Die vollständige Protokollierung in der Hauptverhandlung in Strafsachen gemäß § 273 Abs. 3 StPO [1 ed.] 9783428509652, 9783428109654

Die scheinbar marginale Vorschrift des § 273 Abs. 3 StPO hat über lange Zeit ein Schattendasein im Strafprozess geführt.

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German Pages 336 Year 2003

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Die vollständige Protokollierung in der Hauptverhandlung in Strafsachen gemäß § 273 Abs. 3 StPO [1 ed.]
 9783428509652, 9783428109654

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HARTWIG REICHLING Die vollständige Protokollierung in der Hauptverhandlung in Strafsachen gemäß § 273 Abs. 3 StPO

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Günter Kohlmann, Cornelius Nestler Jürgen Seier, M i c h a e l Walter Susanne Walther, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 43

Die vollständige Protokollierung in der Hauptverhandlung in Strafsachen gemäß § 273 Abs. 3 StPO

Von Hartwig Reichling

Duncker & Humblot · Berlin

Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: WB-Druck GmbH & Co., Rieden im Allgäu Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-10965-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Untersuchung hat die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln im Sommersemester 2001 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden - soweit verfügbar - bis Ende 2002 berücksichtigt bzw. für die Drucklegung in die Untersuchung eingearbeitet. An dieser Stelle möchte ich besonders Herrn Professor Dr. Thomas Weigend danken, der die Anregung zum Thema dieser Arbeit gab und ihren Werdegang mit steter Aufmerksamkeit verfolgt sowie durch hilfreiche Kritik gefördert hat. Weiterer Dank gilt Herrn Professor Dr. Cornelius Nestler, der das Zweitgutachten zu meiner Arbeit erstellt hat. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften" möchte ich den Herausgebern - insbesondere Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, der meine Arbeit noch vor seiner Emeritierung zur Veröffentlichung in dieser Reihe vorgeschlagen hat - meinen Dank aussprechen. Ferner danke ich Frau Dr. Dorothee Walther vom Verlag de Gruyter, die mir die Kommentierung der §§ 271-274 StPO in der 25. Auflage des Großkommentars zur StPO Löwe-Rosenberg vor deren Erscheinen zur Verfügung gestellt hat. Schließlich danke ich dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg für die Überlassung von Kopien historischer Gesetzestexte. Köln, im Januar 2003

Hartwig Reichling

Inhaltsverzeichnis Einleitung Α. Einführende Bemerkungen

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B. Gang der Untersuchung

24

1. Kapitel Die Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Ausnahmevorschrift innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen über das Hauptverhandlungsprotokoll im deutschen Strafprozess A. Zur Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls (insbesondere hinsichtlich der vollständigen Protokollierung) I.

26

26

Das deutsche Strafverfahren zur Zeit der Constitutio Criminalis Carolina

27

II. Das gemeine deutsche Strafverfahren in der Zeit nach der Constitutio Criminalis Carolina bis zur Reform im 19. Jahrhundert

30

ΙΠ. Das „reformierte" deutsche Strafverfahren Reichsstrafprozessordnung

31

bis zur Schaffung der

B. Die Sonderstellung des § 273 Abs. 3 innerhalb der geltenden gesetzlichen Bestimmungen 38 C. Die Funktionen des Hauptverhandlungsprotokolls im Allgemeinen und der vollständigen Protokollierung im Besonderen 43 I.

Allgemeines

II. Hauptfunktion(en) des Hauptverhandlungsprotokolls

43 44

III. Spezielle Funktionen der (Inhalts-)Protokollierung gem. § 273 Abs. 2 46 1. In Bezug auf das Rechtsmittelverfahren 2. Gedächtnisstützende Funktion der Inhaltsprotokollierung?

46 47

a) Die Stellungnahmen im Schrifttum

47

b) Eigene Ansicht

50

IV. Allgemeiner Dokumentationszweck/Nebenzwecke des Hauptverhandlungsprotokolls?

54

V. Funktionen der vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3

58

D. Die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der Praxis

62

10

nsverzeichnis 2. Kapitel Die Voraussetzungen für die Anordnung einer vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3

69

A. Die Gegenstände der vollständigen Protokollierung 69 I. Vorgänge in der Hauptverhandlung 69 1. Der Begriff der Vorgänge 69 2. Zeitliche und örtliche Erstreckung - „in" der Hauptverhandlung . . . . 74 a) Allgemeines 74 b) Problem der im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebenen Rechtsmittel(verzichts)erklärung 75 aa) Darstellung des Meinungsstandes 75 bb) Eigene Ansicht 77 II. Aussagen und Äußerungen 80 1. Aussagen 81 2. Äußerungen 81 B. Die Voraussetzung, dass „es auf die Feststellung ankommen" muss: Die Begrifflichkeit des „Darauf-Ankommens" I. Einleitende Bemerkungen II. „Darauf-Ankommen" bei Bestehen eines rechtlichen Interesses an der Feststellung ΙΠ. Rechtliches Interesse an der vollständigen Protokollierung für Zwecke des laufenden Verfahrens 1. Vollständige Protokollierung der Beweisaufnahme a) Vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen.... aa) Vollständige Protokollierung für Zwecke der tatrichterlichen Beweiswürdigung aufgrund ihrer Beweiserheblichkeit (1) Zur Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Grundlage für eine vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen für Zwecke der tatrichterlichen Beweiswürdigung (2) Darstellung des Meinungsstandes (a) Abstellen auf die Entscheidungserheblichkeit des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ( h . M . ) . . . . (aa) Die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung (bb) Die herrschende Meinung im Schrifttum (b) Abstellen auf die inhaltliche Entscheidungserheblichkeit einer Aussage oder Äußerung (Teil des Schrifttums) (3) Darstellung und kritische Würdigung der für die verschiedenen Auslegungen sprechenden Argumente (a) Der Wortlaut des § 273 Abs. 3 S. 1 (aa) Darstellung der Argumentation

82 82 84 87 87 87 87

87 88 88 88 91

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nsverzeichnis

(b)

(c)

(d)

(e)

(bb) Kritische Würdigung Die Stellung des § 273 Abs. 3 innerhalb der Systematik der Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung (aa) Darstellung der Argumentation (bb) Kritische Würdigung Die historische Entwicklung und Entstehungsgeschichte des § 273 Abs. 3 (aa) Darstellung der Argumentation (bb) Kritische Würdigung Der Zweck der vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 (aa) Darstellung der Argumentation (bb) Kritische Würdigung Aushöhlung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung und unzulässige Beweisantizipation durch Protokollierung von (inhaltlich) entscheidungserheblichen Aussagen? (aa) Darstellung der Argumentation (bb) Kritische Würdigung (α) Argument der Aushöhlung des Grundsatzes der freien Β e weis Würdigung

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97 97 97 99 99 100 103 103 103

105 105 106 106

(ß) Argument der vorweggenommenen Beweiswürdigung 109 (0 Unmöglichkeit einer Differenzierung zwischen entscheidungserheblichen und entscheidungswner/i£6lichen Aussagen mit der Folge der faktischen Einführung eines Wortprotokolls contra legem? 110 (aa) Darstellung der Argumentation 110 (bb) Kritische Würdigung 111 (g) Sonstige Einwände gegen eine Protokollierung von (inhaltlich) entscheidungserheblichen Aussagen . . . . 114 (aa) Darstellung der Argumentation 114 (bb) Kritische Würdigung 115 (4) Abschließende Stellungnahme 116 (a) Abschließende Würdigung der Argumente 116 (b) Konsequenzen für die Auslegung der Voraussetzung, dass es auf die Feststellung einer Aussage oder Äußerung ankommen muss 119 (5) Weitere zu erwägende Fälle eines rechtlichen Interesses an einer vollständigen Protokollierung von Aussagen für Zwecke der tatrichterlichen Be weis Würdigung 122 (a) Vollständige Protokollierung zur Ermöglichung des Vorhalts einer Aussage gegenüber einem noch zu hörenden Zeugen oder Sachverständigen 122

12

nsverzeichnis (b) Vollständige Protokollierung zum Festhalten von Widersprüchen innerhalb einer Zeugenaussage oder zwischen mehreren Zeugenaussagen sowie innerhalb eines Sachverständigengutachtens 124 (c) Vollständige Protokollierung, um Zeugen die Bedeutung ihrer Aussage zu verdeutlichen 125 (d) Vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen, wenn diese Anlass zu Beweisanträgen, Beweisanregungen oder weiterer Aufklärung gem. § 244 Abs. 2 bieten 126 bb) Vollständige Protokollierung von Aussagen zur Vorbereitung ihrer Verlesung in der Berufungsinstanz 127 cc) Vollständige Protokollierung von Aussagen zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens gem. § 359 Nr. 5 . . . 128 b) Vollständige Protokollierung von Augenscheinsergebnissen

129

aa) Zur Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Grundlage für die Protokollierung von Augenscheinsergebnissen in der Hauptverhandlung 129 bb) Zur Protokollierung von potentiell entscheidungserheblichen Augenscheinsergebnissen 133 (1) Die Protokollierung von potentiell entscheidungserheblichen Augenscheinsergebnissen als Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung? 133 (2) Unmöglichkeit einer Differenzierung zwischen entscheidungserheblichen und entscheidungsunerheblichen Augenscheinsergebnissen 134 cc) Der eigene Lösungsvorschlag: Differenzierung nach der Art der Augenscheinsobjekte 136 (1) Ergebnisse von Augenscheinseinnahmen (an Objekten), auf deren Feststellung es nicht ankommt 137 (a) Möglichkeit einer Verwendung der Augenscheinsobjekte bei der Urteilsberatung 137 (b) Möglichkeit einer Verwendung im Rechtsmittelverfahren 139 (2) Ergebnisse von Augenscheinseinnahmen (an Objekten), auf deren Feststellung es ankommt 141 (a) Protokollierung aufgrund der Unzulässigkeit einer erneuten Augenscheinseinnahme während der Urteilsberatung 141 (b) Möglichkeit der Verwendung eines gem. § 273 Abs. 3 angefertigten Augenscheinsprotokolls im Rechtsmittelverfahren 144 (aa) Verlesung des Augenscheinsprotokolls in der Berufungsinstanz 144

nsverzeichnis (bb) Verwertung eines gem. § 273 Abs. 3 angefertigten Augenscheinsprotokolls in der Revisionsinstanz dd) Ergebnis c) Vollständige Protokollierung von Verhaltensweisen der Aussagepersonen und des Angeklagten während der Vernehmung 2. Protokollierung revisibler Verfahrensfehler 3. Vorbereitung eines Ablehnungsgesuches nach §§ 24 ff 4. Zweifel an der richtigen Übersetzung einer fremdsprachigen Aussage durch den Dolmetscher - Verhältnis des § 273 Abs. 3 zu § 185 Abs. 2 S. 2 GVG 5. Dokumentierung eines ungebührlichen Verhaltens im Sinne des § 178 GVG - Verhältnis des § 273 Abs. 3 zu § 182 GVG IV. Rechtliches Interesse an der vollständigen Protokollierung für ein anderes Verfahren 1. Vorbereitung eines künftigen Strafverfahrens a) Straftaten, die sich in der Hauptverhandlung ereignen b) Hinweise in Aussagen und Äußerungen auf Straftaten, die nicht Gegenstand des laufenden Verfahrens sind 2. Interesse an der Protokollierung von Vorgängen und Erklärungen, die für ein anderes (nichtstrafrechtliches) Verfahren von Bedeutung sein können V. Zusammenfassung und Ergebnis zu Β VI. Zur Befugnis des Gerichts, eine vollständige Protokollierung von Amts wegen auch über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 S. 1 hinaus anzuordnen

147 147 148 153 156

159 161 165 165 166 167

169 172

174

C. Die nach § 273 Abs. 3 Antragsberechtigten - Der Begriff der „Verhandlungsbeteiligten" 177 I. Allgemeines 177 II. Die Verfahrensbeteiligten 178 1. Die Verfahrensbeteiligten im Allgemeinen 178 2. Der Ausnahmefall des Nebenklägers 179 a) Darstellung des Meinungsstandes 179 b) Eigene Ansicht 181 III. Personen, die nicht zu den Verfahrensbeteiligten zählen 183 1. Mitwirkende (Berufs- und Laien-)Richter 183 a) Darstellung des Meinungsstandes 183 b) Eigene Ansicht 185 2. Zeugen und Sachverständige 189 a) Darstellung des Meinungsstandes 190 b) Eigene Ansicht 192 3. Sonstige Personen 195 D. Der Anspruch der Verhandlungsbeteiligten auf vollständige Protokollierung 196

14

nsverzeichnis I.

Zur Bedeutung eines Anspruchs der Verhandlungsbeteiligten auf vollständige Protokollierung II. Darstellung des Meinungsstandes III. Analyse der Vorschrift des § 273 Abs. 3 S. 1 im Hinblick auf das Bestehen eines Anspruchs auf vollständige Protokollierung 1. Der Wortlaut 2. Die Motive 3. Die Systematik der Protokollierungsvorschriften a) § 273 Abs. 3 als bloße Ordnungsvorschrift? b) Alleinverantwortung der Urkundspersonen für das Sitzungsprotokoll („Protokollherrschaft") 4. Bestehen eines Ermessens bei Prüfung der Voraussetzungen der Vorschrift durch den Vorsitzenden/das Gericht? IV. Zusammenfassung und Ergebnis zu D

196 197 200 200 201 202 202 203 205 210

3. Kapitel Die Rechtsbehelfe im Rahmen des § 273 Abs. 3 A. Die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung einer vollständigen Protokollierung in der tatsacheninstanzlichen Hauptverhandlung I. Der Rechtsbehelf des § 273 Abs. 3 S. 2 - Anrufen des Gerichts II. Weitere prozessuale Mittel zur Überprüfung der Protokollierungsentscheidungen des Vorsitzenden gem. § 273 Abs. 3 S. 1 1. Beanstandung gemäß § 238 Abs. 2 a) Beanstandung einer Protokollierungsanordnung des Vorsitzenden gem. § 238 Abs. 2 b) Beanstandung der Art und Weise der Protokollierung gem. § 238 Abs. 2 2. Möglichkeit einer Beschwerde gem. § 304 Abs. 1 gegen Protokollierungsentscheidungen des Vorsitzenden? III. Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts nach § 273 Abs. 3 5. 2 im laufenden Verfahren - Beschwerde gem. § 304 Abs. 1? IV. Ergebnis zu A Β. Die Bedeutung des § 273 Abs. 3 im Rahmen der Revision I. Revisibilität einer Verletzung des § 273 Abs. 3 1. Revisibilität eines Verstoßes gegen § 273 Abs. 3 S. 1 durch rechtswidrige Unterlassung einer vollständigen Protokollierung a) Der relative Revisionsgrund des § 337 aa) Gesetzesverletzung durch Verstoß gegen § 273 Abs. 3 S. 1 bb) Möglichkeit des Nachweises einer unrechtmäßig unterbliebenen vollständigen Protokollierung im Revisionsverfahren cc) Beruhen des Urteils auf der rechtswidrigen Nichtanordnung einer vollständigen Protokollierung

211

212 212 215 216 216 219 220 223 224 224 225 225 226 226 229 234

nsverzeichnis dd) (Erfolglose) Anrufung des Gerichts gem. § 273 Abs. 3 S. 2 als Voraussetzung der Revisionsrüge der rechtswidrigen Nichtanordnung einer vollständigen Protokollierung? b) Der (absolute) Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 2. Revisibilität eines Verstoßes gegen § 273 Abs. 3 S. 3 durch nicht erfolgte Verlesung und Einholung der Genehmigung der vollständigen Protokollierung 3. Ergebnis zu 1 II. Die revisionsrechtliche Überprüfung tatrichterlicher Sachverhaltsfeststellungen mittels gem. § 273 Abs. 3 protokollierter Beweisergebnisse . . 1. Revisibilität unrichtiger und unvollständiger tatrichterlicher Urteilsfeststellungen mittels der Verfahrensrüge (Rüge der Verletzung der §§ 261, 244 Abs. 2) a) Revisibilität von Widersprüchen zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Ergebnis der Haupt Verhandlung aa) Verstoß gegen § 261 bb) Verstoß gegen § 244 Abs. 2 b) Revisibilität unvollständiger Urteilsfeststellungen wegen Nichtberücksichtigung eines Beweismittels bei der Beweiswürdigung . c) Zwischenergebnis 2. Möglichkeit des Nachweises eines Verstoßes gegen § 261 wegen unrichtiger und unvollständiger Urteilsfeststellungen mittels einer vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 a) Erstreckung der Beweiskraft des § 274 auf ein gem. § 273 Abs. 3 vollständig protokolliertes Beweisergebnis? b) Befugnis des Revisionsgerichts, über den Inhalt eines tatsacheninstanzlichen Beweisergebnisses mittels einer vollständigen Protokollierung Beweis zu erheben aa) Darstellung des Meinungsstandes (1) Rechtsprechung des RG (2) Rechtsprechung des BGH (3) Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (4) Schrifttum bb) Stellungnahme (1) Zur grundsätzlichen Befugnis des Revisionsgerichts, zur Aufklärung eines Verstoßes gegen die Inbegriffspflicht des § 261 Beweis über den Inhalt der tatgerichtlichen Beweisaufnahme zu erheben (2) Die vollständige Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 als Mittel zum Nachweis eines Verstoßes gegen die Inbegriffspflicht des § 261 (a) Zur grundsätzlichen Eignung des vollständigen Protokolls als Nachweismittel (b) Mögliche Einschränkungen der Eignung 3. Ergebnis zu II

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251 251 251 254 257 259

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263 264 264 265 267 268 270

270

273 273 275 278

nsverzeichnis

16

4. Kapitel Gesamtergebnis und Reformüberlegungen A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

280 280

B. Überlegungen zu einer Reform der Vorschriften über die (vollständige) Protokollierung der Hauptverhandlung in Strafsachen 289 I. Zur Streichung des § 273 Abs. 3 S. 2 289 1. Bestrebungen zur Streichung des § 273 Abs. 3 S. 2 289 2. Stellungnahme 291 II. Reform der Protokollierungsvorschriften 296 1. Bisherige Reformbestrebungen 296 2. Gründe für die Reformforderungen 298 3. Eigener Reformvorschlag 301 Literaturverzeichnis

312

Sachwortverzeichnis

330

Abkürzungsverzeichnis a. Α. a. a. Ο. Abs. Abschn. a. E. a.F. AG Anm. AnwBl. ArbGG Art. Aufl. BayObLG BBG Bd. BDO Begr. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BRAK BRAO BR-Drucks. BRRG BT-Drucks. BVerfGE BVerwG bzw. DAR ders. d.h. 2 Rcichling

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Abschnitt am Ende alte Fassung Amtsgericht Anmerkung Anwaltsblatt Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Auflage Bayerisches Oberstes Landgericht Bundesbeamtengesetz Band Bundesdisziplinarordnung Begründer Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite) Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksache des Deutschen Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Drucksache des Deutschen Bundestages Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Deutsches Autorecht derselbe das heißt

18 DJT DRiG DRiZ Einl. f. ff. FGO Fn. FS GA gem. GerS GG ggf. GS GVG h. A. HansOLG HESt h. M. HRR hrsg. Hrsg. Hs. i.Ü. i.V.m. JA JMB1NW JR Jura JuS JW JZ Kap. KG LBG LDO LG LRiG LZR MDR

Abkürzungsverzeichnis Deutscher Juristentag Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Einleitung und folgende (Seite) und fortfolgende (Seiten) Finanzgerichtsordnung Fußnote Festschrift, Festgabe, Ehrengabe Goltdammer's Archiv für Strafrecht gemäß Der Gerichtssaal Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Ansicht Hanseatisches Oberlandesgericht Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung herausgegeben Herausgeber Halbsatz im Übrigen in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Landesbeamtengesetz Landesdisziplinarordnung Landgericht Landesrichtergesetz Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Monatsschrift der deutschen Rechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis m. w.N. NdsRpfl. n.F. NJW NJW-CoR NStE NStZ NVwZ NW o. OLG OLGSt

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mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen oben Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht ο. V. ohne Vornamen Recht Das Recht RG Reichsgericht RGRspr Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879-1888) RGSt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band und Seite) RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Rspr. Rechtsprechung RStPO Reichsstrafprozessordnung S. Satz, Seite(n) SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen SchwZStR Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht SeuffBl. Seufferts Blätter für Rechtsanwendung SGG Sozialgerichtsgesetz SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung sog. so genannte(r) StGB Strafgesetzbuch StPÄG 1964 Gesetz zur Änderung der StPO und des GVG vom 19.12.1964 (BGBl. I., S. 1067) Strafprozessordnung StPO Strafverteidiger, Juristische Fachzeitschrift StV Strafverfahrensänderungsgesetz StVÄG und andere, unter anderem u.a. Urteil Urt. vom, von V. vergleiche vgl. Verkehrsrechts-Sammlung VRS Verwaltungsgerichtsordnung VwGO Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht wistra 2*

20 ZAkDR z.B. zit. ZPO ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht zum Beispiel zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung

Α. Einführende Bemerkungen Zu den wichtigsten Verfahrensprinzipien des heutigen deutschen Strafprozesses zählen die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, die neben dem Grundsatz der Öffentlichkeit die zentralen politischen Forderungen bei der Entwicklung vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafprozess in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren 1 . Diese Verfahrensgrundsätze gelten jedoch nicht im gesamten Strafverfahren, sondern genau genommen nur in der Hauptverhandlung, da sie den Charakter und die Gestaltung der zum Urteil führenden Verhandlung bestimmen 2 . Die Schriftlichkeit ist somit nicht aus dem Strafverfahren ausgeschlossen. Im Gegenteil erfordert gerade die Mündlichkeit des (Haupt-) Verfahrens, dass die Hauptverhandlung durch Berichte und Niederschriften vorbereitet wird 3 . Insbesondere im Strafverfahren kommt Protokollen eine herausragende Bedeutung zu, werden diese doch schon zu Beginn jeden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens angefertigt 4. Sie begleiten das gesamte weitere Strafverfahren, und teilweise erstreckt sich ihre Wirkung bis in die Hauptverhandlung 5 .

1

Vgl. LR-Rieß, Einl. Abschn. J, Rn. 50. Die übrigen Teile des Strafverfahrens, vor allem das Ermittlungsverfahren, aber auch das Eröffnungs- und das Strafbefehlsverfahren werden hingegen von den Grundsätzen der Mittelbarkeit, Schriftlichkeit und NichtÖffentlichkeit geprägt, vgl. LR -Rieß, Einl. Abschn. J, Rn. 50 mit Hinweis auf Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil I, Rn. 406; Rieß, FS Rebmann, S. 393 f. 3 Die Niederschriften sind für das Zwischenverfahren von erheblicher Bedeutung, da das Gericht den für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen hinreichenden Tatverdacht nach der Aktenlage beurteilt, vgl. Meyer-Goßner, § 203 Rn. 2. Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung muss der Richter überdies die Akten gründlich studieren, vgl. Meyer-Goßner, vor § 213 Rn. 2. 4 Über die Vernehmungen des Beschuldigten, der Zeugen und Sachverständigen sollen grundsätzlich Protokolle aufgenommen werden; vgl. § 168b, der eine Protokollierung ausdrücklich für staatsanwaltschaftliche Untersuchungshandlungen vorschreibt und entsprechend für solche durch Beamte des Polizeidienstes Beachtung finden sollte, so Meyer-Goßner, § 168b Rn. 2 unter Hinweis auf BGH NStZ 1995, 353. Führt der Richter die Untersuchungshandlung durch, so ist die Aufnahme eines Protokolls sogar zwingend vorgeschrieben, § 168. 5 Vgl. § 251, 253 und der (freie) Vorhalt von Protokollen als Vernehmungsbehelf, § 254. 2

22

Einleitung

Als wichtigstes Protokoll in unserem Strafverfahren ist dasjenige über das Kernstück des Hauptverfahrens und den Höhepunkt des gesamten Strafprozesses anzusehen, nämlich das über die Hauptverhandlung, das Hauptverhandlungsprotokoll (HVP). Das HVP ist im deutschen Strafprozess im Wesentlichen als reines Formalienprotokoll ausgestaltet, da es gem. § 273 Abs. I 6 nur „den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiedergeben und die Beobachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen" muss. Anders als im anglo-amerikanischen Recht 7 ist eine wörtliche Protokollierung der gesamten Beweisaufnahme im deutschen Strafprozess nicht vorgesehen. Nur in Verfahren vor den Amtsgerichten und damit in Strafsachen von - jedenfalls im Hinblick auf die im Raum stehende Strafandrohung - vergleichsweise geringer Bedeutung8 müssen gem. § 273 Abs. 2 neben den Formalia auch die „wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen" in das HVP aufgenommen werden. Allein § 273 Abs. 3 verlangt - für jede Hauptverhandlung - die vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen sowie von Vorgängen in der Sitzung, sofern „es auf die Feststellung ... ankommt". Dieser Vorschrift kann im Einzelfall eine erhebliche praktische Bedeutung zukommen, die insbesondere für den Angeklagten und die Verteidigung darin liegt, mittels des in § 273 Abs. 3 S. 1 geregelten Antragsrechts eine vollständige Protokollierung bestimmter Aussagen und Äußerungen sowie von Vorkommnissen in der Hauptverhandlung zu erwirken; § 273 Abs. 3 S. 1 bietet für sie insoweit das einzige Mittel, mit dem sie auf den Inhalt des HVP Einfluss nehmen können. Eine schriftliche Fixierung der betreffenden Ereignisse in der Hauptverhandlung könnte dabei in verschiedenster Hinsicht von Bedeutung sein. Zu denken ist an die vollständige Protokollierung bestimmter Aussagen zu dem Zweck, diese für die Urteilsberatung oder ein eventuelles Revisionsverfahren zu sichern. Dementsprechend wird § 273 Abs. 3 teilweise als die „einzig echte Möglichkeit zur Festschreibung des Sachverhaltes in der Hauptverhandlung" bezeichnet9. Doch auch die Festschreibung bestimmter Vorgänge in der Hauptverhandlung, um 6

Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche der StPO. Siehe für das US-Amerikanische Strafverfahren die einschlägigen Verfahrensvorschriften der einzelnen Bundesstaaten: z.B. California Penal Code § 938; New York Judiciary Law §§ 290 ff., § 295; North Dakota Century Code See. 27-06-03; Utah Judical Code See. 78-56-2, wonach sog. „court reporters", „stenographers" bzw. „shorthand reporters" die gesamte Beweisaufnahme sowie sonstige Verfahrensvorgänge vollständig stenografisch aufzuzeichnen haben; siehe auch Grünwald S. 57; Dahs, NJW 1974, 1538, 1540; Salditi , S. 469, 479 f.; ν. Stackelberg, S. 47; zum englischen Recht: Klefisch, NJW 1951, 330, 332; Salditi, S. 469, 479. 8 Freilich sind in der Realität des Alltages die Fälle sog. Kleinkriminalität für Täter und Opfer häufig besonders schwerwiegend, so mit Recht Lilie, S. 50. 9 Kempf, S. 66, siehe hierzu 1. Kapitel D. 7

Α. Einführende Bemerkungen

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darin eventuell liegende Verfahrensfehler für eine Überprüfung in einem Revisionsverfahren festzuhalten, stellt einen weiteren wichtigen denkbaren Anwendungsfall des § 273 Abs. 3 dar. Trotz des in § 273 Abs. 3 liegenden Potentials wurde die tatsächliche prozessuale Bedeutung der Vorschrift zumeist als eher gering eingeschätzt 10 . Andererseits trat insbesondere die anwaltliche Seite 11 der insgesamt festzustellenden restriktiven Handhabung der Vorschrift durch die Gerichte12 entgegen und unternahm den Versuch, die „gewichtige prozessuale Funktion" der Vorschrift hervorzuheben, um sie so von ihrem „Schattendasein" zu befreien 13 . Dementsprechend wurde dazu aufgefordert, „die in § 273 Abs. 3 verankerte Verteidigungsaktivität mehr zu nutzen" 14 . Eine Aufwertung könnten Anträge nach § 273 Abs. 3 durch die Rechtsprechung des BGH der letzten Jahre erfahren haben. Neuerdings hält der BGH nämlich einen revisiblen Gesetzesverstoß für gegeben, wenn sich der Tatrichter mit einer gem. § 273 Abs. 3 S. 1 wörtlich niedergeschriebenen, verlesenen und genehmigten Aussage nicht auseinandergesetzt hat, obwohl ihre Würdigung geboten war 1 5 . Nicht nur diese Entwicklung in der Rechtsprechung des BGH gibt Anlass zu einer genaueren Untersuchung vor allem der Problembereiche der Vorschrift. Überdies ist festzustellen, dass die Regelung des § 273 Abs. 3 in der Literatur bislang weitgehend eine eher „stiefmütterliche" 16 Behandlung erfuhr 17 und im Rahmen des § 273 Abs. 3 viele Fragen nach wie vor um10

Hierzu 1. Kapitel D. Vor allen ülsenheimer, NJW 1980, 2273 ff.; aber auch Krekeler, AnwBl. 1984, 417 f.; siehe auch Strafverteidigung-Gatzweiler/Mehle, Rn. 404; Dahs, Handbuch, Rn. 542; Kempf, S. 65 f.; Meyer-Mews, NJW 2002, 103 ff.; Egon Müller, S. 80; Römer-Hahn, S. 28. 12 Vgl. Burhoff, Rn. 721; Schltohauer, Zeugenschutz, S. 295; StrafverteidigungGatzweiler/Mehle, Rn. 404 f.; Richter II, StV 1984, 454, 455. 13 ülsenheimer, NJW 1980, 2273; die „Wichtigkeit" der Vorschrift betonte auch schon Eb. Schmidt, Nachtragsband I, § 273 Rn. 13; siehe auch die Nachweise in Fn. 11. 14 Egon Müller, S. 80. 15 BGH Urt. v. 3.7.1991 - 2 StR 45/91 in BGHSt 38, 14 ff. = JZ 1992, 106 f.; bestätigt durch BGH Beschl. v. 20.9.1991 - 5 StR 354/91 in StV 1991, 549 (soweit dort anstelle des § 273 Abs. 3 dessen Abs. 1 genannt wird, handelt es sich laut einer Anfrage von D. Krause beim 5. Strafsenat um einen Druckfehler, D. Krause (4. Aufl.), Rn. 16); Beschl. v. 3.9.1997 - 5 StR 237/97 in BGHSt 43, 212, 214 = StV 1997, 561; zuletzt Beschl. v. 3.4.2001 - 1 StR 58/01 in BGHR StPO, § 344 Abs. 2 S. 2 Beweiswürdigung 6 = StV 2002, 354 f. 16 So auch schon ülsenheimer, NJW 1980, 2273. 17 Ausnahmen bilden aus dem älteren Schrifttum: W. Schmid, GA 1962, 353 ff. sowie aus dem Jüngeren" Schrifttum ülsenheimer, NJW 1980, 2273 ff. und Krekeler, AnwBl. 1984, 417 f.; zuletzt A. Schröder und ders., FS Schlüchter, S. 97 ff. 11

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Einleitung

stritten und teilweise ungeklärt sind. So herrscht vor allem Streit über die Auslegung der einzelnen Voraussetzungen der vollständigen Protokollierung nach § 273 Abs. 3. Ungeklärt sind insbesondere Umfang und Grenzen der zentralen Protokollierungsvoraussetzung, nämlich dass „es auf die Feststellung" der jeweiligen Ereignisse „ankommen" muss. Besonders umstritten ist insoweit, unter welchen Voraussetzungen Aussagen vollständig protokolliert werden müssen, insbesondere die Frage, ob bereits die Entscheidungserheblichkeit einer Aussage ihre vollständige Protokollierung rechtfertigt. Sofern § 273 Abs. 3 die einzig wirkliche Möglichkeit bietet, den Sachverhalt in der Hauptverhandlung für Zwecke der Urteilsberatung oder ein etwaiges Revisionsverfahren festzuhalten, ist die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang § 273 Abs. 3 die vollständige Protokollierung der tatrichterlichen Beweisaufnahme vorsieht, jedoch von herausragender Bedeutung. Auch der Kreis der im Sinne des § 273 Abs. 3 S. 1 Antragsberechtigten, die sog. „Verhandlungsbeteiligten", ist bislang ebenso wenig hinreichend geklärt wie die Frage, ob dem Antragsrecht ein Anspruch der Verhandlungsbeteiligten auf vollständige Protokollierung korrespondiert. Trotz der oben angeführten neueren Rechtsprechung des BGH ist auch die Tragweite des § 273 Abs. 3 im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens der Revision nicht abschließend ermittelt. Die vorliegende Arbeit setzt sich daher zum Ziel, durch eine Analyse des § 273 Abs. 3 eine Klärung der angerissenen Problembereiche der Vorschrift zu erreichen, um zu einer sichereren Handhabung der Vorschrift in der Rechtspraxis beizutragen.

