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German Pages 689 [700] Year 1955
HOLLEMAN/ WIBERG
ANORGANISCHE CHEMIE
LEHRBUCH DER ANORGANISCHEN CHEMIE Begründet von
A. F. HOLLE MAN f
3 4 . - 3 6 . , wesentlich umgearbeitete und erweiterte Auflage Bearbeitet von
EGON W I B E R G Professor und Direktor des Instituts für Anorganische Chemie an der Universität München
Mit 166 Figuren
WALTER
DE G R U Y T E R & CO.
vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Keimer Karl J . Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
1955
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung v o r b e h a l t e n - C o p y r i g h t 1955 by WALTER DB G R U Y T E R & CO., vormals G. J . Göschensche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp. B E R L I N W 35 — Archiv-Nr. 52 31 54 - Printed in Germany - Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 — Druck: Günther & Sohn, Berlin SW 11
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Aus dem Vorwort zur 22. und 23. Auflage Als der Verlag mit der Bitte an mich herantrat, die Bearbeitung der neuen Auflage des „ L e h r b u c h s der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e " von A. F. H O L L E M A N ZU übernehmen, war ich mir darüber im klaren, daß nur durch eine grundlegende N e u p l a n u n g und U m g e s t a l t u n g des bei den vorhergehenden Auflagen schon mehrfach ergänzten und verbesserten Stoffes wieder ein modernes Werk von i n n e r e r G e s c h l o s s e n h e i t und e i n h e i t l i c h e m Guß zu schaffen war. Dementsprechend habe ich mich nicht mit einer bloßen Ü b e r a r b e i t u n g des Buches begnügt, sondern den enthaltenen Lehrstoff im Geiste des ursprünglichen „Holleman" auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse v ö l l i g neu g e s c h r i e b e n und u m g e s t a l t e t , so daß ein g a n z n e u e s Werk entstanden ist. Dies konnte insofern verantwortet werden, als das neue Buch nicht die Zahl der übrigen Lehrbücher für anorganische Chemie vermehrt, sondern an die S t e l l e eines dieser Bücher tritt. Bei der Niederschrift des Lehrbuches ließ ich mich im einzelnen von folgenden Gedankengängen leiten: 1. Die vielfältigen Probleme der Gegenwart stellen an die Ausbildung des chemischen Nachwuchses h ö c h s t e A n f o r d e r u n g e n . Diese Anforderungen werden nach Beendigung des Krieges mit Sicherheit noch erheblich w e i t e r g e s t e i g e r t werden müssen. Es wäre daher v e r h ä n g n i s v o l l , wenn man von der Seite der Lehrbücher her der zeitgemäß bedingten, vielfach unzureichenden naturwissenschaftlichen Vorbildung des studentischen Nachwuchses durch H e r a b s e t z u n g d e s L e h r b u c h n i v e a u s entgegenkommen wollte. Ganz bewußt wurde dementsprechend davon abgesehen, ein „ l e i c h t e s " Buch zu schreiben, und im Gegenteil eine i n t e n s i v e u n d a u f g e s c h l o s s e n e M i t a r b e i t des Lesers vorausgesetzt. Dies um so mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk zwar um ein A n f ä n g e r - L e h r b u c h , aber um ein solches für H o c h s c h u l e n und nicht für M i t t e l s c h u l e n handelt, und als von den Studenten, die sich der Chemie verschrieben haben, eine besondere Veranlagung und Aufgeschlossen heit für die Probleme der Chemie vorausgesetzt werden kann und muß. E s schadet gar nichts, wenn der Chemiestudierende diese und jene Stelle des Buches zwei oder gar mehrere Male durchdenken oder sich mit diesem und jenem Kapitel etwas „abquälen" muß. Denn ein Lehrbuch soll ja dem Leser d a s D e n k e n n i c h t a b n e h m e n , sondern ihn im Gegenteil d a z u a n r e g e n , und erfahrungsgemäß wird gerade jenes Wissen meist zum festen Besitz, das in heißem Bemühen errungen wurde. Es ist dabei vielleicht nicht unnötig zu betonen, daß auf eine s t r e n g l o g i s c h e , k l a r e u n d a n s c h a u l i c h e E n t w i c k l u n g aller Begriffe und Tatsachen größter Wert gelegt wurde und chemis c h e V o r k e n n t n i s s e n i c h t v o r a u s g e s e t z t sind. Der Lehrstoff selbst entspricht im großen und ganzen den Anforderungen, die an der Münchener Universität bereits im anorganisch-chemischen D i p l o m - V o r e x a m e n gestellt werden. 2. Zur erfolgreichen Ausbildung eines Chemikers an einer Hochschule gehören Vorl e s u n g , L a b o r a t o r i u m und L e h r b u c h . Diese drei Ausbildungsformen bilden eine D r e i - e i n h e i t und sollen sich gegenseitig nicht e r s e t z e n , sondern e r g ä n z e n . Dem-
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Vorwort
entsprechend werden die drei Wege zu dem g e m e i n s a m e n Ziel zweckmäßig zwar aufeinander abgestimmt, aber doch v o n e i n a n d e r v e r s c h i e d e n gestaltet. Ein L e h r b u c h darf somit nicht vom S t a n d p u n k t einer V o r l e s u n g oder eines P r a k t i k u m s aus beurteilt werden u n d umgekehrt. Hauptziel eines L e h r b u c h s ist die Herausarbeitung von Z u s a m m e n h ä n g e n , die das in Vorlesung und P r a k t i k u m Erarbeitete unter g e m e i n s a m e m G e s i c h t s p u n k t erkennen u n d verstehen lassen. Deshalb wurde im vorliegenden Buch Wert darauf gelegt, Z u s a m m e n g e h ö r e n d e s a u c h im Z u s a m m e n h a n g darzubringen. So werden beispielsweise die zur Aufstellung des A t o m - u n d M o l e k ü l b e g r i f f s führenden Gesetze und Erkenntnisse nicht wie in den meisten Lehrbüchern der anorganischen Chemie in den Gesamtstoff e i n g e s t r e u t und so im Gedankengang z e r r i s s e n , sondern in g e s c h l o s s e n e r D a r s t e l l u n g (S. 3—30) behandelt. Ebenso werden z . B . alle mit dem Problem des c h e m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s (S. 100—120), der E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z (S. 135—162) oder der O x y d a t i o n u n d R e d u k t i o n (S. 163—178) zusammenhängenden Fragen g e s c h l o s s e n dargestellt, auch auf die Gefahr hin, d a ß der Anfänger beim erstmaligen Durcharbeiten notgedrungen manches als noch schwerverständlich überschlagen m u ß . Das Lehrbuch bietet ja zum Unterschied von der freien Vorlesung jederzeit die Möglichkeit des V o r - u n d R ü c k b l ä t t e r n s , so daß Stellen, die beim ersten Male nicht ganz „ v e r d a u t " wurden, später — nach Vertiefung der Kenntnisse — mit größerem Erfolg n o c h m a l s e r a r b e i t e t werden können. Die hier gewählte geschlossene Darstellung der H a u p t f r a g e n zwingt dabei den Benutzer, das gerade in Frage stehende Problem wieder i m Z u s a m m e n h a n g d e s ü b e r g e o r d n e t e n P r o b l e m s und nicht als l o s g e l ö s t e s E i n z e l p r o b l e m zu betrachten. 3. Die V a l e n z s t r i c h f o r m e l n haben sich in der anorganischen Chemie als weitgehend u n z u l ä n g l i c h , j a vielfach geradezu als f a l s c h u n d i r r e f ü h r e n d erwiesen. Trotzdem bedienen sich weitaus die meisten anorganischen Lehrbücher nach wie vor dieses Hilfsmittels. Demgegenüber sind neuere Lehrbücher der anorganischen Chemie in das a n d e r e E x t r e m verfallen, die Valenzstrichformeln völlig auszuschalten, o h n e a n i h r e S t e l l e e t w a s G l e i c h w e r t i g e s o d e r B e s s e r e s z u s e t z e n . Das vorliegende Lehrbuch ist erstmals völlig auf der Grundlage der m o d e r n e n E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z aufgebaut, deren Folgerungen bezüglich der chemischen Bindung u n d der Elektronenformeln schon v e r h ä l t n i s m ä ß i g f r ü h in einem Sonderkapitel (S. 145 —162) in einer f ü r den Anfänger geeigneten Weise entwickelt werden. Auf diese Weise wird der Student f r ü h z e i t i g i n d i e D e n k w e i s e d e r E l e k t r o n e n t h e o r i e e i n g e f ü h r t und vor D e n k f e h l e r n (z. B. bezüglich der Doppelbindung) bewahrt, die erfahrungsgemäß später nur schwer und mühevoll wieder auszurotten sind. Auch in der Frage des P e r i o d e n s y s t e m s d e r E l e m e n t e weicht das vorliegende Buch etwas vom Herkömmlichen ab. Zweifellos ermöglicht das Periodensystem eine didaktisch klare u n d einprägsame Anordnung des anorganischen Wissensstoffes. E s sollte daher a n m ö g l i c h s t f r ü h e r S t e l l e eines Anfängerlehrbuchs entwickelt werden. Dem steht aber die etwas schwierige Ableitung der gebräuchlichen Kurz- und Langperioden-Form des Systems entgegen, so daß das Periodensystem in den meisten anorganischen Lehrbüchern erst an v e r h ä l t n i s m ä ß i g s p ä t e r S t e l l e erscheint. I m
Vorwort
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vorliegenden Lehrbuch wird erstmals von dem — viel zu wenig bekannten und angewandten — g e k ü r z t e n P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e Gebrauch gemacht, das infolge seiner K l a r h e i t und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t bereits s e h r f r ü h (S. 66 —69) abgeleitet werden kann, den Zusammenhang mit dem A t o m b a u für den Anfänger viel l e i c h t e r u n d e i n l e u c h t e n d e r darstellen läßt (S. 135—140) und später zwanglos zu den bekannten Formen (S. 439 —449) bzw. einer neuartigen, leistungsfähigen Form (s. Schlußtafel) des G e s a m t p e r i o d e n s y s t e m s der Elemente e r g ä n z t werden kann. 4. Die Kenntnis der Grundlagen und die Möglichkeit der Anwendung p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e r H i l f s m e t h o d e n gehören heute zu dem u n e r l ä ß l i c h e n R ü s t z e u g e i n e s m o d e r n e n A n o r g a n i k e r s . Daher sind Methoden wie der R A M A N E f f e k t (S. 313—31S), die M a g n e t o c h e m i e (S. 491—500) usw. im vorliegenden Lehrbuch gebührend berücksichtigt worden. Stets wurde dabei das betreffende Problem nicht vom Standpunkt des P h y s i k o c h e m i k e r s o d e r P h y s i k e r s , sondern vom Standpunkt des A n o r g a n i k e r s aus betrachtet, der sich vornehmlich dafür interessiert, was diese Methoden zu l e i s t e n v e r m ö g e n . Auch sonst wurde Wert darauf gelegt, in zusammenfassenden Darstellungen den Leser, soweit dies in einem Anfängerlehrbuch möglich ist, mit den m o d e r n e n P r o b l e m e n d e r a n o r g a n i s c h e n C h e m i e — wie z. B . dem a k t i v e n Z u s t a n d d e r f e s t e n M a t e r i e (S. 391 — 397), der S i l i c a t s t r u k t u r (S. 3 2 5 - 3 3 0 ) , dem A t o m b a u (S. 1 3 5 - 1 4 5 S. 5 5 5 - 5 6 5 ) , der natürlichen und künstlichen E l e m e n t u m w a n d l u n g (S. 5 6 6 - 6 0 8 ) usw. — vertraut zu machen. Daneben wurden d i e t e c h n i s c h e n V e r f a h r e n d e r c h e m i s c h e n I n d u s t r i e nirgends vernachlässigt, sondern in aller A u s f ü h r l i c h k e i t — vgl. z. B . die Schwefelsäuredarstellung (S. 205—208), die Ammoniaksynthese (S. 224 227), die Aluminiumerzeugung (S. 379 — 383), die Natronlaugegewinnung (S. 423 —425), den Hochofenprozeß (S. 527—533) usw. — behandelt, um dem Leser den Blick auch für diese Fragen zu öffnen und ihn zu weiterem Buchstudium anzuregen. 5. Eine gute A b b i l d u n g besagt oft mehr als eine ganze Seite Text. Daher wurde besonderer Wert auf eine r e i c h e A u s s t a t t u n g des vorliegen den Buches mit didaktisch klarem und einprägsamem B i l d m a t e r i a l gelegt. So sind nahezu alle 154 Abbildungen neu e n t w o r f e n u n d g e z e i c h n e t worden. Dem gleichen Ziel der größeren didaktischen Übersichtlichkeit dient die d r u c k t e c h n i s c h e A n o r d n u n g des Lehrstoffs, indem durch vielseitige Anwendung von Fett-, Sperr-, Schräg- und Kleindruck das W e s e n t l i c h e gegenüber dem weniger Wesentlichen hervorgehoben und B l i c k p u n k t e für eine leichtere Orientierung innerhalb des Buches geschaffen wurden. Ebenso soll die bei ver. schiedenen Verbindungsklassen angewandte neuartige S y s t e m a t i k (vgl. z.B. S. 202— 203, S. 263—265) zur leichteren gedächtnismäßigen Ein prägung desLehrstoffs beitragen. So ist, hoffe ich, ein Anfängerlehrbuch entstanden, das in vielen Einzelheiten vom Herkömmlichen abweicht und das auf verhältnismäßig begrenztem Raum einen umfangreichen Wissensstoff in weitgehend vollständiger, moderner und didaktisch abgewogener Darstellung vermittelt. Herzlichen Dank schulde ich meiner lieben Frau für ihre wertvolle Mitarbeit bei der Anfertigung des umfangreichen Registers. M ü n c h e n , im November 1942. Egon Wiberg
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Aus dem Vorwort zur 26. und 27. Auflage 1. Die in den vorhergehenden Auflagen bisher zu kurz gekommene Behandlung von M o l e k u l a r - und G i t t e r s t r u k t u r e n fand jetzt eingehendere Berücksichtigung. Hingewiesen sei etwa auf neu hinzugekommene Angaben über die Struktur von E l e m e n t e n (z.B. Selen: S. 218; Tellur: S. 221; Phosphor: S. 253, 255; Arsen: S. 276; Antimon: S. 283; Wismut: S. 288; Germanium: S. 348; Zinn: S. 352), W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B. Borwasserstoffe und Derivate: S. 367ff.; Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Germaniumwasserstoffe: S. 350), H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (z.B. Phosphornitrilchloride: S. 273 f.; Kohlenstoffmonofluorid: S. 297; Aluminiumchlorid: S. 389; Siliciummonohalogenide: S. 322), S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B, Selendioxyd: S. 220; Phosphor-tri- und -pentoxyd: S. 261, 262; Metaphosphimsäuren; S. 274; Arsentrioxyd: S. 279; Antimontrioxyde: S. 286; Silicate und Siliciumdioxyd: S. 325 ff.; Borsäure und Borate: S.374ff.; Alumínate: S.385f.), S c h w e f e l - u n d S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n (z. B. Schwefelstickstoff und Derivate: S. 247f., Borstickstoff; S. 377; Zinksulfid: S. 476) und vieles andere mehr. Dabei wurde Wert darauf gelegt, auch auf Zusammenhänge zwischen den Gittertypen hinzuweisen (z. B. S. 295) und die Gitter-Strukturen nicht vom Standpunkte des K r i s t a l l o g r a p h e n , also in Form von E l e m e n t a r z e l l e n wiederzugeben, sondern die Elementarzellen, dem Bedürfnis des C h e m i k e r s entsprechend, in Valenzstrukturbilder umzuzeichnen (vgl. etwa die Abbildungen 87 und 92). 2. Die erstaunlichen Fortschritte der amerikanischen Forschung auf dem Gebiet der k ü n s t l i c h e n E l e m e n t u m w a n d l u n g machten eine weitgehende Umgestaltung und Neufassung vieler Abschnitte und Kapitel erforderlich. So wurden die s y n t h e t i s c h e n E l e m e n t e Technetium (S. 597f.), Promethium (S. 598f.), Astatium (S. 599f.)„ Francium (S. 600), Neptunium (S. 601f.), Plutonium (S. 596. 603 f.), Americium (S. 605), Curium (S. 605f.), Berkelium (S. 606) und Californium (S. 606) eingehend besprochen und an allen notwendigen Stellen im Text berücksichtigt. Die Grundlagen der K e r n z e r s p l i t t e r u n g (S. 591) und K e r n s p a l t u n g (S. 591 ff.), der g e s t e u e r t e n (S. 593ff.) und u n g e s t e u e r t e n K e r n - K e t t e n r e a k t i o n (S. 597) und der damit zusammenhängenden Fragen des U r a n - (S. 593ff.) und P l u t o n i u m - P i l e s (S. 596), der A t o m k r a f t a n l a g e (S. 595), A t o m b o m b e (S. 597) usw. fanden ebenso Berücksichtigung wie etwa die Einordnung der A c t i n i d e n in das P e r i o d e n s y s t e m (S. 448f.), die Ergebnisse der modernen M e s o n e n f o r s c h u n g (S. 579f., 608), die Wirkungsweise des C y c l o t r o n s (S. 581f.), der K - E i n f a n g (S. 589), die Bedeutung der künstlichen r a d i o a k t i v e n I n d i k a t o r e n (S. 590), die künstliche radioaktive Z e r f a l l s r e i h e (S. 601), die Analogien zwischen L a n t h a n i d e n und A c t i n i d e n (S. 606) oder die Fortschritte auf dem Gebiete der U m w a n d l u n g v o n E n e r g i e i n M a s s e
Vorwort
IX
(S. 607f.). Hierbei wurde darauf geachtet, den Bericht durch Einfügung neuer Abbildungen (vgl. etwa Abb. 158, 161, 162, 163, 164, 165) und neuer Tabellen (vgl. etwa S. 448, S. 602,603) zu ergänzen, wie allgemein auch alle übrigen tabellarischen Zusammenstellungen samt zugehörigem Text (vgl. etwa S. 27, 67, 68, 137, 321, 440, 442, 443, 444, 447, 448, 556, 559, 568, Klapptafel des Periodensystems) dem neuen Stand der Forschung angepaßt wurden. 3. Die Ergebnisse wichtiger neuer präparativer und systematischer anorganischer Forschungsarbeiten wurden neu aufgenommen oder in den Text eingearbeitet. Erwähnt seien etwa eine Reihe von Verbindungen des S c h w e f e l s (PolyschwefelWasserstoffe: S. 195f.; Sulfoxylsäure: S. 213f.; Schwefelstickstoff und Derivate: S. 2 4 7 f . ; Kobaltund Nickelsulfide: S. 539f., 542), des P h o s p h o r s (schwarzer Phosphor: S . 2 5 4 f . ; Phosphornitrilchloride und Derivate: S. 273f.), des S i l i c i u m s (Silicone: S. 3 3 1 f . ; hochmolekulare Siliciumhalogenide: S. 321f.), des B o r s (völlige Neufassung des Kapitels über Borwasserstoffe und Borwasserstoffderívate: S. 367 ff.; Oxy-fluoborsäuren: S. 373; Borazol: S. 377f.), des A l u m i n i u m s (Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 387f.; Alumínate: S. 385f.), der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e (Mangan(V)verbindungen: S. 523, 524; Nitrosylprussiate: S. 548; Metallisonitrile: S. 549) oder Fortschritte auf dem Gebiete der H y d r i d e (Wasserstoffverbindungen des Germaniums: S. 350, Berylliums: S.402, Zinks: S . 4 7 5 ; Aluminium-bor-Wasserstoff: S. 388; Berylliumbor-Wasserstoff: S. 370, 402; Lithium-aluminium-Wasserstoff: S. 388 usw.). Hinzu kamen zahlreiche weitere Änderungen und Ergänzungen verschiedenen Inhalts, wie die Einfügung eines weiteren anschaulichen Z a h l e n b e i s p i e l s über die Kleinheit der Atome und Moleküle (S. 30), die Einfügung einer zweiten Ableitung für den o s m o t i s c h e n D r u c k (S. 55), die Erweiterung des Abschnitts über die V e r b r e i t u n g d e r E l e m e n t e durch eine Tabelle der Häufigkeiten in A t o m p r o z e n t e n (S. 69), die Abänderung der Angaben über die A s s o z i a t i o n des F l u o r w a s s e r s t o f f s (S. 97), die Einfügung von Daten über die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t v o n E l e k t r o n e n in metallischen Leitern (S. 155), die Erweiterung desKapitels über D u r c h d r i n g u n g s k o m p l e x e (S. 160f.), die exaktere Fassung des Begriffs der „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g " (S. 197), die Einführung des Begriffs der A t o m b r ü c k e n b i n d u n g (Kationbrücken: S. 197, 223, 367; Anionbrücken: S. 367ff., 387f., 389), die Einfügung einer S y s t e m a t i k der Sauerstoffsäuren und Oxyde des S t i c k s t o f f s (S. 223), die Erörterung des Begriffs der I s o s t e r i e (z. B . S. 235, 246, 308, 372, 373, 377, 378), die Vermehrung der Hinweise auf die Bedeutung der D o p p e l b i n d u n g s r e g e l (z. B . S. 199, 251, 253, 261, 273f., 286, 326, 331, 350), die Einfügung von V a l e n z s t r i c h f o r m e l n für eine Reihe von K i e s e l s ä u r e n (S. 327, 328), die teilweise Neufassung des Abschnitts über das P e r i o d e n s y s t e m d e r L a n t h a n i d e n (S. 447f.), die Vermehrung der Angaben über p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n d e r L a n t h a n i d e n ( z . B . Atomgewichte: S. 484, Schmelzpunkte: S. 489, Dichten: S. 489, Ionenfarben: S. 490), die Erweiterung der Angaben über U r a n v e r b i n d u n g e n (S. 520) und viele weitere Änderungen kleineren Umfangs, die nicht im einzelnen aufgezählt werden können.
