Anorganische Chemie 9783111362335, 9783111005102


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German Pages 185 [216] Year 1960

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Inhalt
Lehrbücher der Anorganischen Chemie
I. Einleitung
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Zerlegung durch elektrische Energie (Elektrolyse)
III. Gasgesetze
IV. Quantitatives über die Zusammensetzung des Wassers Das Gesetz von der Erhaltung der Masse
V. Wasserstoff und Sauerstoff
VI. Ozon und Wasserstofiperoxyd
VII. Die Zusammensetzung der Luft
VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen
IX. Atom- und Molekulargewicht
X. Wertigkeit
XI. Wärmetönung und Affinität
XII. Chlor und Chlorwasserstoff
XIII. Säuren, Basen, Salze Vorbemerkung: Zusammenstellung der Elementsymbole
XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation Elektrolyte und Nichtelektrolyte
XV. Die Ionen-Bindung
XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors
XVII. Brom, Jod und Fluor; Übersicht über die Halogene
XVIII. Schwefel
XIX. Selen u. Tellur; Übersicht über die Chalkogene
XX. Abhängigkeit der Gleichgewichte von äußeren Bedingungen
XXI. Das Perioden-System der Elemente
XXII. Stickstoffgruppe
XXIII. Kohlenstoff
XXIV. Silicium und Bor
XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten
XXVI. Alkalimetalle
XXVII. Erdalkali- und Erdmetalle
XXVIII. Elemente der Gruppen Ib bis IVb
XXIX. Elektrochemie
XXX. Die Übergangselemente
XXXI. Tensions- und thermische Analyse
XXXII. Technisches Eisen
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SAMMLUNG

GÖSCHEN

ANORGANISCHE

BAND

37

CHEMIE

von

DR. DR. h.c. W I L H E L M

KLEMM

o. Professor an der Universität Münster

Elfte Auflage Mit 18 Abbildungen

WALTER DE GRUYTER & CO. Tormals G J. Göschen'sche Verlagshaodlung • J . Guitentag, Ferlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp

BERLIN

I960

© Copyright 1960 by Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35. Genthiner Str. 13. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — Archiv-Nr. 11 00 37. — Satz: Walter de Gruyter er Verlauf dieser Reaktion Im einzelnen Ist verwickelt; wt'' bei nahezu allen explosionsartig verlaufenden Gasreaktionen liegt aucu • icr eine sogenannte . « K e t t e n r e a k t i o n " vor, vgl. dazu S. 49. '} über weitere wichtige technischeDarsteUungBverfabren vgl. K a p . X X I I .

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V. Wasserstoff und Sauerstoff

stoß in Freiheit zu setzen. Als ein recht unedles Element sei das M a g n e s i u m genannt. Leitet man Wasserdampf bei höheren Temperaturen über Magnesiumpulver, so verbindet sich der Sauerstoff unter Erglühen mit dem Metall und man erhält Wasserstoff. Bei derartigen Einwirkungen von Metallen auf Wasserdampf müssen sich natürlich Verbindungen zwischen Metall und Sauerstoff bilden; solche Verbindungen bezeichnet man als O x y d e . Es gilt also die Gleichung: Unedles Metall + Wasser = Metalloxyd + WasserstoS. Bei den e d l e r e n Metallen ist es gerade umgekehrt; hier kann man dem Oxyd durch Wasserstoff den Sauerstoff entziehen. Das kann man sehr schön beim Kupfer zeigen. Erhitzt man Kupfer auf höhere Temperaturen in der Luft, die j a SauerstoS enthält, so wird es schwarz, weil sich Kupferoxyd bildet. Bringt man ein solches oxydiertes Stück Kupfer in heißem Zustande in eine Wasserstoffatmosphäre, so erscheint sogleich die hellrote Farbe des Kupfermetalles, weil sich folgende Reaktion abspielt: Kupferoxyd + Wasserstoff = Kupfer + Wasser. Oxydation und Reduktion. Eine solche Loslösung von Sauerstoff aus einer Verbindung bezeichnet man als R e d u k t i o n , während der entgegengesetzte Vorgang, die chemische Bindung von Sauerstoff, O x y d a t i o n genannt wird 1 ). Beide Vorgänge sind stets miteinander gekoppelt. So ist z. B. im vorliegenden Falle das Kupferoxyd zu Kupfer reduziert, der Wasserstoß zu Wasser oxydiert worden. WasserstoS ist eines der wichtigsten Reduktionsmittel. Die p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n des Wasserstoffs sind dadurch bestimmt, daß der Wasserstoff das leichteste aller Gase ist. Seine Dichte beträgt nur etwa V u von der der Luft. Es ist bekannt, daß man ihn daher zur Füllung von Luftschiffen verwendet 2 ). ') Eine allgemeinere Formulierung der Begriffe Oxydation und Reduktion werden wir Im Kap. XV kennenlernen. •) Wegen der Brennbarkeit des Wasserstoffes verwendet man an seiner Stelle lieber B e l l u m , ein Gas au» der Gruppe der Edelgase, vgl. Kap. V I I . Seine Dlnht.« Ist zwar doppelt so groß wie die von Wasserstoff, auch ist es Behr viel kostspieliger, aber es ist wie alle Edelgase unbrennbar. Rohstoffquellen für

V. Wasserstoff und Sauerstoff

27

Nach dem A v o g a d r o s c h e n Gesetz ist die geringe Gasdichte des Wasserstoffs dadurch bedingt, daß die Wasserstoffmolekeln ein besonders geringes Gewicht haben. Damit hängen einige Besonderheiten des Wasserstoffs zusammen. So zeigt er ein besonders hohes Diffusionsvermögen und strömt besonders schnell aus engen Öffnungen aus. Auch leitet er die Wärme besser als ireendeinanderesGas. S a u e r s t o f f . Die wichtigste Quelle für den Säuerst off ist die L u f t . Über ihren Gehalt an Sauerstoff unterrichten uns folgende Versuche: Entzündet man ein Stück weißen Phosphors in einer reinen Sauerstoffatmnsphäre, so t r i t t unter Bildung tines weißen Nebels von festem Phosphoroxyd eine lebhafte Vereinigung des Phospnors mit dem Sauerstoff ein, die erst dann aufhört, wenn der Sauerstoff restlos verbraucht ist. Würde man also eine mit Sauerstoff gefüllte, nach unten offene Glocke in Wasser stellen und brennenden Phosphor in einem Schälchen auf dem Wasser schwimmen lassen, so würde das Wasser hochsteigen und schließlich die ganze Glocke erfüllen. Führt man den Versuch mit L u f t durch, so brennt der Phosphor beim Berühren mit einem heißen Draht ebenfalls; es wird jedoch nicht die gesamte Gasmenge verbraucht, sondern nur etwa 1 / 6 . Die Luft besteht also zu rund l l s ihres Volumens aus Sauerstoff. Der übrige Teil der Luft muß noch ein oder mehrere andere Gase enthalten, die die Verbrennung von Phosphor und ähnlichen Stoffen nicht unterhalten. Im wesentlichen handelt es sich um das Element S t i c k s t o f f (Symbol N). Näheres vgl. Kap. VII. Die D a r s t e l l u n g des Sauerstoffs k a n n — a u ß e r durch die S. 10 besprochene Wasserelektrolyse — durch Erhitzen von Oxyden s e h r e d l e r Metalle erfolgen; denn diese Oxyde sind, wie fast alle Verbindungen der Edelmetalle, nicht sehr beständig. So geht z. B. das rote Q u e c k s i l b e r o x y d beim stärkeren Erhitzen in Sauerstoff und metallisches Quecksilber über. Ferner kann man ihn durch Erhitzen einiger sauerstoffreicher StoSe erhalten, wie Kaliumchlorat 1 ) oder Bariumperoxyd. Alle diese Methoden sind heute ohne praktische Bedeutung; denn die t e c h n i s c h e Gewinnung des Sau erstoffs erfolgt fast ausschließlich durch V e r f l ü s die technische Gewinnung von Helium besitzen in der Welt nur die Vereinigten Staaten von Amprfkn, *) Die Zersetzung dieses Stoffes anter Sauerstoffabgabe wird durch Braunstein (vgl. S. 60 u. s . 161) katalytisch beschleunigt. Vgl. dazu S. 70.

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V. Wasserstoff und SauerstoS

s i g u n g der Luft (Näheres vgl. Kap. VIII) und teilweises Wiederverdampfen. SauerstoS siedet nämlich bei —182,97°, Stickstoff bei—195,82°. Läßt man also flüssige Luft langsam verdampfen, so siedet erst im wesentlichen Stickstoff weg, dann ein Gemisch der beiden Gase und zuletzt nahezu reiner SauerstoS. Durch eine in geeigneter Weise durchgeführte Folge von Verdampfungs- und Kondensationsvorgängen („fraktionierte Destillation") kann man so reinen StickstoS einerseits, reinen Sauerstoff andererseits darstellen. Flüssige Luft, die schon längere Zeit gestanden hat, besteht also praktisch nur aus Sauerstoff. Man erkennt den angenäherten Prozentgehalt der flüssigen Luft an Sauerstoff bei einiger Übung schon an der Farbe; denn flüssiger Sauerstoff ist im Gegensatz zu dem farblosen flüssigen Stickstoff blau. Sauerstoff kommt ebenso wie Wasserstoff und Stickstoff in Stahlflaschen unter einem Druck von 150 Atmosphären in den Handel [„verdichtete Gase"; verflüssigte Gase hingegen sind z.B. Chlor (Kap. XII), Schwefeldioxyd (Kap. XVIII), Ammoniak (Kap. XXII) und Kohlendioxyd (Kap. XXIII)]. Yerbrennungserscheinungen. Wie bereits erwähnt, ist SauerstoS der Anteil der Luft, der die V e r b r e n n u n g s e r s c h e i n u n g e n bedingt. Seit L a v o i s i e r wissen wir, daß es sich bei einer Verbrennung um folgenden Vorgang handelt: Verbrennbarer StoS + SauerstoS = Verbrennungsprodukte. Danach sind also die Verbrennungsprodukte immer schwerer als der verbrannte StoS. Vor L a v o i s i e r hatte man über die Verbrennung bzw. die Oxydation von Metallen eine andere Vorstellung. Man glaubte nämlich, daß die Oxyde einfach zusammengesetzt wären und daß sie unter Aufnahme eines Stoffes, den man P h l o g i s t o n nannte, in Metall übergingen. Umgekehrt nahm man an, daß die Oxyde durch Abgabe von Phlogiston aus den Metallen entständen. Die von dem Deutschen S t a h l (1660—1734) aufgestellte Phlogistontheorie hat für die Entwicklung der Chemie eine sehr große Bedeutung gehabt, da sie zum ersten Male Oxydations- und Reduktionserscheinungen von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus erklärte. Sie versagte aber völlig zur Erklärung der dabei auftretenden Gewichtsänderungen. Für ihren Sturz war entschei-

VI. Ozon und Wasserstoffperoxyd

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dend die Entdeckung des Sauerstoffs durch den in (dem damals schwedischen) Stralsund geborenen Karl Wilhelm Scheele im Jahre 1772, eines Forschers, dem man trotz seines kurzen Lebens — von 1742 bis 1786 — eine große Zahl der bedeutsamsten Entdeckungen verdankt. Unabhängig von Scheele hat auch der Engländer P r i e s t l e y (1733—1804) den Sauerstoff entdeckt. Verbrennungen sind also ebenso Oxydationen wie etwa das Rosten des Eisens, d. h. der Übergang in Eisenoxyd. Einen Unterschied kann man höchstens darin sehen, daß das Oxydationsprodukt hier festes bzw. bei schnell verlaufender Reaktion flüssiges Oxyd ist, während bei den Verbrennungen im engeren Sinne g a s f ö r m i g e Bestandteile entstehen. Die bei Kerzen, Kohle, Leuchtgas usw. entstehenden Verbrennungsgase bestehen — neben sehr viel Stickstoff aus der Luft I — im wesentlichen aus Wasserdampf und einer Kohlenstoff- Sauerstofiverbindung, dem Kohlendioxyd (C0 2 ); denn alle diese Brennstoffe enthalten Wasserstoff und Kohlenstoff. Näheres vgl. Kap. X X I I I . V e r b r e n n u n g e n gehen auch in u n s e r e m K ö r p e r vor sich, indem die kohlenstoff- und wasserstoffhaltigen N a h r u n g s m i t t e l im Blut durch den eingeatmeten Sauerstoff der Luft verbrannt werden. Auch hier bilden sich als Verbrennungsprodukte Wasser und Kohlendioxyd; letzteres wird mit der ausgeatmeten Luft wieder aus dem Körper entfernt. Diese Verbrennung der Nahrungsmittel hält die Körpertemperatur aufrecht; sie ist ferner die Energiequelle für die mechanische Arbeit (Heben der Beine, Arme usw.), die wir verrichten. Im Gegensatz zu den Flammen erfolgt die Verbrennung im Körper bei niedriger Temperatur, weil sie durch verwickelt aufgebaute organische Verbindungen („Enzyme") katalysiert und in äußerst feiner Weise geregelt wird. In reinem Sauerstoff verlaufen Verbrennungen viel lebhafter als in Luft. Besonders heftig erfolgen sie in f l ü s s i g e m Sauerstoff; denn dieser enthält in der Volumeneinheit rund tausendmal soviel Molekeln wie das Gas bei Zimmertemperatur. Mit flüssigem Sauerstoff getränkte, fein verteilte Kohle (Oxyliquit) stellt daher einen sehr wirksamen Sprengstoff dar, der z. B. im Bergbau verwendet wird.

VI. Ozon und Wasserstofiperoxyd

Ozon. Neben der gewöhnlichen Form des Sauerstoffs gibt es noch eine andere, besonders reaktionsfähige Form, das Ozon. Man

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VII. Die Zusammensetzung der L u f t

spricht davon, daß in diesem Falle zwei „ M o d i f i k a t i o n e n " vorliegen. Ozon, ein Gas von eigenartigem, stechendem Geruch, besteht nicht aus 0 2 - , sondern aus O s -Molekeln. Die Ozon-Molekeln sind bei Zimmertemperatur instabil und gehen freiwillig unter Energieabgabe in 0 2 -Molekeln über. Diese Umwandlung erfolgt allerdings bei gewöhnlicher Temperatur nur sehr langsam; Ozon ist daher einige Zeit haltbar. Erwärmen auf 100 bis 200° f ü h r t jedoch zu sofortigem Zerfall. Ozon wirkt sehr stark oxydierend und besitzt infolgedessen stark desinfizierende Wirkung. Hierin liegt seine technische Bedeutung. Man benutzt Ozon z. B., um Bakterien im Wasser abzutöten; es ist aber für diesen Zweck verhältnismäßig teuer. Technisch wird es durch die Einwirkung stiller elektrischer Entladungen auf Sauerstoff hergestellt. Näher kann hierauf nicht eingegangen werden. Wasserstoffperoxyd. Aus Wasserstoff und Sauerstoff kann sich, wie bereits S. l ü / 2 0 erwähnt, neben Wasser noch eine zweite Verbindung bilden, das W a s s e r s t o f f p e r o x y d der Formel H 2 0 2 . In der Knallgasflamme t r i t t OH a u f ; daraus bildet sich bei tieferen Temperaturen H 2 0 2 , das seinerseits weiter zerfällt und daher normalerweise nicht nachweisbar ist. Kühlt man aber die Verbrennungsgase äußerst schnell ab, etwa indem man eine Wasserstoffflamme gegen ein Stück Eis brennen läßt, so kommt das H 2 0 2 SO schnell in das Temperaturgebiet äußerst geringer Zerfallsgeschwindigkeit, daß es keine Zeit hat, sich zu zersetzen. Man findet daher in dem Schmelzwasser dieses Eisstückes etwas Wasserstoffperoxyd. Man kann es durch die orangegelbe Farbe nachweisen, die es mit Titansalzlösungen ergibt. Wie Ozon, so ist auch Il 2 () a ein ausgezeichnetes Oxydationsmittel. Man stellt es in der Regel aus dem elektrolytisch gewinnbaren Kaliumperoxydisulfat(vgl. S. 84) her. Es ist in paraffinierten Flaschen (nicht in Glasl) lange Zeit haltbar und befindet sich in 3"/ 0 iger wie auch in 30°/ o iger Lösung (Perhydrol) im Handel. Für viele Verwendungszwecke ist es wesentlich, daß bei seiner Zersetzung nur Wasser und Sauerstoff entstehen, die beide keine störenden Nebenwirkungen geben. H 2 0 2 zerstört viele Farbstoffe und wird daher unter anderem zum Hellfärben dunkler Haare benutzt. Die verdünnte Lösung ist ein ausgezeichnetes Mundwasser.