B. Gang der Untersuchung Im 1. Kapitel werden - ausgehend von der Entwicklungsgeschichte des HVP - die Sonderstellung des § 273 Abs. 3 im Rahmen der Regelungen über das HVP im geltenden deutschen Strafprozess sowie die Funktionen der vollständigen Protokollierung herausgearbeitet. Ferner wird unter Berücksichtigung verschiedener empirischer Untersuchungen auf die faktische Bedeutung der Vorschrift in der Rechtspraxis eingegangen. Im 2. Kapitel werden sodann die Voraussetzungen für die Anordnung einer vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 im Einzelnen untersucht, wobei auf die umstrittenen Problembereiche besonderes Gewicht gelegt wird. Während Teil A. die möglichen Gegenstände einer vollständigen Protokollierung behandelt, wird in Teil B. die Voraussetzung, dass es auf deren Feststellung ankommen muss, erörtert. In Teil C. erfolgt sowie Geißler jeweils zur Revisibilität von Widersprüchen zwischen Strafurteil und vollständig protokollierten Aussagen.

Β. Gang der Untersuchung

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eine Bestimmung des Kreises der gem. § 273 Abs. 3 S. 1 Antragsberechtigten, der sog. „Verhandlungsbeteiligten", woran sich die Untersuchung anschließt, ob dem Antragsrecht ein Anspruch auf vollständige Protokollierung korrespondiert. Das 3. Kapitel setzt sich mit den Rechtsbehelfen im Rahmen des § 273 Abs. 3 auseinander. Zunächst sollen die gegen eine Protokollierungsentscheidung im laufenden Verfahren in Betracht kommenden Rechtsbehelfe untersucht werden. Anschließend wendet sich die Arbeit den revisionsrechtlichen Problemkreisen des § 273 Abs. 3 zu. Behandelt werden soll zum einen die Frage, ob die rechtswidrige Ablehnung einer vollständigen Protokollierung die Revision eröffnet. Zum anderen wird die Arbeit untersuchen, ob mit der Revision gerügt werden kann, dass sich das Tatgericht nicht mit einer wörtlich protokollierten Aussage auseinandergesetzt hat und dass Widersprüche zwischen einer wörtlich protokollierten Aussage und den Urteilsgründen bestehen. Das abschließende 4. Kapitel der Arbeit beschäftigt sich damit, ob die Vorschriften über die (vollständige) Protokollierung einer Reform bedürfen.

/. Kapitel

Die Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Ausnahmevorschrift innerhalb der gesetzlichen Betimmungen über das Hauptverhandlungsprotokoll im deutschen Strafprozess A. Zur Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls (insbesondere hinsichtlich der vollständigen Protokollierung) Wie schon von Hippel 1 in seinem Lehrbuch hervorhob, ist die (bloße) Kenntnis des geltenden Rechts auch ohne Beschäftigung mit der historischen Entwicklung möglich, sein volles Verständnis hingegen nicht. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle - beginnend mit dem deutschen Strafverfahren zur Zeit der Constitutio Criminalis Carolina 2 - ein kurzer Abriss der geschichtlichen Entwicklung des (Hauptverhandlungs-)Protokolls 3 mit besonderer Blickrichtung auf die vollständige Protokollierung erfolgen.

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S. 13. Über den Zeitraum davor standen keine primären Rechtsquellen zur Verfügung. Siehe zur Protokollierung im römischen Strafprozess: Geppert, S. 9 ff.; Geyer; S. 28, Klee, S. 5 ff.; Mommsen, S. 517 f.; Zachariae, S. 98 f.; zur Protokollierung in der germanischen, vorfränkischen und nachfolgenden Zeit: Henkel, S. 23, 37; Klee, S. 10 ff.; v. Schwerin, S. 5. 3 Das Wort „Protokoll" geht auf das mittellateinische „prötocollum" und weiter auf das byzantinische (mittelgriechische) Wort πρωτόκολλον (pröto-kollon) zurück. Bei dem mittelgriechischen Wort handelt es sich um eine zusammengesetzte Bildung, dessen erste Hälfte zu griechisch πρώτος, prötos (primus) „der Erste" ist. Die zweite Hälfte wird als κωλον (membrum) oder κόλλησις (agglutinatio) gedeutet, wobei hierunter sowohl eine conglutinatio (Verbindung von Notizen) als auch eine Verleimung des Papiers (griechisch: κόλλα, kólla = Leim) verstanden wird. Mit „Protokoll" bezeichneten die Byzantiner das erste „vorgeleimte" Blatt der aus mehreren Blättern der Länge nach zusammengeleimten amtlichen Papyrusrollen, das mit dem Namen des comes largitionum (als der Aufsichtsinstanz über die kaiserliche Papierfabrik) und mit chronologischen Angaben über Entstehung und Verfasser des Papyrus versehen war. Später bezeichnete man hiermit die chronologische Angaben enthaltenden Titelblätter von Notariats- oder Gerichtsurkunden. Es ist anzunehmen, dass die Bezeichnung des Titelblattes als Protokoll im Laufe der Zeit auf das Inhaltsverzeichnis und schließlich auf die gesamte Niederschrift übergegangen ist; vgl. hierzu Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 3 f.; Stier-Somlo/Elster, S. 593. 2

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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I. Das deutsche Strafverfahren zur Zeit der Constitutio Criminalis Carolina Im deutschen Rechtskreis kam dem (Verhandlungs-)Protokoll sowie dem Gerichtsschreiber erstmals infolge der Rezeption des kanonisch-italienischen Rechts und der damit verbundenen Ausbreitung des kanonisch-italienischen Inquisitionsverfahrens 4 besondere Bedeutung zu. Der Inquisitionsgrundsatz brachte es nämlich mit sich, dass der Verfahrensstoff nach und nach in einzelnen Verfahrenshandlungen zusammengetragen wurde 5 . In der Forschungstätigkeit des Gerichts reihte sich bis zur Entscheidungsreife der Sache eine Verfahrenshandlung an die andere 6. Im Strafprozess der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V . 7 von 1532, der Constitutio Criminalis Carolina (PGO bzw. CCC), führte das Peinliche Gericht die Verfahrenshandlungen (Beweisaufnahme) zwar selbst durch, indem es den Augenschein vornahm 8 sowie den Beschuldigten und die Zeugen vernahm. Meist waren jedoch die Berufs- und Laienrichter des Peinlichen Gerichts nicht rechtsgelehrt und insbesondere mit dem „Keyserlichen Recht" 9 , auf das die PGO häufig verwies, nicht vertraut 10 . In allen schwierigen und zweifelhaften Fällen musste daher der Rat eines auswärtigen rechtsgelehrten Kollegiums eingeholt werden. Das Peinliche Gericht sandte die Prozessakten an einen Oberhof, an die Landesherrliche Obrigkeit, an eine Juristenfakultät oder an die Schöppenstühle11, wo von den „Rechtsverständigen" aufgrund des Akteninhaltes ein Gutachten verfasst wurde, das vom Peinlichen Gericht sodann als Urteil verkündet wurde. Folglich war in der Mehrzahl der abzuurteilenden Fälle das Peinliche Gericht in Wahrheit gar nicht das erkennende Gericht 12 . Doch selbst in den wenigen Fällen, in denen das Peinliche Gericht selbst das Urteil fand, nahm es nur teilweise den Beschuldigten und die Beweismittel unmittelbar wahr. Da infolge des Inquisitionsgrundsatzes das Verfahren nicht in einer Sitzung abgehandelt werden konnte, sondern in viele Einzelakte zerfiel, wurde nur für die wichtigsten ein vollständig besetztes Gericht gefordert, so dass einige Richter des erkennenden Gerichts nicht selbst 4

Hierzu Henkel, S. 35 ff., Zachariae, S. 115. Vgl. Henkel, S. 41. 6 Henkel, S. 41. 7 Abgedruckt bei Buschmann, S. 103 ff. 8 PGO Art. 149. 9 Hiermit war das römische Recht gemeint. 10 Vgl. die Vorrede der PGO: „... die meynsten peinlich gericht mit personen, die unsere Keyserliche recht nit gelert, erfarn oder Übung haben, besetzt werden .. 11 Vgl. PGO Art. 219. 12 Lohr, S. 26. 5

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

an den vom Gericht durchgeführten Ermittlungshandlungen teilnahmen 13 . Nur bei der Endentscheidung war das Gericht selbst immer in voller Besetzung anwesend. Dadurch blieb dem entscheidenden Richterkollegium weitgehend der unmittelbare Gesamteindruck - im Gegensatz zu unserem vom Unmittelbarkeitsgrundsatz bestimmten Hauptverfahren - vorenthalten. Die jeweiligen Richter konnten daher nur aus den Akten - mittelbar - Kenntnis von der durchgeführten Beweisaufnahme erlangen. Diese Besonderheiten des Verfahrens hatten zur Folge, dass der ganze Prozess weitgehend ein schriftlicher war, da das Urteil des rechtgelehrten Kollegiums sich auf den Akteninhalt gründen musste und ebenso die Entscheidungen jener Richter des Peinlichen Gerichts, die nur an einigen Teilakten der Verhandlung teilgenommen hatten 14 . Die Schriftlichkeit und Mittelbarkeit im Prozess der Carolina wurde auch nicht durch die öffentlich-mündliche Schlussverhandlung, den sog. Endlichen Rechtstag, aufgehoben, der sich dem durchgeführten Verfahren anschloss 15 . Hier fand zwar eine mündliche Verhandlung zwischen den Parteien oder ihren Fürsprechern statt, doch wurde diese Verhandlung nicht Grundlage der Urteilsfindung. Die Endscheidung musste vielmehr schon vor dem Endlichen Rechtstag von den Richtern und Urteilern beschlossen worden sein 16 . Da mithin aufgrund der Schriftlichkeit und Mittelbarkeit des Prozesses der Carolina Grundlage des Urteils nicht das gesprochene Wort war, erlangten der Gerichtsschreiber sowie das Protokoll im Zuge der Rezeption des kanonisch-italienischen Rechts in der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V . 1 7 erstmals eine gesetzlich festgelegte Bedeutung. So wurden in diesen Gesetzeswerken dem Gerichtsschreiber wichtige Aufgaben zugesprochen; die PGO erklärte ihn zum notwendigen Mitglied des Gerichts (Art. I ) 1 8 . In 13

Geppert, S. 16 f.; Lohr, S. 27. Geppert, S. 17; Lohr, S. 27. 15 Art. 78-96 PGO. 16 Dies kann zum einen aus Art. 81 PGO abgeleitet werden, wonach Urteiler und Richter bereits vor dem Rechtstag auf Grund der „ordentlich beschriben" Protokolle zu beschließen hatten, „was sie zu recht sprechen wollen". Falls sie hierzu (fachlich) nicht in der Lage waren, sollten sie „weither radts pflegen bei den rechtuerstendigen" (Art. 81 PGO), deren „inn schrifften verfasset ... entlich urtheyl" sie dann nach Art. 94 PGO im Endlichen Rechtstag zu verlesen hatten". Eine derartige Schluss-„Verhandlung" kann demgemäß als bloßes Zeremoniell ohne Sachbedeutung eingestuft werden, Geppert, S. 17 unter Hinweis auf von Kries, S. 33, der sie als reine „Komödie" bezeichnete. 17 Diese beruhte auf der Bambergischen (Constitutio Criminalis Bambergensis, abgedruckt bei Buschmann, S. 18 ff.) sowie der Brandenburgischen Halsgerichtsordnung von 1507 bzw. 1516. 14

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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den Art. 181 ff. PGO 1 9 , die im Wesentlichen mit den Art. 208 ff. der Bambergischen Halsgerichtsordnung identisch waren, fanden sich formelle Vorschriften über die Aufnahme der Protokolle. Art. 189 PGO 2 0 enthielt ausführliche Anweisungen an den Schreiber. Nach diesen Vorschriften sollte das Protokoll gründlich und klar verfasst werden und den Ort, das Jahr, den Tag der Verhandlung und die Stunde der Aufnahme, die anwesenden Personen sowie das Vorbringen der Parteien enthalten. Da das entscheidende Gericht - wie dargestellt wurde - meist entweder überhaupt nicht oder nicht in voller Besetzung bei der Beweisaufnahme zugegen war, sah Art. 71 PGO überdies für die Vernehmung von Zeugen die Führung eines sog. „Gebärdenprotokolls" vor, welches die fehlenden unmittelbar-sinnlichen Eindrücke der urteilsfindenden Personen ersetzen sollte. Nach dieser Vorschrift sollte der Gerichtsschreiber das vom Richter wahrgenommene Aus18

Die PGO sah in Art. 5 überdies einen Gerichtsschreibereid („Schreibers Eyde") vor, nach dem der Gerichtsschreiber u.a. schwören musste, seine Protokollierungstätigkeit gründlich und wahrheitsgemäß zu erfüllen. 19 Art. 181 PGO lautet: „Jtem eyn jeder gerichtsschreiber soll inn peinlichen Sachen bei seiner pflicht alle handlung, so peinlicher klag vnd antwurt halb geschieht, gar eygentlich vnterschedlich vnd ordenlich auffschreiben, Vnd nemlich soll die klag des anklägers vor dem verbürgen, das über den beklagten beschicht, oder aber wo der ankleger nit bürgen hett, vnnd derhalben gefengklich bei dem beklagten verhefft wer, inn allweg zuuor auffgeschriben werden, ehe dann peinlich frag oder peinlich handlung gegen den beklagten geübt würdet. Vnnd soll solchs alles zum wenigsten vor dem Richter oder seinem verweser vnd zweyen des gerichts beschehen, vnnd bemelte beschreibung durch den gerichtsschreiber des selben gerichts ordenlich vnd vnterschiedlich gethan werden, darnach soll beschriben werden, ob vnd wie der ankläger seiner klag halb, laut diser vnser Ordnung zum rechten verbürgt, oder wo er mit bürgen gehaben mag, ob vnd wie er sich vmb volfürung willen des rechten gefengklich hat legen lassen." Art. 182 PGO besagt: „Jtem weitter, was der beklagt zu solcher klag zu antwurt gibt, so er erstlich on marter derhalb bespracht würde, das soll auch nach derselben klag beschriben werden, vnd soll alwegen durch den Schreiber jar, tag und stundt, darauff eyn jede, vor oder nach berürte handlung beschicht, auch wer jedes mal da bei gewest sei, gemelt werden, vnd er der Schreiber soll sich, dass er solches gehört und beschriben hab, mit seinem tauff und zunamen selbst auch vnderschreiben." 20 Art. 189 PGO lautet wörtlich: „Vnd soll die beschreibung aller obberürten handlung, sie geschehe von ampts wegen oder auff ankläger, durch eynen jeden gerichtsschreiber der peinlichen gericht, vorgemelter massen, gar fleissig vnd vnterschiedlich nacheynander vnd libels weiß geschrieben werden, vnd alweg bei jeder handlung, wann die geschehen ist, jar, tag vnd stund, auch wer dabei gewest sei, melden, darzu soll sich der Schreiber selbst, auch wie obsteht dermassen vnderschreiben, daß er solchs alles gehört vnd geschriben hab, damit auff solch formliche gründliche beschreibung stattlich vnd sicherlich geurtheylt, oder wo es nott thun würde, darauß nach aller notturft geradtschlagt werden möge, inn solchem allem soll eyn jeder gerichtsschreiber bei seiner pflicht als vorsteht, allen möglichen fleiß thun, auch was gehandelt ist inn geheym halten, vnnd des alles nach laut seiner pflicht verbunden sein. Vnd soll solch gerichts buch, oder libel alweg nach endung des gerichts tags beschlossen vvnd verwart gehalten werden."

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

sageverhalten der Zeugen niederschreiben, das in irgendeiner Hinsicht erheblich sein konnte 21 . Die herausragende Bedeutung der Verhandlungsprotokolle im Inquisitionsverfahren lag also darin, dass diese in der Mehrzahl der Fälle zur alleinigen Grundlage des Urteils wurden 22 . Demgemäß schrieb Art. 189 PGO eine genaue Protokollierung vor, „damit auff solch formliche gründtliche beschreibung stattlich vnd sicherlich geurtheylt ... werden möge". In diesem durch Schriftlichkeit und Mittelbarkeit geprägten Strafverfahren galt der Grundsatz: „Quod non est in actis, non est in mundo" 2 3 .

II. Das gemeine deutsche Strafverfahren in der Zeit nach der Constitutio Criminalis Carolina bis zur Reform im 19. Jahrhundert Auch in der nachfolgenden Zeit wurde im deutschen Rechtskreis im Wesentlichen an dem Inquisitionsprozess festgehalten, der bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich weitergebildet wurde. Anfänglich war der Untersuchungsrichter (Inquirent), der selbst den Beschuldigten, die Zeugen und Sachverständigen vernahm und von allen Beweismitteln unmittelbar eigene sinnliche Kenntnis nahm, noch häufig Mitglied des später erkennenden Gerichts. Insoweit waren wenigstens teilweise die Grundsätze der Mündlichkeit des Verfahrens sowie der Unmittelbarkeit der richterlichen Kenntnisnahme von den Urteilsgrundlagen gewahrt 24 . Die Entwicklung des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens führte jedoch später dazu, dass der Inquirent nicht mehr selbst die richtende Tätigkeit ausübte, sondern die Urteilsfindung ausschließlich von staatlichen Spruchbehörden 25 vorgenommen wurde, die ihre Entscheidung allein auf die vom Untersuchungsrichter in schriftlichen Protokollen zusammengefassten Untersuchungsergebnisse gründeten 26 . Dementsprechend wurde versucht, die 21

So hieß es in Art. 71 PGO: „... ob der zeug inn seiner sage würd wanckelmütig vnd vnbestendig erfunden, solch umbstende, vnd wie er den zeugen inn eusserlichen geberde vermerckt zu dem handel auff schreiben.44 22 Vgl. Mittermaier, S. 290. 23 Da das Beweismaterial beim Inquisitionsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammengetragen wurde, war das Verfahren überdies ein heimliches, vgl. Henkel S. 41 f.; Geppert, S 17. 24 Vgl. Lohr, S. 28. 25 Dies waren zunächst Schöffenstühle oder rechtsgelehrte Spruchkollegien sowie der Landsherr als oberster Richter, vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil I, Rn. 427; Henkel, S. 35. Später lag diese Aufgabe bei kollegialisch organisierten Appellations- oder Kreisgerichtshöfen oder Justizkanzleien, denen noch letztinstanzliche Obergerichte übergeordnet waren, vgl. Mittermaier, S. 190 f. 26 Vgl. Geppert, S. 22; Lohr, S. 29. Die Mittelbarkeit dieser Verfahrensweise wurde zusätzlich dadurch „verstärkt", dass nur ein Mitglied des Kollegiums (der

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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Akten zu einer zuverlässigen Urteilsgrundlage zu machen. Die Vernehmung des Angeschuldigten und der Zeugen wurde in sog. „artikulierten Verhören" 2 7 , die aus vorher aufgezeichneten Fragen des Inquirenten an die Vernommenen und deren Antworten bestanden, auf das Genaueste festgehalten, um der Spruchbehörde den Gang der Untersuchungen in allen Einzelheiten deutlich zu machen 28 . An den Inhalt der (Verhörs-) Protokolle wurden daher strenge Anforderungen gestellt. So sah beispielsweise die Preußische Criminalordnung von 1805 in § 56 grundsätzlich die wörtliche Protokollierung einer jeden Aussage v o r 2 9 Auch waren in vielen Partikulargesetzen die schon aus der Carolina bekannten Gebärdenprotokolle vorgesehen30. Durch Abschaffung des „Endlichen Rechtstages" wurde auch der letzte Schein der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beseitigt 31 . Durch Einführung strenger gesetzlicher Beweisregeln wurde dem Richter ferner die Möglichkeit einer eigenen Beweiswürdigung genommen 32 .

III. Das „reformierte" 33 deutsche Strafverfahren bis zur Schaffung der Reichsstrafprozessordnung Erst als im 19. Jahrhundert eine Rezeption englischen und insbesondere französischen 34 Rechts einsetzte, kamen vermehrt Reformbestrebungen auf, Referent) die gesamten Akten las und dem Rest des Kollegiums einen kurze Zusammenfassung des von ihm als entscheidungsrelevant eingestuften Stoffes verbunden mit einen Entscheidungsvorschlag gab (sog. Relation). 27 Hierzu Eb. Schmidt, Geschichte, S. 177, 197. 28 Geppert, S. 22; Lohr, S. 29. 29 § 56 der Preußischen Criminalordnung v. 11.12.1805 lautete wörtlich - Abs. 1: „Die Aussage des zu Vernehmenden muss in der ersten Person, und so viel es nur immer geschehen kann, mit seinen eigenen Worten zum Protokoll genommen werden.", Abs. 2: „Das Protokoll ist ihm Wort für Wort langsam und vernehmlich vorzulesen, und die dabei von ihm gemachten Erinnerungen sind gehörig nachzutragen.", abgedruckt bei Mannkopff, Preußische Criminalordnung; auch Baden, StPO v. 6.3.1845, § 81: „Die Aussagen sind im directen Style, und so weit es möglich ist, in denselben Ausdrücken, worin sie geschahen, nötigenfalls mit den eigenen Erläuterungen des Vernommenen, niederzuschreiben." 30 Z.B. die Preußische Criminalordnung von 1805, § 291; Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, II. Teil, Art. 216, 231; Hannoversche Criminal-Instructionen, Kap. VII, § 20, Kap. VIII, § 18. 31 Vgl. Geppert, S. 19 ff. 32 Vgl. Westhoff, S. 84 ff. 33 So wird die Strafverfahrensgesetzgebung in der Zeit von 1848 bis zur Schaffung der RStPO von 1877 bezeichnet. 34 In den von Napoleon besetzten deutschen Rheingebieten galt auch nach Aufhebung der Fremdherrschaft der „Code d'instruction criminelle" von 1808 fort (in den linksrheinischen Landesteilen Preußens, Pfalz, Pfalz-Lothringen und Rheinhessen).

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

welche vor allem die Ersetzung des geheimen und schriftlichen Inquisitionsprozesses durch ein öffentliches und mündliches Akkusationsverfahren zum Ziel hatten 35 . Diese Reformbestrebungen wurden jedoch erst im Zuge der bürgerlich-liberalen Revolution im Jahre 1848 tatsächlich umgesetzt 36 und so in der Folgezeit in den meisten deutschen Staaten Strafprozessordnungen nach den neuen Grundsätzen geschaffen. In diesen partikulären Verfahrensordnungen musste die bislang auf den schriftlichen Inquisitionsprozess zugeschnittene Protokollierung eine Anpassung an das mündliche Akkusationsverfahren erfahren. Dabei wurde im reformierten Strafverfahren der deutschen Staaten hinsichtlich der Protokollierung von gerichtlichen Verhandlungen zwischen dem Vorverfahren, das nach dem französischen und dem neuen deutschen Recht ein schriftliches war, und dem (mündlichen) Hauptverfahren unterschieden 37 . Da aufgrund der Mündlichkeit des reformierten deutschen strafrechtlichen Hauptverfahrens das Protokoll nicht (mehr) als Grundlage für das zu fällende Urteil fungierte, stellten die partikulären Verfahrensordnungen geringere Anforderungen an den Inhalt der Sitzungsniederschrift. Gewöhnlich sollten diese H V P 3 8 zumindest die Namen der an der Hauptverhandlung teilnehmenden Gerichtspersonen, des Staatsanwaltes, des Angeklagten und seines Verteidigers sowie der Auskunftspersonen enthalten 39 . 35

Klee, S. 19; siehe auch Henkel, S. 53 ff.; v. Hippel, S. 40 ff.; vgl. ferner Geyer, S. 85 ff.; Lohr, S. 31 ff. 36 So lautete Art. 178 der von der Frankfurter Nationalversammlung proklamierten und in die Reichsverfassung aufgenommenen Grundrechte des deutschen Volkes: „Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein." 37 Klee, S. 20. 38 Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt vor allem diejenigen partikulären deutschen Verfahrensordnungen, die zur Zeit der Schaffung der RStPO im Jahre 1877 Gültigkeit hatten und aus diesem Grunde als unmittelbare Vorläuferregelungen der RStPO angesehen werden können. Eine Zusammenstellung dieser Verfahrensordnungen findet sich in den Motiven zur RStPO, Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 67 ff. Zu diesen und den sonstigen deutschen Verfahrensregelungen in der Zeit ab Aufkommen der Reformbestrebungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts siehe vor allem die Zusammenstellungen bei Haeberlin und Sundelin. 39 Vgl. Baden, StPO v. 18.3.1864, §§ 76, 259; Bayern, Gesetz v. 10.11.1848, Art. 209, 317; Hamburg, StPO v. 30.04.1869, § 186 Abs. 1; Preußen, Gesetz v. 3.5.1852, Art. 78, VO v. 3.1.1849, § 99, StPO v. 1867, § 256; StPO der Thüringischen Staaten, Art. 262 Abs. 2, Art. 304 Abs. 1: Sachsen-Meiningen StPO v. 21.6.1850; Sachsen-Weimar, StPO v. 20.3.1850 und Gesetz v. 9.12.1854, § 69 Abs. 1; Schwarzburg-Sondershausen StPO v. 25.3.1850 und Gesetz v. 10.12.1854, § 69 Abs. 1; Schwarzburg Rudolstadt StPO v. 26.4.1850 und Gesetz v. 24.11.1854, § 69 Abs. 1; Anhalt, StPO v. 28.5.1850; Sachsen-Koburg-Gotha StPO v. 21.9.1857; Sachsen-Altenburg, StPO v. 27.2.1854, Art. 248 Abs. 1; Reuß ältere Linie StPO v. 12.9.1968; Reuß jüngere Linie StPO v. 28.04.1863; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 13.9.1865, Art. 219; Württemberg, StPO v. 17.04.1868, Art. 224.

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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Ferner wurde eine Beschreibung des Verlaufs der Hauptverhandlung 40 bzw. eine Aufnahme aller wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens oder der in der Verhandlung gestellten Anträge und der daraufhin ergangenen Entscheidungen sowie des Urteilsspruchs verlangt 41 . Ein Teil der Verfahrensordnungen sah auch die Niederschreibung zumindest des wesentlichen Inhaltes der Aussagen der Vernommenen vor 4 2 . wobei diese Protokollierung teilweise auf erstmalig in der Hauptverhandlung erfolgte Bekundungen bzw. auf Abweichungen oder Zusätze bezüglich bereits im Vorverfahren getätigter Aussagen beschränkt wurde 43 . In manchen Staaten wurde eine solche Protokollierung auch von einer von Amts wegen oder auf Antrag eines Prozessbeteiligten zu erfolgenden Anordnung des Vorsitzenden abhängig gemacht 44 .

40 Vgl. Baden, StPO v. 1864, § 259 Abs. 1, Bayern, Gesetz v. 10.11.1848, Art. 209 Abs. 1; Hamburg, StPO v. 1869, § 186 Abs. 2; Sachsen, StPO v. 1868, Art. 310 Abs. 1; Sachsen-Altenburg, StPO v. 1854, Art. 248 Abs. 2; StPO der Thüringischen Staaten, Art. 262 Abs. 3; Sachsen-Weimar, Gesetz v. 9.12.1854, §69 Abs. 2; Schwarzburg-Rudolstadt, Gesetz v. 24.11.1854, § 69 Abs. 2; SchwarzburgSondershausen, Gesetz v. 10.12.1854, § 69 Abs. 2. 41 Vgl. Baden, StPO v. 1864, § 259 Abs. 1; Bayern, Gesetz v. 10.11.1848, Art. 209 Abs. 2; Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 199 § 2 Abs. 3, 4; Preußen, Gesetz v. 3.5.1852, Art. 78 Abs. 3; Sachsen-Altenburg, StPO v. 1854, Art. 248 Abs. 4; StPO der Thüringischen Staaten, Art. 262 Abs. 5; Sachsen, StPO v. 1868, Art. 310 Abs. 3; Sachsen-Weimar, Gesetz v. 9.12.1854, § 69 Abs. 4; Schwarzburg-Rudolstadt, Gesetz v. 24.11.1854, § 69 Abs. 4; Schwarzburg-Sondershausen, Gesetz v. 10.12.1854, §69 Abs. 4; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 1865, Art. 224 Abs. 4-6; linksrheinische Landesteile Preußens, Pfalz, Pfalz-Lothringen und Rheinhessen, Code d'instruction criminelle von 1808 Art. 372. 42 Vgl. Bayern, Gesetz v. 1848, Art. 317 Abs. 1 und 2; Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 199 § 2 Abs. 2; Preußen, VO v. 3.1.1849, § 99, Gesetz v. 3.5.1852, Art. 78 Abs. 3 und StPO v. 1867, § 256 Nr. 4; Sachsen-Koburg-Gotha, StPO v. 1857, Art. 262 Abs. 4; Sachsen-Meiningen, StPO v. 21.6.1850, Art. 262 Abs. 4; Reuß ältere Linie, StPO v. 1968, Art. 262 Abs. 4; Reuß jüngere Linie, StPO v. 1863, Art. 262 Abs. 4; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 1865, Art. 224 Abs. 3; Württemberg, StPO v. 1868, Art. 229 Abs. 3; vgl. auch Braunschweig, StPO v. 22.8. 1849, §§ 155, 81; Frankfurt, Gesetz v. 15.5.1856, Art. 61 Abs. 6; Kurhessen, Gesetz v. 31.10.1848, § 114. 43 Vgl. Bayern, Gesetz v. 1848, Art. 209 Abs. 3 und 4, Art. 317 Abs. 1, 2; Hamburg, StPO v. 1869, § 186 Abs. 2; Preußen, Gesetz v.1852, Art. 78 Abs. 2; StPO v. 1867, § 256 Nr. 4; vgl. auch Baden, StPO v. 1864 § 78; Sachsen-Altenburg, StPO v. 1854, Art. 248 Abs. 3;für Abweichungen in „erheblichen Punkten" § 69 Abs. 3 Abänderungsgesetz v. 1854: Sachsen-Weimar, Gesetz v. 9.12.1854; SchwarzburgSondershausen, Gesetz v. 10.12.1854; Schwarzburg-Rudolstadt, Gesetz v. 24.11. 1854. 44 So Sachsen, StPO v. 1.10.1868, Art. 310 Abs. 2 für „Abweichungen, Zusätze oder Veränderungen bezüglich einer in der Voruntersuchung abgegebenen Erklärungen"; Baden, StPO v. 1864, § 259 Abs. 2 für die Protokollierung aller Aussageinhalte. 3 Rcichling

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

In den Staaten des Deutschen Reiches, in denen nach Aufhebung der französischen Fremdherrschaft der französische Code d'instruction criminelle von 1808 fortgalt 45 , war demgegenüber die Aufnahme der Angaben des Angeklagten oder der Aussagen der Zeugen in das HVP selbst dann ausdrücklich verboten, wenn zum ersten Mal in der Hauptveurhandlung ein Geständnis abgelegt wurde oder Zeugen vernommen wurden 46 . Eine Ausnahme wurde lediglich dann gemacht, wenn der Verdacht einer falschen Aussage bestand 47 . Vorschriften, die eine vollständige Protokollierung vorsahen, fanden sich nicht in allen partikulären Verfahrensordnungen 48. Sofern entsprechende Regelungen getroffen wurden, waren sie überdies unterschiedlich ausgestaltet. Im Folgenden soll daher ein Überblick über die einschlägigen Vorschriften gegeben werden. Art. 209 Abs. 4 der bayerischen Verfahrensregelung von 1848 49 sah eine „vollständige" Protokollierung von Aussagen solcher Zeugen vor, die in der (schwurgerichtlichen) Hauptverhandlung zum ersten Mal vernommen wurden, wohingegen bei der Erstvernehmung in den übrigen erstinstanzlichen Hauptverhandlungen 50 die Aufzeichnung des wesentlichen Aussageinhaltes ausreichte 51 . Eine ähnliche Regelung trafen die StPO für die Freie und Hansestadt Lübeck von 1862 52 sowie die StPO für das Königreich Sachsen von 1868 53 , die eine Protokollierung von Aussagen von Zeugen und Sachverständigen, die in der Sitzung zum ersten Mal vernommen wurden, „ihrem ganzen 45

Linksrheinische Landesteile Preußens, Pfalz, Pfalz-Lothringen und in Rheinhessen. 46 Art. 372. Eine Zuwiderhandlung des Protokollführers hatte sogar die Nichtigkeit des Urteils zur Folge und war mit einer „Geldbuße" von 500 Francs zu ahnden. Der Grund für diese drakonischen Maßnahmen lag in einer strengen Handhabung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Im Fall einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sollten die anderen Richter in einer erneuten Verhandlung nicht durch das HVP der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in ihrer Beweiswürdigung beeinflusst werden können, siehe hierzu Pfenninger, SJZ 48 (1952), 149, 153. 47 Art. 318. 48 Keinerlei Vorschriften über eine vollständige Protokollierung fanden sich in folgenden Verfahrensgesetzen: Preußen, VO v. 3.1.1849 bzw. Gesetz v. 3.5.1852; StPO von Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt jeweils in der Fassung des Abänderungsgesetzes von 1854. 49 Gesetz v. 10.11.1848, Art. 209 Abs. 4. 50 Vor den „Kreis- und Stadtgerichten". 51 Art. § 317 Abs. 2, Art. 209 Abs. 3 mit der Beschränkung auf Abweichungen und Zusätze bezüglich einer im Vorverfahren getätigten Aussage. 52 StPO v. 29.12.1862. 53 Revidierte StPO v. 1.10.1868.

