Anorganische Chemie 9783111361666, 9783111004389


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German Pages 255 [280] Year 1962

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Inhalt
Lehrbücher der Anorganischen Chemie
I. Einleitung
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Zerlegung durch elektrische Energie (Elektrolyse)
III. Gasgesetze
IV. Quantitatives über die Zusammensetzung des Wassers
V. Wasserstoff und Sauerstoff
VI. Ozon und Wasserstoffperoxid
VII. Die Zusammensetzung der Luit
YIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen
IX. Atom- and Molekulargewicht
X. Stöchiometrische Wertigkeit
XI. Thermochemie
XII. Chlor und Chlorwasserstoff
XIII. Säuren, Basen, Salze
XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation
XY. Die Ionen-Bindung
XYI. Sauerstoffverbindungen des Chlors
XVII. Brom, Jod und Fluor; Übersicht über die Halogene
XVIII. Schwefel
XIX. Selen u. Tellur; Übersicht über die Chalkogene
XX. Das Perioden-System der Elemente
XXI. Stickstoffgruppe
XXII. Abhängigkeit der Gleichgewichte von äußeren Bedingungen
XXIII. Kohlenstoff
XXIY. Silicium und Bor
XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten
XXVI. Alkalimetalle
XXVII. Erdalkali- und Erdmetalle
XXVIII. Elemente der Gruppen Ib bis IYb
XXIX. Elektrochemie
XXX. Die Übergangselemente
XXXI. Tensions- und thermische Analyse
XXXII. Technisches Eisen
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Anorganische Chemie
 9783111361666, 9783111004389

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SAMMLUNG GÖSCHEN BAND

ANORGANISCHE

37/37a

CHEMIE

•Oll

DR.

D R . H.c. W I L H E L M K L E M M o. Professor an der Universität Münster

Zwölfte, neubearbeitete u n d erweiterte Auflage

Mit 34 Abbildungen

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • K a r l J . T r ü b n e r • Veit & Comp. B E R L I N

1962

© Copyright 1961 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner - Veit & Co., Berlin W 30, Genthiner Str. 13. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — Archiv-Nr. 110037. —Satz u. Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 30 — Printed in Germany.

Inhalt

Seite Einleitung 6 Qualitatives über die Zusammensetzung des WaBsers 11 Gasgesetze 18 Quantitatives Ober die Zusammensetzung des Wassers 20 Wasserstoff und Sauerstoff 27 Ozon und Wasserstoffperoxid 35 Die Zusammensetzung der Luft 36 Aggregatzustande; die Verflüssigung von Gasen 40 Atom- und Molekulargewicht. Anhang: Das absolute Gewicht der Atome 44 X. Stöchiometrische Wertigkeit 52 XI. Thermochemie 55 XII. Chlor und Chlorwasserstoff 58 XIII. Säuren, Basen, Salze. Vorbemerkung: Zusammenstellung der Elementsymbole 61 XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation 66 XV. Die Ionen-Bindung 74 XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors 81 XVII. Brom, Jod und Fluor; Übersicht über die Halogene 86 XVIII. Schwefel 93 104 XIX. Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene XX. Das Perioden-System der Elemente 106 XXI. Stickstoffgruppe 109 XXII. Abhängigkeit der Gleichgewichte von äußeren Bedingungen . . 125 XXIII. Kohlenstoff 139 XXIV. Sillcium und Bor. Anhang: Kolloide Lösungen 153 XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten 158 XXVI. Alkalimetalle 177 XXVII. Erdalkali- und Erdmetalle 186 XXVIII. Elemente der Gruppen Ib bis IVb 198 XXIX. Elektrochemie 206 XXX. Die Übergangselemente 214 XXXI. Tensions- und thermische Analyse 227 XXXII. Technisches Eisen 236 Antoren-Bogister 244 Sachregister 245 I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

Lehrbücher der Anorganischen Chemie Ale Lehrbücher seien genannt: A. F. Holleman-E. Wiberg, Lehrbuch rl. Anorg. Chemie. 47.—56. Aufl. Berlin 1960. H . Remy, Lehrbuch der Anorg. Chemie. 11. Aufl. Leipzig 1960 (2 Bände). U. H o f m a n n u. W. M d o r f f , Anorg. Chemie. 16. Aufl. Braunschweig 1956. Werke geringeren Umfangs: H. Remy, Grundriß der anorganischen Chemie. 9. Aufl. Leipzig 1960. W. Hückel, Anorganische Chemie. 7. Aufl. Leipzig 1957. A. Smith-J. B'Ans, Einf. in die allgem. und anorg. Chemie. 12. Aufl. Karlsruhe 1949. I. Heinsen-11. Reihlen-G. Kienäcker Einleitung 1. d. Studium d. Chemie. Dresden u. Leipzig 20. Aufl. 1960. G. Jander u. H . Spandau, Kurzes Lehrbuch der anorganischen und allgemeinen Chemie. 6. Aufl. Berlin 1960. G. Schwarzenbach, Allgemeine und Anorganische Chemie. 5. Aufl. Stuttgart 1961. lt. Klement, Allgemeine und Anorganische Chemie in einer Übersicht. Stuttgart 1949. A. Klemenc, Anorganische Chemie auf physikalisch-chemischer Grundlage. Wien 1951. E. Thilo, Vorlesungen über allgemeine und anorganische Experimentalchemle Berlin 1955 E . Thilo, Anorganische Chemie in Frage und Antwort. 10. Aufl. Leipzig 1960. L. Pauling, Chemie, eine Einführung. Übersetzt und bearbeitet von F. Helfferlch. 2. Aufl. Weinheim 195S. J . Meyer, Einführung in die Chemie f ü r Studierende technischer Berufe. 4. Aufl. Stuttgart 1948.

I. Einleitung Die chemische Wissenschaft beschäftigt sich mit dem s t o f f l i c h e n Aufbau der Umwelt. Es gilt, die hier auftretende Mannigfaltigkeit zu ordnen, die Vielheit der Erscheinungen auf einfache Begriffe zurückzuführen und so dem Verständnis näher zu bringen. Ferner gestattet die Beherrschung der hier geltenden Naturgesetze, Stoffe, die für den Menschen nützlich sind, aus anderen herzustellen. Zur Lösung der Aufgaben der Chemie müssen vielfach auch physikalische Methoden herangezogen werden; die gegenseitige Durchdringung von Chemie und Physik ist im Laufe der Zeit eine so innige geworden, daß sich eine scharfe Abgrenzung zwischen beiden kaum noch geben läßt. Zur Lösung ihrer Aufgaben besitzt die Chemie zwei HauptUntersuchungsmethoden: Einmal die Zerlegung der oft sehr verwickelt aufgebauten Stoße in einfachere, die A n a l y s e ; zum anderen den Wiederaufbau dieser Stoffe aus den so gewonnenen einfacheren Bruchstücken, die S y n t h e s e . Es ist keineswegs gesagt, daß man bei derartigen Analysen und insbesondere bei chemischen Synthesen nur zu solchen Substanzen kommen kann, die in der Natur bereits vorhanden sind; es lassen sich vielmehr auch außerordentlich viele neue Stoffe herstellen, die in der Natur noch nicht aufgefunden wurden und zum Teil für den Menschen von größtem Nutzen sind (Metalle wie Aluminium, Magnesium und Zink, fast alle Legierungen, Düngemittel, keramische Stoffe, Farbstoffe, Heilmittel, Sprengstoffe, Kunststoffe usw.). Die „ c h e m i s c h e I n d u s t r i e " ist in Deutschland, dank der gründlichen wissenschaftlichen Ausbildung der deutschen Chemiker, hoch entwickelt.

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I. Einleitung

Bei einer ganz oberflächlichen Sichtung der auf der Erde vorhandenen Stoße lassen sich sofort zwei Gruppen unterscheiden : Bestandteile der belebten Natur (Tiere und Pflanzen) auf der einen, der unbelebten, des Mineralreiches, auf der anderen Seite. Dementsprechendteiltmaneininorganische und anorganische Chemie. Diese zunächst nicht sehr tief begründet erscheinende Einteilung hat sich durchaus bewährt; den inneren Grund hierfür werden wir später (vgl. Kap. XXIII) besprechen. Chemische Literatur. Es sei schon an dieser Stelle einiges über die chemische Literatur mitgeteilt. Der einzelne Forscher berichtet über die Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer wissenschaftlichen Z e i t s c h r i f t , von denen — als für die anorganische Chemie besonders wichtig —• genannt seien: Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie, Chemische Berichte, Journal of the American chemical Society, Journal of the Chemical Society (London), Journal für anorganische Chemie (russisch). Zusammenfassende Berichte über bestimmte Gebiete sowie besonders rasch veröffentlichte Kurzmitteilungen findet man in der „Angewandten Chemie", den „Naturwissenschaften" und der „Nature". Insgesamt gibt es einige tausend Zeitschriften in der Welt von ganz oder teilweise chemischem Inhalt. Daher hat man „ R e f e r a t e n o r g a n e " geschaffen, die wöchentlich in systematischer Anordnung Kurzberichte über Zeitschriftenaufsätze geben; genannt seien das „Chemische Zentralblatt" und „Chemical Abstracts". Das Wichtigste sind bei diesen die Jahresbzw. Fünfjahresregister. Systematisch geordnet findet man alle bisher erhaltenen Ergebnisse in „ G m e l i n s H a n d b u c h d e r a n o r g a n i s c h e n C h e m i e " (bzw. für die organische Chemie: B e i l s t e i n s H a n d b u c h d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e ) . Schließlich gibt es kürzer gefaßte Handbücher und zahlreiche Lehrbücher; die wichtigsten von diesen in deutscher Sprache sind auf S.4 zusammengestellt.

Homogene und heterogene Systeme. Bei einer weiteren Betrachtung der Stoffe, die uns begegnen, fällt sofort auf, daß viele Stoffe durch ihre ganze Masse aus einheitlichem Material aufgebaut sind. Man kann bei ihnen weder mit dem Auge noch mit dem Mikroskop äußere Verschieden-

I. Einleitung

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heiten erkennen. Solche Stoffe nennt man gleichteilig oder homogen. Beispiele hierfür sind Wasser, Glas, Messing usw. Im Gegensatz zu den homogenen Körpern stehen die inhomogenen oder h e t e r o g e n e n , die ungleichmäßig aufgebaut sind und auf mechanischem Wege getrennt werden können. So ist mit Sand versetztes Wasser ein heterogenes System; wir können hier die Bestandteile durch Abgießen der Flüssigkeit leicht trennen. Andere Beispiele für heterogene Stoffe sind Granit oder mit Eisstückchen versetztes Wasser. Das letzte Beispiel zeigt, daß der Begriff heterogen nicht notwendig besagt, daß s t o f f l i c h Verschiedenes vorliegen muß; denn die Bestandteile (die „Phasen") sind ja hier flüssiges und festes Wasser. Ebenso falsch wäre es aber auch anzunehmen, daß ein homogener Körper stofflich immer nur aus einem Bestandteil bestände. Z. B. ist ZuckerwasBer homogen, obwohl es aus mehreren Stoffen (Zucker und Wasser) hergestellt ist. Trennung von heterogenen Gemischen. Liegt ein heterogenes System vor, so ist ein erster Schritt zur Zerlegung meist leicht. So kann man Systeme aus einer Flüssigkeit und einem festen Stoff angenähert durch Abgießen (Dekantieren), vollständiger durch F i l t r i e r e n trennen. Schwieriger ist die Trennung von Gemischen f e s t e r S t o f f e , z. B. das „Aufbereiten" von Erzen. Eine Trennung durch Auslesen ist meist praktisch nicht durchführbar; infolgedessen verwendet man in der Regel andere Methoden. Z.B.kannmanUnterschiede des s p e z i f i s c h e n Gew i c h t e s ausnutzen (Schlämmen, Trennung von Spreu und Weizen durch den Wind, Zentrifugieren usw.). Ferner kann man die verschiedene B e n e t z b a r k e i t heranziehen. Als ein technisch in der Neuzeit wichtig gewordenes Verfahren sei hier das S c h a u m s c h w i m m Verfahren („Schwimm-Aufbereitung", „Flotation") genannt, bei dem sich die schlecht benetzbaren Bestandteile eines zerkleinerten Erzgemisches im künstlich erzeugten Schaum ansammeln, während die gut benetzbaren am Boden zurückbleiben. Durch Zugabe sehr kleiner Mengen geeigneter Stoffe, die an der Oberfläche festen

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I. Einleitung

Teilchen selektiv angelagert („adsorbiert") werden, kann man die Unterschiede in der Benetzbarkeit noch verstärken bzw. überhaupt erst hervorrufen, so daß auch so ähnliche Stoffe wie Natriumchlorid und Kaliumchlorid (vgl. S. 178) bei der Aufbereitung durch Flotation getrennt werden können. Besonders wichtig sind Unterschiede der L ö s l i c h k e i t . Will man z. B. mit Gestein verunreinigtes Salz von diesem trennen, so kann man es mit Wasser herauslösen. Diese Methode wird in sehr großem Umfange angewendet.

Trennung homogener Gemische; der Begriff des reinen Stoffes. Mit solchen grob-mechanischen Trennungen ist meist noch nicht viel gewonnen. Der nächste Schritt ist der, zu einem „reinen S t o f f " zu gelangen. Was man darunter versteht, sei am Beispiel des Wassers beschrieben. Daß dies je nach seiner Herkunft verschieden ist, ist allgemein bekannt. So unterscheidet man ja Regen-, Leitungs-, Meerwasser, ferner hartes und weiches Wasser usw. Die Unterschiede sind darin begründet, daß die verschiedenen Wasserarten verschiedene Mengen und verschiedene Arten fremder Stoffe gelöst enthalten, also vom Standpunkte des Chemikers aus 1 ) in verschiedener Weise verunreinigt sind. Man erkennt das Vorliegen eines chemisch unreinen Stoffes unter anderem beim E r s t a r r e n und Sieden. Bei einem reinen Stoff erfolgt das Erstarren der gesamten Flüssigkeit bei genau der gleichen Temperatur. Beim Leitungswasser ist dies jedoch nicht der Fall; messen wir mit einem genügend empfindlichen Thermometer unter Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln, so stellen wir fest, daß das Erstarren etwas unter 0° Cels. beginnt und daß beim Fortschreiten des Festwerdens die Temperatur dauernd etwas absinkt. (Näheres vgl. Kapitel XXXI.) Ähnlich ist es beim Verdampfen; das Sieden beginnt bei 760 mm Quecksilberdruck ganz dicht über 100°, Der Begriff „chemisch rein" hat beim Wasser nichts mit der üblichen Bezeichnung „reines Wasser" zu tun. Ein gutes Trinkwasser muß gewisse Stoffe gelöst enthalten. Ganz reines Wasser ist zum Trinken ungeeignet.

I. Einleitung

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und die Siedetemperatur steigt während des Verdampfens dauernd an. Es ist beim Wasser leicht, zu einem für die meisten Zwecke hinreichend reinen Präparat zu kommen; man braucht das Wasser nur zu d e s t i l l i e r e n 1 ) , d . h . es zu verdampfen und das Verdampfte wieder zu verdichten (kondensieren); es bleiben dann die gelösten Fremdstoffe zurück, und man erhält im Kondensat ein praktisch reines „destilliertes" Wasser. Solche Destillationen pflegt man in einer der Abb. 1 entsprechenden Anordnung durchzuführen. Besonders hingewiesen sei auf den Kühler nach Liebig 2 ). Das wesentliche hierbei ist die Verwendung des bei wissenschaftlichen und technischen Apparaturen immer wieder benutzten „ G e g e n s t r o m p r i n z i p s " . Das Kühlwasser wird so geleitet, daß es beim Eintritt in die Apparatur zur endgültigen Kühlung der vorher schon weitgehend abgekühlten Teile des Destillates dient. Während des Durchströmens durch den Kühler erwärmt sich dann zwar das Kühlwasser etwas, das ist aber unwesentlich, denn zur Kondensation des ersten heißen Dampfes genügt auch etwas wärmeres Wasser.

Das durch genügend vorsichtige Destillation erhaltene Wasser zeigt die Eigenschaften eines r e i n e n S t o f f e s : der Erstarrungspunkt ist konstant, d. h. unabhängig davon, wieviel bereits erstarrt ist; er beträgt 0,000° Cels. Auch die Siedetemperatur ist unabhängig von der verdampften Menge, sie beträgt bei 760 mm (torr.) Quecksilberdruck ') Bei der D e s t i l l a t i o n handelt es sich also um den Übergang: flüssiggasförmig-aussig. Den entsprechenden Übergang: fest-gasförmig-fest bezeichnet man als S u b l i m a t i o n . ") J u s t u s v o n L i e b i g lebte 1803—1873. Er ist u. a. der Schöpfer der künstlichen Düngung und führte den praktischen Laboratoriumsunterricht für die Chemie-Studierenden ein.

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I. Einleitung 1

100,000° Cels. ). Daß wirklich reines Wasser vorliegt, zeigt sich unter anderem darin, daß beliebig oft wiederholtes Destillieren immer wieder zu einem Kondensat mit völlig gleichen Eigenschaften führt, auch wenn man die empfindlichsten Untersuchungsmethoden anwendet. Dabei ist es gleichgültig, ob man von See-, Leitungs- oder Regenwasser ausgeht. Das ist allerdings nur so lange richtig, als man nicht extreme Ansprüche an die Reinheit stellt. Einmal ist es gar nicht so einfach, ein Wasser herzustellen, das gar keine Gase gelöst enthält. Ferner ist es kaum möglich, ein Gefäßmaterial zu finden, das sich nicht wenigstens in Spuren in Wasser löst. Eine besondere Komplikation ist durch die Entdeckung des sogenannten „schweren Wassers" entstanden; vgl. dazu Kapitel XXV.

Beines Wasser kann man auch dadurch gewinnen, daß man gewöhnliches Leitungswasser teilweise erstarren (kristallisieren) läßt und dann Eis und nicht erstarrte Flüssigkeit trennt. Dieses Eis, das natürlich noch mit etwas „Mutterlauge" benetzt ist, läßt man erneut schmelzen und das so erhaltene, schon sehr salzarme Wasser wieder teilweise erstarren usw. Man erhält so schließlich eine geringe Menge von Wasser, das auch bei empfindlichen Prüfungen keinen Unterschied gegenüber dem durch Destillation gereinigten zeigt. Zur Prüfung, ob wirklich ein reiner Stoff vorliegt, muß man in jedem einzelnen Falle verschiedene Reinigungsmethoden anwenden; erst wenn alle Methoden zu dem gleichen Endprodukt führen, kann man sicher sein, daß ein reiner Stoff vorliegt. Das Auskristallisieren des reinen Lösungsmittels, wie es eben beschrieben wurde, erfolgt in der Regel nur bei sehr verdünnten Lösungen. Aus konzentrierten Lösungen kristallisiert der gelöste Stoff aus2); dabei kann man die Menge des Lösungsmittels durch Verdampfen oder Verdunsten vermindern, bis die Löslichkeitsl ) Schmelz- UDd Siedepunkt des reinen Wassers dienen bekanntlich als Grundlage der Celsius-Skala. Die Anzahl der Nullen gibt an, wie genau diese Fixpnnkte reproduzierbar sind. =) Vgl. dazu Kapitel X X X I , Abb. 28.

II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

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grenze überschritten wird. Man kann aber auch die TemperaturAbhängigkeit der Löslichkeit ausnutzen. So löst sich z. B. Kalisalpeter in heißem Wasser viel besser als in kaltem. Sättigt man also heißes Wasser mit Kalisalpeter, so scheidet sich dieser zum größten Teile beim Abkühlen in fester Form wieder aus; nur wenig bleibt in der kalten Lösung! der sogenannten „Mutterlauge". Der so umkristallisierte Stoff enthält in der Regel weniger Verunreinigungen als vorher.

II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Zerlegung durch elektrische Energie (Elektrolyse) Wenn so ein reiner Stoff, hier also reines Wasser, gewonnen ist, fragen wir, ob er sich in stofflich einfachere Bestandteile zerlegen läßt. Es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Zerlegung in der Kegel eine E n e r g i e - Z u f u h r erfordert; denn wären diese Bestandteile nicht durch starke Kräfte verbunden, die erst über0 wunden werden müssen, so würde ja von x Ai In besonders selbst Zerfall eintreten ). durchsichtiger Form kann diese Energie- D zufuhr auf e l e k t r i s c h e m Wege erfolgen. Legt man bei dem in Abb. 2 dargestellten Apparat bei A eine positive, bei B eine negative Spannung an, so zersetzt sich das Wasser 2 ), und es bilden sich an den Elektroden Gase, die sich bei C und D ansammeln, und zwar bildet sich bei D doppelt soviel wie bei C. Es sind also hier durch Zufuhr von Energie aus dem flüssigen Wasser zwei neue, gas- Waaaefzbebr8C2tzung ») Bs gibt aber auch Stoife, die unter Energieabgabe zerfallen: „instabile" Stoffe. Dazu gehören z.B. die E x p l o s i v s t o f f e , bei denen die Auslösung dieser freiwilligen Zersetzung u. U. schon durch geringfügige äußere Anlässe, z. B. durch Schlag, erfolgen kann. *) Der Versuch l&Bt sich mit hinreichender Geschwindigkeit nur durchführen, wenn dem Wasser etwas Säure, Lauge oder gewisse Salze zugesetzt werden, da reines WaSBer den Strom praktisch nicht leitet (vgl. dazu Kap. XIV). Für die Zersetzung des Wassers selbBt ist dieser Zusatz ohne Einfluß.

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II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

förmige Bestandteile entstanden, das Wasser ist zerlegt worden. Beide Gase sind farblos, aber stofflich verschieden. Das bei C aufgefangene bringt einen glühenden Span zum Aufflammen, brennt aber selbst nicht; das andere Gas dagegen ist brennbar, unterhält aber die Verbrennung nicht. Dieses zweite Gas nennt man, da es einen Bestandteil des Wassers bildet, Wasserstoff, während das erstere aus Gründen, die wir erst S. 62/63 besprechen werden, Sauerstoff genannt wird. Der beschriebene Versuch liefert uns also die Gleichung: Wasser+Energieaufnahme=Wasserstoff-)-Sauerstoff. (1) Der Elementbegriii. Es entsteht die Frage, ob Wasserstoff und Sauerstoff noch weiter zerlegbar sind. Alle Versuche hierzu sind mißlungen, so daß man heute mit großer Sicherheit sagen kann, daß diese Zerlegung nicht möglich ist 1 ). Derartige nicht mehr zerlegbare Bestandteile der Materie, aus denen sich die ungeheure Zahl aller anderen Stoffe aufbauen läßt, bezeichnet man nach Kobert Boyle 2 ) als Elemente. Nicht immer hat der Elementbegriff diese Bedeutung gehabt. Die griechischen Philosophen haben über den stofflichen Aufbau sehr verschiedene, z. T. miteinander nicht vereinbare Ansichten entwickelt. D e m o k r i t nahm z. B. schon die Existenz von kleinsten, nicht mehr teilbaren Atomen an; diese Vorstellung wurde zwar immer wieder herangezogen, ist aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die Chemie fruchtbar geworden. Eine sehr große — wir müssen heute sagen unheilvolle! — Bedeutung hat die Elementenlehre von E m p e d o k l e s und A r i s t o t e l e s gewonnen. Danach kann eine gleichsam eigenschaftslose Materie je zwei von den Eigenschaften: warm und kalt sowie trocken und feucht annehmen: kalt und trocken entspricht der Erde, kalt und feucht dem Wasser, warm und feucht der Luft und warm und trocken dem Feuer. Sieht man von dem Feuer — dem man bis ins 18. Jahrhundert stoffliche Natur zugeschrieben hat! — ab, so handelt es J ) Dies gilt allerdings nur s o l a n g e , a l s man nicht mit Energie v o n anderer Größenordnung arbeitet; dann ist nämlich noch eine Aufteilung in die U r b e s t a n d t e i l e der Materie, Protonen, Neutronen, Elektronen usw. möglich; vgl. dazu Kapitel X X V . Vgl. ferner das in diesem Kapitel über „ I s o t o p e " Angeführte. 2 ) Dieser hervorragende englische Naturforscher lebte v o n 1627 bis 1691.

II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

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sich bei diesen Elementen im wesentlichen um die Aggregatzustände fest, flüssig, gasförmig. Die Alchemisten betrachteten dann als Elemente Quecksilber, Schwefel und Salz. Auch das Phlogiston (vgl. S. 33) war eigentlich ein Element im Sinne der Lehre von Aristoteles. Erst nach einer Entwicklung von fast zwei Jahrtausenden hat sich der alte Elementbegriff in den heutigen gewandelt.

Die Zahl der E l e m e n t e , die man bisher in der Natur gefunden hat, beträgt etwa 90 (vgl. dazu die Tabelle 1, Kap. XIII). Man kann mit großer Sicherheit sagen, daß weitere beständige Elemente nicht existieren1). Die Synthese von Wasser aas Wasserstoff und Sauerstoff. Ist nun der durch Gleichung (1) dargestellte Vorgang umkehrbar, d.h. gilt auch die Gleichung: Wasserstoff+Sauerstoff = Wasser + Energieabgabe ? (2) Beim Mischen der beiden Gase ereignet sich nichts, wohl aber wenn wir dieses Gemisch lokal erwärmen oder einen elektrischen Funken durchschlagen lassen. Man beobachtet dann als Folge der chemischen Vereinigung der beiden Gase zu Wasserdampf eine Explosion. War das Gemisch in einem Glaskölbchen aufbewahrt, so wird dieses mit äußerst scharfem Knall zersprengt. Man bezeichnet daher Gemische von Wasserstoff mit Sauerstoff oder Luft (Luft besteht etwa zu einem Fünftel aus Sauerstoff, vgl. Kap. V) als Knallgas. Gefahrlos läßt sich die Vereinigung der beiden Gase in einem Gebläsebrenner durchführen (Abb. 3). Die Gase kommen hier erst an der Mündung miteinander in Berührung, so daß die chemische Umsetzung nur an dieser Stelle erfolgen kann. Mit einer solchen Knallgasflamme werden Temperaturen von mehr als 2000° erzeugt, so daß man Porzellan, Platin, Bergkristall usw. schmelzen kann. Die gemäß Gleichung (1) in das System hineingeschickte elektrische Energie tritt also bei der Vereinigung der Gase als Wärmeenergie wieder in Erscheinung, aber *) Wohl aber kann man künstlich noch weitere Elemente herstellen; vgl. dazu Kapitel XXV.

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II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

— und das ist für die Ausnutzung durch den Menschen das Entscheidende — in der Form, zu der Zeit und an der Stelle, wie sie für bestimmte Verwendungszwecke gebraucht wird.

Daß bei der Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff tatsächlich gemäß Gleichung (2) Wasser gebildet wird, läßt sich leicht zeigen, indem man eine Wasserstofiflamme innerhalb eines von außen gekühlten Rohres brennen läßt; es tropft dann das gebildete Wasser am unteren Rohrende ab. Chemische Verbindung. Wir können die bisherigen Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Wasser kann durch Energiezufuhr in WasserstoS und Sauerstoff zerlegt werden und entsteht andererseits durch die Vereinigung dieser beiden Gase unter Energieabgabe. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß es sich bei dieser Vereinigung nicht nur um eine Mischung der beiden Gase handelt; dieses Gemisch, das Knallgas, ist ja vom Wasser in allen Eigenschaften verschieden. Bei der Vereinigung der beiden Gase zum Wasser ist vielmehr etwas ganz Tiefgreifendes erfolgt, es hat sich eine chemische Verbindung gebildet. Daß eine chemische Verbindung ganz andere Eigenschaften hat als die Ausgangsstoffe, aus denen sie entstanden ist, sei noch an einem anderen Beispiele gezeigt. Mischt man S c h w e f e l und E i s e n im pulverisierten Zustande, so erhält man ein gelbgraues Pulver, in dem man bei hinreichender Vergrößerung durch Lupe oder Mikroskop noch deutlich die Bestandteile sehen kann. Auch sind die Eigenschaften unverändert geblieben: mit einem Magneten lassen sich die Eisenteilchen herausziehen, mit der Flüssigkeit Schwefelkohlenstoff kann man den Schwefel herauslösen. Erhitzt man nun dieses Gemisch, so tritt bald an einer Stelle Aufglühen ein; das sich von selbst durch die ganze Masse fortsetzt. Nach dem Erkalten findet man eine schwarze Masse vor, das S c h w e f e l e i s e n , das sich — falls man das richtige Mischungsverhältnis benutzt hat — auch bei mikroskopischer Betrachtung als homogen erweist. Man kann jetzt mit Schwefelkohlenstoff den Schwefel nicht mehr herauslösen, ebenso erfolgt keine Anziehung durch den Magneten mehr. Auch aus diesem Beispiel geht klar hervor, daß eine chemische Verbindung etwas ganz anderes ist als ein mechanisches Gemisch der Ausgangsstoffe.

II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

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Stabiles und instabiles System. Wir sahen, daß ein Gemisch von Wasserstoff und Sauerstoff sich, wenn die Reaktion erst einmal eingeleitet ist, freiwillig in Wasser umwandelt, wobei Wärmeenergie abgegeben wird. Das gebildete Wasser ist also ä r m e r an (freier) E n e r g i e und stellt gegenüber dem „ i n s t a b i l e n " Gemisch der Ausgangsstoffe das „ s t a b i l e " System dar. Ebenso ist bei dem Beispiel Eisen/ Schwefel das gepulverte Gemenge das instabile, energiereichere System, das sich freiwillig in das stabile, energieärmere System, die chemische Verbindung Schwefeleisen, umwandelt. Zersetzung des Wassers bei hohen Temperaturen. Es fragt sich nun, ob bei chemischen Reaktionen immer v o l l s t ä n d i g e Umsetzung erfolgt, oder ob es auch Fälle gibt, bei denen die Reaktion aufhört, nachdem ein gewisser Teil umgesetzt ist. Beim Wasser ist ja die Umsetzung, soweit wir erkennen können, hundertprozentig; denn wenn wir Wasserstoff und Sauerstoff in genau dem richtigen Verhältnis mischen, so ist nach der Reaktion keines der beiden Gase mehr irgendwie nachzuweisen. Das gilt aber nur für nicht allzu hohe Temperaturen; bei sehr hohen Temperaturen ändert sich das Bild. Die Umsetzung ist dann nicht mehr hundertprozentig; es bleibt ein— wenn auch kleiner— Bruchteil Wasserstoff und Sauerstoff unverbunden. Umgekehrt zerfällt (dissoziiert) Wasserdampf bei diesen Temperaturen teilweise in seine Bestandteile. Messungen bei sehr hohen Temperaturen sind schwierig durchzuführen. Man kann in manchen Fällen die Methode des „heißkalten" Rohres anwenden: Man bläst z. B. Wasserdampf durch eine Zone hindurch, die die betreffende hohe Temperatur besitzt; bei diesen Temperaturen stellt sich das Dissoziationsgleichgewicht sehr schnell, praktisch momentan ein. Kommt jetzt das strömende Gas sehr rasch in ein Gebiet tiefer Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit (vgl. dazu S. 16) praktisch Null ist, so wird durch dieses „Abschrecken" der Hochtemperatur-Zustand „eingefroren" und kann nunmehr in Ruhe untersucht werden.