VII. Die Zusammensetzung der Luft Wassergehalt der Luft. Einen sehr wichtigen Versuch über die Zusammensetzung der Luft haben wir bereits S. 27 kennengelernt. Der eingehenderen Besprechung der quantitativen Verhältnisse wollen wir eine Besprechung des W a s s e r g e h a l t e s der Luft

VII. Die Zusammensetzung der Luft

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vorausschicken. Bekanntlich enthält die Luft wechselude Mengen Wasserdampf (Luftfeuchtigkeit). Welche große Rolle dieser Wechsel im Wassergehalt für das Wetter spiult, ist allgemein bekannt. Aber auch für viele andere chemische Fragen des täglichen Lebens ist die Luftfeuchtigkeit von großer Bedeutung, z. B. für das Rosten von Bisengeräten, die Haltbarkeit von Lebensmitteln usw. Wir müssen uns daher etwas genauer mit dieser Frage befassen. Alle Flüssigkeiten besitzen einen D a m p f d r u c k ; vgl. Kap. VIII. Beim Wasser beträgt dieser bei 10° 9,2 mm Quecksilbersäule, bei 20° 17,5 mm. Das heißt also, daß Wasser, das in ein geschlossenes, evakuiertes Gefäß gebracht wird, so lange verdampft, bis in dem Raum über der Flüssigkeit der dem Dampfdruck entsprechende Wassergehalt erreicht ist. Die gleiche Menge Wasserdampf verdampft nun auch, wenn der Gasraum mit einem beliebigen anderen Gas, etwa Luft, gefüllt ist. Dabei ist es einerlei, unter welchem Druck die Luft steht: immer geht die gleiche, dem Dampfdruck des Wassers entsprechende Wasserdampfmenge in den Gasraum über 1 ). Bei einem Gesamtdruck von 760 mm Quecksilber würde der Wassergehalt bei 10° 100 • 9,2/760, d. h. rund 1,2, bei 20° 2,3 Volumprozente betragen. Eine solche vollständige Sättigung mit Wasserdampf ist in der f r e i e n Atmosphäre in der Regel nicht vorhanden. Man gibt als r e l a t i v e Luftfeuchtigkeit den Prozentgehalt des bei jeder Temperatur möglichen Sättigungswertes an. Bei 50% Luftfeuchtigkeit liegen also bei 10° 0,6, bei 20° 1,2 Volumprozente Wasserdampf vor. Z u s a m m e n s e t z u n g der t r o c k e n e n L u f t . Diese Verschiedenheit des Wassergehaltes der Atmosphäre würde die Beschreibung der Zusammensetzung der L u f t sehr umständlich gestalten, wenn m a n die Angaben auf die wirklich vorhandene, wasserhaltige L u f t beziehen würde. Man pflegt daher alle Angaben über die quantitative Zusammensetzung der Atmosphäre auf die vom Wasserdampf befreite, also g e t r o c k n e t e L u f t zu beziehen. Zum T r o c k n e n v o n G a s e n benutzt man Stoffe, die sich begierig mit Wasser vereinigen. Dabei kann es sich um Flüssigkeiten (Schwefelsäure) oder auch um feste Stoffe (Calciumchlorid, Diphosphorpentoxyd, Magnesiumperchlorat) handeln. ') Man nennt den Anteil, den der Wasserdampfdrnck am Gesamtdriick (Fremdgas -f- Wasserdampf) ausmacht, „Teildruck" oder „Partlaldruck" des Waeserdampfe.

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VII. Die Zusammensetzung der Luft

Der Sauerstoffgehalt der Luft, bezogen auf das trockene Gas, beträgt 20,9%. E r schwankt nur innerhalb ganz geringer Grenzen (weniger als 0,1%). Außerdem enthält die Luft sehr geringe Mengen von Kohlendioxyd (etwa 0,03%), Schwefeldioxyd und andere, zahlenmäßig nicht in Betracht kommende Beimengungen. Den Rest, rund 79 Volumprozent, hielt man sehr lange für ein Element, nämlich für reinen S t i c k s t o f f . Erst am Ende des 19. Jahrhunderts fand man, daß neben Stickstoff noch einige weitere Bestandteile in ihm enthalten sind, nämlich die sogenannten E d e l g a s e , die insgesamt etwa 1% ausmachen. Wir wollen nun zunächst die Frage erörtern, ob die Luft eine V e r b i n d u n g aus Sauerstoff und Stickstoff ist o d e r ein G e m e n g e . In der konstanten Zusammensetzung könnte man einen Hinweis darauf sehen, daß das erstere der Fall ist. Doch ist die Luft k e i n e Verbindung, sondern ein Gemenge, wie sich u. a. aus folgendem ergibt: Mischt man Sauerstoff und Stickstoff in dem gleichen Verhältnis, wie es in der Luft vorliegt, so beobachtet man kein Anzeichen einer chemischen Reaktion (etwa Erwärmung), und das erhaltene Gasgemisch besitzt die gleichen Eigenschaften wie die Luft. Auch das Verhalten der verflüssigten Luft zeigt, daß keine Verbindung, sondern ein Gemisch vorliegt; denn flüssige Luft besitzt nicht die Kennzeichen eines reinen, einheitlichen Stoffes, nämlich konstanten Schmelz- und Siedepunkt. Wie wir bereits S. 28 besprochen haben, verdampft aus flüssiger Luft zuerst in der Hauptsache Stickstoff und dann in immer stärkerem Maße Sauerstoff, wobei die Siedetemperatur dauernd steigt. Edelgase. Oben nannten wir als einen rund 1 Volumprozent ausmachenden Bestandteil der Luft die Edelgase. Über die Entdeckung dieser Stoffklasse sei folgendes angeführt: 1892 prüfte L o r d R a y l e i g h , ob die Dichte von Stickstoff, der aus Luft gewonnen war, die gleiche war wie die einer Probe, die er durch Zersetzung einer Stickstoffverbindung erhalten hatte (vgl. S. 107). Das Ergebnis war in hohem Maße überraschend. Es ergaben sich

VII. Die Zusammensetzung der Luit

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nämlich Unterschiede in der Gasdichte: 1 Liter aus Stickstoffverbindungen gewonnener Stickstoff wog 1,2505 g, 1 Liter Stickstoff aus Luft dagegen 1,2572 g. Das war nur so zu erklären, daß im zweiten Falle noch ein anderes Gas größerer Dichte beigemengt war. Es gelang sowohl L o r d R a y l e i g h selbst als auch seinem Landsmann R a m s a y , dieses Gas zu isolieren. Als sie nämlich den Stickstoff durch verschiedene chemische Reaktionen entfernten, blieb immer ein Gasrest, der auf keine Weise mit irgendeinem anderen Stoff in Reaktion zu bringen war. Es war dies offenbar der gesuchte, bisher unbekannte Bestandteil der Luft. Wegen seiner Reaktionsträgheit gaben ihm die beiden Forscher gemeinsam den Namen A r g o n , Symbol Ar (von «pyoc = träge). Bald glückte es, weitere Gase mit ähnlichen Eigenschaften kennenzulernen. Aus radioaktiven Mineralien (vgl. dazu Kap. XXV) gewann man das schon bei —269° (4,2° abs.) siedende H e l i u m ' ) (He), durch sorgfältige fraktionierte Destillation des verflüssigten rohen Argons K r y p t o n (Kr) und X e n o n (X). Außerdem kommt in der Luft noch das bei — 246° siedende Neon vor a ). Mengenmäßig treten diese Gase allerdings neben dem Argon ganz zurück. Wegen ihrer Unfähigkeit, chemische Umsetzungen einzugehen, bezeichnet man die ganze Klasse als E d e l g a s e . Der edle Charakter dieser Gase geht so weit, daß sie sich nicht einmal mit sich selbst verbinden. Ihre Molekeln bestehen im Gegensatz zu O a , N a , H 2 nur aus e i n e m Atom. Das kann man allerdings nur durch rein physikalische Methoden ermitteln, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Das A v o g a d r o s c h e Gesetz hilft hier nicht weiter; denn man hat ja keine Reaktion mit anderen Gasen zur Verfügung, die aus den Volumverhältnissen einen Rückschluß auf die Molekelgröße gestatten würde. Spektralanalyse. Für die Erkennung und die Reindarstellung der Edelgase war von besonderer Bedeutung, daß Gase leuchten, wenn sie unter niedrigem Druck von Elektrizität durchströmt werden. Diese Erscheinung ist von den G e i ß l e r sehen Röhren her allgemein bekannt. Bei den Edelgasen ist dieses Leuchten sogar besonders schön (vgl. Anm. 2). Zerlegt man das in einer solchen Entladungs-Röhre erzeugte Licht mit einem Spektralapparat, so ergeben sich im allgemeinen scharfe Linien, die — und *) Der Name rührt daher, daß man die Spektrallinien (vgl. unten) des Heliums schon vorher Im Sonnonspektrum nachgewiesen hatte. *) Die Gewinnung von Argon, Neon und Krypton aus der Luft wird technisch durchgeführt, da man diese Gase für die Füllung sowohl der farbig brennenden Reklameröhren als auch der gewöhnlichen Glühbirnen benutzt. K l e m m , Anorganische Chemin. 3

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VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

das ist das Bedeutsame — für jedes Element charakteristisch sind und seine Erkennung ermöglichen. Auf diese Weise kann man die Bestandteile eines Gasgemisches erkennen. Diese S p e k t r a l a n a l y s e 1 ) ist in gemeinsamer Arbeit von dem deutschen Chemiker R. B u n s e n 2 ) und seinem Heidelberger Amtsgenossen, dem Physiker R. K i r c h h o f f , begründet worden. Man kann für die Spektralanalyse nicht nur das durch Gasentladung erzeugte Licht (Funkenspektrum) benutzen, sondern auch die Färhunien, die das Licht eines Gasbrenners durch manche S t ' f f e erhält (Flammenspektrum). So färben z. B. alle Natriumverbindungen die Flamme gelb (vgl. auch Kap. X X V I und X X V I I ) . Spektraluntersiichungen sind — abgesehen von den Meteoritenfunden — der einzige Weg, um etwas über die stoffliche Zusammensetzung der a n d e r e n W e l t k ö r p e r zu erfahren. Man hat festgestellt, daß alle Gestirne aus den gleichen Elementen aufgebaut sind wie die Erde. Ferner sind die Spektren in ihrer verschiedenen Form (Funken-, Bogen-, Flammenspektren) neben den chemischen Erfahrungen die wichtigste experimentelle Grundlage für die Erforschung des Aufb a u e s d e r A t o m e , mit dem wir uns im K a p . X X V näher befassen werden.

T i l l . Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen Bekanntlich kennt man drei Aggregatzustände: Gase, die jeden vorgegebenen Raum ausfüllen, Flüssigkeiten, die sich ebenfalls der Form eines Gefäßes beliebig anpassen, aber ein bestimmtes Volumen haben, und feste Stoffe, die eine feste äußere Gestalt besitzen. Aggregatzustände und kinetische Theorie. Wie ist nun das Auftreten der verschiedenen Aggregatzustände im Sinne der S.22 erwähnten k i n e t i s c h e n T h e o r i e zu verstehen? Die einzelnen Molekeln eines Stoffes üben aufeinander Anziehungskräfte aus. In G a s e n bei höherer Temperatur und kleinen Drucken kommen diese allerdings wegen der lebhaften Bewegung der Teilchen und der großen Abstände zwischen den Molekeln nur wenig zur Geltung; sie bewirken geringe Abweichungen von ') Diese Bezeichnung zeigt, daß der Ausdruck „Analyse" sich über die ursprüngliche Bedeutung hinaus erweitert hat. Mau bezeichnet jetzt damit alle Methoden, die die Ernennung (und mengenmäßige Bestimmung) eines Bestandteiles gestatten. ") Robert Wilhelm B u n s e n (1811—1899), der auf den verschiedensten Gebteten, namentlich der anorganischen und physikalischen Chemie, Bedeutendes geleistet hat, Ist weiten Krel-en durch die Erfindung des Bunsenbrenners Und anderer wichtiger Laboratoriumsgeräte bekannt geworden.

V I I I . Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

35

den Gesetzen f ü r ideale Gase. Sinkt n u n die T e m p e r a t u r , so t r i t t die Molekelbewegung i m m e r m e h r zurück, bei gleichbleibendem Druck s i n k t das Volumen u n d d a m i t der m i t t l e r e Molekelabstand. Dies f ü h r t d a z u , d a ß bei einer b e s t i m m t e n T e m p e r a t u r bei einem gegebenen ä u ß e r e n D r u c k die A n z i e h u n g s k r ä f t e zur Verflüssigung des Gases f ü h r e n . Auch in der F l ü s s i g k e i t bleibt eine gewisse Beweglichkeit der Teilchen erhalten. Sie bewirkt, d a ß die Molekeln eine gewisse Tendenz haben, aus der Flüssigkeit in den Gasraum herauszutreten. Dies ä u ß e r t sich darin, d a ß alle Flüssigkeiten, wie wir es S. 31 f ü r das Wasser besprachen, einen „ D a m p f d r u c k " besitzen. D a die Kohäsionskräfte sich mit der T e m p e r a t u r nicht sehr stark ändern, die Molekel-Bewegung dagegen mit fallender T e m p e r a t u r geringer wird, so n i m m t dieser D a m p f d r u c k m i t fallender T e m p e r a t u r ebenfalls a b . In einer Flüssigkeit sind die Molekeln in der nächsten Nachbars c h a f t eines einzelnen Teilchens bereits als geordnet anzusehen, nicht jedoch auf größere E n t f e r n u n g e n , weil ihre Bewegung es verhindert, d a ß sich ein vollständig geordneter Zustand einstellt. E r s t wenn die T e m p e r a t u r noch s t ä r k e r sinkt, h ö r t die freie Beweglichkeit der Einzelteilchen weitgehend a u f ; die Flüssigkeit e r s t a r r t zum f e s t e n S t o f f , d. h. zum Kristall oder zum Glas 1 ). I n d e n K r i s t a l l e n , die schon äußerlich durch die Ausbildung gesetzmäßig angeordneter Begrenzungsflächen (Würfel, Oktaeder u. ä.) ausgezeichnet sind, bilden die einzelnen Teilchen einen sich über den ganzen Kristall erstreckenden geometrisch strengen Verband, in dem jedem Teilchen ein ganz b e s t i m m t e r P l a t z z u k o m m t ; einige wenige P l ä t z e sind — n a m e n t l i c h bei höheren T e m p e r a t u r e n — n i c h t b e s e t z t , d a f ü r f i n d e n sich einige Teilchen auf „ Z w i s c h e n g i t t e r p l ä t z e n " . Da h i e r d u r c h sowie durch Schwingungen um die R u h e l a g e n eine gewisse Beweglichkeit der Teilchen erhalten bleibt, so besitzen auch f e s t e Stoffe noch einen gewissen D a m p f d r u c k ; ferner sind auf diese Weise D i f f u s i o n s v o r g ä n g e in festen K ö r p e r n u. a. v e r s t ä n d l i c h F e i n b a u der Kristalle. Über die Anordnung der Teilchen imKristall sind wir heute in vielen Fällen g u t unterrichtet, weil — wie M. v. L a u e 1912 fand — die Kristalle m i t R ö n t g e n s t r a h l e n b e s t i m m t e Beugungserscheinungen ergeben, die die E r m i t t e lung des F e i n b a u e s d e r K r i s t a l l e g e s t a t t e n . Als ein Beispiel gibt Abb. 6 b ( K a p . X V ) ein Schema des A u f b a u s eines Kochsalz-Kristalls. Zustandsdiagramm. T r ä g t m a n die D a m p f d r u c k e eines Stoffes, etwa von Wasser, im festen und flüssigen Z u s t a n d e in A b ') Ober Gläser s. Kap. XXV11. 3*

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VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

hängigkeit von der Temperatur auf (vgl. Abb. 4), so erhält man zwei Kurven (BA bzw. AC), die sich im Schmelzpunkte schneiden. Unterhalb dieser beiden Kurven ist das Gebiet des gasförmigen Zustandes. Oberhalb der Kurve BA befindet sich das Existenzgebiet von Eis, oberhalb von AC das von flüssigem Wasser. Um diese Darstellung zu einem vollständigen Z u s t a n d s d i a g r a m m zu erweitern, müssen wir noch die „„J.J. J . Gi enzkurve (AD) zwischen Eis und flüssigem Wasser einzeichnen. Abb. 4. Da der Schmelzpunkt nur ganz ZustandBdiagramm des Wassers, wenig vom Druck abhängt, ist AD nahezu eine Parallele zur Druckachse. Im Punkte A sind also drei „Phasen", nämlich gasförmig, flüssig und fest, miteinander im Gleichgewicht. Aus diesem Diagramm kann man ohne weiteres ersehen, wie man einen Stoff aus einem Aggregatzustande in den anderen überführen kann. Dabei wollen wir uns auf den einfachsten Fall beziehen, daß nur ein einziger Stoff, etwa Wasser, vorhanden ist und keine Beimengung, etwa Luft. Gehören die Werte von Druck und Temperatur einem Punkt unterhalb der Dampfdruckkurve an, etwa a, so liegt das Wasser bei Einstellung des stabilen Zustandes in Dampfform vor. Erhöhen wir nun bei konstanter Temperatur den Druck, so überschreiten wir— wie es gestrichelt eingezeichnet ist — die Dampfdruckkurve und kommen in das Existenzgebiet der Flüssigkeit. Es verflüssigt sich das gesamte Wasser, sobald der äußere Druck eine Kleinigkeit größer als der Dampfdruck geworden ist. Gehen wir umgekehrt bei konstantem Druck auf tiefere Temperaturen — punktierte Kurve —, so schneiden wir erst die Dampfdruckkurve AC, es tritt Verflüssigung ein, und dann die Schmelzkurve AB, der Stoff erstarrt. Gehen wir dagegen von b nach links, so kommen wir direkt von der gasförmigen zur festen Phase. Mit Hilfe eines solchen Zustands-Diagramms ist es also möglich, das Verhalten eines Stoffes bei jedem beliebigen Wert von Druck und Temperatur anzugeben. Druck

Kritische Temperatur. Die Kurve AC geht nun nicht bis zu beliebig hohen Temperaturen. Je höher die Temperatur wird, desto

