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German Pages 255 [288] Year 1967
Anorganische Chemie von
Dr. Dr. h. c. Wilhelm Klemm o. Professor a n d e r U n i v e r s i t ä t Münßter
Vierzehnte Auflage
Mit 34 A b b i l d u n g e n
Sammlung Göschen Band 37/37a
Walter de Gruyter & Co • Berlin 1967 v o r m a l s C. J« Göschen*sehe Verlagshandlung • J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g • Georg R e i m e r • K a r l J . T r ü b n e r • Veit & Comp.
© Copyright 1967 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Beimer — Karl J. Trübner — Veit ) Vgl. dazu Kapitel X X X I , Abb. 28.
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
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grenze überschritten wird. Man kann aber auch die TemperaturAbhängigkeit der Löslichkeit ausnutzen. So löst sich z. B. Kalisalpeter in heißem Wasser viel besser als in kaltem. Sättigt man also heißes Wasser mit Kalisalpeter, so scheidet sich dieser zum größten Teile beim Abkühlen in fester Form wieder aus; nur wenig bleibt in der kalten Lösung, der sogenannten „Mutterlauge". Der so umkristallisierte Stoff enthält in der Regel weniger Verunreinigungen als vorher.
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Zerlegung durch elektrische Energie (Elektrolyse). Wenn so ein reiner Stoff, hier also reines Wasser, gewonnen ist, fragen wir, ob er sich in stofflich einfachere Bestandteile zerlegen läßt. Es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Zerlegung in der Regel eine E n e r g i e - Z u f u h r erfordert; denn wären diese Bestandteile nicht durch starke Kräfte verbunden, die erst überwunden werden müssen, so würde ja von selbst Zerfall eintreten 1 ). In besonders durchsichtiger Form kann diese Energie- D zufuhr auf e l e k t r i s c h e m Wege erfolgen. Legt man bei dem in Abb. 2 dargestellten Apparat bei A eine positive, bei B eine negative Spannung an, so zersetzt sich das Wasser 2 ), und es bilden sich an den Elektroden Gase, die sich bei C und D ansammeln, und zwar bildet sich bei D doppelt soviel wie bei C. Es sind also hier durch Zufuhr von Energie aus dem flüssigen Wasser zwei neue, gas- Wa3gef2erb3e?Zung
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*) Es gibt aber auch Stoffe, die unter E n e r g i e a b g a b e zerfallen: „instabile" Stoffe. Dazu gehören z. B. die E x p l o s i v s t o f f e , bei denen die Auslösung dieser freiwilligen Zersetzung u. U. schon durch geringfügige äußere Anlässe, z. B. durch Schlag, erfolgen kann. •) Der Versuch läßt sich mit hinreichender Geschwindigkeit nur durchführen, wenn dem Wasser etwas Säure, Lauge oder gewisse Salze zugesetzt werden, da reines WaBser den Strom praktisch nicht leitet (vgl. dazu K a p . XIV). F ü r die Zersetzung des Wassers selbst ist dieser Zusatz ohne Einfluß.
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II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
förmige Bestandteile entstanden, das Wasser ist zerlegt worden. Beide Gase sind farblos, aber stoölich verschieden. Das bei C aufgefangene bringt einen glühenden Span zum Aufflammen, brennt aber selbst nicht; das andere Gas dagegen ist brennbar, unterhält aber die Verbrennung nicht. Dieses zweite Gas nennt man, da es aus dem Wasser entstanden ist, Wasserstoff, während das erstere aus Gründen, die wir erst S. 62/63 besprechen werden, Sauerstoff genannt wird. Der beschriebene Versuch liefert uns also die Gleichung: W asser+Energieauf nähme=Wasserstoff-(-Sauerstoff. (1) Der Elementbegrifl. Es entsteht die Frage, ob Wasserstoff und Sauerstoff noch weiter zerlegbar sind. Alle Versuche hierzu sind mißlungen, so daß man heute mit großer Sicherheit sagen kann, daß diese Zerlegung nicht möglich ist 1 ). Derartige nicht mehr zerlegbare Bestandteile der Materie, aus denen sich die ungeheure Zahl aller anderen Stoffe aufbauen läßt, bezeichnet man nach Robert Boyle 2 ) als Elemente. Nicht immer hat der Elementbegriff diese Bedeutung gehabt. Die griechischen Philosophen haben über den Aufbau der Stoffwelt verschiedene, z. T. miteinander nicht vereinbare Ansichten entwickelt. D e m o k r i t nahm z. B. schon die Existenz von kleinsten, nicht mehr teilbaren Atomen an; diese Vorstellung wurde zwar immer wieder herangezogen, ist aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die Chemie fruchtbar geworden. Eine sehr große — wir müssen heute sagen unheilvolle! — Bedeutung hat die Elementenlehre von E m p e d o k l e s und A r i s t o t e l e s gewonnen. Danach kann eine gleichsam eigenschaftslose Materie je zwei von den Eigenschaften: warm und kalt sowie trocken und feucht annehmen: kalt und trocken entspricht der Erde, kalt und feucht dem Wasser, warm und feucht der Luft und warm und trocken dem Feuer. Sieht man von dem Feuer — dem man bis ins 18. Jahrhundert stoffliche Natur zugeschrieben hatl — ab, so handelt es 1 ) Dies gilt allerdings nur so lange, als man nicht mit Energie von anderer Größenordnung arbeitet; dann ist nämlich noch eine Aufteilung in die Urb e s t a n d t e i l e der Materie: Protonen, Neutronen, Elektronen usw. möglich; vgl. dazu Kapitel XXV. Vgl. ferner das in diesem Kapitel über „Isotope" Angeführte. 3 ) Dieser hervorragende englische Naturforscher lebte von 1627 bis 1691.
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers 13 sich bei diesen Elementen im wesentlichen um die Aggregatzustände fest, flüssig, gasförmig. Die Alchemisten betrachteten dann als Elemente Quecksilber, Schwefel und Salz. Auch das Phlogiston (vgl. S. 33) war eigentlich ein Element im Sinne der Lehre von Aristoteles. Erst nach einer Entwicklung von fast zwei Jahrtausenden hat sich der alte Elementbegriff in den heutigen gewandelt. Die Zahl der E l e m e n t e , die man bisher in der Natur gefunden hat, beträgt etwa 90 (vgl. dazu die Tabelle 1, Kap. XIII). Man kann mit großer Sicherheit sagen, daß weitere beständige Elemente nicht existieren1). Die Synthese von Wasser aas Wasserstoff und Sauerstoff. Ist nun der durch Gleichung (1) dargestellte Vorgang umkehrbar, d.h. gilt auch die Gleichung: Wasserstoff + Sauerstoff ='Wasser + Energieabgabe ? (2) Beim Mischen der beiden Gase ereignet sich nichts, wohl aber wenn wir dieses Gemisch lokal erwärmen oder einen elektrischen Funken durchschlagen lassen. Man beobachtet dann als Folge der chemischen Vereinigung der beiden Gase zu Wasserdampf eine Explosion. War das Gemisch in einem Glaskölbchen aufbewahrt, so wird dieses mit äußerst scharfem Knall zersprengt. Man bezeichnet daher Gemische von Wasserstoff mit Sauerstoff oder Luft (Luft besteht etwa zu einem Fünftel aus Sauerstoff, vgl. Kap. V) als K n a l l g a s . Gefahrlos läßt sich die Vereinigung der beiden Gase in einem Gebläsebrenner durchführen (Abb. 3). Die Gase kommen hier erst an der Mündung miteinander in Berührung, so daß die chemische Umsetzung nur an dieser Stelle erfolgen kann. Mit einer solchen Knallgasflamme werden Temperaturen von mehr als 2000° erzeugt, so daß man Porzellan, Platin, Bergkristall usw. schmelzen kann. Die gemäß Gleichung (1) in das System hineingeschickte elektrische Energie tritt also bei der Vereinigung der Gase als Wärmeenergie wieder in Erscheinung, aber
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*) Wohl aber kann man künstlich noch weitere Elemente herstellen; vgl. dazu Kapitel XXV.
14 II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers — und das ist für die Ausnutzung durch den Menschen das Entscheidende — in der Form, zu der Zeit und an der Stelle, wie sie für bestimmte Verwendungszwecke gebraucht wird. Daß bei der Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff tatsächlich gemäß Gleichung (2) Wasser gebildet wird, läßt sich leicht zeigen, indem man eine Wasserstofiflainme innerhalb eines von außen gekühlten Rohres aus Quarzglas brennen läßt; es tropft dann das gebildete Wasser am unteren Rohrende ab. Chemische Verbindung. Wir können die bisherigen Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Wasser kann durch Energiezufuhr in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt werden und entsteht andererseits durch die Vereinigung dieser beiden Gase unter Energieabgabe. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß es sich bei dieser Vereinigung nicht nur um eine Mischung der beiden Gase handelt; dieses Gemisch, das Knallgas, ist ja vom Wasser in allen Eigenschaften verschieden. Bei der Vereinigung der beiden Gase zum Wasser ist vielmehr etwas ganz Tiefgreifendes erfolgt, es hat sich eine c h e m i s c h e Verbindung gebildet. Daß eine chemische Verbindung ganz andere Eigenschaften hat als die Ausgangsstoffe, aus denen sie entstanden ist, sei noch an einem anderen Beispiele gezeigt. Mischt man Schwefel und Eisen im pulverisierten Zustande, so erhält man ein gelbgraues Pulver, in dem man bei hinreichender Vergrößerung durch Lupe oder Mikroskop noch deutlich die Bestandteile sehen kann. Auch sind die Eigenschaften unverändert geblieben: mit einem Magneten lassen sich die Eisenteilchen herausziehen, mit der Flüssigkeit Schwefelkohlenstoff kann man den Schwefel herauslösen. Erhitzt man nun dieses Gemisch, so tritt bald an einer Stelle Aufglühen ein, das sich von selbst durch die ganze Masse fortsetzt. Nach dem Erkalten findet man eine schwarze Masse vor, das Schwefeleisen, das sich — falls man das richtige Mischungsverhältnis benutzt hat — auch bei mikroskopischer Betrachtung als homogen erweist. Man kann jetzt mit Schwefelkohlenstoff den Schwefel nicht mehr herauslösen, ebenso erfolgt keine Anziehung durch den Magneten mehr. Auch aus diesem Beispiel geht klar hervor, daß eine chemische Verbindung etwas ganz anderes ist als ein mechanisches Gemisch der Ausgangsstoffe.
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
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Stabiles und instabiles System. Wir sahen, daß ein Gemisch von Wasserstoff und Sauerstoff sich, wenn die Reaktion erst einmal eingeleitet ist, freiwillig in Wasser umwandelt, wobei Wärmeenergie abgegeben wird. Das gebildete Wasser ist also ärmer an (freier) Energie und stellt gegenüber dem „instabilen" Gemisch der Ausgangsstofie das „stabile" System dar. Ebenso ist bei dem Beispiel Eisen/ Schwefel das gepulverte Gemenge das instabile, energiereichere System, das sich freiwillig in das stabile, energieärmere System, die chemische Verbindung Schwefeleisen, umwandelt. Zersetzung des Wassers bei hohen Temperaturen. Es fragt sich nun, ob bei chemischen Reaktionen immer vollständige Umsetzung erfolgt, oder ob es auch Fälle gibt, bei denen die Reaktion aufhört, nachdem ein gewisser Teil umgesetzt ist. Beim Wasser ist ja die Umsetzung, soweit wir erkennen können, hundertprozentig; denn wenn wir Wasserstoff und Sauerstoff in genau dem richtigen Verhältnis mischen, so ist nach der Reaktion keines der beiden Gase mehr irgendwie nachzuweisen. Das gilt aber nur für nicht allzu hohe Temperaturen; bei sehr hohen Temperaturen ändert sich das Bild. Die Umsetzung ist dann nicht mehr hundertprozentig; es bleibt ein— wenn auch kleiner— Bruchteil WasserstoS und Sauerstoff unverbunden. Umgekehrt zerfällt (dissoziiert) Wasserdampf bei diesen Temperaturen teilweise in seine Bestandteile. Messungen bei sehr hohen Temperaturen sind schwierig durchzuführen. Man kann in manchen Fällen die Methode des „heißkalten" Rohres anwenden: Man bläst z . B . Wasserdampf durch eine Zone hindurch, die die betreffende hohe Temperatur besitzt; bei diesen Temperaturen stellt sich das Dissoziationsgleichgewicht sehr schnell, praktisch momentan ein. Kommt jetzt das strömende Gas sehr rasch in ein Gebiet tiefer Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit (vgl. dazu S. 16) praktisch Null; ist, so wird durch dieses „Abschrecken" der Hochtemperatur-Zustand „eingefroren" und kann nunmehr in Ruhe untersucht werden.
16 II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Durch diese und andere Versuche hat sich ergeben, daß der Dissoziationsgrad des Wassers selbst bei sehr hohen Temperaturen gering ist; bei 2000° und 1 Atm. Druck beträgt der Bruchteil des Zerfallenen, der „Dissoziationsgrad", rund 2%. Ferner findet man, daß zu jeder Temperatur ein ganz bestimmter Dissoziationsgrad gehört. Mit fallender Temperatur wird der Zerfall zwar geringer; er läßt sich aber auch bei 1000° noch deutlich nachweisen. Auch bei Zimmertemperatur muß daher eine gewisse Dissoziation stattfinden, nur ist sie offenbar so gering, daß wir sie mit unseren Methoden nicht mehr erfassen können.
Das chemische Gleichgewicht and seine Abhängigkeit von der Temperatur. Das beim Wasser erhaltene Ergebnis ist von ganz allgemeiner Bedeutung und gilt für alle Reaktionen. Immer bildet sich ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen den AusgangsstoSen und dem Reaktionsprodukt aus. Man spricht davon, daß sich ein „chemisches Gleichgewicht" einstellt, und schreibt z. B. im vorliegenden Falle: Wasserstoff + Sauerstoff Wasser. Das Zeichens besagt also, daß die Umsetzung nur so weit verläuft, bis sich das dem betreffenden System unter den jeweiligen Versuchsbedingungen eigene Mengenverhältnis zwischen AusgangsstoSen und Reaktionsprodukt eingestellt hat. Es ist dabei gleichgültig, ob man von Wasserstoff und Sauerstoff oder von Wasser ausgeht; in beiden Fällen kommt man zu demselben Gleichgewicht. Von großem Einfluß auf die Lage derartiger Gleichgewichte ist die Temperatur. In unserem Beispiel wird die Wasserbildung bei niederen Temperaturen praktisch vollständig, während mit zunehmender Temperatur ein immer größer werdender Anteil Wasserstoö und SauerstoS im Gleichgewicht auftritt. Man sagt: Das Gleichgewicht wird mit zunehmender Temperatur nach der Seite steigender Dissoziation verschoben; Näheres vgl. Kap. XXII. Die Reaktionsgeschwindigkeit and ihre Abhängigkeit von der Temperatur. Der Übergang des instabilen Ge-
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
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misches Wasserstoff und Sauerstoff in Wasser erfolgt, wie wir gesehen haben, bei höheren Temperaturen außerordentlich schnell. Bei Zimmertemperatur läßt er sich jedoch nicht nachweisen; Knallgas ist praktisch unbegrenzt haltbar. Trotzdem müssen wir annehmen, daß auch bei tiefen Temperaturen ein Umsatz erfolgt, nur ist hier die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , d . h . die in der Zeiteinheit umgesetzte Stoffmenge, unmeßbar klein. Erhöhen wir die Temperatur, so wird die Reaktionsgeschwindigkeit sehr schnell größer. Vielfach bedingt eine Erhöhung der Temperatur um 10° etwa eine Verdoppelung der Reaktionsgeschwindigkeit. Das würde bedeuten, daß sie bei 120° bereits etwa das tausendfache, bei 220° das millionenfache des Wertes von 20° beträgt. Nun wird zwar beim A n z ü n d e n mit einem Streichholz oder beim Durchschlagen eines Funkens nur eine kleine Stelle des Knallgasgemisches erhitzt; aber wenn so erst einmal die Umsetzung eingeleitet ist, dann entwickelt sie selbst gemäß Gleichung (2) Wärme, die die benachbarten Gasteile zur Reaktion bringt, und zwar schneller, als sie durch Wärmeleitung aus dem System abgeführt werden kann. Dies bedingt das explosionsartige Übergreifen der einmal eingeleiteten Umsetzung auf das ganze Gemisch1).
Beschleunigung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Katalysatoren. Es gibt aber noch einen anderen Weg, um die Reaktionsgeschwindigkeit zu vergrößern. Leitet man ein Knallgasgemisch über sehr fein verteiltes Platin, so entzündet es sich. Das Platin hat also die Eigenschaft, die Geschwindigkeit der Reaktion stark zu vergrößern; es bleibt dabei selbst unverändert. Derartige Stoffe bezeichnet man als K a t a l y s a t o r e n . Die Lage eines Gleichgewichts kann durch einen Katalysator keinesfalls geändert werden, sondern nur die Geschwindigkeit, mit der es sich einstellt. Platin wirkt nicht nur hier, sondern auch bei vielen anderen Reaktionen beschleunigend. Es gibt aber auch Stoffe, die nur auf ganz >) Vgl. dazu aber Anm. 1 S. 27. K l e m m , Anorganische Chemie
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III. Gasgesetze
bestimmte Reaktionen katalytisch wirken, andere dagegen unbeeinflußt lassen. Gerade die Entwicklung derartiger „ s p e z i f i s c h e r " Katalysatoren ist für die neuere chemische Technik von größter Bedeutung geworden.
III. Gasgesetze Bei der Erörterung der quantitativen Zusammensetzung des Wassers werden wir uns mehrfach mit Messungen an Gasen beschäftigen müssen; es wird daher nützlich sein, einige Bemerkungen über Gasgesetze vorauszuschicken. Der Zustand eines Gases ist, solange keine chemische Umsetzung erfolgt, durch vier Größen bestimmt: 1. Menge, 2. Temperatur, 3. Volumen und 4. Druck. Von diesen Größen wollen wir die Menge k o n s t a n t halten. Solange die Masse des Gases pro Volumeinheit (Dichte) nicht allzu groß ist („ideales" Gas), gelten dann folgende Gesetze: 1. Ist die T e m p e r a t u r k o n s t a n t , Volumen und Druck veränderlich, so gilt die Gleichung (1): v t Pi=v 2 • p a = v 3 • p,=konst. Dieses Gesetz, das von Boyle (vgl. S. 12) und unabhängig davon von M a r i o t t e gefunden wurde, besagt also, daß Druck und Volumen einander umgekehrt proportional sind. 2. Ist der D r u c k k o n s t a n t , Volumen und Temperatur veränderlich, so gilt das durch Gleichung (2) dargestellte Gesetz von G a y - L u s s a c 1 ) : v t = v 0 ( l + a t ) . Dabei bedeutet v t das Volumen bei t° Cels., v0 das Volumen bei 0° Cels. ot ist für alle verdünnten Gase gleich 1/273. Gleichung (2) geht daher über in:
3. Ist schließlich das Volumen k o n s t a n t , Druck und Temperatur veränderlich, so gilt die ebenfalls von G a y - L u s s a c gefundene, der Gleichung(2) vollkommen entsprechende Beziehung(3): Pt = Po(!+• HCl + H; 2) H + Cl2 -» HCl + Cl. Dabei bilden die Reaktionen 1) und 2) die Glieder einer fortlaufenden Kette, die erst dann abreißt, wenn z. B. nach der Gleichung Cl + Cl = Cl2 die Cl-Atome verschwinden.
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XII. Chlor und Chlorwasserstoff
Bei dieser „ p h o t o c h e m i s c h e n " Auslösung der Knallgasreaktion erweist sich die Farbe des Lichtes von größter Bedeutung. Allgemein gilt die E i n s t e i n s c h e Beziehung e = h • v; dabei ist e das „Energiequantum", das pro Molekel aufgenommen werden kann; h ist eine Konstante, das P l a n c k s c h e Wirkungsquantum (h = 6,62 • 10 - 2 7 erg • sec) und v = c/A ist die Frequenz der Strahlung (c = Lichtgeschwindigkeit). Bei großer Wellenlänge X ist also v und damit e klein, bei kleinerem X ist e groß. Dem entspricht für die Chlorknallgasreaktion, daß das langwellige, rote Licht ohne Einfluß ist; nur die blauen und violetten, d. h. also die kurzwelligen Strahlen sind in der Lage, die Cl2-Molekel zu spalten, nur in diesem Gebiet absorbiert Chlor das Licht. Bei der Chlorknallgasreaktion dient das Licht nur zur A u s l ö s u n g einer Reaktion, die unter Energieabgabe erfolgt; das Licht entspricht hier dem Streichholz beim Anzünden einer Gasflamme. Es gibt aber auch photochemische Reaktionen, bei denen durch die Einwirkung des Lichtes energiereiche Stoffe gebildet werden; diese Reaktionen verlaufen nur so lange, wie das Licht einwirkt, es wird laufend Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt. Die wichtigste photochemische Reaktion dieser Art ist die Assimilation (vgl. S. 37, Anm. 2). Chlorwasserstoff ist farblos und von stechendem Geruch; an der Luft bildet er Nebel. Dies hängt damit zusammen, daß er sich begierig und unter starker Wärmeentwicklung in Wasser löst und infolgedessen mit dem Wasserdampf der Luft Flüssigkeitströpfchen bildet. Die wäßrige Lösung des Chlorwasserstoffs bezeichnet man als S a l z s ä u r e , die gesättigte Lösung enthält je nach der Temperatur 40—45% HCl. Erhitzt man eine verdünnte HCl-Lösung, so geht im wesentlichen Wasser weg; bei einem Gehalt von 20,24% siedet dann bei 1 Atm. Druck bei 110° ein konstant siedendes Gemisch; entsprechend gibt konzentrierte Salzsäure im wesentlichen HCl ab, und man kommt zu der gleichen Zusammensetzung („Azeotropes Gemisch", vgl. S. 32, Anm.). Beim Abkühlen scheiden sich aus der Lösung kristallisierte Hydrate aus: HCl • H 2 0 bzw. HCl • 3 H 2 0 . Die Darstellung von Chlorwasserstoff kann auch aus Kochsalz direkt erfolgen, indem man konzentrierte Schwe-
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feisäure darauf einwirken läßt. Um die Umsetzung verstehen zu können, müssen wir die Zusammensetzung dieser beiden Stoffe kennen. Kochsalz enthält neben Chlor noch Natrium, es hat die Formel NaCl, während die Schwefelsäure gemäß der Formel H 2 S0 4 aus Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel zusammengesetzt ist. Die Gleichung der Umsetzung ist NaCl + H 2 S0 4 = HCl + NaHSCy). Wir haben hier ein typisches Beispiel einer doppelten Umsetzung vor uns: ein Natrium-Teilchen kann gewissermaßen seinen Platz mit einem Wasserstoff-Teilchen tauschen. Aus Chlorwasserstoff kann man leicht wieder Chlor gewinnen. So liegt z . B . das Gleichgewicht: 4HCl + 0 2 2 H 2 0 + 2 Cl2 bei nicht zu hohen Temperaturen weitgehend zugunsten des Chlors; als Katalysator verwendet man mit Kupferchloridlösung getränkte Tonkugeln. Auf diese Weise hat man früher Chlor technisch gewonnen (Deacon-Prozeß). Starke Oxydationsmittel wie Braunstein (Mangandioxid Mn0 2 ) führen Salzsäure bei Zimmertemperatur in Chlor über: Mn0 2 + 4 HCl = MnCl2 + 2 H 2 0 + Cl2.