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Vorwort
4. I n Anbetracht der schon im ersten Vorwort betonten Bedeutung anschaulicher Abbildungen f ü r das Verständnis wissenschaftlicher Fragen wurde ihre Anzahl weiter vermehrt. So kamen neu hinzu die Abbildungen 30 (Zustandekommen des osmotischen Drucks), 86 (Räumliche Molekularformel des weißen Phosphors P 4 ), 87 (Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P ^ ), 89 (Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P 2 0 3 ) 2 ), 92 (Gitterstruktur des metallischen Arsens As ra ), 97 (Molekularstruktur des Kohlenstoffmonofluorids (CF) r a ), 114 (Schema des Bleiakkumulators), 158 (Wirkungsweise des Cyclotrons), 161 (Schema der Uranspaltung), 162 (Ausbeuten der Uranspaltung), 163 (Uran-Pile), 164 (Schema der gesteuerten Kern-Kettenreaktion), 165 (Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion). Trotz dieser umfangreichen Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in der Erweiterung des Registers um mehrere tausend Stichworte und in der starken Vermehrung der Zahl der Seitenhinweise innerhalb des Textes zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher und überholter Abschnitte der Zuwachs des äußeren Umfangs auf 56 Seiten (42 Seiten Text, 14 Seiten Register) begrenzt werden. M ü n c h e n , im Januar 1951. Egon Wiberg
Aus dem Vorwort zur 28. und 29. Auflage Die starke Nachfrage nach dem vorliegenden Lehrbuch machte schon kurz nach Erscheinen der letzten Doppelauflage die Vorbereitung einer neuen Doppelauflage erforderlich. Trotz der Kürze der für die Überarbeitung zur Verfügung stehenden Zeit wurden auch dieses Mal zahlreiche Ergänzungen und Umänderungen vorgenommen. Sie betreffen namentlich das Gebiet der Hydride und Mischhydride, auf dem in letzter Zeit zahlreiche Portschritte erzielt werden konnten. So wurden u. a. neu aufgenommen: Der B e r y l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f BeH 2 - 2A1H3 (S. 402), der M a g n e s i u m w a s s e r s t o f f MgH 2 und seine Mischhydride mit Bor- und Aluminiumwasserstoff, MgH 2 • 2BH 3 bzw. MgH 2 • 2A1H3 (S. 404f.), der G a l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f GaH 3 • 3A1H3 (S. 398), der I n d i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f I n H 3 • 3A1H3 (S. 398), der T h a l l i u m - g a l l i u m - w a s s e r s t o f f T1H3 • 3GaH 3 (S. 399), der Z i n n a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f SnH 4 • 4A1HS (S. 355) und der T i t a n - a l u m i n i u m w a s s e r s t o f f TiH 4 • 4A1H3 (S. 502). Modernisiert und erweitert wurden die Abschnitte über die Darstellung von B o r w a s s e r s t o f f e n (S. 368), S i l i c i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 319), G e r m a n i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 350) und Z i n k w a s s e r s t o f f (S. 475), nachdem in der Einwirkung von L i t h i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f LiAlH 4 (S.388) auf Metallchloride eine neue, vorteilhafte Methode zur Darstellung von Hydriden und Mischhydriden vorliegt. Eine neue Fassung erhielten die Abschnitte über das S c h w e f e l m o n o x y d (S. 201), die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g u n d Z e r s e t z u n g d e s H y d r o x y l a m i n s (S. 244f.) und die E n t h ä r t u n g d e s W a s s e r s (S. 410). Die A c t i n i d e n n a t u r d e s U r a n s wurde ausführlicher begründet (S. 520). Darüber hinaus finden sich an zahlreichen anderen Stellen Erweiterungen und Ergänzungen, wie etwa über die
XI
Vorwort
n a t ü r l i c h e R a d i o a k t i v i t ä t d e s I n d i u m s (S. 569), die E l e m e n t u m w a n d l u n g m i t K o h l e n s t o f f k e r n e n (S. 581, 606), die R a d i o a k t i v i t ä t d e s N e u t r o n s (S. 585), die P e r i o d i z i t ä t d e r A c t i n i d e n (S. 606) oder A u s n a h m e n d e r MATTAUCHschen R e g e l (S. 558). Weiterhin wurde der Text sorgfältig auf Druckfehler und mißverständliche Formulierungen geprüft und an manchen Stellen (z. B. bezüglich der Anregung von Freiheitsgraden der Rotation, S. 78f.) berichtigt. M ü n c h e n , im Oktober 1951. Egon Wiberg
Aus dem Vorwort zur 32. und 33. Auflage Auch die vorliegende neue Auflage ist an vielen Stellen verbessert und erweitert worden, soweit dies ohne Umbruch des gesamten Satzes möglich war. So wurde, um nur einiges herauszugreifen, die Ableitung des o s m o t i s c h e n D r u c k s (S. 55) und der D a m p f d r u c k e r n i e d r i g u n g (S. 57) abgeändert, der Begriff der „ L a d u n g s z a h l " {S. 148) und „ B i n d u n g s z a h l " (S. 150) eingeführt, eine Reihe von p h y s i k a l i s c h e n D a t e n (Schmelzpunkte, Siedepunkte, Halbwertszeiten usw.) nachgetragen oder korrigiert (z.B. S.220, 562, 564, 602/603), die relative thermodynamische Beständigkeit der P h o s p h o r m o d i f i k a t i o n e n richtiggestellt (S. 253, 254), der Begriff der I s o s t e r i e durch zusätzliche Beispiele erläutert (S. 372), die Chemie des B o r o x o l s und seiner Derivate durch weitere Angaben bereichert (S. 375/76, Anm. 3), der Abschnitt über A l u m i n i u m w a s s e r s t o f f vervollständigt (S. 387f.), die Trennung der L a n t h a n i d e n durch I o n e n a u s t a u s c h e r behandelt (S. 488f.), der Abschnitt über T e c h n e t i u m erweitert (S. 597 f.), die Tabelle der Normal- und Umladungspotentiale des U r a n s , N e p t u n i u m s und P l u t o n i u m s auf den neuesten Stand gebracht und durch die entsprechenden Werte des A m e r i c i u m s ergänzt (S. 604). Darüber hinaus wurden, wo erforderlich, Druckfehler beseitigt, unklare Textstellen präzisiert oder veranschaulicht, experimentell nicht genügend gestützte Auffassungen deutlicher als solche gekennzeichnet, die Nomenklatur weiter dem internationalen Sprachgebrauch angepaßt und zahlreiche sonstige Einfügungen vorgenommen, wie schon die Erweiterung des Registers um einige zwanzig Stichworte zeigt. M ü n c h e n , im September 1953. Egon Wiberg
XII
Vorwort zur 34.—36. Auflage Der Text des Lehrbuchs wurde gegenüber der letzten Doppelauflage wesentlich umgearbeitet und erweitert, um den wissenschaftlichen Fortschritten der anorganischen Chemie während der letzten Jahre Rechnung zu tragen und einige bis jetzt zu kurz gekommene Teilgebiete stärker hervortreten zu lassen. Der aufmerksame Leser wird fast auf allen Seiten Verbesserungen, Einfügungen, Erweiterungen, Neufassungen, Umstellungen, Kürzungen oder Streichungen entdecken. Die wesentlichsten Punkte der Umarbeitung seien im folgenden kurz zusammengestellt: 1. Die Erforschung der ä t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n d e r E l e m e n t e hat in letzter Zeit viel Neues erbracht, so daß eine Reihe diesbezüglicher Abschnitte — so über den S c h w e f e l (S. 185ff.), das S e l e n ( S . 217ff.), das T e l l u r (S. 221), d e n P h o s p h o r (S. 253ff.), das A r s e n (S. 275f.), das A n t i m o n (S. 283f.), das W i s m u t (S. 288), den K o h l e n s t o f f (S. 293f.), das S i l i c i u m (S. 319), das G e r m a n i u m (S. 348f.) — entweder völlig neu gefaßt oder erweitert bzw. verbessert werden mußte. Bei dieser Gelegenheit wurden auch mancherlei Randgebiete mitbehandelt, die zu den Modifikationen in enger Beziehung stehen, wie etwa der S e l e n - G l e i c h r i c h t e r und das S e l e n P h o t o e l e m e n t (S. 218), die Wirkungsweise von K a t a l y s a t o r e n bei der Umwandlung von Schwefel-, Selen-,Phosphor- und Kohlenstoffmodifikationen (S. 218f.,255,297), die Erscheinung der E l e k t r o n e n ü b e r s c h u ß - und E l e k t r o n e n d e f e k t - L e i t u n g bei H a l b l e i t e r n (S. 348f.), das Problem der als M i s c h p o l y m e r i s a t e aufzufassenden Elementmodifikationen und ihres Gitteraufbaus (S. 255, 276, 284), die Strukturen des HITTOEFsehen (S. 254) und SCHENCKsehen P h o s p h o r s (S. 255) und vieles andere mehr. 2. Viele neuere Ergebnisse der S c h w e f e l c h e m i e fanden ihren Niederschlag in entsprechenden Umgestaltungen und Erweiterungen von Abschnitten. So wurde an Stelle der bisher noch gebrauchten komplexen Schreibweise die K e t t e n s t r u k t u r der P o l y s c h w e f e l w a s s e r s t o f f e (S. 195) und P o l y t h i o n a t e (S. 216) eingeführt, das A d d i t i o n s v e r m ö g e n des S c h w e f e l t r i o x y d s besprochen (S. 200f.), der Abschnitt über das D i s c h w e f e l t r i o x y d S 2 0 3 neu gefaßt (S. 201), die Chemie der P o l y t h i o n s ä u r e n durch zusammenfassende Angaben über D a r s t e l l u n g und Z e r f a l l ergänzt (S. 217), ein Abschnitt über die Konstitution des T e t r a s c h w e f e l d i n i t r i d s S 4 N 2 eingefügt (S. 248), das chemische Verhalten des S u l f a m i d s und S u l f i m i d s ausführlicher behandelt (S. 251), die N o m e n k l a t u r d e r S c h w e f e l s ä u r e n der internationalen Übereinkunft angepaßt (S. 202f., 212f.) usw. 3. Die Fortschritte auf dem Gebiete der C a r b o n y l c h e m i e machten wesentliche Textänderungen und -erweiterungen erforderlich. U. a. wurde die D a r s t e l l u n g v o n M e t a l l c a r b o n y l e n durch einen Abschnitt über die Reduktion und Redoxdisproportionierung von Metallverbindungen i n f l ü s s i g e r P h a s e ergänzt (S. 545), die S ä u r e n a t u r d e r C a r b o n y l w a s s e r s t o f f e ausführlich besprochen (S. 546), ein Abschnitt über die B i l d u n g v o n C a r b o n y l a t e n durch Reduktion und Redoxdispro-
Vorwort
XIII
portionierung m e h r k e r n i g e r C a r b o n y l e eingefügt (S.546f.), der GßiMMSche H y d r i d v e r s c h i e b u n g s s a t z aus dem Kapitel über CarbonylWasserstoffe, wo er nach unseren heutigen Kenntnissen fehl am Platze war, entfernt und in anderem Zusammenhang (S. 437) erläutert, die D a r s t e l l u n g v o n N i t r o s y l c a r b o n y l e n behandelt (S. 548), der Abschnitt über I s o n i t r i l - C a r b o n y l e erweitert (S. 549) und durch Angaben über P h o s p h o r h a l o g e n i d - , A r s e n h a l o g e n i d - und [ P h o s p h i n - c a r b o n y l e ergänzt (S. 549) und ähnliches mehr. 4. Eine weitgehende Umgestaltung und Ergänzung erfuhren die Abschnitte über den B a u d e r A t o m e u n d M o l e k ü l e . So wurden die Begriffe der s-, p-, d- u n d /E l e k t r o n e n (S.139f., 445ff.), des P r i n z i p s d e r g r ö ß t e n M u l t i p l i z i t ä t (S. 139, 445), der H a u p t - , N e b e n - , m a g n e t i s c h e n u n d S p i n - Q u a n t e n z a h l (S.136, 139, 445), des PAULI-Prinzips (S. 445), der B a s t a r d b i n d u n g e n (S. 153, 446) eingeführt und behandelt, die B i n d e k r ä f t e der reinen und Bastardbindungen verglichen (S. 153, 446), die Regeln für die S y m b o l i s i e r u n g v o n E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n e n besprochen (S. 140, 445), die Zusammenhänge zwischen Elektronenkonfiguration, räumlicher Konfiguration und Magnetismus bei der K o m p l e x b i l d u n g v o n Ü b e r g a n g s e l e m e n t e n auseinandergesetzt (S. 445ff.) usw. Dagegen konnte ich mich nicht dazu entschließen, die Kapitel über den Atombau und die Verbindungsbildung ganz auf die Vorstellungen der W e l l e n m e c h a n i k umzustellen da es sich bei dem vorliegenden Lehrbuch, wie schon im ersten Vorwort (S. V) angegeben, um ein Lehrbuch für A n f ä n g e r der Chemie und für Studierende mit Chemie als Nebenfach handelt, für die die gewählte Betrachtungsweise zum Verständnis des Atom- und Molekülbaus völlig ausreicht. Doch wurde vorsorglich ein Hinweis darauf eingefügt, daß die gebrauchten Begriffe der E l e k t r o n e n - , , S c h a l e n " nur B i l d s y m b o l e für unterschiedliche E n e r g i e z u s t ä n d e der Elektronen darstellen (S. 136). 5. Die Ergebnisse der Forschung über „ a n o m a l e " W e r t i g k e i t e n der Elemente wurden überall berücksichtigt, wie die Angaben über S i l i c i u m - m o n o x y d (S. 325), - d i c h l o r i d (S. 321), - m o n o f l u o r i d (S. 322) und - m o n o b r o m i d (S. 322), sowie über Verbindungen des einwertigen B o r s und A l u m i n i u m s (S. 384), dreiwertigen K u p f e r s (S.452) und S i l b e r s (S. 459), vierwertigen P r o t a c t i n i u m s (S. 506), ein-, vier- und fünfwertigen C h r o m s (S. 508), drei- und fünfwertigen M a n g a n s (S. 522, 523) —1-wertigen R h e n i u m s (S. 525), ein- und vierwertigen E i s e n s (S. 534), vierwertigen K o b a l t s (S. 539), null-, ein-, drei- und vierwertigen N i c k e l s (S. 542) zeigen. 6. Überarbeitet und ergänzt wurden weiterhin die Kapitel über die n a t ü r l i c h e u n d k ü n s t l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g . So wurde der P r o t o n - u n d N e u t r o n Z u s t a n d d e s N u k l e o n s näher behandelt (S. 555), der Begriff der „ m a g i s c h e n Z a h l e n " eingeführt (S. 557), der h e u t i g e S t a n d d e r I s o t o p e n f o r s c h u n g in allen Tabellen zum Ausdruck gebracht (S. 556, 559, 602/603), die W ä r m e t ö n u n g der Umwandlung Neutron ->• Proton angegeben (S .560), das n a t ü r l i c h - r a d i o a k t i v e N e o d y m eingefügt (S. 569), der Begriff des Neutrinos durch den des A n t i n e u t r i n o s ergänzt (S.571), auf die W a s s e r s t o f f b o m b e (S.579) und die A t o m s y n t h e s e mit K o h l e n S t o f f - , S t i c k s t o f f - und S a u e r s t o f f k e r n e n hingewiesen (S. 581, 606, 607), die
XIV
Vorwort
A l t e r s b e s t i m m u n g m i t 14C besprochen (S.590), das P r o t o n - S y n c h r o t r o n und S y n c h r o - C y c l o t r o n des Europäischen Kernforschungsinstituts in Genf erwähnt (S. 582, 583), die K e r n z e r s p l i t t e r u n g durch ein neues Beispiel belegt (S. 591), der U r a n - K e r n r e a k t o r ausführlicher geschildert (S. 594f.), die zugehörige A b b i l d u n g ausgewechselt (Fig. 163, S.594), die A c t i n i d e n t a b e l l e auf den neuesten Stand gebracht (S. 602/603), die Chemie des N e p t u n i u m s durch speziellere Angaben über N e p t u n i u m v e r b i n d u n g e n ergänzt (S. 602), die Gewinnung der Elemente 99 und 100 behandelt (S. 606f.), auf die s p o n t a n e K e r n s p a l t u n g eingegangen (S. 607), und anderes mehr. 7. Auch an vielen anderen Stellen wurde der Text erweitert. Erwähnt seien etwa die neuen Abschnitte über die Ursachen der A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s beim Gefrieren und die S t r u k t u r d e s E i s e s (S. 51, 328), das H e l i u m I I und den s u p r a f l ü s s i g e n Z u s t a n d (S. 74), die H y d r a t e d e r E d e l g a s e (S. 74), die C l a t h r a t e oder K ä f i g v e r b i n d u n g e n (S. 74f.), die Reaktionen des B r o m t r i f l u o r i d s (S. 132), die Darstellung der h ö h e r e n S i l i c i u m h a l o g e n i d e (S. 321), die f a s e r i g e M o d i f i k a t i o n d e s S i l i c i u m d i o x y d s (S.333), die Erscheinung der T h i x o t r o p i e (S.338), die H y d r o n i u m s a l z e (S. 437f.). Zahlreiche bisher nicht erwähnte Verbindungen fanden Berücksichtigung, z. B. die Klasse der H a l o g e n - S u l f a n e (S. 196), die F l u o r i d e Se 2 F 10 und Te 2 F 1 0 des S e l e n s und T e l l u r s (S. 198), die neu entdeckten A z i d e der 1.—4. Hauptgruppe des Periodensystems (S. 231), das F l u o r a z i d (S. 233), die Derivate des H e p t a s c h w e f e l i m i d s (S. 248), das S i l i c i u m d i s e l e n i d und - d i t e l l u r i d (S. 333), die Derivate des B o r s u l f o l s (S. 376), die Oxychloride, Bromide und Jodide des A l u m i n i u m s (S. 390), Z i n n s (S. 354) und E i s e n s (S. 536f.), das B a r i u m t i t a n a t (S.502) und T i t a n b o r a n a t (S. 502),das C h r o m y l f l u o r i d (S.510), die wichtigsten D e u t e r i u m v e r b i n d u n g e n der 4. bis 7. Gruppe des Periodensystems (S. 562f.) und so fort. Die Begriffe der Ladungszahl, Bindungszahl und Oxydationszahl wurden durch den der f o r m a l e n L a d u n g s z a h l ergänzt (S. 158), die in den Tabellen der Oxyde und Sauerstoffsäuren des Schwefels (S. 198, 202), Stickstoffs (S. 233) und Phosphors (S. 263) bisher verwendeten, zu Mißverständnissen Anlaß gebenden fiktiven O x y d a t i o n s z a h l e n der Peroxysäurenim Sinne der üblichen Anwendung abgeändert, die Begriffe der T a u t o m e r i e (S. 204) und M o l e k ü l k o n d e n s a t i o n (S. 268) erläutert, die Angaben über die L e i t f ä h i g k e i t der 100%igen S c h w e f e l s ä u r e (S. 210), die T a u t o m e r i e der N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e (S. 243) und die Aufbringung von E m a i l - Ü b e r z ü g e n (S. 342) verbessert, die Strukturen des f e s t e n P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d s und - b r o m i d s behandelt (S. 259), die Erläuterungen zur R e s o n a n z genauer gefaßt (S. 318), die Abschnitte über den B o r s t i c k s t o f f (S. 377), die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des A l u m i n i u m s (S. 387), G a l l i u m s (S. 398), I n d i u m s (S. 398), G e r m a n i u m s (S. 350) und Z i n n s (S. 355), die k o m p l e x e n A l u m i n i u m f l u o r i d e (S. 389), die m a g n e t i s c h e n M o m e n t e d e r E i s e n r e i h e (S. 498), das T i t a n (S. 501), die D a r s t e l l u n g (S. 519) und die A c t i n i d e n n a t u r (S. 520) d e s U r a n s , das R h e n i u m (S. 525), die Isotopengewinnung nach dem T r e n n r o h r v e r f a h r e n (S. 561) erweitert, die Beispiele der
Vorwort
XV
A n w e n d u n g v o n I o n e n a u s t a u s c h e r n vermehrt (S. 489, 503), die A t o m g e w i c h t e überall gemäß dem jetzigen Stand verbessert (S. 27, 484, 559, Klapptafel). 8. Darüber hinaus wurden zahlreiche Textstellen durch kleinere Einfügungen, Streichungen, Erläuterungen oder Abänderungen klarer gestaltet, die physikalischen Daten wie Schmelzpunkte, Siedepunkte, Dampfdrucke, Normalpotentiale, Dissoziationskonstanten, Halbwertszeiten dem neuesten Stand entsprechend abgeändert oder ergänzt, die Seitenhinweise vermehrt, die Reaktionsgleichungen, wo erforderlich, verbessert, die Gleichgewichtskonstanten stets einheitlich (Reaktionsprodukte im Zähler) formuliert (z. B. S. 104f., 119), Abbildungen neu gezeichnet usw. Trotz dieser weitgehenden Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in einer Erweiterung des Registers um nahezu tausend Stichworte zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher oder überholter Abschnitte die Erhöhung der Seitenzahl in engen Grenzen (Zuwachs um 22 Text- und 4 Register-Seiten) gehalten werden. Bei der Umgestaltung des Textes hatte ich mich der Mithilfe zahlreicher Kollegen zu erfreuen, die mich in z. T. sehr ausführlichen Zuschriften oder in anregenden mündlichen Diskussionen auf mancherlei Verbesserungsmöglichkeiten hinwiesen und wertvolle Vorschläge zur Modernisierung von Abschnitten unterbreiteten. Besonders erwähnt und bedankt seien die Kollegen FRANZ F E H E R - K O L I , MARGOT GoEHRiNG-Heidelberg, W A L T H E R HTEBER-München, F R I E D R I C H KLAGES-München, H E I N Z KREBS-Bonn, H E R M A N N Ltrx-München, R U D O L F ScHOLDER-Karlsruhe und F R I T Z SEEL-Würzburg. Aufmerksamen studentischen Lesern verdanke ich die Beseitigung einer Reihe von Druckfehlern und Unklarheiten. Meinem Sohn, stud. ehem. N I L S W I B E R G , schulde ich für die mühevolle Arbeit der Umpaginierung und Erweiterung des Registers großen Dank. Die durch den Zusatz „ I I " gekennzeichneten Seitenhinweise beziehen sich auf den ehemaligen II. Teil des HOLLEMAN sehen Werkes, das „Lehrbuch der organischen Chemie" von H O L L E N A N - R I C H T E R , 31./32. Auflage (1954). M ü n c h e n , im November 1954. Egon Wiberg
Inhalt Seite
Einleitung
1
Atom und Molekül Kapitel I. Der r e i n e S t o f f 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a) Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b) Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen 3. Zerlegung homogener Systeme a) Zerlegung auf physikalischem Wege a) Phasenscheidung durch Temperaturänderung Verdampfen und Verdichten Schmelzen und Erstarren ß) Phasenscheidung durch Lösungsmittel b) Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung
3 3 4 4 5 6 6 6 7 8 8 8 9
.•Kapitel I I . A t o m - und M o l e k u l a r l e h r e 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a) Experimentalbefunde a) Gesetz von der Erhaltung der Masse ß) Stöchiometrische Gesetze Gesetz der konstanten Proportionen Gesetz der multiplen Proportionen Gesetz der äquivalenten Proportionen b) DALTONS Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a) Experimentalbefunde b) AVOGADROS Molekularhypothese
II 11 11 II 12 12 14 14
•Kapitel I I I . A t o m - und M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g 1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Wahl einer Bezugseinheit b) Bestimmung relativer Molekulargewichte
42 44 46 48 48 4!) 50 50 51 53 57 59
Kapitel V. D i e L u f t u n d i h r e B e s t a n d t e i l e 1. Der Stickstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus L u f t ß) Aus Ammoniak c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Die L u f t a) Zusammensetzung der L u f t b) Kreislauf des Sauerstoffs c) Kreislauf des Stickstoffs d) Flüssige L u f t
60 60 60 60 60 61 61 61 62 62 63 64 65
Kapitel VI. D a s P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (I. Teil) 1. Gekürztes Periodensystem 2. Verbreitung der Elemente
66 66 69
Hauptgruppen des Perlodensystems Kapitel VII. D i e G r u p p e d e r E d e l g a s e 1. Geschichtliches 2. Vorkommen 3. Gewinnung a) Aus L u f t b) Aus Erdgasen c) Aus Mineralien 4. Physikalische Eigenschaften 5. Anwendung 6. Spezifische Wärme chemischer Stoffe a) Gasförmige Stoffe b) Feste Stoffe
71 71 72 72 72 74 74 74 75 76 77 78
Kapitel V I I I . D i e G r u p p e d e r H a l o g e n e 1. Freie Halogene a) Das Chlor а) Vorkommen ß) Darstellung Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) Aus Natriumchlorid y) Physikalische Eigenschaften б) Chemische Eigenschaften
80 80 80 80 80 80 82 82 82
Inhalt
XIX Seite
b) c) d) e)
Photochemische Reaktionen Das Fluor Das Brom Das Jod
2. Wasserstoffverbindungen der Halogene a) Chlorwasserstoff a) Darstellung ß) Eigenschaften b) Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation a) Qualitative Beziehungen ß) Quantitative Beziehungen Ionenladung Dissoziationsgrad y) Ionenreaktionen c) Fluorwasserstoff d) Bromwasserstoff e) Jodwasserstoff
84 86 87 88 89 89 89 00 91 91 93 93 94 95 97 98 99
3. Das chemische Gleichgewicht a) Die Reaktionsgeschwindigkeit a) Die „Hin"-Reaktion ß) Die „Rück"-Reaktion y) Die Gesamtreaktion b) Der Gleichgewichtszustand a) Das Massenwirkungsgesetz ß) Sonderanwendungen des Massenwirkungsgesetzes Das Verteilungsgesetz Die elektrolytische Dissoziation Allgemeines Dissoziation schwacher Elektrolyte c) Die Beschleunigung der Gleichgewichtseinstellung a) Beschleunigung durch Katalysatoren ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung d) Die Verschiebung von Gleichgewichten a) Qualitative Beziehungen Das Prinzip von L E C H A T E L I E R Folgerungen des Prinzips von L E C H A T E L I E R ß) Quantitative Anwendungsbeispiele Die Hydrolyse Die Neutralisation e) Heterogene Gleichgewichte a) Fest-gasförmige Systeme ß) Fest-flüssige Systeme
100 101 101 102 102 104 104 106 106 107 107 108 110 111 112 113 113 113
4. Sauerstoffverbindungen der Halogene a) Sauerstoffsäuren des Chlors a) Übersicht und Nomenklatur ß) Unterchlorige Säure Darstellung Eigenschaften Salze y) Chlorige Säure wobei — wenn Anfang gleich 15® ist eine Abkühlung um etwa V« -200-0.9 = 45° eintritt. Die in dieser Weise auf —30° (i Bnde ) abgekühlte Luft strömt im G e g e n s t r o m - W ä r m e a u s t a u s c h e r der nachkommenden verdichteten Luft entgegen und kühlt diese vor, so daß sie mit t i e f e r e r T e m p e r a t u r i A n ( a n g zum Drosselventil gelangt als die vorhergehende und daher bei der folgenden Entspannung gemäß (1) auch auf t i e f e r e T e m p e r a t u r iBn(je abgekühlt wird als diese usw. So fällt die Temperatur immer weiter, zumal nach der angegebenen Formel (1) der JOULE-THOMSON-Effekt mit fallender Temperatur ¿Anfang immer größer wird. Schließlich reicht die durch die Expansion bewirkte Kälteleistung zur Verflüssigung eines Teils der Luft aus.
m/er
Die erhaltene flüssige Luft läßt sich durch F r a k t i o n i e r u n g (S. 7) in ihre beiden Hauptbestandteile S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f trennen. Die Wirkungs-
33
Der Sauerstoff
w e i s e der Fraktionierung geht aus dem nachstehenden D i a g r a m m (Fig. 16) hervor: F l ü s s i g e r S t i c k s t o f f siedet bei —196°, f l ü s s i g e r S a u e r s t o f f bei —183°. M i s c h u n g e n beider Flüssigkeiten sieden bei d a z w i s c h e n l i e g e n d e n Temperaturen, flüssige Luft 80°/o N 2 + 2 0 % 0 2 ) beispielsweise bei —1947 2 °. Trägt man die Siedepunkte aller Mischungen von Sauerstoff und Stickstoff in ein Koordinatensystem (Abszisse: prozentuale Zusammensetzung der Mischung; Ordinate: Siedetemperatur) ein, so erhält man die in Fig. 16 als „Siedekurve" bezeichnete Kurve. Erwärmt man nun eine flüssige Mischung von Stickstoff und Sauerstoff gegebener Zusammensetzung, so besitzt der entstehende D a m p f nicht die gleiche Zusammensetzung wie die Ausg a n g s f l ü s s i g k e i t (S. 7), sondern ist stets s t i c k s t o f f r e i c h e r . Trägt man auch die Zusammensetzung dieser bei den verschiedenen Siedetemperaturen mit den einzelnen flüssigen Mischungen im Gleichgewicht befindlichen -183 Dampfphasen in das Koordinatensystem ein, so -m erhält man die in Fig. 16 als „Taukurve" bedampfförmig -185 zeichnete Kurve. Sie gibt die Temperaturen an, bei welchen dampfförmige Sauerstoff-Stickstoff—186 Gemische gegebener Zusammensetzung beim By -187 Abkühlen die ersten Flüssigkeitströpfchen -188 („Tau") — von der durch die Siedekurve zum B}JkIi Ausdruck gebrachten Zusammensetzung — ab-189 • 7bu/rurt/e scheiden. -190 f \ Das so erhaltene G e s a m t d i a g r a m m er-191 S/etfeAt/rtse • möglicht in anschaulicher Weise eine Beurtei-192 lung des V e r l a u f s der F r a k t i o n i e r u n g flüssiger Stickstoff-Sauerstoff-Gemische. Erwärmt f/össig -193 man beispielsweise eine flüssige Mischung der -m Zusammensetzung 60°/0 Sauerstoff + 4 0 % Stickstoff, so beginnt diese bei —190.6° zu sieden -m (Punkt A 2 des Diagramms). Der dabei ent-196 stehende Dampf hat die Zusammensetzung .30% Sauerstoff + 7 0 % Stickstoff (B2). Da so%% 100 90 80 70 60 SO fO 30 20 10 0 mit der D a m p f s t i c k s t o f f r e i c h e r a l s die F l ü s s i g k e i t ist, ist die F l ü s s i g k e i t r e l a t i v Fig. 16. Fraktionierte Destillation und Kondensation von Sauerstoff-Stickstoffs a u e r s t o f f r e i c h e r geworden. Das bedeutet Gemischen gemäß der Siedekurve eine E r h ö h u n g des S i e d e p u n k t e s . Wir bewegen uns also während der Destillation auf der S i e d e k u r v e in der Richtung auf Az a u f w ä r t s . Würden wir die g e s a m t e Flüssigkeit verdampfen, so besäße der D a m p f in seiner -Gesamtheit natürlich die g l e i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g 6 0 % Sauerstoff + 4 0 % Stickstoff (Bt) wie die A u s g a n g s f l ü s s i g k e i t , und der letzte verdampfende Flüssigkeitstropfen hätte die dieser Dampfzusammensetzung entsprechende Flüssigkeitszusammensetzung (A t ). Man muß daher die Destillation schon dann u n t e r b r e c h e n („fraktionierte" Destillation), wenn der D a m p f eine Zusammensetzung z w i s c h e n den beiden Punkten B2 und Bi (etwa B3) und die F l ü s s i g k e i t eine Zusammensetzung z w i s c h e n den beiden Punkten A2 und Ai (etwa A3) aufweist. Wir haben dann die ursprüngliche Flüssigkeit (A2) in einen s t i c k s t o f f r e i c h e r e n g a s f ö r m i g e n (B z ) und einen s a u e r s t o f f r e i c h e r e n f l ü s s i g e n Anteil (As) getrennt. Kondensiert man den Dampf (B 3 ) völlig, so erhält man eine Flüssigkeit (A-^, welche beim Sieden einen schon s e h r s t i c k s t o f f r e i c h e n Dampf (B x ) ergibt. Bei völligem Verdampfen des flüssigen
—i 1 1 1 1 i • i i
HPi
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 34. — 36. Aufl.