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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Inhalte nach" anordneten 54 . Gleiches sollte für „Ergebnisse solcher Beweisaufnahmen" gelten, „welche nicht bereits in der Voruntersuchung stattgefunden hatten" 55 . Nach § 259 Abs. 2 der Badischen StPO von 1864 56 hatten der Staatsanwalt und der Angeklagte sowie dessen Verteidiger die Möglichkeit, „zur Wahrung ihrer Rechte" „die Feststellung einzelner Vorgänge im Protokolle . . . z u verlangen" 57 , womit auch Aussagen gemeint waren 58 . Der weite Wortlaut dieser Vorschrift ließ damit auch die Beantragung einer vollständigen Protokollierung bestimmter Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu. Gemäß Art. 200 § 1 der Oldenburgischen StPO von 1857 59 , Art. 225 Abs. 1 der StPO für die Provinzen Starkenburg und Oberhessen von 1865 sowie Art. 230 Abs. 1 der Württembergischen StPO von 1868 60 hatten der Staatsanwalt sowie der Beschuldigte nicht nur das Recht, die Protokollierung von in der Hauptverhandlung erfolgenden Erklärungen und Äußerungen sowie dort „stattfindender Maßregeln" bzw. „der in der Hauptverhandlung erfolgenden ... Verfügungen" zu beantragen. Auf einen entsprechenden Antrag hin hatte die Protokollierung vielmehr zwingend zu erfolgen. Kam es dabei „auf die Feststellung des wörtlichen Inhaltes an", so war der betreffende Teil des Protokolls vorzulesen, was zu vermerken war 6 1 . Ähnlich der letztgenannten Vorschrift fanden sich in anderen Verfahrensgesetzen Regelungen, die eine Verlesung (von Teilen) des HVP in der Sitzung dann vorsahen, wenn der Vorsitzende diese zu „genauer Feststellung des wörtlichen Inhalts für angemessen" erachtete 62 . Ausdrücklicher Rege54

Lübeck, StPO v. 29.12.1862, § 140 Nr. 2 S. 2 (nach S. 1 waren Aussagen von Personen, die bereits im Vorverfahren vernommen worden waren, nur insoweit aufzunehmen, als sie von der früheren Bekundung sachlich abwichen); Sachsen, StPO v. 1.10.1868, Art. 310 Abs. 2. 55 Lübeck, StPO v. 29.12.1862, § 140 Nr. 2 S. 3; Sachsen, StPO v. 1.10.1868, Art. 310 Abs. 2. 56 StPO für das Großherzogtum Baden v. 18.3.1864. 57 Ebenso Hannover, StPO v. 5.4.1859, § 141 Abs. 5; vgl. auch Österreich, StPO v. 29.7.1853, § 257 Abs. 3 S. 2. 58 Ammann, StPO Baden 1864, Anmerkung zu § 259. 59 StPO v. 2.11.1857; ebenso der Entwurf einer StPO für Hessen v. 1860, Art. 224. 60 StPO für das Königreich Württemberg v. 17.04.1868. 61 Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 200 § 1 2. Hs. bzw. Württemberg, StPO v. 1868, Art. 230 Abs. 1, 2. Hs.; gem. Art. 200 § 2 (StPO Oldenburg) und Art. 230 Abs. 2 (StPO Württemberg) konnten auch „der Vorsitzende oder das Gericht" die Protokollierung und Verlesung gem. § 1 von Amts wegen anordnen. Ebenso Art. 224 des Entwurfs einer StPO für das Großherzogtum Hessen v. 1860. 62 Sachsen-Altenburg, StPO v. 27.2.1854, § 249 Abs. 1; Sachsen-Meiningen, StPO v. 21.6.1850, Art. 263 Abs. 1; Anhalt, StPO v. 28.5.1950, Art. 263, Abs. 1. 3*

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

lungsgehalt dieser Normen war mithin allein die mögliche Vorgehensweise, die der Vorsitzende im Falle einer - in seinem Ermessen stehenden - vollständigen Protokollierung wählen konnte, nämlich die Verlesung des betreffenden Protokollteils. Da diese Verfahrensgesetze im Übrigen für eine vollständige Protokollierung keine besonderen Voraussetzungen forderten, kann davon ausgegangen werden, dass sie die (jederzeitige) Möglichkeit einer im Ermessen des Vorsitzenden stehenden - vollständigen Protokollierung als selbstverständlich voraussetzten. Hervorzuheben sei schließlich die Regelung über die vollständige Niederschreibung in § 257 Abs. 2 der Preußischen StPO vom 25.6.1867 63 , die der heutigen deutschen StPO als Vorbild diente 64 . Danach konnte das Gericht, wenn „es ... auf die wörtliche Feststellung einer Aussage" „für einen in oder außerhalb der Sache liegenden Zweck" ankam, anordnen, dass sie nach ihrer Protokollierung - in der Sitzung verlesen werde 65 . Diese Anordnung konnte auf Antrag der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten oder auch von Amts wegen erfolgen. § 258 Abs. 2 dieses Gesetzeswerkes sah darüber hinaus für den Fall, dass nach Ansicht der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten in der Hauptverhandlung die Beobachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten in mangelhafter oder ungenügender Weise erfolgte, die „Feststellung des näheren Vorgangs und dessen Aufnahme in das Protokoll" vor. Wie dieser Überblick gezeigt hat, waren die Regelungen über die (vollständige) Protokollierung in der Hauptverhandlung in den verschiedenen partikulären deutschen Strafverfahrensgesetzen im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet. Sämtlichen Vorschriften war jedoch gemein, dass eine Protokollierung der in der Hauptverhandlung erfolgten Beweisaufnahme nur ausnahmsweise für erforderlich gehalten wurde. Insbesondere die vollständige Protokollierung war nur im Ausnahmefall vorgesehen, nämlich nur dann, wenn eine Aussage in der Hauptverhandlung zum ersten Mal erfolgte bzw. eine Beweisaufnahme zum ersten Mal in der Hauptverhandlung stattfand 6 6 , wenn eine in der Hauptverhandlung getätigte Aussage Abweichun63 Diese galt für die mit Preußen durch Gesetz v. 20.9.1866 und die beiden Gesetze v. 24.12.1866 vereinigten (neuen) Landesteile (Hannover, Hessen, Nassau, Frankfurt a.M., Schleswig-Holstein, sowie drei bis dahin bayerische und sechs bis dahin hessische Gebietsteile). Diese Norm entsprach der Regelung des § 268 Abs. 2 des Entwurfes einer StPO für Preußen aus dem Jahre 1865; vgl. auch den Entwurf einer StPO für Hessen v. 1860, Art. 224. 64 W. Schmid, GA 1962, 353, 360; siehe hierzu auch unten 2. Kapitel Β. ΠΙ. 1. a) aa) (3) (c) (bb). 65 Ähnlich auch Österreich, StPO v. 17.1.1850, § 229; StPO v. 29.7.1853, § 257 Abs. 3 und Baden, StPO v. 6.3.1845, § 236 Abs. 2, wonach die Vorlesung des Protokolls vorgenommen werden konnte, wenn es auf die „genaue Feststellung der wörtlichen Fassung" bzw. auf die „wörtliche Fassung" ankam.

Α. Entwicklungsgeschichte des Hauptverhandlungsprotokolls

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gen zu einer im Vorverfahren erfolgten Bekundung aufwies 67 , wenn es die Verfahrensbeteiligten beantragten oder wenn es auf die Feststellung des wörtlichen Inhaltes bzw. auf die wörtliche Feststellung einer Aussage ankam. Die Regelungen über die (vollständige) Protokollierung (der Beweisaufnahme) in den einzelnen deutschen partikulären Strafverfahrensgesetzen müssen daher als Ausnahmevorschriften eingestuft werden. Der Grund dafür, dass die Partikulargesetzgeber die Protokollierung der in der Hauptverhandlung stattfindenden Beweisaufnahme nur ausnahmsweise vorsahen, ist darin zu sehen, dass im reformierten deutschen Strafprozess das erkennende Gericht in vollständiger Besetzung in der mündlichen Hauptverhandlung den Angeklagten, die Zeugen und Sachverständigen selbst zu vernehmen hatte und so durch eigene (unmittelbare) Wahrnehmung Kenntnis von den Urteilsgrundlagen erhalten sollte. In Anbetracht dessen dürfte der historische Gesetzgeber davon ausgegangen sein, dass eine Protokollierung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht mehr erforderlich sei. Unter Umständen haben sich die deutschen Gesetzgeber seinerzeit überdies in rigoroser Abkehr vom Inquisitionsverfahren mit seinen Grundsätzen der Schriftlichkeit und Mittelbarkeit von der Erwägung leiten lassen, dass sich mit den im Rahmen der Reformgesetzgebung zur Geltung gebrachten Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens keine Protokollierung vertrage 68 bzw. eine solche jedenfalls überflüssig sei. In jedem Falle kann konstatiert werden, dass sich die Ablösung des schriftlichen Inquisitionsverfahren durch das mündliche Verfahren des reformierten Strafprozesses in besonderem Maße in dem Wandel der Protokollierungsvorschriften und insbesondere auch in der Beschränkung der vollständigen Protokollierung auf wenige Ausnahmefälle widerspiegelt. Nachdem die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 in Art. 4 Nr. 3 dem Reich die Zuständigkeit zur Gesetzgebung hinsichtlich Strafrecht und Strafverfahren zugesprochen hatte, wurden die partikulären Verfahrensordnungen durch eine einheitliche Strafprozessordnung ersetzt. Die neu geschaffene RStPO vom 1.2.1877 traf in ihren §§ 271-273, 314 (heute § 274) Regelungen über das HVP. Die Möglichkeit zur vollständigen Niederschrei66 Angesichts des im reformierten Strafprozess geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes erscheint eine Protokollierung in diesem Falle eigentlich entbehrlich. Der Grund für die Anordnung einer Protokollierung kann daher nur darin gesehen werden, für ein späteres Ermittlungsverfahren wegen einer unrichtigen Aussage ausreichende Unterlagen zu schaffen. 67 Vgl. für das heute geltende Recht Nr. 144 Abs. 2 RiStBV. 68 So Hauser, SchwZStR 82 (1966), 158, 169 für das schweizerische Recht.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

bung sah die Reichsstrafprozessordnung in § 273 Abs. 3 6 9 vor, der inhaltlich bis heute fortbesteht 70 . Nach diesem Überblick über die Entwicklungsgeschichte der (vollständigen) Protokollierung im strafrechtlichen Hauptverfahren soll das Augenmerk nun auf die grundsätzliche Bedeutung gerichtet werden, die der vollständigen Protokollierung in der Hauptverhandlung nach dem geltenden § 273 Abs. 3 im heutigen deutschen Strafverfahren zukommt.

B. Die Sonderstellung des § 273 Abs. 3 innnerhalb der geltenden gesetzlichen Bestimmungen Um die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der strafrechtlichen Hauptverhandlung gem. § 273 Abs. 3 beurteilen zu können, muss diese Regelung im Gesamtkontext der Regelungen über die Protokollierung der Hauptverhandlung gesehen werden, so dass zunächst auf die allgemeine Ausgestaltung des strafrechtlichen HVP nach der geltenden StPO einzugehen ist. Wie bereits festgestellt, trifft die heutige StPO in §§ 271-274 Regelungen über das HVP. § 271 Abs. 1 S. 1 verlangt für jede strafrechtliche Hauptverhandlung die Aufnahme eines Protokolls (das sog. Sitzungs- oder Verhandlungsprotokoll 71 ). Während § 271 lediglich anordnet, dass ein Protokoll aufzunehmen ist und wer dieses zu unterschreiben hat, legt § 272 fest, welche Angaben im sog. „Protokollkopf 4 über den äußeren Rahmen des Verfahrens aufzunehmen sind, um damit die Identifizierung der protokollierten Hauptverhandlung zu ermöglichen 72 . Die maßgebliche Regelung des Inhalts des Protokolls enthält § 273, der - neben § 272 und weiteren Sondervorschriften 73 - bestimmt, mit welchem Inhalt das Protokoll auszustatten ist. 69 So lautete § 273 Abs. 3 RStPO: „Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlautes einer Aussage an, so hat der Vorsitzende die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen. In dem Protokolle ist zu bemerken, dass die Verlesung und die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwendungen erhoben sind." 70 Zur Intention des Gesetzgebers der RStPO bei Schaffung des § 273 Abs. 3 siehe die Darstellung der Funktionen des HVP im 1. Kapitel C. 71 Unter dem Begriff des Verhandlungsprotokolls im Sinne unserer StPO wird eine allgemein lesbare Niederschrift verstanden, welche die Hauptverhandlung und ihren Verlauf nach Maßgabe der §§ 272, 273 mit Beweiskraft beurkundet (§ 274), LR-Gollwitzer, § 271 Rn. 1. 72 HK-Julius, § 272 Rn. 1; LR-Gollwitzer, § 272 Rn. 1; Roxin, § 49 Rn. 1 f. 73 So etwa §§ 64, 86, 249 Abs. 2 S. 3, 255, 168 ff. sowie §§ 182, 183, 185 Abs. 1 S. 2 GVG.

Β. Sonderstellung innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen

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Gemäß § 273 Abs. 1 muss das Protokoll den „Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beobachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen". Letzteres gilt auch für die Bezeichnung der verlesenen Schriftstücke oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist. Ferner muss das Protokoll die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. Unter „wesentliche Förmlichkeiten" im Sinne des § 273 Abs. 1 werden alle Prozesshandlungen verstanden, die für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von Bedeutung sind 7 4 . „Wesentlich" sind nach allgemeiner Auffassung dabei nur diejenigen Formvorschriften, deren Missachtung den Bestand des Urteils gefährden könnten 75 . Bedeutung hat die Protokollierung der „wesentlichen Förmlichkeiten" gem. § 273 Abs. 1 vor allem für das Rechtsmittelverfahren, insbesondere das Revisionsverfahren. Denn nach § 274 können behauptete Verfahrensfehler, die wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung betreffen, nur durch das Protokoll bewiesen werden 76 . Der Gang der Hauptverhandlung ist in §§ 243, 244, 257, 258, 260 geregelt. Die Bestimmung des § 273 Abs. 1, diesen nur „im wesentlichen" zu protokollieren, bedeutet nach allgmeiner Meinung vor allem, dass die zeitliche Reihenfolge kenntlich gemacht wird, in der die einzelnen Verfahrensabschnitte abliefen 77 . Insbesondere Abweichungen vom normalen Verfahrensgang 78 sollen deutlich gemacht werden 79 . Die Anordnung in § 273 Abs. 1, dass im Protokoll die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiederzugeben sind, wird im Hinblick auf § 273 Abs. 2, 3 allgemein als müßig 8 0 , teilweise sogar als überflüssig und daher missverständlich 81 angesehen. Denn unter die gem. § 273 Abs. 1 74

Meyer-Goßner, § 273 Rn. 6; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 6; SYJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 5; vgl. zum Begriff der wesentlichen Förmlichkeiten jüngst auch Kahlo, S. 447 ff. 75 LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 6; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 5. 76 Das Protokoll entfaltet insoweit positive und negative Beweiskraft. 77 HK-Julius, § 273 Rn. 4; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 3; KMR-Müller, 273 Rn. 5 und SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 4: z.B. dass der Anklagesatz gem. § 243 Abs. 3 verlesen und der Angeklagte erst hierauf nach § 243 Abs. 4 vernommen wurde. 78 Insbesondere kann von der in § 243 vorgesehenen Reihenfolge abgewichen werden, wenn eine Vielzahl von Einzeltaten zu verhandeln ist (sog. Punktesachen), hierzu Meyer-Goßner, § 243 Rn. 2; LR-Gollwitzer, § 243 Rn. 4; SYJStPO-Schlüchter, § 243 Rn. 5. 79 HK-Julius, § 273 Rn. 4; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 3; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 4. 80 LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 4. 81 KK-Engelhardt, § 273 Rn. 3; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 4; vgl. auch H. Meyer, S. 30 f.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

zu protokollierenden wesentlichen „Ergebnisse" der Hauptverhandlung können nach unbestrittener Ansicht nicht die Ergebnisse der Beweisaufnahme fallen, da für diese Abs. 2 g i l t 8 2 . Da überdies die als „Ergebnisse der Hauptverhandlung" in Betracht kommenden Entscheidungen im letzten Hs. des Abs. 1 gesondert erwähnt sind, bleibt diese Anordnung weitestgehend inhaltslos 83 . Es zeigt sich somit, dass § 273 Abs. 1, der für sämtliche Hauptverhandlungen in Strafsachen gilt, lediglich die Protokollierung von Formalia verlangt. Ein solches Protokoll wird dementsprechend teilweise - mitunter kritisch - als „reines Formalienprotokoll" bezeichnet 84 . Eine vollständige Beurkundung der Beweisaufnahme bzw. ihrer Ergebnisse in der Hauptverhandlung sehen diese Vorschriften nicht vor 8 5 . Allein für Verfahren vor den Amtsgerichten, also vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht und damit in Sachen von - jedenfalls im Hinblick auf die im Raum stehende Strafandrohung - vergleichsweise geringer Bedeutung 86 , schreibt § 273 Abs. 2 1. Hs. zumindest die Aufnahme der „wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll" 8 7 vor und lässt damit das (bloße) Formalienprotokoll zu einem sog. „Inhaltsprotokoll" 88 werden. 82 So schon Stenglein, GerS 1891, (Bd. 45), 81, 100; vgl. KK-Engelhardt, § 273 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 273 Rn. 5; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 4; SYJStFO-Schlüchter, § 273 Rn. 4; H. Meyer, S. 30 f.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil Π, § 273 Rn. 5. Allerdings hatte der Entwurf zur StPO mit dem Ausdruck „Ergebnisse der Hauptverhandlung" (zunächst) auch die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen mitumfassen wollen, siehe hierzu unten 1. Kapitel C. I., ΙΠ. 2. b). 83 Als ein Ergebnis der Haupt Verhandlung, das nicht mit den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1 identisch ist, wird allenfalls die Aufnahme eines privatrechtlichen Vergleichs angesehen, LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 4 und SK/ StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 4 unter Hinweis auf Pecher NJW 1981, 2170 ff. dieser zur Zulässigkeit zivilrechtlicher Vergleiche im Strafverfahren. Vgl. femer KMR-Müller, § 273 Rn. 2, der eine scharfe Trennung zwischen „Gang", „Ergebnissen" und „wesentlichen Förmlichkeiten" für überflüssig hält, da das Gesetz überall den Zweck der Protokollierung andeute, nämlich dass das Rechtsmittelgericht den gesetzmäßigen Ablauf der Hauptverhandlung in dem für den Bestand des Urteils wesentlichen Ausmaß überprüfen könne. Die drei Begriffe gingen jedenfalls insoweit ineinander über, als „Gang" und „Ergebnisse" gleichzeitig weithin „wesentliche Förmlichkeiten" seien oder doch weitere Förmlichkeiten mitenthalten müssten. 84 W. Schmid, GA 1962, 353, 360; v. Stackelberg, S. 55; Ulsenheimer, NJW 1980, 2273, 2274. 85 Nur die Tatsache der Beweiserhebung (z.B. die Befragung des Angeklagten nach § 257 Abs. 1, Vernehmung der Zeugen und Sachverständigen) ist als wesentliche Förmlichkeit gem. § 273 Abs. 1 in das HVP aufzunehmen, nicht jedoch das hieraus gewonnene Ergebnis, vgl. SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 5 f. 86 Das gilt jedenfalls meist im Hinblick auf die Strafandrohung, vgl. § 24 GVG. Freilich stellen die Strafverfahren vor den Amtsgerichten die große Mehrzahl aller Strafverfahren dar.

Β. Sonderstellung innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen

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Sinn und Zweck dieser Vorschrift werden jedoch überwiegend 89 nicht darin gesehen, eine Überprüfung der Beweiswürdigung des Tatgerichts durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen 90 , sondern dem Berufungsgericht die Beweisaufnahme zu erleichtern. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 325 können nämlich erneute Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen durch Verlesung des HVP des ersten Rechtszuges vermieden und dadurch eine Verhandlungsbeschleunigung erreicht werden. § 273 Abs. 2 lässt hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Protokolls einen relativ weiten Einschätzungs- und Ermessensspielraum. Was als wesentliches Ergebnis der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen ist, entscheiden allein der Vorsitzende und der Urkundsbeamte, wobei der Vorsitzende insofern bindende Weisungen an den protokollierenden Urkundsbeamten erteilen kann 9 1 . Da § 273 Abs. 2 nur die Protokollierung des „wesentlichen Ergebnisses" anordnet, ist stets die knappe Aufnahme des Inhalts der Vernehmungen erforderlich aber auch ausreichend, weshalb vom „Inhaltsprotokoll" gesprochen wird. Verlangt wird lediglich, dass jede Aussage einzeln protokolliert wird; eine Zusammenfassung mehrerer Aussagen ist somit nicht statthaft 92 . Eine wörtliche Protokollierung von Zeugen- oder Sachverständigenaussagen sieht Abs. 2 nicht vor. Die anderen Verfahrensbeteiligten haben im Rahmen des § 273 Abs. 2 kein Recht auf Protokollierung bestimmter Vernehmungsergebnisse, sondern können diesbezüglich allenfalls Anregungen geben 93 . Der nach § 273 Abs. 2 protokollierte Inhalt 87 Abs. 2 gilt nicht bei sonstigen Beweiserhebungen, also weder beim Urkundenbeweis noch bei der Augenscheinseinnahme (SKJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 15 bezeichnet diese Beweismittel als Sachbeweis im Gegensatz zum Personalbeweis), die als wesentliche Förmlichkeit bereits nach Abs. 1 zu protokollieren sind, SK/StPOSchlüchter, § 273 Rn. 15 und Rn. 6 m.w.N. aus der Rspr. sowie LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 32, der beim Urkundenbeweis die Aufnahme nach Abs. 2 auch deswegen für überflüssig hält, weil die verlesene Urkunde vorliege. 88 HK -Julius, § 273 Rn. 2; KK-Engelhardt, § 273 Rn. 16 ff.; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 31 ff.; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 1, 15 ff. 89 KK-Engelhardt, § 273 Rn. 16; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 31; SK/StPOSchlüchter, § 273 Rn. 15. 90 So aber gegen die h.M.: LR-Hanack, § 337 Rn. 86; Pelz, NStZ 1993, 361, 363 f.; siehe hierzu unten 1. Kapitel C. III. 91 KK-Engelhardt, § 273 Rn. 17; Meyer-Goßner, § 273 Rn. 14; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 34; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 17; kritisch: Gollwitzer, S. 546. 92 LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 35; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 16; wohl auch KK-Engelhardt, § 273 Rn. 17. Ausnahmsweise reicht eine Bezugnahme auf die Niederschriften früherer Vernehmungen, wenn die jetzige von der früheren Aussage nicht oder nur unwesentlich abweicht, wobei Abweichungen im neuen Protokoll zu kennzeichnen sind, Meyer-Goßner, § 273 Rn. 15; LR -Gollwitzer, § 273 Rn. 35; SK/ StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 16 jeweils unter Hinweis auf RiStBV Nr. 144 Abs. 2 S. 1. Ebenso ist die Bezugnahme auf ein schriftliches Sachverständigengutachten erlaubt, SKJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 16 unter Hinweis auf BGH GA 1964, 275.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

von Vernehmungen nimmt nach allgemeiner Auffassung auch nicht an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 teil 9 4 . Stellt sich somit das HVP im deutschen Strafprozess grundsätzlich als reines Formalienprotokoll und in Verfahren vor den Amtsgerichten zusätzlich als Inhaltsprotokoll dar, auf dessen Gestaltung die Verfahrensbeteiligten keinen unmittelbaren Einfluss nehmen können, wird die besondere Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Ausnahmevorschrift deutlich. Gemäß § 273 Abs. 3 nämlich „hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen", wenn „es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt". Zwar soll § 273 Abs. 3 nicht die grundsätzlichen gesetzlichen Regelungen in den Abs. 1 und 2 konterkarieren und über den Umweg dieser Ausnahmevorschrift entgegen der gesetzgeberischen Intention das „Wortprotokoll" einführen 95 . Jedoch räumt Abs. 3 S. 1 den Prozessbeteiligten das Recht ein, bestimmte Verfahrensvorgänge oder den Wortlaut bestimmter Aussagen protokollieren zu lassen und damit erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Sitzungsniederschrift zu nehmen oder jedenfalls deren Inhalt mitzubestimmen 96 . Entsprechend war die Absicht des Gesetzgebers bei Neufassung des § 273 Abs. 3 9 7 , „dem berechtigten Interesse der an der Verhandlung Beteiligten ... besser Rechnung zu tragen" 98 . Diese Verbesserung der Rechtsposition der Verhandlungsbeteiligten soll § 273 Abs. 3. S. 2 sichern, wonach den Verhandlungsbeteiligten das Recht eingeräumt wird, gegen eine den Antrag auf vollständige Niederschreibung ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden das Gericht anzurufen 99 . 93 KK'Engelhardt, § 273 Rn. 17; Meyer-Goßner, § 273 Rn. 14; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 34; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 17. 94 KK-Engelhardt, § 273 Rn. 19; LR-Gollwitzer, § 274 Rn. 11; SK/StPOSchlüchter, § 273 Rn. 18; hierzu unten 3. Kapitel Β. II. 2. a). 95 Vgl. Burhoff, Rn. 721; Ülsenheimer, NJW 1980, 2273; Wißmann, S. 25. 96 Vgl. KMR-Müller, § 273 Rn. 1,18. 97 Über die Intention des ursprünglichen Gesetzgebers lässt sich weder den Motiven noch den Protokollen über die Komissionsberatungen etwas entnehmen, siehe hierzu unten 1. Kapitel C. V. 98 Einfügung des ausdrücklichen Rechtes der Verhandlungsbeteiligten auf Beantragung einer vollständigen Niederschreibung (Abs. 3 S. 1), verbunden mit dem Recht, gegen eine ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden das Gericht anzurufen (Abs. 3 S. 2) durch Art. 7 Nr. 15 b) des StPÄG 1964, vgl. Kanka, zu BT-Drucks. 4/1020, S. 5; siehe hierzu unten 2. Kapitel C. I. 99 In Art. 1 Nr. 21 StVÄG 1984 war eine Änderung des § 273 Abs. 3 S. 2 dahingehend geplant, dass die Entscheidungen des Gerichts nach § 273 Abs. 1 unanfechtbar sind. Dieses Vorhaben wurde jedoch nicht umgesetzt.

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Nachdem die vorstehenden Erörterungen veranschaulicht haben, dass es sich bei der vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 um eine Ausnahmeregelung handelt, soll nun zum weiteren Verständnis der Bedeutung der Vorschrift der Zweck der vollständigen Protokollierung untersucht werden.

C. Die Funktionen des Hauptverhandlungsprotokolls im Allgemeinen und der vollständigen Protokollierung im Besonderen I. Allgemeines Da es sich bei der vollständigen Protokollierung um eine spezielle Art und Weise der Protokollierung in der Hauptverhandlung handelt, kann ihr Zweck nicht losgelöst von demjenigen ermittelt werden, der dem HVP als solchem nach der geltenden StPO zukommt. Im Folgenden sollen daher zunächst die Funktionen herausgearbeitet werden, die dem HVP im Allgemeinen zukommen, um anschließend den Sinn der vollständigen Protokollierung im Besonderen beurteilen zu können. Zunächst ist davon auszugehen, dass Protokolle im Allgemeinen vor allem die schriftliche Feststellung eines tatsächlichen Geschehens als geschichtlichem Vorgang bezwecken, wobei die rechtliche Relevanz meist in der Beweissicherung für den Fall von Zweifeln und Streit liegt, die zu einer gerichtlichen Entscheidung führen könnten 1 0 0 . Als allen Protokollen gemeinsamer Zweck kann damit die Sicherung eines tatsächlichen Geschehens als geschichtlicher Vorgang festgehalten werden. Zu klären bleibt damit allein, zu welchen Zwecken diese Sicherung erfolgen soll. Was den Sinn des HVP im Strafverfahren angeht, so kann zunächst auf die gesetzgeberischen Motive zur RStPO zurückgegriffen werden. Diese enthalten hierüber jedoch nur spärliche Informationen und besagen lediglich wörtlich: „Der Entwurf glaubte, in Ansehung der über die Hauptverhandlung aufzunehmenden Protokolle, solche Vorschriften treffen zu müssen, weil nach § 314 RStPO101 diese in dem Verfahren vor dem Revisionsgerichte eine wesentliche Bedeutung erlangen." 102 Die Protokolle über die Kommissionsberatungen des Reichstages geben nur Aufschluss über den Zweck der Inhaltsprotokollierung (im Sinne des geltenden § 273 Abs. 2). Zunächst sollte sowohl nach § 232 Abs. 1 des 100 101 102

Stier-Somlo/Elster, S. 593. Heute § 274. Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 213.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

dem Reichstag vorgelegten Entwurfs zur StPO von 1874 als auch nach der Fassung dieser Vorschrift im Anschluss an die erste Lesung in der Reichstagskommission in jedes HVP der Inhalt der Vernehmungen aufgenommen werden, da man der Auffassung war, dass das HVP ein Bild der ganzen Hauptverhandlung geben solle 1 0 3 . Hierzu zählte die Reichstagskommission nicht nur den „Gang der Hauptverhandlung", sondern auch das, was sich durch den Gang als wesentliches Ergebnis der Hauptverhandlung ergeben habe, wozu auch der Inhalt der Vernehmungen gerechnet wurde 1 0 4 . Als sich die Reichstagskommission bei der zweiten Lesung des Gesetzes zur Aufnahme des Rechtsmittels der Berufung 1 0 5 entschloss, setzte sich jedoch die Auffassung durch, dass nur für solche Verfahren die Vernehmungsergebnisse in das HVP aufzunehmen seien, in denen eine Berufung zulässig sei 1 0 6 . Hieraus ergibt sich, dass das HVP - jedenfalls in Gestalt des Inhaltsprotokolls - dem Berufungsverfahren dienen sollte. Eine genauere Ermittlung der dem HVP im heutigen deutschen Strafprozess zukommenden Funktion(en) kann jedoch auch durch einen Rückgriff auf die gesetzlich angeordneten Anforderungen an dessen inhaltliche Ausgestaltung erzielt werden, da sich der Inhalt des Protokolls an dessen Zweck orientiert 107 .