XIII. Säuren, Basen, Salze Vorbemerkung: Zusammenstellung der Elementsymbole. In den folgenden Abschnitten werden wir auch auf einige Verbindungen von Elementen eingehen müssen, die wir noch nicht besprochen haben. Es sei daher in Tab. 1 S. 62 eine Zusammenstellung der Symbole der in der Natur vorkommenden Elemente vorausgeschickt, in der die wichtigsten fett gedruckt sind.
Säuren. Man erkennt das Vorliegen einer Säure an dem sauren Geschmack der Lösung sowie an der Wirkung auf gewisse Pflanzenfarbstoffe, z. B. Lackmus. S ä u r e n f ä r b e n b l a u e L a c k m u s l ö s u n g e n r o t . Außer Lackmus gibt es noch zahlreiche andere „ I n d i c a t o r e n " , meist synthetisch hergestellte Farbstoffe. ') Vgl. aber auch S. 65.
XIII. Säuren, Basen, Salze
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Tabelle 1 Die E l e m e n t e und ihre S y m b o l e Actinium
Aluminium
Ac
AI
Antimon Argon Arsen Barium Beryllium
Sb Ar AB Ba Be
Bor
B
Blei
Brom
Pb Br
Cadmium Caesium
Cd Cs
Cer f hloi
Ce Cl
Calcium
Chrom
Dysprosium
Elsen
Erbium Europium Fluor Gadolinium Gallium Germanium Gold Hafnium Helium Holmium Indium Iridium
Ca Cr
l)y Fe
Er En P Gd Ga Ge Au Bf He Ho In Ir
Jod Kalium
Kobalt
J K
Co
Kohlenstoff
C
Kupfer
Cu
Krypton
Lanthan Lithium Lutetium
Magnesium Mangan
Kr
Schwefel
S
Silber Silicium Stickstoff
Ag Si N
Mg Hn
Mo
Neodym Neon
Nd Ne
Niob Osmium Palladium Polonium
Nb Os Pd Po
Nickel
Phosphor Platin
Praseodym Protactinium Quecksilber
Radium Radon Rhenium Rhodium Rubidium
Ru Sm 0 Sc
La Li Lu
Uolybdän Natrium
Ruthenium Samarium Sauerstoff Scandium
Na
Ni
P Pt
Pr Pa
Hg
Ra Rn Re Rh Rb
Selen
Se
Strontium Tantal Tellur Terbium Thallium Thorium Thulium Titan Uran Vanadin Hasserstoff Wismut Wolfram Xenon Ytterbium Yttrium
Sr Ta Te Tb T1 Tb Tm Ti U V H Bi W Xe Yb Y
Zirkonium
Zr
Zink Zinn
Zn Sn
Für die weitere Besprechung seien zunächst einige Säuren und ihre Formeln angeführt: Salzsäure
HCl
Phosphorsäure
H3P04
Schwefelsäure
H2S04
Kohlensäure
HüCOg1)
Salpetersäure
HNO s
Blausäure
HCN.
Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, daß alle Säuren w a s s e r s t o f f h a l t i g sind; eine Säure besteht also aus Wasserstoff und einem S ä u r e r e s t . Früher nahm man an, daß der in der Mehrzahl der Säuren vorhandene Sauerstoff den sauren Charakter bedinge; daher rührt auch die Benennung 1) Vgl. dazu S. 142.
XIII. Säuren, Basen, Salze
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des Sauerstoffs durch Lavoisier. Daß diese Annahme aber falsch ist, ergibt sich u.a. aus der Existenz der Salzsäure und anderer Säuren, die keinen Sauerstoff enthalten. Auf Grund der Theorie von Lavoisier nahm man eine Zeitlang an, daß Chlor das Oxid eines noch unbekannten Elementes sei; D a v y 1 ) hat dann mit Sicherheit den Elementcharakter des Chlors bewiesen und damit festgestellt, daß es sauerstofffreie Säuren gibt.
Nun sind aber nicht alle wasserstofihaltigen Verbindungen Säuren, sondern nur diejenigen, deren Wasserstoff leicht durch Metall ersetzbar ist. Wir haben solche z.B. nach der Gleichung 2 HCl + Zn = ZnCl2 + Ha verlaufenden Reaktionen schon S. 27 bei der Besprechung der Darstellungsmethoden des Wasserstoffs kennengelernt. Basen. Den Gegensatz zu den Säuren bilden solche Stoffe, die rotes Lackmus blau färben. Man bezeichnet sie als Basen oder Laugen. Soweit sie löslich sind, rufen ihre Lösungen auf der Haut das von der Seife her bekannte schlüpfrige Gefühl hervor. Wir nennen: NaOH Natriumhydroxid; seine Lösung Natronlauge KOH Kaliumhydroxid; seine Lösung Kalilauge Ca(OH)2 Calciumhydroxid; seine Lösung Kalkwasser La(OH)3 Lanthanhydroxid. Aus der Zusammenstellung erkennt man, daß die Basen durch das Vorhandensein von OH-Gruppen (Hydroxidgruppen) gekennzeichnet sind. Salze. Läßt man die Lösung einer Säure mit der einer Base reagieren, so bildet sich aus dem Hydroxid der Base und dem Wasserstoff der Säure Wasser; man erhält also bei richtiger Dosierung der Mengen Lösungen, die weder sauer ') Humphiy D a v y (1778—1829) hat, nachdem durch die V o 11 a sehe Säule eine Quelle für den elektrischen Strom zur Verfügung stand, die „Elektrochemie" geschaffen; vgl. dazu auch Kap. X X I X .
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XIII. Säuren, Basen, Salze
noch alkalisch reagieren. Solche Lösungen bezeichnet man als neutral. Dampft man sie ein, so erhält man Stoffe, die aus dem Metall der Base und dem Säurerest gebildet sind. Man bezeichnet diese als Salze. Die gegenseitige Neutralisation von Säuren und Basen sei durch folgende Gleichungen erläutert: NaOH + HCl = HjO + NaCl (Natriumchlorid=Kochsalz) 3 KOH + H 3 P0 4 = 3 H 2 0 + K 3 P0 4 (Kaliumphosphat) Ca(OH)2 + H 2 S0 4 = 2 H^O + CaS04 (Calciumsulfat) La(OH)3 + 3 HNOs = 3 H 2 0 + La(NOa)s (Lanthannitrat). Ganz allgemein gilt also die sehr wichtige Gleichung: Base + Säure = Wasser + Salz. Die eben genannten Gleichungen führen zu einer K l a s s i f i zierung von Säuren und Basen. Je nach der Zahl der durch Metall ersetzbaren Wasserstoffatome unters cheidet m a n e i n - . z w e i - , d r e i w e r t i g e Säuren (HCl, H 2 S0 4 , H 3 P0 4 ) und entsprechend ein-, zwei- u n d d r e i w e r t i g e B a s e n (NaOH, Ca(OH)2, La(OH)3).
Starke und sehwache Säuren (Basen). Man weiß schon sehr lange, daß der Säurecharakter nicht bei allen Säuren in gleicher Weise ausgeprägt ist. So lösen sich Metalle wie Zink in Salzsäure sehr schnell, während mit Essigsäure kaum Reaktion eintritt. Durch diese und ähnliche Beobachtungen kam man dazu, die „starke" Salzsäure von der „schwachen" Essigsäure zu unterscheiden. Ferner erkannte man, daß oft starke Säuren schwache aus ihren Salzen „austreiben". So reagiert z. B. Natriumcarbonat — ein Salz der schwachen Kohlensäure — mit der starken Salzsäure nach folgender Gleichung: Na2C03 + 2 HCl = 2 NaCl + H2COs. Es bildet sich also das Salz der starken Säure und die freie schwache Säure. Man erkennt diese Umsetzung daran, daß die freie Kohlensäure sofort in HjO und C02 zerfällt und daß daher Kohlendioxid gasförmig entweicht. In ähnlicher Weise kann man starke Basen (z. B. NaOH) und schwache
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XIII. Säuren, Basen, Salze
(AI(OH)j) unterscheiden. Eine strengere Definition der Säuren* und Basenstärke werden wir im Kap. XXII (S. 131 und S. 134) kennenlernen. Saure Salze. Die Neutralisation braucht nicht immer rollständig zu sein; es können sich auch saure und basische Salze bilden. Bei den ersteren ist ein Teil des Wasserstoffs nicht durch Metall ersetzt, die letzteren enthalten noch Hydroxid. Mit den basischen Salzen wollen wir uns nicht näher befassen, da hier meist verw ickelte Verhältnisse vorliegen; dagegen sei wenigstens ein s a u r e s Salz angeführt. Läßt man die S. 61 beschriebene Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz bei Zimmertemperatur vor sich gehen, so erfolgt sie nach der Gleichung NaCl 4- H 2 S 0 4 = NaHS0 4 -f HCl; es entsteht das s a u r e Natriumsulfat NaHS0 4 , das wegen seines Wasserstoffgehaltes als „Natriumhydrogensulfat" (früher „Natriumbisulfat") bezeichnet wird. Dieses saure Salz reagiert noch wie eine Säure, denn es setzt sich bei höheren Temperaturen mit Kochsalz weiter um zu neutralem Natriumsulfat nach der Gleichung: NaCl + N a H S 0 4 = N a , S 0 4 + HCL
Anhydride. Entzieht man Basen oder sauerstoffhaltigen Säuren Wasser — z. B. durch Erhitzen oder durch wasserentziehende Mittel wie P 2 0 5 —, so erhält man Basenbzw. Säure-Anhydride, z. B. Ca(OH)2 — HjO = CaO; H 2 S0 4 — HjjO = S0 8 ; 2 HN0 3 — HjO = N 2 0 6 . Umgekehrt ergeben Oxide mit Wasser entweder Basen oder Säuren. Als Hegel gilt, daß s a u e r s t o f f a r m e Oxide — es handelt sich dabei in erster Linie um Metalloxide, z. B. Na 2 0, CaO — starke Basen, s a u e r s t o f f reiche dagegen — vorzugsweise N i c h t m e t a l l - O x i d e wie S03, Cl a O ; —starke Säuren geben; vgl. dazu auch Kap. XXV. Amphotere Hydroxide. Man wird fragen, wie sich die Oxide m i t t l e r e r Wertigkeit verhalten, ob sich also ein sprunghafter Übergang von den Basen zu den Säuren zeigt oder ein allmählicher. Der Versuch zeigt, daß das zweite der Fall ist; Hydroxide mittlerer Wertigkeit sind Stoffe, die überhaupt keinen bestimmten Charakter haben, sondern Klemm, Anorganische Chemie
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XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
sich ihr Verhalten durch den Gegenpartner aufzwingen lassen. So löst sich Al(OH)a nicht nur gemäß Al(OH)a + 3 HCl = AlClg + 3 HaO in der starken Salzsäure, wie es für eine Base zu erwarten ist, sondern auch in der starken Natronlauge; es verhält sich also der starken Lauge gegenüber wie eine Säure. Allerdings wird dabei nicht Wasserstoff durch Metall ersetzt und Wasser abgespalten, sondern NaOH angelagert gemäß NaOH + AI (OH)3 = Na [Al(OH)4]; es handelt sich um eine Komplexbildung; Näheres dazu s. S.77ff. Hydroxide wie A1(0H)3, Zn(OH)2 u. a. bezeichnet man als amphoter. XIY. Theorie der elektrolytischen Dissoziation Elektrolyt« und Nichtelektrolyte. Säuren, Basen und Salze haben eine gemeinsame Eigenschaft: ihre wässerigen Lösungen leiten den elektrischen Strom. Reines Wasser selbst ist ein sehr schlechter Leiter; löst man in ihm Stoffe wie Zucker, Alkohol, Harnstoff, so ändert sich daran nichts. Bringt man dagegen nur eine ganz kleine Menge Salzsäure oder Natriumhydroxid oder Kochsalz in das Wasser, so wird es plötzlich gut leitend. Mit dem Stromtransport ist jedoch bei diesen Leitern II. Klasse — im Gegensatz zu den Metallen, den Leitern I. Klasse — stets eine chemische Umsetzung an den Elektroden (Elektrolyse; vgl. Kap. II u. XXIX) verbunden; außerdem tritt, wie man mit farbigen Stoffen zeigen kann, im elektrischen Feld eine Bewegung der in Lösung befindlichen Substanz ein. Man bezeichnet daher die erstgenannten Stoffe als Nichtelektrolyte, S ä u r e n , Basen und Salze dagegen als E l e k t r o l y t e . Molekulargewichte gelöster Stoffe; osmotischer Druck. Woher kommt nun diese Leitfähigkeit? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas weiter ausholen und uns mit dem Molekulargewicht gelöster
XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
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S t o f f e beschäftigen. Der Zustand eines gelösten Stoffes in einer sehr verdünnten Lösung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gaszustand. In beiden Fällen befinden sich die einzelnen Molekeln in einer im Verhältnis zu ihrer Größe weiten Entfernung voneinander. Ein Unterschied liegt allerdings darin, daß bei den Gasen der Raum zwischen zwei benachbarten Molekeln leer ist, während er in Lösungen von Molekeln des Lösungsmittels erfüllt ist. Trotzdem gilt, wie v a n ' t H o f f *) gezeigt hat, auch in diesem Falle eine dem Gasgesetz p • v = n • R • T analoge Beziehung mit genau der gleichen Konstanten R; nur ist dabei für p an Stelle des Gasdrucks der sogenannte „ o s m o t i s c h e D r u c k " einzusetzen. Was man darunter versteht, sei an zwei Gedankenexperimenten klargelegt. Wir wollen zunächst einen Versuch ausgeführt denken, durch den man den Druck eines Gases messen kann. Wir benutzen gemäß Abb. 10 einen Zylinder, der mit einem verschiebbaren Stempel versehen sei, den wir uns der Einfachheit halber gewichtslos denken wollen. Ist dann in A und B Vakuum, so behält der Stempel in jeder beliebigen Höhe seine Stellung bei. Lassen wir jetzt das Vakuum in B bestehen, bringen aber in den Raum A ein Gas, das ja bei jedem Volumen und jeder Temperatur einen bestimmten Druck hat, so bleibt der Stempel nur dann in seiner Stellung, wenn man ihn mit einem dem G a s d r u c k entsprechenden Gewicht belastet, der dem Bestreben des Gases, sich über einen größeren Baum auszudehnen, entgegenwirkt. Jetzt wollen wir uns den ganzen Zylinder (also A und B) mit W a s s e r gefüllt denken und einen Stempel vom spezifischen Gewicht des Wassers verwenden, der feine Löcher haben soll, so daß das Wasser ungehindert durchtreten kann. Auch dieser Stempel wird in jeder beliebigen Höhe seine Stellung unverändert beibehalten. Wir wollen nun im Räume B das reine Wasser belassen, aber in den Raum A eine Zuckerlösung bringen und uns vorstellen, daß die Löcher im Stempel nur die kleinen Wassermolekeln durchlassen, nicht aber die großen Zuckermolekeln. Die 1 ) Jacobus Henricus v a n ' t H o f f lebte von 1852—1911; er ist in Holland geboren und wirkte zuletzt in Berlin.
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XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
Zuckerlösnng hat das Bestreben, sich zu verdünnen; da der Stempel wohl für das Wasser, aber nicht für die Zuckermolekeln durchlässig („semipermeabel") ist, kann die Verdünnung nur durch Einströmen des Wassers erfolgen. Es wird daher auf den Stempel ein Druck nach B zu ausgeübt, der, wie beim Gasdruck, durch eine entsprechende Belastung kompensiert werden muß; diesen bezeichnet man als osmotischen Druck. Nach dem S. 49 Dargelegten kann man das Molekulargewicht eines Gases ermitteln, wenn man Gasmenge, Volumen, Druck und Temperatur bestimmt. In vollkommen gleicher Weise kann man bei Kenntnis der Menge gelösten Stoffes, des Volumens, der Temperatur und des osmotischen Druckes das M o l e k u l a r g e w i c h t g e l ö s t e r S t o f f e bestimmen. Man erhält dabei b e i N i c h t e l e k t r o l y t e n die normalen Molekulargewichte. Bei den typischen E l e k t r o l y t e n dagegen findet man Werte, die sehr v i e l k l e i n e r sind als die erwarteten, etwa halb so groß, manchmal noch kleiner. Das oben beschriebene Experiment zur Messung des osmotischen Druckes ist praktisch nicht durchführbar. Wir brauchen uns aber mit den Methoden, wie man osmotische Drucke nun wirklich mißt, nicht näher zu befassen, da solche Bestimmungen nur sehr selten
Abb. 11. Zur Erklärung der SiedepunktserhShung und der Gefrierpunktserniedrigung
XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
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ausgeführt werden und man meist andere Wege geht. Mit dem osmotischen Druck hängt nämlich eng zusammen, daß der D a m p f d r u c k des Lösungsmittels v o n L ö s u n g e n k l e i n e r ist als der des reinen Lösungsmittels. Abb. 11 zeigt, daß dies zu einer Erhöhung der Siedetemperatur führen muß; denn eine Flüssigkeit siedet ja dann, wenn ihr Dampfdruck so groß wird, wie der vorgelegte äußere Druck. Aber auch der Gefrierpunkt ändert sich; bei dieser Temperatur muß ja der Dampfdruck der Lösung dem des sich ausscheidenden festen Stoffes gleich sein; aus der Lösung kristallisiert aber ebenso wie aus Wasser selbst reines Eis aus (vgl. dazu S. 10 u. S. 230); die Dampfdruckkurve der festen Phase wird also nicht verändert. Damit ergibt sich, daß der Gefrierpunkt erniedrigt wird. Wie R a o u l t fand, ist diese „ G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g " ebenso wie die „ S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g " für ein bestimmtes Lösungsmittel der Anzahl Mole das gelösten Stoffes proportional. Beide Größen sind experimentell bequem zu messen und gestatten so in einfacher Weise die Bestimmung des Molekulargewichtes gelöster Stoffe.
Elektrolytische Dissoziation. Wir haben also zwei Tatsachen, die wir erklären müssen, um das besondere Verhalten der E l e k t r o l y t e zu verstehen: a) sie machen Wasser leitend für den elektrischen Strom; von den Leitern I. Klasse, den Metallen, unterscheiden sich diese Leiter II. Klasse dadurch, daß beim Stromdurchgang chemische Umsetzungen an den Elektroden und eine Stoffbewegung in der Lösung auftreten; auch nimmt mit steigender Temperatur die Leitfähigkeit nicht ab, sondern zu. b) sie besitzen wesentlich kleinere Molekulargewichte, als der Formel entspricht. Das zweite Ergebnis beweist, daß die Molekeln in Lösung zerfallen (dissoziieren). Dabei können aber nicht neutrale, d. h. also elektrisch nicht geladene Zerfallsprodukte entstehen, etwa aus NaCl ein Na- und ein Cl-Atom; denn dann wäre z. B. unverständlich, warum dieses Na-Atom nicht wie das
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XVI. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
metallische Natrium gemäß 2 Na + 2 H 2 0 = 2 NaOH + H2 mit dem Wasser reagiert. Vor allem wäre aber die elektrische Leitfähigkeit der Lösung nicht zu verstehen. Der schwedische Chemiker S v a n t e Arrhenius 1 ) stellte daher 1884 die Theorie auf, daß diese Zerfallsprodukte e l e k t r i s c h geladen sind. Damit wird sofort die Leitfähigkeit verständlich; denn diese geladenen Teilchen werden sich im elektrischen Felde bewegen, so die Elektrizität transportieren und an den Elektroden entladen werden. Mit steigender Temperatur nimmt die Beweglichkeit der Teilchen zu, weil die innere Reibung des Wassers abnimmt. A r r h e n i u s benutzte für diese geladenen Spaltstücke die schon von F a r a d a y 2 ) stammende Bezeichnung „Ionen", d.h. Wanderer. Ferner wird verständlich, warum z. B. die Reaktionen des Natrium-Metalls ausbleiben. Ein Natrium-Ion ist eben ganz etwas anderes als ein Natrium-Atom. So kühn diese Annahme war, so ausgezeichnet hat sie sich bewährt. Die Ionentheorie gehört heute zu einer der wichtigsten Grundlagen der Chemie. Es muß nachdrücklichst darauf hingewiesen werden, daß zwischen der t h e r m i s c h e n Dissoziation, die wir S. 16 kennengelernt haben, und der hier besprochenen e l e k t r o l y t i s c h e n Dissoziation ein grundlegender Unterschied besteht; dort bildeten sich u n g e l a d e n e , hier g e l a d e n e Spaltprodukte 1
Ladung der Ionen. Es fragt sich nun, wie groß die Ladung der Ionen ist und wie die positiven und negativen Ladungen verteilt sind. Klar ist, daß die Zahl der positiven und negativen Ladungen gleich sein muß; denn die Lösungen sind ja im ganzen genommen ungeladen. Aus den Produkten, die sich bei der Elektrolyse am positiven und negativen Pol abscheiden, und anderen Versuchen, die wir hier nicht im einzelnen beschreiben können, folgt ferner, daß die Metalle ') Svante A r r h e n i u s lebte von 1859—1927. •) Michael F a r a d a y lebte von 1791—1867; er war nicht nur einer der bedeutendsten Physiker, sondern auch ein erfolgreicher Chemiker.