16 II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Durch diese und andere Versuche hat sich ergeben, daß der Dissoziationsgrad des Wassers selbst bei sehr hohen Temperaturen gering ist; bei 2000° und 1 Atm. Druck beträgt der Bruchteil des Zerfallenen, der „Dissoziationsgrad", rund 2%. Ferner findet man, daß zu jeder Temperatur ein ganz bestimmter Dissoziationsgrad gehört. Mit fallender Temperatur wird der Zerfall zwar geringer; er läßt sich aber auch bei 1000° noch deutlich nachweisen. Auch bei Zimmertemperatur muß daher eine gewisse Dissoziation stattfinden, nur ist sie offenbar so gering, daß wir sie mit unseren Methoden nicht mehr erfassen können.

Das chemische Gleichgewicht und seine Abhängigkeit von der Temperatur. Das beim Wasser erhaltene Ergebnis ist von ganz allgemeiner Bedeutung und gilt für alle Reaktionen. Immer bildet sich ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen den Ausgangsstoffen und dem Reaktionsprodukt aus. Man spricht davon, daß sich ein „ c h e m i s c h e s G l e i c h g e w i c h t " einstellt, und schreibt z. B. im vorliegenden Falle: Wasserstoff + Sauerstoff ^ Wasser. Das Zeichen ^ besagt also, daß die Umsetzung nur so weit verläuft, bis sich das dem betreffenden System unter den jeweiligen Versuchsbedingungen eigene Mengenverhältnis zwischen Ausgangsstoffen und Reaktionsprodukt eingestellt hat. Es ist dabei gleichgültig, ob man von Wasserstoff und Sauerstoff oder von Wasser ausgeht; in beiden Fällen kommt man zu demselben Gleichgewicht. Von großem Einfluß auf die Lage derartiger Gleichgewichte ist die T e m p e r a t u r . In unserem Beispiel wird die Wasserbildung bei niederen Temperaturen praktisch vollständig, während mit zunehmender Temperatur ein immer größer werdender Anteil Wasserstoff und Sauerstoff im Gleichgewicht auftritt. Man sagt: Das Gleichgewicht wird mit zunehmender Temperatur nach der Seite steigender Dissoziation verschoben; Näheres vgl. Kap. XXII. Die Reaktionsgeschwindigkeit und ihre Abhängigkeit von der Temperatur. Der Übergang des instabilen Ge-

II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers

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iiiisches WasserstoS und Sauerstoff in Wasser erfolgt, wie wir gesehen haben, bei höheren Temperaturen außerordentlich schnell. Bei Zimmertemperatur läßt er sich jedoch nicht nachweisen; Knallgas ist praktisch unbegrenzt haltbar. Trotzdem müssen wir annehmen, daß auch bei tiefen Temperaturen ein Umsatz erfolgt, nur ist hier die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , d . h . die in der Zeiteinheit umgesetzte Stoffmenge, unmeßbar klein. Erhöhen wir die Temperatur, so wird die Reaktionsgeschwindigkeit sehr schnell größer. Vielfach bedingt eine Erhöhung der Temperatur um 10° etwa eine Verdoppelung der Reaktionsgeschwindigkeit. Das würde bedeuten, daß sie bei 120° bereits etwa das tausendfache, bei 220° das millionenfache des Wertes von 20° beträgt. Nun wird zwar beim A n z ü n d e n mit einem Streichholz oder beim Durchschlagen eines Funkens nur eine kleine Stelle des Knallgasgemisches erhitzt; aber wenn so erst einmal die Umsetzung eingeleitet ist, dann entwickelt sie selbst gemäß Gleichung (2) Wärme, die die benachbarten Gasteile znr Reaktion bringt, und zwar schneller, als sie durch Wärmeleitung aus dem System abgeführt werden kann. Dies bedingt das explosionsartige Übergreifen der einmal eingeleiteten Umsetzung auf das ganze Gemisch1).

Beschleunigung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Katalysatoren. Es gibt aber noch einen anderen Weg, um die Reaktionsgeschwindigkeit zu vergrößern. Leitet man ein Knallgasgemisch über sehr fein verteiltes Platin, so entzündet es sich. Das Platin hat also die Eigenschaft, die Geschwindigkeit der Reaktion stark zu vergrößern; es bleibt dabei selbst unverändert. Derartige Stoffe bezeichnet man als K a t a l y s a t o r e n . Die Lage eines Gleichgewichts kann durch einen Katalysator keinesfalls geändert werden, sondern nur die Geschwindigkeit, mit der es sich einstellt. Platin wirkt nicht nur hier, sondern auch bei vielen anderen Reaktionen beschleunigend. Bs gibt aber auch Stoffe, die nur auf ganz ') Vgl. dazu aber Anm. 1 S. 27. K l e i n m , Anorganische Chemie

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III. Gasgesetze

bestimmte Reaktionen katalytisch wirken, andere dagegen unbeeinflußt lassen. Gierade die Entwicklung derartiger „ s p e z i f i s c h e r " Katalysatoren ist für die neuere chemische Technik von größter Bedeutung geworden.

III. Gasgesetze Bei der Erörterung der quantitativen Zusammensetzung des Wassers werden wir uns mehrfach mit Messungen an Gasen beschäftigen müssen; es wird daher nützlich sein, einige Bemerkungen über G a s g e s e t z e vorauszuschicken. Der Zustand eines Gases ist, solange keine chemische Umsetzung erfolgt, durch vier Größen bestimmt: 1. Menge, 2. Temperatur, 3. Volumen und 4. Druck. Von diesen Größen wollen wir die M e n g e k o n s t a n t halten. Solange die Masse des Gases pro Volumeinheit (Dichte) nicht allzu groß ist („ideales" Gas), gelten dann folgende Gesetze: 1. Ist die T e m p e r a t u r k o n s t a n t , Volumen und Druck veränderlich, so gilt die Gleichung (1): v } • p x = v a • p 2 = v 3 • p j = k o n s t . Dieses Gesetz, das von B o y l e (vgl. S. 12) und unabhängig davon von M a r i o t t e gefunden wurde, besagt also, daß Druck und Volumen einander umgekehrt proportional sind. 2. Ist d e r D r u c k k o n s t a n t , Volumen und Temperatur veränderlich, so gilt das durch Gleichung (2) dargestellte Gesetz von G a y - L u s s a c 1 ) : v t = v „ ( l + a t ) . Dabei bedeutet v t das Volumen bei t° Cels., v 0 das Volumen bei 0° Cels. a ist für a l l e verdünnten Gase gleich 1/273. Gleichung (2) geht daher über in:

3. Ist schließlich das V o l u m e n k o n s t a n t , Druck und Temperatur veränderlich, so gilt die ebenfalls von G a y - L u s s a c gefundene, der Gleichung (2) vollkommen entsprechende Beziehung (3): p = p 0 ( l + a t ) . L»

RückflußKondensator

- T

[

Kühler

l Destillat

Heizung

i l

.

\ ^ Abb. 5 a.

>'ra kti onier- K o l o n n e

Rückstand

1 f

Flüssigkeit

Dampf

Abb. 5 b. Boden einer Fraktionier-Kolonne

von der leichter siedenden Komponente, die nach oben in den nächsten Boden gelangt; dafür kondensiert sich etwas von der schwerer siedenden Komponente aus dem Gasgemisch; überschüssige Flüssigkeit tropft nach unten. Dies wiederholt sich bei jedem Boden. Hat man eine genügende Anzahl solcher Böden, so erhält man schließlich reinen gasförmigen Stickstoff und flüssigen Sauerstoff 1 ). Flüssige Luft, die schon längere Zeit gestanden hat, besteht praktisch nur aus Sauerstoff. Man erkennt den angenäherten Prozentgehalt der flüssigen Luft an Sauerstoff bei einiger Übung *) Es gibt auch Flüssigkeitsgemische, bei denen die Siede- und Taukurve anders verlaufen und z. B . , wie Abb. 6 zeigt, ein Maximum besitzen ( „ a z e o t r o p e s Gemisch"). Bei dieser Zusammensetzung siedet das Fliissigkeitsgemisch mit konstanter Zusammensetzung; eine Trennung durch Verdampfen ist hier nicht möglich; vgl. S. 60 über das System Chlorwasserstoff—Wasser.

V. Wasserstoff und Sauerstoff

33

schon an der Farbe; denn flüssiger Sauerstoff ist im Gegensatz zu dem farblosenflüssigenStickstoff blau. Sauerstoff kommt ebenso wie Wasserstoff und Stickstoff in Stahlflaschen unter einem Druck von 160 Atmosphären in den Handel [„verdichtete Gase"; verflüssigte Gase hingegen sind z. B. Chlor (Kap. XII), Schwefeldioxid (Kap. XVIII), Ammoniak (Kap. XXI) und Kohlendioxid (Kap. XXIII)].

•/. HNO3

Abb. 6. Azeotropes Gemisch (Wasser-Salpetersäure)

Yerbrennnngserscheinun gen. Wie bereits erwähnt, ist Sauerstoff der Anteil der Luft, derdieVerbrennungserschein u n g e n bedingt. Seit L a v o i s i e r wissen wir, daß es sich bei einer Verbrennung um folgenden Vorgang handelt: Verbrennbarer Stoff + Sauerstoff = Verbrennungsprodukte. Danach sind also die Verbrennungsprodukte immer schwerer als der verbrannte Stoff. Vor Lavoisier hatte man über die Verbrennung bzw. die Oxydation von Metallen eine andere Vorstellung. Man glaubte nämlich, daß die Oxide einfach zusammengesetzt wären und daß sie unter Aufnahme eines Stoffes, den man Phlogiston nannte, in Metall übergingen. Umgekehrt nahm man an, daß die Oxide durch Abgabe von Phlogiston aus den Metallen entständen. Das Phlogiston stellt also im Sinne der Elementvorstellung von Aristoteles das Prinzip der Brennbarkeit dar. Die von dem Deutschen S t a h l (1660—1734) aufgestellte Phlogistontheorie hat für die Entwicklung der Chemie eine sehr große Bedeutung gehabt, da sie zum ersten Male Oxydations- und Reduktionserscheinungen von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus erklärte. Sie versagte aber völlig zur Erklärung der dabei auftretenden Gewichtsänderungen, denen man allerdings im Sinne der Vorstellungen der griechischen Philosophen keine wesentliche Bedeutung zumaß. Man erkannte aber immer mehr, daß bei chemischen Umsetzungen die Masse konstant bleibt. Lavoisier hat dieses Gesetz zur Grundlage seiner Betrachtungen gemacht. K l e m m , Anorganische Chemie

3

34

V. Wasserstoff und Sauerstoff

Entscheidend für seine neue Verbrennungstheorie wurde die Entdeckung des Sauerstoffs durch den in (den damals schwedischen) Stralsund geborenen Karl Wilhelm S c h e e l e im Jahre 1772, eines Forschers, dem man trotz seines kurzen Lebens — von 1742 bis 1786 — eine große Zahl der bedeutsamsten Entdeckungen verdankt. Unabhängig von S c h e e l e hat auch der Engländer P r i e s t l e y (1733—1804) den Sauerstoff entdeckt. Verbrennungen sind also ebenso Oxydationen wie etwa das Rosten des Eisens, d. h. der Übergang in Eisenoxid. Einen Unterschied kann man höchstens darin sehen, daß das Oxydationsprodukt hier festes bzw. bei schnell verlaufender Reaktion flüssiges Oxid ist, während bei den Verbrennungen im engeren Sinne g a s f ö r m i g e Bestandteile entstehen. Die bei Kerzen, Kohle, Leuchtgas usw. entstehenden Verbrennungsgase bestehen — neben sehr viel Stickstoff aus der Luft! — im wesentlichen aus Wasserdampf und einer Kohlenstoff-Sauerstofiverbindung, dem Kohlendioxid (CO g ); denn alle diese Brennstoffe enthalten Wasserstoff und Kohlenstoff. Näheres vgl. Kap. X X I I I . V e r b r e n n u n g e n gehen auch in u n s e r e m K ö r p e r vor sich, indem die kohlenstoff- und wasserstoffhaltigen N a h r u n g s m i t t e l im Blut durch den eingeatmeten Sauerstoff der Luft verbrannt werden. Auch hier bilden sich als Verbrennungsprodukte Wasser und Kohlendioxid; letzteres wird mit der ausgeatmeten Luft wieder aus dem Körper entfernt. Diese Verbrennung der Nahrungsmittel hält die Körpertemperatur aufrecht; sie ist ferner die Energiequelle für die mechanische Arbeit (Heben der Beine, Arme usw.), die wir verrichten. Im Gegensatz zu den Flammen erfolgt die Verbrennung im Körper bei niedriger Temperatur, weil sie durch verwickelt aufgebaute organische Verbindungen („Enzyme") katalysiert und in äußerst feiner Weise geregelt wird. In reinem Sauerstoff verlaufen Verbrennungen viel lebhafter als in Luft. Besonders heftig erfolgen sie in f l ü s s i g e m Sauerstoff; denn dieser enthält in der Volumeneinheit rund tausendmal soviel Molekeln wie das Gas bei Zimmertemperatur. Mit flüssigem Sauerstoff getränkte, fein verteilte Kohle (Oxyliquit) stellt daher einen sehr wirksamen Sprengstoff dar, der z. B. im Bergbau verwendet wird.

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VI. Ozon und Wasserstoffperoxid

YI. Ozon und Wasserstoffperoxid Ozon. Neben der gewöhnlichen Form des Sauerstoffs gibt es noch eine andere, besonders reaktionsfähige Form, das Ozon. Man spricht davon, daß in diesem Falle zwei „ M o d i f i k a t i o n e n " vorliegen. Ozon, ein Gas von eigenartigem, stechendem Geruch, besteht nicht aus 0 2 -, sondern aus Os-Molekeln. Die Ozon-Molekeln sind bei Zimmertemperatur instabil und gehen freiwillig unter Energieabgabe in 0 2 -Molekeln über. Diese Umwandlung erfolgt allerdings bei gewöhnlicher Temperatur nur sehr langsam; Ozon ist daher einige Zeit haltbar. Erwärmen auf 100 bs 200° führt jedoch zu sofortigem Zerfall. Ozon entsteht immer dann, wenn O-Atome gebildet werden, z . B . bei.der Einwirkung von ganz kurzwelliger Strahlung auf Sauerstoff bzw. Luft (Höhensonne bzw. hohe Schichten der Atmosphäre) oder auch bei gewissen chemischen Reaktionen. Diese O-Atome können sich wieder zu 0 2 -Molekein vereinigen; ein 0 hochgespannter Atom kann sich aber auch an eine , Wechselstrom A Orr— r-OTT B 0 2 -Molekel anlagern. Technisch wird Ozon durch die Einwirkung „stiller" elektrischer Entladungen auf Sauerstoffgas hergestellt. Man läßt z. B. durch eine Apparatur gemäß Abb. 7 Sauerstoff strömen, während bei A und B ein Wechselfeld von einigen tausend Volt angelegt wird. Ozon wirkt stark oxydierend. So wird z. B. eine blanke SilberAbb. 7. Ozonisator oberfläche unter Bildung von Oxid geschwärzt. Gummischläuche werden von Ozon schnell zerstört. Wegen seiner starken Oxydationswirkung besitzt Ozon stark desinfizierende Wirkung. Hierin liegt seine technische Bedeutung. Man benutzt Ozon z. B., um Bakterien im Wasser abzutöten; es ist aber für diesen Zweck verhältnismäßig teuer. Wasserstoffperoxid. Aus Wasserstoff und Sauerstoff kann sich, wie bereits S. 21/22 erwähnt, neben Wasser noch eine zweite Verbindung bilden, das W a s s e r s t o f f p e r o x i d der Formel H 2 0 2 . In der Knallgasflamme tritt OH auf; daraus bildet sich bei tieferen Temperaturen H 2 O a , das seinerseits weiter zerfällt 3*

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VII. Die Zusammensetzung der Luft

und daher normalerweise nicht nachweisbar ist. Kühlt man aber die Verbrennungsgase äußerst schnell ab, etwa indem man eine Wasserstoffflamme gegen ein Stück Bis brennen läßt, so kommt das H 2 0 2 SO schnell in das Temperaturgebiet äußerst geringer Zerfallsgeschwindigkeit, daß es keine Zeit hat, sich zu zersetzen. Man findet daher in dem Schmelzwasser dieses Eisstückes etwas Wasserstoffperoxid. Man kann es durch die orangegelbe Farbe nachweisen, die es mit Titansalzlösungen ergibt. H 2 0 2 ist gegenüber Wasser instabil. Gibt man z. B. zu einer H 2 0 2 -Lösung fein zerteiltes Platin, so entwickelt sich gemäß der Gleichung 2 H 2 0 2 "= 2 H 2 0 + 0 2 Sauerstoff. Mit dieser Unbeständigkeit des H 2 0 2 hängt zusammen, daß es, ebenso wie Ozon, ein ausgezeichnetes Oxydationsmittel ist; gegen starke Oxydationsmittel kann es auch reduzierend wirken. Man stellt es in der Regel aus dem elektrolytisch gewinnbaren Kaliumperoxodisulfat (vgl. S. 103) her. Man kann aber auch von „Peroxiden" (z. B. Na2Oa, vgl. S. 180 und Ba0 2 , vgl. S. 30) ausgehen. Es ist in paraffinierten Flaschen (nicht in Glas I) lange Zeit haltbar und befindet sich in 3%iger wie auch in 30%iger Lösung (Perhydrol) im Handel. Für viele Verwendungszwecke ist es wesentlich, daß bei seiner Zersetzung nur Wasser und Sauerstoff entstehen, die beide keine störenden Nebenwirkungen geben. H 2 0 2 zerstört viele Farbstoffe und wird daher unter anderem zum Hellfärben dunkler Haare benutzt. Die verdünnte Lösung ist ein ausgezeichnetes Mundwasser. Man kann es für diesen Zweck als Anlagerungsverbindung mit Harnstoff bequem aufbewahren und transportieren; mit Wasser zerfällt diese und es bildet sich eine Lösung, die Harnstoff und H 2 0 2 enthält.

VII. Die Zusammensetzung der Luit Wassergehalt der Luft. Einen sehr wichtigen Versuch über die Zusammensetzung der Luft haben wir bereits S. 29 kennengelernt. Der eingehenderen Besprechung der quantitativen Verhältnisse wollen wir eine Besprechung des W a s s e r g e h a l t e s der Luft vorausschicken. Bekanntlich enthält die Luft wechselnde Mengen Wasserdampf (Luftfeuchtigkeit). Welche große Rolle dieser Wechsel im Wassergehalt für das Wetter spielt, ist allgemein bekannt. Aber auch für viele andere chemische Fragen des täglichen Lebens ist die Luftfeuchtigkeit von großer Bedeutung, z. B. für das Rosten von Eisengeräten, die Haltbarkeit von Lebensmitteln usw. Wir müssen uns daher etwas genauer mit dieser Frage befassen. Alle Flüssigkeiten besitzen einen D a m p f d r u c k ; vgl. Kap. VIII. Beim Wasser beträgt dieser bei 10° 9,2 mm Quecksilbersäule, bei

VII. Die Zusammensetzung der Luft

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20° 17,6 mm. Das heißt also, daß Wasser, das in ein geschlossenes, evakuiertes Gefäß gebracht wird, so lange verdampft, bis in dem Raum über der Flüssigkeit der dem Dampfdruck entsprechende Wassergehalt erreicht ist. Die gleiche Menge Wasserdampf verdampft nun auch, wenn der Gasraum mit einem beliebigen anderen Gas, etwa Luft, gefüllt ist. Dabei ist es einerlei, unter welchem Druck die Luft steht; immer geht die gleiche, dem Dampfdruck des Wassers entsprechende Wasserdampfmenge in den Gasraum über 1 ). Bei einem Gesamtdruck von 760 mm Quecksilber würde der Wassergehalt bei 10° 100 • 9,2/760, d. h. rund 1,2, bei 20° 2,3 Volumprozente betragen. Eine solche vollständige Sättigung mit Wasserdampf ist in der f r e i e n Atmosphäre in der Kegel nicht vorhanden. Man gibt als r e l a t i v e Luftfeuchtigkeit den Prozentgehalt des bei jeder Temperatur möglichen Sättigungswertes an. Bei 60°/0 Luftfeuchtigkeit liegen also bei 10° 0,6, bei 20° 1,2 Volumprozente Wasserdampf vor. Zusammensetzung der trockenen Luit. Diese Verschiedenheit des Wassergehaltes der Atmosphäre würde die Beschreibung der Zusammensetzung der Luft sehr umständlich gestalten, wenn man die Angaben auf die wirklich vorhandene, wasserhaltige Luft beziehen würde. Man pflegt daher alle Angaben über die quantitative Zusammensetzung der Atmosphäre auf die vom Wasserdampf befreite, also g e t r o c k n e t e Luft zu beziehen. Zum Trocknen von Gasen benutzt man Stoffe, die sich begierig mit Wasser vereinigen. Dabei kann es sich um Flüssigkeiten (Schwefelsäure) oder auch um feste Stoffe (Calciumchlorid, Diphosphorpentoxid, Magnesiumperchlorat) handeln. Der Sauerstoffgehalt der Luft, bezogen auf das trockene Gas, beträgt 20,9%. Er schwankt nur innerhalb ganz geringer Grenzen (weniger als 0,1%). Außerdem enthält die L u f t sehr geringe Mengen von Kohlendioxid (etwa 0,03%) 2 ) *) Man nennt den Anteil, den der Waaserdampf druck am Gesamtdruck (Fremdgas + Wasserdampf) ausmacht, „Teildruck" oder „Partialdruck" des Wasserdampfs. ') Dieser geringe C0 2 -Gehalt ist die Voraussetzung für die Existenz von Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Mensch) auf der Erde, weil sich die Aufbaustoffe der Pfanzen durch „Assimilation" aus CO., H a O und Lichtenergie (unter Freiwerden von O a ) bilden; letzten Endes entstehen so alle Nahrungsmittel (vgl. dazu auch S. 34 und S. 60).

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VII. Die Zusammensetzung der Luft

und andere,zahlenmäßig nicht in Betracht kommende Beimengungen. Den Rest, rund 79 Volumprozent, hielt man sehr lange für ein Element, nämlich für reinen S t i c k s t o f f . Erst am Ende des 19. Jahrhunderts fand man, daß neben Stickstoff noch einige weitere Bestandteile in ihm enthalten sind, nämlich die sogenannten E d e l g a s e , die insgesamt e t w a l % ausmachen. Wir wollen nun zunächst die Frage erörtern, ob die Luft eine V e r b i n d u n g aus Sauerstoff und Stickstoff ist oder ein Gemenge. In der konstanten Zusammensetzung könnte man einen Hinweis darauf sehen, daß das erstere der Fall ist. Doch ist die Luft k e i n e Verbindung, sondern ein Gemenge, wie sich u. a. aus folgendem ergibt: Mischt man Sauerstoff und Stickstoff in dem gleichen Verhältnis, wie es in der Luft vorliegt, so beobachtet man kein Anzeichen einer chemischen Keaktion (etwa Erwärmung), und das erhaltene Gasgemisch besitzt' die gleichen Eigenschaften wie die Luft. Auch das Verhalten der verflüssigten Luft zeigt, daß keine Verbindung, sondern ein Gemisch vorliegt; denn flüssige Luft besitzt nicht die Kennzeichen eines reinen, einheitlichen StoSes, nämlich konstanten Schmelz- und Siedepunkt. Wie wir bereits S. 30 f. besprochen haben, verdampft aus flüssiger Luft zuerst in der Hauptsache Stickstoff und dann in immer stärkerem Maße Sauerstoff, wobei die Siedetemperatur dauernd steigt. Edelgase. Oben nannten wir als einen rund 1 Volumprozent ausmachenden Bestandteil der Luft die Edelgase. Über die Entdeckung dieser Stoffklasse sei folgendes angeführt: 1892 prüfte Lord R a y l e i g h , ob die Dichte von Stickstoff, der aus Luft gewonnen war, die gleiche war wie die einer Probe, die er durch Zersetzung einer Stickstoffverbindung erhalten hatte (vgl. S. 121). Das Ergebnis war in hohem Maße überraschend. Es ergaben sich nämlich Unterschiede in der Gasdichte: 1 Liter aus Stickstoffverbindungen gewonnener Stickstoff wog 1,2505 g, 1 Liter Stickstoff aus Luft dagegen 1,2572 g. Das war nur so zu erklären, daß im zweiten Falle noch ein anderes Gas größerer Dichte beigemengt war. Es gelang sowohl Lord R a y l e i g h selbst als auch seinem Landsmann R a m s a y , dieses Gas zu isolieren. Als sie nämlich den

VII. Die Zusammensetzung der Luft

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Stickstoff durch verschiedene chemische Reaktionen entfernten, blieb immer ein Gasrest, der auf keine Weise mit irgendeinem anderen Stoff in Reaktion zu bringen war. Es war dies offenbar der gesuchte, bisher unbekannte Bestandteil der Luft. Wegen seiner Reaktionsträgheit gaben ihm die beiden Forscher gemeinsam den Namen Argon, Symbol Ar (von ägyoi = träge). Bald glückte es, weitere Gase mit ähnlichen Eigenschaften kennenzulernen. Aus radioaktiven Mineralien (vgl. dazu Kap. XXV) gewann man das schon bei —269° (4,2° abs.) siedende H e l i u m 1 ) (He), durch sorgfältige fraktionierte Destillation des verflüssigten rohen Argons K r y p t o n (Kr) und Xenon (Xe). Außerdem kommt in der Luft noch das bei—246° siedende Neon (Ne) vor2). Mengenmäßig treten diese Gase allerdings neben dem Argon ganz zurück. Wegen ihrer Unfähigkeit, chemische Umsetzungen einzugehen, bezeichnet man die ganze Klasse als Edelgase. Der edle Charakter dieser Gase geht so weit, daß sie sich nicht einmal mit sich selbst verbinden. Ihre Molekeln bestehen im Gegensatz zu 0 2 . N a . H a nur aus einem Atom. Das kann man allerdings nur durch rein physikalische Methoden ermitteln; einiges findet sich darüber auf S. 50. Das Avogadrosche Gesetz hilft hier nicht weiter; denn man hat ja keine Reaktion mit anderen Gasen zur Verfügung, die aus den Volumverhältnissen einen Rückschluß auf die Molekelgröße gestatten würde. Spektralanalyse. Für die Erkennung und die Reindarstellung der Edelgase war von besonderer Bedeutung, daß Gase leuchten, wenn sie unter niedrigem Druck von Elektrizität durchströmt werden. Diese Erscheinung ist von den Geißler sehen Röhren her allgemein bekannt. Bei den Edelgasen ist dieses Leuchten sogar besonders schön (vgl. Anm. 2). Zerlegt man das in einer solchen Entladungs-Röhre erzeugte Licht mit einem Spektralapparat, so ergeben sich im allgemeinen scharfe Linien, die — und das ist das Bedeutsame — für jedes Element charakteristisch sind und seine Erkennung ermöglichen. Auf diese Weise kann man die Bestandteile eines Gasgemisches ermitteln. Diese S p e k t r a l a n a l y s e 3 ) ist 1860 in gemeinsamer Arbeit von l ) Der Käme rührt daher, daß man die Spektrallinien (vgl. unten) des Heliums schon vorher im Sonnenspektrum nachgewiesen hatte. ') Die Gewinnung von Argon, Neon und Krypton aus der Luft wird technisch durchgeführt, da man diese Gase für die Füllung sowohl der farbig brennenden Reklameröhren als auch der gewöhnlichen Glühbirnen benutzt. ' ) Diese Bezeichnung zeigt, daß der Ausdruck „Analyse" sich über die ursprüngliche Bedeutung hinaus erweitert hat. Man bezeichnet jetzt damit alle Methoden, die die Erkennung (und mengenmSBige Bestimmung) eines Bestandteiles gestatten.

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VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

dem deutschen Chemiker R. B u n s e n 1 ) und seinem Heidelberger Amtsgenossen, dem Physiker R. K i r c h h o f f , begründet worden. Man kann für die Spektralanalyse nicht nur das durch Gasentladung erzeugte Licht (Funkenspektrum) benutzen, sondern auch die Färbungen, die das Licht eines Gasbrenners durch manche Stoffe erhält (Flammenspektrum). So färben z. B. alle Natriumverbindungen die Flamme gelb (vgl. auch Kap. XXVI und XXVII). Spektraluntersuchungen sind — abgesehen von den Meteoritenfunden — der einzige Weg, um etwas über die stoffliche Zusammensetzung der a n d e r e n W e l t k ö r p e r zu erfahren. Man hat festgestellt, daß alle Gestirne aus den gleichen Elementen aufgebaut sind wie die Erde. Ferner sind die Spektren in ihrer verschiedenen Form (Funken-, Bogen-, Flammenspektren) neben den chemischen Erfahrungen die wichtigste experimentelle Grundlage für die Erforschung des Aufbaues der A t o m e , mit dem wir uns im Kap.XXV näher befassen werden.

YIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen Bekanntlich kennt man drei Aggregatzustände: Gase, die jeden vorgegebenen Raum ausfüllen, Flüssigkeiten, die sich ebenfalls der Form eines Gefäßes beliebig anpassen, aber ein bestimmtes Volumen haben, und feste Stoffe, die eine feste äußere Gestalt besitzen. Aggregatzustände und kinetische Theorie. Wie ist nun das Auftreten der verschiedenen Aggregatzustände im Sinne der S.24 erwähnten k i n e t i s c h e n Theorie zu verstehen? Die einzelnen Molekeln eines Stoffes üben aufeinander Anziehungskräfte aus. In Gasen bei höherer Temperatur und kleinen Drucken kommen diese allerdings wegen der lebhaften Bewegung der Teilchen und der großen Abstände zwischen den Molekeln nur wenig zur Geltung; sie bewirken geringe Abweichungen von den Gesetzen für ideale Gase. Sinkt nun die Temperatur, so tritt die Molekelbewegung immer mehr zurück, bei gleichbleibendem Druck sinkt das Volumen und damit der mittlere Molekelabstand. Infolgedessen gelten dann die Gesetze für „ideale" Gase (vgl. S. 18) nicht mehr; bei nicht zu großen Gasdichten läßt sich das ') Bobert Wilhelm B u n s e n (1811—1899), der auf den verschiedensten Gebieten, namentlich der anorganischen and physikalischen Chemie, Bedeutendes geleistet hat, ist weiten Kreisen durch die Erfindung des Bunsenbrenners und anderer wichtiger Laborator umsger&te bekannt geworden.

VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen Verhalten statt durch die Gleichung p • v =

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V

° • T bzw. p • v o = n • RT (über die Größen n und R s. S.49) durch die v a n d e r W a a l s s c h e Gleichung (p + a/v 2 ) • (v—b) = n • RT wiedergeben, wobei a ein Maß für die Anziehung zwischen den Molekeln und b für ihr Eigenvolumen ist; a und b sind natürlich von Gasart zu Gasart verschieden. Schließlich führen die Anziehungskräfte bei einer bestimmten Temperatur bei einem gegebenen äußeren Druck zur Verflüssigung des Gases. Auch in der F l ü s s i g k e i t bleibt eine gewisse Bewegung der Teilchen erhalten. Sie bewirkt, daß die Molekeln eine gewisse Tendenz haben, aus der Flüssigkeit in den Gasraum herauszutreten. Dies äußert sich darin, daß alle Flüssigkeiten, wie wir es S. 36 für das Wasser besprachen, einen,, Dampfdruck" besitzen. Da die Kohäsionskräfte sich mit der Temperatur nicht sehr stark ändern, die Molekel-Bewegung dagegen mit fallender Temperatur geringer wird, so nimmt dieser Dampfdruck mit fallender Temperatur ebenfalls ab. In einer Flüssigkeit sind die Molekeln in der nächsten Nachbarschaft eines einzelnen Teilchens bereits als geordnet anzusehen, nicht jedoch auf größere Entfernungen, weil ihre Bewegung es verhindert, daß sich ein vollständig geordneter Zustand einstellt. Erst wenn die Temperatur noch stärker sinkt, hört die freie Beweglichkeit der Einzelteilchen weitgehend auf; die Flüssigkeit erstarrt zum f e s t e n S t o f f , d. h. zum Kristall oder zum Glas 1 ). Inden K r i s t a l l e n , die schon äußerlich durch die Ausbildung gesetzmäßig angeordneter Begrenzungsflächen (Würfel, Oktaeder u. ä.) ausgezeichnet sind, bilden die einzelnen Teilchen einen sich über den ganzen Kristall erstreckenden geometrisch strengen Verband, in dem jedem Teilchen ein ganz bestimmter Platz zukommt; einige wenige Plätze sind — namentlich bei höheren Temperaturen — nicht besetzt, dafür finden sich einige Teilchen auf „Zwischengitterplätzen". Da hierdurch sowie durch Schwingungen um die Ruhelagen eine gewisse Beweglichkeit der Teilchen erhalten bleibt, so besitzen auch feste Stoffe noch einen gewissen Dampfdruck; ferner sind auf diese Weise Diffusionsvorgänge in festen Körpern u. a. verständlich. Feinbau der Kristalle. Über die Anordnung der Teilchen in den Kristallen sind wir heute in vielen Fällen gut unterrichtet, weil — wieM. v. L a u e 1912 fand — die Kristalle mit R ö n t g e n s t r a h len bestimmte Beugungserscheinungen ergeben, die die Ermittelung des F e i n b a u e s d e r K r i s t a l l e gestatten. Beispiele hierfür siehe Abb. 22 u. 23, S. 172/73. ') Über Gläser s. Kap. XXVII.

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VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

Zustandsdiagramm. Trägt man die Dampfdrucke eines Stoffes, etwa von Wasser, im festen und flüssigen Zustande in Abhängigkeit von der Temperatur Druck auf (vgl. Abb. 8), so erhält man zwei Kurven ( B A bzw. AG), die sich im Schmelzpunkte schneiden Unterhalb dieser beiden Kurven ist das Gebiet des gasförmigen Zustandes. Oberhalb der Kurve BA befindet sich das Existenzgebiet von Eis, oberhalb von AC das von flüssigem Wasser. Um diese Darstellung zu einem vollständigen Z u s t a n d s d i a g r a m m zu erweitern, müssen wir noch die Grenzkurve (AD) zwischen Eis und t°Celsius flüssigem Wasser einzeichnen. Da der Schmelzpunkt nur ganz wenig Abb 8 Zustandsdiagramm des Wassers, vom Druck abhängt, ist AD nahezu eine Parallele zur Druckachse. Im Punkte A (bei +0,0099° C1) und dem dann vorhandenen Eigendampfdruck des Wassers von 4,58 mm Hg) sind also drei „ P h a s e n " , nämlich gasförmig, flüssig und fest, miteinander im Gleichgewicht. Die Zahl n der Phasen, die sich in einem beliebigen System aus b-Stoffen bilden kann, ist nach der Gibbsschen P h a s e n Regel n + f = b + 2 ; f bedeutet die Zahl der „Freiheitsgrade", d. h. diejenigen Variablen, die man ändern kann, ohne daß eine Phase verschwindet. Beim „Tripelpunkt" A ist alles festgelegt; denn b ist 1, b + 2 = 3, n ebenfalls 3, f also null; ändert man den Druck oder die Temperatur, so verschwindet eine der 3 Phasen. Bei Temperaturen oberhalb 0° sind nur zwei Phasen vorhanden, f ist dann = 3—2 = 1, man kann den Druck oder die Temperatur variieren, ohne daß eine Phase verschwindet; legt man aber eine der beiden Größen fest, dann ist auch die andere bestimmt, zu jeder Temperatur gehört ein bestimmter Dampfdruck. — Bei der Anwendung der Phasenregel auf Systeme, bei denen mehrere Stoffe auftreten, ist b die kleinste Anzahl von ') Der Schmelzpunkt des Wassers von 0,000° (vgl. S. 9) gilt nur für 1 Atm. Druck, z. B. bei Gegenwart von Luft von normalem Druck. Da das Volumen des Eises größer ist als das des Wassers (Ausnahme, normalerweise ist beim Schmelzpunkt das Volumen der Flüssigkeit größerl), nimmt der Schmelzpunkt des Eises mit steigendem Druck etwas ab. F ü r die Anwendung der Phasenregel (vgl. weiter unten 1) beachte man, daß in einem offenen Gefäß Eis und Luft vorhanden sind, b also 2 istl

VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

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Stoffen, aus denen man das System aufbauen kann; z. B. ist für die Reaktion CaC0 3 CaO + C0 2 b = 2. Aus einem Zustandsdiagramm kann man ohne weiteres ersehen, wie man einen Stoff aus einem Aggregatzustande in den anderen überführen kann. Dabeiwollenwir unswieder auf den einfachsten Fall beziehen, daß nur ein einziger Stoff, etwa W a s s e r , vorhanden ist und keine Beimengung, etwa Luft. Gehören die Werte von Druck und Temperatur einem Punkt unterhalb der Dampfdruckkurve an, etwa a, so liegt das Wasser bei Einstellung des stabilen Zustandes in Dampfform vor. Erhöhen wir nun bei konstanter Temperatur den Druck, so überschreiten wir — wie es gestrichelt eingezeichnet ist — die Dampfdruckkurve und kommen in das Existenzgebiet der Flüssigkeit. Es verflüssigt sich das gesamte Wasser, sobald der äußere Druck eine Kleinigkeit größer als der Dampfdruck geworden ist. Gehen wir umgekehrt bei konstantem Druck auf tiefere Temperaturen — punktierte Kurve —, so schneiden wir erst die Dampfdruckkurve AC, es tritt Verflüssigung ein, und dann die Schmelzkurve AD, der Stoff erstarrt. Gehen wir dagegen von b nach links, so kommen wir direkt von der gasförmigen zur festen Phase. Mit Hilfe eines solchen Zustands-Diagramms ist es also möglich, das Verhalten eines Stoffes bei jedem, beliebigen Wert von Druck und Temperatur anzugeben. Kritische Temperatur. Die Kurve AC geht nun nicht bis zu Deliebig hohen Temperaturen. Je höher die Temperatur wird, desto mehr steigt der Dampfdruck. Erhitzt man daher eine Flüssigkeit in einem geschlossenen Gefäß, so wird die Dichte der Gasphase immer größer; da umgekehrt die Dichte der Flüssigkeit wegen der Wärmeausdehnung immer mehr abnimmt, so erreicht man schließlich bei einer bestimmten Temperatur den Zustand, daß die Dichten von Gas und Flüssigkeit gleich werden. Man erkennt dies daran, daß die Flüssigkeitsoberfläche verschwindet und der ganze Inhalt des Gefäßes eine einzige homogene Phase wird. Bei dieser „kritischen" Temperatur hat also die Dampfdruckkurve AC, die die Existenzgebiete von Gas und Flüssigkeit trennt, ein Ende. Verflüssigung von Gasen. Da es oberhalb der kritischen Temperatur nicht mehr zwei Phasen (Gas und Flüssigkeit) gibt, so ist oberhalb dieser Temperatur eine Verflüssigung auch durch noch so großen Druck nicht zu erreichen. Ehe man dies erkannt hatte, glaubte man, daß eine Verflüssigung von Gasen wie Sauerstoff, Stickstoff usw. auch bei Zimmertemperatur möglich sein müsse, wenn nur die Drucke genügend erhöht würden. Diese Versuche mußten negativ verlaufen, da die kritischen Temperaturen dieser

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IX. Atom- und Molekulargewicht

beiden Gase viel tiefer liegen (— 119 bzw. —147°). Erst nachdem man unter diese Temperaturen abkühlte, erwies sich eine Verflüssigung als durchführbar. Die Erreichung derartig tiefer Temperaturen ist u. a. auf Grund einer zunächst sehr unscheinbaren Erscheinung, des sogenannten J o u l e - T h o m s o n - E f f e k t e s , möglich. Wie bereits S. 40/41 erwähnt, treten bei den Gasen Anziehungskräfte zwischen den Einzelmolekeln auf. Wenn man daher ein komprimiertes Gas entspannt, so daß es sich ausdehnt, so muß es gegen diese Anziehungskräfte Arbeit leisten. Die dazu erforderliche Energie gewinnt es dadurch, daß es die in ihm selbst vorhandene Wärmeenergie teilweise verbraucht, sich also abkühlt. Die V e r f l ü s s i g u n g der L u f t gelang L i n d e auf folgendem Wege: Stark komprimierte Luft wird, nachdem die Kompressionswärme durch Kühlung beseitigt ist, entspannt. Das so erhaltene kältere Gas wird benutzt, um einen neuen Anteil komprimierter Luft vorzukühlen. Wenn dieser so schon vorgekühlte Anteil entspannt wird, so erhält man natürlich eine niedrigere Temperatur als das erstemal. Dieses Gas kühlt wieder neue komprimierte Luft, die wieder entspannt wird usw. Durch dauernde Wiederholung dieses Vorganges sinkt die Temperatur schließlich so stark, daß sich die Luft verflüssigt. Wir haben hier also wieder ein typisches Beispiel für das Gegenstromprinzip.

IX. Atom- and Molekulargewicht Seit dem Bestehen der Atomtheorie war es naturgemäß eine wichtige Aufgabe, das G e w i c h t der verschiedenen Atome zu bestimmen. Diese Aufgabe schien zunächst nicht lösbar; man ging daher an eine Teillösung: Man bestimmte das relat i v e Gewicht der Atome, bezogen auf das Gewicht eines Wasserstofiatomes als Bezugsgröße, gab also dem Wasserstoff das Atomgewicht 1. Die Bestimmung des A t o m g e w i c h t e s irgendeines Elementes beantwortete also die Frage nach dem e nes Quotienten" ' Atomes des betr. Elementes ^^ Gewicht eines Atomes Wasserstoff Atomgewicht ist also eine dimensionslose Verhältniszahl. Das Atomgewicht des S a u e r s t o f f s ergibt sich nun auf folgende Weise: Nach S. 21 verhält sich der gewichtsmäßige Anteil von Wasserstoff und Sauerstoff im Wasser wie 1: 7,95.

IX. Atom- und Molekulargewicht

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Da nach S. 27 die Formel des Wassers H 2 0 ist, kommen auf ein Atom Sauerstoff 2 Atome Wasserstoff; das Atomgewicht x des Sauerstoffs — bezogen auf Wasserstoff = 1 — ist also nach dem Ansatz: xß = 7,95 gleich 2 • 7,95, d. h. 15,9. Im Laufe der Zeit zeigte es sich, daß es nicht praktisch ist, den Wasserstoff als Bezugsgröße zu benutzen; denn man ging zu Atomgewichtsbestimmungen in der Regel nicht von Wasserstoff-, sondern von Sauerstoff- oder später besonders gern von Chlor- oder Bromverbindungen (über diese Elemente vgl. Kap. XII u. XVII) aus. Bezieht man daher auf Wasserstoff, so geht in die Berechnung immer noch das Gewichtsveihältnis von Sauerstoff (bzw. von Chlor oder Brom) zu Wasserstoff ein, das sich früher nicht sehr bequem mit der hier erforderlichen Genauigkeit bestimmen ließ. Man war daher dazu übergegangen, nicht den Wasserstoff, sondern den Sauerstoff als Grundlage für die Atomgewichte zu benutzen und ihm definitionsgemäß das Atomgewicht 16 zu geben. Später lernte man die Atomgewichte durch physikalische Methoden („Massenspektrometer", s. S. 160) sehr genau zu bestimmen. Dabei stellte sich heraus, daß die Mehrzahl der Elemente aus mehreren Atomarten bestehen; z. B. sind beim Sauerstoff Atome der Masse 16 (99,76%), 17 (0,04%) und 18 (0,20%) vorhanden; man bezeichnet diese verschiedenen Arten der Sauerstoff-Atome aus Gründen, die wir erst später (Kap. XXV) besprechen werden, als „Isotope". So entstanden zwei Atomgewichtstabellen. In der „chemischen" wurde das natürliche Isotopengemisch des Sauerstoffs gleich 16 gesetzt, die „physikalische" bezog sich auf das Sauerstoffisotop der Masse 16. In den letzten Jahren haben sich die Internationalen Unionen für Chemie und Physik darauf geeinigt, das Kohlenstoffisotop mit der Masse 12 (12C) als Grundlage der Atomgewichte zu benutzen; es gibt damit wieder eine einheitliche Skala. Soweit in diesen Buch Atomgewichte angegeben sind, beziehen sie sich auf diese neue Skala. Das Atomgewicht von Wasserstoff ist in dieser Skala 1,00797; das des Sauerstoffs 15,9994; dies ist so wenig von 16 verschieden, daß man für die meisten Fälle weiter mit 16 rechnen kann. Wenn man bei g a s f ö r m i g e n Elementen die Anzahl der Atome in der Molekel kennt, so ist zur Bestimmung des Atomgewichtes der Umweg über eine Verbindung gar nicht erforderlich. Nach dem Avogadrosehen Gesetz enthalten ja gleiche Volumina verschiedener Gase bei sonst gleichen Be-

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I X . Atom- und Molekulargewicht

dingungen die gleiche Zahl von Molekeln. Die Gasdichten müssen sich also verhalten wie die Gewichte der Einzelmolekeln. Das als Bezugsgröße erforderliche „ M o l e k u l a r g e w i c h t " des Sauerstoffs ist, da die Formel des Sauerstoffs 0 2 ist, gleich dem doppelten Atomgewicht des Sauerstoffs, also 32 ( = 2 • 16). Wenn man also beispielsweise die Gasdichte 1 ) deB Stickstoffs (d N > ) und die des Sauerstoffs ,, , , . ... d N i Mol. Gew. N , ( d 0 l ) gemessen hat, so gut: — = — • Das so do, 32 ermittelte Molekulargewicht des Stickstoffs ist dann gleich dem doppelten Atomgewicht. Nicht immer ist die Bestimmung des Atomgewichts so einfach, wie wir es S. 45 für Sauerstoff zeigten, weil wir meist die Formeln der Verbindungen nicht ohne weiteres ermitteln können. Beim Wasser war dies besonders einfach,weil Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukt gasförmig waren, so daß wir das A v o g a d r o s c h e Gesetz heranziehen konnten. Wie man auch in solchen Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, die Formel und damit auch das Atomgewicht ermitteln kann, sei für die Sauerstoffverbindungen des K u p f e r s gezeigt. Wir kennen hier zwei Oxide, ein schwarzes, sauerstoffreicheres, und ein rotes, sauerstoffärmeres. Bei der Reduktion mit Wasserstoff erhalten wir in beiden Fällen Metall. Ein Versuch möge folgende Werte ergeben haben: 3,3675 g des schwarzen Oxids lieferten 2,6901g Metall, 4,2007 g des roten 3,7309 g. Der dem Sauerstoffgehalt entsprechende Gewichtsverlust betrug also 0,6774 bzw. 0,4698 g. Auf 1 g Metall kamen demnach bei dem schwarzen Oxid 0,2518 g Sauerstoff, bei dem anderen 0,1259g, also halb so viel. Um nun zu der F o r m e l der beiden Oxide zu kommen, gehen wir zunächst von dem Gesichtspunkt aus, daß die e i n >) Bei genauen Messungen maß zur Berücksichtigung der Abweichungen vom Idealen Gaszustand (vgl. S. 40/41) auf den Druck Null extrapoliere werden.

IX. Atom- und Molekulargewicht

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f a c h s t e n Formeln die wahrscheinlichen sind (vgl. dazu S. 26). In Frage kommen also: a) schwarzes Oxid CuO, rotes Cu 2 0; b) schwarzes Oxid Cu0 2 , rotes CuO. Beide Formulierungen sind zunächst gleichberechtigt. Das A t o m g e w i c h t x ist nach a) durch folgende Proportion gegeben: x/16 = 1/0,2518 bzw. 2x/16 = 1/0,1259. Daraus folgt x = 63,54. b) ergibt x/2-16=1/0,2518 bzw. x/16= 1/0,1259. Also x = 127,08. Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann man eine von den französichen Forschern D u l o n g und P e t i t 1818 gefundene Regel benutzen: Das Produkt aus der spezifischen Wärme bei Zimmertemperatur und dem Atomgewicht, die A t o m w ä r m e , liegt bei der überwiegenden Mehrzahl1) der Elemente, soweit sie bei Zimmertemperatur feste Stoffe sind, nahe bei 6 cal/Grad u. Grammatom 2 ). Nun beträgt die spezifische Wärme des Kupfers bei Zimmertemperatur rund 0,092 cal/Grad u. g. Das Produkt aus spezifischer Wärme und Atomgewicht wäre also gemäß a) 63,5 • 0,092=5,8, gemäß b) 127 • 0,092 = 11,7 cal/Grad u. Grammatom. Es ist also nur der unter a) errechnete Wert mit der DulongPetitschen Regel verträglich. Das Atomgewicht des Kupfers ergibt sich also aus unserem Versuch zu 63,54; das schwarze Oxid hat die Formel CuO, das rote CuaO. Schon bei der Aufsstellung des ersten Atomgewichtssystems durch B e r z e l i u s hat sich die von M i t s c h e r l i c h am Beispiele der Verbindungen KH 2 P0 4 und KH 2 As0 4 zuerst erkannte Regel als wichtig erwiesen, daß analog zusammengesetzte Verbindungen ähnJ ) Ausnahmen bilden einige leichte, sehr hoch schmelzende Elemente (B, C, Si), die bei Zimmertemperatur eine kleinere Atomwärme besitzen. a ) Eine kleine Kalorie (cal) ist die Wärmemenge, die erforderlich ist, um 1 g Wasser von 14,5" auf 15,5° zu erwärmen. 1000 cal bezeichnet man als große oder Kilo-Kalorie (kcal). Über Grammatom vgl. S. 48.

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IX. Atom- und Molekulargewicht

liehe Kristallgestalt besitzen und Misch- 1 ) und Überwachsungskristalle bilden, d. h. i s o m o r p h sind. Die Bedeutung dieser Regel für die Atnmgewichtsbestimmungen sei an foleendem Beispiel dargelegt: Es ist im festen Zustande nur ein Oxid des Aluminiums bekannt. Das Prinzip der Einfachheit würde die Formel Alt) verlangen. Da aber das Aluminiumoxid dem Eisenoxid der Formel Fe 2 O s isomorph ist, muß man auch die Formel des Aluminiumoxides zu Al2Os annehmen und die bei der Analyse gefundenen Zahlen nach diesen Atomverhältnissen für das Atomgewicht auswerten.

Diese Betrachtungen über Atomgewichte zeigen, daß gleiche Gewichtsmengen verschiedener Elemente vom Standpunkte des Chemikers aus keine vergleichbaren Mengen darstellen. 1 g Wasserstoff enthält ja viel mehr Atome als 1 g Sauerstoff, weil das Atomgewicht des Wasserstoffs viel geringer ist. Man bezieht daher Zahlenangaben in der Chemie stets auf solche Mengen, die den Atomgewichten proportional sind. Gewöhnlich wählt man „Gramm-Atome", d. h. also 1,008 g Wasserstoff, 16 g Sauerstoff usw., und bezieht alle gemessenen Größen auf diese Gewichtsmenge, wie wir es soeben bei der Atomwärme gesehen haben. Handelt es sich um Verbindungen, so pflegt man in genau entsprechender Weise mit „ G r a m m - M o l e k e l n " , abgekürzt „Mol", zu rechnen. Ein Mol H 2 0 bedeutet also 18,016 g (also rund 18 g) H 2 0. Auch bei Elementen kann man von Mol sprechen. So ist 1 Mol Sauerstoff 32 g2). Mit der Einführung der Atom- und Molekulargewichte werden die chemischen Symbole gleichzeitig Gewichtsangaben und die chemischen Gleichungen Gewichtsglei1 ) Ein M i s c h k r i s t a l l stellt gleichsam eine kristallisierte Lösung dar (feste Lösung). Er ist homogen wie diese, aber geordnet aufgebaut wie ein Kristall. Z. B. entsteht ein Mischkristall von NaCl mit NaBr aus einem NaClKristall dadurch, daß an Stelle einzelner Cl-Teilchen Br-Teilchen treten. ! ) Bei festen Stoffen hat, wie wir später sehen werden, der Molekelbegriff vielfach keine Bedeutung; die „ F o r m e l " der Verbindung ist dann eigentlich nur die einfachste Angabe der Zusammensetzung. Die Formel AM), z. B. sagt nur aus, daß im Kristall das Verhältnis der AI- zu den O-Teilchen 2 : 3 ist, Al s O a -,, Molekeln" gibt es im Kristall nicht. Man spricht daher in solchen Fällen korrekter nicht vom „Molekular"-, sondern vom „Formel-Gewicht", bezeichnet dies aber doch abgekürzt als „Mol".

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chungen. Z. B. liefert die Formel CuO des schwarzen Kupferoxides den Kupfergehalt (x) dieser Verbindung; denn es gilt x/100 = 63,54/79,54 Der Kupfergehalt beträgt also 79,9%. Ferner bedeutet: 2 H 2 + 0 2 = 2 H 2 0, daß 4,032 g Wasserstoff mit 31,999 g Sauerstofl 36,031 g Wasser ergeben. Besonders einfach werden die Gasgesetze, wenn man von den verschiedenen Veränderlichen die Menge auf jeweils 1 Mol, also beispielsweise 31,999 g 0 2 oder 2,0159 g H2 festlegt. Das A v o gadrosche Gesetz ergibt ja ohne weiteres, daß dann— Gleichheit von Temperatur und Druck vorausgesetzt — die Volumina aller Gase gleich werden. Für Normalbedingungen, 0° und 760 mm, erhält man dieses Volumen z. B. aus der Gasdichte des Wasserstoffs (0,089870 g/Liter) zu 2,0159/0,089870 = 22,43 Liter 2). Das auf 1 Mol bezogene Gasgesetz nimmt also folgende Form an: 1 . 22 414 31 p . v = -¡¡^¡TT • T = 0,08205 • T = R• T Liter-Atmosphären. a (0,1b

Die Produkte p • v bzw. R - T stellen eine Energiegröße dar, nämlich Liter-Atmosphären. Drückt man p • v in kleinen Kalorien aus, so wird R = 1,986 cal/Grad u. Mol. Für eine beliebige Menge Gas von g Gramm bzw. n Mole, wobei n = g/Mol.-Gew. ist, gilt p • v = n • ET bzw. p. v = g/Mol.-Gew. • RT. Da p, v, g und T meßbar sind und R für alle Gase den gleichen Wert hat, kann man so das Molekulargewicht von G a s e n bestimmen. Solche Bestimmungen sind auch für flüssige oder feste Stoffe durchführbar, wenn man die Untersuchungen bei so hohen Temperaturen durchfühlt, daß sie in den gasförmigen Zustand übergegangen sind. Bequem ist hier die Methode von V. Meyer 4 ) (vgl. Abb. 9). Bei dieser wird zunächst die Heizflüssigkeit zum ') 63,54 Atomgewicht von Cu; 79,54 ( = 63,54 + 16,00) Formelgewicht von CuO. *) Für 20°, also mittlere Zimmertemperatur, folgt ein Wert von 22,4 • 293/273, d. h. ~ 24 Litern. a ) Die Abweichung gegenüber der oben für Wasserstoff berechneten Zahl 22,43 rührt daher, daß der Wert 22,414 für ideale Gase gilt, während Wasserstoff wie alle realen Gase die Gesetze für ideale Gase nicht ganz streng befolgt. Bei den meisten anderen Gasen sind die Unterschiede noch etwas größer. Victor M e y e r lebte von 1848 bis 1897; die Mehrzahl seiner Arbeiten betrifft die organische Chemie. K l e m m , Anorganische Chemie

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I X . Atom- und Molukulargewicht

Sieden gebracht und so lange gewartet, bis keine Blasen mehr aufsteigen. Dann setzt man das mit Wasser gefüllte Meßrohr auf und läßt das Wägegläschen mit der zu untersuchenden Substanz herunterfallen, so daß diese verdampft und eine entsprechende Menge Luft in das Meßrohr getrieben wird. Das beobachtete Volumen Luft entspricht dem Volumen, das die Substanz im gasförmigen Zustand bei Zimmertemperatur — nicht der Meßtemperatur! — einnehmen würde. Das Verfahren ist nur beschränkt anwendbar, wenn man Dissoziationsgleichgewichte (vgl. z. B. Schwefeldampf, Kap. X V I I I ) messen will. Läßt sich so von einer Substanz, wenn sie nur unzersetzt verdampfbar ist, das Molekulargewicht relativ leicht feststellen, so ist die Bestimmung der Z a h l der A t o m e in der M o l e k e l — die zur Ermittlung des Atomgewichtes aus der Gasdichte bekannt sein muß — vgl. S. 44/45, schwieriger. Man kann hier von den s p e z i f i s c h e n W ä r m e n c ausgehen. Die auf ein Mol bezogenen Werte, die Molwärmen 0 = c • MolGew. stehen, wie die Theorie im einzelne!} zeigt, in enger Beziehung zur Gaskonstanten R . Bei konAbb. 9. Bestimmung der Dampf- stantem Volumen gilt für ein eindichte nach Victor Meyer atomiges Gas, das nur Translationsbewegungen (in den drei Richtungen des Raumes) ausführen kann: C v = 3 • R/2. Bei zweiatomigen Molekeln (Hantelgestalt!)kommen Rotationen um zwei Richtungen hinzu: C v = (3 + 2) • R/2. Bei drei- und mehratomigen Molekeln ist C v = (3 + 3)-R/2. Bei konstantem Druck muß wegen der Ausdehnung durch Erwärmung noch Arbeit gegen den äußeren Druck geleistet werden, die C p -Werte sind jeweils um den Wert R größer als C T . Da die spezifischen Wärmen, namentlich C v , unbequem zu bestimmen sind, ermittelt man Cp/Ov; dieser Quotient ist z. B. aus der leicht meßbaren Schallgeschwindigkeit abzuleiten.

IX. Atom- und Molukulargewicht

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Wegen der einfachen Volumenverhältnisse bei Gasen kann man gewisse „ s t ö c h i o m e t r i s c h e " 1 ) R e c h n u n g e n , bei denen Gase auftreten, besonders leicht durchführen. Wir wollen als Beispiel berechnen, wieviel Liter Luft zur Verbrennung von 1 g Kohlenstoff (zu C02) erforderlich sind, und zwar überschläglich. Nach der Gleichung Ciest + 0 2ga sf. = C0 2ga si. werden für 12 g C bei Zimmertemperatur 1 Mol, d. h. ~ 241 (vgl. S. 49, Anm. 2) 0 2 gebraucht; für 1 g also ~ 21 0 2 ; da die Luft zu etwa aus 0 2 besteht, sind dies ~ 10 1 Luft. Anhang: Das absolute Gewicht der Atome. Die Frage nach dem a b s o l u t e n Gewicht der Atome wurde bereits 1866 von dem Wiener Physiker L o s c h m i d t erstmalig beantwortet. Heute kennt man eine ganze Reihe von Methoden, mit denen man das Verhältnis: Atomgewicht in Gramm . . . , __ „ , , ,. t,—. " , — - ; — — — bestimmen kann. Diese Zahl, die man als Gewicht des Einzelatoms L o s c h m i d t sehe Zahl bezeichnet, ist natürlich identisch mit der Zahl der Molekeln in einem Mol, also bei Gasen unter Normalbedingungen in 22,41 Litern. Sie beträgt 6,023 • 1022. Dabei bedeutet bekanntlich 10M eine 1 mit 23 darauffolgenden Nullen 2). IWasserstoffatom wiegtalsogQg'g 1023 = !>674• 1 0 - 2 4 g

In einem

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' 6 023 • 10 = ccm Gas sind bei Normalbedingungen ' r ä 2,69 • 101® Mole¿¿,il—-T llr kein vorhanden. Eine Vorstellung von diesen Zahlen ist schwer zu gewinnen; sie sind für das menschliche Vorstellungsvermögen nicht mehr faßbar. Wie groß sie sind, erkennt man vielleicht daran, daß die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen etwa 3 Milliarden (3 • 10") beträgt; also erst auf etwa 9 Milliarden Erden würden so viel Menschen leben, wie der Zahl der Molekeln in 1 ccm Gas entspricht 1 Man könnte grundsätzlich statt mit den auf 16 bezogenen r e l a t i v e n Atomgewichten auch mit den a b s o l u t e n rechnen. Das ist für chemische Zwecke aber nicht zu empfehlen, vor allem deshalb nicht, weil die L o s c h m i d t sehe Zahl noch immer mit einer Unsicherheit behaftet ist, die größer ist wie die bei vielen Atomgewichtsbestimmungen heute erreichte Genauigkeit. Auch müßte man sonst immer einen Faktor 1023 mitschleppen, um Gewichte in g zu erhalten. 1 ) Stöchiometrie = Grundstoffmessung. ') 100 ist also 10S 1 = 10», 1/100 = 10"2.

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X. Stöchiometrische Wertigkeit

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X. Stöchiometrische1) Wertigkeit Der Wertigkeitsbegrifi. Daß sich zwischen Wasserstoff and Sauerstoff nur eine s t a b i l e Verbindung der Formel H 2 0 bildet, muß natürlich irgendwie mit dem Bau der Atome zusammenhängen. Auf diesen wird man auf Grund der chemischen Erfahrungen zurückschließen können, wenn man allgemeinere Gesetzmäßigkeiten über die Zahlenverhältnisse ermitteln kann, nach denen sich die verschiedenen Elemente miteinander verbinden. Wir wollen zeigen, wie man zu solchen Gesetzmäßigkeiten kommen kann. Andere Elemente als Sauerstoff verbinden sich mit Wasserstoff nach anderen Atomverhältnissen. So gibt Wasserstoff mit dem Element Chlor (Cl) eine Verbindung HCl, den Chlorwasserstoff, mit Stickstoff eine Verbindung NH3, das Ammoniak. Die Zahl der Wasserstoffatome, die gebunden werden können, ist also bei diesen drei Elementen verschieden, sie beträgt bei Chlor 1, bei Sauerstoff 2, bei Stickstoff 3. Schreibt man dem Wasserstoff als Bezugssubstanz die „stöchiometrische 1 ) W e r t i g k e i t " 1 zu, dann ist Chlor im Chlorwasserstoff einwertig, Sauerstoff im Wasser zweiwertig, Stickstoff im Ammoniak dreiwertig. Vergleicht man nun die Zusammensetzung der Verbindungen, die die Elemente Lithium (Li), Calcium (Ca) und Aluminium (AI) mit den eben genannten Elementen bilden, so ergeben sich folgende Reihen: LiCl Li 2 0 Li s N

CaCl2 A1C1S CaO ( = 1/2 Ca 2 0 2 ) A1203 Ca3N2 AIN(= 1/3A13N3).

Man erkennt sofort, daß die Formeln der Lithiumverbindungen völlig die gleichen sind wie die der Wasserstoffverbindungen; Lithium ist also in diesen Verbindungen ebenfalls ») Vgl. S. 51 Anm. 1.