II. Hauptfunktion(en) des Hauptverhandlungsprotokolls Im Allgemeinen liegt der Zweck der Protokollierung der strafrechtlichen Hauptverhandlung darin, eine zuverlässige Grundlage für die Feststellung zu schaffen, ob der Ablauf der Hauptverhandlung den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat und ferner die Möglichkeit eines Beweises zu schaffen, dass bestimmte Prozesshandlungen vorgenommen oder unterlas103 w i e Ott, S. 9 zutreffend feststellt, ist dies um so bemerkenswerter, als der Regierungsentwurf das Rechtsmittel der Berufung und damit eine zweite Tatsacheninstanz nicht vorsah, vgl. Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 242; siehe zum Ablauf des damaligen Gesetzgebungsverfahren jüngst auch Salditi, S. 469, 470 ff. 104 Hanauer, bei Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 892. 105 Gegen Urteile der Schöffengerichte, Hahn, Materialien zur StPO, Bd. II, S. 1385 f., S. 1576 ff. und S. 1921 ff. 106 Vgl. v. Puttkamer, in: Hahn, Materialien zur StPO, Bd. II, S. 1370: „... dass es sich mit Rücksicht auf die Berufung eher rechtfertigen lasse, wenn man die Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufnehme. Die beste Grundlage für den zweiten Richter sei freilich der Thatbestand des Urteils, ..." und Hanauer, in: Hahn, Materialien zur StPO, Bd. Π, S. 1370, der darauf hinwies, dass die Regierungen der deutschen Teilstaaten beschlossen hatten, die Aufnahme des wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll nur hinsichtlich der Schöffengerichte, gegen deren Urteile Berufung stattfinde, anzunehmen. 107 KK-Engelhardt, § 271 Rn. 2.

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sen worden sind 1 0 8 . Diese Funktion ergibt sich aus der in § 273 Abs. 1 angeordneten inhaltlichen Ausgestaltung des Protokolls, nämlich der Niederschreibung des „Ganges und der Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen und aller wesentlichen Förmlichkeiten". Da das Protokoll gem. § 274 hinsichtlich der hiernach getroffenen Feststellungen im Rechtsmittelverfahren formelle Beweiskraft entfaltet, kann die Anfertigung des Protokolls als auf das Rechtsmittelverfahren ausgerichtet betrachtet werden. Dem Protokoll kommt insofern eine Beweisfunktion zu. § 274 bezweckt die Vereinfachung des Rechtsmittelverfahrens, sie will dem Revisionsgericht die Prüfung von Verfahrensrügen erleichtern 109 . Außerdem sollen die Prozessbeteiligten in den höheren Instanzen vor Beweisschwierigkeiten bewahrt werden und dem Rechtsmittelgericht soll die oft mit großen Unsicherheitsfaktoren belastete Beweiserhebung über die Verfahrens Vorgänge in den Vorinstanzen erspart 110 bleiben. Da das Protokoll als Unterlage für die Nachprüfung in der Rechtsmittelinstanz dient, hat es Kontrollfunktion 111. Aus der formellen Beweiskraft des Sitzungsprotokolls für die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten gem. § 274 lässt sich eine weitere Funktion des HVP ableiten. Da die formelle ausschließliche Beweiskraft des Protokolls auch negative Wirkung entfaltet, gelten nicht vorgenommene und mithin nicht protokollierte Förmlichkeiten als nicht beachtet, wodurch das hierauf ergehende Urteil mit der Revision angefochten werden kann. Zwar wird der Richter durch die in § 273 Abs. 1 angeordnete Pflicht zur Protokollierung der wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung an deren Vornahme erinnert. Die Kenntnis einer drohenden Anfechtbarkeit seines Urteils infolge der Nichtbeachtung der Vornahme dieser Förmlichkeiten wird ihn jedoch zusätzlich zu deren Einhaltung disziplinieren. Insofern entfaltet das Protokoll eine disziplinierende oder jedenfalls eine erzieherische Funktion 1 1 2 . Soweit damit das Protokoll die Beachtung der zu beurkundenden Vorgänge durch das entscheidende Gericht sichern soll, kann ihm auch eine Sicherungs- oder Garantiefunktion zugesprochen werden 1 1 3 .

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KK-Engelhardt, § 271 Rn. 1. BGH NJW 1976, 812, 976 f.; Fezer, 11 Rn. 116; Meyer-Goßner, § 274 Rn. 2; Schäfer, FS BGH, S. 707. 1,0 LR-Gollwitzer, § 274 Rn. 1 m.w.N. in Fn. 1. 111 So auch Grünwald, S. 57; Roggemann, Tonband, S. 75; v. Stackelberg, S. 55. 112 Vgl. v. Stackelberg, S. 54 f. 113 So v. Stackelberg, S. 54 f.; Roggemann, Tonband, S. 75, 77; auch Hauser, SchwZStR 82 (1966), 158, 159 für das schweizerische Recht. 109

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

III. Spezielle Funktionen der (Inhalts-)Protokollierung gem. § 273 Abs. 2 Dem in der Hauptverhandlung vor den Amtsgerichten anzufertigenden (Inhalts-)Protokoll könnten in Anbetracht des gem. § 273 Abs. 2 weitergehenden Inhalts über die bereits genannten Funktionen hinaus weitere Zwecke zukommen. 1. In Bezug auf das Rechtsmittelverfahren Zunächst ist festzustellen, dass auch das in den amtsgerichtlichen Verfahren gem. § 273 Abs. 2 anzufertigende Inhaltsprotokoll vorrangig dem Rechtsmittelverfahren, nämlich dem Berufungsverfahren, zu dienen bestimmt ist. Spezifischer Zweck des Inhaltsprotokolls ist insoweit, die Beweisaufnahme vor den Berufungsgerichten zu erleichtern 114 , da bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 2 5 1 1 5 erneute Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen durch Verlesung des HVP im ersten Rechtszug vermieden werden. Auf diese Weise soll eine Verfahrensbeschleunigung erreicht werden, was allgemein der Prozessökonomie zugute kommt. Dieses Anliegen verdeutlicht auch § 273 Abs. 2 2. Hs., wonach das Inhaltsprotokoll bei endgültiger Unanfechtbarkeit ausnahmsweise entfallen kann 1 1 6 . In diesem Fall kommt der Zweck einer Erleichterung des Berufungsverfahrens nicht zum Tragen. Hingegen sind für das Revisionsverfahren gem. § 273 Abs. 2 festgehaltene Aussagen ohne besondere Bedeutung, da dieser Protokollinhalt nach allgemeiner Auffassung nicht nach § 274 S. 1 in Beweiskraft erwächst 117 , so dass gegen die Richtigkeit der Beurkundung der Gegenbeweis zulässig ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Ergebnisse der Vernehmungen nicht zu den Förmlichkeiten im Sinne des § 274 zu rechnen sind. Zwar stellen die durch das Gericht erfolgte Vernehmung des Angeklagten zur Person und 114 Vgl. KK-Engelhardt, § 273 Rn. 16; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 31; SK/StPOSchlüchter, § 273 Rn. 1. 115 Ehemals § 366 RStPO. 116 D.h. bei Rechtsmittelverzicht aller zur Anfechtung Berechtigten oder bei ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist. Im letztgenannten Fall wird der Urkundsbeamte freilich nicht davon freigestellt, während der Hauptverhandlung die wesentlichen Vernehmungsergebnisse aufzunehmen. Er wird nur von der u. U. noch notwendigen Übertragung seiner Aufzeichnungen in Reinschrift entbunden, LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 33; S¥JSiPO-Schlüchter, § 273 Rn. 19 m.w.N. 117 RGSt 58, 58, 59 f. m.w.N. und 378, 379; 59, 315, 316; BayObLG, NJW 1995, 976; KK-Engelhardt, § 273 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 274 Rn. 10; LR-Gollwitzer, § 274 Rn. 11; SYJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 18, § 274 Rn. 8; siehe hierzu auch unten 3. Kapitel Β. Π. 2. a).

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zur Sache gem. § 243 sowie die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gem. § 244 für die Hauptverhandlung vorgeschriebene wesentliche Förmlichkeiten dar, die gem. § 273 Abs. 1 zu protokollieren sind und die der besonderen Beweiskraft des § 274 unterfallen 118 . Dies gilt jedoch nur für die Tatsache der Vernehmung und nicht für ihr Ergebnis 119 , das der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung (§ 261) unterliegt.

2. Gedächtnisstützende Funktion der Inhaltsprotokollierung? a) Die Stellungnahmen im Schrifttum Soweit in amtsgerichtlichen Hauptverfahren gem. § 273 Abs. 2 die Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das HVP vorgesehen ist, wird ihm teilweise auch eine - zumindest faktische - Erinnerungs- 120 bzw. gedächtnis- oder beratungsunterstiitzende Funktion 121 zugesprochen. Dabei wird darauf abgestellt, dass das (amtsgerichtliche) Inhaltsprotokoll insbesondere bei Prozessen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken 122 und/oder bei denen - beispielsweise durch Vernehmung vieler 118

SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 6, § 274 Rn. 4 f. RGSt 58, 58, 59 f. m.w.N. 120 Ackermann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 65 f.; vgl. auch BR-Drucks. 633/95, S. 70: „Das Inhaltsprotokoll kann jedoch zur Unterstützung des Vorsitzenden ... durchaus - etwa zur Erhaltung des Erinnerungsvermögens bei der Abfassung des schriftlichen Urteils - zweckmäßig sein." 121 So schon Planck, S. 115; femer Koffka, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 98 und ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2277, allerdings für das Wortprotokoll; vgl. Kleinknecht, JZ 1965, 153, 159; Ott, S. 16; Sailer, NJW 1977, 24, 25; Werner, DRiZ 1955, 180, 184. Waldowski, S. 53, stellt fest, dass das Inhaltsprotokoll als Fixierung der Ergebnisse der Beweisaufnahme u. a. für „die verschiedenen Beratungen nicht immer zuverlässig genug" ist und erkennt damit die grundsätzliche Eignung des Inhaltsprotokolls zur Beratungsunterstützung an. Ferner sieht er einen Wert des Inhaltsprotokolls darin, dass es jedenfalls dann, wenn es sofort nach der Verhandlung von dem Vorsitzenden auf etwaige Fehler durchgesehen wird, in der Lage sei, die Aufzeichnungen des Richters zu ergänzen und helfen könne, etwaige Missverständnisse in den Aufzeichnungen aufzuklären. Vgl. ferner Schünemann, GA 1978, 177, 181 bezüglich eines noch während der Hauptverhandlung zu erstellenden Inhaltsprotokolls; außerdem AE-StPO-HV 1985, S. 80, der fordert, dass der Inhalt der Vernehmungen während er Hauptverhandlung für das weitere Verfahren, insbesondere für die ürte ilsberatungen, verlässlicher festgehalten werden müsse. 122 Mannheim, S. 193 widerspricht ausdrücklich der Auffassung, dass § 273 Abs. 2 ausschließlich den Bedürfnissen der Berufungsinstanz diene. Die Vorschrift sei vielmehr ein „wesentlicher Faktor für ein geordnetes Verfahren". Ähnlich Ott, 119

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

Zeugen - eine umfangreiche Beweisaufnahme stattfindet, ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel zur Unterstützung des Gedächtnisses darstelle 123 . Auf diese Weise könne der drohenden Gefährdung der Wahrheitsfindung durch Nachlassen der Erinnerung vorgebeugt werden 1 2 4 . Hingewiesen wird auch auf die Möglichkeit, mit Hilfe des Protokolls die Glaubwürdigkeit eines Zeugen kontrollieren zu können 1 2 5 . Anhand des Inhaltsprotokolls könnten nämlich Widersprüche in den Aussagen desselben oder verschiedener Auskunftspersonen zuverlässig festgestellt werden. Dies gelte insbesondere für wiederholte Tatsachen Verhandlungen, z.B. bei Fortsetzung einer gem. § 229 unterbrochenen Hauptverhandlung oder für den Fall, dass die Strafakten in Zivilprozessen herangezogen werden. Aufgrund einer derartigen beratungsunterstützenden Wirkung und der daraus resultierenden Gewähr dafür, dass das Gericht bei der Urteilsberatung sämtliche Vernehmungen berücksichtigen kann, wird teilweise die Garantiefunktion des Protokolls auch auf die Beweisaufnahme ausgedehnt 126 bzw. dem Protokoll die Funktion einer „latenten zusätzlichen Kautel gegen entstellte oder unvollständige tatsächliche Feststellungen in den Urteilsgründen" zugesprochen 127 .

S. 13, nach dem die weitergehende Protokollierung nach § 273 Abs. 2 eine größere Rechtssicherheit und Klarheit im Verfahren anstrebe. Fezer, 11 Rn. 97 und KMR-Müller, § 271 Rn. 7 sprechen dem Protokoll bei länger andauernden Verfahren, in denen die Sitzungsniederschrift nicht erst ganz zuletzt, sondern „etappenweise" (z.B. täglich) fertig gestellt werde, die Eigenschaft zu, den Überblick über die laufende Hauptverhandlung zu erleichtern; vgl. auch Hauser, SchwZStR 82 (1966), 158, 159 für das schweizerische Recht. Hierzu kann es auch in Verfahren vor den Amtsgerichten kommen, zumal diese nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG n.F. auch für Strafsachen zuständig sind, in denen eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren zu erwarten ist. 123 Ackermann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 65 nennt auch den Fall, dass es nach Aufhebung des Urteils in der Revisionsinstanz zur erneuten Tatsachenverhandlung kommt; vgl. auch Ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2275, freilich für das Wortprotokoll gem. § 273 Abs. 3. 124 Ackermann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 65; vgl. auch ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2275 freilich für das Wortprotokoll gem. § 273 Abs. 3. 125 Ackermann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 66. 126 Sailen NJW 1977, 24, 25. 127 Kleinknecht JZ 1965, 159; ähnlich Werner, DRiZ 1955, 180, 184, nach dem das Inhaltsprotokoll gem. § 273 Abs. 2 die „Gewähr dafür, dass dem Urteil das richtige Ergebnis der Verhandlung zugrunde liege, beträchtlich erhöhe"; a.A. Dahs, NJW 1965, 81, 85, der bezweifelt, dass das Inhaltsprotokoll durch seinen Zwang zur Feststellung der wesentlichen Vernehmungsergebnisse, exaktere Tatsachenfeststellungen im Urteil garantiere; vgl. auch Geier, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. Π, Sitzungsberichte, G 74.

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Demgegenüber wird gegen eine beratungsunterstützende Funktion einer Inhaltsprotokollierung nach § 273 Abs. 2 vielfach eingewandt 128 , dass sie nicht Grundlage der Entscheidung des Richters werde, da das Inhaltsprotokoll nicht vor Absetzung des Urteils fertiggestellt zu sein brauche 129 und daher bei der Beratung in der Regel auch gar nicht vorliege. Darüber hinaus gebe es viele Richter, die ihre Urteilsbegründung sofort nach der Verhandlung abfassen, ohne dass sie Einsicht in das vom Urkundsbeamten vorbereitete Protokoll genommen hätten 1 3 0 . Hingewiesen wird auch auf die inhaltliche Unzuverlässigkeit eines Inhaltsprotokolls im Sinne des § 273 Abs. 2, die daraus resultiere, dass es immer nur die mehr oder minder subjektiv gefärbte Auffassung des Vorsitzenden oder des Protokollführers enthalte 131 , die den Inhalt des zu Protokollierenden bestimmen und diesbezüglich einen Beurteilungsspielraum haben 1 3 2 . Erschwerend komme in diesem Zusammenhang hinzu, dass die Protokollführer rechtlich nicht oder kaum vorgebildet seien und auch nicht immer schnell genug schreiben können, um Aussagen oder Gutachten durchweg inhaltlich richtig und vor allem vollständig wiedergeben zu können 1 3 3 . So könne es vorkommen, dass die Protokollführer insbesondere bei Zeugenaussagen häufig Dinge weglassen, die dem Richter wesentlich erscheinen 134 , zumal man im Zeitpunkt der Vernehmung häufig noch gar nicht wissen könne, was der wesentliche Inhalt der Aussage sei 1 3 5 . Dies zeige sich häufig erst während der Urteilsberatungen 136 . Aus all diesen Gründen ist das gem. § 273 Abs. 2 angefertigte Inhaltsprotokoll für die Urteilsberatung nicht immer von Wert. Auch deswegen ist es in praxi üblich, dass die Richter während der Verhandlung - zumindest 128 Blanck in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 68, der das Protokoll als für die Entscheidung „nicht wesentlich" bezeichnet; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 37; Sieß, NJW 1982, 1625, 1627; kritisch auch M. J. Schmid, NJW 1981, 1353, 1354. 129 Vgl. § 273 Abs. 4. 130 Blanck in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 68. 131 Schon der Reichstagsabgeordnete v. Puttkammer, in: Hahn, Materialien zur StPO, Bd. II, S. 1370 bezeichnete während der Kommissionsberatungen, die Protokolle über Zeugenaussagen als „bekanntlich sehr unzuverlässiges Material44; Kühne, Rn. 970; Silberstein, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 107; vgl. auch Musielak/Stadler, Rn. 53; Salditt, S. 469, 475; E. Schneider, MDR 1965, 715, 716. 132 Hierzu schon oben 1. Kapitel B. 133 Vgl. Kühne, Rn. 970; Waldowski, S. 53; siehe auch Wißmann, 20.2. 134 Thiedemann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 70. 135 Schmidt-Leichner, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. Π, Sitzungsberichte, G 103. 136 Geier, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 74 f.; vgl. auch Musielak/Stadler, Rn. 53. 4 Rcichling

1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

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über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen und der Angaben des Angeklagten - eigene Notizen anfertigen, auf die sie gegebenenfalls in der Urteilsberatung und bei der Anfertigung des Urteils zu Erinnerungszwecken zurückgreifen können 1 3 7 . b) Eigene Ansicht Die M o t i v e 1 3 8 geben hinsichtlich des vom Gesetzgeber mit Einführung des Inhaltsprotokolls verfolgten Zweckes keine Auskunft, sondern beschränken sich - wie oben dargestellt - auf die Feststellung, dass die Protokolle über die Hauptverhandlung für das Revisionsverfahren von wesentlicher Bedeutung seien. Den Protokollen über die Kommissionsberatungen des Reichstages lässt sich lediglich entnehmen, dass das Inhaltsprotokoll dem Berufungsverfahren dienen s o l l 1 3 9 . Von einer gedächtnisunterstützenden Funktion des Inhaltsprotokolls war hingegen zu keiner Zeit die Rede. Hätte der Gesetzgeber eine gedächtnisstützende Funktion des Inhaltsprotokolls anerkannt, hätte es nahegelegen, auch und gerade für die erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten ein Inhaltsprotokoll anzuordnen 140 . Hier stehen nämlich im Hinblick auf die Strafandrohung schwerere Vorwürfe im Raum, die Beweisaufnahmen sind in der Regel umfangreicher, so dass die Verhandlungen meist länger dauern und eine gedächtnisstützende Funktion ganz besonders zum Tragen kommen würde. Dennoch ist ein Inhaltsprotokoll nur in Verfahren vor den Amtsgerichten vorgesehen. Dem nach § 273 Abs. 2 anzufertigenden Inhaltsprotokoll kommt daher zumindest von Gesetzes wegen keine gedächtnisstützende Funktion zu. Gleichwohl könnte das Inhaltsprotokoll im Sinne des § 273 Abs. 2 zumindest de facto eine erinnerungsunterstützende Wirkung besitzen, wenn das Gericht im Falle von Erinnerungslücken sowohl bei der Urteilsberatung als auch bei der später erfolgenden schriftlichen Abfassung der Urteilsgründe hierauf zurückgreift. 137

Vgl. Thiedemann, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 70; Waldowski, S. 53. 138 Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 213 f. 139 Siehe oben 1. Kapitel C. I. 140 Hiergegen ließe sich allenfalls vorbringen, dass in Verfahren vor den Landgerichten aufgrund der zahlenmäßigen (größeren) Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei Schöffen eine exaktere Beweisaufnahme und -Würdigung möglich sind und damit die Grundlage für eine sorgfältigere Urteilsfindung geschaffen ist. Dieser Umstand hat den Gesetzgeber schließlich (auch) dazu bewogen, dem Angeklagten gegen erstinstanzliche Urteile der Landgerichte eine zweite Tatsacheninstanz zu versagen, obwohl hier schwerere Straftaten mit entsprechend weitreichenderen Rechtsfolgen im Raum stehen, vgl. Roxin, § 52 Rn. 4.

C. Funktionen des Hauptverhandlungsprotokolls

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Eine solche Verwendung des Inhaltsprotokolls wäre insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Richter auf die Anfertigung eigener Notizen als mögliches Hilfsmittel für die Urteilsberatung und Urteilsabfassung beispielsweise deswegen verzichten, um sich ausschließlich auf den Ablauf der Vernehmungen konzentrieren zu können 1 4 1 . Vor allem die Laienrichter fertigen in der Regel keine eigenen Notizen zur Gedächtnisunterstützung an, sei es, dass sie sich aus mangelnder diesbezüglicher Übung nicht in der Lage dazu sehen oder dass sie sich - wie auch der Berufsrichter - unabgelenkt ein komplettes Bild von der gesamten Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmungen machen wollen 1 4 2 . Überdies verfügen die Laienrichter - im Gegensatz zu den Berufsrichtern - häufig weder über ein durch langjährige Erfahrung geschultes spezifisches Erinnerungsvermögen noch über das Vermögen, bereits während der Vernehmung gedanklich die wesentlichen Teile einer Aussage von den weniger bedeutenden Teilen zu trennen. Derartige Defizite können sich bei der im Rahmen der Urteilsberatung erfolgenden abschließenden (Gesamt-) Beweiswürdigung - insbesondere bei lang andauernden Hauptverhandlungen mit umfangreicher Beweisaufnahme - negativ auswirken. Die Schöffen müssen sich dann nämlich bei Erinnerungslücken oder Unsicherheiten in der Beratung auf eine - u.U. stark subjektiv geprägte - Zusammenfassung der Aussagen durch den Vorsitzenden verlassen. Dies kann aufgrund einer hierdurch entstehenden - wenn auch unbeabsichtigten - Beeinflussung die effektive Ausübung des durch das Gesetz garantierten gleichwertigen Stimmrechts der Schöffen 143 bei der abschließenden Entscheidung gefährden. Eine beratungsunterstützende Wirkung des Inhaltsprotokoll wäre damit in besonderem Maße in Verfahren vor dem Schöffengericht von Relevanz, würde es die Laienrichter doch in die Lage versetzen, bei Unsicherheiten möglicherweise in Ergänzung zu eigenen Mitschriften oder im Vergleich zu der Zusammenfassung des Vorsitzenden - auf das durch den grundsätzlich 141

Was den Vorteil einer nicht durch die Anfertigung von Notizen abgelenkten und konzentrierten Durchführung der Beweisaufnahme mit sich bringt, so dass dem Richter keine aus der Beobachtung der Vernehmung zu gewinnenden Erkenntnisse verschlossen bleiben; vgl. auch BGHSt 19, 193, 196; Oetker, GerS 1935 (Bd. 105), 1,16. Denn nicht nur den akustisch wahrnehmbaren Eigenarten einer Aussage (z.B. Stottern oder stockendes Reden), sondern auch der optischen Wahrnehmung der vernommenen Person lassen sich mögliche Glaubhaftigkeits- bzw. Glaubwürdigkeitsmerkmale entnehmen (z.B. Gestik und Mimik wie unsichere Blicke zum Angeklagten oder dessen Verteidiger, Erröten, ausweichende Blicke des Vernehmenden), siehe hierzu auch unten 2. Kapitel B. III. 1. c). 142 Vgl. Oetker, GerS 105 (1935), 1, 14. 143 Vgl. §§ 30, 192 ff. GVG; bea. aber die Ausnahme beim erweiterten Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 GVG), wo bei Stimmengleichheit in der Beratung die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt. 4*

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

vom Vorsitzenden Richter unabhängigen Urkundsbeamten verfasste Protokoll zurückzugreifen. Eine derartige Verwendung eines Inhaltsprotokoll im Sinne des § 273 Abs. 2 stellt sich jedoch andererseits insofern als problematisch dar, als bei einem Rückgriff der Richter auf ein solches Protokoll während der Urteilsberatung im Einzelfall ein Verstoß gegen die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und des rechtlichen Gehörs nicht ausgeschlossen werden kann: Der sich namentlich aus den §§ 261, 264 ergebende Grundsatz der Mündlichkeit besagt, dass nur der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragene und erörterte Prozessstoff dem Urteil zugrunde gelegt werden darf 1 4 4 . Im Falle eine länger andauernden Hauptverhandlung, die sich über mehrere Tage, Wochen oder noch länger erstreckt und in deren Verlauf eine große Anzahl von Zeugen vernommen wird, könnte nämlich ein Rückgriff auf das HVP während der Urteilsberatung nicht mehr der bloßen Gedächtnisunterstützung dienen. Infolge eines großen Zeitablaufs zwischen Beweisaufnahme und Urteilsberatung kann die Erinnerung der Richter an den Inhalt einer Zeugenaussage vielmehr derart verblassen, dass die Sitzungsniederschrift in Wahrheit als Gedächtnisersatz 145 zu einer selbständigen Erkenntnisquelle und damit zur Urteilsgrundlage w i r d 1 4 6 . Der Gefahr eines derart weitreichenden Erinnerungsverlustes werden vor allem die Laienrichter ausgesetzt sein, da diese - wie bereits dargestellt - nicht wie in der Regel die Berufsrichter über ein durch vielfache Übung geschultes Erinnerungsvermögen verfügen. Doch selbst erfahrene Berufsrichter unterliegen mit zunehmender Prozessdauer der Gefahr eines u.U. erheblichen Erinnerungsschwundes 1 4 7 . Zwar ist das Inhaltsprotokoll in der Hauptverhandlung entstanden und soll idealerweise lediglich eine möglichst originalgetreue Wiedergabe der dort erfolgten Vernehmungen enthalten 148 . Aufgrund der oben beschriebenen inhaltlichen Unzuverlässigkeit eines Inhaltsprotokolls im Sinne des § 273 Abs. 2 ist dies jedoch nicht immer gewährleistet. Sollte das Protokollierte nicht mit dem tatsächlichen Inhalt der Aussage übereinstimmen und 144

LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 56 f.; Lohr, S. 156; Roxin, § 44 Rn. 1. Oetker, GerS 1935 (Bd. 105), 1, 15, spricht insofern plastisch von einem „Ersatz für Abgestorbenes". 146 So auch Sailer, NJW 1977, 24, 25. 147 Vgl. Geppert, S. 162. 148 Vgl. BGHSt 19, 193, 195 für die Notizen des Berichterstatters und für auf Anordnung des Vorsitzenden aufgenommene Stenogramme (unter Hinweis auf RGSt 65, 435 f.); Geppert, S. 161. 145

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greifen die Richter in der Urteilsberatung auf ein derartiges fehlerhaftes Inhaltsprotokoll zurück, so kann das Urteil, da ein Inhaltsprotokoll im Sinne des § 273 Abs. 2 nicht in der Hauptverhandlung zu verlesen (und zu genehmigen) ist, auf einer Beweisgrundlage beruhen, die nicht mündlich verhandelt wurde 1 4 9 . Aus denselben Erwägungen kann die Heranziehung eines Inhaltsprotokoll zur Beratungsunterstützung in der Urteilsberatung auch einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz begründen. Dieser Grundsatz besagt nämlich in seiner formellen Ausprägung 150 , dass die Beweisaufnahme gerade durch das erkennende Gericht und nur in der Hauptverhandlung zu erfolgen hat und dass das ,3eweisgebäude" hier vollständig aufgebaut werden muss 1 5 1 . Greift das Gericht in der Urteilsberatung auf ein Inhaltsprotokoll im Sinne des § 273 Abs. 2 zurück, so besteht jedoch - obwohl es in der Hauptverhandlung entstanden ist - infolge der nicht auszuschließenden inhaltlichen Unrichtigkeit die Gefahr, dass es nicht das Ergebnis der dort erfolgten Beweisaufnahme wiedergibt und insoweit während der Urteilsberatung ein neues Beweismittel verwertet wird. Da überdies der Angeklagte aufgrund der nicht vorgesehenen Verlesung des gem. § 273 Abs. 2 angefertigten Inhaltsprotokolls in der Hauptverhandlung seinen Inhalt nicht kennt und daher hierzu nicht mehr in sachgerechter Weise Stellung beziehen konnte, kann man überdies in dem Rückgriff auf ein solches Protokoll in der Urteilsberatung einen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG sehen 152 . Dieses Gebot verleiht dem Angeklagten nämlich das Recht, zu dem gesamten zur Entscheidung stehenden Sachverhalt in dem Umfang, wie er aufgrund der Beweisaufnahme als Urteilsgrundlage vorliegt, Stellung zu nehmen. Benutzt das Gericht ein solches Inhaltsprotokoll in der Urteilsberatung nicht nur zur 149

Gleiches gilt für die während der Hauptverhandlung angefertigten Notizen der Richter, die meist nur flüchtigen Charakter haben und daher als Gedächtnisstützen nicht von dauerndem Wert sind. Aufgrund der Unkontrollierbarkeit ihres Inhalts ist ihre inhaltliche Richtigkeit ebenfalls nicht gewährleistet, vgl. Geppert, S. 161 einerseits und S. 162 andererseits; kritisch auch Roggemann, JR 1966, 47. Auch RGSt 65, 435, 436 erklärt hinsichtlich der Verwendung von Verhandlungsstenogrammen in der Urteilsberatung immerhin mahnend, dass es der „Erfahrung und Gewissenhaftigkeit (der Richter) anheimgestellt" sei, „dass sie davon keinen Gebrauch machen, der mit der Vorschrift des § 261 nicht verträglich ist."; vgl. auch LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 39; siehe zum Ganzen auch unten 4. Kapitel Β. II. 3. 150 In seiner materiellen Ausprägung ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht tangiert, da sich dieser mit der Frage beschäftigt, welche Beweise im Einzelnen in der Hauptverhandlung verwertet werden dürfen, vgl. Geppert, S. 136, 162 ff. 151 Geppert, S. 136. 152 So Sailer, NJW 1977, 24, 25.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

bloßen Gedächtnisauffrischung, so kann ein Beweismittel zur Urteilsgrundlage werden, das dem Angeklagten nicht zur Kenntnis gebracht wurde und zu dem er nicht Stellung beziehen konnte 1 5 3 . Es bleibt damit insgesamt festzuhalten, dass dem Inhaltsprotokoll im Sinne des § 273 Abs. 2 de lege lata eine gedächtnisstützende Wirkung zumindest dann zukommen kann 1 5 4 , wenn es bereits in der Haupt Verhandlung als sog. „Sofortprotokoll" (handschriftlich) hergestellt w i r d 1 5 5 und daher schon in der Hauptverhandlung sowie während der Urteilsberatung vorliegt. Aufgrund seiner inhaltlichen Ausgestaltung sowie der Art und Weise der Protokollierung 156 ist seine tatsächliche Eignung hierzu jedoch erheblich eingeschränkt. Von einem Inhaltsprotokoll im Sinne des geltenden § 273 Abs. 2 kann daher als Erinnerungshilfe im Rahmen der Urteilsberatung nur mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden 1 5 7 .