3
34
Das Wasser und seine Bestandteile
Anteils (Y43) andererseits entstellt ein Dampf (B-), welcher beim Kondensieren zu einer sehr s a u e r s t o f f r e i c h e n Flüssigkeit (A¿) führt. Auf diese Weise gelingt es, durch wiederholte fraktionierte Destillation und Kondensation schließlich r e i n e n Sauers t o f f und reinen S t i c k s t o f f zu gewinnen. In der Technik wird diese „Rektifikation" der flüssigen Luft in großem Maßstabe unter Verwendung selbsttätig wirkender Rektifikationsapparate durchgeführt. In den Handel kommt der Sauerstoff in S t a h l f l a s c h e n („Bomben") unter einem Druck von 150 Atmosphären. (ä) Aus Wasser Eine einfache Methode zur Zerlegung des Wassers in seine elementaren Bestandteile W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f haben wir auf S. 13 schon kennengelernt. Es ist die sogenannte „Elektrolyse des Wassers", d. h. die S p a l t u n g durch Zufuhr e l e k t r i scher E n e r g i e : Energie + 2 H 2 0
2H 2 + 0 2 .
Hierbei wird der W a s s e r s t o f f an der negativen K a t h o d e , der S a u e r s t o f f an der positiven Anode entwickelt. Der Energieverbrauch zur Darstellung eines Kubikmeters Sauerstoff beträgt 10—12 Kilowattstunden (kWh) gegenüber nur 0.5—1.5 kWh bei der Gewinnung durch Luftzerlegung. Daher ist die technische Sauerstofferzeugung durch Wasserelektrolyse nur in Ländern mit b e s o n ders billigen W a s s e r k r ä f ten lohnend. Technisch verfährt man bei dieser Methode im Prinzip so, daß man (Fig. 17) mehrere h u n d e r t Zersetzungszellen hintereinander schaltet und die e r s t e Elektrode der ersten Zelle mit dem p o s i t i v e n , die l e t z t e Elektrode der l e t z t e n Zelle mit dem n e g a Fig. 17. Schematische Darstellung der Wasserstoff- und t i v e n Pol der Stromquelle verbinSauerstoffgewinnung durch Wasserelektrolyse det, während die m i t t l e r e n Elektroden als „bipolare" (d. h. in der einen Zelle als Kathode, in der benachbarten als Anode wirkende) Elektroden benutzt werden. Eine poröse, den Stromtransport gestattende Scheidewand („Diaphragma") verhindert die Vermischung des kathodisch gebildeten Wasserstoffs und anodisch entwickelten Sauerstoffs. Zweck» besserer Stromleitung wird das Wasser mit Natronlauge versetzt.
Statt durch den e l e k t r i s c h e n S t r o m kann das Wasser auch durch c h e m i s c h » Agentien zerlegt werden, indem man es mit Stoffen zusammenbringt, die ein großesBestreben haben, sich mit dem Wasserstoff des Wassers zu vereinigen. Ein solcher Stoff ist z. B. das gasförmige F l u o r (F 2 ), das sich mit Wasser heftig unter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g und Bildung von F l u o r w a s s e r s t o f f (HF) umsetzt: F2+H20 — ^2HF+
1/2 0 2 .
In gleicher Weise — jedoch nur unter der gleichzeitigen Einwirkung von L i c h t — reagiert das in seinen chemischen Eigenschaften dem Fluor ähnliche Chlor (vgl. S. 83f.).. Diese chemischen Verfahren der Wasserzersetzimg haben aber keinerlei praktischeBedeutung. Y) AUS festen Sauerstoffverbindungen Wie das Wasser können auch andere S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n durch Zufuhr von Energie unter Bildung von Sauerstoff gespalten werden. So geben z. B. die Sauerstoffverbindungen („Oxyde") der E d e l m e t a l l e (etwa des Silbers, Golds, Palladiums,
Der Sauerstoff
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Platins, Rhodiums, Iridiums) besonders leicht, schon bei verhältnismäßig schwachem Erwärmen, ihren S a u e r s t o f f a b : 2Au 2 0 3
4Au + 3 0 2
2 Ag20
4Ag + 0 2
Pt0 2 —->- Pt + 0 2 .
Ein Beispiel für diese Art der Sauerstoffbildung aus Metalloxyden hatten wir schon auf S. 9 bei der Besprechung der Zusammensetzung von Q u e c k s i l b e r o x y d (2HgO •—>- 2Hg + 0 2 ) kennengelernt. I m Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - O x y d e , sondern w o h l f e i l e r e , etwas komplizierter zusammengesetzte Sauerstoffverbindungen, z . B . K a l i u m c h l o r a t (KC10 3 ), K a l i u m n i t r a t (KjST0 3 ), K a l i u m p e r m a n g a n a t (KMn0 4 ). Insbesondere das Erhitzen v o n K a l i u m c h l o r a t stellt eine gebräuchliche L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Gewinnung von Sauerstoff dar.Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildving einer sauerstoff-reicheren und einer sauerstoff-ärmeren (bzw. sauerstoff-freien) Verbindung erfolgt („Disproportionierung") : 4 KC103 122V 3KCIO4 + KCl, Kaliumchlorat
KaliumPerchlorat
KaliumChlorid
worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe zerfällt: KC104^^KC1 + 202. Wichtig für die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 1 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. U l f . ) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n („positive Katalysatoren") oder e r n i e d r i g e n („negative Katalysatoren"), o h n e d a b e i s e l b s t v e r b r a u c h t zu w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird z. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch die Zugabe von M a n g a n d i o x y d (Braunstein), Mn0 2 , wesentlich erleichtert. Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat und Braunstein im Gewichtsverhältnis 10 : 1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung kommt: 2KC10 3s ^MnO, ' - > • 2 KCl + 3 0*•, . Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur um 350°.
c) Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit verdichten, welche bei —183.0° siedet und bei —218.9° zu hellblauen Kristallen erstarrt. Die Dichte des flüssigen Sauerstoffs beträgt beim Siedepunkt 1.118. I n 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.9, bei 20° 3.1 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 61).
d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich bei erhöhter Temperatur mit zahlreichen Stoffen unter L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g zu verbinden. Auf dieser Umsetzimg mit Sauerstoff — „Oxydation" — 1
katalyein (KaTaAüsiv) = auslösen. 3*
36
Das Wasser und seine Bestandteile
beruht j a der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der L u f t . Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen hier n i c h t so l e b h a f t wie in r e i n e m S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt. So verbrennt z. B. H o l z k o h l e , die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. Es wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x y d (C0 2 ) „oxydiert": C + 0 2 —•>- C02 + Energie . In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgas gefüllten Gefäß sogleich mit heller Flamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g des S a u e r s t o f f s („Reaktion auf Sauerstoff") benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x y d (S0 2 ): S + 02 v S0 2 + Energie . Entzündeter P h o s p h o r (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 5 ): 4P + 50 2 >- 2P 2 0 5 + Energie . Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r ( E i s e n Fe) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x y d (Fe 2 0 3 ): 4 Fe + 3 0 2 2 Fe 2 0 3 + Energie . M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder Calciumspäne (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x y d - bzw. C a l c i u m o x y d - N e b e l : > 2MgO + Energie 2 Ca + 0 2 — > 2CaO + Energie . 2 Mg + 0 2 N i c h t a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter ausgesprochener L i c h t - und W ä r m e e n t w i c k l u n g . Es gibt vielmehr auch l a n g s a m bei U m g e b u n g s t e m p e r a t u r v e r l a u f e n d e O x y d a t i o n e n , die ohne diese sinnfälligen Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie „stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören z . B . das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das V e r m o d e r n von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n , sowie vor allem die A t m u n g der O r g a n i s m e n . Bei diesem Atmungsvorgang spielen sich im Organismus der T i e r e und M e n s c h e n (im Organismus der P f l a n z e n bei der Nachtatmung) stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — z. B. „Kohlenhydrate", C m (H 2 0) n — mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft in Kohlendioxyd (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden: Cm(H20)n + m0 2
m C02 + n H 2 0 + Energie .
Pflanze
Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxyd, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich bei der Tagesatmung der P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche und tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich — zumal wenn man die ungeheure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 64) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft p r a k t i s c h n i c h t ä n d e r t .
Der Wasserstoff
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Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen mit Sauerstoff gedeutet. So stellte z. B. der deutsche Arzt und Chemiker GEORG ERNST STAHL (1660—1734) im Jahre 1710 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein gasförmiges Etwas entweiche, das er „Phlogiston"1 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie") nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. Schwefel,Phosphor, K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f galten danach als sehr phlogistonreiche S t o f f e . Auch als LAVOISIER (S. 11) im Jahre 1777 zeigte, daß der von CARL WILHELM SCHEELE (1742 — 1786) und JOSEPH PRIESTLEY (1733 — 1804), unabhängig voneinander, im Jahre 1774
als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine Gewichtszunahme und nicht eine Gewichtsabnahme zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man lange Zeit die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als entweichendes Phlogiston ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die freiwerdende Energie. Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den energetischen und den stofflichenUmsetzungen unterschied und auch dasPhlogiston als einen S t o f f betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche.
2. Der Wasserstoff a) Vorkommen Der Wasserstoff, der im Jahre 1766 von dem englischen Privatgelehrten HENRY CAVENDISH (1731—1810) entdeckt wurde, kommt i n f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise in der A t m o s p h ä r e vor. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist er als Bestandteil des W a s s e r s (11.2 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste bis siebente Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (vgl. S. 69).
b ) Darstellung a ) Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht. W i e bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 34). W i e dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt {„Chloralkali-elektrolyse"; vgl. S. 424ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chemischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich mit dem Sauerstoff des Wassers zu verbinden. Unter den Metallen sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Francium) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche umher und geht als N a t r i u m h y d r o x y d ( N a O H ) in Lösung: 2 HÖH + 2 Na — 2 1
phlogistos (cpAoyiCTTos) = verbrannt.
NaOH + H, + Energie.
38
Das Wasser und seine Bestandteile
I n ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildimg entsprechender Metallhydroxyde MeOH (Me = Alkalimetall). Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkahmetalle — gemäß der Gleichung 2 HÖH + Me — v Me(OH)2 + H 2 + Energie
(Me = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings unter starker Licht- und Wärmeentwicklung: H 2 0 + Mg — M g O + H 2 + Energie .
Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 1 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugune 2 : Energie + H 2 0 + Fe — - > FeO + H 2 .
(1)
Das gebildete Eisenoxyd wird in der Technik durch Kohlenoxyd CO (z. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO Fe + C0 2 , (2) indem man abwechselnd Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxyd leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so heben sich Eisenoxyd und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO — v H 2 + C0 2 (3) erhält. Das Verfahren beruht also in summa darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxyd zu Wasserstoff und Kohlendioxyd umgesetzt werden. Da sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den Umweg einer vorherigen Bildung von Eisenoxyd — durchführen läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Bolle mehr.
Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelbglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H 2 0 + C
CO + H 2
(4)
umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff heißt „ W a s s e r g a s " (S. 306 f.). Die Abtrennung des Kohlenoxyds aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weiso so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxyd „verbrennt": H 2 0 + CO — v H 2 + C0 2 + Energie ,
(3)
welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen läßt (S. 226). 1 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sich häufig der Ausdrücke „Rotglut" und „Weißglut", wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900° Weißglut ~ 1500°. 2 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxyd formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber etwas komplizierter. So bildet sich beispielsweise unterhalb von etwa 560° überhaupt kein FeO (S. 534) mehr, sondern lediglich ein Mischoxyd F e 3 0 4 = FeO • Fe»Os (S. 534, 536).
Wasserstoff
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Die beiden Gleichungen (3) und (4) ergeben addiert die Gesamtgleichung 2 H 2 0 + C — > - 2H 2 + C 0 2 . (5) In summa reagiert also der Kohlenstoff mit dem Wasserdampf unter Bildung von Wasserstoff und Kohlendioxyd. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5) technisch auch in e i n e m Arbeitsgang durchzuführen (S. 307).
ß) Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das W a s s e r H 2 0 als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „Säuren" H n X (S. 92), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist z. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende S a l z s ä u r e . Bringt man z. B. Zink — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen, so erfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung : Zn + 2 HCl — > - ZnCl2 + H 2 .
(6)
Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „ K I P P schen Apparat" durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase im Laboratorium geeignet ist.
Er besteht (Fig. 18) aus einem K u g e l t r i c h t e r und einem aus zwei Kugeln bestehenden E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . Trichter und Entwicklungsgefäß sind durch einen Glasschliff derart miteinander verbunden, daß das lange Ansatzrohr des ersteren bis in den unteren Teil des letzteren hineinragt, ohne dabei die Verbindung der beiden Kugeln des Entwicklungsgefäßes zu unterbrechen. In der m i t t l e r e n der drei Kugeln befindet sich das Zink, die o b e r e und u n t e r e Kugel enthalten Salzsäure, öffnet man den Hahn der mittleren Kugel, so fließt Säure aus der oberen in die untere Kugel, gelangt so schließlich mit dem Zink der mittleren Kugel in Berührung und setzt sich mit diesem nach der obigen Reaktionsgleichung (6) unter Bildung von Wasserstoff und Zinkchlorid (ZnCl2) um. Schließt Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im man den Hahn, so wird durch die zunächst noch fortKIPP sehen Apparat dauernde Wasserstoffentwicklung die Säure aus der m i t t l e r e n Kugel auf dem Wege über die u n t e r e Kugel und das Ansatzrohr des K u g e l t r i c h t e r s in diesen zurückgedrängt, so daß die Berührung zwischen Säure und Metall wegfällt und die Gasentwicklung zum S t i l l s t a n d kommt. Auf diese Weise ist man in der Lage, durch einfaches öffnen und Schließen des Hahns diee Wassserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu unterbrechen.
In den H a n d e l kommt der Wasserstoff in S t a h l b o m b e n , einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepreßt ist.
in denen er unter
c) Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.8° C 20.4° abs.) siedet und bei — 259.2° C (14.0° abs.) zu einer festen Masse erstarrt. Spezifisches Gewicht. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e Molek u l a r g e w i c h t (2.0160) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0° und 760 mm 2.0160:22.415 = 0.0899 g ; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein 14.38mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.3—0.1 = 1.2 g
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Das Wasser und seine Bestandteile
je Liter oder 1.2 kg je Kubikmeter. E r eignet sich somit bestens als F ü l l g a s f ü r L u f t b a l l o n s u n d L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m 3 Wasserstoff erforderlich; ein modernes Zeppelinluftschiff benötigt etwa 250000 m 3 . Nachteilig für die Verwendung des Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 42) und sein großes D i f f u s i o n s v e r m ö g e n (S.40f.). Daher bevorzugt man j e t z t H e l i u m (S.76) als Traggas. — Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt der flüssige Wasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cm 3 und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm 3 . Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in k e i n e n d e r b e i d e n a n d e r e n A g g r e g a t z u s t ä n d e übergeführt werden könnte. Zu dieser Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den /ÄS Wasserstoff durchDruck zu verflüssigen, fehlschlugen, » obwohl man Drucke bis zu mehreren tausend ' / Wasserstoff, gasförmigen Sauerstoff und flüsI 4siges Wasser. Leitet man z. B. die Reaktion flnfängszusfand/) EndzustandB so, daß nicht f l ü s s i g e s Wasser, sondern g a s i a f ö r m i g e s Wasser entsteht, so geht von dem l £ I obigen Energiebetrag die Wärmemenge ab, b/egH die erforderlich ist, um 1 Mol Wasser bei 25° Fig. 23. und 1 Atm. Druck zu verdampfen. Sie beträgt Wärmeentwicklung und Reaktionsweg 10.5 kcal, so daß bei der Bildung eines Mols d a m p f f ö r m i g e n W a s s e r s aus gasförmigem Wasserstoff und gasförmigem Sauerstoff bei 25° C und 1 Atm. Druck nur 68.3—10.5 = 57.8 kcal frei werden. Die im Vorstehenden zum Ausdruck kommende Erfahrungstatsache, daß die umgesetzte Reaktionswärme nur vom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des chemischen Systems, n i c h t aber davon abhängt, ob dieReaktion d i r e k t (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas —>• Wasserdampf) oder i n S t u f e n (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas—>- flüssiges Wasser; flüssiges Wasser —>- Wasserdampf) vorgenommen wird, gilt f ü r alle chemischen Reaktionen und wurde von G E R M A I N H E N R I H E S S (1802—1850) im J a h r e 1840 zu folgendem Gesetz („ÜEssscher Satz") verallgemeinert: Die beim Übergang eines chemischen Systems von einem bestimmten Anfangs- in einen bestimmten Endzustand abgegebene oder aufgenommene Wärmemenge ist unabhängig vom Wege der Umsetzung. F ü h r t m a n hiernach ein chemisches System (Fig. 23) einmal auf dem Wege I, das andere Mal auf dem Wege I I vom gegebenen Anfangszustand A in den gegebenen Endzustand B über, so sind die auf beiden Wegen insgesamt entwickelten bzw. verbrauchten W ä r m e m e n g e n Wi und Wu e i n a n d e r g l e i c h : WI = WU. (9) Der HESssche Satz stellt seinerseits einen Spezialfall des 1. Hauptsatzes oder Satzes von der Erhaltung der Energie dar, welcher ganz allgemein zum Ausdruck bringt, daß die bei i r g e n d einem — also nicht nur chemischen — Vorgang abgegebene oder aufgenommene E n e r g i e nur vom A n f a n g s - und E n d z u s t a n d des Systems, n i c h t aber vom Wege des Vorgangs abhängig ist. Träfe dieser 1. Hauptsatz nicht zu, so könnte man (vgl. Fig. 23) einen Vorgang sich auf dem Wege I unter Entwicklung der Energie Ei abspielen lassen, um ihn dann auf dem Wege II unter Aufwendung der kleineren Energie En wieder r ü c k g ä n g i g zu machen. Gewonnen wäre dabei der E n e r g i e b e t r a g Ej — En = AE, während sich das zur Arbeitsleistung verwendete System wieder im A n f a n g s z u s t a n d befände und daher zu e r n e u t e r A r b e i t s l e i s t u n g verwendbar wäre. Die Erfahrung zeigt, daß ein derartiges ,,Perpetuum mobile 1, Art" nicht konstruierbar ist.
Das Wasser und seine Bestandteile
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Der IlEsssche S a t z wird häufig dazu benutzt, um R e a k t i o n s w ä r m e n , die direkt nicht meßbar sind, i n d i r e k t zu bestimmen. So kann man z. B . die bei der Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d (C + 1 / 2 0 2 — > - CO) freiwerdende Wärme Wc-^co nicht unmittelbar ermitteln, weil bei der Verbrennung von Kohlenstoff stets ein G e m i s c h v o n K o h l e n o x y d u n d K o h l e n d i o x y d entsteht. Dagegen ist sowohl die Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (C + 0 2 —>- C 0 2 + 94.0 kcal) wie die Verbrennung von — auf anderem Wege rein dargestelltem — K o h l e n o x y d zu K o h l e n d i o x y d (CO + V 2 0 2 — v COa + 67.6 kcal) experimentell realisierbar. Gemäß dem aus dem H E S S sehen Satz folgenden Schema: ,
+ Fc_
c o
^ ,, ^ ^ CO + V2 0 2
+ 67.6 kal
I
co2 + 94.0 kcal
f
gilt dann, daß W c -^co + 67.6 = 94.0 bzw. W c ^ c o = 94.0 — 67.6 = 26.4 kcal ist. Die angegebenen Reaktionswärmen („ Verbrennungswärmen") gelten dabei für Graphitkohlenstoff, 25° C und 1 Atm. Druck. Um die genaue Messung chemischer Reaktionswärmen haben sich vor allem der dänische C h e m i k e r J U L I U S THOMSEN ( 1 8 2 6 — 1 9 0 9 ) , d e r f r a n z ö s i s c h e C h e m i k e r MARCELIN
BERTHELOT
(1827 — 1907) und in neuerer Zeit der deutsche Physikochemiker WALTHER EOTH (1873—1950)
verdient gemacht. Alle im vorliegenden Lehrbuch angegebenen Reaktionswärmen beziehen sieb — wenn nicht anders angegeben — auf 25° C, 1 Atm. Druck und die unter diesen Bedingungen stabilen Zustandsformen der beteiligten Stoffe. Früher glaubte man, daß die G r ö ß e d e r W ä r m e t ö n u n g einer Reaktion ein M a ß f ü r i h r e c h e m i s c h e T r i e b k r a f t („Affinität") sei und daß dementsprechend nur e x o t h e r m e Reaktionen f r e i w i l l i g ablaufen könnten. Diese Annahme hat sich als i r r i g erwiesen. Wie wir heute wissen, setzt sich die Wärmetönung Wgesamt a u s zwei Gliedern, der „freien" (Wtre¡) und der „gebundenen" Energie (W7gcbunden) zusammen:
Wrgesamt= Wfrei + ^gebunden , (10) von denen lediglich der in seiner E n e r g i e f o r m f r e i e , d.h. auch als A r b e i t s l e i s t u n g gewinnbare Anteil WfIei („maximale Arbeit" einer Reaktion) den Reaktionsablauf bestimmt, indem nur solche Umsetzungen f r e i w i l l i g abzulaufen vermögen, bei denen freie Energie a b g e g e b e n wird, also Arbeit gewonnen werden kann (vgl. E G O N W I B E R G , „Die chemische Affinität. Eine Einführung in die Lehre von der Triebkraft chemischer Reaktionen", Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1951). Der in seiner Energieform g e b u n d e n e , nur in Form von W ä r m e umsetzbare Anteil WgehUTiden ist mit diesem Reaktionsablauf z w a n g s l ä u f i g g e k o p p e l t . V o r z e i c h e n und G r ö ß e des Umsatzes gebunden bedingen dabei gemäß (10) das V o r z e i c h e n d e r G e s a m t e n e r g i e Wgesamt des freiwillig verlaufenden Vorgangs und damit dessen e x o t h e r m e n oder e n d o t h e r m e n Charakter.
f) Atomarer Wasserstoff Wesentlich reaktionsfähiger als der gewöhnliche m o l e k u l a r e Wasserstoff (H 2 ) ist der atomare Wasserstoff (H). Man erhält ihn aus ersterem durch Z u f u h r v o n Energie: 103.4 kcal + H2 2 H. (11) Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit der Wasserstoffatome im Vergleich zu den Wassers t o f f m o l e k ü l e n erklärt sich aus dem M e h r g e h a l t a n E n e r g i e . Besonders geeignet zur Darstellung größerer Mengen atomaren Wasserstoffs sind die Verfahren von R . W . WOOD u n d v o n I .
LANGMUIR.