VIII. Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen

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mehr steigt der Dampfdruck. Erhitzt man daher eine Flüssigkeit in einem geschlossenen Gefäß, so wird die Dichte der Gasphase immer größer; da umgekehrt die Dichte der Flüssigkeit wegen der Wärmeausdehnung immer mehr abnimmt, so erreicht man schließlich bei einer bestimmten Temperatur den Zustand, daß die Dichten von Gas und Flüssigkeit gleich werden. Man erkennt dies daran, daß die Fliissigkeitsoberfläche verschwindet und der ganze Inhalt des Gefäßes eine einzige homogene Phase wird. Bei dieser „kritischen" Temperatur hat also die Dampfdruckkurve AG, die die Existenzgebiete von Gas und Flüssigkeit trennt, ein Ende, da dann nur noch eine Phase vorhanden ist. Verflüssigung von Gasen. Da es oberhalb der kritischen Temperatur nicht mehr zwei Phasen (Gas und Flüssigkeit) gibt, so ist oberhalb dieser Temperatur eine Verflüssigung auch durch noch so großen Druck nicht zu erreichen. Ehe man dies erkannt hatte, glaubte man, daß eine Verflüssigung von Gasen wie Sauerstoff, Stickstoff usw. auch bei Zimmertemperatur möglich sein müsse, wenn nur die Drucke genügend erhöht würden. Diese Versuche mußten negativ verlaufen, da die kritischen Temperaturen dieser beiden Gase viel tiefer liegen (— 119 bzw. —147°). Erst nachdem man unter diese Temperaturen abkühlte, erwies sich eine Verflüssigung als durchführbar. Die Erreichung derartig tiefer Temperaturen ist u. a. auf Grund einer zunächst sehr unscheinbaren Erscheinung, des sogenannten J o u l e - T h o m s o n - E f f e k t e s , möglich. Wie bereits S. 34/35 erwähnt, treten bei den Gasen Anziehungskräfte zwischen den Einzelmolekeln auf. Wenn man daher ein komprimiertes Gas entspannt, so daß es sich ausdehnt, so muß es gegen diese Anziehungskräfte Arbeit leisten. Die dazu erforderliche Energie gewinnt es dadurch, daß es die in ihm selbst vorhandene Wärmeenergie teilweise verbraucht, sich also abkühlt. Die V e r f l ü s s i g u n g d e r L u f t gelang L i n d e auf folgendem Wege: Stark komprimierte Luft wird entspannt. Das so erhaltene kältere Gas wird benutzt, um einen neuen Anteil komprimierter Luft vorzukühlen. Wenn dieser so schon vorgekühlte Anteil entspannt wird, so erhält man natürlich eine niedrigere Temperatur als das erstemal. Dieses Gas kühlt wieder neue komprimierte Luft, die wieder entspannt wird usw. Durch dauernde Wiederholung dieses Vorganges sinkt die Temperatur schließlich so stark, daß sich die Luft verflüssigt. Wir haben hier also wieder ein typisches Beispiel für das Gegenstromprinzip.

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IX. Atom- und Molekulargewicht

I X . Atom- und Molekulargewicht Seit dem Bestehen der Atomtheorie war es naturgemäß eine wichtige Aufgabe, das G e w i c h t der verschiedenen Atome zu bestimmen. Diese Aufgabe schien zunächst nicht lösbar; man ging daher an eine Teillösung: Man bestimmte das relat i v e Gewicht der Atome, bezogen auf das Gewicht eines Wasserstoffatomes als Bezugsgröße, gab also dem Wasserstoff das Atomgewicht 1. Die Bestimmung des A t o m g e w i c h t e s irgendeines Elementes beantwortete also die Frage nach dem e ' n e s ^tomes Quotienten* hetr. Elementes ^ Gewicht eines Atomes Wasserstoff

Atomgewicht ist also eine dimensionslose Verhältniszahl. Das Atomgewicht des S a u e r s t o f f s ergibt sich nun auf folgende Weise: Nach S. 19 verhält sich der gewichtsmäßige Anteil von WasserstoS und Sauerstoff im Wasser wie 1 : 7,95. Da nach S. 25 die Formel des Wassers H 2 0 ist, kommen auf ein Atom Sauerstoff 2 Atome Wasserstoff; das Atomgewicht x des SauerstoSs — bezogen auf Wasserstoff = 1 — ist also nach dem Ansatz: xß = 7,95 gleich 2 • 7,95, d. h. 15,9. Im Laufe der Zeit zeigte es sich, daß es nicht praktisch ist, den Wasserstoff als Bezugsgröße zu benutzen; denn man geht zu Atomgewichtshestimmungen in der Regel nicht von Wasserstoff-, sondern von Sauerstoff- oder neuerdings besonders gern von Chlor- oder Bromverbindungen (über diese Elemente vgl. Kap. XIT u. X V I I ) aus. Bezieht man daher auf Wasserstoff, so geht in die Berechnung immer noch das G wichtsverhältnis von Sauerstoff (bzw. von Chlor oder Brom) zu Wasserstoff ein, das sich früher nicht sehr bequem mit der hier erforderlichen Genauigkeit bestimmen ließ 1 ). Man ist daher dazu übergegangen, nicht den Wasserstoff, sondern den S a u e r s t o f f als Grundlage für die Atomgewichte zu benutzen und ihm definitionsgemäß das Atomgewicht 1 6 2 ) zu geben. Das Atomgewicht *) J e t z t lassen sich die Atomgewichte durch physikalische Methoden („Massenspektrometer") genauer bestimmen, als es für chemische Zwecke erforderlich ist. •) Diese Zahl bezieht sich in der „chemischen" Atomgewichtsskala auf Aas natürliche „Isotopengemisch'! (vgl, dazu S. 125) des Sauerstoffs, in der „physikalischen" auf das Reinisotop der MaBse 16.

IX. Atom- und Molukulargewicht

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von Wasserstoff wird dadurch natürlich im Verhältnis 16/15,9 größer als 1; der genaue Wert ist 1,0080.

Wenn man bei g a s f ö r m i g e n Elementen die Anzahl der Atome in der Molekel kennt, so ist zur Bestimmung des Atomgewichtes der Umweg über eine Verbindung gar nicht erforderlich. Nach dem Avogadroschen Gesetz enthalten ja gleiche Volumina verschiedener Gase bei sonst gleichen Bedingungen die gleiche Zahl von Molekeln. Die Gasdichten müssen sich also verhalten wie die Gewichte der Einzelmolekeln. Das als Bezugsgröße erforderliche „ M o l e k u l a r g e w i c h t " des Sauerstoffs ist, da die Formel des Sauerstoffs Oa ist, gleich dem doppelten Atomgewicht des Sauerstoffs, also 32 ( = 2 • 16). Wenn man also beispielsweise die Gasdichte 1 ) des Stickstoffs (d Ni ) und die des Sauerstoffs tA )\ gemessen i, * so gilt: -n d— N. = M o 1 - Gew. (d hat, — Nl • Das so 0l do, o2 ermittelte Molekulargewicht des Stickstoffs ist dann gleich dem doppelten Atomgewicht. Nicht immer ist die Bestimmung des Atomgewichts so einfach, wie wir es S. 38 für Sauerstoff zeigten, weil wir meist die Formeln der Verbindungen nicht ohne weiteres ermitteln können. Beim Wasser war dies besonders einfach,weil Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukt gasförmig waren, so daß wir das Avogadrosche Gesetz heranziehen konnten. Wie man auch in solchen Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, die Formel und damit auch das Atomgewicht ermitteln kann, sei für die Sauerstoffverbindungen des Kupf e r s gezeigt. Wir kennen hier zwei Oxyde, ein schwarzes, sauerstoffreicheres, und ein rotes, sauerstoffärmeres. Bei der Reduktion mit Wasserstoff erhalten wir in beiden Fällen Metall. Ein Versuch möge folgende Werte ergeben haben: 3,3675 g des schwarzen Oxyds lieferten 2,6901 g Metall, ') He genanen Measungen mufl zur BerOck«lcht'gnns dar Abweichungen vom Idealeu Gaszustand aui den lirtuu Null extrapoliert werden.

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IX. Atom- und Molekulargewicht

4,2007 g des roten 3,7309 g. Der dem Sauerstoffgehalt entsprechende Gewichtsverlust betrug also 0,6774 bzw. 0,4698g. Auf 1 g Metall kamen demnach bei dem schwarzen Oxyd 0,2518 g Sauerstoff, bei dem anderen 0,1259 g, also halb so viel. Um nun zu der F o r m e l der beiden Oxyde zu kommen, gehen wir zunächst von dem Gesichtspunkt aus, daß die einf a c h s t e n Formeln die wahrscheinlichen sind (vgl. dazu S. 24). In Frage kommen also: a) schwarzes Oxyd CuO, rotes Cu 2 0; b) schwarzes Oxyd Cu0 2 , rotes CuO. Beide Formulierungen sind zunächst gleichberechtigt. Das A t o m g e w i c h t x ist nach a) durch folgende Proportion gegeben: x/16 = 1/0,2518 bzw. 2x/16 = 1/0,1259. Daraus folgt x = 63,54. b) ergibt x / 2 - 1 6 = 1/0,2518 bzw. x/16 = 1/0,1259. Also x = 127,08. Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann man eine von den französichen Forschern D u l o n g und P e t i t 1818 gefundene Kegel benutzen: Das ProduKt aus der spezifischen Wärme bei Zimmertemperatur und dem Atomgewicht, die A t o m w ä r m e , liegt bei der überwiegenden Mehrzahl der Elemente nahe bei 6 cal/Grad u. Grammatom 1 ). Nun beträgt die spezifische Wärme des Kupfers bei Zimmertemperatur rund 0,092 cal/Grad u. g. Das Produkt aus spezifischer Wärme und Atomgewicht wäre also gemäß a) 63,6 • 0,092=5,8, gemäß b) 127 • 0,092 = 11,7 cal/Grad u. Grammatom. Es ist also nur der unter a) errechnete Wert mit der D u l o n g P e t i t s c h e n Regel verträglich. Das Atomgewicht des Kupfers ergibt sich also aus unserem Versuch zu 63,54; das schwarze Oxyd hat die Formel CuO, das rote Cu a O. Srli'ni liei der Aufstellung des ersten Atomgewichtssystems durch B e r z e l i u s hat sich die von M i t s c h e r l i c h erkannte Regel als Kine kleine Kalorie (cal) Ist die Wärmemenge, die erforderlich Ist, um 1 g Wasser von 14.6° auf 16,5° zu erwärmen. 1000 cal bezeichnet man als große oder Kilo-Kalorie (kcal). Über Grammatom vgl. S. 41.

IX. Atom- und Molekulargewicht

41

wichtig erwiesen, daß analog zusammengesetzte Verbindungen ähnliche Kristallgestalt besitzen und M i s c h - u n d Überwachsungskristalle bilden, d. h. i s o m o r p h sind. Die Bedeutung dieser Regel für die Atomgewichtsbestimmungen sei an folgendem Beispiel dargelegt: Es ist im festen Zustande nur ein Oxyd des Aluminiums bekannt. Das Prinzip der Einfachheit würde die Formel AlO verlangen. Da aber das Aluminiumoxyd dem Eisenoxyd der Formel Fe 2 O s isomorph ist, muß man auch die Formel des Aluminiumoxydes zu A12Os annehmen und die bei der Analyse gefundenen Zahlen nach diesen Atomverhältnissen für das Atomgewicht auswerten.

Diese Betrachtungen über Atomgewichte zeigen, daß gleiche Gewichtsmengen verschiedener Elemente vom Standpunkte des Chemikers aus keine vergleichbaren Mengen darstellen. 1 g Wasserstoff enthält ja viel mehr Atome als 1 g Sauerstoff, weil das Atomgewicht des Wasserstoffs viel geringer ist. Man bezieht daher Zahlenangaben in der Chemie stets auf solche Mengen, die den Atomgewichten proportional sind. Gewöhnlich wählt man „ G r a m m - A t o m e " , d. h. also 1 g Wasserstoff, 16 g Sauerstoff usw., und bezieht alle gemessenen Größen auf diese Gewichtsmenge, wie wir es soeben bei der Atomwärme gesehen haben. Handelt es sich um Verbindungen, so pflegt man in genau entsprechender Weise mit „ G r a m m - M o l e k e l n " , abgekürzt „Mol", zu rechnen. Ein Mol H 2 0 bedeutet also 18 g H 2 0. Auch bei Elementen kann man von Mol sprechen. So ist 1 Mol Sauerstoff 32 g. Mit der Einführung der Atom- und Molekulargewichte werden die chemischen Symbole gleichzeitig Gewichtsangaben und die chemischen Gleichungen Gewichtsgleichungen. Z. B. liefert die Formel CuO des schwarzen Kupferoxydes den Kupfergehalt (x) dieser Verbindung; denn es gilt x/100 = 63,54/79,542). Der Kupfergehalt beträgt also ') Ein M i s c h k r i s t a l l stellt g l e i c h s a m eine k r i s t a l l i s i e r t e L ö s u n g d a r (feste Lösung). Er ist h o m o g e n wie diese, aber geordnet a u f g e b a u t wie ein K r i s t a l l . Z. B. e n t s t e h t ein Mischkristall von N.iCl mit N ' B r a u s einem NaClK r l s t a l l d a d u r c h , d a ß an Stelle einzelner Oi-Tel'chen Bi -Teilchen t r e t e n . ') 63,54

Atomgewicht

VOD C D ; 7 9 , 6 4 ( =

von CuO (vgl. d a z u aber S. 62).

63,61 + 19,00)

Molekulargewicht

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IX. Atom- und Molekulargewicht

79,9%. Ferner bedeutet: 2 H , • + 0 , = 2 H , 0 , daß 4,0320 g Wasserstoff mit 82 g Sauerstoff 36,0320 g Wasser ergeben. Besonders einfach werden die G a s g e s e t z e , wenn man von den verschiedenen Veränderlichen die Menge auf jeweils 1 Mol, also beispielsweise 32g 0 2 oder 2,0160 g H2 festlegt. Das A v o gadrosche Gesetz ergibt ja ohne weiteres, daß dann— Gleichheit von Temperatur und Druck vorausgesetzt — die Volumina aller Gase gleich werden. Für Normalbedingungen, 0° und 760 mm, erhält man dieses Volumen z. B. aus der Gasdichte des Wasserstoffs (0,089870 g/Liter) zu 2,0160 0.089870 = 22,43 Liter 1 ). Das auf 1 Mol bezogene Gasgesetz nimmt also folgende Form an: 1 • 22 4!4 a ) p. v 27316" 0,08205 • T = R - T Liter-Atmosphären»). Die Produkte p • v bzw. R • T stellen eine Energiegröße dar, nämlich Liter-Atmosphären. Drückt man p • v in kleinen Kalorien aus, so wird R = 1,986 cal/Grad u. Mol. Anhang: Das absolute Gewicht der Atome. Die Frage nach dem a b s o l u t e n Gewicht der Atome wurde bereits 186B von dem Wiener Physiker L o s c h m i d t erstmalig beantwortet. Heute kennt man eine ganze Reihe von Methoden, mit denen man das Verhältnis: Atomgewicht in Gramm . . . , „ ,, ^—r-—;—rr bestimmen kann. Diese Zahl, die man als ; Gewicht des Einzelatoms L o s c h m i d t sehe Zahl bezeichnet, ist natürlich identisch mit der Zahl der Molekeln in einem Mol, also bei Gasen unter Normalbedingungen in 22,41 Litern. Sie beträgt 6,023 1028. Dabei bedeutet bekanntlich 102B eine 1 mit 23 darauffolgenden Nullen'). 1 008 = 1-674 • 10—24 g. In einem lWasserstoffatom wiegt also g Q93 6 023 • 1023 ccm Gas sind bei Normalbedingungen ' —775-= 2,69 • 1019 Mole¿2,41 • l l r kein vorhanden. Eine Vorstellung von diesen Zahlen ist schwer zu gewinnen; sie sind für das menschliche Vorstellungsvermögen nicht mehr faß') Für 20°, also mittlere Zimmertemperatur, folgt ein Wert von 22,4 • 293/273 d. b. ~ 24 Litern. ') DI* Abweichung gegenüber der oben för Wasserstoff berechneten Zahl 22,4:i rflhrt daher, daß der Wert 22.414 für ideale Gase gilt, während Wasserstoff wie all realen t.asedie G"Setzefüi hl'ale Gase nicht ganz streng iiefolgt. Bei den meisten anderen Gasen sind die Unterschiede noch etwas größer. ') Für eine beliebige Gasmenge (r Mole) gilt entsprechend: pv = d KT = B.T-g/Mul.-Uew., bzw Mui.-(rew.= if-B T/]>.v; man kann somit durch die Bestimmung von p, v, T und Gasmenge das M o l e k u l a r g e w i c h t ermitteln.

«) 100 Ist also 10«, I - 10% 1/llHJ - 10"».

X. Wertigkeit

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bar. Wie groß sie sind, erkennt man vielleicht daran, daß die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen etwa 2.7 Milliarden (2,7 • 109) beträgt; also erst auf etwa 10 Milliarden Erden würden so viel Menschen leben, wie der Zahl der Molekeln in l c c m Gas entspricht! Man könnte grundsätzlich statt mit den auf 16 bezogenen r e l a t i v e n Atomgewichten auch mit den a b s o l u t e n rechnen. Das ist für chemische Zwecke aber nicht zu empfehlen, vor allem deshalb nicht, weil die L o s c h m i d t s e h e Zahl noch immer mit einer Unsicherheit behaftet ist, die etwa zehnmal so groß ist wie die bei vielen Atomgewichtsbestimmungen heute erreichte Genauigkeit. Auch müßte man sonst immer einen Faktor 10 24 mitschleppen, um Gewichte in g zu erhalten.

