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German Pages 292 Year 1979
Jürg Etzensperger Die Wortstellung der deutschen Gegenwartssprache als Forschungsobjekt
w DE
G
Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von
Stefan Sonderegger
15
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1979
Jürg Etzensperger
Die Wortstellung der deutschen Gegenwartssprache als Forschungsobjekt Mit einer kritisch referierenden Bibliographie
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1979
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Etzensperger, Jürg : Die Wortstellung der deutschen Gegenwartssprache als Forschungsobjekt : mit e. krit. referierenden Bibliogr. / Jürg Etzensperger. — Berlin, New York : de Gruyter, 1979. (Studia linguistica Germanica ; 15) I S B N 3-11-007815-5
© Copyright 1979 by Walter de Gruyter & C o . , vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung J.Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J.Trübner - Veit & Comp. Berlin 30 - Printed in Germany - Alle Rechte der Ubersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Druck: Rotaprintdruck Hildebrand, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin
Vorwort Wenn eine wissenschaftliche Arbeit endlich druckreif vorliegt, so ist das fast immer das Verdienst vieler Beteiligter. In der Regel wird aber nur ein einziger, der Autor, auf dem Titelblatt genannt. Anständigerweise pflegt dieser dann wenigstens im Vorwort jenen zu danken, denen er besonders verpflichtet ist, wohl wissend, dass er nicht alle nennen kann, die beigetragen und mitgetragen haben. Ich habe in besonderem Masse Herrn Professor Dr. Stefan Sonderegger zu danken für das, was er mir als Hochschullehrer vermittelt hat, für die umsichtige Teilnahme an dieser Arbeit, für die angenehme und bereichernde Zusammenarbeit während meiner fast neunjährigen Tätigkeit als sein Assistent und für die damit verbundene persönliche Begegnung. Mein herzlicher Dank gilt auch allen meinen Freunden und Arbeitskollegen am Deutschen Seminar der Universität Zürich sowie meinen Eltern.
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Einleitung
1
Zur bibliographischen Situation
4
Zur Darstellung
6
ERSTER TEIL Die Anfänge der deutschen Wortstellungsforschung
11
Die Zeit vor Jacob Grimm
11
Von Grimm bis Behaghel
12
Behaghels Syntax
18
Ansätze zu vertiefter Syntaxforschung im 20. Jahrhundert
26
Erich Drach
28
Karl Boost
52
Wortstellung und Mitteilungswert
73
Die generativ-transformationelle Grammatik
94
Das Grammatikmodell der ersten Phase
95
Die Behandlung der Wortstellung in der ersten Phase
98
Das revidierte Grammatikmodell (2. Phase)
111
Die Behandlung der Wortstellung in der zweiten Phase
114
Wortstellung und generative Textgrammatik
119
Der Beitrag der generativ-transformationellen Grammatik zur Wortstellungsforschung
121
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
123
Rückblick und Ausblick
142
Literaturverzeichnis (zum 1. Teil)
145
ZWEITER TEIL Kritisch referierende Bibliographie
153
Einleitung Dieser Forschungsbericht befasst sich mit der Wortstellung in der geschriebenen deutschen Standardsprache der Gegenwart. Der Begriff 'Wortstellung' soll, wie meist üblich, als Oberbegriff für die Anordnung von Wörtern und grösseren Einheiten der grammatischen Beschreibung aufgefasst werden; Wortstellung umfasst also neben der eigentlichen WortStellung die Gliedteil-, Glied- und Satzstellung. In einer Wortstellungsgrammatik müsste der Umfang des beschriebenen sprachlichen Systems genau definiert werden, in einem Forschungsbericht glaube ich mich mit der intuitiven Abgrenzung der Objektsprache 'geschriebene deutsche Standardsprache der Gegenwart' und des grammatischen Bereichs 'Wortstellung' begnügen zu dürfen. Präzisierend sei nur beigefügt, dass ich unter Gegenwartssprache etwa die Sprache im 20. Jahrhundert verstehe. Einer kurzen Begründung bedarf vielleicht noch die Beschränkung auf die geschriebene Standardsprache. Wichtigstes Ziel der deutschen Wortstellungsforschung muss es sein, die grundlegenden Steuerungsmechanismen für die lineare Ordnung sprachlicher Zeichen zu erfassen. Das geschieht am besten vorerst bei der geschriebenen Standardsprache. Es ist nämlich nicht anzunehmen, dass in der gesprochenen Sprache bzw. in regional gebundenen Sprachformen
(Mundarten,
Umgangssprachen), die übrigens ganz überwiegend der Sprechsprache zuzuordnen sind, grundsätzlich andere Stellungsregeln gelten. Mindestens für den Bereich der Syntax''" lässt 1
Andere Verhältnisse liegen sicher im lexikalischen, im phonologischen und im morphologischen Bereich vor.
2
Einleitung
sich wohl behaupten, dass gesprochener und geschriebener Sprache, Standardsprache und regionalen Sprachformen nicht ganz verschiedene grammatische Systeme zugrundeliegen, sondern dass vielmehr die vom Sprachsystem gebotenen Möglichkeiten anders genutzt werden: Häufigkeitsunterschiede bei der Verwendung bestimmter syntaktischer Muster, Performanzerscheinungen der gesprochenen Sprache. Beschränkt man sich vorerst auf die Wortstellung der geschriebenen Standardsprache, wie das die deutsche Wortstellungsforschung mit gutem Grund bisher vorzugsweise getan hat, so erfasst man jenen Bereich, der als Modell für die topologische Beschreibung anderer - und nicht grundsätzlich abweichender deutscher Sprachformen dienen kann. Arbeiten, die den hier abgegrenzten Bereich sprengen, sind vereinzelt trotzdem berücksichtigt worden, wenn sie mir methodisch oder forschungsgeschichtlich besonders interessant erschienen. Diese Auswahl ist notgedrungen subjektiv. Je intensiver man sich mit der Wortstellung befasst, desto deutlicher wird, wie viel grammatische, ja aussersprachliche Bereiche sich mit ihr berühren. Da ich nicht die ganze syntaktische oder linguistische Forschungsliteratur berücksichtigen konnte, musste ich irgendwo eine Grenze ziehen. Wo diese Grenze liegen soll, ist Ermessenssache. Alle erwähnten Publikationen habe ich direkt eingesehen. Auf die Autopsie bibliographisch erfasster Titel zu verzichten, ist sogar dann leichtsinnig, wenn man nur eine anzeigende (d.h. unkommentierte) Bibliographie zusammenstellen wollte. Bei meiner Arbeit bin ich nämlich auch "PhantomPublikationen" begegnet, die immer wieder zitiert werden, obwohl sie nie erschienen sind. Und mehr als einmal habe ich in Literaturverzeichnissen und Anmerkungen Hinweise auf Publikationen gefunden, die nicht das geringste mit Wortstellung zu tun hatten, die aber wohl ihres irreführenden
Einleitung Titels
3
wegen genannt wurden, was sich eben nur durch Au-
topsie vermeiden lässt. Meine Darstellung erhebt nicht den Anspruch, eine wohlausgewogene einheitlich konzipierte Uebersicht über die deutsche Wortstellungsforschung zu geben. Sie ist nicht mehr als eine vorläufige Zusammenstellung. Das vordringlichste Ziel war die bibliographische Erschliessung der einschlägigen Literatur. In meinen Kommentaren habe ich das Hauptgewicht auf die referierende Wiedergabe gelegt, wobei ich von Fall zu Fall kritische Anmerkungen und Erläuterungen beigefügt habe. Wichtig waren mir besonders Hinweise auf explizite und häufig implizite Voraussetzungen, auf Inkonsequenzen, Mängel und Unklarheiten und eine Beurteilung des Geltungsbereichs der Ergebnisse. Meine Terminologie ist nicht einheitlich. Terminologisch folge ich jeweils meistens den besprochenen Autoren, wobei ich die Termini wenn nötig erläutere. Gerade in der neueren Linguistik besteht in terminologischen Belangen eine grössere Divergenz als früher, weil die Theorien noch im Entwicklungsstadium stehen. Ich habe mich deshalb bemüht, unterschiedliche theoretische Voraussetzungen und terminologische Festsetzungen deutlich herauszuarbeiten. Man gelangt leicht zu Fehlschlüssen, wenn man sich nur kurz informieren will, was irgendein Autor zu einem bestimmten Wortstellungsproblem geschrieben hat. Deshalb betrachte ich es als wichtige Aufgabe eines Forschungsberichts, den theoretischen Hintergrund und die persönliche Fachsprache eines Autors klarzulegen, die oft aus anderen Publikationen, die direkt nichts mehr mit Wortstellung zu tun haben, erarbeitet werden müssen.
2
Zum Beispiel: Horst Renicke: Inversion beim neuhochdeutschen Komparativ. In: Zs. für deutsche Philologie 74 (1955), S. 68-76. Björn Carlberg: Subjektsvertauschung und Objektsvertauschung im Deutschen. Eine semasiologische Studie. Lund: Berlingska Boktryckereit 1948. [Diss. Stockholm 1948.]
4
Einleitung Im ersten Teil meiner Arbeit betrachte ich die deutsche
Wortstellungsforschung unter forschungsgeschichtlichen und methodischen Gesichtspunkten, wobei ich einige Autoren exemplarisch ausführlicher bespreche. Im zweiten Teil werden die übrigen Publikationen in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt, und ihr Inhalt wird je nach Bedeutung mehr oder weniger ausführlich wiedergegeben und kritisch kommentiert. Meine Arbeit will nicht mehr sein als eine vorläufige Zusammenstellung der bisherigen Forschung. Es wäre zu wünschen, dass sie als brauchbare Uebersicht über das bisher Geleistete der Weiterentwicklung der deutschen Wortstellungsforschung wird dienen können. Als vorläufig noch weit entferntes Ziel dieser Forschung sehe ich die Darstellung der Regelung der Wortstellung in deutschen Texten mit einem kohärenten Beschreibungsapparat.
Zur bibliographischen Situation Ich hatte meine Arbeit in Angriff genommen und zum grösseren Teil fertiggestellt, als der Forschungsbereich der deutschen Wortstellung bibliographisch noch völlig unerschlossen war. Das war umso schwerwiegender, als fast alle Untersuchungen zu diesem Thema unselbständig erschienen sind und somit über die Bibliothekskataloge nicht erfassbar waren. Als einziges bibliographisches Hilfsmittel existierte die (ihrerseits unselbständig erschienene) Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung von Ernst Schwentner und Friedrich Maurer, die für die Befürfnisse der deutschen Wortstellungsforschung
(zumal der gegenwarts-
sprachlichen) nicht einmal als Ansatz genügen konnte.
Zur bibliographischen Situation
5
Schwentner, Ernst: Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung 1823-1923. - In: Wörter und Sachen 8 (1923), S. 179-183. Schwentner, Ernst: Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung 1823-1923 . Bibliographie der Jahre 1924-1925. - In: Wörter und Sachen 9 (1926), S. 194-195. Maurer, F[riedrich]: Zur Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung. - In: Wörter und Sachen 9 (1926), S. 195-196. Schwentner, Ernst: Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung < Fortsetzung >. Bibliographie der Jahre 1926-1936. - In: Wörter und Sachen 19 (N.F. 1) (1938) , S. 160-163. Schwentner, Ernst: Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung < Fortsetzung >. Bibliographie der Jahre 1937-1947. - In: Zs. f. vgl. Sprachforschung N.F. 70 (1952), S. 122-124. Schwentner, Ernst: Bibliographie zur indogermanischen Wortstellung < Fortsetzung >. Bibliographie der Jahre 1948-1955. - In: Zs. f. vgl. Sprachforschung 81 (1967), S. 159-160. Inzwischen hat sich die Lage allerdings insofern verändert, als 1973 eine Wortstellungsbibliographie von Uta Gosewitz erschienen ist. Gosewitz, Uta: Wort- und Satzgliedstellung. Eine Bibliographie < in Auswahl >. - (Hildesheim: Olms 1973.) (= Germanistische Linguistik. 1973 H. 3.) 142 S. Diese Bibliographie enthält 1281 Publikationen zur Wortstellung im gegenwärtigen Standarddeutsch, in andern Sprachen - sofern sie für die Theorie und Deskription sowie für die methodische Behandlung sprachlicher Linearitätsstrukturen von Bedeutung sind - sowie Arbeiten zu linguistischen Teilproblemen, die Fragen der Linearitätsstruktur implizieren. Die bibliographische Lücke in der deutschen Wortstellungsforschung scheint damit mehr als nur geschlossen worden zu sein. Doch da die Bibliographie von
6
Einleitung
Uta Gosewitz überhaupt nicht kommentiert ist, vermag sie der deutschen Wortstellungsforschung kaum im gewünschten Mass neue Impulse zu vermitteln. Denn wer will sich schon über tausend Publikationen beschaffen, nur um festzustellen, was für seine Fragestellung allenfalls ergiebig sein könnte? Allein die Titel der aufgenommenen Veröffentlichungen sind dazu viel zu wenig aussagekräftig. Das kann nur eine annotierte Bibliographie oder ein Forschungsbericht leisten.
Zur Darstellung In meiner Arbeit wird jedes Werk mit allen bibliographischen Angaben aufgeführt, wenn es zum erstenmal im Text des ersten Teils erwähnt wird. In allen andern Fällen wird nur ein Kurztitel, bestehend aus Autorname und Haupttitel, aufgeführt. (Ich weiss sehr wohl, dass heute andere Verfahren der gekürzten Titelangabe üblich sind, doch scheint mir das von mir hier angewendete wesentlich leserfreundlicher zu sein.) Der Belegort eines Zitats wird mit dem Kurztitel und der Seitenzahl angegeben; im zweiten Teil steht nur eine Seitenzahl ohne Kurztitel, wenn das Zitat aus der besprochenen Publikation, die im Titel bibliographisch vollständig genannt ist, stammt. Querverweise in meiner eigenen Arbeit tragen vor der Seitenzahl immer die Angabe 'oben' bzw. 'unten', Seitenangaben ohne diesen Hinweis beziehen sich also immer auf das besprochene Werk. Im zweiten Teil, der kommentierten Wortstellungsbibliographie, sind die Publikationen alphabetisch geordnet, bei mehreren Publikationen desselben Autors richtet sich die Reihenfolge nach dem Titel. Als Alphabetisierungsprinzip für Sachtitel verwende ich die 'Ordnung nach der gegebenen Wortfolge'; ist das erste Wort ein bestimmter oder unbe-
Zur Darstellung
7
stimmter Artikel, so wird es nicht berücksichtigt. Unter der vollständigen bibliographischen Angabe steht in der Regel der Kommentar. Ist die Publikation im ersten Teil ausführlich besprochen worden, so wird statt dessen auf die entsprechenden Seiten verwiesen.
ERSTER T E I L
Die Anfänge der deutschen
Wortstellungsforschung
Entsprechend der thematischen Beschränkung meiner
Arbeit
auf die Untersuchung der neuhochdeutschen Wortstellung
mit
dem Schwergewicht auf der Sprache d e s 20. Jahrhunderts und unter Ausschluss der vorwiegend diachronisch
orientierten
Arbeiten begnüge ich mich im ersten Teil dieses
Kapitels
mit einem bibliographischen Hinweis, im zweiten Teil mit einem knappen Abriss.
Die Zeit vor Jacob Grimm
Die Lehre von der Wortstellung wird erst seit dem
Ende
des 17. Jahrhunderts zusammenfassend behandelt, zum ersten Mal 1691 von Kaspar S t i e l e r I m
übrigen verweise ich für
diese noch ganz normativ ausgerichtete Periode auf Ueberblick in seiner "Geschichte der 2 Grammatik" .
Jellineks
neuhochdeutschen
1
Stieler Kaspar: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz. (Fotomech. Nachdr. d. Ausg. Nürnberg: Hoffmann 1691.) Mit einem Nachwort von Stefan Sonderegger. T. 1-3. - München: Kösel (1968). (Stieler, Kaspar: Gesammelte Schriften in Einzelausgaben.) (Deutsche Barock-Literatur.) Wortstellung: [T. 3 des Nachdrucks], "Kurze Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst" , Kap. 24 ("Von der Wortfügung ingemein und der allgemeinen Fügordnung besonders / De Syntaxi in genere, deqve generali Verborum constructione"), S. 195-212. Vgl. dazu auch T. 3, Nachwort, S. 15-16.
2
Jellinek, Hermann: Geschichte den Anfängen bis auf Adelung. 1913-1914. (= Germanische Bibliothek, 2. § 563-578: Wortstellung. Von § 579-598: Wortstellung. Die
der neuhochdeutschen Grammatik, von Halbband 1-2. - Heidelberg: Winter Abt., Bd. 7.) der natürlichen Wortfolge. deutschen Grammatiker.
Von Grimm bis Behaghel Die im engeren Sinn wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache beginnt im 19. Jahrhundert, für das Deutsche mit Jacob Grimms Grammatik. Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft sowohl im Bereich der Grammatik wie der Sprachtheorie. Im letzten Drittel des Jahrhunderts fanden durch die Junggrammatiker vermehrt naturwissenschaftliche Methoden Eingang in die Linguistik. Das analytisch-kritische Denken löste das synthetisch-schöpferische ab. Gemeinsam war beiden Richtungen das beherrschende historische Prinzip, mindestens als grundlegender Darstellungsrahmen. Im deutschen Sprachraum behauptete die junggrammatische Schule weit über die Jahrhundertwende hinaus, bis in die Dreissigerjähre, ihre dominierende Rolle. Das Schwergewicht der junggrammatischen Forschung lag bei den Lauten und Formen, während die Syntaxforschung ein eher kümmerliches Dasein fristete. Bei der Aufarbeitung des Materials aus den historischen Quellen wurden auch Wortstellungsphänomene mit erfasst, doch interessierte die Gegenwartssprache nur insoweit, als sie Zielpunkt einer historischen Entwicklung war. Ich beschränke mich deshalb für diese Periode mit einem Ueberblick über die Behandlung der Wortstellung in einigen zusammenfassenden Darstellungen der deutschen Syntax; einzig Behaghels Syntax soll etwas ausführlicher besprochen werden. Einzelne Abhandlungen sind, soweit sie nicht nur oder ganz überwiegend historische ausgerichtet sind, in der Bibliographie erwähnt und kommentiert.
Von Grimm bis Behaghel
13
Die Wortstellung ist in Jacob Grimms Grammatik nicht im Zusammenhang dargestellt worden, einzelne Hinweise findet man verstreut im 4. Buch (Syntax) der "Deutschen Grammatik". Die "Wortfolge" hätte nach Grimms Absicht den fünften und 3 letzten Teil des Werks bilden sollen. Roethe hat im Anhang des neuen Abdruckes der Grammatik die Materialsammlung zur 4 Wortstellung aus Grimms Nachlass veröffentlicht. Dieser Abschnitt besteht aus einer Beispielsammlung, eingeordnet unter einige grob klassifizierende Ueberschriften. Die zusammengetragenen historischen Beispiele entsprechen ganz der "Deutschen Grammatik", die eine historisch-vergleichende germanische (teilweise sogar über das Germanische hinausgehende) Grammatik ist. Bemerkenswert aber sind die Beispiele aus der zeitgenössischen Gegenwartssprache, mit welchen Grimm Umstell- und Ersatzproben vornimmt, um aus den so gewonnenen Reihen die Stellungsregeln gewinnen zu können. Eine Auswertung des Befundes ist aber nicht schriftlich aufgezeichnet. Neben Beispielen zur Wortstellung, zur Satzgliedstellung und zur Stellung der Nebensätze taucht auch die Apokoinu-Konstruktion und die Disjunktion ("Trennung zusammengehöriger worte") auf; daneben findet sich auch noch ein
3
Roethe, Gustav: Zum neuen Abdruck. - In: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. 4. T. Neuer verm. Abdruck besorgt durch Gustav Roethe und Edward Schröder. Gütersloh: Bertelsmann 1898. S. XXIII. Etwas anders: Denecke, Ludwig: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. Stuttgart: Metzler 1971. (= Slg. Metzler. M 100.) S. 91: "Bd. 5, für die Syntax des zusammengesetzten Satzes gedacht, ist nicht geschrieben worden; er erscheint noch 1857 in dem Verzeichnis von Arbeitsvorhaben, das Jacob Grimm an Hirzel sandte [...]." [Hervorhebung von mir.]
4
Grimm, Jacob: Wortfolge. [Unter den nachgelassenen Schriften.] In: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. 4. T. Neuer verm. Abdruck besorgt durch Gustav Roethe und Edward Schröder. Gütersloh: Bertelsmann 1898. S. 1271-1291.
14
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
Problem der Wortbildung, nämlich die Komposition der zusammengesetzten Zahlen (vier-und-zwanzig). Mit der Frage, auf welchen allgemeinen Prinzipien die Stellungsgesetze der einzelnen Sprachen beruhen, hat sich Georg von der Gabelentz befasst und dabei einige Ideen skizziert, die in der Forschung des 20. Jahrhunderts dann auf eine solidere Basis gestellt worden sind. - Die Auffassung, der deutsche Satz sei in Felder gegliedert, ist im folgenden Zitat zum mindesten angedeutet: "Ich möchte den deutschen Satz einem Schranke mit drei Fächern vergleichen. Was das erste Fach enthalten kann haben wir vorhin gesehen [nämlich: grammatisches Subjekt, direktes oder indirektes Objekt des Hauptverbums oder verbales Objekt eines Hilfsverbums, Adverb oder Aequivalent, Prädikatsnomen]. Das zweite, engste, enthält ein für allemal das verbum finitum. Das dritte ist das geräumigste, denn dahinein muss Alles, was noch nicht untergebracht ist." < 5 > Dieser Ansatz ist von Erich Drach^ weiterentwickelt worden. - Dann nimmt von der Gabelentz für sich in Anspruch, ein Stellungsgesetz entdeckt zu haben, das in allen ihm bekannten Sprachen gelte, nämlich, dass jeder Satz aus dem psychologischen Subjekt ('der Gegenstand, von dem ich rede') und dem psychologischen Prädikat ('das, was ich davon aussage') bestehe, wobei das psychologische Subjekt immer vor dem psychologischen Prädikat stehe.' Diese Auffassung findet
5
Gabelentz, Georg von der: Weiteres zur vergleichenden Syntax. Wort- und Satzstellung. - In: Zs. f. Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8 (1875), S. 129-165 und S. 300-338; Zitat hier S. 146. [Hervorhebungen von mir.]
6
Vgl. unten S. 32. Ob Drach von der Gabelentz gekannt hat, muss offenbleiben; er führt ihn jedenfalls in seinem Literaturverzeichnis nicht auf.
7
Gabelentz, Georg von der: Ideen zu einer vergleichenden Syntax. Wort- und Satzstellung. - In: Zs. f. Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 6 (1869), S. 376-384; bes. S. 378-379.
15
Von Grimm bis Behaghel
viel später Nachfolge bei Karl Boost (siehe unten S. 52-72) und in der Theorie der funktionalen Satzperspektive (siehe unten S. 73-75).
Weil jedes folgende Glied die vorhergehen-
den näher bestimmt, verhält es sich zu der Gesamtheit der vorhergehenden als psychologisches Prädikat zum psychologischen Subjekt, d.h. die Trennlinie zwischen psychologischem Subjekt und psychologischem Prädikat ist eine verg schiebbare, wandernde Grenze. Man kann diesen Sachverhalt vielleicht mit folgendem Schema (X^,
... = Satzglieder;
S = psych. Subj.; P = psych. Präd.) verdeutlichen: XL
X
2
X
3
X
4
X
5
Dieses Bauprinzip wird allerdings durchbrochen durch die feste Verbposition im Deutschen. - Im Zusammenhang mit der Erörterung der durch Verberststellung gebildeten Konditional- und Konzessivsätze wird die Funktion der deutschen Klammerbildungen (Klammer in der Substantivgruppe, Infinitivklammer [um ... zu streiten], Nebensatzklammer) als Signal für syntaktische Abhängigkeit oder Unselbständigkeit bzw. als Verkörperung einer grammatischen und logischen 9 Einheit erläutert. Gabelentz, Georg von der: Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik. - In: Zs. f. allgemeine Sprachwissenschaft 3 (1887), S. 92-109; bes. S. 103-104 8
Gabelentz, Weiteres zur vergleichenden Syntax, S. 137, 140, 147. Gabelentz, Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik, S. 103-104
9
Gabelentz, Weiteres zur vergleichenden Syntax, S. 150-153.
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
16
Eine umfangreiche Schrift zur deutschen Wortstellung hat Daniel Sanders ^
1883 veröffentlicht. Dass sie von der
wissenschaftlichen Forschung nicht beachtet worden ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie - ganz unzeitgemäss - überhaupt nicht historisch ausgerichtet war, sondern ganz deskriptiv die Gegenwartssprache behandelte. Sanders1 Darstellung ist eine beispielreiche und unübersichtliche Zusammenstellung von Einzelheiten, mehr Versuch der stilistischen Interpretation unzähliger Beispielsätze als auf die Erfassung der Grundzüge ausgerichtete Wortstellungsgrammatik. In Erdmanns Syntax^ wird dem 'gegenwärtigen Sprachgebrauch' entschieden Bedeutung beigemessen. Im Abschnitt "Stellung des Verbums im Satze" (Bd. 1, S. 181-197)12 geht Erdmann ganz vom Neuhochdeutschen aus und würdigt die älteren Sprachstufen nur rückblickend. Es fällt auf, dass auch einige eher am Rande liegende Stellungsphänomene (von einem Infinitiv abhängige Glieder; Möglichkeit, dass sich zwei Einheiten zu einer einzigen verbinden und zusammen an erster Stelle vor dem finiten Verb stehen können) erwähnt werden, während die Grundzüge der Stellung nichtverbaler Teile nicht
10
Sanders, Daniel: Satzbau und Wortfolge in der deutschen Sprache. Dargestellt und durch Belege erläutert. - Berlin: Abenheim 1883.
11
Erdmann, Oskar: Grundzüge der deutschen Syntax, nach ihrer geschichtlichen Entwicklung. Abt. 1-2. - Stuttgart: Cotta. 1. Gebrauch der Wortklassen. Die Formationen des Verbums in einfachen Sätzen und in Satzverbindungen. 1886. 2. Mensing, Otto: Die Formationen des Nomens < Genus, Numerus, Casus > . 1898.
12
Erdmann hat die Vorarbeiten zum 2. Bd. seinem Schüler Otto Mensing zur Ausarbeitung überlassen. Da diese Vorarbeiten nur sehr fragmentarisch und skizzenhaft waren, musste Mensing nach Erdmanns Tod in der Gestaltung des zweiten Bandes eigene Wege gehen. Deshalb fehlen wohl auch die im Vorwort des ersten Bandes (S. IV) wenigstens andeutungsweise versprochenen Ergänzungen zur Wortstellung.
Von Grimm bis Behaghel
17
sehr klar dargestellt sind. Ausser den drei Verbstellungstypen werden die folgenden Aspekte angetönt (allerdings noch nicht mit der erst später dafür geschaffenen Terminologie) : Satzklammer bei Zweitstellung des finiten Verbs, Ausklammerung, Stellung nichtpersonaler Prädikatsteile, Reihenfolge im Innenfeld. Als Bearbeiter von Hermann Wunderlichs Syntax hat Hans Reis der Wortstellung ein Kapitel von über 60 Seiten gewidmet.^ Hier zeigt sich deutlich, wie wenig Sicheres die Forschung bisher zur Wortstellung des Neuhochdeutschen beigetragen hat. In der knappen Einleitung des Kapitels stellt Reis fest, dass allein aus dem Wesen der grammatischen Begriffe kein Schluss auf die Wortfolge zu ziehen sei. Die Verschiedenheit der Wortfolge in den einzelnen Sprachen zeige, dass psychologische, rhythmische und grammatische Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien. Da es keine festen Regeln gibt, die zwingend bestimmte Stellungen aus diesen Faktoren herleiten, resigniert Reis bereits im zweiten Absatz: "[...] so ist [...] grundsätzlich nichts Sicheres festzustellen. Vielleicht kann aber die sprachgeschichtliche 14 Forschung etwas Licht in dieses Dunkel bringen. Der grösste Teil des Kapitels befasst sich mit der historischvergleichenden Darlegung der Stellungsmöglichkeiten der grammatischen Teile (Wortarten und Satzglieder), wobei der gesamte indogermanische Bereich berücksichtigt wird.
13
Wunderlich, Hermann, und Hans Reis: Der deutsche Satzbau. 3., vollst, umgearb. Aufl. Bd. 1-2. - Stuttgart und Berlin: Cotta 1924-1925. Die Darstellung der Wörtfolge (Bd. 1, S. 74-140) ist von H. Reis vollständig neu geschrieben worden.
14
Wunderlich/Reis, Der deutsche Satzbau, 3. Aufl., Bd. 1, S. 75. [Hervorhebungen von Reis.]
18
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
Hermann Pauls
Syntaxbande"*"^ beruhen, wie der grösste
Teil seiner fünfbändigen Grammatik überhaupt, im wesentlichen auf seinen eigenen, im Laufe der Jahre gemachten Sammlungen. Der über siebzigjährige, erblindete Forscher war ganz auf fremde Hilfe angewiesen und konnte deshalb die vorhandene Literatur nicht im gewünschten Masse ausnutzen. Paul geht nicht etwa vom Material aus, sondern vom Postulat, "dass die zu einem Satzgliede gehörigen Unterglieder nicht voneinander getrennt werden dürfen." (§ 57, S. 65) Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass alle verschiebbaren Einheiten selbständige Satzglieder sind. Paul definiert also die Satzglieder operational aufgrund der Stellungsmöglichkeiten. Die Darstellung der Wortfolge besteht zur Hauptsache aus einer kommentierten Beispielsammlung. Bei der Beschreibung werden die Kategorien der Wortarten, der syntaktischen und der 'psychologischen' Funktionen undifferenziert nebeneinander verwendet.
Behaghels Syntax Die bis heute einzige Darstellung der deutschen Wortstellung, die als umfassende Beschreibung konzipiert ist, ist diejenige Behaghels in seiner vierbändigen deutschen Syntax.^
15
Paul Hermann: Deutsche Grammatik. Bd. 3-4: Syntax. - Halle a.S.: Niemeyer 1919-1920. Wortstellung: Bd. 3, § 56-75, S. 65-93.
16
Behaghel, Otto: Die deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. 1-4. Heidelberg: Winter 1923-1932. (= Germ. Bibl. 1 [Abt.], 1. R., Bd. 10.) Bd. 4: Wortstellung. Periodenbau (1932) 7. Buch: Die Wortstellung 1. Abt.: Ueberlieferte Stellungen 2. Abt.: Bedarfsstellungen 8. Buch: Periodenbau. Satzstellung Weiteres zur Wortstellung auch im 3. Band und sonst vereinzelt.
Behaghels Syntax
19
Gegen Ende des ersten Drittels unseres Jahrhunderts erschienen, steht sie noch ganz in der Forschungstradition des 19. Jahrhunderts. Das gilt allerdings für die germanistische Linguistik jener Zeit allgemein und für die sonst eher stiefmütterlich behandelte Syntax im besonderen. Behaghels monumentales Werk von über 2300 Seiten ist eine diachronische deutsche Syntax. Sie umfasst anderthalb Jahrtausende und stösst bis in die Gegenwart vor; Nichtdeutsches ist soweit herangezogen, als es gemeingermanische und indogermanische Verhältnisse vertritt. Für die Zeit seit dem 15. Jahrhundert hatte die Forschung noch wenig Material zusammengetragen, Behaghel hat auch diesen Zeitraum erschlossen und legt so eine für sich betrachtet imponierende Materialsammlung vor, die wirklich von den Anfängen bis in die Gegenwart reicht. Die Darstellung ist nicht die Frucht lebenslanger Sammelarbeit, obwohl sie diesen Eindruck erwecken könnte. Behaghel lehnt ein solches Verfahren ausdrücklich ab, weil man so vorzugsweise das Auffallende verzeichne und "die grossen 17 Massen des Regelmässigen und seine Wandlungen" nicht berücksichtige und das Fehlen bestimmter Erscheinungen gar nicht erfassen könne. Er wendet deshalb "das Verfahren der Stichproben, das gewisse Stücke gewisser Denkmäler voll18 ständig auszubeuten sucht"
an. Zu seinem Vorgehen bei der
Darstellung schreibt Behaghel: "Bei der Feststellung und Beschreibung der Tatsachen kam es mir darauf an, möglichst objektiv zu verfahren, unser eigenes Empfinden möglichst auszuschalten. Ich bin deshalb so weit irgend möglich überall von der Beschreibung des äusseren Tatbestandes, nicht vom Inhalt ausgegangen. Der Wert einer syntaktischen Verbindung aus zwei oder mehr Gliedern ist bestimmt durch die Beschaffenheit jedes
17
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 3, S. VIII.
18
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 3, S. VIII.
20
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
einzelnen dieser Glieder. Es müssen daher die verschiedenen Fälle einer Erscheinung nach der Art des einen und des anderen Gliedes in Gruppen und Untergruppen zusammengefasst werden." < 19 > Behaghel geht also von den Formen aus, und zwar von den niedrigeren grammatischen Einheiten, den Wörtern, die sich zu Wortgruppen, Sätzen und Perioden zusammenfügen. Doch fehlt dabei jede Konsequenz und Systematik. Beschreibung der Wortstellung heisst bei Behaghel, Aussagen über die relative Stellung von zwei oder mehr klassifizierten 'Gliedern' eines Satzes zu machen. Man sucht aber vergebens auch nur eine einzige grundsätzliche Bemerkung über die Art der als Wortstellungseinheiten betrachteten Glieder und ihre Klassifizierung. Behaghel scheint sich ganz an Wilhelm Hävers' Rat für die syntaktische Beschreibung gehalten zu haben: "Ist das Material schliesslich gesammelt, so folgt die Sichtung und Gruppierung des spröden Stoffes, wobei man für die Aufstellung zutreffender Bezeichnungen für grammatische Kategorien
sorgen möge. Nur stellt sich ihm das Problem,
zutreffende Bezeichni ngen zu finden, nicht einmal. Bedenkenlos verwendet er alles, was die Forschung je zusammengetragen hat. Die Beschreibung der Wortstellung ist für ihn hauptsächlich ein Ordnungsproblem: "[...] die Anordnung bietet Schwierigkeiten, die nicht immer mit Sicherheit zu überwinden sind. Denn wenn es gilt, das Verhältnis eines Gliedes x zu einem Glied y zu erörtern, soll man es unter 21
x oder y behandeln?" Welches sind nun diese Glieder x und y? Er operiert mit allen nur denkbaren Kategorien, nämlich mit Wortarten, Satz19
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 1, S. IX.
20
Hävers, Wilhelm: Handbuch der erklärenden Syntax. Ein Versuch zur Erforschung der Bedingungen und Triebkräfte in Syntax und Stilistik. Heidelberg: Winter 1931. (= Idg. Bibl. 1. Abt., 1. R., Bd. 20.) s. 10.
21
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 4, S. XI.
Behaghels Syntax
21
gliedern, Lexemen, Kasus, mit inhaltlich, logisch, psychologisch oder sachlich bestimmten Kategorien, als ob sie alle ganz selbstverständlich gegeben und gleichwertig wären und weder einer Definition noch einer gegenseitigen Abgrenzung bedürften. Dieses unreflektierte Nebeneinander steht in seltsamem Widerspruch zur bis zum Exzess durchgeführten hierarchischen Gliederung des Stoffes, für die ich ein Beispiel aus dem 3. Band gebe, das zugleich auch einen Eindruck vom Durcheinander der verwendeten Beschreibungskategorien vermittelt: Die Satzgebilde Die Wortgruppen Erweiterungsgruppen Bestimmungsgruppen Appositionsgruppen Die beiden Glieder verkörpern gleichartige Begriffe Glieder im gleichen Numerus A. Der weitere Begriff steht an erster Stelle I. Die beiden Glieder schliessen sich ohne Pause einander an a.) Sie sind Personenbezeichnungen 1. an erster Stelle steht ein Appellativ, an zweiter ein Eigenname alpha) ein ursprüngl. Eigenname aa) das Appellativ bezeichnet Stand oder Rang alef) das Appellativ steht ohne weiteres Attribut wet) das Appellativ ist mit Pron. oder Adj. verbunden bb) das Appellativ bezeichnet den Beruf beta)
ein durch Personifizierung entstandener Eigenname
b.) die beiden Glieder sind Ortsbezeichnungen
22
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
II. Die beiden Glieder sind durch eine Pause oder ein anderes Satzglied getrennt usw. usw. Was Glinz über die Behagheische Syntax gesagt hat, gilt auch für den Wortstellungsband: "Er gibt eine Aufzählung aller in Sätzen möglichen Elemente und Phänomene, in traditioneller Begriffsfassung und Reihenfolge, und bespricht dann je nach Gelegenheit den Einbau dieser Elemente in Sätze und das Auftreten der verschiedenen Phänomene zu verschiedenen Zeiten. Die Beispiele ordnet er historisch: doch die Begriffe, mit denen er wie mit historischen Konstanten rechnet, entnimmt er ohne Bedenken seinem eigenen nhd. Sprachverständnis und einer ziemlich groben Psychologie oder Logik." < 22 > Die historische Entwicklung wird nicht einmal für Teilbereiche der Syntax als diachronische Folge synchronischer Zustände erfasst. In jedem Abschnitt sind die Belege für isolierte Phänomene historisch aufgereiht, und nur gelegentlich werden die Hauptlinien der Entwicklung für einige Abschnitte zusammengefasst. Das Hauptgewicht liegt auf der Ausbreitung des Materials und seiner gelegentlichen Kommentierung. Durch die Wahl der Ordnungsbegriffe ist natürlich ebenfalls eine gewisse Deutung impliziert. Weitergehende Auswertungen fehlen. Behaghel möchte zwar mehr als nur die Tatsachen feststellen; sie müssen auch miteinander verknüpft, und zwar diachronisch verknüpft werden: "Eine bestimmte Erscheinung durch alle Stufen der Sprachgeschichte zu verfolgen", das führt zu "wirklichen 23 Erklärungen der Tatsachen". Eine Erscheinung durch die Sprachgeschichte hindurch zu verfolgen, schliesst - nach Be-
22
Glinz, Hans: Deutsche Syntax. 3., durch einen Nachtrag erw. Aufl. Stuttgart: Metzler 1970. (= Slg. Metzler. M 43.) S. 52.