WooDsches Darstellungsverfahren. Das WOOD s e h e V e r f a h r e n besteht darin, daß man gewöhnlichen molekularen Wasserstoff unter stark vermindertem Druck einer
Der Wasserstoff
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e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g aussetzt. Ein hierfür sehr zweckmäßiger Apparat wird in Fig. 24 wiedergegeben. Er besteht im wesentlichen aus einem elektrolytischen W a s s e r s t o f f e n t w i c k l e r (vgl. S. 13) und einem E n t l a d u n g s g e f ä ß . Letzteres ist ein 2 cm weites, 2 m langes, zwecks Platzersparnis U- oder S-förmig gebogenes, mit A l u m i n i u m b l e c h - E l e k t r o d e n versehenes Glasrohr. Durch entsprechendes Einstellen eines zwischen Entwicklungs- und Entladungsgefäß angebrachten R e g u l i e r v e n t i l s und durch lebhaftes A b s a u g e n d e s W a s s e r s t o f f s am Ende der Apparatur wird der Druck des — in einem Ausfriergefäß von Wasserdampf befreiten — Wasserstoffs auf 0.1 bis 1 mm gehalten und ein rascher Gasstrom beAluminiumblech-Elektroden wirkt. Durch Anlegen einer Spannung von m e h r e r e n t a u s e n d V o l t an die Aluminiumelektroden des Entladungsgefäßes erzeugt man dann eine G l i m m e n t l a d u n g , in welcher gemäß (11) eine A u f s p a l t u n g der Wasserstoffmoleküle zu A t o m e n erfolgt. Die Ausbeute beträgt bei geeigneten Vorsichtsmaßregeln bis zu 95°/ 0 der Theorie. Zwar vereinigen sich die Atome nach kurzer Zeit ( 1 / 3 bis 1 / 2 Sekunde) wieder zu Molekülen; diese Zeit genügt aber, um den atomaren Wasserstoff aus dem Durchladungsgefäß abzusaugen und über die in Reaktion zu bringenden Stoffe zu leiten. Die g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des atomaren WasserFig. 24. Darstellung von atomarem Wasserst off nach Wo OD stoffs im Vergleich zum molekularen Wasserstoff zeigt sich z. B. darin, daß er sich zum Unterschied vomletzteren bereits b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r mit Chlor, Brom, Jod, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon unter Bildung von W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g e n (HCl, HBr, H J , H 2 0 , H 2 S, PH 3 , AsH 3 , SbH 3 ) vereinigt. Die R ü c k b i l d u n g {„Rekombination") von W a s s e r s t o f f m o l e k ü l e n aus Wassers t o f f a t o m e n wird durch verschiedene Stoffe stark b e s c h l e u n i g t . Da hierbei je Mol ( = 2 g) gebildeten molekularen Wasserstoffs die zur Aufspaltung der Moleküle (11) verwendete Energie von 103.4 kcal wieder frei wird, kann man die beschleunigende Wirkung der einzelnen Stoffe in einfacher Weise z. B. dadurch messen, daß man die Substanzen auf die Kugel eines Thermometers bringt und dieses in den Wasserstoffstrom einhängt. J e stärker die beschleunigende Wirkung ist, u m so höher steigt die Temperatur des Thermometers. Die katalytische Wirkung der M e t a l l e nimmt beispielsweise in der Reihenfolge Platin, Palladium, Wolfram, Eisen, Chrom, Silber, Kupfer, Blei ab. Umgekehrt gibt es auch Stoffe, welche die Rückbildung der Wasserstoffmoleküle h e m m e n . Hierzu gehört z. B. die sirupöse P h o s p h o r s ä u r e . Daher pflegt man die Wandungen der Rohre, durch welche der atomare Wasserstoff geleitet wird, mit sirupöser Phosphorsäure auszustreichen. LANcnuiBgches Darstellungsverfahren. Die bei der Rückbildung von Wasserstoffmolekülen aus Wasserstoffatomen freiwerdende R e k o m b i n a t i o n s w ä r m e kann zum S c h w e i ß e n u n d S c h m e l z e n hochschmelzender Metalle oder Metallverbindungen verwandt werden. Man benutzt hierzu zweckmäßig die sogenannte ,,LANGMUiR-Fackel" (Fig. 25). I m Prinzip beruht das Verfahren darauf, daß man zwischen W o l f r a m e l e k t r o d e n in einer aus einem Kranz feiner Düsen ausströmenden W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e einen L i c h t b o g e n erzeugt und durch diesen mittels einer Düse einen scharfen W a s s e r s t o f f s t r a h l bläst. Richtet man den auf solche Weise erzeugten Strom von h e i ß e m , a t o m a r e m W a s s e r s t o f f auf eine einige cm vom Lichtbogen entfernte M e t a l l o b e r f l ä c h e , so erfolgt auf Grund der katalysierten Vereinigung der Atome
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Das Wasser und seine Bestandteile
zu Molekülen und der hierdurch bedingten s e h r s t a r k e n W ä r m e e n t w i c k l u n g eine i n t e n s i v e l o k a l e E r h i t z u n g . Es lassen sich so die höchstschmelzenden Stoffe — z. B. W o l f r a m (Smp. 3380°), T a n t a l (Smp. 3030°), T h o r i u m d i o x y d (Smp. 3050°) — zum Schmelzen bringen. T e c h n i s c h wendet man das geschilderte L A N G M U I R V e r f a h r e n zum S c h w e i ß e n (vgl. S. 43) a n ; es besitzt den großen Vorteil, daß der Wasserstoff eine S c h u t z a t m o s p h ä r e bildet, so daß ein o x y d a t i v e r A n g r i f f der Schweißfläche durch den Sauerstoff der Luft a u s g e s c h l o s s e n ist. Die maximale Temperatur der LANGMUIR-Fackel ist um rund 2000° höher als die des K n a l l g a s g e b l ä s e s (S. 43). „Status nascendi". Auch bei der auf S. 37 ff. besprochenen c h e m i s c h e n und e l e k t r o c h e m i s c h e n Darstellung des Wasserstoffs aus Wasser oder Säuren entsteht der Wasserstoff im ersten Augenblick a t o m a r oder doch wenigstens in einem a n g e r e g t e n Zustand:
Na + H Ö H — > - NaOH + H .
So kommt es, daß der Wasserstoff im A u g e n b l i c k d e s E n t s t e h e n s („in statu nascendi") v i e l r e a k t i o n s f ä h i g e r als gewöhnlicher Wasserstoff ist. Leitet man z. B. den in einem Kippschen A p p a r a t aus Zink -Uolframe/ekfrode und Säure entwickelten Wasserstoff (S. 39) in eine angesäuerte, verdünnte violette K a 1 i u m p e r m a n g a n a t l ö s u n g (KMn0 4 ) oder orangegelbe K a l i u m d i c h r o m a t Düsenkranz l ö s u n g (K 2 Cr 2 0 7 ), so beobachtet man k e i n e F a r b ä n d e r u n g , da der reaktionsträge molekulare Wasserstoff H diese sauerstoffreichen gefärbten Stoffe nicht zu anders gefärbten Produkten zu reduzieren vermag. Gibt man aber das Zink d i r e k t zu den beiden sauren Lösungen, so daß sich der Wasserstoff in d i e s e n L ö s u n g e n s e l b s t entwickeln und so i n s t a t u n a s c e n d i auf die gelösten Stoffe einwirken kann, so beobachtet man im Fig. 25. Falle des Kaliumpermanganats bald eine E n t f ä r b u n g , Darstellung von atomarem im Falle des Kaliumdichromats bald eine G r ü n f ä r b u n g Wasserstoff nach L A N G M U I R der Lösung. Die erhöhte Reaktionsfähigkeit von Stoffen im Augenblick des Entstehens ist eine ganz allgemeine Erscheinung. Wie der W a s s e r s t o f f lassen sich auch a n d e r e E l e m e n t e durch Zufuhr von Energie in den atomaren Zustand überführen. Erwähnt seien hier: der S a u e r s t o f f 2 0 ) , der S t i c k s t o f f (170.3 kcal + N 2 — 2 N ) , das C h l o r 2Br) und das J o d (51.2 kcal + J 2 2J). In neuerer Zeit haben sich im gewöhnlichen Wasserstoff verschiedenartige Wasserstoff moleküle („leichter" und „ s c h w e r e r " Wasserstoff; „ ortho "- und ,,para"-Wasserstoff) nachweisen lassen. Näheres hierüber S. 562 ff. und S. 564f.
3. Das Wasser a) Vorkommen Das W a s s e r bedeckt in Form der O z e a n e 3 / 4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f e n durchzogen und enthält G r u n d w a s s e r . Auch am Aufbau der P f l a n z e n - u n d T i e r w e l t ist das Wasser in bedeutendem Maße beteiligt. So besteht z. B. der menschliche Körper zu 60—70°/ 0 aus Wasser; manche Gemüse und Früchte, z. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90% Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.-°/ 0 Wasser in Dampf-
Das Wasser
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form aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger {„Nebel", „Wolken", „Regen") oder fester Form („Reif", „Schnee", „Hagel") wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche Mineralien chemisch gebundenes Wasser (,,Kristallwasser'').
b) Reinigung Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung reinen Wassers läuft stets auf eine Reinigung natürlich vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es «inen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch Staubt e i l c h e n und Gase (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxyd) aus der Luft. Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0.2°/ 0 f e s t e Stoffe, die zum größten Teil aus Calciumund Magnesium Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser weich, andernfalls h a r t (S. 410). Quellwässer, die g r ö ß e r e Mengen fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. J e nach den gelösten Stoffen unterscheidet man Solwässer (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), Schwefelwässer (mit Schwefelwasserstoff), Säuerlinge (mit Kohlensäure), S t a h l wässer (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2 . 7 % Kochsalz und insgesamt ungefähr 3.5°/ 0 Salze. Darunter finden sich — wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 30 verschiedenen Elementen. Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Quellwasser am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man Grundwasser oder F l u ß w a s s e r . In letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische Reinigung (vor allem E n t k e i m u n g ) •erforderlich. Diese Reinigung wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. Im chemischen L a b o r a t o r i u m wie auch in manchen t e c h n i s c h e n B e t r i e b e n ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s W a s s e r — gegegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 7) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser vollkommen rein gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e Destill a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Für viele technische Zwecke — etwa zur Gewinnung von Speisewasser für Dampfkessel oder von Gebrauchswasser für Wäschereien — wird das Wasser statt durch Destillation durch chemische Methoden, z. B. durch Ausfällung oder durch chemische Bindung der störenden gelösten Salze „enthärtet". Näheres hierüber s. S. 410.
Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messung des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. Vollk o m m e n reines W a s s e r besitzt bei Zimmertemperatur eine spezifische Leitfähigkeit von nur 4 XlO - 8 reziproken Ohm („Siemens"). Demgegenüber beträgt z. B. das spezifische Leitvermögen des K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6 x l 0 5 reziproke Ohm. 1 K u b i k m i l l i m e t e r reinstes W a s s e r besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t von 1 mm2 Querschnitt und ( 6 x l 0 5 ) : ( 4 x l 0 - 8 ) = 1.5 XlO13 mm = 15 Millionen K i l o m e t e r Länge. Diese Drahtlänge entspricht der 40-fachen Entfernung zwischen Erde und Mond! Die geringsten Spuren von .Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxyd aus der Luft steigern das Leitvermögen H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 34.—36. Aull.
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des Wassers erheblieh. So besitzt z. B. das für Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 XlO - 6 reziproken Ohm, entsprechend dem 25-fachen Wert von völlig reinem Wasser.
c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, in dünner Schicht farblose, in dicker Schicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welche bei 0° zu E i s erstarrt und bei 100° unter Bildung von W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 135ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. Im gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 21), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m so w e n i g e r in Erscheinung, je g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 23) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S. 24), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist. V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch K o m p r i m i e r e n oder durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen Kräften folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 51) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher behebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggregatzustandes a b g e g e b e n e E n e r g i e wird als „Kondensationswärme" frei. Die gleiche Energiemenge muß als „Verdampfungswärme" zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.1 cal/g = 9.70 kcal/Mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t — um den Betrag der „Erstarrungswärme" — ab. Die Flüssigkeit erstarrt zum testen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck durch die Angabe des ,,Kristallgitters" (vgl. S.146f., 154 f., 293 ff.). Beim S c h m e l z e n eines festen Stoff s muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als „Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.40 cal/g = 1.43 kcal/Mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärme verbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei.
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Das Wasser
Beim Übergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten a u s . Und zwar beträgt das spezifische Gewicht des Eises bei 0° C 0.9168, das des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999g/cm 3 , so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999:0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um 1 / 1 1 des Volumens (9%) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t und so durch Schaffen neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt das spezifische Gewicht des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0°: 0.9999, 4°: 1.0000, 10°: 0.9997 g/cm 3 ). Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere wärmere Wasser an die Oberfläche kommt und dort auf 4° abgekühlt wird. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers von Bedeutung ist. Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren ist darauf zurückzuführen, daß das B i s ein w e i t m a s c h i g e s , von zahlreichen H o h l r ä u m e n durchsetztes K r i s t a l l g i t t e r (von Si0 2 -Struktur; vgl. S. 328) bildet, während im f l ü s s i g e n Wasser, bei dem diese Kristallstruktur weitgehend zerstört ist, die Moleküle wie bei jeder Flüssigkeit zu einer d i c h t e n K u g e l p a c k u n g zusammengelagert sind. Immerhin kommen auch im flüssigen Wasser bei 0° noch kleinere „kristalline" H 2 0 Aggregate vor, deren Zusammenbrechen beim Erwärmen das weitere Anwachsen der Dichte des Wassers bis 4° bedingt. Von hier ab wird die Volumenabnähme infolge „Entkristallisierung" durch die Volumenzunahme infolge Erhöhung der Molekularbewegung ü b e r k o m p e n s i e r t , so daß die Dichte wieder abnimmt.
D a s G e w i c h t e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° w i r d d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s 1 G r a m m (g) b e z e i c h n e t . D i e W ä r m e m e n g e , d i e e r f o r d e r l i c h i s t , u m l g W a s s e r v o n 14.5 a u f 15.5° C zu e r w ä r m e n , d i e n t u n t e r d e m N a m e n „ G r a m m k a l o r i e " (cal) — tausendfacher W e r t : „Kilogrammkalorie" (kcal) — d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s W ä r m e - e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (° C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 53). ß) Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 23) so Dampf auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle die g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. besonders e n e r g i e r e i c h e n Molekülen ist der Übertritt in die Dampfphase möglich, da F i g 2 6 Dampfdruck eii es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, ' ' Flüssigkeit 4*
DaB Wasser und seine Bestandteile
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zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r a u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder eing e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand. Es herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist für eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases definitionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist (S. 21), die Kraft also, die durch die auf die F l ä c h e n e i n h e i t aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.
E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampfdrucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in Kurve A von Fig. 27 dargestellt ist. Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t u n d D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man z. B. flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestrichelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Tempera-
Pfeif
.PfKsS.: i.Sdmm
0,0093
Temperatur
Fig. 27. Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)
¡¡¡¡¡1
Flüssigkeit
t
l(l|
feterStotf
Fig. 28. Gefrier-(Schmelz-)punkt und Dampfdruck
tur des Schnittpunktes mit Kurve A zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s der F l ü s s i g k e i t in den D a m p f z u s t a n d ä n d e r t sich die T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtung des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. I n gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei Druck-
Das Wasser
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Vermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die Kurve A erreicht ist. Kurve A trennt somit das Existenzgebiet des f l ü s s i g e n Wassers von dem des Wasserdampfes. Diejenige Temperatur, bei welcher der Sättigungsdampfdruck einer Flüssigkeit den Wert von 1 Atmosphäre ( = 760 mm) erreicht, nennt man definitionsgemäß den Siedepunkt der Flüssigkeit (Taupunkt des Dampfes). E r liegt für Wasser bei 100° C. Eine analoge Kurve wie für die Verdampfung einer F l ü s s i g k e i t ergibt sich für die Verdampfung eines f e s t e n S t o f f s . Sie gibt in entsprechender Weise die zusammengehörenden Paare von Druck und Temperatur an, bei denen sich f e s t e r S t o f f und D a m p f miteinander im dynamischen G l e i c h g e w i c h t befinden, und verläuft — wie sich theoretisch auch begründen läßt — stets s t e i l e r als die Dampfdruckkurvo der Flüssigkeit (vgl. Kurve B in Fig. 27). Ein besonders ausgezeichneter Punkt ist der S c h n i t t p u n k t der beiden Dampfdruckkurven des f e s t e n und f l ü s s i g e n Stoffs. U n t e r h a l b der Temperatur des Schnittpunktes hat die F l ü s s i g k e i t , o b e r h a l b der f e s t e S t o f f den g r ö ß e r e n D a m p f d r u c k . Bringt man daher z.B. die flüssige und die feste Form des gleichen Stoffs getrennt in ein Gefäß der vorstehenden Form (Fig. 28) und kühlt das Ganze auf eine u n t e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (Fig. 27) gelegene Temperatur t (/>flüss > piesi) ab, so wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten Sättigungsdampfdruck ^>flüss. verdampfen und sich rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes piest — als fester Stoff kondensieren: die F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (/>flüas. < ^ f c s t ), so verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: der f e s t e S t o f f s c h m i l z t . Nur dann, wenn pmsa. — fiieat ist, d . h . bei der T e m p e r a t u r des S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B, befinden sich f l ü s s i g e und f e s t e F o r m eines Stoffs miteinander im G l e i c h g e w i c h t . Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. Er liegt für reines Wasser (Fig. 27) bei + 0.0099° C (Eigendampfdruck 4.58 mm). Der S c h m e l z p u n k t eines Stoffs ist vom ä u ß e r e n D r u c k a b h ä n g i g . Und zwar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 113). Beim Wasser fällt er für je 1 Atmosphäre Drucksteigerung um 0.0075°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt demnach r e i n e s Wasser bei 0.0099 — 0.0075 = 0.0024° C, l u f t g e s ä t t i g t e s Wasser (Gefrierpunkterniedrigung von 0.0024°) bei 0°. In Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurven A, B und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in drei F e l d e r . Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je ein Aggregatzustand des Wassers existenzfähig; längs der K u r v e n dagegen sind je zwei Phasen, beim S c h n i t t p u n k t der drei Kurven („Tripelpunkt") alle drei Phasen nebeneinander beständig („koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 187 ff.). D i e T e m p e r a t u r s k a l a von Celsius g r ü n d e t s i c h auf den S c h m e l z - und S i e d e p u n k t r e i n e n , l u f t g e s ä t t i g t e n W a s s e r s . U n d zwar d i e n t d e f i n i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r A t m o s p h ä r e n d r u c k a l s N u l l p u n k t der S k a l a , während der T e m p e r a t u r p u n k t 100° d u r c h den S i e d e p u n k t b e i A t m o s p h ä r e n d r u c k d e f i n i e r t i s t . l ° C i s t dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls. Y) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen W a s s e r ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die g e l ö s t e n S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem G a s z u s t a n d ähnlichen Zustand.
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Das Wasser und seine Bestandteile
Löst man z . B . Z u c k e r in Wasser auf, so verteilt er sich darin m o l e k u l a r . Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der g e l ö s t e Stoff wie ein g a s f ö r m i g e r Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. I n n e r h a l b der L ö s u n g heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29 a an einem solchen Teilchen • gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der A u ß e n f l ä c h e der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29 a) einseitig nach dem Innern zu erfolgen muß, wirken sich die Kräfte aus (vgl. S. 391 f.). Daher kommt es, daß die in einer Lösung g e l ö s t e n M o l e k ü l e k e i n e n dem G a s d r u c k e n t s p r e c h e n d e n D r u c k auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. D i e s i s t e r s t d a n n der F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß von L ö s u n g s m i t t e l u m g e b e n ist und die Wände des Gefäßes h a l b d u r c h l ä s s i g (,,semipermeabel"), d . h . d u r c h l ä s s i g für das Lös u n g s m i t t e l und u n d u r c h l ä s s i g für den g e l ö s t e n S t o f f sind. Denn nur dann wirken — wie inFig. 29 b an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an d e r W a n d g r e n z f l ä c h e die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die g e l ö s t e n M o l e k ü l e , so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie G a s m o l e k ü l e gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und damit einen D r u c k auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran e l a s t i s c h , so bläht sie sich demnach im Lösungsmittel unter dem Einfluß des Druckes der gelösten Moleküle wie ein mit Gas gefüllter Gummiballon auf. Es ist nach dieser Analogie zwischen dem Druck eines Gases und dem einer Lösung nicht verwunderlich, daß der „osmotische Druck" ( P ) — wie namentlich quantitative Untersuchungen des holländischen Physikochemikers J A C O B U S H E N R I C U S VAN'T H O F F (1852—1911) zeigten — b e i v e r d ü n n t e n („idealen") Lösungen in d e r s e l b e n W e i s e von dem Volumen (F), der Zahl gelöster Mole (w) und der absoluten Temperatur (T) abhängt wie der G a s d r u c k (S. 23):
P-V = n-R-T
(1)
und daß die K o n s t a n t e R den g l e i c h e n W e r t wie bei der Zustandsgieichung der Gase (S. 24) besitzt. G e l ö s t e S t o f f e üben somit d e n s e l b e n D r u c k aus, den sie — falls man sie vergasen könnte — bei gleicher T e m p e r a t u r und im gleichen Volumen auch als G a s e ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Folgerungen (S. 24) gelten daher auch für den Lösungszustand. Enthalten also z. B . /.,,_, , . ,, , 22.41 Wasser 1 Mol eines Stoffs, so h3/bdurcMass,ge ÜJönd beträgt der osmotische Druck bei 0° 1 Atmosphäre.
-Lösung
Fig. 29 a. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilchen
Fig. 29 b. Zustandekommen des osmotischen Druckes
DM Waaser
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Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck p und osmotischem Druck P weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischenDruckP undder Dampfdruckerniedrigung Ap (S.57f.) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegung (S. 50) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p D l f f in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck p ' D l f f ) aus der Lösung in das reine Lösungsmittel wandernden Teilchen, da in der Lösung das Lösungsmittel durch den gelösten Stoff verdünnt und die Konzentration an diffundierbaren Lösungsmittelmolekülen in ihr dementsprechend geringer als im reinen Lösungsmittel ist. Die Differenz dPvis beider Diffusionsdrucke (Zlp Diff = p D i f f — i s t numerisch gleich dem osmotischen Druck P 1 und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl n des gelösten Stoffes proportional 2 : „ „ ¿Pub.
= P = K.n.
(2)
Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" A p m s dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck p hydr _ der Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags ¿lp Diffi = p D l f f — P Dlff u n ( i damit des osmotischen Druckes P erreicht hat (Fig. 30). Nunmehr gilt Phydr. + VDiff. = PDiff.» 8 0 d a ß j e t z t unter dem Einfluß des um den hydrostatischen Druck p h y ( l r vermehrten Diffusionsdruckes p' D i ff- in der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des osmotischen Drucks P = Apmff läuft hiernach p Diffusion^Diffusion auf eine Messung des hydrostatischen Druckes = Phydr. ^ PDiff. Flüssigkeitssäule im Steigrohr hinaus.
Eine zweckmäßige Anordnung für die Messung des osmotischen Drucks stellt die „PfEFFERSche
Zelle"
( F i g . 31) d a r . S i e b e -
steht aus einem T o n z y l i n d e r , in dessen Wandungeineais halb d u r c h l ä s s i g e Wand wirkende starre Membran aus K u p f e r c y a n o f errat Cu2[Fe(CN)6] eingebettet ist. Diese Membran wird durch Füllen des Tonzylinders mit Kupfersulfatlösung und Eintauchen des Gefäßes in eine Kaliumcyanoferratlösung erzeugt, wobei die beiden Lösungen von entgegengesetzten Seiten in das Wandinnere eindringen und in der Mitte einen Niederschlag von Kupfer-
Fig. 30. Zustandekommen des osmotischen Druckes
1 Osmotischer Druck P und Diffusionsdrack ApDlff beschreiben ja dieselbe Erscheinung des V e r d ü n n u n g s b e s t r e b e n s e i n e r L ö s u n g , nur von verschiedenen Standpunkten (dem der gelösten Moleküle und dem der Lösungsmittelmoleküle) aus. Während P den Druck wiedergibt, mit dem sich die gelösten Moleküle bei Verwendung e l a s t i s c h e r halbdurchlässiger Membrane relativ zum „ruhenden" Lösungsmittel von innen nach außen (Fig. 29 b) bewegen (erste Betrachtungsweise ; S. 53f.), bringt das gleich große Apmff den Druck zum Ausdruck, mit dem umgekehrt die Lösungsmittelmoleküle bei Verwendung s t a r r e r semipermeabler Wände relativ zum „ruhenden" gelösten Stoff von außen nach innen (Fig. 30) wandern (zweite Betrachtungsweise; S. 55). 2 Gemäß (1) ist der Proportionalitätsfaktor K = BTIV.
