er führt Dominikus und seinen Begleiter bewusst auf Abwege, durch ein Gestrüpp aus Dornen und Disteln, an denen sie sich die Beine und Füße blutig stechen. Dem Dominikus kommt freilich keine Klage über die Lippen sondern lediglich eine gelassene Zukunftsprognose: Nachdem sie vermöge ihrer blutigen Beine und Füße heute ihre Sünden schon hinreichend gebüßt hätten, stehe zu erwarten, dass sie bei der heutigen Disputation siegen werden. Der Häretiker wird durch diese Antwort gleichsam entwaffnet, interessiert sich für den Glauben der

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Zum Profil des Dominikanerordens siehe FRANK, Der Dominikanerorden, 178–189. vgl. JORDAN VON SACHSEN, libellus 61 (Hoyer, 71) Zur Genese des Libellus siehe HOYER, Einführung, 18–26; zur Datierung siehe CANETTI, La datazione del 'Libellus', 176–193 und TUGWELL, The dating of Jordan's libellus, 5–116. Zum Text der 'Vitas fratrum' vgl. GERHARD VON FRACHET, Vitas Fratrum (MOPH 1). Siehe JORDAN VON SACHSEN, libellus 27 (Hoyer, 46–48).

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Brüder, bekehrt sich spontan und beichtet seine Sünden – in der Tat ein voller Erfolg schon vor der Disputation.1 (3) Der 'Libellus' bietet eine interessante Episode, welche die Bereitschaft des Dominikus zur Selbst–Latrologisierung zur Sprache bringt: Als er einst einen Mann wieder für die Kirche gewinnen will, offenbart ihm dieser, er wäre durch einen Kredit finanziell an die Häretiker gebundenen und könne daher nicht konvertieren. Dominikus' Bereitschaft, für ihn stellvertretend die Schuldhaft zu übernehmen, wenn er sich nur bekehre, verfehlt ihre Wirkung nicht. Dominikus' Bereitschaft, leibhaftig für ihn ins Gefängnis der Schuldhaft zu gehen, um ihn vor dem Gefängnis der Verdammung zu retten, erweckt beim Katharer tatsächlich die Bereitschaft, das Gefängnis der Häresie zu verlassen.2 (4) In einer Strukturanalogie zu Erzählungen aus der Hagiographie von Bernhard von Clairvaux und Franziskus referiert auch der 'Libellus' eine Geschichte, bei der eine „schamlose Frau“, gleichsam eine mulier luxuriosa, als potentielle Räuberin der Keuschheit auftritt. Dominikus überwindet die Diebin seiner zölibatären Berufung vermöge eines besonderen translimitischen Schutzes: Dominikus lädt die Frau zu sich ein und fordert sie sogar auf, mit ihren Verführungskünsten loszulegen. Der Verführungsversuch geht dann freilich ins Leere, weil Dominikus an einem translimitischen Ort Schutz findet. Er ist durch limitische Feuerwände von der Verführerin und ihrer glühenden Fleischeslust abgeschirmt; sie muss unverrichteter Dinge abziehen.3 Latrologische Gehalte finden sich indes nicht nur beim Gründer des Dominikanerordens. Besonders die Lebensbeschreibung des seligen Heinrich Seuse weist eine große Dichte an latro–Aspekten auf, die nun genauer untersucht werden soll.

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Diese Episode aus GERHARD VON FRACHET, Vitas fratrum zitiert und bespricht (auf dem Hintergrund des Apostolats des Dominikus) TUGWELL, Der Heilige Dominikus, 18. Siehe JORDAN VON SACHSEN, libellus 28 (Hoyer, 48–49). Siehe JORDAN VON SACHSEN, libellus 39 (Hoyer, 56–57).

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8.2.2. Heinrich Seuse und die geistliche Latrologie Die Frömmigkeitstheologie des Heinrich Seuse hat in der neuesten Zeit die ihr gebührende Aufmerksamkeit erfahren; latrologische und translimitische Theologumena wurden dabei allerdings eher peripher gestreift. Wir wollen daher einen Überblick über die Latrologie Heinrich Seuses versuchen, dem ein knapper biographischer Überblick vorangestellt sei:1 Im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts wird Heinrich in Konstanz oder Überlingen geboren und tritt schon als Dreizehnjähriger in das dominikanische Inselkloster in Konstanz ein. Aus der Retrospektive hält Heinrich die ersten fünf Jahre seines mendikantischen Lebens für eine relativ unfruchtbare Phase, weil er damals gegen die Fundamental–Disjunktion des geistlichen Lebens gelebt habe: „Wer die Welt besitzen und doch Gott vollkommen dienen will, will Unmögliches und verfälscht Gottes eigene Lehre.“2 Im Alter von 18 Jahren ereignet sich dann seine geswinde kere, die sein Leben umwirft und ihn zum „anfangenden Menschen“ des geistlichen Weges werden lässt. Bis zu seinem 40. Lebensjahr bemüht er sich vor allem durch passiologische latro– performances dem Christus passus ut latro nachzufolgen – siehe dazu unten die Details. Den Kulminationspunkt seiner Bemühung stellt die bekannte Selbst–Tätowierung des Christusmonogramms auf seine Brust dar. Mit Vierzig ereignet sich ein erneuter Umschwung, der Heinrich über die äußere Transliminalität hinaus zu einer inneren Transliminalität führt – zur „Gelassenheit in Verlassenheit“. Seine spirituelle Reife erwirbt sich Heinrich im Durchgang durch äußere Probleme: Seine Freundschaft zu Meister Eckhart bringt ihn in Häresieverdacht und beendet seine Karriere innerhalb des Ordens.3 Heinrich muss sich durch äußere Verleumdungen hindurch kämpfen, bis ihm schließlich die große innere Freiheit der unio mystica geschenkt wird. Am 25. Januar 1366 verstirbt Heinrich Seuse in Ulm. Will man sich der translimitisch–latrologischen Aspekte des geistlichen Weges von Heinrich Seuse zuwenden, so muss man seine 'Vita' zu Rate ziehen. Dieses Werk darf man allerdings nicht als eine von Heinrich verfasste Autobiographie missverstehen; sie hat vielmehr eine verwickelte Entstehungsgeschichte: Die kurz nach 1300 in Zürich geborene Dominikanerin des Klosters Töss bei Winterthur, Elsbeth Stagel, stand in einer intensiven geistlichen Freundschaft zu Heinrich Seuse.4 Der Grundstock der 'Vita' 1

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Die Biographie Heinrich Seuses ist, unbeschadet der Bedeutung externer Hinweise, in erster Linie aus seinen Schriften – vor allem der 'Vita' – zu rekonstruieren. Eine interpertierende Übersicht für ein breiteres Publikum bieten NIGG/HOFMANN, Leben des seligen Heinrich Seuse, 9–51 und WILMS, Heinrich Seuse. Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 1 (Bihlmeyer, 9/20–22); zur Deutung siehe ENDERS, Das mystische Wissen, 125. Zum Verhältnis Heinrich–Eckhart siehe TRUSEN, Heinrich Seuse als Verteidiger Eckharts, 134– 136 und NIGG/HOFMANN, Leben des seligen Heinrich Seuse, 31–35. Zur Freundschaft Elsbeth–Heinich vgl. VETTER, Ein Mystikerpaar und NIGG/HOFMANN, Leben des seligen Heinrich Seuse, 10–22. Zur 'Vita' und der „doppelten Autorenschaft“ vgl. SCHWIE-

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Heinrichs erwuchs gleichsam ihrem geistigen Diebstahl. Elsbeth schrieb nämlich im Geheimen nieder, was ihr Heinrich als geistlicher Vater persönlich anvertraut hatte. Als Heinrich davon erfuhr und begann, die von seiner geistlichen Tochter niedergeschriebenen Zettel zu verbrennen, gebot ihm ein göttlicher Wink Einhalt: Die Blätter würden noch gebraucht. Nach dem Tod von Elsbeth – also im fünften Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts – hat Heinrich dann den Grundtext Elsbeths überarbeitet und ausgestaltet. Eine klare Scheidung der beiden Hände ist am auf uns gekommenen Text nicht möglich, aber auch nicht nötig, wenn man das Werk als Niederschlag eines geistlichen Kommunikationsgeschehens liest.1 Eine Durchsicht und Deutung der gesamten 'Vita' ist nicht beabsichtigt; es genügt für unseren Zweck, wichtige latrologische Momente heraus zu greifen. Für die Zeit zwischen dem 18. und 40. Lebensjahr weiß die 'Vita' Episoden zu berichten, die man am besten als latro–performance2 bezeichnen könnte: Heinrich inszeniert eine Passions–Aktion, bei der er die vier Seiten des Kreuzgangs im Dominikanerkloster abschreitet und zugleich einen inneren Kreuzweg durchmeditiert. Jede Kreuzgangseite bedeutet ihm eine christliche Grundhaltung: Verzicht auf Freude an Vergänglichem, Absterben von irdischer Ehre, Verzicht auf den bequemeren Weg und schließlich kenotische Selbstentäußerung.3 Diese Einübung in die Christus–Kenosis durch performance treibt Heinrich auf die Spitze: Er tätowiert sich das Christus– Monogramm auf die Brust, direkt über dem Herzen – eine Symbolhandlung, die anzeigen soll, wie sehr Heinrich sich wünscht, die göttliche Weisheit solle sein Willensvermögen überformen.4 Er behandelt seinen Leib mit latro–Instrumenten wie Bußkleidern, Ketten, Fesseln und Nagelkreuzen. Nachts schläft er auf einem latro–Lager.5 Im 19. und 20. Kapitel gelangt die Selbststigmatisierung als latro an ein erstes Ziel: Auf göttliches Geheiß muss Heinrich die Stufe des „anfangenden Menschen“ verlassen, seine äußerliche performance hinter sich lassen und in die Schule der vollkommenen Gelassenheit eintreten.6 Worum es in dieser Schule geht, bedeutet ihm ein Hundegleichnis: 1 2

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Zur Autorschaft von Seuses Vita, 309–311 und SENN, Die Echtheit der Vita. Siehe HEINRICH SEUSE, vita prol (Bihlmeyer, 7/1–8/3). Den Kommunikationsprozess beleuchtet TOBIN, Henry Suso and Elsbeth Stagel, 118–135 und 235–238. Diese „performative Note“ hängt mit der grundlegenden Bedeutung der Liturgie für die seusesche Frömmigkeitstheologie zusammen; siehe ANGENENDT, Die Liturgie bei Heinrich Seuse, 877–897. Einen Rettungsversuch der latro–Performance als „radikales Engagement“ unternimmt NIGG/HOFMANN, Leben des seligen Heinrich Seuse, 29–30. Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 13 (Bihlmeyer, 34–36). Zur Deutung vgl. auch ENDERS, Das mystische Wissen, 135–137. Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 4 (Bihlmeyer, 15–17). Zur Interpretation siehe auch ENDERS, Das mystische Wissen, 130 und die ausführlicheren Erwägungen von SPOERRI, Schrift des Herzens, 299–315. Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 15–17 (Bihlmeyer, 40–52). Zur Bedeutung der Leiblichkeit in der seuseschen Mystik vgl. auch FENTEN, Mystik und Körperlichkeit und DIETHELM, Durch sin selbs unverstorben Vichlichkeit. Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 19–20 (Bihlmeyer, 53–54). TERING,

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Wie das Tuch im Maul des Hundes beim Spiel traktiert wird, so wird Heinrich von nun an Spielzeug des göttlichen Willens sein.1 Bisher hatte er sich selbst geschlagen; von nun an wird ihn das Schicksal wehrlos machen. Anstelle von körperlichen Schmerzen wird er Untreue und Verleumdung erfahren. Statt einer Befriedigung an Askeseübungen warten geistliches „Darben“ und „Dörren“ auf ihn. Die geistliche Vertiefung der Transliminalität, die vom 20. bis zum 30. Kapitel der 'Vita' berichtet wird, ist von zahlreichen latrologischen Topoi und latro–Geschichten durchzogen: (1) Eine erste latro–Geschichte weiß das 23. Kapitel zu berichten: Seuse ist auf Reisen. Er betet nachts vor einem Kruzifix in einer kleinen örtlichen Kapelle, wobei er von einem siebenjährigen Mädchen beobachtet wird. Die Aussagen dieses Mädchens am nächsten Morgen belasten ihn schwer. Weil keiner im Ort die latrones gesehen hatte, welche in der gleichen Nacht die Wachskerzen der Kapelle raubten, fällt ein latro–Verdacht auf ihn und sorgt für einen Skandal. Das Gerücht, Heinrich wäre ein latro–Bruder, der des Nachts Kerzen stehle, verbreitet sich in der ganzen Gegend.2 (2) Im 24. Kapitel wird dieser Skandal um den Dominikaner durch eine mulier– luxuriosa–Episode verschärft: Heinrichs eigene Schwester, Nonne eines Klosters, wird ihrer Berufung untreu und lässt sich auf einen Mann ein. Nur mit viel Mühe kann Heinrich seine Schwester zur Rückkehr zum Klosterleben umstimmen. Wenngleich die Geschichte gut ausgeht, ist Heinrichs Ruf massiv beschädigt und er selbst wegen der Anfeindungen und Aufregungen ziemlich zermürbt.3 (3) Eine weitere latrologische Geschichte bietet das 25. Kapitel: Der Pöbel eines Ortes, in dem Heinrich und sein Mitbruder auf Reisen halt machen, versucht sich lokale Seuchen durch Schauergeschichten von Brunnenvergiftungen zu erklären und verdächtigt Juden oder Mendikanten, als Gifthändler tätig zu sein. Als Heinrich zu Bett gegangen ist, aber sein Mitbruder in der örtlichen Schenke noch Wein trinkt, kommt es zur Katastrophe: Halb betrunken kann er dem Druck des Pöbels nicht standhalten, dreht durch und bezichtigt den schlafenden Heinrich des Gifthandels. Der Mob ergreift Heinrich und lyncht ihn um ein Haar. Erst im letzten Augenblick bereitet ein Priester dem Spuk ein Ende.4 (4) Die zentrale latro–Geschichte der 'Vita' findet sich im darauf folgenden 26. Kapitel: Seuse wandert, von den Niederlanden kommend, den Rhein aufwärts. Er muss allein einen dichten, dunklen Wald5 durchqueren und trifft mitten im Wald auf einen Räuber samt Räuberbraut. Die Kumpanin des latro will, neben ihm marschie1 2 3 4 5

Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 20 (Bihlmeyer, 57–58). Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 23 (Bihlmeyer, 66–70). Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 24 (Bihlmeyer, 70–74). Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 25 (Bihlmeyer, 74–78). Zum gefährlichen Räuberwald als literarischem Topos siehe auch BUSSE, Im Wald, da sind die Räuber, 113–129.

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rend, ein Beichtgespräch führen. In dieser Unterredung geht Heinrich erst so richtig auf, welches Kaliber von Mörder und Totschläger er vor sich hat. Seuse ist viel zu schwach, um sich aus dem Staub zu machen, und Hilfe ist im Wald nicht zu erwarten. Schließlich will auch der latro, von seiner Frau überredet, bei Heinrich beichten – jeden Totschlag und Mord im Einzelnen. Zum Schluss gesteht der latro seinem Beichtvater Heinrich sogar, just an der Stelle, die sie gerade passierten, schon einmal einen Priester während einer Beichte ermordet zu haben. Seuse bricht ohnmächtig zusammen und wird vom latro–Paar aufgefangen. Sie versichern ihm, sie würden ihn unbehelligt lassen, ja ihn sogar um seine Fürbitte bezüglich ihres Seelenheils bitten. Als Seuse sich vom Vorfall wieder erholt hat und alleine ist, betet er tatsächlich für beide. Er erhält von Gott die Zusicherung, ihre Seelen seien gerettet.1 (5) Eine letzte Episode, die zur latro–Thematik gehört, begegnet im 28. Kapitel: Heinrich wird verleumdet, der Bewegung der „Brüder des freien Geistes“ anzugehören, ihre Lehren zu verbreiten und dadurch ein translimitischer Ketzer zu sein. Er erhält sogar eine Morddrohung.2 Nach diesem knappen Rundgang durch die ‘Vita‘ mit fünf Geschichten translimitisch– latrologischen Charakters dürfen wir ein kleines Zwischenfazit ziehen: Als Vierzigjähriger macht Heinrich Seuse eine geistliche Erfahrung, die ihn dazu veranlasst, über die latro–performances seiner früheren Jahre hinaus zu gehen. Heinrich geht es längst nicht mehr darum, seinen Körper mit passiologischen latro–Markierungen zu versehen, sondern er will durch Imitation der Kreuzeshingabe eine vollkommene Gelassenheit in seinem Willensvermögen verankern. Diese Kehre wird allerdings nur über einen geistlichen Weg erreicht, der translimitische Krisen beinhaltet: Äußere Verleumdungen und die Behandlung als latro wirken als instrumentum salutis. Heinrich wird der gesellschaftlichen Akzeptanz und des Ansehens beraubt und auf sich selbst zurückgeworfen. Doch aus sich selbst kann Heinrich keine Kraft finden. Er ringt mit der Versuchung, in eine ungeordnete Transliminalität auszubrechen. Schließlich biegt er in die Zielgerade ein: zur vollkommenen Gelassenheit, bei der es zu einer aktualen Aufhebung des menschlichen, von Gott entzweiten Willens kommt, und der Mensch nur noch will, was Gott ihn zu wollen will.3 Im nächsten Abschnitt der 'Vita' wird diese Gelassenheit und Willenseinung weiter aufgefaltet – auch hier mit translimitisch–latrologischem Kolorit:

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Vgl. HEINRICH SEUSE, vita 26 (Bihlmeyer, 78–81). Zur Fama „keiner, der bei Heinrich gebeichet habe, werde verloren gehen“ siehe auch WILMS, Heinrich Seuse, 204. Diese Geschichte hat auch MENZEL, Christliche Symbolik 2, 257 beeindruckt, der sie dem geneigten Publikum des 19. Jahrhundert in Erinnerung ruft. Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 28 (Bihlmeyer, 82–83). Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 30 (Bihlmeyer, 87–89). Zur Interpretation siehe ENDERS, Das mystische Wissen, 146–148.

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(1) Das 34. Kapitel führt vor, woher die Inspiration der seuseschen Transliminalität und Latrologie stammt: von den Wüstenvätern.1 Von der Verankerung in der Theologie der Wüstenväter her lassen sich auch Verhaltensweisen von Seuse nachvollziehen, die ansonsten rätselhaft blieben: Heinrich errichtet sich eine dreifache limitisch–eremitische Kontur, selbst wenn er in einem mendikantischen Kloster sitzt. Die engste Grenze zieht er um seine Zelle, die Kapelle und den Chor – ein Territorium, in dem Heinrich auch als Mendikant kontemplativ–eremitisch leben kann. Einen weiteren Schutzwall zieht er um alle Klostergebäude, exklusive die Pforte, – einen Bereich, den er zwar mit seinen Brüdern und eventuellen Gästen teilt, aber worin er immer noch vom Leben der Welt abgeschirmt bleibt. Den dritten Limes sieht Heinrich im Pfortenbereich verwirklicht – der äußersten Grenzen zwischen geistlichem und weltlichem Raum, die man nur mit Vorsicht und großer Wachsamkeit überschreiten dürfe.2 Inmitten seines Schutzraumes richtet sich Heinrich Seuse eine Vitas–patrum–Kapelle ein: Er lässt sich verschiedene Sprüche und Portraits der Wüstenväter an die Wand malen – so etwa den Ex–latro Abbas Moses mit seinem berühmten Vers „Setzte dich in die Zelle, sie wird dich alles lehren!“3 (2) Die Erzählung im 37. Kapitel, bei der die latro–Thematik mit dem mulier– luxuriosa–Motiv und einer Versuchungsszene kunstvoll verschränkt ist, macht nochmals wie im Brennglas deutlich, worum es bei der vollkommenen Gelassenheit geht: Heinrich Seuse hat eine Vision, in der er als Priester, wider Willen und gegen den liturgischen Kalender, eine Messe für die Märtyrer der Kirche feiern muss. Nach der Vision geht ihm auf, dass ihm damit ein schweres Leiden und seine Berufung zum Martyrium angezeigt wurden.4 Die Prüfung lässt in der Tat nicht lange auf sich warten. Eine Frau mit einem ausgesprochen freizügigen Sexualleben wird schwanger, beichtet bei Seuse und bittet um finanzielle Hilfe, um ihr uneheliches Kind aufziehen zu können. Nach der Geburt des Kindes missbraucht die Frau die finanzielle Unterstützung Seuses: Statt sich eine gesicherte Existenz aufzubauen, fällt sie in ihren vormaligen Lebensstil als Prostituierte zurück. Selbst jetzt bleibt Heinrich ruhig. Er stellt allerdings die finanziellen Zuwendungen an die Verschwenderin ein, worauf sich die Frau an ihm rächt. Sie verbreitet das Gerücht, Heinrich Seuse wäre der geheime Vater des Kindes und wolle sie um die Alimente prellen. Die Intrige geht auf. Henrich ist verzweifelt. Sofort stellt sich eine zweifache Versuchung ein: Zwei Personen erscheinen und bieten Heinrich an, das Kind 1 2 3

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Zu dieser Verankerung in der Vätertheologie siehe auch WILLIAMS–KRAPP, Nucleus totius perfectionis, 407–421. Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 34 (Bihlmeyer, 103–106). Siehe HEINRICH SEUSE, vita 20 und 35 (Bihlmeyer, 60 und 103–109). Das sogenannte 'Spruchkapitel' enthält einen Querschnitt wichtiger Apophtegmata auf Mittelhochdeutsch, die Heinrich faszinierten. Zur Bedeutung der Liturgie in Seuses Frömmigkeitstheologie vgl. ANGENENDT, Die Liturgie bei Heinrich Seuse, 877–897.

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oder die Mutter gleichsam auf Mafia–Art elegant zu beseitigen – sozusagen als Akt der „Gerechtigkeit“ und „Unterstützung“. Heinrich durchschaut die diabolischen Versuchungen und widersteht – um den Preis, in eine noch tiefere Schwermut und Verzweiflung zu versinken.1 Ein göttliches Gesicht eröffnet ihm schließlich den Ausweg der compassio: Wenn schon Christus in seiner göttlich–kenotischen Sendung einen Judas hatte, dann wird auch ein Christ auf seinem Lebensweg einen Judas haben müssen, bevor er zur Vollendung gelangt. Der mystische Weg erfüllt so das kenotisch–translimitische Vorbild von Ijob, dem leidenden Gottesknecht und dem Christusereignis.2

8.2.3. Inquisition – zwischen Exklusion und Exekution Wie oben angedeutet, verdankt sich der dominikanische Gründungsimpuls einer gewissen Sensibilität für die Heraufkunft translimitischer Massenbewegungen am Beginn des 13. Jahrhunderts – insbesondere der Katharer in Südfrankreich. Von daher lag es auf der Hand, dass man gerade die Dominikaner zu Hilfe rief, als man sich in Frankreich mit den Waldensern, in den rheinischen Bistümern mit Beghinen und in Österreich– Böhmen sowohl mit Beghinen wie Waldensern keinen Rat mehr wusste. In diesem Zusammenhang muss auf die Institution der Inquisition, besonders in ihrer Relevanz für die Dominikaner, in der gebotenen Kürze eingegangen werden: (1) Unter Inquisition versteht man das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entwickelte und um 1231 von Papst Gregor IX. zunächst nur für den kirchlichen Bereich promulgierte, später dann auf andere Bereiche übertragene Rechtsverfahren, mit Hilfe einer genau festgelegten, objektiven Befragungsmethode (inquisitio) zu einem Urteil zu gelangen. Schon 1233 hatte der Papst die ersten Dominikaner als Inquisitoren für Montpellier und Toulouse eingesetzt. Aufgrund ihrer Sensibilität für das Phänomen der Transliminalität und ihrer vorbildlichen intellektuellen Schulung kamen Gregor und seine Nachfolger auf den Gedanken, gerade Dominikanern das Amt des Inquisitors anzutragen. Die Stilisierung des Dominikus zum „Inquisitor“ ist hingegen eine historisch nicht gedeckte Propaganda–Leistung dominikanischer Inquisitoren des 14. Jahrhunderts.3 (2) Im Sinne der Rechtsgeschichte darf die Einrichtung der Inquisition zunächst einmal als ein Fortschritt verbucht werden: Im Unterschied zum archaischen Akkusa1 2 3

Vgl. hierzu HEINRICH SEUSE, vita 37 (Bihlmeyer, 114–117). Siehe hierzu ENDERS, Das mystische Wissen, 167 und PETER, Imitatio et configuratio. Zur Entstehung der Inquisition siehe TRUSEN, Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses, 39– 76 und Der Inquisitionsprozess, 168–230; KAMEN, Inquisition, 189–196 sowie LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 182 mit englischer Literatur in Anm. 1. Zur Inquisition im Languedoc vgl. GIVEN, Inquisition and medieval society; zur intellektuellen Kompetenz der Dominkaner FRANK, Die Grundlegung des intellektuellen Profils, 13–34; zur Beauftragung der Dominikaner siehe LOHRUM, Dominikaner, 121–123.