X. Wertigkeit Der Wertigkeitsbegriff. Daß sich zwischen Wasserstoff und Sauerstoff nur e i n e s t a b i l e Verbindung der Formel H 2 0 bildet, muß natürlich irgendwie mit dem Bau der Atome zusammenhängen. Auf diesen wird man auf Grund der chemischen Erfahrungen zurückschließen können, wenn man allgemeinere Gesetzmäßigkeiten über die Zahlenverhältnisse ermitteln kann, nach denen sich die verschiedenen Elemente miteinander verbinden. Wir wollen zeigen, wie man zu solchen Gesetzmäßigkeiten kommen kann. Andere Elemente als Sauerstoff verbinden sich mit Wasserstoff nach anderen Atomverhältnissen. So gibt Wasserstoff mit dem Element Chlor (Cl) eine Verbindung HCl, den Chlorwasserstoff, mit Stickstoff eine Verbindung NH3, das Ammoniak. Die Zahl der Wasserstoffatome, die gebunden werden können, ist also bei diesen drei Elementen verschieden, sie beträgt bei Chlor 1, bei Sauerstoff 2, bei Stickstoff 3. Schreibt man dem Wasserstoff als Bezugssubst^nz die „stöchiometrische 1 ) W e r t i g k e i t " 1 zu, dann ist Chlor im Chlorwasserstoff einwertig, Sauerstoff im Wasser zweiwertig, Stickstoff im Ammoniak dreiwertig. Vergleicht man nun die Zusammensetzung der Verbindungen, die die Elemente Lithium (Li), Calcium (Ca) und ') Stöchiometrie = Grundstoffmesäung.

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X. Wertigkeit

Aluminium (AI) mit den eben genannten Elementen bilden, so ergeben sich folgende Reihen: LiCl CaCl2 A1C13 Li 2 0 CaO ( = 1/2 Ca 2 0 2 ) A1 2 0 3 Li 3 N Ca 3 N 2 A1N(= 1/3A1SNS). Man erkennt sofort, daß die Formeln der Lithiumverbindungen völlig die gleichen sind wie die der Wasserstoffverbindungen ; Lithium ist also in diesen Verbindungen ebenfalls einwertig. Auch bei der Zusammensetzung der Calcium- und Aluminiumverbindungen zeigen sich ähnliche Regelmäßigkeiten. So ist die Zahl der Calcium-Atome, die von je einem Chlor-, Sauerstoff- oder Stickstoffatom gebunden werden, 1/2,1, 3/2. Das Verhältnis ist also auch hier 1 : 2 : 3 . Die entsprechenden Zahlen beim Aluminium sind 1/3, 2/3, 1, sie verhalten sich also ebenfalls wie 1 : 2 : 3 . Der Unterschied ist aber der, daß ein Calcium-Atom sich mit doppelt, ein Aluminium-Atom mit dreimal soviel Chlor (und auch Sauerstoff oder Stickstoff) verbunden hat wie ein Wasserstoff- oder Lithiumatom. Calcium t r i t t demnach in diesen Verbindungen zweiwertig, Aluminium dreiwertig auf. Das Bedeutsame ist nun, daß die in den oben genannten Verbindungen vorhandenen Wertigkeitszahlen in außerordentlich vielen Verbindungen vorkommen, ja daß bei vielen Elementen die Wertigkeit in nahezu a l l e n Verbindungen die gleiche ist. So kennt man keine einzige Verbindung, in der der Wasserstoff eine andere Wertigkeit hat als 1. Auch Sauerstoff, Natrium, Calcium und Aluminium kommen in Verbindungen fast nur mit den oben genannten Wertigkeiten vor. Warum dies so ist, werden wir im Kap. XXV sehen. Beim Chlor und Stickstoff jedoch werden wir eine große Reihe von Verbindungen kennenlernen, für die dieses einfache Schema konstanter Wertigkeiten nicht ausreicht; diese beiden Elemente kommen vielmehr mit w e c h s e l n d e r Wertigkeit vor. Ähnliches haben wir auch beim Kupfer schon kennen-

X. Wertigkeit

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gelernt, das sowohl zweiwertig (im CuO) als auch einwertig (im Cu 2 0) auftreten kann. B e n e n n u n g chemischer Verbindungen. Die B e z e i c h n u n g Kupferoxyd ist daher nicht eindeutig, da man nicht weiß, welches der beiden Oxyde gemeintist. Es gab bisher verschiedene Bezeichnungsweisen, um diesen Unterschied zu kennzeichnen, was sehr störend war. Durch die Internationale Union f ü r Reine und Angewandte Chemie sind jedoch Richtsätze aufgestellt worden, die allgemein angewendet werden sollten. Wir nennen, aber auch die alten Bezeichnungen, da m a n sie gelegentlich noch findet. V e r a l t e t sind folgende Bezeichnungen: a) Man bezeichnete die sauerstoffärmere Verbindung als Oxydul; also CuO Kupferoxyd, Cu 2 0 Kupferoxydul. b) Man hängte an den abgekürzten lateinischen Namen des Metalls bei der Verbindung höherer Wertigkeit ein i, bei der niederer Wertigkeit ein o an; CuO Cuprioxyd, Cu 2 0 Cuprooxyd. Nach den R i c h t s ä t z e n sollen folgende Bezeichnungen benutzt werden: a) Man gibt durch ein griechisches Zahlwort die Zahl der Atome in der Molekel a n ; die Bezeichnung ,,Mono" wird dabei in der Regel weggelassen. So pflegt man die Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen folgendermaßen zu bezeichnen: N 2 O s Distickstoffpentoxyd, N 2 0 3 Distickstofftrioxyd, N„0 4 Distickstofftetroxyd, NO Stickstoffoxyd, NO, Stickstoffdioxyd, N 2 0 Distickstoffoxyd. b) Während diese Bezeichnung für alle Verbindungen anwendbar ist, eignet sich die nachstehende, auf A. S t o c k zurückgehende Bezeichnung vor allem für salzartige Verbindungen: die Wertigkeit des Metalls wird durch eine römische Ziffer hinter den Namen des Metalls angegeben: Also CuO Kupfer(Il)-oxvd (gesprochen: Kupferzweioxyd), Cn 2 0 Kupfer(IVoxvd. Neuerdings wird vorgeschlagen, mit Rücksicht auf die internationale Vereinheitlichung den Namen des Metalls lateinisch auszudrücken u n d s t a t t Oxyd Oxid zu sagen; also Cuprum(II)-oxid usw.

Äquivalentgewicht. Im Zusammenhang mit dem Wertigkeitsbegriff wollen wir noch einen in der Praxis des Chemikers viel benutzten Begriff nennen, der auch in der geschichtlichen Entwicklung des Atomgewicht-Systems eine große Rolle gespielt hat: das Ä q u i v a l e n t g e w i c h t . Darun-

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XI. Wärmetönung und Affinität

ter verstehen wir den Quotienten

tom

^ewlc

_ j ) a g Äqui-

Wertigkeit

^

valentgewicht des Sauerstoffs ist also 16/2 = 8. Kommt ein Element in verschiedenen Wertigkeitsstufen vor, so ist das Äquivalentgewicht keine Konstante, sondern es wechselt nach dem jeweiligen Zustande des Atoms. Im Cu 2 0 z. B. ist das Äquivalentgewicht des Kupfers 63,57, im CuO ist es dagegen nur halb so groß.

X I . Wärmetönung und Affinität')

Das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Schon im Kapitel II hatten wir gesehen, daß bei chemischen Reaktionen Energieänderungen der verschiedensten Art vor sich gehen. So hatten wir zur Zerlegung von Wasser e l e k t r i s c h e Energie zugeführt, im Knallgas war chemische Energie aufgespeichert, bei der Vereinigung der beiden Gase wurde WärmeEnergie abgegeben. Für alle derartigen energetischen Vorgänge gilt das von R o b e r t Mayer 1842 erkannte Gesetz von der E r h a l t u n g der E n e r g i e , wonach in einem abgeschlossenen System die Gesamtsumme der Energie unverändert bleibt. D e r A f f i n i t ä t s b e g r i f f . W i r haben ferner gesehen, daß es Verbindungen gibt, in denen die Bestandteile sehr fest miteinander verbunden sind, und andere, in denen die Bindung eine sehr lockere ist. Ersteres ist z. B . beim Wasser der Fall, das letztere im Quecksilberoxyd. Man sagt, die „ A f f i n i t ä t " zwischen Wasserstoff und Sauerstoff ist groß, die zwischen Quecksilber und Sauerstoff dagegen klein. Man möchte nun für diese Affinität ein quantitatives Maß besitzen. B e r t h e l o t ( 1 8 2 7 — 1 9 0 7 ) hat angenommen, daß die bei einer Reaktion freiwerdende W ä r m e m e n g e ( „ W ä r m e t ö n u n g " ) 2 ) dieses Maß darstellt; Reaktionen, die unter starker Wärmeabgabe verlaufen (stark e x o t h e r m sind), sollen demnach auch eine große Affinität besitzen. Diese Annahme kann in dieser allgemeinen F o r m nicht richtig sein. So widerspricht ihr u. a. die Existenz von G l e i c h g e w i c h t e n . Wir haben j a bereits gesehen, daß Wasser bei hohen Temperaturen teilweise dissoziiert ist. E s erfolgt also nicht ') Nätieres vgl. R o t h , Thermochemie, Sammlung Göschen Bd. 1057. *) Heute gibt maa meist die „Bildungseathalpie" II) an; /111 Ist bei exothermen Reaktionen negativ, bei endothermen positiv.

X I . Wärroetönung und Affinität

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nur unter Wärmeabgabe Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff, bis die Gleichgewichtskonzentration erreicht ist, sondern es zersetzt sich auch Wasser, bis diese Zusammensetzung vorhanden ist. Auch diese Zersetzung erfolgt freiwillig, obgleich sie Wärme verbraucht, „ e n d o t h e r m " ist. V a n ' t H o f f 1 ) hat später gezeigt, daß bei konstanter Temperatur ein exaktes Maß für die Affinität in der Arbeit vorliegt, die ein System beim Übergang von seinem Ausgangszustand in den Gleichgewichtszustand maximal leisten kann. Solche Arbeit leistet z. B . der beim Sieden entstehende Wasserdampf, indem er den Druck der atmosphärischen Luft überwindet. Einen Weg, wie man bei chemischen Reaktionen diese Arbeit messen kann, werden wir später im Kapitel X X I X „Elektrochemie" kennenlernen. Diese Definition der Affinität durch v a n ' t H o f f ist jedoch auch noch nicht das, was wir suchten; denn die Lage des Gleichgewichts hängt j a u. a. von der Temperatur, dem Druck, der Zusammensetzung des Ausgangsgemisches ab (Näheres vgl. Kap. X X ) , und wir erhalten daher je nach den Bedingungen verschiedene Werte für die Affinität. Wir wollten aber eine einzige Zahl haben, die die energetischen Verhältnisse bei der Bildung einer Verbindung charakterisiert. Ein derartiges Maß hat sich nun durch Arbeiten von N e r n s t und P l a n c k ergeben. Die Schwierigkeiten liegen j a in erster Linie darin, daß die Reaktionen bei höheren Temperaturen nicht vollständig nach einer Seite verlaufen, sondern daß sich Gleichgewichte einstellen. Schaltet man dagegen den Einfluß der Temperatur aus, bezieht man sich also auf den absoluten Nullpunkt, so liegen alle Gleichgewichte bei vollständiger Umsetzung. Bei exothermen Reaktionen erfolgt restlos Bildung, bei endothermen vollständiger Zerfall der Verbindung. Beim absoluten Nullpunkt werden maximale Arbeit und Wärmetönung gleich; hier gilt das B e r t h e l o t s c h e Prinzip streng, während es bei Zimmertemperatur in der Regel angenähert gilt, solange keine Gase oder Lösungen auftreten; bei sehr hohen Temperaturen versagt es völlig. Die Wärmetönung beim absoluten Nullpunkt kann man nun allerdings nicht messen; denn einmal kann man den absoluten Nullpunkt nicht ganz erreichen— man ist ihm allerdings schon auf einige tausendstel Grade nahegekommen — , zum andern werden die Reaktionsgeschwindigkeiten bei sehr tiefen Temperaturen so klein, daß l ) Jacobus Henrlcus v a n ' t H o f f (1852—1911) hat zusammen mit Wilhelm O s t w a l d (1853—1932), S v a n t e A r r h e n l u s (1859—1927), Walther N e r n s t (1864 — I !)41) am Ende des vorigen Jahrhunderts die viele Jahrzehnte stark vernachlässigte „physikalische Chemie'' zu neuem Leben erweckt.

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XI. Wärmetönung und Affinität

eine direkte Messung der Reaktionswärme meist unmöglich ist. Man kennt aber Methoden, nach denen man die bei höheren Temperaturen, etwa bei Zimmertemperatur, gemessenen Wärmetönungen auf den absoluten Nullpunkt umrechnen kann. Anderseits kann man in entsprechender Weise den Zusammenhang zwischen Wärmetönung und Gleichgewicht bei beliebigen Bedingungen berechnen. Thermochemie. Die experimentelle Bestimmung der W ä r m e t ö n u n g ist nicht nur von theoretischer, sondern auch von praktischer Bedeutung; denn es ist für alle technischen Prozesse außerordentlich wichtig, die Wärmetönungen zu kennen. Die Bestimmung kann z. B. für die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff so erfolgen, daß man eine gemessene Menge von Wasserstoff in einem Gefäß verbrennen läßt, das sich in einer bekannten Menge Wassers befindet. Ist das ganze System gegen Wärmeverluste geschützt, z. B. durch Verwendung eines doppelwandigen evakuierten Gefäßes (Weinhold-Becher), so wird die gesamte entwickelte Wärme zur Temperaturerhöhung des Wassers verbraucht. Die Reaktionswärme läßt sich daher aus der Temperatursteigerung, der Wassermenge und der spezifischen Wärme des Wassers berechnen. Die t h e r m o c h e m i s c h e Gleichung: 2 H ) g a s I + O agaBf = 2 H , 0 fltt88;zl H = - 1 3 6 , 6 kcal 1 ) besagt in Worten: Bei der Vereinigung von 4,03 g Wasserstoffgas und 32 g Sauerstoffgas zu 36,03 g flüssigem Wasser werden 136,6 kcal frei. Die „Bi Idu ngs e n t h a l p i e " J H des Wassers pro Mol beträgt also —68,3 kcal2). Auf Grund des Gesetzes von der Erhaltung der Energie kann man mit solchen Gleichungen rechnen wie mit algebraischen. Wir wollen als Beispiel die B i l d u n g s e n t h a l p i e von W a s s e r s t o f f peroxyd ausrechnen. Diese kann man direkt nicht bestimmen. Dagegen läßt sich die bei der Zersetzung von H 2 0 2 zu H 2 0 + £ Oa frei werdende Wärme messen; man erhält dabei die thermochemische Gleichung: 2H a O aflfl88iWa89erfre) = 2H a O flfl89 + (0,); ¿ H = - 4 7 , 0 kcal. Zieht man diese Gleichung von der Gleichung 2 (H2) + (0 2 ) = 2 H2Oflü89 AB. = — 136,6 kcal ab, so ergibt sich, wenn man ordnet und kürzt: ~(H 2 )+(0 2 ) = H a 0 2 f l ü 8 9 . i W a 8 8 e r l r e l ; ¿ H = - 4 4 , 8 kcal. *) In solchen thermochemischen Gleichungen bezeichnet man oft den gasförmigen Zustand durch runde, den festen durch eckige Klammern; für den flüssigen Zustand hat man sich noch nicht auf eine bestimmte Bezeichnung geeinigt. In Wasser gelösten Stoffen gibt man den Index aq (von aqua). Die obige Gleichung kann man daher auch schreiben] 2 ( H , ) -t- (O,) = 2 H,Og . ¿ H = — 1^6.6 kcal '' *) Früher gab man oft den negativen Wert der BiHungsenthalpie als Bildungswärme an.

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XII. Chlor und Chlorwasserstoff

XII. Chlor und Chlorwasserstoff Elektrolysiert man eine Lösung von Kochsalz in Wasser, so erhält man an der negativen Elektrode ein Gas, das wir schon kennen, nämlich Wasserstoff. Dieses kann natürlich ebensogut aus dem Kochsalz wie aus dem Wasser stammen. Wir werden im Kap. XXVI sehen, daß das letztere der Fall ist. An der positiven Elektrode entsteht aber ein uns bisher unbekanntes Gas, das nicht aus dem Wasser stammen kann. Es ist gelbgrün, besitzt einen stechenden Geruch und reizt die Schleimhäute stark. Da es sich als unzerlegbar erwiesen hat, liegt ein Element vor, dem man wegen seiner Farbe (jXwgög gelbgrün) den Namen Chlor (Cl) gegeben hat. Chlor ist ein außerordentlich reaktionsfähiger StoS. So entzündet sich weißer Phosphor in Chlor und verbrennt zu Phosphorchlorid. Ebenso glüht schwach erwärmtes Antimonpulver auf, wenn man es in Chlorgas schüttet. Die Reaktionsfähigkeit des Chlors gegenüber manchen Metallen verschwindet, wenn Wasser auch in Spuren nicht vorhanden ist. So greift Chlor in ganz trockenem Zustande Eisen nicht an und kann daher in verflüssigter Form in Stahlflaschen oder sonstigen Druckgefäßen aufbewahrt und in Tankwagen usw. versandt werden.