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und der Wasserstoff positive, die Säurereste, einschließlich der Halogene, negative Ladungen annehmen. Benutzt man als Einheitsgröße für die Ladung der einzelnen Ionen die Ladung des Elektrons, so entspricht die Größe der Ladung dem, was wir früher als („stöchiometrische") W e r t i g k e i t bezeichnet hatten. Wir haben jetzt aber zu unterscheiden zwischen dem positiv einwertigen Natrium und dem negativ einwertigen Chlor, wie man es in Verbindungen wie HCl oder NaCl findet 1 ). Der Dissoziationsvorgang kann demnach durch folgende Gleichungen beschrieben werden: NaCl = Na + + CP HCl = H + + c r +
NaOH = Na + OH" Ca(OH)a = Ca2+ + 2 OH"
A12(S04)8 = 2 Als+ + 3 SOf HJS0 4 =
H+
HS0 4 " =
+
H
+HS04+ SOf
bzw. HjSC^ = 2 H+ + SO*'.
Säuren und Basen; Neutralisation; Ionengleichungen. Die Ionentheorie gestattet, eine sehr einfache Definition von Säuren und Basen2) zu geben: Säuren liefern in wässeriger Lösung positiv geladene Wassers t o f f - I o n e n , Basen negative H y d r o x i d - I o n e n . Die N e u t r a l i s a t i o n stellt sich damit als Vereinigung von H + und OH~ zu undissoziiertem HaO heraus. Man erkennt das am besten, wenn man einige Neutralisationsreaktionen als „ I o n e n - G l e i c h u n g e n " formuliert, also statt NaCl einsetzt: Na + + Cl - usw. Man erhält dann z. B. statt: NaOH + HCl = HaO + NaCl die Gleichung: Na + + OH" + H + + Cl - = Na + + Cl" + H,0, oder wenn man kürzt: Dieser Zusammenhang zwischen stöchiometrischer Wertigkeit und Ladung gilt aber nur (Qr aus Ionen aufgebaute Verbindungen (vgl. dazu auch das folgende Kapitel). Über andere Verbindungen e. S. 189. ') Vgl. dazu die etwas abweichende Definition Ton B r ö n s t e d S. 134.
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XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation O H " + H + = HgO.
Diese Gleichung stellt die allgemeine N e u t r a l i s a t i o n s gleichung dar, die alle Neutralisationen erfaßt. Z.B. wird aus Ca(OH)j + H 2 S0 4 = CaS04 + 2 H 2 0 die Ionengleichung: Ca2+ + 2 OH" + 2 H + + SO«1" = Ca2+ + S04»" + 2 H 2 0, d. h. wieder 2 OH" + 2 H + = 2 HaO bzw. OH- + H + = H 2 0. Wir sehen daraus, daß sich bei der Neutralisation von NaOH und HCl der Zustand der Na + - und Cl _ -Ionen nicht verändert, sie bewegen sich nach der Neutralisation genau so selbständig im Wasser wie vorher. Erst wenn wir eindampfen, dann treten sie zu festem Kochsalz zusammen. Die H + - und 0IT-Ionen dagegen verschwinden bei der Neutralisation schon in der Lösung praktisch vollständig; sie vereinigen sich zu Wassermolekeln, die, wie schon das Fehlen einer merklichen Leitfähigkeit des reinen Wassers zeigt, fast gar nicht dissoziiert sind (vgl. dazu S. 132). Die allgemeine Neutralisationsgleichung O H - + H + = HgO zeigt uns bereits eine wesentliche treibende Kraft, durch die alle Keaktionen von Elektrolyten in wäßriger Lösung bestimmt werden, nämlich die Tendenz, u n d i s s o z i i e r t e S t o f f e zu b i l d e n . In ähnlicher Weise, wie es soeben für die Neutralisation geschehen ist, können wir auch viele andere Reaktionen in besonders einfacher Form als I o n e n - G l e i c h u n g e n schreiben. Z.B. geben HCl und alle in Wasser löslichen Chloride mit Silbernitrat (AgNO,) weiße, im Licht langsam dunkler werdende Niederschläge von Silberchlorid AgCl. Schreiben wir die Gleichungen in gewöhnlicher Form, so müssen wir in jedem Falle eine besondere Gleichung aufstellen, z. B. HCl + AgNO, = AgCl + HNO, NaCl + AgNO, = AgCl + NaNO, CaCLj + 2 AgNO, = 2 AgCl + Ca(N0 3 ) a usw. Schreiben wir Ionen-Gleichungen, so lautet die erste Gleichung: H + + C l " + Ag++ NO, = AgCl + H + + NO," oder C1-+ Ag+= AgCl.
XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
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Genau dieselbe Gleichung würden wir aber auch für die anderen Reaktionen erhalten; sie beschreibt daher den Vorgang in einer ganz allgemeinen, besonders einfachen Form.
Dissoziationsgrad. Auch für die elektrolytische Dissoziation gilt das, was wir früher über Gleichgewichte ausgeführt haben. Ebenso wie bei der thermischen Dissoziation erfolgt auch hier die Umsetzung nicht quantitativ, es ist vielmehr stets ein Nebeneinander von undissoziierten Molekeln und Ionen vorhanden. Freilich kann auch hier das Gleichgewicht praktisch vollständig auf einer Seite liegen. So sind die meisten Salze sowie die s t a r k e n (vgl. S. 64) Säuren und Basen nahezu vollständig in Ionen zerfallen, während andererseits Wasser so gut wie überhaupt nicht dissoziiert ist. Es gibt aber auch viele Stoffe, bei denen im Gleichgewicht sowohl wesentliche Anteile von undissoziierten Molekeln als auch von Ionen vorhanden sind. Das ist der Fall bei den Basen und Säuren m i t t l e r e r Stärke (z. B. H 3 P0 4 ). Bei den schwachen Säuren und Basen tritt wiederum der Anteil der Ionen neben dem der undissoziierten Molekeln zurück. Wir verstehen nun, warum aus Sodalösung Kohlendioxid durch Schwefelsäure in Freiheit gesetzt wird. Kohlensäure ist eine typische schwache Säure, die in wäßriger Lösung nur zu einem geringen Anteil H + -und HCO3-sowie ganz untergeordnet COj 2- -Ionen bildet. Kommen daher die H + -Ionen der Schwefelsäure mit denCO,*~Ionen der Soda zusammen, so vereinigen sie sich zum überwiegenden Teil zu undissoziierter Kohlensäure, und CO, entweicht aus der Lösung (vgl. dazu S. 142). Die S. 64 erwähnte Regel, daß starke Säuren (bzw. Basen) schwache aus ihren Salzen austreiben, ist somit nur eine besondere Form des allgemein gültigen Satzes, daß sich in wäßriger Lösung stets die am wenigsten dissoziierten Stoffe bilden. Das Treibende der Reaktion ist gar nicht die „Stärke" der Schwefelsäure, sondern gerade die „Schwäche" der Kohlensäure. Die Wirkung der starken Säure besteht nur darin, daß durch sie H + -Ionen in die Lösung gebracht werden; da die Anionen der starken Säure keine Neigung haben, sich mit H + -Ionen zu vereinigen, stehen diese ohne weiteres
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XV. Die Ionen-Bindung
für die Umsetzung mit den Carbonat-Ionen zur Verfügung. Es ist also so, daß bei den starken Elektrolyten das Bestreben der Ionen, sich in Lösung zu vereinigen, schwach ist, während es gerade bei den schwachen Elektrolyten stark ist.
Neben der Tendenz, undissozüerte Molekeln in der Lösung zu bilden, spielt auch das Entstehen schwerlöslicher Gase (vgl. das Entweichen von C0 2 ) oder fester Stoße (vgl. die Fällung von AgCl) eine entscheidende Rolle für das Eintreten chemischer Umsetzungen in Lösungen (Näheres vgl. Kap. XXII).
XY. Die Ionen-Bindung Ionenbindung. Die weitere Fortentwicklung der Ionentheorie hat nun zu einer ersten Vorstellung über das Wesen der chemischen Bindung geführt, die freilich n i c h t auf alle Verbindungen anwendbar ist, wohl aber auf die I o n e n b i l d e n d e n Salze, Säuren und Basen. Der Deutsche W. Kos sei und der Amerikaner G. N. Lewis haben nämlich 1916 — in Umgestaltung älterer Annahmen von B e r z e l i u s — die Vorstellung entwickelt, daß die Bildung von Stoffen wie NaCl so vor sich geht, daß eine negative Ladung, ein Elektron, vom Natrium zum Chlor übergeht und daß die elektrostatische Anziehung der Na+- und Cl~-Ionen die chemische Bindung verursacht. Eine NaCl-Molekel hätte man sich danach in ganz roher Form gemäß Abb. 12 vorzustellen.
Abb 12 Naci-Moiekei
Es ist also nicht so, daß die Ionen ihre Ladung erst bei der Dissoziation annehmen, sondern es schieben sich nur Wassermolekeln zwischen die auch in der undissoziierten NaClMolekel vorhandenen Na + - und Cr-Ionen, so daß die Anziehung zwischen ihnen sehr klein wird und sie frei beweglich werden.
XV. Die Ionen-Bindung
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Kristalle. Auch bei der Vereinigung der Molekeln zum K r i s t a l l bleiben die Ionen erhalten 1 ). Abb. 13 zeigt die Anordnung der einzelnen Na + - und CP-Ionen in einem Kochsalzkristall 2 ). Jedes positive Ion ist hier von 6 negativen, jedes Degative von 6 positiven umgeben3). Die Anziehung dieser entgegengesetzt geladenen Ionen hält den Kristall zusammen. Wollen wir also Kochsalz lösen, so müssen wir diese elektrostatischen Kräfte überwinden. Hydratation. Welche Einflüsse sind es nun aber, die es ermöglichen, daß i
TT.
J - T
j
T 7 - i - I
A b b . 13.
Anordnung der
das Wasser die Ionen des Kochsalz- Atomschwerpunkte im gitters auseinanderschiebt? Bei der Einci-' Wirkung von Wasser bilden sich Wasserhüllen um die einzelnen Ionen; die dabei freiwerdende Energie überwindet die Kräfte zwischen den Na + - und Cr-Ionen. Um dieses näher zu erläutern, müssen wir etwas weiter ausholen. Eine W a s s e r m o l e k e l können wir uns aus einem O 2 und zwei H + -Ionen aufgebaut denken. Diese Vorstellung ist zwar nicht ganz korrekt, genügt gy^ N. aber für unsere Zwecke. Diese drei Ionen p 7 \ / liegen nun aus Gründen, die wir hier nicht im " I J einzelnen besprechen können, nicht auf einer J Geraden, sie bilden vielmehr, etwa so wie Abb. 14 zeigt, ein gleichschenkliges Dreieck. Abb. u . H.o-Moiekei Auf größere Entfernung wirkt diese Molekel neutral, da die Wirkungen der positiven und negativen Ladungen sich aufheben. Kommen wir aber ganz dicht an die Molekel heran, so ist dies 1 ) Daß in Kristallen von Salzen wie Kochsalz g e l a d e n e Bestandteile vorliegen, wußte man schon seit längerer Zeit aus den Versuchen über die sogenannten Reststrahlen. •) Weitere „Ionengitter" s. Abb. 22 S. 172. *) Irgendwelche Einzelmolekeln sind demnach in Kristallen dieser Art nicht mehr vorhanden, vgl. dazu auch S. 171. Das „Mol" bedeutet hier, wie schon S. 48, Anm. 2) ausgeführt, das „Formelgewicht". *) In Wirklichkeit hat man sich die Tonen so groß vorzustellen, daß sie sich berühren, und zwar sind die Na +-Ionen kleiner als die C1 — -Ionen (vgl. Abb. 12).
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XV. Die Ionen-Bindung
nicht mehr der Fall. Für einen Punkt A wird die Wassermolekel negativ geladen erscheinen, da der Schwerpunkt der negativen Ladung viel näher an diesem Punkt liegt als der der positiven Ladungen. Umgekehrt wird die Molekel für einen Punkt B positiv geladen erscheinen. Man bezeichnet Stoffe wie HaO, bei deiien die Schwerpunkte der negativen und positiven Ladungen nicht zusammenfallen, als Dipole l ). Kommt nun eine Wassermolekel in die Nähe eines positiv geladenen Ions, so wird sie sich so drehen, daß die Sauerstoffseite, d.h. der negative Pol, dem Ion zugewendet wird. Die Wassermolekel wird dann von dem Ion elektrostatisch angezogen. Infolgedessen wird sich ein Ion in Lösung mit einer Schicht gerichteter Wassermolekeln umgeben, so wie es Abb. 16 für ein positives Ion zeigt. Die Wassermolekeln, die dem Ion direkt benachbart sind, haben alle eine bestimmte Richtung und sind infolge der starken Kräfte sehr eng gepackt. Erst in größerer Entfernung werden die Dipole infolge der Wärmebewegung „ , .. . _ .. wieder ungeordnet und die Abstände D Abb. 15. Hydratisiertea Kation , ,IT , , , . , der Wassermolekeln voneinander normal sein. Die negativen Ionen werden sich entsprechend verhalten. Man sagt: Die Ionen sind in Lösung h y d r a t i s i e r t . Wie schon erwähnt, werden durch diese Hydratation die Gitterkräfte überwunden. Ist die bei der Hydratation gewonnene Energie größer als die für das Auseinanderziehen des Gitters aufzuwendende, so ist der Stoff leicht löslich; ist sie kleiner, so ist er praktisch unlöslich. Hiermit hängt auch zusammen, daß sich aus Ionen aufgebaute Stoffe in Lösungsmitteln, die nicht aus Dipolmolekeln aufgebaut sind, nur sehr wenig oder gar nicht auflösen. Eine Sonderstellung nimmt bei der Hydratation das sehr kleine H+-Ion ein. Es bindet nämlich eine+ Wassermolekel besonders fest, und erst das so entstandene (OHa) -Ion (Oxonium-Ion) hydrati*) Die Größe dieser elektrischen Unsymmetrie, das Dipolmoment ist definiert dnreh e • 1, wobei e die Ladung und 1 der Abstand zwischen den Ladungsschwerpunkten ist. Da die Ladung eines Elektrons e = 4,8 • 10 - 1 ° elektrostatische Einheiten beträgt, so ergibt sich, daß pt in der Größenordnung 10 ~ 1S liegen muß, denn die Abstände zwischen den Atomen belaufen sich auf 1—3 • 10 cm. Die Einheit 10 bezeichnet man als 1 Debye. Die Größe von tt läßt sich aus Messungen der Dielektrizitätskonstanten ableiten. Für die Wassermolekel ist p = 1,84 Debye.
XV. Die Ionen-Bindung
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siert sich dann wie ein normales Ion; das hydratisierte OH s -Ion bezeichnet man als H y d r o n i u m - I o n .
Hydrate. Die Anlagerung der Wassermolekeln an die Ionen kann auch so erfolgen, daß durch Einwirkung von wenig Wasser auf ein wasserfreies Salz wieder ein festes, aber wasserhaltiges Salz, ein H y d r a t , entsteht. Die angelagerten Wassermolekeln drängen dann nur die Ionen des Salzes etwas auseinander. So nimmt z. B. das farblose CuS0 4 5 Wassermolekeln auf, es entsteht der bekannte Kupfervitriol 1 ) der Formel CuS0 4 • 5 H 2 0. Erhitzt man ihn vorsichtig, so gibt er das Kristallwasser stufenweise wieder ab; es entstehen niedere Hydrate (CuS0 4 • 3 HjO bzw. CuS0 4 • H a O) und schließlich wieder das farblose wasserfreie Salz; vgl. dazu auch Kap. XXXI. Komplexe Ionen a ). Ein Aufbau aus Ionen kann mit einiger Sicherheit nur für diejenigen Stoffe angenommen werden, die in wässeriger Lösung in Ionen dissoziieren. Aber auch solche StoSe, bei denen dies nicht der Fall ist, können trotzdem aus Ionen aufgebaut sein. So kann man z. B. als Annäherung annehmen, daß auch innerhalb des SC^2-- bzw. des N0 3 ~Ions geladene Sauerstoff- und Schwefel- bzw. Stickstoffteilchen vorliegen, und sich den Aufbau des S0 4 2 _ -Ions folgender[O 2- ^ O2-!1" maßen vorstellen: O 2 - g«+ O2". . Die negative Ladung dieses ganzen „ k o m p l e x e n " Ions kommt demnach dadurch zustande, daß die Summe der negativen Ladungen 8, die positive Ladung dagegen nur 6 beträgt. Bei dieser Art von Komplexen ist also die Gesamtladung immer von der des Zentralions verschieden. Es bereitet dem mit diesen Vorstel-
Abb 16. [So4]»--ion
') Andere Vitriole sind z. B. ZnS0 4 • 7 H , 0 ; FeSO, • V H,0. •) Näheres vgl. Dede, Komplexchemie, Sammlung Göschen Bd. 9S1.
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XV. Die Ionen-Bindung
lungen weniger Vertrauten oft Schwierigkeiten einzusehen, wieso die elektrisch neutrale S03-Molekel noch ein weiteres O^-Ion binden kann. Man versteht das aber leicht aus Abb. 16, in der das Tetraeder eines S0 4 2- -Ions schematisch dargestellt ist. Wir wollen einmal annehmen, von den an sich völlig gleichartig gebundenen 0 2 - -lonen sei das oberste das zuletzt angelagerte. Es unterliegt der Anziehung durch das sechsfach positiv geladene Schwefelion und der Abstoßung durch die drei je doppelt negativ geladenen anderen Sauerstoffionen. Da nun aber die Entfernung von unserem 0 2 - -Ion zum Schwefelion wesentlich kürzer ist als zu den anderen 0 2_ -Ionen, so kommt die Anziehung stärker zur Geltung als die Abstoßung; auch dieses 0 2 _ -lon wird also durch elektrostatische Anziehung gebunden. Man erkennt aus der Abbildung aber auch, daß nicht beliebig überschüssige 0 2 - -Ionen an solch eine SOa-Molekel angelagert werden können. Denn einmal nimmt mit steigender Zahl der O^-Ionen auch die Abstoßung zu. Zum anderen ist auch der Platz beschränkt; aus räumlichen Gründen kann nur eine bestimmte Zahl von 0 2_ -Ionen untergebracht werden. Diese Zahl — die K o o r d i n a t i o n s z a h l 1 ) — ist natürlich bei kleinen Zentral-Ionen niedriger als bei großen. So kennt man in wässeriger Lösung wohl [Si0 4 ] 4 ~ und [P0 4 ] 3 -, aber nur [CO3]2- und [NO,] 1 ", weil das Si4+- bzw. P 5+ -Ion größer ist als das C4+- bzw. N 5 + -Ion 2 ). Es gibt aber auch Komplexe, bei denen u n g e l a d e n e Molekeln (meist mit Dipol, vgl. z. B. Wasser) an ein Ion angelagert werden. In diesem Falle ist die Ladung des Komplexes natürlich gleich der des Zentralions. Solche Komplexe liegen u. a. bei den hydratisierten Ionen vor, sei es im Kristall, sei es in der Lösung, ferner bei Ammoniakaten wie dem [Ag(NHa) 2 ] + -Ion bzw. dem kristallisierten [Ag(NH 3 ) 3 ]Cl. Die Bildung solcher Komplexe läßt sich vielfach schon an der F a r b e erkennen; so sind Cu(II)-Salze in wässeriger Lösung hellblau: [Cu(H 2 0) 4 ] 2+ -Komplexe; gibt man NH 3 -Lösung zu, so werden sie tief dunkelblau: [Cu(NH s ) 4 ] 2+ -Komplexe. Der Hydratkomplex des Ni 2+ ist grün, der Ammoniak-Komplex blau usw. Ferner ist die Komplexbildung vielfach von Einfluß auf die *) In vielen Fällen hängt die Koordinationszahl auch noch von anderen Faktoren ab. a ) Im f e s t e n Zustande läßt Bich nach Z i n t l aus NaNO, + NaaO ein „Orthonitrat" Na,NO # herstellen; über die Bezeichnung „ortho" vgl. auch 9. 122.
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XV. Die Ionen-Bindung
L ö s l i c h k e i t : AgCI ist in Wasser schwer löslich, die Hydratationsenergien des Ag + - und des Cl~-Ions langen nicht aus, die Gitterenergie des AgCI zu überwinden. Gibt man NH 3 -Lösung hinzu, so löst sich AgCI auf; die Bildung des [Ag(NH 3 ) 2 ] + -Ions und dessen Hydratation liefern eine größere Energie als die Hydratation des Ag + . Ein besonders guter Komplexbildner ist das CN~-Ion. Gibt man z. B. zu einer Fe(II)-Salzlösung NaCN-Lösung, so fällt zunächst Fe(CN) a aus; mit mehr NaCN-Lösung geht dieses in Lösung, weil sich [Fe(CN),] 1_ -Ionen bilden. Entsprechend erhält man aus Lösungen mit Ni 2+ -Ionen mit CN _ -haltigen Lösungen zunächst einen Niederschlag von Ni(CN)a und dann eine gelbe Lösung, die [Ni(CN) 4 ] 2_ -Ionen enthält. Wichtig sind Komplexe mit einer Reihe von Verbindungen der organischen Chemie. So fällt aus einer Lösung, die Weinsäure enthält, mit Natronlauge kein Kupferhydroxid aus, das Cu 2+ -Ion ist in komplizierter Weise mit dem Anion der Weinsäure verbunden und reagiert daher nicht mit den OH - -Ionen. Nomenklatur von Eomplexverbindnngen. Nach den internationalen Richtsätzen (S. 53) erhalten die Anionen bzw. die Salze von Sauerstoffsäuren die Endung a t ; enthalten sie weniger Sauerstoff, die Endung i t . Beispiele: HN03
Salpetersäure
HNOj Salpetrige Säure
NH S
Ammoniak
NOj-
Nitrat-Ion
NO^
(Ns-
Nitrid-Ion)
Nitrit-Ion
NaN0 3 Natriumnitrat
NaNOj Natriumnitrit
Mg3N2 Magnesiumnitrid
H 2 S0 4
Schwefelsäure
H 2 S0 3 Schweflige Säure
H2S
Schwefelwasserstoff
S042-
Sulfat-Ion
S032"
S2-
Sulfid-Ion
K 2 S0 4
Kaliumsulfat
K 2 S0 3 Kaliumsulfit
K2S
Kaliumsulfid
HS04-
Hydrogensulfat-Ion
H S 0 3 - Hydrogensulfit-Ion
HS-
Hydrogensulfid-lon
KHSO s Kaliumhydrogensulfit
KHS
Kaliumhydrogensulfid
KHS0 4 Kaliumhydrogensulfat
Sulfit-Ion
XV. Die Ionen-Bindung
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Diese Namen sind eigentlich Trivialnamen. Für systematische Bezeichnungen erhalten negativ geladene Liganden eines Komplexes die Endung o, z. B. Cl~ = Chloro, OH~ = Hydroxo, C N - = Cyano, 0 2 ~ = Oxo. Neutrale Liganden bekommen keine Endungen; Ausnahmen: H a O = aquo (statt aqua!), die NH 3 Gruppe wird als „Ammin" bezeichnet. Die Zahl der Liganden wird durch griechische Zahlwörter angegeben. Die Oxydationsstufe (d.h. die Ladungszahl) des Zentralatoms wird nach S t o c k (vgl. S. 64) bezeichnet. Anionische Komplexe erhalten die Endung - a t 1 ) . Beispiele: [Ag(NH 3 ) 2 ] + Diamminsilber-ion [Ni(H 2 0) 6 ] 2+ Hexaquonickel(II)-ion [Co(NH3)6] (NO s ) 3 Hexamminkobalt(III)-nitrat [Al(OH) (H a O) 6 ] 2+ Hydroxopentaquoaluminium-ion [COC1 2 (NH 3 ) 4 ]C1
[PtCl 2 (NH 3 ) 2 ] [Al(OH)4]~ [PtCl,] 2 [Fe(CN)„] 4 (NH 4 ) 2 [PtCl e ] [Fe(CN),] 3 " K[CrOF 4 ]
Dichlorotetramminkobalt(III)-chlorid
Dichlorodiamminplatin(II) Tetrahydroxoaluminat-ion Hexachloroplatinat(IV)-ion Hexacyanoferrat(II)-ion Ammonium-hexachloroplatinat (IV) Hexacyanoferrat(III)-ion Kaliumoxotetrafluorochromat(V).