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tionsverfahren wird beim Inquisitionsverfahren der Tatbestand systematisch– objektiv erhoben und geht deshalb mit einer gewissen Erhöhung von Rechtssicherheit einher.1 Darüber dürfen freilich die gravierenden systemimmanenten Mängel dieser Institution nicht übersehen werden: Die Personalunion von Richter und Ankläger bei Abwesenheit eines Verteidigers ist mehr als problematisch. Auch war die Berufung gegen ein Urteil so erschwert, dass sie in der Praxis kaum vorkam. Schwierigkeiten bei der Durchführung der Prozesse ergaben sich besonders aus dem unflexiblen und stereotypen Schematismus, mit dem man die Verfahren durchzog – und daher oft auch an der Realität vorbei zog. Die Machtfülle des Inquisitorenamtes sowie die damit verbundenen finanziellen Kompetenzen öffneten persönlichem und politischem Amtsmissbrauch Tür und Tor.2 (3) Als ab 1250 im Rahmen des Inquisitionsprozesses auch noch die Folter eingesetzt wurde, verschlimmerte sich die Situation – ganz abgesehen davon, dass Folter mit den Menschenrechten inkompatibel ist.3 Die populären modernen Vorstellungen über Inquisition und Folter unterscheiden sich allerdings von der tatsächlichen Praxis: Folter wurde nicht alltäglich, sondern nur unter bestimmten Rahmenbedingungen eingesetzt. Ihr eigentlicher Sinn bestand darin, den Ketzer zur Reue zu bringen und damit vor dem Feuertod zu bewahren, denn ein reuiger Ketzer wurde nicht zum Tode, sondern zu Bußwerken verurteilt.4 (4) Einen wichtigen Beitrag zur Transliminalität und Latrologie gewinnen wir aus einer statistischen Auswertung der auf uns gekommenen Inquisitionsakten. Hier einige aussagekräftige Quoten: In der Zeit von 1249 bis 1258 hat die Inquisition in Carcassonne 278 Urteile ausgesprochen; über 90% der Urteile lauteten auf Dienstverpflichtung im Heiligen Land.5 Für die Zeit von 1245 bis 1257 sind für Toulouse 306 Urteile belegt; unter diesen stehen 239 Gefängnisstrafen 21 Todesurteilen gegenüber. Auch für das 14. Jahrhundert ergeben sich ähnliche Quoten: Zwischen 1308 und 1332 hatte Bernardo Guy 930 Urteile gefällt; 307 lauteten auf Gefängnis, 143 auf Dienst im Heiligen Land, 132 auf Bußhemd, 139 auf Frei1 2

3 4

5

Siehe hierzu TRUSEN, Inquisitionsprozess, 168 mit seinem berühmten Diktum, dass „der Inquisitionsprozess mit seiner Ermittlung der Wahrheit zunächst ein großer Fortschritt war“. Zu den systemimmanenten Mängeln und der Deformation der Inquisition siehe HANCKE, Häresie und Inquisition 58–72; LAMBERT, Häresie im Mittelalter, 182–183 und ANGENENDT, Religiosität im Mittelalter, 197–198. Zur Einführung der Folter vgl. THÜR, Folter, 101–112; SCHILD, Folter, 614–616; zur Folter im Rahmen der Gerichtsbarkeit insgesamt vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 29–36. Laut SCHILD, Folter, 616 galt, „dass ein geständiger und reuiger Ketzer nur zu Bußwerken verurteilt wurde, die Folter also immer dazu diente, die weltliche Strafe des Verbrennens abzuwenden“. Ein ähnliches Votum trägt DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 157 vor: „The main intention of ecclesiastical punitive imprisonment, monastic as well as inquisitorial, was to bring about repentance and reconciliation a complete spiritual reformation ... In most cases of heresy, abjuration of error, followed by an act of penance, was sufficient to secure release from prison sooner or later“. Für diese Quoten in Carcassone vgl. ERLER, Inquisition, 373.

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spruch – bei 42 Todesurteilen.1 Für Österreich–Böhmen ist im Intervall 1335–50 eine Gesamtzahl von rund 4400 Inquisitionsurteilen bezeugt; darunter 220 Todesurteile.2 Im 15. Jahrhundert nimmt die Bedeutung der Inquisition dann immer mehr ab – sie wird gleichsam ein Auslaufmodell. Von diesen Überlegungen zur Inquisition her lässt sich ein Beitrag zur dominikanischen Latrologie formulieren: (1) Die Heraufkunft der Mendikanten und anderer translimitischer Massenbewegungen sind zwei Seiten derselben religions– und sozialgeschichtlichen Medaille. Während es den Dominikanern, Franziskanern, einem Teil der Humiliaten und weiteren mendikantischen Gruppen relativ schnell gelang, ihre translimitische Dynamik so zu gestalten, dass sie zwar die Gesellschaft und die Hierarchie durchaus in Frage stellten und massiv provozierten, zugleich aber dieser Gesellschaft und Hierarchie auch etwas Wichtiges und Verständliches zu sagen hatten, indem sie ihr ein positives transzendentales und eschatologisches Entwicklungspotential vor Augen stellten, wurden andere translimitische Gruppen – aus Gründen, die wir hier nicht weiter untersuchen können – als so problematisch wahrgenommen, dass man sie nur mit Einsatz von Repression bewältigen zu können glaubte. (2) Für derartige Zurechtbring–Versuche erachtete man im Mittelalter die Bettelorden für den kompetentesten Ansprechpartner. Weil die Dominikaner – nebst Franziskanern und Karmelitern – qua Lebensform selbst translimitisch lebten und sich im Laufe der Zeit gleichsam eine translimitische Erfahrungskompetenz erworben hatten, versuchten Päpste, Bischöfe und weltliche Autoritätspersonen, den Orden für translimitische Sondereinsätze zu gewinnen. Die Mendikanten haben diese Aufgabe in manchen Bereichen erfolgreich gelöst: Die Seelsorge marginalisierter Außenseiter, die cura monialium diverser Frauengruppen mit und ohne Ordensregeln sowie die Supervision von Anachoreten lag beinahe zur Gänze in ihren Händen. (3) Die Inquisition, die oft in dominikanischer (bisweilen aber auch in franziskanischer) Hand lag, zeigt hingegen, dass der Umgang mit dissidenten Gruppen einen traumatischen Charakter gewinnen und völlig aus dem Ruder laufen konnte. Aus einer gedächtnis– und motivgeschichtlichen Perspektive scheint aber immerhin bemerkenswert, dass latro–eremita–Theologumena, die aus Texten seit der Patristik bekannt sind, auch im Kontext der Inquisition wiederbegegnen. Inquisitoren haben offensichtlich zugespitzten Mitteln der anachoretischen Latrologie vertraut, wenn sie Personen zurecht bringen wollten: Translimitische Ketzer wurden bei einer einigermaßen glaubhaften Reuebekundung zur peregrinatio pro Christo verurteilt oder mit Exklusion aus dem Sozialverbund bei gleichzeitiger Inklusion in ein Bußgefängnis bestraft – einem Straf– und Bußort, den wir weiter unten auf dem Hintergrund der allgemeinen Strafpraxis und Bußtheologie noch ausführlich wer1 2

Diese Zahlen für Toulouse referiert LOHRUM, Dominikaner, 122. Diese Daten ermittelt PATSCHOFSKY, Quellen zur Böhmischen Inquisition, 20.

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Mendikantische Transliminalität den untersuchen müssen, so unverständlich und schockierend die mittelalterliche Rechtspraxis aus der Warte der Moderne auch ist.

9. Latrologisch–anachoretische Aspekte der mittelalterlichen Stadt

9.1.

Translimitisch–latrologische Expression

Die mittelalterliche Stadtkultur war spätestens seit dem frühen 13. Jahrhundert eine ausgesprochene Medienkultur. So entwickelten sich Buchproduktion und Herstellung von Kunstwerken (Skulptur, Glasfenster, Bildwerke etc.) binnen kurzer Zeit zu einer erstaunlichen Blüte. In dieser Medienlandschaft war auch das latro–eremita–Motiv präsent: Menschen, die selbst nicht anachoretisch lebten, hatten offensichtlich genügend „visuellen Hunger“, um Eremiten und ihr Leben in Bildern gerne zu betrachten, und Freude daran, translimitischen Geschichten aufmerksam zuzuhören.

9.1.1. Väter–Portraits – als Text und Bild Die Hauptquelle latrologischer Theologumena war, wie oben gezeigt, der spätantike Textcorpus der Wüstenvätertheologie – also das Gesamt aus 'Apophtegmata Patrum', 'Vitas Patrum' und den 'Collationes' des Johannes Cassian. Die Bedeutung der Geschichten und Sprüche erstreckt sich nicht nur auf ihre Entstehungszeit; schaut man auf erhaltene Bibliotheken und deren Kataloge, so wird sichtbar, in welch hoher Auflage man diese Texte im Mittelalter herstellte und Lesern zur Verfügung stellte.1 Der Erfolg hatte maßgeblich mit einer prominenten Leseempfehlung zu tun: Kein Geringerer als der Heilige Benedikt erachtete die Vätersprüche und –geschichten als integralen Bestandteil der monastischen Ausbildung und des monastischen Wissens.2 Unter den Le1

2

Vgl. etwa DORN, Der sündige Heilige, 117: „Die Bedeutung der 'Vitae Patrum' für die Legende des Mittelalters im Allgemeinen und für die die Sünderheiligen–Legenden im Besonderen kann gar nicht überschätzt werden, denn ohne Frage gehörten sie zu den meist verbreitetsten und gelesenen Büchern der mittelalterlich–kirchlichen Literatur.“ Siehe hierzu BENEDIKT VON NURSIA, regula 42,3 und 73,5 (Holzherr, 222 und 329).

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sern waren freilich nicht nur Benediktiner, Zisterzienser und Kartäuser; auch die kanonikale Reform und die Mendikanten – also Augustiner, Prämonstratenser, Dominikaner, Franziskaner und Karmeliter – hielten das 'Väter–Buch' für einen Text, den man gelesen haben musste.1 Die mittelalterliche Rezeption übersteigt freilich auch das Fachpublikum aus dem Ordensstand. Der Diözesanklerus war stets auf der Suche nach Exempeln zur Abrundung von Predigten und hatte daher die Schlüsselgeschichten aus den 'Vitas Patrum', darunter latro–Episoden, im Kopf, oder wusste sie wenigstens in Handbüchern nachzuschlagen. Weil die Erzählkerne des Väterbuches regelmäßig in Predigten vorkamen, konnten selbst illiterate Laien vermöge ihres Gottesdienstbesuches auf ein beträchtliches Repertoire an Erzählungen zurückgreifen.2 Zahlreiche Frömmigkeitstheologen plädierten zudem für eine meditativ–kontemplative Aneignung: Aelred von Rievaulx verlangt in 'De Institutione inclusarum' (1160–62) – einer Schrift, welche nicht nur Eremiten, sondern auch eine breite Laienleserschaft zur Hand nahm –, man solle jeden Tag nach dem Abendgebet ein Gesätzchen des Väterbuches meditieren. Caterina da Siena ist schon als sechsjähriges Mädchen mit dem Beispiel der Wüstenväter so vertraut, dass sie diese mit den Mitteln einer Jugendlichen zu imitieren sucht. Elsbeth Stagel hat durch die Vermittlung ihres geistlichen Vaters Heinrich Seuse ihre Vitas–Patrum–Kenntnisse vertieft. Auch in den Niederlanden wurde das Väterbuch meditiert. Jan van Ruusbroec schärft in seiner Schrift 'Van den seven sloten' von 1346 ein, man müsse als Laie sein spirituelles Wachstum an den Altvätern der Wüste orientieren – um hier nur die bekanntesten Beispiele anzuführen.3 Des Weiteren gingen die Erzählkerne der Geschichten über das 'Leben der Väter' in die großen Legendensammlungen ein. An erster Stelle sei hier die 'Legenda aurea' des Jakobus de Voragine genannt, aber auch auf weitere volkssprachliche Sammlungen verwiesen, etwa dem Passional, sowie auf diverse Handbücher der mystischen Unterweisung und Kirchengeschichte.4 Diese Verbreitung fand auch jenseits der geistlichen Literatur eine Fortsetzung, im Aufschwung des Anachoreten, Eremiten oder der mulieres luxuriosae als drammatis figura in der höfischen Literatur Frankreichs, Englands, Italiens und Deutschlands. Gerade der Anachoret mit seiner translimitischen Kontrast–

1

2 3 4

So zeigt SINCLAIR, The translation of the Vitas Patrum, Thais, 741–762, dass man in Templerkreisen eine anglo–normannische Vitas–Patrum–Übersetzung für des Lateins unkundige Leser anfertigte. Zur Rezeption bei den Dominikanern siehe KAUP, Et Ordinem Praedicatorum secundum librum de Collationibus patrum instituit et vivere docuit, 197–217. So sind etwa die Musterpredigten von JOHANNES NIDER, Sermones de tempore et sanctis (Cod. II.1.2° 77) mit zahlreichen Vitas–patrum–Exempeln durchsetzt. Diese Beispiele bespricht HAMBURGER, The Rothschild Canticles, 151–153. Für eine Legendensammlung vgl. die ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA (Cod. Pal. Germ. 144). Ein mystisches Handbuch mit Vitas–Patrum–Material bietet JOHANNES VON STERNGASSEN, Pratum animarum (Bayerische Staatsbibliothek Clm 13587); eine Ordens–Chronik hingegen GALVANO FIAMMA, Chronica parva Ordinis Praedicatorum (MOPH 2/1).

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oder Contra–Rolle bot dem Autor eine willkommene Möglichkeit zum Perspektivenwechsel oder zur Komplexitätssteigerung des Plots.1 Die Botschaft des translimitischen Imperativs und die Darstellung der Transliminalität (in ihrer kenotisch–anachoretischen, zelotisch–latrologischen und buhlerischen Form) erreichten den Leser nicht allein im Medium der Sprache, sondern auch als Bild. Einen derartigen iconic turn bei der Vermittlung der Vätergeschichten belegen berühmte Beispiele der Wand–/Tafel– und Buchmalerei, die wir hier nur oberflächlich streifen können: (1) Aus der 'Vita' des Heinrich Seuse wissen wir, dass Heinrich einen Maler mit der Ausmalung seiner kleinen Kapelle durch Szenen der Wüstenväter beauftragte. Auch wenn das genauere ikonographische Programm unbekannt ist, kann man aus dem sogenannten Spruchkapitel seiner 'Vita' rekonstruieren, welche Wüstenväter– Inhalte Heinrich faszinierten – etwa der latro–Vater Moses Aethiops.2 (2) Das berühmte Thebais–Fresco des Camposanto von Pisa – oft Buffalmaccio zugeschrieben, aber wohl eher von Francesco Traini um 1330–40 geschaffen – zeigt uns, wie die volkssprachlichen Versionen der 'Vitas Patrum' in Italien bildlich umgesetzt wurden. Interessant ist der Bild–Ort dieser Fresken: Gerade von den Mauern des campo santo herab, die den Heiligen Acker der Toten von der restlichen Welt absondern, oder den Schoß umhegen, in dem die Verstorbenen auf die Neugeburt der Auferstehung harren, können die Thebais–Motive ihre translimitische Symbolkraft entfalten. In der Toskana sind uns für die Zeit zwischen 1370–1450 zusätzlich zwölf Tafelbilder mit insgesamt fünfzig verschiedenen Szenen überliefert, während vergleichbare Motive in der Tafelmalerei des Nordens fehlen.3 (3) Lateinische und volkssprachliche Vitas–Patrum–Ausgaben wohlhabender Auftraggeber enthalten einprägsame Illustrationen: Die französische Übersetzung der 'Vitas Patrum' für Blanche von Navarra aus dem frühen 13. Jahrhundert bietet etwa neun großformatige Bilder, während eine sizilianische Handschrift, Vat. Lat. 375 aus der Zeit zwischen 1320–30, mit zahlreichen kleineren Illustrationen in den Initialien und Marginalien geschmückt ist. Einen quantitativen Höhepunkt erreicht eine neapolitanische Handschrift, New York Perpont Morgan Library M. 626 aus der Zeit von 1350–75, mit sage und schreibe 264 Miniaturen. Die 36 Abbildungen der alemannischen Vitas–Patrum–Handschrift der Heidelberger Universitätsbibliothek mit der Signatur Cod. Pal. Germ. 90 stehen hingegen für eine besondere künstlerische Qualität der Vitas–Patrum–Bebilderung.4 1

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Zum Anachoreten als literarischer Figur siehe LUFF, Mîn alter klôsenaere, 17–41; WEAVER, The Hermit in English Literature; GODDEN, Plowman and Hermit in Langland's Piers Plowman, 129–163 und HICKS, The Eremitic Ideal and the Dreamer's Quest, 107–129. Siehe HEINRICH SEUSE, vita 20; 35 (Bihlmeyer, 60; 103–109); VAN AELST, Het gebruik van beelden, 86–110, hier 91 Anm. 26, und HAMBURGER, Rothschild Canticles, 151–153. Siehe HAMBURGER, The Rothschild Canticles, 144–146. Siehe ALEMANNISCHE VITASPATRUM (Cod. Pal. Germ. 90); ein Volltext–Digitalisat mit den

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(4) Exempla–Bilder sind nicht auf Vitas–Patrum–Ausgaben beschränkt, sondern treten auch als Bestandteil anderer Werke oder Sammelhandschriften auf: Die rheinländischen Rothschild Canticles von ca. 1300, Beinecke Rare Book and Manuscript Library Ms 404 (eine Sammelhandschrift mit einer Hohelied–Version sowie weiteren frömmigkeitstheologischen und dogmatischen Texten), weist dreiundzwanzig Vitas–Patrum–Illustrationen auf, entweder ganzseitig oder als Initialen– Schmuck.1 Auch englische Handschriften bieten dem Leser eindrucksvolle Vitas– Patrum–Bilder – so etwa die Desert–of–Religion–Versionen London British Library MSS Add. 37049 fols. 46r–67r, Cotton Faustina B VI pars II fols 1r–23r oder Stowe 39 fols. 11r–32r.2 Schließlich sind diverse Legenden–, Wunder– und Exempla–Sammlungen mit Material aus Väter–Erzählungen durchsetzt, etwa bebilderte Legenda–aurea–Ausgaben oder Schriften wie 'Les miracles de Notre Dame et les vies des Peres' des Gautier de Coinsi, Den Haag KB, 71 A 24. So reizvoll eine umfassende Analyse des Programms der erwähnten Bilderzyklen wäre, so können im Rahmen dieser Studie nur die latrologischen Bilder zweier Handschriften kurz analysiert werden, nämlich die Darstellungen der Rothschild Canticles und des Cod. Pal. Germ. 90: (1) Die um 1300 im Rheinland entstandenen 'Rothschild–Canticles', die wohl in einem franziskanischen Umfeld zu verorten sind, enthalten ein prominentes latro–Bild auf Blatt 123r mit der in den 'Apophtegmata Patrum' überlieferten Episode der „Beraubung des Makarius durch Diebe“.3 Für die Interpretation des Bildes ist es entscheidend, das Motiv im Kontext der anderen Bilder der Handschrift zu lesen: Ikonographischer Höhepunkt der Bilderhandschrift sind prächtige und farbenreiche Visualisierungen des Hohenliedes, die mit besonderem handwerklichen Geschick und ikonographischer Treffsicherheit gestaltet sind. Die Vitas–Patrum– Bilder sind als ein deutlich bescheidenerer Subtext in den ikonologischen Haupttext eingestreut. In diesem Anachoreten–Zyklus kommen zahlreiche translimitische Motive zur Darstellung. Angesichts der nicht restlos aufgeklärten Provenienz der 'Rothschild–Canticles' und der Vielschichtigkeit des Adressatenkreises mittelalterlicher Bücher verbietet sich eine Mutmaßung über die genauere sozio– psychologische Wirkung dieser Bilder auf den mittelalterlichen Leser. Gesichert ist allerdings die narrative Grundstruktur der Bilder: Der Hoheliedzyklus stellt dem Betrachter die gelungene mystische Transliminalität vor Augen; der Eremitenzyklus macht hingegen deutlich, dass diese translimitische Spiritualität so1 2 3

Abbildungen ist zugänglich unter http://digi.ub.uni–heidelberg.de/cpg90. Zu den Vitas–Patrum–Illustrationen der Rothschild–Canticles und ihrem Kontext siehe die Übersicht von HAMBURGER, Rothschild Canticles, 143–154; hier besonders 146–151. Zu den Desert–of–Religon–Darstellungen siehe HAMBURGER, Rothschild Canticles, 153–154. F. 123 ist als Digitalisat zugänglich über http://beinecke.library.yale.edu/dl_crosscollex /SearchExecXC.asp. Zum textlichen Hintergrund vgl. APOPHTEGMATA PATRUM 471 (Miller, 168) und den Abschnitt 4.1.2 dieser Studie.

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wohl systematisch wie historisch auf dem Fundament der anachoretischen Theologie der Wüstenväter und –mütter aufgebaut ist. Die schlichten aber eindringlichen Eremitenbilder sind Mnemotope, die im Betrachter – seien es klausurierte Schwestern oder Beghinen, Laienleser oder Kleriker, Frauen oder Männer – den translimitisch–anachoretischen Imperativ wachrufen. Der durch die latrones ausgeraubte Abbas Makarios ist gleichsam eine „Ikone der Willenseinung mit Gott“, die dem Menschen seine Berufung zur translimitischen Freiheit vor Augen stellt. (2) Unter den latrologischen Motiven, die der Cod. Pal. Germ. 90 beinhaltet, ist vor allem die mulier–luxuriosa–Erzählung in der Version der Maria–nephtis– Abrahae–Geschichte, die in zwei Illustrationen gekonnt dargestellt wird, besonders erwähnenswert. Die Bilder der Handschrift sind mit großem narrativem Einfühlungsvermögen komponiert und beinahe plakativ gezeichnet; sie erinnern in gewisser Weise an Comic–Darstellungen. Auch hier muss die latrologische mulier–luxuriosa–Darstellung im Kontext der anderen translimitischen Motive gelesen werden. Man kann die Bildlogik also wie folgt auf den Nenner bringen: Die translimitisch–anachoretischen Motive halten einer spätmittelalterlichen urbanen Leserschaft, insbesondere aus Patrizier– oder Aristokraten–Kreisen, einen Spiegel vor. Sie laden den jeweiligen Betrachter ein, auch angesichts seiner Einbindung in die bürgerlich–frühkapitalistische Welt stets des translimitischen Anspruchs des Christentums eingedenk zu bleiben.

9.1.2. Christus–ut–latro–Expression Die eben betrachtete latro–eremita–Ikonographie ist freilich nicht isoliert zu interpretieren. Sie darf nicht vergessen machen, dass die bei Weitem wichtigste translimitisch– latrologische Darstellung im Christentum das Christus–ut–latro–Motiv ist. Im folgenden Abschnitt gilt es daher, vom latro–eremita–Motiv zur latrologischen Dimension des Christus–Ereignisses zurückzustoßen. Dabei ist keine Gesamtübersicht der mittelalterlichen Imagination, Meditation und Ikonographie der mysteria vitae Christi intendiert; lediglich einige für unser Thema besonders relevante latrologische Grundmotive können besprochen werden. Diese latrologischen Motive werden – das sei hier eigens vorausgeschickt – nicht wegen eines kunstwissenschaftlichen Interesses vorgestellt; sie müssen besprochen werden, weil sie in der Strafpraxis und im Sozialsystem der mittelalterlichen Stadt wirksam werden und eine „Theologie der Freiheit“ in sich tragen, die nachher heraus zu arbeiten ist. Der Fokus der folgenden Analyse soll, unbeschadet einiger Vor– und Rückblenden, auf der Spiritualität des hoch– und spätmittelalterlichen Urbanismus liegen. Wir beginnen mit latrologischen Aspekten in der Buch–, Tafel– und Wandmalerei. So präzise der Evangelientext das Christusereignis in literarischer Hinsicht schildern mag, so wenig anschauliche Hinweise für eine Verbildlichung gibt er an die Hand: Der

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Passionsbericht referiert in erster Linie auf das, was zu hören und zu erzählen war. Passiologische Christus–ut–latro–Expressionen sind daher mehr als eine Illustration biblischer Textpassagen; sie müssen als eine kreative Imaginationsleistung mit einer eigenen theologischen Aussageabsicht und Dignität gewürdigt werden.1 Verbildlichungen des Christusereignisses können dabei von zwei Konstruktionspunkten her entworfen werden: entweder von der Heiligen Woche (hebdomada sancta) her, die sich von Palmsonntag bis Ostern erstreckt, einem narrativen Schema, das unmittelbar der Passionserzählung der vier kanonischen Evangelien entstammt; oder aber von den drei Tagen (sacrum triduum) des Pascha–Mysteriums (mysterium paschale) her, also gemäß dem kerygmatischen Schema passus/crucifixus–sepultus–resurrectus des 'Corpus paulinum' (etwa 1 Kor 15,3) oder dem Credo.2 Darüber hinaus ist die mittelalterliche Bildlogik der christologisch–latrologischen Expressionen in ihrer Gesamtheit gemäß dem Schema des klassischen Dramas – Prolog und fünf Akte aus zahlreichen Szenen – konzipiert.3 Hier sei der Versuch unternommen, eine knappe Übersicht über die im Christus–Ereignis enthaltenen latrologischen Aspekte gemäß diesem dramatischen Schema zu geben: (1) Den Prolog zum latrologischen Bilderreigen bildet die Abendmahlsszene: Der Eröffnungssatz des Mahles, „In der Nacht da er verraten wurde nahm er das Brot“, macht allerdings von Anfang an deutlich, dass im Abendmahlssaal keine gewöhnliche Pessach–Feier oder ein irenisches Freundesmahl stattfindet. Durch den Verrat des Judas und die realsymbolische Hingabe Christi im eucharistischen Mahl ist vielmehr der nachfolgende latrologische Umschlag des Geschehens in Gefangennahme und Kreuzigung schon grundgelegt. Mittelalterliche Bildkompositionen stellen die Person Jesu (mit Johannes und Petrus zur Seite und inmitten der Schar der Jünger) der Person des Judas spannungsgeladen gegenüber. Jesu Ankündigung „Einer wird mich verraten“, die verstörte Frage der Jünger „Bin ich's?“ und die Antwort von Jesus „der mit mir den Bissen in die Schüssel taucht“ wird durch eine geschickte Bildrhetorik – Figuren–Staffelung, architektonische Rahmung, Pessach–Requisiten, bedeutungstragende Gesten und Mimik – in Szene gesetzt.4 1

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Zur grundlegenden Diskussion der Verbildlichung vgl. STOCK, Bilder als Quelle der Theologie, 185–199; JANOWSKI, Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren; LUZ, Textauslegung und Ikonographie, 102–119 und WEISSENRIEDER/WENDT, Phänomenologie des Bildes, 3–12. Zur Genese Golgatas als Mnemotop vgl. MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 41–68. Zur Heiligen Woche bzw. dem Pascha–Mysterium als liturgischer Matrix der Einbildungskraft siehe STOCK, Christologie 3, 125–128. Zu den fünf Akten Hortus, Pontifices, Pilatus, Crux, Sepulchrum, die sich von den frühen Passionsspielen bis zur Oratorien–Passion und zum Passions–Oratorium der Barockzeit durchhalten, siehe STOCK, Christologie 3, 174. Zur frühchristlichen Eucharstie–Ikonographie auf dem Hintergrund der einschlägigen Texte siehe TRUMMER, Frühchristliche Eucharistie, 97–112. Für ein prototypisches Abendmahl siehe SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 28v–29r). Zum Mahl als Ort des Verrates siehe STOCK, Christologie 3, 134–139 und MONSTADT, Judas beim Abendmahl.