IV. Allgemeiner Dokumentationszweck/ Nebenzwecke des Hauptverhandlungsprotokolls? Teilweise werden dem HVP weitere Funktionen - sog. „Nebenzwecke" 158 - zuerkannt, die unter einem „allgemeinen Dokumentationszweck" 159 153

Diese Problematik tritt freilich nur dann auf, wenn die Richter sich zum einen kaum oder gar nicht mehr an die betreffende Zeugenaussage erinnern können und auf ein Inhaltsprotokoll zurückgreifen, das zum anderen unvollständig oder unrichtig ist. Eine solche Konstellation wird, was zu hoffen ist, eher selten eintreten. Von der Hand zu weisen ist diese Gefahr jedoch nicht. 154 Vgl. schon Heußinger, S. 43, der insofern von einer „subsidiären Begleiterscheinung" des HVP spricht. 155 Vgl. Hendrix/Reiss, S. 17, die freilich aus Lesbarkeitsgründen ein regelmäßig maschinell zu schreibendes Protokoll empfehlen. In Kurzschrift niedergelegte Notizen des Urkundsbeamten stellen freilich kein Protokoll dar, KK-Engelhardt, § 271 Rn. 4; LR-Gollwitzer y § 271 Rn. 1 f.; Wißmann, 29.1, der meint, dass ein Sofortprotokoll nur vor dem Landgericht und den Gerichten höherer Ordnung in Betracht komme, weil hier nicht das wesentliche Ergebnis der Vernehmungen protokolliert zu werden brauche. 156 Nur Aufnahme des von den Urkundspersonen zu beurteilenden „wesentlichen Ergebnisses" der Vernehmungen, vgl. oben 1. Kapitel B. 157 Dementsprechend wurde die geltende gesetzliche Regelung schon mehrfach kritisiert und de lege ferenda ein Inhaltsprotokoll gefordert, das den Inhalt der Vernehmungen für die Urteilsberatungen verlässlicher festhält, nämlich ein (vom Vorsitzenden diktiertes) Inhaltsprotokoll, das bereits während der Hauptverhandlung erstellt wird und nach Abschluss jeder Vernehmung verlesen sowie von der vernommenen Person zu genehmigen ist, so der AE-StPO-HV 1985, S. 27, 80 f.; vgl. auch Schünemann, GA 1978, 177, 181; siehe ausführlich zum eventuellen Reformbedarf der Vorschriften über die Protokollierung in der Hauptverhandlung unten 4. Kapitel Β. II. 158 So SKJStPO-Schliichter, § 273 Rn. 19, 18 a.E.

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zusammengefasst werden. Dieser allgemeine Dokumentationscharakter wirke sich in mehrfacher Hinsicht aus. Das HVP diene zum einen als Grundlage für die allgemeine Statistik und Geschichtsforschung und erlange zum anderen Bedeutung für die Strafrechtspflege, nämlich für das Gnadenverfahren, das Wiederaufnahmeverfahren und das Falschaussageverfahren 160 . Einen solchen „allgemeinen Dokumentationszweck" des HVP habe der Gesetzgeber dadurch anerkannt, dass er auch in eininstanzlichen Verfahren gem. § 134 GVG (a.F.) 1 6 1 nicht auf das Protokoll verzichtet habe. Denn in eininstanzlichen Verfahren könnten sich - mangels einer Rechtsmittelinstanz - die auf ein Rechtsmittelverfahren ausgerichteten Zwecke einer Sitzungsniederschrift nicht auswirken, so dass dieses überflüssig wäre und wegfallen könnte, eine Konsequenz, die der Gesetzgeber jedoch nicht gezogen habe 1 6 2 . Gegen einen derartigen Dokumentationszweck des HVP ließe sich zunächst anführen, dass das geltende Gerichtsverfassungsgesetz nach Aufhebung des § 134 GVG a.F. und Neuregelung in § 120 GVG keine eininstanzlichen Verfahren mehr vorsieht 163 . Hieraus kann jedoch (noch) nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein allgemeiner Dokumentationszweck des HVP nun nicht mehr anerkannt sei. Für die Ermittlung der seinerzeit vom Gesetzgeber dem HVP beigemessenen Funktionen muss vielmehr auf den originären Regelungszustand zum Zeitpunkt der Einführung der StPO abgestellt werden, die nahezu zeitgleich mit der des GVG erfolgte 164 . Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber ein Sitzungsprotokoll auch für die seinerzeit im GVG geregelten eininstanzlichen Verfahren vorsah, könnte man daher die Anerkennung eines allgemeinen Dokumentationszwecks durch den Gesetzgeber herleiten.

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Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 6 unter Berufung auf John, S. 487: „Grundsatz der Beurkundung der Prozesshandlungen" sowie unter Hinweis auf Art. 202 PGO: „Ein jeder Gerichtshandel ... soll fürter nach Endung des Rechten gänzlich in dem Gericht behalten ... werden, damit, wo es künftig noth thun würde, solcher Gerichtshandel daselbst zu finden war."; ebenso Ott, S. 16 und Roggemann, Tonband, S. 74 f. 160 Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 6; Ott, S. 16; Roggemann, Tonband, S. 74 f. 161 § 134 GVG a.F. regelte die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BGH für Staatsschutzdelikte, wurde jedoch durch Gesetz v. 8.9.1969, BGBl. 1969 I, S. 1582 aufgehoben. Die in § 134 GVG a.F. aufgeführten Delikte fallen nun in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte, § 120 GVG. 162 Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 5 f. 163 So A. Schröder, S. 17. 164 Das GVG trat am 27.1.1877 in Kraft.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

Andererseits lässt sich weder den Motiven 1 6 5 noch den im Rahmen der Kommissionsberatungen zum Entwurf der StPO abgegebenen Stellungnahmen etwas entnehmen, was für eine Zuerkennung eines allgemeinen Dokumentationszwecks des HVP sprechen könnte. Im Rahmen der ersten Lesung der Kommissionsberatungen wurde zwar von Wolffson beantragt, in die Protokollierungsregelung einen Zusatz aufzunehmen, wonach auch die Ergebnisse der Vernehmungen in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen seien 1 6 6 . Dem stimmte Hanauer mit der Begründung zu, dass die Aufnahme des Inhalts der Zeugenaussagen schon wegen des Wiederaufnahmeverfahrens erfolgen müsse, woraufhin der Antrag Wolffsons (zunächst) angenommen wurde 1 6 7 . I m Rahmen der zweiten Lesung wurde jedoch hiervon wieder mit der Begründung Abstand genommen, dass eine Fixierung der wesentlichen Vernehmungsergebnisse bei Verfahren überflüssig sei, bei denen es nur eine revisio in iure gebe 1 6 8 . Überdies hielt man eine Festhaltung der wesentlichen Ergebnisse für unzuverlässig. Dementsprechend verzichtete man auf die Aufnahme eines entsprechenden Zusatzes und regelte nur für die berufungsfähigen Verfahren die Protokollierung der wesentlichen Vernehmungsergebnisse (heutiger § 273 Abs. 2 ) 1 6 9 . Dem HVP der StPO wurden demnach zwar ursprünglich über das Revisions- und Berufungsverfahren hinausgehende Dokumentationsfunktionen durchaus zugedacht. Von einer entsprechenden Ausgestaltung des Protokolls nahm der Gesetzgeber jedoch letztendlich Abstand. Gegen einen allgemeinen Dokumentationszweck des HVP ist ferner anzuführen, dass dieses - jedenfalls in Gestalt des „Formalienprotokolls" gem. § 273 Abs. 1 der geltenden gesetzlichen Regelung - für etwaige Nebenzwecke keine wesentliche Bedeutung erlangt 1 7 0 . Im Hinblick auf die Geschichtsforschung ist es insoweit wertlos, als hierfür meist der Sachverhalt bzw. der Inhalt der Beweisaufnahme von Interesse sein wird; dieser ist jedoch bereits dem Urteil zu entnehmen 171 . Auch für ein Wiederaufnahme-, Falschaussage- oder Gnadenverfahren ist das Formalienprotokoll angesichts seines beschränkten Inhalts ohne Bedeutung 172 .

165 Den Motiven lässt sich - wie bereits im 1. Kapitel C. I. dargestellt wurde hierüber nichts entnehmen. 166 Töwe, ZAkDR 1936, 1028 unter Bezugnahme auf Hahn, Materialien zur StPO, Bd. I, S. 891 ff. 167 Töwe, ZAkDR 1936, 1028, 1029 unter Bezugnahme auf Hahn, Materialien zur StPO, Bd. II, S. 1369 ff. 168 v. Puttkamer, bei Hahn, Materialien zur StPO, Bd. II, S. 1369 ff.; vgl. Töwe, ZAkDR 1936, 1028, 1029. 169 Hierzu Töwe, ZAkDR 1936, 1028, 1029. 170 Dies räumt auch Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 6 f. ein. 171 Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 6 f.

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Anders verhält es sich wegen des weitergehenden Inhalts grundsätzlich bei einer Protokollierung nach § 273 Abs. 2. Bei derartigen (Inhalts-)Protokollierungen besteht zumindest die grundsätzliche Möglichkeit, dass es für die o.g. Nebenzwecke Bedeutung erlangt. So kann es bei der Verfolgung eines in der Hauptverhandlung durch einen Zeugen begangenen Aussagedeliktes von Relevanz sein, da es die betreffende Aussage zumindest in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergibt. Zwar sind im Rahmen eines diesbezüglichen Strafverfahrens in erster Linie die Bekundungen der Verfahrensbeteiligten und die Feststellungen des Urteils zur fraglichen Aussage maßgebend 173 . Dennoch kommt dem Inhaltsprotokoll insoweit zumindest eine indizielle Beweiswirkung z u 1 7 4 , was insbesondere bei nachlassender Erinnerung der Verfahrensbeteiligten an die betreffende Aussage erheblich sein kann. Eine ähnliche Wirkung kann das Inhaltsprotokoll im Rahmen eines Zivilprozesses entfalten 175 . Auch im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens kann dem Inhaltsprotokoll indizielle Beweis Wirkung zukommen 1 7 6 . So kann es Aufschluss darüber geben, ob eine in einem Wiederaufnahmeverfahren enthaltene Tatsache, die nach Behauptung des Verurteilten „neu" im Sinne des § 359 Nr. 5 ist, bereits Gegenstand der früheren Hauptverhandlung w a r 1 7 7 . Da jedoch aus den oben dargestellten Gründen die inhaltliche Richtigkeit eines gem. § 273 Abs. 2 angefertigten Protokoll nicht hinreichend gesichert ist, kann von einem Inhaltsprotokoll für diese Zwecke ebenfalls nur mit 172

Bea. jedoch § 183 GVG, der im Falle der Begehung einer Straftat in der Sitzung, die Feststellung des betreffenden Tatbestandes in der Sitzungsniederschrift verlangt; hierzu und zum Verhältnis dieser Vorschrift zu § 273 Abs. 3 unten 2. Kapitel Β. IV. 1. a). 173 Vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 84; kritisch auch Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 7 und Töwe, ZAkDR 1936, 1028, 1030, die darauf hinweisen, dass der für die Falschaussage wesentliche Teil oft in Nebenpunkten liege und das Protokoll daher über die später bedeutungsvolle Frage nichts enthalte. 174 SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 19 und 18 a.E. 175 Insbesondere bei sich an das Strafverfahren anschließenden Schadensersatzklagen. 176 Vgl. LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 38; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 19 und 18 a.E. 177 Vgl. kritisch hierzu BT-Drucks. 7/551, S. 84: Derartige Fälle seien jedoch selten, da sie unter einer doppelten Voraussetzung stünden. Zum einen müsse der Urkundsbeamte der früheren Hauptverhandlung die Beurkundung oder Verneinung gerade auch dieser Tatsache in die Niederschrift aufgenommen haben. Zum anderen dürfe das Urteil darüber nichts enthalten. Auch Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 7 selbst weist darauf hin, dass aus dem Protokoll nicht hervorgehe, ob bei einem alten Beweismittel die Tatsache neu sei, für die es jetzt verwendet werden solle.

1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

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äußerster Vorsicht Gebrauch gemacht werden 1 7 8 . Es zeigt sich also, dass ein sog. allgemeiner Dokumentationszweck (zunächst) nur beim Inhaltsprotokoll Bedeutung erlangen kann. Da der Gesetzgeber ein solches jedoch nur für die amtsgerichtlichen Verfahren vorgesehen h a t 1 7 9 , ist ein Dokumentationszweck des HVP im Allgemeinen zweifelhaft. Insgesamt ist somit festzustellen, dass das HVP - insbesondere durch die Inhaltsprotokollierung gem. § 273 Abs. 2 - Wirkungen entfalten kann, die über die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Funktion für das Rechtsmittelverfahren hinausgehen. Allein dadurch, dass derartige Auswirkungen möglich sind, werden diese jedoch nicht zu vom Gesetzgeber anerkannten Nebenzwecken des Protokolls 1 8 0 . Ein allgemeiner DokumentationszwecÄ; des HVP der StPO kann damit de lege lata nicht anerkannt werden 1 8 1 .

V. Funktionen der vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs· 3 Angesichts der festgestellten Unergiebigkeit der Motive des Gesetzgebers der RStPO können auch die einem nach § 273 Abs. 3 anzufertigenden Protokoll(teil) zukommenden Funktionen nur durch Rückgriff auf die durch das Gesetz an eine solche Protokollierung gestellten Anforderungen ermittelt werden. Die genaue Untersuchung der gesetzlich vorgesehenen inhaltlichen Ausgestaltung eines nach § 273 Abs. 3 anzufertigenden Protokolls, d.h. die Frage, welche Geschehnisse unter welchen Voraussetzungen vollständig nie178

Vgl. Mannheim, S. 192, der u.a. die mangelhafte Wiedergabe von Aussagen im HVP dafür verantwortlich macht, dass Meineidsprozesse zwar häufig eingeleitet aber selten zu Verurteilungen führen. 179 Dies wurde schon früh kritisiert; vgl. Stenglein, GerS 45 (1891), 81, 100. Zwar wurde das Inhaltsprotokoll durch das StPÄG 1964 auch für Verfahren vor Landgerichten sowie Oberlandesgerichten mit der Begründung eingeführt, dass das Protokoll „nicht zuletzt in anschließenden Verfahren verschiedenster Art von Bedeutung sein könne", womit u.a. das Wiederaufnahmeverfahren gemeint war, vgl. Bericht des Rechtsausschusses (Kanka), BT-Drucks. 4/1020, S. 5; sowie Kanka, MDR 1965, 245, 248; vgl. zum StPÄG 1964 auch Dahs, NJW 1965, 81, 85; Kleinknecht, JZ 1965, 153, 159. Durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts v. 9.12.1974 wurde jedoch der alte Rechtszustand wieder hergestellt, was damit begründet wurde, dass dem geringen praktischen Nutzen des Inhaltsprotokolls in Verfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten ein bedeutender Arbeitsaufwand gegenüberstehe, BT-Drucks. 7/551, S. 84; hierzu auch Rieß, NJW 1975, 80, 88. 180 Vgl. v. Stackelberg, S. 55; Dünnebier, Referat 41. DJT, S. 7, hingegen zieht diese Konsequenz nicht, sondern stellt lediglich kritisch fest, dass der Gesetzgeber bei den Anforderungen an den Protokollinhalt die allgemeine Beurkundungsbedeutung vernachlässige. 181 Bea. jedoch die Regelung des § 183 GVG, hierzu und zum Verhältnis dieser Vorschrift zu § 273 Abs. 3 unten 2. Kapitel Β. IV. 1. a).

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derzuschreiben sind, bleibt zwar der im 2. Kapitel zu erfolgenden Untersuchung vorbehalten. Bereits an dieser Stelle soll jedoch geklärt werden, ob angesichts der weitergehenden Anforderungen an den Inhalt eines gem. § 273 Abs. 3 anzufertigenden Protokolls (bzw. Protokollteils), d.h. der vollständigen Niederschreibung bestimmter Geschehnisse, der vollständigen Protokollierung grundsätzlich spezifische Funktionen zukommen, die über die aus § 273 Abs. 1 und 2 abzuleitenden Funktionen des HVP hinausgehen oder sich von diesen unterscheiden. Festzuhalten ist zunächst, dass sich die vom Gesetzgeber intendierte (grundsätzliche) Ausrichtung des HVP auf das Rechtsmittelverfahren auch auf einen gem. § 273 Abs. 3 angefertigten Protokollteil erstreckt. So kann eine gem. § 273 Abs. 3 S. 1 fixierte Aussage bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 325 in der Berufungsverhandlung die erneute Vernehmung von bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und Sachverständigen ersetzen. Dass § 273 Abs. 3 S. 1 eine vollständige Protokollierung in sämtlichen strafrechtlichen Hauptverhandlungen und damit auch in Verfahren mit nur einer Tatsacheninstanz normiert, legt jedoch den Schluss nahe, dass sich die der vollständigen Protokollierung vom Gesetzgeber zugedachte Funktion nicht allein auf das Berufungsverfahren beschränken kann, sondern sich auch auf das Revisionsverfahren erstrecken muss 1 8 2 . Dabei kann die vollständige Protokollierung eines Geschehnisses in der Hauptverhandlung im Rahmen eines Revisionsverfahrens in verschiedener Weise Bedeutung erlangen. So kann die vollständige Protokollierung eines Vorgangs, der einen Verfahrensfehler enthält, zum Nachweis in einem sich u.U. anschließenden Revisionsverfahren genutzt werden. Denkbar ist ferner, dass die vollständige Protokollierung von Aussagen auch die Möglichkeit einer revisionsrechtlichen Nachprüfung schaffen soll, ob dem Urteil bestimmte Aussagen überhaupt oder mit dem richtigen Inhalt zugrunde gelegt wurden. Inwieweit die vollständige Protokollierung einen derartigen Nachweis erbringen kann, ist an dieser Stelle jedoch (noch) nicht zu vertiefen, sondern bleibt dem weiteren Untersuchungsgang vorbehalten 183 . Festgestellt werden kann jedoch bereits jetzt, dass sich die grundsätzliche Ausrichtung des HVP auf das Rechtsmittelverfahren der Revision auch auf eine gem. gefertigte § 273 Abs. 3 Protokollierung erstreckt. 182

Dementsprechend kam dem § 273 Abs. 3 dieser Anwendungsbereich schon in der RStPO von 1877 zu, seine Beschränkung wurde zu keiner Zeit in Betracht gezogen. Dagegen wurde zeitweise erwogen, § 273 Abs. 2 sogar ganz abzuschaffen; siehe hierzu Töwe, ZAkDR 1936, 1028, 1031; zuletzt sah der Entwurf eines 2. Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege BR-Drucks. 633/95, S. 10 und 70 eine Streichung vor. 183 3. Kapitel Β. II.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

Zu erwägen ist weiterhin, ob der vollständigen Protokollierung über den Nachweis im Rechtsmittelverfahren hinaus weitere Zwecke zukommen können. Hierfür spricht zunächst, dass - wie bereits festgestellt - der Gesetzgeber die vollständige Protokollierung für sämtliche Verfahren vorgesehen hat und damit auch für die seinerzeit noch geregelten eininstanzlichen Verfahren 18 4 . Insoweit kann auf die oben angeführte Argumentation zurückgegriffen werden, dass sich angesichts dieses weitgehenden Anwendungsbereiches der Zweck einer Protokollierung nach § 273 Abs. 3 S. 1 nicht im Rechtsmittelverfahren erschöpfen kann. Weitergehende Funktionen einer vollständigen Protokollierung könnten sich damit sowohl auf das laufende Verfahren beziehen als auch außerhalb des laufenden Verfahrens liegen. Soweit die Protokollierung Zwecken des laufenden Verfahrens dient, ist an eine Sicherung von Geschehnissen zu denken, die für eine noch im laufenden Verfahren zu treffende prozessuale Entscheidung Bedeutung gewinnen können 1 8 5 . Zwecke des laufenden Verfahrens können jedoch auch darin zu sehen sein, Aussagen oder Vorgänge zu sichern, die für die vom Gericht vorzunehmende Beweis Würdigung Bedeutung gewinnen können 1 8 6 . Insoweit kann die vollständige Protokollierung dazu dienen, eine Grundlage für die vom Richter zu treffenden Entscheidungen zu schaffen, so dass ihr damit auch eine erinnerungs- bzw. beratungsunterstützende Funktion 1 8 7 zukommt. Die Einwände und Bedenken, die gegen die Eignung eines Inhaltsprotokollierung gem. § 273 Abs. 2 für derartige Zwecke geltend gemacht werd e n 1 8 8 , bestehen bei einer vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 nicht. Zum einen wird die betreffende Erklärung oder der fragliche Vorgang vollständig protokolliert und ist somit nicht der Gefahr einer inhaltlich subjektiven Verfälschung durch die Urkundsperson(en) ausgesetzt 189 . Zwar hat 184

Vgl. hierzu oben 1. Kapitel C. IV. Z.B. zur Vorbereitung eines Ablehnungsgesuches, hierzu ausführlich unten 2. Kapitel Β. ΠΙ. 3. 186 Vgl. LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 41; SYJStVO-Schlüchter, § 273 Rn. 23. 187 So ausdrücklich Koffka, in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 98 f., die einem (generellen) Wortprotokoll überdies die Aufgabe zuspricht, den Angeklagten davon zu überzeugen, dass das Urteil auf rechtmäßige Art und Weise zustande gekommen sei; Ulsenheimer, NJW 1980, 2273, 2277; vgl. aber auch LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 41; außerdem können hier „a maiore ad minus" die Autoren angeführt werden, die dem Inhaltsprotokoll eine erinnerungsstützende Funktion einräumen. 188 Siehe oben 1. Kapitel C. ΠΙ. 2. 189 Kritisch Sieß, NJW 1982, 1625, 1627, mit dem Hinweis darauf, dass „keine 5 % aller Zeugen sich einigermaßen protokollreif ausdrücken" könnten, so dass dem 185

.

ntine

des Hauptverhandlungsprotokolls

61

der Vorsitzende die vollständige Protokollierung anzuordnen und die genaue Formulierung zu bestimmen, jedoch ist die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit des zu protokollierenden Geschehnisses durch das strenge Protokollierungsverfahren, d.h. die notwendige Verlesung und Einholung der Genehmigung der Prozessbeteiligten gem. § 273 Abs. 3 S. 3, gesichert 190 . Aufgrund dessen ist eine Verwendung auch mit den Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren 1 9 1 . Der beratungsunterstützenden Funktion kann zum anderen auch nicht entgegengehalten werden, dass das Protokoll zur Urteilsberatung in der Regel noch gar nicht vorliege 1 9 2 . Im Gegensatz zum Inhaltsprotokoll steht die vollständige Niederschrift des betreffenden Ereignisses aufgrund des Protokollierungsverfahrens des § 273 Abs. 3 S. 3 zwingend bereits während der Hauptverhandlung (und damit auch in der Urteilsberatung) zur Verfügung. Die Richter sind somit in der Lage, zur Behebung von Erinnerungslücken und Klärung von Missverständnissen hierauf ggf. bereits während der Hauptverhandlung zurückzugreifen. Für eine beratungs- und erinnerungsstützende Funktion des Wortprotokolls kann überdies angeführt werden, dass es sinnwidrig wäre, wenn die vollständige Protokollierung nur dem Zweck dienen sollte, dem Revisionsgericht eine Möglichkeit zur Nachprüfung von Verfahrensfehlern durch das Tatgericht einzuräumen, aber letzterem die Möglichkeit versagt würde, bei Erinnerungslücken oder Missverständnissen auf das Sitzungsprotokoll zurückzugreifen, um hierdurch Verfahrensfehlern und darauf beruhenden Urteilen vorzubeugen. Insoweit lässt sich der vollständigen Protokollierung auch die Funktion zusprechen, ein fehlerfreies Verfahren und damit ein gerechtes Urteil zu gewährleisten 193 . Vorsitzenden „nichts anderes übrig" bleibe als (selbst) zu formulieren. Auch diese Formulierungen seien zwangsläufig eine Wertung des gesamten Zeugenverhaltens. 190 Dementsprechend erkennt auch der BGHSt 38, 14, 17 = JZ 1992, 106, 107 den „hohen Beweiswert" des nach § 273 Abs. 3 erstellten Protokolls/Protokollteils an; ülsenheimer; NJW 1980, 2273, 2277 weist darauf hin, dass bei wörtlicher Fixierung beispielsweise einer bestimmten Zeugenaussage ein „Optimum an Genauigkeit" erreicht werde; siehe hierzu 3. Kapitel Β. II. 2. b) bb) (2) (a). 191 Zu den diesbezüglichen Bedenken im Falle der Verwendung eines Inhaltsprotokolls gem. § 273 Abs. 2 siehe oben 1. Kapitel C. III. 2. b). 192 Siehe oben 1. Kapitel C. III. 2. a). 193 ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2278 spricht insofern von einer „Garantiefunktion" des § 273 Abs. 3 S. 1, der insofern auch der Gewährleistung eines „fair trial" diene; vgl. auch Geier in: Verhandlungen des 41. DJT, Bd. II, Sitzungsberichte, G 74, der vermutet, dass das Anliegen der Aufnahme des Inhalts von Aussagen in das HVP auf die Angst zurückzuführen sei, der Tatrichter könne entweder einem Irrtum unterliegen oder die Tatsachen zurechtbiegen, um das Urteil revisionssicher zu machen.

62

1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

§ 273 Abs. 3 normiert zwar keine Pflicht der Richter, sich zur Klärung von Missverständnissen des vollständig Protokollierten zu bedienen, da davon auszugehen ist, dass das Gericht grundsätzlich auch ohne eine wörtliche Protokollierung zu einer hinreichenden Klärung gelangen kann und soll (Grundsatz der freien Be weis Würdigung, § 261) 1 9 4 . Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das wörtliche Protokoll die Möglichkeit eröffnen kann und soll, ggf. eine wörtliche Protokollierung unterstützend heranziehen zu können 1 9 5 . Diese sich aus der Art und Weise der Protokollierung ergebenden Vorteile entfalten sich auch, soweit das HVP für außerhalb des Verfahrens liegenden (Neben-) Zwecke verwendet w i r d 1 9 6 . Bevor nun im 2. Kapitel dieser Arbeit die Voraussetzungen für die Anordnung einer vollständigen Protokollierung im Einzelnen untersucht werden, soll zunächst noch darauf eingegangen werden, ob sich die der Vorschrift des § 273 Abs. 3 von Gesetzes wegen zukommende besondere Bedeutung auch in der Handhabung durch die Rechtspraxis widerspiegelt.

D. Die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der Praxis Wie bereits in den vorstehenden Erörterungen angeschnitten wurde, bietet die Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 aufgrund ihrer in der Art und Weise der Protokollierung liegenden Spezifika eine Reihe von Vorteilen, die sich insbesondere der Angeklagte bzw. sein Verteidiger mittels des in § 273 Abs. 3 S. 1 eingeräumten Rechtes auf Beantragung einer solchen Protokollierung zu Nutze machen können. So eröffnet ihnen das Antragsrecht die einzige Möglichkeit, den Inhalt des Protokolls - wenn nicht - mitzubestimmen 197 , so doch zumindest hierauf Einfluss zu nehmen 1 9 8 . Von Bedeutung ist dies vor allem hinsichtlich der Protokollierung von Aussagen, die einen den Angeklagten entlastenden 194

Siehe hierzu 3. Kapitel Β. I. 1. a) cc). Dem Gericht muss zumindest die Möglichkeit eröffnet sein, eine Aussage, auf deren Wortlaut es ankommt, für die Urteilsberatung zu fixieren, um das Urteil insoweit auf eine sichere Grundlage zu stellen. 196 Vgl. Mannheim, S. 192, der feststellt, dass sich bei Verdacht einer Falschaussage in der Hauptverhandlung der Inhalt der verdächtigen Aussage nachträglich nur dann klären lasse, wenn der Vorsitzende diese sofort gem. § 273 Abs. 3 wörtlich protokollieren lässt. 197 So KMR-Müller, § 273 Rn. 18. 198 Egon Müller, S. 76 räumt dem § 273 Abs. 3 insoweit ein „wesentliches Potential" ein. Zur Frage, ob dem Antragsrecht ein Anspruch auf Protokollierung korrespondiert siehe unten 2. Kapitel D. 195

63

D. Die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der Praxis

Inhalt haben. Über die Beantragung einer wörtlichen Fixierung kann der Verteidiger im Hinblick auf die gedächtnisstützende Wirkung des Wortprotokolls zum einen dafür Sorge tragen, dass das Tatgericht der betreffenden Aussage in der Urteilsberatung Aufmerksamkeit schenkt und von ihrem richtigen Inhalt ausgeht. Eine Akzentuierung einer solchen Aussage resultiert überdies nicht erst aus ihrer Protokollierung, sondern ist bereits Folge des besonderen Verfahrens einer vollständigen Protokollierung (Diktat und Verlesung, § 273 Abs. 3 S. 2), wodurch die betreffende Aussage besser im Gedächtnis des bzw. der Richter(s) haften bleibt 1 9 9 . Als wesentlicher Vorteil einer solchen Festschreibung von Beweisergebnissen für die Verteidigung wird jedoch nicht die mögliche Auswirkung in der Tatsacheninstanz gesehen, sondern für den Fall einer ungenügenden oder fehlerhaften Würdigung durch das Tatgericht die Möglichkeit, die im Urteil getroffenen fehlerhaften Feststellungen mit einer u.U. auf das Wortprotokoll stützbaren Revision anzugreifen 200 . Im Hinblick darauf wird der Protokollierungsantrag gem. § 273 Abs. 3 S. 1 mitunter als „unmittelbarstes Instrument der Verteidigung", „Vorgänge in der Haupt Verhandlung festzuΛΑΙ

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schreiben" und als „einzige echte Festschreibungsmöglichkeit" bezeichnet. Doch auch Vorgänge und Äußerungen, die einen Verfahrensfehler beinhalten, können auf diese Weise hervorgehoben werden. Trotz dieser vielfältigen und gewichtigen Möglichkeiten, die eine vollständige Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 für die Strafverteidigung mit sich bringt, wurden hinsichtlich der tatsächlichen Relevanz der vollständigen Niederschreibung in der anwaltlichen Praxis bislang unterschiedliche Beobachtungen gemacht und Einschätzungen getroffen. Zum einen kam Barton 2 0 3 im Rahmen einer empirischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Strafverteidiger selten vom Antragsrecht des § 273 Abs. 3 Gebrauch machen. Die betreffende Untersuchung ergab, dass lediglich in 3,5% von 221 untersuchten Verteidigungsfällen die jeweiligen Strafverteidiger Verteidigungsaktivitäten entfalteten, die auf die Herbeiführung 199 Vgl. ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2277, der außerdem die Möglichkeit sieht, „bei Fragen, Anträgen oder Stellungnahmen auf die wörtlich protokollierte Aussage hinzuweisen oder im Plädoyer ihre nochmalige Verlesung zu Erinnerungszwecken zu beantragen". Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Gesetz eine nochmalige Verlesung nicht vorsieht und überdies bereits die Wiederholung einer schon beantworteten Frage unzulässig ist, M. J. Schmid , NJW 1981, 1353, 1354 und Sieft, NJW 1982, 1625, 1627. 200 Hierzu ausführlich unten 3. Kapitel B. II. 201 Strafverteidigung-Gatzweiler/Mehle, Rn. 405; Kempf, S. 66; Malek, Rn. 438. 202 Römer-Hahn, S. 28. 203 StV 1984, 394, 396 in seiner Untersuchung der „Strafverteidigungs-Aktivitäten im Justizalltag".