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Das Wasser und seine Bestandteile
cyanoferrat bilden: 2 C u S 0 4 + K 4 [Fe(CN) 6 ] Cu 2 [Fe(CN) 6 ] + 2 K 2 S 0 4 . Die Tonzelle ist durch einen S t o p f e n dicht verschlossen, durch den ein Füllansatz und ein Kapillarmanometer führen. Der F ü l l a n s a t z ermöglicht eine luftfreie Beschickung der Zelle mit der zu untersuchenden Lösung; das am einen E n d e verschlossene K a p i l l a r m a n o m e t e r ist mit Quecksilber gefüllt, welches die Lösung von dem L u f t puffer im äußeren Manometerschenkel trennt. Während des Versuchs wird der Quecksilberfaden im Manometer durch den osmotischen Druck der Lösung so lange gegen das Luftpolster vorgeschoben, bis Luftdruck und osmotischer Druck einander gleich geworden sind. Die h a l b d u r c h l ä s s i g e n W ä n d e und die dadurch bedingten Erscheinungen des osmo t i s c h e n D r u c k e s spielen im H a u s h a l t der b e l e b t e n N a t u r , bei Pflanzen und Tieren, eine sehr wichtige Rolle. Untersuchungen von Pflanzenphysiologen — namentlich des deutschen Botanikers W I L H E L M P F E F F E R (1845—1920) — sind es denn auch gewesen, die den Anstoß zur Aufstellung der osmotischen Theorie gaben. Der lebende P r o t o p l a s m a s c h l a u c h , der den Z e l l s a f t der Pflanzen einschließt, stellt eine für das Lösungsmittel(Wasser) d u r c h l ä s s i g e , für die im Zellsaft g e l ö s t e n S t o f f e aber u n d u r c h l ä s s i g e Membran dar. Der dadurch bedingte o s m o t i s c h e D r u c k der gelösten Substanzen, der m e h r e r e A t m o s p h ä r e n beträgt, ist die Ursache unter anderem dafür, daß die grünen Pflanzen trotz der Zartheit und Biegsamkeit ihrer Zellwandungen f e s t e , a u f r e c h t e G e b i l d e sind. Wie ein Fahrradschlauch durch den Gasdruck der eingepumpten Luft gestreckt und gestrafft wird, so erlangen auch die Pflanzenteile durch den von den gelösten Stoffen auf die umschließenden dehnbaren Wandungen ausgeübten osmotischen Druck ihre Festigkeit. Das W e l k e n der Pflanzen wird durch eine dem Undichtwerden des Gummischlauchs entsprechende zunehmende D u r c h l ä s s i g k e i t der Plasmahäute für die im Zellsaft enthaltenen Substanzen hervorgerufen. Auf der Fähigkeit der Zellen, den in ihnen wirkenden osmotischen Druck durch Vermehrung oder Verminderung der Zahl gelöster Moleküle (infolge ausgelöster chemischer Reaktionen oder dergleichen) zu v e r ä n d e r n , beruhen eine Reihe von B e w e g u n g s e r s c h e i n u n g e n bei den Pflanzen. Auch die in den t i e r i s c h e n und m e n s c h l i c h e n B l u t k ö r p e r c h e n gelösten Stoffe üben einen osmotischen Druckaus. So beträgt der o s m o t i s c h e D r u c k d e s B l u t e s der Säugetiere bei der normalen Körpertemperatur 7.7 A t m o s p h ä r e n , entsprechend einer 0.3-molaren Lösung. Einen gleichen osmotischen Druck besitzt eine 0.95°/ 0 ige K o c h s a l z l ö s u n g . Eine solche kann daher als „physiologische Kochsalzlösung" ohne Nachteil in das Blut gebracht werden, wogegen eine k o n z e n t r i e r t e r e wegen ihres höheren Drucks die Blutkörperchen zusammenpreßt, d.h. zum S c h r u m p f e n bringt, während eine v e r d ü n n t e r e ihnen umgekehrt Veranlassung zur Ausdehnung, d. h. zum Quellen gibt, da hier der osmotische Druck der Blutkörperchen überwiegt. Die oben zum Ausdruck gekommene Analogie zwischen Gas und Lösung erstreckt sich auch auf den V e r d a m p f u n g s - und Lösungsvorgang. Genau wie eine Substanz bei gegebener Temperatur bis zu einem bestimmten D a m p f d r u c k („Sättigungsdampfdruck'') bzw. einer bestimmten K o n z e n Fig. 31. Messung des osmotischen t r a t i o n („Sättigungskonzentration") v e r d a m p f t , Drucks in der PFEFFERschen Zelle l ö s t sich ein mit einem L ö s u n g s m i t t e l zusammengebrachter S t o f f bis zu einem bestimmten o s m o t i s c h e n S ä t t i g u n g s d r u c k bzw. einer bestimmten Sättigungskonzent r a t i o n („gesättigte Lösung"). Dieser S ä t t i g u n g s w e r t („Löslichkeit") ergibt sich auch hier als Folge des dynamischen G l e i c h g e w i c h t s zwischen ,,unverdampften" — d . h . u n g e l ö s t e n — und „verdampften" — d . h . g e l ö s t e n — Molekülen und w ä c h s t , falls keine chemischen Reaktionen mit dem Lösungsmittel erfolgen, m i t s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r . E r h ö h t man den osmotischen Druck (Gasdruck) einer
Das Wasser
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bis zur Sättigung gelösten (verdampften) Substanz bei konstanter Temperatur durch Verkleinern des Lösungs-(Gas-)Volumens, also z. B. durch Verdunsten des Lösungsmittels (Komprimieren des Dampfes), so tritt solange eine Ausfällung (Kondensation) des gelösten (verdampften) Stoffs aus der Lösung (dem Dampf) ein, bis der osmotische Druck (Gasdruck) den ursprünglichen Wert des Sättigungsdrucks wieder erreicht hat. Verkleinert man ihn durch Vergrößern des Volumens, also z. B. durch Verdünnen der Lösung (Expandieren des Dampfes), so erfolgt, falls noch ungelöster Stoff — „Bodenkörper" — (unverdampfter Stoff — „Kondensat" —) vorhanden ist, umgekehrt weitere Auflösung (Verdampfimg) bis zur Wiedereinstellung des Gleichgewichtsdrucks. 5) Molekulargewichtsbestimmung in Lösaiigen Die der G a s g l e i c h u n g (4) — S. 23 — entsprechende o s m o t i s c h e G l e i c h u n g (1) — S. 54 — ermöglicht die Ermittlung von M o l e k u l a r g e w i c h t en wassergelöster Stoffe, indem man durch Messung der Größen P, V und T die in einer Lösung je Liter Wasser vorhandene Molzahl n des gelösten Stoffes bestimmt, woraus sich bei Kenntnis des Gewichtes g dieser n Mole das Gewicht e i n e s Mols, d. h. das Molekulargewicht M (M = g/w; vgl. S. 24) ergibt. Diese Methode der M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g ist deshalb von großer W i c h t i g k e i t , weil sich sehr viele Stoffe, wie z. B. der Zucker, nicht unzersetzt vergasen lassen, während sie durch Auflösen in Wasser (oder anderen Lösungsmitteln) leicht in eine dem Gaszustand entsprechende molekulare Aufteilung gebracht werden können, so daß eine Er760mm / / mittlung ihres Molekulargewichts mittels ¡M y O f der Gasgleichung möglich ist. Leider stößt aber die Messung (S. 55 f.) ! i des osmotischen Drucks P meist auf exp e r i m e n t e l l e S c h w i e r i g k e i t e n , da es 1 in vielen Fällen nicht gelingt, eine wirklich Pi i d e a l e h a l b d u r c h l ä s s i g e W a n d zu fol konstruieren. Glücklicherweise gibt es nun ^ösurtP > *j andere, l e i c h t e r m e ß b a r e Größen, die 'i - 4N2 + 2CuO, indem man Luft über glühendes Kupfer leitet. In allen diesen Fällen erhält man, da die Luft außer Stickstoff und Sauerstoff noch rund l°/0 Edelgase enthält (S. 63,72), keinen reinen Stickstoff, sondern edelgashaltigen „Luftstickstoff". Wegen der chemischen Reaktionsträgheit der Edelgase (S. 71) stört dieser Gehalt aber normalerweise nicht. R e i n e n Stickstoff gewinnt man zweckmäßig aus S t i c k s t o f f Verbindungen. Eine hierfür sehr geeignete Verbindimg ist das A m m o n i a k , NH 3 .
Der Stickstoff
61
ß) Aus Ammoniak Die Überführung von A m m o n i a k in Stickstoff erfolgt ganz allgemein durch Einwirkung eines O x y d a t i o n s m i t t e l s , welches den Wasserstoff des Ammoniaks als Wasser entfernt: 2NH 3 + 3 0 —>- N 2 + 3 H 2 0 .
So bildet sich z. B. Stickstoff beim Eintropfen von konzentrierter Ammoniaklösung in einen wässerigen C h l o r k a l k b r e i (CaCl 2 0 —>- CaCl2 + 0). Noch häufiger wird im Laboratorium s a l p e t r i g e S ä u r e H N 0 2 als Oxydationsmittel benutzt, weil hierbei auch der Stickstoff der Säure mitgewonnen wird (vgl. S. 245): NH„ + H N 0 2 — > - N 2 + 2 H 2 0 .
Man erhitzt zu diesem Zwecke eine konzentrierte wässerige Ammoniumnitritlösung (NH 4 N0 2 NH 3 -f HN0 2 ) oder die Lösung eines Gemisches von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit (NH4C1 + N a N 0 2 N H 4 N 0 2 + NaCl) auf etwa 70°. Auch mit Hilfe von C h l o r , das sich mit Ammoniak energisch umsetzt, kann der Wasserstoff des Ammoniaks entfernt werden: 2NH S + 3C12 — > - N 2 + 6HCl.
I n Erweiterung des ursprünglichen Oxydationsbegriffes (S. 35f.) spricht man auch in diesem Falle von einer O x y d a t i o n des Ammoniaks zu Stickstoff und definiert ganz allgemein eine Oxydation als die Zufuhr von Sauerstoff oder den Entzug von Wasserstoff und ein Oxydationsmittel dementsprechend als ein sauerstoffzuführendes oder wasserstoffentziehendes Mittel. I n gleicher Weise versteht man in Erweiterung des ursprünglichen Reduktionsbegriffes (S. 44) unter einer Reduktion den Entzug von Sauerstoff oder die Zufuhr von Wasserstoff und unter einem Reduktionsmittel dementsprechend ein sauerstoffentziehendes oder wasserstoffzuführendes Mittel.
c) Physikalische Eigenschaften Stickstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Das Litergewicht r e i n e n S t i c k s t o f f s beträgt bei 0° und 760 mm Druck 1.2505 g, ist also geringer als das der Luft (1.2928 g/1), welche ja noch den schwereren Sauerstoff (1.4289 g/1) enthält. 1 1 „Luftstickstoff", also edelgashaltiger Stickstoff wiegt 1.2567 g. Wie Sauerstoff und Wasserstoff läßt sich auch Stickstoff nur schwer kondensieren (kritische Temperatur: —147.1°, kritischer Druck: 33.5 Atm., kritische Dichte: 0.3110 g/cm 3 ). Der Siedepunkt des farblosen flüssigen Stickstoffs hegt bei —195.8°, der Schmelzpunkt des farblosen festen Stickstoffs bei —210.5°; die Dichte beim Siedepunkt beträgt 0.879 g/cm 3 . I n Wasser ist Stickstoff nur etwa halb so löslich wie Sauerstoff: 1 1 Wasser von 0° löst 23 cm 3 Stickstoff gegenüber 49 cm 3 Sauerstoff. Diese größere Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs ist von Wichtigkeit für die Atmung der Fische im Wasser.
d) Chemische Eigenschaften Der Stickstoff ist weder brennbar wie der Wasserstoff, noch unterhält er die Verbrennung wie der Sauerstoff. Taucht man einen brennenden Holzspan in Stickstoff ein, so erlischt er sofort. Lebewesen ersticken im Stickstoffgas 1 . Überhaupt ist der Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur ein s e h r r e a k t i o n s t r ä g e s („inertes") Gas. Dies kommt daher, daß die beiden Atome des Stickstoffmoleküls besonders fest aneinander gekettet sind (vgl. S. 48), so daß der Stickstoff 1
Der französische Name „azote" für Stickstoff bringt ebenfalls diese Eigenschaft zum Aus-
druck: azotikos (djcoTiKÖs) = das Leben nicht unterhaltend. In il Bezeichnungen wie „Azide" (S. 231), „Azoverbindungen" (S. 250), „Azotierung" (S. 412), „Borazol (S. 377), „Hydrazin" (S. 229 usw. findet sich dieser Wortstamm auch in der deutschen Nomenklatur.
62
Die Luft und ihre Bestandteile
selbst die beständigste Stickstoff-„Verbindung" ist. Zur Sprengung des Moleküls in die wesentlich reaktionsfähigeren Atome bedarf es g r o ß e r E n e r g i e m e n g e n : 170.3 kcal + N 2
>-2N,
(1)
die entweder der V e r b i n d u n g s e n e r g i e anderer Elemente entnommen oder von außen her als Energie der W ä r m e oder der E l e k t r i z i t ä t zugeführt werden müssen. So wird die Aktivität des Stickstoffs z. B. durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g bedeutend gesteigert, so daß er bei hohen Temperaturen mit zahlreichen Metallen und Nichtmetallen Verbindungen eingeht. Unter den M e t a l l e n vereinigen sich verschiedene Alkali- und Erdalkalimetalle (z. B. Lithium, Calcium, Magnesium) besonders leicht und vollständig mit Stickstoff: 3Mg + N 2 — > M g 3 N 2 .
Aber auch viele andere Metalle wie Aluminium, Titan, Vanadin, Chrom verbinden sich bei Glühhitze direkt mit dem Stickstoff zu Nitriden. Unter den Reaktionen des Stickstoffs mit N i c h t m e t a l l e n seien besonders die Umsetzungen mit Wasserstoff und mit Sauerstoff hervorgehoben. Erstere führt zur Bildung von Ammoniak: N2+ 3H2—>2NH3
und wird in größtem Maßstabe technisch durchgeführt (S. 224ff.). Letztere geht unter Bildung von Stickoxyd vor sich: N 2 + 0 2 — v 2 NO
und hat eine Zeitlang erhebliche Bedeutung für die Gewinnung von Salpetersäure gehabt (S. 235, 240). Bei Einwirkimg e l e k t r i s c h e r G l i m m e n t l a d u n g e n auf Stickstoff unter vermindertem Druck findet eine merkliche Aufspaltung der Stickstoffmoleküle gemäß (1) in Stickstoffatome statt, wie zuerst J O H N W I L L I A M S T R U T T ( 1 8 4 2 bis 1 9 1 9 ; seit 1 8 7 3 als L O R D R A Y L E I G H ) beobachtet hat. Dieser a t o m a r e S t i c k s t o f f ist chemisch sehr a k t i v . So bildet er mit zahlreichen Metallen (z. B. Quecksilber, Zink, Cadmium, Natrium) schon bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r Nitride, ebenso mit Nichtmetallen wie Phosphor und Schwefel. Die Wiedervereinigung der Atome zu Molekülen ist mit einem charakteristischen gelben N a c h l e u c h t e n verbunden, das bei geeigneten Versuchsbedingungen noch 6 Stunden nach Ausschalten der elektrischen Entladung anhalten kann.
2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft Die atmosphärische L u f t wurde bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts für ein E l e m e n t gehalten. Erst durch die Untersuchungen von S C H E E L E , P R I E S T L E Y und L A VOISIER (S. 37) wurde gezeigt, daß sie ein Gemenge zweier Gase — nämlich eines die Verbrennung unterhaltenden ( S a u e r s t o f f ) und eines die Verbrennung nicht unterhaltenden Gases ( S t i c k s t o f f ) — ist.
Fig. 33. L A V O I S I E R S Versuch über die Zusammensetzung der Luft
Der Versuch, durch den L A V O I S I E R dies im Jahre 1774 bewies, war der folgende (Fig. 33): In einer Retorte, die durch einen zweimal gebogenen Hals mit einer in einer Glasglocke über Quecksilber abgesperrten, gegebenen Luftmenge in Verbindung stand, wurde Quecksilber auf einem Kohleofen mehrere Tage lang nahe am Sieden erhalten. Hierbei verschwand ein Teil der Luft, während sich gleichzeitig das Quecksilber teilweise in ein rotgelbes, kristallines Pulver (Quecksilberoxyd) verwandelte.
Die Luit
63
Der zurückbleibende Teil der Luft (Stickstoff) unterhielt zum Unterschied von der ursprünglichen Luft weder die Verbrennung noch die Atmung. Die gebildete Quecksilberverbindung spaltete bei stärkerem Erhitzen ein Gas (Sauerstoff) ab, das die Verbrennungserscheinungen viel lebhafter unterhielt als die ursprüngliche Luft und dessen Volumen genau dem vorher verschwundenen Luftanteil entsprach. — Für genauere Luftanalysen verwendet man statt Quecksilber zweckmäßig Kupfer als sauerstoffbindendes Mittel.
Außer Sauerstoff und Stickstoff enthält die Luft noch die E d e l g a s e (S. 72), sowie mehr oder weniger W a s s e r d a m p f und K o h l e n d i o x y d , ferner geringe Mengen A m m o n i a k und Ozon. Als zufällige Bestandteile (z. B. in der Nachbarschaft von Vulkanen und von Industrieanlagen) finden sich S c h w e f e l d i o x y d und andere Gase. Die niederen Luftschichten enthalten stets auch feste „Staub"teilchen. Die mittlere Zusammensetzung trockener, reiner Luft ist nach neueren Analysen die folgende: Vol.-% 78.08 20.95 0.94 0.03
Stickstoff Sauerstoff Edelgase. Kohlendioxyd
100.00
Gew.-% 75.46 23.19 1.30 0.05
100.00
Es ist bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft trotz der zahlreichen sauerstoff-, stickstoff- und kohlendioxyd-umsetzenden Vorgänge in der Natur (die Edelgase beteiligen sich wegen ihrer Reaktionsträgheit nicht an chemischen Reaktionen) praktisch k o n s t a n t bleibt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Sauerstoff (gekoppelt mit dem Kohlendioxyd) und der Stickstoff einen K r e i s l a u f durchmachen.
b) Kreislauf des Sauerstoffs Wichtige sauerstoffverbrauchende Vorgänge der Natur sind die t i e r i s c h e A t m u n g und die V e r w e s u n g . In beiden Fällen werden Kohlenstoffverbindungen — z. B . Kohlenhydrate (II, S. 218 ff.) — durch denLuftsauerstoff unter Freiwerden von Energie hauptsächlich zu Kohlendioxyd und Wasser „verbrannt" (vgl. S. 36). In gleicher Richtung wirken auch die Verbrennungsprozesse der Industrie, z. B . die Verbrennung von Steinkohle. Die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e wird dabei in verschiedenster Weise ausgenutzt; bei der tierischen Atmung beispielsweise zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und der L e b e n s v o r g ä n g e , bei der Steinkohlenverbrennungetwa zur Erzeugung hoher Temperaturen. Es müßte demnach infolge dieser Verbrennungsvorgänge eine dauernde Abnahmedes Sauerstoff- und Zunahme des Kohlendioxyd- und Wassergehaltes der Atmosphäre zu beobachten sein, wenn nicht ein e n t g e g e n w i r k e n d e r Prozeß stattfände, der in Umkehrung der genannten Verbrennungsprozesse unter Aufnahme von Energie Kohlendioxyd und Wasser wieder in Kohlenhydrate und Sauerstoff verwandelt. Dieser regulierend wirkende Vorgang ist die „Assimilation" (II, S. 473 f.) der Pflanzen, bei welcher unter der Einwirkung des vom Blattgrün (Chlorophyll) absorbierten Sonnenlichtes das in der Luft oder im Wasser enthaltene Kohlendioxyd in die Kohlenhydrate Zucker und Stärke verwandelt wird, die sich als Reservestoffe in den Pflanzen ablagern : Atmung Kohlenhydrate + Sauerstoff
Kohlendioxyd + Wasser + Energie Assimilation
64
Die L u f t und ihre Beatandteile
Die Pflanzen dienen dann wieder Menschen und Tieren zur Nahrung, werden erneut „veratmet" usw., und so beginnt der Kreislauf des Sauerstoffs und Kohlendioxyds von neuem. Der Kreisprozeß ist in seinen einzelnen Teilen so a u s g e g l i c h e n , daß — soweit unsere Meßgenauigkeit und Erfahrung bisher reichen — der S a u e r s t o f f g e h a l t der Atmosphäre k o n s t a n t bleibt. Je höher beispielsweise infolge der Verbrennungsprozesse der Kohlendioxyd- und Wasserdampfgehalt der Luft ansteigt, um so größer wird auch unter sonst gleichen Bedingungen die Assimilationstätigkeit der Pflanzen. Hinzu kommt, daß die jährlich in der geschilderten Weise im Kreislauf befindliche Sauerstoffmenge (10 11 1) verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der in der Atmosphäre vorhandenen (1015 t).
c) Kreislauf des Stickstoffs Auch der S t i c k s t o f f beschreibt einen Kreislauf durch den pflanzlichen und den tierischen Organismus. I n diesen Kreislauf tritt er aber praktisch nur als g e b u n d e n e r , nicht als freier Stickstoff. Der Stickstoff ist ein wichtiger Bestandteil des lebensnotwendigen tierischen und pflanzlichen E i w e i ß e s ( I I , S. 277ff.). Daher sind Tier und Pflanze auf Stickstoffzufuhr angewiesen. Der Stickstoff der L u f t wird von den Tieren und den meisten Pflanzen nicht aufgenommen, da wegen der Reaktionsträgheit des Stickstoffs weder Tier noch Pflanze imstande sind, Luftstickstoff zu assimilieren. Hierzu sind nur einige Bakterienarten fähig, die an den Wurzelknöllchen von Leguminosen (z. B. Lupinen) vorkommen (vgl. S. 235). I m allgemeinen entnimmt die Pflanze ihren Stickstoffbedarf dem B o d e n . Dieser enthält Stickstoff in Form von N i t r a t e n (S. 241) und A m m o n i u m s a l z e n (S. 435ff.). Die Pflanze nimmt diese Verbindungen auf und baut daraus in geheimnisvoller Weise ihre Zellen auf. Die T i e r e und M e n s c h e n besitzen diese Assimilationsfähigkeit nicht. Sie können den Stickstoff nur in Form von p f l a n z l i c h e m E i w e i ß aufnehmen. Auf diese Weise kommt der Stickstoff in den tierischen Organismus. Beim Abbau des Eiweißes im Tierkörper wird der größte Teil des Stickstoffs als H a r n s t o f f > 4.7 Eisen 1.5 „ Chalkosphäre 3.4 1.5 „ Calcium spez. Geiv. SS 2.6 2.0 „ Natrium 2.4 1.1 Kalium >> 1.4 „ Magnesium . . . . . . . . 1.9 J» 15.4 „ . . . . 0.9 Wasserstoff 0.2 „ 0.6 Titan 1» 99.2 Gew.-°/o 99.5 At.-°/„, w ä h r e n d die übrigen 88 E l e m e n t e z u s a m m e n n u r noch 0 . 8 % s | | ! f Siderosphäre a u s m a c h e n , wovon die H ä l f t e auf die E l e m e n t e Chlor (0.2°/ 0 ), ° Ü! P h o s p h o r (0.1°/ 0 ) u n d Kohlenstoff (0.1°/ 0 ) e n t f ä l l t . Noch anschaulicher als die G e w i c h t s p r o z e n t e sind für den Chemiker die A t o m p r o z e n t e , welche die relativen A t o m h ä u f i g k e i t e n zum Ausdruck bringen. Bei dieser Betrachtungsweise rückt der leichte Wasserstoff an die d r i t t e Stelle, während die Reihenfolge der übrigen Fig. 35. Der Aufbau der Elemente der obigen Tabelle weniger auffallende Änderungen erfährt. Erdkugel D e r g e s a m t e Gesteinsmantel („Lithosphäre") der E r d k u g e l h a t eine Tiefe v o n u n g e f ä h r 1200 k m (Fig. 35) u n d b e s t e h t im ä u ß e r e n Teil (100 k m Dicke) wie die E r d r i n d e zur H a u p t s a c h e a u s S a u e r s t o f f , S i l i c i u m u n d A l u m i n i u m bei einem spezifischen Durchschnittsgewicht v o n ~ 2.7, w ä h r e n d der restliche Teil (1100km Dicke) in der H a u p t s a c h e S a u e r s t o f f , S i l i c i u m u n d M a g n e s i u m e n t h ä l t u n d ein spezifisches Durchschnittsgewicht v o n .—• 4 auf1 In der Zusammenstellung der Elemente auf S. 67 sind diese Umstellungen bereits berücksichtigt. 2 Weitere bei Aufstellung des Periodensystems vorhandene Lücken konnten schon früher ausgefüllt werden (vgl. S. 347 und Anmerkung 1, S. 347). 3 Stellt man sich die Erdkugel auf eine Kugel von 1 m Radius verkleinert vor, so entspricht das einer Schichtdicke von 27 s mm.
70
Das Periodensystem der Elemente (I. Teil)
weist. An die Lithosphäre schließt sich nach innen eine Oxyd-Sulfid-Schale („Chalkosphäre") an, die eine Dicke von 1700 km und ein spezifisches Durchschnittsgewicht von 5 bis 6 besitzt und über deren Zusammensetzung noch keine Übereinstimmung herrscht. Die Chalkosphäre umschließt schließlich einen zur Hauptsache aus E i s e n ( ~ 9 0 Gew.-%) und N i c k e l ( ~ 1 0 Gew.-°/0) bestehenden Kern („Siderosphäre") vom spezifischen Gewicht ~ 8 . Hier herrscht ein ungeheurer Druck, während die Temperatur einen Wert von 4000° kaum überschreiten dürfte. Das spezifische Durchschnittsgewicht der Gesamterde beträgt 5.5. — Es muß allerdings betont werden, daß der vorstehend geschilderte Schalenbau der Erdkugel experimentell keineswegs gesichert ist und daß es auch andere einleuchtende Hypothesen über den Erdaufbau gibt. Von den insgesamt bekannten 100 Elementen sind bei Zimmertemperatur 11 (Wasserstoff, Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon, Fluor, Chlor, Sauerstoff und Stickstoff) g a s f ö r m i g , 2 (Brom und Quecksilber) f l ü s s i g , alle übrigen f e s t .
Hauptgruppen des Periodensystems
Kapitel VII
Die Gruppe der Edelgase Unter der Bezeichnung „Edelgase" faßt man die in der 0. bzw. 8. Hauptgruppe de8 Periodensystems enthaltenen 6 gasförmigen Elemente Helium (He), Neon (Ne), Argon (Ar), Krypton (Kr), Xenon (X) und Radon (Rn) zusammen. Sie sind chemisch außerordentlich reaktionsträge und bilden daher unter gewöhnlichen Bedingungen keine chemischen Verbindungen.
1. G e s c h i c h t l i c h e s Der erste Forscher, der Edelgase in Händen hatte, ohne sich dieser Entdeckung bewußt zu sein, w a r H . C A V E N D I S H (S. 37). Dieser ließ im Jahre 1785 durch ein über Seifenlauge abgesperrtes Gemisch von Luft und Sauerstoff elektrische Funken schlagen. Hierbei bildet sich — wie wir heute wissen (S. 235f.) — Stickstoffdioxyd (N0 2 ). Da dieses von der Lauge absorbiert wird (S. 238), nahm bei dem geschilderten Versuch das Gasvolumen dauernd ab. Nach Konstantwerden des Volumens und Entfernen des überschüssigen Sauerstoffs mittels eines Absorptionsmittels blieb schließlich als Rückstand eine winzige Gasblase zurück, deren Volumen von C A V E N D I S H auf 1 / 120 der angewandten Luftmenge geschätzt wurde. Bedenkt man, daß nach unseren heutigen Kenntnissen die Edelgase rund 1 / n o der Luft ausmachen (S. 63, 72), so hat C A V E N D I S H bei seinem Versuch bereits recht genau den Edelgasgehalt der Luft ermittelt. Die eigentliche Entdeckung der Edelgase erfolgte erst ein ganzes Jahrhundert später. Im Jahre 1 8 9 4 fiel es L O R D R O B E R T J O H N R A Y L E I G H auf, daß der aus Luft isolierte „Stickstoff" eine größere Dichte ( 1 . 2 5 6 7 g/1 bei 0 ° C und 7 6 0 mm Druck) besaß als der aus Stickstoffverbindungen gewonnene Stickstoff ( 1 . 2 5 0 5 g/1 bei 0 ° C und 7 6 0 mm Druck). I n der atmosphärischen Luft mußte demnach neben Stickstoff noch ein Gas enthalten sein, welches s c h w e r e r als dieser ist. Dem englischen Physikochemiker W I L L I A M R A M S A Y ( 1 8 5 2 — 1 9 1 6 ) gelang es dann 1 8 9 4 , angeregt durch diese Beobachtung, gemeinsam mit R A Y L E I G H das Argon als Bestandteil der Luft zu entdecken; und zwar wiederholte R A Y L E I G H den C A V E N D I S H sehen Versuch, während R A M S A Y nach Entfernen des Luftsauerstoffs mittels glühenden Kupfers den Stickstoff durch Erhitzen mit Magnesium in festes Magnesiumnitrid überführte (S. 72). Den Namen Argon erhielt das Gas wegen seiner chemischen Reaktionsträgheit 1 . Im gleichen Jahre gelang es R A M S A Y , ein schon von W I L L I A M F R A N C I S H I L L E B R A N D 1890 beim Auflösen uranhaltiger Mineralien in Säuren beobachtetes inertes Gas ebenfalls als ein Edelgas zu identifizieren. Es erhielt den Namen Helium, weil seine Spektrallinien (vgl. S. 41 f.) mit den Linien eines bereits 30 Jahre vorher auf Grund des Sonnenspektrums auf der Sonne entdeckten und von N O R M A N L O K Y E R als Helium 2 bezeichneten Elements übereinstimmten. Die unermüdliche Suche R A M S A Y S nach einem weiteren, auf Grund des Periodensystems (S. 66ff.) von ihm vorausgesagten Edelgas wäre wohl erfolglos geblieben, wenn 1
argos (ctpyos) = träge.