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Wichtig für die latro–eremita–Kommunikation ist der Umstand, dass die diversen Abendmahlbilder nicht nur für den Kirchenraum, sondern insbesondere für Refektorien geschaffen wurden.1 Monastische und mendikantische Mahlgemeinschaften werden dadurch auf bildhafte Weise mit der Alternative zwischen der kenotischen Transliminalität Jesu und der zelotischen Transliminalität des Judas konfrontiert, denn der Verrat des Judas wurzelt ja in der Tatsache, dass sich Judas von seinem Rabbi translimitische Handlungen nach dem Vorbild zelotischer Aktionen erwartet hatte, von der kenotischen, anti–zelotischen Ausrichtung Jesu enttäuscht wurde, und schließlich selbst ins Latrologische ausbrach – in Verrat, Reue, Verzweiflung und Selbstmord.2 (2) Den Auftakt der fünf Passionsakte (quinque actus) bildet die Szene im Garten Gethsemane (hortus). Zwei Aspekte sind für unsere latrologischen Überlegungen von besonderem Gewicht. Einmal das Gebet Jesu im Garten, wo die Translimitik einen ersten Höhepunkt erreicht. Jesus platziert seine Jünger an zwei limitischen Positionen: Die größere Jüngerschar muss am Eingang des Gartens zurückbleiben, während Petrus, Jakobus und Johannes Ihn noch in den Garten hinein begleiten dürfen, bis Er sich auch von ihnen absondert und einen translimitisch–einsamen Gebetsort einnimmt, um dort, allein mit dem Vater, einen Akt der kenotischen Letzthingabe zu setzen: „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“ (Lk 22,42). Die Bildrhetorik der mittelalterlichen Gethsemanegemälde orientiert sich entweder an der Ruhe der hypostatischen Union, wenn sie den betenden Jesus in einer friedlichen Ergebenheit in den Willen des Vaters veranschaulicht, oder fängt, im diametralen Gegensatz zur ersten Möglichkeit, die Dramatik der Kenose ein, wenn sie Jesus Blut schwitzen lässt oder in Gestik und Mimik seine Todesangst abbildet. Zum anderen ist der Garten der Ort der Gefangennahme – also des Übergangs Jesu vom Kreis der Freunde hinüber zum Kreis der Feinde, die Ihn tamquam latronem verhaften, verurteilen und hinrichten.3 (3) Der zweite Akt des Passionsgeschehens ist das Verhör vor den pontifices, mit der eingeflochtenen Verleugnungsgeschichte des Petrus. Wichtig ist die Alternanz der beiden Handlungsstränge durch Geschehensreim und –kontrast: Drinnen im Haus findet das Synhedriumsverhör statt, bei welchem Jesus als stummer Angeklagter, homo mutus, des Religionsfrevels bezichtigt wird; draußen im Hof „versagt“ (sich) 1

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Siehe hierzu STOCK, Christologie 3, 137: „Bezeichnend ... ist, dass Abendmahlsbilder nicht mehr bloß für Passionszyklen und –altäre, sondern auch für Refektorien vorgesehen wurden, in denen die reale klösterliche Tischgesellschaft mit dem gemalten Abendmahl konfrontiert wird.“ Zum berühmten Mailänder Beispiel siehe MÖLLER, Das Abendmahl des Leonardo. Zur Ausfaltung der Judas–Narration vgl. STOCK, Christologie 3, 139–150. Für ein beredtes Bildzeugnis siehe SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 32v–32r). Siehe hierzu THÜNER, Ölberg, 342–349 und STOCK, Christologie 3, 150–168: Die römische Passionstheologie hatte einer psychologischen und imaginativen Ausgestaltung dieser Szene wenig Raum gelassen. Erst vom 12./13. Jahrundert an wurden lukanische Aspekte in den Vordergrund gerückt und bis zum 15. Jahrhundert zum raffinierten Bildkomplex ausgefaltet.

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derweilen Petrus als homo loquax, gleichsam stellvertretend für die Jünger, indem er dreimal seinen Herren verleugnet. Am Ende schlägt sich Petrus dann doch noch, vom krähenden Hahn seiner Tat überführt, vermöge seiner Reuebekundung auf die Seite Jesu.1 Die bleibende Relevanz dieses latrologisch–translimitischen Bekehrungsmotivs liegt auf der Hand: Es stellt ein Modell dar, wie sich Nachfolger Petri – seien es Päpste, Eremiten, Mönche oder gewöhnliche Laien – durch Reue von ihren eigenen latrologischen Ausbrüchen distanzieren und wieder in die kenotische Translimitik Jesu zurückkehren können. (4) Der dritte Akt, der actus Pilati, stützt sich, neben der biblischen Erzählung, vor allem auf die im 4. Jahrhundert entstandenen 'Acta Pilati', einem fingierten Gerichtsprotokoll des angeblichen Ratsherren Nikodemus, der sozusagen als Augenzeuge den Prozess beobachtet haben will.2 Die diversen Unterszenen sind motivreich und können hier lediglich skizziert werden: (a) Das Urteil des Pilatus geht mit dem berühmten Hände–in–Unschuld– Waschen einher, während die Juden „Sein Blut komme über uns!“ rufen – eine Stelle, die Anlass zum antisemitischen Missbrauch geben konnte.3 (b) Die Geißelung wurde oben schon ausführlich besprochen; bezüglich der dazu gehörenden Ikonographie muss besonders auf die Diskrepanz zwischen dem schlichten Bibeltext und der imaginativen Überfülle des Geißelungsmotivs hingewiesen werden: Der 'Christus an der Geißelsäule', meist von zwei Schergen gequält, entwickelte sich in der Kunstgeschichte zum Motiv des 'Christus im Kerker' fort. Aus dem Alten Testament ließen sich zudem zahlreiche Bildaspekte gewinnen und in das Motiv eintragen – etwa Jes 1,6 und 53 oder Ijob 2,8 mit den Wendungen quasi leprosus und non species neque decor; mit Beulen, Striemen sowie Wunden.4 (c) Die Szene der Dornenkrönung stellt eine Inthronisationsparodie dar, bei der Jesus – anstatt eine Huldigung mit Salbung, Kuss und Krönung zu empfangen – eine Verhöhnung durch Backenstreiche, Bespucken und Dornenkrönung erdulden musste. Auch hier ergaben sich spannende Möglichkeiten der imaginativen Fortschreibung. So wurde das Aufpressen der Dornenkrone mit Stangen unter Anregung einer Stelle über einen Keltertreter aus Jes 63 – torcular calcari solus – zum Motiv des 'Christus in der Kelter' ausgestaltet.5 1 2 3 4

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Zur Genese und Geschichte dieses narrativen Wechselspiels von Verhör und Verrat siehe STOCK, Christologie 3, 168–174. Siehe ACTA PILATI (Tischendorf, 210–331). Zum Urteil des Pilatus, insgesamt und als Quelle von Antisemitismus, siehe STOCK, Christologie 3, 176–181; zur Exegese von Mt 27,25 siehe auch KAMPLING, Das Blut Christi. Siehe hierzu SCHWEICHER, Geisselung Christi, 127–130 und STOCK, Christologie 3, 181–185 sowie GSCHWIND, Jesus im Kerker und an der Geißelsäule, 51. Für ein prototypisches Beispiel der Allegorie vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 36v–37r). Zur Dornenkrönung und Verhöhnung siehe LUCCHESI PALLI/HAUSHERR, Dornenkrönung, 513–

Translimitisch-latrologische Expression

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Die Szene des 'Ecce homo' ließ sich durch zwei gegensätzliche Bildlogiken visualisieren: Entweder reicherte man die Szenerie mit unzähligen Figuren auf naturalistische Weise an und verlegte sie in die mittelalterliche Stadt, oder man bediente sich, ganz im Gegenteil, der radikalen figuralen Reduzierung, um das Paradigmatische des vere homo herauszustellen. Die zugrunde liegende Intention war in beiden Fällen eine ähnliche: Man setzte einen Verächtlichen (despectus – vgl. Jes 53,3) dem meditativen Blick (aspectus) aus.1 Die Zumutung dieses aspectus despecti könnte kaum größer gedacht werden, verlangt er vom Betrachter doch die Inversion der gewöhnlichen Bildlogik: Um das Bild als heilsrelevant durchschauen zu können, muss der Betrachter im Verlierer schon den österlichen Sieger vorausglauben. (5) Der eigentliche dramatische Höhepunkt des Christus–Ereignisses wird im actus crucis erreicht, der wiederum in zwei Unterszenen zerfällt: (a) Jesu Gang auf der via dolorosa nach Calvaria stellt gleichsam das latrologische Gegenstück zum Einzug nach Jerusalem am Palmsonntag dar. Die expulsio an den translimitischen Ort jenseits der Stadtmauern wird von Personen begleitet: den Soldaten, den beiden Schächern Dismas und Gestas, der Mutter Jesu und weiteren Frauen, der Veronika, dem Simon von Kyrene, ja vom ganzen Volk Jerusalems. Der unüberschaubare Motivreichtum an Unterszenen wird bei der Kreuzwegandacht zu übersichtlichen Stationen strukturiert, die allgemein bekannt sind und hier nicht wiederholt zu werden brauchen.2 Die latrologische Episode der 'Verhöhnung Christi durch Steine werfende Kinder' ist hingegen dem kulturellen Gedächtnis der Neuzeit zur Gänze entfallen: Die jubelnden Kinder des Palmsonntags (Mt 21,15: pueri hebraeorum) werden auf der via dolorosa durch böse Kinder abgelöst, die Jesus mit Steinen traktieren (vgl. Mt 23,37: „Jerusalem steinigt die zu ihm Gesandten“). Ein typologisches Gegenstück dazu findet sich in 2 Kön 2,23, wo Elischa von Kindern verspottet und mit Schmutz beworfen wird. Im Ruf der ungezogenen Kinder ascende calve („Komm herauf, Du Glatze!“), mit dem sie Elischa ärgern wollten, glaubte man im Mittelalter ein verborgenes, auf Christus bezogenes, ascende ad Calvariam, („Steig hinauf nach Calvaria“) mithören zu dürfen.3 (b) Calvaria ist der zentrale Mnemotop des Christentums, der hier nicht einmal überblicksweise eingefangen werden kann; hier lediglich eine grobe Struk(d)

515 und STOCK, Christologie 3, 185–190; für typologische Parellelen vgl. SPECULUM HUMANAE (Handschrift 2505, f 34v–35r; 38v–39r und 46v–47r). Zum Motiv des 'Christus in der Kelter' vgl. THOMAS, Kelter, mystische, 497–504 und STOCK, Christologie 3, 188–190; hier besonders 189 (Abb. 49). Vgl. LEGNER, Ecce homo, 557–561 und STOCK, Christologie 3, 190–202. Siehe STOCK, Christologie 3, 195–197. Vgl. STOCK, Christologie 3, 197–199.

SALVATIONIS

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turbeschreibung des Mnemotops Calvaria/Golgota: Die Schädelstätte galt schon seit der Patristik als Begräbnisort des Adam. Der Adamsschädel vergegenwärtigt die latrologische Untat des Sündenfalls vor den Füßen Jesu Christi. Dass Adams Schädel vor dem Kreuzesstamm direkt unter den Füßen des crucifixus liegt, macht ein eindrucksvolles Bildmotiv möglich: Das Blut Christi tropft auf den Schädel Adams herab. Theologisch könnte man also formulieren: Die translimitische Kreuzigung des neuen Adams erlöst die latrologische Untat des alten Adams; Jesus Christus wird dabei zum neuen Haupt (kephale) des Universums, der Geschichte und der Kirche.1 Aufgrund der Zentralposition Christi als Mitte des Kosmos entwickelte sich Calvaria in der Malerei gleichsam zur kosmischen Weltenbühne: Um den crucifixus scharen sich zahlreiche dramatis personae – die Soldaten (besonders Stephaton und Longinus), etliche Passanten, das jüdische Establishment, die beiden latrones Dismas und Gestas. Jesu Freunde, nämlich die Frauen (insbesondere die Gottesmutter Maria und Maria Magdalena), Johannes und der bekehrte Hauptmann, stehen am Rand der Szene. An das Zentralmotiv können Unterszenen angeschlossen werden: die Aufteilung der Kleider, der latro–Dialog mit Dismas und Gestas, Maria und Johannes juxta crucem, die Öffnung der Seite Jesu, und so fort.2 Die Entwicklung von der frühchristlichen zur hochmittelalterlichen Kreuzigungsdarstellung geht mit einem gewissen Paradigmenwechsel einher: Die ersten Kreuzigungen sind streng johanneisch konzipiert – in einer reduzierten Version mit der Trias Christus–Maria–Johannes oder in einer allegorisch–kosmologisch angereicherten Version mit Sonne/Mond, ecclesia/synagoga etc. Die frühesten Kreuzesdarstellungen visualisieren also den heilsökonomischen Konsens des Johannesevangeliums – das consumatum est – und schatten latrologische Aspekte konsequent ab. Durch den Eintrag von Motiven der Synoptiker wurde die johanneische Konzeption im Verlauf der Kunstgeschichte zunehmend umgestaltet, mit heilsökonomischem Dissens aufgeladen und die latrologische Dramatik aufgeblendet.3 Auch hier entwickelte sich eine „arme“ und eine angereicherte Variante: der 'isolierte Christus am Kreuz' einerseits, die 'Kreuzigung im Gedränge' andererseits. (6) Mit dem Begräbnis Jesu (sepulcrum) als fünftem Akt erreicht der dramaturgische Bogen der Passion seinen Endpunkt. Als Akteure der Unterszenen 'Kreuzabnahme', 'Salbung', 'Beweinung' und 'Grabtragung' fungieren Josef von Arimatäa, Ni1 2

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Siehe RISTOW/JÁZAI, Golgotha, 163–165 und STOCK, Christologie 4, 377–382. Zur neutestamentlichen Bildlosigkeit und zur Genese und Struktur der kanonischen Bildelemente Golgotas siehe MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel; 41–68 für die Genese; 69–57 zur Bildstruktur. Zum gesamten Zusammenhang vgl. auch STOCK, Christologie 4, 361–396 mit Literaturhinweisen in den Anmerkungen. Zur Umstellung von der johanneischen zur synoptischen Kreuzigung siehe STOCK, Christologie 4, 362–377 und 382–396; zur translimitischen Aufrüstung des Kreuzzeichens in der Spätantike, zur Zeit der Kreuzzüge und der frühen Moderne siehe auch STOCK, Christologie 4, 333–377.

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kodemus sowie die Frauen (Mutter Jesu, Maria Magdalena, die andere Maria etc.). Die meditative Stillstellung und Ausgliederung eines Bildmomentes der Beweinungsszenerie hat zur Herausbildung der Pietà, einem der wichtigsten Andachtsmotive des Spätmittelalters, geführt.1 Die oben skizzierten translimitisch–latrologische Gehalte des Christusereignisses sind in ihrer Fülle beinahe unüberschaubar. Schon im späten Mittelalter entstanden daher latrologische icons, welche die performative Kraft der überreichen Ikonologie bündelten, verdichteten und konzentrierten. Solche icons wurden zwar auch als kostenintensive Elite–Kunstwerke umgesetzt, konnten aber in der Form von erschwinglichen Holzschnitten und Blockdrucken vervielfältigt werden und so ein breites Publikum erreichen. Die Bildlogik der icons darf man als international bezeichnen. Im Rahmen dieser Studie können lediglich zwei Motive vorgestellt werden, in denen der latrologische Gehalt des Christusereignisses zum „Simultanbild“ verdichtet wird. (1) Eine erste latro–Ikone ist die imago pietatis oder das „Erbärmdebild“. Die ikonologische Struktur des Bildes ist einfach: Die Person Christi wird in einer Art Zwischenzustand zwischen Karfreitag und Ostersonntag – also weder tot noch auferstanden – und mit latrologischen Elementen wie Hinrichtungswunden und über Kreuz gebundenen Armen dargestellt. Bisweilen kommen Assistenzfiguren hinzu – etwa die Gottesmutter Maria, der Lieblingsjünger Johannes, weitere Apostel, Engel, Heilige, ja sogar der Göttliche Vater und Geist. Eine besondere Aussagekraft bekommt das Bild durch die Einblendung von Passions–Signifikaten: Leidenswerkzeuge (arma Christi) wie Nägel, Hammer, Zange, Lanze, Dornenkrone, Leiter, Essigschwamm, Würfel; szenische Abbreviaturen wie Hahn, Judaskuss, Geißel etc. Als Kurzformel könnte man also sagen, das Erbärmdebild sei eine in eins gesetzte „Simultan–Passion“ von corpus Christi und corpus delicti.2 Die visuelle Rhetorik des Erbärmdebildes ist nicht auf die passivische Anschauung hin angelegt, sondern hat einen stark appellativen Charakter, der zur Stellungnahme und caritativen Praxis herausfordert: Zum einen ist die Meditation des Erbärmdebildes oder das Rezitieren des dazugestellten Textes mit Ablässen versehen und dient der gläubigen Jenseits–Vergewisserung – gleichsam als eine Versicherungspolice für das Jenseits.3 Zum anderen tritt das Erbärmdebild als Begleit–Ikone einer franziskanischen caritativen Maßnahme auf: Für die breite Bevölkerung war 1

Zum actus sepulcri siehe BOSKOVITS/JÁSZAI, Kreuzabnahme, 590–595; LUCCHESI PALLI/ HOFF– Beweinung Christi, 278–282; SCHWEICHER, Grablegung, 192–196; STOCK, Christologie 3, 204–211. Für ein aussagekräftiges sepulcrum–Beispiel samt typologischen Parallelen vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 50v–51r). Zur Pietà siehe HAWEL, Die Pietà. Zur imago pietatis siehe STOCK, Christologie 3, 129–134; MERSMANN, Schmerzensmann 87–95; PANOFSKI, Imago pietatis, 261–308 und BAUERREISS, Das Schmerzensmann–Bild. STOCK, Christologie 3, 131 (Abb. 28) bietet eine Ablasstafel des 15. Jahrhunderts mit dem klassischen Bildaufbau des Erbärmdebildes und Ablasstext. SCHOLTE,

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ein Darlehen aufgrund der hohen Zinsen unerschwinglich. Um auch der Mittel– und Unterschicht bei finanziellen Engpässen eine Perspektive zu eröffnen und Investitionen zu ermöglichen, errichteten vor allem italienische Städte unter franziskanischer Ägide einen caritativen Kredit–Fond, den sogenannten mons pietatis, bei der das Erbärmdebild gleichsam als Erlagsschein fungierte. Dem Erbärmdebild eignete dadurch eine wirtschaftliche Sozialfunktion, indem es marginalisierten Personen Chancen eröffnete und soziale Spannungen ausglich.1 (2) Eine zweite latro–Ikone erblicken wir im sogenannten 'Gnadenstuhl' oder in dessen Weiterentwicklung zur compassio–patris–Darstellung: „Gnadenstuhl“ ist ursprünglich die deutsche Übersetzung des hebräischen kaporeth, der Sühneplatte der Bundeslade, die am Versöhnungstag mit Blut besprengt wurde. Gemäß dem allegorisch–christologischen Schriftsinn, welcher Offenbarungsgehalte des alten Bundes mit denen des neuen Bundes in Beziehung setzt, ist der „Gnadenstuhl der Bundeslade“ das Vorausbild des „Gnadenstuhls von Golgota“. Durch eine wagemutige Bildtheologie hat sich folgendes ikonologische Bild–Motiv herauskristallisiert: Der sitzende göttliche Vater hält, von der Geisttaube überschattet, seinen toten Sohn am Kreuz im Schoß.2 Das Motiv ist durchaus „unerhört“, denn gemäß der patristischen Theologie stellt der Sohn die Sichtbarkeit des selbst unsichtbaren Vaters dar, weswegen man den Vater in der Anfangszeit nicht bildhaft dargestellt hatte.3 Der mittelalterliche Gnadenstuhl bietet hingegen eine restlose Verbildlichung der Trinität und trägt zudem den toten Christus tamquam latro in die Trinität hinein. Dieser Exzess der Bildtheologie wird in der compassio patris nochmals überboten: Das Kreuz entfällt. Der Vater hält, vom Geist überschattet, den Leichnam seines toten Sohnes unmittelbar im Schoß. Die Chancen und Probleme dieses Bild–Exzesses können hier nicht diskutiert werden. Es sollte an dieser Stelle lediglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass die latrologische Ikone des Gnadenstuhls bzw. der compassio patris christologische Tiefenfragen aufwerfen: Die „Leich in der Dreifaltigkeit“ ist die höchstmögliche ikonologische Aufgipfelung der Theodizee–Frage und der Frage nach einem Leiden Gottes. Der obige ikonologische Bilderreigen diente zur Vorbereitung auf die Untersuchung translimitischer und latrologischer Elemente der mittelalterlichen Strafpraxis und des Sozialsystems – samt ihrer theologischen Implikationen –, die nun angegangen werden muss.

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Zum mons pietatis siehe den umfangreichen Abschnitt von TRAEGER, Renaissance und Religion, 155–211; hier besonders den Abschnitt 'Mons pietatis und imago pietatis' 178–182. Den Gnadenstuhl und seine Hintergründe besprechen BABKA, The Trinity in the Gnadenstuhl motif, 17–37 und SAHLING, Der Gnadenstuhl von Jan Polack, 192–195. Zum Sohn als „Sichtbarkeit der Vaters“ und der Frage nach der Abbildbarkeit des Vaters siehe PFEIFFER, Das Bild Gott Vaters, 120–129 und ÍÑIGUEZ HERRERO, La iconografía del Padre eterno, 495–511.

9.2.

Latro–Performance zwischen Inklusion, Exekution und Reklusion

9.2.1. Gefängnis und Strafpraxis im Mittelalter Das archaische Rechtsverständnis1 setzt gleichsam systemisch an; es versteht Gerechtigkeit in erster Linie als iustitia connectiva – als ein Für–einander–Handeln und Für– einander–Verantwortlich–Sein unter dem Anspruch eines von (einem) Gott gegebenen Normensystems. Auch das frühmittelalterliche Recht ist stark von diesem Grundgedanken her bestimmt: Im Sozialverbund der Sippe oder des Stammes herrscht zunächst sozialer Frieden als Grundzustand. Eine missetat als Verletzung der Rechtsstruktur oder –kontur ist ein vridebruch, der die iustitia connectiva aus dem Gleichgewicht bringt und den sozialen Grundfrieden aufhebt. Diese Störung muss die geschädigte Seite durch eine rechtmäßige Feindschaft, die fehde, beseitigen, indem sie sich durch Selbstjustiz (im Sinne einer Selbsthilfe) vom Täter Kompensation verschafft, ganz nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Um als Teil der rechtmäßigen Feindschaft gelten zu können, darf der Akt der Selbstjustiz freilich nicht im Verborgenen geschehen, sondern muss im Akt der verklarung öffentlich gemacht werden, damit sie Dritte durch eine Begutachtung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können. Seit der fränkischen Zeit wurde dieses archaische System, das auf Sippenverbände spezifiziert war und staatlichen Erfordernissen auf Dauer nicht genügen konnte, zu einem staatlichen System umgebaut und ausgestaltet. Man ersetzte die Fehde durch staatliche Sanktionen wie Vermögenskonfiskation, Strafknechtschaft, Todes– und Leibesstrafen.2Bis zum hohen Mittelalter lag ein weitgehend durchsystematisiertes Strafrecht3 vor: (1) Auch jetzt galt eine Straftat, die missetat, als Bruch des Friedens eines Hofes, Dorfes, einer Stadt oder eines Landes. (2) Das mittelalterliche Recht kannte eine klare Hierarchie von Strafmaßnahmen, mit denen man Rechtsbrüche ahndete: (a) Schwere Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, schwerster Raub, die sogenannten ungerichte, gingen, je nach Schwere des Deliktes, „an Hals oder 1 2 3

Zur archaischen Auffassung vgl. MALINOWSKI, Sitte und Verbrechen. Ein anschauliches Gesamtportrait zum frühmittelalterlichen Straf– und Rechtssystem und der Umgestaltung im hohen Mittelalter gelingt MCCALL, The medieval underworld, 41–81. Eine überaus konzise und klare Darstellung des mittelalterlichen Strafrechts bietet PLANITZ, Deutsche Rechtgeschichte, 225–227; mit weiteren Literaturhinweisen in 227. Weitere wichtige Informationen, vor allem zur „spiegelnden Strafe“ gibt DÜLMEN, Theater des Schreckens, 62–80 und 121–144.

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Mittelalterliche Stadt Hand“. Strafen an Hals waren Enthaupten, Hängen, Verbrennen und Rädern. Zu den Strafen an Hand zählte man die Verstümmelung von Finger, Hand, Auge, Ohr oder Nase. (b) Leichtere Delikte, die sogenannten frevel, gingen lediglich „an Haut und Haar“; sie hatten also das Scheren der Haare, das Stellen an den Pranger mit Verspottung durch Umstehende, Schandgewänder und –masken oder Geißelhiebe zur Folge.

Freiheitsentzug im Gefängnis war ursprünglich eine ziemlich seltene Strafmaßnahme. Das Gefängnis diente nämlich für lange Zeit kustodialen Zwecken – also der Sicherung von Angeklagten bis zu ihrer Verhandlung, dem Arrest von Schuldnern, bei denen Fluchtgefahr bestand, der Verwahrung von Verurteilten bis zur Vollstreckung ihrer Strafe und schließlich als Vollstreckungsort einfacherer Strafmaßnahmen.1 Erst im Laufe des 13. Jahrhunderts, und ganz besonders am Ende dieses Jahrhunderts, bildete sich so etwas wie eine punitiv–koerzitive Funktion des Gefängnisses aus – wodurch es sich zu einer Institution der Buße und Strafe wandelte.2 Daneben hat es im Mittelalter eine Vielzahl von Arten des Freiheitsentzugs gegeben, die einen Überblick durchaus erschweren: Unterschiedliche Autoritäten nahmen sich das Recht, Menschen in Verließen, Zellen, Privaträumen, Kellern etc. festzuhalten.3 Im Rahmen dieser Studie können wir den mittelalterlichen Freiheitsentzug nicht in seiner ganzen Breite analysieren. Wir wollen uns vielmehr auf das punitiv–koerzitive Gefängnis im Sinne einer Straf–, Buß– und Besserungsanstalt konzentrieren, wie es sich innerhalb der urbanen Kultur vom 12. bis zum 15. Jahrhundert langsam entwickelte.4 Hier ein kurzer Überblick der Genese: (1) Am Anfang der Entwicklung standen kustodiale Loch–Gefängnisse5, in denen Insassen für kurze Zeit verwahrt („eingelocht“) wurden. Die Zellen dieser Einrichtung waren klein und dunkel; die Insassen wurden in Ketten, Fesseln oder Blöcke 1

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Siehe DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 22: „Ulpian´s words: Prisons ought to be employed for confining men, not for punishing them, continued to hold sway in the minds of the lawyers, though by no means always in the practise of secular courts.“ Weitere Hinweise bieten auch MCCALL, The medieval underworld, 78; GRAND, La prison et la notion d’emprisonnement, 58–87; PORTEAU–BITKER, L’emprisonnement, 398–428. Zur Unterscheidung eines kustodialen, punitiven und koerzitiven Strafaspektes vgl. PUGH, Imprisonment in Medieval England, 1 (Anm.4): custodial imprisonment = „to hold a prisoner until he can be tried“; punitive imprisonment = „to punish the convicted“ und coercitive imprisonment = „to yield him to his captors will“. Vgl. DUNBABIN, Captivity and imprisonment: 18–31 für die mittelalterliche Rezeption und Umgestaltung der römischen Strafpraxis; 32–79 und 114–129 für die genaueren Bedingungen und Umstände; 80–113 für die koerzitive, kustodiale und punitive Funktion; 62–79 für die Inhaftierung in Privaträumen. Zum italienischen Stadtgefängnis siehe BOHNE, Freiheitsstrafe. Ganz auf das urbane Gefängnis konzentriert sich neuerdings GELTNER, Coping in Medieval Prisons und Medieval Prisons. Die „neue Rhetorik“ des Stadtgefängnisses bespricht auch DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 41–45. Vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 20–23.