23
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 3, S. VI
Behaghels Syntax
23
haghel - mit ein, "[...] die Entstehung und den Wandel der Erscheinungen zu begreifen, vor allem psychologisch zu be24 greifen." Man erwartet deshalb eine zusammenfassende Auswertung nach diesen Gesichtspunkten. Auf den Vorwurf, es fehlten zusammenfassende Darlegungen, hat Behaghel schon 1928 geantwortet: "Fritz Karg hat in seiner Besprechung meines Buches 'einige zusammenfassende Kapitel' vermisst. Mit einer gewissen Spannung habe ich seine Geschichte der deutschen Sprache in Brandts Grundriss der Deutschkunde in die Hand genommen, um zu erfahren, was ich in dieses Kapitel hätte hineinschreiben sollen. Aber es ist in seiner Darstellung von Syntax überhaupt nicht die Rede." < 25 > Das ist eine recht seltsame Rechtfertigung, ja eigentlich das Eingeständnis, dass die monumentale Materialsammlung der Deutschen Syntax nichts weiter als eine Anhäufung von Belegen und einzelnen Tatsachen sei, die sich nicht mehr weiter auswerten lassen. Für die Wortstellung müssen wir trotzdem nicht ganz auf eine solche Auswertung verzichten. Einzelne Aspekte hat Be26
haghel in verschiedenen Aufsätzen erörtert. Eine zusammenfassende Uebersicht enthält der einleitende Abschnitt des 4. Bandes. 27 Ich skizzieren den Inhalt stichwortartig: Die über1ieferten Stellungen sind gebunden (habituell, usuell), gelegentlich auch halbfrei. "Es sind nun verschiedene Mächte, die beim Zustandekommen der einzelnen Regelungen wirksam sind." 1. Das geistig eng Zusammengehörige wird auch eng zusammengestellt.
24
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 3, s. VI.
25
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 3, S. VI.
26
Sie sind, sofern sie nicht ausschliesslich historisch orientiert sind, im zweiten Teil meiner Arbeit aufgeführt und kurz zusammengefasst.
27
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 4, S. 3-9. Vgl. auch unten S. 166-167.
Anfänge deutscher Wortstellungsforschung
24 2.
Das Unwichtige steht vor dem Wichtigeren; Satzglieder, die das Vorhergehende aufnehmen, stehen vor den nichtaufnehmenden, d.h. es stehen die alten Begriffe vor den neuen. Es steht nicht das Glied voraus, das zuerst ins Bewusstsein tritt, sondern dasjenige, das bereits im Bewusstsein vorhanden ist. (Deshalb muss der Satz in seinem Zusammenhang betrachtet werden.)
3.
Das unterscheidende Glied steht vor dem unterschiedenen.
4.
Gesetz der wachsenden Glieder: Das kürzere Glied steht, soweit möglich, vor dem längeren.
5a. Streben nach Tonwechsel [betrifft den dynamischen Akzent]. 5b. Unbetonte Silben drängen nach dem Satzanfang, vorausgesetzt dass am Anfang ein tonstarkes Wort steht. 6.
Rücksicht auf die Deutlichkeit.
(1), (2) und (3) sind "Gesetze, die auf dem Inhalt der Wörter sich aufbauen", (4) und (5) solche, "die auf physikalische Tatsachen sich gründen". Die Gesetze können auch widerstreiten, besonders (1) gegen (2) und (1) gegen (4). Bedarfsstellungen entstehen als "Ausfluss von Seelenverfassungen". Neben dem Affekt gehört hierher auch der ästhetische Wunsch nach paralleler Fügung sachlich entsprechender Glieder. Behaghel kommt es vor allen Dingen darauf an, die Tatsachen "aus der seelischen Verfassung der Sprechenden zu begrei28
fen"
, was der theoretischen Grundhaltung Hermann Pauls und
in etwa Delbrücks entspricht. Eine Erscheinung auf die Eigenart eines Volkes oder auf zeitlich bestimmte geistesgeschichtliche Vorgänge zurückzuführen lehnt er entschieden Behaghels Werk ist - was die Wortstellungsforschung betrifft - doch mehr als nur das Denkmal seines Gelehrtenfleisses. Es vermittelt zwar keine Einsichten in den Mechanismus der deutschen Stellungsgesetze, wie man sie 15 Jahre nach dem Erscheinen von Ferdinand de Saussures "Cours de 28
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 4, S. VIII.
29
Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 4, S. VII-X.
Behaghels Syntax
25
linguistique générale" hätte erwarten können.^0 Es steht am Schluss einer Epoche der deutschen Syntaxforschung und stellt für die folgende Etappe Material bereit. Vor allem für die vergangenen Perioden der deutschen Sprache behält es seinen Wert als Beispielsammlung und Quellenauszug. So ist es zu einem Nachschlagwerk geworden, das doch mit einiger Zuverlässigkeit darüber orientiert, ob eine bestimmte Stellungsmöglichkeit in der Vergangenheit der deutschen Sprache belegt ist. Glinz hat es, meines Erachtens zu Recht, mit einem 31
Wörterbuch verglichen
; es ist nur etwas schwieriger als
bei einem Wörterbuch, sich alle für ein Problem relevanten Belege daraus zusammenzutragen.
30
Die deutsche Uebersetzung des "Cours" erschien erst 1931, also fast gleichzeitig mit Behaghels Wörtstellung.
31
Glinz, Dt. Syntax, 3. Aufl., S. 53.
Ansätze zu vertiefter Syntaxforschung im 20. Jahrhundert
Vorbemerkung; Seit dem Aufkommen der strukturalistischen Forschung wird der Satz nicht mehr nur logisch-inhaltlich als Ausdruck eines Gedankens betrachtet, sondern als grösste Einheit der grammatischen Beschreibung, als Einheit der Langue, deren Bau, Gliederung und Struktur beschrieben werden kann. Unter wechselnden Gesichtspunkten sind die verschiedensten Versuche unternommen worden, den Bau von Sätzen in Strukturbeschreibungen und Plänen zu erfassen. Da in neuester Zeit jetzt auch die nichtgenerative Grammatik zwischen Oberflächensätzen und ihrer Tiefenstruktur unterscheidet, hat die terminologische Differenzierung verschiedener Arten von Plänen zu einer babylonischen Sprachverwirrung in der Bezeichnung der Pläne geführt. Man spricht von Satzmustern, Satzbauplänen, Grundformen, Satzmodellen, Satztypen, Satzplänen, Satzschemata usw., wobei derselbe Terminus Verschiedenes, ja manchmal geradezu Gegensätzliches bezeichnet. Ich verwende deshalb die folgende provisorische Arbeitsterminologie: Stellungsplan = (linear) geordnete Menge kategorialer Elemente Satzbauplan
= ungeordnete Menge kategorialer Elemente
Bis ins 20. Jahrhundert war die Syntax kein zentrales Anliegen der Forschung gewesen. Liess man sie nicht Uberhaupt beiseite, so war sie meistens nichts anderes als eine Summe von Einzelbefunden, zwischen denen diachronische Verbindungen gesucht werden. Ein Gesamtbild der syntaktischen Struktur einer Sprache und ihrer Wandlungen konnte schon darum nicht gewonnen werden, weil man bedenkenlos mit allen sich anbietenden grammatischen, logischen und inhaltlichen Begriffen arbeitete, ohne überhaupt nach der Tauglichkeit des Übernommenen syntaktischen Werkzeugs zu fragen. Ja man war sich nicht einmal über das Untersuchungsobjekt der Syntax
Syntaxforschung im 20. Jh.
27
im klaren. Unter Syntax verstand man einerseits Satzlehre, andererseits Bedeutung und Gebrauch der Wortformen und Wortklassen, und nur zu oft war die Syntax ein verworrenes Konglomerat von beidem; dabei wurde entweder von der Bedeutung ausgegangen und nach ihren Ausdrucksformen gefragt, oder man versuchte, die Bedeutung der vorhandenen Formen zu ermitteln. Bereits 1894 stellte deshalb John Ries die grundsätzliche Frage" Was ist Syntax?"
Ries forderte als Syntax eine
nichtnormative Lehre von der Form, Bedeutung und Bildung der Wortgefüge, und zwar aller Wortgefüge, nicht nur der Sätze. Die Syntax müsse die Verbindung der Wörter zu neuen Einheiten behandeln. Sie zerfällt nach Ries in Formenlehre und Bedeutungslehre, aber der methodische Grundzug, dass von der Form auszugehen sei, müsse sorgfältig beachtet werden. "Dabei ist die Aufstellung vollständiger Formenschemata der in einer Sprache gebildeten Wortgefüge nach dem Vorbilde 2 der Flexionsschemata das zu erstrebende Ziel." Diese Anregung ist in der Form des 'Satzbauplanes' erst sehr viel später von der Forschung aufgenommen worden. Die Leistung von Ries liegt darin, dass er einmal die Grundlagen der Syntax überdacht und zur Diskussion gestellt hat. Er ist - um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen - methodenbewusst. Der viel später erschienene zweite Teil seiner "Beiträge zur Grundlegung der Syntax"
zeichnet sich denn auch
1
Ries, John: Was ist Syntax? Ein kritischer Versuch, 2. um einen Anhang verm. Ausg. - Prag: Tausslg u. Taussig 1927. (» Ries, John: Beiträge zur Grundlegung der Syntax. H. 1.) [1. Aufl. Marburg: Elvert 1894.]
2
Ries, Was ist Syntax?, S. 138.
3
Ries, John: Zur Hortgruppenlehre. Mit Proben aus einer ausführlichen Wortgruppenlehre der deutschen Sprache der Gegenwart, - Prag: Taussig und Taussig 1928. (= Ries, John: Beiträge zur Grundlegung der Syntax. H. 2.)
28
Syntaxforschung im 20. Jh.
dadurch aus, dass anstelle kritikloser Verwendung beliebiger Beschreibungskategorien eine klar definierte und jeweils ausführlich besprochene Terminologie tritt.
Erich Drach Ries hat den Weg gebahnt für Erich Drach, der - 40 Jahre später - eine neue Epoche in der Erforschung des deutschen Satzbaus einleitete. Erst seit Erich Drachs postum erschie4 nenen "Grundgedanken der deutschen Satzlehre" kann von einer modernen deutschen Syntax die Rede sein. Drach hat besonders im Bereich der Wortstellung Wesentliches geleistet. Als erster hat er die Grundzüge der deutschen Wortstellung im Zusammenhang erfasst und dargestellt. Unter Satzlehre verstand er "die Betrachtung des Satzganzen und der in ihm enthaltenen Wortgefüge" . Seine Darstellung war für den Unterricht bestimmt. "[Die wissenschaftliche Satzlehre] betrachtet mit Recht ausnahmslos alle vorkommenden Satzgebilde. Dem Lernenden dagegen diönt zunächst nur der Blick auf die gepflegte Zwecksprache. Er braucht Leitbilder, um schlichte, sachgerechte Zwecksprache in Wort und Schrift beherrschen zu lernen. [...] Alle folgenden Darlegungen stellen darum keine Gesetze auf, die etwa unverbrüchlich festlegten, es müsse immer genau so heissen, genau so klingen. Sie zeichnen nur das Leitbild einer mittleren Norm. Dem Ausländer dient es als Arbeitsanweisung [...]. Für den Deutschen liefert es Beobachtungshilfen, die Gestaltungsweise der Zwecksprache zu durchschauen." < 6 >
4
Drach, Erich: Grundgedanken der deutschen Satzlehre. ( 4 . , unv. Aufl. Fotomech. Nachdr. der 3 . Aufl. Frankfurt am Main 1 9 4 0 . ) - Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1 9 6 3 . [ 1 . Aufl. 1 9 3 7 . ]
5
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 22, S. 13. [Hervorhebung weggelassen.]
6
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 2 0 - 2 1 , hebung von Drach.]
s. 13.
[Hervor-
Erich Drach
29
Dem Ausländer, der sich in der deutschen Satzlehre "einem 7 verworrenen Durcheinander unverständlicher Regeln" gegenüber sieht, sollte ein "Gesamtbild eines sinnvoll gestalte8 ten Ganzen"
vermittelt werden.
Für eine angemessene Erfassung des deutschen Satzbaus waren ihm drei methodische Voraussetzungen wichtig: 1. "Loslösung von den Denkweisen der lateinischen Grammatik; Aufbau einer im Wesen der deutschen Sprache begründeten 9 Darstellung und Regelfassung" . Es geht dabei nicht darum, die internationale lateinische Terminologie in eine deutsche zu übersetzen. Die deutsche Sprache muss "voraussetzungslos, von aussen her"1^ und nicht durch die 'lateinische Brille' betrachtet werden. Die Fachausdrücke der lateinischen Grammatik sollen dabei, wegen ihrer internationalen Verständlichkeit beibehalten werden, aber nur "[...] insoweit sie [...] auch für das Deutsche zutreffen."11 2. wirklichen "Begründung Sprechdenkens" der Satzlehre 12 auf die Beobachtung des lebens"Das Ziel eines ernsthaften Sprachunterrichts ist nicht nur der grammatisch richtige, sondern der sinnrichtige Sprachgebrauch. Was sinnrichtiges gutes Deutsch ist, entscheidet sich aus dem jeweils einmaligen Sprechdenkvorgang, den der Redende vollzieht. Weder die rückschauende Geschichte
7
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 17, S. 12. [Hervorhebung weggelassen.]
8
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 13, S. 10. [Hervorhebung weggelassen.]
9
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 4, S. 6. [Hervorhebung weggelassen.]
10
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 16, S. 11.
11
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 23, S. 13.
12
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 7, S. 7. [Hervorhebung weggelassen.]
30
Syntaxforschung im 20. Jh. der Syntax, noch die beschreibende Regelgrammatik und normative Logik können darüber Aufschluss geben, wie eine gesprochene oder niedergeschriebene Aeusserung als zutreffender Ausdruck des gemeinten Bedeutungserlebnisses zustande kommt. Vielmehr muss hier von der Sprechdenk-Funktion, dem Schöpfungsakt des Satzes in der Seele des Sprechenden, ausgegangen werden: von der Beobachtung des Sprechens als Persönlichkeitsleistung und als sozialen Handelns." < 13 >
3. "die Erkenntnis, dass die Lehre von der Schallform des Satzes ein wesentlicher Teilbestand der Satzlehre ist"
14
"Wenn eine Sprachäusserung dem Hirn und dem Mund eines Menschen entspringt, werden in Akteinheit erzeugt: der Sinn, die Sprachgestalt (Wortwahl, Satzbau) und die Schallform (Betonung, Intonation, Klangfarbe usw.). Die drei Teilbestände der sprachlichen Aeusserung tragen und bedingen sich gegenseitig." < 15 > Die beiden letzten Punkte hängen eng miteinander zusammen. Dass der gesprochenen Sprache die Priorität vor der geschriebenen Sprache zukommt, sagt Drach zwar nicht ausdrücklich, doch ergibt sich das zweifelsfrei aus dem Text. Geschriebene Sprache ist ja nichts anderes als eine unvollkommene Umsetzung in ein anderes Medium, unvollkommen deshalb, weil die Schallform eines Satzes durch die Schrift nur mangelhaft wiedergegeben werden kann, obwohl sie ebenso wie andere grammatische Elemente Beziehungs- und Bedeutungsträger ist. Man denke nur etwa an Fragesätze, die die syntaktische Struktur von Aussagesätzen haben: Er kommt also heute nicht? Ein deutscher Satz, auch ein schriftsprachlicher, muss also sprechbar sein, er muss aus einer Sprechsituation entstanden sein und in einem Kontext auftreten können. 13
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 5-6, S. 6-7. [Hervorhebung von Drach.]
14
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 11, S. 10. [Hervorhebung weggelassen.]
15
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 8, S. 7-8. [Hervorhebungen von Drach.]
Erich Drach
31
"Beim lebendigen Sprechen wird jeder Satz geboren aus einer einzig-einmaligen Sprechsituation. Sprechsituation ist die Gesamtheit innerer und äusserer Voraussetzungen, die dazu führen, dass der Sprecher gerade diese Worte gerade in dieser Weise und gerade in diesem Augenblick ausspricht. Naturhaft gesprochene Rede ist immer situationsbedingt. Sie erwächst aus einer bestimmten Erlebnislage und richtet sich an einen bestimmten Gesprächspartner. Bei der schriftlichen Aeusserung kann an Stelle der Situation der Inhalt der Niederschrift treten: ihre grundsätzliche Darstellungsabsicht im ganzen, der Umkreis der vorhergehenden und nachfolgend beabsichtigten Aeusserungen im einzelnen." < 16 > Wenn Drach Sätze, die er in Lehrbüchern gefunden hat, als "nur am Schreibtisch zusammengeschraubt, nicht gedacht und nicht gehört"
17
ablehnt, wenn Umstellproben "barer Unsinn"
18
sein sollen, so ist dabei zu berücksichtigen, dass sein Buch für die Unterrichtspraxis bestimmt war. Im Unterricht können Umstellungen vielleicht der falschen Ansicht Vorschub leisten, die abgewandelten Sätze seien einander absolut gleichwertig; man wird auch mit Vorteil mit Beispielen arbeiten, die leicht in einen Kontext gestellt und so sprechbar gemacht werden können. Für die wissenschaftliche Forschung scheint mir aber diese Einschränkung nicht nötig. Es ist belanglos, ob eine Sprechsituation für einen Satz und seine Schallform sehr wahrscheinlich ist. Für jeden syntaktisch richtigen Satz wird sich wohl irgendeine Situation denken lassen, und sei sie noch so ausgefallen, in der er sinnvoll und sprechbar ist. Und das ist das einzige relevante Kriterium. Drachs
16
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 24, S. 13-14. [Hervorhebungen von Drach.]
17
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 103, s. 48.
18
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 50, s. 25.
32
Syntaxforschung im 20. Jh.
Ablehnung der Umstellproben ist aber forschungsgeschichtlich verständlich und von daher auch gerechtfertigt. Damals war es nötig, einmal Sätze in ihrem Kontext zu betrachten. Umstellproben aber sind vornehmlich dazu geeignet, kontextunabhängige formal-grammatische Stellungsregularitäten festzustellen. Diese aber waren damals längst bekannt. Drach wollte zeigen, dass auch die Stellung der übrigen Glieder streng geregelt ist: "Jeder Sinnzusammenhang weist immer nur auf eine Abfolge hin. Die deutsche Wortfolge ist nicht 'frei', sondern denkbedingt." < 19 > Frei ist die Stellung der nichtverbalen Satzglieder nur unter formal-grammatischem Gesichtspunkt. Umstellproben können allerdings auch zur Ermittlung der 1denkfunktionalen' Stellungsregeln beitragen, wenn man mit ihrer Hilfe nicht nur überprüft, welches die Bedingungen für einen syntaktisch korrekt gebauten Satz sind, sondern inwiefern sich eine Mitteilung ändert, wenn man ihre Glieder umstellt, und in welchem anderen Kontext die Umstellung möglich wäre. Drach hat also mit seiner Verurteilung dieses Hilfsmittels über das Ziel hinausgeschossen. Umstellproben hätten, entsprechend angewandt, auch seinem Anliegen dienstbar gemacht werden können. Doch ist es zweifellos besser, für eine erste Ermittlung der unter formal-grammatischem Gesichtspunkt nicht obligatorischen Stellungsregeln gegebene Sätze in einem bestimmten Kontext oder in einer bestimmten Sprechsituation zu analysieren. Drach hat meines Wissens als erster die Modellvorstellung, der deutsche Satz sei als syntaktisches Schema mit Leerstellen aufzufassen, von der Theorie in die Praxis übertra-
19
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 50, S. 26. [Hervorhebung weggelassen.]
33
Erich Drach
gen. Die Anregung dazu wird er von dem Psychologen
Karl
Bühler übernommen haben, der im Jahre 1907 bei einer rimentellen Analyse des Sprechdenkens die 20 Schemata entdeckt hatte.
expe-
syntaktischen
Die Leerstellen werden durch
grammatisch Elemente besetzt, die Denkakte darstellen. Diese Schemata nennt Drach pläne
'Satzpläne'.
(Sie sind als
Stellungs-
aufzufassen.)
"Das Kind, das seine Muttersprache erlernt, baut nicht aus Wörtern nach irgendwelchen Regeln Satzgebilde zusammen, sondern geht gleichzeitig auf zwei Feldern vor. Es erwirbt einen Bestand von Worten, die einen Inhalt haben, eine Bedeutung haben - und einen Bestand von Satzplänen, die zur Ausfüllung mit Worten, und damit zur Darstellung von Denkakten geeignet sind. Diese immer wieder anwendbaren syntaktischen Schemata, die jeweils mit ein-
20
Detaillierte Anmerkungen fehlen bei Drach. Deshalb kann ich meine Annahme, er sei hier von Bühler abhängig, nur auf das Indiz stützen, dass Bühlers "Sprachtheorie" im Schriftenverzeichnis aufgeführt ist. Die psychologische Untersuchung, die Bühler auf die syntaktischen Schemata geführt hat, ist für die Linguistik belanglos: Bühler, Karl: Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. III. Ueber Gedankenerinnerungen. - In: Archiv für die gesamte Psychologie 12 (1908), S. 24-92; hier bes. S. 85-86. Das für die Sprachwissenschaft Wesentliche liegt zusammengefasst vor: Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 2., unv. Aufl. Mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz. - Stuttgart: Fischer 1965. S. 252-254, [1. Aufl. Jena 1934.] Hans Eggers weist mehrmals darauf hin, dass Berthold Delbrück als erster die Erkenntnis vom Planbau der Sätze ausgesprochen habe: "Die Hauptrolle beim Sprechen spielen die Satzschemata, mit deren Hilfe die Rede wie von selbst abläuft, wenn sie ihrem wesentlichen Inhalt nach gegeben ist." (Delbrück, B[erthold]: Grundlagen der neuhochdeutschen Satzlehre. Ein Schulbuch für Lehrer. - Berlin und Leipzig: de Gruyter 1920. S. 11.) Noch viel früher finden sich aber solche Ansichten bei Georg von der Gabelentz (vgl. oben S. 14). Bei Delbrück und von der Gabelentz ist aber nicht mit derselben Deutlichkeit wie bei Bühler von einem syntaktischen Schema mit Leerstellen die Rede. Von der Gabelentz und Delbrück sind Vorläufer; die Erkenntnis vom Planbau der Sätze hat über Bühler und Drach Eingang in die deutsche Sprachwissenschaft gefunden.
34
Syntaxforschung im 20. Jh.
maligem Wortinhalt erfüllt werden, ermöglichen ihm, in den Bau der Muttersprache hineinzuwachsen, ohne sich einer einzigen ihrer 'Regeln' - das heisst: ihrer Baubeschreibungen - bewusst zu werden." < 21 > Liest man diese Erklärung, so mag man sich fragen, ob Drachs Satzpläne wirklich syntaktische Schemata sind oder ob er nicht vielmehr die inhaltlich-logische Gliederung des Satzes im Auge habe. Mir scheint, dass Drach die syntaktische Struktur, wenigstens soweit sie in der Linearität des Satzes in syntagmatischen Beziehungen manifest wird (und darauf beschränkt sich seine Satzlehre!), mit der Struktur des Denkens gleichsetzt. So nennt er das Hervorbringen sprachlicher 22 Aeusserungen 'Sprechdenken' , das zeigt sich aber auch 23 darin, dass er die deutsche Wortstellung als denkbedingt auffasst. Das oben wiedergegebene Zitat ist deshalb wohl so aufzufassen: Die Leerstellen der Satzpläne werden durch grammatische Elemente besetzt, die als Zeichen (im Sinne de Saussures) eine Verbindung von Lautbild (bei 'Drach: Wort) und Vorstellung (bei Drach: Denkakt) sind. Wenn Drach dabei die grammatischen Elemente mit den Wörtern gleichsetzt, wenn also nur das Wort im Satz ein abgrenzbares Zeichen sein soll, so hat er de Saussures Theorie doch etwas zu sehr vereinfacht. 24 Möglicherweise aber ist Drachs zu
21
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 26, S. 14. [Hervorhebungen von Drach.]
22
Vermutlich ist Drach auch hier von Bühler beeinflusst, der gelegentlich den Terminus 'Sprechdenken' verwendet, unter anderem auch bei der Besprechung der syntaktischen Schemata in der "Sprachtheorie". (Vgl. oben S. 33, Anm. 20)
23
Vgl. das oben S. 32 wiedergegebene Zitat.
24
Vgl. dazu: Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. [Cours de linguistique générale, dt.] Hg. von Charles Bally und Albert Sechehaye, unter Mitwirkung von Albert Riedlinger, übersetzt von Herman Lommel. 2. Aufl., mit neuem Register und einem Nachwort von Peter v. Polenz. - Berlin: de Gruyter 1967. S. 122-127, bes. S. 127.
Erich Drach
35
wenig differenzierte Darlegung auch nur auf seine didaktisch motivierte Absicht zurückzuführen, die Grundzüge des deutschen Satzes zu beschreiben und sich nicht in Einzelheiten der Sprachtheorie zu verlieren; bei der expliziten Beschreibung des Satzplanes ergibt es sich von selbst, dass grössere Einheiten als Wörter betrachtet werden. Drach teilt den Stellungsplan des Aussage-Hauptsatzes in drei Felder auf: Vorfeld, Mitte, Nachfeld. Das mittlere Feld wird durch die Personalform des Verbs belegt. "[Es ist] das Verbum finitum [...], das im grammatischen Sinne den 25
'Satz' begründet."
Ganz selbstverständlich nimmt Drach an,
das finite Verb drücke ein Geschehen aus. "[...] ein geschlossener Satz kommt erst zustande, wenn ein Verbum finitum ihn trägt und seine Vorstellungsinhalte als wirklich und gültig beglaubigt. Ob das ein inhaltswertiges Vollverb sei, ich reise morgen abend, das Kind hungerte, oder eine sogenannte 'Kopula', du bist ein dummer Kerl, ist dabei belanglos. Die konjugierte Personalform des Verbs, reise, hungerte, bist, macht die Sprachäusserung zum Satz. Für Angehörige der indoeuropäischen Sprachen ist die Denkweise selbstverständlich, alles Ausgesagte als ein Geschehen auszusagen. [...] Dies ist nun der erste entscheidende Schritt in die deutsche Satzlehre: die Erkenntnis, dass im Aussage-Hauptsatz überall das Geschehen in Mittelstellung gesetzt wird. Das Verbum finitum ist der standfeste Angelpunkt, um den herum der Satz sich aufbaut und gliedert.
Sofern Drach hier tatsächlich auf de Saussure aufbaut (immerhin ist die deutsche Uebersetzung des "Cours" im Literaturverzeichnis erwähnt), so mag sein Missverständnis dadurch zustande gekommen sein, dass de Saussure die Zeichennatur der Sprache oft am Beispiel des Wortes darlegt. 25
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 29, S. 16.
36
Syntaxforschung im 20. Jh. Vorfeld
Mitte
Nachfeld
Geschehen *
(Personalform des Verbs)
*
Dieser Grundplan gilt ausnahmslos. Das Geschehen zur Mittelachse der Aussage zu machen, muss eine Gestaltungsweise sein, die dem deutschen Sprechdenken im besonderen Masse liegt." < 26 > Es fällt auf, dass unter den hier aufgeführten Beispielen zusammengesetzte Verbalformen fehlen, bei welchen die Aussage des Geschehens sicher eher vom infiniten Teil getragen wird. Offensichtlich hat Drach bei seiner 'inhaltbezogenen' Interpretation nicht genau genug zwischen lexikalischen Klassen (Wortarten) und funktionalen (syntaktischen) Kategorien unterschieden. Es sind zwar immer Verben, welche im Satz die syntaktische Funktion der Personalform übernehmen. Die Geschehensaussage wird aber nicht durch die grammatische Bedeutung der funktionalen syntaktischen Kategorie 'Personalform' geleistet, sondern durch die lexikalische Bedeutung desjenigen Elements aus der lexikalischen Klasse der Verben, welches im Satz Hauptverb (syntaktische Kategorie!)
26
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 29-30, S. 16-17. [Hervorhebungen von Drach.]
27
Diese Verhältnisse werden von Hennig Brinkmann durch die Unterscheidung von Satzwert und Inhaltswert des Verbs klar herausgestellt. Der Inhaltswert ist die lexikalische Bedeutung des Verbs, Satzwert fasse ich auf als grammatische Bedeutung aller durch die Personalform realisierten Morpheme mit Einschluss des durch die Stellung der Personalform realisierten Morphems. Bei den einfachen Verbformen werden beide Aufgaben des Verbums durch dasselbe sprachliche Zeichen übernommen, bei den zusammengesetzten Formen kommt es zu einer Auftragsverteilung, so dass die Personalform den Satzwert, die infinite Form des Hauptverbs den Inhaltswert mitteilt. Die Personalform gibt für sich allein nicht einmal immer
Erich Drach
37
Drachs Behandlung der zusammengesetzten Formen des Verbs erweckt einen zwiespältigen Eindruck: "In Mittelstellung erscheint [...] plangemäss das Geschehen, hier dargestellt durch die Personalform des Hilfsverbs. Gerade weil dieses [...] keine Eigenbedeutung mehr hat, lenkt sich die Erwartung auf das Kommende. Es erweckt als Ausganspol Spannung [...]. Denkspannung und Stimmführung laufen nun über das ganze Nachfeld, bis zum Gefügepartner, dem Vollverbum [in der Nominalform]. In ihm als dem Zielpol finden sie ihre Lösung." < 28 > Wenn das Hilfsverb keine Eigenbedeutung hat und nur vorausweisend die Spannung auf das Vollverb erzeugt, so heisst das doch nichts anderes, als dass das Geschehen eben von der Nominalform 'dargestellt' wird. Obwohl Drach den Rück29 griff auf die Sprachgeschichte abgelehnt hat , weist er hier auch noch auf die Entstehung der zusammengesetzten Formen aus syntaktischen Fügungen aus Vollverb + Nomen hin^, die seiner Auffassung, die Geschehensaussage werde immer durch die Personalform dargestellt, eher entsprechen. Das lässt die Vermutung aufkommen, er habe den Satzplan aus Sätzen gewonnen, bei denen ein Vollverb die 'Mitte' belegt. Angesichts der Tatsache aber, dass zusammengesetzte Formen ausserordentlich häufig vorkommen, sah er sich dann genötigt, eine Erklärung dafür zu finden, die es ihm ersparte, auf die Gleichsetzung Personalform = Geschehen = Mitte verzich-
eindeutige Auskunft über die gemeinte Verbalform: "Er ist schon vor einer Stunde ..." lässt noch offen, ob Aktiv (Er ist schon vor einer Stunde erwacht) oder Passiv (Er ist schon vor einer Stunde geweckt worden) vorliegt. Erst die infinite Form gibt endgültig Aufschluss über den Satzwert, und nur sie allein übermittelt den eigentlichen Inhalt eines verbalen Prozesses. - Vgl. Brinkmann, Die deutsche Sprache, S. 487-491. 28
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 110, S. 51.
29
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 6, S. 7.
30
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 109, S. 51.
Syntaxforschung im 20. Jh.
38
ten zu müssen, welche die Auffassung von der "vorherrschende [n] Tätigkeitsvorstellung, die den deutschen Satz kennzeichnet"^ so schön inhaltbezogen illustriert. Vom inneren Bau des Verbalkomplexes ist überhaupt nicht die Rede. Auch das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Drach von Sätzen mit einfachem finitem Verb ausgegangen ist. Alle Satzglieder ausser der Personalform können entweder im Vorfeld oder im Nachfeld erscheinen. Deshalb ist es sinnlos, die Reihenfolge Subjekt-Prädikat festzulegen und 32 von 'normaler Wortstellung1 und 'Inversion' zu sprechen. "Nicht die grammatische Funktion des Wortkörpers entscheidet über die Stellungsbeziehungen, sondern die Denkfunktion des Wortinhaltes."
Die Besetzung des Vor— und des Nach-
feldes hängt von der Redeabsicht ab. Dabei unterscheidet Drach zwei Arten und entsprechend zwei verschiedene Gestalten des einfachen Satzplans: 1.) Das 'gefühls- und willensmässig Hochgetriebene' steht im Vorfeld, das Drach deshalb als die 'Ausdrucksstelle' bezeichnet. Vorfeld Mitte
Nachfeld
Ausdrucksstelle
Geschehen
Ergänzungen
(gefühls- oder willenswertiges Sinnwort)
(Personalform des Verbs)
und Erläuterungen
Gefühlswertiges Sinnwort: (Ich hatte lange verzweifelt gewartet); "endlich / kam / die ersehnte Nachricht.
31
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 146, S. 70. [Hervorhebung weggelassen.]
32
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 51, S. 26.
33
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 31, S. 17. [Hervorhebungen weggelassen.]
39
Erich Drach Willenswertiges Sinnwort: Be"straft / muss / er werden; Der "Teufel / soll / ihn holen!
2.) Beim Denken schreitet man "vom Gewussten zum Gesuchten, 34 vom Bekannten zum Unbekannten, vom Ausgang zum Ergebnis" Das Sinnwort steht deshalb im Nachfeld, das Drach 'Eindrucksstelle' nennt. Im Vorfeld erscheint in diesem Fall "das bereits Gewusste, das nach vorher Anschliessende, die beiläufige Vorbereitung oder Umrahmung des Denkzieles" Vorfeld Mitte Nachfeld Anschluss nach
Geschehen
vorher, Geg ebene s,
(Personalform des Verbs)
Beiläufiges
Eindrucksstelle (Sinnwort als Denkergebnis od. Belehrungsmittel)
Sinnwort als Denkergebnis: Nach langwierigen Untersuchungen / erging / das "Urteil. Sinnwort als Belehrungsmittel: All dies / lehrt / uns die "Bibel. Drach vermeidet jede begriffliche Benennung der beiden Gestalten des Hauptsatzplanes. Ich nenne die erste - wieder nur im Sinne einer Arbeitsterminologie - affektisch, die zweite nichtaffektisch. Mit dem gefühls- oder willensgeladenen Sinnwort im Vorfeld bzw. dem gedanklichen oder lehrhaften Sinnwort im Nachfeld greift Drach, der eigentlich Sprechkundler war, auf die Schallform des Satzes. Das Sinnwort (Bezeichnung: ") ist das stärkstbetonte Wort [dynamischer Akzent] des Satzes und
34
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 32, s. 17.
35
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 32, S. 18.