X. Stöchiometrische Wertigkeit

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stöchiometrisch einwertig. Auch bei der Zusammensetzung der Calcium- und Aluminiumverbindungen zeigen sich ähnliche Regelmäßigkeiten. So ist die Zahl der Calcium-Atome, die von je einem Chlor-, Sauerstoff- oder Stickstoffatom gebunden werden, 1/2,1, 3/2. Das Verhältnis ist also auch hier 1:2:3. Die entsprechenden Zahlen beim Aluminium sind 1/3, 2/3,1, sie verhalten sich also ebenfalls wie 1:2:3. Der Unterschied ist aber der, daß ein Calcium-Atom sich mit doppelt, ein Aluminium-Atom mit dreimal soviel Chlor (und auch Sauerstoff oder Stickstoff) verbunden hat wie ein Wasserstoff- oder Lithiumatom. Calcium tritt demnach in diesen Verbindungen zweiwertig, Aluminium dreiwertig auf. Das Bedeutsame ist nun, daß die in den oben genannten Verbindungen vorhandenen Wertigkeitszahlen in außerordentlich vielen Verbindungen vorkommen, ja daß bei vielen Elementen die Wertigkeit in nahezu a l l e n Verbindungen die gleiche ist. So kennt man keine einzige Verbindung, in der der Wasserstoff eine andere Wertigkeit hat als 1. Auch Sauerstoff, Natrium, Calcium und Aluminium kommen in Verbindungen fast nur mit den oben genannten Wertigkeiten vor. Warum dies so ist, werden wir im Kap. XXV sehen. Beim Chlor und Stickstoff jedoch werden wir eine große Reihe von Verbindungen kennenlernen, für die dieses einfache Schema konstanter Wertigkeiten nicht ausreicht; diese beiden Elemente kommen vielmehr mit w e c h s e l n d e r Wertigkeit vor. Ähnliches haben wir auch beim Kupfer schon kennengelernt, das sowohl stöchiometrisch zweiwertig (im CuO) als auch einwertig (im CuaO) auftreten kann. Benennung chemischer Verbindungen. Die Bezeichnung Kupferoxid ist daher nicht eindeutig, da man nicht weiß, welches der beiden Oxide gemeintist. Es gab bisher verschiedene Bezeichnungsweisen, um diesen Unterschied zu kennzeichnen, was sehr störend war. Durch die Internationale Union für Reine und Angewandte Chemie sind jedoch Richtsätze aufgestellt worden, die allgemein

X. Stöchiometrische Wertigkeit

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angewendet werden sollten. Wir nennen aber auch die alten Bezeichnungen, da man sie gelegentlich noch findet. Veraltet sind folgende Bezeichnungen: a) Man bezeichnete die sauerstoffärmere Verbindung als Oxydul; also CuO Kupferoxyd, CujO Kupferoxydul. b) Man hängte an den abgekürzten lateinischen Namen des Metalls bei der Verbindung höherer Wertigkeit ein i, bei der niederer Wertigkeit ein o an; CuO Cuprioxyd, CujO Cuprooxyd. Nach den R i c h t s ä t z e n sollen folgende Bezeichnungen benutzt werden: a) Man gibt durch ein griechisches Zahlwort die Zahl der Atome in der Molekel an; die Bezeichnung „Mono" wird dabei in der Regel weggelassen. So pflegt man die Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen folgendermaßen zu bezeichnen: Distickstoffpentoxid, N 2 0 3 Distickstofftrioxid, N„04 Distickstofftetroxid, NO Stickstoffoxid, NO, Stickstoffdioxid, NaO Distickstoffoxid. b) Während diese Bezeichnung für alle Verbindungen anwendbar ist, eignet sich die nachstehende, auf A. S t o c k zurückgehende Bezeichnung vor allem für salzartige Verbindungen: die Wertigkeit des Metalls wird durch eine römische Ziffer hinter den Namen des Metalls angegeben: Also CuO Kupfer(Il)-oxid (gesprochen: Kupferzweioxid), Cu20 Kupfer (I)-oxid. Neuerdings wird vorgeschlagen, mit Rücksicht auf die internationale Vereinheitlichung den Namen des Metalls lateinisch auszudrücken, also Cuprum(II)oxid usw.; dies ist aber international noch nicht verbindlich. N2Os

Äquivalentgewicht. Im Zusammenhang mit dem Wertigkeitsbegrifi wollen wir noch einen in der Praxis des Chemikers viel benutzten Begriff nennen, der auch in der geschichtlichen Entwicklung des Atomgewicht-Systems eine große Rolle gespielt hat: das Ä q u i v a l e n t g e w i c h t . DarunAtomgewicht ter verstehen wir den Quotienten Das ÄquiWertigkeit valentgewicht des Sauerstoffs ist also 16/2 = 8. Kommt ein Element in verschiedenen Wertigkeitsstufen vor, so ist das Äquivalentgewicht keine Konstante, sondern es wechselt

XI. Thermochemie

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nach dem jeweiligen Zustande des Atoms. Im CujO z. B. ist das Äquivalentgewicht des Kupfers 63,54, im CuO ist es dagegen nur halb so groß.

XI. Thermochemie Betrachtet man die Energieänderungen bei chemischen Reaktionen, so ist eine praktisch wie theoretisch wichtige Größe die bei einer Reaktion auftretende W ä r m e t ö n u n g ; bei der Bildung der meisten chemischen Verbindungen wird Wärme abgegeben, sie sind „exotherm", bei einigen wird Wärme aufgenommen, sie sind „endotherm". Der Gehalt an Wärmeenergie nimmt also in dem betrachteten System bei der Bildung einer exothermen Verbindung ab, die R e a k t i o n s e n t h a l p i e 1 ) AB, die zur Bildung der Verbindung aus den Bestandteilen gehört, ist negativ, bei der Bildung endothermer Verbindungen ist AB positiv2). Die experimentelle Bestimmung der Wärmetönung einer Reaktion kann auf sehr verschiedene Weise erfolgen. Man kann z. B. zur Bestimmung der bei der Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff freiwerdenden Wärme so vorgehen, daß man eine gemessene Menge von Wasserstoff mit Luft in einem offenen Gefäß verbrennt, das sich in einem bestimmten Volumen von Wasser befindet; das Gefäß muß aber so gestaltet sein, daß evtl. austretende Gase alle Wärme an das umgebende Wasser abgegeben haben. Ist das ganze System gegen Wärmeverluste geschützt, z. B. durch Verwendung eines doppelwandigen evakuierten Gefäßes (Weinholdbecher), so wird die bei der Verbrennung entwickelte Wärme zur Erwärmung des Wassers, des Einsatzgerätes zur Verbrennung und des Innenteils des Weinholdbechers verwendet; nur ein geringer Teil wird abgestrahlt. Aus der Temperatursteigerung, der Menge des Wassers (und der anderen Teile) und der spezifischen Wärme des Wassers usw. läßt sich dann die Reaktionswärme ermitteln. *) Die Enthalpie (von ¿VQ&ATTEII' = sich erwärmen) bezieht sich auf konstanten Druck; sie faßt die Änderung der inneren Energie und Arbeitsleistung zusammen. ') Früher gab man diese thermochemischcn Daten als „ B i l d u n g s w ä r m e n " an; diese sind zahlenmäßig den ¿IH-Werten gleich, haben aber umgekehrte Vorzeichen.

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XI. Thermochemie Die t h e r m o c h e m i s c h e Gleichung: H2ga9f. + 1/2 Oaga8f. = H20flüssig! AH = —68,32 kcal1)

besagt in Worten: bei der Vereinigung von 2,016 g Wasserstoffgas und 15,999 g Sauerstoffgas zu 18,015 g flüssigem Wasser werden 68,32 kcal frei; um diesen Betrag-vermindert sich der Wärmeinhalt des Systems. Die B i l d u n g s e n t h a l p i e des Wassers beträgt also — 68,32 kcal/Mol. Schon einige Jahre vor der Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie durch J. R. Mayer, J. P. J o u l e und H. v. H e l m h o l t z hatte der russische Forscher G. H. Hess 1840 erkannt, daß man mit thermochemischen Gleichungen rechnen kann, wie mit algebraischen. Addiert man z. B. zu der obigen Gleichung die Gleichung für die Verdampfung des Wassers: HzOflüssig = H2Oga8f.; AH = + 9 , 7 0 kcal, so erhält man H2gasf. + 1/2 02gasf. = H 2 0 g a s ,.; AH = —58,62 kcal. Bei der Bildung von Wasserdampf wird also weniger Wärme frei, als wenn sich flüssiges Wasser bildet; das ist bei der Beurteilung von Brennstoffen zu beachten (vgl. dazu S. 146). Als weiteres Beispiel für die Anwendung des Hessschen Satzes wollen wir die B i l d u n g s e n t h a l p i e v o n W a s s e r s t o f f p e r o x i d ausrechnen. Diese kann man direkt nicht bestimmen, wohl aber läßt sich die bei der Zersetzung von H 2 0 2 zu H 2 0 + l/2 0 2 freiwerdende Wärme messen; man erhält die thermochemische Gleichung: 2 H 2 0 2 , flüss., wasserfrei, = 2 H 2 Onüss. +

0 2 g a s f . ; AK

= — 47 k c a l .

Zieht man diese Gleichung von der Gleichung In solchen thermochemischen Gleichungen bezeichnet man oft den gasförmigen Zustand durch runde, den festen durch eckige Klammern; für den flüssigen Zustand hat man sich noch nicht auf eine bestimmte Bezeichnung geeinigt. In Wasser gelösten Stoffen gibt man den Index aq (von aqua). Die obige Gleichung kann man daher auch schreiben: (H a ) + J / t ( 0 2 ) =•• H a O fl.

XI. Thermochemie

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2 H2gasf. + 02gasf. = 2 H20flflas.; AH = —136,6 kcal, ab, so ergibt sich, wenn man ordnet und kürzt: H2gasf. + Ojgasf. = H202£1ÜS3.,wasserfrei; AH = —44,8kcal. H 2 0 2 ist also an sich ein exothermer Stoff mit negativer Bildungsenthalpie; wenn es trotzdem unbeständig ist, so liegt dies daran, daß die Bildungsenthalpie von H 2 0 noch stärker negativ ist.

Freie Reaktionsenthalpie. Die soeben besprochenen Reaktionsenthalpien sind von großer Bedeutung zur Beantwortung der Frage, ob eine Reaktion erfolgt oder nicht. Allerdings sind die Zusammenhänge nicht ganz so einfach, wie man zunächst angenommen hatte. Nach einer von B e r t h e lot 1 ) aufgestellten Regel sollte nämlich eine Reaktion der allgemeinen Form A + B = C + D vollständig von links nach rechts verlaufen, wenn sie exotherm ist (¿JH < 0), und vollständig von rechts nach links, wenn sie endotherm ist (zlH > 0). Tatsächlich gilt dies Prinzip streng nur beim absoluten Nullpunkt. Es ist aber mit guter Näherung auch bei Zimmertemperatur und sogar darüber gültig, wenn es sich bei den Anfangs- und Endstoffen nur um feste (reine) Stoffe handelt. Treten jedoch Gase oder Lösungen (Schmelzen, Mischkristalle und ähnliches) als Reaktionsteilnehmer auf, so kann die Berthelotsche Vorstellung schon deshalb nicht zutreffen, weil sich Gleichgewichte einstellen, an denen Anfangs- und Endstoffe mit bestimmten Mengenverhältnissen beteiligt sind. So sahen wir bereits, daß Wasser bei hohen Temperaturen teilweise dissoziiert ist. Es erfolgt also nicht nur in exothermer Reaktion Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff, bis das Gleichgewicht erreicht ist, sondern es zersetzt sich auch in endothermer Reaktion Wasser, bis diese Zusammensetzung vorhanden ist. Auch diese Zersetzung erfolgt freiwillig, obgleich sie Wärme verbraucht. l

) Der französische Forscher D. B e r t h e l o t lebte 1827—1907.

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XII. Chlor und Chlorwasserstoff

Es hat dies seinen Grund darin, daß der Verlauf der Reaktionen und der stabile Endzustand (Gleichgewicht) nicht von der Enthalpie AH allein bestimmt wird, sondern von der „freien Enthalpie" AG, die der Gleichung AG = AR — T-ZlS entspricht. Hierbei ist ZlS die „ R e a k t i o n s e n t r o p i e " 1 ) , d. h. die Differenz zwischen der Summe der Entropien S der Endprodukte und der der Ausgangsstoffe. Diese Entropien hängen bei festen Stoffen eng mit den Molwärmen zusammen: T

Q

/ ~ • dT; handelt es sich um Flüssigkeiten oder Gase, o so kommen dazu noch die relativ großen Werte der Schmelzund Verdampfungsentropien. Das Glied T -zlS macht bei tiefen Temperaturen und bei Umsetzungen zwischen festen Stoffen nicht viel aus; es wird aber von großer Bedeutung bei hohen Temperaturen und beim Auftreten von Flüssigkeiten und besonders von Gasen; damit kann AG ein anderes Vorzeichen bekommen als AB, unter Umständen, insbesondere bei kleinem AH, kann das Entropieglied das Verhalten praktisch allein bestimmen. Wichtig ist, daß zwischen AG und der Gleichgewichtskonstanten K (vgl. dazu Kap. XXII) enge Beziehungen bestehen (AG = —R • T In K). Damit werden solche Berechnungen für den Chemiker von sehr großer Bedeutung. Näher können wir jedoch auf diese Zusammenhänge nicht eingehen; Einzelheiten s. Lehrbücher der physikalischen Chemie bzw. der Thermodynamik.

XII. Chlor und Chlorwasserstoff Elektrolysiert man eine Lösung von Kochsalz in Wasser, so erhält man an der negativen Elektrode ein Gas, das wir 1 ) In der E n t r o p i e , die in cl (Clausius) gemessen wird, kann man ein Maß für die Unordnung in dem betreffenden Stoff sehen; das wird besonders deutlich, wenn man sich die starke Zunahme von S beim Schmelzen und vor allem beim Verdampfen vor Augen führt; die Verdampfungsentropie (Verdampfungswärme/Siedetemperatur) liegt bei den meisten Stoffen bei 20—22 cl (T r o u t o n sehe Kegel).

XII. Chlor und Chlorwasserstoff

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schon kennen, nämlich Wasserstoff. Dieses kann natürlich ebensogut aus dem Kochsalz wie aus dem Wasser stammen. Wir werden im Kap. XXVI sehen, daß das letztere der Fall ist. An der positiven Elektrode entsteht aber ein uns bisher unbekanntes Gas, das nicht aus dem Wasser stammen kann. Es ist gelbgrün, besitzt einen stechenden Geruch und reizt die Schleimhäute stark. Da eB sich als unzerlegbar erwiesen hat, liegt ein Element vor, dem man wegen seiner Farbe (x^mgög gelbgrün) den Namen Chlor (Cl) gegeben hat. Chlor ist ein außerordentlich reaktionsfähiger Stoff. So entzündet sich weißer Phosphor in Chlor und verbrennt zu Phosphorchlorid. Ebenso glüht schwach erwärmtes Antimonpulver auf, wenn man es in Chlorgas schüttet. Die Reaktionsfähigkeit des Chlors gegenüber manchen Metallen verschwindet, wenn Wasser auch in Spuren nicht vorhanden ist. So greift Chlor in ganz trockenem Zustande Eisen nicht an und kann daher in verflüssigter Form in Stahlflaschen oder sonstigen Druckgefäßen aufbewahrt und in Tankwagen usw. versandt werden. Besonders wichtig ist das Verhalten von Chlor gegenüber Wasserstoff. Eine Wasserstoffflamme brennt in Chlorgas mit fahlgrüner Farbe weiter. Daß dabei gemäß der Gleichung 1 ^ + 0 1 2 = 2 1 1 0 1 C h l o r w a s s e r s t o f f g a s entsteht, wurde schon S. 26 besprochen. Das Gemisch von Wasserstoff und Chlor ähnelt dem Knallga s. Wie dieses verändert es sichbeiZimmertemperaturnicht. Entzünden wir es, so erfolgt auch hier die Vereinigung unter heftigem Knall. Man bezeichnet es daher auch als „Chlorknallgas". Auffällig ist nun, daß die Reaktion auch durch Licht ausgelöst werden kann, so z. B. durch Belichten mit einer Bogenlampe. Durch die Einstrahlung von Licht wird nämlich dem System Energie zugeführt, so daß Chlormolekeln in Atome gespalten werden. Diese leiten die Reaktion ein, die dann als sogenannte „ K e t t e n r e a k t i o n " weiterläuft: 1) Cl + H 2 H C l + H; 2) H + Cl2 -»• HCl + Cl. Dabei bilden die Reaktionen 1) und 2) die Glieder einer fortlaufenden Kette, die erst dann abreißt, wenn z. B. nach der Gleichung Cl + Cl = Cla die Cl-Atome verschwinden.

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XII. Chlor und Chlorwasserstoff

Bei dieser „ p h o t o c h e m i s c h e n " Auslösung der Knallgasreaktion erweist sich die Farbe des Lichtes von größter Bedeutung. Allgemein gilt die E i n s t e i n s c h e Beziehung e = h • v; dabei ist e das „Energiequantum", das pro Molekel aufgenommen werden kann; h ist eine Konstante, das P l a n c k s c h e Wirkungsquantum (h = 6,62 • 10~27 erg • sec) und v — c/A ist die Frequenz der Strahlung (c = Lichtgeschwindigkeit). Bei großer Wellenlänge 1 ist also v und damit s klein, bei kleinerem X ist e groß. Dem entspricht für die Chlorknallgasreaktion, daß das langwellige, rote Licht ohne Einfluß ist; nur die blauen und violetten, d. h. also die kurzwelligen Strahlen sind in der Lage, die Cl2-Molekel zu spalten, nur in diesem Gebiet absorbiert Chlor das Licht. Bei der Chlorknallgasreaktion dient das Licht nur zur A u s l ö s u n g einer Reaktion, die unter Energieabgabe erfolgt; das Licht entspricht hier dem Streichholz beim Anzünden einer Gasflamme. Es gibt aber auch photochemische Reaktionen, bei denen durch die Einwirkung des Lichtes energiereiche Stoffe gebildet werden; diese Reaktionen verlaufen nur so lange, wie das Licht einwirkt, es wird laufend Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt. Die wichtigste photochemische Reaktion dieser Art ist die Assimilation (vgl. S. 37, Anm. 1).

Chlorwasserstoff ist farblos und von stechendem Geruch; an der Luft bildet er Nebel. Dies hängt damit zusammen, daß er sich begierig und unter starker Wärmeentwicklung in Wasser löst und infolgedessen mit dem Wasserdampf der Luft Flüssigkeitströpfchen bildet. Die wäßrige Lösung des Chlorwasserstoffs bezeichnet man als S a l z s ä u r e , die gesättigte Lösung enthält je nach der Temperatur 40—45% HCl. Erhitzt man eine verdünnte HCl-Lösung, so geht im wesentlichen Wasser weg; bei einem Gehalt von 20,24% siedet dann bei 1 Atm. Druck bei 110° ein konstant siedendes Gemisch; entsprechend gibt konzentrierte Salzsäure im wesentlichen HCl ab und man kommt zu der gleichen Zusammensetzung („Azeotropes Gemisch", vgl. S. 32). Beim Abkühlen scheiden sich aus der Lösung kristallisierte Hydrate aus: HCl • H 2 0 bzw. HCl • 3 ELjO. Die Darstellung von Chlorwasserstoff kann auch aus Kochsalz direkt erfolgen, indem man konzentrierte Schwe-

XIII. Säuren, Basen, Salze

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feisäure darauf einwirken läßt. Um die Umsetzung verstehen zu können, müssen wir die Zusammensetzung dieser beiden Stoffe kennen. Kochsalz enthält neben Chlor noch Natrium, es hat die Formel NaCl, während die Schwefelsäure gemäß der Formel H 2 S0 4 aus "Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel zusammengesetzt ist. Die Gleichung der Umsetzung ist NaCl + H 2 S0 4 = HCl + NaHS Zustand —217,96° —101,00® — 7,3® +113,6® im Gas- J —187,92® — 34,06® +58,8® +184,5® Schmelzpunkt 1 ) Siedepunkt 1 ) + 45,4 + 35,6 + 37 + 57,2 Dissoziationsenthalpie pro Mol in kcal Wasserstoff Verbindungen Schmelzpunkt 1 ) . . . Siedepunkt 1 ) Bildungsenthalpie8) pro Mol in kcal.

—83,07® —114,22® —86,82° —50,8® + 1 9 , 9 ° — 85,05® —66,73® —35,36® —64,2

— 22,06 — 8,16

+

6,20

ähnlich wie Wasser (vgl. S. 75/76), einen sehr viel stärker ausgeprägten Dipolcharakter besitzt als die anderen Halogenwasserstoffe 3 ). Dadurch treten zwischen den HF-Molekeln besonders große Anziehungskräfte auf, so daß der Siedepunkt erhöht wird. Außerdem spielt die Kleinheit des F~-Ions eine Rolle; dadurch kommen die Molekeln einander sehr nahe, und es bilden sich nicht nur im Kristall und der Schmelze, sondern auch im Gas dicht oberhalb der Siedetemperatur Ketten mil zickzackförmigei Anordnung der F-Atome oder auch bei bestimmten Bedingungen Ringe. In Celsius-Graden. *) Aus dem bei Zimmertemperatur vorliegenden Zustand, also gasförmigem Wasserstoff, Fluor und Chlor, flüssigem Brom und festem Jod. Bezieht man sich auf gasförmiges Brom und Jod, so werden die Bildungsenthalpicn um die Verdampfungsenthalpie des Broms bzw. die Sublimationsenthalpie des Jods stärker negativ. Dadurch ändert sich aber der Gang nicht. 8 ) Außerdem dürfte noch ein besonderer Bindungsmechanismus ( , , W a s s e r s t o f f b r ü c k e n " ) mitspielen, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann.

92 XVII. Brom, Jod und Flour: Übersicht über die Halogene Die B i l d u n g s e n t h a l p i e n der Wasserstoffverbindungen gehen beim Ubergang vom HF zum HJ, also mit steigendem Atomgewicht, von stark negativen zu schwach positiven Werten über. Die Beständigkeit nimmt also vom HF zum HJ ab. Bei den Sauerstoffverbindungen ist ein so einfacher Gang zwar nicht vorhanden, da sich die Bromverbindungen nicht streng zwischen die Chlor- und Jodverbindungen einordnen. Aber man kann doch sagen, daß in großen Zügen die Sauerstoffverbindungen vom Fluor zum Jod beständiger werden. Sie verhalten sich demnach gerade umgekehrt wie die Wasserstoffverbindungen. Verbindungen der Halogene untereinander lassen sich meist durch Synthese leicht erhalten; die hier geltenden Regelmäßigkeiten bezüglich der Zusammensetzung zeigt Tab. 4. Tabelle 4 V e r b i n d u n g e n der Halogene u n t e r e i n a n d e r 1 ) C1F farblos

C1F3 farblos

BrF hellrot BrCl (ist nur im Gaszustande stabil)

BrF s * farblos

-

2

)

JC1** rubinrot JBr** rotbraun

BrF5* farblos



-



2

JC13** gelb —

)

jf5* farblos



JF, farblos







.—

Diese Verbindungen sind z. T. reaktionsfähiger als die Halogene selbst. *) Die mit einem * versehenen Stolfe sind flüssig, die mit ** fest, die übrigen gasförmig. ! ) In neuster Zeit sind auch JF und JF a als unbeständige Verbindungen dargestellt worden.

XVIII. Schwefel

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XVIII. Schwefel Eine ähnliche Gruppe verwandter Elemente, wie sie bei den Halogenen vorliegt, bilden S c h w e f e l , Selen und T e l l u r , denen sich mit einigem Abstand als leichtestes Element der schon früher besprochene S a u e r s t o f f zuordnet. Man hat auch diesen Elementen einen zusammenfassenden Namen gegeben, nämlich C h a l k o g e n e (Erzbildner). Wir wollen auch hier so vorgehen, daß wir das neben dem Sauerstoff bei weitem wichtigste und häufigste Element dieser Gruppe, den S c h w e f e l , etwas ausführlicher besprechen und über die anderen Elemente nur einige Bemerkungen anfügen. In der Natur kommt der Schwefel meist als Verbindimg vor; genannt seien Gips (CaS0 4 • 2H 2 0), Anhydrit (CaS0 4 ), Schwerspat (BaS0 4 ), Kieserit (MgS04 • fi20) und viele andere, z. T. wasserlösliche Sulfate, ferner Erze wie Bleiglanz (PbS), Schwefelkies oder Pyrit (FeS2), Kupferkies (CuFeS2), Zinkblende (ZnS) usw. In unterbundenem Zustande findet man ihn in vulkanischen Gebieten, so z. B. in Sizilien; große Lager befinden sich um und unter dem Golf von Mexiko. Gasquellen in Südfrankreich enthalten große Anteile von Schwefelwasserstoff. Für Deutschland spielt der geringe Schwefelgehalt der Kohlen (vgl. S. 97 u. S. 145) eine gewisse Holle (vgl. S. 114). Schließlich ist Schwefel ein Bestandteil des Eiweiß.

Elementarer Schwefel. Der Schwefel, dessen Chemie recht verwickelt ist, zeigt schon im elementaren Zustande eine große Vielgestaltigkeit. Er kommt nämlich in zahlreichen, z. T. instabilen „ M o d i f i k a t i o n e n " vor, die sich u. a. durch ihre Kristallform unterscheiden. Die wichtigsten sind der „rhombische" und der „monokline" Schwefel1). Die bei Zimmertemperatur stabile Form ist der r h o m bische Schwefel. Erhitzen wir diesen, so beobachten wir bei 96° eine Vergrößerung des Volumens um 3% und eine Änderung der kristallographischen Eigenschaften; es entsteht *) „Rhombisch" and „monoklin" sind Bezeichnungen ans der Kristallographie, die sich auf die Symmetrieeigenschaften der Eristalle beziehen; Näheres vgl. u.a. W. B r u h n s - P . R a m d o h r , Kristallographie, Slg. Göschen Bd. 210.

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XVIII. Schwefel

der in Nadeln kristallisierende m o n o k l i n e Schwefel. Bei dieser „Umwandlung" wird Wärme verbraucht. Bei weiterem Erhitzen bis zum Schmelzpunkt (119° C) bleibt dann der monokline Schwefel beständig. Kühlen wir geschmolzenen Schwefel l a n g s a m (vgl. unten) ab, so bildet sich beim Erstarren zunächst wieder die monokline Form, die sich bei 96° unter Wärmeabgabe und Volumverminderung in die rhombische umwandelt. Danach ist der rhombische Schwefel unterhalb, der monokline oberhalb von 96° beständig. Der Übergang des rhombischen in den monoklinen Schwefel erinnert an den Übergang eines Stoffes aus dem festen in den flüssigen Zustand, d. h. das Schmelzen. Der Umwandlungstemperatur entspricht der Schmelzpunkt; auch die „Schmelzwärme" und die „Umwandlungswärme" sind einander analog; vgl. dazu Abb. 111. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Erscheinungen geht noch weiter. Bekanntlich kann man bei genügender Vorsicht Wasser unter seinen Erstarrungspunkt abkühlen; erst bei einer Erschütterung wird die ganze Masse plötzlich fest. Ähnliche „Überschreit u n g s e r s c h e i n u n g e n " finden sich auch bei Umwandlungen im festen Zustande. Läßt man z. B. geschmolzenen Schwefel nur z. T. erstarren und gießt dann den noch nicht erstarrten Anteil ab, so findet man nach dem Erkalten auf Zimmertemperatur Nadeln der monoklinen Form. Ihre klare Durchsichtigkeit zeigt, daß einheitliche Kristalle vorliegen, daß also durch das schnelle Abkühlen die unter 96° nicht mehr stabile monokline Form erhalten geblieben ist. Da die monokline Form aber bei Zimmertemperatur unbeständig ist, findet langsam eine Umwandlung in rhombischen Schwefel statt, die in der Hegel nach 1—2 Tagen beendet ist. Bei diesem Übergang beobachtet man eine Erscheinung, die bei solchen Umwandlungen öfter auftritt: die äußere Form der monoklinen Nadeln ist bei der Umwandlung unverändert geblieben, aber diese setzen sich jetzt aus winzig kleinen Kriställchen von rhombischem Schwefel zusammen. Die Nadeln sind daher undurchsichtig geworden. Man bezeichnet eine solche Umwandlung unter Beibehaltung der äußeren Form als „ P s e u d o m o r phose".

XVIII. Schwefel

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Ü b e r s c h r e i t u n g s e r s c h e i n u n g e n finden sich auch sonst oft. So kann man manchmal Flüssigkeiten über ihren Siedepunkt erhitzen; irgendeine Zufälligkeit ruft dann explosionsartige Verdampfung hervor. Ferner entstehen oft durch Abkühlen heißer konzentrierter Lösungen Flüssigkeiten, die viel mehr gelösten Stoff enthalten, als der Löslichkeit bei Zimmertemperatur entspricht. Beim „Impfen" mit einem Kriställchen des festen Stoffes — oft genügt schon Staub — kristallisiert dann der Uberschuß des gelösten Stoffes aus der übersättigten Lösung plötzlich aus. Ein sehr verwickeltes Verhalten zeigt die S c h w e f e l s c h m e l z e : Dicht über dem Schmelzpunkt ist sie honiggelb und leicht beweglich, beim weiteren Erwärmen wird sie dunkler und äußerst zähflüssig, um erst bei noch weiterem Erhitzen wieder beweglich zu werden. Bei 444,60° siedet der Schwefel unter Atmosphärendruck; der rotbraun gefärbte Dampf besteht bei Temperaturen dicht über dem Siedepunkt vorwiegend aus S 8 -, bei mittleren aus S 6 - und S- 4 , bei hohen aus S2-Molekeln, die dann bei sehr hohen Temperaturen in die Atome dissoziieren. Das n erliwürdige Verhalten der Schmelze hängt damit zusammer, daß bei tiefen Temperaturen S8-Rirge vorhanden sind, wie sie auch im rhombischen und monoklinen Schwefel vorliegen. Bei höheren Temperaturen brechen diese Ringe auf und es bilden sich lange Ketten, die dann die große Zähigkeit bedingen. Daß in der Schmelze bei höheren Temperaturen andere Molekeln vorhanden sind als dicht über dem Schmelzpunkt, erkennt man daran, daß beim Abschrecken einer bis nahezu zum Sieden erhitzten Schmelze — etwa durch Ausgießen in Wasser — nicht monokliner Schwefel entsteht, sondern eine dritte Form, die man wegen ihrer gummiartigen Beschaffenheit als plastischen Schwei elbezeichnet. Dieser plastische Schwefel löst sich im Gegensatz zum rhombischi n in Schwefelkohlenstoff nicht auf. Er ist gegenüber rhombischem Schwefel instabil und geht daher — wenn auch bei Zimmertemperatur nur langsam — freiwillig in diesen Über. Verbindungen des Schwefels. Leitet man Wasserstoff über erhitzten Schwefel, so erfolgt ohne heftige Reaktion Vereinigung der beiden Elemente; die Reaktion ist also gegenüber der von Wasserstoff mit Sauerstoff sehr gemäßigt. Das

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XVIII. Schwefel

Reaktionsprodukt ist ein Gas der Formel H 2 S, der Schwefelw a s s e r s t o f f , dessen widerlicher Geruch von faulen Eiern her bekannt ist. H 2 S ist im Gegensatz zum Wasser eine, wenn auch nur ganz schwache S ä u r e . Seine Bedeutung liegt darin, daß er mit Schwermetallsalzen, z. B. solchen des Kupfers, Bleis, Quecksilbers und Zinks, in wässeriger Lösung schwer lösliche Sulfid-Niederschläge bildet. Auf diese Weise sind in der Natur wertvolle Lagerstätten von Erzen entstanden, von denen wir einige bereits S. 93 genannt haben. Die Fällung der Metallionen mit Sulfidionen erfolgt bei einigen Elementen nur in saurer, bei anderen nur in alkalischer, bei manchen schließlich in saurer und alkalischer Lösung. Der Schwefelwasserstoff ist daher eines der wichtigsten Hilfsmittel des Chemikers, um Metalle bzw. ihre Salze voneinander zu trennen. Man stellt ihn in Laboratorien meistens durch Einwirkung von verdünnter Salzsäure auf das uns schon von S. 14 her bekannte Schwefeleisen her, aus dem er gemäß der Gleichung FeS + 2 HCl = FeCLj + H 2 S als schwache, flüchtige Säure freigemacht wird. Gelöstes H 2 S wird leicht zu S oxydiert; vgl. S. 88 die Reaktion mit J2. — Der sehr geringe Schwefelwasserstoffgehalt der Luft (Darmgase!) bewirkt das lästige Schwarzwerden von Silbergegenständen; es bildet sich dabei Silbersulfid AgaS.