Latro-Performance

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gelegt. Die eigentliche Strafe wurde als Leibestrafe exekutiert, womit der Gefängnisaufenthalt abgeschlossen war – sei es durch Freilassung oder Hinrichtung. (2) Im kirchlichen Bereich suchte man nach einem Ausweg zu den Leibes– und Todesstrafen, weil man das Vergießen von Blut für den Stand der Kleriker und Mönche als unangemessen auffasste. Daher setzte sich zuerst im monastischen Bereich – wider eine gewisse Anfangsskepsis – ein punitives Gefängnisverständnis durch. Sowohl in Benediktiner– wie in Zisterzienserklöstern errichtete man neben dem infirmorium für die „Kranken des Leibes“ einen carcer für die „Kranken des Geistes“.1 In dieser Bußzelle wurden deviante Mitglieder für eine überschaubare Zeitspanne – oft für eine zahlensymbolisch aussagekräftige Frist wie vierzig Stunden, Tage oder Wochen – eingeschlossen.2 (3) Im Rahmen des urbanen Wachstums, der Ketzerbekämpfung und der Einführung des Inquisitionssystems seit dem 13. Jahrhundert wurde die skizzierte punitiv– koerzitive Gefängnisideologie zunehmend entklostert, demokratisiert und für die Erfordernisse eines weltlichen Stadtgefängnisses adaptiert – zumindest in den größeren mittelalterlichen Städten.3 Diesem punitiven Stadtgefängnis muss nun unsere ganze Aufmerksamkeit gelten: Wenngleich man die Gemeinsamkeiten zwischen dem mittelalterlichen und modernen Strafvollzug nicht übersehen sollte, so überwiegen doch die Unterschiede4 – wie schon bei einer Betrachtung der Gefängnisarchitektur augenfällig wird. Heutige Gefängnisse werden tendenziell unsichtbar gemacht, indem man sie in die Peripherie abdrängt und als anonymes Gebäude maskiert, das auf den ersten Blick nicht als Gefängnis identifizierbar ist. In der mittelalterlichen Stadtkultur wird hingegen das Gefängnis gerade als 1

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Zur monastischen Haftpraxis vgl. LEHMANN, Freiheitsstrafe, 1–94; MABILLON, Überlegungen zu den Gefängnissen; MCCALL, The medieval underworld, 76–77 und DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 144–153. Die Benediktsregel ist von einer großen Zurückhaltung gegenüber der Gefängnisstrafe geprägt; bis zum 10. Jahrhundert konnte sich dennoch ein Bußgefängnis einbürgern. Die 40 Bußtage entsprechen den vierzig Wüstenjahren des Gottesvolkes (Ex 24,18); der vierzigtägigen Wanderung des Elija und der vierzig Tage Jesu in der Wüste (Mt 4,1–11; Mk 1,12–13; Lk 4,1–13). Vgl. hierzu auch die Hinweise bei DORN, Der sündige Heilige, 132–133, hier besonders Anm. 11: Die „Bußzeit Jesu ist in mannigfacher Weise vorbildlich für die Buße der Sünder“. Einige anschauliche Fälle der „Gefängnisbuße“ bespricht DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 111–113. In 145 kommt er zum Schluss: „ Ritual humiliation and temporary loss of influence in the abbey were apparently the essence of these terrible–sounding punishments.“ Zu dieser punitiven Funktion im kirchlichen Bereich, insbesondere im Rahmen des Inquisitionssystems vgl. DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 149–158; hier besonders 157: „the main intention of ecclesiastical punitive imprisonment, monastic as well as inquisitorial, was to bring about repentance and reconciliation a complete spiritual reformation.“ Der Transfer dieser punitiv–koerzitiven Gefängnisideologie und –praxis in den urbanen Bereich blieb in der bisherigen Forschung unterbelichtet und wurde kürzlich von GELTNER ins rechte Licht gerückt. Siehe PETERS, Prison before the prison, 3–43 und GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 151– 152.

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Gefängnis inszeniert und als Statussymbol an einer prominenten Stelle des Stadtbildes platziert.1 Große Städte leisten sich einen eigenen modernen punitiv–koerzitiven Gefängnisbau in der Nähe des Rathauses, des Stadtplatzes, der Hauptkirche oder eines großen Tores – wie etwa beim Fleet Prison in London, Le Stinche in Florenz oder Châtelet in Paris.2 In anderen Städten ist das Gefängnis Teil des palazzo communale oder des Rathauses. Kleinere Städte haben indes ihr Gefängnis oft an der Stadtkontur errichtet und als 'Diebesturm' oder 'Hungerturm' in die Stadtmauer als Teil eines Stadttores eingebaut – so etwa in Bernau bei Berlin, Gießen, Schaffhausen, Bad Säckingen, Michelstadt, Lindau, Wachenheim an der Weinstraße und in unzähligen anderen Orten.3 Das mittelalterliche Gefängnis war also alles andere als ein unsichtbarer und geschlossener Raum. Das Gefängnisgebäude war ein Ort der Kommunikation zwischen Insassen und Aufsehern, Familien und Freunden, Anwälten, Bürgern und Geistlichen.4 GELTNER hat versucht, diesen spezifischen Charakter der mittelalterlichen Gefängnisse auf den Begriff zu bringen und ihn als einen semi–exklusiven und semi–inklusiven Raum bestimmt: Das Gefängnis schloss zwar die Häftlinge ein und aus; weil aber den Insassen eine aktive, essentielle Funktion für die Gesellschaft zukam, musste das Gefängnis sichtbar, betretbar und semi–permeabel bleiben. Darüber hinaus war das Gefängnis keine totale, sondern lediglich eine proto–totale Institution: Es kannte kein mit dem heutigen Strafvollzug vergleichbares rigoroses Zeit– und Verhaltens–Protokoll oder elaborierte Bürokratie.5 Wenn wir versuchen, einen Einblick in den Alltag des mittelalterlichen Gefängnisses zu gewinnen, so sind diesem Bemühen klare Grenzen gesetzt. Architektur und Archäologie lassen etliche Fragen unbeantwortet; Gefängnisliteratur gibt es vor der frühen Neuzeit nur in Ausnahmefällen.6 Die auf uns gekommenen Protokolle des Strafvollzu1

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Zur Raum–Rhetorik vgl. DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 32–45: Käfige, Stöcke und Ketten wurden zunehmend durch verschließbare Räume abgelöst. Die Errichtung und Kontrolle der „Räume“ war ein Status– und Autoritätssymbol. Vielerorts ging diese Kompetenz von Einzel–Autoritäten in die Hände der Stadtkommune über. Siehe hierzu etwa BATIFFOL, Le Châtelet de Paris (61) 225–264; (62) 225–235; (63) 42–55, (63) 266–283; GAUVARD, Châtelet d'après les fragments d'un registre, 567–606 und MANIKOWSKA, Le Stinche, 133–160. Zum Gefängniswesen in Venedig vgl. BACCHETTI, La gestione del sistema carcerario, 301–327. Oft wurde das Lochgefängnis im Rathaus oder Turm, das nur kleine und dunkle kustodiale Zellen aufwies, mit größeren punitiv–koerzitiven Zellen ergänzt oder umgebaut – bisweilen aber auch durch einen Neubau ersetzt. Vgl. GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 160–162. Siehe GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 151–152, hier besonders das Fazit: „Incarceration in the middle ages, in fine, was only a semi–exclusive – and ipso facto a semi–inclusive – measure. Medieval prisons were not total but ‘proto–total’ institutions, and their inmates were marginal, not liminal figures; that is, they were perched between social exclusion and inclusion, not written out of social memory.“ Siehe etwa SCHUMACHER, Gefangensein – waz wirret daz?, 238–255; MENAGE, Deux poètes en

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ges bergen zudem hermeneutische Probleme: Als Angehöriger einer proto–totalen Institution haben die Aufseher nur sporadisch Dokumente erstellt; bürokratische Vollständigkeit der Aufzeichnungen war ihnen fremd. Darüber hinaus sind die Aufseher parteiisch gewesen; wir müssen ihnen unterstellen, dass die Schriftstücke aus ihrer Feder die Wahrheit vor allem aus der Perspektive ihrer eigenen Interessen wiedergeben.1 Nichtsdestotrotz kann man hinreichend gesicherte Rahmenbedingungen für den Strafvollzug aus den Quellen gewinnen: (1) Das punitive Stadtgefängnis besticht einmal durch die kurze Verweildauer der Insassen: Die Hälfte aller Gefangenen verließ die Haft innerhalb von sechs Monaten, ein weiteres Viertel innerhalb von zwölf Monaten. Nur in wenigen Einzelfällen wurde der Schwellenwert von 2,5 Jahren erreicht, der nach heutigem Verständnis die „Langszeithaft“ definiert.2 Jahrzehntelange Haft kam allerdings bei der Begnadigung von einem Todesurteil vor.3 (2) Das Leben im Gefängnis war aufgrund seiner Aktionsarmut alles andere als eine vita activa: Im Gefängnis gab es kaum Arbeit und der Zugang zu Büchern war stark beschränkt. Anders als im heutigen Strafvollzug standen im Mittelalter keine Drogen zur Verfügung. Insofern war der Alltag von einer beträchtlichen Langeweile geprägt, der bei etlichen Insassen zu Depressionen führte.4 (3) Aus erhaltenen Zeugnissen können wir zum Teil die Strategien rekonstruieren, mit denen Insassen ihre Langeweile zu kompensieren suchten: Gefangene erstellten Graffiti auf Wänden und zeichneten Bilder auf Brettern oder Papier. Sie schnitzten kleine Objekte aus Holz und Bein. Literate Insassen verfassten sogar Literatur. Die beliebteste Art des Zeitvertreibs war freilich das Spiel: Mit Steinchen und in den Boden geritzten Feldern konnte man beinahe jedes bekannte Brettspiel auch hinter Gefängnismauern spielen. Rätsel– und Wettspiele sowie sportliche Turniere waren ohne größeren Aufwand zu veranstalten.5 (4) Gewalt der Insassen untereinander trat im mittelalterlichen Gefängnis häufig auf, weil soziale Konflikte auf beengtem Raum leicht eskalierten. Die Gefängnisprotokolle teilen die Missstände in klare Kategorien ein; sie erwähnen Raufereien, bei denen nicht zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden konnte (rissa); Übergriffe von stärkeren Tätern auf schwächere Opfer (percussio); Glücksspiele, die ausbeuterische Züge annahmen; blasphemisches Reden und schließlich homo1 2 3

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prison, 239–249 und MENEGHETTI, Scrivere in carcere nel medioevo, 185–199. Siehe GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 158. Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis im englischen Strafvollzug untersucht IRELAND, Theory and Practice, 56–67. Vgl. GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 162–162. Siehe DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 101: „The list of great men who suffered prolonged imprisonment when judged guilty of crimes that, if comitted by lesser ones would have deserved death or mutilation, was lengthy.“ Siehe hierzu GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 153–154. Vgl. GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 153–155. Zu Graffitis beispielsweise in Auxerre siehe SASSIER, Les graffitis de donjon de Cravant, 47–62.

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sexuelle Übergriffe.1 Die Gewalt hatte trotz des Gefahrenpotentials auch eine identitätsstiftende Funktion: Mittels Kräftemessen wurde die Hierarchie im Gefängnis ausgestritten und das Netzwerk von Patron und Protégé austariert.2 (5) Aufseher und Insassen haben sich in manchen Gefängnissen verbündet, voneinander profitiert und gemeinsame Sache gemacht – beim Glücksspiel, bei der illegalen Einschleusung von Prostituierten ins Gefängnis oder bei der Veruntreuung von Geldern. Diese bisweilen vorhandene „Kultur der Täuschung“ wurde freilich durch eine „Kultur der Sichtbarkeit“ ausgeglichen: Weil das Gefängnis sichtbar und betretbar war, konnten Missstände für gewöhnlich nicht lange unentdeckt bleiben. (6) Dem Magistrat vieler Städte gelang es leicht, ziemlich erträgliche Verhältnisse zu schaffen.3 Es sticht ins Auge, dass uns für die mittelalterlichen Gefängnisse kaum Selbstmorde oder Selbstverletzungen bezeugt sind, die heute ein drängendes Problem des Strafvollzuges darstellen. Die Sterblichkeit im Gefängnis war vergleichsweise niedrig.4 Obwohl die limitische Kontur des Gefängnisses sehr fragil war – angesichts der Betretbarkeit des Gefängnisses wäre es für viele Insassen ein Leichtes gewesen, zu entfliehen – ist die Ausbruchsrate niedrig.5 Im Mittelalter war die Einbindung in einen Sozialverband (über–)lebensnotwendig. Ein Ausbruch aus dem Gefängnis bot gegenüber einer halbjährigen erträglichen Bußzeit keine wirkliche Alternative: Die Gefängnisbuße führte zu einer vollständigen Wiedergutmachung und Versöhnung mit Gott und Gesellschaft. Sie hatte eine soziale und religiöse Valenz. Viele Insassen langweilten sich aufgrund des Ausfalls ihres gewohnten Lebensstils der vita activa im Gefängnis und vertrieben sich die Zeit mit diversen Spielen. Von der Grundidee her war das mittelalterliche Gefängnis allerdings keine Spielhalle, sondern vielmehr, vom monastischen Bußkarzer her inspiriert, als ein Raum der vita meditativa et paenitentia konzipiert. Selbstverständlich war die Zelle des mittelalterlichen Stadtge-

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Siehe GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 155–157. Vgl. GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 159–160. Zum Wechselspiel zwischen Täuschung und Sichtbarkeit siehe GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 165. Dass selbst unter günstigsten Verhältnissen die Hygiene zu wünschen übrig ließ, Insassen unter Kälte oder Hitze litten und die Ernährung grenzwertig war, arbeitet DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 121–125 heraus: Unter den denkbar schlechtesten Bedingung lebten Insassen, die aufgrund Kapitalverbrechen zu Kerkerhaft verurteilt wurden. Privilegien im Strafvollzug resultierten hingegen bis 1100 vor allem aus dem gesellschaftlichen Stand einer Person, seit 1300 dann eher aus ihrer Finanzkraft, vermöge derer sie sich Straferleichterung erkaufen konnte. Siehe hierzu GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 163, mit einer aufschlussreichen statistischen Auswertung. Weniger günstig sieht DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 123 die Verhältnisse bezüglich der Sterblichkeits– und Selbstmordrate. Siehe GELTNER, Coping in Medieval Prisons, 163–164.

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fängnisses kein kellion im koinobion. Und dennoch sticht ins Auge, wie sehr der Haftalltag mit religiösen Programmpunkten durchwirkt war: (1) In einer vom Christentum durchformten Kultur assoziierten sowohl die Gesellschaft wie auch der Insasse den Freiheitsentzug immer auch mit dem Gefängnisaufenthalt der Heiligen Petrus und Paulus sowie der Märtyrer. Man schrieb ihm einen religiösen Sinn zu.1 Den Gefangenen standen zudem Patrone – an erster Stelle der heilige Einsiedler Leonhart von Noblat, die Büßerin Maria Magdalena und natürlich auch die Jungfrau Maria, an zweiter Stelle diverse lokale Patrone – zur Seite, von denen man sich eine baldige Freilassung oder wenigstens Durchhaltevermögen für den Strafvollzug erbat.2 (2) Viele Gefängnisse hatten eine eigene Kapelle, in der man täglich die Messe mit den Häftlingen feierte. Wo diese fehlte, wurden die Insassen einmal wöchentlich von Mendikanten mit einer Messe, mit Predigt und Sonderseelsorge bedacht. Caritative Laien–Vereinigungen suchten das Gefängnis zur Gefangenenspeisung auf, oft täglich. Bei großen kirchlichen Festen – Weihnachten, Kar– und Ostertagen, Fronleichnam, Gedenktagen großer Heiliger etc. – waren die Häftlinge fest als Büßer in die Stadtliturgie integriert.3 (3) Ikonographische Zeugnisse aus mittelalterlichen Stadtgefängnissen sind zwar selten, aber archäologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass wir mit Bildern wie dem „Letzten Gericht“ und mit Votiv–Plaketten von frommen Stiftern in Stadtgefängnissen rechnen müssen.4 (4) Etliche Gefängnisse hatten eine Bettelgalerie, auf der die Insassen für einige Stunden am Tag die Bürger der Stadt ansprechen und um finanzielle Unterstützung bitten konnten.5 Wo keine Bettelgalerie vorhanden war, erfolgte die communicatio 1 2

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Vgl. hierzu DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 20. Siehe DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 133–136 sowie 200 für Literaturangaben zu den wichtigsten Legenden. Es liegt auf der Hand, dass sich der Aussagegehalt der einzelnen Legenden von der frühmittelalterlichen Rechtsunsicherheit bis hin zum regulierten Strafvollzug des 15. Jarhundert einer starken Änderung unterworfen war. Zu merowingi–schen Kerkerbefreiungslegenden siehe auch WIESHEU, Bischof und Gefängnis, 1–23. Siehe hierzu PUGH, Imprisonment in medieval England, 319–320; DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 129. BALDWIN, Master, Princes and Merchants 1, 157 referiert einen aufschlussreichen Konfliktfall: Bischof Maurice von Paris exkommunizierte einen Gefängnisvorsteher, der aufgrund des Sicherheitsrisikos die Seelsorgsaktivitäten im Gefängnis massiv eingeschränkt hatte. Anregend für weiterführende Fragen einer Gefängnistheologie sind auch die archäologischen Untersuchungen des St.–Vinzenz–Gefängnisses von Valencia (Spanien), deren Ergebnisse SORIANO SÁNCHEZ, L'édifice cultique, 1093–1201 referiert. Siehe hierzu den archäologischen Bericht über die Untersuchungen des Schelmentores in Heerlen (Limburg) von DIJK, De geheimzinnige blinde rondboog, 246–267 und die Besprechung einer Bronze–Votiv–Plakette aus Brüssel bei BEECK, The votive plaque of Michel de Beckere, 136–146. Eine heute noch gut erkennbare Bettelgalerie weist das Great Yarmouth Tolhouse auf: mit großen Eisengittern bewehrte Galerie–Fenster, durch welche Insassen betteln konnten. Zur Baube-

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mit der Stadtbevölkerung durch die großen vergitterten Fenster des Gefängnisses, die geradezu zur Kommunikation einluden.1 Ohne den Punkt pressen zu dürfen, kann man doch sagen, dass ein idealer Gefängnisinsasse ein Leben führte, das mit der anachoretischen Lebensform in einem kellion oder einer Klosterzelle durchaus einige Berührungspunkte aufwies. Von daher ist es wohl mehr als ein Zufall, dass das englische Zucht– und Armenhaus eine Handschrift des 'Speculum Inclusorum' zur Erbauung seiner Insassen bereithielt.2 Ein frommer Häftling lebte in seiner Bußzelle quasi–anachoretisch – während sich eine regelbrüchige Reklusin gefährlich der latro–Existenz annäherte, wie man am Fall Christina Carpenter unschwer ablesen konnte.

9.2.2. Blutiges Spektakel: Latro–bonus–performance Recht war im Mittelalter kein vollständig ausdifferenziertes Teilsystem der Gesellschaft, sondern ein mit Religion, Kunst, Aberglauben und öffentlicher Unterhaltung kunstvoll verschränktes Gebilde.3 Aus diesem Grund unterscheidet es sich in zahlreichen Aspekten von der modernen Rechtspflege: Normen, Werte, Gesetze, Rechtsakte und Institutionen hatten im Mittelalter nicht nur eine juristische, politische und soziale Dimension, sondern eine religiöse Valenz sowie eine symbolisch–allegorische und performativ–dramaturgische Ebene – sowohl beim Gefängnis als auch beim Extremfall der Blutgerichtsbarkeit. MERBACK hat gezeigt, dass Kreuzigungsdarstellungen des späten Mittelalters nicht allein als Golgota–Darstellung funktionieren, sondern einen latrologischen Aspekt beinhalten, der bei der Interpretation zu berücksichtigen ist: (1) Die Darstellung der latrones zur Rechten und zur Linken ist kaum durch ikonologische Konventionen normiert und bietet daher dem Künstler einen beträchtlichen Gestaltungsfreiraum: Er kann entweder die drei latrones einander angleichen, um damit auszudrücken, dass es sich um drei translimitische Personen handelt, oder ganz im Gegenteil, den Unterschied zwischen Jesus und den beiden latrones stark heraus arbeiten, um so Jesus als den Träger der kenotisch–salvifikatorischen Transliminalität von den Trägern der illegitim–zelotischen Transliminalität abzuheben. Schließlich kann er versuchen, jeden latro völlig eigenständig und individuell zu portraitieren. Spannende Neuerungen in der Ikonographie haben sich besonders in deutschen Bildern der Spätgotik und Frührenaissance eingebürgert.4

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schreibung siehe PEVSNER, Buildings of England: North–west and south Norfolk, 148. Siehe hierzu MCCALL, The medieval underworld, 79. Vgl. hierzu GILLESPIE, Cura Pastoralis in Deserto, 177 (Anm. 177) für das Speculum– Inclusorum–Exemplar; 175–181 für den größeren historischen Kontext. Siehe COHEN, The Crossroads of Justice, hier besonders 202. Siehe MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 218–265.

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(2) Kreuzigungsbilder des Spätmittelalters enthalten oft ein reiches Zubehör und interessante Details aus der Sphäre des Strafvollzugs und der Hinrichtungspraxis: Manche Maler integrieren inverse Objekte wie Nägel, Seile, Schwerter, Dolche, Messer, Spieße in ihre Darstellung, um anzuzeigen, dass sich die Waffen der latrones wider sie selbst kehren, und die Waffen, mit denen das Böse Christus töten wollte, zu Werkzeugen der Erlösung werden.1 (3) Manche Gemälde zitieren die Hinrichtungspraxis der Zeit innerhalb ihrer Bildrhetorik auf eine besonders naturalistische Weise. Bei genauem Hinsehen sind nämlich Dismas und Gestas mit so deformierten Gliedern in einer schockierend verdrehten Stellung ans Kreuz fixiert2, dass nur eine Schlussfolgerung übrig bleibt: Die beiden latrones wurden nicht, wie der biblische Bericht nahe legt, zuerst ans Kreuz genagelt und dann durch das crurifragium gebrochen, sondern mit zuvor schon gebrochenen Gliedern verdreht und zerdehnt am Hinrichtungsgerüst befestigt, was eindeutig auf die Hinrichtungspraxis der Räderung verweist. Wir müssen daher fragen, was die anstößige In–eins–Spiegelung von Kreuzigung und mittelalterlicher Hinrichtung zu bedeuten hat, und dazu kurz die Exekutionspraxis rekapitulieren.3 Die mittelalterliche Hinrichtungspraxis ist zuerst einmal durch die Sichtbarkeit von Brutalität geprägt. Das „Spektakel des Schreckens und Trostes“, wie man die öffentliche Hinrichtung auch nannte, hatte sich vor allem aufgrund einer bedeutsamen Umstellung im Strafsystem innerhalb des mittelalterlichen Urbanismus herausgebildet: Das ältere Akkusationssystem wies einen ununterbrochenen Handlungsbogen der Rechtsakte, Gerichtsprozess, Verurteilung und Exekution auf, der zur Gänze in der Öffentlichkeit stattfand. Als man im 13. Jahrhundert zum modernen Inquisitionssystem überging, bei der sich die eigentliche Verhandlung nicht mehr unter freiem Himmel und in der breiten Öffentlichkeit abspielte, entstand das Bedürfnis, im Gegenzug die Urteilsverkündigung und Exekution zum genau geplanten und raffiniert inszenierten spectaculum bzw. exemplum auszugestalten.4 Die Abfolge der Akte dieses Spektakels steht in strik1

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Zu den Waffen auf Kreuzigungsbildern siehe MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 95–99. Als Beispiel vgl. die Kreuzigung des Netze–Meisters aus Osnabrück von 1370–90 (heute Wallraf–Richartz–Museum Köln) bei MERBACK, 89 Abb. 31. Zum größeren Kontext vgl. SUCKALE, Arma Christi, 177–208. Siehe MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 101–125. Als ein besonders eindringliches Beispiel sei hier auf die Kreuzigung des Meisters der Münchner Domkreuzigung aus der Mitte des 15. Jahrhunderts verwiesen, die MERBACK 108 Abb. 43 abbildet. Siehe MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 172–186. Zur allmählichen Umstellung vom Akkusations– zum Inquisitionssystem und der Gemengelage im tatsächlichen Rechtsgang bei Strafsachen siehe PLANITZ, Deutsche Rechtgeschichte: 60–65 für die germanischen Grundlagen; 109–113 für die fränkische Umgestaltung; 228–231 für die mittelalterlichen Neuerungen. Weitere Hinweise auch bei DUNBABIN, Captivity and imprisonment, 125–127 und 149–158 sowie MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 131–132. Zum kathartisch–erbaulichen spectaculum siehe MCCALL, The medieval underworld, 72–74 und

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ter Strukturanalogie zur Hinrichtung des Jesus von Nazareth gemäß der Passionsgeschichte:1 (1) Der erste Akt des spectaculum spielt im Hof oder auf einer Schaubühne des Gerichtshauses: Der Inquisitionsprozess durch autorisierte Funktionsträger erfolgte im Gerichtshaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit2; mit der Urteils– und Strafverkündigung als proclamatio wird die Rechtssache hingegen zur öffentlichen Angelegenheit. Der proklamatorische Akt beginnt mit einer Ecce–homo– Szene, in welcher der latro dem Volk präsentiert wird, um zumindest einen indirekten kollektiven Konsens einzuholen. Im urtümlichen Akkusationsprozess durften der Geschädigte und das Volk selbst die Verhandlung (mit)vollziehen und die Strafe als einen Racheakt (mit)vollstrecken. Jetzt, da der Staat das Strafmonopol an sich gezogen hat, kann die staatliche Autorität Strafen nicht willkürlich und nach Belieben verhängen, sondern muss sie öffentlich plausibel machen – im Sinne einer Tat–Strafe–Entsprechung, einer retribuitio gemäß dem ius talionis.3 Für die Blutgerichtsbarkeit gilt etwa folgender Rechtsbrauch: Ein latro ist zu hängen, Mörder oder Vergewaltiger sind zu rädern, Häretiker und Hexen zu verbrennen, Ehebrecher hingegen zu ertränken. Dieses Grundmodell wird freilich nach einer klaren Regel modifiziert und an den konkreten Fall angepasst: Mildernde Umstände führen zur clementia, einem Gnadenakt, der die Strafe zur weniger entehrenden Enthauptung (decapitatio) abwandelt. Mehrfachdelikte und/oder Wiederholungstaten führen hingegen zu einer massiven Strafverschärfung – gemäß der Richtlinie, eine Hinrichtung gelte als umso ehrloser, je schmerzhafter der Vollzug und fixierter der Leib des Delinquenten dabei sei – und enden oft in einer regelrechten Folterhinrichtung.4 (2) Eine Hinrichtung ist innerhalb der limitischen Kontur der Gesellschaft an einem Mitglied des Personenverbands nicht durchführbar, weswegen ein Delinquent durch den Ritus der exclusio und expulsio formell ausgegliedert und in einen translimitischen Zustand versetzt werden muss: Erst nach dem sozialen Tod in mehre1

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DÜLMEN, Theater des Schreckens, 51. Eine gewisse Härte in der Quellenfrage ergibt sich aus dem Umstand, dass die aussagekräftigen Zeugnisse in Text und Bild meistens aus der frühen Neuzeit, also ab 1500, stammen. Die wichtigsten Studien zum Thema – DÜLMEN, Theater des Schreckens und NOVOSATKO, Hinrichtungsrituale, 71–94 – widmen sich vor allem dieser Zeit; die Ergebnisse dürfen aber, mit der nötigen Vorsicht, auf frühere Jahrhunderte übertragen werden. Vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 23–37. Zum „Endlichen Rechtstag“ und impliziten Konsens siehe DÜLMEN, Theater des Schreckens, 38–61 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 132–134; hier besonders 133 Abb. 55 mit einem Ecce–homo–Bild des Braunschweiger Meisters von 1505/06 (Herzog–Anton–Ulrich– Museum), auf dem Jesus, Barabbas, Dismas und Gestas gemäß der spätmittelalterlichen Praxis präsentiert werden. Zur angemessenen oder spiegelnden Strafe vgl. MCCALL, The medieval underworld, 74–76; MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 139–140; COHEN, The Crossroads of Justice, 147 und 158; DÜLMEN, Theater des Schreckens, 62–80.