40
Syntaxforschung im 20. Jh.
enthält "die dominierende Vorstellung" , es ist "psycholo37 gisches Prädikat" . Jedes Wort des Satzes kann Sinnwort sein, unabhängig davon, in welchem Satzglied es auftritt; nur die Relativpronomen und das Pronomen
1
es' können nicht
den Hauptakzent tragen. - Mit dem Sinnwort bezieht Drach ein beobachtbares Phänomen in die Betrachtung ein. Doch ergeben sich gewisse Schwierigkeiten bei seiner wissenschaftlich exakten Bestimmung. Eindeutig feststellbar ist es nur in spontan gesprochenen Sätzen, die in einen Text eingebettet sind. Wie schwierig es ist, die 1
Wortinhaltes
1
Denkfunktion des
zu bestimmen, zeigen Drachs Angaben über die
Besetzung des Nachfeldes beim affektischen Sprechen (vgl. das erste Schema oben S. 38) bzw. über die Besetzung des Vorfeldes im nichtaffektischen Satz (vgl. das zweite Schema oben S. 39). Sie sind so allgemein und unbestimmt, dass sie nichts Wesentliches über die Funktion der in diesen Feldern stehenden Glieder aussagen. Die Stellungsgesetze im Wunsch- und Fragesatz erklärt Drach ebenfalls mit den Begriffen
1
Eindrucksstelle' und
1
Ausdrucksstelle1. Der Entscheidungsfrage (Glaubst du das
wirklich?), dem Wunsch (Möge er bald kommen:) und dem Befehl (Geh mir aus den Augen!) wohnt "ein Gefühlston von 38 inne, der Akt des Fragens, Wünschens
Erregung und Spannung"
oder Befehlens verkörpert sich im Geschehen, weshalb das Verb in Ausdrucksstelle an der Spitze des Satzes steht. Bei Bestimmungsfragen (Wer hat das getan?) besetzt das Fragewort, in dem sich der Akt des Fragens verkörpert, dieselbe Position. Offensichtlich hat sich Drach hier doch nicht ganz von der herkömmlichen logischen Klassifizierung der 36
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 25, S. 14 und § 43, S. 22. [Hervorhebung weggelassen.]
37
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 25, S. 14.
38
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 35, S. 19.
Erich Drach
41
Satztypen lösen können. Sonst würde er diese Satztypen nicht ohne weiteres zusammen unter demselben Gesichtspunkt dem Plan des Aussagehauptsatzes zuweisen. Zwischen den Bestimmungsfragen einerseits und den Entscheidungsfragen, Wunschund Befehlssätzen anderseits besteht doch ein wesentlicher formaler Unterschied, der sich in der Stellung der Personalform des Verbs manifestiert. Da Drach der Personalform eine hervorragende Rolle bei der Beschreibung des Satzplanes beimisst, sollte dieser Unterschied nicht verwischt werden. Es wäre darum wohl angemessener gewesen, wenn Drach die Bestimmungsfragen dem Plan des affektischen Aussagesatzes zugewiesen hätte, während die anderen Fälle durch eine Variante desselben Planes, in der Vorfeld und Mitte zusammenfallen, hätten beschrieben werden können: Vorfeld
(
Mitte)
Nachfeld
Ausdrucksstelle (Personalform) Auch der Plan des Gliedsatzes 39 enthält drei Felder.
39
Drach nennt die Nebensätze 'Gliedsätze', weil sich in diesen Sätzen die Einordnung eines Sprechaktes B in den Akt A vollzieht: Infolge der langen Dürre
verarmten
viele Bauern
Weil/es lange/nicht regnete (Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 56, S. 29. [Plan von mir leicht modifiziert.]) 'Gliedsatz' wird auch in der Duden-Grammatik gebraucht (in der 3. Aufl. allerdings weitgehend durch 'eingebetteter Satz' ersetzt)} auch Glinz verwendet seit 1961 Gliedsatz im selben Sinn. Ursprünglich nannte er alle Sätze [Haupt- und Nebensätze], die nicht allein unter einem Gesamtbogen erscheinen konnten 'Gliedsätze'. Vgl. Gllnz, Die innere Form des Deutschen, Beilage, Neue Anmerkungen, Anm. 144 [so schon in der 2. Aufl. 1961]. Es handelt sich hier bei Drach um das früheste mir bekannte Auftreten des Terminus.
Syntaxforschung im 20. Jh.
42
"Vorne steht, in Anschlussstelle, die Satzeinleitung (Konjunktion), welche die logische Beziehung des Gliedsatzes zum Hauptsatz darstellt. Am Ende steht, in Eindrucksstelle, das Geschehen, welches diese logische Beziehung als wirklich bestehend feststellt [...]. Satzeinleitung und Verb, als Ausgangs- und Zielpol, bilden eine Klammer um den Satzinhalt [...]. Die Klammer wird durch eine unverkennbar eigenartige Stimmführungslinie ausgesprochen.
Ausgangspol Satzeinleitung
*
• •
* *
• •
* * *
beliebige Gliederung
Zielpol Geschehen
< 40 > Nach diesem Plan sind auch die indirekten Fragesätze und die Relativsätze gebaut. Die folgenden vier Erscheinungen Sind nur scheinbare Ausnahmen: 1. Oneingeleitete Nebensätze (Der Bote berichtete, er habe niemanden angetroffen.) sind nach Drach zwei nebeneinander gestellte Aussagesätze, was sich auch aus der Intonation ergebe. Aus Drachs Argumentation wird nicht ganz klar, ob er hier nur an den Fall der indirekten Rede denkt, oder auch an die anderen sog. Inhaltssätze ohne 41 Einleitewort . Sollte das Zweite der Fall sein, so sind wohl zu viele Fälle, die sich syntaktisch, intonatorisch, und - worauf Drach ja besonders Wert legt - denkfunktional unterscheiden, über einen Leisten geschlagen worden. 40
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 57, S. 29. [Hervorhebung von Drach.]
41
Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. Bearb. von Paul Grebe unter Mitwirkung von Helmut Glpper, Max Mangold, Holfgang Mentrup und Christian Winkler. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches Institut (1973). (= Der grosse Duden. Bd. 4..J S. 580, § 1372.
Erich Drach
43
2. Bei den uneingeleiteten Konditionalsätzen (Kommt er rechtzeitig an, so kann noch alles gut werden.) greift Drach 42 gegen seinen eigenen methodischen Grundsatz auf die Sprachgeschichte zurück und nennt die Stellung deswegen 'plangemäss', weil diese Sätze aus echten Fragesätzen entstanden seien. 3. Die Innenstellung der Personalform (weil er von der Ueberzahl der Gegner wäre getötet worden) erklärt Drach aus dem Bedürfnis nach einem tragfähigen Zielpol. Sie vermeidet einen zu langen Hinterlauf nach der Stammsilbe des Hauptverbs, die den Hauptton trägt (ge"tötet worden wäre). - In der aktuellen Gegenwartssprache ist diese Stellung nur noch bei zusammengesetzten Formen der Modalverben möglich; Drach geht darauf überhaupt nicht ein. 4. Nachträge durchbrechen den Gliedsatzplan nicht, sie sind durch eine Fuge deutlich vom eigentlichen Gliedsatz getrennt. Hierzu rechnet Drach auch die Ausklammerungen. Als einzige echte Ausnahme des Gliedsatzplanes lässt er konjunktivische Annahmesätze mit 'als' (Er benimmt sich, als wäre er der Herr im Hause.) gelten. Da Drach hier um eine Erklärung verlegen ist, empfiehlt er, im Unterricht diese Gebilde beiseite zu lassen und stattdessen den plangemässen Gebrauch "als ob er der Herr im Hause wäre" zu lehren! In diesem Abschnitt zeigt sich deutlich Drachs Beschränkung auf die Grundzüge des Satzbaus. Sobald es um Sonderfälle geht, wirkt er nicht mehr so überzeugend, er wird inkonsequent in der Argumentation, ungenau in der Beschreibung und lässt beiseite, was er nicht erklären kann (oder was er gar nicht erkannt hat?).
42
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 6, S. 7.
44
Syntaxforschung im 20. Jh.
Bevor ich näher auf die Satzpläne, besonders auf die Gliederung innerhalb der Felder eingehen kann, muss jetzt das zweite grundlegende Prinzip des deutschen Satzbaus ge43 nannt werden: die Umklammerung. Schon Kaspar Stjeler hatte 1691 die verbale Klammer erkannt. Das Klammerprinzip ist also keineswegs eine Entdeckung Drachs. Hingegen hat er als erster seine satz- und gefügebildende Kraft erfasst. So spricht er von Umklammerung, Zusammenfassen, Spannung, Ausgangs- und Zielpol, wo es vorher Disjunktion, Aufspaltung und Trennung zusammengehöriger Teile hiess. "[Die Umklammerung] erklärt sich nicht grammatischlogisch, sondern denkfunktional. Ihr Wesen ist nicht Vorausnähme, sondern Hineinnahme; ihr Ziel nicht Auflösung, sondern Einschmelzung." < 44 > "Nicht das Trennen, sondern das Einschliessen, Zusammenraffen ist das Eigenartigste an diesem Denkakt." < 45 > Eine Klammer schafft eine Spannung zwischen einem Ausgangsund einem Zielpol, sie überspannt, was zwischen den Polen liegt und fasst "[...] Pole und Innenstücke zu einem Ganz46 gebilde aufeinander bezogener Teilstücke" zusammen. 0
e
e
(A
[*
**
e ***]
^O Z)
< 47 >
43
Siehe oben S. 11 und Anm. 1.
44
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 84, S. 40. [Hervorhebungen von Drach.] 'Vorausnähme' bezieht sich auf Charles Ballys 'anticipation' (Bally, Charles: Linguistique générale et linguistique française. 4e édition revue et corrigée (par S. Heinimann). - Berne: Francke (1965).).
45
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 86, S. 41. [Hervorhebungen von Drach.]
46
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 87, S. 41.
47
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 87, S. 41.
Erich Drach
45
Umklammerung und Stimmführung wirken gemeinsam, sie brauchen 48 sich aber keineswegs immer im Ablauf zu decken. Geht es bei den Satzplänen darum, mit nur zwei Hauptplänen den Bau des deutschen Satzes darzustellen, so erwartet man bei der Umklammerung eine ebensolche Abstraktion und Konzentration auf die Grundzüge. Versucht man aber, die von Drach aufgeführten Klammergebilde zusammenzustellen, so stösst man auf einen erstaunlichen Wirrwarr. Ueberall entdeckt Drach Klammern. Selbst das transitive Verb bildet mit seinem Objekt eine Klammer: Wir fangen (morgen) Fische. Betrachtet man die Beispiele genauer, so offenbart sich deutlich die Inkonsequenz in der Angabe der Klammern. Drach gibt unter 49 anderen die folgenden Beispiele : (1)
(der [in dem < langen > Krieg] verarmte Bauer)
(2)
(die [aus der < mit den Häusergruppen und Obstgärten bedeckten Ebene > hervorragende] stattliche Ruine Godesberg)
(3)
(die stattliche [aus der häuserbedeckten < mit Obstgärten bestandenen > Ebene hervorragende] Ruine Godesberg)
(4)
Er (blickte [auf die < hohen / von > Schnee bedeckten > Berge] hinüber).
Wenn das Gefüge Artikel + Substantiv geöffnet und als Klammer um seine Bestimmung gelegt werden kann^, wie es in Bsp. (1) die Teilkette "... in dem < langen > Krieg ..." zeigt, dann müssten die Bsp. (1) bis (4) konsequenterweise so geklammert werden:
48
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 88, S. 41 und bes. § 11, S. 52.
49
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 91, S. 43 [Bsp. (1)], § 97, S. 46 [Bsp. (2) und (3)], § 81, S. 39 [Bsp. (4)].
50
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 80, s. 39.
46
Syntaxforschung im 20. Jh. (la)
(der [in dem < langen > Krieg verarmte] Bauer)
(2a)
(die [aus der < mit den Häusergruppen und Obstgärten bedeckten > Ebene hervorragende / stattliche] Ruine Godesberg)
(3a)
(die [stattliche / aus der < hauserbedeckten / mit Obstgärten bestandenen > Ebene hervorragende] Ruine Godesberg)
(4a)
wie oben
oder noch exakter: (lb)
(der [ < in dem > Krieg > verarmte] Bauer)
(2b)
(die [ < aus der > Ebene > hervorragende / stattliche] Ruine Godesberg)
(3b)
(die [stattliche < aus der > Ebene > hervorragende] Ruine Godesberg)
(4b)
Er (blickte [auf die < hohen > bedeckten > Berge] hinüber).
Versuchen wir nun aus diesen Beispielen abzulesen, nach welchen Kriterien Drach die Klammern gesetzt hat. Bei (1) und (3) hat er sich offenbar von der lautlichen Gliederung der Gefüge leiten lassen, wobei er aber im selben Gefüge (1) die innerste Klammer "... in dem < langen > Krieg ..." nach syntaktischen Gesichtspunkten gesetzt hat. Das Bsp. (4) ist nur syntaktisch gegliedert, aber nicht vollständig. Bei (2) ist der Entscheid schwierig, weil es sich nicht um einen normal gebauten, gut sprechbaren Satz handelt. (Drach führt dieses Beispiel als 'grammatisch richtig und trotzdem denkfunktional unmöglich' an und verbessert es zu der in (3) wiedergegebenen Konstruktion.) Aus der Interpretation des Textes und der Beispiele ergibt sich für die Umklammerung: Drach betrachtet sie nach ihrer denkfunktionalen Leistung, bestimmt aber die Klammern in einzelnen konkreten Sätzen nach der Schallform und beschreibt den Befund syntaktisch. Gerade weil sich die Um-
Erich Drach
47
klammerung nicht grammatisch-logisch erklären lasse
51
, kann
ihm auch nicht viel an einer Klassifizierung der Klammerformen, die ja irgendwie nach syntaktischen Kriterien vorgenommen werden müsste, liegen. Deshalb fasst er ohne weiteres die zwei folgenden Fälle unter der Bezeichnung 'Plan der Infinitiv-Satzglieder' zusammen
52
:
Der Vogel flatterte hin und her, (um [die Hunde / von seinem Nest] abzulenken). Ich (hoffe, [in zwei Monaten / mit der Arbeit] fertig zu sein). Es geht ihm nicht um die Klammern als grammatische Gebilde, sondern um das Bauprinzip der Umklammerung als Grundzug des deutschen Satzbaus, so dass sich der deutsche Satz als ein vielstufiges Klammergefüge auffassen lässt. Betrachtet man die syntaktischen Verhältnisse im Satzplan des Aussagesatzes, so zeigt sich als grundlegender Unterschied zwischen Vor- und Nachfeld, dass im Vorfeld nur ein Satzglied stehen kann, im Nachfeld aber mehrere. Diese Tatsache wird von Drach zwar festgehalten, aber als nicht wesentlich betrachtet. Es bestehe die Neigung, das Geschehen nach vorn, gegen die Ausdrucksstelle zu verschieben, so "[...] dass in der Mehrzahl der Fälle das Nachfeld mit viel53
fältigeren Gliederungen besetzt wird, als das Vorfeld." Somit befindet sich also die 'Mitte' (Feld der Personalform) in Drachs Satzplan doch nicht ganz in der Mitte des Satzes, sondern steht meistens etwas weiter vorn. Weil Drach aber der Beschreibung nicht die syntaktischen Beziehungen zugrundelegt, sondern die sich in der Schallform manifestie-
51
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 84, S. 40.
52
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 89, S. 42.
53
Drach, Grundgedanken der d t . Satzlehre, § 37, S. 20. [Hervorhebungen weggelassen.]
48
Syntaxforschung im 20. Jh.
rende Gliederung, darum lehnt er die Bezeichnung 'Zweit54 Stellung' für die Personalform ab. Das Geschehen steht in der 'Mitte'. Vorfeld und Nachfeld können beide weiter untergliedert sein, aber jedes ist eine Ganzheit, durch keine Fuge getrennt. Der Mann, unkundig der Landessitte, / beleidigte / seinen Gastgeber auf das tiefste. < 55 > Das auf der Mittelchse standfeste Geschehen schliesst die Felder syntaktisch zusammen. Trotzdem sieht sich Drach veranlasst, auf die Gliederung des Nachfeldes näher einzugehen, d.h. den Unterschied im syntaktischen Bau der beiden Felder zu berücksichtigen, was sich übrigens auch in seiner Charakterisierung "Vorfeld, Mittelstellung, gegliedertes Nachfeld""'*' für den Aufbau des Satzes zeigt. Erst hier wird klar, was Drach überhaupt unter dem Nachfeld versteht: den ganzen Bereich nach der Personalform. Bei der Beschreibung des Satzplanes wurde diese Tatsache völlig verdeckt, weil Drach immer nur Fälle ohne verbale Klammer berücksichtigte. (Deshalb setzte er auch 'Personalform' ohne weiteres mit 'Geschehen' gleich.) Man könnte deshalb den Plan des Aussage-Hauptsatzes wie folgt verdeutlichen:
54
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 53, S. 27.
55
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 40, S. 21.
56
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 53, S. 27.
Erich Drach
Vorfeld
49
Mitte Ausgangspol
*
Nachfeld Innenstücke des Nachfeldes *
I
•
*
*
•
*
Zielpol *
*
A Im Nachfeld können die Innenstücke oder der Zielpol oder beide zusammenfehlen. Analog könnte man dann den Gliedsatzplan darstellen:
Zielpol
Ausgangspol *
•
*
*
•
*
*
1i
Wir haben jetzt in diesen Plänen noch die Eindrucksstelle und die Ausdrucksstelle genau zu lokalisieren. Aus verstreuten Angaben im Text ergibt sich, dass die Eindrucksstelle im Plan des Aussagehauptsatzes den letzten Platz vor dem Zielpol belegt, im Gliedsatz fällt sie mit dem Zielpol zusammen. Diese Inkonsequenz rührt wohl daher, dass im Gliedsatz der Zielpol obligatorisch besetzt ist, im Hauptsatz nicht. Die Ausdrucksstelle fällt im Hauptsatz ins Vorfeld, im Gliedsatz liegt sie beim Ausgangspol. Aber nicht jedes Glied, das etwa im Hauptsatz an erster Stelle steht, ist gefühls- oder willenswertig hervorgehoben. Vielmehr ist die Ausdrucksstelle der Ort im Satzplan, an dem ein gefühlsoder willenswertiges Sinnwort steht, sofern ein solches im Satz überhaupt vorkommt. Entsprechendes gilt für das •denkwichtige' Sinnwort. Von wenigen Ausnahmen abgesehen.
50
Syntaxforschung im 20. Jh.
kann jedes Wort des Satzes Sinnwort sein. Drach weist ihm keine eindeutig fixierte Stelle im Satzplan zu, doch kann man die Grundzüge so zusammenfassen: Beim affektischen Sprechen steht es im Hauptsatz im Vorfeld, im Gliedsatz nahe beim Ausgangspol; beim nichtaffektischen Sprechen steht es bei *J, d.h. im Hauptsatz an der Eindrucksstelle, im Gliedsatz unmittelbar vor der Eindrucksstelle (dem Zielpol) ; Abweichungen sind möglich, besonders wenn das Verb Sinnwort ist. Den Bau des Nachfeldes erfasst man aber nicht, wenn man seine Glieder als eine Reihe, ein Nacheinander von Satzteilen betrachtet, denn: "Das Entscheidende ist immer die 57 gegenseitige Bezogenheit." Drach fasst das Nachfeld als einteiliges, aber gegliedertes Gebilde auf: "Wie der Plan zeigt, folgen hinter dem Geschehen nicht selbständige Einzelposten, sondern ein gegliedertes Feld. Aller Nachfeld-Inhalt ist organisch verbunden und zur Mittelachse in Beziehung gesetzt. Wie immer die Satzglieder grammatisch verwendet sein mögen, die als Teilinhalte des Nachfeldes erscheinen [...]: immer stehen sie in einer durch besondere Mittel herausgearbeiteten engen Verflochtenheit." < 58 > In der Reihe
*
**
*J
nimmt die 'Denkstärke1 oder
1
Denk-
wichtigkeit' zu. Beim Versuch, die syntaktisch-logischen 59 Regeln der normativen Grammatik auf eine Ordnung nach der Denkwichtigkeit zu projizieren, taucht als neuer Aspekt die 'verschieden gestufte Beziehung zum Verb' auf. Verbnähe,
57
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 130, S. 63. [Hervorhebung von Drach.]
58
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 39, S. 20-21. [Hervorhebung weggelassen.]
59
Zum Beispiel: Zeitbestimmung steht meist vor Ortsbestimmung, Dativobjekt vor Akkusativobjekt.
Erich Drach
51
Denkwichtigkeit und Klammerbildung werden in einen nicht immmer ganz klaren Zusammenhang gebracht. Versucht man, die wichtigsten der von Drach erwähnten Phänomene - wie Haupt- und Gliedsatzplan, gefühls- oder willenswertiges bzw. denkwichtiges Sinnwort, Ein- und Ausdrucksstelle usw. - zu einer Synthese zu bringen, so scheitert man an der Ungenauigkeit von Drachs Formulierung, an der Unvollständigkeit und Unvollkommenheit der Behandlung. Ein solches Unterfangen ist sicher verfehlt und wird Drachs Leistung nicht gerecht. Erst seit wenigen Jahren beschreibt man sprachliche Fakten mit einer exakt definierten Terminologie als System aufeinanderbezogener Regeln. (Ob eine solche mathematisch präzise Formulierung den beschriebenen Sachverhalt auch richtig wiedergibt, ist eine zweite Frage, die wenig mit der Präzision der Formulierung zu tun hatl) Drachs Leistung bemisst sich nicht danach, wie sich die von ihm zutage geförderten Prinzipien zu einem Regelsystem zusammenschliessen. Er hat die Struktur des deutschen Satzes aus der Wortstellung heraus zu verstehen gesucht und hat dabei einige wichtige Grundzüge der deutschen Wortstellung erkannt. Die bedeutungsvollsten sind sicher der Satzplan und die Umklammerung, dann hat er aber auch mit dem Begriff 'denkwichtig' vorgearbeitet für eine Untersuchung des Mitteilungswertes, er hat die Schallform des Satzes berücksichtigt und kann sicher auch als Vorläufer der inhaltbezogenen Grammatik gelten. Drachs Darstellung ist im einzelnen unvollkommen, aber sie hat befruchtend auf die Forschung eingewirkt, die viele seiner Erkenntnisse aufnahm, präzisierte und damit weiterverarbeitet hat.
60
Drach, Grundgedanken der dt. Satzlehre, § 130-139, S. 63-66.
52
Syntaxforschung im 20. Jh. Karl Boost
Neben Erich Drach hat auch Karl Boost Grundlegendes zur Erforschung der deutschen Wortfolge beigetragen. Er hat den Mitteilungswert für die Erklärung der Gliestellung herangezogen, den Begriff der Thema-Rhema-Struktur von der allgemeinen Sprachwissenschaft her in die deutsche Syntaxforschung eingeführt und den Bau des schliessenden Klammerteils ausführlich dargestellt. Boosts Darstellung wurde 1955 unter dem Titel "Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen Satzes"^"'' veröffentlicht, sie ist in den Dreissigerjähren verankert und schliesst forschungsgeschicht62
lieh an Drach an.
Sie enthält einige Unstimmigkeiten, die
darauf zurückzuführen sind, dass das Buch - übrigens wie dasjenige Drachs - erst nach dem Tod des Verfassers herausgegeben werden konnte. Theodor Frings schreibt dazu im Vorwort: "Karl Boost konnte nicht mehr die letzte Hand an seine Arbeit legen, da ihn ein frühzeitiger Tod dahinraffte. So enthält die Arbeit gewisse Unebenheiten, die der Verfasser sonst mit leichter Mühe hätte beseitigen können. [...] Inhaltlich blieb die Arbeit unangetastet. Es schien richtiger, einige Unvollkommenheiten hinzunehmen, als sich der Gefahr auszusetzen, die Gedanken des Verfassers in der Umformung zu verändern."
61
Boost, Karl: Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen Satzes. Der Satz als Spannungsfeld. (3. unv. Nachdr.) Berlin: Akademie 1957. (= Dt. Akad. d. Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur. 4.) [1. Aufl. 1955.]
62
Nur teilweise zu Recht sagt Glinz (Dt. Syntax, 3. Aufl., S. 58): "[Das Büchlein] war im Zeitpunkt, wo es erscheinen konnte (1955), von der seitherigen Entwicklung überholt." Das knappe Literaturverzeichnis Boosts enthält als neueste Titel immerhin noch drei Werke aus dem Jahr 1950. Trotzdem schliesst Boost forschungsgeschichtlich ziemlich direkt an Drach an, direkter jedenfalls als Glinz, der nach seinem eigenen Zeugnis (Glinz, Die innere Form des
Karl Boost
53
Boost und Drach untersuchen die Sinnebene des Satzes. Sie sind der inhaltbezogenen Grammatik zuzurechnen, aber nicht ihrer extremen theoretischen Ausprägung. Inhaltbezogen sind sie nur insoweit, als sie die Struktur des Satzes von den Inhalten her aufnehmen. Ich würde ihren Platz im erst später von Weisgerber voll ausgebauten theoretischen System der inhaltbezogenen Sprachwissenschaft so festlegen: Sie arbeiten auf den beiden ersten, den grammatisehen, Stufen der inhaltbezogenen Sprachwissenschaft; nur Drach stösst gelegentlich weiter vor zu den energetischen Stufen. Boosts Darstellung baut im Wesentlichen auf den zwei Voraussetzungen auf, dass jeder Satz ein Spannungsgefüge ist und dass er kommunikativen Charakter habe. Ein Satz stellt eine Spannungseinheit dar, innerhalb welcher Zwischenspannungen auftreten können. In der Folge Artikel + Adjektiv + Substantiv beispielsweise eröffnet der Artikel die Spannung, das Adjektiv führt sie weiter und lenkt sie in eine bestimmte Richtung, erst das Substantiv erschliesst den Sinn und löst die Spannung. Nun ist die ganze Wortgruppe in sich spannungsfrei. Sie steht aber in einem grösseren Zusammenhang, so dass nur eine Teilspannung gelöst ist. Sie hat neue Erwartungen auf weitere Glieder geweckt. So zeigt sich der Satz als Spannungsgefüge, das Boost mit einer Bogenbrücke vergleicht. Aber auch der Satz steht wieder in einem Zusammenhang, auch er erweckt Erwartungen auf weiteren Aufschluss. Deshalb ist ein Text
Deutschen, S. 97.) auch sehr viel der Anregung Drachs verdankt. Glinz' negatives Urteil kann sich nur auf das Fehlen experimenteller Prozeduren beziehen, wie er sie als erster ("Die innere Form des Deutschen" ist 1952 erschienen, war aber schon 194 5/48 geschrieben worden) in grösserem Ausmass auf die deutsche Sprache angewandt hatte.
54
Syntaxforschung im 20. Jh.
ein Gebilde aus sich übereinanderwölbenden (aber sich nicht überkreuzenden) Spannungsbogen.^
In diesem Gefüge ist der Satz ein "'handliches' Spannungs»64 mass Boost formuliert als Grundgesetz für den deutschen Satzbau : "Der deutsche Satz hält die mit dem Setzen des ersten Wortes erzeugte Spannung nach Möglichkeit bis zuletzt aufrecht und löst sie erst am Schluss. Jedes vorherige Lösen wird als sprachwidrig empfunden und daher nach Möglichkeit vermieden." < 65 > Boost legt das Hauptgewicht auf die Sinnspannung: Das Spannungserlebnis beruht in erster Linie auf dem Inhaltlichen; es wird vom grammatischen und lautlichen Element unterstützt.*^ Diese Differenzierung wird im weiteren Gang der Untersuchung vernachlässigt. Boost spricht kurzerhand 63
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 16.
64
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 15.
65
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 19.
66
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 17 und 56.
55
Karl Boost
von Spannung und raeint dabei wohl meistens die Sinnspannung. Nur ein einziges Mal kommt er auf diese Differenzierung zurück, nämlich beim mehrgliedrigen, rahmenlosen Satz einwertiger Verben (d.h. wenn ausser dem Subjekt als einzigem obligatorischem Mitspieler noch weitere fakultative Glieder vorhanden sind), wo die Satzspannung offensichtlich nur durch lautliche Mittel aufrechterhalten wird. Die Thema-Rhema-Struktur des Satzes entwickelt Boost aus dem Mitteilungscharakter der Sprache. Der Satz steht im Spannungsraum zwischen Sprecher und Hörer, zwischen Wissen und Noch-nicht-Wissen. Ausgangspunkt jedes Satzes ist der gemeinsame Besitz von Sprecher und Hörer, der Ertrag aus den vorhergehenden Sätzen und aus der Situation. Grundlage des Satzes ist das Thema, eine eindeutig determinierte Vorstellung (von der Emphase abgesehen), eine eindeutig auch dem Hörer bekannte Erscheinung. Nach dem Thema steht das Rhema als Träger der eigentlichen Mitteilung. - Dieses Be67
griffspaar hat Boost von Hermann Ammann übernommen. Mit der Thema-Rhema-Gliederung glaubt Boost, die Betrachtung von der grammatischen auf die Sinnebene verlagert zu haben:
67
Ammann, Hermann: Die menschliche Rede. Sprachphilosophische Untersuchungen. T . 2.: Der Satz. - Lahr i.B.: Schauenburg 1928. S. 3: "Auf einen früher von mir eingeführten Ausdruck zurückgreifend, werde ich den Gegenstand der Mitteilung im Folgenden gelegentlich auch als 'Thema' bezeichnen) das Neue, das was ich dem Hörer über das Thema zu sagen habe, könnte man entsprechend mit dem (scheinbaren) Reimwort 'Rhema' belegen." Der Ausdruck Thema wurde von Ammann schon 1911 eingeführt: Ammann, H[ermann]: Die Stellungstypen des lateinischen attributiven Adjectivums und ihre Bedeutung für die Psychologie der Wortstellung auf Grund von Ciceros Briefen an Atticus untersucht. - in: Idg. Forschungen 29 (1911/12), S. 1-122; hier S. 14-23. Die Begriffe 'Thema' und 'Rhema' nehmen die in der älteren Forschung (von der Gabelentz; vgl. dazu oben S. 14-15) vorgenommene Zweiteilung in psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat wieder auf.
56
Syntaxforschung im 20. Jh.
"Diese Ueberlagerung des Grammatischen durch die Sinnebene ist von grundsätzlicher Bedeutung. [...] Alle Versuche, eine sinnvolle Ordnung des Satzes mit Hilfe der grammatischen Glieder zu erreichen, mussten scheitern, weil dort einfach die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Erst auf der Sinn-Ebene lässt sich eine befriedigende Lösung erreichen. Die grammatischen Glieder büssen dabei ihre Bedeutung in keiner Weise ein; sie behalten ihre syntaktische Funktion im vollen Umfange; nur werden sie jetzt zu Bauelementen, die dem Satzplan vom Sinne her zu dienen haben. Ihre Anordnung geschieht nicht unter grammatischen Gesichtspunkten, sondern von der Satzintention, von der Richtung her, in der die Aussage erfolgen soll. Hier stossen wir auf den Grund unserer sog. 'freien' Wortstellung, frei gegenüber den grammatischen Kategorien in ihrer beliebigen Verwendung innerhalb ihres Rahmens, sehr gebunden jedoch, wie wir sehen werden, wenn auch bei grosser Variationsmöglichkeit, auf der Sinn-Ebene." < 68 > Es zeigt sich jedoch, dass die Begriffe Thema und Rhema bei Boost nicht eindeutig auf der Sinnebene definiert sind. Vielmehr bezeichnen sie einen Platz im Stellungsplan: Thema ist immer der Raum vor der Personalform^ (Drachs Vorfeld), alles übrige ist Rhema. Das wird besonders bei der Behandlung des Fragesatzes deutlich, wo die unbekannte Grösse X, vertreten durch das Fragewort, Thema ist, während das Rhema das Bekannte darstellt: Thema
Rhema
Wer
hat denn das Buch gefunden?
Unbekannt
Bekannt
Thema und Rhema sind also Elemente der grammatischen Ebene, nach deren Leistung auf der inhaltlichen Ebene gefragt wird.
68
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 30. [Hervorhebung von Boost.]
69
Wenn das finite Verb gemeint ist, schreibe ich im folgenden immer Personalform (ausser in wörtlichen Zitaten). Boost sagt 'Prädikat*; dabei rechnet er die infiniten Teile das eine Mal dazu, das andere Mal nicht.
Karl Boost
57
Es ist sehr zweifelhaft, ob Boost das überhaupt erkannt hat. Wenn er ausdrücklich auf das Vorhandensein von zwei Ebenen aufmerksam macht, sie aber trotzdem nicht klar auseinanderhält, so ist das meines Erachtens darauf zurückzuführen, dass er die Sinnstruktur mit der grammatischen Struktur gleichsetzt. Auf der Sinnebene müsste man übrigens auch noch die Inhaltsebene und die Kommunikationsebene auseinanderhalten, so dass wir es eigentlich mit einer dreifachen Gleichsetzung von Denkstruktur, Mitteilungsstruktur und grammatischer Struktur zu tun haben. Bei der Behandlung der Emphase (z.B. Der Teufel soll ihn holen) spricht Boost von einer Umkehrung: "Das Rhema, das Neumitzuteilende, der höchste Mitteilungswert tritt an die 70
Stelle des Themas"
. Das Rhema steht nun vor dem Thema.
Somit wären also Thema und Rhema doch wieder Elemente der Sinnebene! Das steht aber im Widerspruch zum übrigen Text. Diese Inkonsequenz muss eine jener 'Unebenheiten' sein, die der Verfasser bei einer letzten Ueberarbeitung hätte beseitigen können. Wenn wir Boosts methodisches Prinzip ganz exakt festhalten wollen, so müssen wir sagen, er teile den Satz auf der grammatischen Ebene in die zwei Felder Thema und Rhema und bestimme auf der Inhaltsebene die Funktion der in ihnen stehenden sprachlichen Elemente. 70
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 81.
71
Dann müsste nämlich die Fragesatzstruktur anders dargestellt werden. Aber auch mehrere Bemerkungen zur Emphase (das erste Glied stelle - von der Emphase abgesehen - immer eine eindeutig determinierte Vorstellung dar [S. 28]; Drachs Vorfeld = Thema [S. 80]; in bestimmten Fällen nehme das eigentlich ins Rhema gehörende Wort seinen Ton in die Spitzenposition mit [S. 82]) bestärken mich in der Ansicht, es müsste hier richtigerweise heissen: Das sonst im Rhema stehende Neumitzuteilende, der höchste Mitteilungswert tritt ins Thema.
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Syntaxforschung im 20. Jh.
Auf der grammatischen Ebene übernimmt das Prädikat die Aufgabe der Satzgründung. Es hat aber nicht nur eine syntaktische Funktion im Satz, sondern es besitzt auch noch einen Vorstellungsgehalt und stellt einen Mitteilungswert dar. Das Glied, das den Satz syntaktisch organisiert, steht an zweiter Stelle. Dadurch werden die folgenden Glieder von den syntaktischen Aufgaben entlastet, so dass in ihnen der 72 Mitteilungswert - so sagt Boost - in den Vordergrund treten kann. Zutreffender wäre wohl hier, von einem Uebergewicht der semantischen Funktion über die syntaktische zu sprechen und den Begriff 'Mitteilungswert' nur für das kommunikative Gewicht eines Satzglieds zu verwenden; in diesem Sinne wird er ja auch von Boost ganz überwiegend gebraucht. Ein Charakteristikum des deutschen Satzes ist die Möglichkeit der 'Entzweiung' des Prädikats. Dabei wird die Gründung des Satzes und seine Organisierung von der Personalform vorgenommen, die Sinngebung erfolgt erst am Satzschluss. So wird ein vorwiegend inhaltliches Spannungsmoment erzeugt, denn die syntaktische Organisierung ist von der Personalform übernommen worden. Die Entzweiung des Prädikats beschränkt sich aber nicht auf das Auseinandertreten von Personalform und Infinitum. Boost unterscheidet vier telische (satzschliessende) Glieder, die mit der Personalform eine Klammer bilden: Infinite (Infinitive und Partizipien), Prägung, Direktivum (oder Syndetikon), (satzverneinende) Negation. Das Infinitum bedarf keiner näheren Erläuterung. Es ist selbstverständlich, dass es auch mehrteilig sein kann (Er
72 Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 39.
Karl Boost
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wird ... kaufen gewollt haben). - Prägung werden die klammer schliessenden Teile der sog. trennbaren (unfest zusammengesetzten) Verben und der syntaktischen Fügungen, bestehend aus Verb und präpositionalem Ausdruck, genannt. Boost geht nicht von den im Wörterbuch aufgeführten Grundformen aus, was den Blick auf die Trennbarkeit bestimmter zusammengesetzter Verben lenkt, sondern von ihrer syntaktischen Verwendung im Satz. Der Verbzusatz bewirkt eine neue Sinngebung für das Verb: tragen
— > vortragen (Das Mädchen trug ein
weisses Kleid / Er trug ein Gedicht vor). Diese Sinngebung erfolgt erst am Schluss. "Er trug ein Gedicht ..." ist noch offen, erst der Verbzusatz löst die Spannung, er "[...] prägt dem Prädikat seinen besonderen Charakter auf, verleiht ihm den geeigneten Sinn und schliesst gleichzeitig den 73
Satz"
. Die Auftragsverteilung zwischen Personalform und
Verbzusatz zeigt eine deutliche (wenn auch nicht vollkommene) Parallele zu derjenigen zwischen Personalform und Infinitum. Aber auch Präpositionalausdrücke können Prägungen sein. "Wir nahmen die Fabrik sofort ..." bedarf ebenso der Sinnerfüllung durch das letzte Glied "... in Betrieb". Auch hier unterliegt "nahmen" einer neuen Sinngebung zu "nahmen ... in Betrieb". - Als drittes telisches Glied nenht Boost das Direktivum (oder Syndetikon). Es handelt sich dabei um adverbiale Bestimmungen mit besonders enger Zugehörigkeit zum Prädikat, z.B.: Ich lege ein Buch auf den Tisch. Wäre nämlich "auf den Tisch" kein telisches Glied, so müsste es gemäss den Mitteilungswerten "Ich lege auf den Tisch ein Buch" heissen, weil "ein Buch" als nichtdeterminiertes Glied einen höheren Mitteilungswert beansprucht als das determinierte "auf den Tisch". Was für die Prägung gesagt wurde, gilt auch für das Direktivum, mit einer Ausnahme: Der eigent73
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 43. [Hervorhebung von Boost.]