2
helios (fjAios) = Sonne.
Die Gruppe der Edelgase
72
nicht um diese Zeit (1895) dem deutschen Ingenieur CARL VON L I N D E (S. 32) die Verflüssigung der Luft gelungen wäre. Die flüssige Luft, die W I L L I A M H A M P S O N 1896 auch in England mit einem dem L I N D E sehen nachgebildeten Apparat herzustellen begann, ermöglichte R A M S A Y die Verflüssigung und fraktionierte Destillation von aus Luft gewonnenem (S. 71) Rohargon. Bei dieser Fraktionierung wurden im Jahre 1898 von 1 R A M S A Y nicht nur das vorausgesagte Neon , sondern auch zwei weitere, von ihm zunächst gar nicht gesuchte schwerere Edelgase, Krypton2 und Xenon3, aufgefunden. Später fanden die englischen Forscher E R N E S T RUTHERFORD (1871—1937) und FREDERICK S O D D Y , daß das aus Radium sich bildende radioaktive Gas R a d o n seinen Eigenschaften nach ebenfalls zur Gruppe der Edelgase gehört. Seine Besprechung erfolgt im Zusammenhang mit der Besprechung der radioaktiven Stoffe (S.567).
2. Vorkommen In der Luft. Die L u f t weist nach unseren heutigen Kenntnissen folgende Mengen an Edelgasen auf: Helium Neon Argon Krypton Xenon
0.00046 VoL-% 0.00161 0.9325 0.000108 „ 0.000008 „
Ein kleinerer Hörsaal von beispielsweise 10 m Länge, 10 m Breite und 5 m Höhe(500 m3) enthält danach rund 2 Liter Helium, 8 Liter Neon, 4 1 / 2 Kubikmeter Argon, 1 / 2 Liter Krypton und 40 Kubikzentimeter Xenon von Atmosphärendruck. Argon ist also keineswegs ein seltenes Element. In Erdgasen. Helium findet sich außer in der Luft auch in zahlreichen Erdgasen.. I n Europa lohnt sich bisher die Heliumgewinnung aus solchen Gasen nicht, da die heliumreicheren Erdgasquellen z u w e n i g e r g i e b i g , die ergiebigeren Erdgasquellen dagegen zu h e l i u m a r m (0.01 bis 0.1°/ 0 Helium) sind. Wohl aber finden sich in den Vereinigten Staaten von Amerika, namentlich in Texas, ergiebige Gasquellen mit teilweise über l°/ 0 Helium, welche die Gewinnung von mehreren hunderttausend Kubikmetern Helium je J a h r ermöglichen. In Mineralien. Auch in radioaktiven Mineralien findet sich das Helium als eins der Reaktionsprodukte des radioaktiven Zerfalls (S. 566 ff., 578). Beim Pulvern oder Erhitzen oder Auflösen dieser Mineralien in Säuren entweicht das wahrscheinlich in Form eines Clathrats (S. 74f.) eingeschlossene (,,okkludierte") Gas (S. 74).
3. G e w i n n u n g a) Aus Luft Will man aus der Luft die E d e l g a s e isolieren, so muß man die übrigen Luftbestandteile, also hauptsächlich S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f , entfernen. Das kann, auf c h e m i s c h e m oder auf p h y s i k a l i s c h e m Wege erfolgen. Der erste Weg wird bei der Darstellung im L a b o r a t o r i u m , der letztere bei der t e c h n i s c h e n Darstellung eingeschlagen. Im Laboratorium erfolgt die Entfernung des S a u e r s t o f f s gewöhnlich durch Überleiten der — von Kohlendioxyd und Wasserdampf befreiten — L u f t über glühendes K u p f e r : 2Cu + 0 2 — >- 2CuO; den S t i c k s t o f f bindet man zweckmäßig durch.. Erhitzen mit M a g n e s i u m oder C a l c i u m : 3Mg + N 2 - >- Mg 3 N 2 . Will man Sauerstoff; 1
neos (vtoj) = neu.
2
kryptos (KpUTTTÖs) = verborgen.
3
xenos (£EVO;) = fremd.
Geschichtliches — Vorkommen — Gewinnung
73
und Stickstoff durch das gleiche Reagens beseitigen, so k a n n man C a l c i u m c a r b i d (CaC2) verwenden, das bei hoher Temperatur mit Sauerstoff unter Bildung von Kalk (CaO) und Kohlenstoff: 2CaC2 + 0 2 - > 2CaO + 4C, mit Stickstoff unter Bildung von „Kalkstickstoff" (S. 412f.): CaC2 + N 2 —>- CaCN 2 -f- C reagiert. Das auf einem dieser Wege erhaltene Edelgasgemisch wird als „Rohargon" bezeichnet, da es (vgl. S. 72) zu 99.8 Vol.-% aus Argon und nur zu 2 / 1000 seines Volumens aus den übrigen Edelgasen besteht. Die technische Gewinnung der Edelgase aus der Luft bedient sich der F r a k t i o n i e r u n g v e r f l ü s s i g t e r L u f t (vgl. S. 32ff.). Entsprechend den Siedepunkten der verschiedenen Bestandteile der L u f t : He
Ne
N
Ar
— 269
— 246
— 196
— 186
O — 183
Kr
X
— 153
— 107°
kann man bei der Rektifikation der flüssigen L u f t einen helium- und neonhaltigen Stickstoff, einen argonhaltigen Stickstoff bzw. Sauerstoff und einen krypton- und xenonhaltigen Sauerstoff abtrennen, die als Ausgangsmaterial für die Gewinnung der einzelnen Edelgase dienen können. Helium, Neon. Die leichtflüchtigste Fraktion bei der Luftzerlegung besteht zu etwa 5 0 % aus Neon + Helium und zu 50°/ 0 aus Stickstoff. Die Trennung der darin enthaltenen E d e l g a s e gelingt in prinzipiell einfacher Weise durch A d s o r p t i o n (S. 298f.) des Gasgemisches an a k t i v e r K o h l e bei tiefen Temperaturen und nachfolgende f r a k t i o n i e r t e D e s o r p t i o n ; denn die Adsorbierbarkeit der Edelgase an Aktivkohle nimmt mit steigendem Atomgewicht, also in der Richtung He — N e —> Ar —>- K r —>- X stark zu. Man kann so z. B. leicht 99°/ 0 iges Helium erhalten. Argon. Als eine der Mittelfraktionen bei der Rektifikation der flüssigen L u f t läßt sich ein stickstoff- und argonhaltiger S a u e r s t o f f abtrennen, der bei einer weiteren Fraktionierung ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Argon u n d Stickstoff bestehendes Gasgemisch ergibt. Die Entfernimg des S t i c k s t o f f s erfolgt durch erneute R e k t i f i k a t i o n ; die Entfernung des S a u e r s t o f f s kann auf c h e m i s c h e m Wege (z. B. mit Schwefel oder Wasserstoff) erfolgen. I n analoger Weise läßt sich aus dem bei der Lufttrennung anfallenden S t i c k s t o f f das Argon isolieren. Für die Glühlampenindustrie (S. 75) wird als Füllgas meist ein Gemisch von 80—90 % Argon und 20—10% Stickstoff geliefert. Daneben kommen aber auch technisch reines Argon (bis 9 9 % Ar) und „spektralreines" Argon in den Handel. Krypton, Xenon. Für die Gewinnung von K r y p t o n und Xenon kann im Anschluß an die Sauerstofferzeugung durch ein besonderes Rektifikationsverfahren ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus K r y p t o n und Xenon bestehendes Produkt gewonnen werden, welches sich in einer F e i n r e i n i g u n g s a n l a g e unter Anwendung chemischer und physikalischer Reinigungsverfahren von Sauerstoff und allen anderen Verunreinigungen befreien läßt. Die Ausbeute beträgt 75—80% der Theorie. Das erhaltene Krypton-Xenon-Gemisch wird als ,,lampenfertiges" Gas an die Glühlampenindustrie abgegeben. Für die Bedürfnisse der Glühlampenindustrie reichen allerdings die auf diese Weise als N e b e n p r o d u k t gewinnbaren K r y p t o n und Xenonmengen (einige hundert m 3 je Jahr) nicht aus. Zur Gewinnung größerer Mengen Krypton und Xenon bedient man sich zweckmäßig eines von GEORGES C L A U D E beschriebenen Verfahrens, bei dem die beiden Edelgase als H a u p t p r o d u k t gewonnen werden. E s beruht darauf, daß man n i c h t d i e G e s a m t m e n g e der Luft, sondern n u r etwa x / 10 davon verflüssigt und mit dieser Flüssigkeit aus den übrigen 9 / 1 0 der bis nahezu an den Taupunkt abgekühlten Luft die schweren Edelgase und einen kleinen Teil des Sauerstoffs a u s w ä s c h t . Die so erhaltene Lösung von K r y p t o n und Xenon in flüssiger L u f t wird dann wie vorher rektifiziert und gereinigt.
Die Gruppe der Edelgase
74
Welch ungeheuren Fortschritt die beiden geschilderten technischen Verfahren der Kryptonund Xenongewinnung darstellen, geht daraus hervor, daß der frühere Krypton- und Xenonpreia — der sich noch im Jahre 1933 auf 25000 Mark je Liter Krypton und 32000 Mark je Liter Xenon stellte — in den letzten Jahren um 4 Zehnerpotenzen auf einige Mark je Liter Gemisch gesunken ist. Hierdurch wurde der Glühlampenindustrie überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, an die Verwendung dieses Edelgasgemisches als Füllgas zu denken.
b) Aus Erdgasen Bei der Gewinnung von H e l i u m aus amerikanischen E r d g a s e n verfährt man so, daß man aus dem Rohgas zunächst durch Druckwaschung mit Wasser und Kalkmilch das Kohlendioxyd entfernt. Das so vorgereinigte Gas wird dann durch stufenweises Komprimieren und Expandieren bis auf —205° heruntergekühlt. Hierbei bleibt das Helium unkondensiert, und man erhält so ein zu 97—98°/ 0 aus Helium und zu 3 — 2 % aus Stickstoff bestehendes Gas.
c) Aus Mineralien Die Darstellung von H e l i u m im Laboratorium erfolgt am besten durch Erhitzen heliumhaltiger Mineralien wie C l e v e i t U 3 0 8 , M o n a z i t CeP0 4 , T h o r i a n i t T h 0 2 auf über 1000° C (vgl. S. 72). 1 kg Cleveit (Monazit; Thorianit) liefert dabei 7—8 (1—2; 8—10) Liter Helium.
4. Physikalische Eigenschaften Die Edelgase sind färb- und geruchlose, einatomige Gase, deren wichtigste physikalische Daten in folgender Tabelle zusammengefaßt sind: Atomgewicht Helium Neon Argon Krypton.... Xenon Radon
4.003 20.183 39.944 83.7 131.3 222
Schmelzpunkt in °C -
272.1 1 248.6 189.4 157.2 111.8 71
Siedepunkt in °C -
268.98 246.03 185.87 152.9 107.1 65
Kritische Datei Temperatur Druck Dichte in °C in at in g/cm3 — 267.9 — 228.7 — 120 - 62.5 + 16.6 + 104.5
2.26 26.9 50 54.3 58.2 62.4
0.069 0.4 0.4 0.7 0.9 1.2
Bemerkenswert ist, daß das flüssige Helium in zwei Formen, als ,,Helium I" und ,,Helium II" existiert. Kühlt man das beim Verflüssigen von Heliumgas zunächst entstehende Helium I, das eine vollkommen normale Flüssigkeit darstellt, unter den Umwandlungspunkt ( , , b P u n k t " ) ab (— 270.97° bei 1 Atm. Druck), so geht es in Helium I I "über, dessen Eigenschaften so ungewöhnlich sind, daß man diese Form als einen vierten Aggregatzustand der Materie, den ,,superfluiden" oder ,,supraflüssigen" Zustand, bezeichnet hat. So ist seine V i s k o s i t ä t um 3 Zehnerpotenzen kleiner als die von gasförmigem Wasserstoff und seine W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t um 3 Zehnerpotenzen größer als die von Kupfer bei Zimmertemperatur. Durch enge Kapillaren (Durchmesser < Vioo mm) strömt es o h n e R e i b u n g hindurch, so daß in Sekunden mehr superfluides Helium hindurchfließt als gasförmiges Helium in Wochen. Unter den „ p h y s i k a l i s c h e n V e r b i n d u n g e n " der Edelgase seien die durch Dipolkräfte zusammengehaltenen H y d r a t e X • 6H a O genannt, deren Dissoziationsdrucke mit fallendem Atomgewicht des Edelgases zunehmen (Rn • 6 H 2 0 : 1 Atm., X • 6 H 2 0 : 1 . 5 Atm., K r • 6 H 2 0 : 14.5 Atm., Ar • 6 H 2 0 : 98.5 Atm. bei 0°). Erwähnenswert sind weiterhin eine Reihe von „Clathraten" („Käfigverbindungen",,,Einschluß1
Bei 25 at Druck.
Physikalische Eigenschaften — Anwendung
75
Verbindungen"), die dadurch Zustandekommen, daß bei der Kristallisation von Hydrochinon und anderen geeigneten organischen Verbindungen in einer Edelgasatmosphäre von hohem Druck die Edelgase in den H o h l r ä u m e n d e s G i t t e r s der organischen Verbindung eingefangen werden (z.B. 9 Gew.-% Ar bzw. 16 Gew.-% K r bzw. 26 Gew.% X, entsprechend einem ungefähren Molverhältnis Hydrochinon: Edelgas = 4 : 1). Im Argon-Clathrat sind beispielsweise die Argonatome so eng zusammengepackt, wie es im gasförmigen Zustande erst bei einem Druck von über 70 Atm. der Fall wäre. Beim Schmelzen oder Lösen der Edelgasmischkristalle entweichen die Edelgase. I n analoger Weise wie die Edelgase lassen sich auch andere Gase (z. B. HCl, HBr, H 2 S, S 0 2 , C 0 2 , HCN) in die Gitter organischer Verbindungen einschließen.
5. Anwendung Die Edelgase, die wegen ihrer chemischen Reaktionsträgheit für den Chemiker zunächst nur theoretisches Interesse zu haben schienen, sind im Laufe der Zeit gerade wegen dieser Eigenschaft zu großer praktischer Bedeutung gelangt. An erster Stelle sei hier erwähnt ihre Verwendung in der Glühlampenindustrie. I m Jahre 1913 fand I R V I N G L A N G M U I R , daß man die Lichtausbeute der Metallfadenlampe steigern kann, wenn man den Faden nicht wie bis dahin im V a k u u m , sondern in einer G a s a t m o s p h ä r e glühen läßt. Denn die Gasatmosphäre wirkt der Verdampfung des Metalldrahts (Wolfram) entgegen, so daß die Temperatur des Drahtes — die in einer gasleeren Lampe etwa 2100° beträgt — bis auf 2400° und höher gesteigert werden kann. Als Füllgas verwendete man zunächst den reaktionsträgen S t i c k s t o f f . Da aber die V e r d a m p f u n g s g e s c h w i n d i g k e i t mit der Geschwindigkeit der thermischen D i f f u s i o n des Metalldampfes in den umgebenden Gasraum wächst und die D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ihrerseits mit steigendem M o l e k u l a r g e w i c h t des Füllgases abnimmt, mußte der Ersatz des Stickstoffs (Molekulargewicht 28) durch ein schwereres Gas große Vorteile bringen. Als solches Füllgas bot sich das in der Luft reichlich vorhandene, reaktionsträge Edelgas A r g o n (Molekular- = Atomgewicht 40), das zudem gegenüber dem Stickstoff den Vorteil g e r i n g e r e r W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t aufweist. Die weitere Entwicklung der Glühlampe geht dahin, das Argon der Glühlampen durch die noch schwereren Edelgase K r y p t o n (Molekular- = Atomgewicht 84) und X e n o n (Molekular- = Atomgewicht 131) zu ersetzen. Denn auf diese Weise läßt sich die Glühdrahttemperatur der Argonlampe (2430°) um weitere etwa 80° (der Schmelzpunkt des Wolframs hegt erst bei 3380°, so daß noch ein genügender Temperaturspielraum vorhanden ist) steigern, was mit einer besseren Ausbeute an weißem und ultraviolettem Licht verknüpft ist. Auch erlaubt die geringere Wärmeleitfähigkeit der schweren Edelgase, mit kleineren Lampenkolben auszukommen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für die Edelgase stellt die Lichtreklame dar. Das leuchtend rote Licht, das eine mit N e o n gefüllte Glasröhre bei elektrischer Anregung ausstrahlt, legte schon bald nach der Entdeckimg des Gases den Gedanken nahe, es in der Beleuchtungstechnik zu verwenden. So kam es zur Einführung der ,,Neonröhre" in die Beleuchtungstechnik. Das Bedürfnis nach Abwechslung in den Farben und nach Steigerung der Lichtausbeute führte dann zur weiteren Entwicklung dieser Niederdruck-Edelgasröhre. So wird z. B. bei Anwesenheit von Quecksilberspuren das Spektrum des Neons fast völlig durch das des Quecksilbers verdrängt, wobei sich aber die Intensitäten der Linien des Quecksilberspektrums so verschieben, daß das bekannte kaltgrünliche Licht der Quecksilberlampe in ein warmes kornblumenblaues Licht („Blaulichtröhre") übergeht. Verwendet man eine Röhre aus braunem Glas, so ergibt sich ein grünes Licht.
76
Die Gruppe der Edelgase
Unausgenutzt bleibt bei dieser Anordnung das von der Blaulichtröhre ebenfalls ausgesandte u l t r a v i o l e t t e L i c h t . Denn das menschliche Auge vermag bekanntlich aus dem e l e k t r o m a g n e t i s c h e n S p e k t r u m , welches Wellenlängen von Bruchteilen eines billionstel Millimeters bis zu mehreren Kilometern umfaßt, nur einen winzigen Ausschnitt, nämlich Licht der Wellenlänge 4/ioooo bis 8/100oo m m wahrzunehmen (Fig. 36), einen Ausschnitt, der uns allerdings trotz seiner verschwindenden Spaltbreite die ganze Farbenpracht der Natur vermittelt. Will man auch das von den Blaulichtröhren ausgestrahlte u l t r a v i o l e t t e Licht dem Auge nutzbar machen, so muß man es dementsprechend erst in s i c h t b a r e s Licht umwandeln. Dies geschieht mit Hilfe chemischer „Transformatoren" („Phosphore", „Luminophore", „Leuchtstoff)s"; S. 412, 475 f.) an der Innenwand der Blaulichtröhren (z. B . Magnesium- oder Calciumwolframat, Cadmiumborat, Zink-beryllium-silicat). Auf diese Weise läßt sich r
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Fig. 36. Spektrum der elektromagnetischen Wellen
die Lichtausbeute solcher Röhren auf ein Vielfaches steigern. Noch günstiger ist es die Transformatorzentren in das Glas selbst zu verlegen, so daß sie der unmittel baren Einwirkung der Entladung entzogen sind; man benötigt dann natürlich ultraviolett-durchlässige Gläser. Von den weiteren Verwendungsmöglichkeiten der Edelgase seien noch speziell die des Heliums angeführt. Infolge seiner Nichtbrennbarkeit eignet es sich weit besser als Wasserstoff zur F ü l l u n g von L u f t s c h i f f e n . Zwar ist Helium (Atom- = Molekulargewicht 4) doppelt so schwer wie Wasserstoff (Molekulargewicht 2). Da aber der Auftrieb eines Gases in Luft durch die Differenz von Gasgewicht und Gewicht der verdrängten Luft („Molekulargewicht" 29) gegeben ist, wird die Tragfähigkeit des Luftschiff-Füllgases beim Ersatz von Wasserstoff durch Helium nur im Verhältnis (29 — 2): (29 — 4) = 108: 100, also um weniger als 8 % herabgesetzt. Allerdings entfällt dieser Gesamtverlust an Tragfähigkeit speziell auf die Nutzlast, so daß er hier prozentual weit mehr ausmacht. Günstig ist noch, daß das im Vergleich zum Wasserstoff größere Molekulargewicht eine geringere Geschwindigkeit der Diffusion durch die Ballonhülle bedingt (S. 40f.). Da das Helium im verdünnten Zustande die Zustandsgieichung der idealen Gase (S. 23f.) am besten unter allen Gasen befolgt, findet es weiterhin als F ü l l g a s für G a s t h e r m o m e t e r Verwendung, bei denen aus dem Druck einer auf konstantem Volumen gehaltenen Gasmenge auf die Temperatur geschlossen wird. Auch in der B e l e u c h t u n g s t e c h n i k spielt Helium eine gewisse Holle, da sein elfenbeinweißes Licht — das durch gelbes Filterglas in ein schönes Goldgelb verwandelt werden kann — eine willkommene Ergänzung der mit anderen Edelgasen erzielbaren Farbenskala darstellt.
6. Spezifische W ä r m e chemischer Stoffe Da die Edelgase keine chemischen Verbindungen bilden, ist bei ihnen eine A t o m ge w i c h t s b e s t i m m u n g auf dem früher (S. 26ff.) geschilderten Wege (Ermittlung der kleinsten in 1 Mol Verbindung enthaltenen Elementmenge) nicht möglich. Hier muß
Spezifische Wärme chemischer Stoffe
77
man zu p h y s i k a l i s c h e n Methoden greifen. Eine geeignete derartige Methode ist z. B. die Bestimmung der s p e z i f i s c h e n W ä r m e , die sowohl bei gasförmigen wie bei festen Elementen eine Atomgewichtsbestimmung ermöglicht.
a) Gasförmige Stoffe Führt man einem Gas W ä r m e zu, so wird dadurch die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasmoleküle erhöht. Nun kann man dreierlei Möglichkeiten der Bewegung unterscheiden : a) die fortschreitende Bewegung der Moleküle („Translation"), b) die Drehbewegung der Moleküle („Rotation"), c) die Schwingungsbewegung der Atome innerhalb des Moleküls („Oszillation"). Die f o r t s c h r e i t e n d e B e w e g u n g der Moleküle kann nach den 3 Richtungen des Raums hin erfolgen, hat also 3 „Freiheitsgrade". I n analoger Weise besitzt auch die D r e h b e w e g u n g eines Moleküls 3 Freiheitsgrade, da sie um die 3 verschiedenen Molekül-Raumachsen erfolgen kann. Die Zahl der Freiheitsgrade der S c h w i n g u n g s -
Fig. 37. Rotations-Freiheitsgrade drei-, zwei- und einatomiger Moleküle
b e w e g u n g schließlich steigt mit der Zahl der Atome innerhalb des Moleküls rasch an (vgl. S. 317) und ist im einfachsten Falle eines zweiatomigen Moleküls gleich 2 (elastisches Hin- und Herschwingen der Atome gegeneinander, entsprechend einer Speicherung von potentieller und kinetischer Energie). Die kinetische Gastheorie lehrt, daß die der Erwärmung eines idealen Gases um 1° bei konstantem Volumen entsprechende Bewegungssteigerimg eine Zufuhr von R/2 — 0.993 cal pro Freiheitsgrad und Mol erfordert (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). J e nach der Zahl der bei der Erwärmung „angeregten" Freiheitsgrade wird daher die zur Erwärmung eines Mols Gas um 1° erforderliche Wärmemenge Cv („Molwärme" bei konstantem Volumen) verschiedene Werte annehmen. Liegt z . B . ein d r e i a t o m i g e s , gewinkeltes Molekül (Fig. 37a) vor, so können bei der Erwärmung je 3 Freiheitsgrade der Translation und Rotation angeregt werden (die Freiheitsgrade der Oszillation „erwachen" meist erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen und sollen hier daher außer acht gelassen werden). Dementsprechend beträgt die Molwärme C„ für solche Moleküle theoretisch 6 R/2 = 5.96 cal; gefunden wurden z. B. für Wasser (H 2 0) 6.01, für Schwefelwasserstoff (H 2 S) 6.10 cal. Bei einem z w e i a t o m i g e n Molekül (Fig. 37b) kann der Freiheitsgrad der Drehung um die AtomVerbindungsachse des Moleküls bei Zimmertemperatur vernachlässigt werden, da der Radius der Drehbewegung wegen des geringen Durchmessers der Atommasse verschwindend klein im Vergleich zum Radius der Drehbewegung um die beiden anderen
78
Die Gruppe der Edelgase
Molekül-Raumachsen ist, so daß ein sehr kleines Trägheitsmoment um die Längsachse des Moleküls resultiert und die Auslösung der Rotation um diese Achse dementsprechend hohe Anregungsenergien erfordert und daher nur bei sehr hohen Temperaturen erfolgen kann 1 . Hier bleiben also 3 + 2 = 5 Freiheitsgrade, entsprechend einer Molwärme Cv = 5 R/2 = 4.97 cal. Gefunden wurden z. B. für Wasserstoff (H2) 4.91, für Stickstoff (N2) 4.97 cal, was zugleich ein weiterer Beweis (vgl. S. 17 ff.) für den zweiatomigen Aufbau der Moleküle dieser Gase ist. Bei e i n a t o m i g e n Molekülen (Fig. 37c) schließlich kommen bei Zimmertemperatur nur die Freiheitsgrade der Translation in Frage, da die Anregung der Rotation wegen des geringen Durchmessers der Atommasse höhere Energiebeträge erfordert. Hier muß demnach die Molwärme Cv= 3 R/2 = 2.98 cal betragen. Genau diesen Wert findet man nun bei den Edelgasen. Daraus geht hervor, daß die Edelgase einatomig sind, daß also das Molekulargewicht (Gewicht von 22.415 1 Gas bei 0° und 760 mm Druck) gleich dem Atomgewicht ist. Leichter als die Molwärme Cv läßt sich meist das V e r h ä l t n i s Cp/Gv — y der Molwärmen bei k o n s t a n t e m D r u c k ( C p ) und bei k o n s t a n t e m V o l u m e n (G v ) ermitteln (z. B. aus der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Schallwellen in dem untersuchten Gas; s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Da nun zwischen Cp und Cv bei idealen Gasen die einfache Beziehung Cp = C„ + R besteht (R = 1.986 cal), gilt für einatomige Gase: y = 4.97 : 2.98 = 1.67, für zweiatomige Gase: y = 6.96: 4.97 = 1.40, für dreiatomige Gase: y = 7.95: 5.96 = 1.33. Bei den Edelgasen ist y = 1.67, woraus sich wieder die Einatomigkeit dieser Gase ergibt.
b) Feste Stoffe Regel von DULONG und PETIT. Die einzige Bewegungsmöglichkeit der Atome eines f e s t e n Körpers (S. 50), z. B. eines Metalls, besteht in einem e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um b e s t i m m t e S c h w e r p u n k t s l a g e n des Kristallgitters (S. 146f., 154f.). Da diese Schwingungen nach den 3 Raumrichtungen hin erfolgen können, besitzen sie 3 Freiheitsgrade, wobei jeder Freiheitsgrad doppelt zu zählen ist, da bei der elastischen Schwingung ja sowohl kinetische wie potentielle Energie gespeichert wird. Die zum Erwärmen eines festen Elements um 1° bei konstantem Volumen erforderliche Wärmemenge Cv („Atomwärme" bei konstantem Volumen) sollte daher 6 R/2 = 5.96 cal je Grammatom betragen. Dieser Wert erhöht sich auf 6.0 bis 6.5 cal/Grammatom, wenn man nicht die Atomwärme bei k o n s t a n t e m V o l u m e n , sondern die Atomwärme bei k o n s t a n t e m D r u c k (Cp) betrachtet, welche bei festen Stoffen nahezu ausschließlich gemessen wird und um einige Prozente größer als erstere ist. In der Tat ist nun nach einer von P I E R R E L O U I S D U L O N G und A L E X I S T H É R È S E 2 P E T I T bereits im Jahre 1 8 1 8 aufgestellten Regel das Produkt aus spezifischer Wärme und Atomgewicht fester Elemente nahezu konstant und im Mittel gleich 6.2 cal: Atomgewicht x spezifische Wärme « . „Atomwarme
6.2.