Die wichtigsten Verbindungen des Schwefels sind die Oxide und S a u e r s t o f f s ä u r e n , und von diesenist wieder von besonderer technischer Bedeutung die S c h w e f e l s ä u r e H 2 S0 4 . Die Darstellung dieser Säure erfolgt ausschließlich über das S c h w e f e l d i o x i d , das bei der Verbrennung des Schwefels und der Sulfide entsteht, so z. B. aus der Zinkblende gemäß 2 ZnS + 3 0 2 = 2 ZnO + 2 S0 2 und vor allem aus dem Pyrit FeS 2 (vgl. S. 99). S c h w e f e l d i o x i d ist ein stechend riechendes Gas, das sich unter 1 Atm. bei—10° zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Das Gas ist für alle Lebewesen, insbesondere für die Pflanzen, sehr schädlich. So benutzt man es z. B., um in Weinfässern u. a. Bakterien abzutöten.

XVIII. Schwefel

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Die nachteiligen Wirkungen auf den Pflanzenwuchs zwingen alle Betriebe, in denen größere Mengen S0 2 entstehen, zu besonderer Vorsicht, da sonst hohe Entschädigungsansprüche der Flurbesitzer wegen „Rauchschadens" entstehen können. — Viel S0 2 entsteht auch bei der Verbrennung der Kohle, da die meisten Kohlesorten geringe Mengen von Schwefel enthalten. So kommt es, daß in der Großstadtluft immer ein geringer S02-Gehalt vorhanden ist, der wegen seiner Einwirkung auf Kalk zu schweren Schädigungen von Gebäuden führen kann (Kölner Dom!). In Wasser löst sich Schwefeldioxid ziemlich reichlich; es entsteht dabei die schweflige Säure H 2 S0 3 . Diese hat große Neigung, in Schwefelsäure überzugehen, und wirkt daher als kräftiges Reduktionsmittel. Als Beispiel sei die Reaktion mit Bromwasser genannt, das gemäß H2SO? + Br2 + H 2 0 = H 2 S0 4 + 2HBr entfärbt wird. Bei der Einwirkung von schwefliger Säure auf H2SWasser büdet sich Schwefel: 2H2S + S0 2 = 3S + 2H 2 0. Der Schwefel fällt hierbei in äußerst fein verteilter Form aus und bildet die sogenannte Schwefelmilch. Daneben bilden sich die sogenannten „Polythionsäuren" (vgl. S. 103). Vom Schwefeldioxid zur S c h w e f e l s ä u r e führen zwei Wege. Das ältere „Bleikammerverfahren" führt in einer Operation vom Schwefeldioxid zur Schwefelsäure. Das jüngere „Kontaktverfahren" wurde von Clemens W i n k l e r (1838—1904) gefunden und von K n i e t s c h technisch durchgearbeitet; es führt zunächst zum Schwefeltrioxid (S0 3 ), das dann erst in einer zweiten Operation mit Wasser zu Schwefelsäure umgesetzt wird. Es verdrängt das Bleikammerverfahren immer mehr. Kontaktverfahren. Wir besprechen das Kontaktverfahren zuerst, da es theoretisch einfacher ist. Für die technische Durchführung einer Gasreaktion, wie sie hier vorliegt, kommt es auf zwei Dinge an: 1. Wie liegt das Gleichgewicht? 2. Wie schnell stellt es sich ein? Die die Lage eines Gleichgewichts bestimmenden Faktoren K l e m m , Anorganische Chemie

7

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X V I I I . Schwefel

werden in einem besonderen Abschnitt (XXII) zusammenfassend besprochen werden. Wir wollen hier nur an Hand experimenteller Bestimmungen von B o d e n s t e i n (Abb. 17) die Abhängigkeit von der Temperatur betrachten. Danach liegt das Gleichgewicht für S0 8 um so günstiger, je n i e d r i g e r i'ol.Teile SOjaui die Temperatur ist. Eine annähernd quantitative desarn Umsetzung von S0 2 zu 80 SOj ist nur möglich, wenn die Temperatur 400 60 bis 430° nicht übersteigt. W Für die Technik kommt es aber nicht nur auf die 20 Lage des Gleichgewicht» 'S tes an; dieses muß 6ich WO 500 600 700 800 90g auch schnell einstellen. Abb. 17. SO./SO.-Glelchgewlcnt (Die gestrichelte Kurve entspricht etwa S.16/17haben wir gesehen, technischen Röstgasen) daß die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t fast immer mit der Temperatur stark zunimmt. Die Notwendigkeit, zu einer schnellen Gleichgewichtseinstellung zu kommen, verlangt also hohe Temperaturen, während die Lage des Gleichgewichtes hier gerade bei tiefen Temperaturen günstig ist. Eine Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit für die technische Durchführung schon genügend hoch ist und bei der andererseits im Gleichgewicht noch genügend S0 3 vorhanden ist, gibt es nicht. Man muß daher versuchen, die Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit nicht durch Temperatürsteigerung, sondern durch andere Mittel zu bewirken, d. h. man muß einen geeigneten K a t a l y s a t o r verwenden. Als Katalysator benutzte man frülier Platin, jetzt vanadinoxidhaltige Kontaktsubstanzen. Man erreicht damit zwischen 400 und 430°, also bei Temperaturen, bei denen sich nahezu 100 % S0 3 im Gleichgewicht befinden, rasche Umsetzung.

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XVIII. Schwefel

Für die technische Durchführung geht man meist vom P y r i t FeSj 1 ) aus, einem in Spanien und einigen anderen Ländern mächtige Lager bildenden Erz, das, wenn die Reaktion erst einmal eingeleitet ist, ohne weitere Wärmezufuhr nach der Gleichung 4 FeS2 + 11 0 2 = 2 Fe 2 0 3 + 8 S0 2 zu Eisenoxid und Schwefeldioxid verbrennt. Das A b r ö s t e n des Pyrits hat die Technik vor schwierige Probleme gestellt, da man einerseits die Staubentwicklung beim Abrösten des feinzerkleinerten Erzes2) vermeiden muß; zum anderen sollte Handarbeit möglichst vermieden und schließlich die Wärme der Abgase ausgenutzt werden. Man kann dazu verschiedene Verfahren verwenden: Inden E t a g e n ö f e n (Abb.18) wird das Erz auf der Ofendecke getrocknet und dann durch Rührarme nach unten transportiert, während die Luft von unten eingeführt wird. Die Röstgase treten oben, der Abbrand unten aus. Die Verbrennung erfolgt im wesentlichen auf den mittleren Etagen. Man kann auch D r e h r o h r ö f e n benutzen, langsam sich drehende Trommeln, die etwas schräg Abb. 18. Etagenröstofen gestellt sind. Das Röstgut wird von oben eingeführt und fällt in der sich drehenden Trommel langsam nach unten, wobei an der Wand befestigte Schaufeln es immer wieder nach oben heben und von dort herunterfallen lassen, so daß es mit der von der unteren Trommelöffnung eini n Deutschland kommen abröstbare schwefelhaltige Mineralien nicht in genügender Menge vor; man hat aber im 1. Weltkriege Verfahren entwickelt, aus d e m reichlich vorhandenen A n h y d r i t (oder aus entwässertem Gips) Schwefelsäure herzustellen: Man erhitzt C a S 0 4 mit Ton und etwas Kohle und erhält S 0 2 und Zement. Dieses Verfahren wird jetzt auch in anderen Ländern 2 ) Vielfach war das Erz vorher ganz schwach voroxydiert und mit Wasser durchgeführt. erelaugt worden, um einen Teil des Kupfers als Sulfat zu gewinnen. H e u t e arbeitet man die ItöstrückKtjinde auf die wertvollen Bestandteile Kupfer, Zink, Blei, Kobalt, Gold usw. auf und verarbeitet das so gereinigte Eisenoxid auf Eisen. 7*

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XVIII. Schwefel

gepreßten Luft gut in Berührung kommt. Man kann auch fein zerkleinertes Erz mit Luft gemischt aus einem Brennerrohr herausblasen und das Gemisch an der Rohröffnung verbrennen. Schließlich kann man in einem geschlossenen Gefäß das Brzpulver hochblasen, so daß es in der Schwebe verbrennt ( W i r b e l s c h i c h t v e r f a h r e n ) . Die heißen Abgase können bei einigen dieser Verfahren benutzt werden, um Dampf zu erzeugen. Wesentlich ist es dann für das Kontaktverfahren, gewisse staubförmige Verunreinigungen (z. B. Arsen- und Selenverbindungen1)) aus den Röstgasen zu entfernen, da diese für die meisten Katalysatoren „Gifte" sind, d. h. ihre Wirksamkeit vernichten. Erfolgreich ist hier wie in vielen ähnlichen Fällen die sogenannte „elektrische Reinigung", d. h. die Einwirkung sehr hoch gespannter Gleichstromentladungen auf das Gas. Der Staub schlägt sich dann an den Elektroden nieder. Das beim Kontaktprozeß entstehende S c h w e f e l t r i o x i d g a s kondensiert sich bei Zimmertemperatur zu einer Flüssigkeit; in O2 qSQ dieser hegen q g gQ -Ringe vor. Diese Modifikation ist jedoch instabil und wandelt sich leicht in eine andere, feine weiße OOO 0 Fasern bildende Modifikation um, in der OSOSOS . . . OS-Ketten OOO 0 vorhanden sind. Diese Vereinigung des S0 3 zu größeren Gebilden hängt damit zusammen, daß der Raum um das S-Atom durch 3 0-Atome nicht vollständig ausgefüllt ist. Die Reaktion des Schwefeltrioxides mit W a s s e r , bei der sich Schwefelsäure bildet, ist sehr heftig; ihre technische Durchführung bereitete zunächst Schwierigkeiten, da sich dabei schwer kondensierbare Nebel bilden. Man absorbierte deshalb nicht in Wasser, sondern in Schwefelsäure, stellte also über die Formel H 2 S0 4 hinaus S0 3 enthaltende, „rauchende" Schwefelsäure her, das sogenannte „Oleum", das hauptsächlich für die Herstellung künstlicher Farbstoffe verwendet wird. Seit einiger Zeit wird aber auch die gewöhnliche Schwefelsäure zum größten Teil nach dem Kontaktverfahren hergestellt. ') Diese Arsen- und Selenverbindungen rühren daher, daß in den SjGruppen, die im Pyritgitter vorhanden sind, der Schwefel durch Arsen- oder Selenatome ersetzt sein kann.

XVIII. Schwefel

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Bleikammerverfahren. Die direkte Überführung von S0 2 in H 2 S0 4 — d. h. ohne Isolierung von SOs — läßt sich bei wesentlich tieferen Temperaturen (unter 1U0U) durchführen, wenn man als Reaktionsbeschleuniger Stickstoffdioxid (N0 2 ) benutzt. Ganz grob kann man den Vorgang folgendermaßen beschreiben: N 0 2 gibt ein SauerstoSatom sehr leicht ab und führt daher H 2 S 0 3 schnell in H 2 S0 4 über. Das dabei entstehende NO reagiert rasch wieder mit dem Luftsauerstofi, es entsteht erneut N0 2 , das neue Schwefelsäure bilden kann usw. Durch den Stickstoffoxidzusatz wird also gleichsam die Reaktionsträgheit des elementaren Sauerstoffs überwunden. Bei der t e c h n i s c h e n D u r c h f ü h r u n g stellt man zunächst S0 2 ebenso wie beim Kontaktprozeß her. Man führt dann die heißen Röstgase in einen mit säurefesten Steinen ausgemauerten Turm, den G l o v e r t u r m . Den von unten eintretenden Gasen fließt mit Stickstoffoxiden beladene etwa 66%ige Schwefelsäure (Nitrose) entgegen (Gegenstromprinzip!). Infolge der Hitze der Gase werden aus der Nitrose der Wasserdampf und die Stickstoffoxide ausgetrieben; unten fließt etwa 80%ige Schwefelsäure ab. Im Glover wird auch schon ein Teil des S0 2 umgesetzt. Die vollständige Überführung des gesamten S0 2 in Schwefelsäure erfordert jedoch ziemlich viel Zeit. Man läßt daher die mit Wasserdampf und Stickstoffoxiden beladenen Röstgase in große, aus Blei hergestellte K a m m e r n treten 1 ), in denen Wasser versprüht und etwas Salpetersäure zugegeben wird, um unvermeidliche Verluste an Stickstoffoxiden zu ersetzen. In diesen Kammern sammelt sich die gebildete, etwa 65%ige Säure am Boden an. Die schließlich aus den Kammern austretenden Gase enthalten — außer viel N2 und etwas 0 2 — die sehr wertvollen Stickstoffoxide. Man leitet sie daher durch „ G a y - L u s s a c - T ü r m e " , in denen die Stickstoffoxide durch Schwefelsäure absorbiert werden. Die hier erhaltene Nitrose geht dann wieder zum Gloverturm. Die beim Bleikammerverfahren erhaltene 60—80%ige Schwefel') B l e i benutzt man deshalb, weil es eines der wenigen Metalle ist, die gegen Schwefelsäure beständig sind. Bs reagiert zwar zunächst auch etwas; dabei bildet sich aber eine fest haftende Schicht von unlöslichem Bleisulfat. die das MetaU gegen weiteren Angriff schützt.

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X V I I I . Schwefel

säure benutzt man u. a. für die Herstellung von Superphosphat und Ammoniumsulfat (vgl. Kap. X X I ) 1 ) .

W a s s e r f r e i e S c h w e f e l s ä u r e ist eine ölige Flüssigkeit. Sie bildet sehr beständige Hydrate und löst sich daher in Wasser unter starker Wärmeentwicklung. Ihre wasserentziehende Wirkung geht so weit, daß vielen Verbindungen, die Wasserstoff und Sauerstoff enthalten, diese Elemente als Wasser entzogen werden. So verkohlen z. B. Holz, Zucker usw., indem von ihren Bestandteilen (C, H und 0 ) nur der Kohlenstoff zurückbleibt. Daß man Schwefelsäure zum Trocknen von Gasen verwendet, wurde schon erwähnt. Ferner benutzt man sie, namentlich in der organischen Chemie, um Reaktionen zu erzwingen, bei denen Wasser abgespalten wird (vgl. z. B. S. 150). Die v e r d ü n n t e wässerige Lösung der Schwefelsäure zeigt selbstverständlich alle typischen Säurereaktionen, löst also z. B. Metalle wie Zink unter Wasserstoff-Entwicklung. K o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure verhält sich dagegen anders. In ihr fehlt das für eine Dissoziation erforderliche Wasser. So reagiert sie mit Metallen wie Zink bei Zimmertemperatur überhaupt nicht. In der Hitze wird das Zink gelöst; es werden aber dann nicht Wasserstoffionen zu elementarem Wasserstoff entladen, sondern die H 2 S0 4 -Molekel wirkt als Oxydationsmittel, wobei der Schwefel reduziert wird. Es bildet sich daher S 0 2 : Zn + 2 H 2 S 0 4 = ZnS0 4 + S 0 2 + 2 H 2 0 . Daneben entstehen in sehr geringer Menge elementarer Schwefel und H 2 S. •) Die Bleikammersäure enthält im Gegensatz zur Kontaktschwefelsäure noch geringe Mengen von Arsensäure. Es rührt dies daher, daß die elektrische Staubreinigung nur Staubteilchen, nicht aber Gasmolekeln entfernt. Da man nun beim Kammerverfahren die ßöstgase heiß in den Glover einleiten muß und zur Reinigung nicht wie beim Kontaktverfahren abkühlen kann, bleibt ein t e i l des A s , 0 , (und SeO,) gasförmig und wird nicht entfernt. Braucht man As-freie Schwefelsäure, so muß man das Arsen aus der fertigen Kammersäure entfernen.

XVIII. Schwefel

103

Es gibt noch viele a n d e r e Oxide u n d Säuren des Schwefels. Von der hier herrschenden Mannigfaltigkeit möge die folgende Zusammenstellung einen Eindruck vermitteln: HjS Schwefelwasserstoff, vgl. Text. H2S2, H 2 S 3 . . . H 2 S, USW. Wasserstoff-di-(tri-... hexa- usw.) sulfid, unbeständige Verbindungen. Beständig sind S 2 _ -, S|—-, SJ-- usw. Ionen in alkalischer Lösung und in festen Salzen. SO bzw. S 2 0 2 Schwefelmonoxid; äußerst unbeständiges Gas1). S203 Dischwefeltrioxid; blaugrüne Substanz von hohem Molekulargewicht, die aus Schwefel und S0 3 entsteht. S0 2 Schwefeldioxid \ , T . SO, Schwefeltrioxid f g L i e x t ' 2 S0) Deutschland muß diese zur Herstellung der FhosphordQngemlttel unentbehrlichen Bohstoffe weitgehend vom Ausland einführen: einen Teil gewinnt man als „Thomasschlacke" aus Verunreinigungen der Eisenerze (vgl. S . 239).

112

XXL Stickstoffgruppe

KCNO übergeht. Man kann aber auch den Sulfiden den Schwefel durch ein unedleres Metall, wie z. B. Eisen, entziehen; für Antimon ergibt sich z.B. die Gleichung: Sb2S3 + 3 Fe = 3 FeS + 2 Sb. Wichtig sind in dieser Elementgruppe die physiologischen Eigenschaften. Z. T. liegen starke Gifte vor; die Giftwirkungen sind in einigen Fällen nuT bei einzelnen Modifikationen des Elements vorhanden, bei anderen treten sie besonders stark bei gewissen Verbindungen hervor. So ist weißer Phosphor ein starkes Gift, roter dagegen ungiftig. Allgemein bekannt ist ferner die Giftwirkung des Arseniks (As2Os). Gewisse Arsenverbindungen dienen zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen. Auch die Antimonverbindungen besitzen z.T. starke Wirkungen auf den Organismus; z. B. ist Brechweinstein antimonhaltig. Wasserstoffverbindungen. Zuerst wollen wir wieder die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n besprechen. Die wichtigsten entsprechen der allgemeinen Formel XH 3 . Vor allem ist hier das A m m o n i a k NH 8 zu nennen, die Ausgangssubstanz für die Herstellung der S t i c k s t o f f d ü n g e m i t t e l . Seit Liebig weiß man nämlich, daß für das Wachstum der Pflanzen, die ja im wesentlichen aus organischen, d. h. aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzten Stoffen bestehen, auch einige typisch anorganische Elemente unentbehrlich sind, insbesondere S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , K a l i u m und Calcium. Da bei der intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung der Kulturländer der Boden an diesen Stoffen verarmt ist, muß man sie als „künstliche D ü n g e m i t t e l " zuführen1). Für Stickstoff ist zwar in der Luft eine mehr als ausreichende Quelle vorhanden. Aber die Pflanzen können den Luftstickstoff nicht ohne weiteres verwerten. Die Stickstoffatome sind nämlich in der N2-Molekel so fest aneinandergebunden, daß die Mehrzahl der Pflanzen (eine Ausnahme bilden die Leguminosen) nicht in der Lage ist. diese Molekel zu sprengen und andere Stickstoffverbindungen zu bilden, die für den Aufbau der Pflanzen erforderlich sind. Bei dem, was man im täglichen Sprachgebrauch als „Stickstoffgewinnung aus der Luft" bezeichnet, handelt es sich also nicht um die Darstellung von reinem elementarem Stickstoff — die ist ja durch Verflüssigen l ) Außer den genannten Elementen, die in erheblicher Menge vorhanden sein müssen, müssen auch einige andere Elemente wenigstens in sehr geringen Mengen im Boden enthalten sein, z. B. B, Mn, Co, Cu, Mo („Spurenelemente").

XXI. Stickstoffgruppe

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und Wiederverdampfen der Luft leicht durchzuführen —, sondern darum, die Stickstoffmolekel aufzusprengen und daraus Verbindungen herzustellen, die die Pflanze verwerten kann. Dieses Problem ist zuerst durch die Herstellung des K a l k s t i c k s t o f f s gelöst worden, einer Verbindung der Formel CaCN2, die man durch Einwirkung von Stickstoff auf Calciumcarbid1) (CaC2) bei höheren Temperaturen gewinnt: CaCa + N 2 =CaCN 2 + C. Wichtiger ist jedoch die Überführung des Stickstoffs in Ammoniak. Die wissenschaftlichen Grundlagen der S y n t h e s e des A m m o n i a k s aus Stickstoff und Wasserstoff verdankt man F. H a b e r (1868—1934), ihre technische Durchführung C . B o s c h (1874—1940). Die Lage des Gleichgewichts N 2 + 3 H 2 2 NH 3 in Abhängigkeit von Druck und Temperatur ersieht man aus Tab. 6. Tabelle 6 V o l u m e n p r o z e n t e A m m o n i a k im G l e i c h g e w i c h t t° 400 600

1 Atm. 0,44 0,05

100 Atm. 25,1 4,5

200 Atm. 36,3 8,3

Man muß also bei möglichst tiefen Temperaturen und hohen Drucken arbeiten und einen Katalysator benutzen, damit sich das Gleichgewicht auch genügend schnell einstellt. Bei dem Verfahren der B a d i s c h e n A n i l i n - u n d S o d a f a b r i k arbeitet man bei 200 Atm. Druck 2 ) mit durch gewisse Zusätze aktivierten Eisen-Katalysatoren. Das gebildete Ammoniak entzieht man dem Gasgemisch durch Waschen mit Wasser unter Druck oder durch Tiefkühlung. Für die H e r s t e l l u n g des Gasgemisches könnte man in der Praxis von reinem Stickstoff und elektrolytisch hergestelltem Wasserstoff ausgehen. In Deutschland ist es aber wirtschaftlicher, durch Verbrennung von Kohle bei ungenügender Luftzufuhr „Generatorgas", das im wesentlichen aus CO und N2 besteht, sowie ferner durch Überleiten von Wasserdampf über glühende Kohle ') Vgl. auch Kap. X X I I I . 2 ) In Frankreich und Italien arbeitet man mit höheren Drucken (bis 1000 Atm.). K l e m m , Anorganische Chemie

8

114

XXI. Stickstoffgruppe

nach der Gleichung H¡¡0 + C = CO + H 2 „Wassergas" herzustellen (vgl. dazu auch Kap. XXIII). Durch Mischen beider erhält man ein im wesentlichen aus H 2 , N2 und CO bestehendes Gasgemisch. Nach dem Herauswaschen von aus der Kohle stammenden Schwefelverbindungen, aus denen man dann elementaren Schwefel gewinnt, entfernt man das CO dadurch, daß man das Gasgemisch bei etwa 500° über Bisenoxid als Katalysator mit Wasserdampf umsetzt („konvertiert"): CO + H 2 0 = C02 + H 2 . Das C02 wird dann mit Wasser unter Druck herausgewaschen, der Rest von CO mit einer ammoniakalischen Kupfer(I)-salzlösung absorbiert. Dieses Gasgemisch wird dann den Kontaktöfen zugeführt. Die technische Ammoniaksynthese, bei der zum ersten Male in der Geschichte der chemischen Industrie ein Prozeß bei so hohen Drucken und relativ hohen Temperaturen durchgeführt wurde, war erst nach äußerst umfangreichen und kostspieligen Vorarbeiten möglich (Auffinden eines geeigneten Katalysators, Lösung der Werkstoffprobleme u. a.). Nach diesem synthetischen Verfahren wird jetzt der größte Teil des Ammoniaks hergestellt. Früher war die Hauptquelle die S t e i n k o h l e , die bis zu 2% Stickstoff enthält und diesen beim Erhitzen unter Luftabschluß zum Teil als Ammoniak abgibt; vgl. dazu auch Kap. XXIII unter Leuchtgas. A m m o n i a k ist ein farbloses, stechend riechendes Gas, das sich unter gewöhnlichem Druck bei —33,4° verflüssigt. Die Alkalimetalle (vgl. S. 177) werden darin zu tiefblauen Lösungen gelöst (Gegensatz zum H 2 0). Erst bei höheren Temperaturen erfolgt Umsetzung gemäß z. B. 2 Na + 2 NH 3 = 2 NaNH 2 + H 2 ZU den Amiden. NaNH 2 kann man übrigens auch durch Reaktion von NH 3 -Gas mit geschmolzenem Na-Metall herstellen. In W a s s e r löst sich NH 3 , wie schon erwähnt, äußerst leicht auf. Diese Lösung, der „ S a l m i a k g e i s t " , reagiert schwach alkalisch, was sehr gut mit den Eigenschaften der Nachbarn im Perioden-System zusammenpaßt; denn Fluorwasserstofflösungen zeigen ja saure Reaktion, Wasser reagiert neutral. Die alkalische Reaktion des gelösten Ammoniaks ist darauf zurückzuführen, daß in geringem Umfange die Umsetzung N H 3 + H 2 0 ^ NH 4 + -fOH" stattfindet.

XXI. Stickstoffgruppe

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Die in dieser Gleichung auftretende NHJ-Gruppe bezeichnet man als Ammonium-Ion. Dieses verhält sich merkwürdigerweise ganz wie ein Na + - oder K + -Ion. Z. B. bildet sich aus NH 8 und HCl ein farbloses Salz der Formel NH4C1, der „Salmiak", der ganz ähnliche Eigenschaften hat wie KCl. Ein Unterschied liegt aber darin, daß NH4C1 sich schon beim gelinden Erwärmen verflüchtigt; es zerfällt nämlich in der Hitze in NHS- und HCl-Gas, die sich dann an kälteren Stellen wieder zu festem NH4C1 vereinigen. Ganz ähnlich verhalten sich auch die anderen Ammoniumsalze. Das beim Einleiten von Ammoniak in Schwefelsäure entstehende Ammoniumsulfat (NH 4 ) a S0 4 ist ein wichtiges Düngemittel. In ihm ist Ammoniak gleichsam in eine feste Form gebracht. Der Umstand, daß sich das NHJ-Ion dem K+-Ion so ähnlich verhält, veranlaßte eine große Reihe von Versuchen, das dem Kaliummetall entsprechende Ammonium-Metall, d.h. ungeladenes NH4, herzustellen. Diese Versuche sind durchweg mißlungen; das ungeladene Ammonium zerfällt sofort in Ammoniak und Wasserstoff. Man kann jedoch NH4-Lösungen inflüssigemAmmoniak herstellen; diese sind, z. B. in ihrer blauen Farbe, den Lösungen von Natrium und Kalium in flüssigem Ammoniak (vgl. S. 114) sehr ähnlich. Auch läßt sich durch Einwirkung einer Legierung von Natrium und Quecksilber (Natrium-„Amalgam") auf die konzentrierte Lösung eines Ammoniumsalzes gemäß Na/Hg + NH4C1 = NH4/Hg + NaCl ein Ammonium-Amalgam herstellen, das allerdings bei Zimmertemperatur ziemlich schnell in Ammoniak, Wasserstoff und Quecksilber zerfällt. Außer dem Ammoniak bildet der Stickstoff noch zwei weitere Wasserstoffverbindungen. Das H y d r a z i n H2N—NH2 gewinnt man, indem man aus NHS und NaOCl-Lösung NH2C1 herstellt; dieses reagiert dann mit mehr NH3 in stark alkalischer Lösung gemäß NH3 + C1NH2 = H2N—NH2 + HCl. Damit sich das NH2C1 nicht durch innere Oxydations-Reduktionsvorgänge zersetzt, was durch Spuren von Schwermetallionen katalysiert wird, bindet man diese in geeigneten Komplexen (z. B. durch Zugabe von Leim). Das Hydrazin bildet zwei Reihen von Salzen, z. B. [H2N — NH 3 ]HS0 4 und [H3N — NH 3 ]S0 4 ; das letztere ist schwerlöslich und kann zur Abscheidung des H2N-NH2 dienen. Hydrazin ist ein starkes Reduktionsmittel. — Die S t i c k s t o f f 8*

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X X L Stickstoffgruppe

W a s s e r s t o f f s ä u r e HN 3 gewinnt man in Form ihres Na-Salzes, wenn man N 2 0 (vgl. S. 117) auf N a t r i u m a m i d einwirken läßt: NaNH a + 0 N 2 = NaN 3 + H 2 0 . Die Schwermetallsalze der Säure, die A z i d e , z. B. Pb(N 3 ) 2 , zerfallen bei Schlag äußerst heftig in Metall und Stickstoff und finden daher in der Sprengstofftechnik als sog. „Initialzünder" Verwendung, um die Ezplosion schwerer zersetzlicher Explosivstoffe einzuleiten. Zu nennen ist hier ferner das H y d r o x y l a m i n NH 2 OH. Man gewinnt es über das Natriumsalz der Hydroxylamin-disulfonsäure H0N(S0 3 Na) 2 , das sich aus N a N 0 2 (vgl. S. 121) und N a H S 0 3 bildet. Beim Erhitzen in saurer Lösung spaltet das Salz in ein Salz des Hydroxylamins [HO • N H 3 ] X und Hydrogensulfat. Hydroxylamin zeigt sowohl Reduktions- als auch Oxydationswirkungen.

Bei den W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n d e r a n d e r e n E l e m e n t e d i e s e r G r u p p e nimmt die Beständigkeit — ebenso wie bei den Halogen- und Chalkogenwasserstoffen! — mit wachsendem Atomgewicht ab. Die sehr unangenehm riechenden gasförmigen Phosphorwasserstoffe PH 3 und P 2 H 4 entzünden sich an der Luft von selbst. AsH 3 und SbH 3 zerfallen schon bei gelindem Erhitzen in Arsen bzw. Antimon und Wasserstoff 1 ). BiH 3 ist nur äußerst schwierig darstellbar. Sauerstoffverbindungen. Wie nach dem Perioden-System zu erwarten, kommen bei den Elementen der Stickstoffgruppe Pentoxide der Formel X 2 0 5 vor; nur vom Wismut ist ein solches nicht rein darstellbar. Außerdem finden sich, der 4 + -wertigen Stufe der sonst 6 + -wertigen Chalkogene entsprechend, bei allen Elementen Oxide der 3-wertigen Stufe. Mit Wasser bilden die Pentoxide Säuren, aber der Säurecharakter ist schon etwas weniger ausgeprägt als in der 7. und 6. Gruppe; nur HN0 3 ist eine starke Säure. Dies entspricht einer allgemeinen Regel, nach der die Stärke 1 ) Hierauf beruht die „Marshsehe Probe" zum Nachweis von Arsenvergiftungen: Man behandelt die zu untersuchende Substanz mit Zn und HC1Lösung; es bildet sich AsHa. Das Gemisch aus H a und AsHa wird durch ein erhitztes Rohr geleitet; AsHa zerfällt und es bildet sich ein „Arsenspiegel".