60
Syntaxforschung im 20. Jh.
liehe Sinn der Verben wird durch das Direktivum nicht ver— ändert. - Auch die satzverneinende Negation ist telisch. Bei einteiligem Prädikat steht sie am Schluss des Satzes, bei mehrteiligem vor den überigen telischen Gliedern. Die Reihenfolge der telischen Glieder untereinander ist festgelegt. Es gilt die Folge Negation - Direktivum - Prägung Infinitum. Je weiter ein Element von der Personalform entfernt ist, desto grösser ist seine Zusammengehörigkeit mit ihr. Jetzt können wir die stellungsfesten Elemente im Satz mit verbalem Rahmen angeben:
Rhema Thema
Präd.
P.
t
Ende
t
t
t
t
Es gelingt nicht ohne weiteres, die Tragweite dieser Darstellung abzuschätzen. Boost gibt nur ganz wenige Beispiele, so dass man nur schwer erahnen kann, wie eng oder wie weit der Geltungsbereich seiner Begriffe sein soll. Am leichtesten ist noch die Abgrenzung der telischen von den nichttelischen Gliedern. Hier bietet sich die Stellung der Negation als operationales Kriterium an: Was vor dem satzverneinenden 'nicht' steht, ist nicht telisch. Schwierigkeiten ergeben sich aber, weil 'nicht' auch einzelne Glieder verneinen kann. Boost exemplifiziert das an folgenden Sätzen^: 74
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 49.
Karl Boost
61
(1) Ich habe das Buch mit Absicht gewählt. (2) Ich habe das Buch mit Absicht nicht gewählt. (3) Ich habe das Buch nicht mit Absicht gewählt. Bei (3) ist die Negation nur auf "Absicht" bezogen, der Satz selbst ist nicht verneint, denn das Buch ist ja tatsächlich gewählt worden; bei (2) ist der ganze Satz verneint, hier steht "mit Absicht" vor der Negation, also ist "mit Absicht" weder Prägung noch Direktivum. - Schwieriger ist schon Boosts Beispielsatz für das Direktivum. "Ich lege ein Buch auf den Tisch" kann nur so verneint werden: Ich lege kein Buch auf den Tisch. Also versagt vorerst das operationale Kriterium. Man kann nun aber "ein Buch" determinieren, damit eine Verneinung möglich wird: Ich lege das Buch nicht auf den Tisch (oder wie Boost: Ich habe das Buch nicht auf den Tisch gelegt). In diesen Fällen ist die Negation - entsprechende Intonation vorausgesetzt - satzverneinend, "auf den Tisch" ist, weil es nach der Negation steht, telisch. Das Verfahren ist aber nur bedingt praktikabel, denn viele Sätze kann man nicht so mit 'nicht' verneinen, dass sich die Negation eindeutig auf den ganzen Satz bezieht. (z.B. Er ist in München ansässig. Vielleicht komme ich noch rechtzeitig auf den Bahnhof. Sie ging die Treppe hinunter.) Auch Prägung und Direktivum sind nicht leicht auseinanderzuhalten, besteht ihr Unterschied doch nur darin, dass die Prägung den eigentlichen Sinn des Verbs verändert, das Direktivum aber nicht. Für die Wortstellung ist die Unterscheidung dieser zwei Klassen aber nur dann von Belang, wenn Elemente aus beiden Klassen zusammen in einem Satz vorkommen können oder wenn sie ein unterschiedliches Stellungsverhalten zeigen. Boost führt das folgende Beispiel an, um zu zeigen, dass das Direktivum den Platz vor der
Syntaxforschung im 20. Jh.
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Prägung einnehme: Ich lege das Buch auf dem Tisch aus.'^ Dieser Satz ist schon aus semantischen Gründen nicht akzeptabel. Mit einem pluralischen (oder kollektiven) Objekt würde er aber zulässig: Ich lege die Bücher auf dem Tisch aus. Das Glied "auf dem Tisch" ist aber meines Erachtens gar kein Direktivum. Die Probe mit der Negation ergibt nämlich: Ich lege die Bücher auf dem Tisch nicht aus. Die Raum— angabe könnte sogar weggelassen werden (Ich lege die Bücher aus), was gegen ihre enge Zugehörigkeit zum Prädikat spricht. Dieser Satz unterscheidet sich also wesentlich von Boosts Hauptbeispiel für das Direktivum (Ich lege ein Buch auf den Tisch), wo "auf den Tisch" nach der Negation stehen muss (Ich habe das Buch nicht auf den Tisch gelegt / *Ich habe das Buch auf den Tisch nicht gelegt) und auch nicht wegfallen kann (*Ich lege das Buch). Ob also eine Prägung zusammen mit einem Direktivum vorkommen kann, ist mehr als nur fraglich. Vielleicht ist das in den folgenden Sätzen der Fall: Direktivum
Prägung
Es geht
lustig
zu.
Es geht
hoch
her.
Er stellt sich
ungeschickt an.
Da aber das Charakteristikum des Direktivums bei Boost nicht klar herausgearbeitet ist, muss es offen bleiben, ob meine obigen Beispiele im Sinne Boosts korrekt analysiert sind. Auch bei "lustig", "hoch" und "ungeschickt" liegt eine neue Sinngebung vor (gehen
— > zugehen — > lustig zugehen), man
könnte also von einer zweiteiligen Prägung sprechen. Eine Unterscheidung dieser zwei Elemente ist jedoch trotzdem nötig, weil ihre Reihenfolge obligatorisch fixiert ist (Es geht ... lustig zu / *Es geht ... zu lustig). Diese Schwierigkeiten zeigen, dass der Begriff des Direktivums noch ge75
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 45.
Karl Boost
63
nauer umschrieben werden muss. Dabei muss auch Boosts Behauptung, das Direktivum sei nicht themafähig, überprüft werden. Drei Festpunkte bestimmen die Satzstruktur: Thema, Personalform ("Prädikat") und Satzende (Paraverb). Zwischen Personalform und Paraverb richtet sich die Gliedfolge nur nach dem Mitteilungswert. Normalerweise haben die noch nicht determinierten Substantive einen höheren Mitteilungswert als die determinierten, und diese wiederum einen höheren als die Pronomen} der Mitteilungswert adverbieller Bestimmungen richtet sich nach dem Grad ihrer Zusammengehörigkeit mit 76 77 Das sollen die folgenden Beispielsätze
dem Prädikat.
zeigen, in denen die Stellung des Objektes wechselt, je nachdem, ob sie undeterminiert, determiniert oder pronominal sind: Sie nahmen gestern die Fabrik sofort in Betrieb. Sie nahmen gestern sofort eine Fabrik in Betrieb. Sie nahmen sie gestern sofort in Betrieb. Ich schenke dem Kind einen Apfel. Ich schenke den Apfel einem Kind. Auch wenn mehrere determinierte Glieder nebeneinander stehen, richtet sich ihre Reihenfolge nach dem Mitteilungswert: Ich schenke dem Kind den Apfel. Ich schenke den Apfel dem Kind. Im ersten Fall geht es darum, was das Kind erhalten soll, im zweiten Fall, wer den Apfel erhalten soll. Für die Stellung ist immer der Mitteilungswert entscheidend. Deshalb kann auch ein determiniertes Glied, das Besonders hervorgehoben wird, nach einem undeterminierten stehen: Wir fangen
76
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 86.
77
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 52 u. 54.
64
Syntaxforschung im 20. Jh.
Fische nur mit dem Netz. Diese Feststellung Boosts könnte man noch dahingehend erweitern, dass ein determiniertes Element nach einem undeterminierten - wenn es sonst nicht hervorgehoben wird - einen seinen Mitteilungswert markierenden Akzent erhält. Wenn Boost sagt, "Wir fangen Fische mit dem Netz" sei unstimmig, so gilt das nicht mehr, sobald 'Netz' akzentuiert wird: Wir fangen Fische mit dem N£tz. Dasselbe scheint mir auch für Pronomen zuzutreffen: Ich habe das Buch dir gegeben. Die Stellung des Subjekts richtet sich bei Boost nur teilweise nach seinem Mitteilungswert. Es könne, von einer Ausnahme abgesehen, nur den ersten oder dritten Platz einnehmen. Die Ausnahme liegt dann vor, wenn ein substantivisches, Thematisches Subjekt von einem Pronomen auf den vierten Platz gedrängt wird: Gestern half mir mein Vater. Als Ursache nennt Boost auch hier den Mitteilungswert, der bei einem Substantiv grösser ist als bei einem Pronomen. Es scheint mir deshalb erwägenswert zu prüfen, ob sich die Stellung des Subjekts, sofern es nicht Thema ist, nicht generell nach seinem Mitteilungswert richte. Das Subjekt kann doch ohne weiteres gegen das Satzende rücken, wenn sein Mitteilungswert besonders gross ist. Ich führe zur Illustration einige wenige Sätze an, die ich wahllos Zeitungsmeldungen entnommen habe: Nach tagelangen Bemühungen zeigte sich heute zum ersten Mal ein Erfolg. Gerade aus Genf wurden in letzter Zeit einige 'unerwünschte Ausländer' ausgewiesen. Auf einem unübersichtlichen Bahnübergang zwischen Malters und Wolhusen blieb am Samstagmorgen aus Versehen die Barriere offen. Auf dem Gebiet des Kantons St. Gallen ereigneten sich wegen des Oels auf der Strasse zwei weitere Verkehrsunfälle mit Sachschaden. Boosts Meinung, nur der dreigliedrige Satz (bzw. der viergliedrige Satz, sofern die vorhin erwähnte Ausnahme vor-
Karl Boost
65
liegt) biete die Möglichkeit, das Subjekt an die Tonstelle 78
zu bringen
, ist also nicht ganz zutreffend. Er hat aber
insofern nicht ganz unrecht, als sich vermutlich nur Pronomen und strukturell nicht notwendige Glieder zwischen Personalform und Subjekt schieben können. Die Zusammenhänge zwischen syntaktischer Funktion und Mitteilungswert müssten auf jeden Fall noch genauer untersucht werden. Die Thema-Rhema-Struktur erweist den Satz unter dem 79 Gesichtspunkt des Spannungsprinzips als zweigliedrig.
Der
Stellungsplan wird durch die drei Festpunkte Thema, Personalform ("Prädikat") und Satzende (Paraverb) bestimmt, die weiteren Satzglieder stehen nach steigendem Mitteilungswert 80 geordnet im verbalen Rahmen. Das zeigt Boosts üebersicht über die "Satzformen" (Stellungspläne): Rhema » Thema
Präd.
Subj.
P
Sub j.
P.
Subj .
P.
Subj.
P.
Ende
X Subj. X x x X Subj.
Subj . x x X 'nicht' Direkt. Präg. Inf.
t
f
t f
78
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 51.
79
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 35.
80
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 87. [Graphische Darstellung von mir leicht modifiziert.]
66
Syntaxforschung im 20. Jh.
Recht problematisch ist, was Boost über den Gliedsatz sagt. Die Frage, wie die Sprache unter Aufrechterhaltung des Spannungsprinzips dem Gliedsatz eine Form gebe, die ihn unselbständig macht und damit zu einem eingeordneten Glied des Hauptsatzes werden lässt, beantwortet er folgendermassen: "Es ist bisher in der Literatur kaum darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei aller Variationsmöglichkeit unserer Wortstellung zwei Elemente - abgesehen von der geringfügigen, auf S. 57 erwähnten Ausnahme [Objektpronomen zwischen Personalform und rhematischem Subjekt] - immer zusammenstehen: Subjekt und Prädikat. Wohl tritt das Subjekt, wenn es nicht Thema ist, im Hauptsatz hinter das Prädikat, aber sie bleiben doch zusammen. Wir können wohl, auch in Hinblick auf ihre satzgründende Funktion, von einem Satzkern sprechen, den die beiden bilden. Und nun gestalten sich die Verhältnisse im Nebensatz ausserordentlich interessant. Nehmen wir einmal an, die Wortstellung bliebe dieselbe wie im Hauptsatz. Wir wissen, dass der Satz eine Spannungseinheit bildet. Demnach wäre auch im Nebensatz diese Spannungseinheit vorhanden; sie stünde als selbständiges Gebilde hinter ihrer Konjunktion: 'Nachdem - ich hatte das Buch gekauft - ging ich nach Hause.' Bei Beibehaltung der Wortfolge im Hauptsatz würde ein in sich (relativ) abgeschlossener und sich selbst genügender Teil in den Satz eingesprengt sein, der seine eigene Spannung in sich trägt und in sich löst und damit spannungsfrei im grösseren Verbände stände. Diese Form wäre aber im Widerspruch zu dem Prinzip, die Spannung bis zur letzten Möglichkeit aufrechtzuerhalten und sie erst am Ende aufzuheben. Auf alle Fälle muss der Spannungsbruch vermieden werden, der durch eine selbständige Spannungseinheit, wie sie ein Gliedsatz mit Hauptsatzwortfolge darstellt, einträte. Und da geschieht das Wunder, dass eine Möglichkeit ergriffen wird, die mit einem einzigen Griff den gesamten Organismus des Gliedsatzes so in den Hauptsatz einbezieht, dass auch kein Rest von einer Unterbrechung der Spannung bleibt. Es findet eine Sprengung statt, und zwar die Sprengung der im Hauptsatz im allgemeinen nicht angetasteten Einheit von Subjekt und Prädikat, des 'Satzkerns': Das Prädikat (Finitum) rückt ans Ende des Gliedsatzes. Wir wissen: je enger die Zusammengehörigkeit zweier Glieder ist, desto stärker, umfassender die 'Klammer'. Und so haben wir im Gliedsatz durch diese Entzweiung der satzgründenden Elemente die stärkste Spannung vorliegen, die die deutsche Sprache aufweist. Mit dem Auseinandertreten von Subjekt und Prädikat und der dadurch hervorgerufenen Endstellung des verbum finitum wird ein Innenfeld geschaffen, in dem alles andere - in der Wortfolge gegenüber dem
Karl Boost
67
Hauptsatz sonst unverändert - seinen Platz findet. Zugleich aber verliert der Satz seine (relative) Selbständigkeit und wird für unser Sprachgefühl (relativ) unselbständig, d.h. die Spannung des Gliedsatzes wird nicht innerhalb seines Bereiches gelöst, sie geht über ihn hinaus und findet erst in der Eingliederung in den Hauptsatz, sei es bei Voranstellung als Thema, sei es bei Nach- bzw. Zwischenstellung als Rhema, ihre Aufhebung. Wir können den Weg, den die Sprache beim Gliedsatz gegangen ist, um ihr Ziel, die Aufrechterhaltung der Gesamtspannung zu erreichen, bei seiner Einfachheit und seiner Wirkung nicht anders als genial bezeichnen." < 81 > Diese Argumentation ist ziemlich unübersichtlich. Ich hoffe, dass ich Boost recht verstanden habe, wenn ich diese Stelle so interpretiere: Ein Satz mit der Personalform in Zweitstellung ist eine selbständige Spannungseinheit. Der Gliedsatz muss nun ein Merkmal enthalten, das auf seine Unselbständigkeit hinweist und für den Sprecher als Signal wirkt, den Spannbogen der Stimmführung über den Gliedsatz hinaus in den Hauptsatz zu führen und so den Gliedsatz in den übergeordneten Satz zu integrieren. Diese Signalfunktion übernimmt die Wortstellung. Jede von der Hauptsatzfolge abweichende Stellung könnte diese Aufgabe übernehmen. Die Reihenfolge Konjunktion + Subjekt + ... + Personalform ist dafür aber besonders geeignet, weil die aus der Sprengung des Satzkerns entstandene Klammer ein Innenfeld schafft, das viele weitere Teile in sich aufnehmen kann und trotzdem nur ein Glied (des 82
übergeordneten Satzes) ist. Thema im Gliedsatz ist die Konjunktion. Zwischen Thema und Rhema besteht ein Spannungsverhältnis. Ich veranschauliche Boosts Auffassung von der Gliedsatzstruktur mit der folgenden Skizze: 81
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 58-59. [Hervorhebungen von Boost.]
82
Eine ähnliche Erscheinung ist die Klammer von Artikel bzw. Präposition und Substantiv, die nominale Glieder zu einem Glied zusammenfasst.
68
Syntaxforschung im 20. Jh. Thema
>
Rhema
. Kon j .
A
Subj
Verb
Das entspricht aber genau der Hauptsatzstruktur: Thema
>
Rhema i
Präd
Paraverb
Die Spannungsstruktur des Gliedsatzes scheint sich also gar nicht von derjenigen des Hauptsatzes zu unterscheiden. Ich sehe die Lösung des Problems im Vorschlag, im Gliedsatz statt der Klammer vom Subjekt zum Prädikat eine syntaktische Klammer von der Konjunktion zum Prädikat anzunehmen. Dadurch würden mehrere Schwierigkeiten auf einmal behoben. Erstens würde die Konjunktion mit ein Teil des einzuordnenden Gliedes. Zweitens könnte man auf die etwas fragwürdige Theorie von der Sprengung des Satzkerns verzichten. Ich habe ja bereits erwähnt, dass über die von Boost genannte Ausnahme hinaus noch weitere Fälle möglich sind, wo das Subjekt nicht an die erste oder dritte Stelle des Satzes gebunden ist. Auch im Gliedsatz muss es nicht unbedingt direkt hinter der Konjunktion stehen. (Bsp.: Weil gestern auf der Strasse Glatteis lag,
Als heute morgen endlich alle aufgestanden
waren, ...) Drittens würde eine solche Beschreibung deutlicher erkennen lassen, dass der Nebensatz als Teil des übergeordneten Satzes in diesen integriert ist. Thema
>
Präd Konj. ... Verb
Rhema
Paraverb
Karl Boost
69
Bei Thematischem Gliedsatz: >
Thema r
Präd
Rhema k
1
Paraverb
Konj. ... Verb Einen nachgestellten Gliedsatz kann man als ausgeklammertes Glied betrachten. - Diese Beschreibung würde für alle Gliedsätze mit Einleitewort (Konjunktionalsatz, Relativsatz, Inhaltssatz, indirekter Fragesatz) gelten, auch für solche, die nur Gliedteil (Attribut) des übergeordneten Satzes sind. Das Einleitewort wäre ein Signal, das die Gliedsatzintonation auslöst; zugleich eröffnet es die syntaktische ('.) Spannung auf die Personalform, welche das Ende des einzuordnenden Gliedes markiert. Der dritte durch eine eigene Stellung der Personalform gekennzeichnete Satztyp ist die Entscheidungsfrage. Obwohl im Kapitel "Fragesatz" alle Beispiele Ergänzungsfragen sind, ist anzunehmen, dass dabei auch die Entscheidungsfragen mit gemeint sind. "Es gilt als Regel, dass - falls vorhanden 83
das Fragewort den Fragesatz einleitet, also Thema ist." Thema ist die unbekannte (!) Grösse X - in der Entscheidungsfrage ist vermutlich die Personalform als unbekannt, d.h. bei Boost als noch nicht determiniert, zu betrachten - während das Thema das Bekannte (!) darstellt. 84 Die Verhältnisse liegen also umgekehrt wie im Aussagesatz , nicht was die
83
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 65.
84
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 33.
Syntaxforschung im 20. Jh.
70
Lokalisation von Thema und Rhema betrifft, sondern mit Bezug auf ihre inhaltliche Funktion in der Mitteilungsperspektive. (Siehe oben S. 56). In der Antwort erscheint gewöhnlich nur das Glied, nach dem gefragt worden ist. "Wer hat denn das Buch gefunden? Hans!" Das erfragte Glied hat in der Antwort zweifellos den höchsten Mitteilungswert und müsste deshalb eigentlich den letzten Platz vor den telischen Gliedern belegen, wenn die Antwort ein ausformulierter Satz ist. Boost behauptet, dass dem so sei. Auf die Frage "Wer hat denn das Buch gefunden?" sei als Antwort entweder "Hans!" oder "Das Buch hat Hans gefunden!", aber nicht "Hans hat das Buch ge85 funden!" möglich. Dass die Verhältnisse wesentlich komplizierter sind, zeigt sich schon, wenn wir in der Antwort "Das Buch" durch ein Personalpronomen ersetzen - was in dieser Sprechsituation sicher zulässig, wenn nicht gar üblich ist -: Hans hat es gefunden! Hier belegt das antwortende Glied schon aus rein grammatischen Gründen den ersten Platz, weil das akkusativische 'es' dazu nicht in der Lage ist und die verbalen Elemente ohnehin stellungsfest sind. Es wird sogar ziemlich häufig sein, dass das antwortende Glied das einzige substantivische Element im Satz ist. Dann wird es - so vermute ich - meistens die letzte Stelle vor den telischen Gliedern einnehmen, ausser wenn es Subjekt ist, wo es fast zwangsläufig am Satzanfang stehen muss. In allen 86 Fällen aber scheint mir auch Sofortstellung
möglich zu
sein. 85
Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 33.
86
So nennt Boost die emphatisch bedingte Anfangsstellung des Wortes mit dem höchsten Mitteilungswert. Bei der Behandlung der Sofortstellung (Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des dt. Satzes, S. 80-82) ist allerdings von den gewöhnlichen Antwortsätzen überhaupt nicht die Rede. (Bei den auf S. 82 genannten Beispielen handelt es sich nicht um direkte Antworten auf Ergänzungsfragen.)
Karl Boost
71
Echte Antworten auf Ergänzungsfragen sind nur in einer Gesprächssituation möglich, es handelt sich hier also um ein Problem der Sprechsprache. Ausser unter dem Diktat des Lehrerimperativs "Mach einen ganzen Satz 1", der eine unnatürliche Gesprächshaltung erzwingt, wird die Antwort im normalen Gespräch üblicherweise nur aus einem Glied bestehen. Hingegen wird die Antwort auf eine Ergänzungsfrage dann Satzstruktur haben, wenn sie nicht nur das erfragte Glied ergänzt, sondern darüber hinaus zusätzliche, den Text weiterführende Information enthält. An diesem Punkt müsste die Beschreibung den Schritt von der Satzgrammatik zur Textgrammatik machen. Mir scheint, gerade die Thema-Rhema-Struktur wäre - unter anderem - dazu geeignet, die Integration eines Satzes in den höheren Verband zu erklären, sofern Thema und Rhema nicht wie bei Boost auf der grammatischen Ebene die Plätze im Stellungsplan bezeichnen. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass die Vermengung von Inhaltsebene, Mitteilungsebene und grammatischer Ebene gerade beim Fragesatz zu besonderen Unzulänglichkeiten in Boosts Darstellung geführt hat. Boost hat gesehen, dass man beim Fragesatz über die Satzgrenzen hinausgehen muss. Der Fragesatz sei kein selbständiger Satz; obwohl er formal eine Ganzheit sei, gehe seine Spannung weiter bis zur spannungslösenden Antwort. Ich müsste jetzt eigentlich Boosts Erklärung des Nebensatzes wieder zur Sprache bringen, denn Boost meint ja Fragesatz und Gliedsatz zeichneten sich durch gleiche Spannungsführung aus, und beide seien unselbständig. Als Kennzeichen einer selbständigen Spannungseinheit nannte er dort die Hauptsatzwortfolge. Diese Struktur hat aber auch die unselbständige Er-
72
Syntaxforschung im 20. Jh.
gänzungsfrage (wobei das Fragewort obligatorisch Thema • ^ 87 ist) . Wie wir den Text auch drehen und wenden: Unklarheiten und Inkonsequenzen bleiben. Boosts Untersuchung ist kein in sich abgeschlossenes und abgerundetes Werk, wo sich alles fugenlos ineinanderfügt, sondern eine Skizze, aber eine äusserst interessante und anregende Skizze.
87
Ich lasse jetzt die Unklarheit beiseite, ob Boost beim Fragesatz die Entscheidungsfrage mit gemeint habe. Sollte dies der Fall sein, so werden die Unklarheiten nur noch grösser.
Wortstellung und
Mitteilungswert
In der Prager Schule wurde die Theorie der Satzperspektive VilSm Mathesius
1
funktionalen
entwickelt. Sie geht auf den Anglisten (1892-1945) zurück und wird heute besonders
von den tschechischen Forschern Eduard Benes, Jan Firbas und Frantisek Danes theoretisch ausgebaut und praktisch probt. Untersuchungsobjekt
ist die Gliederung des
auf der kommunikativen Ebene, die
er-
Satzes
informationstragende
Struktur des Satzes. Die Mitteilungsstruktur wird
in erster
Linie durch die Wortstellung realisiert, aber auch durch kontextuelle und semantisch-kontextuelle Mittel 2 Firbas
(vgl.
, siehe dazu auch unten S. 204-205); auch
syntaktische
Faktoren können dabei eine Rolle spielen. Thema, Rhema und Mitteilungswert
(oder andere Bezeichnungen"' mit
entsprechen-
der Bedeutung) sind die zentralen Begriffe dieser
Theorie,
die sehr viel Aehnlichkeit mit den Auffassungen von Erich Drach und Karl Boost hat. Es könnte geradezu der
Eindruck
1
Uebliche Abkürzung: FSP. - Weitere mehr oder weniger übliche Bezeichnungen: Thema-Rhema-Gliederung, (funktionale) Mitteilungsperspektive, aktuelle Satzgliederung. - Englisch: functional sentence perspective, contextual segmentation of the sentence, semantic organization of the sentence, thematic organization of the utterance, theme-rhemeperspective, topic-comment structure. - Ursprüngliche (tschechische) Bezeichnung von Methesius: aktuâlni cleneni vëtné [= aktuelle Satzgliederung] .
2
Firbas, Jan: Thoughts on the communicative function of the verb in English, German and Czech. - In: Brno studies in English. Vol. 1. Praha: Statni pedagogické nakladatelstvi 1959. (= Spisy university v Brne filosofickâ fakulta / Opera universitatis Brunensis facultas philosophica. 55.) s. 39-68.
3
Andere Bezeichnungen für Thema: Ausgangspunkt, Basis, Ansatz; englisch: theme, topic; französich: thème. - Andere Bezeichnungen für Rhema: Kern, Mitteilungskern; englisch: rheme, comment; französisch: propos, commentaire.
74
Wortstellung und Mitteilungswert
entstehen, die tschechische Forschung sei eine Weiterentwicklung der deutschen. Beide haben sich aber offenbar unabhängig voneinander entwickelt, aber sie haben eine gemeinsame Wurzel im letzten Jahrhundert: die Auffassung, dass die lineare Satzstruktur die Folge der Gedanken und Vorstellungen widerspiegle. Die Begriffe Thema und Rhema sind Nachfahren des psychologischen Subjekts und Prädikats. Die tschechische Forschung, die eher allgemein-sprachwissenschaftlich orientiert ist (Exemplifikationen hauptsächlich an der tschechischen, englischen, deutschen und russischen Sprache), hat die im deutschen Raum bahnbrechenden Beiträge von Drach und Boost zur Kenntnis genommen und verarbeitet. So sind diese beiden verwandten Forschungsrichtungen heute weitgehend zu einer Schule zusammengewachsen. Dass die Theorie der funktionalen Satzperspektive vor allem von tschechischen Linguisten angewendet wird, hat auch mit den in der tschechischen Sprache zu beobachtenden Stellungsgesetzen zu tun. Im Tschechischen ist die Satzperspektive (die Gliederung des Satzes nach seiner informationstragenden Struktur, nach dem Mitteilungswert der einzelnen Elemente) ausschlaggebend für die Reihenfolge der Elemente, während formal-grammatische Stellungsgesetze als untergeordnet erscheinen. Gerade umgekehrt liegen die Verhältnisse im Englischen, das ebenfalls ein bevorzugtes Untersuchungsobjekt der tschechischen Linguistik ist; in dieser Sprache dominiert das Prinzip der formal-grammatisch gesteuerten Wortstellung. Die deutsche Sprache nimmt hier etwa eine Mittelposition ein: teilweise wird die Position der Elemente durch ihre grammatisch-syntaktische Funktion bestimmt, teilweise durch ihren quantitativen Informationsgehalt. Ueber die Definition des Themas und des Rhemas herrscht noch keine Einigkeit. Man kann in der Forschung vier verschiedene Auffassungen feststellen:
Wortstellung und Mitteilungswert
75
1. Thema und Rhema werden als bestimmte Positionen in der linearen Satzstruktur aufgefasst: Thema ist meistens das erste Satzglied, Rhema alle übrigen. 2. Eine andere satzbezogene Auffassung unterscheidet auf der kommunikativen Ebene das, worüber man spricht (= Thema), und das, was man darüber sagt (= Rhema). 3. Eine kontextuelle Definition unterscheidet zwischen dem aus dem Kontext Bekannten (= Thema) und dem Neuen (= Rhema). Grammatische Signale (z.B. bestimmter/unbestimmter Artikel, Pronomen/Nomen) können Teile des Satzes als Thema bzw. Rhema markieren. 4. Thema und Rhema werden für eine Klassifikation der Satzelemente nach ihrem Mitteilungswert verwendet. Thematisch sind Glieder mit niederem Mitteilungswert, rhematisch sind Glieder mit hohem Mitteilungswert. Diese vier Gesichtspunkte werden oft nicht klar auseinandergehalten; verbreitet scheint die Meinung zu sein, das sei auch gar nicht nötig, da die vier verschiedenen Definitionen parallel seien und sich letztlich auf eine einzige reduzieren Hessen, weil in ihnen jeweils nur verschiedene Aspekte derselben Erscheinung hervorgehoben würden. Die Ansicht, dass die deutsche Wortstellung mindestens teilweise vom quantitativen Informationsgehalt, dem Mitteilung swert, abhängig sei, hat mittlerweile auch bereits Eingang in die für ein breiteres Publikum bestimmten deutschen Grammatiken gefunden. Für die deutsche Sprache wird meistens die Reihenfolge der Glieder nach der Personalform des Verbs in Zweitstellung und der Glieder im eingeleiteten Nebensatz als mitteilungswertabhängig beschrieben. Ich gebe als ein Beispiel für viele die Darstellung von 4 Wilhelm Schmidt wieder:
4
Schmidt, Wilhelm: Grundfragen der deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre. (3., verb. Aufl.) Berlin: Volk und Wissen 1967. S. 259.
Wortstellung und Mitteilungswert
76
Tarfeld
Mitte
Nachfeld weitere Innenglieder | Zielpol Eindrucksstelle
Schw&chätstelle
= .\litteilungawert= Am
12.
Okio-
ber 1492
gegen 2 Uhr
von dem
morgen»
wachhabenden
gegen 2 Öhr
die
die
Küste
gesichtet
Matrosen Am
12. Okto-
ber
im
Am
12. Okto-
wurde
Küste
morgens
von dem
gesichtet
wachhabenden Matrosen
ber 1492
wurde
von dem
gegen 2 Uhr
wachhabenden
margené
die Küste
gesichtet
Matrosen
In Einzelheiten weichen die Handbücher von dieser Darstellung ab. Meistens wird die Stellung der paraverbalen Teile nicht auf ihren Mitteilungswert zurückgeführt. Für bestimmte Satzglieder, beispielsweise für die Raumergänzungen, wird zum Teil ein fester Platzanspruch aufgrund ihres Satzgliedwerts geltend gemacht. Die Stellung der pronominalen Glieder wird meist rein formal-grammatisch erfasst, obwohl man natürlich den Pronomen, die sich ja nur auf schon Bekanntes beziehen, a priori niederen Mitteilungswert zuschreiben und so ein formal-grammatisches Stellungsgesetz auf die Mitteilungsperspektive zurückführen kann. Insgesamt herrscht Einigkeit darüber, dass die Gliedstellung vom Mitteilungswert abhängig ist, wenn auch in Handbüchern eine gewisse Neigung besteht, möglichst formal-grammatische Kriterien für die Beschreibung von Stellungsregularitäten zu benützen und vor allem dort den Mitteilungswert zur Erklärung herbeizuziehen, wo eine Abweichung von einer solchen formalgrammatischen Norm offensichtlich kommunikativ bedingt und infolge von intonatorischer Hervorhebung oder im Textzusammenhang leicht nachweisbar ist. Das Hauptproblem der Theorie der mitteilungswertabhängigen Wortstellung liegt darin, das Phänomen Mitteilunqswert
Wortstellung und Mitteilungswert
77
exakt zu erfassen. In der Forschungsliteratur wird im allgemeinen auf eine Definition verzichtet. Man arbeitet mit ihm wie mit einem fraglos gegebenen Mass für die Informationswichtigkeit von Satzelementen. Die Ueberprüfung von Regeln, die mit dem Mitteilungswert operieren, ist mit manchen Schwierigkeiten belastet. Denn der Mitteilungswert eines Gliedes lässt sich in einem gegebenen Text nicht durch eine Ja/Nein-Entscheidung bestimmen. Der Mitteilungswert ist ein Mass für die Informationswichtigkeit, das einen beliebigen (relativen) Wert auf einer kontinuierlichen Skala haben kann, aber dieser Wert ist keine eindeutig feststellbare oder messbare Grösse. Untersucht man wahllos aus einem Text herausgegriffene Sätze, in denen weder durch Kontrast zu andern Sätzen noch durch besondere Betonung einzelne Glieder hervorgehoben sind, so glaubt man immer wieder eine Bestätigung für die Regel von der mitteilungswertabhängigen Satzgliedstellung zu finden. Fraglich ist dabei aber, ob man sich nicht durch sein Vorwissen irreführen lässt. Weil man eben 'weiss', dass sich die Glieder nach steigendem Mitteilungswert anordnen, bestimmt man den Mitteilungswert eines Gliedes aus seiner Stellung. Informantenbefragung scheint mir da kein gangbarer Ausweg zu sein, da von einem von grammatischem Vorwissen unbelasteten Informanten keine Auskünfte zu erwarten sind. Man müsste einem solchen Informanten nämlich zuerst anhand zahlreicher Beispiele das keineswegs klare Phänomen Mitteilungswert klarmachen. Dabei würde er mit einem Vorwissen belastet, das ihn in eine ähnliche Situation versetzen würde wie den Linguisten, der ebenfalls infolge seines grammatischen Vorwissens den Mitteilungswert eines Gliedes nicht mehr unbeeinflusst bestimmen kann. Ich möchte keinesfalls bestreiten, dass der Mitteilungswert für die Stellung eines Satzgliedes eine wesentliche Rolle spielt. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass dieses
78
Wortstellung und Mitteilungswert
Phänomen noch keineswegs so klar erfasst ist, wie es gelegentlich scheinen mag, und dass diese Theorie vorläufig noch nicht bewiesen worden ist. Geschickt gewählte Beispielsätze vermögen zwar zu überzeugen, bei beliebigen Sätzen ist - neutrale Intonation vorausgesetzt - keine eindeutige Verifizierung, aber auch keine Falsifizierung möglich. Die Rolle des Mitteilungswertes für die Stellung der Satzglieder im Deutschen hat Bruno Bieberle^ an einem umfangreichen Belegmaterial untersucht. Sein Korpus besteht aus etwa 4800 Belegsätzen geschriebener Gegenwartssprache, die Belege stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Damit ist Gewähr geboten, dass Besonderheiten eines einzelnen Autors nicht zu stark ins Gewicht fallen. Eine etwas ausführlichere Besprechung gerade dieser Arbeit rechtfertigt sich nicht nur, weil sie als ungedruckte Dissertation nicht leicht zugänglich ist, sondern vor allem weil Bieberle den Versuch unternommen hat, den Mitteilungswert operational zu bestimmen und den Zusammenhang zwischen Mitteilungswert und Gliedstellung an einem grösseren Korpus zu überprüfen. Seine Arbeit zeigt auch Ansätze zu einer genaueren theoretischen Erfassung des Begriffs Mitteilungswert. Ziel der Arbeit ist die Untersuchung der Wortstellung von Subjekten, Objekten und Adverbialangaben (fakultative, nicht valenzgebundene Adverbiale). Adverbialergänzungen (obligatorische, valenzgebundene Adverbiale) werden, weil sie stellungsfest sind, von der Untersuchung ausgeschlossen und, abweichend von der üblichen Auffassung, satzgliedmässig dem Prädikat zugewiesen, das Bieberle operational definiert:
5
Bieberle, Bruno: Die Rolle des Mitteilungswertes für die Stellung der Glieder im deutschen Satz. - Hist.-philol. Diss., Potsdam, Pädagog. Hochschule 1969. [Masch, vervielf.] [3], 206 Bl.