Oxydation und Redaktion. Die Auffassung, daß bei sehr vielen anorganischen Verbindungen Ionenbindung vorliegt, gestattet, die Oxydations- und R e d u k t i o n s R e a k t i o n e n besonders einfach zu verstehen. Z. B. bedeutet die Reduktion von Kupferoxid mit Wasserstoff gemäß CuO + Hj = Cu + H 2 0 folgendes: Das CuO denkt man sich aus Cu*1" und O^-Ionen aufgebaut, Wasser aus H+- und C o lonen. Die Wasserstoffmolekel ist ebenso wie das metallische Kupfer ungeladen. Wir können also schreiben: Cu 2 + 0 2 - + H±° = Cu±° + H | - 1 + 0»-. Es sind also zwei negative Ladungen (Elektronen) von den Wasserstofiatomen zum Der systematische Käme des Sulfat-IonB S 0 | ~ wäre also: Tetraoxosulfat(VI)-Ion, der des Sulfit-Ions 8 0 | " : Trioxosulfat(IV)-Ion.
XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors
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Kupfer übergegangen. Früher hatten wir dies so ausgedrückt: Das Kupfer ist reduziert, der WasserstoS ist oxydiert worden. Im Sinne der Ionentheorie bedeutet also R e d u k t i o n Gewinn, O x y d a t i o n Verlust an E l e k t r o n e n . Infolgedessen bezeichnet man Vorgänge, bei denen Elektronen abgegeben werden, auch dann als Oxydationsvorgänge, wenn Sauerstoff gar nicht mitwirkt. Z. B. gibt es beim Kupfer zwei Chloride: das weiße CuCl und das braune CuCl2. Läßt man auf CuCl Chlorgas einwirken, so bildet sich CuCla nach der Gleichung: 2 Cu l+ Cl 1-f Clf 0 = 2 0u 2+ C1 2 2-1_ . Wie man sieht, ist Cu1+ zu Cu*+ oxydiert, Cl2 dagegen zu Cl~ reduziert worden.
Andere Bindungsarten. Es wäre nun aber falsch, wenn man annehmen würde, daß bei a l l e n Stoffen Ionenbindung vorliegt. So ist in der Hg-Molekel sicher nicht ein positiv und ein negativ geladenes Ion vorhanden. Es liegt hier vielmehr eine „ A t o m b i n d u n g " vor. Mit dieser sowie mit der in metallischen Stoffen vorhandenen „ m e t a l l i s c h e n B i n d u n g " können wir uns erst später beschäftigen (vgl. Kap. XXV). X Y I . Sauerstoffverbindungen des Chlors Bisher haben wir von den Verbindungen des Chlors nur den Chlorwasserstoff und Salze der Salzsäure besprochen, in denen das Chlor als negativ geladenes Ion vorliegt. Dieses sind die bei weitem beständigsten Verbindungen dieses Elements. Es gibt aber auch eine große Anzahl von zumeist unbeständigen Chlorverbindungen, in denen dieses Element als positiv geladen aufgefaßt werden kann.- Um die Besprechung der hier vorliegenden Verbindungen zu erleichtern, wollen wir zunächst in Tabelle 2 eine Übersicht vorausschicken und dann erst die einzelnen Vertreter beschreiben. Die Tabelle gibt gleichzeitig das Wichtigste über die Nomenk l a t u r dieser Verbindungen an. K l e m m , Anorganische Chemie
6
82
XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors
Tabelle 2 O x i d e u n d S ä u r e n des Chlors (Die Pfeile deuten an, wie sich die Oxide mit Wasser bzw. Lauge umsetzen.) OxydationsStufe des Cl')
11+ 3+ 4+ 6+
Oxid
Säure HCl Salzsäure
—
Cl/) Dichloroxid
-2-= 2 J - + S 4 0£- (vgl. dazu S. 103). J o d w a s s e r s t o f f läßt sich wegen dieser leichten Oxydierbarkeit nicht aus KJ und H 2 S0 4 darstellen. Man gewinnt ihn vielmehr durch Synthese aus H2 und J2-Gas — man leitet H¡¡ über erhitztes Jod — mit Hilfe eines Platin-Katalysators bzw. durch Einwirkung von Wasser auf PJ 3 . Verdünnte HJ-Lösungen kann man auch durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff (vgl. S. 96) auf elementares Jod erhalten: J 2 + H2S = 2 HJ + S; der gebildete Schwefel wird abfiltriert. Von den S a u e r s t o f f s ä u r e n ist die hypojodige Säure sehr unbeständig; sie disproportioniert in Jodsäure und Jod: 6 HJO = HJ0 3 + 2 J 2 + 2 H 2 0. Auch die Salze disproportionieren leicht in Jodat und Jodid. Die Jodsäure erhält man aus Jodiden bzw. Jod und Chlor: J 2 + 5 Cl2 + 6 H 2 0 = 2 HJ0 3 + 10 HCl. HJ0 3 ist ein kräftiges Oxydationsmittel. — Mit Hypochlorit werden Jodate zu Perjodaten oxydiert. Perjodsäure hat nicht die Formel HJ0 4 , sondern H 6 J0 8 ; die Salze leiten sich z. T. von der Formel H 3 J0 5 ab. An Oxiden kennt man J 2 0 4 und J 2 0 6 ; das letztere entsteht beim Erhitzen von HJ0 3 bzw. H 6 JO, unter H 2 0- (bzw. 0 2 -) Abspaltung; es ist im Gegensatz zu den Oxiden der übrigen Halogene eine exotherme Verbindung und zerfällt erst oberhalb 300° in J 2 und 0 2 .
XVII. Brom, Jod und Fluor; Übersicht über die Halogene 89 Chlorverbindungen sind überall in der Welt vorhanden, man denke nur an das Kochsalz des Meerwassers und die daraus entstandenen Salzlagerl Brom gewinnt man in den mitteldeutschen Salzlagerstätten, von wo ein großer Teil der Welt versorgt wird. Jod ist in Deutschland nicht in nennenswerter Menge vorhanden. Man kann es aus Seetangen gewinnen, die Hauptmenge kommt aus den Salpeterlagern Chi'es, wo es als Nebenprodukt anfällt. Fluor. Den Elementen Chlor, Brom und Jod ist noch das F l u o r verwandt. Wir nennen es absichtlich zuletzt, weil es in manchen Eigenschaften von den anderen merklich abweicht. So ist z. B. AgF im Gegensatz zu AgCl, AgBr und Ag J in Wasser sehr leicht löslich. Umgekehrt ist es bei den Calcium-Salzen: CaCl2, CaBr, und CaJ2 sind in Wasser sehr leicht, CaF2 dagegen ist sehr schwer löslich. CaF2 findet sich daher in der Natur als Flußspat; es ist dies die wichtigste Quelle für Fluorverbindungen. Aus ihm gewinnt man z. B. gemäß CaF2 + H 2 S 0 4 = C a S 0 4 + 2 H F den F l u o r w a s s e r s t o f f . Dieser ist u. a. deshalb von Bedeutung, weil er Siliciumdioxid (Kieselsäureanhydrid) löst; bei der Anwesenheit wasserentziehender Mittel, z.B. konz. Schwefelsäure (vgl. S. 102), bildet sich dabei nach der Gleichung Si0 2 + 4 HF = SiF4 + 2 HgO gasförmiges Siliciumtetrafluorid. Flußsäure benutzt man daher zum Ätzen von Glas, das ja Kieselsäure enthält, sowie zum Lösen von kieselsäurehaltigen Mineralien für die Analyse. Man kann so SiOa analytisch nachweisén; SiF4 wird nämlich von Wasser nach der Gleichung 3 SiF4 + 2 H 2 0 = Si0 2 + 2 H2SiF, wieder in Kieselsäure und Fluorokieselsäure zersetzt; Si02 ist als farbloser Niederschlag zu erkennen, H2SiF, bildet mit Bariumsalzen einen Niederschlag von BaSiF,. HF ist in wässeriger Lösung im Gegensatz zu den starken Säuren HCl, HBr und HJ nur schwach dissoziiert, und zwar im + HF 2 _ . Über das wesentlichen nach der Gleichung 2 HF Verhalten von HF im Gaszustande s. S. 91. E l e m e n t a r e s Fluor ist verhältnismäßig schwierig zu erhalten and wurde erst am Ende des vorigen Jahrhunderts dargestellt. Aus wässerigen Lösungen kann man es nicht gewinnen, da es daraus unter Bildung von FluJBsäure mit Difluoroxid F 2 0 ver-
90 XVII. Brom, Jod und Fluor; Übersicht über die Halogene unreinigten Sauerstoff freimacht: F, + HgO = 2 HF + 1 / 2 0 2 . Moissan erhielt es durch Elektrolyse von wasserfreier Flußsäure, die mit etwas KF versetzt war, damit sie den Strom leitet. Heute benutzt man zur Elektrolyse die Schmelze des Doppelsalzes KF • HF bzw. HF-reichere Gemische, weil diese niedriger schmelzen als dieses Salz. Das elementare Fluor, ein fast farbloses Gas, ist, wie schon die Umsötzung mit Wasser zeigt, ein äußerst reaktionsfähiger Stoff. Schwefel verbrennt darin schon bei Zimmertemperatur zu SF e ; auch Leuchtgas entzündet sich, wenn es mit Fluor zusammenkommt. Auch Glas und Quarz werden angegriffen, man arbeitet daher in Geräten aus Metallen wie Cu oder Ni, die sich mit einer Schicht von schwerflüchtigen Fluoriden bedecken. Auch Al a 0 3 ist bis etwa 600° brauchbar. Die recht unbeständigen Sauerstoffverbindungen des Fluors (FgO und FaOj) sind erst in neuerer Zeit, namentlich durch Arbeiten von R u f f , bekannt geworden. Wir können hier nicht darauf eingehen. Übersicht über die Halogene. Wie wir gesehen haben, sind die Elemente Fluor, Chlor, Brom und Jod einander in ihrem chemischen Verhalten sehr ähnlich. Man hat sie daher zu einer Gruppe zusammengefaßt und nennt s i e H a l o g e n e , d . h . Salzbildner. In Tabelle 3 wollen wir eine Übersicht über einige Eigenschaften der Halogene geben. Die A n o r d n u n g ist dabei nach steigendem Atomgewicht erfolgt. Die Tabelle ergibt, daß dies offenbar sinnvoll ist; denn die meisten Eigenschaften zeigen dann einen sehr regelmäßigen Gang. So vertieft sich die Farbe ganz gleichmäßig vom Fluor zum Jod; auch die Schmelz- und Siedepunkte steigen ganz regelmäßig an. Die Bindung der beiden Atome in der Molekel ist beim Chlor am festesten, beim Jod am lockersten; das Fluor fällt aus Gründen, die hier nicht besprochen werden können, heraus. Alle Halogene s i n d N i c h t m e t a l l e ; diese sind Nichtleiter der Elektrizität, leiten auch die Wärme schlecht und sind ferner durchsichtig. Beim Jod zeigen sich allerdings schon ganz schwache Anzeichen eines metallischen Charakters, so z. B. in der dunklen Farbe und der geringen Durchsichtigkeit. Bei den H a l o g e n w a s s e r s t o f f e n steigen die Schmelz- und Siedepunkte von HCl bis H J ebenfalls sehr regelmäßig an. Dagegen fällt der bei ~ 20°, also etwa bei Zimmertemperatur, siedende Fluorwasserstoff völlig heraus; nach dem Verhalten der anderen Halogenwasserstoffe würden wir einen sehr tiefen Siedepunkt erwarten. Der Grund für das abweichende Verhalten liegt z. T. darin, daß HF,
XVII. Brom, Jod und Fluor: Übersicht über die Halogene
91
Tabelle 3 Eigenschaften der Halogene Symbol Atomgewicht fim festen") Farbe-! 1- Zustand (im Gas- J Schmelzpunkt 1 ) Siedepunkt 1 ) Dissoziationsenthalpie pro Mol in kcaL
Fluor F 18,9984
Chlor C1 35,453
farblos
gelblich
Brom Jod Br J 79,909 126,9044 dunkelfast braun schwarz
fast gelbgrün rotbraun violett farblos —217,96® —101,00° — 7,3° + 1 1 3 , 6 ° —187,92» — 34,06° + 5 8 , 8 ° + 1 8 4 , 5 ° +
37
+
67,2
+ 45,4
+ 35,6
W a s s e r s t off V e r b i n d u n g e n Schmelzpunkt.... Siedepunkt 1 ) Bildungsenthalpie 2 ) pro Mol in k c a l . .
—83,07° —114,22° —86,82° —50,8° + 1 9 , 9 ° — 86,05° —66,73° —35,36° —64,2
— 22,06
— 8,16
+
6,20°
ähnlich wie Wasser (vgl. S. 76/76), einen sehr viel stärker ausgeprägten Dipolcharakter besitzt als die anderen Halogenwasserstoffe 8 ). Dadurch treten zwischen den HF-Molekeln besonders große Anziehungskräfte auf, so daß der Siedepunkt erhöht wird. Außerdem spielt die Kleinheit des F~-Ions eine Rolle; dadurch kommen die Molekeln einander sehr nahe, und es bilden sich nicht nur im Kristall und der Schmelze, sondern auch im Gas dicht oberhalb der Siedetemperatur Ketten mit zickzackförmiger Anordnung der F-Atome oder auch bei bestimmten Bedingungen Hinge. Die B i l d u n g s e n t h a l p i e n der Wasserstoffverbindungen gehen beim Übergang vom H F zum H J , also mit steigendem Atomgewicht, von stark negativen zu schwach positiven Werten ') In Celsius-Graden. *) Aus dem bei Zimmertemperatur vorliegenden Zustand, also gasförmigem Wasserstoff, Fluor und Chlor, flüssigem Brom und festem J o d . Bezieht man sich auf gasförmiges Brom und J o d , so werden die Bildungsenthalpien um die Verdampfungsenthalpie des Broms bzw. die Sublimationsenthalpie des J o d s stärker negativ. Dadurch ändert sich aber der Gang nicht. a ) Außerdem dürfte noch ein besonderer Bindungsmechanismus ( „ W a s s e r s t o f f b r ü c k e n " ) mitspielen, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann.
92 XVII. Brom, Jod und Flour: Übersicht über die Halogene über. Die Beständigkeit nimmt also vom H F zum HJ ab. Bei den Sauerstoffverbindungen ist ein so einfacher Gang zwar nicht vorhanden, da sich die Bromverbindungen nicht streng zwischen die Chlor- und Jodverbindungen einordnen. Aber man kann doch sagen, daß in großen Zügen die Sauerstoffverbindungen vom Fluor zum Jod beständiger werden. Sie verhalten sich demnach gerade umgekehrt wie die Wasserstoffverbindungen. Verbindungen der Halogene untereinander lassen sich meist durch Synthese leicht erhalten; die hier geltenden Regelmäßigkeiten bezüglich der Zusammensetzung zeigt Tab. 4. Tabelle 4 V e r b i n d u n g e n der H a l o g e n e u n t e r e i n a n d e r 1 ) C1F farblos
CIF3
farblos
BrF hellrot BrCl (ist nur im Gaszustande im Gleichgewicht mit Br2 und Cl2 stabil) -
2
)
JC1** rubinrot 8 ) JBr** rotbraun
-
BrFj* farblos
-
2
2
BrF s * farblos
)
JF 6 * farblos
)
—
—
JF, farblos
JC13** gelb —
—
Diese Verbindungen sind z. T. reaktionsfähiger als die Halogene selbst. ') Die mit einem * versehenen Stoffe sind fl&ssig, die mit fest, die übrigen gasförmig. *) In neuster Zeit sind auch CUT,, J F und J F , als unbeständige Verbindungen dargestellt worden. *) 2 Modifikationen.
XVIII. Schwefel
93
XVIII. Schwefel Eine ähnliche Gruppe verwandter Elemente, wie sie bei den Halogenen vorliegt, bilden S c h w e f e l , Selen und T e l l u r , denen sich mit einigem Abstand als leichtestes Element der schon früher besprochene S a u e r s t o f f zuordnet. Man hat auch diesen Elementen einen zusammenfassenden Namen gegeben, nämlich C h a l k o g e n e (Erzbildner). "Wir wollen auch hier so vorgehen, daß wir das neben dem Sauerstoff bei weitem wichtigste und häufigste Element dieser Gruppe, den S c h w e f e l , etwas ausführlicher besprechen und über die anderen Elemente nur einige Bemerkungen anfügen. In der Natur kommt der Schwefel meist als Verbindimg vor; genannt seien Gips (CaS0 4 • 2HaO), Anhydrit (CaS04), Schwerspat (BaS0 4 ), Kieserit(MgS04 • H 2 0) und viele andere, z. T. wasserlösliche Sulfate, ferner Erze wie Bleiglanz (PbS), Schwefelkies oder Pyrit (FeS2), Kupferkies (CuFeS2), Zinkblende (ZnS) usw. In unterbundenem Zustande findet man ihn in vulkanischen Gebieten, so z. B. in Sizilien; große Lager befinden sich um und unter dem Golf von Mexiko. Gasquellen in Südfrankreich enthalten große Anteile von Schwefelwasserstoff. Für Deutschland spielt der geringe Schwefelgehalt der Kohlen (vgl. S. 97 u. S. 145) eine gewisse Rolle (vgl. S. 114). Schließlich ist Schwefel ein Bestandteil des Eiweiß.
Elementarer Schwefel. Der Schwefel, dessen Chemie recht verwickelt ist, zeigt schon im elementaren Zustande eine große Vielgestaltigkeit. Er kommt nämlich in zahlreichen, z.T. instabilen „ M o d i f i k a t i o n e n " vor, die sich u. a. durch ihre Kristallform unterscheiden. Die wichtigsten sind der „rhombische" und der „monokline" Schwefel1). Die bei Zimmertemperatur stabile Form ist der r h o m bische Schwefel. Erhitzen wir diesen, so beobachten wir bei 96° eine Vergrößerung des Volumens um 3% und eine Änderung der kristallographischen Eigenschaften; es entsteht ') „Rhombisch" und „monokün" sind Bezeichnnngen aus der Kristallographie, die sich auf die Symmetrieeigenschaften der Kristalle beziehen: Näheres vgl. u.a. W. B r u h n s - P . K a m d o h r , Kristallographie, Slg. Göschen Bd. 210.
94
XVIII. Schwefel
der in Nadeln kristallisierende m o n o k l i n e Schwefel. Bei dieser „Umwandlung" wird Wärme verbraucht. Bei weiterem Erhitzen bis zum Schmelzpunkt (119° C) bleibt dann der monokline Schwefel beständig. Kühlen wir geschmolzenen Schwefel l a n g s a m (vgl. unten) ab, so bildet sich beim Erstarren zunächst wieder die monokline Form, die sich bei 96° unter Wärmeabgabe und Volumverminderung in die rhombische umwandelt. Danach ist der rhombische Schwefel unterhalb, der monokline oberhalb von 96° beständig. Der Übergang des rhombischen in den monoklinen Schwefel erinnert an den Ubergang eines Stoffes aus dem festen in den flüssigen Zustand, d. h. das Schmelzen. Der Umwandlungstemperatur entspricht der Schmelzpunkt; auch die „Umwandlungswärme" und die „Schmelzwärme" sind einander analog; vgl. dazu Abb. S. 111. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Erscheinungen geht noch weiter. Bekanntlich kann man bei genügender Vorsicht Wasser unter seinen Erstarrungspunkt abkühlen; erst bei einer Erschütterung wird die ganze Masse plötzlich fest. Ähnliche „Überschreit u n g s e r s c h e i n u n g e n " finden sich auch bei Umwandlungen im festen Zustande. Läßt man z. B. geschmolzenen Schwefel nur z. T. erstarren und gießt dann den noch nicht erstarrten Anteil ab, so findet man nach dem Erkalten auf Zimmertemperatur Nadeln der monoklinen Form. Ihre klare Durchsichtigkeit zeigt, daß einheitliche Kristalle vorliegen, daß also durch das schnelle Abkühlen die unter 96° nicht mehr stabile monokline Form erhalten geblieben ist. Da die monokline Form aber bei Zimmertemperatur unbeständig ist, findet langsam eine Umwandlung in rhombischen Schwefel statt, die in der Kegel nach 1—2 Tagen beendet ist. Bei diesem Übergang beobachtet man eine Erscheinung, die bei solchen Umwandlungen öfter auftritt: die äußere Form der monoklinen Nadeln ist bei der Umwandlung unverändert geblieben, aber diese setzen sich jetzt aus winzig kleinen Kriställchen von rhombischem Schwefel zusammen. Die Nadeln sind daher undurchsichtig geworden. Man bezeichnet eine solche Umwandlung unter Beibehaltung der äußeren Form als „Pseudomorphose".