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

eines Gerichtsbeschlusses nach § 273 Abs. 3 2 0 4 zielten, wozu nicht nur Anträge gem. § 273 Abs. 3 gerechnet wurden, sondern darüber hinaus auch solche nach § 238 Abs. 2 2 0 5 . Hieraus folgert Barton, dass § 273 Abs. 3 insgesamt ein „Schattendasein am Rande des Strafprozesses friste" 2 0 6 . Zu derselben Einschätzung kam Vogtherr 207 im Rahmen der von ihm im Jahre 1990 durchgeführten empirischen Untersuchung zur „Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung". In keinem der von Vogtherr untersuchten 136 erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht stellte ein Angeklagter in der Hauptverhandlung selbst einen Antrag auf Protokollierung von Aussagen. Dies verwundert zunächst nicht sonderlich, da wohl kaum einem Angeklagten, bei denen es sich in aller Regel um juristische Laien handelt, das entsprechende Antragsrecht bekannt sein wird. Doch auch in nur drei Fällen stellte der Strafverteidiger und in einem Fall die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag. Folgerichtig stellt Vogtherr fest, dass entsprechende Anträge sich als „Ausnahmeerscheinungen" erweisen. Im Rahmen einer im Jahre 1998 veröffentlichten Untersuchung zur Ermittlung der Ursachen langer Hauptverhandlungen haben Nehm und Senge 208 die Aktivitäten der Verteidigung in drei ausgewählten Großverfahr e n 2 0 9 analysiert und festgestellt, dass zumindest in zwei dieser Verfahr e n 2 1 0 die Verteidigung von Protokollierungsanträgen nach § 273 Abs. 3 S. 1 in (wesentlich) größerem Umfang Gebrauch machte als dies in den von Barton und Vogtherr herangezogenen Verfahren der Fall war. Im Rahmen des einen Verfahrens stellte die Verteidigung insgesamt 2305 Anträge 2 1 1 , wovon 480 (ca. 21%) solche nach § 273 Abs. 3 und § 183 GVG waren 2 1 2 . 204

Es wurde keine Differenzierung der Anträge nach solchen gem. § 273 Abs. 3 S. 1 und S. 2 getroffen. 205 Somit dürfte der Anteil der Anträge gem. § 273 Abs. 3 weit unter 3,5% gelegen haben, da die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 238 Abs. 2 bei Strafverteidigern in der Regel einen höheren Bekanntheitsgrad besitzt und dementsprechend häufiger genutzt wird. Hinzu kommt, dass sich Anträge nach § 238 Abs. 2 gegen eine Vielzahl von Anordnungen des Vorsitzenden richten, während § 273 Abs. 3 demgegenüber bei wenigen Sachverhalten einschlägig ist 206 Barton, StV 1984, 394, 396; auch Ulsenheimer, NJW 1980, 2273 spricht von einem „Schattendasein" der Vorschrift; zustimmend Egon Müller, S. 76. 207 Vogtherr, S. 357. 208 NStZ 1998, 377 ff. 209 Es handelte sich um Hauptverfahren landgerichlicher Zuständigkeit, die zwischen 1989 und 1996 stattfanden. 210 In dem dritten der untersuchten Verfahren wurde offenbar kein Protokollierungsantrag gestellt. 211 Die Hauptverhandlung erstreckte sich über mindestens 158 Verhandlungstage und dauerte insgesamt 2 Jahre, 4 Monate und 23 Tage, vgl. Nehm/Senge, NStZ 1998, 377, 379.

D. Die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der P r a x i s 6 5 In dem anderen Verfahren stellten Anträge nach § 273 Abs. 3 (und § 183 GVG) ca. 9% der entfalteten Verteidigungsaktivitäten dar 2 1 3 . Diese Untersuchung kann allerdings kaum als repräsentativ angesehen werden, was sich bereits aus der geringen Anzahl der herangezogenen Verfahren, sowie aus dem Umstand ergibt, dass ausschließlich Großverfahren Untersuchungsgegenstand waren. Hinzu kommt, dass die Autoren - worauf diese selbst ausdrücklich hinweisen - von den ihnen vorliegenden 62 Großverfahren nur diejenigen drei ausgewertet haben, die sie für „besonders aussagekräftig" hielten 2 1 4 . In Anbetracht der Zielsetzung der Untersuchung, nämlich der Ermittlung der Ursachen langer Hauptverhandlungen (durch Verteidigungsaktivitäten), liegt die Annahme nahe, dass die Verfasser in ihre Untersuchung nur solche Verfahren einbezogen haben, in denen die Verteidiger von denen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten besonders regen Gebrauch gemacht haben. Zuletzt haben Dölling und Feltes im Rahmen ihrer Untersuchung der Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten die Häufigkeit von Anträgen nach § 273 Abs. 3 in (landgerichtlichen) Strafverfahren analysiert. In den von Dölling und Feltes untersuchten 885 Strafverfahren, die von ausgewählten Landgerichten 215 im Jahre 1994 in erster Instanz erledigt wurden, stellte die Verteidigung nur in 2,4% der Verfahren ein und mehr Anträge nach § 273 Abs. 3 2 1 6 . In 97,6% der Verfahren wurde seitens der Verteidigung hingegen kein einziger Antrag nach § 273 Abs. 3 gestellt 2 1 7 . Nur in ca. 1% der Verfahren stellte die Anklage entsprechende Anträge 2 1 8 . Auch Dölling und Feltes ziehen aus den Ergebnissen ihrer Analyse den folgerichtigen Schluss, dass Anträge nach § 273 Abs. 3 „selten" seien 2 1 9 . Als mögliche Ursache für die seltene Nutzung des Antragsrechts wird zum einen ein relativ geringer Bekanntheitsgrad dieser prozessualen Möglichkeit bei den Strafverteidigern vermutet 220 . Im Übrigen werden hierfür 2,2

Nehm/Senge, NStZ 1998, 377, 379: am häufigsten wurde vom Beanstandungsrecht des § 238 Abs. 2 Gebrauch gemacht (719 mal = ca. 31% der Verteidigungsaktivitäten). 213 Nehm/Senge, NStZ 1998, 377, 379: 40 von insgesamt 441 Anträgen. In diesem Verfahren dauerte die Hauptverhandlung 2 Jahre, 5 Monate und 12 Tage; es wurde an 180 Tagen verhandelt. Hier stellte die Verteidigung am häufigsten Beweis- oder Beweisermittlungsanträge (153 Anträge = ca. 35% der Verteidigungsaktivitäten). 214 Nehm/Senge, NStZ 1998, 377 f. 215 LG Dortmund, LG Frankfurt, LG Karlsruhe und LG München. 216 Den höchsten Wert erreichte hier das LG Dortmund mit 4,1 %, den niedrigsten Wert das LG München mit 1,2%, Dölling/Feltes, S. 157. 2,7 Dölling/Feltes, S. 157. 218 Dölling/Feltes, S. 171. 2,9 Dölling/Feltes, S. 156, 170. 5 Rcichling

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

eine insgesamt restriktive Rechtsprechungspraxis sowie andere bestehende Möglichkeiten zur Festschreibung des für die Urteilsfeststellungen in Betracht kommenden Sachverhalts 221 verantwortlich gemacht 222 . Andererseits gibt es Stimmen 2 2 3 , die Anträge nach § 273 Abs. 3 aus Strafverteidigersicht als „sehr beliebt" bezeichnen, jedoch gleichzeitig auf die „verfahrensrechtliche Problematik" des Antrags hinweisen, womit wohl eine restriktive Rechtsprechungspraxis und sonstige potentielle Problembereiche einer wörtlichen Protokollierung gemeint sind 2 2 4 . Überdies wird die Bedeutung der Vorschrift betont und gefordert, dass dieser Bestimmung die ihr gebührende Aufmerksamkeit und Funktion zukommen solle 2 2 5 . Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, dass der Vorschrift des § 273 Abs. 3 trotz ihres Potentials in der Rechtspraxis - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der jüngeren Entscheidungen des BGH zu § 273 Abs. 3 aus dem Jahre 1991 - eine eher geringe Bedeutung zukam. Andererseits wird teilweise angenommen, dass die Vorschrift infolge dieser neueren Rechtsprechung des BGH eine Aufwertung erfahren habe und mit einem regeren Gebrauchmachen von den in ihr liegenden prozessualen Möglichkeiten zu rechnen sein könnte 2 2 6 . Allerdings muss angesichts der Ergebnisse der Untersuchung von Dölling und Feltes wohl konstatiert werden, dass sich diese Einschätzung zumindest innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre nach Ergehen der vorgenannten Entscheidungen des BGH nicht realisiert hat und sich - bis dahin - am „Schattendasein des § 273 Abs. 3 am Rande des Strafprozesses" 227 nichts geändert hat. 220

Ülsenheimer, NJW 1980, 2273, den die relativ geringe Bedeutung der Vorschrift im Justizalltag überrascht; vgl. auch Kohlhaas, NJW 1974, 23, 24. 221 Zu nennen wären hier: schriftlich zu Protokoll gereichte Erklärungen (§ 257), Ausübung des Fragerechtes (§ 240), vorheriger Antrag auf kommissarische Vernehmung (vgl. §§ 223, 224), Antrag auf Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle (vgl. § 250 S. 2), Antrag auf Verlesung und Protokollierung (§§ 253, 255), Antrag auf Vernehmung früherer Verhörspersonen, Stellen sog. „affirmativer" Beweisanträge; zum Ganzen: HK-Julius, § 273 Rn. 15 und § 244 Rn. 62, der diese Möglichkeiten als „apokryphe" Mittel der „Sachverhaltsfestschreibung" bezeichnet; zur revisionsrechtlichen Bedeutung: HK -Julius, § 267 Rn. 36 f., § 244 Rn. 76; sowie vor allem Kempf, S. 63, 66 ff.; vgl. auch Malek, Rn. 438 ff. 222 HK-Julius, § 273 Rn. 3; Ülsenheimer, NJW 1980, 2273; vgl. auch Dahs, Handbuch Rn. 542. 223 Beck'sches Formularbuch(4. Aufl.)-Danckert/I gnor S. 365 f. 224 Beck'sches Formularbuch(4. Aufl .)-Danckert/Ignor, S. 365 f. mit dem Hinweis auf die , Antragstellung, die Reaktion des Gerichts und die revisionsrechtlichen Konsequenzen". 225 Egon Müller, S. 80; ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2278.; vgl. auch Kempf, S. 65 f.; zurückhaltender: Dahs, Handbuch, Rn. 542; Schlothauer, StV 1992, 134, 141. 226 Fezer, JZ 1992, 107. 227 Vgl. Barton, StV 1984, 394, 396; ülsenheimer, NJW 1980, 2273.

D. Die Bedeutung der vollständigen Protokollierung in der Praxis

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Als auffällig ist überdies festzustellen, dass die im Schrifttum zu findenden Äußerungen von Strafverteidigern 228 eher das Potential des § 273 Abs. 3 hervorheben und dementsprechend eine großzügigere Auslegung und Handhabung der Vorschrift befürworten. Demgegenüber treten Richter, die sich in der Literatur äußern, einer häufigen Anwendung von § 273 Abs. 3 überwiegend entgegen, indem sie negative Auswirkungen einer zu großzügigen Auslegung der Vorschrift anführen 2 2 9 . So empfiehlt beispielsweise Pohl 2 3 0 , dem Antrag eines Prozessbeteiligten, den Wortlaut einer Aussage oder Äußerung (vollständig) niederzuschreiben, nicht ohne Weiteres nachzukommen, da dies zu „Protokollierungsorgien" führen könne 2 3 1 . Ferner behauptet er, dass „ein spontaner Antrag, etwas zu protokollieren, häufig nur scheinbar und zwar deshalb gestellt werde, um einen Zeugen zu beunruhigen oder unsicher zu machen" 2 3 2 . Schäfer 233 weist darauf hin, dass eine Protokollierung nach § 273 Abs. 3 kaum je erforderlich sei und von einem Beteiligten durchgesetzt werden könne, da „das Gericht selbst am besten wisse, was es für sein Urteil an Unterlagen brauche". Sieß 2 3 4 befürchtet gar eine Gefahr für die Unabhängigkeit des Richters. Das Gericht bedürfe bei der Feststellung und Würdigung des Beweisergebnisses keines Beweismittlers, weder in Gestalt des Staatsanwaltes, der die Ausführung eines Sachverständigen wiederholen soll, noch in Form eines Protokolls. Sieß weist ferner auch auf praktische Probleme bei einer wörtlichen Protokollierung h i n 2 3 5 . So sei kaum ein Zeuge befähigt, sich „protokollreif' auszudrücken 236 .

228 Vor allen Ulsenheimer, NJW 1980, 2273 ff.; aber auch Strafverteidigung-Gö/zweiler/Mehle, Rn. 404; Krekeler, AnwBl. 1984, 417; Egon Müller, S. 75 ff.; Richter II, StV 1984, 454, 455; vgl. auch Dahs, Handbuch, Rn. 542; siehe jüngst auch Meyer-Mews, NJW 2002, 103 ff. 229 Zuletzt Uetermeier, NJW 2002, 2298 ff. gegen Meyer-Mews, NJW 2002, 103 ff. 230 Rn. 170. 231 Vgl. auch Dahs, Handbuch, Rn. 542; ders., FS Odersky, S. 321 ff., wonach ständige Anträge nach § 273 Abs. 3 im Jargon als „Chaosverteidigung" oder „Prozessrabatz" bezeichnet werden. 232 Pohl, Rn. 170; vgl. auch BR-Drucks. 633/95, S. 70 f., wonach der Gang der Verhandlung und insbesondere die Erinnerungsfähigkeit eines gerade aussagenden Zeugen oder Sachverständigen durch wiederholte Protokollierungsanträge empfindlich gestört werde. 233 Schäfer, Rn. 1434; vgl. HK-Julius, § 273 Rn. 3. 234 Sieß, NJW 1982, 1625, 1627. 235 So jüngst auch Uetermeier, NJW 2002, 2298, 2299, der ausführt, dass Zeugenaussagen nicht vollständig protokolliert werden können, da hierzu auch das Verhalten des Zeugen während der Vernehmung gehöre, das allenfalls beschrieben werden könne. 236 Sieß, NJW 1982, 1625, 1627.

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1. Kap.: Stellung und Bedeutung des § 273 Abs. 3 StPO

Diese deutliche Diskrepanz zwischen den Äußerungen von Strafverteidigern und denjenigen von Richtern lässt vermuten, dass die jeweiligen Ansichten durch die den Strafverteidigern bzw. Richtern im Strafprozess zugewiesenen unterschiedlichen Funktionen und ihrem hieraus resultierenden Verständnis von der eigenen Rolle im Strafprozess (zumindest) beeinflusst sind 2 3 7 . So sieht sich der Verteidiger als einseitig zugunsten des Beschuldigten agierenden Beistand, dessen Hauptziel es ist, eine für den Beschuldigten günstige gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Diesem Anliegen entspricht es, bei Auslegung und Anwendung von Gesetzen eine den Interessen des Beschuldigten günstige Interpretation zu vertreten. Wie aus den oben angeführten Stellungnahmen von Richtern geschlossen werden kann, neigen diese demgegenüber mitunter dazu, die von Verteidigern entfalteten Aktivitäten als Widerstände bei der Rechts- und Wahrheitsfindung aufzufassen, welche sie offenbar als bei sich am sichersten gewährleistet sehen 238 . Auch scheint, wie vor allem die Äußerungen von Schäfer und Sieß andeuten, die Zurückhaltung der Tatrichter gegenüber einer positiven Bescheidung von Protokollierungsanträgen dadurch begründet zu sein, dass sie sich hierdurch in ihrer richterlichen Unabhängigkeit und in ihrer Beweiswürdigungfreiheit gefährdet sehen 239 . Diesen von ihnen befürchteten Gefahren treten sie mit einer die Verteidigungsaktivitäten einengenden Gesetzesauslegung entgegen. Die vorliegende Arbeit versucht daher im folgenden Kapitel - zwar von derartigen Rollenverständnissen losgelöst - jedoch unter Würdigung der seitens der einzelnen Autoren vorgebrachten Argumente die Voraussetzungen der Vorschrift des § 273 Abs. 3 S. 1 inhaltlich auszufüllen.

237

Vgl. Kempf S. 65; Peters, Strafverteidigung, S. 15 ff. Peters, Strafverteidigung, S. 18. Als symptomatisch für diesen Befund kann die Reaktion von Uetermeier, NJW 2002, 2298 ff. auf den Beitrag von MeyerMews, NJW 2002, 103 ff. bezeichnet werden. So vermutet Uetermeier, NJW 2002, 2298, 2298 f., dass die - so Uetermeier, a. a. O. - „aus Sicht des Strafverteidigers" verfassten Ausführungen von Meyer-Mews, NJW 2002, 103 ff., mit denen dieser bei bestimmten Fallgestaltungen eine vollständige Protokollierung der Beweisaufnahme fordert, „von einem tiefen Misstrauen gegen die richterliche Tätigkeit ... geprägt" seien. Die Befürchtung von Meyer-Mews, NJW 2002, 103, 104, das Ergebnis der Beweisaufnahme könne nachträglich zur Disposition gestellt werden und zur Begründung des gewünschten Ergebnisses „passend" gemacht werden, hält Uetermeier, NJW 2002, 2298, 2299 für fern liegend. 239 Kempf, S. 65. 238

2. Kapitel

Die Voraussetzungen für die Anordnung einer vollständigen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 sieht keine vollständige Protokollierung jedweder Geschehnisse vor, sondern stellt für die Anordnung einer vollständigen Protokollierung bestimmte Voraussetzungen auf, die im folgenden Teil der Arbeit inhaltlich ausgefüllt werden sollen. Hierbei gilt es in Teil A. zunächst die möglichen Gegenstände einer vollständigen Protokollierung, d.h. „Vorgänge in der Hauptverhandlung" sowie „Aussagen" und „Äußerungen", zu bestimmen. Anschließend sollen in Teil B. der zentralen Voraussetzung des § 273 Abs. 3 S. 1, nämlich der Gesetzesformulierung, dass es auf die Feststellung der betreffenden Protokollierungsgegenstände „ankommen" muss, inhaltliche Konturen verliehen werden. § 273 Abs. 1 S. 1 sieht nicht nur eine vollständige Protokollierung von Amts wegen vor, sondern spricht auch den sog. „Verhandlungsbeteiligten" ein Recht auf Beantragung einer vollständigen Protokollierung zu; dieser Personenkreis ist in Teil C. dieses Kapitels zu bestimmen. Teil D. geht schließlich der Frage nach, ob dem Antragsrecht der Verhandlungsbeteiligten auch ein Anspruch auf vollständige Protokollierung korrespondiert.

A. Die Gegenstände der vollständigen Protokollierung I. Vorgänge in der Hauptverhandlung 1. Der Begriff der Vorgänge Als mögliche Gegenstände einer vollständigen Niederschreibung nennt § 273 Abs. 3 S. 1 zunächst „Vorgänge in der Hauptverhandlung". Der Begriff der „Vorgänge" fand sich erstmals in § 259 Abs. 2 der Badischen StPO von 1864, wonach es „dem Staatsanwalt, sowie dem Angeklagten und dem Vertheidiger" frei stand, „die Feststellung einzelner Vorgänge im Protokolle ... zu verlangen" sowie später in § 258 Abs. 2 der Preußischen StPO von 1867. Danach waren für den Fall, dass „in der Hauptverhandlung die Beobachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten in mangelhafter oder ungenügender Weise" erfolgte, „dieselben berechtigt", „die Feststellung des näheren

2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

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Vorgangs und dessen Aufnahme in das Protokoll zu verlangen". In anderen deutschen partikulären Strafverfahrensgesetzen war hingegen von „Maßregeln" 1 oder „Verfügungen" 2 die Rede, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten zu protokollieren waren, womit - unter Zugrundelegung des Wortsinnes - offenbar Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts bzw. des Vorsitzenden gemeint waren. Wie aus dem Regelungsgehalt des § 258 Abs. 2 der Preußischen StPO von 1867 abzuleiten ist, waren unter „Vorgängen" im Sinne dieser Vorschrift Geschehnisse zu verstehen, in denen eine Missachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten liegen konnte. Eine derartige thematische Eingrenzung hat der Gesetzgeber der RStPO in § 273 Abs. 3 nicht vorgenommen, so dass mit Verwendung dieses weit gefassten unbestimmten Rechtsbegriffes die (vollständige) Protokollierung nicht auf prozessuale Akte wie Prozesshandlungen oder Förmlichkeiten im Sinne des Abs. 1 beschränkt ist. Vielmehr kann unter dem Begriff des Vorgangs gem. § 273 Abs. 3 S. 1 generell jedes tatsächliche Geschehen im Sinne eines äußerlich wahrnehmbaren Ereignisses verstanden werden. Der weiten Fassung dieses Rechtsbegriffes entsprechend, sind vielfältige „Ereignisse" denkbar, deren vollständige Protokollierung in Betracht zu ziehen ist. Zum tatsächlichen Geschehen im Sinne eines Vorgangs ist vor allem das Verhalten der in der Hauptverhandlung anwesenden Personen zu rechnen. So kann beispielsweise das Verhalten eines Zeugen oder Sachverständigen während seiner Aussage, aus dem Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage gezogen werden können, protokolliert werden, z.B. ihre Mimik, Gestik, Lachen, Erröten, Erbleichen, Stottern oder ein Ohnmachtsanfall. Auch das Verhalten eines Prozessbeteiligten kann als Vorgang schriftlich fixiert werden. So kommen ungebührliches Verhalten oder die Begehung einer strafbaren Handlung in der Hauptverhandlung als gem. § 273 Abs. 3 festzuhaltende Vorgänge in Betracht 3 . Als Vorgang protokollierbar ist auch das Verhalten des Angeklagten, das Zweifel an dessen Verhandlungsfähigkeit hervorruft, sowie Versuche des Angeklagten, mit dem Zeugen in Verbindung zu treten 4 . Vollständig protokollierbar ist auch das Verhalten eines Richters in der Hauptverhandlung, z.B. der Umstand, dass 1

Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 200 § 1; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 1865, Art. 224 Abs. 1; auch Hannover, StPO v. 1859, § 141 Abs. 6; Hessen, Entwurf StPO 1860, Art. 224 Abs. 1; Württemberg, Entwurf StPO 1867, Art. 229 Abs. 1. 2 Württemberg, StPO v. 1868, Art. 230 Abs. 1. 3 Diese „Vorgänge" sind jedoch bereits gem. § 178 GVG bzw. § 182 GVG zu protokollieren. Zum Verhältnis dieser Vorschriften zu § 273 Abs. 3 siehe unten 2. Kapitel Β. ΙΠ. 5.

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dieser schläft 5 oder über einen erheblichen 6 Zeitraum während der Hauptverhandlung unaufmerksam ist, etwa infolge von Übermüdung 7 oder Ablenkung durch Aktenstudium oder Durchsicht sonstiger Unterlagen 8. Die schriftliche Fixierung derartiger Vorkommnisse ist deswegen von besonderer Bedeutung, da diese einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 1 1. Hs. darstellen, von dessen Vorliegen sich das Revisionsgericht durch die Protokollierung zweifelsfrei überzeugen könnte. Auch sonstige tatsächliche Vorkommnisse, die möglicherweise einen Verfahrensfehler begründen, können als Vorgang protokolliert werden, z.B. die Übergabe von Akten an einen Schöffen 9. Unter den Begriff der Vorgänge fällt überdies auch die Vornahme eines Augenscheins in der Hauptverhandlung, so dass gem. § 273 Abs. 3 S. 1 auch Ergebnisse einer Augenscheinseinnahme festgehalten werden können 1 0 . Angesichts der Vielfalt der denkbaren tatsächlichen Geschehnisse, die sich in der Hauptverhandlung ereignen können, kann es sich bei den genannten Vorkommnissen freilich nur um eine beispielhafte Aufzählung handeln. Zu erörtern ist jedoch, ob sich eine Eingrenzung des Begriffes der Vorgänge durch Ausschluss hierunter nicht zu subsumierender Ereignisse erreichen lässt. Wie bereits festgestellt werden konnte, ist es in Anbetracht der weiten Fassung des Abs. 3 S. 1 nicht erforderlich, dass der festzuhaltende Vorgang zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung im Sinne des Abs. 1 zählt. Hieran kann die Frage angeknüpft werden, ob von den Vorgängen im Sinne des Abs. 3 S. 1 solche auszuschließen sind, die nur deswegen nicht unter den Regelungsbereich des Abs. 1 fallen, weil sie unwesentlich sind, wie es offenbar der Meinung von Schlüchter 11 ent4

Vgl. LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 41; LR(21. Aufl.)-Kojfka, Ergänzungsband, § 273 Anm. 2. 5 BGHSt 2, 14, 15 f.; 11, 74, 77; NStZ 1982, 41 Nr. 32. 6 Nur im Falle der Unaufmerksamkeit des Richters zu einem erheblichen Zeitpunkt liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Abs. 1 1. Hs. vor. 7 BGHSt 2, 14, 15 f.; 11, 74, 77. 8 Z.B. Gefangenenbriefe; vgl. HK-Julius, § 273 Rn. 11; Pfeiffer, § 273 Rn. 6. 9 In der Kenntnisnahme eines Schöffen vom Inhalt der Akten vor Abschluss der Urteilsberatung ist nach h.M. ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz zu sehen, vgl. BGHSt 13, 73, 74 f.; zuletzt jedoch offen gelassen von BGH NJW 1987, 1209, 1210; LG Hamburg, MDR 1973, 69; LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 31; a.A.: Kissel, § 30 GVG Rn. 2 und Meyer-Goßner, § 30 GVG Rn. 2 jeweils m.w.N. 10 Hierzu ausführlich unten 2. Kapitel B. III. 1. b). 11 SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 21: auszunehmen seien solche „Vorgänge, die dem Regelungsbereich des Abs. 1 unterfallen"; hinsichtlich des Beweiserbietens zustimmend: Alsberg/Nüse/Meyer, S. 73 f.; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 27; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil Π, § 273 Rn. 7; a.A.: HK-Julius, § 273 Rn. 11.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

spricht. Sie rechnet hierzu „insbesondere all diejenigen Prozesshandlungen, die als Minus gegenüber einem Antrag zu betrachten" sind und „deshalb aus einem Gegenschluss zu Abs. 1 nicht protokolliert .. werden" müssten, wie etwa das Beweiserbieten 12 . Die Konsequenz einer derartigen Auslegung wäre, dass solche Vorgänge, die zwar als Förmlichkeiten, jedoch nicht als wesentliche Förmlichkeiten anzusehen sind, weder nach Abs. 1 noch nach Abs. 3 S. 1 protokolliert werden müssten. Ein argumentativer Ansatz 13 für ein solche Auslegung kann darin gesehen werden, dass diejenigen Förmlichkeiten, die nicht bereits nach Abs. 1 protokollierungspflichtig sind, auch nicht mittels eines Umweges über Abs. 3 S. 1 als zwingend niederzuschreiben beurteilt werden dürften. Denn wenn jedwede Förmlichkeit - entweder nach Abs. 1 oder Abs. 3 S. 1 zwingend festgehalten werden müsste, wäre die Einschränkung „wesentlich" in Abs. 1 hinfällig, so dass der Gesetzgeber auf sie hätte verzichten können 14 . Einer solchen Argumentation kann jedoch entgegengehalten werden, dass Abs. 3 S. 1 keine generelle Pflicht zur Protokollierung bestimmter prozessualer Ereignisse normiert, wie dies in Abs. 1 in Bezug auf „wesentliche Förmlichkeiten" der Fall ist. Vielmehr macht Abs. 3 S. 1 durch Verwendung der Voraussetzung, dass es auf die Feststellung des betreffenden Geschehnisses ankommen muss, die (vollständige) Protokollierung vom Vorliegen einer weiteren Bedingung abhängig, so dass kein Zwang zur Protokollierung eines jeden Vorgangs bzw. einer jeden Förmlichkeit besteht. Für die Möglichkeit einer Protokollierung von im Sinne des Abs. 1 unwesentlichen Förmlichkeiten nach Abs. 3 S. 1 spricht überdies, dass (auch) in derartigen Vorgängen Verfahrensverstöße enthalten sein können, deren Festhaltung insbesondere für den Angeklagten - im Sinne eines „DaraufAnkommens" 15 - von besonderem Interesse sein kann 1 6 . Kommt es nämlich in der Hauptverhandlung zu einem Verfahrensverstoß, der sich in einer 12 Hierunter ist der Hinweis auf die Möglichkeit einer Beweiserhebung zu verstehen, die der Prozessbeteiligte dem Gericht für den Fall anheimstellt, dass die Aufklärungspflicht zu ihr zwingt, vgl. Alsberg/N Use/Meyer, S. 69 ff.; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 24. 13 Schlüchter, SK/StPO, § 273 Rn. 21 selbst gibt für ihre Auffassung - abgesehen vom genannten Gegenschlussargument - keine nähere Begründung. 14 Alsberg/Nüse/Meyer, S. 73 f. hinsichtlich des Beweiserbietens als „Minus" zum Beweisantrag. 15 Zur Auslegung dieser Voraussetzung ausführlich unten 2. Kapitel Β. ΠΙ. 16 Beispielsweise bei einem unzulässigen Vorhalt aus dem Akteninhalt oder einer unzulässigen Verwendung von Augenscheinsgegenständen als Vernehmungshilfen, die eine den Angeklagten belastende Zeugenaussage zur Folge hat.