79
Wortstellung und Mitteilungswert
"Zum Prädikat gehören [...] alle Elemente, die im Gliedsatz die Stelle vor dem finiten Verb beanspruchen und sich im allgemeinen durch kein anderes Element vom finiten Verb trennen lassen." < 6 > Wenn die Beziehungen zwischen Wortstellung und Mitteilungswert der nichtprädikativen Glieder untersucht werden sollen, so darf der Mitteilungswert eines Gliedes nicht aus seiner Stellung abgeleitet werden. Bieberle bestimmt ihn deshalb mit Hilfe des Satzakzents. Der Satzakzent, der auch in jedem geschriebenen Satz potentiell enthalten ist, entsteht durch das Zusammenwirken von Tonhöhe, Tonstärke und Tondauer. Bieberle geht von der Annahme aus, dass das Wort mit dem Hauptton stets die wichtigste Informationsgrösses
eines
Satzes ist. Die Lage des Haupttones lässt sich ohne Schwierigkeiten bestimmen, sofern man den Satz nicht aus seinem Kontext löst, in Zweifelsfällen schafft die rungsprobe'^
'Uebersteige-
Klarheit.
6
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 41. Wenn ich im folgenden die Begriffe 'Prädikat', 'prädikativ', 'nichtprädikativ' gebrauche, so sind sie immer im Sinne dieser Definition Bieberles gemeint. Das führt zu terminologischen Komplikationen bezüglich der nominalen Prädikatsteile (unter Einschluss der Adverbialergänzungen), weil Bieberle diese zwar zum Prädikat rechnet, aber von der Untersuchung ausschliesst. Nichtprädikative Glieder sind demnach alle Glieder, die nicht zum Prädikat (gemäss Bieberles Definition) gehören. Wenn vom Prädikat die Rede ist, dann ist in der Regel aber trotzdem nur das verbale Prädikat gemeint, weil Bieberle diejenigen anderen Glieder, die gemäss seiner Definition auch zum Prädikat gehören, in seiner Untersuchung gar nicht berücksichtigt.
7
Die Uebersteigerungspröbe, die Bieberle von F. Trojan (F. Trojan, Deutsche Satzbetonung, Wien/Stuttgart 1961 [zitiert nach: Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 68 u. 205]) übernommen hat, besteht darin, dass man einen Satz mit übersteigerter Betonung des als Sinnwort vermuteten Wortes laut vorliegt. Ist dieses Wort tatsächlich das Sinnwort, so kann man mit Evidenz feststellen, dass die Betonung 'sitzt', andernfalls ergibt sich mit ebensolcher Evidenz, dass man das Sinnwort nicht getroffen hat.
80
Wortstellung und Mitteilungswert Der Mitteilungswert wird erschlossen durch Beobachtung des
Satzakzents. Das Verfahren kann nur bei Strukturen durchgeführt werden, die ganz bestimmte Bedingungen erfüllen: - Die letzte Stelle muss durch das Prädikat oder einen Prädikatsteil besetzt sein (Hauptsatz mit verbalem Rahmen, Gliedsatz, Infinitivkonstruktion). - Das Prädikat muss verbal sein. - Der Satz muss mit terminaler Tonführung sprechbar sein, d.h. es darf kein sinnotwendiges Glied fehlen, das z.B. in Form eines Gliedsatzes nachgetragen wird. - Das Prädikat darf nicht 'vorerwähnt' sein. Sind diese Bedingungen erfüllt, so kann der Mitteilungswert des Gliedes an der vorletzten Stelle bestimmt werden. Es g gilt die folgende Festsetzung : Liegt der Hauptton auf dem Prädikat, dann hat das Glied an der vorletzten Stelle niederen Mitteilungswert; liegt der Hauptton auf dem vorletzten Glied, so hat es hohen Mitteilungswert. Glieder mit hohem Mitteilungswert werden rhematisch genannt, Glieder mit niederem Mitteilungswert thematisch. Er wollte einen Freund besuchen.
(rhematisch)
Er wollte ihn besuchen.
(thematisch)
Aus der Beobachtung des Satzakzents wird der Mitteilungswert des Gliedes an der vorletzten Stelle erschlossen und im Zusammenhang mit dem Satzgliedwert dieses Gliedes und dem Kontext erklärt; daraus werden allgemeine Regeln über den Mitteilungswert aller Glieder abgeleitet. Bieberles Untersuchung hat ergeben, dass drei Kriterien den Mitteilungswert beeinflussen: 1.
der Kontext: Dieses Kriterium ist das wichtigste. Der entscheidende Gesichtspunkt für den Mitteilungswert ist
8
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 67.
Wortstellung und Mitteilungswert
81
die Vorerwähnung im Kontext; dabei ist allerdings nicht die Lautgestalt sondern das 'Gemeinte' massgeblich. 2.
Die Semantik bestimmter Substantive: Substantive können lexisch-semantische Varianten auf verschiedenen Abstraktionsebenen haben. Die Varianten, die einen sehr allgemeinen oder übertragenen Sinn haben, verhalten sich immer wie vorerwähnte Glieder und gelten deshalb als thematisch.
3.
der syntaktische Status: der Satzgliedwert und die Wortart. [Die Differenzierung nach Wortart (Substantiv/Pronomen) könnte man ebensogut als Funktion des Kontexts behandeln, da ein Pronomen immer vorerwähnt ist.]
Bieberle fasst das Ergebnis seiner Untersuchung in verein9 fachter Form in der folgenden üebersieht zusammen: Schema für die Bestimmung des Mitteilungswertes von Satzgliedern Subjekt/Objekt thematisches
Adverbialangabe
Pronomen (+v)-Substantiv
Glied
Allgemeinbegriff Thematisches
(-v)-Substantiv
Glied (+v) (-v)
9
= =
vorerwähnt nicht vorerwähnt
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 121.
alle
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Wortstellung und Mitteilungswert
Nach der Erörterung der Regeln zur Bestimmung des Mitteilungswertes untersucht Bieberle das Stellungsverhalten the- / matischer und Thematischer Glieder. Die Untersuchung der Stellung von Objekten und Adverbialangaben erstreckte sich auf Infinitivkonstruktionen, dreigliedrige Hauptsätze mit Subjekt im Vorfeld und dreigliedrige Gliedsätze (Konjunktionalsätze) mit Subjekt an erster Stelle. Dabei zeigt sich, dass sich die Stellung der Objekte und Adverbialangaben in erster Linie nach den Beziehungen dieser Glieder zueinander und besonders zum Prädikat richtet. Die syntaktischen Beziehungen sind wichtiger als der Mitteilungswert. Bei den Adverbialangaben sind zwei Klassen, die sich stellungsmässig unterschiedlich verhalten, aufgrund ihrer syntaktischen Beziehung zum Prädikat, abgegrenzt worden. Angaben, die sich eng auf ein bestimmtes Prädikat beziehen, beanspruchen die letztmögliche Stelle; Angaben, die sich auf den gesamten Satz beziehen (können), sind stellungsvariabel. Diese Klasseneinteilung kann operational durchgeführt werden; das von Bieberle dafür entwickelte Verfahren10 basiert selbstverständlich nicht auf der Wortstellung. Für die Stellung von Objekten und Adverbialangaben spielt sekundär auch der Mitteilungswert eine Rolle. Das thematische Glied steht in der Regel vor dem rhematischen. Die umgekehrte Reihenfolge ist auch möglich, sie bewirkt eine Erhöhung der relativen Gewichtigkeit des Prädikats. Bei zwei thematischen Gliedern ist die Reihenfolge auch in erster Linie syntaktisch geregelt. Wenn die syntaktischen Verhältnisse Stellungsvarianten zulassen, dann verändert sich bei einer Umstellung das relative Gewicht nicht, wohl aber die Beziehungsverhältnisse der einzelnen Glieder zueinander, das Verhältnis von Bestimmendem und Bestimmtem.
10
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 180-182.
Wortstellung und Mitteilungswert
83
Die Stellung des Subjektes wurde an den Konjunktionalsätzen überprüft. Es zeigte sich eine deutliche Neigung zur Grammatikalisierung der Erstposition des Subjekts. Bieberle erklärt diese Erscheinung aus der syntaktischen Beziehung des Subjekts zu den anderen Gliedern des Satzes: "Das Subjekt ist ein vom Prädikat unabhängiges Glied; es ist eine Konstituente des Satzes, nicht des Prädikats. Subjekte können sich ( abgesehen von wenigen besonderen Fällen) stets auf den gesamten Satz beziehen, indem sie den Träger des dargestellten Geschehens oder Zustands nennen. Darin besteht ihr besonderer Status, der sich auf ihre Stellung auswirkt." < 11 > Im Anschluss an die Untersuchung der Stellung einzelner Glieder (Subjekt, Objekte, Adverbiale) wendet sich Bieberle der Besetzung einzelner Stellen zu, dem Vorfeld und der absolut letzten Stelle nach einem schliessenden Prädikatsteil (Ausklammerung) . Im Vorfeld stehen normalerweise, d.h. ohne besondere kommunikative Effekte, Glieder, die sich auf den ganzen Satz beziehen; dazu gehören alle Subjekte und die Subklasse der Adverbialangaben, die sich auf den ganzen Satz 12
beziehen und deshalb stellungsvariabel sind.
Die Ausklam-
merung betrifft am häufigsten Adverbialangaben, die nach Bieberle ja immer thematisch sind, aber auch thematische
11
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 164-165.
12
Bieberle ist hier Dwight L. Bolinger verpflichtet: Bolinger, Dwight L.: Linear modification. - In: Publications of the Modern Language Association 67 (1952), s. 1117-1144. Bolinger hat die Linearitat des Satzes im Englischen und Spanischen untersucht und darauf aufmerksam gemacht, dass die Bedeutungsbreite [semantic ränge] von Satzelementen positionsabhängig ist? sie nimmt gegen das Satzende hin ab. Bestimmte Elemente 'färben' alles, was folgt. Auf dieser Grundlage werden verschiedene Probleme der engl. Wbrtstellung (bes. Adjektiv, Adverben) erörtert.
84
Wortstellung und Mitteilungswert
Subjekte und Objekte. Die Ausklammerung ist die einzige Möglichkeit, den Hauptton auf ein thematisches Glied zu legen. Seltener ist die Ausklammerung Thematischer Glieder. Sie kann ihre Ursache im grossen Umfang der Glieder haben. Wird nur ein Teil eines rhematischen Gliedes ausgeklammert [Fernstellung] , so erhalten beide nominalen Kerne des Glieds einen Akzent. Vergegenwärtigt man sich noch einmal, aus welchen Satzstrukturen die Stellungsregeln für Subjekt, Objekte und Adverbiale gewonnen worden sind - Objekte und Adverbialangaben aus Infinitivkonstruktionen, dreigliedrigen Nebensätzen (mit Subjekt an erster Stelle) und dreigliedrigen Hauptsätzen (mit Subjekt im Vorfeld); Subjekt aus Konjunktionalsätzen -, so erkennt man klar, dass Bieberle eigentlich die Mittelfeldbesetzung untersucht hat; es ist allerdings zu beachten, dass er das Verhältnis des Subjekts zu den Objekten und Adverbialangaben nicht erfassen konnte, weil er nur Strukturen ohne Subjekt im Mittelfeld berücksichtigt und die Stellung des Subjekts nur in Strukturen ohne Vorfeld untersucht hat. Die Untersuchung der Vorfeldund der Nachfeldbesetzung (Ausklammerung) ist also konsequente Fortsetzung seiner Untersuchung des Stellungsverhaltens von Subjekt, Objekten und Adverbialangaben, doch schliessen sich die beiden Untersuchungsbereiche nicht zu einer vollständigen Erfassung des Stellungsverhaltens der nichtprädikativen Glieder in allen Aussagesatzstrukturen zusammen. Auf der Grundlage seiner Untersuchungen gelangt Bieberle zu einer Hierarchie der Satzglieder nach dem Gesichtspunkt der syntaktischen Beziehung der Glieder zum Prädikat: 1. finites Verb 2. Prädikative (einschliesslich Adverbialergänzungen) 3. Adverbialangaben (mit Verbbözug) Objekte
85
Wortstellung und Mitteilungswert 4 . Subjekte Adverbialangaben (mit Satzbezug)
Daraus leitet er das folgende grundlegende Stellungsmuster für den deutschen Satz (Gliedsatz) ab: Subj .
Kasus-
Präp.obj. Adver- sonst. finit.
Angabe (Satz)
objekt
Angabe (Verb)
bial-
Präd.
Verb
ergänzung
Wortstellung und Stufe in der Hierarchie der Satzglieder nach ihrer Beziehung zum Prädikat sollen offenbar so zusammenhängen, dass von (1) bis (4) die Stellungsfestigkeit abnimmt, denn Bieberle schreibt: "Diese Hierarchie der Satzglieder erklärt, warum bestimmte Glieder (z.B. das Subjekt und die Adverbialangabe mit Satzbezug) relativ beweglich und frei im Satz verschiebbar sind, während andere Glieder fester bzw. sogar absolut stellungsfest an den verbalen Kern des Satzes gebunden sind." < 14 > Das steht einmal im Widerspruch zu Bieberles (statistisch belegter) Behauptung, dass Subjekt zeige eine deutliche Tendenz, die erste Stelle einzunehmen. Dann ist aber auch nicht klar, wie Bieberle aus dieser Hierarchie das oben wiedergegebene grundlegende Stellungsmuster herleiten kann. Da es - wie er weiter ausführt^"* - auf der Grundlage bestimmter Mitteilungswertverhältnisse möglich wird, die durch die syntaktische Grundstruktur (grundlegendes Stellungsmuster) vorgegebene Anordnung zu verändern, vermute ich, dass er den Zusammenhang zwischen Satzgliedhierarchie nach dem Gesichtspunkt der syntaktischen Beziehung zum Prädikat, grundlegendem Stellungsmuster, Mitteilungswert und 13
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 196.
14
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 195.
15
Bieberle, Die Rolle des Mitteilungswertes, S. 196.
Wortstellung und Mitteilungswert
86
Wortstellung folgendermassen interpretieren wollte: Je schwächer die Beziehung eines Gliedes zum Prädikat ist, desto grösser ist normalerweise seine lineare Distanz zum Prädikat, desto grösser ist aber auch seine Möglichkeit infolge bestimmter Mitteilungswertverhältnisse die Normalposition zu verlassen. Die Abweichungen vom grundlegenden Stellungsmuster sind an bestimmte Akzenttypen gebunden, die sich auf der Grundlage der Mitteilungswertverhältnisse beschreiben lassen. Ohne Berücksichtigung der tonlosen pronominalen Elemente kommen die folgenden Akzenttypen vor (+ = Hauptton, '= Nebenton): Rahmensatz (Infinitivkonstruktion, Gliedsatz, Hauptsatz mit prädikativem Rahmen) (1)
rhem
• (2)
rhem
PRAED +
them
PRAED
PRAED
(3)
them
Rahmenloser Hauptsatz +
(4)
rhem them
Diese Aufstellung ist nicht erschöpfend gemeint. - Die subjektive Mitteilungsabsicht des Sprechers kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Sprecher bei Gliedern mit gleicher syntaktischer Beziehung die Relation von Bestimmendem und Be-
W o r t s t e l l u n g und
Mitteilungswert
87
stimmtem festlegen und durch Auswahl unter mehreren zur Verfügung stehenden Akzenttypen (= Stellungstypen) ein von ihm gewünschtes Wort zum MitteilungsSchwerpunkt des Satzes machen kann. Bieberle hat ein ziemlich reiches Belegmaterial einem operationalen Verfahren unterworfen und aus den Ergebnissen Schritt für Schritt weitere Schlüsse gezogen, üeber die theoretischen Voraussetzungen wird man nur unzureichend orientiert. Es ist deshalb nötig, dass wir uns noch einmal die einzelnen Verfahrensschritte vergegenwärtigen, sie nach ihren theoretischen Voraussetzungen und ihrer Tragweite beurteilen und unser Augenmerk besonders darauf richten, wie sie miteinander verbunden werden. Ich ziehe dazu einen kurzen Aufsatz Bieberles bei"'"^, in dem er knapp und teilweise auch terminologisch deutlicher als in seiner Dissertation die methodischen und theoretischen Voraussetzungen seiner Arbeit und ihre grundsätzlichen Ergebnisse skizziert. Beim traditionellen Begriff des Mitteilungswertes sind im wesentlichen drei Komponenten zu unterscheiden: 1. der objektive Mlttellungsgehalt eines Satzgliedes 2. die relative Wichtigkeit eines Satzgliedes in einem gegebenen Satz 3. die subjektive Mitteilungsabsicht des Sprechers (Die Unterscheidung zwischen objektivem Mitteilungsgehalt und relativer Wichtigkeit ist in der Dissertation explizit
16
Bieberle, Bruno: SatzgliedStellung und Mitteilungswert. - In: Deutsch als Fremdsprache 9 (1972), s. 54-58. Bieberle betont mit Nachdruck, er vertrete die Auffassung, "dass sich die Satzgliedstellung in erster Linie nach den syntaktischen Beziehungsverhältnissen der verwendeten Glieder (zueinander bzw. zum Prädikat) richtet" (S. 54) und dass der Mitteilungswert eines Gliedes ein sekundärer Faktor für seine Stellung im Satz sei, obwohl er sich in diesem Aufsatz darauf beschränke, die Rolle des Mitteilungswertes für die Stellung der sog. nichtstellungsfesten Glieder (Subjekt, Objekte, Adverbialangaben) zu erläutern.
88
Wortstellung und Mitteilungswert
überhaupt nicht vorhanden - für beides steht der Begriff 'Mitteilungswert 1 implizit tritt die Differenzierung gegen den Schluss der Arbeit und im Vorwort auf.) Jedes Glied eines gegebenen Satzes ist Träger eines bestimmten (objektiven) Mitteilungsgehalts. Dieser ist kontextabhängig: Ein Glied, das ein bereits erwähntes Denotat (einen Gegenstand oder Sachverhalt) bezeichnet und erneut nennt, gilt als 'vorerwähnt', es hat einen niedrigen Mitteilungsgehalt und wird 'thematisches' Glied genannt; ein nicht vorerwähntes Glied hat einen hohen Mitteilungsgehalt und wird 'rhematisch' genannt. Der objektive Mitteilungsgehalt eines Gliedes ist unabhängig von seinem Satzgliedwert, unabhängig von seiner Stellung im gegebenen Satz und unabhängig vom Willen des Sprechers. "Natürlich kann der Sprecher darüber entscheiden, ob er an einer bestimmten Stelle seiner gesamten Aeusserung nochmals auf einen bereits erwähnten Gegenstand oder Sachverhalt eingeht, d.h. ob er ein Denotat aus dem bisherigen Text wieder aufnimmt, oder ob er von einer anderen (neuen) Sache redet. Wenn der Sprecher jedoch ein vorerwähntes Zeichen verwendet, dann trägt es unabhängig von seinem Willen niedrigen Mitteilungsgehalt." < 17 > Ueber die relative Wichtigkeit eines Satzgliedes äussert sich Bieberle weniger klar: "Anders als beim objektiven Mitteilungsgehalt ist die relative Wichtigkeit eines Gliedes stets an einen konkreten Satz, d.h. an eine bestimmte Stellung gebunden. Eine Erscheinungsform der relativen Wichtigkeit von Satzgliedern ist der Satzakzent." < 18 > Das kann man - vor allem wenn man dann noch das folgende Zitat berücksichtigt - nur so verstehen, dass die relative Wichtigkeit eine Erscheinungsform der Parole ist, während der Mitteilungsgehalt der Langue angehört.
17
Bieberle, Satzgliedstellung und Mitteilungswert, S. 55.
18
Bieberle, Satzgliedstellung und Mitteilungswert, S. 55.
Wortstellung und Mitteilungswert
89
"Die Stellung der Glieder in einem konkreten Satz der 'parole' hängt einerseits von objektiven Gegebenheiten der 'langue' ab, z.B. von den Regeln für den objektiven Mitteilungsgehalt bestimmter Satzglieder sowie von den vorhandenen Stellungstypen, die sich auf der Grundlage des Mitteilungsgehaltes der verwendeten Glieder nach Form und Leistung beschreiben lassen." < 19 > Daraus erschliesse ich das folgende System als theoretischen Hintergrund von Bieberles Verfahren:
In konkreten Sätzen ist nur der Satzakzent feststellbar. Da Bieberle von der Annahme ausgeht, dass der Satzakzent die relative Wichtigkeit eines Gliedes markiere, ist auch die relative Wichtigkeit der Beobachtung zugänglich. Sein Verfahren beschränkt sich aber auf die Beobachtung des Haupttones. Damit konnte er an der vorletzten Stelle (I) in Sätzen, deren letzte Stelle durch das Prädikat oder einen Prädikatsteil besetzt ist, Glieder mit höherer relativer Wichtigkeit als das Prädikat von solchen mit niedererer relativer Wichtigkeit als das Prädikat unterscheiden. "Bei der Analyse eines Textes lässt sich die relative Wichtigkeit der Glieder beobachten, und zwar durch Beobachtung des Satzakzents. Aus der Feststellung der relativen Wichtigkeit lässt sich durch ein entsprechendes Verfahren der objektive Mitteilungsgehalt der Glieder erschliessen." < 20 > 19
Bieberle, Satzgliedstellung und Mitteilungswert, S. 57.
20
Bieberle, Satzgliedstellung und Mitteilungswert, S. 55. [Hervorhebungen von Bieberle.]
90
Wortstellung und Mitteilungswert
Der Mitteilungsgehalt wird aber nicht 'erschlossen', wie Bieberle schreibt, sondern er wird - für Glieder an vorletzter Stelle! - mit der relativen Wichtigkeit gleichgesetzt. Die Korpusanalyse zeigte dann, dass die Zugehörigkeit zu einer der beiden Mitteilungsgehalt-Klassen von Kontextbedingungen abhängig ist. Bieberles Vorgehen lässt sich schematisch folgendermassen darstellen: L a n g u e Kontextbedingungen A URSACHEN AUFDECKEN Mitteilungsgehalt
P a r o l e Satzakzent
GLEICHSETZEN ("erschliessen")
rel. Wichtigkeitj BEOBACHTEN
Das Schema zeigt deutlich, dass wir uns den Umweg über die Begriffe relative Wichtigkeit und Mitteilungsgehalt ersparen können. L a n g u e Kontextbedingungen Richter, Mann, ...) die ein-
zelnen Elemente der syntaktischen Klassen als lexikalische Formative, welche die Lexeme repräsentieren, ein.
Die Aus-
gabe der KS-Komponente ist eine Endkette [terminal string]. Die Endketten werden in der Transformations-Komponente umgeformt. Eine Transformation überführt eine Satzstruktur in eine andere, indem sie eine bestimmte Konstituentenstruk-
5
Solche Lexikonregeln sind also auch KS-Regeln, und zwar KS-Regeln, auf deren rechter Seite ein lexikalisches Formativ steht.
Das Grammatikmodell der ersten Phase
97
tur durch Veränderungen an der Konstituentenorganisation in eine andere abgeleitete Konstituentenstruktur transformiert. Es wird also nicht nur eine Kette verändert, sondern der abgeleiteten Kette muss auch wieder ein P-Marker (eine Kette mit Strukturbeschreibung [indizierter Klammerausdruck oder Baumdiagramm]) zugeordnet werden. Es ist zwischen obligatorischen und fakultativen Transformationen zu unterscheiden. Transformationen, die angewendet werden müssen, damit überhaupt ein grammatischer Satz entsteht, sind beispielsweise die Numerustransformation (regelt die Numeruskongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb). Ein Satz, der nur durch KS-Regeln und obligatorische Transformationen erzeugt wird, heisst Kernsatz [kernel sentence]. Fakultative Transformationen können semantische Informationen einführen (im Gegensatz zur zweiten Phase der generativen Grammatik!). Sie erzeugen beispielsweise Passivsätze^ oder Fragesätze. Die morphophonemische Komponente schliesslich verwandelt die syntaktische Repräsentation eines Satzes (eine Kette von Lexemen und Morphemen) in seine phonologische Repräsentation (eine Kette von Phonemen). In der ersten Phase der generativen Grammatik wird noch kein Unterschied zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur
6
Diese Angaben sind wirklich nur als Möglichkeiten zu verstehen. Bei Bierwisch (Grammatik des deutschen Verbs) ist die Passivtransformation obligatorisch. Eine KS-Regel führt eine fakultative Konstituente Ag [Agens] ein. Wird bei der Generierung eines Satzes die Regel, die Ag enthält, angewendet (das kann, muss aber nicht sein), so wird der generierte Satz ein Passivsatz sein. Die Passivtransformation ist nur auf eine Struktur anwendbar, die u.a. Ag enthält: in diesem Fall ist sie aber obligatorisch.
98
Generativ-transformationelle Grammatik
gemacht. Die Grammatik enthält auch keine semantische Komponente. Die Syntaxtheorie muss unabhängig von der Semantik formuliert werden. Die Objekte der Grammatik dürfen nicht mittels semantischer Begriffe determiniert werden. Aber nach der asemantischen Erforschung der formalen Mittel muss deren semantische Funktion betrachtet werden: Um einen Satz 7
zu verstehen , muss man den Kernsatz (bzw. die Kernsätze), von dem der gegebene Satz hergeleitet ist, kennen - oder genauer: die dem Kernsatz zugrunde liegende Endkette und ihre Konstituentenstruktur 8 - und die Transformationsgeschichte des gegebenen Satzes.
Die Behandlung der Wortstellung in der ersten Phase Aus dem eben skizzierten Aufbau einer generativen Grammatik ergibt sich, dass Kernsätze auch in bezug auf die Wortstellung grammatisch sein müssen. Wenn also nicht schon die KS-Regeln die Reihenfolge der Konstituenten so festlegen, dass ein grammatischer Satz entsteht, so muss eine (oder mehrere) obligatorische Transformation die Elemente entsprechend ordnen. Alle Stellungsvarianten, unabhängig davon, ob sie eine semantische Information tragen (z.B. Fragesatzstellung) oder nicht, können durch fakultative Transformationen aus Kernsätzen abgeleitet werden.
7
'Verstehen' hier im Sinne von 'structural meaning 1 , grammatische Bedeutung, wobei aber nicht die grammatische Bedeutung einzelner Kategorien gemeint ist, sondern wohl eher die Bedeutung syntaktischer Strukturen als Ganzheiten. Vgl. unten S. 113, Anm. 36.
8
Zum Verhältnis von Syntax und Semantik vgl. ausführlicher: Heibig, Gerhard: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen Aspekt der Grammatik-Theorie. - München: Hueber 1971. S. 277-279.
Wortstellung in der ersten Phase
99
Wegweisend für die Behandlung der deutschen Wortstellung 9
war ein Aufsatz von Emmon Bach
. Bach geht davon aus, dass
Harris^ bei der Stellung von Morphemen untereinander drei Situationen unterscheidet: 1. eingeschränkt [restricted] 2. kontrastierend [contrasting] 3. struktural gleichwertig [descriptively equivalent] Das gilt aber nicht nur für Morpheme sondern für beliebige paradigmatische Einheiten. Die drei Möglichkeiten immer auseinanderzuhalten, scheint mir bei der Behandlung von Fragen der Wortstellung von grundsätzlicher Bedeutung zu sein. Ich formuliere sie deshalb noch in teilweise formalisierter Notation. Wenn X und Y Klassen von Einheiten (in unserem Fall: Stellungsglieder) sind^"\ so gilt: (1) eingeschränkt, feste Stellung Es kann nur XY vorkommen (2) kontrastierend, [markierte Stellung] XY und YX zulässig, wobei XY i YX (das Zeichen ^ bedeutet Nicht-Aequivalenz) (3) struktural gleichwertig, freie Stellung XY und YX zulässig, wobei XY = YX (das Zeichen = bedeutet Aequivalenz) Bei (1) und (3) stehen die Elemente der Klassen X und Y in einem nichtsequentiellen syntagmatischen Verhältnis, bei
9
Bach, Emmon: Die Stellung der Satzglieder in einer Transformationsgrammatik des Deutschen. (The order of elements in a transformational grammar of German [dt.]. Uebersetzt von Gerd Wolfgang Weber.) - In: Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen. Hg. von Hugo Steger. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1970. (= Wege der Forschung. Bd. 146.) S. 109-120. (Original in: Language 38 (1962), S. 263-269.)
10
Harris, Zellig S[abbettai]: Structural linguistics. (7th impression.) - Chicago and London: The university press (1966). (= Phoenix books. P 52.) (früher unter dem Titel: Methods in structural- linguistics.) S. 184-186.
11
Der Einfachheit halber beschränke ich mich auf zwei Klassen.
100
Generativ—transformationeile Grammatik
(2) in einem sequentiellen syntagmatisehen Verhältnis. 12 (1) und (2) sind aber insofern miteinander verwandt, als in diesen beiden Fällen an irgendeiner Stelle der Sprachbeschreibung die obligatorische lineare Reihenfolge der Elemente bzw. der Klassen angegeben werden muss. 1. Zur Beschreibung der festen Stellung bieten sich folgende Möglichkeiten an: 1.1. Direkte Erzeugung der Reihenfolge zweier oder mehrerer Konstituenten durch eine Regel von der Form a — > b + c, wobei b und c entweder Endsymbole sind oder ohne Umordnung zu Endsymbolen expandiert werden. 1.2. Erzeugung einer vorläufigen Anordnung, die zu einem späteren Zeitpunkt durch eine weitere Regel in die eigentliche Stellung überführt wird: a —> b + c b + c —> c + b Dieser Weg kann für die Behandlung diskontinuierlicher Konstituenten angebracht sein. 1.3. Erzeugung ungeordneter Mengen von Einheiten, die nachher geordnet werden.^
12
Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik. (Introduction to theoretlcal linguistics [dt.] Aus dem Englischen übertragen von W[erner] und G[erda] Abraham. Für den deutschen Leser eingerichtet von W[erner] Abraham.) - München: Beck (1971). S. 79-81. [An dieser Stelle mehrere das Verständnis erschwerende Druckfehler sowohl im engl. Original als auch in der dt. UeberSetzung.]
13
(Dieser Weg wäre zu gehen, wenn die grammatische Beschreibung mit Stellungstabeilen operiert.) Jede ungeordnete Symbolmenge muss an irgendeiner Stelle im Aufbau der Gesamtgrammatik linear geordnet, d.h. in eine Kette (eine Kette ist per definitionem linear geordnet) überführt werden, weil jeder Satz (auf der Ebene der Kompetenz) in jeder natürlichen Sprache eine linear geordnete Menge von Phonemrealisationen ist, die (auf der Ebene der Performanz) eine Aeusserung bildet.
Wortstellung in der ersten Phase
101
2. Im Fall der kontrastierenden Stellung kann die eine Stellung aus der anderen durch eine fakultative Transforma14 tion (Permutation) abgeleitet werden. 3. Wenn die Stellung völlig irrelevant^ ist, könnte durch eine Notationskonvention
(z.B. eine neue Art von Klammern)
angezeigt werden, dass die so zusammengefassten Symbole beliebig vertauscht werden können. Da die freien Stellungen
(siehe oben 3.) im Deutschen ziem-
lich begrenzt sind, erzeugt man aber auch sie am einfachsten mit Hilfe von fakultativen Permutationen zweier oder weniger 17 aufeinander bezogener Satzglieder [elements] . Bach lehnt die Verwendung ungeordneter Symbolmengen (siehe oben 1.3. und 3.) ab, weil man aus der tatsächlichen Form vieler Folgen im Deutschen nicht erkennen kann, was für Satzglieder
14 Auch Satzpaare wie "Hans traf Kurt" und "Kurt traf Hans" sind kontrastierende Stellungen. Sofern in beiden Sätzen das erste Glied als Subjekt, das zweite als Objekt aufzufassen Ist, handelt es sich hier aber nicht um voneinander ableitbare Strukturen. Die verschiedenen Stellungen ergeben sich in diesem Fall aus der jeweils gewählten lexikalischen Besetzung, wenn in der Konstruktion zwei Positionen durch Wörter derselben Klasse (bzw. sich überschneidender Klassen) besetzt werden können. 15 Ob es im Deutschen überhaupt Konstruktionen gibt, bei denen die Reihenfolge der Elemente wirklich völlig irrelevant ist, muss fraglich bleiben. Im Rahmen einer generativ-transformationellen Grammatik müssen aber wohl vorläufig noch viele Stellungsvarianten als struktural gleichwertig, d.h. grammatisch irrelevant, aufgefasst werden, da diese Grammatik in der Erfassung der durch die Hortstellung markierten semantischen Unterschiede doch einen recht groben Raster anlegt. (Siehe dazu auch unten s. 115 und 119.) 16 Diese Symbole wären eine ungeordnete Symbolmenge, die bei der Ueberführung in die End"kette" auf jede beliebige Art linear geordnet, d.h. als Kette dargestellt werden kann. (Siehe auch dazu oben S. 100, Anm. 13.) 17 Die Gleichsetzung element = Satzglied stammt nicht vom Uebersetzer, sondern von Bach, der im englischen Original dem Ausdruck 'element' in Klammern den deutschen Ausdruck 'Satzglied' beifügt. Die Uebersetzung 'Stellungsglied' scheint mir allerdings zutreffender.
Generativ-transformationelle Grammatik
102
[elements] sie darstellen und ob sie überhaupt Satzglieder [elements] sind; man würde also eines der nützlichsten Hilfsmittel, Einheiten [units] genau zu beschreiben, nämlich mit Hilfe ihrer Position, verlieren. Eine Theorie, die solche Möglichkeiten wie Satzgliedumstellungen einschliesst, verlangt die Erweiterung der Zahl der Grenzsymbole (als Elemente des Endvokabulars) auf drei: Satzgrenzen [sentence boundaries] /
Satzglied- oder Gruppengrenzen [element or phrase boundaries]
+
Verkettung innerhalb von Satzgliedern [concatenation within elements]
Damit wird eine besondere linguistische Beschreibungsebene eingeführt, auf der ein Satz durch eine Kette von Teilketten, welche den Satzgliedern entsprechen, repräsentiert wird. Würde man auf das Grenzsymbol
/ verzichten und statt dessen
das Stellungsglied als die Klasse von Sequenzen definieren, die im Aussagesatz die erste Stelle einnehmen können, so müsste man einen native Speaker als notwendige Beilage zur 18 Grammatik mitliefern. Da die drei Hauptstellungstypen des Deutschen - Stellung des finiten Verbs an erster, zweiter oder letzter Stelle als miteinander verwandt beschrieben werden sollen, wird man diese drei Strukturen nicht unabhängig voneinander durch verschiedene KS-Regeln herleiten, sondern durch einen einzigen Regelapparat eine vorläufige Anordnung erzeugen und 18
Zudem können unter gewissen Bedingungen auch im Aussagesatz zwei Elemente vor dem Verb stehen: Ohne Frage / ist / die Aufrechterhaltung der Blöcke / kein Idealzustand. Kein Idealzustand / ist / ohne Frage / die Aufrechterhaltung der Blöcke. Aber: Ohne Frage / kein Idealzustand / ist / die Aufrechterhaltung der Blöcke. Kein Idealzustand / ohne Frage / ist / die Aufrechterhaltung der Blöcke Die Aufrechterhaltung der Blöcke / ohne Frage / ist / kein Idealzustand. Beispiele aus: Glinz: Hans: Deutsche Grammatik I. Satz - Verb - Modus - Tempus. - Bad Homburg v.d.H.: Athenäum (1970). (= Studienbücher zur Linguistik und Literaturwissenschaft. Bd. 2.) S. 34-36.
Wortstellung in der ersten Phase
103
diese durch Transformationen in die effektiv möglichen Stellungen überführen. Statt einer fiktiven zugrunde liegenden Struktur (siehe oben 1.2.) kann auch eine effektiv mögliche Anordnung gewählt werden. Die Wahl der Endstellung als Grundanordnung bietet beschreibungstechnisch die grössten Vorteile, weil dieser Satztyp die Verbalphrase bereits als kontinuierliche Folge enthält. Diese Grundanordnung ist in generativen deutschen Grammatiken allgemein üblich geworden. Die KS-Komponente erzeugt als Endketten Sätze mit dem Subjekt an erster und dem Verbkomplex an letzter Stelle. Alle anderen Stellungen werden mit drei Transformationen abgeleitet
:
T 1.
Fakultativ, Thema-Umstellung: NP + n / ... /
T 2.
X / NP + n / ...
Fakultativ, Frage: &
T 3.
==>
X
/
...
/
Z &
==>
&
w
+ X
/
...
/ Z
&
Obligatorisch, Verb in Zweitstellung: &
X
/ Y
/
...
/ Z + C &
9 ^ X / Z + C / Y /
...