Besonders wichtig ist das Verhalten von Chlor gegenüber Wasserstoff. Eine Wasserstofiflamme brennt in Chlorgas mit fahlgrüner Farbe weiter. Daß dabei gemäß der Gleichung Ha-f Cl2 = 2 HCl C h l o r w a s s e r s t o f f g a s entsteht, wurde schon S. 24 besprochen. Das Gemisch von Wasserstoff und Chlor ähneltdem Knallgas.Wie dieses verändert es sich bei Zimmertemperatur nicht. Entzünden wir es, so erfolgt auch hier die Vereinigung unter heftigem Knall. Man bezeichnet es daher auch als „ C h l o r k n a l l g a s " . Auffällig ist nun, daß die Reaktion auch durch L i c h t ausgelöst werden kann, so z. B. durch Belichten mit einer Bogenlampe. Durch die Einstrahlung von Licht wird nämlich dem System Energie zugeführt, so daß Chlormolekeln in Atome gespalten werden. Diese leiten die Reaktion ein, die dann als sogenannte „ K e t t e n r e a k t i o n " weiterläuft: 1) Cl + H 2 - HCl + H ; 2) H + Cl, -> HCl + Cl. Dabei bilden die Reaktionen 1) und 2) die Glieder einer fort-

Klemm, Anorganische Chemie.

4

60

XIII. S&nren, Basen, Salze

laufenden Kette, die erst dann abreißt, wenn z. B. nach der Gleichung C1 -f C1 = Cl2 die Cl-Atome verschwinden. Bei dieser „ p h o t o c h e m i s c h e n " Auslösung der Knallgasreaktion erweist sich die F a r b e des Lichtes von größter Bedeutung; das langwellige, rote Licht ist nämlich ohne Einfluß, nur die blauen und violetten, d.h. also die kurzwelligen Strahlen sind wirksam, weil Chlor nur in diesem Gebiet Licht absorbiert.

C h l o r w a s s e r s t o f f ist farblos und von stechendem Geruch; an der L u f t bildet er Nebel. Dies hängt damit zusammen, daß er sich begierig und unter starker Wärmeentwicklung in Wasser löst und infolgedessen mit dem Wasserdampf der L u f t Flüssigkeitströpfchen bildet. Die wässerige Lösung des Chlorwasserstoffs bezeichnet man als Salzsäure. Die D a r s t e l l u n g von ChlorwasserstoS kann auch aus Kochsalz direkt erfolgen, indem man konzentrierte Schwefelsäure darauf einwirken läßt. Um diese Umsetzung verstehen zu können, müssen wir die Zusammensetzung dieser beiden Stolle kennen. Kochsalz enthält neben Chlor noch Natrium, es h a t die Formel NaCl, während die Schwefelsäure gemäß der Formel H 2 S 0 4 aus WasserstoS, SauerstoS und Schwefel zusammengesetzt ist. Die Gleichung der Umsetzung ist NaCl + H 2 S 0 4 = HCl + N a H S 0 4 l ) . Wir haben hier ein typisches Beispiel einer d o p p e l t e n U m s e t z u n g vor u n s : ein Natrium-Teilchen kann gewissermaßen seinen Platz mit einem Wasserstoff tauschen. Aus Chlorwasserstoff kann man leicht wieder Chlor gewinnen. So liegt z. B. das Gleichgewicht: 4HCl + 0 2 ^ 2 I I 2 0 + 2Cla bei nicht zu hohen Temperaturen weitgehend zugunsten des Chlors; auf diese Weise hat man früher Chlor technisch gewonnen (D e a c o n Prozeß). Starke Oxydationsmittel wie Braunstein (Mangandioxyd Mnü 2 ) führen Salzsäure bei Zimmertemperatur in Chlor über: Mn0 2 + 4 HCl = MnCl2 + 2 H 2 0 + Cla.

XIII. Säuren, Basen, Salze Vorbemerkung: Zusammenstellung der Elementsymbole. In den folgenden Abschnitten werden wir auch auf einige Verbin') Vgl. aber auch 8. 68/54.

X I I I . Säuren, Basen, Salze

51

düngen von Elementen eingehen müssen, die wir noch nicht besprochen haben. Es sei daher eine Zusammenstellung der Symbole der in der Natur vorkommenden Elemente vorausgeschickt, in der die wichtigsten fett gedruckt sind. Tabelle 1 Ruthenium Ru Jod i Actinium Ac

Aluminium Antimon Arpon Anten Barium Bervllium Biel Bor Brom Cadmium Caesium Calcium Cer. Chlor Chrom Dysprosium Eben Erbium Kuropium Fluor Qadoliuiuin Gallium Germanium Gold Hafnium Helium Holmium Indium Iridium

AI Sb Ar As Ba Be Fb B Kr Cd Cß Ca Ce 11 Cr Dy Fe Er Eu F Gd Ga Ge Au Bf He Ho In Ir

Kalium Kobalt KohlenstoO Krypton Kupier Lanthan Lithium Lutetium Magnesium Maiigau Molybdän Kairliiiii Neodym Neon Nickel Niob Osmium Palladium Polonium rtio«i>liur Platin Praseodym Protactinium Queei.silber Radium Radon Rhenium Rhodium Rubidium

H Co C Kr Cu La Li Lu Mg Mn Mo j\a Nd .Ne Ni Kb Os Pd Po P Pt Pr Pa Hg Ra Rn Re Rh Rb

Samarium Sauerstoff Scandium Scbxeiel Selen Silber Silicium Silckstofl Strontium Tantal Tellur Terbium Thallium Thorium Thulium Titan C'ran Vanadin Wasscmofl Wismut Wolfram Xenon Ytterbium Yttrium Ziuk Zinn Zirkonium

Sm 0 Sc ..... S Se Ag 81 N Sr Ta Te Tb T1 Tb Tm Ti U V H Bi W Xe Yb Y Zn Sn Zr

S ä u r e n . Man erkennt das Vorliegen einer Säure an dem sauren Geschmack der Lösung sowie an der Wirkung auf gewisse Pflanzenfarbstoffe, z. B . L a c k m u s . S ä u r e n f ä r b e n blaue L a c k m u s l ö s u n g e n rot. F ü r die weitere Besprechung seien zunächst wichtige Säuren und ihre Formeln angeführt: Salzsäure HCl Phosphorsäure

besonders

H 3 PO 4

H2ccy Schwefelsäure H2S04 Kohlensäure Salpetersäure HN03 Blausäure HCN. Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, daß alle Säuren w a s s e r s t o f f h a l t i g sind; eine Säure besteht also aus ' ) V g l . dazu 8 . 111.

4*

52

XIII. Säuren, Basen, Salze

Wasserstoff und einem S ä u r e r e s t . Früher nahm man an, daß der in der Mehrzahl der Säuren vorhandene Sauerstoff den sauren Charakter bedinge; daher rührt auch die Benennung des Sauerstoffs durch L a v o i s i e r . Daß diese Annahme aber falsch ist, ergibt sich u. a. aus der Existenz der Salzsäure und anderer Säuren, die keinen Sauerstoff enthalten. Nun sind aber nicht alle wasserstoffhaltigen Verbindungen Säuren, sondern nur diejenigen, deren W a s s e r s t o f f l e i c h t d u r c h M e t a l l e r s e t z b a r ist. Wir haben solche z.B. nach der Gleichung 2 HCl + Zn = ZnCl2 + H 2 verlaufenden Reaktionen schon S. 25 bei der Besprechung der Darstellungsmethoden des Wasserstoffs kennengelernt. Basen. Den Gegensatz zu den Säuren bilden solche Stoffe, die rotes Lackmus blau färben. Man bezeichnet sie als Basen oder L a u g e n . Soweit sie löslich sind, rufen ihre Lösungen auf der Haut das von der Seife her bekannte schlüpfrige Gefühl hervor. Wir nennen: NaOH Natriumhydroxyd; seine Lösung Natronlauge KOH Kaliumhydroxyd; seine Lösung Kalilauge Ca(OH)2 Calciumhydroxyd La(OH) 3 Lanthanhydroxyd. Aus der Zusammenstellung erkennt man, daß die Basen durch das Vorhandensein von OH-Gruppen ( H y d r o x y d g r u p p e n ) gekennzeichnet sind. Salze. Läßt man die Lösung einer Säure mit der einer Base reagieren, so bildet sich aus dem Hydroxyd der Base und dem Wasserstoff der Säure Wasser; man erhält also bei richtiger Dosierung der Mengen Lösungen, die weder sauer noch alkalisch reagieren. Solche Lösungen bezeichnet man als n e u t r a l . Dampft man sie ein, so erhält man Stoffe, die aus dem Metall der Base und dem Säurerest gebildet sind. Man bezeichnet diese als Salze. Die gegenseitige Neutralisation von Säuren und Basen sei durch folgende Gleichungen erläutert: NaOH + HCl = HjO + NaCl (Natriumch 1 o ri d=Kochsalz) 3 KOH + H 3 P0 4 = 3 HaO + K 3 P0 4 (Kaliumphosphat)

XIII. Säuren, Basen, Salze

53

Ca(OH) 2 + H 2 S 0 4 = 2 H 2 0 + CaS0 4 (Calciumsulfat) La(OH) 3 + 3 H N 0 3 = 3 H 2 0 + La(N0 3 ) 3 ( L a n t h a n n i t r a t ) . Ganz allgemein gilt also die sehr wichtige Gleichung: B a s e + S ä u r e = W a s s e r + Salz. Die eben genannten Gleichungen führen zu einer K l a s s i f i z i e r u n g von Säuren und Basen. Je nach der Zahl der durch Metall ersetzbaren Wasserstoffatome unterscheidet man e i n - , z w e i - , dreib a s i s c h e S ä u r e n (HCl, H 2 S0 4 , H , P 0 4 ) und entsprechend e i n - , z w e i - u n d d r e i s ä u r i g e B a s e n (NaOH, Ca(OH) 2 , La(0H) 3 ).

Starke und schwache Säuren (Basen).

Man weiß

schon sehr lange, daß der Säurecharakter nicht bei allen Säuren in gleicher Weise ausgeprägt ist. So lösen sich Metalle wie Zink in Salzsäure sehr schnell, während mit Essigsäure kaum Reaktion eintritt. Durch diese und ähnliche Beobachtungen kam man dazu, die „starke" Salzsäure von der „schwachen" Essigsäure zu unterscheiden. Ferner erkannte man, daß oft starke Säuren schwache aus ihren Salzen „austreiben". So reagiert z. B. Natriumcarbonat — ein Salz der schwachen Kohlensäure — mit der starken Salzsäure nach folgender Gleichung: Na 2 C0 3 + 2 HCl = 2 NaCl + H 2 C0 3 . Es bildet sich also das Salz der starken Säure und die freie schwache Säure. Man erkennt diese Umsetzung daran, daß die freie Kohlensäure sofort in H 2 0 und C0 2 zerfällt und daß daher Kohlendioxyd gasförmig entweicht. In ähnlicher Weise kann man starke B a s e n (z. B. NaOH) und schwache (Al(OH) 3 ) unterscheiden. Eine strengere Definition der Säuren- und Basenstärke werden wir im Kap. X X kennenlernen. Saure Salze. Die Neutralisation braucht nicht immer vollständig zu sein; es können sich auch s a u r e und b a s i s c h e Salze bilden. Bei den ersteren ist ein Teil des Wasserstoffs nicht durch Metall ersetzt, die letzteren enthalten noch Hydroxyd. Mit den basischen Salzen wollen wir uns nicht näher befassen,da hier meist verwickelte Verhältiiisse vorliegen; dagegen sei wenigstens ein s a u r e s Salz angeführt. Läßt man die S. 50 beschriebene Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz bei ZimmerteniDeratur vor sich gehen, so erfolgt sie nach der Gleichung NaCl + H 2 S 0 4 =

54

XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation

N a H S 0 4 + HCl; es entsteht das s a u r e Natriumsulfat N a H S 0 4 , das wegen seines Wasserstuffgthaltes als „Natriumhydrogejisulfat" (früher „Natriumbisulfat") bezeichnet wird. Dieses- s iure Salz reagiert noch wie eine Säure, denn es setzt sich bei höheren Temperaturen mit Kochsalz weiter um zu neutralem Natriumsulfat nach der Gleichung- NaCI + N a H S O , = N a , S 0 4 -u HCl.

Anhydride. Entzieht man Basen oder sauerstoffhaltigen Säuren Wasser — z. B. durch Erhitzen oder durch wasserentziehende Mittel wie P 2 0 B — , so erhält man Basenbzw. S ä u r e - A n h y d r i d e , z. B. Ca(OH)2 — H 2 0 = CaO; H 2 S0 4 — H 2 0 = S0 3 ; 2 H N 0 3 — H ? 0 = N2Os. Umgekehrt ergeben O x y d e m i t W a s s e r e n t w e d e r Basen oder S ä u r e n . Als Regel gilt, daß s a u e r s t o f f a r m e O x y d e — e s handelt sich dabei in erster Linie um M e t a l l o x y d e , z. B. Na 2 0, CaO— starke B a s e n , s a u e r s t o f f r e i c h e dagegen— vorzugsweise N i c h t m e t a l l - O x y d e wie S0 3 ,C1 2 0 : —starke Säurengeben; vgl. dazu auch Kap. XXV. Amphotere Hydroxyde. Man wird fragen, wie sich die Oxyde m i t t l e r e r Wertigkeit verhalten, ob sich also ein sprunghafter Übergang von den Basen zu den Säuren zeigt oder ein allmählicher. Der Versuch zeigt, daß das zweite der Fall ist; Hydroxyde mittlerer Wertigkeit sind Stoffe, die überhaupt keinen bestimmten Charakter haben, sondern sich ihr Verhalten durch den Gegenpartner aufzwingen lassen. So löst sich Al(OH) 3 nicht nur gemäß Al(OH) 3 + 3 HCl = AlClg + 3 H 2 0 in der starken Salzsäure, wie es für eine Base zu erwarten ist, sondern auch in der starken Natronlauge, der gegenüber es wie eine Säure reagiert: H3A103 + NaOH = NaH 2 A10 3 + H-jO1). Solche Hydroxyde bezeichnet man als a m p h o t e r . X I V . Theorie der elektrolytischen Dissoziation Elektrolyte und Nichtelektrolyte. Säuren, Basen und Salze haben eine gemeinsame Eigenschaft: ihre wässerigen *) BeBser wird diese Umsetzung allerdings als Komplexbilduni? (vgl. S. M;8o) gemäß NaOH + AI(OH). = Na[Al(OH) J formuliert. Das ändert aber an den genannten Überlegungen nicht«.

XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation

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Lösungen leiten den elektrischen Strom. Keines Wasser selbst ist ein sehr schlechter Leiter; löst man in ihm Stoffe wie Zucker, Alkohol, Harnstoff, so ändert sich daran nichts. Bringt man dagegen nur eine ganz kleine Menge Salzsäure oder Natriumhydroxyd oder Kochsalz in das Wasser, so wird es plötzlich gut leitend. Mit dem Stromtransport ist jedoch bei diesen Leitern II. Klasse — im Gegensatz zu den Metallen, den Leitern I. Klasse — stets eine chemische Umsetzung an den Elektroden (Elektrolyse; vgl. Kap. II u. XXIX) verbunden; außerdem tritt, wie man mit farbigen Stoffen zeigen kann, im elektrischen Feld eine Bewegung der in Lösung befindlichen Substanz ein. Man bezeichnet daher die erstgenannten Stoffe als Nichtelektrolyte, S ä u r e n , B a s e n und Salze dagegen als E l e k t r o l y t e . Molekulargewichte gelöster Stoffe; osmotischer Druck. Woher kommt nun diese Leitfähigkeit? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas weiter ausholen und uns mit dem M o l e k u l a r g e w i c h t g e l ö s t e r S t o f f e beschäftigen. Der Zustand eines gelösten Stoffes in einer sehr verdünnten Lösung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gaszustand. In beiden Fällen befinden sich die einzelnen Molekeln in einer im Verhältnis zu ihrer Größe weiten Entfernung voneinander. Ein Unterschied liegt allerdings darin, daß bei den Gasen der Raum zwischen zwei benachbarten Molekeln leer ist, während er in Lösungen von Molekeln des Lösungsmittels erfüllt ist. Trotzdem gilt, wie v a n ' t H o f f gezeigt hat, auch in diesem Falle eine dem Gasgesetz p • v = n • R • T analoge Beziehung mit genau der gleichen Konstanten R; nur ist dabei für p an Stelle des Gasdrucks der sogenannte „ o s m o t i s c h e D r u c k " einzusetzen. Was man darunter versteht, sei an zwei Gedankenexperimenten klargelegt. Wir wollen zunächst einen Versuch ausgeführt denken, durch den man den Druck eines G a s e s messen kann. Wir benutzen gemäß Abb. 5 einen Zylinder, der mit

56

Abb. 5

XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation einem verschiebbaren Stempel versehen sei, den wir uns der Einfachheit haltw gewichtslos denken wollen. Ist dann in A und B Vakuum, so behält der Stempel in jeder beliebigen Höhe seine Stellung bei. Lassen wir jetzt das Vakuum in B bestehen, bringen aber in den Raum A ein Gas, das ja bei jedem Volumen und jeder Temperatur einen bestimmten Druck hat, so bleibt der Stempel nur dann in seiner Stellung, wenn man ihn mit einem dem G a s d r u c k entsprechenden Gewicht belastet, der dem Bestreben des Gases, sich über einen größeren Raum auszudehnen, entgegenwirkt.