XVIII. Schwefel
95
O b e r s c h r e i t u n g s e r s c h e i n u n g e n finden sich auch sonst oft. So kann man manchmal Flüssigkeiten über ihren Siedepunkt erhitzen; irgendeine Zufälligkeit ruft dann explosionsartige Verdampfung hervor. Ferner entstehen oft durch Abkühlen heißer konzentrierter Lösungen Flüssigkeiten, die viel mehr gelösten Stoff enthalten, als der Löslichkeit bei Zimmertemperatur entspricht. Beim „Impfen" mit einem Kriställchen des festen Stoffes — oft genügt schon Staub — kristallisiert dann der Uberschuß des gelösten Stoffes aus der übersättigten Lösung plötzlich aus. Ein sehr verwickeltes Verhalten zeigt die S c h w e f e l s c h m e l z e : Dicht über dem Schmelzpunkt ist sie honiggelb und leicht beweglich, beim weiteren Erwärmen wird sie dunkler und äußerst zähflüssig, um erst bei noch weiterem Erhitzen wieder beweglich zu werden. Bei 444,60° siedet der Schwefel unter Atmosphärendruck; der rotbraun gefärbte Dampf besteht bei Temperaturen dicht über dem Siedepunkt vorwiegend aus S 8 -, bei mittleren aus S 8 - und S- 4 , bei hohen aus S2-Mol ekeln, die dann bei sehr hohen Temperaturen in die Atome dissoziieren. Das merkwürdige Verhalten der Schmelze hängt damit zusammen, daß bei tiefen Temperaturen Sa-Ringe vorhanden sind, wie sie auch im rhombischen und monoklinen Schwefel vorliegen. Bei höheren Temperaturen brechen diese Hinge auf und es bilden sich lange Ketten, die dann die große Zähigkeit bedingen. Daß in der Schmelze bei höheren Temperaturen andere Molekeln vorhanden sind als dicht über dem Schmelzpunkt, erkennt man daran, daß beim Abschrecken einer bis nahezu zum Sieden erhitzten Schmelze — etwa durch Ausgießen in Wasser — nicht monokliner Schwefel entsteht, sondern eine dritte Form, die man wegen ihrer gummiartigen Beschaffenheit als plastischen Schwefel bezeichnet. Dieser plastische Schwefel löst sich im Gegensatz zum rhombischen in Schwefelkohlenstoff nicht auf. Er ist gegenüber rhombischem Schwefel instabil und geht daher — wenn auch bei Zimmertemperatur nur langsam — freiwillig in diesen über. Verbindungen des Schweleis. Leitet man Wasserstofi über erhitzten Schwefel, so erfolgt ohne heftige Reaktion Vereinigung der beiden Elemente; die Reaktion ist also gegenüber der von Wasserstoff mit Sauerstoff sehr gemäßigt. Das
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XVIII. Schwefel
Reaktionsprodukt ist ein Gas der Formel H 2 S, der S c h w e f e l w a s s e r s t o f f , dessen widerlicher Geruch von faulen Eiern her bekannt ist. H 2 S ist im Gegensatz zum Wasser eine, wenn auch nur ganz schwache S ä u r e . Seine Bedeutung liegt darin, daß er mit Schwermetallsalzen, z. B. solchen des Kupfers, Bleis, Quecksilbers und Zinks, in wässeriger Lösung schwerlösliche Sulfid-Niederschläge bildet. Auf diese Weise sind in der Natur wertvolle Lagerstätten von Erzen entstanden, von denen wir einige bereits S. 93 genannt haben. Die Fällung der Mctallionen mit Sulfidionen erfolgt bei einigen Elementen nur in saurer, bei anderen nur in alkalischer, bei manchen schließlich in saurer und alkalischer Lösung. Der Schwefelwasserstoff ist daher eines der wichtigsten Hilfsmittel des Chemikers, um Metalle bzw. ihre Salze voneinander zu trennen. Man stellt ihn in Laboratorien meistens durch Einwirkung von verdünnter Salzsäure auf das uns schon von S. 14 her bekannte Schwefeleisen her, aus dem er gemäß der Gleichung FeS + 2 HCl = FeClj + H2S als schwache, flüchtige Säure freigemacht wird. Gelöstes HaS wird leicht zu S oxydiert; vgl. S. 88 die Reaktion mit J a . — Der sehr geringe Schwefelwasserstoffgehalt der Zimmerluft (Darmgase!) bewirkt das lästige Schwarzwerden von Silbergegenständen; es bildet sich dabei Silbersulfid AgaS.
Die wichtigsten Verbindungen des Schwefels sind die O x i d e u n d S a u e r s t o f f s ä u r e n , und von diesen ist wieder von besonderer technischer Bedeutung die S c h w e f e l s ä u r e HgS0 4 . Die Darstellung dieser Säure erfolgt ausschließlich über das S c h w e f e l d i o x i d , das bei der Verbrennung des Schwefels und der Sulfide entsteht, so z. B. aus der Zinkblende gemäß 2 ZnS + 3 0 2 = 2 ZnO + 2 SO s und vor allem aus dem Pyrit FeS2 (vgl. S. 99). S c h w e f e l d i o x i d ist ein stechend riechendes Gas, das sich unter 1 Atm. bei—10° zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Das Gas ist für alle Lebewesen, insbesondere für die Pflanzen, sehr schädlich. So benutzt man es z. B., um in Weinfässern u. a. Bakterien abzutöten.
XVIII. Schwefel
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Die nachteiligen Wirkungen auf den Pflanzenwuchs zwingen alle Betriebe, in denen größere Mengen S0 2 entstehen, zu kostspieligen Aufwendungen, um „Rauchschäden" zu vermeiden. Die gesetzlichen Bestimmungen gegen die Verunreinigung der Luft sind in den letzten Jahren wesentlich verschärft worden. — Viel S0 2 entsteht auch bei der Verbrennung der Kohle, da die meisten Kohlesorten geringe Mengen von Schwefel enthalten. Auch das Heizöl enthält etwas Schwefelverbindungen. So kommt es, daß in der Großstadtluft immer ein geringer S02-Gehalt vorhanden ist, der wegen seiner Einwirkung auf Kalk zu Schädigungen von Gebäuden führen kann (Kölner Dom!). In Wasser löst sich Schwefeldioxid ziemlich reichlich; es entsteht dabei die schweflige Säure H 2 S0 3 . Diese hat große Neigung, in Schwefelsäure überzugehen, und wirkt daher aß kräftiges Reduktionsmittel. Als Beispiel sei die Reaktion mit Bromwasser genannt, das gemäß H?SO? + Br2 + H 2 0 = H s S0 4 + 2HBr entfärbt wird. Bei der Einwirkung von schwefliger Säure auf H2SWasser bildet sich Schwefel: 2H2S + S0 2 = 3S + 2H 2 0. Der Schwefel fällt hierbei in äußerst fein verteilter Form aus und bildet die sogenannte Schwefelmilch. Daneben bilden sich „Polythionsäuren" (vgl. S. 103). Vom Schwefeldioxid zur S c h w e f e l s ä u r e führen zwei Wege. Das ältere „Bleikammerverfahren" führt in einer Operation vom Schwefeldioxid zur Schwefelsäure. Das jüngere „Kontaktverfahren" wurde von Clemens W i n k l e r (1838—1904) gefunden und von K n i e t s c h technisch durchgearbeitet; es führt zunächst zum Schwefeltrioxid (SOs), das dann erst in einer zweiten Operation mit Wasser zu Schwefelsäure umgesetzt wird. Es verdrängt das Bleikammerverfahren immer mehr. Kontaktverfahren. Wir besprechen das Kontaktverfahren zuerst, da es theoretisch einfacher ist. Für die technische Durchführung einer Gasreaktion, wie sie hier vorliegt, kommt es auf zwei Dinge an: 1. Wie liegt das Gleichgewicht? 2. Wie schnell stellt es sich ein? Die die Lage eines Gleichgewichts bestimmenden Faktoren K l e m m , Anorganische Chemie
7
XVIII. Schwefel
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werden in einem besonderen Abschnitt ( X X I I ) zusammenfassend besprochen werden. Wir wollen hier nur an Hand experimenteller Bestimmungen von B o d e n s t e i n (Abb. 17) die Abhängigkeit von der Temperatur betrachten. Danach liegt das Gleichgewicht für SO s um so günstiger, je n i e d r i g e r Vol. Teile SO, auf die Temperatur ist. Eine lOOVol.Teüe annähernd quantitative desarspmglirktnSOi Umsetzung von S 0 2 zu SO SO a ist nur möglich, wenn die Temperatur 400 bis 430° nicht übersteigt. Für die Technik kommt es aber nicht nur auf die Lage des Gleichgewicht e
Abb. 17.
500
600
700
800
SO./SO.-GlelchgewIcht
90Q
i
(Die gestrichelte Kurve entspricht etwa
* *
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Ö.lb/17 h a b e n Wir gesehen,
technischen Bostgaaen) daß die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t fast immer mit der Temperatur stark zunimmt. Die Notwendigkeit, zu einer schnellen Gleichgewichtseinstellung zu kommen, verlangt also hohe Temperaturen, während die Lage des Gleichgewichtes hier gerade bei tiefen Temperaturen günstig ist. Eine Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit für die technische Durchführung schon genügend hoch ist und bei der andererseits im Gleichgewicht noch genügend S 0 3 vorhanden ist, gibt es nicht. Man muß daher versuchen, die Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit nicht durch Temperatursteigerung, sondern durch andere Mittel zu bewirken, d. h. man muß einen geeigneten K a t a l y s a t o r verwenden. Als Katalysator benutzte man früher Platin, jetzt vanadinoxidhaltige Eontaktsubstanzen. Man erreicht damit zwischen 400 und 430°, also bei Temperaturen, bei denen sich nahezu 100 % S 0 3 im Gleichgewicht befinden, rasche Umsetzung.
XVIII. Schwefel
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Für die t e c h n i s c h e D u r c h f ü h r u n g geht man meist vom P y r i t FeS a l ) aus, einem in Spanien und einigen anderen Ländern mächtige Lager bildenden Erz, das, wenn die Reaktion erst einmal eingeleitet ist, ohne weitere Wärmezufuhr nach der Gleichung 4 FeS2 + 11 0 2 = 2 FeaOa + 8 S0 2 zu Eisenoxid und Schwefeldioxid verbrennt. Das A b r ö s t e n des Pyrits hat die Technik vor schwierige Probleme gestellt, da man einerseits die Staubentwicklung beim Abrösten des feinzerkleinerten Erzes2) vermeiden muß; zum anderen sollte Handarbeit möglichst vermieden und schließlich die Wärme der Abgase ausgenutzt werden. Man kann dazu verschiedene Verfahren verwenden: Inden E t a g e n ö f e n (Abb. 18) wird das Erz auf der Ofendecke getrocknet und dann durch Rührarme nach unten transportiert, während die Luft von unten eingeführt wird. Die Röstgase treten oben, der Abbrand unten aus. Die Verbrennung erfolgt im wesentlichen auf den mittleren Etagen. Man kann auch D r e h r o h r ö f e n benutzen, langsam sich drehende Abb. 18. Etagenröstofen Trommeln, die etwas schräg gestellt sind. Das Röstgut wird von oben eingeführt und fällt in der sich drehenden Trommel langsam nach unten, wobei an der Wand befestigte Schaufeln es immer wieder nach oben heben und von dort herunterfallen lassen, so daß es mit der von der unteren Trommelöffnung ein') In Deutschland kommen abröstbare schwefelhaltige Mineralien nicht in genügender Menge vor; man hat aber im 1. Weltkriege Verfahren entwickelt, aus dem reichlich vorhandenen A n h y d r i t (oder aus entwässertem Gips) Schwefelsäure herzustellen: Man erhitzt CaSOj mit Ton und etwas Kohle und erhält SO, und Zement. Dieses Verfahren wird jetzt auch in anderen Ländern durchgeführt. •) Vielfach war das Erz vorher ganz schwach voroxydiert und mit "Wasser gelaugt worden, um einen Teil des Kupfers als Sulfat zu gewinnen. Heute arbeitet man die Röstrückstände auf die wertvollen Bestandteile Kupfer, Zink, Blei, Kobalt, Gold usw. auf und verarbeitet das so gereinigte Elsenoxid auf Eisen. 7*
100
XVIII. Schwefel
gepreßten Luft gut in Berührung kommt. Man kann auch fein zerkleinertes Erz mit Luft gemischt aus einem Brennerrohr herausblasen und das Gemisch an der Rohröffnung verbrennen. Schließlich kann man durch einen Rost Luft durch das Erzpulver blasen, so daß dieses dauernd durchgewirbelt wird und schnell verbrennt ( W i r b e l b e t t v e r f a h r e n ) . Die Verbrennungswärme wird bei den modernen Verfahren benutzt, um Dampf zu erzeugen. Wesentlich ist es dann für das Kontaktverfahren, gewisse staubförmige Verunreinigungen (z. B. Arsen- und Selenverbindungen1)) aus den Röstgasen zu entfernen, da diese für die meisten Katalysatoren „Gifte" sind, d. h. ihre Wirksamkeit vernichten. Erfolgreich ist hier wie in vielen ähnlichen Fällen die sogenannte „elektrische Gasreinigung", d. h. die Einwirkung sehr hoch gespannter Gleichstromentladungen auf das Gas. Der Staub schlägt sich dann an den Elektroden nieder. Das beim Kontaktprozeß entstehende S c h w e f e l t r i o x i d g a s kondensiert sich bei Zimmertemperatur zu einer Flüssigkeit; in Os 0^0 dieser liegen q g gQ -Ringe vor. Diese Modifikation ist jedoch instabil und wandelt sich leicht in eine andere, feine weiße
0 00
0
0 00
0
Fasern bildende Modifikation um, in der OSOSOS . . . OS-Ketten vorhanden sind. Diese Vereinigung des S0 3 zu größeren Gebilden hängt damit zusammen, daß der Raum um das S-Atom durch 3 0-Atome nicht vollständig ausgefüllt ist. Die Reaktion des Schwefeltrioxides mit W a s s e r , bei der sich Schwefelsäure bildet, ist sehr heftig; ihre technische Durchführung bereitete zunächst Schwierigkeiten, da sich dabei schwer kondensierbare Nebel bilden. Man absorbierte deshalb nicht in Wasser, sondern in Schwefelsäure, stellte also über die Formel II 2 S0 4 hinaus S0 3 enthaltende, „rauchende" Schwefelsäure her, das sogenannte „Oleum", das hauptsächlich in der organischchemischen Industrie verwendet wird. Seit einigen Jahrzehnten wird aber auch die gewöhnliche Schwefelsäure zum größten Teil nach dem Kontaktverfahren hergestellt. l ) Diese Arsen- und Selenverbindungen rühren daher, daß In den SaGruppen, die Im Pyritgitter vorhanden sind, der Schwefel durch Arsen- oder Selenatome ersetzt sein kann.
XVIII. Schwefel
101
Bleikammerverfahren. Die direkte Überführung von S0 2 in H 2 S0 4 — d. h. ohne Isolierung von S 0 3 — läßt sich bei wesentlich tieferen Temperaturen (unter 100°) durchführen, wenn man als Reaktionsbeschleuniger Stickstoffdioxid ( N 0 2 ) benutzt. Ganz grob kann man den Vorgang folgendermaßen beschreiben: N 0 2 gibt ein Sauerstoöatom sehr leicht ab und führt daher H 2 S 0 3 schnell in H 2 S0 4 über. Das dabei entstehende NO reagiert rasch wieder mit dem Luftsauerstofl, es entsteht erneut N0 2 , das neue Schwefelsäure bilden kann usw. Durch den Stickstoffoxidzusatz wird also gleichsam die Reaktionsträgheit des elementaren Sauerstoffs überwunden. Bei der t e c h n i s c h e n D u r c h f ü h r u n g stellt man zunächst S0 2 ebenso wie beim Kontaktprozeß her. Man führt dann die heißen Röstgase in einen mit säurefesten Steinen ausgemauerten Turm, den G l o v e r t u r m . Den von unten eintretenden Gasen fließt mit Stickstoffoxiden beladene etwa 65°/0ige Schwefelsäure (Nitrose) entgegen (Gegenstromprinzip!). Infolge der Hitze der Gase werden aus der Nitrose der Wasserdampf und die Stickstoffoxide ausgetrieben; unten fließt etwa 80%'ge Schwefelsäure ab. Im Glover wird auch schon ein Teil des S0 2 umgesetzt. Die vollständige Überführung des gesamten S0 2 in Schwefelsäure erfordert jedoch ziemlich viel Zeit. Man läßt daher die mit Wasserdampf und Stickstoffoxiden beladenen Röstgase in große, aus Blei hergestellte K a m m e r n treten 1 ), in denen Wasser versprüht und etwas Salpetersäure zugegeben wird, um unvermeidliche Verluste an Stickstoffoxiden zu ersetzen. In diesen Kammern sammelt sich die gebildete, etwa 65°/0ige Säure am Boden an. Die schließlich aus den Kammern austretenden Gase enthalten — außer viel N2 und etwas 0 2 — die sehr wertvollen Stickstoffoxide. Man leitet sie daher durch „ G a y - L u s s a c - T ü r m e " , in denen die Stickstoffoxide durch Schwefelsäure absorbiert werden. Die hier erhaltene Nitrose geht dann wieder zum Gloverturm. Die beim Bleikammerverfahren erhaltene 60—80%ige Schwefel*) Blei benutzt man deshalb, weil es eines der wenigen Metalle Ist. die gegen Schwefelsäure beständig sind. Es reagiert zwar zunächst auch etwas; dabei bildet sich aber eine fest haftende Schicht von unlöslichem Bleisulfat, die das MetaU gegen weiteren Angriff schützt.
102
XVIII. Schwefel
säure benutzt man u. a. für die Herstellung von Superphosphat und Ammoniumsulfat (vgl. Kap. XXI) 1 ).
W a s s e r f r e i e S c h w e f e l s ä u r e ist eine ölige Flüssigkeit. Sie bildet sehr beständige Hydrate und löst sich daher in Wasser unter starker Wärmeentwicklung. Ihre wasserentziehende Wirkung geht so weit, daß vielen Verbindungen, die Wasserstoff und SauerstoS enthalten, diese Elemente als Wasser entzogen werden. So verkohlen z. B. Holz, Zucker usw., indem von ihren Bestandteilen (C, H und 0) nur der Kohlenstoff zurückbleibt. Daß man Schwefelsäure zum Trocknen von Gasen verwendet, wurde schon erwähnt. Ferner benutzt man sie, namentlich in der organischen Chemie, um bei Reaktionen, bei denen Wasser abgespalten wird (vgl. z. B. S. 150), eine günstige Gleichgewichtslage zu erzielen. Die v e r d ü n n t e wässerige Lösung der Schwefelsäure zeigt selbstverständlich alle typischen Säurereaktionen, löst also z. B. Metalle wie Zink unter Wasserstoff-Entwicklung. K o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure verhält sich dagegen anders. In ihr fehlt das für eine Dissoziation erforderliche Wasser. So reagiert sie mit Metallen wie Zink bei Zimmertemperatur überhaupt nicht. In der Hitze wird das Zink gelöst; es werden aber dann nicht WasserstoSionen zu elementarem Wasserstoff entladen, sondern die H 2 S0 4 -Molekel wirkt als Oxydationsmittel, wobei der Schwefel reduziert wird. Es bildet sich daher S0 2 : Zn + 2 H 2 S0 4 = ZnS0 4 + S0 2 + 2 H 2 0. Daneben entstehen in sehr geringer Menge elementarer Schwefel und H 2 S. ') Die Bleikammersäure enthält im Gegensatz zur Kontaktschwefelsäure noch geringe Mengen von Arsensäure. Es rührt dies daher, daß die elektrische Staubreinigung nur Staubteilchen, nicht aber Gasmolekeln entfernt. Da man nun beim Kammerverfahren die Röstgase heiß in den Giover einleiten muß und zur Reinigung nicht wie beim Kontaktverfahren abkühlen kann, bleibt ein Teil des As a O s (und SeO,) gasförmig und wird nicht entfernt. Braucht man As-freie Schwefelsäure, so muß man das Arsen aus der fertigen Kammersäure entfernen.
XVIII. Schwefel
103
Es gibt noch viele andere Oxide und Säuren des Schwefels. Von der hier herrschenden Mannigfaltigkeit möge die folgende Zusammenstellung einen Eindruck vermitteln: H,S Schwefelwasserstoff, vgl. Text. H 2 S 2 , HJSJ . . . HjS, usw. Wasserstoff-di-(tri-... hexa- usw.) sulfid, unbeständige Verbindungen. Beständig sind S|--, S|~-, SJ _ - usw. Ionen in alkalischer Lösung und in festen Salzen. SO bzw. S 2 0 2 Schwefelmonoxid; äußerst unbeständiges Gas1). S20, Dischwefeitrioxid; blaugrüne Substanz von hohem Molekulargewicht, die aus Schwefel und SO, entsteht. SO, Schwefeldioxid \ , T . SO, Schwefeltrioxid / g L l e x t ' SOs« Schwefelperoxid2) H,SO, Schweflige Säure 1 , T . H,S0 4 Schwefelsäure / vgl" l e x t " H 2 S0 3 S Thioschwefelsäure. Die Bezeichnimg „Thio" bedeutet, daß = H 2 S 2 0, ein 0 durch S ersetzt ist. Die freie Säure zerfällt in S + H 2 S0 3 . Das Natriumsalz dient als Fixiersalz für die Photographie (vgl. Kap. XXVIII). Thiosulfat wird femer in der Jodometrie (vgl. S. 88) benutzt. H 2 S 2 0, ( = H,SO, + S0 3 ). Di-(oder Pyro-)schwefelsäure, im Oleum enthalten; ihre Salze entstehen beim Erhitzen von Hydrogensulfaten: 2 KHSO, = H 2 0 + K , S 2 0 7 . T cr> r> ^„„„i,m„(„i„1I uenthalten 0 in „: der c n , an TStelle T O Neines INR„I„I„I HT2Ö0 6 reroxoschwefelsaure H S O Peroxodischwefelsäure f H 2 S ( V b z w " H2S207-Molekel eine ±i 2 b 2 u, ra-oxoaiscnweteisaure j o2-Gruppe; Oxydationsmittel. Das durch elektrolytische Oxydation von Kaliumhydrogensulfat gewonnene Kaliumperoxodisulfat K2S2Og dient zur Darstellung von H 2 0 2 (S. 36). H 2 S 2 0 4 Dithionige (unterschweflige) Säure, kann z. B. durch Einwirkung von Zinkmetall auf eine H2S03-Lösung hergestellt. werden. Starkes Reduktionsmittel, das in der „Küpenfärberei" technisch verwendet wird. Dithionit dient in der Gasanalyse zur Absorption von Sauerstoff. H 2 S 2 0 „ H 2 S , 0 , . . . H 2 S 9 0 , USW. Di-, T r i - . . . Hexa-thionsäure usw. („Poly-tMonsäuren"). l ) SO ist nur bei äußerst geringen Drucken ( < 1 mm Hg) bestfindig; bei höheren Drucken bzw. beim Kondensieren mit flüssiger Luft entstehen plastische Produkte, die beim Erwärmen SO, abspalten: (n + x)SO s n ° n - x + * so«*) Es handelt sich hier um Stoffe von hohem Molekulargewicht mit wechselnder Zusammensetzung, die O a -Gruppen enthalten.