==>
&
T 1 ermöglicht die Umstellung jedes Satzgliedes an die erste Stelle. Wird das finite Verb umgestellt, was die Regel zulässt, entsteht eine Ja-Nein-Frage. T 2 verbindet das erste Glied mit einem Frageformanten; bei Ergänzungsfragen formen spätere Regeln diese Verbindungen in die korrekten Fragewörter um (z.B. w plus dann zu wann, w plus Personalpron. zu wer, wem usw.), ist w unmittelbar mit dem finiten Verb verbunden (d.h. Anwendung von T 1 für das finite Verb und anschliessend von T 2), so wird w getilgt (Ja-NeinFrage) . T 3 bringt das Verb an die zweite Stelle. T 3 wird
19
n = Nominativ; C = Person-Numerus-Suffix des finiten Verbs; X, Y, Z = Variable für Ketten; w = Frage-Formant (welcher, wer, wem, wann usw.)
104
Generativ-transformationelle Grammatik
obligatorisch auf alle Ketten angewandt, in denen das finite Verb an letzter Stelle steht. Somit ergeben sich für die wichtigsten Satztypen folgende Ableitungens Aussagesatz
: T 3
Ja-Nein-Frage
: T 1 (Umstellung des finiten Verbs) T 2 - Unterdrückung von w
Ergänzungsfrage
: T 2 - T 3
Die Behandlung von Nebensätzen wird von Bach nur noch skizziert: Transformationen, welche Nebensätze erzeugen und in übergeordnete Konstruktionen einbetten, müssen zwischen T 2 und T 3 operieren. Diese Regeln müssen auch die Grenzsymbole
und / im Nebensatz zu + transformieren, damit
die Anwendung von T 3 verhindert wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Bach eine generativtransformationelle Grammatik nur skizziert und viele Teilbereiche nur andeutet. Wesentlich ist sein Vorschlag, die Hauptstellungstypen durch drei Transformationen aus einer von der KS-Komponente erzeugten Grundanordnung, die der Gliedstellung im Nebensatz entspricht, herzuleiten. Die vorgeschlagenen Transformationen genügen auch nicht zur Erzeugung aller möglichen Stellungsvarianten. So kann etwa das Subjekt nur an erster (keine Anwendung von T 1) bzw. zweiter (T 1) oder dritter Stelle (T 1 und T 3) stehen. Die erste umfangreichere generativ-transformationelle Untersuchung des Deutschen hat Manfred Bierwisch 1963 unter 20
dem Titel "Grammatik des deutschen Verbs"
vorgelegt. Eine
etwas ausführlichere Beschäftigung mit dieser Arbeit lohnt sich aber auch, weil viele Fragen der Wortstellung im Rahmen einer Grammatik des Verbs behandelt werden müssen. Die Syntax des Verbs ist im Deutschen von zentraler Bedeutung.
20
Bierwisch, Manfred: Grammatik des deutschen Verbs. 7. Aufl. Berlin: Akademie 1971. (= Studia grammatica. 2.) [1. Aufl. 1963.]
Wortstellung in der ersten Phase
105
"[...] für eine erste Skizze einer generativen Grammatik [bietet sich] das Verb mit seinen verzweigten Problemen als Leitfaden bei der Darstellung der Grundzüge an. Zum anderen erscheint es interessant, zu zeigen, wie die viel diskutierten Erscheinungen, die mit dem Verb in Zusammenhang stehen, z.B. Rektion, Präfigierung, einfache und periphrastische Tempusformen, Modi, Verbstellung, sich über ganz verschiedene Teile der Grammatik verteilen und auf welche Weise sie einer zusammenhängenden Erklärung näher gebracht werden können." < 21 > Unabhängig von Bach findet Bierwisch eine ähnliche Lösung 22 für die Behandlung der Wortstellung. Auch er gelangt zur Einsicht, "[...] dass die Endstellung - in einem nicht historischen Sinn - den anderen Stellungen des Verbs zugrun23
de liegt."
Doch weicht er darin von Bach ab, dass er Frage-
sätze schon in der KS-Komponente als solche repräsentiert. Die erste KS-Regel hat die folgende Gestalt: Satz — >
(I) S
Die fakultative Konstituente I wird in einer späteren Regel durch eine Element für Frage-, Imperativ- oder Nebensatz ersetzt. Auch die Einführung einer besonderen Satzgliedebene und eines Satzglied-Grenzsymbols lehnt Bierwisch ab. Die 24 Gründe dafür werden ausführlich dargelegt
und wie folgt
zusammengefasst: 21
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. V .
22
Zum Verhältnis seiner Arbeit zu derjenigen Bachs stellt Bierwisch (Grammatik des dt. Verbs, S. 170, Anm. 30) fest: "Diese Studie [Bach, The order of elements in a transformational grammar of German] erschien, als die vorliegende Arbeit fast abgeschlossen war. Sie geht von den gleichen methodischen Voraussetzungen aus und gibt im wesentlichen die gleiche Analyse, die in unserer Arbeit dargestellt wird, so dass hier manches als detailliertere Darstellung der Auffassung von BACH angesehen werden kann. Da beide Beschreibungen das Resultat voneinander völlig unabhängiger Ueberlegungen sind, kann der Artikel von BACH als gute Bestätigung der aufgestellten Hypothese angesehen werden. In einigen Punkten, in denen wir andere Hege gehen als BACH, werden wir diese Unterschiede diskutieren."
23
Bierwisch, Grammatik des dt. verbs, S. 35.
24
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 96-98.
106
Generativ-transformationelle Grammatik
"Für das Deutsche [...] kann durch sie [die Einführung einer Satzgliedebene] nichts erklärt werden, was nicht ohnehin oder zusätzlich auf anderen Ebenen erklärt werden muss." < 25 > 26
Die Einführung des Symbols SG [ = Satzglied]
bewirkt nicht
etwa die Einführung der Satzgliedebene 'durch die Hintertür'. SG ist kein Terminalsymbol sondern nur eine vereinfachte Notation für eine Klasse wohldefinierter Konstituentenstrukturen . Die hauptsächlichsten Stellungsmöglichkeiten im deutschen Satz erfasst Bierwisch folgendermassen: Davon ausgehend, dass die Endstellung des Verbs beschreibungstechnisch allen anderen Stellungen zugrunde liegen soll, lässt sich die allgemeine Grundform eines deutschen Satzes so darstellen: SG SG , ... SG_ Pv SG. V Hv7 ... m-1 2 1 1 m
Hv
n
Dabei bedeuten SG. bis SG [SG = Satzglied] die nichtver1 m balen Glieder, Hv^ bis Hv r die möglichen Hilfsverben, V das Hauptverb, Pv [Präverb] die Negations- und Affirmationselemente. "Die Indizes geben in gewissem Sinn die syntaktische 27 Nähe zum Verb an." Statt einer durch die Zweitstellung des Verbs markierten Aufteilung des Satzes in zwei Felder bzw. einer gleichberechtigten Aneinanderreihung aller Satzglieder zeigen die von der KS-Komponente erzeugten Satzstrukturen eine hierarchische Gliederung mit wenigstens vier Feldern. (1) Subjekt (2) VerbergängzungskompleX2g (Adverbialbestimmungen , Objekte) 25
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 98. - In dem 1967 geschriebenen Nachtrag zur deutschen Uebersetzung seines Aufsatzes akzeptiert Bach die Einwände Bierwischs in diesem Punkt.
26
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 103, Anm. 58.
27
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 36.
28
Die vom Verbergänzungskomplex [VE] dominierten Adverbialbestimmungen [Advb] können in jedem Satz, unabhängig von der Klassenzugehörigkeit des Verbs, auftreten; die vom inneren Verbkomplex I v b ] dominierten
Wortstellung in der ersten Phase
107
(3) innerer Verbkomplex ^g (Prädikat, Adverbialbestimmungen ) (4) Auxiliarkomplex (finites Verb und Hilfsverben) Zwischen (2) und (3) steht die Negations-Affirmations-Konstituente Pv. Die Reihenfolge in (4) ist vollständig determiniert. Die Felder (2) und (3) können, ausser in Nebensätzen, vor (1) gestellt werden. Ebenso sind Umstellungen innerhalb von (2) und (3) möglich, bei (3) bestehen aber 29 dabei starke kontextbedingte Beschränkungen. Sowohl die obligatorischen Stellungen wie auch die Stellungsvarianten werden weitgehend durch Transformationsregeln beschrieben. Von Bierwische Arbeit sind keine tiefgehenden Einsichten in den Mechanismus der deutschen Wortstellung zu erwarten. Es ist aus der forschungsgeschichtlichen Situation leicht verständlich, dass sich Bierwisch darauf beschränken musste, eine generative Syntax des Deutschen nur zu skizzieren, wobei einzig die Verbalsyntax detaillierter ausgearbeitet wurde. Das Ziel der generativen Grammatik, die Generierung aller und nur der grammatischen Sätze des Deutschen, war damals nicht im entferntesten erreichbar. (Trotz der Fortschritte in der Weiterentwicklung der Theorie der generativen Grammatik ist dieses Ziel bis heute in der Praxis nicht erreicht worden.) Vernünftigerweise konnte sich Bierwisch höchstens die Skizze einer Grammatik zum Ziel setzen, die möglichst viele grammatische und möglichst wenige ungrammatische Sätze erzeugt. Es ist einleuchtend, dass in diesem Rahmen für Detailprobleme der Wortstellung noch kein Platz ist.
Adverbialbestimmungen [Adv] sind an bestimmte Verbklassen gebunden. Bsp.: Der Botschafter übermittelte vorige Woche [Advb] dem Aussenminister die angekündigte Note in den Urlaubsort [Adv]. 29
Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 51-53.
Generativ-transformationelle Grammatik
108
Versucht man aus Bierwischs Studie diejenigen Regeln herauszuziehen, die ausschliesslich oder vorwiegend die Wort- oder Gliedstellung steuern, so zeigt sich ein für die Behandlung von Stellungsproblemen in der generativen Grammatik typischer Befund: Die Wortstellung wird nicht zusammenhängend behandelt. Regeln, die irgendwelche syntaktische Verhältnisse beschreiben, können gewissermassen nebenbei eine grammatische Stellung erzeugen. Wenn es aber aus formalen, beschreibungstechnischen Gründen einfacher ist, kann auch zuerst eine ungrammatische Stellung generiert werden, die erst durch spätere Transformationen in eine grammatische Stellung überführt wird. Da es sich hier um einen grundsätzlichen Aspekt der generativen Grammatik handelt, soll der Sachverhalt an zwei Beispielen expliziert werden. Bierwisch stellt die Präposition in einer Präpositionalphrase hinter den Nominalkern: Ad
Loc
Temp
L
Nom —>
Ad T Nom
(Ad = Adverb, Nom = Nominalkern, P = Präposition, Loc = Ortsangabe, Temp = Zeitangabe) 30
Von den vielen Gründen
, die für diese Behandlung sprechen,
erwähne ich nur einen: Der Kasus der von einer Präposition regierten Nominalphrase hängt von der Präposition ab. Es liegt also nahe, das Kasusmorphem (K) zusammen mit der einzelnen Präposition als Expansion von P einzuführen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:
30
Vgl. Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 59-61.
Wortstellung in der ersten Phase
109
Loc
(1)
NO
K
{an, bei, .. .}
2
Loc
(2)
P L K, 2
Nom {an, bei, . .
Da die Stellung von K bei allen, auch bei den nicht von Präpositionen regierten, Nominalphrasen einheitlich sein muss wegen der späteren Regeln für die Kongruenz, und weil die Reihenfolge K + Nom die Formulierung vieler Transformationsregeln komplizieren würde, zieht Bierwisch die Möglichkeit Nom + K + Präpositon (siehe oben Stemma (1)) vor. Das bedingt aber spätere Transformationen, die die Präposition vor den Nominalkern stellen. Bei Sätzen, die u.a. ein Dativobjekt und einen Adverbialkomplex^ enthalten, kann der Adverbialkomplex vor oder nach dem Dativobjekt stehen: (1) Peter schenkt zu Weihnachten seinem Bruder ein Buch. (2) Peter schenkt seinem Bruder zu Weihnachten ein Buch. Beide Konstruktionen sind gleich normal. Wenn Bierwisch aber (1) als grundlegend und (2) als abgeleitet ansieht, dann geschieht das wieder nur aus beschreibungstechnischen Gründen: Das Dativ- und das Akkusativobjekt zeigen viele syntaktische Gemeinsamkeiten (nur u.a. ihr Stellungsverhalten,
31
Es handelt sich hier um Advb.
Vgl. oben S. 106/107, Anm. 28.
110
Generativ-transformationelle Grammatik
wenn sie pronominal sind), die sie nicht mit Advb teilen. 32 Entsprechende Regeln lassen sich deshalb dann am einfachsten formulieren, wenn die Konstituenten Non^ [Akkusativ] und Nom2 [Dativ] unmittelbar von einer übergeordneten Konstituente donimiert werden, die nicht auch noch Advb unmittelbar dominiert. Die Konstituentenstruktur soll also die Form (KS 1) und nicht (KS 2) haben. (KS 1)
(KS 2)
Deshalb wird die dem Schema (KS 1) entsprechende Reihenfolge Advb + Non^ (siehe oben Bsp. (1)) als grundlegend, die Reihenfolge Nom2 + Advb (siehe oben Bsp. (2)) als abgeleitet betrachtet. Die eben besprochenen Fälle zeigen deutlich, dass irgendwelche syntaktische Verhältnisse die Formulierung von Regeln so beeinflussen können, dass diese Regeln im Rahmen der gesamten Syntax adäquat, aber, wenn man nur die Stellungssyntax betrachtet, unökonomisch und unübersichtlich sind. Es wäre aus methodischen Gründen wünschenswert, dass die Stellungsmöglichkeiten des Deutschen von der übrigen syntaktischen Beschreibung isoliert erfasst werden könnten. Allerdings entspricht eine solche Isolierung der Stellungsregeln auch nicht dem zu beschreibenden Phänomen.
32
Ausführlicher: Bierwisch, Grammatik des dt. Verbs, S. 49-51.
Wortstellung in der ersten Phase
111
Die Lösung des Problems läge darin, dass Stellungsphänomene durch KS- und Transformationsregeln beschrieben werden, die nur eine Verbindung zwischen den für die einzelnen Stellungsmöglichkeiten relevanten Fakten und den entsprechenden Stellungstypen herstellen. Ein solches Vorgehen wäre zwar theoretisch möglich, würde aber eine Neukonzeption der üblicherweise verwendeten Metasprache verlangen. Solange aber in allen Versionen der generativ-transformationellen Grammatik die Strukturbeschreibungen als linear geordnet definiert werden, wird immer wenigstens ein Teil der Stellungsregeln stillschweigend eingeführt.
Das revidierte Grammatikmodell (2. Phase) Das Grammatikmodell der zweiten Phase kann stark vereinfacht^ folgendermassen skizziert werden:
33
Ein detailliertes Schema des Aufbaus der Grammatik zeigt Figur F (10-15) in: Bechert [u.a.], Einführung in die generative Transformationsgrammatik, S. 177.
112
Generativ-transformationelle Grammatik S Y N T A X
© Basis
t
Tiefenstruktur
Semantische Komponente
N TransformationsTeil
t
Oberflächenstruktur
S
=
Phonologische Komponente
Anfangselement
BS =
Bedeutungsstrukturen
LS =
Lautstrukturen
Neu ist vor allem die Unterscheidung von Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur in der Syntax sowie die Einführung der Semantik. Aber auch die Komponenten, die schon im ersten Modell vorhanden waren, arbeiten jetzt anders. Generativ ist nur die Syntax, Semantik und Phonologie sind interpretativ.
Das Grammatikmodell der zweiten Phase
113
Ein Satz wird von dieser Grammatik auf drei Ebenen - auf der syntaktsichen, der semantischen und der phonologischen beschrieben, d.h. abstrakt repräsentiert. Der syntaktischen Komponente kommt eine zentrale Rolle zu. "Aufgabe der Syntax ist es, abstrakte Repräsentationen von Sätzen zu liefern, die alle für die semantische und phonologische Interpretation notwendige Information enthal34 ten."
Die Basis besteht aus KS-Regeln, Subkategorisierungs-
regeln (Einführung von komplexen Symbolen) und dem Lexikon. Sie erzeugt die Tiefenstrukturen. Die Transformationsregeln überführen Klassen von tiefenstrukturellen Strukturbäumen in oberflächenstrukturelle. Aus der Tatsache, dass die Semantik die Tiefenstrukturen interpretiert, ergibt sich, dass alle für die semantische Interpretation notwendigen Informationen in der Tiefenstruktur enthalten sein müssen. Im Unterschied zur ersten Phase dürfen deshalb Transformationen die Bedeutung nicht verändern. "Aufgabe der Semantik ist es, eine abstrakte tiefenstrukturelle syntaktische Repräsentation zu 35 interpretieren, d.h. ihr eine Gesamtbedeutung zuzuordnen." Die Gesamtbedeutung eines Satzes ergibt sich (1.) aus der lexikalischen Bedeutung der Lexeme und (2.) der grammatischen Bedeutung"^ der ganzen syntaktischen Struktur, d.h. im Rahmen der skizzierten generativen Theorie (1.) aus den semantischen Merkmalen der Lexeme und (2.) der semantischen Interpretation der abstrakten Relationen, die zwischen den Konstituenten des Satzes bestehen. 34
Bechert [u.a.], Einführung in die generative Transformationsgrammatik, S. 164.
35
Bechert [u.a.], Einführung tik, S. 170.
36
Ich verwende hier die auf C.C. Fries zurückgehende Terminologie, wobei ich 1 structural meaning 1 durch 'grammatische Bedeutung' wiedergebe. Vgl. dazu: Heibig, Geschichte der neueren Sprachwissenschaft,
in die generative Transformationsgramma-
114
Generativ—transformationeile Grammatik
Die Behandlung der Wortstellung in der zweiten Phase Aus dem skizzierten Grammatikmodell ergibt sich, wie Stellungsprobleme behandelt werden müssen. Die Klasse aller bedeutungsgleichen Oberflächensätze wird durch dieselbe Tiefenstruktur beschrieben. Diese Tiefenstruktur muss in wenigstens eine mögliche Oberflächenstruktur transformiert werden. Die anderen möglichen Oberflächenstrukturen können durch fakultative Transformationen generiert werden. Paraphrasen (bedeutungsgleiche Sätze) sind beispielsweise: (1) Ernst wirft das Buch, das langweilig ist, ins Feuer. (2) Ernst wirft das langweilige Buch ins Feuer. (3) Das langweilige Buch wirft Ernst ins Feuer. Das Verhältnis von (1) zu (2) bzw. von (1) zu (3) interessiert uns hier nicht, weil es sich hier nicht um ein Stellungsproblem handelt. (2) unterscheidet sich oberflächenstrukturell von (3) nur durch die Reihenfolge der Elemente. Der folgende Satz (4) ist aber mit (2) und (3) nicht mehr semantisch äquivalent, obwohl er aus den genau gleichen Elementen besteht: (4) wirft Ernst das langweilige Buch ins Feuer? Das heisst aber, dass die semantischen Merkmale, die (4) von (2) und (3) unterscheiden, in der tiefenstrukturellen Beschreibung expliziert sein müssen. Wir müssen also die (unendliche) Menge aller Oberflächensätze in Klassen einteilen, welche die Menge aller Sätze umfassen, die aus denselben umstellbaren Elementen bestehen. Zu einer solchen Klasse gehören beispielsweise die Sätze (2), (3) und (4). Diese Klassen müssen wieder unterteilt werden in Subklassen, welche alle bedeutungsgleichen Sätze umfassen. Zu einer solchen Subklasse gehören (2) und (3), zu einer anderen Subklasse gehört der Satz (4). Jeder Subklasse entspricht genau eine Tiefenstruktur. S. 248-249. Und besonders ausführlich: Lyons, Einführung in die moderne Linguistik, S. 445-452.
Wortstellung in der zweiten Phase
115
Damit stellt sich das Problem, wo wir die Grenze zwischen Bedeutungsgleichheit und Bedeutungsverschiedenheit ziehen wollen. Eine generative Grammatik setzt a priori voraus, dass ein kompetenter Sprecher in der Lage sei, über die Bedeutungsgleichheit bzw. -Verschiedenheit Aussagen zu machen. Dass (2) und (4) bedeutungsverschieden, aber (2) und (3) bedeutungsgleich sind, wird man akzeptieren. Wie verhält es sich aber mit (2) und (5)? (5) Ins Feuer wirft Ernst das langweilige Buch. Richtet man sein Interesse nicht primär auf Stellungsprobleme, so mag man (2) und (5) als bedeutungsgleich gelten lassen. Eine Untersuchung der Wortstellung ist aber gerade daran interessiert, den Unterschied zwischen diesen beiden zu erfassen. Man wird sie deshalb als bedeutungsverschieden interpretieren. In diesem Fall müssen sie sich in der Tiefenstruktur unterscheiden. Man wird also zusätzliche Informationen - z.B. über den Mitteilungswert (oder ähnlich) der Konstituenten - in die Tiefenstruktur aufnehmen. Wie weit wir bei aer Analyse minimaler semantischer Unterschiede gehen wollen, ist eine Rentabilitätsfrage. Je feiner die Analyse, desto aufwendiger der Regelapparat der Basis. Mit abnehmender Rentabilität können wir Fragen der Wortstellung immer exakter erfassen. Dafür geht uns aber auch ein wesentlicher Vorteil der generativ-transformationellen Beschreibung verloren: Wenn im Extremfall jeder Tiefenstruktur eine einzige Oberflächenstruktur entspricht, dann werden verwandte Konstruktionen, z.B. (2) und (3), nicht mehr - oder nicht mehr so deutlich - als solche erkannt. In welcher Reihenfolge sollen die Konstituenten in der Tiefenstruktur angeordnet werden?"*^ - Betrachten wir die folgenden Sätze:
37
Diese Frage behandle ich in enger Anlehnung an: Bechert [u.a>], Einführung in die generative Transformationsgrammatik, S. 95-99.
Generativ-transformationelle Grammatik
116
(6)
Jemand empfiehlt dem Präsidenten den Rücktritt.
(7)
Dem Präsidenten empfiehlt jemand den Rücktritt.
(8)
; Jemand dem Präsidenten den Rücktritt empfiehlt.
(9)
: Dem Präsidenten jemand den Rücktritt empfiehlt.
Diese Sätze sind alle grammatisch, (8) und (9) können aber nur als eingebettete Sätze verwendet werden. Wir betrachten die vier Sätze als bedeutungsgleich, sie sollen also dieselbe Tiefenstruktur haben. Die diesen Sätzen gemeinsame Tiefenstruktur kann die Terminalsymbole in der Reihenfolge enthalten, die einem der vier Sätze entspricht oder in einer fiktiven Reihenfolge, die keine oberflächenstrukturelle Entsprechung hat. Die erste Möglichkeit ist ökonomischer. Wir prüfen deshalb, ob eine der Reihenfolgen (6) bis (9) in Frage kommt. Die Strukturbeschreibung ist adäquat, wenn NP Q und VP von S dominiert wird und V, NP.^ und NP 2 von VP. (6) und (8) können somit folgendermassen beschrieben werden: (6)
[NPQ
[V + NP 2 + NP L ] v p
]g
(8)
[NPQ
[NP2 + l.Px + V] v p
]s
Wählen wir aber die Reihenfolge (7) oder (9), so ergibt sich: (7)
S
dem Präsidenten empfiehlt jemand den Rücktritt
117
Wortstellung in der zweiten Phase
(9)
S
NP
2
NP
0
NP
1
V
dem Präsidenten jemand den Rücktritt empfiehlt Diese Strukturen lassen sich nicht als indizierte Klammerausdrücke schreiben, weil sich die Aeste in den Strukturbäumen überschneiden. Die Konstituentenstrukturen sind nicht projektiv und deshalb in einer generativen Beschreibung unzulässig. Somit schneiden (7) und (9) aus. Wählen wir (6), so ergeben sich Schwierigkeiten bei der Behandlung der diskontinuierlichen Elemente des Verbalkomplexes. (6a) *Jemand hat empfohlen dem Präsidenten den Rücktritt. (6b)
Jemand hat dem Präsidenten den Rücktritt empfohlen.
(6a) ist eine fiktive Reihenfolge, die wir aus Gründen der Oekonomie ausschliessen wollen, (6b) ist nicht projektiv, weil die beiden verbalen Konstituenten vom selben Knoten dominiert werden. Aus diesen Ueberlegungen ergibt sich, dass es für das Deutsche beschreibungstechnisch am zweckmässigsten ist, in der Basis die Konstituenten in der Reihenfolge (8) zu erzeugen. Diese entspricht der normalen Gliedfolge im Nebensatz. Dafür spricht, dass die Projektivität gewährleistet ist, dass besonders auch die diskontinuierlichen Elemente des Verbalkomplexes behandelt werden können und 38 dass in einem komplexen Satz mehr eingebettete als nicht eingebettete Sätze vorkommen. 38
Im ungünstigsten Fall kommen gleich viele eingebettete und nicht eingebettete Sätze vor, nämlich je einer. Nichtkomplexe Sätze sind eher selten, weil ja z.B. auch attributive Adjektive durch Satzeinbettung erzeugt werden.
118
Generativ-transformationelle Grammatik
Ich fasse das Wesentliche zusammen: Die Basis erzeugt für eine Klasse bedeutungsgleicher Sätze je eine Tiefenstruktur, in der die Reihenfolge der Konstituenten der Gliedfolge im Nebensatz entspricht. Alle für die semantische Interpretation relevanten Merkmale müssen im tiefenstrukturellen P-Marker vorhanden sein. Obligatorische Transformationen überführen die Tiefenstruktur in mindestens eine Oberflächenstruktur. Fakultative Transformationen können stilistische Varianten erzeugen. Die Wahl zwischen mehreren Varianten hängt von Performanz-Faktoren ab. Semantisch nichtäquivalente Sätze, die sich nur durch die Reihenfolge ihrer Glieder unterscheiden, gehen auf verschiedene Tiefenstrukturen zurück. Eine markierte Gliedstellung, d.h. eine Reihenfolge, die von der (wie auch immer definierten) Normalstellung (und ihren stilistischen Varianten) abweicht und dadurch bedeutungstragend ist (z.B. Fragesatz oder erhöhter Mitteilungswert eines Gliedes), wird erzeugt, wenn in der Basis entsprechende grammatische Elemente als Konstituenten und Merkmale generiert werden, die Transformationsregeln auslösen, welche den Satz in die entsprechende (markierte) oberflächenstrukturelle Form überführen. Beim gegenwärtigen Stand der generativen Grammatik lässt sich feststellen, dass sie für die Behandlung der Wortstellung nicht besonders geeignet ist. Ja, es ist überhaupt fraglich, ob sie in der Lage ist, alle Stellungsphänomene 39
zu beschreiben. Ferenc Kiefer
weist darauf hin, dass Stel-
lungsprobleme im Zusammenhang mit der Emphase und der funk-
39
Kiefer, Ferenc: On the problem of word order. - In: Progress in linguistics. A collection of papers, selected and editet by Manfred Bierwisch and Karl Erich Heidolph. The Hague, Paris: Mouton 1970. (= Janua linguarum. Series maior. 43.) S. 127-142.
Wortstellung in der zweiten Phase
119
tionalen Satzperspektive (Thema-Rhema-Relation) behandelt werden müssen, dass es sich dann aber als notwendig erweisen könnte, auch die Oberflächenstruktur [I] semantisch zu interpretieren. Es ist bezeichnend, dass diese Hinweise von einem ungarischen Linguisten stammen. Die generative Theorie ist bisher in erster Linie an der englischen Sprache erprobt worden, die wesentlich weniger Stellungsvarianten zulässt als das Deutsche oder gar das Ungarische und Russische. Chomsky betrachtet die Wortstellung als eine eher stilistische Angelegenheit, wobei sich die Frage stelle, ob Stellungsvarianten überhaupt in der Grammatik, welche ja die Kompetenz beschreibt, berücksichtigt werden sollen, ober ob man dieses Problem nicht insgesamt der Performanz zuweisen
Wortstellung und generative Textgrammatik Eine Satzgrammatik, die sich darauf beschränkt, die Struktur einzelner Sätze zu beschreiben, kann einige syntaktische Erscheinungen des Satzes nicht befriedigend erklären, wenn sie nicht über den Satz hinausgreift und seinen Kontext berücksichtigt. Das gilt insbesondere auch für die Gesetzmässigkeiten der Wortstellung. Eine vollständige Satzgrammatik muss also auf jeden Fall teilweise auf eine Textgrammatik zurückgreifen können. Diese Tatsache ist bisher zu wenig deutlich erkannt worden. Die Textlinguistik hat aber bisher noch kaum etwas zur Wortstellungsforschung beigetragen. In der generativen Grammatik ist die Berücksichtigung des Kontextes noch aus einem weiteren Grund von Interesse: Eine generative Grammatik erhebt den Anspruch, die sprachliche
40
Nach Kiefer, On the problem of word order, S. 127.
120
Generativ-transformationeile Grairanatik
Kompetenz des muttersprachlichen Sprechers zu erklären. Zur Kompetenz gehört aber auch die Fähigkeit, Texte (d.h. Satz41
folgen) zu bilden. Karl Erich Heldolph
skizzierte die
formale Behandlung kontextabhängiger Erscheinungen des Deutschen, wie Satzgliedstellung, Lage der Hauptakzente im Satz, Kontrast und Emphase, in einer generativen Grammatik. Er arbeitet noch mit dem Grammatikmodell der ersten Phase; immerhin hat er bereits eine interpretative semantische Komponente vorgesehen, wenn auch nicht explizit dargestellt. Ausgangspunkt seiner Ueberlegungen ist eine Konstituentenstruktur mit folgender Endkette: Subjekt + Adverbial + Objekt + r (das ist eine Konstituente, die die Lage des Hauptakzentes im Satz regelt) + Richtungsbestiiranung + separables Präfix + Verbstamm + Auxiliarkomplex. Als Satzglieder gelten nur: Subjekt, Adverbial, Objekt, Richtungsbestimmung. Jedes Satzglied, das in einem vorhergehenden Satz des Textes bereits erwähnt ist, erhält das Merkmal [+m] , alle andern Satzglieder erhalten [-m]. Die von der KS-Komponente erzeugte Kette wird durch Permutationstransformationen so umgeordnet, dass alle Satzglieder mit dem Merkmal t+m] am Satzanfang stehen; während das letzte Satzglied mit [-m], sofern ein solches existiert, unmittelbar hinter die Konstituente r gestellt wird. Den Satzakzent trägt die Konstituente, die direkt auf r folgt. Bezeichnen wir diese Konstituente mit der Variablen X, so ist r + X eine formale Rekonstruktion des Rhemas, des Mitteilungszentrums des Satzes. Eine Permutation, die den Kontext berücksichtigt. 41
Heidolph, K[arl] E[rieh]: Kontextbeziehungen zwischen Sätzen in einer generativen Grammatik. - In: Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen. Hg. von Hugo Steger. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1970. (= Wege der Forschung. Bd. 146.) S. 78-87. (Aus: Kybernetika 2, 1966, S. 274-281. < Gedruckte Fassung des Vortrages am Prager Kolloquium über algebraische Linguistik und Maschinenübersetzung, 18.-22. September 1964.>)
Generative Textgrammatik
121
hat dafür zu sorgen, dass von zwei Satzgliedern mit [+m] dasjenige als Thema am Satzanfang steht, das im unmittelbar vorausgehenden Satz unter dem Hauptakzent steht. Nach der Festlegung des Satzakzentes wird das Verb an die zweite Stelle des Satzes gebracht. Im weiteren deutet Heidolph die Behandlung von Kontrast, Emphase und Artikelselektion, die eng mit dem Merkmal [+m] verbunden ist, an. In einer Folge von Sätzen entspricht (in grober Annäherung) jedem Satzglied [+m]X ein Satzglied [-m]Y des vorangehenden Satzes, so dass X = Y. Die Reihenfolge der Satzglieder in einem Satz und der Satzakzent ergibt sich gemäss den oben skizzierten Regeln in Abhängigkeit vom Kontext.
Der Beitrag der generativ-transformationellen Grammatik zur Wortstellungsforschung Die klassische generativ-transformationelle Theorie (d.h. die Chomsky-Grammatik und ihre Weiterentwicklungen) hat bisher keinen substantiellen Beitrag zur Wortstellungsforschung geliefert. Sie wird dazu wohl auch in Zukunft nicht in der Lage sein. Der Grund dafür liegt in der Konzeption dieses Grammatikmodells: In der Basis werden linear geordnete Strukturen erzeugt, deren lineare Ordnung aber nicht (oder nur ganz am Rande) von Phänomenen der oberflächenstrukturellen Wortstellung motiviert ist. Die lineare Ordnung grammatischer (Oberflächen-)Sätze wird weitgehend in der Transformationskomponente geregelt, die aber nur unter anderem die grammatische Reihenfolge der Elemente liefert. Ein solches Grammatikmodell kann keine zusammenhängende Darstellung von Stellungserscheinungen geben, die Verbindung von Stellungsregularitäten und den sie steuernden Faktoren kann nicht geleistet werden.
122
Generativ-transformationelle Grammatik
Wenn in der generativ-transformationellen Fachliteratur von Folgeproblemen die Rede ist - und das ist oft der Fall dann dominiert ein Thema: Welches ist die günstigste lineare Ordnung der Elemente in der Tiefenstruktur? Dabei wird diejenige Ordnung als die günstigste betrachtet, die für das Grammatikmodell als ganzes beschreibungstechnisch am meisten Vorteile bietet, und nicht diejenige, welche Wortstellungserscheinungen am adäquatesten erfassen könnte. Hauptstreitpunkt ist dabei die Position des Verbs. In der generativtransformationellen Beschreibung des Deutschen hat die Grundanordnung mit dem Verb in Endposition am meisten Anhänger gefunden, doch ist diese Auffassung keineswegs unumstritten. Auf die Darlegung der in vielen Publikationen geführten, umfangreichen Diskussion dieser Probleme verzichte ich, weil sie nichts Wesentliches zur deutschen Wortstellungsforschung beiträgt; zudem ist dieser Fragenkomplex von Manfred Kohrt
42
42
bereits aufgearbeitet worden.
Kohrt, Manfred: Koordinationsreduktion und Verbstellung in einer generativen Grammatik des Deutschen. - Tübingen: Niemeyer 1976. (• Linguistische Arbeiten. 41.) Hier bes. S. 40-79.
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel Die generativ-transformationelle Grammatik beschreibt die Sprache in einem kohärenten Regelsystem. Allerdings ist diese Metasprache - wie bereits dargelegt (siehe oben S.108, 110-111, 121) - für die Beschreibung der deutschen Wortstellung nur teilweise geeignet. Wohl ist das ganze System der grammatischen Regeln kohärent, das generativ-transformationelle Grammatikmodell enthält aber kein kohärentes Subsystem, das die Beschreibung der Stellungsregularitäten übernimmt. Die Ursache dafür liegt darin, dass in der generativ-transformationellen Grammatik die Strukturbeschreibungen als linear geordnete Mengen definiert sind. Ulrich Engel'*" hat ein ganz anderes Grammatikmodell entworfen, dessen Konzeption schon von vornherein für die Beschreibung von Wortstellungsphänomenen geeignet erscheint. Die in der Basiskomponente erzeugten Strukturbeschreibungen sind als ungeordnete Mengen definiert. Die lineare Ordnung wird in einer eigenen Wortstellungskomponente erzeugt. Das Grammatikmodell Engels ist eine Erzeugungsgrammatik
(genera-
tives Prinzip). Der Erzeugungsprozess läuft folgendermassen ,2 ^-N ab : (l) (M)
»- [5]
»-[D]
»-[w]
>[A]
»-[P]
>(A)
Der Mitteilungsinhalt (M) ("vorsprachlich und ohne erkennbare Strukturierung"durchläuft sukzessive eine Reihe von 1
Engel, Ulrich: Regeln zur Wortstellung. - Inr Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 5 (1970), S. 7-148. Es ist darauf hinzuweisen, dass darin gelegentlich sinnentstellende Druckfehler vorkommen, die bei der abkürzenden und teilweise formalisierten Notation nicht immer leicht zu erkennen sind.
2
Engel, Regeln zur Wortstellung, s. 16-19.
3
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 17.