XXL Stickstoffgruppe

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der Sauerstoff-Säuren mit abnehmender Ladung des Zentralatoms abnimmt (vgl. dazu auch S. 65). Besonders reichhaltig ist die Chemie der Stickstoffoxide, über die wir bereits S. 54 eine Übersicht gegeben haben. Ihre Bildungsenthalpie aus Stickstoff- und Sauerstoffmolekeln ist — mit Ausnahme des ganz schwach exothermen N 2 0 4 — p o s i t i v . Sie sollten also alle bei Zimmertemperatur freiwillig in die Elemente zerfallen, und man verdankt es nur der bei niedrigen Temperaturen außerordentlich kleinen Zerfallsgeschwindigkeit, daß man sie überhaupt kennt. Bei mäßiger Temperaturerhöhung tritt aber Zerfall ein. Explosionsartig zersetzen sich viele N0 2 -haltigen Verbindungen der organischen Chemie, unter denen sich die wichtigsten S p r e n g s t o f f e befinden, so z. B. Nitroglycerin, Trinitrotoluol usw. Von den Stickstoffoxiden zerfällt besonders leicht das niedrigste Oxid, das D i s t i c k s t o f f o x i d N 2 0. Es entsteht beim vorsichtigen Zersetzen von Ammoniumnitrat: NH 4 N0 3 ->- 2 H 2 0 -f N 2 0. Beim plötzlichen Erhitzen verläuft diese Zersetzung explosionsartig, so daß man Ammoniumnitrat als („Sicherheits"-) Sprengstoff verwenden kann. Da im N 2 0 das Sauerstoffatom nur sehr lose an die N 2 Gruppe gebunden und leicht abspaltbar ist, unterhält N 2 0 die Verbrennung. Es hat berauschende (Lachgas!) und schmerzstillende Wirkung.

Die wichtigsten Oxide des StickstoSs sind NO und NOa. Das S t i c k s t o f f o x i d NO hat man eine Zeitlang technisch in großem Maßstabe aus Luft hergestellt, indem man Luft durch einen elektrischen Lichtbogen hindurchblies 1 ). Im Gleichgewicht N2 + 0 2 ^ 2 NO ist nur bei sehr hohen Temperaturen ein gewisser, geringer Gehalt an NO vorhanden. Beim langsamen Abkühlen würde es wieder zerfallen; denn schon bei 1500° liegt im Gleichgewicht praktisch kein NO mehr vor. Führt man aber die Abkühlung äußerst schnell durch, so wird dieses Temperaturgebiet so rasch durch') Heute ist dieses Verfahren durch die Ammoniak-Synthese mit anschließender Verbrennung des Ammoniaks (vgl. S. 119) verdrängt.

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XXI. Stickstoffgruppe

laufen, daß ein Teil des Stickstoffoxides in das Temperatuigebiet äußerst geringer Zerfallsgeschwindigkeit gerettet wird und so erhalten bleibt. Ein solches „Einfrieren" eines bei hohen Temperaturen vorhandenen Gleichgewichtszustandes durch „Abschrecken" haben wir schon bei anderen Gelegenheiten kennengelernt (vgl. z. B. S. 15 u. 94/95). NO, ein farbloses Gas, das die Verbrennung nicht unterhält, bleibt jedoch bei Zimmertemperatur neben Luft nicht unverändert; es verbindet sich nämlich schnell mit Sauerstoff zu dem S t i c k s t o f f d i o x i d N0 2 , das eine braune Farbe besitzt. Diese Verbindung ist zwar gegenüber Stickstoff und SauerstoS immer noch etwas endotherm, aber gegen Stickstoffoxid und SauerstoS exotherm. Das Gleichgewicht 2 NO + 0 2 ^ 2 NO, liegt bei tiefen Temperaturen zugunsten von NOg, bei hohen zugunsten des Zerfalles in NO und O a . Die Vereinigung von NO und O a verläuft — im Gegensatz zu vielen anderen Gasreaktionen — bei Zimmertemperatur sehr rasch. Darauf beruht die Bedeutung der Stickstoffoxide für das BleikammerverEahren (vgl. S. 101). Die an sich schon verwickelten Verhältnisse sind dadurch noch unübersichtlicher, daß sich 2 Molekeln N 0 2 zu N 2 0 4 (D i s t i c k s t o f f t e t r o x i d ) vereinigen können, ganz ebenso wie 2 Cl-Atome eine CLj-Molekel bilden. Diese N204-Molekel ist allerdings nicht sehr wärmebeständig; schon bei 100° liegt das Gleichgewicht 2 N 0 2 ^ N 2 0 4 weitgehend zugunsten von NO,. N 2 0 4 ist im Gegensatz zu N 0 2 farblos. Bs kondensiert bei 22° zu einer Flüssigkeit, die bei —10° zu farblosen Kristallen erstarrt1). Am besten übersieht man die etwas verwickelten Verhältnisse aus der nachstehenden Zusammenstellung, in der die Farbe einer NO,-Probe bei verschiedenen Temperaturen angegeben ist: Bei 20° hellbraun; vorwiegend N804-Molekeln. „ 100° dunkelbraun; vorwiegend N02-Molekeln. „ 500° farblos; die NO,-MoIekeln sind in NO und O t zerfallen. Der Schmelzpunkt und die Siedetemperatur von NO liegen dagegen sehr niedrig (—163 bzw. — l ß l ' C ) .

XXI. Stickstoffgruppe

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Bei noch höheren Temperaturen stellt sich dann erst das wahr6 Gleichgewicht zwischen den Elementen ein, Stickstoffoxid zer fällt in Stickstoff und Sauerstoff; bei sehr hohen Temperaturen entsteht dann wieder etwas NO im Gleichgewicht. Zwischen NO und NOs kann sich noch die Verbindung N 8 0 3 bilden, das Di s t i c k s t o f f t r i o x i d ; es ist dies das Anhydrid der salpetrigen Säure (HN0 2 ; vgl. S. 121). Im Gaszustande zerfällt es allerdings nahezu vollständig in NO + N0 2 . Dagegen bildet es sich im festen und flüssigen Zustande aus NO und N0 2 als blaue Verbindung. Das D i s t i c k s t o f f p e n t o x i d N,0„das Anhydrid der Salpetersäure, ist eine feste, unbeständige Verbindung, die bei 30° schmilzt; sie kann durch stark wasserabspaltende Mittel (z. B. P,O t ; vgl. S. 121) aus HNO, erhalten werden.

Die technische Darstellung der Stickstoffoxide geschieht heute nahezu ausschließlich durch Verbrennung von Ammoniak mit Luit. Man leitet dazu das Gasgemisch durch ein als Katalysator wirkendes Platinnetz hindurch. Bei 600—700° verläuft die Reaktion nach der Gleichung 4NH 8 + 5 0 2 = 4 N 0 + 6 H i 0 1 ) ; das NO verbindet sich dann bei tieferen Temperaturen mit dem überschüssigen Sauerstoff zu NOs. Die Umsetzung von N02 mit wässerigen Lösungen erfolgt stets unter Disproportionierung (vgl. S. 84). Mit Laugen entspricht sie der Gleichung 2 ): 2 N02 + 2 NaOH = NaN02 + NaNOg + HjO. Es bilden sich also nebeneinander Nitrit und Nitrat. Mit Wasser verläuft folgende Umsetzung: 3 N02 + HJJO = 2 HN03 + NO3). Läßt man dabei gleichzeitig Luftsauerstoff einwirken, so bildet das NO mit diesem wieder N02, und man kann so alles N02 in Salpetersäure überführen4). Auf diese Weise wird heute der größte Teil der *) Steigt die Temperatur bei der Ammoniakverbrennung zu hoch, so bildet sich nicht das wertvolle NO, sondern das wertlose N a . 2 ) Vgl. dazu auch die analoge Baktion von C102 mit Laugen, S. 85. 3 ) Man kann daher aus einem Gemisch von NO und NOa reines NO gewinnen, wenn man das Gas durch Wasser leitet. 4 ) Allerdings ist es auf diesem Wege nur möglich, eine etwa 45%ige HN0 3 -Lösung herzustellen. Mit steigender Konzentration wird nämlich die

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X X I . Stickstoffgruppe

Salpetersäure und der Nitrate gewonnen. Durch die Ammoniak-Synthese und die Ammoniak-Verbrennung ist Deutschland für seinen Bedarf an Stickstoffdüngemitteln unabhängig vom Auslande geworden und braucht keinen Chilesalpeter mehr einzuführen. Aus N i t r a t e n , z. B . Chilesalpeter, kann m a n die S a l p e t e r s ä u r e durch Umsetzung m i t Schwefelsäure gewinnen: N a N O s + H 2 S 0 4 = N a H S 0 4 + H N O , . Man darf diese Reaktion nur bis zum sauren Sulfat durchführen, da die weitere Umsetzung: N a N O s + N a H S 0 4 = H N O , + Na^SO, so hohe Temperaturen erfordert, daß die Salpetersäure weitgehend i n Stickstoffoxide, Sauerstoff u n d Wasser zerfallen würde.

Bei den Reaktionen der Salpetersäure haben wir, ebenso wie es früher für die Schwefelsäure beschrieben wurde, das Verhalten in verdünnter und in konzentrierter Lösung zu unterscheiden. Sehr v e r d ü n n t e Salpetersäure reagiert infolge der Anwesenheit von H + -Ionen gleich allen anderen starken Säuren1). K o n z e n t r i e r t e Salpetersäure dagegen ist ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l , das z. B. mit Kupfer nach folgender Gleichung reagiert: Cu + 4 HNOs = Cu(NOs)a + 2 N0 2 + 2 H 2 0. ES wird also die HNOa-Molekel (mit 5+-wertigem Stickstoff) zu NO, (mit 4+-wertigem Stickstoff) reduziert2). Diese oxydierende Wirkung der Salpetersäure gestattet, auch solche Metalle in Lösung zu bringen, die von Salzsäure nicht angegriffen werden, so außer Kupfer oxydierende Wirkung der HNO, immer größer, daher wird NO von konzentrierter HNO, zu NO, oxydiert, die Reaktion verläuft von rechts nach links. Durch Destillation kann man das Wasser nur teilweise entfernen, da nach Abb. 6 S. 33 — ähnlich wie bei HCl — HNO, und H , 0 ein azeotropes Gcmisch ( ~ 7 0 % H N O , ) bilden. Bindet man aber das Wasser durch konzentrierte H a SO„ so kann man durch Destillation wasserfreie HNO, gewinnen. *) Hinzuweisen ist noch darauf, daß in alkalischer Lösung NOr-Ionen durch Metalle wie Zn zu NH, reduziert werden. ') Mit halbverdünnter Salpetersäure entsteht NO. Dieses bildet sich auch, wenn man Fe(II)-8alze mit HNO, behandelt. Nach der Gleichung: 3 Fe*+ + NO, + i H+ = S Fe'+ + NO + 2 H s O bildet sich NO. Dieses lagert sich an überschüssiges Fe a + an, wobei sich ein schwarzbrauner Komplex bildet. Dies kann zum Nachweis von HNO,bzw. Nitraten dienen; HNO, bzw. Nitrite geben aber diese Reaktion ebenfalls.

XXI. Stickstoffgruppe

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auch Silber und Quecksilber. Gold dagegen wird nicht gelöst, so daß man es vom Silber mittels Salpetersäure („Scheidewasser") trennen kann. Mischt man aber Salpeter- und Salzsäure, so löst das entstehende „Königswasser" auch die edelsten Metalle, wie Gold und Platin; es vereinigen sich dann die oxydierende Wirkung der Salpetersäure mit der komplexbildenden der Cl~-Ionen. Wegen der stark oxydierenden Wirkung der Salpetersäure ist es sehr gefährlich, sie mit brennbaren Stoffen, z. B. Holzwolle, zusammenzubringen. Estritt dann nach wenigenSekunden plötzliche Entzündung ein, wobei sich starke Stichflammen ausbilden können. Merkwürdig ist, daß manche gar nicht besonders edlen Metalle, wie z. B. Eisen und sogar Aluminium, die von verdünnter Salpetersäure ohne weiteres gelöst werden, von konzentrierter nicht angegriffen werden, ja daß sie nach Behandlung mit der konzentrierten Säure sogar manchen anderen Reagentien gegenüber ihre Reaktionsfähigkeit verloren haben, „ p a s s i v " geworden sind. Diese Passivität beruht auf der Bildung einer dünnen Oxidschicht.

Erhitzt man N i t r a t e zwei- und höherwertiger Metalle, so tritt Zersetzung unter Bildung von N0 2 ein; z. B. 2 Pb(N0 3 ) 2 = 2 PbO + 4 N0 2 + 0 2 . Bei den Nitraten von Kalium und Natrium dagegen entspricht die Zersetzung der Gleichung: 2 KN0 3 = 2 KN0 2 + 0 2 . Es bilden sich also Nit r i t e , Salze der s a l p e t r i g e n Säure. Diese Säure selbst ist in freiem Zustande nicht beständig; sie zerfällt gemäß 3 HN0 2 = HNOs + 2 NO + KjO. Die Nitrite sind für die Farbstoffindustrie von Bedeutung. Beim Erhitzen von Ammoniumnitrit entsteht Stickstoff: NH 4 N0 2 = 2 H 2 0 + N2 (vgl. S. 38). Auch vom Phosphor sind mehrere Oxide bekannt. Praktische Bedeutung hat aber nur das Diphosphorpentoxid P 2 0 5 . Es verbindet sich außerordentlich begierig mit Wasser und stellt das schärfste Trocknungsmittel für Gase dar. Für

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XXI. Stickstoffgruppo

die Reaktion von P 2 0 6 mit H 2 0 lassen sich folgende Gleichungen aufstellen: P 2 0 6 + H 2 0 = 2 HP0 3 ; P 2 0 6 + 2 H 2 0 = H 4 P 2 0 7 ; P 2 0 6 + 3 H 2 0 = 2 H 3 P0 4 . Von den P h o s p h o r säuren 1 ), die man so formuliert, ist H 3 P0 4 , die O r t h o phosphorsäure, die wichtigste. Sie ist in wäßriger Lösung die stabile Hydratationsstufe. Von ihr leiten sich auch die Salze ab, die man in der unbelebten und in der belebten Natur findet. Von diesen ist das wichtigste der in Wasser sehr schwer lösliche H y d r o x y l - A p a t i t 3 Ca^POJg • Ca(OH)2 bzw. Ca 5 (P0 4 ) 3 0H, also ein basiches Salz; die OH-Gruppe kann z. T. durch F ersetzt sein. Es ist dies auch die anorganische Knochensubstanz. Das „tertiäre" Phosphat Ca3(P04)2 kann man nur auf trockenem Wege darstellen, In schwach saurer Lösung ist das ebenfalls ziemlich schwer lösliche „sekundäre" Phosphat CaHP0 4 • 2 H 2 0 (isomorph mit Gips C a S 0 4 - 2 H 2 0 l ) der Bodenkörper. Das noch stärker saure „primäre" Phosphat Ca(H 2 P0 4 ) 2 ist gut löslich. Verwickelt ist der Aufbau der wasserärmeren Phosphorsäuren. Da in einem [P0 3 ] 1 _ -Ion der Raum um das P-Teilchen nicht voll ausgefüllt wäre, vereinigen sich mehrere [P0 3 ] l- -Teilchen. Es können so, ähnlich wie beim S0 3 (vgl. S. 100) ringförmige und kettenförmige Gebilde entstehen, die „Metaphosphorsäuren", z. B. die rechts abgebildete „Trimetaphosphorsäure", oder aber die „Oligo"- bzw. „Polyphosphorsäuren", d. h. die Reihe

°S>/0H

ho

n

xr

oh

Trlmetaphosphorsäure 0

0

II

II

¿H

¿H

HO—P—0—P—OH,

') Außer den Phosphorsäuren der Oxydationsstufe 5 + gibt es noch solche niederer Oxydationsstufen. Die U n t e r p h o s p h o r s ä u r e H 4 P s O s bildet sich bei der langsamen Oxydation von weißem Phosphor. Bei der Umsetzung von PCI, (vgl. S. 124) mit Wasser bildet sich P h o s p h o r i g e Säure H s PO,. Kocht man weißen Phosphor mit Kalilauge, so entsteht neben PH a ein Salz der U n t e r p h o s p h o r i g e n S ä u r e : P + 3KOH + 3 H , 0 = P H , + 3KH,PO a . Darüber hinaus sind in neuester Zelt noch zahlreiche weitere Phosphorsäuren niederer Oxydationsstufe bekannt geworden, die z. T. P-O-P-Gruppen, z. T. P-P-Bindungen enthalten.

XXI. Stickstoffgruppe

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0 0 0 0 0 0 II II II II II II HO—P—0—P—0—P—OH,... HO—P—[0—P—]n—O-P-OH, I I I I I I OH OH OH OH OH OH die Di- (oder Pyro-), Tri, Polyphosphorsäuren. Ihre Salze entstehen z. B. durch Erhitzen von sauren Phosphaten1), z. B. 2 K 2 HP0 4 = HjO + K 4 P 2 0 7 ; die Säuren selbst bilden sich als erste Produkte der Reaktion zwischen Wasser auf P 2 0 5 . Durch längere Einwirkung von Wasser werden aber die P—0—PBindungen gespalten, es entsteht Orthophosphorsäure; bei dieser Spaltung wird Energie frei. Dies spielt bei biologischen Vorgängen eine große Rolle zur Energieübertragung („AdenosinDiphosphat" und -„Triphosphat"). Die kondensierten Phosphate spielen in der Technik, z. B. bei der Herstellung von Waschmitteln, eine erhebliche Rolle. Die Rohstoffquelle für Phosphorsäuren ist der A p a t i t . Aus ihm kann man die Säure auf trockenem Wege gewinnen, indem man nach (S. 111) Phosphor herstellt, diesen zu P 2 0 5 verbrennt und dieses in Wasser löst. Man kann H 3 P0 4 aber auch auf nassem Wege nach der Gleichung Ca 5 (P0 4 ) 3 0H + 5 H 2 S0 4 + 9 H 2 0 = 5 CaS04 • 2 H 2 0 + 3 H 3 P0 4 herstellen. Verwendet man weniger Schwefelsäure, so erhält man gemäß 2 Ca 6 (P0 4 )0H + 7 H 2 S0 4 + 12 H 2 0 = 3 Ca(H 2 P0 4 ) 2 + 7 CaS04 • 2 H 2 0 ein Gemisch des primären Phosphats mit Gips, das Düngemittel „ S u p e r p h o s p h a t " , in dem das natürliche Phosphat, das die Pflanzen nicht aufnehmen können, „aufgeschlossen" ist. Man kann den Aufschluß der Phosphate auch durch Glühen mit alkalireichen Silicaten durchführen ( R h e n a n i a - P h o s p h a t enthält ü. a. NaCaP0 4 ). Hier ist die Phosphorsäure nicht mehr in Wasser, wohl aber in sehr schwachen Säuren löslich, die Glühphosphate wirken dementsprechend langsamer als Superphosphat. Über „Thomasmehl", ein weiteres Phosphorsäure-Düngemittel, vgl. S. 239. Der Nachweis und die Abscheidung von Phosphorsäure erfolgt meist über die schwerlösliche, gelbe Verbindung (NH4)3[P(Mo3O10)4], die sich aus stark salpetersaurer Lösung hildet; es handelt sich dabei um das Salz einer sogenannten „Heteropolysäure" (vgl. S. 224). Arsensäure gibt eine ganz entsprechende ') Durch Erhitzen von NaNH.HPO, • 4 H s 0 („Phosphorsalz") erhält man unter NH,- und H,0-Abspaltung glasige Substanzen, die Schwermetalloxide mit charakteristischen Farben lösen ( „ P h o s p h o r s a l z p e r l e n " ) .

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XXI. Stickstoffgruppe

Fällung. Mit NH3-Lösung lassen sich diese Niederschläge lösen; mit MgCl2-Lösung und NH4C1 erhält man dann MgNH 4 P0 4 -6H 2 0 bzw. MgNH4As04 • 6 H 2 0, die beim Verglühen in Mg2P207 bzw. Mg2As207 übergehen.

Von den Sauerstoff-Verbindungen des Arsens, Antimons und Wismuts sei das „Giftmehl" As 2 0 3 („Arsenik") genannt; es löst sich nur wenig in Wasser. Beim Antimon gibt es neben Sb 2 0 3 und Sb 2 0 5 das Oxid Sb 2 0 4 , das beim Glühen entsteht. Beim Wismut kann man die Oxydationsstufe 5 + nur schwierig erreichen, z. B. in Bismutaten(V) (Beispiele KBiO s und Na 3 Bi0 4 ); Bi2Os ist nicht bekannt. Halogenverbindungen. Die Halogenverbindungen des Sticks t o f f s sind bis auf das erst in neuerer Zeit entdeckte NF 3 sehr explosiv; genannt sei der Chlorstickstoff NC13. Stickstoff bildet auch Verbindungen, die Sauerstoff und Halogen enthalten: z. B. NOC1 (Nitrosylchlorid), N02C1 (Nitrylchlorid) und C1N03 (Chlornitrat). Die Phosphor-Halogenide sind viel stabiler als die des Stickstoffs. So ist z. B. PC13 eine beständige farblose Flüssigkeit, die sich mit Wasser zu Salzsäure und phosphoriger Säure umsetzt. PC15, eine gelbe Kristallmasse, wird benutzt, um Chlor an Stelle von OH-Gruppen in organische Verbindungen einzuführen; dabei geht PC15 in POCl3 (Phosphorylchlorid) über, ebenfalls eine Flüssigkeit. Oxidhalogenide bilden sich sehr leicht, wenn man die Halogenide von A n t i m o n und Wismut mit Wasser versetzt: SbCl3 + H 2 0 = SbOCl + 2 HCl. Diese Stoffe sind im Gegensatz zu NOC1, NOaCl, POCI3 usw. fest; sie besitzen z. T. eine sehr verwickelte Zusammensetzung und sind nach besonderen Bauprinzipien aufgebaut. Schwefelverbindungen. Diese können hier nur ganz kurz erwähnt werden. Die Stickstoffschwefelverbindungen, z. B. N4S4 (vgl. S. 104) zersetzen sich beim Erhitzen explosionsartig. Die Phosphorsulfide P4S3, P4S7 und P2S5 werden von Wasser mehr oder weniger schnell zersetzt und lassen sich aus wässeriger Lösung nicht herstellen. Dagegen sind die Sulfide von Arsen (As2S3, AS2S6 gelb), A n t i m o n (Sb2S3 bzw. Sb2S5, beide fallen aus wässeriger Lösung orange, die stabile Form von Sb2S3 ist grau) und W i s m u t (Bi2S3 schwarz) in Wasser, auch in saurer Lösung, nicht löslich; mit (NH4)2S-Lösung geben die As- und Sb-Sulfide Salze von Thiosäuren, z. B. Sb2S5 + 3(NH4)2S = 2(NH4)3[SbS4],

XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen 125 X X I I . Abhängigkeit der Gleichgewichte von äußeren Bedingungen Bei der Dissoziation des Wasserdampfes (S. 15/16), beim D e a c o n-Prozeß (S. 61), beim S02/S03-Gleichgewicht(S.97/98), bei der Ammoniaksynthese (S. 113) und bei den Stickstoffoxiden (S. 117 ff.) haben wir gesehen, daß Gleichgewichte von der Temperatur abhängen. Wir wollen nun den Einfluß der Temperatur und anderer Faktoren näher besprechen. A. Einfluß von Druck und Temperatur Wird auf ein im Gleichgewicht befindliches System irgendein Zwang ausgeübt, so verschiebt sich das Gleichgewicht1). Beispiel: Wasser hat ein kleineres Volumen als Eis. Liegt nun Eis neben Wasser im Gleichgewicht vor und erhöhen wir den Druck unter Konstanthaltung der Temperatur, so verringert sich das Volumen nicht nur dadurch, daß das Wasser und das Eis entsprechend ihrer Kompressibilität zusammengedrückt werden; es tritt vielmehr darüber hinaus ein Schmelzen des Eises, d.h. ein Übergang in das engräumigere Wasser ein. Einfluß des Druckes. Liegt eine Gasreaktion vor, bei der sich die Zahl der Molekeln ändert, so erfolgt bei Erhöhung des Druckes nicht nur eine Kompression nach den Gasgesetzen, sondern es tritt darüber hinaus noch eine Umsetzung in dem Sinne ein, daß sich das Volumen vermindert. Umgekehrt geht bei der Druckerniedrigung eine Umsetzung im Sinne einer Volumenvermehrung vor sich. Als Beispiel betrachten wir das Ammoniak-Gleichgewicht. Die Bildung von Ammoniak erfolgt nach der Gleichung: N2 + 3 H2 ^ 2 NH 3 ; AR = — 22 kcal. Auf Grund *) Über die IUch t u n g der Gleichgewichtsänderung sagt das P r i n z i p v o m k l e i n s t e n Z w a n g e von Le C h a t e l i e r - B r a u n aus, daß sie in dem Sinne erfolgt, daß dem Zwange entgegengewirkt wird. Eine für alle Fälle zutreffende Anwendung dieses Satzes ist jedoch nur dann möglich, wenn man bei den äußeren Einflüssen die „Kapazität*"- und die „Intenaitäts"-Größen unterscheidet. Da dies hier zu weit führen würde, begnügen wir uns mit der Darlegung der wichtigsten Anwendungen in ihren tatsächlichen Auswirkungen.

126 XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen

des AvogacLro sehen Gesetzes können wir dieser Gleichung entnehmen, daß bei vollständigem Umsatz aus 1 Volumteil Stickstoff und 3 Volumteilen Wasserstoff, also insgesamt 4 Volumteilen Ausgangsgas, 2 Volumteile Ammoniak entstehen; das Volumen vermindert sich also auf die Hälfte. Es muß daher nach dem eben Dargelegten — konstante Temperatur vorausgesetzt! — bei hohen Drucken im Gleichgewicht mehr Ammoniak vorhanden sein als bei geringen. Daß es tatsächlich so ist, zeigt die Tab. 6, S. 113. Aus diesen Überlegungen folgt auch ohne weiteres, daß die Dissoziation eines Gases stets mit der V e r d ü n n u n g z u n i m m t ; denn mit der Dissoziation ist ja immer eine Vergrößerung der Zahl der sich frei bewegenden Teilchen verbunden. Das gleiche gilt für gelöste Elektrolyte, bei denen nur an Stelle des äußeren der osmotische Druck maßgebend ist (vgl. dazu auch S. 130/131). Einfluß der Temperatur. Temperaturänderungen wirken sich auf Gleichgewichtsreaktionen so aus, daß durch Erhöhung der Temperatur die endotherme, wärmeverbrauchende Reaktion begünstigt wird, während umgekehrt bei tiefen Temperaturen die exotherme, wärmeliefernde Reaktion bevorzugt ist. Beim Ammoniak-Gleichgewicht ist die Bildung von Ammoniak exotherm, die Zersetzung endotherm; bei tiefen Temperaturen ist also die Bildung von Ammoniak bevorzugt, bei hohen die Zersetzung. Bei tiefen Temperaturen wird daher im Gleichgewicht mehr Ammoniak vorhanden sein als bei hohen. Tab. 6, S. 113 bestätigt diese Vorhersage. Ganz entsprechend ist es beim SOj/SOg-Gleichgewicht (Abb. 17, S. 98). Die Reaktion 2 SO, + 0 , ^ 2 S0 3 ; z l H = - 4 6 kcal, ist ebenfalls exotherm; dementsprechend ist auch hier bei tiefen Temperaturen mehr S0 3 im Gleichgewicht vorhanden als bei hohen. Bei der Reaktion N2 + 0 2 ^ 2N0 ; AH. - + 42 kcal, ist es umgekehrt; hier ist die Bildung von NO endotherm, die Zer-

XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen 127

setzung dagegen exotherm. Dementsprechend wächst der NO-Gehalt im Gleichgewicht mit steigender Temperatur. Nach Nernst beträgt der Gleichgewichtsgehalt an NO bei 2000° 1,2%, bei 3000° 5,3%; vgl. dazu auch S. 117. Während die Bildung von NO aus N a + 0 2 stark endotherm ist, sind die Reaktionen 2 NO + 0 2 ^ : 2 N 0 2 ; zlH = — 27 kcal (1) 2 N 0 2 ^ N204; A H = — 1 5 kcal (2) exotherm; die Menge von N0 2 im Gleichgewicht (1) bzw. von N 2 0 4 bei (2) nimmt daher, wie S. 118 beschrieben, mit fallender Temperatur zu.

B.Einfluß der Konzentration; Massen Wirkungsgesetz Untersucht man die Gasreaktion: 2 S0 2 + 0 4 2 SO, bei konstanter Temperatur, aber wechselndem Verhältnis zwischen SO* und 0 2 , so findet man, daß um so mehr S0 2 zu SOs umgesetzt wird, je größer das Verhältnis 0 2 : S0 2 ist. Hat man umgekehrt im Verhältnis zu S0 2 nur wenig 0 2 , so setzt sich nur wenig S0 2 zu S0 3 um. Man erkennt dies auch aus Abb. 17, S.98: Geht man von 67Vol.% SOa und 33% 0 2 , d. h. also von dem „stöchiometrischen" Verhältnis aus, so setzt sich ein geringerer Anteil des S0 2 zu S0 3 um, als wenn man von 33% S0 2 und 67% 0 2 ausgeht. Dieses Ergebnis gilt ganz allgemein. Ein 1867 von Guldberg und Waage ausgesprochenes Gesetz besagt nämlich: Die Wirkung eines Stoffes ist von seiner Konzentration abhängig. Unter Konzentration versteht man dabei die Anzahl Mole pro Volumeinheit; früher bezeichnete man dies als „aktive Masse", und bezeichnete das Gesetz als „Massenwirkungsgesetz". Dies kann irreführen, da es nicht auf die Masse, sondern auf die Konzentration ankommt. Das Massenwirkungsgesetz gilt auch für wässerige Lösungen. Wir betrachten die Reaktion zwischen arseniger Säure und Jod: H3ASO„ + J 2 + H 2 0 ^ H 2 AS0 4 - + 3H+ + 2J-. Sorgen wir dafür, daß die Konzentration an H+-Ionen, die ja bei der Reaktion entstehen, immer klein gehalten wird, so geht die Reaktion praktisch

128 XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen quantitativ von links nach rechts. Man erreicht dies, indem man Hydrogencarbonat (NaHC0 3 ) zusetzt; die entstehenden H+-Ionen werden dann von den HCOj-Ionen unter C0 2 -Entwicklung weggefangen, und es bleiben nur soviel H+-Ionen in Lösung, wie dem Gleichgewicht der schwachen Kohlensäure entspricht 1 ). Säuert man umgekehrt ein Gemisch von Arsensäure und Jodwasserstoff durch Zugabe von Salzsäure stark an, so geht die Reaktion praktisch quantitativ von rechts nach links, es bildet sich arsenige Säure, und Jod wird frei.