(1)
So beträgt z. B. die Atomwärme Cp für Aluminium 5.75, für Calcium 5.90, für Silber 6.02, für Platin 6.23, für Gold 6.23, für Blei 6.40 cal. Da — wie oben schon erwähnt — die Freiheitsgrade der Oszillation verhältnismäßig spät erwachen, liegt bei manchen 1 Die zur Anregung der Rotation von Molekülen erforderlichen Energiequanten sind dem Trägheitsmoment umgekehrt proportional, also um so größer, je kleiner letzteres ist. 2 Unter spezifischer Wärme versteht man die zum Erwärmen von 1 g Substanz um 1° C erforderliche Wärmemenge.
Spezifische Wärme chemischer Stoffe
79
festen Elementen bei Zimmertemperatur noch keine volle Anregung der inneren Schwingungen vor, so daß sie erst bei höheren Temperaturen den Durchschnittswert von 6.2 cal erreichen. Zu diesen Elementen gehören z. B. Kohlenstoff, Bor und Silicium, deren Atome im Atomgitter sehr fest gebunden sind. Die „DuLONG-PETiTSche Regel" ermöglicht, wie aus (1) hervorgeht, eine ungef ä h r e B e s t i m m u n g des A t o m g e w i c h t e s fester Elemente. Die Bestimmung ist naturgemäß n i c h t sehr g e n a u , da der Wert 6.2 nur einen Durchschnittswert darstellt. Bei Kombination der DuLONG-PETiTschen Regel mit der später zu besprechenden Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s b e s t i m m u n g (S. 161 f.) ergeben sich aber genaueste Atomgewichtswerte. Regel von NEUMANN und KOPP. Der Regel von DULONG und P E T I T schließt sich die Regel von F . NEUMANN (1831) und HERMANN K O P P (1864) an, wonach sich die Molwärme fester Verbindungen additiv aus den Atomwärmen der enthaltenen Elemente zusammensetzt. Dividiert man dementsprechend die Molwärme fester Verbindungen durch die Zahl ihrer Atome je Molekül, so ergibt sich im Mittel wieder die Zahl 6.2. So besitzt z. B. das Kupfer- sulfid CuS die Molwärme 11.89, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 11.89: 2 = 5.95, das Kupfersulfid Cu2S die Molwärme 18.74, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 18.74: 3 = 6.25. Allerdings kennt man auch viele Ausnahmen von der „NEUMANN-KOPPsehen Regel".
Kapitel VIII
Die Gruppe der Halogene Zur Gruppe der H a l o g e n e (7. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente) gehören die Elemente Fluor (F), Chlor (Cl), Brom (Br), Jod (J) und Astatium (At). Das letztere (Ordnungszahl 85) kommt in der Natur nur in verschwindenden Mengen als unbeständiges radioaktives Zerfallsprodukt 1 des Urans, Actinourans und Thoriums vor (S. 568) und soll erst bei den radioaktiven Stoffen besprochen werden (S. 599f.). Den Namen Halogene ( = S a l z b i l d n e r ) tragen die Elemente, weil ihre Metallverbindungen den Charakter von S a l z e n — von der Art des Kochsalzes (NaCl) — haben. Wir besprechen zuerst die freien Halogene und dann ihre Verbindungen.
1. Freie H a l o g e n e a) Das Chlor a) Vorkommen Das Chlor ist ein sehr reaktionsfähiges Element. Daher kommt es in der Natur n i c h t in f r e i e m Z u s t a n d e vor. Dagegen ist es in Form von M e t a l l v e r b i n d u n g e n zu 0.19 Gewichtsprozenten am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Weltmeere) beteiligt (S. 69). Die wichtigsten Vorkommen sind das Steinsalz (Natriumchlorid) NaCl, der Sylvin (Kaliumchlorid) KCl und der Carnallit (Kalium-magnesium-chlorid) KCl • MgCl2 • 6H 2 0. Physiologisch von Wichtigkeit ist das Vorhandensein von 0.3 bis 0.4°/ o Chlorwasserstoff HCl im Magensaft, entsprechend einer rund 1 / 10 -molaren Salzsäurelösung. ß) Darstellung Zur Darstellung des Chlors geht man zweckmäßig von Produkten aus, die in beliebiger Menge zur Verfügung stehen. Ein solcher Ausgangsstoff ist das oben erwähnte S t e i n - oder K o c h s a l z NaCl. Dieses kann entweder d i r e k t oder nach vorheriger Umwandlung in C h l o r w a s s e r s t o f f (HCl) in Chlor übergeführt werden. I n der Technik wählt man gewöhnlich den ersteren, im Laboratorium den letzteren Weg. Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) Läßt man auf Natriumchlorid konzentrierte Schwefelsäure (H 2 S0 4 ) einwirken, so erfolgt ein Austausch der Wasserstoffatome der Schwefelsäure gegen die Natriumatome des Natriumchlorids {„doppelte Umsetzung"): H 2 S0 4 + 2 NaCl >- Na2S04 + 2 HCl. (1) Die Reaktion dient zur t e c h n i s c h e n G r o ß d a r s t e l l u n g v o n C h l o r w a s s e r s t o f f bzw. seiner wässerigen Lösung, der S a l z s ä u r e (S. 89f.). Zur Gewinnung von Chlor muß dieser Chlorwasserstoff o x y d i e r t , d . h . von Wasserstoff befreit werden. 1
astatos (aora-ros) = unbeständig.
81
Freie Halogene
Ein geeignetes Oxydationsmittel hierfür ist z. B. der L u f t s a u e r s t o f f , der bei erhöhter Temperatur den Wasserstoff unter Bildung von Wasser bindet: 4 HCl + 0 ; — ^ 2H g 0 + 2CI,.
(2)
Das Verfahren hat als DEACON-Verfahren (erfunden 1868) früher große technische Bedeutung gehabt; heute wird aber nach diesem Verfahren nur noch ganz vereinzelt Chlor erzeugt. Die Reaktion verläuft unter gewöhnlichen Bedingungen sehr langsam und bedarf zur Beschleunigung eines K a t a l y s a t o r s . Als solcher dient beim DEACON-Verfahren K u p f e r c h l o r i d (CuCl2). Und zwar wird ein Gemisch von 7 0 % Luft und 30°/o Chlorwasserstoff bei 430° über mit Kupferchloridlösung getränkte Tonkugeln geleitet (vgl. S.455.). Rund 70—80% des eingeführten Chlorwasserstoffs gehen dabei in Chlor über. Daß die Ausbeute nicht quantitativ ist, ist darauf zurückzuführen, daß die Reaktionsprodukte Wasserdampf und Chlor ihrerseits das Bestreben haben, sich unter R ü c k b i l d u n g der A u s g a n g s s t o f f e Chlorwasserstoff und Sauerstoff ein, welches dadurch umzusetzen. Es stellt sich daher ein „chemisches Gleichgewicht" charakterisiert ist, daß in einer gegebenen Zeit ebensoviel Wasser und Chlor erzeugt werden als Wasser und Chlor wieder reagieren. Wir werden auf derartige chemische Gleichgewichte noch ausführlich zu sprechen kommen (S. 100ff.). Ein anderes geeignetes Oxydationsmittel zur Bildung von Chlor aus Chlorwasserstoff ist der B r a u n s t e i n (Mangandioxyd) Mn0 2 . So gewinnt man im Laboratorium das Chlor gebräuchlicherweise durch gelindes Erhitzen von konzentrierter Salzsäure (oder einem Gemisch von Kochsalz und mäßig konzentrierter Schwefelsäure — vgl. (1) — ) mit Mn0 2 : 4 HCl + Mn02 —>• 2 H 2 0 + MnCl2 + Cl2. (3) Die Umsetzung verläuft in zwei Stufen so, daß durch doppelte Umsetzung primär Mangan-tetrachlorid (MnClJ gebildet wird: 4HCl + Mn0 2 — 2 H 2 0 + MnCl 4 , welches dann sekundär in Mangan-dichlorid (MnCl2) und Chlor zerfällt: MnCl4 —v MnCl2 + Cl2. Wie ein Vergleich der Reaktionsgleichungen (2) und (3) zeigt, entsteht im letzteren Falle aus einer gegebenen Chlorwasserstoffmenge nur halb so viel Chlor als beim DEACON-Verfahren (2), da die Hälfte des Chlors an das Mangan (Mn) gebunden bleibt. Die Umsetzung von Chlorwasserstoff und Braunstein hat als WELDON-Verfahren (erfunden 1866) früher eine technische Rolle gespielt. Bei diesem Verfahren wurde das gebildete Manganchlorid durch Oxydation mit Luft unter geeigneten Reaktionsbedingungen immer wieder in Braunstein zurückverwandelt, so daß letzten Endes auch hier der L u f t s a u e r s t o f f das eigentliche Oxydationsmittel war. Die Reaktion(3) ist auch deswegen noch erwähnenswert, weil das Chlor auf diesem Wege von dem deutsch-schwedischen
Chemiker CARL WILHELM
SCHEELE
(S. 37)
im
Jahre
1774
entdeckt wurde. Von anderen geeigneten Oxydationsmitteln zur Chlorgewinnung aus Salzsäure im Laboratorium seien hier erwähnt: das K a l i u m p e r m a n g a n a t K M n 0 4 (Auftropfen von konzentrierter Salzsäure auf Kaliumpermanganatkristalle; vgl. S. 169) und der C h l o r k a l k CaCl20 (Einwirkung von Salzsäure auf gepreßte Chlorkalkwürfel im Kippschen Apparat; vgl. S. 123). Statt auf c h e m i s c h e m Wege kann der Chlorwasserstoff auch auf e l e k t r o c h e m i schem Wege zerlegt werden. Unterwirft man eine konzentrierte Salzsäure der E l e k t r o l y s e , so bildet sich an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Chlor: Energie + 2 HCl
v H 2 + Cl2.
Über die Vorgänge, die sich dabei im einzelnen abspielen, wird später (S. 91 ff.) ausführlicher gesprochen. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 34.—36. A u f l .
6
Die Gruppe der Halogene
82
Aus N a t r i u m c h l o r i d Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlor elektrolysiert man d i r e k t Lösungen von N a t r i u m c h l o r i d , ohne letzteres vorher in Chlorwasserstoff (Salzsäure) umzuwandeln. Der Gesamtvorgang der Elektrolyse wird durch die Gleichung Energie + 2H jOH + 2Naj C1 —>- H2 + 2NaOH + Cl2 wiedergegeben. Außer Chlor entstehen dabei also noch W a s s e r s t o f f (vgl. S. 37) und N a t r o n l a u g e (NaOH). Auf die technischen Ausführungsformen dieser Elektrolyse („Chloralkali-elektrolyse") wird bei der Besprechung der Natronlauge (S. 424f.) näher eingegangen werden; bezüglich des Reaktionsablaufs der Elektrolyse vgl. S. 174. y) Physikalische Eigenschaften Chlor ist ein gelbgrünes1, erstickend riechendes, die Schleimhäute stark angreifendes Gas, welches 2 1 / 2 mal so schwer wie Luft ist. Durch Druck kann es leicht verflüssigt werden, da seine kritische Temperatur recht hoch liegt (kritische Temperatur: 143.5°; kritischer Druck: 76.1 a t ; kritische Dichte: 0.57 g/cm 3 ). Daher gelangt es als flüssiges Chlor (spezifisches Gewicht 1.57 bei —34° C) in Stahlbomben und in Kesselwagen in den Handel. Der Siedepunkt des flüssigen Chlors liegt bei —34.0° C, der Erstarrungspunkt bei —102.4°. In Wasser ist Chlor gut löslich: 1 Raumteil Wasser löst bei 20° und Atmosphärendruck 2.3 Raumteile Chlor. Die Lösung heißt „Chlorwasser" (vgl. S. 121 f.). Wegen dieser guten Löslichkeit wird das Chlor bei der Darstellung im Laboratorium zweckmäßig nicht über Wasser, sondern über gesättigter Kochsalzlösung aufgefangen, in der es weniger löslich ist. Noch bequemer ist es, das Gas in einem trockenen Glasgefäß zu sammeln, indem man es auf den Boden des Gefäßes leitet; infolge seiner Schwere bleibt es unten liegen und verdrängt von hier aus allmählich die Luft. S) Chemische Eigenschaften Das Chlor gehört zu den chemisch r e a k t i o n s f ä h i g s t e n Elementen und verbindet sich — meist schon bei gewöhnlicher Temperatur, noch heftiger bei erhöhter Temperatur — mit f a s t a l l e n anderen Elementen unter starker Wärmeentwicklung. Nur gegen die E d e l g a s e sowie gegen S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f verhält es sich indifferent; auf dem Wege über andere Verbindungen lassen sich aber auch Chlorverbindungen der letzteren drei Elemente gewinnen (S. U 6 ff., : 3 > f., 300). Einige Reaktionen mit Metallen und Nichtmetallen seien im folgenden angeführt. Unter den Metallen reagieren die der 1. Hauptgruppe des Periodensystems, die A l k a l i m e t a l l e , am heftigsten mit Chlor. Erwärmt man z. B . im Chlorstrom ein Stückchen Natrium auf etwa 100°, so vereinigen sich die beiden Elemente unter intensiver gelber Lichterscheinung lebhaft zu Natriumchlorid: 2Na + Cl2
> 2 NaCl + 196.6 kcal.
Fast ebenso heftig wie die Alkalimetalle reagieren die Elemente der 2. Hauptgruppe des Periodensystems, die E r d a l k a l i m e t a l l e ; z. B . : Ca + Cl2 — C a C l 2 + 1 9 0 . 6 kcal. Aber auch die Metalle der rechten Hälfte des Periodensystems reagieren noch lebhaft mit Chlor, wenn man sie in feinverteiltem Zustande zur Umsetzimg bringt. Schüttet man z. B . feingepulvertes A r s e n , A n t i m o n oder W i s m u t in ein mit Chlor gefülltes Glasgefäß, so „verbrennen" sie unter Feuererscheinung zu entsprechenden Chloriden; z. B . : Sb + 172C12 SbCl3 + 91.4 kcal. 1
ohloros (xAcopös) = gelbgrün.
Freie Halogene
83
I n gleicher Weise kann man auch edle Metalle wie K u p f e r unter Flammenerscheinung mit Chlor zur Vereinigung bringen, wenn man sie als sehr feine Pulver oder in Form sehr dünner Blättchen (z. B. als unechtes — aus Kupfer und Zink bestehendes — Blattgold; S. 452) anwendet: Cu + Cl,
>- CuCl, + 53.4 kcal.
Bei allen diesen Reaktionen spielt ein gewisser Feuchtigkeitsgehalt des Chlors eine Rolle (vgl. S. 435). Denn t r o c k e n e s Chlor ist viel r e a k t i o n s t r ä g e r als feuchtes. So verbindet sich z. B. vollkommen trockenes Chlor nicht mit K u p f e r oder E i s e n . Daher kann man solches Chlor durch Eisenleitungen fortleiten und im flüssigen Zustande in Stahlbomben (unter einem Druck von etwa 6 Atmosphären) in den Handel bringen. Unter den Reaktionen des Chlors mit Nichtmetallen (z. B. Phosphor, Schwefel, Wasserstoff), die bei Zimmertemperatur im allgemeinen weit weniger heftig verlaufen, ist besonders die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f erwähnenswert. Mischt man Chlor und Wasserstoff im Molverhältnis 1 : 1 , so kann man das Gasgemisch bei gewöhnlicher Temperatur und im Dunkeln unverändert aufbewahren, ohne daß eine merkliche Reaktion einsetzt. I m zerstreuten Tageslicht dagegen entsteht allmählich, im S o n n e n l i c h t oder bei B e s t r a h l u n g mit blauem oder kurzwelligerem Licht oder bei lokaler E r h i t z u n g e x p l o s i o n s a r t i g Chlorwasserstoffgas: H a + Cl2
>- 2 HCl + 43.8 kcal.
(4)
Man nennt daher das Chlor-Wasserstoff-Gemisch auch „Chlorknallgas". Da die Wärmeentwicklung nicht so stark ist wie bei der Umsetzung des aus W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f bestehenden Knallgases (vgl. S. 45), ist die Explosion von C h l o r k n a l l g a s nicht so gewaltig wie die von S a u e r s t o f f k n a l l g a s . Zur e x p l o s i o n s f r e i e n Vereinigung von Chlor und Wasserstoff vgl. S. 90. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung des L i c h t s oder der W ä r m e beruht darauf, daß unter der Einwirkung dieser Energiezufuhr eine Spaltung einzelner Chlormoleküle in die C h l o r a t o m e erfolgt (vgl. S. 85): 57.8 kcal + Cl2 — 2 Cl. (5) Die so gebildeten Chloratome reagieren nach den Gleichungen Cl + H 2 >- HCl + H 1.0 kcal (6) H + Cl2 HCl + Cl + 44.8 kcal (7) unter Wärmeentwicklung und Bückbildung von Chloratomen — die von neuem gemäß (6) in die Beaktion eintreten — weiter („Kettenreaktion"), bis sich die Beaktionsgeschwindigkeit infolge des raschen Temperaturanstiegs zur Explosion steigert. Eine einmal eingeleitete Reaktionskette bricht dann ab, wenn sich beispielsweise zwei Chloratome in Umkehrung der Reaktion (5) zu einem Chlormolekül vereinigen. Dies tritt bei geeigneten Versuchsbedingungen verhältnismäßig selten ein, so daß dann mehrere Millionen Chlorwasserstoffmoleküle gemäß (6) und (7) gebildet werden können, bevor die Kette abreißt. Gleichung (6) und (7) ergeben addiert dia Gesamtgleichung (4).
Das Bestreben des Chlors, sich mit Wasserstoff zu verbinden, ist so groß,, daß es auch vielen Wasserstoffverbindungen den Wasserstoff unter Chlorwasserstoffbildung entreißt. Taucht man z. B. einen mit T e r p e n t i n ö l (C10H16) getränkten Filtrierpapierstreifen in einen mit Chlorgas gefüllten Glaszylinder, so entzündet sich das Terpentinöl unter Entweichen dicker Rußwolken (Kohlenstoff): C10H16 + 8 Cl2 • — 1 0 C + 16 HCl.
Leitet man S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S) in eine wässerige Lösung von Chlor, so scheidet sich Schwefel aus: H 2 S + Cl2
^ 2HC1 + S .
Auch W a s s e r kann durch Chlor in entsprechender Weise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt werden: ^ + c l 2 ^ 2 H c l + 0 > (8) 6*
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Die Gruppe der Halogene
Die Reaktion verläuft jedoch nur unter der Einwirkung des S o n n e n l i c h t e s mit genügender Geschwindigkeit (vgl. S. 122). Zur Verhinderung dieser zersetzenden Wirkung des Lichtes bewahrt man Chlorwasser in braunen Flaschen auf. Als „naszierender" Sauerstoff (vgl. S. 48) ist der nach (8) gebildete Sauerstoff besonders reaktionsfähig. Daher besitzt feuchtes Chlor s t a r k o x y d i e r e n d e W i r k u n g , was man zum B l e i c h e n (oxydative Zerstörung von Farbstoffen) und zum D e s i n f i z i e r e n (oxydative Zerstörung von Bakterien) benutzt. Bringt man z. B. eine rote Rose oder eine Tulpe in feuchtes Chlorgas, so verschwindet zuerst das empfindliche Blattgrün und dann auch der rote Blütenfarbstoff. Man benutzt diese B l e i c h w i r k u n g des Chlors zum Bleichen von Leinen, Baumwolle, J u t e , Papierstoff usw. Allerdings müssen mit Chlor gebleichte Gewebe und Faserstoffe durch ,,Antichlor" (S.216) von den noch anhaftenden Chlor-Resten befreit werden, u m eine nachträgliche Zerstörung durch das aggressive Chlor zu verhüten. Daher wird die Chlorbleiche mehr und mehr durch die Bleiche mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d (S. 178 ff.) verdrängt, welche die Faser weniger angreift und zudem schneller und nachhaltiger wirkt. Die d e s i n f i z i e r e n d e W i r k u n g des Chlors wird unter anderem zur Sterilisierung von Trinkwasser und zur Desinfektion des Wassers in öffentlichen Schwimmanstalten benutzt. Auch Abwässer werden zur Beseitigung von Geruchs- und Fäulnisstoffen „gechlort".
b) Photochemische Reaktionen Wie wir auf S. 83 feststellten, wird die bei Zimmertemperatur im Dunkeln unendlich langsam verlaufende Reaktion der Chlorwasserstoffbildung aus den Elementen durch B e s t r a h l u n g mit kurzwelligem Licht bis zur Explosion gesteigert. I m folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Mechanismus solcher „photochemischer Reaktionen" befassen. Wie wir heute wissen, reagiert nicht nur die M a t e r i e , sondern auch die E n e r g i e in Form von Atomen, d. h. kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen („Quanten"). Die Atome des L i c h t s z. B., welche „Photonen" oder „Lichtquanten" genannt werden (vgl. S. 140ff.), stellen ein E n e r g i e q u a n t u m E dar, das der F r e q u e n z v1 der betreffenden Lichtart proportional ist: E = A-v. Der Proportionalitätsfaktor h heißt „PLANCKBches Wirkungsquantum" u n d h a t — wenn E in cal ausgedrückt werden soll — den Wert 1.583 XlO - 3 4 cal • sec. Danach gibt es also energieärmere („leichtere") und energiereichere („schwerere") Lichtatome, je nachdem die Frequenz v des betrachteten Lichtes klein oder groß ist, während für eine Lichtart von g e g e b e n e r Frequenz alle Atome gleiche Energie (gleiches „Gewicht") besitzen. R o t e s Licht der Wellenlänge 7000 Ä ( = Frequenz 4.282 x l O 1 4 sec - 1 ) kann z. B. nur in Energiequanten („Energiepaketchen") der Größe h - v = (1.583 X10- 3 4 ) X (4.282 X 1014) = 6.778 X 10" 20 cal abgegeben oder aufgenommen werden. Dagegen stellen die Atome von g r ü n e m L i c h t der Wellenlänge 5500 A ( = Frequenz 5.451 XlO 1 4 sec - 1 ) eine u m 2 7 % größere Energiemenge von je (1.583 X10 - 3 4 ) X (5.451 X10 14 ) = 8.626 X 1 0 - 2 0 cal dar. 6.022 X10 2 3 „rote" Lichtquanten („1 Mol" rotes Licht der Wellenlänge 7000 A) sind einer Energiemenge von (6.022 X 1023) X (6.778 X 10 - 2 0 ) = 40810 cal äquivalent, „1 Mol" grünes Licht der Wellenlänge 5500 A entspricht einer Energiemenge von (6.022 XlO 23 ) X (8.626 X 1 0 - 2 0 ) = 51940 cal. I n der nachfolgenden Tabelle sind solche ,,Lichtäquivalente" f ü r die einzelnen Lichtarten in kcal angegeben: 1 Die Frequenz v eines einfarbigen („monochromatischen") Lichtes hängt mit dessen Wellenlänge X durch die Beziehung v • ).= c (c = Lichtgeschwindigkeit) zusammen. Die Frequenz gibt also die Zahl der Wellenlängen an, die das Licht in 1 Sekunde zurücklegt.