124
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
Kodes. Die Ausgabe jedes Kodes ist Eingabe des nächsten Kodes. Ausgabe des letzten Kodes und somit der ganzen Grammatik ist die ausgeformte sprachliche Aeusserung (Ä). Zum Teil sind Rückwirkungen (gestrichelte Pfeile) möglich. Die Basiskomponente (B) ist nach dem Dependenzprinzip orga4 5 nisiert. Die Derivationskomponente (D) transformiert die Ausgabe von B in abgeleitete Strukturen (Passiv, nominalisierte Fügungen usw.). Ausgabe von B und von D sind strukturierte ungeordnete Kategorien. Diese werden in der Wortstellungskomponente (W) aufgrund dependentieller, morphologischer und Semantischer Merkmale, die ihnen in B und D zugeordnet worden sind, linear geordnet. W führt nur Permutationen aus (keine Additionen, Eliminationen, Substitutionen) . Die eingegebene Menge syntaktischer Kategorien wird in eine 'Normalfolge' gebracht, sekundär werden abweichende Folgevarianten erzeugt. Auch die Ausgabe von W sind strukturierte syntaktische Kategorien (keine Wörter!), die aber jetzt linear geordnet sind. Erst die Aktualisierungskomponente (A) schliesst den Prozess der Wortstellungsregelung ab: A ersetzt die syntaktischen Kategorien durch
4
Die Strukturbeschreibung in der Basiskomponente behandelt: Engel, Ulrich: Zur Beschreibung der Struktur deutscher Sätze. In: Neue Beiträge zur deutschen Grammatik. Hugo Moser zum 60. Geburtstag gewidmet. Hg. von Ulrich Engel und Paul Grebe. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches Institut (1969). (= Duden-Beiträge. H. 37.) S. 35-52. Die in diesem Aufsatz verwendete Terminologie wurde später teilweise modifiziert. Wenigstens oberflächliche Kenntnis dieses Aufsatzes, der übrigens auch scharfsinnige Erörterungen grundsätzlicher Probleme der Strukturbeschreibung enthält, ist hilfreich bei der Lektüre von Engel, Regeln zur Wortstellung. Thematisch ähnlich, aber etwas konkreter und ausführlicher: Engel, Ulrich: Die deutschen Satzbaupläne. - In: Wirkendes Wort 20 (1970), S. 361-392.
5
Das Grammatikmodell Engels ist in einem anderen Sinn transformationell als die generative Transformationsgrammatik. Bei Engel transformiert die Derivationskomponente D die Ausgabe der Basiskomponente B in abgeleitete Strukturen. Diese Transformationen sind grundsätzlich bedeutungsverändernd: (Engel, Regeln zur Wortstellung,
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
Lexikoneinheiten aus dem Lexikon
(L) und gibt eine Kette von
Wörtern mit einer Strukturbeschreibung rische Komponente
125
aus. Die
intonato-
(I) regelt die Intonation, die phonemisch-
phonetische Komponente
(P) ordnet den Elementen ihre Laut-
form zu und gibt sie als Aeusserung
(Ä) aus. Ich nenne d i e -
sen Grammatiktyp eine generativ-transformationelle
Dependenz-
grammatik . Engel hat dieses Grammatikmodell nur in groben 7
skizziert , hingegen legt er einen ausführlichen
Zügen Entwurf
für die Wortstellungskomponente W vor. Dementsprechend
trägt
der Aufsatz, von dem hier die Rede ist, ja auch den Titel "Regeln zur Wortstellung". Engel entwirft hier die auf beliebige Sprachen anwendbare Organisation der
Wortstellungs-
S. 18 u. Anm. 18.) In der generativ-transformationellen Grammatik verbinden Transformationsregeln die Tiefenstruktur mit der Oberflächenstruktur. Die Begriffe der Oberflächen- und Tiefenstruktur sind bei Engel noch nicht endgültig festgelegt; eine vorläufige Erklärung (Engel, Regeln zur Wortstellung, Anm. 120) bezeichnet die Ausgabe der Komponente D als Tiefenstruktur. Vgl. dazu aber auch unten S. 139/140, Anm. 33. 6
Die Begriffe 'generative Grammatik', 'transformationeile Grammatik' und 'Konstituentenstrukturgrammatik' werden oft nicht genau auseinandergehalten, weil die erste generative Grammatik, die ChomskyGrammatik, diese drei grammatischen Prinzipien miteinander verbunden hat. Eine Chomsky-Grammatik ist eine generativ-transformationelle Konstituentenstruktur-(=Phrasenstruktur-)Grammatik. 'Generativ' bezeichnet die Wirkungsweise der Grammatik. Eine generative Grammatik ist ein Algorithmus zur Erzeugung von Sätzen (oder Texten). Eine solche Grammatik ist weder ein Sprecher- noch ein Hörermodell, sondern einzig und allein eine Beschreibung der Menge von Aeusserungen, welche sie generiert: "Each such grammar is simply a description of a certain set of utterances, namely, those which it generates." (Chomsky, Syntactic structures, S. 48). Die Termini 'Konstituentenstrukturgrammatik' (Chomsky: phrase structure) bzw. 'Dependenzgrammatik' (z.B. Engel) beziehen sich auf das Darstellungsprinzip der Grammatik. 'Transformationen' bezieht sich auf einen Typ von Regeln. Eine Transformation ist eine Operation, die eine Satzstruktur in eine andere überführt.
7
Entwurf der Organisation der Komponenten B und D (und W) in: Engel, Ulrich: Thesen zur Syntax. - In: Biuletyn fonograficzny 12 (1971), S. 85-102.
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Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
komponente W und stellt ausführlich die für das Deutsche geltenden Regeln, die in W zur Anwendung gelangen, dar. Der Verzicht auf die detaillierte Schilderung der Komponenten vor und hinter W hat Folgen. Weil die vorangehenden Komponenten B und D die Bedingungen für W liefern, "[...] wird also eine Reihe von Begriffen verwendet, die zwar für den Bereich der Wortstellung ausreichend definiert sind, deren Anspruch auf Geltung auch in anderen
(vorangehenden)
Teilen g
der Grammatik aber hier noch nicht begründet werden kann. Rückwirkungen der Intonationskomponente I auf W sind zu erwarten - und im Modell vorgesehen -, Engel glaubt aber, "[...] dass eine streng isolierende Betrachtung der beiden Bereiche, mit einer folgenden Synthese, eher zu brauchbaren Ergebnissen führt, als wenn man9 von vornherein dieses Wechselverhältnis mit einbezieht."
- Die Wortstellungsregeln
beanspruchen Gültigkeit für die gemeindeutsche
Schriftspra-
che der Gebildeten in der Gegenwart. Sie gründen auf dem "Sprachgefühl des Untersuchenden""*"^.
8
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 20.
9
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 19-20.
10
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 23. [Hervorhebung weggelassen] Sowohl Korpusanalyse als auch Informantenbefragung seien zwar zweifellos von unbestreitbarem Nutzen und zur Ausschaltung von Individualismen und zur Ueberprüfung von Einzelfällen beizuziehen. Bei einem auch noch so umfangreichen Korpus sei man nie sicher, alle vom System her möglichen Formen erfasst zu haben. Ausserdem sei das Problem noch ungelöst, wie man ein repräsentatives Korpus gewinnen könne, wie man die Informanten auswähle. "Auch wer sich durch Korpus oder Informanten absichert, hat die Auswahl beider, die Art der gestellten Fragen usw. zu verantworten [...]" (Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 23 [Hervorhebung von mir.]) Der Rückgriff auf das Sprachgefühl des Untersuchenden sei deshalb nur konsequent. Zudem sei der Aufwand, den Korpusanalyse und Informantenbefragung verursachen, gemessen am Ertrag unverhältnismässig gross. (Vgl. dazu: Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 22-24.)
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
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In der Wortstellungskomponente werden Stellungssequenzen (sg) verbunden.
unter einer sq hat man sich vorzustellen:
diejenige Teilmenge der strukturierten ungeordneten Kategorien - wie sie von den Komponenten B und D ausgegeben werden
die in der Aktualisierungskomponente A durch ein Wort
oder eine Wortgruppe ersetzt wird. Etwas konkreter und anschaulicher kann man sich eine sq als Leerstelle im Satzbauplan (I) vorstellen, die später in der Komponente A mit mindestens einem Wort besetzt wird und der in W ihr Platz 12
im Stellungsplan (!) zugewiesen wird. Die Gesamtheit
der
Stellungssequenzen sq wird in Stellungsklassen SQ eingeteilt. Alle Stellungssequenzen sq mit gleichem Stellungsverhalten sind Elemente je einer Stellungsklasse SQ. Das Stellungsverhalten jeder SQ wird durch Stellungsregeln beschrieben. Für ein Element können aber mehrere Regelbündel zugleich gelten. Im Satz "Er kauft ein teures Buch" bestimmt ein Regelbündel die Stellung der sq "teures" innerhalb des Bereichs "ein teures Buch"; ein anderes Regelbündel bestimmt die Stellung der sq "ein teures Buch" (und damit auch die Stellung von "teures") innerhalb des Bereichs "Er kauft ein teures Buch".^ Ein solches Element gehört verschiedenen Stellungsstufen (SS) an. Die Stellungsstufe 1 ist im wesentlichen den ' Satz-
11
In diesem und dem folgenden Absatz versuche ich die Organisation von W knapp, aber deutlicher als Engel zu beschreiben. Die Darstellung von Engel ist sehr abstrakt und gedrängt, weshalb ich nicht in allen Teilen garantieren kann, Engels Vorstellungen korrekt wiedergegeben zu haben. Vgl. dazu: Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 24-26.
12
Und nicht etwa die sq eines Satzes. Diese Klassifizierung ist ein metasprachlicher Vorgang, durchgeführt vom Konstrukteur der Grammatik und nicht eine von W bei der Satzgenerierung durchgeführte Klassifizierung.
13
Aus darstellungstechnischen Gründen habe ich hier in "..." Wortketten geschrieben; genau genommen müssten aber strukturierte ungeordnete Kategorien zwischen "..." stehen.
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Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
gliedern' vorbehalten, auf der Stellungsstufe 2 wird die Reihenfolge innerhalb der 'Satzglieder' (im wesentlichen: Nominalgruppe) geregelt. Engel gibt das Grundprinzip seines 14 Wortstellungsmodells so wieder : SS
t
SQ
tl
SS u
SQ
SS
SQ
SQ
1
u, 1 1
t
l
SO v u. i SQ l
Auf der Stellungsstufe 2 ist rekursive Anwendung der Stellungsregeln möglich, z.B. wenn mehrere voneinander abhängige substantivische Attribute einem Substantiv folgen. Teilweise gelten auch auf SS2 Regeln von SS.^, z.B. beim erweiterten partizipialen Attribut, deshalb ist Projektion von SS^ in SS2 im Grammatikmodell vorgesehen. Die Stellung einer sq hängt von strukturellen (dependentiellen), formalen (morphologischen) und semantischen 'Gegebenheiten1 und von der Stellungsstufe ab. Im Generierungsprozess wird die Wortstellung also durch die dependentiellen, morphologischen und semantischen Merkmale, die in den Komponenten B und D eingeführt worden Gind, gesteuert. "Eine Stellungklasse wird konstituiert durch die entsprechenden Gegebenheiten und nur d i e s e . D a s heisst nun nicht, dass die Stellungsklassen aufgrund dieser 'Gegebenheiten' abgegrenzt worden sind; das würde ja voraussetzen, dass der ganze Steuerungsmechanismus der Wortstellung schon bekannt wäre. Vielmehr wurden Elemente mit gleichem Stellungsverhalten in Klassen geordnet und die Stellungsregeln für diese Klassen bestimmt. Daraus muss nun auf die entsprechenden 'Gegebenheiten' zurückgeschlossen werden. Wenn dieser Rückschluss gelingt, so ist die Komponente W mit den vorangehen14
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 25-26.
15
Engel, Regeln zur Wortstellung, S. 25.
Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
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den Komponenten verbunden.^ Engels Aussage, eine Stellungsklasse werde durch die entsprechenden 'Gegebenheiten' konstituiert (siehe oben), trifft erst dann zu, wenn die Grammatik als Satzgenerator funktioniert. Bei der Herstellung der Grammatik können Stellungsklassen nur aufgrund des Stellungsverhaltens ihrer Elemente bestimmt werden. Die von Engels konzipierte Grammatik kann aber nur dann erfolgreich hergestellt werden, wenn die von ihm stillschweigend gemachte Voraussetzung stimmt, die Wortstellung sei nur von dependentiellen, morphologischen und semantischen Kriterien abhängig. Engel hat eine mit Beispielen belegte Klasseneinteilung der sq vorgenommen und in nichtformalisierten Regeln ihr Stellungsverhalten beschrieben. Diese Kapitel machen den umfangreichsten Teil seiner Publikationen aus. Auch wenn es sich zeigen sollte, dass seine Grammatikkonzeption im ganzen nicht brauchbar ist, so hat er mit seinen Stellungsklassen und Stellungsregeln einen Beitrag zur deutschen Wortstellung geleistet, der ausbaufähig ist. Zu den Grundbegriffen des bei den Stellungsregeln verwendeten Beschreibungsapparates gehören die Stellungsfelder. Engel gliedert 17 den deutschen Satz in folgende Felder :
16
Sofern dann die Gesamtgrammatik auch noch alle und nur die grammatischen Sätze des Deutschen erzeugt, sind alle Probleme der Wortstellungsforschung gelöst;
17
Die Benennung der Felder stimmt nicht in allen Publikationen Engels überein. In Engel, Adjungierte Adverbialia, gilt: MF = Innenfeld, NF = Aussenfeld, MF + NF = Nachfeld.
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Das Wortstellungsmodell von Ulrich Engel
VF
MF
. 1898. XVI, 276 S.
148
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ZWEITER
TEIL
Kritisch referierende Bibliographie
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Ziemlich allgemein gehaltene Darstellung in groben Zügen der deutschen Wortstellung und ihrer Funktionen, besonders der Rahmenkonstruktion (und der Ausklammerung).
Admoni, Wtladimir Grigorjewitsch]: Ueber die Wortstellung im Deutschen. In: Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik. Aufsätze aus drei Jahrzehnten < 1929-1959>. Hg. von Hugo Moser. (2. überprüfter reprograf. Nachdr.) Darmstadt: Wissenschaft. Buchgesellschaft 1969. (= Wege der Forschung. Bd. 25.) S. 376-380. (Aus: Zwei Welten. Monatsschrift für Politik und Literatur. Moskau 1934. H. 6, S. 78-79 < Auszug > .) Admoni vergleicht die im Deutschen häufig vorkommende Distanzstellung mit der Kontaktstellung. Distanzstellung nennt er den Verbalrahmen (Der Genosse ist jetzt nach Moskau gekommen), von Kontaktstellung spricht er sowohl bei leerem Rahmen (Er ist gekommen) als auch bei nicht vorhandenem Rahmen (Er kommt aus der Stadt). Von diesem noch nicht sehr
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Kritisch referierende Bibliographie
überzeugenden Ansatz (immerhin ist das Erscheinungsjahr - 1934 - zu beachten) erkennt er die Möglichkeit der Distanzstellung, in Sprachen mit gut entwickelter Flexion als strukturbildendes Mittel zu wirken. Sehr beachtlich ist dann die prägnante Zusammenfassung der Grundzüge der deutschen Wortstellung: Strukturbildender und spannungserzeugender Verbalrahmen, Erstglied als "Hinweis auf etwas schon Bekanntes" (S. 379) und als Verbindung mit dem vorhergehenden Satz, Reihenfolge der Glieder innerhalb des Rahmens in Abhängigkeit von ihrer* Bindung an das Prädikatsverb.
Admoni, W(ladimir) G[rigorjewitsch]: Zu Problemen der Syntax. Entwicklungstendenzen des deutschen Satzbaus von heute. In: Deutsch als Fremdsprache 7 (1970), S. 9-17. Knappe Zusammenfassung der Entwicklungstendenzen im syntaktischen System des Deutschen. Die deutsche Wortstellung ist durch das Nebeneinander von Kontaktstellung und Distanzierung geprägt. Die lineare Satzstruktur oder Reihung vermeidet Abschweifungen und Unterbrechungen und führt in ihrer Abfolge den Gedankengang unmittelbar weiter; dazu gehören: Abnahme der Hypotaxe, Kürzung des Ganzsatzes, Anwachsen der Substantivgruppe und der substantivischen und adjektivischen Zusammensetzung. Dabei ergibt sich eine Kontaktstellung der semantisch und grammatisch unmittelbar zusammenhängenden Wörter, wobei die abhängigen Glieder nach den übergeordneten stehen. Die Tendenz zur Distanzierung der semantisch und grammatisch unmittelbar zusammenhängenden Wörter zeigt sich vor allem im Satzrahmen. Der Gegensatz zwischen gespannten und spannungslosen (rahmenlosen) Satzstrukturen fällt nicht mit dem Gegensatz linear/nichtlinear zusammen. Ein linearer Satz kann gespannt und ein nichtlinearer spannungslos sein.
Admoni
155
Trotz der gegenwärtig starken Neigung, den Satzrahmen ganz oder teilweise durch Ausrahmung zu beseitigen, ist die Rahmenkonstruktion im Deutschen der Gegenwart nicht gefährdet. Seit dem 18. Jh. neigen alle Satzkomponenten zur Ausrahmung, die eine selbständigere Gestalt aufweisen, d.h. die sich von den übrigen Bestandteilen des Satzes formell abheben: Satzkomponenten mit Vergleichssemantik, Infinitivkonstruktionen, Nebensätze, unter anderem Relativsätze (oft mit dem zugehörigen Bezugsglied), ein oder einige gleichartige Glieder [?], abgesonderte Satzkomponenten, Präpositionalkonstruktionen. Die Ausrahmung ist immer durch kommunikative oder formale Vorbedingungen und Triebkräfte zu erklären. "Der Satzrahmen ist und bleibt die Grundlage, der Ausgangspunkt in der Gestaltung der Wortfolge im deutschen Satz." (S. 15) In der deutschen Gegenwartssprache zeigt sich eine immer aktivere Verwertung aller Potenzen, aller syntaktischen Strukturen, um damit den immer komplizierter werdenden Gehalt zu formen.
Adolf, Helen: Intonation and word order in German narrative style. In: The journal of English and Germanic philology 43 (1944), S. 71-79. Ueber Herkunft und Charakter der 'absoluten Inversion' (Spitzenstellung des Verbs) in erzählenden (im Gegensatz zu berichtenden) Sätzen, wie "Kam einmal ein Bäuerlein", "Kommt (plötzlich) ein Bauer daher". Dieser Stellungstypus weist eine besondere Intonation (ähnlich der Entscheidungsfrage) auf, welche durch die Stellung des Verbs ausgelöst wird. Solche Sätze können auftreten beim Uebergang vom Bericht zur Erzählung (der Erzähler versetzt sich und seine Zuhörer
156
Kritisch referierende Bibliographie
in die Vergangenheit), beim Einsatz der Handlung und bei der Anknüpfung eines neuen Ereignisses. Zur Geschichte: Die absolute Inversion ging im Laufe des Ahd. ganz zurück und trat erst im 15. Jh. wieder auf. Helen Adolf betrachtet die neu aufgetretene Inversion als Relikt [survival], das in der gesprochenen Sprache überleben konnte. (Im Gegensatz zu Behaghel und Maurer.)
Agahd, [Reinhold A. ?] Die hochdeutsche Wortstellung. In: Zs. f. Deutschkunde 38 (1924), S. 429-441. Die Lehre von der nhd. Wortstellung betrachtet meistens das Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Der Aufbau des deutschen Prosasatzes kann durch zwei Grundgesetze einfach erfasst werden. Dem Gesetz von der Zweitstellung der Personalform des Verbs im Aussagesatz (usw.) ordnen sich auch nachgestellte oder eingeschobene Hauptsätze unter, da der vorangehende Nebensatz als erstes Glied des Gesamtsatzes zu betrachten ist. Das "Bedeutsamkeits- oder Umklammerungsgesetz" heisst: "Je bedeutsamer und enger die formalen Beziehungen eines Prädikatsteiles zu der Personalform des Geschehwortes [Verb] sind, und je bedeutsamer die einzelnen Prädikatsteile ihrem Inhalt nach für das Geschehnis sind, desto weiter treten sie von der 2. Satzstelle weg nach dem Ende hin." (S. 436 [Hervorhebungen von Agahd]) Dieses Gesetz gilt, leicht modifiziert, auch für den Aufbau der Nebensätze und der nominalen Glieder. Die erwähnten formalen und inhaltlichen Beziehungen sind hierarchisch geordnet aufgrund von syntaktischen und inhaltlichen Kriterien. Die durch formale Beziehungen geregelte Wortstellung ist zwingend, die inhaltlich geregelte gestattet Abweichungen von der normalen Folge.
Antal
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Antal, Laszlo: Word order and syntactic position. In: Linguistics, an international review. 8 (1964), S. 31-42. Der Ausdruck 'Position' wird in linguistischen Untersuchungen der Wortstellung in zwei Bedeutungen gebraucht, die zwei verschiedenen Stufen der syntaktischen Beschreibung entsprechen. (1)
Auf der tieferen Stufe bezeichnet Position einen bestimmten Platz [place] in der linearen Folge des Satzes. Diese externe Position [external position] wird üblicherweise Wortstellung [word order] genannt.
(2)
Auf einer höheren (taxonomischen, strukturalen) Stufe lässt sich die interne Position [internal position] eines Elements bestimmen als eine bestimmte Stelle [station or fixed point] in der Satzstruktur. Position in diesem Sinn ist ein strukturaler Wert.
(Diese beiden Stufen entsprechen etwa (1) der Oberflächenund (2) der Tiefenstruktur der generativ-transformationellen Grammatik. - Antals Aufsatz ist aber nicht generativ, sondern transformationell im Sinne von Harris orientiert.) Die externe Position eines Elements kann höchstens ein Ausdruck [expression], ein formaler Index seiner internen Position sein. Die beiden Positionen sind nie identisch. Morpheme dürfen nur aufgrund ihrer strukturalen Position klassifiziert werden, denn "[...] the level of the structural positions [...] is the only genuine level of the sentence structure" (S. 33). - Dem kann man ohne weiteres zustimmen, doch braucht sich eine linguistische Analyse nicht mit der Klassifizierung von Morphemen zu begnügen. Antal beschränkt sich völlig darauf, auf den Unterschied zwischen interner und externer Position hingewiesen zu haben. Die Folgerungen, die sich daraus für die Wortstellung ergäben, deutet er nicht einmal an, nämlich: Es ist nicht die Aufgabe einer Wortstellungsuntersuchung, Morpheme aufgrund ihrer Stellungsmöglichkeiten zu klassifizieren, sondern abzuklären, welche
158
Kritisch referierende Bibliographie
Beziehungen zwischen internen und externen Positionen bestehen, d.h. die Wortstellungsgrammatik müsste sich in erster Linie mit (externen und internen) Positionen befassen, und nicht mit den Elementen, die bestimmte Positionen besetzen können. Die Gliederung des Satzes in ein logisches Subjekt und Prädikat (bzw. 'thème' und 'propos') ist ein extralinguistisches Phänomen, das nicht den Satz selbst, sondern das durch ihn ausgedrückte logische Urteil betrifft. Hingegen kann man in einem Satz zwischen 'meaning' und 'interprétation' oder angemessener 'meaning and its importance' unterscheiden. Wenn eine Wortstellungsvariation auf eine Veränderung der strukturellen Positionen der Elemente zurückgeht, betrifft das die Gesamtbedeutung des Satzes, andernfalls markiert sie nur die Wichtigkeit gewisser Aspekte der Bedeutung. Dieser zweite Fall spielt nur eine höchst bescheidene Rolle und verdient es nach Antal kaum, in einer syntaktischen Untersuchung berücksichtigt zu werden.
Bach, Emmon: Die Stellung der Satzglieder in einer Transformationsgrammatik des Deutschen. (The Order of elements in a transformational grammar of German [dt.] Uebersetzt von Gerd Wolfgang Weber.) In: Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen. Hg. von Hugo Steger. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 197 0. (= Wege der Forschung. Bd. 146.) S. 109-120 (Original in: Language 38 (1962), S. 263-269.) Siehe oben S. 99-104.
Bech
159
Bech, Gunnar: Studien über das deutsche Verbum infinitum. Bd. 1-2. K^benhavn: [Danske Videnskabernes Selskab]; Ejnar Munksgaard in Komm. 1955. 1957. (= Historisk-filologiske Meddelelser [udgivet af] Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab. Bd. 35, Nr. 2. Bd. 36, Nr. 6.) 222, 188 S. Wortstellung: bes. Bd. 1, S. 60-80 Gunnar Bechs exakte, detail- und materialreiche Studie ist ein Torso. Bech hat mehrere Bände angekündigt, von denen einer auch eine ausführliche topologische Theorie enthalten sollte. Dieser Band ist aber nicht erschienen. Immerhin ent hält der erste Band ein Kapitel zur Topologie der Verbalfelder (S. 60-80). Es enthält aber nur gewisse fundamentale Teile einer Topologie der Supina und des finiten Verbums. Bevor ich auf die Darstellung dieses Kapitels eingehe, sind noch einige terminologische Hinweise nötig. Bech stellt das folgende System der infiniten Verbalformen auf: 1. Stufe
2. Stufe
Supinum
Partizipium
1. Status
lieben
liebend(-er)
2. Status
zu lieben
zu lieben(d-er)
3 . Status
geliebt
geliebt(-er)
Der Status einer Verbalform im Satz wird von einem benachbarten Element, z.B. einem Verb, regiert
(Statusrektion);
beispielsweise regiert das Verb 'wollen' den 1. Status. Die Studie ist infolge exzessiver Anwendung einer wenig einprägsamen formalisierten Notation schwer lesbar. Ich gebe hier nur die in der folgenden Zusammenfassung verwendeten Symbole wieder:
Kritisch referierende Bibliographie
160
Rangindizes : V
1 2 V
3 V usw.
Angabe des Abhängigkeitsverhältnisses. V
(V0) V 1 V 2 usw.
= maximal übergeordnetes Verb
Verben, geordnet nach zunehmender Abhängigkeit . Finitum in Hauptsatzstellung. 0 Wenn ein V. existiert, so ist also: 0 v0 = V V, V usw.; wenn kein „1 existiert, so ist: V v2 = V
Flexionsindex : V(0)
=
finit
V(l)
=
Supinum 1. Status
V{2)
=
Supinum 2. Status
V(3)
=
Supinum 3. Status
Jeder Satz enthält so viele Verbalfelder, wie er finite oder supinische Verben enthält. Zum Verbalfeld F n gehören das Verbum V n und alle Bestandteile des Satzes, die von V n abhängen (Dependenzgrammatikl), aber nicht ein abhängiges Verb (also: V n + ^) und die von ihm abhängigen Glieder. Bsp. : 1) Ich bitte ihn, morgen zu kommen. 1 2 F = ich bitte ihn, F = morgen zu kommen. 2) ..., dass ich ihm nicht helfen konnte. 1 2 F = ich ... nicht ... konnte, F = ihm ... helfen Fundamentale topologische Einheit ist das Kohärenzfeld (K), bestehend aus Schlussfeld (S) und Restfeld (R). Das Schlussfeld enthält alle finiten und supinischen Verben des Satzes ausser einem Finitum in Hauptsatzstellung, das Restfeld enthält die nichtverbalen Teile des Kohärenzfeldes und das
161
Bech Finitum, wenn dieses in Hauptsatzstellung steht. Bsp.:
/ Ich habe nach drei Jahren gebeten, / in der Einzelhaft bleiben zu dürfen /
( / = Grenze zwischen zwei Kohärenz-
feldern, Schlussfelder unterstrichen, Restfelder ohne Unterstreichung) . Jedes Kohärenzfeld ist ein Verbalfeld oder eine Gruppe von Verbalfeldern. Ein Kohärenzfeld ist eine geschlossene Einheit, kein Element eines Kohärenzfeldes kann zwischen zwei Elementen eines andern Kohärenzfeldes stehen. (Ein Verbalfeld ist keine topologisch geschlossene Einheit: vgl. ..., (dass) ich ihm nicht helfen konnte 1
2
[unterstrichen = F , nicht unterstrichen = F ].) Rhythmisch wird ein Kohärenzfeld durch Pausen (sog. 'Grenzpausen') abgegrenzt. Eine Definition des Begriffs 'Kohärenzfeld' fehlt; die Beispiele zeigen aber, was gemeint ist: der Bereich eines finiten oder infiniten Verbalsatzes. Beim finiten Kohärenzfeld
(ein Kohärenzfeld, das ein Finitum enthält)
kann das Schlussfeld fehlen (z.B. Er singt schön), beim supinischen Kohärenzfeld
(ein Kohärenzfeld, das kein Finitum
enthält) kann das Restfeld fehlen. Der Aufbau des Schlussfeldes ist ein zentrales Thema der Wortstellung im Verbalbereich. Das Schlussfeld zerfällt in ein Oberfeld und ein Unterfeld. Es enthält immer ein Unterfeld, aber nicht immer ein Oberfeld. Gewöhnlich steht das Oberfeld vor dem Unterfeld. Im Oberfeld stehen die Verben in der Reihenfolge ihrer Abhängigkeit, das maximal übergeordnete Verb des Oberfeldes zuerst; im Unterfeld stehen die Verben in umgekehrter Reihenfolge. Es gilt also z.B. V
1V2V5V4V3'
wobei
V
i+V2
=
Oberfeld, V 5 +V 4 +V 3 = Unterfeld.
"Das unterfeld enthält immer das maximal untergeordnete verbum des schlussfeldes, und im normalen usus die zwei maximal untergeordneten verben des schlussfeldes. Das oberfeld enthält nur solche verben, die entweder finit sind oder im 1. status stehen. Sonst können die verben des schlussfeldes im allgemeinen beliebig auf ober- und unterfeld verteilt werden." (S. 63)
Kritisch referierende Bibliographie
162
Daraus ergeben sich für ein- bis fünfgliedrige Schlussfelder die folgenden Möglichkeiten (S. 63 [Darstellung von mir graphisch modifiziert]: 1 0
/V1
2 /V
2
3 V
1
1
/v3 v 2 v x V
2
4
V
3
V
2
5
/v4 v 3 v 2 V V
V
1
4 V
V
V
3 4
/v5 v 4 v 3 v 2
V
1
V
2
V
V
3
V
1 V
V
1 V2
3
V
V
5 V
V
1
V
2
4
V
3
5
V
4
4 V3
5 V
V
V
(Die Zahlen über der Tabelle geben die Anzahl der Elemente im Schlussfeld an, die Zahlen links von der Tabelle die Anzahl der Elemente im Oberfeld, der Schrägstrich markiert die linke Grenze des Unterfeldes.) Beispiele : 1.0
... dass er hier // liegt er bleibt hier // liegen
2.0
... dass er hier // liegen bleibt man lässt ihn hier // liegen bleiben
3. 0
dass man ihn hier // liegen bleiben lässt • • • man kann ihn hier // liegen bleiben lassen
3.1
dass man ihn hier // lässt / liegen bleiben man kann ihn hier // lassen / liegen bleiben
4. 0
dass man ihn hier // liegen bleiben lassen kann # • • man wird ihn hier // liegen bleiben lassen können
4. 1
dass man ihn hier // kann / liegen bleiben lassen man wird ihn hier // können / liegen bleiben lassen
4.2
dass man ihn hier // kann lassen / liegen bleiben man wird ihn hier // können lassen / liegen bleiben
5.0 5.1
... dass
wird
man ihn hier // liegen bleiben lassen können
... dass man ihn hier // wird / liegen bleiben lassen können
Bech
163
5.2
... dass man ihn hier // wird können / liegen bleiben lassen
5.3
... dass man ihn hier // wird können lassen / liegen bleiben
Das erste Element des Unterfeldes ist durch einen Akzent markiert. Für den Aufbau des Schlussfeldes spielt es keine Rolle, ob ein Finitum vorhanden ist oder nicht. In den oben genannten Beispielen stehen alle infiniten Verben im 1. Status. Stellungsmässig ändert sich aber nichts, wenn die Infinita in einem andern Status stehen. In den folgenden Beispielen wird der Status in runden Klammern angegeben: V 2 (1)V 1 (0):
dass er heute // arbeiten kann
V 2 (2)V 1 (0):
..., dass er heute // zu arbeiten versucht
V 2 (3)V 1 (0):
..., dass er heute // gearbeitet hat
V 1 (0)V 4 (1)V 3 (2)V 2 (3):
..., dass der Mann sich sogar die höfliche Phrase einer Einladung // hatte / ersparen zu können geglaubt
Im Schlussfeld stehen normalerweise nur Verben. Im Unterfeld kann "ein nicht-verbales glied, das irgendwie eine nahe Verbindung mit dem maximal untergeordneten verbum des schlussfeldes hat" (S. 67) unmittelbar vor diesem Verbum stehen (.. . , dass man des Halunken werde habhaft werden können). Ferner steht das Präfix der sog. trennbaren Verben im Schlussfeld; das Präfix steht an letzter Position, wenn das trennbare Verb selbst nicht im Schlussfeld steht (d.h. wenn es maximal übergeordnetes Verb im Hauptsatz ist), sonst steht es unmittelbar vor dem Verb. Diese Stellungsregeln sind im 7. Kapitel (§§ 55-82) des I. Abschnitts (Prolegomena) der Bechschen Studien dargestellt. Im II. Abschnitt, der die grammatischen Phänomene innerhalb einer hypotaktischen Kette behandelt, und im zweiten Band, der sich mit der Verbindung von zwei oder mehr hypotaktischen Ketten in einem Satz befasst, werden ver-
164
Kritisch referierende Bibliographie
streut immer wieder Probleme der Wortstellung erörtert. Dabei wird nicht nur der innere Bau der verbalen Ketten, sondern (im zweiten Band) auch die Stellung mehrerer Ketten in einem komplexen Satz behandelt. Die entsprechenden Angaben sind aber noch unzusammenhängend. Bech hoffte, in einem weiteren Band (bisher noch nicht erschienen) seiner "Studien über das deutsche Verbum infinitum" eine umfassende Theorie aller topologischen Erscheinungen im Verbalbereich vorlegen zu können (Bd. 1, S. 80; Bd. 2, S. 9).
Becker, Henrik: Neue Sprachlehre. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-SchillerUniversität Jena. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. 14 (1965), S. 163-171. Für die Beschreibung der 'reinen Syntax' (Betrachtung der syntaktischen Formen, die allein den Platz eines Wortes in der Fügung bestimmen!) schlägt Becker ein 'Platzmodell' vor, das die Struktur des Satzes anschaulich (didaktische Zielsetzung) wiedergeben soll. Für die vollständige Beschreibung genügen die Begriffe 'Wort', 'Satz', 'Träger', 'Last', 'Stütze', 'Richtform', 'Reihe' und Kombinationen davon. Der Träger-Last-Begriff soll den Begriff der Abhängigkeit ersetzen. Die Satzstruktur wird zweidimensional dargestellt. (erste Der1
-1 Tag verging
ohne
L1besondere
J
Ereignisse.
Das Platzmodell ist nichts anderes als eine linear geordnete Darstellung der Dependenzstruktur von Sätzen. Beckers Modell ist ein Dependenzmodell, auch wenn er den Abhängigkeitsbe-
Becker
165
griff ausdrücklich ablehnt, er hat nur Unten und Oben vertauscht und die lineare Ordnung der Oberflächenstruktur des Satzes beibehalten.
Behaghel, Otto: Beziehungen zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern. In: Indogermanische Forschungen 25 (1909), S. 110-142. Behaghels Gesetz der wachsenden Glieder (in Wortgruppen). Bei den "Erweiterungsgruppen, deren Glieder durch Konjunktionen verknüpft sind" (koordinierende endozentrische Konstruktion [Bloomfield], syndetische Wortreihe) zeigt sich im Ahd., Mhd., Nhd., Griech. und Lat. eine sehr stark ausgeprägte "Neigung, an zweiter Stelle das umfangreichere Glied [Gruppenglied] erscheinen zu lassen". (S. 116) Die Tendenz, das Bedeutsamere und das Umfangreichere (diese Gleichsetzung wird ohne jede Begründung vorgenommen) gegen das Satzende zu rücken, kommt sowohl dem Hörer wie auch dem Sprecher entgegen. Der Hörer behält das zuletzt Ausgesprochene am sichersten im Gedächtnis, "[man] wird also gerne das ans Ende rücken, was man wegen seiner Wichtigkeit dem Gedächtnis des Hörers besonders einprägen möchte, oder dasjenige, was wegen seines grösseren Umfangs an sich nicht so leicht vom Gedächtnis aufgenommen wird." (S. 138) Vom Standpunkt des Sprechers aus entspreche dieses Stellungsgesetz der Neigung des Menschen, schwierige oder zeitraubende Arbeiten zurückzustellen;
166
Kritisch referierende Bibliographie
Behaghel, Otto: Die deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. 1-4. Heidelberg: Winter 1923-1932. (= Germanische Bibliothek. 1. [Abt.], 1. R., Bd. 10.) Wortstellung: Bd. 4. Siehe oben S. 18-25.