Jetzt wollen wir uns den ganzen Zylinder (also A und B) mit W a s s e r gefüllt denken und einen Stempel vom spezifischen Gewicht des Wassers verwenden, der feine Löcher haben soll, so daß das Wasser ungehindert durchtreten kann. Auch dieser Stempel wird in jeder beliebigen Höhe seine Stellung unverändert beibehalten. Wir wollen nun im Räume B das reine Wasser belassen, aber in den Raum A eine Zuckerlösung bringen und uns vorstellen, daß die Löcher im Stempel nur die kleinen Wassermolekeln durchlassen, nicht aber die großen Zuckermolekeln. Die Zuckerlösung hat das Bestreben, sich zu verdünnen; da der Stempel wohl für das Wasser, aber nicht für die Zuckermolekeln durchlässig („semipermeabel") ist, kann die Verdünnung nur durch Einströmen des Wassers erfolgen. Es wird daher auf den Stempel ein Druck nach B zu ausgeübt, der, wie beim Gasdruck, durch eine entsprechende Belastung kompensiert werden muß; diesen bezeichnet man als o s m o t i s c h e n Druck. Nun kann man nach dem S. 42 Dargelegten das Molekulargewicht eines Gases ermitteln, wenn man Gasmenge, Volumen, Druck und Temperatur bestimmt. In vollkommen gleicher Weise kann man bei Kenntnis der Menge gelösten Stoffes, des Volumens, der Temperatur und des osmotischen Druckes das M o l e k u l a r g e w i c h t g e l ö s t e r S t o f f e bestimmen. Man erhält dabei b e i N i c h t e l e k t r o l y t e n die n o r m a l e n Molekulargewichte. Bei den typischen E l e k t r o l y t e n dagegen findet man Werte, die s e h r v i e l k l e i n e r sind als die erwarteten, etwa halb so groß, manchmal noch kleiner. Das oben beschriebene Experiment zur Messung des osmotischen Druckes ist praktisch nicht durchführbar. Wir brauchen uns aber mit den Methoden, wie man osmotische Drucke nun wirklich mißt,

XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation

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nicht näher zu befassen, da solche Bestimmungen nur sehr selten ausgeführt werden und man meist andere Wege geht. Mit dem osmotischen Druck hängt nämlich eng zusammen, daß der D a m p f d r u c k des Lösungsmitteis v o n L ö s u n g e n k l e i n e r ist als der des reinen Lösungsmittels. Dies bedingt wiederum, daß Lösungen höher sieden und bei tieferen Temperaturen erstarren als das reine Lösungsmittel, worauf wir S. 7/8 schon hingewiesen hatten. Diese „ G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g " ist ebenso wie die „ S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g" für ein bestimmtes Lösungsmittel der Anzahl Mole gelösten Stoffes proportional. Beide sind experimentell bequem zu messen und gestatten so in einfacher Weise die Bestimmung des Molekulargewichtes gelöster Stoffe.

Elektrolytische Dissoziation. Wir haben also zwei Tatsachen, die wir erklären müssen, um das besondere Verhalten der E l e k t r o l y t e zu verstehen: a) sie machen Wasser leitend für den elektrischen Strom, wobei chemische Umsetzungen an den Elektroden und eine Stoffbewegung in der Lösung auftreten; b) sie besitzen wesentlich kleinere Molekulargewichte, als der Formel entspricht. Das zweite Ergebnis beweist, daß die Molekeln in Lösung zerfallen (dissoziieren). Dabei können aber nicht neutrale, d. h. also elektrisch nicht geladene Zerfallsprodukte entstehen, etwa aus NaCl ein Na- und ein Cl-Atom; denn dann wäre z. B. unverständlich, warum dieses Na-Atom nicht wie das metallische Natrium gemäß 2 Na + 2 H 2 0 = 2 NaOH + H 2 mit dem Wasser reagiert. Vor allem wäre aber die elektrische Leitfähigkeit der Lösung nicht zu verstehen. Dem schwedischen Chemiker S v a n t e A r r h e n i u s verdanken wir die Erkenntnis, daß diese Zerfallsprodukte e l e k t r i s c h g e l a d e n sind. Damit wird sofort die Leitfähigkeit verständlich; denn diese geladenen Teilchen werden sich im elektrischen Felde bewegen, so die Elektrizität transportieren und an den Elektroden entladen werden. A r r h e n i u s benutzte für diese geladenen Spaltstücke die schon von F a r a d a y 1 ) stammende Bezeich') Michael F a r a d a y lebte von 1791—1867; er war nicht nur einer der bedeutendsten Physiker, sondern auch ein erfolgreicher Chemiker.

XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation

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nung „ I o n e n " , d. h. Wanderer. Ferner wird verständlich, warum z. B. die Reaktionen des Natrium-Metalls ausbleiben. Ein Natrium-Ion ist eben ganz etwas anderes als ein NatriumAtom. So kühn diese Annahme war, so ausgezeichnet hat sie sich bewährt. Die Ionentheorie gehört heute zu einer der wichtigsten Grundlagen der Chemie. Es muß nachdrücklichst darauf hingewiesen werden, daß zwischen der t h e r m i s c h e n Dissoziation, die wir S. 14 kennengelernt. haben, und der hier besprochenen e l e k t r o l v t i s c h e n Dissoziation ein grundlegender Unterschied besteht; dort bildeten sich u n g e l a d e n e , hier g e l a d e n e Spaltprodukte 1

L a d u n g der Ionen. Es fragt sich nun, wie groß die L a d u n g d e r I o n e n ist und wie die positiven und negativen Ladungen verteilt sind. Klar ist, daß die Zahl der positiven und negativen Ladungen gleich sein muß; denn die Lösungen sind ja im ganzen genommen ungeladen. Aus den Produkten, die sich bei der Elektrolyse am positiven und negativen Pol abscheiden, und anderen Versuchen, die wir hier nicht im einzelnen beschreiben können, folgt ferner, daß die Metalle und der Wasserstofi positive, die Säurereste, einschließlich der Halogene, negative Ladungen annehmen. Bei den Elektrolyten entspricht die G r ö ß e der Ladung dem, was wir früher als („stöchiometrische") W e r t i g k e i t bezeichnet hatten. Wir haben jetzt aber zu unterscheiden zwischen dem positiv einwertigen Natrium und dem negativ einwertigen Chlor, wie man es in Verbindungen wie HCl oder NaCl findet 1 ). Der Dissoziationsvorgang kann demnach durch folgende Gleichungen beschrieben werden: NaCl = HCl = NaOH =

N a + + Cl" H

+

+ c r

Na+ +

OH"

A12(S04)J =

2 AL 3+ + 3 SO*

H2S04 =

H+

HS04~ =

H+

+HS0 +

4

-

SO*"

C ; I ( O H ) 2 = Ca* + + 2 O H " b z w . H 2 S 0 4 = 2 H+ -f- S O * " 1 Kieser Zusammenhang cwlnchen stöchirmetrUcher Wertigkeit und J liegen nun aus Gründen, die wir hier nicht im " einzelnen besprechen können, nicht auf einer Geraden, sie bilden vielmehr, etwa so wie Abb. 7 zeigt, ein gleichschenkliges Dreieck. A b b - 7- H,o-Moiekei. Auf größere Entfernung wirkt diese Molekel neutral, da die Wirkungen der positiven und negativen Ladungen sich aufheben. Kommen wir aber ganz dicht an die Molekel heran, so ist dies nicht mehr der Fall. Für einen Punkt A wird die Wassermolekel negativ geladen erscheinen, da der Schwerpunkt der negativen Ladung viel näher an diesem Punkt liegt als der der positiven Ladungen. Umgekehrt wird die Molekel für einen Punkt B positiv geladen erscheinen. Man bezeichnet Stoffe wie H 2 0, bei denen die Schwerpunkte der negativen und positiven Ladungen nicht zusammenfallen, als D i p o l e 1 ). Kommt nun eine Wassermolekel in die Nähe eines positiv geladenen Ions, so wird sie sich so drehen, daß dieSauerstoffseite, d.h. der negative Pol, dem Ion zugewendet wird. Die Wassermolekel wird dann von dem Ion elektrostatisch angezogen. Infoli ed s.-en wird sich ein Ion in Lösung mit einer Schicht gerichteter Wassermolekeln umgeb«'n, so wie es Abb. 8 für ein positives Ion zeigt. Die Wasselmolekeln, die dem Ion direkt benachbart sind, haben alle e'ne bestimmte Richtung und sind infolge der starken Kräfte sehr eng gepackt. Erst in größerer Entfernun1-' werden die Dipole infolge der Wärmebewegung wieder ungeordnet und die Abstände A b b . 8 . Hydrati8iertes Kation, der Wassermolekeln voneinander normal sein. Die negativen Ionen werden sich entsprechend verhalten. Man sagt: Die Ionen sind in Lösung h y d r a t i s i e r t . Wie schon erwähnt, werden durch diese Hydratation die Gitterkräfte überwunden. Ist die bei der Hydratation gewonnene E tergie größer als die für das Auseinanderziehen des Gitters aufzuwendende, ') Die G'öße dieser elektrischen Unaymmetrle, das Dlpolmoment, läßt Bich aus Messungen «er Dielektrizitätskonstanten ableiten.

64

XV. Die IoDen-Bindung

so ist der Stoff leicht löslich; ist sie kleiner, so ist er praktisch unlöslich. Hiermit hängt auch zusammen, daß sich aus Ionen aufgebaute Stoffe in Lösungsmitteln, die nicht aus Dipolmolekeln aufgebaut sind, nur sehr wenig oder gar nicht auflösen. Eine Sonderstellung nimmt bei der Hydratation das sehr kleine H + -Ion ein. Es bindet nämlich e i n e Wassermolekel besonders fest, und erst das so entstandene (OH 3 ) + -Ion ( O x o n i u m - bzw. H y d r o n i u m - I o n ) hydratisiert sich dann wie ein normales Ion.

Hydrate. Die Anlagerung der Wassermolekeln an die Ionen kann auch so erfolgen, daß durch Einwirkung von wenig Wasser au! ein wasserfreies Salz wieder ein festes, aber wasserhaltiges Salz, ein H y d r a t , entsteht. Die angelagerten Wassermolekeln drängen dann nur die Ionen des Salzes etwas auseinander. So nimmt z. B. das farblose CuS0 4 6 Wassermolekeln auf, es entsteht der bekannte Kupfervitriol1) der Formel CuS0 4 • 5 H 2 0. Erhitzt man ihn vorsichtig, so gibt er das Kristallwasser stufenweise wieder ab; es entstehen niedere Hydrate (CuS04 • 3 H 2 0 bzw. CuS0 4 • H a O) und schließlich wieder das farblose wasserfreie Salz; vgl. dazu auch Kap. XXXI. Komplexe Ionen 2). Ein Aufbau aus Ionen kann mit einiger Sicherheit nur für diejenigen Stoffe angenommen werden, die in wässeriger Lösung in Ionen dissoziieren. Aber auch solche Stoffe, bei denen dies nicht der Fall ist, können trotzdem aus Ionen aufgebaut sein. So kann man z. B. als Annäherung annehmen, daß auch innerhalb des SO,,2-- bzw. N03~Ions geladene Sauerstoff- und Schwefel- bzw. Stickstoff teilchen vorliegen, und sich den Aufbau des S0 4 2_ -Ions folgendermaßen vorstellen:

Die negative Ladung dieses O2" O2" ganzen „ k o m p l e x e n " Ions kommt demnach dadurch zustande, daß die Summe der negativen Ladungen 8, die positive •) Andere Vitriole sind i. B. ZnSO, • 7H,0: Fe.SO, • 7H,0. *) Näheres Tgl. Dede, Komplexchemie, Sammlung Göschen Bd. 081.

XV. Die Ionen-Bindung

65

Ladung dagegen nur 6 beträgt. Bei dieser Art von Komplexen ist also die Gesamtladung immer von der des Zentralions verschieden. Es bereitet dem mit diesen Vorstellungen weniger Vertrauten oft Schwierigkeiten einzusehen, wieso die elektrisch neutrale S03-Molekel noch ein weiteres 0 2 "-Ion A b b 9" [ 8 0 ' ] "• Ion ' binden kann. Man versteht das aber leicht aus Abb. 9, in der das Tetraeder eines S0 4 2- -Ions schematisch dargestellt ist. Wir wollen einmal annehmen, von den an sich völlig gleichartig gebundenen 0 2 ~-Ionen sei das oberste das zuletzt angelagerte. Es unterliegt der Anziehung durch das sechsfach positiv geladene Schwefelion und der Abstoßung durch die drei je doppelt negativ geladenen anderen Sauerstoffionen. Da nun aber die Entfernung von unserem 0 2 - -Ion zum Schwefelion wesentlich kürzer ist als zu den anderen O 2- -Ionen, so kommt die Anziehung stärker zur Geltung als die Abstoßung; auch dieses 0 2 _ -Ion wird also durch elektrostatische Anziehung gebunden. Man erkennt aus der Abbildung aber auch, daß nicht beliebig überschüssige 0 2 - -Ionen an solch eine SOs-Molekel angelagert werden können. Denn einmal nimmt mit steigender Zahl der O 2- -Ionen auch die Abstoßung zu. Zum anderen ist auch der Platz beschränkt; aus räumlichen Gründen kann nur eine bestimmte Zahl von 0 2 - -Ionen untergebracht werden. Diese Zahl — die K o o r d i n a t i o n s zahl 1 ) — ist natürlich bei kleinen Zentral-Ionen niedriger als bei großen. So kennt man in wässeriger Lösung wohl [Si0 4 ] 4 - und [P0„] 3 -, aber nur [C0 3 ] 2 - und [NCy 1 ", weil das Si4+- bzw. P 6+ -Ion größer ist als das C4+- bzw. N 6+ -Ion 2 ). Es gibt aber auch Komplexe, bei denen u n g e l a d e n e Molekeln (meist mit Dipol, vgl. z. B. Wasser) an ein Ion angelagert werden. In diesem Falle ist die Ladung des Komplexes natürlich gleich der des Zentralions. Solche Komplexe liegen u. a. bei den hydratisierten Ionen vor, sei es im Kristall, sei es in der Lösung, ferner bei Ammoniakaten wie dem [Ag(NH3) 2 ] + -Ion bzw. dem kristallisierten [Ag(NH 3 ) 3 ]CL l ) In vielen Fällen hängt die Koordinatlonszahl auch noch von anderen Faktoren ab. a ) Im f e s t e n Zustande sind gelegentlich höhere Koordinationszahlen möglich; so läßt sich nach Z l n t l aus NaNO, + Na,0 auch ein „Orthonltrat* Na,N0 4 herstellen; aber die Bezeichnnng „ortho" Tgl. auch 8.107. K l e m m , Anorganische Chemie. 5

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XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors

Oxydation and Reduktion. Die Auffassung, daß bei sehr vielen anorganischen Verbindungen Ionenbindung vorliegt, gestattet, die Oxydations- und ReduktionsReaktionen besonders einfach zu erklären. Z. B. bedeutet die Reduktion von Kupferoxyd mit Wasserstoff gemäß CuO + H2 = Cu + H 2 0 folgendes: Das CuO ist aus Cu2+ und O^-Ionen aufgebaut, Wasser aus H + - und O^-Ionen. Die Wasserstofimolekel ist ebenso wie das metallische Kupfer ungeladen. Wir können also schreiben: C u ^ O ^ + H ^ 0 = Cu ± 0 + H22-1+ O 2- . ES sind also zwei negative Ladungen (Elektronen) von den Wasserstoöatomen zum Kupfer übergegangen. Früher hatten wir dies so ausgedrückt: Das Kupfer ist reduziert, der WasserstoS ist oxydiert worden. Im Sinne der Ionentheorie bedeutet also Reduktion Gewinn, Oxydation Verlust an Elektronen. Infolgedessen bezeichnet man Vorgänge, bei denen Elektronen abgegeben werden, auch dann als Oxydationavorgänge, wenn Sauerstoff gar nicht mitwirkt. Z. B. gibt es beim Kupfer zwei Chloride: das weiße CuCl und das braune CuCl2. Läßt mar. auf CuCl Chorgas einwirken, so bildet sich CuCla nach der Gleichung: 2 Cu 1 + Cl 1 + C l f ° = 2 CU 2+ C1 2 2 ' 1- . Wie man sieht, ist Cu 1+ zu Cu' + oxydiert, CL2 dagegen zu Cl - reduziert worden.

Andere Bindungsarten. Es wäre nun aber falsch, wenn man annehmen würde, daß bei a l l e n Stoßen Ionenbindung vorliegt. So ist in der H2-Molekel sicher nicht ein positiv und ein negativ geladenes Ion vorhanden. Es liegt hier vielmehr eine „Atombindung" vor. Mit dieser sowie mit der in metallischen Stoßen vorhandenen „metallischen Bindung" können wir uns erst später beschäftigen (vgl. Kap. XXV). XYI. Sauerstoffverbindungen des Chlors Bisher haben wir von den Verbindungen des Chlors nur den Chlorwasserstoff und Salze der Salzsäure besprochen, in denen das Chlor als negativ geladenes Ion vorliegt. Dieses

67

X V I . SanerstoSverbindungen des Chlors

sind die bei weitem beständigsten Verbindungen dieses Elements. E s gibt aber auch eine große Anzahl von zumeist unbeständigen Chlorverbindungen, in denen dieses Element als positiv geladen aufgefaßt werden kann. Um die Besprechung der hier vorliegenden Verbindungen zu erleichternwollen wir zunächst in ' 'abelle 2 eine Übers icht vorausTa belle 2 O x y d e und S ä u r e n des Chlors (Die Pfe ile deuten an, wie sieb die Oxyde mii Waas«x bzw. Lauge unisetzen.)