Freie Halogene Licht
85
Wellenlänge (Ä)
Farbe
Komplementärfarbe
Energiewert des Lichtäquivalents (kcal)
3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000
Ultraviolett Violett Blau Blaugrün Grün Gelb Orange Rot Dunkelrot Ultrarot
Weiß Gelbgrün Gelb Rot Purpur Blau Blaugrün Blaugrün Blaugrün Weiß
81.6 71.4 63.5 57.1 51.9 47.6 44.0 40.8 38.1 35.7
Genau wie sich Atome oder Moleküle der Materie nur in ganzzahligem Verhältnis miteinander umsetzen können (,,stöchiometrische Gesetze"-, S. 12ff.), können auch M a t e r i e u n d E n e r g i e nur in g a n z z a h l i g e m Verhältnis ihrer kleinsten Teilchen miteinander reagieren. Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und e l e k t r i s c h e r E n e r g i e werden wir diese Folgerung später noch kennenlernen ( , , F A R A DAYSche Gesetze"; S. 93f.). Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e u n d L i c h t wird sie durch das „photochemische Äquivalenzgesetz" zum Ausdruck gebracht, welches besagt, daß 1 Materie-atom oder -molekül nur mit 1 Lichtquant (oder einem, ganzzahligen Vieljachen davon) in Reaktion treten kann und umgekehrt. Will man daher z. B. die Reaktion Cl2 + 57.8 kcal
>- 2 Cl
erzwingen, welche die Vorbedingung für den Ablauf der Chlorknallgasreaktion ist (S. 83), so ist zur Spaltung je Mol Chlor 1 Mol Lichtquanten aufzuwenden, wobei die Energie dieser Lichtquanten h- v je Mol den Wert v o n 57.8 kcal überschreiten muß. N a c h der obigen Tabelle ist dies bei b l a u e m (A = 4500 Ä) u n d k u r z w e l l i g e r e m Licht der Fall, nicht dagegen bei gelbem oder rotem Licht. So k o m m t es, daß die Chlorknallgasexplosion nur durch blaues oder kurzwelligeres, nicht aber durch gelbes oder rotes Licht ausgelöst wird. Ganz allgemein reichen die Quanten des sichtbaren Lichts, wie aus der Tabelle hervorgeht, für chemische Vorgänge aus, deren molarer U m s a t z nicht mehr als 70 kcal erfordert. V o r a u s s e t z u n g f ü r die chemische W i r k s a m k e i t einer b e s t i m m t e n L i c h t a r t i s t , d a ß sie v o m r e a k t i o n s f ä h i g e n S y s t e m a u c h a u f g e n o m m e n („absorbiert") w i r d . Ein f a r b l o s e r , d. h. im sichtbaren Gebiet nicht absorbierender Stoff kann durch sichtbares Licht selbst d a n n nicht chemisch beeinflußt werden, wenn der Zahlen wert des Lichtäquivalents den für einen molaren Umsatz dieses Stoffes erforderlichen Energiebetrag überschreitet. Z. B. sind zur Spaltung von S i l b e r b r o m i d in Silber und Brom — einer Reaktion, die sich bei der Belichtung einer photographischen Platte abspielt — 23.7 kcal erforderlich: 23.7 kcal + AgBr
>- Ag + 7 2 Br,
Die Spaltung sollte daher gemäß der oben angeführten Tabelle schon durch ultrarotes Licht bewirkt werden können. Da aber Silberbromid, wie seine gelbe Farbe zeigt, erst im Blauen zu absorbieren beginnt (s. oben), bleibt das langwelligere Licht unwirksam. Will man die photographische Platte auch für anderes als blaues — z. B. rotes oder ultrarotes — Licht empfindlich machen, so muß man der Silberbromidschicht Farbstoffe („Sensibilisatoren") zufügen, welche dieses Licht zu absorbieren und dessen Energie auf das Silberbromid zu übertragen vermögen (S. 463f.). Auch bei M a t e r i e - r e a k t i o n e n — z . B . bei Umsetzungen von Gasen — treten zusammenstoßende Moleküle nicht immer dann miteinander in Reaktion, wenn ihre Energie zur Umsetzung ausreicht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in einem „reaktionsbereiten" Zustand (S. 101f.) befinden.
86
Die Gruppe der Halogene
c) Das Fluor Vorkommen. Wie das Chlor kommt auch das Fluor in der Natur nur in Form von V e r b i n d u n g e n vor, vor allem als Flußspat CaF 2 , Kryolith A1F3 • 3NaF = Na3AlF6 und Apatit 3Ca s (P0 4 ) 2 • Ca(F,Cl)2 = Ca 5 (P0 4 ) 3 (F,Cl). Darstellung. Zur Darstellung des Fluors kann man wie beim Chlor die Wasserstoffverbindung — hier also den F l u o r w a s s e r s t o f f HF — verwenden. Da Fluor aber wesentlich reaktionsfähiger als Chlor ist und den Wasserstoff fester als alle anderen Elemente bindet, gelingt die Zerlegung des Fluorwasserstoffs nicht wie dort auf chemischem, sondern nur auf e l e k t r o c h e m i s c h e m Wege (vgl. S. 168): 128.4 kcal + 2 HF •—>- H 2 + F 2 .
Als Elektrolyt ist in diesem Falle keine wässerige Fluorwasserstofflösung brauchbar; denn Fluor entzieht selbst dem Wasser sofort den Wasserstoff, so daß man bei der Elektrolyse wässeriger Lösungen kein Fluor, sondern Sauerstoff erhält: F2 + H20 — » - 2 H F +
7«0,.
Vielmehr muß man wasserfreien, flüssigen F l u o r w a s s e r s t o f f verwenden, in welchem man zur Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit (flüssiger Fluorwasserstoff leitet wie Wasser den elektrischen Strom praktisch nicht) K a l i u m f l u o r i d (KF) auflöst. Auch wasserfreie Schmelzen von Salzen des Typus K F • HF (Smp. 217°) oder K F • 2 H F (Smp. 72°) oder K F • 3HF (Smp. 66°) lassen sich zur elektrolytischen Zersetzung benutzen. Am bequemsten ist die Verwendung des letztgenannten Salzes, da dieses tiefer -Flußspatstopfen als die beiden anderen Salze schmilzt, so daß die Elektrolyse bequem bei 100° durchgeführt werden kann. Fluor Hupferrohr Zur Fluordarstellung nach diesem Verfahren benutzt man zweckmäßig ein — zugleich als Kathode dienenDecke! Ftu/lsparstückchen i AgCl. Man nennt solche Umsetzungen zwischen Ionen „Ionenreaktionen"; sie verlaufen ganz allgemein s e h r r a s c h . Liegt das fragliche Atom oder die Atomgruppe in wässeriger Lösimg n i c h t in I o n e n f o r m vor, so bleibt selbstverständlich die charakteristische Ionenreaktion aus. So reagiert z. B. das Chlor „organischer" (S. 293) Chlorverbindungen, welches in wässeriger Lösung nicht als Chlor-ion, sondern in nichtionogener Form vorliegt, nicht oder nur sehr langsam mit Silbernitratlösung unter Silberchloridbildung. Eine im Laboratorium häufig durchgeführte Ionenreaktion ist die „Neutralisation" (S. 116ff.) von Säuren und Basen. Gibt man chemisch äquivalenteMengen einer s t a r k e n S ä u r e (z. B. Salzsäure) und einer s t a r k e n B a s e (z. B. Natronlauge) zusammen, so geht die Eigenschaft der Säure, blaues Lackmuspapier zu röten {„sauer zu reagieren"), und die Eigenschaft der Base, rotes Lackmuspapier zu bläuen {„basisch zu reagieren"), verloren, weil sich die W a s s e r s t o f f - i o n e n der Säure mit den H y d r o x y l - i o n e n der Base zu dem nur sehr wenig (bei Zimmertemperatur zu 0.0000002 Mol-%) dissoziierten W a s s e r vereinigen: Na" + i OH' + H'! + Cl'
H 2 0 + Na" + Cl'.
(4)
Die Kationen der starken Base und die Anionen der starken Säure beteiligen sich, wie aus dieser Gleichung hervorgeht, nicht an der Reaktion, so daß man den Neutralisationsvorgang auch vereinfacht als H' + OH' H20 (5) schreiben kann. Die Wärmetönung dieser Ionenreaktion beträgt bei Zimmertemperatur 13.6 kcal/Mol H 2 0 . Daher kommt es, daß bei jeder Neutralisation einer starken Säure und starken Base unabhängig von der Art der Säure und Base eine „Neutralisationswärme'" von 13.6 kcal entwickelt wird. Ist die Säure oder die Base s c h w a c h , so hat die Neutralisationswärme einen anderen W e r t ; denn dann müssen die Moleküle der schwachen Säure bzw. Base während der Neutralisation in dem Maße n a c h d i s s o z i i e r e n , in welchem die Wasserstoff- bzw. Hydroxyl-ionen verbraucht werden, so daß sich die gemessene Neutralisationswärme aus der eigentlichen N e u t r a l i s a t i o n s w ä r m e (13.6kcal) und der D i s s o z i a t i o n s w ä r m e zusammensetzt: HCN + OH' ^±1H20 +CN', 2 H- + Cu(OH)2 IT*"- 2 H 2 0 + Cu".
(6) (7)
So beträgt z. B. die bei der Neutralisation von Blausäure (HCN) mit Natronlauge freiwerdende Neutralisationswärme nur 2.8 kcal, weil die Dissoziation der Blausäure in Wasserstoff- und Cyan-ionen (HCN H ' + CN') 10.8 kcal erfordert. Da das Wasser zu einem geringen Betrag in Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen gespalten ist, verläuft die Neutralisation (5) n i c h t v ö l l i g q u a n t i t a t i v , sondern führt zu einem — allerdings ganz nach der rechten Seite der Reaktionsgleichung verschobenen — G l e i c h g e w i c h t . Derselbe Gleichgewichtszustand stellt sich ein, wenn wir in Umkehrung der — zu Salz und Wasser führenden — Neutralisationsreaktion Salz und Wasser zusammengeben. Es setzen sich letztere dann in geringem Maße unter Rück-
Wasserstoffverbindungen der Halogene
97
bildung von Säure und Base um („Hydrolyse"). Ist die S ä u r e s c h w a c h und die B a s e s t a r k , so führt diese Hydrolyse — wie die von rechts nach links gelesene Gleichung (6) zeigt — zu einer b a s i s c h e n Keaktion der Lösung; im u m g e k e h r t e n Falle — vgl. Gleichung (7) — reagiert die Salzlösung s a u e r (Näheres S. 115f.).
c) Fluorwasserstoff Darstellung. Entsprechend dem Chlorwasserstoff kann auch der F l u o r w a s s e r s t o f f entweder a u s d e n E l e m e n t e n (H a + F a — > - 2 H F + 128.4 kcal) oder durch Einwirkung einer Säure auf ein S a l z d e s F l u o r w a s s e r s t o f f s gewonnen werden. Die gebräuchliche Darstellungsmethode ist die letztere. Als Fluorid verwendet man dabei den in der Natur vorkommenden F l u ß s p a t CaF 2 (Calciumfluorid). Beim Erwärmen dieses Flußspats mit konzentrierter Schwefelsäure destilliert der Fluorwasserstoff a b : CaF2 + H 2 S0 4 >- CaS04 + 2HF. Das Erwärmen muß in einem Gefäß aus P l a t i n oder B l e i vorgenommen werden, da Fluorwasserstoff G l a s a n g r e i f t (s. S. 98). W a s s e r f r e i e n Fluorwasserstoff gewinnt man zweckmäßig durch Erhitzen von sauren Fluoriden des Typus MeF • H F , z. B . K F • H F (vgl. S. 86, 98): KF • HF-—>- KF + HF. Physikalische Eigenschaften. Wasserfreier Fluorwasserstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur eine farblose, leicht bewegliche, an der Luft stark rauchende Flüssigkeit, welche bei 19.5° siedet und bei—83.1° erstarrt. Das spezifische Gewicht beim Siedepunkt beträgt 0.991 g/cm 3 . Der Geruch ist äußerst stechend. Die Dämpfe wirken eingeatmet stark giftig. Das Molekulargewicht im Dampfzustande ist höher als es der Molekularformel H F entspricht, da die HF-Moleküle das Bestreben haben, sich zu größeren („polymeren") Molekülen (HF) n (n = 2, 3, 4, 5, 6 und höher) zusammenzulagern. Da die Vereinigung mit einer V o l u m e n v e r m i n d e r u n g verbunden und ein e x o t h e r m e r Vorgang ist, gewinnen mit fallendem Druck und steigender Temperatur die niedrigeren Zähligkeiten n auf Kosten der höheren zunehmend an Gewicht (vgl. hierzu das „Prinzip des kleinsten Zwanges", S. 113ff.). So ist der Fluorwasserstoff bei 90° praktisch monomolekular {„monomer"), während er kurz oberhalb des Siedepunktes ein D u r c h s c h n i t t s molekulargewicht (HF) 3 aufweist. Man nennt den Vorgang der Spaltung größerer Moleküle in einfachere ganz allgemein „Dissoziation", den umgekehrten Fall der Zusammenlagerung von Molekülen zu größeren Komplexen „Assoziation": Dissoziation
(HF) n
nHF.
Auch im f l ü s s i g e n und f e s t e n Zustande ist der Fluorwasserstoff „assoziiert". Das hierdurch bedingte erhöhte Molekulargewicht erklärt den auffallend hohen Siede- und Schmelzpunkt des Fluorwasserstoffs. Denn besäße der Fluorwasserstoff das einfache Molekulargewicht H F , so müßte er flüchtiger und leichter schmelzbar als Chlorwasserstoff sein. I n Wasser löst sich Fluorwasserstoff leicht. Die dabei entstehende Lösung wird Fluorwasserstoffsäure oder Flußsäure genannt. Chemische Eigenschaften. Die Flußsäure besitzt, wie ihr Name besagt, den Charakter einer S ä u r e : sie färbt blaues Lackmuspapier rot und löst zahlreiche Metalle unter Wasserstoffentwicklung. Gold und Platin werden von Flußsäure nicht angegriffen, Blei nur oberflächlich. Hoileman-Wiberg,
Anorganische Chemie.
34.—36. Aufl.
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Die Gruppe der Halogene
Die charakteristischste Eigenschaft der Flußsäure ist ihre Fähigkeit, G l a s a n z u g r e i f e n . Man kann sie daher nicht in G l a s g e f ä ß e n , sondern nur in Gefäßen aus B l e i , P a r a f f i n oder K a u t s c h u k aufbewahren. Die Reaktion mit Glas beruht auf der Bildung gasförmigen S i l i c i u m - t e t r a f l u o r i d s (SiF 4 ) aus Flußsäure und Siliciumdioxyd (Si0 2 ), dem Hauptbestandteil des Glases: Si0 2 + 4 H F — - > SiF 4 + 2 H 2 0 . Praktisch benutzt man diese Umsetzung zum Ätzen von Glas. Dieses Ätzen kann entweder mit der wässerigen Fluorwasserstofflösung oder mit gasförmigem Fluorwasserstoff erfolgen. Im ersten Fall bleiben die geätzten Glasgegenstände klar und durchsichtig, im zweiten erhält man matte Ätzungen. Zur Ätzung wird der gläserne Gegenstand mit dem „Ätzgrund'', d. h. einer dünnen Schicht aus Wachs, Paraffin oder Harzgemischen überzogen. In diesen Überzug ritzt man mit einem Stichel die Zeichnungen ein. Dann wird das Glas entweder einige Zeit in verdünnte Flußsäure getaucht oder der Wirkung gasförmigen Fluorwasserstoffs ausgesetzt. Die durch den Ätzgrund geschützten Partien bleiben dabei unverändert, während an den freigelegten Stellen eine Ätzung erfolgt. Nach Ablösen des Überzugs mittels eines geeigneten Lösungsmittels (z. B. Terpentinöl oder Alkohol) findet sich die Zeichnung in das Glas eingeätzt.
Die Fluoride der meisten Metalle lösen sich in Wasser, einige jedoch — z. B . Kupfer fluorid (CuF2), Bleifluorid (PbF 2 ) — schwierig. Die Fluoride der Erdalkalimetalle (CaF 2 , SrF 2 , BaF 2 ) sind unlöslich. Manche Fluoride können sieh noch mit einem oder mehreren Molekülen Fluorwasserstoff verbinden. So kristallisiert z. B . Kaliumfluorid aus wässeriger Flußsäure als K F • H F (Kaliumhydrogenfluorid, saures Kaliumfluorid), aus wasserfreiem Fluorwasserstoff als K F • HF, K F • 2HF und K F • 3 H F aus (vgl. S. 86).
d) Bromwasserstoff Darstellung. B r o m w a s s e r s t o f f kann nicht wie Chlor- und Fluorwasserstoff durch Einwirkung konzentrierter Schwefelsäure auf ein entsprechendes Halogenid dargestellt werden. Denn der dabei gebildete Bromwasserstoff: 2KBr + H2S04 — > - K2S04 + 2HBr,
der sich wesentlich leichter als Fluor- und Chlorwasserstoff oxydieren läßt, wird von der konzentrierten Schwefelsäure — die als Oxydationsmittel wirken kann: H 2 S 0 4 —> H 2 S 0 3 + 0 — teilweise zu B r o m o x y d i e r t : 2HBr + H 2 S0 4 — H
a
0 + Br 2 + H 2 S 0 3 .
Man muß daher entweder v e r d ü n n t e Schwefelsäure nehmen, wobei dann aber nur verdünnte Bromwasserstofflösung, kein gasförmiger Bromwasserstoff erhalten wird, oder man muß sich einer n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e bedienen. So kann man z. B . mit konzentrierter P h o s p h o r s ä u r e (H 3 P0 4 ) aus Natrium- oder Kaliumbromid reinen Bromwasserstoff austreiben: 3KBr + H3P04 — > K3P04 + 3HBr.
Meist verwendet man allerdings im Laboratorium nicht Phosphorsäure, sondern einfach W a s s e r als nichtoxydierende Wasserstoffionenquelle („Säure"). Da Wasser jedoch eine sehr schwache Säure ist (S. 110), muß man dann leichter zersetzliche Bromide als Ausgangsmaterial verwenden. Besonders geeignet ist hier P h o s p h o r b r o m i d (PBr 3 ). Läßt man zu Phosphorbromid Wasser tropfen, so entsteht nach PBr 3 + 3 HÖH
P(0H) 3 + 3HBr
Bromwasserstoff, der sich wegen seiner großen Flüchtigkeit leicht von der schwerflüchtigen phosphorigen Säure P(OH) 3 abtrennen läßt. Da Phosphor und Brom sich lebhaft zu Phosphorbromid umsetzen (2P + 3Br 2 —>- 2PBr 3 )„ braucht man bei dieser Darstellungsart kein fertiges Phosphorbromid anzuwenden, sondern
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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kann von den Elementen Phosphor und Brom ausgehen. Man läßt dann Brom zu angefeuchtetem Phosphor tropfen und erwärmt vorsichtig das Gemisch.
Will man Bromwasserstoff entsprechend dem Chlorwasserstoff a u s d e n E l e m e n t e n erzeugen: H 2 + Br2Dampf
2HBr + 23.2 kcal,
so darf man nicht bei allzu hohen Temperaturen arbeiten, da sonst das obige Gleichgewicht merklich nach links verschoben ist. Daher verwendet man zweckmäßig einen K a t a l y s a t o r , der die Vereinigung der Elemente bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a t u r ermöglicht. Und zwar leitet man Wasserstoffgas und Bromdampf durch ein mit P l a t i n s c h w a m m oder a k t i v e r K o h l e beschicktes heißes Rohr. Es ist dies zugleich die b e s t e D a r s t e l l u n g s w e i s e für Bromwasserstoff. Auch durch Einwirkung von Brom auf W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n kann Bromwasserstoff gewonnen werden. I m Laboratorium benutzt man als Wasserstoffverbindung zu diesem Zwecke gewöhnlich Schwefelwasserstoff (vgl. S. 88, 193) oder Tetralin (CI 0 H 12 ). Physikalische Eigenschaften. Bromwasserstoff ist ein farbloses Gas, das sich bei Abkühlung zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Der Siedepunkt der Flüssigkeit hegt bei —'66.8°. Bei noch stärkerer Abkühlung erstarrt die Flüssigkeit zu farblosen Kristallen, welche bei —86.9° schmelzen. Wie Chlorwasserstoff wirkt auch Bromwasserstoff stark reizend auf die Schleimhäute und bildet an feuchter L u f t starke Nebel. I n Wasser ist Bromwasserstoff noch stärker löslich als Chlorwasserstoff: 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 612 Raumteile BromWasserstoff gas. Chemische Eigenschaften. I n w ä s s e r i g e r Lösung treten wie beim Fluor- und Chlorwasserstoff die s a u r e n Eigenschaften in den Vordergrund („Bromwasserstoffsäure"). Die Bindung zwischen Wasserstoff und Halogen ist im BromWasserstoff w e n i g e r f e s t als im Chlorwasserstoff. Leitet man daher Chlor in Brom Wasserstoff ein, so beobachtet man die Bildung von rotbraunen B r o m dämpfen: 2HBr + Cl2 — 2 H C 1 + Bra.
Bromwasserstoff ist also ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlorwasserstoff, Chlor ein stärkeres Oxydationsmittel als Brom. Die Salze des Bromwasserstoffs (Bromide) sind meist in Wasser löslich. Unlöslich ist vor allem das Silberbromid (AgBr), schwer löslich das Bleibromid (PbBr 2 ). Zur Darstellung der Alkalibromide, der für den Chemiker wichtigsten Bromide, vgl. S. 129.
e) Jodwasserstoff Darstellung. Der Jodwasserstoff ist noch l e i c h t e r o x y d i e r b a r als der Bromwasserstoff. Daher kommt aus den schon beim Bromwasserstoff erörterten Gründen (S. 98) eine Darstellung aus Jodid und konzentrierter Schwefelsäure nicht in Frage. I n Analogie zur Bromwasserstoffgewinnung erfolgt die Jodwasserstoffdarstellung durch Einwirkung von W a s s e r auf P h o s p h o r j o d i d : PJ 3 + 3HÖH
P(OH)3 + 3HJ
(1)
oder durch Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in eine wässerige Jod-Aufschlämm U n g :
J 2 + H 2 S — > • 2HJ + S.
(2)
Wie im Falle der Bromwasserstoffdarstellung ist es auch im Falle (1) nicht erforderlich, das Phosphorhalogenid als solches zu verwenden. Vielmehr genügt es, von den Elementen Phosphor und Jod auszugehen, indem man entweder ein breiiges Gemenge von rotem Phosphor und Wasser zu mit Wasser befeuchtetem Jod oder eine Lösung von Jod in Jodwasserstoffsäure zu rotem Phosphor tropfen läßt. 7*
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Die Gruppe der Halogene
Zur Darstellung a u s d e n E l e m e n t e n leitet man (vgl. Bromwasserstoff) Wasser, atoffgas und Joddampf über erhitzten P l a t i n s c h w a m m als Katalysator: H a + J2Dampr
2 H J + 2.5 kcal.
Es ist dies auch hier die beste Methode zur R e i n d a r s t e l l u n g des Halogenwasserstoffs. Physikalische Eigenschaften. Jodwasserstoff ist ein farbloses, stechend riechendes, an der L u f t rauchendes Gas. Der Siedepunkt des flüssigen Jodwasserstoffs liegt bei —-35.4°, der Schmelzpunkt des festen Jodwasserstoffs bei —'50.7°. I n Wasser ist Jodwasserstoff außerordentlich löslich: 1 Raumteil Wasser nimmt bei 10° 425 Raumteile Jodwasserstoffgas von Atmosphärendruck auf. Chemische Eigenschaften. Als Gas und in wässeriger Lösung („Jodwasserstoffsäure") ist der Jodwasserstoff bei A u s s c h l u ß v o n L u f t s a u e r s t o f f und bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r vollkommen beständig. Bei Einwirkung von S a u e r s t o f f erfolgt dagegen langsame Oxydation zu J o d : 2 H J + I/ 2 0 2
^ H 2 0 + J2.
Daher färben sich Jodwasserstofflösungen, namentlich konzentrierte, an der L u f t bald braun. L i c h t beschleunigt diese Jodbildung. I n analoger Weise wird Jodwasserstoff durch B r o m oder C h l o r sowie durch viele a n d e r e Oxydationsmittel in J o d übergeführt: 2 H J + Br2
2 H B r + J2.
E r ist mit anderen Worten ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlor- und Bromwasserstoff. Die wässerige Jodwasserstoffsäure hat ganz den Charakter einer S ä u r e und entwickelt dementsprechend mit vielen Metallen Wasserstoff unter gleichzeitiger Bildung von Jodiden: ,, , _TTT ,, T , TI J Me + 2 H J -—>- MeJ2 + H 2 .
Zur Darstellung der Alkalijodide, der für den Chemiker wichtigsten Jodide, vgl. S. 129. Charakteristisch im Vergleich zum Brom- und Chlorwasserstoff ist die beim Erwärmen leicht erfolgende S p a l t u n g des Jodwasserstoffs in J o d und W a s s e r s t o f f . Sie soll uns Gelegenheit geben, im folgenden etwas näher auf den Begriff des c h e m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s einzugehen.
3. D a s c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t Erwärmt man Jodwasserstoff in einem geschlossenen Gefäß auf höhere Temperaturen, so beginnt er sich wenig oberhalb 180° in Wasserstoff und J o d zu zersetzen: 2.5 kcal + 2HJ
H 2 + J 2 Dampf,
wie an dem Auftreten violetter Joddämpfe zu erkennen ist. Mit steigender Temperatur nimmt das Ausmaß dieser Zersetzung zu. Kühlt man umgekehrt das Gasgemisch von hohen Temperaturen ausgehend langsam ab, so vereinigen sich J o d und Wasserstoff wieder rückwärts zu Jodwasserstoff. Dabei macht man die interessante experimentelle Beobachtimg, daß jeder Temperatur ein g a n z b e s t i m m t e r Z e r s e t z u n g s g r a d entspricht. So sind beispielsweise bei 300°C stets 19°/ 0 , bei 1000°C stets 33°/ 0 des Jodwasserstoffs zerfallen, gleichgültig ob man diese Temperaturen von niedrigeren oder höheren Temperaturen ausgehend einstellt oder ob man von Jodwasserstoff oder einem äquimolekularen Gemisch von J o d und Wasserstoff ausgeht. Wir beobachten also auch hier wie früher schon im Falle des DEACON-Prozesses (S. 81), daß derartige Umsetzungen zu einem „chemischen Gleichgewicht" führen. Zur Ableitung des dabei gültigen Gesetzes (,,Massenwirku ngsgesetz'') gehen wir zweckmäßig vom Begriff der R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t aus.
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Das chemische Gleichgewicht
a) Die Reaktionsgeschwindigkeit a) Die „Hin"-Reaktion In einem geschlossenen Gefäß möge sich bei gegebener Temperatur zwischen den beiden g a s f ö r m i g e n oder g e l ö s t e n Stoffen AB und CD eine im Sinne der Gleichung AB+CD >-AD+BC (1) e i n s e i t i g von links nach rechts verlaufende Reaktion mit der Geschwindigkeit abspielen. Die „Reaktionsgeschwindigkeit" wollen wir dabei definieren als die A b n a h m e d e r „Konzentration" ( = M o l e / L i t e r ) cAB des Stoffes AB je Sekunde (vgl. unten): dCAB Da die beiden betrachteten Substanzen A B und CD gasförmig oder gelöst sein sollen, fliegen ihre Moleküle im Reaktionsraum f r e i u n d r e g e l l o s umher (Fig. 40). Damit eine Wechselwirkung zwischen beiden Stoffen erfolgen kann, muß je ein Molekül AB mit einem Molekül CD zusammenstoßen. Die R e a k t i o n s g e -
^MojlkäkC»
s c h w i n d i g k e i t wird also der Z a h l d e r Z u s a m m e n s t ö ß e je Sekunde (z) proportional sein (®. = k • z). Da „ ^i?' , . , -v ., , . ;' _ /, Homogener Reaktionsraum letztere ihrerseits mit der K o n z e n t r a t i o n sowohl von AB als auch von CD wächst (z = k' • cab • ccd), ergibt sich insgesamt die einfache Beziehung