104 XIX. Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene Bezüglich der h a l o g e n h a l t i g e n Schwefelverbindungen sei erwähnt, daß es ein dem SF 6 (vgl. S. 90) entsprechendes SClg nicht gibt; beim Überleiten von Chlor über erhitzten Schwefel entsteht vielmehr das goldbraune D i s c h w e f e l d i c h l o r i d SgClg, eine widerlich riechende Flüssigkeit, die in der Gummiindustrie als Lösungsmittel für den für die Vulkanisation erforderlichen Schwefel verwendet wird. Außerdem lassen sich aus S bzw. S2C12 und Cla SCla und SC14 herstellen; das letztere ist nur bei tiefen Temperaturen beständig. Schließlich existieren Halogensulfane, z. B. ClSnCl, wobei n sehr hohe Werte (bis 100) annehmen kann. Die Brom Verbindungen des Schwefels sind weniger beständig, Jodverbindungen sind unbekannt. Durch Ersatz der OH-Gruppen in der Schwefelsäure 0 2 S(0H) 2 und der Schwefligen Säure OS(OH)2 durch Halogene entstehen „ S ä u r e h a l o g e n i d e " . Diese werden durch Wasser leicht wieder in die betreffende Schwefelsäure und Halogenwasserstoff gespalten. Genannt seien OSCI2 „ T h i o n y l c h l o r i d " (aus SO, + PC16 gemäß SOa + PC15 = 0SC12 + P0C13) und 02SCla „ S u l f u r y l c h l o r i d " (aus SOa + Clj bei Gegenwart von Campher oder Aktivkohle). Man kann auch nur eine OH-Gruppe ersetzen. Besonders leicht bildet sich aus konz. H a S0 4 und HF F l u o r s u l f o n s ä u r e ; C h l o r s u l f o n s ä u r e (aus HCl und S0 3 ) wird durch die Luftfeuchtigkeit gespalten und diente im Kriege zum Vernebeln. S t i c k s t o f f h a l t i g e S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n sind in sehr großer Zahl bekannt. Genannt seien hier der S c h w e f e l s t i c k stoff N4S4 (ringförmig gebaut, zerfällt beim Erhitzen explosionsartig) und die A m i d o s u l f o n s ä u r e HOsS • NH a .
XIX. Selen u. Tellur; Übersicht über die Chalkogene Selen und Tellur. Dem Schwefel nahe stehen Selen u n d Tellur. Der Nichtmetall-Charakter nimmt beim Übergang vom Schwefel zum Tellur ab. Tellur zeigt schon deutlich metallische Eigenschaften, während Selen sowohl in mehreren (instabilen) nichtmetallischen als auch in einer zu den Metallen fiberleitenden (stabilen) Modifikation (graues Selen) vorkommt. Diese
XIX. Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene 105 erweist ihre Zwischenstellung durch ihr Verhalten gegen den elektrischen Strom: An sich ist sie ein schlechter Leiter wie ein Nichtmetall; durch Belichtung wird sie aber leitend wie ein Metall. Diese Eigenschaft wurde in den Selenzellen technisch ausgenutzt. Heute benutzt man zur Umwandlung von Lichtenergie in elektrischen Strom entweder sogenannte „Photoelemente" auf Selenbasis oder evakuierte, an der Innenseite teilweise mit Alkalimetall beschlagene „Photozellen". Im Kristallgitter von grauem Selen und von Tellur sind nicht, wie beim Schwefel, Ringe, sondern langgestreckte, gewinkelte Ketten vorhanden (vgl. S. 173, Abb. 23). Die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n H2Se und H2Te werden ähnlich hergestellt wie H2S, sind aber viel weniger beständig; insbesondere H2Te scheidet leicht Te ab. Mit S a u e r s t o f f verbrennt Selen mit kornblumenfarbiger Flamme zu Se0 2 ; dieses ist zwar noch leicht flüchtig, aber bei Zimmertemperatur fest. Dagegen ist die Flüchtigkeit von Te0 2 sehr gering. Se0 2 löst sich wie S0 2 in Wasser; aus der Lösung scheidet sich beim Eindunsten H 2 Se0 3 kristallin ab. Te0 2 löst sich nicht merklich in Wasser. H 2 Se0 3 läßt sich nur mit starken Oxydationsmitteln zur S e l e n s ä u r e H 2 Se0 4 oxydieren (Gegensatz zu H 2 S0 3 ; vgl. dazu auch die Nichtexistenz der Perbromsäurel). Auch das Anhydrid Se0 3 , das erst seit kurzer Zeit bekannt ist, zerfällt leicht in Se0 2 und 0 2 . Die Reaktionen der Selensäure sind denen der Schwefelsäure ähnlich (z. B. Fällung als BaSe0 4 ); im Gegensatz zu H 2 S0 4 und H 2 Se0 4 ist die T e l l u r s ä u r e , die die Formel H 6 Te0 6 (vgl. Jodsäure S. 88) besitzt, eine schwache Säure.
Übersicht über die Chalkogene Zu der in Tab. 5 (S. 106) enthaltenen Zusammenstellung einiger Eigenschaften aller Chalkogene ist wenig zu sagen, da das S. 90/91 für die Halogene Angeführte im wesentlichen unverändert übernommen werden kann: Regelmäßiges Ansteigen von Schmelz- und Siedepunkten bei den E l e m e n t e n , Vertiefung der Farbe und Zunahme des metallischen Charakters vom Sauerstoff zum Tellur. Auch für die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n gilt dasselbe wie für die Halogenwasserstoffe: Auch hier steigen Schmelz- und Siedepunkte vom H2S bis zum H2Te regelmäßig an. H 2 0 fällt noch mehr heraus als HF; auch hier hängt der hohe Schmelz- und Siede-
106
XX. Das Perioden-System der Elemente Tabelle 5 E i g e n s c h a f t e n der E l e m e n t e Sauerstoff
Symbol Atomgewicht Schmelzpunkt Siedepunkt
Schwefel
0 S 15,9994 32,064 — 218,9° + 119,0° —182,96« + 444,60°
Selen
Tellur
Se 78,96 220.2« 688«
Te 127,60 452,0« 1390«
W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n gen Schmelzpunkt 0° Siedepunkt + 100° Bildungsenthalpie1) pro Mol in k c a l . . . — 68,3
— 85,60° — 60,75°
— 60,4° — 41.5°
— 51° — 2°
— 4,8 + 35 + 18 punkt mit dem Dipolcharakter sowie mit der geringen Größe de r Molekel zusammen; außerdem spielen auch hier die S. 91 er" wähnten Wasserstoffbrücken eine Rolle. Die Bildungsenthalpien der Wasserstoffverbindungen ändern sich bei den Chalkogenen mit steigendemAtomgewicht in gleicher Weise wie bei den Halogenen; H2Se und H2Te haben bereits deutlich positive Bildungsenthalpien.
XX. Das Perioden-System der Elemente Bei den Halogenen und Chalkogenen haben wir Gruppen von Elementen kennengelernt, die untereinander sehr ähnlich sind und die bei einer Anordnung nach dem Atomgewicht einen gleichmäßigen Gang verschiedener physikalischer und chemischer Eigenschaften zeigen. Lassen sich vielleicht alle Elemente in ein aus solchen Gruppen bestehendes System zusammenfassen ? Das ist in der Tat der Fall. Nahezu gleichzeitig haben der Deutsche L o t h a r Meyer (1830—1895) und der Russe Mend e l e j e f f (1834—1907) 1868 bzw. 1869 ein solches System gefunden. Sie ordneten dazu die Elemente nach einer Eigenschaft, in der man zunächst eine Bedeutung für eine solche Systematik gar nicht vermuten würde, nämlich nach dem A t o m g e w i c h t . Man erhält dann für die leichtesten Elemente eine Reihe, ») Vgl. S. 91, Anm. 2.
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108
XX. Das Perioden-System der Elemente
bei der die charakteristischen Eigenschaften von Glied zu Glied verschieden sind; die Wertigkeiten gegenüber Wasserstoff und Sauerstoff ändern sich dabei von Element zu Element um 1 in regelmäßiger Weise: H, He 1 ), Li, Be, B, C, N, 0 , F. Stellt man nun aber die nächsten Elemente Ne, Na, Mg usw. so unter diese erste Reihe, daß das Edelgas Ne unter das Edelgas He kommt, so stehen überall Elemente untereinander, die einander ähnlich sind: He1) Ne 1 )
Li Na
Be Mg
B AI
C Si
N P
0 S
F Cl.
Wir können das am besten in den letzten beiden Vertikalen beurteilen, bei den uns schon näher bekannten Halogenen und Chalkogenen. In ähnlicher Weise kann man auch bei den schwereren Elementen vorgehen, wo die Dinge allerdings etwas verwickelter liegen. Man erhält dann die gesuchte Systematik aller Elemente, das P e r i o d e n - S y s t e m , das wir auf der vorhergehenden Seite wiedergegeben haben 2 ). Die Bedeutung des Perioden-Systems kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es bietet eine solche Fülle von Beziehungen zwischen den Elementen und ihren Verbindungen, daß überhaupt erst auf seiner Grundlage ein tieferes Verständnis der anorganischen Chemie möglich geworden ist. Einige derartige allgemeine Regelmäßigkeiten, die sich auf die Vertikalreihen beziehen, haben wir bereits bei der zusammenfassenden Besprechung der Halogene kennengelernt. Dazu kommen nun noch Horizontal- und Schrägbeziehungen. So finden sich z. B. in den H o r i z o n t a l r e i h e n ganz regelmäßige Abstufungen in den Wertigkeiten. Die 1 ) Die Edelgase waren allerdings Meyer und M e n d e l e j e f f noch nicht bekannt; auch fehlten damals noch einige weitere Elemente, z. B. Sc, 6 a und Ge, wodurch die Erkenntnis der hier Torliegenden Zusammenhänge sehr erschwert war. •) Auf andere Schreibweisen des Perloden-Systems können wir nicht eingehen.
XXI. Stickstoffgruppe
109
Wertigkeit gegenüber Wasserstoff nimmt in den höheren Gruppen von rechts nach links zu: So können wir aus der Reihe Ne, HF, H a O schon extrapolieren, daß es NH 3 und CH 4 geben wird 1 ). Andererseits nimmt die Höchstwertigkeit gegen Sauerstoff ab. Den Stoßen Cl^O,, S0 3 schließen sich P 2 O s , Si0 2 , ALj0 3 , MgO und N a , 0 an; die Maximalwertigkeit gegen Sauerstoff 2 ) ist gleich der Gruppennummer. Ferner können wir schon aus dem Verhalten der Halogene und Chalkogene ableiten, daß der metallische Charakter nicht nur von oben nach unten, sondern auch von rechts nach links zunimmt (vgl. z. B. Jod und Tellur I). Wir werden erwarten, daß sich in der 5. und 4. Gruppe mehr metallische Elemente finden werden als in der 6. Diese letztgenannte Regelmäßigkeit führt uns zu S c h r ä g beziehungen, daß nämlich bei vielen Elementen Ähnlichkeit mit dem Element besteht, das in der nächsthöheren Gruppe eine Periode tiefer steht. Besonders ausgeprägt ist das in den ersten Perioden. So verhalten sich z. B. Li und Mg sowie Be, AI und Ti in ihren Verbindungen so ähnlich, daß ihre analytische Trennung gewisse Schwierigkeiten bereitet. Wir werden in den folgenden Abschnitten immer wieder auf solche Beziehungen im Perioden-System hinzuweisen haben.
XXI. Stickstoffgruppe Als „StickstoSgruppe" fassen wir folgende Elemente der 5. Gruppe des Perioden-Systems zusammen: Stickstofl, Phosphor, Arsen, Antimon und Wismut. Elemente. Wie wir soeben gezeigt haben, ist auf Grund des Perioden-Systems zweierlei zu erwarten: einmal sollte—wie wir es bei den Chalkogenen fanden — der metallische Charakter vom Stickstoff zum Wismut zunehmen. Zum anderen sollten metallische Eigenschaften bei diesen Elementen stärker hervortreten als bei den Chalkogenen und vor allem den Halogenen. 1
) Dann nimmt sie allerdings wieder ab: (BH 3 ) a , BeH a , LiH. *) Beim Natrium gibt es allerdings auch höhere Oxide; vgl. dazu S. 180.
110
XXI. Stickstoffgruppe
Beides ist der Fall. Das erste Element, der S t i c k s t o f f , ist zweifellos ein Nichtmetall; umgekehrt besitzen die Endglieder Antimon und W i s m u t weitgehend metallischen Charakter. Bei den mittleren Elementen, Phosphor und Arsen, liegen wiederum Übergänge vor. So kommt das Arsen außer in einer sehr unbeständigen gelben in mehreren schwarzen, amorphen, nichtleitenden Modifikationen und in einer kristallinen, gut leitenden Form vor. Sehr formenreich ist der P h o s p h o r . Wir lernten S. 29 schon eine ausgesprochen nichtmetallische Modifikation kennen, den weißen Phosphor. Man erhält diese bei 44,1° schmelzende Modifikation durch Abschrecken des Dampfes. Sie zeichnet sich durch leichte Entzündbarkeit aus; in fein verteilter Form leuchtet sie infolge langsamer Oxydation im Dunkeln. Beim Erhitzen unter Luftabschluß und erhöhtem Druck geht sie in eine r o t e , viel weniger reaktionsfähige Form über. Dieser rote Phosphor hat von Fall zu Fall etwas wechselnde Eigenschaften; er ist nur unter besonderen Bedingungen kristallisiert zu erhalten, sein Aufbau ist noch unbekannt. Eine v i o l e t t e Form des Phosphors ist von H i t t o r f dargestellt. Außerdem kennt man noch eine m e t a l l i s c h e Modifikation, den s c h w a r z e n Phosphor. Dies ist die bei Zimmertemperatur beständige Form. Sie bildet sich unter hohem Druck, was damit zusammenhängt, daß sie eine höhere Dichte besitzt als die anderen Formen ; die Umwandlung kann aber auch katalytisch bewirkt werden. Wir haben also beim Phosphor die verschiedensten Übergangsstufen zwischen Nichtmetall und Metall. Das Verhalten des Phosphors unterscheidet sich in charakteristischer Weise von dem des Schwefels (S. 93/94). Der „rhombische" und der „monokline" Schwefel sind „enantiotrop" (wechselseitig umwandelbar), während der Phosphor „monotrop" (einseitig umwandelbar) ist. Der Verlauf der Dampfdruckkurven für diese beiden Fälle ist in Abb. 19 schematisch dargestellt: Beim Schwefel schneiden sich bei der Umwandlungstemperatur die Dampfdruckkurven von rhombischem und monoklinem Schwefel; beim Phosphor dagegen liegt die Dampfdruckkurve des weißen Phosphors und seiner Schmelze bis ~ 600° über der des roten. Wenn sich weißer Phosphor bei Zimmertemperatur nicht von selbst in roten umwandelt, so ist das nur eine Frage der geringen Reaktionsgeschwindigkeit; bei höheren Temperaturen findet diese Umwandlung statt. Man kann aber bei keiner Temperatur roten in weißen Phosphor umwandeln, man muß dazu vielmehr den roten Phosphor verdampfen und wieder kondensieren. Bei 590°schneiden
111
X X I . Stickstoffgruppe
sich dann bei einem Dampfdruck von 43 Atm. die Dampfdruckkurven des roten Phosphors und die der Schmelze des weißen Phosphors, der rote Phosphor schmilzt; die Schmelze entspricht der des weißen Phosphors bei tieferen Temperaturen. geschmolzen Pveißjest Schmelzpunkt smonoklin
5monoklin
rhombisch
/
J
i Schmelzpunkt weisser Phosphor
Umwandlung srhombisch-*smonoklin t'C
t'C
Abb. 19. Dampfdrucke bei Umwandlungen a ) enantiotrop (z. B . Schwefel) b) monotrop (z. B . Phosphor) (Schematische Darstellung. Die Mallstäbe Bind willkürlich)
Vorkommen. S t i c k s t o f f finden wir in erster Linie in der Luft sowie in einigen Salzen der Salpetersäure. Ferner ist er ein wichtiger Bestandteil des Eiweißes. Der so außerordentlich reaktionsfähige P h o s p h o r kann natürlich nicht im elementaren Zustande vorkommen. Man findet ihn in Salzen der Phosphorsäure; besonders wichtigist der Apatit Ca 6 (P0 4 ) 3 OH (vgl. dazu S.122/23) 1 ). Die anderen Elemente der Gruppe finden sich in der Natur vorzugsweise als schwefelhaltige Verbindungen von z. T. sehr komplizierter Zusammensetzung. Nur selten findet man einfache Sulfide wie den Grauspießglanz (Sb 2 S s ). Die G e w i n n u n g des Elements in reiner Form ist für den S t i c k s t o f f schon S. 30/32 u. 38 besprochen worden. Zur Darstellung des P h o s p h o r s reduziert man Calciumphosphat mit Kohle unter Zusatz von Sand (SiO s ) bei hohen Temperaturen im elektrischen Ofen. Es entsteht dann Phosphordampf, der durch Kühlung zu weißem Phosphor kondensiert werden kann, während das CaO mit S i 0 2 zu Calciumsilicaten „verschlackt" wird. Zur Gewinnung der s c h w e r e r e n Elemente röstet man die Sulfide zu den Oxiden und reduziert diese, in der Technik mit Kohlenstoff, im Laboratorium vielfach mit Kaliumcyanid KCN, das dabei in Cyanat ' ) Deutschland muß diese zur Herstellung der PhosphordQngemlttel unentbehrlichen Rohstoffe weitgehend vom Ausland einfahren: einen Teil gewinnt man als „Thomasschlacke" aus Verunreinigungen der Eisenerze (Tgl. S. 239).
112
XXL Stickstoffgruppe
KCNO übergeht. Man kann aber auch den Sulfiden den Schwefel durch ein unedleres Metall, wie z. B. Eisen, entziehen; für Antimon ergibt sich z. B. die Gleichung: Sb2S3 + 3 Fe = 3 FeS + 2 Sb. Wichtig sind in dieser Elementgrappe die p h y s i o l o g i s c h e n Eigenschaften. Z. T. liegen starke G i f t e vor; die Giftwirkungen sind in einigen Fällen nur bei einzelnen Modifikationen des Elements vorhanden, bei anderen treten sie besonders stark bei gewissen Verbindungen hervor. So ist weißer Phosphor ein starkes Gift, roter dagegen ungiftig. Allgemein bekannt ist ferner die Giftwirkang des Arseniks (As2Os). Gewisse ArsenVerbindungen dienen zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen. Auch die Antimonverbindungen besitzen z.T. starke Wirkungen auf den Organismus; z. B. ist Brechweinstein antimonhaltig. Wasserstoffyerbindungen. Zuerst wollen wir wieder die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n besprechen. Die wichtigsten entsprechen der allgemeinen Formel XH S . Vor allem ist hier das A m m o n i a k NH, zu nennen, die Ausgangssubstanz für die Herstellung der S t i c k Stoff d ü n g e m i t t e l . Seit Lieb ig weiß man nämlich, daß für das Wachstum der Pflanzen, die ja im wesentlichen aus organischen, d. h. aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzten Stoffen bestehen, auch einige typisch anorganische Elemente unentbehrlich sind, insbesondere S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , K a l i u m und Calcium. Da bei der intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung der Kulturländer der Boden an diesen Stoffen verarmt ist, muß man sie als „ k ü n s t l i c h e D ü n g e m i t t e l " zuführen 1 ). Für S t i c k s t o f f ist zwar in der Luft eine mehr als ausreichende Quelle vorhanden. Aber die Pflanzen können den Luftstickstoff nicht ohne weiteres verwerten. Die Stickstoffatome sind nämlich in der Na-Molekel so fest aneinandergebunden, daß die Mehrzahl der Pflanzen (eine Ausnahme bilden die Leguminosen) nicht in der Lage ist, diese Molekel zu sprengen nnd andere Stickstoffverbindungen zu bilden, die für den Aufbau der Pflanzen erforderlich sind. Bei dem, was man im täglichen Sprachgebrauch als „Stickstoffgewinnung aus der Luft" bezeichnet, handelt es sich also nicht um die Darstellung von reinem elementarem Stickstoff — die ist ja durch Verflüssigen J ) Außer den genannten Elementen, die in erheblicher Menge vorhanden sein müssen, müssen auch einige andere Elemente wenigstens in sehr geringen Mengen Im Boden enthalten Bein, z. B. B, Mn, Co, Cu, Mo („Spurenelemente").