Quantitatives. Die Abhängigkeit des Gleichgewichtes von den Konzentrationsverhältnissen kann man für verdünnte Systeme auch quantitativ angeben. Wir wollen uns zunächst auf homogene Eeaktionen beschränken2). Liegen in einem Gase oder in einer Lösung Molekeln A und B vor, die nach der Gleichung A + B -»• C + D (1) reagieren können, so ist Voraussetzung für das Eintreten einer Reaktion, daß A- und B-Teilchen zusammenstoßen. Man sieht leicht ein, daß die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes davon abhängt, wie viele Molekeln in der Volumeneinheit vorhanden sind. Man mißt dies als „ K o n z e n t r a t i o n " in Mol p r o L i t e r und bezeichnet es durch eckige Klammern. Hält man [A] konstant, so ist die Wahrscheinlichkeit des Zusammenstoßes w ~ [ B ] ; bei konstantem [B] und variablem [A] gilt entsprechend w ~ [A]; variiert man sowohl [A] als auch [B], so wird [A] • [B]. Nun wird nicht jeder Zusammenstoß zu einer Reaktion gemäß (1) führen, sondern nur ein gewisser Anteil. Für die Reaktionsgeschwindigkeit der „Hin"reaktion (1) \ \ wird also gelten: Vj = k x [A] • [B], wobei k x ein Maß dafür ist, welcher Anteil der Zusammenstöße von A und B zur Bildung von C und D führt. v t nimmt ab, je mehr A und B verbraucht werden. Auf der anderen Seite kann aber auch die Reaktion C + D A + B (2), die „Rück"reaktion eintreten. Für diese gilt entsprechend v 2 = k 2 • [C] • [D], wobei k 2 verschieden von k t ist. v 2 ist am Anfang Null und wird immer größer, weil sich ja immer mehr C und D bilden. Schließlich wird sich ein Gleichgewicht *) Na2COs oder gar NaOH sind hier zum Wegfangen der H + -Ionen nicht verwertbar, da sich Jod in diesen alkalisch reagierenden Lösungen (vgl. dazu für Na,CO, 8.133) sowieso zu farblosem Jodid, und Hypojodit löst (vgl. dazu das S. 83 besprochene analoge Verhalten des Chlors). 3 ) Nach S. 6 sind homogene Eeaktionen solche, die sich nur in e i n e r Phase abspielen, etwa im Gas oder in Lösung, bei denen sich also keine neue Phase, etwa aus einer Lösung ein Niederschlag oder ein Gas, bildet.

XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Beengungen 129 A + B ^ C + D einstellen, das erreicht ist, wenn v 2 = vx geworden ist. Es gilt dann im Gleichgewicht: k 2 [C] • [D] = k x [A]. [B] bzw. -JS!—[Sj- = ¿ i = K. In Worten ausgedrückt: Im Gleichgewicht IAI' I.B] k2 ist der Quotient aus dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe und dem Produkt der Konzentrationen der Reaktionsprodukte konstant. Aus dem vorstehenden folgt, daß mit der Erreichung des Gleichgewichtes keineswegs alles in Ruhe ist; vielmehr bilden sich beim Gleichgewicht pro Zeiteinheit ebensoviel C und D wie verschwinden. Das Gleichgewicht ist also kein statisches wie bei einem Hebel, sondern ein dynamisches. Reagieren m Molekeln A mit n Molekeln B unter Bildung von u Molekeln C und v Molekeln D, so gilt, wie man sich leicht ableitet, für das Gleichgewicht m A + n B ^ u C + v D für eine bestimmte konstante Temperatur folgende Gleichmiu. miy c u . gv gewichtsbedingung: - ^ ^ ¡ - b ^ = konstant. Bei Gasen rechnet man meist mit den Partialdrucken p statt mit den Konzentrationen c. Nach den Gasgesetzen gilt p • v = n • RT. Die Konzentration c ist n/v; es gilt also c = n/v c» • cv = p/RT bzw. p = c • RT. Schreibt man statt ° ° = K0 PS "PL °A ' CB • = K p , so erkennt man, daß K c und K p nur dann gleich Pa'PB werden, wenn u + v = m + n ist; sonst gilt Kp = K c • RT( u + v H m + n ). Das Massenwirkungsgesetz führt somit die Beschreibung eines Gleichgewichtes auf eine einzige Konstante zurück. Diese Konstante ändert sich natürlich von Reaktion zu Reaktion; es handelt sich also nicht um eine generelle Konstante wie bei der Gaskonstanten R. Auch für ein und dieselbe Reaktion ändert sich die Konstante mit der Temperatur, wie wir ja im vorigen Abschnitt schon sahen. Wenden wir die Gleichung des Massenwirkungsgesetzes auf das Gleichgewicht 2 S0 2 + 0 2 ^ 2 S 0 3 an, so erhalten CS03 _ tt" i _ -j. Psoa wir - s - — = K c bzw.r mit Partialdrucken cso 2 ' c o 2 Pso 2 • Po 2 K l e m m , Anorganische Chemie

9

130 XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen Kp =

. Im Gleichgewicht wird somit das technisch -Kl i wichtige Verhältnis proportional p ^ ; es nimmt also, PSO2 wie Abb. 17 (S. 98) bereits zeigte, mit dem Sauerstoffpartialdruck zu. Als zweites Beispiel betrachten wir das Ammoniak-Gleichgewicht: N a + 3 H 2 ; = ; 2 NH 3 . Das Massenwirkungsgesetz liefert die Gleichung Pnh ii— = K p . Ist der NH3-Gehalt im Gleichgewicht sehr gering, P N , ' PH A

so wird der Gesamtdruck P praktisch nur vom N 2 - und Ha-Gehalt Pnh bestimmt; p u 2 ~ l / 4 P ; ph 2 ~ 3/4 P. Wir erhalten P^H 256 1/4P-ÜP3 = K p bzw.

p 4 *- =

• K p = K. Für das Verhältnis des Am-

moniak-Teildrucks zum Gesamtdruck P, d. h. die Ausbeute an NH 3 , ergibt sich also = j / k • P , d. h. der NH3-Gehalt ist dem Gesamtdruck proportional. Tab. 6, S. 113 zeigt, daß dies — wie das nach den Annahmen bei unserer überschläglichen Berechnung nicht anders zu erwarten ist — nur bei kleinen NH3-Gehalten (bei 600°) gut stimmt, während sich bei höheren Gehalten (400°) erwartungsgemäß Abweichungen ergeben. Anwendung auf Lösungen. Wir erwähnten bereits, daß das Massenwirkungsgesetz auch für v e r d ü n n t e L ö s u n g e n gilt. Eine Lösung der Konzentration 1, die 1 Mol/Liter enthält, bezeichnet man als „ m o l a r " 1 ) . Wir wollen zunächst das Gesetz ableiten, nach dem der D i s s o z i a t i o n s g r a d a, d. h. der Bruchteil der insgesamt vorhandenen Elektrolytmolekeln, der in Ionen zerfallen ist, mit steigender Verdünnung anwächst. Betrachten wir als einfachsten Fall die Dissoziation eines Elektrolyten AB in die Ionen A + und B~. Es gilt dann

J ? ^ = konst. Führen wir jetzt den Disso|ABJ ziationsgrad a (der zwischen a = 1 für vollständige Dissoziation und 0 variieren kann) ein, so bedeutet das, daß von einem MolAB aGramm-Ionen A + und ebensoviel B~ vorhanden sind, während (1—a) Mole AB undissoziiert verbleiben. Die Konzentration an A + ') Außerdem ist für viele Zwecke der Begriff der „ N o r m a l i t ä t " (Äquivalent/Liter) wichtig; Abkürzung n; z. B. 1 n HCl, 1 n H , S O , = m/2 H a SO,.

XXII. Abhängigkeit d. Gleichgewichte v. äuß. Bedingungen 131 und B~ ist also, wenn das Volumen, in dem 1 Mol AB gelöst ist, v Liter beträgt, je a/v, die von AB dagegen (1—o^/v1). Die obige Gleichung wird also zu $n + |gP; IUP-* j°Si + Je+; das nach dem ersten Vorgang aufgebaute Jjj P--Teilchen zerfällt freiwillig 1 Bei den eben genannten Prozessen treten zwei Elementarteilchen auf, die man früher nicht kannte 1 ). e + ist das positiv geladene Elektron. Wichtiger ist das zweite, als n bezeichnete Teilchen, das N e u t r o n . Es ist 1932 von Chadwick entdeckt worden und entsteht z. B. bei der Kernreaktion |Be + | H e - > + o n - Bin Gemisch eines a-Strahlers (z.B. Ra oder Rn) und Be bezeichnet man daher als „Neutronenkanone". Die Entdeckung des Neutrons war von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung. Einmal erkannte man, daß ') Man hat darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten noch zahlreiche weitere, durchweg kurzlebige Elementarteilchen kennengelernt, deren Massen meist zwischen denen des Elektrons und der des Protons liegen, z. T. aber noch etwas schwerer sind: die p-, n- und K-Mesonen und die Hyperonen; es ist hier jedoch nicht möglich, darauf einzugehen. Ebensowenig können das Photon, das Neutrino und die sogenannten Antiteilchen besprochen werden. K l e m m , Anorganische Chemie

11

162

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

dieses Teilchen, obwohl es selbst nur kurzlebig ist — es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,8 Minuten unter /J-Strahlung in ein Proton — eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Atomkerne spielt. Schon vor nahezu 150 Jahren hatte der englische Arzt P r o u t die Hypothese aufgestellt, die Atome aller Elemente seien aus Wasserstoffatomen aufgebaut. Das war damals eine Spekulation, die B e r z e l i u s und andere durch genaue Atomgewichtsbestimmungen nachprüften und als nicht zutreffend fanden. Erst in neuester Zeit hat sich ergeben, daß im Grunde genommen die Hypothese von P r o u t richtig ist. Nur zeigte sich, daß es offenbar zwei Elementarteilchen sind, die hierbei eine Rolle spielen, die Wasserstoffkerne („Protonen" p) und die Neutronen: der Atomkern enthält so viel Protonen, wie seine Ladung beträgt, und zudem so viel Neutronen, wie der Differenz: Atomgewicht minus Kernladung entspricht. | H e z. B. ist aus 2p und 2n aufgebaut, 2 J | U aus 92p und 146 n. Die Zahl der Neutronen pro Proton ist also bei den schweren Elementen größer als bei den leichten. Daß mit der Annahme, daß in den Atomkernen Protonen und Neutronen vorhanden sind, die Existenz von Isotopen verständlich wird, ergibt sich von selbst: ein Atom mit einer bestimmten Protonenzahl kann eine wechselnde Menge von Neutronen enthalten. Nach dieser Vorstellung müßte die Masse eines Atoms sich additiv aus der Summe der Wasserstoffatome und Neutronen ergeben. Da ein Wasserstoffatom die Masse 1,00814, ein Neutron die Masse 1,00898 (bezogen auf 1 6 0 = 16!) besitzt, sollte ein Deuterium f D die Masse 2,01712 haben; tatsächlich beträgt sie 2,01474, sie ist also um 0,00238 geringer. Nach der speziellen Relativitätstheorie bedeutet gemäß der Formel Am = E/c 2 (c = Lichtgeschwindigkeit), daß eine Abnahme der Masse Freiwerden von Energie bedeutet. Abnahme um 1 Masseneinheit würde 931 Millionen Elektronenvolt (MeV) entsprechen, 0,00238 Masseneinheiten also 2,21 MeV. Da 1 eV 23 kcal/Mol entspricht, sieht man, daß es sich um Energiebeträge handelt, die 10'mal so hoch sind wie die Wärmetönungen chemischer Reaktionen! Bei der Bildung von He aus 2 H + 2n werden sogar 28,2 MeV frei, d. h. pro Elementarteilchen 7,05 MeV, verglichen mit 1/2 • 2,2 = 1,1 MeV beim D. Abb. 21 gibt den Verlauf des „ M a s s e n d e f e k t e s " für eine Anzahl von Atomen 1 ); je tiefer die Werte liegen, desto beständiger ist das betreffende Element. Man sieht, daß die •) Angegeben ist der Packungsanteil f -

Atomgewicht -

Massenzahl

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

11*

163

164

X X V . Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

beständigsten Elemente bei Massen zwischen 40 (etwa Ar) und 80 (etwa Br) liegen; sowohl die schwereren als besonders auch die leichteren sind weniger beständig und würden Energie liefern, wenn sie in die mittleren überführt werden könnten. Ein Schritt in dieser Richtung ist der freiwillige radioaktive Zerfall der schwersten Elemente; er liefert einen wesentlichen Teil der WärmeEnergie, die die Erde laufend in den Weltenraum ausstrahlt. Wie man den Zerfall der schweren Elemente in mittelschwere Elemente zur Energieerzeugung ausnutzen kann, wird im folgenden besprochen werden. Bei den Versuchen zur Atomumwandlung durch Beschuß mit geladenen, stark beschleunigten Teilchen (H, D) ergab sich mit den damals erreichbaren elektrischen Feldern eine Grenze, weil die hochgeladenen Kerne der schweren Elemente diese ebenfalls positiv geladenen Teilchen so stark abstießen, daß sie nicht in den Kern eindringen konnten. Es lag nahe, mit N e u t r o n e n zu beschießen, weil diese ungeladen sind und nicht von der Kernladung abgestoßen werden. Als man solche Neutronenbeschießungen von U r a n durchführte, zeigte es sich, daß je nach der Geschwindigkeit der Neutronen verschiedene Kernreaktionen eintreten. Ganz s c h n e l l e Neutronen gehen praktisch ohne Wirkung hindurch. Mit m i t t e l s c h n e l l e n Neutronen reagiert das Isotop der Masse 238 (vgl. S. 159) folgendermaßen: »81U + n = *J* U 23,6 S P Minuten ' 2,4-10« Jahre

ISH

Np r 2,33 Tage

"

Das durch Neutronen-Einfang gebildete s || U zerfällt unter /S-Zerfall rasch in ein neues Element N e p t u n i u m der Ordnungszahl 93 und dieses etwas langsamer in ein weiteres neues Element P l u t o n i u m der Ordnungszahl 94. Dieses zerfällt dann zwar unter a-Strahlung wieder in 235 U, aber nur sehr langsam. E s ist also gelungen, Elemente herzustellen, die es in der Natur nicht gibt, die sogenannten T r a n s u r a n e . Diese Elemente: Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium, Einsteinium, Fermium, Mendelevium, Nobelium sind S. 107 geklammert aufgeführt; sie sind um so unbeständiger und zerfallen um so schneller, je höher ihre Ordnungszahl ist. Das Nobelium hat nur noch eine Halbwertszeit von einigen Minuten. Wichtiger war jedoch eine andere Kernreaktion, die 0 . H a h n und F . S t r a s s m a n n 1939 entdeckten: L a n g s a m e Neutronen reagieren bevorzugt mit dem Uranisotop der Masse 235. Das so

X X V . Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

165

gebildete 2 H U zerfällt sofort und unter sehr großer Energieabgabe in zwei Bruchstücke mit mittlerer Größe, etwa nach dem Schemata: 2

» ' U - * 3 6 K r + 6 6 Ba bzw. "II U

38

Sr +

M

X e usw.

Da die mittelschweren Atome, auch bei den instabilen Isotopen, relativ weniger Neutronen besitzen als die schweren, werden dabei 2—3 Neutronen frei. Diese können mit anderen U-Atomen weiter reagieren. Liegt reines 2 3 5 U vor — das durch umständliche und kostspielige Prozesse aus natürlichem Uran abgetrennt werden muß — so kommt ein großer Bruchteil der entstehenden Neutronen zur Wirkung, es bildet sich eine sehr schnell anlaufende Kettenreaktion aus, wir erhalten eine A t o m b o m b e 1 ) . Liegt dagegen n a t ü r l i c h e s Uran vor, das nur 0,7% des bei der Reaktion Neutronen liefernden 2 3 5 U enthält, so ist die Aussicht, daß das Neutron mit 2 3 8 U reagiert, sehr viel größer. Nun sind allerdings die Neutronen im Augenblick des Entstehens so energiereich, daß sie das Uranmetall durchflogen haben, ehe sie zur Reaktion gekommen sind, also verlorengehen. Man muß also die Neutronengeschwindigkeit herabsetzen; dies kann dadurch geschehen, daß man das Uranmetall mit einem Mantel aus einer Substanz umgibt, die leichte Atome enthält, die mit Neutronen keine Reaktion eingehen. Dazu eignet sich schweres Wasser ( D 2 0 ) oder ganz reiner Graphit. Erreicht man es dann, daß die kinetische Energie der Neutronen durch immer erneute Zusammenstöße mit der Wand sehr stark erniedrigt wird, so reagieren diese langsamen Neutronen bevorzugt mit dem 2 3 5 U, es entstehen wieder neue Neutronen und der Prozeß, der durch irgendeins der überall in geringer Menge vorhandenen Neutronen ausgelöst wird, läuft kontinuierlich weiter. Durch die geschilderten Kernreaktionen wird laufend Wärme erzeugt, die man durch Flüssigkeiten oder Gase abführen und zur Arbeitsleistung in Wärmemaschinen benutzen kann. Mit solchen „ R e a k t o r e n " kann man Elektrizitätswerke u. ä. betreiben. Betrachtet man Abb. 21, so erkennt man, daß man noch mehr Energie als durch den Zerfall der schwersten Elemente gewinnen würde, wenn man Wasserstoff in Helium verwandeln könnte. Dieser Prozeß geht in der Sonne dauernd vor sich; dort ist die Temperatur so hoch, daß die erforderliche „Aktivierungsenergie" zur Verfügung steht. l ) Man kann solche Bomben auch aus Pu herstellen, das im Reaktor (vgl. später) als Nebenprodukt anfällt und dessen Abtrennung leichter Ist als die von m U aus natürlichem Uran.

166

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

Auch auf der Erde kann man diesen Prozeß durchführen, wenn man eine „gewöhnliche" uranhaltige Atombombe mit Wasserstoff bzw. geeigneten Verbindungen umgibt; die Wirkungen einer solchen Wasserstoff-Bombe sind noch viel verheerender als die einer Uranbombe. Gelänge es, diese „ K e r n f u s i o n " in gesteuerter Form durchzuführen, so wäre die Energieversorgung der Menschheit auf nahezu unbegrenzte Zeit gesichert; ob man dieses Ziel erreichen wird, weiß man noch nicht.

Aufbau der Elektronenhüllen. Wie schon erwähnt, ist die Z a h l der E l e k t r o n e n eines neutralen Atoms gleich der Kernladung, d. h. also gleich der Ordnungszahl. Wasserstoff besitzt also 1 Elektron, Natrium 11, Uran 92 Elektronen. Die optischen Erscheinungen (Spektren) sowie die chemischen Erfahrungen haben erkennen lassen, daß die Elektronen der einzelnen Atome in verschiedenen Gruppen (Niveaus) angeordnet sind, denen jeweils eine „ H a u p t q u a n t e n z a h l " n entspricht. Am festesten sind die Elektronen in der dem Kern am nächsten liegenden K-Gruppe (n = 1) gebunden, weniger fest in den äußeren, den L-, M-, N- usw. Gruppen (n = 2, 3, 4, usw.). Außerdem kann man den Elektronen eine „ N e b e n q u a n t e n z a h l " 1 zuordnen: die sElektronen haben 1 = 0, die p-Elektronen 1 = 1, die dElektronen 1 = 2, die f-Elektronen 1 = 3. Bei gegebener Hauptquantenzahl gibt es zwei s-, sechs p-, zehn d-, vierzehn f-Elektronen. Im K-Niveau (n = 1) gibt es nur s-Elektronen, im L-Niveau s- und p-Elektronen, im M-Niveau s-, p- und d-Elektronen usw. Daraus folgt, daß es im K-Niveau insgesamt 2 Elektronen gibt, 8 in der L-, 18 in der M-Gruppe usw. Damit hängt die Länge der Perioden im Perioden-System zusammen. Über die Verteilung der Elektronen auf die einzelnen Gruppen möge die nebenstehende Tabelle 10 einen Eindruck vermitteln, die außer der Vorperiode die erste und zweite Periode umfaßt. In den höheren Perioden liegen die Verhältnisse verwickelter, da hier z. T. Elektronen mit höherer Hauptquantenzahl, aber niedrigerer Nebenquanten-

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

167

Tabelle 10 E l e k t r o n e n - A n o r d n u n g in den n e u t r a l e n A t o m e n El îktronen gruppo L M s p s p

Element

Kernladung

K s

Vorperiode |

H He

1 2

1 2

1. Periode •

Li Be B C N 0 F Ne

3 4 6 6 7 8 9 10

2 2 2 2 2 2 2 2

1 2 2 2 2 2 2 2

2. Periode •

Na Mg AI Si P S Cl Ar

11 12 13 14 16 16 17 18

2 2 2 2 2 2 2 2

2 6 2 6 2 6 2 6 2 6 2 6 2 6 2 6

— — 1 2 3 4 6 6





1 2 2 2 2 2 2 2

d



1 2 3 4 5 6

— — — — — —

zahl fester gebunden sind, als solche mit niederer Hauptquantenzahl, aber höherer Nebenquantenzahl; Näheres vgl. bei „Lanthanide" (S. 193) und „Übergangselemente" (S. 214). Bindangsarten in der Einzelmolekel. Ionenbindung. (Vgl. dazu S. 74ff.). Tabelle 10 zeigt, daß die neu hinzukommenden Elektronen innerhalb einer Periode immer in derselben Gruppe angelagert werden, bis bei den Edelgasen eine a b g e s c h l o s s e n e K o n f i g u r a t i o n der äußeren Elektronen erreicht ist, die beim He 2, beim Ne und Ar1) 8 Elektronen ') "Und ebenso bei den anderen Edelgasen.

168

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

(zwei s-und 6 p-Elektronen) umfaßt. Die Spektren ergeben, daß die „Ionisierungsenergie", d. h. die Arbeit, die notwendig ist, um ein Elektron aus dem neutralen Atom abzuspalten und somit ein positiv geladenes Ion zu bilden, vom Li zum Ne — bzw. vom Na zum Ar usw. — ziemlich regelmäßig ansteigt. Beim Übergang vom Edelgas zum folgenden Metall der 1. Gruppe, also z. B. vom Ne zum Na, dagegen fällt sie plötzlich ab, so daß bei den E d e l g a s e n die Bindung der Elektronen ganz besonders fest ist. Dies ist von größter Bedeutung für die Chemie. Die Nachbarelemente der Edelgase zeigen nämlich das Bestreben, in Verbindungen ebenfalls die Elektronenkonfiguration der Edelgase zu erreichen 1 ). Ein Beispiel möge dies erläutern: Bei der Bildung von NaCl geht, wie wir schon S. 74 sahen, ein Elektron vom Natrium-Atom zum Chlor-Atom über, das dadurch zum negativ geladenen Ion wird, während umgekehrt das Natrium als positiv geladeneslon zurückbleibt. Tab. 10 zeigt uns, daß damit beide Ionen Edelgaskonfiguration besitzen. Das Na + -Ion unterscheidet sich vom Neon-Atom nur dadurch, daß es nicht die Kernladung 10 besitzt, sondern die Ladung 11 des Natrium-Kerns unverändert beibehalten hat Ebenso besitzt das Cl~-Ion die Elektronenkonfiguration des ArgonAtomes, aber nur die Kernladung 17. Man versteht so, daß Wasserstoff, Lithium und Natrium in Verbindungen einfach-, Beryllium und Magnesium doppelt-, Bor und Aluminium dreifach-positiv geladene Ionen bilden, während andererseits Fluor und Chlor 2 ) in Verbindungen als einfach-, Sauerstoff und Schwefel als doppelt-, Stickstoff und Phosphor als dreifach-negativ geladene Ionen auftreten. 1 ) Die hier gewählte Darstellung ist nur ein grobes Schema; verstehen kann man die Tendenz, Verbindungen mit edelgasähnlichen Ionen zu bilden, nur durch eine Betrachtung aller in Frage kommenden Energiebeträge, z. B. Ionisierungsenergien, Gitterenergien usw. *) Und auch gelegentlich Wasserstoff, z. B. im Lithium- und im Calclumhydrid I i i bzw. CaH,.

X X V . Der Aufbau der Atome; Bindungsaiten

169

Nun kann bei den letztgenannten Elementen, z. B . bei Chlor, Schwefel und Phosphor, die Edelgaskonflguration auch dadurch erreicht werden, daß — ebenso wie bei der Bildung des Na + -Ions — Elektronen abgegeben werden, daß also die Elektronenkonfiguration des vorhergehenden Edelgases (hier Neon) gebildet wird. Damit erhält man Cl 7+ , S , + , P 6 + usw. Man versteht so, daß die Differenz zwischen der höchsten positiven und der höchsten negativen Ladung bei diesen den Edelgasen vorhergehenden Elementen immer 8 beträgt (vgl. Cl ,+ -»-Cl 1 ~ oder S 6+ ->- S 2 - ) ; es liegt dies eben daran, daß vom Neon bis zum Argon gerade 8 Elektronen angelagert werden. Man versteht femer, warum die m i t t l e r e n Oxydationsstufen bei solchen Elementen (z. B. Cl 1+ , Cl 3 + , Cl 6 + usw.), bei denen nicht Ionen mit Edelgaskonfiguration gebildet werden, nur in u n b e s t ä n d i g e n Verbindungen vorkommen, die leicht in Verbindungen mit den Grenzwertigkeiten (Cl 7 + bzw. Cl 1 _ ) übergehen (vgl. dazu Kap. XVI). Ganz allgemein kann man also sagen, daß das chemische Verhalten, insbesondere die Wertigkeit, soweit aus Ionen aufgebaute Verbindungen in Frage kommen, weitgehend durch das Bestreben der Elemente bestimmt ist, die Edelgaskonfiguration zu erreichen. Atombindung. Auf Grund des Atombaues lassen sich nun auch die anderen Bindungsarten in ihren Grundzügen verständlich machen. Eine A t o m b i n d u n g , wie sie etwa in der Wasserstoffmolekel vorliegt, haben wir uns etwa so vorzustellen, daß die beiden Elektronen der beiden H-Atome b e i d e n Kernen zugehören 1 ). Derartige Bindungen finden wir immer dann, wenn g l e i c h e Atome sich miteinander zu M o l e keln verbinden (z. B. Cl2, J 2 , S 8 , N a , ) ; sie kommen aber auch zwischen v e r s c h i e d e n e n Atomen vor (vgl. unten). Vorherrschend sind Atombindungen in der o r g a n i s c h e n Chemie, insbesondere bei den C—C-Bindungen. Jeder B i n d e s t r i c h , den wir in den Formeln S. 149 ff. eingezeichnet haben, bedeutet ein beiden Atomen gemeinsames E l e k t r o n e n p a a r . Die Zahl der Atombindungen, die man als „ B i n d i g k e i t " bezeichnet, hängt ebenfalls aufs engste mit der Zahl der Elektronen zusammen. So ist Kohlenstoff vierbindig, weil er 4 Elektronen in der äußeren Gruppe besitzt. Hierbei liegt eine mir auf Grund fler „Quantenmechanik" verständliche „Austauschenergie" vor.

170

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

Eine Anordnung von 8 Elektronen um ein Atom, wie es beim vierbindigen Kohlenstoff der Fall ist, ist bei den Verbindungen aus Elementen der 1. kleinen Periode die Regel („Oktett-Regel") und auch sonst häufig. Auch die C - H - , C - O - , C - N - , O - H - , N—H-Bindungen lassen sich im wesentlichen als Atombindungen deuten, wobei die Oktett-Regel fast immer erfüllt ist. Jedoch liegt bei solchen Bindungen aus v e r s c h i e d e n e n Atomen immer schon eine gewisse elektrische Unsymmetrie vor; die beiden gemeinsamen Elektronen befinden sich im Zeitmittel etwas länger bei dem einen Atom als bei dem anderen, so daß schon ein gewisser Übergang zur Ionenbindung vorliegt. Überhaupt ist zu betonen, daß der Übergang zwischen den einzelnen Bindungsarten — z. B. Atom- und IonenBindung — in der Regel nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich verläuft. Man kann in den meisten Fällen nicht mit Bestimmtheit sagen, daß eine bestimmte Bindungsart vorliegt, sondern nur, daß sie v o r h e r r s c h t . Sehr nützlich hat sich für solche Betrachtungen der von L. P a u l i n g eingeführte Begriff der E l e k t r o n e g a t i v i t ä t erwiesen (vgl. Tab. 11). Bei einer Atombindung ist stets der Partner negativ, dessen Elektronegativität größer ist; gegenüber C ist also H schwach positiv, gegenüber B schwach negativ. Die Werte sind so gewählt, daß die Differenz ungefähr das Dipolmoment (vgl. dazu S. 76) der betreffenden Bindung ergibt. So folgt z. B. für HCl ein Dipolmoment von 0,9, gefunden sind 1,03 Debye. Bei

Tabelle 11 Elektro n e g a t i v i t ä t e n H 2,1

Li 1,0 Na 0,9 K 0,8 Rb 0,8 Cs 0,7

Be 1,6 Mg 1,2 Ca 1,0 Sr 1,0 Ba 0,9

B 2,0 AI 1,5 Sc 1,3 Y 1,3

C 2,5 Si 1,8 Ge 1,7 Sil 1,7

N 3,0 P 2,1 As 2,0 Sb 1,8

O 3,5 S 2,'5 Se 2,4 Te 2,1

F 4,0 Cl 3,0 Br 2,8 J 2,4

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

171

komplizierteren Verbindungen erhält m a n das Gesamtdipolm o m e n t durch vektorielle Addition der Einzelmomente.

Bindungsarten im Kristall. In den Kristallen bleiben in vielen Fällen die Einzelmolekeln erhalten („Molekelgitter", z. B. H2, J 2 [Abb. 23] CC14). Da die Kräfte zwischen den Molekeln1) verhältnismäßig gering sind, handelt es sich meist um leicht flüchtige Stoffe. Da ferner keine freien Elektronen vorhanden sind (vgl. unten über Metalle), liegen N i c h t m e talle vor, die den elektrischen Strom nicht leiten. Zweitens können Kristallgitter aus Ionen aufgebaut werden, und zwar so, daß Einzelmolekeln nicht erkennbar sind (Ionengitter). Einen hierfür typischen Fall haben wir (S. 75, Abb. 13) beim Kochsalz kennengelernt; einige weitere wichtige Strukturtypen für Ionengitter gibt Abb. 22. Unter Umständen können sich dabei Schichten ausbilden, z. B. im Mg(OH)2-Gitter. Auch hierbei handelt es sich im festen Zustande in der Regel um sehr schlechte Leiter, da die Ionen ihren Platz nur unter großem Arbeitsaufwand wechseln können; die Schmelzen leiten dagegen gut. Schließlich kann der Aufbau eines Kristalles auch so erfolgen, daß die äußeren Elektronen sich von den Atomen loslösen und im Gitter — gleichsam wie in einem Gase — frei beweglich werden, während das eigentliche starre Gittergerüst von den zurückbleibenden positiv geladenen Atomresten (Ionen) aufgebaut wird. Dies ist der Fall bei den Metallen. Die typisch metallischen Eigenschaften (Leitfähigkeit für Elektrizität und Wärme, Undurchsichtigkeit, leichte Verformbarkeit) hängen mit dem Auftreten dieses „Elektronengases" zusammen. Die wichtigen M e t a l l g i t t e r sind die kubisch- und die hexagonal-dichteste Kugelpackung sowie das kubisch raumzentrische Gitter (Abb. 23). Die Zahl der l ) Diese Kräfte zwischen neutralen Atomen oder Molekeln lassen sich ebenfalls auf Grund der Quantenmechanik verstehen; eine einfache modellmäßige Erklärung ist jedoch nicht möglich.