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ren Einzelschritten kann der Hinrichtungstod erfolgen. Durch die Brechung des Stabes über dem Kopf geht die verurteilte Person der bürgerlichen Rechte verlustig.1 Mittels einer processio zieht sie aus dem Sozialverband aus und begibt sich zur translimitischen – entweder außerhalb der Stadt gelegenen oder aber performativ ausgesonderten – Hinrichtungsstätte.2 Als Ehrenperson hat ein Delinquent dabei immer noch das Privileg, selbst auf dem Pferd zum Gerüst zu reiten; alle anderen Verurteilten werden auf einem Karren, rückwärtsgewandt, zur Hinrichtung verbracht, zum Teil mit Mist beworfen, oder im verschärften Fall in eine schmutzige Ochsenhaut gehüllt und auf dem Boden geschleift.3 Alle Gegenstände und Personen, die mit der translimitischen Tat des Verurteilten und der Hinrichtung zu tun haben, gelten als miasmatisch verseucht. Sie werden tabuisiert und von Schutzmechanismen begleitet, in der Angst, sie könnten sonst die limitische Schutzbarriere der Gesellschaft verletzen, beschmutzen, infizieren oder ihr sonst wie Schaden zufügen.4 (3) An der Hinrichtungsstätte findet der Höhepunkt des Dramas statt: das eigentliche spectaculum des Schreckens und Trostes. In einer heute nur schwer nachvollziehbaren Weise inszeniert der mittelalterliche Strafvollzug die Hinrichtung eines latro nach dem Paradigma des guten Schächers Dismas, wobei man dem Hinzurichtenden nahe legt, die Rolle des latro bonus zu spielen: Man erwartet von ihm sichtbare Reuebekundungen mit Jammern und Tränen; man folgt dem Karren in der Hoffnung, der Hinzurichtende erzähle seine traurige Lebensbeichte und verkünde schließlich von der Hinrichtungsbühne herab sein Schuldbekenntnis.5 Damit der Delinquent diese Rolle einnehmen kann, stellt man ihm einen Hinrichtungsbeistand und Seelsorger, gleichsam als Regieassistenten des Todes, an die Seite, der meistens aus der Schar der Mendikanten wie Franziskaner, Dominikaner und Karmeliter genommen wird, oder aber – ausgehend von Bologna seit dem 14. Jahrhundert auf ganz Italien und Europa ausstrahlend – aus der Gruppe von confortatori–Laienbrüdern:6 Man las dem latro Stunden vor der Hinrichtung die Ge1

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Für das Stab–Brechen und den weiteren Riten des „Endlichen Rechtstags“ siehe DÜLMEN, Theater des Schreckens, 58–61; EVANS, Rituals of Retribution, 72 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 138. Zur Richtstätte, dem „Rabenstein“, vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 97–101. Zum Arme–Sünder–Zug und der Verbringung zum Gerüst vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 102–108 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 138–139. Zur Unberührbarkeit, Unheimlichkeit und sozialen Rolle des Henkers siehe DÜLMEN, Theater des Schreckens, 91–97. Zum Geständnis und Bekenntnis siehe DÜLMEN, Theater des Schreckens, 36–37; 60; 83–85; 89– 90; 166; EVANS, Rituals of Retribution, 163–164 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 147–148. Zur Soziomotorik von confessio, Buße und Tröstung vgl. auch FALVEY, Early Italian Dramatic Traditions and Comforting Rituals, 33–55 und ZORZI, Rituale e cerimoniali penali, 141–157. Für den geistlichen Sterbebeistand vgl. HUIZINGA, Herbst des Mittelalters, 25; DÜLMEN, Theater des Schreckens, 88–91, MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 148. Für die confortato-

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Mittelalterliche Stadt schichte des latro bonus Dismas vor; betete mit ihm die Bußpsalmen und das Credo.1 Kurz vor der Exekution gab man ihm dann Gelegenheit zur Beichte und Kommunion.2 Jetzt, auf dem Weg zum Gerüst, wiederholt man die Gebete und überreicht ihm kleine Bildtäfelchen mit den translimitischen Motiven, damit der Delinquent seine Augen und seinen Geist darauf heften und vermöge einer vollkommenen Reue den Weg des Dismas gehen kann .3 Von der Bereitschaft des latro zu diesem Rollenspiel hängt die Reaktion des Volkes beim Hinrichtungsspektakel ab: Verweigert der Delinquent seinen Part beim spectaculum, so kommt es oft zu Sadismusausbrüchen seitens der Henker oder des umstehenden Volkes. Spielt der latro hingegen seine Dismas–Rolle mit Engagement und Überzeugungskraft, so sind die Zuschauer bewegt, gerührt und votieren bisweilen für eine spontane Abmilderung der unehrenhaften Räderung, Verbrennung oder Erdrosselung zur ehrenhaften Enthauptung.4

Durch das blutige Hinrichtungs–Spiel und die latro–bonus–Rolle wird der Verbrecher sowohl sozial wie religiös rehabilitiert: Durch die Hinrichtung wird er vom latro zum martyr umgewertet. Er darf die hodie–in–paradisum–Verheißung von Christus an Dismas auf sich persönlich beziehen. Aus diesem Grund blickt das Volk auf den latro bonus mit einer gewissen kompassionalen Identifikation – also nicht mit Hass, Abscheu und Rache, sondern voll Frömmigkeit, Erbauung, Bewunderung und Trost. Diese kompassionale Identifikation kann sich, wenn wir den Quellen Glauben schenken dürfen, sogar bis zum salvifikatorischen Neid steigern: Mit der Übernahme der Rolle des Dismas ist dem latro die sofortige beatitudo ohne vorgängiges purgatorium versprochen. Von daher hat der latro durch seine Hinrichtung gegenüber den Zuschauern einen gewissen Erlösungsvorteil, da diese davon ausgehen müssen, nicht ohne eine gewisse Verweildauer im Fegefeuer zur Vollendung gelangen zu können.5 Freilich muss sich der latro diesen Vorsprung in Bezug auf das Paradies während der Hinrichtung mühsam erwerben – durch das Fegefeuer der peinvollen Hinrichtung.

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ri–Brüderschaft vgl. BORGHEZIO, L'Arciconfraternità di San Giovanni Decollato, 260–272; CUTINI, I condannati a morte e l'attività assistenziale, 173–186; FANTI, La Confraternità di S Maria della Morte, 3–102 und TERPSTRA, Piety and Punishment, 679–94. Siehe die gelungene narrative Szene, die FEINBERG, Imagination all compact, 48 entwirft. Zum Sakramentenempfang siehe COHEN, The Crossroads of Justice, 198–199; DÜLMEN, Theater des Schreckens, 161 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 148–150. Zu den italienischen tavolette siehe FEINBERG, Imagination all compact, 48–57; zur Ikonographie der Bruderschaftskirchen vgl. WEISZ, Salvation through Death, 395–405. Zum Gnadenerweis vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 47; 85–86; 145–160; MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 142–144 und EVANS, Rituals of Retribution, 86. Zur Differenz der unehrenhaften und ehrenhaften Strafe vgl. EVANS, Rituals of Retribution, 55 und DÜLMEN, Theater des Schreckens, 79–80. Zur „latrologischen Soteriologie“ des Delinquenten vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 84– 85; 161–179 und MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 150–157.

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Eine besondere Faszination ging im Mittelalter von den beiden Hinrichtungsgerüsten Kreuz und Rad aus: Bei beiden Exekutionsformen ergibt sich nämlich kein punktueller, sondern ein zerdehnter Schmerz, der als Schmerzerfahrung intensiv ausgeschöpft werden kann. Eine Exekution mit Kreuz oder Rad braucht zudem keinen externen Vollstrecker, der den Tod verursacht: Den Hinzurichtende fixiert man noch als Lebenden auf das Gerüst, mit dem sein Leib im Schmerz gleichsam eins wird. Der Delinquent erreicht schließlich den Tod von selbst – nämlich durch einen Kampf mit dem eigenen Leib.1 Die Kreuzigung ist allein Christus vorbehalten, während man dem zu Tode verurteilten Schwerstverbrecher, etwa dem Mörder, im Mittelalter die imitatio crucis mittels Räderung zumutet: Zuerst bricht man ihm die Extremitäten durch den Schlag mit der Felge eines hölzernen Wagenrades auf die Knochen; danach wird er auf die Speichen eben dieses Rades geflochten und dem Sterbeprozess überantwortet, wobei man ihm bisweilen einen Gnadenstoß gibt, um das Leiden nicht allzu sehr in die Länge zu ziehen.2 Durch eine solche salvifikatorische Hinrichtung verkehrt sich nun die miasmatische Qualität des latro beinahe in ihr Gegenteil: Der Leib des latro bonus, der den Dismas gespielt hat, ist mit heiliger virtus aufgeladen. Das Volk versucht daher Haare, Blut, Haut oder Fingernägel des Hingerichteten, sowie Holz, Seile und Nägel von Galgen oder Rad als quasi–Reliquien zu erlangen und für magisch–therapeutische Zwecke zu nutzen.3 Ein derartiger Philopassianismus des Mittelalters, der den Schmerz der Hinrichtung als Heilsmittel ansieht, kommt der Moderne zu Recht pathologisch vor: Die Anwendung der Todesstrafe mit einer ostentativen Zur–Schau–Stellung von Schmerz und Leiden verstößt gegen die Menschenrechte und zeigt offensichtliche sado– masochistische Züge. Trotz der Perversität der philopassionistischen Praxis bleibt interessant, dass das Mittelalter mit dem „Spektakel des Schreckens und Trostes“ und dem latro–bonus–Paradigma ein wirksames performatives Instrument besaß, um einen destruktiv–translimitischen Schwerverbrecher in einen Sinnhorizont zurück zu holen und ihm dabei sogar eine religiöse Funktionsstelle zuzuweisen. Wenngleich die oben aufgerissene „salvifikatorische Hinrichtung“ den Normalfall einer Neutralisierung translimitischer Personen dargestellt haben dürfte, so gab es für Verbrecher auch unblutige Re– entry–Alternativen, die wir nun ins Auge fassen.

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Zur „indirekten“ Hinrichtung vgl. MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 198–217. Zu den Hinrichtungsarten und den rituellen Hintergründen insgesamt siehe auch DÜLMEN, Theater des Schreckens, 121–144. Zur Räderung vgl. DÜLMEN, Theater des Schreckens, 130–132; MERBACK, The Thief, the Cross and the Wheel, 158–164. Für die Heilkraft des reuigen Hingerichteten siehe DÜLMEN, Theater des Schreckens, 163. Auch der Scharfrichter partizipierte an dieser Segenswirkung; zur Funktion als Heilkundiger, die sich bis in die frühe Neuzeit erhielt, siehe NOWOSADTKO, Scharfrichter und Wasenmeister, 43–74 und DÜLMEN, Theater des Schreckens, 95.

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9.2.3. Eremitische Verbrechenssühne: latro als Rekluse Wer ein „Ungericht“ begangen hatte, das zu Halse ging – wer sich also eines Rechtsbruches wie Mord, Vergewaltigung etc. schuldig gemacht hatte, auf den die Todesstrafe stand –, konnte versuchen, sich durch Flucht der Gerichtsbarkeit zu entziehen und so zunächst einmal unbehelligt zu bleiben.1 Freilich lebte der Flüchtige gefährlich, denn für vogelfrei erklärt konnte und sollte ihn jede Person, die ihn entdeckte, sogleich töten oder bestrafen.2 Der Flüchtige konnte sich indes auf manche Art schadlos halten, etwa indem er in die Ferne zog, wo eine Entdeckung unwahrscheinlich blieb, oder durch den Eintritt in ein Söldnerheer.3 An einem kirchlichen Asyl–Ort konnte er nur vorübergehenden Schutz genießen, um gegen sein Urteil eventuell Revision zu beantragen.4 Ein gewisses Äquivalent zum Gefängnis und/oder zur Hinrichtung bot hingegen mehrjährige Bußwallfahrten oder der Rückzug in eine Eremitenzelle, um die Sünden abzubüßen5 – womit wir wiederum beim latro–eremita–Motiv angelangt wären. Diese Version des latro–eremita–Motivs spielt in zahlreichen Legenden des Mittelalters eine wichtige Rolle. Wenn wir Texte in Augenschein nehmen, in denen ein latro seine Untat als Eremit oder Rekluse abbüßt, dann fällt auf, dass diese Geschichten beim Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert einen literarischen Aufschwung erleben. Es dürfte kein Zufall sein, dass just zu der Zeit, als das blutige Spektakel der Hinrichtung gemäß dem latro–bonus–Paradigma ausgestaltet wurde, auch die Alternative einer eremitischen Verbrechenssühne in aufwändigen Legenden in Szene gesetzt wird.6 Die drei wichtigsten Legenden eremitischer Verbrechenssühne müssen knapp gesichtet werden: 1

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Die EARLIEST LINCOLNSHIRE ASSIZE ROLLS (Stenton) liefern uns für das Jahr 1201–02 folgende aufschlussreiche Zahlen: Von 317 mutmaßlichen Kapitalverbrechern suchten 11 ein Kirchenasyl auf; 16 entzogen sich des Prozesses durch Flucht; zur Diskussion dieser Daten siehe POOLE, Obligations of society, 82–84. MCCALL, The medieval underworld, 99 bringt den Vorteil der Flucht auf den Punkt: „although ... an outlaw could still be killed with impunity by anybody, the likelihood of this happening was often very much slighter than that of a person accused of a crime being found guilty by a court of law“. Zu den Schwierigkeiten einer proto–totalen Gerichtbarkeit vgl. auch DÜLMEN, Theater des Schreckens, 13–20. Für Acht, Bann und Vogelfreiheit vgl. PÖTSCH, Die Reichsacht im Mittelalter; BATTENBERG, Reichsacht und Anleite sowie SCHMIDT–WIEGAND, Vogelfrei, 930–932. Vgl. die Einschätzung von MCCALL, The medieval underworld, 91: „Service abroad as a mercenary had long been a career especially favoured ... by fugitives from the law of their own country“ auf dem Hintergrund von diversen Fallbeispielen. Vgl. WIßMANN/FALK/LANDAU, Asylrecht, 315–327; DÜLMEN, Theater des Schreckens, 19–20. Zur Strafwallfahrt vgl. WIRSING, Strafwallfahrten des Spätmittelalters, 301–315; zu weiteren Kirchenstrafen DÜLMEN, Theater des Schreckens, 76–79. DORN, Der sündige Heilige, 90 fasst diese wachsende Dramatisierung und Steigerung der Aggression so zusammen: „Schließlich tritt seit dem 12. Jahrhundert ein Mördertyp hinzu, der das Grauenhafte des Motivs noch steigert: der Verwandtenmörder“. In 52 konstatiert er die gleiche Dynamik bei der luxuria; der Grundtyp der Legende erfahre „besonders im 12. Jahrhundert eine auffällige Verschärfung in den Legenden der Blutschänder.“

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(1) Das wohl berühmteste Beispiel eines Verbrechers, der als Anachoret seine Tat abzubüßen versucht, bietet die Albanus–Legende, die hier umrissen sei: Albanus kommt als Ergebnis einer Inzestverbindung des Kaisers von Aquilonien mit dessen Tochter zur Welt und wird, mit einer Geldbörse ausgestattet, in Ungarn ausgesetzt, um die Schande zu verbergen. Dort nimmt ihn der König von Ungarn an Sohnes statt an und der Prinz wächst zu einem schönen Mann heran. Seiner Herkunft unkundig macht Albanus der Kaisertochter von Aquilonien den Hof, hält um ihre Hand an und heiratet damit unwissentlich seine Mutter. Eines Tages taucht freilich die Geldbörse auf und bringt die sündige Herkunft ans Licht. Ein frommer Eremit weiß Hilfe: Albanus und sein Ehefrau/Mutter sollten sieben Jahre in Eremitenzellen büßen, um so von Gott Vergebung zu erlangen. Nach Ablauf der Buße begegnet die Kaisertochter allerdings wiederum ihrem Vater/Geliebten und begeht mit ihm, von sündiger Leidenschaft überwältigt, erneut Inzest. Albanus entdeckt die beiden in flagranti und erschlägt sie im Affekt. Diese Elterntötung büßt Albanus dann durch ein rigides Anachoretenleben. Eines Tages wird Albanus allerdings von latrones ergriffen und in dem Fluss neben seiner Einsiedelei ertränkt. Als im Wasser dieses Flusses ein aussätziges Mädchen Heilung erfährt, versuchen die Angehörigen des Kindes dem mysteriösen Heilungswunder auf die Spur zu kommen und entdecken bei ihrer Suche den Leichnam des ertränkten Albanus. Sie bergen den Leib, begraben ihn und errichten über der Grabstätte eine Kirche.1 Die Quellen und genaue Textgeschichte der Albanus–Legende sind schwer zu erhellen. Die erste lateinische Bearbeitung aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts als Startpunkt weiterer Nachdichtungen stammt von einem Mönch aus Clairvaux, der interessanter Weise einen für unser translimitisches Thema geradezu programmatischen Namen trägt: Transmundus. Am Ende des 13. und während des 14. Jahrhunderts erfuhr die Albanus–Legende durch verschiedene Versionen und zahlreiche Handschriften eine spektakuläre Verbreitung; die metrische Bearbeitung belegt die Beliebtheit der Erzählung bei allen Bildungsschichten.2 Zur Interpretation der im wörtlichen Sinne merkwürdigen Geschichte ist festzuhalten: Im Hintergrund der Legenden wird an sich eine simple Frage verhandelt – nämlich die Möglichkeit der eremitischen Verbrechenssühne. In der vorliegenden Gestalt ist das Grundgerüst der Erzählung freilich ins Phantastische erweitert: Ein dreifacher Inzest treibt das Thema der sexuell–buhlerischen Translimitik auf die Spitze; das zweifache Scheitern der eremitischen Buße spannt die Frage aufs Äußerste; die Einbindung der Leprosen–Heilung in die Legende verknüpft die latro– eremita–Problematik mit der Transliminalität von Aussätzigen, die uns später beschäftigen wird. Die Moral der Geschichte scheint also von einer gewissen Dialek1

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Zum kritischen Text der Bollandisten siehe LEGENDA ALBANI (AB 5–8, 444–456); zum Inhalt und zur Interpretation vgl. DORN, Der sündige Heilige, 84–86 mit wichtigem Material in den Anmerkungen. Die Details bespricht DORN, Der sündige Heilige, 85–86.

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tik geprägt zu sein: Wenn selbst ein so verwickelter Fall wie der des Albanus letztlich doch noch an ein gutes Ende kommt, dann scheint die eremitische Verbrechenssühne grundsätzlich möglich zu sein. Ein billiger Sühneweg ist damit freilich nicht aufgetan: Er kann wie bei der Königstocher scheitern oder wie bei Albanus dann doch eine blutige Buße erforderlich machen. (2) Eine vom Motivschatz her ähnliche Legende wird über Julianus hospitator1 berichtet: Auf einer Jagd prophezeit ein Hirsch dem jugendlichen Julianus, er werde bald zum Mörder seiner Eltern werden. Verschreckt flieht der junge Mann ins Ausland, um der Prophezeiung zu entfliehen, und macht damit genau den Schritt zur Erfüllung der Prophezeiung. In einer fernen Gegend bekommt Julianus die Gelegenheit, ein adeliges Burgfräulein zu retten und schließlich zu ehelichen. Doch das Schicksal bricht alsbald in die Ehe–Idylle ein: Die Eltern Julians haben sich inzwischen auf die Suche nach ihrem Sohn gemacht und gelangen an die Burg des Ehepaares. Julianus ist abwesend, als die Eltern an der Burg klopfen und die Frau ihres Sohnes kennen lernen. Als vorbildliche Gastgeberin bietet diese ihnen das eheliche Schlafzimmer an, damit sie sich von den Reisestrapazen erholen können. Als die Hausherrin dann in die Kirche geht, um die Messe zu besuchen, kehrt Julianus nach Hause zurück, sieht ein Paar im Ehebett und glaubt, es wäre seine Frau beim Ehebruch. Voll eifersüchtiger Wut tötet er das vermeintlich ehebrecherische Paar, in Wirklichkeit seine Eltern, und erfüllt damit die Prophezeiung. Seine Tat versucht Julianus dann zu sühnen, indem er einen translimitischen Ort aufsucht – eine abgelegene Herberge an einem Fluss am Ende der Welt – wo nur translimitische Personen wie Arme, Pilger, Flüchtende, Kranke etc. vorbeikommen. Zusammen mit seiner Frau, die ihn freiwillig in die Ferne begleitet, führt Julianus ein anachoretisches, semi–eremitisches Leben mit caritativen Aspekten. Er rettet einen halb erfrorenen Aussätzigen, der sich als alter Christus entpuppt. Nachdem Julianus seine Schuld gesühnt hat, stirbt er, zusammen mit seiner Frau, mit Gott versöhnt. Vor dem 15. Jahrhundert kann für die eigentümliche Legende keine eigenständige kultisch–liturgische Verankerung eruiert werden. Ihrer Beliebtheit hat die Kultarmut allerdings keinen Abbruch getan: Neben der altfranzösischen Version, die kurz vor 1267 entstanden ist, sind zahlreiche lateinische Versionen der Legende belegt; die Erzählung wurde in die 'Legenda aurea' und ins 'Passional' aufgenommen.2 Gegenüber der Albanus–Legende sticht vor allem der optimistische Zug der Julian–Erzählung ins Auge: Julian errichtet einen translimitisch– 1

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Umfassend über Person und Legende informiert GAIFFIER, S. Julien l'Hospitalier, 145–219. Zur lateinischen Legendenversion nach einer Handschrift aus Brügge, der wir hier folgen: LEGENDA JULIANI (AB 63, 200–219). Weitere Details bei DORN, Der sündige Heilige, 98–100. Für die Wirkungsgeschichte der Legende siehe etwa die volkssprachliche Variante in: ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Winterterteil 132 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 304rb–307va).

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anachoretischen Sühneort, der sich als segensreiche Herberge für translimitische Grenzgänger erweist. Seine Elterntötung wird ihm schließlich durch die Begegnung mit Christus in der Gestalt eines Leprosen vergeben. (3) Eine dritte Legende – die Geschichte des Elternmörders Baldus – stellt den glücklichen Ausgang einer eremitischen Verbrechenssühne noch deutlicher ins Licht: Baldus unternimmt nach einem Elternmord eine Bußwallfahrt ins Heilige Land zum Grab Christi und zieht danach nach Rom weiter. In seine Heimatstadt Sens zurückgekehrt wird er vom dortigen Bischof Arthemius zur endgültigen Verbrechenssühne in ein reclusorium eingeschlossen. Arthemius überreicht dem Baldus anlässlich seiner Inklusion einen dürren Stab, mit dem Auftrag, diesen täglich zu gießen. Nach vielen Jahren der anachoretischen Buße und des Gießens des Stabes tritt tatsächlich das Unerwartete ein: Das tote Holz schlägt in Blättern und Blüten aus. Der mit Gott versöhnte Eremit stirbt kurz darauf.1 Auch wenn die Baldus–Legende nur regionale Bedeutung in Sens erlangt hat und lediglich eine fragmentarische Vita aus dem 14. Jahrhundert auf uns gekommen ist, so drückt die Erzählung die erfolgreiche Sühne mit dem schönen Motiv des Stabwunders aus, das wir hier nicht übergehen dürfen.2 Nach diesem kurzen Rundgang durch drei Legenden der eremitischen Verbrechenssühne müssen wir ein Fazit ziehen: Obschon die legendarischen Texte keinen unmittelbaren Blick auf die Soziologie der mittelalterlichen Verbrechenssühne freigeben, so sind sie als Zeugnisse translimitischer Theologie bemerkenswert. Sie zeigen, dass man in der mittelalterlichen Stadtkultur nicht nur Exekutionsriten im Sinne einer blutigen Verbrechenssühne entwickelt hatte, sondern auch eine Ideologie der unblutigen, translimitischen Verbrechenssühne kannte. Unter Rückgriff auf das antike Ödipusmotiv, die Soteriologie des Alten und Neuen Testaments – insbesondere des Christusereignisses –, sowie unter Anregung normativer Eremiten– und Mönchsbiographien der 'Vitas Patrum' entstanden hagiographisch reich orchestrierte Legenden der anachoretischen Buße. Wie viel Menschen tatsächlich ihre Missetaten in einem reclusorium abbüßten, muss im Rahmen einer spiritualitätsgeschichtlichen Studie offen bleiben. Wenn wir aber die rund 5% entflohenen Kapitalverbrecher, denen es gelang, sich durch Flucht einer Exekution zu entziehen – wie uns etwa die 'Earliest Lincolnshire Assize Rolles' bezeugen3 –. als einen gewissen Richtwert nehmen, dann dürfte es tatsächlich Einzelfälle von latrones gegeben haben, die sich vermöge eines Rückzugs in eine anachoretische Zelle außerhalb der Städte selbst dann schadlos halten konnten, wenn sie entdeckt wurden, weil man ihren Anachoretenstatus als ein Äquivalent zu einer juristisch ver1 2 3

Siehe VITA BALDI (AASS Oct. 12, 879–880). Zur Inhaltsangabe siehe auch DORN, Der sündige Heilige, 100–101. Details hierzu bietet DORN, Der sündige Heilige, 101, mit Hinweisen in den Anmerkungen. Siehe die EARLIEST LINCOLNSHIRE ASSIZE ROLLS (Stenton) und die Auswertung der Zahlen bei POOLE, Obligations of society, 82–84.