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für den Angeklagten nachteiligen Weise auf die Entscheidung des Gerichts auswirken kann, so wird er ein ganz besonderes Interesse daran haben, den (möglichen) Verfahrensfehler zum Zwecke des Nachweises in einem dem Urteil sich eventuell anschließenden Rechtsmittelverfahren feststellen zu lassen 17 . Dies gilt um so mehr, als dass Verfahrens verstoße nicht „in dubeo pro appellante" vermutet werden, sondern die Rechtsmittelinstanz im Zweifelsfall davon ausgeht, dass ordnungsgemäß verfahren wurde 18 . Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch das in Abs. 3 S. 1 normierte Recht zur Beantragung einer vollständigen Protokollierung sowie der in Abs. 3 S. 2 vorgesehene Rechtsbehelf der Anrufung des Gerichts im Falle der Ablehnung eines solchen Antrages. Hält der Vorsitzende nämlich einen Vorgang in der Hauptverhandlung fälschlicherweise für eine unwesentliche Förmlichkeit und trägt daher nicht Sorge für eine Protokollierung gem. § 273 Abs. 1, sind die betroffenen Verfahrensbeteiligten zunächst in der Lage, über einen Antrag gem. § 273 Abs. 3 S. 1 eine (vollständige) Dokumentierung des Vorgangs zu erreichen 19 . Lehnt der Vorsitzende den Antrag ab, können die Verfahrensbeteiligten sodann versuchen, über den Weg des Abs. 3 S. 2 durch das Gericht eine Feststellung des fraglichen 17

Siehe hierzu unten 2. Kapitel B. III. 2. Vgl. W. Schmid , GA 1962, 353; siehe hierzu auch 3. Kapitel Β. I. 1. a) bb). Zu berücksichtigen ist freilich, dass der Angeklagte bzw. dessen Verteidiger den fraglichen Verfahrensvorgang - jedenfalls nach h. M. - nach § 238 Abs. 2 beanstanden muss, sofern er sich eine spätere Verfahrensrüge offen halten will; anderenfalls droht ein Rügeverlust. Gemäß § 273 Abs. 1 sind der nach § 238 Abs. 2 gestellte Antrag sowie die nach § 34 zu begründende Entscheidung des Gerichts jedoch ohnehin zwingend zu protokollieren, wodurch der betreffende Verfahrensvorgang jedenfalls inzident schriftlich fixiert wird und der Angeklagte in die Lage versetzt wird, den entsprechenden Verfahrensverstoß vor dem Revisionsgericht zu beweisen. Eine vollständige Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 wird aber hierdurch nicht überflüssig (a.A. Beck'sches Formularbuch( 1. Aufl.)-Tondorf, S. 229 zum unerlaubten Aktenvorhalt). Denn zum einen beweist das Protokoll in diesem Fall lediglich, dass ein Antrag (mit bestimmten Inhalt) gem. § 238 Abs. 2 gestellt wurde und darauf eine bestimmte Entscheidung des Gerichts erging. Dies mag das Revisionsgericht je nach Fallgestaltung als starkes Indiz dafür werten, dass der beanstandete Vorgang tatsächlich stattgefunden hat. Eine - erforderlichenfalls durch den betroffenen Verfahrensbeteiligten zu beantragende - unmittelbare Fixierung des betreffenden Verfahrensvorgangs durch den Vorsitzenden gem. § 273 Abs. 3 S. I hat jedoch eine ungleich höhere Beweiskraft, vgl. auch Dahs, Handbuch, Rn. 772; siehe hierzu auch 3. Kapitel Β. II. 2. b) bb) (2). 19 § 273 Abs. 1 spricht den Verfahrensbeteiligten hingegen kein derartiges Antragsrecht zu. Nichtsdestotrotz wäre ein entsprechender Antrag zwar gem. § 273 Abs. 1 festzuhalten. Der Vorsitzende könnte diesen jedoch wegen Unzulässigkeit ablehnen. Auch eine derartige Antragsablehnung könnten die Verfahrensbeteiligten nicht - insbesondere nicht gem. § 238 Abs. 2 - beanstanden, da nach h.M. Protokollierungsentscheidungen des Vorsitzenden nicht angreifbar sind; vgl. LR(21. Aufl.)-Geier y § 273 Anm. 6. 18

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

Vorgangs zu erwirken. Im Hinblick auf den Nachweis in einem eventuellen Revisionsverfahren sind diese Möglichkeiten für die Verfahrensbeteiligten von besonderer Bedeutung 20 . Das Gleiche muss für die als „Minus" zu einem Antrag im Sinne des § 273 Abs. 1 geltenden Vorgänge 21 gelten, wie etwa das Beweiserbieten 22 , die jedenfalls dann gem. § 273 Abs. 3 S. 1 in das Protokoll aufzunehmen sind, wenn es im Einzelfall auf die Feststellung ankommt 23 . 2. Zeitliche und örtliche Erstreckung - „in" der Hauptverhandlung a) Allgemeines Der vollständig zu protokollierende Vorgang muss sich „ i n " der Hauptverhandlung ereignen, womit die in Betracht kommenden Vorkommnisse räumlich und zeitlich eingegrenzt werden. Infolge der räumlichen Eingrenzung sind solche Geschehnisse von einer vollständigen Protokollierung ausgeschlossen, die sich außerhalb des räumlichen Bereichs abspielen, in dem die Hauptverhandlung stattfindet, also in der Regel im Sitzungssaal 24 . Damit scheiden solche Vorgänge aus, die sich innerhalb eines Zeugenzimmers oder innerhalb des Beratungszimmers er20

Vgl. auch LR(21. Aufl.)-Geier, § 273 Anm. 6. Vgl. SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 21. 22 Hierunter ist der Hinweis auf die Möglichkeit einer Beweiserhebung, die der Prozessbeteiligte dem Gericht für den Fall „anheim stellt" oder „nahe legt", dass die Aufklärungspflicht zu ihr zwingt, vgl. BGH VRS 41, 203, 206; RGSt 49, 358, 361; KK-Herdegen, § 244 Rn. 56; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 24; SK/StPO Schlüchter, § 273 Rn. 11. 23 Eine (vollständige) Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 empfiehlt sich schon allein deswegen, um dem Revisionsgericht im Streitfall die Prüfung zu ermöglichen, ob es sich bei dem Vorbringen tatsächlich nur um ein Beweis erbieten oder doch um einen Beweisantrag handelte, ebenso Berkholz, S. 41; KMR-Paulus, § 244 Rn. 382; Schulz, GA 1981, 301; Simader, S. 79; a.A.: Alsberg/Nüse/Meyer, S. 73 f.; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 27; SYJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 21, die einen Vermerk jedoch ebenfalls für empfehlenswert hält, zumal von dem Inhalt und dem Intensitätsgrad eines Beweiserbietens der Erfolg einer Aufklärungsrüge abhängen könne; ähnlich LR-Gollwitzer, § 244 Rn. 174. 24 D.h. in einem Raum des Gerichtsgebäudes, vgl. RiStBV Nr. 124 Abs. 1. Jedoch kann der Vorsitzende aus triftigen Gründen die Hauptverhandlung oder einen Teil von ihr am Tatort, z.B. in einer Justizvollzugsanstalt, am Aufenthaltsort (z.B. Wohnung oder Krankenhaus) eines reiseunfähigen Angeklagten oder Zeugen oder in einem anderen Raum stattfinden lassen, vgl. Meyer-Goßner, § 214 Rn. 2 m.w.N. Möglich ist auch, dass zumindest ein Teil der Hauptverhandlung unter freiem Himmel stattfindet, vor allem bei einer richterlichen Augenscheinseinnahme - etwa bei der Besichtigung des Tatorts - , die nicht schon vor der Hauptverhandlung durchgeführt wurde, vgl. § 225. 21

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eignen. Nicht erfasst werden auch Erklärungen einer vor dem Sitzungssaal stehenden Person 25 . Der Vorgang muss sich auch zeitlich „in" - d. h. während - der Hauptverhandlung ereignet haben. Da diese mit dem Aufruf zur Sache beginnt (§ 243 Abs. 1 S. 1) und mit der Urteilsverkündung endet (§§ 260 Abs. 1, 268 Abs. 2), sind Geschehnisse, die sich davor oder danach ereignet haben, nicht nach § 273 Abs. 3 S. 1 protokollierungsfähig. Aber auch Vorgänge, die in einer Sitzungspause und damit nicht während der Hauptverhandlung stattfinden, sind von der vollständigen Protokollierung ausgeschlossen26.

b) Problem der im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebenen Rechtsmittelverzichts)erklärung aa) Darstellung des Meinungsstandes Konsequenz des oben getroffenen Ergebnisses müsste sein, dass im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebene Rechtsmittelerklärungen und damit auch Rechtsmittelverzichtserklärungen - nicht (mehr) unter den Anwendungsbereich des § 273 Abs. 3 S. 1 fallen 27 . Gleichwohl vertreten die ganz herrschende Rechtsprechung 28 sowie - ihr folgend - ein Teil des Schrifttums 29 die Auffassung, dass ein in der Form des § 273 Abs. 3 erklärter Rechtsmittelverzicht an der Beweiswirkung des § 274 teilnehme, und erkennen damit - zumindest konkludent - eine Aus25

KK-Engelhardt, § 273 Rn. 22; Meyer-Goßner, § 273 Rn. 19; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 39; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 20. 26 AK/St?0-Lemke, § 273 Rn. 16. 27 So auch Stratenwerth, JZ 1964, 264; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 20, allerdings nicht ohne Widerspruch, wenn sie betont, dass ein bloßer Vermerk im Sitzungsprotokoll genügend und die Aufnahme der Verzichtserklärung in der Form des § 273 Abs. 3 „nicht erforderlich" sei; a.A.: OLG Frankfurt a. M., NJW 1971, 949. 950 f., das jedoch keine Beweiswirkung nach § 274 annimmt. Vgl. demgegenüber RiStBV Nr. 143, nach dessen Abs. 1 S. 2 es sich „empfiehlt", „im Protokoll zu vermerken, dass die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht verlesen und genehmigt worden ist (§ 273 Abs. 3)". 28 BGHSt 18, 257, 258; wistra 1994, 29; Beschl. v. 26.4.1994 - 5 StR 155/94; NStZ 1998, 27 Nr. 10; Beschl. v. 3.11.1999 - 2 StR 450/99; KG Beschl. v. 10.5.1999 - 4 Ws 114/99; Beschl. v. 23.2.2000 - 3 Ws 673/99; OLG Düsseldorf StV 1984, 108; OLG Karlsruhe Beschl. v. 25.1.2000 - 1 Ws 429/99; OLG Köln JMB1NW 1964, 82; OLG Koblenz MDR 1981, 956, 957; a.A.: OLG Düsseldorf JMB1NW 1990, 190; OLG Frankfurt a.M., NJW 1971, 949, 950; OLG Hamm 1 Ws 89/82. 29 HK-Julius, § 274 Rn. 4; KK-Engelhardt, § 274 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 274 Rn. 11.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

dehnung des Anwendungsbereiches des § 273 Abs. 3 S. 1 über den insofern eindeutigen Wortlaut der Vorschrift hinaus an 3 0 . Wie sich den betreffenden Urteilsbegründungen entnehmen lässt, ist diese Rechtsprechung, die auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1963 31 zurückgeht, zwar von dem Bemühen motiviert, den Angeklagten vor unüberlegt und vorschnell abgegebenen Rechtsmittelverzichtserklärungen zu bewahren 32 , indem sie die (hier positive) Beweiskraft des § 274 (nur dann) eingreifen lässt, wenn eine derartige Erklärung unter Einhaltung der (strengen) Verfahrensweise des § 273 Abs. 3 festgehalten wurde 33 . Die Rechtsprechung geht offenbar davon aus, dass die vollständige Protokollierung der Erklärung, die sich hieran anschließende Verlesung sowie die sodann vom Angeklagten einzuholende Genehmigung bzw. seine Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen gegen das Protokollierte eher als der sonst übliche bloße Vermerk im Protokoll geeignet sei, den Angeklagten vor unüberlegten und vorschnellen Erklärungen zu bewahren 34 , zumal sie ggf. dem Verteidiger Gelegenheit geben würde, rechtzeitig zu intervenieren 35 . Dementsprechend argumentiert der BGH, dass nur dann, wenn die Verzichtserklärung unter Beachtung dieses Verfahrens vollständig festgehalten sei, der Angeklagte an seiner im Protokoll beurkundeten, verlesenen und von ihm genehmigten Erklärung festgehalten werden könne 3 6 und seine Entscheidung als unumstößlich und endgültig 37 hinnehmen müsse. Auch die Teile der Rechtsprechung 38 , die einen nach § 273 Abs. 3 beurkundeten Rechtsmittelverzicht nicht der Beweiswirkung des § 274 unterstellen, halten § 273 Abs. 3 auf unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzichtserklärungen für anwendbar. Dies ist daraus zu 30 Auch die RiStBV erklären in Nr. 143 Abs. 1 S. 2 § 273 Abs. 3 auf im Anschluss an die Urteilsverkündung erfolgende Rechtsmittelverzichtserklärungen für anwendbar. Danach „empfiehlt es sich, im Protokoll zu vermerken, dass die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht verlesen und genehmigt worden ist (§ 273 Abs. 3 StPO)". 31 BGH Urt. v. 12.2.1963 - 1 StR 561/62 in BGHSt 18, 257 ff. 32 Siehe auch RiStBV Nr. 142 Abs. 2, wonach der Angeklagte nicht veranlasst werden soll, im unmittelbaren Anschluß an die Urteilsverkündung zu erklären, ob er auf Rechtsmittel verzichtet. 33 BGH JZ 1964, 263; OLG Zweibrücken, StV 1994, 362, 363. 34 OLG Zweibrücken, StV 1994, 362, 363; Stratenwerth, JZ 1964, 264. 35 Stratenwerth, JZ 1964, 264. 36 BGH JZ 1964, 263; im Anschluss hieran OLG Köln, JMB1NW 1964, 82 f. 37 Ausgenommen bleiben freilich die Fälle, in denen der Erklärende zur Abgabe der Erklärung genötigt oder getäuscht wurde. 38 OLG Düsseldorf, JMB1NW 1990, 190; OLG Frankfurt a. M., NJW 1971, 949, 950; OLG Hamm, Beschl. v. 6.9.1982 - 7 Ws 89/82; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.1.2000 - 1 Ws 429/99.

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schließen, dass die betreffenden Entscheidungen lediglich den Anwendungsbereich des § 274 problematisieren, eine Anwendung des § 273 Abs. 3 durch die Tatgerichte jedoch nicht beanstanden. Im Gegenteil wird dort festgestellt, dass eine Aufnahme der Erklärung in der Form des § 273 Abs. 3 keinen Einfluss auf die Wirksamkeit einer Verzichtserklärung habe 39 und dass trotz der hohen Beweiskraft einer so protokollierten Erklärung über die Wirksamkeit einer solchen Erklärung im Wege der freien Beweiswürdigung zu entscheiden sei 4 0 . Auch die Stimmen im Schrifttum, die eine Erstreckung der Beweiskraft des § 274 auf die im Anschluss an das Urteil erfolgte und in der Sitzungsniederschrift festgehaltene Rechtsmittelverzichtserklärung ablehnen, halten eine Anwendung des § 273 Abs. 3 wohl grundsätzlich für möglich. Dies ist der von diesen vorgebrachten Argumentation zu entnehmen, wonach die Aufnahme einer Verzichtserklärung in der Form des § 273 Abs. 3 für ihre Wirksamkeit (lediglich) „nicht notwendig" 41 sei und eine Protokollierung der Rechtsmittelverzichtserklärung in der Form des § 273 Abs. 3 „nur" ein im Wege des Freibeweises zu würdigendes, wenn auch sehr bedeutsames Anzeichen dafür sei, dass ein Rechtsmittel verzieht abgegeben worden ist 4 2 .

bb) Eigene Ansicht Die Ausführungen der oben angeführten Rechtsprechung und Stimmen im Schrifttum sind insoweit widersprüchlich, als sie zwar betonen, dass ein nach der Urteilsverkündung erklärter Rechtsmittelverzicht keinen Teil der Hauptverhandlung darstelle, sondern lediglich mit deren Vorgängen in einem „rein äußeren Zusammenhang" stehe 43 . Die hieraus zu ziehende logische Schlussfolgerung müsste demgemäß sein, § 273 Abs. 3, der die vollständige Protokollierung lediglich von Vorgängen in der Hauptverhandlung vorsieht, auf im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebene Erklärungen nicht anzuwenden 44 .

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OLG Düsseldorf,\ JMB1NW 1990, 190. OLG Frankfurt a.M., NJW 1971, 949, 950. 41 Die „bloße" Aufnahme in das Sitzungsprotokoll sei an sich ausreichend. Damit wird die Anwendung des § 273 Abs. 3 S. 1 zwar nicht gefordert, aber auch nicht ausgeschlossen und damit grundsätzlich anerkannt, LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 21; Η W; Schmidt, NJW 1965, 1210; auch SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 20 betont, dass eine Aufnahme der Verzichtserklärung in der Form des § 273 Abs. 3 „nicht erforderlich" sei; vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Rn. 1022 Fn. 48. 42 LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 21; Η. W. Schmidt, NJW 1965, 1210. 43 BGHSt 18, 257, 258; OLG Düsseldorf\ JMB1NW 1990, 190; OLG Frankfurt a. M. t NJW 1971, 949, 950; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 21. 40

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Teilweise findet dieser Widerspruch Fortsetzung in der Ermittlung des Anwendungsbereiches des § 274, wenn einerseits festgestellt wird, dass die Beweiskraft des § 274 nur für Vorgänge in der Hauptverhandlung gelte, jedoch andererseits ein nach der Urteilsverkündung erklärter und nach § 273 Abs. 3 protokollierter Rechtsmittelverzicht ebenfalls der Beweiskraft des § 274 unterstellt wird 4 5 , obwohl es sich hierbei um einen außerhalb der Hauptverhandlung liegenden Vorgang handelt. Offenbar wird hier, ohne dass dies ausdrücklich erwähnt wird, der Anwendungsbereich des § 274 im Sinne einer analogen Anwendung ausgedehnt. Würde man diese Erwägungen konsequent weiterführen, so müsste die Nichtprotokollierung einer Rechtsmittelverzichtserklärung zur Folge haben, dass diese aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls gem. § 274 als nicht erfolgt angesehen werden müsste; eine Konsequenz, die freilich nicht gezogen wird. Dementsprechend geht der im Schrifttum angeführte Hinweis, § 273 Abs. 3 biete keine Möglichkeit, einen Vorgang außerhalb der Hauptverhandlung den strengen Beweisregeln des § 274 zu unterstellen 46 , offenbar von der unzutreffenden Prämisse aus, dass dann, wenn eine Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 erfolgt ist, der so protokollierte Rechtsmittelverzicht zwingend der Beweiswirkung des § 274 zu unterstellen sei. Wie sich jedoch bereits aus dem Wortlaut des § 274 ergibt, soll sich die Beweiskraft des Protokolls nur auf die für die „Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten" erstrecken. Ein im Anschluss an das Urteil erklärter Rechtsmittelverzicht stellt jedoch keine Förmlichkeit der mit Urteilsverkündung beendeten Hauptverhandlung und erst recht keine hierfür vorgeschriebene Förmlichkeit dar 4 7 . Wie der BGH in seinem o.g. Urteil 4 8 selbst feststellt, steht ein derartiger Rechtsmittelverzicht nur „in äußerem Zusammenhang mit der Hauptverhandlung". Freilich soll die grundsätzliche Wirksamkeit von im Anschluss an die Urteilsverkündung erfolgende Rechtsmittelerklärungen nicht in Frage gestellt werden, wobei der hierfür erforderlichen Form 4 9 auch durch Erklärung zu Protokoll der Sitzungsniederschrift Genüge getan ist 5 0 . Eine Formalisierung 44

So auch Koeninger, S. 450; H. W. Schmidt, NJW 1965, 1210; Stratenwerth, JZ 1964, 264. 45 So Meyer-Goßner, § 274 Rn. 9 einerseits und Rn. 11 andererseits sowie LRGollwitzer, § 273 Rn. 21 und § 274 Rn. 15 f. 46 So LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 21; H. W. Schmidt, NJW 1965, 1210. 47 Auch Ranft, JuS 1994, 785, 788 tritt einer ausdehnenden Auslegung des § 274, die „in einem Spannungsverhältnis zum übergeordneten Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß" stehe, entgegen. 48 JZ 1964, 263. 49 Vgl. § 314 Abs. 1, 341 Abs. 1. 50 Vgl. BGH NJW 1984, 1974 f.; OLG Zweibrücken, StV 1994, 362, 363; MeyerGoßner, § 302 Rn. 18 f.

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solcher Rechtsmittelerklärungen durch Anwendung des § 273 Abs. 3 widerspricht jedoch zum einen dem Wortlaut der Vorschrift. Zum anderen ist fraglich, ob durch eine Anwendung der Vorschrift ein Schutz des Angeklagten tatsächlich erreicht wird 5 1 . Für eine Protokollierung nach § 273 Abs. 3 könnte zwar die Erwägung sprechen, dass das hierbei zu beachtende Verfahren (Verlesung und Genehmigung) eine genaue und damit inhaltlich richtige Festhaltung der Erklärung gewährleisten kann. Dies wäre deswegen von besonderer Wichtigkeit, da ein Rechtsmittelverzicht nur bei eindeutiger, vorbehaltloser und ausdrücklicher Erklärung wirksam ist 5 2 . Insoweit kommt es ganz besonders auf die genaue Formulierung der Erklärung an. Eine Verlesung und Genehmigung der Erklärung durch den Angeklagten könnte die Protokollierung von inhaltlich verfälschten Erklärungen vermeiden helfen und dem Revisionsgericht im Zweifelsfall die Klärung der Frage erleichtern, ob ein wirksamer Rechtsmittelverzicht vorliegt. Insoweit könnte auch der nicht ausschließbaren Gefahr vorgebeugt werden, dass ein an einem rechtsmittelfesten Urteil interessierter Vorsitzender 53 der Versuchung unterliegt, eine u.U. missverständliche Erklärung des Angeklagten bewusst oder unbewusst inhaltlich in Richtung eines (eindeutigen) Rechtsmittelverzichts verfälscht im Protokoll beurkunden zu lassen. Jedoch auch die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 273 Abs. 3 kann eine derartige Gefahr nicht wirksam ausschließen. Ein im o.g. Sinne interessierter Vorsitzender würde nämlich auch im Falle einer Anwendbarkeit des § 273 Abs. 3 nicht daran gehindert, den Angeklagten zu einem Rechtsmittelverzicht zu bewegen und eine derartige (eindeutige) Erklärung unter dem Einfluss seiner richterlichen Autorität durch gezieltes Nachfragen zu entlocken oder dem Angeklagten „in den Mund zu legen", um eine solche Erklärung anschließend vollständig protokollieren zu lassen 54 . Einer derartigen Gefahr werden jugendliche, heranwachsende oder der deutschen Sprache nicht mächtige ausländische Angeklagte ohne anwaltlichen Beistand in besonderem Maße ausgesetzt sein, da ein Strafverteidiger in der Regel nicht 51

So wohl SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 20. OLG Köln, NJW 1980, 2720; Meyer-Goßner, § 302 Rn. 20. 53 Das Interesse an einem Rechtsmittelverzicht könnte für den Richter insbesondere darin liegen, dass im Falle eines allseitigen Verzichts infolge der Möglichkeit einer abgekürzten Urteilsbegründung eine Arbeitserleichterung erreicht wird, vgl. § 267 Abs. 4. 54 Bea. allerdings RiStBV Nr. 142 Abs. 2, wonach der Angeklagte nicht veranlasst werden soll, im unmittelbaren Anschluss an die Urteilsverkündung zu erklären, ob er auf Rechtsmittel verzichtet; nach Dahs/Dahs, Rn. 43 neigen dennoch viele Vorsitzende dazu, durch gezieltes Fragen einen Rechtsmittelverzicht „hervorzulocken"; vgl. Stratenwerth, JZ 1964, 264, 265; zum Problem des „herausgefragten Rechtsmittel Verzichts": Dahs, FS Schmidt-Leichner, S. 17 ff. 52

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

zu einem Rechtsmittelverzicht und schon gar nicht zu einem in der Hauptverhandlung zu erklärenden raten wird, um sich nicht der Möglichkeit zu begeben, ggf. gegen ein - u.U. zunächst milde erscheinendes - Urteil vorzugehen. Aber gerade bei diesen unerfahrenen Angeklagten, die aufgrund der für sie meist ungewohnten und angespannten Situation der Hauptverhandlung häufig eingeschüchtert und verunsichert sind, ist die Gefahr unüberlegten Handelns sowie von Missverständnissen und Irrtümern besonders groß 55 . Dies vermag auch die obligatorische Rechtsmittelbelehrung nicht zu verhindern, die überdies vom Vorsitzenden häufig nur beiläufig und routiniert „abgespult" wird, ohne die individuelle Verständnismöglichkeit des jeweiligen Angeklagten zu berücksichtigen. Auch die Verlesung des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts mit anschließender Möglichkeit der Geltendmachung von Einwendungen, auf die der unkundige Angeklagte überdies aufmerksam gemacht werden müsste, wird dem Verurteilten kaum zu einem besseren Erfassen der Bedeutung des Inhalts seiner Erklärung verhelfen, um ihn so vor unüberlegtem Handeln zu schützen. Eine vollständige Protokollierung eines nach Urteilsverkündung erfolgenden Rechtsmittelverzichts gem. § 273 Abs. 3 mit Wirkung des § 274 bewirkt letztlich vor allem eine Sicherung der Bestandskraft von Urteilen. Hingegen gewährt sie dem Angeklagten einen eher geringen zusätzlichen Schutz. Eine Anwendung des § 273 Abs. 3 auf im Anschluss an die Urteilsverkündung abgegebene Rechtsmittelverzichtserklärungen dürfte jedoch als in der Regel zumindest unschädlich einzustufen sein. Abzulehnen ist allerdings eine Anwendung des § 274 auf gem. § 273 Abs. 3 protokollierte Rechtsmittelverzichtserklärungen.

II. Aussagen und Äußerungen Vollständig festgehalten werden können gem. § 273 Abs. 3 S. 1 weiterhin Aussagen und Äußerungen. Dabei ist die Möglichkeit der vollständigen Niederschreibung von Aussagen von besonderer Bedeutung, da sie die einzige im Rahmen der Protokollierung der Hauptverhandlung vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit darstellt, Beweisergebnisse vollständig schriftlich festzuhalten. Gerade im Hinblick auf Zeugenaussagen, die das praktisch bedeutsamste - wenn auch nicht immer zuverlässigste - Beweismittel darstellen, kommt der Vorschrift des § 273 Abs. 3 vor allem deswegen besondere Bedeutung zu, da sie ermöglicht, ausnahmsweise (im Gegensatz zu § 273 Abs. 2) nicht nur das mehr oder minder subjektiv geprägte (wesentliche) Ergebnis von Vernehmungen festzuhalten, sondern deren vollständigen Inhalt. Diese Protokollierung steht dann insbesondere 55

Vgl. Dahs/Dahs, Rn. 43; OLG Zweibrücken, StV 1994, 362, 363.

. Die

e e n d e r vollständigen Protokollierung

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für die Beweiswürdigung zur Verfügung und kann u. U. für eine spätere Anfechtung des Urteils mittels der Revision relevant sein. Die besondere Bedeutung des § 273 Abs. 3 als Ausnahmevorschrift kommt hier in besonderem Maße zum Tragen. 1. Aussagen Unter Aussagen gem. § 273 Abs. 3 S. 1 fallen vor allem die Bekundungen von Zeugen. Doch auch die Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung im Rahmen der Gutachtenerstattung sind als Aussage im Sinne der Vorschrift zu verstehen und sind damit vollständig protokollierbar. Engelhardt 56 , sowie ihm zustimmend Lemke 5 7 , fassen den Begriff der „Aussage" in § 273 Abs. 3 S. 1 unter Hinweis auf § 57 S. 1 enger und subsumieren hierunter ausschließlich Bekundungen von Zeugen. Dieser Auslegung ist jedoch entgegenzuhalten, dass gem. § 72 die Vorschriften über Zeugen auf Sachverständige anzuwenden sind, so dass aus § 57 S. 1 nicht gefolgert werden kann, dass nur Zeugen „aussagen" 58 . Diese Meinungsdifferenz bleibt jedoch insoweit ohne praktische Bedeutung, als Engelhardt und Lemke Erklärungen der Sachverständigen - sowie aller anderen Personen als Zeugen (sowie Zeugen außerhalb ihrer Aussage) - jedenfalls als „Äußerungen" im Sinne von § 273 Abs. 3 S. 1 für vollständig protokollierbar halten. Zum Begriff der „Aussagen" sind weiterhin die Erklärungen des Angeklagten zu zählen, sei es in Gestalt eines (Teil-) Geständnisses oder einer den Tatvorwurf bestreitenden Einlassung 59 . 2. Äußerungen Damit bleiben für den Begriff der Äußerungen alle sonstigen Erklärungen übrig, die nicht bereits „Aussagen" sind. In Betracht kommen mithin Erklärungen anderer - beliebiger - Personen, z.B. eines Dolmetschers oder des Publikums, soweit sie sich nur während der Hauptverhandlung innerhalb des Sitzungszimmers befinden. Vor allem können Erklärungen der pro56

KK-Engelhardt, § 273 Rn. 22. AK/StPO-Lemke, § 273 Rn. 18. 58 Ebenso SKJStVO-Schlüchter, § 273 Rn. 21 unter Hinweis auf die „Brückennorm" des § 72. 59 SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. Rn. 21. Der gegenteiligen Auffassung von KK-Engelhardt, § 273 Rn. 22 und AK/StPO-Lemke, § 273 Rn. 18 ist entgegenzuhalten, dass § 243 Abs. 4 S. 1 a.E. hinsichtlich der Erklärungen des Angeklagten zur Sache zumindest auch von einer „Aussage" spricht. 57

6 Rcichling

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

zessbeteiligten Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, aber auch der Nebenund Privatkläger sowie deren Beistände festgehalten werden. Die Protokollierung einer Äußerung eines Richters wird namentlich dann in Betracht kommen, wenn diese Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gibt und ein Ablehnungsgesuch vorbereitet werden soll 6 0 . Das Festhalten einer Erklärung des Vertreters der Staatsanwaltschaft kann z.B. angezeigt sein, wenn dieser mit verbotenen Mitteln 6 1 versucht, eine (bestimmte) Aussage des Angeklagten oder Zeugen herbeizuführen. Als Äußerungen sind ferner die Erklärungen der Zeugen oder Sachverständigen anzusehen, die diese außerhalb ihrer Vernehmung abgeben 62 .

B. Die Voraussetzung, dass „es auf die Feststellung ankommen44 muss: Die Begrifflichkeit des „Darauf-Ankommens" I. Einleitende Bemerkungen Wie bereits im Rahmen der Darstellung der Entstehungsgeschichte des HVP gezeigt wurde 6 3 , sahen diejenigen partikulären deutschen Strafverfahrensordnungen, die Vorschriften über eine vollständige Protokollierung enthielten, eine derartige Protokollierung unter differenten Voraussetzungen vor. Während die vollständige Protokollierung zum Teil bereits bei einem entsprechenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten möglich war 6 4 , verlangten andere Verfahrensordnungen eine vollständige Protokollierung nur von (solchen) Aussagen, die zum ersten Mal in der Hauptverhandlung erfolgten oder die Abweichungen von einer bereits im Vorfahren abgegebenen Bekundung auf wiesen 65 . Die Preußische StPO von 1867, bei der es sich um das unmittelbare Vorbild der RStPO von 1877 handelt, sah hingegen in § 257 Abs. 2 die vollständige Protokollierung einer Aussage für den Fall vor, dass es auf ihre „wörtliche Feststellung" ankam. Gemäß § 258 Abs. 2 dieses Gesetzes Werkes konnten überdies die Staatsanwaltschaft oder der Angeklagte die Proto60

Hierzu unten 2. Kapitel B. III. 3. Vgl. § 136a. 62 KK-Engelhardt, § 273 Rn. 22. 63 Siehe oben 1. Kapitel A.III. 64 Baden, StPO v. 1864, § 259 Abs. 2 bei einem Antrag des Staatsanwalts, des Angeklagten oder des Verteidigers; Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 200 § 1, 2; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 1865, Art. 225; Württemberg, StPO v. 1868, Art. 230; vgl. auch Hannover, StPO v. 1859, § 141 Abs. 5. 65 Bayern, Gesetz v. 1848, Art. 209 Abs. 4; Sachsen, Revidierte StPO v. 1868, Art. 310 Abs. 2. 61

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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kollierung derjenigen Vorgänge verlangen, die ihrer Ansicht nach einen Verstoß gegen die vorgeschriebenen Förmlichkeiten beinhalteten. An diese Vorschriften der Preußischen StPO knüpft § 273 Abs. 3 S. 1 an, wenn er bestimmt, dass eine vollständige Protokollierung von Vorgängen sowie Aussagen und Äußerungen dann anzuordnen ist, wenn es auf ihre Feststellung bzw. auf die Feststellung ihres Wortlautes ankommt. In dieser in der StPO einzigartigen Begrifflichkeit des „Darauf-Ankommens", d.h. dass es auf die Feststellung „ankommen" muss, kommt nicht nur der Ausnahmecharakter des § 273 Abs. 3 zum Ausdruck; sie stellt überdies die zentrale Voraussetzung für eine vollständige Protokollierung dar. Mit Verwendung dieses allgemein gehaltenen Rechtsbegriffes hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwender keine näheres Eingrenzungskriterium für eine vollständige Protokollierung an die Hand gegeben. Dadurch, dass er in Abs. 3 lediglich geregelt hat, dass es für eine vollständige Niederschreibung auf die Feststellung des jeweiligen Protokollierungsgegenstandes ankommen muss, ohne festzulegen, „wofür" dies der Fall sein soll, hat er vielmehr offen gelassen, zu welchen konkreten Zwecken die vollständige Protokollierung erfolgen soll 6 6 . Als Grund für die vom Gesetzgeber gewählte weite Gesetzesfassung kann vermutet werden, dass eine nähere legislatorische Eingrenzung für nicht praktikabel gehalten wurde und die vollständige Protokollierung von der im Einzelfall zu beurteilenden prozessualen Situation abhängig gemacht werden sollte, um so der Vielzahl denkbarer Protokollierungsbedürfnisse Rechnung tragen zu können. Dementsprechend wird im Schrifttum angenommen, dass für eine vollständige Protokollierung ein „breites Spektrum" verschiedenster Begründungen in Betracht komme 6 7 und sich angesichts der Vielzahl möglicher Einzelfälle ein allgemeiner Grundsatz hinsichtlich der Frage, wann es auf die Feststellung eines Vorgangs bzw. des Wortlauts einer Aussage „ankommt", kaum aufstellen lasse 68 . Mit dem folgenden Teil der Arbeit soll versucht werden, dieser zentralen Voraussetzung für eine vollständige Protokollierung inhaltliche Konturen zu verleihen.