X X I . Stickstoffgruppe
113
and Wiederverdampfen der Luft leicht durchzuführen —, sondern darum, die Stickstoffmolekel aufzusprengen und daraus Verbindungen herzustellen, die die Pflanze verwerten kann. Dieses Problem ist zuerst durch die Herstellung des K a l k s t i c k s t o f f s gelöst worden, einer Verbindung der Formel CaCN2, die sich bei der Einwirkung von Stickstoff auf Calciumcarbid1) (CaC2) bei höheren Temperaturen in exothermer Reaktion bildet: CaC2 + N 2 = CaCN2 + C. Wichtiger ist jedoch die Überführung des Stickstoffs in Ammoniak. Die wissenschaftlichen Grundlagen der S y n t h e s e des A m m o n i a k s aus Stickstoff und Wasserstoff verdankt man F . H a b e r (1868—1934), ihre technische Durchführung C. B o s c h (1874—1940). Die Lage des Gleichgewichts N 2 + 3 Ha ^ 2 NH S in Abhängigkeit von Druck und Temperatur ersieht man aus Tab. 6. Tabelle 6 V o l u m e n p r o z e n t e A m m o n i a k im G l e i c h g e w i c h t t° 400 600
1 Atm. 0,44 0,05
100 Atm. 25,1 4,5
200 Atm. 36,3 8,3
Man muß also bei möglichst tiefen Temperaturen und hohen Drucken arbeiten und einen Katalysator benutzen, damit sich das Gleichgewicht auch genügend schnell einstellt. In der ersten, von der B a d i s c h e n A n i l i n - u n d S o d a f a b r i k entwickelten Versuchsanlage arbeitete man bei 550 bis 600° und 200 Atm. Druck 2 ) mit durch gewisse Zusätze aktivierten Eisen-Katalysatoren. Das gebildete Ammoniak entzieht man dem Gasgemisch durch Waschen mit Wasser unter Druck oder durch Tiefkühlung. Für die H e r s t e l l u n g des G a s g e m i s c h e s könnte man in der Praxis von reinem Stickstoff und elektrolytisch hergestelltem Wasserstoff ausgehen. In Deutschland ist es aber wirtschaftlicher, durch Verbrennung von Kohle bei ungenügender Luftzufuhr „Ge') Vgl. auch Kap. X X I I I . *) Heute werden 90 •/, des synthetischen Ammoniaks in der Welt Im Bereich zwischen 200 und 450, vorzugsweise 325 Atm. hergestellt; Verfahren bei höheren Drucken (bis 1000 Atm.) haben sich nicht allgemein durchgesetzt. K l e m m , Anorganische Chemie
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XXI. Stickstoffgruppe
neratorgas", das im wesentlichen aus CO und N£ besteht, sowie ferner durch Überleiten von Wasserdampf über glühende Kohle nach derGleichung H¡¡0 + C = CO + H¡ „Wassergas" herzustellen (vgl. dazu auch Kap. XXIII). Durch Mischen beider erhält man ein im wesentlichen aus H a , N2 und CO bestehendes Gasgemisch. Nach dem Herauswaschen von aus der Kohle stammenden Schwefelverbindungen, aus denen man dann elementaren Schwefel gewinnt, entfernt man das CO dadurch, daß man das Gasgemisch bei etwa 600° über Eisenoxid als Katalysator mit Wasserdampf umsetzt („konvertiert"): CO + H 2 0 = C0 2 + H a . Das CO¡¡ wird dann mit Wasser unter Druck herausgewaschen, der Rest von CO mit einer ammoniakalischen Kupfer(I)-salzlösung absorbiert. Dieses Gasgemisch wird dann den Kontaktöfen zugeführt. Die technische Ammoniaksynthese, bei der zum ersten Male in der Geschichte der chemischen Industrie ein Prozeß bei so hohen Drucken und relativ hohen Temperaturen durchgeführt wurde, war erst nach äußerst umfangreichen und kostspieligen Vorarbeiten möglich (Auffinden eines geeigneten Katalysators, Lösung der Werkstoffprobleme u. a.). Nach diesem synthetischen Verfahren wird jetzt der größte Teil des Ammoniaks hergestellt. Früher war die Hauptquelle die S t e i n k o h l e , die bis zu 2% Stickstoff enthält und diesen beim Erhitzen unter Luftabschluß zum Teil als Ammoniak abgibt; vgl. dazu auch Kap. XXIII unter Leuchtgas. A m m o ni ak ist ein farbloses, stechend riechendes Gas, das sich unter gewöhnlichem Druck bei —33,4° verflüssigt. Die Alkalimetalle (vgl. S. 177) werden darin zu tiefblauen Lösungen gelöst (Gegensatz zum H 2 0). Erst bei höheren Temperaturen erfolgt Umsetzung gemäß z.B. 2 Na + 2 NH 3 = 2 NaNH 2 + H 2 zu den Amiden. NaNH 2 kann man übrigens auch durch Reaktion von NH 3 -Gas mit geschmolzenem Na-Metall herstellen. In W a s s e r löst sich NH S , wie schon erwähnt, äußerst leicht auf. Diese Lösung, der „ S a l m i a k g e i s t " , reagiert schwach alkalisch, was sehr gut mit den Eigenschaften der Nachbarn im Perioden-System zusammenpaßt; denn Fluorwasserstofflösungen zeigen ja saure Reaktion, Wasser reagiert neutral. Die alkalische Reaktion des gelösten
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Ammoniaks ist darauf zurückzuführen, daß in geringem Umfange die Umsetzung NH 3 + H 2 0 ^ N H 4 + + OH- stattfindet. Die in dieser Gleichung auftretende NHJ-Gruppe bezeichnet man als Ammonium-Ion. Dieses verhält sich merkwürdigerweise ganz wie ein Na + - oder K + -Ion. Z. B. bildet sich aus NH S und HCl ein farbloses Salz der Formel NH4C1, der „Salmiak", der ganz ähnliche Eigenschaften hat wie KCl. Ein Unterschied liegt aber darin, daß NH4C1 sich schon beim gelinden Erwärmen verflüchtigt; es zerfällt nämlich in der Hitze in NH 3 - und HCl-Gas, die sich dann an kälteren Stellen wieder zu festem NH4C1 vereinigen. Ganz ähnlich verhalten sich auch die anderen Ammoniumsalze. Das beim Einleiten von Ammoniak in Schwefelsäure entstehende Ammoniumsulfat (NH 4 ) 2 S0 4 ist ein wichtiges Düngemittel. In ihm ist Ammoniak gleichsam in eine feste Form gebracht. Der Umstand, daß sich das NH 4 -Ion dem K + -Ion so ähnlich verhält, veranlaßte eine große Reihe von Versuchen, das dem Kaliummetall entsprechende A m m o n i u m - M e t a l l , d.h. ungeladenes NH4, herzustellen. Diese Versuche sind durchweg mißlungen; das ungeladene Ammonium zerfällt sofort in Ammoniak und Wasserstoff. Man kann jedoch NH4-Lösungen in flössigem Ammoniak herstellen; diese sind, z. B. in ihrer blauen Farbe, den Lösungen von Natrium und Kalium in flüssigem Ammoniak (vgl. S. 114) sehr ähnlich. Auch läßt sich durch Einwirkung einer Legierung von Natrium und Quecksilber (Natrium-„Amalgam") auf die konzentrierte Lösung eines Ammoniumsalzes gemäß Na/Hg + NH4C1 = NH^Hg + NaCl ein A m m o n i u m - A m a l gam herstellen, das allerdings bei Zimmertemperatur ziemlich schnell in Ammoniak, Wasserstoff und Quecksilber zerfällt. Außer dem Ammoniak bildet der Stickstoff noch zwei weitere Wasserstoffverbindungen. Das H y d r a z i n H 2 N—NH a gewinnt man, indem man aus NH S und NaOCl-Lösung NH2C1 herstellt; dieses reagiert dann mit mehr NH, in stark alkalischer Lösung gemäß NH 3 + C1NH2 = II 2 N—NH 2 + HCl. Damit sich das NH2C1 nicht durch innere Oxydations-Reduktionsvorgänge zersetzt, was durch Spuren von Schwermetallionen katalysiert wird, bindet man diese in geeigneten Komplexen (z. B. durch Zugabe von Leim). Das Hydïazin bildet zwei Reihen von Salzen, z. B. 8*
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[H2N — NH 3 ]HS0 4 und [H3N — NH 3 ]S0 4 ; das letztere ist schwerlöslich und kann zur Abscheidung des H2N-NH2 dienen. Hydrazin ist ein starkes Reduktionsmittel. — Die S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e HN3 gewinnt man in Form ihres Na-Salzes, wenn man N 2 0 (vgl. S. 117) auf N a t r i u m a m i d einwirken läßt: NaNH2 + 0N 2 = NaN3 + H 2 0. Die Schwermetallsalze der Säure, die Azide, z. B. Pb(N3)2, zerfallen bei Schlag äußerst heftig in Metall und Stickstoff und finden daher in der Sprengstofftechnik als sog. „Initialzünder" Verwendung, um die Explosion schwerer zersetzlicher Explosivstoffe einzuleiten. Zu nennen ist hier ferner das H y d r o x y l a m i n NH2OH. Man gewinnt es über das Natriumsalz der Hydroxylamin-disulfonsäure H0N(S0 3 Na) 2 , das sich aus NaNOs (vgl. S. 121) und NaHS0 3 bildet. Beim Erhitzen in saurer Lösung spaltet das Salz in ein Salz des Hydroxylamins [HO • NH 3 ]X und Hydrogensulfat. Hydroxylamin zeigt sowohl Reduktions- als auch Oxydationswirkungen. Bei den " W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n d e r a n d e r e n E l e m e n t e d i e s e r G r u p p e nimmt die Beständigkeit — ebenso wie bei den Halogen- und Chalkogenwasserstoffen! — mit wachsendem Atomgewicht ab. Die sehr unangenehm riechenden gasförmigen Phosphorwasserstoffe P H 3 und P 2 H 4 entzünden sich an der Luft von selbst. AsH 3 und SbH 3 zerfallen schon bei gelindem Erhitzen in Arsen bzw. Antimon und Wasserstoff 1 ). BiH 3 ist nur äußerst schwierig darstellbar. Sauerstoffverbindungen. Wie nach dem Perioden-System zu erwarten, kommen bei den Elementen der Stickstoffgruppe Pentoxide der Formel X 2 0 6 vor; nur vom Wismut ist ein solches nicht rein darstellbar. Außerdem finden sich, der 4 + -wertigen Stufe der sonst 6 + -wertigen Chalkogene entsprechend, bei allen Elementen Oxide der 3-wertigen Stufe. Mit Wasser bilden die Pentoxide Säuren, aber der Säurecharakter ist schon etwas weniger ausgeprägt als in der 7. und 6. Gruppe; nur H N 0 3 ist eine starke Säure. *) Hierauf beruht die „Marshsche Probe'* zum Nachweis von Arsenvergif tungen : Man behandelt die zu untersuchende Substanz mit Zn und HClLösung; es bildet sich AsH a . Das Gemisch aus H, und AsH s wird durch ein erhitztes Hohr geleitet; AsH t zerfällt und es bildet Bich ein „Arsenspiegel".
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Dies entspricht einer allgemeinen Regel, nach der die Stärke der Sauerstoff-Säuren mit abnehmender Oxydationsstufe des Zentralatoms abnimmt (vgl. dazu auch S. 65). Besonders reichhaltig ist die Chemie der Stickstoffoxide, über die wir bereits S. 54 eine Übersicht gegeben haben. Ihre Bildungsenthalpie aus Stickstoff- und Sauerstoffmolekeln ist — mit Ausnahme des ganz schwach exothermen N 2 0 4 — p o s i t i v . Sie sollten also alle bei Zimmertemperatur freiwillig in die Elemente zerfallen, und man verdankt es nur der bei niedrigen Temperaturen außerordentlich kleinen Zerfallsgeschwindigkeit, daß man sie überhaupt kennt. Bei mäßiger Temperaturerhöhung tritt aber Zerfall ein. Explosionsartig zersetzen sich viele N0 2 -haltigen Verbindungen der organischen Chemie, unter denen sich die wichtigsten Sprengs t o f f e befinden, so z. B. Nitroglycerin, Trinitrotoluol usw. Von den Stickstoffoxiden zerfällt besonders leicht das niedrigste Oxid, das D i s t i c k s t o f f o x i d NaO. Es entsteht beim vorsichtigen Zersetzen von Ammoniumnitrat: NH 4 NO s -»• 2 H 2 0 + N 2 0. Beim plötzlichen Erhitzen verläuft die Zersetzung explosionsartig, so daß man Ammoniumnitrat als („Sicherheits"-) Sprengstoff verwenden kann. Da im N 2 0 das Sauerstoffatom nur sehr lose an die N 2 Gruppe gebunden und leicht abspaltbar ist, unterhält NaO die Verbrennung. Es hat berauschende (Lachgas 1) und schmerzstillende Wirkung.
Die wichtigsten Oxide des StickstoSs sind NO und N0 2 . Das S t i c k s t o f f o x i d NO hat man eine Zeitlang technisch in großem Maßstabe aus Luft hergestellt, indem man Luft durch einen elektrischen Lichtbogen hindurchblies 1 ). Im Gleichgewicht N2 + 0 2 ^ 2 NO ist nur bei sehr hohen Temperaturen ein gewisser, geringer Gehalt an NO vorhanden. Beim langsamen Abkühlen würde es wieder zerfallen; denn schon bei 1500° liegt im Gleichgewicht praktisch kein NO mehr vor. Führt man aber die Abkühlung äußerst schnell durch, so wird dieses Temperaturgebiet so rasch durch*) Heute ist dieses Verfahren durch die Ammoniak-Synthese mit anschließender Verbrennung des Ammoniaks (vgl. S. 119) verdrängt.
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laufen, daß ein Teil des Stickstoffoxides in das Temperaturgebiet äußerst geringer Zerfallsgeschwindigkeit gerettet wird und so erhalten bleibt. Ein solches „Einfrieren" eines bei hohen Temperaturen vorhandenen Gleichgewichtszustandes durch „Abschrecken" haben wir schon bei anderen Gelegenheiten kennengelernt (vgl. z. B. S. 15 u. 94/95). NO, ein farbloses Gas, das die Verbrennung nicht unterhält, bleibt jedoch bei Zimmertemperatur neben Luft nicht unverändert; es verbindet sich nämlich schnell mit Sauerstoff zu dem S t i c k s t o f f d i o x i d N0 2 , das eine braune Farbe besitzt. Diese Verbindung ist zwar gegenüber Stickstoff und Sauerstoff immer noch etwas endotherm, aber gegen Stickstoffoxid und SauerstoS exotherm. Das Gleichgewicht 2 NO + 0 2 ^ 2 NO, liegt bei tiefen Temperaturen zugunsten von NO t , bei hohen zugunsten des Zerfalles in NO und O a . Die Vereinigung von NO und O a verläuft — im Gegensatz zu vielen anderen Gasreaktionen — bei Zimmertemperatur sehr rasch. Darauf beruht die Bedeutung der Stickstoffoxide für das Bleikammerverfahren (vgl. S. 101). Die an sich schon verwickelten Verhältnisse sind dadurch noch unübersichtlicher, daß sich 2 Molekeln N 0 2 zu N 2 0 4 (D i sticks t o f f t e t r o x i d ) vereinigen können, ganz ebenso wie 2 Cl-Atome eine Clj-Molekel bilden. Diese N204-Molekel ist allerdings nicht sehr wärmebeständig; schon bei 100° liegt das Gleichgewicht 2 N02 N 2 0 4 weitgehend zugunsten von NO,. N 2 0 4 ist im Gegensatz zu NOa farblos. Es kondensiert bei 22° zu einer Flüssigkeit, die bei —10° zu farblosen Kristallen erstarrt1). Am besten übersieht man die etwas verwickelten Verhältnisse aus der nachstehenden Zusammenstellung, in der die Farbe einer NO,-Probe bei verschiedenen Temperaturen angegeben ist: Bei 20° hellbraun; vorwiegend N,04-MoIekeIn. „ 100° dunkelbraun; vorwiegend N02-Molekeln. „ 600° farblos; die NO,-Molekeln sind in NO und O, zerfallen. ') Der Schmelzpunkt und die Siedetemperatur von NO liegen dagegen sehr niedrig (—163 bzw. —151" C).
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Bei nocb höheren Temperaturen stellt sich dann erst das wahre Gleichgewicht zwischen den Elementen ein, Stickstoffoxid zerfällt in Stickstoff und Sauerstoff; bei sehr hohen Temperaturen entsteht dann wieder etwas NO im Gleichgewicht. Zwischen NO und N 0 2 kann sich noch die Verbindung N8Oa bilden, das D i s t i c k s t o f f t r i o x i d ; es ist dies das Anhydrid der salpetrigen Säure (HN0 2 ; vgl. S. 121). Im Gaszustande zerfällt es allerdings nahezu vollständig in NO -f NOa. Dagegen bildet es sich im festen nnd flüssigen Zustande aus NO und NOa als blaue Verbindung. Das D i s t i c k s t o f f p e n t o x i d N2Os, das Anhydrid der Salpetersäure, ist eine feste, unbeständige Verbindung, die bei 30° schmilzt; sie kann durch stark wasserabspaltende Mittel (z. B. P s O,; vgl. S. 121) aus wasserfreier HNO s erhalten werden.
Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g der S t i c k s t o f f o x i d e geschieht heute nahezu ausschließlich durch V e r b r e n n u n g von A m m o n i a k m i t L u f t . Man leitet dazu das Gasgemisch durch ein als Katalysator wirkendes Platinnetz hindurch. Bei 600—700° verläuft die Reaktion nach der Gleichung 4 N H 3 + 5 0 2 = 4 N 0 + 6 H 2 0 1 ) ; das NO verbindet sich dann bei tieferen Temperaturen mit dem überschüssigen Sauerstoff zu N0 2 . Die U m s e t z u n g von N0 2 mit wässerigen Lösungen erfolgt stets unter Disproportionierung (vgl. S. 84). Mit L a u g e n entspricht sie der Gleichung 2 ): 2 N0 2 + 2 NaOH = NaN0 2 + NaNO s + HjO. Es bilden sich also nebeneinander N i t r i t und N i t r a t . Mit W a s s e r verläuft folgende Umsetzung: 3 N0 2 + ILjO = 2 HN0 3 + NO3). Läßt man dabei gleichzeitig Luftsauerstoff einwirken, so bildet das NO mit diesem wieder N0 2 , und man kann so alles N0 2 in S a l p e t e r s ä u r e überführen 4 ). Auf diese Weise wird heute der größte Teil der 1 ) Steigt die Temperatur bei der Ammoniakverbrennung zu hoch, so bildet sich nicht das wertvolle NO, sondern das wertlose N a . •) Vgl. dazu auch die analoge Raktion von CIO* mit Laugen, S. 86. •) Man kann daher aus einem Gemisch von NO und NO a reines NO gewinnen, wenn man das Gas durch Wasser leitet. *) Allerdings ist es auf diesem Wege nur möglich, eine etwa 45%lge HNO,-Lösung herzustellen. Mit steigender Konzentration wird nämlich die
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Salpetersäure und der Nitrate gewonnen. Durch die Ammoniak-Synthese und die Ammoniak-Verbrennung ist Deutschland f ü r seinen Bedarf an Stickstoffdüngemitteln unabhängig vom Auslande geworden und braucht keinen Chilesalpeter mehr einzuführen. Aus N i t r a t e n , z.B. Chilesalpeter, kann man die Salpetersäure durch Umsetzung mit Schwefelsäure gewinnen: NaNOs + H 2 S0 4 = NaHS0 4 + HNO,. Man darf diese Reaktion nur bis zum sauren Sulfat durchführen, da die weitere Umsetzung: NaNOs + NaHS0 4 = HNO, + Na 2 S0 4 so hohe Temperaturen erfordert, daß die Salpetersäure weitgehend in Stickstoffoxide, Sauerstoff und Wasser zerfallen würde. Bei den R e a k t i o n e n d e r S a l p e t e r s ä u r e haben wir, ebenso wie es früher f ü r die Schwefelsäure beschrieben wurde, das Verhalten in verdünnter und in konzentrierter Lösung zu unterscheiden. Sehr v e r d ü n n t e Salpetersäure reagiert infolge der Anwesenheit von H + - I o n e n gleich allen anderen starken Säuren 1 ). K o n z e n t r i e r t e Salpetersäure dagegen ist ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l , das z. B. mit Kupfer nach folgender Gleichung reagiert: Cu + 4 H N O g = CU(N0 3 )J + 2 N 0 4 + 2 H 2 0 . E s wird also die HN0 8 -Molekcl (mit 5 + - w e r t i g e m StickstoS) zu N O , (mit 4 + - w e r t i g e m Stickstoff) reduziert 2 ). Diese oxydierende Wirkung der Salpetersäure gestattet, auch solche Metalle in Lösung zu bringen, die von Salzsäure nicht angegriffen werden, so außer Kupfer oxydierende Wirkung der IINO„ immer größer, daher wird NO von konzentrierter HNO s zu NO a oxydiert, die Reaktion verläuft von rechts nach links. Durch Destillation kann man das Wasser nur teilweise entfernen, d a nach Abb. 6 S. 33 — ähnlich wie bei HCl — H N O , und H , 0 ein azeotropes Gemisch ( - 7 0 % H N 0 3 ) bilden. Bindet man aber das Wasser durch konzentrierte H,SO+ + NO + 2 H , 0 bildet sich NO. Dieses lagert sich an überschüssiges F e , + an, wobei sich ein schwarzbrauner Komplex bildet. Dies kann zum Nachweis von HNO,bzw. Nitraten dienen; H N O , bzw. Nitrite geben aber diese Reaktion ebenfalls.
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auch Silber und Quecksilber. Gold dagegen wird nicht gelöst, so daß man es vom Silber mittels Salpetersäure („Scheidewasser") trennen kann. Mischt man aber Salpeter- und Salzsäure, so löst das entstehende „Königswasser" auch die edelsten Metalle, wie Gold und Platin; es vereinigen sich dann die oxydierende Wirkung der Salpetersäure mit der komplexbildenden der Cl~-Ionen (vgl. dazu auch S. 200 u. 213). Wegen der stark oxydierenden Wirkung der Salpetersäure ist es sehr gefährlich, sie mit brennbaren Stoffen, z. B. Holzwolle, zusammenzubringen. Bs tritt dann nach wenigenSekunden plötzliche Entzündung ein, wobei sich starke Stichflammen ausbilden können. Merkwürdig ist, daß manche gar nicht besonders edlen Metalle, wie z. B. Eisen und sogar Aluminium, die von verdünnter Salpetersäure ohne weiteres gelöst werden, von konzentrierter nicht angegriffen werden, ja daß sie nach Behandlung mit der konzentrierten Säure sogar manchen anderen Reagentien gegenüber ihre Reaktionsfähigkeit verloren haben, „ p a s s i v " geworden sind. Diese Passivität beruht auf der Bildung einer dünnen Oxidschicht.