OxydationsStufe des Ci>)

11+ 3+ 4+ 6+

Säure

Oxyd

HCl Salzsäure



CLjO Dichloroxyd

-> HCIO Hypochlorige Säure HCIO, Chlorige Säure



C102 Cblordioxyd —

6+

C1 2 0, Dichlorhexoxyd

7+

C1 2 0, Dichlorheptoxyd

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Name der Salze Chloride Hypochlorite Chlorite





HCIO, Chlorsäure

Chlorate 1

HC104 Perchlorsäure

[Perchlorate i

schicken und dann erst die einzelnen Vertreter beschreiben. Die Tabelle gibt gleichzeitig das Wichtigste über die N o m e n k l a t u r dieser Verbindungen an. Eine ganz ähnliche Nomenklatur verwendet man auch in anderen Fällen. Man vergleiche z. B. H 2 S Schwefelwasserstoff, ' ) Die Oxydationsstufe entspricht der Ladung des Chlors, wenn man Ioneobindung voraussetzt. Die Annahme von lonenbindungin Stoffen wie C1,0 ist zwai eine schlechte Näherung, da hier weitgehend Atombinduneen (vgl. S. 12t)Vvor:ieg

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• C l 1 - oder S 6 + — > S 2 " ) ; es liegt dies eben daran, daß vom Neon bis zum Argon gerade 8 Elektronen angelagert werden. Man versteht ferner, warum die m i t t l e r e n Oxydationsstufen bei solchen Elementen (z. B. Cl 1+ , Cl 3+ , Cl 5+ usw.) nur in u n b e s t ä n d i g e n Verbindungen vorkommen, die leicht in Verbindungen mit den Grenzwertigkeiten (Cl 7+ bzw. Cl 1 - ) übergehen (vgl. dazu Kap. XVI).

Ganz allgemein kann man also sagen, daß das chemische Verhalten, insbesondere die Wertigkeit, soweit aus Ionen aufgebaute Verbindungen in Frage kommen, weitgehend durch das Bestreben der Elemente bestimmt ist, die Edelgaskonfiguration zu erreichen. ') and anch gelegentlich Waaserstoff, z. B. Im Llthiom- and Calciumhydrid L1H biw. CaH,.

XXV. Der Aufbau der Atome; Bindungsarten

129

A t o m b i n d u n g . Auf Grund des Atombaues lassen sich nun auch die anderen Bindungsarten in ihren Grundzügen verständlich machen. Eine A t o m b i n d u n g , wie sie etwa in der Wasserstoffmolekel vorliegt, haben wir uns etwa so vorzustellen, daß die beiden Elektronen der beiden H-Atome b e i d e n Kernen zugehören 1 ). Derartige Bindungen finden wir immer dann, wenn g l e i c h e Atome sich miteinander zu M o l e k e l n verbinden (z. B. Cl2, J 2 , S 8 , N a s ) ; sie kommen aber auch zwischen v e r s c h i e d e n e n Atomen vor (vgl. unten). Vorherrschend sind Atombindungen in der o r g a n i s c h e n Chemie, insbesondere bei den C—C-Bindungen. Jeder B i n d e s t r i c h , den wir in den Formeln S. l l ß f f . eingezeichnet haben, bedeutet ein beiden Atomen gemeinsames E l e k t r o n e n p a a r . Die Zahl derAtombindungen, die man als „ B i n d i g k e i t " bezeichnet, hängt ebenfalls aufs engste mit der Zahl der Elektronen zusammen. So ist Kohlenstoff vierbindig, weil er 4 Elektronen in der äußeren Gruppe besitzt. Eine Anordnung von 8 Elektronen um ein Atom, wie es beim vierbindigen Kohlenstoff der Fall ist, ist bei den Verbindungen aus Elementen der 1. kleinen Periode die Regel ( „ O k t e t t - R e g e l " ) und auch sonst häufig. Auch die C - H - , C - O - , C - N - , O - H - , N - H - B i n d u n g e n lassen sich im wesentlichen als Atombindungen deuten, wobei die Oktett-Regel fast immer erfüllt ist. Jedoch liegt bei solchen Bindungen aus v e r s c h i e d e n e n Atomen immer schon eine gewisse elektrische Unsymmetrie vor; die beiden gemeinsamen Elektronen befinden sich im Zeitmittel etwas länger bei dem einen Atom als bei dem anderen, so daß schon ein gewisser Übergang zur Ionenbindung vorliegt. Überhaupt ist zu betonen, daß der Übergang zwischen den einzelnen Bindungsarten — z. B. Atom- und IonenBindung — nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich ist. Man kann in den meisten Fällen nicht mit Bestimmtheit sagen, daß eine bestimmte Bindungsart v o r l i e g t , sondern nur, daß sie v o r h e r r s c h t . B i n d u n g s a r t e n i m Kristall. In den K r i s t a l l e n bleiben in vielen Fällen die Einzelmolekeln erhalten ( „ M o l e k e l g i t t e r " , z. B. H a , J 2 , CC14). D a die Kräfte z w i s c h e n den Molekeln 2 ) 1 ) Hierbei liegt eine nur auf Grund der modernen ,,Quantenmechanik" verständliche „Austauschenergle" vor. *) Diese Kräfte zwischen neutralen Atomen oder Molekeln lassen sich ebenfalls auf Orund der Quantenmechanik versehen; eine einfache modellmäßige Erklärung ist jedoch nicht möglich. K l e m m , Anorg>nlache Chemie. g

130

XXVI. Alkalimetalle

verhältnismäßig gering sind, handelt es sich meist um leicht flüchtige Stoffe. Da ferner keine freien Elektronen vorhanden sind (vgl. unten über Metalle), liegen N i c h t m e t a l l e vor, die den elektrischen Strom nicht leiten. Zweitens können Kristallgitter aus Ionen aufgebaut werden, und zwar so, daß Einzelmolekeln nicht erkennbar sind ( I o n e n g i t t e r ) . Einen hierfür typischen Fall haben wir (S.62, Abb. 6 b) beim Kochsalz kennengelernt. Auch hierbei handelt es sich im festen Zustande in der Regel um sehr schlechte Leiter, da die Ionen ihren Platz nur unter großem Arbeitsaufwand wechseln können; die Schmelzen leiten dagegen gut. Schließlich kann der Aufbau eines Kristalles auch so erfolgen, daß die äußeren Elektronen sich von den Atomen loslösen und im Gitter— gleichsam wie in einem Gase—frei beweglich werden, während das eigentliche starre Gittergerüst von den zurückbleibenden positiv geladenen Atomresten (Ionen) aufgebaut wird. Dies ist der Fall bei den Metallen. Die typisch metallischen Eigenschaften (Leitfähigkeit für Elektrizität und Wärme, Undurchsichtigkeit, leichte Verformbarkeit) hängen mit dem Auftreten dieses „Elektronengases" zusammen. Wir hatten früher gesehen, daß die typisch nichtmetallischen Elemente sich in den höheren Gruppen des Perioden-Systems — also dicht vor den Edelgasen — finden, während die Metalle vorzugsweise in den ersten Gruppen stehen. Man erkennt den Zusammenhang: Diejenigen Elemente, die leicht positive Ionen bilden, also die äußeren Elektronen nicht sehr fest halten, bilden Metalle mit freien Elektronen, während diejenigen Elemente, die in Verbindungen oft negative Ionen bilden — also nicht nur die eigenen Elektronen sehr festhalten, sondern sogar noch fremde Elektronen aufnehmen —, auch im elementaren Zustande im Gitter keine Elektronen abgeben und daher Nichtmetalle sind.

XXYI. Alkalimetalle Nachdem wir in den früheren Abschnitten die Nichtmetalle kennengelernt haben, müssen wir jetzt die wichtigsten Metalle besprechen. Man unterscheidet einmal unedle und edle Metalle, zum anderen Leichtmetalle (spezifisches Ge-

XXVI. Alkalimetalle

131

wicht unter 5) und Schwermetalle (spezifisches Gewicht über 5). Wir werden uns bei der Besprechung der Metalle nicht an eins dieser beiden Schemata halten, sondern nach dem Perioden-System vorgehen. Die genannten Einteilungsprinzipien werden sich dabei von selbst ergeben. Wir beginnen mit der ersten Gruppe, den Elementen Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Caesium, den A l k a l i m e t a l l e n . Von diesen kennt man Natrium und Kalium schon sehr lange, wenn es auch bei der großen Ähnlichkeit ihrer Verbindungen erst im 18. Jahrhundert gelungen ist, diese beiden Elemente sicher voneinander zu unterscheiden. Man kann zu ihrer Erkennung die Färbung heranziehen, die sie einer Gasflamme erteilen: Natrium färbt gelb, Kalium violett. Das 1817 entdeckte Lithium ist wesentlich seltener; es färbt die Flamme rot. Ganz selten sind die von B u n s e n auf Grund ihrer Spektren (vgl. auch S. 34) entdeckten und rein dargestellten Elemente Rubidium und Caesium, die nach ihren charakteristischen roten bzw. himmelblauen Spektrallinien benannt sind.

Die Alkalimetalle sind sämtlich L e i c h t m e t a l l e . Da sie außerordentlich u n e d e l sind, kommen sie in der Natur niemals frei vor, sondern nur als Verbindungen. Bei der Kristallisation des Erdmagmas haben sie sich in den die Erdoberfläche bildenden (vgl. dazu S. 120) Silicaten (z. B. Feldspäten und Glimmern) angesammelt. Bei der Verwitterung des Urgesteins werden sie, da ihre Salze durchweg leicht löslich sind, herausgewaschen und durch die Flüsse dem Meere zugeführt. Während in den Urgesteinen beide Elemente etwa in gleicher Menge vorkommen, findet sich im Meere sehr viel mehr Natrium als Kalium. Es liegt dies daran, daß beim Durchgang des Wassers durch den Boden die K+-Ionen von den Bodenkolloiden viel stärker adsorbiert werden als die Nationen. Das ist wichtig, da die Pflanzen mehr Kalium als Natrium benötigen.

Trocknet ein Meeresteil infolge besonderer Umstände ein, so kristallisieren die gelösten Salze aus, und zwar die schwerer löslichen Natrium-Salze eher als die meist sehr leicht löslichen Kalium- (und Magnesium-)Salze. Die letzteren finden sich daher in den obersten Schichten. Meist werden diese vom Regen usw. wieder weggewaschen, so daß die als Dünge9*

132

XXVI. Alkalimetalle

mittel (vgl. S. 99) sehr wertvollen Kalisalze verlorengehen. Nur in seltenen Fällen bildet sich auf der obersten Salzschicht schnell eine wasserundurchlässige Tondecke, die die Kalisalze vor dem Auswaschen schützt. Das ist in Mitteldeutschland und im Elsaß der Fall gewesen, wo sich auf dem Steinsalz wertvolle Kalisalzlager finden; Kalisalze werden von Deutschland in erheblichem Umfange exportiert. Die Elemente. Die freien Alkalimetalle kann man aus wässerigen Lösungen nicht gewinnen, da sie sich mit Wasser sofort unter Bildung von Wasserstoff und Alkalilauge umsetzen: 2Na + 2H 2 0 = 2NaOH + H2. Diese Umsetzung ist bei den höheren Alkalimetallen (Kalium, Rubidium, Caesium) besonders heftig. Hier wird der Wasserstoff infolge der Reaktionswärme sofort entzündet. Bei den leichteren Alkalimetallen (Lithium, Natrium) verläuft die Umsetzung etwas milder. Wegen dieser Reaktionsfähigkeit gegenüber Wasser muß man die Darstellung der Metalle bei Abwesenheit von Wasser durchführen. Z. B. kann man nach D a v y (1778—1829) eine Schmelze von NaOH elektrolysieren. Dabei bildet sich an der Kathode Natrium-Metall, an der Anode werden OH~Ionen zu Sauerstoff und Wasser entladen: 40H~ = 0 2 + 2H 2 0 + 49. Der Nachteil des Verfahrens liegt darin, daß es schwer ist, die Einwirkung des anodisch entstehenden Wassers auf das Metall ganz zu vermeiden. Trotzdem benutzte man dieses Verfahren früher nahezu ausschließlich; denn man kann so bei relativ niedrigen Temperaturen arbeiten, da NaOH schon dicht oberhalb 300° schmilzt. Heute elektrolysiert man ein geschmolzenes Gemisch von NaCl und CaCl2; reine NaCl-Schmelzen sind nicht verwendbar, da NaCl erst bei 800° schmilzt, nur etwa 80° unter dem Siedepunkt von Natrium-Metall; außerdem lösen sich bei höheren Temperaturen die Alkalimetalle in den geschmolzenen Alkalimetallchloriden.

Die Alkalimetalle sind mit Ausnahme des messinggelben Caesiums im reinen Zustande silberglänzend; sie bedecken sich jedoch an der Luft schnell mit einer Schicht von Hydroxyd und Carbonat. Über einige Eigenschaften gibt die nach-

XXVI. Alkalimetalle

133

folgende Übersicht Auskunft. Wie man sieht, sind die Anfangsglieder Lithium, Natrium und Kalium leichter als Wasser, Lithium schwimmt sogar auf Petroleum. Die Schmelzpunkte Dichte bei 20° \ Schmelzpunkt 1 ) Lithium Natrium Kalium Rubidium . . . Caesium

0,03 0,97 0,86 1,53 1,89

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17!)» 97,8° 63.6° 38,8° 28,6°

Siedepunkt 1 ) 1336° 883° 760° 696° 670°

liegen recht niedrig, bei den höheren Elementen dicht über Zimmertemperatur; eine Legierung aus Natrium und Kalium ist sogar bei Zimmertemperatur flüssig (vgl. dazu S. 166 ff.). Die Schmelzpunkte und Siedepunkte fallen vom Lithium zum Rubidium ziemlich gleichmäßig ab; zwischen den beiden schwersten Alkalimetallen sind keine nennenswerten Unterschiede mehr. Verbindungen. In V e r b i n d u n g e n treten die Alkalimetalle stets als einfach positiv geladene Ionen auf, wie es ja aus dem Atombau ohne weiteres folgt. Bei einigen Verbindungen könnte es allerdings so scheinen, als ob höhere Wertigkeiten vorliegen; so entstehen z.B. bei der Verbrennung in Sauerstoff folgende O x y d e : Li 2 0 Na 2 0 2 K0 2 Rb0 2 Cs02. Aber auch bei diesen Verbindungen sind die Alkalimetalle einwertig. Der Überschuß an Sauerstoff gegenüber der Formel MeaO kommt daher, daß sich komplexe Anionen (Og wie im H 2 0 2 bzw. das sonst nicht bekannte 01~) bilden. Daß die H y d r o x y d e durch Einwirkung der Metalle auf Wasser entstehen, wurde schon erwähnt. Dieser Weg ist aber für technische Zwecke viel zu teuer. Man gewinnt sie vielmehr entweder durch Elektrolyse wässeriger Chloridlösungen oder durch Umsetzung von Alkalicarbonaten mit Calciumhydroxyd. Das zweite, heute weniger oft verwendete 1

) In Celsiusgraden.