172

X X V . Der A u f b a u der A t o m e ; Bindungsarten

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5

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Abb. 22. Beispiele für Strukturen von einlachen Verbindungen NaCl s. Abb. 18, 8 . 7 5 a) CsCl b) Zinkblende ZnS c) Flußspat CaF, d) Rutil TiOa e) Bruclt Mg(OH), (Schichtengitter) f) CO, (Molekelgitter)

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

173

k-

Abb. 23. Strukturen von Elementen a) kubisch dichteste Kugelpackung flächenzentriert, KZ = 12 (z. B. Cu, A b) desgl., hexagonal aufgestellt c) hexagonal-dichteste Kugelpackung KZ = 12 (z. B. Mg) d) kubisch-innenzentriert KZ = 8 (z. B. Na) e) Graphit f) Diamant (KZ = 4) g) Selen (Fadengitter) h) Jod (Molekelgitter)

174

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

nächsten Nachbarn, die Koordinationszahl, beträgt bei den beiden erstgenannten 12, bei dem letztgenannten 8. Wir hatten früher gesehen, daß die typisch nichtmetallischen Elemente sich in den höheren Gruppen des Perioden-Systems — also dicht vor den Edelgasen — finden, während die Metalle vorzugsweise in den ersten Gruppen stehen. Man erkennt den Zusammenhang: Diejenigen Elemente, die leicht positive Ionen bilden, also die äußeren Elektronen nicht sehr fest halten, bilden Metalle mit freien Elektronen, während diejenigen Elemente, die in Verbindungen oft negative Ionen bilden — also nicht nur die eigenen Elektronen sehr festhalten, sondern sogar noch fremde Elektronen aufnehmen —, auch im elementaren Zustande im Kristall keine Elektronen abgeben und daher Nichtmetalle sind. Bei den n i c h t m e t a l l i s c h e n S t r u k t u r e n der E l e m e n t e ist die Zahl der Lücken in der äußersten Elektronenschale für die Kristallstruktur maßgebend. In der 7. Gruppe des PeriodenSystems fehlt ein Elektron zur Edelgaskonfiguration; es ist daher eine Atombindung möglich. Daher sind auch im Gitter Molekeln aus 2 Atomen vorhanden. In der 6. Gruppe sind zwei Atombindungen möglich; wir finden im Gitter entweder Molekeln mit Doppelbindung (Oa) oder Ringe (S8) oder gewundene Ketten (Se bzw. Te). Drei Atombindungen können zu einem Gitter aus zweiatomigen Molekeln mit einer dreifachen Bindung führen (N2), zu tetraedisch gebauten Molekeln aus 4 Atomen (weißer Phosphor) und schließlich zu Strukturen mit Doppelschichten, in denen jedes Atom drei nächste Nachbarn hat (schwarzer Phosphor, As, Sb, Bi). Be| vier Atombinduiigen bildet sich in der Regel die Diamantstruktur aus, in der jedes Atom tetraedrisch von vier anderen umgeben ist (Diamant, Si, Ge, graues Sn), oder es bilden sich Sonderstrukturen wie Graphit (vgl. S. 140) und weißes Zinn (stark gestauchtes Diamantgitter, KZ ~ 6). Trotz des Vorliegens von Atombindungen leiten einige dieser Elemente, insbesondere P schwarz, As, Sb, Bi, Sn weiß, den elektrischen Strom schon recht gut (Halbmetalle). Atom- und Ionen-Radien; Volumeninkremente. Halbiert man im Gitter eines Elements den kürzesten Abstand zwischen zwei Atömen, so erhält man den „ A t o m r a d i u s " . Kommt das gleiche Element in mehreren Gitterstrukturen mit verschiedener Zahl der nächsten Nachbarn (Koordinationszahl KZ) vor, so zeigt sich, daß mit steigender KZ die „Atomradien" etwas ansteigen. Man gibt

175

XXV. Der Aufbau der Atome ; Bindungsarten C^

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Aus dem Diagramm ersieht man folgendes: Die beiden Stoffe, Abb. 28. aus denen das System System Aluminium-Silicium aufgebaut ist, haben wie jeder reine Stoff, ganz bestimmte Schmelz- bzw. Erstarrungstemperaturen (Fai bzw. Fsi), bei denen beim Abkühlen der Schmelze die ganze Masse fest wird. Bei Schmelzen, die sowohl Aluminium als auch Silicium enthalten, ist dies jedoch nicht der Fall. Betrachten wir z. B. die durch die gestrichelte Vertikale bezeichnete Zusammensetzung C, bei der 70 Gewichtsprozente Silicium und 30% Aluminium vorhanden sind. Die Erstarrung beginnt hier nicht bei der Erstarrungstemperatur des Siliciums, sondern bei einer wesentlich tieferen Temperatur. Untersucht man die zunächst ausgeschiedenen Kristalle, so findet man, daß es sich um reines Silicium handelt. Durch diese Ausscheidung von Silicium wird der Gehalt der Schmelze an diesem Element geringer, während der prozentuale Anteil an Aluminium zunimmt. Die Konzentration der Schmelze ändert sich also so, wie es der einfache Pfeil zeigt. Schmelzen, die reicher an Aluminium sind, als C entspricht, erstarren aber, wie die Abb. zeigt, noch niedriger; d. h. je mehr sich Silicium ausscheidet, desto mehr sinkt ') Vielfach, namentlich wenn man die Zusammensetzung von Verbindungen schnell übersehen will, ist es vorteilhafter, Atomprozente, z. B. „„„ Gramm-Atome AI . _ , . .. 100• — — — —anzugeben. Bei der Ähnlichkeit Gramm-Atome AI + Gramm-Atome Si der Atomgewichte von AI und Si bringt dies für die Abb. 28 keine große Änderung; es sind daher nur Gew.% angegeben. Dagegen sind in Abb. 29 Atom- und Gew.% nebeneinander verzeichnet.

XXXI. Tensions- und thermische Analyse

231

der Erstarrungspunkt, und zwar längs der Kurve Fsi —Eu. In Eu trifft die Kurve Fsi—Eu die Kurve Fai—Eu, längs deren sich Aluminium abscheidet. Bei der durch den Punkt Eu, den „ e l e k tischen Punkt", bestimmten Temperatur und Zusammensetzung werden sich also Aluminium und Silicium nebeneinander ausscheiden. Und zwar erfolgt bei dieser „eutektischen Temperatur" die Ausscheidung des gesamten noch nicht erstarrten Restes. Senkt man also bei der Zusammensetung C des Gesamtsystems die Temperatur, so erhält man folgende Zustände: Oberhalb Fe ist eine homogene Schmelze vorhanden, bei Fe' beginnt die Erstarrung, zwischen Fo und der eutektischen Temperatur sind festes Silicium und Schmelze nebeneinander vorhanden, bei der eutektischen Temperatur erstarrt der Rest, und unterhalb der eutektischen Temperatur ist alles fest, und zwar liegen Kristalle von Aluminium und Silicium nebeneinander vor. Geht man — entsprechend der punktierten Kurve — von einer Schmelze der Zusammensetzung D (5 Gew. % Si, 95% AI) aus, so ist der Vorgang grundsätzlich der gleiche, nur scheidet sich hier zunächst Aluminium aus. Nur wenn man von einer Schmelze der eutektischen Zusammensetzung ausgeht, so erfolgt das Erstarren der ganzen Masse bei einer Temperatur. Man darf aber daraus nicht etwa schließen, daß bei dieser Zusammensetzung eine Verbindung vorliegt, vielmehr kristallisieren Aluminium und Silicium völlig unverbunden nebeneinander aus. Allerdings unterscheidet sich dieses erstarrte „eutektische Gemisch" unter dem Mikroskop im „Gefüge" dadurch von den Nachbargebieten, daß sehr kleine Kristalle beider Komponenten innig vermengt sind, während sich bei der primären Ausscheidung nur einer Komponente meist größere Kristalle bilden, die dann von Eutektikum umgeben sind. R ö n t g e n a u f n a h m e n würden hier bei allen Mischungsverhältnissen Überlagerungen der Diagramme von Aluminium und Silicium ergeben und bei keiner Zusammensetzung irgendwelche neuen Linien. Bilden die beiden Komponenten eines Systemes eine Verb i n d u n g , so hat diese als „reiner Stoff" ebenfalls einen ganz bestimmten Schmelzpunkt, bei dem sie restlos schmilzt bzw. aus der Schmelze erstarrt. Liegt auch hier Mischbarkeit im flüssigen, Nichtmischbarkeit im festen Zustande vor, so ist das Gesamtdiagramm durch zwei eutektische Teildiagramme gegeben, wie es Abb. 29 für das System M a g n e s i u m / B l e i zeigt. Man erhält also hier zwei eutektische Punkte: Euj zwischen Magnesium und der Verbindung Mg,Pb, sowie Eua zwischen Mg2Pb und Blei. Längs der Kurve Fug—Eu, scheidet sich Magnesium, längs der

232

X X X I . Tensions- und thermische Analyse

Kurven FMg.Pb—Eu t und FiigjPb—Bu a die Verbindung Mg 2 Pb, längs Eu 2 —Fpb Blei aus. In dem Gebiet Ia sind nebeneinander Schmelze und festes Magnesium vorhanden, in Ib und I I a festes Mg 2 Pb und Schmelze, in I I b festes Blei und Schmelze. Unterhalb der beiden eutektischen Geraden ist alles fest. Abb. 29 zeigt, wie man (unter den genannten Voraussetzungen) Abb. 29. die Existenz einer V e r System Magnesium-Blei b i n d u n g aus dem Verlauf der Erstarrungskurve erkennen kann, insbesondere aus dem Auftreten eines M a x i m u m s .

fOU 100 Flig

t'OA 700

R ö n t g e n o g r a p h i s c h würde man hier nicht nur bei den Komponenten Magnesium und Blei selbständige, voneinander vollständig verschiedene Diagramme erhalten, sondern auch bei der Verbindung Mg 2 Pb. Das Auftreten eines neuen Diagrammes bei dieser Zusammensetzung, das nicht eine Überlagerung der Diagramme von Magnesium und Blei darstellt, beweist eindeutig das Vorliegen einer Verbindung. B e i der großen B e d e u t u n g , die die t h e r m i s c h e A n a lyse für theoretische und praktische F r a g e n h a t , wollen wir uns n i c h t damit begnügen, diese allereinfachsten F ä l l e zu schildern, sondern auch auf einige k o m p l i z i e r t e r e S y s t e m e wenigstens andeutungsweise eingehen. Recht einfach liegen die Verhältnisse, wenn w e d e r im f e s t e n n o c h im f l ü s s i g e n Z u s t a n d e M i s c h b a r k e i t vorliegt, wenn sich also nicht nur die Kristalle der beiden Komponenten unbeeinflußt voneinander ausscheiden, sondern auch in der Schmelze zwei Schichten gebildet werden, wie es etwa von Äther und Wasser her allgemein bekannt ist. Es erfolgt dann das Erstarren so, als ob jeder der beiden Stoffe für sich vorhanden wäre; die Diagramme

233

X X X I . Tensions- und thermische Analyse

entsprechen der Abb. 30 (System Silber/Vanadin). Hiernach erstarrt bei 1730° zunächst alles Vanadin und unabhängig davon bei 960,5° alles Silber. Sind dagegen — das andere Extrem —die Stoffe im f l ü s s i g e n und festen Zustande miteinander mischbar, so liegen die Dinge verwickelter. Als typisches Diagramm zeigt Abb. 31 t°Cels. 2000, iiOss.V+flüss.Ag -1500 •

festes V

't°fels. 2000 ' v 11500

t°Qk 1100

fliiss.Ag 1000 •.

1000

festes V+festesAg 100% Abb. 30. System Silber-Vanadin

G E

CFD

Abb. 31. System Silber-Gold

das System Silber/Gold. Wir gehen von einer Schmelze der Zusammensetzung C aus. Aus dieser scheidet sich bei der Temperatur FE ein Mischkristall aus, der aber nicht die Zusammensetzung C wie die Schmelze, sondern die Zusammensetzung D besitzt. Er ist also reicher an Gold, als C entspricht; die Schmelze reichert sich dadurch an Silber an, und die Erstarrungstemperatur sinkt längs der sogenannten „Liquidus"-Kurve, sagen wir bis zur Temperatur F e . Mit einer Schmelze der Zusammensetzung E ist aber ein Mischkristall der Zusammensetzung F im Gleichgewicht. Es haben daher nicht nur die zuletzt ausgeschiedenen Kristalle die Zusammensetzung F, sondern es müssen auch die zuerst ausgeschiedenen Kristalle der Zusammensetzung D mit der Schmelze reagieren, bis auch sie die Zusammensetzung F haben1). Erst dann ist alles im ' ) Praktisch erfolgt diese nachträgliche Reaktion der Kristalle mit der Schmelze allerdings oft sehr langsam. Dadurch wird bei normaler Abkühlungsschwindigkeit der weitere Erstarrungsvorgang anders; man erhält Ungleichgewichtszustände, die Zusammensetzung der einzelnen Kriställchen ändert sich von innen nach außen. Erst durch längeres Erhitzen dicht unterhalb der Schmelztemperatur („Tempern") lassen sich in diesem Falle homogene Mischkristalle erzielen.

234

XXXI. Tensions- und thermische Analyse

Gleichgewicht. Beim weiteren Fortschreiten des Erstarrungsvorganges kommen wir schließlich zur Erstarrungstemperatur FG. Hier haben die Kristalle — und zwar sowohl die zuerst ausgeschiedenen, nachträglich umgewandelten als auch die zuletzt ausgeschiedenen — die Zusammensetzung C; sie sind also ebenso zusammengesetzt wie die ursprüngliche Schmelze. Damit ist der Erstarrungsvorgang beendet, alles ist zu einheitlichen Mischkristallen erstarrt. Oberhalb der Liquidus-Kurve ist also alles flüssig, unterhalb der „Solidus"Kurve ist alles fest. Die beiden Kurven schließen somit ein Gebiet ein,indemSchmelzeund ' c "* fester Stoff nebeneinander vorhanden sind. Da in solchen Systemen die Aüsgangsstoffe meist ähnliche Gitter, nur mit verschiedenen „Gitterkonstanten", besitzen, sind die Röntgendiagramme der Ausgangsstoffe in der Regel von ähnlichem Habitus, aber verschiedenen LinienabstänAbb. 32. System Silbei-Kupfer den. Bei den Mischkristallen liegen dann bei Erhaltung des Habitus der Diagramme die Abstände zwischen denen der Ausgangsstoffe. Noch verwickelter wird das Verhalten beim Erstarren, wenn die Stoffe im flüssigen Zustande völlig, im f e s t e n aber nur teilweise m i s c h b a r sind. Hierfür ist das System Silber/ K u p f e r (Abb. 32) ein Beispiel. Gehen wir von einer Schmelze der Zusammensetzung C aus, so scheiden sich bei der Temperatur Fe zunächst Mischkristalle von Kupfer in Silber der Zusammensetzung D aus; sobald die eutektische Temperatur erreicht ist, haben die Mischkristalle im Gleichgewicht die Zusammensetzung E. Damit ist aber die Löslichkeitsgrenze erreicht, mehr Kupfer kann das Silber im festen Zustande bei dieser Temperatur nicht aufnehmen. Es scheiden sich daher jetzt neben Mischkristallen der Zusammensetzung E auch solche der Zusammensetzung F, d. h. fast reines Kupfer mit etwas gelöstem Silber, aus. Die Mischbarkeit ist also hier keine vollständige, Silber kann maximal bis zur Zusammensetzung E Kupfer aufnehmen, Kupfer

X X X I . Tensions- und thermische Analyse

235

bis maximal F Silber. Zwischen E und F ist im festen Zustande eine „ M i s c h u n g s l ü c k e " . Die Größe der Mischungslücke ändert sich mit der Temperatur. Die Grenzen E und F gelten für die eutektische Temperatur. Wie man sieht, nehmen die gegenseitigen Löslichkeiten der Metalle mit fallender Temperatur ab1). Intermetallische Verbindungen. Die Z u s a m m e n s e t z u n g der intermetallischen Verbindungen zeigt meist keinen ohne weiteres erkennbaren Zusammenhang mit der Wertigkeit der Elemente in salzartigen Verbindungen. Das Gesetz der konstanten und der multiplen Proportionen ist hier oft recht schlecht erfüllt; vielmehr schwankt die Zusammensetzung der einzelnen intermetallischen Verbindungen je nach dem Mengenverhältnis der Ausgangsstoffe innerhalb gewisser, mehr oder weniger breiter Grenzen; die einzelnen „intermetallischen Phasen" haben mehr oder weniger breite „Homogenitätsgebiete". Die K r i s t a l l s t r u k t u r e n der intermetallischen Phasen entsprechen vielfach den dichtgepackten Strukturen der Metalle, wobei die Komponenten oft in bestimmter, geordneter Weise auf die einzelnen Gitterplätze verteilt sind („Überstrukturen"). Es gibt aber auch spezifische Strukturen, die nur bei den intermetallischen Phasen vorkommen; dabei ist oft das Größenverhältnis der Atome von entscheidender Bedeutung. Bei bestimmten Klassen gilt eine Regel von H u m e - R o t h e r y , daß das Verhältnis der Valenzelektronen zur Zahl der Atome die Struktur bestimme. So besitzen CuZn, Ag 3 Al und Cu5Sn die gleiche Struktur (^-Struktur, entspricht der des CsCl ¡[Abb. 22]; , , v ..... . . . 1 + 2 , 3-1 + 3 , 5-1 + 4 das genannte Verhältnis ist — ^ — bzw. g bzw. g , d.h. es ist in allen Fällen 3/2). Die E i g e n s c h a f t e n der intermetallischen Verbindungen weisen auf Übergänge zwischen den Metallen und Salzen hin. Zwar besitzen sie meist ausgesprochen metallischen Charakter, aber die metallische Leitfähigkeit ist doch wesentlich geringer als bei den reinen Metallen. Auch sind sie im Gegensatz zu diesen oft ziemlich spröde, wenn auch nicht so sehr wie die Salze. Die B i l d u n g s e n t h a l p i e n sind bei nur aus edlen Metallen bestehenden Verbindungen klein; sie werden um so stärker negativ, je größer der Unterschied in denElektronegativitäten(vgl. S. 170) der Komponenten ist. Meist ist mit der Verbindungsbildung eine V o l u m k o n t r a k t i o n verbunden, namentlich dann, wenn eine ' ) Die Temperatur-Abhängigkeit der — geringen — löslichkeit von Silber in K u p f e r im festen Zustande ist noch nicht so genau untersucht.

236

XXXII. Technisches Eisen

Komponente ein sehr unedles, die andere ein edles Metall ist. Für die Technik ist wichtig, daß Legierungen (intermetallische Verbindungen oder Mischkristalle) oft wertvollere Eigenschaften besitzen als die reinen Metalle (vgl. z. B. Kap. XXVII und XXXII).

XXXII. Technisches Eisen Gewinnung des Eisens. Das wichtigste Gebrauchsmetall des Menschen ist seit mehreren Jahrtausenden das Eisen; erst in neuester Zeit beginnt eine Neuentwicklung, indem die Leichtmetalle Aluminium und Magnesium sich immer neue Anwendungsgebiete erobern. In der Natur kommt das Eisen als Bestandteil außerordentlich vieler Mineralien vor. Für die technische Gewinnung werden jedoch nur die hochprozentigen E r z e verwendet; wir nennen den Roteisenstein Fe 2 0 3 und ein Oxidhydroxid, den Brauneisenstein (FeOOH) nebst vielen Abarten,ferner den Magnetit Fe 3 0 4 (vgl. S. 193) und den Spateisenstein FeC0 3 . Deutschland muß die erforderlichen Erze zum überwiegenden Teil einführen. Bei der H e r s t e l l u n g von Eisen aus seinen Erzen handelt es sich praktisch immer um eine Reduktion" von Oxiden. Als Reduktionsmittel benutzt man Kohlenstoff in Form von Koks 1 ). Die Durchführung erfolgt im kontinuierlichen Prozeß in Hochöfen, großen Schachtöfen, in die von oben ein Gemisch von Erz, Koks und Zuschlägen, der „Möller", eingeführt wird. Die Zuschläge, meist gebrannter Kalk, haben den Zweck, die in den Erzen vorhandenen Silicate („Gangart") in eine leicht schmelzende Schlacke überzuführen. Die chemischen Vorgänge im H o c h o f e n . Im unteren Teile wird der Koks zu CO verbrannt, es bildet sich also „Generatorgas" (vgl. S.147). Die dabei erzeugte Wärme heizt den Hochofen. Damit eine möglichst hohe Temperatur erreicht wird, erhitzt man die eingeblasene Luft in den sogenannten „Winderhitzern" vor. Die Vorgänge im Hochofen seien an Hand von Abb. 33 besprochen. In der unteren, heißesten Zone erfolgt die „direkte Reduktion" nach der Bruttoformel: FeO x + xC = Fe + xCO. Tatsächlich erfolgt die Reduktion weitgehend durch CO; das dabei entstehende C02 setzt sich aber nach der Boudouard-Reaktion (vgl. S. 147) sofort mit dem Koks wieder zu CO um, so daß, wie es die Gleichung angibt, als Reduktionsmittel letzten Endes der Koks wirkt. Bei etwa 1000° kommt die Boudouard-Reaktion ') Kohle ist zu weich und würde im Hochofen zerdrückt werden, außerdem würden bei ihrer Erhitzung große Gasmengen frei.

XXXII.

Technisches Eisen

Gichtgas Beschickungshöhe

ca. 600

'C

900'C

ca. 1000 'C

7/00

0

C

Uf/%

C0'1°/o

CO

Zone

der

direkten Reduktion

Wind

Abb. 33. Zonen im Hochofen (schemafcisch)

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X X X I I . Technisches Eisen

bei der großen Gasgeschwindigkeit und den dadurch bedingten kurzen Verweilzeiten praktisch zum Stillstand; in dem Temperaturgebiet zwischen 1000° und ^ 600° erfolgt die „indirekte Reduktion" nach der schematischen Gleichung FeO x + xCO = Fe + xC0 2 . Die Reduktion eines Oxids durch CO ist nur dann möglich, wenn der Sauerstoffdissoziationsdruck des Oxids größer ist als der 0 2 -Partialdruck der Umsetzung 2 C0 2 2 CO + 0 2 . Da der letztere nach dem Massenwirkungsgesetz dem Quotienten p 2 co 2 /p 2 co proportional ist, läßt sich Eisenoxid nur dann reduzieren, wenn der Gehalt des Gases an CO größer ist, als der durch die soeben besprochene Beziehung gegebene Mindestwert; die den Hochofen verlassenden „Gichtgase" enthalten daher noch erhebliche Mengen an CO. Man fängt sie auf und verwendet sie als Heizgase f ü r Gebläsemaschinen, Winderhitzer u. ä. Das gebildete Eisen schmilzt in den untersten Teilen des Hochofens, und zwar bei einer viel tieferen Temperatur, als dem Schmelzpunkt des reinen Eisens (1528°) entspricht, weil es Kohlenstoff aufnimmt (vgl. dazu Abb. 34, S. 241), wodurch die Schmelztemperatur um mehrere hundert Grad erniedrigt wird. Im untersten Teile des Hochofens sammelt sich schließlich das geschmolzene kohlenstoffhaltige Eisen und darüber die ebenfalls geschmolzene, spezifisch leichtere Schlacke an. Die letztere wird in kurzen Zeitintervallen abgelassen und liefert nach dem Abschrecken mit Wasser und Zugabe von etwas Portlandzement (vgl. S. 197) den „Hochofenzement" bzw. bei größeren Gehalten an Portlandzement den „Eisenportlandzement". Das Eisen selbst wird einige Male am Tage abgestochen und fließt entweder in Sandformen oder in große Behälter, in denen man es gleich zum Stahlofen bringt. Das aus dem Hochofen erhaltene R o h e i s e n kann für manche Zwecke ( G u ß e i s e n ) direkt verwendet werden. Für" andere Zwecke stört jedoch, daß es zu viel Kohlenstoff (etwa 4°/0) und schädliche Beimengungen wie Silicium, Phosphor und Schwefel enthält. Für s c h m i e d b a r e s E i s e n , „ S t a h l " , müssen diese Beimengungen entfernt und der Kohlenstoffgehalt verringert werden, und zwar bis höchstens 1,5% (siehe den folgenden Abschnitt). Dies erreicht man durch die sogenannten „ F r i s c h v e r f a h r e n " , bei denen das flüssige Roheisen mit Luft behandelt wird. Dabei verbrennen die schädlichen Beimengungen und ein Teil des Kohlenstoffs zu Oxilen. Mit der Abnahme des Kohlenstoffgehaltes steigt der Schmelzpunkt (vgl. Abb. 34 S. 241). Man gewann daher bei dem ä'teren „ P u d d e l p r o z e ß " , bei dem man noch nicht genügend

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hohe Temperaturen erreichte, das kohlenstoffarme Eisen nicht in flüssiger Form, sondern in Stücken („Luppen"), die durch Schmiedepressen von der Schlacke befreit und zu größeren Blöcken vereinigt wurden („Schweißstahl"). Bei den neueren Verfahren arbeitet man bei höheren Temperaturen, so daß man das kohlenstoffarme Eisen in flüssigem Zustande erhält („Flußstahl"). Die wichtigsten Verfahren sind das B e s s e m e r - bzw. T h o m a s - V e r f a h r e n einerseits, das S i e m e n s - M a r t i n - V e r f a h r e n andererseits. Bei den erstgenannten Verfahren bläst man durch das in einem birnenartigen Gefäß befindliche flüssige Roheisen Luft; durch die Verbrennungswärme, insbesondere von Silicium und Phosphor, wird dabei die Temperatur erhöht. Ist die Oxydation weit genug fortgeschritten, was schon nach 10 bis 20 Minuten der Fall ist, so wird die Birne gekippt, so daß das flüssige Eisen herausfließt. Beim Bessemer-Verfahren ist die Birne mit einem Futter versehen, das überschüssige Kieselsäure enthält, während man beim Thomas-Verfahren ein basisches, CaO und MgO enthaltendes Futter verwendet und dem flüssigen Eisen CaO zusetzt. Man kann so auch phosphorhaltiges Roheisen verarbeiten, weil die basischen Oxide das gebildete PjO s als Phosphat binden und so überhaupt erst eine Oxydation des mit dem Eisen verbundenen Phosphors ermöglichen. Man gewinnt so als Nebenprodukt in der „Thomasschlacke", eines aus Ca 3 (P0 4 ) 2 und Ca2Si04 aufgebauten Stoffes, ein wertvolles Phosphorsäure-Düngemittel, das zwar im Gegensatz zum Superphosphat (vgl. S. 123) nicht in Wasser löslich ist, wohl aber in schwachen Pflanzensäuren. Man hat in der Darstellung von „Thomasschlacke" gleichzeitig eine Methode, sehr arme Phosphate auszunutzen. Auch Vanadinverbindungen kann man so gewinnen. Beim S i e m e n s - M a r t i n - V e r f a h r e n erhitzt man in einer durch Gasfeuerung erhitzten Wanne, die ebenfalls eine saure oder eine basische Auskleidung haben kann, das Roheisen mit „Schrott", d. h. teilweise verrostetem, also oxydiertem Abfalleisen. Der Sauerstoff des Schrotts verbrennt dann zusammen mit dem Sauerstoffüberschuß der Heizgase die schädlichen Verunreinigungen und einen Teil des Kohlenstoffs des Roheisens. Um die nötigen Temperaturen zu erzielen, müssen die Heizgase vorgeheizt werden, wozu man die Wärme der Abgase benutzt („Regenerativfeuerung"). Das SiemensMartin-Verfahren ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil es eine Verwertung des Schrotts gestattet, es ermöglicht darüber hinaus die Herstellung von Eisensorten von genau bestimmten Eigenschaften, weil man vor dem Abstechen Zeit für die Prüfung und ge-

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gebenenfalls für Zusätze hat, was bei den vorgenannten Verfahren nicht in dem Maße der Fall ist. Für besonders anspruchsvolle Verwendungszwecke wirddasEisen mit den Zusätzen (z.B.Cr,Mo, V, Ti) in verhältnismäßig kleinen Tiegeln verschmolzen („Tiegelstahl"). Man kann auch im fertig geformten Gegenstand den Kohlenstoffgehalt noch ändern. So erhöht man ihn in geschmiedeten Gegenständen, also kohlenstoffarmem Eisen, durch Erhitzen in Holzkohlepulver („Zementstahl"). Andererseits kann man kleine Gußeisengegenstände durch Erhitzen in Eisenoxidpulver („Tempern") in kohlenstoffärmeres, schmiedbares Eisen überführen. Gelegentlich braucht man für technische Zwecke — z. B. für Magnete — reines, kohlenstofffreies Eisen. Man erhält es entweder durch Elektrolyse aus wässerigen Lösungen („Elektrolyteisen") oder durch thermische Zersetzung von E i s e n c a r b o n y l Fe(CO)5. Diese Verbindung gewinnt man, indem man Kohlenoxid unter Druck bei 150 bis 200° auf fein verteiltes Eisen einwirken läßt. Das Elsen/Kohlenstoff-Diagramm. Ein Teil des für die Technik außerordentlich wichtigen E i s e n / K o h l e n s t o f f - D i a e r a m mes ist in Abb. 34 dargestellt. Nicht berücksichtigt ist die a-ßUmwandlung bei 768° (Übergang des ferromagnetischen in das paramagnetische Eisen), da sich dabei die Kristallstruktur nicht ändert, also keine neue Phase gebildet wird, a- und ¿-Eisen sind kubisch raumzentriert, y-Eisen ist kubisch flächenzentriert (vgl. Abb. 23). Eisen und Kohlenstoff bilden eine V e r b i n d u n g FesC, den Zem e n t i t , der 6,7% Kohlenstoff enthält. Das Diagramm zwischen Eisen und Zementit ist in seiner Schmelzkurve vom eutektischen Typus: die Erstarrungstemperaturen sinken mit wachsendem Kohlenstoffgehalt bis zum Eutektikum mit 4,2% C und steigen dann wieder stark an. Bei Meinen Kohlenstoffgehalten — bis 1,7% — scheiden sich Mischkristalle von Kohlenstoff im sogenannten y-Eisen („Austenit") aus. Die Löslichkeit von C (bzw. FesC) in y-Eisen nimmt mit fallender Temperatur ab, wie man es von vornherein erwarten würde; vgl. dazu die Löslichkeit von Cu in Ag, Abb. 32, S. 234. Auffällig ist die Begrenzung des Mischkristallgebietes durch die Linie AC; hier handelt es sich um die vom C-Gehalt abhängige Umwandlung der y-Form des Eisens in die a-Form, den „Ferrit", und nur die y-Form, nicht aber die a-Form, ist in der Lage, C-Atome in größerem Umfange zu lösen. Die Austenit-Mischkristalle verhalten sich also beim Abkühlen wie

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