66 Zu den allgemeinen Zwecken der vollständigen Protokollierung siehe oben 1. Kapitel C. V. 67 Ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2276. 68 So schon Eb. Schmidt, Nachtragsband I, § 273 Rn. 3; ähnlich auch Sieß, NJW 1982, 1625, 1626.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

II. „Darauf-Ankommen" bei Bestehen eines rechtlichen Interesses an der Feststellung Bei der Auslegung der Voraussetzung des „Darauf-Ankommens" ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich diese unmittelbar auf den Gesetzesbegriff „Feststellung" bezieht; es muss also auf die Feststellung eines Vorgangs bzw. des Wortlautes einer Aussage oder Äußerung ankommen. Ausgehend von der allgemeinen Wortbedeutung ist unter dem Begriff „Feststellung" die Darstellung oder Sicherung eines Geschehnisses bzw. dessen Ergebnis zu verstehen, die im Rahmen des § 273 Abs. 3 in schriftlicher Form, nämlich durch vollständige Niederschreibung zu erfolgen hat. Einigkeit besteht darüber, dass es auf die Feststellung eines Vorgangs sowie einer Aussage oder Äußerung im Sinne von § 273 Abs. 3 S. 1 dann ankommt, wenn an der vollständigen Protokollierung ein rechtliches Interesse besteht 69 . worunter jedes von der Rechtsordnung gebilligte Interesse zu verstehen sei 7 0 . Eine derartige Auslegung des Begriffes des „Darauf-Ankommens" kann auf einen Teil der partikulären deutschen StPO 71 gestützt werden, wonach einzelne in der Hauptverhandlung stattfindende Geschehnisse dann in das Protokoll aufzunehmen waren, wenn die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte oder sein Verteidiger einen entsprechenden Antrag stellten, was naturgemäß dann der Fall war, wenn sie an der Protokollierung ein Interesse hatten. Eine eindeutige Ausrichtung auf ein (rechtliches) Interesse der Verfahrensbeteiligten wies überdies die Badische StPO von 1864 auf, als sie in § 259 Abs. 2 vorsah, dass die Verfahrensbeteiligten „zur Wahrung ihrer Rechte" die Feststellung einzelner Vorgänge verlangen konnten 72 . Die geltende Regelung des § 273 Abs. 3 macht freilich eine (vollständige) Protokollierung nicht von einem entsprechenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten abhängig, mit dem dieser gegenüber dem Gericht sein Interesse an der Niederschreibung einer bestimmten Erklärung oder eines Vorganges artikuliert, sondern sieht - sofern es auf die Feststellung ankommt bereits von Amts wegen eine Protokollierung vor 7 3 . Eine vollständige Pro69

AK/StPO-Lemke, § 273 Rn. 17; HK -Julius, § 273 Rn. 12; KMR-Müller, § 273 Rn. 15; Krekeler, AnwBl. 1984, 417, 418; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 40; M. J. Schmid , NJW 1981, 1353, 1354; A. Schröder, S. 17; ders., FS Schlüchter, S. 100; SK/SiPO-Schliichter, § 273 Rn. 22; Ulsenheimer, NJW 1980, 2273, 2276 f.; wohl auch KK-Engelhardt, § 273 Rn. 23; Meyer-Goßner, § 273, Rn. 21. 70 KMR-Müller, § 273 Rn. 15; M. J. Schmid, NJW 1981, 1353, 1354. 71 Baden, StPO v. 1874, § 259 Abs. 2; Oldenburg, StPO v. 1857, Art. 200 § 1; Preußen, StPO v. 1867, § 257 Abs. 2; Starkenburg und Oberhessen, StPO v. 1865, Art. 225 Abs. 1. 72 Ebenso Österreich, StPO v. 29.7.1853, § 257 Abs. 3. 73 Vgl. hierzu unten 2. Kapitel D. III. 1.

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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tokollierung hat demnach auch dann zu erfolgen, wenn diese im Einzelfall u. U. für einen Verfahrensbeteiligten unvorteilhaft ist und damit nicht in seinem „Interesse" liegt. Ein rechtliches Interesse an einer vollständigen Protokollierung kann also nicht einseitig an den Bedürfnissen des einzelnen Verfahrensbeteiligten ausgerichtet werden, was teilweise außer Acht gelassen wird, wenn dieses lediglich als Voraussetzung für das Vorliegen eines Anspruches der Verfahrensbeteiligten auf Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 erörtert wird 7 4 . Im Nachfolgenden wird daher die Voraussetzung des „Darauf-Ankommens" unabhängig davon untersucht, ob eine vollständige Protokollierung von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten erfolgt. Durch Ersetzung des Begriffes des „Darauf-Ankommens" durch den nicht minder unbestimmten und damit inhaltlich weiten Terminus des „Bestehens eines rechtlichen Interesses" ist allerdings im Hinblick auf eine inhaltliche Ausfüllung der Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 S. 1 zunächst kaum etwas gewonnen. Mit dem Hinweis, es müsse ein rechtlich anerkanntes Interesse an einer Protokollierung bestehen, kommt vielmehr zunächst lediglich die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass eine vollständige Protokollierung nicht Zwecken dienen darf, die rechtlich irrelevant oder zu missbilligen sind. So darf eine vollständige Protokollierung einer Aussage z.B. nicht dem Zweck dienen, einen Zeugen einzuschüchtern oder zu verunsichern. Eine aus der fehlenden gesetzlichen Eingrenzung des Begriffes des „Darauf-Ankommens" allgemein gezogene Schlussfolgerung ist, dass sich das Interesse an einer vollständigen Protokollierung nicht nur auf das laufende, sondern ebenso auf ein anderes - auch nicht-strafrechtliches - Verfahren beziehen kann 7 5 . Diese Folgerung scheint zunächst nicht zwingend zu sein, da der Hauptzweck des HVP - wie oben gezeigt wurde - im Rechtsmittelverfahren, also im laufenden Verfahren liegt und ein allgemeiner Dokumentationszweck des HVP zumindest als zweifelhaft zu beurteilen ist 7 6 . Für eine Anerkennung von außerhalb des Verfahrens liegenden Zwecken für ein Interesse an der vollständigen Protokollierung könnte jedoch, neben dem weiten Gesetzeswortlaut des § 273 Abs. 3 S. 1, die Fassung der unmittelbaren Vorläuferregelung (§ 257 Abs. 2 der Preußischen StPO von 1867) sprechen. Diese Vorschrift lautete wörtlich: 74

Vgl. ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2276. So die allgemeine Meinung: Gössel, S. 296; HK -Julius, § 273 Rn. 12; KKEngelhardt, § 273 Rn. 23; Krekeler, AnwBl. 1984, 417, 418; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 41; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 23, 24; W. Schmid , GA 1962, 353, 362; A. Schröder, S. 17 f.; ders., FS Schlüchter, S. 100; ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2276. 76 Hierzu oben 1. Kapitel C. IV. 75

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

„Kommt es jedoch auf die wörtliche Feststellung einer Aussage an, gleichviel ob für einen in oder außerhalb der Sache liegenden Zweck, so kann das Gericht ... verordnen, dass die Aussage, nachdem sie geeigneten Falls ... in das Protokoll ... niedergeschrieben worden ist, in der Sitzung selbst vorgelesen werde." Die Vorläuferregelung erkannte damit ausdrücklich auch außerhalb des laufenden Verfahrens liegende Zwecke für eine vollständige Protokollierung an. Ob der Gesetzgeber diese Regelung bei Schaffung einer einheitlichen deutschen StPO diesbezüglich ändern wollte, erscheint zumindest fraglich. Es könnte nämlich die Erwägung angestellt werden, dass der Gesetzgeber auf diesen - u.U. nur klarstellenden - Zusatz in § 273 Abs. 3 S. 1 der RStPO in dem Bestreben nach einer möglichst prägnanten Gesetzesformulierung verzichtet hat 7 7 . Diese Frage wird im weiteren Verlauf der Arbeit zu klären sein 78 . Als Zwischenergebnis ist zunächst festhalten, dass es mit der allgemeinen Meinung dann auf die Feststellung der in § 273 Abs. 3 S. 1 aufgeführten Protokollierungsgegenstände ankommt, wenn hieran ein anerkennenswertes rechtliches Interesse besteht, das sich auf das laufende Verfahren und u. U. auch auf ein anderes Verfahren beziehen könnte. Wann ein derartiges Interesse an der vollständigen Protokollierung besteht, soll im Folgenden anhand praktisch besonders relevanter und umstrittener Fallgruppen untersucht und auf diese Weise versucht werden, den Begriff des Darauf-Ankommens inhaltlich auszufüllen, um dadurch den Anwendungsbereich des § 273 Abs. 3 S. 1 einzugrenzen.

77 Zu diesem Argument: W. Schmid , GA 1962, 353, 363 bezüglich eines revisionsrechtlich ausgerichteten Protokollierungsanspruches; letzteres übersieht A. Schröder, S. 21 Fn. 128; ders. FS Schlüchter, S. 103, der dieses Argument für seine Ansicht bezüglich der Frage heranzieht, wann es auf den Wortlaut einer Aussage ankommt, hierzu ausführlich unten 2. Kapitel III. 1. a) aa) (3) (c) (aa). 78 2. Kapitel Β. IV.

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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III. Rechtliches Interesse an der vollständigen Protokollierung für Zwecke des laufenden Verfahrens 1. Vollständige Protokollierung der Beweisaufnahme a) Vollständige

Protokollierung

von Aussagen und Äußerungen

aa) Vollständige Protokollierung für Zwecke der tatrichterlichen Beweiswürdigung aufgrund ihrer Beweiserheblichkeit (1) Zur Bedeutung des §273 Abs. 3 als Grundlage für eine vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen für Zwecke der tatrichterlichen Beweiswürdigung Als wohl wichtigster denkbarer Anwendungsfall des § 273 Abs. 3 S. 1 ist zunächst die Protokollierung von Aussagen bzw. von Aussageteilen und Äußerungen zu untersuchen. Im Hinblick auf die Ausgestaltung des HVP im deutschen Strafprozessrecht als reines „Formalienprotokoll" und in Verfahren vor den Amtsgerichten zusätzlich als „Inhaltsprotokoll", welches die wörtliche Protokollierung der Beweisaufnahme grundsätzlich nicht vorsieht, tritt hier die Ausnahmestellung des § 273 Abs. 3 besonders hervor 79 . Der Vorschrift könnte insofern - jedenfalls de facto - eine „Surrogatsfunkt i o n " 8 0 für die grundsätzlich vom Gesetz nicht vorgesehene Wortprotokollierung zukommen, die sich vor allem bei der Protokollierung von Zeugenaussagen auswirken könnte. Der Zeugenbeweis stellt nämlich das in der forensischen Praxis wichtigste Beweismittel dar, weil er in vielen Fällen die einzige Beweismöglichkeit 81 bietet. Insoweit könnte hier die vornehmlich von Strafverteidigern geäußerte Auffassung besondere Bedeutung erlangen, dass § 273 Abs. 3 die einzig echte Möglichkeit darstelle, den für die Urteilsfindung maßgeblichen Sachverhalt sowohl für die Entscheidung des Tatgerichts als auch für eine eventuelle Überprüfung des Urteils im Rechtsmittelverfahren festzuschreiben 82. Für Zwecke der Beweiswürdigung kann jedoch nicht nur die Protokollierung von (Zeugen-) „Aussagen", sondern auch von „Äußerungen" im Sinne des § 273 Abs. 3 S. 1 in Betracht kommen. Gemäß § 261 hat das Gericht 79

Hierzu ausführlich oben 1. Kapitel B. So ülsenheimer, NJW 1980, 2273, 2275. 81 Geerds, S. 189; L. Schneider, S. 1. Die Vernehmung der Auskunftspersonen wird daher auch als „wichtigster prozessualer Akt" bezeichnet, Altavilla , S. 3. 82 Siehe hierzu 1. Kapitel D. 80

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

nämlich über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden, wobei zum Inbegriff der Hauptverhandlung alles zu zählen ist, was in ihr vom Aufruf der Sache bis einschließlich des letzten Wortes verhandelt wurde 8 3 . Unter diesen umfassend zu verstehenden Begriff fallen daher nicht nur die Erkenntnisse, die durch die zulässig eingeführten und verwertbaren förmlichen Beweismittel und die Einlassung des Angeklagten, also u. a. durch „Aussagen" im Sinne des § 273 Abs. 3 S. 1, gewonnen wurden 84 , sondern auch alle Äußerungen der Verfahrenssubjekte, also auch des Privat- oder Nebenklägers 85 , mithin auch „Äußerungen" im Sinne des § 273 Abs. 3 S. 1. Im Folgenden ist daher der Frage nachzugehen, in welchem Umfang § 273 Abs. 3 die vollständige Protokollierung von entscheidungserheblichen Aussagen (und u.U. Äußerungen) verlangt. Diesbezüglich ist heftig umstritten, ob gem. § 273 Abs. 3 S. 1 die Protokollierung von Aussagen zu erfolgen hat, die ihrem Inhalt nach für die Beweiswürdigung des Tatgerichts von Bedeutung sind bzw. sein können. (2) Darstellung des Meinungsstandes (a) Abstellen auf die Entscheidungserheblichkeit des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung (h. M.) Die h.M. in Rechtsprechung und Schrifttum lässt die (bloße) Entscheidungserheblichkeit einer Aussage für eine vollständige Protokollierung nicht ausreichen, sondern verlangt, dass es - der Gesetzesformulierung des § 273 Abs. 3 S. 1 entsprechend - auf den Wortlaut der Aussage bzw. Äußerung ankommen müsse. (aa) Die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung Schon früh hat das RG in einer vom Schrifttum wenig beachteten Entscheidung 86 inzident entschieden, dass eine Wortprotokollierung nicht schon dann erfolgen müsse, wenn es - lediglich - auf den Inhalt einer Aussage oder Äußerung und nicht auf ihren Wortlaut ankommt. 83

KK-Engelhardt, § 261 Rn. 6; LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 15. LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 15. 85 Im Hinblick auf Äußerungen des Nebenklägers über Tatsachen ist allerdings umstritten, ob diese nur dann verwertet werden dürfen, wenn der Nebenkläger hierüber als Zeuge vernommen wurde, so Prittwitz, S. 166; SK/StPO-Schlüchter, § 261 Rn. 12; a.A. LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 15. 86 RGSt 5, 352, 353. 84

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte die Verteidigung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wiederholt die vollständige Protokollierung von Zeugenaussagen beantragt, was vom Tatgericht jedoch jedes Mal mit der Begründung abgelehnt worden war, dass es „nicht auf den Wortlaut, sondern (nur) 8 7 auf den Inhalt" der betreffenden Aussage ankomme. Der Angeklagte stützte seine anschließende Revision u.a. auf die Ablehnung dieser Anträge. Mit seinem hierauf ergehenden Urteil entschied das RG, dass der Angeklagte die Revision auf die Ablehnung der Anträge auf Wortprotokollierung nicht stützen könne. Denn allein das Tatgericht habe zu entscheiden, ob es auf den Wortlaut einer Aussage oder Äußerung ankomme. Im Falle einer Ablehnung des Antrages auf Wortprotokollierung mit der Begründung, dass es nicht auf den Wortlaut, sondern „ n u r " 8 8 auf den Inhalt ankomme, stehe dem Antragsteller eine Beschwerde nicht zu. Wie bei der Beurteilung des Ergebnisses der ganzen Beweisaufnahme, so habe das Gericht auch bei der Frage, ob der Wortlaut einer Zeugenaussage von Erheblichkeit sei, allein seinem Ermessen, seiner freien Überzeugung zu folgen. Der Ausspruch, dass es - nach seiner Auffassung - „eben nur auf den Inhalt und nicht auf den Wortlaut der Aussage ankomme", sei nicht revisibel. Im Mittelpunkt dieser Entscheidung stand zwar die Frage des Bestehens eines Rechtes der Prozessbeteiligten auf vollständige Protokollierung einer Aussage sowie die Frage, ob die Ablehnung eines solchen Protokollierungsantrages mit der Revision beanstandet werden kann. Mit der dargestellten Urteilsbegründung hat das RG jedoch unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass es die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 S. 1 nur dann für vorliegend erachtet, wenn es - nach Meinung des Tatgerichts - auf den Wortlaut und nicht nur auf den bloßen Inhalt einer Zeugenaussage ankommt. Diese Rechtsprechung bestätigte das R G 8 9 in weiteren Entscheidungen. Auch der Entscheidung RGSt 42, 157, 160 ist entgegen der Ansicht von A. Schröder 90 keine andere Auslegung des § 273 Abs. 3 S. 1 zu entnehmen 9 1 . In diesem Fall beanstandete die Revision, dass an einen Zeugen Fragen gestellt worden seien, die nur an einen Sachverständigen hätten gerichtet werden dürfen. Das RG folgerte aus dem Inhalt der betreffenden wörtlich protokollierten Aussage, dass es sich bei der Auskunftsperson um einen Zeugen und nicht um einen Sachverständigen oder zumindest um 87 88 89 90 91

Zur Verdeutlichung vom Verfasser eingefügt. RGSt 5, 352, 353. RGSt 32, 239, 242; RG LZ 1918 (12.), 453, Nr. 33. S. 21; ders., FS Schlüchter, S. 104. Für das von ihm weiterhin angeführte Urteil RGSt 43, 437, 438 gilt dasselbe.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

einen sachverständigen Zeugen handelte. A. Schröder schließt hieraus, dass es bei der wörtlichen Protokollierung der Aussage nicht auf den genauen Wortlaut hätte ankommen können. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keineswegs zwingend. Entscheidend ist, dass es bei der Protokollierung der Aussage in der Tatsacheninstanz - nach Meinung des Tatgerichts - auf den Wortlaut der Aussage und nicht auf ihren Inhalt ankam. Da die genaue wörtliche Protokollierung in dem Urteil des RG selbst nicht wiedergeben wird 9 2 , erweist sich die von A. Schröder gezogene Folgerung lediglich als Vermutung. Mindestens in gleicher Weise ist vorstellbar, dass das Tatgericht die betreffende Aussage wegen ihres genauen Wortlautes festgehalten hatte. Sicher ist allein, dass die Aussage nicht aus dem Grunde protokolliert wurde, um vor dem Revisionsgericht den Nachweis der Zeugeneigenschaft der Auskunftsperson erbringen zu können. Die Auffassung des RG hat der B G H 9 3 - wiederum inzident - bestätigt, indem er wiederholt klarstellte, dass allein der Tatrichter zu beurteilen habe, ob es auf den Wortlaut 94 einer Aussage ankommt. Deutlich wird die Ansicht vor allem in einer unveröffentlichten Entscheidung des B G H 9 5 über eine Revision, mit der u. a. eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung zweier Anträge auf wörtliche Protokollierung einer Antwort eines Sachverständigen gerügt wurde. In der Urteilsbegründung führt der BGH aus, dass ein Anspruch auf wörtliche Protokollierung einer Aussage nur dann bestehe, wenn es „auf den Wortlaut 96 der Aussage" ankomme. Die mit der Revision u.a. geltend gemachte Rüge, die Verteidigung sei dadurch unzulässig beschränkt worden, dass zwei Anträge auf wörtliche Protokollierung einer Antwort eines Sachverständigen abgelehnt worden seien, verwarf der BGH mit der Begründung, die Revision habe nicht vorgetragen, „weshalb es bei den Äußerungen des Sachverständigen auf deren Wortlaut 91 hätte ankommen sollen". Auch in einer veröffentlichten einschlägigen Entscheidung aus jüngerer Zeit stellte der B G H 9 8 fest, dass allein der Tatrichter zu beurteilen habe, ob es auf den Wortlaut 99 einer Aussage ankomme 1 0 0 . Schließlich spricht auch die Praxis der Gerichte, Rechtsmittelverzichtserklärung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 wörtlich zu protokollieren, nicht für ein 92 93 94 95 96 97 98 99

Darauf weist A. Schröder, S. 21 Fn. 121 i.Ü. selbst hin. BGH JR 1966, 305; BGHSt 38, 14, 17 = JZ 1992, 106, 107. Hervorhebung durch den Verfasser. BGH Urt. v. 20.5.1980 - 1 StR 177/80. Hervorhebung durch den Verfasser. Hervorhebung durch den Verfasser. BGHSt 38, 14, 17 = JZ 1992, 106, 107. Hervorhebung durch den Verfasser.

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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anderes Verständnis der Vorschrift durch die höchstrichterliche Rechtsprechung 1 0 1 . Denn wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde 1 0 2 , ist bei Abgabe einer Rechtsmittelverzichtserklärung ganz besonders ihr genauer Wortlaut von Bedeutung, da ein Rechtsmittelverzicht nur bei eindeutiger, vorbehaltloser und ausdrücklicher Erklärung wirksam i s t 1 0 3 . Aus der obergerichtlichen Rechtsprechung ist - abgesehen von einer Entscheidung des OLG Dresden 1 0 4 aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts - nur die Auffassung des OLG Bremen 1 0 5 bekannt. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1969 1 0 6 berief sich das Gericht auf die einschlägige Rechtsprechung des RG und des BGH und führte überdies aus, dass die Prozessbeteiligten selbst dann keinen Anspruch auf wortgetreue Fixierung einer Aussage hätten, „wenn sie glauben befürchten zu müssen, das Gericht werde die Aussage andernfalls in schulderheblicher Weise fehldeuten". In einem Beschluss aus dem Jahre 1975 1 0 7 stellte das OLG Bremen fest, dass ein Antrag eines Betroffenen auf inhaltliche Protokollierung nur dann abgelehnt werden könne, „wenn und soweit es bei der Entscheidung des Einzelfalls weder auf den genauen Wortlaut noch auf die gebrauchten Ausdrücke ankomme" 1 0 8 . (bb) Die herrschende Meinung im Schrifttum Auch die herrschende Meinung im Schrifttum hält ein rechtliches Interesse an einer wörtliche Protokollierung einer Aussage oder Äußerung nicht bereits dann für gegeben, wenn diese ihrem („bloßen") Inhalt nach entscheidungserheblich sind bzw. sein könnten und erweisen sich insoweit als konform. Wann es konkret auf die Feststellung einer Erklärung in der Hauptverhandlung ankommen soll, wird jedoch auch vom herrschenden Schrifttum nicht völlig einheitlich beantwortet. 100

Die Behauptung von A. Schröder, S. 21, in der tatrichterlichen Hauptverhandlung habe es auf den genauen Wortlaut nicht ankommen können, ist ebenfalls als bloße Vermutung einzustufen. 101 A.A. A. Schröder, S. 21 f.; ders., FS Schlüchter, S. 104. 102 2. Kapitel Α. I. 2. b) bb). 103 OLG Köln, NJW 1980, 2720; Meyer-Goßner, § 302 Rn. 20. 104 JW 1932 (61.), 433, 55 Nr. 13: dort vertrat das OLG Dresden die Auffassung, dass „über die Frage, ob der Wortlaut einer Aussage von besonderer Erheblichkeit und deshalb zu protokollieren ist, lediglich das Ermessen des (Tat-) Gerichts zu entscheiden" habe. 105 OLGSt (alte Folge), § 273 Nr. 2, S. 5 ff.; bei Ernesti/Jürgensen, SchlHA 1976, 172 Nr. 83. 106 OLGSt (alte Folge), § 273 Nr. 2, S. 5, 6 f. 107 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen, SchlHA 1976, 172 Nr. 83. 108 Hervorhebungen durch den Verfasser.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

Der überwiegende Teil der Autoren 1 0 9 vertritt eine als restriktiv einzustufende Auslegung der Vorschrift des § 273 Abs. 3 S. 1. Eine vollständige Protokollierung einer Erklärung soll danach nur dann möglich sein, wenn es auf den genauen Wortlaut derselben ankommt 1 1 0 . Entscheidend sei, dass die Aussage gerade mit diesem und nicht mit anderem Wortlaut gemacht wurde, z.B. wenn es in einem Beleidigungsverfahren auf den vom Zeugen wiedergegebenen Wortlaut der beleidigenden Äußerung ankomme 1 1 1 . Auf die Feststellung des Wortlautes einer Erklärung komme es darüber hinaus auch dann an, wenn sie je nach ihrer genauen Formulierung unterschiedlich gedeutet werden könne 1 1 2 . Demgegenüber wird die Beweiserheblichkeit einer Erklärung allein nicht für ausreichend gehalten 113 . Eine vollständige Protokollierung soll danach selbst dann nicht möglich sein, wenn eine Äußerung nach Meinung des Gerichts (nur inhaltlich) für die Beweiswürdigung von besonderer Bedeutung ist. Auch Pfeiffer 1 1 4 ist zwar der Auffassung, dass es auf den Wortlaut einer Erklärung nicht schon dann ankomme, wenn ihr Inhalt entscheidungserheblich ist. Andererseits ist er der Meinung, dass der Anwendungsbereich des Abs. 3 nicht soweit eingeschränkt werden dürfe, dass ein Wortprotokoll nur noch dann angeordnet wird, wenn ein bestimmter, nicht synonym ersetzbarer Begriff verwendet wurde 1 1 5 . Ausreichend sei vielmehr bereits, wenn die Aussage oder Äußerung „ ganz oder zum Teil für die Beweiswürdigung von ganz besonderer Bedeutung" sei, was z.B. bei einem Geständnis der Fall sei. 109 Fezer, 11 Rn. 110; Pohl, Rn. 170; Schellenberg, S. 59; Sieß, NJW 1982, 1625, 1626; M. J. Schmid , NJW 1981, 1353, 1354; wohl auch Michel, MDR 1996, 773 und Uetermeier, NJW 2002, 2298, 2299; vgl. auch Basdorf, SchlHA 1993, 57, 60; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 23; kritisch Burhoff, Rn. 721. 110 SKJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 23. 111 M. J. Schmid , NJW 1981, 1353, 1354. 112 Meyer-Goßner, § 273 Rn. 22; LR-Gollwitzer, § 273 Rn. 42; Michel, MDR 1996, 773; Ranft, JuS 1994, 785, 788; Schellenberg, S. 59; SK/StPO-Schlüchter, § 273 Rn. 23; vgl. auch Ranft, Rn. 1481; vgl. auch Malek, Rn. 432. Bea. jedoch den - jedenfalls scheinbaren - Widerspruch in der Äußerungen Gollwitzers, LR § 273 Rn. 43, wenn er andererseits darauf hinweist, dass das Festhalten des Wortlautes u.a. dann angezeigt sein könne, weil das Gericht Wert darauf legt, dass ihm von einer wichtigen Aussage ein Wortlautprotokoll für die Urteilsberatung oder für deren Entscheidung zur Verfügung stehe. Widersprüchlich scheint insoweit auch die Auffassung von Meyer-Goßner, § 273 Rn. 22 zu sein, wenn erklärt wird, dass es für das laufende Verfahren auf die Feststellung von Vorgängen und Äußerungen insbesondere dann ankomme, wenn diese für die Beweiswürdigung von besonderer Bedeutung seien (unter Hinweis auf KK-Engelhardt, § 273 Rn. 23). 113 SKJStPO-Schlüchter, § 273 Rn. 23. 114 Pfeiffer, § 273 Rn. 6; vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Rn. 958, wonach „besonders wichtige Erklärungen wörtlich niederzuschreiben" seien. 115 Gegen eine solche restriktive Handhabung spricht sich auch Richter II, StV 1994, 454, 455 aus.

Β. Die Voraussetzung des Ankommens auf die Feststellung

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(b) Abstellen auf die inhaltliche Entscheidungserheblichkeit einer Aussage oder Äußerung (Teil des Schrifttums) Eine im Schrifttum vertretene neuere Ansicht tritt der h. M. entgegen und lässt die (inhaltliche) Entscheidungserheblichkeit einer Aussage oder Äußerung für deren vollständige Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 ausreichen. Insbesondere Ülsenheimer 116 vertritt die Auffassung, eine wortgetreue Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 S. 1 könne auch dem Zweck dienen, erhebliche Beweisergebnisse für die Entscheidung des Instanzgerichtes, für eine eventuelles Berufungsverfahren oder für eine andere Rechtssache festzuhalten. Auf die Feststellung einer Aussage oder Äußerung soll es danach schon dann ankommen, wenn diese für die Entscheidungsfindung in diesem (oder einem anderen) Verfahren rechtserheblich sein könne. Dies sei immer dann der Fall, wenn sich eine derartige Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen lasse. Ausreichend soll danach sein, dass die Entscheidung als solche auf dem zu protokollierenden Vorgang oder der fraglichen Aussage sachlich in irgendeiner Weise beruhen könne. Dieser (potentielle) Kausalzusammenhang sei aus einer ex-ante-Sicht im Sinne einer objektiv vorausschauenden Prognose zu beurteilen. Denn das Gewicht einer Aussage oder die Bedeutung eines Vorgangs könnten durch den späteren Prozessverlauf verändert werden. So könne z.B. eine bestimmte - zunächst wichtig erscheinende - Zeitangabe des Angeklagten durch die Zeugenvernehmung oder die zunächst als wesentlich angesehene Äußerung eines Sachverständigen durch einen anschließenden Augenschein

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NJW 1980, 2273, 2276; ihm folgend AK/StPO-Lemke, § 273 Rn. 17; Krekeler, AnwBl. 1984, 417, 418; Malek, Rn. 432; HK -Julius, § 273 Rn. 18, wonach ein Antrag auf wörtliche Protokollierung einer Aussage (u.a.) „der revisionsrelevanten Festschreibung eines bestimmten Beweisergebnisses" dienen kann; auch KK-Engelhardt, § 273 Rn. 23, lässt die mögliche Bedeutung einer Erklärung für die Beweiswürdigung ausreichen; wohl auch Strafverteidigung-Gatzweiler/Mehle, Rn. 404 und Kühne, Rn. 972; vgl. auch Burhoff, Rn. 721. Siehe jüngst auch Meyer-Mews, NJW 2002, 103 ff., nach dem eine Wortprotokollierung (durch Audio- oder Videomitschnitt der Beweisaufnahme) zumindest in den folgenden Fällen zu erfolgen habe: wenn Maßnahmen zum Zeugenschutz ergriffen werden (z.B. bei Durchführung der Beweisaufnahme in Abwesenheit des Angeklagten nach § 247 StPO), wobei dann die gesamte Beweisaufnahme wörtlich zu protokollieren sei; bei „umfangreicheren Verfahren mit erheblichen strafrechtlichen Risiken für den Angeklagten" jedenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Verteidigers sowie wenn der den Anklagevorwurf bestreitende Angeklagte allein aufgrund der Aussage eines Zeugen verurteilt werden könnte („Aussage gegen Aussage"). Hiergegen: Uetermeier, NJW 2002, 2298 ff.

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2. Kap.: Die Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO

unerheblich werden. Daher sei über die Frage einer wörtlichen Protokollierung stets „hic et nunc" zu befinden. Eine der Auffassung Ulsenheimers ähnliche Ansicht vertritt neuerdings A. Schröder 117 . Seiner Ansicht nach ist eine Aussage bereits dann wörtlich zu protokollieren, wenn der „wörtliche Inhalt dieser Aussage für das Interesse an einer Protokollierung erheblich ist". Dies sei bei „