Behaghel, Otto: Von deutscher Wortstellung. In: Zs. f. Deutschkunde 1930, S. 81-89. (Einleitend Polemik gegen die Syntaxforschung und im besonderen gegen verschiedene Abhandlungen über Wortstellung.) Grundsätzlich sind zwei Gattungen von Wortstellungen zu unterscheiden: 1) überlieferte Stellung (habituelle oder usuelle oder gewohnte Stellung), 2) Bedarfsstellung (okkasionelle oder Augenblickstellung). Nur am Rand erwähnt ist die sog. halbfreie Stellung, dazu gehören wohl die Fälle, für die sich beim besten Willen kein Gesetz finden lässt. (Beachte: Im 4. Band von Behaghels Syntax beanspruchen die überlieferten Stellungen 245 Seiten, die Bedarfsstellungen 5 Seiten, Periodenbau und Satzstellung 35 Seiten; die halbfreie Stellung wird auf 5 Zeilen [S.3] gerade noch erwähnt.) Die Anordnung der Glieder steht immer "in irgendwelcher Beziehung zum Inhalt der Satzglieder" (S. 84 IHervorhebung von mir]). Zwei grundlegende Gesetze regulieren die Wortstellung: 1) Späterstellung des Wichtigeren. Im allgemeinen steht das weniger Wichtige vor dem Wichtigeren bzw. das Alte, das bereits im Bewusstsein vorhanden ist, vor dem Neuen, das ihm erst zugeführt werden soll. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Kontext, besonders den vorangehenden Satz, zu berücksichtigen. Mit diesem Gesetz lassen sich
Behaghel
167
auch im allgemeinen syntaktisch motivierte Stellungsregeln begründen, wie z.B. dass die Zeit- der Ortsbestimmung vorangehe oder die Stellung des attributiven Genetivs der Eigennahmen von Personen im Nhd. 2) Das Gesetz der wachsenden Glieder. Seine Wirksamkeit ist keineswegs nur auf die Erweiterungsgruppen beschränkt (vgl. Behaghel, Beziehungen zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern), sondern man begegnet seinem Eingreifen "auf den verschiedensten Punkten, wo immer man Fragen der Wortstellung anfasst." (S. 86) Historisch gesehen entwickeln sich überlieferte Stellungen aus Bedarfsstellungen. So kann man das Gesetz der wachsenden Glieder aus dem Gesetz von der SpäterStellung des Wichtigeren herleiten: Der Begriff des Umfangreicheren wird sich weitgehend mit dem des Gewichtigeren gedeckt haben, so dass sich daraus ein rhythmisches Gefühl entwickeln konnte, das gebietet, einem kürzeren Glied einen längeren Abklang folgen zu lassen. Deshalb lässt sich auch die Neigung zur Ausklammerung adverbialer Bestimmungen rhythmisch erklären, indem dadurch vermieden wird, dass einsilbige Glieder den Satzschluss bilden. (In einem der dazu zitierten Beispiele [S. 87] ist aber das Verb zweisilbig; Behaghels Deutung ist also zum mindesten ungenau, wenn nicht falsch.)
Behaghel, Otto: Wortstellung und Rhythmus. In: Magyar NyelvSr 41 (1912) , S. 18-21. Einige allgemeine Hinweise auf die Neigung, den Satzschluss durch vollklingende Wörter zu bilden, und auf das Gesetz der wachsenden Glieder. Diese zwei rhythmisch bedingten Tendenzen konnten Fernstellung bewirken. Der Rückgang dieser Stellungsmöglichkeit geht auf lateinischen Einfluss zurück,
168
Kritisch referierende Bibliographie
aber auch auf die zunehmende Bedeutung der geschriebenen Sprache, wodurch das rhythmische Gefühl eine Abschwächung erfuhr.
Behaghel, O[tto]: Zur Stellung des Subjects im Nebensatz des Deutschen. In: Zs. f. dt. Altertum u. dt. Lit. 66 (1929), S. 203-207. Die Angabe von Reis (Wunderlich/Reis, Der dt. Satzbau, 3. Aufl., Bd. 1, S. 99), das Subjekt des Nebensatzes stehe, mit Ausnahme des Falles der tonlosen Wörter, ziemlich eindeutig unmittelbar hinter der einleitenden Konjunktion, ist als allgemeine Regel falsch. Abgesehen von einigen Sonderfällen, richtet sich die Stellung des Subjekts nach dem Verhältnis des 'Gewichts' des Subjekts zu dem der anderen Glieder. Das weniger bedeutsame Glied, mit der geringeren Tonstärke, geht voraus, das 'gewichtigere' folgt nach, unabhängig von seiner Satzgliedfunktion. Ein Glied ist weniger gewichtig als ein anderes, "[...] wenn es bereits im bewustsein vorhanden ist, wenn es etwas altes ist, während das andere etwas neues bringt, also zumal dann wenn es einen vorhergehenden begriff wider aufnimmt." (S. 204) - Belege vorwiegend historisch.
Behaghel, Otto: Zur Wortstellung des Deutschen. In: Curme volume of linguistic studies, edited by the occasion of his seventieth birthday by James Taft Hatfield, Werner Leopold, A.J. Friedrich Zieglschmid. Baltimore: Waverly press 193 0. (Language monographs, published by the Linguistic Society of America. Nr. 7.) S. 29-33.
Behaghel
169
Knappe Darlegung der wichtigsten Gesetze der deutschen Wortstellung : 1. Zusammenstellung des geistig Zusammengehörigen 2. Nachstellung des Wichtigeren 3. Gesetz der wachsenden Glieder 4. Wechsel von Hebung und Senkung. (Dieser Aufsatz ist zum grössten Teil wörtlich übernommen worden in: Behaghel, Dt. Syntax, Bd. 4, § 1426.)
Benes, Eduard: Die Ausklammerung im Deutschen als grammatische Norm und als stilistischer Effekt. In: Muttersprache 78 (1968), S. 289-298. Benes versteht (nach B. Havranek, einem Mitbegründer der Prager Schule) unter Norm "eine innersprachliche Erscheinung, d.h. einen Komplex der von einer Sprachgemeinschaft regelmässig gebrauchten und als verbindlich empfundenen Sprachmittel" (S. 289), unter Kodifizierung "die Aufzeichnung und Fixierung der Sprachnorm" (S. 289). Wo der Gebrauch schwankt, bedeutet Kodifizierung [normativ, nicht deskriptiv] immer auch zugleich Normierung. Kodifizierung ist besonders für den fremdsprachlichen Deutschunterricht nötig. Benes nimmt eine Kodifizierung für den verbalen Rahmen in der geschriebenen deutschen Sprache vor. Die Reihenfolge der rahmenschliessenden Elemente beschreibt er in enger Anlehnung an Boost. Nach einer kurzen Auswertung von Sekundärliteratur zur Ausklammerung im Neuhochdeutschen folgt eine straffe, mit Beispielen illustrierte Aufzählung der Bedingungen, unter denen (1) die Ausklammerung grammatische Norm ist [obligatorische Ausklammerung], (2) die Ausklammerung mehr oder weniger möglich ist und (3) die Ausklammerung stilistisch motiviert ist.
17 0
Kritisch referierende Bibliographie
Benes, Eduard: Die Besetzung der ersten Position im deutschen Aussagesatz. In: Fragen der strukturellen Syntax und der kontrastiven Grammatik. Düsseldorf: Schwann (1971) . (= Sprache der Gegenwart. Bd. 17.) S. 160-182. v
Benes untersucht die Besetzung des Vorfeldes im Aussagesatz vom Gesichtspunkt der Mitteilungsperspektive. Einleitend weist er darauf hin, dass Vorfeld und Erstglied nicht immer identisch sind: im Vorfeld kann auch weniger oder mehr als ein Satzglied stehen; nach der Aufzählung der entsprechenden Fälle geht er aber nicht mehr näher auf diesen Punkt ein. Nach der Auffassung der Prager Schule, der Bene§ verpflichtet ist, "[...] bildet die Mitteilungsperspektive [oder funktionale Satzgliederung] eine Sprachebene, auf der der kommunikative Sinn (das aktuelle kommunikative Ziel) einer Aeusserung konstituiert wird." (S. 163) Auf dieser Ebene kann man das, worüber gesprochen wird (Thema), und das, was darüber gesagt wird (Rhema), unterscheiden. Das Thema ist normalerweise etwas schon Bekanntes oder Vorerwähntes, das Rhema etwas Neues und Unbekanntes, doch liegt nicht darin das Wesen der Thema-Rhema-Gliederung, wie die folgenden Beispiele zeigen: (la) (lb)
Ein Mann kommt in ein Gasthaus. In ein Gasthaus kommt ein Mann.
(2a) (2b)
Herr Meier wartet draussen. Draussen wartet Herr Meier.
In (la) und (lb) sind Thema und Rhema 'unbekannte', in (2a) und (2b) 'bekannte' Grössen. Die Sätze (la) und (lb) einerseits und (2a) und (2b) andererseits haben relationssyntaktisch und semantisch dieselben Glieder; aber sie unterscheiden sich kommunikativ. Thema ist jeweils dasjenige Element der Satzkette, das an erster Stelle steht.
Benes
171
Benes legt sich terminologisch wie folgt fest: "In diesem Aufsatz verstehen wir unter 'Thema' [...] die Elemente (von geringem Mitteilungswert), auf die sich das mitzuteilende 'Rhema' [.,.] (von hohem Mitteilungswert) bezieht; in einem Satz können auch mehrere thematische Elemente auftreten und sind nicht nur auf das Vorfeld beschränkt [...] . Der Ausgangspunkt, von dem sich die Mitteilung aufrollt, wird hier als 'Basis' oder 'Ansatz' bezeichnet." (S. 164) Diese Erklärung ist nicht ganz klar. Wenn sich das Rhema auf das Thema beziehen soll, dann fasst Benes Thema im Sinn von 'das, worüber gesprochen wird' und Rhema im Sinn von 'das, was ausgesagt wird' auf. Dann ist aber nicht recht ersichtlich, worin der Unterschied zwischen 'Basis' und 'Thema' besteht. Die Interpretation mehrerer, auch nicht ganz klarer Aeusserungen Beness (Benes, Die Besetzung der ersten Position im Aussagesatz, S. 163, 166 und Anm. 18; BeneS, Die Verbstellung im Deutschen, von der Mitteilungsperspektive her betrachtet, S. 9 und 11) legt folgende Deutung nahe: Thema ist 'das, worüber gesprochen wird' und Rhema 'das, was darüber gesagt wird', das Thema hat a priori niederen, das Rhema hohen Mitteilungswert. Unter 'Basis' versteht Benes das erste Mitteilungselement des Satzes, d.h. das erste Element mit lexikalischer (und nicht nur grammatischer) Bedeutung. Die Basis ist meistens Thema, kann aber auch Rhema sein. Die Basis ist also eine bestimmte Position im Satz, die erste Position, aber nicht auf der syntaktischen, sondern auf der kommunikativen Ebene. Die Mitteilungsperspektive wird im Deutschen vorwiegend durch Wortstellung und Intonation realisiert. Für die Vorfeldbesetzung unterscheidet Benes vier Typen: 1) Die merkmallose Abfolge Thema-Rhema mit 'automatisierter Intonation'. Die Basis wird ohne Pause, Akzent oder intonatorische Kadenz realisiert: Er ist krank. 2) Die Hervorhebung, bei der es sich (wie bei Typ 1) um eine merkmallose Abfolge Thema-Rhema mit 'automatisierter
172
Kritisch referierende Bibliographie Intonation' handelt. Die Basis wird durch eine intonato-
rische Halbkadenz, Nebenakzent, Pause oder ein Zusammenspiel dieser Komponenten akustisch abgehoben: Seit gestern / habe ich Schnupfen. Dieser Typ darf nicht mit Typ 4 verwechselt werden. 3) Der Sondertyp mit expletivem 'es' im Vorfeld. Das 'es' ist nur "Signal, Auftakt oder Vorspann der Basis" (S. 166), und erst das Verb ist die eigentliche Basis. Diese Basis ist meistens Thema (Es bestehen Bedenken), gelegentlich auch Rhema (Es irrt der Mensch, solang er strebt). 4) Die merkmalhafte Abfolge Rhema-Thema mit 'desautomatisierter Intonation1. Das Rhema wird durch Hauptakzent, Intonationsgipfel und Tieftonlage der NachlaufSilben akustisch signalisiert: Sie haben Pantotal zu einem unserer grössten Erfolge gemacht. Zwischen diesen Typen gibt es Uebergangszonen. Benes erörtert weiter die Art des Anschlusses dieser Typen an den vorhergehenden Kontext und ihr unterschiedlich häufiges Auftreten in verschiedenen Funktionalstilen. Ferner werden einige Sonderfälle der Vorfeldbesetzung besprochen, die das Inventar der Grundtypen erweitern und variieren.
Benes, Eduard: Die funktionale Satzperspektive im Deutschen im Vergleich mit dem Tschechischen. In: Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache und Kultur. Aufsätze und Studien. Bd. 2. Berlin: Akademie 1968. (= Abhandlungen der Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig. Philol.-hist. Kl., Bd. 59, H. 2.) S. 57-69. Von diesem Aufsatz ist bereits ein Jahr zuvor eine überarbeitete und stark gekürzte Fassung erschienen. Die Kurz-
Bene£
173
fassung ist auf das Wesentliche profiliert und vor allem um die Gegenüberstellung von Deutsch und Tschechisch gekürzt. Siehe: Benes, Die funktionale Satzperspektive < ThemaRhema-Gliederung > im Deutschen.
Benes, Eduard: Die funktionale Satzperspektive < Thema-Rhema-Gliederung > im Deutschen. In: Deutsch als Fremdsprache 4 (1967), S. 23-28 (Ueberarb. u. stark gekürzte Fassung von: Benes, Die funktionale Satzperspektive im Deutschen im Vergleich mit dem Tschechischen.) Von den Wortfolgeuntersuchungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führt nicht nur eine Entwicklungslinie zu Drach und Boost, sondern auch eine zu V. Mathesius, einem Mitbegründer der Prager Schule, der schon 1929 (für die englische Sprache) eine Theorie der funktionalen Satzperspektive entwickelt hat, die grosse Aehnlichkeit mit den Auffassungen von Drach und Boost aufweist. "Er [Mathesius] hat dabei die bis dahin übliche psychologische Betrachtungsweise durch eine prinzipiell linguistische ersetzt. Mathesius geht von der Mitteilungsfunktion der Sprache eus. Seine Theorie der funktionalen Satzperspektive will feststellen, durch welche Mittel der Sprecher bzw. der Schreiber bei einem konkreten Sprechakt seine Redeabsicht so verwirklicht, dass der aktuelle Sinn der Aeusserung für den Hörer, bzw. Leser klar signalisiert wird. Aus dem Charakter der Mitteilung ergibt sich von selbst, dass jede Aeusserung aus zwei Komponenten besteht: Die eine Komponente enthält das, worüber etwas mitgeteilt wird: das Thema, den Ausgangspunkt. Die andere Komponente enthält das eigentlich neu Mitzuteilende: den Sinnkern. Bei ruhigem Sprechablauf gilt die objektive Abfolge: Thema - Kern (Das Wetter ist schön.), bei erregtem Ablauf gilt die subjektive Abfolge: Kern - Thema (Schön ist das Wetter!). Die Verbindung zwischen Thema und Kern wird gewöhnlich durch ein verbales Bindeglied hergestellt. Mit seiner Theorie erfasst Mathesius zwei Erscheinungen, die sich sehr nahe stehen: 1. die thematische Reihenfolge und Anordnung einer Aeusserung,
174
Kritisch referierende Bibliographie
2. ihre Einbettung in den (sprachlichen oder aussersprachlichen) Kontext." (S. 24 [Hervorhebungen von mir teilweise weggelassen.]) Die deutsche Wortstellung wird durch zwei Hauptfaktoren beeinflusst: das satzstrukturelle Prinzip und das Prinzip der Satzperspektive. Die Stellung der verbalen Glieder erfüllt primär satzstrukturelle Funktionen, während sich die Anordnung der nichtverbalen Glieder nach ihrem Mitteilungswert richtet. Die beiden Prinzipien können miteinander in Konflikt geraten, wenn auch das Verbum satzperspektivische Funktionen übernehmen soll. Benes zeigt, dass es im Deutschen Kompensationsmöglichkeiten für die fehlende Beweglichkeit des Verbs gibt. Immer dann wenn zwei Varianten - die eine mit, die andere ohne Satzklammer - zur Wahl stehen (z.B. Perfekt/Präteritum, Passiv/Aktiv, Futur/Präsens, Modalverb+ Vollverb/einfaches Verb, Verb mit/ohne trennbares Präfix, Funktionsverbgefüge/einfaches Verb), beeinflussen die Bedürfnisse der Satzperspektive die Auswahl der Varianten, so dass der eigentliche Verbinhalt (Benes schreibt durchgehend falsch 'finites Verb', wo nur der Träger der lexikalischen Bedeutung des Verbs, bei den Varianten mit Satzklammer also das nichtfinite Element, gemeint sein kann) entweder an zweiter oder an letzter Stelle steht. Umgekehrt kann der Träger des Verbinhalts ins Vorfeld vorverlegt werden, und zwar als Ausgangspunkt [Thema] oder als Kern der Mitteilung [Rhema]. Auch die Einführung des Scheinsubjekts "es" bewirkt Vorverlegung des Verbalinhalts, weil dann das Verb das erste Satzelement mit semantischem Gehalt ist. Fälschlicherweise führt Benes hier (S. 25) auch einen Passivsatz an; im Passivsatz ("Es wurden drei ernste Stücke miteinander aufgeführt") verändert das Scheinsubjekt aber die satzperspektivische Stellung des Verbalinhalts gerade nicht. Als weiteres Kompensationsmittel wird noch die Ausklammerung erwähnt (siehe: Benes, Die Ausklammerung als grammatische Norm und als stilistischer Effekt).
Benes
175
Im eingeleiteten Nebensatz stehen die oben erwähnten Mittel nicht zur Verfügung. Dafür gibt es für fast alle Typen der eingeleiteten Nebensätze Varianten mit anderer Verbstellung: 'Aussagesätze' [Inhaltssätze] mit/ohne "dass", eingeleitete/nichteingeleitete Konditional- und Konzessivsätze, hypotaktische/parataktische Kausalsätze, Relativsätze/Hauptsatzparenthese . Das Subjekt wird üblicherweise, und so auch bei Boost, als stärker stellengebunden als die anderen nichtverbalen Glieder betrachtet. Benes zeigt, dass sich auch die Stellung des Subjekts im Hauptsatz und im Gliedsatz nach seinem Mitteilungswert richtet. Eine Position des Subjekts gegen das Satzende zu mag zwar etwas seltener sein, trotzdem ist sie normgerecht, denn die Häufigkeit einer sprachlichen Erscheinung hat nichts mit der Norm zu tun. Die Beweglichkeit des Subjekts werde nur eingeschränkt (1) durch die feste Verbstellung und durch die Satzklammer, (2) wenn das Subjekt ein Personalpronomen sei und (3) dadurch, dass die Reihenfolge Nominativ-Akkusativ meistens fest sei. Im Fall (1) wird wohl gemeint sein, dass das Subjekt nicht die von der Personalform belegte Stelle einnehmen könne. Das gilt aber auch für die Objekte. Zudem könnte man Beness Auffassung von den satzperspektivischen Kompensationsmöglichkeiten für die fehlende Verbbeweglichkeit weiterführen und sagen: Wenn der Träger der lexikalischen Bedeutung des Verbs von der zweiten Position auf eine andere Position geschoben wird, z.B. bei Ersetzung durch ein Funktionsverbgefüge usw., dann ist die zweite Position ohne semantischen Gehalt (so wie bei Einführung des Scheinsubjekts die erste Position), die Personalform trägt grammatische (strukturelle) Bedeutung und ist für die funktionale Satzperspektive irrelevant; daraus folgt, dass das Subjekt an syntaktisch dritter Stelle satzperspektivisch die zweite Stelle einnimmt. Auch der Fall (2)
176
Kritisch referierende Bibliographie
scheint mir nicht nur für das Subjekt zuzutreffen, obwohl immerhin zuzugeben ist, dass pronominale Objekte etwas beweglicher als pronominale Subjekte sind. Zum Fall (3) ist anzumerken, dass die Einschränkung nur dann gilt, wenn die Flexion des Substantivs und der begleitenden Elemente infolge von Kasussynkretismus die Kasusunterscheidung nicht leisten kann (und auch dann nicht immer). Beness Ansicht lässt sich knapp so zusammenfassen: Die Folge der nichtverbalen Glieder richtet sich nach dem Mitteilungswert; im verbalen Bereich stehen teilweise Kompensationsmittel zum Ausdruck des satzperspektivischen Werts der verbalen Glieder zur Verfügung.
Benes, Eduard: Die Verbstellung im Deutschen, von der Mitteilungsperspektive her betrachtet. In: Muttersprache 74 (1964), S. 9-21. (Nachdr. aus der Zs. Philologi[c]a Pragensia, hg. v. d. Tschechoslowakischen Akad. der Wissenschaften, Bd. 5, [1962], H. 1, S. 6-19.) Aus Karl Boosts Darlegungen ergebe sich, dass die Verbstellung nur grammatisch bestimmt sei, während für die Stellung der übrigen Glieder ihre Funktion in der Mitteilungsperspektive massgebend sei. Benes überprüft deshalb für die drei Grundstellungen des finiten Verbs (erste, zweite, letzte Position), inwieweit die Bedürfnisse der Mitteilungsperspektive mit der festen Verbstellung im Einklang stehen und wie Widersprüche zwischen Mitteilungsperspektive und festem Platzanspruch des Verbs gelöst werden können. Bei den Stellungstypen mit Erst- und Zweitstellung des Verbs stimme die grammatisch bestimmte Position des Verbs mit der Mitteilungsperspektive einigermassen überein. Bei Zweitstellung stehe das Verbum finitum, das ja ein Verbin-
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dungselement sei, zu Recht zwischen Basis und Kern. Für die UebereinStimmung bei Erststellung fehlt eine eigentliche Begründung. Benes schreibt dazu nur: "Das VF [Verbum finitum] bildet da den Mitteilungskern oder die Basis. Dieser Wortstellungsgrundriss entspricht den Bedürfnissen der Mitteilungsperspektive, die für die Sätze dieser grammatischen Struktur typisch ist." (S. 17) Der erste Satz dieses Zitats ist unklar, der zweite nichtssagend. Im Stellungstyp mit Endstellung des finiten Verbums ist ein Widerspruch zwischen fester Verbstellung und Mitteilungsperspektive häufig. In allen drei Fällen ist aber eine Anpassung an die Bedürfnisse der Mitteilungsperspektive möglich. Selten geschieht das durch direkte Verschiebung des Verbs. Die hier genannten Beispiele (S. 12) Beness sind nicht überzeugend. Zum Teil sind sie sprechsprachliche oder seltene, dichterische Sonderformen, zum Teil handelt es sich um zusammengezogene Sätze mit ersparten Gliedern, deren komplizierte kommunikative Struktur überhaupt nicht erfasst werden kann, solange der Begriff 'Mitteilungsperspektive' nicht einmal für einfache Sätze klar ist. Damit das platzfeste Verb mit den Bedürfnissen der Mitteilungsperspektive in Einklang gebracht werden kann, stehen im deutschen Sprachsystem verschiedene Kompensationsmittel zur Verfügung. (Vgl. dazu oben S. 173176, wo das Wesentliche bereits zusammengefasst ist.) Es ist ein Mangel dieses Aufsatzes, dass der theoretische Hintergrund nicht dargelegt wird. Offensichtlich ist Bene? teilweise von Firbas (Thoughts on the communicative function of the verb in English, German and Czech) beeinflusst. Der Argumentation und Darlegung fehlt stellenweise (z.B. S. 15) die Transparenz. Die Begriffe Mitteilungsperspektive und Mitteilungswert sind nicht geklärt.
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Betz, Werner: Zur Ueberprüfung einiger Wortstellungsregeln. In: Studien zur Texttheorie und zur deutschen Grammatik. Festgabe für Hans Glinz zum 60. Geburtstag. Hg. von Horst Sitta und Klaus Brinker. Düsseldorf: Schwann (1973) . (= Sprache der Gegenwart. Bd. 3 0.) S. 243-267. Der von Ulvestad (vgl. Ulvestad, Vorschlag zur strukturellen Beschreibung der deutschen Wortstellung) durchgeführte Test, bei dem alle theoretisch möglichen Stellungsvarianten der Elemente eines einzigen Satzes einer Gruppe von Gewährspersonen zur Beurteilung der Akzeptabilität vorgelegt wurden, ist von Betz mit dem gleichen Satz (mit geringfügigen lexikalischen Aenderungen) wiederholt worden. Die Testresultate von Ulvestad und Betz weichen nicht stark voneinander ab, ausser dass die im Durchschnitt jüngeren Gewährspersonen von Betz die Akzeptabilität der vorgelegten Stellungsvarianten im allgemeinen etwas höher einstufen. In den von den Testpersonen am positivsten bewerteten Stellungsvarianten entspricht die Reihenfolge der Adverbiale keiner der verschiedenen von den gängigen Grammatiken formulierten Stellungsregeln. Auch die Regel, dass in einem Aussagehauptsatz nur ein Satzglied vor dem finiten Verb stehen könne, ist nach dem Testresultat nicht absolut gültig.
Bieberle, Bruno: Die Rolle des Mitteilungswertes für die Stellung der Glieder im deutschen Satz. Hist.-philol. Diss., Potsdam, Pädagog. Hochschule 1969, [Masch, vervielf.] [3] , 206 Bl. Siehe oben S. 7 8-93.
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Bieberle, Bruno: Satzgliedstellung und Mitteilungswert. In: Deutsch als Fremdsprache 9 (1972), S. 54-58. Siehe oben S. 87-93.
Biener, Clemens: Zur Methode der Untersuchungen über deutsche Wortstellung. In: Zs. f. dt. Altertum u. dt. Lit. 59 (1922), S. 127-144. Bei der neuhochdeutschen Wortstellung handelt es sich ausschliesslich um die Frage der Stellung der Satzglieder, jener logisch-grammatischen Kategorien, die jeder Sprecher mit dem Verstand als solche erfasst, weil sie jedem Gebildeten (die übrigen sind von deren Beispiel abhängig) in der Schule eingeprägt worden sind. Die nhd. Stellungsgesetze sind erlernte Regeln. Sie stammen von den ersten theoretischen Grammatikern des 17. Jahrhunderts, sie haben sich aber erst später durchgesetzt. Im Laufe der Geschichte der deutschen Sprache haben verschiedene Einflüsse auf die Wortstellung gewirkt. Alle Gruppen von Einflüssen sind als prinzipiell gleichberechtigt zu untersuchen. Es ist mit Einflüssen phonetischer Art (Tempo der Rede, Satzmelodie, Rhythmus, Umfang der Sätze, Pausen, Klangwirkungen, Metrum, okkasionelle Betonung) und Einflüssen logisch-psychologischer Art (Gewohnheit, Analogie, Gefühlsbetonung, Anschluss an den Vorstellungsverlauf, logische Verknüpfung) zu rechnen.
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Bierwisch, Manfred: Grammatik des deutschen Verbs. 7. Aufl. Berlin: Akademie 1971. (= Studia grammatica. 2.) V, 188 S. [1. Aufl. 1963.] Siehe oben S. 104-111.
Blümel, Rudolf: Die Aufgaben der nhd. Wortstellungslehre. In: Beitr. z. Gesch. d. dt. Spr. u. Lit. 35 (1909), S. 494534. [zugleich: Phil. Diss. München 1909. Halle a.S. 1909: Harras.] Apodiktische und wenig explizite Darlegung der Aufgaben der nhd. Wortstellungslehre. "Die nhd. wortstellungslehre sucht eine syntaktisch gegliederte einheit in ihre teile zu zerlegen. Dann bestimmt sie die form und function dieser teile, soweit beide in frage kommen. Hierauf stellt sie die gesetze fest, nach denen die teile in der syntaktischen einheit angeordnet erscheinen." (S. 494 [Hervorhebungen von Blümel]) Fortgesetzte Zerlegung von Texten führt auf Einheiten verschiedenen Grades. Mit diesen Einheiten, die als Wortstellungseinheiten und nicht als Satzglieder aufzufassen sind, befasst sich Blümel zur Hauptsache. Ein Teil der Einheiten kann operational. bestimmt werden: Eine Wortstellungseinheit ist jeder Ausdruck, der Antwort auf eine Ergänzungsfrage sein kann.
Blümel, Rudolf: Die Haupttypen der heutigen neuhochdeutschen Wortstellung im Hauptsatz. Strassburg: Trübner 1914. (= Untersuchungen zur idg. Sprach- und Kulturwissenschaft. 5.) [8], 77 S.
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Das heutige nhd. Satzgefüge ist grammatisch als ein Satz zu betrachten. Die Wortstellung ist im Rahmen der Satzgefüge zu beschreiben. Blümel unterscheidet vier Wortstellungsformen (Haupttypen): (1) Subjekt an erster, Verb an zweiter Stelle, (2) Verb an zweiter, Subjekt an dritter Stelle, (3) Verb an erster Stelle, (4) Verb an letzter Stelle. Bei den nominalen Gliedern wird nur zwischen Subjekt und anderen Gliedern unterschieden; dadurch erhält die Stellung des Subjekts schon von der Theorie her eine besondere Bedeutung. In verschiedenen Texten ist das Vorkommen der beiden ersten Typen ausgezählt und das Verhältnis ihrer Häufigkeit festgestellt worden, wobei sich im allgemeinen ein Ueberwiegen des Satzbeginns mit Subjekt ergeben hat. Im übrigen lässt sich in der oft nur stichwortartigen, pseudoformalisierten Darstellung nur schwer ein Zusammenhang oder ein klares Ziel erkennen.
Boost, Karl: Der deutsche Satz. Eine Wesensbestimmung. In: Zs. f. Deutschwissenschaft und Deutschunterricht 1944, S. 48-55 Der Aufsatz enthält keine konkreten Angaben zur deutschen Wortfolge, sondern erst in Ansätzen die Kerngedanken, die Boost später (Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen Satzes) zur Darstellung des ThemaRhema-Prinzips in der Wortfolge ausgebaut hat. Im Satz sind eine sprachliche (formale) und eine inhaltliche Ebene auseinanderzuhalten. Die Form (d.h. Wortfolge und Tonführung) ist abhängig vom Inhalt und von der Umgebung (Anschluss an das Vorhergehende und auch an das Folgende). Die Fortsetzung dieses Aufsatzes (Karl Boost: Der deutsche Satz. Die Satzverflechtung. - In: Deutschunterricht (Berlin/
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Leipzig) 2 (1949), H. 3, S. 7-15) entfernt sich wieder mehr von der Wortstellungsproblematik und behandelt Fragen, die in den allgemeinen Bereich einer deutschen Textgrammatik gehören.
Boost, Karl: Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen Satzes. Der Satz als Spannungsfeld. (3., unv. Nachdr.) Berlin: Akademie 1957. (= Dt. Akad. d. Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur. 4.) 88 S. [1. Aufl. 1955.] Siehe oben S. 52-7 2.
Bratu, Traian: Probleme der neuhochdeutschen Wortfolge. Einige Beobachtungen und ein Versuch ihrer Systematisierung. In: Beitr. z. Gesch. d. dt. Spr. und Lit. 62 (1938), S. 337-356. Zusammenstellung der hauptsächlichsten Stellungsgesetze des Deutschen (Sprache der Klassiker), konzipiert als Grundlage für den rumänischen Deutschunterricht. Der deutsche (komplexe) Satz wird als zweiteilig, bestehend aus Subjekts- und Prädikatssphäre, aufgefasst. Die Stellungsregeln beschreiben den Aufbau der beiden Sphären und ihre Stellung im Gesamtsatz. Die einzelnen Aspekte sind mit unterschiedlicher Genauigkeit erfasst, mangelhaft ist besonders die Darstellung der Gliederung innerhalb der Prädikatssphäre. Ein im Detail und besonders für den Deutschunterricht an Ausländer wohl ungenügender, aber für die damalige Forschungssituation (1938) beachtlicher Versuch, den Satz als strukturiertes Ganzes zu betrachten und die Grundstrukturen
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des deutschen Satzbaus zu erfassen. Die Auffassung des deutschen Satzes als System von geklammerten Blöcken ist wenigstens andeutungsweise vorgezeichnet.
Bratu, Traian: Die Stellung der Negation 'nicht' im Neuhochdeutschen. < mit ergänzenden Nachprüfungen an Goethes Sprache >. In: Zs. f. dt. Philologie 65 (1940), S. 1-17. Stellungsregeln für 'nicht' bei Satzverneinung (= Verneinung des Prädikatsverbs) und Satzgliedverneinung; Vergleich mit dem Französischen und Englischen. Regeln: Bei Satzgliedverneinung steht 'nicht' vor dem entsprechenden Glied, bei Satzverneinung am Satzschluss, aber noch vor Infinitiv, Partizip, Prädikatsnomen und Verbpräfix von trennbaren Verben. Steht 'nicht' vor einem Infinitiv oder Partizip, also vor Verbalnomen, so entspricht die Regel für Satzverneinung derjenigen für Satzgliedverneinung. Dasselbe gilt für Nebensätze, wo 'nicht' immer vor dem verneinten Glied steht, im Falle der Satzverneinung vor den verbalen Teilen.
Braune, Wilhelm: Zur Lehre von der deutschen Wortstellung. In: Forschungen zur deutschen Philologie. Festgabe für Rudolf Hildebrand zum 13. März 1894. Leipzig: Veit 1894. S. 34-51. Den Kernpunkt der deutschen Wortstellungslehre bildet die Stellung des Verbs. Im 'rein grammatischen Schema' steht das Verbum nur in bestimmten Arten von Hauptsätzen (Fragesätze, Wunschsätze, Nachsätze usw.) an erster Stelle, sonst steht es in Hauptsätzen an zweiter Stelle. Die geschieht-
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liehe Betrachtung (und die Berücksichtigung psychologischer Kategorien) führt aber zu einer anderen Gruppierung: 1. Verb an zweiter Stelle des Satzes, nach einem betonten Satzglied 2. Verb an erster Stelle des Satzes a) reine Anfangsstellung, z.B. Kommst du heute? b) gedeckte Anfangsstellung nach einem unbetonten Wort (Pronomen, Partikel), z.B. Ich komme heute. 3. Verb an letzter Stelle des Satzes Das proklitische Wort der gedeckten Anfangsstellung wurde in historischer Zeit entweder gar nicht gesetzt (Personalpronomen) oder konnte nach dem Verb stehen (Partikel), so dass das Verb am Anfang stand. In Weiterführung dieser sich auf historische Zustände berufenden Argumentation behandelt der Aufsatz im weiteren historisch-vergleichend: Vergleich Nhd./Anord., Schlussstellung des Verbums im Hauptsatz, Blick auf die zu erschliessenden urgerm. Gesetze der Verbstellung.
Bungarten, Theo: Präsentische Partizipialkonstruktionen in der deutschen Gegenwartssprache. Düsseldorf: Schwann (1976). (= Sprache der Gegenwart. Bd. 38.) 423 S. Wortstellung: S. 35-127. Unter Verwendung des schon in Bungarten, Umstellprobe und Minimalrepräsentierung als Methoden der Satzgliedanalyse eingeführten Begriffsapparates werden in dieser Arbeit Syntax, Semantik und Stilistik der präsentischen Partizipialkonstruktionen untersucht. Im syntaktischen Teil wird das Stellungsverhalten dieser Konstruktionen ausführlich berücksichtigt.
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Bungarten, Theo: Umstellprobe und Minimalrepräsentierung als Methoden der Satzanalyse. In: Bungarten, Theo: Sprache und Sprachanalyse des Deutschen. Vier Beiträge zur Methode und Theorie. Bern: H. Lang; Frankfurt/M.: P. Lang 1973. (= Europäische Hochschulschriften. R. 1, Bd. 76.) S. 9-72. Darlegung der theoretischen und methodologischen Grundlagen der in der Wortstellungsforschung so wichtigen Umstellprobe und ausführliche Diskussion der Frage, ob im Vorfeld nur ein Glied stehen könne.
Clausen, Ove K.: Ein deutsches Satzschema. In: Kopenhagener germanistische Studien. Bd. 1. Kopenhagen: Akademisk Forlag (1969). S. 118-126. Für die Beschreibung der skandinavischen Sprachen hat sich die
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Art der syntaktischen Betrachtung hat auch auf die grammatische Beschreibung des Deutschen durch skandinavische Forscher eingewirkt. Die Wortstellungslehre in der deutschen Grammatik des Dänen J^rgensen (German grammar III, Kap. 11) lässt sich "[...] als die Beschreibung eines positionssyntaktischen Satzschemas lesen, das freilich nicht abgedruckt ist." (S. 119 (Druckfehler berichtigt]) Aus der Darstellung von Jjirgensen leitet Clausen ein deutsches Satzschema her, das alle Satztypen (Stellungstypen) des Deutschen erfasst. In einem positionssyntaktischen Satzschema wird der Satz als eine 'Reihenfolgestruktur' betrachtet, die aus einer Anzahl von 'Stellen' besteht, welche zu 'Feldern' zusammengefasst werden. Für das Deutsche schlägt Clausen das folgende Schema (S. 122/123) vor:
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