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hängten Strafe akzeptierte. Die eigentliche Bedeutung der Legenden lag freilich auf einer anderen Ebene: Sie dienten der kollektiven Vergewisserung, der allgemeine Heilswille Gottes beziehe sich tatsächlich auf jeden Menschen, und die Erlösung durch Christus gelte im Extremfall selbst für einen Schwerverbrecher.1

1

Ähnlich spricht sich auch DORN, Der sündige Heilige, 145–151 aus: Die Legenden dienten sowohl dem Gotteslob als der „Erbauung“.

9.3.

Translimitische caritas – zwischen Hospital und Robin Hood

9.3.1. Kranker als Quasi–Anachoret Bis heute kündet die Redensart „jemanden wie einen Aussätzigen behandeln“ sowohl von der marginalisierten und translimitischen sozialen Position, in die ein Mensch durch Aussatz gerät, als auch von der Möglichkeit, den Begriff Lepra zur sozialen Stigmatisierung einer Person zu nutzen. „Aussatz“ referiert im modernen Sprachgebrauch auf die Krankheit 'Morbus Hansen', eine chronische Infektion mit dem mycobacterium leprae, die bei geschwächter Immunreaktion in einem lepromatösen oder tuberkuloiden Schub akut ausbrechen kann.1 Allerdings hat die moderne klinische Lepra mit dem mittelalterlichen Phänomen des Aussatzes nur bedingt zu tun: Zwar waren unter den Aussätzigen des Mittelalters gewiss Menschen mit einer mycobacterium–leprae–Infektion (die Bestimmung des genauen Prozentsatzes bleibt pure Spekulation), aber die lateinische Bezeichnung lepra, mittelhochdeutsch miselsucht – ist im Mittelalter kein klinischer Begriff aus der Welt des Mikroskops und Labors, sondern ein translimitischer Begriff, der sich auf eine Vielzahl von korrosiven Erkrankungen bezieht, welche die limitische Kontur des Menschen – das heißt das Ensemble von Haut, Gesicht, Nase, Sprechorganen, Genitalien, Händen und Füßen – sichtbar, dauerhaft und meist mit progressivem Charakter entstellen und dadurch die soziale Kommunikation massiv beeinträchtigen.2 Aus diesem Grund sind die Ergebnisse der älteren Forschung, die meist auf dem Hintergrund eines biomedizinischen oder soziologischen Modells formuliert wurden, das diesen Umstand nicht oder kaum berücksichtigt, mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Erst in neuester Zeit hat sich eine kulturgeschichtliche Betrachtung des Themas durchgesetzt, die zum Teil zu neuen Einsichten gelangt.3 Wenn aber auch schon die ältere Forschung dem leprosus einen gewissen translimitischen Status zuschreibt, dann hat sie damit durchaus Recht. Es gibt in der Tat 1

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Zum lepromatösen und tuberkuloiden Erscheinungsbild siehe die Bilder von RAWCLIFFE, Leprosy, 18; zum Morbus Hansen siehe 1–8 mit wichtiger englischsprachiger medizinischer Literatur in den Fußnoten. Zum translimtischen, nicht–klinischen Charakter der Lepra in der Bibel und im Mittelalter siehe HULSE, Nature of Biblical Leprosy, 87–105. Zum populären Missverständnis der Lepra als Teil des „finsteren Mittelalters“ siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 13–17; zum älteren bio–medizinischen Modell 17–29; zur missionstheologischen Auffassung 29–34; zur literatur–kulturgeschichtlichen Anschauung 37–39. Zu weiteren Missverständnissen siehe ARNOLD, Paradoxes and Misconceptions, 647–650.

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eine Nähe des leprosus zur mulier luxuriosa und zu den latrones.1 Oder um es gleich mit einem drastischen Beispiel anschaulich zu machen: Ein nasenloser Mensch, ein denastus, konnte im Mittelalter entweder ein latro sein, der mit Verstümmelung bestraft worden war, oder aber ein leprosus, dessen Gesicht durch seine Krankheit entstellt wurde.2 Um die Bewertung der lepra und ihres translimitischen Charakters im Mittelalter nachvollziehen zu können, ist es angeraten, die Theorie der mittelalterlichen Medizin kurz zu streifen: Zu den Grundlagen der mittelalterlichen Medizin gehört einerseits das System der drei Geist–Ebenen (spiritus) des Menschen, andererseits die sogenannte Humoralpathologie. Zuerst zu den Geist–Ebenen: Konsumierte Nahrung und Flüssigkeiten werden vom Magen–Leber–Verdauungstrakt in das „naturale Lebenssystem“ des Menschen hinein assimiliert und zirkulieren als vier Säfte auf einer fein–körperlichen „natürlichen Ebene“ (spiritus naturalis). Wenn im Herz–Lungen–System einer der Säfte, das Blut, mit Luft vermischt wird, dann ergibt sich hier gleichsam eine Umschaltstelle zum „vitalen System“ (spiritus vitalis). Die dynamischen Prozesse dieses vitalen Systems steigen die Wirbelsäule empor, passieren das neuronale rete mirabile und erreichen schließlich das „seelische System“ des Gehirns (spiritus animalis). Die angesprochenen vier Körpersäfte der mittelalterlichen Humoralpathologie sind Blut (sanguis), Schleim (phlegma), gelbe Galle (cholera) und schwarze Galle (melancholera). Seit dem Sündenfall ist allerdings das Transformations–System der drei spiritus und das Fließgleichgewicht der vier humores gravierend gestört. Durch genetische Belastungen sowie durch interne und externe Störungen gerät das Lebenssystem Mensch immer wieder außer Kontrolle und bildet Krankheiten aus.3 Auf diesem Hintergrund definierte man im Mittelalter die lepra: Sie ist ein innerer Faulprozess des Körpers, der vor allem durch fehlgeleitete schwarze Galle in Gang gehalten sowie vom Körper auf seine limitische Kontur – Haut, Gesicht, Nase, Sprechorgane, Genitalien, Extremitäten – abgeleitet wird und diese schließlich „durchbricht“.4 Man vermutete eine genetische Disposition zur lepra oder hielt eine „falsche“ Zeugung für eine mögliche Ursache, bei welcher der Fötus mit Menstruationsblut in Berührung kam, schädliche Mars–Saturn–Mond–Konstellation auf ihn einwirkten oder die Eltern der Prostitution, Sünde oder Häresie frönten. Ansonsten machte man in erster Linie Ansteckung, falsche Ernährung, Stoffwechselstörungen, astrologische Einflüsse,

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Zur ausführlichen Diskussion um die Anwendbarkeit des turner'schen Modells der Liminalität siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 42–43, mit wichtiger Literatur in Anm. 131–137. Siehe hierzu GROEBNER, Losing Face, 1–15 und RAWCLIFFE, Leprosy, 140–142. Zur spiritus–Lehre und Humoralpathologie vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 64–72 und Medicine and Society, 29–57. Der mittelalterliche Basistext der Humoralpathologie ist AVICENNA, Canon medicinae 1 (Goehl, 74–124). Vgl. hierzu DEMAITRE, Description and Diagnosis, 327–344.

Translimitische caritas

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psychosomatische Fehlhaltungen, habituelle Sünden sowie ungezügelten, unzüchtigen Sex mit Prostituierten oder leprösen Personen dafür verantwortlich.1 Auf der Grundlage des Alten Testaments, insbesondere des Tun–Ergehens– Zusammenhangs, erhellte unmittelbar, dass lepra ein sichtbares Zeichen von Sünde und Frevel darstellt. Wer die limitische Kontur und Struktur des Gesetzes Gottes brach, musste sich nicht wundern, wenn lepra die limitische Kontur und Struktur seines Körpers affizierte: Schon die Ägypter wurden im Rahmen der 'Zehn Plagen' mit Aussatz geschlagen, als der Pharao die Mose–Gruppe nicht ziehen lassen wollte. Als Usija hochmütig den Amtsbereich der Priester beschnitt, schlug ihn der Herr mit Aussatz auf der Stirn (2 Chr 26,16–21). Als sich Miriam eigener Gottesoffenbarungen rühmte und Mose übel nachredete, wurde sie vor Aussatz „weiß wie Schnee“ (Num 12,1–16); ebenso Gehasi, als er den Elischa dreist betrog und belog (2 Kön 5,20–27). Auf diesem Hintergrund sind die de–leproso–amovendo–Bestimmungen von Lev 13,46 verständlich: Lepröse Sünder müssen eruiert, proklamiert und vom Volksverband exkludiert werden; erst wenn sie rein sind, dürfen sie in die Volksgemeinschaft zurückkehren.2 Obschon das Mittelalter diese Gleichung „translimitischer Gesetzesbruch entspricht translimitischer Krankheit“ aus dem Alten Testament übernahm, verbot sich letztlich die einseitige Kriminalisierung der lepra: Trug nicht Ijob seinen Aussatz als Gabe und Prüfung?3 War denn nicht der Gottesknecht als quasi leprosus gedemütigt, aber in dieser Niedrigkeit gleichzeitig bei Gott erhöht, wodurch er stellvertretend Sühne leisten konnte? Erschien nicht Jesus in seinem Erlösungswerk quasi leprosus, als die Schärgen die limitische Kontur seines kostbaren Leibes während der Passion mit unzähligen Wunden versehrten? Lepra konnte also nicht nur eine Sündenkrankheit, sondern musste auch ein göttliches Leiden sein: Wer den verunstalteten Körper eines leprosus betrachtete, schaute durch ihn gleichzeitig auf den Leib des Gekreuzigten.4 Auch für den leprosus selbst hatte die lepra zumindest im Vergleich zu anderen Krankheiten zwei Vor1

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Zu mittelalterlichen Theorien möglicher lepra–Ursachen vgl. ELL, Blood and Sexuality, 154– 164; ELL, Diet and Leprosy, 113–129, LESSHAFFT, Krankheits– und Therapiekonzepte, 11; RAWCLIFFE, Leprosy, 78–103; ZIAS, Lust and leprosy, 27–31. Zur Bedeutung der Leviticus–Passage und den de–leproso–amovendo–Bestimmungen siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 110–112 und LEWIS, A Lesson from Leviticus, 593–612. Zum biblischen Hintergrund insgesamt siehe BROWNE, Leprosy in the Bible und HULSE, Nature of Biblical Leprosy, 87–105. Zur typologischen Parallele Ijob–Christus vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 36v–37r) und die Erläuterungen von OSTEN, Job and Christ, 153–158. Den schönen Leprosen–Ijob des Lütticher 'Musée d'Art Religieux' bildet ROMBACH–GEIER, Spuren, 21 ab. Auch Dürers Ijob des Jabach–Altars ist mit einer Referenz auf Lepra und/oder Syphilis gestaltet; siehe hierzu JACOBY, A note on Jabach Altarpiece, 47–62. SCHELBERG, A patron saint for leprosy sufferers?, 16–34 warnt allerdings vor Übertreibungen: Der Job leprosus bildet nicht den Hauptstrang der Ijob–Ikonographie, sondern stellt lediglich ein Seitenthema dar. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 60–64. Besonders aussagekräftig ist das Bild (Abb. 5) auf Seite 62: Ein leprosus kniet vor dem Christus quasi leprosus; die Blicke und Gesten der Personen bezeugen eine „compassionale Kommunikation“ zwischen den Beiden.

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teile: Lepra verdunkelte den Geist nicht, wie massive psychische Leiden, und ermöglichte daher ein Leben der Buße und Beichte, wozu man ja bei klarem Verstand sein musste. Lepra war zudem eine langsame und persönliche Krankheit, während die Pest galoppierend und im Kollektiv dahinraffte.1 Diese Ambivalenz in der Bewertung der lepra – die gleichzeitige Wahrnehmung eines negativen Sündenaspektes und einer positiven quasi–sakramentalen Dimension – bildet sich auch in der Reaktion der mittelalterlichen Umwelt auf den leprosus ab: trotz einer gewissen Irritation letztlich symbiotisch–kooperativ.2 Bis zur Ankunft der Pest 1349 kam es in Europa zu unzähligen Leprosorien– Stiftungen, oft von Angehörigen der an lepra erkrankten Personen. Der große Vorteil bei der Stiftung eines leprosorium war, dass die erforderliche Geldsumme vergleichsweise gering war und daher auch von Angehörigen des Mittelstandes aufgebracht werden konnte.3 Der geistliche Nutzen für die Stifter und Gönner war enorm: Die Krankheit des leprosus war ein willkommener Anlass für die Fürsorge der Stifter und Pfleger. Weil der leprosus Medium für den Christus quasi leprosus war, konnte man hier caritativ tätig werden und unmittelbar sein Seelenheil befördern. Mit dem leprosus arbeitete man Hand in Hand: Der leprosus befand sich in einer Art Fegefeuer auf Erden (purgatorium in terram) und durfte schon im Voraus Buße tun. Stifter und Pfleger halfen dem leprosus, diese Rolle so gut als möglich auszuüben, was dieser in der Fürbitt–Währung von Ave–Maria und Pater–noster seinen Wohltätern zurückerstatten konnte.4 Dieser geistlichen Kommunikation zwischen leprosus und der Gesellschaft entsprach eine umfangreiche lepra–Theologie, die hier mit einigen Schlaglichtern ausgeleuchtet werden muss: (1) In 2 Kön 5 wurde die 'Reinigung des Naaman' auf eine Weise erzählt, die eine allegorisch–moralische Exegese nahezu aufdrängte: Der Prophet Elischa trägt dem aussätzigen Naaman auf, sich sieben Mal im Jordan zu waschen. Naaman braucht allerdings eine zweite Ermahnung, bis er sich zu dieser demütigenden Übung entschließen kann. Durch die Allegorese hat man aus dieser Episode eine geistliche Bedeutung herausgeschält: Die eigentliche lepra versehrt nicht die Haut, sondern die Seele, nämlich in der Form der sieben Todsünden, von denen man im Sakrament der Taufe und/oder Buße gereinigt wird. Auch wenn der äußere Aussatz nicht immer zu heilen war, so konnte man doch ohne den Aussatz der Seele vor den Richter treten.5 1 2 3 4

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Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 53. Zum abivalenten Verhältnis siehe LESSHAFFT, Krankheits– und Therapiekonzepte, 12 und RAWCLIFFE, Leprosy, 133–142. Zu den Gründungen in England siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 104–110. Zum „geistlichen Nutzen“ siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 142–154. Zur Vater–Unser–Verpflichtung der Insassen siehe SCHORK, Das Wormser Gutleuthaus, 18, wo die Reeser Siechhausordung (1498) zitiert wird. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 125–127. Zur Naaman–Waschung im Kontext der Tauf–Theologie vgl. SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS (Handschrift 2505, f 24v–25r).

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(2) Die Leprosen–Heilung von Lk 17,12–19 bzw. von Mt 8,1–4 (die an prominenter Stelle, nämlich unmittelbar nach der Bergpredigt erfolgt) wurde im Mittelalter nicht nur individuell, sondern vor allem auch ekklesiologisch aufgefasst: Im Tiefsten sind alle Menschen nach dem Sündenfall leprosi und harren auf den Christus medicus, damit sie vom Aussatz der Sünde geheilt werden.1 (3) In Lk 16,20 wird von einem „mit Wunden versehrten“ Lazarus berichtet, der unter einem unbarmherzigen Reichen zu leiden hat. Den Reichen bringt die Unbarmherzigkeit nach dem Tod in die Hölle, während der arme Lazarus sofort in den Himmel aufgenommen wird.2 Diese Dives–et–Lazarus–Geschichte wurde legendarisch gekonnt ausgebaut; sie führte potentiellen Stiftern von Leprosorien anschaulich vor Augen, welche Verantwortung sie für die leprosi der Stadt zu tragen hatten.3 (4) Auf dem Hintergrund der Dives–et–Lazarus–Episode ließ sich, ähnlich wie bei Maria Magdalena, eine Lazarus–Kollektiv–Person schaffen: Lazarus von Bethanien (vgl. vor allem Joh 11,1–45) war krank und zudem mit einem Simon leprosus bekannt. Es lag also durchaus nahe zu vermuten, Lazarus habe selbst an lepra gelitten, was seinen Tod umso verständlicher machte. Die legendarisch abgerundete Geschichte samt Auferweckung konnte dem mittelalterlichen leprosus in der Tat ein wirkmächtiges Hoffnungszeichen vor Augen stellen: Die hebräische Form des Namens bedeutete „Gott hat geholfen“, was die Lebensgeschichte des Lazarus nur bestätigte. Lazarus von Bethanien, Bruder von Maria und Martha ist ein besonderer Freund von Jesus. Als er an lepra erkrankt und stirbt, bleibt Jesus nur scheinbar abwesend. Wider den Anschein von Verlassenheit bleibt Gott in Jesus Christus dem leprosus aus Bethanian stets zugewandt. Daher wird er nach seinem Tod alsbald von Jesus auferweckt und sein versehrtes Fleisch wiederhergestellt. Mit seiner Schwester Maria Magdalena reist er nach dem Pfingstfest nach Marseille und wirkt dort bis zu seinem Tode als Bischof. Posthum wurden dem Lazarus unzählige Leprosorien und Hospitäler anvertraut, wovon bis heute der Name „Lazarett“ als fernes Echo kündet.4 1

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Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 111–113. Zum Christus medicus siehe ARBESMANN, The concept of Christus medicus, 1–28. Zum neutestamentlichen Hintergrund siehe KIPP, The Evangelical Use of Leprosy, 165–178. Zur Exegese dieser Stelle siehe BAUCKHAM, The rich man and Lazarus, 225–246. Bemerkenswert ist die Ijob–Lazarus–Parallele, die BAILEY, The New Testament Job, 12–30, heraus arbeitet. Zur Auslegung dieser Passage bei Hieronymus vgl. SCOURFIELD, A note on Jerome's homily, 536–539. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 114–117. Zum exegetischen Hintergrund siehe REINMUTH, Lazarus und seine Schwestern, 127–138 und HOFIUS, Die Auferweckung des Lazarus, 17–34. Zur Rolle des Lazarus in der lepra–Theologie siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 117. Auf Lazarus als dem Patron der „Leprosenbruderschaft des Heiligen Lazarus“ kann hier nicht eigens eingegangen werden; vgl. hierzu JANKRIFT, Leprose als Streiter Gottes sowie Leprosenbruderschaft des Heiligen Lazarus, 341–360. Lazarus–Patronate für deutsche Leprosorien sind bezeugt für Aachen, Bonn, Dülmen, Düren, Ratingen, Wesel, Xanten etc. (NRW) und für Eichstätt, Regensburg, Landshut, Eggenfelden etc. (Bayern), um

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(5) Durch die Schaffung der Lazarus–Figur wurde eine geschwisterliche Verbindung zwischen Maria Magdalena als mulier luxuriosa und Lazarus als leprosus geknüpft. So war es unausweichlich, dass Maria Magdalena ihrem Bruder Lazarus bei seinem Leprosen–Patronat geschwisterlich zur Seite stand: Als Patronin der Apotheker, Prostituierten, Eremiten, Gefangenen, Irren und Akademiker übernahm auch sie in ganz Europa das Patronat für die Leprosorien, für die ihr Bruder gleichsam keine Kapazitäten mehr frei hatte. Zudem gab Maria Magdalenas Austreibung der sieben Dämonen ein treffliches neutestamentliches Pendant zu Naamans siebenfachem Reinigungsbad ab. Als kontemplative Maria machte sie schließlich deutlich, dass ein leprosorium nicht nur der körperlichen Pflege zu dienen habe, sondern die Krankenstube des leprosus auch ein Ort des kontemplativen Gebetes sein solle – eine cella contemplationis.1 (6) Bei der Kreuzabnahme empfingen die Gottesmutter Maria und Magdalena den kostbaren Leib des Christus quasi leprosus zur Waschung und Salbung. Insofern boten die beiden Frauen das perfekte Vorbild für mittelalterliche Frauen aus laikalen Kreisen oder der Beghinenbewegung, durch Waschungen und Salbungen von leprosi eine vita mixta zu beobachten, in der das karitative Handeln einen unmittelbaren Zugang zum Heiland freigab oder in der man durch aktive Krankenpflege zugleich eine kontemplative Passions–Meditation vollziehen konnte.2 Sogar eine Verbindung zwischen leprosorium und reclusorium war denkbar: Hier sei nochmals an Yvette von Huy (1158–1228) erinnert, die in ihrem Leprosen–Hospital im oberen Stockwerk eine Eremitage bezog.3 Neben Lazarus und Maria Magdalena gewährten weitere Heilige in ihrer Lebensgeschichte interessante Anknüpfungspunkte für das Leiden eines leprosus oder ein mögliches Patronat bezüglich eines leprosorium: (1) Ein wichtiger Heiliger, der nicht nur für latrones sondern auch für leprosi ein Herz hatte, war Franziskus: Er überwand seinen Ekel vor dieser Krankheit und entdeckte im leprosus den Christus quasi leprosus.4 (2) Beim Märtyrer Bartholomäus liegt die Verbindung unmittelbar auf der Hand: Die furchtbare Folter der Häutung des Bartholomäus bot sich zur Verknüpfung mit dem Leiden eines Leprakranken geradezu an. Schaute der Leprakranke auf Bartholomäus, so konnte er erkennen, dass auch die Schmerzen seines Leidens nicht umsonst, sondern Nachfolge Christi waren.5

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hier nur zwei Bundesländer heraus zu greifen; siehe hierzu BELKER VAN DER HEUVEL, Nordrhein–Westfahlen und Bayern. Siehe hierzu RAWCLIFFE, Leprosy, 117–123. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 142–154. Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 149 und COCHELIN, Sainteté laïque, 339–417. Zu Franziskus und dem Aussatz siehe MANSELLI, Franziskus, 42–48 und ZAHNER, Franz von Assisi, 57–60. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 124–125. Mehrere Batholomäus–Predigten aus dem 13. Jahrhundert

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(3) Der Heilige Martin konnte zum Patron der leprosi werden, weil in manchen Versionen der 'Mantel–Spende' der arme Bettler, der den halben Mantel empfing, ein leprosus war. Insofern gab Martin ein Beispiel, dem Stifter, Förderer und Gönner von Leprosorien nacheifern konnten.1 (4) Mit zur Gründungslegende der Kathedrale von Saint–Denis gehört die 'Geschichte des Saint Ladre', eines heiligen latro mit lepra, der durch das wundersame Eingreifen von Christus seine translimtische Isolierung zu überwinden vermochte: Ladre war ein Aussätziger, der gerne am Gottesdienst in St. Denis teilgenommen hätte, sich aber seiner abstoßenden Wirkung auf die Menschen durchaus bewusst war. Um dennoch den heiligen Ort betreten zu können ohne Anstoß zu erregen, schlich er sich am späten Abend unbemerkt in die Kirche und ließ sich für die Nacht über einschließen. Mitten in der Nacht kamen dann, zum Erstaunen von Ladre, Heilige aus dem Himmel in einem Lichtstrahl herabgestiegen und feierten für ihn eine Privatmesse. Als dann von Christus der Auftrag an Ladre erging, er solle die Autoritäten der Stadt aufsuchen und vom nächtlichen Geschehen berichten, lehnte er mit dem Hinweis auf seine abstoßende und Angst einflößende lepra ab. Christus nahm Ladre daraufhin die aussätzige Haut vom Gesicht und warf sie an den Stein – an eine Stelle des Kapitells, wo bis zum heutigen Tag ein Relief– Gesicht erkennbar ist. Ladre war geheilt.2 Der heilige Ladre avancierte zum Patron französischer Leprosorien, so etwa in Mons.3 (5) Auch eine posthume Episode aus dem Umfeld des Heiligen Leonhard zeigt, wie ein leprosus über die Ergreifung des eremitischen Berufs gesunden und seine translimitische Rolle fruchtbar machen konnte. Zeit seines Lebens hat sich Leonhard, der lieber Einsiedler geblieben wäre als Bischof zu werden, von seiner Zelle aus für gefangene latrones und Krüppel eingesetzt. Nach seinem Tod kann er zudem einem leprosus zur umfassenden Freiheit verhelfen: Als Rampnaldus eines Tages Aussatz bekommt, weiß er sofort, was zu tun ist. Er bejaht den translimitischen Status, der ihm durch die lepra äußerlich angezeigt wird, indem er in eine Zelle zieht, die an die Abtei Noblac angeschlossen ist – dem von Leonhard ge-

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über das Zitat aus Ijob 2,4: „pellem pro pelle“ bespricht BÉRIOU, Pellem pro pelle, 267–284, und zeigt, wie sie in ihrer allegorischen Auslegung auf die Bedürfnisse der Hörer eingehen. Bartholomäus–Patrozinien sind etwa bezeugt für die Leprosorien von Freyberg und Wittenberg (Sachsen–Anhalt), für Gießen (Hessen) sowie für Hollfeld und Landshut (Bayern); siehe hierzu BELKER VAN DER HEUVEL, Sachsen–Anhalt; Hessen und Bayern. Zur Breitenwirkung des Bartholomäus–Bildes im 15. Jahrundert vgl. auch ELSÄSSISCHE LEGENDA AUREA, Sommerteil 36 (Cod. Pal. Germ. 144, fol. 82rb–84vb). Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 144. Martins–Patrozinien sind in Deutschland sehr selten, beispielsweise in Saalfeld (Thüringen); siehe hierzu BELKER VAN DER HEUVEL, Thüringen. Zur Legende des Saint Ladre (oder Saint Pérégrin, wie er auch genannt wurde) vgl. LOMBARD– JOURDAN, Saint–Denis, 189–233 und LIEBMAN, La consécration légendaire, 252–264. Zum Ladre–Patronzinium von Leprosorien vgl. KEYZER, La léproserie Saint–Ladre de Mons, 3– 18 und Une léproserie en mutation, 3–25.