Erhitzt man N i t r a t e zwei- und höherwertiger Metalle, so tritt Zersetzung unter Bildung von NOa ein; z. B. 2 Pb(NO s ) 2 = 2 PbO + 4 NOa + 0 2 . Bei den Nitraten von Kalium und Natrium dagegen entspricht die Zersetzung der Gleichung: 2 KN0 3 = 2 KN0 2 + 0 2 . Es bilden sich also Nit r i t e , Salze der s a l p e t r i g e n S ä u r e . Diese Säure selbst ist in freiem Zustande nicht beständig; sie zerfällt gemäß 3 HN0 2 = HN0 3 + 2 NO + H 2 0. Die Nitrite sind für die Farbstoffindustrie von Bedeutung. Beim Erhitzen von A m moniumnitrit (bzw. eines Gemisches aus K N 0 2 und (NH 4 ) 2 S0 4 ) entsteht Stickstoff: NH 4 N0 2 = 2 H 2 0 + N 2 (vgl. S. 38). Auch vom Phosphor sind mehrere Oxide bekannt. Praktische Bedeutung hat aber nur das Diphosphorpentoxid P 2 O s . Es verbindet sich außerordentlich begierig mit Wasser und stellt das schärfste Trocknungsmittel für Gase dar. Für
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die Keaktion von P 2 0 6 mit H 2 0 lassen sich folgende Gleichungen aufstellen: P 2 0 5 + H 2 0 = 2 HPO s ; P 2 0 5 + 2 H 2 0 = H 4 P 2 0 7 ; P 2 O s + 3 H 2 0 = 2 H 3 P 0 4 . V o n den P h o s p h o r -
säuren 1 ), die man so formuliert, ist H 3 P0 4 , die O r t h o phosphorsäure, die wichtigste. Sie ist in wäßriger Lösung die stabile Hydratationsstufe. Von ihr leiten sich auch die Salze ab, die man in der unbelebten und in der belebten Natur findet. Von diesen ist das wichtigste der in Wasser sehr schwer lösliche H y d r o x y l - A p a t i t 3 Cag(P04)2 • Ca(OH)2 bzw. Ca 5 (P0 4 ) 3 0H, also ein basiches Salz; die OH-Gruppe kann z. T. durch F ersetzt sein. Er hat auch für die anorganische Knochensubstanz eine große Bedeutung. Das „tertiäre" Phosphat Ca 3 (P0 4 ) 2 kann man nur auf trockenem Wege darstellen. In schwach saurer Lösung ist das ebenfalls ziemlich schwer lösliche „sekundäre" Phosphat CaHP0 4 • 2 HaO (isomorph mit Gips CaS0 4 • 2 H 2 0!) der Bodenkörper. Das noch stärker saure „primäre" Phosphat Ca(H 2 P0 4 ) 2 ist gut löslich. Verwickelt ist der Aufbau der . Das Massenwirkungsgesetz führt somit die Beschreibung eines Gleichgewichtes auf eine einzige Konstante zurück. Diese Konstante ändert sich natürlich von Reaktion zu Reaktion; es handelt sich also nicht um eine generelle Konstante wie bei der Gaskonstanten R. Auch für ein und dieselbe Reaktion ändert sich die Konstante mit der Temperatur, wie wir ja im vorigen Abschnitt schon sahen. Wenden wir die Gleichung des Massenwirkungsgesetzes auf das Gleichgewicht 2 S0 2 + 0 2 2 S0 3 an, so erhalten wir
CS02 -c 0 a
= K0 b z w . P ? ^ - = PSOü'POi
K l e m m , Anorganische Chemie
Kp 9
130 XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen Im Gleichgewicht wird somit das technisch wichtige Verhältnis
proportional
; es nimmt also, wie Abb. 17
(S. 98) bereits zeigte, mit dem Sauerstoffpartialdruck zu. Als zweites Beispiel betrachten wir das Ammoniak-Gleichgewicht: N2 + 3 H a i=± 2 NH3. Das Massen Wirkungsgesetz liefert die Gleichung p2 ^— = K p . Ist der NH3-Gehalt im Gleichgewicht sehr gering, PN, * PH, so wird der Gesamtdruck P praktisch nur vom N2- und H2-Gehalt Pnh bestimmt; ü n 2 ~ 1/4 P; p h 2 ~ 3/4 P. Wir erhalten ^ 8 n? „„ 1 / 4 P 6H 4P Pkh 27 ' p 4 1 = -ggg- • K p = K. Für das Verhältnis des Ammoniak-Teildrucks zum Gesamtdruck P, d. h. die Ausbeute an NH3, ergibt sich also = | / k - P , d. h. der NHS-Gehalt ist dem Gesamtdruck proportional. Tab. 6, S. 113 zeigt, daß dies — wie das nach den Annahmen bei unserer überschläglichen Berechnung nicht anders zu erwarten ist — nur bei kleinen NHS-Gehalten (bei 600°) gut stimmt, während sich bei höheren Gehalten (400°) erwartungsgemäß Abweichungen ergeben. Anwendung an! Lösungen. Wir erwähnten bereits, daß das Massenwirkungsgesetz auch für v e r d ü n n t e Lösungen gilt. Eine Lösung der Konzentration 1, die 1 Mol/Liter enthält, bezeichnet man als „molar" 1 ). Wir wollen zunächst das Gesetz ableiten, nach dem der Dissoziationsgrad ) Dieses Absinken des schwereren Gases tritt aber nur solange ein, als sich die Gase noch nicht vermischt haben. Liegt erst einmal völlige Vermischung vor, dann findet keine Trennung durch Absinken des schwereren Gases mehr statt.
XXIII. Kohlenstoff
143
einer starken Säure; es tritt dann sofort weitgehender Zerfall in HaO und CO, ein.
Die n e u t r a l e n Carbonate sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. Na 2 C0 3 , KjjCOg) in Wasser schwer löslich. CaC0 3 findet sich in der Natur nicht nur in gut ausgebildeten großen Kristallen (Kalkspat), sondern auch feinkristallin (Marmor) und weniger rein in mächtigen Gebirgsstöcken als Kalkstein bzw. Kreide. Häufig ist das Doppelsalz CaMg(C03)2 (Dolomit). Im Gegensatz dazu sind die s a u r e n Carbonate, z. B. Ca(HC03)2, die Hydrogencarbonate, früher Bicarbonate genannt, alle ziemlich leicht löslich. Nun ist in den meisten natürlichen Quellwässern Kohlendioxid gelöst (Sauerbrunnen!). Dies ist von sehr großer Bedeutung. C0 2 -haltiges Wasser löst nämlich nach der Gleichung C a C 0 3 + H 2 0 + C 0 2 = Ca(HC03)2 die in der Natur vorkommenden unlöslichen neutralen Carbonate als Hydrogencarbonate auf. Die meisten natürlichen Wässer enthalten daher Hydrogencarbonat. Kocht man nun ein solches hydrogenc&rbonathaltiges Wasser, so gibt es C0 2 ab, und das saure Carbonat geht wieder in das neutrale, unlösliche über: Ca(HC03)2 = CaC08 + 1 ^ 0 + COg. So entsteht der Kesselstein. Die Abgabe des C0 2 aus dem Wasser kann auch langsam erfolgen, etwa dadurch, daß vorbeistreichende Luft dauernd etwas COa wegführt. Auch dann erfolgt Ausscheidung von CaC03. Dieser Vorgang führt z. B. in Höhlen zur Entstehung von Tropfstein. Hartes und weiches Wasser. Wasser, das viel Calciumund Magnesiumsalze enthält, bezeichnet man als hart. Die genannten Elemente können, wie soeben beschrieben, als Hydrogencarbonate vorliegen; da diese beim Kochen in neutrale unlösliche Carbonate übergehen, so verschwindet dabei dieser Teil der Härte; man spricht daher von „vorübergehender (oder Carbonat-) Märte". Es können aber auch solche Ca- und Mg-Salze gelöst sein, die beim Kochen nicht ausfallen, wie z. B. Sulfate, Chloride; den Gehalt an diesen bezeichnet man als „ b l e i b e n d e H ä r t e " . Hartes Wasser ist für technische Zwecke schädlich (Kesselsteinbildung, Verhinderung des Schäumens der Seife; vgl. S. 183). Man
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XXIII. Kohlenstoff
muß daher vielfach das Wasser e n t h ä r t e n . Die vorübergehende Härte kann man — man könnte sagen paradoxerweise — durch Zugabe der genau berechneten Menge von Kalkmilch Ca(OH)2 beseitigen. Es fällt dann unlösliches, neutrales Carbonat aus: Ca(HC03)2 + Ca(OH)2 = 2 CaC03 + 2 H 2 0. Zur Beseitigung der bleibenden Härte dient Soda: CaCl2 + Na2C03 = CaC08 + 2NaCl. Ein anderes Verfahren geht vom P e r m u t i t aus, einem wasserhaltigen Natrium-Aluminiumsilicat, bei dem die Na+-Ionen sehr leicht beweglich sind1). Leitet man hartes Wasser durch eine Permutitschicht, so nimmt diese Ca2+-Ionen auf, während die ensprechende Anzahl von Na+-Ionen in Lösung geht. Durch Behandeln mit starker NaCl-Lösung kann man verbrauchten Permutit wieder regenerieren. Die weitgehendste Entfernung der Calciumsalze erreicht man durch Alkalimetallphosphate; es bildet sich dann Calciumphosphat. K o h l e n m o n o x i d CO, auch kurz als „ K o h l e n o x i d " bezeichnet, entsteht, wenn eine Verbrennung mit ungenügendem Sauerstoff erfolgt. Im Laboratorium stellt man es durch Wasserabspaltung aus Ameisensäure HCOOH oder Oxalsäure HOOC—COOH mittels konz. H 2 S0 4 dar; das im zweiten Falle gleichzeitig entstehende C0 2 kann man mit Laugen leicht herauswaschen. CO ist ein überaus giftiges Gas und besonders gefährlich, weil es geruchlos ist. Man wird also nicht, wie z. B. bei der Blausäure, schon durch den Geruch auf die Gefahr aufmerksam2). Auf den Gehalt an Kohlenmonoxid ist die Giftigkeit des Leuchtgases zurückzuführen. Ferner kann bei falscher Bedienung mit Kohle geheizter Öfen Kohlenmonoxid in die Zimmer gelangen und so zu Vergiftungen führen. Da Kohlenmonoxid noch weiteren Sauerstoff aufnehmen kann, ist es brennbar und stellt einen wichtigen technischen 1 ) Mail stellt permut]tähnliche „Austauseher" auch auf organischer Basis her; diese haben nicht nur für die Wasserenthärtung, sondern auch auf verschiedenen anderen Gebieten (z. B. für anspruchsvolle Trennungen) eine sehr große Bedeutung erlangt. s ) Von Gasmaskenfiltern wird Kohlenoxid nur dann zurückgehalten, wenn sie besondere Einsätze mit Katalysatoren enthalten, die eine sehr rasche Verbrennung von CO zu COa bewirken.
X X I I I . Kohlenstoff
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Brennstoff dar (vgl. S. 147). Die Kohlenoxid-Flamme ist schwach blau; man kann dies deutlich über jeder Feuerung wahrnehmen. Außerdem ist CO ein wichtiges technisches Reduktionsmittel (vgl. z. B. Kap. X X X I I ) .
Brennstoffe and Verbrennungsvorgänge. Der Übergang von Kohlenstoff in CO und COa ist von außerordentlicher praktischer Bedeutung; denn dies ist die wesentlichste Reaktion bei der Verbrennung der Kohle, der wichtigsten Energiequelle der Technik. Es ist daher hier der Platz, uns etwas mit Brennstoffen und Verbrennungsvorgängen zu befassen. Zunächst wollen wir die Frage kurz erörtern, warum gerade der Kohlenstoff für die Verbrennungsvorgänge eine so überragende Bedeutung hat. An und für sich könnte man ja jede exotherme chemische Reaktion zur Wärmeerzeugung ausnutzen. Wenn man nun gerade die Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff wählt, so hat dies verschiedene Gründe. Der wichtigste ist der, daß beide Reaktionsteilnehmer in einer für die Reaktion geeigneten Form und in genügender Menge in der Natur vorkommen: der Sauerstoff als Bestandteil der Luft, der Kohlenstoff als Hauptbestandteil der Kohlen, des Erdöls usw. Ändere Elemente, die an sich ebenfalls eine große Verbrennungswärme zeigen (vgl. Tab. 8), kommen in der Natur nur als oxidische, also nicht brennbare Verbindungen vor. Außerdem ist die Verbrennungswärme pro Gewichtseinheit beim Kohlenstoff besonders hoch, wie Tab. 8 zeigt: Tabelle 8. Zn 1300 Mg 6000
V e r b r e n n u n g s w ä r m e n in kcal/kg Fe 1600 AI 7000
Na 2200 Si 7200
C zu CO 2200 C zu COa 7800
Wichtig ist schließlich noch, daß bei der Verbrennung von Kohlenstoff g a s f ö r m i g e Produkte entstehen, die eine bequeme Übertragung der Verbrennungswärme auf die zu erhitzenden Körper ermöglichen. Die wichtigsten f e s t e n B r e n n s t o f f e sind Holz, Braun- und Steinkohle. Über ihre Zusammensetzung unterrichtet Tab. 9. Nicht berücksichtigt ist der geringe, stark wechselnde Schwefelgehalt, der z. T. auf die Anwesenheit von Pyrit (S.99) zurückzuführen ist. K l e m m , Anorganische Chemie
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146
X X I I I . Kohlenstoff Tabelle 9.
Z u s a m m e n s e t z u n g von B r e n n s t o f f e n Holz
C H 0 N Heizwert 1 ) pro kg
Braunkohlen
Steinkohlen
60% 60-70% 76—90% 6% 6-6 % 4,5—6,5% 44% 20-30 % 6—16% 0,3% 0,6-1,5% 1-1,5% ~ 4 5 0 0 kcal 6000-7000 kcal 7500—8500 kcal
Für die Besprechung der Verbrennungsvorgänge wollen wir so vorgehen, als ob nur Kohlenstoff vorläge. Bei der Verbindung dieses Elements mit Sauerstoff kann, wie wir sahen, CO oder C0 2 entstehen. Tab. 8 zeigt, daß die Verbrennung zu CO noch nicht einmal ein Drittel soviel Wärme liefert wie die Bildung von C0 2 (Bildungsenthalpie von CO—26,4, von C0 2 —94,0 kcal). Infolgedessen wird man in der Praxis die CO-Bildung nach Möglichkeit vermeiden. Das kann man aber nur dadurch erreichen, daß man einen Sauerstoff-, d. h. Luft-Überschuß verwendet. Es geht zwar dadurch eine gewisse Wärmemenge verloren, die der überschüssige Sauerstoff und vor allem der wegen der Zusammensetzung der Luft zwangsläufig beigemengte Stickstoff wegführt; denn die Rauchgase müssen 200 bis 300° heiß in den Schornstein eintreten, da er sonst nicht zieht. Dieser Wärmeverlust ist aber bei weitem nicht so schlimm, als wenn sich durch unvollständige Verbrennung nur CO bilden würde. Mit den f l ü s s i g e n Brennstoffen, zu denen Petroleum, Benzin Dieselöl und andere Erdölprodukte gehören, können wir uns nicht näher beschäftigen. Dagegen müssen wir kurz auf die g a s f ö r m i g e n Brennstoffe eingehen. Diese haben mit den flüssigen den Vorteil gemeinsam, daß man den Verbrennungsvorgang nach Belieben unterbrechen und sehr schnell wieder in Gang bringen kann (Gaskocher!). Wichtig ist ferner, daß man fast ohne Luftüberschuß auskommt und daß sich die Gase vor der Verbrennung beliebig hoch vorwärmen lassen, so daß man besonders hohe Temperaturen erzie*) Diesen Heizwert ermittelt man durch Verbrennung mit komprimiertem Sauerstoff in einer Bombe. Dabei geht der vorhandene Wasserstoff in f l ü s s i g e s Wasser Aber. In einer Feuerung bildet sich jedoch g a s f ö r m i g e s Wasser; es wird also um die Verdampfungswärme des Wassers weniger Wärme frei. Deshalb muß man den In der Bombe gefundenen o b e r e n Heizwert in den fflr die Praxis maßgeblichen u n t e r e n Heizwert umrechnen; vgl. dazu auch S. 66.
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XXIII. Kohlenstoff
len kann. Manche technische Verfahren, z.B. das S i e m e n s - M a r tin-Verfahren bei der Stahlerzeugung (vgl. Kap. XXXII), sind überhaupt erst durch die Gasfeuerung möglich geworden. Über Herstellung und Eigenschaften g a s f ö r m i g e r Brennstoffe sei folgendes angeführt: Leitet man die Verbrennung von Kohle so, daß nur CO entsteht, so gewinnt man das G e n e r a t o r gas. Man erreicht dies dadurch, daß man Luft durch eine hohe Schicht glühender Kohle streichen läßt. Es erfolgt dann zwar in den tiefer gelegenen Bezirken Verbrennung zu C02, aber in den höheren Schichten wird dieses wieder zu CO reduziert. Denn der Vorgang [C] + ( C 0 2 ) ^ 2 (CO);ZlH = + 41,2kcal(BoudouardGleichgewicht) ist endotherm. Dementsprechend liegt, wie Abb. 20
Abb. 20. Boudouard-Gleichgewicht
zeigt, bei hohen Temperaturen das Gleichgewicht zugunsten von CO. Andererseits sollte bei tiefen Temperaturen CO in C0 2 und Kohlenstoff zerfallen. Die Geschwindigkeit dieser Reaktion ist aber bei Zimmertemperatur unmeßbar klein. Bei mittleren Temperaturen dagegen t n t t die Reaktion ein, wenn geeignete Katalysatoren, z. B. fein verteiltes Eisen, vorhanden sind (vgl. S. 236). Da bei der Herstellung von Generatorgas nach der Gleichung 2[C] + (0 2 ) = 2 (CO) aus einem Volumen 0 2 2 Volumina CO entstehen und da ferner das Volumverhältnis von 0 2 zu N2 in der Luft ziemlich genau 1 : 4 ist, so beträgt das Volumverhältnis von CO zu N2 im idealen Generatorgas etwa 2 : 4 ; dieses sollte also rund 33% CO und 67°/0 Nä enthalten. In der Praxis erreicht man allerdings meist nur CO-Gehalte von 25°/0. Die Verbrennungswärme von Generatorgas beträgt 800 bis 1000 kcal pro cbm. 10*
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XXIII. Kohlenstoff
Läßt man auf glühende Kohle Wasserdampf einwirken, so erhält man nach der Gleichung: (HsO) + [C|^(C0)4- (H2); J H = + 31 kcal Wassergas, das im Idealfalle 50% CO und 50%H 2 enthält 1 ).Der in der Praxis erzielte Heizwert beträgt etwa 2600 kcal pro cbm. Das Gas ist danach wesentlich wertvoller als Generatorgas2). Da die Bildung des Wassergases endotherm ist, kühlt sich die Beschickung bei seiner Herstellung ab. Man muß daher immer wieder, nachdem man kurze Zeit Wassergas erzeugt hat, Generatorgas herstellen, um dadurch die Kohlenmasse erneut auf hohe Temperaturen zu bringen. Den größten Heizwert (4500 bis 6000 kcal pro cbm)3) besitzt das L e u c h t g a s , das in Gasanstalten und Kokereien durch Erhitzen von Kohle unter Luftabschluß hergestellt wird; dabei zerfallen die komplizierten organischen Verbindungen, aus denen die Kohle besteht. Das entwickelte Gas hat nach der Reinigung (Entfernung von NH3, HON und H2S) etwa folgende Zusammensetzung: Wasserstoff Methan Kohlenoxid
48—50% Ungesättigte Kohlen30—35% Wasserstoffe (vgl. S. 1 5 0 ) . . 3—4% 8—10% Kohlendioxid 1—2% Stickstoff 4—5% Bei dieser Zersetzung bleibt Koks zurück, der nahezu reinen Kohlenstoff darstellt. Außerdem gewinnt man als Nebenprodukte Pech, Teer, Ammoniak, Benzol, Schwefel- und Cyanverbindungen u. a. Wasserstoffverbindungen. Die einfachste WasserstoSverbindung des Kohlenstoffs, das M e t h a n CH4, haben wir als Bestandteil des Leuchtgases soeben kennengelernt. Es ') Die weitergehende Reaktion H , 0 + CO ^ H, + CO,: /)H = —10kcal (S. 114) muB ala schwach exotherme Reaktion bei tiefen Temperaturen, d. h. bei Gegenwart eines Katalysators, durchgeführt werden; vgl. dazu S. 98 und S. 126. ') Die bei einer Verbrennung erzielbare T e m p e r a t u r ist nicht nur durch die Verbrennungswärme All bestimmt. Bei der Verbrennung von CO mit O, z. B. entsteht gemäß CO + '/»O, — CO, aus 1 Molekel CO nur 1 Molekel C03, die durch die Verbrennungswärme von CO erwärmt werden muß. Bei der Verbrennung von Methan gemäß CH, + 2 0 , = CO, + 2 H , 0 bilden sich dagegen aus 1 Molekel CH« 3 neue Gasmolekeln. Obwohl die JH-"Werte für CO (—67,6 kcal) und CH,(—192,7 kcal) sehr verschieden sind, sind die Flammentemperaturen ähnlich. Beim Verbrennen mit Luft ist sogar die Temperatur der CO-Flammen deutlich höher, da hier auf 1 CO-Molekel nur ~ 3 Molekeln in den Verbrennungsgasen kommen, beim CH« dagegen H oc 'S l®i O» rH o B" fHN cf ©1 lA N 1-i co o su a + g + +M +ocd SÄ co co H EH ® CO o O N CO j 1 sJ. C rH N ^X + + „t a pco 5 S co 1
co O N CO »A ^ + +» fl-109— 0I 1 H N N C H cT CO CO O fiH +
+M C4 CO «3 -ö ü ü-Ö CO co tA oN OOS