134

XXVI. Alkalimetalle

Verfahren ist das ältere. Es beruht darauf, daß sich bei der Reaktion Na 2 C0 3 + Ca(OH) 2 = 2NaOH + CaC0 3 unlösliches Calciumcarbonat ausscheidet. Diese Bildung eines unlöslichen Stoffes bewirkt, daß — entgegen der für homogene Reaktionen geltenden Regeln — die schwächere Base (Ca(OH) 2 ) die starke (NaOH) aus ihren Salzen austreibt (vgl. dazu auch S. 94). Bei der E l e k t r o l y s e von NaCl- oder KCl-Lösungen scheidet sich, wie S. 49 schon erwähnt, an der Anode Chlor ab, an der Kathode dagegen nicht das Alkalimetall, sondern Wasserstoff. Es liegt dies daran, daß — wie schon die Umsetzung von Alkalimetallen mit Wasser zeigt — die infolge der Dissoziation des Wassers in sehr geringer Konzentration vorhandenen H + -Ionen ihre positive Ladung weniger fest halten als die N a + - bzw. K + -Ionen und daher leichter entladen werden (vgl. auch Kap. X X I X ) . Es bleiben daher bei der Elektrolyse in der Lösung neben den von dem Chlorid her vorhandenen Alkalimetall-Ionen die der abgeschiedenen WasserstoSmenge entsprechenden OH"-Ionen zurück; in der Nähe der Kathode findet man daher alkalische Reaktion. Beim Eindampfen der Kathodenflüssigkeit fällt erst das noch nicht verbrauchte Chlorid aus; erst beim nahezu völligen Verdampfen des Wassers gewinnt man das äußerst leicht lösliche Hydroxyd bzw. sein Hydrat in fester Form. Bei derartigen Elektrolysen besteht eine prinzipielle Schwierigkeit. Chlorgas gibt nach S. 68/69 mitLaugen Hypochlorit (bzw. in der Wärme Chlorat) und Chlorid. Will man also die Laugen gewinnen, so muß man es verhindern, daß OH~-Ionen mit dem anodisch entstehenden Chlor zusammenkommen. Das ist um so schwieriger, als die OH~-Ionen sich als Anionen nach der positiv geladenen Anode hin bewegen, und zwar ziemlich schnell, da sie — ebenso wie die H + -Ionen — in Lösungen besonders leicht beweglich sind. Man kann das störende Auftreten der OH~-Ionen im Anodenraum dadurch erschweren, daß man eine Scheidewand (..Diaphragma") zwischen die beiden Elektroden bringt, die zwar so viel Ionen durchläßt, wie zur Stromleitung erforder-

XXVI. Alkalimetalle

135

lieh sind, aber eine mechanische Vermischung verhindert. Oder aber man setzt die Anode über die Kathode und läßt nun langsam frische Chloridlösung von oben zutreten, die fertige Lauge unten abfließen, so daß die Flüssigkeitsströmung der Wanderung der OH~-Ionen entgegenwirkt. Für dieses Verfahren ist es günstig, daß die Laugen spezifisch schwerer sind als die Chloridlösungen. Bei den sogenannten Billiter-Zellen sind beide Arbeitsweisen vereinigt. — Wirkliche Metallabseheidung erhält man bei Verwendung von Q u e c k s i l b e r k a t h o d e n , weil sich die Alkalimetalle mit diesem Metall unter großer Energieabgabe zu „Amalgamen" vereinigen, so daß die Arbeit, die dei elektrische Strom für die Abscheidung des Alkalimetalls zu leisten hat, verringert wird 1 ). Durch elektrolytische Zersetzung dieser Amalgame mit Wasser in einer zweiten Zelle erhält man von vornherein chloridfreie Laugenlösungen. Dieses Verfahren, bei dessen Durchführung große Schwierigkeiten zu überwinden waren, hat in den letzten Jahrzehnten die anderen Verfahren weitgehend verdrängt. Die S a l z e der Alkalimetalle sind, wie bereits erwähnt, fast alle leicht in Wasser löslich. Damit hängt zusammen, daß sie aus wässerigen Lösungen meist kristallwasserhaltig auskristallisieren und daß viele von ihnen an der Luft Feuchtigkeit anziehen und zerfließlich („hygroskopisch") sind. Das gilt vor allem von vielen Lithium-Salzen. Kristallwasserfrei kristallisiert ein Teil der H a l o g e n i d e, z. B. Kochsalz (NaCl) 2 ). Besonders wichtig sind die C a r b o n a t e . Man gewann sie früher durch Auslaugen von Pflanzenaschen mit Wasser. Ging man dabei von Landpflanzen aus, so erhielt man im wesentlichen KjCOg (Pottasche), während Seepflanzenasche außerdem viel Na 2 C0 3 (Soda) enthält. Der steigende Bedarf der Industrie für S o d a zwang dazu, sie aus Kochsalz, dem leichtest zugänglichen Natriumsalz, herzustellen. Das ältere Verfahren von L e b l a n c ist durch die nachstehenden Gleichungen charakterisiert: 1.) 2 NaCl + H 2 S 0 4 = N a 2 S 0 4 + 2 HCl; 2.) Na 2 SQ 4 + 2 C = Na 2 S + 2 C0 2 ; 3.) Na 2 S + CaC0 3 = ') Außerdem ist die Abscheidung des Wasserstoffs erschwert, weil Genauer, deren Aktivität gleich 1 ist.

160

X X X . Die Übergangselemente

geht schon aus den Wertigkeitsverhältnissen hervor. Während z. B. in der 3. Periode sowohl die Elemente Kalium bis Titan als auch Arsen bis Brom durchaus die der Gruppenzahl entsprechenden Ionen bilden, ist das bei den Übergangselementen nicht immer der Fall. So findet sich bei den Elementen V a n a d i n bis Mangan die der Gruppenzahl entsprechende Oxydationsstufe nur noch in wenigen Verbindungen, vorzugsweise in Salzen von Sauerstoffsäuren, z. B. den farblosen Vanadaten Me I VO s , den gelben Chromaten Me^CrC^ bzw. den gelbroten Dichromaten Me^C^O, und den fast schwarzen, in Lösungen dunkelroten Permanganaten Me I Mn0 4 . Mit der zunehmenden Farbtiefe geht eine Abnahme der Beständigkeit parallel: Chromate (man beachte den Gegensatz zu den beständigen farblosen Sulfaten!) und Permanganate sind starke, viel benutzte Oxydationsmittel, weil sie leicht in einen niederwertigen Zustand übergehen. Im Laboratorium benutzt man meist die kristallwasserfrei kristallisierenden Kaliumsalze:. K 2 Cr0 4 bzw. K 2 Cr 2 0 7 und KMn0 4 , in der Technik die billigeren Natriumsalze. Noch unbeständiger als die genannten Salze sind die Oxyde: das hellrotbraune V 2 0 6 , das dunkelrote Cr0 3 und das leicht explosionsartig zerfallende Mn 2 0 7 . Die größere Beständigkeit der Sauerstoffsalze hängt damit zusammen, daß bei ihnen Komplexionen (z. B. (VOa) 1 -, (Cr0 4 ) 2 - usw.; vgl. S. 64) vorliegen und daß durch die K o m p l e x b i l d u n g eine S t a b i l i s i e r u n g bewirkt wird. Es ist dies von allgemeiner Bedeutung. So gibt es, wie wir S. 150 sahen, Cu J 2 nicht, wohl aber kennt man Ammoniakate des CuJ,. Ähnlich ist es beim Kobalt; hier kennt man mit Ausnahme des Trifluorides keine Trihalogenide, wohl aber zahlreiche Komplexverbindungen dieser Stoffe, so z. B. [Co(NH 3 ) 6 ]C1 3 .

In dem Maße, wie die Beständigkeit der höchsten Verbindungsstufe abnimmt, findet man beständige Verbindungen n i e d e r e r Stufe; ganz allgemein kann man sagen, daß alle Elemente der Übergangsgruppen eine große Mannigfaltigkeit Von Verbindungsstufen aufweisen. So kommt V a n a d i n in den Oxydationsstufen 5,4, 3, 2 und in bestimmten Kom-

XXX. Die Obergangselemente

161

plexVerbindungen 1, 0 und 1— vor. Beim Chrom, dessen wichtigstesVorkommen der Chromeisenstein FeO • Cr 2 0 3 (vgl. S. 143) ist, kennt man außer den 6 wertigen Verbindungen solche mit den Oxydationsstufen 0 , 1 , 2 , 4 und 5 sowie die besonders beständigen, meist grün aussehenden Chrom(III)-verbindungen. Diese bilden sich daher auch in den Fällen, in denen Chromate o der Dichromate als Oxydationsmittel wirken; z. B. gemäß der Gleichung: C r 2 0 ^ + 6 J " + 1 4 H + = 2 Cr*+ + 3 J 2 + 7H 2 0. Die beiden Cr6+-Teilchen des Cr20* haben je 3 Elektronen aufgenommen, die von den 6 J~-Ionen geliefert sind. — Besonders reichhaltig ist die Chemie des Mangans; hier sind alle Oxydationsstufen von 1— bis 7 -f- vorhanden. Wir nennen die nahezu farblosen, recht beständigen Mangan(II)salze, die den Magnesiumsalzen sehr ähnlich sind, ferner als Vertreter der 4. Stufe den Braunstein (Mn02), das wichtigste Manganmineral, sowie schließlich die grünen, unbeständigen Manganate (z. B. K2Mn04) mit 6wertigem Mangan. In saurer Lösung ist die 2wertige, in alkalischem Medium die 4wertige Stufe besonders beständig. Dementsprechend wird Permanganat durch oxydierbare Substanzen in saurer Lösung zum Mangan(II)-salz, in alkalischer dagegen nur zum Mn0 2 reduziert. Beim E i s e n , K o b a l t und Nickel nimmt die Höchstwertigkeit schnell ab. E i s e n besitzt maximal die Oxydationsstufe 6 und auch das nur in wenig beständigen Verbindungen (den Ferraten(VI),z.B.BaFe0 4 ); meist ist es 3wertig (Eisen(III)-salze sind braun) oder 2wertig (Eisen-(Il)-salze sind in Lösungen grünlich). Von Komplexen seien das gelbe und rote Blutlaugensalz K ^ F e ^ C N ) , ] undK 3 [Fe m (CN) 6 ] genannt. Beim K o b a l t findet man bei einfachen Verbindungen in der Regel die Oxydationsstufe 2; dagegen ist es in Komplexsalzen, z.B. in den schon genannten Ammoniakaten oder im K3[Co(CN6)], meist 3wertig. Beim Nickel schließlich findet man ganz überwiegend 2 wertige Verbindungen; die Lösungen und Hydrate der einfachen Salze sind grün. Auch K u p f e r tritt, wie beschrieben, meist 2wertig K l e m m , Anorganische Chemie

11

162

XXX. Die Übergangselemente

auf, daneben bildet es aber auch die der Gruppenzahl entsprechenden Kupfer(I)-salze. Vom Z i n k an wird das Verhalten wieder regelmäßiger (vgl. Kap. XXVIII). Ähnlich ist der Verlauf in den a n d e r e n g r o ß e n P e r i o d e n , nur findet sich hier der Abfall der Oxydationsstufen erst später. So ist Mo0 3 noch sehr beständig, man kennt sogar noch Ru0 4 . Erst dann nehmen die Wertigkeiten ab; das höchste Rhodiumoxyd ist Rh0 2 , und Pd0 2 kommt nur noch wasserhaltig, d. h. in einer durch Hydratbildung stabilisierten Form (vgl. S. 160) vor. In der 6. Periode sind Re 2 0 7 und 0 s 0 4 recht beständige Verbindungen. Die höchsten Fluoride sind ReF 6 , OsF6 und IrF 6 , während Platin nur noch ein Tetrafluorid bildet. Die Ubersicht über die Oxydationsstufen wird durch folgende R e g e l n erleichtert: Bei den Elementen der a-Gruppen (über die b-Gruppen vgl. S. 148) nimmt die Neigung zur Bildung höherer Verbindungen in jeder Gruppe in der Regel mit steigendem Atomgewicht zu. Sind bei einem Element Verbindungen hoher Wertigkeit stabil, so sind Verbindungen niederer Wertigkeit unbeständig oder fehlen ganz und umgekehrt. Die höchsten Oxydationsstufen findet man in Oxyden, Fluoriden und in komplexen Verbindungen; in der Reihenfolge Fluorid, Chlorid, Bromid, Jodid nimmt bei einem einzelnen Element die Tendenz zur Erreichung hoher Wertigkeiten ab, wie die Reihen der höchsten Halogenverbindungen des Vanadins: VFS, VC1„ VBr3, VJ 3 bzw. des Molybdäns: MoF„ MoOl,, MoBr4 und MoJ 2 zeigen 1 ). Die Bedeutung der Gruppe der Übergangselemente für die Praxis ist vor allem in den Eigenschaften der E l e m e n t e selbst begründet. Das Eisen ist das wichtigste Gebrauchsmetall. Über das technische Eisen vgl. Kap. X X X I I . Viele der anderen Metalle benutzt man, weil sie als Zusatz zum Eisen diesem für spezielle Verwendungszwecke besonders wertvolle Eigenschaften verleihen; genannt seien Titan, Vanadin, Chrom, Molybdän, Wolfram, Nickel. Aber auch sonst werden die Metalle viel verwendet, sei es wegen ihres edlen Charakters (wie z. B. die „Platinmetalle" Ruthenium, Rhodium, Palladium und Osmium, Iridium, Platin), sei es wegen ') Bei den Chalkogenlden, Nitriden, Phosphiden, Carblden usw., die vielfach schon metallischen Charakter besitzen, sind die Verhältnisse meist verwickelter.

X X X I . Tensions- und thermische Analyse

163

ihres hohen Schmelzpunktes. Z. B. wird das erst bei 3400° schmelzende Wolfram für Glühlampenfäden benutzt. Daß viele dieser Metalle gute katalytische Eigenschaften haben, ist uns vom Platin her schon bekannt. Auch manche Verbindungen sind katalytisch wirksam, z. B. die Eisenoxyde. Wichtig ist ferner, daß sich hier die einzigen ferromagnetischen Elemente finden, die technische Bedeutung besitzen, nämlich Eisen, Kobalt und Nickel 1 ). Auch einzelne Verbindungen sind ferromagnetisch, z. B. der Magnetit F e 3 0 4 ( = FeO • Fe 2 O s , vgl. S. 143) und der Magnetkies, der etwa die Zusammensetzung FeS 1>12 besitzt 2 ). Die meisten anderen Verbindungen dieser Gruppe sind paramagnetisch, d. h . s i e werden zwar ebenso wie ferromagnetische Stoffe in ein inhomogenes Magnetfeld hineingezogen, aber in sehr viel schwächerem Maße 3 ).

Auch die V e r b i n d u n g e n werden vielfach verwendet. Daß man Chromate (bzw. Dichromate) und Permanganate als Oxydationsmittel benutzt, wurde schon erwähnt. Manche Verbindungen benutzt man als Pigmentfarben, so z.B. die gelben Chromate, das grüne Cr 2 0 3 , das je nach den Darstellungsbedingungen verschiedene rote Farbnuancen aufweisende Fe 2 0 3 , das gelbe FeOOH, ferner das Berliner Blau (komplexes Cyanid, das 2- und 3 wertiges Eisen enthält).

XXXI. Tensions- und thermische Analyse

In vielen Fällen ist es sehr leicht festzustellen, ob zwei StoSe eine Verbindung miteinander eingehen oder nicht. So sind z. B Natriummetall, Chlorgas und Kochsalz in allen ihren Eigenschaften so stark voneinander verschieden, daß kein Zweifel herrschen kann, daß Kochsalz eine Verbindung ist. In anderen Fällen ist es nicht so einfach. Schmilzt man z. B. zwei Metalle zusammen, so ist das entstehende Produkt, die Legierung, oft von den Ausgangsstoffen nicht sehr verschieden. ') Auch einige Metalle der Lanthanide (vgl. S. 143) sind ferromagnetisch. •) Hier Ist im FeS-Gitter ein Teil der Fe-Plätze nicht besetzt, während eine entsprechende Anzahl von Fe ,+ -Ionen durch Fe 3+ -Ionen ersetzt ist. Solche Qltter mit „Leerstellen" findet man bei derartigen Verbindungen oft. *) Sonst findet man Paramagnetlsmus fast nur ncch bei den Verbindungen der Lanthanlde (S. 143). 11*

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XXXI. Tensions- und thermische Analyse

Ebenso lassen sich verschiedene Ammoniakate usw. manchmal gar nicht leicht voneinander unterscheiden. Man braucht daher Methoden, um auch in solchen Fällen zu einer eindeutigen Entscheidung darüber zu kommen, ob die Ausgangsstofie eine Verbindung bilden und welche Zusammensetzung diese h a t . Die wichtigsten sind a) die Tensionsanalyse, b) die thermische Analyse und c) die Röntgenaufnahme. Tensionsanalyse. Wir wollen uns die Methode am Beispiel der K u p f e r s u l f a t - H y d r a t e klar machen. Wie jedes Hydrat, so besitzt auch das höchste Hydrat CuS0 4 - 5H 2 0 bei jeder Temperatur einen ganz bestimmten Wasserdampf-Dissoziationsdruck, der ebenso wie der Dampfdruck von Eis oder flüssigem Wasser unabhängig von der Menge des Hydrats ist. Dieser Druck entspricht der Reaktion [CuSO«. 5II 2 0] ^ [CuS0 4 - 3II 2 01 + 2(HaO). Es bildet sich also bei der Zersetzung aus dem Pentahydrat das Trihydrat. Da die beiden Hydrate im festen Zustande nicht miteinander mischbar sind, verändert die Anwesenheit beliebiger Mengen des Trihydrates den Dissoziationsdruck des Pentahydrates nicht. Entzieht man dem Pentahydrat etwas Wasser, etwa durch Abpumpen, so verschwindet ein Teil des Pentahydrates, und es bildet sich die entsprechende Menge Trihydrat; der Wasserdampfdruck des Systems wird aber dadurch nicht geändert, weil ja noch Pentahydrat vorhanden ist. Dies geht so lange, bis man das Wasser bis zur Zusammensetzung CuS0 4 -3H 2 0 entzogen hat. Jetzt ist kein Pentahydrat mehr vorhanden; der Wasserdampfdruck wird daher von nun an durch die Zersetzung des Trihydrates bestimmt. In einem bei konstanter Temperatur 1 ) aufgenommenen DruckZusammensetzungs-Diagramm (vgl. Abb. 12, S. 165) erhält man also für das Gebiet C u S 0 r 5 H 2 0 biaCuS0 4 -3H 2 0 des Bodenkörpers eine Horizontale, weil ja immer derselbe Vorgang den Druck bestimmt. Bei der Zusammensetzung CuS0 4 -3H 2 0 dagegen findet man einen plötzlichen Druckabfall auf den dem CuS0 4 -3H 2 0 entsprechenden Dissoziationsdruck. Bei weiterem Wasserentzug wird sich erst wieder etwas ändern, wenn kein Trihydrat mehr vorhanden ist. Da der Druck bei der Zusammensetzung CuS0 4 -H 2 0 erneut steil abfällt, erkennt man, daß noch ein Monohydrat existiert. Das ge') Neben diesem „ i s o t h e r m e n " Verfahren, bei dem man die Temperatur konstant hält und den Druck in Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Bodenkörpers beobachtet, kann man auch „ l s o b a r " vorgehen und beobachten, welche Temperaturen bei den verschiedenen Zusammensetzungen erforderlich n l , um einen b e a t i m u t e a Düsoziatioasdruck zu erreichen.

XXXI. Tensions- und thermische Analyse

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nannte Beispiel zeigt, wie P//2o man aus dem Verlauf des n mmHg Dissoziationsdruckes in Ab- 60 hängigkeit von der Zusammensetzung der Bodenkörper die im Gleichgewicht beständigenHydrate ermittelnkann. Würde man das genannte System r ö n t g e n o g r a phisch untersuchen, so würde man bei jeder Zusammensetzung, die genau einem Hydrat entpricht, ein 0 IM, ganz bestimmtes Diagramm Oi SO.