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Mittelalterliche Stadt gründeten Kloster, das seine Reliquien besitzt. Ganz der Transzendenz hingegeben sieht Rampnaldus schon bald in einer ersten Vision, wie sich direkt über dem Leonhards–Altar eine Himmelsleiter mit auf– und absteigenden Engeln zeigt. Etwas später sieht er in einer zweiten Vision den Heiligen Leonhard auf einem Lichtstrahl herniederkommen, und ihn vom Aussatz heilen. Kein Wunder, dass man im Mittelalter zahlreiche Leprosorien dem Heiligen Leonhard anvertraute, im festen Vertrauen, im Heiligen Leonhard einen wirkmächtigen Patron zur Seite zu haben.1 Den leprosi, die nicht wie Saint Ladre oder Rampnaldus eines Heilungswunders teilhaftig wurden, blieb hingegen meist nur der Weg in ein leprosorium, ein translimitischer Ort jenseits der Welt, den wir uns nun genauer ansehen müssen.

Die ältere Forschung hatte – aufgrund einer starken Betonung der Morbus–Hansen– Ansteckungsgefahr oder von einer institutionskritischen Warte aus – die Exklusion und Inklusion von leprosi übertrieben: Die weltlichen und kirchlichen Autoritäten hätten die leprosi systematisch aus ihrem Verband ausgeschlossen und in Leprosorien wie in Internierungslagern eingeschlossen.2 Bei einer hermeneutisch–kritischen Lesart der Quellen ergibt sich indes ein differenzierteres Bild: (1) Eine deutliche Trennungsmaßnahme ist im Canon 32 des 3. Laterankonzils des Jahres 1179 greifbar. Es ist berechtigt, in diesem Zusammenhang von einem Projekt der Koinobitisierung von leprosi zu sprechen. Der Canon des Konzils und die späteren Ausführungsbestimmungen zielen auf die flächendeckende Errichtung von Leprosorien mit Wohntrakt, eigener Seelsorge (Kapelle, Friedhof, Priester) sowie einer autarken Landwirtschaft nach monastischem Vorbild.3 Hinweise auf eine Kasernierung oder Diskriminierung lassen sich indes kaum finden: Ein Leprose wird in den Verband entweder als professus eingegliedert oder als conversus mit dem Versprechen der Einhaltung der Haus–Ordnung aufgenommen. Der Insasse hat ein Recht auf die Anrede als Bruder bzw. Schwester und wird nach seinem Ableben in einem Nekrologium geführt. Als Angehöriger eines geistlichen Verbandes ist er zum Tragen eines Habits sowohl berechtigt wie verpflichtet. Durch dieses Kleid wird sein translimitischer Status bezeichnet, ohne ihn jedoch pejorativ zu diskriminieren, wie das etwa bei der farblichen Markierung von Juden mit einer tabula der Fall war.4 Interessant ist besonders, wie man bei der Monastifizierung/Eremitisierung eines leprosus vorging, der verheiratet war: Man erwartete von einem Insassen eines leprosorium einen zölibatären Lebensstil, betonte aber das Fortbestehen des Ehebandes. Aufgrund dieser ehelichen Verpflichtung ent1

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Zur Legende und ihrer Interpretation siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 124. Leonharts–Patrozinien treten besonders in Bayern gehäuft auf – etwa in Rothenburg, Dinkelsbühl, Nürnberg, Augsburg und Fürstenfeldbruck; siehe hierzu BELKER VAN DER HEUVEL, Bayern. Vgl. vor allem RAWCLIFFE, Isolating the Medieval Leper. Zu den kanonistischen Bestimmungen siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 255–270. Zur Bedeutung des 3. Laterankonzils für die Leprosenfrage siehe AVRIL, Le IIIème concile du Latran. Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 263–265 und JÜTTE, Stigma–Symbole, 66–99.

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schied sich der Ehepartner oft, als Gefährte und Pfleger mit ins leprosorium zu ziehen – übrigens ein weiterer Beweis für den im Vergleich mit dem mittelalterlichen Umfeld durchaus komfortablen und sicheren Leben, das zumindest ein gut geführtes leprosorium gewährte. Das Leben im Leprosenhaus konnte für einen gesunden Ehepartner durchaus eine attraktive alternative Lebensform darstellen.1 (2) Neben dem kirchlichen kannte auch das weltliche Recht eine Trennung des leprosus von der Gesellschaft: Wurde ein Mensch offiziell zum leprosus erklärt und/oder durch den Eintrittsritus in den Leprosenstand überführt, so war er für das weltliche Recht tot und lebte extra communiam gentium. Alle Rechte, Bindungen und Haftungen bis zum Proklamations–/Eintrittstag blieben erhalten; von diesem Tag an war der leprosus Person des kanonischen Rechts.2 Wir können also für die Exkludierung/Inkludierung des translimitischen leprosus festhalten: Ein Leprose hatte durch seine Krankheitssymptome augenscheinlich einen translimitischen Status auf einer primären Ebene aufgedrückt bekommen, den die mittelalterliche Gesellschaft aufzugreifen trachtete, um ihn durch sozio–religiöse Mechanismen auf einer sekundären Ebene zu verarbeiteten. Man war insbesondere bestrebt, den leprosus rituell zu markieren und ihn in einem genau definierten translimitischen Zustand unterzubringen. Dahinter steckte eine gewisse Angst vor Verschmutzung (miasma) durch oder Ansteckung (contagio) mit lepra, insbesondere wenn man sich vorstellte, dass der Leprose mit Nahrung in Berührung kam, mit Kindern interagierte oder es um die Frage des sexuellen Verkehrs ging. Andererseits muss man sich hier vor Fehleinschätzungen hüten: Bis zum Schwellenjahr 1349, als die große Pestwelle zu einer neuen Aufmerksamkeit auf das Thema Ansteckung führte, und selbst über dieses Datum hinaus, hielt sich die Angst vor Ansteckung in Grenzen. Man war an einer rituellen Markierung, nicht aber an einer Separierung der leprosi interessiert.3 Ganz im Gegenteil: Es ging darum, mit dem anachoretisch markierten leprosus zu kommunizieren und in dauerhafter Symbiose zu leben. Aus diesem Grund räumte man dem leprosus einen gewissen Entscheidungsfreiraum ein, wie er seinen translimitischen Status ausgestalten wollte: Der Bischof von Norwich hatte beispielsweise im Jahre 1256 testamenta1

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Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 267–270. SCHORK, Das Wormser Gutleuthaus, 17 wertet die Siechenhausordnungen von Worms (1414) und Reese (1497) aus: Ehepartner wohnten zusammen, hatten aber getrennte Betten; Sexualverkehr war untersagt und wurde mit Pfründeverlust geahndet. Die günstigen Bedingungen in Hagenau bezeichnet CLEMENTZ, Nus in das hus, 24 als „Drei– Sterne–Leprosorium“ mit guter Küche und Badstube. Ein spannendes lepra–Gespräch zwischen Eheleuten analysiert BERGMANN, Hoping against hope?, 23–48. Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 271–274. Zum kanonischen Status siehe MERZBACHER, Die Leprosen im alten kanonischen Recht, 27–45. Zum Problem der Ansteckung siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 90–95; 274–284 und LESSHAFFT, Krankheits– und Therapiekonzepte, 13. In manchen Hospitälern, wie etwa im Gutleuthaus zu Worms, hatte man keine Probleme, Lepröse mit anderen Insassen zusammen zu beherbergen; vgl. hierzu SCHORK, Das Wormser Gutleuthaus, 15. Zur vormodernen Ansteckungsproblematik insgesamt vgl. auch den Sammelband von CONRAD/WUJASTIK, Contagion.

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risch eine größere Stiftungssumme zur Unterstützung von leprosi hinterlassen, egal ob diese ihre Transliminalität nun in der vita communis eines leprosorium oder aber als Einzel–Reklusen im eremitagium leben wollten.1 Als der englische Franziskaner Thomas Wyke im Jahre 1392 eine so starke lepra entwickelte, dass seiner Kommunität ein weiteres Zusammenleben mit ihm nicht mehr zugemutet werden konnte, schlug man Thomas vor, entweder in ein leprosorium einzutreten oder aber Eremit zu werden.2 Für die Trennung von der Welt und Eingliederung ins leprosorium stand ein Ritus zur Verfügung, der eine interessante Strukturanalogie zur Reklusionsliturgie aufweist. Es sind diverse Riten auf uns gekommen, etwa aus Trier oder aus Frankreich.3 Für die folgende Durchsicht ziehen wir ein Beispiel aus dem Pariser Rituale von 1497 zu Rate: (1) Unter Absingen der Sieben Bußpsalmen wird der Leprose in die Kirche geleitet. Dort empfängt er das Sakrament der Buße und feiert, auf einem Katafalk kniend, zusammen mit der Gemeinde die Messe, einschließlich Kommunionempfang. (2) Danach zieht man in einer Prozession zum Friedhof. Der leprosus begibt sich in ein ausgeschaufeltes Grab und wird mit Erde bestreut. Nach Empfang der gesegneten Klapper und des Habits, nach seiner Einkleidung und der Tonsur, wird er schließlich ins Leprosorium verbracht. (3) Der Zelebrant deutet in einer exhortatio die Lebensform des Leprosen: Er befindet sich durch seine Krankheit schon auf Erden im Fegefeuer. Mit den anderen Gliedern der Kirche ist er durch wechselseitiges Fürbittgebet auf besondere Weise verbunden und erfüllt damit eine besondere Sendung und Berufung.4 Durch die Analyse der Reklusionsliturgie sensibilisiert fällt die Deutung dieses Leprosen–Ritus nicht schwer: Er ist nicht etwa ein Zeugnis einer sozialen Unterdrückung oder einer Tilgung aus dem kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft, sondern dient der symbolisch–performativen Errichtung einer besonderen translimitischen Lebensform inmitten der Gesellschaft. Bezüglich des konkreten Handlungsfreiraumes zeigt sich die Gesellschaft durchaus flexibel, denn der Leprose hat für die Gesellschaft eine Rolle zu spielen, wozu man den Konsens des Leprosen benötigt.5 Weniger flexibel war man hingegen, falls sich der leprosus der skizzierten translimitisch–liturgischen Markierung komplett verweigerte: Ein „zahmer“ Aussätziger oder leprosus bonus feierte die Lepro1 2 3 4 5

Vgl. CLAY, Mediaeval Hospitals, 52–54 und 104. Diesen Fall, der im CALENDAR OF PAPAL REGISTER, 454 überliefert ist, führt RAWCLIFFE, Leprosy, 335 an. Vgl. KYLL, Ein Trierer Ritus, 4–13 und BÉRIAC, Mourir au monde, 245–268. Siehe hierzu BÉRIAC, Mourir au monde, 245–249 Vgl. RAWCLIFFE, Isolating the Medieval Leper. Dass es nicht um eine Tilgung aus dem kulturellen Gedächtnis ging, belegt der massive re–entry des Leprosen in der mittelalterlichen Literatur und Kunst; vgl. hierzu BRODY, The Desease of the Soul; FROHN, Lepradarstellungen; KUDER, Der Aussätzige, 233–271; MARTIN, The Representation of Leprosy, 445–453 und OTT, Miselsuht, 273–283. Die Vorteile des Leprosenstatus konnte so beträchtlich sein, dass manche nicht–lepromatöse Außenseiter auf die Idee kamen, sich als Lepröse auszugeben; siehe hierzu JÜTTE, De iis qui morbum simulant, 25–42.

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senliturgie und trug einen Habit.1 Wilde Aussätzige oder leprosi extranei, die ohne Habit herumliefen und sich nicht symbolisch markieren ließen, sahen sich massivem Druck ausgesetzt. Die mittelalterliche Gesellschaft befürchtete, dass sie einen ungezügelten translimitisch–sexuellen Appetit ausbildeten und damit Staat und Moral untergruben. Sie reagierte mit panischer Furcht und zum Teil massiven Repressionen.2Wie aber schaute der anachoretisch eingefärbte Alltag eines regulierten Leprosen aus? 3 Das leprosorium4 war eine Institution, die ihren Finanzbedarf zum Teil durch Zahlungen der Stadt und von Gönnern decken konnte, einen großen Teil aber auch durch eigene Leistungen aufbringen musste. Im Mittelpunkt des Gelderwerbs stand der Bettel, den man in der Moderne wohl als Fund–Raising bezeichnen würde: Bettel war ein systematisches und regelmäßiges Unternehmen, bei dem die Insassen eines leprosorium ausschwärmten, die Gesellschaft auf ihre Verantwortung für marginalisierte Außenseiter wie leprosi hinwiesen und Spenden in der Form von Geld oder Naturalien einsammelten.5 Dieser Umstand hatte massiven Einfluss auf die geographische Lage eines leprosorium: Viele Häuser befanden sich in den Vororten größerer Städte, das heißt zwar außerhalb aber doch in unmittelbarer Nähe zur limitischen Stadtmauer – an einem Platz, den sich die Leprosen mit Mendikanten, Bettlern, Gefängnisinsassen und Reklusen teilten. Weil Leprosorien für sich werben mussten und zudem als Prestige–Objekt für Stadt und Stifter dienten, waren sie gut sichtbar platziert. Durch das immense Stadtwachstum ab 1350 sind viele Einrichtungen nachträglich so in die Stadtstruktur eingewachsen, dass sie sich bald in einer zentralen Lage wiederfanden.6 Ein anderer Teil der Leprosorien lag zwar tatsächlich abgelegen – wenn wir den Texten Glauben schenken dürfen, sogar aufgrund einer gewissen anachoretischen Wüsten–Romantik7 – aber dennoch an wichtigen Straßenkreuzungen und Brücken. Nur so konnte man Zugang zu Finanzströmen gewinnen.8 1

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Offensichtlich erwartet man nicht in jedem Fall einen stationären Aufenthalt, sondern konnte sich ein ambulantes System vorstellen. CLEMENTZ, Nus in das hus, 23 zeigt, dass man in Hagenau einen Schlafraum für wandernde Leprosen hatte, die für in Anspruch genommene Dienstleistungen ein schlofgelt und ein badegelt bezahlen mussten. Zu den zahmen und wilden Leprosen siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 284–291; zur Verfolgung vgl. den Fall bei BÉRIAC, La persécution des lépreux, 203–221. Zum Alltag der Leprosen siehe HOMOLKA, Lebensgewohnheiten, 151–161. Die Architektur der Leprosorien behandelt LEISTIKOW, Bauformen der Leproserie, 103–149. Zum Bettel vgl. BINIEK, Der Schellenknecht, 4–7. SCHORK, Das Wormser Gutleuthaus, 18 zeigt anhand der Siechenordnung von Reese (1497), dass die Leprosen höchstens drei mal pro Woche, am Sonntag, Mittwoch und Freitag, zum Bettel durften. Im Sommer mussten sie um sieben, im Winter um vier Uhr wieder im leprosorium zurück sein. Siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 307. RAWCLIFFE, Leprosy, 307 sieht bei der Ortswahl eine gewisse „Wüstenväter–Romantik“ am Werke: „As common among female religious as it was among lepers, the desire for a return to the eremitical life of the desert fathers initially proved a powerful factor in determining the choice of location“. Siehe hierzu FRAY, Leprosenhäuser und mittelalterliches Straßennetz, 407–426; FROHN, Sie-

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Leprosorien waren trotz ihrer monastischen Atmosphäre offene Häuser: Untertags konnten Besucher jederzeit eintreten und sich an der Pflege oder am religiösen Leben beteiligen. Insassen verließen in Zweier– oder Dreier–Gruppen das leprosorium, um regelmäßig und systematisch auf Bettel zu gehen.1 In diesem Zusammenhang muss auch ein weit verbreitetes Missverständnis ausgeräumt werden: Die Rassel oder Glocke der leprosi diente nicht der Alarmierung und Warnung vor Ansteckung, sondern als Werbemaßnahme und Attraktionsfaktor, um Menschen zu Spendenzahlungen zu animieren.2 Das Leben der Insassen im Hause kreiste um zwei Pole, die wir mit den Begriffen regimen sanitatis und regimen salutis umschreiben können: Trotz aller Defizienz, die wir von der heutigen Warte aus der mittelalterlichen Medizin zuschreiben müssen, war das regimen sanitatis des leprosorium beachtlich. Die therapeutischen Maßnahmen im Leprosorium umfassten diätische Maßnahmen, Balneo–Therapie, stressfreies geistliches Leben, Kräutermedikamente, Wundpflege und chirurgische Eingriffe inklusive Amputation. Weil man bei lepra eine eiweißreiche Diät für besonders heilsam erachtete, hatte jedes leprosorium eine autarke Landwirtschaft, in der Milch, Geflügel, Eier und Fische, aber auch Getreide für Brot produziert werden konnten. Man braute Bier oder hatte Weingärten. Das regimen sanitatis erforderte zudem größere Mengen an Kräutern für Wundpflege und Heilbäder, die im eigenen Apothekengarten angebaut wurden. Das leprosorium besaß eine eigene Wäscherei. Der Fokus des regimen sanitatis lag also ganz auf einer soliden und kontinuierlichen Grundversorgung.3 Noch wichtiger als das regimen sanitatis, das im Mittelalter trotz aller Einsatzbereitschaft schnell an Grenzen stieß, nahm man das regimen salutis; man ließ ihm eine ganz besondere Sorgfalt angedeihen: Die Ausstattung der Kirche war nahezu immer vorbildlich. Ein leprosorium beobachtete im hohen Maße monastische Gepflogenheiten: Essenseinnahme im Refektorium mit Tischlesung, vier Fasttage pro Woche; regelmäßiges Stundengebet, im Fall von laikalen Insassen mit Ave–Maria und Pater–Noster. Einen Schwerpunkt des pastoralen Dienstes im leprosorium bildete das Predigtwesen, für das

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chenhäuser und Verkehrsstraßen, 143–164 und RAWCLIFFE, Leprosy, 307–314. Als Beispiel: Das Leprosenspital von Hagenau lag zwar deutlich außerhalb der Stadt, aber an der Hauptstraße von Straßburg nach Mainz; siehe hierzu CLEMENTZ, Nus in das hus, 23. Zum „offenen Haus“ siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 319–322. Zur Funktion der Klapper siehe KOLDERWEIJ/VLIERMANN, A remarkable clapper, 86–97. Das populäre Missverständnis findet sich hingegen bei MCCALL, The medieval underworld, 140, wo die berühmte Abbildung aus dem 'Exeter Pontificial' mit „leper ringing her bell to warn others of her presence“ unterschrieben ist. Vgl. RAWCLIFFE, Leprosy, 213–226 für Diätik und Pharmakologie; 226–232 für die Balneotherapie; 232–251 für Aderlass und Amputation; 304–305 für die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln und Kräutern; 332–337 für eine Gesamtevaluation. Zum regimen sanitatis siehe auch ELL, Diet and Leprosy, 113–129; KRUG–RICHTER, Zwischen Fasten und Festmahl, LESSHAFFT, Krankheits– und Therapiekonzepte, 11 LESSHAFFT, Krankheits– und Therapiekonzepte, 11–12; LORCIN, Humeurs, bains et tisanes 259–273, HUTCHISON, Leprosy and Fish–Eating.

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der institutseigene Priester wie auch externe Prediger zur Verfügung standen. Eine Besonderheit im leprosorium war die elaborierte Sakramentenpraxis und –frömmigkeit, wobei Buße, Eucharistie und Krankensalbung (confessio, eucharistia, viaticum) im Mittelpunkt standen. Die Messe galt als eine so wichtige medicina sacramentalis für die Kranken, dass Leprosorien von etwaigen Interdikten über Stadt oder Land stets befreit waren. Die Ausstattung der Kirchen mit Wachs war enorm: Viele Leprosorien leisteten sich den Luxus, die Monstranz die Nacht hindurch auszusetzen und mit Kerzen so zu illuminieren, dass die Kranken sie jederzeit anschauen und bei ihrem Anblick Hoffnung schöpfen konnten. Die Seelsorge endete nicht mit dem Tod: Neben einer intensiven Sterbevorbereitung und –begleitung konnte ein Insasse auch auf das elaborierte posthume Totengedenken seiner Einrichtung vertrauen – auf die Gedenkmesse einen Monat nach dem Verscheiden und auf die regelmäßige Feier des Jahrtages.1 Die gerade dargestellte translimitische Dimension des Leprosen und sein quasi– anachoretischer Lebensstil seien hier vor allem im Sinne eines Beispiels verstanden. Statt in Leprosorien hätte man nämlich auch den Blick in die Hospitäler des Antoniter– Ordens werfen können und ganz ähnliche Strukturen zu Gesicht bekommen: Die 'Vita Anonii' berichtet in etlichen Kapiteln von translimitischen Ereignissen des Abbas Antonius, wie etwa diabolischen Versuchungen und göttlichen Gesichten.2 Wenn nun Menschen mit Antoniusfieber (Ergotismus gagraenosus, eine Erkrankung, die von einer unwissentlichen Vergiftung mit durch Getreide aufgenommenem Mutterkornpilz herrührt) in translimitische Ausnahmezustände gerieten – etwa Hautgeschwüre, Absterben der äußeren Extremitäten, Halluzinationsschübe, gesellschaftliche Ausgrenzung und so fort – dann erhellt unmittelbar, inwiefern Abbas Antonius für sie einen konstruktiven Lebensstil bereit hielt: Die sich auf Antonius berufende Gemeinschaft von Laienbrüdern, die um 1095 in Saint–Antoine im Département Isère über den (angeblichen) Reliquien des Antonius ein Spital errichtete, avancierte rasch zum europäischen Hospitalorden. In ihren Häusern wurden die am Antoniusfieber Erkrankten liturgisch aus der Welt ausgegliedert und in einen quasi–anachoretischen Zustand versetzt, um ein quasi–monastisches Leben in der Hospitalgemeinschaft zu führen.3

9.3.2. Caritative Abfuhr überschüssiger latro–Fantasie: Robin Hood Auch heute sind einem größeren Publikum zahlreiche Robin–Hood–Erzählungen bekannt – allerdings durch Texte, die erst in der viktorianischen Zeit gesammelt und aufbereitet wurden, und daher eher die Mentalität des puritanischen Englands wiederspie-

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Zum regimen salutis siehe RAWCLIFFE, Leprosy, 337–343. Für ein Beispiel des Predigtwesens im Hospital vgl. BIRD, Medicine for body and soul, 91–108. Vgl. ATHANASIUS, Vita Antonii 4; 6; 8; 12 (PG 26, 845; 849–852; 853–856; 861). Vgl. MISCHLEWSKI, Geschichte des Antoniterordens; SPATH, Isenheim, 337–365; 397.

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geln als dass sie einen authentischen Eindruck des mittelalterlichen Stoffes gewährten.1 Zur mittelalterlichen Robin–Hood–Person ist grundsätzlich festzuhalten, dass sich hinter dem Namen keine historische Person im strikten Sinne verbirgt: Ab 1227 begegnet der Name 'Robinhood', 'Robehod', 'Rabunhod' oder 'Hobbehod' in englischen Texten als Blanket–Name für einen outlaw innerhalb von Beispielgeschichten – also in einer gewissen Analogie zum deutschen Blanketname „Max Mustermann“.2 Aus diesem Grunde erhellt, warum Robin Hood zum Kristallisationspunkt unterhaltsamer Räubergeschichten avancieren konnte: Der Name diente als Gedächtnisort, unter dem man diejenigen Räubererzählungen abspeichern konnte, die man des Weitererzählens und der Aufführung im Stegreifspiel für wert erachtete. Robin–Hood–Episoden gehörten also ursprünglich zum kollektiven Gedächtnis, das man narrativ und dramatisch– improvisierend aktualisierte; nur ein Bruchteil des Erzählgutes wurde überhaupt literarisch niedergelegt. Die große Verbreitung von Robin–Hood–Erzählungen bei allen Gesellschaftsschichten belegt indes der Vers 395 des mittelenglischen 'Piers Plowman', in dem ein fauler, geistlich unmotivierter Priester eingesteht: „I kan not parfitly my Paternoster as the preest it singeth, but I kan rymes of Robyn Hood“ „Ich kann zwar nicht das Vater–unser auf Priesterart fehlerfrei singen, aber dafür Robin–Hood–Balladen.“3 Die einheitliche narrative Prosopographie hinter den einzelnen mittelalterlichen Robin– Hood–Texten lässt sich rasch zusammenfassen: (1) Robin Hood lebt mit einigen Kumpanen im grünen Wald. Sie ernähren sich vom Wilddiebstahl4 und finden ihr Auskommen durch Räubereien, die sie gegenüber charakterlosen, unsozialen Autoritätsträgern der weltlichen und kirchlichen Hierarchie ausüben, während sie die „guten Leute“ unbehelligt lassen.5 (2) Die translimitische Position des Robin Hood ist mit dem altenglischen yeoman, wörtlich Jung–Mann, trefflich zur Sprache gebracht. In biographischer Hinsicht bezeichnet dies den Junggesellen, der unmittelbar auf der limitischen Kontur zwischen Jugend und Alter sowie Freiheit und Verantwortung steht.6 1 2 3

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Zum Text, Kontext und zur Konstruktion des Robin–Hood–Stoffes vgl. POLLARD, Imagining Robin Hood, 1–28 und SINGMAN, Shaping of the Legend. Siehe HOLT, Robin Hood, 9–11. Zum Problem eines historischen Kernes der Legenden siehe auch CROOK, Dating of the Origins, 530–534 und SIMEONE, The Historic Robin Hood, 303–308. WILLIAM LONGLAND, Piers Plowman passus 5 vv 395–396 (Schmidt, 82), hier in eigener Übersetzung. Zur Beliebtheit des Robin–Stoffes allgemein vgl. POLLARD, Imagining Robin Hood, 9– 10. Zu Robin als Wilddieb siehe POLLARD, Imagining Robin Hood, 84–91; zum größeren Kontext vgl. BRENTNALL, Venison Trespasses, 191–212; HANAWALT, Men's Games, King's Deers, 175– 183 und MANNING, Hunters and Poachers. Vgl. POLLARD, Imagining Robin Hood, 3–4. Zum biographischen yeoman siehe POLLARD, Imagining Robin Hood, 33. Auch in anderen out-

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(3) In sozialer Hinsicht bedeutet yeoman (königlicher) Gefolgsmann oder Wildhüter.1 Angesichts dieses Berufsprofiles ist unmittelbar verständlich, dass Robin im Waffenhandwerk – besonders im Bogenschießen – bewandert ist.2 In dieser Position kommt Robin nun unmittelbar auf der limitischen Kontur der Gesellschaft zu stehen – zwischen dem guten König an der Spitze und der untreuen Hierarchie vor Ort, zwischen der reichen Stadt und dem ärmeren Land, zwischen der christlich– urbanen Kultur in den Zentren und dem heidnisch–ländlichen Brauchtum in der Peripherie. Es liegt also auf der Hand, warum sich gleichsam an seiner Person limitische Krisen der Zeit entladen.3 Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts ist eine gewisse Tendenz zur Verschriftlichung des Robin–Hood–Stoffes zu verbuchen: Die große Textsammlung 'Gest of Robyn Hode', aber auch die bedeutenden Einzelstücke wie 'Robin and the Monk' oder 'Robin and the Friar' dürften um 1450 ihre Endredaktion erfahren haben.4 Wir können den Robin– Hood–Stoff im Rahmen dieser Studie nicht in seiner Gesamtheit sichten, sondern müssen uns auf Erzählungen mit latrologischen Theologumena beschränken. Den Beginn soll die Episode 'Robin Hood and the Monk' aus der Handschrift Cambridge University MS Ff.5.48 von ca. 1450 bilden; hier eine kurze Inhaltsangabe:5 Anfang Mai, zur Pfingstzeit, gelüstet es Robin Hood, nach Nottingham zu reisen, um dort anlässlich des Feiertags den Gottesdienst zu besuchen. Sein Kumpane Much rät ihm, zwölf starke Gefährten als Schutztruppe mitzunehmen. Robin macht sich indes nur mit dem Freund Little John auf den Weg. Die beiden Reisegenossen veranstalten unterwegs im Wald ein kleines Wettschießen, bei dem sie in einen heftigen Streit geraten. Little John lässt wutentbrannt Robin Hood stehen und kehrt zu den Räubern im Wald zurück.6 Robin setzt darauf seine Reise alleine nach Nottingham fort und begibt sich umgehend in die Marienkirche zum Gottesdienst. Dort wird er freilich alsbald von einem benediktinischen Mönch erkannt, der sich aus dem Gottesdienst stiehlt und den

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law–Erzählungen begegnet die Hauptperson als aggressiver Junggeselle. Für den soziologischen yeoman–Begriff im Robin–Hood–Kontext und die Hilton–Holt– Diskussion, vgl. POLLARD, Imagining Robin Hood, 29–56; hier besonders 33–42 für den yeoman als sozialen Status und 43–56 für den yeoman als Förster und Wildhüter. Weitere Informationen finden sich bei ALMOND/POLLARD, The Yeomanry of Robin Hood, 52–77; HILTON, The Origins of Robin Hood, 30–44; HOLT, The Origins and Audience, 89–110 und AYTON, Military Service and Robin Hood, 126–147. Vgl. DEVRIES, Longbow Archery and the Earliest Robin Hood Legends, 41–59. Siehe hierzu STOCK, Lords of the Wildwood, 239–249. Siehe hierzu GEST OF ROBYN HODE (Knight/Ohlgren, vv. 1–1824), die in acht Abschnitte (fytte) unterteilt ist. Wichtige Hinweise hierzu bietet POLLARD, Imagining Robin Hood, 4–7; in 7–9 für drei von der 'Gest' unabhängige Dichtungen und den Gesamt–Corpus früher Robin– Erzählungen. Zur sozialkritischen Note der 'Gest' siehe PARKER, Popular Protest in 'A Gest of Robin Hood', 3–20. Der Text ist publiziert als ROBIN HOOD AND THE MONK (Knight/Ohlgren, vv. 1–358). Zu diesem Textabschnitt vgl. ROBIN HOOD AND THE MONK (Knight/Ohlgren, vv. 1–62).

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Sheriff von Nottingham informiert. Noch in der Kirche kommt es zwischen den herbeigeeilten Truppen des Sheriffs und Robin zu einem heftigen Kampf, bei dem Robin zwölf Männer tötet, aber beim Schlag gegen den Sheriff sein Schwert zerbricht und dadurch verhaftet werden kann. Als die Räuber im Wald von Robins Verhaftung erfahren, versinken sie in Traurigkeit; nur Little John stimmt ein Gebet an die Gottesmutter an.1 Daraufhin rücken Little John und Much aus, um Robin zu Hilfe zu eilen. Unterwegs im Wald erwischen sie den verräterischen Mönch samt Pagen, die sich auf dem Weg zum Königshof in London befinden, um einen Brief wegen der Gefangennahme Robins zu übermitteln. Little John und Much töten Mönch und Page und nehmen beider Rollen ein. Am Königshof händigen sie, als Mönch und Page verkleidet, den Brief aus, kassieren Robins Kopfgeld und empfangen den königlichen Geleitbrief, mit dem sie Robin nach London überstellen sollen.2 Zurück in Nottingham überlisten sie den Sheriff: Sie geben sich als Vertreter des getöteten Mönches aus, der inzwischen Abt von Westminster geworden sei. Durch das königliche Siegel beeindruckt gewährt ihnen der Sheriff unbegrenzten Zutritt zu den Verwaltungsgebäuden und feiert mit ihnen ein feucht–fröhliches Fest. Während der Sheriff seinen Rausch ausschläft, befreien die beiden ihren Anführer Robin aus dem Gefängnis und kehren zusammen in den Wald zurück. Sheriff und König haben das Nachsehen.3 Wenn wir die latro–monachus–Thematik dieses Textstücks eigens herausgreifen, dann dürfen wir folgenden Befund festhalten: Robin Hood, Much und Little John sind fromm und religiös; sie gehen zur Messe und beten. Der benediktinische Mönch steht hingegen für eine Religion, die ihre translimitischen und transzendentalen Qualitäten verloren hat und beinahe zur Gänze in eine weltliche Machtpolitik, die nur mehr auf den eigenen Vorteil bedacht ist, hinein assimiliert wurde. In Absetzung von dieser korrupten und machtzentrierten Welt werden Robin Hood und seine Kumpanen portraitiert: einerseits mit zelotischen Zügen, wenn sie den Mönch und Pagen töten, andererseits aber auch als brave Messbesucher und in ihrer naiven marianischen Frömmigkeit. Der Sieg der latrones, der sich auf das Ganze gesehen eher der Schläue als der Gewalt verdankt, wird schließlich mit unverhohlener Schadenfreude erzählt.4 Ähnliche Aspekte kommen in der Episode ‚Robin Hood und der Bischof’ zum Klingen. Für diese Geschichte sind nur wenige mittelalterliche Originaltexte vorhanden, doch auch aus den späteren Balladen lässt sich die mittelalterliche Funktionalität problemlos rekonstruieren: Robin Hood verkleidet sich als Schäfer und hält einen mächtigen Bischof mit Gefolge auf seiner Transitreise durch den Wald auf. Als der Bischof Robin als latro erkennt 1 2 3 4

Vgl. hierzu ROBIN HOOD AND THE MONK (Knight/Ohlgren, vv. 63–146). Siehe ROBIN HOOD AND THE MONK (Knight/Ohlgren, vv. 147–238). Vgl. ROBIN HOOD AND THE MONK (Knight/Ohlgren, vv. 239–358). Zur laikalen Frömmigkeit Robins siehe POLLARD, Imagining Robin Hood, 111–114 und 132– 133; zum rechtsbrecherischen Charakter, vor allem zur Wilderei, vgl. 82–110; zur Einbindung der großen Benediktinerkonvente des Landes in Politik und Wirtschaft 122–132. Zum Problem der Gewalttätigkeit und des Blutvergießens siehe auch GREEN, Violence in the Early Robin Hood Ballads, 268–286.

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und verhaften will, bläst dieser in sein Horn, um seine Kumpanen herbeizurufen. Die zahlenmäßig stärkeren latrones nötigen den Bischof, mit ihnen Mahlgemeinschaft zu halten, sein Vermögen herauszurücken und für alle eine Messe zu lesen. In einer anderen Version der Erzählung wird ein Transgender–Motiv eingeblendet: Der Bischof versucht, Robin im Wald aufzuspüren und zu verhaften. Robin überredet indes eine alte Frau, mit ihm die Kleider zu tauschen. Als der Bischof dann den vermeintlichen Robin ergreift, muss er zu seinem Erstaunen eine alte Frau in Robins Kleidern entdecken.1 Auch diese Textstücke leben von den realen religiösen und sozialen Spannung des 15. Jahrhunderts, die ihnen einbeschrieben ist: Etliche Bischöfe in England sind intensiv in die Regierung des Landes integriert und vernachlässigen translimitische Elemente, die wir bei der Analyse der Jesus–Bewegung zu Gesicht bekommen hatten. Gerade weil so mancher Bischof nicht mehr von selbst auf die Idee gekommen wäre, mit Sündern und Armen Mahlgemeinschaft zu halten, wie das Jesus gemäß dem Zeugnis des Neuen Testaments getan hatte, verkleidet sich Robin als pastor, der recht nachdrücklich, um nicht zu sagen aggressiv, den Bischof zum translimitischen Mahl mit den latrones lädt, ihm aber immerhin kein Haar krümmt. Im Rückblick auf beide Episoden können wir festhalten: In den Robin–Hood– Erzählungen wird eine massiv unsoziale Gesellschaft gezeichnet, in der Mönche, Bischöfe und Priester zu politischen Funktionären geworden und Eremiten verschwunden sind.2 Eine derartige Gesellschaft ist letztlich räuberischer als die harmlosen latrones im Wald, die mit einem gewissen Wohlwollen und Sympathie als Widerstandskämpfer gezeichnet werden. Trotz der latrologischen Eintrübungen, die vor allem in Gewalttaten gegenüber Benediktinermönchen zum Ausdruck kommen, während Bischöfe geschont werden,3 erscheinen sie in den Texten als gute Räuber. Sie richten ihre Aggression nur gegen die Bösen. Sie gestatten dem Leser oder Hörer des Stoffes, eigene Aggressionen in der Form von Schadenfreude und utopischen Imaginationen auszuleben.4 Man mag versucht sein, die Robin–Hood–Erzählungen als sozial– und religionskritischen Gegentext zu lesen, was in gewissem Maße richtig ist. Wie wenig die Robin– 1

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Für die Version mit dem Cross–Dressing siehe ROBIN HOOD AND THE BISHOP (Knight/Ohlgren, vv. 1–96). Eine Version ohne Verkleidung hat sich nur in den Balladen der späteren Zeit erhalten. Das Cross–Dressing avanciert zu einem beliebten Teil der Robin–Stücken der Renaissance– Zeit; siehe SHAPIRO, Cross–Dressing in Elizabethan Robin Hood Plays, 77–90. Vgl. das Resümee von MCCALL, The medieval underworld, 102: „Robin and Gamelyn are folk heroes who deal with corrupt officials, with overfed ecclesiastics – who were especially unpopular with humbler people because they were so often exacting and tyrannical landlords – and with the undeserving rich“. Vgl. POLLARD, Imagining Robin Hood, 122: „It is not the religious orders in general who are the target, but the Benedictines in particular and one of their houses, St Mary's, York, specifically“ und 114: „Monks and an abbot are humiliated, one is murdered, but never a bishop or archbishop“. MCCALL, The medieval underworld, 101–102 beschreibt die Schadenfreude: „Neither in the Tale of Gamely nor in the better–known Robin Hood ballads, is there anything to suggest a horror of violence: in the Tale of Gamelyn, the hero and his supporters take an active delight in breaking their enemies' bones; while the attitude of the ballads to bloodshed is on the whole one of indifference“.

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Hood–Erzählungen allerdings in das moderne Konzept revolutionärer Texte passen, erhellt, wenn man sich den Sitz im Leben des Robin–Hood–Stoffes genauer anschaut. Man führte Robin–Hood–Balladen und –stücke im Mittelalter zu unterschiedlichen Anlässen auf; der beliebteste Ort der Robin–Hood–performance war allerdings nicht der private Raum sondern die pfingstliche Pfarrei einiger Gegenden des mittelalterlichen Englands.1 Hierzu einige Hintergründe: In etlichen englischen Pfarreien, sowohl auf dem Land wie in den zahlreichen mittelgroßen Städten, stellte man Anfang Mai bzw. rund um das Pfingstfest Maibäume auf. Um diesen Maibaum herum, der sich meist auf dem Kirch– oder Marktplatz befand, wurden umfangreiche Maispiele aufgeführt. Neben (para–)religiösem Brauchtum, das zum Teil vorchristlich–heidnische Inhalte transportierte, Tanzveranstaltungen, kulinarischen Zusammenkünften, Umtrunken, Wettkämpfen und Wettsingen aller Art gehörten vor allem Theaterdarbietungen (von lokalen Laienschauspielern oder fahrenden Schaustellern durchgeführt) zum festen Programm. Aus der modernen Perspektive mögen derartige Maispiele als ein eher weltliches Vergnügungen erscheinen, während es für die mittelalterliche Mentalität keine reinliche Scheidung von profanen und sakralen Aspekten gab. Die bisweilen derben Darbietungen waren fest in das Pfarrleben eingebunden und in einen karitativen Kontext eingebettet: Das eingespielte Geld diente einem guten Zweck – etwa der Armenverpflegung, dem Unterhalts von Eremiten, der Erhaltung von Kirchengebäuden und der Ausstattung.2 Obwohl wir über den genauen Ablauf solcher Maifeiern nur spärliche Informationen haben, scheinen Robin–Hood–Spiele überaus beliebt gewesen zu sein; zumindest für die Zeit von 1427 bis 1600 liegen zahlreiche Hinweise auf Robin– Hood–Spiele vor.3 Verschriftlichte Textversionen sind allerdings nur in geringer Zahl auf uns gekommen; die Schauspieltruppen hatten den plot, die Schlüsselsätze und Stichworte auswendig im Kopf und verließen sich ganz auf ihr Improvisationstalent. Das berühmteste Robin–Hood–Stück im Rahmen von Maifeierlichkeiten bildete die Episode 'Robin and Friar Tuck'. Für die Analyse stützen wir uns auf ein Fragment von 1475:4 Die zentrale Figur des Stücks ist, neben Robin Hood, ein gewisser Bruder Tuck, der als entlaufener Mendikant gekennzeichnet wird. Wie bei der Person des Robin Hood dürfte es müßig sein, Bruder Tuck historisch dingfest machen zu wollen, gleichwohl Ex–Kapläne bezeugt sind, die unter dem Decknamen Bruder Tuck umherstreiften und sich den Lebensunterhalt ergaunerten. Ähnlich wie bei Robin Hood, dem Typos des „guten Räubers“, dürfen wir in Bruder Tuck den Typos des „zelotischen Mendikanten, Mönchs oder Priesters“ erblicken, der angesichts der müden religiösen Praxis seines 1 2

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Siehe hierzu auch SMITH, Pastoral Influence in the English Drama, 355–460. Siehe die detaillierten Analysen von MARSHALL, Paying and Playing the Outlaw, 345–368 und die Hinweise von POLLARD, Imagining Robin Hood, 168–171 und SIMEONE, The May Games and the Robin Hood Legend, 265–274. Vgl. etwa WILES, The Early Plays of Robin Hood; WASSON, The St George and Robin Hood Plays in Devon, 67–68; SINGMAN, Munday's Unruly Earl, 63–76, PARFITT, Early Robin Hood Plays, 5–12; PRESTON, The Robin Hood Folk Plays of South–Central England, 91–100 und UÉNO, Robin Hood Plays and Pastoral, 19–36. Siehe ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 1–123).

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Umfeld seinen latrologischen Überschwang nicht mehr kontrollieren kann, ausbricht, und dadurch zur ambivalenten Person wird – witzig–schlau und befremdlich–aggressiv zugleich.1 Zur Handlung des Spiels: Robin Hood trifft Bruder Tuck im Wald und kämpft mit ihm. Der geschickte Bruder nimmt Robin die Geldbörse ab und macht sich aus dem Staub. Der wütende Robin instruiert seine Kumpane, sie sollten ausschwärmen, um den räuberischen Bruder zu ergreifen, und bleibt allein im Lager zurück.2 Bruder Tuck pirscht sich erneut an Robin heran und bietet ihm einen Wettkampf an. Wer im Kampf unterliege solle Diener des Gewinners sein. Der Kampf beginnt mit verbalen Attacken und Spottversen. Mitten im Rededuell springt Robin Bruder Tuck auf den Rücken und zwingt diesen, ihn durch den Fluss zur anderen Uferseite zu tragen. Tuck ergibt sich und trägt Robin tatsächlich durch den Fluss, aber nur, um ihn in der Mitte der Furt abzuschütteln und unter Wasser zu tauchen. Nass kommen sie an das Ufer zurück. Sie kämpfen zuerst mit den Fäusten, dann mit Waffen.3 Als Robin fast aufgerieben ist, bittet er Tuck, ins Horn blasen zu dürfen, um sich von seinem Lieblingshund zu verabschieden, bevor er sich Tuck unterwerfen werde. Er stößt ins Horn, und seine Hunde – soll heißen Freunde – eilen herbei. Auch Tuck steht nicht zurück, pfeift, ruft Hundenamen und veranlasst seine Hunde – soll heißen outlaw–Gefährten – ihm zu Hilfe zu eilen.4 Der Zweikampf zwischen Robin und Tuck schwingt sich zur Massenrangelei auf, die schließlich unentschieden ausgeht. Robin lädt Tuck ein, sich der latro–Bande anzuschließen, und gewährt ihm ein verlockendes Preisgeld: nicht Gold sondern eine Liebesnacht mit der verführerisch schönen Marian, der Räuberbraut des Robin. 5 Die Geschichte endet deftig: Bruder Tuck willigt ein und stimmt ein von derben Obszönitäten durchsetztes Schlusslied an.6 Zur Interpretation der Bruder–Tuck–Episode ist festzuhalten: Das Stück ist zunächst als ein Beispiel derber Volksbelustigung zu verstehen, bei der zwei Schauspieler Spottlieder anstimmen, sich gegenseitig und die Zuschauer mit Wasser bespritzen, eine Massenrangelei entfachen und zum Schluss Obszönitäten zum Besten geben sowie einen Moriskentanz aufführen. Darüber hinaus gestattet eine solche Inszenierung aber interessante Einblicke in die Soziomotorik des Mittelalters: Robin–Hood–Spiele sind eine performance, in der man überschüssige latrologische Fantasien, seien sie politisch– oder erotisch–subversiver Art, gleichsam durch ein sozialverträgliches Ventil sanktionslos ablassen darf.7 Bezüglich des „Sitzes im Leben“ der Robin–Hood–performance 1 2 3 4 5 6 7

Zur Identitätsfrage Tucks aus einer „franziskanischen Warte“ siehe KALER, Who Is That Monk in the Hood? 51–74. Vgl. ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 1–20). Siehe ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 21–87). Vgl. ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 88–107). Siehe ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 108–114). Vgl. ROBIN HOOD AND THE FRIAR (Knight/Ohlgren, vv. 115–123). Der utopische Zug liegt schon darin begründet, dass die Episoden implizieren, soziale Mißstände seien keine Fehlleistungen des Systems sondern Ergebnis unmoralischer Amtsinhaber. Es geht also weniger um „Sozialpolitik“ als um „mythomotorische Fantasien“; vgl. MCCALL, The medieval underworld, 101–102. RICHARDSON, The Figure of Robin Hood Within the Carnival

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zeigt sich ein für die nachaufklärerische Vernunft nur schwer nachvollziehbarer Befund: Der Robin–Hood–Klamauk findet inmitten der pfingstlichen Pfarrgemeinde statt. Auch wenn er unorthodoxe, anstößige und vielleicht sogar geschmacklose Inhalte transportiert, die nicht leicht mit dem Heiligen Geist vermittelt werden können, in dessen Festoktav diese performance immerhin stattfindet, so muss doch gerade der konstruktive Zug gewürdigt werden: Marginalisierte Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft, die durch politisch–subversive Maßnahmen wie gewaltsame Revolten nicht wirklich gewonnen hätten, bot das Robin–Hood–Spektakel eine Gelegenheit, überbordende translimitische Fantasien so auszudrücken, dass man mit den eingespielten Geldern karitative Projekte zu Gunsten marginalisierter Schichten unterstützen konnte. Wie effektiv diese Benefiz–Veranstaltungen im Mittelalter nun wirklich waren, das ist, wie übrigens auch bei modernen Benefiz–Veranstaltungen, eine ganz andere Frage, der wir hier nicht weiter nachgehen können.

Tradition, 18–25 beleuchtet die karnivaleske Note des Stoffes. Die Mythomotorik konnte aber aus dem Ruder laufen und sich in Tumult und Aggression entladen, wie POLLARD, Imagining Robin Hood, 174–183 mit Beipielen zeigt.

10.Zusammenfassung: Nachtdieb und Tagräuber

Mit der obigen Durchsicht translimitisch–latrologischer Theologumena des mittelalterlichen Urbanismus könnte die Gedächtnis– und Motivgeschichte trefflich ausklingen, obwohl man die Linien spielend auszuziehen vermag – durch die Renaissancekultur über Schillers Räuber bis hin zur Befreiungstheologie des 20. Jahrhunderts. Was den Ausklang unserer Gedächtnisgeschichte indes erschwert, ist der Umstand, dass man den rund dreitausendjährigen Bogen der Motivgeschichte, den wir geschlagen haben, nicht nochmals zusammenfassen kann, ohne dabei ins Triviale oder Abstrakte abzugleiten. Gangbarer und vielleicht auch interessanter scheint der Versuch, die Grundzüge des latro–eremita–Motivs in einem Schlüsseltext so zu vergegenwärtigen, dass wesentliche theologische Linien auf engem Raume erscheinen. Aus diesem Grunde soll das letzte Wort dieser Untersuchung ein anonymer, englischer Kartäuser des ausgehenden 14. Jahrhunderts haben.1 Damit die dichte latro–Passage aus der Feder dieses Autors in seiner ganzen geistlichen Tiefe aufscheinen kann, muss allerdings der Zusammenhang bis zum Punkt, da die Kartäuser auf der Bühne der Frömmigkeitsgeschichte erscheinen, skizziert werden. Betrachtet man die jüdisch–christliche Offenbarung unter dem Gesichtspunkt des latro–eremita–Motivs, so könnte man sagen, sie beinhalte einen dreifachen Imperativ: Einmal einen translimitischen Imperativ, der zum radikalen Überstieg auf Gott hin verpflichtet; sodann einen mandativen Imperativ, der die translimitische Freiheits– und Überstiegsbewegung auf das im Offenbarungstext verwahrte Wort Gottes verpflichtet; und schließlich einen kenotischen Imperativ, der einschärft, dass Transliminalität nur dann ans Ziel gelangen kann, wenn sie in kenotischer Hingabe radikal das will, was Gott einen zu wollen will. Im Rahmen dieser Studie wurde das Geschick des Bundesvolkes unter dem Anspruch dieses dreifachen Imperativs nachgezeichnet, bis hin zu Jesus Christus, der dessen einmalige und salvatorische Erfüllung und Überbietung leistete. Es ging in der zurückliegenden Studie vor allem darum, die Verbindungslinie vom transzendenten Bundesvolk über die translimitischen Propheten, Frauen, über Ijob und Gottesknecht bis hin zum Christusereignis nachzuzeichnen, und von dort weiter über

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Zum englischen Anonymus und seiner Mysik vgl. STEINMETZ, Mystische Erfahrung.

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die frühen Christen, Märtyrer und Asketen bis zur Entstehung der anachoretischen Lebensform. Auf diesem Hintergrund wurde eine Bestimmung der anachoretischen Existenz versucht – nämlich als zweifache, das heißt leibliche wie geistige Überschreitung der limitischen Kontur der Welt, um so dauerhaft einen Raum der translimitischen Freiheit für und in Gott zu bewohnen. Dieser translimitische Charakter verleiht der anachoretischen Lebensform (in ihrem eremitischen, monastischen und mendikantischen Modus, oder in davon abgeleiteten Misch– und Sonderformen) einen gewissen Eigenstand, durch den sie sich von den Lebensformen der restlichen Gesamtkirche sichtbar abhebt, um doch zugleich restlos in ihr zu verbleiben. Diese Kontra–Position der anachoretischen Lebensform darf man nicht gegen deren Einbettung in der Gesamtkirche ausspielen. Der Anachoret ist nicht schon qua Lebensform ein besserer oder privilegierterer Christ – eine Auffassung, die heute allerdings wohl kaum eine drängende Gefahr darstellt. Ganz im Gegenteil: Theologen wie Metz rufen angesichts einer Globalisierung, Nivellierung und Säkularisierung der Welt (und zum Teil auch der Kirche) die Differenz zwischen einer „Ordenskirche“ und der „Gesamtkirche“ auf beinahe polemische Weise in Erinnerung: Gerade die anachoretische Existenz zeige explizit, wozu implizit jeder Christ aufgerufen sei. Die Irritation und Provokation durch die anachoretische Existenz dürfe sich die Kirche gerade deshalb nicht ersparen, weil man den translimitischen, mandativen und kenotischen Imperativ in erster Linie leben müsse und ein bloßes Predigen nicht genüge. Gerade eine Gesellschaft, die sich nur noch auf sich selbst bezieht und vor der Transzendenz abschirmt, oder der die Selbstvergewisserung beinahe schon zerbricht, verweist der Anachoret, Eremit, Mönch und Mendikant eindringlich auf den letzten Grund, von dem her man Stand gewinnen kann.1 Und an dieser Stelle kommt nun zum letzten Mal die latro– Titulatur ins Spiel: Gerade um Provokateure der Transzendenz auszuschalten – das Volk Gottes, die Propheten, Märtyrer, Anachoreten, ja Christus selbst – wurden diese in der Geschichte immer wieder als latro denunziert. Ein anonymer englischer Kartäuser, der qua Lebensform zumindest ein stiller Provokateur der Transzendenz ist, mutet hingegen dem Leser seiner geistlichen Unterweisung Anderes und Schwierigeres zu: sich selbst in seiner eigenen latro–Gefährdung zu durchschauen, um sich dann Christus, der Türe zur Weide, zuzuwenden: Ego sum ostium. Per me si quis introierit, salvabitur, et sive egredietur sive ingredietur, pascua inveniet. Quis vero non intrat per ostium sed assendit aliunde, ipse fur est et latro ... Wer also nicht durch diese Türe eintritt, sondern anderweitig zur Vollkommenheit hinzu klettern will – durch raffinierte Überlegungen, oder durch neugierige Bilder seiner wildgewordenen inneren Sinne, bei Vernachlässigung des gewöhnlichen und schlichten Eingangs, wovon wir sprachen, und der Unterweisung der Geistlichen Väter: Nachtdieb ist er und Tagräuber, was immer er auch sonst noch alles sein mag. 1

Vgl. hierzu METZ, Zeit der Kirche – Zeit der Orden, 79–95.

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Nachtdieb ist er, weil er in der Dunkelheit der Sünde umherstreift und sich voller Anmaßung mehr auf die Einzigartigkeit seines Verstandes und Willens verlässt als auf die richtige Weisung ... Tagräuber ist er, weil sich hinter dem Anschein eines glänzenden geistlichen Lebens zeigt, dass er sich heimlich äußere Zeichen und Worte der Kontemplation gepflückt hat, ohne doch deren Frucht zu besitzen.1

1

Zu dieser Textstelle siehe CLOUD–AUTOR, Book of Privy Counsel (Hodgson, 91), hier in eigener Übersetzung.

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